Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren: Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 24. April 1991 [Reprint 2010 ed.] 9783110880076, 9783110132175

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Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren: Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am  24. April 1991 [Reprint 2010 ed.]
 9783110880076, 9783110132175

Table of contents :
I. Die Prominenz der Gaukler
II. Das Privileg der Redefreiheit
III. Höfische Gleichberechtigung
IV. Eisenfresser und Ehrlose
V. Die Kleiderordnung
VI. Juristisches Herrscherbild
VII. Narren im Hauptamt und Nebenamt
VIII. Der Höhere Dienst
IX. Kampf um Gerechtigkeit
X. Am Rand der Legalität
XI. Unter kanonischem Recht
XII. Der Streit mit den Schranzen
XIII. Kurzweilige Tischräte
XIV. Führungszeugnis eines Hofnarren
XV. Über den Tod hinaus
XVI. Der Sieg der Mätressen
XVII. Untergang eines Standes
XVIII. Närrische Gerichtsbarkeit
Literatur

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Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 124

w DE

G_ 1991

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Clemens Amelunxen Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren

Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren

Von Clemens Amelunxen

Erweiterte Fassung eines Vortrags gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 24. April 1991

w _c DE

1991

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Dr. jur. Clemens Amelunxen, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, stellvertretender Vorsitzender des Justizprüfungsamtes Düsseldorf

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Amelunxen, Clemens: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren : erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 24. April 1991 / von Clemens Amelunxen. - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1991 (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin ; H . 124) I S B N 3-11-013217-6 N E : Juristische Gesellschaft (Berlin): Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin

© C o p y r i g h t 1991 by Walter d e G r u y t e r & C o . , D - 1 0 0 0 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Ü b e r s e t z u n g e n , Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen S y s t e m e n . Printed in G e r m a n y Satz und D r u c k : Saladruck, Berlin 36 Buchbinderische Verarbeitung: Dieter Mikolai, Berlin 10

Inhalt

I. Die Prominenz der Gaukler

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II. Das Privileg der Redefreiheit

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III. Höfische Gleichberechtigung IV. Eisenfresser und Ehrlose V. Die Kleiderordnung VI. Juristisches Herrscherbild VII. Narren im Hauptamt und Nebenamt VIII. Der Höhere Dienst

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IX. Kampf um Gerechtigkeit

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X. Am Rand der Legalität

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XI. Unter kanonischem Recht XII. Der Streit mit den Schranzen

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XIII. Kurzweilige Tischräte

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XIV. Führungszeugnis eines Hofnarren

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XV. Uber den Tod hinaus

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XVI. Der Sieg der Mätressen

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XVII. Untergang eines Standes

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XVIII. Närrische Gerichtsbarkeit

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Literatur

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I. Die Prominenz der Gaukler Daß Narrheit und Recht miteinander wenig zu schaffen haben, wird ein rechter Narr nicht behaupten wollen. Vielfältige juristische Bezüge sind historisch erkennbar zumindest bei der prominenten Oberschicht aller Gaukler, den Hofnarren, jenen berufenen, ernannten, später gar beamteten Spaßmachern, die jahrhundertelang Wegbegleiter der Potentaten gewesen sind. ~ Hofnarren gibt es im Altertum, im Mittelalter und weit in die Neuzeit hinein an fast sämtlichen Höfen - bei Kaisern und Sultanen, Päpsten und regierenden Bischöfen, Königen und Duodezfürsten. Sie rekrutieren sich aus dem unerschöpflichen Reservoir der Volksnarren des platten Landes, werden ausgebildet und herangezüchtet, verprügelt und gescholten, aber auch in wichtige Amter befördert und höchlich geehrt. „Seiten-Einsteiger", nicht selten Ritterbürtige oder Akademiker, verpflichteten sich freiwillig durch Verträge zu närrischem Dienst am Hof, in der Hoffnung auf weiteren Aufstieg. Sie machen Politik und treiben Einflußhandel, verteidigen und verraten ihre Herren nach Charakter und Laune, sammeln Schätze und verprassen sie wieder. Sie tragen grobe Scherze, aber auch Weisheit und manche gute Tat durch die Geschichte, bis sie im 18. Jahrhundert durch die Mätressen aus ihren Amtern gejagt werden. Die Wiege der Hofnarren steht im Orient, wo die Herrscher absolut und die Untertanen meistens gehorsam sind. Aus religiösen und rechtlichen Gründen ist hier das Klima für das Narrentum günstig: Beschränktheit, Torheit, Tick oder gar heller Wahnsinn gelten als göttliche Auszeichnung, die dem Betroffenen fromme, respektvolle Scheu seiner Mitmenschen einträgt, ihn vielfach auch unverantwortlich macht und außerhalb der Gesetze stellt. Da aber ebenso der Herrscher als Abgesandter Gottes und Beauftragter des Himmels gilt, so stehen sich Fürst und Narr in geheimnisvoller Wechselbeziehung, ja in mystischer Verwandtschaft gegenüber. Sie gehören zusammen wie die Brennpunkte einer Ellipse. Der Fürst kann nicht Unrecht tun, der Narr ebensowenig. So zieht der Fürst den Narren an sich, und jener drängt sich zum Fürsten.

II. Das Privileg der Redefreiheit Das Rechtsprivileg des offenen Wortes und der Redefreiheit, auf dem die ganze historische Bedeutung des Hofnarrentums beruht, ist auch

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ursprünglich ein religiöses Tabu, denn aus dem Wahnwitzigen spricht Gott. Wo selbst mächtige Höflinge schweigen müssen, darf der Narr seine Meinung sagen, und bisweilen hört der Monarch allein auf ihn. Erst später wird dieses Privileg säkularisiert; es ist der schlichte Lohn dafür, daß der Narr den Fürsten ergötzt und aufmuntert: man soll dem Ochsen, wenn er drischt, nicht das Maul verbinden. Auch erfüllt der Narr parlamentarische und publizistische Funktionen zu Zeiten, in denen das Volk schweigen muß und Medien unbekannt sind. Hier eben setzt die politische Strategie der Hofnarren des „höheren Dienstes" an, wenn ich sie einmal so nennen darf. Es ist immer noch ein verbreiteter Irrtum, daß alle Hofnarren Krüppel, mißgestaltete Zwerge, Geistesschwache oder gar Geisteskranke gewesen seien. Die großen geschichtlichen Figuren dieser Zunft waren das keineswegs. Es befinden sich unter ihnen eminent kluge Männer, die sich bewußt unter der Narrenkappe tarnen und verstecken, weil sie sonst ihre Botschaft nicht verkünden, ihren Einfluß nicht gezielt ausüben könnten. Der bewußte Anschein der Torheit bringt sie ans Ziel. Es ehrt manchen Fürsten, daß er solche Gaukelei wohl durchschaut, aber großmütig mitspielt. Dazu gehören die Könige der Lyder, Meder und Perser, später auch der römische Kaiser Augustus, der seinem intelligenten Hofnarren Cäcilius Galba jegliche Freiheit gewährt. Auf perfekten Rechtsschutz ist freilich unter absoluten Herrschern kein Verlaß. Als der Hofnarr des weisen Königs Salomon die Weiberwirtschaft am Hofe rügt, soll er aufgehängt werden und erbittet die letzte Gunst, sich den Baum, an dem er baumeln soll, selbst aussuchen zu dürfen. Er läßt sich von seinen Henkern kreuz und quer durchs Land führen natürlich ohne einen Baum zu finden, der ihm paßt. Nach vielen Wochen erfolgloser Suche verliert die Eskorte die Geduld und bringt ihn erneut vor den König, der sich über den klugen Einfall salomonisch amüsiert und dem Narren das Leben schenkt. Da enthüllt sich die närrische Grundsituation. Ein Hofnarr lebt gefährlich. Er weiß nie genau, wie weit er gehen darf, denn große Herren sind unberechenbar. Wenn er plötzlich am Rand seiner Existenz steht, muß er eine derartige Kapriole schlagen, daß alle frühere Narretei noch übertrumpft wird. Dabei riskiert er, daß der Fürst sich noch ärger erzürnt und ihn noch schlimmer behandelt. Demgegenüber steht die Chance, daß der Fürst seinen Humor wieder findet und den Narren nicht nur begnadigt, sondern vielleicht noch auszeichnet. Zu solchem Spiel gehören Nerven. Als ein Seldschuken-Fürst sich seinem Hofnarren im Bade nackt zeigt und ihn so eitel wie verfänglich fragt: „Wieviel bin ich wert?", da erwidert der unerschrockene Mann: „Dreißig Asper" - ein Pfennigbetrag. Der

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Fürst brüllt empört: „So viel kostet ja allein das Badetuch!" Woraufhin der Hofnarr kaltblütig versetzt: „Das ist mitgerechnet." Er hat Glück, der Fürst lacht sich halbtot. Kaum anders in viel späterer Zeit der sächsische Hofnarr Taubmann, der seinem Kurfürsten die gefährliche Frage, ob der Landesherr selbst auch zu den vielen Narren an seinem Hof zähle, in zweideutigem Latein so beantwortet: „Ille est eximius" - was entweder heißen kann: Der ist ausgenommen, oder aber: Der ist es in ausnehmendem Maß. Ein Hofnarr, der die Nerven verliert, nimmt ein schlimmes Ende. So der berühmte Gonnella im 15. Jahrhundert am herzoglichen Hof zu Ferrara. Sein Fürst läßt ihn in einem närrischen Schein-Prozeß, den nur der Angeklagte selbst ernst nimmt, zum Tode verurteilen. Als er seinen Kopf auf den Richtblock legen muß, erleidet er in Panik einen tödlichen Herzschlag - just in dem Moment, als der Henker ihm zum Ergötzen des Hofstaats einen Eimer Wasser über den Kopf kippen will, womit der Spaß sein wohltätiges Ende genommen hätte. Aber „zu Tode gefürchtet ist auch gestorben". Freilich verlieren nur wenige Hofnarren so schändlich die Nerven. Wer sie behält, kann nicht nur eigenes, sondern auch fremdes Leben retten. Als der Mongolenherrscher Tamerlan mit großer Streitmacht gegen das türkische Reich heranrückt, ist Sultan Bajazetl. gerade damit beschäftigt, eine Offiziersverschwörung aufzudecken und die Teilnehmer hinrichten zu lassen. Der Hofnarr Nasuddin Hodscha erkennt die Forderung der Stunde nüchterner und empfiehlt seinem Sultan: „Wohlan, lasse sie alle köpfen! Du, ο Beherrscher der Gläubigen, wirst dann die Fahne schwingen, ich rühre die Trommel, und so werden wir beide ganz allein gegen die Mongolen ziehen!" Bajazet folgt der besseren Einsicht und sieht mit Genugtuung, daß die begnadigten Verurteilten sich nun im Kampf wie die Löwen schlagen. Hofnärrische Macht über Leben und Tod kann freilich auch negativ ausgeübt werden. Der Leibzwerg des Kaisers Tiberius erinnert seinen Herrn bei einem Gastmahl daran, daß der Majestätsbeleidiger Paconius immer noch vergnügt lebe. Die heuchlerische Mahnung hat Erfolg Paconius wird, wie der Historiker Sueton berichtet, wenige Tage später auf kaiserlichen Befehl umgebracht. Böse Herrscher haben böse Hofnarren, und umgekehrt.

III. Höfische Gleichberechtigung U m seine Stellung am Hof im Sinn der Redefreiheit zu festigen, muß der Hofnarr ein anderes Grundprinzip seiner Existenz hochhalten, das wiederum juristischer Natur ist. Unerbittlich besteht er auf persönlicher

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Gleichberechtigung mit „seinem" Fürsten. Er duzt den Monarchen, nennt ihn „Mein Herr Vetter", verweigert ihm Fuß- und Ringkuß samt jeglicher Ehrenbezeigung. Die Welt der Narrheit steht ebenbürtig neben der Welt der Vernunft; mehr noch, beide Reiche sind auswechselbar. Wenn hohe Herren ihren Unmut äußern, weil der Narr an ihrer rechten Seite geht, so eilt dieser flugs nach links und sagt mit Betonung: „Aber mir macht es gar nichts aus, einen Narren rechts gehen zu lassen!" U n d wenn der Fürst seinem Narren im Spaß einen Rollentausch anbietet mit dem Bemerken: „Mich würde es nicht stören, Dich als Fürsten zu sehen!", so muß jener trocken erwidern: „Aber mich würde es stören, Dich als Narren zu haben." Die Hofnarren brauchen Selbstbestätigung, und ohne ständige Vertauschung von Phantasie und Wirklichkeit, von Bild und Spiegelbild können sie nicht leben. Rechtsphilosophisch darf vermutet werden, daß die Ideen des Manichäismus, dann auch die frühchristlich-augustinische Lehre von den „zwei Reichen" (der Civitas Dei und der Civitas terrena) nicht ohne Einfluß auf diese hofnärrische Position gewesen ist. In solchem Klima gedeihen seit dem frühen Mittelalter - wiederum vorzugsweise in Osteuropa und Vorderasien - große Männer der Zunft: der berühmte Jurist Ulpian, der sich um 200 n. Chr. am Kaiserhof zu Byzanz als Spaßmacher betätigt, bis er bei Schöpfung der Pandekten ein neues Arbeitsgebiet findet; im 5.Jahrhundert des Hunnenkönigs Attila Hofnarr Zerkon, der hunnisch, lateinisch und gotisch spricht und bei Friedensverhandlungen als Simultandolmetscher dient; dann jener Bahalul, Hofnarr des Kalifen Harun al Raschid - der, als sein Herr von ihm ein Verzeichnis aller Narren in Bagdad verlangt, die hübsche Antwort erteilt: „Das, ο Schatten Allahs auf Erden, ist eine zu schwere Aufgabe; es wäre leichter, eine Liste aller Vernünftigen anzulegen, denn ihre Zahl ist klein und gut übersehbar!" Früher als jeder christliche Fürstenhof wird der türkische Serail eine feste Burg der Hofnarren. Es sind die osmanischen Sultane, die erstmals ihre Narren etatisieren, ihnen ordentliche Hofämter mit regelmäßiger Besoldung und Pension gewähren, sie von der Leibeigenschaft befreien und jeden mit schwerer Strafe bedrohen, der solche Männer auch nur verbal beleidigt.

IV. Eisenfresser und Ehrlose Die Hofnarren-Renaissance im Abendland beginnt mit den Kreuzzügen, als höfische Kultur mit allerhand Kunstfertigkeit, feiner Lebensart und Mohrensklaven ein zweites Mal nach Westen wandert. Es ist ein

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langwieriger Prozeß. Die Hofnarren werden nicht als vollendete Figuren importiert, zumal „Höfe" im Sinne fester, ortsgebundener Residenzen mit juristisch-zeremoniellem Schema sich erst mühsam entwickeln. Die Ottonen sind noch wie die Sachsenkaiser von Pfalz zu Pfalz gezogen, und schon Karls des Großen Hofnarr Verenaulf mußte ein unruhiges Leben führen. Der Bewegungsdrang (oder -zwang) der mittelalterlichen Herrscher bringt es mit sich, daß ihre häufig wechselnden Narren aus zwei ganz unterschiedlichen Schichten kommen - einmal aus dem bunten Milieu der umherziehenden Possenreißer, zum anderen aus dem reisigen Gefolge der Herren selbst. Immer müssen es zu dieser stürmischen Zeit Leute sein, die gut zu Fuß und gut im Sattel sind, eher also Raufbolde, Rüpel und Eisenfresser als etwa gebildete Spötter; der feinere Typ erscheint in Westeuropa nicht vor dem 14. Jahrhundert. So ist es zu erklären, daß mehrere Grobiane der genannten Art gar ihre Herren tätlich angreifen und damit ihr Standesprivileg der Unverletzlichkeit verwirken. In Schlesien erschlägt ein Hofnarr seinen Herzog BoleslavII. mit einem Ziegelstein, wofür er vor dem Köppentor zu Schweidnitz enthauptet wird. Gleicher Strafe verfällt ein Hofnarr Capuchion zu Paris, weil er gegen den König von Frankreich den Degen gezogen hat. Seit dem 13. Jahrhundert sind Narren in der Umgebung der meisten europäischen Fürsten zu finden. Aber ihre Rechtsstellung ist hier, eben anders als im Orient, noch sehr ungefestigt. Sie werden „von den Menschen geehrt, doch vom Gesetz verfolgt", wie eine zeitgenössische Quelle berichtet. Der Sachsenspiegel wirft die Schalksnarren in einen Topf mit den unehrlichen Leuten, mit Henkern, Schindern und verdächtigen Vaganten, deren Nachlaß dem Staat verfällt. Die Stadt Boulogne verbietet ihnen im Jahr 1288 den Aufenthalt, Köln schreibt ihnen dürftige Niedrigpreise als Eintrittsgeld für ihre Darbietungen vor, und in Paris wird ihnen für „Ärgernis erregendes Singen" eine zweimonatige Kerkerstrafe bei Wasser und Brot angedroht. In Deutschland sind allgemein die freien Reichsstädte, wo die nüchternen, fleißigen Bürger nichts von unnützem Possenkram halten, den Narren weit weniger wohlgesonnen als die großen Herren. „Ratsnarren" werden nur gelegentlich, aufgrund befristeter Dienstverträge mit knappem Salär, bei bestimmten Anlässen wie Jubiläen, Umzügen, Hochzeiten und öffentlichen Gelagen engagiert. Man kann die Diskriminierung im Recht und die Zurückhaltung in der öffentlichen Meinung verstehen, denn die Herkunft mancher Narren ist dunkel genug. Sie wachsen im Dunstkreis der fahrenden Sänger, Jongleurs, Spielleute, ungeratener Abkömmlinge der Troubadours, Barden und Minstreis, die schon längst nicht mehr sechs Monate im Jahr auf

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öffentliche Kosten leben dürfen, vielmehr zu jener Zeit eine Landplage zwischen Irland und den Pyrenäen geworden sind, weil sie schmarotzen, prellen und schamlos betrügen. Es ist eine fast logische Folge, daß die Narren, vor allem die besseren unter ihnen, in immer stärkerem Maß Zuflucht an den Höfen suchen, wo sie ihre Eigenschaften voll entfalten, ihre Späße nicht nur gelegentlich, sondern ständig treiben dürfen. Auch die Fürsten wissen, wo die besten Narren wachsen und wie man sie herbeischafft. Im 14. Jahrhundert ist in Frankreich die Stadt Troyes offizielle Hoflieferantin für Narren der Residenz. König Charles V. schreibt den Stadtvätern: „Mein Narr ist gestorben; wollet mir nach alter Gewohnheit einen neuen senden!"

V. Die Kleiderordnung Inzwischen hat man die Narren durch Gesetze und Verordnungen zu bestimmten Kennzeichen ihrer äußeren Erscheinung gezwungen, damit sie von ehrsamen Rittern und Bürgern unterschieden werden können. Diese Berufskleidung, die jahrhundertelang keinem Modewandel unterworfen ist, sieht so aus. Der Narr muß Tonsur tragen, weil auch die Lustigmacher und Mimen in Hellas und R o m am Kopf geschoren waren. Sein Haupt wird bedeckt von der Gugel, einer Art Kapuze, die am Hals fest anliegt, aber - im Gegensatz zur Gugel der Gelehrten und der Mönche - zusätzlich mit Hahnenkamm und Eselsohren geziert ist. Statt der Pritsche, die schon vom römischen Novellisten Apulejus bezeugt ist, schwingen die mittelalterlichen Narren einen Kolben in der Hand. An den Füßen tragen sie Schnabelschuhe, vorn spitz aufgebogen. Das kontrastfarbige Narrenkleid, meist blaugelb oder rotgrün in senkrechter Streifung, ist mit Schellen besetzt. Diese Glöckchen mögen eine Art Warnzeichen gewesen sein für Menschen, die mit Narren nichts zu schaffen haben wollen, wie ja die Aussätzigen zu ähnlichem Zweck eine hölzerne Klapper tragen müssen. Aber in der Zeit zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert tragen auch Fürsten, nach dem Vorbild der jüdischen Hohenpriester, kleine Glocken an der Kleidung. Anklänge an einen uralten apotropäischen Schutzzauber mögen hier erkennbar sein; aber auch die mystische Verwandtschaft zwischen Fürst und Narr wird wieder deutlich. Die Narren, die in höfische Dienste treten, bringen diese Kleidung mit. Manche schämen sich ihrer, wenn sie zu Rang und Ansehen kommen, legen die Gugel ab und ziehen mit Genehmigung ihres Fürsten Hofkleidung an. Die meisten aber bleiben ihr lebenslänglich treu und beherzigen das Sprichwort: J e größer Narr, je lauter Schellen - sie klappern und bimmeln, damit ihre Narrenweisheit in des Fürsten Ohr komme.

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VI. Juristisches Herrscherbild U m die Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt die eigentliche, nun fast 300 Jahre dauernde Blütezeit des europäischen Hofnarrentums. Es ist jener Zeitpunkt, zu dem im Westen ein neues Herrscherbild entsteht, ausgehend von Karls des Kühnen Herzogtum Burgund, das sich zwischen Frankreich und Deutschland als breiter Gürtel von der Nordsee bis zu den Alpen erstreckt und als Wiege der höfischen Kultur Europas gelten kann. Hier verbinden sich uralte Tabus von der Heiligkeit, Unberührbarkeit und Unverletzlichkeit des Monarchen mit den schon totgesagten Idealen der staufischen Ritterschaft zu einem neuen, ebenso wunderlichen wie großartigen Bild der irdischen Majestät. Der Herrscher „von Gottes Gnaden" ist magischer Repräsentant seines Volkes, dessen Wohl und Wehe in seinen Händen liegt. Wenn er auf dem Thron sitzt, so strömt Kraft von ihm aus. In England wie in Frankreich wird ihm die Gabe der Krankenheilung durch Handauflegen zugeschrieben. Niemand kann ihn zur Rechenschaft ziehen. Andererseits darf er, weil er als höheres Wesen gilt, vieles nicht tun, was gewöhnlichen Sterblichen erlaubt ist. Es ist das burgundische, dann das spanische Hofzeremoniell, das ihn einerseits von der Außenwelt abschirmt, ihm aber auch die vielfältigen Handgriffe, Bewegungen und Funktionen abnimmt, die er nicht persönlich ausüben darf. Dazu bedarf es des Hofstaats, bestehend aus zahlreichen Personen, deren Verantwortung minuziös festgelegt ist. An der Spitze steht der Obersthofmeister. Er folgt im Rang unmittelbar dem obersten Regierungsbeamten, später dem Leitenden Minister am Sitz des Hofes und ist für das gesamte, fast liturgische Zeremoniell in der Residenz verantwortlich. Ihm unterstehen die diensttuenden Hofmeister, die schichtweise arbeiten und sich turnusgemäß ablösen, ferner auch die Chefbeamten der verschiedenen Dienstapparate: der Kommandant der Leibwache; der leitende Hofarzt mit seinen Unterärzten, Zahnbrechern und Apothekern; der Oberkämmerer, der die diensttuenden Kammerherren mit ihrem Arbeitsstab von Leibdienern beaufsichtigt; der Oberstallmeister, der Oberhofkaplan oder Großalmosenier, der Quartiermeister und - vielleicht am wichtigsten - der Leiter des Küchen- und Tischdienstes. Entsprechend der mystischen Bedeutung, die jeder Nahrungsaufnahme des Herrschers für sein und des Volkes Wohlergehen zukommt, ist der entsprechende Dienst in fast unbeschreiblicher Weise überorganisiert. Fünf hohe, gleichrangige, nicht immer perfekt kollaborierende Beamte sind für ihn zuständig: der Obergeschirrmeister, der Oberfruchtmeister, der Oberkellermeister für den Wein, der Obertunkenmeister für kalte

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Speisen und endlich der Oberküchenmeister, Spezialist für Gesottenes, Gebratenes und Omelettes. Hier, und gerade an der fürstlichen Tafel, ist nur einer, der alle Vorschriften durchbrechen, der Wasser verspritzen und mit Äpfeln um sich werfen und die Tischgäste verspotten darf, der auch jederzeit unangemeldet Zutritt zum Fürsten hat - der Hofnarr als alte, neue Staatsfigur. Es ist der Narr Karls des Kühnen persönlich, der einmal den ungeheuerlichen Kontrast zwischen Wahn und Wirklichkeit auf seine Weise verdeutlicht. Als sein romantischer Herr, der gern bramarbasiert und sich als Feldherr mit Hannibal vergleicht, seine Länder als besiegter Flüchtling verlassen muß, da ruft er ihm zu: „Voilä, Monseigneur, nous sommes bien annibalises" - da hat man uns schön zum Hannibal gemacht... Dieser Narr heißt „Le Glorieux", der Ruhmreiche, und so ist sein Nachgedächtnis als ein Großer seiner Zunft erhalten geblieben.

VII. Narren im Hauptamt und Nebenamt Der Fürst, in die spanischen Stiefel der Etikette einschnürt, wird doppelt begierig darauf, einen Menschen um sich zu haben, mit dem er über die Stränge schlagen darf. Jener, der bisher „Narr am Hofe" war, wird nun erstmals in Frankreich um 1500 - im eigentlichen Sinn „Hofnarr". Er wird in das verwickelte Zeremonialschema aufgenommen, wenngleich exemt und nur dem Fürsten unterstellt und verantwortlich. Er bekommt Hof rang und einen Titel. In Frankreich heißt er „Fou du Roi en titre d'office". Von den Sorgen um die Notdurft des Leibes wird er endgültig befreit. Die Narren am kurfürstlichen Hof zu Dresden beziehen im ^.Jahrhundert kostenfrei „Obdach, Mahl, Schlaftrunk, Licht, Hofkleidung", dazu ein weiteres „Eingeschneide" in zusätzlichen Naturalien - Lebensmittel, Brennholz, Kerzen - sowie ferner ein Jahresgehalt von 150 Goldgulden. Um dieses, praktisch als Luxus-Taschengeld verfügbare Gehalt richtig würdigen zu können, muß man wissen, daß damals ein Wittenberger Student mit 30 Gulden jährlich durchaus leben kann; denn der Gulden hat 24 Groschen, der Groschen 10 Pfennig, eine Ente oder ein Pfund Schweinefleisch kostet nur einen Groschen, eine Kanne Wein ist schon für fünf Pfennige zu haben. Außer seinen festen Bezügen erhält der Hofnarr noch reichliche Trinkgelder für gelungene Späße, bei wachsendem Einfluß auch Bestechungsund Schmiergelder von interessierten Kreisen. Wenn ihm durch körperliche Attacken allzu übel mitgespielt wird, kann er mit Schmerzensgeld rechnen, das entweder vom Fürsten selbst ausgeworfen oder auf dessen Befehl von den Verübern der bösen Streiche bezahlt wird.

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Der Unterschied zwischen haupt- und nebenamtlichen Hofnarren ist anfangs bedeutsam, verwischt sich aber bald in der Praxis. Wir sahen schon, daß nicht alle Narren von „außen", also vom fahrenden Volk, aus narrenfeindlichen Städten oder vom Bauernland, an den Hof kommen, sondern daß der Hof auch „inwendig", aus sich selbst heraus, Narren erzeugt. Anfangs tragen nur jene die Gugel und führen den offiziellen Hofnarren-Titel, während die Gefolgsleute des Herrschers nur nebenbei ihre Späße treiben, von anderen Amtspfründen leben und die Narrentracht nicht anlegen. Doch gehen die Grenzen auch durcheinander. Mancher Hofmann wächst derart in die Narrheit hinein und wird eine so lächerliche Figur, daß er sich selbst jede weitere Karriere abschneidet. Andererseits wächst mancher „Fou en titre" über seine Eselsohren hinaus und wird ein einflußreicher Politiker.

VIII. Der höhere Dienst An einigen Hofnarren des „höheren Dienstes" jener Zeit können wir nicht ohne kurze Erwähnung vorbeigehen. Da ist Kunz von der Rosen, ein ritterbürtiger, sprachenkundiger Mann, der seit 1478 seinem Kaiser Maximilian treffliche Empfehlungen gibt, zum Geheimen Rat befördert wird und später ein Ruhegehalt bezieht. Aus völlig anderem Milieu stammt sein Zeitgenosse Claus von Ranstädt, der in seinem Heimatdorf Gänse hütet, bis seine Begabung entdeckt und er als Narr an den sächsischen Hof zu Dresden berufen wird. Er ist grob und ungebildet, aber mit dem Amt kommt ihm der Verstand, und er dient fünf Herrschern in unmittelbarer Folge: den Kurfürsten Ernst (f I486) und Albrecht ( f l 5 0 0 ) , dem Erzbischof Ernst von Magdeburg ("t* 1513), dann noch den Kurfürsten Friedrich dem Weisen ( f l 5 2 5 ) und Johann dem Bekenner (f 1532). Trotz seiner niederen Herkunft steht er Kunz von der Rosen an Courage und politischer Einsicht nicht nach. Als Friedrich der Weise seine Länder teilen will, erscheint Claus in seinem besten Rock, zerschneidet ihn mit der Schere und sagt zum Kurfürsten: „So wird es Dir ergehen, wenn Du Sachsen aufteilst!" Ein anderes Mal spielt er in einem Sandkasten „Kuchenbacken". Auf die Frage des Kurfürsten, was das bedeuten solle, erwidert er: „Das sind Dörfer - die großen mit den reichen Klöstern und schönen Häusern sind alle dem sächsischen Adel verpfändet, und nur die kleinen gehören noch Eurer Durchlaucht!" Die treffsichere Kritik an öffentlichen Zuständen und Maßnahmen ist bei den prominenten Hofnarren dieser Zeit bemerkenswert. Jonas, Hofnarr Kaiser Ferdinands II., rügt das Urteil eines Kriegsgerichts, das einen gemeinen Soldaten zum Tod durch den Strang verurteilt,

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obwohl die eigentliche Schuld beim vorgesetzten Offizier liegt: „Man muß höher hängen, man hängt zu niedrig!" Nelle, Hofnarr des Kaisers Matthias, verspottet die ergebnislosen Palaver beim Regensburger Reichstag im Jahre 1613; er läuft mit einem dicken Buch, das lauter leere Blätter enthält, durch den Ratssaal und trompetet: „Hier wollte ich die Reichstagsbeschlüsse aufzeichnen, aber es sind keine gefaßt worden, und so steht nichts drin!" Lips, Hofnarr beim Markgrafen Philipp von Baden, erkennt die Nützlichkeit des jüdischen Handels für die Staatskasse und empfiehlt: „Wir sollten die Juden hereinlassen, damit wir, wenn schon kein Christentum, so doch wenigstens eine Religion im Lande haben!" Und der hochberühmte Triboulet, Hofnarr König Francois'I. von Frankreich, nimmt im Salon ein Porträt des britischen Erzfeindes Heinrich VIII. vom Nagel und hängt es am verschwiegenen Ort, wohin auch sein Herr zu Fuß geht, wieder auf. Den König, der sich darüber wundert, grinst er an: „Majestät haben gewiß immer die Hosen voll, wenn Sie das Bild nur ansehen!"

IX. Kampf um Gerechtigkeit Die Beurteilung dessen, was die Hofnarren der Renaissance tatsächlich im politischen, juristischen und sozialen Raum bewegt und bewirkt haben, fällt nicht leicht. Es ist kaum mehr als eine Floskel, wenn König Charles der Einfältige zu seinem Narren sagt: „Du hast so viel Macht, daß die Leute mich für den Narren und Dich für den König halten!" Die großen Herren hören die närrische Predigt, lassen sich durch sie oft auch nachdenklich machen, aber befolgen sie doch eher selten. Zuweilen muß der Narr mit genialer List das Gegenteil des Erwünschten anraten, damit eben letzteres vielleicht zum Teil durchgesetzt werden kann. Immer wieder raten die Hofnarren von Feldzügen in schwieriger Geographie und gegen unkalkulierbare Gegner ab - etwa mit den zeitlosen Sentenzen: „Gewiß werden wir in das Land hineinmarschieren, aber wie kommen wir wieder heraus?" (hätte Napoleon und hätte Hitler einen Hofnarren gehabt, deren Bedenken wären im Hinblick auf Rußland nicht anders ausgefallen) - oder: „Du, Herr Vetter, bist der König im Kartenspiel, aber Dein Feind hat sein Blatt noch nicht aufgedeckt." Derartige Empfehlungen werden fast immer mißachtet - Kaiser Maximilian läßt sich 1488 in Brügge gefangennehmen, Erzherzog Leopold von Osterreich verliert 1315 die Schlacht von Morgarten in der Schweiz und Franzosenkönig Francois I. 1525 die Schlacht von Pavia gegen KarlV. - dies alles gegen die warnenden Ratschläge ihrer Hofnarren.

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Auch hier jonglieren die Aktivisten auf des Messers Schneide. Die Unverbindlichkeit der Narrenweisheit treibt tragikomische Blüten. Der katholische König Matthias von Ungarn und sein hussitischer Vetter Georg von Böhmen lassen nach gewaltigem Umtrunk ihre Hofnarren einen Zweikampf mit Stöcken ausfechten, um zu ermitteln, „welcher Glaube der bessere sei, damit er dann in allen Staaten eingeführt werde". Die Narren, wieder einmal am Rand des existentiellen Risikos, treffen eine geheime Abrede - zum Glück für die Religion in beiden Ländern bleibt das Duell unentschieden. Öfter hingegen beeinflußt der Hofnarr positiv die regionale Gesetzgebung, einzelne Kameralbeschlüsse und Verwaltungsakte, Gnadenentscheidungen und Vergünstigungen im Einzelfall. Im engeren juristisch-sozialen Kreis ist er manchmal erfolgreich. Hofnarr Jonas hat den verurteilten Soldaten tatsächlich vor dem Strick gerettet; zuweilen werden Unschuldige aus dem Kerker befreit und Verbannte aus dem Exil zurückgerufen. Mehrere Hofnarren - wie etwa Claus Hintze am Hof des Pommernherzogs Johann Friedrich (f 1600) - bringen es fertig, ihre Heimatdörfer von Steuerlasten zu befreien, sie vom fürstlichen Jagdgebiet auszunehmen, örtlichen Bauern die Erlaubnis zu verschaffen, schädliches Kleinvieh und Raubzeug zumindest mit Knüppeln totzuschlagen und öffentliche Gelder für Rathausbauten zu besorgen. Solche Meriten stehen dann, cum grano salis, fast in einer Reihe mit dem jahrhundertelangen Privileg der Steuerfreiheit für den Geburtsort der französischen Nationalheldin Jeanne d'Arc, wo eine Tafel in Domremy bis in die napoleonische Zeit den Finanzinspektoren mit drei Worten die amtliche Abfuhr erteilte: „Rien - La Pucelle!" Da begegnen sich wohl im Steuerrecht die besten Hofnarren mit der heiligen Johanna.

X. Am Rand der Legalität Die besten, müssen wir betonen - denn die Selbstbereicherung der Hofnarren am Rande der Legalität fällt natürlich den Charakterlosen unter ihnen leichter als jenen ehrenfesten Männern, die buchstäblich am hofnärrischen Rechtsstatus festhalten, daß sie allein und bedingungslos ihrem Herrn zugehörig sind. Jene mischen sich gar in die Diplomatie der auswärtigen Beziehungen ein, indem sie sich von den Gegnern ihrer Fürsten bestechen lassen - wie der böhmische Hofnarr Steffen, der es sich, in den Grafenstand erhoben, am H o f e Kaiser Karls VI. leisten kann, sogar den Prinzen Eugen stundenlang im Vorzimmer warten zu lassen; oder ein gewisser Hofnarr Borra beim König Martin von Aragon, der von Kaiser Sigismund für Spitzeldienste insgesamt eine Tonne Gold angenommen haben soll.

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Daß lustige Streiche sich noch mehr bezahlt machen, wenn man auf zwei Schultern trägt oder den unwillkommenen Teil der Wahrheit schweigend unterdrückt, das wissen die moralisch eher wertlosen Figuren der Zunft sehr wohl. Schon im 13. Jahrhundert ist Dante in der Verbannung zu Verona vom dortigen Hofnarren höhnisch gefragt worden, warum er, der Dichter, bei aller Gelehrsamkeit noch nicht einmal halb so reich geworden sei wie jener, der Narr. Die ernsthaften Akademiker, Doktoren und Professoren können nur verbal, das heißt ohnmächtig, zurückschlagen. Die Sozialkritik wagt sich nur schüchtern hervor; ein französischer Magister rügt in einem Pamphlet, daß dem königlichen Hofnarren ein Geldbetrag geschenkt worden sei, mit dem man dreißig Arme auf ein Jahr unterhalten könnte. U m 1500 vermerkt Erasmus von Rotterdam: „Die Narren sind bei großen Herren so beliebt, daß mancher ohne sie weder essen noch trinken, ja keinen Augenblick ohne ihre Gesellschaft verbringen mag!" Der italienische Literat Garzoni klagt um 1560 in einer Flugschrift: „Die Narren machen sich breit, indes ein gelehrter Dichter, ein anmutiger Redner, ein scharfsinniger Philosoph im Winkel sitzt, Not leidet und sich an den Hofnarren halten muß, wenn er etwas erreichen will!" Hundert Jahre später erhebt der Straßburger Philander von Sittewald den bösesten Vorwurf: „Die Narren reden dem Fürsten nach dem Mund, sie fressen und saufen das Beste und lachen sich heimlich in die Faust! Trotzdem hält der Fürst mehr von Narren als von gelehrten Leuten und von Geistlichen!"

XI. Unter kanonischem Recht „Ein Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren - ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist" - wie ein Dichterwort sagt. Unter geistlichen Krummstäben führen auch die Hofnarren ein gutes Leben, und einige von ihnen sind sogar selbst Prälaten geworden. Die mittelalterliche Kirche und erst recht ihre prominenten Vertreter in der Renaissance- und Barockzeit haben für Spaß viel Verständnis. Negativ erkennt man es daran, daß immer mehr kanonische Vorschriften erlassen werden, um Auswüchse zu bekämpfen. Schon zur Karolingerzeit wird den Klerikern untersagt, der Jagd obzuliegen und Narren zu halten. Das Pariser Konzil von 1212 erneuert das Verbot und bestimmt, daß ein Geistlicher, der länger als ein Jahr selbst den Narren spiele, aller Standesrechte verlustig gehe. Bis zum heutigen Tag kann ein Mensch von noch so blauem Blut mit noch so langer Ahnenreihe nicht in den katholischen Orden der Ritter von Malta aufgenommen werden, wenn er

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sich irgendwann in seinem Leben einmal als Schauspieler, Sänger oder Komiker, kurzum als „Gaukler", öffentlich betätigt hat. Narrheit, aktiv betrieben oder passiv gefördert, macht - ebenso wie Verkrüppelung und Zwergenwuchs - grundsätzlich irregulär für kirchliche Weihen und Amter. Manchmal steht das aber nur auf dem Papier. Verbote werden mißachtet oder listig umgangen. Bis ins 15. Jahrhundert wählt die Pariser Geistlichkeit alljährlich aus ihrer Mitte einen „Narrenbischof", der aber nur für einen Tag amtiert. Jeder Geistliche, der auf sich hielt, versuchte in der Osterpredigt seine Hörer zum „risus paschalis", zum Ostergelächter, anzureizen. Ebenfalls zur Osterzeit wurde in Beauvais, Rouen und Autun bei der Messe ein leibhaftiger Esel neben den Altar gestellt, der dressurgemäß bei der Wandlung niederkniete und beim „Ite, missa est" laut „I-A" schrie, zur Erinnerung an jenes Grautier, auf dem Jesus in Jerusalem einzog. Kleriker, die sich an Fürstenhöfen närrisch betätigen wollen, dürfen aus Rechtsgründen, um Amtsverlust und kirchliche Strafen zu vermeiden, nicht ständig ihre Späße treiben oder sich gar hauptberuflich zum Hofnarren ernennen lassen. Sie können ihr Gewerbe nur ambulant ausüben, indem sie mehr oder minder häufig den Hof besuchen und Gastspiele geben, wofür der Monarch sie dann als Patronatsherr mit einem saftigen Beneficium belohnt. So ergeht es dem Geistlichen Wigand von Theben, der zu Anfang des 14. Jahrhunderts vom Herzog der Steiermark, Otto dem Fröhlichen, zum Pfarrer von Kahlenberg ernannt wird, oder hundert Jahre später dem Kaplan Arlotto, der durch Gunst und Gnade der florentinischen Medici Pfarrer von Fiesole wird. Andere Kleriker, die nebenberuflich den Hofnarren spielen, erhalten Sinekuren als überzählige Domherren an der hauptstädtischen Kathedrale. Am weitesten im geistlichen Stand bringen es die drei Spaßmacher des Kardinals Richelieu im 17. Jahrhundert. Francois de Boisrobert stirbt 1662 als „Grand Aumonier" des Königreichs Frankreich, sein Zeitgenosse Godeau (körperlich ein Zwerg) wird Bischof von Grasse, und der dritte, Charles d'ebra de Raconis, steigt zum Bischof von Lavaux und zum Theologieprofessor an der Sorbonne-Universität auf. Die drei lustigen Prälaten zählen übrigens auch zu den Gründervätern der hochberühmten Academie Frangaise. Solch atemberaubende Entwicklung wäre kaum möglich gewesen, wenn nicht eben - der Name Richelieu bezeugt es - die großen geistlichen Herren Freunde der Hofnarren gewesen wären. Sie haben, wiederum in Furcht vor kirchendisziplinären Sanktionen, das Rechtsinstitut der „LeihNarren" erfunden und angewendet. Schon die Großfürsten von Litauen stellen ihren geistlichen Nachbarn, den Hochmeistern des Deutschen Ordens, auf Wunsch ihre eigenen Hofnarren befristet zur Verfügung. Jene

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sind dann auf der Marienburg gern gesehene Gäste und empfangen fallweise Geschenke und Taschengeld vom Orden, ihre reguläre Besoldung aber von Litauen. Infolge dieser freundnachbarlichen Aushilfe bleiben die politischen Beziehungen zwischen beiden Höfen lange Zeit wohltemperiert. Auch der erwähnte Claus von Ranstädt ist während seines Dienstes beim Erzbischof von Magdeburg ein solcher „Leih-Narr" mit Stammsitz im kursächsischen Dresden gewesen. Ein anderes juristisches Ausweichsystem praktiziert im 16. Jahrhundert der Fürstbischof des Ermlands, Lucas von Watzelrode, Onkel des Domherrn Nicolaus Kopernikus. Er regiert auf Schloß Heilsberg, bei Frauenburg, am Frischen Haff, und beschäftigt nicht nur einen, sondern ein ganzes Dutzend Hofnarren. Das kann er sich leisten, weil er über einen ausgedehnten weltlichen Besitz verfügt. Aber er versteckt seine Spaßmacher im Zeremonialschema, und zwar an letzter Stelle; statt sie auszunehmen von den Rängen der Hofordnung, weist er ihnen, damit sie möglichst gar nicht auffallen, den untersten Platz bei den titulierten Höflingen zu. Einordnung zur Quasi-Bedeutungslosigkeit statt gesonderter Eximierung - dies ist sein Prinzip. Nach der Heilsberger Hofordnung von 1481, die jahrzehntelang in Kraft bleibt, sind alle Personen am Hof - mit Ausnahme der „klassenlosen" Weibspersonen, der Tänzerinnen und Köchinnen - in neun Rangklassen eingeteilt. Die Ordnung wird auch beachtet bei den gemeinsamen Mahlzeiten im großen Saal des Schlosses. Da gibt es neun lange Tische. Am ersten tafelt der Fürstbischof inmitten der Domherren, Prälaten und Ordensritter. Am zweiten sitzen die bischöflichen Obersekretäre und Oberkammerherren sowie die jeweils anwesenden Gäste. An den folgenden Langtischen nehmen Platz die niederen Kleriker und die Notare, der Hofarzt und der Kerkermeister, die Jagdaufseher, Bärenfänger, Bernsteinfischer, Leibkutscher und Feldhüter. So geht das weiter streng nach Amt und Würde bis zum neunten und letzten Tisch. Da hocken die Hofnarren und die Gaukler; nur an den allerhöchsten Kirchenfesten sitzen auch die Sängerinnen, die sonst vom gemeinsamen Mahl ausgeschlossen sind, mit an diesem Tisch. Während des Essens haben die Hofnarren für Späße und Possen, lustige Geschichten und Witze zu sorgen, um das Mahl zu würzen und die Eßlust anzuregen. Dies ist ausdrückliche Vorschrift; eher auf Gewohnheitsrecht beruht die Befugnis, Anordnungen der bischöflichen Verwaltung zu kritisieren. Damit die Hofnarren für ihre Amtstätigkeit Zeit haben, dürfen sie erst zu ihren hölzernen Löffeln greifen, wenn der Bischof und seine Umgebung gesättigt, beim letzten Nachtisch angelangt sind. Wenn ihre Späße zu ungraziös und schwerfällig sind, wird ihnen auf bischöflichen Befehl das Essen gesperrt.

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Unter den Päpsten, die Hofnarren beschäftigt haben, sind Paul II., Julius II. und Leo X . an vorzüglicher Stelle zu nennen.

XII. Der Streit mit den Schranzen Mit den anderen Mitgliedern des Hofstaats, an weltlichen wie auch geistlichen Residenzen, steht sich der Hofnarr nicht gut. Seine Beziehungen zu Hofmeistern, Kammerherren, Köchen, Dienern und Zofen sind konfliktreich und mit Spannung geladen. Das ist ganz natürlich, denn das höfische Leben ist ja der eigentliche Wirkungskreis des Hofnarren. Hier ist der Schwerpunkt seiner privilegierten Amtstätigkeit. Im Nachäffen besteht seine Stärke. Er verspottet die hölzerne Feierlichkeit, mit der die Schranzen ihren Dienst tun, und den verkniffenen Ernst, mit dem sich jeder Hoffunktionär für das wichtigste Rad im zeremoniellen Getriebe hält. Er enthüllt schonungslos das Wesen des Hofstaats, der nur eine Spiegelung des fürstlichen Willens ist - der, wie der Mond, sein Licht von der Sonne bezieht und von sich aus nichts zu leuchten hat. Die Zahl der Possen und Streiche, die von Hofnarren (insbesondere etwa den Italienern Gonnella und Geronimo) den Höflingen gespielt werden, ist Legion. Im Grunde sind es immer die gleichen oder gleichartige Faxen, von denen berichtet wird, als ob sich die Narren der verschiedensten H ö f e insgeheim dazu miteinander verschworen hätten. Aber solche Konsense sind doch Ausnahmen, denn die Narren entwickeln keinen Korpsgeist. Sie können untereinander ebensowenig Frieden halten wie mit den Höflingen. Von Natur sind sie Individualisten, die nur als Einzelne, ja Einzige wirken können. Hofnarr Lips beim Markgrafen Philipp von Baden weigert sich sogar, mit dem Hofnarren eines anderen Fürsten gemeinsam zu essen. Mit den Hofdamen insbesondere stehen die Hofnarren, selbst fast ausnahmslos männlichen Geschlechts, auf ständigem Kriegsfuß. Der H o f narr ist ein Weiberfeind - vielleicht, weil er glaubt, daß die Zofen und Duennas ihn am ehesten durchschauen, und weil er fühlt, daß ihm von Frauen die größte Gefahr droht (eine Ahnung, die sich im 18. Jahrhundert dann auch bestätigt). Die meisten Hofnarren, und eben nicht nur die anatomisch Mißratenen, bleiben zeitlebens Junggesellen. Manche Fürsten, so Maria Medici und Zar Peter der Große, machen sich einen Spaß daraus, ihre Hofnarren mehr oder weniger zwangsweise zu verheiraten, womit sie denn wohl närrischen Nachwuchs erhalten möchten. Aber solche Ehen bleiben fast immer kinderlos, und es wird berichtet, daß mancher derart unter die Haube beförderter Hofnarr mit seinem Hochzeitstag schlagartig aufgehört habe, witzig zu sein.

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Mit eiserner, für ihn lebensnotwendiger Energie hält der Hofnarr an dem Rechtsprinzip fest, daß er nur „seinem" Fürsten untersteht und von keiner anderen Person, stehe sie noch so hoch, Befehle anzunehmen hat. Dieses Privileg verteidigen sie mit Zähnen und Klauen. Der PritschenPeter, Hofnarr beim Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz, antwortet einem naseweisen Adligen, als der ihn vexieren will, mit gemessener Würde: „Ich bin Seiner Durchlaucht, nicht jedes windigen Grafen N a r r ! " U n d als ein anderer Höfling ihn reizt, wann er denn endlich witzig werden wolle, da versetzt Pritschen-Peter trocken: „Wenn D u nüchtern werden und das Saufen lassen wirst." Darum hassen die Höflinge den Narren. Was er ihnen antut, das zahlen sie ihm heim mit Bissigkeiten, Tritten, Prügeln und sogar lebensgefährlichen Nachstellungen. In diesem Kampf ist der Fürst persönlich des Narren einziger Rückhalt, aber auch insoweit kann der Schutz nicht vollkommen sein. Als der französische Hofnarr Triboulet von einem Höfling mit Ermordung bedroht wird, eilt er zum König und bittet um Hilfe. Francois I., in Worten stets größer als in Taten, verspricht ihm: „Auf Ritterehre! Wenn der Kerl Dich totschlägt, lasse ich ihn eine Stunde später aufhängen!" D a kann Triboulet nur verzweifelt rufen: „Sire, tun Sie das bitte eine Stunde vorher, sonst nützt es mir nichts mehr!"

XIII. Kurzweilige Tischräte Die Geschichtsschreiber erwähnen es im 17. Jahrhundert als eine Seltenheit, wenn ein Fürst keine Hofnarren hält. Es gibt nur wenige starrköpfige Gegner der Institution, die sich in ihrer Abneigung gegen das Narrentum freilich auf die römischen Kaiser Julian und Marcus Aurelius, auch auf den sittenstrengen Papst Hadrian VI. berufen können. Was deutsche Territorien betrifft, so ist lediglich in der Geschichte Württembergs kein einziger Hofnarr erwähnt; vielleicht lag das an der schwäbischen Sparsamkeit, denn Herzog Eberhard im Bart hat einen närrischen Amtsbewerber deshalb nicht engagiert, weil der zu hohe Gehaltsforderungen stellte. Ansonsten kommt die Aufblähung der Titel, die im 17. Jahrhundert der Geldinflation nicht nachsteht, auch den Hofnarren zugute. In Deutschland, wo es über 700 Hofhaltungen gibt, läßt jeder Duodezfürst und Zaunkönig zwecks Hebung des eigenen Ansehens selbst KammerdienerFunktionen möglichst von Adligen ausführen. Es müssen Barone her, um Serenissimi Schnupftücher, Silberzeug und Windhunde zu verwalten. Der Oberstallmeister avanciert zum Marschall, der Sekretär zum Geheimen Kanzleirat. Der pfälzische Kurfürst beschäftigt 25 Generale, um 5000

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Soldaten auf Vordermann zu bringen. Später ernennt Kurfürst Karl Theodor von Bayern einen Großadmiral für seine „Kriegsflotte" - sie umfaßt drei Rheinschiffe und ein Wachboot auf dem Chiemsee. So kann auch der Narr am Hofe nicht mehr schlichtweg Hofnarr heißen. Hier in deutschen Landen erfindet man für sein Amt eine neue Bezeichnung und ernennt ihn zum „Kurzweiligen Tischrat". Einer der interessantesten Tischräte ist Friedrich Taubmann (1565-1613). Er wirkt zu Dresden am sächsischen Hof, der als narrenfreudigste Residenz Deutschlands bekannt ist. Kurfürst Friedrich der Streitbare hat dort im Jahre 1400 den ersten titulierten Hofnarren berufen, und in der Zeit zwischen 1485 und 1679 sind fünfzig beamtete Spaßmacher mit ihren wirklichen und ihren angenommenen Namen archivalisch bezeugt. Viele von ihnen sind an Leberzirrhose und im Delirium tremens gestorben, denn der sächsische Hof wird bald auch durch seine exzessiven Trinksitten bekannt. Taubmann, ein begabter Kopf, stammt aus ärmlichen Verhältnissen, schlägt sich als Bettelstudent durch und ist mit 25 Jahren ein arbeitsloser Magister der Philosophie. Durch hübsche Gelegenheitsgedichte schmeichelt er sich beim Dresdener Hof ein. Dem herzoglichen Administrator, der Sachsen während der Minderjährigkeit des späteren Kurfürsten Christian II. verwaltet, trägt er freimütig seinen Wunsch vor, Universitätsprofessor zu werden. Die philosophische Fakultät zu Wittenberg besitzt genügend Courage und Selbstachtung, sich dieser tolldreisten Berufung entgegenzustemmen. Sie lehnt den Besetzungsvorschlag der Regierung zweimal ab. Aber was vermag eine Fakultät gegen den Willen staatlicher Gewalthaber! Taubmann wird schließlich doch durch fürstliches Machtwort zum Professor in Wittenberg ernannt. Als der Kurzweilige Tischrat Hensel 1596 stirbt, darf Taubmann seine Nachfolge antreten - nebenberuflich auf Honorarbasis, versteht sich, denn im Hauptamt ist er ja Hochschullehrer. Er entwickelt sich zum erstaunlichsten Doppelverdiener unter den Hofnarren aller Zeiten. Jeden Auftritt am Hof läßt er sich saftig bezahlen; wenn er den Kurfürsten auf Reisen begleiten muß, erhält er noch „Säumnisvergütung" für entgangene Kolleggelder. Man schätzt, daß er aus seinem Nebenamt viermal so viel Geld und Sachwerte bezogen hat wie aus seinem professoralen Hauptamt, in welchem sein Gehalt schon 200 Goldgulden jährlich beträgt. Im Lauf der Zeit wird Taubmann dreimal Dekan der philosophischen Fakultät, und 1608 wird er sogar, nicht ohne massive Nachhilfe des fürstlichen Gönners, zum Rektor der Universität Wittenberg gewählt. Später fällt auf, daß in Wittenberg niemals so viele Promotionen - 94 an der Zahl - stattgefunden haben wie in Taubmanns Rektoratsjahr. Taubmann läßt keinen einzigen Kandidaten durchfallen, denn bei jedem erfolg-

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reichen Doktor- oder Lizentiat-Examen erhält Magnifizenz einen fetten Gebührenanteil von rund 14 Gulden. Und da er für jede Unterschrift als Rektor acht Groschen extra bekommt, zieht er sich bald einen Schreibkrampf zu, weil er alle möglichen und unmöglichen Papiere mit seinem Namenszug versieht. Von seinen unzähligen habsüchtigen Avancen sei nur ein Streich mit juristischem Einschlag erwähnt. Der Kurfürst schenkt ihm ein Grundstück bei Blesern, auf dem leider eine Reallast ruht: Taubmann muß ein Pferd unterhalten und weiden lassen. Er schlägt vor, die Last zu seinen Gunsten zu teilen; da es Lehnsleute gebe, die nur ein halbes Pferd ernähren müßten, so möge der Kurfürst das Maul und er selbst den Steiß des Tieres unterhalten. Der Herrscher findet das so witzig, daß er lachend zustimmt - womit er praktisch das Pferd, da es ja nur mit dem Maule frißt, in eigene Pflege nimmt. Taubmann hat drei aufeinander folgenden Fürsten - erst dem Administrator, dann dem Kurfürsten Christian II. und Johann Georg I. - gedient. Gestorben ist er, trotz aller Einnahmen hochverschuldet, im Alter von erst 48 Jahren an Leberzirrhose, der Berufskrankheit der sächsischen Hofnarren. Zu seinem Ruhm sei immerhin nachgetragen, daß er als Universitätsvertreter im sächsischen Landtag einige Gesetzesvorlagen einbrachte und durchsetzte, die das akademische Leben ein wenig verbessert haben. Im Königreich Preußen beginnt die Reihe der „Kurzweiligen Tischräte" unter Friedrich I. mit einem gewissen Putzmann, auf den wir noch zurückkommen. Friedrich Wilhelm I. beschäftigt während seiner Regierungszeit insgesamt fünf „Lustige Räte": Kornemann, Jakob Paul Gundling, Doktor Bartholdi, Friedrich August von Hackmann und den Freiherrn von Pöllnitz. Sie gleichen einander in wesentlichen Punkten. Es sind schwache Charaktere, die für Geld und Titel ihre Seele verkaufen, deren Eitelkeit psychopathische Züge aufweist, und die mehr Objekte als Subjekte der höfischen Belustigung sind, bis sie, mit einer Ausnahme, in regelrechter Verrücktheit ihr Leben beschließen. Sie verfallen dem Dilemma aller Hofnarren: wer nicht Hammer der Narretei sein will, der wird ihr Amboß, und wer nicht reiten kann, der wird geritten. In Preußen sind es die Könige, die ihre Narren vexieren, nicht umgekehrt. Näherer Erwähnung bedarf nur der Tischrat Gundling. Er hat in Jena studiert und sich dann sein Brot als Hofmeister bei Adligen in England und Holland verdient, bis er von König Friedrich I. 1705 an die neugegründete Ritterakademie berufen wird. Friedrich Wilhelm I. hebt diese Akademie wieder auf, behält aber Gundling im Dienst. Er ernennt ihn zum Hofrat und „Zeitungsreferenten" mit der Aufgabe, allabendlich das berühmte Tabakskollegium mit dem Vortrag närrischer Geschichten aus

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alter und neuer Zeit zu unterhalten. Gundling ist für dieses Amt, aus dem sich etwas hätte machen lassen, durchaus ungeeignet, weil er keineswegs ein Witzbold wie Taubmann, sondern ein humorlos trockener, pedantischer Herr mit steifen Manieren ist. Die Tischrunde, in der sich die militärische und zivile Prominenz des kargen Königreichs nach anstrengendem Gamaschen- und Federfuchsdienst vereinigt, ist kein Ästhetenklub. D a wird nicht vornehm diskutiert, da werden keine zierlichen Verse gedrechselt, sondern es erholen sich hemdsärmelige Männer nach harter Arbeit. Sie dreschen Karten, reden im Bier- und Tabakdunst ein offenes Wort und lassen es auf eine Zote mehr oder weniger nicht ankommen. In dieser Runde muß Gundling zwangsläufig zum kläglichen Hanswurst herabsinken. Jeden Abend wird er systematisch betrunken gemacht, bis er auf allen Vieren herumkriecht. Er muß unsinnige Fragen beantworten, es werden ihm alle nur erdenklichen Streiche gespielt, er wird verspottet und bisweilen auch verprügelt. Als ihm die Neckerei endlich zu arg wird, will er nach Wien flüchten. Der König schickt ihm einen Offizier nach, der ihn in Breslau abfängt und ihn mit hochheiligen Versprechungen zur Rückkehr bewegt. Ein Regen von Titeln geht jetzt auf ihn herab: Ehrungen, die spöttisch gemeint sind, von dem Geehrten aber todernst genommen werden. Der König bringt alle Beamtenkategorien serienweise zum Entsetzen, als er Gundling unbekümmert zum Geheimrat, zum Kriegsrat, ja zum Kammergerichtsrat ernennt. 1726 wird Gundling in den Freiherrenstand erhoben. Als Oberzeremonienmeister muß er eine eigens für ihn geschaffene närrische Uniform tragen - einen rot-schwarzen Samtrock, eine überdimensionale Perücke, einen Hut mit riesigem Federbusch und Schuhe mit hohen Absätzen, die ihm nur kleine Trippelschritte erlauben. Als Zeichen seiner Kammerherrenwürde trägt er einen langen hölzernen Schlüssel, den er mit Draht an der H o s e befestigt, damit er ihm nicht gestohlen wird. Mit all diesem Firlefanz ist er offenbar glücklich, prahlt mit seinen hohen Amtern und reizt den Hof noch mehr zum Lachen als früher. Aber auch seine Leber hält die unmäßige Trinkerei nicht lange mehr aus. 1731 ist er gestorben.

XIV. Führungszeugnis eines Hofnarren Friedrich der Große übernimmt bei seinem Regierungsantritt den letzten noch von seinem Vater beschäftigten „Lustigen Rat", Freiherr von Pöllnitz. Aber Narr und Fürst finden aneinander wenig Gefallen, und am 1. April 1744 kommt es zu einer Art „Kündigung in gegenseitigem

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Einvernehmen". Der König erteilt Pöllnitz ein Dienst- und Führungszeugnis, das in seiner ironischen Bissigkeit für den Aussteller typisch ist, zugleich aber eine Perle der hofnärrischen Rechtsliteratur darstellt. Da heißt es, leicht gekürzt: „Wir, Friedrich, tun kund und zu wissen, daß der Baron von Pöllnitz, aus Berlin gebürtig und, soviel uns bekannt, von ehrlichen Eltern geboren, bei Unserem hochseligen Vater Kammerherr und zuletzt Oberzeremonienmeister in Unseren Diensten gewesen ist. Indem er sich von dem Strom der erhabensten Hofbedienungen, der über ihn ausgeschüttet wurde, gleichsam überschwemmt und fortgerissen sieht, ist er nun weltüberdrüssig geworden durch schlechtes Beispiel. So hat besagter Baron bei Uns angesucht und gebeten, ihm zur Aufrechterhaltung seines guten Rufs und Namens einen ehrlichen Abschied zu erteilen. „Da Wir also Rücksicht auf sein Begehren nehmen und nicht für gut befinden, seiner Aufführung das Zeugnis zu versagen, in Absicht der wichtigen Dienste, welche er Unserem königlichen Hof durch seine Spaßmachereien geleistet, und des Zeitvertreibs, welchen er neun Jahre Unserem höchstseligen Herrn Vater verschafft hat, so nehmen Wir keinen Anstand, zur Ehre des Barons zu erklären, daß er während der in Unserem Dienst zugebrachten Zeit weder Straßenräuber noch Beutelschneider noch Giftmischer gewesen ist, daß er weder Jungfernraub begangen noch junge Mädchen geschändet, weder gröblich verleumdet noch die Ehre irgendjemandes an Unserem Hofe verletzt, sondern sich stets als ein ehrlicher Mann betragen und beständig guten Gebrauch von den Gaben des Himmels gemacht hat, nämlich den Zweck des Theaters zu erreichen, das Lächerliche den Menschen angenehm und spaßhaft darzustellen, um sie dadurch zu bessern. „Desgleichen hat er den Rat des Bacchus in Ansehung der Enthaltsamkeit sehr aufrichtig befolgt und die christliche Lehre so weit getrieben, daß er seine Bauern die Vorschrift des Evangeliums: Geben ist seliger denn nehmen, stets hat befolgen lassen. Er verstand übrigens durch seine Verdienste sich bei denjenigen nützlich und gefällig zu machen, welche die Bosheit seines Verstandes und die geringe Güte seines Herzens kannten. „Ferner geben Wir auch dem genannten Baron das Zeugnis, daß er Uns nie zum Zorne gereizt hat, es sei denn durch seine Zudringlichkeit, welche alle Grenzen der Ehrfurcht überschritt, und auf eine unanständige und unerträgliche Weise die Asche Unserer glorreichen Vorfahren zu entehren und zu verunglimpfen suchte. „Da aber auch . . . die Gemälde der berühmtesten Maler nicht fehlerfrei sind, so wollen Wir besagtem Baron seine Mängel und Gebrechen auch zugute halten und erteilen ihm mit Gegenwärtigem, obschon ungern, den

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Abschied, um den er ansucht, wollen überdies auch das Amt, das ihm anvertraut war, gänzlich aufheben und abschaffen, damit das Andenken daran unter den Menschen völlig getilgt werde, weil Wir dafür halten, daß nach besagtem Baron kein Mensch würdig sei, es zu bekleiden." Dies war das juristische Ende des Hofnarrenwesens in Preußen.

XV. Über den Tod hinaus Manche Hofnarren, die zu ihren Lebzeiten hohe Würden erreichen, werden auch nach ihrem Tod geziemend geehrt. Das ist letzter rechtlicher Ausfluß der Fürsorgepflicht ihrer Monarchen, und die besten dieser Herrscher scheuen bei Erfüllung dieser Pflicht nicht einmal kirchenrechtliche Konflikte; sie halten dafür, daß die närrische Existenz ein Prüfstein wahren Christentums sei. Schon König Charles V. von Frankreich (derselbe, der seine Spaßmacher in Troyes nachbestellt) hat zweimal für verstorbene Hofnarren Grabdenkmäler in Kirchen errichten lassen. Im Eingang des Wiener Stephansdomes befand sich lange Zeit die Grabplatte des Hofnarren Neidhard Fuchs aus dem 14. Jahrhundert. An der Außenwand des Frauenburger Domes war noch 1822 die Votivtafel für einen bischöflichen Hofnarren angebracht. Darauf stand: „Hier wird gedacht eines Mannes aus niederem Geschlecht, einst Hofnarr am Hochfürstlichen Hof zu Heilsberg, dann Notarius, als Hexenmeister irrtümlich verbrannt - er ruhe in Frieden!" Im spanischen Cordoba wurde ein Hofnarr Lopez de Rueda sogar in der Kathedrale begraben. Eine ungewöhnliche Ehrung erfährt der Hofnarr Hans Miesko am H o f zu Stettin, der 1619 im Alter von 80 Jahren stirbt. Auf Befehl des Herzogs F r a n z i , von Pommern wird eine pompöse Trauerfeier in der evangelischen Peterskirche ausgerichtet. Der zuständige Pastor Philipp Cradelius muß die Leichenpredigt halten. Sie wird sogar gedruckt und erscheint in mehreren Auflagen. Dann erhält Miesko ein Denkmal in der Kirche mit einer poetischen Inschrift in Hexametern, die seine Verdienste rühmt. Als später der Hofnarr des ersten Preußenkönigs, Putzmann, das Zeitliche segnet, weigert sich die reformierte Geistlichkeit, ihn auf dem Friedhof der Petrikirche zu Coin an der Spree zu beerdigen - weil der Kerl erstens ein Narr und zweitens ein Lutheraner gewesen sei . . . Man will ihn vor der Stadt in der Armsünder-Ecke sanglos verscharren. D a macht König Friedrich I. in spektakulärer Weise von seinen Rechten als Summus Episkopus Gebrauch. Er befiehlt, daß Putzmann am heiligen Ort, im Chorraum der Kirche, neben dem Hauptaltar, inmitten der dort ihrer Auferstehung harrenden Pastoren, beigesetzt werde - „denn er war

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ein Prediger der Wahrheit, und also gehört er mitten in die Kirche, w o ja nichts als die lautere Wahrheit gepredigt werden soll!" Der calvinischen Geistlichkeit - noch gehören Thron und Altar zusammen - bleibt nichts übrig, als diesen zornigen Befehl ihres allergnädigsten Herrn zähneknirschend auszuführen. Das ungewöhnlichste Begräbnis aber, das je einem Hofnarren zuteilgeworden ist, erhält der unselige Jakob Paul Gundling. Es bedeutet für ihn keine Ehre, sondern Spott über den Tod hinaus. König Friedrich Wilhelm I. läßt ihn in einem großen Weinfaß einsargen, auf dessen schwarzer Farbe ein weißes Kreuz mit folgender Inschrift gepinselt wird: „Hier liegt in seiner Haut, halb Schwein, halb Mensch, ein Wunderding. In seiner Jugend klug, im Alter toll; des Morgens wenig Witz, des Abends immer voll. Bereits ruft Bacchus laut: Dies teure Kind ist Gundeling!" Gegen den Widerstand und ohne Teilnahme der Geistlichkeit, die den Fall Putzmann noch nicht vergessen hat und diesmal, etwas zahmer, nur die „Form des Sarges" beanstandet, wird das schwarzweiße Faß auf dem Kirchhof zu Bornstädt bei Potsdam beigesetzt. Offiziere, Beamte und komplette Schulklassen werden zum letzten Geleit kommandiert.

XVI. Der Sieg der Mätressen U m die Mitte des 18. Jahrhunderts haben die Hofnarren den historischen Höhepunkt ihrer Bedeutung überschritten. Erstes Warnzeichen ist vielleicht ein Dekret der Kaiserin Maria Theresia, das sie „für immer" vom Wiener Hof verbannt. Das mag individueller Ausdruck der Sittenstrenge dieser Monarchin gewesen sein. Aber wenn der gesamte Hofnarrenstand bis auf wenige Ausläufer nicht erst gemeinsam mit seinen fürstlichen Herren vernichtet, sondern schon einige Jahrzehnte vor der Französischen Revolution ausgelöscht wird - an katholischen wie protestantischen, romanischen und nördlichen, zuletzt an geistlichen und islamischen Höfen - dann ist die Ursache dafür wohl nicht in persönlichen Eigenschaften der Herrscher, sondern in einem allgemeinen zeitgenössischen Bewußtseinswandel zu sehen. Zwei Strömungen wirken zusammen, um den Hofnarren den Garaus zu machen. Es ist die Aufklärung, die Vernunft predigt und Narrenspossen (wieder einmal) als verächtlich abstempelt. Mehr noch ist es die höfische Struktur des Rokoko, eines Zeitalters, in dem der weibliche Einfluß auf die großen Dinge der Politik und die kleinen Dinge des Hoflebens übermächtig wird. Die Hofnarren, erprobte Kämpfer gegen Firlefanz, Eitelkeit und Aberwitz der Hofkamarilla, werden nicht von Männern, sondern von Frauen besiegt.

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Die fürstliche Mätresse ist es, die zur Todfeindin des Hofnarren wird. Ihre Standesgeschichte ähnelt verblüffend der seinigen. Als heimliche Favoritin des Herrschers hat es sie immer gegeben, aber sie befindet sich nicht anders als der Hofnarr vor seiner amtlichen Etatisierung - in einer ungewissen, zweifelhaften Rechtsposition. Auch sie hat den einzigen Rückhalt in der persönlichen Beziehung zum Fürsten, aber aus moralischen Gründen muß diese Relation verheimlicht werden - jedenfalls so lange, wie der kirchliche Einfluß keine „Nebenfrauen" duldet und Scheidungen erschwert. Wenn man es nicht wagt, die Favoritin kurzerhand an die Stelle der Ehefrau zu setzen, so ist gerade sie die Zielscheibe des närrischen Spottes. Die betreffenden Damen sind recht hilflos den Hofnarren preisgegeben; der Fürst kann sie kaum wirksam verteidigen, da er seine intime Beziehung ja offiziell ignorieren muß. Die Stellung der Favoritin ändert sich im R o k o k o . Diese galante Zeit entwickelt ein neues Welt- und Menschenbild, das, erstmals wieder seit dem Minnefrühling der Troubadours, von der Frau, nicht vom Manne her betrachtet und aufgefaßt wird. Nicht die robuste Kraft, sondern die proportionierte Zierlichkeit prägt das Schönheitsideal. Alles Rohe und Derbe wird verabscheut, alles Gewaltige wird in artige Stückchen zerlegt. Nicht die große Linie, sondern das kleine Detail entzückt die Menschen. Das Vergnügen erlangt Vorrang vor der Arbeit. Das R o k o k o predigt die angenehme Pflicht zum Genuß, und schönstes O b j e k t dieses Genusses ist die Frau; sie wird zum Maß aller Dinge, dem sich der Mann bedingungslos unterwirft. W o die Frau in dieser Art den höfischen T o n angibt, da bestimmt sie nun auch ihren erotischen Preis, der nicht niedrig ist. Die Aufklärung, die christliche Moralbegriffe für unverbindlich erachtet, ist behilflich. Vorbei ist es mit der heimlichen Untergrundbeziehung, der prekären Rechtslage, der sozialen Unsicherheit. Die Favoritin begehrt nichts weniger als ihre Etatisierung im ordentlichen Hofamt, die feste Stellung im Rangklassement, die sie endlich außer Konkurrenz der eifersüchtigen Fürstengattin stellt und dem Hofnarren bald unerreichbar macht. Die Fürsten unterwerfen sich dem Zug der Zeit, der sie von herkömmlicher Sitte und Sittlichkeit dispensiert. Erstmals in Frankreich, wo einst der heimatlose, von bürgerlicher Wohlanständigkeit gejagte Narr zum „Fou du Roi en titre d'office" aufgestiegen ist, wird die bisherige Favoritin nun „Maitresse du Roi en titre". Uberall dort, wo man die Lebensäußerungen des Versailler Hofes sklavisch kopiert - so in Deutschland, so in Italien - haben diese historischen Figurinen bald ihre Nachbildungen. Bald gibt es wenige H ö f e ohne Mätressen. In ihrer neuen stabilisierten Rechtslage gelingt es der Mätresse, alle

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Widersacher methodisch zur Strecke zu bringen - insbesondere ihren gefährlichsten Gegner, den Hofnarren. Mätressenwesen und Hofnarrentum sind unversöhnliche Gegensätze, die nebeneinander nicht bestehen können. Die illegitime Favoritin mag zu Späßen herausfordern, aber wenn die Bettgenossin des Fürsten zur Staatsfigur wird, kann der närrische Witz nicht ungestraft bleiben. Was der Herrscher selbst vielleicht noch verzeihen würde, kann die Mätresse aus Gründen der Selbsterhaltung nicht dulden. Eine Attacke auf ihre Amtsstellung bedroht ihre nackte Existenz. Die Lächerlichkeit tötet weder einen Marschall noch einen Minister, wohl aber eine „Maitresse en titre". So stellt die Herrin des fürstlichen Schlafzimmers, hier am längeren Hebel, den Monarchen hinsichtlich des Narren vor die Alternative: Er oder ich. Des Hofnarren alte Katzbalgerei mit den Schranzen, wie gefährlich auch immer, ist zu einem Ständekampf auf Leben und Tod geworden. Es sind aber die derben Blödköpfe nicht weniger bedroht als die mutigen Wahrheitsapostel - diese erregen mit jedem Wort bei der Mätresse Anstoß, und jene beleidigen schon durch ihren bloßen Anblick das Feingefühl der preziösen Dame. Die Mätresse wünscht Kunstgenuß und Schäfertanz, Ballett und festliches Schauspiel, insgesamt einen Rahmen, der um sie selbst als Mittelpunkt gebaut ist und den Hofnarren ausschließt. Die Fürsten wetteifern, ihr diesen Rahmen zu verschaffen.

XVII. Untergang eines Standes Der Untergang der Hofnarren ist, wie ihr einstiger Aufstieg, freilich kein kurzer Prozeß. Er erstreckt sich über einige Jahrzehnte. In Frankreich verschwinden die Narren am ehesten, weil dort auch die Mätressen frühzeitig zur Macht kommen. Louis XIV. beschäftigt noch den Hofnarren Angely. Als letzter besoldeter „Fou en titre" der französischen Geschichte bricht er seinen närrischen Hals an den Mätressen. Wegen Beleidigung der Marquise de Maintenon wird er verbannt, darf allerdings sein beträchtliches Vermögen von 25 000 Talern ins Exil mitnehmen. Das große Hofnarrensterben ist auch in Deutschland und Italien nicht aufzuhalten. Einer der letzten Narren an weltlichen Höfen ist der Tiroler Peter Prosch, der in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts mehrere süddeutsche Fürsten durch anspruchslose Jodler erheitert, worüber er sogar Memoiren geschrieben hat. Die Duodezherren reiben sich die Augen, blinzeln nach Paris und erkennen, daß ihr unentbehrlicher Spaßmacher keineswegs mehr ä la mode und auch als „Lustiger Rat" nicht länger zu halten ist. So bringen sie ebenfalls ihren Mätressen die Narren zum Opfer.

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Wer aber keine Mätresse hält oder halten darf, der dünkt sich bald erhaben über die veraltete Form der Belustigung und schämt sich vor seinen aufgeklärten Vettern in Wien und Berlin, wenn er immer noch einen närrischen Beamten im Budget mitschleppt. Auch er geht schließlich mit der Zeit und schafft den Hofnarren ab. Dieses Abschaffen bedeutet nun für die Betroffenen nicht etwa den Henkerblock oder die Guillotine. Die Hofnarren können eigentlich von Glück sagen, daß man sie schon vor den revolutionären Zeiten nicht mehr im Amt dulden will. Hätten sich erst die Sansculotten ihrer bemächtigt, dann wären sie nicht so glimpflich aus der Historie entkommen; ihr Abgang wäre ebenso blutig gewesen wie der ihrer Herren. So sind sie schon obskur und vergessen, als der große Sturm im Westen losbricht die „Gnade der frühen Entlassung", um ein Kanzlerwort abzuwandeln, rettet ihr Leben. Selbst die Mätressen sind noch human und lassen es, vielleicht aus persönlicher Vorsicht, nicht zum Äußersten kommen. Zwar fordern sie Kapitulation, doch erhalten die Hofnarren ehrenhaften Abzug. Es wird ihnen vergönnt, unterzutauchen - waffenlos, aber nicht mittellos. Für manchen steht ein neutraler Hofratstitel oder ein Gesandtenposten, möglichst weit weg, unauffällig zur Verfügung, wenn er sich nur seine spitze Zunge abkaufen läßt. Ist er schon älter, so gewährt man ihm wohl eine Gnadenpension. O f t hat er auch selbst genug Schätze gesammelt, um einen friedlichen Lebensabend genießen zu können. Eine Chance zum Uberleben haben auch die Zwerge, wenn sie nur zierlich-wohlproportioniert sind und das Auge ebensowenig beleidigen wie das feinfühlige Ohr. Sie müssen der Mätresse Urfehde schwören und dürfen dann sogar in der „Menagerie" mitlaufen; der bayerische Hofkalender weist noch im Jahr 1785 drei beamtete Zwerge aus. Ferner bietet sich den Hofnarren eine Ausweichmöglichkeit zu jener Institution, die gerade von der Mätresse angeregt und gefördert wird: dem Hoftheater. Dort, unter den Pulcinellos, Pantalones, Harlekins und Pierrots, jenen Figuren, die aus der Commedia dell'arte zählebig übriggeblieben sind und feinere Manieren angenommen haben, findet mancher Narr (jetzt freilich bloß eine Karikatur seiner selbst) noch Unterschlupf. Wer aber auch dort nicht ankommen kann, der wird vielleicht beim Zirkus sein Brot finden und ein Stammvater clownischer Generationen werden. So ist mancher verhinderte Hofnarr zurückgekehrt zum Völkchen der Jongleurs, Gaukler und Schausteller, von dem seine Urväter sich einst abgesondert hatten.

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XVIII. Närrische Gerichtsbarkeit Wer nun, nach dem Untergang des exotischen Berufsstandes vor mehr als zweihundert Jahren, auch die rechtlichen Bezüge des Hofnarrentums unwiederbringlich verloren glaubt, der sei darauf verwiesen, daß bis auf den heutigen Tag, bei uns in Deutschland, eine quasi-juristische, ja justizförmige Institution das hofnärrische Erbe tradiert. Ich spreche vom „Hohen grobgünstigen Narrengericht" zu Stockach, einer Kleinstadt im südlichen Baden, unweit des Bodensees. Die Gründung dieses Gerichts beruht auf einem hofnärrischen Privileg - angeblich erteilt von Erzherzog Leopold von Osterreich an seinen Spaßmacher Hans Kuoni, jenen Mann, der vergeblich vom Kriegszug in die Schweiz abgeraten hatte. Nach der verlorenen Schlacht von Morgarten (1315) soll der Erzherzog dem Hofnarren als späten Dank für den nicht befolgten guten Rat die erbetene Gunst gewährt haben, in seinem Geburtsort Stockach eine Narrenzunft mit einem Narrengericht ins Leben zu rufen. Urkunden zur mündlichen Überlieferung sind nicht erhalten, aber tatsächlich existiert das Stockacher Narrengericht ununterbrochen seit dem 14. Jahrhundert. In der „Schwäbischen Chronik" von 1792 wird berichtet, daß Stockach - damals Hauptort der Landgrafschaft Nellenburg, 1805 württembergisch und 1810 badisch geworden, heute dem Land Baden-Württemberg zugehörig - das Privileg besitze, „alle Jahre in der Fasnacht ein Narrengericht zu halten, das genau wie das Landgericht daselbst organisiert und besetzt ist". Das Narrengericht amtierte während der Fasnachtszeit vom „Schmotzigen Dunstig" (Donnerstag vor Sonntag Quinquagesima) bis zum Sonntag Laetare. Es wurde von den Stockacher Haushaltungen mit Wein (nach Eimern zu je 60 Liter bemessen) oder geldlicher Ablösung unterhalten. Jedermann schuldete ihm närrischen Gehorsam. Es übte närrische Strafgewalt aus mit Vollzug durch Zensur und Rüge, Geld- oder Weinbuße, mit Pritschenschlägen und „Brunnenwerfen", das heißt Verspritzen von Wasser gegen den Delinquenten. Noch heute repräsentiert dieses Narrengericht (es gibt eine zweite, ähnliche Institution im württembergischen Dorf Grosselfingen) die fasnachtliche Obrigkeit in Stockach. Wie eh und je besteht es aus „Gerichtsnarren" (darunter der Narrenrichter als Vorsitzender, der Narrenschreiber als Protokollführer, der Gerichtskläger als Staatsanwalt, der Fürsprech als Verteidiger) und „Laufnarren", die als Büttel, Boten und Wachtmeister dienen. Eigentliche Rechtsprechung wird, abgesehen von Maßnahmen im Bereich freiwilliger Disziplin unter Vereinsmitgliedern, naturgemäß nicht mehr ausgeübt, doch kann sich das Gericht theoretisch mit jedem als

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närrisch betrachteten Ereignis in Stockach oder Umgebung befassen und dazu „Urteile" öffentlich verkünden. Es kann auch prominente Personen laden und ihnen einen närrischen Prozeß machen. So wurde 1987, nicht ohne sein augenzwinkerndes Einverständnis, der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel vor dem Narrengericht wegen des Delikts „Wasserraub aus dem Bodensee" angeklagt; er sollte eine zur schwäbischen Hauptstadt führende Wasserleitung exzessiv angezapft haben, wurde von diesem Vorwurf aber freigesprochen. Ähnliche Prozesse sind gegen Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung und dreimal sogar gegen Bundesminister geführt worden, wobei sich die Narrenfreiheit des Gerichts in durchaus deutlichen, für die Betroffenen nicht immer schmeichelhaften Sentenzen äußerte. Im Zeitalter der erwünschten Medien-Publizität ist das öffentliche Ansehen des Stockacher Narrengerichts, das vor einigen Jahren sogar „Staatsbesuch" in Gestalt der kompletten Regierung des schweizerischen Kantons Schwyz empfing, sicherlich verständlich. Der Bundeskanzler Kiesinger hat sich als baden-württembergischer Ministerpräsident zum „Ehren-Laufnarr" ernennen lassen; seinen Amtsnachfolgern Filbinger und Späth wie auch dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß sind dieselben Würden zuteil geworden. Höchste Auszeichnung des Stockacher Narrengerichts ist aber sein Orden, der nur sparsam an Menschen von echtem Geist und Witz verliehen wird und unmittelbar an seinen Stifter im 14. Jahrhundert erinnert: die Hans-Kuoni-Medaille. So weist die Gegenwart zurück an den Ursprung, und damit schließt sich der Kreis, den wir heute durchschritten haben. Die Erinnerung an einen bedeutenden Hofnarren ist lebendig geblieben. Wenn die edelsten Tugenden eines versunkenen Standes - die Liebe zur Wahrheit und der Mut zur ehrlichen Rede - immer noch wie einst der Pflege bedürfen, so nicht zuletzt im Bereich der Justiz, der sich dieses Narrengericht nicht grundlos zugehörig fühlt: „Närrisch zwar, doch töricht nie, denn der Tor hat lange Ohren, doch der Narr, der hat Genie."

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