Zur Grundlegung der Tonpsychologie [Reprint 2020 ed.] 9783112357002, 9783112356999

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Zur Grundlegung der Tonpsychologie [Reprint 2020 ed.]
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ZUR

GRUNDLEGUNG DER

TONPSYCHOLOGIE VON

De. G E Z A

R E V E S Z

PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT BUDAPEST

LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. 1913

Druck Ton Metzger & Wittig in Leipzigs

Meinem hochverehrten Lehrer

Herrn Professor Georg Elias Müller in tiefer Verehrung gewidmet

Vorwort. Das Gebiet der Tonempfiudungen umfaßt Erscheinungen, die infolge ihres alltäglichen Auftretens und weil sie scheinbar ohne weiteres verständlich sind von vielen nicht beachtet, von anderen kaum eines tieferen Nachdenkens wert gehalten werden, die aber zu immer weiteren, immer größeren Fragen führen, sobald man sie ernstlich anfaßt. Man läßt diese Erscheinungen zumeist deshalb unbeachtet an sich vorübergehen, weil man nicht denkt oder nicht hofft, daß eben diese längst bekannten Tatsachen von einem neuen oder von irgendeinem einheitlichen Gesichtspunkte aus betrachtet den Stoff zu neuen Problemen liefern oder gar grundlegend für die ganze Lehre von den Tonempfindungen werden könnten. Grundlegend sein heißt aber nicht soviel wie zu den älteren Lehren in scharfem Gegensatz stehen, sie zu widerlegen und zu beseitigen. Nein, es ist sogar möglich, daß eine neue Auffassung den älteren Theorien, deren Wurzeln unvergänglich sind, neue Nahrung bietet und es ihnen möglich macht, ihre Tragweite nach einer neuen Seite hin zu entfalten. In diesem Verhältnisse etwa mögen die Ergebnisse meiner eigenen Bemühungen zu den bedeutenden und gegenwärtig herrschenden Lehren von H e l m h o l t z und S t u m p f stehen. Meine Anschauungen stehen aber nicht im Gegensatz zu den übrigen, wenn sie gleich in einigen wichtigen Punkten abweichen; wohl aber unterscheiden sie sich vor allem in ihrem Ausgangspunkt. Indem ich meiner Grundanschauung zufolge die untersuchten Erscheinungen von einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten genötigt war, kam ich bei gewissen Fragen notwendigerweise zu anderen Ergebnissen als sie; bei anderen hingegen konnte ich

VI

Vorwort.

trotz der Verschiedenheit des Weges, den wir gegangen waren, ihre Resultate nur bestätigen, wenngleich ich in einigen Fällen eine andere Erklärung für sie geben mußte. Ich sehe den Wert meiner Arbeit nicht darin, daß ich etwa von einem ganz neuen Grundgedanken ausgegangen wäre, — denn meine Anschauungen über die Tonempfindungen, zu denen ich durch Analyse der Tonreihe und durch experimentelle Untersuchungen geführt worden bin, waren von der einen oder anderen Seite her angebahnt worden (Brentano) —, sondern darin, daß ich den Grundgedanken nicht als eine bloße H y p o t h e s e aufgestellt habe, die sich durch ihre Fruchtbarkeit und durch ihre zu weiterem Nachdenken auffordernde Natur rechtfertige, sondern als T a t s a c h e — da es mir gelungen ist, die unentbehrliche experimentelle Grundlage dafür zu geben —, endlich darin, daß ich dieser Tatsache den rechten Platz anweisen konnte, daß es mir gelang zu zeigen, wie sie für die Lehre von den Tonempfindungen fundamental ist. Es gelang auch durch meine Anschauungen Tatsachen verständlich zu machen, die durch die früheren nicht oder nicht befriedigend erklärt wurden; auch wurde ich zu ganz neuen Tatsachen und neuen Problemen geführt, endlich haben sie mir den Weg für die Lösung solcher Fragen gezeigt, von denen man stets behauptet hatte, daß sie wegen immanenter Schwierigkeiten nicht beantwortet werden könnten. Ich bin so glücklich gewesen, meinen Freund und langjährigen Mitarbeiter Herrn Privatdozenten Dr. P a u l v. L i e b e r m a n n für meine Untersuchungen als Beobachter zu gewinnen und durch seine feinen Beobachtungen wurde ich auf so manche wichtige Erscheinungen hingewiesen. Ich spreche ihm dafür auch hier meinen aufrichtigsten und wärmsten Dank aus. B u d a p e s t , im November 1912.

Inhalt. Seite

1. Einleitung- . . . 1 2. Das Oktavengesetz 4 Phänomenologische Betrachtung der Tonreihe. Das doppelte Ähnlichkeitsverhältnis bei den Tonempfindungen. Experimentelle Versuche über Ähnlichkeit der Oktaventöne. Die zwiefache Auffassungsweise der Tonreihe. Die Geradlinigkeit und Periodizität als Grundphänomene der Tonempfindungsreihe. Das Oktavengesetz. 3. Die beiden unabhängigen musikalischen Eigenschaften der Tonempfindungen 16 Qualität und Höhe. Qualitäten- und Höhenreihe. Bäumliche Darstellung der Tonreihe. Historisches und Kritisches .21 Der Ausdruck der Oktavenähnlichkeit in den musikalischen Namen. Notenschrift bei verschiedenen Völkern. Gesänge der Naturvölker. Ansichten über den Ursprung der Oktavenähnlichkeit. Auffassung von Helmholtz. Widerlegung derselben. Stumpfs Ansicht. Brentanos Lehre von den zwei akustischen Eigenschaften. Theorie von Mach. 5. Isolierung1 der beiden musikalischen E i g e n s c h a f t e n . . . . 43 I. Ä n d e r u n g d e r Q u a l i t ä t o h n e Ä n d e r u n g d e r H ö h e . Isolierung bei der Unterschiedsschwelle. Trennung bei der Parakuse. Qualität und Höhe des konstanten Pseudotones. Bestimmung der Pseudotöne nach Qualität und Höhe. Die regionäre und individuelle Höhenbestimmung. Einführung einer neuen Bezeichnungsweise. Demonstration verschiedener Qualitäten in gleicher Höhe bei sukzessiv binauraler Beobachtung. Herstellung einer lückenlosen Qualitätenreihe bei konstanter Höhe. Versuche über binaurale Tonmischung mit Liebermann. Das Mischungsgesetz. Isolierte Änderung der Qualität zu verschiedenen Zeiten. Ein eigentümlicher Fall von veränderter Qualität bei normaler Höhe. Zwei Qualitäten in einer Höhe. II. Ä n d e r u n g d e r H ö h e o h n e Ä n d e r u n g d e r Q u a l i t ä t . Isolierung bei Oktaventönen. Isolierung im konstanten Pseudogebiet.

VIII

Inhalt. Seite

III. G e h ö r e m p f i n d u n g e n m i t d e u t l i c h e r H ö h e bei u n deutlicher Qualität. Töne deruntersten und obersten Teile der hörbaren Tonreihe. Geräuschempfindungen. Töne von Membranen und von Platten. Musikalische Rolle der Höhe. 6. Versuch gewisse Erscheinungen der Melodietaubheit durch unsere Theorie zu erklären Fälle von Melodietaubheit. Übereinstimmung einiger Fälle mit dem Liebermannschen Falle. Erklärung durch Ausfall einer Toneigenschaft. 7. Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften . . Unabhängigkeit der Qualität von der Vokalität. Strenge Isolierung beider Eigenschaften bei der Parakuse. Unabhängigkeit der Höhe von der Vokalität. Isolierung derselben. Bildung der Tonempfindungsreihe aus den unabhängigen Qualitäten-, Höhen- und Vokalreihen. 8. Absolutes Gehör . . . Die beiden Arten des absoluten Gehörs: Tonqualitätenerkennung und Tonhöhenerkennung. Experimentelle Bestätigung der beiden Arten des absoluten Gehörs. Unterschiede der beiden Arten. Ursprüngliche Individualisierung der Töne. Die Bolle der Übung. Verknüpfung der Tonqualitätenerkennung mit der Tonhöhenerkennung. Erklärung des regionären absoluten Gehörs. 9. Intervalle Intervall und Zusammenklang. Die Eolle der Höhe bei der Bildung der Intervalle. Distanz (Höhenunterschied). Versuche über Distanzen. Distanz und ihre musikalische Bedeutung. Melodieversuche im parakustischen Tongebiet. Beobachtungen über die Erscheinungsweise von Tönen bei sukzessiver Rechtslinksvorführung. Distanz und Richtung. Die Bolle der Qualität beim Intervalleneindruck. Distanz und Intervall. Transposition und Umkehrung der Intervalle; die besondere Stellung des Tritonus. Über reine Höhen- und reine Qualitätenreihe. Das qualitative Segment und die Distanz. Theorie der Intervalle. (Die Segmenttheorie.) Harmonie und Melodie; Tonleiter und Tonartencharakteristik.

76

84

90

101

1. Einleitung. Gleiten wir über die ganze Klaviatur eines Klaviers von den tiefsten bis zu den höchsten Tönen hin und zurück, so erleben wir einen Eindruck, der mit einer Bewegung von gleichbleibender

Richtung

Ähnlichkeit

hat.

Wir

können

diesen Vergleich, wenn wir bei der räumlichen Bezeichnungsweise bleiben, dahin näher ausführen, daß wir die eine, mit zunehmender Schwingungszahl sich entwickelnde Bewegung als eine a u f s t e i g e n d e , die mit abnehmender als eine absteigende

Tonbewegung bezeichnen.

Das Phänomen

des

Steigens und Sinkens ist um so auffälliger, je schneller die einzelnen Töne aufeinander folgen, sehr auffällig bei einer schnellen Tonleiterpassage

oder

noch

mehr

bei

einer in

schnellem Tempo vorgeführten Reihe stetig ineinander übergehender Töne. Diese

a u f - und a b s t e i g e n d e

läuft stetig

Tonbewegung

und g e r a d l i n i g und z e i g t keine

menal ausgezeichneten

Punkte.

ver-

phäno-

Von diesem Gesichts-

punkte aus erscheint es berechtigt, die Tonreihe als eindimensional aufzufassen, und ihre bildliche Darstellung als aufsteigende Gerade ist recht anschaulich. Man meinte mit dem Hinweis auf die Erscheinung des Steigens

und Sinkens

die wesentlichen

Tonreihe e r s c h ö p f t zu haben.

Eigenschaften

der

Man meinte weiter, jeden

Punkt der Tonreihe, d. h. jeden einzelnen Ton durch einen R S v e s z , Tonpsychologie.

1

2

Einleitung-

Wert, erschöpfend charakterisieren zu können. Auf diese Auffassung stützen sich die Ansichten, die über die Natur der Tonreihe und der Tongestalten aufgestellt und vor allem von C. S t u m p f in so scharfsinniger Weise behandelt worden sind. Der Grundgedanke ist also der, daß die Tonqualität oder Tonhöhe oder wie man sonst die musikalisch am meisten hervortretende Eigentümlichkeit der Tonempfindungen gegenüber der Intensität, Klangfarbe und Vokalität bezeichnen will, eine sich stetig und geradläufig ändernde Eigenschaft der Tonreihe sei. Unsere erste Aufgabe ist nun zu untersuchen, ob diese allgemein angenommene und scheinbar von vielen Tatsachen gestützte Auffassung der Tonempfindungsreihe richtig ist, d. h. * ob sie mit allen, insbesonders mit neuerdings gefundenen Tatsachen im Einklang steht, ferner ob sie den Ergebnissen einer phänomenologischen Betrachtung der Tonreihe nicht widerspricht. Wenn wir dann finden werden, daß diese Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, wollen wir versuchen eine neue Theorie der Tonempfindungen zu entwickeln. Schon bei den einfachsten und alltäglichsten Erfahrungen an Tönen stoßen wir auf Besonderheiten, die uns, wenn wir sie nicht einfach ohne Erklärung hinnehmen wollen, die Frage nahelegen, ob die bisherige Anschauung nicht einer Modifikation bedürfe. Wenn man zwei homogene Lichter von verschiedener Wellenlänge beurteilen läßt, ob sie gleich oder ungleich aussehen, so werden sie als verschieden beurteilt, wenn der Unterschied der Farbenqualitäten größer als die Unterschiedsschwelle ist. Ähnlich verhält es sich, wenn man ein Urteil darüber

Einleitung.

3

verfingt, ob zwei der Schwingungszahl nach verschiedenen Tön) gleich oder ungleich erscheinen. Ist der Unterschied der Töne größer als die Unterschiedsschwelle, so wird das Urtdl lauten, daß sie ungleich sind. Hier können wir aber weiter gehen, und dem Beobachter die Frage stellen, welcher von den zwei als ungleich erkamten Tönen der h ö h e r e sei. Wenn wir ihm durch ein Beis>iel demonstrieren, was wir tiefer und was höher nennen, so wrd er ohne weiteres den Ton mit größerer Schwingungszahl für höher erklären. Wie macht man es nun theoretisch verständlich, daß ein :olches Urteil über das Höhenverhältnis zustande kommt? Wirl es klar, wenn man einfach auf die Verschiedenheit der Quaitäten hinweist? Durchaus nicht. Denn im allgemeinen wird man, wenn zwei Empfindungsqualitäten verschieden ersehenen, nicht die eine als höher oder tiefer auffassen. Im qualtativen Unterschied ist nichts von einem bestimmten Sinn der Nebeneinanderordnung gegeben und eine darauf geri-e war der erste Ton c, der zweite e. s ) Vgl. G. R é v é s z , Nachweis, daß in der sog. Tonhöhe usw. a. a. O. S. 5.

Intervalle.

105

Es erhebt sich vor allem die wichtige Frage, ob sich der Intervalleindruck ausschließlich auf eines der beiden musikalischen Merkmale oder auf beide gründet. Ich bin zu dem Resultat gekommen, daß es von beiden von uns an den T ö n e n u n t e r s c h i e d e n e n M e r k m a l e n a b h ä n g t , welches I n t e r v a l l zwei s u k z e s s i v g e g e b e n e T ö n e bilden. I. Die Rolle des Höhenmerkmals beim Intervalleindruck.

1. Beruhte der Intervalleindruck auf Qualitätsverhältnissen allein, so müßten z. B. die Q u a l i t ä t e n c und e u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n d a s s e l b e I n t e r v a l l geben. Nun ist es aber in der Tat nicht so. c 1 und e 1 geben eine Terz, c 1 und e 2 eine Dezime, c 1 und e° eine Sext. Sind also die Qualitäten c und e gegeben, so ist damit das Intervall noch nicht bestimmt; es kann erstens Terz oder Sext sein (Umkehrung des Intervalles), zweitens jedes dieser Intervalle in enger und in erweiterter Form. Wodurch unterscheidet sich c 1 — e 1 von c 1 — e 2 ? Durch die verschiedenen D i s t a n z e n , womit hier der Abstand der beiden Höhen bezeichnet werden soll (Höhenunterschied).1) Dem I n t e r v a l l c 1 — e 1 e n t s p r i c h t eine k l e i n e r e D i s t a n z als dem I n t e r v a l l c 1 —e 2 . (Uber Distanzen ausführlich S. 1L2ff.) Eine schwierige Frage ist es aber, wodurch sich c 1 — e 1 von c 1 — e° unterscheidet. Die Entscheidung kann einfach durch die Distanz nicht gegeben werden. Wir werden auf diese Frage unten noch zurückkommen. 2. Unter pathologischen Bedingungen, wenn sich die Qualitäten innerhalb einer größeren oder kleineren Tonregion auf eine einzige reduzieren, wie bei Parakuse, wo also alle *) Die Begriffe D i s t a n z ich ala Synonyma.

und H ö h e n u n t e r s c h i e d

verwende

106

Intervalle.

Intervallurteile eigentlich Prim lauten müßten,1) l ä ß t s i c h doch d a s o b j e k t i v e I n t e r v a l l zweier s o l c h e r q u a l i t ä t s g l e i c h e r T ö n e einzig auf G r u n d i h r e r D i s t a n z , i h r e s H ö h e n u n t e r s c h i e d e s b e u r t e i l e n . So ist also unter gewissen noch zu präzisierenden Bedingungen ein bestimmtes Intervall auch durch eine bestimmte Distanz ausreichend charakterisiert und der Beobachter kann es durch dieses Merkmal sogar mit z i e m l i c h e r G e n a u i g k e i t beurteilen. Der Umstand also, daß trotz konstanter Qualität Intervalle bestimmt werden können, weist darauf hin, daß bei d e r Intervallbeurteilung auch unter normalen Verhältn i s s e n die D i s t a n z e n m i t v e r w e r t e t werden. Diese Versuche sind-so wichtig, daß ich hier einige Beispiele anführen will. Die Tabellen habe ich in der oben zitierten Arbeit „Experimentelle Beiträge zur Orthosymphonie" mitgeteilt. In einer Versuchsreiche wurde h 2 — c 3 gegeben. Dieses Intervall erschien naiv (nach Qualität) beurteilt, als Prim, nach Höhendistanz richtig als aufsteigende kleine Sekund. Ferner erschien h 2 — eis 3 naiv als Prim oder selten als kleine Sekund, nach Distanz als aufsteigende große Sekund oder vielleicht kleine Terz; h 2 — dis 3 naiv Prim, nach Distanz zwischen großer Terz und Quart; h 2 — e 3 naiv Prim, nach Distanz Quart. Ich habe im konstanten Pseudogebiet 44 Intervalle vorgeführt. Davon lagen 37 innerhalb einer Oktave, während 7 die Oktave überschritten. Von den 37 Urteilen waren 20 ganz richtig 6 um einen halben Ton falsch 3 „ „ ganzen „ „ 2 über „ „ „ „ (6 wurden nach der Qualität (naiv) beurteilt). Konstantes Qualitätagebiet bei Parakuse siehe S. 50 f.

Intervalle.

107

Ziehen wir von den 37 Urteilen die nach der Qualität beurteilten sechs Fälle ab, so bleiben 31 Urteile, wovon 64,5 Prozent ganz richtig ausgefallen sind. Rechnen wir zu den ganz richtigen Urteilen noch die um einen halben Ton falsch beurteilten Intervalle hinzu, so erhalten wir 83,8 Prozent richtige Urteile. Von den Intervallen, die eine Oktave überschritten, wurden ungefähr 50 Prozent richtig beurteilt. Durch diese Versuche ist also bewiesen, daß a l l e i n a u f G r u n d von D i s t a n z e n I n t e r v a l l e l e i d l i c h g u t b e u r t e i l t w e r d e n können. 3. Im konstanten Qualitätengebiet werden nicht nur einzelne Intervalle, sondern auch eine Reihe nacheinander dargebotene so erfaßt, daß in vielen Fällen sogar der E i n d r u c k d e r M e l o d i e auftritt. Der Beobachter kann durch die den Intervallen entsprechenden Distanzen bekannte Melodien wiedererkennen und nicht erkannte Melodien (bekannte und unbekannte) mit Hilfe der aufgefaßten Distanzen in Noten setzen. Die Melodie wird anfangs nicht erkannt und der Eindruck ist in der Regel zunächst gar nicht der einer Melodie. Indem aber der Beobachter bei wiederholter Vorführung die Distanzen der qualitätsgleichen Töne mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt, bekommen die Distanzen allmählich den Charakter von m u s i k a l i s c h e n I n t e r v a l l e n , womit die ganze Erscheinung in die einer Melodie übergeht. Erst wenn d a s g e s c h e h e n i s t , k a n n s i e in Noten g e s e t z t w e r d e n . Die Umwandlung der Distanzen in musikalische Intervalle fasse ich als eine Art Illusion auf.1) *) Vgl. dazu was ich über die Intervalle bei Geräuschtönen gesagt habe S. 72 f.

108

Intervalle.

Da diese Melodieversuche sehr interessant sind, werde ich davon einige anführen. 1. Die erste Melodie, die ich — natürlich ohne Begleitung — vorführte, war ein allbekanntes u n g a r i s c h e s K i n d e r l i e d . Der Beobachter mußte bei dieser Melodie die Intervalle noch nicht angeben oder sie in Noten setzen, sondern nur die Richtung der Tonbewegung r ä u m l i c h andeuten. Die Melodie1) fing so an: "Trito* ffr\ ff t" V /

t

—1

J

— j lp=l

-TS)

Die Bewegungsrichtung der Töne wurde durch folgendes räumliche Schema angedeutet: •











Bei der ersten Vorführung erkannte er die Melodie nicht. Als ich ihn nachher aufforderte, die Melodie am Klavier zu reproduzieren, spielte er sie in folgender Weise:

Nach der dritten Wiederholung gelang es ihm, die Melodie zu erkennen. Nach kurzer Übung ging die Erkennung bekannter Melodien schon leichter. 2. So habe ich als dritten Versuch die erste Phrase der M a r s e i l l a i s e in A-Dur vorgeführt und L i e b e r m a n n er') Alle vorgeführten Melodien wurden in der dreigestriehenen Oktave gegeben, nur selten wurde auch noch die obere Hälfte der zweigestrichenen Oktave mitverwendet.

109

Intervalle.

kannte sie sogleich bei der ersten Vorführung fast ganz richtig und reproduzierte sie sogar in derselben Tonart. Ich muß bemerken, daß ich die Mehrzahl der gegebenen Melodien ohne Rhythmus, mit gleichen Notenwerten vorgeführt habe, welcher Umstand die Erkennung des Stückes in hohem Maße erschwert hat. Andere Beispiele: 3. Rondo aus der S o n a t e p a t h é t i q u e , op. 13 von B e e t h o v e n . Die ersten 8 Takte. « - t e

f - \J > • .¿n --1—£—1-

r-: V •

Ä

vorgeführt:

Nach der ersten Vorführung in Noten gesetzt:

Als ich zum zweitenmal mit Rhythmus vorspielte, erkannte L i e b e r m a n n das Stück. 4. Das Lied „ A l l e s neu m a c h t d e r Mai". im Rhythmus gespielt wurde es sofort erkannt.

Richtig

Man darf aber nicht glauben, daß der Rhythmus allein für die Erkennung eines Stückes hinreichte. Wenn ich nämlich den Rhythmus der bekanntesten Melodien auf einem einzigen Ton angab, so wurden sie mit einer einzigen Ausnahme niemals erkannt; nur die W a c h t am R h e i n ist auf Grund ihres Rhythmus erkannt worden.

Intervalle.

110 5



z

*=p=H

4 — 1H-i—'—t-pE= :=_:::

Rhythmisch vorgetragen wurde das Motiv bis auf den letzten Ton richtig nachgesungen. Musikalische Wirkung. 6. „Gott e r h a l t e F r a n z den K a i s e r " mit c 3 als Ausgangsnote wurde nicht erkannt, Wirkung unmusikalisch. 7. Mendelssohns H o c h z e i t s m a r s c h aus dem Sommernachtstraum. Aus reinem Rhythmus nicht, bei normaler Vorführung nach der zweiten Wiederholung erkannt. 8. „Kommt ein Vöglein". 4 Takte. Die ersten zwei Takte richtig aufgefaßt; die Melodie nicht erkannt. 9. „ F u c h s , du hast die Gans g e s t o h l e n " .

Nach der ersten Vorführung wurde es in folgender Weise reproduziert:

10. „ I h r Kindelein kommet". Bei rhythmischer Vorführung richtig nachgesungen (ein kleiner Fehler am Schlüsse). Wirkung musikalisch. 11. „ S t i l l e Nacht, heilige Nacht". P J Vn f. Reproduziert:

1

V

rr—r

~t—r~

Si.

Intervalle.

111

12. M o z a r t s F i g a r o „Non p i ù a n d r a i " . .

8a,

-

e







Bei richtiger Vorführung nicht erkannt. Wirkung musikalisch. Qualitäts- und Höhenunterschiede wahrgenommen. Nachgesungen (beginnend mit einem Ton zwischen eis und d, welcher Ton der Pseudoton dieser Gegend war):

13. Motiv aus W a g n e r s F l i e g e n d e m H o l l ä n d e r .

Bei richtiger Vorführung nicht erkannt. Wirkung unmusikalisch, nur Höhendistanzen, keine Qualitätsunterschiede. Bei Wiederholung im Anfang des Motivs auch qualitative Unterschiede, dann mehr verwischt. Als der Beobachter versuchte, es nachzusingen, erschien dabei schließlich etwas wie Qualitätsunterschiede auch für das letzte Intervall. Nachgesungen: te

Nochmals gegeben. Wirkung nicht mehr unmusikalisch. Auch nachdem die Versuchsperson die Melodie wußte, erschien sie nur so, wie sie meist nachgesungen wurde. Die Kenntnis der Melodie hat in diesem Falle nicht suggestiv gewirkt.

112

Intervalle.

14. Mozarts F i g a r o „Voi che sapete''. in, fr — _• f*yf> • gis als Terz auffaßte, mußte er das Intervall zugleich für als er nachher die in derselben Reihenfolge dargebotenen Qualitäten als Sext auffaßte, mußte er es konsequenterweise für halten, da der Qualitätenschritt h ->- gis als T e r z unter normalen Umständen absteigend ist. F ü r das R i c h t u n g s u r t e i l ist also immer die R i c h t u n g ausschlaggebend, die für das in der Auffassung gewählte I n t e r v a l l bei der j e w e i l i g e n R e i h e n f o l g e der T o n q u a l i t ä t e n unter normalen Umständen allein möglich wäre. Bei der Intervallauffassung spielt die Erfahrung eine solche Rolle, daß sie zu ganz paradoxen Fällen führt. Einem solchen Fall begegnete ich bei dem auf Seite 65 mitgeteilten Versuch. Wenn ich der Versuchsperson sukzessiv C Cj gab, so beurteilte sie — da Cj die Qualität g annahm — das Intervall als Q u a r t e , und die Richtung als absteigend. Da das Intervall C ->• Cj tatsächlich absteigenden Höhenschritt hat, war dieses Urteil ganz natürlich. Nun aber kam es vor, daß dem Beobachter das Intervall C ->- Ct als Quinte erschien oder daß er es als Quinte auffaßte; in diesen Fällen aber trat die paradoxe Erscheinung ein, daß er die Richtung des Intervalles für aufsteigend erklärte, obschon er den Höhenschritt zu gleicher Zeit richtig als absteigend wahrnahm. Dieser paradoxe Fall erklärt sich einfach dadurch, daß O g als Quint unter normalen Umständen nur aufsteigend vorkommen kann; infolgedessen wird c - > g unabhängig von der erlebten Richtung des Höhenschrittes als aufsteigende Quinte beurteilt. Zur Illustrierung des Gesagten mag die Selbstbeobachtung von L i e b e r m a n n dienen:

118

Intervalle.

„Habe ich ein Intervall zu beurteilen, so kann das Ergebnis niemals eine bloße Angabe des Namens sein; die Auffassung des Intervalles bringt notwendig eine R i c h t u n g s b e z e i c h n u n g mit sich. Jedes Intervall wird notwendig entweder als aufsteigendes oder als absteigendes gefaßt. Dies wird jedem, der einmal ein Intervall aufgefaßt hat, ohne weiteres klar sein. Nicht so ohne weiteres klar ist es aber, was mit der Angabe der Richtung gemeint ist. Die nächstliegende Anschauung ist natürlich die, die Bezeichnung aufsteigend oder absteigend gebe die R i c h t u n g des H ö h e n s c h r i t t e s an. Es klingt gewiß paradox, wenn ich behaupte, daß das n i c h t immer z u t r i f f t . Es gibt Fälle, wo der Höhenschritt entgegengesetzt aufgefaßt wird, als die Richtungsbezeichnung angibt, und es folgt, daß auch dort, wo der Höhenschritt im Sinne der angegebenen Richtung aufgefaßt wurde — wie gewöhnlich — der Inhalt der Richtungsangabe mit der Bestimmung des Höhenschrittes (ob 4* oder -f-) nicht erschöpft ist. Beobachte ich das psychologische Verhalten in den paradoxen Fällen, so zeigt sich, daß die Bezeichnung eines Intervalles als aufsteigende Quinte z. B., und nicht als Quinte schlechthin, auf die m e l o d i s c h e B e d e u t u n g des aufgefaßten Intervalles geht. Wenn ich die Tonfolge c — g als aufsteigende Quinte auffasse, so bedeutet das, daß ich einen melodischen Schritt wahrgenommen habe, der in einer Melodie die Rolle einer aufsteigenden Quinte spielen kann. Schlage ich z. B. die Gabel a 1 an, und intendiere einen Ton darauf zu singen, so daß das Intervall eine aufsteigende große Terz werde, so singe ich das eingestrichene eis, und fasse doch das Intervall ganz deutlich als Terz und nicht als Sexte. Aber selbstverständlich unbedingt als a u f s t e i g e n d e Terz.

Intervalle.

119

Richte ich nun die Aufmerksamkeit auf den Höhenschritt selbst, so kommt zunächst gar nichts Deutliches, und es wird mir auch anschaulich, daß das Urteil, die Terz sei eine aufsteigende, mit der Auffassung des Höhenschrittes gar nichts zu tun hat. Ich hatte erwartet, daß es auch einen anderen Weg geben werde, mich davon zu überzeugen, daß die Richtung des tatsächlichen Höhenschrittes der im Urteil angegebenen Richtung entgegengesetzt ist: nämlich das Intervall als absteigende kleine Sexte aufzufassen; ich dachte, daß dabei auch das Absteigende des Höhenschrittes deutlich würde. Zu meiner Überraschung fand ich, daß er auch da nicht anschaulich wurde; die Auffassung des Schrittes als absteigend schien mir nicht naiv genug, sondern durch das Wissen getrübt." Wir haben also hier einen Fall, wo die beiden Töne zwar in verschiedener Höhe gehört werden, wie die absoluten Urteile zeigen, wo sich aber wegen einer besonderen Konstellation der Auffassung der Höhenunterschied bei ihrer Aufeinanderfolge nicht recht geltend machen will; er redet sozusagen nichts drein, bleibt neutral, was durch den Unterschied der Klangfarbe erleichtert wird, und er läßt der Auffassung freies Spiel, das Intervall beliebig im einen oder im anderen Sinne aufzufassen. Der Beobachter gab mir an, daß die Auffassung als Terz musikalisch kaum weniger befriedigend ist als die als Sexte. Höchstens hat er bei erneutem Probieren den Eindruck, als gäbe das Urteil absteigende Sexte außer von der melodischen Bedeutung des Intervalles noch von etwas anderem Rechenschaft, was aber musikalisch nebensächlich ist. Man unterliegt dabei sehr leicht einer Täuschung und meint wirklich ein a u f s t e i g e n d e s Intervall im gewöhnlichen Sinne des Wortes gehört zu haben. Es gehört sehr auf-

120

Intervalle.

merksame Beobachtung dazu, sich davon zu überzeugen, daß dies eine Urteilstäuschung ist. Die Schwierigkeit besteht darin, Illusion von Urteilstäuschung zu unterscheiden. Es handelt sich hier nicht um eine Illusion; das würde bedeuten eine Modifikation der Wahrnehmung. Daß eine solche nicht vorliegt, wird sofort klar, wenn man sich fragt, ob denn das gesungene eis1 nach dem Gabelton a 1 etwa als eis2 erscheine. Davon ist nicht die Rede. Man wird aber schwerlich annehmen wollen, daß der Höhenschritt als aufsteigender erscheinen könne, wenn die beiden wahrgenommenen Höhen einen absteigenden Schritt bilden. Will der Beobachter nun um jeden Preis den Schritt von a 1 (Gabel) zu eis1 (gesungen) beurteilen, so kommt er dazu am besten auf einem indirekten Wege: er betrachtet jeden Ton für sich und bildet sich ein Urteil über ihre absolute Höhe. Dann wird es deutlich, daß das eis der tiefere Ton ist. Daß ein Intervall tatsächlich durch seine melodische Bedeutung d e f i n i e r t ist; und daß darin die Erklärung der „paradoxen Auffassung" steckt, wird vielleicht noch deutlicher, wenn man die paradoxe Auffassung durch eine bekannte Melodie begünstigt. Dieser Kunstgriff wird am besten mit dem anderen — der verschiedenen Klangfarbe — verbunden, etwa so:

Klavier

Stimme

„Ich fasse hier das Intervall e 1 —g als aufsteigende kleine Terz, und glaube, daß es jedem Musikalischen so gehen wird." Spielt man bei diesem Versuch auch das Schluß-g

Intervalle.

121

am Klavier, so gelingt die Auffassung als Terz schwerer: man muß dann von der Distanz abstrahieren. Immerhin kam es bei den Versuchen in der Tiefe vor, daß L. ein Intervall etwa als aufsteigende Quinte mit absteigendem Höhenschritt bezeichnete, obwohl beide Töne am Klavier angegeben waren und auch sonst kein besonderer Grund für die paradoxe Auffassung ersichtlich war. Es ist ja verständlich, daß die Disposition, c — g als Quint zu fassen, etwa durch innere Veranlassungen erzeugt werden kann. In diesen Fällen war das Paradoxe anschaulich: er war gezwungen, von der verkehrten Richtung der Distanz Notiz zu nehmen. Im übrigen war das psychische Verhalten wie oben beschrieben. 5. Der Einfluß des Höhenmerkmals auf das Zustandekommen des Intervalles zeigt sich ferner in ausdrücklicher Weise bei undeutlicher Qualität, wie eine solche geräuschartige Töne haben. Es kann nämlich, wie wir oben Seite 72 ausgeführt haben, der E i n d r u c k eines Intervalles zwischen zwei G e r ä u s c h t ö n e n entstehen.

Fassen wir ifun das Gesagte zusammen. D e r E i n f l u ß des Höhenmerkmals beim I n t e r v a l l zeigt sich in folgendem: 1. Ob zwei T o n q u a l i t ä t e n ein enges oder e r w e i t e r t e s I n t e r v a l l bilden, wird durch die D i s t a n z bestimmt. 2. D a s objektive I n t e r v a l l zweier q u a l i t ä t s g l e i c h e r aber h ö h e n v e r s c h i e d e n e r T ö n e , wie sie u n t e r pathologischen Umständen gegeben sein k ö n n e n , wo eine ganze R e i h e b e n a c h b a r t e r T ö n e

122

Intervalle.

dieselbe T o n q u a l i t ä t h a t , wird allein auf Grund ihres H ö h e n u n t e r s c h i e d e s mit leidlicher Genauigkeit beurteilt. (Beine Distanzen.) 3. Auf die musikalische B e d e u t u n g der Höhe weist der Umstand hin, daß H ö h e n s c h r i t t e unter besonderen Umständen den C h a r a k t e r von musikalischen Intervallen annehmen können. 4. Daß I n t e r v a l l e i n d r ü c k e ohne Distanz nicht bestimmt werden k ö n n e n , darauf weisen Versuche hin, die zeigen, daß zwischen höhengleichen Qualit ä t e n das I n t e r v a l l nicht e i n d e u t i g bestimmt werden kann. 5. Bei u n d e u t l i c h e r Q u a l i t ä t , wie eine solche ger ä u s c h a r t i g e Töne haben, kann doch der E i n d r u c k eines I n t e r v a l l e s zwischen zwei Tönen entstehen.

Die Rolle des Qualitätsmerkmals beim Intervalleindruck.

1. Das psychische Verhalten des Beobachters ist ganz anders, wenn er Intervalle zwischen Tönen verschiedener Qualität, also innerhalb seines normalen Gebietes oder zwischen einem normalen Ton und einem Ton des pathologischen Gebietes oder auch zwischen zwei pathologischen Tönen verschiedener Qualität bestimmt, als wenn er ein Intervall in einem Gebiet zu bestimmen hat, wo es nur eine Qualität gibt, also im konstanten Qualitätsgebiet. Die gewöhnliche Art ein Intervall zu beurteilen, ist momentan, naiv, arm an Erlebnis, während ein Urteil über Höhendistanzen Zeit erfordert und deutlich durch psychische Tätigkeit gewonnen wird.

123

Intervalle.

2. Erweiterte Intervalle sind den engen äußerst ähnlich, so daß sie einander sogar in der Melodie vertreten können.

Das beruht

darauf,

daß die Qualitäten im er-

weiterten Intervall dieselben sind wie im engen. 3. Daß höhengleiche Qualitäten Intervalleindrücke geben, ist ein weiteres Argument dafür, daß die Qualitäten an der Intervallbildung beteiligt sind.

Siehe die binauralen Versuche

auf Seite 114 f. 4. Wenn stanzen kann

es

sich

gleiche

das

nur

zeigt,

daß

Intervalle

vom

Einfluß

verschiedenen

entsprechen

des

Di-

können,

Qualitätsmerkmals

so her-

rühren.

Tatsächlich entsprechen nun verschiedenen Distanzen

gleiche

Intervalle, da wir finden, daß die Distanz

Intervalles

davon abhängt,

in welchem Gebiet wir

eines seine

Töne angeben. Es zeigt sich, daß die T ö n e tiefer

Lage

mittlerer.

viel

kleinere

eines Intervalles

Distanzen

Einer Terz entspricht

kleinere Distanz als einer Quart.

haben

als

nicht schlechthin

in in eine

Man d a r f also D i s t a n z

m i t I n t e r v a l l n i c h t z u s a m m e n w e r f e n , sie unterscheiden sich voneinander ganz wesentlich. Schon S t u m p f hat behauptet, daß dasselbe Tonverhältnis, z. B. 2 : 3 (Quint) uns in der tiefen Region Töne liefert, die einen geringeren „Tonabstand" haben, als in der mittleren Region.1)

Es ist bemerkenswert, daß S t u m p f ohne an das

selbständige Höhenmerkmal zwischen statuierte.

Tonabstand

(nach

zu denken, einen uns

Distanz)

Unterschied

und

Intervall

Dem scharfen Beobachter konnte die Inkongruenz,

die zwischen der mit der Höhenlage sich ändernden Distanz l

) Konsonanz und Dissonanz, Seite 68.

124

Intervalle.

und dem festen, unveränderlichen besteht, nicht entgehen.

musikalischen Intervall

Meiner Erfahrung nach kann zwar durch unmittelbaren Vergleich in verschiedenen Höhenregionen liegender gleicher Intervalle dieser Unterschied mit genügender Deutlichkeit demonstriert werden, doch wird die Erscheinung auffallender, wenn man den folgenden Weg einschlägt. Man lege einem mit gutem relativen Gehör begabten Menschen die Intervalle g 1 —as 2 und G t — A s zur Beurteilung vor. Er wird das Intervall g 1 —as 2 ohne weiteres als kleine None beurteilen, dagegen wird es manchmal vorkommen, daß er G x —As für eine kleine Sekunde halten wird.1) Die Erklärung liegt auf der Hand. Die Höhendistanz zwischen G x —As ist im Vergleich zu g 1 —as 2 so klein, daß das erstere ebenso leicht als kleine Sekunde wie als kleine None beurteilt werden kann. Die Distanz ist viel kleiner als die einer in der mittleren Region liegenden None und größer als die einer Sekunde derselben Höhenlage. Noch schlagender ist ein anderer Versuch. Wird das Intervall a 2 b 1 oder a 1 b° gegeben, so wird es stets als a b s t e i g e n d e g r o ß e S e p t i m e beurteilt. Führen wir dagegen das Intervall A Bj vor, so kann dieses sehr wohl als a u f s t e i g e n d e 2 ) k l e i n e S e k u n d e aufgefaßt werden. Die Distanz zwischen A und B ist im Verhältnis zu der der Intervalle in der mittleren Region so klein, daß sogar der Ein') Dieses Beispiel weist auch auf die Identität der Oktaventöne hin. ') Siehe dazu was ich über die Richtung auf Seite 116—117 gesagt habe.

125

Intervalle.

druck des Aufsteigens leicht hineingelegt werden kann. — Diese Eigentümlichkeit zeigt sich auch dann, wenn wir z. B. die Töne der aufsteigenden Cdur-Tonleiter der Reihe nach in absteigender Richtung vorführen, also: g"—A—Hj—Cr

c*—d3—e2—f1—

In diesem Falle versteht der Beobachter

eine Zeitlang nicht, worum es sich eigentlich handelt, bis er schließlich in den letzten 3 — 4 Tönen ( g O - ^ A ^ H j ^-Cj) den Schluß der aufsteigenden Cdur-Tonleiter erkennt.

Da die

Distanzen in der tiefen Region kleiner als in der hohen und mittleren sind, können die letzten 2 — 3 Intervalle leicht den Eindruck der Sekundenfolge erwecken, was es schließlich ermöglicht, die Tonleiter zu erkennen.

Die obige Vorführungs-

art erweist sich für die Erkennung günstiger als eine Vorführung in umgekehrter Richtung, also C x — H j — A — g ° — f 1 — e 2 —d 3 —c 4 , was sich ungezwungen daraus erklärt, daß bei der aufsteigenden

Vorführung

der Beobachter

durch

den

frappanten Eindruck der zuerst gehörten Töne an der hier erforderlichen psychischen Einstellung verhindert, gerade den für die Erkennung günstigsten Abschnitt der Reihe ungenützt vorbeigehen läßt. Ferner weisen darauf, daß gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, gewisse weitere Versuchsresultate und Beobachtungen hin. E s zeigte sich nämlich, daß Distanzen im konstanten Pseudogebiet, also in der dreigestrichenen Oktave, eher ü b e r - als unterschätzt werden, in 88 Prozent der falschen Fälle war eine Überschätzung zu konstatieren.

Ferner ist be-

kannt, daß in der Tiefe, in der großen und Kontra-Oktave Intervalle leicht unterschätzt werden. Überschätzung

statt,

Im ersten Falle fand eine

weil die Höhendifferenz

Töne in der hohen Lage größer, im

der beiden

zweiten Falle

eine

Unterschätzung, weil der Höhenunterschied im tieferen Ton-

126

Intervalle.

gebiet kleiner ist als in der am besten bekannten mittleren Tonregion. Es erhebt sich in diesem Zusammenbange auch die Frage, wie es möglich ist, daß gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, und doch Intervalle im qualitätsgleichen Tongebiet (konstantes Pseudogebiet) leidlich gut beurteilt werden. Es läßt sich darauf eine sehr einfache Antwort geben. Erstens entsprechen innerhalb einer b e g r e n z t e n Tonregion, wie z. B. innerhalb eines Gebietes von einer Oktave gleichen Intervallen immerhin gleiche oder nahezu gleiche Distanzen, zweitens aber werden in jeder Höhenregion die Intervalle mit den ihnen entsprechenden Distanzen in solcher Weise e i n g e p r ä g t , daß die Distanz der Intervalltöne die Intervalle in jedem einzelnen Tongebiete ausreichend charakterisiert. Wir müssen also betonen, daß diese Verschiedenheiten der Distanzen nicht absolute Größen bedeuten, also nicht für die ganze Tonreihe, sondern nur für eine bestimmte Region gelten (regionäre Distanzen). Der Terz c 1 —e 1 entspricht eine kleinere Distanz als der Seit c1—e°, aber — wie wir schon wissen — ist die Distanz einer beliebigen Terz nicht notwendig kleiner als die einer beliebigen Sext. Damit hängt nun eine weitere Frage zusammen: ob der Unterschied eines Intervalles von seiner Umkehrung etwa daraus zu erklärön sei, daß das umgekehrte Intervall eine ') Wenn man bei der sinnlichen Veranschaulichung der Tonreihe noch die Tatsache, daß in verschiedenen Tonregionen gleichen Intervallen ungleiche Distanzen entsprechen, mit berücksichtigen will, bo kann man diesen Umstand leicht in einer Schraubenkonstruktion (Vgl. Seite 20) zum Ausdruck bringen, indem die Windungen ungleich hoch macht. In der Tiefe z. B. müssen die Windungen enger liegen, die Schraube mehr zusammengedrückt sein, als in der Mitte.

Intervalle.

127

andere Distanz hat. Aus dem eben Gesagten folgt, daß es nicht von der absoluten Größe der Distanzen abhängt, ob ein bestimmtes Qualitätenpaar diesen oder jenen Intervalleindruck erweckt, weil sonst eine Sext in der tiefen Lage als Terz erscheinen könnte, denn ihre Distanz kann nahe dieselbe sein wie die einer Terz in der hohen Lage. 1 ) Nach dieser Abschweifung kehren wir zu unserer eigentlichen Frage zurück und fassen unser viertes Argument für den Einfluß der Tonqualitäten auf das Intervall zusammen. Da die beiden Töne eines Intervalles in tiefer Lage viel kleinere Distanzen haben als in mittlerer, so kann es nur an den Q u a l i t ä t e n l i e g e n , wenn d a s I n t e r v a l l hier wie d o r t d a s s e l b e ist. 5. Unter p a t h o l o g i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n können d a s s e l b e P a a r von T o n q u a l i t ä t e n in einer e n g b e g r e n z t e n L a g e mit allen m ö g l i c h e n D i s t a n z e n v o r k o m m e n , a b e r der I n t e r v a l l e i n d r u c k wird s t e t s d e r s e l b e bleiben. So machten z. B. im konstanten Pseudogebiet zwei gis-Töne mit der Distanz einer Septime oder Sext den genauen Eindruck einer Oktave. Das Intervall gis 0 ' und g i s o d e r gis 0 " und gis h ' wird also von dem Beobachter ohne Zögern und stets als Oktave beurteilt, und in gleicher Weise wird das Intervall a ° 3 — c d S genau so für eine Terz gehalten, wie die Intervalle a°'—c c i 8 '. Also die Tonqualitäten haben den Intervalleindruck bestimmt. 6. Zwischen Tönen des pathologischen Gebietes und solchen des normalen Gebietes erhalten wir objektiv falsche Intervallurteile, die genau so konsequent sind und mit der) Eine systematische Untersuchung der Distanzen wird gegenwärtig unter meiner Leitung ausgeführt. l

128

Intervalle.

selben subjektiven Sicherheit abgegeben werden, als innerhalb des normalen Gebietes. Die Abweichung vom objektiven Intervall kann also nur von der Fälschung der Qualitäten herrühren, indem diese falsche Qualität das Intervall bestimmt. — Das läßt sich auch direkt beweisen, da die falschen Qualitäten auch durch Nachsingen gefunden werden. Hierher gehört der schon oben mitgeteilte Fall, als die Versuchsperson L i e b e r m a n n C1 einmal als c ein anderesmal als g hörte (zwei Qualitäten bei einer Höhe). Wurde nun das normale C mit dem anomalen Ct sukzessiv gegeben, so beurteilte er das Intervall C — a l s Quart, obwohl nach der Distanz das Intervall auch von ihm für eine Oktave gehalten wurde. Er konnte sowohl in diesem Fall, wie auch in anderen Fällen im pathologischen Gebiet neben dem in erster Beihe auf dem Qualitätsmerkmal beruhenden Intervall auch die — nicht dem beurteilten Intervall entsprechende — Distanz angeben. Der E i n f l u ß der T o n q u a l i t ä t ä u ß e r t sich beim I n t e r v a l l in folgendem: 1. Hat eine Reihe b e n a c h b a r t e r Töne bei normalem H ö h e n u n t e r s c h i e d dieselbe Q u a l i t ä t und soll ein I n t e r v a l l zwischen zwei Tönen einer solchen Reihe b e u r t e i l t werden, so ist das psychische Verhalten beim Urteilen g ä n z l i c h ' a n d e r s als unter normalen Verhältnissen. 2. E r w e i t e r t e I n t e r v a l l e sind den engen äußerst ähnlich und können sie sogar in der Melodie vertreten. 3. Sogar höhengleiche Qualitäten können I n t e r v a l l e i n d r ü c k e geben.

129

Intervalle.

4. Die beiden Töne eines I n t e r v a l l e s haben in t i e f e r L a g e viel kleinere D i s t a n z als in mittlerer. Wenn also d a s I n t e r v a l l dort d a s s e l b e ist, so kann d a s nur an den Q u a l i t ä t e n liegen. 5. Unter p a t h o l o g i s c h e n Verhältnissen erscheinen die I n t e r v a l l e auch in einer eng begrenzten L a g e mit allen Distanzen. Zwei gis-Töne z. B. mit der D i s t a n z einer S e p t i m e bilden eine Oktave. 6. Ein Ton, dessen Höhe nachweisbar normal ist, kann doch mit einem anderen Ton ein I n t e r v a l l bilden, das objektiv falsch b e u r t e i l t wird. D a s kann nnr daher kommen, daß seine T o n q u a l i t ä t g e f ä l s c h t ist und diese f a l s c h e Q u a l i t ä t das Intervall b e s t i m m t Wir sind also zu dem Ergebnis gekommen, daß an der Bildung des musikalischen Intervalles weder ausschließlich die eine, noch ausschließlich die andere musikalische Eigenschaft der Töne beteiligt ist, sondern daß alle beide dabei eine Rolle spielen. Daß das Qualitätsmerkmal dabei größere Bedeutung hat, darauf scheint der Umstand hinzuweisen, daß bei höhengleichen Tonqualitäten der Intervalleindruck aufdringlicher, unwillkürlicher und vollständiger auftritt und das Intervall mit viel größerer subjektiver Sicherheit bestimmt wird als bei qualitätsgleichen oder qualitätslosen Höhen (konstantes Pseudogebiet, Geräuschempfindungen). Die Segmenttheorie.

Bei der näheren Untersuchung der Intervalle stoßen wir auf fundamentale Probleme. Es handelt sich um Fragen, die gar nichts Problematisches haben, solange man Intervall mit Distanz identifiziert. Daß das nicht angeht, hat schon R e r ä t i , Tonpsychologie.

9

130

Intervalle.

S t u m p f mit schlagenden Gründen gezeigt; wir haben vorstehend nachgewiesen, daß sich diesen weitere, mindestens ebenso kräftige anreihen lassen, so daß die Ansicht, Intervall sei Distanz, mag sie uns noch so leicht über schwierige Fragen hinweghelfen, die sonst entstehen, schlechterdings unhaltbar ist. Die erste Frage ist die der T r a n s p o s i t i o n . Die Tatsache, daß man ein Intervall beliebig transponieren kann, ist für uns ein Problem, denn sie besagt nichts anderes, als daß d i e s e l b e Beziehung, die zwischen c und f besteht, auch besteht zwischen d und g, zwischen e und a, usw. — Nach der alten Auffassung ist natürlich einfach c—f dieselbe D i s t a n z wie d — g, für uns aber ist es gar nicht deutlich, worin diese Beziehungen übereinstimmen sollten. Noch problematischer wird für uns der Fall, wo ein Intervall um sich selbst transponiert wird. Warum hat c dieselbe Beziehung zu e wie as zu c, d. h. warum gibt es zwei T ö n e , mit denen c eine große Terz bildet? Die zweite Frage ist die der U m k e h r u n g . Das Problem der E r w e i t e r u n g , das der alten Theorie große Schwierigkeiten gemacht hatte, hat unsere Anschauung gelöst: Für uns sind Quint und Duodezime deswegen äquivalente Intervalle, weil ihre Komponenten dieselben Qualitäten haben; um so augenfälliger ist dafür die Schwierigkeit geworden, die in der Frage der Umkehrung liegt. Warum gibt es zwischen zwei Tönen von den Qualitäten c und e zwei, nicht äquivalente Intervalle? Freilich täuschte man sich gewaltig, wenn man meinte, diese Frage mit der Bemerkung abtun zu können, daß Terz und Sexte verschiedene Distanzen seien. Es hätte gar nicht des Nachweises bedurft, daß dasselbe Intervall in verschiedenen Höhengebieten verschiedene Distanz hat. Es hätte doch jeder bemerken müssen, daß die Distanz der

Intervalle.

131

Sexte zwar größer ist, als die der Terz, die der Dezime aber doch erst recht, und daß doch das erweiterte Intervall dem engen äquivalent ist, während das für sie Umkehrung nicht gilt. Man könnte vielleicht meinen, daß hier eigentlich auch für uns gar kein Problem vorliege, c und e bilden eine Terz, wenn e oben liegt, eine Sexte, wenn c oben liegt. Der Hinweis auf diese Tatsache könnte vielleicht genügend erscheinen, und der Einwand, daß dann zur Unterscheidung eines Intervalles vön seiner Umkebrung absolutes Gehör gehörte, ist wohl nicht stichhaltig: die bloße Fähigkeit, die Qualitäten zu u n t e r s c h e i d e n (ohne die Fähigkeit, sie individuell zu erkennen, etwa so, daß man sie mit dem Namen bezeichnen kann), könnte hinreichen, Terz und Sext als verschieden aufzufassen, etwa wie ein roter und ein gelber Fleck verschiedenen Gesamteiiidruck machen, je nachdem Rot über Gelb oder Gelb über Rot steht Doch scheitert der Versuch, die Frage der Umkehrung so einfach abzutun, an einem ganz anderen Umstände: dem besonderen Verhalten eines Intervalles. D e r ( t e m p e r i e r t e ) T r i t o n u s ä n d e r t sich bei d e r U m k e h r u n g nicht. Warum nehmen die Qualitätenbeziehungen c—fis, e — b usf. diese Sonderstellung ein? Bei den Farben wird man vergeblich nach einem solchen besonderen Paar suchen, bei dem die räumliche Umkehrung nichts ausmacht. Hier besteht, ebenso wie bei der Transposition, gar keine Schwierigkeit für die alte Betrachtungsweise, c 1 —fis 1 wäre eben dieselbe D i s t a n z wie c 1 —fis 0 . Da die alte Anschauung sich hier wie bei der Transposition so leicht hilft, zeigt sie uns, welchen Weg wir einzuschlagen haben. Es sei mir erlaubt die Anschauung, zu der ich gekommen bin, hier mit Vorbehalt wiederzugeben. Es ist unmittelbar gegeben, daß die Tonempfindungen 9*

132

Intervalle.

eine g e o r d n e t e R e i h e bilden. Da an jedem Gliede der Reihe zwei Eigenschaften zu unterscheiden sind, erhält man, wenn man jede für sich betrachtet, je eine geordnete Reihe, die r e i n e H ö h e n r e i h e und die r e i n e Q u a l i t ä t e n r e i h e . Die ursprünglich gegebene nenne ich im Gegensatz zu diesen reinen Reihen die m u s i k a l i s c h e T o n r e i h e . Wäre von den beiden reinen Reihen nur die eine eine geordnete, so müßte sich das in der Erscheinungsweise der musikalischen Reihe kundgeben. Es läßt sich aber auch zeigen, daß beide Reihen geordnet sind. Die Höhenreihe erhalten wir ganz oder nahezu ganz rein bei qualitätslosen Tönen wie etwa in der obersten Tonregion. Und auch dort, wo die Höhen mit gleichen Qualitäten verbunden auftreten, wie im konstanten Pseudogebiet, wird die natürliche Ordnung der Höhen offenbar. Die reine Qualitätenreihe ist niemals anschaulich, da Qualitäten ohne Höhen (wie etwa Farben ohne Helligkeiten) niemals auftreten können. Aber eine Reihe von Qualitäten in gleicher Höhe hat für uns denselben Wert und sie ist durch binaurale Tonmischung herzustellen (S. 63f.). In der musikalischen Tonreihe, wo zu der reinen Qualitätenreihe die Höhenreihe hinzukommt, tritt die in der musikalischen Tonreihe eingenommene gegenseitige Stellung der Tonqualitäten scharf hervor, weil der Reihencharakter der Qualitätenreihe dadurch in ganz besonderer Weise ausgeprägt wird. Recht anschaulich wird die Sache, wenn man die (auf gleiche Helligkeit gebrachte) Farbenqualitätenreihe mit der musikalischen Tonreihe vergleicht. Zwar erkennt man bei allen beiden, daß ihre Glieder in eine Reihe geordnet sind, doch springt es bei den Tonempfindungen viel ausdrücklicher, viel aufdringlicher als bei den Farbenqualitäten ins Auge, daß sie auch in bezug auf das Qualitätsmerkmal geordnet sind. Würden

Intervalle.

133

die Farbenqualitäten mit stetig wachsenden Helligkeiten verbunden auftreten, so würde der Reihencharakter bei ihnen genau so ausgeprägt erscheinen, als bei den Tonqualitäten. Und eben durch den Umstand, daß die Reihenbildung der Tonqualitäten in der musikalischen Tonreihe durch die Verbindung mit den ebenfalls geordneten Höhen ganz besonders ausgeprägt wird, treten zwischen den Tonqualitäten solche Beziehungen auf, die bei den r e i n e n Qualitäten nicht vorhanden wären. Hätten wir die Tonqualitätenreihe von Kind auf ohne Höhenunterschiede erlebt, so würden zwei Glieder der Tonqualitätenreihe ebensowenig wie zwei Qualitäten in der Farbenreihe einen solchen Eindruck erwecken, daß wir uns veranlaßt fühlten von Abständen, wie groß, klein, näher, ferner u. dgl. zu reden. Wir würden dann, wenn wir z. B. die höhengleichen Qualitäten c — e und c — f miteinander verglichen, nichts über das Verhältnis der beiden Qualitätspaare aussagen. Wir würden weder sagen, daß c—e „kleiner" sei als c—f, noch daß die Tonqualitäten des einen Paares „näher" zueinander stünden. Daß meine Versuchsperson L i e b e r m a n n bei der Vorführung von Paaren höhengleicher Qualitäten dennoch Intervalle erlebt hat, ist kein Widerspruch. Denn wir haben oben gesagt: von Kind auf, d. h. ohne je Erfahrungen an der m u s i k a l i s c h e n Tonreihe gemacht zu haben. Daß sich bei einem Erwachsenen, der zum erstenmal zwei Qualitäten in gleicher Höhe zu hören bekommt, die Erfahrungseinflüsse mit unüberwindlicher Gewalt geltend machen, ist nicht verwunderlich. Da also in seiner Erfahrung Beziehungen zwischen Qualitäten n u r als Intervalle vorgekommen sind, kann er infolgedessen auch unter solchen Umständen die Qualitätenbeziehung nur als Intervall auffassen, obschon sie im Grunde genommen zur Produktion von Intervallerlebnissen genau so

134

Intervalle.

unzureichend sind, als die qualitätslosen Höhendistanzen, die ja dennoch unter Umständen auch imstande sind musikalische Intervalleindrücke zu erzeugen. Ich gehe nun von der Betrachtung der reinen Qualitätenreihe aus. Ich will diese Eeihe hier durch einen K r e i s veranschaulicht denken. Dann zerlegen zwei beliebige Qualitäten den Kreis in zwei Kreisbögen, die bei allen Qualitätspaaren mit der alleinigen Ausnahme solcher, die einen Tritonus bilden ungleich sind. dis

'Ich werde diese Abschnitte der Qualitätenreihe Segm e n t e nbnnen, obwohl das was ich unter Segment verstehe, nicht dem geometrischen Kreissegment entspricht. Phänomenologisch ist ein solches Segment ebensowenig etwas Reelles, wie die reine Qualitätenreihe überhaupt. So wie aber die Qualitätenreihe durch. Hinzutreten der Höhenreihe zur realen Tonreihe wird, werden auch die Segmente lebendig, und es wird durch die relative Höhenlage der beiden Qualitäten sogleich auch die Auswahl zwischen den beiden

135

Intervalle.

Segmenten getroffen.

Das so bestimmte Segment erscheint

dann natürlich auch mit einer entsprechenden Höhendistanz und dieser Komplex von Segment und Distanz ist das Intervall. Das Segment ist also kein I n t e r v a l l .

Es ist überhaupt

kein reales Gebilde, es kann sich nur im Intervall äußern. Terzsegment ist also nur eine Abstraktion, tatsächlich gibt es nur Terzintervall, aber man kann sich doch das Charakteristische der Segmente einigermaßen vergegenwärtigen, indem man dasselbe Segment in Gestalt von engen und weiten Lagen (Intervallen) zum Bewußtsein bringt, wie wir das gleich noch näher ausführen werden. Das Verhältnis zwischen Segment, Distanz und Intervall findet seine Analogie in dem Verhältnis, das zwischen Tonqualität, Höhe und (realer) Tonempfindung besteht.

Seg-

ment wie Tonqualität sind nur Abstraktionen, ihre Existenz ist an die m u s i k a l i s c h e Tonreihe gebunden und infolgedessen treten sie niemals isoliert auf, während Distanz und Höhe zwar auch abstrahierbare Momente der realen. Tonreihe sind, unter besonderen Umständen jedoch isoliert auftreten können; Intervall endlich

ist eine Verbindung von

Segment und Distanz und bildet zwischen sukzessiven Tönen genau so das eigentliche musikalische V e r h ä l t n i s , wie die Verbindung von Qualität und Höhe das eigentliche musikalische E l e m e n t , die Tonempfindung, darstellt. In welcher Weise werden nun die Intervalle durch die Segmente bestimmt? Gleichen Intervallen entsprechen stets gleiche Segmente, und es beruht die Gleichheit des Intervallerlebnisses bei jeder beliebigen Terz auf der Gleichheit des Segmentes.

Gleiche

Segmente entsprechen jedoch nicht immer gleichen Intervallen. Ich nehme nämlich an, daß ein Intervall in enger und weiter

136

Intervalle.

Lage sich hinsichtlich der Segmentgröße nicht unterscheidet. Denn wie gezeigt, sind alle in der Erfahrung vorkommenden Qualitäten in einer Oktave schon enthalten nnd infolgedessen müssen auch alle Segmente innerhalb einer Oktave hergestellt werden können. Deswegen entsprechen den sogenannten erweiterten Intervallen nicht andere Segmente als den engen. Dem Intervall c 1 — e 1 entspricht also dasselbe Segment wie c 1 — e 2 , oder c 1 — e ° genau dasselbe wie c 1 — E , da c 1 — e 1 und c 1 — e 2 das Segment c d e und c 1 — e ° und c 1 — E das Segment e h a g f e darstellen. (Siehe die Figur.) Die Ähnlichkeit des Erlebnisses bei weiten und engen Intervallen kann man sich ohne die Annahme eines Segmentes, das in diesen Fällen gleich ist, kaum erklären; daß sie doch nicht identisch sind, beruht natürlich auf der verschiedenen Distanz. Und zwar wird dieser Unterschied des Erlebens immer da sein, wenn die Distanzen genügend verschieden sind. Dadurch erklärt sich, daß im konstanten Pseudogebiet ein Terzsegment den Eindruck der Dezime erweckt, wenn die Distanz beträchtlich größer ist als es bei der Terz in dieser Region gewöhnlich der Fall ist; ferner wird es dadurch verständlich, daß das Intervall höhenverschiedener Primtöne schon dann fUr eine Oktave gehalten wird, wenn die ihnen entsprechende Tondistanz z. B. die der Quarte überschreitet. Durch unsere Auffassung des Intervalles kann weiter die Frage nach der U m k e h r u n g der I n t e r v a l l e beantwortet werden. Bekanntlich sind die Tonverhältnisse c 1 — e 1 und c 1 — e ° verschiedene, wenn auch ähnliche Intervalle. Die Ähnlichkeit rührt natürlich von der Identität der Qualitäten her, die Verschiedenheit vor allem von der Verschiedenheit der

Intervalle.

137

entsprechenden Segmente. Und erst in zweiter Reihe auch von der der entsprechenden Distanzen. Denn bei der geringsten Änderung der Qualitäten und hiermit der Segmentgröße ändert sich auch der Intervalleindruck, hingegen macht sich eine Änderung der Höhendistanz beim Intervallerlebnisse erst bei ganz beträchtlichem Betrage geltend. Und sogar im letzteren Falle wird der Beobachter nur konstatieren können, daß die mit dem Segment diesmal auftretende Distanz kleiner als gewöhnlich ist, aber es wird sich trotzdem nicht veranlaßt fühlen, sein früheres Intervallurteil zu ändern. So z. B. wenn ein Quartsegment unter pathologischen Umständen mit der regionären Terzdistanz verbunden vorkommt, wird das Intervall ohne weiteres als Quarte beurteilt; wenn es mit Sekundendistanz auftritt, so wird zwar die ungewöhnliche, in der betreffenden Lage nicht dem Quartsegment entsprechende Höhendistanz wahrgenommen werden, und der Intervalleindruck darunter leiden, aber das Urteil wird dennoch Quart lauten. Das Segment ist es also, was hier das Intervall bestimmt. Wo unter pathologischen Umständen die das Segment bildenden beiden Qualitäten in derselben Höhe erscheinen (S. 63f.), verliert das Intervall seine Eindeutigkeit und daher kann es (auf Grund der beiden Qualitäten) sowohl für das eine Intervall wie für seine Umkehrung gehalten werden. Endlich noch einige Worte über die Auffassung r e i n e r Distanzen. Die Verbindung zwischen Segment und Distanz ist im allgemeinen so eng, daß die letztere in besonderen Fällen sogar durch eine Art von Illusion als volles musikalisches Intervall aufgefaßt und als solches in der Mehrzahl der Fälle sogar objektiv richtig beurteilt wird (reine Distanzurteile,

138

Intervall^.

S., 105 f.). Da aber in den verschiedenen Tonregionen demselben Intervalle verschiedene Distanzen entsprechen, erhebt sich nun die weitere Frage, wie wir unter diesen Umständen in einer reinen oder qualitätsgleichen Höhenreihe Distanzen richtig beurteilen können, wo uns doch die musikalische Erfahrung nur I n t e r v a l l e eingeprägt hat. In jeder Region der realen Tonreihe ist jedes Terz-, Quart-, usw. -Segment mit einer bestimmten, die Region charakterisierenden Distanz verbunden, die ich oben (S. 126) als regionäre Distanz bezeichnet habe. Die einem bestimmten Segment entsprechende Distanz ist zwar variabel, aber in derselben Tonregion (z. B. innerhalb einer Quinte) nahezu konstant. Werden also im qualitätsgleichen Tongebiete die objektiven Töne c 3 und e s gegeben, so kann das objektive Intervall auf Grund der regionären Distanz allein als Terz beurteilt werden. Dieselbe Distanz, die hier als Terz beurteilt wurde, könnte vielleicht in der Kontraoktave schon für die eines Oktaven-Intervalles gehalten werden. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß'die Verschiedenheit der I n t e r v a l l e i n d r ü c k e vor allem ,auf d i e verschiedenen Segmentgrößen zurückzuführen ist, die Größe d e r D i s t a n z spielt dabei nur eine sekund ä r e Rolle. Sie trifft die Entscheidung zwischen engem und erweitertem Intervall. Unter Umständen ; kann, aber die regionäre Größe der Distanz bei der Beurteilung des objektiven Intervalles das Segment sogar mehr oder weniger vertreten. ; Ich bin darauf gefaßt, daß mancher Leser den Eindruck haben wird, die ;Einführung des Segmentbegriffes bringe die Erscheiimfigen der .sukzessiven Tonverbindungen dem Verständnis nicht näher, da mit Segment doch nichts anderes

Intervalle.

139

als Tonbeziehung, Tonverhältnis oder etwas ähnliches gemeint sein könne und wir damit nur um einen Terminus reicher geworden seien.

Demgegenüber möchte ich betonen,

daß der Segmentbegriff auf der Tatsache der n a t ü r l i c h e n Ordnung

der T o n q u a l i t ä t e n

beruht.

Infolgedessen

be-

deutet Segment nicht irgendeine schwer faßbare Beziehung zwischen den Qualitäten, sondern ihren A b s t a n d in dieser Reihe.

Daß dieser Abstandsbegriff nicht etwa mit dem alten

Distanzbegriff zusammenfällt, brauche ich kaum noch zu bemerken; es soll j a eine Beziehung zwischen den T o n q u a l i täten

sein, die bis jetzt gar nicht scharf aus der Ton-

empfindung

herausgeschält

worden

sind

und

andererseits

macht j a der Segmentbegriff Erscheinungen verständlich, für die eine Erklärung aus dem Distanzbegriff gar nicht versucht werden konnte.

Sollte aber jemand daran Anstoß nehmen^

daß das Segment einen Abstand' in einer Reihe bedeuten soll, die niemals rein erlebt werden kann, daher selbst nicht Abstand im phänomenalen Sinne sein fcann, und sich im Inter? vall doch phänomenal äußern soll, so ist dazu zu bemerken, daß

der

Abstand

der

Qualitäten

Abstand

der

Quali-

t ä t e n bleibt, auch wenn diese ihrer Natur nach nie ohne Höhen erscheinen können.

Wem es aber darauf ankommt,

daß sich eine phänomenale Qualitätenreihe herstellen lasse, an der die Qualitätenabstände allein erlebt werden könnten, der wird wohl zugeben, daß das/, was sich aus dem Ergebnis ah der höhenlosen Qualitätenreihe für den psychologischen Sinn des Begriffes Qualitätsabstand etwa entnehmen ließe, auch aus 1 einer Reihe zwar nicht höhenloser aber höhengleicher Qualitäten Reihe stellen.

läßt

sich

wird e n t n e h m t

aber durch

lassen.

Eine

solche

binaurale Tonmischung her-

140

Intervalle.

Daß der Versuch, den Anteil des Segmentes am Intervall daran anschaulich zu machen, wegen des störenden Einflusses der Erfahrung gescheitert ist, ändert an der prinzipiellen Möglichkeit eines solchen Erlebnisses nichts. Harmonie und Melodie.

Im vorigen Kapitel habe ich gezeigt, daß an der Bildung der Intervalle die beiden musikalischen Eigenschaften beteiligt sind, und daß man die elementaren Tatsachen der Intervallerlebnisse, die mit den Intervallen in Beziehung stehen, durch das Zusammenspiel der beiden musikalischen Eigenschaften ohne Schwierigkeit erklären kann. Es entsteht nun die weitere, mit den Intervallen in engster Beziehung stehende Frage, wie aus den elementaren musikalischen Eigenschaften die Melodie entsteht Es ist ohne weiteres klar, daß bei dieser Aufgabe den Ausgangspunkt nur das Intervall bilden kann, denn die Melodie ist nichts anderes als eine rhythmisch gegliederte Reihe von Intervallen. Infolgedessen werden wir. bei der Analyse der Melodie dieselben Anschauungen anwenden müssen, die wir beim Intervall entwickelt haben. Wir wollen nun die Rolle der beiden Eigenschaften bei der Bildung der Melodie näher ins Auge fassen. Als ich die Rolle der Qualität und Höhe bei den Intervallen besprach, habe ich gezeigt, wie sich die wichtige Rolle der Höheneigenschaft unter anderem dadurch dokumentiert, daß Distanzen bei qualitätslosen Tönen oder bei Tönen mit undeutlich erkennbarer Qualität (Geräusche) unter günstigen Bedingungen als volle musikalische Intervalle erscheinen, indem die den Intervallen entsprechenden Qualitäten in die

141

Intervalle.

Töne hineinsuggeriert werden.

Es ist jedoch schon dort klar

geworden, daß die Fehler, die bei der Beurteilung vorkommen, obschon sie von geringem Betrage sind, doch das Spezitische des Intervalles gänzlich verfälschen müssen. gibt

sich

für

gefälschten entstellt

die Auffassung

Qualitäten

wird.

Das

trotz

der Melodie, normaler

Daraus erdaß

Höhen

zeigen die Melodieversuche,

sie

bei

gänzlich die ich

auf Seite 108 f. mitgeteilt habe und aus denen hervorgeht, daß

richtige

unentbehrlich

Qualitäten

für

die Erkennung

sind; sie sind es eben,

der

die die

Melodie Intervalle

f e s t bestimmen. Die ßolle, die die Qualitäten bei der Melodiebildung spielen, geht ferner aus der Art hervor, wie die Völker die Auswahl der Töne aus dem Tonkontinuum für ihre Musik getroffen haben.

Bekanntlich

findet sich

durchgehend

die

Gliederung in Oktaven, und innerhalb jeder Oktave sind die Töne so gewählt worden, daß wir von einem beliebigen Tone ausgehend immer wieder auf die Oktaveneinteilung kommen. Da nun das Oktavenverhältnis identische Qualitäten bedeutet, so ist die Auswahl auf Grund der Qualitäten geschehen, und zwar derart, daß die ganze Tonreihe hindurch dieselben Qualitäten gewählt worden sind.

Qualitäten sind es also, durch

deren Auswahl wir instand gesetzt sind einer Melodie beliebig großen Umfang zu geben, ohne eine übermäßige Anzahl verschiedener Intervalle einzuführen; von der Auswahl der Qualitäten kommt es ferner, daß wir eine Melodie beliebig transponieren können. Diese Verhältnisse konnte die ältere Anschauung von der Tonreihe, nach der die Melodie einfach in einer stufenweisen Änderung der „Tonhöhe" bestand, psychologisch nicht oder wenigstens nicht befriedigend verständlich machen, da

142

Intervalle.

sie sich auf die physikalische Betrachtung der Schwingungszahlenverhältnisse beschränkte. Und nun ein Wort über die sogenannte Tonarten*Charakteristik.

Die verschiedenen Tonleitern eines Geschlechtes machen verschiedenen Eindruck. Da nun die verschiedenen Tonleitern nicht aus denselben Qualitäten bestehen, so hängt ihr Charakter von den sie bildenden Gliedern ab. Ähnlich wäre es, wenn man aus der Farbenreihe verschiedene Reihen herstellte, die sich zwar alle über die ganze Farbenreihe erstreckten, jedoch so, daß ihren Gliedern wenigstens zum Teil verschiedene Nuancen entsprächen. Für die Richtigkeit meiner Anschauung kann ich einen interessanten Beweis liefern. Wenn ich nämlich aus qualitätslosen Tönen eine Höhenreihe herstelle, deren Glieder voneinander um kleine Höhendistanzen abstehen, so nehme ich einfe Art von Tonleiter ohne Tonartencharakteristik wahr. Man kann nämlich in diese Tonleiter jede Tonart hineinsuggerieren. Die Höhen also, die keine Individualität haben, sind an der Unterscheidung der Tonarten nicht beteiligt. Die Tonart bleibt ja auch bestehen, wenn wir ein Stück um beliebig viele Oktaven transponieren. Das zeigt, daß die Verschiedenheit der Tonarten nur auf der Verschiedenheit der Qualitäten beruhen kann. Was die sogenannte Tonartencharakteristik und ihre musikalische Bedeutung anbelangt, wenn die allgemein verbreiteten Ansichten hierüber tatsächlich auf unvoreingenommener Beobachtung beruhen, so werden wir die Unterschiede der Tonarten nach dem Vorgetragenen verständlich finden, da wir nicht mehr gezwungen sind alles auf bloße Höhenunterschiede zurückzuführen. Der Hinweis auf diese konnte

Intervalle.

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nämlich keineswegs befriedigen. Transposition um einen halben Ton soll ja das Wesen der Tonart durchaus verändern, ferner sollen verschiedene Stücke etwas Gemeinsames haben, wenn sie in derselben Tonart stehen, und dieses Gemeinsame soll sich selbst dann noch äußern, wenn die Tonarten nicht identisch, sondern nur verwandt sind. Gerade das letzte wird durch die neue Anschauung verständlich, da verwandte Tonarten die meisten gemeinsamen Qualitäten haben. Wenn es also mit der Toncharakteristik seine Richtigkeit hat, so ist sie verständlich, vor allem aber müßte die Sache selbst außer Zweifel gestellt werden; denn es ist jedenfalls auffallend, daß Musiker, die auf Tonartencharakteristik solchen Wert legen, die Werke B a c h s und H ä n d e i s mit der größten Seelenruhe e i n e n g a n z e n Ton t i e f e r aufführen, als sie die Komponisten gesetzt haben. Der Chorton der Orgel stand nämlich im 16. und 17. Jahrhundert um einen ganzen Ton höher als der neue internationale Kammerton. Endlich noch eine Bemerkung über die Rolle, die die beiden musikalischen Eigenschaften bei der H a r m o n i e spielen. Auf die Phänomenologie des Akkordes will ich hier nicht eingehen, ich möchte an dieser Stelle nur einiges darüber sagen, wie die Elementareigenschaften einen Akkord entstehen lassen, jedoch nur soweit als es mit meinen hier geschilderten Grundanschauungen im Zusammenhang steht. Ich habe nachgewiesen, daß das Intervall und die Melodie auf dem Zusammenwirken der beiden musikalischen Eigenschaften beruht. Es ist klar geworden, daß es Segment und Distanz sind, die zur Intervallbildung führen. Es erhebt sich nun die Frage, worauf s i c h d e n n der Z u s a m m e n k l a n g gründet; wird auch er durch beide Elemente der

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Intervalle.

sukzessiven Tongestalten, durch das Segment und die Distanz bestimmt? Die Erscheinung der O r t h o s y m p h o n i e , d. h. des richtigen Zusammenklanges bei falschen Qualitäten zwingt uns, diese Frage mit nein zu beantworten, denn sie zeigt, daß die Qualitäten für den Zusammenklang nicht die Bedeutung haben, wie für die sukzessiven Tongebilde. Dieses negative Resultat steht fest. Positiv läßt sich zurzeit soviel sagen, daß bei den Versuchen mit L i e b e r m a n n die Töne, die orthosymphonisch zusammenklangen, normale Höhen hatten, und daß es daher nahe liegt, das Spezifische des Zusammenklanges von der Höhe und nicht von den Qualitäten abhängig zu denken. Dies darf aber nicht so verstanden werden, daß die Qualitäten für die H a r m o n i e ohne Bedeutung wären. Denn Harmonie ist keineswegs identisch mit Zusammenklang. Erst kürzlich hat S t u m p f Konkordanz und Konsonanz unterschieden. Wir brauchen ja nur an die gebrochenen Akkorde zu denken, um den Unterschied zu erkennen. Ein gebrochener Akkord ist Melodie und Harmonie zugleich, so daß die Bedeutung der Qualitäten für die Harmonie schon aus ihrer Bedeutung für die Melodie hervorgeht. Ein tieferes Eindringen in das Wesen der Harmonie und in das Verhältnis der Melodie zur Harmonie und in die Art, wie sich einfache akustische Gebilde zu Gebilden höherer Ordnung erheben, ist die Aufgabe weiterer Forschung.

Namen- und Sachregister. A Absolutes Gehör 60, 85, 90 f. Totales und regionäres absol. Gehör 91, 100. Tonqualitätserkennung 91 f. Tonhöhenerkennung 58, 60, 91 f. Übung beim absol. Gehör 96f. Absolute Höhenurteile 58f., 93f. — Qualitätenurteile 93 f. Ähnlichkeit und Ähnlichkeitsurteil bei Tönen 4 f., 8, 9, 11, 36, vergl. Oktavenähnlichkeit, Distanzähnlichkeit Äquivalenz der engen und weiten Intervalle 123, 130. Alt, F. 77, 79. Akkord 101. Auerbach 9, 73. Ii Berlioz 74. Binaurale (sukzessive) Vorführung von Tönen 112. — Tonmischung 63, 132. Bizantynische Notenschrift 23. Brentano 17, 26, 33. 36, 37, 38, 39, 41, 72. Brazier 79. C Chinesische Tonbenennung 22. Rfet 6 9 z , Ton Psychologie.

D Distanz und Distanzurteil 5, 8, 9, 11, 31, 36, 102, 105f, 123f., 126.

Keine Distanzen 122, 137. Regionäre Distanzen 126, 138. Musikalische Bedeutung der Distanzen 72, 107f., 118, 121. Distanzähnlichkeit 31. Drobisch 20, 26. Edgreen 79. Exner, S. 75.

E

F Fischer, E. 24. Freund, C. S. 81.