Zur Geschichte des Niederdeutschen südlich der Ik/Ich-Linie zwischen Harz und Saale [Reprint 2021 ed.]
 9783112483343, 9783112483336

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BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische Band

KARL

102 • Heft

Klasse 6

BISCHOFF

ZUR GESCHICHTE DES NIEDERDEUTSCHEN SÜDLICH DER IK/ICH-LINIE ZWISCHEN HARZ UND SAALE

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AKADEMIE-VERLAG

BE R LIN

V o r g e t r a g e n i n d e r S i t z u n g v o m 7. Mai 1956 Manuskript e i n g e l i e f e r t a m 18. Mai 1956 D r n c k f e r t i g erklärt am 4. F e b r u a r 1957

Erschienen im Akademie-Verlag G m b H . , Berlin W 8, M o h r e n s t r a ß e 39 L i z e n z n u m m e r 202 • 100/552/56 • M d l der D D R , Xr. K 11/2831 S a t z u n d Druck der Buchdruckerei F. Mitzlaff K G . , R u d o l s t a d t V/14/7 — Bestell- u n d V e r l a g s n u m m e r 2026/102/6 P r e i s : DM 3,70 P r i n t e d in G e r m a n y

Wir haben uns daran gewöhnt, in der Linie, die nördliches ik, ek von südlichem ich, eck scheidet, die Südgrenze des Niederdeutschen zu sehen. Nach der auf Erhebungen von 1880 zurückgehenden Sprachatlaskarte 1 biegt sie, vom Eichsfeld kommend, westlich Worbis nach Norden um, trifft zwischen Lauterberg und Sachsa auf den Harz, schlägt um Hohegeiß einen Bogen und überquert dann in westöstlicher Richtung das Gebirge südlich von Benneckenstein, Hasselfelde, Treseburg, Gernrode, Opperode, Meisdorf, Ermsleben. An Aschersleben, Staßfurt und Calbe vorbeiziehend, geht sie kurz oberhalb ihrer Mündung über die Saale und läuft bis dicht vor Wittenberg an der Elbe entlang. Ohne das Ergebnis der Sprachatlasaufnahme zu kennen, hatte 1882 H A U S H A L T E R in einem summarischen Verfahren die Sprachgrenze zwischen Mittel- und Niederdeutsch festzulegen versucht 2 . Er war im ganzen zum gleichen Verlauf gekommen, nur in der Gegend von Aschersleben zog er sie ein paar Orte nördlicher, zeichnete da aber auf seiner Karte ein kleines Gebiet ein, in dem das Niederdeutsche in den vorausgegangenen zwei, drei Jahrzehnten zurückgedrängt war, in dem er es nur noch als veraltet, resthaft feststellen konnte. Auf dem Harz ist die Grenze bis heute unverändert geblieben, östlich von ihm sind die Städte Aschersleben, Staßfurt und Calbe ins ¿cA-Gebiet gezogen worden. Seit T Ü M P E L S Untersuchungen von 1 8 8 0 über „Die Mundarten 1

Wrecle, Mitzka, Martin, Deutscher Sprachatlas. Marburg 1926 ff., K a r l e 4. Bruno Haushalter, Die Sprachgrenze zwischen Mittel- und Niederdeutsch von H e l e m ü n d e n an der Werra bis Staßfurt an der Bode. Mitt. d. Yer. f. Erdk. zu Halle. 1883, S. 31—51. 2

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des alten niedersächsischen Gebietes zwischen 1300 und 1500" 1 gehört es zu den festen Einsichten der deutschen Sprachgeschichte, daß das Niederdeutsche zwischen Harz und Saale ursprünglich viel weiter nach Süden gereicht hat. Auf Grund verhältnismäßig weniger Urkunden und Namensformen h a t t e er geschlossen, daß es sich im 13. Jahrhundert bis an die Unstrut und bis an den Südrand des Harzes erstreckte. E r h a t t e nachdrücklich darauf hingewiesen, daß das Niederdeutsche in diesem dem Niederdeutschen später verlorengegangenen Gebiet nicht bloß Urkunden- und Rechtssprache gewesen ist, sondern daß es auch das Volk gesprochen hat. Was T Ü M P E L im Mansfeldischen aus den Urkunden ablas und für die mittelalterliche Volkssprache erschloß, das findet in H A U S H A L T E R S Übergangsgebiet bei Aschersleben und in den kleinen Veränderungen seit der Sprachatlasaufnahme seine Fortsetzung: zwischen dem Niederdeutschen und dem Mitteldeutschen herrscht keine Ruhe, die südlichen Formen, Wörter und Laute gewinnen nach Norden hin an Boden. Wenn man die ik/ich-JAme den Südrand des Niederdeutschen begrenzen läßt, dann nimmt man als dessen Hauptmerkmal die nichtdurchgeführte zweite Lautverschiebung. F ü r die Frage der ehemaligen sprachlichen Zugehörigkeit unseres Gebietes ist das zweifellos das ergiebigste Kriterium. Auch vor dem Einsetzen der deutschen Urkundensprache vermag man mit seiner Hilfe den deutschen Namen in den lateinischen Diplomen des 14. bis 11. Jahrhunderts noch einige Aussagen abzunötigen. Auf Abb. 1 sind Orts- und Flurnamen mit unverschobenem Konsonantenstand aus solchen Urkunden zusammengetragen worden, die, soweit das mit Sicherheit oder einiger Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, südlich der heutigen ik/ich-Linie ausgefertigt sind. Magdeburger, Halberstädter, Ilsenburger, Drübecker Urkunden z. B. sind nicht einbezogen worden, weil bei ihnen die Möglichkeit besteht, daß die Schreiber, soweit sie Niederdeutsche waren, 1

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7 (]880),

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etwa Ortsnamen auf -dorf in solche auf -dorp umgesetzt haben könnten. Das ist natürlich auch in den südlich der genannten Grenze geschriebenen nicht ausgeschlossen, aber d a n n wären eben hier schon niederdeutsche Schreiber in niederdeutschen „Schreibstuben" a m W e r k gewesen. Das ganze Mansfeldische ist bis hin zur U n s t r u t m i t unverschobenen Ortsnamen ü b e r s ä t : Walbike, Koningeswik, Krcvetenvelt, Helpede, Rodenscerenbeke, Eilwardestorp, Reynsdorp usw. Auch wenn hier n u r das U r k u n d e n b u c h der Klöster der Grafschaft Mansfeld ausgewertet ist 1 , genügt das Ergebnis, u m T Ü M P E L S Feststellungen zu unterstreichen. Seine Südgrenze k a n n n u n aber fürs 13. und 12. J a h r h u n d e r t erheblich weiter nach Süden, über die U n s t r u t und die H e l m e hinaus, zurückgeschoben werden. 2 U r k u n d e n der Grafen von H o h n stein und der Grafen von Klettenberg aus d e m 13. J a h r h u n d e r t nennen in der Gegend von Walkenried die F l u r n a m e n Himelrike, Ekeneberg, Cranekestein (14. J a h r h . ) , Cranekesbürne u n d die südlich von Walkenried gelegenen Orte Elrike 'Ellrich', Saswerp 'Sachswerfen', Urbeke 'Urbach', Leynbeke 'Leimbach', Gersbeke 'Görsbach', südlich der Helme (wüst) Fladekendorp, Merbeke 'Mörbach', die Grafen von Kirchberg heißen de Kirkberch, Kercberg, Kercberch2. Da es sich in den Diplomen um 1

Bearbeitet von Max Krühne. Halle 1888. Auf der Karte ist immer nur e i n Namensbeleg aus einem bestimmten Jahr eingetragen. Die folgenden Anmerkungen geben einige weitere, streben aber keine Vollständigkeit an. Ein systematisches Suchen wird die Dichte auf der Abbildung sicherlich verstärken können. — silvae, quae vocatur Jagethus et terminis, quorum nomwa sunt haec Ekeneberg, Bogestal, Himelrike, Sassenberg . . . 1242, Vergleich der Grafen von Klettenberg mit Walkenried. Or. Die Urkunden des Stifts Walkenried. In: Urkundenbuch des hist. Ver. f. Niedersachsen II. III. Hannover 1852 (abgek. U B . Walk.). Nr. 236. — sub scopulis Cranekestein 1322. Grafen von Hohnstein f. Walkenried. Or., ebd. 803. — Cranekesbürne 1233, Urk. Grafen von Hohnstein, Or., ebd. 186 (Reg.). — in oppido nostro Elreke 1229, Urk. Graf von Klettenberg, C.'op. Dobenecker, Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae. Jena 1896 ff. 3, 69. Zeuge Henricus de Elrike 1229. Nordhäuser Urk. Or., U B . Walk. 164 (Reg.); 1236, Nordhäuser Urk. Or., ebd. 206 (Reg.). Hart2

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Verkäufe, Überlassungen, Vergleiche zugunsten der Walkenrieder Mönche handelt, könnte man vielleicht bei allen Urkunden Empfängerausfertigungen vermuten und die u n t e r schobenen Formen der Namen auf die Rechnung der Walkenrieder setzen. Sie sagten dann wenigstens für die südlicheren Orte selber nichts aus. Das gilt auch für gelegentliche Nennungen in Urkunden des Grafen von Beichlingen, des Landgrafen von Thüringen und des Stifts Jechaburg. Immerhin gibt es auch in Nordhausen Bürger, die de Elrike genannt werden, und der Graf von Hohnstein hat in einer hohnsteinische Familienangelegenheiten behandelnden Urkunde Saswerpen und Wigradisdorp 'Wiegersdorf' 1 . Den Bericht zweier Grafen von Klettenberg, in dem sie mitteilen, was sie als Augenzeugen und durch Erkundigungen über bestimmte Besitzverhältnisse erfahren haben, in dem gesagt wird, daß Bertoldus . . . incendit Vladekendorp, in dem bona in Merbeke, in Gersbeke, in Boykendorp 'Peukendorf' b. Ebeleben erwähnt werden, wird man hinsichtlich der Namen schon eher für die •wictis de Ulrike, Bürger in Nordhausen, 1301. Or., ebd. 606 (Reg.), villa Elrike 1256, Urk. Graf von Hohnstein, Or., ebd. 317 (Reg.). Heriwicus de Elreke, Nordhausen 1303, Or., ebd. 623 (Reg.). — in Saswerp 1235, in placito provinciali Clettenberch, Or., ebd. 200 (Reg.); in Saxwerpe 1237, Urk. Grafen von Klettenberg, Or., ebd. 216 (Reg.); in Saswerpe 1279, Urk. Graf von Klettenberg, Or., ebd. 454 (Reg.). — Z. Conradus de Leynbeke 1254, Urk. Grafen von Klettenberg, Or., ebd. 304 (Reg.). — in Urbcke 1206, Urk. Jechaburg/Walkenried, Or., ebd. 59 (Reg.), 1217 Urk. Graf von Hohnstein, Or., ebd. 100 (Reg.), 1313 Urk. Nordhausen, Or., ebd. 741 (Reg.). — Z. lieinoldus de Gersbeke 1232, Urk. Graf von Hohnstein, Or., ebd. 181 (Reg.); in Gersbeke 1246, Urk. Graf von Hohnstein, Or., ebd. 251, 1327 Urk. Grafen von Hohnstein, Or., ebd. 845 (Reg.). — Fladekendorp 1229, Urk. Graf von Klettenbeiy, Or., ebd. 165 (Reg.), 1251 Urk. Grafen von Klettenberg, Or., ebd. 277 (Reg.). — Merbeke 1231, Urk. Graf von Beichlingen, Or., ebd. 178. — Gosmants de Kit ober ch 1209, Urk. Graf von Klettenberg, Or., ebd. 72; Z. eomes Heinricus de Kercberg 1229, Urk. Graf von Hohnstein, Or., ebd. 163 (Reg.); Z. comes Heinricus de Kirkberch 1234, Urk. Landgraf von Thüringen für Klo. Walkenried, Or., ebd. 193; H. comes de Kirkberg 1242, Urk. Grafen von Klettenberg, Or., ebd. 236. 1

ca. 1240. Or., Dobenecker 3, 940 (Reg.).

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