Zur Geschichte der Staatsbibliothek zu Berlin in den letzten dreissig Jahren [Reprint 2019 ed.] 9783111669533, 9783111284842

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Zur Geschichte der Staatsbibliothek zu Berlin in den letzten dreissig Jahren [Reprint 2019 ed.]
 9783111669533, 9783111284842

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ZUR GESCHICHTE DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN IN DEN LETZTEN DREISSIG JAHREN

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ZUR GESCHICHTE DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN IN DEN LETZTEN DREISSIG JAHREN VON

DR. H. A. K R Ü S S GEHEIMER REGIERUNGSRAT GENERALDIREKTOR DER STAATSBIBLIOTHEK

*

BERLIN UND VERLAG

WALTER

LEIPZIG

DE G R U Y T E R 1929

&

CO.

Sonderabdruck aus Essays offered to H E R B E R T PUTNAM by his Colleagues and Friends on his Thirtieth Anniversary as Librarian of Congress 5 April 1929

Edited by William Warner Bishop and Andrew Keogh

New Haven Yale University Press MDCCCCXXIX

ZUR GESCHICHTE DER S T A A T S B I B L I O T H E K ZU BERLIN IN DEN LETZTEN DREISSIG JAHREN V O N HUGO A. KRÜSS

IE vorliegende Festschrift soll die verdienstvolle Tätigkeit eines Mannes würdigen, der seit dreissig Jahren an der Spitze einer der grössten und bedeutsamsten Bibliotheken der Welt steht. Zeugnis für den Erfolg seines Wirkens ist die Entwickelung, die diese Bibliothek unter seiner Führung in dem gleichen Zeitraum erfahren hat. Es liegt nahe, diese Entwickelung in Vergleich zu stellen mit der Entwickelung, die andere, in ihrer Grösse und allgemeinen Aufgabe vergleichbare Bibliotheken in der gleichen Zeit genommen haben, und es möchte daher angebracht erscheinen, an dieser Stelle auch einiges aus der Geschichte der Berliner Staatsbibliothek während der letzten dreissig Jahre zu berichten. Für die fünfzehn Jahre 1905 bis 1920 ist eine zusammenfassende Darstellung bereits vorhanden in der Schrift Fünfzehn Jahre Königliche und Staatsbibliothek^, die den Zeitraum der Amtstätigkeit Adolf von Harnacks als Generaldirektor umfässt.1 Es ist nicht meine Absicht, diese Darstellung hier auf den dreissigjährigen Zeitabschnitt 1899 bis 1929 zu ergänzen. Ich möchte vielmehr aus diesem Zeitraum drei Momente herausgreifen, die für die Entwickelung der Staatsbibliothek von entscheidender Bedeutung gewesen sind und aller Voraussicht nach auch für ihre weitere Zukunft richtunggebend sein werden. Sie sind: die Übersiedelung der Staatsbibliothek in ihr jetziges Gebäude, die Überwindung 1 .fünfzehn Jahre Königliche bibliothek. 1 9 2 1 .

und Staatsbibliothek,. Berlin. Preussische Staats-

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der Folgen des Krieges und der Inflation, und die Entwickelung der Staatsbibliothek zu einer Zentralbibliothek. Die im Jahre 1659 vom Grossen Kurfürsten begründete "Kurfürstliche Bibliothek" wurde im Jahre 1661 in Räumen des Berliner Schlosses eröffnet. In diesen Räumen ist sie 120 Jahre bis zum Jahre 1780 verblieben, wo der für die nunmehrige "Königliche Bibliothek" von Friedrich dem Grossen errichtete Neubau gegenüber dem Opernhaus fertiggestellt war. In diesem Hause hat die "Königliche Bibliothek" unter der vom König ihr verliehenen Giebelinschrift "Nutrimentum Spiritus" weitere 130 Jahre gewohnt, bis sie im Jahre 1909 ihr jetziges Gebäude neben der Universität beziehen konnte. Beim Tode ihres Begründers, des Grossen Kurfürsten, im Jahre 1688 zählte die Bibliothek bereits 20.000 Bände, beim Tode Friedrichs des Grossen im Jahre 1786 war sie auf 150.000 Bände angewachsen, und beim Umzug in das jetzige Haus 1909 stand sie vor der Aufgabe, 1.250.000 Bände in die neuen Magazine zu überführen. Heute enthält die Staatsbibliothek 2.200.000 Bände Druckschriften. Die grundsätzliche Bedeutung des Plans für den Neubau lag in dem Entschluss, das neue Gebäude in unmittelbarer Nähe des bisherigen zu errichten. Bestimmend dafür war der Wunsch, den nahen örtlichen Zusammenhang mit dem sogenannten "Kulturzentrum" nicht aufzugeben, das durch die Universität und die Museen gebildet wird. Der zu gleicher Zeit erwogene Plan, auf weiter entferntes, eine freiere Gestaltung ermöglichendes Gelände zu gehen, wurde fällen gelassen. Dem grossen Vorteil, der sich aus der Nähe derjenigen Institute ergiebt, die an der Staatsbibliothek in erster Linie interessiert sind, steht damit der wesentliche Nachteil gegenüber, dass die Erweiterungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind, eine Sachlage, die in 20 bis 30 Jahren zu wichtigen neuen Entschliessungen führen muss.

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Über die baulichen und technischen Einrichtungen des jetzigen Bibliotheksgebäudes sowie über die Art, wie der Umzug bewerkstelligt wurde, ist seinerzeit ausführlich berichtet worden.2 Im neuen Hause gewann die Bibliothek neben dem hinreichenden Stellraum für ihren Bestand und dessen Zuwachs für eine ansehnliche Zahl von Jahren den auf 360 Arbeitsplätze berechneten Grossen Lesesaal, einen grossen Zeitschriftenlesesaal und in Verbindung mit beiden angemessene Räumlichkeiten für die Kataloge, zudem Arbeitszimmer für die Verwaltung und eine grössere Zahl von wissenschaftlichen Beamten, wie sie durch den gewachsenen Umfang des Betriebes notwendig geworden waren. Vor allem aber war nunmehr die Möglichkeit geboten, den Sonderabteilungen der Bibliothek die ihnen zukommende Ausgestaltung zu Teil werden zu lassen. Die Handschriftenabteilung, die Kartenabteilung, die Musikabteilung, die Orientalische Abteilung mit der Ostasiatischen Abteilung und die als letzte neugeschaffene Lautabteilung haben ihre eigenen, in sich abgeschlossenen Raumbezirke mit eigenen Lesesälen und Arbeitsräumen. Daneben finden sich, ebenso räumlich für sich abgeschlossen, die Leihstelle für die Ausgabe der zum Mitnehmen in die Wohnung verliehenen Bücher und das Auskunftsbureau der Deutschen Bibliotheken mit dem Gesamtkatalog. Die Staatsbibliothek hat von dem Gesamtgebäude, das eine Grundfläche von 17.000 qm bedeckt und einen selbständigen von vier Strassen eingeschlossenen Block bildet, nur etwa zwei Drittel zum eigenen Gebrauch. Sie teilt das Haus mit der Akademie der Wissenschaften und mit der Universitätsbibliothek, die gegenwärtig einen Bestand von über 400.000 Bänden zählt. Ausserdem befinden sich noch einige kleinere wissenschaftliche Institute im gleichen Hause. 2. P. Schwenke, "Der Neubau der Königlichen Bibliothek zu Berlin." Zentralblatt für Bibliothekswesen 25, 1908, S. 1-18. P Schwenke, "Der Umzug der Königlichen Bibliothek." Zentralblatt für Bibliotnekswesen 26, 1909, S. 163-176.

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Der Fassungsraum der Magazine des jetzigen Gebäudes ist auf 2.900.000 Bände berechnet. Staatsbibliothek und Universitätsbibliothek zusammen haben gegenwärtig einen Bestand von 2.600.000 Bänden. Der jährliche Zuwachs beider beträgt rund 100.000 Bände. In drei Jahren wird sonach der verfügbare Stellraum besetzt sein, und die Anzeichen dafür machen sich bereits an vielen Stellen bemerkbar. Die Schaffung neuer Magazine ist daher eine dringende Notwendigkeit, und die Pläne dafür sind in Vorbereitung. Eine Erweiterung, wie sie jetzt erforderlich wird, ist in den ursprünglichen Plänen des Gebäudes bereits vorgesehen. A n acht Stellen der Innenhöfe sind die Fundierungen für neue Aufstockungen und die Errichtung neuer Magazinflügel schon vorhanden, sodass der Erweiterungsbau keinerlei bautechnische Schwierigkeiten bieten wird. Der auf diese Weise neu zu gewinnende Magazinraum wird etwa 2.000.000 Bände aufnehmen können. Sofern der jährliche Zuwachs der Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek auf der jetzigen Höhe von 100.000 Bänden bleibt, wird daher das Gebäude noch etwa 20 Jahre den Bücherstrom in sich aufnehmen können. Ob nach Ablauf dieser Zeit, die im Leben einer Bibliothek nur eine kurze Spanne bedeutet, an der jetzigen Stelle Raum für weiteren Zuwachs geschaffen werden kann, ist zweifelhaft, weil die Fundierungen die Aufstockung des Gesamtgebäudes zu einem Hochhaus nicht gestatten werden. So ist die Staatsbibliothek mit ihrer weiteren Zukunft vor das gleiche Problem gestellt, wie andere grosse Bibliotheken, die, wenn sie ihre Lage im Zentrum grosser Städte beibehalten wollen, früher oder später sich werden entschliessen müssen, einen Teil ihrer Bestände auszuscheiden und in besonderen, leicht zu erweiternden Magazinbauten an der Peripherie der Stadt unterzubringen. Die Staatsbibliothek hatte sich in ihrem jetzigen Gebäude

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noch nicht endgültig eingerichtet, als der Krieg ausbrach. Was der Kriegszustand für die Beschaffung der ausländischen Literatur bedeutet hat, haben wohl alle Bibliotheken, einerlei auf welcher Seite sie standen, mehr oder weniger in gleichem Masse erfahren. Die Staatsbibliothek, der als besondere Aufgabe die Sammlung der ausländischen Literatur gesetzt ist und die weit über die Hälfte ihrer Mittel darauf verwendet, wurde in besonderem Masse durch den Abschluss vom Auslande betroffen. Und dieser Abschluss fand mit dem Aufhören der eigentlichen Kriegshandlungen nicht sein Ende, denn als die Grenzen sich dem gegenseitigen Warenaustausch wieder öffneten, begann die Entwertung des deutschen Geldes, die mit ihrem Fortschreiten dem Kauf der ausländischen Literatur aus den Mitteln der Bibliothek immer engere Grenzen setzte. So hat der Krieg mit seinen unmittelbaren Folgen für die Staatsbibliothek von 1914 bis 1923, dem Jahre der Stabilisierung der deutschen Währung, das heisst beinahe zehn volle Jahre gedauert. Der Gesamtzuwachs der Staatsbibliothek belief sich im letzten Friedensjahr 1913 auf 60.000 bibliographische Bände. Er verminderte sich bis zum Jahre 1919, das nur einen Zuwachs von 34.000 Bänden, also beinahe nur die Hälfte aufweist, und stieg bis zum Ende der Inflations-periode im Jahre 1923 auf einen Jahreszuwachs von 47.000 Bänden. Von da ab ist dann ein schnelleres weiteres Zunehmen erfolgt. Im Jahre 1924 waren es bereits 74.000 Bände und im Jahre 1927 mehr als 80.000 Bände, womit der Zuwachs des letzten Vorkriegsjahres weit überholt ist. Im Jahre 1913 entfielen auf den Gesamtzuwachs von 60.000 bibliographischen Bänden 18.000 Bände ausländischer Literatur. Diese Zahl ging im Jahre 1919 bis auf 4.600 Bände herab, also auf weniger als ein Viertel. Bis 1923 war sie bereits auf einen Jahreszuwachs von 12.000 Bänden wiederangestiegen. Von da ab hat sie in noch rascherem Masse als der Gesamt-

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Zuwachs zugenommen. 1924 waren es 33000 Bände, 1925 38.000 Bände und 1927 nach Ausfüllung der empfindlichsten Lücken immer noch 25.000 Bände. Noch stärker als bei der Gesamtheit der ausländischen Literatur hatte sich der Niedergang bei den ausländischen Zeitschriften ausgewirkt. Der Bestand von 3.240 ausländischen Zeitschriften, die die Staatsbibliothek vor dem Kriege durch Kauf erwarb, sank 1920 bis auf 420 herab, also auf etwa ein Achtel. Hierin lag wohl die am tiefsten gehende Einwirkung des Krieges auf den Bestand der Bibliothek, denn in keinem anderen Falle ist der Zwang zur Ausfüllung von Lücken so gross und unmittelbar, als wenn es sich um die Ergänzung unterbrochener Zeitschriftenreihen handelt, ganz abgesehen von der Bedeutung, die gerade die Zeitschrift in der Entwickelung der modernen wissenschaftlichen Literatur gewonnen hat. Heute ist der Bestand der Staatsbibliothek an laufend gehaltenen ausländischen Zeitschriften auf 5.650 angewachsen. Die vorstehende Übersicht erweist, dass der tiefste Stand auf allen Gebieten im Jahre 1919/20 erreicht war. Obwohl die Inflationsperiode noch bis gegen Ende des Jahres 1923 währte, setzte der Wiederaufstieg, namentlich hinsichtlich der ausländischen Literatur, schon in den beiden vorhergehenden Jahren ein, dank den Massnahmen, die im Rahmen der "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" getroffen wurden. Die "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" ist im Jahre 1920 als Selbsthilfeorganisation von den deutschen Akademien, Universitäten, Technischen Hochschulen und einigen grossen wissenschaftlichen Vereinen gegründet worden, um "die der deutschen wissenschaftlichen Forschung durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene Gefähr völligen Zusamenbruchs abzuwenden." Als einer der drückendsten Notstände wurde sogleich das

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Fehlen der ausländischen Literatur festgestellt und deren Beschaffung als unbedingt notwendige Voraussetzung für jegliche Förderung wissenschaftlicher Forschungsarbeit erkannt. Im Rahmen der Notgemeinschaft wurde unter dem Vorsitz des jeweiligen Generaldirektors der Staatsbibliothek ein Bibliotheksausschuss begründet, der seine nächste Aufgabe darin sah, in erster Linie die Lücken bei den ausländischen Zeitschriften zu ergänzen, und zwar zunächst in den Beständen der beiden grössten deutschen Bibliotheken, der Staatsbibliothek zu Berlin und der Staatsbibliothek zu München. Im Laufe der Zeit hat sich die Fürsorge der Notgemeinschaft dann weiter ausgedehnt, indem nicht nur die Bibliotheken der Universitäten und sonstigen wissenschaftlichen Hochschulen miteinbezogen wurden, sondern neben den Zeitschriften auch die Lieferung sonstiger ausländischer Literatur übernommen wurde. Welche Bedeutung diese Hilfe für die Bibliotheken besitzt, mag daraus erhellen, dass der Aufwand der Notgemeinschaft für die einzelne Bibliothek bei der Staatsbibliothek etwa ein Fünftel, bei den Universitätsbibliotheken sogar fast ein Drittel der eigenen Vermehrungsfonds beträgt. Die Notgemeinschaft hat aber ausländische Literatur nicht nur durch Kauf erworben, sondern sie hat in weitem Umfange auch Tauschbeziehungen mit dem Auslande angeknüpft, wodurch es möglich gewesen ist, Literatur aus der Kriegszeit und Nachkriegszeit zu beschaffen, die durch den Buchhandel nicht oder nur schwer erreichbar ist. Weiterhin ist die Notgemeinschaft in sehr wesentlichem Masse, namentlich in der Zeit des Tiefstandes der deutschen Währung, durch geschenkweise Zuwendungen vom Auslande unterstützt worden, und mit besonderem Dank soll gerade an dieser Stelle hervorgehoben werden, wie wertvolle Hilfe hierin von amerikanischer Seite geleistet worden ist. Wenn die Staatsbibliothek bis heute einen grossen Teil

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ihrer Kriegslücken wieder hat ausfüllen können, wenn ihr jährlicher Zuwachs an ausländischer Literatur und die Zahl der regelmässig gehaltenen ausländischen Zeitschriften sogar über die Zahlen des Jahres 1913 erheblich hinausgehen, so hat sie dieses allein der Tätigkeit der Notgemeinschaft zu danken. Im Grunde aber bedeutet die Notgemeinschaft mehr als eine aus der Not geborene und lediglich in ihr begründete Notorganisation. Sie hat mit ihrer Hilfstätigkeit zugleich eine rationelle Planwirtschaft entwickelt, die bei den preussischen Bibliotheken in ihren Grundzügen bereits vorhanden war und deren weitere Ausgestaltung der Gesamtheit der deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken von hohem Nutzen sein wird. Dass diese Planwirtschaft unter den deutschen Bibliotheken in Preussen ihren Ausgang genommen hat, liegt an der besonderen Stellung, die Preussen im Reiche hat. Preussen ist ein Grossstaat im Grossstaat, denn es nimmt etwa zwei Drittel der Gesamtfläche des Reiches ein, während der Rest sich auf die 17 übrigen deutschen Länder verteilt. So haben die zentralen Institutionen Preussens von jeher eine besondere Bedeutung für das Reich gehabt, um so mehr als auf einzelnen Gebieten das Reich als solches sich nicht betätigt hat und Preussen die Aufgabe zufiel, mit seinen Institutionen für allgemeine deutsche Interessen einzutreten. Das trifft auch für das Bibliothekswesen zu und darauf beruht die Stellung, die die Staatsbibliothek im Laufe der letzten Jahrzehnte gewonnen hat, obwohl sie im engeren Sinne die preussische Staatsbibliothek ist. Die Staatsbibliothek ist aber mit ihren 2.200.000 Bänden und ihrem jährlichen Zuwachs von 80.000 Bänden nicht nur die grösste deutsche Bibliothek, sondern sie ist zugleich der organisatorische Mittelpunkt eines Bibliothekssystems, das aus den zehn preussischen Universitätsbibliotheken und den Bibliotheken der vier preussischen Technischen Hochschulen

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besteht. Aus dieser Einheit sind im Laufe der Zeit einheitliche Regelungen in wichtigen Fragen des Bibliotheksbetriebes und Einrichtungen entstanden, die den Nutzeffekt der einzelnen Bibliothek wie den der Gesamtheit wesentlich erhöhen, Einrichtungen, die in ihrer Wirkung auch über den Bereich der preussischen Bibliotheken hinausgehen und allen deutschen wissenschafdichen Bibliotheken dienen. Die Fortschritte, die diese Entwickelung in den letzten dreissig Jahren gemacht hat, sollen in nachstehender gedrängter Aufzählung kurz veranschaulicht werden. Im Jahre 1895 wurde mit den Vorarbeiten für den mit der Staatsbibliothek verbundenen Gesamtkatalog der Preussischen Bibliotheken begonnen, der jetzt mit einem Bestand von 2'/2 Millionen Zetteln zum Druck gelangen soll. Im Zusammenhang mit dem Gesamtkatalog wurden 1898 die seit 1892 erschienenen Berliner Titeldrucke auf die Universitätsbibliotheken ausgedehnt, sodass sie seit 1898 den gesamten Zugang der Staatsbibliothek und der zehn preussischen Universitätsbibliotheken erfassen. Seit 1928 sind auch die Bibliotheken der vier preussischen Technischen Hochschulen hinzugetreten. Aus der Zusammenarbeit am Gesamtkatalog ergab sich weiterhin die Notwendigkeit der einheitlichen Aufnahme und Einordnung der Titel. Sie wurde gewährleistet durch die im Jahre 1899 erschienenen Instruktionen für die alphabetischen Kataloge der preussischen Bibliotheken und für den Gesamtkatalog, die in ihrer zweiten Ausgabe vom Jahre 1909 als Preussische Instruktion Verbreitung auch bei anderen deutschen Bibliotheken gefunden haben. Um den Gesamtkatalog schon während seiner Entstehung nutzbar zu machen, wurde 1905 bei der Staatsbibliothek das "Auskunftsbureau der Deutschen Bibliotheken" begründet, das dem Nachweis gesuchter Bücher dient und dessen Wirkungsbereich weit über Deutschlands Grenzen hinaus-

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geht. Neben seiner Hauptaufgabe hat es sich auch mit bibliographischen Arbeiten befasst. 1914 erschien vom Auskunftsbureau bearbeitet und herausgegeben das GesamtZeitschriften-Verzeichnis, enthaltend 17.000 Zeitschriften, die von 350 deutschen Bibliotheken laufend gehalten wurden, 1921 das erste Gesamtverzeichnis der ausländischen Zeitschriften, das, dem damaligen Notstand entsprechend, nur 3.400 ausländische Zeitschriften in 360 Bibliotheken nachweisen konnte. Die im Jahre 1928 erschienene Neubearbeitung dieses Verzeichnisses enthält 15.000 Titel aus 1100 deutschen Bibliotheken. Im Jahre 1907 wurde der "Beirat für Bibliotheksangelegenheiten" begründet, dessen Vorsitzender der jeweilige Generaldirektor der Staatsbibliothek ist und der jetzt aus zwölf bibliothekarischen Sachverständigen und Professoren zusammengesetzt ist. Der Beirat hat die Aufgabe, das Ministerium, dem die Bibliotheken unterstellt sind, in allen wichtigen Fragen gutachtlich zu beraten. Dem Beirat wurde zugleich die Beaufsichtigung der Arbeiten am Gesamtkatalog übertragen sowie späterhin die Regelung der Ausbildung des Nachwuchses für den wissenschafdichen und den mittleren Bibliotheksdienst auf Grund der für die Gesamtheit der preussischen Bibliotheken bestehenden einheitlichen Ordnungen. Im Jahre 1924 wurde durch Vereinbarung zwischen den deutschen Ländern der "Deutsche Leihverkehr" geschaffen. Dieser Organisation gehören zur Zeit 740 deutsche Bibliotheken an, die sich gegenseitig verpflichtet haben, jedes vorhandene Buch einer anderen Bibliothek leihweise zur Verfügung zu stellen. Die Staatsbibliothek ist einer der Hauptfaktoren dieses Leihverkehrs, indem nicht nur ihr Auskunftsbureau der Feststellung dient, wo sich ein gesuchtes Buch befindet, sondern indem sie in Ansehung ihrer

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Grösse auch die Hauptlast des Leihverkehrs mit etwa einem Drittel der Gesamtzahl der im Deutschen Leihverkehr nach auswärts verliehenen Bände trägt, im Jahre 1927 mit 66.000 Bänden. Seit 1885 giebt die Staatsbibliothek das Jahresverzeichnis der an den Deutschen Universitäten und Hochschulen erschienenen Schriften heraus, und der im Jahre 1904 begonnene, bisher mit den ersten drei Bänden erschienene Gesamtkatalog der Wiegendrucke wird von ihrem Personal bearbeitet. 1925 hat sie eine systematische Zusammenstellung der im Gesamtkßtalog verzeichneten Schriften über Das Deutschtum im Ausland. 7900-/923. veröffentlicht, 1927 eine Bibliographie Das Deutsche Schrifttum über den Völkerbund. 1917* 7925. 1928 ist das erste Heft einer neuen periodischen Veröffentlichung erschienen Deutsche Amtliche Druckschriften. Erwerbungen der Staatsbibliothek zu Berlin. 1927. Januar-Juni. Eine Bibliographie "Die Schuldenlast des Weltkrieges. Schlagwortbibliographie zur Literatur über die Interalliierten Kriegsschulden, die Reparationen und den Dawes-Plan. 1918-1928" steht unmittelbar vor dem Erscheinen. Eine "Bibliographie über das Schrifttum zur Frauenfrage" ist in Vorbereitung. Aus dieser Übersicht dürfte erhellen, dass die Staatsbibliothek nicht nur die Zentralbibliothek der ihr angeschlossenen preussischen Bibliotheken ist, sondern dass sie im Laufe der Zeit manche Aufgaben übernommen und geleistet hat, die im Interesse aller deutschen Bibliotheken gelegen sind. Diese Entwickelung ist in den letzten dreissig Jahren stetig fortgeschritten. Sie hat manches entstehen lassen, was zunächst auf Preussen beschränkt geblieben ist, dessen Erweiterung auf die Gesamtheit aller deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken aber eine mehr und mehr erkannte Notwendigkeit ist. In erster Linie gilt dies für den Gesamt-

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katalog, und es ist zu hoffen, dass in gemeinsamer Zusammenarbeit daraus der "Deutsche Gesamtkatalog" in naher Zukunft entstehen wird. Blicken wir zurück auf die letzten dreissig Jahre in der Geschichte der Staatsbibliothek, so dürfen wir an den zehn schweren Jahren nicht vorübergehen, die auf ihr gelastet haben und an deren Folgen sie auch heute noch zu tragen hat. Aber im Ganzen genommen sind diese dreissig Jahre eine Zeit des Vorwärtsschreitens gewesen. Die Staatsbibliothek hat das Glück gehabt, noch vor der Katastrophe ein neues Haus beziehen zu können, auf das sie zu späterer Zeit noch lange hätte warten müssen, sie hat mit dem Niedergang und Wiederaufstieg Deutschlands ihre Kräfte an einer oft hoffnungslos erscheinenden Aufgabe erfolgreich erproben können, und sie hat in stetiger Entwickelung durch die ganzen dreissig Jahre hindurch ihren Wirkungsbereich erweitern können, um damit nicht nur ihren unmittelbaren eigenen Interessen, sondern auch den Interessen eines sich mehr und mehr erweiternden Kreises anderer Bibliotheken zu dienen. So darf sich die Staatsbibliothek in der ihr gesetzten Aufgabe verwandt fühlen mit der Aufgabe, die der grossen Bibliothek jenseits des Ozeans gestellt ist. Sie hofft, aus der Zusammenarbeit zwischen den beiden Bibliotheken, deren gegenseitige Beziehungen auf eine lange Vergangenheit zurückblicken können, auch in Zukunft Förderung zu erfahren, wie sie selbst bereit ist, alle ihr gebotenen Möglichkeiten in den Dienst dieser Zusammenarbeit zu stellen.