Zoroaster [Autoris. Uebs. a. d. Engl. Reprint 2020 ed.] 9783112364383, 9783112364376

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German Pages 281 [295] Year 1892

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Zoroaster [Autoris. Uebs. a. d. Engl. Reprint 2020 ed.]
 9783112364383, 9783112364376

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Ioroaster von

F. Marion Crawford.

Autorifirte Uebersetzung aus dem Englischen

von

Therese Höpfner.

Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1892.

Erstes Kapitel. Die Festhalle war bereit zum königlichen Mahl im Palaste zu Babylon.

An diesem Abend wollte der König

Belsazar Wein trinken mit tausenden der Großen seines

Reiches und fröhlich sein mit ihnen: und alles war bereit. Von einem Ende der mächtigen Halle bis zum andern standen die hölzernen Tische, mit Gold und Silber über­

zogen, besetzt mit allem, was des Menschen Herz begehren kann, mit Bechern von Gold und von Glas und kostbarem

Gestein, mit großen Schüffeln gehäuft voll von seltenen Früchten und noch seltenern Blumen, und über das alles

strömten die letzten Purpurstrahlen der großen Sonne des Südens herein durch den offnen Säulengang der Vorhalle

und spiegelten sich in dem glänzenden Marmor und färbten mit sanftern Tönen den glatten rothen Stuck der Wände;

und ruhten zärtlich auf dem goldnen Antlitz und

dem

rothgoldenen Gewände der riesigen Bildsäule, die da hoch thronte und alles überschaute.

Auf dem Haupte die Krone

dreifacher Königsmacht, in der Rechten den Scepter der

Gewalt und in der Linken das geflügelte Rad des Lebens und der Unsterblichkeit, unter seinen Füßen die gebeugten Nacken darniederliegender Gefangener; also saß das könig­

liche Abbild des großen Nebukadnezar da,

als harrete er

r

4 der Dinge,

die da kommen sollten für seinen Sohn; und

der Dust der Früchte und Blumen und des köstlichen Weines stieg empor zu seiner mächtigen Nase, und er

schien zu lächeln im Abendsonnenglanz, halb voll Befriedi­ gung und halb voll Spott. Auf beiden Seiten des großen Gebäudes, in den Seitenschiffen und Flügeln, zwischen den geglätteten Mar­ morpfeilern drängten

sich

die Diener und trugen noch

immer mehr köstliche Gewürze und Blumen und Früchte herbei, um die Tafel zu schmücken, und sie flüsterten unter einander in den mancherlei Zungen von Indien, Persien

und Aegypten, oder in der reichm Sprache jener edleren Gefangenen, deren bleiche Gesichter und Adleraugen überall

hervortraten in starkem Gegensatz zu den grobem Zügen

und der dunkleren Gesichtsfarbe ihrer Mitknechte, — Söhne des Geschlechtes, das nicht geboren ward zu herrschen, son­ dern auszuharren bis an's Ende.

Alle diese mischten sich

unter einander in den seltsamen und gebrochenen Lichtern

des Abendscheins, und der Purpurglanz der Sonne färbte hie und da das weiße Gewand eines armen Sclaven mit wie sie ein Königssohn hätte tragen

so schöner Farbe,

können. Aus beiden Seiten der Tische, die gedeckt waren zum

Festmahl, standen große Leuchter von zwiefacher Mannes­ höhe, sie verjüngten sich von der Dicke des schweren Schnitzwerks am Fuße zu der Feinheit des leichten Ranken­ werkes oben und trugen Schalen von Erz; in jeder war

ein Docht getränkt in feines Del mit Wachs vermischt. wo der Thron des Königs

In der Mitte der Halle aber,

aus erhöhtem Boden aufgestellt war, da standen die Pfeiler

in breitem Zwischenraum aus einander, so daß ein Gemach gebildet ward, von der Wand zur Rechten bis

an die

5 Wand zur Linken, überdacht von großen geschnitzten Balken; und die Farbe der Wand war roth, — ein herrliches sattes Roth, so daß der glatte Stuck aussah wie eine Fläche köst­ lichen Marmors. Weiterhin, unterhalb der Pfeiler, waren die Wandflächen der Seitenschiffe in bunten Farben be­ malt mit der Geschichte des Königs Nebukadnezar; seine Siege und seine Feste, seine Gefangenen und seine Hofieute erschienen in endlosem Zuge auf der prächtigen Wand. Aber wo der König fitzen sollte in der Mitte der Halle, da waren weder Pfeiler noch Gemälde, nichts als der volle Glanz der königlichen Farbe, leuchtend und blank. Neben dem Tische stand auch eine große Lampe, höher und kunst­ voller gearbeitet als die übrigen, — ihr Fuß war von seltnem Marmor und getriebnem Erz und die Lampe darauf von lautem Golde aus dem südlichen Ophir. Noch aber war fie nicht angezündet, denn die Sonne war noch nicht untergegangen und die Stunde des Festes war noch nicht gekommen. An dem obern Ende der Halle, vor der riesigen Bild­ säule aus geschlagnem Golde, war ein freier Platz, nicht mit Tischen besetzt, wo die glatte glänzende Marmorfläche zum Vorschein kam mit all ihren prächtigen Zeichnungen und Farben. Es traten zwei in die Halle langsamen Schrittes und standen still an diesem Platze und blickten empor in das Antlitz des goldenen Königs. Zwischen diesen beiden lag die Kluft eines Lebens­ alters. Der eine war schon hinaus über die gewöhnliche Grenze des Alters, während der, welcher neben ihm stand, erst ein schöner Knabe von vierzehn Sommern war. Der Greis hielt sich noch auftecht und sein schnee­ weißes Haupthaar und sein Bart wuchsen wie eines Löwen Mähne um seine massige Stirn und sein mächtiges Gesichts

6 Die tiefen Gedankenfurchen, welche das Atter noch tiefer eingegraben hatte, folgten der edlen Bildung seiner Stirn in ebenmäßigen Zügen und noch sprühten seine dunkeln Augen Feuer, als durchdrängen sie die trübe Maffe der Zeit um kühn aus die Ewigkeit dahinter hinauszublicken. Seine linke Hand zog die Falten seines schneeweißen Ge­ wandes zusammen, und mit der rechten faßte er einen kunstvoll gearbeiteten und herrlich geglätteten Stab von Ebenholz und Elfenbein, aus dem merkwürdige Sprüche in israelitischer Schrift zu lesen waren. Der alte Mann richtete sich zu seiner vollen Höhe empor und blickte von dem glänzenden Gesichte des Königsbildes schweigend herab in die Augen des Knaben an seiner Seite, als wolle er seinen jungen Begleiter anregen an seiner Statt die Ge­ danken auszusprechen, welche Beider Herzen erfüllten. Allein der Knabe schwieg und regte sich nicht, sondern stand mit gefalteten Händen da und schaute auf zu dem hehren Antlitz Nebukadnezars. Er war erst vierzehn Jahre alt, groß und von zartem Gliederbau, voll der Verheißung unmuthiger Stärke und Biegsamkeit, von feiner Haut und erfüllt von der nervigen Kraft eines edlen und unbefleckten Geschlechts. Sein Antlitz war hell und weiß, leicht geröthet, und sein dichtes goldnes Haar fiel in langen Locken auf seine Schultern herab in der weichen seidigen Fülle früher Jugend. Seine zarten Gefichtszüge waren regel­ mäßig und edel, mehr von nordischem als orientalischem Gepräge, — äußerst ruhig und gedankenvoll, beinahe gött­ lich in ihrer jugendlichen Ruhe. Die tiefblauen Augen waren mit einem Anflug von Traurigkeit emporgefchlagen, aber die breite Stim war marmorgleich, die gerade ge­ zogenen Augenbrauen begrenzten sie und trennten sie von dem übrigen Theil des Gesichtes. Er trug eine einfache

7 weiße Tunica mit feiner Goldstickerei eingefaßt und um den Leib von einem prächtigen Gürtel gehalten, während seine Beine mit weiten persischen Beinkleidern aus seiner Lein­ wand mit bunter Seidenstickerei bedeckt waren. Auch trug er eine kleine leinene Mütze, die in eine steife Spitze aus­ ging und mit zierlichem Muster in Gold und Silber ge­ stickt war. Aber des Alten Haupt war nur von der dichten Maffe seines schneeweißen Haares bedeckt und sein weiter weißer Mantel verhüllte seine übrige Bekleidung. Wiederum blickte er von der Bildsäule in die Augen seines Gefährten und endlich redete er mit tiefer sanfter Stimme in ebräischer Sprache: „Nebukadnezar ist zu seinen Vätern versammelt wor­ den, und sein Sohn gleichfalls, und Nabonnedon Belsazar herrschet an seiner Statt, ich aber habe ausgeharret in Babylon bis aus diesen Tag, siebenundsechzig Jahre, seit Nebukadnezar unsre Stätte auf Erden verwüstete und uns in die Gefangenschaft führte. Bis auf diesen Tag, Zoroaster, habe ich ausgeharret, und noch um ein Kleines länger werde ich hier stehen und zeugen für Israel." Des Greises Augen blitzten und seine scharfgeschnittenen adlerartigen Züge nahmen den Ausdruck feuriger Lebendig­ keit und Kraft an. Zoroaster wendete sich zu ihm und sprach sanft, fast wehmüthig: „Sage mir, o Daniel, Prophet und Priester des Herrn, warum scheint das goldne Bild heute zu lächeln? Ist die Zeit erfüllet Deines Gesichtes, das Du sähest in Susa, und ist der todte König froh? Mich dünket, noch niemals sah sein Antlitz so sanft aus, — sicherlich, er freuet sich des Festes und das Angesicht seines Bildes ist fröhlich geworden." „Nein, sein Antlitz sollte vielmehr traurig aussehen

8 um des Untergangs seines Stammes und seines König­ reiches willen, antwortete der Prophet verächüich: Wahr­ lich, das Ende ist nahe herbcigekommen, und die Steine von Babylon sollen nicht länger schreien über die Last der Sünden Belsazars, noch das Volk den Bel anflehen, er solle den König Nebukadnezar wieder ins Leben rufen, ja sogar ihnen einen Perser oder Meder ins Land schicken auf daß er dem Reiche ein gerechter Herrscher sei." „Hast Du in den Sternen gelesen, oder haben Deine Augen diese Dinge geschaut in den Gesichten der Rächt, mein Meister?" Der Knabe trat näher an den greisen Propheten und sprach in leisem eindringlichem Ton. Aber Daniel neigte nur das Haupt, bis seine Stirn den Eben­ holzstab berührte, und so blieb er stehen, in Gedanken ver­ sunken. „Denn auch ich habe geträumet, fuhr Zoroaster nach kurzem Schweigen fort, und mein Traum hat mich ergriffen und ich bin traurig und voll großer Betrübniß. Und dieses ist, was mir geträumet hat." Er hielt inne und blickte das große Mittelschiff der Halle hinab bis in die offene Vorhalle am andern Ende. Der volle Glanz der rothen Sonne, welche eben die westliche Ebene berührte, strömte ihm ins Gesicht, so daß die Tische, die Vorbereitungen zum Feste und die Schaar geschäftiger Diener wie schwarze Schatten zwischen ihm und dem Sonnenlichte erschienen, aber Daniel lehnte auf seinen Stab und sprach kein Wort und rührte sich nicht. „Ich blickte um mich in meinem Traum, sprach Zoro-' aster, und es war Finsterniß, und auf den Flügeln der

Nacht erhob sich Kriegsgetöse und Schlachtruf und Kampf­ getümmel, mächtige Männer stritten mit einander uiq Herrschaft und Sieg, der des Stärker« Theil sein sollten

9 Und wiederum blickte ich hin, und siehe, es war Morgen, und das Volk ward gefangen hinweggeführt in ein fernes Land, zu zehnen und zu Hunderten und tausenden, auch die Jungfrauen und die jungen Weiber. Und ich schaute hin, und das Antlitz einer der Jungfrauen war wie das Angesicht der Schönsten unter den Töchtern Deines Volkes. Da sehnte sich mein Herz nach ihr und ich hätte ihr in die Gefangenschaft folgen mögen; aber Finsterniß kam über mich, und ich sah sie nicht mehr. Darum bin ich be­ kümmert und wandele schwermüthig den ganzen Tag." Er schwieg und des Knaben Stimme bebte und klang traurig. Die Sonne verschwand hinter der Ebene und von weitem erscholl im Abendwinde laute Musik. Daniel erhob sein greises Haupt und schaute seinen jungen Begleiter durchdringend an, und es lag Enttäuschung in seinem Blick. „Willst Du ein Prophet werden? fragte er, Du, der Du von schönen Mädchen träumst und um Frauenliebe bekümmert bist! Denkst Du, Knabe, daß ein Weib Dir helfen wird, wenn Du zum Manne gereist bist, oder daß das Wort des Herren wohnet in Eitelkeit? Prophezeihe, und lege Dein Gesicht aus, wenn Du es deuten kannst. Komm, laß uns von hinnen gehen, denn der König nahet, und ein Theil der Nacht wird den Lärmenden und den Lustigen gehören, mit denen wir nichts zu schaffen haben. Wahrlich, auch ich habe einen Traum gehabt. Laß uns gehen." Der ehrwürdige Prophet richtete sich hoch auf, faßte seinen Stab mit der Rechten und schickte sich an, die Halle zu verlaffen, Zoroaster ergriff ihn beim Arm, als wolle er ihn zum Bleiben bewegen. „Sprich, Meister", rief er eifrig, „und verkünde mir

10 Deinen Traum, und siehe ob er zu dem meinigen stimmt, und ob Finsterniß und Kriegsgetümmel über das Land kommen wird." Aber Daniel der Prophet wollte nicht bleiben und sprechen, sondern schritt aus der Halle, und Zoroaster, der Perserjüngling, ging mit ihm, in tiefen Gedanken über Gegenwart und Zukunft und über das Traumgestcht, das er geschaut, und beängstigt durch das Schweigen seines Freundes und Lehrers. Dunkelheit folgte auf das Zwielicht und in der Halle wurden Lampen und Leuchter angezündet und strömten warmes Licht und köstliche Düste aus. Ueberall aus den endlosen Reihen der Tische waren die Vorbereitungen zum Festmahl beendet und aus den Gärten draußen ertönte der Schall der Musik immer lauter und näher, so daß die geflügelten Töne in die Halle zu dringen und Tische und Ehrenfitze zu umschweben schienen, um den Gästen den Weg zu bereiten. Näher und näher kamen die Harfen und Flöten und Posaunen und die dumpstönenden Sackpfeifen und vor allem der laute vielstimmige Chor der Sänger, welche das Abendlied zum Lobe des Sonnengottes Del sangen, der bei seinem Scheiden wie bei seinem Erscheinen mit dem Gesänge der jüngsten und schönsten Stimme in Sinar ehrfurchtsvoll begrüßt wirb. Zuerst kamen die Priester des Bel paarweise in ihren weißen Talaren, weite weiße Gewänder an ihren Beinen, die weiße Mitra des Priesterstandes auf ihren Häuptern und ihre großen Bärte gekräuselt, glatt und glänzend wie Seide. In ihrer Mitte schritt mit würdigem Anstande ihr Oberhaupt, die Augen zu Boden geschlagen, die Hände über der Brust gekreuzt, sein Gesicht erschien im Zwielicht wie dunkler Marmor. Zu beiden Seiten trugen die Opfer-

11 Priester die Werkzeuge ihres Amtes, Messer, Axt und Strick, und Feuer in einer Schale, und ihre Hände waren roth vom Blute des jüngst erschlagenen Opfers. Stattliche große Männer, von mächtigem Körperbau und breiter Brust waren diese Priester des Bel, — gekräftigt durch das Fleisch und den Wein der Opfer, die täglich ihr Theil waren und voll Vertrauen auf den Glauben an ihre ur­ alte Weisheit. Hinter den Priestern kamen die Spielleute, hundert erlesene Männer erfahren in ihrer Kunst, sie spielten selt­ same Harmonien in würdiger gemessener Weise und schritten immer zehn neben einander in zehn Reihen, und als sie daherkamen, strömte das Licht aus der Vorhalle des Pa­ lastes heraus und fiel auf ihren silbernen Schmuck und die wundersamen Formen ihrer Instrumente in gebrochenem Widerschein zwischen dem Zwielicht und dem grellen Lampenlicht. Hinter diesen kamen die Sänger, zweihundert Knaben und einhundert Jünglinge und von bärtigen Männern eben­ falls einhundert; die berühmtesten von allen, die Loblieder sangen zum Preise des Bel im Lande Assur. Zu zehn und zehn schritten sie einher in geordneten Reihen und hielten Schritt zu dem wuchtigen Takt der langgedehnten Verse. „Mächtiger Herrscher des Tags, groß an Ruhm und im Stolz seiner

sengenden Gluth Gießt er Strahlen des Lichts über die dunkle Welt, wandelnd in

Leben den Tod; Lässet wachsen die Saat, stark und prächtig zu schaü'n, hoch in Furche und Feld, Machet des Menschen Herz froh mit eigener Lust, reitend durchs

Morgenroth Bel, der Fürst, König der Könige.

12 Heiß ist sein flammendes Haar,

wallend in hellem Glanz und die Locken des Barts

Rollen

in Wolken von Gluth,

rollen

weithin

zerstreut über das

Himmelszelt.

Wer erträgt sein Gesicht, furchtbar, drohend den Tod, wenn er das

Land verzehrt, Zümend Menschen und Thier,

schrecklich in seiner Wuth,

hungernd

nach Opfern heiß,

Bel, der Fürst, König der Könige.

Schreitend mit dreifachem Schritt kommt er vom Morgell her, geht durch Mittag zur Nacht, Endlich kommt er herab, ist zum Opfer bereit, und bereit auch zum Fest.

Kelternd tritt er den Wein, golden und purpurroth, schäumend im

Westen weit. Sinar ist ihm gedeckt, festlich gedeckt als Tisch, Afsur dien' ihm zum Sih.

Bel, der Fürst, König der Könige.

Bringet ihm frisches Fleisch, bratet es in der Gluth, würzet es gut

mit Salz, Schänket ihm starken Wein, Becher und Kelche voll, nur gekeltert für ihn,

Singt ihm das Hohelied, laut verkündet sein Lob, rufet ihn an mit

Flehn, Daß er trinke voll Lust,

unserm Opfer sei hold,

und erhör' unser

Abendlied: Bel, der Fürst, König der Könige.

Drauf in der stillen Nacht,

wann er rnhet dann sinkt Friede zur Erde herab,

Hoch am Himmelsgewölb',

wo er wandelt die Bahn,

leuchtet der

Schritte Spur,

Wo der Tag ihn gefühlt,

bricht hervor aus der Nacht funkelnder Sterne Heer,

Himmelsblumen sind sie, Blüthen gewunden zum Kranz, seiner Krone

zur Zier. Bel, der Fürst, König der Könige.

13 Heil dir, König der Welt, Heil dir, Belsazar, Heil! lebe du immerdar!

Gottgeborener Herr, du aller Völker Fürst, der beherrschet die Welt, Du bist der Sohn deS Bel, seiner Herrlichkeit voll, König ob Leben und Tod, Vor dir beugt sich das Volk, zitternd und ehrfurchtsvoll, bete es

knieend dich an, Dich den Fürsten des Bel, dich den König der Könige."

Während die Spielleute spielten und die Sänger san­ gen, theilten sich ihre Reihen und sie kamen und standen zu beiden Seiten der breiten Marmortrcppen, und vor ihnen

hatten die Priester ein -Gleiches gethan,

aber der Ober­

priester stand allein auf der untersten Stufe. Zwischen den Reihen der also Stehenden nahete der

königliche Zug wie ein Strom von Gold und Purpur und Edelsteinen zwischen Usern von reinem Weiß dahinfließcnd.

Je zehn und zehn schritten tausend Große von Babylon

in stattlicher Schaar einher, und in ihrer Mitte ritt Bel­ sazar der König hoch auf kohlschwarzem Roß, gekrönt mit der hohen Stirnbinde von weißem Linnen und Gold und

Juwelen, den goldnen Königsscepter in der rechten Hand.

Und hinter den Großen des Reichs und dem König kam

ein langer Zug von Sänften, von kräftigen Sclaven ge­ tragen, darinnen rührten die schönsten Frauen aus ganz Affyrien, die zu dem großen Fest geladen waren.

Ganz

zuletzt beschlossen den Zug die Speerträger der Wache in

goldenen Rüstungen,

auf ihren Mänteln das königliche

Feldzeichen eingestickt, und ihre Bärte gekräuselt und ver­ schnitten nach Art der Krieger; —

eine treffliche Schaar

Gewaffneter! Als die volltönenden Stimmen der Sänger in getra­

genem Gesänge

den letzten Vers des Lobliedes anhuben,

war der König mitten auf dem offenen Platze am Fuße der

14 Treppe, da zog er den Zügel an und saß regungslos auf seinem Roß, den Schluß erwartend. Wie das reife Korn in seinen Furchen sich vor dem Winde beugt, so wendeten sich die Heerschaaren alle zu ihrem Herrscher und fielen nieder auf ihr Angesicht, als die Musik auf den Wink des Hohenpriesters verstummte. Einmüthig beugten sich die Großen, die Priester, die Sänger und die Speerträger und warfen sich zu Boden, die Sänftenträger setzten ihre Last nieder, während sie dem Herrscher huldigten, und alle die schönen Frauen neigten sich vor ihm und knieten in ihren Sänften, ihr Haupt unter dem Schleier verhüllend. Nur der König saß auftecht und regungslos inmitten der anbetenden Menge. Der Lichtschein aus dem Palaste spielte seltsam auf seinem Antlitz und machte das höhnische Lächeln auf seinen blaffen Lippen noch spöttischer und warf auf seine eingesunkenen Augen noch tiefere Schatten. Während man bis zwanzig zählen konnte, herrschte tiefe Stille und der leichte Abendwind wehrte den süßen Duft der Rosen im Garten dem König zu, als wolle so­ gar die Erde ihm Weihrauch darbringen in anbetender Anerkennung seiner furchtbaren Macht. Dann standen die Heerschaaren wieder auf und traten zurück zu beiden Seiten, während der König zur Treppe heranritt und abstieg, um den Zug zum Feste zu eröffnen, und es folgten ihm der Hohepriester und die ganze Schaar der Großen und Fürsten und edlen Frauen von Babylon; in all ihrer Schönheit und Pracht gingen sie die Marmor­ stufen empor und durch die Marmorvorhalle, dann ergossen sie sich wie ein Strom um die zahllosen Tafeln fast bis zu den Füßen des goldenen Bildes von Nebukadnezar. Und alsbald ertönten unter den Säulengängen wieder­ um die Klänge süßer Musik und erfüllten die Luft; die

15 Diener eilten hierhin und dorthin, die schwarzen Sclaven schwangen ihre Palmblattfächer hinter jedem Gast, und das Festmahl nahm seinen Anfang. Fürwahr ein herrliches Fest, bei dem die Herzen der Höflinge froh wurden und die dunkeln Augen der assyri­ schen Frauen Blicke warfen, süßer als die Süßigkeiten Aegyptens und feuriger als der Wein des Südens, um die Herzen der Männer zu rühren. Selbst der düstre König, entkräftet und hohläugig von allzuviel Genuß, lächelte, — ja er lachte, freilich zuerst bitter, aber mit der Zeit wurde er sorglos und lustig vom vielen Trinken. Seine Hand zitterte minder, da ihm der Wein die ver­ lorene Kraft wiedergab und mehr als ein Mal spielten seine Finger mit den Rabenlocken und den schweren Ohr­ ringen der prächtigen Fürstin an seiner Seite. Ein Wort von ihr regte einen Gedanken in seinem verworrenen Ge­

hirn an. „Ist dies nicht der Tag des Siegesfestes?" rief er mit plötzlicher Lebendigkeit; und es trat Schweigen ein, auf daß man das Wort des Königs vernähme. „Ist heute nicht der Tag, an dem mein Vater die Schätze der Is­ raeliten heimbrachte, der für immerdar durch ein Fest ge­ feiert wird? Bringet mir die Gesäße aus dem Tempel der Ungläubigen, auf daß ich daraus trinke und in dieser Nacht Bel, dem Gott der Götter, Trankopfer darbringe." Der Schatzmeister war dem Wunsche des Königs zu­ vorgekommen und hatte alles in Bereitschaft gehalten; denn kaum hatte Belsazar gesprochen, als ein langer Zug von Knechten in die Festhalle kam und vor das Antlitz des Königs trat; ihre weißen Kleider und die kostbaren Gefäße, welche sie trugen, hoben sich grell ab von der dunkelrothen Fläche der gegenüberliegenden Wand.



16 —

„Vertheilet die Gefäße unter uns!" rief der König, „jedem einen Becher oder einen Kelch, bis alle versehen

find." Und so geschah es, und der königliche Mundschenk trat herzu und füllte den großen Kelch in des Königs Hand, und die Knechte beeilten sich, alle Becher und kleinen Schalen zu füllen, während die Fürsten und großen Herren über die seltsamen Formen lachten, und habgierig die Dicke und die schöne Arbeit der goldenen und silbernen Gefäße beschauten. Und also hatte jedweder Mann und jedwedes Weib ein Gefäß aus dem Tempel zu Jerusalem, um daraus zu trinken zu Ehren des Gottes Bel und seines Königs Belsazar. Und als alles bereit war, ergriff der König seinen Kelch mit beiden Händen und stand auf und die ganze Schaar der Höflinge stand mit ihm auf, während in mächtigem Schall die Musik durch die duftende Lust erklang, und die Dienstleute Blumen streuten und süße Wohlgerüche auf die Tafeln sprengten. Draußen aber stand der Enget des Todes und wetzte sein Schwert aus den Steinen von Babylon. Allein Bel­ sazar erhob den Kelch und sprach mit lauter Stimme zu den Fürsten und Herren und den schönen Frauen, die um die Tische standen in der großen Halle: „Ich, Belsazar, der König, stehe hier in der Halle meiner Väter, ich sprenge diesen Wein aus und trinke ihn zu Ehren der hohen Majestät des großen Gottes Bel, der da lebet immerdar, vor dem die Götter aus Norden und aus Westen, aus Osten und aus Süden sind wie der Wüstensand im Sturm: bei deffen Anblick die eitlen Götzen Aegyptens in Staub zerfielen und der Gott der Israeliten zitterte und erniedrigt ward in den Tagen meines Vaters Nebukadnezar. Und ich gebiete euch, ihr Herren und

— 17 — Fürsten von Babylon, euch und euern Weibern, und euch schönen Frauen, sprenget auch Wein und trinket zu Ehren Bels, unsers Gottes, und zu meiner Ehre, Belsazars, des Königs." Also sprechend, wandte er sich zur Seite und sprengte einige Tropfen Wein aus den Marmorboden, und setzte den Kelch an die Lippen, angesichts der großen Schaar seiner Gäste, und er trank. Aber an allen Festtafeln erhob sich lauter Jubel. „Heil! König! lebe immerdar! Heil! Fürst des Bel! lebe immerdar! Heil! König der Könige! lebe immerdar!" Laut und lang war das Jubelgeschrei, es erschallte und stieg empor zu den Pfeilern und den großen geschnitzten Dachbalken, bis die Wände zu beben und zu schwanken schienen vor dem Getöse zum Preise des Königs. Langsam leerte Belsazar den Kelch bis auf die Neige, während er mit halbgeschlossenen Augen dem Lärm zuhörte, und vielleicht lächelte er spöttisch für sich hinter dem Kelche, wie er zu thun pflegte. Dann setzte er das Trinkgefäß nieder und blickte auf. Aber als er so aufschaute, da schwankte er und erbleichte und wäre beinahe umgesunken; er packte den elfenbeinern Sessel hinter ihm und stand da, zitternd an allen Gliedern, und seine Kniee schlotterten, während ihm die Augen aus dem Kopfe quollen, und sein Gesicht war entstellt und verzerrt in furchtbarer Angst. Auf der rothen Wandfläche gegenüber der Lampe, die ihre hellen Strahlen auf die gräßliche Erscheinung warf, bewegten sich die Finger einer ungeheuern Hand und schrieben Buchstaben. Bloß die Finger waren zu sehen, ungeheuer und von blendendem Glanz und wie sie langsam ihr Werk thaten, flammten große feurige Buchstaben auf der rothen Oberfläche auf, und ihre züngelnde zornige Crawford, Zoroafter.

18



Flamme blendete die, so sie sahen und der Schreck der Schrecken überfiel die ganze große Schaar, denn fie standen alle vor Ihm, deß Schatten Unsterblichkeit und Tod ist. Unter fühlbarer Stille vollzog die furchtbare Hand ihren Auftrag und verschwand, aber das wundersame Feuer flammte hell in den gräßlichen Zügen der Schrift, die an der Wand verblieb. Also war die Inschrift in chaldäischen Buchstaben:

SUTMM IPKNN NRLAA Endlich fand der König die Sprache wieder und schrie wild auf, und befahl, man solle alle Sternkundigen, Chaldäer und Zeichendeuter Herbeirusen, denn er war in großer Angst und er befürchtete ein schreckliches und plötzlich drohendes Ereigniß. „Wer diese Schrift lesen kann", rief er mit verän­ derter und gebrochener Stimme, „und mir ihre Bedeutung erklären, der soll in Purpur gekleidet werden, mit einer goldenen Kette um den Hals und soll herrschen als der Dritte in meinem Königreich." Mitten in dieser furchtbaren Verwirrung wurden die Weisen vor den König geführt.

Zweites Kapitel. Zu Ecbatana in Medien wohnte Daniel in seinem Greisenalter. Daselbst bauete er sich einen Thurm inner­ halb der siebenfachen Mauer der königlichen Festung aus dem Gipfel des Hügels, der nordwärts schauet nach den Wäldern des Gebirges und südwärts über die Ebene und

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Flamme blendete die, so sie sahen und der Schreck der Schrecken überfiel die ganze große Schaar, denn fie standen alle vor Ihm, deß Schatten Unsterblichkeit und Tod ist. Unter fühlbarer Stille vollzog die furchtbare Hand ihren Auftrag und verschwand, aber das wundersame Feuer flammte hell in den gräßlichen Zügen der Schrift, die an der Wand verblieb. Also war die Inschrift in chaldäischen Buchstaben:

SUTMM IPKNN NRLAA Endlich fand der König die Sprache wieder und schrie wild auf, und befahl, man solle alle Sternkundigen, Chaldäer und Zeichendeuter Herbeirusen, denn er war in großer Angst und er befürchtete ein schreckliches und plötzlich drohendes Ereigniß. „Wer diese Schrift lesen kann", rief er mit verän­ derter und gebrochener Stimme, „und mir ihre Bedeutung erklären, der soll in Purpur gekleidet werden, mit einer goldenen Kette um den Hals und soll herrschen als der Dritte in meinem Königreich." Mitten in dieser furchtbaren Verwirrung wurden die Weisen vor den König geführt.

Zweites Kapitel. Zu Ecbatana in Medien wohnte Daniel in seinem Greisenalter. Daselbst bauete er sich einen Thurm inner­ halb der siebenfachen Mauer der königlichen Festung aus dem Gipfel des Hügels, der nordwärts schauet nach den Wäldern des Gebirges und südwärts über die Ebene und

19 östlich aus den Fluß und westwärts auf den Berg Zagros. Sein Leben ging zur Rüste, er war beinahe hundert Jahre alt. Siebzehn Jahre waren verfloffen, seit er die verhängnißvolle Schrift an der Wand der Festhalle zu Babylon ausgelegt hatte in der Nacht, da Nabonnedon Belsazar er­ schlagen und das Reich der Assyrer für immer zerstört ward. Immer wieder mit Macht bekleidet und zum Statthalter von Provinzen eingesetzt, hatte er unter der Regierung des Cyrus und des Kambyses unablässig gearbeitet, und ob­ schon er jetzt an der äußersten Grenze des Lebens stand, war sein Verstand noch klar und sein Auge scharf und un­ getrübt. Nur seine hohe Gestalt war gebeugter und sein Gang langsamer als vordem"). Er wohnte im nördlichen Ecbatana, in dem Thurm, den er für sich selbst erbauet hatte. In der Mitte der königlichen Paläste innerhalb der Festung hatte er die Fundamente gen Norden und Süden gelegt, und Stockwerk auf Stockwerk, Säulenreihe auf Säulenreihe, Söller auf Söller von schwarzem Marmor hatte sich erhoben, kunst­ voll gearbeitet von der Grundlage bis zum Thürmchen, und so glatt und hart, daß die polirten Kanten und Seiten und Verzierungen wie schwarze Diamanten glänzten in der heißen Mittagssonne und bei Nacht die Mondstrahlen in dunkelblitzendem Widerschein zurückwarsen. Tief unten in den prächtigen Wohnhäusern, welche das Innere der Festung'ausfüllten, wohnte die Sippe des alten Propheten und die Familien der beiden Leviten, welche bei Daniel geblieben waren und ihm lieber nach Medien in seine neue Heimath hatten folgen wollen, als unter Zerubabel nach Jerusalem zurückkehren, als Cyrus *) Josephus, Geschichte der Inden.

X. Buch XL Kapitel.

2*

20 den Befehl zur Wiedererbauung des Tempels erließ. In dem Palaste wohnte auch Zoroäster, der persische Königs­ sohn, er stand jetzt im einunddreißigsten Jahre seines Alters und war Hauptmann der Stadt und der Festung. Und dort, umgeben von ihren Dienerinnen und Sclavinnen, wohnte in einem besondern Theil des Palastes, ausgezeichnet durch die Schönheit seiner Gärten und seines Schmuckes, auch Nehuschta, die letzte der Nachkommen des Königs Jehojakim, die in Medien verblieben war, sie war die schönste unter allen Frauen Mediens, von königlichem Geschlecht und mehr als königlicher Schönheit. Sie war in dem Jahre geboren, als Babylon erobert wurde, und Daniel hatte sie mit sich nach Susa genommen, als er Affyrien verließ und von dort nach Ecbatana. Unter der Pflege der Verwandten des Propheten war die Kleine im frem­ den Lande aufgewachsen und schön geworden. Ihre sanften Kinderaugen hatten ihren staunenden Ausdruck verloren und waren stolz und dunkel geworden und die langen schwarzen Wimpern, welche ihre Augenlider umsäumten, reichten ihr bis auf die Wange, wenn sie die Augen nieder­ schlug. Ihre Gefichtszüge waren edel und beinahe regel­ mäßig im Umriß, allein die leichte Krümmung am Ansatz der Nase, die geschwungenen Nasenflügel, die starken vollen Lippen und die matte olivenfarbige Haut, unter welcher das Blut so üppig aus- und niederwallte, waren unver­ kennbare Zeichen jüdischer Abstammung. Nehuschta, die hochgeborne Tochter JudahS, war eine Fürstin in jeder Bewegung, jeder Handlung, in jedem Worte, das sie sprach. Die Wendung ihres stolzen Hauptes war in dem Ausdruck der Anerkennung oder Mißbilligung könig­ lich, und selbst Zoroastcr beugte sich vor einem Winke ihrer Hand so gehorsam, wie er es vor dem großen König in

21 all seiner Herrlichkeit gethan haben würde. Selbst der ehr­ würdige Prophet ans seinem hohen Thurm hoch über der Stadt und der Festung in Betrachtung des ihm so nahen zukünftigen Lebens versunken, lächelte freundlich und streckte seine alten Hände aus, um Nehuschta zu begrüßen, wenn sie um Sonnenuntergang, von ihren Mägden und Sclavinnen begleitet, zu seiner Wohnung emporstieg. Sie war die jüngste von all seiner Verwandtschaft, — vaterlos und mutterlos, der letzte in Medien verbliebene Nachkomme des Königs Jehojakim, und der alte Prophet hegte und liebte sie ihrer königlichen Abkunft wegen eben so sehr wie um ihrer Schönheit und ihrer Blutsverwandtschaft mit ihm selber willen. Durch seine Erziehung ein Assyrer, ein Perser durch seine Anhänglichkeit an das siegreiche Königsgeschlecht und durch seine den Persern erwiesenen langen und treuen Dienste, war doch Danie! in seinem Herzen und seinem Glauben ein ächter Sohn Judahs; stolz auf sein Geschlecht und voll zarter Liebe' für dessen junge Sprossen, als wäre er selbst der Vater seines Landes und der König seines Volkes. Der letzte Gluthschein des scheidenden Tages schwand und versank hinter dem schwarzen Zagros-Gebirge im Westen. Im Osten war der Himmel kalt und grau und die ganze grüne Ebene nahm eine stumpfe matte Farbe an, als die Dämmerung sich darüber ausbreitete, und wurde immer dunkler und nebelhafter. In den Palast­ gärten sangen die Vögel zu tausenden im Chor, wie nur im Morgenlande die Vögel beim Sonnenaufgang und bei Einbruch der Nacht singen, und ihre Stimmen klangen wie der liebliche, kräftige, ungebrochene und langgehaltene Ton einer hohen Saite. Nehuschta wandelte allein durch die breiten Gänge. Die trockne warme Luft des Sommer-

22 abends brachte keine Kühle, und obwohl ein feingewebter Purpurmantel aus Srinagur ihr lose um die Schultern hing, brauchte sie ihn doch nicht fest um sich zu ziehen. Ihr Obergewand fiel in zarten dichten Falten bis zu ihren Knieen herab und wurde um den Leib durch einen pracht­ vollen mit Gold und Perlen gestickten Gürtel zusammenge­ halten,»die langen Aermel am Handgelenk von Perlenbän­ dern gefaßt, bedeckten beinahe ihre seinen Hände, und beim Gehen bewegten fich ihre zarten Füße zierlich in reich gestickten Sandalen mit hohen goldnen Hacken unter den Falten der weiten mit Weiß und Gold gestickten Beinklei­ der, die am Knöchel eingekraust waren. Auf ihrem Haupte trug fie den steifen Kopfschmuck von makellosem Weiß so stolz wie eine Königskrone, eine einzige kostbare Perle hielt die Falten deffelben zusammen, und damnter wallte ihr prachtvolles Haar in glatten dunkeln Wellen bis über

den Gürtel herab. Zm Garten war eine Terraffe, die gen Osten schaute. Dorthin wandte Nehuschta ihre Schritte, langsam wie in tiefen Gedanken und als fie das blanke Marmorgeländer erreichte, lehnte fie fich darüber und ließ ihre bimflen Augen über die friedliche Landschaft schweifen. Der Friede des Abends kam über fie; der Gesang der Tagesvögel ver­ stummte mit der finkenden Dämmerung, und langsam stieg über der Ebne der gelbe Mond empor und übergoß Fluß und Wiesen mit gespenstischem Licht, während von fern, aus den Rosenbüschen des Gartens, die ersten Töne einer einsamen Nachtigall bebend und schwellend, trillernd und wieder verhallend wie Engelsgesang auf den Fittichen des duftenden Abendwindes herbeischwebten. Die milde Lust fächelte ihre Wange, die Wohlgerüche von Buchsbaum, Myrthen und Rosen berauschten ihre Sinne, und als die

23 glänzende Scheibe des aufgehenden Mondes ihr volles Licht in ihre träumerischen Augen warf, da ging ihr das Herz über, und Nehuschta, die Königstochter, erhob ihre Stimme und sang ein altes Liebeslied in der Sprache ihres Volkes, in sanften Molltönen; es klang wie ein Seufzer aus der Wüste im Süden. „Komm zu mir, mein Geliebter, im warmen Dämmerlicht, komme! Auf! mit eilendem Schritt, komm zu mir zur Nachtzeit, komme!

Seiner harr' ich im Dunkeln, der Sand der Wüste weht wirbelnd Mr in die Thür des Zelts, das offen steht nach der Wüste.

Und mein Ohr lauscht im Dunkel dem Schall der nahenden Tritte Wach ist und ruhlos mein Aug', nicht schlafend soll er mich finden.

Wenn mein Geliebter kommt, ist er wie Strahlen des Morgens, Wie der grauende Tag in der Fremde dem Blicke des Wandrers. Ja, wenn mein Liebster kommt wie Thau, der vom Himmel herabsinkt, Niemand hört, wenn er fällt, doch wie Regen erfrischet er alles. In der Hand bringt er Lilien, viel Blumen trägt seine Rechte, Rosen hat er auf der Stirn, gekrönt mit Rosen von Saron.

Süß fingt der Nachtwind für ihn im Dunkel liebliche Lieder, Wohin immer er geht, da gehet Süßes voraus ihm."

Ihre jugendliche Stimme verhallte in sanft gehauchten Tönen und die Nachtigall allein strömte ihr Herz voll Liebe dem Monde aus. Aber während Nehuschta regungslos am Marmorgeländer der Terrasse lehnte, rauschte es in den Myrthenbüschen und ein rascher Schritt erklang auf den Steinplatten. Die Jungfrau fuhr bei dem Geräusch zu­ sammen und froh lächelten ihre Lippen. Aber sie schaute sich nichj um; nur ihre Hand streckte sie hinter sich aus

24 auf dem Marmor, wo sie wußte, daß die Hand ihres Ge­ liebten sie finden würde. Es lag in dieser Bewegung volles Siegesbewußtsein und doch auch die ganze Zärtlichkeit der Liebe. Der Perser trat schnell herzu und legte seine Hand auf die ihre und neigte sich zu ihr und suchte ihr in die Augen zu blicken; noch einen Augenblick starrte sie vor sich hin, dann wandte sie sich ihm plötzlich zu, als ob sie ihr Willkommen zurückgehalten hätte, so lange sie konnte, um es dann ganz und gar auf einmal zu geben. „Ich habe Dich nicht gerufen", sagte sie und schaute ihn voll an im Mondenschein, that aber als wolle sie sich ein wenig zurückziehen, während er sie mit Hand und Arm und Augen zu sich heranzog. „Und hoch hörte ich Dich rufen, meine Geliebte!" er­ widerte Zoroaster. „Ich hörte Deine Stimme gar holde Dinge in Deiner eignen Sprache singen und so kam ich, denn Du riefest mich." „Bildetest Du Dir ein, ich meinte Dich?" lachte Nehuschta. „Ich sang von der Wüste unb von Zelten und wirbelndem Sande, und hier ist nichts von alledem." „Du sagtest, Dein Geliebter brächte Rosen in der Hand, — und das thu ich. Ich will Dich damit krönen. Darf ich? Nein — ich würde Deinen Kopfputz verderben. Nimm sie und thue was Du willst damit." „Ich will sie nehmen — und — ich thue immer, was ich will." „Dann wolle auch den Geber nehmen", sagte Zoroaster und schlang den Arm um sie, während er halb auf der Brüstung saß. Nehuschta sah ihn wieder an, denn er war schön anzuschauen, und vielleicht gefielen ihr seine regel­ mäßigen ruhigen Züge um so mehr, weil sein Gesicht hell war und nicht dunkel wie das ihre.

25 „Mich dünkt,

ich habe den Geber schon genommen",

versetzte sie. „Noch nicht, — leise, und

noch nicht ganz",

sagte Zoroaster

ein Schatten von Traurigkeit flog über sein

edles Antlitz,

das im Mondlicht weiß aussah.

Nehuschta

seufzte leise und legte ihre Wange auf seine Schulter, wo

die Falten seines Purpurmantels ein Polster zwischen ihrem Gesicht und den blanken Goldschuppen seines Brustpanzers

bildeten. „Ich habe Dir merkwürdige Neuigkeiten zu erzählen,

Geliebte", sagte Zoroaster.

Nehuschta fuhr zusammen und

denn seine Stimme klang traurig. „Nein, fürchte nichts", fuhr er fort, „ich hoffe, es wird nichts blickte auf,

Schlimmes sein; allein es gehen große Veränderungen im

Reiche vor, und es werden noch größere folgen.

Die sieben

Fürsten haben den Smerdes in Susa erschlagen, und Darius ist zum König erwählt worden,

der Sohn des Gushtasp, den die Griechen Hystaspes nennen."

„Derselbe, der im vorigen Jahre hier war?" fragte Nehuschta rasch. „Er ist nicht schön, dieser neue König." „aber ein tapfrer

„Nicht schön", versetzte der Perser,

und ein guter Mann.

Er hat übrigens nach mir geschickt,

auf daß ich nach Susa gehe." —

„Nach Dir!" rief Nehuschta und

legte Plötzlich ihre

beiden Hände auf Zoroasters Schultern und sah ihm in

die Augen.

Sein Antlitz war dem Monde zugewendet,

während das ihre im Dunkeln war, so konnte sie jede Ver­ änderung in seinem Ausdruck genau beobachten. Er lächelte. „Du lachest meiner!" rief sie entrüstet. „Du spottest mein! Du sollst fort und bist dessen froh!"

Sie wollte sich von ihm abwenden, fest mit beiden Händen.

aber er hielt sie

26 „Nicht allein", versetzte er. „Der Große König hat einen Befehl erlassen, daß ich nach Susa bringe alle vom Geschlecht Jehojakims, außer Daniel, unserm Meister, denn er ist so alt, daß er die Reise nicht vollbringen kann. Der König will den königlichen Samen Judahs ehren, und darum schickt er nach Dir, edelste und geliebteste Fürstin." Nehuschta schwieg gedankenvoll, ihre Hand entglitt Zoroasters Griff und ihre Augen schauten träumerisch auf den Fluß, in dem sich jetzt die Strahlen des hochstehenden Mondes spiegelten wie in den glänzenden Schuppen einer silbernen Schlange. „Freust Du Dich, Geliebte?" fragte Zoroaster. Er stand mit dem Rücken gegen die Brustwehr, den einen Ellbogen aufgestützt und seine Hand spielte nachlässig mit den schweren goldnen Quasten seines Mantels. Er war in voller Rüstung, so wie er ging und stand, aus der Festung hergekommen, um Nehuschta und Daniel diese Kunde zu bringen; sein goldner Harnisch wurde halb durch seinen Purpurmantel bedeckt, das Schwert hing an seiner Seite und auf dem Haupte trug er den spitzen Helm, reich mit Gold verziert, vorn darauf das geflügelte Rad, welches die Herrscher des Perserreiches nach der Eroberung von Affyrien als Abzeichen angenommen hatten. Seine hohe und schlanke Gestalt schien recht dazu gemacht, die größt­ möglichste Stärke mit außerordentlicher Beweglichkeit zu verbinden, und in seinem ganzen Wesen sprach sich das Bewußtsein schnell bereiter elastischer Kraft aus, — die anmuthige Schnellkraft eines stets gespannten stählernen Bogens, die unbeschreibliche Leichtigkeit der Bewegung und die unvergleichliche Schnelligkeit, welche die Menschen hatten, als die Welt jung war. — Dieses vollkommene Ebenmaß aller Verhältniffe, welches allein die Ruhe unmuthig und

27 selbst die Unthätigkeit der Trägheit zu einer Art vollkom­

mener Bewegung macht.

den,

Als sie so neben einander stan­

die Königstochter von Judah und der edle Perser,

waren sie beide vollendet schön und doch vollendete Gegen­ sätze — die Semitin und der Aryaner, das dunkle Ge­ schlecht des Südens,

welches die heiße Lust der Wüste

durch viele Menschenalter in der Knechtschaft von Aegypten

angeweht und auf dem der warme Sonnenschein des Südens hat, — und der hellfarbige Mann des Volkes, welches schon das Antlitz gen Norden

sein Handzeichen gelassen

gewendet hatte, auf welches der Nord schon seine Eiscsklarheit und herrliche Kälte stahlharter Kraft hauchte.

„Freust Du Dich, meine Geliebte?" fragte Zoroaster von neuem und blickte auf und legte seine rechte Hand auf den Arm der Fürstin.

Sie hatte keine Antwort auf

seine Frage gegeben, sondern nur träumerisch über den Fluß hinausgeschaut. Sie schien im Begriff zu sprechen, hielt aber wiederum inne,

zauderte und beantwortete dann seine Frage durch

eine- andere. „Zoroaster — Du liebst mich" — wieder hielt sie inne und als er leidenschaftlich ihre Hände ergriff und sie

an die Lippen drückte, sagte sie sanft, ihr Haupt abwendend: „Was ist Liebe?"

Auch er wartete einen Augenblick, ehe er antwortete, dann richtete er sich zu seiner ganzen Höhe auf, nahm ihren Kops zwischen seine beiden Hände und drückte ihn

an die Brust;

den einen Arm um sie geschlungen stand

er da, gen Osten blickend und sprach:

„Höre mich an, Geliebte, und ich, der Dich liebt, will Dir sagen, was Liebe ist. In der fernen Morgendämmerung

des Seelenlebens,

in der

luftigen Ferne

des

äußeren

28 Sternenhimmels, in dem Nebel des Sternenstaubes wur­ den unsere Seelen von Gottes Geist belebt und sanden einander und kamen zusammen. Ehe unsere Erde war, waren wir Eins; ehe es eine Zeit für uns gab, waren wir Eins, ebenso wie wir Eins sein werden, wenn es für uns keine Zeit mehr geben wird. Dann nahm Ahuta Mazda, der allweise Gott, unsere beiden Seelen aus den Sternen und versetzte sie auf die Erde, für eine Zeit mit sterblichen Leibern bekleidet. Aber wir kennen einander, wir missen, daß wir von Anfang an vereinigt waren, ob­ gleich diese irdischen Dinge unser unsterbliches Auge ver­ dunkeln und wir einander minder deutlich sehen. Darum aber ist unsere Liebe nicht geringer, — nein, sie scheint vielmehr mit jedem Tag größer, denn unsere Leiber können Freude und Schmerz empfinden so gut wie unsere Seelen, also daß ich für Dich leiden kann; deß bin ich froh, und wünsche, es möge mir beschieden sein, für Dich mein Leben hinzugeben, auf daß Du wissest, wie ich Dich liebe; denn oft zweifelst Du an mir und manchmal zweifelst Du an Dir selbst. In der Liebe sollte kein Zweifel sein. Die Liebe ist von Anfang und wird bleiben bis ans Ende, ja über das Ende hinaus. Die Liebe ist ewig, ist so groß, so völlig, daß dieses unser irdisch Leben nur ist wie ein kurzer Augenblick, wie ein Halt auf unserer Reise von einem Weitstem zum andern auf dem endlosen Pfade der Herr­ lichkeit, den wir mit einander wallen sollen, — es ist nichts, dieses unser Leben. Ehe es uns lange erscheinen wird, daß wir einander lieben, wird diese Erde, aus der wir stehen, werden diese Dinge, die wir berühren, diese unsere Gestalten, die uns so stark und schön dünken, vergefien und in ihre Elemente aufgelöst sein, in der spur­ losen und unentdeckbaren Wüste sterblicher Vergangenheit,

29 während wir selbst immer jung und immer schön ewig in unsterblicher Liebe leben werden."

Nehuschta

blickte staunend in

die Augen ihres Ge­

liebten, dann ließ sie ihr Haupt aus seiner Schulter ruhen.

Der hohe Flug seiner Gedanken schien immer den Himmel selbst erstürmen und sie mit sich fort in ein wunderbares

Reich verborgener Schönheit und seltsamen Geisteslebens reißen zu wollen.

Sie war für einen Augenblick bestürzt,

dann sprach auch sie auf ihre Weise. „Ich liebe das Leben", sagte sie, „ich liebe Dich, weil Du lebst, nicht weil Du ein für eine Zeit gebundener und gefesselter Geist bist.

Ich liebe diese holde süße Erde, ihr

Frühlicht und ihre Abenddämmerung; ich liebe die Sonne

mit ihrem Ausgang und Untergang; ich liebe den Mond, wenn er voll ist und wenn er abnimmt, ich liebe den Dust

des Buchsbaums und der Myrthe, der Rosen und der Veilchen; ich liebe das herrliche Licht des Tages, den Glanz der Hitze und des Grüns,

den Gesang der Bögel

in den Lüften und der Arbeiter auf dem Felde, das Surren der Heuschrecken und das sanfte Summen der Bienen, ich

liebe das Leuchten des Goldes und den reichen Schimmer des

feinen Purpurs,

das

Stampfen Deiner prächtigen

Wachen und den Klang ihrer Posaunen am ftischen Mor­ gen, wenn sie durch die Marmorhöfe des Palastes schreiten.

Ich liebe die Dämmerung der Nacht in ihrer Weichheit,

den Gesang der Nachtigall im weißen Mondschein, das Rauschen des Windes in den Rosenhecken, und.den Duft der schlummernden Blumen in meinem Garten, ich liebe

sogar das Geschrei der Eule vom Thurm des Propheten,

und das dumpfe sanfte Geräusch des Flügelschlags der Fledermaus, wenn sie am Netzwerk meines Fensters vorüberhuscht.

Ich liebe das alles, denn die ganze Erde ist

30 reich und jung und gut anzusühlen und herrlich darauf zu .

leben. Und ich liebe Dich, weil Du schöner bist als an­ dere Männer, schöner und stärker und tapferer, und weil Du mich liebst, und keinen andern willst mich lieben lassen, ob Du auch darum sterben solltest.

Ach, mein Geliebter,

ich wollte ich hätte all die holden Stimmen der Erde, all die süßen Zungen in der Luft, auf

daß ich Dir sagen

könnte, wie ich Dich liebe." „Dir fehlt es nicht an Süße, noch an Beredsamkeit,

meine Fürstin", sagte Zoroaster,

es bedarf keiner Holdern

Stimme als Deiner eigenen und keiner süßern Zunge. Du liebst aus Deine Weise, ich auf meine; beide zusammen müssen wohl ein vollkommenes Ganzes bilden.

nicht also? Mal — so!

Ist es

Ja, besiegle das noch ein Mal und noch ein

„Liebe ist stärker als der Tod,

sagt unser

Prediger."

„Und Eifersucht ist grausam wie das Grab, sagt er auch", setzte Nehuschta hinzu und ihre Augen sprühten Feuer, als ihre Lippen den seinen begegneten.

„Du mußt

mich niemals eifersüchtig machen, Zoroaster; niemals! nie­ mals! Ich würde so grausam sein — Du ahnst nicht, wie

grausam ich sein würde." Zoroaster lachte in seinen weichen Bart, — ein frohes,

inniges, schallendes Gelächter, das die Stille der Mond­ nacht unterbrach. „Beim Nabon und Bel, Du hast wenig Grund zur Eifersucht", sagte er.

„Schwöre nicht bei Deinen falschen Göttern!" lachte Nehuschta; „Du weißt nicht, wie wenig dazu gehörte, mich

aufzubringen." „Auch nicht dies Wenige will ich Dir geben", er­ widerte der Perser.

„Und was die falschen Götter angeht,

31 Io find sie heutzutage gut genug, um bei ihnen zu schwören. Aber ich wiü bei allem schwören und bei jedem, wie Du mir gebietest." „Schwöre nicht, sonst sagst Du wieder,

daß der Eid

besiegelt werden muß", versetzte Nehuschta und zog ihren Mantel um sich,

„Sage mir,

so daß ihr Gesicht halb verdeckt wurde.

wann werden. wir unsere Reise antreten?

Wir haben viel gesprochen und wenig gesagt, wie gewöhn­ lich. 'Sollen wir sofort abreisen oder noch einen anderen Ist Darius sicher auf seinem Throne?

Befehl abwarten?

Wer wird der Erste am Hofe sein — vermuthlich einer von den sieben Fürsten, oder sein alter Vater? Nun sage doch,

was

Du von

weißt

all

Warum hast Du mir nie erzählt,

diesen

Veränderungen?

was geschehen würde,

da Du doch groß an Macht bist und alles weißt? „Deine Fragen

umschwirren mich, wie Tauben ein

Mädchen, das sie aus der Hand füttert", sagte Zoroaster lächelnd, „und ich weiß nicht, welche ich zuerst befriedigen

soll.

Was den König angcht, so weiß ich,

daß er groß

sein und sich sicher auf dem Throne behaupten wird, denn

schon ist sein die Liebe des Volkes, vom Westmeer bis zu

den wilden Bergen im Osten.

Aber es schien, als wollten

die sieben Fürsten das Reich unter sich theilen, ehe diese letzte Nachricht kam. Er wird wahrscheinlich lieber einen aus Deinem Volk zu seinem Vertrauten erwählen, als den Fürsten trauen.

Was unsere Reise angeht, so

müssen

wir zeitig aufbrechen, sonst geht der König vor uns von

Susa nach Stakhar im Süden, wo er, wie man sagt, sich ein Königshaus erbauen und den nächsten Winter daselbst Deshalb mache Dich zur Reise bereit, o Fürstin, auf daß nichts vergessen werde und cs Dir nie­

zubringen will.

mals an etwas fehle, deß Du bedarfst."

32 „Mir fehlt nie, was ich bedarf", sagte Nehuschta, halb aus Stolz, halb im Scherz. „Auch mir nicht, wenn ich bei meiner Geliebten bin!" erwiderte der Perser. „Und jetzt steht der Mond hoch am Himmel, und ich muß diese Kunde unserem Meister, dem Propheten, überbringen." „So bald?" sagte Nehuschta vorwurfsvoll und wandte ihr Haupt ab. „Ich wünsche, es gäbe kein Scheiden, meine Geliebte, auch nicht für eine Stunde", antwortete Zoroaster und zog sic zärtlich an sich; aber sie widerstrebte ein wenig und wollte ihn nicht ansehen. „Lebe denn wohl, gute Nacht, meine Fürstin — Du Licht meiner Seele!" er küßte leidenschaftlich ihre dunkle Wange. „Gute Nacht!" Schnell schritt er über die Terraffe. „Zoroaster! Fürst!" rief Nehuschta laut, aber ohne sich umzuwenden. Er kam zurück. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn mit glühender Leidenschaft; dann schob sie ihn sanft von sich fort. „Gehe, mein Geliebter — nur das!" flüsterte sie und er ließ sie an der Marmorbrüstung stehen, während der goldene Mond allmälig erbleichte, als er am Himmel em­ porstieg und der Gesang der einsamen Nachtigall in der stillen Nacht von den Gärten zu den Thürmen in lang­ gedehnten süßen Rusen glühender Liebe und sanften kla­ genden Silbertönen aus Schmerz und Freude gemischt emporklang.

33

Drittes Kapitel. Auch in des Propheten Zimmer fielen die Strahlen des Mondes auf den Marmorboden; aber eine ebräische Bronzelampe mit fieben Flammen verbreitete ein wärmeres,

sanft gedämpftes Licht rings umher,

hell genug,

um die

beleuchten, welche offen auf des Greises Seine Stirn war gerunzelt und die Falten

Schriftrolle zu

Knieen lag.

auf seinem Gesicht tief beschattet durch das von oben her­ abfallende Licht, wie er so dasaß auf viele Kiffen gestützt

und gehüllt in seinen dick mit Pelz gefütterten Purpur­ mantel, den er bis über seinen schneeweißen Bart zu­ sammengezogen hatte; denn die Jahre seines Lebens waren

beinahe vollendet, und die Wärme seines Körpers war schon im Entfliehen.

Zoroaster hob den schweren gewirkten Vorhang,

der

die niedrige viereckige Thür bedeckte und trat hinein und

neigte sich vor dem Lehrer seiner Jugend und dem Freunde seines Mannesalters. Der Prophet sah ihn scharf an und ein Lächeln flog über seine ernsten Züge, während sein Auge auf dem jungen Krieger in seiner prächtigen Rüstung weilte;

Zoroaster hielt den Helm in der Hand, und sein blondes Haar umwallte ihn bis zu den Schultern wie ein Heiligen­

schein und verwob sich mit dem seidenweichen Bart auf seinem Brustschilde. Seine dunkelblauen Augen begegneten furchtlos denen seines Meisters. „Gegrüßet seiest Du! lebe immerdar, Herrn!" sprach er zum Gruße.

und bedeutungsvolle Kunde.

Erwählter des

„Ich bringe gar wichtige

Wenn es Dir also gefällt,

will ich sprechen, wenn nicht so werde ich zu anderer Zeit wiederkehren." Crawford, Zoroaster.

3

34 „Sehe Dich nieder zu meiner Rechten, Zoroaster, und sage mir alles,

was Du zu sagen hast.

Bist Du. nicht

mein geliebter Sohn, den mir der Herr zum Trost gegeben hat in meinem Alter?" „Ich bin Dein Knecht und der Knecht Deines Hauses, mein

Vater",

erwiderte

Zoroaster

und

setzte

sich

auf

einen geschnitzten Stuhl in geringer Entfernung von dem

Propheten. „Sprich, mein Sohn, was bringst Du für Kunde?" „Es ist ein Bote gekommen, eilends von Susa, Bot­

schaft bringt er und Briefe.

Die sieben Fürsten haben

Smerdis in seinem Hause erschlagen und haben Darius, den Sohn Gushtap's, zum König erwählt." „Gelobet sei der Herr,

der einen Gerechten erkoren

hat!" rief der Prophet andächtig.

„So möge denn Gutes

kommen aus Bösem, und Heil aus Blutvergießen."

„So sei es, mein Meister", versetzte Zoroaster.

„Es

stehet auch geschrieben, daß Darius — möge er ewig leben!

— sich festsetzen wird auf dem Thron der Meder und Perser.

Es sind Briefe gekommen durch die Hand desselben Boten, gesiegelt mit dem Petschaft des großen Königs, darin wird

mir geheißen, das Geschlecht Jehojakims, der einst König war von Juda, unverzüglich nach Susa zu bringen,

auf

daß der König ihnen Ehre erweise, wie es sich gebührt; allein was für Ehre er ihnen erweisen will, das weiß ich nicht."

„Was sagest Du da?"

fragte Daniel und erhob sich

von seiner liegenden Stellung und heftete seine dunkeln Augen

auf Zoroaster.

„Will der König mir die Kinder

meines Alters hinwegnehmen?

Bist Du nicht wie mein

Sohn? Und ist nicht Nehuschta wie meine Tochter? Was die Uebrigen angeht, so mögen sie meinetwegen ziehen.

35

Aber Nehuschta ist mein Augapfel! Sie ist wie eine schöne Blume in der Einöde meines Alters erblühet! Was ist dies, das der König mir thun will? Wohin will er sie von mir wegführen?" „Mein Herr erschrecke nicht!" sagte Zoroaster eindring­ lich, denn ihn ergriff die plötzliche Betrübniß des Propheten. „Mein Herr betrübe sich nicht! Es ist nur um ein Kleines, nur für wenige Wochen, und dann werden die Deinen wieder bei Dir sein und ich mit ihnen." „Ueber ein Kleines, wenige Wochen! Was ist Dir eine Spanne Zeit, mein Kind, oder eine Woche, daß Du Dich darum bekümmern solltest. Aber ich bin alt und wohlbetaget. Es kann geschehen, wenn Du jetzt meine Tochter Nehuschta von mir nimmst, daß ich ihr Antlitz nimmermehr wieder sehe und auch Deines nicht, ehe ich dahingehe und nie wiederkehre. Siehe, Du bist jung, aber ich bin jetzt bald hundert Jahre alt." „Dennoch, wenn es der Wille des Großen Königs ist, muß ich dies vollbringen", antwortete der junge Mann. „Aber ich schwöre bei Deinem Haupte und bei meinem, daß der jungen Fürstin kein Leides geschehen soll; und wenn ihr ein Uebel zustoßen sollte, so thue der Herr mir dies und das. Siehe, ich habe geschworen, und nun sei mein Herr nicht länger betrübt." Aber der Prophet neigte sein Haupt und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er war alt und kinderlos; Zoroaster und Nehuschta waren ihm wie eigne Kinder und er liebte sie von ganzer Seele. Ueberdies kannte er den persischen Hof, und er wußte wohl, wenn sie erst ein­ mal von dem Wirbel und Strudel seiner Umtriebe und seines ruhelosen Lebens erfaßt wären, würden sie nicht nach Ecbatana zurückkehren, oder wenn sie wiederkämen, 3*

36 würden sie sich verändert haben und ihm nicht mehr die­ selben sein. Bitterlich war er betrübt und bekümmert bei dem Gedanken an eine solche Trennung, und in der hei­ ligen Einfalt seiner Größe schämte er sich nicht, Thränen

um sie zu weinen. Selbst Zoroaster, in dem Stolze seiner herrlichen'Jugend, ward vom Schmerz ergriffen bei dem Gedanken, den Weisen zu verlaffen, der ihm dreißig Jahr lang ein Vater gewesen war.

getrennt gewesen,

Er war noch nie von Daniel

ausgenommen einige Monate während

der Kriege des Kambyses; im Alter von sechsundzwanzig Jahren war er zu dem hohen Amte des Hauptmanns der

Festung Ecbatana ernannt worden, und seit der Zeit hatte er im innigsten Verkehr mit seinem Meister, dem Pro­ pheten, gelebt. Zoroaster war durch die Macht der Verhältniffe ein Krieger geworden, und er trug sein prächtiges Gewaffen

mit unvergleichlichem Anstande,

zwei Dinge aber gab es,

die ihm über seinen kriegerischen Beruf gingen und diesen an Wichtigkeit in seinen Augen weit übertrafen. Seit seiner frühesten Jugend war er der Schüler Daniels gewesen und dieser hatte ihm seine eigne Liebe zu der verborgenen Weisheit eingeflößt, welcher der Prophet in so hohem Maße seine außerordentlichen Erfolge im Dienste der assyrischen und persischen Herrscher verdankte. Durch

das Erlernen der Kunst folgerecht zu denken und

durch die tiefgehenden mathematischen Kenntnisse der chaldäischen Sternkundigen war der dichterische Geist des Knaben

so daß er die höchsten Dinge leicht begriff und von Anfang an eine Fähigkeit und Klarheit zeigte, welche seinen Meister entzückte. Durch entwickelt und gestärkt worden,

ein Leben strengster Enthaltsamkeit, zu unmittelbarer An­ schauung und Erkenntniß, zum Verständniß der Natur-

37 gesetze,

die den Sinnen allein nicht faßlich sind,

und zu

der Verschmelzung der Seele und der höhern Geisteskräfte mit dem Einen allumfaffenden göttlichen Wesen zu ge­

langen: das war der Endzweck des Ziels, welches David seinem willigen Schüler vorsteckte. Schon von Natur war der edle Jüngling sinnlichem Genuffe abhold, er ver­ achtete ihn und sehnte sich beständig danach ein Ideal zu verwirklichen,

in dem erhabene

Erkenntniß überirdischer

Dinge einen hohen Heldenmuth in irdischen Dingen zum

Vollbringen großer Thaten leiten sollte. Jahr für Jahr wuchs der junge Perser in der glän­ zenden Umgebung des Hofes auf, vor allen andern seines

Alters ausgezeichnet durch Muth und unerschrockne Auf­ richtigkeit, durch wunderbare Schönheit und tiefes Ver­ ständniß aller Dinge, großer wie kleiner, die in das Be­ reich seiner Thätigkeit kamen; am merkwürdigsten an ihm war vielleicht die Thatsache,

daß er sich nichts aus dem

Umgang mit Frauen machte und, so viel man wußte, nie ein Weib geliebt hatte.

Er war ein Günstling des Cyrus

gewesen, und selbst des in schnöde Laster versunkenen Kam-

byses, der von Schmeichlern, Kupplern und Magiern um­ geben war, erkannte von dem Augenblick an, als er seinen Bruder, den wahren Smerdis, beargwöhnte nach dem Throne zu streben, die außerordentlichen Verdienste und Gaben des jungen Edeln an, und beförderte ihn zu seiner hohen Stellung in Ecbatana zu derselben Zeit, da er

Daniel gestattete,

sich

den hohen Thurm in der alten

Festung zu erbauen.

daß

Der sittenlose König mochte begreifen, die Anwesenheit solcher Männer, wie Daniel und

Zoroaster für ein entlegenes Gebiet, wo Gerechtigkeit und

Mäßigung einen wohlthuenden Einfluß aus die Bevölke­

rung ausüben konnten, von größer« Vortheil sein würde,

38 als in seiner unmittelbaren Umgebung,

wo die Reinheit und Mäßigkeit ihrer Lebensweise in zu starkem Gegensatze

zu dem unwürdigen Schauspiel stehen mußten, welches seine Laster dem Hofe gaben.

Hier in der großartigen Stille eines königlichen Pa­ lastes hatte der Prophet sich gänzlich der Betrachtung jener

Dinge hingegeben, welche sein Leben lang seine Muße in

Anspruch genommen, und deren Kenntniß ihn so unmittel­ bar auf seiner merkwürdigen Laufbahn gefördert hatte; und in den vielen Freistunden, welche sein Amt dem Zoroaster

vergönnte, suchte Daniel den Geist des Krieger-Philosophen zu seiner höchsten Entwicklung und Vervollkommnung zu bringen. Thurm,

Der Prophet lebte ganz und gar

in seinem

außer wenn er sich in seltenen Fällen in den

Garten tragen ließ, daher wußte er wenig von dem, was im Palaste vorging und wunderte sich manchmal darüber, daß sein Schüler zerstreut war, und daß seine Worte mit­ unter ein lebhafteres Interesse für seine Zukunft und die möglichen Wendungen in seiner kriegerischen Laufbahn ver­ riethen, als das vordem der Fall gewesen war.

Denn ein neues Element war in Zoroasters Gedanken­

welt eingetreten. Jahre lang hatte er das liebliche Kind Nehüschta auswachsen sehen. Als ein Jüngling von zwanzig Sommern hatte er sie auf seinen Knieen geschaukelt; später

hatte er sie unterrichtet und mit ihr gespielt und aus dem kleinen Kinde ein schlankes Mädchen werden sehen, hochmüthig und königlich in ihrem Wesen,

ihre Gespielen be­

herrschend, wie eine kleine Löwin eine Heerde zahmerer Ge­ schöpfe beherrschen könnte; und endlich hatte das sechzehnte

Jahr ihr die Blüthe frühzeitiger südlicher Jungfräulichkeit

gebracht, und als Zoroaster an einem Sommertage mit ihr unter den Rosen des Gartens scherzte, hatte er gefühlt,

39 wie ihm das Herz hoch und höher schlug, und wie seine Wange heiß und kalt wurde bei dem Ton ihrer Stimme und der Berührung ihrer weichen Hand. Er, der so viel Menschenkenntniß besaß, so lange am Hofe gelebt und die menschliche Natur in all ihren Phasen gründlich beobachtet hatte, da wo sie allzeit zügellose Ge­ walt hatte, er wußte, was er fühlte; und es war ihm als hätte er einen scharfen Stich erhalten, der ihm durch Leib, Herz und Seele ging und seinen Stolz zerschnitte. Tagelang wanderte er unter den Pinien und Rhododen­ dren allein umher und jammerte um den mächtigen philo­ sophischen Bau, den er selbst errichtet hatte, und den nie eines Weibes Fuß betreten sollte, und den eines Weibes Hand, eines Weibes Blick in einem Tage zertrümmert hatte. Sein ganzes Leben schien ihm vernichtet und zerstört, denn er war geworden wie andre Männer und mußte Liebe leiden und sein Herz verzehren, um eines Mädchens holdes Wort. Gern hätte er jede fernere Begegnung mit der jungen Fürstin vermieden, aber als er eines Abends allein auf der Gartenterrasse stand und über die Veränderung in seinem Wesen trauerte, trat sie zu ihm; da sahen sie ein­ ander in die Augen und sahen ein neues Licht darin, und von dem Tage an liebten sie sich heftig, wie nur die reinen Kinder göttlichen Geschlechtes lieben konnten. Aber keines von beiden wagte es, dem Propheten etwas davon zu sagen, noch auch die Andern im Palaste wissen zu lassen, daß sie sich dort auf der mondhellen Terrasse unter den Myrthenbüschen Treue gelobt hätten. Sie fürchteten unwillkürlich, die Kunde von ihrer Liebe könnte einen Sturm des Unwillens in Daniels Brust erregen, bei dem Gedanken, daß sein erkorener Philosoph die Pfade mysti­ scher Weisheit verlassen und durch die Ehe auf gleiche

40 Stufe mit andern Sterblichen herabsinken könnte; und Zoroaster ahnte, wie schmerzlich dem ächten Israeliten der Ge­ danke sein würde, daß eine Tochter und Fürstin Judahs einen Mann ehelichen sollte, der wie edel, treu und weise er auch sein mochte, doch immer ein Fremdling und ein Ungläubiger blieb. Denn obwohl Zoroaster sich mit Herz und Seele dem Studium von Daniels Weisheit hingab, welche dieser von den Chaldäern erlernt, so hatte er sich dennoch die Selbständigkeit des Denkens bewahrt. Er war kein Israelit, noch hegte er den Wunsch jemals einer zu werden, aber er war weder ein Götzenanbeter noch ein Magier, noch ein Anhänger des Gomata, des halbindischen Brahminen, welcher es versucht hatte, sich für Smerdis, Sohn des Cyrus, auszugeben. Einer dieser beiden Gründe hätte hingereicht, der Ver­ bindung ein ernstliches Hinderniß entgegenzustellen; beide zusammen schienen unüberwindlich. Während der Unord­ nung und Verwirrung unter der siebenmonatlichen Regie­ rung des falschen Königs Smerdis wäre es Wahnsinn ge­ wesen, eine Ehe zu schließen und sich auf die Gunst des elenden »nächten Herrschers in Hinsicht aus Stellung und Vermögen zu verlassen; auch hätte sich Nehuschta nicht ver­ mählen und die Würde einer Fürstin von Judah beibe­ halten können ohne die Zustimmung Daniels, der ihr Vor­ mund war und dessen Einfluß in Medien alles und selbst bei Hofe viel galt. Zoroaster war deshalb gezwungen, feine Leidenschaft zu verbergen, so gut er konnte und die Erfüllungen seines heißesten Wunsches von der Zukunft zu erwarten. Unterdessen traf er mit der Fürstin täglich in Gegenwart anderer zusammen und seine Stellung als Oberster der Festung gab ihm auch Gelegenheit, Nehuschta oft in der Einsamkeit der Gärten zu sehen, welche aus-

41 schließlich für sie und die Mitglieder ihres Hauses be­

stimmt waren. Jetzt aber da der Augenblick gekommen schien,

wo

eine Veränderung im Geschick der Liebenden eintreten sollte, fühlten sie sich befangen.

Bis auf einige kurze Fragen und

Antworten hatten sie nicht weiter mit einander über die Reise gesprochen,

denn Nehuschta war so überrascht und

entzückt bei dem Gedanken,

die Herrlichkeiten

des Hofes

von Susa wiederzusehen, dessen sie sich aus ihrer Kindheit

so gut erinnerte, daß sie sich scheute, Zoroaster zu zeigen, wie gern sie Ecbatana verließe, welches ohne ihn ihr nicht viel bester als ein Gefängniß erschienen wäre.

Er seiner­

seits glaubte in der Gunst des Darius die baldige Beseiti­

gung aller Hinderniffe und Verzögerungen zu sehen,

war

aber zu zart und rücksichtsvoll, um Nehuschta plötzlich die Aussicht auf eine nahe Verbindung vorzustellen, die ihm so lebhaft vorschwebte.

Darum aber war sein Herz nicht

minder bewegt, als er den Schmerz des alten Propheten über die Trennung von seiner Pflegetochter sah; und zum

ersten Male in seinem Leben fühlte er sich schuldig, als er

daran dachte, daß Daniel sich um seine Abreise fast ebenso

sehr betrübte wie um Nehuschtas.

Er machte eine Er­

fahrung, wie sie bei Leuten von kalter und gleichmäßiger

Gemüthsart häufig vorkommt, wenn sie mit lebhaftern und

liebevollern Naturen in nahe Berührung gebracht werden, er wurde überwältigt von der Erkenntniß, daß sein alter Meister ihm mehr Liebe und Theilnahme schenkte,

ihm zurückzugeben im Stande war, und undankbar wäre; und

entschlossen war,

als er

daß er folglich

das geheime Bewußtsein,

daß er

die Fürstin auch gegen den Willen des

Propheten und mit Hülfe des Königs zu heirathen, ver­

mehrte noch seinen Seelenschmerz.

42 Das Schweigen dauerte einige Minuten; dann erhob

der Greis plötzlich das Haupt,

lehnte sich in die Kiffen

zurück und sah seinen Gefährten ins Gesicht. „Und Du fühlst keinen Schmerz,

kein Bedauern?"

fragte er traurig. . „Nein, mein Herr thut mir unrecht", sagte Zoroaster

und zog

in seiner Verlegenheit

die Brauen zusammen.

„Ich wäre ja undankbar, wenn es mir nicht leid thäte, Dich auch nur für einen Tag zu verlassen. Aber mein

diese Trennung wird nicht lange

Herr sei gutes Muthes;

währen und ehe die Heerden vom Zagros heimkehren, um

für den Winter Schutz zu suchen,

werden wir wieder bei

Dir sein." „Schwöre mir also, daß Du vor dem Winter zurück­

kehren willst", sagte der Prophet halb unwillig. entgegnete

Zoroaster.

„Siehe ich bin in des großen Königs Hand.

Ich kann

„Ich

kann

nicht

schwören",

nicht schwören." „Sage lieber Du stehest in der Hand des Herrn und darum kannst Du nicht schwören. Denn wahrlich, ich sage Dir, Du wirst nicht zurückkehren und ich werde Dein An­

Der Winter kommt und

gesicht nicht wiedersehen.

die

Vögel der Luft fliegen nach Süden, und ich bleibe allein

im Lande voll Schnee und Frost, und der Frühling kehrt

wieder und ich bin noch immer allein, und meine Stunde ist nahe herbeigekommen; denn Du kommst nicht wieder und meine Tochter Nehuschta nicht, und auch keiner meines

Geschlechts.

Und siehe,

ich

werde einsam in die Grube

fahren!" Das gelbe Licht der Hängelampe schien dem Greise in die Augen und in ihnen glühte ein düstres Feuer.

Gesicht war gefurcht und abgezehrt,

Sein

und alle Falten und

43 Runzeln, welche die Kämpfe seiner hundert Jahre in seinem Antlitz gezogen hatten, traten düster und rauh und furcht­ bar in ihrer Kraft hervor. Zoroaster schauderte, als er ihn ansah, und ob er wohl sprechen wollte, verschloß ehr­ furchtsvolle Scheu ihm den Mund. „Ziehe hin mein Sohn", rief der Prophet mit tiefer Stimme, und während er sprach, richtete er langsam den Oberkörper in die Höhe, bis er steif und aufrecht dasaß, und streckte seine alten abgemagerten Hände nach dem jungen Krieger aus. „Ziehe hin und thue, was Deines Amtes ist, denn Du bist in der Hand des Herrn, und manches, was Du thust, wird gut sein, und manches vom Uebel. Denn Du bist abgewichen von dem krystallhellen Pfade, der zu den Sternen führt, und Du bist herabge­ fallen von der Leiter, auf welcher die Engel empor und zur Erde herniedersteigen, und Du trachtest nach des Weibes Liebe, die keinen Bestand hat. Und für eine Weile wirst Du irre gehen und viel leiden müssen; und nach einer Weile wirst Du auf den rechten Weg zurückkehren, und wiederum nach einer Weile wirst Du in Deinen eignen Gedanken zu Grunde gehen, denn Du hast nicht die Finsterniß vom Licht, noch das Gute vom Bösen unter­ schieden. Durch ein Weib wirst Du irre gehen, und von einem Weibe wirst Du wieder umkehren, aber Du sollst nicht umkommen. Denn es ist Gutes in Dir, und das soll bestehen, und auch Dein Name, von Geschlecht zu Ge­ schlecht, und ob auch das Böse, das in Dir ist, Dich zu Grunde richten wird, so soll doch am Ende Deine Seele leben!" Zoroaster barg sein Gesicht in den Händen, über­ wältigt durch die Majestät des mächtigen Propheten und das Furchtbare seiner Worte.

44 „Stehe auf und ziehe dahin, denn die Hand des Herrn ist über Dir und Niemand kann hindern, was Du thust. Du sollst die Sonne anschauen und Dich ihrer freuen, und wiederum sollst Du ausschauen, und das Licht des Tages wird Dunkelheit sein. Du sollst Dich rühmen Deiner Kraft und Deiner Stärke im Kampf, daß Keiner Dir gleich sei, und dann sollst Du Deinen Ruhm von Dir werfen und sagen: „Auch dies ist eitel!" Der König hat seine Lust an Dir, und Du wirst vor der Königin stehen in goldner Rüstung und köstlichen Gewändern; und das Ende ist nahe, denn auf Dir ruhet die Hand des Herrn. Wenn der Herr durch Dich große Dinge thun will, was gehet es mich an? Ziehe schnell aus und raste nicht am Wege, daß das Weib Dich nicht versuche und Du umkommest. Ich aber, siehe, ich fahre auch dahin, doch nicht mit Dir, sondern Dir voran. Siehe, daß Du mir folgest, — denn ich fahre dahin. Wahrlich ich schaue schon jetzt das Licht in der Finsterniß dieser Welt, und die Herrlichkeit der himmlischen Heerschaaren ist über mir, laut frohlockend in der Majestät des Lichtes." Zoroaster blickte empor, sank zu Boden auf seine Knie zu Daniels Füßen, voll Staunen und Bewunderung, und sein schwerer Helm rollte klirrend über den Marmorboden. Der Prophet stand aufrecht, wie eine Rieseneiche und streckte seine welken Hände gen Himmel; die Fluch seines schnee­ weißen Haares und Bartes umwallte ihn bis zum Gürtel. Sein Gesicht leuchtete wunderbar wie von innerm Licht erhellt, und seine dunkeln emporgehobenen Augen schienen den Glanz des offnen Himmels in sich einzusaugen. Seine Stimme erklang wieder mit der Kraft der Jugend, und seine ganze Gestalt war wie mit der Herrlichkeit einer an­ dern Welt überkleidet. Wiederum hub er an und sprach:

45 „Siehe,

die Stimme der Ewigkeit spricht aus mir,

und der Herr mein Gott hat mich ausgenommen. Tage gehen zu Ende.

Meine

Ich werde ausgenommen und werde

nicht mehr niedergeworfen werden. Die Erde schwindet und die Herrlichkeit des Herrn ist erschienen, welche währet in alle Ewigkeit."

„Der Herr kommt!

Er kommt bald!

In Seiner

rechten Hand ist die Zeit und die Tage und die Nächte sind unter seinen Füßen. sind

Die Schaaren der Cherubim

um Ihn und schrecklich

sind

die Heerschaaren der

Seraphim. Die Sterne des Himmels erzittern, und die Stimme ihres Seufzens ist wie die Stimme der äußersten Furcht.

Das Gewölbe des Sternenhimmels ist zerschmettert

wie ein zerbrochener Bogen, und der Vorhang des Himmels ist in Stücke zerrissen, wie ein Schleier im Sturm. Die Sonne und der Mond schreien laut, und das Meer brüllet fürchterlich vor dem Herrn." „Die Völker find dahin, wie die Asche eines Feuers,

erloschen ist; und die Fürsten der Erde find nicht mehr. Er hat die Erde in einem Mörser zerstoßen und das

den Staub über den Himmel zerstreuet.

Die Sterne in

ihrer Herrlichkeit hat Er in Stücke zermalmt, und

die

Grundvesten der Zeit in feinen Staub.

ihnen übrig

geblieben

und

Es ist nichts von ihre Stimmen find verhallt.

Es schweben trübe Gestalten in den Schrecknissen des leeren Raumes."

„Aber im Norden gehet ein herrlicher Glanz auf voll Klarheit und der Odem des Herrn bläst allem lebendiges Leben ein. Der Ausgang aus der Höhe ist erschienen, und

es werden wieder Stunden und Jahreszeiten sein, und die Majestät Gottes ist geoffenbart in fichtbarer Gestalt.

dem Staub der Erde ist

Aus

die Erde neu geschaffen und

46 aus den Strahlen Seiner Herrlichkeit macht er neue Ge­ stirne." „Lobet den Herrn mit lauter Stimme, alles was Odem hat, lobe den Herrn! Jauchzet Ihm und finget dem Herrn ein neues Lied. Lobet den Herrn, denn in Ihm ist das Leben, und in Ihm leben und weben alle Dinge! Lobet Ihn und preiset Ihn, der aufgefahren ist auf den Flügeln der Morgenröthe; mit dessen Odem die Sterne athmen, von dessen Glanz das Firmament leuchtet! Lobet Ihn, der die Räder der Himmelskreise rollen lässet in ihrem Lauf, der die Blüthen erwachen lässet im Frühling, und die kleinen Blumen des Feldes süßen Duft verbreiten! Lobet Ihn Winter und Sommer, lobet Ihn Frost und Hitze! Lobet Ihn, alle leuchtende Sterne des Himmels! Lobet Ihn, alle Völker auf Erden! Lob und Preis und Ehre sei Ihm, dem Höchsten, Jehovah, der da sitzet auf Seinem Throne von Ewigkeit zu Ewigkeit.-------- “ Des Propheten Stimme erklang mit mächtiger Gewalt und majestätischer Klarheit, als er die letzten Worte sprach. Mit emporgehobenen Armen stand er noch einen Augen­ blick unbeweglich da, sein Gesicht strahlte in überirdischem Glanz. So staub er da einen Augenblick, und dann sank er zurück, starr und steif, ausgestreckt auf die Kiffen am Boden — todt! Zoroaster sprang auf voll Schreck und Entsetzen, und stand da und schaute den Leib seines Meisters und Freun­ des an, wie er steif und starr im gelben Lichte der Hänge­ lampe dalag. Dann sprang er plötzlich herzu und kniete nieder neben dem edlen bleichen Haupte, das so erhabm aussah im Tode. Er ergriff die eine Hand und rieb sie und lauschte auf das Klopfen des Herzens, das nicht mehr fchlug, und forschte nach dem letzten Athemzuge des schwin-

47 -enden Lebens. Allein umsonst! und dort im Thurmgemach sank der junge Krieger auf sein Angesicht nieder und

weinte allein neben dem großen Todten.

Viertes Kapitel.

Also starb Daniel; und sieben Tage lang saßen die Weiber am Boden und klagten um ihn, während die Männer seinen Leib salbten und bereiteten zum Begräbniß. Sie wickelten ihn in feine Leinwand und salbten ihn mit köstlichem Balsam und Spezereien aus dem Vorrathshause des Palastes. Rings um den Leichnam verbrannten sie Weihrauch und Myrrhen und Ambra, und das Harz des indischen Benzoe und der persischen Tanne und große Kerzen von roinem Wachs; denn all die sieben Tage lang hielten die Leidtragenden aus der Stadt eine große Klage und hörten nicht auf, das Lob des Propheten zu singen, und laut zu jammern bei Tage wie bei Nacht, daß der beste und würdigste und größte der Menschen gestorben sei. So wachten sie und klagten und sangen seine großen Thaten. Und in dem untern Zimmer des Thurms saßen die Weiber am Boden, Nehuschta in ihrer Mitte, und klagten laut, fasteten und trauerten in Sack und Asche. Nehuschtas Gesicht ward blaß und mager und ihre Lippen wurden bleich in dieser Zeit und sie ließ ihr reiches Haar ungeordnet herabhängen. Viele der Männer schoren ihr Haupt und gingen barfuß, und die Festung und die Pa­ läste waren voll vom Schall des Jammers und der Klage. Auch die Ebräer, welche dort waren, klagten um ihr Ober­ haupt, und die beiden Leviten saßen neben dem Todten und lasen lange Kapitel aus der Heiligen Schrift. Die Meder betrauerten ihren großen und gerechten Oberherrn,

47 -enden Lebens. Allein umsonst! und dort im Thurmgemach sank der junge Krieger auf sein Angesicht nieder und

weinte allein neben dem großen Todten.

Viertes Kapitel.

Also starb Daniel; und sieben Tage lang saßen die Weiber am Boden und klagten um ihn, während die Männer seinen Leib salbten und bereiteten zum Begräbniß. Sie wickelten ihn in feine Leinwand und salbten ihn mit köstlichem Balsam und Spezereien aus dem Vorrathshause des Palastes. Rings um den Leichnam verbrannten sie Weihrauch und Myrrhen und Ambra, und das Harz des indischen Benzoe und der persischen Tanne und große Kerzen von roinem Wachs; denn all die sieben Tage lang hielten die Leidtragenden aus der Stadt eine große Klage und hörten nicht auf, das Lob des Propheten zu singen, und laut zu jammern bei Tage wie bei Nacht, daß der beste und würdigste und größte der Menschen gestorben sei. So wachten sie und klagten und sangen seine großen Thaten. Und in dem untern Zimmer des Thurms saßen die Weiber am Boden, Nehuschta in ihrer Mitte, und klagten laut, fasteten und trauerten in Sack und Asche. Nehuschtas Gesicht ward blaß und mager und ihre Lippen wurden bleich in dieser Zeit und sie ließ ihr reiches Haar ungeordnet herabhängen. Viele der Männer schoren ihr Haupt und gingen barfuß, und die Festung und die Pa­ läste waren voll vom Schall des Jammers und der Klage. Auch die Ebräer, welche dort waren, klagten um ihr Ober­ haupt, und die beiden Leviten saßen neben dem Todten und lasen lange Kapitel aus der Heiligen Schrift. Die Meder betrauerten ihren großen und gerechten Oberherrn,

48 unter dem Namen Beltaschazzar, welchen Nebukadnezar zu­ erst dem Daniel gegeben, und aus der ganzen Stadt er­ scholl laut die Stimme des Weinens und der Trauer, wie der gewaltige Jammer eines Volkes, bis zu den Ohren Derer, die da wohnten in der Festung und im Palast. Am achten Tage begruben sie ihn, mit Pracht und Herrlichkeit, in einer Gruft im Garten, welche sie während der Klagewoche gebaut hatten. Die beiden Leviten und ein junger Ebräer und Zoroaster selbst in Sacktuch gehüllt und mit bloßen Füßen, legten den Leichnam des Propheten auf eine Bahre und trugen ihn auf ihren Schultern die breite Treppe des Thurms hinab und hinaus in den Garten nach seinem Grabe. Die Klageweiber gingen voran, viele hundert Weiber aus Medien mit aufgelöstem Haar, sie zerriffen ihre Gewänder von Sacktuch und streuten Asche auf den Weg und auf ihre Häupter, bis sie an das Grab kamen; dann umstanden sie es, während die vier Männer ihren Herrn und Meister in den großen schwarzen Marmorsarg legten unter den Pinien und Rhododendren. Und die Pfeifer folgten nach und machten ein schrilles und schreckliches Getön, das klang als ob überirdische

Wesen miteinstimmten in die allgemeine Klage. Und zu beiden Seiten der Bahre gingen die Frauen aus dem Ge­ schlechte des Propheten; aber Nehuschta ging neben Zoro­ aster, und während sich der Leichenzug durch die Myrthengänge der weiten Gärten bewegte, warfen ihre dunkeln müden Augen von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf ihren starken schönen Geliebten. Sein Gesicht war bleich wie der Tod, er schaute ernst vor sich her, und sein wirres Haar und sein goldblonder Bart flatterten wild über das grobe Sacktuch seines langen Gewandes. Aber sein Schritt schwankte nicht, obschon er barfuß über den

49 harten Kies ging, und von dem Augenblick an, da sie den Leichnam aus dem Thurmzimmer hinabtrugen bis zu dem, da sie ihn ins Grab legten, veränderte sich sein Antlitz nicht, auch blickte er weder zur Rechten noch zur Linken. Und als sie nun endlich ihren geliebten Meister an Linnen­ binden in seine letzte Ruhestatt hinabgesenkt hatten, und die Weiber mit Gefäßen voll köstlicher Narde und Weih­ rauch und duftenden Salben hinzutraten, da schaute Zoroaster lang und innig auf das verhüllte Haupt und Thränen strömten über seine Wangen und fielen auf seinen Bart und auf den Marmorsarg; bis er sich endlich schweigend umwandte und hinwegschritt durch die Menge, welche sich vor ihm theilte, — bleich wie der Tod, keines Andern Gruß erwidernd und sich nicht einmal nach Nehuschta umsehend, die an seiner Seite gestanden hatte. Er ging fort und verbarg sich während des übrigen Theils des Tages. Aber am Abend, nach Sonnenuntergang, kam er und stand auf der Terraffe im Dunkel, denn es war kein Mond­ schein. Er trug wieder seine Waffen und seinen Purpur­ mantel, denn er mußte seinen Rundgang durch die Festung machen. Das Licht der Sterne schimmerte matt auf seinen blanken Helm und machte die Züge seines marmorblassen Gesichtes und seinen Bart im Dunkeln sichtbar. Er lehnte mit dem Rücken an die Pfosten des Gebäudes und sah nach den Myrthenbüschen im Garten, denn er wußte, Nehuschta würde zur gewohnten Zusammenkunft kommen. Er wartete lange, endlich aber hörte er einen Schritt auf dem Kiespfade und das Rauschen der Myrthen und' bald konnte er beim matten Sternenschein erkennen, wie ihr weißes Gewand unter dem dunkeln Mantel hervorschimmerte und sich rasch aus ihn zu bewegte. Er sprang ihr entCrawsord, Zoroastrr.

4

50 gegen und wollte sie umfassen, aber sie wehrte ihn ab und sah ihn nicht an, während sie langsam nach vom auf die Terrasse ging. Selbst im Halbdunkel des Sternen­ scheins konnte Zoroaster wahrnehmen, daß etwas sie be­ leidigt hatte, und es war ihm, als legte sich eine kalte Last auf seine Brust und erkältete den liebenden Gruß, der ihm auf die Lippen trat. Zoroaster ging ihr nach und legte ihr die Hand aus die Schulter. Sie duldete es, ohne sich zu regen. „Meine Geliebte", sagte er endlich, während er ver­ geblich versuchte, in ihr abgewendetes Gesicht zu sehen, „hast Du heut Abend kein Wort für mich"? Noch immer antwortete sie nichts. „Hast Du über Deiner Betrübniß unsere Liebe vergeffen"? murmelte er ihr leise ins Ohr. Sie fuhr etwas zurück von ihm und sah ihn an. Selbst im Dunkel konnte er sehen, wie ihre Augen blitzten, als sie erwiderte: „Hatte nicht Dein eigener Kummer Dich heute so vollkommen überwältigt, daß Du mich nicht einmal ansehen wolltest"? fragte sie. „Gönntest Du mir einen Blick in der ganzen langen Stunde, da wir so dicht beisammen waren? Du hattest mich im Uebermaße Deines Schmerzes vergessen".' rief sie empört. „Und jetzt, da der erste Strom Deiner Thränen zu einem kleinen Bächlein geworden ist, hast Du Zeit, an mich zu denken! Ich danke meinem Herrn für die Beachtung, welche er'seiner Magd schenkt; aber ich bedarf deren nicht. Nun, weshalb bist Du hier?" Zoroaster richtete sich zu seiner vollen Höhe auf und faltete langsam die Arme über der Brust; er sah Nehuschta an und sprach ruhig, obschon der dumpfe Klang eines großen und plötzlichen Wehs in seiner Stimme durchtönte.

51 Die Männer kannte er gut genug,

aber wenig wußte er

von den Frauen.

„Es giebt eine Zeit für die Trauer und eine Zeit für

die Freude", sagte er. Zeit für Liebesblicke.

„Eine Zeit für Thränen und eine

Was ich that,

das that ich, weil

es sich nicht ziemt für einen Mann, wenn er tiefen Kummer trägt um einen Todten und wenn er seine Trauer zu zeigen wünscht, indem er dem Ehre erweist,

der ihm wir

ein Vater gewesen, zu gleicher Zeit andere Gedanken in seiner Seele zu hegen, selbst nicht jene Gedanken, die ihm

am theuersten und seinem Herzen am nächsten sind. Darum

sah ich Dich nicht an, als wir unseren Meister begruben, und obwohl ich Dich liebe und stets mit meinem Herzen anschaue, so waren doch meine Augen heute von Dir ab­

gewendet und ich sah Dich nicht.

mir?" „Ich zürne Dir nicht",

Weshalb zürnest Du

sagte Nehuschta,

„doch mich

dünket, Du liebst mich wenig, weil Du Dich so leicht von

mir abwendest."

Sie schlug

die Augen nieder und ihr Da schlang

Gesicht war verborgen in tiefem Schatten.

Zoroaster den Arm um ihren Hals und zog sie an sich, und obschon sie zuerst widerstrebte, lag doch in einem

Augenblick ihr Haupt an seiner Brust.

Dann wollte sie

sich losmachen.

„Nein, laß mich gehen, denn Du liebst mich nicht"! Aber er hielt sie fest. „Nein, Du sollst nicht gehen,

flüsterte sie.

denn ich liebe Dich"!

antwortete er zärtlich. „Ich soll nicht"? rief sie und wendete sich heftig um in seinem Arm. Dann wurde ihre Stimme leise und er­ bebte sanft.

„Sage,

ich will nicht",

murmelte sie und

-ihre Arme umschlangen ihn und drückten ihn leidenschaftlich

4'

52 O mein Geliebter!

an sich.

Warum scheinst Du je so

kalt? so kalt — wenn ich Dich so liebe?" „Ich bin nicht falt", sagte er liebevoll, „und ich liebe Dich mehr, als Worte es sagen können.

gesagt,

Haben wir nicht

daß Du Deine Weise hast und ich die meine?

Wer kann sagen, westen Ton der süßere ist, wenn beide sich in schöner Harmonie vereinen? Nur zweifle nicht, denn der Zweifel ist wie der Tropfen, welcher vom Dach herabfällt aus den Marmor und durch stetes Fallen Furchen

in den Stein höhlt,

den das Meer nicht mürbe machen

könnte." „Zch will nicht mehr zweifeln", sagte Nehuschta rasch;

„nur könntest Du mich nicht manchmal ein wenig auf

meine Weise lieb haben?

Es ist so süß — aus meine

Weise zu lieben!"

„Gewiß, ich will es versuchen, denn es ist sehr süß", antwortete Zoroaster und neigte sich und küßte ihre Lippen.

Weither vom Thurm erschallte- der schwermüthige Ruf einer Eule traurig durch den Garten, und ein feuchter, kalter

Wind erhob sich plötzlich von Osten. Nehuschta schauerte und zog den Mantel fester um sich. „Wir wollen aus der Terraffe auf- und abgehen",

sagte sie.

„Es ist heut Abend kalt, — ist dieses nicht

unser letzter Abend hier?" „Ja, morgen müssen wir fort aus die Reise. ist der letzte Abend."

Es

Nehuschta schmiegte sich inniger an ihren Geliebten,

während sie miteinander auf der Terraffe umherwandelten, und jeder schlang einen Arm um den anderen.

So wan­

delten sie schweigend einige Minuten; wohl beide eingedenk, wie oft sie auf dieser Terraffe zusammengetroffen, seit ihre

Lippen sich zum ersten Male liebend begegnet waren, im

53 weißen Mondlicht des Monats Tammuz, vor mehr als einem Jahr. Endlich sprach Nehuschta: „Kennst Du diesen neuen König?" fragte sie. „Ich sah ihn im vorigen Jahr nur wenige Augenblicke. Er ist jung, aber nicht schön." „Ein junger Fürst mit dem Haupte eines alten Mannes auf den Schultem", versetzte Zoroaster. „Er ist ein Jahr jünger als ich — aber ich möchte nicht seine Schlachten schlagen, und wenn ich es gethan, würde ich nicht Atossa zum Weibe genommen haben." „Atoffa?" wiederholte Nehuschta. „Ja; der König hat sich bereits mit ihr vermählt. Sie war das Weib des Kambyses, und auch des falschen Smerdis, des Magiers, den Darius erschlagen hat." «Ist sie schön? Habe ich sie nicht gesehen?" fragte Nehuschta rasch. „Du mußt sie am Hofe von Susa gesehen haben, ehe wir nach Ecbatana kamen. Sie war damals eben mit Kambyses vermählt worden, allein er bekümmerte sich wenig um sie, denn er war immer übernommen mit Wein­ trinken und Schmausereien. Du aber warst damals noch ein Kind und hieltest Dich meistens bei den Weibern Deines Haushaltes aus; so magst Du sie vielleicht nicht gesehen haben." „Sag' mir, hatte sie nicht blaue Augen und blondes Haar? Hatte sie nicht ein kaltes, grausames Antlitz?" „Ja, es mag sein, daß sie hart aussah. Ich entsinne mich, daß sie blaue Augen hatte. Sie war sehr unglück­ lich; deshalb stand sie den Magiern bei. Kein Wunder, daß sie ihn verrieth!" „Sie that Dir damals leid, nichts wahr?" fragte Nehuschta.

54 „Ja, — sie verdiente Mitleid." „Jetzt wird sie Rache nehmen! Einer Frau mit solchem Gesicht ist die Rache süß." „Dann wird sie kein Mitleid mehr verdienen", sagte Zoroaster mit flüchtigem Lächeln. „Ich Haffe sie"! sagte die Fürstin zwischen den Zähnen. „Sie Haffen? Wie kannst Du eine Frau Haffen, die Du kaum gesehen hast? Und sie hat Dir ja nichts zu Leide gethan." „Ich weiß bestimmt, daß ich sie Haffen werde", ant­ wortete Nehuschta. „Sie ist durchaus nicht schön, — nur kalt und weiß und grausam. Wie konnte der Große König so thöricht sein, sie zu heirathen?" „Möge er leben immerdar! Er heirathet, wen er Lust hat. Aber ich bitte Dich, fange Du nicht damit an, die Königin allzu sehr zu Haffen." „Warum nicht? Was habe ich von der Königin zu hoffen?" fragte die Fürstin. „Bin ich nicht königlichen Geschlechtes, gerade so gut wie sie?" „Das ist wahr", erwiderte Zoroaster, „aber Vorsicht ziemt Fürstinnen so gut wie anderen Leuten." „Wenn Du bei mir bist, würde ich mich selbst nicht vor dem Großen König fürchten", sagte Nehuschta stolz. „Aber Dir zu Gefallen will ich vorsichtig sein. Dennoch bin ich gewiß, ich werde sie Haffen." „Wie es Dir beliebt", sagte er, „wir werden bald sehen, was es für ein Ende nehmen wird, denn morgen müssen wir unsere Reise antreten." „Sie wird drei Wochen dauern, nicht wahr?" fragte Nehuschta. „Ja, es find mindestens einhundert und fünfzig Farsangs. Es würde Dich ermüden, mehr als fieben bis

55 acht an einem Tage zu reisen; ja,

das schon ist viel für

Jeden."

„Wir werden immer beisammen sein, nicht wahr?" fragte die Fürstin.

„Ich werde neben Deiner Sänfte reiten, meine Ge­

liebte!"

sagte Zoroaster.

„Aber es wird für Dich sehr

langweilig sein, und oft wirst Du müde sein. Das Land ist in manchen Gegenden wild, und wir müffen uns aus das verlaffen, was wir zu unserer Bequemlichkeit mitnehmen Schone also die Maulthiere nicht, sondern nimm

können.

alles mit, was Du brauchst."

„Vielleicht kommen wir auch gar nicht zurück"; sagte fie nachdenklich.

Ihr Gefährte schwieg.

„Meinst Du, daß wir je zu­

rückkommen werden?" fragte sie bald wieder. „Ich habe von unserer Rückkehr geträumt!"

versetzte

Zoroaster, „aber ich fürchte, es wird so kommen, wie Du sagst-"

„Warum sagst Du, Du fürchtest es?

Ist es nicht

besser am Hose zu leben, als hier in dieser entlegenen

Festung, so abgeschieden von der Welt, daß wir eben so gut unter den Scythen sein könnten? O, ich sehne mich nach dem Palast in Susa!

Er wird mir jetzt gewiß noch

zehnmal schöner vorkommen als damals, als ich noch ein Kind war." Zoroaster seufzte.

In seinem Herzen wußte er wohl,

daß sie nicht nach Medien zurückkehren würden, und doch

hatte er gehofft, die Fürstin zu heirathen und zum Statt­ halter der Provinz ernannt zu werden und feine junge

Frau heimzuführen in dieses schöne Land, um ein langes Leben in ruhigem Glück zuzubringen. Aber er wußte, es sollte nicht sein; und obschon er sich bemühte, den Eindruck

56 abzuschüttcln,

fühlte er doch in seinem Innern,

daß die

Worte des sterbenden Propheten sein Geschick wahrhaft ver­

Nur hoffte er, es gäbe noch eine Rettung,

kündet hatten.

und die Leidenschaft in seinem Herzen verwarf den Ge­ danken, daß er durch seine Liebe zu Nehuschta irregeleitet

und vom rechten Pfade abgelenkt worden.

Der

kalte Wind

wehte

beständig

aus Osten

und

stöhnte traurig in den Bäumen, kalte Feuchtigkeit mit sich

Der Sommer war noch nicht recht da, und die

bringend.

Rachwehen des Winters machten sich noch von Zeit zu Zeit fühlbar.

Die Liebenden trennten sich; sie nahmen Abschied

von dem vielgeliebten Platz; — Zoroaster mit schweren

Ahnungen kommenden Unheils, Nehuschta mit großer Sehn­ sucht nach dem nächsten Tage, mit dem brennenden Wunsch,

auf dem Wege nach Susa zu sein. Etwas in ihrer Art zu sprechen, hatte Zoroaster wehe gethan.

Ihr Jntereffe am Hose und dem Großen König,

der sonderbare launenhafte Haß, der in ihrer Bmst gegen

Atoffa auszukeimen schien, ihr augenscheinlicher Wunsch an

dem glänzenden Leben der Hauptstadt theilzunehmen — in der That, ihre ganze Art und Weise beunruhigte ihn. Es schien ihm so unerklärlich,

daß sie ihm wegen seines

Benehmens beim Begräbnisse des Propheten zürnen sollte, daß er beinahe dachte, sie hätte nur einen geringen Vor­ wand gesucht, um ihn zu ärgern. Er empfand jene Art von Zweifel, der nie so plötzlich kommt und nie so scharf verwundet,

als wenn man sich seiner

selbst und seiner

Stellung gerade am sichersten fühft. Er ging in seine Gemächer im Palast mit einer Last von Kummer und bösen Ahnungen zurück, die ihm etwas Neues war,

trübniß,

ganz verschieden von der

welche

er

um

aufrichtigen Be­

den Tod seines

Meisters

und

57 Freundes empfunden hatte und noch fühlte. Jenes Un­ glück hatte ihn nicht in seinem Verhältniß zu Nehuschta berührt. Aber jetzt war er enttäuscht. Sie hatte gethan, als ob sie beleidigt wäre, und doch sagte ihm seine Ver­ nunft, daß er recht und natürlich gehandelt hätte. Hätte er, der Träger der Leiche des Propheten, der Oberste der ganzen Festung, der Mann, auf welchen vor allen andern aller Augen gerichtet waren, in einer solchen Stunde mit der Fürstin an seiner Seite Liebesblicke wechseln oder ihr zärtliche Worte zuflüstern können? Es war undenkbar; sie hatte kein Recht, so etwas zu erwarten. Nun aber dachte er daran, daß mit dem nächsten Morgen eine Art von neuem Leben beginnen sollte. Bei­ nahe einen Monat lang sollte er den ganzen Tag neben ihrer Sänfte reiten und Mittags und Abends mit ihr zu Tische sitzen; er sollte über sie wachen und für sie sorgen, und sehen, daß ihre geringsten Bedürfnisse sofort befriedigt würden; tausend kleine Vorkommnisse würden ihm Gelegen­ heit geben, die liebevolle Vertraulichkeit wiederherzustellen, welche so unerwartet erschüttert zu sein schien. Also tröstete er sich mit Hoffnungen auf die Zukunft und versuchte, die Gegenwart zu übersehen; darüber schlief er ein, müde von der Anstrengung und Trauer des Tages. Aber Nehuschta lag die ganze Nacht hindurch auf ihren seidenen Kissen und beobachtete die kleine flackernde Lampe und die seltsamen Schatten, welche sie auf das reiche gemalte Schnitzwerk der Decke warf. Sie schlief wenig, aber wachend träumte sie vom Gold und Glanz von Susa, von der Pracht des jungen Königs und von der glänzenden Schönheit der Atoffa mit den harten kalten Zügen, die sie schon jetzt haßte oder zu Haffen sich vor­ nahm. Der König interessirte sie qm meisten. Sie ver-

58 suchte, sich seine Züge und sein Wesen ins Gedächtniß zu rufen, so wie er ausgesehen hatte, als er vor einem Jahre eine Nacht in der Festung zubrachte. Sie erinnerte sich eines Mannes mit dunkler Stirn, in der Vollkraft der Jugend, mit dichten Augenbrauen und einer Adlernase; sein jugendlicher Bart umgab seine kräftigen Gesichtszüge wie mit einem schwarzen viereckigen Rahmen; sein Antlitz würde plump erschienen sein, wenn nicht seine leuchtenden Augen jeden so furchtlos angeschaut hätten. In der Er­ innerung erschien er ihr als ein kleiner untersetzter Mann, kräftig gebaut wie ein Bluthund, rasch und entschieden in seiner Rede, als ob er erwarte, verstanden zu werden, noch ehe er seine Gedanken ausgesprochen hatte; wie es ihr dünkte, ein Mann von unbeugsamer, heftiger Gemüthsart, unerschütterlich, und tapfer bei der Ausführung seiner Ab­ sichten — in seinem Aeußern ein starker Gegensatz zu ihrem hochgewachsenen schlanken Geliebten. Zoroasters makellose Schönheit war ein beständiges Entzücken für ihre Augen; seine sanfte tiefe Stimme erklang berauschend und leidenschaftlich, wenn er mit ihr sprach, kalt und absicht­ lich herrisch, wenn er mit andern redete. Er bewegte sich mit vollkommner Sicherheit und Entschiedenheit; seine ganze Erscheinung zeugte von hoher Ueberlegenheit und makel­ losem Adel der Seele, er erschien und handelte wie ein Gott, wie ein Wesen aus einer andern Welt, das keinen irdischen Leidenschaften, noch den Versuchungen gewöhn­ licher Sterblicher unterworfen ist. Sie freute sich seiner Vollkommenheit und des geheimen Bewußtseins, daß er nur für sie einfach ein Mann und ganz von der Liebe zu ihr beherrscht sei. Als sie an ihn dachte, fühlte sie sich stolz und glücklich, daß solch ein Mann ihr Geliebter sei und machte sich Vorwürfe, an diesem Abend an seiner Liebe

59 gezweifelt zu haben. Im Grunde hatte sie ja aber nur darüber geklagt, daß er sie vernachlässigt hätte, — und das hatte er wirklich gethan, setzte sie hinzu. Sie grübelte in ihrem Herzen darüber, ob andre an seiner Stelle wohl daffelbe gethan haben würden oder ob diese Fähigkeit, ihre Gegenwart kalt zu übersehen, während er mit ernsten Dingen beschäftigt war, ihren Grund nicht wirklich in einer unbesiegbaren Härte seines Wesens hätte. Aber als sie so dalag, und ihr dunkles Haar über die gelbseidenen Kopfkiffen hinwallte, schweiften ihre Gedanken von ihrem Geliebten fort zu dem neuen Leben, das ihr be­ vorstand, und rasch stieg ein Bild davon in ihrer Phantasie empor. Sie nahm sogar den neben ihr liegenden silbernen Spiegel zur Hand und beschaute sich beim trüben Schein der kleinen Lampe und sagte sich, daß sie schön sei, und daß viele in Susa ihr huldigen würden. Sie freute sich, daß Atoffa blond wäre — das würde einen bessern Gegensatz zu ihrer dunkeln südlichen Schönheit bilden. Gegen Morgen schlief sie ein und träumte von. der erhabenen Gestalt des Propheten, so wie sie ihn auf seinem Tvdtenbette ausgestreckt im obern Thurmzimmer gesehen hatte; ihr war es, als rühtte sich der Todte und öffnete seine glasigen Augen und zeigte auf sie mit seinen Knochenfingem, und spräche zornige Worte voller Vorwürfe. Da erwachte sie in ihrer Angst mit einem Auffchrei, und die Morgendämmerung schien hell und grau durch die offne Thür des, Ganges am Ende ihres Zimmers, wo zwei ihrer Mägde aus der Schwelle schliefen, ihre wcißeik Mäntel über den Kopf gezogen zum Schutz gegen die Kälte. Dann erschallten die Posaunen in lauten langgedehnten rythmischm Tönen durch die Morgenluft, und Nehuschta hörte das Trampeln der Thiere, welche draußen auf dem

60 Hofe zur Reise bereit gemacht wurden, und die Rufe der Treiber und der Knechte.

Schnell erhob sie sich von ihrem

Bette — eine schlanke weißgekleidete Gestalt im Morgen­ licht —, schdb die schweren Vorhänge zur Seite und schaute

durch das Gitterfenster.

Da vergaß sie ihren bösen Traum,

denn ihr Herz schlug hoch auf bei dem Gedanken, daß sie

nun nicht länger in Ecbatana eingeschlossen sein sollte, und daß sie binnen eines Monats in Susa, im Palaste sein würde, wohin ihr Herz sich sehnte.

Fünftes Kapitel.

Die Sonne war dem Untergange nahe,

und schon

wandelte ihr Licht sich zu goldnem Glanz auf der weiten

Ebene von Susa, als der Zug der Reisenden den letzten

Halt Machte. Einige Stadien weiter erhoben sich die bei­ den Hügel oberhalb der Königsstadt wie zwei Tische auf dem, Flachlande, der niedrigere von den Marmorsäulen, den Thürmen und Thürmchen und den glänzenden Archi­ traven des Palastes überragt, und vorn zur Rechten die größere Anhöhe von der dunkeln, mächtigen Festung mit

trotzigen Mauern und Zinnen gekrönt.

Der Halteplatz

war die Stelle, wo der Weg von Ninive, den sie ungefähr auf halbem Wege von Ecbatana eingeschlagen hatten, sich

nahe bei der Brücke mit dem breiten Wege von Babylon

vereinigte.

Eine Zeit lang waren sie dem ruhigen Laufe

des Coaspes gefolgt und darüber hinwegblickend hatten sie

gesehen,

wie die Festung näher zu rücken und über den

Fluß vorzuspringen schien, während der Palasthügel in den

Hintergrund zurückttat.

Die Stadt selbst war natürlich

ihren Blicken gänzlich durch die steilen Berge entzogen,

60 Hofe zur Reise bereit gemacht wurden, und die Rufe der Treiber und der Knechte.

Schnell erhob sie sich von ihrem

Bette — eine schlanke weißgekleidete Gestalt im Morgen­ licht —, schdb die schweren Vorhänge zur Seite und schaute

durch das Gitterfenster.

Da vergaß sie ihren bösen Traum,

denn ihr Herz schlug hoch auf bei dem Gedanken, daß sie

nun nicht länger in Ecbatana eingeschlossen sein sollte, und daß sie binnen eines Monats in Susa, im Palaste sein würde, wohin ihr Herz sich sehnte.

Fünftes Kapitel.

Die Sonne war dem Untergange nahe,

und schon

wandelte ihr Licht sich zu goldnem Glanz auf der weiten

Ebene von Susa, als der Zug der Reisenden den letzten

Halt Machte. Einige Stadien weiter erhoben sich die bei­ den Hügel oberhalb der Königsstadt wie zwei Tische auf dem, Flachlande, der niedrigere von den Marmorsäulen, den Thürmen und Thürmchen und den glänzenden Archi­ traven des Palastes überragt, und vorn zur Rechten die größere Anhöhe von der dunkeln, mächtigen Festung mit

trotzigen Mauern und Zinnen gekrönt.

Der Halteplatz

war die Stelle, wo der Weg von Ninive, den sie ungefähr auf halbem Wege von Ecbatana eingeschlagen hatten, sich

nahe bei der Brücke mit dem breiten Wege von Babylon

vereinigte.

Eine Zeit lang waren sie dem ruhigen Laufe

des Coaspes gefolgt und darüber hinwegblickend hatten sie

gesehen,

wie die Festung näher zu rücken und über den

Fluß vorzuspringen schien, während der Palasthügel in den

Hintergrund zurückttat.

Die Stadt selbst war natürlich

ihren Blicken gänzlich durch die steilen Berge entzogen,

61 welche so unzugänglich aussahcn, als ob sie aus festem Mauerwerk erbaut wären. In der Ebene war alles grün. Stadium auf Stadium und Farsang auf Farsang erstreckten sich die gepflügten Furchen gen Westen und Süden, das grüne Korn stand schon hoch und die Feigenbäume entfalteten ihre breiten grünen Blätter. Auf der ausgedehnten Ebene wurden hie und da die Strahlen der finkmden Sonne von den weißgetünchten Mauern eines Landhauses zurückgeworfen, und in weiterer Ferne streiften sie die Backsteingebäude eines entlegnen Dorfes. Auf der großen Wiese unterhalb des thurmgekrönten Hügels jenseit des Fluffes trieben halb­ nackte sonnengebräunte Knaben die Kühe mit kleinem Buckel zum Melken und verscheuchten aus ihrem Gange die Heerden weißer Pferde, welche auf derselben Wiese grasten, in­ dem sie in die Hände klatschten und auf die kleinen schwar­ zen Fohlen losschrieen, welche neben ihren weißen Müttern umher hüpften und tollten. Hier und dort angelte ein breitschultriger bärtiger Fischer im Fluffc oder warf ein braunes Netz in das stille Wasser und zog es langsam zurück ans User, die Augen eifrig auf die Stricke geheftet. Der Zug hielt aus einem Rasenplatz neben der stau­ bigen Landstraße; die berittenen Wachen, sechzig kräftige Reiter aus der medischen Ebene, zogen sich zurück, um den Reisenden Platz zu machen, sprangen ab und machten sich daran, ihre Pferde anzubinden und zu tränken; ihre erznen Rüstungen und ihre roth und blauen Mäntel erglänzten in prächtigen Farbenmaffen in der Abendsonne, während ihre wilden weißen Rosie, unermüdet durch den Tagesritt, sich schnaubend bäumten und schüttelten und vor Lust end­ lich einigermaßen frei zu sein einander zum Spaß in

Schweif und Mähne bissen.

62 Zoroaster selbst warf den Zügel seines Rosses einem der Soldaten zu und eilte rasch vorwärts, sein Purpur­ mantel war etwas bestaubt und sein Helles Gesicht etwas gebräunt durch die Reise von drei Wochen. Von einer prächtigen Sänfte, rings von goldnem Gitter umschloffen und mit drei weißleinenen Zeltdächem übereinander zum Schutz gegen die Sonne überspannt, wurden behutsam dm Maulthiere losgespannt, welche sie bis hieher getragen hatten. Große äthiopische Sklaven hoben die Sänfte auf und trugen sie auf den grünsten Rasenfleck an dem sanft dahingleitenden Fluffe; Zoroaster selbst schob das Gitter zurück und breitete davor einen prächtigen Teppich aus. Nehuschta nahm seine dargebotene Hand und stieg leicht heraus; dann stand sie neben ihm im rothen Abendschein. Sie war verschleiert, und ihr Purpurmantel wallte in langen Falten bis auf ihre Füße herab, regungslos stand sie da, den Rücken der Stadt zugekehrt, und schaute in

die untergehende Sonne. „Warum machen wir hier Halt?" fragte sie plötzlich. „Der große König — möge er ewig leben — soll nicht in der Stadt sein", versetzte Zoroaster, „und es würde uns nicht geziemen, den Palast vor ihm zu betreten." Er sprach laut auf Medisch, damit die Sklaven ihn verstün­ den, dann setzte er auf Ebräisch leiser hinzu: „Es würde kaum weise, noch auch sicher sein, in Susa einzuziehen, während der König abwesend ist. Wer weiß, was sich in diesen Tagen ereignet haben mag? Babylon hat sich em­ pört. Das Reich ist durchaus nicht in Ruhe und Ord­ nung. Ganz Persien mag im Begriff sein, sich zu em­ pören." „Eine recht paffende Zeit für unsre Reise. Für mich und meine Frauen mit ein Paar Dutzend Reitern als

63 Wache daherzuziehen! Warum hast Du mich hierher ge­ bracht? Wie lange werden wir wohl am Wege lagern müssen und abwarten, bis es dem Volke beliebt, uns einzulaffen, oder bis es diesem neuen König paßt zurückzu­ kehren?" Nehuschta wendete sich beim Sprechen scharf gegen ihren Begleiter und in ihrer Stimme erklang ein Ton von Aerger und Enttäuschung. Durch die geraden Schlitzen in ihrem Schleier starrte sie Zoroaster kalten Blickes an, und ehe er' ihr antworten konnte, wandte sie ihm den Rücken und ging einige Schritte weiter, indem sie über die fruchtbaren Wiesen fort die sinkende Sonne anschaute. Der Krieger stand still, und eine dunkle Rothe überzog sein Gesicht. Dann wurde er blaß, was aber auch für Worte auf seine Lippen treten mochten, — er sprach sie nicht aus, sondern beschäftigte sich damit, das Aufschlagen der Frauenzelte zu beaufsichtigen. Die übrigen Sänften wurden herzugettagen und mit ihren Jnsaffen niedergesetzt, der lange Zug der Kameele kam heran, von denen einige Gepäck und Vorräthe, andre Sklavinnen trugen; die Thiere knieten auf dem Rasen nieder, um abgepackt zu werden, und reckten unterdeffen gierig ihre langen Hälse in der Richtung nach dem Flufle; die Zeltaufschläger gingen ans Werk, und endlich kamen noch zwanzig Reiter, welche den Nachtrab gebildet hatten, im Galopp herzu und stießen zu ihren Gefährten, die bereits abgestiegen«waren. Mit raschen geübten Händen that jeder sein Theil und in we­ nigen Minuten war ein persisches Zeltlager mit all seinem ungeheuern Zubehör aufgeschlagen und fftr das Nachtlager hergerichtet. Gegen den gewöhnlichen Gebrauch hatte Zoro­ aster den Zeltaufschlägern und anderen Sklaven nicht ge­ stattet weiter zu ziehen, während er und die seiner Obhut

64 Anempfohlenen ihre Mittagsrast hielten, denn er befürchtete während der Abwesenheit des Königs einen Aufstand in der Nähe der Stadt, und wünschte der Sicherheit halber sein ganzes Gefolge zusammen zu behalten, selbst auf die Gefahr hin, daß Nehuschta's Bequemlichkeit darunter litte. Sie stand noch immer allein zur Seite und wendete sich hochmüthig von ihren Dienerinnen ab, ohne ihnen eine Antwort zu geben, als sie sie begrüßten und ihr Kiffen und erfrischende Getränke anboten. Sie zog ihren Mantel enger um sich und ihren Schleier fester über das Gesicht. Sie war müde, enttäuscht, beinahe böse. Tagelang hatte sie von ihrem Empfang im Palaste am königlichen Hose geträumt, von der Wonne des Ausruhens nach der langen Reise, von all den tausend Zerstreuungen und Vergnügun­ gen, welche sie bei ihrer Rückkehr zu den Stätten ihrer Kindheit finden würde. Es war für fie keine geringe Enttäuschung zu noch einem Nachtlager im Zelt verurtheilt zu werden, und ihr erstes Gefühl war, Zoroaster darob zu tadeln. Trotz ihrer Liebe zu ihm, empörte sich ihr heftiges und herrschsüchtiges Wesen oft gegen seine Ruhe und seine ent­ schiedene geistige Ueberlegenheit; und wenn sie dann inne wurde, daß sie ihre eigne Würde durch solche Ausbrüche von Heftigkeit beeinträchtigte, war sie erst recht böse auf sich, aus ihn und auf alle andern. Aber Zoroaster blieb unbe­ weglich wie Marmor, nur manchmal röthete sich seine Stirn und erbleichte dann rasch wieder; wenn er überhaupt sprach, hatten seine Worte einen eisigen Ton. Früher oder später legte sich Nehuschta's Zorn und dann sand sie in ihm immer denselben: hingebend, sanft und liebevoll; dann schlug ihr Herz ihm wieder entgegen und ihr ganzes Wesen war bis zum Ueberfließen voll von Liebe zu ihm.

65 Jetzt fühlte fie sich enttäuscht und wollte mit Nieman­ dem sprechen. Sie ging noch weiter von dem Troß der Zeltaufschläger und Sklaven fort, ihre Dienerinnen folgten ihr in ehrerbietiger Entfernung und flüsterten unter ein­ ander; wieder stand sie still und schaute gen Westen. Als die Sonne fast den Horizont berührte, trafen ihre schrägen Strahlen auf eine auswirbelndc Staubwolke; klein und fern wie der Rauch eines Feuers aber in raschem Wirbel stieg sie in der Ebene von Babylon empor. Nehuschta's Auge ruhte auf dem fernen Punkt, und sie erhob die eine Hand, um sich die Augen zu beschatten. Sie er­ innerte sich daran, wie oft sie als Kind diesen selben Weg von oben vom Palastc her beobachtet und aus einem kleinen Fleck eine Staubwolke hatte entstehen sehen, wenn ein Trupp Reiter heranritt. Sie konnte sich nicht darüber täuschen, was es war. Eine Reiterschaar nahte, — viel­ leicht der König selbst. Unwillkürlich sah fie fich nach Zoroaster um und fuhr zusammen, als fie ihn mit übereinander­ geschlagenen Armen, die Blicke auf den Horizont geheftet in geringer Entfernung von ihr stehen sah. Sie ging ihm in plötzlicher Aufregung entgegen. „Was ist es?" fragte sie leise. „Es ist der Große König — möge er ewig leben!" versetzte Zoroaster. „Kein andrer würde so rasch auf der königlichen Heerstraße einherreiten." Einen Augenblick standen fie neben einander und be­ obachteten die Staubwolken, und als fie so dastanden, kam Rehuschta's Hand verstohlen aus ihrem Mantel hervor und berührte leise mit zitternden Fingern des Kriegers Arm, als suche fie schüchtern etwas, um das fie nicht bitten wollte. Zoroaster wandte das Haupt um und sah, daß ihre Augen thränenfeucht waren; er verstand fie, aber er Crawford, Zoroaster.

5

66 wollte nicht ihre Hand fassen, denn es standen viele Sklaven in der Nähe und außerdem Nehuschta's Ver­ wandte, und er wollte nicht, daß sie es sähen, aber er schaute sie zärtlich an, und plötzlich verloren seine Augen den traurigen Ausdruck und leuchteten wieder auf. „Meine Geliebte!" sagte er leise. „Ich hatte unrecht, Zoroaster! vergieb mir"; mur­ melte sie. Sie ließ sich von ihm in ihr Zelt führen, welches bereits aufgeschlagen war; er ließ sie dort, und sie saß an der Thür und beobachtete seine Bewegungen, wäh­ rend er seine Leute zusammenrief und in geschlossener Reihe am Wege ausstellte, damit sie bereit wären, den König zu begrüßen. Immer näher kam die Wolke; die rothe Abendgluth verwandelte sich in violett, und die Sonne verschwand; und immer näher kam die wirbelnde Staubwolke und er­ hob sich rechts und links vom Wege in weiten runden Massen und hing über den Häuptern wie der Rauch eines großen daherbrausenden Feuers. Dann erhob sich darunten ein Getöse wie ferner Donner, steigend und sinkend in der stillen Luft, aber immer lauter werdend; und ein dunkler Glanz von blankem Erz nebst einem tiefern Purpur als der purpurne Sonnenuntergang gewann allmälig Gestalt, durch das dumpfe Getöse erscholl dann und wann und immer häufiger das Klirren von Rüstungen und Waffen, bis endlich die ganze stampfende, jagende, klirrende Schaar galoppirender Reiter in donnerndem Ansturm aus der Wolke herauskam, während der Boden unter ihrer Wucht erbebte, und die Luft von der furchtbaren Erschütterung stampfender Hufe und dem Getöse klirrenden Erzes erbebte. Einige Schritte vor bett geschlossenen Reihen ritt ein Mann allein — eine gedrungene Gestalt in einen Mantel

67 von dunklerem und prächtigerem Purpur gekleidet als die gewöhnlichen Großen des Reiches trugen, wie ein Fels saß er auf seinem hohen weißen Roß. Als er herankam, reckten Zoroaster und seine achtzig Mann die Hände in die Höhe. „Heil, König der Könige! Heil Dir und ewiges Leben!" riesen sie und warfen sich wie ein Mann mit dem Gesicht zu Boden auf das Gras am Wege. Darius zog plötzlich den Zügel an, und brachte sein Pferd vom vollen Galopp sofort zum Stehen. Die ein­ herstürmenden Reiter hinter ihm, hielten die rechte Hand in die Höhe als ein Zeichen für die nachfolgenden, und mit betäubend lautem Prall, wie wenn das Meer sich plötzlich gegen eine Felswand bricht, hielten diese unver­ gleichlichen persischen Reiter in geschloffener Masse inner­ halb eines Raumes von wenigen Metern; ihre Pferde fchüttelten sich wild, bäumten sich hoch auf und rissen am Gebiß, vermochten aber nichts gegen die starken Hände, welche sie zurückhielten. Hier ritt die Blüthe des persischen Adels, — ihre Purpurmäntel flackerten in wilder Bewe­ gung, ihre Erzrüstung erschien schwarz im dunkelnden Zwielicht, ihre bärtigen Gesichter düster und breit unter ihren vergoldeten Helmen. „Ich bin Darius, der König der Könige, den ihr an­ ruft!" rief der König, dessen Roß jetzt wie ein Marmor­ bild unbeweglich mitten im Wege stand. „Erhebt Euch, sprecht und fürchtet nichts, wenn Ihr nicht Lügen redet." Zoroaster stand auf, verneigte sich tief, nahm einige Staubkörnchen vom Wege, berührte seinen Mund mit der Hand und streute den Staub auf seine Stirn. „Heil Dir, und ewiges Leben! Ich bin Dein Knecht Zoroaster, welcher Hauptmann über die Festung und Schatz-

5*

— 68 kammer von Ecbatana war. Deinem Worte gemäß habe ich die Sippe des Jehojakim, König von Juda, hergebracht — deren Oberste Nehuschta ist, die Fürstin. Ich hörte, daß Du nicht in Susa wärest, und habe hier Deine An­ kunft abgewartet. Auch habe ich Boten an Dich gesendet, um Dir kund zu thun, daß Daniel, genannt Belteshazzar, der Satrap von Medien war seit der Zeit des Kambyses, gestorben ist. Ich habe ihn geziemend bestattet in einem neuen Grabe im Palastgarten zu Ecbatana." Darius, der in Gedanken und Handlungen immer rasch feiner ersten Eingebung folgte, sprang vom Pferde, als Zoroaster ausgesprochen hatte, ging auf ihn zu, faßte ihn bei beiden Händen und küßte ihn auf beide Wangen. „Was Du gethan hast, das ist wohl gethan. Ich kenne Dich von Alters her. Auramazda ist mit Dir. Er ist auch mit mir. Durch seine Gnade habe ich die Em­ pörer zu Babylon erschlagen. Sie redeten Lügen, und darum erschlug ich fie. Zeige mir Nehuschta, die Tochter der Könige von Juda." „Ich bin Dein Knecht. Die Königstochter ist zur Hand" ; antwortete Zoroaster, doch als er so sprach, er­ bleichte er bis in die Lippen. Unterdeffen war es dunkel geworden, und der Mond, welcher vor kurzem voll gewesen, war noch nicht hinter dem Festungshügel aufgegangen. Die Sklaven brachten Fackeln aus einer Mischung von Wachs und Fichtenharz, und ihre schwarzen Gestalten schienen seltsam in dem grellen rothen Licht, als sie nach Nehuschta's Zeltthür eilten, um dem König zu leuchten. Darius schritt rasch vorwärts; seine vergoldete Rüstung klirrte beim Gehen, das Helle flackernde Licht beleuchtete seine kühnen dunkeln Züge. Unter dem gestreiften Vorhang,

69 der auseinander gezogen war, um einen Eingang zum Zelt zu bilden, stand Nehuschta. Sie hatte ihren Schleier abge­ worfen, und ihre Weiber hatten ihr rasch die linnene Tiara aufgesetzt, in deren weißen Falten ein einziger Edelstein wie ein Stern funkelte. Ihr dickes schwarzes Haar wallte in reicher Fülle über ihre Schultern, und ihr zurückgeschlagener Mantel zeigte die edlen Formen ihrer in eine weiße Tunica mit enganschließendem Gürtel gekleidete Gestalt. Beim Herannahen des Königs kniete sie hin und warf sich vor ihm nieder, indem sie den Boden mit der Stirn berührte und abwartete bis er spräche. Er stand eine ganze Minute lang still und aus seinen Augen sprühte Feuer, während er ihre dahingesun­ kene Gestalt anschaute, aus lauterm Stolz, daß ein so königliches Weib zu seinen Füßen knieen müsse, — mehr aber noch vor Staunen über ihre wunderbare Schönheit. Dann neigte er sich, ergriff ihre Hand und hob sie auf. Sie sprang empor und schaute ihn mit glühenden Wangen und funkelnden Augen an, und als sie so dastand, war sie fast eben so groß wie er. „Ich möchte nicht, daß eine Fürstin Deines Ge­ schlechtes vor mir fniee", sagte er, und in seiner Stimme lag eine eigenthümliche Weichheit. „Willst Du mich hier ausruhen lassen, ehe ich hinaufziehe nach Susa? Ich bin müde vom Reiten und durstig von dem langen Wege." „Heil, König der Welt! Ich bin Deine Magd. Ruhe aus und erfrische Dich hier"; erwiderte Nehuschta und zog sich ins Zelt zurück. Der König winkte Zoroaster ihm zu folgen und trat hinein. Darius saß auf dem geschnitzten Klappstuhl, der mitten im Zelt an der Hauptstange stand und leerte be­ gierig den großen goldnen Becher voll Schiraswein, welchen

70 Zoroaster ihm einschenkte. Dann nahm er den Helm ab, und sein dickes grobes Haar fiel in einer Maffe dunkler Locken auf seinen Hals wie die Mähne eines schwarzen Löwen. Er holte tief Athem wie erleichtert und im Genuß wohlverdienter Ruhe und lehnte fich in seinem Stuhle zu­ rück, während seine Augen auf Nehuschta's Antlitz ruhten, wie fie mit gesenkten Blicken vor ihm stand. Zoroaster blieb an der einen Seite stehen und hielt den frischgefüllten Becher in der Hand, falls des Königs Durst nicht durch den einen Trunk gestillt sein sollte. „Du bist schön, o Tochter von Jerusalem", sagte der König. „Ich erinnere mich Deiner Schönheit, denn ich sah Dich in Ecbatana. Ich habe Dich und Deine Ver­ wandten holen lasten, auf daß ich Dir Ehre erweise, und ich will mein Wort halten. Ich will Dich zum Weibe nehmen." Darius sprach mhig, in seinem gewöhnlichen Ton unbedingter Entschiedenheit. Aber wenn die gesammte Wuth von tausend Gewittern plötzlich mitten im Zelte los­ gebrochen wäre, so hätte die Wirkung aus seine Hörer nicht schrecklicher sein önnen. Nehuschta's Antlitz erglühte plötzlich, und einen Augen­ blick zitterte sie an allen Gliedern; dann fiel sie auf die Knie zu des Königs Füßen, und die ganze Fülle ihres prächtigen Haares wallte lose um fie her. Darius saß still, als ob er die Wirkung seiner Worte beobachte. Er hätte lange so dasitzen können, aber in einem Augenblick sprang Zoroaster zwischen den König und das kniecnde Weib; und der goldne Becher, welchen er gehalten hatte, rollte über den dicken Teppich am Boden hin, während der köstliche rothe Wein in langsamem Strom nach den Thürvorhängen hinfloß. Sein Gesicht war aschgrau und

71 seine Augen wie bläuliche feurige Kohlen, seine blonden Locken und sein langer goldiger Bart fingen den Fackel­ schein auf und schimmerten um ihn wie eine Glorie, wäh­ rend er in seiner ganzen Höhe aufgerichtet dastand und dem König entgegentrat. Darius zuckte nicht und rührte fich nicht; unerschrocken begegnete sein Auge Zoroasters Blicken. Zoroaster sprach zuerst im leisen Ton unterdrückter Wuth, „Nehuschta, die Königstochter, ist meine verlobte Braut. Und wenn Du der König der Gestirne wärest, wie Du der König der Erde bist: Du sollst fie nicht zum Weibe haben." Darius lächelte, nicht verächtlich, sondern mit einem ehrlichen lustigen Lächeln, als er die zornerfüllte Gestalt des Nordländers vor sich ansah. „Ich bin der König der Könige", versetzte er. „Ich will diese Königstochter von Juda morgen ehelichen, Dich aber will ich auf dem höchsten Thurm von Susa kreuzigen lassen, denn Du lügst, wenn Du sagst, ich soll fie nicht zum Weibe haben." „Thor! Versuche nicht Deinen Gott! Drohe ihm nicht, der stärker ist denn Du, aus daß er Dich nicht mit seiner Hand erschlage hier, wo Du sitzest." Zoroasters Stimme klang leise und deutlich wie die Todtenglocke des uner­ bittlichen Schicksals und seine Hand griff nach des Königs Kehle. Bis zu diesem Augenblicke hatte Darius in gleichgül­ tiger Stellung sorglos lächelnd dageseffen, ohne indeffen seinen Gegner aus den Augen zu lassen. Tapfer wie der Tapferste verschmähte er es, sich zu rühren, ehe er ange­ griffen wurde, und würde den Gedanken, seine Wachen zu rufen, empört zurückgewiesen haben. Aber als Zoroaster die Hand nach ihm ausstreckte, war er bereit. Wie ein Tiger sprang er dem starken Manne an die Gurgel und

72 suchte ihn niederzureißen, indem er sich bestrebte, ihn fest am Halsstück seines Brustharnisches zu packen, aber Zoroaster schob seine Hand rasch unter die seines Gegners, sein Aermel fiel zurück und sein langer weißer Arm schlang fich wie eine stählerne Fcffel um den Hals des Königs, während seine andere Hand ihn am Gürtel packte, so hielten sie einander wie Ringer, einen Arm über und einen unter der Schulter und rangen mit aller Kraft. Der König war Kein, aber in seinen untersetzten breiten Schultern und sehnigen Armen lauerte die Stärke des Stiers und die Behendigkeit des Tigers. Zoroaster war im Vortheil, denn sein Arm war um den Hals des Darius geschlungen, aber während man hätte bis zwanzig zählen können, wich keiner um ein Haarbreit und die blauen Adern traten wie Schnüre an des großen Mannes Armen hervor. Die feurige Kraft des südlichen Fürsten war der stattlichen Stärke des blonden Nordländers gewachsen, deffen Gesicht bleich ward wie der Tod, während des Königs Stirn von der furchtbaren Anstrengung blauroth wurde. Beide athmeten mühsam durch die zusammengebiffenen Zähne, aber keiner sprach ein Wort. Beim ersten Anzeichen des beginnenden Kampfes war Nehuschta emporgesprungen, allein sie schrie weder aus, noch rief sie die Wache. Sie hielt sich mit einer Hand am Pfosten des Zeltes und zog mit der andern ihren Mantel fest über die Brust zusammen, so stand sie da und schaute wie gebannt das furchtbare Ringen auf Tod und Leben, die unbeschreibliche und ungeheure Kraft an, welche die beiden Männer schweigend vor ihr entfalteten. Plötzlich rührten sie sich und geriethen ins Schwanken. Darius hatte versucht, mit einem Fuß Zoroaster zu Falle zu bringen, aber auf dem vom Wein benetzten Teppich war

73

er ausgeglitten und beinahe zu Boden gedrückt worden; mit äußerster Anstrengung kam er wieder auf die Füße. Aber die heftige Anspannung hatte seine Kraft geschwächt. Es schien Nehuschta, als ob ein Lächeln auf Zoroasters bleichem Gesicht spiele und einen Augenblick begegneten seine blitzenden dunkelblauen Augen den ihren, und dann kam der Anfang vom Ende! Langsam, ganz allmälig zwang Zoroaster den König vor sich nieder, drückte ihn mit unwiderstehlicher Kraft nach rückwärts zusammen, bis es schien, als müßten Knochen, Sehnen und Muskeln im verzweifelten Widerstande zerbrochen und zerrissen werden. Als dann endlich sein Haupt beinahe den Boden berührte, stöhnte Darius und seine Glieder erschlafften. Sofort warf Zoroaster ihn rücklings zu Boden und kniete mit der ganzen Wucht seines Körpers auf seiner Brust, — die goldnen Panzerschuppen knackten unter der Last und er hielt die Hände des Königs zu beiden Seiten fest auf den Boden gedrückt. Darius kämpfte noch zwei Mal verzweifelt dagegen an und lag dann ganz stille. Zoroaster schaute mit funkelnden Augen auf ihn herab. „Du, der Du mich in Susa wolltest kreuzigen lassen", zischte er durch die Zähne;, „ich will Dich hier tödten, wie Du den Smerdis getödtet hast. Hast Du noch etwas zu sagen? Sprich schnell, denn Deine Stunde ist gekommen." Selbst in dieser höchsten Qual, besiegt und dem Tode nahe, war Darius tapfer, wie muthige Männer es bis zum letzten Augenblick zu sein pflegen. Er hätte jetzt frei­ lich um Hilfe rufen mögen, aber er hatte keinen Athem mehr. Doch furchtlos sah er seinem schrecklichen Besieger in die Augen. Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. — „Ich fürchte den Tod nicht! schlag zu, wenn Du willst — Du — hast — gesiegt."

74 Nehuschta war herzugetreten. Jetzt, da der Kampf vorüber war, zitterte sie und sah ängstlich nach den schweren Vorhängen am Eingänge des Zeltes. „Sage ihm", flüsterte sie Zoroaster zu, „daß Du ihn verschonen willst, wenn er weder Dir noch mir etwas zu Leide thun will." „Ihn ver­ schonen?" wiederholte Zoroaster verächtlich. „Er ist schon beinahe tobt. Weshalb sollte ich ihn verschonen?" „Um meinetwillen, Geliebter"; antwortete Nehuschta, mit leidenschaftlich flehender Geberde. „Er ist der König. Er redet die Wahrheit, wenn er sagt, er wird Dir kein Leid thun, so traue ihm!" „Wenn ich Dich nicht erschlage, so schwöre, daß Du weder mir noch Nehuschta etwas zu Leide thun wirst", sagte Zoroaster, indem er ein Knie von der Brust seines Gegners erhob. „Beim Namen des Auramazda", stöhnte Darius, „ich will weder Dir noch ihr etwas zu Leide thun." „Gut, sagte Zoroaster, ich will Dich ziehen lassen. Und wenn Du sie zum Weibe nehmen willst, frage sie selbst, ob sie Dich haben will", setzte er hinzu. Er erhob sich und half dem König auf. Darius schüttelte sich und athmete einige Minuten tief auf. Er befühlte seine Glie­ der, wie einer, der vom Pferde gefallen ist, dann setzte er sich auf einen Stuhl und brach in lautes Lachen aus. Darius war schon vor den Ereignissen der beiden letzten Monate in Persien und Medien wohlbekannt, und fein Ruf der Treue gegen sein gegebenes Wort war so groß, daß alle um ihn her ihm trauten. Auch Zoroaster hatte ihn schon gekannt und erinnerte sich seiner Leutselig­ keit und seiner Lust am Scherz, so daß er selbst, als er über den König einen solchen Vortheil errungen hatte, daß er ihn mit einem etwas verstärkten Druck seines Körpers

75 leicht hätte todten können, doch keinen Augenblick zögerte, dem Versprechen, er solle sicher sein, zu trauen. Weil er aber daran dachte, was bei dem verzweifelten Ringen auf dem Spiel gestanden hatte, konnte er nicht in das Lachen des Königs einstimmen. Er stand still zur Seite und sah Nehuschta an, welche sich in heftiger Erregung an die Zeltstange stützte; sie rang ihre Hände unter den langen Aermeln und ihre Augen gingen vom König zu Zoroaster und wieder zurück zum Könige in augenscheinlicher Angst und Furcht. „Du hast einen mächtigen Arm, Zoroaster", rief Darius, als er genug gelacht hatte, „und Du hast dem Großen König von Persien, Medien, Babylon und Aegypten mit Deinem Griff beinahe ein Ende gemacht." „Möge der König seinem Knechte verzeihen", erwiderte Zoroaster, „wenn sein Knie schwer und seine Hand stark war. Wäre der König nicht auf dem vergossenen Wein ausgeglitten, so wäre sein Knecht zu Boden geworfen worden." „Und Du wärest bei Tagesanbruch gekreuzigt wor­ den", setzte Darius lachend hinzu: „Es ist gut für Dich, daß ich Darius bin und nicht Kambyses, sonst würdest Du nicht hier vor mir stehen, während meine Wachen müßig am Wege schwatzen. Gieb mir einen Becher Wein, da Du mein Leben verschont hast!" Wiederum lachte der König, so daß er sich die Seiten halten mußte. Zoroaster füllte eilends einen frischen Becher und reichte ihn knieend dem Herrscher. Darius hielt inne, ehe er den Becher nahm und sah dem knieenden Krieger in das stolze blasse Antlitz. Dann sprach er und seine Stimme nahm einen minder lustigen Ton an, während er die Hand auf Zoroasters Schulter legte.

76 „Ich habe Dich lieb, Fürst", sagte er, „weil Du stärker bist als ich, und eben so tapfer und barmherziger. Deshalb sollst Du immer zu meiner Rechten stehen, und ich will mein Leben Deiner Hand anvertrauen. Als ein Unterpfand hänge ich Dir meine eigene goldene Halskette um und trinke Dir diesen Becher zu, und wer ein Haar auf Deinem Haupte krümmt, der soll eines qualvollen Todes sterben." Der König trank, und Zoroaster, hingerissen von wahrer Bewunderung der Seelengrößc, die eine so arge Beleidigung so leicht vergeben konnte, neigte fich und um­ faßte des Königs Knie als ein Zeichen der Anhänglichkeit und als eine Besiegelung der Freundschaft, welche nie gebrochen werden sollte, bis der Tod die beiden Männer trennte. Dann standen sie auf, und aus Zoroasters Befehl wurde die Sänfte der Fürstin gebracht; sie gingen hinauf zum Palast und überließen es dem Gefolge mit den Zeltgeräthen nachzukommen. Nehuschta wurde zwischen den Sänften ihrer Frauen und ihrer Sklaven zu Fuß getragen, Zoroaster aber bestieg sein Roß und ritt schweigend zur Rechten des Großen Königs.

Sechstes Kapitel. Durch die schimmernden Säulenhallen des morgen­ ländischen Balkons schien hell die frühe Morgensonne und die Schatten der weißen Marmorsimse und Kapitäle und vorspringenden Friese schimmerten bläulich im Abglanz des wolkenlosen Himmels. Dann und wann schoflen Schwalben unter dem überhangenden Dache hervor und flogen auf der bedeckten Terraffe hin und her; raschen Fluges eilten ste

76 „Ich habe Dich lieb, Fürst", sagte er, „weil Du stärker bist als ich, und eben so tapfer und barmherziger. Deshalb sollst Du immer zu meiner Rechten stehen, und ich will mein Leben Deiner Hand anvertrauen. Als ein Unterpfand hänge ich Dir meine eigene goldene Halskette um und trinke Dir diesen Becher zu, und wer ein Haar auf Deinem Haupte krümmt, der soll eines qualvollen Todes sterben." Der König trank, und Zoroaster, hingerissen von wahrer Bewunderung der Seelengrößc, die eine so arge Beleidigung so leicht vergeben konnte, neigte fich und um­ faßte des Königs Knie als ein Zeichen der Anhänglichkeit und als eine Besiegelung der Freundschaft, welche nie gebrochen werden sollte, bis der Tod die beiden Männer trennte. Dann standen sie auf, und aus Zoroasters Befehl wurde die Sänfte der Fürstin gebracht; sie gingen hinauf zum Palast und überließen es dem Gefolge mit den Zeltgeräthen nachzukommen. Nehuschta wurde zwischen den Sänften ihrer Frauen und ihrer Sklaven zu Fuß getragen, Zoroaster aber bestieg sein Roß und ritt schweigend zur Rechten des Großen Königs.

Sechstes Kapitel. Durch die schimmernden Säulenhallen des morgen­ ländischen Balkons schien hell die frühe Morgensonne und die Schatten der weißen Marmorsimse und Kapitäle und vorspringenden Friese schimmerten bläulich im Abglanz des wolkenlosen Himmels. Dann und wann schoflen Schwalben unter dem überhangenden Dache hervor und flogen auf der bedeckten Terraffe hin und her; raschen Fluges eilten ste

77 dann wieder in das spielende Sonnenlicht mit scharfem Plötzlichem Schwünge, wie wenn ein schneidiges Schwert die Lust durchfährt. Tief unten lag noch der leichte Morgenncbel über der Stadt, von wo fernher das Geschrei der Wafferträger und Fruchtverkäufer aus den erwachenden Straßen herausschallte, oder auch der Zuruf der Weiber aus den Dächern und dann und wann das Wiehern eines Pferdes fernher von der Weide, während die behenden Schwalben in raschem weitgezogenen Bogen, mit silber­ hellem unaufhörlichem Zwitschern über dem allen kreisten. Zoroaster ging allein auf dem Balkon auf und ab. Er war vollständig bewaffnet mit dem Helm auf dem Haupt, das Wappenschild des geflügelten Rades hatte dem von Darius selbstgewählten Feldzeichen Platz gemacht. — Das Bild des Königs in halber Figur mit langen geraden Flügeln zu beiden Seiten, in feinem Golde und von köst­ licher Arbeit. Der lange Purpurmantel hing ihm bis auf die Fersen herab und die Kette des Königs trug er um den Hals. Wie er so einherschritt, spiegelte sich das ver­ goldete Leder seiner Schuhe in dem polirten Marmorboden, und er trat vorsichtig aus, denn die glatte Oberfläche war schlüpfrig wie eine Spiegelfläche. An einem Ende der Terrasse führte eine Treppe zu dem untern Geschosse des Palastes und am andern Ende wurde eine hohe viereckige Thür durch einen schweren Vorhang von prächtigem Goldund Purpurstoff verdeckt, der in dicken Falten ans den spiegelblanken Boden herabfiel. So oft Zoroaster an dieses Ende kam, stand er still, als ob er erwartete, daß Jemand heraustreten sollte. Aber wie es gewöhnlich geschieht, wenn man auf etwas wartet, daß der Gegmstand oder die be­ treffende Person doch zuletzt überraschend erscheint, so traf es sich, gerade als er von der Treppe nach dem Vorhänge

78 zurückkehrte, daß er sah, wie Jemand ihm schon auf halbem Wege auf dem Balkon entgegenkam; doch war es nicht die Person, nach welcher er ausgeschaut hatte. Einen Augenblick stand er geblendet, aber sein Ge­ dächtniß kam ihm sofort zu Hülfe, und er erkannte das Antlitz und die Gestalt einer Frau, welche er schon früher gekannt und oft gesehen hatte. Sie war nicht groß, aber so vollkommen ebenmäßig gebaut, daß man sie sich un­ möglich größer wünschen konnte. Ihre enge Tunica vom hellsten Blau am Halse mit Goldstickerei eingefaßt verrieth das unvergleichliche Ebenmaß ihrer Gestalt, den unbe­ schreiblichen Reiz eines völlig entwickelten Weibes in der höchsten Blüthe der Schönheit. Von den Knieen bis zu den Füßen herab zeigte ihr Untergewand die purpurnen und weißen Streifen, welche keiner außer dem König tragen durfte, und welche selbst bei der Königin eine unbefugte Anmaßung des königlichen Abzeichens waren. Aber Zoroaster sah ihr Kleid nicht an, noch ihren königlichen Purpurmantel, noch die wunderbar weißen Hände, welche eine Schristrolle hielten. Seine Augen ruhten auf ihrem Antlitz, und er stand aus der Stelle still. Er kannte diese regelmäßigen, vollkommenen Züge, die weder groß noch mächtig, aber von so seltener Bildung und so tadelloser Art waren, wie man sie seitdem nicht wieder gesehen hat, noch sehen wird. Die vollkommen schön geschwungenen Linien des frischen Mundes, das vorsprin­ gende weiße Kinn mit der Vertiefung in der Mitte, die tiefliegenden blauen Augen und die geraden feingezeichneten Augenbrauen, die breite glatte Stirn und das winzige Ohr halb verborgen unter der Pracht des sonnengoldenen Haares, die milchweiße von zartester Rosenfarbe angehauchte Haut, welche sich nie veränderte, weder in Hitze noch Kälte,

79 in Zorn oder Freude röther wurde, — er kannte das alles: die Züge des königlichen Cyrus, weich und weiblich in der Form, aber unveränderlich ruhig und tadellos kalt erschienen tottber, in seiner großen Tochter Atossa, dem Königskinde, dem Weibe von Königen, der Mutter von Königen. Die schweren Vorhänge waren hinter ihr zusammen gefallen, und sie trat allein heraus. Sie hatte Zoroaster erblickt, ehe er sie bemerkt hatte, und ging weiter ohne Ueberraschung zu verrathen, die Hacken ihrer kleinen goldnen Schuhe klapperten aus dem glatten Boden. Zoroaster stand einen Augenblick still, dann nahm er seinen Helm zum Gruße ab, trat oben an eine Seite der Treppe und wartete ehrerbietig auf das Vorüberschreiten der Königin. Wäh­ rend sie abwechselnd durch den von den Säulen geworfenen Schatten und das grelle Sonnenlicht dazwischen einher­ schritt, erschien ihre herannahende Gestalt bei jedem Schritt in neuer Beleuchtung. Sie that, als wolle sie geradeaus weitergehen, als sie aber die Schwelle vor der Treppe überschritt, stand sie plötzlich still, wandte sich um und sah Zoroaster an. „Du bist Zoroaster", sagte sie mit weicher, melodischer Stimme, die wie das Rauschen eines klaren Stroms durch grüne Wiesen erklang. „Ich bin Zoroaster, Dein Knecht", erwiderte er und neigte sein Haupt. Er sprach sehr kalt. „Ich erinnere mich Deiner sehr wohl", sagte die Kö­ nigin, auf der obersten Stufe der Treppe verweilend. „Du hast Dich wenig verändert, nur dünkt mich, siehst Du jetzt stärker und mehr wie ein Krieger aus." Zoroaster stand da mit dem blanken Helm in den Händen, aber er erwiderte nichts; ihm kam es wenig auf das Lob der Königin an. Sie aber schien eben so sehr be-

80 strebt, ihm zu gefallen, als ihm wenig daran gelegen war, denn sie drehte wieder um und ging aus die Terraffe zurück. „Komm hierher in den Sonnenschein, — die Morgen­ luft ist kalt", sagte sie, „ich möchte mit Dir reden". Ein geschnitzter Stuhl stand in der Ecke des Balkons. Zoroaster rückte ihn in den Sonnenschein und Atofsa setzte sich, ihm dankend zulächelnd, während er an die Brüstung gelehnt stand, — eine prachtvolle Erscheinung; das Sonnen­ licht spiegelte sich in seiner vergoldeten Rüstung und in der goldnen Halskette und spielte auf seinem langen blon­ den Bart und in den Falten seines Purpurmantels. „Sage mir doch, Du bist gestern Abend angekommen?" fragte sie und breitete ihre zierlichen Hände im Sonnen­ schein aus, als ob sie sie wärmen wollte. Sie scheute die Sonne nicht, denn sie war ihrem Schicksal günstig und schien ihre zarte Haut nicht zu verbrennen wie die ge­ ringerer Frauen. „Dein Knecht ist gestern Abend angekommen", versetzte der Fürst. „Und Du hast Nehuschta und die andern Ebräer mitgebracht?" fragte die Königin weiter. „So ist es." „Erzähle mir etwas von dieser Nehuschta!" sagte Atossa. Sie hatte einen vertraulichern Ton angeschlagen, aber Zoroaster erwog seine Worte bedächtig und redete zu ihr nie anders als in der förmlichen Weise eines Unter­ thanen gegen seinen Herrscher. „Die Königin kennt sie. Sie war vor einigen Jahren als Kind hier", versetzte er. Er ließ Atossa alles abfragcn, was sie wissen wollte. „Ist das schon lange her?" fragte sie mit einem leisen Seufzer. „Ist sie blond?"

81 „Nein, sie ist dunkel, nach Art der Ebräer." „Und auch der Perser," unterbrach sie ihn. „Sie ist sehr schön", fuhr Zoroaster fort, „und sehr groß". Atossa blickte lächelnd aus. Bei all ihrer Schön­ heit war sie selbst nicht groß. „Dir gefallen große Frauen." „Ja"; antwortete Zoroaster, — sich wohl bewußt dessxn, was er sagte. Er wollte der Königin nicht schmei­ cheln; nnd überdies kannte er sie zu gut, um es zu thun, falls er ihr gefallen wollte. Sie gehörte zu den Frauen, welche nicht gewohnt sind, an ihrer Ueberlegenheit über andre ihres Geschlechts zu zweifeln. „Also gefällt Dir die ebräische Königstochter?" sagte sie und wartete auf eine Antwort; aber ihr Gefährte war so kalt und ruhig wie sie. Als er sich geradezu beargwöhnt sah, änderte er seine Tactik und schmeichelte Atossa, um ihren Fragen ein Ende zu machen. „Größe ist an und für sich keine Schönheit", ant­ wortete er mit verbindlichem Lächeln. „Es giebt eine Art von Schönheit, zu welcher keine Größe etwas hinzuthun könnte, — eine Vollkommenheit, die nicht erhöht zu werden braucht um von allen anerkannt zu werden." Die Königin schien die Schmeichelei nicht zu beachten, sie hatte aber die beabsichtigte Wirkung, denn Atoffa än­ derte ihren Ton etwas und sprach mit mehr Ernst. „Wo ist sie? Ich will sie besuchen"; sagte sie. „Sie hat vergangene Nacht in den obern Gemächern im fürstlichen Theile des Palastes geruht. Dein Knecht wird sie herbescheiden, wenn es Dein Wunsch ist." „Um ein Weilchen", versetzte die Königin, „es ist noch früh, und sie muß müde sein von der Reise." Es entstand eine Pause. Zoroaster blickte herab auf Crawford, Zoroaster.

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82 die neben ihm sitzende schöne Königin und fragte sich, ob sie sich wohl verändert hätte und als er sie anschaute, fing er an, ihre Schönheit mit Nehuschta's zu vergleichen; un­ willkürlich haftete sein Blick aufmerksamer auf ihr, so daß Atoffa plötzlich aufschaute und bemerkte, wie seine Augen auf ihrem Antlitz ruhten. „Es ist lange her, seit wir uns nicht gesehen, Zoroaster", sagte fie schnell. „Erzähle mir von Deinem Leben in jener abgelegenen Festung. Dir ist's geglückt im Waffenberuf — Du trägst die königliche Kette." Sie streckte die Hand aus und berührte die Glieder der Kette, als ob sie sie befühlen wollte. „Sie ist wirklich sehr ähnlich der Kette, welche Darius trug, als er vor kurzem nach Babylon zog." Sie schwieg einen Augenblick, als wollte fie fich auf etwas befinnen und fuhr dann fort: „Ja, nun fällt es mir ein! Als er zurückkam, hatte er keine Kette um. Es ist folglich die seinige, — weshalb hat er fie Dir geschenkt?" Ihre Stimme hatte einen Anflug von Unsicherheit bei dieser Frage, — sie klang halb befehlend, als erheische sie eine Antwort, halb überredend, als ob sie nicht sicher wäre, die Antwort zu erhalten. Zoroaster erinnerte sich dieses TonS ihrer süßen Stimme und lächelte in seinen Bart. „In der That", versetzte er, „der Große König, welcher ewig lebe, hängte mir gestern Abend mit eigenen Händen diese Kette um, als wir am Wege hielten, wie ich vermuthe, als einen Lohn für gewisse Verdienste, welche sein Knecht Zoroaster nach seiner Ansicht besitzt." „Verdienste? was für Verdienste?" „Die Königin kann doch nicht von mir erwarten, daß ich mein eigenes Lob singe. Ich aber bin bereit für den Großen König zu sterben. Das weiß er. Möge er ewig leben!"

83 „Vielleicht war eines Deiner Verdienste die glückliche Erfüllung des höchst schwierigen Auftrags, welchen Du kürzlich vollbracht hast", sagte Atossa mit einem Anflug von Spott. „Ein Auftrag?" wiederholte Zoroaster. „Ja, hast Du nicht eine Handvoll ebräischer Weiber den ganzen Weg von Ecbatana nach Susa trotz zahlloser Gefahren und Schwierigkeiten gesund und heil hergebracht, und so gut für sie gesorgt, daß sie nicht einmal müde find, auch unterwegs weder Hunger noch Durst gelitten, noch die kleinste Büchse mit Wohlgerüchen oder die winzigste ihrer goldenen Haarnadeln verloren haben? Sicherlich hast Du es verdient, eine goldene Kette um den Hals gehängt zu bekommen und des Königs Freund genannt zu werden!" „Die Belohnung war ohne Zweifel größer als mein Verdienst. Ich hatte keine Heldenthat zu vollbringen; und doch kann man in diesen Tagen Medien unter einem König verlaffen und unter einem andern ankommen. Du, Königin, weißt am besten, was für schnelle Umwäl­ zungen im Reiche vorkommen können", versetzte Zoroaster, indem er fie beim Sprechen ruhig ansah, und fie, die das Weib des Kambyses und das Weib des ermordeten Gomata Smerdis gewesen, und jetzt die Gemahlin des Darius war, sah zu Boden und schwieg, während fie in ihren schönen Händen die versiegelte Schriftrolle hin und her drehte. Die Sonne war während ihres Gespräches höher ge­ stiegen, und ihre Strahlen durchglühten die klare Lust. Der Nebel war über der Stadt emporgestiegen und alle Straßen und Plätze waren von lärmenden Käufern und Verkäufem belebt, deren lautes Sprechen und Streiten in beständigem Gesumme zu dem Palast aus dem Hügel em6'

84 pordrang, wie das Summen eines Bienenschwarms. Die Königin stand auf. „Es ist hier zu warm", sagte sie und ging wieder nach der Treppe. Zoroaster folgte ihr ehrerbietig, noch immer den Helm in der Hand haltend. Atofsa sprach nicht, bis sie an der Schwelle war. Als sich Zoroaster da tief vor ihr verneigte, stand sie still und fah ihn mit ihren klaren dunkelblauen Augen an. „Du bist in vier Jahren sehr förmlich geworden", sagte sie leise. Du Pflegtest offenherziger und weniger wie ein Höfling zu sein. Ich habe mich nicht verändert, — wir müssen Freunde sein, wie ehemals." Zoroaster zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete. „Ich bin des Großen Königs Mann", sagte er. „Folg­ lich bin ich auch ein Knecht der Königin." Atossa zog ihre feinen Augenbrauen ein wenig in die Höhe und ein Schatten von Verstimmung überflog zum ersten Male ihr holdes Antlitz und gab ihm einen Aus­ druck von Strenge. „Ich bin die Königin", fagte sie kalt. „Der König kann noch andre Weiber nehmen, aber ich bin die Königin. Gieb acht, daß Du in der That mein Knecht seist." Als sie dann ihren Mantel um sich zog und einen Fuß aus die Treppe setzte, berührte sie seine Schulter sanft mit den Fingerspitzen und setzte plötzlich lächelnd hinzu: „Und ich will Deine Freundin sein." So verschwand sie aus der Treppe und ließ Zoroaster allein. Langsam schritt er wieder die Terraffe auf und ab, in tiefes Nachfinnen über seine Lage versunken. Allerdings hatte er nicht geringen Grund zu Besorgnissen; es war offenbar, daß die Königin seine Liebe zu Nehuschta arg­ wöhnte, und er war mehr als zur Hälfte überzeugt, daß

85 Gründe vorlägen, weshalb fie eine solche Neigung miß­ billigen würde. Zn ftühren Zeiten, ehe sie mit Kambyses vermählt, und später ehe Zoroaster nach Medien gesandt worden war, hatte Atossa eine so entschiedene Vorliebe für ihn bezeigt, daß ein mehr mit der Welt vertrauter Mann errathen haben würde, daß sie ihn liebte. Er hatte keinen solchen Argwohn geschöpft, aber bei seiner klaren Charakter­ kenntniß hatte er wohl begriffen, daß hinter den schönen Zügen und der freimüthigen Freundlichkeit der jungen Fürstin ein scharfer Verstand, unbeugsamer Ehrgeiz und kalte Selbstsucht ohne Gleichen lauerten; er hatte ihr miß­ traut, war aber auf ihre Launen eingegangen und war ihr in der That ein guter Freund gewesen; ohne im min­ desten zu wünschen dafür ihre Freundschaft für sich anzu­ nehmen. Er war damals nur ein junger Hauptmann über fünfhundert, wenn auch der Liebling bei Hofe ge­ wesen; aber sein starker Arm ward eben so gefürchtet, wie die schneidende Schärfe seiner Antworten, wenn er befragt wurde, und so war kein Wort von dem Hofgeklätsch über Atoffas Vorliebe für ihn ihm zu Ohren gekommen. Ueberdies war es so offenbar, daß er für sie nichts mehr em­ pfand als unbefangene Freundlichkeit, daß ihre Enttäuschung sein Herz nicht rühren zu können, eine Quelle beständiger Befriedigung für ihre Feinde war. In jenen Tagen hatte unbeschränkte Zügellosigkeit am Hofe geherrscht, und die Thatsache, daß die Tochter des Cyrus den schönsten von der königlichen Wache liebte und von ihm geliebt würde, hätte an sich nicht übergroßes Aufsehen erregt. Aber die offenbare Unschuld Zoroasters an der ganzen Sache, und die meisterhafte Art, mit der Atossa ihren Aerger verbarg, wenn sie überhaupt welchen empfand, ließen die Sache völlig in Vergessenheit gerathen, so bald Zoroaster Susa

86 verließ und seitdem waren große Ereignisse zu rasch auf einander gefolgt, um den Höflingen Zeit zu lassen, über alte Klatschgeschichten zu schwatzen. Die Abgeschiedenheit, in welcher Gomata in den sieben Monaten lebte, während er den Glauben im Volke aufrecht erhielt, daß er nicht Gomata Smerdis, sondern Smerdis, der Bruder des Kambyses wäre, hatte den Hof aufgelöst; der starke mann­ hafte Charakter des Darius hatte der Zügellosigkeit der Großen so plötzlich Einhalt gethan, wie ein Rossebändiger ein ungezähmtes Füllen bewältigt, indem er ihm eine Schlinge um den Hals wirft. Der König gestattete, daß der alte Gebrauch, vier Weiber heirathen zu dürfen, bei­ behalten bleibe, und er selbst gab bald durch die That ein Beispiel dafür; aber er hatte beschlossen, daß das ganze verrottete Gebäude des Hoflebens mit einem Schlage zer­ trümmert werden sollte, und mit seiner üblichen kühnen Nichtachtung der Folgen und seiner eisernen Entschlossen­ heit, seine Ansichten durchzusetzen, hatte er keinen Wider­ spruch gegen seinen Willen geduldet. Er hatte Atoffa ge­ heiratet, — erstens weil sie das schönste Weib in Persien war; zweitens weil er ihren hervorragenden Verstand und ihre Befähigung für Geschästssachen erkannte, und glaubte er würde sie nach Belieben brauchen können. Atofla selbst hatte sich keinen Augenblick besonnen, in die Ehe zu willi­ gen, — sie hatte ihre früheren Gatten beherrscht, und ge­ dachte Darius in gleicher Weise zu ihrem eignen Vortheil und trotz all ihrer Nebenbuhlerinnen zu beherrschen. Bis jetzt hatte der König keine zweite Frau genommen, obschon er die damals erst fünfzehnjährige Jungfrau Artystone, die jüngste Tochter des Cyrus, also Atossas eigne Schwester, mit steigender Bewunderung betrachtete. Alles dieses wußte Zoroaster und aus seiner eben

87 stattgefundenen Begegnung mit der Königin erkannte er auch, daß sie die Freundschaft mit ihm aufrecht zu erhalten wünschte. Aber nach dem heftigen Auftritt am vergangenen Abend hatte er beschlossen, mit treuester Ergebenheit des Königs Mann zu sein, und er fürchtete Atoffas Pläne könnten über kurz oder lang diejenigen ihres Gatten kreu­ zen. Deshalb nahm er die ihm angebotene Freundschaft kühl auf und behandelte die Königin mit förmlichster Höf­ lichkeit. Andrerseits sah er wohl ein, daß wenn sie sein Betragen gegen sie übelnähme und seiner Liebe zu Nehuschta sicher wäre, es in ihrer Macht läge, Schwierigkeiten und Verwicklungen herbeizuführen, welche er zu fürchten Grund hätte. Sie würde jedenfalls des Königs Bewunderung für Nehuschta entdecken. Darius war ein der Verstellung fast ganz unfähiger Mann, bei dem denken und sofort handeln eins war. Gewöhnlich handelte er recht, denn seine Re­ gungen waren edel und königlich, und sein Herz so redlich und offen wie das Licht des Tages. Er sagte, was er dachte und erfüllte sein Wort auf der Stelle. Er haßte die Lüge wie Gist; die einzige Unwahrheit, deren er sich je schuldig gemacht, war von ihm gesprochen worden, als er, um zu des falschen Smcrdis Wohnung Zutritt zu er­ langen, den Wachen erklärte, er brächte wichtige Kunde von seinem Vater. Er hatte diese Unwahrheit durch eine ausführliche und logische Verthcidigungsrede seinen Ge­ fährten, den sechs Fürsten, gegenüber gerechtfertigt und auseinandergesetzt, daß er nur gelogen habe, um Persien zu retten; und als das Loos, die Königswürde anzunehmen, auf ihn fiel, erfüllte er aufs völligste jegliches Ver­ sprechen, welches er gegeben hatte, das Land von Tyrannen, religiösem Despotismus und dem, was er mit einem Worte „Lügen" nannte, zu befreien. Die Tödtung des Gomata

88 Smerdis wurde als ein Act öffentlicher Gerechtigkeit ange­ sehen und von allen verständigen Leuten gebilligt, sobald bekannt war, durch welche Ränke jener Betrüger sich des Reiches bemächtigt hatte. Was Atoffa betraf, so hatte Darius Abstand davon genommen, sie über die sieben Monate ihrer Ehe mit dem Usurpator auszufragen. Sie hatte recht gut wissen müffen, wer der Mann war; Darius aber verstand ihren Charakter genügend, um zu wiffen, daß sie jedweden heirathen würde, der auf der höchsten Stelle stand, und daß ihr Rath und ihr Muth einem Herrscher von unschätzbarem Werth sein würde. Sie selbst erwähnte ihre Vergangenheit nie gegen den König; denn sie wußte einerseits, daß er Lügen haßte, andrerseits daß die einfache Wahrheit ihr nicht zur Ehre gereichen könnte. Das hatte er ihr von Anfang an zu verstehen gegeben, indem er ihr sagte, daß er sie nähme um deffentwillen, was sie wäre, und nicht was sie gewesen wäre. Jnbezug aus die Vergangenheit war ihre Seele ruhig, und inbetreff der Zukunft versprach sie sich vollen Antheil an dem Erfolg ihres Gatten, wenn er sich glücklich behauptete, und andren Falls unbeschränkte Freiheit in der Wahl seines Nachfolgers. Aber all diese Erwägungen machten für Zoroaster die Aussicht auf seine eigne Zukunft nicht Heller. Er sah sich schon in eine äußerst schwierige Stellung zwischen Nehuschta und den König gebracht. Andrerseits fürchtete er über kurz oder lang wegen Atossas Benehmen gegen ihn beim König in Ungnade ' zu fallen oder durch die hohe Gunst, welche Darius ihm zu theil werden ließ, sich Atossas Ungnade zuzuziehen. Er kannte die Königin als eine ehr­ geizige Frau, die der verwegensten Entwürfe fähig war und zu deren Ausführung die höchste Geschicklichkeit besaß.

89 Er sehnte sich, Nehuschta zu sehen und sofort mit ihr zu sprechen, ihr vieles zu sagen und sie vor mancherlei Möglichkeiten zu warnen; vor allen Dingen wünschte er, den Auftritt des vergangenen Abends und den seltsamen plötzlichen Einfall des Königs, sie zum Weibe zu nehmen mit ihr zu besprechen. Aber er konnte seinen Posten nicht verlassen. Sein Befehl lautete, den König am Morgen auf der östlichen Terrasse zu erwarten; dort mußte er bleiben, bis es Darius belieben würde herauszukommen; und er wußte, daß Ne­ huschta sich nicht in diesen Theil des Palastes herabwagen würde. Er wunderte sich, daß der König nicht käme und wurde ungeduldig über die Verzögerung, als er wahrnahm, wie die Sonne immer höher stieg und die Schatten auf der Terrasse zunahmen. Des Wartens müde, setzte er sich endlich auf den Stuhl, wo Atoffa geruht hatte, und kreuzte die Hände über dem Schwertgriff, indem er sich mit der Philosophie des geschulten Kriegers in seine Lage ergab. Als er so allein dasaß, versank er in Träumerei. Während er auf den Hellen Himmel hinausblickte, vergaß er sein Leben und seine Liebe und alle gegenwärtigen Dinge; und sein Geist erging sich in den Gedanken, welche seinem hohen Verstände am natürlichsten und entsprechend­ sten waren. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Be­ trachtung eines größern Bereiches von Geistern, — der bimste Schleier ward ein wenig gelüftet und eine Weile schaute er star in das Licht eines größern Weltalls.

90 Siebentes Kapitel.

Atosia verließ die Terrasse, wo sie mit Zoroaster ge­ sprochen hatte, in der festen Absicht, bald zurückzukehren; als sie aber die Stufen hinabschritt, reifte in ihrer Seele ein Plan, den sie sofort auszuführen beschloß. Anstatt also weiter nach der Säulenhalle des inneren Hofes zu gehen, bog sie am Fuße der Treppe in einen engen Gang, der auf einen langen, nur durch kleine Oeffnungen in der Mauer erhellten Corridor mündete. Ein Thürchen führte in diesen bedeckten Gang; sie schloß es hinter sich und versuchte es zu verriegeln. Aber der Riegel war rostig und um ihn foktzuschieben, legte sie die Rolle aus der Hand auf eine schmale Steinbank neben der Thür, und dann gelang es ihr mit einem kräftigen Ruck ihrer beiden weißen Händchen den Riegel vorzuschieben. Rasch wendete sie sich um und lief den halbdunklen Gang hinab. Am andern Ende führte eine Keine Wendeltreppe ins DunKe empor. Auf den untersten Stufen waren im Dämmerlicht nur eben erkennbar einige Flecken. Atossa raffte ihren Mantel und ihre untere Tunica empor und trat behutsam aus, mit einem Ausdruck des Widerwillens aus ihrem schönen Gesichte. Die Flecken rührten von dem Blute des falschen Smerdis, ihres letzten Gatten, her, der auf dieser dunklen Treppe vor kaum drei Monaten von Darius er­ schlagen worden war. Vorsichtig tastete die Königin ihren Weg aufwärts, bis sie einen Absatz erreichte, wo eine kleine Oeffnung etwas Licht zuließ. Höher hinauf waren Fenster; sie sah genau auf ihr Kleid und bürstete den Staub ab, den ihr Mantel im Vorübergehen von der Wand abgerieben hatte, ein Paar Mal sah sie sich aus der Treppe mit einem Aus-

91 druck um, der an Ekel streifte. Endlich erreichte sie eine Thür, welche sich auf eine Terrasse öffnete, ähnlich der, wo sie Zoroaster vor wenigen Minuten verlassen hatte, nur daß der Boden nicht so schön polirt war, und daß die Räume zwischen den Säulen halb von herabhängenden Gewächsen und Schlingpflanzen ausgefüllt waren. An einem Ende waren prächtige Teppiche ausgebreitet und ein halbes Dutzend riesiger Kissen von weicher Seide nachlässig aufgethürmt. Drei Thüren, mit Vorhängen versehen, öff­ neten sich auf diesen Balcon, und vor der mittleren hockten zwei weißgekleidete Sklavinnen und sprachen leise mit ein­ ander. Atoffa trat hinaus auf den Marmorboden und bei dem Rauschen ihres Gewandes und dem Klappern ihrer Hackenschuhe sprangen die beiden Sklavinnen auf. Sie kannten die Königin nicht, aber sie hielten es fürs Beste, eine tiefe Verbeugung zu machen, während ihre dunkeln Augen rasch die Einzelheiten ihres Anzugs prüften, doch ohne Unbescheidenheit. Atoffa winkte die eine zu sich und lächelte fteundlich als das dunkelfarbige Mädchen sich ihr näherte. „Ist nicht Nehuschta Deine Herrin?" fragte sie; aber das Mädchen sah sie dumm an, denn sie verstand ihre Sprache nicht. „Nehuschta", wiederholte die Königin, den Namen sehr deutlich in fragendem Tone aussprechend und auf die verhängte Thür deutend. Die Sklavin verstand den Namen und die Frage und schnell wie der Gedanke verschwand sie und ließ Atoffa in einiger Ungewißheit zu­ rück. Sie hatte nicht beabsichtigt, nach Nehuschta zu schicken, denn sie dachte, es würde eine größere Höflichkeit sein, wenn Nehuschta sie wartend fände; aber da die fremde Sklavin gegangen war, ihre Herrin zu rufen, blieb nichts andres übrig, als den Erfolg abzuwarten.

92 Indessen schien Nehuschta keine Eile zu haben, dem Rufe Folge zu leisten, denn der Königin blieb reichlich Zeit, die Terrasse zu besehen, und durch die herabhängen­ den Pflanzen aus die sonnenbeleuchteten Wiesen und den strömenden Fluß gen Süden zu schauen, ehe sie Schritte hinter dem Vorhang vernahm und sah, wie er gehoben wurde, um die Fürstin hindurch zu lassen. Die dunkeläugige Maid war nun ganz erholt und ausgeruht von ihrer Reise; sie trat in ihrer Tunica ohne Mantel heraus, um ihren Gast zu begrüßen, eine Wolke von weichem weißen indischen Muslin war lose über ihr schwarzes Haar gesteckt und verhüllte zur Hälfte ihren Hals. Von ihrem breiten Gürtel von Scharlach und Gold hing an einer Seite ein indisches Stahlmesser mit präch­ tigem Griff in juwelenbesetzter Scheide. Die langen Aermel ihrer Tunica waren in hundert seine Fältchen gezogen, und wo der zarte Stoff in halbrunden Klappen über ihre Hände fiel, war feine Stickerei mit Gold verziert ange­ bracht. Sie trat leicht mit der lässigen Anmuth vollkommner Sicherheit auf und neigte ein wenig das Haupt, als Atossa ihr rasch entgegenging. Auf dem Gesichte der Königin spielte ein freundliches Lächeln, als sie Nehuschta bei beiden Händen zu herzlichem Willkommen ergriff; dann sahen die beiden Frauen einen Augenblick einander in die Augen. Nehuschta hatte von Anfang an bei sich beschloffen, Atossa zu Haffen, allein sie gehörte nicht zu den Frauen, welche ihren Gefühlen freien Lauf lassen, und sich dann später durch ihre Kundgebung gebunden fühlen. Auch sie lächelte süß, als sie unter ihren gesenkten Augenlidern die schöne Königin anschaute und ihre Erscheinung möglichst eingehend prüfte. Sie erinnerte sich ihrer ganz gut, aber der ihr gebotene Willkommen war

93 so warm, daß sie fast meinte, Atoffa falsch beurtheilt zu haben, als sie sie für hart und kalt hielt. Sie zog ihren Gast zu den Kiffen auf den Teppich und sie setzten sich neben einander. „Ich habe schon heute Morgen von Dir gesprochen, Fürstin", begann Atoffa sofort in vertraulichem Ton, als spräche sie mit einer trauten Freundin. Nehuschta war sehr stolz; sie wußte, daß ihr Geschlecht, wenn auch jetzt beinahe erloschen, eben so edel wie Atoffas war, darum antwortete sie in demselben Tone wie die Königin, so daß diese sich im Stillen über das Selbstvertrauen der ebräischen Fürstin ergötzte. „Wirklich?" sagte Nehuschta. „Es muß doch viel wichtigere Dinge als mich in Susa geben. Ich würde von Dir gesprochen haben, hätte ich nur Jemand zur Unter­ haltung gehabt." Die Königin lachte ein wenig. „Als ich heute herauskam, traf ich einen alten Freund von mir auf der Terrasse vor des Königs Wohnung, — Zoroaster, den schönen Hauptmann. Wir geriethen ins Gespräch. Wie schön ist er geworden, seit ich ihn zuletzt sah!" Die Königin beobachtete Nehuschta scharf, während sie ganz unbefangen that, und es schien ihr als würden die Schatten um die Augen der Fürstin etwas dunkler bei der Erwähnung des stattlichen Kriegers. Aber Nehuschta

antwortete ganz ruhig: „Er hat sehr gut für uns gesorgt. Ich möchte ihn gern heute sehen, um ihm für alles zu danken, was er gethan. Gestern war ich müde und muß undankbar er­ schienen sein."

„Wozu brauchen wir je den Männern zu danken für das, was sie für uns thun?" erwiderte die Königin. „Ich

94 dächte, es dürfte in der Leibgarde des Königs kein Edler sein, der nicht seine rechte Hand darum geben würde, einen Monat lang Dich zu behüten, selbst wenn Du sein Dasein garnicht beachtetest." Nehuschta lächelte über die Schmeichelei. „Du thust mir zu viel Ehre an", sagte sie, „allein ich glaube, weil die meisten Frauen so denken wie Du, nennen die Männer uns undankbar. Ich denke, Du ur­ theilst vom Standpunkte der Königin aus, während ich —" „Während Du die Dinge vom Standpunkt der schönen Fürstin aus anfiehest, die um ihrer selbst willen verehrt wird, und nicht um der Gunst und Gaben willen, die sie ihren Unterthanen verleihen mag oder nicht." „Die Königin schenkt einer ihrer Unterthanen in diesem Augenblicke hohe Gunst", antwortete Nehuschta, als ob sie fernere Schmeicheleien ablehnen wollte. „Wie mußt Du Dich freuen, endlich aus der schreck­ lichen Festung fort zu sein!" rief die Königin theilneh­ mend. „Mein Vater pflegte jeden Sommer dorthin zu gehen. Ich verabscheute den elenden Ort mit jenen lang­ weiligen Bergen und endlosen Gärten ohne alle Abwech­ selung. Du mußt Dich recht freuen hier zu sein." „Es ist wahr", versetzte Nehuschta, „ich träumte immer von Susa. Ich liebe die große Stadt und die Leute und den Hof. Ich dachte mitunter, ich müßte in Ecbatana vor langer Weile sterben. Der Winter war dort unerträglich." „Du mußt uns auch liebgewinnen", sagte Atoffa sehr freundlich. „Der Große König will Deinem Geschlechte wohl und wird sicherlich viel für Dein Land thun. Ueber» dies wird bald ein Verwandter von Dir Herkommen, um mit dem König den weitern Ausbau des Tempels und der Stadt Jerusalem zu berathen."

95 „Zorobabel?" fragte Nehuschta rasch. „Ja, ich glaube, so ist sein Name. Sagst Du ZorubEbel oder Zorub-Abel? Ich kenne Deine Sprache nicht." „Sein Name ist Zorob Abel", antwortete Nehuschta. „O, ich wünsche, er möchte den Großen König bewegen, etwas für mein Volk zu thun! Dein Vater würde soviel gethan haben, wenn er länger gelebt hätte." „Zweifellos wird der Große König alles thun, was in seiner Macht steht, die Ebräer in ihrem Lande zu beschir­ men und ihre Wohlfahrt zu fördern", sagte die Königin, aber ihr Blick, der in die Ferne zu schweifen schien, bewies, daß ihre Gedanken nicht mehr auf denselben Gegenstand gerichtet waren. „Dein Freund Zoroaster", setzte sie dann hinzu, „könnte Euch und Eurer Sache von großem Nutzen sein, wenn er wollte." „Ich wünsche, er wäre ein Ebräer!" rief Nehuschta mit einem tiefen Seufzer, welcher der Königin nicht entging. „Ist er es nicht? Ich dachte immer, er hätte heim­ lich Euern Glauben angenommen. Bei seiner Liebe zur Gelehrsamkeit und bei seinen Ansichten schien das so na­ türlich." „Nein", entgegnete Nehuschta, „er ist nicht einer von den unsern, und wird es nie werden. Indessen kommt es am Ende wenig darauf an, was Einer glaubt, wenn er so gerecht ist wie er." „Ich habe die Wichtigkeit der Religion nie begreifen können", sagte die schöne Königin, indem sie ihre weiße Hand auf den Purpurmantel legte und ihre seine Form wohlgefällig betrachtete. „Was mich betrifft, so gefallen mir die Opfer und die Musik und die Gesänge. Ich sehe eS gern, wenn die Priester in ihren weißen Gewändern paarweise zum Altar schreiten, und wie sie sich dann an-

96 strengen, um den Kopf des Stiers in die Höhe zu halten, so daß seine Augen die Sonne sehen können, und wie das rothe Blut herausspritzt wie ein schöner Springbrunnen. Hast Du jemals ein großes Opfer gesehen?" „O ja! Ich erinnere mich, als ich ein ganz kleines Mädchen war, als Kambyses — ich meine als der König auf den Thron kam — es war prachtvoll!" Nehuschta zau­ derte sonst nicht in ihrer Rede, aber als sie des Tages ge­ dachte, da Kambyses König wurde, fiel ihr plötzlich ein, daß Erinnerungen an die Vergangenheit für die seltsame Frau neben ihr peinlich sein könnten. Indessen zeigte Atoffa keine Verwirrung. Im Gegentheil, sie lächelte süßer denn je, obschon vielleicht ein wenig erkünstelte Wehmuth in ihrer Stimme lag, als sie antwortete: „Fürchte nicht mich durch Erwähnung jener Zeiten zu verletzen, liebe Für­ stin. Ich bin gewöhnt davon zu sprechen. Jawohl, ich erinnere mich des großen Tages, wie die Helle Sonne auf den feierlichen Zug schien, und der Wagen mit vier Pferden, die der Sonne geweiht wurden, und des milchweißen Rosies, das sie auf den Stufen des Tempels schlachteten. Wie weinte ich um das arme Thier! Es schien mir so grausam ein Pferd zu opfern. Selbst ein Paar schwarze Sclaven oder ein Paar Scythen hätten sich besser zum Opfer geeignet." „Ich besinne mich", sagte Nehuschta, durch den Ton der Königin beruhigt. „Natürlich habe ich dann und wann in Ecbatana Festzüge gesehen, aber Daniel ließ mich nicht in den Tempel gehen. Es heißt, Ecbatana habe sich sehr verändert, seit der Große König im Sommer nicht mehr dagewesen ist. Es ist sehr still — es bleibt den Pferde­ verkäufern und Kornhändlern überlassen, und alle Fische aus dem Hyrcanischen Meer werden hingebracht, so daß manche Straßen abscheulich riechen."

97 Atofsa lachte über diese Beschreibung mehr aus Höf­ lichkeit, als weil sie sie belustigte. „Zu meiner Zeit", versetzte sie, „war der Pferde­ markt auf der Wiese am Wege nach Zagros, und die Fisch­ händler durften nicht bis aus ein Farsang der Stadt nahen. Die königlichen Nasen waren empfindlich. Aber alles ist anders geworden — hier wie dort. Wir haben mehrere Revolutionen gehabt — ich meine natürlich reli­ giöse, — und es find so viele Leute erschlagen worden, daß ein Geruch des Todes in der Lust liegt. Es ist erstaun­ lich, was die Leute für Aufhebens davon machen, ob der Sonne ein Pferd geopfert wird oder dem Auramazda ein Kalb, oder ein Aethiopier dem Nabon und der Astaroth? Und diese Magier! Sie find wirklich eben so wenig Nach­ kommen der Priester in der Aryschen Heimath als ich eine Griechin bin. Die meisten sind beinahe schwarz — sie sind Hindus und sprechen kein reines Persisch. Sie glauben an eine Unzahl Götter von allen möglichen Größen und Ge­ stalten und singen Hymnen, in denen es heißt, daß all diese Götter Eins sind. Es ist höchst verwirrend, und der wichtigste Theil ihres Hauptopfers besteht darin, daß sie sich an dem abscheulichen Saft der Asclepias berauschen, den sie so gern mögen. Es ist ekelhast. Der Große König sagte ihnen zuerst, wenn sie ihren Göttern opfern wollten, so könnten sie es thun, nur müßte es Niemand bemerken, und wenn sie sich betrinken wollten, so möchten sie sich berauschen, wo und wann sie wollten, aber wenn sie beides zugleich thäten, würde er alle Magier in Persien kreuzigen lassen. Sein Grund dafür war sehr ergötzlich. Er sagte, wenn ein Mensch betrunken ist, redet er natürlich die Wahrheit, während ein Mensch, der falschen Göttern opfert, unfehlbar lügt; deshalb läuft ein Mann, der falschen Crawford, Zoroaster.

7

98 Göttern opfert, während er trunken ist, Gefahr, zu Zeit zu lügen und die Wahrheit zu reden, und ist ein Geschöpf, das der Logik Hohn spricht, und zum des ganzen Menschengeschlechtes sofort umgebracht

gleicher folglich Besten werden

muß." Nehuschta hatte mit Aufmerksamkeit den Bericht der Königin über die religiösen Verwickelungen im Reiche an­ gehört und lachte über die eigenartige Beweisführung, durch welche Darius den Tod der Magier rechtfertigte. Aber ihr Herz sehnte sich nach Zoroaster und sie war es müde, ihren königlichen Gast zu unterhalten. Um der Abwechselung willen klatschte sie in die Hände und befahl den herbei eilenden Sclavinnen Süßigkeiten und Sorbet von Fruchtsaft und Schnee zu bringen. „Gehst Du gern auf die Jagd?" fragte Atossa, indem sie zierlich ein Stückchen Feigenkuchen nahm. „Es ist mir nie erlaubt worden, auf die Jagd zu gehen", antwortete Nehuschta, „übrigens muß es sehr er­ müden." „Mir macht es das größte Vergnügen. — Der Fei­ genkuchen ist nicht so gut wie sonst. Wir haben einen neuen Zuckerbäcker. Darius war der Ansicht, der andre hätte religiöse Ueberzeugungen, die ihn zum Lügen brächten — und dies sind die Folgen davon! Es ist weit mit uns gekommen, wenn wir nicht eines Magiers Gebäck essen dürfen! — Ich liebe die Jagd leidenschaftlich, aber es ist weit von hier bis in die Wüste und die Löwen sind selten. Ueberdies machen die Männer, welche zur Löwen­ jagd taugen, meistens Jagd auf ihre Mitmenschen." „Jagt der Große König?" fragte Nehuschta, indem sie langsam ihren Sorbet aus einem grünen Specksteinbecher nippte und aus einen Ellbogen gestützt in ihren Kiffen dalag.

99

„So ost er Muße dazu hat.

Er wird mit Dir von

nichts Anderem sprechen."

„Sicherlich", unterbrach sie Nehuschta mit der Miene der reinsten Unschuld, „ich werde doch nicht so hoch geehrt werden, daß der Große König mit mir sprechen sollte?" Atofsa schlug

ihre blauen Augen auf und sah die

schwarzhaarige Fürstin neugierig an.

Sie wußte nichts

von dem, was am vergangenen Abend vorgefallen war, nur daß der König Nehuschta einige Augenblicke gesehen hatte; aber sie kannte seinen Charakter gut genug um sich denken

zu können, daß sein freimüthiges und wie sie es nannte, würdeloses Wesen Nehuschta selbst bei diesem kurzen Zu­ sammentreffen ausgefallen sein müßte. Der Gedanke, daß

die Mrstin bereits anfing sie zu täuschen, fuhr ihr durch den Sinn. Sie lächelte zärtlicher als je mit einem leichten Anflug von Wchmuth, der ihr bezaubernd stand.

„Ja,

der Große König ist sehr huldvoll gegen die „Du bist so schön und so den andern, daß er gewiß heute

Frauen am Hofe", sagte sie. ganz verschieden von

Abend nach dem Mahle lange mit Dir sprechen wird, — wenn er viel Wein getrunken hat." Die letzten Worte

wurden in besonders süßem Ton hinzugefügt.

Nehuschtas Antlitz erröthete ein wenig und sie trank Dann ließ sie ihre sanften dunkeln Augen wie bewundernd auf dem Ange­ sicht der Königin ruhen und sprach in mildem, abweisen­ noch mehr Sorbet, ehe sie antwortete.

dem Tone: „Wird ein Mann das Dunkel der Nacht der Herrlich­ keit des Hellen Tages vorziehen?"

„Oder wird ein Mann sich von den Lilien abwenden, um die bescheidene Blume des Feldes zu pflücken?" „Du kennst auch unsere Dichter?"

rief Atossa und 7*

100 dabei lachte sie ein wenig. „Nun fürchte ich, wird der König erst recht mit Dir sprechen, denn er liebt die Dich­ tung. Wahrscheinlich hat Zoroaster an den Winterabenden in Ecbatana Dir viele Verse hergesagt. Als Knabe wußte

er Gedichte ohne Ende auswendig." Jetzt sah Nehuschta die Königin an und wunderte sich, wie sie, die nicht mehr als dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte, obschon sie mit dem dritten Gatten verheirathet war, sagen konnte, sie habe Zoroaster als Knaben gekannt, da er doch jetzt über dreißig Jahre alt war. Sie wendete sich fragend an die Königin. „Du mußt Zoroaster sehr oft gesehen haben, ehe er Susa verließ", sagte sie. „Du kennst ihn so gut." „Ja, alle kannten ihn. Er war der Liebling am Hose, bei seiner Schönheit, seinem Muthe und seiner sonderbaren Zuneigung für jenen alten — jenen alten ebräischen Pro­ pheten. Darum schickte Kambyses sie beide fort", setzte sie leise lachend hinzu. „Sie waren beide viel zu tugendhaft, als daß man sie in dem Leben und Treiben jener Zeiten hier hätte dulden können." Atossa sprach ganz unbefangen von Kambyses. Ne­ huschta wunderte sich, ob sie auch wohl dazu zu bringen wäre, von Smerdis zu sprechen. Ihre muthmaßliche Unkenntniß der Ereignisse, welche sich während der letzten drei Monate zugetragen hatten, erlaubte ihr ohne Bedenken von dem verstorbenen Ursurpator zu sprechen. „Ich vermuthe, es haben in den Sitten des Hofes in jüngster Zeit große Veränderungen stattgefunden", sagte Nehuschta unbefangen. Sie pflückte eine Rosine von dem getrockneten Stengel und versuchte, sie mit ihren seinen Fingern zu schälen. „Allerdings, große Veränderungen!" antwortete Atossa

101 ruhig. „Von vielen Dingen, die früher geduldet wurden, darf jetzt nicht mehr die Rede sein. Im Ganzen betrifft die Veränderung besonders die Religion. Du mußt wissen, daß wir binnen einem Jahre drei verschiedene Hofreli­ gionen gehabt haben. Kambyses opferte der Astaroth — und ich muß sagen, er hatte sich die passendste Schutzgöttin gewählt. Smerdis", fuhr die Königin in abgemessenem Ton und größter Ruhe fort, „Smerdis widmete sich ganz dem Dienste Jndra's, wie es schien, eine bequeme Zu­ sammenfassung aller Götter; und der Große König regiert jetzt die Welt durch die Gnade des Auramazda. Ich habe mich immer zu dem ebräischen Glauben an Einen Gott geneigt — vielleicht ist das ziemlich dasselbe wie Aura­ mazda, der Allweise. Was meinst Du?" Nehuschta lächelte über die geschickte Weise, mit der die Königin vermied von Smerdis zu sprechen, indem sie das Gespräch auf religiöse Dinge brachte. Da sie aber einen neuen Vortrag über den verschiedenen Werth des Götzendienstes, der Menschenopfer und des Glaubens an Einen Gott fürchtete, bezeigte sie wenig Antheil an diesem Gegenstände. „Es mag wohl daffelbe sein. Zoroaster sagte das immer, und das war das Einzige, was Daniel ihm nie vergeben konnte. Die Sonne dringt durch die Pflanzen über Deinem Haupte; wollen wir nicht die Kissen an das andre Ende in den Schatten tragen lassen?" Sie klatschte in die Hände und erhob sich mit schlaffer Bewegung, indem sie Atossa die Hand reichte. Aber die Königin sprang leicht empor. „Ich bin zu lange geblieben", sagte sie. „Komm mit mir, theuerste Fürstin, wir wollen in den Orangengarten auf der oberen Terraffe gehen. Vielleicht", sagte sie, in-

102 dem sie die Falten ihres Mantels zurecht legte, „werden wir dort Zoroaster finden oder einen der Fürsten, wenn nicht gar den Großen König selbst. Oder vielleicht möchtest Du gern sehen, wo ich wohne?" Nehuschta ließ sich von ihren Sklavinnen den Mantel reichen und eine brachte ihr die leinene Stirnbiude statt des Schleiers, den sie um ihr Haar geschlungen trug. Aber Atoffa wollte einen Wechsel ihrer Kopfbekleidung nicht dulden. „Es ist zu reizend!" rief sie entzückt. „So unge­ wöhnlich! Du mußt nichts daran ändern." Sie schlug ihren Arm zärtlich um Nehuschta und führte sie nach der Thür zur innern Treppe. Dann stand sie plötzlich still, als ob sie sich besänne. „Nein", sagte sie, „ich will Dich den Weg führen, den ich gekommen bin. Er ist kürzer, und Du mußt ihn kennen. Es könnte Dir von Nutzen sein." Also verließen sie den Balkon mittelst der kleinen hinter einem Pfeiler versteckten Thür und gingen die dunkle Treppe hinab. Nehuschta verabscheute die geringste Unbe­ quemlichkeit und wünschte im Stillen, die Königin hätte sich nicht anders besonnen, sondern sie einen bequemern Weg geführt. „Es ist nicht weit", sagte die Königin rasch voran­ gehend. „Es ist gräßlich steil", sagte Nehuschta, „und ich kann kaum sehen, wo ich hintrete. Wie viel Stufen sind es?" „Nur noch zwanzig", antwortete die Königin von unten her. Sie schien in Eile, aber Nehuschta fiel es nicht ein, schneller zu gehen, sie tastete vorsichtig weiter. Als sie bei der letzten Windung der Treppe einen Lichtschimmer erblickte, hörte sie unten im Gange laute Stimmen. Mit

103 der angebornen Vorsicht ihres Volkes stand sie still und horchte. Die harten rasch ausgestoßnen Worte eines zorriigen Mannes übertönten alles übrige.

Achtes Kapitel. Zoroaster hatte beinahe eine Stunde dagesessen, die Augen auf den blauen Himmel geheftet, während seine Gedanken sich in Betrachtung größerer und höherer Dinge, denn von dieser Erde ergingen, als er durch den abgemeffenen Schritt Bewaffneter aufgeschreckt wurde, die in einem entfernten Gemach einhermarschirten. Augenblicklich stand er auf, den Helm aus dem Haupt; — die Macht kriegerischer Gewohnheit brachte ihn sofort in die WiMchkeit zurück. Einen Augenblick daraus wurde derselbe schwere Vorhang zurückgeschoben, durch welchen Atoffa vor zwei Stunden herausgetreten war, und eine doppelte Reihe von Speerträgern kam auf die Terrasse hinaus und stellte sich rechts und links in gut geschulter Ordnung auf. Noch einen Angenblick später erschien der König selbst; er ging allein daher in seiner Rüstung mit dem geflügelten Helm, die linke Hand auf das Heft seines Schwertes gestemmt, sein prachtvoller Mantel wallte von den Schultern bis zur Erde herab. Als er zwischen die Reihen der Krieger kam, ging er langsamer, und seine dunkeln, tiefliegenden Augen schienen die Haltung und Rüstung jedes einzelnen Speer­ trägers zu prüfen. In jenen ersten Tagen seiner Herr­ schaft vertauschte er selten den Brustharnisch mit der Tunica, oder den Helm mit der Stirnbinde und der königlichen Krone. Das Wesen des Kriegers herrschte in Gang und Haltung vor, und der Ausdruck des Eroberers lag schon auf seinem Antlitz.

103 der angebornen Vorsicht ihres Volkes stand sie still und horchte. Die harten rasch ausgestoßnen Worte eines zorriigen Mannes übertönten alles übrige.

Achtes Kapitel. Zoroaster hatte beinahe eine Stunde dagesessen, die Augen auf den blauen Himmel geheftet, während seine Gedanken sich in Betrachtung größerer und höherer Dinge, denn von dieser Erde ergingen, als er durch den abgemeffenen Schritt Bewaffneter aufgeschreckt wurde, die in einem entfernten Gemach einhermarschirten. Augenblicklich stand er auf, den Helm aus dem Haupt; — die Macht kriegerischer Gewohnheit brachte ihn sofort in die WiMchkeit zurück. Einen Augenblick daraus wurde derselbe schwere Vorhang zurückgeschoben, durch welchen Atoffa vor zwei Stunden herausgetreten war, und eine doppelte Reihe von Speerträgern kam auf die Terrasse hinaus und stellte sich rechts und links in gut geschulter Ordnung auf. Noch einen Angenblick später erschien der König selbst; er ging allein daher in seiner Rüstung mit dem geflügelten Helm, die linke Hand auf das Heft seines Schwertes gestemmt, sein prachtvoller Mantel wallte von den Schultern bis zur Erde herab. Als er zwischen die Reihen der Krieger kam, ging er langsamer, und seine dunkeln, tiefliegenden Augen schienen die Haltung und Rüstung jedes einzelnen Speer­ trägers zu prüfen. In jenen ersten Tagen seiner Herr­ schaft vertauschte er selten den Brustharnisch mit der Tunica, oder den Helm mit der Stirnbinde und der königlichen Krone. Das Wesen des Kriegers herrschte in Gang und Haltung vor, und der Ausdruck des Eroberers lag schon auf seinem Antlitz.

104 Zoroaster trat einige Schritte vor und stand still, als der König ihn erblickte, bereit sich nach alter Sitte vor ihm niederzuwerfen. Aber Darius wehrte ihm mit einem Winke; sich halb umwendend, entließ er die Wache, welche durch den Vorhang zurückmarschirte, wie fie gekommen, und der Vorhang schlug hinter ihr zu. „Ich liebe nicht all diese Umstände!" sagte der König. „Ein einfacher Gruß, die Hand auf Lippen und Stirn ge­ legt, — das genügt. Ein Mann könnte eine Schlacht gewinnen in der Zeit, die es ihm nimmt, mir zwanzig Mal am Tage zu Füßen zu fallen und wieder auszu­ stehen." Da des Königs Rede keine Antwort zu erheischen schien, stand Zoroaster schweigend seines Befehls gewärtig. Darius trat an die Brustwehr, stand einen Augenblick in der vollen Sonnengluth und schaute hinaus. Dann kam er wieder zurück. „Die Stadt scheint heute Morgen ruhig", sagte er. „Wie lange verweilte die Königin hier im Gespräch mit Dir, Zoroaster?" „Die Königin sprach mit ihrem Knecht etwa eine halbe Stunde", erwiderte Zoroaster ohne Zögern, obgleich er über die plötzliche und unumwundene Frage erstaunt war. „Sie ist zur Fürstin gegangen", fuhr der König fort. „Die Königin sagte zu ihrem Knechte, es wäre noch zu frühe Nehuschta zu besuchen", versetzte der Krieger. „Dennoch ist sie zu ihr gegangen", behauptete Darius im Tone der Ueberzeugung. „Nun ist es ja klar, wenn die schönste Frau der Welt erfahren hat, daß eine noch schönere als sie angekommen ist, so wird sie keinen Augen-blick verlieren, bis sie fie gesehen hat." Er sah Zoroaster neugierig an, und sein dicker schwarzer Bart verbarg nicht

105 ganz das Lächeln auf seinen Lippen. „Komm", setzte er hinzu, „wir werden die beiden beisammen finden." Der König schritt voran, Zoroaster folgte ihm nach. Sie gingen die Treppe hinunter, über welche die Königin gegangen war, und gelangten in dem engen Gange an die kleine Thür, welche sie mit so vieler Mühe von innen verriegelt hatte. Der König stieß mit voller Wucht da­ gegen, aber sie blieb verschlossen. „Du bist stärker als ich, Zoroaster", sagte er lachend. Oeffne diese Thür." Der junge Krieger stieß heftig gegen die Bretter und fühlte, daß das eine nachgab. Dann trat er zurück und that mit geballter Faust einen starken Schlag dagegen, noch einen — und das Brett zerbrach. Er steckte seinen Arm durch die Oeffnung und zog leicht den Riegel zurück; die Thür sprang aus. Seine Hand war von Blut überströmt. „Das war gut gemacht", sagte Darius, indem er hin­ eintrat. Sein scharfes Auge erblickte etwas Weißes auf der Steinbank jn der dunklen Ecke an der Thür. Es war die versiegelte Schriftrolle, welche Atossa dorthin gelegt hatte, als sie beide Hände zum Verriegeln der Thür brauchte. Darius trat damit an ein Fenster, betrachtete sie neugierig und brach das Siegel auf. Zoroaster stand daneben und wischte sich das Blut von den Knöcheln. Der Inhalt der Rolle war kurz. Sie war an einen gewiffen Phraortes zu Ecbatana in Medien gerichtet und enthielt die Nachricht, daß der Große König im Triumph von Babylon zurückgekehrt wäre, nachdem er die Ausstän­ digen unterworfen und in zwei Schlachten viele Tausende er­ schlagen hatte. Ferner daß besagter Phraortes sofort Kunde über die Angelegenheiten der Königin geben und nichts weiter darin thun solle, ehe er nicht fernere Weisung erhielte.

106 Der König stand einen Augenblick in tiefen Ge­ danken. Dann ging er langsam den Gang hinab, die RoÜe lose in der Hand haltend. Gerade in diesem Augen­ blicke kam Atofsa von der dunkeln Treppe herab; als sie plötzlich Darius gegenüber stand, stieß sie einen Schrei aus und stand still. „Dies ist ein höchst paffender Platz für unsre Unter­ redung", sagte Darius ruhig. „Hier kann uns Niemand hören. Sprich deshalb gleich die Wahrheit." Er hielt ihr die Rolle vor die Augen. Atoffa's Geistesgegenwart verließ sie nicht, auch wech­ selte sie nicht die Farbe, obschon sic wußte, daß ihr Leben von ihren Worten abhing. Sie lachte ein wenig, als sie antwortete. „Ich kam heute Morgen diese Treppe herunter" — „Um die schönste Frau der Welt zu sehen", unter­ brach Darius die Stimme erhebend. „Du hast sie ge­ sehen. Das freut mich. Warum verriegeltest Du die Thür im Gange?" „Weil ich es für unpassend hielt, daß der Zugang zu den Frauengemächern offen stehen sollte, wenn doch so viele im Palast den Weg kennen", antwortete sie rasch genug. „Wohin wolltest Du diesen Brief tragen, als Du ihn an der Thür liegen ließest?" fragte der König und fing an zu zweifeln, ob wirklich etwas Unrechtes dabei wäre. „Ich wollte ihn nach Ecbatana schicken", antwortete Atofsa völlig unbefangen. „Wer ist dieser Phraortes?" „Er ist der Verwalter der Ländereien in Medien, welche mir mein Vater geschenkt hat. Ich schrieb ihm von dem Siege des Großen Königs und sagte, er solle eine Nach-

107 richt über meine Angelegenheiten senden und nichts weiter darin thun, bis ich wieder schriebe. „Weshalb nicht?" „Weil ich es für möglich hielt, daß der Große König den Sommer in Ecbatana zubringen würde, und daß ich dann folglich selbst dort sein würde, um meine Anordnungen zu treffen. Ich vergaß den Brief, weil ich den Riegel mit beiden Händen vorschieben mußte, und kam ihn jetzt holen. Rehuschta die Fürstin ist bei mir — sie ist noch auf der Treppe." Der König betrachtete nachdenklich das schöne Antlitz seiner Gattin. „Du hast augenscheinlich die Wahrheit gesprochen", sagte er langsam. „Aber es ist nicht immer leicht zu ver­ stehen, was Deine Wahrheit auf sich hat. Ost denke ich, es wäre das Beste, Dich zu erdroffeln. Sagtest Du, daß Rehuschta in der Nähe ist? So rufe sie. Warum zögert sie?" In der That hatte Rehuschta gebebt, während sie auf der Treppe kauerte und nicht recht wußte, ob sie herunter kommen oder die Stufen wieder empor eilen sollte. Als sie die Königin ihren Namen nennen hörte, hielt sie es indeffen für klüger, so zu thun, als wäre sie außer Hör­ weite gewesen, und mit leisen schnellen Schritten ging sie hinauf, bis sie an die helle Stelle kam, und dort wartete sie. „Möge der Große König selbst sie suchen gehen", sagte Atossa stolz, „wenn er noch ferner an meinen Worten zweifelt." Sie trat zurück, um ihn vorüber gehen zu lassen, aber Darius gab Zoroaster einen Wink, hinauszugehen. Dieser war in einiger Entfernung stehen geblieben, als ein unfreiwilliger Zeuge des in seiner Gegenwart stattgehabten Streites zwischen dem Königspaar, als er aber an der

108 Königin vorüberschritt, warf fie ihm einen traurigen, stehenden Blick zu, als erbäte sie seine Theilnahme für das, was sie zu leiden habe. Trotz der Dunkelheit lies er rasch die Treppe in die Höhe und fand Nehuschta oben am Fenster wartend. Sie fuhr zusammen, als sie ihn er­ blickte, denn er war es, den sie am allerwenigsten erwartet hatte. Aber er schloß sie rasch in die Arme und küßte sie zwei Mal leidenschaftlich. „Komm schnell, meine Geliebte", flüsterte er. „Der König wartet unten." „Ich hörte seine Stimme, — und dann lief ich fort", flüsterte sie eilends und so fingen sie an wieder hinabzu­ steigen. »Ich haste sie", „ich wußte es im voraus!" flüsterte sie, sich auf seinen Arm stützend. So traten fie in den Gang und trafen Darius sie erwartend. Die Königin war nirgends zu sehen, und die Thür am andern Ende des schmalen Ganges stand weit offen. Der König war so ruhig, als ob nichts vorgesallen wäre; er hielt noch den offnen Brief in der Hand, als Nehuschta in den Gang trat und sich vor ihm verneigte. Er ergriff einen Augenblick ihre Hand und ließ sie dann wieder sinken; aber seine Augen leuchteten plötzlich auf und sein Arm bebte bei ihrer Berührung. „Du hattest Dich beinahe verirrt", sagte er. „Der Palast ist groß und hat zahlreiche und vielverschlungene Gänge. Nun komm, ich will Dich in den Garten führen; da kannst Du mit den edlen Frauen der Königin Bekannt­ schaft machen und allerlei Unterhaltung finden. Möge sich Dein Herz erfreuen an der Schönheit von Susa, und wenn Du Dir irgend etwas wünschest, sprich es aus, unb 'ich will es Dir geben."

109 Nehuschta neigte dankend das Haupt. Das Einzige was sie wünschte, war eine halbe Stunde mit Zoroaster allein zu sein, und das schien schwer. „Deine Magd wünscht, was Dir wohlgefällt", ant­ wortete sie. Somit verließen sie den Gang durch die offne Thür; der König selbst geleitete Nehuschta bis an den Eingang zum Garten und befahl der Sclavin, die ihnen entgegen kam, sie in den Pavillon zu führen, wo die edlen Frauen des Palastes im warmen Sommerwetter den Tag zubrachten. Zoroaster wußte, daß trotz der Frei­ heit, welche seine eigenthümliche Stellung ihm in dem vom Könige bewohnten Theil des Gebäudes verstattete, es ihm doch nicht vergönnt war, den Ort zu betreten, welcher den edlen Frauen vorbehalten war. Darius konnte es nicht leiden, immerfort von Wachen und Sclaven umgeben zu sein; die Terrasten und Treppen seiner Wohnung waren gewöhnlich ganz leer, — nur kleine Abtheilungen von Speerträgern behüteten sorgsam die Haupteingänge. Aber der übrige Theil des Palastes wimmelte von dem prächtig gekleideten Hofgesinde, von Sclaven aller Farben und Gra­ den, von dem stummen Aethiopier mit glattem Gesichte bis zu den gelehrten ebräischen Schreibern der vornehmen Großen; von den schwarzen spärlich bekleideten Fächer­ mädchen bis zu den zierlichen griechischen Ankleidefrauen der Königin, welche neben dem Marmorbrunnen am Ein­ gänge des Gartens verweilten; und in den äußeren Höfen putzten Krieger von der berittenen Leibwache ihre Waffen oder rötheten ihre breiten Lederzäume und Pferdegeschirre mit rother Kreide, oder streichelten das Pferd eines vor kurzem angekommenen Offiziers oder Boten, andre standen herum und sonnten sich, ohne etwas andres anzuhaben als kurzärmelige leinene Kittel und Beinkleider; dabei sprachen

110 fie über die Angelegenheiten des Landes mit der entschie­ denen Sicherheit, welche allen Soldaten, hoch und niedrig, eigen ist. Es war nur für eine Schwadron Platz im Palaste; aber diese wenigen waren erlesene Leute von der Wache, und jeder von ihnen hielt sich zu einer Meinung über die Lage des neuen Königs eben so gut berechtigt, als ob er wenigstens ein General gewesen wäre. Darius aber duldete keine schwatzenden Sclaven und zankenden Soldaten in seiner eignen Wohnung. Dort war alles still und scheinbar verödet, und dorthin führte er Zoroaster zurück. Der junge Krieger wunderte sich dar­ über, daß der König ohne Begleitung so unbesorgt um­ herging, als wäre er selbst nur ein Soldat. Er war noch nicht an die rastlose Selbständigkeit seines Wesens, an die ununterbrochene Thätigkeit und völlige Furchtlosigkeit des jungen Darius gewöhnt. Es war schwer zu begreifen, daß dieser einfache, gerade, schlichte Mann der Große König wäre und aus dem Thron des prachtliebenden statt­ lichen Cyrus säße, welcher sich nie ohne seinen ganzen prunkenden Hofstaat hinaus zu begeben pflegte, oder daß er an Stelle des üppigen Kambyses herrschte, der sich scheute den Fuß auf den bloßen Marmorboden zu setzen oder sich der Zugluft auf der Treppe auszusetzen; und der nach siebenjähriger Pflege seines Körpers, sich in einem Anfall ohnmächtiger Wuth selbst das Leben genommen hatte. Darius kam auf den persischen Thron wie der Löwe an die Stelle von Schakalen oder der Adler in ein Nest von Krähen und Aasgeiern, unermüdlich, heftig, un­ erbittlich und tapfer. „Kennst Du einen gewiffen Phraortes in Ecbatana?" fragte der König plötzlich, als er mit Zoroaster allein war. „Ich kenne ihn", versetzte der Fürst, „ein reicher,

111 mächtiger Mann, eitel wie ein Pfau und voll List wie die Schlange; nicht von edler Geburt. Er ist der Sohn eines Fischhändlers, der durch den Verkauf eingesalzner Störe auf dem Marktplatze reich geworden. Er ist außer­ dem der Aufseher über die Güter der Königin in Medien und das Gestüt des Großen Königs." „Gehe hin und hole ihn!" sagte der König kurz. Ohne ein Wort, verneigte Zoroaster sich schnell und wendete sich zum Gehen. Aber es war ihm, als hätte ihn Jemand mit einem Messer durchbohrt. Der König sah ihm nach, staunend über seinen unvergleichlichen Gehorsam. „Halt!" rief er. „Wie lange wirst Du fortbleiben?" Zoroaster wendete sich soldatisch kurz um und ant­ wortete: „Es ist einhundertundfünfzig Farsangs*) bis nach Ecbatana- Mit des Königs Vorlegepferden kann ich in sechs Tagen hinreiten und in sechs weiteren Tagen Phraortes hierher bringen — wenn er nicht beim Reiten um­ kommt", setzte er mit grimmem Lächeln hinzu. „Ist er alt oder jung? fett oder mager?" fragte der König lachend. „Es ist ein Mann von vierzig Jahren, weder mager noch fett, ein guter Reiter auf seine Weise, doch nicht wie wir. „Binde ihn aufs Pferd, wenn er vor Müdigkeit Herabfallen sollte, und sage ihm, er ist herberufen, um vor mir zu erscheinen. Sage ihm, die Angelegenheit leide keinen Aufschub. Auramazda sei mit Dir und stehe Dir bei.

Ziehe eilends hin!"

*) Zwischen 500—600 englische Meilen. Südamerikanische Po­ stillone reiten heute 600 Meilen die Woche für ihren bloßen Lebensunterhelt.

112 Wiederum wandte sich Zoroaster um und war im Umsehen verschwunden. Er hatte geschworen, dem König ein treuer Diener zu sein, und er wollte seinen Eid halten, es koste was es wolle, obwohl es bitter für ihn war, Rehuschta ohne ein Wort zu verlassen. Als er hastig leichte Reisekleider anlegte, überlegte er, daß er ihr einen Brief senden könne und schrieb einige Worte aus ein Stück Per­ gament, dann faltete er es zusammen. Als er am Ein­ gang zym Garten vorüberging, sah er sich nach einer Sclavin Nehuschtas um, als er aber keine sah, winkte er einer der griechischen Mägde, gab ihr ein Goldstück und gebot ihr, die kleine Pergament-Rolle Nehuschta, der ebräischen Fürstin abzugeben, die sich im Garten befände. Dann ging er rasch weiter, bestieg das beste Pferd in des Kö­ nigs Stall und ritt Hals über Kopf den steilen Abhang hinab^ In fünf Minuten war er über die Brücke und jagte auf dem geraden staubigen Wege gen Ninive. Wer ihn vom Palaste aus beobachtet hätte, der hätte innerhalb einer Viertelstunde seine dahinfliegende Gestalt in einer einzigen Staubwolke weit, weit auf der großen grünen Ebene verschwinden sehen. Die griechische Sclavin aber stand mit Zoroastcrs Brief in der Hand und steckte das Goldstück, in den Mund, indem sie überlegte, was sie thun sollte. Sie war zufällig eine Dienerin der Königin und dachte sofort, daß sie aus dem Schreiben bessern Vortheil ziehen könnte, als wenn sie es Nehuschta gäbe, die sie am Morgen im Vorüber­ gehen gesehen hatte, und deren dunkles ebräisches Gesicht der leichtsinnigen Griechin aus besonderen Gründen miß­ fiel. Sie dachte daran, die Rolle der Königin zu geben, aber sie wußte ja nicht, was darin stand. Die Worte waren hastig und mit chaldäischen Buchstaben geschrieben.

113 Der Inhalt könnte ihrer Herrin mißfallen. Das Weib war kein Neuling und kannte Zoroasters Gesicht ganz gut von früher her; sie wußte oder vermuthete auch, daß die Königin ihn heimlich liebte, und schloß daraus, daß Zoroaster, der zur Reise gerüstet war, so eilig eine Botschaft an Nehuschta sandte, daß dieser die ebräische Fürstin liebte. Wenn also der Brief einen bloßen Liebesgruß ohne Namen enthielte, so könnte die Königin ihn auf sich beziehen und sich darüber freuen; ginge dagegen daraus hervor, daß der Brief für Nehuschta bestimmt wäre, so müßte es der Kö­ nigin sicher lieb sein, wenn diese ihn nicht erhielte. Das Ergebniß dieser schlauen Ueberlegung war, daß die Griechin den Brief in ihren Busen und das Goldstück in ihren Gürtel steckte und nach einer Gelegenheit suchte, die Kö­ nigin allein zu treffen. Am Abend jenes Tages saß Atossa in einem innern Gemach vor ihrem Spiegel; der Tisch war mit Juwelen­ kästchen, silbernen Kämmen, Schalen voll goldner Haar­ nadeln und allem Zubehör zu ihrem Ankleiden bedeckt. Einige prachtvolle Schmuckgegenstände lagen unter all diesen Sachen und blitzten im Wiederschein zweier hoher Lampen, welche auf Bronzegestellen neben ihrem Sessel standen. Sie war völlig angekleidet und hatte ihre Frauen fortgeschickt; aber sie verweilte noch ein wenig und las die kleine Per­ gamentrolle durch, welche die oberste ihrer Haarmacherinnen ihr in die Hand gesteckt hatte, als sie einen Augenblick allein waren. Nur ein schwarzes Fächermädchen stand einige Schritte hinter ihr; sie stützte den Stengel des langen Palm­ blattes auf ihren vorgestreckten Fuß und schwang das breite runde Blatt aus Armeslänge rasch hin und her, so daß sie ihre königliche Herrin gerade unterhalb der ruhig darüber brennen­ den Lampen, beständig einen Strom frischer Lust zuwehte. (Crawford, Zoro.ister.

8

114 Die Königin drehte den kleinen Brief in der Hand herum und lächelte, als sie in die große polirte Silber­ platte blickte, welche den Tisch überragte. Mit einiger Schwierigkeit hatte sie den Inhalt herausbekommen, denn sie verstand die ebräische Sprache und die chaldäischen Buchstaben genügend, um die wenigen einfachen Worte lesen zu können. „Ich gehe zwölf Tage fort, im Auftrag des Königs. Meine Geliebte, meine Seele ist bei Deiner Seele und mein Herz bei Deinem Herzen. Wie der Tauber Morgens ausfliegt und am Abend zu seiner Taube zurückkehrt, also werde ich bald zu Dir zurückkehren." Atossa wußte recht gut, daß der Brief für Nehuschta bestimmt war. Das Weib hatte ihr zugeflüstert, Zoroaster habe ihr den Brief gegeben, und Zoroaster würde solche Worte niemals an sie, die Königin, geschrieben haben; oder wenn er ihr etwas geschrieben hätte, nicht in ebräischer Sprache. Aber während des Lesens empörte sich das Herz der Königin voll Zorn gegen den persischen Fürsten und seine Geliebte. Als sie an diesem Morgen mit ihm gesprochen, hatte sie die alte Liebessehnsucht in ihrem Herzen aufsteigen fühlen. Sie hatte sich über sich selbst gewundert, denn sie glaubte, sie wäre erhaben über jegliches Gefühl für einen Mann; allein der Eindruck der halbstündigen Unterredung mit ihm war so stark, daß sie thörichterweise die Absen­ dung ihres Brieses an Phraortes verschoben hatte, um das Weib zu sehen, welches Zoroaster gefiele; in ihrer Zerstreutheit hatte fie dann das Pergament auf der Bank im Gange liegen lassen und sich durch die Entdeckung des Schreibens in so drohende Gefahr gebracht, daß sie sich noch kaum sicher fühlte. Der König hatte sie herrisch ent-

lassen, während er auf Nehuschta wartete, und sie hatte ihn seitdem noch nicht wiedergesehen. Von ihren Weibern hatte sie alsbald erfahren, daß Zoroaster gegen Mittag allein und beinahe unbewaffnet auf einem der schnellsten Pferde Persiens gen Ninive fortgesprengt sei. Sie bezwei­ felte nicht, daß Darius ihn sofort zu Phraortes nach Ecbatana abgesandt habe, oder wenigstens mit dem Auftrage, sich nach dem Zustande in der Stadt zu erkundigen. Sie wußte, daß Niemand Zoroaster überholen könne, und daß ihr nichts übrig bliebe, als das Ende abzuwarten. Es war nicht möglich, ihrem Beamten eine Warnung zugehen zu lassen; er mußte selbst sehen, wie er durchkäme, und wenn sein Verhalten Argwohn erregte, würde er wahr­ scheinlich sofort hingerichtet werden. Sie glaubte, daß sie selbst in solchem Falle sich leicht von Verdacht reinigen könnte; aber sie beschloß, ihn womöglich gleich zu warnen, sobald er Susa erreichte, oder den König zu einer kurzen Abwesenheit gerade um die Zeit zu bewegen, wo Phra­ ortes erwartet werden konnte. Es war reichlich Zeit bis dahin — mindestens elf Tage. Unterdessen begann ein verzweifelter Kamps in ihrer Seele; und der Brief, welchen ihr das Weib gebracht, beschleunigte den Entschluß, zu dem ihr Ueberlegen sie hindrängte. Es war ihr sehr empfindlich, daß Zoroaster, der in früheren Zeiten gegen ihr Entgegenkommen so kalt gewesen, ihr eine Ebräerin vorgezogen hatte, und jetzt so in Ne­ huschta verliebt war, daß er den Palast nicht auf wenige Tage verlassen konnte, ohne ihr Worte der Liebe zu schrei­ ben, — er, der noch nie geliebt hatte! Sie haßte dieses dunkle Mädchen mit wildem Hasse, fie, welche der von ihr heimlich Geliebte ihr vorzog, und welche der König rück­ sichtslos für die schönste Frau der Welt erklärt hatte. Sie 8'

116 wünschte ihren Untergang so sehnlich, wie sie nie etwas im Leben ersehnt hatte. Ihre ganze Seele empörte sich in bitterem Rachegesühl; nicht nur liebte Zoroaster dieses schwarzäugige Kind der Gefangenschaft, sondern der König, welcher immer behauptet hatte, Atossa habe nicht ihres Gleichen aus der Welt, selbst wenn er ihr dabei ruhig sagte, daß er ihr nie trauen würde, wagte es jetzt, in Gegenwart des Zoroaster, beinahe vor Nehuschta selbst zu sagen, daß die Fürstin schöner sei als sie. Der eine ver­ wundete ihre Eitelkeit, der andere ihr Herz. Es war nicht möglich, jetzt am König Rache zu nehmen. Es war wenig Aussicht dazu, seiner unermüd­ lichen Wachsamkeit zu entgehen oder ihn zu einer raschen That der Selbstzerstörung zu verleiten. Ueberdies kannte sie ihn zu gut, um nicht zu wissen, daß er der einzige Mann sei, welcher Persien vor fernern Aufständen bewahren und den Thron gegen jeden neuen Anspruch behaupten könnte. Sie liebte die Macht und den Glanz ihres könig­ lichen Lebens vielleicht noch mehr als Zoroaster. Der Ge­ danke an eine neue Umwälzung im Staate war nicht zu fassen, nun da Darius Babylon unterworfen hatte. Sie hatte allerdings halb und halb mit Phraortes einen Plan verabredet, sich der Herrschaft von Medien zu bemächtigen, falls der König in Babylonien geschlagen würde, und die heute früh so unvorsichtig vergessene Pergamentrolle enthielt nur den Befehl, all dergleichen Pläne fürs Erste aufzu­ geben, da der König siegreich zurückgekehrt sei. Was ihr Gewissen anbettaf, so würde Atossa eben so gut den König gestürzt und ermordet haben, um ihrem augenblicklichen Haß gegen ihn Genüge zu thun, als sie das Weltall zu Grunde gerichtet haben würde, um einen Edelstein zu besitzen, nach dem ihr Sinn stand. In ihrer

117 Seele war kein Maßstab für das Verhältniß zwischen der Befriedigung ihrer Leidenschaften und den dazu verwend­ baren Mitteln, wenn nur diese Befriedigung nicht eine andre beeinträchtigte, die sie schon voraussah. Nichts er­ schreckte sie durch bloße Ungeheuerlichkeit; kein Plan wurde von ihr bloß deshalb verworfen, weil er den Untergang zahlloser Wesen mit sich bringen mußte, die ihr nutzlos waren. Sie berechnete kalt, welche Befriedigung sie für ihre Wünsche und Begehren erreichen konnte, ohne die Beftiedigung aller möglicherweise in Zukunft in ihr ausstei­ genden Leidenschaften zu beeinträchtigen. Jndeffen dachte sie nicht daran, Zoroaster zu schaden. Sie liebte ihn auf ihre eigenthümliche Weise; aber dennoch war es Liebe und es fiel ihr nicht ein, ihre Enttäuschung an dem Gegenstände zu rächen, an welchen sie ihr Herz gehängt hatte. Als logische Folge beschloß sie, ihren ganzen Zorn gegen Nehuschta zu richten und sie malte sich das köstliche Vergnügen aus, die Eifersucht der jungen Fürstin bis zur Verzweiflung zu treiben: Nehuschta zu überzeugen, daß Zoroaster sie hinterginge und eigentlich sie selbst, die Königin liebte; Zoroaster in eine Lage zu bringen, daß er entweder stillschweigend Nehuschta in dem Glauben lassen müsse, er liebe Atossa, oder des Königs Geheimniß durch ein Bekenntniß der Wahrheit verrathen; Nehuschtas Eitel­ keit durch die Bewunderung des Königs schmeicheln zu lassen, — ja sie selbst zu einer Heirath mit Darius zu zwingen, und sie dann in ihre erste Liebe zu Zoroaster zu­ rückfallen zu lassen, si'e in öffentliche Ungnade zu bringen, indem sie sie dem König verriethe — all dies schnell und sicher auszuführen und sich zuletzt die Wonne vorbehalten, ihre gefallene Nebenbuhlerin zu verspotten, — das alles schien Atossa einen Plan zu bilden, der ihres scharfen,

118 ränkeschmiedenden Verstandes würdig und für ihre verletzte Eitelkeit und verschmähte Liebe süß beftiedigend sei. ‘ Es würde ihr schwer werden, Nehuschta mit dem König vermählt und auch nur eine Zeitlang die Stelle der bevorzugten Gemahlin einnehmen zu sehen. Aber der Triumph würde um so süßer sein, wenn Nehuschta endlich gestürzt wäre und unterdeffen hätte sie die tägliche Freude, die Eifersucht der Fürstin zu reizen. Der Zufall, oder vielmehr die List ihrer griechischen Magd hatte ihr eine Waffe in die Hand gegeben, welche sie leicht zum Marter­ werkzeug machen konnte, und als fie vor dem Spiegel saß,

rollte fie das Stückchen Pergament aus einander und wie­ der zusammen, und lächelte sich mit süßem strahlendem Lächeln an, — und bog den Kopf zurück in die wohl­ thuende Zuglust des wehenden Fächers.

Neuntes Kapitel.

Die Mittagslust im Palgstgarten war heiß und trocken, aber in dem zierlichen Marmortempel herrschte Kühle und leise plätscherte das sprudelnde Waffer. Rosenbüsche und Schlingpflanzen hielten das Sonnenlicht von den hohen Fenstern ab und gaben der achteckigen Halle ein sanftes grünliches Licht; in der Mitte spielte ein Springbrunnen, dessen kleiner Strahl in ein weites Becken fiel. Aus der leicht gekräuselten Wafferfläche schwankten einige Waffcrlilien in beständiger Bewegung auf ihrem am Boden festsitzenden langen Stengel hin und het. Alles war still und kühl und ruhig und Nehuschta stand da und sah dem Springbrunnen zu. Sie war allein und fühlte sich sehr unglücklich. Zoroaster hatte den Palast verlaffen ohne ihr ein Wort zu

118 ränkeschmiedenden Verstandes würdig und für ihre verletzte Eitelkeit und verschmähte Liebe süß beftiedigend sei. ‘ Es würde ihr schwer werden, Nehuschta mit dem König vermählt und auch nur eine Zeitlang die Stelle der bevorzugten Gemahlin einnehmen zu sehen. Aber der Triumph würde um so süßer sein, wenn Nehuschta endlich gestürzt wäre und unterdeffen hätte sie die tägliche Freude, die Eifersucht der Fürstin zu reizen. Der Zufall, oder vielmehr die List ihrer griechischen Magd hatte ihr eine Waffe in die Hand gegeben, welche sie leicht zum Marter­ werkzeug machen konnte, und als fie vor dem Spiegel saß,

rollte fie das Stückchen Pergament aus einander und wie­ der zusammen, und lächelte sich mit süßem strahlendem Lächeln an, — und bog den Kopf zurück in die wohl­ thuende Zuglust des wehenden Fächers.

Neuntes Kapitel.

Die Mittagslust im Palgstgarten war heiß und trocken, aber in dem zierlichen Marmortempel herrschte Kühle und leise plätscherte das sprudelnde Waffer. Rosenbüsche und Schlingpflanzen hielten das Sonnenlicht von den hohen Fenstern ab und gaben der achteckigen Halle ein sanftes grünliches Licht; in der Mitte spielte ein Springbrunnen, dessen kleiner Strahl in ein weites Becken fiel. Aus der leicht gekräuselten Wafferfläche schwankten einige Waffcrlilien in beständiger Bewegung auf ihrem am Boden festsitzenden langen Stengel hin und het. Alles war still und kühl und ruhig und Nehuschta stand da und sah dem Springbrunnen zu. Sie war allein und fühlte sich sehr unglücklich. Zoroaster hatte den Palast verlaffen ohne ihr ein Wort zu

119 sagen, und sie wußte nur durch unbestimmte Berichte ihrer Sclavinnen, daß er für viele Tage sortgezogen sei. Das Herz ward ihr schwer bei dem Gedanken an all das, was sich bis zu seiner Rückkehr ereignen könnte, und die Thränen traten ihr in die Augen. „Bist Du hier allein, liebe Fürstin?" sagte eine weiche klare Stimme hinter ihr. Nehuschta fuhr auf, als hätte sie etwas gestochen, als sie Atoffas Stimme erkannte. In ihrer Antwort war nichts von der erkünstelten Herz­ lichkeit des vorigen Tages. Sie war zu unglücklich, zu betrübt bei dem Gedanken, daß ihr Geliebter fort sei, als daß sie im Stande gewesen wäre, eine Rolle zu spielen oder eine Freundlichkeit zu heucheln, welche sie nicht em­ pfand. „Ja, ich bin allein", sagte sie ruhig. „Ich auch", antwortete Atossa, ihre blauen Augen funkelten von dem Sonnenschein, den sie mit sich brachte, und ihre wunderbare Schönheit strahlte förmlich wie von überquellendem Glück. „Die Frauen des Hofes find im vollen Staat in des Königs Gefolge nach der Stadt ge­ zogen; wir beide sind allein im Palast. Wie wonnig kühl ist es hier!" Sie setzte sich auf einen Haufen Kissen an eines der beschatteten Fenster und betrachtete Nehuschta, die noch am Springbrunnen stand. „Du siehst traurig aus — und müde liebste Nehuschta", sagte sie. „Wahrlich, du mußt hier nicht betrübt sein — hier ist Niemand traurig." „Ich bin traurig", wiederholte Nehuschta mit matter tonloser Stimme, als wüßte sie kaum, was sie sagte. Es entstand eine kleine Pause, ehe Atoffa wieder anhub. „Sage mir, was Dir fehlt", sagte sie mit einschmei-

120 chelndem Ton. „Sage mir, was es ist. Vielleicht fehlt Dir etwas — vielleicht vermiffest Du etwas, woran Du in Ecbatana gewöhnt warst. Willst Du es mir nicht sagen, Theuerste?" „Was soll ich Dir sagen?" fragte Nehuschta, als habe sie nicht verstanden. „Mir sagen, worüber Du betrübt bist", wiederholte die Königin. „Es Dir sagen?" rief die Fürstin, plötzlich mit blitzen­ den Augen aufschauend, „Dir? Ach nein." Atoffa sah Nehuschta wehmüthig an, als ob sie dieser Mangel an Vertrauen kränke. Aber die ebräische Maid wandte sich ab und schaute durch die Schlingpflanzen in den Garten hinaus. Da stand Atoffa leise aus und ging ihr nach, stellte sich hinter sie und schlang den Arm um sie, und lehnte ihre zarte Wange an das dunkle Gesicht der Fürstin. Nehuschta sagte nichts, aber sie erbebte, als berühre sie etwas Verhaßtes. „Ist es weil Dein Freund plötzlich abgereist ist?" flüsterte Atoffa im süßesten Ton der Theilnahme. Nehuschta

fuhr zusammen. „Nein!" antwortete sie beinahe heftig. „Weshalb sagst Du das?" „Nur weil er mir ein Paar Worte geschrieben hat, ehe er fortzog. Ich dachte, es wäre Dir lieb zu wissen, daß er in Sicherheit ist"; versetzte die Königin und drückte mit ihrem Arm sanft Nehuschtas schlanken Leib. „Er hat an Dich geschrieben?" fragte die Fürstin, mit zürnendem Staunen. „Ja, Theuerste!" antwortete die Königin, die Augen mit gut gespielter Verlegenheit niederschlagend. „Ich hätte es Dir nicht gesagt, nur dachte ich, Du wünschtest etwas

121 ihm zu wiffen. Wenn Du willst, werde ich Dir etwas dem vorlesen, was er schreibt", setzte sie hinzu, indem das kleine sorgfältig zusammcngerollte Pergamentblatt dem Buche zog. „O nein! nein! Ich will es nicht hören. Laß mich in Ruhe — um Deiner Götter willen, laß mich in Ruhe." Atossa richtete sich empor und starrte Nehuschta kalt an, als ob sie über die Maßen erstaunt und tief belei­ digt wäre. „Wahrlich, es ist nicht nöthig mir zwei Mal zu sagen, ich möge Dich in Ruhe lassen", sagte sie stolz. „Ich ge­ dachte Dich zu trösten, weil Du traurig warst — selbst auf Kosten meines eigenen Gefühls. Jetzt will ich Dich verlassen, aber ich grolle Dir nicht. Du bist sehr, sehr jung und sehr, sehr thöricht." Atossa schüttelte gedankenvoll das Haupt, und rauschte mit feierlicher und gekränkter Würde aus dem Gartenhause. Als sie aber allein durch den Garten ging, lächelte sie und summte sich ein Liedchen vor, welches sie am Abend zuvor von einem ägyptischen Schauspieler gehört hatte. Darius hatte eine Schaar Aegypter aus Babylon mitgebracht, und nach dem Mahl hatte er ihnen befohlen, Musik zu machen, zu tanzen und Kunststücke zu machen, um den versammelten Hof zu belustigen. Atossas süße Stimme hallte leise durch die Orangen­ bäume und Rosenbüsche, als sie dem Palast zuging und der Ton drang von fern an Nehuschtas Ohr. Sie stand eine Weile auf der Stelle, wo die Königin sie verlassen hatte, mit bleichem Antlitz und gerungenen Händen; dann warf sie sich mit plötzlicher Bewegung auf den Boden und begrub ihr Gesicht in die weichen Kissen. Ihre Hände wühlten in der Fülle ihres schwarzen Haares und ihre von von sie aus

122 heißen strömenden Thränen benetzten den zarten Seidenstoff der Polster. Wie konnte er? Wie war es möglich? Er sagte, er liebte sie und nun da er auf viele Tage fortgeschickt wurde, hatte er nur daran gedacht, an die Königin zu schreiben und nicht an sie! Die Qual der Eifersucht überwältigte sie, sie hätte sich die Seele ausreißen und ihr Herz mit Füßen treten mögen in ihrem Zorn. Leidenschaftlich preßte sie die Hände an die Schläfe; der Kopf schien ihr zu zer­ springen in einem ihr neuen fürchterlichen Schmerz, welcher einen Augenblick aü ihr Denken übertäubte, bis die schwere Last sich ihr wieder aufs Herz legte und ihre ganze Leiden­ schaft sich in strömenden Thränen Luft machte. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie erhob sich, stützte sich aus eine Hand und starrte wie abwesend auf den kleinen goldnen Schuh, der von ihrelk bloßen Fuß aus den Marmorboden geglitten war. Sie hob ihn mechanisch aus und hielt das Ding in der Hand, und betrachtete durch ihre Thränen ganz ernsthaft die zierliche Stickerei und die schwere Ver­ goldung, — wie man mitten in tiefstem Kummer wohl plötzlich etwas Thörichtes, Bedeutungsloses thut. Wäre es möglich, daß die Königin sie getäuscht hätte? Wie sehr wünschte sie jetzt, sie hätte sich das Schreiben vor­ lesen lasten, wie Atoffa es angeboten. Zuerst fiel ihr nicht ein, daß der Brief für sie bestimmt und falsch abgegeben worden sein könnte. Allein sie dachte die Königin thäte nur so, als ob fie ein Schreiben erhalten hätte, oder fie hätte vielleicht selbst einige Worte auf Pergament gekritzelt, in der Absicht es vor ihr als einen Brief von Zoroaster auszugeben. Sie verlangte danach, den Brief in Händen zu haben und mit eigenen Augen zu urtheilen. Es würde kaum möglich sein aus der Handschrift zu ersehen, ob er

123 ihn geschrieben hätte oder nicht; aber Nehuschta war über­ zeugt, sie würde ein Wort erkennen, irgend einen Aus­ druck, der sie überzeugte, daß er von ihm herrührte. Sie hätte aufstehen und der Königin auf der Stelle nachgehen mögen, sie herausfordern, den Brief zu zeigen und sie Lügen zu strafen. Doch das verbot ihr Stolz. Sie war fo schwach gewesen! — sie hätte Atofsa auch nicht einen Augenblick merken lassen sollen, daß sie beleidigt war, nicht einmal daß sie Zoroaster liebte. Sie hatte sich be­ müht, ihre Gefühle zu verbergen, allein Atofsa war zu weit gegangen, hatte sie über alles Maß des Erträglichen gequält und selbst wenn sie geahnt hätte, was kommen würde, — das wußte sie — so hätte sie diesen sanften, heuchlerischen Ton, diesen empörenden, tödtlichen, auf­ stachelnden Hohn des schönen grausamen Weibes nicht leicht ertragen können. Dann trat ihr wieder die Möglichkeit von Zoroasters Treulosigkeit vor die Augen. Er hatte Atofsa in alter Zeit gekannt und vielleicht geliebt, und nun war die alte Liebe in ihm wieder erwacht und hatte die neue vernichtet, — er hatte doch so feierlich geschworen im silbernen Mondlicht zu Ecbatana! Und doch — er hatte an jene andre Frau geschrieben und nicht an sie. Konnte es wahr sein? War es eine grausame Lüge von Atossa? In einem Sturm von Zweifel und rasender Leidenschaft quollen ihre Thränen von neuem hervor; und wieder barg sie ihr Antlitz in die blaßgelben Kissen und ihr schöner Körper zitterte und bebte bei ihrem Schluchzen. Plötzlich bemerkte sie, daß Jemand die kleine Halle betreten hatte und neben ihr stand. Zuerst wagte sie nicht auszublicken; sie war fassungslos und elend vor Schmerz und Zorn; es war der feste starke Tritt eines Mannes.

124 Die Schritte hörten aus, und der Eindringling — wer es auch sein mochte — stand still; sie faßte Muth und blickte rasch empor. Es war der König selbst. Allerdings hätte sie wissen können, daß kein andrer Mann es wagen durste, in den für die Frauen des Palastes bestimmten Theil des Gartens einzudringen. Darius stand ruhig da und schaute auf sie mit einem Ausdruck von Zweifel und Neugier, der auf seinem ernsten braunen Gesicht fast komisch aussah. Nehuschta erschrak und sprang auf mit der anmuthigen Behendigkeit eines erschreckten Rehes. Sie war von Natur träge, aber schnell wie der Blitz, wenn Furcht oder Aufregung sie ergriff. „Fühlst Du Dich in meinem Palast so unglücklich?" fragte Darius sanft. „Warum weinst Du? Wer hat Dir etwas gethan?" Nehuschta wandte sich ab und wischte die Thränen aus ihren Augen, während ihre Wangen glühten. „Ich weine nicht — Niemand — hat mir — etwas gethan", antwortete sie mit einer Stimme, die mehr vor Verlegenheit als vor Schmerz bebte, denn über das Er­ staunen, den König vor sich zu sehen, hatte sie beinahe ihren Kummer vergessen. Darius lächelte, ja er lachte eigentlich, als er sich den dichten Bart mit seiner breiten braunen Hand streichelte. „Fürstin", sagte er, „willst Du Dich niedersetzen? Ich will Dir eine Rede über die große Thorheit halten, jemals zu — er zögerte — jemals etwas zu sagen, was nicht ganz wahr ist." In seiner Art zu sprechen war etwas so Einfaches und Ehrliches, daß'Nehuschta beinahe durch ihre halbge­ trockneten Thränen lächelte, als sie aus den Kissen zu des Königs Füßen saß. Er selbst setzte sich auf die breite

125 Marmorbank,

welche rings um das achtseitige kleine Ge­

bäude lief, gab seinem Gesicht einen ernsthaften Ausdruck und begann seinen Vortrag. „Ich setze voraus, wenn Jemand lügt, so erwartet er,

daß man ihm glauben soll.

Es muß dann also ein Ding

oder ein Umstand vorhanden sein, wodurch seine Lüge glaub­ haft gemacht werden kann. Nun, meine liebe Fürstin, im gegenwärtigen Falle, während ich Dir ins Gesicht sah und die Thränen auf Deinen wunderschönen Wangen zählte, sagtest Du mir ganz unverfroren, Du weintest nicht.

Es

war also auch nicht der Schatten eines Dinges oder Um­ standes vorhanden, welcher das Gesagte glaubhaft machen

konnte.

wahr.

Was Du sagtest,

war erwiesener Maßen nicht

Ist es nicht also?"

Nehuschta mußte lächeln,

als sie aufschaute und den

fteundlichen Blick in des Königs dunkeln Augen sah.

glaubte zu verstehen,

Sie

daß er sie belustigen wollte, damit

sie Zeit habe sich zu sammeln, und trotz der entschiedenen

Absicht sie zu heirathen, welche er vor so kurzem kund ge­ geben, fühlte sie sich neben ihm sicher.

„Der König lebt ewig"; antwortete sie mit der am Hose üblichen Form der Zustimmung. „Das

ist

höchst

wahrscheinlich",

erwiderte Darius

ernst. „So viele Leute sagen es., daß ich alle Menschen für Lügner halten müßte, wenn es nicht wahr wäre. Allein

ich muß auf Deinen besonderen Fall zurückkommen.

Es

wäre für Dich leicht gewesen nicht zu sprechen, wie Du thatest. Ich muß also annehmen, Du wolltest einen be­ stimmten Zweck erreichen,

als Du solch einen Umschweif

machtest und mich angesichts solcher Beweise zu täuschen

suchtest — indem Du nämlich sagtest, Du weintest nicht, während Dir die Thränen aus den sanften Augen rollten.



126



— Die Leute gebrauchen Wahrheit und Lüge ziemlich ans demselben Grunde: wer die Wahrheit nicht achtet, wird also lügen, wenn er dadurch mehr zu gewinnen hofft. Wer lügt, erwartet etwas durch seine Lüge zu erreichen, und wer die Wahrheit spricht, hofft, sich dadurch ein Vertrauen zu erwerben, das er bei künftigen Gelegenheiten brauchen kann. Der Zweck ist derselbe. Sage mir also, Fürstin, was hofftest Du zu erreichen, indem Du mich zu täuschen suchtest?" *) Darius lachte, als er seine Rede beschloß und sah Nehuschta an, neugierig was fic wohl sagen werde. Nehuschta lachte auch, ohne recht zu wiffen warum. Des Königs lebhafte ftöhliche Stimmung war ansteckend. Sie streckte den Fuß aus und schlüpfte in den kleinen Schuh, der noch immer neben ihr lag, ehe sie antwortete. „Was ich sagte, war in einer Hinsicht wahr und in der andern nicht"; versetzte sie. „Ich hatte bitterlich ge­ weint, aber ich hörte auf, als der König kam und zu mir trat. So sah der König nur die Thränen und nicht das Wernen. Was den Zweck betrifft" — sie lachte dabei ein wenig — „so war es vielleicht Zeit zu gewinnen, um meine Augen zu trocknen." Darius schlug einen anderen Ton an. „Ich weiß", sagte er ernst; „und ich. weiß auch, worüber Du weinst; es ist meine Schuld. Willst Du mir vergeben, Fürstin? Ich bin ein hastiger Mann, nicht gewohnt mich zwei Mal zu besinnen, wenn ich meine Befehle ertheile." Nehuschta sah ihn plötzlich fragend an. „Ich habe ihn sehr rasch sortgeschickt", fuhr der König fort. „Wenn ich daran gedacht hätte, so hätte ich ihm *) Herodot III. Buch 72. Kapitel.

127 gesagt, er sollte Herkommen und von Dir Abschied nehmen. Er wäre nicht aus eigenem Willen fortgezogen ohne Dich vorher zu sehen.

Es war meine Schuld.

Er wird in

zwölf Tagen wieder kommen." Nehuschta schwieg und biß sich aus die Lippen, der bittere Gedanke in ihrem Herzen aufstieg,

als

daß nicht

allein Zoroasters plötzliche Abreise sie so bekümmert habe. Dann kam ihr der Argwohn, liebten

absichtlich fortgeschickt,

der König habe ihren Ge­

damit er selbst versuchen

könne, ihr Herz zu gewinnen. „Warum sandtest Du ihn — und nicht einen an­

dern?"

fragte sie ohne aufzuschauen und alle Förmlichkeit

der Anrede vergessend.

„Weil er vor allen andern der Mann ist,

dem ich

trauen kann, und ich brauchte einen zuverlässigen Boten",

antwortete Darius einfach. Nehuschta schaute dem König ins Angesicht, irgend

einem Anzeichen spähend,

nach

aber er hatte in vollem

Ernst gesprochen.

„Ich dachte" — fing sie an und hielt dann hocherröthend inne.

„Du dachtest", versetzte Darius,

„ich hätte ihn fort­

geschickt auf Nimmerwiederkehr, weil ich Dich zum Weibe begehre. Es war natürlich, aber ungerecht. Ich schickte

ihn fort, weil ich mußte.

Wenn Du es wünschest, werde

ich Dich jetzt verlassen und Dir versprechen, daß ich Dein Angesicht nicht schauen will, bis Zoroaster zurückkommt." Nehuschta schlug die Augen nieder und erröthete wieder. Sie konnte kaum ihren Ohren trauen.

„Allerdings" stammelte sie,

„es wäre vielleicht am

besten — ich meine" — sie konnte ihren Satz nicht beenden. Darius stand ruhig von seinem Sitze auf:

128 „Lebewohl, Fürstin; es geschehe, wie Du wünschest", sagte er ernst und schritt zur Thür. Sein Gesicht war blaß, seine Lippen fest zusammengepreßt. Nehuschta zauderte, — denn in einem Augenblick be­ griff sie die volle Seelengröße des jungen Königs; — dieser Mann, bei dessen Wort das ganze Land zitterte, der seine Feinde unter den Füßen zermalmte wie Eierschalen, der das Weib, welches er liebte, ganz in seiner Gewalt hatte, wollte ihr doch auch nicht einen Augenblick seine Gegenwart wider ihren Willen aufdrängen! Sie sprang aus und lief ihm nach, ließ sich auf ein Knie nieder und ergriff seine Hand. Er sah sie nicht an, aber seine Hand zitterte heftig in der ihren, und er machte eine Bewegung, als wolle er sie aufheben. „Nein!" rief sie. „Mein Herr zürne seiner Magd nicht! Der König gewähre meine Bitte, denn er ist der König der Menschen und der König der Könige!" In ihrer Aufregung sprach sie wieder als demüthige Unter« thanin zu ihrem Gebieter. „Sprich, Fürstin", entgegnete Darius. „Wenn es möglich ist, will ich Deine Bitte gewähren." „Ich möchte" — sie hielt inne und wieder ergoß sich das edle Blut in ihre dunkeln Wangen. „Ich möchte — ich weiß nicht, was — nur Dir danken für Deine Güte und Freundlichkeit — ich war traurig, und Du hast mich getröstet. Ich wollte nicht sagen, daß es am besten wäre, wenn ich des Königs Antlitz nicht sähe." Sie sprach die letzten Worte gesenkten Hauptes und so leise, daß Darius sie kaum vernehmen konnte. Aber sein williges Ohr deutete richtig, was sie sagte und er verstand sie. „Soll ich morgen um dieselbe Stunde zu Dir kommen, Fürstin?" fragte er, beinahe demüthig.

129 „Nein, der König weiß, daß der Garten immer voll ist von den Frauen des Hofes", sagte Nehuschta zaudernd; denn sie dachte, es würde ganz etwas Anderes sein, wenn all die Frauen aus dem Palaste sie von fern im Gespräch mit dem Könige beobachteten. „Fürchte nichts", versetzte Darius. „Der Garten soll Dein sein. Es giebt noch andre Rosenlauben in Susa, wohin die Frauen gehen können. So lange es Dir be­ liebt, soll hier keine außer Dir Zutritt haben. Lebewohl! ich werde morgen Mittag zu Dir kommen." Er wendete sich um und sah ihr ins Auge, da er­ faßte sie seine Hand und legte sie schweigend aus ihre Stirn als Zeichen des Dankes. Einen Augenblick darauf war er fort, und sie hörte seinen raschen Schritt draußen auf den Marmorstufen und dem Pfade zwischen den Rosen­ büschen. Als sie wußte, daß er verschwunden war, trat sie hinaus und stand da in der Gluth der Mittagssonne. Sie fuhr sich wie geblendet mit der Hand über die Stirn. Es schien ihr, als wäre eine Veränderung mit ihr vorgegan­ gen, und sie konnte es nicht begreifen. In der frohen Gewißheit, allein zu sein, lief sie schnell den einen Pfad hinab und durch einen andern zurück. Dann stand sie still und bog einen großen Zweig blühen­ der Rosen hernieder und vergrub ihr schönes Gesicht in die zarten Blätter und zog ihren Duft ein und lachte. „O ich bin so froh!" rief sie laut. Plötzlich aber ward ihr Gesicht ernst, als sie sich ihre Empfindungen klar machen wollte. Zoroaster war nur auf zwölf Tage sortgezogen, und unterdessen hatte fie sich ihre Freiheit gesichert, die Freiheit, den ganzen Tag in diesen wunderschönen Gärten herumzuwandern und nach Herzenslust an ihn zu denken. Und der Bries? Der war natürlich eine Fälschung. Crairford, Zoroaster.

9

130 Die böse Königin liebte Zoroaster und wünschte, Nehuschta solle ihn aufgeben! Vielleicht könnte sie am nächsten Tage dem König etwas darüber sagen. Er würde in solchen königlichen Zorn gerathen! Er würde die Lüge so verab­ scheuen! Und dann schien es ihr wieder besser, Darius nichts von ihrer Besorgniß zu sagen. Er war ihr so mild und freundlich begegnet, als ob er ihr Bruder wäre, und nicht der Große König, der Leben und Tod in seiner Rechten und in seiner Linken hielt, deffen Schatten der Welt ein Schrecken war, und bei deffen kurzem befehlenden Wort ein Volk in Waffen sich siegesgewiß erhob. War dies der furchtbare Darius? Der Mann, welcher den Be­ trüger mit seinem eigenen Schwert erschlagen? Der das aufrührerische Babylon in wenig Tagen besiegt und vier­ tausend Gefangene sortgeführt hatte? Er war sanft wie ein Mädchen, dieser wilde Krieger, — aber als sie sich sein Antlitz vorstellte, erinneret sie sich des strengen Ausdruckes, den es annahm, wenn er ernst war; sie versank in Ge­ danken und wandelte langsam einher, indem sie mit ihren weißen Zähnchen ein Rosenblatt zSrbrß. Sie dachre an mancherlei, vor allem aber wie sie sich an Atoffa für die am heutigen Morgen erduldete Qual rächen könnte. Atoffa dagegen genoß in demselben Augenblick ihren heutigen Triumph und dachte sich ans, wie sie Nehuschta mit gleicher Grausamkeit weiter quälen könnte, während sie sich dabei aufs beste ergötzen und unterhalten wollte, bis Zoroaster zurückkehrte. Sie erfuhr alsbald von einer ihrer Mägde, daß der König bei Nehuschta im Garten­ hause gewesen wäre, und es fiel ihr sogleich ein, daß es für sie ein leichtes sein würde dazu zu kommen, falls der König am folgenden Tage wieder hinginge und durch ver­ blümte Worte und Anspielungen auf Zoroaster ihrer Neben-

131 buhlerin die gräßlichsten Qualen zu bereiten, welche sie genöthigt sein würde vor dem König zu verbergen. Zugleich aber gab ihr die Kunde Grund zu ernsten Gedanken. Es hatte nicht in ihrer Absicht gelegen, daß Rehuschta stundenlang mit Darius allein bleiben sollte. Sie wußte zwar, daß die Fürstin Zoroaster liebte, allein sie konnte sich nicht denken, daß irgend ein Weib gegen die Tröstungen des Großen Königs unempfindlich bleiben könnte. Wenn die Dinge eine solche Wendung nähmen, wollte sie es ruhig zulassen, daß der König Rehuschta zum Weibe nähme, während sie fest überzeugt war, daß es in ihrer Macht stünde, sie zu stürzen, wenn die Ebräerin eben das Ziel ihres Ehrgeizes erreicht haben würde. Zufällig beliebte es dem König an diesem Tage seine Abendmahlzeit nur in Gesellschaft von Atossa einzunehmen, wie er es manchmal that, wenn er des Hofgepränges überdrüssig war. Als sie nun um Sonnenuntergang aus einer kleinen abgelegenen Teraffe des oberen Stockwerkes beisammen waren, fand Atossa eine treffliche Gelegenheit, über Rehuschta und ihr Thun und Treiben zu sprechen. Darius lag auf einem Polster an der einen Seite des niedrigen Tisches und Atossa ihm gegenüber. Die Luft war schwül und trocken, und auf beiden Seiten schwangen zwei schwarze Fächermädchen ihre Fächer mit aller Macht. Der König ruhte unbedeckten Hauptes auf seinem Polster, seine schwarzen krausen Locken zurückgeworfen, und um­ spannte mit seiner starken Hand einen einfachen goldnen Becher, der neben ihm auf dem Tische stand. Er hatte seinen Brustpanzer abgelegt und ein weiß und purpurnes Oberkleid fiel lose über sein Untergewand r aber sein scharfes Schwert von indischem Stahl lag in seinem Be­ reich am Boden.

132 Atofsa hatte sich auf den Ellbogen gestützt und ihre klaren blauen Augen hefteten sich nachdenklich aus das Antlitz des Königs, als erwarte fie, daß er etwas sagen solle. Gegen ihre Gewohnheit trug fie ein griechisches Ge­ wand mit kurzen Aermeln auf den Schultern mit goldenen Spangen ausgenommen; ihr blondes Haar war hinten in einen schweren Knoten geschlungen. Ihre blendend weißen Arme und ihr Hals waren bloß; als einzigen Schmuck trug fie über dem rechten Ellbogen eine dicke gewundene Schlange von Gold. „Der König ist heute Abend nicht durstig", sagte fie endlich, da fie sah, daß er den vollen Becher in der Hand hielt, aber nicht erhob. „Ich bin nicht immer durstig", sagte der König ver­ drießlich. „Möchtest Du mich immer betrunken sehen wie einen babylonischen Hund?" „Nein, aber auch nicht immer nüchtern wie ein perfischer Hauptmann." „Was für ein perfischer Hauptmann?" fragte der Kö­ nig, sie plötzlich ansehend und die Stirn runzelnd. „Nun wie der, den Du seiner Nüchternheit wegen heute nach Ninive geschickt hast", antwortete Atoffa. „Ich habe heute Niemanden nach Ninive geschickt?" „Nun dann nach Ecbatana, um zu erforschen, ob ich Dir über meinen armen Knecht Phraortes die Wahrheit gesagt habe, oder Fravartisch wie Du ihn nennst", sagte die Königin mit einem trotzigen Blick in ihren blauen Augen. „Ich verfichere Dich", sagte der König lachend, „nur wegen Deiner wunderbaren Schönheit habe ich Dich noch nicht erdrosseln laffen. Sobald Du häßlich wirst, mußt Du sicherlich sterben. Es ist so wie so schon recht unvorsichtig von mir!"

133 Die Königin lachte auch, leise und silberhell. „Ich bin Dir sehr verbunden für mein Leben", sagte sie. „Ich weiß, daß ich sehr schön bin, aber ich bin nicht mehr die schönste Frau der Welt/ Sie sprach ohne eine Spur von Aerger in Ton und Miene, als wäre es ein bloßer Scherz. „Nein", sagte Darius nachdenklich. „Ich dachte früher, daß Du es wärest. Es liegt in der Natur des Menschen, seine Ansichten zu ändern. Du bist dennoch sehr schön — ich bewundere Dein griechisches Gewand." „Soll, ich meine Magd mit einem solchen zu Nehuschta schicken?" fragte Atoffa lächelnd die feinen Brauen empor­ ziehend. „Du brauchst sie nicht erst zu verschönern, auf daß sie Gnade finde vor meinen Augen", versetzte Darius lachend. „Aber der Scherz ist gut. Du möchtest ihr lieber eine indische Schlange als einen Schmuck schicken." »Ja", erwiderte die Königin, welche den eigenthüm­ lichen Charakter des Königs beffer verstand als sonst irgend Jemand. „Du kannst billigerweise nicht von mir erwarten, daß ich ein Weib nicht Haffen soll, welches Du schöner findest als mich! Das wäre unnatürlich. Es ist schade, daß sie den nüchternen perfischen Hauptmann dem Großen König vorzieht!" „Ja, es ist schade — aber gut für Dich." „Ich meine, es wird Dich sehr ärgern, wenn Du sie erst zum Weibe genommen hast", sagte Atoffa ruhig. Darius erhob den Becher, den er noch in der Hand hielt und trank ihn auf einen Zug aus. Als er ihn wieder hinsetzte stand Atoffa schnell auf und füllte ihn wieder mit eigner Hand aus einer goldnen Kanne. Der Wein war

134 von Schiras, süß, dunkel und stark. Der König erfaßte ihre kleine weiße Hand, als sie so neben ihm stand und sah sie an. „Es ist eine schöne Hand", sagte er. „Nehuschta's Finger find etwas kürzer als Deine — ein wenig spitzer — ein wenig minder begehrlich. Soll ich Nehuschta zum Weibe nehmen, ja oder nein?" Er sah fie bei dieser Frage an und lachte. „Nein", erwiderte Atoffa ebenfalls lachend. „Soll ich fie Zoroaster zum Weibe geben?" „Nein", antwortete fie wieder, doch ihr Lachen llang minder natürlich. „Was soll ich denn mit ihr machen?" fragte der König. „Sie erwürgen!" versetzte Atoffa ohne Besinnen und drückte ihm heftig die Hand, welche die ihre hielt. „Plötzliche Todesfälle würden in Persien häufig vor­ kommen, wenn Du König wärest", sagte Darius. „Mir scheint, es werden auch so genug Menschen umgebracht", versetzte die Königin. „Es find vielleicht einer — oder zwei —" Des Königs Antlitz wurde plötzlich ernst und er ließ ihre Hand fallen. „Höre!" sagte er. „Ich liebe Scherz. Doch scherze nicht allzuviel mit mir! Thue Nehuschta kein Leides, sonst mache ich Deinen Scherzen durch sichere Mittel für immer ein Ende. Dein weißer Hals würde, von einer Bogensehne umschlungen, übel aussehen!" Die Königin biß sich auf die Lippen. Der König sprach selten im Ernst zu ihr, und sie fürchtete sich. Als sie am folgenden Tage nach dem Garten ging, bewachten zwei große Speerträger den Eingang, und als sie hineingehen wollte, kreuzten fie ihre Spieße vor dem Marmorthor und versperrten ihr schweigend den Weg.

135

Zehntes Kapitel.

Atossa trat erstaunt zurück und starrte die beiden Wächter einen Augenblick an; sic sah von einem zum an­ dern und versuchte in ihren unbeweglichen Gesichtern zu lesen. Dann legte sie die Hand auf ihre Speere und wollte sie fortschieben, allein sie konnte es nicht. „Weß Hunde seid ihr?" rief sie zornig. „Kennt ihr nicht die Königin? Macht Platz!" Aber die beiden starken Krieger gaben ihr weder Ant­ wort, noch nahmen sie ihre Speere vom Thorweg fort. „Hündische Sklaven!" sagte sie zähneknirschend. „Ich werde euch beide vor Sonnenuntergang kreuzigen lassen!" Sie wendete sich ab und ging fort; aber es war ihr lieb, daß in der engen Vorhalle des Gartens Niemand war, der ihre Niederlage mit angesehen hatte. Zum ersten Male in ihrem Leben hatte ein Untergebener ihr getrotzt; sie konnte das nicht leicht verwinden. Als sie aber eine Stunde später erfuhr, daß die Wachen auf Befehl des Großen Königs so handelten, neigte sie schweigend das Haupt und ging in ihre Gemächer, um zu überlegen, was dabei zu thun wäre. Sie konnte gar nichts thun. Des Königs Wort war unwiderruflich. Er hatte ausdrücklich besohlen, daß außer Nehuschta Niemand, selbst nicht Atoffa, den Garten betreten sollte, er selbst hatte die Wachen Abends zuvor am Thore aufgestellt und ihnen diesen Befehl ertheilt. Eis Tage lang blieb das Thor versperrt; allein Atoffa

versuchte nicht mehr hindurchzugehen. Darius würde ein solches Beginnen streng bestraft haben, und sie wußte, wie schwierig ihre Lage war. Sie ergab sich darin und be-

136 schästigte sich mit andern Plänen. Täglich eine Stunde vor Mittag schritt Nehuschta stolz durch das Thor und ver­ schwand hinter den Rosen- und Myrthengebüschen des Gar­ tens, und täglich wenn die Sonne im Mittag stand, ging der König zwischen den Speerträgern hindurch und ver­ schwand auf gleiche Weise. Darius war gegen die Königin plötzlich so streng und kalt geworden, daß sie nicht einmal wagte, die Bewachung des Gartens gegen ihn zu erwähnen, weil sie einen Aus­ bruch seines Zornes fürchtete, der sicherlich ihrer Stellung am Hofe und vielleicht ihrem Leben ein Ende gemacht hätte. Nehuschta hatte viel Grund zum Nachdenken und reich­ lich Zeit zum Träumen. Waren auch ihre Tage nicht froh, so waren sie durch die ihr'gewährte völlige Freiheit wenig­ stens erträglich gemacht. Der König hätte ihr Sklavinnen und Schmuck und reiche Geschenke ohne Ende gegeben, wäre sie gewillt gewesen, sie anzunehmen. Allein sie sagte, sie hätte alles, was 'sie brauchte, — und das sagte sie nicht ohne Stolz; aber die Besuche des Königs wurden für sie der Mittelpunkt des Tages und jeden Tag wurden sie län­ ger, so daß endlich fast der Abend herannahte, ehe Darius zum Thore hinausging. Sie erwartete ihn immer in dem achteckigen Sommer­ hause, und als sie mehr und mehr mit einander bekannt wurden, wollte der König ihr nicht einmal erlauben bei seinem Kommen aufzustehen, noch sich der förmlichen Rede­ weise des Hofes zu bedienen, welche ihm so zuwider war. Er setzte sich einfach neben sie und sprach mit ihr und hörte ihren Antworten zu, als wäre er einer seiner Unter­ thanen, durch die Sorgen und den Prunk der königlichen Würde nicht mehr beschwert als irgend ein beliebiger Krieger des Reiches.

137 Eine Woche war vergangen, seit Zoroaster nach Ecbatana sortgeritten war, und Darius saß wie gewöhnlich auf der Marmorbank neben Nehuschta, die auf den Polstern ruhte und jetzt unbefangen über allerlei Dinge redete, auf welche das Gespräch fich wendete. Darius kam ihr schweig­ samer vor als gewöhnlich, und sein dunkles Antlitz war blaß. Er schien ermüdet wie nach schwerem Kampfe und allmählich hörte auch Nehuschta auf zu sprechen und wartete ab, ob nicht der König etwas sagen würde. Während dieses Schweigens hörte man nur das Plätschern des Springbrunnens und das, leise Rauschen der kleinen Wellen, die an den Rand des Marmorbeckens anschlugen. „Weißt Du, Nehuschta", sagte er endlich in müdem Ton, „daß ich eine der schlimmsten Handlungen meines Lebens begehe?" Nehuschta fuhr auf, und ihr Antlitz verdüsterte sich., „Sage lieber, die gütigste, welche Du je gethan", murmelte sie. „Wenn nicht schlecht, so ist es thöricht", sagte Darius und stützte das Kinn in die Hand, indem er sich vorbeugte. „Ich möchte lieber, es wäre thöricht als schlecht — aber ich fürchte, es ist beides." Nehuschta konnte nicht recht errathen, was er sagen wollte. Sie wußte, sie hätte dem Gespräche eine andere Wendung geben, hätte lache» oder ihn scherzend unter­ brechen können, aber sie that es nicht. Es ergriff sie eine unerklärliche Sehnsucht, von ihm zu hören, daß er sie liebe. Was konnte das schaden? Er war so gut und edel, daß er ihr nie mehr als ein Freund sein konnte. Er war der König der Welt — wäre er nicht gut und redlich, so hätte es keines Werbens bedurft, um ganz und gar nach

138 seinem Willen zu verfahren. Ein Wort seines Mundes und der Name Zoroaster war nur noch die Erinnerung an einen Verstorbenen; und noch ein Wort und Nehuschta war das Weib des Königs! Wozu bedurfte er der Heim­ lichkeiten und Umwege? Er war der Herr der Welt, sein Schatten bedeutete Leben und Tod, sein leisester Wunsch war ein Gesetz, dem hunderttausend Krieger Nachdruck gaben! Also stand nichts zwischen ihm und seinen Wünschen, — nichts als das ihm angeborne Gefühl für Gerechtigkeit und Wahrheit, an welche er so fest glaubte. Nehuschta fühlte, sie könnte ihm vertrauen, und doch sehnte sie sich, — wie sie meinte aus bloßer Neugier — Worte der Liebe von ihm zu hören. Nur einen Augenblick — die Worte würden bald gesprochen sein und auf ihren Wunsch sicher­ lich nie wiederholt werden. Es schien ihr so süß, sie wußte selbst nicht warum, diesen allgewaltigen Mann nach ihrem Belieben zu lenken; zu fühlen, daß sie ihn zum Reden oder zum Schweigen bringen könnte — ihn, dem alle gehorchten, den sie fürchteten wie den Tod. Sie blickte ruhig auf und antwortete: „Wie kann es schlecht oder thöricht von Dir sein, an­ dere so zu beglücken?" „Es scheint, als könnte es keines von beiden sein — und doch sagt mir meine Vernunft, es ist beides", versetzte der König im Tone der Ueberzeugung. „Hier sitze ich Tag für Tag neben Dir, und täusche mich mit dem Gedanken, daß ich Dir nur die Zeit vertreibe bis —" „Das ist keine Täuschung", unterbrach ihn Nehuschta sanft. Sie wollte nicht, daß er Zoroaster's Namen aus­ spräche. „Ich kann Dir nie genug sagen, wie dankbar ich Dir bin —" „Ich bin Dir dankbar!" fiel jetzt der König ein.

139 „Ich bin dankbar dafür, daß ich täglich bei Dir sein kann, daß Du mit mir sprichst und Dich zu freuen scheinst, wenn ich komme." — Er hielt inne. „Was ist darin schlecht oder thöricht?" fragte Nehuschta lächend zu ihm aufblickend. „Mehr als ich mir eingestehen mag", antwortete der König. „Du sagst, Dir vergeht die Zeit angenehm. Glaubst Du, es sei mir. minder angenehm?" Seine Stimme hatte einen tiefen sanften Klang als er fortsuhr: „Hier sitze ich Tag für Tag, und Tag für Tag liebe ich Dich mehr. Ich liebe Dich, — was hilft es, das zu ver­ hehlen, selbst wenn ich es verhehlen könnte? Du weißt es. Vielleicht bedauerst Du mich, denn Du liebst mich nicht. Du bedauerst mich, der die Erde unter seinen Füßen hält, wahrlich, wie ein ägyptischer Gaukler die Kugel, auf der er steht und die er fortrollt, wohin er will." Er brach plötzlich ab. „Wahrlich, ich wünschte, Du liebtest mich nicht!" sagte Nehuschta sehr ernst. Sie schlug die Augen nieder. Ihre Freude, den König so sprechen zu hören, war unver­ gleichlich groß, sie fürchtete ihre Augen könnten sie ver­ rathen. Aber sie liebte ihn nicht. Sie war begierig zu hören, was er wohl noch sagen würde. „Du könntest eben so gut wünschen, daß das trockne Weideland nicht in der Sonne verdorren möge, wenn kein Regen darauf fällt", versetzte er mit großer Bitterkeit. „Es ist mir wenigstens eine Befriedigung, daß meine Liebe Dich nicht verletzt, — daß Du Willens bist, mich zum Freunde zu haben" — „Willens! Deine Freundschaft ist mir beinahe das Süßeste, was ich kenne", rief die Fürstin. Des Königs Augen blitzten unheimlich.

140 „Beinahe! Ja, wahrlich — meine Freundschaft und die Liebe eines andern sind Dir am süßesten! Was wäre Dir meine Freundschaft ohne seine Liebe? Beim Aura­ mazda und den sechs Amschapands') des Himmels, ich wollte, es hieße: meine Liebe und seine Freundschaft! Ich wollte, Zoroaster wäre der König und ich — Zoroaster, des Königs Knecht! Ich wollte ganz Persien und Medien, Babylon und Aegypten und die äußersten Grenzen meines Königreichs darum geben, Deine süße Stimme sagen zu hören: Darius ich liebe dich! Ich würde meine rechte Hand, ich würde das Herz aus meiner Brust und die Seele aus meinem Leibe — mein Leben und meine Stärke, meinen Ruhm und mein Königreich dafür hingeben, Dich sagen zu hören: „Komm, mein Geliebter, und nimm mich in Deine Arme." Ach, Kind, Du weißt nicht, was meine Liebe ist! wie viel höher denn der Himmel und weiter denn die Erde — und tiefer als die Tiefen des Meeres, — und nimmer wird diese Liebe aufhören, ewig wird sie Dein bleiben." Des Königs Stimme war stark und die Kraft seiner Worte lieh ihnen Flügel, daß sie unwiderstehlich einherfiogen mit einer Botschaft, die Antwort erheischte. In ihrem Innern that es Nehuschta leid, daß sie ihn zum Sprechen gebracht hatte, und doch hätte sie um die Welt nicht die Worte hingeben mögen, die er zu ihr gesprochen. Sid bedeckte ihre Augen mit einer Hand und schwieg, — denn sie konnte nichts sagen. Ein neues Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt und schien ihr die Lippen zu ver­ schließen. *) Zn der persischen Religion neben Ormuzd (Auramazda) die obersten Geister des Lichtreiches.

141 „Du schweigst", fuhr der König fort. „Du hast recht. Was solltest Du mir erwidern? Meine Stimme klingt wie das Toben eines Rasenden, der von einer Kette ge­ fesselt ist, welche er nicht zerbrechen kann. Und wäre ich stark wie die Berge, so könnte ich Dich nicht rühren. Das weiß ich. Alles habe ich, nur dieses Eine nicht — Deine Liebe, die Du einem Andern geschenkt hast. Ich wollte, sie wäre mein! Ich hätte die Kraft mehr als menschliche Thaten zu vollbringen, -wäre Deine Liebe mein! Was ist der, den Du liebst? Ein Hauptmann? Ein Krieger? Wahrlich ich sage Dir, weil Du ihn so geehrt, weil Du ihn auf den Thron Deines Herzens erhoben hast, will ich ihn auch ehren, und ihn über alle andern erheben, und alle Völker sollen sich vor ihm beugen. Ich will ein Gesetz geben, daß er verehrt werden soll wie ein Gott, — dieser Mann, den Deine Liebe zum Gott gemacht hat. Ich will Euch beiden einen großen Tempel bauen, und will mit allem Volk hinaufziehen und vor Euch niederfallen und Euch anbeten, und Dich lieben mit jeder Faser meines Leibes und mit aller Hoffnung und Freude und Trübsal meiner Seele. Er möge bitten, Dein Geliebter, und was er auch bitte, das will ich ihm geben und Dir. Es soll auf der ganzen Welt nichts sein, das Du wünschest, — ich will es Dir geben. Bin ich nicht der König der ganzen Welt — der Herr aller lebenden Wesen außer Dir?" Darius athmete schwer durch bie zusammengebissenen Zähne: dann sprang er plötzlich auf und ging auf dem Marmorboden zwischen Nehuschta und dem Springbrunnen auf und ab. Sie schwieg noch immer; eine Furcht war über sie gekommen bei seinen Worten, die er alle wahr machen konnte, wenn er wollte. Alsbald trat er vor sie hin. „Sagte ich nicht, daß ich raste wie ein Wahnsinniger

142 — daß ich redete wie ein Thor ohne Verstand? Was kann ich Dir geben, das Du brauchtest? Oder was kann ich ersinnen, deß Du bedürftest? Hast Du nicht alles, was die Wett einem Sterblichen gewähren kann? Liebst Du nicht und wirst wieder geliebt? Hast Du nicht alles — alles — alles? O wehe mir! daß ich Herr bin über die Völker und habe nicht einen Tropfen aus den Waffern des Friedens, um den Durst meiner lechzenden Seele zu löschen! Wehe mir, daß ich die Welt beherrsche und die ganze Erde unter meine Füße trete, und nicht das Eine haben kann, das höchste Gut, das die Erde hegt! Wehe mir, Nehuschta, daß Du mir so grausam meinen Frieden geraubt hast, und ich finde ihn nicht wieder, — ich werde ihn nie mehr wieder finden." Der starke Mann stand da, rang die Hände; sein Gesicht war todtenbleich, in seinen schwarzen Augen glühte ein unheimliches Feuer. Nehuschta wagte nicht den Sturm anzuschauen, den sie heraufbeschworen; allein sie preßte zitternd die Hände auf die Brust und sah zu Boden. „Nein, Du hast recht", rief er bitter. „Antworte mir nicht, denn Du kannst mir keine Antwort geben! Ist es Deine Schuld, daß ich wahnwitzig bin? Oder ist es Dein Werk, daß ich Dich so liebe? Hat einer von uns hierbei gesündigt? Ich sah Dich — sah Dich einen kurzen Augen­ blick an der Thür Deines Zeltes stehen — und als ich Dich sah, liebte ich Dich, und liebe Dich noch, und werde Dich lieben, bis die Himmel zusammengerollt werden wie ein Gewand und die Schristrolle des Todes voll ist. Du kannst nichts sagen, nichts thun. Es ist nicht Deine Schuld, es ist nicht Deine Sünde; aber durch Dich ist es um mich geschehen, zerbrochen bin ich wie der Baum im Sturm auf den Bergen, versehrt und verdorret wie das Thier in der

143 Wüste, das aus Mangel an Wasser verschmachtet, — zerriffen wie der Strick am Brunnen zerreißt. Durch Dich und für Dich und um Dich bin ich zu Grunde gerichtet und verloren — verloren — verloren auf ewig in der Hölle meiner elenden Größe, in der unermeßlichen Todes­ qual meiner Verzweiflung." In wildem Zucken fiel Darius Neyuschta zu Füßen, flach auf den Marmorboden, und vergrub sein Antlitz in die Falten ihres Mantels, zusammengebrochen und ganz überwältigt von dem Sturm seiner Leidenschaft. Nehuschta war nicht herzlos. Gewiß hätte sie Jeden in solcher Seelenqual, in solchem Schmerz bemitleidet, selbst wenn die Ursache ihr minder nahe gegangen wäre. Aber inmitten all ihrer Aufregung, trotz Mitleid, Furcht und Selbstvorwürfen, hatte sie doch das Gefühl, daß nie ein Mann so gesprochen wie dieser, daß nie zuvor ein Liebender so ein Uebermaß von Liebe ausgeströmt hätte, und in der dunklen Ahnung von etwas Größerem als sie je gekannt, wurde Furcht und Mitleid in ihr immer stärker und rangen mit einander. Zuerst konnte sie nicht sprechen, aber sie streckte ihre zarte Hand aus und legte sie zärtlich auf des Königs volles schwarzes Haar, so sanft wie eine Mutter ihr aufgeregtes Kind beruhigt; und er duldete, daß die Hand da läge. Dann hob sie sein Haupt empor und legte es auf ihren Schoos und streichelte seine Stirn mit ihren weichen Fin­ gern und sprach zu ihm: „Du betrübst mich sehr", flüsterte sie. „Ich wünschte, daß Du geliebt würdest, wie Du es verdienst, — daß eine Würdigere als ich Dir alles gäbe, was ich nicht geben kann." Er öffnete seine dunklen Augen, die jetzt matt und trübe waren und schaute sie an.

144 „Es giebt keine Würdigere als Dich", antwortete er leise mit gebrochener Stimme. „Still!" sagte sie sanft. „Es giebt noch viele. Willst Du mir vergeben und mich vergeffen? Willst Du diese Stunde aus Deinem Gedächtniffe tilgen und in die Welt hinaustreten, um die edlen und großen Thaten zu voll­ bringen, wozu Du gesandt bist? Es giebt keinen, der größer und edler und hochherziger ist als Du." Darius erhob sein Haupt von ihren Knien und sprang auf. „Ich will alles thun — nur nicht vergessen!" sagte er. „Ich will die großen und edlen Thaten für Dich thun! Gewähre mir nur ein Kleines!" „Verlange alles und jedes", antwortete Nehuschta mit zitternder Stimme. „Nehuschta, Du weißt, wie ich Dich liebe — nein, ich will nicht wieder rasen, fürchte nichts! Sage mir dies Eine, — sage mir, wenn Du nicht Zoroaster liebtest, würdest Du mich geliebt haben!" Nehuschta erröthete tief und wurde dann ganz'bleich. Sie stand auf und ergriff des Königs ausgestreckte Hände. „Wahrlich, wahrlich, Du bist der höchsten Liebe werth — Darius, ich hätte Dich innig lieben können." Ihre Stimme klang sehr leise und Thränen standen in ihren Augen. „Die Gnade des Allwcisen Gottes sei mit Dir!" rief der König, und es war als schiene plötzlich auf seinem Angesicht ein Heller Glanz. Dann küßte er inbrünstig ihre beiden Hände und mit einem tiefen Blick in ihre traurigen Augen wandte er sich und ging. Niemand sah den König an jenem Tage; es wußte auch Niemand, wo er war, außer den beiden Speerträgern,

145 die vor seinem Gemache Wache standen. Darinnen lag er auf seinem Lager, starr und trocknen Auges, und stierte das bemalte Schnitzwerk der Decke an.

Elftes Kapitel.

Die Zeit entschwand; elf Tage waren vergangen, seit Zoroaster fortgeritten war. Der König und Nehuschta waren nach wie vor im Garten zusammengekommen, und keines von Beiden hatte je des Tages erwähnt, da sein Herz sich plötzlich Luft gemacht hatte. Die Stunden ver­ gingen ruhig und schnell, ohne irgend ein besonderes Ereigniß. Nur das starke Band, halb Freundschaft und halb Liebe, war noch stärker geworden, und Nehuschta wun­ derte sich darüber, daß sie zwei Männer so sehr und doch auf so ganz verschiedene Weise lieben konnte. Freilich waren es sehr verschiedene Männer. Sie liebte Zoroaster, und doch schien es ihr manchmal, als würde er die Stelle eines Freundes befler ausgefüllt haben, als die eines Lieb­ habers. Sie hatte Darius zum Freunde genommen, aber es gab Augenblicke, in denen sie beinahe vergaß, daß er ihr nicht mehr war. Sie versuchte an ihr Wiedersehen mit Zoroaster zu denken, ob es so sein werde, wie die frühern Begegnungen, — ob ihr Herz stärker schlagen oder garnicht klopfen werde, wenn ihre Lippen wie sonst die seinen berührten. Sie war ganz in ihrem Urtheil beirrt und kannte ihr eignes Herz nicht mehr. Sie über­ ließ sich dem Wohlgefallen an des Königs Gesellschaft und sah doch voraus, daß bald eine große Veränderung eintreten müßte, über die sie nicht gebieten konnte. Die Sonne war eben aufgegangen, aber die Brücke über den schnell fließenden Choaspes lag noch in dem Crawford, Zoroaster. 10

146 Schatten, welchen Festung und Palast über die Ebene warfen, als zwei Reiter, in vollem Galopp, auf dem Wege von Ninive erschienen und aus dem blauen Nebel hervor­ traten, der noch über den Wiesen lag; fie ritten über die Brücke und in größter Eile den Berg zum Königspalast empor. Der eine Reiter war ein dunkler häßlicher Mann, besten bleiche welke Wangen und gebeugte Gestalt die äußerste Erniedrigung verriethen. Seinem Pferde war vorn und hinten ein Polster ausgebunden, so daß er in einer Att von Stuhl saß, aber selbst mittelst dieser künst­ lichen Stützen schien er sich kaum aufrecht halten zu können, und sein Körper schwankte hin und her, als sein Pferd die scharfe Biegung am Fuße des Hügels emporsprengte. Sein Mantel war weiß von Staub, und seine Kopfbe­ deckung war zu einem formlosen staubigen Stück zerknitterter Leinwand geworden, während sein ungekräuseltes Haar und sein wirrer Bart in unordentlichen von Staub klebenden Büscheln ihm wüst über das Gesicht hingen. Sein Begleiter war Zoroaster; schön und aufrecht saß er zu Pferde, als wäre er nicht dreihundert Farsangs in elf Tagen geritten. Auch auf seinem Mantel und seinen Kleidern lag Staub, wie auf denen des Mannes, welchen er mitbrachte, aber sein langes blondes Haar und sein Bart wehten von seinem Antlitz zurück, da er beim Reiten den Kopf dem Luftzuge hoch erhoben entgegen hielt, und sein leichter Stahlhelm saß hell und blank auf seiner Stirn. Eine leichte Nöthe färbte seine blaffen Wangen, als er zum Palast emporblickte und daran dachte, daß sein Ritt vorüber und fein Auftrag ausgeführt sei. Er war müde, fast zum Tode erschöpft, aber sein schnellkräftiger Körper hielt sich noch auftecht.

147 Die Wachen am äußern Thor hatten sie schon seit zwanzig Minuten beobachtet, als sie sich wie kleine Fleckchen im weißen Nebel den Weg einher bewegten, und als sie nun den steilen Abhang emporritten, riesen die Wächter draußeu denen drinnen zu, daß Zoroaster zurückkehrte, und der Hauptmann am Thor eilte sofort seine Ankunft dem Könige anzumelden. Darius nahm die Botschaft selbst in Empfang und folgte dem Hauptmann die Stufen hinab zum Thurm am Thor, er erreichte den freien Platz gerade, als die beiden Reiter durch den viereckigen Eingang spreng­ ten und auf dem kleinen gepflasterten Hof hielten. Die Speerträger sprangen auf und stellten sich in Reih und Glied, als der Ruf erscholl, der König nahete, und Zoroaster sprang behend vom Pferde und gebot Phraortes ein Gleiches zu thun; aber der unselige Meder konnte ohne Hülfe kaum Hand noch Fuß bewegen und würde kopfüber gefallen sein, hätten ihn nicht zwei starke Krieger herabgehoben und auf die Füße gestellt. Darius trat rasch auf das Paar zu und stand still, während Zoroaster seine kurze Begrüßung machte. Phra­ ortes, der vor tödtlicher Ermüdung und tödtlicher Furcht keine Kraft mehr in sich hatte, fiel auf die Kniee, als die beiden Krieger seine Arme los ließen. „Heil König der Könige! Lebe ewig!" sagte Zoroaster. „Ich habe Dein Geheiß erfüllt. Er ist lebendig." Darius lachte grimmig, als er die hingesunkene Ge­ stalt des Meders ansah. „Du bist ein treuer Diener, Zoroaster", versetzte er, „und reitest wie die Furien, wenn fie die Seelen der Bösen verfolgen, wie die Bergteufel hinter einem Lügner. Er hätte nicht mehr lange ausgehalten, dieser Haufen schwitzigen Staubes. Steh auf, Kerl", sagte er und berührte den 10*

148 Kopf des Phraortes mit seiner Fußspitze. „Du wälzest Dich da wie ein Schwein im Graben." Der Krieger hob den erschöpften Menschen auf. Der König wendete sich zu Zoroaster. „Sagemir, Du Wirbelwind", fragte er lachend, „spricht ein müder Mensch eher die Wahrheit oder Lügen?" „Ein Müder wird vor allem das thun, was ihm Ruhe verschafft", erwiderte Zoroaster lächelnd. „Dann will ich diesem Burschen sagen: je eher er die Wahrheit spricht, desto eher darf er schlafen"; sagte der König. Dann trat er an Zoroaster heran und setzte leise hinzu: „Ehe Du ausruhst, gehe und sage der Königin im Geheimen, sie solle ihre Sclavinnen sortschicken und mich und den, welchen Du mitgebracht hast, in einigen Minuten erwarten. Der Mmsch muß erst etwas Er­ frischung zu sich nehmen, sonst stirbt er auf der Treppe." Zoroaster ging die breite Treppe hinauf, dann durch Höse und Gänge und gelangte endlich vor des Königs Gemächern auf die Terrasse, wo er Atoffa zuerst gesehen hatte. Es war Niemand da, und er wollte eben durch den großen Vorhang hinein gehen, als die Königin selbst her­ austrat und ihm plötzlich gegenüber stand. Trotz der frühen Stunde war sie mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt ge­ kleidet; die matten Farben ihres Anzugs und die wenigen Juwelen, welche sie schmückten, glänzten hell in den schrägen Strahlen der Morgensonne. Sie hatte es sich gedacht, daß Zoroaster an diesem Tage zurückkehren würde und sich darauf vorbereitet. Als sie ihm begegnete, stieß sie einen leisen wohl erkünstelten Schrei aus. „Was! Du bist schon zurück?" rief sie; die Freude,

149 welche aus diesen Worten klang, war ächt. Er sah so göttergleich aus, als er im Sonnenlichte vor ihr stand, daß ihr Herz bei seinem Anblick höher schlug. „Ja, dies ist die Botschaft, welche ich von dem Großen .Könige an die Königin bringe: sie wolle ihre Sclaven fortschicken und den König und den Mann, den ich mitge­ bracht, in einigen Minuten erwarten." „Es ist gut", sagte Atossa. „Hier sind keine Sclaven und ich erwarte den König." Sie schwieg einen Augenblick; dann fragte sie: „Bist Du nicht froh zurück zu sein?" „Ja", sagte Zoroaster, und sein Antlitz leuchtete auf beim Sprechen. „Ich bin wahrlich froh, wieder hier zu sein. Würde sich nicht ein Jeder freuen, solch eine Reife hinter sich zu haben?" Die Königin stand mit dem Rücken gegen die ver­ hängte Thür und konnte die ganze Länge der Terraffe bis zur Treppe am andern Ende übersehen. Während er sprach, entdeckteu Atossa's scharfe Augen eine Gestalt, welche rasch die letzten Stufen der Treppe emporstieg. Zoroaster stand der Königin und somit auch der Thür gegenüber. Sie hatte sofort Nehuschta erkannt, doch kein Zucken der Augen­ lider, kein Farbenwechsel verrieth, daß sie die Annäherung ihrer Feindin bemerkte. Sie heftete ihre dunkelblauen Augen mit wehmüthigem Blick auf Zoroaster und sagte mit leiser sanfter Stimme: „Mir ist die Zeit lang vorge­ kommen, seit Du fortrittest, Zoroaster." Erstaunt über ihre Art zu sprechen, erbleichte Zoro­ aster und sah kalt auf ihr schönes Antlitz herab. In diesem Augenblick betrat Nehuschta den glatten Marmorboden der Terraffe. Noch immer waren Atoffas Augen auf Zoroaster ge­ heftet.

150 „Du antwortest mir nichts?" sagte sie mit gebrochener Stimme. Dann plötzlich, wie von unwiderstehlicher Em­ pfindung sortgeriffen, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn mehrmals leidenschaftlich. „O Zoroaster, Zoroaster, mein Geliebter!" rief sie. „Du mußt mich nie, nie wieder verlaffen!" Und wieder küßte sie ihn und warf sich an seine Brust, und hielt ihn so fest, daß er sich nicht rühren konnte. Er legte die Hände auf ihre Schultern, an ihren Gürtel und versuchte sie fortzuschieben, aber vergeblich. Sie hing an ihm wie verzweifelt und schluchzte an seinem Busen. In dieser plötzlichen und tödtlichen Verlegenheit hörte er nicht ein leises Aufstöhnen weit hinter ihm, auch nicht den Schall rasch forteilender Schritte auf der Treppe. Aber Atoffa hörte es und empfand wilde Freude; als sie ausblickte, war Nehuschta fort mit der unheilbaren Wnnde im Herzen. Atoffa ließ plötzlich ihre Arme vom Halse des Kriegers herabfinken, sah ihm noch ein Mal in die Augen, dann stieß sie einen kurzen scharfen Schrei aus und lehnte sich an den Thürpfosten neben dem schweren gestreiften Vor­ hang. „O mein Gott! was habe ich gethan!" stöhnte sie. Zoroaster stand einen Augenblick zaudernd und zwei­ felnd da. Ihm war es, als wäre ihm plötzlich ein Licht aufgegangen über viele Dinge, die er bis dahin nicht ver­ standen hatte. Endlich sprach er ruhig, mit großer An­ strengung und seine Stimme klang sanft. „Ich danke den guten Geistern, daß ich Dich nicht liebe — und ich wollte, Du liebtest mich nicht. Denn ich bin des Großen Königs Knecht, — bis zum Tode getreu, und wenn ich Dich liebte, so wäre ich ein Lügner, ein Feiger — der verworfenste aller Menschen. Ich bitte Dich,

151 vergiß, was Du gesprochen hast, und laß mich in Frieden ziehen. Denn der Große König naht, der muß Dich nicht weinend finden, sonst denk er, Du fürchtest dem Meder Phraortes gegenüber gestellt zu werden. Ich bitte Dich, vergiß, — und vergieb Deinem Knecht, wenn er etwa gefehlt haben sollte." Atoffa schaute plötzlich auf. Ihre Augen waren hell und klar und keine Spur von Thränen darin. Sie lachte herb. >>3ch — vor dem König weinen! Du kennst mich nicht. Geh, wenn Du willst. Lebe wohl, Zoroaster"; ihre Stimme wurde weicher, „lebe wohl. Es kann sein, daß Du lebest, es kann sein, daß Du sterben mußt, weil ich Dich liebe." Zoroaster neigte das Haupt in ehrfurchtsvollem Gruße, wandte fich und ging seines Weges. Die Königin sah ihm nach, und als er auf der Treppe verschwand, glättete fie ihren Kopfputz und ihr goldenes Haar, und lächelte still für sich. „Das war ein gut geführter Todesstreich", sagte sie laut. Als fie aber über die Stadt hinausblickte, wurde ihr Antlitz ernst und nachdenklich. „Und doch liebe ich ihn", setzte fie leise hinzu. „Ich liebe ihn — ach! ich habe ihn schon lange ge­ liebt." Rasch wandte sie sich um, als fürchtete fie belauscht zu werden. „Wie thöricht bin ich doch!" rief sie ungeduldig, und dann verschwand sie hinter dem Vorhang und ließ den langen Balkon wieder leer; nur die Schwalben flogen rau­ schenden Fluges von Zeit zu Zeit zwischen den Pfeilern hindurch und weilten einen Augenblick hoch oben auf dem Gesims, um dann wieder in den goldnen Sonnenschein des Sommermorgens hinauszüflattern. Zoroaster verließ Atoffa in der Hoffnung, ein Mittel

152 zu finden, um Nehuschta zu sehen. Allein es war unmög­ lich. Er wußte wohl, daß er es nicht wagen durste, nach ihren Gemächern durch den untern Gang zu gehen, wo er fie zuletzt gesehen hatte, am Tage seiner Abreise nach Ecbatana, und der Sclave, welchen er nach dem Haupteingange der Frauengemächer im Palaste abschickte, kehrte mit der Antwort zurück, Nehuschta wäre allein in ihrem Gemach, wo Niemand sie zu stören wagte. Erschöpft von Uebermüdung und Aufregung und kaum im Stande über das seltsame Erlebniß dieses Morgens nachzudenken, ergab sich der ermattete Zoroaster endlich darein, Nehuschta zu einer spätern Stunde zu sehen und legte sich in seinem kühlen Gemach zur Ruhe. Als er er­ wachte, war es Abend. Unterdeffen hatte der König besohlen, daß Phraortes erfrischt und gespeist und daraus sofort nach den Gemächern der Königin geführt werden sollte. Eine halbe Stunde nachdem Zoroaster sie verlaffen hatte, befand sich Atoffa in ihrem Ankleidezimmer. Sie saß allein vor ihrem großen silbernen Spiegel und harrte ruhig der Dinge, die da kommen würden. Ein inneres Gefühl sagte ihr, daß fie in dem Heiligthum ihres kleinen Gemaches einem Angriff besser würde widerstehen können, — hier, wo alles ihr eignes Gepräge trug, und wo die Gitter der beiden Fenster so ge­ stellt waren, daß fie die Mienen ihrer Gegner beobachten konnten, ohne ihr eignes Gesicht dem Licht auszusetzen. . Sie beugte sich vor und betrachtete sich aufmerksam im Spiegel; mit einem feinen Pinsel von Kameelhaaren glättete fie eine ihrer Augenbrauen, die etwas aufgerauht war. Sie hatte Zoroasters Gewand berührt, als sie sich ihm an die Brust warf, fie beschaute sich mit künstlerischem Wohlgefallen und lächelte.

153 Bald darauf hörte sie den Tritt lederner Schuhe draußen auf den Fliesen, und der Vorhang ward plötzlich zurückgeschlagen. Darius stieß Phraortes bei den Schultern ins Zimmer und stellte ihn vor die Königin. Sie stand auf und verneigte sich vor dem König; dann setzte sie sich wieder auf ihren geschnitzten Stuhl. Der König warf sich auf einen Stapel dicker harter Polster, welche an einer Seite des Zimmers einen Divan bildeten, und war bereit, die beiden andern scharf zu beobachten. Zitternd vor Furcht und Uebermüdung fiel Phraortes vor Atoffa auf die Kniee und berührte mit der Stirn den Boden. „Steh auf, Mensch", sagte der König barsch, „und gieb Rechenschaft über die Angelegenheiten der Königin." „Halt!" sagte Atossa, „zu welchem Zwecke hat der Große König diesen Mann hergebracht?" „Zu meinem Vergnügen!" antwortete Darius; „sprich, Bursche. Lege Rechenschaft ab, und wenn mir Deine Rechnung nicht gefüllt, lasse ich Dich kreuzigen." „Der König lebt ewig", sagte Phraortes matt, seine welken Wangen zitterten, während seine Glieder sich un­ sicher bewegten. „Die Königin lebt auch ewig", bemerkte der König. „In welchem Zustande befinden sich die Ländereien der Königin zu Ecbatana?" Bei dieser Frage faßte Phraortes augenscheinlich Muth und fing an die Güter, das Vieh und die Sclaven rasch aufzuzählen. „In diesem Jahre habe ich zweitausend Aecker Weizen gesäet, der bald zur Ernte reif sein wird. Ich habe auch tausend Aecker mit anderm Korn besät. Die Felder mit Waffermelonen tragen in erstaunlicher Fülle, seit ich im

154 vorigen Winter die grotzen Gräben nach der Straße zu ziehen ließ. Die Obstgärten und die Weinberge find gut im Stande; aber wir haben jetzt nicht genug Regen ge­ habt, um den ersten Ansatz der Trauben zu befördem, Oliven wird es in diesem Jahre zweifellos in Fülle geben, denn im vorigen gab es wenig, wie das bei dieser Frucht zu sein pflegt. Ich bezweifle nicht, daß der Ertrag der diesjährigen Ernte an Korn und Wein, an Oel und Obst sich auf hundert Talente Gold'belaufen wird." „Im vergangenen Jahre betrug er nnr sünfundachtzig", bemerkte die Königin, welche dem ganzen Bericht scheinbar mit dem höchsten Interesse zugehört hatte. „Ich bin sehr zufrieden, Phraortes, nun sage mir noch von den Rindern und Schafen — und den Sclaven, ob viele im letzten Jahre umgekommen find." „Es find fünfhundert Stück Rindvieh vorhanden, und hundert Kälber find in den letzten zwei Monaten geboren. Aus Mangel an Regen ist das Futter in diesem Jahre fast ganz verdorben, und es ist wenig Heu da für den Winter. Ich habe deshalb eine Menge Sclaven mit Kameelen nach den fernen Ebenen im Osten ausgeschickt, von wo fie täg­ lich mit großen Lasten Heu zurückkehren, es ist von grober Art, aber nützlich. Die Heerden weiden jetzt auf den Ab­ hängen des Zagros-Gebirges. Es waren sechstausend Schafe und zweitausend Ziegen bei der letzten Schur im Frühling, und die Wolle ist schon für acht Talente ver­ kauft worden. Für die Sclaven habe ich aus eine neue Art gesorgt. Es waren darunter viele junge Männer vo» den Gefangenen, die vor zwei Jahren ans dem Kriege kamen; für diese habe ich Weiber von den Händlern aus Scythien gekauft. Diese Scythen verkaufen alle ihre Wei­ ber sehr wohlfeil. Es find garstige Barbaren, die eine

155 fremde Sprache reden, aber fie sind stark und kräftig und werden sich gewiß sehr vermehren und uns großen Vor­ theil bringen. „Du bist sehr geläufig im Reden", unterbrach ihn der König. „Allein die Königin möchte noch allerlei Ein­ zelheiten wißen. Es ist Dir bekannt, daß man in einem Grenzlande wie Ecbatana Felder und Heerden oft vor Räubern schützen muß. Hast Du daran gedacht, einen Theil der Sclaven zu diesem Zwecke zu bewaffnen?" „Der König wolle seinem Knecht nicht zürnen", ant­ wortete Phraortes ohne zu zaudern. „Es sind über tau­ send Krieger in Ecbatana, und die Berittenen durchstreifen beständig das Land. Ich habe keinen der Sclaven be­ waffnet, denn mich dünkt, wir sind sicher unter dem Schutze von des Königs Leuten. Jndeffen, wenn der Große König befiehlt" — „So könntest Du sie wohl sofort bewaffnen?" unter­ brach ihn Darius. Er beobachtete Atoffa scharf; ihr Geficht war im Schatten. „Nein", versetzte Phraortes, „denn wir haben keine Aiaffen. Wenn aber der König uns Schwerter und Lanzen­ spitzen geben will" — „Wozu?" fragte Atoffa. Sie war vollkommen ruhig, weil sie sah, daß fie nicht zu fürchten brauchte, Phraortes würde bei diesem Hauptpunkt ein Versehen machen. „Wozu brauche ich eine bewaffnete Macht, um Ländereien zu be­ schützen, die alle innerhalb eines Tagesmarsches von der königlichen Festung liegen? Der Gedanke, Waffen zu tra­ gen, würde alle Sclaven träge und streitsüchtig machen. Laß ihnen ihre Spaten und Pflüge, und laß fie arbeiten, während die Krieger fechten. Wie viele Sclaven besitze ich jetzt,. Phraortes?"

156 „Es waren bei der letzten Zählung vierzehntausend siebenhundert und dreiundfünfzig Männer, zehntausend zwei­ hundert und sechzehn Weiber und nicht weniger als fünf­ tausend Kinder! Aber ich erwarte" — „Was kannst Du 2 mit so vielen anfangen?" fragte Darius, sich scharf gegen die Königin wendend. „Viele von ihnen arbeiten in den Teppichwebstühlen", antwortete Phraortes. „Die Königin nimmt jährlich fünfzig Talente durch den Verkauf der Teppiche ein." „Alle Teppiche im Hause des Königs werden auf meinen Webstühlen gewebt", sagte Atoffa lächelnd. „Ich bin ein großer Kaufmann." «Ich zweifle nicht, daß ich sie Dir theuer genug be­ zahlt habe", sagte der König, den das Verhör anfing zu langweilen. Er hatte bestimmt erwartet, daß entweder der medische Verwalter oder die Königin Aufregung ver­ rathen würde, als die Bewaffnung der Sclaven zur Sprache kam; denn er glaubte, wenn Atossa wirklich einen Aufstand geplant hätte, so würde fie sich zweifellos die große Anzahl von Männern, welche ihr zur Verfügung standen, zu Nutze gemacht haben, indem sie ihnen Waffen verschaffte und ihnen im Falle eines glücklichen Ausganges die Freiheit verspräche. Der Anblick dieses Phraortes hatte ihn enttäuscht. Er hatte sich in ihm einen kräftigen entschloffenen Man« von gebieterischem Auftreten und unruhigen Neigungen ge­ dacht, der leicht zu Aufstand und Empörung gebracht werden könnte, wenn man ihn von der Seite des Ehrgeizes anpackte. Nun sah er vor sich den üblichen schlauen, ver­ schmitzten medischen Kaufmann, mit blassem Gesicht, leicht einzuschüchtern, eines kühnen Unternehmens ebenso unfähig wie ein Jude aus Babylon. Er war augenscheinlich ei«

157 bloßes Werkzeug in der Hand der Königin; und Darius stampfte ungeduldig auf den Boden, als er dachte, daß er sich am Ende wirklich getäuscht — daß die Königin wirk­ lich an Phraortes nur ihrer Besitzungen wegen geschrieben habe, und daß kein Ausstand zu befürchten gewesen. Der König war heftig im höchsten Grade und folgte immer seinen ersten Eingebungen; als er den Brief an Phraortes gelesen, war sein erster Gedanke, er wolle den Menschen selber sehen, einige Fragen an ihn stellen und ihn sofort umbringen, wenn er ihn unwahr erfände. Der Mann war ganz gebrochen von Uebermüdung und geschwächt von der anstrengenden Reise angekommen, hatte aber trotzdem vor dem Angesichte des Königs klar und deutlich Rechenschaft abgelegt, und obgleich er große Furcht verrieth, so gab er doch keinen Grund zu der Annahme, daß er nicht die Wahrheit spräche. Die Königin saß so ruhig dabei und putzte ihre Nägel mit einem kleinen Werkzeug von Elfen­ bein, von Zeit zu Zeit stellte sie eine Frage oder machte eine Bemerkung, als wäre der ganze Vorgang das natür­ lichste von der Welt. Darius war heftig und leidenschaftlich. Seine im ersten Augenblick gefaßten Entschlüsse waren gewöhnlich richtig und er pflegte sie sofort, ohne Besinnen, auszusühren; aber ihm fehlte es an List und Schlauheit. Er war immer fürs Handeln, aber nicht fürs Abwarten; und feiner außerordentlichen Schnelligkeit im Handeln verdankte er seine Erfolge. In den ersten drei Jahren seiner Re­ gierung hatte er neunzehn Schlachten geschlagen und neun Könige besiegt, die sich selbst die Königswürde angemaßt hatten; aber niemals hatte er eine Verschwörung entdeckt, noch einen Aufstand unterdrückt, ehe derselbe zum offenen Ausbruch gekommen war. Deshalb war er oft in Atoffas

158 Händen und häufig trug ihre Kunst, eine schlaue Lüge hinter buchstäblicher Wahrheit zu verbergen, und ihr schein­ bar gleichgültiges und kaltes Benehmen auch unter den schwierigsten Verhältniffen, über ihn den Sieg davon. Nach seinem geraden Urtheil war es unmöglich in klaren Worten zu lügen ohne dabei Verlegenheit zu verrathen; und jedes Mal wenn er Atossa in eine besonders schwierige Lage brachte, in welcher fie fich nach seiner Anficht unfehl­ bar verrathen mußte, stieß er aus ihre unerklärliche Ruhe, welche er fich genöthigt fühlte, ihrer thatsächlichen Unschuld zuzuschreiben — wie sehr auch die Umstände gegen fie zeugen mochten. Der König kam zu dem Schluffe, daß er fich im ge­ genwärtigen Falle geirrt habe, und daß Phraortes an dem Plan zu einem Aufstande schuldlos sei. Er konnte nicht begreifen, wie ein solcher Mensch im Stande sein sollte, ein schwieriges Unternehmen durchzuführen. Also beschloß er, ihn ziehen zu lassen. „Du hast alle Ursache mit den Ergebniffen dieses Brieses zufrieden zu sein", sagte er, Atoffa scharf ansehend. „Wie Du fiehst, bist Du jetzt über Deine Angelegenheiten schneller und genauer unterrichtet, als wenn Du den Brief abgeschickt hättest. Laß diesen Menschen gehen, und be­ fiehl ihm, in Zukunft seinen Rechenschaftsbericht regelmäßig einzuschicken, sonst muß er fich bemühen, in Hast herzu­ reiten, um denselben abzulegen. Jetzt kannst Du gehen und dich ausruhen"; setzte er hinzu, indem er aufftand und den willigen Phraotes vor fich her aus dem Ge­ mache schob. „Du hast Deine Sache gut gemacht. Ich bin mit Dir zuftieden, Phraortes"' sagte Atoffa kalt. Wieder blieb die schöne Königin allein, und wiederum

159 besah sie sich im Spiegel, dieses Mal prüfender als zuvor. Als sie sich beschaute und dabei erst die eine, dann die andere Seite ihres Gesichtes dem Lichte zuwandte, kam es ihr vor, als wäre sie etwas bleicher als gewöhnlich. Für jeden andern wäre die Veränderung unbemerkbar gewesen, sie aber nahm sie mit unzufriedener Miene wahr. Bald aber glättete sich ihre Stirn, und sie lachte vergnügt. Sie war einer furchtbaren Gefahr glücklich entgangen. Zuerst hatte sie gehofft, Phraortes warnen zu können, theils aber weil die Zusammenkunft so bald nach seiner Ankunft stattfand, theils weil sie einen Theil der kurzen Zwischenzeit durch den geschickt gespielten Austritt mit Zoroaster verloren hatte, mußte sie ihrem Haupthelfer ohne jegliche Vorbereitung gegenübertreten, und sie kannte seinen feigen Charakter genügend um zu fürchten, daß er sie ver­ rathen und dann des Königs Gnade als den Preis für seine Enthüllungen anrufen würde. Aber er hatte die Feuerprobe bestanden und jetzt war nichts mehr zu fürchten. Atoffa warf sich auf die Polster, auf denen der König gesessen hatte, und gab sich dem wonnigen Nachdenken über den Schmerz hin, welchen sie Nehuschta verursacht haben mußte, als sie sie in Zoroasters Armen sah. Sie war sicher, daß die Fürstin sein Gesicht nicht hatte sehen können; also hatte sie annehmen müffen, daß er die Königin um­ armt hätte. Wenn Nehuschta ihn wirNich liebte, mußte sie furchtbar leiden.

Zwölftes Kapitel.

Nachdem Darius die Königin verlaffen hatte, übergab