Zivilprozessordnung und Nebengesetze: Band 3 §§ 128-252 9783110248395, 9783110248388

Die Kommentierung umfasst neben der Zivilprozessordnung auch die relevanten Nebengesetze (wie EGZPO, GVG, KapMuG und Med

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Zivilprozessordnung und Nebengesetze: Band 3 §§ 128-252
 9783110248395, 9783110248388

Table of contents :
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
ERSTES BUCH. Allgemeine Vorschriften
Dritter Abschnitt. Verfahren
Titel 1. Mündliche Verhandlung (§§ 128–165)
§ 128 Grundsatz der Mündlichkeit; schriftliches Verfahren
§ 128 a Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung
§ 129 Vorbereitende Schriftsätze
§ 129 a Anträge und Erklärungen zu Protokoll
§ 130 Inhalt der Schriftsätze
§ 130 a Elektronisches Dokument
§ 130b Gerichtliches elektronisches Dokument
§ 131 Beifügung von Urkunden
§ 132 Fristen für Schriftsätze
§ 133 Abschriften
§ 134 Einsicht von Urkunden
§ 135 Mitteilung von Urkunden unter Rechtsanwälten
§ 136 Prozessleitung durch Vorsitzenden
§ 137 Gang der mündlichen Verhandlung
§ 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht
§ 139 Materielle Prozessleitung
§ 140 Beanstandung von Prozessleitung oder Fragen
§ 141 Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien
§ 142 Anordnung der Urkundenvorlegung
§ 143 Anordnung der Aktenvorlegung
§ 144 Augenschein; Sachverständige
§ 145 Prozesstrennung, getrennte Verhandlung über Aufrechnung
§ 146 Beschränkung auf einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel
§ 147 Prozessverbindung
§ 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit
Anhang: Aussetzung im Falle von Vorlagen an das BVerfG, Landesverfassungsgerichte und den EuGH
§ 149 Aussetzung bei Verdacht einer Straftat
§ 150 Aufhebung von Trennung, Verbindung oder Aussetzung
§ 151 aufgehoben
§ 152 Aussetzung bei Eheaufhebungsantrag
§ 153 Aussetzung bei Vaterschaftsanfechtungsklage
§ 154 Aussetzung bei Ehe- oder Kindschaftsstreit
§ 155 Aufhebung der Aussetzung bei Verzögerung
§ 156 Wiedereröffnung der Verhandlung
§ 157 Untervertretung in der Verhandlung
§ 158 Entfernung infolge Prozessleitungsanordnung
§ 159 Protokollaufnahme
§ 160 Inhalt des Protokolls
§ 160 a Vorläufige Protokollaufzeichnung
§ 161 Entbehrliche Feststellungen
§ 162 Genehmigung des Protokolls
§ 163 Unterschreiben des Protokolls
§ 164 Protokollberichtigung
§ 165 Beweiskraft des Protokolls
Titel 2. Verfahren bei Zustellungen (§§ 166–213a)
Vor §§ 166 ff
Untertitel 1. Zustellungen von Amts wegen (§§ 166–190)
§ 166 Zustellung
§ 167 Rückwirkung der Zustellung
§ 168 Aufgaben der Geschäftsstelle
§ 169 Bescheinigung des Zeitpunktes der Zustellung; Beglaubigung
§ 170 Zustellung an Vertreter
§ 171 Zustellung an Bevollmächtigte
§ 172 Zustellung an Prozessbevollmächtigte
§ 173 Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle
§ 174 Zustellung gegen Empfangsbekenntnis
§ 175 Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein
§ 176 Zustellungsauftrag
§ 177 Ort der Zustellung
§ 178 Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen
§ 179 Zustellung bei verweigerter Annahme
§ 180 Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten
§ 181 Ersatzzustellung durch Niederlegung
§ 182 Zustellungsurkunde
Vor §§ 183, 184
§ 183 Zustellung im Ausland
§ 184 Zustellungsbevollmächtigter; Zustellung durch Aufgabe zur Post
Anhang zu §§ 183, 184
§ 185 Öffentliche Zustellung
§ 186 Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung
§ 187 Veröffentlichung der Benachrichtigung
§ 188 Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung
§ 189 Heilung von Zustellungsmängeln
§ 190 Einheitliche Zustellungsformulare
Untertitel 2. Zustellungen auf Betreiben der Parteien (§§ 191–213 a)
§ 191 Zustellung
§ 192 Zustellung durch Gerichtsvollzieher
§ 193 Ausführung der Zustellung
§ 194 Zustellungsauftrag
§ 195 Zustellung von Anwalt zu Anwalt
§§ 195 a bis 213 a weggefallen
Anhang. Text der Normen des Zustellungsrechts vor der Reform vom 1.7.2002
Titel 3. Ladungen, Termine und Fristen (§§ 214–229)
Vorbemerkungen zu den §§ 214–229
§ 214 Ladung zum Termin
§ 215 Notwendiger Inhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung
§ 216 Terminsbestimmung
§ 217 Ladungsfrist
§ 218 Entbehrlichkeit der Ladung
§ 219 Terminsort
§ 220 Aufruf der Sache; versäumter Termin
§ 221 Fristbeginn
§ 222 Fristberechnung
§ 223 aufgehoben
§ 224 Fristkürzung; Fristverlängerung
§ 225 Verfahren bei Friständerung
§ 226 Abkürzung von Zwischenfristen
§ 227 Terminsänderung
§ 228 aufgehoben
§ 229 Beauftragter oder ersuchter Richter
Titel 4. Folgen der Versämung; Wiedersetzung in den vorigen Stand (§§ 230–238)
§ 230 Allgemeine Versäumnisfolge
§ 231 Keine Androhung; Nachholung der Prozesshandlung
§ 232 aufgehoben
§ 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 234 Wiedereinsetzungsfrist
§ 235 aufgehoben
§ 236 Wiedereinsetzungsantrag
§ 237 Zuständigkeit für Wiedereinsetzung
§ 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung
Titel 5. Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens (§§ 239–252)
Vorbemerkungen zu §§ 239–252
§ 239 Unterbrechung durch Tod der Partei
§ 240 Unterbrechung durch Insolvenzverfahren
§ 241 Unterbrechung durch Prozessunfähigkeit
§ 242 Unterbrechung durch Nacherbfolge
§ 243 Aufnahme bei Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung
§ 244 Unterbrechung durch Anwaltsverlust
§ 245 Unterbrechung durch Stillstand der Rechtspflege
§ 246 Aussetzung bei Vertretung durch Prozessbevollmächtigten
§ 247 Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr
§ 248 Verfahren bei Aussetzung
§ 249 Wirkung von Unterbrechung und Aussetzung
§ 250 Form von Aufnahme und Anzeige
§ 251 Ruhen des Verfahrens
§ 251 a Säumnis beider Parteien; Entscheidung nach Lage der Akten
§ 252 Rechtsmittel bei Aussetzung

Citation preview

Großkommentare der Praxis

I

II

Wieczorek/Schütze

Zivilprozessordnung und Nebengesetze Großkommentar 4., neu bearbeitete Auflage begründet von Dr. Bernhard Wieczorek weiland Rechtsanwalt am BGH herausgegeben von Professor Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schütze Rechtsanwalt in Stuttgart Dritter Band §§ 128–252 Bearbeiter: §§ 128–138, §§ 214–252: Uwe Gerken §§ 139–165: Stefan Smid §§ 166–195: Mathias Rohe

III

Stand der Bearbeitung: 1. September 2012 Zitiervorschlag: z.B.: Wieczorek/Schütze/Gerken § 214 ZPO Rn. 3

ISBN 978-3-11-024838-8 e-ISBN 978-3-11-024839-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

IV

Bearbeiterverzeichnis

Die Bearbeiter der 4. Auflage Bearbeiterverzeichnis Bearbeiterverzeichnis

Professor Dr. Hans-Jürgen Ahrens, Universität Osnabrück, Richter am OLG Celle a.D. Professor Dr. Dorothea Assmann, Universität Potsdam Professor Dr. Wolfgang Büscher, Richter am BGH, Honorarprofessor Universität Osnabrück Dr. Lothar Gamp, Rechtsanwalt, Brandenburg Professor Dr. Martin Gebauer, Universität Tübingen Uwe Gerken, Vors. Richter am OLG Oldenburg Dr. Helge Großerichter, Rechtsanwalt, München Professor Dr. Burkhard Hess, Universitäten Heidelberg und Luxemburg, Direktor des Max Planck Institute for International, European and Regulatory Procedural Law, Luxemburg Professor Dr. Volker Michael Jänich, Universität Jena, Richter am OLG Jena Dr. Ferdinand Kruis, Rechtsanwalt, München Professor Dr. Wolfgang Lüke, LL.M. (Chicago), Universität Dresden, Direktor des Instituts für Ausländische und Internationale Rechtsangleichung, Richter am OLG Dresden a.D. Professor Dr. Heinz-Peter Mansel, Universität Köln, Direktor des Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht Professor Dr. Dirk Olzen, Universität Düsseldorf Professor Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. (Berkeley), Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Hanns Prütting, Universität zu Köln, Direktor des Instituts für Verfahrensrecht Dr. Hartmut Rensen, Richter am LG Aachen Dr. Fabian Reuschle, Richter am LG Stuttgart Professor Dr. Mathias Rohe, M.A., Universität Erlangen, Richter am OLG Nürnberg a.D. Dr. Stephan Salzmann, Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt, Steuerberater, München Dr. Christoph Schreiber, Universität zu Kiel Professor Dr. Klaus Schreiber, Universität Bochum Professor Dr. Götz Schulze, Universität Potsdam Professor Dr. Dr. h.c. Rolf A. Schütze, Rechtsanwalt, Stuttgart, Honorarprofessor Universität Tübingen Professor Dr. Stefan Smid, Universität Kiel Professor Dr. Christoph Thole, Universität Tübingen Professor Dr. Roderich C. Thümmel, LL.M. (Harvard), Rechtsanwalt, Stuttgart, Honorarprofessor Universität Tübingen Dr. Eyk Ueberschär, Rechtsanwalt/Mediator (BAFM), Lehrbeauftragter, Universität Potsdam Professor Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock, FernUniversität Hagen Dr. Andreas Wax, Maître en Droit, Rechtsanwalt, Stuttgart Professor Dr. Matthias Weller, Mag. rer. publ., EBS Law School Wiesbaden Professor Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes Dr. Wolfgang Winter, Rechtsanwalt, München

V

Bearbeiterverzeichnis

VI

Inhaltsübersicht

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

Abkürzungsverzeichnis ______ XI Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur ______ XXV

Zivilprozessordnung ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften Dritter Abschnitt Verfahren Titel 1 Mündliche Verhandlung (§§ 128–165) ______ 1 § 128 Grundsatz der Mündlichkeit; schriftliches Verfahren ______ 1 § 128 a Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ______ 19 § 129 Vorbereitende Schriftsätze ______ 25 § 129 a Anträge und Erklärungen zu Protokoll ______ 29 § 130 Inhalt der Schriftsätze ______ 32 § 130 a Elektronisches Dokument ______ 46 § 130 b Gerichtliches elektronisches Dokument ______ 54 § 131 Beifügung von Urkunden ______ 56 § 132 Fristen für Schriftsätze ______ 59 § 133 Abschriften ______ 63 § 134 Einsicht von Urkunden ______ 67 § 135 Mitteilung von Urkunden unter Rechtsanwälten ______ 71 § 136 Prozessleitung durch Vorsitzenden ______ 73 § 137 Gang der mündlichen Verhandlung ______ 80 § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht ______ 90 § 139 Materielle Prozessleitung ______ 112 § 140 Beanstandung von Prozessleitung oder Fragen ______ 187 § 141 Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien ______ 189 § 142 Anordnung der Urkundenvorlegung ______ 209 § 143 Anordnung der Aktenvorlegung ______ 221 § 144 Augenschein; Sachverständige ______ 222 § 145 Prozesstrennung, getrennte Verhandlung über Aufrechnung ______ 228 § 146 Beschränkung auf einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel ______ 247 § 147 Prozessverbindung ______ 250 § 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit ______ 260 Anhang: Aussetzung im Falle von Vorlagen an das BVerfG, Landesverfassungsgerichte und den EuGH ______ 280 § 149 Aussetzung bei Verdacht einer Straftat ______ 283 § 150 Aufhebung von Trennung, Verbindung oder Aussetzung ______ 288 § 151 aufgehoben ______ 289 § 152 Aussetzung bei Eheaufhebungsantrag ______ 290 § 153 Aussetzung bei Vaterschaftsanfechtungsklage ______ 291 § 154 Aussetzung bei Ehe- oder Kindschaftsstreit ______ 293 § 155 Aufhebung der Aussetzung bei Verzögerung ______ 295 VII

Inhaltsübersicht

§ 156 Wiedereröffnung der Verhandlung ______ 297 § 157 Untervertretung in der Verhandlung ______ 307 § 158 Entfernung infolge Prozessleitungsanordnung ______ 308 § 159 Protokollaufnahme ______ 310 § 160 Inhalt des Protokolls ______ 316 § 160 a Vorläufige Protokollaufzeichnung ______ 341 § 161 Entbehrliche Feststellungen ______ 352 § 162 Genehmigung des Protokolls ______ 360 § 163 Unterschreiben des Protokolls ______ 370 § 164 Protokollberichtigung ______ 374 § 165 Beweiskraft des Protokolls ______ 384 Titel 2 Verfahren bei Zustellungen (§§ 166–213 a) ______ 390 Vor §§ 166 ff. ______ 390 Untertitel 1 Zustellungen von Amts wegen (§§ 166–190) ______ 398 § 166 Zustellung ______ 398 § 167 Rückwirkung der Zustellung ______ 414 § 168 Aufgaben der Geschäftsstelle ______ 430 § 169 Bescheinigung des Zeitpunktes der Zustellung; Beglaubigung ______ 436 § 170 Zustellung an Vertreter ______ 442 § 171 Zustellung an Bevollmächtigte ______ 452 § 172 Zustellung an Prozessbevollmächtigte ______ 455 § 173 Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle ______ 467 § 174 Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ______ 469 § 175 Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein ______ 488 § 176 Zustellungsauftrag ______ 491 § 177 Ort der Zustellung ______ 495 § 178 Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen ______ 496 § 179 Zustellung bei verweigerter Annahme ______ 522 § 180 Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ______ 528 § 181 Ersatzzustellung durch Niederlegung ______ 533 § 182 Zustellungsurkunde ______ 541 Vor §§ 183, 184 ______ 552 § 183 Zustellung im Ausland ______ 580 § 184 Zustellungsbevollmächtigter; Zustellung durch Aufgabe zur Post ______ 631 Anhang zu §§ 183, 184 ______ 645 § 185 Öffentliche Zustellung ______ 727 § 186 Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung ______ 741 § 187 Veröffentlichung der Benachrichtigung ______ 748 § 188 Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung ______ 749 § 189 Heilung von Zustellungsmängeln ______ 750 § 190 Einheitliche Zustellungsformulare ______ 759

VIII

Inhaltsübersicht

Untertitel 2 Zustellungen auf Betreiben der Parteien (§§ 191–213 a) ______ 760 § 191 Zustellung ______ 760 § 192 Zustellung durch Gerichtsvollzieher ______ 762 § 193 Ausführung der Zustellung ______ 770 § 194 Zustellungsauftrag ______ 773 § 195 Zustellung von Anwalt zu Anwalt ______ 776 §§ 195 a bis 213 a weggefallen ______ 785 Anhang. Text der Normen des Zustellungsrechts vor der Reform vom 1.7.2002 ______ 785 Titel 3 Ladungen, Termine und Fristen (§§ 214–229) ______ 794 Vorbemerkungen zu den §§ 214–229 ______ 794 § 214 Ladung zum Termin ______ 801 § 215 Notwendiger Inhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung ______ 804 § 216 Terminsbestimmung ______ 806 § 217 Ladungsfrist ______ 814 § 218 Entbehrlichkeit der Ladung ______ 816 § 219 Terminsort ______ 818 § 220 Aufruf der Sache; versäumter Termin ______ 821 § 221 Fristbeginn ______ 824 § 222 Fristberechnung ______ 825 § 223 aufgehoben ______ 830 § 224 Fristkürzung; Fristverlängerung ______ 830 § 225 Verfahren bei Friständerung ______ 834 § 226 Abkürzung von Zwischenfristen ______ 838 § 227 Terminsänderung ______ 840 § 228 aufgehoben ______ 850 § 229 Beauftragter oder ersuchter Richter ______ 850 Titel 4 Folgen der Versämung; Wiedersetzung in den vorigen Stand (§§ 230–238) ______ 851 § 230 Allgemeine Versäumnisfolge ______ 851 § 231 Keine Androhung; Nachholung der Prozesshandlung ______ 852 § 232 aufgehoben ______ 853 § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ______ 853 § 234 Wiedereinsetzungsfrist ______ 897 § 235 aufgehoben ______ 907 § 236 Wiedereinsetzungsantrag ______ 907 § 237 Zuständigkeit für Wiedereinsetzung ______ 912 § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung ______ 913 Titel 5 Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens (§§ 239–252) ______ 918 Vorbemerkungen zu §§ 239–252 ______ 918 § 239 Unterbrechung durch Tod der Partei ______ 920 § 240 Unterbrechung durch Insolvenzverfahren ______ 930 § 241 Unterbrechung durch Prozessunfähigkeit ______ 943 § 242 Unterbrechung durch Nacherbfolge ______ 947 IX

Inhaltsübersicht

§ 243 Aufnahme bei Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung ______ 948 § 244 Unterbrechung durch Anwaltsverlust ______ 949 § 245 Unterbrechung durch Stillstand der Rechtspflege ______ 954 § 246 Aussetzung bei Vertretung durch Prozessbevollmächtigten ______ 955 § 247 Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr ______ 959 § 248 Verfahren bei Aussetzung ______ 960 § 249 Wirkung von Unterbrechung und Aussetzung ______ 961 § 250 Form von Aufnahme und Anzeige ______ 969 § 251 Ruhen des Verfahrens ______ 971 § 251 a Säumnis beider Parteien; Entscheidung nach Lage der Akten ______ 975 § 252 Rechtsmittel bei Aussetzung ______ 982

X

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a.A. Abk. ABl. abl. Abs. abw. A.C. AcP ADSp. a.E. AEUV a.F. AG AGB AGBG AGS AHK AktG All E.R. Allg. Allg.M. Alt. a.M. AMBl BY AMG Am. J. Comp. L. Am. J. Int. L. amtl. ÄndVO AnfG Anh. Anl. Anm. AnwBl AO AöR AP App. ArbG ArbGG Arb. Int. ArbuR Art. art. AUG Aufl. AuR AusfG AusfVO Ausg. ausl.

XI

anderer Ansicht Abkommen Amtsblatt ablehnend(e/er) Absatz abweichend The Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis [Band (Jahr) Seite] Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alter Fassung Aktiengesellschaft, auch Amtsgericht, auch Ausführungsgesetz, auch Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen (Jahr, Seite) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwaltsgebühren spezial Alliierte Hohe Kommission Aktiengesetz All England Law Reports Allgemein (e/er/es) allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge Arzneimittelgesetz American Journal of Comparative Law American Journal for International Law amtlich Änderungsverordnung Anfechtungsgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Corte di appello (Italien); Cour d’appeal (Belgien, Frankreich) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbitration International Arbeit und Recht Artikel Article Auslandsunterhaltsgesetz Auflage Arbeit und Recht Ausführungsgesetz Ausführungsverordnung Ausgabe ausländisch

Abkürzungsverzeichnis

AuslInvestmG AVAG AWD AWG BAföG BAG BAGE BAnz. BauR bay. BayObLG BayObLGZ BayVBl. BB BBergG BBl. Bd. Bearb. BEG begr. Beil. Bek. belg. Bem. Ber. BerDGVR ber. bes. Beschl. bestr. betr. BeurkG BezG BfA BFH BFHE BFH/NV BFH-PR BG BGB BGBl BGE BGH BGHR BGHZ BinSchG BinSchVerfG Bl. BNotO BörsG BPatG

Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Außenwirtschaftsgesetz Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, Amtliche Sammlung Bundesanzeiger Baurecht bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen, Amtliche Sammlung Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Bundesberggesetz Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Band Bearbeitung Bundesentschädigungsgesetz begründet Beilage Bekanntmachung belgisch Bemerkung(en) Bericht Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht berichtigt besonders Beschluss bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bezirksgericht Bundesanstalt für Arbeit Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung Bundesgerichtshof Systematische Sammlung der Entscheidungen des BGH Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen; amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Binnenschifffahrtsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen Blatt Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundespatentgericht

XII

Abkürzungsverzeichnis

BR BRAGO BRAO BR(-Drucks.) BRAK-Mitt. Breith. brit. BSG BSGE BSHG BStBl. BT(-Drucks.) Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWNotZ bzw. BYIL C.A. Cahiers dr. europ. Cass. Civ. (com., soc.) Cass. (Italien) S.U. Cc (cc) ch. Ch. D. CIM

Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrat(-sdrucksache) Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht. Begr. v. Breithaupt britisch Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Amtliche Sammlung Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestag(-sdrucksache) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Amtliche Sammlung Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Amtliche Sammlung Mitteilungen aus der Praxis, Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg beziehungsweise The British Yearbook of International Law Court of Appeal (England) Cahiers de droit europèen

CPO CR

Cour de Cassation (Frankreich/Belgien), Chambre civile (commerciale, sociale) Corte di cassazione, Sezioni Unite Code civil (Frankreich/Belgien/Luxemburg); Codice civile (Italien) Chapter Chancery Divison Convention internationale concernant le transport des marchandises par chemins des fer; Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr Convention on the International Sale of Goods (Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf) Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (Anlage A zum COTIF) Civil Justice Quarterly Journal du droit international (Frankreich) Commen Market Law Reports Commen Market Law Review Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr Cour supèrieure de justice (Luxemburg) Codice di procedura civile (Italien). Code de procédure civile (Frankreich/Belgien/ Luxemburg) Civilprozeßordnung Computer und Recht

DAR das. DAVorm DB Dem. Rep. DGVZ

Deutsches Autorecht daselbst Der Amtsvormund Der Betrieb (Jahr, Seite) Demokratische Republik Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung

CISG CIV Civ. J. Q. Clunet C.M.L.R. CML Rev. CMR COTIF Cour sup. CPC, cpc

XIII

Abkürzungsverzeichnis

DGWR d.h. d. i. P. Dir. Comm. Int. Dir. Com. Scambi int. DIS DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotV DNotZ doc. DöV DR DRiZ DRpfl DRZ Drucks. D. S. DStR DStZ dt DtZ DuR DVBl. DVO DZWIR

Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht das heißt Droit international privé Diritto del commercio internationale Diritto communitario negli scambi internazionali Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Diskussionsentwurf Dissertation Deutsche Justiz, Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Zeitschrift des Deutschen Notarvereins Deutsche Notarzeitschrift (früher: Zeitschrift des Deutschen Notarvereins, DNotV) Document Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Der Deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechts-Zeitschrift Drucksache Recuil Dalloz Sirey Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung deutsch (e/er/es) Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

E € E. C. C. EFG EFTA EG EG-BewVO EGBGB EGGVG EGMR EG-PKHVV EGStGB EheG Einf. EinfG EingV Einl. EMRK ENA entspr. Entw. ErbbauVO Erg. Erl.

Entwurf Euro European Commercial Cases Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaft Europäische Beweisaufnahmeverordnung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EG-Prozesskostenvordrucksverordnung Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Ehegesetz Einführung Einführungsgesetz Einigungsvertrag Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäisches Niederlassungsabkommen entsprechend Entwurf Verordnung über das Erbbaurecht Ergebnis Erläuterungen

XIV

Abkürzungsverzeichnis

ESA EuAÜ EÜ EU EuBagatellVO EuBVO EuGH EuGHE EuGVVO EuGVÜ

EuInsVO EuR Europ. L. Rev. EuÜHS EuVTVO EuZVO EuZVR EuZW EV

evtl. EVÜ EWG EWGV EWiR EWIV EWS EWZ EzA EzFamR aktuell f. FamFG FamG FamR FamRÄndG FamRZ FamS ff. FG FGG FGPrax FGO Fn. Foro it. franz. FS

XV

Europäisches Übereinkommen über die Staatenimmunität Europäisches Rechtsauskunftsübereinkommen (Genfer) Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit Europäische Union Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Europäische Beweisaufnahmeverordnung Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Amtliche Sammlung Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung Europarecht European Law Review Europäisches Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit 1961 Europäische Vollstreckungstitelverordnung Europäische Zustellungsverordnung Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – eventuell Europäisches Schuldvertragsübereinkommen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Familienrecht aktuell folgend(e) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengericht Familienrecht Familienrechtsänderungsgesetz Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familiensenat fortfolgende Finanzgericht; Festgabe; Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fußnote Foro italiano französisch Festschrift

Abkürzungsverzeichnis

Fundst. FuR

Fundstelle(n) Familie und Recht

G. Gaz. Pal. GBBerG GBl GBO g.E. geänd. GebrMG GenfA GenfP GenG GeschMG GewO GG ggf. Giur it. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR Gruchot GRUR GrS GS GSZ GVBl. GVBl. RhPf. GVG GWB

Gesetz La Gazette du Palais (Frankreich) Grundbuchbereinigungsgesetz Gesetzblatt Grundbuchordnung gegen Ende geändert Gebrauchsmustergesetz Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche 1927 Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln 1923 Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Giurisprudenza italiana Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gedächtnisschrift Großer Senat in Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz- und Verordnungsblatt Rheinland-Pfalz Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

H HaftpflG HmbGVBl. HausTWG HBÜ

Heft Haftpflichtgesetz Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt Haustürwiderrufsgesetz Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen High Court Handbuch Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Haager Landkriegsordnung herrschende Lehre House of Lords herrschende Meinung Hoge Raad (Niederlande) Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber, herausgegeben Halbsatz Haager Zivilprozessabkommen 1905 Haager Übereinkommen über den Zivilprozess

H. C. Hdb. HessVGRspr HGB HinterlO HKO hL H. L. h.M. H. R. HRR Hrsg., hrsg. Hs HZPA HZPÜ

XVI

Abkürzungsverzeichnis

HZÜ

Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen

ICC ICLQ i.d.F. i.d.R. IGH i.e.S. ILM ILR insb. IPRax i.S.d. i.S.v. i.ü. i.V.m. IWB IWF i.w.S. IZPR IZVR i. Zw.

International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer) The International and Comparative Law Quarterly in der Fassung in der Regel Internationaler Gerichtshof im engeren Sinne International Legal Materials International Law Reports insbesondere Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne des im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Internationale Wirtschaftsbriefe Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht im Zweifel

JA JbIntR JBl. J. Bus. L. JbRR JFG

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für internationales Recht Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich) The Journal of Business Law (England) Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechtes Journal of International Arbitration Justizministerialblatt Justizministerialblatt von Nordrhein-Westfalen Jurisdiktionsnorm (Österreich) Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Rundschau Vierteljahresschrift für die gesamte Zivilrechtspflege Juristische Ausbildung Das juristische Büro Juristentag(es) Juristische Schulung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden Württemberg Justizverwaltungsblatt Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

J. Int. Arb. JMBl. JMBlNrw JN JOR JPS JR Judicium JURA JurBüro JurTag(s) JuS Justiz JVBl JVEG JW JZ KAGG Kap KG KGBl. KO

XVII

Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kammergericht, Kommanditgesellschaft Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen Konkursordnung

Abkürzungsverzeichnis

KonsulG KostO KrG krit. KTS KV KWG

Konsulargesetz Kostenordnung Kreisgericht kritisch Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (Jahr, Seite) Kostenverzeichnis Gesetz über das Kreditwesen

LAG Lb LG Lit. LJ LJV LM LS LSG LuftfzRG LuftVG LUG

LwVfG LZ

Gesetz über den Lastenausgleich; auch Landesarbeitsgericht Lehrbuch Landgericht Buchstabe The Law Journal (England) Landesjustizverwaltung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier und Möhring Leitsatz Landessozialgericht Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Luftverkehrsgesetz Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LiteratururheberG) Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. 10. 2007 luxemburgisch Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik Landwirtschaftsanpassungsgesetz Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m. ausf. N. maW MDR MittBayNot. MittRhNotK MittRuhrKn Mot. MSA MünchKomm MünchKomm-BGB MünchKomm-InsO MünchKomm-ZPO MuW m.w.N.

mit ausführlichen Nachweisen mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Mitteilungen der Ruhrknappschaft Bochum Motive Haager Minderjährigenschutzabkommen Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung Münchener Kommentar zum BGB Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung Markenschutz und Wettbewerb (Jahr, Seite) mit weiteren Nachweisen

Nachw. N. C. p. c. Nds.Rpfl NdsVBl NEhelG n.F. NJW NJWE WettR

Nachweis(e/n) Nouveau Code de procédure civile Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsische Verwaltungsblätter Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder neue Fassung; neue Folge Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht

LugÜ I LugÜ II lux. LwAnpG

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

NJW-RR NTS NotBZ Nov. Nr. NRW, NW NVwZ NZA NZA-RR NZG NZI NZM

Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zivilrecht NATO-Truppenstatut Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Novelle Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Mietrecht

öffentl. öGZ öJBl ÖJZ Österr. ÖRiZ OFD OGH OGHZ OHG OLG OLG-NL OLGR OLGRspr OLGZ OrderlagerscheinV OVG

öffentlich (österr.) Gerichts-Zeitung Österreichische Juristische Blätter Österreichische Juristen-Zeitung Österreichisch (en, es) Österreichische Richterzeitung Oberfinanzdirektion Oberster Gerichtshof (für die britische Zone, Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Orderlagerscheinverordnung Oberverwaltungsgericht

PA PatAnwO PatG PersV PflVG PKH PKHRL ProdHG Prot. ProzRB PStG PStV

Patentamt Patentanwaltsordnung Patentgesetz Die Personalvertretung Pflichtversicherungsgesetz Prozesskostenhilfe Prozesskostenhilfe-Richtlinie Produkthaftungsgesetz Protokoll Der Prozess-Rechts-Berater Personenstandsgesetz Personenstandsverordnung

RabelsZ RAG Rb. Rbeistand RBerG RdA RdL Rdn. Recht RefE RegBl

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Rechtsbank (Niederlande) Der Rechtsbeistand Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Recht der Landwirtschaft (Jahr, Seite) Randnummer Das Recht, Rundschau für den Deutschen Juristenstand Referentenentwurf Regierungsblatt

XIX

Abkürzungsverzeichnis

RegE ReichsschuldenO RFH RG RGBl RGes. RGRK RGSt RGZ Rh.-Pf RIDC RIW RL ROW Rpfl. RpflG Rs Rspr. RuStAG RzW RuS RVG s. S. s.a. SaBremR Sachg SachenRBerG SAE SächsVBl S. C. ScheckG SchiedsVZ SchlHA SchRegO SchRG Sch-Ztg SchuldR SchwJbIntR Sec. Sess. SeuffArch SeuffBl SGB SGG SJZ s.o. sog. SozG Sp. StAZ StGB

Regierungsentwurf Reichsschuldenordnung Reichsfinanzhof; amtliche Sammlung der Entscheidungen des RFH Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgesetz Reichsgerichtsrätekommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (1.1880 – 77.1944; Band, Seite) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen; amtliche Sammlung der Reichsgerichtsentscheidungen in Zivilsachen Rheinland-Pfalz Revue internationale de droit comparé Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Recht in Ost und West Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegegesetz Rechtssache Rechtsprechung Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Recht und Schaden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz siehe Seite siehe auch Sammlung des bremischen Rechts Sachgebiet Sachenrechtsbereinigungsgesetz Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Sächsische Verwaltungsblätter Supreme Court Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schiffsregisterordnung Schiffsregistergesetz Schiedsmannszeitung Schuldrecht Schweizer Jahrbuch für Internationales Recht Section Session Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung siehe oben sogenannte Sozialgericht Spalte Zeitschrift für Standesamtswesen Strafgesetzbuch

XX

Abkürzungsverzeichnis

StIGH StPO StB str. StRK stRspr. StuB StuW StVG Suppl. StVZO s.u. SZIER

Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Der Steuerberater strittig Steuerrechtsprechung in Karteiform. Höchstgerichtliche Entscheidungen in Steuersachen ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz Supplement Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Schweizer Zeitschrift für internationales und europäisches Recht

teilw. ThürBl Tit. TRG T. P. R. TranspR Trib. Trib. com.

teilweise Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt Titel Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts Tijdschrift voor Privaatrecht (Niederlande) Transportrecht Tribunal; Tribunale Tribunal de commerce (Belgien/Frankreich)

u.a. u.Ä. Übers. Übk. UFITA UmweltHG UN unstr. UNÜ Urt. usw. u.U. UNUVÜ

und andere(m) und Ähnliche(s) Übersicht Übereinkommen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Umwelthaftungsgesetz United Nations unstreitig UN-Übereinkommen 1958 Urteil und so weiter unter Umständen UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UWG v. VA VAG Var. VerbrKrG Verf. VerfGH VerglO Verh. VerlG VerlR VermA VersR VerschG

XXI

versus Versicherungsaufsicht Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante Verbraucherkreditgesetz Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen Gesetz über das Verlagsrecht Verlagsrecht Vermittlungsausschuss Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verschollenheitsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

VerwAO Vfg VG VGH vgl. VIZ VO VOBl Voraufl. Vorb. VR VVG VwGO VwVG VwVfG VZS

Verwaltungsanordnung Verfügung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verordnung Verordnungsblatt Vorauflage Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung (Bundes-) Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Vereinigte Zivilsenate

WahrnG

WertpBG WG WieDÜ WieKÜ WiGBl W. L. R. WM w.N. WRP WuB WÜD WÜK WuM WuW WVRK WZG

Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (Urheberrechtswahrnehmungsgesetz) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, als Fortsetzung der von Otto Warneyer hrsg. Rechtsprechung des Reichsgerichts Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, hrsg. von Warneyer Washingtoner Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wertpapierbereinigungsgesetz Wechselgesetz Wiener Übereinkommen 1961 (Diplomanten) Wiener Übereinkommen 1963 (Konsuln) Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Warenzeichengesetz

Yb. Eurp. L.

Yearbook of European Law

ZAkDR ZAP z.B. ZBB ZBinnSch ZBlFG ZBlJugR ZBR ZEuP ZfA

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Binnenschifffahrt Zentralblatt für die freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht

Warn. WarnRspr WBÜ WEG

XXII

Abkürzungsverzeichnis

ZfB ZfG ZfRV ZfS ZfSH ZGB ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIR ZLR ZMR ZöffR ZPO ZRHO ZPR ZRP ZS ZSEG ZSR z.T. zust. ZustDG ZustErgG ZVersWiss ZVG ZVglRWiss ZZP ZZPInt

XXIII

Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Zeitschrift für Schadensrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Sozialhilfe Zivilgesetzbuch (DDR/Schweiz) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung in Zivilsachen Zivilprozessrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für Schweizer Recht zum Teil zustimmend EG-Zustellungsdurchführungsgesetz Zuständigkeitsergänzungsgesetz Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

Abkürzungsverzeichnis

XXIV

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Anders/Gehle AK/Bearbeiter Bamberger/Roth/Bearbeiter Baumann/Brehm Baumbach/Lauterbach/ Bearbeiter Baur/Stürner/Bruns Bernhardt Blomeyer ZPR Brox/Walker Bruns ZPR Bruns/Peters ZVR Bülow/Böckstiegel/ Geimer/Schütze Bunge Fasching Gaul/Schilken/BeckerGrunsky Eberhard ZVR Gebauer/Wiedmann Geimer Anerkennung Geimer IZPR Geimer/Schütze Internationale Urteilsanerkennung Geimer/Schütze IRV Geimer/Schütze EZVR Gerhardt Gloy/Loschelder/Spätgens Grunsky Grunsky Grundlagen Hahn/Mugdan

Hahn/Stegemann

Hellwig Lehrbuch Hellwig System HK-ZPO/Bearbeiter (teilw.: Saenger/Bearbeiter)

XXV

Das Assessorexamen im Zivilrecht, 10. Aufl. 2010 Ankermann/Wassermann (Hrsg.) Alternativkommentar zur Zivilprozessordnung, 1987 Bamberger/Roth (Hrsg.) Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, Stand: 1.5.2012, Edition 23 Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 1982 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Zivilprozessordnung, 70. Aufl. 2012 Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl. 2006 Das Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1968 Zivilprozessrecht, Erkenntnisverfahren 2. Aufl. 1985 Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2011 Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1979 Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1987 Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2. Aufl. 2005 Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, 2. Aufl. 2005 Lehrbuch des österreichischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 1990 Grunsky Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 2008 (begr. von Baur) Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010 Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995 Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009 Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/1 1983, Bd. I/2 1984, Bd. II 1982 Geimer/Schütze (Hrsg.) Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Loseblattsammlung, Stand: 42. Ergänzungslieferung 10/2011 Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010 Vollstreckungsrecht, 2. Aufl. 1982 Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010 Grunsky Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 2008 Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974 Hahn Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Neudruck 1983 unter: Hahn/Mugdan Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen; Band 2 Materialien zur Zivilprozessordnung Abt. 1, Hrsg. Stegemann, 2. Aufl. 1881; Band 2 Materialien zur Zivilprozessordnung Abt. 2, Hrsg. Stegemann, 2. Aufl. 1881; Band 8 Materialien zum Gesetz betr. Änderungen der Zivilprozessordnung, Gerichtsverfassungsgesetz und Strafprozessordnung, fortgesetzt von Mugdan, 1898 Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Band, Die gesammelten Materialien zur Civilprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30.1.1877, 1. und 2. Abt. 1881, Neudruck 1983 unter dem Titel: Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 2 Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, Band 1 (1903), Band 2 (1907), Band 3 (1909) System des deutschen Zivilprozessrechts, 2 Bände, 1912 Saenger (Hrsg.), Zivilprozessordnung, Handkommentar, 4. Aufl. 2011

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Jauernig/Hess ZPR Jauernig/Berger ZVR Kallmann Kegel/Schurig IPR Koch Kondring Kropholler/von Hein EuZPR Lachmann Langendorf Linke/Hau IZPR Lüke ZPR Maier Martiny Handbuch Mayr/Czernich MünchKomm/Bearbeiter Musielak Grundkurs Musielak/Bearbeiter Nagel/Gottwald IZPR Nikisch ZPR Paulus ZPR Pukall ZPR Rauscher/Bearbeiter EuZPR

Reithmann/Martiny/ Bearbeiter Riezler IZPR Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR Schack Schack IZVR Schellhammer ZPR Schilken ZPR Schlosser Schlosser ZPR Schlosser EuZPR Schmidt Schönke/Kuchinke ZPR Scholz Schütze Schütze Schütze DIZPR Schütze RV Schütze/Tscherning/Wais Schwab/Walter Stein/Jonas/Bearbeiter Stickelbrock

Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011 Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, 23. Aufl. 2010 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und Vergleiche, 1946 Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004 Unvereinbare Entscheidungen i.S.d. Art. 27 Nr. 3 und 5 EuGVÜ und ihre Vermeidung, 1993 Die Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995 Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011 Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008 Prozessführung im Ausland und Mängelrüge im ausländischen Recht, 1956 ff. Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2011 Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2011 Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, 1979 Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach autonomem Recht, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. III/1, 1984 Europäisches Zivilprozessrecht, 2006 Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007 ff. Grundkurs ZPO, 10. Aufl. 2010 Kommentar zur Zivilprozessordnung, 9. Aufl. 2012 Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2007 Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1952 Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2010 Der Zivilprozess in der Praxis, 6. Aufl. 2006 Rauscher (Hrsg.) Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht (EGVollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EG-ZustVO 2007, EG-BewVO, EG-InsVO), 3. Aufl. 2011 Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010 Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949 (Nachdruck 1995) Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010 Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2011 Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010 Zivilprozessrecht, 13. Aufl. 2010 Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2010 Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989 Zivilprozessrecht I, 2. Aufl. 1991 EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009 Europäisches Zivilprozessrecht in der Praxis, 2004 Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 1969 Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ, 1998 Ausgewählte Probleme des deutschen und internationalen Schiedsverfahrensrechts, 2006 Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 5. Aufl. 2012 Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 2005 Rechtsverfolgung im Ausland, 4. Aufl. 2009 Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl. 1990 Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005 ZPO, 22. Aufl. 2002 ff. Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozess, 2002

XXVI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Thomas/Putzo/Bearbeiter Vorwerk/Wolf/Bearbeiter Waldner Wolf Zeiss/Schreiber ZPR Zimmermann Zöller/Bearbeiter

XXVII

ZPO, 33. Aufl. 2012 Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO; Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Stand 15.4.2012, Edition 4 Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl. 2000 Gerichtliches Verfahrensrecht, 1978 Zivilprozessrecht, 11. Aufl. 2009 Zivilprozessordnung, 9. Aufl. 2011 Kommentar zur ZPO, 29. Aufl. 2012

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

XXVIII

3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____ ERSTES BUCH ____ Allgemeine Vorschriften ____ ____ DRITTER ABSCHNITT ____ Verfahren ____ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ____ TITEL 1 ____ Mündliche Verhandlung ____ § 128 Gerken ____ § 128 ____ Grundsatz der Mündlichkeit; schriftliches Verfahren ____ ____ (1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Ge____richt mündlich. ____ (2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der ____Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche ____Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze ____eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. ____Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zu____stimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind. ____ (3) Ist nur noch über die Kosten zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne ____mündliche Verhandlung ergehen. ____ (4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündli____che Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. ____ ____ § 128 neu gefasst durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 (BGBl. I, 3281). § 128 ____Abs. 3 geändert und Abs. 4 angefügt durch das Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG vom ____27.7.2001, BGBl. I 1887. ____ ____ Schrifttum ____ Arens Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung im Zivilprozeß, 1971; Arens Die Grundprinzi____ pien des Zivilprozeßrechts, in: Gilles (Hrsg.) Humane Justiz, 1977, S. 1 ff.; Arens Der Einfluß der Rechtsspre____ ____chung des BVerfG auf das Zivilprozeßrecht, 40 Jahre Grundgesetz (Freiburger Ringvorlesung) 1990, 87 ff.; Auernhammer Der Richterwechsel vor Urteilsfällung im Aktenlage bzw. schriftlichen Verfahren ZZP 67, ____(1954) 256 ff.; Baur Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung, 1966; Benda/Weber Der ____Einfluß der Verfassung im Prozeßrecht ZZP 96 (1983) 258, 300; Baumann Grundbegriffe und Verfahrensprin____zipien des Zivilprozeßrechts, 1979; Bender Die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung gericht____licher Entscheidungen, 1991; Birk Wer führt den Zivilprozeß – der Anwalt oder der Richter? NJW 1985, ____1489 ff.; Bomsdorf Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, 1971; Brehm Bindung des Richters an den Partei____vortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; Bull Versäumnis im schriftlichen Verfahren JR ____1961, 247 ff.; Burkhardt Das schriftliche Verfahren im Zivilprozeß MDR 1957, 388 ff.; Bülow Zur prozeßrechtli____chen Stellung des Antragsgegners im Beschlußverfahren von Arrest- und Einstweiliger Verfügung ZZP 98 ____(1985) 274 ff.; Calavros Urteilswirkungen zu Lasten Dritter, 1978, 21; Debernitz Das Recht auf ein sachgerech____tes Verfahren im Zivilprozeß, 1987; Fezer Die Funktion der mündlichen Verhandlung im Zivilprozeß und im Strafprozeß, 1970; Hahn Kooperationsmaxime im Zivilprozeß?, 1983; Häsemeyer Drittinteressen im Zivilpro____zeß ZZP 101 (1988) 385 ff.; Henckel Die mündliche Verhandlung im Zivilprozeß aus kommunikationspsycho____logischer Sicht ZZP 110 (1997) 91; Kip Das sog. Mündlichkeitsprinzip, 1952; Kramer Die Säumnis im schriftli____chen Verfahren NJW 1978, 1411 ff.; Krause Gesetzlicher Richter und schriftliches Verfahren MDR 1982, 184 ff.; ____Laumen Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß (1984), § 16 (dazu Häsemeyer ZZP 98 [1985] 351 ff.); Leipold Pro____zeßförderungspflicht der Parteien und richterliche Verantwortung ZZP 93, (1980) 237 ff.; Möhring/Nirk Die ____mündliche Verhandlung in der Revisionsinstanz in Zivilsachen, 25 Jahre Bundesgerichtshof (Festschrift, 1

Gerken

§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____1975), 305 ff.; Peters Auf dem Wege zu einer allgemeinen Prozeßförderungspflicht der Parteien? in: FS ____Schwab (1990) 339 ff.; Redeker Verfahrensgrundrechte und Justizgewährungsanspruch NJW 2003, 2956 ff.; ____Redeker Mündliche Verhandlung – Sinn und Wirklichkeit NJW 2002, 192 ff.; Retzlaff Die Bedeutung der ____mündlichen Verhandlung im Zivilprozess BRAK-Mitt. Sonderdruck 5. ZPR-Symposion 2010, 15 ff.; Schlosser ____Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, 164; Schlosser Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß 1968; Schmude Die Bedeutung der mündlichen Verhandlung insbesondere im Hinblick auf die ____Lokalisation BRAK-Mitt. Sonderdruck 5. ZPR-Symposion 2010, 17 ff.; Schönfeld Zur Verhandlungsmaxime im ____Zivilprozeß und in den übrigen Verfahrensarten, 1981; Stackmann Schriftsatz- und Schriftsatzfristprobleme ____im Zivilprozess NJW 2011, 3537 ff.; Wassermann Der soziale Zivilprozeß 1978, 1885. ____ ____ Übersicht ____I. Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1) 7. Beginn der Verhandlung ____ 26 ____ 8. Schluss der schriftlichen Verhand1 ____ 1. Allgemeines ____ 4 lung ____ 28 ____ 2. Parteien ____ 5 9. Bestimmung des Verkündungs____ 3. Verhandeln ____ 6 termins ____ 33 ____ 4. Mündliches Verhandeln der münd10. Bedeutung der Drei-Monats-Frist des ____ 5. Grundsatz der Einheitlichkeit lichen Verhandlung ____ 8 § 128 Abs. 2 Satz 3 ____ 35 ____ 6. Verhandeln über den Rechtsstreit ____ 9 11. Entscheidungsgrundlage im Verfahren ____ 7. Verhandeln vor dem erkennenden nach § 128 Abs. 2 ____ 37 ____ ____ Gericht 10 12. Richterwechsel im schriftlichen Ver____ 8. Richterwechsel und Einheit der mündfahren ____ 38 ____ ____ lichen Verhandlung 11 13. Verzicht, Anerkenntnis und Säumnis im schriftlichen Verfahren ____ 39 ____ 9. Verletzung des Mündlichkeits____ prinzips 12 III. Freigestellte mündliche Verhandlung ____ (§ 128 Abs. 3 und 4) ____II. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2) 1. Entscheidungen über die Kosten gemäß ____ ____ 13 § 128 Abs. 3 ____ 41 ____ 1. Norminhalt ____ 2. Zustimmung der Parteien 15 2. Entscheidungen gemäß § 128 ____ 3. Erteilung der Zustimmung ____ 16 Abs. 4 ____ 43 ____ 4. Bedeutung der Zustimmung ____ 20 IV. Rechtsmittel gegen Entscheidungen im ____ 5. Widerruf der Zustimmung ____ 22 schriftlichen Verfahren ____ 45 ____ 6. Anordnung, dass ohne mündliche V. Kosten/Gebühren ____ 46 ____ Verhandlung entschieden wird ____ 24 ____ ____ I. Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1) ____ ____ 1. Allgemeines. Die mündliche Verhandlung ist das zentrale Element des Zivilpro1 ____zesses. Ein Urteil darf grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 128 Abs. 2, 3, 307 Satz 2, 331 Abs. 3 ____Satz 1, 341 Abs. 2, 495 a) nur dann ergehen, wenn die Parteien den Prozessstoff dem Ge____richt mündlich vorgetragen und hierüber verhandelt haben. Zur Grundlage des Urteils ____darf nur das gemacht werden, was Gegenstand der mündlichen Verhandlung war oder ____was aufgrund besonderer Vorschriften (§§ 139 Abs. 5, 283) ausnahmsweise so behandelt ____werden kann, als ob es dort vorgetragen worden wäre.1 Ergänzt wird der Grundsatz der ____Mündlichkeit durch das Prinzip der Unmittelbarkeit (§§ 355 Abs. 1, 411 Abs. 3). Soweit ____Beweise erforderlich sind, hat sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck zu ver____schaffen. Die streitige Verhandlung und die Beweisaufnahme sind grundsätzlich mitein____ander zu verbinden (§ 279 Abs. 2; Ausnahme: § 358 a Satz 1). ____ 2 Der Zwang zur Mündlichkeit beruht auf der Erkenntnis, dass die direkte Erörterung ____zwischen Gericht und Parteien die beste Form zur Verarbeitung und Aufbereitung des ____ ____ ____1 BAG NJW 1996, 2749.

_____ Gerken

2

3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____Prozessstoffs ist. Die Parteien erhalten in der Verhandlung Gelegenheit, den Sachverhalt ____und ihren rechtlichen Standpunkt dem Gericht mündlich zu unterbreiten, also in Rede ____und Gegenrede. Gleichzeitig gewährleistet die mündliche Verhandlung das Recht auf ein ____faires Verfahren in öffentlicher Verhandlung (§§ 169 ff. GVG) gemäß Art. 6 EMRK sowie ____das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Zwar kann das Gehör – im Widerspruch zum ____Wortsinn – auch dadurch gewährt werden, dass Gelegenheit zur schriftlichen Stellung____nahme gegeben wird.2 Diese Form ist aber der Erörterung in mündlicher Verhandlung im ____direkten Austausch der Meinungen nicht gleichwertig. Der mit dem schriftlichen Verfah____ren verbundene Verlust an Unmittelbarkeit ist eine Quelle für Missverständnisse. Die ____gleichzeitige Anwesenheit aller Prozessbeteiligten ermöglicht es dem Gericht, solche ____Missverständnisse von vorn herein zu vermeiden oder sie auf direktem Weg zu beseiti____gen. Es kann die Verfasser der Schriftsätze authentisch interpretieren lassen, was mit ____einer unklaren Stelle gemeint ist. Für die Parteien gibt die Erörterung des Sach- und ____Streitstands in der mündlichen Verhandlung nach § 278 Abs. 2 Satz 2 Gelegenheit zur ____Kontrolle, ob ihr Vortrag vollständig zur Kenntnis genommen bzw. richtig verstanden ____worden, mithin „angekommen“ ist und ob das Gericht den gegnerischen Vortrag so ver____steht, wie sie ihn selbst verstanden haben. Nicht selten ergibt sich, dass die Parteien an____einander vorbeireden. Dieselben Missverständnisse können gegenüber dem Gericht auf____treten. Solche Missverständnisse können am besten im Gespräch bei gleichzeitiger ____Anwesenheit der Prozessbevollmächtigten bzw. der Parteien ausgeräumt werden. In dem ____Maße, in dem mit der mündlichen Verhandlung Missverständnisse in Bezug auf den Vor____trag der Parteien aufgedeckt werden, schwindet die Gefahr, dass eben infolge solcher ____Verständnisprobleme einer Partei in dem einen oder anderen Punkt versehentlich das ____rechtliche Gehör versagt bleibt. Ein weiterer Vorteil der mündlichen Verhandlung ist es, ____dass sie dem Gericht mit ihrer Gelegenheit zur Anhörung der Parteien (§ 273 Abs. 2 Nr. 3) ____eine wesentliche Erkenntnisquelle verschafft. Das Gericht kann sich den Streit von den ____Parteien selbst schildern lassen und sie jeweils in Gegenwart der anderen befragen. Dies ____ist der Wahrheitsfindung zweifelsohne besser dienlich als die Auswertung des beidersei____tigen schriftsätzlichen Vortrags. Nicht selten wird der Hintergrund eines Streits erst da____durch klar, dass das Gericht die Parteien persönlich anhört. ____ Neben der Klärung des Streitstoffs und dem rechtlichen Gehör dient die Verhand- 3 ____lung außerdem dazu, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass die gerichtliche Entschei____dung von den Parteien akzeptiert wird.3 Ein Gericht, das nur schriftlich mit den Parteien ____verkehrt, bleibt anonym und auf Distanz. Die mündliche Erörterung mit dem Gericht ____vermittelt den Parteien ungleich besser als die schriftlich niedergelegten Gründe, dass ____sich das Gericht tatsächlich mit allen Einzelheiten des Falles beschäftigt und ihr Vor____bringen zur Kenntnis genommen hat. Voraussetzung dafür, dass die Verhandlung in ____diesem Sinne ein Erfolg wird, ist allerdings, dass die Verhandlung von allen Beteiligten ____als Verpflichtung und Chance ernst genommen und nicht nur als Formalie zur Stellung ____der Anträge betrachtet wird. Für die inhaltliche Gestaltung der Verhandlung macht das ____Gesetz daher bewusst einige Vorgaben. Das Gericht hat die Pflicht, das Sach- und Streit____ ____ 2 BVerfG NJW 1974, 133 unter Hinw. auf BVerfGE 5, 9, 11 = NJW 1956, 985; BVerfGE 22, 232, 234; BVerfGE ____15, 249, 256; BVerfGE 21, 73, 77 = NJW 1967, 619; BVerfGE 25, 352, 357 = NJW 1969, 1895; Stein/Jonas/Leipold ____Vor § 128 Rdn. 42 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Grundzüge Vor § 128 Rdn. 42; Rosenberg/ ____Schwab/Gottwald § 85 IV. ____3 Schmude Die Bedeutung der mündlichen Verhandlung insbesondere im Hinblick auf die Lokalisation BRAK-Mitt. Sonderdruck 5. ZPR-Symposion 2010, 17 ff., 21: „Die Gelegenheit, in seiner Sache mündlich zu ____verhandeln, ist für den rechtssuchenden Bürger Essenz des Rechtsstaats und seines Anspruchs auf ____rechtliches Gehör – dem entspricht eine erhebliche Befriedungsfunktion gerade in der mündlichen ____Verhandlung“.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____verhältnis in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht mit den Parteien zu erörtern (§§ 138, ____139 Abs. 1, 279 Abs. 3). Es muss die nötigen Hinweise erteilen (§ 139 Abs. 2, 3) und darauf ____hinwirken, dass sich die Parteien zu allen erheblichen Tatsachen erklären und die sach____dienlichen Anträge stellen (§ 139 Abs. 1). Die Parteien müssen erfahren, wie das Gericht ____über die Sache denkt. Zugleich müssen sie tatsächlich Gelegenheit erhalten, ihren eige____nen Standpunkt zu unterbereiten. Letztlich hat der Zwang zur Mündlichkeit einen nicht ____unwesentlichen Nebeneffekt. Er führt zu einer Beschleunigung des Verfahrens. Der be____vorstehende Termin bedarf der Vorbereitung und zwingt alle Beteiligten zur Bearbeitung ____der Sache, und zwar mit dem Ziel der Erledigung. Dieser Druck ist bei einem rein schrift____lichen Verfahren nicht vorhanden. ____ ____ 2. Parteien. Parteien sind in erster Linie diejenigen, von denen und gegen die eine 4 ____staatliche Rechtsschutzhandlung – insbesondere durch Urteil oder eine Zwangsvollstre____ckungsmaßnahme – begehrt wird, also Kläger und Beklagter. Daneben ist Partei, wer ge____mäß § 66 einer Partei als Streithelfer beigetreten ist.4 ____ ____ 3. Verhandeln. Die Beweisaufnahme als solche ist kein Verhandeln der Parteien.5 5 ____Sie obliegt gemäß § 355 dem Gericht und kann unter Umständen auch ohne die Parteien ____durchgeführt werden (§ 367). Allerdings müssen die Parteien gemäß §§ 279 Abs. 3, 285 ____Abs. 1 im Anschluss an die Beweisaufnahme über das Beweisergebnis verhandeln, und ____zwar wegen des Grundsatzes der Mündlichkeit ebenfalls mündlich. Soweit es um einen ____Zwischenstreit zwischen den Parteien oder mit Dritten geht, ergibt sich die Pflicht zur ____mündlichen Verhandlung jeweils aus den einzelnen Vorschriften (§§ 71 Abs. 1, 135 Abs. 2, ____280, 366 Abs. 2, 387 Abs. 3).6 ____ ____ 4. Mündliches Verhandeln. Das Gericht darf seiner Entscheidung prinzipiell nur 6 ____das zugrunde legen, was in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist.7 Das ____gilt auch bei einer Entscheidung nach Aktenlage (§ 251 a Abs. 2). Bei einem rein mündli____chen Verfahren wäre das Gericht allerdings in Anbetracht der vielfach komplexen Strei____tigkeiten überfordert. Im Vordergrund für die Stoffsammlung stehen daher zunächst die ____vorbereitenden Schriftsätze (§§ 129, 130) und ihre Anlagen (§ 131).8 Der Kläger muss seine ____Klage schriftlich einreichen (§ 253 Abs. 1), einen Antrag formulieren und seine Klage be____gründen (§ 273 Abs. 2 Nr. 3). Der Beklagte muss innerhalb der vom Gericht gesetzten Fris____ten schriftsätzlich erwidern (§ 277). Ist der Vortrag unzulänglich, kann das Gericht den ____Parteien aufgeben, ihn innerhalb bestimmter Fristen zu ergänzen (§ 273 Abs. 2 Nr. 1). Im ____zweiten Rechtszug gelten §§ 519, 520, 512 Abs. 2. Zum Prozessstoff wird dieser gesamte ____schriftsätzliche Vortrag erst dadurch, dass er in der mündlichen Verhandlung (früher ____erster Termin gemäß § 275 Abs. 1 oder Haupttermin, nicht aber Güteverhandlung nach ____§ 278 Abs. 2) von den Parteien in den Prozess eingeführt wird. Akten, die vom Gericht ____beigezogen werden, werden erst dadurch zum Prozessstoff, dass sie in der mündlichen ____Verhandlung vorliegen und zu ihrem Gegenstand gemacht werden.9 Zur Erleichterung ____ ____ 4 MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 7; Zöller/Greger § 128 Rdn. 4; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 9; Thomas/ ____Putzo/Reichold § 128 Rdn. 3. ____5 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 25; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach/Ahrens/ ____Hartmann § 128 Rdn. 6. ____6 Zur Notwendigkeit des Einverständnisses des Zeugen bei schriftlicher Entscheidung über den Zwischenstreit s. OLG Frankfurt NJW 1968, 1240. ____7 BGHZ 116, 47. ____8 Zur Berücksichtigung von Urkunden mit nachteiligem Inhalt BGH NJW 1984, 128. ____9 BGH NJW 1952, 305.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____des mündlichen Vortrags ist es den Parteien gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 gestattet, auf die ____vorbereitenden Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug zu nehmen.10 Die Parteien kön____nen daher bis zum Termin entscheiden, welche Anträge sie stellen und was sie zu ihrer ____Begründung vortragen wollen. Daneben können die Parteien im Termin weitere neue ____Tatsachen mündlich vortragen. Der Berücksichtigung dieser Tatsachen können aller____dings Präklusionsvorschriften entgegenstehen (§ 296). ____ Aus Gründen der Prozessökonomie erlaubt das Gesetz in zwei Fällen eine Ausnah- 7 ____me vom strengen Grundsatz der Mündlichkeit. Gemäß § 283 Satz 1 kann einer Partei ____gestattet werden, eine Erklärung in einem Schriftsatz nachzubringen, wenn sie sich im ____Termin auf einen ihr nicht rechtzeitig mitgeteilten Vortrag des Gegners nicht erklären ____kann. Ein Schriftsatz, der innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist eingereicht wird, ____wird so behandelt, als ob er in der mündlichen Verhandlung vorgelegen hätte (§ 283 ____Satz 2). Gestattet ist allerdings nur eine Erwiderung auf das gegnerische Vorbringen und ____nicht weiterer Vortrag zu einem anderen Punkt. Das Gleiche gilt gemäß § 139 Abs. 5, ____wenn sich eine Partei auf einen für sie überraschenden Hinweis des Gerichts nicht sofort ____im Termin erklären kann. Das, was sie zu diesem Hinweis innerhalb der ihr nachgelas____senen Frist vorträgt, ist ebenfalls Teil ihres mündlichen Vortrags. Nicht gemäß §§ 283, ____139 Abs. 5 zugelassenes Vorbringen darf der Entscheidung des Gerichts nicht zugrunde____gelegt werden. Diese Tatsachen gehören nicht zum mündlichen Vorbringen der Partei ____(§ 296 a). Sie sind daher auch nicht in den Tatbestand aufzunehmen.11 Ein ohne Schrift____satznachlass eingereichter Schriftsatz kann dem Gericht allerdings Veranlassung geben, ____gemäß § 156 die geschlossene Verhandlung wieder zu eröffnen. ____ ____ 5. Grundsatz der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung. Anders als im 8 ____Strafprozess bildet im Zivilprozess die mündliche Verhandlung im Hinblick auf das Par____teivorbringen eine Einheit. Es handelt es sich um die mündliche Verhandlung, nach de____ren Schluss entschieden wird, gleichviel, ob sie in einem Zuge durchgeführt wird oder ____gleichsam ratenweise in mehreren Sitzungen stattfindet.12 Prozesshandlungen oder an____dere Erklärungen brauchen daher in späteren Terminen nicht wiederholt zu werden. ____Anträge bleiben wirksam, auch wenn sie nur im ersten Termin gestellt worden sind. Die____ser Grundsatz der Einheitlichkeit13 ist im Gesetz nicht ausdrücklich als solcher vorgege____ben, ergibt sich aber aus dem Zusammenhang der getroffenen Regelungen. Für die Ent____scheidung des Rechtsstreits ist der Stand am Schluss des Termins maßgeblich, nach dem ____entschieden wird. Anfängliches Bestreiten bleibt ohne Bedeutung, wenn der zunächst ____bestrittene Vortrag am Schluss der Verhandlung zugestanden wird. Zunächst unterlas____sene Erklärungen – etwa substantiiertes Bestreiten oder ergänzender Sachvortrag – kön____nen nachgeholt werden, soweit nicht im Einzelfall Präklusionsvorschriften14 entgegen____stehen. Die Parteien müssen sich allerdings an ihre Erklärungen in früheren Terminen ____festhalten lassen, soweit hierdurch bereits endgültige Wirkungen eingetreten sind. Eine ____Partei, die die von der Gegenseite behauptete Tatsache „bei einer mündlichen Verhand____lung … zugestanden“ hatte (§ 288 Abs. 1), bleibt hieran gebunden, es sei denn, das Ge____ständnis kann ausnahmsweise gemäß § 290 widerrufen werden. Ein Verzicht15 oder ein ____Anerkenntnis bleiben wirksam, auch wenn es danach zu einem weiteren Termin kommt. ____ ____ ____10 Zur Bezugnahme auf nicht beigefügte Unterlagen s. BGH NJW 1995, 1841. ____11 OLG Köln MDR 1991, 988. 12 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 39; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 12. ____13 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 81 V 1. ____14 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 40. ____15 § 306.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____Entsprechendes gilt für die Folgen rügeloser Einlassung. Diese Folgen bleiben erhalten, ____auch wenn versucht wird, die versäumte Rüge in einem späteren Termin nachzuholen. 16 ____Das zuvor unzuständig gewesene Gericht bleibt zuständig (§ 39). Ein Ablehnungsrecht ____gemäß § 42 Abs. 1 geht verloren, wenn sich eine Partei in Kenntnis des Ablehnungsrechts ____in die mündliche Verhandlung eingelassen hat. Rügen, die die Zulässigkeit der Klage ____betreffen, können nicht mehr vorgebracht werden (§ 282 Abs. 3). Die Einwilligung des ____Beklagten in eine Klageänderung wird für den weiteren Prozessverlauf unwiderleglich ____vermutet (§ 267). Ferner kann, wenn der Beklagte bereits in einem früheren Termin Kla____geabweisung beantragt hatte, die Klage in einem späteren Termin nicht mehr ohne seine ____Einwilligung zurückgenommen werden (§ 269 Abs. 1). ____ ____ 6. Verhandeln über den Rechtsstreit. Rechtsstreit ist der Streit über die Sache. 9 ____Vom Grundsatz der Mündlichkeit betroffen wird nur das Verhandeln über den Rechts____streit selbst. Nicht betroffen wird daher beispielsweise der Streit über den Antrag auf ____Zurückweisung einer Nebenintervention. Deshalb bestimmt § 71 Abs. 1 Satz 1 ausdrück____lich, dass über den Antrag auf Zurückweisung einer Nebenintervention nach mündlicher ____Verhandlung unter den Parteien und dem Nebenintervenienten entschieden wird. Ferner ____kann das Gericht auch ohne mündliche Verhandlung gemäß § 281 Abs. 1 den Rechtsstreit ____auf Antrag des Klägers an das zuständige Gericht verweisen. Hält allerdings der Kläger ____das angerufene Gericht trotz Rüge durch die Gegenseite für zuständig, ist über die Zu____ständigkeit nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, und zwar ent____weder durch Endurteil oder nach abgetrennter Verhandlung gemäß § 280 Abs. 1 durch ____Zwischenurteil. ____ ____ 7. Verhandeln vor dem erkennenden Gericht. Erkennendes Gericht ist das Ge10 ____richt, welches im konkreten Einzelfall zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen ist. Ist ____der Rechtsstreit gemäß §§ 348 a Abs. 1, 526 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertra____gen worden, ist dieser das erkennende Gericht. Es muss daher vor dem Einzelrichter ver____handelt werden. Sind die Anträge bereits vor der Kammer gestellt worden und wird die ____Sache danach übertragen, muss neu verhandelt werden, und zwar auch dann, wenn der ____Einzelrichter an der Verhandlung vor der Kammer mitgewirkt hatte.17 Der Vorsitzende ____einer Kammer für Handelssachen ist das erkennende Gericht, wenn er im Rahmen seiner ____Zuständigkeit aufgrund der Vorschriften des § 349 Abs. 2, 3 über den Rechtsstreit ent____scheidet. Der Vorsitzende einer Zivilkammer bzw. eines Zivilsenats kann dagegen nur ____dann allein entscheiden, wenn ihm der Rechtsstreit gemäß §§ 348 a, 526 als Einzelrichter ____zur Entscheidung übertragen worden ist. Soweit der Vorsitzende gemäß § 944 über ein ____Arrestgesuch oder einen Verfügungsantrag entscheiden kann, handelt es sich um eine ____Ausnahme wegen der Eilbedürftigkeit der Sache. Diese Entscheidung wird im schrift____lichen Verfahren getroffen, so dass in diesen Fällen der Grundsatz der Mündlichkeit ____ohnehin nicht berührt wird. Der gemäß § 361 Abs. 1 lediglich mit der Beweisaufnahme ____beauftragte oder gemäß § 362 um die Beweisaufnahme ersuchte Richter sind nicht er____kennendes Gericht im Sinne des Grundsatzes. ____ ____ 8. Richterwechsel und Einheit der mündlichen Verhandlung. Gemäß § 309 kann 11 ____das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zugrunde____liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Es muss daher ein neuer Termin stattfinden, ____ ____ ____16 Vgl. Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 40. ____17 OLG Köln NJW 1977, 1159.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____wenn nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Erlass des Urteils ein Richter____wechsel eintritt. 18 Die Parteien bleiben auch bei einem Richterwechsel an ihr bisheriges ____Verhandeln gebunden.19 Vor dem neuen Richter muss neu verhandelt werden. Die Wie____derholung der Anträge ist hierzu nicht zwingend erforderlich.20 Aus dem Protokoll muss ____sich allerdings ergeben, dass die Parteien vor dem neuen Richter tatsächlich verhandelt ____haben. Erforderlich ist hierzu eine Erörterung der Sache. Andernfalls ist das Prinzip der ____Mündlichkeit verletzt. Zweckmäßigerweise werden die Anträge wiederholt, da hiermit ____nach allgemeinem Verständnis ein Verhandeln zum Ausdruck gebracht wird. Die Fik____tion, dass die Parteien durch die Stellung ihrer Anträge auf ihr gesamtes schriftsätzliches ____Vorbringen Bezug nehmen wollen und zum Gegenstand des Prozesses gemacht haben, ____wirkt auch bei einem Richterwechsel fort. ____ ____ 9. Verletzung des Mündlichkeitsprinzips. Wird im Verfahren mit notwendiger 12 ____mündlicher Verhandlung schriftlich entschieden, begründet dies einen wesentlichen ____Verfahrensmangel, der unter den weiteren Voraussetzungen von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ____zur Zurückverweisung führen kann. Erforderlich ist allerdings, dass der Mangel für die ____Entscheidung ursächlich geworden ist. Die Partei, die den Mangel rügt, muss ausführen, ____was sie weiter vorgetragen hätte, wenn verhandelt worden wäre. Diese Vorbringen muss ____geeignet sei, das Urteil zu Fall zu bringen. Stets ist zu prüfen, ob ein Rügeverlust einge____treten ist (§ 295 Abs. 1). Auch eine fehlerhafte Anwendung von § 128 Abs. 2 kann einen ____Verfahrensmangel begründen (z.B. schriftliche Entscheidung ohne wirksame Zustim____mung, mehrere Entscheidungen nacheinander im schriftlichen Verfahren, ermessensfeh____lerhafte Verweigerung zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung trotz umfangrei____chen neuen Vortrags). Ein Verstoß gegen das Mündlichkeitsprinzip liegt auch darin, dass ____das Gericht Vorbringen verwertet, das nicht Gegenstand der Verhandlung war, wie z.B. ____ein nachgereichter Schriftsatz, eine Beweiserhebung vor dem ersuchten oder beauftrag____ten Richter, ein schriftliches Sachverständigengutachten oder eine beigezogene Akte. In ____der Nichtbeachtung von § 128 Abs. 1 kann zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf ____Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegen. ____ ____ II. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2) ____ ____ 1. Norminhalt. Da ein Urteil grundsätzlich nur dann ergehen darf, wenn zuvor 13 ____mündlich verhandelt worden ist, ist die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ____gemäß § 128 Abs. 2 – neben §§ 128 Abs. 3, 307 Satz 2, 331 Abs. 3 Satz 1, 341 Abs. 2, 495 a – ____eine Ausnahme von der Regel.21 § 128 Abs. 2 gilt in allen Fällen, in denen das Gesetz eine ____mündliche Verhandlung vorschreibt. Grundvoraussetzung ist die Zustimmung der Par____teien. Die Parteien verzichten hiermit für die nächst folgende Entscheidung auf ihr Recht ____zur mündlichen Erörterung. Neben der Zustimmung muss das Gericht die schriftliche ____Verfahrensweise nach den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalles für sach____ ____ ____18 OLG Köln NJW 1977, 1159; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 12; Zöller/Vollkommer § 309 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 309 Rdn. 1; AK-Wassermann § 309 Rdn. 5; Rosenberg/Schwab/ ____Gottwald § 59 I 1; Schellhammer Rdn. 725; Vollkommer NJW 1968, 1309 ff. ____19 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 41; Zöller/Vollkommer § 309, 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 59 I 1; ____Schellhammer Rdn. 725. ____20 Verneinend OLG Jena OLG Report 2004, 170; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 44; MünchKomm-Wagner Rdn. 12; Thomas/Putzo/Reichold § 137 Rdn. 1; Zimmermann § 309 Rdn. 3; AK-Puls § 128 Rdn. 7; AK____Wassermann § 309 Rdn. 5; Zöller/Greger § 137 Rdn. 2; a.A. BAGE 23, 146 = BAG NJW 1971, 1332 mit krit. ____Anm. Kirchner NJW 1971, 2158. ____21 BGHZ 18, 61, 62; OLG Nürnberg MDR 1966, 244 und MDR 1969, 849.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____gerecht halten. Ferner darf der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif sein. An____dernfalls muss sofort entschieden werden (§ 300 Abs. 1).22 Es muss also die Notwendig____keit bestehen, auf schriftlichem Weg die Verhandlung fortzuführen. ____ § 128 Abs. 2 gilt in allen Fällen, in denen die ZPO eine mündliche Verhandlung vor14 ____schreibt. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll eine Entscheidung im schriftlichen ____Verfahren nur dann getroffen werden, wenn diese Verfahrensweise im konkreten Fall ____tatsächlich zu einer Vereinfachung und Verkürzung des Prozesses führt.23 § 128 Abs. 2 ____will nur dort eine Erleichterung schaffen, wo das nötige rechtliche Gehör bereits ausrei____chend – mündlich in einem vorangegangenen Termin oder schriftlich – gewährt worden ____ist und die (weitere) Verhandlung nur noch eine bloße Formsache darstellt. Das Gericht ____ist daher nicht befugt, routinemäßig bestimmte Verfahren auf schriftlichem Weg zu erle____digen. Weiterhin darf das schriftliche Verfahren nicht dazu benutzt werden, die Verpflich____tung zur sofortigen Anberaumung eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung ____binnen drei Wochen nach der Verhandlung gemäß § 310 Abs. 1 zu umgehen.24 Eine Ent____scheidung im schriftlichen Verfahren kann z.B. dann in Betracht kommen, wenn bereits ____verhandelt worden ist und sich herausgestellt hat, dass zu einem bestimmten Punkt ____noch Schriftsätze gewechselt oder Unterlagen eingereicht werden müssen, wenn nur ____noch ein einzelner Punkt durch Einholung einer Auskunft oder Beiziehung einer Akte ____geklärt werden muss oder wenn es lediglich darum geht, dass im Anschluss an eine im ____besonderen Verfahren durchgeführte Beweisaufnahme (z.B. Sachverständigenbeweis ____oder die Vernehmung eines Zeugen durch den ersuchten Richter) die Anträge wiederholt ____werden sollen. ____ ____ 2. Zustimmung der Parteien. Zustimmen müssen beide Parteien, also beide ge15 ____meinsam.25 Stimmt nur eine Partei zu, erzeugt die Erklärung erst dann Wirkung, wenn ____sich die andere Partei anschließt.26 Bis dahin ist sie frei widerruflich. Bei einer Streitge____nossenschaft (§§ 59 ff.) müssen grundsätzlich alle Streitgenossen zustimmen.27 Ist die ____Streitgenossenschaft eine notwendige im Sinne von § 62 und wird die Zustimmung zu ____einer Entscheidung ohne – weitere – mündliche Verhandlung in einer Verhandlung er____klärt, genügt die Zustimmung der erschienenen Streitgenossen. Gemäß § 62 werden die ____säumigen Streitgenossen als durch die nicht säumigen vertreten angesehen.28 Stimmt ein ____Streitgenosse nicht zu, kann das ihn betreffende Verfahren gemäß § 145 abgetrennt und ____im Übrigen ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.29 Möglich wäre auch ein ____Teilurteil. Sinnvoll ist diese Verfahrensweise aber nicht, weil sie weder eine Erleichte____rung noch eine Beschleunigung schafft. In Betracht kommt ein Teilurteil in dieser Situa____tion ernsthaft nur dann, wenn ein besonderes Bedürfnis besteht, den Rechtsstreit hin____sichtlich der zustimmenden Parteien sofort zum Abschluss zu bringen. Die Zustimmung ____des Streithelfers ist für den Übergang ins schriftliche Verfahren nicht erforderlich, weil ____er nicht Partei ist.30 Seine Zustimmung kann allerdings gemäß § 67 die der Partei erset____ ____ ____22 BGH NJW 1992, 2146, 2147. ____23 BGHZ 18, 61, 62. 24 BGHZ 17, 118, 121 = NJW 1955, 988. ____25 BGHZ 147, 397 = NJW 2001, 2479. ____26 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 67; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 I.1c. ____27 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 44; Zöller/Greger § 128 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/ ____Hartmann § 128 Rdn. 18; AK-Puls § 128 Rdn. 11. 28 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 58; Zöller/Greger § 128 Rdn. 4; AK/Puls § 128 Rdn. 11. ____29 Zöller/Greger § 128 Rdn. 4. ____30 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 58; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 18; Thomas/ ____Putzo/Reichold § 128 Rdn. 25.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____zen.31 Voraussetzung ist, dass die Partei nicht widerspricht.32 Der streitgenössische Ne____benintervenient im Sinne des § 69 ist primär Streithelfer und kann daher ebenfalls im ____Rahmen des § 67 für die nicht widersprechende Partei die Zustimmung erklären. Umstrit____ten ist, ob dann, wenn die Hauptpartei die Zustimmung erklärt hat, auch noch die Zu____stimmung des streitgenössischen Nebenintervenienten erforderlich ist33 oder ob es aus____reicht, dass dieser jedenfalls nicht widerspricht.34 Für die zweite Ansicht spricht, dass ____der streitgenössische Nebenintervenient als Streithelfer Erklärungen der Hauptpartei, ____mit welchen er übereinstimmt, nicht ausdrücklich wiederholen muss. Da allerdings un____terschiedliche Ansichten vertreten werden, empfiehlt es sich, auf ausdrückliche Klarstel____lung zu drängen. ____ ____ 3. Erteilung der Zustimmung. Die Zustimmung ist eine einseitige Prozesshandlung 16 ____der Partei gegenüber dem Gericht.35 Sie unterliegt im Anwaltsprozess (§ 78 Abs. 1) dem ____Anwaltszwang.36 Ausdrückliche Vorschriften für die Form der Zustimmung bestehen ____zwar nicht, nähere Anforderungen ergeben sich aber aus der Natur der Sache. Mit der ____Zustimmung verzichtet die Partei – prinzipiell unwiderruflich – auf ihr prozessuales Recht ____auf eine mündliche Erörterung. In der mündlichen Verhandlung kann die Zustimmung ____mündlich zu Protokoll erteilt werden. Wird die Erklärung außerhalb des Termins abge____geben, muss dies durch bestimmenden Schriftsatz geschehen.37 Das bloße Schweigen ____auf eine Anfrage des Gerichts, ob einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ____zugestimmt werde, enthält keine Zustimmung und kann die ausdrückliche Erklärung ____nicht ersetzen, und zwar auch dann nicht, wenn das Gericht seine Anfrage mit der An____kündigung verbindet, es werde aus dem Schweigen auf Zustimmung schließen.38 In an____deren als in Anwaltsprozessen kann die Zustimmung auch zu Protokoll der Geschäfts____stelle eines jeden Amtsgerichts erteilt werden.39 Die Erklärung muss klar und eindeutig ____sein. Das Gericht muss zweifelsfrei erkennen können, dass die Partei im Bewusstsein der ____Bedeutung der Zustimmung zustimmen will. ____ Die Zustimmung kann nicht unter eine außerprozessuale Bedingung gestellt wer- 17 ____den.40 Innerprozessuale Bedingungen sind dagegen – wie bei anderen Prozesshandlun____gen auch – möglich. Daher kann z.B. die Zustimmung für den Fall erklärt werden, dass ____ein Vergleich widerrufen oder eine bestimmte Schriftsatzfrist eingeräumt wird. Dagegen ____kann die Partei bei ihrer Zustimmung nicht eine Befristung vorgeben, bis zu der einge____hende Schriftsätze berücksichtigt werden können.41 Die Bestimmung des Zeitpunkts, bis ____ ____31 BayObLG NJW 1964, 302; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 58; Zöller/Greger § 128 Rdn. 4; Rosenberg/ ____Schwab/Gottwald § 109 I 1 a. ____32 BayObLG NJW 1964, 302. ____33 Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 25; AK-Puls § 128 Rdn. 11. 34 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 18; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 I 1 a. ____35 MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 26; Zöller/Greger § 128 Rdn. 5; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 12; ____Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 19; Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 24; AK-Puls ____§ 128 Rdn. 12. ____36 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 57; Zöller/Greger § 128 Rdn. 5; Zimmermann § 128 Rdn. 9; AK-Puls § 128 ____Rdn. 11. 37 Musielak/Stadler § 128 Rdn. 12; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 24; Zöller/Greger § 128 Rdn. 4; a.A. ____BAG NZA 1994, 382; BVerwG NJW 1981, 1852 hält eine telefonische Zustimmung jedenfalls dann für ____unwirksam, wenn der Inhalt der Erklärung streitig ist. ____38 BGH BB 1961, 494; BGH NJW 2007, 2122; OLG München NJW 1955, 995; Stein/Jonas/Leipold § 128 ____Rdn. 57; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 25; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 12; Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 26; Zimmermann § 128 Rdn. 9. ____39 §§ 129 Abs. 2, 129 a. ____40 BGHZ 18, 61, 62 hält die Zustimmung generell für bedingungsfeindlich. ____41 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 66.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, obliegt gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 dem ____Gericht. Die Parteien können insoweit nur Vorschläge, aber keine Vorgaben machen. ____Eine solche Einschränkung macht die Zustimmung unwirksam. Möglich ist es dagegen, ____die Zustimmung dahin zu beschränken, dass das Einverständnis nur mit einer Entschei____dung durch den Einzelrichter erklärt wird. In diesem Fall darf daher nicht das Kollegium ____an seiner Stelle entscheiden, etwa nach einer Vorlage gemäß §§ 348 Abs. 3, 348 a Abs. 2, ____526 Abs. 2.42 ____ Wird die Zustimmung nur für den Fall erklärt, dass ein Beweisbeschluss verkündet 18 ____wird, löst sie keine Rechtsfolgen aus. Zwar handelt es sich bei dieser Verknüpfung um ____eine an sich statthafte innerprozessuale Bedingung. Einen Beweisbeschluss kann das ____Gericht aber gemäß § 358 a jederzeit im schriftlichen Verfahren erlassen, ohne dass die ____Parteien zustimmen müssen. Eine solche Erklärung geht daher ins Leere. ____ 19 Wird die Zustimmung uneingeschränkt erteilt, etwa weil die Parteien eine Ein____schränkung nach Lage der Dinge im konkreten Fall für entbehrlich halten durften, kann ____es dennoch geboten sein, eine stillschweigende oder immanente Beschränkung anzu____nehmen. Dies kommt z.B. bei einem überraschenden Richterwechsel in Betracht. Hat ____sich der Richter, dem gegenüber die Zustimmung erklärt worden war, bereits in be____stimmter Weise über die Rechtslage oder über die erhobenen Beweise geäußert, wird die ____Zustimmung der Parteien auf der Vorstellung beruhen, dass mit diesem Richter die Sa____che nicht mehr erörtert werden muss. Bei seinem Ausscheiden vor Erlass einer Entschei____dung wird das Gericht daher in der neuen Besetzung entweder mündliche Verhandlung ____anberaumen oder den Parteien Gelegenheit geben müssen, die Zustimmung wegen einer ____wesentlichen Änderung der Prozesslage zu widerrufen. ____ ____ 4. Bedeutung der Zustimmung. Zustimmung ist nicht die Erklärung des Einver20 ____ständnisses mit einem nunmehr schriftlichen Verfahren, sondern lediglich das Einver____ständnis damit, dass das Gericht „eine“ (die nachfolgende) Entscheidung ohne mündliche ____Verhandlung treffen darf. 43 Ergeht nach der Erklärung der Parteien keine abschließende ____Entscheidung, ist die Zustimmung damit grundsätzlich verbraucht. Soll eine weitere Ent____scheidung im schriftlichen Verfahren ergehen, müssen die Parteien erneut zustimmen. ____Andernfalls muss mündlich verhandelt werden. 44 Die Parteien können nicht von vorn ____herein für den gesamten Prozess ihre Zustimmung mit einem schriftlich gestalteten Ver____fahren erklären.45 § 128 Abs. 2 gestattet – anders als § 128 Abs. 3 – nicht ein schriftliches ____Verhandeln, sondern lediglich, dass das Gericht mit Zustimmung der Parteien eine Ent____scheidung – und eben nicht mehrere einander folgende Entscheidungen – ohne mündli____che Verhandlung treffen kann.46 Unbedenklich ist es, wenn im anberaumten Verkün____dungstermin nicht nur eine, sondern gleichzeitig mehrere Entscheidungen ergehen (z.B. ____Teilurteil und Beschluss). ____ Kein Verbrauch der Zustimmung tritt ein durch Beschlüsse oder Anordnungen, die 21 ____ohnehin schriftlich ergehen können, wie etwa z.B. prozessleitende Anordnungen gemäß ____§§ 142, 143, 145–149 oder Beschlüsse gemäß §§ 46, 119, 248, 348 a Abs. 1, 527 Abs. 1, 719. ____Die Entscheidung über die Durchführung einer Beweisaufnahme gemäß §§ 144, 358 a ____ ____ ____42 BGHZ 18, 61, 62; OLG Nürnberg MDR 1966, 244. ____43 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 60; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 28; Zöller/Greger § 128 Rdn. 12, 16; ____Musielak/Stadler § 128 Rdn. 17; AK-Puls § 128 Rdn. 13; Blomeyer I. § 56 I.1 b; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 I 1 D; Schellhammer Rdn. 1474; Kramer NJW 1978, 1411 ff., 1412. ____44 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 I 1 d; Blomeyer I § 56 I 1 b. ____45 A.A. Grunsky Grundlagen § 24 I 2 b. ____46 Zöller/Greger § 128 Rdn. 12.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____kann zwar ebenfalls ohne Zustimmung der Parteien außerhalb der mündlichen Verhand____lung getroffen werden, so dass eine Zustimmung mit einer schriftlichen Entscheidung ____hierdurch nicht verbraucht ist. Waren die Parteien aber beim Übergang ins schriftliche ____Verfahren davon ausgegangen, dass ein Urteil ergehen wird und kommt es dann wider ____Erwarten zu einem Beweisbeschluss, muss neu verhandelt werden (§ 285).47 Unabhängig ____hiervon steht es den Parteien selbstverständlich frei, ihre Zustimmung zu wiederholen. ____ ____ 5. Widerruf der Zustimmung. Jede Partei kann ihre Zustimmung bis zur Erklärung 22 ____der anderen Partei frei widerrufen. Danach ist der Widerruf gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 nur ____bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage möglich. Einer Partei soll ein Fest____halten an ihrer Erklärung dann nicht mehr zugemutet werden, wenn sich die für die Er____teilung maßgeblichen Umstände nachträglich wesentlich geändert haben.48 Da es sich ____hierbei um ein objektives Kriterium handelt, ist ein Streit zwischen Parteien über die ____Zulässigkeit des Widerrufs weitgehend ausgeschlossen.49 Ein Widerruf ist u.a. möglich, ____wenn die Partei ihre Zustimmung nicht erklärt hätte, sofern sie die Änderung der Prozess____lage vorhergesehen hätte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Gründe bekannt ____werden, die die Restitutionsklage des § 580 rechtfertigen würden,50 wenn sich aufgrund ____neuer Anträge, neuen Vorbringens der Gegenseite51 oder eines Hinweises des Gerichtes ____zur Rechtslage52 Erörterungsbedarf ergibt, der sinnvoll nur in der mündlichen Verhand____lung befriedigt werden kann oder wenn der Prozess von einem Dritten fortgeführt wird.53 ____Wegen der Bedeutung der mündlichen Verhandlung und angesichts der Tatsache, dass ____die widerrufende Partei gar nicht hätte zuzustimmen brauchen, sollte im Zweifel eine ____mündliche Verhandlung stattfinden, es sei denn, der Widerruf wird als Mittel zur Pro____zessverzögerung verwendet.54 ____ Der Widerruf kann wie die Zustimmung in der mündlichen Verhandlung mündlich, 23 ____sonst schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, und zwar konklu____dent, beispielsweise durch einen Antrag auf Terminsanberaumung.55 ____ ____ 6. Anordnung, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Wenn die 24 ____Parteien ihre Zustimmung erklärt haben, kann das Gericht eine Entscheidung ohne ____mündliche Verhandlung treffen. Ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will, ____steht in seinem Ermessen. Die Parteien haben trotz ihres Einvernehmens keinen An____spruch darauf, dass das Gericht auf die mündliche Verhandlung verzichtet. Sie können ____sich gegen die Terminsanberaumung daher nicht wehren.56 Das richterliche Ermessen ist ____ein pflichtgemäßes Ermessen.57 Es ist gebunden durch die Intention des Gesetzgebers, ____durch § 128 Abs. 2 eine Beschleunigung und Vereinfachung für solche Sachen zu ermögli____chen, die hierfür tatsächlich geeignet sind.58 Das schriftliche Verfahren ist unangebracht, ____ ____47 S.a. BGHZ 31, 211. ____48 BGHZ 105, 270, 274 = NJW 1989, 229. ____49 Hierzu BT-Drucks. 7/2729 S. 55. ____50 Vgl. Stein/Jonas/Leipold Vor § 128, 286. ____51 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 67; MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 27; Zöller/Greger § 128 Rdn. 5; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 23; Thomas/Putzo/ ____Reichold § 128 Rdn. 27; AK-Puls § 128 Rdn. 12. ____52 Zöller/Greger § 128 Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 23. ____53 Vgl. BGHZ 11, 27, 32 = NJW 1954, 266. ____54 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 69. 55 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 69. ____56 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 73; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 25. ____57 BGH NJW-RR 1992, 1065; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 73. ____58 Zöller/Greger § 128 Rdn. 3.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____wenn damit eine Verzögerung einhergeht, die bei einer Terminsanberaumung nicht ein____treten würde. ____ Die Entscheidung zum Übergang ins schriftliche Verfahren kann ausdrücklich durch 25 ____Beschluss erfolgen.59 Nötig ist dies aber nicht.60 Der Sache nach ist diese Entscheidung ____nur eine Absichtserklärung. Sie ist weder beschwerdefähig61 noch wird das Gericht hier____an gebunden. Das Gericht kann jederzeit seine Ansicht ändern und doch Termin zur münd____lichen Verhandlung anberaumen.62 Der das schriftliche Verfahren anordnende Beschluss ____braucht nicht begründet zu werden.63 ____ ____ 7. Beginn der Verhandlung. Wann die schriftliche Verhandlung beginnt, ist 26 ____nicht ausdrücklich geregelt. Maßgeblich ist, ob und wann die einzelnen Rechtsfolgen, ____die an verschiedenen Stellen des Gesetzes an das Verhandeln geknüpft sind, jeweils ein____treten. Gemäß § 43 kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Be____fangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm in eine Verhandlung eingelassen oder An____träge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Befangenheitsgrund geltend zu machen. Da ____§ 43 ausdrücklich auf ein „Verhandeln“ abstellt, kann das Rügerecht nicht bereits mit ____der Zustimmung der Partei zum schriftlichen Verfahren verloren gehen.64 Dieser Verlust ____tritt erst mit einer schriftlichen Stellungnahme zur Sache ein.65 Diese Stellungnahme ____muss bewusst an den (aus der Sicht der Partei) befangenen Richter gerichtet werden ____(hierzu § 43 Rdn. 5). Wird nach Übergang ins schriftliche Verfahren nicht mehr weiter ____vorgetragen, bleibt das Rügerecht erhalten. Endzeitpunkt ist der gemäß § 128 Abs. 2 ____Satz 2 bestimmte Zeitpunkt für die Einreichung von Schriftsätzen. Soweit in §§ 39, 267, ____269 Abs. 1, 295, 534, 1032 Abs. 1 nachteilige Rechtsfolgen vorgesehen sind, können diese ____im Verfahren nach § 128 Abs. 2 nicht eintreten, weil dort ausdrücklich auf das mündli____che Verhandeln abgestellt wird.66 ____ Hat bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden, sind die durch deren Be27 ____ginn bedingten Wirkungen bereits eingetreten. Sie entfallen nicht wieder, wenn später ____angeordnet wird, dass ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden soll.67 ____Ist die Zuständigkeit schon vor Anordnung des schriftlichen Verfahrens gerügt oder der ____Klageänderung bereits widersprochen worden, bleiben die Wirkungen dieser Erklärun____gen für das – weitere – schriftliche Verfahren erhalten. Eine Wiederholung ist nicht er____forderlich. Sind die Rügen dagegen noch nicht erhoben worden, muss dies spätestens bis ____zum Ablauf des gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 bestimmten Zeitpunkts für die Einreichung von ____Schriftsätzen geschehen. Ist die Bestimmung versehentlich unterblieben, treten die ent____sprechenden Folgen mit Erlass der Entscheidung ein. Auch wenn nur ein Beweisbe____schluss ergeht, können die zuvor unterlassenen Rügen daher nicht mehr nachgeholt ____werden, und zwar auch dann nicht, wenn im weiteren Verlauf des Verfahrens doch noch ____eine mündliche Verhandlung stattfindet. ____ ____ ____ ____59 HM; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 77; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 27; ____Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 32; Zimmermann § 128 Rdn. 10. 60 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 77; AK-Puls § 128 Rdn. 15. ____61 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 81. ____62 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 82. ____63 A.A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 27. ____64 So allerdings OLG München MDR 1980, 145. 65 BayObLG MDR 1988, 1063. ____66 Gemäß BGH NJW 1970, 198 tritt ein Rügeverlust jedenfalls dann nicht ein, wenn sich die Partei die ____Rüge bei ihrer Zustimmung zum schriftlichen Verfahren vorbehält. ____67 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 84.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128

____ 8. Schluss der schriftlichen Verhandlung. Gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 ist alsbald – ____und also unverzüglich68 – der Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu dem Schriftsätze einge____reicht werden können. Dieser Zeitpunkt entspricht dem „Schluss der mündlichen Ver____handlung“ im Sinne der §§ 136 Abs. 4, 296 a, 313 Abs. 1 Nr. 3, 323 Abs. 2, 767 Abs. 269 und ____dem „Verhandeln zur Hauptsache im Haupttermin“ im Sinne von § 348 a Abs. 1 Nr. 3.70 ____Ein Schriftsatz, der nach dem bestimmten Zeitpunkt eingereicht wird, kann nicht be____rücksichtigt werden. Das Gericht muss aber – wie bei jedem nachgereichten Schriftsatz – ____prüfen, ob es wieder in die mündliche Verhandlung eintritt, damit die Partei Gelegenheit ____erhält, den Inhalt des Schriftsatzes vorzutragen (§ 156). Im schriftlichen Verfahren kann ____dies dadurch geschehen, dass eine neue Frist für die Einreichung von Schriftsätzen be____stimmt wird. Diese Entscheidung kommt der Wiedereröffnung der mündlichen Verhand____lung gleich. Bei einem fristgemäß eingereichten Schriftsatz muss das Gericht ebenso wie ____im Verfahren mit mündlicher Verhandlung stets prüfen, ob der Schriftsatz Vorbringen ____enthält, zu dem der Gegner Stellung nehmen muss. Ist diese Stellungnahme bis zu dem ____bereits bestimmten Zeitpunkt zur Einreichung von Schriftsätzen nicht mehr möglich, ____muss die Frist von Amts wegen geändert oder Termin anberaumt werden. Dies folgt aus ____dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs.71 In entsprechender Anwendung von § 283 ist es ____auch möglich, dem Gegner eine Frist zu bestimmen, in der er seine Erklärung in einem ____Schriftsatz nachbringen kann.72 ____ Fristen, die das Gericht bereits in anderem Zusammenhang gesetzt hat (z.B. gemäß ____§§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 274, 275 Abs. 1, 3 und 4, 276 Abs. 1 Satz 2, 277, 521 Abs. 2) laufen unab____hängig von der Frist des § 128 Abs. 2 Satz 2, so dass bei einer Versäumnis die Präklu____sionsfolgen (§§ 296, 525) eintreten können. Allerdings ist stets zu prüfen, ob mit dem ____Übergang ins schriftliche Verfahren und der Bestimmung der Frist nach § 128 Abs. 2 ____Satz 2 früher gesetzte und noch offene Fristen bestehen bleiben sollten. Unklarheiten ____müssen die Parteien durch Rückfrage beim Gericht klären. ____ Ergeht im Verkündungstermin kein Urteil, ist ein nach Ablauf der Frist gemäß § 128 ____Abs. 2 Satz 2 eingereichter Schriftsatz im weiteren Verfahren grundsätzlich zu berück____sichtigen. Die Zurückweisung dieses Vorbringens gemäß §§ 296, 282 wird in der Regel an ____der mangelnden Verzögerung scheitern. Da die Sache noch nicht entscheidungsreif ist, ____muss das Gericht ohnehin einen Verhandlungstermin anberaumen. Neuen Angriffs- und ____Verteidigungsmitteln, die erst nach Ablauf der Schriftsatzfrist beigebracht worden sind, ____kann bzw. muss es in diesem Termin nachgehen. ____ Die Unterlassung der Fristbestimmung für Schriftsätze ist ein Verfahrensfehler.73 ____Mitunter wird allerdings von der Bestimmung einer Schriftsatzfrist abgesehen, „weil die ____Parteien nichts mehr vortragen können oder wollen“.74 Dieser Verfahrensfehler bleibt ____zumeist unschädlich. Auswirken kann sich die Unterlassung der Fristbestimmung nur, ____wenn anschließend ein Urteil ergeht und dieses auf der Unterlassung beruht, etwa weil ____wegen der mangelnden Fristbestimmung weiterer Vortrag unterblieben ist, der zu einer ____ ____ ____ ____ 68 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 27. ____69 OLG München NJW-RR 1986, 1512; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 79; Zöller/Greger § 128 Rdn. 14; ____Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 33; Zimmermann § 128 Rdn. 10; AK-Puls § 128 Rdn. 15; Schellhammer ____Rdn. 1476; Kramer NJW 1978, 1411 ff., 1412; Schneider MDR 1979, 793 ff., 795. ____70 OLG München NJW-RR 1986, 1512. 71 BVerfGE 50, 280 ff. ____72 MünchKomm/Wagner Rdn. 35. ____73 BGH NJW 1986, 3080 ff., 3080. ____74 Schellhammer Rdn. 1476.

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§ 128

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____anderen Entscheidung geführt hätte. Ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 547 ____ZPO liegt in dem Unterlassen der Fristbestimmung nicht.75 ____ Wird kein Zeitpunkt bestimmt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, 32 ____sind Schriftsätze unbefristet zugelassen, also bis zur Verkündung der Entscheidung. ____Streitig ist, ob der Zeitpunkt für beide Parteien einheitlich bestimmt werden muss76 oder ____ob differenziert werden darf.77 Eine Staffelung dahin, dass erst die eine Partei vorzuberei____ten hat und dann die andere erwidern kann, erscheint zwar durchaus sinnvoll; anderer____seits spricht aber das Gesetz vom Zeitpunkt in der Einzahl, von den Schriftsätzen aber in ____der Mehrzahl. Dies spricht dafür, dass ein einheitlicher Schlusszeitpunkt gewollt ist.78 ____Zudem gilt auch der Schluss der mündlichen Verhandlung für beide Parteien gemein____sam, selbst wenn zuvor unterschiedliche Fristen für die vorbereitenden Schriftsätze ge____setzt gewesen waren. Es ist daher von der Einheitlichkeit des Schlusses der schriftlichen ____Verhandlung auszugehen. Dieses hindert allerdings keineswegs, im schriftlichen Ver____fahren zusätzlich (also innerhalb der Zeitspanne bis zum Schlusszeitpunkt) Fristen für ____Klageerwiderung oder Replik des Klägers entsprechend § 275 Abs. 3, 4 sowie zur Erklä____rung über bestimmte Punkte entsprechend § 273 Abs. 2 Nr. 1 zu setzen.79 Unabhängig von ____den gesetzten Fristen kann es immer geschehen, dass eine Partei von dem rechtzeitigen ____Vorbringen der anderen Partei erst nach Ablauf der für sie maßgeblichen Frist erfährt ____und daher innerhalb dieser Frist auf neues Vorbringen nicht erwidern kann. In solchen ____Fällen ist eine Nachfrist zu gewähren, damit der Anspruch der Partei auf Gewährung ____rechtlichen Gehörs gewährleistet ist.80 Ist dies vor dem Verkündungstermin nicht mehr ____möglich, muss der Termin verlegt werden. Kann sogar die 3-Monats-Frist des § 128 Abs. 2 ____Satz 3 nicht mehr eingehalten werden, muss die mündliche Verhandlung wieder eröffnet ____werden.81 ____ ____ 9. Bestimmung des Verkündungstermins. Mit dem Übergang ins schriftliche Ver33 ____fahren ist neben dem Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, ____alsbald – also unverzüglich82 – auch ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung ____zu bestimmen. Zweckmäßigerweise wird dies einheitlich geschehen. Die Pflicht zur ____Bestimmung des Verkündungstermins impliziert, dass jede Entscheidung, die in An____wendung der Vorschriften des § 128 Abs. 2 ohne mündliche Verhandlung erlassen wird, ____verkündet werden muss. Auch Beschlüsse müssen daher verkündet werden.83 Die Unter____lassung der Bestimmung des Verkündungstermins ist ebenso wie die der Bestimmung ____des Schlusszeitpunktes ein Verfahrensfehler. Rechtsfolgen hieraus entstehen aber nur ____dann, wenn ein Urteil ergeht und dieses auf der Unterlassung beruht,84 etwa weil die ____durch das Urteil beschwerte Partei an weiterem Vortrag, der zu einer anderen Entschei____dung geführt haben würde, gehindert worden ist. ____ ____ ____ ____ ____75 BGH NJW 1986, 3080 ff., 3080. ____76 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 79. 77 Zöller/Greger § 128 Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 2. ____78 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 79. ____79 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 79. ____80 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 94. ____81 MünchKomm-Wagner § 128 Rdn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 28; Musielak/Stadler § 128 Rdn. 17. ____82 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 27. ____83 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 80; AK-Puls Rdn. 16; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 110 I.2.d. ____84 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 102.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ § 310 Abs. 1 Satz 2, der auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abstellt, findet ____auf das schriftliche Verfahren keine Anwendung.85 Eine absolute Grenze, bis zu der der ____Verkündungszeitpunkt hinausgeschoben werden kann, ergibt sich erst aus der Drei____Monats-Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3. Innerhalb dieser Frist kann der Abstand zwischen ____dem Ablauf der Schriftsatzfrist und dem Verkündungstermin drei Wochen überschreiten, ____und zwar auch ohne die Voraussetzungen des § 310 Abs. 1 Satz 2 („wichtige Gründe, ins____besondere der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache“). Allerdings wird von dieser ____Möglichkeit regelmäßig kein Gebrauch gemacht werden können. Da das schriftliche Ver____fahren der Vereinfachung und der Beschleunigung der Entscheidung dienen soll und ____nicht zur Prozesszögerung führen darf, wird ein weiteres Hinausschieben nur selten dem ____pflichtgemäßen Ermessen entsprechen. ____ ____ 10. Bedeutung der Drei-Monats-Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3. Durch § 128 Abs. 2 ____Satz 3 wird das Gericht dazu angehalten, sich von vornherein darüber schlüssig zu wer____den, ob eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung innerhalb von drei Monaten ____nach Eingang der Zustimmung der Parteien getroffen werden kann. Damit wird der Ge____fahr einer Prozessverschleppung, die mit der Schriftlichkeit des Verhandelns nach § 128 ____Abs. 2 verbunden ist, vorgebeugt. Das Gesetz stellt gewissermaßen eine Vermutung dafür ____auf, dass eine Sache für das schriftliche Verfahren ungeeignet ist, wenn das Gericht ____schon bei Bestimmung des Verkündungstermins davon ausgeht, dass eine Entscheidung ____nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist getroffen werden kann. ____ Die Drei-Monats-Frist beginnt, wenn die erforderliche Zustimmung der Parteien ____vorliegt, also mit dem Eingang der letzten Erklärung,86 und zwar auch dann, wenn das ____Gericht das schriftliche Verfahren erst wesentlich später anordnet. Die Frist dient der ____Sicherung des Beschleunigungseffekts, der mit dem schriftlichen Verfahren verbunden ____sein soll. Sie steht daher nicht zur Disposition der Parteien und des Gerichts.87 Nach Ab____lauf dieser Frist darf nicht mehr ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.88 ____Der Ansicht, es müsse zulässig sein, die Frist in denjenigen Fällen zu überschreiten, in ____denen anderenfalls nicht ohne Verletzung des Anspruchs einer Partei auf rechtliches ____Gehör entschieden werden könne, kann nicht gefolgt werden.89 Die Alternative zur Frist____überschreitung ist nicht die Versagung des rechtlichen Gehörs, sondern die Gewährung ____des rechtlichen Gehörs in mündlicher Verhandlung. ____ ____ 11. Entscheidungsgrundlage im Verfahren nach § 128 Abs. 2. Zu dem bei der Ent____scheidung zu berücksichtigenden Prozessstoff gehört der gesamte bis zum Ende der ____Schriftsatzfrist gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 (zur Rechtslage, wenn versehentlich keine Frist ____bestimmt worden ist, s. Rdn. 31) beigebrachte Vortrag, also in erster Linie das schriftsätz____liche Vorbringen, auch wenn es im Schriftsatz nur für eine spätere mündliche Verhand____lung angekündigt worden ist. Daneben ist das Vorbringen zu berücksichtigen, das in ____einem früheren Termin zur mündlichen Verhandlung mündlich vorgetragen worden ____ist.90 Ist dieser Vortrag nicht protokolliert worden, kann er allerdings nur dann Berück____sichtigung finden, wenn die Entscheidung von denselben Richtern gefällt wird, die an ____ ____ ____85 A.A. BGH NJW 2000, 1714; Zöller/Greger Rdn. 16. ____86 Zöller/Greger § 128 Rdn. 16. ____87 BGH NJW 92, 2146, 2147, zustimmend Musielak/Stadler § 128 Rdn. 17. 88 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 98; Zöller/Greger § 128 Rdn. 16; Baumbach/Lauterbach/Albers/ ____Hartmann § 128 Rdn. 32. ____89 Schneider MDR 1979, 793 ff., 795. ____90 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 83 ff.; Zöller/Greger § 128 Rdn. 8; AK-Puls § 128 Rdn. 7.

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____der Verhandlung teilgenommen haben.91 In diesem Fall muss der Vortrag im Tatbestand ____des Urteils wiedergegeben werden. Der Tatbestand liefert den Beweis für dieses mündli____che Parteivorbringen. 92 Ist der Vortrag nicht protokolliert worden, kann er bei einem ____Richterwechsel schon mangels Kenntnis nicht beachtet werden. In diesem Fall müssen ____die Parteien ihren Vortrag wiederholen. Bei Änderungen im Vortrag gilt – wie auch im ____mündlichen Verfahren – das, was zuletzt vorgetragen worden ist. Bleiben Unklarheiten, ____muss in der Regel mündlich verhandelt werden. Eine solche Prozesslage eignet sich ____grundsätzlich nicht für eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Denn andernfalls ____erfährt die Partei erst durch das Urteil, dass ihr Vortrag eventuell falsch verstanden wor____den ist. ____ ____ 12. Richterwechsel im schriftlichen Verfahren. Das schriftliche Verfahren steht 38 ____dem mündlichen Verfahren gleich. Ein Wechsel auf der Richterbank ist daher möglich, ____auch wenn zuvor bereits mündlich verhandelt worden ist. § 309 findet nach Ansicht des ____Bundesgerichtshofs93 und ihm folgend des Bundesverfassungsgerichts94 im schriftlichen ____Verfahren keine Anwendung. Zur Entscheidung zuständig sind die nach dem Geschäfts____verteilungsplan bestimmten Richter. Bei überbesetzten Spruchkörpern ist daneben der ____interne Geschäftsverteilungsplan maßgeblich. Nicht ausdrücklich entschieden ist aller____dings, ob ein Richterwechsel auch noch nach dem gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 bestimmten ____Zeitpunkt zur Einreichung von Schriftsätzen gestattet ist. Dies wird von Teilen der Litera____tur angenommen.95 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt für die Einreichung ____von Schriftsätzen entspricht dem Schluss der Verhandlung im mündlichen Verfahren.96 ____Demgemäß müssen die Richter entscheiden, die zu diesem Zeitpunkt zuständig sind. ____Würde man auf den Zeitpunkt der Beratung abstellen, stünde die Besetzung zur Disposi____tion des Spruchkörpers. Dies ist mit dem Prinzip des gesetzlichen Richters nicht verein____bar, das klare, abstrakt im Voraus bestimmte Regeln für die Zuständigkeit erfordert. Die ____gegenteilige Auffassung kann insbesondere nicht auf die Entscheidung des Bundesge____richtshofs zur Anwendbarkeit von § 309 im schriftlichen Verfahren gestützt werden. Dort ____wird für die Zuständigkeit lediglich auf „den für die Entscheidungsfindung maßgeblichen ____Zeitpunkt“ abgestellt, ohne das festgelegt wird, ob dies der Zeitpunkt für die Schriftsätze ____oder ein späterer Termin sein soll. Auf frühere Entscheidungen97 kann zur Stützung die____ser Auffassung ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Denn diese sind – soweit veröf____fentlicht – zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle 1976 (BGBl. I 3281) ____ergangen. In der bis dahin geltenden Gesetzesfassung war in Abs. 2 ein Zeitpunkt für die ____Einreichung von Schriftsätzen und damit ein dem Schluss der mündlichen Verhandlung ____entsprechender Termin nicht vorgesehen. ____ ____ 13. Verzicht, Anerkenntnis und Säumnis im schriftlichen Verfahren. Auch im 39 ____schriftlichen Verfahren kann der Beklagte den Anspruch anerkennen und umgekehrt der ____Kläger auf den geltend gemachten Anspruch verzichten. Auf das Anerkenntnis kann ge____ ____ ____91 BGH MDR 1956, 473. 92 BGH NJW 1956, 945. ____93 BGH NJW-RR 1992, 1065. ____94 BVerfG NJW 2008, 2243. ____95 Zöller/Greger § 128 Rdn. 11 (maßgeblich ist der Zeitpunkt der Beratung); Stein/Jonas/Leipold § 128 ____Rdn. 96; MünchKomm/Wagner § 128 Rdn. 39; a.A. Krause MDR 1982, 184. 96 OLG München NJW-RR 1986, 1512; Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 79; Zöller/Greger § 128 Rdn. 14; ____Thomas/Putzo/Reichold § 128 Rdn. 33; Zimmermann § 128 Rdn. 10; AK-Puls § 128 Rdn. 15; Schellhammer ____Rdn. 1476; Kramer NJW 1978, 1411 ff., 1412; Schneider MDR 1979, 793 ff., 795. ____97 Z. B. BGH MDR 1968, 314.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____mäß § 307 ein Anerkenntnisurteil ergehen. § 307 Satz 2 gestattet insoweit ausdrücklich ____das schriftliche Verfahren, so dass auch ohne Zustimmung der Parteien schriftlich ent____schieden werden könnte. Für den Verzicht sieht zwar § 306 ausdrücklich vor, dass dieser ____„bei der mündlichen Verhandlung“ erklärt werden muss. Gleichwohl ist aber auch im ____schriftlichen Verfahren der Erlass eines Verzichtsurteils gestattet.98 Der Kläger, der auf ____seinen Klageanspruch verzichtet, benötigt keinen größeren Schutz als der Beklagte, der ____den Anspruch des Klägers anerkennt. Ein sachlicher Grund, insoweit zu differenzieren ____und für den Erlass eines Verzichtsurteils eine vorhergehende mündliche Verhandlung ____zwingend vorzusehen, besteht daher nicht. ____ Für das Versäumnisurteil ist zu differenzieren. § 331 Abs. 3 gestattet den Erlass eines 40 ____Versäumnisurteils gegen den Beklagten im schriftlichen Verfahren, wenn der Beklagte ____entgegen § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 im schriftlichen Vorverfahren nicht rechtzeitig ange____zeigt hat, dass er sich gegen die Klage verteidigen will. Dabei kann der Klageantrag in ____einer Nebenforderung zu Lasten des Klägers abgewiesen werden. Diese Entscheidungen ____können – abgesehen vom Antragserfordernis – ohne Zustimmung der Parteien erlassen ____werden und fallen nicht unter § 128 Abs. 2. Für das Verfahren nach § 128 Abs. 2 stellt sich ____Frage nach dem Erlass eines Versäumnisurteils dann, wenn eine Partei die ihr einge____räumte Möglichkeit zum schriftsätzlichen Vortrag nicht nutzt und bis zu dem für die Ein____reichung von Schriftsätzen bestimmten Zeitpunkt keine Stellungnahme abgibt. Da dieser ____Zeitpunkt dem Ende der mündlichen Verhandlung gleichsteht, könnte es sich anbieten, ____die bis dahin nicht schriftsätzlich vorgetragene Partei so zu behandeln, als wenn sie im ____mündlichen Termin nicht erschienen wäre. Dagegen spricht allerdings, dass gemäß ____§§ 330, 331 der Erlass eines Versäumnisurteils die Säumnis im Termin voraussetzt. Die ____herrschende Auffassung lehnt daher den Erlass eines Versäumnisurteils im Verfahren ____nach § 128 Abs. 2 mit Recht ab.99 Abgesehen hiervon entspräche eine solche Entschei____dung auch nicht den Besonderheiten des schriftlichen Verfahrens. Das schriftliche Ver____fahren dient dazu, den Erlass einer kontradiktorischen und damit abschließenden Ent____scheidung zu erleichtern. Ein Versäumnisurteil ist dagegen wegen der Möglichkeit des ____Einspruchs zunächst nur eine vorläufige Entscheidung. ____ ____ III. Freigestellte mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 3 und 4) ____ ____ 1. Entscheidung über die Kosten gemäß § 128 Abs. 3. Reine Kostenentscheidun- 41 ____gen – z.B. die nach Erledigung der Hauptsache gemäß § 91 a – ergehen regelmäßig durch ____Beschluss und fallen damit unter § 128 Abs. 4.100 § 128 Abs. 3 hat daher wenig Bedeutung. ____Wichtigster Anwendungsfall ist die Rücknahme der Klage nach Erlass eines Teilurteils. ____Nach der Rechtsprechung des BGH muss in diesem Fall ein Schlussurteil über die Kosten ____ergehen.101 Die Entscheidung, ob es nach mündlicher Verhandlung oder im schriftlichen ____Verfahren zu erlassen ist, liegt im Ermessen des Gerichts.102 Anträge der Parteien, einen ____Termin anzuberaumen, sind lediglich Anregungen an das Gericht. Hieraus folgt, dass ein ____entsprechender Antrag der Parteien nicht formell beschieden werden muss. Die Rege____lung ist mit Art. 6 EMRK vereinbar.103 Die dort statuierte Garantie der öffentlichen – und ____ ____ ____ ____98 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 I.2.e. ____99 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 92 m.w.N.; a.A. Bull JR 1961, 247, 248. 100 Dazu Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 105. ____101 BGH NJW-RR 1999, 1741. ____102 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 128 Rdn. 36. ____103 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 106.

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§ 128

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____damit auch mündlichen – Verhandlung bezieht sich nicht auf bloße Nebenentscheidun____gen, sondern nur auf Entscheidungen in der Sache. ____ Das erforderliche rechtliche Gehör muss bei einer Entscheidung ohne mündliche 42 ____Verhandlung im schriftlichen Verfahren gewährt werden. In der Regel wird die Sache ____allerdings hinsichtlich der allein noch ausstehenden Kostenentscheidung ausgeschrie____ben sein. Ist dies der Fall, kann ohne Schriftsatzfrist sofort entschieden werden. Andern____falls muss durch Zwischenverfügung eine Frist zur abschließenden Stellungnahme ge____setzt werden. ____ ____ 2. Entscheidungen gemäß § 128 Abs. 4. Andere Entscheidungen als Urteile (Be43 ____schlüsse, prozessleitende Maßnahmen) können im Erkenntnisverfahren ohne vorherge____hende Verhandlung schriftlich ergehen, es sei denn, eine Verhandlung ist ausnahms____weise vorgeschrieben (z.B. §§ 320 Abs. 3, 1063 Abs. 2). Maßgeblich ist allein die äußere ____Form der Entscheidung, nicht ihr Inhalt. In Betracht kommen u.a.: die Bestimmung der ____Zuständigkeit (§ 36); die Entscheidungen über ein Ablehnungsgesuch (§§ 45, 46, 406 ____Abs. 4), über die Kosten nach Erledigung der Hauptsache (§ 91 a), über eine Sicherheit ____gemäß § 109 oder über die Prozesskostenhilfe (§ 119); die Trennung oder Verbindung von ____Prozessen (§§ 145, 147); die Aussetzung (§§ 148, 149);104 die Bewilligung der öffentlichen ____Zustellung (§ 186); die Wiedereinsetzung (§ 238); die Aussetzung (§§ 246, 247); die Ent____scheidung über die Kosten nach Rücknahme der Klage (269 Abs. 4), der Berufung (§ 516 ____Abs. 3) und der Revision (§ 565); die Verweisung an ein anderes Gericht (§ 281); die Be____richtigung des Urteils gemäß § 319; die Zurückweisung einer Gehörsrüge (§ 321 a Abs. 4); ____die Bestimmung der Einspruchsfrist bei Zustellung eines Versäumnisurteils im Ausland ____oder durch öffentliche Bekanntmachung (§ 339 Abs. 2); die Übertragung des Rechts____streits auf den Einzelrichter (§§ 348 a, 526); die Fristbestimmung für die Beibringung von ____Beweismitteln (§ 356); ein Beweisbeschluss bzw. seine Änderung (§§ 358 a, 360, 450); die ____Anordnungen über die Vorlage von Urkunden (§§ 425, 431, 434); die Entscheidungen ____über einen Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens (§ 490) und die ____Frist für die nachfolgende Klageerhebung (§ 494 a); die Verwerfung der Berufung als un____zulässig oder ihre Zurückweisung bei Erfolglosigkeit (§ 522); die Entscheidung über die ____Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 4); die Verwerfung der Revision bei Unzulässig____keit (§ 552 Abs. 2); die Zurückweisung der Revision im Fall des § 552 a; die Entscheidun____gen im Arrest- bzw. einstweiligen Verfügungsverfahren (§§ 922, 934, 936, 942) und die ____gerichtlichen Entscheidungen im Schiedsverfahren gemäß § 1063 Abs. 1, nicht aber die ____nach § 1063 Abs. 2.105 ____ § 128 Abs. 4 berührt nicht die Regelungen über Arrest und einstweilige Verfügung.106 44 ____Erlässt das Gericht eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz durch Urteil, so gel____ten dieselben Bestimmungen wie bei obligatorischer Mündlichkeit.107 ____ ____ IV. Rechtsmittel gegen Entscheidungen im schriftlichen Verfahren ____ ____ Hinsichtlich der Anfechtbarkeit besteht prinzipiell kein Unterschied, ob eine Ent45 ____scheidung nach mündlicher Verhandlung oder ohne mündliche Verhandlung getroffen ____worden ist. Ergeht eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, ohne dass die Parteien ____zugestimmt haben, kann das Fehlen der Zustimmung mit dem gegebenen Rechtsmittel ____ ____ 104 BGH NJW-RR 2011, 1691. ____105 BayObLG NJW-RR 2000, 807. ____106 Zöller/Greger § 128 Rdn. 18. ____107 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 114.

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____gerügt werden.108 In der Regel wird die Entscheidung aber nicht auf diesem Verfahrens____verstoß beruhen. Insbesondere kann bereits ein Rügeverlust eingetreten sein.109 ____ ____ V. Kosten/Gebühren ____ ____ Hinsichtlich der Gerichtsgebühren bestehen keine Unterschiede zwischen dem 46 ____mündlichen und dem schriftlichen Verfahren. Die Ermäßigung auf 1,0 bei Klagerück____nahme tritt im schriftlichen Verfahren gemäß KV GKG Nr. 1211 Nr. 1 b dann ein, wenn die ____Rücknahme vor dem Zeitpunkt erklärt wird, der dem Schluss der mündlichen Verhand____lung entspricht, also dem Zeitpunkt gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2. Für die Anwaltsgebüh____ren gilt bei einer Entscheidung gemäß § 128 Abs. 2 RVG-VV Nr. 3204 (1,2-Terminsgebühr ____zusätzlich zur Verfahrensgebühr). Eine Terminsgebühr entsteht dagegen nicht bei den ____Entscheidungen nach § 128 Abs. 3, 4, also z.B. bei einer schriftlichen Erledigungserklä____rung und anschließender Kostenentscheidung.110 Das gilt auch dann, wenn ohne Beteili____gung des Gerichts eine Besprechung zwischen den Anwälten über die Beendigung des ____Verfahrens stattfindet.111 ____ ____ ____ § 128 a ____ Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ____ § 128a Gerken ____ (1) Im Einverständnis mit den Parteien kann das Gericht den Parteien sowie ih____ren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag gestatten, sich während einer ____Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen ____vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem ____sich die Parteien, Bevollmächtigten und Beistände aufhalten, und in das Sitzungs____zimmer übertragen. ____ (2) Im Einverständnis mit den Parteien kann das Gericht gestatten, dass sich ____ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während der Vernehmung an ei____nem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an den ____Ort, an dem sich ein Zeuge oder Sachverständiger während der Verhandlung auf____halten, und in das Sitzungszimmer übertragen. Ist Parteien, Bevollmächtigten und ____Beiständen nach Absatz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhal____ten, so wird die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton auch an diesen Ort über____tragen. ____ (3) Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. Entscheidungen nach den Ab____sätzen 1 und 2 sind nicht anfechtbar. ____ ____ § 128 a eingefügt durch das Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG vom 27.7.2001, BGBl. I ____1887. ____ ____ ____ ____ ____ ____108 Stein/Jonas/Leipold § 128 Rdn. 82. ____109 Beispiel in BGH NJW 2007, 2122 = MDR 2007, 969. 110 BGH MDR 2007, 1454 m.w.N.; OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, 503; KG Rpfleger 2008, 100. ____111 BGH NJW 2007, 1461 = BGHReport 2007, 369; BGH BGHReport 2007, 369 (jeweils zu RVG-VV ____Nr. 3516); zur Entscheidung über die Berufung im schriftlichen Verfahren gemäß § 522 Abs. 2 s. BGH NJW ____2007, 2644 = MDR 2007, 1103; a.A. Fölsch MDR 2008, 1.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ Schrifttum ____ Bochert Einsatz von Videokonferenzsystemen im Gerichtsverfahren CR 2002, 854 ff.; Haft Mündlich, ____schriftlich, digital in Dimensionen des Rechts FS Simotta S. 197 ff.; Heckel Die Videokonferenz im Verwal____tungsprozeß. Rechtsprobleme bei der mündlichen Verhandlung mittels Videokonferenz VBlBW 2001, 1; ____Kodek Der Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik ZZP 111 (2002) 495 ff.; Schaumburg ____Mündliche Verhandlungen per Videokonferenz. Erste Erfahrungen mit Videoverhandlungen beim Finanz____gericht Köln ZRP 2002, 313 ff.; Schultzky Videokonferenzen im Zivilprozess NJW 2003, 313 ff.; Stadler Der ____Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik ZZP 111 (2002) 413 ff. ____ ____ Übersicht ____ 1 V. Unanfechtbarkeit der Entscheidungen ____I. Regelungszweck II. Verhandlung im Wege der Videokonferenz (Abs. 3 Satz 2) ____ 17 ____ VI. Grenzüberschreitende Video(Abs. 1 Satz 1) ____ 4 ____ III. Beweisaufnahme im Wege der Videokonfekonferenz ____ 18 ____ renz (Abs. 2) ____ 10 VII. Kosten/Gebühren ____ 20 ____IV. Keine Aufzeichnung der Übertragung ____ (Abs. 3 Satz 1) ____ 16 ____ ____ I. Regelungszweck ____ ____ Gemäß § 128 Abs. 1 verhandeln die Parteien vor dem erkennenden Gericht, und zwar 1 ____an der Gerichtsstelle (§ 219). Von dieser Anwesenheitspflicht am Gerichtsort macht § 128 a ____Abs. 11 eine Ausnahme. Er ermöglicht aus Gründen der Prozessökonomie die Verhand____lung im Wege der Bild- und Tonübertragung. Das Gericht kann den Prozessbeteiligten – ____den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen – gestatten, sich während einer ____Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und von dort aus Prozesshandlungen ____vorzunehmen bzw. Erklärungen abzugeben. Im Gegensatz zu § 128 Abs. 2 handelt es sich ____hierbei nicht um eine Durchbrechung des Mündlichkeitsprinzips, sondern lediglich um ____eine Erleichterung für die mündliche Verhandlung. Eine dritte Verfahrensart neben der ____mündlichen Verhandlung und dem schriftlichen Verfahren wird hiermit also nicht ge____schaffen. Die Nachteile dieser Verfahrensweise – eingeschränkter unmittelbarer Ein____druck, Beeinträchtigung der Verhandlung durch die Nutzung der Technik – werden vom ____Gesetzgeber in Anbetracht der Erleichterungen, die für die Parteien und ihre Bevoll____mächtigten entstehen, in Kauf genommen. Die Kritik an der Vorschrift, sie habe wegen ____der Besonderheiten der Rechtsprechung wenig Sinn,2 ist unberechtigt. Der Nutzen der ____Regelung wird sich in der Zukunft erweisen, wenn die technischen Voraussetzungen bei ____allen Beteiligten vorhanden sind. Dies bestätigen auch erste Erfahrungen in anderen ____Gerichtszweigen.3 ____ § 128 a Abs. 2 gestattet die Videokonferenz neben der Verhandlung auch für einzelne 2 ____Beweiserhebungen. Die Vorschrift gehört daher systematisch nicht in das 1. Buch, son____dern in das 2. Buch Abschnitt 1 Titel 5 (§§ 355 ff.). Sie erlaubt eine Ausnahme vom Grund____satz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Insoweit korrespondiert sie mit §§ 361, ____362, 375 (Vernehmung von Zeugen durch den beauftragten oder den ersuchten Richter) ____und § 377 Abs. 3 (schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch den Zeugen). Die ____dort genannten Voraussetzungen müssen daher in die Ermessensentscheidung des Ge____richts einfließen, ob es in Anbetracht des Beweisthemas und der zu vernehmenden Be____ ____ 1 Eingefügt durch das ZPO-RG auf Vorschlag des Rechtsausschusses; Begründung s. BT-Drucks. 14/6036, ____S, 116, 119. ____2 Zimmermann § 128 Rdn. 1. ____3 S. Schaumburg ZRP 2002, 313 ff. und Schultzky NJW 2003, 313 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 128a

___weisperson ausreichend ist, dass die Aussage nicht am Gerichtsort gemacht wird. Aller___dings ist zu berücksichtigen, dass dem Gericht bei der Videokonferenz weitergehende ___Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen, als bei der Vernehmung durch einen an___deren Richter oder gar bei einer schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage. ___ Auf andere Beweismittel kann § 128 a Abs. 2 nicht entsprechend angewendet werden. ___Für den Urkundsbeweis gilt § 420. Der Augenschein kann zwar auch dadurch geschehen, ___dass der Eindruck vom Augenscheinsobjekt durch eine Bild- und Tonübertragung über___mittelt wird. Dies richtet sich aber allein nach §§ 371 ff.4 ___ ___ II. Verhandlung im Wege der Videokonferenz (Abs. 1 Satz 1) ___ ___ § 128 a Abs. 1 gilt für die mündliche Verhandlung einschließlich der Güteverhand___lung (§§ 279, 278 Abs. 2). Voraussetzung ist, dass beide Parteien mit der Videokonferenz ___einverstanden sind. Ferner muss ihre Durchführung von mindestens einer Partei oder ___dem Streithelfer ausdrücklich beantragt werden.5 Das Gericht kann sie also nicht von ___Amts wegen anordnen. Die Gestattung liegt im freien Ermessen des Gerichts.6 Die Ent___scheidung kann im schriftlichen Verfahren getroffen werden. Zuständig ist das Kollegi___um. Sie wirkt nur für den genannten Termin, nicht aber für Folgetermine. Ein Anspruch ___auf Wahl dieser Verfahrensweise besteht nicht. Demgemäß besteht auch keine Verpflich___tung für die Justizverwaltung, die technischen Voraussetzungen für die Videokonferenz ___zu schaffen. ___ Die Partei, die von einem anderen Ort aus verhandeln will, ist an diesen Ort zu la___den. Erscheint sie nicht, treten die allgemeinen Rechtsfolgen ein. Es kann also Versäum___nisurteil ergehen. Hat das Gericht das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet ___(§§ 141, 273 Abs. 2 Nr. 3), kann gegen sie wie sonst auch ein Ordnungsgeld verhängt wer___den (§ 141 Abs. 3). ___ Zur Durchführung muss gemäß § 128 a Abs. 1 Satz 2 die Verhandlung zeitgleich in ___Bild und Ton in das Sitzungszimmer und in den Raum, in dem sich die Parteien sowie ___ihre Bevollmächtigten und Beistände befinden, übertragen werden. Eine Telefonkonfe___renz ist nicht gestattet. Nur wenn gewährleistet ist, dass alle Beteiligten den Vorgang ___zeitgleich miterleben, ist die Gestattung, sich während der Verhandlung an einem ande___ren Ort aufzuhalten, zulässig. Das Geschehen aus beiden Räumen muss vollständig ___übermittelt werden. Der Bildausschnitt darf sich nicht auf einzelne Beteiligte – etwa den ___Vorsitzenden – beschränken. Ist die Gegenpartei am Gerichtsort anwesend, muss sie ___vom Bild erfasst werden. Die Parteien müssen sich bei Antragstellung dazu erklären, ___dass die technischen Einrichtungen bei ihnen vorhanden sind. Stellt sich heraus, dass ___die Übertragung unzureichend ist (mangelnde Bild- oder Tonqualität, ungenügender ___Bildausschnitt), ist die Verhandlung abzubrechen. In diesem Fall muss sie am Gerichts___ort wiederholt werden. ___ Bei dem Ort, von dem aus die Partei verhandelt, muss es sich nicht um einen Ge___richtsraum handeln. § 128 a Abs. 1 ordnet dies nicht an. Die Zuschaltung kann daher ___auch von einer Anwaltskanzlei, einem Unternehmen oder angemieteten Konferenzraum ___aus erfolgen.7 Der Raum muss sich allerdings im Inland befinden, da andernfalls eine ___hoheitliche Handlung auf fremden Territorium vorgenommen würde (zur grenzüber___ ___ ___4 Einzelheiten Schultzky NJW 2003, 313. 5 Vgl. Stein/Jonas/Leipold § 128 a Rdn. 7 f. ___6 Thomas/Putzo Rdn. 2. ___7 Schultzky NJW 2003, 313, 314 der auf die Möglichkeit der Anmietung eines Konferenzraums bei der ___Deutschen Telekom AG hinweist.

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____schreitenden Videokonferenz s. unten Rdn. 18). Die Anwesenheit eines Justizbedienste____ten am Übertragungsort zur Überwachung des Vorgangs ist nicht erforderlich.8 Dies ____würde die Handhabung der Vorschrift unnötig einengen. Sitzungspolizeiliche Maßnah____men können auch vom Gerichtsort aus angeordnet werden. Greifen sie nicht, muss die ____Videokonferenz ggf. abgebrochen werden. ____ Das Gebot der Öffentlichkeit (§ 169 GVG) gilt nur für die Verhandlung am Gerichtsort 8 ____und nicht für den Ort, an dem sich die Partei befindet.9 Am Gerichtsort muss gewährleis____tet sein, dass die Übertragung der Öffentlichkeit in Bild und Ton zugänglich ist.10 Hierzu ____wird in der Regel ein zweiter Monitor erforderlich sein. ____ 9 Den Parteien bleibt es auch nach der Gestattung unbenommen, am Gerichtsort zur ____mündlichen Verhandlung zu erscheinen. ____ ____ III. Beweisaufnahme im Wege der Videokonferenz (Abs. 2) ____ ____ Nach § 128 a Abs. 2 Satz 1 kann das Gericht im Einverständnis mit den Parteien auch 10 ____Zeugen und Sachverständigen gestatten, sich während der Vernehmung an einem ande____ren Ort aufzuhalten. Ein Antrag ist hierzu ist – anders als in Absatz 1 – nicht erforderlich. ____Die Parteivernehmung ist bei entsprechendem Einverständnis des Gegners ebenfalls auf ____diesem Weg möglich. Die Beweisperson, deren Aussage übertragen wird, muss sich nicht ____in einem Gerichtsraum aufhalten.11 Eine dahingehende Einschränkung sieht das Gesetz ____nicht vor. In Betracht kommen wird diese Verfahrensweise vor allem bei der Anhörung ____von Sachverständigen. Bei diesen wird am ehesten zu erwarten sein, dass sie die techni____schen Voraussetzungen für die Videokonferenz schaffen können. Bei der Vernehmung ____von Zeugen oder der Parteien wird ggf. das Wohnsitzgericht um Amtshilfe zu ersuchen ____sein, die nötigen technischen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Auch für die Ver____nehmung nach § 128 a Abs. 2 gilt, dass sie zeitgleich in das Sitzungszimmer zu übertra____gen ist. ____ 11 Ein Einverständnis der Beweisperson ist für die Videokonferenz nicht nötig.12 Er____scheint sie nicht zum Ladungsort, können wie sonst Ordnungsmittel verhängt werden.13 ____Allerdings ist ihr Nichterscheinen als entschuldigt anzusehen, wenn sie berechtigte Vor____behalte gegen den vorgesehenen Vernehmungsort (Privatraum, Anwaltsbüro) erhoben ____hat. Verweigert sie die Aussage im Hinblick auf die technische Übertragung, ist sie zum ____Gerichtsort zu laden. Erscheint die Beweisperson entgegen der Ladung direkt am Ge____richtsort, ist sie auch dort zu vernehmen. Kosten für die Anreise werden in diesem Fall ____nicht erstattet, weil sie nicht notwendig waren.14 ____ Für die technische Durchführung der Beweisaufnahme gilt dasselbe wie bei der 12 ____mündlichen Verhandlung. Die Übertragung muss allen Beteiligten ein vollständiges Bild ____vom jeweils anderen Verhandlungsraum und den dort anwesenden Personen verschaf____fen (Rdn. 6). Der Rechtsansicht, die Beweisperson müsse kein Bild des Gerichts oder der ____Parteien zu sehen bekommen, für sie reiche die telefonische Befragung,15 kann nicht ge____ ____ ____8 A.A. Zöller/Greger Rdn. 4. 9 Zöller/Greger a.a.O. ____10 A.A. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 79 Rdn. 53 und Schultzky NJW 2003, 313, 315 (Zugang zum Bild ____nicht erforderlich). ____11 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 23; a.A. Zöller/Greger Rdn. 4. ____12 In der Gesetzesbegründung wird nur die Zustimmung der Parteien angesprochen – BT-Drucks. 14/ 6040 S. 120. ____13 A.A. Stein/Jonas/Leipold Rdn. 27. ____14 Vgl. OLG Koblenz NJW 1967, 1866; ebenso Zöller/Greger Rdn. 3. ____15 Schultzky NJW 2003, 313, 315.

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___folgt werden. Es ist ein Gebot eines fairen und offenen Verfahrens, dass allen Beteiligten ___gleiche Kommunikationsmöglichkeiten geboten werden. Hierzu gehört auch der visuelle ___Eindruck vom Gericht bzw. dem fragenden Anwalt oder der Partei.16 ___ Die Anordnung der Vernehmung einer Beweisperson im Wege der Videokonferenz ___setzt voraus, dass ihre Aussage auch ohne den unmittelbaren Eindruck sachgemäß ge___würdigt werden kann. Die Beurteilung steht in freiem Ermessen des Gerichts. Ergeben ___sich bei der Durchführung Bedenken, ist die Vernehmung abzubrechen und am Gerichts___ort zu wiederholen. ___ Die Parteien können ihr Einverständnis mit einer Vernehmung im Wege der Video___konferenz bei einer wesentlichen Änderung der Verfahrenslage widerrufen. § 128 a Abs. 2 ___enthält zwar keinen entsprechenden Vorbehalt. Die Möglichkeit zum Widerruf lässt sich ___aber aus einer entsprechenden Anwendung von § 128 Abs. 2 ableiten. Zudem handelt es ___sich dabei um ein Gebot des fairen Verfahrens. Der Gebrauch dieser Verfahrenserleichte___rung erfordert ein kooperatives Zusammenwirken aller Beteiligten. Tauchen bei einer ___Partei nachträglich berechtigte Bedenken auf, dass die Videokonferenz eine ausreichen___de Beurteilungsgrundlage für das zu klärende Beweisthema schafft, muss die Sache ab___gebrochen und die Beweisaufnahme am Gerichtsort durchgeführt werden.17 ___ Die Videokonferenz kann theoretisch auch von mehr als zwei Orten aus geführt ___werden. Befinden sich die Parteien oder ihre Bevollmächtigten weder am Gerichtsort ___noch am Ort der Vernehmung, sind daher nach § 128 a Abs. 2 Satz 2 Bild und Ton ___zugleich an den Ort zu übertragen, an dem sich die Parteien aufhalten. Der hierzu erfor___derliche technische Aufwand ist allerdings erheblich und dürfte in der Regel Veranlas___sung geben, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen. ___ ___ IV. Keine Aufzeichnung der Übertragung (Abs. 3 Satz 1) ___ ___ Die Videokonferenz ist Teil der mündlichen Verhandlung. Hierüber ist ein Protokoll ___zu errichten (§§ 159 ff.). § 128 a Abs. 3 Satz 1 stellt klar, dass die Übertragung nicht aufzu___zeichnen ist. Hierbei handelt es sich nicht um eine Sonderregelung, sondern nur um eine ___Klarstellung, dass die allgemeinen Regelungen (keine Bild- und Tonaufzeichnung von ___der Verhandlung und Beweisaufnahme mit Ausnahme des Protokolls – § 160 a) auch für ___die Videokonferenz gelten – und zwar trotz der Tatsache, dass die Aufzeichnung in An___betracht der ohnehin vorhandenen technischen Voraussetzungen problemlos möglich ___wäre. Wegen des Verbots der Bildaufzeichnung ist es auch nicht gestattet, zum Zwecke ___der Erleichterung statt eines Diktats für das Protokoll einen Mitschnitt von der Videokon___ferenz zu machen. ___ ___ V. Unanfechtbarkeit der Entscheidungen (Abs. 3 Satz 2) ___ ___ Gemäß § 128 a Abs. 3 Satz 2 sind die Entscheidungen nach den Abs. 1 und 2 nicht an___fechtbar. Dies hat zur Folge, dass die Ermessensentscheidung des Gerichts zur Anord___nung der Videokonferenz später bei einer Anfechtung des Urteils nicht mit einem ___Rechtsmittel angegriffen werden kann (§§ 512, 557 Abs. 2).18 Das Rechtsmittelgericht kann ___die Entscheidung nicht mit der Begründung aufheben, das angefochtene Urteil leide an ___einem Verfahrensmangel, weil gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisauf___ ___ 16 Ebenso Stadler ZZP 2002, 413, 439. ___17 A.A. Bachmann ZZP 2005, 133 ff. – danach soll die Videokonferenz im Einzelfall auch gegen den ___Willen des Beweisgegners angeordnet und durchgeführt werden können. ___18 A.A. Stein/Jonas/Leipold Rdn. 36.

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____nahme verstoßen worden sei. Eine entsprechende Rechtsmittelrüge ist den Parteien ____nicht möglich, weil die Vernehmung im Wege der Videokonferenz nur mit ihrem Einver____ständnis geschehen kann (§ 295). Es begründet einen Verzicht auf die Verfahrensrüge. ____Kommt es zu technischen Schwierigkeiten bei der Übertragung oder wird entgegen § 128 a ____Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 kein vollständiges Bild übertragen, begründet dies einen Ver____fahrensfehler, auf den ein Rechtsmittel gegen das Urteil gestützt werden kann. ____ ____ VI. Grenzüberschreitende Videokonferenz ____ ____ 18 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Wege der Videokonferenz ____(§ 128 a Abs. 1), bei der sich eine der Parteien im Ausland befindet, ist mangels einer zwi____schenstaatlichen Regelung bislang nicht gestattet. Die Verhandlung stellt eine hoheitli____che Tätigkeit dar, auch wenn sich das Gericht im Inland befindet. Sie ist unzulässig, weil ____sie sich unmittelbar im Ausland auswirkt.19 Möglich ist aber die Durchführung einer Be____weisaufnahme auf diesem Weg. Grundlage ist für das Gebiet der Europäischen Union die ____Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 200120 in Verbindung mit §§ 1072 ff. ____Hiernach findet ein unmittelbarer Geschäftsverkehr zwischen dem – nationalen – ersu____chenden und dem ersuchten Gericht statt. Das ersuchende Gericht kann das ersuchte ____Gericht bitten, die Beweisaufnahme unter Verwendung von Kommunikationstechnolo____gien, insbesondere im Wege der Videokonferenz durchzuführen (Art. 10 Abs. 4 Beweis____aufnahmeVO). Erforderlich ist allerdings, dass das nationale Recht diese Form der Be____weiserhebung gestattet (Art. 10 Abs. 2 BeweisaufnahmeVO). Die Entscheidung darüber, ____ob die Beweisaufnahme durch Videokonferenz durchzuführen ist, obliegt dem ersuchten ____Gericht. Es hat die Verfahrensherrschaft über die Beweisaufnahme. Direkte Fragen des ____ersuchenden Richters an die Beweisperson sind daher nur gestattet, wenn sie vom er____suchten Gericht zugelassen werden. Daneben bietet Art. 17 BeweisaufnahmeVO die Mög____lichkeit einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht. In diesem ____Fall ist nach Art. 17 Abs. 1 BeweisaufnahmeVO ein Ersuchen an die gemäß Art. 3 Abs. 3 ____BeweisaufnahmeVO zu bestimmende Zentralstelle zu richten. Diese entscheidet über die ____Zulässigkeit. Artikel 17 Abs. 4 BeweisaufnahmeVO sieht hierzu ausdrücklich vor, dass ____die Zentralstelle die Durchführung der Beweisaufnahme durch Videokonferenz fördern ____soll. Erforderlich ist für die unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht, ____dass alle Beteiligen – also auch die Beweisperson – hiermit einverstanden sind. Zwangs____maßnahmen sind nicht möglich (Art. 17 Abs. 2 BeweisaufnahmeVO). ____ Außerhalb der Europäischen Union ist das Haager Beweisaufnahmeübereinkommen 19 ____vom 18.3.197021 anzuwenden. Artikel 9 Abs. 2 des Übereinkommens bestimmt allgemein, ____dass dem Antrag der ersuchenden Behörde, nach einer besonderen Form (bei der Be____weisaufnahme) zu verfahren, entsprochen werden soll, es sei denn, diese ist mit dem ____Recht des ersuchten Staats unvereinbar oder sie ist nach der gerichtlichen Übung im ____ersuchten Staat oder wegen tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich. Zu dieser „beson____deren Form“ gehört in Anbetracht der heutigen technischen Möglichkeiten auch die Vi____deokonferenz. ____ ____ ____ ____ ____ ____19 Bertele Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, S. 81. ____20 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 27.6.2001, Nr. L 174, S. 1 ff. ____21 BGBl. II 1977, 1472 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

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___ VII. Kosten/Gebühren ___ ___ Besondere Gerichtsgebühren entstehen nicht. Auslagen für die Herstellung der Ver- 20 ___bindung werden nicht erhoben. Für den Rechtsanwalt entsteht die Terminsgebühr, weil ___die Videokonferenz Teil der mündlichen Verhandlung ist. Bei ihm anfallende Verbin___dungsgebühren sind Auslagen gemäß KV RVG Nr. 7001, 7002. ___ ___ ___ § 129 ___ Vorbereitende Schriftsätze ___ § 129 Gerken ___ (1) In Anwaltsprozessen wird die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze ___vorbereitet. ___ (2) In anderen Prozessen kann den Parteien durch richterliche Anordnung auf___gegeben werden, die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze oder zu Protokoll ___der Geschäftsstelle abzugebende Erklärungen vorzubereiten. ___ ___ § 129 Abs. 2 neu gefasst durch Vereinfachungsnovelle v. 31.2.1976 (BGBl. I, 3281). ___ ___ Schrifttum ___ Homann Die Übermittlung von Schriftstücken in der Zivil-, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, ___1977; Michel Der Schriftsatz des Anwalts im Zivilprozeß, 1991; Vollkommer Formenstrenge und prozessuale ___Billigkeit, 1973. ___ ___ Übersicht ___I. Allgemeines ____ 1 IV. Schriftsätze im Parteiprozess ___II. Vorbereitende Schriftsätze ____ 3 (§ 129 Abs. 2) ____ 13 ____ 9 V. Schriftsätze im schriftlichen Verfahren ____ 16 ___III. Bestimmende Schriftsätze ___ ___ I. Allgemeines ___ ___ Parteivortrag wird – mit Ausnahme des Sonderfalls des schriftlichen Verfahrens – 1 ___erst dadurch Gegenstand des Verfahrens, dass er in der mündlichen Verhandlung vorge___tragen wird. Zur Erleichterung des Vorgangs und zur Information von Gericht und Geg___ner wird die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet. In der Verhandlung ___selbst können die Parteien gemäß § 137 Abs. 3 auf die vorab gewechselten Schriftsätze ___nebst den Anlagen („Dokumente“) Bezug nehmen. Dadurch wird die mündliche Wieder___holung des Vortrags erspart und die Erörterung auf das Wesentliche konzentriert. ___ Zu unterscheiden ist zwischen bestimmenden und lediglich vorbereitenden Schrift- 2 ___sätzen. Mit den vorbereitenden Schriftsätzen wird angekündigt, was in der mündlichen ___Verhandlung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorgetragen werden soll und wel___che Beweismittel benannt werden. Bestimmende Schriftsätze haben darüber hinaus ___unmittelbare prozessuale Wirkungen, auch wenn sie inhaltlich teils demselben Zweck ___dienen wie vorbereitende Schriftsätze. Einzelne Verfahrenshandlungen können nur ___schriftsätzlich vorgenommen werden. Dies geschieht durch einen bestimmenden Schrift___satz. Die hiermit jeweils verbundenen Rechtswirkungen treten unmittelbar und nicht erst ___in der mündlichen Verhandlung ein, und zwar – je nach Art der Prozesshandlung – ent___weder mit der Einreichung bei Gericht oder mit der Zustellung an den Gegner. Daher gel___ten für bestimmende Schriftsätze teilweise strengere Formvorschriften. ___ 25

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§ 129

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ II. Vorbereitende Schriftsätze ____ ____ § 129 betrifft nur vorbereitende Schriftsätze. Für den Anwaltsprozess (§ 78) ordnet 3 ____§ 129 Abs. 1 zwingend an, dass der mündliche Vortrag in der Verhandlung durch Schrift____sätze anzukündigen ist. § 129 Abs. 2 gestattet für den Parteiprozess eine andere Verfah____rensweise. Hiernach gilt der Zwang zur schriftlichen Vorbereitung nur bei richterlicher ____Anordnung. In der Praxis besteht zwischen beiden Prozessarten kein Unterschied. Auch ____im Parteiprozess wird die mündliche Verhandlung allgemein durch Schriftsätze vorbe____reitet. ____ 4 Um die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung möglichst effektiv zu gestalten, ____stellt das Gesetz besondere inhaltliche Anforderungen an die Schriftsätze. Daneben hat ____das Gericht weitreichende Befugnisse, Anordnungen und Auflagen zum schriftsätzli____chen Vortrag zu treffen. Ferner bestimmt das Gesetz, innerhalb welcher Fristen die ____vorbereitenden Schriftsätze einzureichen sind. ____ Die inhaltlichen Anforderungen für die vorbereitenden Schriftsätze ergeben sich aus 5 ____§§ 130, 277 Abs. 1. §§ 131, 133 bestimmen ergänzend, welche Anlagen den Schriftsätzen ____beizufügen sind. Gemäß §§ 142, 143, 273 Abs. 2 Nr. 1 kann das Gericht darüber hinaus ____Auflagen zur Ergänzung des schriftsätzlichen Vortrags erteilen. Für die einzuhaltenden ____Fristen gelten zunächst §§ 132, 274 Abs. 3 Satz 1, 277 Abs. 3 und 4, 282 Abs. 2 und 3 Satz 2, ____523 Abs. 2, 553 Abs. 2. Hinzu treten die richterlichen Fristen (§§ 139 Abs. 5, 273 Abs. 2 ____Nr. 1, 274 Abs. 3 Satz 2, 275, 276 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, 277 Abs. 3, 283, 521 Abs. 2, 571 ____Abs. 3 Satz 1). Bei Versäumung dieser Fristen können die Verspätungsfolgen eintreten ____(§§ 296, 530) bzw. das Vorbringen findet unabhängig von einer Verzögerung keine Be____achtung mehr (§ 296 a). Ferner kann bei nicht fristgerechtem Vorbringen unter Umstän____den kein Versäumnisurteil ergehen (§ 335 Abs. 1 Nr. 3). ____ Die vorbereitenden Schriftsätze dienen in erster Linie dazu, dass sich das Gericht 6 ____und die gegnerische Partei auf den Termin vorbereiten können. Das Verfahren ist gemäß ____§ 272 Abs. 1 in der Regel in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Ver____handlung zu erledigen. Dies gelingt nur, wenn sich die Parteien vorab vollständig schrift____sätzlich erklären, die dazu erforderlichen Unterlagen vorlegen und ihre Beweismittel ____benennen. Dem entspricht es, dass das Gericht Auflagen zur Ergänzung oder Klarstel____lung des Vortrags machen kann. In zweiter Linie erleichtern die vorbereitenden Schrift____sätze die Durchführung der mündlichen Verhandlung. Gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 ist es ____den Parteien gestattet, bei ihrem mündlichen Vortrag auf die Schriftsätze Bezug zu neh____men. Diese Bezugnahme liegt grundsätzlich in der vorbehaltlosen Antragstellung. Wird ____– was der Regelfall ist – unmittelbar im Anschluss an die Antragstellung streitig verhan____delt, wird mit der Antragstellung der gesamte Akteninhalt zum Gegenstand des mündli____chen Vorbringens.1 Ferner können aus den vorbereitenden Schriftsätzen die Anträge ____verlesen werden (§ 297 Abs. 1 Satz 1) oder es findet auch insoweit eine Bezugnahme statt, ____die die Verlesung gemäß § 297 Abs. 2 ersetzt. ____ Prozessuale Wirkungen entfaltet der Vortrag in den vorbereitenden Schriftsätzen 7 ____erst dann, wenn er durch die Bezugnahme in der mündlichen Verhandlung in den ____Rechtstreit eingeführt wird. Demgemäß ist Vortrag, der nach Schluss der mündlichen ____Verhandlung beigebracht wird, nicht mehr zu berücksichtigen (§ 296 a). Eine Ausnahme ____gilt nur dann, wenn das Gericht gemäß §§ 139 Abs. 5, 283 eine ergänzende Erklärung ge____stattet. Anders ist es, soweit ein vorbereitender Schriftsatz gleichzeitig Erklärungen ent____hält, die materiell-rechtliche Wirkungen erzeugen (z.B. Aufrechnung, Kündigung, Aner____ ____ ____1 BGH NJW 1999, 2120, 2123.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 129

____kenntnis, Vergleichsangebot). Insoweit gelten allein die materiell-rechtlichen Vorschrif____ten (§§ 130 ff. BGB). Im Einzelfall kann es zweifelhaft sein, ob mit dem Schriftsatz die Wil____lenserklärung bereits abgeben oder lediglich die Abgabe für die mündliche Verhandlung ____angekündigt werden soll. Dies ist ggf. durch Auslegung zu klären. Soweit die Willenser____klärung vom Prozessbevollmächtigten abgegeben worden ist, muss ferner die erforderli____che Vollmacht erteilt bzw. im Fall des § 174 BGB nachgewiesen sein. ____ Die Verpflichtung zur schriftsätzlichen Vorbereitung gemäß § 129 Abs. 1 führt nicht ____dazu, dass die Parteien im Termin mit weiterem Vortrag ausgeschlossen sind. Es ist ih____nen ohne weiteres gestattet, ergänzend mündlich vorzutragen. Geschieht dies, ist der ____Vortrag im Protokoll festzuhalten oder im Urteil als tatbestandliche Feststellung aufzu____nehmen. Allerdings sind insoweit Grenzen gesetzt. Es kann dabei nur um Ergänzungen ____oder Erläuterungen gehen. Bei weitergehendem Vortrag kann das Gericht die Partei da____rauf verweisen, diesen schriftsätzlich anzubringen. Ferner muss – jedenfalls im Anwalts____prozess – die Partei damit rechnen, dass sie mit ihrem neuem Vortrag im Termin wegen ____Verspätung ausgeschlossen wird (§ 296). Ferner kann auf der Grundlage des neuen Vor____trags kein Versäumnisurteil ergehen (§ 335 Abs. 1 Nr. 3). ____ ____ III. Bestimmende Schriftsätze ____ ____ Der Begriff des bestimmenden Schriftsatzes ist im Gesetz nicht geregelt. Er wird als ____gegeben vorausgesetzt.2 Durch einen bestimmenden Schriftsatz wird eine für das Verfah____ren wesentliche Prozesshandlung vollzogen.3 Seine Einreichung bei Gericht oder seine ____Zustellung an den Gegner lösen besondere verfahrensrechtliche Folgen aus. Die Wirkun____gen treten damit außerhalb der mündlichen Verhandlung ein. ____ Bestimmende Schriftsätze sind u.a. die verfahrenseinleitenden Schriftsätze (z.B. Kla____geschrift – § 253; Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens – § 485; ____Rechtsmitteleinlegung – §§ 519, 549, 569 Abs. 2, 575 Abs. 1; Nichtigkeits- und Restitu____tionsklage – § 578; Arrestgesuch bzw. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – ____§§ 920, 935), der Beitritt des Nebenintervenienten – § 70, die Streitverkündung – § 73,4 ____der Wiedereinsetzungsantrag – § 236, die Aufnahme eines unterbrochenen oder ausge____setzten Verfahrens – § 250, die Erweiterung der Klage- § 261 Abs. 2, die Klagänderung – ____§ 263, die Klagerücknahme – § 269 Abs. 2 Satz 2, Berichtigungs- und Ergänzungsanträge ____für das Urteil – §§ 320, 321, die Gehörsrüge – § 321 a, der Einspruch gegen ein Versäum____nisurteil – § 340,5 die zur Zulässigkeit des jeweiligen Rechtsmittels erforderlichen Be____gründungen – §§ 520 Abs. 3, 551 Abs. 1, 575, der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Be____gründung der Berufung6 bzw. Revision, die Rücknahme eines Rechtsmittels – §§ 516, 565, ____die Anschlussberufung und Anschlussrevision – §§ 524 Abs. 1 Satz 2, 554 Abs. 1 Satz 2, ____die Anspruchsbegründung nach vorausgegangenem Mahnbescheid – § 697 Abs. 2. ____ Die formalen Anforderungen an bestimmende Schriftsätze sind größer als die ____an nur vorbereitende Schriftsätze. Nach herrschender Meinung7 müssen bestimmende ____Schriftsätze grundsätzlich eigenhändig unterzeichnet sein, um als solche wirksam zu sein ____(Einzelheiten § 130 Rdn. 19 ff.). Fehlt bei einem bestimmenden Schriftsatz die Unterschrift, ____ ____2 Hahn Die gesamten Materialien zur ZPO vom 30. Januar 1877 Bd. I S. 126. ____3 RGZ 82, 83. ____4 BGHZ 92, 253. ____5 BGHZ 101, 134 = NJW 1987, 2588. 6 RGZ 160, 307, 308; BGHZ 93, 300, 303 = BGH NJW 1985, 1558, 1559; s.a. § 520 Rdn. 33. ____7 Stein/Jonas/Leipold § 129 Rdn. 8, § 130 Rdn. 14 ff.; MünchKomm/Peters § 129 Rdn. 9; Zöller/Greger § 129 ____Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 129 Rdn. 9; Musielak/Stadler § 129 Rdn. 8; Thomas/ ____Putzo/Reichold § 129 Rdn. 6.

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§ 129

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ist er als Prozesshandlung unwirksam, so dass unmittelbare Rechtswirkungen hierdurch ____nicht eintreten können. Dessen ungeachtet kann er aber noch als vorbereitender Schrift____satz verwendet werden. Wenn etwa eine Berufungsbegründung versehentlich ohne ____Unterschrift zur Akte gereicht worden ist, aber die Frist durch eine nachgereichte Kurzfas____sung noch gewahrt werden konnte, kann die nicht unterschriebene Berufungsbegrün____dung immerhin noch als vorbereitender Schriftsatz wirken, wenn ihr Inhalt in der mündli____chen Verhandlung vorgetragen oder auf sie Bezug genommen wird. Nur vorbereitende ____Schriftsätze hingegen sollen gemäß § 130 Nr. 6 unterschrieben sein. Die inhaltlichen An____forderungen an die bestimmenden Schriftsätze sind jeweils in den einzelnen Bestim____mungen geregelt (z.B. §§ 70, 253 Abs. 2, 340 Abs. 2, 519 Abs. 2, 520 Abs. 3, 524 Abs. 3, 549 ____Abs. 1 Satz 2, 551 Abs. 3, 554 Abs. 3 Satz 2, 575 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, 585, 587). Werden sie ____nicht eingehalten, kann dies im Einzelfall zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung führen ____(z.B. §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 Satz 2, 549 Abs. 1 Satz 2, 551 Abs. 3, 575 Abs. 1 Satz 2). ____ Je nach Prozesssituation enthalten bestimmende Schriftsätze auch vorbereitende 12 ____Elemente. Das Gesetz verweist insoweit jeweils auf die Vorschriften über die vorberei____tenden Schriftsätze – §§ 130, 131, 133 (z.B. §§ 253 Abs. 4, 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 549 Abs. 4, ____575 Abs. 4). Da es sich hierbei um Sollvorschriften handelt, löst die Nichtbeachtung kei____ne negativen Rechtsfolgen für den bestimmenden Teil des Schriftsatzes aus. Entspricht ____z.B. die Klageschrift den Anforderungen von § 253 Abs. 2 und ist sie unterschrieben, sind ____damit die Formalien für eine Klage gewahrt. Sie ist daher als Prozesshandlung wirksam. ____Unschädlich bleibt, wenn z.B. keine Beweismittel benannt (§ 130 Nr. 5) oder Urkunden, ____auf die in der Klage Bezug genommen wird, nicht beigefügt sind (§ 131). ____ ____ IV. Schriftsätze im Parteiprozess (§ 129 Abs. 2) ____ ____ § 129 Abs. 2 betrifft die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung „in anderen Pro13 ____zessen“, nämlich als in den in § 129 Abs. 1 behandelten Anwaltsprozessen. Dies sind die ____sogenannten Parteiprozesse, in denen gemäß § 79 die Parteien den Rechtsstreit selbst ____oder durch jede prozessfähige Person als Bevollmächtigte führen können. Ein Parteipro____zess wird nicht dadurch zum Anwaltsprozess, dass eine Partei – oder beide – einen An____walt beauftragen.8 ____ Im Parteiprozess kann das Gericht den Parteien – und zwar auch der anwaltlich ver14 ____tretenen – aufgeben, die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze oder durch Erklä____rungen zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 129 a) vorzubereiten. Üblich ist eine solche ____allgemeine Auflage allerdings nicht. Denn es entspricht auch im Parteiprozess gängiger ____Praxis, unabhängig von einer solchen Auflage vor der Verhandlung Schriftsätze auszu____tauschen. Die Auflage zum schriftsätzlichen Vortrag kann allgemein oder konkret erfol____gen. In der Anordnung des schriftsätzlichen Vorverfahrens gemäß §§ 272 Abs. 2, 276 ____Abs. 1 liegt z.B. zugleich stillschweigend die Auflage an beide Parteien, den Termin ge____mäß § 129 Abs. 2 durch schriftsätzlichen Vortrag vorzubereiten.9 Ebenso ist es möglich, ____dass nur einer Partei aufgegeben wird, schriftsätzlich binnen einer bestimmten Frist vor____zutragen (z.B. Bestimmung eines frühen ersten Termins mit einer Frist für den Beklagten ____zur schriftlichen Klageerwiderung gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Verspätungsfolgen ____können nur insoweit eintreten, als allgemein für beide Parteien oder konkret für eine der ____Parteien eine Auflage gemäß § 129 Abs. 2 erteilt worden ist. Dies gilt insbesondere im Fall ____des § 296 Abs. 2, 282 Abs. 1, 2. ____ ____ ____8 BGH NJW 1993, 1209; Zimmermann § 79 Rdn. 1. ____9 Zöller/Greger Rdn. 5.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 129a

____ Die formalen und inhaltlichen Anforderungen an die vorbereitenden Schriftsätze 15 ____bzw. an die Protokollerklärungen sind gleich wie im Anwaltsprozess. Denn sie dienen ____dem gleichen Zweck. ____ ____ V. Schriftsätze im schriftlichen Verfahren ____ ____ Für Schriftsätze im schriftlichen Verfahren gelten keine Besonderheiten. Der Unter- 16 ____schied zwischen bestimmendem und vorbereitendem Schriftsatz tritt im schriftlichen ____Verfahren allerdings zurück, weil der Vortrag bereits mit Einreichung bei Gericht wirk____sam wird, auch wenn er bis zu dem vom Gericht gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 zu bestim____menden Zeitpunkt korrigiert bzw. zurückgenommen werden kann. Wegen dieser Wir____kungen wird im Ansatz zu Recht angemerkt, dass im schriftlichen Verfahren streng ____genommen bei jedem Schriftsatz die Unterschrift erforderlich sein müsse. Denn das Ge____richt dürfe in diesem Verfahren keine Parteierklärungen berücksichtigen, deren Echtheit ____nicht gewährleistet sei.10 Gleichwohl wird aber angenommen, dass die strengeren Anfor____derungen für bestimmende Schriftsätze, nämlich das Erfordernis der Unterzeichnung, ____auf diejenigen Schriftsätze beschränkt bleibt, die auch im Verfahren mit mündlicher ____Verhandlung bestimmenden Charakter haben.11 ____ ____ ____ § 129 a ____ Anträge und Erklärungen zu Protokoll ____ § 129a Gerken ____ (1) Anträge und Erklärungen, deren Abgabe vor dem Urkundsbeamten der Ge____schäftsstelle zulässig ist, können vor der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts ____zu Protokoll abgegeben werden. ____ (2) Die Geschäftsstelle hat das Protokoll unverzüglich an das Gericht zu über____mitteln, an das der Antrag oder die Erklärung gerichtet ist. Die Wirkung einer Pro____zesshandlung tritt frühestens ein, wenn das Protokoll dort eingeht. Die Übermitt____lung des Protokolls kann demjenigen, der den Antrag oder die Erklärung zu ____Protokoll abgegeben hat, mit seiner Zustimmung überlassen werden. ____ ____ § 129 a eingefügt durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 (BGBl. I, 3281). ____ Übersicht ____ ____ 1 IV. Rechtsbehelfe ____ 12 ____I. Normzweck ____ 4 II. Die Regelung in § 129 a Abs. 1 V. Gebühren/Kosten ____ 13 ____ ____ 7 ____III. Die Regelung in § 129 a Abs. 2 ____ ____ I. Normzweck ____ § 129 a Abs. 1 verallgemeinert die Zuständigkeit von Amtsgerichts-Geschäftsstellen. 1 ____ ____Alle Anträge und Erklärungen, deren Abgabe vor dem Urkundsbeamten der Geschäfts____stelle (auch der eines höheren Rechtszugs) zulässig ist, können zu Protokoll der Ge____schäftsstelle eines jeden Amtsgerichts abgegeben werden. Damit soll die Kommunika____tion mit dem Prozessgericht erleichtert werden. ____ ____10 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 129 Rdn. 51 f. ____11 Stein/Jonas/Leipold § 129 Rdn. 6; übereinstimmend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 129 ____Rdn. 43.

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§ 129a

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____ 2 § 129 a Abs. 2 Satz 1 und 3 regelt die Weiterleitung der Erklärung an das Empfangsge____richt. Grundsätzlich obliegt sie der aufnehmenden Geschäftsstelle. Sie ist unverzüglich, ____also ohne schuldhaftes Zögern vorzunehmen. Die Geschäftsstelle kann das Protokoll ____aber auch dem Erklärenden überlassen, damit er selbst für die Weiterleitung sorgt. Pro____zessuale Wirkungen entfaltet der protokollierte Antrag bzw. die Erklärung frühestens mit ____Eingang beim Empfangsgericht (§ 129 a Abs. 2 Satz 2). Dies ist bei fristgebundenen Pro____zesshandlungen zu beachten. ____ § 129 a betrifft nicht nur Anträge und Erklärungen der Parteien, sondern auch von 3 ____Dritten, die am Verfahren beteiligt sind (Sachverständige, Zeugen) oder beteiligt sein ____wollen (Streithelfer). ____ ____ II. Die Regelung in § 129 a Abs. 1 ____ ____ § 129 a gilt zunächst für die Fälle, in denen das Gesetz die Protokollierung ausdrück4 ____lich vorsieht (z.B. §§ 44 Abs. 1, 109 Abs. 3 Satz 1, 117 Satz 2, 118 Abs. 1 Satz 2, 129 Abs. 2, ____248 Abs. 1, 381 Abs. 1, 386 Abs. 1, 406 Abs. 2 Satz 3, 486 Abs. 4, 496, 569 Abs. 3, 571 Abs. 4 ____Satz 2, 573 Abs. 1 Satz 2, 696 Abs. 4 Satz 2, 697 Abs. 4 Satz 2, 700 Abs. 3 Satz 2, 702 Abs. 1 ____Satz 1, 715 Abs. 2, 920 Abs. 3, 924 Abs. 2 Satz 3). Sie ist ferner anzuwenden bei Anträgen ____und Erklärungen, für die keine besondere Form vorgeschrieben ist, so z.B. Erklärungen ____(Gesuche) nach § 37, § 103, § 104, § 7321 und in denjenigen Fällen, in denen der Urkunds____beamten in der Sache selbst zuständig ist, wie z.B. nach § 706, § 724 Abs. 2, § 797 Abs. 1, ____§ 797 a Abs. 1.2 Schließlich gilt § 129 a auch im Rahmen derjenigen Verfahrensgesetze, die ____ergänzend auf die ZPO verweisen, wie z.B. § 4 InsO sowie im Bereich des ZVG.3 ____ Zuständig für die Aufnahme der Erklärung ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstel5 ____le (§ 153 GVG). Es besteht kein Anwaltszwang (§ 78 Abs. 3). Der Erklärende muss persön____lich auf der Geschäftsstelle anwesend sein („vor der Geschäftsstelle … zu Protokoll“). ____Telefonische Erklärungen sind daher nicht zu protokollieren. 4 Es ist nicht erforderlich, ____dass der Erklärende seinen Wohnsitz im Bezirk des Gerichts hat. ____ § 129 a Abs. 1 regelt nicht, in welcher Form das Protokoll zu errichten ist. Es muss die 6 ____Bezeichnung des aufnehmenden Gerichts, Ort, Datum, Namen des Urkundsbeamten und ____die Personalien des Erklärenden enthalten. Es ist vom Urkundsbeamten zu unterschrei____ben. Ein Abschlussvermerk dahin, dass das Protokoll vorgelesen und genehmigt worden ____ist, ist nicht vorgeschrieben, gleichwohl aber sinnvoll. Fehlt der Vermerk, wird hierdurch ____der protokollierte Antrag bzw. die Erklärung nicht unwirksam. Die weitere Form richtet ____sich nach der jeweiligen Erklärung, die abgegeben werden soll. Bei einem vorbereiten____den Schriftsatz (§ 129 Abs. 2) sind daher die Formalien des § 130 zu beachten. Eine gemäß ____§ 129 a eingereichte Klage (§ 496) muss § 253 entsprechen. Geht es um eine Beschwerde ____(§ 569 Abs. 3), hat der Urkundsbeamte auf die Formalien eines Rechtsmittels und auf das ____Erfordernis einer Begründung (§ 571 Abs. 1) zu achten. ____ 7 Inhaltlich ist der Urkundsbeamte verpflichtet, die Anträge und Erklärungen so ent____gegenzunehmen und zu protokollieren, wie dies der Gesuchsteller wünscht. Er soll den ____Gesuchsteller allerdings zu einer möglichst klaren und sachlichen Erklärung veranlas____sen.5 Wenn dieser unbelehrbar bleibt, muss der Urkundsbeamte resignieren und die ge____wünschte Erklärung zu Protokoll nehmen. Denn ein Recht oder eine Pflicht zur inhaltli____ ____ ____1 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 8. 2 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 9. ____3 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 10. ____4 BGH NJW-RR 2009, 852; Zöller/Greger § 129 a Rdn. 2. ____5 MünchKomm-Peters § 129 a Rdn. 5.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 129a

____chen Nachprüfung hat der Urkundsbeamte grundsätzlich nicht.6 Wollte man ihm einen ____Ermessensspielraum zubilligen, käme man schnell in Grenzbereiche. So mag dem nur ____das Protokoll aufnehmenden Urkundsbeamten etwas als verworren erscheinen, was für ____das die Akte kennende Gericht noch aufschlussreich sein kann. Die Grenze für die Pflicht ____zur Protokollierung bilden eindeutig beleidigende oder sonst nach ihrem Inhalt strafbare ____Erklärungen.7 Eine trotz Hilfeleistung des Urkundsbeamten nicht behebbare Unverständ____lichkeit, Verworrenheit, das Fehlen eines vernünftigen Anlasses (Querulanten) oder ein ____übermäßiger Umfang der Erklärung dürfen die Protokollierung in der Regel nicht hin____dern. ____ ____ III. Die Regelung in § 129 a Abs. 2 ____ ____ Da nach § 129 a Abs. 1 für die Protokollierung auch die Geschäftsstellen solcher Ge____richte zuständig sind, für die der Antrag und die Erklärung nicht bestimmt sind, ist eine ____ergänzende Bestimmung dahin nötig, dass das Protokoll alsbald an den eigentlichen ____Adressaten gelangt (Satz 1, 3). Gleichzeitig muss bestimmt werden, wann die Wirkung ____protokollierter Prozesshandlungen eintritt (Satz 2). ____ Die Übermittlung an das Empfangsgericht hat unverzüglich, also „ohne schuldhaf____tes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu geschehen. Wird die Übermittlung von der Ge____schäftsstelle verzögert und kommt es deswegen zu einer Fristversäumung, dürfen hier____durch dem Gesuchsteller keine Nachteile entstehen. Die Verspätungsvorschriften greifen ____daher nicht ein. Gegebenenfalls ist Wiedereinsetzung zu prüfen. ____ Die Regelung in § 129 a Abs. 2 Satz 3 beruht auf der Erwägung, dass es dem Erklären____den mitunter schneller als der Geschäftsstelle möglich sein wird, das Protokoll dem Emp____fangsgericht zu übermitteln. Die Überlassung des Protokolls als amtliche Urkunde an ____den Erklärenden ist unproblematisch. Aufgrund der Parteimaxime bleibt die Entschei____dung, ob der protokollierte Antrag bzw. seine Erklärung dem Empfangsgericht vorgelegt ____werden soll, ohnehin ihm überlassen. Zudem kann bei einem Verlust des Protokolls eine ____weitere Ausfertigung erteilt werden. ____ Das Protokoll darf nur dann dem Erklärenden zur Übermittlung überlassen werden, ____wenn er zustimmt. Fehlt es hieran, bleibt es bei der Pflicht der Geschäftsstelle aus Abs. 2 ____Satz 1. Es darf niemand gegen seinen Willen zur Selbstübermittlung gezwungen werden.8 ____Die umgekehrte Frage, ob das Protokoll dem Erklärenden zur Selbstübermittlung ausge____händigt werden muss, wenn der dies wünscht, wird unterschiedlich beantwortet. Der ____Ansicht, die eine Pflicht zu Aushändigung bejaht,9 steht entgegen, dass der Gesetzestext ____die Überlassung des Protokolls an den Erklärenden in das (pflichtgemäße) Ermessen des ____Urkundsbeamten stellt. § 129 a dient gerade auch der Fürsorge für nicht anwaltlich ver____tretene und weniger geschäftsgewandte Parteien, so dass der Urkundsbeamte zuweilen ____erkennen wird, dass es dem wohlverstandenen Interesse der um die Überlassung des ____Protokolls bittenden Partei entspricht, ihr dieses nicht anzuvertrauen, sondern es unmit____telbar zu übersenden. Verweigert der Urkundsbeamte allerdings mit dieser Begründung ____die Überlassung des Protokolls, muss er den Erklärenden dahin belehren, er seinen An____trag auf Protokollierung zurücknehmen kann. In diesem Fall hat die Weiterleitung zu ____unterbleiben. ____ ____ ____ 6 MünchKomm-Peters § 129 a Rdn. 5; übereinstimmend Musielak/Stadler § 129 a Rdn. 5. ____7 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 13; AK-Puls § 129 a Rdn. 6; a.A. MünchKomm-Peters § 129 a Rdn. 6. ____8 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 17. ____9 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 17.

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§ 130

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 11 Soll mit dem protokollierten Antrag bzw. der Erklärung eine Prozesshandlung vor_____genommen werden, tritt die Wirkung frühestens mit Eingang beim Empfangsgericht ein _____(§ 129 a Abs. 2 Satz 2). Ist das bezeichnete Gericht unzuständig, muss es das Protokoll _____weiterleiten. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei der Weiterleitung vorberei_____tender Schriftsätze bzw. wie bei Rechtsmittelerklärungen. Die Wirkung tritt in diesem _____Fall erst mit Eingang beim zuständigen Gericht ein. _____ _____ IV. Rechtsbehelfe _____ _____ Gegen die Ablehnung der Protokollierung oder gegen eine schlichte Untätigkeit des 12 _____Urkundsbeamten findet die befristete Erinnerung gemäß §§ 573 ZPO, 11 Abs. 2 RPflG _____statt.10 Ferner ist die Dienstaufsichtsbeschwerde möglich.11 _____ _____ V. Gebühren/Kosten _____ _____ 13 Gerichtskosten entstehen für die Aufnahme des Protokolls nicht. Mit Eingang der _____Erklärung beim Empfangsgericht werden aber die Gebühren ausgelöst, die durch die _____jeweilige Prozesshandlung entstehen. Die Erstattung von Auslagen richtet sich nach KV _____GKG Nr. 9000 ff. _____ _____ _____ § 130 _____ Inhalt der Schriftsätze _____ § 130 Gerken _____ Die vorbereitenden Schriftsätze sollen enthalten: _____1. die Bezeichnung der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter nach Namen, _____ Stand oder Gewerbe, Wohnort und Parteistellung; die Bezeichnung des Ge_____ richts und des Streitgegenstandes; die Zahl der Anlagen; _____2. die Anträge, welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen beabsichtigt; _____3. die Angabe der zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen Verhält_____ nisse; _____4. die Erklärung über die tatsächlichen Behauptungen des Gegners; _____5. die Bezeichnung der Beweismittel, deren sich die Partei zum Nachweis oder _____ zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen bedienen will, sowie die Erklä_____ rung über die von dem Gegner bezeichneten Beweismittel; _____6. die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet, bei Übermittlung _____ durch einen Telefaxdienst (Telekopie) die Wiedergabe der Unterschrift in der _____ Kopie. _____ _____ Schrifttum _____ Bacher Elektronisch eingereichte Schriftsätze im Zivilprozess NJW 2009, 1548 ff.; Commichau Die an_____waltliche Praxis in Zivilsachen; Dästner Neue Formvorschriften im Prozeßrecht NJW 2001, 3469 ff.; Han_____nich/Meyer-Seitz ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz (2002), 2. Teil (S. 335 ff.); Heinemann Neu_____bestimmung der prozessualen Schriftform, 2002; Holzhauer Die eigenhändige Unterschrift (1973), 262 ff.; _____Kleffmann Die ladungsfähige Anschrift der Parteien als Erfordernis ordentlicher Klageerhebung NJW 89, _____1142 ff.; Kunz-Schmidt Das Unterschriftserfordernis für bestimmende Schriftsätze im Zivilprozeß NJW 1987, _____ _____10 KG Rpfleger 2009, 304. _____11 Stein/Jonas/Leipold § 129 a Rdn. 15; Zöller/Greger § 129 a Rdn. 2; Musielak/Stadler Rdn. 4; Thomas/ _____Putzo/Reichold § 129 a Rdn. 1.

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____1296; Maniotis Über die Zulässigkeit der Einreichung von bestimmenden Schriftsätzen per Telefax ZZP 112 ____(1999) 315 ff.; Martens in Anmerkung zu BAG NJW 1976, 1991 ff.; Michel/von der Seipen Der Schriftsatz des ____Anwalts im Zivilprozeß, 6. Aufl., 2003; Nierwetberg Ladungsfähige Anschrift des Klägers als Erfordernis ____ordnungsgemäßer Klageerhebung? NJW 1988, 2095 ff.; Pape/Notthoff Prozeßrechtliche Probleme bei der ____Verwendung von Telefax NJW 1996, 417; Schneider Über gekrümmte Linien, Bogen, Striche, Haken und Unterschriften NJW 1998, 1844 ff.; Schwachheim Abschied vom Telefax im gerichtlichen Verfahren? NJW ____1999, 621 ff.; Vollkommer Formenstrenge und prozessuale Billigkeit (1973); Walchshöfer Ehrverletzende ____Äußerungen in Schriftsätzen MDR 195, 11 ff. ____ ____ Übersicht ____I. Regelungsinhalt ____ 1 c) Unterschriftsersatz ____ 27 ____II. Katalog des § 130 d) Unklarheiten über den Unter1. Im Katalog nicht enthalten: Das Aktenzeichner ____ 28 ____ ____ zeichen 5 e) Nachholung der Unter____ 2. Angaben nach Nr. 1 ____ 6 schrift ____ 29 ____ 3. Anträge (Nr. 2) ____ 12 f) Unterzeichnung durch ____ Vertreter ____ 30 4. Sachvortrag (Nr. 3 und 4) ____ 15 ____ 5. Beweismittel (Nr. 5) ____ 17 g) Telegramm ____ 31 ____ 6. Unterschrift unter dem vorbereitenden h) Telefax (Telekopie) ____ 32 ____ Schriftsatz (Nr. 6) ____ 19 i) E-Mail/Computerfax ____ 36 ____ 7. Unterschrift unter bestimmenden III. Inhaltliche Mängel der Schrift____ Schriftsätzen sätze ____ 37 ____ ____ a) Allgemeines 22 IV. Materiell-rechtliche Willenserklärungen in b) Anforderungen an den SchriftSchriftsätzen ____ 38 ____ ____ zug 25 ____ ____ ____ I. Regelungsinhalt ____ § 130 regelt Form und Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze (zum Unterschied zwi- 1 ____ ____schen bestimmenden und vorbereitenden Schriftsätzen s. § 129 Rdn. 3 ff.), die als Schrift____stück bei Gericht eingereicht werden. Für elektronische Dokumente trifft § 130 a eine ____Sonderregelung. Sie fallen nicht unter § 130.1 Die Vorschrift gilt im Anwalts- wie im Par____teiprozess. Im Parteiprozess besteht allerdings die Einschränkung, dass dort vorberei____tende Schriftsätze nur dann erforderlich sind, wenn das Gericht eine entsprechende An____ordnung gemäß § 129 Abs. 2 erlässt. Geschieht dies oder wechseln die Parteien von sich ____aus Schriftsätze, sollen diese ebenfalls den Anforderungen des § 130 entsprechen. Es handelt sich um eine Sollvorschrift.2 Einzelne Mängel des Schriftsatzes führen 2 ____ ____daher nicht dazu, dass er unbeachtlich ist. Die Nr. 1–6 listen auf, was die vorbereitenden ____Schriftsätze enthalten sollen. Der Katalog ist nicht abschließend. Enthalten dürfen vor____bereitende Schriftsätze auch Vortrag, der sich nicht aus den Nr. 1 bis 6 ergibt, wie etwa ____Rechtsausführungen, Vergleichsvorschläge, Anregungen zum weiteren Procedere etc. Die Vorschrift gilt entsprechend für bestimmende Schriftsätze. In einzelnen Rege- 3 ____ ____lungen für bestimmende Schriftsätze wird dies ausdrücklich angeordnet (§§ 70 Abs. 2; ____519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 524 Abs. 3 Satz 2, 549 Abs. 2, 551 Abs. 4, 554 Abs. 3, 575 Abs. 4 ____Satz 1). Allerdings sind die formalen Anforderungen bei bestimmenden Schriftsätzen ____teils strenger. Die Klageschrift z.B. muss die Angaben nach § 130 Nr. 1–3 enthalten (§ 253 ____Abs. 2). Ferner muss sie unterschrieben sein. Rechtsmittelschriften müssen das volle ____Rubrum mit den Parteirollen enthalten, damit für das Rechtsmittelgericht erkennbar ist, ____wer Rechtsmittelkläger und wer Rechtsmittelbeklagter ist. Rechtsmittel- und Rechtsmit____ ____1 BGH NJW-RR 2009, 357. ____2 RGZ 6, 348 (zu § 121 CPO).

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____telbegründungsschriften müssen unterschrieben sein. Bei vorbereitenden Schriftsätzen ____ist die Unterschrift hingegen nicht zwingend. ____ § 130 umschreibt, welche Angaben insgesamt in den vorbereitenden Schriftsätzen 4 ____enthalten sein und zum Verhandlungstermin vorliegen sollen. Sind die Angaben in ei____nem früheren Schriftsatz gemacht worden, brauchen sie später nicht wiederholt zu wer____den. So enthält z.B. die den Prozess einleitende Klageschrift bereits das volle Rubrum, ____die Anträge und die Angabe der zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen ____Verhältnisse (Nr. 1–3). Folgt ein weiterer Schriftsatz, reicht es, wenn dort nur die Be____zeichnung der Parteien als Kurzrubrum enthalten ist. Inhaltlich kann sich der Schriftsatz ____auf eine Stellungnahme zum Vorbringen des Gegners oder auf Rechtsausführungen be____schränken. Anträge müssen in späteren Schriftsätzen nur dann enthalten sein, wenn sie ____geändert werden (Rdn. 12). ____ ____ II. Katalog des § 130 ____ ____ 5 1. Im Katalog nicht enthalten: Das Aktenzeichen. Die Angabe des Aktenzeichens ____in der Praxis ist selbstverständlich3 und zweckmäßig. Anhand des Aktenzeichens kann ____die Eingangsstelle des Gerichts die Sache zuordnen und der zuständigen Geschäftsstelle ____übermitteln. Die Angabe des Aktenzeichens sichert damit die zügige Vorlage des Schrift____satzes an den Richter und die Bearbeitung. Ein Schriftsatz ohne oder mit einem unrichti____gen Aktenzeichen wirkt trotzdem fristwahrend, soweit es um eine prozessuale Frist geht. ____Denn insoweit kommt es auf den Eingang beim Gericht an.4 Allerdings muss der Einrei____chende bei einem nahe bevorstehenden Verhandlungstermin damit rechnen, dass der ____Schriftsatz nicht mehr rechtzeitig zu den Akten gelangt. Geht es um die Wahrung einer ____außerprozessualen Frist und wird diese nicht eingehalten, weil der Schriftsatz mangels ____Aktenzeichens nicht sofort zugeordnet werden konnte und sich hierdurch die Zustellung ____verzögert hat, geht dies zu Lasten des Einreichenden.5 ____ ____ 2. Angaben nach Nr. 1. Nach § 130 Nr. 1 sollen vorbereitende Schriftsätze die Be6 ____zeichnung der Parteien enthalten, und zwar nach Namen, Stand oder Gewerbe, Wohn____ort und Parteistellung. Es reicht, wenn diese Angaben in der Klageschrift gemacht wer____den (§ 253 Abs. 2 Nr. 1). Ein nachfolgender Schriftsatz braucht die Angaben nicht zu ____wiederholen. Er kann sich auf die Namen der Parteien und die Nennung des Aktenzei____chens beschränken. Hiermit können Gericht und Gegner den Schriftsatz sicher zuordnen. ____Neben dem Namen der Partei sind ihr Stand bzw. Gewerbe (Beruf) und ihre Anschrift ____anzugeben. Dadurch sollen Verwechselungen vermieden werden. Spätere Änderungen ____(Namenswechsel, Wohnort, Wechsel der Firma) sind dem Gericht unbedingt mitzuteilen. ____Das Gericht ist beim Urteilsrubrum auf die Angaben der Parteien angewiesen. Sind sie ____falsch oder ungenügend, kann es später zu Schwierigkeiten bei der Vollstreckung kom____men. Gemäß § 750 Abs. 1 muss die Person, gegen die vollstreckt werden soll, in dem Ur____teil namentlich bezeichnet sein, und zwar zutreffend. Die Angabe des Gewerbes bzw. ____Berufs der Partei ist mittlerweile unüblich geworden, gleichwohl aber sinnvoll. Die be____rufliche Herkunft einer Partei kann dem Gericht Rückschlüsse auf das Streitverhältnis ____ermöglichen. ____ Neben der Partei ist auch der gegnerische Prozessbevollmächtigte zu bezeichnen. 7 ____Allerdings ist dies – ebenso wie bei den übrigen Angaben – kein zwingendes Erfordernis ____ ____3 MünchKomm-Peters § 130 Rdn. 14; kein zwingendes Erfordernis – BGH VersR 1982, 673. ____4 BGH NJW 1974, 48; BGH VersR 1982, 673. ____5 BGH BB 1974, 109; BGH NJW 1960, 1007.

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____bei vorbreitenden Schriftsätzen.6 Die Bezeichnung des Prozessbevollmächtigten erleich____tert dem Gericht die Übermittlung des Schriftsatzes an den Gegner. Ist der Prozessbe____vollmächtigte benannt, kann die Geschäftsstelle die Abschriften auch dann weiterleiten, ____wenn die Akten momentan nicht vorliegen. ____ Wird die Partei von einem Dritten vertreten, muss er als Vertreter benannt und mit ____Namen, Stand oder Gewerbe, Wohnort bezeichnet werden, und zwar gemäß § 253 Abs. 2 ____schon in der Klageschrift. Bei dem Vertreter einer Gesellschaft reicht insoweit die Ge____schäftsadresse. Bei der Vertretung eines Minderjährigen sind die Wohnanschrift der Par____tei und die des Vertreters anzugeben. Bei einer Partei kraft Amtes (Insolvenzverwalter – ____§ 88 InsO,7 Zwangsverwalter – § 152 ZVG,8 Testamentsvollstrecker – §§ 2212, 2213 Abs. 1 ____Satz 1 BGB,9 Nachlassverwalter – §§ 1984 Abs. 1 Satz 3, 1985 Abs. 1 BGB, Nießbrauchs____verwalter – § 1052 BGB) ist die Amtsstellung anzugeben, damit klar ist, dass sie den Pro____zess nicht für sich, sondern für die von ihr vertretene Vermögensmasse führt. ____ Die Bezeichnung des Gerichts muss gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 schon in der Klage er____folgen. Bei nachfolgenden Schriftsätzen ist sie ebenfalls unerlässlich, damit der Schrift____satz an das richtige Gericht gelangt. Vielfach bestehen gemeinsame Postannahmestellen. ____Ohne Bezeichnung des Gerichts kann der Schriftsatz nur mit größerem Aufwand (etwa ____über das Aktenzeichen oder die Parteibezeichnung) zugeordnet werden. Dies führt zur ____Verzögerung und überflüssiger Mehrarbeit. ____ Die Bezeichnung des Streitgegenstands ergibt sich ebenfalls bereits aus der Klage. ____Die Wiederholung – auch in Kurzform („wegen Herausgabe“, „wegen Räumung“, „we____gen Unterlassung unerlaubter Wettbewerbshandlungen“ etc) – in späteren vorbereiten____den Schriftsätzen ist entbehrlich und auch allgemein unüblich. ____ Die Zahl der Anlagen (Einzelheiten zur Beifügung von Anlagen s. § 131 Rdn. 8; zur ____Berufungsbegründung s. § 520 Rdn. 85 ff.) soll angegeben werden, um dem Gericht die ____Kontrolle zu ermöglichen, ob wirklich alle erwähnten Anlagen vorliegen. Liegt ein Büro____versehen vor und sind die Anlagen trotz eines entsprechenden Hinweises dem Schrift____satz nicht beigefügt, kann die Geschäftsstelle nachfragen und um Nachsendung bitten. ____Gleichzeitig dient die Angabe der Zahl der Anlagen der Selbstkontrolle für die einrei____chende Partei.10 Wünschenswert und im Interesse aller Beteiligten ist die Durchnumme____rierung der Anlagen,11 und zwar nicht nur im jeweiligen Schriftsatz, sondern durchge____hend durch die Instanz. Ferner sollten die Anlagen von den Parteien unterschiedlich ____gekennzeichnet werden – etwa K 1 ff. für den Kläger, B 1 ff. für den Beklagten. Wird in ____nachfolgenden Schriftsätzen hierauf Bezug genommen, ist es sinnvoll und geboten, ____wenn neben der Bezeichnung der Anlage zugleich mitgeteilt wird, mit welchem Schrift____satz die Anlage dem Gericht überreicht worden ist. Die Anlagen werden – sofern sie nicht ____besonderen Umfang haben – in der Regel unmittelbar nach dem jeweiligen Schriftsatz in ____die Akten eingeheftet und paginiert. Die Angabe des Schriftsatzdatums erleichtert daher ____das Auffinden. ____ ____ 3. Anträge (Nr. 2). Die Anträge, welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen ____beabsichtigt, sind in einem bestimmenden Schriftsatz anzukündigen (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 – ____Klageschrift, § 520 Abs. 3 Nr. 1 – Berufungsbegründung, § 551 Abs. 3 Nr. 1 – Revisionsbe____ ____ ____6 BGH VersR 1973, 86; Stein/Jonas/Leipold Rdn. 5. ____7 BGHZ 88, 334; BGHZ 127, 156 = NJW 1994, 3232. 8 BGHZ 155, 43BGH NJW 1992, 2487. ____9 BGH NJW-RR 1987, 1091. ____10 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 130 Rdn. 14. ____11 Stein/Jonas/Leipold § 130 Rdn. 6.

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____gründung, § 575 Abs. 3 Nr. 1 – Begründung der Rechtsbeschwerde). In der mündlichen ____Verhandlung sind die Anträge sodann aus den Schriftsätzen zu verlesen (§ 297 Abs. 1 ____Satz 1). Sinnvoll ist es, die Anträge an den Anfang des Schriftsatzes zu stellen und vom ____übrigen Text abzugrenzen. Dies erleichtert das spätere Auffinden. ____ Die Pflicht zur Ankündigung der Anträge besteht nur für die angreifende Partei 13 ____(Kläger, Rechtsmittelkläger). Denn nur bei ihren Anträgen handelt es sich um Sachan____träge. Anträge auf Klagabweisung oder Zurückweisung eines Rechtsmittels sind Prozess____anträge.12 Bei Unschlüssigkeit der Klage ergeht auch dann ein klagabweisendes (unech____tes) Versäumnisurteil, wenn der Beklagte keinen Antrag stellt. Sein Antrag dient also nur ____dazu, den Erlass eines Versäumnisurteils abzuwehren. Ebenso ist es im Rechtsmittelver____fahren (§§ 539 Abs. 2, 555). Es genügt, wenn sich der Wille zur Abwehr der Klage bzw. des ____Rechtsmittels aus dem Gesamtvorbringen der Partei ergibt.13 Der förmliche Antrag kann ____dann in der Verhandlung problemlos zu Protokoll erklärt werden. Dasselbe gilt für die ____übrigen Prozessanträge (z.B. Einstellung der Zwangsvollstreckung, Antrag auf Erlass ei____nes Versäumnisurteils). Für sie gilt § 297 nicht, so dass sie keiner vorherigen Ankündi____gung in einem Schriftsatz bedürfen. ____ Die Sachanträge brauchen in späteren – nur – vorbereitenden Schriftsätzen nicht 14 ____wiederholt zu werden. Die Schriftsätze bilden insoweit eine Einheit. Sollen allerdings in ____der mündlichen Verhandlung andere Anträge gestellt werden (Erweiterung/Änderung ____der Klage), ist hierzu grundsätzlich ein weiterer Schriftsatz erforderlich, damit dieser ____rechtzeitig zugestellt werden kann. § 297 Abs. 1 Satz 2 und 3 gestattet daneben auch die ____Verlesung aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift und die Erklärung ____der Anträge zu Protokoll. ____ ____ 15 4. Sachvortrag (Nr. 3 und 4). § 130 Nr. 3 und 4 nennen als Inhalt der vorbereitenden ____Schriftsätze ferner den Sachvortrag. Insoweit handelt es sich lediglich um eine Vorweg____nahme dessen, was in anderen Vorschriften genauer geregelt ist. § 130 Nr. 3 und 4 hat ____daher keine eigenständige Bedeutung. Vielmehr kann zu den Einzelheiten zum Sachvor____trag und der hiermit verbundenen Pflichten der Parteien auf die jeweiligen Vorschriften ____verwiesen werden. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 muss bereits die Klageschrift die bestimmte ____Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Soweit ____in nachfolgenden vorbereitenden Schriftsätzen hierzu vorgetragen wird, handelt es sich ____lediglich um eine Ergänzung. Wie der Sachvortrag inhaltlich aussehen muss, ist in § 138 ____näher geregelt. Er verpflichtet die Parteien in Abs. 2, sich zu den tatsächlichen Behaup____tungen des Gegners zu erklären – ebenso wie § 130 Nr. 4. ____ Die Tatsache, dass § 130 Nr. 3 und 4 nur Angaben über die tatsächlichen Verhältnis16 ____se nennt, schließt Rechtsausführungen selbstverständlich nicht aus. Sie sind zwar ____nicht geboten,14 aber doch zur Vorbereitung der richterlichen Rechtsfindung unbedingt ____nützlich und erwünscht.15 Die Berufung kann sogar ausschließlich mit rechtlichen Angrif____fen gegen das erstinstanzliche Urteil begründet werden (§ 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2). Rechts____ausführungen erleichtern dem Gericht den rechtlichen Einstieg. Gleichzeitig geben sie ____ihm einen Einblick, von welchen rechtlichen Überlegungen die Parteien ausgehen. Da____ ____ ____12 BGH NJW 1970, 100; Schlicht NJW 1970, 1631. ____13 BGH NJW 65, 397; 70, 99; 72, 1343; Stein/Jonas/Leipold § 297 Rdn. 7; Zöller/Greger § 297 Rdn. 2; ____Thomas/Putzo/Hüßtege § 297 Rdn. 1; AK-Puls § 297 § 130 Rdn. 1; AK-Deppe-Hilgenberg § 297 § 130 Rdn. 1. ____14 Stein/Jonas/Leipold § 130 Rdn. 10; MünchKomm-Peters § 130 Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/ ____Hartmann § 130 Rdn. 19; Thomas/Putzo/Reichold § 130 Rdn. 1. ____15 Stein/Jonas/Leipold § 130 Rdn. 10.

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____mit wird das Gericht in die Lage versetzt, die Parteien auf bisher übersehene rechtliche ____Gesichtspunkte aufmerksam zu machen (§ 139).16 Gerade aus diesem Grund ist es für die ____Parteien sinnvoll, mit ihren rechtlichen Ausführungen nicht zurückzuhalten. Denn wenn ____sie diese frühzeitig darlegen, können sie zu Recht einen rechtlichen Hinweis erwarten, ____wenn das Gericht die Sache anders beurteilt. Hieraus eröffnet sich vielfach die Möglich____keit zu weiterem Vortrag (§ 139 Abs. 4, 5). Unterbleibt ein solcher Hinweis, begründet ____dies einen Verfahrensfehler. Dem kann mit entsprechendem Vortrag vorgebeugt werden. ____ ____ 5. Beweismittel (Nr. 5). Der Beweisantritt erfolgt in der mündlichen Verhandlung, ____soll aber, falls vorgesehen, in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigt werden. Hier____durch wird es dem Gericht ermöglicht, die mündliche Verhandlung durch Maßnahmen ____gemäß §§ 273 Abs. 2, 358 a vorzubereiten. Zunächst ist das Beweisthema zu bezeichnen. ____Die Tatsachen, über die Beweis zu erheben ist, müssen spezifiziert bezeichnet werden. ____Der Beweisantritt erfolgt durch die Bezeichnung der Beweismittel, derer sich die Partei ____bedienen will. Allgemeine Bezeichnungen wie Augenschein, Zeugenbeweis, Urkunden____beweis genügen nicht. Es ist der konkrete Gegenstand des Augenscheins zu bezeichnen ____(§ 371). Der Zeuge ist unter Angabe der ladungsfähigen Anschrift namentlich zu benen____nen (§ 373). Geht es um einen Urkundenbeweis, ist genau anzugeben, welche konkrete ____Urkunde gemäß § 420 vorgelegt werden soll. Einfacher ist es beim Sachverständigenbe____weis. Der Beweis durch Sachverständige wird durch die Bezeichnung der zu begutach____tenden Punkte angetreten (§ 403). Ein ausdrücklicher Antrag, einen Sachverständigen zu ____bestellen, ist nicht nötig. Denn die Entscheidung darüber, ob mangels eigener Sachkun____de sachverständige Hilfe erforderlich ist, kann das Gericht nur von Amts wegen treffen. ____Auch die Auswahl des Sachverständigen ist Sache des Gerichts (§ 404). ____ § 130 Nr. 5 fordert daneben eine Erklärung über die von dem Gegner bezeichne____ten Beweismittel. Damit soll dem Gericht die Vorbereitung der Verhandlung und der ____etwaigen Beweisaufnahme erleichtert werden. Wendet die andere Partei z.B. ein, der ____vom Gegner benannte Zeuge sei bei dem entscheidenden Ereignis nicht dabei gewesen ____oder die begehrte Augenscheinseinnahme sei nutzlos, weil sich die Örtlichkeit inzwi____schen verändert habe, wird deutlich, wo die Streitpunkte im Termin liegen werden. ____ ____ 6. Unterschrift unter dem vorbereitenden Schriftsatz (Nr. 6). Gemäß § 130 Nr. 6 ____soll der vorbereitende Schriftsatz von der Person, die den Inhalt verantwortet, unter____schrieben sein. Wird der Schriftsatz per Telefax/Telekopie übermittelt, soll die Unter____schrift in der Kopie wiedergeben werden. Im Anwaltsprozess ist die Unterschrift des ____Anwalts erforderlich. In anderen Prozessen muss die Partei selbst bzw. ihr Vertreter un____terschreiben. ____ Es handelt sich insoweit nur um eine Sollvorschrift. Fehlt die Unterschrift oder ist sie ____fehlerhaft (Einzelheiten zur fehlerhaften Unterschrift s. Rdn. 21 ff.), löst dies keine unmit____telbaren nachteiligen Folgen aus. Dies gilt jedenfalls für das Verfahren mit mündlicher ____Verhandlung. Mit den vorbereitenden Schriftsätzen wird der Vortrag angekündigt, der in ____der mündlichen Verhandlung dem Gericht unterbreitet werden soll. Prozessgegenstand ____wird dieser Vortrag erst, wenn durch Antragstellung auf die vorbereitenden Schriftsätze ____Bezug genommen wird (§ 137 Abs. 3). In der vorbehaltlosen Stellung der Anträge und der ____anschließenden Verhandlung hierüber liegt grundsätzlich die Bezugnahme auf den ge____samten bis dahin vorliegenden schriftsätzlichen Vortrag der Partei.17 Demgemäß wird bei ____ ____ ____16 MünchKomm-Peters § 130 Rdn. 7. ____17 BGH NJW 1994, 3295; BGH NJW 1999, 2120.

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____fehlender Unterschrift die erforderliche Übernahme der Verantwortung, die durch die ____Unterzeichnung zum Ausdruck gebracht werden soll, durch die Antragstellung nachge____holt. ____ 21 Die fehlende Unterschrift führt nicht dazu, dass der Vortrag verspätet ist. Das gilt ____auch dann, wenn es sich um fristgebundenen Vortrag handelt (z.B. §§ 273 Abs. 2 Nr. 1, ____276 Abs. 1 Satz 2, 521 Abs. 2). Auch ohne Unterschrift unter den vorbereitenden Schrift____satz können Gericht und Gegner mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der Inhalt ____des Schriftsatzes tatsächlich vorgetragen wird. Die Nichtunterzeichnung beruht in aller ____Regel darauf, dass ein Versehen vorliegt. Der Fall, dass die Unterschrift weggelassen ____wird, um der Verantwortung für den Inhalt auszuweichen oder um diese zu verschleiern, ____ist ungewöhnlich und daher zu vernachlässigen. Demgemäß können vorbereitende Maß____nahmen für den Termin aufgrund eines schriftsätzlichen Vorbringens ohne weiteres be____reits dann getroffen werden, wenn das Vorbringen zunächst nicht durch eine Unter____schrift gedeckt ist. ____ ____ 7. Unterschrift unter bestimmenden Schriftsätzen ____ ____ a) Allgemeines. Bestimmende Schriftsätze müssen im Gegensatz zu den bloß vorbe22 ____reitenden Schriftsätzen unterschrieben sein.18 Hier ist die Unterschrift Wirksamkeitsvor____aussetzung (zur Ausnahme beim Telegramm oder Fernschreiben s. aber Rdn. 31; zum ____Telefax/Telekopie s. Rdn. 32), so dass eine Heilung durch Rügeverzicht nicht möglich ____ist.19 Die Begründung für dieses Erfordernis lässt sich allerdings nicht unmittelbar aus ____dem Gesetz ableiten. Die Bezugnahme auf die allgemeinen Vorschriften über die vorbe____reitenden Schriftsätze in §§ 70 Abs. 2; 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 524 Abs. 3 Satz 2, 549 Abs. 2, ____551 Abs. 4, 554 Abs. 3, 575 Abs. 4 Satz 1 scheint auf den ersten Blick sogar für das Gegen____teil zu sprechen.20 Denn § 130 Nr. 1 ist nur eine Sollvorschrift. Gleichwohl ist die Unter____schrift nicht entbehrlich. Die Einreichung der Klage, des Rechtsmittels oder der Rechts____mittelbegründung sind das Verfahren unmittelbar gestaltende Prozesshandlungen. ____Daher ist nach h.M. eine größere Formstrenge geboten.21 Dasselbe gilt für die anderen ____bestimmenden Schriftsätze (Überblick § 129 Rdn. 9). Das Unterschriftsgebot dient hier ____der Rechtssicherheit. Es vermag am wirkungsvollsten die Autorisierung des Schreibens ____durch den Berechtigten sicherzustellen.22 Durch die Unterschrift übernimmt der Unter____zeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes.23 Ein Schriftsatz ohne Un____terschrift ist nur ein Entwurf. Erst mit der Unterzeichnung übernimmt der Unterzeichner ____ ____ ____ ____ 18 Grundlegend RGZ (GS) 151, 82, 83; BGH NJW 1955, 546 = JR 1955, 266; BGHZ 37, 156, 157 = NJW 1962, ____1724; BGHZ 65, 46, 47 = NJW 1975, 1704 = LM § 295 ZPO Nr. 28 mit Anm. Hoffmann; BGH NJW 1980, 291 = ____VersR 1980, 186; BGH VersR 1980, 331; BGHZ 92, 251 = NJW 1985, 328, 329; BGH MDR 2005, 526; OLG ____München Rpfleger 1971, 188. S. auch BAG NJW 1976, 1285; BFH JZ 1970, 654; BFH NJW 1974, 1582; BSG NJW ____1974, 1727; BVerwGE 13, 141, 142 = NJW 1962, 555; a.A. OLG Saarbrücken NJW 1970, 434 und OLG Frankfurt ____NJW 1977, 1246. 19 RGZ 152, 23, 27; BGHZ 65, 46, 48 = NJW 1975, 1704. ____20 Vgl. Kunz-Schmidt NJW 1987, 1296, 1298; Westerhoff JR 1986, 269, 273 unter Hinweis auf zwei insoweit ____nicht veröffentlichte Entscheidungen des BVerfG. ____21 Dem Gesetzgeber erschien die Notwendigkeit der Unterzeichnung im Anwaltsprozess derart ____selbstverständlich, dass er eine Klarstellung für entbehrlich hielt, vgl. Hahn Materialien Bd. I S. 255: „Die Notwendigkeit der Unterschrift durch den Anwalt des Klägers ergibt sich aus dem Begriffe des ____Anwaltsprozesses von selbst“. ____22 BVerfG NJW 2007, 3117; BGH NJW-RR 2010, 358. ____23 BGH NJW-RR 2009, 933; BGH NJW-RR 2010, 358.

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____tatsächlich die Verantwortung für die Erklärung.24 Mit der Unterschrift sollen Streitigkei____ten über die Urheberschaft der Prozesshandlung und eine etwaige Beweisaufnahme über ____ihre Wirksamkeit von vornherein ausgeschlossen werden. Im Anwaltsprozess ist sie ____zugleich der Beleg dafür, dass der Schriftsatz auch tatsächlich von einem zugelassenen ____Anwalt stammt.25 ____ Die von Teilen der Rechtsprechung26 und der Literatur27 erhobene Kritik am Unter- 23 ____schriftserfordernis ist unberechtigt. Die Unterzeichnung und die damit verbundene Über____nahme der Verantwortung für den Inhalt eines Schriftstücks ist ein Vorgang, der sich ____leicht bewerkstelligen lässt und auch außerhalb des Zivilprozesses allgemein gebräuch____lich ist. Mit dem Telefax und dem elektronischen Dokument (§ 130 a) stehen zudem all____gemein verbreitete technische Hilfsmittel zur Verfügung, einen fristgebundenen Schrift____satz kurzfristig dem Gericht zu übermitteln, und zwar mit Unterschrift bzw. Signatur. ____Eine echte Erleichterung entsteht also nicht, wenn man vom Unterschriftserfordernis ____absieht. Demgemäß ist auch kein Bedürfnis hierfür zu erkennen. Die Abstandsnahme ____von der Unterschrift hätte daher lediglich den Zweck, Versehen oder Nachlässigkeiten ____der Parteien bzw. ihrer Anwälte nicht mit einer negativen Rechtsfolge zu verknüpfen, ____und zwar für den Fall, dass vergessen wurde, den Schriftsatz zu unterzeichnen. Hierfür ____ist aber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das geeignete Mittel. ____ Die Unterschrift schließt den Text ab und muss am Ende des Schriftstücks stehen.28 24 ____Ein über dem Urkundentext stehender Namenszug (Oberschrift) ist keine Unterschrift im ____Rechtssinne. Das gilt auch dann, ein Formular verwendet wird und das Formular die ____Abzeichnung mit dem Namenszug an dieser Stelle vorsieht. ____ ____ b) Anforderungen an den Schriftzug. Zur Frage, welche Anforderungen an einen 25 ____Schriftzug gestellt werden müssen, damit er als Unterschrift im Rechtssinne anerkannt ____werden kann, finden sich in der Rechtsprechung zahlreiche Beispiele, teils mit graphi____scher Wiedergabe des fraglichen Schriftzugs.29 Die Abzeichnung mit einer Paraphe (Ab____kürzung des Namens) reicht nicht aus.30 Bei der Beurteilung, ob es sich noch um eine ____Unterschrift oder nur um eine Paraphe handelt, kommt es auf das äußere Erscheinungs____bild an.31 Maßgeblich ist, ob der Unterzeichner bewusst eine Abkürzung gewählt hat. ____Dann kann der Schriftzug nicht mehr als Unterschrift gewertet werden. Andererseits ist ____eine übertriebene Formstrenge unangebracht.32 Denn diese würde an den praktischen ____Bedürfnissen vorbeigehen. Die Unterschrift soll lediglich sicherstellen, dass der Schrift____satz vom Unterzeichner stammt. Sie muss daher nicht lesbar sein.33 Es muss sich nur um ____ ____ ____24 RGZ 151, 82, BGH NJW 2000, 3286, BGH NJW 2001, 1581; zur fehlenden Übernahmen der ____Verantwortung in dem Fall, dass der Anwalt eine Berufungsbegründung unbesehen unterschrieben hat s. BGH NJW-RR 2006, 342. ____25 RGZ 27, 405, 406; RGZ 152, 82, 85. ____26 OLG Saarbrücken NJW 1970, 434 und OLG Frankfurt NJW 1977, 1246. ____27 Heinemann Neubestimmung der prozessualen Schriftform, 2002, S. 265; Schneider NJW 1998, 1844. ____28 BGHZ 113, 48; BGH FamRZ 2004, 1553; BFH NJW 1970, 1151. ____29 BGH NJW 1974, 1090; BGH NJW 1976, 2263; BGH VersR 1982, 973; BGH MDR 1985, 407; BGH MDR 1992, 182; BGH NJW 1997, 3380; BFH BB 1984, 1098; OLG Hamm JurBüro 1981, 1413; OLG Köln ZIP 1988, 1001; ____kritisch hierzu E. Schneider NJW 1998, 1844. ____30 BGH NJW 1967, 2310 = MDR 1967, 906; BGH NJW 1982, 1467 = VersR 1982, 492; BGH NJW 1987, 1333 = ____VersR 1987, 386; NJW 1997, 3380; BAG NJW 1996, 3164; einschränkend für das Telefax BFH NJW 1996, ____1432. 31 BGH NJW 1994, 55. ____32 BVerfG NJW 1988, 2787; BGH NJW 1987, 1333; BAG NJW 2001, 316. ____33 BGHZ 65, 46 = NJW 1975, 1704 = VersR 1975, 954; BGH VersR 1975, 927; BGH NJW 1987, 1333; BGH NJW ____1992, 243; BGH NJW-RR 1997, 760.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen ____Schriftzug handeln, so dass die Gefahr der Nachahmung zumindest erschwert ist.34 Er ____muss mit entsprechenden charakteristischen Merkmalen den Namen des Unterzeichners ____wiedergeben, braucht aber nicht voll ausgeschrieben zu sein.35 Hierzu genügt es, dass ____einzelne Buchstaben zumindest noch andeutungsweise zu erkennen sind.36 Unschädlich ____ist es, wenn der Unterzeichner verschiedene Unterschriftsvarianten verwendet.37 Bei ei____nem Doppelnamen kann es reichen, wenn nur mit einem Namensteil unterschrieben ____wird.38 Eine großzügige Handhabung ist insbesondere dann angebracht, wenn die Unter____schrift des Prozessbevollmächtigten aus früheren Verfahren hinlänglich bekannt ist und ____aus diesem Grund keine Zweifel an der Urheberschaft bestehen können.39 ____ Nach Ansicht der Rechtsprechung darf ein Rechtmittel dann nicht als unzulässig 26 ____verworfen werden, wenn ein Schriftzug, der eigentlich den formellen Anforderungen ____nicht genügt, in früheren Fällen bei demselben Gericht unbeanstandet geblieben ist. ____Dies gebiete eine faire Verfahrensgestaltung.40 Zumindest sei eine vorherige Abmahnung ____erforderlich.41 Hiergegen ist einzuwenden, dass die Einhaltung einer unabdingbaren ____Formvorschrift nicht dadurch entbehrlich werden kann, dass das Gericht diesen Mangel ____in früheren Fällen unbeachtet gelassen hat. Der richtige Weg ist in diesem Fall die Wie____dereinsetzung in den vorigen Stand, deren Voraussetzungen ohne weiteres vorliegen, ____wenn der Prozessbevollmächtigte durch einen Hinweis des Gerichts erstmals Kenntnis ____davon erlangt, dass sein bisher unbeanstandet gebliebener Schriftzug nicht für ausrei____chend gehalten wird.42 ____ ____ c) Unterschriftsersatz. Der handschriftliche Namenszug kann nicht durch einen 27 ____Faksimilestempel ersetzt werden.43 Unwirksam ist auch eine maschinenschriftliche44 ____oder vervielfältigte45 Unterzeichnung. Nicht formgerecht ist ferner die Vorlage einer ein____fachen Kopie des Originals, selbst wenn diese die auf dem Original befindliche eigen____händige Unterschrift zutreffend wiedergibt.46 Es reicht auch nicht aus, wenn der Anwalt ____einen nicht unterzeichneten Schriftsatz persönlich beim Gericht abgibt. Hierdurch kann ____er die durch die Unterschrift zu leistende Erklärung, dass er die Verantwortung für den ____ ____ ____ ____34 BGH VersR 1974, 864; BGH NJW 1982, 1467 = VersR 1982, 492; BGH NJW 1985, 1227 = MDR 1985, ____407; BGH NJW-RR 1992, 1150; BGH MDR 1991, 223; List DB 1983, 1672; s. a. Schneider NJW 1998, 1844. ____35 BGH NJW 1975, 1705 = MDR 1975, 908; BGH VersR 1983, 555; 1987, 386. ____36 BGH NJW 1974, 1090 = VersR 1974, 809; BGH NJW 1982, 1467 = VersR 1982, 492; BGH VersR 1985, 59, ____60. ____37 BGH NJW 2001, 2888. 38 BGH NJW 1996, 997 MDR 1996, 997; OLG Frankfurt NJW 1989, 3030. ____39 BGH NJW 1997, 3380. ____40 BVerfGE 78, 123 = NJW 1988, 2787; BGH NJW-RR 1991, 511 = VersR 1991, 117; BGH NJW 1999, 60. ____41 BVerfG a.a.O. ____42 Hierzu BFH NJW 1999, 2919. ____43 BGH NJW 1955, 546 = JR 1955, 266 = LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 3; BGH NJW 1976, 966; BGH MDR 1989, 352. A.A. für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerwG NJW 1971, 1054. ____44 RGZ 151, 82; BGH NJW 2005, 2086, 2087; BVerwG MDR 1984, 343. Zur Wiedergabe der Unterschrift in ____Computerschrift BGH NJW 2005, 2086. Bei Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts reicht es ____nach einer Entscheidung der Gemeinsamen Senate der Obersten Gerichtshöfe des Bundes aus, wenn der ____Name des Verfassers in Maschinenschrift wiedergegeben und dieser mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wird – BGHZ 75, 340 = NJW 1980, 172. ____45 BGH NJW 1962, 1505; BVerwG NJW 1955, 1454 und NJW 1962, 555; a.A. BVerwGE 36, 269; BAG NJW ____1979, 233. ____46 BGH NJW 1962, 1505, 1507 = MDR 1962, 636 (zum Patentnichtigkeitsverfahren).

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Inhalt des Schriftsatzes übernehmen will, nicht ersetzen.47 Dies kann grundsätzlich auch ____nicht durch einen beigefügten oder später eingereichten Schriftsatz geschehen, in dem ____ausdrücklich auf die den nicht unterzeichneten Schriftsatz Bezug genommen wird.48 Eine ____Ausnahme hat der BGH nur in dem Fall zugelassen, dass der beigefügte Schriftsatz mit ____dem Original fest verbunden ist, so dass die Schriftstücke als Einheit anzusehen sind.49 ____Bei fehlender Unterschrift ist die Urheberschaft nicht dadurch nachgewiesen, dass der ____Schriftsatz vom Anwalt durch Einschreiben mit Rückschein versandt wird.50 Es genügt ____auch nicht, wenn der Anwalt einen Schriftsatz mit seiner Blankounterschrift hinterlässt ____und eine Büroangestellte hieraus weisungsgemäß den Schriftsatz fertigt.51 Denn eine ____eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts hat in diesem Fall nicht stattgefunden. Fehlt ____die Unterschrift unter der Berufungsschrift, ist aber der Beglaubigungsvermerk auf den ____beigefügten Abschriften ordnungsgemäß unterschrieben, liegt ein Formmangel nicht ____vor. Denn durch den Beglaubigungsvermerk ist die Urheberschaft ausreichend nachge____wiesen.52 Ein unterschriebenes Begleitschreiben kann die Unterschrift ersetzen, sofern es ____mit dem Rest des Schriftsatzes fest verbunden ist und der Zusammenhang beider Schrift____stücke nicht in Frage steht.53 ____ ____ d) Unklarheiten über den Unterzeichner. Kann dem Schriftsatz nicht entnommen 28 ____werden, wer ihn unterzeichnet hat (unleserliche Unterschrift, kein maschinenschriftli____cher Zusatz mit dem Namen des Unterzeichers, kein identifizierbares Diktatzeichen), ist ____der Schriftsatz damit nicht unwirksam. Benötigt das Gericht eine Klarstellung, kann die____se nachgeholt werden,54 und zwar spätestens in der mündlichen Verhandlung. Es gilt der ____Freibeweis.55 Zweifel an der Echtheit können ggf. mit einer anwaltlichen Versicherung ____beseitigt werden. Stammt die Unterschrift von einem postulationsfähigen Anwalt, ist es ____weiter unschädlich, wenn der Name des Anwalts im Briefkopf falsch wiedergegeben ist, ____so etwa bei Verwendung eines Briefbogens des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtig____ten. Hieraus kann auch nicht geschlossen werden, dass der Berufungsanwalt nicht im ____eigenen Namen, sondern in fremden Namen handeln wollte56 oder dass es sich nicht um ____seine geistige Erklärung handelt.57 ____ ____ e) Nachholung der Unterschrift. Eine fehlende Unterschrift kann nachgeholt wer- 29 ____den. Die Nachholung hat aber keine rückwirkende Kraft, so dass der Mangel nach Ablauf ____ ____ 47 BGH NJW 1980, 291 = VersR 1980, 186; BGH VersR 1983, 271; OLG München NJW 1979, 2570 = MDR ____1980, 61; a.A. OLG Frankfurt NJW 1977, 1246; das gilt auch bei Quittierung des Empfangs durch das Gericht ____– BGH VersR 2004, 629. ____48 BGHZ 37, 156 = NJW 1962, 1724; BGH VersR 1973, 636 (zum Fall, dass einer unterschrieben ____Berufungsschrift eine nicht unterschriebene Begründungsschrift beigefügt ist). 49 BGHZ 97, 251, 254 = NJW 1980, 1760 (für die Berufungsbegründung); weitergehend BSG MDR 1998, ____1431 (Übersendung einer nicht unterschriebenen Berufungsbegründung in einem Briefumschlag, der mit ____einer handschriftlichen Absenderangabe versehen ist. ____50 BVerwG NJW 1991, 120. ____51 BGH MDR 2005, 1427 für die Berufungsbegründung; a.A. BGH NJW 1966, 351 = VersR 1966, 168 für die ____Berufungsschrift, und zwar mit der Begründung, dass es sich hierbei um einen formalisierten Schriftsatz handele. ____52 RGZ 27, 405, 406; 119, 62, 63; RG JW 1938, 2237; BGHZ 24, 179, 180 NJW 1957, 990 mit Anm. Johannsen ____LM § 518 ZPO Nr. 8; BGH ZZP 1954, 312; s. auch BGH LM § 519 Nr. 14; BGHZ 92, 251; BGH VersR 1992, 459; ____BGH NJW-RR 2004, 1364; BGH MDR 2008, 760. ____53 BGHZ 97, 251 = NJW 1986, 1760. 54 BGH NJW 2001, 2888. ____55 BGH NJW 2001, 2888. ____56 BGH VersR 1973, 86. ____57 BGH NJW 1989, 3022 (für die Berufungsbegründung).

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____einer Frist nicht mehr geheilt werden kann.58 Andernfalls könnte z.B. der Rechtsmittel____kläger noch außerhalb der Frist entscheiden, ob er das Rechtsmittel durchführen will. ____Dem steht das öffentliche Interesse an der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung ____entgegen. Aus dem gleichen Grund kann der Formmangel auch nicht gemäß § 295 ge____heilt werden.59 Insoweit bleibt bei einem Versäumnis nur die Wiedereinsetzung in den ____vorigen Stand. ____ ____ f) Unterzeichnung durch Vertreter. Die Unterzeichnung durch einen Vertreter des 30 ____Prozessbevollmächtigten ist zulässig, wenn der Unterzeichnende zur Vertretung befugt60 ____und selbst postulationsfähig ist. Dasselbe gilt für den Abwickler der Kanzlei eines ver____storbenen Rechtsanwalts.61 Ein Zusatz, dass die Unterzeichnung als „amtlich bestellter ____Vertreter“ oder „Kanzleiabwickler“ erfolgt, ist zur Klarstellung empfehlenswert, aber ____nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Aus dem Fehlen eines solchen Zusatzes kann nicht ____etwa geschlossen werden, dass der Anwalt für seine eigene Praxis handeln wollte. Der ____Vertreter muss mit seinem eigenen Namen unterschreiben.62 Die Grundsätze zum rechts____geschäftlichen Handeln unter fremdem Namen, wonach eine Unterzeichnung mit dem ____Namen des Vertretenen zulässig ist,63 können auf Prozesserklärungen nicht entsprechend ____angewendet werden. Denn der Anwalt soll mit der Unterschrift dokumentieren, dass es ____sich um seine Erklärung handelt, für die er selbst die Verantwortung übernimmt. Daher ____ist es auch ohne Belang, ob der Unterzeichnung mit dem Namen des Vertretenen eine ____ausdrückliche Weisung des postulationsfähigen Anwalts zugrunde lag. Wird ein Schrift____satz mit dem Zusatz „i.A.“ unterzeichnet, fehlt eine ordnungsgemäße Unterschrift. Denn ____hiermit tritt der Unterzeichner lediglich als Bote auf, ohne selbst die Verantwortung für ____den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen.64 Unschädlich bleibt der Zusatz allerdings ____dann, wenn der Unterzeichner selbst mandatiert ist (Mitglied der mit der Prozessführung ____beauftragten Sozietät).65 Unterschreibt ein Rechtsanwalt dagegen mit dem Zusatz „i.V.“ ____oder „für Rechtsanwalt X“ bzw. „für Rechtsanwalt Y, nach Diktat verreist“,66 erklärt er, ____dass er an die Stelle des anderen Anwalts getreten ist. Damit übernimmt er selbst die ____Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes. Diese Zusätze nehmen der Unterschrift ____daher nicht ihre Wirksamkeit. ____ ____ g) Telegramm. Eine Ausnahme vom Erfordernis der eigenhändigen Unterzeichnung 31 ____wird allgemein für die Rechtsmitteleinlegung durch Telegramm67 und Fernschreiben68 ge____macht. Die Rechtsprechung hat diese Formen der Rechtsmitteleinlegung im Rahmen ____einer gewohnheitsrechtlichen Rechtsfortbildung zugelassen, um damit der technischen ____Entwicklung Rechnung zu tragen,69 obwohl hierbei nicht alle Erfordernisse der Schrift____ ____ 58 BGH VersR 1980, 331 mit Anm. Späth; zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren s. BVerwGE 13, ____141. ____59 Zur Unterzeichnung der Klageschrift s. BGHZ 65, 46, 48 = NJW 1975, 1014; BGH NJW-RR 1999, ____1251. ____60 §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Satz 1, 2 BRAO; BGH LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 19; BGH VersR 1976, 830. ____61 BGH NJW 1966, 1362. 62 A.A. BGH VersR 1976, 689 = MDR 1976, 569 und BGH VersR 1976, 830. ____63 RGZ 74, 69; 81, 1; BGHZ 45, 193, 195. ____64 BGH NJW 1988, 210; KG MDR 2008, 535. ____65 BGH NJW 1993, 2056. ____66 BGH NJW 2003, 1199 = MDR 2003, 896. 67 RGZ 139, 45, 47; 151, 82, 86; BGHZ 79, 314, 316 = NJW 1981, 1618; s. auch BVerfG NJW 1987, 2067. ____68 BGHZ 87, 63, 65 = NJW 1983, 1498; BGHZ 97, 283 = NJW 1986, 1759; BAG Betr 1984, 1688; BFH NJW ____1982, 2520. ____69 RGZ 139, 45, 47; 151, 82, 86.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____lichkeit eingehalten werden können.70 Es ist sogar für zulässig erachtet worden, wenn ____das Telegramm fernmündlich vom Rechtsanwalt71 oder von einem auf Weisung handeln____den Mitarbeiter des Anwalts aufgegeben worden ist72 oder wenn der zuständige Beamte ____des Berufungsgerichts eine dem Zugang des Telegramms vorausgehende fernmündliche ____Durchsage der Post in Form einer Aktennotiz aufgenommen hat.73 Zumindest in dem ____letzten Fall ist die Schriftform nicht gewahrt. Hierbei handelt es sich in Wahrheit um eine ____– vom Gesetz nicht zugelassene – Berufungseinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle ____unter Zwischenschaltung eines Erklärungsboten. Allerdings haben diese alternativen ____Möglichkeiten für die Einreichung bestimmender Schriftsätze inzwischen mit der Einfüh____rung des Telefax ihre Bedeutung verloren. Das Telefax ermöglicht es, die anwaltliche ____Unterschrift in Kopie zu übermitteln. Da Telefaxgeräte allgemein verbreitet sind, wird die ____Rechtsprechung zu prüfen haben, ob noch ein hinreichender Grund besteht, diese Aus____nahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen Form weiterhin zuzulassen. ____ ____ h) Telefax (Telekopie). Die Zulässigkeit der Einreichung eines bestimmenden 32 ____Schriftsatzes durch Telefax ergibt sich aus der Fortführung der Rechtsprechung zum ____Telegramm und zum Fernschreiben.74 Die durch die Unterschrift erforderliche Übernah____me der Verantwortung ist beim Telefax dadurch sichergestellt, dass die auf dem Original ____befindliche Unterschrift auf dem Telefax in Kopie wiedergegeben wird. Dieses technische ____Verfahren bietet weitergehende Übermittlungsmöglichkeiten als beim Telegramm oder ____Fernschreiben Diese Möglichkeiten muss die Partei zur Formwahrung allerdings auch ____ausschöpfen.75 Demgemäß fordert die Rechtsprechung, dass die Kopiervorlage für das ____Telefax die handschriftliche Unterschrift eines postulationsfähigen Rechtsanwalts trägt ____und der Ausdruck die Unterschrift wiedergibt.76 Eine eingescannte Unterschrift reicht beim ____Telefax nicht aus.77 Andererseits soll es aber möglich sein, den bestimmenden Schriftsatz ____als Computerfax mit eingescannter Unterschrift zu übermitteln.78 Als Kopiervorlage für ____das Telefax muss nicht unbedingt das Original benutzt werden. Daher ist es z.B. möglich, ____dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz seinem Büro durch Telefax übermittelt und der ____dortige Ausdruck als Kopiervorlage für die Weiterleitung ans Gericht benutzt wird.79 Der ____Schriftsatz muss auch nicht vom Gerät des Prozessanwalts abgesandt werden. Dies kann ____auch über den Privatanschluss eines Dritten geschehen.80 ____ Der durch Telefax (oder Fernschreiben) eingereichte bestimmende Schriftsatz muss 33 ____dem Gericht grundsätzlich direkt und nicht über einen Zwischenvermittler zugeleitet ____ ____70 RG WarnRspr. 1942, 68; BGH LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 3; BGHZ 65, 10 = MDR 1975, 659 = LM § 519 ZPO ____Nr. 68 mit Anm. Portmann; BGHSt 14, 233; BAGE 23, 361. ____71 RGZ 139, 45. ____72 BGH VersR 1965, 852 = BB 1965, 1007. 73 BGH Rpfleger 1953, 29 mit Anm. Rötelmann; BGHSt 14, 233 = NJW 1960, 1310, 1311 = LM § 518 ZPO ____Nr. 10. ____74 BGHZ 79, 314 = NJW 1981, 1618; BGHZ 87, 63 = NJW 1983, 1498; BGH NJW 1989, 589; BGH NJW 1990, ____188. ____75 BAGE 50, 348, 354 = NJW 1986, 1778; BAG NJW 1989, 1822, 1823. ____76 BGH NJW 1990, 188; BGH NJW 1993, 1655; BSG NJW 1986, 1778 = MDR 1985, 1053; BAGE 50, 348 = NJW 1986, 1778; OLG Naumburg NJW 1993, 2543. ____77 BVerfG NJW 2007, 3117; BGH NJW 2006, 3784 = MDR 2007, 481; zur Wiedergabe der Unterschrift in ____Computerschrift s. BGH NJW 2005, 2086. ____78 GmSOGB BGHZ 144, 160 = NJW 2000, 2340; da nunmehr nach § 130 a bei einem elektronisch ____übermittelten Dokument eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist, dürfte eine eingescannte Unterschrift entgegen dieser Entscheidung nicht mehr zulässig sein; ausführlich hierzu Stein/Jonas/ ____Leipold Rdn. 47 ff. ____79 BGH NJW 1998, 762. ____80 BAG NJW 1989, 1822; zustimmend Wolf NJW 1989, 2592.

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§ 130

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____werden.81 Nur hierdurch ist gewährleistet, dass eine Übereinstimmung von Original und ____Ausdruck beim Empfänger besteht.82 Erfolgt die Übermittlung allerdings an eine amtli____che Stelle, ist die Gefahr einer Verfälschung ausgeschlossen. Geht eine durch Fax einge____legte Berufung auf einem nicht für das Rechtsmittelgericht bestimmten Empfangsappa____rat eines anderen Gerichts ein und wird sie von dort rechtzeitig weitergeleitet, ist sie ____wirksam.83 ____ Die Wirksamkeit der Einreichung hängt nicht davon ab, dass die Annahmestelle 34 ____zum Zeitpunkt der Übermittlung noch besetzt ist.84 Ist allerdings die Übermittlung nach ____Dienstschluss deswegen nicht mehr möglich, weil der Anschluss überlastet ist, geht dies ____grundsätzlich zu Lasten des Einreichenden. Das Gleiche gilt, wenn der Empfängerappa____rat defekt ist und mit einer rechtzeitigen Behebung der Störung nicht mehr gerechnet ____werden kann. Der Absender muss sich daher stets einen Nachweis über den Empfang ____ausdrucken lassen. Das Telefax ist grundsätzlich erst in dem Augenblick beim Gericht ____eingegangen, in dem das Schriftstück – vollständig und lesbar – im Empfängerapparat ____ausgedruckt ist. Wird es bis 24 Uhr des letzten Tages der Frist nur teilweise ausgedruckt, ____kann nur dieser Teil verwertet werden.85 Ist dort die Unterschrift nicht vorhanden, bleibt ____die Einreichung unwirksam. Ist das Schriftstück allerdings vollständig technisch über____mittelt und bewiesenermaßen im Empfangsapparat des Gerichts gespeichert worden, ____soll dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genügen.86 Hiergegen ist einzuwen____den, dass die Speicherung der Nachricht nur bei Übermittlung elektronischer Dokumen____te gemäß § 130 a ausreicht. Gegen eine analoge Anwendung dieser Vorschrift spricht, ____dass elektronische Dokumente und die Übermittlung hohen Sicherheitsstandards genü____gen müssen. Nur wenn diese erfüllt sind, kann vom Schriftlichkeitsgebot abgesehen ____werden. Die bloße Speicherung im Empfangsgerät des Gerichts kann daher nicht an die ____Stelle der Schriftform treten, zumal – im Gegensatz zum elektronischen Dokument – ____noch nicht einmal gesichert ist, dass der Speicherinhalt erhalten bleibt. In diesen Fällen ____kommt daher nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.87 Diese ist un____problematisch, wenn mit der Übermittlung des Schriftsatzes so rechtzeitig begonnen ____worden ist, dass mit einem vollständigen Ausdruck gerechnet werden konnte. Dasselbe ____gilt, wenn dem Berufungsanwalt vom Empfängerapparat des Gerichts der Eingang vor ____Fristablauf bestätigt worden ist. Dann kann er darauf vertrauen, dass der Ausdruck feh____lerfrei und vollständig erfolgt.88 Ergibt sich dagegen, dass keine Verbindung zustande ____gekommen ist, muss der Anwalt versuchen, den Schriftsatz auf andere Art und Weise zu ____übermitteln, um den Vorwurf schuldhaften Verhaltens auszuschließen.89 Zwar braucht ____er sich nicht von vorn herein auf etwaige Pannen bei der Übermittlung einzustellen.90 ____ ____ ____81 Zum Fernschreiben s. BGHZ 79, 314 = NJW 1981, 1618, 619; BAG NJW 1990, 3165. Unbedenklich ist es aber, wenn das Telefax nicht vom Anschluss des Prozessbevollmächtigten gesendet wird – BAG NJW 1989, ____1822. ____82 BGHZ 79, 314 = NJW 1981, 1618; BGHZ 97, 283, 285 = NJW 1986, 2250; a.A. BAG NJW 1989, 1822; ____BayVGH BB 1977, 568; kritisch hierzu Ebnet NJW 1992, 2985, 2986. ____83 A.A. BGH NJW-RR 1988, 893. ____84 BVerfGE 52, 580 = NJW 1980, 580; BVerfGE 69, 381, 386 = NJW 1986, 244; BGHZ 101, 276, 280 = BGH NJW 1987, 2586; die frühere Rechtsprechung (vgl. BGHZ 65, 10) ist damit überholt. ____85 BGH NJW 1994, 2097; BGH MDR 2005, 526. ____86 BVerfG NJW 1996, 2857; BGH NJW 1994, 1881; BGHZ 167, 214; BGH NJW 2001, 1581; BGH XI ZB 29/08 ____vom 15.9. 2008; s. auch Ebnet NJW 1992, 2985, 2987. ____87 Beispiel hierzu in BGH WM 1991, 2080 = ZIP 1991, 1629. 88 BVerfG NJW 1996, 2857. ____89 OLG München NJW 1991, 303; s. a. BGH NJW-RR 1995, 442. ____90 BVerfGE 69, 381, 386 = NJW 1986, 244; BGHZ 105, 116 ff. = NJW 1988, 3020, 3021; BGH NJW 1990, 187, ____188.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 130

____Besteht aber die Möglichkeit, die Schrift auf einem anderen Weg fristgerecht zu übermit____teln, muss er diese grundsätzlich ausschöpfen.91 „Unzumutbare Anstrengungen“ werden ____dabei vom Anwalt allerdings nicht gefordert.92 So hat zum Beispiel der BGH die Fristver____säumnis für einen nicht am Berufungsgericht ansässigen Rechtsanwalt als entschuldigt ____angesehen, der nach dem endgültigen Scheitern der Übermittlung durch Fax gegen ____23.00 am Tag des Fristablaufs davon abgesehen hat, die Berufungsbegründung mit dem ____Auto zu überbringen.93 ____ Die Wirksamkeit eines auf technischem Weg übermittelten bestimmenden Schrift- 35 ____satzes hängt nicht davon ab, ob es noch möglich gewesen wäre, den Schriftsatz auf dem ____normalen Postweg befördern zu lassen.94 Es ist auch nicht erforderlich, dass anschlie____ßend die Urschrift übersandt wird.95 Zumindest beim Telefax sollte die Urschrift aller____dings grundsätzlich nachgereicht werden, um etwaige Mängel bei der Übermittlung bzw. ____beim Ausdruck zu beheben. Zudem müssen in diesem Fall ohnehin die erforderlichen ____Abschriften für den Gegner nachgereicht werden (s. § 133 Rdn. 7). ____ ____ i) E-Mail/Computerfax. Per E-Mail kann ein bestimmender Schriftsatz grundsätz- 36 ____lich nur als elektronisches Dokument gemäß § 130 a übermittelt werden. Die E-Mail fällt ____nicht unter § 130.96 Allerdings kann auch mit einer E-Mail das Schriftlichkeitserfordernis ____des § 130 Nr. 6 erfüllt werden, und zwar wenn der Schriftsatz als angehängte Textdatei ____(etwa als sog. PDF-Datei)97 eingereicht wird. Der Originalschriftsatz muss dabei mit der ____eigenhändig geleisteten Unterschrift insgesamt eingescannt und sodann als Dateian____hang zur E-Mail übermittelt werden. Außerdem ist es erforderlich, dass die E-Mail beim ____Gericht vor Fristablauf ausgedruckt wird, damit das Schriftlichkeitserfordernis erfüllt ist. ____Die gleichen Grundsätze gelten beim Computerfax98 (Übermittlung aus dem Computer an ____das Fax-Gerät des Gerichts). Wird der Originalschriftsatz mit der Unterschrift eingescannt ____und nach der Übermittlung ausgedruckt, besteht kein Unterschied zum Telefax. Hier wie ____dort wird eine Kopie des Originals übersandt, auf dem sich die Unterschrift befindet. ____Dadurch ist die Urheberschaft gesichert. Fälschungen sind allerdings möglich. Dem Da____tei-Anhang zur E-Mail oder dem Computerfax ist es nicht anzusehen, ob der Schriftsatz ____insgesamt nebst Unterschrift eingescannt worden ist oder ob die Unterschrift aus einem ____anderen Dokument entnommen und auf elektronischem Weg nachträglich unter den ____vorhandenen Text gesetzt worden ist. Daher ist bei der diesen Übermittlungsarten ein ____späterer Vergleich des ausgedruckten Schriftsatzes mit dem nachgereichten Original ____unumgänglich. ____ ____ III. Inhaltliche Mängel der Schriftsätze ____ ____ Schriftsätze sind auch dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie mit Mängeln behaf- 37 ____tet sind. Wird ein per Telefax übermittelter Schriftsatz nur teilweise ausgedruckt oder ist ____er zum Teil unleserlich, ist er zu verwerten, sofern der lesbare Teil ohne den Rest ver____ ____ ____91 BGH NJW 1995, 1431, 1432 = BB 1995, 899. 92 BVerfG NJW 1996, 722. ____93 BGHReport 2003, 1431. ____94 BAG NJW 1971, 2190. ____95 BGH MDR 1993, 1234 sieht in der Nachreichung des Originals eine Wiederholung der Berufung; ____a.A. BPatG GRUR 2000, 795 und LG Berlin NJW 2000, 3291. 96 BGH Beschluss vom 4.12.2008 – IX ZB 41/08. ____97 BGH NJW 2008, 2649 (zur Berufungsbegründung). ____98 BGHZ 144, 160, 164; dazu BVerfG NJW 2007, 3117 mit Anm. Viefhues jurisPR-ITR 4/2008 ____Anm. 2.

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§ 130a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ständlich ist. Grundsätzlich ohne Folgen für die Verwertbarkeit bleibt es auch, wenn ein ____Schriftsatz einen beleidigenden Inhalt hat. Die vornehmlich in Strafsachen vertretene ____Ansicht, Beleidigungen der angerufenen Richter in Gesuchen mache diese Gesuche un____zulässig,99 läuft auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene – negative – Zulässigkeitsvoraus____setzung hinaus und wird daher zu Recht abgelehnt.100 Jedenfalls lässt sich diese Ansicht ____nicht auf bloß vorbereitende Schriftsätze in Zivilsachen übertragen.101 Aber auch ein be____stimmender Schriftsatz ist nicht deshalb unbeachtlich, weil er neben dem sachlichen ____Begehren auch ungehörige, unsachliche und beleidigende Äußerungen enthält.102 Ent____gegen der Ansicht, Schriftsätze die vorwiegend Beleidigungen enthalten, seien unbe____achtlich,103 ist vielmehr stets zu prüfen, ob der Schriftsatz ehrverletzende Äußerungen ____lediglich in die Form einer Klage, eines gerichtlichen Antrages oder eines Rechtsmittels ____kleidet oder ob ihm neben den ausfallenden und ungehörigen Äußerungen auch ein sach____liches Begehren entnommen werden kann. Ist dies der Fall, muss der Richter den Schrift____satz beachten, gegebenenfalls einen Termin anberaumen und das Verfahren durchfüh____ren.104 ____ ____ IV. Materiell-rechtliche Willenserklärungen in Schriftsätzen ____ ____ Enthält ein vorbereitender oder bestimmender Schriftsatz neben dem Prozessvor38 ____trag auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung, muss die Formvorschrift des § 126 ____BGB beachtet werden. Empfangsbedürftige Willenserklärungen, die der Schriftform un____terliegen, werden nur wirksam, wenn dem Erklärungsempfänger die formgerecht errich____tete Erklärung zugeht.105 Daher muss der Schriftsatz unterschrieben sein. Ferner muss ____ihm ein weiteres unterschriebenes Original zur Zustellung an den Gegner beigefügt wer____den. ____ ____ ____ § 130 a ____ Elektronisches Dokument ____ § 130a Gerken ____ (1) Soweit für vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, für Anträge und ____Erklärungen der Parteien sowie für Auskünfte, Aussagen, Gutachten und Erklä____rungen Dritter die Schriftform vorgesehen ist, genügt dieser Form die Aufzeich____nung als elektronisches Dokument, wenn dieses für die Bearbeitung durch das ____Gericht geeignet ist. Die verantwortende Person soll das Dokument mit einer quali____fizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Ist ein über____mitteltes elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ____ist dies dem Absender unter Angabe der geltenden technischen Rahmenbedingun____gen unverzüglich mitzuteilen. ____ (2) Die Bundesregierung und die Landesregierungen bestimmen für ihren Be____reich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an elektronische Doku____ ____ 99 KG in NJW 69, 151; OLG Karlsruhe NJW 73, 1658; OLG Karlsruhe NJW 74, 915; OLG Hamm NJW 76, 978; ____OLG Koblenz MDR 73, 157. ____100 BFH NJW 93, 1352; OLG Düsseldorf NJW 77, 1121. ____101 A.A. Stein/Jonas/Leipold § 130 Rdn. 4. ____102 BFH in NJW 93, 1352 (Leitsatz); Stein/Jonas/Leipold § 130 Rdn. 4. 103 Musielak/Stadler Rdn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 81 IV.1. ____104 Walchshöfer MDR 75, 11, 12, den Musielak/Stadler Rdn. 1 und Rosenberg/Schwab/Gottwald § 81 IV.1 ____also zu Unrecht für ihre Ansicht anführen. ____105 BGHZ 121, 224.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 130a

____mente bei den Gerichten eingereicht werden können, sowie die für die Bearbeitung ____der Dokumente geeignete Form. Die Landesregierungen können die Ermächtigung ____durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. Die Zulas____sung der elektronischen Form kann auf einzelne Gerichte oder Verfahren be____schränkt werden. ____ (3) Ein elektronisches Dokument ist eingereicht, sobald die für den Empfang ____bestimmte Einrichtung des Gerichts es aufgezeichnet hat. ____ ____ § 130 a eingefügt durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privat____rechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2011, ____BGBl. I 1542. ____ ____ Schrifttum ____ Ahrens Elektronische Dokumente und technische Aufzeichnungen als Beweismittel. Zum Urkunden____und Augenscheinsbeweis der ZPO, FS Geimer (2002) 1 ff.; Bacher Eingang von E-Mail-Sendungen bei ____Gericht MDR 2002, 669 ff.; Becker Elektronische Dokumente als Beweismittel im Zivilprozess, Frankfurt ____2004; Dästner Neue Formvorschriften im Prozeßrecht NJW 2001, 3469 ff.; Dreßel/Viefhues Gesetzgeberi____scher Handlungsbedarf für den elektronischen Rechtsverkehr – werden die wahren Probleme gelöst? ____K&R 2003, 434; Gassen Digitale Signaturen in der Praxis, Köln 2003; Gilles Zur beginnenden Elektronifi____zierung von Zivilgerichtsverfahren und ihrer Verrechtlichung in der deutschen Zivilprozeßordnung durch ____Sondernormen eines neuen „E-Prozeßrechts“, FS Németh (2003) 271; Hadidi/Mödl Die elektronische ____Einreichung zu den Gerichten NJW 2010, 2097 ff.; Köbler Schriftsatz per E-Mail – Verfahrensrechtliche ____Fallen MDR 2009, 357 ff.; Krüger/Bütter „Justitia goes online!“ – Elektronischer Rechtsverkehr im Zivilprozeß MDR 2003, 181 ff.; Manitiotis Über die Rechtswirkungen elektronischer Signaturen gemäß Art. 5 ____ der Signaturrichtlinie (1999/93/EG), FS Geimer (2002) 615 ff.; Roßnagel Das neue Recht elektronischer ____Signaturen NJW 2001, 1817 ff.; Schoenfeld Klageeinreichung in elektronischer Form, Gedanken zur ham____burgischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in gerichtlichen Verfahren, DB 2002, ____1629 ff.; Splittgerber Die elektronische Form von bestimmenden Schriftsätzen CR 2003, 23; Stadler Der ____Zivilprozeß und neue Formen der Informationstechnik ZZP 115 (2002) 411, 419 ff.; Viefhues Das Gesetz ____über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz, NJW 2005, 1009 ff.; Viefhues/ ____Hoffmann ERVG: Gesetz zur Verhinderung des elektronischen Rechtsverkehrs? Praktische Auswirkungen ____des Diskussionsentwurfs und Anpassungsbedarf an die Regelungen bei den Gerichten der Europäischen ____Gemeinschaften, MMR 2003, 71. ____ Übersicht ____ I. Bedeutung der Vorschrift ____ 1 IV. Qualifizierte elektronische Signatur ____ II. Anwendungsbereich ____ 6 (Abs. 1 Satz 2) ____ 14 ____III. § 130 a Abs. 1 Satz 1 V. Mitteilungspflicht bei ungeeignetem ____ 1. Schriftsätze und deren Anlagen ____ 8 elektronischen Dokument ____ 17 ____ 2. Anträge und Erklärungen der VI. Rechtsverordnungen gemäß § 130 a ____ Parteien ____ 10 Abs. 2 ____ 19 ____ 3. Auskünfte, Aussagen, Gutachten und VII. Einreichung des elektronischen Dokuments Erklärungen Dritter ____ 12 (§ 130 a Abs. 3) ____ 20 ____ 4. Aufzeichnung als elektronisches ____ Dokument ____ 13 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ 47

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§ 130a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ I. Bedeutung der Vorschrift ____ ____ § 130 a ist durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts 1 ____und anderer Rechtsvorschriften an den modernen Rechtsverkehr1 eingefügt worden. Mit ____dem Justizkommunikationsgesetz (JKomG)2 ist § 130 a Abs. 1 um Satz 3 erweitert worden. ____Hinzu gekommen ist § 130b, der § 130 a ergänzt. Daneben regeln weitere Vorschriften die ____Verwendung elektronischer Dokumente im Zivilprozess (§§ 133 Abs. 1 Satz 2, 174 Abs. 3 ____und 4, 298 a, 299 Abs. 3, 313 b Abs. 4, 315 Abs. 3 Satz 2, 317 Abs. 3 und 5, 319 Abs. 2 Satz 2, ____320 Abs. 4 Satz 6, 340 a Satz 4, 371 a, 416 a, 696 Abs. 2, 734 Satz 2, 758 a Abs. 6, 760 Satz 2, ____813 Abs. 2 Satz 3, 1098, 1097). Der Gesetzgeber hat hiermit die allgemeinen Rahmenbe____dingungen dafür geschaffen, die in der ZPO vorgeschriebene Schriftform durch die elekt____ronische Form zu ergänzen bzw. in Zukunft zu ersetzen. Ein Zwang zur Übermittlung in ____elektronischer Form soll hiermit nicht eingeführt werden. Auch wenn die Parteien oder ____der Dritte in der Lage sind, elektronische Dokumente zu versenden, können sie sich mit ____der herkömmlichen Schriftform begnügen.3 Zur Weiterentwicklung und Förderung des ____elektronischen Rechtsverkehrs ist von den Justizverwaltungen einiger Bundesländer ____(Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) eine ge____meinsame Bundesratsinitiative in der Planung, mit der die Vorteile der elektronischen ____Kommunikation in stärkerem Umfang als bisher für den Zivilprozess nutzbar gemacht ____werden sollen. Geplant ist u.a. die Einführung neuer Vorschriften in §§ 130 c–130 f (Ak____tenausdruck, Elektronische Akte, Akteneinsicht/Abschriften, Datenträgerarchiv). ____ 2 Elektronischer Rechtsverkehr ist im Zivilprozess der sichere und wirksame Aus____tausch elektronischer Dokumente mit dem Gericht und den Prozessparteien. Dokumente ____im Sinne von § 130 a sind Schriftstücke. Die elektronische Übermittlung tritt neben die ____bisherige papiergebundene Kommunikation durch Schriftsatz, Fax oder Computerfax. ____Hiermit wird es ermöglicht, auch bestimmende Schriftsätze – die nur mit Unterschrift ____wirksam sind4 (Einzelheiten § 130 Rdn. 22 ff.) – auf elektronischem Weg zu übermitteln. ____An Stelle der Unterschrift tritt im elektronischen Rechtsverkehr die qualifizierte elektro____nische Signatur. Sie gewährleistet wie die Unterschrift die Authentizität der verantwor____tenden Person. Die Anforderungen an die elektronische Signatur und die einzuhaltenden ____Sicherheitsstandards sind im Signaturgesetz5 geregelt. Ergänzende Regelungen hierzu ____finden sich in der Signaturverordnung.6 ____ Für das materielle Recht regelt § 126 a BGB die elektronische Form. Hiernach kann 3 ____die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden. Der Aussteller muss bei der ____elektronischen Form seinen Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizier____ten Signatur versehen. ____ 4 § 130 a gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern durch Inbezugnahme auch in anderen ____Verfahren (§§ 14 Abs. 2 FamFG, 25 GeschmG, 125 a PatG, 95 a MarkenG, 90 a EnWG, 78 ____ ____ ____1 BGBl. I 2001, 1542 (1543). ____2 BGBl. I 2005, 837. ____3 So auch Zöller/Greger § 130 a Rdn. 1; Musielak/Stadler § 130 a Rdn. 1; vgl. auch Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/4987, 23 f. ____4 Grundlegend RGZ (GS) 151, 82, 83; BGH NJW 1955, 546 = JR 1955, 266; BGHZ 37, 156, 157 = NJW 1962, ____1724; BGHZ 65, 46, 47 = NJW 1975, 1704 = LM § 295 ZPO Nr. 28 mit Anm. Hoffmann; BGH NJW 1980, 291 = ____VersR 1980, 186; BGH VersR 1980, 331; BGHZ 92, 251 = NJW 1985, 328, 329; BGH MDR 2005, 526; OLG ____München Rpfleger 1971, 188. S. auch BAG NJW 1976, 1285; BFH JZ 1970, 654; BFH NJW 1974, 1582; BSG NJW 1974, 1727; BVerwGE 13, 141, 142 = NJW 1962, 555; a.A. OLG Saarbrücken NJW 1970, 434 und OLG Frankfurt ____NJW 1977, 1246; Zöller/Vollkommer Rdn. 21, 22. ____5 BGBl. I 2001, S. 876. ____6 BGBl. I 2001, S. 3074, zuletzt geändert durch VO vom 15.11.2010 – BGBl. I 1542.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____GWB, 73 Abs. 2 GBO, 26 LwVG). Weitere Prozessordnungen treffen eigene Regelungen. In ____§§ 174, 298, 1097, 1088 wird auf § 130 a verwiesen. ____ Die nunmehr gegebene Möglichkeit der elektronischen Einreichung von Schriftsätzen 5 ____und anderen Schriftstücken – auch durch Dritte – entspricht der allgemeinen technischen ____Entwicklung und ist zu begrüßen. Sie führt zur Beschleunigung der Kommunikation und ____damit auch des Verfahrens. Der Austausch, die Weiterleitung von Schriftsätzen und die ____Akteneinsicht (§ 299 Abs. 3) werden damit für Gericht und Parteien erleichtert. Gleichzei____tig eröffnet sich für das Gericht die Möglichkeit, die Schriftsätze elektronisch weiter zu ____verarbeiten, etwa durch Übernahme bestimmter Passagen in das Urteil oder für die gut____achtliche Vorbereitung. Zugleich ist dies ein Einstieg in die elektronische Akte. Einzel____heiten hierzu sind in § 298 a geregelt. Hiernach bleibt es der Bundes- und den Landes____regierungen vorbehalten, die technischen Voraussetzungen zu schaffen und sodann ____jeweils für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem ____an elektronische Akten geführt werden können. Erst wenn dies umfassend geschehen ____ist, wird § 130 a in vollem Umfang Wirkung entfalten. Auf Bundesebene gibt es Verord____nungen für den BGH und das BPatG,7 für das BVerwG und den BFH8 sowie für das BAG.9 ____In den meisten Bundesländern sind ebenfalls entsprechende Rechtsverordnungen erlas____sen worden. Allerdings ist hierin die Übermittlung elektronischer Dokumente zunächst ____auf einzelne Verfahrensbereiche und Gerichte beschränkt worden.10 Zudem enthalten sie ____teilweise von einander abweichende technische Standards (Unterschiedliche Aufzeich____nungsformate, Zugang in einigen Bundesländern auch per E-Mail). Diese Zersplitterung ____der maßgeblichen Regelungen für den elektronischen Rechtsverkehr in verschiedene ____bundes- und landesrechtliche Regelungen, die Beschränkungen auf einzelne Verfah____rensbereiche und Gerichte sowie die Unterschiede in den einzelnen Ländern führen zu ____Unsicherheiten für den Nutzer und wirken eher abschreckend. Da die Rechtslage derzeit ____unübersichtlich ist, dürfte der Nutzer eher geneigt sein, herkömmliche Übermittlungs____wege zu verwenden. Es erscheint dringend angebracht, einheitliche Regelungen für Bund ____und Länder zu schaffen, sobald die technischen Voraussetzungen für den elektronischen ____Rechtsverkehr überall gegeben sind. Dies dürfte die Akzeptanz wesentlich steigern. So____lange die elektronische Übermittlung in den entsprechenden Rechtsverordnungen auf ____Bundes- und Landesebene nicht geregelt ist, müssen bestimmende Schriftsätze im ____Rechtsmittelverfahren auch dann in schriftlicher Form eingereicht werden, wenn das ____Verfahren beim Eingangsgericht in elektronischer Form geführt wird (z.B. in Registersa____chen).11 ____ ____ ____ ____ ____ ____7 BGH/BPatGERV vom 24.8.2007, BGBl. 2130. ____8 ERVVO BVerwG/BFH vom 26.11.2004, BGBl. I 3091. ____9 VO vom 9.3.2006 BGBl. I 519. ____10 Baden-Württemberg: VO vom 15.6.2004, GBl. 2004, 590; Bayern: ERVV vom 15.12.2006, GVBl. 2006, 1084; Brandenburg: VO vom 14.12.2006, GVBl. 2006, 558; Bremen: VO vom 18.12.2006, GBl. der Freien ____Hansestadt Bremen 2006, 548; Hamburg ERVV HA vom 28.1.2008, HmbGVBl. 2008, 51; Hessen: VO vom ____22.11.2006, GVBl. 2006, 613; Mecklenburg-Vorpommern: ERVVO M-V vom 17.12.2008, GVOBl. M-V 2009, 53; ____Niedersachsen: ERVVOJustiz vom 21.10.2011, Nds.GVBl. 201, 367; Nordrhein-Westfalen: ERegisterVO vom ____19.12.2006, GVBl. 2006, 606; Saarland: VO vom 12.12.2006, Amtsblatt 2006, 2237; Sachsen-Anhalt ERVVO LSA vom 1.10.2007, GVBl. LSA 2007, 330; Schleswig-Holstein: ERVV SH vom 12.12.2007, GVOBl. 2006, 361; ____Thüringen: ThürERVV vom 12.5.2006, GVBL 2006, Sachsen: ERVerkO vom 12.12.2006, 560; s.a. http:// ____www.egvp.de/rechtlicheGrundlagen/spezielleGrundlagen/index.php. ____11 Vgl. OLG Köln FGPrax 2011, 152.

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§ 130a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ II. Anwendungsbereich ____ ____ § 130 a Abs. 1 Satz 1 nennt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, Anträge 6 ____und Erklärungen der Parteien, Auskünfte, Aussagen, Gutachten und Erklärungen Drit____ter, für die die Schriftform vorgesehen ist. Damit werden alle Erklärungen erfasst, die ____von den Parteien oder Dritten (Zeugen, Sachverständigen) im Prozess abzugeben sind. ____Er gestattet hierfür die Aufzeichnung als elektronisches Dokument. Als solches kann es ____– nach Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen durch Verordnungen der ____Bundes- und der Landesregierungen gemäß § 130 a Abs. 2 – dem Gericht auch übermittelt ____werden. Nicht erfasst von der Vorschrift werden andere elektronische Aufzeichnungen ____(Bilddateien, Tabellen, Pläne). Diese dürfen insbesondere nicht in die Dokumente einge____arbeitet werden (z.B. Bilddatei in einen Schriftsatz), da insoweit die Gefahr besteht, dass ____die gewählte Form für die maschinelle Bearbeitung durch das Gericht nicht geeignet ist ____(§ 130 a Abs. 2 Satz 1). Solche Aufzeichnungen müssen dem Gericht daher gesondert ____übermittelt werden (E-Mail, Datenträger). ____ Eingereicht und damit wirksam ist das Dokument nach § 130 a Abs. 3 in dem Augen7 ____blick, in dem es von der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts aufge____zeichnet worden ist. Insoweit unterscheidet sich das elektronische Dokument von den ____anderen Schriftstücken, die dem Gericht auf anderen elektronischen Wegen übermittelt ____werden. Beim Fernschreiben, Fax, Computerfax und auch bei der E-Mail nebst Dateian____hang ist ein Schriftstück grundsätzlich erst dann wirksam übermittelt, wenn es beim ____Gericht ausgedruckt worden ist (s. § 130 Rdn. 34, 36).12 ____ ____ III. § 130 a Abs. 1 Satz 1 ____ ____ 1. Schriftsätze und deren Anlagen. Die Form und der notwendige Inhalt der vor8 ____bereitenden Schriftsätze ist in § 130 geregelt. Für die Beifügung von Urkunden als An____lagen gilt § 131. Da es sich bei § 130 um eine Sollvorschrift handelt, ist die Unterschrift bei ____bloß vorbereitenden Schriftsätzen nicht Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 130 Rdn. 20). Das ____gleiche gilt entsprechend für Schriftsätze in Form eines elektronischen Dokuments. Wer____den sie ohne die nach Abs. 1 Satz 2 erforderliche elektronische Signatur oder ohne die ____entsprechende Verordnungsgrundlage gemäß Abs. 2 übermittelt, sind sie gleichwohl zu ____beachten. Eine Partei kann daher auch ohne Einhaltung dieser Formerfordernisse einen ____vorbereitenden Schriftsatz als E-Mail übersenden. Vorgetragen wird sein Inhalt erst in ____der mündlichen Verhandlung. Da er erst hierdurch Wirksamkeit erlangt, ist die Nicht____einhaltung der vorgeschriebenen Form unschädlich. Das Gericht kann einen per E-Mail ____übermittelten Schriftsatz auch nicht unter Hinweis darauf, dass noch keine Verordnung ____gemäß § 130 a Abs. 2 erlassen worden sei, zurückweisen. Dies wäre eine unzulässige Un____gleichbehandlung gegenüber der Übermittlung eines Schriftsatzes per Fax oder Compu____terfax. ____ Anders ist es bei bestimmenden Schriftsätzen. Für sie ist die Unterschrift Wirk9 ____samkeitsvoraussetzung. Bestimmende Schriftsätzen sind als elektronische Dokument ____daher nur wirksam, wenn sie für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sind, wenn ____sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur durch die verantwortende Person ____nach dem Signaturgesetz versehen sind und wenn eine Verordnungsgrundlage gemäß ____ ____ 12 BGH NJW 1994, 2097; BGH MDR 2005, 526; BGH NJW 2008, 2649 (zur Berufungsbegründung); BGHZ ____144, 160, 164; dazu BVerfG NJW 2007, 3117 mit Anm. Viefhues jurisPR-ITR 4/2008 Anm. 2; Ausnahme ____allerdings für den Fall, dass ein Schriftstück bis Fristablauf vollständig im Speicher des Faxgeräts ____aufgezeichnet worden ist: BGHZ 167, 214.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____§ 130 a Abs. 2 besteht. § 130 a Abs. 1 Satz 2 ist daher – ebenso wie § 130 Nr. 6 – einschrän____kend dahin auszulegen, dass es sich insoweit um eine Muss-Vorschrift handelt.13 An____dernfalls würde es für elektronisch übermittelte Dokumente zu einer Aufweichung der ____strengen Formerfordernisse für bestimmende Schriftsätze kommen. Für eine solche Un____terscheidung besteht kein Grund. Denn das Erfordernis, dass die das Dokument verant____wortende Person durch die Unterschrift bzw. die qualifizierte Signatur auch tatsächlich ____die Verantwortung für den Inhalt übernimmt, besteht gleichermaßen beim elektronischen ____Dokument. Außerdem wäre es kaum nachvollziehbar, wenn einerseits strenge technische ____Anforderungen für die elektronische Signatur aufgestellt werden (s. Rdn. 14), anderer____seits aber die tatsächliche Einhaltung in einem zentralen Bereich des Zivilprozesses (Kla____geerhebung, Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsschriften) entbehrlich sein soll. ____ ____ 2. Anträge und Erklärungen der Parteien. Unter Anträgen sind Prozess- und Sach____anträge zu verstehen. Insoweit gilt das Gleiche wie bei den Schriftsätzen. Soweit die ____Anträge unmittelbare Rechtsfolgen auslösen sollen (z.B. Klageschrift, Rechtsmittelbe____gründung, Einspruch gegen ein Versäumnisurteil), ist eine qualifizierte elektronische ____Signatur erforderlich. ____ Da § 130 a Abs. 1 Satz 1 allgemein von „Erklärungen“ der Parteien spricht, beschränkt ____sich der Anwendungsbereich nicht nur auf den Prozessvortrag. Eine Partei kann daher ____auch eine vor ihr abzugebende eidesstattliche Versicherung (§ 294) auf elektronischem ____Weg aufzeichnen und übermitteln.14 Dasselbe gilt für die Erklärungen Dritter (Rdn. 12). ____Da § 130 a generell die Schriftform durch das elektronische Dokument ersetzen will, kön____nen nicht einzelne Bereiche hiervon ausgenommen werden. ____ ____ 3. Auskünfte, Aussagen, Gutachten und Erklärungen Dritter. Gemeint sind in ____erster Linie Erklärungen im Rahmen einer Beweiserhebung, also Auskünfte von Behör____den (§ 273 Abs. 2 Nr. 2), schriftliche Aussagen von Zeugen (§ 377 Abs. 3) oder ein schriftli____ches Gutachten (§ 411 Abs. 1). Sie können ebenfalls als elektronisches Dokument über____mittelt werden.15 ____ ____ 4. Aufzeichnung als elektronisches Dokument. Mit welchen Dateiformaten elekt____ronische Dokumente aufgezeichnet und dem Gericht übermittelt werden können, wird in ____den gemäß § 130 a Abs. 2 zu erlassenden Verordnungen geregelt (Einzelheiten Rdn. 19). ____Der Begriff entspricht dem der „maschinell lesbaren Form“ im Sinne von § 690 Abs. 3.16 ____In beiden Fällen ist es erforderlich, dass die gewählte Form für die maschinelle Bearbei____tung durch das Gericht geeignet ist. Es muss also ein Dateiformat verwendet werden, das ____vom Gericht verarbeitet werden kann. Allerdings gestattet § 690 Abs. 3 – im Gegensatz zu ____§ 130 a – dass das Dokument dem Gericht auch auf einem Datenträger übermittelt wird. ____Die gemäß § 130 a Abs. 2 erlassenen Verordnungen ermöglichen hingegen nur die elekt____ronische Übermittlung an ein Gerichtspostfach. Eine Verschlüsselung des Dokuments ist ____in den genannten Verordnungen nicht vorgesehen.17 ____ ____ 13 Niederschrift BRat (765. Sitzung) v. 22.6.2001 S. 322 entgegen der Gesetzesbegründung BT-Drucks. ____14/4987 S. 24; hierzu Dästner NJW 2001, 3469; BGH NJW 2008, 2649; BGH NJW-RR 2008, 1020; BGH NJW____RR 2009, 357; BGHZ 184, 75 = NJW 2010, 254 mit Anm. Skrobotz MMR 2010, 506; BGH NJW 2010, 2134 mit ____Anm. Hadidi/Mödl NJW 2010, 2097; Degen NJW 2008, 1473; Köbler MDR 2009, 357; Thomas/Putzo/Reichold ____Rdn. 2; MünchKomm/Wagner Rdn. 4; a.A. Zöller/Greger Rdn. 4; Musielak/Stadler Rdn. 3. 14 Anders die Vorauflage Rdn. 4. ____15 Kritisch zu der im Gesetz enthaltenen Aufzählung Gilles ZZP 118, 399. ____16 BT-Drucksache 14/4987; Zöller/Greger Rdn. 2. ____17 Im Gegensatz zu den ausgehenden Dokumenten – § 174 Abs. 3 Satz 3.

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____ IV. Qualifizierte elektronische Signatur (Abs. 1 Satz 2) ____ ____ Da elektronische Dokumente nicht handschriftlich unterzeichnet werden können, 14 ____wird in § 130 a Abs. 1 Satz 2 gefordert, dass die das Dokument verantwortende Person das ____Dokument mit einer qualifizierten elektronisches Signatur nach dem SigG versieht.18 Die ____qualifizierte Signatur tritt damit an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift. Sie soll ____dem elektronischen Dokument insbesondere im Hinblick auf dessen „Flüchtigkeit“ und ____sonst spurenlos mögliche Manipulierbarkeit eine dem Papierdokument vergleichbare ____dauerhafte Fassung verleihen.19 ____ Das SigG unterscheidet in § 2 zwischen elektronischen Signaturen, fortgeschrittenen 15 ____elektronischen Signaturen und qualifizierten elektronischen Signaturen. Elektronische ____Signaturen sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beige____fügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen (§ 2 Nr. 1 ____SigG). Die qualifizierte elektronische Signatur muss nach § 2 Nr. 2–3 SigG folgende Vo____raussetzungen erfüllen: ____ Sie muss ____– ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sein, ____– die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen, ____– mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleini____ gen Kontrolle haben kann, ____– mit den Daten, auf die sie sich bezieht, so verknüpft sein, dass eine nachträgliche ____ Veränderung der Daten erkannt werden kann, ____– auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen20 ____ und ____– mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden. ____ ____ Werden gleichzeitig mehrere Dokumente übermittelt, brauchen diese Dokumente 16 ____nur einmal signiert zu werden (sog. Containersignatur).21 Voraussetzung ist, dass sie von ____demselben Verfasser stammen. Allerdings empfiehlt es sich aus Gründen der Übersicht____lichkeit, Schriftsätze zu verschiedenen Verfahren jeweils als gesonderte Dateien zu über____senden und zu signieren. Da die Dokumente vom Gerichtspostfach an die einzelnen Ge____richte weiter geleitet werden, müssen sie getrennt werden. Hierbei kann es zu Fehlern ____kommen. Diese werden ausgeschlossen, wenn die Schriftsätze von vorn herein auf ein____zelne Dateien aufgeteilt werden. ____ ____ V. Mitteilungspflicht bei ungeeignetem elektronischen Dokument ____ ____ § 130 a Abs. 1 Satz 3 verpflichtet das Gericht, den Absender unverzüglich zu benach17 ____richtigen, wenn er das elektronische Dokument in einer für die Bearbeitung durch das ____Gericht ungeeigneten – also nicht lesbaren – Form übermittelt hat. Gleichzeitig sind dem ____Absender die geltenden technischen Rahmenbedingungen mitzuteilen. Hierbei handelt ____es sich um eine gerichtliche Fürsorgepflicht. Die Benachrichtigung soll dem Absender ____die Möglichkeit geben, das Dokument innerhalb der noch laufenden Frist nochmals, und ____ ____ ____18 Zu den technischen Einzelheiten von Erzeugung und Prüfung der Signatur s. Hadidi/Mödl NJW 2010, ____2097, 2099. 19 BGH NJW-RR 2009, 357; BGHZ 184, 75. ____20 Zur Notwendigkeit der Freischaltung des qualifizierten Zertifikats durch den ____Zertifizierungsdienstanbieter s. BGH NJW 2010, 2134 mit krit. Anm. Hadidi/Mödl NJW 2010, 2097, 2099. ____21 Viefhues NJW 2005, 1009, 1010.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 130a

____zwar formgerecht zu übermitteln. Diese Pflicht des Gerichts ist zumindest solange ange____bracht, als noch keine einheitlichen, überall gültigen technische Standards eingeführt ____sind. Voraussetzung für eine Benachrichtigung ist allerdings, dass das übermittelte Do____kument überhaupt lesbar ist bzw. dass zumindest der Absender ermittelt werden kann. ____ Die Beachtung der Form ist in erster Linie Sache des Übermittlers. Fehler fallen in 18 ____seine Sphäre. Dasselbe gilt für andere Risiken der Übermittlung. Bei Unsicherheit über ____die einzuhaltenden technischen Voraussetzungen für die Aufzeichnung, Übermittlung ____und Signatur des Dokuments besteht eine Erkundigungspflicht. Da dem Absender bei ____Übermittlung an ein elektronisches Postfach automatisch eine Eingangsbestätigung ge____schickt wird, ist er zur Erkundigung bzw. zur Nachforschung verpflichtet, wenn diese ____ausbleibt. Wird eine Frist deswegen versäumt, weil die erforderliche Form nicht gewahrt ____ist, geht dies zu Lasten der Partei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann un____ter Umständen dann in Betracht kommen, wenn das Gericht seiner Pflicht zu einem un____verzüglichen Hinweis nicht nachgekommen ist. Denn die Partei darf darauf vertrauen, ____dass das Gericht seine Hinweispflicht erfüllt. Insoweit können die Grundsätze herange____zogen werden, die für die verzögerte Weiterleitung fristgebundener Schriftsätze entwi____ckelt worden sind, die an das falsche Gericht gelangt sind (hierzu § 233 Rdn. 42).22 Ebenso ____kommt eine Wiedereinsetzung in Betracht, wenn die dem Benutzer der Signaturkarte ____erteilten Hinweise fehlerhaft sind und es deswegen zu einer Fristversäumnis kommt.23 ____ ____ VI. Rechtsverordnungen gemäß § 130 a Abs. 2 ____ ____ § 130 a Absatz 2 ermächtigt die Bundesregierung und die Landesregierungen, jeweils 19 ____für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an ____elektronische Dokumente eingereicht werden können.24 Weiter ist die für die Bearbei____tung der Dokumente geeignete Form zu bestimmen. Festgelegt werden in diesen Verord____nungen unter anderem die Stelle, die für die Entgegennahme des Dokuments bestimmt ____ist, das Dateiformat für die Übertragung, das Verfahren für die Anmeldung zum elektro____nischen Rechtsverkehr und die Einzelheiten der Signatur. Für die Entgegennahme der ____Dokumente ist jeweils in den Ländern eine einheitliche Empfangsadresse bestimmt wor____den. Als Formate sind zugelassen worden: ASCII, Unicode, Microsoft RTF, Adobe PTF, ____XML, TIFF, Microsoft Word (in Niedersachen zusätzlich ANSI). Die Einreichung der Do____kumente ist in den Verordnungen zunächst auf einzelne Gerichte und bestimmte Verfah____ren beschränkt worden. Teilweise werden hinsichtlich Format und Dateigröße für ein____zelne Bereiche nochmals Einschränkungen gemacht. ____ ____ VII. Einreichung des elektronischen Dokuments (§ 130 a Abs. 3) ____ ____ Nach § 130 a Abs. 3 ist ein elektronisches Dokument eingereicht, sobald es von der 20 ____für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts aufgezeichnet worden ist. Geht es ____um ein fristgebundenes Dokument (z.B. Rechtsmittelschrift, Klage zur Hemmung der ____Verjährungsfrist), muss das Dokument einschließlich der Signatur bis zum Fristablauf ____vollständig aufgezeichnet sein. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei der Über____mittlung eines Fax.25 Kommt es zu Verzögerungen, geht dies grundsätzlich zu Lasten der ____ ____ ____22 BVerfGE 93, 99 = NJW 1995, 3171; BGHR § 233 ZPO Rechtsmitteleinlegung Nr. 8; BGH NJW-RR 1998, 1218; BGH NJW-RR 2000, 1731; s. auch BAG NJW 1998, 923. ____23 BGH NJW 2010, 2134, 2136. ____24 Übersicht s. Fn. 10. ____25 S. hierzu BGHZ 167, 214; BGH Beschluss vom 15.9.2009 XI ZB 29/08.

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§ 130b

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____Partei. Ausgenommen sind technische Fehler im Gerichtsbereich. Kommt es wegen sol____cher Fehler zu einer Verzögerung der Aufzeichnung, ist Wiedereinsetzung in den vorigen ____Stand zu gewähren. ____ 21 Aufgezeichnet wird das Dokument nach den einzelnen Verordnungen jeweils von ____einem zentralen Server mit einheitlicher Adresse (Elektronisches Gerichts- und Verwal____tungspostfach – EGVP). Von dort werden die Dokumente an die einzelnen Gerichte wei____tergeleitet. Maßgeblich ist die Speicherung im Zentralserver. Damit ist das Dokument ____eingereicht. Geht es bei der Weiterleitung im elektronischen Verkehr verloren, ändert ____dies nichts an der Wirksamkeit. Selbstverständlich hängt die Wirksamkeit auch nicht da____von ab, ob das Dokument später ausgedruckt wird.26 ____ Das Dokument kann von der Geschäftsstelle in elektronischer Form zugestellt wer22 ____den (§ 174 Abs. 3). Dabei muss es allerdings gemäß § 174 Abs. 3 Satz 3 verschlüsselt wer____den. Das Empfangsbekenntnis kann als signiertes elektronisches Dokument zurückge____sandt werden. Für die formlose Übermittlung von Schriftsätzen fehlt eine entsprechende ____Regelung. Sie können selbstverständlich ebenfalls elektronisch übermittelt werden. ____Auch die Akteneinsicht kann elektronisch erfolgen. Ob die Dokumente ausgedruckt oder ____im Rahmen einer elektronischen Akte geführt werden, bleibt dem Gericht überlassen. ____Für die elektronische Aktenführung bedarf es einer Verordnung gemäß § 298 a Abs. 1 ____Satz 2. ____ ____ ____ § 130 b ____ Gerichtliches elektronisches Dokument ____ § 130b Gerken ____ Soweit dieses Gesetz dem Richter, dem Rechtspfleger, dem Urkundsbeamten ____der Geschäftsstelle oder dem Gerichtsvollzieher die handschriftliche Unterzeich____nung vorschreibt, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Doku____ment, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen ____hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur ____versehen. ____ ____ Schrifttum ____ Gilles Zivilgerichtsverfahren, Teletechnik und „E-Prozessrecht“ ZZP 118 (2005) 399 ff.; Hähnchen Elekt____ronische Akten bei Gericht – Chancen und Hindernisse NJW 2005, 2257 ff.; Viefhues Das Gesetz über die ____Verwendung elektronischen Kommunikationsformen in der Justiz NJW 2005, 1010 ff. ____ ____ Übersicht ____I. Anwendungsbereich ____ 1 2. Signatur bei Kollegialentschei____II. Anwendbarkeit des SigG ____ 4 dungen ____ 7 3. Geschäftsstellenvermerke ____ 8 ____III. Formerfordernisse ____ 6 1. Namensangabe IV. Mängel der Signatur ____ 9 ____ ____ ____ I. Anwendungsbereich ____ ____ § 130 b – durch das JKomG v. 22.3.2005 (BGBl. I 837) in die ZPO eingefügt – ergänzt 1 ____§ 130 a. Die Regelung gilt für gerichtliche Dokumente, während § 130 a solche anderer ____Verfahrensbeteiligter betrifft. Entsprechende Bestimmengen finden sich z.B. in § 65 a ____ ____ ____26 Vgl. Zöller/Greger § 130 a Rdn. 6; Musielak/Stadler § 130 a Rdn. 5; Saenger/Wöstmann § 130 a Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 130b

____Abs. 3 Finanzgerichtsordnung, § 46 c Arbeitsgerichtsgesetz und § 55 a Verwaltungsge____richtsordnung. ____ Es muss sich um ein Dokument handeln, das die handschriftliche Unterzeichnung ____durch den Richter, Rechtspfleger, Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder Gerichts____vollzieher erfordert, soweit dies in Papierform erstellt wird. Das sind insbesondere ge____richtliche Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse, Verfügungen mit Belehrungen und Frist____setzungen) sowie Protokolle.1 ____ Die qualifizierte elektronische Signatur ist nicht erforderlich, wenn die Unterschrift ____nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, etwa bei Informationen und Mitteilungen, die telefo____nisch oder maschinell ohne Unterschrift erfolgen können. ____ ____ II. Anwendbarkeit des SigG ____ ____ Die qualifizierte elektronische Signatur muss die Anforderungen von § 2 Nr. 3 SigG ____erfüllen. Einzelheiten hierzu s. § 130 a Rdn. 14. ____ ____ III. Formerfordernisse ____ ____ 1. Namensangabe. Am Ende des Dokuments sind die Namen der Signierenden an____zugeben. ____ ____ 2. Signatur bei Kollegialentscheidungen. Muss ein Dokument von mehreren Per____sonen unterschrieben werden, ist eine Mehrfachsignatur erforderlich. Das ist z.B. der ____Fall bei Unterschrift durch die Mitglieder einer Kammer oder eines Senats unter ein Ur____teil. In diesen Fällen müssen die Signaturen nebeneinander erfolgen, um die Signatur ____der Mehrfachsignierenden nicht zu zerstören.2 Zu beachten ist bei der Mehrfachsignatur, ____dass nach der Signatur der ersten Person keine Änderung mehr vorgenommen werden ____darf, da sonst die vorhergehende Signatur zerstört wird. Deshalb müssen selbst dann ____alle Personen neu signieren, wenn später – etwa durch den Vorsitzenden – nur ein ____Rechtschreibfehler berichtigt wird.3 ____ ____ 3. Geschäftsstellenvermerke. Die Geschäftsstelle ist nicht befugt, dem elektroni____schen Dokument einen Verkündungs- oder Rechtskraftvermerk hinzuzufügen. Denn die____ser ist durch die ursprüngliche Signatur nicht mehr gedeckt. Die Geschäftsstelle muss ____daher hierfür ein gesondertes Dokument erstellen und dieses zusammen mit einer eige____nen Signatur mit dem ursprünglichen Dokument verbinden.4 ____ ____ IV. Mängel der Signatur ____ ____ Die Rechtsfolgen von Mängeln der qualifizierten elektronischen Signatur sind in der ____ZPO nicht geregelt. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung hierüber der Rechtsprechung ____und Rechtslehre überlassen.5 Mängel der elektronischen Signatur sind solchen der Un____ ____ ____ ____ ____1 Musielak/Stadler ZPO § 130 b Rdn. 2; Viefhues NJW 2005, 1010 ff. (1011). 2 Saenger/Wöstmann ZPO § 130 b Rdn. 1; Zöller/Greger ZPO § 130 b Rdn. 2. ____3 Viefhues NJW 2005, 1010 ff. (1012). ____4 Viefhues a.a.O. ____5 Thomas/Putzo/Reichold § 130 b Rdn. 3.

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§ 131

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____terschrift gleichzusetzen.6 Fehlt z.B. die Signatur unter einem Urteil (§ 315 Abs. 1), ist das ____Urteil dennoch mit seiner Verkündung existent geworden.7 Wird die Verkündung nach ____§ 310 Abs. 3 durch Zustellung ersetzt, muss das Urteil dagegen im Zeitpunkt der Zustellung ____unterschrieben sein,8 da sonst kein existentes Urteils vorliegt, durch das Rechtsmittelfris____ten in Lauf gesetzt werden. Als Faustregel gilt: Mängel der elektronischen Signatur sind ____ebenso zu behandeln wie Mängel der durch die elektronische Signatur ersetzten Unter____schrift. ____ ____ ____ § 131 ____ Beifügung von Urkunden ____ § 131 Gerken ____ (1) Dem vorbereitenden Schriftsatz sind die in den Händen der Partei befindli____chen Urkunden, auf die in dem Schriftsatz Bezug genommen wird, in Urschrift ____oder in Abschrift beizufügen. ____ (2) Kommen nur einzelne Teile einer Urkunde in Betracht, so genügt die Beifü____gung eines Auszugs, der den Eingang, die zur Sache gehörende Stelle, den Schluss, ____das Datum und die Unterschrift enthält. ____ (3) Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder von bedeutendem Um____fang, so genügt ihre genaue Bezeichnung mit dem Erbieten, Einsicht zu gewähren. ____ ____ Schrifttum ____ Hirtz Zum Ausschluß des Parteivorbringens bei nicht rechtzeitiger Vorlage eines Schriftsatzes NJW ____1981, 2234 ff.; Lange Bezugnahmen im Schriftsatz NJW 1989, 438 ff.; Schmidt Nochmals: Ausschluß des ____Parteivorbringens bei nicht rechtzeitiger Vorlage eines Schriftsatzes NJW 1982, 811 ff.; Zinke Streitfragen im ____Mahnverfahren NJW 1983, 1081 ff. ____ ____ Übersicht ____I. Regelungsinhalt ____ 1 2. In den Händen der Partei ____ 6 3. Bezugnahme ____ 7 ____II. Einzelheiten ____ 5 III. Kosten/Gebühren ____ 9 ____ 1. Urkunden ____ ____ I. Regelungsinhalt ____ ____ § 131 ergänzt § 130. Urkunden, auf welche sich eine Partei bezieht und die sich in ih1 ____ren Händen befinden, sind den vorbereitenden Schriftsätzen beizufügen. Es handelt sich ____um eine Sollvorschrift. Die Nichtvorlage löst keine unmittelbaren nachteiligen Folgen ____aus, kann aber zur Verspätung führen. Anders ist es allerdings im Urkundenprozess. ____Wird dort ein dem Kläger obliegender Beweis nicht mit den im Urkundenprozess zulässi____gen Beweismitteln angetreten (§§ 592, 420), führt die Nichtvorlage zur Abweisung der ____Klage als unstatthaft (§§ 593 Abs. 2, 597 Abs. 2). Die Vorlagepflicht gilt in gleicher Weise ____für bestimmende Schriftsätze, soweit dort vorbereitender Vortrag enthalten ist (z.B. Kla____geschrift, Berufungsbegründung). ____ Mit der Vorlage soll für Gericht und Gegner die Vorbreitung der mündlichen Ver2 ____handlung erleichtert werden. Darüber hinaus bewirkt die Vorschrift den Urkundenbe____ ____ 6 Musielak/Stadler ZPO § 130 b Rdn. 2; Saenger/Wöstmann § 130 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Reichold § 130 b ____Rdn. 3; Zöller/Greger § 130 b Rdn. 3. ____7 BGH NJW 2006, 188. ____8 BGHZ 137, 53.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 131

___weis bzw. macht ihn unter Umständen überflüssig. Wird eine Urkunde nicht vorgelegt, ___kann sich der Gegner zunächst auf ein pauschales Bestreiten beschränken. Eine inhaltli___che Auseinandersetzung ist erst dann geboten, wenn die Urkunde vorliegt. ___ Neben § 131 sind die Vorschriften der §§ 134, 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 von Bedeutung. 3 ___§ 134 regelt die Einsichtnahme in die Urkunde selbst – also in das Original – und ermög___licht eine Prüfung bereits vor dem Termin. Gemäß §§ 142, 273 Abs. 2 kann das Gericht die ___Parteien durch eine Auflage zur Erfüllung ihrer Vorlagepflicht anhalten. Unabhängig ___hiervon sollte allerdings jede Partei von sich aus darauf bedacht sein, dem Gericht von ___vornherein alle Schriftstücke und Unterlagen, auf die sie sich zur Erläuterung ihres Pro___zessvortrags bezieht, frühzeitig und vollständig vorzulegen. Der Parteivortrag wird häu___fig erst anhand der Urkunden nachvollziehbar. Zudem bekommt er hierdurch Substanz ___und Überzeugungskraft. Für das Urkundenbeweisverfahren gelten §§ 420 ff. ___ § 131 Abs. 2 und 3 begrenzen die Pflicht zur Vorlage. Die Regelungen entstammen un- 4 ___verändert der Civilprozessordnung vom 30.1.1877 (dort § 122). Unter den heutigen techni___schen Gegebenheiten haben sie keine nennenswerte praktische Bedeutung mehr. Die Er___leichterungen der Vorlagepflicht in Abs. 2 und 3 erklären sich daraus, dass früher stets ___maschinenschriftliche Abschriften gefertigt werden mussten. Da sich inzwischen Urkun___den problemlos für Gericht und Gegner kopieren lassen, ist es heute ohne großen Aufwand ___möglich, Urkunden stets vollständig einzureichen. Daher sollte dies eine Selbst___verständlichkeit sein. Eine Ausnahme sollte nur bei besonders umfangreichen Urkunden ___gemacht werden, wenn es unzweifelhaft nur auf einige Stellen ankommt. Wird – was § 131 ___Abs. 2 nach wie vor ausdrücklich gestattet – bei weniger umfangreichen Urkunden nur ein ___Auszug vorgelegt, erweckt das den Verdacht, dass einzelne entscheidungserhebliche Tei___le vorenthalten werden sollen. Eine auszugsweise Vorlage wird daher häufig zu einer Auf___lage des Gerichts gemäß §§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 führen, die restlichen Teile ebenfalls einzu___reichen. Gänzlich unpraktisch ist der vollständige Verzicht auf Vorlage gemäß § 131 Abs. 3, ___also bei Urkunden, die dem Gegner bereits bekannt sind. Macht eine Partei von dieser ___Möglichkeit Gebrauch, muss sie den Inhalt der Urkunden dem Gericht schriftsätzlich vor___tragen, soweit der Inhalt zum Verständnis des Parteivortrags nötig ist. Einfacher ist daher ___die Herstellung einer Ablichtung mit einer Bezugnahme (näher hierzu Rdn. 7, 8) hierauf. ___ ___ II. Einzelheiten ___ ___ 1. Urkunden. Urkunden im Sinne der ZPO sind durch Niederschrift verkörperte Ge- 5 ___dankenerklärungen, die geeignet sind, Beweis für einen Parteivortrag zu erbringen.1 Der ___zivilprozessrechtliche Begriff der Urkunde ist damit enger als der strafrechtliche.2 Er um___fasst nur Schriftstücke. Die Urkunde ist im Original oder in Abschrift einzureichen. Es ___genügt daher eine Fotokopie.3 Für den Gegner sind die für die Zustellung erforderliche ___Zahl von Abschriften beizufügen (§ 133 Abs. 1 Satz 1). Neben Urkunden kann in vorberei___tenden Schriftsätzen auch auf andere Schriftstücke Bezug genommen werden. § 142 ___Abs. 1 nennt „sonstige Unterlagen“. Dies sind z.B. Pläne, Risse, Zeichnungen, Fotogra___fien, elektronische Datenträger etc. Sie fallen nicht unter § 131 Abs. 1. Dasselbe gilt für ___Unterlagen, die von der Partei eigens für die Prozessführung hergestellt werden, wie ___Aufmaßberechnungen,4 Rechenwerke oder Tabellen. Diese Unterlagen dienen nicht der ___Beweisführung, sondern nur der Erläuterung bzw. Ergänzung des Parteivortrags. ___ ___ 1 BGHZ 65, 300. ___2 Stein/Jonas/Leipold § 415 Rdn. 13; AK-Rüßmann Vor § 415 Rdn. 2. ___3 Stein/Jonas/Leipold § 131 Rdn. 5. ___4 OLG Düsseldorf MDR 1964, 245.

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§ 131

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 6 2. In den Händen der Partei. Gemeint sind alle Urkunden, an denen die Partei Be_____sitz hat. Mittelbarer Besitz genügt,5 auch der Besitz des Prozessbevollmächtigten oder _____des gesetzlichen Vertreters, sofern der gesetzliche Vertreter den Besitz für den Vertrete_____nen und nicht für sich selbst ausübt. Bloße Besitzdienerschaft (§ 855 BGB) genügt nicht, _____weil der Besitzdiener den unmittelbaren Besitz nur für den Besitzer inne hat. § 131 gilt _____auch für den Streithelfer, soweit dieser sich in seinem vorbereitenden Schriftsatz auf _____eine in seinen Händen befindliche Urkunde bezieht. Verweist der Streithelfer auf eine _____Urkunde, die in Händen der Partei ist, kann ihn selbst keine Vorlagepflicht treffen. In_____soweit muss ggf. eine Auflage des Gerichts gemäß §§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 greifen. Hat _____die Partei nicht das Original einer Urkunde, wohl aber eine Abschrift oder eine Fotoko_____pie – gleichviel, ob beglaubigt oder nicht – und bezieht sie sich hierauf, ist dies eben_____falls eine Urkunde im Sinne des § 131 Abs. 1 und dem vorbereitenden Schriftsatz beizu_____fügen.6 _____ _____ 3. Bezugnahme. Bezug genommen wird auf eine Urkunde nicht schon dadurch, 7 _____dass auf ihre Existenz hingewiesen wird. Es muss vielmehr zum Ausdruck kommen, dass _____von der Urkunde auch als Beweismittel Gebrauch gemacht werden soll.7 Zitiert etwa eine _____Partei eine Bestimmung aus einem Vertrag, dessen Inhalt sie für unstreitig hält und von _____dem jeder Partei ein Exemplar vorliegt, dann nimmt sie hierdurch noch nicht auf den _____Vertrag als Beweisurkunde Bezug und braucht ihn infolgedessen auch nicht beizufü_____gen.8 Diese Pflicht setzt erst dann ein, wenn die Existenz des Vertrages oder die Richtig_____keit des Zitates bestritten wird. Allerdings ist es unabhängig hiervon stets angezeigt, dem _____Gericht von vorherein vollständige Unterlagen vorzulegen. _____ Von der Bezugnahme auf Beweisurkunden ist die Bezugnahme auf andere Schrift8 _____stücke zur Erläuterung oder Ergänzung des Parteivortrags zu unterscheiden. Diese fällt _____nicht unter den Anwendungsbereich von § 131. Insoweit geht es vielmehr allein um die _____Ordnungsgemäßheit des Sachvortrags. Hierzu gilt, dass der notwendige Inhalt bestim_____mender Schriftsätze diesen selbst zu entnehmen sein muss.9 Wird – was zulässig ist – _____auf Unterlagen verwiesen, muss dies konkret geschehen. Pauschale Bezugnahmen auf _____Schriftstücke außerhalb des Schriftsatzes sind grundsätzlich unbeachtlich. Es ist nicht _____Sache des Gerichts, aus pauschal in Bezug genommenen Schriftstücken in eigener Ver_____antwortung das herauszufiltern, was geeigneter Vortrag sein bzw. zum Prozesserfolg _____führen könnte.10 Umfangreiche Anlagen müssen ohne konkrete Bezugnahme nicht da_____rauf untersucht werden, ob sich im Schriftsatz fehlender Vortrag eventuell dort findet.11 _____Es ist Aufgabe der Parteien bzw. der für sie handelnden Anwälte, die Schriftstücke, auf _____deren Inhalt es ihnen ankommt, aufzubereiten und zweckmäßig geordnet vorzutragen.12 _____Geschieht dies, wird der in Bezug genommene Teil eines Schriftstücks nur dann zum _____Gegenstand der mündlichen Verhandlung, wenn das Schriftstück durch Beifügung zu _____ _____ _____ _____5 Stein/Jonas/Leipold § 131 Rdn. 3; Musielak/Stadler § 131 Rdn. 6. _____6 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 131 Rdn. 8. 7 Stein/Jonas/Leipold § 131 Rdn. 2. _____8 MünchKomm-Peters § 131 Rdn. 2; AK-Puls § 131 Rdn. 1. _____9 BGH NJW 1956, 1878; BGH-Report 2002, 257. Zur Bezugnahme auf Anlagen in der _____Berufungsbegründung s. § 520 Rdn. 85 ff. _____10 BGH NJW-RR 2004, 640. 11 BVerfG NJW 1994, 2683; BGH NJW 2008, 69. _____12 BGH NJW 1956, 1878; BGH MDR 63, 483; BGH-Report 2002, 257; OLG Schleswig MDR 76, 50; OLG _____Düsseldorf MDR 93, 798; Stein/Jonas/Leipold § 130. _____Rdn. 9; MünchKomm-Peters § 130 Rdn. 6; Zöller/Greger § 130 Rdn. 2; Musielak/Stadler § 130 Rdn. 10.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 132

___den Gerichtsakten gelangt ist.13 Insbesondere bei umfangreichen Urkunden (Büchern, ___Akten) bedarf es der genauen Bezeichnung der in Bezug genommenen Stelle.14 Fehlen ___die Unterlagen, auf die in einem bestimmenden Schriftsatz verwiesen wird, ist es eine ___Frage des Einzelfalls, ob der Schriftsatz gleichwohl die gewollte prozessuale Wirkung ___erzeugen kann. Fehlt z.B. bei einem unmittelbar vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder ___Rechtsmittelbegründungsfrist eingereichten Prozesskostenhilfegesuch das notwendige ___Formular mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ist ___die Frist nicht gewahrt. Anders kann es sein bei einer Berufungsbegründung, in der auf ___Urkunden oder gesondert erstellte Rechenwerke Bezug genommen wird. Ist die Beru___fungsbegründung sonst ordnungsgemäß und enthält sie einen Angriff, der formal die ___Anforderungen an eine Berufungsbegründung erfüllt, können die fehlenden Unterlagen ___auch nach Ablauf der Frist nachgereicht werden. Die Berufung wird dadurch nicht unzu___lässig (Einzelheiten zur Bezugnahme in der Berufungsbegründung s. § 520 Rdn. 85 ff.). ___Ergänzender Sachvortrag ist im Berufungsverfahren auch nach Ablauf der Berufungsbe___gründungsfrist statthaft. Allerdings sind die Verspätungsregeln (§ 530) zu beachten. ___ ___ III. Kosten/Gebühren ___ ___ Vom Anwalt gefertigte Ablichtungen sind gemäß VV RVG Nr. 7000 zu vergüten. Müs- 9 ___sen vom Gericht Ablichtungen für den Gegner gefertigt werden, weil sie einem Schriftsatz ___nicht beigefügt waren, handelt es sich um Auslagen gemäß KV GKG Nr. 9000. Kosten___schuldner ist unabhängig von der Kostenverteilung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 GKG die ___Partei, die verpflichtet war, die erforderliche Zahl von Mehrfertigungen beizufügen. ___ ___ ___ § 132 ___ Fristen für Schriftsätze ___ § 132 Gerken ___ (1) Der vorbereitende Schriftsatz, der neue Tatsachen oder ein anderes neues ___Vorbringen enthält, ist so rechtzeitig einzureichen, dass er mindestens eine Woche ___vor der mündlichen Verhandlung zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt für ei___nen Schriftsatz, der einen Zwischenstreit betrifft. ___ (2) Der vorbereitende Schriftsatz, der eine Gegenerklärung auf neues Vorbrin___gen enthält, ist so rechtzeitig einzureichen, dass er mindestens drei Tage vor der ___mündlichen Verhandlung zugestellt werden kann. Dies gilt nicht, wenn es sich um ___eine schriftliche Gegenerklärung in einem Zwischenstreit handelt. ___ Übersicht ___ ____ 1 2. Gegenerklärung auf neues Vorbringen ___I. Regelungszweck II. Anwendungsbereich (§ 132 Abs. 2 Satz 1) ____ 9 ___ ____ 1. Vorbereitende Schriftsätze 3 3. Schriftsatzfristen im Zwischen___ 2. Parteiprozess ____ 6 streit (§ 132 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ___ III. Zu den Fristen Satz 1) ____ 10 ___ 1. Neues Vorbringen (§ 132 Abs. 1 IV. Folgen der Fristversäumung ____ 12 ___ Satz 1) ____ 7 ___ ___ ___ ___ ___13 BGH NJW 1995, 1841. ___14 BGH 1956, 1878.

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§ 132

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ I. Regelungszweck ____ ____ § 132 regelt ebenso wie die übrigen Vorschriften der §§ 129–135 die Vorbereitung der 1 ____mündlichen Verhandlung. Er bestimmt Zwischenfristen (zum Begriff: Vor § 214 Rdn. 28) ____für die Einreichung von vorbereitenden Schriftsätzen. Hiermit wird gewährleistet, dass ____sich Gericht und Gegner rechtzeitig auf die Verhandlung vorbereiten können. Zugleich ____wird hierdurch der Anspruch des Gegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs und die ____erforderliche Waffengleichheit gesichert. Der Gegner kann seinen Anspruch auf rechtli____ches Gehör nur dann wahrnehmen, wenn ihm eine angemessene Vorbereitungszeit zur ____Verfügung steht. ____ Bestimmt das Gericht eine längere Zwischenfrist – etwa gemäß §§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 2 ____521 Abs. 2 – ist diese maßgeblich. Wird der Termin verlegt, hat dies zugleich eine Verlän____gerung der Fristen gemäß § 132 zur Folge. Gemäß § 226 Abs. 1 können die Zwischenfristen ____auf Antrag abgekürzt werden. Da es sich um gesetzliche Mindestfristen handelt, darf dies ____allerdings nur in besonderen Eilfällen geschehen. Wird die Frist zu kurz bemessen und ____erscheint der Gegner nicht, muss die Verhandlung vertagt werden (§ 335 Abs. 2). Hier____durch kann der erstrebte Beschleunigungseffekt zunichte gemacht werden. ____ ____ II. Anwendungsbereich ____ ____ 1. Vorbereitende Schriftsätze. § 132 nennt nur vorbereitende Schriftsätze. Er gilt 3 ____aber ebenso für bestimmende Schriftsätze, die nach Prozessbeginn eingereicht werden. ____Die Einlassungsfrist der §§ 274 Abs. 3, 523 Abs. 2, 553 Abs. 2, 593 Abs. 2 Satz 2 gilt nur für ____bestimmende Schriftsätze, mit denen das Verfahren eingeleitet wird. Bei einer nachfol____genden Klageänderung oder Erweiterung greift sie nicht ein. Hierfür muss nur die Frist ____des § 132 Abs. 1 Satz 1 gewahrt sein.1 Soweit ein nachträglich eingereichter bestimmender ____Schriftsatz neben den neuen Anträgen auch neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel ____enthält, gelten ohnehin keine Besonderheiten. Insoweit steht der bestimmende Schrift____satz dem vorbereitenden Schriftsatz gleich. ____ Die vorbereitenden Schriftsätze müssen neue Tatsachen, ein anderes neues Vorbrin4 ____gen oder eine Gegenerklärung auf neues Vorbringen enthalten. Gemeint sind hiermit alle ____Angriffs- und Verteidigungsmittel. Neues Vorbringen im Gegensatz zum Tatsachenvor____trag ist alles, wozu der Gegner Gelegenheit zur Erwiderung erhalten muss, also etwa ____neue Anträge, neue Beweismittel2 oder Einwendungen. Dasselbe gilt für Einreden, die ____sich zwar in tatsächlicher Hinsicht aus dem bereits vorliegenden Vortrag ergeben, aber ____erst jetzt ausdrücklich erhoben werden, wie z.B. die bis dahin unterbliebene Verjäh____rungseinrede.3 Für Rechtsausführungen gilt § 132 nicht. Rechtsausführungen muss das ____Gericht stets beachten, und zwar selbst dann, wenn sie in einem erst nach Schluss der ____mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz enthalten sind. ____ 5 Im Arrest und einstweiligen Verfügungsverfahren findet § 132 keine Anwendung.4 ____Dies folgt aus dem Beschleunigungsgebot für diese Verfahren. ____ ____ 6 2. Parteiprozess. Die Ankündigung des Vortrags für die mündliche Verhandlung ____durch vorbereitende Schriftsätze ist nur im Anwaltsprozess vorgeschrieben (§ 129 Abs. 1). ____ ____ ____1 RGZ 15, 390, 392; OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 859. 2 Stein/Jonas/Leipold § 132 Rdn. 5; MünchKomm-Peters § 132 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/ ____Hartmann § 132 Rdn. 7; Thomas/Putzo/Reichold § 132 Rdn. 2. ____3 Stein/Jonas/Leipold § 132 Rdn. 5. ____4 Stein/Jonas/Leipold § 132 Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 132

___Im Parteiprozess gilt § 132 daher erst dann, wenn eine richterliche Anordnung gemäß ___§ 129 Abs. 2 ergeht. Gibt die Partei in diesem Fall ihre Erklärungen zu Protokoll der Ge___schäftsstelle ab, muss sie ebenfalls die Frist wahren. Unterbleibt eine richterliche An___ordnung, gelten die Fristen des § 132 auch dann nicht, wenn eine Partei den Termin von ___sich aus – gleichsam überobligationsmäßig – schriftsätzlich vorbereitet.5 ___ ___ III. Zu den Fristen ___ ___ 1. Neues Vorbringen (§ 132 Abs. 1 Satz 1). Ein Schriftsatz mit neuen Angriffs- oder ___Verteidigungsmitteln ist so rechtzeitig einzureichen, dass er mindestens eine Woche vor ___der mündlichen Verhandlung zugestellt werden kann. Förmliche Zustellung ist dabei ___nur in den Fällen des § 270 Satz 1 nötig. Ansonsten reicht formlose Mitteilung. Die Be___rechnung der Frist richtet sich nach § 222 in Verbindung mit §§ 187, 188 BGB. Das Gericht ___muss in der Lage sein, die Zustellung so zeitig zu bewirken, dass dem Gegner eine Woche ___für die Vorbreitung der Erwiderung zur Verfügung steht. Welcher Zeitraum zusätzlich für ___die Übermittlung zugrunde zu legen ist, hängt in erster Linie von den örtlichen Verhält___nissen ab. Domiziliert der Anwalt am Gerichtsort, wird eine kürzere Frist ausreichen. ___Auch bei längerer Postlaufzeit sollte eine zusätzliche Frist von vier Tagen, also eine Ein___reichung des Schriftsatzes 11 Tage vor der mündlichen Verhandlung stets ausreichend ___sein.6 Neben den örtlichen Verhältnissen sind etwaige Verzögerungen durch Feiertage ___oder Ferien zu berücksichtigen. Diese können eine längere Postlaufzeit zur Folge haben. ___ Ist der Schriftsatz ohne ausreichende Vorlaufzeit eingereicht worden und kann er ___gleichwohl noch eine Woche vor der mündlichen Verhandlung zugestellt werden, bleibt ___das Versäumnis der Partei folgenlos. In diesem Fall ist von einer rechtzeitigen Einrei___chung auszugehen. Bei einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt gemäß § 195 kommt es ___darauf an, wann der Schriftsatz beim gegnerischen Anwalt eingegangen ist. Ist die Frist ___dort gewahrt, ist es ohne Belang, wenn das für das Gericht bestimmte Original erst ver___spätet eintrifft, auch wenn die Vorbereitung des Gerichts auf die mündliche Verhand___lung durch diese Verspätung beeinträchtigt wird. ___ ___ 2. Gegenerklärung auf neues Vorbringen (§ 132 Abs. 2 Satz 1). Vorbereitende ___Schriftsätze, die eine Gegenerklärung auf neues Vorbringen enthalten, brauchen die ___Wochenfrist aus Abs. 1 Satz 1 nicht zu wahren, sind jedoch so rechtzeitig einzureichen, ___dass sie mindestens drei Tage vor der mündlichen Verhandlung zugestellt werden kön___nen. Eine Gegenerklärung ist die Stellungnahme zu den neuen Angriffs- und Verteidi___gungsmitteln der anderen Partei. Für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gilt die ___Frist nicht, und zwar auch dann nicht, wenn sie Teil der Gegenerklärung sind. Insoweit ___ist die Vorschrift des Abs. 1 Satz 1 einzuhalten. ___ ___ 3. Schriftsatzfristen im Zwischenstreit (§ 132 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1). Die ___Frist gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 gilt gemäß Satz 2 auch für Schriftsätze in einem Zwischen___streit, allerdings unabhängig davon, ob sie neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel bzw. ___eine Gegenerklärung hierzu enthalten. Würde man die Regelung in § 132 Abs. 1 Satz 2 ___dahin verstehen, dass es auch im Zwischenstreit um neue Angriffs- oder Verteidigungs___mittel gehen muss, wäre sie überflüssig. Denn Schriftsätze in einem Zwischenstreit sind ___ ___ ___ ___5 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 132 Rdn. 3. ___6 Stein/Jonas/Leipold § 132 Rdn. 7.

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§ 132

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ebenfalls vorbereitende Schriftsätze. Für eine Gegenerklärung in einem Zwischenstreit ____gilt gemäß § 132 Abs. 2 Satz 2 keine Frist. ____ Ein Zwischenstreit kann sich unter anderem ergeben gemäß §§ 71 Abs. 1 (Zurückwei11 ____sung einer Nebenintervention), 110 (Prozesskostensicherheit), 135 Abs. 2 (Rückgabe einer ____Urkunde), 142 Abs. 1, 422, 423 (Pflicht zur Vorlage einer Urkunde), 144 Abs. 1 Satz 2 ____(Pflicht zur Vorlage von Augenscheinsobjekten), 238 Abs. 1 Satz 2 (Zulässigkeit der Wie____dereinsetzung), 239 ff. (Unterbrechung des Verfahrens), 280 (Streit über Zulässigkeit der ____Klage), 290 (Widerruf eines Geständnisses), 366 (Beweisaufnahme vor dem beauftragten ____oder ersuchten Richter), 387 (Zeugnisverweigerung), über die Zulässigkeit eines Partei____wechsels bzw. einer objektiven Klageänderung oder über die Nichtwirksamkeit eines ____prozessbeendenden Vergleichs. ____ ____ IV. Folgen der Fristversäumung ____ ____ § 132 bestimmt zwar Fristen, ordnet aber keine Sanktion für den Fall der Missach12 ____tung dieser Fristen an. Gleichwohl bleibt die Fristversäumnis nicht ohne Folgen. Welche ____dies sind, hängt von der jeweiligen Situation ab. ____ Ist der Gegner im Termin säumig, kann gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 3 ein Versäumnisur13 ____teil oder eine Entscheidung nach Lage der Akte nicht ergehen, wenn ein tatsächliches ____mündliches Vorbringen oder ein Antrag nicht rechtzeitig mittels Schriftsatzes mitgeteilt ____worden war. Die Nichtbeachtung der Frist des § 132 Abs. 1 führt damit zu einem neuen ____Termin und bewirkt, dass die zu spät vortragende Partei den prozessualen Vorteil durch ____die Säumnis des Gegners nicht in eine Versäumnisentscheidung umsetzen kann. ____ Wird einer Partei das Vorbringen des Gegners nicht innerhalb der Frist des § 132 14 ____Abs. 1 Satz 1 vor dem Termin mitgeteilt, ist sie nicht befugt, die Einlassung zu verwei____gern.7 Gemäß § 138 Abs. 2 hat sich jede Partei über die von dem Gegner behaupteten Tat____sachen zu erklären, und zwar unmittelbar im Termin. Ist ihr dies ausnahmsweise nicht ____möglich, weil z.B. der Prozessbevollmächtigte Rücksprache mit dem im Termin nicht ____anwesenden Mandanten halten muss oder weitere Erkundigungen nötig sind, kann sie ____gemäß § 283 beantragen, dass ihr eine Frist bestimmt wird, binnen welcher sie die Erklä____rung in einem Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung nachbringen ____kann.8 Berücksichtigt werden kann dieser Vortrag allerdings nur insoweit, als es sich um ____eine Erwiderung auf tatsächlich neues Vorbringen in dem verspätet eingereichten ____Schriftsatz handelt.9 Unterlässt die Partei den Antrag gemäß § 283, ist sie mit späterem ____Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen, es sei denn, es ____kommt ohnehin zu einem neuen Termin oder das Gericht ordnet die Wiederöffnung der ____Verhandlung gemäß § 156 an. Eine Zurückweisung des Vortrags in dem verspätet einge____reichten Schriftsatz gemäß § 296 Abs. 2 kann nicht dadurch erzwungen werden, das der ____Antrag gemäß § 283 nicht gestellt wird.10 ____ Keine Geltung hat die Frist des § 132 Abs. 1 Satz 1 im Anwendungsbereich von § 296 15 ____Abs. 2. Nach § 296 Abs. 2 können Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückgewiesen ____werden, die entgegen § 282 Abs. 2 nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sind. § 282 Abs. 2 ____stellt dabei für die Rechtzeitigkeit darauf ab, dass der Gegner die erforderlichen Erkun____ ____ ____7 BVerfG NJW 1980, 277; OLG München MDR 1980, 148. ____8 Zur Berücksichtung nachgereichter Schriftsätze s. Walchshöfer NJW 1972, 1028 ff. und Buchholz NJW 1955, 535. ____9 Zum Fall, dass eine Schriftsatzfrist bewilligt wurde, obwohl neue Vorbringen gar nicht vorlag; s. BGH ____NJW 1965, 297. ____10 BGH NJW 1985, 1539.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 133

___digungen für seine Erwiderung noch einzuziehen vermag. Die jeweils einzuhaltende ___Frist hängt dabei vom Einzelfall ab. Sie kann länger sein als die Wochenfrist des § 132 ___Abs. 1 Satz 1.11 Die Wochenfrist dient daher in diesem Zusammenhang nur als Orientie___rung. ___ Unabhängig von den Möglichkeiten, gemäß § 283 einen Schriftsatznachlass zu ge- 16 ___währen oder neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel als verspätet zurückzuweisen, ___bleibt es für das Gericht ein Ärgernis, wenn es unmittelbar vor dem Termin unter Nicht___einhaltung der Fristen des § 132 mit umfangreichem neuen Vortrag konfrontiert wird. ___Hierin liegt neben dem Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht eine Missachtung des ___Gerichts. Denn mit dem neuen Vortrag wird einer umfangreichen Bearbeitung oder Bera___tung unter Umständen die Grundlage entzogen. Ferner ist das Gericht in diesem Fall ___nicht in der Lage, seinen Hinweispflichten gemäß § 139 im gebotenen Umfang nachzu___kommen, weil es keine Gelegenheit hatte, den neuen Vortrag zu verarbeiten. Dies muss ___allerdings hingenommen werden. Notfalls ist ein neuer Termin erforderlich. Dagegen ___besteht keine Möglichkeit, dem Anwalt den verspäteten Vortrag zu verwehren oder ihm ___zumindest zu erschweren, indem eine Bezugnahme auf den Schriftsatz gemäß § 137 ___Abs. 3 nicht gestattet und der Anwalt zum mündlichen Vortrag aufgefordert wird.12 Eine ___solche Vorgehensweise verschlechtert lediglich das Verhandlungsklima und bleibt letzt___lich fruchtlos. ___ ___ ___ § 133 ___ Abschriften ___ § 133 Gerken ___ (1) Die Parteien sollen den Schriftsätzen, die sie bei dem Gericht einreichen, ___die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften der Schriftsätze und de___ren Anlagen beifügen. Das gilt nicht für elektronisch übermittelte Dokumente so___wie für Anlagen, die dem Gegner in Urschrift oder in Abschrift vorliegen. ___ (2) Im Falle der Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195) haben die Parteien so___fort nach der Zustellung eine für das Prozessgericht bestimmte Abschrift ihrer ___vorbereitenden Schriftsätze und der Anlagen bei dem Gericht einzureichen. ___ ___ § 133 Abs. 1 neu gefasst durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 (BGBl. I, 3281). ___ ___ Schrifttum ___ Lange Bezugnahmen im Schriftsatz NJW 89, 438; Michel/von der Seipen Der Schriftsatz des Anwaltes ___im Zivilprozeß, 6. Aufl. 2004. ___ ___ Übersicht ___I. Beifügung von Abschriften ____ 1 V. Schriftsätze, die zugleich Willenserklärun___II. Elektronische Übermittlung gen enthalten ____ 16 ___ (§ 133 Abs. 1 Satz 2) ____ 10 VI. Kosten/Gebühren ____ 17 ___III. Anlagen, die dem Gegner vorliegen ____ 11 Anwalt zu Anwalt ___IV. Zustellung von ____ 13 (§ 133 Abs. 2) ___ ___ ___ ___ ___11 BGH NJW 1982, 1533, 1534; BGH NJW 1989, 716. ___12 So Stein/Jonas/Leipold Rdn. 8; Zöller/Greger Rdn. 3 a.

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§ 133

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ I. Beifügung von Abschriften _____ _____ Die bei Gericht eingereichten Schriftsätze werden im Original zu den Gerichtsakten 1 _____genommen. Die gegnerische Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter und die übrigen _____Beteiligten erhalten Abschriften. Die Herstellung dieser Abschriften ist Aufgabe der Par_____teien und nicht die des Gerichts. Demgemäß sollen die Parteien ihren Schriftsätzen die _____für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften und deren Anlagen beifügen. Diese _____Pflicht besteht sowohl im Anwalts- als auch im Parteiprozess. _____ § 133 gilt – anders als § 133 Abs. 2 – für alle Schriftsätze, also vorbereitende und be2 _____stimmende. Gemeint sind nicht nur Schriftsätze, die förmlich zuzustellen sind (§§ 166 ff.), _____sondern auch die, die lediglich formlos mitgeteilt werden (§ 270 Satz 1). Für die Klage_____schrift trifft § 253 Abs. 5 Satz 1 eine Sonderregelung. _____ 3 Partei im Sinne der Vorschrift sind alle Prozessbeteiligten, also auch Streithelfer, _____Streitgenossen und die an einem Zwischenstreit beteiligten Personen. _____ Beizufügen ist den Schriftsätzen die für die Zustellung erforderliche Zahl von Ab4 _____schriften. Im Anwaltsprozess entspricht es der Üblichkeit, für jeden am Verfahren betei_____ligten Anwalt je eine Abschrift beizufügen, und zwar nicht nur für den gegnerischen Pro_____zessbevollmächtigten, sondern auch für etwa mitwirkende Korrespondenzanwälte und _____Patentanwälte.1 Bei Streitgenossen ist für jeden Streitgenossen – auch den eigenen – _____eine Abschrift beizufügen. Dasselbe gilt beim Streithelfer. Ggf. muss von der Empfänger_____seite darauf hingewiesen werden, dass ein Korrespondenzanwalt mitwirkt, damit weitere _____Abschriften beigefügt werden.2 Weiter ist es im Anwaltsprozess üblich, neben der für die _____Zustellung bestimmten – unter Umständen beglaubigten – Abschrift eine einfache Ab_____schrift beizufügen, damit der gegnerische Prozessbevollmächtigte diese an seine Partei _____weiterleiten kann. Eine Verpflichtung hierzu besteht allerdings nicht, da diese Abschrift _____für die Zustellung nicht erforderlich ist.3 Der Anwalt, der eine Vielzahl von Streitgenos_____sen vertritt, kann daher nicht verlangen, dass neben dem für ihn bestimmten Exemplar _____für jeden seiner Mandanten eine einfache Abschrift beigefügt wird.4 Diese muss er ggf. _____selbst herstellen. _____ Wie die Abschriften beschaffen sein müssen, ist nicht geregelt. Grundsätzlich genügt 5 _____eine einfache Abschrift (Kopie, Durchschrift, weiterer Computerausdruck). Von bestim_____menden Schriftsätzen wird eine Zweitschrift als beglaubigte Abschrift zugestellt (§ 169 _____Abs. 2), die beizufügen ist.5 Im Anwaltsprozess ist es üblich, dass die Beglaubigung vom _____Anwalt vorgenommen wird. Unterbleibt sie, muss sie von der Geschäftsstelle nachgeholt _____werden. _____ Neben den Abschriften der Schriftsätze sind die jeweiligen Anlagen beizufügen. 6 _____Dies sind zunächst alle Schriftstücke, auf die in den Schriftsätzen Bezug genommen wird _____und die dem Original beigefügt sind (Ablichtungen von Urkunden, Literaturstellen etc.). _____Körperliche Gegenstände, die keine Schriftstücke sind, können ebenfalls als Anlagen in _____Betracht kommen, etwa Fotos, Pläne, Zeichnungen, Datenträger oder Gegenstände eines _____Geschmacksmusters. Von ihnen ist in entsprechender Anwendung von § 133 Abs. 1 Satz 1 _____ein weiteres Exemplar gleichsam als „Abschriftensurrogat“ auch für den Gegner zu über_____reichen. _____ _____ _____ _____1 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 133 Rdn. 7; Michel/von der Seipen § 3 II. 5 b. 2 Michel/von der Seipen § 3 II. 5 b. _____3 OLG Karlsruhe AnwBl 1986, 546. _____4 OLG München OLG-Report 1994, 105 – allerdings zu § 189 Abs. 1 a.F. _____5 Zur Unterschrift unter den Beglaubigungsvermerk s. BGHZ 24, 116.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 133

____ Wird ein Schriftsatz beim Gericht per Telefax eingereicht, sind die erforderlichen ____Abschriften an sich ebenfalls per Telefax zu übermitteln.6 Dies ist aber wenig sinnvoll. ____Ein Schriftsatz wird in der Regel deswegen per Telefax übermittelt, weil eine Frist ge____wahrt werden soll. Das Original folgt auf dem Postweg nach. Daher können die erforder____lichen Abschriften auch diesem Original beigefügt werden. Bei der Übermittlung der ____Abschrift durch Telefax fallen zudem besondere Kosten an. Gemäß KV GKG Nr. 9000 ____werden Auslagen in Höhe von EUR 0,50 pro Seite erhoben, wenn per Telefax übermittel____te Mehrfertigungen von der Empfangseinrichtung des Gerichts ausgedruckt werden. Der ____Zeitverlust bei der Zustellung an den Gegner ist zudem gering, wenn das Original zeit____gleich mit dem Telefax auf den Postweg gebracht wird. Allerdings ist es angezeigt, bei ____der Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax anzukündigen, dass die Abschriften un____verzüglich mit dem Original des Schriftsatzes nachgereicht werden.7 Denn andernfalls ____werden die Abschriften eventuell von der Geschäftsstelle hergestellt. ____ Fehlen Abschriften, so treten keine unmittelbaren Rechtsfolgen ein. Insbesondere ____kann es nicht zu einer Präklusion kommen. Bei § 133 Abs. 1 handelt es sich lediglich um ____eine Sollvorschrift. Der Einreicher kann allerdings mit Kosten belastet werden. Zunächst ____wird die Geschäftsstelle des Gerichts die erforderlichen Abschriften nachfordern. Bleibt ____dies fruchtlos, müssen die Abschriften auf Kosten des Einreichers angefertigt werden ____(KV GKG Nr. 9000). Für die Klageschrift droht daneben ein weiterer Nachteil, wenn die ____Abschriften (§ 253 Abs. 5 Satz 1) nicht beigefügt sind. Fehlen sie, macht das die Klage____erhebung zwar nicht unwirksam. Es kann aber in diesem Fall nicht sofort zugestellt ____werden. Der Rechtsvorteil der Rückwirkung der Zustellung (§ 164) kann daher verloren ____gehen, wenn die Zustellung aufgrund dieses Versäumnisses nicht mehr demnächst er____folgt. ____ Die Parteien können den Postweg abkürzen und dem Gegner die Abschriften nebst ____den Anlagen direkt übermitteln. In diesem Fall wird beim Gericht lediglich das Original ____eingereicht und mit dem Zusatz „Gegner hat Abschrift“ versehen. Zu empfehlen ist dieser ____Weg insbesondere dann, wenn ein Schriftsatz kurz vor einem Termin eingereicht wird ____und zu befürchten ist, dass dem Gericht die rechtzeitige Übermittlung nicht mehr mög____lich sein wird. ____ ____ II. Elektronische Übermittlung (§ 133 Abs. 1 Satz 2) ____ ____ Bei elektronischer Übermittlung (§ 130 a) sind keine Abschriften nachzureichen. ____§ 133 Abs. 1 Satz 2 trifft insoweit nur eine Klarstellung.8 Die für die Zustellung in Papier____form erforderlichen Abschriften werden durch das Gericht erstellt. Der Beglaubigungs____vermerk gemäß § 169 Abs. 2 kann in diesem Fall nur von der Geschäftsstelle vorgenom____men werden. ____ ____ III. Anlagen, die dem Gegner vorliegen ____ ____ Anlagen, die dem Gegner in Urschrift oder im Original vorliegen, brauchen nicht ____beigefügt zu werden. Erforderlich ist, dass sie der Gegner tatsächlich in Händen hat. Ist ____eine Urkunde – etwa eine Vertragsausfertigung – beim Gegner inzwischen verloren ge____ ____ ____ 6 VGH Kassel NJW 1991, 316. ____7 VGH Kassel NJW 1991, 316; Zöller/Greger § 133 Rdn. 1; MünchKomm-Peters § 133 Rdn. 1. ____8 Vgl. Viefhues Das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Zukunft ____NJW 2005, 1010 ff. (1012).

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§ 133

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____gangen, muss ihm hiervon eine Abschrift übermittelt werden.9 Dasselbe gilt für Urkun_____den, die er zur Zeit nicht auffinden kann oder die unleserlich geworden sind. _____ Wird für den Gegner keine Abschrift der Anlage beigefügt, weil davon ausgegangen 12 _____wird, dass ihm die Anlagen vorliegen, ist dies zu erklären. Andernfalls besteht die Ge_____fahr, dass die Abschrift von der Geschäftsstelle hergestellt wird und dafür Kosten anfal_____len. Der kurze Hinweis „n.f.G.“ (nur für das Gericht) ist zwar allgemein üblich, aber we_____nig aussagekräftig. Er besagt nur, dass keine Abschrift überreicht wird, nicht aber, _____warum dies nicht geschieht. Nicht selten wird er auch für solche Anlagen verwendet, von _____denen dem Gegner Originale oder Abschriften gar nicht vorliegen können. _____ _____ IV. Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 133 Abs. 2) _____ _____ 13 Die Zustellung von Anwalt zu Anwalt ersetzt die sonst nötige Zustellung durch das _____Gericht. Sie ist grundsätzlich bei allen Schriftsätzen statthaft. Ausgenommen sind dieje_____nigen (bestimmenden) Schriftsätze, die zwingend bei Gericht eingereicht werden müs_____sen, weil hiermit bestimmte prozessuale Rechtsfolgen verknüpft sind (z.B. Klageschrift, _____Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsschrift, Arrestgesuch). Werden Schriftsätze _____gemäß § 195 von Anwalt zu Anwalt zugestellt, findet § 133 Abs. 1 keine Anwendung, weil _____es sich bei diesen Schriftsätzen nicht um solche handelt, die bei dem Gericht eingereicht _____werden. _____ § 133 Abs. 2 verpflichtet die Partei, die von Anwalt zu Anwalt zustellt, sofort nach der 14 _____Zustellung des Schriftsatzes auch eine für das Prozessgericht bestimmte Abschrift auf _____der Geschäftsstelle niederzulegen. Denn der Prozessvortrag muss selbstverständlich _____auch dem Gericht vorliegen. „Sofort nach Zustellung“ erlaubt kein Zögern. Selbstver_____ständlich kann die Abschrift zugleich mit der Zustellung oder gar dieser vorauseilend _____niedergelegt werden. Denn die Zustellung von Anwalt zu Anwalt soll nur die Übermitt_____lung durch Einsparung eines Umweges beschleunigen und nicht dem Gegner einen In_____formationsvorsprung vor dem Gericht verschaffen. Die bei Gericht eingereichte Abschrift _____braucht nicht beglaubigt zu werden.10 Ein Zustellungsnachweis gegenüber dem Gericht _____ist nur dann nötig, wenn dies für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist (§ 195 _____Abs. 1 Satz 4). Er wird durch Vorlage des Empfangsbekenntnisses geführt. _____ Mit der Niederlegung der Abschrift bei Gericht ist zugleich zu erklären, dass das Ori15 _____ginal bereits von Anwalt zu Anwalt zugestellt worden ist oder zugleich zugestellt wird, _____und zwar zweckmäßig nicht erst am Schluss des Schriftsatzes, sondern gleich eingangs _____und für die Geschäftsstelle unübersehbar. Fehlt dieser Hinweis, werden vom Gericht _____Abschriften für den Gegner angefordert oder gar angefertigt. Der Stempelaufdruck auf _____dem Schriftsatz „Gegner hat Abschrift“ reicht im Fall der Zustellung von Anwalt zu An_____walt nicht aus, weil das Gericht hieraus nicht entnehmen kann, dass förmlich zugestellt _____worden ist. _____ _____ V. Schriftsätze, die zugleich Willenserklärungen enthalten _____ _____ Enthält der zuzustellende Schriftsatz neben dem Prozessvortrag auch eine materiell16 _____rechtliche Willenserklärung, muss die Formvorschrift des § 126 BGB beachtet werden. _____Empfangsbedürftige Willenserklärungen, die der Schriftform unterliegen, werden nur _____wirksam, wenn dem Erklärungsempfänger die formgerecht errichtete Erklärung zugeht.11 _____ _____9 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 133 Rdn. 10. _____10 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 7. _____11 BGHZ 121, 224.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 134

____Daher muss in diesem Fall dem für das Gericht bestimmten Original ein weiteres unter____schriebenes Original zur Zustellung an den Gegner beigefügt werden. Wird nur eine ein____fache Abschrift beigefügt und diese zugestellt, bleibt die Willenserklärung wirkungslos. ____Wird die Willenserklärung vom Prozessbevollmächtigten als Vertreter für die Partei ab____gegeben, kann der von ihm unterzeichnete Beglaubigungsvermerk unter der Abschrift ____als Unterschrift genügen.12 Der Prozessbevollmächtigte muss allerdings entsprechend ____bevollmächtigt sein. Bei einseitigen Rechtsgeschäften muss zudem die Vollmachtsur____kunde beigefügt sein (§ 174 Satz 1 BGB). ____ ____ VI. Kosten/Gebühren ____ ____ Muss das Gericht Abschriften fertigen, weil sie einem Schriftsatz nicht beigefügt 17 ____sind, sind diese vom Einreicher zu vergüten (KV GKG Nr. 9000). Daneben werden Ausla____gen von 0,50 EUR pro Seite erhoben, wenn per Telefax übermittelte Mehrfertigungen ____eines Schriftsatzes von der Empfangseinrichtung des Gerichts ausgedruckt werden. Beim ____Anwalt werden die Auslagen für die Schriftsätze nebst den erforderlichen Abschriften ____mit der Geschäftsgebühr abgegolten (VV RVG Vorbem. 7 Abs. 1 Satz 1). Müssen Ablich____tungen von Schriftsätzen zur Unterrichtung des Mandanten hergestellt werden, so wer____den Auslagen nur insoweit erstattet, als hierfür mehr als 100 Seiten zu fertigen sind (VV ____RVG Nr. 7000 1 c). ____ ____ ____ § 134 ____ Einsicht von Urkunden ____ § 134 Gerken ____ (1) Die Partei ist, wenn sie rechtzeitig aufgefordert wird, verpflichtet, die in ih____ren Händen befindlichen Urkunden, auf die sie in einem vorbereitenden Schrift____satz Bezug genommen hat, vor der mündlichen Verhandlung auf der Geschäfts____stelle niederzulegen und den Gegner von der Niederlegung zu benachrichtigen. ____ (2) Der Gegner hat zur Einsicht der Urkunden eine Frist von drei Tagen. Die ____Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert oder abgekürzt werden. ____ ____ Schrifttum ____ Bergerfurth Ausnahmen vom Anwaltszwang NJW 61, 1237; Schreiber Die Urkunde im Zivilprozeß ____(1982). ____ ____ Übersicht ____I. Gesetzeszweck ____ 1 IV. Präklusion wegen Unterlassung der Nieder____II. Pflicht zur Niederlegung legung ____ 11 ____ 1. Aufforderung ____ 3 V. Präklusion wegen Unterlassung der 2. Benachrichtigung des Gegners ____ 7 Einsichtnahme ____ 13 ____ den Gegner ____III. Die Einsicht durch (§ 134 Abs. 2) ____ 8 ____ ____ ____ I. Gesetzeszweck ____ § 134 ist im Zusammenhang mit § 131 zu sehen. Nach § 131 sind Urkunden, auf die 1 ____ sich eine Partei (oder auch der Streithelfer) in ihren vorbereitenden Schriftsätzen be____ ____ ____12 BGH NJW-RR 1987, 395.

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§ 134

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____zieht, in Urschrift oder in Abschrift beizufügen. § 134 ermöglicht es dem Gegner, die _____Echtheit der Urkunde schon vor der mündlichen Verhandlung zu prüfen. Er kann die _____Partei auffordern, die Urschrift der Urkunde auf der Geschäftstelle niederzulegen. Ent_____sprechende Einwendungen kann er sodann in der Verhandlung vortragen. Gemäß § 142 _____kann die Anordnung zur Urkundenvorlegung auch vom Gericht getroffen werden, und _____zwar nicht nur gegenüber den Parteien, sondern auch gegenüber Dritten. _____ 2 Bei der Verpflichtung zur Niederlegung handelt es sich um eine prozessuale Oblie_____genheit. Kommt die Partei der Aufforderung nicht nach, können keine Ordnungsmittel _____gegen sie verhängt werden. Die Partei muss allerdings damit rechnen, dass sie beweisfäl_____lig bleibt, wenn die vom Gegner erhobenen Bedenken gegen die Echtheit der Urkunde _____ohne Vorlage des Originals nicht geklärt werden können. Im Fall des § 434 kann die Nie_____derlegung auf der Geschäftsstelle verweigert werden. _____ _____ II. Pflicht zur Niederlegung _____ _____ 3 1. Aufforderung. Die Niederlegungspflicht entsteht mit entsprechender Aufforde_____rung. Die Aufforderung muss rechtzeitig erfolgen, also so zeitig, dass tatsächlich Gele_____genheit besteht, die Urkunde der Geschäftstelle zu übermitteln und sie dort noch vor der _____mündlichen Verhandlung binnen der Frist des § 134 Abs. 2 Satz 1 eingesehen werden _____kann. Ist der Zeitraum zu kurz bemessen, entfällt die Vorlagepflicht nicht. Zumindest im _____Termin muss die Urkunde vorliegen (§ 420). Lässt sich im Termin die Echtheit nicht klä_____ren, weil eine nähere Einsichtnahme oder ein Vergleich mit weiteren Unterlagen (eigene _____Kopie) erforderlich ist, muss die gegnerische Partei gemäß § 283 beantragen, dass ihr _____eine Frist bewilligt wird für einen Schriftsatz, mit dem sie ihre Einwendungen nachbrin_____gen kann. _____ Die Aufforderung zur Niederlegung unterliegt im Anwaltsprozess dem Anwalts4 _____zwang.1 Es handelt sich bei der Aufforderung um eine Prozesshandlung. Die vorlage_____pflichtige Partei wird hierdurch in Zugzwang gesetzt. Kommt sie der Aufforderung nicht _____nach, ist sie unter Umständen nicht in der Lage, den Beweis mit der Urkunde zu führen _____bzw. Einwendungen gegen ihre Echtheit auszuräumen. Die Entscheidung darüber, ob _____gegen die vorlagepflichtige Partei entsprechend vorgegangen werden soll, ist Sache des _____Prozessbevollmächtigen. Die Niederlegung der Urkunde auf der Geschäftsstelle unter_____liegt ebenfalls dem Anwaltszwang. Sie muss durch den Prozessbevollmächtigten der _____vorlagepflichtigen Partei vorgenommen werden. Bei der Originalurkunde handelt es sich _____um ein Beweismittel. Die Entscheidung darüber, welche Beweismittel vorgelegt werden _____sollen, kann nur der Prozessbevollmächtigte treffen. _____ 5 Unter Niederlegen ist – wie in § 133 Abs. 2 – das Einreichen der Urkunde zu verste_____hen. Die Urkunde kann also per Post dem Gericht übermittelt werden. Sie wird nicht zur _____Akte genommen. Die Niederlegung dient nur der Einsichtnahme zur Prüfung der Echt_____heit. Die Urkunde wird vom Gericht also lediglich – als Beweismittel – verwahrt (öffent_____lich-rechtliches Verwahrungsverhältnis). Sie ist nicht unmittelbar nach der Einsicht_____nahme dem Einreicher zurückzugeben. Zunächst ist abzuwarten, ob die Echtheit der _____Urkunde bestritten oder geltend gemacht wird, dass sie nachträglich verändert worden _____sei. Ist dies der Fall, muss die Urkunde gemäß § 443 bis zur Erledigung des Rechtsstreits, _____also bis zum rechtskräftigen Abschluss, in Händen des Gericht bleiben. Werden Einwen_____dungen gegen die Urkunde nicht erhoben, kann sie der vorlagepflichtigen Partei wieder _____ _____1 Anders die herrschende Meinung: Stein/Jonas/Leipold § 134 Rdn. 5; MünchKomm-Peters § 134 Rdn. 1; _____Zöller/Greger § 134 Rdn. 2; Musielak/Stadler § 134 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Reichold § 134 Rdn. 1; AK-Puls _____§ 134 Rdn. 9; Bergerfurth NJW 61, 1239.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 134

___ausgehändigt werden, und zwar auch noch vor der mündlichen Verhandlung. Denn in ___diesem Fall bedarf es keiner Einsichtnahme in die Urschrift. Die Entscheidung über die ___Rückgabe trifft das Gericht, nicht etwa die Geschäftsstelle. ___ Niederzulegen ist die Urkunde auf der Geschäftsstelle, und zwar der des Prozessge___richts.2 Der Ansicht, das Prozessgericht könne auch zur Versendung der Urkunde an ein ___auswärtiges Gericht auffordern,3 ist nicht zu folgen. Zum einen muss das Gericht selbst ___Einsicht in die Urkunde nehmen können. Zum anderen muss die Urkunde eventuell an___schließend verwahrt werden. Dies ist Sache des Prozessgerichts und kann nicht von ei___nem auswärtigen Gericht im Wege der Rechtshilfe erledigt werden. Das Prozessgericht ___kann allerdings die Urkunde mit Zustimmung dessen, der sie hinterlegt hat, an ein ande___res Gericht oder an den Gegenanwalt zur Einsichtnahme übersenden.4 Die weitergehende ___Ansicht, die Übersendung sei auch ohne Zustimmung statthaft, wenn keine unzumutbare ___Verzögerung und keine anderen Hinderungsgründe erkennbar seien,5 unterschätzt das ___Regressrisiko aus dem Verlust der Original-Urkunde.6 ___ ___ 2. Benachrichtigung des Gegners. Mit der Niederlegung der Urkunde muss die Par___tei den Gegner von der Niederlegung benachrichtigen. Unterbleibt die Benachrichtigung, ___löst dies dieselben Folgen aus wie die Nichtvorlage. Denn wenn dem Gegner die Nieder___legung nicht bekannt ist, kann er sein Prüfungsrecht nicht wahrnehmen. ___ ___ III. Die Einsicht durch den Gegner (§ 134 Abs. 2) ___ ___ Die Niederlegung der Urkunde dient allein dem Zweck, dem Gegner die Einsicht in ___die Urkunde zu ermöglichen. Hierzu hat er nach Abs. 2 prinzipiell eine Frist von drei Ta___gen, die mit dem Zugang der Benachrichtigung von der Niederlegung beginnt. Da es bei ___der Einsicht nur darum geht, dass sich der Gegner von der Echtheit der Urkunde über___zeugen kann, reicht eine Frist von drei Tagen regelmäßig aus, wenn der Gegner oder sein ___Anwalt den Wohnsitz am Sitz des Prozessgerichts hat. ___ Die Frist kann vom Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden. Wenn hinreichend ___Zeit bis zum Termin bleibt und auch kein Interesse der einreichenden Partei dagegen ___spricht, wird der Bitte um Verlängerung regelmäßig zu entsprechen sein. Eine Verkür___zung wird demgegenüber kaum in Betracht kommen. Sie ist zwar prinzipiell auf Antrag ___der die Urkunde niederlegenden Partei möglich, bedarf aber einer überzeugenden Be___gründung, aus welcher sich ergibt, dass und warum die Urkunde schon früher als drei ___Tage – und damit zugleich noch vor der mündlichen Verhandlung – wieder benötigt ___wird. ___ Die Einsicht in die Urkunde hat auf der Geschäftsstelle stattzufinden. Um sicher zu ___stellen, dass die Urkunde zum Zeitpunkt der Einsichtnahme zur Verfügung steht, ist es ___zweckmäßig einen Termin zu vereinbaren. Denn es ist möglich, dass die Urkunde dem ___Richter zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung vorliegt. Unter Umständen ist ___es ratsam, die Urkunden getrennt von den Akten in der Geschäftsstelle zu verwahren, so ___dass eine Einsichtnahme jederzeit möglich ist. ___ ___ ___2 Stein/Jonas/Leipold § 134 Rdn. 6; MünchKomm-Peters § 134 Rdn. 3; Zöller/Greger § 134 Rdn. 3; ___Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 134 Rdn. 8; Musielak/Stadler § 134 Rdn. 2. ___3 Thomas/Putzo/Reichold § 134 Rdn. 1. 4 Zöller/Greger § 134 Rdn. 3; Musielak/Stadler § 134 Rdn. 2; AK-Puls § 134 Rdn. 8; a.A. MünchKomm___Peters § 134 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 134 Rdn. 8. ___5 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 134 Rdn. 8. ___6 Stein/Jonas/Leipold § 134 Rdn. 6; Zöller/Greger § 134 Rdn. 3; Musielak/Stadler § 134 Rdn. 2.

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§ 134

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ IV. Präklusion wegen Unterlassung der Niederlegung _____ _____ Kommt die Partei der Aufforderung gemäß § 134 Abs. 1 zur Niederlegung der Origi11 _____nalurkunde nicht nach oder versäumt sie die Benachrichtigung von der Niederlegung, _____kann der Gegner sein Recht zur Prüfung der Urkunde nicht wahrnehmen. Wird die Ur_____kunde auch im Termin nicht vorgelegt, bleibt die vorlagepflichtige Partei beweisfällig _____(§ 420). Wird die Urkunde vorgelegt und ist dem Gegner die sofortige Prüfung nicht mög_____lich, muss er gemäß § 283 – ggf. nach gerichtlicher Anregung – einen Antrag auf Schrift_____satznachlass stellen. Binnen der nachgelassenen Frist kann er die Einwendungen dann _____vorbringen. Eine Zurückweisung der verspätet vorgelegten Urkunde als Angriffs- oder _____Verteidigungsmittel kommt nur unter den Voraussetzungen von § 296 Abs. 2 in Betracht, _____die nur selten vorliegen dürften. Zwar liegt ein Verstoß gegen § 282 Abs. 2 vor, wenn die _____Urkunde trotz rechtzeitiger Aufforderung erst im Termin vorgelegt wird. Eine Verzöge_____rung des Rechtsstreits kann aber regelmäßig durch den Schriftsatznachlass vermieden _____werden. Die Gewährung einer Schriftsatzfrist gemäß § 283 ist keine Verzögerung, die _____durch verspätetes Vorbringen verursacht worden ist.7 Der Gegner ist auch nicht befugt, _____statt des Antrags auf einen Schriftsatznachlass die Einlassung auf das verspätete Vor_____bringen zu verweigern, um hiermit die Zurückweisung gemäß § 296 Abs. 2 zu erzwin_____gen.8 _____ Ist die Vorlage der Urkunde richterlich angeordnet worden (§§ 142 Abs. 1 Satz 1, 273 12 _____Abs. 2 Nr. 5), kann eine Präklusion gemäß § 296 Abs. 1 in Betracht kommen. Vorausset_____zung ist dafür insbesondere, dass bei der Anordnung der Vorlage die für die Fristsetzung _____im Rahmen des § 296 zu beachtenden Formalien eingehalten worden sind (Fristsetzung _____durch eine vom zuständigen Richter unterzeichnete Verfügung;9 ausreichende Frist; _____förmliche Zustellung der Verfügung).10 _____ _____ V. Präklusion wegen Unterlassung der Einsichtnahme _____ _____ Nimmt der Gegner die Gelegenheit nicht wahr, die auf der Geschäftsstelle niederge13 _____legte Urkunde vor der mündlichen Verhandlung einzusehen, kann er seine Einwände _____frühestens im Termin untermauern. Der Einwand, eine Urkunde sei unecht, ist ein Ver_____teidigungsmittel, welches prinzipiell der Anwendung des § 296 unterliegt. Eine Zurück_____weisung solcher Einwände als verspätet wird aber nur dann in Betracht kommen, wenn _____das Gericht gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 1 hierfür eine Frist gesetzt hat. Dies kann angezeigt _____sein, wenn das Gericht noch vor dem Termin darüber entscheiden will, ob es ein Sach_____verständigengutachten über die Echtheit der Urkunde einholen will. Fehlt eine solche _____Fristsetzung, wird eine Zurückweisung des Einwands der Unechtheit dagegen nicht in _____Betracht kommen. Insbesondere kann sie nicht auf § 296 Abs. 1 in Verbindung mit § 282 _____Abs. 1 gestützt werden. § 134 stellt sicher, dass der Gegner der vorlagepflichtigen Partei _____die Urkunde noch vor der mündlichen Verhandlung einsehen kann. Die daraus abzulei_____tenden Einwände sind in der mündlichen Verhandlung vorzutragen. Eine generelle _____Pflicht, diese Einwände bereits vor dem Termin durch einen Schriftsatz anzukündigen, _____besteht nicht.11 _____ _____ _____ _____7 BVerfG NJW 1989, 705; OLG Frankfurt NJW-RR 1992, 1405; OLG NJW-RR 1994, 958. 8 BVerfG NJW 1989, 705; BGHZ 94, 195, 214; OLG München VersR 1980, 95; KG NJW 1983, 580. _____9 BGHZ 76, 236 = NJW 1980, 1167. _____10 BGHZ a.a.O. _____11 Ebenso Stein/Jonas/Leipold Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 135

___ § 135 ___ Mitteilung von Urkunden unter Rechtsanwälten ___ § 135 Gerken ___ (1) Den Rechtsanwälten steht es frei, die Mitteilung von Urkunden von Hand zu ___Hand gegen Empfangsbescheinigung zu bewirken. ___ (2) Gibt ein Rechtsanwalt die ihm eingehändigte Urkunden nicht binnen der ___bestimmten Frist zurück, so ist er auf Antrag nach mündlicher Verhandlung zur ___unverzüglichen Rückgabe zu verurteilen. ___ (3) Gegen das Zwischenurteil findet sofortige Beschwerde statt. ___ Übersicht ___ ____ 1 1. Antrag ____ 7 ___I. Norminhalt II. Übermittlung der Urkunden 2. Urteil ____ 9 ___ ____ (§ 135 Abs. 1) 3 3. Rechtsmittel ____ 14 ___ III. Zwischenstreit wegen unterbliebener 4. Vollstreckung ____ 15 ___ Rückgabe (§ 135 Abs. 2 und 3) IV. Kosten/Gebühren ____ 16 ___ ___ ___ I. Norminhalt ___ ___ § 135 Abs. 1 dient ebenso wie § 134 der Einsichtnahme in eine Originalurkunde, auf ___die sich eine Partei in ihren vorbereitenden Schriftsätzen bezogen hat. Er gestattet, dass ___die Urkunde direkt dem gegnerischen Anwalt zur Prüfung übermittelt wird. Diese Art der ___Mitteilung ersetzt die Niederlegung auf der Geschäftsstelle. § 135 Abs. 2, 3 regelt das Zwi___schenverfahren, wenn die Urkunde nicht zurückgegeben wird. ___ Die Vorschrift hat nur noch geringe praktische Bedeutung. Urkunden, auf die sich ___die Parteien beziehen, werden stets in Ablichtung den vorbereitenden Schriftsätzen bei___gefügt. Kommt es ausnahmsweise zum Streit über die Echtheit, muss das Original vorge___legt werden, und zwar dem Gericht und nicht dem gegnerischen Anwalt (§ 420). Unter___bleibt die Vorlage, wird das Gericht in aller Regel mit einem rechtlichen Hinweis oder ___einer Auflage gemäß §§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 reagieren. Eine Mitteilung von Anwalt zu ___Anwalt kommt daher allenfalls dann in Betracht, wenn die Prozessbevollmächtigen den ___Streit über die Echtheit der Urkunde sozusagen zunächst unter sich ausmachen wollen. ___Dies geschieht in aller Regel aber vorprozessual. Kommt es zum Prozess, will das Gericht ___die Urkunde selbst sehen. Bestehen begründete Zweifel an der Echtheit, muss hierüber ___Beweis erhoben werden. Ein Fall, in dem nach § 135 vorgegangen wird, ist daher kaum ___denkbar. ___ ___ II. Übermittlung der Urkunden (§ 135 Abs. 1) ___ ___ Die „Mitteilung“ der Urkunden geschieht von Anwalt zu Anwalt (§ 195). Im Partei___prozess müssen daher auf beiden Seiten Prozessbevollmächtigte bestellt sein. Zugleich ___wird eine Frist für die Rückgabe bestimmt (§ 135 Abs. 2). Eine Verlängerung der Frist ist ___Sache des mitteilenden Anwalts und nicht Sache des Gerichts. Das Gericht ist an dem ___Mitteilungsverfahren erst beteiligt, wenn es zum Zwischenstreit über die Rückgabe der ___Urkunde kommt. Wird die Frist einverständlich bestimmt, gilt diese. ___ Der Zugang der Urkunde muss durch Empfangsbekenntnis (§ 195 Abs. 2) förmlich ___quittiert werden, und zwar gegenüber dem gegnerischen Anwalt. Dem Gericht ist von der ___Mitteilung Kenntnis zu geben, damit es zunächst von einer Auflage zur Vorlage der Ur___kunde absieht. Zugleich wird dem Anwalt eine Frist für die Rückgabe bestimmt (§ 135 ___Abs. 2). 71

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§ 135

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ 5 Mitteilung „Von Hand zu Hand“ bedeutet nicht, dass der Rechtsanwalt die Urkunde ____persönlich dem Gegenanwalt übergeben muss. Die Überbringung durch Boten oder ____durch Übersendung per Post genügt.1 Es ist Sache des Übersenders, welches Übermitt____lungsrisiko er eingehen will und wie er sich hiergegen absichert. ____ Der gegnerische Anwalt kann den Empfang der Urkunde verweigern. § 135 Abs. 1 6 ____stellt es beiden Anwälten frei, anstatt der Niederlegung der Urkunde auf der Geschäfts____stelle die Mitteilung zu wählen. In Betracht kommt die Verweigerung des Empfangs u.a. ____wegen des Haftungsrisikos. ____ ____ III. Zwischenstreit wegen unterbliebener Rückgabe (§ 135 Abs. 2 und 3) ____ ____ 1. Antrag. Wird die Urkunde nicht innerhalb der vom Übermittler bestimmten Frist 7 ____zurückgegeben, kann dieser gemäß § 135 Abs. 2 beantragen, dass ein Urteil auf Rückgabe ____erlassen wird. Hierzu ist ein Termin anzuberaumen (§§ 214, 216, 217). Gemäß § 128 Abs. 2 ____Satz 1 können sich die Parteien – wie sonst auch – mit einer Entscheidung im schriftli____chen Verfahren einverstanden erklären. Das Gericht muss klären, ob die Urkunde tat____sächlich übersandt worden und die Rückgabefrist verstrichen ist. Ein eventuell erforder____licher Beweis dürfte in der Regel mit Urkunden zu führen sein (Empfangsbekenntnis für ____den Erhalt der Urkunde, Schriftsatz mit der Fristbestimmung für die Rückgabe). ____ Kläger des Zwischenstreits ist die Partei, deren Rechtsanwalt die Urkunde gemäß 8 ____§ 135 dem Gegenanwalt übergeben hat. Zwischenbeklagter ist dieser Rechtsanwalt per____sönlich, nicht etwa seine Partei.2 ____ ____ 2. Urteil. Über die Rückgabe ergeht ein Zwischenurteil (§ 303). Entschieden wird 9 ____hiermit nicht über einen Zwischenstreit unter den Parteien, sondern über den Zwischen____streit mit einem Dritten. Der im Gesetz enthaltene Zusatz „unverzüglich“ kann im Tenor ____entfallen, da das Urteil ohnehin sofort vollstreckbar ist (§ 794 Abs. 1 Nr. 3). ____ Ist die Rückgabe unmöglich, weil z.B. die Urkunde vernichtet worden ist, kann der 10 ____Eigentümer seinen Anspruch nicht auf Schadensersatz umstellen. Hierüber kann im Zwi____schenstreit nicht entschieden werden. Diesen Anspruch muss der Eigentümer selbstän____dig einklagen. Der Prozessausgang ist hierfür abzuwarten. Erst dann steht fest, ob der ____Verlust der Urkunde als Beweismittel zu einem Schaden geführt hat. Die Verurteilung ____zur Rückgabe im Zwischenverfahren ist nicht zugleich eine Entscheidung über den Haf____tungsgrund für den Ersatzanspruch. Denn die Gründe, warum es zum Verlust der Ur____kunde gekommen ist und ob den gegnerischen Anwalt ein Verschulden hieran trifft, ____werden im Zwischenverfahren nicht geprüft. ____ 11 Bei Säumnis einer der Parteien kann kein Versäumnisurteil ergehen, weil im Zwi____schenstreit ein Versäumnisverfahren nicht stattfindet.3 Gleichwohl kann entschieden ____werden, und zwar durch streitiges Urteil,4 gegen welches nicht der Einspruch nach § 338, ____sondern die sofortige Beschwerde gemäß § 135 Abs. 3 gegeben ist. ____ Die Kosten des Zwischenstreits hat im Falle der Verurteilung der Anwalt zu tra12 ____gen. Ihm war die Urkunde vom Gegenanwalt anvertraut worden. Gegen ihn ergeht das ____Urteil. ____ ____ ____1 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 135 Rdn. 6. ____2 Stein/Jonas/Leipold § 135 Rdn. 3; MünchKomm-Peters § 135 Rdn. 3; Zöller/Greger § 135 Rdn. 2; Musielak/Stadler § 135 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichold § 135 Rdn. 2. ____3 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 3; Zöller/Greger § 135 Rdn. 2; AK-Puls § 135 Rdn. 4. ____4 Zöller/Greger § 135 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 135 Rdn. 12; Musielak/Stadler ____§ 135 Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 136

___ Wird die Rückgabe bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. spätestens im ___Termin nachgeholt, erledigt sich die Hauptsache. Über die Kosten ist dann gemäß § 91 a ___zu entscheiden. ___ ___ 3. Rechtsmittel. Gegen das Zwischenurteil findet gemäß § 135 Abs. 3 die sofortige ___Beschwerde statt, soweit der Zwischenstreit aus einem erstinstanzlichen Verfahren des ___Amts- oder Landgerichts hervorgegangen ist (§ 567 Abs. 1). Die sofortige Beschwerde hat ___keine aufschiebende Wirkung (§ 570). ___ ___ 4. Vollstreckung. Das Zwischenurteil ist gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 3 vorläufig voll___streckbar. Die Zwangsvollstreckung geschieht nach § 883.5 ___ ___ IV. Kosten/Gebühren ___ ___ Gerichtskosten fallen nur durch das Beschwerdeverfahren an (Nr. 1812 KV GKG). ___Gemäß Nr. 3500, 3513 erhält der Anwalt für die Vertretung im Beschwerdeverfahren eine ___Verfahrens- und ggf. eine Terminsgebühr. Die Tätigkeit im erstinstanzlichen Verfahren ___gehört zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RVG). ___ ___ ___ § 136 ___ Prozessleitung durch Vorsitzenden ___ § 136 Gerken ___ (1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die Verhandlung. ___ (2) Er erteilt das Wort und kann es demjenigen, der seinen Anordnungen nicht ___Folge leistet, entziehen. Er hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu ge___statten, Fragen zu stellen. ___ (3) Er hat Sorge zu tragen, dass die Sache erschöpfend erörtert und die Ver___handlung ohne Unterbrechung zu Ende geführt wird; erforderlichenfalls hat er die ___Sitzung zur Fortsetzung der Verhandlung sofort zu bestimmen. ___ (4) Er schließt die Verhandlung, wenn nach Ansicht des Gerichts die Sache ___vollständig erörtert ist, und verkündet die Urteile und Beschlüsse des Gerichts. ___ ___ § 136 geändert durch das Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG vom 27.7.2001, BGBl. I ___1887. ___ ___ Schrifttum ___ Heilmann/Schlichting Verfahrensgestaltung im Zivilprozeß (1984); Laumen Das Rechtsgespräch im Zi___vilprozeß (1984); Scheuerle Vierzehn Tugenden für vorsitzende Richter (1983). ___ ___ Übersicht ___I. Norminhalt ____ 1 III. Worterteilung und Fragerecht (Abs. 2) ___II. Eröffnung und Leitung der Verhandlung 1. Überlassung des Wortes ____ 8 ___ (Abs. 1) 2. Entziehung des Wortes ____ 10 ____ 1. Eröffnung 5 3. Fragerecht der Beisitzer ____ 12 ___ 2. Leitung ____ 6 IV. Erörterung der Sache (Abs. 3) ___ 1. Erschöpfende Erörterung ____ 13 ___ ___ ___5 Stein/Jonas/Leipold § 135 Rdn. 4; MünchKomm-Peters § 135 Rdn. 4; Zöller/Greger § 135 Rdn. 2; ___Musielak/Stadler § 135 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichold § 135 Rdn. 2.

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§ 136

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

VI. Rechtsbehelfe gegen Anordnungen des ____ 2. Anberaumung eines neuen Termins ____ 17 Vorsitzenden ____ 1. Anrufung des Kollegiums gemäß ____V. Schließung der Verhandlung und § 140 ____ 21 ____ Verkündung einer Entscheidung 2. Beschwerde ____ 22 ____ (Abs. 4) 1. Schluss der mündlichen Verhand3. Sonstige Rechtsbehelfe ____ 23 ____ ____ 18 lung VII. Prozessleitung außerhalb der Verhand____ 2. Verkündung der Entscheidung ____ 20 lung ____ 24 ____ ____ ____ I. Norminhalt ____ ____ § 136 regelt die Aufgaben und Befugnisse des Vorsitzenden in der mündlichen Ver1 ____handlung (§ 279) und einer vorausgehenden Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2). Dem Vor____sitzenden obliegt die Verhandlungsleitung. Zu unterscheiden ist dabei zwischen formel____len und materiellen Aspekten. Die formelle Verhandlungs- bzw. Prozessleitung betrifft ____den äußeren Ablauf der Sitzung. Hierzu gehört die Eröffnung und die Schließung der ____Verhandlung (§ 136 Abs. 1 und 4), die Worterteilung sowie der Wortentzug gegenüber ____den einzelnen Beteiligten (Anwälte, Parteien, Beweispersonen) und die Gestattung von ____Fragen der Mitglieder des Kollegiums (§ 136 Abs. 2), erforderlichenfalls die Bestimmung ____eines neuen Termins zur Fortsetzung der Verhandlung (§ 136 Abs. 3), die Sorge für die ____Anfertigung des Protokolls (§ 163) und die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung in ____der Sitzung (§ 176 GVG). Daneben obliegt dem Vorsitzenden während der Verhandlung ____auch die materielle Prozessleitung, und zwar insbesondere die Sorge für die erschöpfen____de Erörterung der Tat- und Rechtsfragen (§ 139). Die Entscheidung darüber, ob alle Punk____te so vollständig abgehandelt sind, dass die Verhandlung geschlossen werden kann, ____ergeht dabei vorbehaltlich der Beurteilung durch das Kollegium. Nur das Kollegium ____kann darüber befinden, ob alle Fragen soweit erörtert und geklärt worden sind, dass ____Entscheidungsreife besteht. Schließt der Vorsitzende die Verhandlung, obwohl dies ____nach Meinung des Kollegiums nicht der Fall ist, muss sie wieder eröffnet werden. Inso____weit muss der Vorsitzende daher zweckmäßigerweise eine Verständigung herbeiführen, ____und zwar ggf. nach einer Zwischenberatung. 2 ____ Vorsitzender im Sinne des § 136 ist, wer in der mündlichen Verhandlung den Vor____sitz führt. Bei Verhinderung des Richters, der nach dem Geschäftsverteilungsplan Vorsit____zender der Kammer bzw. des Senats ist, tritt an seine Stelle der stellvertretende Vorsit____zende oder ein weiterer Beisitzer des Spruchkörpers. Dieser hat in der Sitzung dieselben ____Befugnisse. Ist der an sich zuständige Vorsitzende an der Ausübung des Vorsitzes ge____hindert, etwa weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht laut sprechen kann, schließt ____dies nicht aus, dass er wenigstens als Beisitzer mitwirkt.1 Der Vorsitzende kann auch ____unter Beibehaltung des Vorsitzes einzelne Aufgaben mit den entsprechenden Befugnis____sen auf ein anderes Mitglied des Kollegiums übertragen.2 Er kann beispielsweise die Er____örterung gemäß § 139 oder die Befragung von Beweispersonen dem Berichterstatter über____lassen. Bei Übertragung auf den Einzelrichter ist dieser Vorsitzender im Sinne des § 136.3 In ____ 3 ____Verfahren vor den Amtsgerichten ist gemäß § 495 Vorsitzender im Sinne des § 136 der ____Einzelrichter. ____ ____ 1 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 3; Thomas/Putzo/Reichold § 136 Rdn. 4. ____2 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 3; MünchKomm-Peters § 136 Rdn. 5; Zöller/Greger § 136 Rdn. 1. ____3 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 1; Zöller/Greger § 136 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ____§ 136 Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 136

____ Der Katalog des § 136 ist nicht abschließend. Weitere Aufgaben für die mündliche ____Verhandlung ergeben sich für den Vorsitzenden aus §§ 138, 139, 504, 510. Zu beachten ____sind auch die Vorschriften der §§ 163, 396 Abs. 3, 397 Abs. 2, und 526 Abs. 2. ____ ____ II. Eröffnung und Leitung der Verhandlung (Abs. 1) ____ ____ 1. Eröffnung. Am Anfang des Termins steht der Aufruf der Sache (§ 220 Abs. 1). Er ____kennzeichnet den Terminsbeginn.4 Das Gericht gibt damit den Parteien gleichsam das ____„Startzeichen“, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung ____wahrzunehmen.5 Zunächst ruft der Protokollführer oder der Wachtmeister die Sache vor ____dem Sitzungssaal auf.6 Dies ist die Aufforderung an die Beteiligten, den Sitzungssaal zu ____betreten. Diese Aufforderung schafft die Voraussetzung für den Aufruf der einzelnen ____Sache durch den Vorsitzenden. Durch diesen Aufruf wird die mündliche Verhandlung im ____Sinne von § 136 eingeleitet.7 Dem Aufruf unmittelbar folgen wird regelmäßig die Feststel____lung, wer erschienen ist.8 Der Begriff der mündlichen Verhandlung im Sinne von § 136 ist ____damit weiter als der in § 137. Nach § 137 beginnt die mündliche Verhandlung (erst), wenn ____die Parteien ihre Anträge stellen. Der vorgeschaltete Aufruf der Sache und die Feststel____lung, wer erschienen ist gehören aber ebenfalls schon zur formellen Prozessleitung des ____Vorsitzenden. Zudem ist mitunter bereits vor Protokollierung der Anträge eine einleiten____de Erörterung erforderlich mit dem Ziel, dass sachdienliche Anträge gestellt werden ____(§ 139 Abs. 1 Satz 2). Eventuell kommt es im Anschluss an diese Erörterung sogar zur ____Rücknahme der Klage bzw. des Rechtsmittels. Auch dies ist selbstverständlich Teil der ____mündlichen Verhandlung. ____ ____ 2. Leitung. Im Vordergrund steht die formelle Prozessleitung. Der Vorsitzende sorgt ____für den äußeren Ablauf der Verhandlung. Er fordert die Parteien auf, ihre Anträge zu ____stellen und zur Sache vorzutragen. Daran schließt sich die Erörterung der Sach- und ____Rechtslage an (Abs. 3). Der Vorsitzende bestimmt die Reihenfolge der Erörterungen9 und ____sorgt für einen geordneten Ablauf. Damit prägt er den äußeren Eindruck, den die Pro____zessbeteiligten und die Öffentlichkeit von dem Gericht erhalten. Er hat die Aufgabe, durch ____seine Verhandlungsführung die unterschiedlichen Interessen auf einen gemeinsamen ____Nenner zu bringen, und zwar nicht nur die schon der Natur nach divergierenden Interes____sen der verhandelnden Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten, sondern auch die ____der geladenen Zeugen und Sachverständigen. Zudem hat er Fürsorgepflichten gegenüber ____den Beteiligten. Unzulässige oder gar beleidigende Fragen an Parteien und Beweisper____sonen müssen mit der erforderlichen Autorität zurückgewiesen werden. ____ Daneben obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sit____zung (§ 176 GVG). Die in §§ 177 ff. GVG vorgesehenen Maßnahmen kann der Vorsitzende ____allerdings nur treffen gegen Personen, die an der Verhandlung nicht beteiligt sind. In den ____übrigen Fällen, also wenn sich die Maßnahme gegen die Parteien, Zeugen oder Sach____verständige richtet, entscheidet gemäß §§ 177 Satz 2, 178 Abs. 2 das Gericht. ____ ____ ____ ____4 RGZ 76, 101. ____5 BVerfGE 42, 346 = NJW 1977, 1443. ____6 KG MDR 1974, 52; LG Berlin JR 1967, 264. 7 Zöller/Greger § 136 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 136 Rdn. 7; Musielak/Stadler ____§ 136 Rdn. 3; Zimmermann § 136 Rdn. 1. ____8 Zimmermann § 136 Rdn. 1. ____9 OVG Münster NJW 1990, 1749.

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§ 136

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ III. Worterteilung und Fragerecht (Abs. 2) _____ _____ 1. Überlassung des Wortes. Wem im Laufe der Verhandlung und in welcher Rei8 _____henfolge das Wort erteilt wird, entscheidet der Vorsitzende nach pflichtgemäßen Ermes_____sen.10 Hierbei kann er die Worterteilung auch ohne Anordnung des Gerichts gemäß § 146 _____zunächst auf bestimmte Punkte beschränken.11 Dieses wird sich insbesondere in kompli_____zierteren Sachen mit vielen Streitpunkten empfehlen. Während der Beweisaufnahme _____kann der Vorsitzende gemäß §§ 397 Abs. 2, 402 den Parteien und ihren Anwälten gestat_____ten, direkt Fragen an den Zeugen oder den Sachverständigen zu richten. _____ Wie der Vorsitzende das Wort erteilt, ist seine Sache. Die Worterteilung kann aus9 _____drücklich geschehen, aber auch konkludent, etwa durch Hinwendung zu einer Partei mit _____einem „fragenden Blick“ oder auch einfach dadurch, dass der Vorsitzende es hinnimmt, _____wenn eine Partei von sich aus das Wort ergreift. Das Ende der Wortüberlassung tritt im _____Regelfall dadurch ein, dass die Ausführungen beendet werden und hierdurch inzidenter _____auf das – weitere – Wort verzichtet wird. Zwar gehen dem zuweilen Ermahnungen des _____Vorsitzenden voraus, man möge doch zum Schluss kommen. In solchen Ermahnungen _____liegt aber noch keine Anordnung, geschweige denn schon eine Wortentziehung. Wenn _____allerdings solche Ermahnungen nicht helfen, wird anstelle der „leichten Hilfe“ die aus_____drückliche Anordnung des Vorsitzenden treten, nun sogleich zum Schluss zu kommen. _____Wird sie nicht befolgt, kann die Wortentziehung folgen. _____ _____ 10 2. Entziehung des Wortes. Das Wort kann demjenigen entzogen werden, der An_____ordnungen des Vorsitzenden nicht befolgt. Solche Anordnungen können darin bestehen, _____sich an eine bestimmte Reihenfolge der Erörterung zu halten, bestimmte Themen zu_____nächst zu meiden, sich in der Ausdrucksweise oder in der Lautstärke zu mäßigen oder _____die Ausführungen zu beenden. Auch ohne vorherige Anordnung kommt eine Wortent_____ziehung dann in Betracht, wenn dies zum Schutz eines Sitzungsbeteiligten erforderlich _____ist (unzulässiger Angriff gegen die andere Partei, Fragen mit beleidigendem Inhalt an _____Zeugen oder Sachverständige) oder wenn die Ausführungen ganz offensichtlich nichts _____mit der Sache zu tun haben. Zur Wahrung einer konstruktiven Verhandlungsatmosphäre _____ist es unbedingt angezeigt, vor der förmlichen Wortentziehung eine Verständigung zu _____erzielen. Nur wenn die von der Wortentziehung betroffene Person uneinsichtig bleibt, _____empfiehlt es sich, die Wortentziehung ausdrücklich anzudrohen und diese Androhung _____und dann gegebenenfalls auch die Wortentziehung selbst gemäß § 160 Abs. 2 in das Pro_____tokoll aufzunehmen.12 _____ Gegenüber den Prozessbevollmächtigen ist hinsichtlich der förmlichen Wortentzie11 _____hung äußerste Zurückhaltung geboten. Die Wortentziehung hat Sanktionscharakter und _____ist daher schon im Hinblick auf die Stellung des Anwalts als unabhängiges Organ der _____Rechtspflege (§ 1 BRAO) problematisch. Hinzu kommt, dass in der Wortentziehung eine _____Verletzung des Gebots auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegen kann. Zum rechtlichen _____Gehör gehört es unter anderem, dass sich die Parteien vollständig erklären können. Da_____bei muss in Kauf genommen werden, dass mitunter Dinge erörtert werden, auf die es _____nach Ansicht des Gerichts nicht ankommt. Zudem erschließt sich der Sinn einer längeren _____Ausführung oder einer auf den ersten Blick neben der Sache liegenden Frage häufig erst, _____wenn man den Betreffenden ausreden lässt. Gleichermaßen Zurückhaltung ist geboten _____ _____ 10 OVG Münster NJW 1990, 1749; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 136 Rdn. 10, 11; Musielak/ _____Stadler § 136 Rdn. 4. _____11 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 7. _____12 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 136 Rdn. 15.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 136

____bei der Wortentziehung gegenüber der erschienen Partei. Aus Sicht der Partei ist die ____mündliche Verhandlung das Herzstück des Prozesses. Den vorbereitenden Schriftsätzen ____wird vom Laien in der Regel nicht die Bedeutung zugemessen, die sie in der zivilprozes____sualen Praxis tatsächlich haben. Zudem wird der Laie den konzentrierten, streng auf das ____Ergebnis orientierten Erörterungen zur Sach- und Rechtslage des Gerichts bzw. der An____wälte in aller Regel nicht oder nur eingeschränkt folgen können. Die angestrebte Befrie____dungswirkung lässt sich mit dem Zivilprozess nur dann erreichen, wenn die Partei in der ____mündlichen Verhandlung den Eindruck gewinnt, dass man ihr zugehört und ihre Argu____mente wahrgenommen hat. Eine straffe Verhandlungsführung, die im Extremfall in einer ____Wortentziehung gipfelt, wirkt daher kontraproduktiv. Zudem zeigt die Erfahrung, dass ____sich eine Verhandlung vielfach entspannt, wenn zunächst jeder der Beteiligten seinen ____Standpunkt darlegen kann. Dass dabei auch Überflüssiges zur Sprache kommt, muss ____hingenommen werden. ____ ____ 3. Fragerecht der Beisitzer. Gemäß § 136 Abs. 2 Satz 2 gehört zur formellen Leitung 12 ____der Verhandlung durch den Vorsitzenden auch die Überlassung des Fragerechts an die ____Beisitzer. Für die Vernehmung von Zeugen ist dies in § 396 Abs. 3 nochmals ausdrücklich ____geregelt. Fragerecht ist nicht im Wortsinne zu verstehen. Der Beisitzer hat ein eigenstän____diges Recht, die entscheidungserheblichen Tat- und Rechtsfragen mit den Parteien zu ____erörtern. Er kann daher nicht nur Fragen zum Sachvortrag stellen. Er kann die Parteien ____daneben um Klarstellung ihres Vortrags bitten, sie auffordern, Widersprüche in ihrem ____Vortrag auszuräumen oder rechtliche Erörterungen anstellen. Der Beisitzer kann sich ____nur dann ein Bild machen, wenn die Fragen geklärt sind, die er für erheblich hält. Inso____weit sind die Mitglieder des Kollegiums gleichberechtigt. Der Vorsitzende hat in diesem ____Bereich nur eine Steuerungsfunktion und kein Recht zu einer inhaltlichen Gestaltung. ____Der einzelne Beisitzer unterliegt keinen Vorgaben, die sich aus einer abweichenden Be____urteilung der Sache durch die übrigen Mitglieder des Kollegiums ergeben. § 136 stellt ____klar, dass der Beisitzer keinen inhaltlichen Beschränkungen in seinem Fragerecht unter____liegt. Notfalls muss der Vorsitzende die Verhandlung unterbrechen, damit in einer Zwi____schenberatung die Erheblichkeit einzelner Fragen geklärt werden kann. Ferner kann dies ____angezeigt sein, wenn die Befragung durch den Beisitzer dem Verhandlungskonzept oder ____der Fragetaktik des Vorsitzenden zuwider läuft, etwa wenn später noch zu stellende Fra____gen vom Beisitzer vorweggenommen werden. ____ ____ IV. Erörterung der Sache (Abs. 3) ____ ____ 1. Erschöpfende Erörterung. Nach § 136 Abs. 3 hat der Vorsitzende in der mündli- 13 ____chen Verhandlung dafür Sorge zu tragen, dass die Sache erschöpfend erörtert wird. Fer____ner soll die Verhandlung ohne Unterbrechung zu Ende geführt und schließlich im Falle, ____dass doch eine weitere Sitzung erforderlich ist, sofort ein neuer Termin anberaumt wer____den. ____ Die erschöpfende Erörterung der Sach- und Rechtslage ist das Kernstück der mate- 14 ____riellen Prozessleitung in der mündlichen Verhandlung. Sie ist Teil des rechtlichen Ge____hörs. Inhaltlich ausgefüllt wird die Pflicht zur Erörterung durch §§ 138, 139, 504, 510. ____§ 136 Abs. 3 stellt klar, dass sich die Erörterung nach Möglichkeit auf einen Termin kon____zentriert. Erschöpfend ist eine Sache dann erörtert, wenn Entscheidungsreife besteht.13 ____Ist die Entscheidungsreife in dem anstehenden Termin nicht zu erreichen, wird die Ver____ ____ ____13 OLG Bamberg FamRZ 1994, 1045.

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§ 136

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____handlung nicht geschlossen, sondern eine Sitzung zur Fortsetzung der Verhandlung _____anberaumt. Da hierfür die Ansicht Gerichts und nicht die des Vorsitzenden den Aus_____schlag gibt, muss sich der Vorsitzende während der Verhandlung mit den Beisitzern ver_____ständigen, ob diese noch Erörterungsbedarf sehen.14 Ergibt sich nach Schluss der münd_____lichen Verhandlung, dass Entscheidungsreife in Wahrheit nicht gegeben ist, muss die _____Verhandlung wieder eröffnet werden (§ 156). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn sich in _____der Beratung herausstellt, dass ein wichtiger Punkt nicht oder nicht mit der gebotenen _____Deutlichkeit zur Sprache gekommen ist (Verletzung der Hinweispflicht). Ferner kann _____dies der Fall sein, wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme stattgefunden hat und die _____Partei erst im Anschluss hieran auf der Grundlage des Verhandlungsprotokolls in der _____Lage war, das Beweisergebnis zu verarbeiten.15 _____ Die Verhandlung soll ohne Unterbrechung zu Ende geführt werden. Dieses Gebot 15 _____korrespondiert mit § 272 Abs. 1. Es richtet sich an das Gericht und nicht (nur) an den Vor_____sitzenden. Hiernach ist der Rechtsstreit in der Regel in einem umfassend vorbereiteten _____(Haupt-)Termin (§ 279) und nicht in mehreren aufeinander folgenden Terminen zu erle_____digen. Dieses Ideal lässt sich allerdings insbesondere im erstinstanzlichen Verfahren _____nicht immer erreichen. Die Verpflichtung zur „Verhandlung ohne Unterbrechung“ ist _____nicht zu verwechseln mit der vorübergehenden Unterbrechung der Sitzung, etwa für eine _____Beratung, eine Pause oder für ein Vergleichsgespräch unter den Parteien. Diese fällt in _____die formelle Prozessleitung des Vorsitzenden und unterliegt keinerlei Beschränkungen. _____ Beschränkt wird die materielle Prozessleitung des Vorsitzenden durch § 140. Bean16 _____standet eine der an der Verhandlung teilnehmenden Personen eine Anordnung des Vor_____sitzenden zur Sachleitung oder eine seiner Fragen als unzulässig, muss das Gericht ent_____scheiden. Das Gleiche gilt für die in §§ 141 ff. genannten Anordnungen. Werden sie in der _____mündlichen Verhandlung getroffen, muss das Kollegium entscheiden. _____ _____ 2. Anberaumung eines neuen Termins. Kann die Sache ausnahmsweise nicht bis 17 _____zur Entscheidungsreife gefördert werden, hat der Vorsitzende die Sitzung zur Fortset_____zung der Verhandlung sofort zu bestimmen. Sofort bedeutet zweierlei, und zwar Ter_____minsbestimmung am Ende der Sitzung und nicht nachfolgend auf schriftlichem Weg _____sowie Anberaumung eines möglichst kurzfristigen Termins.16 Allerdings lässt sich dieses _____Gebot nicht stets umsetzen. Endet die Sitzung mit einem rechtlichen Hinweis oder einer _____Auflage zu weiterem Vortrag, kann es angezeigt sein, zunächst abzuwarten und erst _____dann zu terminieren, wenn sich absehen lässt, worüber zu verhandeln ist und welche _____vorbereitenden Maßnahmen zu treffen sind. _____ _____ V. Schließung der Verhandlung und Verkündung einer Entscheidung (Abs. 4) _____ _____ 1. Schluss der mündlichen Verhandlung. Der Vorsitzende schließt die Verhand18 _____lung, wenn die Sache nach Ansicht des Gerichts vollständig erörtert ist, also nach Eintritt _____der Entscheidungsreife. Darüber muss sich der Vorsitzende mit den Beisitzern verständi_____gen, und zwar notfalls nach einer Zwischenberatung. Bei Missverständnissen oder einer _____späteren Beratung mit gegenteiligem Ergebnis muss gemäß § 156 wieder eröffnet wer_____den.17 Der Verhandlungsschluss kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden, et_____ _____ _____14 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 10; MünchKomm-Peters § 136 Rdn. 6. 15 BGH NJW 1982, 1335 (Arzthaftungsprozess mit 81 Protokollseiten); BGH NJW 1984, 1823; BGH NJW _____2001, 2796. _____16 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 136 Rdn. 25. _____17 Stein/Jonas/Leipold § 136 Rdn. 10.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 136

____wa durch sofortige Verkündung einer Entscheidung, Bestimmung eines Termins hierfür ____(§ 310 Abs. 1 Satz 1) oder durch den Aufruf der nächsten Sache.18 Der Vorsitzende schließt ____die Verhandlung, nicht nur die Sitzung. Die Bestimmung eines Termins zur Fortsetzung ____der Verhandlung (§§ 227, 275 Abs. 2, 335 Abs. 2, 337) ist nicht „Schluss der Verhandlung“. ____ Mit dem Schluss der Verhandlung treten eine Reihe von Rechtsfolgen ein. Stellt eine ____Partei bis zum Schluss der Verhandlung keine Anträge, ist sie säumig (§ 220 Abs. 2), so ____dass ein Versäumnisurteil gegen sie ergehen kann. Eine bis dahin versäumte Prozess____handlung kann nicht mehr nachgeholt werden (§ 231 Abs. 2). Weiteres Vorbringen ist ____ausgeschlossen (§ 296 a), es sei denn, es ist ein Schriftsatznachlass gemäß § 139 Abs. 5 ____bzw. § 283 gewährt worden oder das Gericht tritt nachträglich wieder in die mündliche ____Verhandlung ein (§ 156). Eine spätere Abänderungsklage kann gemäß § 323 Abs. 2 nicht ____auf solche Tatsachen gestützt werden, die bis Schluss der mündlichen Verhandlung ent____standen sind. Das Gleiche gilt gemäß § 767 Abs. 2 für die Vollstreckungsabwehrklage. ____Für das Berufungsverfahren begründet der Schluss der mündlichen Verhandlung die ____Zäsur dafür, ob Angriffs- und Verteidigungsmittel neu im Sinne von § 531 Abs. 2 sind. ____ ____ 2. Verkündung der Entscheidung. Nach Schluss der Verhandlung bleibt dem Vor____sitzenden noch die Aufgabe, die getroffenen Entscheidungen zu verkünden, gleichviel, ____ob als Urteil oder als Beschluss. Wenn diese Entscheidung am Schluss der Sitzung schon ____vorliegt, kann sie noch in demselben Termin verkündet werden. Andernfalls wird ein ____gesonderter Verkündungstermin anberaumt. Nähere Einzelheiten für die Verkündung ____von Urteilen ergeben sich aus den Vorschriften der §§ 310 ff., die gemäß § 329 Abs. 1 zum ____Teil auch auf Beschlüsse des Gerichts und Verfügungen des Vorsitzenden anzuwenden ____sind. Dass die Verkündung im Protokoll festzuhalten ist, ergibt sich aus § 160 Abs. 3 ____Nr. 7. Die Verkündung muss nicht notwendigerweise von dem Vorsitzenden vorgenom____men werden, der die Verhandlung geleitet hat.19 ____ ____ VI. Rechtsbehelfe gegen Anordnungen des Vorsitzenden ____ ____ 1. Anrufung des Kollegiums gemäß § 140. Bei Beanstandung der Sachleitung oder ____einzelner Fragen durch den Vorsitzenden kann gemäß § 140 die Entscheidung des Ge____richts beantragt werden. Im Übrigen ist der Vorsitzende in der formellen Prozessleitung ____frei und unterliegt nicht der Kontrolle durch das Kollegium. Einschränkungen bestehen ____hingegen bei der materiellen Prozessleitung. Diese steht stets unter dem Vorbehalt, dass ____das Kollegium nicht anders entscheidet, ohne dass es einer Rüge der Parteien bedarf. ____ ____ 2. Beschwerde. Anordnungen des Vorsitzenden im Rahmen des § 136 ergehen defi____nitionsgemäß in der mündlichen Verhandlung und unterliegen daher nicht der Be____schwerde. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde findet nach § 567 Abs. 1 nur statt ____gegen eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen. Sitzungspolizei____liche Maßnahmen des Vorsitzenden gemäß § 177 GVG bei Ungehorsam können ebenfalls ____nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 181 GVG). Insoweit bleibt nur das ____Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Sache (Verletzung rechtlichen Gehörs, Ver____stoß gegen die Aufklärungspflicht). ____ ____ ____ ____ ____18 OLG Bamberg FamRZ 1994, 1045. ____19 BGH DB 1968, 1622.

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§ 137

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 3. Sonstige Rechtsbehelfe. Eine Gegenvorstellung mit dem Ziel, dass der Vorsit23 _____zende seine Maßnahme zurücknimmt, ist ohne weiteres möglich. Eine Dienstaufsichts_____beschwerde ist denkbar, im Hinblick auf § 26 DRiG aber wenig erfolgversprechend. Die _____Leitung der mündlichen Verhandlung gehört zum Kernbereich der richterlichen Unab_____hängigkeit. Letztlich bleibt ein Befangenheitsgesuch. _____ _____ VII. Prozessleitung außerhalb der Verhandlung _____ _____ Außerhalb der mündlichen Verhandlung ist es Sache des Vorsitzenden, den äußeren 24 _____Ablauf des Verfahrens zu steuern und das Verfahren zu fördern. Er bestimmt die Einlas_____sungsfristen (§§ 274 Abs. 3 Satz 2, 276 Abs. 1, 523 Abs. 2, 553, Abs. 2, 697 Abs. 2), die Frist _____für die Klageerwiderung (§ 276 Abs. 3), für die Berufungserwiderung und eine etwaige _____Stellungnahme hierauf (§ 521 Abs. 2), die Fristen für Vorbringen im Beschwerdeverfahren _____(§ 571 Abs. 3) und die Ladungsfrist im Fall des § 239 Abs. 3 Satz 2. Er trifft die Wahl zwischen _____schriftlichem Vorverfahren und frühem ersten Termin (§ 272 Abs. 2). Er ist zuständig für die _____Bestellung eines Prozesspflegers (§ 57), die Beiordnung eines Anwalts im Fall des § 121 _____Abs. 5, die Bestimmung der Termine (§ 216 Abs. 3), die Abkürzung oder Verlängerung von _____Zwischenfristen (§§ 134 Abs. 2 Satz 2; 226 Abs. 3, 244 Abs. 2 Satz 1), im Fall des § 183 Abs. 3 _____für das Ersuchen um Zustellung im Ausland, die Verlängerung von Rechtsmittelbegrün_____dungsfristen (§§ 520 Abs. 2, 551 Abs. 2 Satz 5) und die Bestimmung des beauftragten Rich_____ters für Beweiserhebungen (§ 361). Nach § 362 ist es bei einer Beweisaufnahme durch den _____ersuchten Richter Aufgabe des Vorsitzenden, das Ersuchungsschreiben zu verfassen. _____Gemäß § 273 Abs. 2 kann der Vorsitzende einzelne Maßnahmen zur Vorbereitung des _____Termins treffen. Nach § 522 Abs. 2 Satz 2 kann er den für die Zurückweisung einer Beru_____fung durch Beschluss erforderlichen rechtlichen Hinweis erteilen. Die zuletzt genannten _____Maßnahmen nach §§ 273 Abs. 2, 522 Abs. 2 gehören allerdings zur materiellen Prozesslei_____tung. Insoweit hat das Kollegium mitzubestimmen. Vorbereitende Anordnungen für den _____Termin gemäß § 273 Abs. 2 stehen stets unter dem Vorbehalt der Entscheidung durch das _____Gericht. Ein Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 kann nur ergehen, wenn das Berufungsgericht _____zuvor zu einem – einstimmigen – Ergebnis gekommen ist. Im Fall des § 944 kann der _____Vorsitzende wegen der besonderen Dringlichkeit ausnahmsweise allein entscheiden. In _____der Beratung obliegt dem Vorsitzenden gemäß § 194 Abs. 1 GVG die Leitung. Gemäß § 192 _____Abs. 2 kann er die Zuziehung von Ergänzungsrichtern anordnen, was aber im Zivilver_____fahren nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. _____ _____ _____ § 137 _____ Gang der mündlichen Verhandlung _____ § 137 Gerken _____ (1) Die mündliche Verhandlung wird dadurch eingeleitet, dass die Parteien _____ihre Anträge stellen. _____ (2) Die Vorträge der Parteien sind in freier Rede zu halten; sie haben das Streit_____verhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu umfassen. _____ (3) Eine Bezugnahme auf Dokumente ist zulässig, soweit keine der Parteien _____widerspricht und das Gericht sie für angemessen hält. Die Vorlesung von Doku_____menten findet nur insoweit statt, als es auf ihren wörtlichen Inhalt ankommt. _____ (4) In Anwaltsprozessen ist neben dem Anwalt auch der Partei selbst auf An_____trag das Wort zu gestatten. _____ _____ Gerken

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 137

____ Schrifttum ____ Borck Vom rechtlichen Gehör WRP 1998, 368; Schlicht Antrag auf Klageabweisung oder Zurückwei____sung des Rechtsmittels als Sachantrag im Sinne von § 32 BRAGO NJW 1970, 1630. ____ ____ Übersicht ____I. Regelungsinhalt ____ 1 IV. Vorlesung von Dokumenten ____II. Anträge (Abs. 1) (Abs. 3 Satz 2) ____ 20 ____ V. Eigener Vortrag der Partei (Abs. 4) 1. Zeitpunkt der Antragstellung ____ 4 1. Allgemeines ____ 21 2. Form ____ 6 ____ 3. Inhalt ____ 7 2. Nebeneinander von Anwalt und ____ 4. Wirkung ____ 8 Partei ____ 25 ____ III. Vorträge der Parteien (Abs. 2 und 3) 3. Materiell-rechtliche Erklärungen ____ 28 ____ 4. Verstoß gegen § 137 Abs. 4 ____ 29 1. Grundsatz der Mündlichkeit ____ 11 ____ 2. Bezugnahme ____ 14 ____ ____ ____ I. Regelungsinhalt ____ ____ § 137 regelt die Stellung der Anträge (Abs. 1) und den anschließenden Vortrag der 1 ____Parteien (Abs. 2–4). Er betrifft damit lediglich zwei Elemente und nicht – wie die Über____schrift nahe legt – den vollständigen Gang der Verhandlung. Dieser ergibt sich erst aus ____dem Zusammenhang mit den weiteren Vorschriften über die mündliche Verhandlung, ____und zwar insbesondere aus § 136 (Eröffnung der Verhandlung durch den Vorsitzenden, ____formelle Prozessleitung, Schließung der Verhandlung), § 139 (materielle Prozessleitung), ____§ 279 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit § 285 (Beweisaufnahme im Anschluss an die strei____tige Verhandlung, Beweiserörterung und nachfolgende Verhandlung) und § 310 (Ver____kündung des Urteils am Schluss der Verhandlung bzw. in einem gesonderten Termin). ____Der mündlichen Verhandlung geht im ersten Rechtszug (zur Berufung: § 525 Satz 2) ____grundsätzlich eine Güteverhandlung voraus (§ 278 Abs. 2). ____ Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück des Zivilprozesses. Sie gewährt den 2 ____Parteien das erforderliche rechtliche Gehör und gibt Gelegenheit zur Erörterung aller Tat____und Rechtsfragen. Dabei sind gemäß § 137 Abs. 2 die Vorträge in freier Rede zu halten ____Allerdings wird die mündliche Verhandlung umfassend durch Schriftsätze vorbereitet. ____In der Verhandlung wird der Vortrag lediglich zu einzelnen Punkten ergänzt bzw. ver____tieft. § 137 Abs. 3 gestattet daher, dass die Parteien bei ihrem mündlichen Vortrag auf die ____vorliegenden Dokumente Bezug nehmen, soweit der Gegner nicht widerspricht und das ____Gericht dies für sachdienlich hält. Der Begriff „Dokumente“ ist mit dem JKomG 20051 an ____Stelle von „Schriftstücke“ getreten. Eine sachliche Änderung war hiermit nicht beabsich____tigt. Dokumente sind neben Schriftstücken auch Aufzeichnungen als elektronische Do____kumente gemäß § 130 a. Gemeint sind daher alle zur Vorbereitung der mündlichen Ver____handlung eingereichten – bestimmenden und vorbereitenden – Schriftsätze mit ihren ____Anlagen, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Gericht in schriftlicher oder elektroni____scher Form übermittelt worden sind. ____ § 137 Abs. 4 stellt klar, dass den Parteien auch im Anwaltsprozess das Wort zu ge- 3 ____statten ist. Dieses Rederecht ist Teil ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Zugleich wird ____damit zum Ausdruck gebracht, dass die Parteien im Mittelpunkt stehen und in „ihrem“ ____Prozess persönlich mitreden dürfen. Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung für das Ge____richt. Die erschienene Partei muss gebührend zu Wort kommen. Die nicht gerichtserfah____ ____ ____1 BGBl. I 837.

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§ 137

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____rene Partei gelangt in Anbetracht der verkürzten und auf den Kern des Rechtsstreits be_____schränkten Erörterung durch das Gericht und die Prozessbevollmächtigten häufig zu _____dem Eindruck, dass die „eigentlich wesentlichen“ Fragen gar nicht angesprochen wer_____den. Daher muss sie Gelegenheit haben, die Ausführungen ihres Prozessbevollmächtig_____ten zu ergänzen bzw. einzelne Punkte, die sie selbst für wichtig hält, in den Vordergrund _____zu rücken. Werden hierbei Dinge angesprochen, die nicht unmittelbar für die rechtliche _____Lösung von Bedeutung sind, muss dies hingenommen werden. Wird der Partei insoweit _____das Wort abgeschnitten, bleibt der Eindruck zurück, man habe ihr nicht richtig zugehört. _____Damit fehlt die erforderliche Grundlage für die Akzeptanz der nachfolgenden Entschei_____dung. _____ _____ II. Anträge (Abs. 1) _____ _____ 1. Zeitpunkt für die Antragstellung. Am Anfang des Termins steht der Aufruf der 4 _____Sache (§ 220 Abs. 1). Mit diesem Aufruf beginnt die Verhandlung (§ 136).2 Sodann folgt _____die streitige Verhandlung. Diese wird gemäß § 137 Abs. 1 dadurch eingeleitet, dass die _____Parteien ihre Anträge stellen, und zwar zur Sache selbst und nicht nur zu rein prozessua_____len Vorfragen (z.B. Verweisungsantrag). Dies bedeutet jedoch nicht, dass zwingend un_____mittelbar nach dem Aufruf der Sache die Anträge zu Protokoll zu nehmen sind.3 § 137 _____Abs. 1 ist nicht eine Regieanweisung über den zeitlichen Ablauf der Verhandlung. Seine _____Bedeutung liegt im Rechtlichen. Er bestimmt, dass eine mündliche Verhandlung im _____Rechtssinne erst oder nur dann vorliegt, wenn die Parteien ihre Sachanträge gestellt ha_____ben.4 Die Anträge sind die Voraussetzung dafür, dass die Parteien dem Gericht den _____schriftsätzlich vorbereiteten Vortrag in der Verhandlung unterbreiten können. Erst hier_____durch wird das Gericht in die Lage versetzt, über den Streit zu entscheiden. Eine kontra_____diktorische Entscheidung ohne Stellung der Anträge beruht daher auf einem Verfah_____rensmangel.5 _____ 5 Verschiedene Gründe können Veranlassung dazu geben, die streitige Verhandlung _____nicht mit der Protokollierung der Anträge einzuleiten. Gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 hat das _____Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien die sachdienlichen Anträge stellen. Sind _____die Anträge unklar oder rechtlich fehlerhaft, bedarf es eines vorherigen Hinweises. Das_____selbe gilt, wenn Zweifel an der Erfolgsaussicht des angekündigten Antrags bestehen und _____ein anderer Antrag eher geeignet ist, der Klage bzw. dem Rechtsmittel zum Erfolg zu ver_____helfen. Hierzu ist mitunter eine eingehende rechtliche Erörterung der Sach- und Rechts_____lage – häufig unter Einbeziehung des Gegners – erforderlich. Würden zunächst die schrift_____sätzlich angekündigten Anträge gestellt, müssten sie im Anschluss an die Erörterungen _____geändert, unter Umständen sogar teilweise zurückgenommen werden. Daher müssen in _____diesen Fällen die Anträge zunächst zurückgestellt werden. Diese Erörterung vor Stellung _____der Anträge ist noch kein Verhandeln im Sinne von § 137.6 Ähnlich ist es, wenn vor der _____streitigen Verhandlung eine vergleichsweise Erledigung besprochen werden soll. Auch _____nach einem gescheiterten Güteversuch (§ 278 Abs. 2) kann eine solche Erörterung in be_____stimmten Fällen angebracht sein. Der Gang der Verhandlung muss an diese verschiede_____ _____ _____2 Zöller/Greger § 136 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 136 Rdn. 7; Musielak/Stadler _____§ 136 Rdn. 3; Zimmermann § 136 Rdn. 1. _____3 BGHZ 109, 41,44 = NJW 1990, 840; OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 1343. 4 BGHZ 100, 383, 389 f. = NJW 1987, 3263; BGHZ 109, 41, 44 f. = NJW 1990, 840; OLG München MDR 1985, _____943; OLG Koblenz NJW-RR 1991, 1087; OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 1343. _____5 Stein/Jonas/Leipold § 137 Rdn. 2; AK-Puls § 137 Rdn. 2. _____6 OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 1343; OLG Dresden NJW-RR 1997, 765; Künzl BB 1991, 757.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 137

___nen Gestaltungsmöglichkeiten angepasst werden können. Daher steht es im pflichtge___mäßen Ermessen des Vorsitzenden, welchen Ablauf er im Einzelfall für sachdienlich ___hält.7 Demgemäß bleibt es auch unschädlich, wenn die Anträge erst am Schluss einer ___längeren Erörterung oder gar erst im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu Protokoll ___genommen werden. ___ ___ 2. Form. Wie die Anträge zu stellen sind, bestimmt § 297. Sie sind grundsätzlich aus 6 ___den vorbereitenden Schriftsätzen – ausnahmsweise aus einer Protokollanlage (§ 297 ___Abs. 1 Satz 2) – zu verlesen. Dies gilt auch für den Parteiprozess, allerdings dort nur ___dann, wenn das Gericht eine Anordnung gemäß § 129 Abs. 2 getroffen hat. Gemäß § 297 ___Abs. 2 kann die Verlesung dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze ___Bezug nehmen, die die Anträge enthalten. Dies ist in der Praxis die Regel („Der Kläger ___stellt den Antrag aus der Klageschrift vom …“). Daneben kann der Vorsitzende gemäß ___§ 297 Abs. 1 Satz 3 gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden. Das ist dann ___erforderlich, wenn sich im Termin ergibt, dass die Anträge geändert werden müssen. ___Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 sind die Anträge im Protokoll festzustellen. ___ ___ 3. Inhalt. Im Sinne von § 297 sind Anträge nur Sach-, nicht aber Prozessanträge.8 Für 7 ___§ 137 Abs. 1 muss ein anderes Verständnis zugrunde gelegt werden. Stellt der Beklagte ___seinen Antrag auf Abweisung der Klage bzw. der Rechtsmittelbeklagte seinen Antrag auf ___Zurückweisung des Rechtsmittels, verhandelt er streitig zur Sache, obwohl es sich bei ___seinem Antrag um einen Prozessantrag handelt.9 ___ ___ 4. Wirkung. In der Antragstellung – und dem anschließenden Verhandeln über die 8 ___Sache – liegt grundsätzlich die Bezugnahme auf das gesamte schriftsätzliche Vorbringen ___der Partei.10 Über die Antragstellung wird der Vortrag zum Prozessgegenstand (Einzel___heiten Rdn. 12). Der Inhalt der in Bezug genommenen Schriftsätze gilt als mündlich vor___getragen. Das gilt auch dann, wenn einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel später im ___Urteilstatbestand nicht erwähnt werden.11 Eine pauschale Verweisung auf das schriftsätz___liche Vorbringen (sog. salvatorische Klausel) ist hierfür nicht erforderlich.12 Vorausset___zung für die Wirkung der Bezugnahme ist allerdings, dass im Anschluss an die Antrag___stellung auch streitig über die Sache verhandelt wird.13 Beschränkt sich die Verhandlung ___auf prozessuale Fragen, ist zur Sache selbst noch nicht vorgetragen worden. Dasselbe ___gilt, wenn der Anwalt zwar einen Sachantrag stellt, sich aber anschließend nicht zur ___Sache einlässt, weil er über den Streitstoff nicht informiert ist14 oder weil er dies aus tak___tischen Gründen nicht will. Will eine Partei einzelne Teile ihres schriftsätzlichen Vorbrin___gens nicht oder anders vorgetragen, muss sie dies ausdrücklich erklären. Ist das schrift___ ___7 BGHZ 109, 41, 44 = NJW 1990, 840. ___8 Stein/Jonas/Leipold § 297 Rdn. 3; MünchKomm-Prütting § 297 Rdn. 3; Zöller/Greger § 297 Rdn. 3; ___Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 297 Rdn. 4; Musielak/Huber § 297 Rdn. 1; Thomas/Putzo/ ___Reichold § 297 Rdn. 1. ___9 Keine Sachanträge: BGH NJW 1965, 394; BGH NJW 1970, 99, 100; Stein/Jonas/Leipold § 297 Rdn. 7; Thomas/Putzo/Reichold § 297 Rdn. 2; a.A. MünchKomm-Prütting § 297 Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach/ ___Albers/Hartmann § 297 Rdn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 64 I 1; Musielak/Huber § 297 Rdn. 1. ___10 BGH WM 1990, 1105, 1106; BGH NJW 1992, 2148; BGH NJW-RR 2002, 381; BGHZ 158, 269 = NJW 2004, ___1876. ___11 BGH NJW-RR 1996, 379; BGH NJW 2004, 1876, 1879. 12 BGH NJW-RR 1996, 379; OLG Oldenburg NJW 1989, 1165 = MDR 1998, 551. ___13 BGH NJW 1999, 2120. ___14 OLG Zweibrücken MDR 1977, 409; OLG Bamberg OLGZ 1976, 351; OLG Düsseldorf JurBüro 1988, 382; ___OLG Zweibrücken OLGZ 1993, 329.

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§ 137

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____sätzliche Vorbringen widersprüchlich oder bestehen Unklarheiten, muss das Gericht _____eine Klärung gemäß § 139 herbeiführen. Zweifel gehen insoweit zu Lasten der Partei. _____ Der einmal gestellte Antrag wirkt fort, und zwar auch für spätere Termine.15 Das Ge9 _____richt kann ihn daher auch dann zur Grundlage seiner Entscheidung machen, wenn er in _____einem späteren Termin nicht erneut gestellt worden ist. Dies folgt aus dem Grundsatz der _____Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung. Werden in einem Folgetermin die Anträge _____nicht nochmals protokolliert, begründet allein dies keinen Verfahrensmangel. Das gilt _____auch bei einem zwischenzeitlichen Richterwechsel.16 Anders ist es allerdings, wenn nach _____dem ersten Termin weiter schriftsätzlich vorgetragen wird. Dieser Vortrag muss im nach_____folgenden Termin zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden. Dies _____kann zwar dadurch geschehen, dass die Partei auf diesen Vortrag konkret Bezug nimmt. _____Einfacher ist es aber, die Anträge zu wiederholen und hierdurch – stillschweigend – die _____Bezugnahme zu erklären. Denn diese Erklärung umfasst das gesamte Vorbringen. Findet _____eine Beweisaufnahme statt, haben die Parteien anschließend über das Ergebnis unter _____Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln (§ 285 Abs. 1). Hat die Beweisaufnahme _____nicht vor dem Prozessgericht stattgefunden, so ist ihr Ergebnis aufgrund der Beweisver_____handlungen vorzutragen (§ 285 Abs. 2). Dies geschieht jeweils dadurch, dass die Anträge _____wiederholt werden. _____ 10 Über die Einbeziehung des Prozessvortrags hinaus löst die Antragstellung im Zu_____sammenwirken mit der unmittelbar nachfolgenden Verhandlung über die Hauptsache _____weitere prozessuale Folgen aus: _____– Gemäß § 39 wird die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges dadurch _____ begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur _____ Hauptsache mündlich verhandelt. Hierzu ist der Antrag auf Klagabweisung erforder_____ lich.17 _____– Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ableh_____ nen, wenn sie bei ihm Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungs_____ grund geltend zu machen (§ 43). _____– Lässt sich der Beklagte rügelos auf eine geänderte Klage ein, wird nach § 267 seine _____ Einwilligung in die Änderung der Klage vermutet. Hat er schriftsätzlich keine Ein_____ wände gegen die Klageänderung erhoben, liegt diese Einwilligung darin, dass er _____ den Antrag auf Abweisung der Klage stellt. Ist dagegen die Zulässigkeit der Klage_____ änderung in einem Schriftsatz gerügt worden, enthält die Antragstellung eine still_____ schweigende Bezugnahme hierauf,18 so dass die Rüge im Termin nicht nochmals _____ ausdrücklich erhoben werden muss. _____– Die Klage kann gemäß § 269 Abs. 1 ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum _____ Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenom_____ men werden. Sie muss daher erklärt werden, bevor der Beklagte seinen Antrag auf _____ Abweisung der Klage gestellt und hierüber verhandelt hat. _____– Nach § 282 Abs. 3 S. 1 hat der Beklagte Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betref_____ fen, gleichzeitig und vor seiner Verhandlung zur Hauptsache vorzubringen. Er kann _____ also nicht erst den Gang des Verhandelns in der Sache abwarten, um dann, wenn _____ sich dieser als für ihn ungünstig erweist, doch noch die Zulässigkeit der Klage in _____ Zweifel zu ziehen. _____ _____ _____ 15 BGH NJW 2004, 2019; BGHZ 141, 184, 193. _____16 Zöller/Greger Rdn. 2; Kirchner NJW 1971, 2158; a.A. BAGE 23, 146 = BAG NJW 1971, 1332. _____17 OLG Dresden NJW-RR 1997, 317 = MDR 1997, 94. _____18 BGH NJW 1975, 1229.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 137

___– Das Verhandeln ohne Bestreiten des gegnerischen Vortrags kann unter besonderen ___ Umständen zu einem Geständnis im Sinne von § 288 führen, und zwar dann, wenn ___ eine Behauptung zuvor ausdrücklich außer Streit gestellt worden war.19 ___– Gemäß § 333 ist als nicht erschienen auch die Partei anzusehen, die in dem Termin ___ zwar erscheint, aber nicht verhandelt. Die Antragstellung verhindert damit die Säum___ nis. ___– Ist im Haupttermin vor dem Kollegialgericht verhandelt worden, kann die Sache ___ grundsätzlich nicht mehr auf den Einzelrichter übertragen werden (§§ 348 a Abs. 1 ___ Nr. 3, 526 Abs. 1 Nr. 4). ___ ___ III. Vorträge der Parteien (Abs. 2 und 3) ___ ___ 1. Grundsatz der Mündlichkeit. Die Vorträge der Parteien sind nach § 137 Abs. 2 11 ___Satz 1 grundsätzlich in freier Rede zu halten. Die vorbereitenden Schriftsätze dürfen da___her nicht verlesen werden. Wird dagegen verstoßen, kann der Vorsitzende das Wort ent___ziehen (§ 136 Abs. 2). Einem Bevollmächtigten kann darüber hinaus sogar die weitere ___Vertretung untersagt werden (§ 79 Abs. 3 Satz 3). Das Gesetz betont hiermit das Münd___lichkeitsprinzip. Verlesen werden dürfen nur solche Dokumente, auf deren wörtlichen ___Inhalt es für das Verständnis des Parteivortrags ankommt (§ 137 Abs. 3 Satz 2), also Ver___tragsurkunden, Testamente, allgemeinen Geschäftbedingungen etc. Die Vorträge haben ___das Streitverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu umfassen. ___ § 137 Abs. 3 Satz 1 gestattet für den Vortrag eine wichtige Ausnahme, die die Durch- 12 ___führung der mündlichen Verhandlung wesentlich erleichtert. Hiernach kann die Bezug___nahme auf das schriftsätzliche Vorbringen den mündlichen Vortrag ersetzen. Gestattet ___ist dies dann, wenn beide Parteien mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind und ___das Gericht sie für angemessen erachtet. Von dieser Erleichterung wird in der Praxis ___durchgängig Gebrauch gemacht, so dass die Ausnahme in der täglichen Handhabung ___die Regel ist. Soweit in der Verhandlung noch mündliche Ausführungen gemacht wer___den, geht es lediglich um Ergänzungen oder Erläuterungen des schriftsätzlichen Vor___trags im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage mit dem Gericht. Es wäre auch ___wenig sinnvoll, die Parteien dazu anzuhalten, noch einmal in aller Breite in freier Rede ___das vorzutragen, was sie bereits in ihren vorbereitenden Schriftsätzen vorgebracht ha___ben. Hierdurch würde die mündliche Verhandlung eine für alle Prozessbeteiligten un___zumutbare Dauer erhalten, ohne dass hierdurch etwas für die Sache gewonnen wäre. Der ___Schwerpunkt der mündlichen Verhandlung liegt daher nicht in der Darstellung des ___Sachverhalts, sondern im Rechtsgespräch. Die aufmerksame Partei kann aus der Einfüh___rung in den Sach- und Streitstand durch den Vorsitzenden entnehmen, wie ihr Vortrag ___vom Gericht verstanden worden ist und ob noch Erläuterungs- und Ergänzungsbedarf ___besteht. Ferner kann sie erkennen, wie der gegnerische Vortrag vom Gericht verstanden ___und bewertet wird und versuchen, hierauf Einfluss zu nehmen. 20 Hierdurch wird sie in ___die Lage versetzt, einzelne Punkte aus ihrem Sachvortrag mündlich zu vertiefen bzw. zu ___ergänzen. ___ Wird in der mündlichen Verhandlung der Vortrag in entscheidungserheblichen 13 ___Punkten ergänzt, muss dies im Protokoll festgehalten werden. Es handelt sich insoweit ___um einen wesentlichen Vorgang der Verhandlung im Sinne von § 160 Abs. 2. Unterbleibt ___dies, können die notwendigen Feststellungen im Tatbestand des Urteils, unter Umstän___ ___ ___19 BGH WM 1990, 1105, 1106; BGH NJW 1994, 3109; BGH NJW 1991, 1683; BGH VersR 1999, 838, 839. ___20 Hierzu vgl. Borck WRP 1998, 368.

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§ 137

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____den auch im Rahmen der Entscheidungsgründe nachgeholt werden. Fehlen sie auch _____dort, muss die Partei, deren Vortrag nicht wiedergegeben wird, mit einem Antrag auf Be_____richtigung des Tatbestands gemäß § 320 gegen das Urteil vorgehen. Andernfalls läuft sie _____Gefahr, dass der Tatbestand insoweit eine negative Beweiskraft zu ihren Lasten schafft.21 _____Ist der neue Vortrag zu umfangreich, muss der Partei ggf. gemäß § 139 Abs. 5 nachgelas_____sen werden, einen Schriftsatz nachzureichen. Liegt keine Verspätung vor, muss notfalls _____vertagt werden, damit der Vortrag sachgerecht schriftsätzlich aufbereitet werden kann. _____Anschließend muss hierüber verhandelt werden. _____ _____ 14 2. Bezugnahme. Die in der Antragstellung liegende Bezugnahme nach § 137 Abs. 3 _____Satz 1 (s. Rdn. 7) erfasst das gesamte bis dahin vorliegende schriftsätzliche Vorbringen _____der Partei. Erforderlich ist, dass ein Schriftsatz noch vor dem Termin zu den Akten ge_____langt ist. Damit wird er zum Gegenstand der Verhandlung, auch wenn das Gericht noch _____keine Gelegenheit hatte, ihn durchzuarbeiten.22 Ist der Schriftsatz erst unmittelbar vor _____dem Termin eingereicht worden, muss die Partei nachfragen, ob er sich bereits bei den _____Akten befindet. Andernfalls muss sie den Schriftsatz im Termin nochmals vorlegen bzw. _____seinen Inhalt mündlich vortragen. _____ Der Vortrag des Gegners wird von der Bezugnahme nicht umfasst. Enthält dieser al15 _____lerdings Elemente, die für die Partei vorteilhaft sind, ist davon auszugehen, dass sie sich _____diesen Teil des Vortrags hilfsweise zu eigen machen will, sofern er dem eigenen Vortrag _____zur Schlüssigkeit verhilft und hiermit nicht in einem Widerspruch steht.23 Bestehen Zwei_____fel, muss das Gericht sein Fragerecht ausüben (§ 139 Abs. 1 Satz 1). _____ Die Bezugnahme erstreckt sich auch auf die den Schriftsätzen beigefügten Urkunden 16 _____oder sonstige Dokumente. Erforderlich ist, dass sie tatsächlich vorliegen.24 Ist die Vorlage _____versehentlich unterblieben, bleibt die Bezugnahme wirkungslos. Das Gericht ist aller_____dings verpflichtet, die Partei auf das Versehen hinzuweisen. Unterbleibt der rechtliche _____Hinweis, führt dies zu einem Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs. Kausal _____wird er allerdings dann nicht, wenn sich der Inhalt der in Bezug genommenen Dokumen_____te auch aus dem schriftsätzlichen Vorbringen ergibt. _____ Mit der Gestattung der Bezugnahme wird die Partei nicht von ihrer Darlegungslast 17 _____befreit. Eine pauschale Bezugnahme auf beigefügte Dokumente (z.B. Urkunden, Privat_____gutachten, Schriftsätze oder Gutachten aus anderen Verfahren, Urteil aus einem frühe_____ren Prozess) ist kein substanziierter Parteivortrag.25 Das Gericht ist nicht verpflichtet, _____solche Dokumente von sich aus darauf zu durchsuchen, ob sich daraus etwas ergibt, was _____der Partei zum Erfolg verhelfen könnte.26 Die Partei kann daher nicht schlicht auf solche _____Dokumente verweisen. Denn sie ist verpflichtet, ihren Vortrag schriftsätzlich aufzuberei_____ten. Soweit sie Bezug nehmen will, muss dies jeweils konkret erfolgen.27 Sie muss genau _____bezeichnen, auf was sie sich aus den von ihr beigefügten oder vom Gericht beigezogenen _____Dokumenten beziehen will. Dies muss grundsätzlich schriftsätzlich geschehen. Fehlt es _____hieran, muss die nötige Substanziierung im Termin nachgeholt werden, ggf. nach einem _____ _____ _____ _____21 BGH NJW 2004, 1876, 1879. _____22 OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1531. _____23 BGH NJW-RR 195, 684. _____24 BGH NJW 1995, 165. 25 BGH NJW 1956, 1878 (pauschale Bezugnahme auf der Klageschrift beigefügte Druckschriften); OLG _____Hamm NJW-RR 1996, 593. _____26 BGH LM § 137 ZPO Nr. 1; Lange NJW 1989, 438. _____27 BGH NJW 2004, 639.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 137

___rechtlichen Hinweis des Gerichts. Nur unter diesen Voraussetzungen hat die Partei ihrer ___Darlegungslast genügt.28 ___ Die in der Antragstellung liegende stillschweigende Bezugnahme auf den schrift___sätzlichen Vortrag betrifft nur den Akteninhalt des vorliegenden Verfahrens. Hat das ___Gericht aufgrund der Hinweise der Parteien im schriftsätzlichen Vortrag andere Verfah___rensakten beigezogen (vorausgegangenes vorläufiges Beweisverfahren, Vorprozess) und ___liegen diese im Termin vor, muss ihr Inhalt vorgetragen werden. Prozessstoff wird nur ___das, was die Parteien ausdrücklich in ihr schriftsätzliches Vorbringen einbeziehen. Fehlt ___ein entsprechender Vortrag, wird der Inhalt der beigezogenen Akten auch dann nicht ___zum Prozessstoff, wenn sich im Protokoll der Vermerk findet, dass die „Verfahrensakten ___vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren“.29 ___ Die Bezugnahme wirkt für das weitere Verfahren fort, also grundsätzlich auch für ___ein nachfolgendes Berufungsverfahren.30 Das Gericht hat daher davon auszugehen, dass ___eine Partei ein ihr günstiges Vorbringen aufrecht erhalten will, und zwar auch dann, ___wenn sie später auf ein abweichendes Vorbringen des Gegners nicht reagiert und dieses ___nicht bestreitet. Zwar kann eine Partei ein Vorbringen konkludent fallen lassen. Dafür, ___dass dies tatsächlich gewollt ist, bedarf es aber eindeutiger Anhaltspunkte.31 Schriftsätz___liche Beweisanträge brauchen im Termin nicht wiederholt zu werden.32 Das gilt auch für ___einen Antrag auf Parteivernehmung. Ist der Gegner im Termin anwesend, kann das ___Gericht aus der Tatsache, dass der Vernehmungsantrag nicht mündlich erneuert wird, ___nicht etwa den Schluss ziehen, dass der Antrag fallen gelassen werden soll.33 Wird im ___Termin ein einzelner Beweisantritt hervorgehoben, kann das Gericht mangels anderer ___Anhaltspunkte nicht davon ausgehen, dass frühere Beweisangebote zu demselben The___ma fallengelassen werden sollen.34 ___ ___ IV. Vorlesung von Dokumenten (Abs. 3 Satz 2) ___ ___ § 137 Abs. 3 Satz 2 gestattet die Vorlesung von Dokumenten insoweit, als es auf ihren ___wörtlichen Inhalt ankommt. Die Vorschrift hat wenig praktische Bedeutung. Zum Pro___zessgegenstand werden die Dokumente bereits dadurch, dass auf sie Bezug genommen ___wird. Einer Vorlesung bedarf es nicht, weil die Dokumente – wie der übrige Vortrag auch ___– Akteninhalt sind. Sie sind dem Gericht bekannt. Ein Verlesen bietet sich daher nur ___dann an, wenn im Rahmen anwaltlicher Rechtsausführungen bestimmte Passagen her___vorgehoben werden sollen, weil es auf ihren genauen Wortlaut ankommt. Insoweit be___grenzt das Gesetz den Umfang der Ausführungen, weil es eine Vorlesung nur insoweit ___gestattet, als auf ihren wörtlichen Inhalt abgestellt werden soll. ___ ___ V. Eigener Vortrag der Partei (Abs. 4) ___ ___ 1. Allgemeines. § 137 Abs. 4 verpflichtet das Gericht, in Anwaltsprozessen der Partei ___neben dem Anwalt das Wort zu gestatten. Ein Ermessen steht dem Gericht insoweit nicht ___ ___ 28 A.A. zur rechtlichen Begründung LG Frankfurt NJW-RR 2001, 589, das in diesem Fall den Vortrag ___bereits an der wirksamen Bezugnahme, und nicht erst an der mangelnden Substantiierung scheitern ___lassen will. ___29 BGHZ 126, 217 ff. = NJW 1994, 3295. ___30 Einzelheiten hierzu § 520 Rdn. 85. 31 BGH NJW 1998, 2977 = MDR 1998, 1178. ___32 BGH NJW-RR 1997, 764. ___33 BGH NJW-RR 1996, 1459. ___34 Ordemann NJW 1964, 1308.

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§ 137

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_____zu.35 Partei im Sinne dieser Vorschrift ist auch der Streithelfer.36 Erforderlich für die Ges_____tattung ist ein Antrag. Er kann konkludent gestellt werden und liegt bereits darin, dass _____die Partei das Wort ergreift. Der Antrag unterliegt nicht dem Anwaltszwang.37 Er kann _____auch gegen den erklärten Willen des Anwalts von der Partei gestellt werden, etwa, weil _____diese ein ihr in der Verhandlung bewusst gewordenes Missverständnis bei der Informa_____tionserteilung alsbald bereinigen will. Die Entscheidung darüber, wann der Partei das _____Wort gestattet wird, trifft der Vorsitzende im Rahmen des § 136 Abs. 2. Er kann das Wort _____auch wieder entziehen.38 Ergibt sich, dass der Partei die Fähigkeit zum geeigneten Vor_____trag mangelt, kann das Gericht ihr darüber hinaus gemäß § 157 Abs. 2 Satz 1 den weiteren _____Vortrag untersagen. Dies dürfte aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kom_____men.39 Das Wort zu gestatten ist der Partei nur neben dem Anwalt, also nur in seinem _____Beisein. Erscheint der Anwalt nicht, kann der Vortrag nicht der Partei überlassen wer_____den, und zwar auch dann nicht, wenn ein auf Seiten der Partei beigetretener Streithelfer _____anwaltlich vertreten ist.40 In diesem Fall kann das Gericht die Partei auch nicht gemäß _____§ 141 anhören. Denn die Anhörung kann nur im Rahmen einer streitigen mündlichen _____Verhandlung erfolgen. Möglich wäre aber eine förmliche Beweisaufnahme durch Ver_____nehmung der Partei. _____ Das Wort ergreifen kann nur die Partei selbst bzw. ihr gesetzlicher Vertreter, nicht 22 _____aber ein Dritter, und zwar auch dann nicht, wenn die Partei dies wünscht. Allerdings _____kann das Gericht im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens anstelle der Partei auch _____von dieser beauftragte Dritte anhören, etwa einen mit der Sache besonders vertrauten Mit_____arbeiter aus dem Betrieb der Partei oder dem zum Termin entsandten Korrespondenzan_____walt.41 Soweit sich die Einbeziehung Dritter auf rechtliche Erörterungen beschränkt, ist _____dies unproblematisch. Zurückhaltung ist dagegen geboten, wo es um ergänzenden Sach_____vortrag oder gar um Klärung des Sachverhalts geht. Insoweit dürfen die Grenzen zu einer _____Beweisaufnahme nicht verwischt werden. Denn eventuell kommt der Dritte auch als _____Zeuge in Betracht. _____ 23 Soweit die Partei Ausführungen macht, die über den schriftsätzlichen Vortrag hin_____ausgehen, sind diese zweckmäßigerweise zu protokollieren. Eine Verpflichtung hierzu _____besteht allerdings nicht. Die nötigen Feststellungen hierzu können auch im Urteil nach_____geholt werden. Bei umfangreichen Ausführungen wird es angezeigt sein, der Partei auf_____zugeben, den Vortrag schriftsätzlich aufzubereiten. _____ Im Parteiprozess findet § 137 Abs. 4 nach seinem Wortlaut zwar keine Anwendung. 24 _____Dies heißt aber nicht, dass der Partei bei anwaltlicher Vertretung im Parteiprozess das _____Wort nicht zu gestatten ist. Im Parteiprozess hat die Partei jederzeit das Rederecht. Da sie _____selbst postulationfähig ist, kann sie die Verhandlungsführung an sich ziehen. Insoweit _____ist daher eine gesetzliche Regelung dahin, dass ihr neben dem Anwalt das Wort zu ge_____statten ist, nicht nötig. _____ _____ 25 2. Nebeneinander von Anwalt und Partei. Die Worterteilung an die Partei kann zu _____Divergenzen mit dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten führen. Im Parteiprozess ist _____die Partei selbst postulationsfähig, so dass sie selbst Prozesshandlungen vornehmen und _____ _____ _____35 BayVerfGH NJW 1961, 1523. _____36 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Rdn. 42. _____37 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 15. 38 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 15; MünchKomm-Peters Rdn. 11; Zöller/Greger Rdn. 4. _____39 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 6; Musielak/Stadler Rdn. 4. _____40 OLG Frankfurt NJW-RR 2010, 140. _____41 OLG München NJW 1964, 1480 und NJW 1966, 2070; Stein/Jonas/Leipold Rdn. 18.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 137

___zur Sache vortragen kann. Bei Widersprüchen zwischen anwaltlicher Erklärung und der ___der Partei ist daher die Handlung der Partei maßgeblich, es sei denn, eine bereits zuvor ___abgegebene Erklärung hat bereits endgültige Folgen ausgelöst (z.B. Rücknahme der Kla___ge). Im Anwaltsprozess sind allein die Prozesshandlungen des Anwalts maßgeblich. ___§ 85 Abs. 2 macht insoweit lediglich eine Ausnahme für Geständnisse und andere tat___sächliche Erklärungen, soweit sie von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder ___berichtigt werden. ___ Ein Geständnis des Anwalts bleibt bei sofortigem Widerruf der Partei wirkungslos. 26 ___Umgekehrt kann die Partei auch im Anwaltsprozess Tatsachen zugestehen, die der An___walt zuvor schriftsätzlich bestritten hatte. Allerdings hängt die Frage, ob die Partei tat___sächlich ein Geständnis im Sinne von §§ 288 ff. abgeben will, davon ab, in welchem Zu___sammenhang die Erklärung steht. Erfolgt sie im Rahmen einer Anhörung gemäß § 141 ___oder einer förmlichen Vernehmung der Partei,42 geht es um die Aufklärung des Sachver___halts. Mangels anderer Anhaltspunkte kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass die ___Partei in diesem Rahmen etwas förmlich zugestehen will. Ob diese Absicht besteht, be___darf vielmehr einer ausdrücklichen Klarstellung in der nachfolgenden Verhandlung über ___das Ergebnis der Anhörung bzw. der Beweisaufnahme. ___ Andere tatsächliche Erklärungen des Anwalts – zum eigenen Sachvortrag oder zu 27 ___dem des Gegners – kann die Partei jederzeit widerrufen. Insoweit gilt die zeitliche Schran___ke des § 85 Abs. 1 Satz 2 nicht. Denn es ist einer Partei auch sonst gestattet, von einem ___früheren Vortrag Abstand zu nehmen bzw. ihn zu berichtigen. Allerdings stellt sich in___soweit die Frage der Verspätung. Kommt es bei einem solchen Widerruf zu einer Diver___genz mit dem anwaltlichen Vortrag, muss das Gericht zunächst versuchen, die Hinter___gründe aufzuklären. Diese Erörterung kann ergeben, dass es sich in Wirklichkeit um eine ___Scheindivergenz gehandelt hat, die behoben werden kann bzw. dass der Vortrag des ___Anwalts und der Partei entgegen dem ersten Eindruck des Vorsitzenden sehr wohl auf ___einen Nenner gebracht werden können. Zudem werden Anwalt und Partei – einmal prob___lembewusst geworden – vernünftigerweise sogleich versuchen, sich zu einigen, welche ___Version des Vortrages gelten soll. Häufig wird ein Informationsversehen vorliegen, so ___dass der Anwalt seinen weiteren Vortrag an dem der Partei ausrichten wird. Bleibt er ___allerdings bei seiner Version, muss das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung ___(§ 286) entscheiden, welchen Sachverhalt es für zutreffend hält.43 Hierbei wird den per___sönlichen Erklärungen der Partei vor denen des Anwalts mit Rücksicht darauf, dass er ___seine Information erst von der Partei erhält, in der Regel den Vorzug zu geben sein.44 ___ ___ 3. Materiell-rechtliche Erklärungen. Die Prozessvollmacht des Anwalts erstreckt 28 ___sich grundsätzlich auch auf die Abgabe und Entgegennahme materiell-rechtlicher Erklä___rungen in Bezug auf den Streitgegenstand.45 Einer Anhörung der Partei gemäß § 137 ___Abs. 4 bedarf des daher grundsätzlich nicht, sofern der Anwalt solche rechtsgeschäftli___chen Handlungen für die Partei im Termin abgibt. Vergleich,46 Kündigung, Rücktritt von ___einem Vertrag, Anfechtung oder Aufrechnung mit einer Gegenforderung47 schaffen da___her neben den prozessualen Wirkungen zugleich die entsprechenden materiell-recht___ ___42 BGHZ 129, 108 = NJW 1995, 1432. ___43 BGH ZZP 71 (1958), 104, 106. ___44 RGZ 10, 423, 424; BGH ZZP 71 (1958), 104, 106; BGH VersR 1969, 58; Stein/Jonas/Bork § 78 Rdn. 54. ___45 BGH NJW 1992, 1964 = MDR 1992, 712; BGH NJW 2003, 964. 46 Erstreckung der Prozessvollmacht auf den außergerichtlichen Vergleich: BAG NJW 1963, 1469; ___Zöller/Vollkommer § 81 Rdn. 11; a.A. Stein/Jonas/Bork § 81 Rdn. 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 55 ___Rdn. 26. ___47 Zur Prozessvollmacht für die Aufrechnung s. RGZ 50, 426.

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§ 138

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____lichen Folgen. Ist die Partei im Termin zugegen, wird der Anwalt solche Erklärungen _____allerdings in der Regel erst nach Rücksprache abgeben. Anders ist es hingegen mit Erklä_____rungen, die die Partei nur persönlich abgeben kann (z.B. Anfechtung eines Erbvertrags _____– § 2282 Abs. 1 Satz 1; Erbverzicht – § 2347 Abs. 2 Satz 1; Erbvertrag im Rahmen eines ge_____richtlichen Vergleichs – § 2274;48 Aufhebung des Erbverzichts – § 2351).49 Insoweit muss _____die Partei im Termin persönlich befragt werden, ob sie die entsprechende Erklärung ab_____geben will. _____ _____ 4. Verstoß gegen § 137 Abs. 4. Erteilt der Vorsitzende der Partei trotz ihres aus29 _____drücklichen Antrags50 nicht das Wort, kann gemäß § 140 die Entscheidung des Gerichts _____beantragt werden. 51 Verweigert auch das Gericht die Worterteilung, kann ein hierin lie_____gender Verfahrensmangel mit dem Rechtsmittel gegen das Endurteil geltend gemacht _____werden.52 Subsidiär kommt die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtli_____chen Gehörs in Betracht.53 Erforderlich ist allerdings, dass die Partei im Termin auch tat_____sächlich zugegen war.54 Ferner muss dargetan werden, dass die Verweigerung ursächlich _____geworden ist für die Entscheidung. Dies wird selten der Fall sein. Denn der Partei ist es _____eigentlich immer möglich, sich das erforderliche rechtliche Gehör über ihren Anwalt zu _____verschaffen. In der Verweigerung der Worterteilung kann allerdings noch ein anderer Ver_____fahrensmangel liegen, und zwar ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht _____(§ 139). Gemäß § 141 soll das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, _____wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Die Anhörung dient dem _____besseren Verständnis des Sachverhalts und ist Teil der Erkenntnisgewinnung. Sie ist _____zwar nicht Teil der Beweisaufnahme, kann aber gleichwohl in die Feststellung des Sach_____verhalts einfließen. Wenn das Gericht diese Möglichkeit der Erkenntnisgewinnung nicht _____nutzt und der Partei nicht das Wort erteilt, begründet dies unter Umständen einen Ver_____fahrensverstoß. _____ _____ _____ § 138 _____ Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht _____ § 138 Gerken _____ (1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollstän_____dig und der Wahrheit gemäß abzugeben. _____ (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu er_____klären. _____ (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden _____anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Er_____klärungen der Partei hervorgeht. _____ _____ _____ _____ _____48 BayObLG NJW 1965, 1276. 49 Vgl. Zöller/Greger Rdn. 5. _____50 OLG München NJW 1961, 1523 (eindeutige Wortmeldung erforderlich). _____51 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 19 unter Hinw. auf RG JW 1903, 397; MünchKomm-Peters § 137 Rdn. 12; _____Thomas/Putzo/Reichold Rdn. 4. _____52 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 19 unter Hinw. auf RG Gruchot 52 (1908) 143; MünchKomm-Peters Rdn. 12; Thomas/Putzo/Reichold Rdn. 4. _____53 BayVerfGH NJW 1961, 1523 = MDR 1961, 747; Stein/Jonas/Leipold Rdn. 19; MünchKomm-Peters _____Rdn. 13; Thomas/Putzo/Reichold Rdn. 4; Röhl NJW 1964, 273. _____54 BVerwG NJW 1984, 625 = DÖV 1984, 67.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 138

___ (4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder ___eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung ge___wesen sind. ___ ___ Schrifttum ___ Ambs Bestreiten mit Nichtwissen. Die Auslegungsregel des § 138 Abs. 4, 1997; Arens Zur Aufklä___rungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei im Zivilprozeß ZZP 96 (1983), 1 ff.; Baumgärtel Zwei wich___tige BGH-Entscheidungen zu Ausforschungsbeweis und Behauptung ins Blaue hinein MDR 1995, 987; ___Bernhardt Die Aufklärung des Sachverhalts im Zivilprozess, FS Rosenberg (1949) 9 ff., 24; Bernhardt ___Wahrheitspflicht und Geständnis im Zivilprozess JZ 1963, 245; Blunck Die Bindung des Richters an den ___Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; Borck Über „Bärenfang“, Beweislast und ___„Pressedienst“ WRP 1963, S. 191 ff.; Borck Zur Glaubhaftmachung des Unterlassungsanspruches WRP ___1978, S. 776 ff.; Borck Irreführende Werbung und Umkehr der Beweislast GRUR 1982, S. 663 ff.; Brehm Die ___Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; Fleck Die ___Redlichkeitspflichten der Parteien im Zivilprozeß, 2004; Fuchs Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast im zivilprozessualen Eilverfahren, 1995 (Diss. Bonn 1993); Gehrlein Neue höchstrichterliche Recht___ sprechung zur ZPO – Verfahren des ersten Rechtszuges MDR 2004, 541 ff.; Hackenberg Die Erklärung mit ___Nichtwissen (§ 138 IV ZPO), 1995; Hirtz Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast im einstweiligen Rechts___schutz NJW 1986, 110 ff.; Hirtz Der Umgang mit der Wahrheit im Zivilprozess AnwBl 2006, 780; Hök Ob___liegenheitsverletzung durch fehlende Substantiierung zum Parteivorbringen bei Informationsgefälle MDR ___1995, 773 ff.; Jauernig Das gleichwertige („aequipollente“) Parteivorbringen, FS Schwab (1990) 47 ff.; Kat___zenmaier Aufklärungs-/Mitwirkungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei JZ 2002, 533; Kiethe Zivil___prozessuale Sanktionen gegen unrichtigen und rechtswidrigen Sachvortrag MDR 2007, 625 ff.; Konzen ___Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, 1976; Kur Beweislast und Beweisführung im Wettbe___werbsprozeß, 1981; Kur Irreführende Werbung und Umkehr der Beweislast GRUR 1982, 663 ff.; Lange ___Bestreiten mit Nichtwissen NJW 1990, 3233; Leipold Prozessförderungspflicht der Parteien und richterliche Verantwortung ZZP 93 (1980) 237 ff.; Lüderitz Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch bei Ver___ folgung privater Rechte, 1966; Meyke Zur Anhörung der Parteien im Zivilprozeß MDR 1987, 358 ff.; ___Morhard Die Informationspflicht der Parteien bei der Erklärung mit Nichtwissen, 1993; Musielak Die ___Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 1975; Münzberg Geständnis, Geständnisfiktion und Aner___kenntnis im Klauselerteilungsverfahren NJW 1992, 201; Ohl Der Rechtsschutz gegenüber unberechtigter ___Geltendmachung gewerblicher Schutzrechte GRUR 1966, 172; Olzen Die Wahrheitspflicht der Parteien im ___Zivilprozeß ZZP 98 (1985) 403; Peters Auf den Wegen zu einer allgemeinen Prozeßförderungspflicht der ___Parteien, FS Schwab (1990) 399 ff.; Prange Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessua___len Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien, 1995; Schneider Das Offenlassen der Rechts- und Tatsa___chengrundlage in zivilrechtlichen Entscheidungen (II) MDR 1970, 727; Schneider Die Substantiierungslast ___bei Bestreiten MDR 1962, 361 ff.; Schreiber Das Sachvortragsverwertungsverbot ZZP 2009, 227 ff.; Seutemann Die Anforderung an den Sachvortrag der Parteien MDR 1997, 615; Staab Die Wahrheitspflicht im ___ Zivilprozeß, Diss. Würzburg 1973; Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976; ___Stürner Parteipflichten bei der Sachverhaltsaufklärung im Zivilprozeß ZZP 98 (1985) 237 ff.; Ulrich Die ___Beweislast im Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung GRUR 1982, 201 ff.; Zerbe Die ___Einlassung des Beklagten auf die Klage aus anwaltlicher Sicht, 1998. ___ ___ Übersicht ___ ____ 1 6. Der Anwalt und die Wahrheits___I. Normzweck II. Geltungsbereich der Vorschrift ____ 3 pflicht ____ 18 ___III. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht 7. Die Folgen von Wahrheitspflichtver___ (Abs. 1) letzungen ____ 21 ___ 1. Allgemeines ____ 5 IV. Die Gegenerklärung (Abs. 2) ____ 23 ___ 2. Wahrheitsbegriff ____ 8 V. Nichtbestreiten (Abs. 3) ___ 3. Inhalt der Wahrheitspflicht ____ 9 1. Allgemeines ____ 30 ____ 4. Die Pflicht zur Vollständigkeit 12 2. Anwendungsbereich der ___ 5. Grenzen der Wahrheitspflicht ____ 15 Vorschrift ____ 31 ___ 91

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3. Nichtwissen bei Handeln durch _____ 3. Einzelheiten ____ 32 ____ 35 Dritte ____ 43 _____ 4. Folgen des Nichtbestreitens Nichtwissen (Abs. 4) 4. Das Bestreiten mangels Informa_____VI. Die Erklärung mit____ 38 tion ____ 48 _____ 1. Allgemeines Handlung/Wahrnehmung der _____ 2. Eigene____ Partei 40 _____ _____ _____ _____ I. Normzweck _____ § 138 schreibt den Parteien vor, in welcher Weise sie den Tatsachenstoff vortragen 1 _____müssen. An erster Stelle steht die Wahrheitspflicht. Die Parteien dürfen nicht wider bes_____seres Wissen etwas Falsches vortragen, und zwar unabhängig davon, ob sie die in Rede _____stehende Tatsache für erheblich halten.1 Damit korrespondiert die Pflicht zum vollstän_____digen Vortrag. Die Parteien dürfen nicht bewusst einen Teil des Sachverhalts weglassen _____und ihn hierdurch verfälschen. Schon aus eigenem Interesse und ohne die Pflichten aus _____§ 138 müssen sie die Tatsachen so vollständig vortragen, dass sich das Gericht ein Bild _____von dem Geschehen machen kann. Der Sachverhalt muss eine innere Plausibilität ha_____ben. Fehlt es hieran, läuft die Partei Gefahr, dass ihr Vortrag ohne Prüfung durch eine _____Beweisaufnahme als unschlüssig bzw. als nicht hinreichend substanziiert behandelt _____wird. _____ Zum vollständigen Vortrag gehört die Erwiderung auf das Vorbringen des Gegners 2 _____(Abs. 2). Die Partei muss sich dazu erklären, was sie von dem Vorbringen des Gegners _____zugestehen und was sie bestreiten will. Erklärt sie sich nicht, ist das Vorbringen des _____Gegners als zugestanden anzusehen (Abs. 3), es sei denn, die Absicht des Bestreitens _____geht aus den übrigen Erklärungen der Partei hervor. Bei der Erwiderung auf den gegneri_____schen Vortrag muss die Partei grundsätzlich alle Kenntnisse offen legen. Auf ein schlich_____tes Bestreiten darf sie sich nur dann beschränken, wenn der Vortrag des Gegners seiner_____seits unsubstanziiert ist. Ansonsten ist ihr dies nur für solche Tatsachen gestattet, die _____nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung waren (Abs. 4). _____ _____ _____ II. Geltungsbereich der Vorschrift _____ Die Verpflichtungen aus § 138 bestehen ungeachtet der Aufnahme in den Titel 3 _____„Mündliche Verhandlung“ nicht erst in der mündlichen Verhandlung. Da die Verhand_____lung schriftsätzlich vorbereitet wird, müssen schon die Schriftsätze den Anforderungen _____der Vorschrift genügen. Andernfalls ist dem Gericht eine sachgerechte Vorbereitung der _____Verhandlung nicht möglich. Die Regelung gilt auch in den Verfahren, für die eine münd_____liche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, beispielsweise für das Arrestverfahren, das _____selbständige Beweisverfahren, das Beschwerdeverfahren2 und das Vollstreckungs- sowie _____das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren, und zwar in jedem Verfahrenstadium.3 _____ § 138 gilt für beide Parteien, ohne nach Aktiv- und Passivrolle zu differenzieren. 4 _____Ebenso wie der Kläger nicht bewusst etwas Falsches behaupten darf, darf der Beklagte _____den Vortrag des Klägers nicht wider besseres Wissen bestreiten. Streitgenossen und _____Streithelfer sind „Parteien“ im Sinne von § 138.4 Prozessbevollmächtigte, Beistände und _____gesetzliche Vertreter sind zwar nicht Partei. Erklärungen, die sie im Namen der Partei _____ _____ 1 BGH NJW 2011, 2794. _____2 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichold § 138 Rdn. 2. _____3 Für das Schiedsverfahren offen gelassen in BGHZ 23, 198. _____4 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 138 Rdn. 6.

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___abgeben, unterliegen aber den Vorschriften des § 138, weil sie Erklärungen der Partei ___sind (Einzelheiten Rdn. 18 ff.).5 ___ ___ III. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (Abs. 1) ___ ___ 1. Allgemeines. Eingeführt worden ist die Wahrheitspflicht in die ZPO durch die ___Novelle 1933,6 und zwar als Instrument gegen die Prozesslüge.7 Es soll eine redliche Pro___zessführung gesichert werden.8 Der Gesetzgeber hat damit der bis dahin teilweise vertre___tenen Auffassung die Grundlage entzogen, die Parteien dürften im Rahmen des Beibrin___gungsgrundsatzes auch wider besseres Wissen vortragen. ___ Die Wahrheitspflicht ist eine prozessuale Rechtspflicht der Parteien.9 Sie setzt aller___dings erst ein, wenn tatsächlich zur Sache vorgetragen wird. Ob sich eine Partei zum ___Sachverhalt erklären will, ist prinzipiell ihre Sache. So kann sich z.B. der Beklagte zur ___Abwehr der Klage auf Rechtsausführungen beschränken. Es gibt demgemäß keine Erklä___rungspflichten – ebenso wie es keine Beweismittelbenennungs- bzw. Beweispflichten ___gibt. Angriff und Verteidigung gelingen allerdings nur, wenn sich die Parteien erklären ___und hierfür Beweis antreten. Insoweit spricht man daher von einer Erklärungs- und Be___weislast. Was im Rahmen dieser Erklärungslast zu den tatsächlichen Umständen vorge___tragen wird, muss der Wahrheit entsprechen und vollständig sein. ___ Die Pflicht zum wahrheitsgemäßen und vollständigen Vortrag ist ein Korrektiv zum ___Beibringungsgrundsatz. Nach dem Beibringungs- oder auch Verhandlungsgrundsatz darf ___das Gericht seiner Entscheidung nur die Tatsachen zugrunde legen, die von den Parteien ___vorgetragen werden. Was vom Gegner zugestanden wird, muss das Gericht grundsätzlich ___übernehmen. Die Richtigstellung von falschem Vortrag überlässt das Gesetz damit dem ___Gegner. Grundlage ist die Überlegung, dass die Parteien ein ureigenes Interesse daran ___haben, dem Gericht den Sachverhalt so zu unterbreiten, wie er aus ihrer Sicht zutreffend ___ist. Die gegenläufigen Interessen der Parteien an einem positiven Ausgang des Rechts___streits schaffen den nötigen Anreiz für den eigenen Vortrag und die Entkräftung des Vor___trags des Gegners. Diese Überlegung stößt allerdings dort an ihre Grenzen, wo die Partei___en bewusst etwas Falsches vortragen. Damit missbrauchen sie ihre Rechte.10 Dem wird ___mit der Wahrheitspflicht entgegengetreten. Die Wahrnehmung des eigenen Interesse ___darf nicht so weit gehen, dass zum Mittel der Täuschung gegriffen wird. 138 Abs. 1 be___wahrt daher das Gericht vor mutwilliger Inanspruchnahme und den Gegner vor lügen___haftem Vortrag. Zugleich wird sichergestellt, dass das Urteil auf dem Sachverhalt beruht, ___der sich tatsächlich ereignet hat.11 Nur auf dieser Grundlage kann ein richtiges Urteil er___gehen. ___ ___ 2. Wahrheitsbegriff. § 138 Abs. 1 geht von einem logischen Wahrheitsbegriff aus. In ___diesem Sinne versteht man unter Wahrheit den Anspruch einer Aussage, wahr zu sein. ___In Bezug auf einen Gegenstand, eine Handlung oder eine Person werden Sachverhalt ___und Sache als so und nicht anders sich verhaltend oder bestehend gekennzeichnet. Das ___ ___ 5 BGH NJW 1952, 1148; Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 16; MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 4; Zöller/ ___Greger § 138 Rdn. 6. ___6 RGBl. I 780. ___7 Präambel zur Nov. 1933 RGBl. I 780. ___8 Vgl. Präambel zur Nov. 1933 RGBl. I 780. 9 Stein/Jonas/Leipold Rdn. 1; Zöller/Greger Rdn. 1 („öffentlich-rechtliche Pflicht“). ___10 Olzen ZZP 98 (1985), 403, 418. ___11 Vgl. Bernhardt Die Aufklärung des Sachverhalts im Zivilprozess, FS Rosenberg (1949) ___9 ff., 24.

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_____Verfahrensrecht kann allerdings nur fordern, dass die Parteien das erklären, was sie wis_____sen bzw. subjektiv für richtig halten. Dass eine Tatsache objektiv unwahr ist, begründet _____daher noch keinen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht. Wahrheit im Sinne von § 138 _____Abs. 1 bezieht sich damit auf die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit des Vor_____trags.12 Die Partei darf keine Tatsachen behaupten, von denen sie weiß oder überzeugt _____ist, dass sie unwahr sind. Hat sie Zweifel, ob ihre Behauptungen zutreffen, muss sie diese _____Zweifel offen legen.13 Denn auch in diesem Fall fehlt es an der nötigen subjektiven Über_____zeugung von der Richtigkeit. Eine gegnerische Behauptung darf eine Partei dann nicht _____bestreiten, wenn sie Kenntnis von deren Richtigkeit hat oder wenn sie von ihrer Wahr_____heit überzeugt ist. Hat sie dagegen kein konkretes Wissen, kann sie auch dann bestrei_____ten, wenn sie es für möglich hält, dass die Behauptung richtig sein könnte. _____ _____ 9 3. Inhalt der Wahrheitspflicht. § 138 betrifft nur Erklärungen über die tatsächlichen _____Umstände. Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind logische Urteile über das Gesche_____hen. Sie sind nicht das Geschehen selbst, sondern ein erkanntes Geschehen. Dazu gehört _____das logische Urteil. Erklärungen der Partei, die keine Tatsachen betreffen, fallen nicht _____unter § 138, also keine Wertungen bzw. Schlussfolgerungen oder reine Rechtsausführun_____gen.14 Eine Partei, die sich auf eine ihr günstige, von ihr aber nicht geteilte Rechtsansicht _____beruft, verletzt nicht die Wahrheitspflicht. Auch ist die von einer Partei geäußerte Rechts_____ansicht, auf die sich der Gegner nicht erklärt, nicht als zugestanden anzusehen: iura novit _____curia. Wertungen müssen nicht objektiv sein. Die Parteien verstoßen daher nicht gegen _____ihre Wahrheitspflicht, indem sie aus der Perspektive der eigenen Überzeugung argumen_____tieren, auch wenn es dabei zu einer möglicherweise verzerrten oder überspitzten Darstel_____lung des Sachverhalts und zu überzogenen Bewertungen kommt.15 _____ Die Behauptung einer Partei, dass ein bestimmtes Rechtsverhältnis bestehe, ist 10 _____nicht bloße Äußerung einer Rechtsansicht, sondern zugleich der Vortrag, es lägen die _____Tatsachen vor, aus denen sich das behauptete Rechtsverhältnis ergebe. Solange die Be_____hauptung nicht bestritten wird, kann vom Bestehen dieses Rechtsverhältnisses ausge_____gangen werden. Tragen z.B. die Parteien übereinstimmend vor, dass ein Weg dem Ge_____meingebrauch gewidmet sei, ist die Widmung der Entscheidung zugrunde zu legen, _____auch wenn nähere Umstände hierfür nicht mitgeteilt werden.16 Entsprechendes gilt für _____den Vortrag zusammenfassender Wertungen nicht im einzelnen mitgeteilter Tatsachen. _____Wird in einer Verkehrssache der nicht näher substanziierte Vorwurf der Fahrlässigkeit _____erhoben und von der Gegenseite nicht bestritten – etwa aus Einsicht oder weil bereits ein _____Strafurteil ergangen ist –, wird die Fahrlässigkeit zugrunde zu legen sein. Geständnis_____wirkungen gemäß § 138 Abs. 3 können insoweit allerdings nicht eintreten (Einzelheiten _____Rdn. 35 ff.). _____ Da § 138 Abs. 1 auf die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit des Vortrags ab11 _____stellt, kann sich eine Partei hilfsweise den Vortrag des Gegners zu eigen machen, ohne _____ihre Wahrheitspflicht zu verletzen, und zwar auch dann, wenn sich Haupt- und Hilfsvor_____trag gegenseitig ausschließen. Nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit des Parteivor_____bringens kann der Kläger einerseits den von seinem eigenen Sachvortrag abweichenden _____Vortrag des Beklagten bestreiten, andererseits aber seine Klage hilfsweise hiermit be_____ _____ _____ _____12 Olzen ZZP 98 (1985), 403, 407. 13 A.A. MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 2. _____14 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 138 Rdn. 14. _____15 BGH NJW 2008, 996 = MDR 2008, 332. _____16 BGH NJW 1998, 2058 = MDR 1998, 769.

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___gründen, sofern er diesen Vortrag ebenfalls für geeignet hält, seine Klage zu stützen.17 ___Die Wahrheitspflicht verletzt der Kläger schon deshalb nicht, weil er die von ihm primär ___für richtig gehaltene eigene Ansicht nicht verbirgt. Es ist lediglich erforderlich, dass der ___Kläger den gegenteiligen Vortrag des Beklagten für möglicherweise richtig hält. Vom ___Gericht zugrunde gelegt werden darf der abweichende Vortrag des Beklagten nur dann, ___wenn sich der Kläger auch tatsächlich hierauf stützt.18 Bestreitet der Kläger das ihn be___günstigende Vorbringen, darf ihm der Erfolg der Klage nicht aufgenötigt werden. Aller___dings wird ein Bestreiten regelmäßig darauf beruhen, dass er die Vorteile, die sich aus ___dem gegnerischen Vorbringen ergeben, nicht erkennt. Daher bedarf es in dieser Situa___tion eines rechtlichen Hinweises gemäß § 139. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass ___sich eine Partei das ihr günstige Vorbringen des Gegners jedenfalls hilfsweise zu eigen ___machen will.19 ___ ___ 4. Die Pflicht zur Vollständigkeit. Die Pflicht zur Vollständigkeit ist ein Unterfall 12 ___der Wahrheitspflicht.20 Sie macht deutlich, dass ein Vortrag, der durch Verschweigen ___von Einzelheiten entstellt wird, dem unwahren Vortrag gleichsteht.21 Eine Erklärung ist ___auch dann falsch, wenn sie etwas Wesentliches verschweigt, dessen Offenbarung die ___Bedeutung des Erklärten grundlegend beeinträchtigen würde.22 Der Vortrag darf daher ___nicht bei einer sogenannten Halbwahrheit stehenbleiben.23 Die Pflicht zur Vollständig___keit steht nicht in Widerspruch dazu, dass den Parteien die Entscheidung darüber, zu ___welchen tatsächlichen Umstände sie überhaupt Erklärungen abgeben wollen, freisteht. ___Geben sie Erklärungen ab, müssen diese zu den vorgetragenen tatsächlichen Umständen ___vollständig sein.24 Zur Vollständigkeit gehört auch, dass eine Partei Änderungen, die ___während des Rechtsstreits bei den rechtserheblichen Tatsachen in ihrem Bereich eintre___ten, unverzüglich mitteilt (z.B. Wegfall des Schadens, Änderungen bei den Vorausset___zungen für eine Rente).25 ___ Mit der Vollständigkeitspflicht soll lediglich sicher gestellt werden, dass der Vortrag 13 ___nicht durch Weglassen von wesentlichen Elementen verfälscht wird. Eine Pflicht zur ___Substanziierung des Vortrags kann hiermit nicht begründet werden.26 Auch die Förde___rung der Wahrheitsermittlung und/oder die Prozessbeschleunigung kann hierfür nicht ___herangezogen werden. Die Instanzgerichte legen hinsichtlich der nötigen Substanz des ___Parteivortrags häufig einen strengen Maßstab an, und zwar insbesondere dann, wenn ___eine Partei lediglich Vermutungen zur Begründung der Klage bzw. ihrer Einwände un___terbreitet. Damit soll einer vermeintlich unnötigen Beweisaufnahme vorgebeugt werden. ___Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist großzügiger. Hiernach ist es unerheblich, wie ___wahrscheinlich eine Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schluss___folgerung beruht.27 Eine Partei hat dann ihrer Darlegungslast genügt, wenn sie Tatsa___chen vorträgt, die geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Häufig muss ___eine Partei Tatsachen behaupten, über die sie eine genaue Kenntnis gar nicht haben ___ ___ ___17 BGHZ 19, 387, 391; BGH NJW 1985, 1841. ___18 BGH NJW 1989, 2756 = ZZP 103 (1990), 218, 220. 19 BGH NJW-RR 1995, 684. ___20 Zöller/Greger § 138 Rdn. 1. ___21 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 7. ___22 BGH MDR 1959, 589 = LM Nr. 1 zu § 156 StGB. ___23 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 138 Rdn. 18. 24 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 7; Jauernig § 26 IV. ___25 BGH NJW 1999, 2804. ___26 BGH NJW 1991, 2707 = WM 1991, 1670; BGH NJW 1999, 2887 = MDR 1999, 1371. ___27 BGH NJW 1984, 2888; BGH WM 1991, 942, 946.

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_____kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält, z.B. _____weil ihr die erforderliche Sachkunde fehlt28 oder weil es sich um die Wahrnehmung an_____derer Personen (des Gegners, außenstehender Dritter) handelt. Dasselbe gilt für innere _____Tatsachen wie etwa Arglist, Vorsatz oder Bösgläubigkeit.29 Die darlegungsbelastete Par_____tei muss auch über solche Tatsachen eine Beweisaufnahme erwirken können, auch wenn _____sie hierzu nur Indizien vortragen oder nur Vermutungen äußern kann.30 Allerdings ge_____hört es zur Vollständigkeit, dass die Partei offenbart, was sie weiß bzw. zu wissen glaubt _____und was sie lediglich vermutet.31 Denn andernfalls ist dem Gericht eine sachgerechte Be_____urteilung des Vortrags nicht möglich. Die Angabe näherer Einzelheiten ist grundsätzlich _____nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind.32 Die Pflicht _____zur Substanziierung ist nur dann nicht erfüllt, wenn das Gericht anhand der Darstellung _____nicht beurteilen kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die geltend gemach_____ten Rechtsfolgen erfüllt sind (Behauptung „ins Blaue hinein“ oder auf „gut Glück“).33 _____Gegen die Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 verstoßen nur solche Erklärungen – gleich_____viel, ob Behauptung oder Bestreiten –, die wider besseres Wissen aufgestellt werden.34 _____Was eine Partei vermutet oder für möglich hält, darf sie auch behaupten. _____ Die angreifende Partei ist aus Gründen der Vollständigkeit nicht dazu verpflichtet, 14 _____zu ihrem Nachteil Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ein rechtshindernder oder _____rechtsvernichtender Einwand ergeben kann, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, _____wenn diese Tatsachen unstreitig sind. Dies ist Aufgabe des Gegners. Besteht Streit über _____ein anspruchsminderndes Mitverschulden, kann sich der Kläger darauf beschränken, zu _____den Tatsachen vorzutragen, die ein Verschulden des Beklagten begründen.35 Will der _____Beklagte den entsprechenden Einwand auch im Prozess führen, obliegt ihm die entspre_____chende Darlegungslast. Anders ist aber, wenn der Einwand nach der eigenen Auffassung _____des Anspruchstellers tatsächlich durchgreift. Wird z.B. eine Forderung eingeklagt, die _____inzwischen ganz oder teilweise erfüllt ist, gebietet die Vollständigkeitspflicht dem Klä_____ger, dies auch mitzuteilen. Dasselbe gilt für eine vorprozessual erklärte Aufrechnung, die _____ganz oder teilweise zum Erlöschen der Klageforderung geführt hat. Zwar wird ein seriö_____ser Kläger in solchen Fällen gar nicht erst klagen. Zuweilen aber hofft ein Kläger darauf, _____dass der Beklagte die Zahlung nicht beweisen kann oder von der Zahlung gar nichts _____weiß, weil sie von dritter Seite – vom verstorbenen Erblasser, einem Bürgen, einem Ver_____sicherer – geleistet worden ist. Tatsachen, die dem Gegner ein zeitweiliges oder dauer_____haftes Leistungsverweigerungsrecht gewähren (z.B. Stundung, Verjährung), sind aus_____nahmsweise dann zu offenbaren, wenn der Gegner die hieraus folgende Einrede schon _____erhoben hat und die anspruchstellende Partei die Berechtigung dieser Einrede nicht in _____Zweifel zieht.36 Ist das Leistungsverweigerungsrecht hingegen nicht unstreitig, kann sich _____ _____ 28 BGH NJW 1981, 630; BGH NJW 1983, 332 (zum Arzthaftungsprozess); BGH NJW 1995, 1160 = MDR 1995, _____407 (Vergiftung durch Holzschutzmittel); BGH NJW-RR 2008, 401 = WM 2008, 804 (zur sog. _____Symptomtheorie im Bauprozess) – hierzu auch BGH NJW-RR 2002, 366 und 743; OLG Stuttgart NJW 1984, _____1807; Schmid NJW 1994, 767. _____29 Zöller/Greger Rdn. 2. _____30 BGH NJW 1968, 1233, 1234 und seither in st. Rspr. vgl. etwa BGH NJW 1991, 2707,2709; BGH NJW 1995, 1161; BGH NJW 1995, 2111; BGH NJW 96, 1827. _____31 A.A. MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 11. _____32 BGH NJW 2000, 3286 = MDR 2000, 1392. _____33 BGH NJW 1992, 1510 = WM 1992, 1510; BGH WM 2005, 1847; BGH ZIP 2007, 1524; BGH NJW 2009, 2137 _____= WM 2009, 643. 34 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 4; MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 9; Musielak/Stadler § 138 Rdn. 6. _____35 A.A. MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 6. _____36 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 11; MünchKomm-Wagner § 138 Rdn. 7; Musielak/Stadler § 138 Rdn. 5; _____AK-Schmidt § 138 Rdn. 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 65 VIII 3.

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___die anspruchstellende Partei zunächst darauf beschränken, die zur Begründung ihres ___Anspruchs nötigen Tatsachen vorzutragen. Es besteht auch keine Verpflichtung, präven___tiv zu voraussichtlichen Einwänden des Gegners Stellung zu nehmen. Allerdings kann ___dies zur Straffung des Prozessstoffs vielfach sinnvoll sein. Vor allem ist das Gericht bei ___dieser Vorgehensweise bereits bei Klageerhebung darüber im Bilde, wo der Kern des ___Streits liegt. ___ ___ 5. Grenzen der Wahrheitspflicht. Keine Partei muss sich selbst belasten, also eine 15 ___von ihr begangene strafbare Handlung oder eine Tatsache offenbaren, die ihr zur Unehre ___gereichen könnte. Allerdings folgt hieraus keine Ausnahme von der Wahrheitspflicht.37 ___Die Wahrheitspflicht zwingt die Parteien nicht, überhaupt Erklärungen abzugeben. Der ___Kläger kann von einer Klage absehen, wenn er zur Begründung Tatsachen vortragen ___müsste, die eine von ihm begangene Straftat offenbaren würden. Der Beklagte kann zu ___einem entsprechenden Vortrag des Klägers schweigen. Die jeweiligen Konsequenzen ___gleichen sich. Bleibt ein Angriff aus oder ist er unsubstanziiert, kann der Kläger seinen ___Anspruch nicht durchsetzen. Will der Beklagte nicht oder nicht in allen Punkten erwi___dern und damit die Last der Gegenerklärung nicht tragen, weil er sich andernfalls selbst ___belasten müsste, muss er schweigen und die Folgen des Abs. 3 hinnehmen. Von einer ___Ausnahme von der Wahrheitspflicht könnte man daher nur dann sprechen, wenn es ei___ner Partei in dieser Situation gestattet wäre, etwas Falsches vorzutragen oder unter Hin___weis auf die Gefahr einer Selbstbelastung die Umstände wegzulassen, aus denen sich ___eine strafbare oder sonst zur Unehre gereichende Handlung ergeben könnte. Beides ist ___jedoch nicht der Fall. Erklärt sich eine Partei, muss dies wahrheitsgemäß und vollständig ___sein. Dies gilt auch bei der Gefahr einer Selbstbezichtigung.38 Andernfalls muss sie schwei___gen (zur Ausnahme von § 138 Abs. 4 bei Schweigen auf eine Behauptung, die auf Infor___mationen beruht, die der Gegner durch eine Straftat oder unter Verletzung von Persön___lichkeitsrechten erlangt hat, s. Rdn. 28). ___ In den Grenzbereich der Wahrheitspflicht können die sog. Musterprozesse fallen. 16 ___Soll anhand einer einzelnen exemplarischen Streitsache eine Entscheidung herbeige___führt werden, die auch für andere gleichlautende Fälle von Bedeutung ist, besteht kein ___Problem. Denn in diesem Fall wird der Sachverhalt so vorgetragen, wie er sich im kon___kreten Einzelfall tatsächlich ereignet hat. Problematisch wird es aber, wenn die Parteien ___im Musterprozess den Sachverhalt einverständlich so abstimmen, dass die Sache auch ___tatsächlich geeignet ist, um die grundlegende Rechtsfrage zu klären. Auch in diesem Fall ___wird die Wahrheitspflicht nicht verletzt. Gegenüber dem Beklagten besteht kein Prob___lem, weil dieser mit im Spiel ist. Dasselbe gilt gegenüber dem Gericht, sofern diesem ge___genüber der Mustercharakter offenbart wird. ___ Parteivereinbarungen, die auf einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht abzielen, 17 ___sind unwirksam (§ 134 BGB) und können keine Rechte und Pflichten erzeugen. Weiterhin ___können sich die Parteien nicht wirksam verpflichten, bestimmte Tatsachen nicht vorzu___tragen oder einzelne Behauptungen nicht zu bestreiten.39 Andererseits ist der Beklagte ___nicht gehindert, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch gemäß § 307 anzuerken___nen, auch wenn er ihn für unbegründet hält. Bei einem Anerkenntnis findet keine Aus___einandersetzung mit dem gegnerischen Vortrag statt. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, ___ ___ ___37 So allerdings MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 15; Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 13 mit weiteren Nachw.; Thomas/Putzo/Reichold § 138 Rdn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 65 VII 5; Blomeyer II § 30 ___VII 3. ___38 Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 174; Zöller/Greger § 138 Rdn. 3. ___39 Zöller/Greger Rdn. 5.

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_____sich gegen einen als unberechtigt erkannten Anspruch zu verteidigen. Er kann den An_____spruch auch ohne Anerkennung einer Pflicht hierzu anerkennen. _____ _____ 18 6. Der Anwalt und die Wahrheitspflicht. Der Anwalt hat als Vertreter die Wahr_____heitspflicht des Mandanten zu achten.40 Er hat nur eine abgeleitete und keine originäre _____Wahrheitspflicht. Daher ist er ohne nähere Anhaltspunkte nicht verpflichtet, die Darstel_____lung des Mandanten auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren.41 Er darf sie sich zu eigen _____machen, ohne vorab Nachforschungen hierüber anzustellen. Eine Behauptung, die er als _____unwahr erkannt hat, darf der Anwalt allerdings nicht aufstellen,42 und zwar auch nicht _____aus prozesstaktischen Gründen.43 Die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten wider_____spricht dem Sachlichkeitsgebot gemäß § 43 a Abs. 3 Satz 2 BRAO. Wenn eine Partei sich _____über die Wahrheitspflicht hinwegsetzen und Erklärungen wider besseren Wissen abge_____ben will, hat der hierüber informierte Anwalt seine Mitwirkung zu versagen. Er wird der _____Partei das Bedenkliche ihres Vorhabens und die möglichen strafrechtlichen Konsequen_____zen vorhalten und wird, bleibt die Partei uneinsichtig, das Mandat niederlegen. Mit blo_____ßer verbaler Distanzierung – „Der Kläger/Beklagte meint …“ – ist es schon deshalb nicht _____getan, weil der durch die Partei informierte Anwalt schon um die Unwahrheit des Vor_____trages weiß und also lügen würde, ließe er bloß Zweifel anklingen. Der Anwalt darf wei_____terhin nicht ins „Blaue hinein“ vortragen, also keine Behauptungen aufstellen, die nicht _____auf einer Information der Partei beruhen. Dasselbe gilt für das Bestreiten eines – eventu_____ell sogar durch Urkunden belegten – substanziierten Vortrags des Gegners.44 Der Anwalt _____darf ihn nicht ohne Rücksprache mit dem Mandanten sozusagen rein vorsorglich bestrei_____ten. Ein Bestreiten mit „anwaltlichem Nichtwissen“ ist nicht möglich. Auch prozesstakti_____sche Erwägungen können eine solche Vorgehensweise nicht rechtfertigen – unabhängig _____davon ob es um den Angriff oder die Verteidigung geht.45 Erschöpfende Information von _____seiner Partei zu erhalten ist für den Anwalt zwar oftmals sehr viel schwieriger, als viele _____Gerichte sich das vorstellen. In solchen Fällen darf der Anwalt aber nicht kurzerhand _____von sich aus dem gegnerischen Vortrag entgegentreten. Er muss vielmehr der Möglich_____keit Rechnung tragen, dass die besser informierte Partei nicht bestreiten dürfte und des_____halb einstweilen auf Bestreiten verzichten, bis ihm die nötigen Information vorliegen.46 _____Fehlen sie, muss ggf. ein Schriftsatznachlass beantragt werden. Ist sich der Anwalt aller_____dings auch ohne ausdrückliche Information des Mandanten sicher, dass eine gegneri_____sche Erklärung unrichtig sein muss – etwa, weil er dies aus einer Beweisaufnahme in _____einer Parallelsache oder aus allgemein zugänglichen Quellen schon weiß – dann darf er _____ausnahmsweise auch ohne Information bestreiten. _____ Erkennt der Anwalt nachträglich, dass eine Behauptung der Partei falsch ist, muss 19 _____er sie richtig stellen. Dies folgt aus der Wahrheitspflicht der Partei. Allerdings darf er mit _____der Offenbarung des Sachverhalts nicht gegen den Willen der Partei handeln. Dies gilt _____insbesondere dann, wenn die Partei den Anwalt bewusst falsch informiert und mögli_____cherweise hiermit einen versuchten Prozessbetrug begangen hat. Der Anwalt ist nicht _____verpflichtet, diesen offen zu legen.47 In dieser Situation muss er das Mandat ggf. nieder_____legen. Erkennt die Partei, dass der Anwalt falsch vorgetragen hat – etwa aufgrund eines _____ _____40 Hirtz AnwBl. 2006, 780, der insoweit von „Berichtstreue“ spricht. _____41 BVerfG NJW 2003, 3263; BGH JZ 1962, 486, 487. _____42 BGH NJW 1952, 1148. _____43 Zöller/Greger Rdn. 6 unter Hinweis auf OLG Köln OLGR 2004, 393. 44 OLG Frankfurt NJW 1974, 1475; OLG Köln MDR 1992, 79. _____45 OLG Köln OLGR 2004, 393. _____46 OLG Köln MDR 1992, 79; Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 35. _____47 BGH NJW 1952, 1148.

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3. Abschnitt. Verfahren

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___Informationsversehens –, darf sie sich dieses ihr eventuell günstige Vorbringen nicht ___dadurch zu eigen machen, dass sie es hinnimmt, ohne es zu berichtigen. Sobald eine ___Partei erkennt, dass mit ihrer Vollmacht in ihrem Namen ihr günstige tatsächliche Erklä___rungen abgegeben worden sind, die sie selbst nicht hätte abgeben dürfen, weil sie von ___deren Unwahrheit überzeugt ist, muss sie diese Erklärungen berichtigen. Unterlässt sie ___dies, verletzt sie durch die Aufrechterhaltung des als unwahr erkannten Vortrages ihre ___Wahrheitspflicht. ___ Ist für den Anwalt die Verletzung der Wahrheitspflicht durch die Partei nicht er- 20 ___kennbar, ergeben sich insoweit für ihn keine Probleme, und zwar auch dann nicht, wenn ___er selbst Zweifel an der Richtigkeit der ihm erteilten Information hat. Zwar wird er schon ___im wohlverstandenen Interesse der Partei sich ihm aufdrängenden Zweifel zur Sprache ___bringen und mit Hinweis darauf, dass die nämlichen Zweifel auch dem Gericht kommen ___könnten, um nähere Aufklärung bitten. Dabei kann sich ergeben, dass seine Zweifel zer___streut werden oder umgekehrt, dass die ihm erteilten Information berichtigt wird. Aber ___auch bei fortbestehenden Zweifeln darf die Information, die sich innerhalb der Wahr___heitspflicht der Partei hält oder von der der Anwalt dieses annimmt, vom Anwalt verwer___tet und vorgetragen werden. Möglicherweise erweist sich der Vortrag dann in der Be___weisaufnahme ja doch als richtig oder wird vom Gegner, der es besser wissen müsste, ___gar nicht erst bestritten. Zuweilen verfügt der Anwalt über die bessere Information und ___weiß daher, dass die Vermutungen, die seine Partei selbst als Tatsache vortragen dürfte, ___nicht zutreffen. In solchen Fällen ist die Partei entsprechend zu informieren. Beharrt sie ___dann wider besseres Wissen auf dem als unrichtig erkannten Vortrag, muss der Anwalt ___sich verweigern und notfalls das Mandat niederlegen. Werden aber durch Erklärungen ___der Partei lediglich Zweifel beim Anwalt an der Richtigkeit seines – gegebenenfalls nur ___vermeintlichen – Wissens geweckt, darf er entsprechend der Vorstellung seiner Partei ___vortragen.48 ___ ___ 7. Die Folgen von Wahrheitspflichtverletzungen. Unmittelbare prozessuale Kon- 21 ___sequenzen hat die Verletzung der Wahrheitspflicht nicht. Die Partei, die bewusst falsch ___vorträgt, kann ihren Vortrag korrigieren und gleichwohl einen Prozesserfolg erreichen. ___Es wäre aber verfehlt, hieraus herzuleiten, dass die Wahrheitspflicht ohne Bedeutung ist ___und folgenlos verletzt werden könne. § 138 Abs. 1 macht für den Zivilprozess deutlich, ___dass es keineswegs „das gute Recht einer Partei“ ist, vor Gericht die Unwahrheit zu sa___gen. Zunächst setzt die Partei mit dem bewusst falschen Vortrag ihre Glaubwürdigkeit ___aufs Spiel („wer einmal lügt, …“). Sie muss damit rechnen, dass ihre übrigen Behauptun___gen besonders kritisch bewertet werden. Dies kann nachteilige Folgen bei der Beweiswür___digung haben. Erweist sich, dass eine Partei in einem Punkt wissentlich die Unwahrheit ___vorgetragen hat, kann dieses bei der Gesamtwürdigung gemäß § 286 den Ausschlag da___für geben, dass ihr nun auch in anderen Punkten nicht geglaubt wird.49 Weiterhin kann ___der falsche Vortrag Ersatzansprüche nach sich ziehen. Erlangt die Partei ein obsiegendes ___Urteil und führt dies in der weiteren Konsequenz zu einer Vermögensschädigung des ___Gegners, kann hierin ein Prozessbetrug (§ 263 StGB) liegen.50 Vorsatz liegt allerdings nur ___dann vor, wenn der falsche Vortrag zur Durchsetzung eines Anspruchs eingesetzt wor___den ist, der nach der eigenen Überzeugung der Partei nicht gerechtfertigt ist. Eine Partei ___begeht keinen Prozessbetrug, wenn sie einen aus ihrer Sicht begründeten, aber durch ___ ___ 48 MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 4. ___49 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 14; MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 16. ___50 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 17; MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 16; Zöller/Greger § 138 Rdn. 7; ___Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 138 Rdn. 66; Musielak/Stadler § 138 Rdn. 8.

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§ 138

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Beweisschwierigkeiten gefährdeten Anspruch auf einen unwahren Sachverhalt stützt.51 _____Täter des Prozessbetrugs ist der, der die Wahrheitspflicht verletzt hat, u.U. also auch der _____Anwalt. Für den entstandenen Schaden ist gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB bzw. § 826 _____BGB Ersatz zu leisten.52 Wegen des Prozessbetruges findet die Restitutionsklage gemäß _____§ 580 Ziff. 4 statt. Ist es nicht mehr zu einem Urteil gekommen, weil die Wahrheitspflicht_____verletzung rechtzeitig erkannt worden ist, kommt Strafbarkeit wegen versuchten Betru_____ges in Betracht. Soweit der bewusst falsche Vortrag eine Verzögerung des Rechtsstreits _____bewirkt hat, kann hierin eine sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB liegen.53 Auch _____insoweit ist allerdings Vorsatz erforderlich.54 Unabhängig von den strafrechtlichen Kon_____sequenzen kann der falsche Vortrag Kostenfolgen auslösen. Erfordert der Vortrag eine _____Beweisaufnahme und wird er hierdurch widerlegt bzw. stellt sich die Beweisaufnahme _____als überflüssig heraus, weil die Behauptung aus der Luft gegriffen war, greift die Kosten_____folge gemäß § 96. _____ Der mit dem falschen Vortrag konfrontierte Gegner hat grundsätzlich nur die Mög22 _____lichkeit, sich im anhängigen Verfahren zur Wehr zu setzen und dort den Vortrag zu be_____kämpfen. Er kann die etwas Falsches behauptende Partei nicht in einem anderen Verfah_____ren auf Widerruf oder Unterlassung in Anspruch nehmen.55 Das gilt auch dann, wenn der _____falsche Vortrag ehrenrührige Behauptungen enthält. Das Ausgangsverfahren darf nicht _____durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der Prozessbeteiligten beeinträchtigt _____werden.56 Daher fehlt für ein neues Verfahren das Rechtsschutzinteresse. Diese Einschrän_____kung gilt auch für Dritte.57 _____ _____ IV. Die Gegenerklärung (Abs. 2) _____ _____ 23 § 138 Abs. 2 regelt die Erwiderung auf gegnerisches Vorbringen. Jede Partei „hat sich“ _____über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Ungeachtet des Wortlauts _____ergibt sich aus der Vorschrift keine Erklärungspflicht, sondern nur eine Erklärungslast. _____Keine Partei ist gezwungen, sich zu erklären. Wer sich zu den Tatsachen nicht erklärt, lässt _____sie unbestritten, so dass sie gemäß Abs. 3 als zugestanden anzusehen sind.58 Die Vertei_____lung der Erklärungslast entspricht grundsätzlich der Beweislast. Beschränkt ist sie auf die _____vom Gegner vorgebrachten Tatsachen. Rechtsausführungen bedürfen keiner Erwiderung. _____ Der Umfang der Erklärungslast wird in erster Linie durch den Vortrag des Gegners 24 _____bestimmt.59 Die Erwiderung braucht grundsätzlich nicht substanziierter zu sein als die _____Erklärung, gegen die sie sich richtet. Werden die vom Gegner behaupteten Tatsachen so _____substanziiert bestritten, wie sie behauptet worden sind, können die Folgen aus § 138 _____Abs. 3 nicht eintreten. Jede Partei muss daher zunächst ihrer eigenen Darlegungslast _____nachkommen. Die Frage, ob für die Gegenerklärung die Darlegungs- bzw. Erklärungslast _____erfüllt ist, lässt sich daher nur im Wechselspiel des beiderseitigen Vortrags beurteilen. _____Der Kläger hat zunächst schlüssig vorzutragen. Dies ist der Fall, wenn sein tatsächliches _____mündliches Vorbringen den Klageantrag rechtfertigt (§ 331 Abs. 2). Die beigebrachten _____ _____ _____51 Schönke/Schröder/Cramer/Perron StGB, 28. Aufl., § 263 Rdn. 75 mit w. Nachw. 52 Beispiele: BGHZ 13, 71; BGHZ 26, 391; BGHZ 154, 269; BGH JZ 1962, 486 mit Anm. Weitnauer; BGH NJW _____1964, 349 und 1672; BGH NJW 2004, 446. _____53 RGZ 95, 310. _____54 BGH NJW 2004, 446. _____55 BGH NJW 1971, 284; BGH NJW 2005, 279 = MDR 2005, 507; Einzelheiten Kiethe MDR 2007, 625. 56 BVerfG NJW-RR 2007, 840; BGH VersR 1992, 443. _____57 BVerfG NJW-RR 2007, 840; BGH NJW 2008, 996. _____58 Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 32; Musielak/Stadler § 138 Rdn. 9. _____59 BGH WM 1989, 1779; BGH WM 1993, 461; BGH NJW-RR 1996, 1211; BGH NJW 1999, 1404 und 2887.

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§ 138

___Tatsachen müssen – ihre Richtigkeit unterstellt – in Verbindung mit einem Rechtssatz ___geeignet sein, das geltend gemachte Recht zu begründen.60 Die Angabe näherer Einzel___heiten ist zunächst nicht nötig, soweit diese Einzelheiten für die Rechtsfolgen nicht von ___Bedeutung sind.61 Das Gericht muss nur in der Lage sein, aufgrund des Sachvortrags zu ___entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch ___bestehen.62 Die Gegenerklärung braucht nicht über diesen Tatsachenstoff hinauszuge___hen. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichti___gen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten.63 Eine allgemeine Auskunftspflicht ___auch über die gegnerischen Behauptungen hinaus besteht nicht.64 Keine Partei ist ver___pflichtet, dem Gegner Tatsachenstoff für den Erfolg des Rechtsstreits zu verschaffen, über ___den er nicht von sich aus verfügt.65 Ein pauschales Bestreiten genügt allerdings dann ___nicht, wenn sich der Gegner seinerseits detailliert geäußert hat. Die Gegenerklärung ___muss grundsätzlich die gleiche Substanz haben.66 ___ Die Pflicht zur Substanziierung des Vorbringens findet ihre Grenze zunächst in dem 25 ___subjektiven Wissen der Partei. Die Erwiderung muss der Partei möglich sein. Dies ist ___grundsätzlich insoweit anzunehmen, als sich die behaupteten Vorgänge in ihrem Wahr___nehmungsbereich ereignet haben.67 Daneben muss die Substanziierung für die Partei in ___der konkreten Prozesssituation auch zumutbar sein.68 Macht z.B. der Kläger eine Werk___lohnforderung geltend, genügt es im Rahmen der Schlüssigkeit für die Höhe der Forde___rung, dass er den Betrag nennt. Die Darstellung der einzelnen Positionen der Rechnung ___ist nicht erforderlich. Tritt der Beklagte der Höhe der Klageforderung entgegen, kann er ___sich zunächst auf ein pauschales Bestreiten der Höhe beschränken. Erst dann setzt eine ___Pflicht des Klägers zur weiteren Substanziierung zum Hintergrund der einzelnen Forde___rungen ein. Er muss im Gegenzug die Rechnungspositionen weiter aufschlüsseln und ___näher zum Hintergrund der einzelnen Positionen vortragen. Dies muss so geschehen, ___dass der Beklagte – und selbstredend auch das Gericht – in der Lage ist, die Berechti___gung der verschiedenen Positionen nachzuvollziehen.69 Anders ist es hingegen, wenn ___der Kläger bereits in der Klageschrift die einzelnen Positionen auflistet und eventuell ___darüber hinaus – etwa vor dem Hintergrund einer vorprozessualen Korrespondenz – ___hierzu Stellung bezieht. In diesem Fall kann sich der Beklagte in seiner Gegenerklärung ___nicht auf ein pauschales Bestreiten der Höhe beschränken.70 Er muss vielmehr zur Ver___meidung der Folgen des Abs. 3 darlegen, welche konkreten Positionen er angreifen will ___und welche Gründe er hierfür hat. Verlangt der Kläger Zahlung eines Kontokorrentsaldos ___und leitet er dabei die Ansprüche nicht aus dem letzten vom Beklagten bestätigten Ab___schluss, sondern aus den dem Saldo zugrunde liegenden einzelnen Leistungen ab, muss ___er diese im einzelnen darlegen.71 Solange dies nicht geschieht, kann sich der Beklagte in ___ ___ 60 RGZ 143, 57, 65; BGH JZ 1963, 32; BGH NJW 1984, 2888 = MDR 1985, 315. ___61 BGH NJW 1991, 2707 = BB 1991, 1670. ___62 BGH WM 1979, 650, 651; BGH NJW 1968, 1233; BGH NJW 1984, 2888 = MDR 1985, 315; BGH NJW 2009, ___2137 = WM 2009, 1154. ___63 BGH NJW 1993, 1782 mit w. Nachw.; BGH NJW 1995, 3311; BGH NJW 1999, 3120. ___64 BGH NJW 1990, 3151. 65 BGH NJW 1958, 1491. ___66 BGH NJW 2010, 1357 = MDR 2010, 926; BAG NJW 2004, 2848. ___67 BGHZ 12, 49, 50; BGH NJW 1961, 826, 828; BGH NJW-RR 1986, 60 = MDR 1986, 309; BGH NJW-RR 1990, ___78, 81. ___68 BGH NJW 1991, 2707; BGH NJW 1992, 1967, 1968; BGH NJW 1995, 3311 = MDR 1996, 352. 69 BGH BB 1979, 552. ___70 OLG Köln MDR 1970, 1017. ___71 BGH NJW 1983, 2879 = MDR 1983, 1002; einschränkend zum Fall, dass der Beklagte vorprozessual ___einzelne Positionen nicht angegriffen hat BGH NJW 1991, 2908.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____seiner Gegenerklärung auf ein einfaches Bestreiten beschränken. Es ist nicht Aufgabe _____des Beklagten zur Begründung seines Bestreitens seinerseits als erster im Prozess eine _____Einzelberechnung vorzulegen, selbst wenn er über die dazu nötigen Unterlagen ver_____fügt.72 _____ Die Pflicht zur Erklärung kann im Einzelfall die darlegungs- und beweisbelastete 26 _____Partei überfordern, und zwar dann, wenn sie keine eigenen Kenntnisse von den rechts_____erheblichen Tatsachen hat und sie sich diese auch nicht verschaffen kann.73 Die Lehre von _____der prozessualen Aufklärungspflicht74 nimmt an, in dieser Situation genüge es, wenn die _____darlegungsbelastete Partei Indizien vortrage, die eine plausible Vermutungsbasis für das _____von ihr geltend gemachte Geschehen schaffen. Die andere Partei sei dann verpflichtet, _____alle denkbaren und zumutbaren Aufklärungsbeiträge zu leisten, um diese Indizien aus_____zuräumen. Andernfalls müssten die in Rede stehenden Behauptungen zu ihrem Nachteil _____als richtig unterstellt werden. Zweck des Zivilprozesses sei der Individualschutz durch _____Findung der materiellen Wahrheit. In Anbetracht von Art. 2 GG sowie des Rechtsstaats_____prinzips müsse zur Erreichung dieses Zwecks ein auf Wahrheitsfindung angelegtes Ver_____fahren gewährleistet sein. Dies erfordere eine umfassende Aufklärungspflicht der nicht _____darlegungsbelasteten Partei. Diese Lehre wird von der Rechtsprechung zu Recht als zu _____weit gehend abgelehnt.75 Hiernach trifft den Gegner der primär darlegungsbelasteten _____Partei keine generelle Aufklärungspflicht. Ausgangspunkt für die Auffassung der Recht_____sprechung ist die Überlegung, dass eine allgemeine Auskunftspflicht weder im materiel_____len Recht noch im Prozessrecht vorgesehen ist.76 Soweit im materiellen Recht ein Aus_____kunftsanspruch besteht, ist er davon abhängig, dass eine rechtliche Sonderverbindung _____besteht. Wird die Auskunft zur prozessualen Durchsetzung eines dahinter stehenden _____Anspruchs benötigt, muss der Gläubiger die Auskunft einklagen, damit er den weiteren _____Anspruch mit Erfolg einklagen kann. Ggf. muss er im Wege der Stufenklage (§ 254) vor_____gehen. Der Auskunftsanspruch befreit ihn daher nicht von seiner prozessualen Last, die _____Einzelheiten vorzutragen, die zur Begründung des dahinter stehenden Anspruchs er_____forderlich sind. Die Anforderungen, die dabei an die Substanz seines Vortrags gestellt _____werden, dürfen dabei aber nicht zu hoch sein. Nach dem auch im Prozessrecht maßgeb_____lichen Grundsatz von Treu und Glauben muss auf die besonderen Schwierigkeiten Rück_____sicht genommen werden, die sich daraus ergeben, dass die darlegungsbelastete Partei _____außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den rechtserheblichen Sach_____verhalt von sich aus nicht vortragen bzw. ermitteln kann. Sind die nötigen Informatio_____nen bei der Gegenpartei vorhanden oder kann sie sich diese leicht beschaffen und ist ihr _____weiterhin ein entsprechender Vortrag auch zuzumuten, trifft sie eine sekundäre Darle_____gungslast. 77 Sie muss sich substanziiert verteidigen und kann sich auch gegenüber ei_____nem an sich unsubstanziierten Vortrag nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken. _____Dies gilt insbesondere dann, wenn es um innere Tatsachen geht, wenn das Nichtvorlie_____gen von Tatsachen Anspruchsvoraussetzung ist oder wenn sonst nach den Gegebenhei_____ten im Einzelfall das Nichtvorliegen von bestimmten Umständen vom Anspruchsteller _____ _____ _____72 BGH NJW 1983, 1174 = MDR 1983, 1002. 73 BGH NJW-RR 1986, 60 = MDR 1986, 309. _____74 Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, 1976; zur Entwicklung: Arens Zur _____Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei im Zivilprozess, ZZP 96 (1983), 1 ff. _____75 BGH NJW 1990, 3151 = MDR 1991, 226. _____76 Zum materiellen Recht RGZ 102, 236; BGHZ 74, 380; BGH NJW 1978, 1002; BGH NJW 1981, 1733. 77 BGH NJW 1961, 826; BGH NJW 1962, 2149; BGHZ 86, 23, 29 = NJW 1983, 687; BGH NJW 1989, 161; BGH _____NJW 1987, 1201; BGH NJW 1990, 3151 = WM 1990, 1844; BGH NJW 1993, 1782; BGH NJW 1995, 3311; BGH WM _____1996, 2253; BGH NJW 1999, 2887; BGHZ 163, 209, 214 (Arzthaftungsprozess); OLG Frankfurt MDR 1969, 579 _____mit Anm. Schneider.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 138

___bewiesen werden muss. In diesen Fällen kann vom Anspruchsgegner im Rahmen des ___Zumutbaren das substanziierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der ___für das Positivum sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden.78 ___ Keine Gegenerklärung im Sinne von § 138 Abs. 2 sind Rechtsausführungen, und zwar ___auch dann nicht, wenn mit ihrer Hilfe gezeigt werden soll, dass es auf die vom Gegner ___behaupteten Tatsachen gar nicht ankommt. Auch der Vortrag von Tatsachen, mit denen ___der Gegenangriff angetreten wird und überhaupt alle Erklärungen über tatsächliche Um___stände, die sich nicht unmittelbar auf die vom Gegner behaupteten Tatsachen beziehen, ___fallen nicht hierunter. ___ Keine Pflicht zur weiteren Substanziierung trifft eine Partei, wenn sie einer Behaup___tung entgegentritt, die auf Informationen beruht, die durch eine Straftat oder in einer ___das Persönlichkeitsrecht verletzenden Weise erlangt worden sind (z.B. Diebstahl von ___Unterlagen; heimliches Mithören von Telefongesprächen; Verwertung heimlicher Bild___aufzeichnungen). Dasselbe gilt, wenn in der Verwertung der Informationen ein Verstoß ___gegen das Persönlichkeitsrecht des Gegners liegt, wie etwa bei der Offenbarung von ___Informationen, die unter dem Schutz der beruflichen Verschwiegenheitspflicht erlangt ___worden sind. In diesen Fällen besteht zwar kein allgemeines Verwertungsverbot für die ___entsprechenden Behauptungen.79 Denn es steht der benachteiligten Partei frei, sie nicht ___zu bestreiten. Bestreitet sie aber, kann sie sich darauf beschränken, die Rechtswidrigkeit ___der Beschaffung der Information zu rügen. Inhaltlich braucht sie den Behauptungen ___nicht entgegenzutreten. Denn wenn über diese Behauptungen Beweis erhoben würde, ___dürfte das Ergebnis ohnehin nicht verwertet werden.80 Die Folgen von § 138 Abs. 3 kön___nen in diesem Fall nicht eintreten. ___ Entscheidet sich eine Partei, keine Gegenerklärungen abzugeben, unterliegt sie auch ___nicht der Pflicht zur Wahrheit und zur Vollständigkeit.81 Das Nichtbestreiten kann z.B. ___dann geboten sein, wenn die Kosten einer sonst nötigen Beweisaufnahme in keinem ___Verhältnis zu dem erreichbaren Erfolg stehen würden. Ebenso steht es dem Beklagten ___frei, einen Anspruch anzuerkennen, den er in Wahrheit nicht für berechtigt hält. Weiter___hin ist keine Partei aufgrund der Wahrheits- bzw. Vollständigkeitspflicht veranlasst, den ___gegnerischen Vortrag entgegen dem eigenen Interesse zu berichtigen oder zu ergänzen, ___wenn sie erkennt, dass der Vortrag nicht schlüssig ist, aber durch weiteren Vortrag un___schwer schlüssig gemacht werden könnte. Sie verletzt auch nicht die Wahrheitspflicht, ___wenn sie darauf hinweist, dass der tatsächlich erfolgte Vortrag nicht schlüssig ist, weite___ren ihr bekannten und zur Schlüssigkeit dienlichen Vortrag aber unterlässt. ___ ___ V. Nichtbestreiten (Abs. 3) ___ ___ 1. Allgemeines. § 138 Abs. 3 zwingt die Parteien, sich zu allen gegnerischen Behaup___tungen zu erklären, denen sie entgegentreten wollen. Soweit sie Behauptungen weder ___ausdrücklich noch konkludent bestreiten, sind diese vom Gericht als zugestanden anzu___sehen und der Entscheidung ohne Prüfung durch eine Beweisaufnahme zugrunde zu ___legen. Die Vorschrift erleichtert dem Gericht die Klärung des Streitstoffs. Da das Schwei___ ___ ___ ___78 BGH NJW 1987, 2008; BGH NJW-RR 1993, 746; BGHZ 140, 156, 158. ___79 Zöller/Greger § 138 Rdn. 3; Heinemann MDR 2001, 137 ff.; a.A. OLG Karlsruhe NJW 2000, 1577 = MDR 2000, 847. ___80 Zum Beweisverwertungsverbot bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts BVerfGE 34, 245 = NJW 1973, ___891; BVerfG NJW 1992, 815; BGH NJW 1988, 1016; BGH NJW 2003, 1727. ___81 Zöller/Greger Rdn. 4.

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_____gen als Zugestehen wirkt, bedarf nur der streitige Rest der Tatsachen – Schlüssigkeit _____bzw. Erheblichkeit des Vorbringens vorausgesetzt – einer Beweisaufnahme. _____ _____ 31 2. Anwendungsbereich der Vorschrift. Die Vorschrift ist überall dort anzuwenden, _____wo der Beibringungsgrundsatz gilt, also nicht im Anwendungsbereich von § 293, für die _____Ermittlung unbekannter Erfahrungssätze und zum Teil im Bereich der Zwangsvollstre_____ckung. Die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen – für die Klage oder ein Rechtsmit_____tel – geschieht von Amts wegen.82 In diesem Bereich ist das Gericht an das Vorbringen _____der Parteien ebenfalls nicht gebunden (z.B. zum Wert des Streit-83 oder Beschwerdege_____genstands),84 so dass die Wirkungen von § 138 Abs. 3 nicht eintreten. Zulässigkeitsrügen, _____die unter die Eventualmaxime fallen, müssen allerdings gemäß § 282 Abs. 3 rechtzeitig _____erhoben werden. Unterbleibt die Rüge, führt dies zwar nicht zu einem Zugestehen der _____maßgeblichen Tatsachen, wohl aber bei mangelnder Entschuldigung zu einer Präklusion _____gemäß § 296 Abs. 3. Bei den unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen findet unabhängig _____von einer Rüge eine Prüfung von Amts wegen statt, so dass ein Schweigen auf gegneri_____sches Vorbringen keine unmittelbaren Folgen hat. Jedoch wird das Gericht auch in die_____sem Bereich Ermittlungen in der Regel nur dann anstellen, wenn ihm der Vortrag der _____Parteien hierzu Anlass gibt. Das Schweigen bewirkt damit im Ergebnis, dass ein Zuläs_____sigkeitsmangel nicht aufgedeckt wird. _____ _____ 3. Einzelheiten. Der gegnerische Tatsachenvortrag kann ausdrücklich oder konklu32 _____dent bestritten werden. Das konkludente Bestreiten ergibt sich inzidenter aus der Ge_____gendarstellung auf einen Vortrag. Tatsachen, die mit der Gegenerklärung unvereinbar _____sind, müssen regelmäßig nicht gesondert je für sich bestritten werden. Wie die Gegen_____erklärung inhaltlich beschaffen sein muss, hängt vom Sachverhalt ab. Das Gericht hat _____unter Würdigung des Gesamtvorbringens der Partei zu beurteilen, welche Sachverhalts_____elemente tatsächlich streitig gestellt werden sollen. Die Frage, ob ein schlichtes Bestrei_____ten genügt oder ob positive Angaben in Form einer Gegendarstellung erforderlich sind, _____entscheidet der Vortrag des Gegners im jeweiligen Einzelfall. Eine detailreicher Vortrag _____des Gegners kann eine substanziierte Erwiderung erfordern. Ferner kommt es darauf an, _____ob sich die Geschehnisse, die Gegenstand des Vortrags sind, im Wahrnehmungsbereich _____der Partei abgespielt haben.85 Bei solchen Tatsachen müssen dem Vorbringen grundsätz_____lich konkrete Angaben entgegengesetzt werden.86 Die Ansicht, dass einfaches Bestreiten _____der Vollständigkeitspflicht aus Absatz 1 nicht genüge und daher aus diesem Grund un_____beachtlich sei, 87 übersieht, dass prinzipiell niemand gehalten ist, substanziierter zu be_____streiten, als behauptet worden ist. Zudem ist substanziierteres Bestreiten oftmals gar _____nicht möglich. In der großen Zahl der Fälle der täglichen Praxis ist außerdem eine aus_____führliche Gegendarstellung schon deshalb nicht veranlasst, weil die Parteien nur in eini_____gen wenigen Punkten differieren und sich vernünftigerweise hierauf konzentrieren. _____ 33 Allein im Antrag auf Abweisung der Klage liegt noch kein Bestreiten der klagebe_____gründenden Tatsachen.88 Denn die Klageabweisung kann auch aus rechtlichen Gründen _____ _____ 82 BGHZ 143, 122 = NJW 2000, 289. _____83 OLG Stuttgart Justiz 1969, 226. _____84 S. auch § 511 Rdn. 52. _____85 BGH NJW 1996, 1826, 1827; BGH NJW-RR 1999, 360; BGH NJW-RR 2001, 1294 = BGHReport 2001, 850. _____86 BGHZ 12, 50. 87 Stürner Die Aufklärungspflicht S. 11. _____88 OLG Frankfurt NJW 1974, 1473; Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 35; MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 25; _____Zöller/Greger § 138 Rdn. 10; Musielak/Stadler § 138 Rdn. 14; Thomas/Putzo/Reichold § 138 Rdn. 17. A.A. _____OLG Frankfurt 1969, 579 mit Anm. Schneider.

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___geschehen. Eine pauschale Erklärung – etwa dahin, dass im Übrigen alle Behauptungen ___der Gegenseite bestritten werden, die nicht ausdrücklich zugestanden worden sind – ___genügt in der Regel ebenfalls nicht. Klagt der Kläger aus einer Abrechnung, ist es nicht ___ausreichend, wenn der Beklagte pauschal erklärt, die Richtigkeit der Rechnung werde ___dem Grund und der Höhe nach bestritten. Er muss sich vielmehr mit den einzelnen ___Rechnungsposten auseinandersetzen.89 Dasselbe gilt für die Erklärung, „die Zinsen wer___den dem Grund und der Höhe nach bestritten“.90 Andererseits besteht kein Anlass, alle ___gegnerischen Behauptungen im einzelnen aufzulisten, denen eine Partei entgegentreten ___will. Das Gericht muss das Vorbringen in einer Gesamtschau würdigen und durch Ausle___gung ermitteln, was jeweils bestritten werden soll. Demgemäß muss das Bestreiten auch ___nicht der bestrittenen Behauptung nachfolgen.91 Es kann sich bereits aus dem Zusam___menhang des vorherigen Vortrags ergeben.92 Bestreitet der Beklagte in seiner Erwiderung ___den vom Kläger geschilderten Hergang, kann aus dem anschließenden Schweigen des ___Klägers auf die Erwiderung nicht geschlossen werden, dass er seinen Sachvortrag aufge___ben will.93 Hierzu bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung bzw. eindeutiger Anhalts___punkte. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass eine Partei einen ihr günstigen Vortrag ___nicht aufgibt. Bei Unklarheiten muss das Fragerecht ausgeübt werden. Das gilt auch dann, ___wenn eine Partei eine Tatsache ersichtlich als rechtlich unerheblich ansieht und ihr des___wegen keine nähere Bedeutung zumisst (§ 139 Abs. 2).94 Wird eine Behauptung fälschlich ___als unstreitig behandelt, begründet dies in der Regel einen schweren Verfahrensfehler, ___der zur Zurückverweisung führen kann. Zum einen kann eine Verletzung des rechtlichen ___Gehörs vorliegen, weil das Gericht ein Erwiderungsvorbringen nicht oder nicht zutref___fend zur Kenntnis genommen hat. Zum anderen kommt ein Verstoß gegen § 139 in Be___tracht. ___ Im zweiten Rechtszug brauchen die Parteien grundsätzlich nur die Tatsachen zu 34 ___bestreiten, die neu vorgetragen werden. Da der erstinstanzliche Streitstoff – im Rahmen ___des Berufungsangriffs – grundsätzlich fortgilt (Einzelheiten § 528 Rdn. 6), ist ein erneutes ___Bestreiten nicht nötig ist.95 Anders kann es allerdings sein, wenn die Partei mit ihrem ___Bestreiten im ersten Rechtszug nicht durchgedrungen ist. Enthält das erstinstanzliche ___Urteil Tatsachenfeststellungen zu ihrem Nachteil und sollen diese angegriffen werden, ___muss dies ausdrücklich erklärt werden. Geschieht dies nicht, fehlt es beim Berufungsklä___ger schon an einem ordnungsgemäßen Berufungsangriff. Auch der Berufungsbeklagte ___muss insoweit Stellung beziehen. Denn wenn eine Partei eine für sie negative Beweis___würdigung des erstinstanzlichen Richters nicht mehr angreift, kann das Berufungsge___richt grundsätzlich davon ausgehen, dass ein früheres – erfolgslos gebliebenes – Bestrei___ten nicht aufrecht erhalten werden soll. Zweifel sind auch insoweit durch Ausübung des ___Fragerechts zu klären. ___ ___ 4. Folgen des Nichtbestreitens. Das ausdrückliche oder konkludente Nichtbestrei- 35 ___ten führt gemäß § 138 Abs. 3 dazu, dass die vom Gegner vorgebrachten Tatsachen als ___zugestanden angesehen werden. Hierüber braucht nicht Beweis erhoben zu werden. ___Aufgrund des Mündlichkeitsprinzips tritt die Geständnisfiktion erst in der Verhandlung ___ ___ ___89 OLG Köln MDR 1970, 1017; OLG Köln JMBl NRW 1975, 176. ___90 BGHReport 2001, 955; Zöller/Greger Rdn. 10 a. ___91 BVerfG NJW 1992, 679, 680. 92 BGH NJW-RR 2001, 1294 = BGHReport 2001, 850. ___93 BGH NJW-RR 2001, 1294 = BGHReport 2001, 850. ___94 BGH LM § 139 ZPO Nr. 3. ___95 BVerfG NJW 2000, 131.

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§ 138

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ein, und zwar mit Stellung der Anträge und der hierin liegenden Bezugnahme auf den _____schriftsätzlichen Vortrag (§ 137 Abs. 3 Satz 1). Im schriftlichen Verfahren gilt der gemäß _____§ 128 Abs. 2 Satz 2 bestimmte Zeitpunkt. Die Wirkungen des Nichtbestreitens entsprechen _____nicht denen eines Geständnisses nach § 288.96 Die Partei kann ihr Vorbringen unabhän_____gig von den Voraussetzungen des § 290 ändern und zum Bestreiten übergehen, und zwar _____bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung. Eine Schranke setzen insoweit lediglich _____die Verspätungsvorschriften. Zu beachten ist allerdings, dass auch ein Geständnis ge_____mäß § 288 auch konkludent erklärt werden kann. Dies ist der Fall, wenn sich aus dem _____Gesamtzusammenhang der Erklärungen der Partei ergibt, dass sie den in Rede stehen_____den Behauptungen bewusst nicht entgegentreten will.97 _____ Die Folgen des Nichtbestreitens sind beschränkt auf die gegnerischen Tatsachen36 _____behauptungen. Für Rechtsbegriffe oder Rechtsverhältnisse kann die Wirkung von § 138 _____Abs. 3 nicht eintreten. Zugestanden werden können nur die einzelnen Tatsachen, die die _____Tatbestandsvoraussetzungen begründen. Dies gilt auch für einfache und allgemein be_____kannte Rechtsbegriffe des täglichen Lebens (Kauf, Schenkung, Übereignung), die von _____den Parteien als tatsächliche Behauptungen gebraucht werden. Zwar ist nach gefestigter _____Rechtsprechung in solchen Fällen eine nähere Prüfung entbehrlich, wenn der Gegner _____nicht widerspricht.98 Die übereinstimmende Einführung des Rechtsbegriffs durch beide _____Parteien soll die an sich nötige Zergliederung in die einzelnen Tatbestandsmerkmale _____entbehrlich machen.99 Dem kann aber nicht gefolgt werden. Eine Geständnisfähigkeit ist _____auch für einfache Rechtsbegriffe zu verneinen. Auch wenn „Kauf“ oder „Miete“ allge_____mein geläufige Begriffe sind, die in der Laiensphäre in aller Regel zutreffend verwendet _____werden – im Gegensatz z.B. bei Eigentum/Besitz oder Erbschaft/Vermächtnis –, so kön_____nen mit solchen Rechtsbegriffen komplizierte rechtliche Sachverhalte verbunden sein _____(z.B. beim Verbrauchsgüterkauf oder einer Schenkung in einer nichtehelichen Lebens_____gemeinschaft), die eine nähere Prüfung schon im Bereich der Schlüssigkeit und damit _____auch dann erfordern, wenn der Beklagte keine Einwände gegen den „Kauf“, die „Miete“ _____oder „die Schenkung“ erhebt. Dem Gericht muss es unabhängig von der mit der Ges_____tändniswirkung verbundenen Beschränkung in der Tatsachenprüfung freistehen, von _____den Parteien eine nähere Substanziierung zu fordern, wenn es in Anbetracht des unter_____breiteten Sachverhalts Zweifel hat, ob die in Rede stehende Rechtsfolge tatsächlich ein_____getreten ist. Dies ist auch zum Schutz der Parteien geboten. Unter Umständen ist ein _____Bestreiten nur deswegen unterlassen worden, weil die entsprechende rechtliche Proble_____matik nicht erkannt worden ist. Bei einfach gelagerten Fällen wird das Gericht allerdings _____in der Regel keinen weiteren Sachvortrag von den Parteien fordern, wenn der Beklagte _____dem Vortrag des Klägers, dieser habe die Sache von ihm „gekauft“ oder „gemietet“, _____nicht widerspricht. Keinesfalls darf in dieser Situation die Klage ohne vorherigen rechtli_____chen Hinweis als unsubstanziiert abgewiesen werden. Tritt der Beklagte dem Vortrag des _____Klägers zu dem in Rede stehenden Rechtsverhältnis nicht entgegen, kann der Kläger _____davon ausgehen, dass weiterer Vortrag nicht nötig ist. Das Gericht muss daher gemäß _____§ 139 Abs. 1 Satz 1 auf Vervollständigung des Sachvortrages hinwirken, wenn es anders _____als selbst der Gegner den Tatsachenvortrag für nicht ausreichend hält, um die Annahme _____ _____ _____96 BVerfG NJW 2001, 1565; BGH NJW 1983, 1497 = MDR 1983, 661. _____97 BGH NJW 1983, 1497 = MDR 1983, 661; BGH NJW 1991, 1683; BGH NJW 1994, 3109 = MDR 1995, 90. _____98 BGH NJW 1958, 1968; BGH NJW-RR 1987, 416; BGH NJW 1992, 906 (im konkreten Fall allerdings dort verneint); BGH MDR 2003, 1433; OLG Koblenz OLGZ 1993, 234 = NJW-RR 1993, 571; keine Bindung an _____Parteivortrag, wenn die vorgetragenen Tatsachen das übereinstimmend angenommene Rechtsverhältnis _____nicht begründen – OLG Köln VersR 1993, 571. _____99 BGHR ZPO § 288 Abs. 1 – Rechtsbegriff 1.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 138

___des behaupteten Rechtsverhältnisses zu rechtfertigen. Nicht selten wird der Kläger mit ___dem substanziierteren Vortrag nur deshalb zurückgehalten haben, weil in der Vorkor___respondenz Einigkeit bezüglich des Bestehen des Rechtsverhältnisses oder der Berechti___gung der fraglichen Wertung bestanden hatte. ___ Keine Geständnisfiktion tritt ein bei Behauptungen, die offenkundig unwahr sind.100 ___Auch ein ausdrücklich erklärtes Geständnis gemäß § 288 hätte in diesem Fall keine ___Rechtswirkungen. Allerdings bedarf es eines rechtlichen Hinweises an beide Parteien, ___wenn das Gericht einen unbestrittenen Vortrag für unwahr hält. Einsichtige Parteien ___werden ihr Vorbringen in diesem Fall noch einmal überdenken. Zuweilen wird sich her___ausstellen, dass der Vortrag nur missverständlich war oder zu Unrecht als offenkundig ___unrichtig oder bewusst unwahr angesehen wurde. Erkennt der Behauptende nachträg___lich, dass sein – zunächst gutgläubig erfolgter – Vortrag falsch war, muss er ihn korrigie___ren, auch wenn der Vortrag vom Gegner nicht bestritten worden ist. Andernfalls verletzt ___er seine Wahrheitspflicht. 101 Präklusionswirkungen (§§ 296 Abs. 2, 530, 531) können in___soweit schon deswegen nicht eintreten, weil der Gegner dem berichtigten Vortrag in der ___Regel nicht entgegentreten wird. Zudem kann auch bei Missachtung von Fristen nicht ___sehenden Auges ein Sachverhalt zugrunde gelegt werden, der erkannter Maßen falsch ___ist. ___ ___ VI. Die Erklärung mit Nichtwissen (Abs. 4) ___ ___ 1. Allgemeines. Die Erklärung mit Nichtwissen ist neben dem Bestreiten, dem die ___Geständnisfiktion auslösenden Schweigen (Abs. 3) und dem ausdrücklich erklärten Ge___ständnis eine weitere Möglichkeit der Erwiderung auf den gegnerischen Vortrag. Sie wird ___zum Teil als besondere Form des Bestreitens mit Nichtwissen bezeichnet,102 unterschei___det sich aber inhaltlich vom Bestreiten. Im Bestreiten liegt zugleich die Erklärung, dass ___die Behauptung falsch ist. Denn andernfalls müsste die Behauptung in Konsequenz der ___Wahrheitspflicht zugestanden bzw. es müsste hierauf geschwiegen werden. Die Erklä___rung mit Nichtwissen lässt hingegen offen, ob die Behauptung richtig ist. Die Wirkungen ___der zulässigen Erklärung mit Nichtwissen entsprechen dem Bestreiten. Bei Erheblichkeit ___der gegnerischen Behauptung muss über diese Beweis erhoben bzw. nach Beweislast ___entschieden werden. ___ § 138 Abs. 4 gilt nur für die Erwiderung auf eine gegnerische Behauptung und nicht ___für das eigene Vorbringen, soweit die Partei selbst die Darlegungslast trifft.103 ___ ___ 2. Eigene Handlung/Wahrnehmung der Partei. § 138 Abs. 4 gestattet die Erklä___rung mit Nichtwissen nur über solche Tatsachen, die weder eigene Handlungen der Par___tei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Diese Einschränkung ___folgt aus der Pflicht, wahrheitsgemäß vorzutragen. Eigene Handlungen oder Tatsachen, ___die Gegenstand ihrer Wahrnehmung waren, sind der Partei zwangsläufig bekannt. Also ___muss sie sich hierzu äußern. Insoweit darf sie sich nicht aus prozesstaktischen Gründen ___hinter ein pauschales Bestreiten zurückziehen. Allerdings schuldet die Partei nicht die ___objektive Wahrheit, sondern (nur) den Vortrag dessen, was sie zu dem Zeitpunkt, in dem ___sie ihre Erklärung abgibt, subjektiv für richtig hält (oben Rdn. 8). ___ ___ ___100 BGH NJW 1979, 2089 = MDR 1979, 1001. 101 MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 14; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 65 VIII 4. a.E. ___102 BGH NJW 1989, 161 = MDR 1988, 1040; MünchKomm/Wagner § 138 Rdn. 27; Ambs a.a.O.: Lange NJW ___1999, 3233 ff. ___103 BGH NJW 1989, 161, 162; Stein/Jonas/Leipold Rdn. 46.

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§ 138

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_____ 41 Unter Wahrheit im Sinne von § 138 Abs. 1 ist die subjektive Überzeugung von der _____Richtigkeit des Vortrags zu verstehen.104 Daher bedarf § 138 Abs. 4 einer einschränken_____den Auslegung. Erinnert sich die Partei nicht mehr an die eigene Handlung oder an das _____beobachtete Geschehen, ist ihr die Erklärung mit Nichtwissen ausnahmsweise gestat_____tet.105 Das gilt selbst dann, wenn das Wissen zu Beginn des Rechtsstreits vorhanden war, _____dann aber später verloren gegangen ist.106 Denn für die Frage, ob die Erklärung mit _____Nichtwissen zulässig ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt an, in dem sich die Partei _____tatsächlich zu erklären hat, nicht aber auf denjenigen, zu dem sie sich bereits hätte er_____klären können. In diesem Bereich gelten allerdings strenge Anforderungen für die Darle_____gungslast. § 138 Abs. 4 beruht auf der Erwägung, dass sich die erklärungsbelastete Partei _____nicht vorschnell oder leichtfertig ihrer Last entziehen darf.107 Die Partei, die sich auf feh_____lende Erinnerung beruft, muss daher nähere Umstände dartun, die das Fehlen wahr_____scheinlich machen (z.B. Alltagsvorgang, längerer Zeitablauf, Krankheit). Bestreitet der _____Gegner diese Umstände, muss sie die Partei, die sich auf eine fehlende Erinnerung be_____ruft, beweisen. Auf dieser Grundlage ist ihre Einlassung, sie habe keine Erinnerung _____mehr, frei zu würdigen. Auf eine fehlende Erinnerung kann sich die Partei insoweit nicht _____zurückziehen, als sie über Erkenntnisquellen verfügt, mit denen sie die Erinnerung wie_____der auffüllen kann. Hat sie Unterlagen über den Vorgang, muss sie diese auswerten und _____das Ergebnis ihrer Nachforschungen mitteilen.108 Der Vortrag hierzu ist Teil ihrer Sub_____stanziierungslast. Dasselbe gilt, wenn die Partei auf Auskunftspersonen zurückgreifen _____kann (Ehegatte, Mitarbeiter),109 die bei dem in Rede stehenden Vorgang dabei waren und _____die eventuell in der Lage sind, die Erinnerungslücke zu schließen.110 Der Vortragslast ist _____nur dann Genüge getan, wenn mitgeteilt wird, welche Nachforschungen insoweit ange_____stellt worden sind und was sie ergeben haben. _____ 42 Anknüpfungspunkt für die Frage, was eigene Handlung der Partei oder was Gegen_____stand ihrer eigenen Wahrnehmung war, ist zunächst die Behauptung des Gegners. Von _____Behauptungen, die das eigene Tun und die eigene Wahrnehmung betreffen, muss die Par_____tei nach der Vorstellung des Abs. 4 wissen, ob sie zutreffen oder nicht. Eigene Handlungen _____der Partei sind daher solche, die diese Partei nach der Behauptung des Gegners selbst _____vorgenommen haben soll. Will sie dieser Behauptung mit Erfolg entgegentreten, muss sie _____Umstände dartun, die ihre Wahrnehmung ausschließen. Für diese Umstände muss ein _____objektivierender Maßstab angelegt werden. Hat sich der Vorgang in der Sphäre der Par_____tei (eigener Geschäfts-, Tätigkeits- oder Lebensbereich) abgespielt, kann sie sich nicht _____auf die schlichte Behauptung zurückziehen, sie habe den Vorgang nicht wahrgenom_____men. Maßgeblich ist, ob sie die Möglichkeit zur Wahrnehmung hatte. Ebensowenig ent_____lastet bloßes Desinteresse an bestimmten Vorgängen oder die schlichte Behauptung, _____derartige Vorgänge habe die Partei grundsätzlich ihrem Ehegatten überlassen.111 Der In_____haber eines Handelsgeschäfts kann sich nicht mit dem Einwand entlasten, er habe sich _____um den Zustand einer Sache oder den Eingang eines Schriftstücks nicht gekümmert, _____obwohl diese Umstände in Anbetracht der Organisationsstruktur des Geschäfts in sei_____nem Wahrnehmungsbereich gelegen haben müssen. Der auf Schadensersatz gemäß _____§ 836 BGB in Anspruch genommene Eigentümer eines Hauses kann den Zustand seines _____ _____104 Olzen ZZP 98 (1985), 403, 407. _____105 BGH NJW 1995, 130, 131; BGH NJW-RR 2002, 612, 613; Zöller/Greger Rdn. 13. _____106 BAG NJW 2008, 1179 = NZA 2008, 246. _____107 Lange NJW 1990, 3233, 3234. 108 BGH NJW 1987, 1479 (Blick in die Krankenunterlagen). _____109 BGH NJW 1995, 130 = MDR 1995, 275. _____110 BGH NJW 1990, 453. _____111 Lange NJW 1990, 3233, 3235.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 138

___Hauses nicht mit Nichtwissen bestreiten, auch wenn er sich länger um sein Haus nicht ___gekümmert hat. Dies folgt aus der Verantwortung für die Sache.112 Die gleiche Erwägung ___kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zum Zuge. Maßgeblich ist ___insoweit der Einzelfall. Erforderlich ist daher eine gewisse Sachnähe. Diese fehlt z.B. bei ___einer auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Gemeinde, wenn sie sich bei der ___Verletzung der Streupflicht zum Zustand einer bestimmten Straßenfläche zum Unfall___zeitpunkt äußern soll. Sie kann mangels konkreter Kenntnis nur dazu vortragen, wie die ___allgemeinen Witterungsverhältnisse waren und wie sie den Streudienst organisiert hat. ___Andererseits wird sie sich nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen können, ___wenn es um eine dauerhaft vorhandene Gefahrenquelle geht (Schlagloch, fehlerhafte ___Ausschilderung). ___ ___ 3. Nichtwissen bei Handeln durch Dritte. Hat die Partei durch einen Dritten als 43 ___Vertreter gehandelt, stellt sich die Frage, ob ihr die Kenntnisse des Vertreters zugerech___net werden können. Insoweit muss differenziert werden. Organe juristischer Personen ___werden zwar allgemein als ihre gesetzlichen Vertreter bezeichnet. Die Zurechnung ihres ___Handelns ist aber nicht die eines Vertreters. Es geht um das Handeln der juristischen ___Person selbst. Für die Anwendung von § 138 Abs. 4 kommt es daher darauf an, ob die ___erforderlichen Kenntnisse bei den Organmitgliedern vorhanden sind. Bei mehreren Ge___schäftsführern reicht die Kenntnis eines einzelnen.113 Das Wissen eines ausgeschiedenen ___Organmitglieds (abberufener Geschäftsführer, früheres Vorstandsmitglied) kann der ___Partei dagegen nicht zugerechnet werden.114 Das Wissen ist ihr durch das Ausscheiden ___des Organmitglieds gleichsam verloren gegangen. Insoweit liegt eine ähnliche Situation ___vor wie beim Vergessen. Allein der Hinweis darauf, dass der Wissensträger inzwischen ___ausgeschieden oder verstorben sei, führt allerdings noch nicht zur Entlastung. Das „Wis___sen der juristischen Person“ beschränkt sich nicht auf die Kenntnis der jeweils handeln___den Organe. Ist davon auszugehen, dass die rechtserheblichen Vorgänge dokumentiert ___worden sind, müssen die entsprechenden Geschäftsunterlagen ausgewertet werden. ___Das, was sich hieraus ergibt, ist präsentes Wissen der Partei und damit als Gegenstand ___ihrer eigenen Wahrnehmung im Sinne von § 138 Abs. 4 zu behandeln. Mit einer pauscha___len Behauptung, die Auswertung der Unterlagen habe nichts ergeben, genügt die Partei ___ihrer Darlegungspflicht nicht. Es müssen nähere Umstände vorgetragen werden, welche ___konkreten Nachforschungen angestellt worden sind. Weiterhin kann sich die Partei nicht ___mit dem Hinweis entlasten, die allgemeinen Fristen für die Aufbewahrung derartiger ___Unterlagen seien inzwischen abgelaufen, daher könne der Vorgang nicht rekonstruiert ___werden.115 Erforderlich ist vielmehr, dass konkret vorgetragen wird, wie im Unternehmen ___mit solchen Unterlagen verfahren wird. Daneben kommt die Befragung der Mitarbeiter in ___Betracht, die seinerzeit mit dem Vorgang betraut waren. Insoweit trifft eine juristische ___Person dieselben Nachforschungspflichten wie jede andere Partei auch. ___ Hat die juristische Person nicht durch ein Organ, sondern durch einen nachgeordne- 44 ___ten Mitarbeiter gehandelt, ist ihr ein Bestreiten mit Nichtwissen grundsätzlich gestattet. ___Dabei ist es ohne Belang, ob dieser Mitarbeiter rechtgeschäftlich Vertretungsmacht hat___te. Denn die Kenntnisse eines rechtsgeschäftlichen Vertreters braucht sich die Partei ___ ___ ___ ___ 112 Lange a.a.O., 3236. ___113 Zum Fall des mit verklagten Gesellschafters einer GbR s. OLG Celle NJW-RR 1997, 290. ___114 BGHZ 109, 205 = NJW 1990, 101; BGH NJW 1995, 130, 131. ___115 BGH NJW 1995, 130, 131.

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§ 138

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____im Rahmen von § 138 Abs. 4 nicht zurechnen zu lassen.116 Eine Wissenszurechnung ent_____sprechend § 166 BGB findet insoweit nicht statt. Der § 166 BGB zugrunde liegende _____Rechtsgedanke, dass derjenige, der einen anderen mit der Erledigung seiner Angelegen_____heiten beauftragt, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen _____lassen muss,117 findet für § 138 Abs. 4 keine Anwendung.118 Die Partei ist allerdings zur _____Erkundigung beim Vertreter verpflichtet. Nach dem auch im Prozessrecht maßgeblichen _____Grundsatz von Treu und Glauben muss den Schwierigkeiten Rechnung getragen werden, _____die für eine darlegungs- und beweisbelastete Partei bestehen, wenn sie keine näheren _____Informationen über den rechtserheblichen Sachverhalt hat, während beim Gegner diese _____Informationen vorhanden sind oder er sich diese leicht verschaffen kann.119 Dieser für die _____Darlegung sogenannter negativer Tatsachen entwickelte Gedanke120 gilt auch für die _____Frage, welche Erkundigungspflichten die Partei treffen, die sich zu einer – notgedrungen _____– pauschal gehaltenen Behauptung des Gegners mit Nichtwissen erklären will. Kann sie _____sich die erforderlichen Informationen bei den Personen beschaffen, die für sie tätig ge_____worden sind, muss sie diese Informationsmöglichkeiten ausschöpfen. Dieselben Grund_____sätze wie beim Vertreter gelten auch bei sonstigen Dritten, die zwar am Geschehen selbst _____beteiligt waren, nicht aber Parteien des Rechtsstreits sind. Eine Wissenszurechnung fin_____det nicht statt. Daher kann sich z.B. ein Kfz-Versicherer im Haftpflichtprozess zum Un_____fallverlauf mit Nichtwissen erklären.121 Er muss allerdings für eine substanziierte Vertei_____digung das mitteilen, was ihm der Versicherte im Rahmen seiner Auskunftspflicht zum _____Unfallverlauf mitgeteilt hat. _____ 45 Was für Organe juristischer Personen gilt, gilt auch für gesetzliche Vertreter natür_____licher Personen. Geht es um eigene Handlungen des Vertreters oder um seine Wahr_____nehmungen, ist eine Erklärung mit Nichtwissen unzulässig. Mehrere gesetzliche Vertre_____ter einer Partei können sich nicht hintereinander verschanzen. Soll einer von ihnen eine _____Handlung vorgenommen oder eine Wahrnehmung gemacht haben, können die anderen _____nicht durch eine Erklärung mit Nichtwissen die Geständnisfiktion des Abs. 3 ausschlie_____ßen. Anders ist es aber, wenn der Vertreter nicht mehr am Verfahren beteiligt ist und der _____Prozess vom Vertretenen fortgeführt wird (z.B. Eintritt der Volljährigkeit beim Minder_____jährigen). Eine Wissenszurechnung kann hier wie beim rechtsgeschäftlich bestellten _____Vertreter nicht stattfinden. Allerdings besteht eine Erkundigungspflicht. Geht es um _____Handlungen der vertretenen Partei, ist der Vertreter wie die Partei zur Wahrheit ver_____pflichtet. Der Vertreter kann daher nicht mit Erfolg einwenden, ihm sei der rechtserheb_____liche Vorgang nicht bekannt. Führt der Betreuer kraft seiner Vertretungsmacht einen _____Prozess für den Betreuten (§ 1902), kommt es auf die Kenntnis des Betreuten an. _____ Bei der Prozessführung kraft Amtes (z.B. durch den Insolvenzverwalter – § 80 InsO,122 46 _____Zwangsverwalter – § 152 ZVG,123 Nachlassverwalter – §§ 1984 Abs. 1, 1985 Abs. 1 BGB, Tes_____tamentsvollstrecker – §§ 2212, 2213 Abs. 1 BGB)124 findet keine Vertretung statt. Der Ver_____walter ist selbst Partei. Er verwaltet das Vermögen anstelle des Rechtsträgers und führt _____den Prozess in eigener Verantwortung. Das Wissen des Rechtsträgers kann ihm dabei _____ _____ _____116 Überwiegende Auffassung: Stein/Jonas/Leipold Rdn. 48; Zöller/Greger Rdn. 15; a.A. Musielak/ Stadler Rdn. 17. _____117 BGHZ 83, 296; BGHZ 117, 106. _____118 Lange NJW 1990, 3233, 3235. _____119 BGH NJW 1989, 161 = MDR 1988, 1040. _____120 BGH NJW 1981, 577 = MDR 1981, 575; BGH NJW-RR 1993, 746, 747. 121 A.A. OLG Frankfurt NJW 1974, 1473; Stein/Jonas/Leipold § 138 Rdn. 48. _____122 BGHZ 127, 156. _____123 BGHZ 155, 43. _____124 BGH NJW-RR 1987, 1091.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 138

___nicht zugerechnet werden, so dass er sich mangels eigener Kenntnis auf ein Bestreiten ___mit Nichtwissen zurückziehen kann. Allerdings ist er verpflichtet, die ihm vorliegenden ___Unterlagen über das verwaltete Vermögen dahin auszuwerten, ob die gegnerische Be___hauptung zutrifft. Ferner muss er Erkundigungen beim Rechtsträger einholen. Insoweit ___gelten dieselben Grundsätze wie beim Handeln durch einen Vertreter. ___ Erkundigungspflichten bestehen für die Partei auch bei solchen Personen, die zwar 47 ___nicht als ihr Vertreter, wohl aber unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung ___gehandelt haben (Angestellte, Mitarbeiter, eventuell auch der Subunternehmer). Eine ___bloße Geschäftspartnerschaft zwischen zwei selbständigen Unternehmen reicht dagegen ___grundsätzlich nicht aus, um die für die Erkundigungspflicht nötige Nähe zu der Aus___kunftsperson zu begründen.125 Das Gleiche gilt für rechtlich selbständige Unternehmen ___in einem Konzern. Anders kann es aber sein, wen sich ein auf Gewährleistung in An___spruch genommener Bauträger zur Erfüllung seiner Herstellungspflicht eines Subunter___nehmers bedient hat. Bleibt die Erkundigung beim Subunternehmer ohne Ergebnis, muss ___die Partei dartun, was sie insoweit unternommen hat. Ist z.B. das nachgeordnete Unter___nehmen inzwischen insolvent geworden und nicht mehr geschäftlich tätig, wird die Klä___rung in der Regel auf Schwierigkeiten stoßen, so dass weitere Bemühungen nicht ver___langt werden können. Weiterhin ist die zur Nachforschung verpflichtete Partei entlastet, ___wenn ihr bei ihren Erkundigungen zwei verschiedene Versionen geliefert werden, deren ___Richtigkeit sie selbst nicht beurteilen kann. In diesem Fall genügt es, wenn sie das Er___gebnis ihrer Nachforschungen vorträgt und sich mit Nichtwissen dazu erklärt, welche ___Version zutreffend ist.126 Klagt eine Partei aus abgetretenem Recht, kann zwar ebenso wie ___beim rechtgeschäftlich bestellten Vertreter eine Wissenszurechnung nicht stattfinden. ___Der Zessionar ist aber zur Erkundigung beim Zedenten verpflichtet.127 Dasselbe gilt, wenn ___ein Anspruch im Wege der Prozessstandschaft geltend gemacht wird. ___ ___ 4. Das Bestreiten mangels Information. Bestreitet ein Anwalt gegnerische Tatsa- 48 ___chenbehauptungen, weil er noch keine Information von seinem Mandanten erhalten ___habe, ist dieses Bestreiten kein Bestreiten mit Nichtwissen, welches nach Abs. 4 zulässig ___sein könnte. Von der Gegenseite behauptete eigene Handlungen seiner Partei oder Tat___sachen, die Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sein sollen, kann der An___walt schon deshalb nicht mangels Information bestreiten, weil sich die Partei selbst ___nicht mit Nichtwissen erklären könnte. Entsprechendes gilt, wenn es zwar nicht um ei___gene Handlungen oder Wahrnehmungen der Partei, aber doch um Tatsachen geht, die ___die Partei selbst möglicherweise nicht bestreiten könnte, ohne ihre Wahrheitspflicht zu ___verletzen. In dieser Situation kann der Anwalt nur namens der Partei die Einlassung ___verweigern und um Vertagung bzw. Schriftsatznachlass bitten. Die Rücksicht auf die ___Wahrheitspflicht hindert den Anwalt hingegen nicht, solches überraschende Vorbringen ___sogleich zu bestreiten, zu dem zwar noch keine gezielte Information vorliegen kann, ___welches aber mit der bereits in anderen Zusammenhängen erteilten Information nicht zu ___vereinbaren ist oder von dem der Anwalt aus anderen Quellen weiß oder zu wissen ___meint, dass es nicht zutreffen kann. ___ ___ ___ ___ ___ 125 BGH NJW 1999, 53 = MDR 1999, 26. ___126 BGHZ 109, 205, 210 = NJW 1990, 453. ___127 OLG Düsseldorf MDR 2002, 1148 (wobei allerdings unklar bleibt, ob das OLG nicht sogar eine über ___die Erkundigungspflicht hinausgehende Wissenzurechnung befürwortet).

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§ 139

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 139 _____ Materielle Prozessleitung _____ § 139 Smid _____ (1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den _____Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu _____stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig _____über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu _____den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die _____sachdienlichen Anträge stellen. _____ (2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für un_____erheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung _____betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und _____Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichts_____punkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien. _____ (3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich _____der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen. _____ (4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und _____aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten be_____wiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung _____zulässig. _____ (5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis _____nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie _____die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann. _____ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren _____ Schrifttum _____ Bettermann Hundert Jahre Zivilprozeßordnung, ZZP 91 (1978) 378; Bischof Der Zivilprozeß nach der _____Vereinfachungsnovelle, 1980; Bischof Streitfragen der Vereinfachungsnovelle, NJW 1977, 1897; Borck § 139 _____ZPO: Alter Wein in neue Schläuche?, WRP 2005, 1139; Brehm Die Bindung des Richters an den Parteivor_____trag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; Danelzik § 139 ZPO – Die „Magna Charta“ des Zi_____vilprozesses, WRP 1999, 18; Dauster Eckpunkte einer Justizreform, ZRP 2000, 338; Deubner Gedanken zur _____richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht, FS Schiedermair (1976) 79; Egli Vergleichsdruck im Zivil_____prozeß: eine rechtstatsächliche Untersuchung, 1996; Fellner Richterliche Hinweispflichten – Die Bedeu_____tung des § 139 ZPO für die erste und zweite Instanz, MDR 2004, 728; Gehrlein Keine Ersetzung eines Ge_____richtsgutachtens durch Privatgutachten, VersR 2003, 574; Greger Justizreform? Ja, aber …, JZ 2000, 842; Gruber/Kießling Die Vorlagepflichten der §§ 142 ff. ZPO nach der Reform 2002, ZZP 116 (2003) 305; Grunsky _____ Die Straffung des Verfahren durch die Vereinfachungsnovelle, JZ 1977, 201; Helbig Das Verbot von Überra_____schungsentscheidungen nach § 278 III ZPO, 1979; Henckel Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, 125 ff.; _____Laumen Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, 1984; Loos Probleme des neuen Adhäsionsverfahrens, GA _____2006, 195; Neuhaus Richterliche Hinweis- und Aufklärungspflichten der alten und neuen ZPO, MDR 2002, _____438; Pawlowski/Smid Freiwillige Gerichtsbarkeit, 1993; Peters Richterliche Hinweispflichten und Beweis_____initiativen im Zivilprozeß, 1983; Peters Wachsende Bedeutung der richterlichen Hinweispflicht, in: FS Beys _____Bd. 2, Athen (2003) 1243 ff.; Piekenbrock Umfang und Bedeutung der richterlichen Hinweispflicht, NJW _____1999, 1360; Prütting Die materielle Prozessleitung, FS Musielak, 2004, 397; Putzo Die Vereinfachungsno_____velle, NJW 1977, 1; Redeker Mündliche Verhandlung – Sinn und Wirklichkeit, NJW 2002, 192; Reischl Der _____Umfang der richterlichen Instruktionstätigkeit – ein Beitrag zu § 139 Abs. 1 ZPO, ZZP Bd. 116 (2003) 81; Rensen Die richterliche Hinweispflicht, 2002; Rensen Richterliche Hinweispflicht – Neutralitätspflicht und _____ anwaltliche Vertretung als Grenzen, MDR 2002, 1175; Rensen Richterliche Hinweispflicht – Streichung der _____Dokumentationspflicht und der obligatorischen Schriftsatzpflicht?, MDR 2003, 483; Rensen Richterlicher _____Hinweis auf Verjährung als Ablehnungsgrund?, MDR 2004, 489; Rensen Gegnerische Rügen im Anwalts_____prozess, MDR 2006, 366; Schaefer Was ist denn neu an der neuen Hinweispflicht?, NJW 2002, 849; Röttgen _____Beschleunigte Justiz, ZRP 2003, 345; Schnauder Berufung und Beschwerde nach dem Zivilprozessreform_____gesetz, JuS 2002, 68; Seelig Die prozessuale Behandlung materiellrechtlicher Einreden – heute und einst, Smid

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 139

____1980; Selbherr Die Reform der ZPO – eine Wirkungskontrolle der Verfahrensneuerungen in der ersten ____Instanz, NJW 2004, Beil. zu Heft 27/04, 5; Smid Rechtsprechung. Zur Unterscheidung von Rechtsfürsorge ____und Prozeß, 1990; Smid Richterliche Rechtserkenntnis, 1989; Spohr Die richterliche Aufklärungspflicht ____(§ 139) im Zivilprozeß, 1969; Spickhoff Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1998; Stein ____Das private Wissen des Richters, 1893; Sticken Die „neue“ materielle Prozessleitung (§ 139 ZPO) und die Unparteilichkeit des Gerichts, 2005; Stöber Neues Berufungsvorbringen nach erstinstanzlicher Verletzung ____der richterlichen Hinweispflicht, NJW 2005, 3601; Stürner Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, 1982; ____Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivilprozeß: Anwaltszwang, Anwaltsverschulden, Anwaltsfunk____tion, 1984; Weber Aktuelle Prozeßrechtsreformen in England, ZZPInt 5 (2000) 579; Ziegler Leitlinien im ____Arzthaftungsrecht, VersR 2003, 545; Zuck Wann verletzt ein Verstoß gegen ZPO-Vorschriften zugleich den ____Grundsatz rechtlichen Gehörs?, NJW 2005, 3753. ____ ____ Übersicht ____ V. Grenzen der Befangenheit aufgrund WahrI. Normzweck ____ nehmung materieller Prozessleitung 1. Gewährleistung von Verfahrens____ 1. Grundsatz: Gesetzlich gebotene und dafairness und Waffengleichheit der ____ her erlaubte Prozessleitung begründet Parteien ____ 1 ____ 2. Entwicklung der Vorschrift ____ 5 keine Befangenheit des Richters ____ 60 ____II. Stellung des § 139 im Regelungsgefüge des 2. Verdacht der Befangenheit wegen der ____ Zivilprozessrechts Art und Weise der materiellen Prozess1. Materielle Prozessleitung im Spannungsleitung ____ 67 ____ ____ 8 feld der Prozessmaximen VI. Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses ____ 2. Materielle Prozessleitung und Streitentmit den Parteien, Abs. 1 Satz 1 ____ scheidung durch den Richter als unpar1. Gegenstand und Umfang ____ 69 ____ ____ teiischen Dritten 12 2. Schlichtungsaufgaben des Gerichts als ____ 3. Materielle Prozessleitung als Mittel der Maßstab der Erforderlichkeit der Erörte____ Durchsetzung „richtigen“ oder zwinrung ____ 77 ____ genden Rechts? ____ 16 VII. Übersicht über die richterliche materiellen ____ 4. Materielle Prozessleitung und Prozessleitung nach Abs. 1 Satz 2 ____ Distanz des Gerichts vom Streit1. Fragen und Hinweise als Instru____ verhältnis ____ 17 mente ____ 82 5. Materielle Prozessleitung und die 2. Aktenlektüre, Fragen und Hinweise ____ „Verhandlung“ mit den Parnicht ins Blaue hinein ____ 85 ____ ____ 21 teien 3. Die Zweckgebundenheit der Rechte und ____ 6. Folgen des Verstoßes gegen § 139 ____ 25 Pflichten aus § 139 ____ 86 ____ 7. Verfassungsrechtliche Bedeutung der 4. Aufgabe des Gerichts nach Abs. 1 ____ materiellen Prozessleitung ____ 26 Satz 2 ____ 89 ____ 8. Kein Ermessen wegen „ob“ und 5. Anlass für das Tätigwerden des Gerichts ____ „wie“der materiellen Prozessleinach Abs. 1 Satz 2 ____ 95 ____ tung ____ 29 VIII. Erklärung über Tatsachen, Abs. 1 Satz 2 ____III. Verfahren, in denen § 139 greift 1. Übersicht ____ 99 ____ 1. Anwaltsprozesse ____ 31 2. „Rechtzeitige“ Erklärung über Tatsachen 2. Vorbereitung der mündlichen Verhandund Erforderlichkeit des Hinwei____ lung, schriftliches Verfahren ____ 42 ses ____ 101 ____ ____ 3. Gütetermin 45 3. Die Vollständigkeit der Erklärun____ 4. § 139 gilt instanzübergreifend ____ 46 gen ____ 103 ____ ____ 5. Besondere Verfahrensarten 48 4. Vervollständigungsbedürftige Erklärun____ IV. Das Gericht als Adressat des § 139 gen ____ 106 ____ 1. Aufgabe und Befugnisse des Vorsitzen5. Erklärungsgegenstand: „Alle erheb____ den ____ 51 lichen Tatsachen“ ____ 108 ____ 2. Aufgabe und Befugnisse der Bei6. Die Erklärungen der Parteien ____ 115 ____ sitzer ____ 55 7. Einzelne Fallgestaltungen ____ 118 ____ 3. Zuständigkeit des Rechtspflegers und 8. Grenzen der Befugnisse des des Grundbuchamtes ____ 59 Gerichts ____ 122 ____ 113

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2. Keine Rechtsbehelfe der Partei innerhalb _____IX. Streitige Tatsachen, Beweis und Beweisder Instanz ____ 193 _____ anträge XIII. Verbot von Überraschungsentscheidungen, _____ 1. Zusammenhang von Tatsachenbehauptungen und Beweisantritt ____ 126 Abs. 2 _____ 2. Gerichtliche Hinweise auf die Beweisbe1. Funktion der Vorschrift ____ 195 _____ dürftigkeit und die Beweislast ____ 128 2. Geltung in jeder Phase des Verfah_____ 3. Gerichtliche Hinweise und §§ 286, rens ____ 200 _____ 3. Rechtliche und tatsächliche hinweis287 ____ 135 _____ 4. Berufungsinstanz ____ 138 bedürftige „Gesichtspunkte“ ____ 201 _____ 5. Prozesskostenhilfeverfahren ____ 143 4. Entscheidungserheblichkeit ____ 206 _____X. Förderung sachdienlicher Anträge, Abs. 1 5. Keine Nebenforderung ____ 211 6. Anlass der Hinweispflicht nach _____ Satz 2 ____ 146 Abs. 2 ____ 214 _____ 1. Probleme 2. Grenzen der Befugnisse des Gerichts 7. Gelegenheit der Partei zur Stellung_____ apriori ____ 147 nahme ____ 220 _____ Stellen der sachdienlichen AnträXIV. Hinweis wegen von Amts wegen zu beach_____ 3. Das____ ge tender Punkte gemäß Abs. 3 150 _____ 4. Sachdienlichkeit ____ 157 1. Reichweite ____ 222 _____ 5. Streitfragen ____ 162 2. Grenzen ____ 224 _____ 6. Ergänzungsbedürftige Anträge ____ 171 XV. Regelungsgehalt des Abs. 4 Satz 1 _____ 7. Änderungsbedürftige Anträge ____ 172 1. Frühzeitigkeit der zu erteilenden Hin_____ 8. Ergänzende Anträge ____ 176 weise ____ 226 ____ 179 2. Dokumentationspflicht ____ 227 _____ 9. Weitere Fallgestaltungen 3. Kritik ____ 229 _____XI. Hinweise auf Einwendungen oder Einreden bei Anhalts4. Beweis des Erfolgtseins des Hin_____ 1. Richterliche Hinweise nur____ punkten im Parteivortrag 183 weises ____ 230 _____ ____ XVI. Nachfrist zur schriftsätzlichen Erklärung, _____ 2. Weite Auslegung ____184 3. Güteverhandlung 187 Abs. 5 _____ 4. Überraschungsentscheidung ____ 188 1. Regelungsgehalt ____ 231 _____XII. Wiedereröffnung der Verhandlung 2. Zeitpunkt im Verfahren ____ 233 _____ 1. Reaktionsmöglichkeit auf eine vom 3. Hinweis wegen Antrag auf Nachfristset_____ Gericht festgestellte eigene Pflichtzung ____ 234 ____ _____ verletzung 189 _____ _____ I. Normzweck _____ _____ 1. Gewährleistung von Verfahrensfairness und Waffengleichheit der Parteien _____ 1 a) „Magna Charta“ des Zivilprozesses. Die Regelungen des § 139 nehmen eine _____ _____zentrale Stellung im geltenden Zivilprozessrecht ein. In ihnen erscheint „das Gericht“ _____nicht nur als Dritter, von dem schließlich der Rechtsstreit entschieden wird, sondern im _____Prozess als aktiv auf die Erklärungen, ja die Prozesshandlungen der Parteien einwirken_____de Autorität.1 Das Gericht ordnet nicht allein den äußeren Ablauf des Prozesses, sondern _____nimmt mittelbar auf die Voraussetzungen der Entscheidung in der Sache Einfluss. Grund _____und Grenzen der Befugnisse des Richters werden durch die Reichweite seiner materiellen _____Prozessleitung bestimmt. Schon von der Vorschrift des § 139 a.F. wurde daher gesagt, sie _____sei „die Magna Charta des Zivilprozesses“2 und „eine der wichtigsten und auch schwie_____rigsten Vorschriften der ZPO“.3 _____ _____ 1 Rechtsvergleichend Weber ZZPInt 5 (2000), 579 ff. _____2 Baumbach/Lauterbach-Hartmann 59. Aufl. 2001, Rdn. 1; Danelzik WRP 1999, 18 ff. _____3 Baumbach/Lauterbach-Hartmann, 59. Aufl. 2001, Rdn. 1; vgl. auch Borck WRP 2005, 1139 und Neuhaus _____MDR 2002, 438 ff.

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§ 139

____ b) Von der Hilfestellung für postulationsbefugte Parteien zur materiellen Pro- 2 ____zessleitung. Ursprünglich diente die Vorschrift im amtsgerichtlichen Verfahren (§ 464 ____CPO) dazu, den – nicht zwingend anwaltlich vertretenen – rechtsunkundigen Parteien4 ____durch das Gericht („den Vorsitzenden“) Hilfestellung nicht allein beim Vorbringen der ____entscheidungserheblichen Tatsachen zu bieten, sondern auch die Stellung solcher An____träge zu fördern, die den Rechtsstreit einer rechtlich sinnvollen (strukturierten) Ent____scheidung zugänglich machten.5 Da die Parteien im Amtsgerichtsprozess postulations____befugt sind (§ 78), sah der Gesetzgeber der CPO die besondere Notwendigkeit, die ____ordentliche Prozessführung durch die Tätigkeit des Richters zu unterstützen. Dem Par____teivorbringen sollte „die rechte Form“ gegeben werden.6 Vor diesem Hintergrund ist es ____nachvollziehbar, dass die Hilfestellung für die Parteien und die Herstellung der Waf____fengleichheit als Funktionen der richterlichen Hinweispflicht, wie man die materielle ____Prozessleitung bislang nannte, bezeichnet wurden.7 Obwohl die materielle Prozesslei____tung des Gerichts im amtsgerichtlichen Verfahren früher als Sonderfall8 angesehen wur____de, der die allgemeine Hinweispflicht des Gerichts begrenze9 und daher restriktiv auszu____legen sei,10 war doch die materielle Prozessleitung seit ihrem Auftreten in der CPO mit ____den systematischen Grundlagen des Zivilprozesses vereinbar. Mit der Reform 192411 wur____de dieser Gedanke mit § 139 für den Zivilprozess verallgemeinert. Damit wurde der Ge____danke der „Hilfestellung“ zwar nicht vollständig aus der Welt geschaffen, nahm aber ____eine weiterreichende Bedeutung als in der bis dahin isoliert – bezogen auf den Amtsge____richtsprozess – definierten Stellung an: § 139 lässt erkennen, dass es im Zivilprozess um ____ein Rechtsgespräch zwischen Parteien und Gericht geht, in dessen Verlauf die Parteien ____nicht allein die Herrschaft über den Prozessstoff haben (Verhandlungsmaxime),12 son____dern das Gericht den Parteien in einem Gespräch über die rechtliche Bedeutung der Art ____des Tatsachenvortrages der Parteien den Gang seiner rechtlichen Erwägungen offenlegt. ____Dies erlaubt es den Parteien, sich rechtlich-rational im Prozess zu verhalten.13 Denn sie ____können ihr Vorbringen, namentlich ihren Tatsachenvortrag, in einer Weise strukturie____ren, dass sie damit auf die Rechtsmeinung des Gerichts reagieren können. ____ Die Vorschrift statuiert Pflichten des Gerichts unabhängig von dem Verhalten der 3 ____Parteien. Für die Prozessleitung durch das Gericht – namentlich Hinweise zum Tatsa____chenvortrag und zum Stellen sachdienlicher Anträge – kommt es insbesondere nicht ____darauf an, ob die Parteien einen „richtigen“ Vortrag schuldhaft versäumt haben.14 Das ____Gericht fällt das Urteil zwar aufgrund seiner hoheitlichen Gewalt, aber nicht ohne die ____Parteien: Das richtige Urteil beruht auf dem Rechtsgespräch, das Parteien und Gericht ____erschöpfend geführt haben. Da das Urteil den Anträgen der Parteien folgt (§ 308 Abs. 1 ____Satz 1) hat das Rechtsgespräch gemäß Abs. 1 Satz 2 den Zweck, die Parteien zur Stellung ____entscheidbarer Anträge zu veranlassen; das aber drückt nur aus, dass die Erörterung der ____Sach- und Rechtslage das Gericht überhaupt erst zum richterlichen Kognitionsakt im ____ ____ ____ ____4 MünchKomm-Peters Rdn. 3. ____5 MünchKomm-Peters Rdn. 2. 6 Hahn S. 215 f. ____7 OLG Schleswig NJW 1983, 34; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Musielak/Stadler Rdn. 1. ____8 Wilmowsky/Levy CPO, 5. Aufl. 1889, § 130 Anm. 3. ____9 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 14 ff. ____10 Wilmowsky/Levy CPO, 5. Aufl. 1889, § 464 Anm. 2. 11 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 42 ff. ____12 Reischl ZZP 116 (2003), 87 ff. ____13 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 110. ____14 MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 26.

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_____Urteil befähigt. Abs. 1 Satz 1 hebt als zentrale Aufgabe des Gerichts hervor, dass es das _____den Prozess konstituierende Rechtsgespräch zu führen hat15 (unten Rdn. 10). _____ Da mit der richterlichen Hinweispflicht eine entsprechende Befugnis korrespondiert, 4 _____bedarf sie nicht allein einer genauen Konturierung, sondern einer strikten Auslegung. _____Leipold16 weist im Anschluss an den BGH17 zutreffend darauf hin, dass bei einer weiten _____Auslegung der richterlichen Pflicht zum Hinweis auf sachdienliche Anträge dem Gericht _____die Entscheidung über Maßstäbe an die Hand gegeben würden, nach denen zu beurtei_____len ist, ob sich sein Handeln im Rahmen des prozessual Gebotenen bewegt oder den _____Verdacht der Befangenheit begründet. _____ _____ 2. Entwicklung der Vorschrift. Bis zur Einführung amtlicher Überschriften mit der 5 _____Reform 2002 wurde die Vorschrift unter der Überschrift einer richterlichen Hinweis_____pflicht geführt.18 Dies ist in jeder Hinsicht überzeugend, da es den Kern der Regelung _____trifft. Auch die Neufassung der Vorschrift lässt aber erkennen, dass die in ihr geregelten _____Aufgaben des Gerichts über das Erteilen von Hinweisen hinausgeht, die nur einen Be_____reich des umfassenden Rechtsgesprächs bilden, das mit den Parteien zu führen ist. Mate_____rielle Prozessleitung ist die sich aus § 139 ergebende Regelung. „Materiell“ ist hier nicht _____als Gegensatz zu „formell“ und zu „Prozessrecht“ zu verstehen, sondern ein Unterfall _____innerhalb der Prozessleitung, bezeichnet nämlich das, was in § 140 „Sachleitung“ ge_____nannt wird.19 Die Einführung des Titels „Materielle Prozessleitung“ bezeichnet daher die _____Summe der Verrichtungen des Gerichts, mit denen es auf die Behandlung des Rechts_____streits in der Sache durch die Parteien hinwirkt. _____ Die Erstreckung der richterlichen Hinweispflicht auf das gesamte erstinstanzliche 6 _____und rechtsmittelgerichtliche Verfahren (unten Rdn. 45) hatte in der Vergangenheit dazu _____geführt, dass in den Regelungen über das Verfahren vor den Landgerichten Angelegen_____heiten normiert wurden, die sachlich in den Zusammenhang des § 139 gehören: So hatte _____nach § 273 Abs. 1 Satz 2 a.F. das Gericht – nicht der Vorsitzende – „in jeder Lage des Ver_____fahrens“ – und also auch schon vor der mündlichen Verhandlung, nämlich zu deren _____Vorbereitung – „darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig _____erklären“. Nach § 273 Abs. 2 Nr. 1 a.F. „kann der Vorsitzende oder ein von ihm bestimm_____tes Mitglied des Prozessgerichts insbesondere den Parteien die Ergänzung oder Erläute_____rung ihrer vorbereitenden Schriftsätze … aufgeben, insbesondere eine Frist zur Erklä_____rung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte setzen“. Diese Vorschrift ist durch die _____Neufassung des § 139 entbehrlich geworden. Weiter sah § 278 vor, dass das Gericht seine _____Entscheidung „auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar überse_____hen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen durfte, wenn es Gelegenheit zur Äu_____ßerung dazu gegeben hat“. Diese durch die sog. Vereinfachungsnovelle 1976 eingefügte _____Vorschrift war bereits früh als systematisch verfehlt kritisiert worden,20 da sie sachlich in _____den Regelungszusammenhang des Abs. 1 gehörte. Auch sie ist nunmehr mit gutem _____Grund durch Abs. 2 in der Neufassung ersetzt worden. _____ Durch die Einleitung des Abs. 1 mit dem in Satz 1 formulierten Gebot eines Rechtsge7 _____sprächs mit den Parteien wird dessen konstitutive Bedeutung für den Prozess hervorge_____ _____ _____ _____15 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. _____16 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 55. 17 BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164, 165. _____18 Schaefer NJW 2002, 849 ff. _____19 Stein/Jonas-Leipold vor § 128 Rdn. 190. _____20 MünchKomm-Peters Rdn. 1.

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____hoben.21 Damit ändert sich zwar nicht gegenüber der früheren Fassung des Gesetzes „die ____Rechtslage“; im Gegenteil bestärkt der Gesetzgeber, was immer schon den Prozess aus____gemacht hat. Die Änderung der Reihenfolge hat damit eher eine „symbolische“ Bedeu____tung, die aber aus Gründen systematischer Stringenz zu begrüßen ist. Da diese Vorschrift ____zu Gunsten der Neufassung abgeändert worden ist, ist daraus der Schluss zu ziehen, ____dass es dem Gesetzgeber darum ging, eine auch praktisch bedeutsame Änderung des ____geltenden Rechts herbeizuführen. ____ ____ II. Stellung des § 139 im Regelungsgefüge des Zivilprozessrechts ____ ____ 1. Materielle Prozessleitung im Spannungsfeld der Prozessmaximen ____ ____ a) Relativierung der Grundstrukturen des Zivilprozessrechts? Es besteht freilich 8 ____bei vielen Autoren, die sich der näheren Bestimmung der Reichweite der richterlichen ____Hinweispflicht gemäß § 139 gewidmet haben, Einigkeit darüber, dass die Verhand____lungsmaxime durch die richterliche materielle Prozessleitung nicht berührt werde;22 z.T. ____wird allerdings bemerkt, die Prozessmaximen seien zu relativieren. Denn die Aufgaben ____des Gerichts, im Rahmen der materiellen Prozessleitung die Parteien zur vollständigen ____Erklärung zu veranlassen, hat vielfach23 Unsicherheiten hervorgerufen, wie dies mit den ____Prozessmaximen zu vereinbaren sei, nach denen der Zivilprozess strukturiert wird. Die ____richterlichen Hinweispflichten scheinen vor diesem Hintergrund den „geltenden“ Pro____zessmaximen zuwiderzulaufen. Dies scheint es zu gebieten, den Anwendungsbereich ____des § 139 restriktiv zu bestimmen – was umgekehrt jede legislatorische „Stärkung“ der ____Rolle des Gerichts (sei sie vermeintlich oder effektiv) als rechtsideologische Abkehr von ____dem „bisherigen“ Bild des von Dispositions- und Verhandlungsmaxime geprägten Pro____zesses erscheinen lässt. In der Diskussion wird gegen solche Frontstellungen angeführt, ____der deutsche Zivilprozess sei nicht von einem Maximenpurismus gekennzeichnet,24 was ____einen flexiblen Umgang rechtfertigen soll. Dieser Widerstreit von Grundsätzen ist an sich ____nicht aufzulösen; er erweist sich zudem als wenig sachgerecht. ____ ____ b) Parteidisposition über die Reichweite richterlicher Entscheidungsbefugnis. 9 ____Die Parteien bestimmen durch ihre Herrschaft über den Prozess. Sie definieren den Um____fang der richterlichen Entscheidungspflicht. Da sie dies im Allgemeinen nicht durch Ver____einbarungen darüber tun können, wie der Richter das geltende Recht anzuwenden habe, ____vollzieht sich ihre Disposition über die Verfügung über den Bestand des Prozessrechts____verhältnisses sowie über ihren Tatsachenvortrag, was von der Dispositions- auf die Ver____handlungsmaxime verweist, um im Bild der Prozessmaximen zu bleiben. Mit diesem ____Fragenkreis der Herrschaft über den Prozess, wie er in der Unterscheidung von Disposi____tions- und Offizialmaxime angesprochen ist, hängt weiter der der Herrschaft über den ____Prozessstoff zusammen, womit auf den Verhandlungs- bzw. den Untersuchungsgrund____satz verwiesen wird. Grundsätzlich ist es Sache der Parteien, ob sie bestimmte Sachver____halte vor Gericht ausbreiten wollen – und diese damit publik werden lassen, was den ____Parteien oftmals unliebsam sein wird. Die Parteien können bestimmte Teilfragen in ei____nem anhängigen Prozess unstreitig stellen, Geständnisse ablegen usf. und so Tatsachen____fragen der Beurteilung durch das Gericht entziehen. ____ ____ 21 Selbherr NJW 2004, Beil. 27/04, 5 f. ____22 Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. ____23 Vgl. MünchKomm-Peters Rdn. 8. ____24 MünchKomm-Peters Rdn. 9.

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_____ 10 Diese Vorüberlegungen machen deutlich, dass § 139 nichts daran ändert, dass der _____Kläger darüber zu entscheiden hat, ob er ein ihm zustehendes Recht im Prozess ausüben _____will.25 Nach § 253 ist der Kläger verpflichtet, seinem prozessualen Begehren eine Form zu _____verleihen, über die das Gericht entscheiden kann. Im Kontext der Leistungsklagen orien_____tiert sich diese Form regelmäßig an der Art und Weise, wie der auszusprechende Titel _____vollstreckt wird. Trifft daher der Kläger bei der Formulierung seines Prozesszieles auf _____eine vom Gericht entscheidbare Form hin bereits bei Leistungsklagen auf Schwierigkei_____ten, können diese sich nach der materiellen Gestaltung des Begehrens weiter komplizie_____ren, wenn der Kläger statt Leistung z.B. Freistellung von einer Inanspruchnahme u.a. _____verlangt oder wenn seinem Leistungsbegehren ein Feststellungsantrag gemäß § 256 vor_____gelagert ist, für den ebenfalls gilt, dass das festzustellende Rechtsverhältnis in einer _____Weise zu bestimmen ist, aufgrund derer die begehrte Feststellung vom Gericht getroffen _____werden kann. Ob der Antrag im Sinne einer Entscheidbarkeit durch gerichtliches Urteil _____richtig ist, also dem Prozessziel des Klägers die richtige Form verleiht, aufgrund derer _____das angestrebte Urteil erlassen werden kann, kann bereits bei Klageeinlegung zweifel_____haft sein. Denn dies verweist auf Rechtsfragen, die sowohl von den Parteien als auch _____vom Gericht auf jeweils andere Art und Weise gesehen werden können. Im Schrifttum26 _____ist daher zum Teil davon die Rede, das Gesetz verlange mit dem Bestimmtheitserforder_____nis des § 253 mehr von dem Kläger, als ihm häufig „zugemutet werden“ könne. Dies aber _____trifft nicht die eigentliche prozessuale Frage. Geht man von Zumutbarkeiten aus, ist da_____bei noch das Bild der die Partei in Person im Amtsgerichtsprozess lenkenden Gestalt des _____Amtsrichters angesprochen. § 139 korrigiert aber nicht Zumutbarkeiten eines „an sich“ _____bestehenden Systems prozessualer Anforderungen, sondern das gemeinsam von Gericht, _____Kläger und Beklagtem im Prozess verfolgte Ziel ist es, das zwischen den Parteien streitige _____Recht durch ein endgültiges Urteil zu erkennen; ebenso wie das Bestimmtheitsgebot des _____§ 253 der Entscheidbarkeit des Rechtsstreits dient, kann das Urteil doch allein auf einem _____Rechtsgespräch der Parteien beruhen, das sie miteinander und mit dem Gericht führen. _____Dieses Rechtsgespräch aber dient dazu, herauszuarbeiten, welches die materiell rechtli_____che Fragestellung ist, die dem Rechtsstreit unterlegt ist. Hiervon, nämlich vom materiel_____len Recht, ist es abhängig, in welcher Form das Urteil gefällt wird. Bei seinem Urteil aber _____ist das Gericht nach § 308 Abs. 1 an den Antrag der Parteien gebunden, so dass das _____Rechtsgespräch zwischen Gericht und Parteien im Wesentlichen auch darüber geführt _____wird, in welcher Gestalt dieser Antrag zu fassen sei. Anders als im römischen Prozess, in _____dem der Prätor darüber befand, welche Rechtsfolgen das Gericht aus einem bestimmten _____Sachverhalt herleiten werde, kennt der moderne Zivilprozess kein Verfahren der Zulas_____sung bestimmter Klagformeln. Henckel27 weist zutreffend darauf hin, dass die Funktion _____des römischen Prätors weder den Parteien noch ihrem Anwalt überantwortet ist. Die prä_____toriale Funktion der Zulassung eines bestimmten Antrages ist aber auch dem Gericht _____nicht ausschließlich zugewiesen. Denn dem Gericht ist regelmäßig zu dem Zeitpunkt, zu _____dem die Klage bei ihm eingelangt ist, der Sach- und Streitstand noch nicht in der Weise _____verfügbar, dass es abschließend die richtige Klageform – den richtigen Klagantrag – zu _____beurteilen im Stande wäre. Um dies zu beurteilen, muss es mit den Parteien bzw. den _____Prozessbevollmächtigten verhandeln. Dies wird durch einen ergänzenden Gedanken_____gang deutlicher: Das Gericht, das den falschen, nämlich in diesem Rechtstreit nicht ent_____scheidbaren Antrag ohne weitere Umstände zurückwiese, würde damit nicht allein eine _____von beiden Parteien nicht erwartbare Überraschungsentscheidung fällen, die das Gesetz _____ _____25 So überzeugend Henckel S. 130. _____26 Henckel S. 130. _____27 Henckel S. 131.

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____nunmehr ausdrücklich verbietet. Vielmehr würde, wäre ein solches Verfahren zulässig, ____das Bestimmtheitserfordernis des § 253 entweder die Prozessführung des Klägers über____haupt zu einem unkalkulierbaren Risiko machen – da er sich nicht auf die Entscheidung ____eines Prätors stützen kann. Oder, wie Henckel28 bemerkt, müssen unzulässige Anträge ____entgegen § 253 zugelassen werden. ____ Nach zutreffender Ansicht gestattet § 139 auch in der neuen Fassung aus dem Jahr ____2002 nicht, dass vom Gericht der Partei die Entscheidung darüber angenommen wird, ____welche Rechte die Partei im Prozess verfolgen will. Denn bei der Rechtsverfolgung im ____Prozess handelt es sich um die Ausübung des subjektiven Privatrechts. Diese besteht ____allein in der Disposition der Partei.29 Das Risiko, dass die Partei ihr Prozessziel mit un____tauglichen verfahrensrechtlichen Mitteln verfolgt, ist aber zu mindern, da es Ziel der ge____meinsamen Verhandlung von Gericht und Parteien ist, das Risiko der falschen rechtli____chen Würdigung zu reduzieren. Das Bestimmtheitserfordernis des § 253, das Gebot einer ____gütlichen Streitbeilegung und die materielle Prozessleitung bilden also Gravitations____punkte eines Dreiecks, innerhalb dessen die gemeinsame Förderung des Prozessziels ____durch Gericht und Parteien stattfindet. ____ ____ 2. Materielle Prozessleitung und Streitentscheidung durch den Richter als ____ unparteiischen Dritten ____ ____ a) Keine „Ermächtigung“ zu eigener Prozessherrschaft des Richters. Solange ____noch davon ausgegangen wurde, dass die Parteien vermittels der Verhandlungsmaxime ____Herren der Tatsachengrundlage des richterlichen Urteils sind, stand der Richter „über“, ____jedenfalls aber außerhalb des Bereichs des von den Parteien allein verantworteten Sach____vortrages. Dies ist nicht allein mit der Entwicklung von Forderungen nach einem „sozia____len“ Zivilprozess zweifelhaft geworden. ____ ____ b) Keine Verlagerung von Parteirollen auf den Richter. Durch die materielle Pro____zessleitung übernimmt der Richter keine Aufgaben, die der Parteirolle zugewiesen sind, ____da diese den Verhandlungsgrundsatz nicht berührt (hierzu oben Rdn. 8). Auch wird er ____nicht zum Zeugen oder Sachverständigen auf der Richterbank (Arg. § 41 Nr. 5 ZPO). Kon____fliktlagen können sich auch zwischen § 139 und § 244 II StPO im Adhäsionsverfahren ____ergeben.30 ____ ____ c) § 139 lässt den Beibringungsgrundsatz unberührt. Auf dem Gebiet der Tatsa____chenfeststellung wird die Grenze der richterlichen Frage- oder Hinweispflicht durch ____den Beibringungsgrundsatz gezogen. Tatsachen, die von keiner Partei behauptet wor____den sind, darf das Gericht nicht von sich aus in den Prozess einführen.31 Dies gilt zunächst ____für solche Tatsachen, die dem Gericht aufgrund eigener Wahrnehmungen bekannt ge____worden sind. Das folgt bereits aus dem für den Zivilprozess strukturbestimmendem Ver____bot des § 41 Nr. 5, der den Zeugen vom Richteramt ausschließt: Der Ausschluss des Rich____ters von seiner Entscheidungstätigkeit im konkreten Fall knüpft an Überlegungen an, die ____darauf gegründet sind, dass der Richter in diesen Fallgestaltungen zur „neutralen“ Streit____entscheidung nicht mehr in der Lage ist, oder wenigstens aufgrund der „Nähe“ seiner ____Person zum Fall „typischerweise“ Gefahr läuft, parteiisch zu entscheiden. § 41 Nr. 5 ____ ____ 28 Henckel S. 130. ____29 Henckel S. 132. ____30 Loos GA 2006, 195. ____31 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 39; Musielak-Stadler Rdn. 1.

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_____schließt damit solche Beschreibungen des Prozesses aus, die sich u.a. auf eine Ausle_____gung der §§ 138, 139 als Anweisungen an den Richter zur eigenen Gestaltung der Ver_____hältnisse der Parteien stützen. _____ 15 Die Fälle, in denen der Richter aufgrund seines „privaten Wissens“ vom Richteramt _____ausgeschlossen ist, stellen allerdings die „Minderzahl“ dar.32 „Allgemein bekannte“ Tat_____sachen darf der Richter kennen, und zwar schon deshalb, weil deren Kenntnis faktisch _____nicht auszuschließen ist. Es war wiederum Stein,33 der diese Probleme zusammengefasst _____hat: „… Was der Richter etwa im Amtsgeheimnis des Eheprozesses erfahren hat, mag er _____noch so genau wissen, es mag ihm „offenkundig“ sein, aber es hat nicht die Natur einer _____„offenkundigen“ Tatsache. Der Einzelne, der die Tatsache wahrgenommen hat oder der _____sie in Folge ihrer allgemeinen Verbreitung weiß, wird fungible Person: die Möglichkeit von _____Wahrnehmungsfehlern wird durch die Masse der Wahrnehmenden ausgeglichen, und die _____allgemeine Verbreitung, die es regelmäßig unmöglich macht uns zu erinnern, wo wir etwa _____die Tatsache zuerst gehört oder gelesen haben, lässt die Wissensquelle im Gegensatz zu _____den nicht-allgemeinbekannten Tatsachen als unerheblich erscheinen … und damit entfällt _____das Bedenken … (der) psychologische(n) Unvereinbarkeit von Richter- und Zeugenstel_____lung, denn es fehlt jeder Verarbeitung eines Sinneseindrucks zu einem persönlichen Tat_____sachenurteil.“ Daraus folgt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit – im Eheprozess, in vor_____mundschaftsgerichtlichen Verfahren usf. – gewonnene Tatsachenkenntnisse werden vom _____Geheimnisschutz erfasst, den der Ausschluss der Öffentlichkeit in diesen Verfahren ge_____währen soll, und sind daher nicht einzuführen; ob dann eine Befangenheitslage vorliegt, _____ist eine Frage für sich. Im Übrigen können und müssen gerichtsnotorische Tatsachen – ein _____auf Zahlung außerordentlich hohen Werklohns klagendes Sanitärunternehmen ist allen _____Amtsgerichtsdezernaten für die Art seines Geschäftsgebarens bekannt – vom Gericht in _____den Streit eingeführt werden, um den Parteien insbesondere mit Blick auf § 287 Gehör zu _____gewähren – damit deutlich wird, worauf sich die Wertungen des Gerichts gründen – und _____der betroffenen Partei Gelegenheit zur Richtigstellung zu geben. Schließlich sind allge_____meinkundige Tatsachen in das Verfahren schon deshalb einzuführen, weil sich aus de_____ren Kenntnis ein Bedarf nach Richtig- oder Klarstellung von Behauptungen der Parteien _____ergeben kann – etwa über Witterungsverhältnisse im Rahmen des Streits um Verkehrs_____unfälle, der Lage von Feiertagen, der Abhaltung von Märkten usf. _____ _____ 3. Materielle Prozessleitung als Mittel der Durchsetzung „richtigen“ oder 16 _____zwingenden Rechts? Es wurde noch zur alten Rechtslage vorgeschlagen, es solle dann _____eine richterliche Aufklärungspflicht angenommen werden, wenn ohne Tätigwerden des _____Gerichts nicht dispositives materielles Recht unberücksichtigt bliebe.34 Dabei wird etwa _____an die rechtsvernichtende Einwendung der Sittenwidrigkeit des Vertrages nach § 138 _____BGB gedacht: Wird im Prozess in diese Richtung von den Parteien nichts vorgebracht, so _____läuft der Beklagte Gefahr, verurteilt zu werden, obwohl dies materiell nicht gerechtfertigt _____wäre. Spickhoff 35 setzt dabei an, dass die Sitten- oder Verbotswidrigkeit bestimmter Vor_____gänge der Parteidisposition nicht unterworfen sei. Soweit individualschützende Normen _____auf dem Spiel stehen, müsse das Gericht im Wege der Prozessleitung deren Beachtung _____sicherstellen. Zunächst weist dieser Ansatz ein Praktikabilitätsproblem auf: Wenn weder _____etwas vorgetragen wird, noch aus den gerichtsbekannten Umständen offenkundig ist, _____dass nicht dispositives Recht anzuwenden sei, hilft der Rückgriff auf eine richterliche _____ _____ 32 Stein S. 2. _____33 Stein S. 2. _____34 Spickhoff S. 46 ff. _____35 Spickhoff S. 46 ff.

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____Aufklärungspflicht nicht. Schweigt der auf Mietzahlung Verklagte und liegt die Mietsa____che nicht gerade in einer ausgesprochen verrufenen Gegend, muss das Gericht nicht ____ohne weiteren Anlass nachfragen, ob die Wohnung zur Förderung der Prostitution ver____mietet wurde. Die Ansicht Spickhoffs leidet zudem daran, dass sie die Funktion des Pro____zesses nicht angemessen erfasst.36 ____ ____ 4. Materielle Prozessleitung und Distanz des Gerichts vom Streitverhältnis ____ ____ a) Rechtserkenntnis als Aufgabe des Zivilprozesses. Ansätze, dem Zivilprozess 17 ____einen „Sinn“ über „hinter“ ihm liegende Zwecke – etwa „Herstellung von Rechtsfrieden“ ____oder „Umsetzung des materiellen Rechts“ – zu verleihen,37 erweisen sich für das Ver____ständnis von Funktion und Reichweite der materiellen Prozessleitung des Gerichts als ____wenig hilfreich. Mehr noch: Sie versperren den Blick auf die Bedeutung der soeben be____schriebenen „Eckpfeiler“ für den Prozess in seiner Eigenschaft, ein Verfahren unparteii____scher Rechtsprechung zu sein. Nur die Unparteilichkeit des Richters wahrt die Akzeptanz ____des Verfahrens: Die Distanz des Richters, der die Parteien in das Verfahren der Erkennt____nis des inter partes streitigen, ungewissen Rechts einbindet, bedingt die „Selbstisola____tion“38 der Beteiligten, die ihrerseits Voraussetzung für die Akzeptanz auch einer nach____teiligen Entscheidung ist. Die Notwendigkeit der Beschränkung des Prozesses auf seine ____unparteiische Feststellungsfunktion bestimmt damit die möglichen Auswirkungen der ____Neuformulierungen der richterlichen Hinweispflichten. Dieses Verständnis stimmt dabei ____mit der zur neuen materiellen Prozessleitung nach § 139 formulierten These überein, die ____Reform habe sachlich kaum Änderungen gebracht.39 Gleichwohl sind punktuelle Erwei____terungen bei der vom Gesetzgeber als „allgemein und umfassend“ umschriebenen Erör____terungspflicht nach Abs. 1 Satz 1 festzustellen. Das ermöglicht die Entkoppelung der Er____örterungspflicht von der Prozessleitungspflicht nach Abs. 1 Satz 2 durch Wegfall der ____Wendung „zu diesem Zwecke“, wie es noch die Vorgängerregelung nach Abs. 1 Satz 2 ____a.F. vorgesehen hat.40 ____ ____ b) Verständnis des § 139 aus dem Zweck des Zivilprozesses. Das uneinheitliche 18 ____Verständnis vom Umfang der richterlichen Hinweispflichten kann man, wie Sticken41 ____ausführt, auch auf eine Verkennung dessen zurückführen, was der Zivilprozess struktu____rell ist und welche Zwecke er zu erfüllen hat. Der Zivilprozess dient der Erkenntnis und ____Feststellung des zwischen zwei Parteien ungewissen und streitigen Rechts durch den ____unparteiischen Richter.42 Diese Organisation des Prozesses als Zweiparteienstreit, der vor ____einem „Dritten“ durch die Stellung von Anträgen und die entsprechende Beweisführung ____ausgetragen wird, verweist auf eine dialogische Struktur dieses Verfahrens. Indem die ____Parteien vor dem Richter verhandeln, verfolgen allein sie im Prozess als freie Rechtsge____nossen konkrete Zwecke. Der Richter hat seine Neutralität zu wahren, um unparteiisch ____und damit „gerecht“ entscheiden zu können.43 ____ ____ ____ ____36 Sticken S. 129. ____37 Vgl. zur Diskussion Smid Rechtsprechung S. 160 ff., 291 ff. ____38 Sticken S. 186. ____39 Borck WRP 2005, 1139; Sticken S. 186. 40 Sticken S. 186. ____41 Sticken S. 185 ff. ____42 Rensen MDR 2002, 1175 ff.; Smid Rechtsprechung S. 160 ff. ____43 Sticken S. 42 ff.

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_____ 19 Vor allem die Notwendigkeit, das Verfahren unparteiisch und neutral zu leiten, gibt _____die Feststellungsfunktion des Prozesses vor:44 Es ist notwendig, dass das Gericht keine _____eigenen Zwecke mit dem Verfahren verfolgt, will es unabhängiger „Dritter“ im Streit der _____Parteien sein. Das Gericht hat das Verfahren gewissermaßen „zweckfrei“ zu betreiben _____und zu entscheiden45 – bzw. der Vorsitzende seine Leitungsaufgaben entsprechend aus_____zuüben. Denn eigene (persönliche) wirtschaftliche oder wie auch immer geartete subjek_____tive Zwecke zu verfolgen, ist den Parteien überlassen, die im Prozess ihre Freiheit betäti_____gen. Insofern ist der Prozess eine schlicht „eingabeorientierte“ Feststellung des zwischen _____den Parteien geltenden Rechts auf Basis eines in der Vergangenheit liegenden Sachver_____halts. Daraus folgt, dass es allein die Parteien sind, die Beginn, Gegenstand und Ende _____des Verfahrens festlegen. Auch die Vermittlung der relevanten Umstände obliegt den _____Parteien, weil nur so die neutrale Entscheidung gewährleistet ist. Das Gericht darf somit _____strukturell über keinen eigenen Ermittlungsapparat verfolgen. Insofern ist der Beibrin_____gungsgrundsatz46 notwendige Bedingung der unparteiischen Entscheidung. Diese dialo_____gische Organisation des Erkenntnisverfahrens als unparteiischer Streitentscheidung _____setzt weiterhin voraus, den Parteien rechtliches Gehör als Möglichkeit der Einflussnah_____me auf die Prozedur der Rechtserkenntnis einzuräumen. Das rechtliche Gehör sichert _____mithin ebenfalls die richterliche Neutralität, welche ihrerseits die unparteiische Feststel_____lung des zwischen den beiden streitigen Rechts sicherstellt.47 _____ Die richterlichen Prozessleitungspflichten lassen sich danach mit diesem Verständ20 _____nis des Zivilprozesses in Einklang bringen, als sie auch Bedingung der unparteiischen _____Entscheidung sind: Die richterliche Prozessleitung gewährleistet allgemein die formelle _____Chancengleichheit der Parteien im Prozess.48 Sie sichert demnach – wie das rechtliche _____Gehör49 und die Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 – die Möglichkeit der unparteiischen _____Entscheidung ab.50 _____ _____ 5. Materielle Prozessleitung und die „Verhandlung“ mit den Parteien _____ _____ a) Die materielle Prozessleitung gemäß § 139 bezieht sich sowohl auf die Anträge als 21 _____auch das tatsächliche Vorbringen der Parteien. Die Vorschrift bezieht sich daher auf die _____Verhandlung der Streitsache, mit der durch Gewährung rechtlichen Gehörs die Grundla_____ge des gerichtlichen Urteils geschaffen werden soll. Grundsätzlich unterliegt der gesamte _____Vortrag der Parteien unter Einschluss der von ihnen gestellten Anträge der Auslegung _____durch das Gericht.51 Im Gang des Verfahrens ist den Parteien aber vorrangig Gelegenheit _____zu geben, auf diese Auslegung dadurch Einfluss zu nehmen, dass ihnen das Verständnis _____des Gerichts zur Kenntnis gebracht und sie zu Richtigstellungen und Änderungen in _____Stand gesetzt werden. Es besteht daher ein Vorrang von Hinweis und Nachfrage vor der _____Auslegung, um im Urteil dem von den Parteien Gewollten gerecht werden zu können.52 _____Dies galt bis zum Inkrafttreten des FamFG auch für echte Streitsachen nach dem FGG;53 _____nunmehr trifft § 28 FamFG eine Sonderregelung für die dem Geltungsbereich dieses Ge_____ _____ _____44 Sticken S. 43, 51 ff. 45 Sticken S. 51. _____46 MünchKomm-Lüke Einl Rdn. 181 ff. _____47 Sticken S. 65 ff. _____48 Smid Rechtsprechung S. 291 ff.; Smid Richterliche Rechtserkenntnis, 1989, S. 35 et passim. _____49 Sticken S. 65 ff. 50 Sticken S. 66 ff. _____51 St. Rspr.; RGZ 110, 1, 15; BGH NJW 2000, 3287, 3289. _____52 MünchKomm-Musielak § 308 Rdn. 6; Schulz/Sticken MDR 2005, 1 ff. _____53 OLG Frankfurt OLGR 2005, 510.

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____setzes unterliegenden Verfahren. Wird durch unterschiedliche Rechtsanwälte mehrfach ____Berufung eingelegt, so ist bei Rücknahme der Berufung durch Auslegung zu ermitteln, ____ob die Rücknahmeerklärung sämtliche Einlegungsakte erfassen soll. Gegebenenfalls ist ____eine Klärung durch Ausübung des Fragerechts gemäß § 139 herbeizuführen.54 ____ ____ b) Einbettung des § 139 in die Regelungszusammenhänge der ZPO. Wer § 139 22 ____richtig verstehen will, muss einmal das engere Umfeld dieser Vorschrift – die unmittel____bar benachbarten Vorschriften nämlich – vor Augen haben, weil sich aus der Reihenfol____ge auch die Zeit für die Pflichten aus § 139 ergibt: Erst nachdem der Vorsitzende die ____mündliche Verhandlung eröffnet hat (§ 136 Abs. 1), wird diese dadurch eingeleitet, ____dass die Parteien ihre Anträge stellen (§ 137 Abs. 2). Für Antragsverfahren nach dem ____FamFG trifft § 28 Abs. 2 FamFG eine entsprechende Regelung.55 Was den Parteien an ____Vortrag obliegt, ergibt sich aus § 138 und nur wenn der Ist-Vortrag hinter dem Soll____Vortrag zurückbleibt, ist Veranlassung gegeben, gemäß § 139 auf die Vervollständigung ____der Erklärungen hinzuwirken. Allein hierfür wendet sich der Gesetzgeber in § 139, nach____dem er zuvor in den Vorschriften der §§ 137 f. die Partei betrachtet hatte, noch einmal ____dem Vorsitzenden zu, bevor er dann ab § 140 Aufgaben und Pflichten des Gerichts regelt. ____Die materielle Prozessleitung des Gerichts wird namentlich durch die §§ 142 ff. ergänzt ____und präzisiert.56 ____ ____ c) Nach § 279 Abs. 3 hat das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme, – die re- 23 ____gelmäßig der Antragstellung, Parteianhörung und der streitigen Verhandlung nach____folgt,57 neben der erneuten Darstellung des Sach- und Streitstandes, soweit bereits mög____lich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern. Sticken58 merkt kri____tisch an, die Reichweite dieser Neuerung werde oftmals nicht hinreichend erfasst.59 Die ____Gesetzesmaterialien erläutern diese neue Regelung damit, sie verpflichte das Gericht nur ____zu Erörterungen, soweit diese dem Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme bereits ____möglich seien.60 Bis zur Reform 2002 wurde ganz überwiegend weder aus §§ 139, 278 ____Abs. 3 a.F. noch aus § 278 Abs. 2 Satz 2 a.F.61 eine Pflicht des Gerichts abgeleitet, das Er____gebnis der Beweiswürdigung den Parteien nach der Beweisaufnahme und jedenfalls vor ____der Urteilsverkündung mitteilen zu müssen. Gegenüber der Neuregelung wurde Kritik ____laut, insbesondere nach erörterungsbedürftigen Beweiserhebungen komplizierter Tatsa____chen sei die sinnvolle Erörterung vielfach nicht unmittelbar möglich und führe eher zu ____Unsicherheiten, jedenfalls aber Zeitverlusten.62 Dem ist entgegenzuhalten, dass das Ge____setz die Erörterungspflicht nach § 279 Abs. 3 auf solche Fälle einschränkt, in denen dies ____möglich ist.63 ____ ____ ____ ____ ____ ____54 OLG Celle OLGR 2000, 45. ____55 MünchKomm-Ulrici FamFG § 28 Rdn. 19 ff. 56 Gruber/Kießling ZZP 116 (2003), 305 ff. ____57 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 279 Rdn. 7; Musielak-Foerste § 279 Rdn. 6. ____58 Sticken S. 112. ____59 Dauster ZRP 2000, 338, 339. ____60 FrakE BT-Drucks. 14/3750 S. 58; RegE BT-Drucks. 14/4722 S. 84; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des BT-Drucks. 14/6036 S. 121. ____61 Laumen S. 240 f.; a.A. Grunsky JZ 1977, 201, 203. ____62 Dauster ZRP 2000, 338, 339. ____63 Sticken S. 113.

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_____ 24 d) § 396 Abs. 2 bestimmt als Sondervorschrift, auf welche Weise der in § 139 geregel_____ten Aufklärungspflicht im Rahmen der Beweisaufnahme durch Zeugen- oder Parteiver_____nehmung zu entsprechen ist.64 _____ _____ 6. Folgen des Verstoßes gegen § 139. Beruht ein Urteil auf einem Verstoß gegen 25 _____§ 139, ist es mit dem gegebenen Rechtsmittel anzugreifen. Ein Verstoß gegen § 139 stellt _____einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 1 dar, der eine Zurück_____verweisung rechtfertigt.65 Dies ist der Fall, wenn ein Hinweis zu Unrecht unterblieben _____oder ein unrichtiger Hinweis erteilt worden ist.66 In der Revisionsbegründung ist darzu_____legen, was der Revisionskläger weiter vorgetragen haben würde, wenn die Vorschrift des _____§ 139 nicht verletzt worden wäre.67 Aber auch, wenn die Verletzung des § 139 erst im Lau_____fe des Revisionsverfahrens zutage tritt, kann noch eine Zurückverweisung in Betracht _____kommen.68 _____ _____ 7. Verfassungsrechtliche Bedeutung der materiellen Prozessleitung _____ _____ a) Grundrechtsverstöße durch Nichtbeachtung des § 139. Wird zu Unrecht die 26 _____Führung des Rechtsgesprächs verkürzt und gibt das Gericht den Parteien die nach Abs. 1 _____rechtlich gebotenen Hinweise nicht, verletzt dies das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 _____GG.69 Das BVerfG70 hat im Übrigen die Ansicht vertreten, § 139 reiche über die Gewährung _____rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hinaus;71 der Grundrechtsschutz rechtlichen _____Gehörs werde nicht notwendig durch eine unrechtmäßig verkürzende Handhabung des _____§ 139 durch das Gericht verletzt. Dem wird entgegengehalten, rechtliches Gehör werde _____zwar „formal“ immer bereits dann gewährt, wenn sich die Partei überhaupt äußern kön_____ne – auch wenn dies, bezogen auf den Prozess unzweckmäßig und sachwidrig sei. Effek_____tiv werde rechtliches Gehör aber nur unter der Voraussetzung wahrgenommen, dass der _____Partei vom Gericht Gelegenheit zur Einstellung auf einen sachgerechten Vortrag und die _____Stellung sachdienlicher Anträge gegeben werde.72 Art. 6 Abs. 1 EMRK gebietet einen fai_____ren Prozess – wozu im Kern zu zählen ist, dass Gericht und Parteien gemeinsam am Pro_____zessstoff arbeiten und darüber kommunizieren. Aus der Sicht des Zivilprozessrechts be_____trachtet ist darauf hinzuweisen, dass § 139 Folgendes deutlich macht: Engt man – mit _____dem BVerfG73 – den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG ein, kann für Verletzun_____gen des Gebotes eines fairen Verfahrens, wie es in § 139 für das deutsche Zivilverfahren _____konkretisiert wird, die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht ausgeschlossen werden; _____Art. 6 Abs. 1 EMRK greift jedenfalls wegen einer gegen § 139 verstoßenden Unterlassung _____richterlicher Fragen und Hinweise ein. _____ _____ b) Ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 139 kommt daher als Ausgangspunkt für 27 _____eine Verfassungsbeschwerde74 in Betracht. Zwar ist ein solcher Verstoß nicht schon _____ _____ _____64 OLG Koblenz NJW-RR 1991, 1471. _____65 BGH NJW-RR 1988, 477; Musielak-Stadler Rdn. 4. 66 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 119. _____67 BGH NJW-RR 1998, 1268, 1270; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 102; Zöller-Greger Rdn. 20. _____68 Vgl. zur Geltung im Revisionsverfahren Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. _____69 BVerfGE 42, 64. _____70 BVerfGE 60, 305 = NJW 1982, 1636. 71 Krit. MünchKomm-Peters Rdn. 55. _____72 Krit. MünchKomm-Peters Rdn. 56. _____73 BVerfGE 42, 64. _____74 BVerfG NJW 94, 1274; 76, 1391.

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____per se zugleich und mit begrifflicher Notwendigkeit auch einer gegen Artikel 103 Abs. 1 ____GG,75 denn: Aus diesem Grundrecht ergibt sich keine allgemeine Aufklärungspflicht des ____Richters.76 Immerhin kann es in besonders gelagerten Fällen durch Artikel 103 Abs. 1 GG ____unmittelbar geboten sein – und ohne dass es des Umweges über § 139 bedürfte –, eine ____Partei durch Hinweise oder Fragen in die Lage zu versetzen, von dem ihr verfahrens____rechtlich eröffneten Recht auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen.77 ____ Auch soll dann, wenn die in dem Verstoß gegen § 139 liegende fehlerhafte Anwen- 28 ____dung des Gesetzes bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden ____Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf ____sachfremden Erwägungen beruht und daher auf willkürlicher Handhabung, Art. 3 Abs. 1 ____GG in Gestalt des Willkürverbots verletzt werden.78 Indessen können Verstöße – auch ____und gerade willkürliche – gegen die Pflichten aus § 139 immer nur dazu führen, dass die ____betroffene Partei der ihr nach § 138 ohnehin obliegenden Erklärungspflicht (hierzu vgl. ____Rdn. 114) mangels Problembewusstsein nicht vollständig gerecht wird oder dass sie ____mangels Problembewusstsein keine sachdienlichen Anträge stellt. ____ ____ 8. Kein Ermessen wegen „ob“ und „wie“ der materiellen Prozessleitung ____ ____ a) Die verfassungsrechtliche Bedeutung der materiellen Prozessleitung macht deut- 29 ____lich, dass es dem Gericht nicht freisteht, ob und wie es seine Leitungsaufgabe wahr____nimmt. § 139 stellt keine „Soll-“, sondern eine „Muss“-Vorschrift dar.79 Die der heute ____geltenden Fassung des § 139 vorausgegangene und darum § 139 a.F. genannte Fassung ____dieser Vorschrift (wiedergegeben in Rdn. 2) begründete Pflichten, und zwar ausschließ____lich für den Vorsitzenden, der damals Alleinadressat aller Vorschriften des § 139 war. Die ____wiederkehrenden Wendungen „der Vorsitzende hat …“ und die auf den Vorsitzenden in ____der Wendung „er hat …“ – und jede der Bestimmungen des § 139 a.F. begann mit der ____einen oder anderen dieser Wendungen – sind jeweils zu lesen: „Der Vorsitzende hat die ____Pflicht …“. Dass durch § 139 Amtspflichten für den Normadressaten begründet wurden ____und nach wie vor werden, steht außer Streit. ____ ____ b) Die Pflichten aus § 139 lassen dem Gericht keinen Ermessensspielraum: Liegen 30 ____die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Pflicht aus § 139 vor, hat der Vorsitzende ____ihr nachzukommen. Darüber besteht auch Einigkeit.80 Ob die aus § 139 folgenden Pflich____ten bestehen und wie weit sie reichen, ist daher eine der revisionsgerichtlichen Überprü____fung vollständig unterworfene Rechtsfrage. Entgegen einer Literaturmeinung81 ist den ____Instanzgerichten bei der Bestimmung der Reichweite ihrer Hinweis- und Erörterungs____pflichten auch kein „gewisser“ Beurteilungsspielraum, ein Spielraum im kognitiven Er____messen, eingeräumt.82 Im Zweifel, ob ein Hinweis oder eine Frage geboten ist, ist der ____Hinweis oder die Frage schon geboten, um auch diesen Zweifel zu beheben. ____ ____ ____ ____ ____75 Zuck NJW 2005, 3753. ____76 BVerfGE 74, 1, 6; BGH WRP 2000, 640. ____77 Vgl. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 123. ____78 BVerfGE 42, 64; BVerfG NJW 1993, 1699. 79 MünchKomm-Peters Rdn. 6. ____80 Peters FS Beys, 1243, 1244. ____81 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 8. ____82 So zutreffend MünchKomm-Peters Rdn. 7; Peters FS Beys, 1243, 1244.

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_____ III. Verfahren, in denen § 139 greift _____ _____ 1. Anwaltsprozesse. Problematisch ist, welche Bedeutung dem Auftreten des An31 _____walts im Anwaltsprozess als „unabhängigem Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) zu_____kommt. Wie Sticken83 im Rückgriff auf systemtheoretische Fragestellungen gezeigt hat, _____wird im Prozess lediglich ein Teilausschnitt eines Konflikts behandelt. Es findet gewis_____sermaßen eine Reduktion von Komplexität durch eine Beschränkung auf „Rechtsfragen“ _____statt. Das impliziert, dass die rechtsunkundige Partei „ihr Recht“ meist nicht hinreichend _____wahrnehmen kann. Denn das Vorbringen der erheblichen Tatsachen – für das die Partei_____en verantwortlich sind – setzt regelmäßig ein gewisses Maß an Rechtskenntnissen vor_____aus. Da der Prozess der Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechts dient, _____kommt den Anwälten insofern die Aufgabe zu, die hierfür erforderlichen Rechtsgesprä_____che „fachmännisch“ zu führen.84 Der Anwalt hat den Prozessstoff zu sichten, prüfen, _____klären und zu filtern, um rechtlich Unerhebliches auszuscheiden und ihn so auf das er_____kannt Wesentliche zu reduzieren.85 Die Hinzuziehung eines Anwalts sichert mithin die _____effektive Einflussnahme auf das Verfahren, letztlich also das rechtliche Gehör. Die freie _____Advokatur gehört daher zur Gewährleistung eines Prozesses als Verfahren dialogischer _____Feststellung des Rechts.86 Allein der rechtskundige Anwalt kann die Tätigkeit des Rich_____ters wirksam beurteilen und kontrollieren: Fehler bei der Prozessführung oder im Urteil _____sind von der „Naturalpartei“ in aller Regel schwer zu erkennen; der Anwalt hat ihr ge_____genüber den „Vorteil“ seiner juristischen Ausbildung. Man mag die Anwaltschaft – als _____unabhängige Beraterin der Partei (§ 3 Abs. 1 BRAO) – daher auch als „Optimierung“ der _____Zweckverfolgung der Parteien begreifen, um die es – wie gezeigt – im Zivilprozess des _____grundgesetzlich verfassten Rechtsstaats geht. Die anwaltliche Vertretung einer Partei hat _____vor diesem Hintergrund Bedeutung für die gerichtliche Pflicht, Hinweise zu erteilen. Mit_____tels ihres Anwalts können die Parteien ihren effektiven Einfluss auf das Verfahren si_____cherstellen. Gerade deshalb hat auch im Anwaltsprozess die richterliche Prozessleitung _____allein die Aufgabe, die prozessuale Chancengleichheit zu wahren. Durch sie kann das _____Gericht sicherstellen, dass zwei „Gleiche“ miteinander streiten. Diese Aufgabe besteht _____aber auch im Anwaltsprozess – denn auch dort hat das Gericht ein Rechtsgespräch mit _____den Parteivertretern zu führen87 – und kann es schon deshalb besser als im amtsgericht_____lichen Verfahren, weil mit den Anwälten professionelle Juristen Ansprechpartner sind. _____ Die Stellung des § 139 und die oben skizzierte Gesetzgebungsgeschichte der Entwick32 _____lung von Hinweispflichten im Amtsgerichtsprozess hin zur Regelung umfassender ma_____terieller Prozessleitung des Gerichts machen klar, dass § 139 auch im Anwaltsprozess _____greift,88 also in den Verfahren vor den Land- und Amts-Familiengerichten, § 78. Einwän_____de hiergegen sind schon vor der Reform 2002 nicht sachhaltig gewesen und entbehren _____heute einer nachvollziehbaren Grundlage. Sie haben im Wesentlichen geltend gemacht, _____der Anwaltszwang und die Erfüllung der Pflichten des Anwalts gegenüber der vertrete_____nen Partei und als Organ der Rechtspflege würden ihrer Grundlage beraubt, hätte das _____Gericht die Pflicht, Hinweise auch den anwaltlich vertretenen Parteien zu erteilen, die zu _____geben Teil der Beratungstätigkeit des Anwalts selbst sei. Das verkennt indes, dass der _____Anwalt aufgrund einer abweichenden oder gar irrigen Rechtsauffassung die Richtung _____ _____ _____83 Sticken S. 72. _____84 Vollkommer Stellung des Anwalts S. 18 f. 85 Vollkommer Stellung des Anwalts S. 20. _____86 So überzeugend Sticken S. 72. _____87 Sticken S. 73. _____88 Peters FS Beys, 1243, 1245.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____verkennen mag, die der Prozess aus Sicht des Gerichts nehmen wird. Versteht man § 139 ____nicht einseitig als Statuierung von Pflichten des Gerichts, den Parteien Hilfestellungen ____zu geben, sondern als Instrument, dem Prozessziel der Parteien die angemessene (einer ____Entscheidung zugängliche) Form zu geben, fallen die Bedenken fort. ____ ____ b) Überdies wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber der Novelle von 33 ____1924 gerade die Geltung auch für den Anwaltsprozess angestrebt hat: „Denn die Novelle ____nahm in die Neufassung des Abs. 1 die bisher nur für den Amtsgerichtsprozess geltenden ____weitergehenden Hinweispflichten auf, erstreckt sie damit auf alle Prozesse“.89 So ist § 139 ____im Gegensatz § 504, der eine Belehrung speziell im Verfahren vor dem Amtsgericht vor____sieht, eine der allgemeinen Vorschriften und als solche prinzipiell uneingeschränkt auch ____im Anwaltsprozess anzuwenden.90 Auch im Anwaltsprozess muss der Richter daher ____nach dem Gesetzeswortlaut auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinwirken, so dass ____der sachliche Streit der Parteien zur Entscheidung gelangt und dies nicht an Formalien ____scheitert.91 ____ ____ c) Nun liegt es zwar in der Natur der Sache, dass im Parteiprozess mehr Hinweise er- 34 ____forderlich, mehr Fragen zu stellen sein werden als im Anwaltsprozess, weil ein Anwalt ____vernünftigerweise danach trachten wird, andernfalls durch § 139 gebotene Hinweise und ____Fragen gedanklich vorwegzunehmen, mit seiner Partei zu erörtern und hierauf gestützt ____so vorzubereiten, dass sich Hinweise und Fragen tunlichst erübrigen. Bleiben aber den____noch Fragen oder Hinweise geboten, darf sie der Vorsitzende einer Partei nicht nur des____halb vorenthalten, weil diese anwaltlich vertreten ist.92 Eine Differenzierung der Hin____weisbedürftigkeit nach Qualität der anwaltlichen Vertretung ist im Übrigen deshalb ____wenig überzeugend, weil der Richter dann bewerten müsste, welches prozessuale Ver____halten des Anwalts „gut“ oder „schlecht“ für die Partei ist: Eine derartige Unterschei____dung kann nur danach erfolgen, ob die anwaltlich vertretene Partei einen Hinweis nicht ____erhalten soll, weil ihr Anwalt Mängel seiner Prozessführung oder seines Vortrages selbst ____hätte bemerken müssen. Das setzt aber zwingend voraus, dass der Richter eine Einschät____zung vornimmt, ob das anwaltliche Verhalten für den Mandanten günstig ist. Berück____sichtigt man den Grundsatz einer freien Advokatur vor dem Hintergrund seiner Funktion ____für den Prozess wird deutlich, dass der Richter nur sehr eingeschränkt die Qualität der ____anwaltlichen Prozessführung beurteilen darf: Das Gericht hat allein auf die Aufrechter____haltung prozessualer Waffengleichheit zu achten.93 ____ ____ d) Auch der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass „der Umstand, dass eine Partei 35 ____durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist …, jedenfalls dann nicht zu einer Ein____schränkung der Hinweispflicht des Gerichts“ führt, „wenn der Prozessbevollmächtigte ____die Rechtslage ersichtlich falsch beurteilt“.94 Schon gar nicht kann die Hinweispflicht ____dann aber eingeschränkt sein, wenn die Rechtslage nicht „ersichtlich falsch“, sondern ____möglicherweise richtig beurteilt wird: Gerade wenn eine Divergenz zwischen – nach An____sicht des Gerichts richtiger – Rechtsauffassung und – nach Ansicht des Gerichts mögli____cherweise unzureichendem – Sachvortrag aufscheint, besteht Anlass, hierauf hinzuwei____ ____ ____89 MünchKomm-Peters Rdn. 7. ____90 MünchKomm-Peters Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 3. 91 OLG Schleswig SchlHA 1982, 59. ____92 Musielak-Stadler Rdn. 6; ähnlich Peters FS Beys, 1243, 1245. ____93 Sticken S. 73. ____94 BGH NJW 1984, 310, 311.

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_____sen, schon damit für das Gericht selbst klar wird, ob es nicht womöglich Teile des Sach_____vortrages übersehen oder missverstanden habe. Ein richterlicher Hinweis ist daher auch _____dann geboten, wenn für das Gericht offensichtlich ist, dass der Prozessbevollmächtigte _____einer Partei die von dem Prozessgegner erhobenen Bedenken gegen die Fassung eines _____Klageantrags oder die Schlüssigkeit der Klage falsch aufgenommen hat.95 _____ _____ 36 e) Daher ist denn auch der Leitsatz des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 9.11. _____1983,96 wonach „in Zivilprozessen, in denen beide Parteien anwaltlich vertreten sind …, _____das Gericht nicht verpflichtet“ ist, „den Kläger darauf hinzuweisen, dass sein Klagevor_____bringen nicht substantiiert und nicht schlüssig ist“, zu Recht auf heftige Kritik gesto_____ßen.97 Nun mag zwar das Urteil selbst den konkreten Einzelfall durchaus richtig ent_____schieden haben; nicht hingenommen werden kann aber, dass – wie zur Verteidigung des _____Urteils vorgebracht wird98 –, es einem Gericht freistehen müsse, wenn ein Anwalt eine _____unschlüssige Klage einreicht, „den Schluss zu ziehen, dass eine ordnungsgemäße Kla_____gebegründung nicht möglich oder gar nicht beabsichtigt ist“. Ein solcher Schluss liegt _____nicht eben nahe, verbietet sich recht besehen sogar: Warum sollte wohl von einem An_____walt eine vollkommen aussichtslose Klage – noch dazu schlecht vorbereitet – erhoben _____werden? Zumindest diese Frage bietet sich als gemäß § 139 zu stellen an. Näher läge es in _____solchen Fällen allerdings, anzunehmen, dass „der Prozessbevollmächtigte die Rechts_____lage ersichtlich falsch beurteilt“, so dass gerade nach der Rechtsprechung des Bundes_____gerichtshofs99 ein Hinweis geboten sein würde. Der BGH hat in einer Reihe von Entschei_____dungen eine Verpflichtung des Gerichts zu Hinweisen auch gegenüber der anwaltlich _____vertretenen Partei dann bejaht, wenn der Prozessbevollmächtigte der substantiierungs_____pflichtigen Partei ersichtlich darauf vertraut, dass sein schriftsätzlicher Vortrag ausrei_____chend ist.100 _____ _____ f) Richtig ist aber immerhin, dass gegenüber einer anwaltlich vertretene Partei durch 37 _____§ 139 gebotene Hinweise gemeinhin knapper ausfallen können, weil ein professioneller _____Empfängerhorizont vorausgesetzt werden darf. So reicht es nach der Ansicht des Bundes_____gerichtshofs,101 „ist der Beklagte selbst Rechtsanwalt, … aus, wenn“ – so der Leitsatz102 – _____„die Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung sich auf die Wiederholung des _____Wortlautes des § 296 Abs. 1 beschränkt“, und bei Hinweisen gemäß § 139 gegenüber einer _____anwaltlich vertretenen Partei kann entsprechend verfahren werden. _____ 38 Nach alledem folgt aus der strukturellen Funktion der Prozessleitung als Element _____der Gleichheitswahrung aber auch, dass die fehlende anwaltliche Vertretung die richter_____lichen Hinweispflichten nicht in allgemeine Fürsorgepflichten übergehen lässt: Auch _____gegenüber der Naturalpartei hat das Gericht seine Neutralität zu wahren und muss sein _____Verhalten so gestalten, dass es über den Verdacht erhaben bleibt, sich deren Interessen _____zu eigen zu machen. Ob sich eine Partei im Amtsgerichtsprozess nicht rechtskundig ver_____treten lässt, liegt in ihrer freien Entscheidung. Mit dieser Freiheit korrespondiert aber _____ _____ _____95 BGH NJW 2001, 2548. 96 BGH NJW 1984, 310, 311. _____97 Gegen eine Differenzierung bei anwaltlicher Vertretung: OLG Schleswig NJW 1986, 3146, 3147; OLG _____Celle NJW-RR 1998, 493. _____98 BGH NJW 1984, 310, 311. _____99 BGH NJW 1984, 310, 311. 100 BGHR ZPO § 139 Substantiierung 1; BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Anwaltsprozess 2; BGHR ZPO § 139 Abs. 1 _____Anwaltsprozess 3. _____101 BGH NJW 1991, 493. _____102 BGH NJW 1991, 493.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____auch das Tragen der daraus folgenden Nachteile. Die Partei hat die Konsequenzen unge____schickter Prozessführung im Verfahren zweier gleichberechtigter Prozessgegner selbst zu ____verantworten.103 Die anwaltliche Vertretung der Partei berührt daher allein die Intensität ____gerichtlicher Hinweispflichten.104 Die Möglichkeit gleichberechtigter Einflussnahme auf ____das Verfahren seitens der rechtskundig vertretenen Partei ist regelmäßig eher gewähr____leistet als bei der nicht anwaltlich vertretenen Partei. Sticken105 drückt dies eindrucksvoll ____so aus, der Anlass richterlicher Aufklärung sei im Falle anwaltlicher Vertretung der Par____tei ebenso zu beurteilen wie gegenüber der Naturalpartei, nur das Aufklärungsbedürfnis ____unterscheide sich in beiden Fällen. ____ ____ g) Einzelfälle. Das erkennende Gericht ist nach alledem auch im Anwaltsprozess 39 ____verpflichtet, bevor es die Klage wegen Beweisfälligkeit des Klägers abweist, darauf hin____zuweisen, dass ein – bestimmter – Beweisantritt für den schlüssigen Vortrag des Klägers ____fehlt, sofern nicht auszuschließen ist, dass die Erforderlichkeit eines Beweisangebots nur ____übersehen worden ist.106 Das OLG Frankfurt/M. geht sehr weit und meint: Wegen man____gelnder Schlüssigkeit oder Substantiierung darf auch im Anwaltsprozess eine Klage nie ____abgewiesen werden, bevor auf Ergänzung des Sachvortrags hingewirkt worden ist.107 ____Auch gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei ist das Gericht grundsätzlich gehal____ten, auf die mangelnde Schlüssigkeit des Klagevortrags hinzuweisen.108 Dies ist zumin____dest dann erforderlich, wenn der Bevollmächtigte die Rechtslage falsch beurteilt oder ____ersichtlich darauf vertraut, sein schriftsätzliches Vorbringen reiche aus.109 Die Verletzung ____der Aufklärungspflicht kann zur Zurückverweisung führen.110 Allerdings gilt die Hin____weispflicht nicht uneingeschränkt. Keines weiteren Hinweises durch das Gericht bedarf ____es in Fällen, in denen von einem Vertrauen in ausreichendes Vorbringen nicht ausge____gangen werden kann, weil der Prozessgegner mehrfach die Schlüssigkeit schriftsätzli____chen Vorbringens in Zweifel gezogen hat.111 Im Anwaltsprozess ist das Gericht daher zu ____einem ausdrücklichen Hinweis auf die fehlende Schlüssigkeit der Klage jedenfalls dann ____nicht verpflichtet, wenn die Mängel des Klagevortrags die Grundlagen der Anspruch____stellung betreffen, und der Prozessgegner die Bedenken zur Schlüssigkeit deutlich und ____unmissverständlich erhoben hat.112 Allgemein gehaltene Rügen reichen nicht aus.113 Es ____besteht daher für das Gericht keine erneute Hinweispflicht nach § 139, wenn der Haupt____streit der Parteien sich nunmehr auf den Grund des Anspruches bezieht, der Beklagte ____aber vorher selbst in zwei Instanzen auf die fehlende Substantiierung zur Höhe hinge____wiesen hat.114 ____ Genügt das Vorbringen und Beweiserbieten des Anwalts zu einem Teil seiner Hono- 40 ____rarforderungen nicht den – zweifelhaften – Substantiierungsanforderungen des Ge____richts, so muss es angesichts der im Übrigen ohnehin für notwendig erachteten umfas____ ____ ____103 Sticken S. 73. ____104 Schellhammer Rdn. 409. ____105 Sticken S. 73. ____106 BGH NJW 1989, 717; OLG Köln OLGR 1995, 144–145 = NJW 1995, 2116; OLG Köln OLGR 1998, 256. ____107 OLG Frankfurt/M. NJW 1989, 722. ____108 Entgegen BGH NJW 1984, 310; BGH NJW-RR 1997, 441. ____109 OLG Köln MDR 1998, 1306. ____110 OLG München OLGR 2000, 325. 111 OLG Celle NZG 1999, 265; OLG Rostock BRAK-Mitt. 2005, 261; krit.: Rensen MDR 2006, 366 ff. ____112 OLG Nürnberg OLGR 2000, 116. ____113 OLG Köln NJW-RR 2001, 1724. ____114 OLG Koblenz NJW-RR 1988, 662.

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_____senden Sachaufklärung auf Bedenken hinweisen und Gelegenheit geben, diese auszu_____räumen.115 _____ Die richterliche Aufklärungspflicht kann auch im Anwaltsprozess erfordern, die 41 _____Frage des Verweisungsprivilegs des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in einer Zweifel ausschlie_____ßenden Weise mit den Parteien zu erörtern und gegebenenfalls unter entsprechender _____Fragestellung auf noch offene Punkte hinzuweisen. _____ _____ 2. Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, schriftliches Verfahren _____ _____ a) Umstritten war, ob die Vorschriften des § 139 nur für mündliche Verhandlung gel42 _____ten oder auch auf andere Verfahren Anwendung zu finden haben.116 Die Vorschriften des _____§ 139 sind nach ihrem Wortlaut und ihrer Stellung im Gesetz ganz unverkennbar auf _____den in der Regel in Gegenwart beider Parteien stattfindenden Termin zur mündlichen _____Verhandlung zugeschnitten. Auch ist der Rechtsstreit gemäß § 128 Abs. 1 grundsätzlich _____„vor dem erkennenden Gericht mündlich“ zu verhandeln. Auch in den Fällen, in denen _____schriftlich entschieden werden könnte, ist dem Gericht jeweils unbenommen, Termin zur _____mündlichen Verhandlung anzuordnen, wenn es meint, dass die Vorschrift des § 139 an_____zuwenden sei. _____ _____ b) Die Pflichten aus § 139 treffen das Gericht bereits in der Vorbereitung der mündli43 _____chen Verhandlung, da es in jeder Lage des Verfahrens darauf hinzuwirken hat, dass die _____Parteien sich rechtzeitig und vollständig erklären, wie es § 273 Abs. 1 Satz 2 a.F., dessen _____Streichung keine Änderung der Rechtslage nach sich ziehen sollte, sondern dessen Rege_____lungsgehalt nach Vorstellung des Gesetzgebers nunmehr in Abs. 4 Eingang gefunden _____hat, bereits vorgesehen hat.117 Die Regelungen nach § 278 Abs. 3 a.F. und Abs. 2 n.F. wa_____ren und sind in jeder Lage des Verfahrens zu beachten.118 Früher wurde kritisiert, dass _____die systematische Einordnung des § 278 Abs. 3 a.F. in den Zusammenhang der Regelun_____gen über den Ablauf des Haupttermins verfehlt sei.119 Der Schutz vor Überraschungsent_____scheidungen hat aber auch nach früherer Rechtslage nicht nur im Haupttermin gegolten: _____In diesem Sinne aufgeklärt werden sollte jedenfalls bereits im frühen ersten Termin _____(§ 275 a.F.),120 im schriftlichen Vorverfahren121 sowie im schriftlichen Verfahren nach § 128 _____Abs. 2.122 Argumentiert wurde damit, dass die Regelung des § 278 Abs. 3 a.F., die auch der _____Verfahrensbeschleunigung dienen sollte, nicht erst vor Schluss der mündlichen Ver_____handlung angewendet werden dürfte, da dann z.B. ein Schriftsatznachlass und eine Ver_____tagung erforderlich werden könnten.123 Daher wurde bereits zu § 278 Abs. 3 a.F. vertreten, _____es solle so früh wie möglich aufgeklärt werden.124 _____ _____ _____ _____115 OLG Köln OLGR 1992, 163. _____116 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 60 ff.; Redeker NJW 2002, 192 f. _____117 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 10. _____118 Sticken S. 138. 119 Helbig S. 61; Laumen S. 165; E. Schneider MDR 1977, 881, 886; dieses Problem war bereits dem _____Gesetzgeber zur Novelle von 1976 bekannt: Vgl. die Äußerungen des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 7/ _____5250 S. 9. _____120 Bischof NJW 1977, 1897, 1902; Grunsky JZ 1977, 201, 202; Helbig S. 51 f.; Putzo NJW 1977, 1, 3; _____E. Schneider MDR 1977, 881, 886. 121 Grunsky JZ 1977, 201, 202; Helbig S. 167 f.; Laumen S. 166; Putzo NJW 1977, 1, 3. _____122 Helbig S. 62 ff. _____123 Rechtsausschuss BT-Drucks. 7/5250 S. 8. _____124 Helbig S. 161; Laumen S. 167.

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____ c) Nach alledem ist § 139 über seinen Wortlaut hinaus auch im schriftlichen Ver____fahren nach § 128 Abs. 2 oder 3 anzuwenden, jedenfalls „soweit es um eine schriftliche ____Erklärung geht“.125 Indessen bedarf es zu diesem Zweck gar keiner Strapazierung des ____§ 139 über seinen Wortlaut hinaus: Auch außerhalb der mündlichen Verhandlung ist es ____dem Vorsitzenden unbenommen, schriftliche Fragen zu stellen und Hinweise zu geben. ____Durch die Vorschrift des § 273 Abs. 1 wird das Gericht hierzu sogar angehalten, und zwar ____gleichviel, ob später nach mündlicher Verhandlung entschieden wird oder ohne. ____ ____ 3. Gütetermin. Die Pflicht zur Erörterung des Sach- und Streitstandes greift bereits ____in der Güteverhandlung ein.126 Da die Güteverhandlung in gesteigertem Maße der Streit____beilegung dient, sollen auch Gesichtspunkte der Prozessaussichten zur Erörterung ge____langen; dies wird aus dem Wortlaut des § 282 Abs. 2 Satz 2 gefolgert, der vorschreibt, es ____sei der Sach- und Streitstand unter Würdigung aller Umstände zu erörtern.127 ____ ____ 4. § 139 gilt instanzübergreifend ____ ____ a) Die Vorschriften des § 139 als Vorschriften des Ersten Titels – „Mündliche Ver____handlung“ – des Dritten Abschnitts – „Verfahren“ – des Ersten Buches – „Allgemeine ____Vorschriften“ – der Zivilprozessordnung fordern ganz allgemein Beachtung in jedem in ____der ZPO vorgesehenen Verfahren, und zwar in jeder Instanz.128 § 139 gilt daher in allen ____Instanzen, daher neben der Eingangs- auch in der Berufungs-129 und in der Revisionsin____stanz.130 ____ ____ b) Im Schrifttum131 wird vertreten, Abs. 1 umfasse keine Pflicht zur Erteilung einer ____Rechtsmittelbelehrung. Hierfür spricht vordergründig, dass die ZPO im Unterschied zu ____§ 58 VwGO eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorschreibt. Gleichwohl ist diese Ansicht ____aber in dieser Allgemeinheit nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Sie überzeugt für ____den Anwaltsprozess aus den allgemeinen Gründen, die dort für die Begrenzung der ge____richtlichen Hinweispflichten angeführt werden. Gegenüber der Naturalpartei im amtsge____richtlichen Prozess kann dies anders aussehen, zumal in Fällen, in denen das Gericht der ____später erstinstanzlich unterliegenden Partei vergeblich nahegelegt hatte, sich anwaltlich ____vertreten zu lassen. Der BGH132 geht davon aus, die Parteien seien vom Gericht nicht über ____etwaige Formerfordernisse (insbesondere im Rechtsmittelverfahren) zu belehren.133 ____ ____ 5. Besondere Verfahrensarten ____ ____ a) Die gerichtliche materielle Prozessleitung greift in allen zivilprozessualen Verfah____rensarten – also auch im Urkunds- und Wechselprozess (§§ 592 ff.), im Verfahren der ____Wiedereinsetzung134 (§§ 233 ff.) – ein. Weiterhin greift § 139 auch in Verfahren außer____halb des Erkenntnisverfahrens. In der Judikatur ist dies ausdrücklich für das Verfahren ____ ____ ____125 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5. 126 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____127 Reischl ZZP 116 (2003), 81, 106. ____128 MünchKomm-Peters Rdn. 13. ____129 Fellner MDR 2004, 728 ff. ____130 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. 131 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 13. ____132 BGH NJW 2002, 3410. ____133 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 13. ____134 Vgl. BGH VersR 2000, 202; BGH NJW 1999, 2284 jeweils m.w.N.

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_____der Gewährung von Prozesskostenhilfe entschieden worden, wenn dem Antrag die er_____forderlichen Unterlagen nicht beigefügt worden sind,135 ebenso für das Vollstreckungs_____verfahren136 und für das Zwangsversteigerungsverfahren.137 So trifft das Grundbuch_____amt bei der Eintragung einer Zwangssicherungshypothek als Vollstreckungsorgan in _____Bezug auf das Fehlen von Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen anders als sonst im _____Antragsverfahren nach der GBO grundsätzlich eine Hinweispflicht, deren Umfang sich _____aus § 139 ergibt.138 _____ Die Vorschrift gilt auch für das einseitige Beschlussverfahren nach §§ 921, 920.139 49 _____ _____ 50 b) Auch in Verfahren, die außerhalb der ZPO geregelt sind, kann § 139 eingreifen. _____In echten Streitverfahren nach dem FGG wie dem Verfahren der Hausratsteilung und _____dem WEG-Verfahren ergibt sich dies bereits daraus, dass es sich dort um Sonderformen _____des Zivilprozesses handelt.140 § 139 ist aber auch in nichtstreitigen Verfahren nach dem _____FamFG141 immer dann heranzuziehen, wenn es darum geht, dass ein Verfahrensbeteilig_____ter in Ansehung seines eigenen Rechtes Erklärungen abgibt oder Anträge stellt.142 Dabei _____ist z.B. an das vormundschaftsgerichtliche Verfahren zu denken, wenn Eltern in Aus_____übung ihres Pflichtrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626 BGB oder der Vormund etwa mit _____Anträgen auf Festsetzung einer Vergütung handelt. Für das Insolvenzverfahren be_____stimmt dies § 4 InsO,143 da insofern keine strukturellen Besonderheiten des Insolvenzver_____fahrens vorliegen, die eine entsprechende Anwendung des § 139 ausschließen würden. _____ _____ IV. Das Gericht als Adressat des § 139 _____ _____ 1. Aufgabe und Befugnisse des Vorsitzenden _____ _____ a) Die in § 139 normierten Pflichten treffen zwar nach der Neufassung nicht mehr 51 _____den Vorsitzenden als solchen, sondern das Gericht, sind aber in der Sache unverändert, _____mag sich auch die Reihenfolge der Auflistung geändert haben: Auf die vollständige Er_____klärung und die Stellung sachdienlicher Anträge etc. hatte der Vorsitzende nach Abs. 1 _____Satz 1 der alten Fassung hinzuwirken, jetzt hingegen nach Abs. 1 Satz 2 das Gericht. Um_____gekehrt hat nach Abs. 1 Satz 1 jetzt das Gericht das Sach- und Streitverhältnis soweit er_____forderlich mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und _____Fragen zu stellen, was nach Abs. 1 Satz 2 a.F. der Vorsitzende zu tun hatte. Der Vorsit_____zende schließlich hatte und das Gericht hat jetzt jeweils gemäß Abs. 2 auf die dort ange_____sprochenen Bedenken hinzuweisen, die in Ansehung der von Amts wegen zu berück_____sichtigenden Punkte bestehen bzw. nach der alten Fassung „obwalten“. _____ 52 Nach alledem kann von Einfluss auf die Rechtslage nur gewesen sein, dass als _____Normadressat in § 139 jetzt nicht mehr der Vorsitzende als solcher vorgesehen ist, son_____dern das Gericht als solches. Es ist daher zu fragen, inwieweit dieser Änderung prakti_____sche Bedeutung zukommen kann. Praktische Bedeutung hat diese Änderung sicher nicht _____für die vielen Fälle, in denen ohnehin ein einzelner Richter entscheidet, sei es nun der _____ _____ 135 OLG Rostock FamRZ 2003, 1396. _____136 OLG Köln FamRZ 1995, 312. _____137 BVerfGE 42, 64, 78; BVerfG NJW 1993, 1699. _____138 OLG Jena Rpfleger 2002, 355. _____139 OLG Stuttgart NJW 2001, 1145. 140 Pawlowski/Smid Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rdn. 45 ff., 627. _____141 Zum FGG (FGG durch FamFG ersetzt) BayObLG NZM 2004, 391. _____142 Pawlowski/Smid Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rdn. 201. _____143 Vgl. statt aller Smid InsO, 2. Aufl. 2002, § 4 Rdn. 3, 8.

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____Amtsrichter als Vorsitzender des Amtsgerichts, sei es ein beauftragter Richter. In die____sem Zusammenhang ist aber weiter zu berücksichtigen, dass die Tendenz ja gerade ____dahin geht, mehr und mehr Einzelrichter an die Stelle von Spruchkörpern treten zu ____lassen. Aber selbst in den Fällen, in denen jetzt das Gericht an Stelle des Vorsitzenden ____die materielle Prozessleitung hat, hat sich gegenüber dem bis 2002 geltenden Rechtszu____stand nichts Wesentliches geändert: Die formelle Prozessleitung ist dem Vorsitzenden ____geblieben, nämlich gemäß § 136. Es stellt sich daher die Frage, wie denn das Gericht ____an Stelle des Vorsitzenden handeln könnte, da doch das Gericht nicht anders handeln ____kann als durch natürliche Personen. Dabei handelt es sich jedenfalls primär um die ____Personen, denen gemäß § 136 die formelle Prozessleitung obliegt. Zwar mag der Vorsit____zende einem Beisitzer das Wort erteilen, aber das konnte er auch schon nach bisherigem ____Recht. ____ ____ b) In den weitaus meisten Anwendungsfällen des § 139 obliegt die Handhabung die- 53 ____ser Vorschrift – im üblichen Sprachgebrauch: „das Gebrauchmachen von der Vorschrift ____des § 139“ – dem Vorsitzenden, und zwar einfach schon deshalb, weil dieser als Einzel____richter mit dem Gericht identisch ist. Aber auch in den Fällen, in denen der Vorsitzende ____als Vorsitzender eines Kollegialgerichtes fungiert, obliegt es – jedenfalls primär – ihm, ____von der Vorschrift des § 139 „Gebrauch zu machen“. Erreicht er mit dieser seiner Tätig____keit zugleich das, was die Beisitzer erreichen wollen, bleibt es bei der Prozessleitung ____durch ihn. Allerdings handelt der Vorsitzende eines Spruchkörpers – anders als der Vor____sitzende als Einzelrichter – nicht Kraft eigener Machtvollkommenheit, er muss sich jetzt ____vielmehr bei Anwendung der Vorschriften des § 139 im Einklang mit dem Gericht befin____den. Ist das nicht der Fall, liegt der hier so genannte „Ausnahmezustand im Hinblick auf ____§ 139“ vor. „Vorsitzender“ im Sinne von § 139 a.F. waren nicht die Kraft Amtsbezeich____nung so genannten „Vorsitzenden Richter am Landgericht“ oder „Vorsitzenden Richter ____am Oberlandesgericht“ und auch nicht die Vorsitzenden von Kammern oder Senaten in ____dieser Eigenschaft als solcher, sondern nur die waren Vorsitzende im Sinne von § 139 ____a.F., die in der mündlichen Verhandlung den Vorsitz führten, gleichviel ob sie „Vorsit____zender Richter“ waren oder nur Richter am Landgericht oder Amtsgericht. Umgekehrt ____waren aber alle diejenigen, die in der mündlichen Verhandlung den Vorsitz führten, in ____Bezug auf diese Verhandlung „Vorsitzender“ im Sinne von § 139. Es kam also nur auf die ____Funktion an, auf die Rolle, die im konkreten Fall ausgeübt wurde. So mochte es gesche____hen – etwa in „Ferienbesetzungen“ –, dass ein Protokoll unterschrieben war „X Beisit____zender Richter am Landgericht als Vorsitzender Richter“ und „Y Vorsitzender Richter am ____Landgericht als Beisitzender Richter“. In Kollegialgerichten genügt der Vorsitzende den ____ihn als Vorsitzenden des Gerichtes treffenden Pflichten, indem er die Vorschrift des § 139 ____so handhabt, wie es das Gesetz jetzt unmittelbar dem Gericht gebietet. Die Pflichten aus ____§ 139, die den Vorsitzenden früher unmittelbar trafen, treffen ihn jetzt immerhin noch ____mittelbar, weil er auch ihnen genügen muss, um seinen Pflichten gegenüber dem Gericht ____gerecht zu werden. ____ Durch die Vorschrift des § 139 Abs. 1 a.F. wurden ausschließlich Pflichten des Vorsit- 54 ____zenden begründet; er war allein Adressat aller Vorschriften des § 139: In der Neufassung ____des § 139 gilt jedoch, dass nicht mehr der Vorsitzende, sondern allein das Gericht unmit____telbar Normadressat des § 139 ist. Allein für das Gericht werden durch § 139 unmittelbar ____Pflichten begründet. Indessen treffen diese Pflichten, die das Gericht unmittelbar treffen, ____eben hierdurch wenigstens mittelbar auch den Vorsitzenden des Gerichtes. Soweit ange____nommen wurde, dass sich aus Abs. 3 a.F. eine Pflicht auch der Beisitzer ergäbe, ist daran ____zu erinnern, dass auch durch diesen Abs. 3 ausschließlich eine Pflicht des Vorsitzenden ____begründet wurde, nämlich die, „jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, 133

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Fragen zu stellen“,144 hingegen keine Pflicht der Beisitzer, zu verlangen, dass sie Fragen _____stellen dürfen. Dies gilt nach wie vor nur heute gemäß § 136 Abs. 2 Satz 2 (unbenommen _____bleibt dem Vorsitzenden, vor und zwischen den Terminen einem anderen Mitglied des _____Kollegiums die Wahrnehmung der Pflichten aus § 139 zu übertragen,145 obzwar unter _____seiner, des Vorsitzenden, Verantwortung). Diese Möglichkeit wird nicht etwa durch _____Abs. 3 auf das Fragerecht beschränkt: Fragen zu stellen hat der Vorsitzende jedem Mit_____glied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, er kann aber auch die Erörterung einem _____Beisitzer – etwa dem Berichterstatter – überlassen. _____ _____ 2. Aufgabe und Befugnisse der Beisitzer _____ _____ a) Die Rolle der Besitzer ist durch die Neufassung nicht geändert worden. Der An55 _____sicht, die Erteilung von Hinweisen obliege nunmehr dem „Gericht“, also jedem Mitglied _____des Spruchkörpers,146 kann nicht gefolgt werden: Der Beisitzer ist nicht das Gericht, _____und für das Gericht sprechen nicht die Beisitzer, sondern der Vorsitzende. _____ _____ b) Daraus, dass Normadressat nicht mehr der Vorsitzende, sondern jetzt das Gericht 56 _____ist, folgt unabweisbar, dass der Vorsitzende bezüglich der Anwendung von § 139 von den _____Beisitzern überstimmt werden kann. Dass der Vorsitzende in dem einen oder anderen _____Punkt überstimmt wird, hindert ihn nicht daran, im Übrigen die Prozessleitung wahrzu_____nehmen. Er muss sich nur auf den Standpunkt stellen, bezüglich dessen er in der Bera_____tung unterlegen war, weil nicht er zu entscheiden hat, sondern das Gericht. Allerdings _____kann er und wird nicht selten die Verhandlung über den im Gericht umstrittenen Punkt _____einem der Beisitzer, die ihn überstimmt haben, überlassen. Hat der Vorsitzende einen _____der Beisitzer beauftragt, die Verhandlung zu führen, dann ist dieser ab Übernahme der _____Verhandlung Vorsitzender und Gericht zugleich. _____ _____ 57 c) Treten aber Divergenzen zwischen den Ansichten einerseits des Vorsitzenden und _____andererseits beider Beisitzer auf, dann kommt es darauf an, ob es im Rahmen von § 139 _____im konkreten Fall um ein Tun oder um ein Unterlassen geht: Will der Vorsitzende etwas _____tun, was die Beisitzer nicht billigen – etwa bestimmte Fragen stellen, auf einen bestimm_____ten Antrag hinwirken oder ähnliches – dann entscheidet das Gericht, und zwar nicht _____gemäß § 140, sondern gemäß § 194 GVG nach vorangegangener Beratung. Unterlässt _____aber der Vorsitzende etwas – eine Frage, eine Anregung –, was er nach Ansicht der bei_____den Beisitzer tun sollte, dann sind jetzt diese selbst aufgerufen, die entsprechende Anre_____gung zu geben; eben darin besteht die Auswirkung der Veränderung des Normadressa_____ten vom Vorsitzenden auf das Gericht. Aber gerade auch dann, wenn der Vorsitzende _____überstimmt wird, gelten für ihn die sich unmittelbar für das Gericht aus § 139 ergeben_____den Pflichten mittelbar, da er ja doch weiterhin Vorsitzender bleibt. Vor Kollegialgerich_____ten kann sich ein hier so genannter „Ausnahmezustand im Hinblick auf § 139“ ergeben, _____wenn der Vorsitzende entgegen dem äußeren Anschein in Wirklichkeit nicht im Einklang _____mit dem Gericht gehandelt hat: So mag es etwa sein, dass der Vorsitzende unversehens _____eine ihm in der Vorberatung verbotene Frage gestellt oder einen entsprechenden Hin_____weis erteilt hat, sei es, dass er wegen des Umfanges der Beratung und der Beratungser_____gebnisse die Unzulässigkeit nach dem Beschluss übersehen hat, sei es, dass er darauf _____vertraute – etwa wegen zwischenzeitlicher anderer Ergebnisse der Verhandlung –, dass _____ _____144 Borck WRP 2005, 1139, 1141. _____145 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 96. _____146 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5, 6.

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____die Beisitzer oder doch mindestens einer von Ihnen inzwischen sich zu der Ansicht be____kehrt hätten, dass die Frage oder der Hinweis des Vorsitzenden entgegen der ursprüngli____chen Ansicht der Beisitzer doch berechtigt war. Auch mag sich im Einzelfall einmal erge____ben, dass der Vorsitzende Hinweise gibt oder Fragen stellt, die zu geben oder zu stellen ____ihm durch Beschluss der Beisitzer verwehrt worden wäre, wenn hierüber nur eine Ab____stimmung stattgefunden hat. Eine solche Abstimmung mag deshalb unterblieben sein, ____weil gar keine Vorberatung stattgefunden hat oder weil in dieser Vorberatung kein Prob____lembewusstsein bezüglich der später aufgetretenen Punkte bestanden hatte. In solchen ____Fällen muss die vom Vorsitzenden getroffene Maßnahme nicht automatisch unzulässig ____sein: Auch die Beisitzer oder doch einer von ihnen könnte ja inzwischen aufgrund der ____Erfahrungen aus der mündlichen Verhandlung seine Ansicht geändert haben. Es ist viel____mehr erneut zu beraten, und zwar findet wiederum nicht § 140 Anwendung, sondern ____§ 194 GVG. ____ ____ d) Von den Anwendungsfällen des § 139 a.F. – und also von den Fällen, für die sich 58 ____Pflichten des Vorsitzenden aus den Vorschriften des § 139 a.F. ergaben, Pflichten, die ____heute das Gericht treffen – betreffen die weitaus meisten Situationen, in denen der Vor____sitzende und das Gericht identisch sind. In diesen Fällen treffen die Pflichten aus § 139 ____zwar unmittelbar jetzt das Gericht, mittelbar aber nach wie vor den Vorsitzenden (hierzu ____vgl. Rdn. 56). Entsprechendes gilt auch für solche Anwendungsfälle, die vor Kollegialge____richten anhängig sind, jedenfalls so lange der Vorsitzende im Einklang mit dem Gericht ____tätig ist oder – je nach dem – untätig bleibt. Da in allen Anwendungsfällen des Abs. 1 mit ____den sich hieraus ergebenden Pflichten des Gerichtes die entsprechenden Pflichten des ____Vorsitzenden dieses Gerichtes einhergehen, wird in der nun folgenden Kommentierung ____des Abs. 1 auf den Vorsitzenden abgestellt, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ____auch hier nicht verkannt wird, dass auch das Gericht als solches in der Pflicht steht. ____ ____ 3. Zuständigkeit des Rechtspflegers und des Grundbuchamtes. Ist der Rechts- 59 ____pfleger zuständig, richtet sich § 139 an ihn als „Gericht“.147 Dies gilt im Grundbuchverfah____ren auch für das Grundbuchamt.148 ____ ____ V. Grenzen der Befangenheit aufgrund Wahrnehmung materieller ____ Prozessleitung ____ ____ 1. Grundsatz: Gesetzlich gebotene und daher erlaubte Prozessleitung ____ begründet keine Befangenheit des Richters ____ ____ a) Die Erfüllung der Pflicht der Richter, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, 60 ____kann nicht die Annahme rechtfertigen, die abgelehnten Richter stünden der Sache nicht ____mehr unvoreingenommen gegenüber.149 Ein im Rahmen der richterlichen Aufklärungs____und Hinweispflicht gebotenes Verhalten kann die Ablehnung eines Richters selbst dann ____nicht rechtfertigen, wenn dadurch die Prozesschancen einer Partei verringert werden. ____Dies gilt auch, wenn eine bereits geschlossene mündliche Verhandlung wiedereröffnet ____wird.150 ____ ____ ____ 147 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 14. ____148 OLG Karlsruhe Rpfleger 1998, 158. ____149 OLG Stuttgart NJW 2001, 1145. ____150 OLG Köln OLGR 2005, 53.

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_____ 61 Wozu die Zivilprozessordnung den Vorsitzenden bzw. nach neuer Fassung des Ge_____setzes „das Gericht“ durch § 139 verpflichtet, das erlaubt sie ihm auch.151 Der Pflicht, et_____was zu tun, entspricht auch das Recht, dies zu tun: Es wäre andernfalls ein nicht erklär_____barer Gesetzeswiderspruch, wenn ihm – nämlich dem Vorsitzenden bzw. dem Gericht – _____die Initiative gleichzeitig geboten wie verboten wäre!152 Die bloße Erfüllung seiner Pflicht _____aus § 139 durch den Vorsitzenden als solche kommt daher als Grund, der geeignet ist, _____Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen i.S.v. § 42 Abs. 2 _____und daher für dessen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit schlechthin, nicht _____in Betracht, und zwar um so weniger, als der Vorsitzende gar keinen Ermessensspiel_____raum in der Frage hat, ob er § 139 nun anwenden will oder nicht.153 _____ _____ b) Richterliche Hinweise gemäß §§ 139, 273 136 Abs. 3, 141, 358 a begründen eine 62 _____Befangenheit des Richters nicht,154 sofern sie von dem Umfang der gesetzlich normierten _____richterlichen Hinweispflicht gedeckt sind.155 Eine Hinweispflicht besteht nicht, wenn sich _____im Vortrag der hingewiesenen Partei keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Rechts_____position, auf die hingewiesen wurde, geltend gemacht werden sollte.156 Die Einbeziehung _____von Ansprüchen, die im Prozess nicht geltend gemacht worden sind, in einen Vergleichs_____vorschlag rechtfertigt die Ablehnung nicht.157 Die zitierten Vorschriften rechtfertigen es _____nicht, dass der Richter einer Partei unter Aufgabe seiner Neutralität Hilfestellungen gibt, _____etwa durch die Mitteilung eines neuen Klagegrundes,158 den Rat, Anschlussberufung _____einzulegen159 oder einen neuen Zeugenbeweis zu beantragen,160 eine Abtretung anzura_____ten, um Probleme der Klagebefugnis zu umgehen161 sowie – nach der bislang herrschen_____den Auffassung – auch Hinweise auf Einreden wie die der Verjährung162 (hierzu vgl. _____unten Rdn. 65 und 183 ff.). Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht soll der Hin_____weis auf die einer Partei ungünstige materielle Rechtslage noch keine Verletzung der _____richterlichen Neutralität begründen.163 Der Hinweis auf die eingetretene Verjährung kann _____nach einer vermittelnden Ansicht nur im Anwaltsprozess Ablehnungsgrund sein.164 Da_____gegen sind rechtliche Meinungsäußerungen etwa im Rahmen der Einführung in den _____Sach- und Streitstand grundsätzlich auch dann unbedenklich, wenn der Richter sich zu _____den Erfolgsaussichten der Klage äußert,165 Äußerungen im Rahmen von Vergleichsge_____sprächen166 tätigt oder an einer Rechtsauffassung festhält, die von den Instanzgerichten _____ _____ _____ 151 Vgl. in diesem Sinne auch KG NJW 2002, 1732. _____152 MünchKomm-Peters Rdn. 16. _____153 BVerfGE 42, 64, 78; OLG Köln MDR 1990, 158; Musielak-Stadler Rdn. 5; a.A. KG FamRZ 1990, 1006. _____154 BVerfGE 42, 88, 90; abw. OLG Köln MDR 1999, 375. _____155 KG FamRZ 1990, 1006; OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 224, 226; OLG Köln VersR 1992, 380; OLG Düsseldorf NJW 1993, 2542. _____156 Vgl. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 52. _____157 KG MDR 1999, 253. _____158 KG JW 1931, 87. _____159 KG JW 1931, 1104. _____160 A.A. OLG Frankfurt/M NJW 1976, 2025, 2026. 161 OLG Frankfurt/M NJW 1970, 1884. _____162 BGH NJW 1998, 612; OLG Bremen NJW 1986, 999; OLG Hamburg NJW 1984, 2710; OLG Bremen NJW _____1979, 2215; Rensen MDR 2004, 489 ff. _____163 Zöller-Vollkommer Rdn. 27. _____164 Stein/Jonas-Bork Rdn. 11 Fn. 58 m.w.N.; vgl. aber BayObLG NJW 1999, 1875; AG Lörrach JurBüro 1999, 484. _____165 KG FamRZ 1979, 322; OLG Karlsruhe OLGZ 1987, 248 f.; BFH NJW 1996, 216; OLG Karlsruhe NJW-RR _____1998, 1446. _____166 OLG Köln NJW 1975, 788; OLG Stuttgart, Justiz 1973, 92, 93; KGR 1998, 359.

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____nicht mehr geteilt wird.167 So hält sich ein richterlicher Hinweis darauf, dass ein Antrag ____in der ursprünglichen Form keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, im Rahmen der rich____terlichen Hinweispflicht nach § 139.168 ____ Auch dann, wenn das Gericht einen Kläger wiederholt (im Termin und in einem ____Hinweis- und Beweisbeschluss) darauf hinweist, er möge seine Klagebegründung, um ____die Klage schlüssig zu machen, ändern und den entsprechenden Vortrag unter Beweis ____stellen, ist dies durch die prozessuale Hinweis- und Fürsorgepflicht des Gerichts gedeckt ____und vermag nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen.169 ____ ____ c) In der weiteren Konsequenz verletzt ein Vorsitzender, der aus Sorge, den An____schein der Befangenheit hervorzurufen, hinter seinen Rechten aus § 139 zurückbleibt, ____seine diesen Rechten entsprechenden Pflichten: Die Rechte und Pflichten des Vorsitzen____den, soweit sich diese aus § 139 ergeben, korrespondieren miteinander, eben weil kein ____Ermessensspielraum besteht:170 Was der Vorsitzende aufgrund der Vorschrift des § 139 ____darf, das soll er auch: „Weder sollte sich also der Richter aus Furcht vor erwarteten oder ____gar angedrohten Befangenheitsablehnungen von den gebotenen Hinweisen abhalten ____lassen, noch darf die Auslegung des § 139 restriktiv erfolgen, nur um solchen Ableh____nungsanträgen auszuweichen“.171 Wenn gleichwohl zuweilen – gar nicht einmal so sel____ten – Hemmungen in der Ausübung der Rechte aus § 139 erkennbar werden, dann wer____den diese für gewöhnlich aus schlechten Erfahrungen mit ungerechtfertigter Ablehnung ____erwachsen sein. Folgendes Beispiel hierfür ist in der Judikatur entschieden worden: Der ____Gerichtsvorsitzende wird der richterlichen Aufklärungspflicht nicht hinreichend gerecht, ____wenn er die klagende Partei lediglich auf unzureichende Sachanträge hinweist, ohne ____darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden.172 ____ ____ d) Die Korrespondenz der Rechte und Pflichten aus § 139 endet an den Grenzen, die ____durch die Vorschriften des § 139 gezogen werden: Ein durch § 139 nicht gebotenes Ver____halten muss daher keineswegs per se rechtswidrig oder auch nur ein Grund zur Ableh____nung wegen Besorgnis der Befangenheit sein, beispielsweise dann nicht, wenn es durch ____andere Vorschriften geboten ist. Andererseits können Hinweise und Fragen des Vorsit____zenden, die der Sache nach durch § 139 geboten sind, im Einzelfall dennoch wegen der ____Form, in die sie gekleidet werden, unzulässig sein oder die Besorgnis der Befangenheit ____begründen, etwa – theoretisch immerhin denkbar – wegen beleidigender oder schaden____froher Formulierung. ____ Die Zweifel an der Überzeugungskraft der Thesen der Befürworter einer Ausdehnung ____richterlicher Hinweispflichten – im konkreten Falle der vom Beklagten nicht angespro____chene Verjährungslagen – nehmen ihren Ausgangspunkt darin, dass es nicht dem Klä____ger obliegt, darzulegen, dass ein entsprechender richterlicher Ratschlag den Beklagten ____bevorzugt. Die Dinge liegen, wie Sticken173 überzeugend dargetan hat, vielmehr umge____kehrt: Legt das Gericht dem Beklagten nahe, verjährungsbegründende Umstände vorzu____tragen um sich auf Verjährung berufen zu können, bedarf es der Rechtfertigung, dass ____dies von Zweck und Umfang der richterlichen Prozessleitungsaufgabe legitimiert ist. ____ ____167 OLG Köln OLGR 1998, 281. ____168 OLG Bremen OLGR 2002, 105. ____169 OLG Köln VersR 1992, 380. ____170 Vgl. MünchKomm-Peters Rdn. 6, 7; Musielak-Stadler Rdn. 5 jeweils mit Nachw.; ebenso grundsätzlich Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27. ____171 MünchKomm-Peters Rdn. 16. ____172 OLG Bremen OLGR 2002, 105. ____173 Sticken S. 125.

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_____Denn eine derartige ummittelbar prozessentscheidende (arg. § 300) Hilfestellung des _____Gerichts zugunsten einer Partei stellt die Unbefangenheit des Richters im Streit der Par_____teien in Frage. Demgegenüber wird im Schrifttum174 behauptet, der Kläger habe als Pro_____zesspartei kein Recht darauf, dass ihm im Verfahren eine günstige Position allein auf_____grund von Fehlern und Unbeholfenheiten der anderen Seite zu Teil werde. Diese Art der _____Begründung setzt aber voraus, was erst nachzuweisen wäre. Sie ist auf die Naturalpartei _____zugeschnitten. Durch die Prozessleitung darf das Gericht seine Hinweise aber nicht an _____Stelle der Prozessführung der Partei treten lassen; es ist in diesen Fällen geboten, der _____Partei die Mandatierung eines Anwalts nahezulegen, wenn im Gericht aufgrund eklatant _____anmutender Versäumnisse Zweifel daran bestehen, ob die Partei ohne Rechtsbeistand _____den Prozess überhaupt angemessen zu führen imstande ist.175 Im fehlenden anwaltlichen _____Vortrag verjährungsbegründender Tatsachen „Unbeholfenheiten“ zu sehen, geht dem_____gegenüber zu weit.176 Die Erörterung kann geboten sein, wenn sie zur Wahrung dieses _____Grundsatzes notwendig ist. Dafür reicht die Ungeschicklichkeit des Anwalts allein nicht _____aus: Auch der Ungeschickte muss vom Gericht als gleichberechtigt angesehen werden. _____Nicht nur der gute Anwalt, sondern auch der ungeschickt agierende Anwalt sollte Pro_____zesse trotz § 139 verlieren können. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) _____ist der Anwalt nach § 3 Abs. 1 BRAO der unabhängige Berater der Partei, das Gericht _____nimmt diese Stellung nicht ein. Wenn dieser unabhängige Berater von der Partei frei _____gewählt werden kann, schließt diese Freiheit im Grundsatz auch ein, dass die Partei die _____sich daraus ergebenden Risiken tragen muss. Eine fehlerhafte Prozessführung per se als _____Aufklärungsanlass anzusehen liefe darauf hinaus, die Verantwortung der Partei einseitig _____auf das Gericht zu verlagern – was mit der Fundamentalstruktur des Prozesses nicht ver_____einbar ist.177 _____ _____ 2. Verdacht der Befangenheit wegen der Art und Weise _____ der materiellen Prozessleitung _____ _____ a) Würde der Vorsitzende einer Partei hinter dem Rücken der anderen Partei Hin67 _____weise geben oder Fragen stellen, würde sicherlich die Besorgnis der Befangenheit im _____Sinne der Vorschrift des § 42 gerechtfertigt sein. Bei Hinweisen oder Fragen in der münd_____lichen Verhandlung gemäß § 139 ergeben sich insoweit keine Probleme, weil zur Ver_____handlung ja beide Parteien geladen werden. Aber auch bei schriftlichen Hinweisen und _____Fragen des Vorsitzenden an eine Partei wird die Besorgnis der Befangenheit jedenfalls _____dann nicht begründet sein, wenn sich diese Hinweise und Fragen im Übrigen in den _____Grenzen des § 139 halten und die andere Partei sogleich durch Überlassung von Ab_____schriften informiert wird. Das ist andererseits aber auch geboten, schon um den bösen _____Schein der Parteilichkeit zu vermeiden. _____ _____ 68 b) Zuweilen erfolgen Hinweise und Fragen weder in der mündlichen Verhandlung _____noch schriftlich unter Übersendung von Abschriften an die jeweils andere Partei, son_____dern kurzerhand telefonisch und damit notwendig einseitig und hinter dem Rücken der _____anderen Partei. Aus deren Sicht würde sicherlich „Misstrauen gegen die Unparteilich_____keit“ im Sinne von § 42 Abs. 2 gerechtfertigt sein, erführe sie nur hiervon. Dass ihr diese _____ _____ _____ 174 Seelig S. 98. _____175 So auch Sticken S. 125. _____176 Sticken S. 126. _____177 Sticken S. 127.

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____einseitige Beratung in der Regel verborgen bleibt, macht dieses Verhalten nicht verzeih____licher. ____ ____ VI. Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses mit den Parteien, Abs. 1 Satz 1 ____ ____ 1. Gegenstand und Umfang. Nach den einführenden Überlegungen zur Aufgabe ____des § 139 stellt sich die Pflicht des Gerichts gemäß Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift, das Sach____und Streitverhältnis mit den Parteien zu erörtern, als die Kernregelung der materiellen ____Prozessleitung dar. Allerdings hat der BGH – allerdings für die Aufgaben des Insolvenz____gerichts im Verbraucherinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren – entschieden, ____die konkrete Anwendung des § 139 durch die Ausübung der gerichtlichen Hinweispflicht ____und des Fragerechts hänge von den Umständen des Einzelfalls ab und ist somit einer ____rechtsgrundsätzlichen Beurteilung entzogen.178 ____ Die „Entkoppelung“ der Erörterungspflicht von der Prozessleitungspflicht nach ____Abs. 1 Satz 2 n.F. durch Wegfall der Wendung „zu diesem Zwecke“ hat indes zu keiner ____zwingenden Neuorientierung in den dort (unten Rdn. 96 ff.) zu erörternden Fallgruppen ____geführt. Es ist also nach wie vor nicht auf eine „sachdienliche“ Klageänderung oder die ____in Betracht kommende Verjährungseinrede (hierzu vgl. unten Rdn. 183 ff.) hinzuweisen. ____Insofern bestätigt sich die These, die neue materielle Prozessleitung ergebe – jedenfalls ____in Bezug auf die genannten Fallgruppen – sachlich kaum Neues. ____ Das Gericht ist verpflichtet, das „Streitverhältnis“ mit den Parteien zu erörtern. Die____ser Begriff entspricht in Bedeutung und Umfang dem „Sach- und Streitstand“, von dem ____in § 278 Abs. 2 Satz 2 die Rede ist.179 Unter dem Streitverhältnis ist das gesamte materielle ____und prozessuale Streitverhältnis der Parteien zu verstehen. Es umfasst daher alle tat____sächlichen und rechtlichen Beziehung, die von den Parteien zum Gegenstand des Pro____zesses gemacht werden, als auch den Prozessverlauf selbst, namentlich den Stand, den ____das Verfahren aufgrund angekündigter oder gestellter Anträge der Parteien, aber auch ____aufgrund ihrer sonstigen Erklärungen, Geständnisse, Verzichte, Rücknahmen, Erledig____erklärungen, seien diese Erklärungen von einer oder beiden Parteien abgegeben, erreicht ____hat. Dies schließt die Erörterung des Ergebnisses von Beweisaufnahmen in tatsächlicher ____und rechtlicher Hinsicht ein. ____ Das Streitverhältnis der Parteien bestimmt Gegenstand und Umfang der richterli____chen Hinweispflicht.180 ____ Der Inhalt der Einführung in den Sach- und Streitstand bestimmt die Reichweite der ____Erörterungspflicht nach Abs. 1 Satz 1. „Erörterung“ bedeutet danach die Gewährleistung ____der Kommunikation des Gerichts mit den Parteien über das ,,Sach- und Streitverhältnis“ ____nach seiner tatsächlichen und rechtlichen Seite hin. Mit der Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 ____soll die nunmehr im Zuge des ZPO-RG fortgefallene Regelung nach § 278 Abs. 1 a.F. er____setzt werden, nach der das Gericht zu Beginn des Haupttermins in den Sach- und ____Streitstand einführt und die Parteien hierzu gehört werden sollen.181 Der streitigen münd____lichen Verhandlung soll nach § 278 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich eine obligatorische Güte____verhandlung vorgehen, die nach § 278 Abs. 2 Satz 2 eine Erörterung des Sach- und Streit____standes unter freier Würdigung aller Umstände umschließt. Von diesem Gespräch mit ____den nach § 278 Abs. 3 Satz 3 ,,persönlich zu hörenden Parteien kann nach § 278 Abs. 2 ____Satz 1 abgesehen werden, soweit eine Güteverhandlung vor einer außergerichtlichen ____ ____ 178 BGH ZVI 2006, 351. ____179 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 16. ____180 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 17. ____181 Sticken S. 107.

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_____Stelle stattgefunden hat oder ,,erkennbar aussichtslos“ ist. Hat aber – sei es im Rahmen _____eines Güte-, Haupt- oder frühen ersten Termins – keine Erörterung des Sach- und Streit_____verhältnisses stattgefunden, hat dies nunmehr nach Abs. 1 Satz 1 zu erfolgen.182 Die _____Pflicht zur „Einführung in den Sach- und Streitstand“ ist im Zuge der Novelle von 1976 in _____die ZPO aufgenommen worden. Die Wendung des „Sach- und Streitstandes“ findet sich _____in § 313 Abs. 2 Satz 2. Dort ist mit „Sachstand“ das unstreitige und mit „Streitstand“ das _____streitige Vorbringen der Parteien gemeint.183 Daraus wird der Schluss gezogen, das Ge_____richt soll sich mittels der Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Parteien nur _____Klarheit verschaffen, ob es den jeweiligen Parteivortrag sowohl richtig und vollständig _____erfasst als auch seine Bedeutung verstanden hat. Dazu dient im Übrigen auch die per_____sönliche Anhörung der Parteien, soweit diese persönlich erschienen bzw. nach § 141 _____Abs. 1 geladen worden sind. Wenn die Angaben einer Partei für sichere Feststellungen _____des Gerichts nicht ausreichen, hat das Gericht darauf hinzuweisen. Das gilt in besonde_____rem Maße, wenn eine Partei persönlich „zur Aufklärung des Sachverhalts“ geladen und _____angehört wird (hier: zur Feststellung der Tätigkeiten vor Berufsunfähigkeit). Dann kann _____und darf die Partei davon ausgehen, das Gericht werde ihr die zur gebotenen Sachauf_____klärung notwendigen Hinweise geben, und ihr Gelegenheit einräumen, ihren bislang _____(aus der Sicht des Gerichts) noch unzureichenden Tatsachenvortrag zu vervollständi_____gen.184 Die Einführung in den Sach- und Streitstand darf sich daher nicht in einem blo_____ßen Monolog des Richters erschöpfen.185 Daher ist es überzeugend, wenn aus § 278 Abs. 1 _____a.F. eine Pflicht des Gerichts zu einem Rechtsgespräch gefolgert wurde, das auch die _____rechtliche Seite des Streits umfasst.186 Das Gericht solle also auch offenlegen, wie es im _____Stadium der Verhandlungseröffnung die Rechtslage beurteilt. Bei einfachen, überschau_____baren Sachverhalten soll eine Einführung dagegen auch gänzlich entfallen können.187 _____ 74 Hierfür spricht nicht zuletzt auch die Formulierung des Abs. 4 Satz 1, nach der Hin_____weise so früh wie möglich zu erteilen sind. Eine zu Beginn der mündlichen Verhandlung _____erfolgende Einführung in den Sach- und Streitstand als Darlegung, wie sich die Streitsa_____che dem Richter darstellt, ist also der Ausgangspunkt einer umfänglichen Erörterung _____i.S.d. Abs. 1 Satz 1. Die Einführung in den Sach- und Streitstand ist erforderlich, wenn der _____Richter zu der Auffassung gelangt, er müsse seine Beurteilung und die der Partei ihr _____Vorbringen betreffend zu Beginn des Termins abgleichen.188 Dies gilt auch, wenn bereits _____im Rahmen einer vorausgehenden Güteverhandlung eine Erörterung des Sach- und _____Streitstandes nach § 278 Abs. 2 Satz 2 stattgefunden hat.189 _____ 75 Die Neufassung des Abs. 1 Satz 1 leitet daher die bereits früher nach § 278 Abs. 1 a.F. _____vertretene Meinung, es sei zulässig, zu Beginn des Termins durch das Gericht (den Vor_____sitzenden) in den Sach- und Streitstand einzuführen, in die Rechtslage nach der Reform _____2002 über. Damit ist vor dem Hintergrund der dialogischen Struktur des Prozesses und _____der Aufgabe richterlicher Prozessleitung nicht nur zulässig, sondern sinnvoll, zweckmä_____ßig und vom Prozessleitungsgebot des § 139 erfasst, dass das Gericht zu Beginn des Ter_____mins einleitende Erörterungen anstellt.190 Durch diese nähere Fassung des unbestimm_____ _____ _____ 182 So überzeugend Sticken S. 108. _____183 Vgl. Zöller-Vollkommer § 313 Rdn. 11 ff. _____184 BGH NJW-RR 1999, 605. _____185 Sticken S. 109. _____186 Bischof Rdn. 96; Grunsky JZ 1977, 201, 203. 187 MünchKomm-Prütting § 287 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 278 Rdn. 6. _____188 Sticken S. 110. _____189 Sticken S. 110. _____190 Sticken S. 110.

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____ten Rechtsbegriffs der Erforderlichkeit nach Abs. 1 Satz 1 wird zudem die Bedeutung des ____Mündlichkeitsprinzips gestärkt.191 ____ Ganz überwiegend wird die Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 wie bereits nach bisheriger 76 ____Rechtslage jedenfalls dann für erforderlich gehalten, wenn nach Abs. 1 Satz 2 eine Pflicht ____zum Hinwirken auf Tatsachenvollständigkeit, -rechtzeitigkeit und Antragssachdienlich____keit besteht.192 Ziel dieses Gesprächs193 über das Sach- und Streitverhältnis ist also im We____sentlichen, das Parteivorbringen zu strukturieren, an der Rechtslage zu orientieren und ____auf das Wesentliche zu konzentrieren. ____ ____ 2. Schlichtungsaufgaben des Gerichts als Maßstab der Erforderlichkeit der Er- 77 ____örterung. Insbesondere ist die „Erforderlichkeit“194 einer Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 ____daran auszurichten, ob diese dienlich erscheint, eine gütliche Einigung statt einer strei____tigen Entscheidung herbeizuführen. Dem steht das prozessuale „Bedingungsgefüge“,195 ____wie es soeben zusammengefasst wurde, nicht entgegen. Denn die Förderung einer gütli____chen Einigung durch den Richter hilft den Parteien, das zwischen ihnen geltende Recht ____selbst neu zu definieren und ist insofern der Feststellung durch den Richter im streitigen ____Verfahren überlegen. Insoweit ist es dann auch unbeachtlich, sollte sich der Richter im ____Rahmen der Vergleichsbemühungen die Zwecke der Parteien zu eigen machen und das ____Verfahren nicht mehr „zweckfrei“ leiten und entscheiden. Überdies stehen weder mögli____cher Wortsinn noch der geäußerte Wille des Gesetzgebers einer Ausdehnung der Erörte____rung des Sach- und Streitverhältnisses nach Abs. 1 mit Blick auf eine gütliche Einigung ____zwischen den Parteien entgegen.196 Es ist daher grundsätzlich zulässig, die Frage der ____Erforderlichkeit einer Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 daran auszurichten, ob diese dien____lich erscheint, eine gütliche Einigung statt einer streitigen Entscheidung herbeizuführen. ____Die Streitschlichtung ist nicht mehr nur ein gesetzlicher Programmsatz ohne Bindungs____wirkung. Sie „so früh wie möglich“ (Abs. 4) zu erreichen, ist mittels der Erörterung nach ____Abs. 1 Satz 1 nunmehr intensivierte richterliche Pflicht. Die gütliche Einigung wird rich____terliche „Nebenpflicht“ bei der Leitung des Prozesses. ____ Nach § 278 Abs. 1 „soll“ das Gericht auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits be- 78 ____dacht sein.197 Streitschlichtung ist daher ein verbindliches gesetzliches Gebot und nicht ____nur eine Art Appell. 198 Soll-Vorschriften binden das Gericht ebenso wie Muss-Vor____schriften.199 Allerdings ist der Regelungsgehalt des heutigen § 278 Abs. 1 bereits vor dem ____ZPO-RG mit der Novelle 1976 in § 279 Abs. 1 Satz 1 a.F. in die ZPO aufgenommen worden, ____was indes nicht dagegen spricht, aus der Pflicht des Gerichts zur Förderung gütlicher ____Einigung der Parteien auf eine hierauf bezogene Hinweispflicht zu schließen.200 Die Erör____terungspflicht des Abs. 1 Satz 1 wird also durch § 278 Abs. 1 konkretisiert. Das ZPO-RG ____bezweckt, durch Nutzung aller Möglichkeiten einvernehmlicher Konfliktlösung zu baldi____gem Rechtsfrieden zu gelangen.201 Eine Stärkung dieses Ziels richterlicher Tätigkeit im ____ ____ ____191 Sticken S. 111; Greger JZ 2000, 842, 847. ____192 Zöller-Greger Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 21; in der Sache ebenfalls Musielak____Stadler Rdn. 5; wohl auch Schaefer NJW 2002, 849, 852. 193 MünchKomm-Lüke Einl. Rdn. 232. ____194 Sticken S. 109. ____195 Sticken S. 110. ____196 Sticken S. 96. ____197 Sticken S. 94; OLG Hamburg ZMR 1988, 225. 198 Sticken S. 95. ____199 BayObLG RPfleger 1981, 76. ____200 Sticken S. 95. ____201 RegE BT-Dr. 14/4722 S. 61.

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_____möglichst frühen Prozessstadium ist angezeigt, weil damit die effizienteste und zugleich _____der Gestaltungsfreiheit der Parteien angemessenste Form der Erledigung eines Rechts_____streits erreicht wird.202 _____ Ein weiterer Gesichtspunkt dafür, dass die gerichtlichen Schlichtungsaufgaben den 79 _____Maßstab für die Erforderlichkeit der Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 bietet, liegt in der Re_____gelung nach § 278 Abs. 2 Satz 1 begründet: Der (streitigen) mündlichen Verhandlung _____geht grundsätzlich203 eine Güteverhandlung voraus. Damit wird eine verbindliche Pflicht _____des Gerichts zur Streitschlichtung vor und während der streitigen mündlichen Verhand_____lung normiert.204 _____ 80 Die Bestimmung der Erforderlichkeit der Erörterung nach Abs. 1 Satz 1 durch Orien_____tierung am Maßstab ihrer Geeignetheit zur Erreichung einer gütlichen Einigung kollidiert _____daher im Allgemeinen weder mit der richterlichen Pflicht zur Neutralität noch mit dem _____Grundsatz der Parteiverantwortung. Das Bedingungsgefüge des Prozesses schließt eine _____derartige Erweiterung der Ausrichtung der Erforderlichkeit nach Abs. 1 Satz 1 n.F. nicht _____aus. Der Richter darf sich folglich in dieser Hinsicht Parteiinteressen zu eigen machen. _____Das gilt allerdings nur, wenn und soweit er davon absieht, die Parteien unter Druck zu _____setzen, also auf einen Vergleich zu drängen.205 _____ Ihre Grenze findet die Vereinbarkeit von Schlichtungsbemühungen im Neutralitäts81 _____gebot, wenn das Gericht Druck auf die Parteien ausübt.206 Denn in einem solchen Falle _____stellt sich das Gericht einseitig auf die Seite einer Partei und hebt die Waffengleichheit _____auf. Angesichts der offenkundigen Unwilligkeit zumindest einer Partei, sich freiwillig zu _____einigen, kann nicht angenommen werden, es gehe dem Richter um eine gütliche Eini_____gung.207 Nahe liegen dem gegenüber eher Motive, das Verfahren unter Vermeidung von _____Aufwand und Zeit zügig zu beenden und dies mittels eines abgenötigten Vergleichs zu _____realisieren.208 _____ _____ VII. Übersicht über die richterliche materiellen Prozessleitung nach Abs. 1 _____ Satz 2 _____ _____ 1. Fragen und Hinweise als Instrumente _____ _____ a) Instrumente der materiellen Prozessleitung i.S.v. Abs. 1 Satz 2 sind Fragen oder 82 _____Hinweise. Dabei handelt es sich um verschiedene Formen richterlicher Tätigkeit im Ver_____fahren, die nebeneinander eingesetzt werden können, ohne dass sie eindeutig unter_____schieden werden könnten oder müssten; sie sind nicht auf unterschiedliche Ziele ausge_____richtet. Der Hinweis kann eine Frage implizieren, eine Frage Hinweischarakter haben.209 _____ _____ b) Den zu stellenden Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags ist 83 _____nicht genügt, wenn sich sein Inhalt auf die Bezugnahme auf (mit) vorgelegten Anlagen _____erschöpft. Denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den Sachverhalt, der den geltend _____gemachten Anspruch begründen oder die Verteidigung dagegen erheblich machen soll, _____ _____ 202 RegE BT-Drucks. 14/4722 S. 58. _____203 Sticken S. 97. _____204 Sticken S. 97. _____205 Sticken S. 90. _____206 Smid Rechtsprechung S. 341 f.; die Unzulässigkeit richterlichen Vergleichsdrucks ist anerkannt: MünchKomm-Prütting § 279 Rdn. 4. _____207 Sticken S. 93. _____208 Egli S. 43 ff. _____209 Vgl. auch Stein/Jonas-Leipold Rdn. 23.

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____aus den Anlagen selbst zu ermitteln. Dabei trifft das Gericht im Rahmen seiner Hinweis____und Aufklärungspflicht (§ 139) grundsätzlich die Verpflichtung, auf Mängel zur Schlüs____sigkeit des Klagevortrags oder zu einer Einwendung hinzuweisen. Dies gilt jedoch dann ____nicht, wenn – im Anwaltsprozess – bereits der Prozessgegner Kritik an der Schlüssigkeit ____des Klagevorbringens oder der Erheblichkeit der Verteidigung angebracht hat, diese die ____nötige Klarheit besitzt und die Partei über die Mängel ihres Vortrags zuverlässig ins Bild ____setzt.210 ____ Das Gericht muss die Parteien zur Ergänzung auffordern und ausreichend Zeit dafür 84 ____gewähren.211 Ein erst im Termin gegebener Hinweis nach § 139 auf mangelnde Schlüssig____keit der Klage reicht nicht aus, sofern im Anschluss an den Termin die angefochtene Ent____scheidung ergeht. Erfolgen Hinweise erst im Termin, so genügt das Gericht seiner Aufklä____rungspflicht nach Abs. 1 nämlich nur dann, wenn es der Partei, deren Sachvortrag seiner ____Ansicht nach unverständlich ist, eine angemessene Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vor____trages einräumt.212 Bei der Unschlüssigkeit des Klagevorbringens ist das Gericht daher ver____pflichtet, den Kläger zur Ergänzung und Klarstellung seines Vortrags anzuhalten und ihn ____unter den gegebenen Umständen auf seine Behauptungslast und Beweislast hinzuweisen. ____Erst danach darf es sich mit dem Vorbringen des Beklagten im Einzelnen befassen.213 ____ ____ 2. Aktenlektüre, Fragen und Hinweise nicht ins Blaue hinein. Es ist nicht Aufga- 85 ____be des Gerichts und eines von ihm beauftragten Sachverständigen, aufgrund globaler ____Darlegungen des Klägers die einzelnen Buchungsfehler erst aufzuspüren oder nach die____sen zu forschen. Ist der Kläger auf seinen mangelhaften Sachvortrag vom Gericht eindeu____tig hingewiesen worden, dann besteht für weitere Aufklärungsmaßnahmen nach § 139 ____kein Anlass mehr.214 Auch wenn an den Sachvortrag im Arzthaftungsprozess215 keine ____übersteigenden Anforderungen zu stellen sind, so muss ein Behandlungsfehler doch we____nigstens ansatzweise dargetan sein. Denn es kann nicht die Aufgabe des Gerichts sein, ____eine völlig neue Anspruchsgrundlage einzuführen und damit eine Klage nachträglich ____schlüssig zu machen.216 Das Gericht hat eine anwaltlich vertretene Partei nicht rechtlich ____zu belehren, in welchem Umfang sie anspruchsbegründende Voraussetzungen darzule____gen hat.217 Ist nicht klar, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn er den vermissten Hin____weis vom Gericht erhalten hätte, bedarf es eines solchen Hinweises nach § 139 nicht.218 ____ ____ 3. Die Zweckgebundenheit der Rechte und Pflichten aus § 139 ____ ____ a) Nach § 139 Abs. 1 Satz 2. hat das Gericht „dahin zu wirken, dass …“. Die materielle 86 ____Prozessleitung hat also die Ziele zu verfolgen, die sich aus Abs. 1 Satz 2 ergeben. Das ____Sach- und Streitverhältnis ist daher mit den Parteien nach der tatsächlichen und nach ____der rechtlichen Seite zu erörtern; vor diesem Hintergrund sind Fragen zu stellen, aber ____nur soweit dies erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit folgt daraus, dass Fragen und ____Hinweise zur Erreichung dieser Ziele geboten sind. Die Rechte und Pflichten des Vorsit____zenden aus § 139 sind daher nur Mittel zum Zweck und dürfen nur zu den vorgesehenen ____ ____ 210 OLG Rostock OLGR 2005, 928. ____211 Brandenburgisches OLG NJW-RR 2002, 1215. ____212 OLG Frankfurt NJW 1989, 722; OLG Frankfurt/M. JMBl HE 1991, 364. ____213 BGHZ 82, 13 = NJW 1982, 940 m. Anm. Deubner NJW 1982, 941 und Tilmann GRUR 1982, 97 ff. ____214 OLG Düsseldorf DStR 1981, 575 m. Anm. Messmer DStR 1981, 576. 215 Vgl. Ziegler VersR 2003, 545 ff. ____216 OLG München VersR 1991, 103. ____217 BGH NJW 1984, 310; BGH FamRZ 1981, 347; OLG Frankfurt/M. FamRZ 1984, 395. ____218 BAG ZIP 2006, 1058, 1059.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Zwecken eingesetzt werden. Eine Verwendung dieser Mittel zu anderen Zwecken ist je_____denfalls nicht durch die Vorschrift des § 139 geboten. Daran hat sich durch die Neufas_____sung nichts geändert: Die Wendung „zu diesem Zwecke“ ist mit der entscheidenden _____Wendung „soweit erforderlich“ in § 139 n.F. wiedergekehrt: Isoliert betrachtet erheischt _____die Wendung „soweit erforderlich“ die Antwort auf die Frage, wozu erforderlich? Diese _____Frage ergibt sich aus dem Zusammenhang als ganz selbstverständlich dahin, als erfor_____derlich, um den Rechtsstreit zu entscheiden, also als im Rahmen von § 139 erforderlich. _____Sie ist daher nach wie vor nur für die Zwecke der Anwendung des § 139 geboten. Die _____Zweckgebundenheit ist also erhalten geblieben. _____ _____ b) Ein weiterer Zweck ergibt sich jetzt aus Abs. 3: Hiernach hat der Vorsitzende „auf 87 _____die Bedenken aufmerksam zu machen, die in Ansehung der von Amts wegen zu berück_____sichtigenden Punkte obwalten“, nämlich, damit die Parteien gegebenenfalls Konsequen_____zen ziehen und entweder die Bedenken ausräumen oder entsprechende Anträge stellen _____können. _____ _____ c) Die Zweckgebundenheit der Mittel erstreckte sich auch auf die Vorschrift des Abs. 3 88 _____a.F.: Nur solche Fragen waren den Mitgliedern des Gerichts vom Vorsitzenden zu gestat_____ten, die sich in den Grenzen der Zweckgebundenheit halten: Fragen, die der Vorsitzende _____selbst nicht stellen dürfte – etwa, weil er sonst Gefahr liefe, wegen Besorgnis der Befan_____genheit abgelehnt zu werden – brauchte er entgegen dem isoliert betrachteten Wortlaut _____des Absatzes 3 a.F. nicht zu gestatten, weil er es gar nicht darf: Die Fragerechte der ande_____ren Mitglieder des Gerichts ergänzen nur das – primäre – Fragerecht des Vorsitzenden und _____können nicht weiter reichen, als nur dahin, dass an seiner Stelle auch die anderen Mitglie_____der des Gerichts Fragen stellen dürfen, die auch der Vorsitzende selbst stellen durfte. In_____haltlich kann das Fragerecht der Beisitzer nicht weiter reichen als das des Vorsitzenden. _____Hieran hat sich naturgemäß dadurch, dass aus § 139 Abs. 3 der alten Fassung § 136 Abs. 3 _____der neuen Fassung geworden ist, durch die Reform insoweit nichts geändert. _____ _____ 4. Aufgabe des Gerichts nach Abs. 1 Satz 2 _____ _____ a) Das Gericht muss nach Abs. 1 Satz 2 nicht den sachdienlichen Vortrag oder sach89 _____dienliche Anträge der Parteien effektiv bewirken: Es schuldet gleichsam nicht den Er_____folg, sondern nur das Bemühen um den Erfolg. Hier wird es nicht selten scheitern, sei es _____schon an der Uneinsichtigkeit der Partei oder eines Prozessbevollmächtigten, sei es im _____Gegenteil an deren besserer Einsicht oder auch einfach daran, dass eine Partei sich aus _____Gründen des konkreten Einzelfalles gar nicht mehr näher erklären, insbesondere die _____gestellten Fragen beantworten und den gegebenen Hinweisen nachgehen kann. _____ _____ 90 b) Wenn der von der Vorschrift des Abs. 1 Satz 2 erhoffte Erfolg auch nicht in jedem _____Einzelfall zu erreichen sein wird, hat sich das Gericht doch jedenfalls hierum zu bemü_____hen. Zu Recht wird daran erinnert, dass das Wort „hinwirken“ nicht nur tätigkeitsbezo_____gen ist, sondern seiner sprachlichen Bedeutung nach am Erfolg einer bestimmten Wir_____kung orientiert ist. Es lässt daher keine Beschränkung auf das bloße einmalige Aufzeigen _____von Lücken zu, sondern fordert eine wirkungsbezogene Aktivität des Gerichtes, ein _____Nachfassen, wenn der bloße Hinweis nicht gewirkt hat.219 _____ _____ _____219 In diese Richtung BGH FamRZ 2004, ebenso zur a.F.: BGH NJW 1999, 1264; a.A. Baumbach/ _____Lauterbach-Hartmann Rdn. 28.

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____ c) Gelingt es dem Gericht nicht, zu bewirken, dass eine Partei sich vollständig er____klärt, dann ist bei der Entscheidung der Vortrag dieser Partei zugrunde zu legen, wie er ____nun einmal vorliegt. In der Regel wird die Position der Partei ungünstiger sein als sie ____hätte sein können, wenn auf die Fragen und Hinweise des Vorsitzenden eingegangen ____worden wäre. Gleichwohl muss die Verweigerung nicht notwendig den Verlust der ____Instanz nach sich ziehen: Nicht selten geht es um eine von mehreren Anspruchsgrundla____gen oder Verteidigungslinien. Ganz entsprechend ist, wenn die nach Ansicht des Gerich____tes sachdienlichen Anträge nicht gestellt werden, über die tatsächlich angekündigten ____und verlesenen Anträge zu entscheiden, mögen diese auch möglicherweise als unzuläs____sig abzuweisen sein: Auch insoweit führt die Verweigerung gegenüber Hinweisen und ____Fragen des Vorsitzenden in der Regel zu einer Verschlechterung der Position der sich ____verweigernden Partei. ____ ____ d) Da die Verweigerung einer Partei gegenüber seinen Fragen und Hinweisen sich ____jedenfalls nicht zu Lasten der anderen Partei auswirken kann, wird der Vorsitzende sein ____Bemühen einstellen, sobald er dessen Aussichtslosigkeit erkennt: Die Pflicht aus Abs. 1 ____ist erfüllt, wenn feststeht, dass die Partei die gegebene Anregung auf keinen Fall aufgrei____fen, also nicht weiter vortragen, weitere Beweismittel bezeichnen oder Anträge sachge____recht stellen will oder kann.220 Diese Feststellung kann der Vorsitzende allerdings erst ____treffen, nachdem er der Partei zuvor durch Fragen oder Hinweise Problembewusstsein ____vermittelt hat: Die Partei muss erkannt haben, dass ihr Hinweise gegeben und Fragen ____gestellt werden und warum und welche Folgen es möglicherweise haben wird, wenn sie ____auf die Fragen und Hinweise – auf die „Hilfen“ – des Vorsitzenden nicht reagiert.221 ____ ____ e) Wenn die Parteien durch das Dahinwirken des Gerichts problembewusst gewor____den sind und der Vorsitzende dieses erkennt, hat er in Ansehung der Vorschrift des ____Abs. 1 Satz 1 das Seinige getan und kann den Parteien überlassen, welche Konsequenzen ____sie hieraus ziehen wollen. Das wird er auch schon deshalb, um nicht von der einen oder ____anderen Partei wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt zu werden;222 denn „dass ____das Gericht bei Erfüllung der Frage- und Hinweispflicht zum erkennbaren Nutzen einer ____Partei tätig wird, ist … nicht zu leugnen“,223 so dass das Gericht Gefahr läuft, die Pflicht ____zur Unparteilichkeit zu verletzen, wenn es die Interessen einer Partei weiter verfolgt als ____durch die Vorschrift des § 139 geboten. ____ ____ f) Hinreichendes Problembewusstsein, welches – eventuell weitere – Fragen und ____Hinweise des Vorsitzenden entbehrlich macht, kann sich auch schon aus dem eigenen ____Vortrag einer Partei im Übrigen ergeben, entweder aus Erklärungen dafür, dass nicht ____substantiierter vorgetragen werden könne, oder aus der Auseinandersetzung mit dem ____gegnerischen Vortrag. Zumal im Anwaltsprozess kann hinreichendes Problembewusst____sein zuweilen schon aufgrund der beruflichen Vorbildung oder mit Rücksicht auf den ____Vortrag des Gegners oder Bekundungen des Sachverständigen oder von Zeugen ange____nommen werden.224 Indessen kommt Hinweisen von dritter Seite gemeinhin nicht die ____ ____ ____ ____220 Vgl. BGH NJW 2003, 3626, 3628, wonach die Pflicht nach Abs. 1 in einem solchen Fall bereits ohne ____Fragestellung entfällt. 221 In diese Richtung MünchKomm-Peters Rdn. 22; Musielak-Stadler Rdn. 15. ____222 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 21. ____223 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____224 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 26, 38.

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_____Überzeugungskraft zu, die richterliche Hinweise zu haben pflegen.225 Daher wird sich das _____Gericht im Zweifel durch Fragen vergewissern, dass das vermutete Problembewusstsein _____wirklich vorhanden ist. _____ _____ 5. Anlass für das Tätigwerden des Gerichts nach Abs. 1 Satz 2 _____ _____ 95 a) Verhalten oder Vortrag der Partei als Anlass für die Prozessleitung nach _____Abs. 1 Satz 2. Einen Anlass für Fragen oder Hinweise des Gerichts kann sowohl das Ver_____halten der Partei als auch die Verhandlung durch das Gericht selbst bieten.226 Der Partei_____vortrag kann Fragen und Hinweise des Gerichts auslösen, wenn er unklar, widersprüch_____lich227 oder unschlüssig ist, oder die Erklärungen der Partei dem Gericht deutlich werden _____lassen, dass die Partei sich über die Bedeutung des Ganges oder den Stand des Verfah_____rens nicht hinreichend klar ist, oder das Gericht erkennt, dass seine Fragen und Hinwei_____se von einer Partei nicht verstanden worden sind.228 Das Gericht kann selbst einen Anlass _____für Fragen und insbesondere Hinweise geben, wenn es im Verlauf der Verhandlung neue _____rechtliche Aspekte – namentlich eine veränderte Bewertung von Tatsachen – in das Ver_____fahren einführt, was nicht zuletzt mit dem Verbot von Überraschungsentscheidungen _____gemäß Abs. 2 zu tun hat. Weiterhin kann sich die Notwendigkeit gerichtlicher Hinweise _____ergeben, wenn frühere Hinweise des Gerichts sich im Verlauf des Verfahrens als unrich_____tig und korrekturbedürftig herausstellen.229 _____ _____ 96 b) Frage bzw. Hinweis an beide Parteien. Die Frage oder der Hinweis des Gerichts _____kann sich jeweils nach der konkreten Prozesslage an eine Partei richten,230 ist aber der _____anderen Partei bekannt zu machen, so dass sich beide Parteien auf die Einschätzung der _____Prozesslage (des Sach- und Streitstandes) durch das Gericht einstellen können. Dies ist _____ein Gebot des Prinzips der Gleichbehandlung, das das Gericht verpflichtet, bei der Aus_____übung der Pflichten aus § 139 die Interessen des Gegners zu berücksichtigen.231 _____ _____ c) Nach Abs. 1 Satz 1 hat das Gericht zwei Ziele zu verfolgen, es hat einmal dahin zu 97 _____wirken, dass die Parteien „sich vollständig erklären“ (Erstes Ziel) und zwar „über alle _____erheblichen Tatsachen“ und weiter dahin, dass sie „die sachdienlichen Anträge stel_____len“ (Zweites Ziel). _____ _____ 98 d) Das Gericht hat weiter dahin zu wirken, dass die Parteien „die sachdienlichen _____Anträge stellen“. Der Wortlaut des Gesetzes ist insofern nicht wirklich geglückt. Ge_____meint ist, dass das Gericht nicht allein darauf hinzuwirken hat, dass die angekündigten _____Anträge, wenn sie sachdienlich sind, auch gestellt werden, sondern vornehmlich, dass _____es, wenn der angekündigte Antrag nach seinem Dafürhalten nicht sachdienlich ist, auch _____dahin wirkt, dass der Antrag entsprechend geändert wird.232 _____ _____ _____ _____ _____225 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 38. _____226 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 24. _____227 BGH NJW-RR 2003, 1718. _____228 BGH NJW 1999, 1264; BGH NJW 2002, 3317, 3320; Danelzik WRP 1999, 18 (Unterlassungsanträge). 229 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 24. _____230 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 25. _____231 OLG Köln OLGZ 1976, 239. _____232 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 47, 48 mit Nachw. aus der Rspr.

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____ VIII. Erklärung über Tatsachen, Abs. 1 Satz 2 ____ ____ 1. Übersicht. Das Gericht ist gemäß § 139 gehalten, die Parteien auf den fehlenden 99 ____Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, in klarer und eindeutiger Weise ____hinzuweisen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ihren Vortrag sachdienlich zu er____gänzen.233 Die Hinweispflicht des Gerichts geht nicht so weit, einer Partei Anregungen zu ____geben, welches Verteidigungsvorbringen möglich sein könnte.234 Ist der Sachvortrag ei____ner Partei nach Ansicht des Gerichts unschlüssig und damit mangelhaft und unvollstän____dig, ist grundsätzlich ein gerichtlicher Hinweis auf die Unschlüssigkeit erforderlich.235 ____Seiner Hinweispflicht nach Abs. 1 Satz 2 genügt das Gericht nur dann, wenn es die Partei ____auf fehlenden Sachvortrag unmissverständlich hinweist und ihr die Möglichkeit eröffnet, ____ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen.236 Ist z.B. im Kennzeichenstreit dem Klage____vorbringen zu entnehmen, dass der Kläger das auf ein Markenrecht gestützte Klage____begehren entgegen der Fassung des Klageantrags nicht auf einen rein firmenmäßigen ____Gebrauch des angegriffenen Zeichens beschränken, sondern sich (auch) gegen eine Ver____wendung des angegriffenen Zeichens für Waren oder Dienstleistungen wenden will, ____muss das Gericht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 auf einen sachdienlichen Antrag hinwir____ken.237 ____ § 28 Abs. 1 Satz 1 FamFG sieht eine entsprechende Regelung für die dem Geltungsbe- 99a ____reich des FamFG unterliegenden Verfahren vor.238 ____ Fragen des Gerichts werden an die Parteien gerichtet, wenn deren Vortrag unklar ist. 100 ____Sie dienen dem Gericht daher dazu, das Vorbringen der Parteien zu verstehen. Ziel der ____materiellen Prozessleitung des Gerichts durch Fragen und Hinweise an die Parteien ist ____dagegen nicht die „Klärung“ des Sachverhaltes als solcher.239 Zugespitzt ausgedrückt ____kennt der Zivilprozess keinen „unklaren“ Sachverhalt. Der Sachverhalt ist nämlich im____mer nur in Bezug auf das entscheidungserhebliche Vorbringen einer Partei „unklar“ – ____nämlich zwischen den Parteien streitig. Das bestrittene Vorbringen einer Partei darf vom ____Gericht dem Urteil nicht zugrunde gelegt werden, es sei denn, die Partei hat Beweis an____geboten und geführt. Das Urteil ergeht daher jedenfalls nach Beweislastregeln, ohne ____dass eine gerichtliche Sachverhaltsklärung erforderlich wäre. Will man daher überhaupt ____unklar von der „Klärung“ des Sachverhalts im Zivilprozess sprechen, erfolgt diese im ____Beweisverfahren. Dies strahlt auf die besonderen Anordnungen nach den §§ 141 ff. aus, ____die ebenfalls nicht an die Stelle des Beweises treten. Freilich wird insbesondere der An____ordnung des persönlichen Erscheinens der Partei zum Zwecke ihrer Anhörung gemäß ____§ 141 Abs. 1 von der Rechtsprechung weitgehend eine Beweisaufgabe vindiziert. Abs. 1 ____macht indes deutlich, dass dies unzutreffend ist. Daher steht die richterliche Frage- und ____Hinweispflicht auch nicht in einem Widerstreit mit der Verhandlungsmaxime und dem ____Beibringungsgrundsatz, da sie nicht auf die Konstitution des Sachverhalts durch die Par____teien, sondern das Verständnis des Parteivortrags mittels Förderung seiner Verständ____lichkeit gerichtet ist. Die damit verbundene Hilfestellung verschafft der Partei folg____lich keine Vorteile, aufgrund derer die richterliche Unparteilichkeit in Zweifel gezogen ____würde. ____ ____ ____233 OLG Hamm NJW-RR 1994, 474; OLG Dresden BauR 2003, 400. ____234 OLG Celle OLGR 2003, 376. ____235 OLG Köln OLGR 2002, 108. 236 OLG Köln OLGR 1998, 256. ____237 BGH GRUR 2011, 1140. ____238 MünchKomm-Ulrici FamFG § 28 Rdn. 12 ff. ____239 Zutr. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 22.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 2. „Rechtzeitige“ Erklärung über Tatsachen und Erforderlichkeit _____ des Hinweises _____ _____ 101 a) Rechtzeitigkeit. Nach Abs. 1 Satz 2 hat das Gericht auf eine rechtzeitige Erklärung _____der Parteien über Tatsachen hinzuwirken. Der Wortsinn der Vorschrift legt es nahe, die _____Prozessleitungspflicht sei nicht allein darauf gerichtet, die Parteien überhaupt zu voll_____ständigen Tatsachenerklärungen zu veranlassen. Vielmehr soll das Gericht auch tätig _____werden, um einen zügigen Prozessverlauf zu gewährleisten.240 Dies entspricht auch den _____Absichten des Gesetzgebers.241 Mit der Neuformulierung des Abs. 1 Satz 2 ist die Regelung _____des § 273 Abs. 1 Satz 2 a.F. überflüssig gemacht worden. _____ _____ b) Erforderlichkeit. Die Erklärung, auf deren Abgabe das Gericht hinzuweisen bzw. 102 _____durch Fragen hinzuwirken verpflichtet ist, muss erforderlich sein. Die Erforderlichkeit _____des Hinweises ist vor dem Hintergrund der Prozesslage zu beurteilen. Der Hinweis bzw. _____die Frage muss daher darauf gerichtet sein, dass die Partei Gelegenheit erhält, ihr Vor_____bringen in geeigneter Weise zu ergänzen bzw. dadurch richtig zu stellen, dass innere _____Widersprüche des Vorbringens ausgeräumt werden. _____ _____ 3. Die Vollständigkeit der Erklärungen _____ _____ a) Wenn die Parteien sich schon von sich aus „über alle erheblichen Tatsachen … 103 _____vollständig erklären“, bedarf es insoweit keiner Tätigkeit des Vorsitzenden bzw. des Ge_____richts mehr. Fälle, in denen § 139 gar nicht zur Anwendung zu kommen braucht, sind gar _____nicht einmal so selten, weil die Parteien die ihnen obliegenden Erklärungen vernünfti_____gerweise schon im eigenen Interesse vollständig abgeben. _____ _____ b) Anlass zu Fragen und Hinweisen des Vorsitzenden bestehen aber dann, wenn die 104 _____eine oder andere Partei sich nicht über alle erheblichen Tatsachen242 erklärt hat oder _____doch jedenfalls nicht vollständig:243 In solchen Fällen ist noch Raum für die Vervollstän_____digung der Erklärung und besteht daher die Pflicht für den Vorsitzenden, auf diese Ver_____vollständigung hinzuwirken.244 _____ _____ c) Wenn durch Klage und Klagebeantwortung und eventuell durch weitere vorberei105 _____tende Schriftsätze die Parteien sich schon vor der mündlichen Verhandlung über alle _____erheblichen Tatsachen vollständig erklärt haben, kann in der mündlichen Verhandlung _____kein Anlass zu Fragen oder Hinweisen mehr bestehen, so dass recht eigentlich auf die _____mündliche Verhandlung verzichtet und mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 _____eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung getroffen werden könnte. Indes_____sen ist auch in den dem Anschein nach „klaren Fällen“ insoweit Vorsicht am Platz, als _____dass entgegen der übereinstimmenden ursprünglichen Annahme aller Prozessbeteiligten _____sehr wohl Anlass für Fragen und Hinweise besteht, wird nicht selten in der – und durch _____die – mündlichen Verhandlung offenbar, etwa wenn eine Partei der Einführung in den _____Sach- und Streitstand gemäß § 278 Abs. 1 entnehmen muss, dass ihr Vortrag in einem _____entscheidenden Punkt unklar war, jedenfalls missverstanden worden ist, dass etwas als _____ _____ _____240 Sticken S. 132. 241 FrakE BT-Drucks. 14/3750 S. 53. _____242 BGH GRUR 2004, 76; BVerfG RR 1994, 189. _____243 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 27. _____244 OLG Köln ZMR 2002, 660.

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____unstreitig behandelt wird, was sie bestritten zu haben meint, dass Redewendungen un____terschiedlich interpretiert, termini technici unterschiedlich verstanden werden, etc. ____ ____ 4. Vervollständigungsbedürftige Erklärungen ____ ____ a) Als vervollständigungsbedürftig kommen nur Erklärungen über Tatsachen in Be____tracht: Diese können einmal deshalb unvollständig sein, weil die Parteien sich hiermit ____nicht über alle erheblichen Tatsachen erklären, weiter aber auch deshalb, weil die Par____teien sich zwar über jede erhebliche Tatsache erklärt haben, nicht aber auch über jede ____vollständig. ____ ____ b) Auch Rechtsausführungen mögen zwar – und werden nicht selten – ebenfalls ____unvollständig sein. Auch insoweit besteht eine Pflicht des Vorsitzenden – des Gerichts – ____aus Abs. 1 Satz 2, auf deren Vervollständigung hinzuwirken. Insbesondere kann ein ____rechtlicher Hinweis geboten sein, um eine Lücke im Sachvortrag aufzuzeigen und auf ____deren Schließung hinzuwirken. ____ ____ 5. Erklärungsgegenstand: „Alle erheblichen Tatsachen“ ____ ____ a) Gegenstand der Erklärung, auf deren Vervollständigung der Vorsitzende erfor____derlichenfalls gemäß Abs. 1 Satz 1 hinzuwirken hat, sind nach dem Wortlaut des Geset____zes „alle erheblichen Tatsachen“. Dies macht deutlich, dass nicht alle Tatsachen, son____dern nur erhebliche Tatsachen, diese aber alle sind. Insbesondere bei der Anwendung ____des § 287 kommt der Hinweispflicht des Gerichts eine besondere Bedeutung zu, weil es ____für den Rechtsuchenden oft nicht erkennbar ist, ob dem Gericht die vorgetragenen Tat____sachen als Grundlage für eine Schadensschätzung ausreichen oder nicht.245 Haben bei____spielsweise die Beklagten schlüssig vorgetragen, sie hätten in der alten Wohnung erheb____lich mehr Heizöl verbraucht, als sie in dem neuen Haus bei rechtzeitiger Fertigstellung ____verbraucht hätten und zur behaupteten Höhe des Schadens Verbrauchsrechnungen und ____Verbrauchskalkulation vorgelegt, welche dem Tatrichter eine Schadensschätzung nach ____§ 287 erlauben, so darf das Gericht den Anspruch jedenfalls nicht mit der Begründung ____verneinen, die aufgemachte Rechnung über den erhöhten Ölverbrauch sei nicht ver____ständlich und daher der Ersatzanspruch nicht schlüssig vorgetragen. Sollten die vorge____legten Unterlagen dem Gericht nicht für eine Schätzung ausreichen, so müssen die Be____klagten darauf hingewiesen werden. Es muss ihnen dann Gelegenheit zu weiteren ____Beweisantritten, etwa Einholung eines Sachverständigengutachtens, gegeben werden.246 ____ ____ b) In der Vorschrift des Abs. 1 Satz 2 geht es – wie § 138 Abs. 2 deutlich macht – um ____als solche „behauptete Tatsachen“, gleichviel, ob die Behauptung zutrifft oder nicht. ____Eben darum, ob das, was von einer Partei als „Tatsache“ behauptet wird, auch wirklich ____„der Fall ist“ oder nicht, wird oftmals der eigentliche Streit der Parteien gehen. ____ ____ c) Anders als in § 138 Abs. 2 geht es in Abs. 1 Satz 2 aber nicht nur um „die von dem ____Gegner behaupteten Tatsachen“, auf welche die Partei sich gemäß § 138 Abs. 2 zu erklä____ren hat, sondern gerade auch um ihren eigenen Sachvortrag, der nach § 138 Abs. 1 voll____ständig zu sein hat. Daher hat das Gericht dahin zu wirken, dass die Parteien insbeson____ ____ ____245 OLG Köln WRP 1984, 571. ____246 BGH NJW-RR 1987, 797.

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_____dere auch ungenügende Angaben der von ihnen jeweils selbst geltend gemachten _____Tatsachen ergänzen. _____ _____ 111 d) Abs. 1 Satz 2 betrifft nur erhebliche Tatsachenbehauptungen. Erheblich sind sol_____che Tatsachenbehauptungen, über welche, wenn sie bestritten werden, Beweis erhoben _____werden muss. Es handelt sich mithin um Tatsachen, die zur Schlüssigkeit des Vortrages _____der einen oder anderen Partei gehören. _____ _____ e) Zuweilen hängt die Antwort auf die Frage, ob eine Tatsache erheblich ist oder 112 _____nicht, von der weiteren Entwicklung des Rechtsstreits ab, beispielsweise von der Einlas_____sung des Gegners oder von dem Ergebnis einer Beweisaufnahme: Wird etwa der Zugang _____der fristgerechten Kündigung bestritten, kann es darauf ankommen, ob die vorsorglich _____ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt war. Werden in einer _____Verkehrssache Nebel und Glatteis behauptet und bestritten, mag es genügen, dass das _____eine oder andere geherrscht hatte. Insbesondere bei Sekundärtatsachen – etwa, wenn es _____um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen geht – wird es oftmals gleichgültig sein, welche _____bewiesen wird, wenn wenigstens eine zur Überzeugung des Gerichts feststeht. In allen _____solchen Fällen, in denen es auf eine Tatsachenbehauptung nur möglicherweise ankom_____men kann, handelt es sich immerhin um potentiell erhebliche Tatsachen, auf deren Ver_____vollständigung jedenfalls spätestens dann hinzuwirken sein würde, wenn sie akut wer_____den. Wenn aber der Vorsitzende aus Gründen der Prozessökonomie schon in einem _____früheren Stadium auf die Vervollständigung des nur potentiell erheblichen Vortrages _____hinwirkt, kann das die Besorgnis der Befangenheit schon deshalb nicht begründen, weil _____sich diese Vorsorge zugunsten einer Partei zur Last der anderen erst dann auswirken _____kann, wenn es auf die fraglichen Tatsachenbehauptungen ankommt und spätestens dann _____ist das Gericht zu diesem Hinwirken gemäß Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich verpflichtet. Zu_____dem begründet diese Vorsorge für beide Parteien gleichermaßen die Chance, eine Be_____weisaufnahme oder gar eine Instanz zu ersparen. _____ Welche der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen erheblich sind, bezüglich 113 _____welcher also gegebenenfalls auf Vervollständigung der Erklärung hinzuwirken ist, ist _____eine Frage des Einzelfalles, insbesondere auch der gestellten Anträge. Im Zweifel wird _____sich der Vorsitzende entscheiden, auf eine Vervollständigung hinzuwirken, sei es auch _____auf die Gefahr hin, dass durch die Vervollständigung klar wird, dass diese Tatsache in _____Wirklichkeit nicht erheblich ist. _____ _____ h) „Alle erheblichen Tatsachen“ meint lediglich alle als solche von der einen oder an114 _____deren Partei – bereits – behaupteten Tatsachen. Abs. 1 Satz 2 hält das Gericht nicht dazu _____an, darauf hinzuwirken, dass die Parteien ihren Sachvortrag erweitern und alle Tatsa_____chen vortragen, die erheblich sein könnten und die der Vorsitzende anstelle der Parteien _____vortragen würde, sondern lediglich dazu, sich zu den von der einen oder anderen Partei – _____bereits – vorgetragenen Tatsachen – = Tatsachenbehauptungen – vollständig zu erklä_____ren. Zu vervollständigen ist nicht das Arsenal an Tatsachenbehauptungen, sondern die _____Erklärung zu Tatsachenbehauptungen. Im Rahmen von Abs. 1 Satz 2 ist der Vorsitzende _____lediglich verpflichtet – und daher insoweit auch nur berechtigt –, darauf hinzuwirken, _____dass die Parteien den in der Vorschrift des § 138 vorgegebenen Rahmen ausfüllen. _____ _____ 6. Die Erklärungen der Parteien _____ _____ 115 a) Nach Abs. 1 Satz 2 haben der Vorsitzende bzw. das Gericht dahin zu wirken, dass _____die Parteien sich vollständig erklären, also über alle von der einen oder anderen Partei Smid

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____als solche behaupteten angeblichen Tatsachen, soweit diese erheblich sind. Aufzuklä____ren ist nicht der Sachverhalt als solcher, also die außerprozessuale Tatsachenlage, son____dern das Objekt der Aufklärung stellt der Parteivortrag dar.247 Die Vorschrift des Abs. 1 ____Satz 1 korrespondiert einmal mit der des § 138 Abs. 2, nach welcher jede Partei „sich ____über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären“ hat und weiter mit ____der des § 138 Abs. 1, wonach die Parteien „ihre Erklärungen über tatsächliche Um____stände vollständig … abzugeben“ haben: Die Vollständigkeit der Erklärungen und ____Gegenerklärungen in tatsächlicher Hinsicht ist das erste der dem Vorsitzenden durch ____Abs. 1 Satz 2 gesetzten Ziele. ____ ____ b) Die anzustrebende Vollständigkeit einer Erklärung kann insbesondere insoweit 116 ____zu wünschen übrig lassen, als noch ungenügende Angaben der geltend gemachten ____Tatsachen zu ergänzen sind, wie schon im Text von Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich hervorge____hoben wird. Zu ergänzen sind also nicht etwa geltend zu machende Tatsachen, sondern ____lediglich die bereits gemachten – obzwar noch ungenügenden – Angaben zu den geltend ____gemachten Tatsachen. Es geht mithin nicht um die Erweiterung des Sachvortrages, son____dern nur um die Beseitigung von „Unvollständigkeiten innerhalb des Vortrages“. Zwar ____bleibt den Parteien unbenommen, auch den Sachvortrag noch zu erweitern, etwa weitere ____Gründe für eine Kündigung aus wichtigem Grund vorzutragen; es ist aber nicht die Pflicht ____und daher im Rahmen des § 139 auch nicht das Recht des Vorsitzenden, hierauf hinzuwir____ken. Pflicht und Recht des Vorsitzenden insoweit ist allein, darauf hinzuwirken, dass der ____bereits vorliegende Vortrag erforderlichenfalls näher substantiiert werde. ____ ____ c) Dass die Parteien sich zu den vorgetragenen Tatsachen erklären sollen, bedeutet, 117 ____dass sie dem Gericht, damit aber auch dem Gegner klar zu machen haben, wie sie zu den ____Tatsachen stehen, insbesondere ob sie sie bestreiten oder im Gegenteil zugestehen wol____len. Das aber kann eine „Erklärung“, die selbst unklar, in sich widerspruchsvoll oder aus ____anderen Gründen noch selbst „erklärungsbedürftig“ ist, nur unvollkommen leisten: Er____klärungen, die ohne weitere Erklärung noch in ihrer eigentlichen Bedeutung unklar ____sind, sind als Erklärungen unvollständig. Auf die Klärung der verbleibenden oder gar ____durch die Erklärung erst hervorgerufenen Zweifel hat der Vorsitzende daher ebenfalls ____hinzuwirken. ____ ____ 7. Einzelne Fallgestaltungen ____ ____ a) Nach § 139 darf nicht wegen mangelnder Substantiierung abgewiesen werden, 118 ____bevor auf Ergänzung des Vortrags hingewiesen wird (hierzu oben Rdn. 98). Dies gilt all____gemein für fehlende Schlüssigkeit und damit auch für zur Aufrechnung gestellte und im ____Wege der Widerklage erhobene Forderungen.248 Das Gericht verletzt seine Hinweis- und ____Aufklärungspflicht nach § 139, wenn es in Kenntnis der Fehlvorstellungen einer Partei, ____ihre Aufrechnung führe zum Erlöschen der Gegenforderung, die Partei nicht darauf hin____weist, dass es die Aufrechnung für unwirksam hält, und der Partei damit die Möglichkeit ____nimmt, bereits in erster Instanz von der Aufrechnung mit der Folge abzusehen, dass das ____Bestehen der betreffenden Forderung hätte aufgeklärt werden müssen. Hierin liegt ein ____zur Aufhebung und Zurückverweisung führender schwerer Verfahrensmangel.249 Hat das ____Gericht in der mündlichen Verhandlung den Beklagten, der mit einer Gegenforderung ____ ____247 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 28. ____248 OLG Hamm NJW-RR 1999, 364. ____249 OLG Koblenz OLGR 2000, 470.

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_____aufgerechnet und Widerklage erhoben hatte, darauf hingewiesen, dass lediglich gewisse _____Abstriche hinsichtlich der Höhe der Gegenforderung denkbar seien, und darüber hinaus _____eine Beweisaufnahme in Aussicht gestellt, und vertritt es im Urteil unter Abänderung _____seiner Rechtsauffassung durch Nichtberücksichtigung der Gegenforderung und Abwei_____sung der Widerklage die Ansicht, dass die Forderungen des Beklagten unbegründet sind, _____dann stellt das Urteil eine Überraschungsentscheidung dar und ist wegen dieses wesent_____lichen Verfahrensmangels aufzuheben.250 _____ _____ b) Wendet der Auftraggeber im Architektenhonorarprozess (erfolgreich) ein, die 119 _____Schlussrechnung sei nicht prüffähig, muss das Gericht den Architekten nach § 139 kon_____kret darauf hinweisen, welche Umstände der Prüfbarkeit entgegenstehen.251 Das Gericht _____genügt seiner Hinweispflicht nicht, wenn es erstmals in der mündlichen Verhandlung _____auf allgemeine Bedenken gegen die Fälligkeit der Schlussrechnung des klagenden Archi_____tekten hinweist, obwohl seiner Ansicht nach die Schlussrechnung nicht prüffähig ist. _____Der Kläger ist vielmehr konkret darauf hinzuweisen, welche Anforderungen an eine prüf_____fähige Schlussrechnung nach seinem bisherigen Vortrag noch nicht erfüllt sind, um ihm _____die notwendige Ergänzung vor Augen zu führen.252 Es handelt sich um eine verfahrens_____fehlerhafte Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht einer Partei aufgibt, das Er_____gebnis einer Vorplanung nach § 15 HOAI einzureichen, und die Klage abweist, weil die _____vorgelegte Skizze nicht den Anforderungen an eine vollständige Entwurfsplanung im _____Sinne des § 15 HOAI genügt. Durch diese Verfahrensweise wird auf einen rechtlichen Ge_____sichtspunkt abgestellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter _____unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen _____braucht.253 Wenn die Parteien eines Werkvertrages nach der Erteilung der Schlussrech_____nung ausschließlich über Werkmängel streiten und sich entsprechend die Klageschrift _____des Auftragnehmers, mit der er Werklohn aus der Schlussrechnung einklagt, nur zu die_____ser Frage verhält, verstößt das Prozessgericht gegen seine Hinweispflicht, wenn es den _____Unternehmer nicht so frühzeitig auf Bedenken gegen die Prüffähigkeit der Schlussrech_____nung hinweist, dass er noch rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung eine neue und _____nun prüffähige Schlussrechnung erstellen kann.254 _____ Das Gericht hat seine richterliche Aufklärungspflicht verletzt, wenn es eine De120 _____ckungsklage gegen den Versicherer wegen angeblicher Leistungsfreiheit infolge der Ver_____letzung von Aufklärungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers aus § 21 Nr. 2 _____Buchst. b und Nr. 3 VHB 92 abweist, ohne vorher aufzuklären, ob und in welchem Punkt _____sich der Versicherer im Prozess auf eine derartige Obliegenheitsverletzung berufen wür_____de. Die Aufklärungspflicht wird ferner dadurch verletzt, dass das Gericht die für seine _____Entscheidung maßgeblichen Tatsachen nur unvollständig festgestellt hat (hier: unvoll_____ständige Vorlage der Stellungnahme des Versicherungsnehmers zu angeblichen Falsch_____angaben in der Stehlgutliste).255 _____ _____ c) Erkennbar mehrdeutigen Parteivortrag muss das Gericht zum Anlass nehmen, 121 _____sein Fragerecht auszuüben, damit der Partei eine Klarstellung ihres Vorbringens ermög_____ _____ _____250 OLG Hamm NJW-RR 1999, 364. _____251 BGH NJW 1999, 1867; OLG Zweibrücken OLGR 2005, 812; OLG Koblenz BauR 2001, 664; vgl. auch _____OLG Koblenz BauR 2001, 1776. 252 OLG Celle OLGR 2003, 182. _____253 OLG Saarbrücken OLGR 2001, 521. _____254 OLG Frankfurt OLGR 2000, 96. _____255 OLG Köln RuS 1998, 294.

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____licht wird.256 Es ist verfahrensfehlerhaft, eine nur dem Grunde nach, nicht aber zur Höhe ____ausreichend dargelegte Schadensersatzforderung abzuweisen, ohne zuvor auf die Un____vollständigkeit des Vortrags zur Höhe hinzuweisen und Gelegenheit zu ergänzendem ____Vorbringen zu geben.257 So besteht eine Hinweispflicht des Berufungsgerichts im Falle ____unsubstantiierten Verteidigungsvorbringens des Beklagten bei Herausgabeklage des ____Verpfänders in Ansehung des gesetzlichen Pfandrechts des Lagerhalters als absolutes ____Besitzrecht des Pfandrechtsgläubigers.258 Macht der Kläger einen Herausgabeanspruch ____geltend und verlangt er Herausgabe an sich selbst, obwohl der Anspruch gepfändet wor____den ist, so ist ein Hinweis des Gerichts nach § 139 auf Änderung des Klageantrags nicht ____erforderlich, wenn der Beklagte sich ausdrücklich auf die Pfändung des Herausgabean____spruchs beruft.259 ____ ____ 8. Grenzen der Befugnisse des Gerichts ____ ____ a) Das Gericht darf insbesondere den von einer Partei vorgetragenen Sachverhalt ____nicht von sich aus vervollständigen um Informationen, die er aus den von der Partei oder ____von deren Gegner überreichten Anlagen entnommen oder von dritter Seite – etwa durch ____eine Parallelsache – erhalten hat. Nicht einmal naheliegende Korrekturen wie etwa Aus____füllung offensichtlicher Auslassungen, Berichtigung offensichtlicher Rechenfehler und ____dergleichen mehr darf der Vorsitzende von sich aus vornehmen; er darf lediglich durch ____Fragen oder Hinweise dahin wirken, dass die betreffende Partei die Korrektur ihrer Er____klärung selbst vornimmt. ____ ____ b) Abgesehen davon, dass bei einer stillschweigenden Korrektur durch den Vorsit____zenden der Gegner keine Kenntnis von dieser Korrektur erhalten und daher von einem ____anderen Sachverhalt ausgehen würde als das Gericht, verbieten sich Eigenmächtigkeiten ____des Vorsitzenden auch schon deshalb, weil er gar nicht mit Sicherheit wissen kann, in ____welche Richtung die Korrektur der Partei gehen würde, wie an einem läppischen, gerade ____darum aber verallgemeinerungsfähigen Beispiel verdeutlicht werden mag: Ist der Vor____trag „6 × 6 = 48“ zu korrigieren in „6 × 6 = 36“ – wie auf den ersten Blick nahe liegt – ____oder aber in „8 × 6 = 48“? Zudem könnte es sein, dass die Partei, würde man sie nur be____fragen, die Korrektur verweigern würde, sei es aus Uneinsichtigkeit, sei es unter Hinweis ____darauf, dass es im gegebenen Zusammenhang doch gerade darum gegangen sei, eine ____gegnerische Rechnung ad absurdum zu führen oder warum auch immer. ____ Aus dem oben erörterten Verhältnis von Hinweispflicht und Beibringungsgrundsatz ____folgt, dass das Gericht weder berechtigt noch nach § 139 verpflichtet ist, den Inhalt bei____gezogener Akten auf von den Parteien (noch) nicht behauptete Tatsachen hin zu über____prüfen und solche Tatsachen dann in den Prozess einzuführen.260 ____ Gibt die nicht behauptungsbelastete Partei ungünstige Erklärungen ab, hat das Gericht ____nicht auf die Klärung oder Ergänzung dieses Vortrages hinzuwirken.261 Will das Gericht im ____Übrigen ungünstige Behauptungen verwerten, bedarf es regelmäßig eines entsprechenden ____Hinweises, um eine Überraschungsentscheidung gemäß Abs. 2 auszuschließen.262 ____ ____ ____256 BGH NJW-RR 2002, 1071. ____257 BGH NJW 2001, 75 m. Anm. Ott WuB II J § 738 BGB 1.02. ____258 BGH NJW 1999, 3716. 259 BGHR ZPO § 139 Abs. 1 Anwaltsprozess. ____260 BGH GRUR 1974, 715; BGH VersR 1968, 58. ____261 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 40; a.A. Stürner Aufklärung Rdn. 66. ____262 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 40 a.E.

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_____ IX. Streitige Tatsachen, Beweis und Beweisanträge _____ _____ 1. Zusammenhang von Tatsachenbehauptungen und Beweisantritt _____ _____ a) Nach der Stellung im Abs. 1 Satz 2 bezieht sich die Wendung „insbesondere“ pri126 _____mär auf die Parteien: Diese sind es, die etwas „insbesondere“ tun sollen – und also „vor _____allem“ – nämlich „auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen er_____gänzen und die Beweismittel bezeichnen“. Wenn aber dem Gericht zur Pflicht gemacht _____wird, darauf hinzuwirken, dass die Parteien etwas „insbesondere“ vornehmen, dann _____impliziert dieses, dass es auch „insbesondere“ gerade hierauf hinzuwirken hat. Aller_____dings führt die mit „insbesondere“ eingeleitete Fortsetzung der Auflistung der vom Vor_____sitzenden zu verfolgenden Ziele der Sache nach nicht zu zwei neuen Zielen, es folgt _____vielmehr lediglich – und auch das wird insbesondere durch die Verwendung der Wen_____dung „insbesondere“ deutlich – lediglich je ein typischer Anwendungsfall des „Ersten“ _____und des „Zweiten Zieles“ (siehe oben Rdn. 97): Durch die Ergänzung „ungenügender _____Angaben der geltend gemachten Tatsachen“ wird zugleich die Erklärung über die erheb_____lichen Tatsachen vervollständigt. Durch die Bezeichnung der Beweismittel wird ein sonst _____unzureichender Beweisantrag erst sachdienlich.263 _____ _____ b) „Anträge“ im Sinne von Abs. 1 Satz 2 sind nicht nur die eigentlichen Sachanträge 127 _____der Parteien. Vielmehr ist dieser Begriff umfassender gemeint, wie sich schon daraus _____ergibt, dass auf das Bezeichnen der Beweismittel hinzuwirken ist: Auch Beweis- und _____Prozessanträge sind Anträge im Sinne dieser Vorschrift, auch sie sollen „sachdienlich“ _____sein. Weist das Berufungsgericht in der Verhandlung eine Partei nach § 139 Abs. 2 da_____rauf hin, dass es von der Vorinstanz in der Frage der Beweiswürdigung abweichen wol_____le,264 laufen Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 parallel.265 _____ _____ 2. Gerichtliche Hinweise auf die Beweisbedürftigkeit und die Beweislast _____ _____ a) Allgemeines. Zur Erörterung der beweisbedürftigen Parteibehauptungen gehö128 _____ren gerichtliche Hinweise auf die Beweisbedürftigkeit und die Beweislast.266 Dabei ist _____darauf hinzuwirken, dass die beweisbelastete Partei gehörig den Beweis antritt.267 Er_____kennt das Gericht, dass die Stellung von Beweisanträgen offenbar versehentlich268 oder _____aufgrund einer Verkennung der Sach- und Rechtslage unterlassen wurde, hat es einen _____entsprechenden Hinweis auch im Anwaltsprozess zu geben. Hierzu gehört, dass das Ge_____richt Hinweise erteilt, dass ungenügende Beweisanträge vervollständigt werden, indem _____das Beweisthema präzise gefasst269 und die Beweismittel, namentlich die Person von Zeu_____gen,270 genau bestimmt werden. Erteilt das Gericht in der mündlichen Verhandlung ei_____ _____ _____ _____ _____263 Vgl. BAG DB 1971, 1105; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 34: Hinweispflicht gilt sowohl für Sach- als auch Prozessanträge. _____264 Zur Pflicht, dies zu tun: BGH NJW-RR 2007, 17. _____265 Sticken S. 106. _____266 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 43. _____267 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 41. 268 BGH LM Nr. 3; BayObLG RPfleger 1949, 471; MünchKomm-Peters Rdn. 49; Peters FS Beys, 1243, _____1249. _____269 BAG AP Nr. 3. _____270 BAG NJW 1977, 727.

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____nen Hinweis betreffend die Beweislast, muss es der von dem Hinweis betroffenen Partei ____die Möglichkeit der Reaktion einräumen. ____ Beispiele: Das Gericht hat nach Abs. 1 Satz 2 auf die Benennung von Beweismitteln 129 ____hinzuwirken, wenn sich aus dem Parteivortrag ergibt, dass eine tatsächliche Behaup____tung unter Beweis gestellt werden soll, und der Umstand, dass ein Beweisantritt unter____lassen wurde, offensichtlich auf ein Versehen oder auf eine unrichtige Beurteilung der ____Rechtslage zurückzuführen ist.271 Beruft sich der Kläger, der Schadensersatz wegen ____Nichterfüllung begehrt, zum Beweis seines Vorbringens auf eine „beigefügte“ Mängel____liste, die der Klageschrift jedoch nicht beigefügt war, so muss das am Gebot einer sach____gerechten Entscheidung orientierte Gericht auf das Fehlen der Liste hinweisen und de____ren Nachreichung anregen.272 Holt das Gericht das beantragte Umfragegutachten zu der ____Frage, ob der von dem Beklagten angesprochene Verkehr der angegriffenen Bezeich____nung den Hinweis auf eine Alleinstellung des Beklagten in seiner Branche entnimmt, ____nicht ein, weil es in der Werbung des Beklagten keinen Alleinstellungshinweis und ____daher keine Irreführung sieht, ist es gemäß Abs. 1 Satz 2 zu einem entsprechenden rich____terlichen Hinweis an den Kläger verpflichtet.273 Die Erklärung des Beklagten, auf die ____Vernehmung eines bereits in einem anderen Verfahren vor derselben Kammer vernom____menen Zeugen vor dem Prozessgericht zu verzichten, falls das Gericht den Beweis be____reits aufgrund urkundenbeweislicher Verwertung als erbracht ansehe, ist kein Verzicht ____auf den Zeugen i.S.v. § 399, sondern lediglich ein Verzicht auf die Unmittelbarkeit der ____Beweisaufnahme unter hilfsweiser Aufrechterhaltung des Zeugenbeweisangebots. Er____klärt in diesem Fall der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dem Termin, zu dem der ____prozessbegleitend geladene Zeuge nicht erschienen ist, nicht auf den Zeugen verzichten ____zu wollen, so ist das Gericht zu einer klarstellenden Nachfrage verpflichtet, wenn es die ____Erklärung nicht eindeutig als konkludenten Antrag auf Vernehmung des Zeugen an____sieht.274 ____ Widerspricht eine Partei der Verwendung eines Beweisprotokolls aus einem anderen 130 ____Rechtsstreit, dann ist es verfahrensfehlerhaft im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1, dieses Be____weisprotokoll mit der Begründung zur Grundlage der Entscheidung zu machen, die Par____tei habe die Wiederholung der Beweisaufnahme nicht ausdrücklich beantragt. Wenn das ____Gericht diesen Antrag nicht schon als konkludent gestellt ansehen will, muss es eine ____eindeutige Erklärung der Partei herbeiführen.275 ____ ____ b) Eine ausdrückliche Wiederholung der bereits im vorbereitenden Schriftsatz 131 ____vorgebrachten Beweisantritte in der mündlichen Verhandlung ist nicht erforderlich – ____auch nach vorheriger Anhörung des Gegners nicht.276 Hat sich eine beweispflichtige Par____tei in einem vorbereitenden Schriftsatz auf Zeugen und Parteivernehmung berufen, so ist ____das Gericht gemäß § 139 verpflichtet, die Partei nach Durchführung der Beweisaufnahme ____und Ausschöpfung der sonstigen Beweismittel zu fragen, ob sie ihren Antrag auf Partei____vernehmung aufrecht erhält.277 ____ ____ ____ ____ ____271 OLG München VersR 1992, 375. ____272 OLG Köln OLGR 1992, 269. ____273 OLG München OLGR 1992, 159. 274 OLG Köln OLGR 2000, 10 = NJW-RR 2000, 1073–1074 m. Anm. E. Schneider MDR 2000, 857. ____275 OLG Köln OLGR 1993, 291 = VersR 1993, 1366. ____276 OLG Hamm OLGR 1997, 61 = NJW-RR 1997, 764. ____277 OLG Oldenburg NJW-RR 1990, 125.

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_____ 132 c) Verspätung des Beweisantritts. Ein nach dem Hinweis gestellter Beweisantrag _____kann nicht als verspätet zurückgewiesen werden. Die Hinweispflicht des Gerichts gemäß _____Abs. 1 Satz 2 erstreckt sich auch auf die Bewertung eines Beweisantritts als verspä_____tet.278 Das Gericht braucht aber nicht unter allen Umständen darauf hinzuweisen, dass es _____die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des verspäteten Vortrages für gegeben er_____achtet, und damit der betroffenen Partei den Weg der Flucht in die Säumnis zu weisen. _____Vielmehr reicht es aus, wenn die Verspätungsproblematik angesprochen wird. Auch _____eines ausdrücklichen Hinweises hierauf (§ 139) bedarf es dann nicht, wenn die Partei _____anwaltlich vertreten war und ihr Gegner die Verspätungsrüge ausdrücklich erhoben _____hat.279 _____ _____ d) Keine Hinweispflicht bei grober Verletzung von Prozessförderungspflichten 133 _____durch die beweisbelastete Partei. Eine Partei handelt grob nachlässig, wenn sie – bei _____möglichen Zweifeln hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweisaufnahme – auf Befra_____gen des Gerichts erklärt, einen Antrag auf Einholung eines Meinungsforschungsgutach_____tens nicht stellen zu wollen. In diesem Fall ist ein eindeutiger Hinweis des Gerichts, dass _____es ein Meinungsforschungsgutachten für erforderlich hält und nicht gewillt ist, ein sol_____ches gemäß § 144 Abs. 1 von Amts wegen anzuordnen, nicht geboten.280 Es ist als grob _____nachlässige Verletzung der Prozessförderungspflicht i.S.d. § 282 Abs. 1 zu werten, wenn _____eine beweisbelastete Partei sich auf die Vorlage eines von der Gegenseite substantiiert _____bestrittenen Privatgutachtens beschränkt und sich nicht auf die Einholung eines gericht_____lichen Sachverständigengutachtens beruft. Auch ist ein gerichtlicher Hinweis auf die _____Notwendigkeit eines entsprechenden Beweisantrages nicht geboten, wenn die beweisbe_____lastete Partei schon dadurch auf die Unzulänglichkeit ihres Vortrages aufmerksam ge_____macht worden ist, dass die Gegenseite das vorgelegte Privatgutachten ausdrücklich als _____bloßen Parteivortrag bezeichnet hat.281 Grob nachlässig im Sinne von § 296 Abs. 2 (hier: _____hinsichtlich der Benennung eines Zeugen erst in einem nachgelassenen Schriftsatz) _____handelt eine Prozesspartei nur, wenn sie ihre Prozessförderungspflicht in besonders ho_____hem Maße vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des _____Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen. Diese Feststellung er_____fordert eine Würdigung aller Umstände, die nötigenfalls gemäß § 139 festzustellen und _____von der betroffenen Partei darzulegen sind.282 _____ Die Erhebung des Sachverständigenbeweises geschieht grundsätzlich nur auf An134 _____trag der beweisbelasteten Partei durch Benennung des Beweismittels und des genauen _____Beweisthemas. Eine Erhebung des Beweises nach pflichtgemäßem Ermessen auch ohne _____Antrag der Partei (§ 144 Abs. 1) ist im Allgemeinen nicht veranlasst, wenn das Gericht der _____beweisbelasteten Partei gemäß Abs. 1 Satz 2 Gelegenheit gegeben hat, Beweis durch _____Sachverständigengutachten anzutreten, die Partei den Beweisantrag daraufhin aber _____nicht stellt.283 _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____278 OLG Hamm NJW-RR 2003, 1651. _____279 OLG Frankfurt OLGR 1994, 176. 280 Vgl. aber BGH NJW 1991, 493. _____281 OLGR Oldenburg 1999, 259= NJW-RR 2000, 949; Gehrlein VersR 2003, 574 ff. _____282 OLGR Oldenburg 1995, 289. _____283 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1993, 169.

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____ 3. Gerichtliche Hinweise und §§ 286, 287 ____ ____ a) Nach erfolgter, für die beweisbelastete Partei erfolglos gebliebener Beweisauf____nahme bedarf es regelmäßig keines Hinweises, mit dem das Gericht die Partei zu neuem ____Beweisantritt auffordert.284 Denn das Ergebnis der vorangegangenen Beweisaufnahme ist ____mit den Parteien zu erörtern, deren Sache es dann ist, daraus die gebotenen Schlüsse für ____ihr weiteres prozessuales Verhalten zu ziehen. Daher kann je nach Lage des Einzelfalles ____die „Anregung“ weiteren Beweis anzutreten, die Befangenheit des Gerichts begründen.285 ____Entsprechend besteht keine aus § 139 zu folgernde Pflicht des Gerichts, die Gegenpartei ____zur Führung eines Gegenbeweises zu den streitigen Tatsachenbehauptungen286 oder zur ____Glaubwürdigkeit der Zeugen287 zu veranlassen. ____ ____ b) Die richterliche Beweiswürdigung (§ 286) muss für die Parteien vorhersehbar ____sein, damit die auf ihr gegründete Entscheidung keinen Überraschungscharakter hat; ____das Gericht hat daher schon gemäß Abs. 2 die Würdigung sowohl des Vorbringens der ____Parteien als auch der Beweise mit den Parteien zu erörtern.288 Es bedarf des Hinweises ____nach Abs. 1 Satz 2 an die erkennbar von einer falschen Beurteilung der Sach- und Rechts____lage ausgehende Partei, wenn das Gericht, obwohl die Beweisaufnahme die Behauptun____gen des Beweisführers nach Auffassung des Gerichts voll bestätigt hat, weitere Beweis____antritte durch ihn für erforderlich hält. 289 Dies gilt insbesondere für abweichende ____Würdigung durch das Berufungsgericht.290 ____ ____ c) Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Tritt die Ehefrau den Beweis dafür, dass ____das auf dem gemeinsamen Oder-Konto befindliche Geld nach übereinstimmender Par____teivereinbarung im Innenverhältnis allein ihr zustehen und langfristig angelegt werden ____sollte, durch Vernehmung eines Zeugen sowie durch Parteivernehmung gemäß § 448 ____(Vernehmung von ihr als Klägerin) an, so ist das Gericht, wenn es den Beweis nach der ____Zeugenvernehmung nicht als geführt erachtet, verpflichtet, die Ehefrau/Klägerin nach ____Durchführung der Beweisaufnahme dazu zu befragen, ob sie ihren Antrag auf Parteiver____nehmung aufrecht erhält.291 ____ ____ 4. Berufungsinstanz ____ ____ a) Eine in erster Instanz siegreiche Partei darf darauf vertrauen, dass das Berufungs____gericht ihr rechtzeitig einen Hinweis nach §§ 139, 278 Abs. 3 gibt, wenn es der Beurtei____lung der Vorinstanz nicht folgen will und insbesondere auf Grund seiner abweichenden ____Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält.292 ____Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch ____einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, jedenfalls dann, wenn dieser die Rechts____lage falsch beurteilt.293 Wenn das Berufungsgericht den entscheidungserheblichen Sach____ ____ ____284 BayObLGZ 1975, 311, 317; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 42. 285 OLG Frankfurt/M. NJW 1976, 2025 (dort verneinend). ____286 RGZ 93, 152; RG JW 1937, 35. ____287 BAG AP § 162 Nr. 1. ____288 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 45. ____289 NJW 1989, 2756 m. Anm. M. Wolf ZZP 103 (1990), 79. 290 BGH VersR 1977, 733, 734; BGH NJW 1981, 580, 581; BGH NJW 1985, 3078. ____291 BGH NJW-RR 1993, 2 m. Anm. Zeller WuB I C 3 Sonderkonto 3.93. ____292 BGH ZfBR 2009, 241; BGH NJW-RR 2011, 1009; BGH NJW-RR 2010, 1363. ____293 BGH NJW 1999, 1867, 1868.

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_____vortrag des Beklagten nicht nachvollziehen kann, so darf es daraus keine nachteiligen _____Schlüsse zu Lasten des Beklagten ziehen. Das Berufungsgericht muss in diesem Fall den _____Beklagten darauf hinweisen, dass es sein Verteidigungsvorbringen nicht für hinreichend _____substantiiert ansieht. Das Unterlassen eines gerichtlichen Hinweises stellt einen Verfah_____rensfehler dar.294 Soweit der Berufungskläger pauschal auf sein erstinstanzliches Vor_____bringen und damit auf Beweisangebote verweist, hat ihn das Berufungsgericht zu befra_____gen, ob er hieran für das Berufungsverfahren festhält.295 In der Berufungsinstanz ist im _____Übrigen neuer tatsächlicher Vortrag berücksichtigungsfähig, wenn er unstreitig ist und _____deshalb eine weitere Sachaufklärung von offenkundigen tatsächlichen Unklarheiten, die _____das Gericht der ersten Instanz unter Verletzung der ihm gemäß Abs. 1 obliegenden Nach_____fragepflicht nicht bereinigt und aufgeklärt hat, entbehrlich wird.296 Das Berufungsgericht _____ist nach § 139 aber nur dann verpflichtet, auf die Notwendigkeit ergänzenden Vortrags _____hinzuweisen, wenn der Vortrag in einem wesentlichen Punkt unklar oder ersichtlich _____unvollständig ist.297 _____ _____ 139 b) Einzelfälle. Soll mit der Rüge des Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungs_____und Hinweispflicht (Abs. 1 Satz 2) ein wesentlicher Mangel des Verfahrens des ersten _____Rechtszugs i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 geltend gemacht werden, muss die Berufungsbe_____gründung jedenfalls dann, wenn der rechtliche Gesichtspunkt schon von der Gegenseite _____aufgezeigt worden war, Ausführungen dazu enthalten, welchen bestimmten, näher an_____zugebenden, entscheidungserheblichen Vortrag der Berufungskläger in Verkennung der _____Rechtslage unterlassen haben will.298 Eine Revisionsrüge aus § 139 ist nur dann ord_____nungsgemäß erhoben, wenn im Einzelnen angegeben wird, was auf einen entsprechen_____den Hinweis vorgebracht worden wäre.299 Die Ansicht des BGH, eine Partei, der Prozess_____kostenhilfe für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gewährt worden _____ist, könne und dürfe nicht darauf vertrauen, dass ihre Nichtzulassungsbeschwerde nicht _____ohne vorherigen Hinweis zurückgewiesen wird,300 begegnet deshalb Bedenken. Die Er_____läuterung und Ergänzung der Angaben des Wiedereinsetzungsantrags sowie eine hierauf _____bezogene Glaubhaftmachung im Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann vom Beschwer_____degericht zu berücksichtigen, wenn schon in der Vorinstanz Anlass zu entsprechenden _____Rückfragen gemäß § 139 bestanden hätte.301 Die in erster Instanz siegreiche Partei ver_____letzt ihre Prozessförderungspflicht (§ 282 Abs. 1) nicht, wenn sie eine nach der abwei_____chenden Ansicht des Berufungsgerichts erforderliche Ergänzung ihres Vorbringens un_____terlässt. Sie darf darauf vertrauen, in einem solchen Fall Hinweise des Berufungsgerichts _____gemäß Abs. 1 Satz 2 und danach hinreichend Zeit und Gelegenheit für die Ergänzung _____ihres Vorbringens zu erhalten.302 _____ _____ c) Wird ein in erster Instanz gestellter Beweisantrag im Berufungsrechtszug nicht 140 _____wiederholt, obwohl ihm dort erst seine eigentliche Bedeutung zukommt, und sind keine _____Umstände dafür zu erkennen, dass die Partei auf ihn bewusst nicht mehr zurückgreifen _____will, so hat das Gericht gemäß Abs. 1 nachzufragen, bevor es den Antrag für nicht mehr _____ _____ 294 BGH NJW 1999, 3716. _____295 BGH NJW-RR 1995, 828; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 44. _____296 OLG Köln OLGR 2004, 124 entgegen BGH NJW 2005, 291. _____297 BGH MDR 2010, 1483. _____298 BGH NJW-RR 1988, 477 m. Anm. Weipert EWiR 1988, 409 und Dilger RIW 1989, 487. 299 BGH WM 1988, 197. _____300 BGH NJW-RR 2012, 128. _____301 BGH VersR 1980, 89; BGH VersR 1979, 1028; BGHZ 2, 342; BGH VersR 1981, 1160. _____302 BGH NJW 1981, 1378.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____gestellt erachtet.303 Hat eine Partei erstinstanzlich auf die Vernehmung eines von ihr be____nannten Zeugen für diese Instanz verzichtet, und kann der Vernehmung des Zeugen im ____Berufungsrechtszug Bedeutung zukommen, so hat das Berufungsgericht, bevor es den ____Beweisantrag als nicht mehr gestellt erachtet, auf Grund seiner Aufklärungspflicht bei ____der Partei nachzufragen, ob der Verzicht auch für die zweite Instanz gelten soll.304 Die in ____erster Instanz erfolgreiche Partei muss einen Beweisantrag in zweiter Instanz dann je____denfalls erneut stellen, wenn der frühere Antrag in erster Instanz der Klarstellung bedarf ____und das Gericht darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Beweis noch anzutreten sei.305 ____Ein Berufungsgericht, das sich für die Ermittlung der Bedeutung einer in englischer ____Sprache abgefassten Klausel eines internationalen Vertrags eigene Sachkenntnis aus____drücklich abspricht und eine sachverständige Begutachtung für erforderlich hält, han____delt ähnlich wie im Anwendungsbereich des § 293 im Rahmen der allgemeinen Vorschrift ____des § 144 ermessensfehlerhaft, wenn es nicht entweder nach dieser Vorschrift das für ____notwendig gehaltene Sachverständigengutachten einholt oder aber zumindest nach ____§ 139 die Partei darauf entsprechend hinweist und ihr so Gelegenheit gibt, die Einholung ____des Sachverständigengutachtens förmlich zu beantragen. 306 Hat das erstinstanzliche ____Gericht die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen nach Beweisauf____nahme durch Zeugeneinvernahme überwiegend für begründet erachtet, muss das Beru____fungsgericht, wenn es im Gegensatz zu dieser Beurteilung einen weiteren Beweisantritt ____für notwendig erachtet, die Klägerin darauf gemäß § 139 Abs. 1, 2 hinweisen, um nicht ____eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung zu treffen.307 Die ____erst im Berufungsverfahren erklärte Bereitschaft, dem sachkundigen Vertreter der Ge____genpartei den Zutritt zu gestatten, kann jedenfalls dann als verspätet zurückgewiesen ____werden, wenn das Erstgericht seiner Aufklärungspflicht bezüglich der Folgen einer Zu____trittsverweigerung genügt hat.308 ____ ____ d) Steht fest, dass der Kläger, dessen Schadensersatzklage in erster Instanz mit dem 141 ____pauschalen (und insoweit unschlüssigen) Vortrag der Überschuldung des Nachlasses ____stattgegeben worden war, ohne das neue substantiierte Vorbringen zur Überschuldung ____des Nachlasses in der Berufungsinstanz unterlegen wäre, dann kommt eine Anwendung ____des § 97 Abs. 2 nicht in Betracht, wenn dem Kläger das erstinstanzliche Zurückhalten des ____neuen Vorbringens nach den Grundsätzen wirtschaftlicher Prozessführung nicht zum ____Vorwurf gemacht werden kann, weil er bereits bei einem entsprechenden richterlichen ____Hinweis in erster Instanz seinen Vortrag hätte vervollständigen können.309 ____ ____ e) Das Berufungsgericht verletzt seine Hinweispflicht aus Abs. 1 Satz 2, wenn es 142 ____ohne vorherigen Hinweis eine Klage wegen fehlender schlüssiger Darstellung zur Sach____befugnis abweist, nachdem die Vorinstanz dieser stattgegeben hatte.310 Wird die Aktivle____gitimation des Klägers zunächst nicht in Zweifel gezogen und bestehen gewichtige Hin____weise dafür, dass der Kläger als Rechtsnachfolger des ursprünglichen Vertragspartners ____des Beklagten aktivlegitimiert ist, so darf die Klage nicht wegen fehlenden Vortrags des ____ ____ 303 BVerfGE 60, 305; BGH NJW 1998, 155 m. Anm. Wax LM ZPO § 139 Nr. 28 (10/1997); so auch Peters ____FS Beys, 1243, 1247 f. ____304 BGH NJW-RR 2002, 1500. ____305 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1993, 169. ____306 BGH NJW 1987, 591. 307 BGH BauR 2011, 1850. ____308 OLG München NJW 1984, 807. ____309 OLG Stuttgart OLGR 1999, 414. ____310 BGH NJW-RR 2002, 1436.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Klägers zur Aktivlegitimation ohne weiteres abgewiesen werden, wenn der Prozessbe_____vollmächtigte des Klägers das nunmehrige Bestreiten der Aktivlegitimation in Anbet_____racht des bisher zwischen den Parteien geführten Streits erkennbar für nicht nachvoll_____ziehbar hält und deswegen zu den Einzelheiten der Rechtsnachfolge nicht ausreichend _____vorträgt. In diesem Fall hat das Gericht dem Kläger Gelegenheit zu geben, sein Vorbrin_____gen zu ergänzen und zur Rechtsnachfolge geeignete Urkunden vorzulegen und sonstige _____geeignete Beweismittel zu benennen.311 _____ _____ 5. Prozesskostenhilfeverfahren _____ _____ Fehlen Belege über die wirtschaftlichen Verhältnisse, so darf das Gericht die Pro143 _____zesskostenhilfe erst nach vergeblicher Anforderung der benötigten Belege versagen.312 _____Vermisst das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren die Angabe (weiterer) Beweismittel, _____darf die Bewilligung erst abgelehnt werden, wenn der Antragsteller auf den Beweisman_____gel hingewiesen und zu weiteren Beweisanträgen aufgefordert worden ist. Dabei richtet _____sich der Umfang der Darlegungen und Beweisantritte nach dem Vorbringen des Gegners. _____Voraussetzung ist also auch, dass der Gegner Gelegenheit hatte, Stellung zu nehmen.313 _____ Besteht die Möglichkeit, dass der Antragsteller aufgrund besonderer Umstände 144 _____(hier: Inhaftierung) nicht in der Lage ist, sich sachgerecht zu äußern, muss er zumindest _____darüber belehrt werden, dass er gemäß §§ 117 Abs. 1, 129 a Abs. 1 seine Erklärung zu Pro_____tokoll der Geschäftsstelle abgeben kann. Nur wenn das Vorbringen dann noch unzurei_____chend bleibt, darf es entsprechend gewürdigt werden.314 _____ _____ X. Förderung sachdienlicher Anträge, Abs. 1 Satz 2 _____ _____ Der Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Anspruch der Parteien auf ein faires 145 _____Verfahren gebieten es, dass das Gericht insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten aus Spezi_____algebieten, wozu auch das Anfechtungsrecht gehört, auf die Stellung sachdienlicher _____Klageanträge hinwirkt.315 Nach der Judikatur des OLG Köln sind bei der Prüfung der Be_____rufsunfähigkeit im Rahmen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung sowohl erhöhte _____Anforderungen an die Substantiierung des diesbezüglichen Parteivortrags als auch an _____den einer sachverständigen Begutachtung zugrunde zu legenden Sachverhalt zu stellen. _____Die Anforderungen an die Feststellung der Berufsunfähigkeit bedeuten über den mate_____riellrechtlichen Aspekt hinaus spezifische Anforderungen an die Verfahrensausgestal_____tung in einschlägigen Prozessen im Sinne einer gesteigerten Aufklärungs- und prozessu_____alen Fürsorgepflicht. Ohne Hinweis- und Auflagenbeschlüsse sei in diesen Fällen eine _____angemessene Strukturierung und Konkretisierung des Streitstoffs nicht zu erreichen.316 _____Das Gericht hat auch im Informationserzwingungsverfahren gemäß § 51 a GmbHG _____auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken und dem Antragsteller Gelegenheit zu _____geben, Mängel des Antrags zu beseitigen.317 Die Pflicht zur Förderung sachdienlicher _____Anträge, Abs. 1 Satz 2, greift in allen Verfahrensarten: Fehlt es beispielsweise dem Kla_____geantrag an der nötigen Bestimmtheit, ist das Gericht im Prozesskostenhilfeprüfungs_____ _____ _____311 OLG Köln OLGR 2001, 173. _____312 OLG Schleswig SchlHA 1982, 71. _____313 OLG München OLGR 2000, 108 f. 314 OLG Bamberg OLGR 2001, 273. _____315 OLG Köln OLGR 2005, 53. _____316 OLG Koblenz OLGR 1998, 259; OLG Koblenz OLGR 1999, 56. _____317 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1996, 415.

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____verfahren verpflichtet, auf die Behebung dieses formellen Mangels hinzuwirken.318 Dies ____gilt auch für die Möglichkeit der prozessualen Gestaltungsklage nach § 767 analog, ____wenn es den abzuändernden Titel mangels Bestimmtheit für nicht vollstreckungsfähig ____hält.319 Im Wohnungseigentumsverfahren als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar____keit sind an die Bestimmtheit der Anträge weniger strenge Anforderungen zu stellen als ____im Zivilprozess; sie sind auch in weiterem Maße auslegungsfähig. Das Gericht hat aber ____jedenfalls auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken.320 ____ ____ 1. Probleme. Nach der Rechtslage vor der Reform 2002 wurde § 139 Abs. 1 a.F. im 146 ____Allgemeinen darauf beschränkt, dem Willen der Parteien die richtige Form zu geben und ____ihr die rechtlichen Schlussfolgerungen aus ihrem Tatsachenvortrag vor Augen zu füh____ren. Nach der Rechtsprechung „kanalisiert“ und begrenzt der jeweilige, auf einen vorge____tragenen Lebenssachverhalt gestützte Parteiantrag grundsätzlich auch die mögliche ____richterliche Aufklärung. Dabei sind nach bisherigem Recht insbesondere vier Fallgrup____pen hinsichtlich der Frage als problematisch empfunden worden, ob eine richterliche ____Hinweispflicht besteht: Bislang war es umstritten, ob der Richter eine sachdienliche Kla____geänderung anregen („Kutterfall“),321 auf die Verjährungseinrede hinweisen („Dachde____ckerfall“)322 oder vor der eigentlichen Urteilsverkündung seine Beweiswürdigung den ____Parteien offenbaren muss („Steinlieferungsfall“).323 Überdies war bislang fraglich, ob die ____Hinweisbedürftigkeit durch den Umstand der anwaltlichen Vertretung beeinflusst wird ____(„Widerklagefall“).324 Die Rechtsprechung handhabte die richterlichen Aufklärungspflich____ten nach den §§ 139, 278 Abs. 3 a.F. traditionell restriktiv. Ohne entsprechende Andeu____tungen musste das Gericht weder eine sinnvolle Klageänderung anregen, noch auf mög____liche Verjährung hinweisen. Die Offenbarung der beabsichtigten Beweiswürdigung war ____bislang ebenso wenig hinweisbedürftig, wie Hilfestellung für den nachlässigen Anwalt. ____Wurden Hinweispflichten jedoch bejaht, wurde vornehmlich auf den Schutz vor Überra____schungsentscheidungen als Ausprägung des rechtlichen Gehörs abgestellt. In der Litera____tur fanden sich jedoch zu jeder Einzelfrage auch gegenteilige Stellungnahmen. ____ ____ 2. Grenzen der Befugnisse des Gerichts apriori ____ ____ a) Eine Hinweispflicht nach § 139 besteht nicht, wenn diese bei einem unzweideutig 147 ____gefassten Klagebegehren auf eine Auswechslung oder Erweiterung des Streitgegenstan____des hinausliefe.325 Dieser die Judikatur prägende Satz verdient Zustimmung. Sache des ____Gerichts nach Abs. 1 Satz 2 ist lediglich – falls überhaupt erforderlich –, dahin zu wirken, ____dass die Parteien das tun, worauf der Vorsitzende hinzuwirken hat.326 Nicht seine Sache ____ist hingegen, kurzerhand selbst zu tun, was zu tun den Parteien obliegt: ____ ____ b) Schon gar nicht geht es an – und geschieht doch jeden Tag –, dass nach Schluss 148 ____der mündlichen Verhandlung in der Beratung die Anträge gleichsam von Amts wegen ____ ____ ____318 OLG Hamburg OLGR 2000, 262. 319 BGH NJW 2006, 695. ____320 OLG Frankfurt OLGR 2005, 510. ____321 BGHZ 7, 208 ff.; Sticken S. 17 ff. ____322 OLG Köln MDR 1979, 1027 f.; Sticken S. 21. ____323 RG JW 1908, 684 f.; Sticken S. 25 ff. 324 BGH NJW 1984, 310; Sticken S. 29. ____325 OLG Koblenz OLGR 1999, 476. ____326 Zur ansonsten drohenden Verletzung der richterlichen Neutralität siehe Musielak-Stadler Rdn. 5 ____m.w.N.

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_____geändert werden, in dem im Urteil etwas zuerkannt wird, was so gar nicht beantragt _____worden war, sei es, dass die Änderungsbedürftigkeit des Antrages dem Gericht erst nach _____Schluss der mündlichen Verhandlung bewusst geworden ist, sei es, dass die betreffende _____Partei zwar im Termin gemäß Abs. 1 Satz 2 auf die Änderungsbedürftigkeit hingewiesen _____worden war, aber nicht reagiert hatte. _____ _____ c) Rein redaktionelle Änderungen – solche also, in denen im Urteil gegenüber 149 _____dem Antrag lediglich der sprachliche Ausdruck, nicht aber der sachliche Gehalt geändert _____wird – sind unbedenklich, ja zuweilen geboten: So werden offensichtliche Rechtschreib_____fehler nicht in den Tenor übernommen und aus der – gegebenenfalls – indirekten Rede _____des Antrages – „… den Beklagten zu verurteilen …“ – wird im Tenor die direkte Rede – _____„Der Beklagte wird verurteilt …“ –. Nicht selten bedarf es einer sprachlichen Neufassung _____von Anträgen – zumal, wenn es um komplexere Anträge geht –, weil die Satzkonstruk_____tion schon rein grammatikalisch verfehlt ist, mag auch zu raten sein, was gemeint sein _____könnte. In solchen Fällen, die in der täglichen Praxis keineswegs selten sind, ist es zwar _____Sache der Partei, die Unebenheiten ihrer Anträge zu glätten, aber Sache des Gerichts, _____hierauf hinzuwirken, indem es durch Hinweise Problembewusstsein schafft. Geht es um _____kompliziertere Formulierungen, beispielsweise um die Beschreibung dessen, was der _____Beklagte nach dem Willen des Klägers hinfort tun oder unterlassen soll, dann besteht _____freilich die Gefahr, dass durch eine für rein redaktionell gehaltene Änderung auch der _____Gebots- und Verbotsumfang verändert wird. Sog. „Straffungen“ des Antrages durch das _____Gericht führen oftmals dazu, dass mit der gegenüber dem Antrag „schlankeren“, weil _____abstrakteren Fassung des Tenors mehr verboten oder geboten wird als zu verbieten oder _____gebieten beantragt worden war, so dass – möglicherweise noch dazu unter Verletzung _____materiellen Rechts – gegen die Vorschrift des § 308 Abs. 1 Satz 1 verstoßen wird, nach _____welcher das Gericht nicht befugt ist, „einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht bean_____tragt ist“. Zu entscheiden, was sie beantragen will, ist allein Sache der Partei: Der Vorsit_____zende kann zwar auf eine Änderung, die das Gericht für sachdienlich hält, hinwirken,327 _____das Gericht darf sie aber auf keinen Fall von Amts wegen selbst vornehmen, muss sich _____vielmehr der Entscheidung der Partei beugen. _____ _____ 3. Das Stellen der sachdienlichen Anträge _____ _____ a) Vorbemerkung. Nach Abs. 1 Satz 1 hat das Gericht weiter dahin zu wirken, dass 150 _____die Parteien die sachdienlichen Anträge stellen. Dies bedeutet nicht etwa, dass „er die _____Parteien dazu anhalten muss, überhaupt Anträge zu stellen“. Vielmehr geht die ZPO da_____von aus, dass die Verhandlung, in welcher erforderlichenfalls auf das Stellen der sach_____dienlichen Anträge hinzuwirken ist, schon zuvor gemäß § 137 Abs. 1 dadurch eingeleitet _____wird, dass die Parteien ihre Anträge stellen, gleichviel ob diese nun sachdienlich sind _____oder nicht. _____ _____ b) Angekündigte Anträge. Werden Anträge ausdrücklich oder implizit angekün151 _____digt, aber nicht gestellt, ist dies Anlass zum Nachfragen.328 Verändert sich die Rechtsla_____ge, kann sich hieraus die Notwendigkeit ergeben, die Parteien zur Stellung entsprechen_____der sachdienlicher Anträge anzuregen. 329 Beispiele hierfür sind die Rechtsnachfolge _____ _____ _____327 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 23. _____328 RGZ 8, 372; KG NJW 1983, 580, 581; LG Saarbrücken NJW-RR 1993, 830. _____329 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50.

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____während des Prozesses gemäß § 265330 und die Erledigung des Rechtsstreits in der Haupt____sache, § 91 a.331 ____ ____ c) Präzisierung unvollständiger oder nicht hinreichend bestimmter Anträge. ____Die Aufforderung bzw. Anregung zur Stellung sachdienlicher Anträge kann auf die Prä____zisierung unvollständiger oder nicht hinreichend bestimmter Anträge,332 namentlich die ____Reichweite des Antrags zielen, auf Nachbesserung333 unklarer oder widersprüchlicher ____Anträge, namentlich die Klärung, ob Leistung begehrt oder ein Feststellungsantrag334 ____gestellt wird, gerichtet sein. ____ Streiten die Parteien darüber, ob und mit welchen Mitteln oder mit welcher räum____lich-körperlichen Ausgestaltung die im Patentverletzungsprozess angegriffene Aus____führungsform Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht, so hat das Gericht darauf ____hinzuwirken, dass die Mittel, aus denen sich nach dem Klagevorbringen die Benutzung ____des Patentanspruchs ergeben soll, im Klageantrag so konkret bezeichnet werden, dass ____eine dem Klageantrag entsprechende Urteilsformel die Grundlage für die Zwangsvoll____streckung bilden kann. Die Wiedergabe des Wortlauts des Patentanspruchs reicht inso____weit auch dann nicht aus, wenn der Kläger eine wortsinngemäße Verletzung geltend ____macht.335 ____ ____ d) Anträge hingegen, die keine Entscheidung über das mit dem Antrag verfolgte ____„Prozessziel“ zulassen, unzulässige Anträge also, sind niemals sachdienlich. Daher ist, ____wenn ein Antrag noch ergänzt werden muss, um sachdienlich zu werden, auf diese Er____gänzung und wenn er der Änderung bedarf, auf die erforderliche Änderung hinzuwir____ken. ____ ____ e) Hinzuwirken ist nicht nur darauf, dass überhaupt „sachdienliche Anträge“ ge____stellt werden, sondern darauf, dass „die sachdienlichen Anträge“ – und also alle – ge____stellt werden: Auch wenn die Sachanträge, um deren rechtliches Schicksal es letztlich ____geht, sachdienlich sind, kann geboten sein, darauf hinzuwirken, dass ergänzende An____träge gestellt werden, die gleichsam in dienender Funktion im Verhältnis zum Sachan____trag sachdienlich sein würden. ____ ____ f) Zulässige, aber unbegründete Anträge sind regelmäßig sachdienlich: Zwar geht ____es der Partei, die einen Antrag stellt – von gelegentlichen Musterprozessen abgesehen – ____nicht so sehr darum, dass überhaupt entschieden wird, als vielmehr um eine ihr günstige ____Entscheidung; primäres Prozessziel kann aber immer nur sein, dass überhaupt in der ____Sache, um die es mit dem Antrag gehen soll, entschieden wird. Sachdienlich ist daher ____jeder Antrag, der eine Entscheidung über das mit dem Antrag verfolgte petitum zulässt, ____mag diese auch dem Antragsteller unerwünscht sein. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____330 RG JW 1921, 1548. ____331 RG JW 1912, 914. 332 RGZ 130, 264, 267. ____333 OLG Köln NJW 1973, 1848. ____334 BAG NJW 1966, 2179. ____335 BGHZ 162, 365 ff. m. Anm. Kühnen GRUR 2006, 180.

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_____ 4. Sachdienlichkeit _____ _____ a) Sachdienlich ist, was einer „Sache“ dienlich ist, nämlich der, in Bezug auf welche 157 _____nach der Sachdienlichkeit gefragt wird. „Sachdienlichkeit“ schlechthin ergibt keinen _____Sinn: Stets ist zu fragen, in Bezug auf was Sachdienlichkeit bestehen soll. „Sache“ ist im _____hier gegebenen Zusammenhang nicht sachenrechtlich zu verstehen – als „res“ –, sondern _____in einem – insbesondere auch „causa“ erfassenden – umfassenderen Verständnis. In _____Abs. 1 Satz 2 geht es um die Sachdienlichkeit von Anträgen. Hier stellt sich die Frage, ob _____der Antrag der Sache, die mit ihm verfolgt werden soll, dienlich ist. In § 263 hingegen geht _____es um die Sachdienlichkeit einer Klagänderung und also nicht oder doch jedenfalls nicht _____unmittelbar um die Sachdienlichkeit des zu ändernden oder des geänderten Antrages. _____Das gilt auch dann, wenn sich aus dem Sachvortrag der Partei ergibt, dass auch ein wei_____tergehender Antrag zulässig und begründet wäre, würde er nur gestellt worden sein. In _____solchen Fällen wird zwar eine Klagänderung, entschließt sich der Kläger hierzu, sach_____dienlich sein; dessen ungeachtet ist aber auch schon der ungeänderte Antrag sachdien_____lich, nur eben enger. Nun ist allerdings umstritten, ob „sachdienlich“ in Abs. 1 Satz 2 _____dieselbe Bedeutung hat wie in § 263 Abs. 1, nach welcher Vorschrift eine Klagänderung _____dann zulässig ist, wenn „das Gericht sie für sachdienlich erachtet“. Hierzu gibt es im We_____sentlichen zwei Ansichten, von denen eine dritte richtig ist: So wird vertreten, zulässig sei _____nur der Hinweis, der sich im Rahmen des vom Kläger vorgebrachten Antrags halte.336 Im _____Ergebnis wird also ein aus § 263 abgeleitetes Kriterium der „objektiven Sachdienlichkeit“ _____zurückgewiesen. Nach dieser Ansicht ist in § 139 Abs. 1 „der Begriff sachdienlich im sub_____jektiven Sinn zu verstehen, während er in § 263 im objektiven Sinn verstanden werden _____muss“. Nach einer anderen Ansicht337 hingegen weist „nicht nur derselbe Wortlaut in den _____§§ 139 Abs. 1, 263 darauf hin“, sondern zwingt „auch und gerade die Funktion beider Vor_____schriften … zu dem Schluss, dass der Begriff der Sachdienlichkeit in beiden Regelungen _____gleichen Inhalt hat“, weshalb „der Richter nach Abs. 1 Satz 2 verpflichtet“ sei, „auf eine _____sachdienliche Klagänderung hinzuwirken“. Demgegenüber ist zwar richtig, dass der _____Begriff „sachdienlich“ in beiden Vorschriften der nämliche ist, nicht aber auch, dass des_____halb der Vorsitzende verpflichtet ist, auf eine Klagänderung hinzuwirken: § 139 setzt vor_____aus, dass der Antrag nicht sachdienlich ist; in diesem Fall ist auf eine entsprechende Än_____derung des Antrages hinzuwirken. In § 263 hingegen muss die Klagänderung, um _____zulässig zu sein, sachdienlich sein. Es sind aber mühelos Fälle zu finden, in denen trotz _____fehlender Sachdienlichkeit des ursprünglichen Antrages auch die Klagänderung nicht _____sachdienlich ist; denn es genügt ja nicht die Änderung als solche, sie muss vielmehr zu _____einem sachdienlichen Antrag führen. Andererseits mag es auch einmal sachdienlich sein, _____trotz sachdienlicher Anträge die Klage zu ändern, etwa dazu, den „Klagantrag in der _____Hauptsache zu erweitern“: Eine solche Änderung ist zwar nach § 264 Nr. 2 nicht „als eine _____Änderung der Klage … anzusehen“, dessen ungeachtet aber der Sache nach eine subjekti_____ve Klagänderung, die nur deshalb gemäß § 264 Nr. 2 nicht als solche „anzusehen“ ist, weil _____sie objektiv ersichtlich sachdienlich und daher zulässig ist. _____ _____ 158 b) Prozessziel der Parteien als Maßstab. Sachdienlich sind daher die Anträge, mit _____denen die Parteien aus dem Sach- und Streitstand die Schlüsse gezogen haben, die für _____die Erreichung ihres Prozesszieles geboten sind. Der Hinweis des Gerichts auf sachdien_____liche Anträge soll daher helfen, das von der Partei verfolgte materielle Prozessziel mit _____ _____ _____336 Rensen Hinweispflicht S. 191 ff.; Rensen MDR 2002, 1175, 1177. _____337 MünchKomm-Peters Rdn. 31; Peters FS Beys, 1243, 1248; Stein/Jonas-Leipold § 263 Rdn. 12.

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____dem prozessualen Antrag in Übereinstimmung zu bringen.338 Daher spricht man davon, ____die Sachdienlichkeit i.S.v. Abs. 1 Satz 2 sei in einer „subjektiven“ Hinsicht – nämlich auf ____die Rechtsverfolgung durch die Partei hin – zu verstehen, während der Begriff im Rege____lungszusammenhang des § 263 objektive Bedeutung – im Rahmen des Prozesses – ____habe.339 Gemeint ist damit, dass die Parteien ihre „subjektiven“ Zwecke im Prozess ver____folgen, was im Übrigen damit umschrieben wird, im Zivilprozess habe die Dispositions____maxime Geltung. Die Parteien bestimmen den Streitgegenstand; daran ist das Gericht ____gebunden. Aufgabe der gerichtlichen materiellen Prozessleitung ist es, zu fördern, dass ____dieser „subjektiven“ Bestimmung der Reichweite des Prozesses und des Urteils die pro____zessuale Form zu geben, dass über das Ziel der Parteien in gehöriger Form entschieden ____werden kann. ____ ____ c) Streitiges Interesse der Parteien als Grenze. Damit wird die Grenze deutlich, ____die dem richterlichen Hinweis zur Stellung sachdienlicher Anträge gezogen ist: Das dem ____Gericht unterbreitete streitige Interesse der Parteien bestimmt daher die Grenze, inner____halb derer sich die Tätigkeit des Gerichts nach Abs. 1 zu bewegen hat.340 ____ Einzelfälle: Der Gegner einer negativen Feststellungsklage zu nachehelichen Un____terhaltsforderungen muss unter Vortrag mindestens der Grundzüge der von ihm in ____Anspruch genommenen Unterhaltsarten darlegen und unter Beweis stellen, dass und ____warum der Feststellungsanspruch unbegründet ist und Unterhaltsansprüche nach der ____einen oder anderen Unterhaltsregelung bestehen. Der Richter hat abzuwarten, welche ____Art von Unterhaltsansprüchen geltend gemacht wird und darf den Gegner des Feststel____lungsanspruchs auch nicht über Hinweise gemäß § 139 auf bestimmte Anspruchsarten ____bringen.341 ____ Hat der (unterlegene) Kläger erstinstanzlich nur (verjährte) vertragliche Schadener____satzansprüche wegen Schlechterfüllung eines Steuerberatungsvertrages geltend ge____macht, leidet die erstinstanzliche Entscheidung nicht deshalb unter einem Verfahrens____fehler, weil das Erstgericht es unterlassen hat, darauf hinzuwirken, den Vortrag unter ____dem Blickwinkel einer deliktsrechtlichen Haftung zu ergänzen. Der Streitgegenstand des ____erstinstanzlichen Verfahrens war erkennbar darauf beschränkt, den Klagegrund der ver____traglichen Haftung auszufüllen. In dieser Prozesslage bestand für das Erstgericht keine ____Veranlassung, durch Ausübung der Hinweispflicht einen neuen Streitgegenstand in den ____Rechtsstreit einzuführen.342 ____ ____ 5. Streitfragen ____ ____ a) Kein Rat zur Änderung an sich sachdienlicher Anträge. Erweisen sich die von ____den Parteien angekündigten und dann auch gestellten Anträge als sachdienliche, ist ____hinsichtlich dieser Anträge vom Gericht nichts mehr zu veranlassen. Nur soweit es an der ____Sachdienlichkeit der gestellten Anträge fehlt, hat das Gericht dahin zu wirken, dass die ____betreffende Partei die Anträge soweit ergänzt oder sonst ändert, dass sie sachdienlich ____werden. Die aus einer solchen Änderung des Antrages etwa resultierende Klagänderung ____im Sinne des § 263 würde, wenn sie zur Sachdienlichkeit der Anträge führt, auch im Sin____ne von § 263 und also als Klagänderung sachdienlich sein und daher gemäß § 263 der ____ ____ ____338 BAG NJW 2003, 2771, 2773. 339 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 47. ____340 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50. ____341 OLG Stuttgart NJW 1981, 2581. ____342 OLG Saarbrücken OLGR 2005, 228.

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_____Einwilligung des Beklagten nicht bedürfen. Abs. 1 Satz 2 verpflichtet das Gericht nicht _____und erlaubt ihm daher auch nicht, auf eine Änderung an sich schon sachdienlicher An_____träge hinzuwirken. Einem Kläger zu raten, einen an sich schon sachdienlich gestellten _____Klagantrag zu erweitern, bringt immer die Gefahr der Ablehnung wegen Besorgnis der _____Befangenheit mit sich. _____ _____ 163 b) Keine Empfehlung, die auf Klagehäufung hinausliefe. Das Gericht darf der _____Partei nicht nahe legen, ein anderes Prozessziel zu verfolgen. Zu einem weiteren Antrag, _____der auf eine Klagehäufung hinauslaufen würde, darf das Gericht daher nicht auffor_____dern.343 Denn ein solcher Antrag würde sich nicht i.S.v. § 139 als „sachdienlich“ erwei_____sen. _____ _____ c) Keine weitergehenden Sachanträge. Daher darf das Gericht die Parteien nicht 164 _____dazu auffordern, weitergehende Sachanträge344 im Rahmen einer Klageerweiterung nach _____§ 264 Nr. 1 oder 2 zu stellen, etwa neben der eingeklagten Hauptforderung auch noch _____Zinsen geltend zu machen.345 Demgegenüber bringt Peters346 vor, es handle sich „erfah_____rungsgemäß“ um ein Versehen der Partei, wenn sie insbesondere bei Schadenersatzkla_____gen „vergisst“, auch Zinsen einzuklagen; daher gebiete es die Prozessökonomie, dem _____Richter die Pflicht zu einem entsprechenden Hinweis aufzuerlegen. Peters347 beruft sich _____in diesem Zusammenhang auf „§ 263 bzw. § 264 Nr. 2“, die Sachdienlichkeitserklärung _____des entsprechenden klageerweiternden Antrag ermöglichen bzw. ihn von Gesetzes we_____gen als sachdienlich qualifizieren. Dabei wird aber verkannt, dass die Sachdienlichkeit _____nach den §§ 263, 264 strukturell auf andere Probleme zielt als die im Kontext des § 139. Es _____ist bereits (oben Rdn. 157) darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Sachdienlich_____keit i.S.v. § 139 die subjektiven Prozessziele der Partei anspricht, während sie im Rahmen _____der §§ 263, 264 einen „objektiven“ Gehalt hat. Dieser objektive Gehalt aber wird mit der _____Verfahrensökonomie angesprochen, die nicht das „wirtschaftliche“ (kostengünstige) Pro_____zessieren der einzelnen Partei im Auge hat, sondern auf die Organisation eines Verfah_____rens zielt, das mit einem streitbeendenden Urteil abgeschlossen werden kann. Die Ver_____fahrensökonomie ist daher kein Abwägungsposten gegen, sondern ein Gesichtspunkt im _____Rahmen der Bedingungen von Waffengleichheit der Parteien.348 Will daher der Kläger die _____Kosten des Rechtsstreits dadurch begrenzen, dass er nach Festlegung des Streitpro_____gramms durch die Klage weitere Gegenstände in den Streit einbezieht, erweist sich dies _____entweder in den durch Gesetz vorgesehenen Fällen oder aufgrund besonderer gerichtli_____cher Beurteilung als sachdienlich – weil es objektiv der Erledigung der zwischen den _____Parteien offenen Streitigkeiten dient. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn der Beklagte _____der Erweiterung des Streitprogramms durch die Einbeziehung weiterer Gegenstände zu_____stimmt. Ob der Kläger oder beide Parteien aber über den mit der Klage anhängig ge_____machten Gegenstand hinaus weitere Gegenstände in ihren Streit fassen wollen, ist allein _____von ihnen zu entscheiden; dies liegt nicht im Bereich richterlicher Einflussnahme. Denn _____das Gericht würde aus allein wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Waffengleichheit der _____Parteien antasten und zu Ungunsten einer Seite verschieben, würde es zu einer Ausdeh_____ _____343 OLG Frankfurt/M. NJW 1986, 389; weitergehend Peters Richterliche Hinweispflichten S. 138 ff.; _____MünchKomm-Peters Rdn. 48. _____344 BAG AP §§ 22, 23 BAT Nr. 46. _____345 OLG Köln MDR 1972, 779; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50 a.E.; a.M. MünchKomm-Peters Rdn. 47; Laumen S. 212. _____346 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 116; Laumen S. 212. _____347 MünchKomm-Peters Rdn. 47. _____348 Smid Richterliche Rechtserkenntnis, 1989 S. 90 ff. et passim.

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____nung der Streitgegenstände raten. Gleichgültig ist dabei, ob das Gericht den Parteien ____wegen der Gebührendegression eine „preiswertere“ Prozessführung ermöglichen oder ____eine weitere Inanspruchnahme des Justizapparates aus allgemein fiskalischen Gesichts____punkten vermeiden helfen will; beide Aspekte dürfen gegen die Neutralität des Gerichts ____zur Wahrung der Waffengleichheit der Parteien keineswegs zur Abwägung gestellt wer____den. ____ ____ d) Keine Empfehlung einer Widerklage. Das Gericht darf daher den Beklagten 165 ____auch nicht darauf hinweisen, dass die Möglichkeit besteht, Widerklage zu erheben. Pe____ters349 begründet seine Gegenmeinung damit, dass die richterliche Belehrung in diesem ____Fall geboten sei. Denn wenn vom Beklagten vorgetragene Verteidigungstatsachen als ____Einwendung oder Einrede nicht zu Gebote stünden, sei die Widerklage der sachdienliche ____Antrag, auf den das Gericht hinzuweisen habe. Dieses Argument geht an der Funktion ____des § 139 vorbei. Die ZPO eröffnet den Parteien zwar die Möglichkeit, während eines lau____fenden Verfahrens die Klage oder Widerklage zu erweitern oder eine Widerklage zu er____heben. Nach zutreffender h.M.350 ist die Widerklage gegenüber der Klage selbstständig. ____Die Selbstständigkeit der Widerklage wird daran deutlich, dass ihr Fortbestand, wie ____auch § 301 ergibt, nicht mehr von der andauernden Rechtshängigkeit der Hauptklage ____abhängt. So lässt z.B. eine Zurücknahme der Hauptklage die kurz zuvor erhobene Wi____derklage unberührt. Bei der Widerklage handelt es sich daher nicht bloß um ein Angriffs____oder Verteidigungsmittel. Aus diesem Grund greifen die Vorschriften der §§ 282, 296, 528 ____Abs. 2 zur Präklusion nicht ein. Somit ist in einem Verfahren mit Klage und Widerklage ____eine Lage gegeben, in der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verspätetes ____Vorbringen nicht durch ein die Klage oder die Widerklage betreffendes Teilurteil (§ 301) ____präkludiert werden darf.351 Die Fälle, die Peters anführt, können dann auch seine Ge____genmeinung nicht stützen. Das LG Oldenburg352 hat den richterlichen Hinweis in der Ein____gangsinstanz der auf Scheidung verklagten minderjährigen Ehefrau – unter der Geltung ____des Verschuldensscheidungsrechts – zur Erhebung einer Ehenichtigkeitswiderklage für ____zulässig erachtet, da es die zudem nicht anwaltlich vertretene Beklagte als besonders ____schutzbedürftig angesehen hat. Es mag dahinstehen, ob dies nach 1977 noch in dieser ____Weise haltbar gewesen wäre; ersichtlich lässt sich diese auf einen extremen Einzelfall ____gegründete Entscheidung nicht zur Gewinnung von Maßstäben einer Auslegung des ____§ 139 verallgemeinern. Zu Recht hat es das Kammergericht353 abgelehnt, aus § 139 ein ____Gebot bzw. eine Befugnis des Gerichts abzuleiten, den Vermieter auf eine petitorische ____Widerklage gegen die possessorische Herausgabeklage des Mieters zu verweisen. Denn ____beide Verfahren haben einen anderen Gegenstand. ____ ____ e) Streit um die Klageänderung. Die Rechtsprechung hat sich früh gegen eine wei- 166 ____te Fassung richterlicher Pflichten zur Aufklärung über eine objektive Klageänderung ____gewandt, soweit ein derartiges Ziel im Parteivorbringen nicht angeklungen ist.354 Der ____ ____ ____ 349 MünchKomm-Peters Rdn. 48. ____350 Zöller-Vollkommer § 33 Rdn. 7; MünchKomm-Patzina § 33 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Anh. § 253 Rdn. 5. ____351 BGH NJW 1995, 1223 = LM Nr. 22. ____352 LG Oldenburg MDR 1973, 680. 353 KG NJW 1967, 1915. ____354 Neben BGHZ 7, 208 („Kutterfall“): RGZ 106, 115, 119; OLG Köln MDR 1972, 779; (Leitsatz); OLGZ 88, ____370, 373; OLG Frankfurt/M. NJW 1970,1884; auch OLG Celle NJW 1980, 2140, 2141. Der BGH BGHZ 18, 366, ____373.

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_____BGH355 hat freilich später allgemein ein Hinwirken des Gerichts auf „eine der Sach- und _____Rechtslage entsprechende Änderung des Klageantrags“ für geboten gehalten, ohne sich _____aber dabei mit der gegenläufigen Judikatur – namentlich BGHZ 7, 208 ff. („Kutterfall“) – _____auseinanderzusetzen. Allerdings hat der BGH in jüngerer Zeit eine gewisse Neuorientie_____rung vorgenommen, indem er eine Umstellung von einer Vorschuss- auf eine Schadens_____ersatzklage unter Bezug auf § 263 für hinweispflichtig erachtet hat.356 Eine Klageände_____rung ist daher seitens des Gerichts dann anzuregen, wenn es sie für „sachdienlich“, also _____zweckmäßig hält.357 Prozessuale Zweckmäßigkeit soll wiederum dann vorliegen, wenn die _____Umstellung des Klageantrags Folgeprozesse vermeidet, also früher endgültigen Rechts_____frieden schafft.358 _____ Die Rechtsprechung ist bislang aber nicht so weit gegangen, ausdrücklich auf die 167 _____Wertungen der §§ 263, 264 Nr. 2 oder 264 Nr. 3 zu rekurrieren.359 Die Anerkennung be_____stimmter begrenzter Bereiche einer Pflicht zur Anregung einer Klageänderung wird in _____der Judikatur nicht als Abkehr von bislang vertretenen Positionen verstanden.360 Viel_____mehr sind die obergerichtlichen Entscheidungen, die Hinweispflichten in Bezug auf eine _____Klageerweiterung361 oder eine Umstellung des Antrags auf Schadensersatz362 abgelehnt _____haben, vom BGH bislang unwidersprochen geblieben. _____ Die Judikatur hält bei allen vordergründigen Schwankungen, die sich stark auf den 168 _____jeweiligen Fall beziehen, nach wie vor an dem Grundsatz fest, das Gericht dürfe nicht _____durch seine Hinweise „erst den Boden zum Erfolg des Klägers bereiten“.363 Dahinter steht _____das richterliche Neutralitätsgebot, dessen Verletzung man fürchtet, wenn das Gericht _____einseitig Vorteile – vorliegend in Form des erfolgversprechenden Antrags – zugunsten _____einer Partei gewährt.364 _____ Im Schrifttum wird die von der Rechtsprechung vertretene Einschränkung weitge169 _____hend unter Rückgriff auf „Wertungen“ der §§ 263, 264 Nr. 2, 3 ZPO abgelehnt. Daraus _____wird abgeleitet, dass ein Hinweis dann nach Abs. 1 Satz 2 geboten sei, wenn eine Klage_____änderung, die der Kläger selbst betreibt, zulässig, namentlich wenn sie sachdienlich _____wäre.365 Für diesen Ansatz wird ins Feld geführt, dass er prozesswirtschaftlich sei und _____helfe, endgültige Entscheidungen unter Vermeidung von Folgeprozessen, also Rechts_____frieden, herbeizuführen.366 Zielvorstellung dieser Literaturmeinung ist es, die behauptete _____Rechtsbeeinträchtigung möglichst umfänglich beseitigen zu können.367 _____ Die Gegenmeinung empfindet die Judikatur, wie sie am Beispiel des „Kutterfalles“ 170 _____(oben Rdn. 165) gekennzeichnet werden kann, ebenfalls als zu eng.368 Dennoch wird eine _____richterliche Aufklärung dann für unzulässig gehalten, wenn sie darauf gerichtet ist, das _____ _____ _____355 BGHZ 18, 366, 373. _____356 BGH NJW 1993, 597, 598. 357 Bettermann ZZP 91 (1978), 373, 388. _____358 BGH NJW-RR 1994, 1143; 1987; 58; NJW 1985, 1841, 1842; Stein/Jonas-Schumann § 263 Rdn. 12 m.w.N. _____359 So Peters Richterliche Hinweispflichten S. 128 f.; hierzu nimmt BGH NJW 1993, 597, 598 nicht _____Stellung. _____360 BGH NJW 1993, 597, 598. _____361 OLG Köln MDR 1972, 779 (Leitsatz); OLG Köln OLGZ 1988, 370, 373. 362 „Kutterfall“ BGHZ 7, 208, 211. _____363 OLG Frankfurt NJW 1970, 1884; OLG Rostock NJW-RR 2002, 576. _____364 Sticken S. 19. _____365 MünchKomm-Peters Rdn. 31; Peters Richterliche Hinweispflichten S. 127 ff.; Laumen S. 203 ff.; Spohr _____S. 70 ff. 366 MünchKomm-Peters Rdn. 31; vgl. weiter Deubner FS Schiedermair 1976, 79, 83; Laumen S. 205 f.; _____Seelig S. 97. _____367 Laumen S. 206. _____368 Spohr S. 110, insbes. Fn. 87 a; Musielak-Stadler Rdn. 12; Stürner Richterliche Aufklärung Rdn. 55.

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____„Prozessziel quantitativ oder qualitativ“ zu ändern,369 was jedenfalls dann gelte, wenn ____eine Klageerweiterung die Folge wäre.370 So soll der Hinweis unzulässig sein, Zinsrück____stände, die bislang noch nicht geltend gemacht worden sind, mit einzuklagen.371 Aus____schlaggebend ist, dass das extensive Verständnis des Abs. 1 Satz 2 die Gefahr des Schritts ____aus der „richterlichen Distanz“ hin zur Parteinahme und damit der Befangenheit nach ____§ 42 Abs. 2 nach sich zieht.372 ____ ____ 6. Ergänzungsbedürftige Anträge. Ergänzungsbedürftige Anträge sind solche, die 171 ____zwar so noch nicht sachdienlich sind, weil sie erkennbare Auslassungen enthalten, die ____aber nach Ausfüllung der betreffenden Lücken durchaus sachdienlich sein würden. So ____mag etwa der Zeitpunkt, ab welchem Zinsen gefordert werden, offengeblieben sein oder ____die Höhe der Zinsen, es mögen sich sinnentstellende Schreibfehler eingeschlichen ha____ben, die zu korrigieren sind, es mag aus dem Sachvortrag deutlich werden , dass im An____trag ein Teilanspruch vergessen worden ist, eine mit dem Urteil zu verbindende Fotoko____pie zu überreichen oder zu bezeichnen etc. ____ ____ 7. Änderungsbedürftige Anträge ____ ____ a) Änderungsbedürftig sind solche Anträge, die deshalb nicht sachdienlich sind, 172 ____weil die Partei mit ihnen ihr eigentliches Prozessziel so, wie es sich aus ihrem sonstigen ____Vortrag ergibt, gar nicht erreichen kann, die aber so geändert werden können, dass die____ses Prozessziel – nicht etwa ein anderes – erreicht werden kann. Änderungsbedürftigkeit ____setzt also Änderungsfähigkeit voraus. Dass eine Klage auch mit geändertem Antrag als ____unbegründet abzuweisen sein würde, steht der Sachdienlichkeit der Änderung und da____mit auch der Sachdienlichkeit des geänderten Antrages nicht entgegen, weil zur Sach____dienlichkeit die Zulässigkeit einer Sachentscheidung ausreicht. Die Änderungsbedürf____tigkeit kann von Anfang an bestanden haben (Anfängliche Änderungsbedürftigkeit); sie ____kann sich aber auch aus Veränderungen der Sach- und Rechtslage während des Rechts____streits ergeben (Nachträgliche Änderungsbedürftigkeit). ____ ____ b) Anfängliche Änderungsbedürftigkeit beruht, wenn sie besteht, auf einer un- 173 ____richtigen Beurteilung der Rechtslage durch die Partei, die die Änderungsbedürftigkeit ____nicht erkannt hat. Nun liegt es zwar in der Natur der Sache, dass der Vorsitzende dann ____auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinwirkt, wenn die angekündigten Anträge nach ____seiner Ansicht und der des Gerichts nicht sachdienlich sind. Nicht selten werden aber ____das Gericht und die betreffende Partei – zumal, wenn diese anwaltlich vertreten ist – die ____Frage der Sachdienlichkeit unterschiedlich beurteilen. Gelingt es keiner Seite, die andere ____zu überzeugen, muss sich die Partei entscheiden, ob sie der Anregung des Gerichts fol____gen will, wenn auch nicht aus Überzeugung, oder ob sie im Vertrauen auf die Rechtsmit____telinstanz den von ihr für richtig gehaltenen Antrag weiter verfolgen will. In solchen Si____tuationen wird sie vernünftigerweise der Anregung des Gerichts wenigstens durch einen ____Hilfsantrag Rechnung tragen oder aber zwar den Antrag entsprechend dem Hinweis än____dern, den zunächst vorgesehenen aber hilfsweise weiter verfolgen. ____ ____ ____ ____369 Stürner Richterliche Aufklärung Rdn. 56. 370 Musielak-Stadler Rdn. 13. ____371 Stürner Richterliche Aufklärung Rdn. 56; Musielak-Stadler Rdn. 13, beide unter Hinweis auf OLG ____Köln MDR 1972, 779. ____372 Stürner Richterliche Aufklärung Rdn. 24; Sticken S. 20.

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_____ 174 c) Auch darüber, ob eine nachträgliche Änderungsbedürftigkeit vorliegt oder _____nicht, können die Ansichten der Parteien und des Gerichts divergieren, und auch in sol_____chen Fällen wird es sich oftmals empfehlen, den ursprünglichen Antrag als Hilfsantrag _____weiter zu verfolgen. So kommt es nicht selten zu der Fallkonstellation, dass der Kläger _____den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, der Beklagte aber weiterhin Klag_____abweisung beantragt und der Kläger in der Konsequenz dessen primär auf Feststellung _____der Erledigung klagt, hilfsweise aber seinen bisherigen Antrag weiter verfolgt. _____ _____ d) Dass prinzipiell selbst der für erledigt erklärte Klagantrag nach Klagänderung als 175 _____Hilfsantrag weiter verfolgt werden kann, entspricht der Rechtsprechung des BGH.373 In _____allen Fällen aber, in denen der ursprüngliche Klagantrag zum Hilfsantrag hinabgestuft _____wird, sollte – und zwar zumal auch im Hinblick auf die Kosten – bedacht werden, dass _____die Klage der Sache nach zweifach geändert wird, mag dieses auch uno actu geschehen: _____Einmal wird der ursprüngliche Antrag durch einen anderen ersetzt, der Sache nach also _____inzidenter zurückgenommen; weiter wird die geänderte Klage aber sogleich durch einen _____Hilfsantrag ergänzt. Dennoch finden sich in der Praxis Urteile, in denen das Zwischen_____stadium gleichsam weggekürzt und dem ursprünglichen Klagantrag stattgegeben wird, _____statt dass – und zwar mit der entsprechenden Kostenfolge – die geänderte Klage abge_____wiesen und dem Hilfsantrag entsprochen wird. _____ _____ 8. Ergänzende Anträge _____ _____ a) Ergänzende Anträge im hier zugrundeliegenden Verständnis – also Prozess- und 176 _____Beweisanträge, die keine eigenständige Bedeutung haben, vielmehr lediglich der Durch_____setzung des Sachantrages zu dienen bestimmt sind –, sollen ebenfalls sachdienlich sein. _____So hat das Gericht, wie in § 139 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich bestimmt wird, darauf hinzu_____wirken, „dass die Parteien … insbesondere die Beweismittel bezeichnen“ und also, falls _____erforderlich, dass er sachdienlich wird, etwa durch Ausfüllen der Leerformel „NN“ mit _____Namen und ladungsfähiger Anschrift des gemeinten Zeugen. _____ _____ 177 b) Weil diesen, lediglich die Sachanträge ergänzenden, Anträgen keine selbststän_____dige Bedeutung außerhalb der durch die Sachanträge gezogenen Grenzen zukommt, ist _____das Gericht in den Fällen, in denen solche ergänzenden Anträge sachdienlich sein wür_____den, auch verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass sie, die zu den sachdienlichen Anträ_____gen gehören und integrierende Bestandteile der Sachdienlichkeit der insgesamt gestell_____ten Anträge sein würden, auch tatsächlich gestellt werden. So hat der Vorsitzende etwa, _____wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils oder für eine Schrift_____satzfrist gemäß § 283 gegeben sind, die betroffenen Parteien aber nicht von sich aus die _____entsprechenden Konsequenzen ziehen, zu fragen, ob nicht Antrag auf Erlass eines Ver_____säumnisurteils oder auf Bestimmung einer Schriftsatzfrist gestellt werden soll. _____ _____ c) Andererseits hat das Gericht, wenn ergänzende Anträge gestellt werden sollen, 178 _____die nicht sachdienlich sein würden, darauf hinzuwirken, dass diese Anträge unterblei_____ben. _____ _____ _____ _____ _____ _____373 BGH MDR 65, 641; BGH WM 82, 1260 m.w.N.

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____ 9. Weitere Fallgestaltungen ____ ____ a) Wird die Aktivlegitimation des Klägers zunächst nicht in Zweifel gezogen und be____stehen gewichtige Hinweise dafür, dass der Kläger als Rechtsnachfolger des ursprüngli____chen Vertragspartners des Beklagten aktiv legitimiert ist, so darf die Klage nicht wegen ____fehlenden Vortrags des Klägers zur Aktivlegitimation ohne weiteres abgewiesen werden, ____wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers das nunmehrige Bestreiten der Aktivlegi____timation in Anbetracht des bisher zwischen den Parteien geführten Streits erkennbar für ____nicht nachvollziehbar hält und deswegen zu den Einzelheiten der Rechtsnachfolge nicht ____ausreichend vorträgt. In diesem Fall hat das Gericht dem Kläger Gelegenheit zu geben, ____sein Vorbringen zu ergänzen und zur Rechtsnachfolge geeignete Urkunden vorzulegen ____und sonstige geeignete Beweismittel zu benennen.374 Unterlässt ein Beklagter wegen ____Zweifeln an Identität und Aktivlegitimation des Klägers zunächst jeden Sachvortrag, ____muss der Richter vor einer der Klage stattgebenden Entscheidung wegen seiner Hinweis____und Fragepflicht auf die Erforderlichkeit eines solchen Vortrags hinweisen.375 ____ ____ b) Bei einer Stufenklage haben die gegenüber dem bestimmten Leistungsanspruch ____vorangehenden Ansprüche wie der auf Auskunftserteilung keine selbstständige prozes____suale Bedeutung, so dass ein Teilurteil gemäß § 91 a nicht statthaft ist. Erklärt der Kläger ____seinen Anspruch auf Auskunftserteilung „für erledigt“, so lässt er diesen Anspruch fal____len und kündigt die Umstellung seiner Klage gemäß § 264 Nr. 2 auf den Anspruch der ____nächsten Stufe an. Das Gericht ist in diesem Falle gemäß § 139 gehalten, auf einen sach____dienlichen Antrag zur nächsten Stufe hinzuwirken.376 ____ ____ c) Gewährleistung. Eine Klage auf Feststellung, dass der Vertragspartner hinsicht____lich bestimmter Mängel gewährleistungspflichtig ist, ist unzulässig, da diese Klage nicht ____auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ge____richtet ist. In einem solchen Fall ist das Gericht aber berechtigt und verpflichtet, gemäß ____§ 139 auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuweisen.377 ____ ____ d) Eine gegenständliche Teilauseinandersetzung des Nachlasses ohne Gefähr____dung der Erbengemeinschaft oder einzelnen Miterben378 ist ausnahmsweise zulässig, ____wenn der Erblasser eine Teilungsanordnung gemäß § 2048 Abs. 1 BGB getroffen hat und ____lediglich im Wege der Auslegung des Erblasserwillens die genaue Grenzlinie für eine ____Grundstücksteilung festzulegen ist. Das Gericht ist nicht befugt, im Wege des Teilzu____spruchs (Teilerfolg) aus einem weitergehenden Antrag auf eine für den Kläger weniger ____günstige Grenze zu erkennen. Kann das Gericht nicht nach dem Klageantrag (Bedingun____gen des Teilungsplanes) – weil zu weitgehend – verurteilen, so muss der Kläger Hilfsan____träge gegebenenfalls nach Anregung gemäß § 139 stellen.379 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____374 OLG Köln OLGR 2001, 173 ff. ____375 OLG Düsseldorf OLGR 1993, 248 = NJW-RR 1993, 1341. 376 OLG München FamRZ 1983, 629. ____377 OLG Düsseldorf BauR 1981, 502. ____378 BGH FamRZ 1984, 688. ____379 OLG Koblenz 19.10.1987 5 U 867/86.

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_____ XI. Hinweise auf Einwendungen oder Einreden _____ _____ 1. Richterliche Hinweise nur bei Anhaltspunkten im Parteivortrag. Im Schrift183 _____tum wird § 139 auch als richterliche Pflicht zum Hinweis auf andere Klagegründe, Ein_____wendungen oder Einreden verstanden380 (strittig, siehe unten Rdn. 184 ff.). Nach dieser _____Ansicht wird die richterliche Hinweispflicht auf andere Klagegründe, Einwendungen _____oder Einreden begrenzt durch den von den Parteien vorgetragenen Streitstoff:381 Für die _____weiteren Klagegründe, Einwendungen oder Einreden müssen sich danach im Parteivor_____bringen wenigstens Anhaltspunkte finden. Denn das Gericht hat nicht die Pflicht, die _____Parteien allgemein in ihrer Prozessführung zu beraten; das Gericht ist aus § 139 nicht _____verpflichtet – und daher wegen des Gebots richterlicher Neutralität nicht berechtigt – _____den Kläger auf die Möglichkeit anderer Klagebegründungen382 bzw. den Beklagten auf _____anderes Vorbringen für seine Verteidigung383 hinzuweisen. Dabei kommt es nicht darauf _____an, ob das Gericht den Eindruck hat, die Partei oder ihr Rechtsbeistand hätten diese _____Möglichkeiten übersehen. Daher begründet es den Verdacht der Befangenheit des Ge_____richts, wenn es dem Kläger nahe legt, eine Abtretungserklärung vorzulegen, nachdem _____der Beklagte bestritten hatte, dass der Kläger Inhaber der geltend gemachten Forderung _____sei, wenn im Vorbringen des Klägers nicht bereits Anhaltspunkte für die Abtretung vor_____gelegen haben.384 _____ _____ 2. Weite Auslegung _____ _____ a) Der Streit um die Reichweite des § 139 entbrennt am heftigsten um die Frage, wie 184 _____das Gericht zu verfahren hat, wenn einer Partei nach seinem Eindruck Gestaltungsrechte _____oder echte Einreden zustehen. Für eine nachhaltige Befürwortung sehr weitreichender _____Hinweispflichten des Gerichts steht Peters.385 Er vertritt die Lehrmeinung, die Parteien _____seien auf von ihnen in den Prozess einzuführende Einreden hinzuweisen. Denn ob eine _____Einrede erst aufgrund Vorbringens der Parteien oder Einwendungen von Amts wegen _____vom Gericht zu berücksichtigen seien, hänge von materiellrechtlichen Zuordnungen ab, _____denen eine hinreichende systematische Absicherung fehle.386 Er macht dies an folgenden _____Beispielen deutlich. Es habe sich die Berufung auf das Mitverschulden gemäß § 254 _____Abs. 2 BGB und das Besitzrecht gemäß § 986 BGB von der Qualifikation als einer Einrede _____zu der als von Amts wegen zu berücksichtigender Einwendung verschoben, woraus Pe_____ter387 auf eine Zufälligkeit dieser Qualifikationen schließt und daraus folgert, sie seien für _____das Prozessrecht nicht signifikant. Die Reichweite richterlicher Hinweispflichten dürfe _____nicht nach schwankenden Kategorisierungen bestimmt werden. Zudem überschnitten _____sich Einreden und Einwendungen, etwa, wenn im Falle von Zurückbehaltungsrechten _____die Vorleistungspflicht auch nach Treu und Glauben entfalle.388 _____ _____ _____ _____ _____380 So Stein/Jonas-Leipold Rdn. 52 ff.; MünchKomm-Peters Rdn. 37 ff.; Peters FS Beys, 1243, 1250. 381 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 52. _____382 BGH NJW-RR 2004, 495, 496; RGZ 109, 69, 70. _____383 RG DR 1940, 2187, 2188. _____384 OLG Frankfurt/M. NJW 1970, 1884. _____385 Krit. gegen die Rechtsprechung Peters Richterliche Hinweispflichten S. 30, 46, 62, 85 f.; MünchKomm-Peters Rdn. 35 ff. _____386 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 136; MünchKomm-Peters Rdn. 44. _____387 MünchKomm-Peters Rdn. 44. _____388 MünchKomm-Peters Rdn. 44.

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____ b) Peters389 erstreckt diese Überlegungen auf Fälle der Einrede der Verjährung. ____Auch auf die Möglichkeit der Einrede der Verjährung habe der Richter hinzuweisen. Die ____dagegen vorgebrachten Argumente, dies führe zu materiell ungerechten Ergebnissen, ____weil der richterliche Hinweis dazu führe, dass der Kläger um den Lohn seiner Leistung ____„nur“ wegen Zeitablaufs gebracht werde,390 verwirft Peters – mit gutem Grund: Denn es ____steht nicht fest, dass die Forderung „materiell“ besteht, da nach verjährungsrelevantem ____Zeitablauf etwa die Beweismittel des in Anspruch genommenen Schuldners, mit denen ____er die erfolgte Erfüllung und damit das Erlöschen der Forderung dartun könnte, in Ver____fall geraten sind.391 ____ ____ c) Kritik. Der Argumentationsgang, den Peters hierauf gründet, zeigt indes, dass ____seine Erwägungen zur Reichweite richterlicher Hinweispflicht auf diesen Gedanken ____nicht hinreichend begründet werden können. Er meint nämlich, der Beklagte, der sich ____auf Verjährung berufe, handle nicht anstößig.392 Dies ist schon deshalb richtig, weil diese ____Einrede dem Beklagten durch das Gesetz (§§ 214 ff. BGB) ausdrücklich eingeräumt wird; ____die Ausübung rechtlicher Befugnisse aber kann nur unter besonders inkriminierenden ____Umständen als „anstößig“ und damit rechtlich nicht haltbar angesehen werden. Aber ____darum geht es im Zusammenhang des § 139 nicht, sondern um die Beantwortung der ____Frage, ob das Gericht den Beklagten zur Erhebung der Einrede auffordern muss und darf. ____ ____ 3. Güteverhandlung. Für den Bereich der Güteverhandlung hat der BGH393 offen ____gelassen, ob ein Hinweis auf die Einrede der Verjährung zulässig sei. Ausgangspunkt ____der Beantwortung dieser Frage hat die Funktion der Güteverhandlung394 zu sein. In ihr ____soll eine Beilegung des Streits zu einem frühen Zeitpunkt auch dadurch erreicht werden, ____dass das Gericht mit den Parteien in eine Erörterung des Sach- und Streitstandes unter ____Erörterung der Aussichten beider Parteien im Verfahren eintritt – wofür indes allein die ____Äußerungen der Parteien die Grundlage und den Anknüpfungspunkt geben können.395 ____Das hebt die Verpflichtung des Gerichts, seine Unparteilichkeit gegenüber beiden Partei____en zu wahren,396 indes nicht auf; es wäre dagegen mit der Aufgabe der Güteverhandlung ____nicht vereinbar, würde das Gericht durch einen einer Partei erteilten Rechtsrat die Waag____schale zuungunsten der anderen Seite justieren. ____ ____ 4. Überraschungsentscheidung. Gegen eine aus dem Verbot der Überraschungs____entscheidung abgeleitete Pflicht zum richterlichen Hinweis auf die bislang nicht vorge____brachte Verjährungseinrede wurde vorgebracht, die nicht geltend gemachte Einrede sei ____gerade kein rechtlicher Gesichtspunkt im Sinne von § 278 Abs. 3 a.F., auf den das Gericht ____seine Entscheidung stütze.397 Mit einem, wenn auch übersehenen Verteidigungsmittel ____brauche sich das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht auseinandersetzen.398 ____Werde das nicht vorgebrachte Verteidigungsmittel ausnahmsweise gleichwohl erwähnt, ____stelle diese Ausführung ein sog. ,,obiter dictum“ dar; auf dem die Entscheidung gerade ____ ____ ____389 MünchKomm-Peters Rdn. 45; Peters FS Beys, 1243, 1251 f. 390 So Brehm S. 223 ff. ____391 Peters Richterliche Hinweispflichten S. 138 ff. ____392 MünchKomm-Peters Rdn. 45. ____393 BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164, 165. ____394 Zöller-Greger § 278 Rdn. 9; Musielak-Foerster § 278 Rdn. 2 ff. 395 Hierauf macht insbesondere Stein/Jonas-Leipold Rdn. 56 aufmerksam. ____396 So auch Stein/Jonas-Leipold Rdn. 56. ____397 E. Schneider MDR 1977, 881, 885. ____398 E. Schneider MDR 1977, 881, 885.

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_____nicht beruhe.399 Die Bestimmung des Abs. 2 und des § 278 Abs. 3 a.F. als Regelung zum _____Schutz vor Überraschungsentscheidungen legt zwanglos nahe, der Beklagte könne durch _____das Urteil nicht überrascht werden, wenn er die Verjährung nicht einmal andeutungs_____weise in den Prozess einführt.400 Ein Verstoß gegen § 139 liegt daher nicht vor, wenn der _____Beklagte zu der von ihm erhobenen Verjährungseinrede keinerlei Tatsachen vorträgt und _____deshalb der Eindruck entstehen kann, er mache sie nur in zweiter Linie geltend. Die _____durch Beweiserhebungen über Werkmängel entstandenen gerichtlichen Auslagen sind _____daher nicht deshalb niederzuschlagen, weil später die Klage aufgrund späteren unstrei_____tigen Vortrags wegen Verjährung abgewiesen wird.401 _____ _____ XII. Wiedereröffnung der Verhandlung _____ _____ 1. Reaktionsmöglichkeit auf eine vom Gericht festgestellte eigene _____ Pflichtverletzung _____ _____ a) Weist das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 auf die Ergänzungsbedürftigkeit der Klage 189 _____oder Klageerwiderung hin, so muss es der Partei eine angemessene Frist zur Ergän_____zung seines Vortrags einräumen,402 Abs. 5 (unten Rdn. 230). Wenn das Gericht erst im _____Termin gemäß Abs. 1 Satz 2 auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinwirkt, kann es _____angezeigt sein, einen neuen Verhandlungstermin zu bestimmen. Wenn der Vorsitzende _____daher im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens einen neuen Termin für erforderlich _____hält und der belehrten Partei damit eine angemessene Reaktionszeit zu seinen Hinwei_____sen gewährt, ist dies nicht verfahrensfehlerhaft. Dann ist einem Antrag der Gegenseite _____auf Erlass eines Versäumnisurteils nicht zu entsprechen. In entsprechender Anwendung _____des § 337 beruht in einem derartigen Fall die Vertagung auf der Einschätzung des Ge_____richts, dass die Partei, die soeben den richterlichen Hinweis erst erhalten hat, ohne ihr _____Verschulden am Erscheinen verhindert ist.403 Wird die sachliche Fassung der Klagean_____träge in der mündlichen Verhandlung nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit und Klar_____heit erörtert, kann es angebracht und ggfs. rechtlich geboten sein, die mündliche Ver_____handlung wieder zu eröffnen.404 _____ _____ b) Um weitere richterliche Hinweise geben zu können, bedarf es nach deren Schluss 190 _____der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1.405 Das Gericht _____hat nach § 156 Abs. 2 die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn es einen _____entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine _____Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht oder eine Verletzung des Anspruchs auf _____rechtliches Gehör, feststellt. Die Pflicht aus § 139 kann der Vorsitzende nur durch Un_____terlassen verletzen, weil ihm durch die Vorschrift des § 139 nichts verboten, sondern _____nur etwas geboten wird. Überschreitet er die sich aus § 139 ergebenden Grenzen, indem _____er Fragen stellt oder Hinweise gibt, die nicht durch § 139 geboten sind, mag er hierdurch _____im Einzelfall gegen andere Vorschriften verstoßen und auch etwa die Besorgnis der Be_____fangenheit begründen,406 eine Verletzung der Vorschriften des § 139 liegt hierin nicht. _____ _____399 Laumen S. 173. _____400 So ausdrücklich OLG Köln MDR 1979, 1027 (1028); Sticken S. 144. _____401 OLG Schleswig SchlHA 1995, 27. _____402 BVerfG NJW 1979, 1925; OLG Schleswig NJW 1983, 347 m. Anm. Deubner NJW 1983, 349. 403 OLG Köln OLGR 2000, 263. _____404 OLG Köln WuW/E 1983, 615. _____405 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 11. _____406 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 21.

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____Unterlässt der Vorsitzende nach § 139 gebotene Hinweise oder Fragen, kann er diese bis ____zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachholen. Selbst wenn erst nach deren ____Schluss dem Vorsitzenden klar oder in der Beratung offenbar wird, dass noch Fragen ____hätten gestellt oder Hinweise hätten gegeben werden sollen, kann das Gericht gemäß ____§ 156 die Wiedereröffnung des Verfahrens anordnen und muss dies tun, wenn die ____Pflicht aus § 139 nicht verletzt werden soll. Wird ein nach § 139 notwendiger Hinweis erst ____in der mündlichen Verhandlung erteilt und kann nach den konkreten Umständen eine ____sofortige Stellungnahme der Partei nicht erwartet werden, muss die mündliche Verhand____lung wiedereröffnet werden, wenn die Partei in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz ____auf den Hinweis hin Erhebliches vorträgt.407 ____ Hat das Gericht beispielsweise in der mündlichen Verhandlung einer Partei die Vor- 191 ____lage einer Urkunde aufgegeben und legt die Partei dieses Angriffsmittel erst nach ____Schluss der mündlichen Verhandlung vor, darf das Gericht in seiner Entscheidung nur ____dann auf diese Urkunde abstellen, wenn es zuvor die mündliche Verhandlung wie____dereröffnet hat.408 Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung steht im freien ____Ermessen des Gerichts, das sich von sachdienlichen Überlegungen zu leiten hat. Hierzu ____gehört auch der Hinweis an die Parteien, die gestellten Anträge zu überprüfen und zu ____korrigieren, sowie den hierzu sachdienlichen Vortrag zu halten.409 Die Wiedereröffnung ____der mündlichen Verhandlung ist dann erforderlich, wenn das Gericht einen gebotenen ____Hinweis vor oder in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, und die Partei, und ____sei es nur vorsorglich, von sich aus den vom Gericht für erforderlich gehaltenen Sachvor____trag nachholt.410 Wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf Schlüssigkeits____bedenken hinweist und der betroffenen Partei zu deren Behebung einen Schriftsatznach____lass gewährt, muss es bei neuem Tatsachenvortrag im nachgelassenen Schriftsatz die ____Verhandlung wiedereröffnen.411 ____ ____ c) Wegen dieser Möglichkeit der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung 192 ____kann ein Verstoß gegen § 139 endgültig erst nach der Verkündung des Urteils konstatiert ____werden. Vorher kann auch die Partei, die durch diese Unterlassung des Vorsitzenden ____belastet wird, die Pflichtverletzung gar nicht erkennen: Meinte sie nämlich schon vor der ____Verkündung des Urteils gegen sie, dass Anlass zu einem Hinweis oder einer Frage an sie ____bestehe, hätte sie diese gedanklich vorwegnehmen können und sollen und hätte dann ____von sich aus die antizipierte Frage beantworten, dem Hinweis Rechnung tragen können ____und sollen: Die Vorschriften des § 139 halten das Gericht lediglich dazu an, auf die Par____teien dahin zu wirken, dass diese tun, was ihnen zu tun nach den Vorschriften des § 138 ____ohnehin obliegt (hierzu oben Rdn. 115). ____ ____ 2. Keine Rechtsbehelfe der Partei innerhalb der Instanz ____ ____ a) Da eine Partei, die durch eine Verletzung der Pflicht aus § 139 beschwert wird, erst 193 ____aus den Gründen des gegen sie ergehenden Urteils erkennen kann, dass entgegen so____wohl der eigenen Ansicht als auch der des Gerichts doch Veranlassung bestanden hatte, ____ihr Hinweise zu geben oder Fragen zu stellen, kommt ein Rechtsmittel gegen die Verlet____zung der Pflicht aus § 139 noch innerhalb der Instanz schon der Natur der Sache wegen ____ ____ ____407 BGH NJW 2009, 2378. 408 OLG Zweibrücken OLGR 2004, 439 m. Anm. Laumen ProzRB 2004, 321 ff. ____409 OLG Köln OLGR 2005, 53. ____410 OLG Köln OLGR 2002, 108. ____411 OLG Zweibrücken OLGR 2000, 221.

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§ 139

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____nicht in Betracht; ein solches ist denn auch in der Zivilprozessordnung gar nicht vorge_____sehen. _____ _____ b) Eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 140 kann mit der Unzulässigkeitsrüge 194 _____nur für den Fall der unzulässigen Frage bzw. Anordnung herbeigeführt werden.412 Der _____Beanstandung unterliegt hingegen nicht das Unterlassen der nach § 139 gebotenen _____Handlung.413 _____ _____ XIII. Verbot von Überraschungsentscheidungen, Abs. 2 _____ _____ 1. Funktion der Vorschrift _____ _____ 195 a) Abs. 2 verbietet sog. Überraschungsentscheidungen. Eine Entscheidung ist _____i.S.v. Abs. 2 „überraschend“, wenn sie sich auf Gesichtspunkte stützt, die von den Par_____teien übersehen, für unerheblich gehalten oder übereinstimmend anders als durch das _____Gericht beurteilt worden sind.414 Ziel der Vorschrift ist es, den Parteien die Gelegenheit zu _____geben, vor dem Hintergrund des Verständnisses der gerichtlichen Einschätzung des _____Sach- und Streitstandes und der vom Gericht für entscheidungserheblich erachteten Ge_____sichtspunkte ihren Vortrag zu ergänzen.415 Abs. 2 dient damit der Gewährleistung eines _____fairen Verfahrens. Er stellt sicher, dass den Parteien umfassend rechtliches Gehör ge_____währt wird.416 _____ _____ b) Die Reichweite der aus Abs. 2 gebotenen Hinweise entspricht derjenigen nach 196 _____Abs. 1. Das von den Parteien mit ihren Anträgen417 und ihrem Sachvortrag festgelegte _____Streitprogramm bildet daher den Rahmen, innerhalb dessen sich die Hinweise des Ge_____richts bewegen.418 Auch aus Abs. 2 folgt daher weder eine Pflicht noch eine Befugnis des _____Gerichts, eine Partei auf Einreden der oben (Rn. 183) angesprochenen Art hinzuweisen.419 _____Daher ist dem OLG Düsseldorf420 zuzustimmen, dass sich die Hinweispflicht des Gerichts _____nach Abs. 2 nicht auf den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung erstreckt. Zweifel_____haft ist nach alledem die Ansicht des OLG Hamburg, es müsse sich bei der gerichtlichen _____Bewertung der Erfolgsaussichten des Parteivorbringens nicht um einen „Hinweis“ im _____Sinne des Abs. 2 handeln, selbst wenn das Gericht seine Bewertung als „Hinweis“ be_____zeichnet; nach einer solchen Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Parteivortrags _____bestehe keine Veranlassung zur Gewährung einer Frist zur (weiteren) Ergänzung des _____Vortrags.421 _____ _____ 197 c) Verhältnis zum früheren Recht. Früher wurde schon kritisiert, dass die syste_____matische Einordnung des § 278 Abs. 3 a.F. in den Zusammenhang der Regelungen über _____ _____ _____ _____412 Vgl. MünchKomm-Peters § 140 Rdn. 3. _____413 Zöller-Greger § 140 Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold § 140 Rdn. 6; Thomas/Putzo-Reichold § 140 Rdn. 1; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 140 Rdn. 5. _____414 OLG Köln ZIP 1989, 604; OLG Hamm NJW-RR 1991, 703. _____415 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 59. _____416 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 58. _____417 OLG Stuttgart NJW 1981, 2581. 418 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 70. _____419 Zu § 278 Abs. 3 a.F.: OLG Hamburg NJW 1984, 2710. _____420 OLG Düsseldorf FamRZ 2004, 1222. _____421 OLG Hamburg OLGR Hamburg 2003, 218.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 139

____den Ablauf des Haupttermins verfehlt sei.422 Der Schutz vor Überraschungsentscheidun____gen hat aber auch nach früherer Rechtslage nicht nur im Haupttermin gegolten: In diesem ____Sinne aufgeklärt werden sollte jedenfalls bereits im frühen ersten Termin (§ 275 a.F.),423 im ____schriftlichen Vorverfahren424 sowie im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2.425 Argu____mentiert wurde damit, dass die Regelung des 278 Abs. 3 a.F. auch der Verfahrensbe____schleunigung dienen sollte, nicht erst vor Schluss der mündlichen Verhandlung ange____wendet werden dürfte, da dann z.B. ein Schriftsatznachlass und eine Vertagung ____erforderlich werden könnten.426 Daher wurde bereits zu § 278 Abs. 3 a.F. vertreten, es ____solle so früh wie möglich aufgeklärt werden.427 ____ Sticken428 meint, aus der Integration des Überraschungsschutzes in die allgemeine 198 ____Regelung des § 139, die von der Einführung der Pflicht, nunmehr so früh wie möglich ____hinzuweisen (Abs. 4 n.F.), begleitet wird, folge allein ein Appell an das Gericht, in jeder ____Lage des Verfahrens so weit wie möglich aufzuklären. Ebenfalls keine sachliche Ände____rung gegenüber der Vorgängerregelung nach § 278 Abs. 3 hat der nunmehr in Abs. 2 ____geregelte Schutz vor Überraschungsentscheidungen erfahren. Zwar hat es mehrere Neu____formulierungen gegeben, und es ist nunmehr auch nach Abs. 4 Satz 1 „so früh wie mög____lich“ hinzuweisen. Doch insofern noch von einer „Konkretisierung“ des rechtlichen Ge____hörs zu sprechen, wie es der Gesetzgeber selbst sieht, erscheint übertrieben, wie in der ____Literatur z.B. Sticken429 mit überzeugenden Erwägungen dargelegt hat. Denn das rechtli____che Gehör ist Bedingung des Prozesses überhaupt, bedarf somit zur Entfaltung seiner ____Geltung überhaupt keiner einfachrechtlichen Umsetzung und ist in der forensischen ____Praxis gerade mit Blick auf den Schutz vor Überraschungsentscheidungen hinreichend ____präzisiert. Daher kodifiziert Abs. 2 nur schon lange geübte forensische Praxis. ____ ____ d) Verhältnis zu Abs. 1 Satz 1 und 2. Der prozessuale Grundsatz des rechtlichen 199 ____Gehörs sowie das Verbot von Überraschungsentscheidungen nach Abs. 2 sichern den ____Einfluss der Parteien auf den Prozess als dialogisch organisiertes Verfahren zweier ____gleichberechtigter Prozessgegner vor einem unparteiischen Dritten, wodurch die richter____liche Neutralität gewährleistet wird. Mit der Neufassung des Absatzes 2 beabsichtigte der ____Gesetzgeber, die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von rechtlichen und tatsächlichen ____Gesichtspunkten zu beseitigen und einen Gleichlauf mit der Erörterungspflicht nach ____Abs. 1 Satz 1 zu erreichen.430 Dem Gesetzgeber geht es mithin nur um eine Art Klarstel____lung und Vermeidung unnötiger Abgrenzungsschwierigkeiten.431 ____ ____ 2. Geltung in jeder Phase des Verfahrens. Das Verbot der Überraschungsentschei- 200 ____dung gilt selbstverständlich in jeder Phase des Verfahrens;432 naturgemäß gewinnt es ____an Bedeutung, wenn auf einen frühen ersten Termin, den Haupttermin oder im schriftli____ ____422 Helbig S. 61; Laumen S. 165; E. Schneider MDR 1977, 881, 886; dieses Problem war bereits dem ____Gesetzgeber zur Novelle von 1976 bekannt: Vgl. Die Äußerungen des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 7/ ____5250 S. 9. ____423 Bischof NJW 1977, 1897, 1902; Grunsky JZ 1977, 201, 202; Helbig S. 51 f.; Putzo NJW 1977, 1, 3; ____E. Schneider MDR 1977, 881, 886. 424 Grunsky JZ 1977, 201, 202; Helbig S. 167 f.; Laumen S. 166; Putzo NJW 1977, 1, 3. ____425 Helbig S. 62 ff. ____426 Rechtsausschuss BT-Drucks. 7/5250 S. 8. ____427 Helbig S. 161; Laumen S. 167. ____428 Sticken S. 138. 429 Sticken S. 137. ____430 FrakE BT-Drucks. 14/3750 5.53; RegE BT-Drucks. 14/4722 5.77. ____431 Sticken S. 143. ____432 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 60.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 hin eine Entscheidung ergehen soll; dies gilt auch für _____das schriftliche Vorverfahren.433 Für die Terminvorbereitung sieht § 273 Abs. 2 Nr. 1 aus_____drücklich vor, dass den Parteien die Möglichkeit zur Ergänzung und Klärung ihrer vorbe_____reitenden Schriftsätze insbesondere dadurch zu geben ist, dass eine Erklärungsfrist über _____besondere klärungsbedürftige Punkte gesetzt wird, was notwendig voraussetzt, dass das _____Gericht seine Bewertung entscheidungserheblicher Gesichtspunkte bereits zu diesem _____Zeitpunkt den Parteien offen legt,434 schon um dem Prozess von vornherein die dem Par_____teiziel angemessene Richtung zu geben. _____ _____ 3. Rechtliche und tatsächliche hinweisbedürftige „Gesichtspunkte“ _____ _____ a) Nach Abs. 2 Satz 1 n.F. ist auf alle, nicht nur die rechtlichen Gesichtspunkte – so 201 _____aber noch § 278 Abs. 3 a.F. – hinzuweisen und Gelegenheit zur Äußerung zu geben, so_____weit sie von der Partei übersehen oder für unerheblich gehalten wurden, keine Neben_____forderung betreffen und die richterliche Entscheidung stützen sollen.435 _____ Alle Quellen, die sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu § 139 oder spe202 _____ziell zu dessen Abs. 2 geäußert haben, geben über den Begriff des „Gesichtspunkts“ kei_____nen Aufschluss.436 Gleichwohl ist offenkundig, dass der Inhalt des ,,Gesichtspunkts“ _____über die weiteren Tatbestandsmerkmale der Entscheidungserheblichkeit, der Betroffen_____heit einer Nebenforderung und der abweichenden Sicht zumindest einer Partei mitbe_____stimmt wird.437 Im Rahmen des § 531 Abs. 2 Nr. 1 wird unter dem identischen Begriff jede _____für die Entscheidung erhebliche Erwägung verstanden, betreffe sie den Sachverhalt oder _____die Subsumtion.438 Auch bislang sollen unter den Begriff des Gesichtspunkts gesetzliche, _____materielle, verfahrensrechtliche439 oder vertragliche Vorschriften,440 Vertragsklauseln,441 _____Organisationsmängel442 oder auch allgemeine Rechtsansichten443 fallen. Hält das Gericht _____eine bestimmte Vertragsklausel für entscheidungserheblich, obwohl die betroffene Par_____tei diesen Umstand bislang nicht gesehen oder nicht in derselben Weise gewertet hat, so _____hat das Gericht darauf hinzuweisen.444 Im Schrifttum445 ist darauf hingewiesen worden, _____dass diese Fragen mit einer eingeschränkten Fassung des rechtlichen Gesichtspunktes _____verknüpft waren. Sowohl die rechtlichen wie die tatsächlichen Gesichtspunkte sind oft _____untrennbar miteinander verknüpft. _____ _____ b) Nach § 278 Abs. 3 a.F. war auch auf nur rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen; 203 _____die Reform des Jahres 2002 hat aber insofern wenig geändert. Tatsächliche Gesichts_____punkte, auf denen eine Überraschungsentscheidung beruhen kann, sind auch nach neu_____er Rechtslage nicht isoliert von ihrer Würdigung durch das erkennende Gericht zu be_____trachten. Dies machen die vorliegenden Entscheidungen zu diesem Zusammenhang _____ _____ _____433 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 61. _____434 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 62. _____435 Sticken S. 139. _____436 Vgl. FrakE BT-Drucks. 14/3750 5.53; RegE 14/4722 5.77; RA 14/6036 S. 120. 437 Sticken S. 142. _____438 MünchKomm-Erg.-Bd.-Rimmelspacber § 531 Rdn. 21. _____439 Helbig S. 25. _____440 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 278 Rdn. 13. _____441 OLG Düsseldorf MDR 1982, 855. 442 BGH BB 1987, 156. _____443 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 278 Rdn. 13. _____444 OLG Düsseldorf MDR 1982, 855. _____445 MünchKomm-Peters Rdn. 3; Sticken S. 142.

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____deutlich. Dort ging es um die Beweiswürdigung, mit der das Berufungsgericht von der ____des Eingangsgerichts abwich, ohne zuvor hierauf hinzuweisen446 – was das Gebot eines ____fairen Verfahrens verletzt. Dies ist auch der Fall, wenn das Gericht, ohne dies zuvor deut____lich zu machen, sich ohne weiteres auf das Privatgutachten einer Partei stützt.447 Auch ____soweit es um Tatsachen geht, ist Gegenstand des Hinweises, der eine Überraschungsent____scheidung ausschließt, daher der Akt richterlicher Bewertung der Tatsachen. Im Übrigen ____fällt die Pflicht zur Erörterung der Tatsachengrundlage des Streits bereits unter Abs. 1 ____Satz 1. ____ ____ c) Ein rechtlicher Gesichtspunkt i.S.v. Abs. 2 kann sich aus dem materiellen eben- 204 ____so wie aus dem Verfahrensrecht ergeben.448 So liegt eine die Aufhebung und Zurückver____weisung rechtfertigende verfahrenswidrige Überraschungsentscheidung vor, wenn eine ____begonnene Beweisaufnahme wegen rechtsirriger Beurteilung abgebrochen wird, ohne ____dass dieser Grund mit den Parteien erörtert wird, ferner wenn ohne Hinweis Parteivor____bringen erst im Urteil in einer Weise gedeutet wird, für die der Sachverhalt keinen Anlass ____gibt, und schließlich, wenn ohne Hinweis und Erörterung entgegen der materiellen ____Rechtslage erst im Urteil einer Partei der stillschweigende Verzicht auf ein Verteidi____gungsmittel unterstellt und damit eine Beweisaufnahme entbehrlich gemacht wird.449 ____Das Gericht verletzt daher seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 ZPO, wenn es ohne vor____herigen Hinweis eine Klage mangels Aktivlegitimation des Klägers abweist, nachdem ____es zuvor durch eine Beweisaufnahme zu erkennen gegeben hat, dass es die Klage für ____schlüssig hält.450 ____ Im Gesetzgebungsverfahren451 wurde als Beispiel für einen rechtlichen Gesichtspunkt 205 ____genannt, dass das Gericht eine andere als von den Parteien erwartete Anspruchsgrund____lage heranziehen will. In der Judikatur zu § 278 Abs. 3 a.F. ist der Fall einer streitigen ____anstelle einer einverständlichen Scheidung genannt worden.452 Als Gesichtspunkt sind ____weiter anzusehen die vom Gericht anzuwendende – auch ausländische453 – Rechtsnorm ____oder Tatbestandsalternative einer Norm oder deren Auslegung. Dies ist unabhängig da____von, ob die Norm dem positiven Gesetzesrecht angehört, aus vertraglichen Abreden der ____Parteien und deren Auslegung454 oder Wirksamkeit,455 aber auch der Einbeziehung oder ____Nichteinbeziehung der von einer Partei verwendeten AGB456 folgt. Verfahrensrechtliche ____Gesichtspunkte können die Zuständigkeit des Gerichts oder die Zurückweisung von Par____teivorbringen als verspätet betreffen.457 ____ ____ 4. Entscheidungserheblichkeit ____ ____ a) Nachdem diese aus dem Gesetzestext des § 278 Abs. 3 a.F. folgende Einschrän- 206 ____kung durch die Neufassung des Abs. 2 weggefallen ist, definieren die anderen einschrän____ ____ ____446 BVerfG VersR 1991, 1268. ____447 OLG Karlsruhe NJW 1990, 192. ____448 OLG Köln NJW 1986, 2245, 2247; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 68. 449 OLG Köln NJW-RR 1987, 505. ____450 BGH NJW 2007, 2414. ____451 Rechtsausschuss des BT (BT-Drucks. 7/5250 S. 9). ____452 OLG Frankfurt/M. FamRZ 1985, 823. ____453 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 67. 454 BGH NJW 1993, 667. ____455 BGH NJW 1986, 2245, 2247. ____456 OLG Düsseldorf MDR 1982, 855. ____457 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 68.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____kenden Tatbestandsmerkmale des Abs. 2 die Reichweite des Begriffs des „Gesichts_____punkts“:458 Gesichtspunkt ist danach ein entscheidungserheblicher, keine Nebenforde_____rung betreffender Umstand, den eine Partei übersehen oder für unerheblich gehalten hat _____(Abs. 1 Satz 2) oder den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien (Abs. 2 Satz 2). _____ _____ b) Eine Hinweispflicht des Gerichts besteht daher nur wegen derjenigen Gesichts207 _____punkte, von denen es im Verlauf der Entscheidung meint, sie könnten für die spätere _____Entscheidung ausschlaggebend werden. Auf welche Gesichtspunkte es seine Entschei_____dung später gründet, steht nämlich erst nach der Schlussberatung fest, worauf Leipold459 _____zutreffend aufmerksam macht. Dies sind zum einen die tragenden Gründe der Entschei_____dung,460 aber auch Hilfsbegründungen, da sich diese im Fortgang des Verfahrens in den _____Rechtsmittelinstanzen als tragend erweisen können.461 Maßgeblich sind daher die Grün_____de, die das Urteil nach § 300 tragen oder flankieren: Das Gericht muss die Parteien daher _____nicht auf solche Gesichtspunkte hinweisen, die es als nicht einschlägig verworfen hat _____und die keinen Eingang in die Gründe gefunden haben. Naturgemäß besteht auch wegen _____obiter dicta eine Hinweispflicht nicht, denn sie kennzeichnet, dass das Urteil nicht auf _____ihnen gründet.462 _____ _____ c) Hilfserwägungen. Eine voraussichtliche Entscheidungserheblichkeit des Punk208 _____tes liegt vor, wenn die Erwägung Teil der Entscheidungsbegründung ist,463 für das Er_____gebnis der Entscheidung also kausal werden kann.464 Bislang war allerdings streitig, ob _____die Hinweispflicht auch eingreift, wenn das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung _____bloß hilfsweise auf einen Umstand stützen will.465 Für die Einbeziehung von Hilfsbegrün_____dungen in die Hinweispflicht nach Abs. 2 spricht, dass das Berufungsgericht die Einfüh_____rung von Noven durch das Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nach _____§ 531 Abs. 2 Nr. 1 und 3 n.F. zuzulassen hat, wenn die erste Instanz die betreffenden Ge_____sichtspunkte für unerheblich gehalten hat, oder das Nichtvorbringen nicht auf Partei_____nachlässigkeit beruht. Hält das Berufungsgericht die Hilfsbegründung für wesentlich, _____macht es sie zur Hauptbegründung. Damit aber werden die vom erstinstanzlichen Ge_____richt für unerheblich gehaltenen Umstände in der Berufungsinstanz i.S.v. Abs. 2 erheb_____lich. Das entsprechende Nichtvorbringen in der ersten Instanz beruht regelmäßig nicht _____auf Nachlässigkeit der Partei, weil gerade kein Hinweis auf die die Hilfsbegründung _____ausmachenden Umstände gegeben wurde. _____ _____ d) Die materiellrechtliche Existenz der Einredemöglichkeit ist ein rechtlicher Um209 _____stand. Deshalb wurde bereits zu § 278 Abs. 3 a.F. diskutiert, ob es sich bei einer Einrede_____möglichkeit um einen hinweispflichtbegründenden Gesichtspunkt handle, wogegen _____vorgebracht wurde, es könne nicht darum gehen, den Beklagten auf die Tatsache hinzu_____weisen, dass der dem Streit zugrunde liegende Sachverhalt „sehr lange her sei“. Denn _____dieser Umstand ist ihm oder seinem Anwalt selbst offenkundig. Dann kann sich aber aus _____ _____ _____ _____458 Sticken S. 142. _____459 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 73. _____460 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 72. _____461 Laumen S. 171; MünchKomm-Prütting § 278 Rdn. 33. 462 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 72 a.E. _____463 Laumen S. 171. _____464 Sticken S. 140. _____465 Sticken S. 140; Stöber NJW 2005, 3601 ff.

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____einem gerichtlichen Hinweis dieses tatsächlichen Gesichtspunktes nichts Neues erge____ben. Dies gilt auch für Abs. 2.466 ____ ____ e) Unumstritten ist, dass das Gericht den Beklagten z.B. auch dann nach § 280 Abs. 1 ____BGB wegen schuldhafter vertraglicher Pflichtverletzung zur Zahlung von Schadenersatz ____verurteilen kann, wenn der Richter den wegen einer eventuellen Exkulpationsmöglich____keit gemäß § 831 BGB einen Vortrag schuldig gebliebenen Beklagten nicht entsprechend ____hingewiesen hat – denn es kommt insofern für die Verurteilung hierauf nicht an.467 ____ ____ 5. Keine Nebenforderung. Der Gesichtspunkt, auf den hingewiesen wird, darf nach ____dem Gesetzeswortlaut nicht nur für eine „Nebenforderung“ bedeutsam sein.468 In diesem ____Zusammenhang wird meist auf § 4 verwiesen, in dem „Nebenforderungen“ behandelt ____werden.469 Nebenforderungen sind solche Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten, die ____von der Hauptforderung abhängig sind, aber getrennt berechnet werden und von dersel____ben Partei gegen denselben Gegner im selben Prozess geltend gemacht werden.470 Eine ____typische Nebenforderung ist daher etwa ein Verzugsschaden, solange er nicht selbst____ständig in einem (neuen) Prozess geltend gemacht wird.471 Der Grund für die Ausnahme, ____die Abs. 2 insoweit macht, liegt darin, dass regelmäßig über Nebenforderungen nicht ____verhandelt und von den Parteien dem Gericht überlassen wird, die rechtlich erheblichen ____Gesichtspunkte herauszuarbeiten.472 ____ Es kommt also nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtung an.473 Daher sind Haupt____forderungen nicht aufgrund einer vermeintlich niedrigeren wirtschaftlichen Bedeutung ____als Nebenforderungen zu qualifizieren; eine extensive Auslegung des Begriffes der Ne____benforderungen gemäß Abs. 2 verbietet sich.474 Dies gilt auch, wenn die Parteien über ____sehr geringfügige Beträge von Hauptforderungen nur sehr eingeschränkt verhandeln.475 ____ Diese Einschränkung greift daher nach dem Zweck des Abs. 2 dort nicht ein, wo die ____Parteien im Prozess zu den Nebenforderungen nicht geschwiegen, sondern sich aus____drücklich geäußert haben: Werden die Nebenforderungen wegen ihrer Bedeutung für die ____Parteien im einzelnen verhandelt, nehmen sie den Charakter eines hinweisbedürftigen ____Gesichtspunktes i.S.v. Abs. 2 ein.476 ____ ____ 6. Anlass der Hinweispflicht nach Abs. 2 ____ ____ a) Die Hinweispflicht nach Abs. 2 besteht nur wegen solcher tragender Gesichts____punkte, die eine Partei erkennbar übersehen hat. Im Falle ausdrücklichen Hinweises ____durch den Gegner ist dies ausgeschlossen.477 Ob die Partei einen Gesichtspunkt „erkenn____bar“ übersehen hat, ist verobjektiviert, nicht nach den subjektiven Möglichkeiten des ____Gerichts, zu beurteilen. Maßgeblich ist der Inhalt des Verlaufs des Prozesses, also die ____ ____ ____466 Sticken S. 144. ____467 Sticken S. 140. ____468 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 82. 469 Helbig S. 73. ____470 Musielak-Smid 3. Aufl. § 4 Rdn. 8. ____471 Sticken S. 139. ____472 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 82 a.E. ____473 Helbig S. 70. 474 Str.; ebenso Stein/Jonas-Leipold Rdn. 83. ____475 So aber Stein/Jonas-Leipold Rdn. 85. ____476 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 84. ____477 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 38.

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_____Prozesssituation. Die Erkennbarkeit unterliegt daher revisionsgerichtlicher Nachprü_____fung.478 _____ _____ b) Nach Abs. 2 Satz 2 ist das Gericht verpflichtet, auf Gesichtspunkte hinzuweisen, 215 _____die es ,,anders beurteilt als beide Parteien“, wenn es darauf seine Entscheidung stüt_____zen will. Zum Verständnis dieser Vorschrift ist es hilfreich, zu berücksichtigen, dass sie _____auch als Ausprägung des Schutzes vor Überraschungsentscheidungen zu verstehen _____ist.479 _____ Nach Abs. 2 Satz 2 muss das Gericht den Gesichtspunkt anders beurteilen als beide 216 _____Parteien. Das ist bei Gesichtspunkten der Fall, den eine Partei aufwirft und den die ande_____re Partei weder bestreitet noch anders beurteilt. Wenn es den betreffenden Punkt also _____nur anders sieht als eine Partei, braucht nach Abs. 2 Satz 2, wohl aber gegebenenfalls _____nach Abs. 1 Satz 2, nicht hingewiesen zu werden.480 _____ _____ c) Einzelfälle. Lässt der Tatrichter in der mündlichen Verhandlung die Bezugnahme 217 _____einer Partei auf unübersichtliche Anlagen bestimmender oder vorbereitender Schrift_____sätze zu, darf er nicht ohne Hinweis auf die Mangelhaftigkeit des Vortrags Teile des Ver_____handlungsstoffes bei der Entscheidung außer Betracht lassen.481 _____ 218 Das Verkennen der Darlegungslast stellt zwar in erster Linie einen materiell_____rechtlichen Fehler dar, es kann jedoch auch zu einem Verfahrensfehler führen, wenn _____infolgedessen z.B. Beweisangebote übergangen werden, gebotene beweisrechtliche Hin_____weise nach § 139 unterbleiben oder die unterlegene Partei einer Überraschungsent_____scheidung ausgesetzt wird.482 Begehrt der Kläger Schadensersatz mit der Begründung, _____die Leistung des Beklagten enthalte Konstruktions- oder Ausführungsmangel (hier: an _____der Mechanik einer Jalousie), will das Gericht sein Urteil aber darauf stützen, dass der _____Beklagte seine Verpflichtung, über die Risiken einer unsachgemäßen Bedienung der _____Jalousienstange aufzuklären, verletzt habe, muss das Gericht gemäß § 139 Abs. 2 darauf _____hinweisen, dass die Klage aus diesem Gesichtspunkt Erfolg haben könnte und dem Be_____klagten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gewähren.483 Sind die Bedenken des _____Gerichts gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung nach Anhörung des Klägers in der _____mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt, muss es zur Vermeidung einer unzulässi_____gen Überraschungsentscheidung diesen unmissverständlich hierauf hinweisen und ihm _____Gelegenheit zum weiteren Vortrag geben.484 Es handelt sich um eine verfahrensfehlerhaf_____te Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht auf der Grundlage des Parteivorbrin_____gens zunächst Beweis erhebt, sodann aber das Vorbringen – ohne Hinweis nach § 139 – _____unsubstantiiert unberücksichtigt lässt.485 Weist das Gericht im Rahmen der Prüfung der _____Schlüssigkeit der Klage auf die Notwendigkeit weiteren Sachvortrags zu einem bestimm_____ten Punkte hin und gibt es nach Erledigung dieses Hinweises durch die entsprechende _____Partei zu erkennen, dass es diese Erledigung für ausreichend erachtet – Erlass eines Be_____weisbeschlusses –, so liegt eine „Überraschungsentscheidung“ vor, wenn die Klage trotz _____ _____ _____478 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 76 a.E.; unklar E. Schneider MDR 1977, 881, 885. 479 So die ausdrücklich auf § 139 Abs. 2 S. 2 bezogenen Ausführungen in RegE BT-Drucks. 14/4722 S. 77; _____vgl. bereits im FrakE BT-Drucks. 14/3750 5.53: ,,Hervorhebung“ des Anspruchs auf rechtliches Gehör; _____Sticken S. 145. _____480 Zöller-Greger Rdn. 7. _____481 BGH NJW 2005, 2927. 482 OLGR Oldenburg 1995, 151. _____483 BGH BauR 2008, 1662. _____484 BGH NJW-RR 2004, 281. _____485 OLG Saarbrücken OLGR 2003, 330.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Weiterbestehens des Beweisbeschlusses und ohne erneuten Hinweis mangels Schlüssig____keit in dem oben genannten Punkt abgewiesen wird.486 Es handelt sich um eine verfah____rensfehlerhafte Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht Zeugen zur Beweisauf____nahme über einen behaupteten Schaden lädt, tatsächlich aber von einer Anhörung der ____Zeugen absieht und den Kläger, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu eröffnen, ____erst in der mündlichen Verhandlung auf Bedenken gegen die Substantiierung des Scha____dens hinweist.487 Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine Partei dem Sachvortrag der ____Gegenseite nur versehentlich nicht entgegengetreten ist, so ist dies zur Vermeidung einer ____Überraschungsentscheidung gemäß § 139 durch Befragen aufzuklären. Geschieht dies ____nicht und wird der Sachvortrag als unstreitig behandelt, liegt ein schwerwiegender Ver____fahrensfehler vor, der gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 zur Aufhebung des ergangenen Urteils ____und zur Zurückverweisung der Sache führen kann.488 ____ Eine Hinweispflicht bei Abweichung des Gerichts von der nur von einer Partei 219 ____vertretenen Rechtsauffassung sah der Referentenentwurf zur Prozessrechtsreform vom ____Dezember 1999489 noch vor, ohne dass dies Gesetz wurde. Der Gesetzgeber ist einer im ____Schrifttum vertretenen Meinung gefolgt, der Richter müsse seine Ansicht nicht zur Dis____kussion der Parteien stellen.490 Die Gegenmeinung liefe darauf hinaus, dass das Gericht ____seine beabsichtigte Entscheidung generell offenbaren müsste. Nichts anderes aber ist ____Inhalt des Rechtsgesprächs, das zu führen Abs. 1 Satz 1 den Richter verpflichtet (oben ____Rdn. 10). ____ ____ 7. Gelegenheit der Partei zur Stellungnahme. Eine Pflicht zum Hinweis läuft not- 220 ____wendig darauf hinaus, dass das Gericht der betroffenen Partei Gelegenheit zur Reaktion ____einräumt.491 Daher läuft die Neufassung des Abs. 2 Satz 1 auf eine Tautologie hinaus, die ____nichts inhaltlich Neues ergibt. Diese Sicht wird auch vom Willen des Gesetzgebers ge____stützt, der mit der Hinzufügung lediglich klarstellen will, dass es bei der Regelung des ____Abs. 2 Satz 1 ,,im Kern“ um den Anspruch auf rechtliches Gehör gehe.492 ____ Wenn danach das Gericht gemäß Abs. 2 auf einen Gesichtspunkt, den es anders als 221 ____beide Parteien beurteilt, hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, kann ____eine Erörterung „erforderlich“ sein, um den Standpunkt des Gerichts zu verdeutlichen ____und dem Gericht die Gelegenheit zu geben, die Gegenansichten der Parteien zur Kennt____nis nehmen zu können. Gleiches gilt für die weitere Prozessleitungspflicht gemäß Abs. 3: ____Hat das Gericht gemäß Abs. 3 wegen von Amts wegen zu berücksichtigender Punkte – ____also wegen Prozess und Rechtsbehelfsvoraussetzungen493 – Bedenken geäußert, ist auch ____in eine Erörterung mit den Parteien einzutreten, wenn sie dienlich ist, die Bedenken zu ____verdeutlichen.494 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____486 OLG Bamberg NJW-RR 1998, 1608. 487 OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1609. ____488 OLG Köln OLGR 1992, 111. ____489 Sticken S. 145. ____490 Schnauder JuS 2002,68, 70; zust. Sticken S. 145. ____491 BGH NJW 1999, 2123; NJW-RR 1997, 441; OLG Köln NJW-RR 1995, 890; RG JW 1909, 193; 1913, 605; statt aller: MünchKomm-ZPO/Peters § 139 Rdn. 23. ____492 Sticken S. 147. ____493 MünchKomm-Peters Rdn. 57. ____494 Sticken S. 105 f.

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§ 139

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ XIV. Hinweis wegen von Amts wegen zu beachtender Punkte gemäß Abs. 3 _____ _____ 1. Reichweite _____ _____ a) Übersicht. Abs. 3 schreibt besonders vor, dass das Gericht die Parteien auf Beden222 _____ken aufmerksam zu machen hat, die wegen der von Amts wegen zu berücksichtigenden _____Punkte bestehen. Gemeint sind damit die unverzichtbaren Prozess- und Rechtsbehelfs_____voraussetzungen.495 Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der des § 139 Abs. 2 a.F. _____ _____ 223 b) Einzelfälle. Hierzu zählen die Rechtshängigkeit der Sache,496 die fehlende Vertre_____tung einer prozessunfähigen Partei,497 die Postulationsfähigkeit,498 das fehlende Feststel_____lungsinteresse bei einer Feststellungsklage,499 die rechtzeitige Einlegung500 oder Begrün_____dung501 eines Rechtsmittels. _____ _____ 2. Grenzen _____ _____ a) Wegen verzichtbarer prozessualer Rügen besteht eine Hinweispflicht nach 224 _____Abs. 3 nicht; sie kann aber ausnahmsweise nach Abs. 1 Satz 2 greifen, wenn die Partei _____die prozessuale Lage offensichtlich falsch versteht.502 _____ _____ b) Nach § 504 hat das Amtsgericht, wenn es sich für sachlich oder örtlich unzu225 _____ständig hält, „den Beklagten vor der Verhandlung zur Hauptsache darauf und auf die _____Folgen einer rügelosen Einlassung zur Hauptsache hinzuweisen“, nämlich, um diesen, _____nicht sich selbst, vor den Folgen rügeloser Einlassung zu bewahren. Dass diese Vor_____schrift nur für das Verfahren vor dem Amtsgericht gilt, unterstreicht, dass § 139 nicht zu _____einem solchen Hinweis verpflichtet und das Gericht daher außerhalb des amtsgerichtli_____chen Verfahrens auch nicht berechtigt ist. _____ _____ XV. Regelungsgehalt des Abs. 4 Satz 1503 _____ _____ 1. Frühzeitigkeit der zu erteilenden Hinweise. Das Gericht muss gemäß Abs. 4 226 _____Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene _____Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der münd_____lichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung _____darauf einzurichten.504 Dies wird in der mündlichen Verhandlung,505 kann aber bereits in _____der Terminvorbereitung der Fall sein; dort wird indes zur Beurteilung des Vorbringens _____der Parteien die Klageerwiderung abzuwarten sein.506 Das Gericht muss im Rahmen sei_____ner prozessualen Fürsorgepflicht nach Abs. 4 Hinweise auf die seiner Meinung nach ent_____ _____ _____495 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 91. _____496 BGH NJW 1989, 2064. _____497 OLG Schleswig SchlHA 1978, 108. 498 OLG Köln FamRZ 1995, 312. _____499 BGH NJW 1982, 1042; BGHZ 79, 76, 79. _____500 BGH VersR 1974, 1021. _____501 BGH VersR 1976, 192. _____502 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 94. 503 Vgl. Röttgen ZRP 2003, 345 ff. _____504 BGH BauR 2010, 246; BGH NJW-RR 2007, 412. _____505 OLG Hamm NJW 2003, 2543, 2544. _____506 So zu Recht Stein/Jonas-Leipold Rdn. 95.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____scheidungserheblichen Umstände geben, die die betroffene Partei erkennbar für uner____heblich gehalten hat.507 ____ ____ 2. Dokumentationspflicht508 ____ ____ a) Form der Dokumentation. Abs. 4 Satz 1 ordnet an, dass alle Hinweise, seien sie ____innerhalb der mündlichen Verhandlung, schriftlich, außerhalb der mündlichen Ver____handlung telefonisch erfolgt, „aktenkundig“ zu machen sind. Dies kann je nach Art der ____Erteilung des Hinweises durch – gegebenenfalls Protokollierung gemäß § 159 Abs. 1, falls ____dies unterblieben ist: Protokollberichtigung gemäß § 164, durch Aktennotiz bei telefo____nisch erteilten Hinweisen und die Hinzufügung des Textes eines schriftlichen Hinweises ____zu den Akten erfolgen.509 Der Gesetzgeber hält es für ausreichend, dass der Hinweis in ____den Urteilstatbestand gemäß § 313 Abs. 2 aufgenommen wird,510 was freilich zu einer ____Kopflastigkeit des Tatbestandes führen kann. Es ist überzeugend, dass der BGH meint, ____dass nach der Vorschrift des Abs. 4 Satz 2 die Erteilung rechtlicher Hinweise nur durch ____den Inhalt der Akten bewiesen werden kann. Sofern diese die Erteilung eines Hinweises ____nicht hinreichend dokumentieren, gilt dieser als nicht erteilt.511 Es darf daher kein Beweis ____erhoben werden zur Frage, ob die Vorinstanz einen Hinweis erteilt hat.512 ____ ____ b) § 28 FamFG Abs. 3 sieht für die dem Geltungsbereich des FamFG unterliegenden ____Verfahren eine entsprechende Regelung vor.513 ____ ____ c) Inhalt. Aktenkundig gemacht werden muss nicht allein, dass überhaupt ein Inhalt ____erteilt worden ist. Da auch der unrichtige Hinweis die Verfahrensfehlerhaftigkeit des Urteils ____nach sich ziehen kann (oben Rdn. 24) muss der Inhalt des Hinweises dargestellt werden. So ____muss im Protokoll oder der Aktennotiz angegeben werden, welcher Vortrag z.B. als unsub____stantiiert, ergänzungs- oder beweisbedürftig angesehen wurde. Dabei ist der Sinn des rich____terlichen Hinweises deutlich zu machen. Ist der Hinweis in der mündlichen Verhandlung ____oder telefonisch erteilt worden, bedarf es allerdings einer wörtlichen Wiedergabe nicht.514 ____ ____ 3. Kritik. Ob die durch das ZPO-RG neu geschaffene Dokumentationspflicht für rich____terliche Hinweise nach Abs. 4 Satz 1, wie Sticken515 meint, mit den strukturellen Anforde____rungen an den Prozess kollidieren kann, mag hier dahinstehen. Es scheint aber, dass das ____Frühzeitigkeitspostulat eher symbolische Bedeutung hat. Die Institution „Zivilprozess“ ____ist – wie sich gezeigt hat – ein dialogisches Verfahren, an dessen Ende die Feststellung ____des vormals ungewissen, zwischen beiden Parteien geltenden Rechts steht. Die Erörte____rungen und die Erteilungen von Hinweisen seitens des Gerichts sind also unmittelbare ____Folgerungen aus der jeweiligen Prozesssituation. Von der Art der Verhandlung der Par____teien hängt die Einschätzung des Gerichts über die Erteilung von Hinweisen ab. Im Ge____gensatz dazu muss aber eine Dokumentationspflicht über jeden Hinweis, über jeden Ge____genstand einer klärenden Erörterung die Neigung des Richters unterwandern, an die____ ____ 507 BGH NJW-RR 2008, 973. ____508 Kritisch Rensen MDR 2003, 483 ff. ____509 So Stein/Jonas-Leipold Rdn. 102. ____510 Begr. BT-Drucks. 14/4722, 78; OLGR Karlsruhe 2006, 490; OLG Frankfurt/M. MDR 2005, 647. ____511 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2004, 428. 512 BGH NJW-RR 2011, 1556. ____513 MünchKomm-Ulrici FamFG § 28 Rdn. 23 f. ____514 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 103. ____515 Sticken S. 140.

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§ 139

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_____sem „Miteinander“ zu partizipieren. Wird die Hinweiserteilung aber zum schematisierten _____Pflichtprogramm, wird die Kommunikation, der Austausch zwischen Gericht und Partei_____en in einem Maße reduziert, die seiner Struktur als dialogischem Verfahren zuwiderläuft. _____ _____ 4. Beweis des Erfolgtseins des Hinweises. Der Akteninhalt beweist, dass der Hin230 _____weis erteilt worden ist, Abs. 4 Satz 2. Dies ist erforderlich, da der Hinweis in der Instanz, _____in der er erteilt worden ist, zwar i.S.v. § 291 gerichtskundig ist und dort eines Beweises _____nicht bedarf; dies gilt aber nicht für die Rechtsmittelinstanz. Dort sind wegen Abs. 4 _____Satz 2 in Ansehung eines Streits darüber, ob ein Hinweis erteilt worden ist oder nicht, _____weder Vernehmungen der Mitglieder des vorinstanzlichen Gerichts noch die Einholung _____dienstlicher Äußerungen zulässig.516 _____ _____ XVI. Nachfrist zur schriftsätzlichen Erklärung, Abs. 5 _____ _____ 1. Regelungsgehalt _____ _____ a) Nach Abs. 5 soll der durch einen Hinweis betroffenen Partei eine Nachfrist zur 231 _____schriftsätzlichen Erklärung eingeräumt werden. Ein Ermessen ist dem Gericht damit _____nicht eingeräumt,517 da aus Gründen des Art. 103 Abs. 1 GG der Partei jedenfalls eine Re_____aktionsmöglichkeit zu gewähren ist. Eine entsprechende Regelung hat es bis zur Reform _____2002 nicht gegeben. Der Bedeutungszusammenhang des rechtlichen Gehörs mit § 139 _____verdeutlicht, dass es auch ohne diese Gesetzesvorschrift einer Nachfristsetzung zur _____schriftsätzlichen Erklärung bedürfte, um im erforderlichen Umfang rechtliches Gehör zu _____gewähren, etwa weil eine Rücksprache des Anwalts mit dem bei der Verhandlung abwe_____senden Mandanten erforderlich ist.518 _____ _____ b) Die Frist ist nur zu gewähren, wenn die Partei sich nicht erklären kann; verstößt 232 _____sie dadurch, dass sie sich nicht erklärt, gegen Prozessförderungspflichten nach § 282 _____Abs. 1, bedarf es einer Fristgewährung nicht.519 Hätte sich die nach § 141 persönlich gela_____dene, aber nicht erschienene Partei auf den gerichtlichen Hinweis hin sogleich erklären _____können, liegt bereits im Nichterscheinen ein Verstoß gegen Prozessförderungspflichten, _____der eine Nachfristsetzung ausschließt.520 _____ _____ 2. Zeitpunkt im Verfahren. Die Nachfristsetzung kann wegen eines in der münd233 _____lichen Verhandlung gegebenen Hinweises erfolgen, aber auch bei kurz vor der mündlichen _____Verhandlung gegebenen Hinweisen in Betracht kommen.521 Zur Wiedereröffnung des Ver_____fahrens bei Hinweisen nach Schluss der mündlichen Verhandlung s. oben Rdn. 189 ff. _____ _____ 3. Hinweis wegen Antrag auf Nachfristsetzung. Die Gewährung einer Frist erfolgt 234 _____auf Antrag der Partei. Bei verspäteter Einspruchsbegründung des Beklagten ist das Ge_____richt im Rahmen von § 139 verpflichtet, die Klägerin zu veranlassen, eine Schriftsatzfrist _____zur Stellungnahme zu erbitten und diese dann einzuräumen.522 Nach wiederholten Hin_____ _____ _____516 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 105. _____517 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 109. _____518 OLG Schleswig NJW 1986, 3146; OLG Düsseldorf NJW 1971, 1707; Sticken S. 138. 519 OLG Hamm NJW 2003, 2543; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 110. _____520 LG Berlin NJW 2004, 781. _____521 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 111. _____522 A.A. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 112; vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 2004, 646; OLGR Celle 2004, 104.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 140

____weisen auf die Unsubstanziiertheit des Vortrages ist das Gericht im Anwaltsprozess nicht ____verpflichtet, der Partei von sich aus eine Schriftsatzfrist zu gewähren oder auf einen ent____sprechenden Antrag hinzuwirken.523 Erst nach Herbeiführung einer solchen Stellung____nahme kann abschließend entschieden werden, ob das verspätete Vorbringen die Erle____digung des Rechtsstreits verzögert.524 ____ Eine Nachholung der durch Nachfristsetzung ermöglichten Stellungnahme und die 235 ____Anberaumung eines anschließenden Verkündungstermins kann nicht als Verzögerung ____im Sinne von § 296 angesehen werden.525 ____ ____ ____ § 140 ____ Beanstandung von Prozessleitung oder Fragen ____ § 140 Smid ____ Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden oder ____eine von dem Vorsitzenden oder einem Gerichtsmitgliede gestellte Frage von einer ____bei der Verhandlung beteiligten Personen als unzulässig beanstandet, so entschei____det das Gericht. ____ Übersicht ____ 2. Sachlicher Geltungsbereich ____ 5 ____I. Normzweck ____ 1 1. Funktion 3. Grenzen ____ 7 ____ 2. Stellung der Vorschrift im ZusammenIII. Verfahren ____ hang der materiellen Prozessleitung ____ 2 1. Antrag ____ 8 ____ ____ 3. Beanstandung und Präklusion 3 2. Zuständigkeit ____ 9 ____ II. Reichweite 3. Rechtsmittel ____ 10 ____ 1. Personen, durch die Maßnahmen ____ beanstandet werden ____ 4 ____ ____ I. Normzweck ____ ____ 1. Funktion. Die Vorschrift sieht vor, dass Maßnahmen der Prozessleitung und Fra- 1 ____gen des einzelnen Gerichtsmitglieds in der mündlichen Verhandlung beanstandet wer____den können. ____ ____ 2. Stellung der Vorschrift im Zusammenhang der materiellen Prozessleitung. 2 ____Das zur materiellen Prozessleitung durch das Gericht mit den Parteien geführte Rechtsge____spräch (§ 139 Abs. 1 Satz 2) kann zur Beseitigung von Unklarheiten des Sachvortrages oder ____der gestellten Anträge in Fragen und Hinweise des Gerichts (§ 139 Abs. 1 Satz 2) münden. ____Diese Fragen sind grundsätzlich auch vor dem Hintergrund des Gebotes richterlicher Un____parteilichkeit nicht zu beanstanden, können sich aber als unzulässig erweisen, wenn sie ____vor dem Hintergrund der Aufgaben der richterlichen Hinweispflicht des § 139 nicht gebo____ten sind und damit das Neutralitätsgebot verletzen. Der Beanstandung unterliegt daher die ____unzulässige und daher unrechtmäßige Anordnung bzw. Frage.1 Da das Gericht mit seiner ____materiellen Prozessleitung erheblichen Einfluss auf den Gang des Verfahrens nimmt, wäre ____es nicht angemessen, würde die betroffene Partei ohne weiteres darauf verwiesen, gegen ____eine daraufhin gegen sie ergangene ungünstige Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. ____ ____ 523 OLG Hamm NJW-RR 2004, 646. ____524 OLG Hamm NJW-RR 1994, 958. ____525 OLG Hamm NJW-RR 1994, 958; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 115. ____1 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3; Zöller-Greger Rdn. 1, 2.

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§ 140

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 3 3. Beanstandung und Präklusion. Ergeht eine Anordnung des Vorsitzenden in der _____mündlichen Verhandlung unter Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift _____(vgl. etwa § 384),2 oder ist eine Frage als unzulässig zu beanstanden, unterlässt der Be_____schwerte den Antrag und führt keine Entscheidung nach § 140 herbei, kommt § 295 _____Abs. 1 mit der Folge zum Zuge,3 dass ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht mehr auf die _____Unzulässigkeit der zu beanstandenden Anordnung oder Frage gestützt werden kann,4 _____sofern es sich um verzichtbare Verfahrensfehler gemäß § 295 Abs. 2 handelt.5 _____ _____ II. Reichweite _____ _____ 1. Personen, durch die Maßnahmen beanstandet werden. Angefochten werden 4 _____Maßnahmen materieller Prozessleitung: Zur Wahrnehmung der materiellen Prozesslei_____tung ist „das Gericht“ nach § 139 zu Hinweisen und Fragen verpflichtet und berechtigt; _____diese Befugnis wird durch das einzelne „Gerichtsmitglied“, also die Personen der Beisit_____zer ausgeübt. Die Sachleitung des Gerichts wird neben dem Falle des § 139 im Übrigen _____durch Anordnungen des Vorsitzenden wahrgenommen. _____ _____ 2. Sachlicher Geltungsbereich. Nur solche Anordnungen und Fragen sind bean5 _____standungsfähig, die in der mündlichen Verhandlung ergehen bzw. gestellt werden. _____Das schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 tritt an die Stelle der mündlichen Ver_____handlung. Die dort vom Vorsitzenden erlassenen Anordnungen ergehen für den gesam_____ten Spruchkörper.6 Daher ist in diesen Fällen – und nicht nur nach § 128 Abs. 3 und 4 bei _____freigestellter mündlicher Verhandlung – § 140 anzuwenden. Weiter greift § 140 in der _____obligatorischen Güteverhandlung gemäß § 278 Abs. 2 ein,7 denn dort gelten für die An_____ordnungen des Vorsitzenden und die Hinweise bzw. Fragen der Gerichtsmitglieder das _____Gleiche wie in der mündlichen Verhandlung. Die Gewährung von Akteneinsicht erfolgt _____zwar außerhalb der mündlichen Verhandlung, unterliegt aber § 140.8 _____ 6 Unterlässt der Vorsitzende Anordnungen bzw. unterlassen die Gerichtsmitglieder _____Fragen, unterliegt dies nicht der Beanstandung nach § 140;9 wohl aber kann das darauf _____ergehende Urteil rechtsfehlerhaft sein, vgl. § 139 Rdn. 25. _____ _____ 3. Grenzen. Soweit außerhalb der mündlichen Verhandlung Anordnungen des Vorsit7 _____zenden getroffen werden, greift hiergegen im Übrigen das Beanstandungsrecht des § 140 _____nicht. Denn diese Anordnungen haben eine selbstständige Stellung gegenüber dem Pro_____zessverlauf, was eine gerichtliche Entscheidung über Beanstandungen als nicht sach_____gerecht erscheinen lässt. Hierzu zählen auch die zur Vorbereitung der mündlichen Ver_____handlung außerhalb ihres Rahmens gestellten Fragen des Vorsitzenden.10 Maßnahmen _____der Sitzungspolizei gemäß § 176 GVG fallen ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich _____des § 140.11 _____ _____ _____2 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. _____3 So zutr. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9. 4 RG JW 1910, 114. _____5 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9 a.E.; Zöller-Greger Rdn. 5. _____6 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 4. _____7 Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5. _____8 BGH MDR 1973, 580; OLG Schleswig RPfl. 1976, 108; OLG Brandenburg MDR 2000, 1210; Stein/JonasLeipold Rdn. 3. _____9 So auch Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 1; Zöller-Greger Rdn. 1. _____10 OLG Karlsruhe OLGZ 1980, 62, 63; a.A. Baur ZZP 66 (1953) 209, 222. _____11 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 141

____ III. Verfahren ____ ____ 1. Antrag. Die Entscheidung ergeht auf einen Antrag hin, der von allen an der Ver- 8 ____handlung beteiligten Personen in der mündlichen Verhandlung bzw. im Verfahren ____nach § 128 Abs. 2 schriftlich gestellt werden kann.12 Antragsbefugt sind daher die Par____teien bzw. deren gesetzliche Vertreter oder Bevollmächtigte, Streithelfer, aber auch Zeu____gen und Sachverständige.13 Nicht antragsbefugt sind gegenüber Anordnungen des Vor____sitzenden die übrigen Mitglieder des Gerichts bzw. deren Fragen gegenüber dem ____Vorsitzenden. Sie sind i.S.v. § 140 nicht als an der Verhandlung beteiligte Personen an____zusehen, da die Gegenmeinung darauf hinausliefe, dass die Beanstandungsentschei____dung von Amts wegen erginge.14 Ihnen steht somit ein Beanstandungsrecht nicht zu, da ____Vorsitzender und Beisitzer in richterlicher Unabhängigkeit ihre prozessualen Aufgaben ____wahrnehmen. Voraussetzung des Antrags ist, dass der Antragsteller durch die Anord____nung oder Frage beschwert ist.15 ____ ____ 2. Zuständigkeit. Die Entscheidung über Beanstandung erfolgt durch „das Gericht“ 9 ____aufgrund mündlicher Verhandlung. Damit ist im Falle des Kollegialgerichts der Spruch____körper in voller Besetzung zu verstehen.16 Dies gilt nicht, solange die Sache kraft Gesetzes ____oder Übertragung beim Einzelrichter gemäß §§ 348 f., 526 f. anhängig, oder der Vorsitzen____de der Kammer für Handelssachen nach § 349 allein zuständig ist. Denn in diesen Fällen ____begründet die Beanstandung keine Entscheidungsbefugnis des Kollegiums.17 ____ ____ 3. Rechtsmittel. Die Entscheidung nach § 140 wird mit dem Endurteil angefochten.18 10 ____Die Beschwerde gegen die aufgrund mündlicher Verhandlung ergehenden Entscheidung ____ist gemäß 567 Abs. 1 Nr. 2 ausgeschlossen.19 ____ ____ ____ § 141 ____ Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien ____ § 141 Smid ____ (1) Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, ____wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Ist einer Partei we____gen großer Entfernung oder aus sonstigem wichtigen Grunde die persönliche ____Wahrnehmung des Termins nicht zuzumuten, so sieht das Gericht von der Anord____nung ihres Erscheinens ab. ____ (2) Wird das Erscheinen angeordnet, so ist die Partei von Amts wegen zu laden. ____Die Ladung ist der Partei selbst mitzuteilen, auch wenn sie einen Prozessbevoll____mächtigten bestellt hat; der Zustellung bedarf die Ladung nicht. ____ (3) Bleibt die Partei im Termin aus, so kann gegen sie Ordnungsgeld wie gegen ____einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Das ____gilt nicht, wenn die Partei zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur ____Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärun____ ____12 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____13 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 2, Zöller-Greger Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3. ____14 RG JW 1910, 114. ____15 Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 2. 16 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. ____17 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. ____18 RG JW 1910, 114. ____19 BGH NJW 1990, 840; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 8.

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§ 141

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____gen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist. Die Partei ist auf _____die Folgen ihres Ausbleibens hinzuweisen. _____ _____ Schrifttum _____ Brehm Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier Verhandlungswürdigung, 1982; _____Burger MDR 1982, 91 (93); Diehl Der Nachweis des versicherten Pkw-Diebstahls, ZfSch 2000, 187; Fledder_____mann/Tschöpe Der Prozeßbevollmächtigte als Vertreter seiner Partei nach § 141 III ZPO im arbeitsrechtlichen _____Verfahren, NZA 2000, 1269; Gehrlein Warum kann Parteibeweis im Zivilprozeß? ZZP 110, 451; Hülsmann Kein _____Geständnis während der Parteivernehmung? NJW 1997, 617; Kahlert Anordnung des persönlichen Erschei_____nens im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess, NJW 2003, 3390; Lange Parteianhörung und Parteivernehmung, _____NJW 2002, 476; Reinhenhof Parteivernehmung und Vier-Augen-Gespräch, JuS 2002, 645; Schöfflin Die Partei_____anhörung als Beweismittel, NJW 1996, 2134; Terbille Parteianhörung und Parteivernehmung im Rechtsstreit _____um die Leistungspflicht des Versicherers aus Diebstahlsversicherungsstrafen, VersR 1996, 408; Reinberg ZZP _____49 (1925); M. J. Schmid JR 1981, 8 (9); E. Schneider NJW 1979, 987; E. Schneider MDR 1975, 186, 378; Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivilprozess, 1984, S. 16 ff.; Zuck JZ 1993, 506. _____ _____ Übersicht _____I. Normzweck ff) Ausdehnung des Anwen_____ 1. Abgrenzung der Anhörung der Partei dungsbereichs ____ 34 _____ d) Kritik ____ 35 vom Beweis durch Parteiverneh_____ e) Unzulässige Anordnung ____ 36 mung ____ 1 _____ 2. Feststellung des Vorliegens von Prozess7. Rechtsmittel ____ 38 voraussetzungen ____ 5 8. Absehen von der Anordnung, Abs. 1 _____ und VerhandlungsSatz 2 ____ 40 _____ 3. Parteianhörung ____ 7 maxime III. Anhörung der Partei _____ 4. Normhistorie ____ 8 1. Fragerecht ____ 44 _____ II. Anordnung des persönlichen Erscheinens, 2. Postulationsfähigkeit ____ 46 _____ Abs. 1 3. Wirkung ____ 48 _____ 1. Sachliche Reichweite der Anordnung 4. Protokollierung ____ 51 ____ _____ nach Abs. 1 Satz 1 9 5. Gebühren ____ 52 _____ 2. Persönliche Reichweite der Anordnung IV. Vertreterentsendung, Abs. 3 Satz 2 _____ nach Abs. 1 Satz 1 ____ 13 1. Funktion ____ 53 _____ 3. Inhalt der Anordnung ____ 18 2. Hinderungsgründe ____ 54 ____ 19 3. Anforderungen an den „Vertreter in _____ 4. Form, Zuständigkeit ____ 24 der Auskunft“ ____ 55 _____ 5. Kosten ____ 25 4. Kostenerstattung ____ 59 _____ 6. Ermessen a) Ermessensschrumpfung ____ 25 V. Ausbleiben der Partei, Abs. 3 _____ b) Verhältnis zur Gewährung recht1. Allgemeines ____ 60 _____ lichen Gehörs ____ 26 2. Unzulässigkeit der Festsetzung eines _____ c) Fallgruppen ____ 29 Ordnungsgeldes ____ 61 _____ aa) Gewährleistung der Waffen3. Ermessensbetätigung ____ 63 _____ gleichheit des Arbeitneha) Zweckausrichtung ____ 63 _____ mers ____ 29 b) Erforderlichkeit der Vergleichs_____ bb) Anhörung beider Ehegatten im ermächtigung ____ 65 Ehescheidungsverfahren ____ 30 c) Parteiverschulden ____ 67 _____ cc) Verkehrssachen ____ 31 d) Sachverhaltsaufklärung als Zweck _____ dd) Streit zwischen Diebstahlversider Anordnung. Entschuldigung des _____ cherung und VersicherungsNichterscheinens ____ 68 _____ nehmer ____ 32 4. Rechtsmittel ____ 70 _____ ee) ZeugnisverweigerungsVI. § 51 ArbGG ____ 71 _____ recht ____ 33 _____ _____ _____ Smid

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 141

____ I. Normzweck ____ ____ 1. Abgrenzung der Anhörung der Partei vom Beweis durch Parteivernehmung. 1 ____Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien nach § 141 stellt einen Fall der ____prozessleitenden Tätigkeiten des Gerichts dar, mittels derer das Verfahren vom Gericht ____sachgerecht organisiert wird. Die Anordnung nach § 141 gehört damit zu den Maßnahmen, ____mittels derer das Gericht das Prozessrechtsverhältnis der Parteien „verwaltet“, um einen ____sinnvollen Ablauf des Verfahrens – einen waffengleichen Prozess – zu ermöglichen. Die ____Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien steht daher neben seinen Aufga____ben der Veranlassung sachdienlichen Sachvortrags und der Stellung sachdienlicher An____träge nach § 139.1 Bei alledem kommt der Vorschrift ein verfahrensbeschleunigendes ____Moment zu.2 Zu bestimmen, welche Funktion die Anordnung über diese Aufgabe der Ver____fahrensbeschleunigung hinaus hat, wirft indessen durchaus Probleme auf. Die Aussage ____der Partei kann nämlich nach den §§ 445 ff. als Beweismittel dienen. Im Allgemeinen wird ____behauptet,3 es stehe außer Frage, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens der ____Partei der Aufklärung des im Prozess streitigen Sachverhaltes diene. Das indes rückt die ____Anordnung nach § 141 ebenso wie die nach den §§ 142 bis 144 (vgl. § 142 Rdn. 1 und 20 f.) in ____die Nähe des Beweises4 – worauf die Probleme beruhen, die bei der Anwendung der Vor____schrift erwachsen. In der Tat fordert die höchstrichterliche Judikatur (zur Rechtsprechung ____unten Fn. 6) diese Art der Auslegung. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der ____Partei in der mündlichen Verhandlung ist jedoch nach zutreffender Ansicht kein Instru____ment der Beweiserhebung, wie sich insbesondere mit Blick auf die besondere Vorausset____zung der Erschöpfung der dem Beweisführer bekannten Beweismittel gemäß § 448 auf der ____einen Seite und den Regelungen der Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 auf der anderen Seite ____zeigt.5 Zutreffend ist insoweit die Interpretation der Vorschrift, derzufolge die Parteianhö____rung nach § 141 auch der Sammlung des Streitstoffes dient, ihr Ergebnis aber nicht Be____weisstoff ist.6 Diese Meinung schließt freilich eine Sachaufklärung zum Zwecke der Ab____schätzung der Aussichten gütlicher Streitschlichtung im Zuge der Betonung des ____Vergleichsgedankens7 ausdrücklich aus. Dies folgt auch aus dem Weiteren: ____ Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien nach § 141 erfolgt 2 ____nicht zum Zwecke der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (unten ____Rdn. 26 f.). Die Parteien haben auf ihren Erlass keinen Anspruch, denn ihnen ist – zwin____gend – im Verlauf des Verfahrens Gehör auch dann zu gewähren, wenn ihr persönliches ____ ____1 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1; in der Sache auch Zöller-Greger Rdn. 1. Zu der ____Reform dieser Vorschrift und deren darauf gründender Auslegung nun Sticken Die „neue“ materielle ____Prozessleitung (§ 139 ZPO) und die Unparteilichkeit des Richters, 2004; Stein Richterliche Prozessleitung ____(2005), 25 ff. 2 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1; ferner OLG Koblenz MDR 1995, 424 f. ____3 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Kahlert NJW 2003, 3390 ff.; Lange NJW 2002, 476 ff.; a.A. Zöller-Greger ____Rdn. 1. ____4 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Brehm Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier ____Verhandlungswürdigung, 1982, S. 241 f.; auch schon Glücklich Parteivernehmung nach deutschem ____Zivilprozessrecht, 1938, S. 198; Lange, Kahlert (beide Fn. 3); Schöpflin NJW 1996, 2134 ff.; a.A. aber Schöpflin NJW 1996, 2134; a.A. Zöller-Greger Rdn. 1. Vgl. die krit. Darstellung von Gehrlein ZZP 110, 451. ____5 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Brehm Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen freier ____Verhandlungswürdigung, 1982, S. 241 f.; auch schon Glücklich Parteivernehmung nach deutschem ____Zivilprozessrecht, 1938, S. 198. ____6 MünchKomm-Peters Rdn. 1; siehe auch BVerfG NJW 1998, 892; OLG Brandenburg MDR 1999, 508 = OLGR 1999, 42–44 = JurBüro 1999, 155 f.: Sachaufklärung als Ziel der Anordnung nach § 141. ____7 Durch Gesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. (fortan kurz ZPO-RG), welches die ____„Verfahrensrechtliche Stärkung des Schlichtungsgedankens“ beabsichtige: Regierungsentwurf ____BT(-Drucks.) 14/4722 S. 60.

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_____Erscheinen nicht angeordnet war. Im Übrigen kann eine Partei die Vernehmung der an_____deren Partei nur unter den Voraussetzungen der §§ 445 ff. herbeiführen. Erkennt man _____dies als richtig an, kann die Anhörung der Partei, deren persönliches Erscheinen ange_____ordnet worden ist, nicht dem Beweis streitigen Vortrages dienen. _____ Positiv ausgedrückt folgt daraus, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens 3 _____der Parteien die Aufgabe hat, dem Gericht die Befragung der Parteien zu ermöglichen, _____um näher festlegen zu können, über welche tatsächlichen Behauptungen die Parteien _____sich streiten. Der hieraus zu erwartende Beschleunigungseffekt beruht darauf, dass der _____anderweitig zwischen dem Rechtsanwalt und der Partei als Mandanten zu veranlassende _____Informationsaufwand obsolet wird.8 Die Anordnung des persönlichen Erscheinens kann _____daher im Allgemeinen nicht als Indiz für eine parteiische Haltung des Richters gewertet _____werden.9 _____ Die Anordnung des persönlichen Erscheinens belastet die betroffene Partei in erheb4 _____lichem Maße. Sie ist allein im Anwaltsprozess geboten, da im Übrigen die Vorschriften _____über das Versäumnisurteil (§§ 330, 331) die Einlassung der Partei in gebotener Weise er_____zwingen. Die Vorteile des Anwaltsprozesses – die Prozessführung zur eigenen Entlas_____tung weitestgehend dem professionell agierenden Advokaten übertragen zu können – _____werden durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei weithin konterka_____riert. Daher ist Auffassungen in der Literatur10 mit Nachdruck zuzustimmen, die einer _____Praxis entgegentreten, in der die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei _____generell als regelmäßig zu erlassende Verfügung erfolgt. Die Anordnung des persönli_____chen Erscheinens der Partei ist vielmehr nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die _____Art des Streitgegenstandes und der bisherige schriftliche oder mündliche Vortrag der _____Partei ihr persönliches Erscheinen zum Zwecke der Klärung ihres Vortrages sinnvoll er_____scheinen lassen. Dabei ist seitens des Gerichts zu berücksichtigen, dass die Partei durch _____die Anordnung in nachhaltiger Weise belastet wird; der Gesetzgeber trägt dem in Abs. 1 _____Satz 2 dadurch Rechnung, dass er es zulässt, in den gesetzlich normierten Fällen der _____Anordnung des persönlichen Erscheinens entgegenzutreten (unten Rdn. 39 ff.). Diese _____Gründe sind freilich nicht abschließend (Rdn. 40 ff.). _____ Da Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht verpflichtet, erhebliche Beweisanträge nach den 4a _____Grundsätzen der ZPO zu berücksichtigen,11 darf das Gericht eine Klage nicht ohne die _____Erhebung des angebotenen Beweises als unbegründet mit dem Hinweis auf die Erklä_____rungen des Beklagten zurückweisen, die dieser bei seiner Anhörung als Partei nach § 141 _____abgegeben hat. Denn wie der BGH zutreffend erkennt, dient die Anhörung der Klärung _____des Sachvortrags, jedoch nicht Beweiszwecken. Ein Beweiswert kommt ihr deshalb nicht _____zu.12 Ein Kläger ist nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) _____oder in seinem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ver_____letzt, wenn eine Parteivernehmung des Klägers oder seine Anhörung nach § 141 zur Wah_____rung seiner Rechte und der Waffengleichheit nicht erforderlich war, weil ein Zeuge vor_____handen war, der nicht ausschließlich im Lager des Beklagten stand, und der Kläger _____selbst genügend Gelegenheit hatte seine Darstellung des Sachverhalts in den Rechts_____streit einzubringen.13 Nach § 286 aber darf bei der Bildung seiner Überzeugung der Rich_____ _____ _____8 OLG Koblenz JurBüro 1979, 442; Bender/Belz/Wax Das Verfahren nach der Vereinfachungsnovelle und _____vor dem Familiengericht (1977) Rdn. 21; Burger MDR 1982, 91, 92; Kollhosser ZZP 91 (1978) 102, 106. _____9 OLGR Köln 2004, 259. 10 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. _____11 BVerfGE 50, 32, 26; 69, 141, 144; NJW 2009, 1585, 1586. _____12 BGH IBR 2011, 555. _____13 BGH 30.9.2004 – III ZR 369/03.

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____ter der Erklärung einer nach § 141 angehörten Partei mehr Glauben schenken als einem ____beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil der ____Beweisbehauptung als erwiesen feststellen.14 ____ § 33 Abs. 1 FamFG trifft eine allgemeine Regelung der Anordnung des persönlichen Er- 4b ____scheinens in den dem Geltungsbereich des FamFG unterliegenden Verfahren.15 § 33 Abs. 1 ____Satz 2 FamFG trägt dem besonderen Charakter dieser Verfahren dadurch Rechnung, dass ____die Vorschrift die Möglichkeit der Anhörung in Abwesenheit anderer Beteiligter vorsieht, ____wenn dies zum Schutz des Anzuhörenden geboten erscheint.16 § 33 Abs. 3 FamFG regelt die ____Verhängung von Ordnungsgeld gegen nicht erschienene ordnungsgemäß geladene Betei____ligte.17 Als leges speziales gehen dem § 33 FamFG vor: Für das Verfahren in Ehesachen ____§ 128 FamFG,18 in Kindschaftssachen § 155 Abs. 3 FamFG;19 bei Kindeswohlgefährdung ____§ 157 Abs. 2 FamFG;20 in Abstammungssachen § 175 FamFG,21 Ehewohnungssachen § 207 ____Satz 2 FamFG22 und Versorgungsausgleichssachen § 220 FamFG.23 ____ ____ 2. Feststellung des Vorliegens von Prozessvoraussetzungen. Nach alledem stellt 5 ____sich die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei zum Zwecke ihrer Anhö____rung nicht als verfahrensrechtliches Mittel dar, das es erlaubt, streitige Behauptungen ____der Partei als festgestellt oder widerlegt behandeln zu können.24 Soll eine solche Tatsa____chenfeststellung erfolgen, ist der Erlass eines Beweisbeschlusses durch das erkennende ____Gericht unerlässlich. Die bloße Verwertung der Äußerung der Partei im Rahmen ihrer ____Anhörung ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Nur die förmliche Beweis____erhebung zieht im Übrigen die Auslösung einer Beweisgebühr nach sich.25 § 141 erlaubt ____es demzufolge dem Gericht nicht, tatsächliche Behauptungen einer Partei ohne weiteres ____aufgrund des Eindrucks, den die persönlich erschienene und außerhalb des strengbe____weislich verfassten Verfahrens angehörte Partei hinterlassen hat, als glaubwürdig und ____damit wahr oder als unwahr zu behandeln.26 Soll die Aussage der Partei zum Zwecke des ____Beweises gewertet werden können, ist deren förmliche Vernehmung unter den strengen ____Voraussetzungen erforderlich, die von den Regelungen der §§ 445 ff. normiert werden. ____Denn nur die im Rahmen des Strengbeweises vorgenommene Parteivernehmung dient ____dem Zwecke des Beweises. Die Anhörung der Partei vermag demgegenüber allein An____haltspunkte dafür zu liefern, wie der förmlich erhobene Beweis zu würdigen ist. ____ Soweit das Gericht aber einen Sachverhalt nicht strengbeweislich zu ermitteln hat, 6 ____sondern sich des sog. Freibeweises zu bedienen befugt ist, kann die Anordnung des per____sönlichen Erscheinens der Partei der Ermittlung des Sachverhalts dienen. Im Zivilprozess ____ist in diesem Zusammenhang besonders die Ermittlung des Vorliegens solcher Prozess____voraussetzungen zu nennen, die ihren Grund in der Person der Partei selbst haben. Be____stehen Zweifel an der Prozessfähigkeit einer natürlichen Person als Partei, kann sich vor ____ ____14 KG MDR 2004, 533. ____15 MünchKomm-Ulrici FamFG § 33 Rdn. 3 ff. ____16 MünchKomm-Ulrici FamFG § 33 Rdn. 10. ____17 MünchKomm-Ulrici FamFG § 33 Rdn. 11 ff. ____18 MünchKomm-Hilbig FamFG § 128 Rdn. 1. 19 MünchKomm-Heilmann FamFG § 128 Rdn. 64 ff. ____20 MünchKomm-Schumann FamFG § 157 Rdn. 7. ____21 MünchKomm-Coester-Waltjen/Hilbig § 175 Rdn. 3. ____22 MünchKomm-Erbarth FamFG § 207 Rdn. 6. ____23 MünchKomm-Stein FamFG § 220 Rdn. 72. 24 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 2. ____25 Str.: wie hier Zöller-Greger Rdn. 22, wenn Anhörung der Sachverhaltsaufklärung dient, anders, wenn ____sie als Beweis gewürdigt und verwertet wird. ____26 So aber AK-Schmidt §§ 141–144 Rdn. 7 f.; krit. hierzu im Folgenden Rdn. 50.

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_____der Anordnung entsprechender ärztlicher Untersuchungen usf. als weitreichendere _____Maßnahme die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei als richtig erwei_____sen. _____ _____ 3. Parteianhörung und Verhandlungsmaxime. Die Anhörung gemäß § 141 ist da7 _____rüber hinaus aber kein Mittel einer eigenen richterlichen Untersuchungsaufgabe; sie _____verdrängt im Hinblick auf die Ermittlung des streitigen Prozessstoffes nicht die Verhand_____lungsmaxime durch eine richterliche Inquisition. Glaubt die Partei, eine Tatsachenbe_____hauptung zwar nicht beweisen zu können, aber für sie Anhaltspunkte zu haben, darf ihr _____die Möglichkeit, diese Behauptung durch die Prozessführung ihres Anwalts zu verfolgen, _____nicht genommen werden. _____ _____ 8 4. Normhistorie. Bis 1900 § 132 CPO; Abs. 2 angefügt 1909 (RGBl. 1909, S. 475); _____Abs. 1 geändert und Abs. 3 angefügt 1924 (RGBl. 1924 I, S. 135); Abs. 2 geändert (VO vom _____17.6.1933, RGBl. 1933 I, S. 394); Abs. 3 Satz 1 geändert 1974 durch EGStGB (BGBl. 1974 I, _____S. 469); Abs. 1 geändert durch Novelle von 1976 (BGBl. 1976 I, S. 3281). _____ _____ II. Anordnung des persönlichen Erscheinens, Abs. 1 _____ _____ 1. Sachliche Reichweite der Anordnung nach Abs. 1 Satz 1. Das persönliche Er9 _____scheinen der Partei kann in erster Linie im streitigen Klageverfahren angeordnet werden, _____in dem eine mündliche Verhandlung obligatorisch ist.27 Darüber hinaus ist die Anord_____nung des persönlichen Erscheinens immer dann möglich, wenn eine fakultative mündli_____che Verhandlung durch das Gericht angeordnet worden ist.28 _____ Im Prozesskostenhilfeverfahren greift nicht § 141, sondern § 118 Abs. 1 Satz 3; ist 10 _____nach dieser Vorschrift das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet, greift die _____Sanktion, die Abs. 3 für die Nichtbefolgung der Anordnung statuiert (unten Rdn. 60 ff.), _____nicht ein.29 _____ In Verfahren nach dem FGG bzw. in Verbundverfahren, die nach dem FGG zu be11 _____handeln sind, kommt § 141 auch nicht entsprechend zum Zuge; vielmehr wird von der Ju_____dikatur sowohl in nichtstreitigen Verfahren wie dem Versorgungsausgleichsverfahren30 _____als auch in echten Streitsachen wie dem Hausratsteilungsverfahren31 die Durchsetzung _____des persönlichen Erscheinens der Beteiligten nach § 33 FGG erörtert. Im Insolvenzverfah_____ren greift § 141 auch nicht über § 4 InsO, sondern es kommen die Sonderregelungen des _____§ 10 InsO und der §§ 97, 98 InsO zur Anwendung.32 _____ Bei der Ladung zu einem Gütetermin greift § 141 ebenfalls nicht ein.33 In einer ge12 _____meinsamen Ladung zum Gütetermin und zur anschließenden streitigen Verhandlung _____kann das persönliche Erscheinen der Partei zur streitigen Verhandlung angeordnet wer_____den.34 _____ _____ _____ _____ 27 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; Lange NJW 2002, 476 ff. _____28 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. _____29 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6; Zöller-Philippi § 118 Rdn. 6. _____30 OLG Stuttgart FamRZ 1986, 705; für das Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge offen lassend _____OLG Zweibrücken FamRZ 1987, 392. 31 OLG Bremen FamRZ 1989, 306. _____32 A.A. Eickmann-Kirchhof § 4 Rdn. 11. _____33 Musielak-Stadler Rdn. 3; Zöller-Greger Rdn. 1. _____34 Musielak-Foerste § 278 Rdn. 5.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 2. Persönliche Reichweite der Anordnung nach Abs. 1 Satz 1. Adressat der Anord____nung nach Abs. 1 ist die Partei.35 Besonderheiten gelten, wenn die Partei durch einen ge____setzlichen Vertreter handelt. In diesen Fällen der Prozessführung durch juristische Perso____nen oder durch Prozessunfähige36 ist der gesetzliche Vertreter Adressat der Anordnung, da ____nur er in personam die der juristischen Person obliegenden prozessualen Pflichten zu er____füllen imstande ist.37 Die Gegenansicht,38 derzufolge die Ladung einer prozessunfähigen ____Partei zulässig sein soll, verkennt, dass die prozessunfähige Partei auch zur wirksamen ____Entsendung eines Vertreters gemäß Abs. 3 Satz 2 (unten Rdn. 55 f.) außerstande wäre. ____ Die Anordnung kann sich an beide Parteien richten, was sinnvoll ist, um beiderseits ____bestehende Unklarheiten im Sachvortrag auszuräumen. Besteht dieses Bedürfnis nur ____gegenüber einer Partei, lässt § 141 auch die Anordnung des persönlichen Erscheinens ____nur dieser Partei zu.39 ____ Von der Regelung des § 141 nicht erfasst wird hingegen der gewillkürte Vertreter der ____Partei.40 Wird nur dieser, nicht jedoch die Partei geladen, so liegt ein Verstoß gegen den ____Anspruch auf rechtliches Gehör vor.41 ____ Gewöhnliche Streitgehilfen sind nicht Adressaten der Anordnung.42 Dies hängt aller____dings nicht damit zusammen, dass eine eigene Sachverhaltsaufklärungspflicht sie nicht ____träfe – da sie jedenfalls prozessuale Befugnisse zur Unterstützung der Partei haben. Ge____wöhnliche Streitgehilfen nehmen aber nicht die Stellung einer Partei ein und tragen da____her auch nicht deren prozessuale Lasten.43 Streitgenössische Streitgehilfen sind dagegen ____Adressaten der Anordnung nach § 141, da sie Parteistellung einnehmen.44 ____ Voraussetzung der an den Beklagten als Partei gerichteten Anordnung ist nicht, ____dass der Beklagte sich einzulassen gewillt ist. Zwar ist nicht von der Einlassungsbereit____schaft des Beklagten auszugehen,45 was etwa im Falle einer unschlüssigen Klage nicht ____der Fall sein oder selbst auf einer rechtlichen Fehlbeurteilung durch das Gericht beruhen ____kann; ausschlaggebend ist vielmehr der prozessökonomische Gesichtspunkt, dass die ____Anordnung das Verfahren zu beschleunigen geeignet ist. Verweigert der Beklagte aber ____die Einlassung, können aus der Anordnung gegen ihn keine Sanktionsfolgen hergeleite____te werden (unten Rdn. 61). Denn § 141 statuiert keinen sanktionsbewehrten Einlassungs____zwang. ____ ____ 3. Inhalt der Anordnung. In der Ladung hat das Gericht das persönliche Erscheinen ____der Partei ausdrücklich anzuordnen. Dabei ist deutlich zu machen, dass die Vertretung ____durch einen Prozessbevollmächtigten nicht genügt, um die aus der Anordnung herrüh____rende Pflicht zu befolgen. In der Ladung sind Zweck und Rechtsgrundlage der Anord____nung des persönlichen Erscheinens zu nennen.46 Die Gegenansicht47 verkennt, dass die ____ ____ 35 Zöller-Greger Rdn. 2. ____36 BGH NJW 1965, 106; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7; gibt es mehrere Vertreter, so bestimmt das Gericht: ____LAG Düsseldorf MDR 1998, 98; der gesetzliche Vertreter muss namentlich bezeichnet sein: OLG Köln OLGR ____1997, 102 f. ____37 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7, str.: anders Vonderau NZA 1990, 336, 337. ____38 Rosenberg-Schwab-Gaul § 44 III 1 b; Zöller-Greger Rdn. 2. 39 Zöller-Greger Rdn. 2. ____40 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____41 VGH Hessen NVwZ-RR 1998, 404 f. ____42 Zöller-Greger Rdn. 2. ____43 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. 44 Zöller-Greger Rdn. 2. ____45 So aber Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____46 OLG Köln NJW 1974, 1003; OLG Karlsruhe Justiz 1987, 185. ____47 OLG München MDR 1978, 147.

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_____an die Nichtbefolgung der Anordnung geknüpfte Sanktion die genaue Bezeichnung der _____Grundlage erforderlich macht, auf der die Anordnung beruht. Daher ist weiter in der La_____dung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Gericht im Fall des Ausbleibens der _____Partei nach § 141 Abs. 3 ein Ordnungsgeld gegen sie verhängen kann. _____ _____ 4. Form, Zuständigkeit. Die Anordnung erfolgt regelmäßig als vorbereitende Maß19 _____nahme gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 3 außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Verfü_____gung des Vorsitzenden oder durch das von ihm bestimmte Mitglied des Gerichts. Ergeht _____die Anordnung aufgrund einer mündlichen Verhandlung erfolgt sie durch Beschluss des _____Gerichts. Gleiches gilt in den Fällen der §§ 251 a, 331 a. _____ Der Prozessbevollmächtigte der geladenen Partei und der Gegner werden von der 20 _____Anordnung nach § 141 durch Verkündung des Beschlusses nach § 218 oder durch Mittei_____lung des nicht verkündeten Beschlusses nach § 274 Abs. 4 Satz 1 unterrichtet.48 Stets ist _____dabei der Zweck der Anordnung persönlichen Erscheinens anzugeben, um sie von einer _____Ladung zum Zweck der Beweiserhebung nach §§ 445 ff. zu unterscheiden, also dem Fall, _____in dem ein Ordnungsmittel nicht vorgesehen ist.49 _____ Die Ladung der Partei nach § 141 deckt sich nicht mit der Ladung der Partei als Pro21 _____zesssubjekt, die den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 214, 218 folgt. Die Ladung nach _____§ 141 erfolgt formlos schriftlich oder mündlich oder durch förmliche Zustellung, immer _____jedoch an die Partei selbst, nicht an den Prozessbevollmächtigten (Abs. 2 Satz 2).50 Auf_____grund der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens ist die Partei daher persönlich zu _____laden, Abs. 2 Satz 1. Die Ladung erfolgt nicht über den – zu benachrichtigenden – Pro_____zessbevollmächtigten, sondern unmittelbar an die Partei. Sie kann durch einfachen Brief _____erfolgen; einer Zustellung bedarf es nicht, Abs. 2 Satz 2. Von der Anordnung des persön_____lichen Erscheinens der Partei ist ihre Ladung als Prozesssubjekt gemäß §§ 214, 215, 217, _____218 ZPO zu unterscheiden.51 Diese ist unabhängig von der Anordnung nach Abs. 1 vorzu_____nehmen und hat gemäß § 172 Abs. 1 ggf. an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. _____ 22 Die Ladung nach Abs. 2 muss den Grund der Anordnung des persönlichen Erschei_____nens angeben. Weiterhin ist gemäß Abs. 3 Satz 3 auf die Sanktionsmöglichkeit des Abs. 3 _____Satz 1 sowie darauf hinzuweisen, dass die Partei einen Vertreter entsenden kann (oben _____Rdn. 18, 20). _____ Abs. 2 gilt ferner gemäß § 273 Abs. 4 entsprechend, wenn das persönliche Erscheinen 23 _____der Parteien vorbereitend angeordnet worden ist. _____ _____ 5. Kosten. Reisekosten und Zeitverlust sind der aufgrund Anordnung nach Abs. 1 24 _____persönlich erschienenen Partei unter entspr. Anwendung des ZSEG von der kostentra_____gungspflichtigen Partei zu erstatten,52 und zwar auch, wenn die Partei nicht mitgeteilt _____hat, von einem auswärtigen Wohnort anzureisen.53 Ergeht die Anordnung des persönli_____chen Erscheinens gegen eine mittellose Partei, können dieser die Kosten hierfür aus der _____ _____ _____ _____ 48 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 18. _____49 OLG Hamburg OLGR 1999, 304, dabei wird überdies auf die Ladung zum Sühneversuch nach § 279 _____a.F. als Fall der fehlenden Ordnungsmittel rekurriert. – Das dürfte mit der Neufassung der gütlichen _____Streitbeendigung in § 278, insbesondere dem Verweis nach § 278 Abs. 3 auf § 141 insgesamt (Ausnahme: _____§ 141 Abs. 1 Satz 1) nicht mehr tragfähig sein. 50 OLGR Köln 2007, 358. Vgl. zum Ordnungsgeld aber a.A. OLG Bremen MDR 2012, 428. _____51 Zöller-Greger Rdn. 10. _____52 Zöller-Philippi § 122 Rdn. 26. _____53 LGR Köln 2004, 341.

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____Staatskasse unter entspr. Anwendung der Regelungen der Prozesskostenhilfe gezahlt ____werden.54 ____ ____ 6. Ermessen ____ ____ a) Ermessensschrumpfung. Die Anordnung der persönlichen Ladung der Partei 25 ____ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts von Amts wegen.55 Nach der Judika____tur schrumpft das Ermessen im Einzelfall gegebenenfalls zum Anhörungsgebot:56 Diese ____Aussage verkennt in ihrer Allgemeinheit indes die oben (Rdn. 1 ff.) dargestellte Funktion ____der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei. Denn die Anhörung der Partei, ____deren persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, dient allein dazu, dass das Ge____richt seine eigenen Aufgaben im Prozess zu erledigen vermag, nicht aber der Ermittlung ____des streitigen Sachverhalts. Die Rede von einem Anhörungsgebot hat daher allenfalls im ____Zusammenhang mit der Feststellung von Prozessvoraussetzungen einen Sinn, nicht aber ____dort, wo es darum geht, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt zwischen den ____Parteien im Streit steht. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei zur ____Aufklärung des Sachverhalts gemäß Abs. 1 Satz 2 ist daher aufzuheben, wenn im Termin ____zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits keine Fragen zum Sachverhalt offen ge____blieben sind und der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird.57 ____ ____ b) Verhältnis zur Gewährung rechtlichen Gehörs ____ ____ aa) Eine Parteianhörung i.S.d. § 141 steht nach einer in der Judikatur verbreiteten 26 ____Rezeption der Rechtsprechung des EGMR – namentlich der Entscheidung des EGMR vom ____27.10.199358 – bei entsprechender Würdigung des Wahrheitsgehalts der Bekundung dem ____Beweismittel der Parteivernehmung gleich.59 Dies ist aber zweifelhaft. Im deutschen ____Recht dient die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei nicht der Gewäh____rung des verfassungsrechtlich garantierten rechtlichen Gehörs der Partei.60 Denn unab____hängig von der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens durch das Gericht nach ____Abs. 1 hat jede Partei das Recht, in personam vor Gericht zu erscheinen und sich dort zur ____Sache zu äußern (§ 137 Abs. 4). Art. 103 Abs. 1 GG kann danach zur Auslegung des § 141 ____nicht herangezogen werden (oben Rdn. 2).61 ____ ____ bb) Demgegenüber wird in der Judikatur die Ansicht vertreten, die Anordnung nach 27 ____Abs. 1 sei insbesondere in der Berufungsinstanz geboten, wenn ihr Unterlassen sich als ____Versagung rechtlichen Gehörs darstelle: Will das Berufungsgericht von der Beweiswür____digung im angefochtenen Urteil abweichen, so sei es verfassungsrechtlich geboten, auch ____die als einziges „Beweismittel“ auf der einen Seite stehende Partei, die in der Vorinstanz ____angehört worden war, zu hören und deren Vorbringen in der neuerlichen Sammlung des ____Tatsachen- bzw. Beweisstoffs zu würdigen. Beschränke das Berufungsgericht hingegen ____ ____ ____54 Zöller-Philippi § 122 Rdn. 27. 55 OLGR Köln 2004, 259; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. ____56 OLG Zweibrücken NJW 1998, 167 f. = MDR 1998, 436 f. = OLGR 1998, 155 ff.: Unterlassen der ____Anordnung ohne hinreichende Begründung ist schwerwiegender Verfahrensfehler, der Zurückverweisung ____rechtfertigt. ____57 BGH NJW-RR 2007, 1364. 58 EMGR 37/1992/382/460 (Dombo Beheer BV/Niederlande) = NJW 1995, 1413–1415. ____59 BGH vgl. auch Sch/HolstOLG, OLGR Schleswig 2005, 52 ff. ____60 BVerfG NJW 2001, 2531; BGH NJW 2003, 3636; LAG Sachsen NZA-RR 2000, 497. ____61 So zutreffend Stein/Jonas-Leipold Rdn. 11.

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_____die Beweisaufnahme auf eine erneute Vernehmung des Zeugen der anderen Partei (hier: _____Beklagte), so stelle diese Verfahrensweise eine mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör _____und der Gewährleistung der prozessualen Waffengleichheit nicht im Einklang stehende _____Begünstigung eines Verfahrensbeteiligten dar.62 Diese Entscheidung wird dabei nicht _____durch das neue Rechtsmittelrecht im Zuge des ZPO-RG berührt: Auch soweit die Beru_____fung nunmehr vornehmlich der Fehlerkontrolle und -beseitigung63 denn erneuter Tatsa_____chensammlung dient, müsste, unterstellt man die Richtigkeit dieser Ansicht, nach § 529 _____Abs. 1 Nr. 1 im Grundsatz der erstinstanzliche Tatsachenstoff (mithin auch das Ergebnis _____erstinstanzlicher Parteianhörung), der Berufungsentscheidung zugrunde gelegt werden, _____soweit dieser Gegenstand einer verfahrensfehlerfreien Ermittlung gewesen ist. _____ Wegen der Ermessenskompetenz des Gerichts hat ein Antrag der Partei auf Erlass 28 _____einer Anordnung nach § 141 demnach keinen Sinn, da die Partei nach § 278 Abs. 1 und _____§ 137 Abs. 4 jederzeit Stellung nehmen kann;64 ein Antrag auf Anordnung des persönli_____chen Erscheinens des Gegners scheidet aus (arg. §§ 445, 448). Unbenommen bleibt es, _____den Antrag als Anregung aufzufassen. _____ _____ c) Fallgruppen _____ _____ aa) Gewährleistung der Waffengleichheit des Arbeitnehmers. In der Judikatur 29 _____sind diese Grenzen indes verwischt worden. So ist etwa im Zusammenhang mit arbeits_____gerichtlichen Fällen davon die Rede gewesen, das Gericht habe zwingend das persönli_____che Erscheinen einer oder beider Parteien anzuordnen, um der vielfach dadurch entste_____henden Beweisnot des betroffenen Arbeitnehmers entgegenzuwirken, dass dieser allein _____und ohne Zeugen Verhaltensweisen ausgesetzt ist, die als „Mobbing“ einzustufen sei_____en:65 Der betroffenen Partei sei durch eine den Grundsätzen eines fairen und auf Waffen_____gleichheit achtenden Verfahrens entsprechende Anwendung der §§ 286, 448, 141 Abs. 1 _____Satz 1 dergestalt zu helfen, dass die im Zweifel erforderliche Anhörung einer Partei bei _____der gerichtlichen Überzeugungsbildung berücksichtigt werden müsse.66 In diesem Zu_____sammenhang wird die förmliche strengbeweisliche Ermittlung des Sachverhalts in den _____Hintergrund gerückt: Es wird behauptet, das Gericht sei dabei nicht gehindert, der Aus_____sage bei der Anhörung nach § 141 einen stärkeren Beweiswert beizumessen als einer Par_____teivernehmung nach § 448.67 Voraussetzung sei aber jeweils, dass die Partei dem Gericht _____glaubwürdig erscheint.68 _____ _____ _____ _____ _____62 BVerfG NJW 2001, 2531, 2532 (Durch das Rechtsmittelgericht unterbliebene Parteieinvernahme zum umstrittenen Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs); Reinkenhof JuS 2002, 645 ff. _____63 BT(-Drucks.) 14/4722 S. 61, 64, 100. _____64 MünchKomm-Peters Rdn. 8. _____65 LAG Thüringen DB 2001, 1204, 1206 = BB 2001, 1358, 1362; DB 2001, 1783, 1785 = NZA-RR 2001, 577, _____586. _____66 LAG Thüringen DB 2001, 1204, 1206 = BB 2001, 1358, 1362; DB 2001, 1783, 1785 = NZA-RR 2001, 577, 586 zur Zulässigkeit der Beiziehung von Tagebuchaufzeichnungen bei Vernehmung des Mobbingopfers, _____wobei aber bei der Glaubwürdigkeitsprüfung ein strenger Maßstab obwalten muss; allgemeiner BGH NJW _____1999, 363, 365 = MDR 1999, 699 = VersR 1999, 994, 996 = GRUR 1999, 367, 369 zur Anwendung des § 141 zur _____Herstellung prozessualer Waffengleichheit. _____67 OLG Koblenz NJW-RR 2002, 630 f.; ähnlich LAG Sachsen MDR 2000, 724 = NZA-RR 2000, 497–499 (bei beweisbedürftigem Inhalt von „Vier-Augen-Gesprächen“ steht eine Parteianhörung – bei entsprechender _____Würdigung des Wahrheitsgehalts der Bekundung – dem Beweismittel der Parteivernehmung gleich). _____68 BGH NJW-RR 1997, 663 = MDR 1997, 546 = VersR 1997, 691 = DAR 1997, 248 f.; OLGR Schleswig 1999, _____148.

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____ bb) Anhörung beider Ehegatten im Ehescheidungsverfahren. Die aus § 613 30 ____Abs. 1 folgende Verpflichtung des Gerichts zur Anhörung der Ehegatten in Eheschei____dungsverfahren berechtigt das Gericht, das gemeinsame persönliche Erscheinen der ____Eheleute anzuordnen. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus § 613, wohl aber aus dem ____Zusammenhang dieser Vorschrift mit der allgemeinen Regelung des § 141.69 ____ ____ cc) Verkehrssachen. Typischerweise tritt auch in Verkehrssachen das Bedürfnis 31 ____nach einer Handhabung der Anhörung entsprechend denen eines Beweisantritts auf: So ____wurde unter Bezugnahme auf die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffen____gleichheit entschieden, dass persönliche Angaben im Rahmen der Beweiswürdigung ____entsprechend zu berücksichtigen seien, wenn dieser Partei Zeugen nicht zur Verfügung ____stehen und die Gegenseite lediglich den oder die eigenen Fahrer oder Beifahrer als Zeu____gen benennt.70 ____ ____ dd) Streit zwischen Diebstahlversicherung und Versicherungsnehmer. In Fäl- 32 ____len, in denen zwischen der Diebstahlsversicherung und dem Versicherungsnehmer über ____das Vorliegen der Voraussetzungen der Einstehenspflicht des Versicherers gestritten ____wird, ist in vielen Entscheidungen die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Ver____sicherungsnehmers als Partei als Mittel behandelt worden, den Sachverhalt aufzuklären; ____§ 141 wird dabei als Mittel des Beweises der entscheidungserheblichen Tatsachen ange____sehen. Diese Entscheidungen argumentieren folgendermaßen. Kann der Versicherungs____nehmer für das äußere Bild des Diebstahls keinen Zeugenbeweis antreten, kann er die ____Mindesttatsachen hierfür im Einzelfall auch im Rahmen seiner Anhörung nach § 141 be____weisen.71 Die Judikatur stellt auch insoweit auf die Dignität des Versicherungsnehmers ____ab: Danach können, wenn dem Versicherungsnehmer weitere Beweismittel für einen ____behaupteten Fahrzeugdiebstahl nicht zur Verfügung stehen, im Rahmen der nach § 286 ____gebotenen freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses die Darlegungen des Versi____cherungsnehmers und insbesondere auch seine Angaben bei einer Anhörung nach § 141 ____zur Feststellung der erforderlichen Mindesttatsachen ausreichen. Voraussetzung hierfür ____ist aber die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers.72 Voraussetzung für die Anhö____rung des Versicherungsnehmers gemäß § 141 ist daher, dass er dem Gericht als „unein____geschränkt glaubwürdig“ erscheint.73 Der Versicherungsnehmer kann dagegen den er____leichterten Nachweis des äußeren Bildes des Kfz-Diebstahls nicht führen, wenn seine ____Angaben und die des maßgeblichen Zeugen zum Abstellort des Fahrzeugs „Ungereimt____heiten und Widersprüche“ aufweisen, etwa wenn widersprüchliche Angaben zur Art der ____Überlassung des Fahrzeugs an einen Zeugen gemacht werden74 Das OLG Saarbrücken75 ____meint, dass es gegen das „fair-trial-Prinzip“ verstößt und dass ein Ermessensfehlge____brauch vorliegt, wenn das Gericht nur einen Unfallbeteiligten nach § 141 anhört und sei____ ____ ____69 OLG Brandenburg FamRZ 2000, 897. ____70 LG Berlin MDR 2000, 882 f.; anders aber bei einem Wildschadenfall, wo der Versicherungsnehmer in ____der Regel nicht von vornherein und unabwendbar in Beweisnot ist, so dass ihn sowohl in Berührungsfällen als auch in Rettungskostenfällen die volle Beweislast trifft: AG Dortmund Schaden____Praxis 2001, 209 f. ____71 OLG Koblenz OLGR 2000, 455; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2000, 1344; Hanseat OLG Hamburg RuS ____2005, 91; OLG Köln Schaden-Praxis 2004, 241; OLGR Rostock 2004, 161; Diehl ZfSch 2000, 187 ff.; Mittendorf ____VersR 2000, 297 ff.; Terbille VersR 1996, 408 ff. 72 OLG Karlsruhe OLGR 2000, 209. ____73 OLG Hamburg VersR 2000, 1272. ____74 OLG Köln RuS 1999, 232. ____75 OLG Saarbrücken NJW-RR 2011, 754.

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_____ne Überzeugungsstellung alleine auf dessen Angaben stützt, wenn für einen Verkehrs_____unfall kein Zeuge zur Verfügung steht und der Hergang wegen unzureichender Anknüp_____fungstatsachen nicht durch eine technische Unfallanalyse zu klären ist. _____ _____ ee) Zeugnisverweigerungsrecht. Es wird dabei sogar behauptet, dass, soweit auf 33 _____Seiten des Gegners Zeugen ins Feld geführt werden, die sich auf ein Zeugnisverweige_____rungsrecht nach §§ 383 f. berufen dürfen (es aus nahe liegenden Gründen aber nicht tun), _____eine damit eintretende „Schieflage“ mittels der Aufwertung der Parteianhörung nach _____Abs. 1 kompensiert werden müsse, um den Grundsätzen des fairen und waffensymmetri_____schen Verfahrens zu genügen.76 _____ _____ ff) In der Judikatur wird diese extrem weite Ausdehnung des Anwendungsbereichs 34 _____des § 141 allerdings eingeschränkt. Sind zwar Zeugen vorhanden, reichen deren Aussa_____gen aber zum Beweis nicht aus, kommt es nicht in Betracht, die Beweisnot beispielswei_____se des Versicherungsnehmers auf dem Wege des § 141 zu überspielen.77 Im Deckungspro_____zess gegen eine Kfz-Kaskoversicherung nach einem behaupteten Fahrzeugdiebstahl _____kommt eine Parteianhörung bzw. Parteivernehmung zum äußeren Bild des Diebstahls _____weiterhin dann nicht in Betracht, wenn dafür vorhandene Zeugen nicht benannt wur_____den.78 § 278 Abs. 3 rechtfertigt die Anordnung des persönlichen Erscheinens für den Vor_____standsvorsitzenden einer größeren Versicherungsgesellschaft auch dann, wenn dieser _____mit den Angelegenheiten des Prozesses normalerweise nicht selbst befasst ist; denn wie _____das OLG Karlsruhe79 ausgeführt hat, ist es zu erwarten, dass die innere Organisation der _____Versicherungsgesellschaft jederzeit die Entsendung eines geeigneten Vertreters i.S.v. _____§ 141 Abs. 3 Satz 2 ermöglicht.80 _____ _____ d) Kritik. Die im vorangegangenen dargestellten Fallgruppen machen deutlich, dass 35 _____die Judikatur Fälle betrifft, in denen das Gericht die aufgrund der materiellrechtlichen _____Beweislastverteilung angenommene „Unterlegenheit“ einer Partei – geradezu typischer_____weise: des Arbeitnehmers oder des Versicherungsnehmers – durch eine Aufweichung _____der Strukturen des Beweisrechts des Parteiprozesses zu beheben versucht hat. Es lässt _____sich allerdings nicht übersehen, dass es zu den vornehmlichen Aufgaben der richterli_____chen Prozessleitung gehört, die Waffengleichheit der Parteien herzustellen. Der Sache _____nach geht es aber, wie die Fälle der Mobbingprozesse und der Klagen von Versiche_____rungsnehmern gegen Diebstahlsversicherer deutlich machen, um ohne eine durch die _____Auslegung des materiellen Rechts mögliche „Korrektur“ der den Arbeitnehmer oder den _____Versicherungsnehmer treffenden Beweislast ein als „sachgerecht“ vermutetes Urteil zu _____erreichen. Der Rückgriff auf § 141 ist in diesem Zusammenhang aus den bereits aus_____geführten Überlegungen heraus rechtsdogmatisch verfehlt. Gleichwohl erscheint das _____Anliegen der Gerichte, in den zitierten Fällen der unterlegen erscheinenden Partei den _____Beweis zu erleichtern, nachvollziehbar. Aus diesen Bemühungen darf indes nicht verall_____gemeinernd auf die Funktion des § 141 geschlossen werden. _____ _____ 36 e) Unzulässige Anordnung. Umgekehrt wird das Unterlassen der Anordnung nach _____§ 141 als geboten angesehen, wenn die Anhörung der Partei die in der Judikatur geschil_____ _____ _____76 Zöller-Greger Rdn. 3. 77 OLG Hamburg NJW-RR 2000, 106 f. = NVersZ 1999, 576 f. = OLGR 1999, 243. _____78 KG Berlin KGR 2000, 3; OLG Hamburg OLGR 1999, 243. _____79 OLG Karlsruhe VersR 2005, 1103. _____80 A.A. OLG Düsseldorf VersR 2005, 854; LG Berlin RuS 2003, 440.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____derten Aufgaben einer freibeweislichen Sachverhaltsklärung nicht zu erreichen vermag: ____Dies ist etwa dann der Fall, wenn schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des ____Klägers im Prozess gegen den Versicherer bestehen, weil er wegen Raubes vorbestraft ____ist und überdies wechselnde Angaben zu wesentlichen Umständen des behaupteten Kfz____Diebstahls gemacht hat.81 Auch sei es dem Geschädigten zumutbar (und damit eine ____Anordnung nach § 141 unzulässig), die Umzugshelfer selbst dann als Zeugen für das Vor____handensein von Stehlgut vor dem Versicherungsfall zu benennen, wenn er sie der Betei____ligung an dem Einbruch verdächtigt; eine Parteianhörung ist mangels Beweisnotstandes ____unzulässig.82 ____ In der Tat kennzeichnet diese Fälle, dass das Gericht jedenfalls nicht an den allge____meinen Beweisregeln vorbei auf die Aussage der Partei zurückzugreifen berechtigt ist, ____um den Sachverhalt festzustellen. ____ ____ 7. Rechtsmittel. Die Anordnung ist nicht beschwerdefähig. Dies gilt auch für den ____Fall, dass die Anordnung von einer Partei gewünscht („beantragt“) wird und unterbleibt ____(arg. Funktion, Rdn. 1).83 Dessen ungeachtet besteht die Möglichkeit einer mittelbaren ____Überprüfung der Anordnung bei einer Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ord____nungsgeldes (siehe dazu unten Rdn. 13 ff.) oder im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ____das Endurteil.84 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob gegen die ermessensfehlerhafte ____Unterlassung der Anhörung ein Rechtsmittel möglich ist. Richtigerweise wird man das ____im Einzelfall dann annehmen können, wenn die persönliche Anhörung des Gegners für ____die vollständige Beweiswürdigung unerlässlich erscheint,85 weil dann, aber auch nur ____dann, ein Beruhen (siehe dazu § 513 Rdn. 10) der erforderlichen Beschwer (siehe dazu vor ____§ 511 Rdn. 23 ff.) auf der fehlenden Anordnung als hinreichende Bedingung denkbar er____scheint. ____ (Rn. 39 unbesetzt) ____ ____ 8. Absehen von der Anordnung, Abs. 1 Satz 2 ____ ____ a) Bei der Anordnung ist das Übermaßverbot zu beachten. Dabei sind verschiedene ____Fallgruppen zu unterscheiden, die Abs. 1 Satz 2 generalklauselartig umreißt. ____ ____ b) Hält sich die Partei im Ausland auf, ist die Anordnung regelmäßig unverhält____nismäßig. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass, sofern das Gericht die Anordnung ____gleichwohl zu erlassen sich genötigt sieht, die Ladung in der im Recht des Empfangs____staates vorgesehenen Form zu erfolgen hat, um im Falle der Nichtbefolgung die Sanktion ____gemäß Abs. 3 auslösen zu können. ____ ____ c) Auch unzulässig ist die Anordnung, wenn etwa der Termin relativ kurzfristig an____beraumt wird, die Partei aber erfolglos um Verlegung bittet, weil sie sich als selbststän____ ____ ____81 OLG Köln RuS 2001, 496 f. = NVersZ 2002, 3 f. = VersR 2002, 478 f.; ähnlich LG Köln Schaden-Praxis 2001, 275 f. (Vorstrafe wegen Betruges); OLG Karlsruhe OLGR 2002, 139 f. zur Zurückweisung eines Antrags ____auf Anhörung im PKH-Verfahren; siehe ferner OLG Hamm RuS 2001, 273 f.; OLG Karlsruhe VersR 2000, 487 ____(grundsätzliche Annahme von Redlichkeit, die aber verneint werden muss, soweit Umstände vorliegen, die ____daran Zweifel aufkommen lassen – diese müssen nicht zwingend im Zusammenhang mit Schadensfall ____stehen). 82 OLG Düsseldorf RuS 1999, 514 f. ____83 I.Erg. auch LAG Baden-Württemberg DB 1970, 840; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 15. ____84 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 15. ____85 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 15.

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_____diger Unternehmer auf einer Großbaustelle mehrere 100 km entfernt befindet und der _____Streitwert unter 10.000 DM liegt.86 Dies lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass die _____Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei, sich dann als Verstoß gegen das _____Übermaßverbot darstellt, wenn ihr aufgrund ihrer räumlichen Entfernung vom Gerichts_____ort oder aufgrund anderer wichtiger Umstände, namentlich ihres Gesundheitszustandes, _____das Erscheinen nicht zumutbar ist. _____ _____ d) Das persönliche Erscheinen einer Partei, die sich nicht zur Sache eingelassen 43 _____hat, darf nicht angeordnet werden. Ist die Partei vor der Einlassung zur Sache geladen _____worden und hat sie sich danach zur Sache eingelassen, ist die Ladung wirksam, auch _____wenn sie nicht wiederholt wird.87 _____ _____ III. Anhörung der Partei _____ _____ 1. Fragerecht. Der Vorsitzende nimmt die Befragung der Partei vor. Die Anhörung 44 _____der Partei kann einem beauftragten oder ersuchten Richter nicht übertragen werden,88 _____denn sie findet als Teil der mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht statt. Re_____gelmäßig ist sie vom Vorsitzenden durchzuführen; trotz des Wegfalls des § 139 Abs. 3 a.F. _____im Zuge des ZPO-RG vom 27.7.200189 wird man die bislang vertretene Auffassung, auch _____den Beisitzern sei ein Fragerecht einzuräumen, aufrechterhalten können.90 Allerdings _____dürfte sich die Relevanz dieser Frage ohnehin in dem Maße relativieren, wie nach §§ 348, _____348 a n.F. das Verfahren vor dem Einzelrichter an Bedeutung gewinnt. Da die Anhörung _____nach § 141 keine Beweisaufnahme darstellt, ist § 367 Abs. 1 nicht anwendbar, der vor_____sieht, dass im Falle des Ausbleibens einer oder beider Parteien die Beweisaufnahme _____gleichwohl zu bewirken ist: Sachaufklärung durch (siehe Rdn. 1), aber ohne die Partei ist _____nicht denkbar. _____ Die im Rahmen ihrer Anhörung abgegebene Erklärung einer Partei stellt sich danach 45 _____allein als Behauptung dar. Diese muss insofern nach § 138 wahr sein, als der Partei Täu_____schungshandlungen verboten sind (§ 263 StGB, prozessuale Wahrheitspflicht). 91 Der _____Gleichlauf mit der prozessualen Wahrheitspflicht bedingt, dass die Partei im Rahmen _____ihrer Anhörung auch bloße Vermutungen über Tatsachen anstellen darf (vgl. § 138 _____Rdn. 56). Das Gericht darf daher zwar die Einhaltung der Wahrheitspflicht anmahnen, _____aber die Partei nicht dazu drängen, ihre Aussage allein auf gesichertes Tatsachenwissen _____zu begrenzen. _____ _____ 2. Postulationsfähigkeit. Soweit die persönlich erschienene Partei postulationsfä46 _____hig ist, kann sie uneingeschränkt angehört werden. Im Anwaltsprozess setzt die Anhö_____rung dagegen voraus, dass die Partei ordnungsgemäß vertreten, also von ihrem Anwalt _____als Prozessbevollmächtigten begleitet wird.92 Ist dies nicht der Fall, bleibt schon deshalb _____ _____ _____86 LG Mönchengladbach NJW-RR 1997, 764 f. _____87 OLG Naumburg MDR 1999, 1020. 88 Str., wie hier: RG SeuffArch 64 (1909), 242; OLG Braunschweig SeuffArch 55 (1900), 461; Stein/Jonas_____Leipold Rdn. 14; Zöller-Greger Rdn. 6; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 2; offen gelassen von OLG Karlsruhe _____MDR 1958, 109; a.A. OLG Köln MDR 1986, 152; LAG Frankfurt ArbuR 1963, 186 für den Fall, dass die Partei _____beim ersuchten Richter einem Zeugen gegenübergestellt werden soll; Baumbach/Lauterbach-Hartmann _____(60. Aufl.) Rdn. 50. 89 BGBl. I 2001, 1887 ff. _____90 MünchKomm-Peters Rdn. 17. _____91 MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____92 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8.

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____kein Raum für eine Anhörung, da in diesem Fall die Partei mit der Folge säumig geblie____ben ist, dass ein Versäumnisurteil gegen sie ergehen kann. ____ Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Erklärungen der Partei im Rahmen der 47 ____Anhörung unmittelbar gelten oder ob die Berücksichtigungsfähigkeit davon abhängt, ____dass der Anwalt sich das Vorbringen zu eigen macht. Der Ausgangspunkt der Lösung ____muss im Sinn und Zweck des Anwaltszwangs gesucht werden. Der Anwaltsprozess dient ____in der Sache der Filterung und Aufbereitung des Prozessstoffs sowie der effizienten und ____sachlichen Durchführung der Verhandlung.93 Hingegen ist nicht Zweck des Anwalts____zwangs, die Partei vor negativen Folgen aus der Diskrepanz ihrer Äußerungen mit dem ____(schriftsätzlichen) Vorbringen des Prozessvertreters zu schützen: Das ergibt sich schon ____aus § 137 Abs. 4, auch aus § 85 Abs. 1 Satz 2, welche eigene Erklärungen der Partei für per ____se berücksichtigungsfähig erklären.94 Für § 141 lässt sich dann schwerlich der Stand____punkt vertreten, der Anwalt müsse sich die entsprechenden Äußerungen erst zu eigen ____gemacht haben.95 ____ ____ 3. Wirkung ____ ____ a) Grundsatz. Die Partei trifft keine Erklärungspflicht,96 denn das deutsche Zivil- 48 ____prozessrecht statuiert keine Einlassungspflicht, auf der eine Pflicht zur Abgabe von Er____klärungen gegründet werden könnte. Soweit die Partei schweigt, können dann Behaup____tungen unsubstantiiert oder Beweisangebote unbeachtlich bleiben.97 Das Schweigen der ____Partei kann ebenso wie ihre Erklärungen im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 286 ____berücksichtigt werden.98 ____ ____ b) Parteierklärungen, die im Rahmen einer Anhörung (auch nach § 137 Abs. 4) erfol- 49 ____gen, kommt keine Geständniswirkung (§ 288) zu.99 Davon zu unterscheiden ist jedoch ein ____mögliches Unstreitigwerden von Tatsachen nach § 138 Abs. 3.100 Erklärt sich etwa eine ____persönlich erschienene Partei jedoch zu den Fragen des Gerichtes nach tatsächlichen ____Umständen – trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit – nicht substantiiert, wirkt sich ihr ____Schweigen nach § 138 Abs. 3 zu ihrem Nachteil mit der Folge aus, dass das Gericht das ____Vorbringen der Gegenseite als richtig unterstellt.101 Durch die Anordnung wird aber eine ____öffentlichrechtliche Pflicht der Partei, in der mündlichen Verhandlung zu erscheinen, ____begründet. Die Partei kann jedoch nach richtiger Ansicht nicht zur Aussage gezwungen ____werden.102 Sagt sie aus, ist das der freien Würdigung nach § 286 zugänglich. So typi____scherweise etwa, wenn der Versicherungsnehmer für den zu fordernden Nachweis des ____äußeren Bildes der Entwendung seines Fahrzeugs keines der üblichen Beweismittel (v.a. ____Zeugen) aufbringen kann und vernommen wird103 (siehe dazu oben Rdn. 4). ____ ____ ____ ____ ____93 Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivilprozeß, 1984, S. 16 ff.; Zuck JZ 1993, 506. ____94 RG JW 1915, 1437; BGH LM § 141 ZPO Nr. 2; BGH NJW 1953, 621. 95 Schon RGZ 10, 423 (424 f.); auch MünchKomm-Peters Rdn. 6. ____96 OLG Hamburg MDR 1997, 596; OLG Naumburg MDR 1999, 1020. ____97 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 24. ____98 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 29. ____99 OLG Hamm NJW-RR 1997, 999 = WM 1996, 669, 672. 100 OLG Hamm MDR 1996, 962, 963 = NJW-RR 1997, 156, 158 = VersR 1997, 853, 855. ____101 OLG Hamm FamRZ 1997, 431, 433. ____102 MünchKomm-Peters Rdn. 19; Zöller-Greger Rdn. 1. ____103 OLG Köln RuS 2001, 405 f. = Schaden-Praxis 2001, 386.

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_____ 50 c) Da die Erklärung nicht Aussage im Rahmen einer Beweisaufnahme ist, darf das _____Gericht bei der Verhandlungswürdigung nicht nach der Glaubwürdigkeit der Partei fra_____gen. Vielmehr beschränkt sich die Verhandlungswürdigung darauf, dass das Gericht _____Wechsel im Parteivorbringen oder ausweichende Antworten usf. würdigen darf, also _____äußere Vorgänge, aus denen auf die Plausibilität des Vorbringens geschlossen werden _____kann.104 _____ _____ 4. Protokollierung. Ist eine Parteivernehmung erfolgt, sieht § 160 Abs. 3 Nr. 4 die 51 _____Protokollierung vor. Diese setzt aber einen förmlichen Beweisbeschluss voraus. Die An_____hörung der Partei gemäß Abs. 1 genügt dem nicht. Eine Protokollierung der Erklärungen _____der Partei von Amts wegen ist nicht vorgeschrieben.105 Die im Rahmen der Anhörung _____nach § 141 abgegebenen Erklärungen bedürfen nicht zwingend der Protokollierung, da _____es sich nicht um eine Beweisaufnahme handelt und § 160 Abs. 3 Nr. 4 nicht zur Anwen_____dung gelangt.106 Die Erklärungen der Partei sind aber gemäß § 160 Abs. 2 als „wesentli_____che Vorgänge“ zu protokollieren, soweit es sich um wichtige Klarstellungen handelt. Sie _____hat aber zu erfolgen, wenn sie gemäß § 160 Abs. 4 von den Parteien verlangt worden _____ist.107 Dies kann gerade bei einer Diskrepanz zwischen Gericht und Partei über die Frage _____der Wichtigkeit des Ergebnisses sinnvoll werden. _____ _____ 5. Gebühren. Durch den Wegfall der Beweisgebühr sind die nachfolgenden Erwä52 _____gungen nurmehr aus Strukturgründen untermauert: Werden die Parteien zu einer streiti_____gen Tatsache angehört und verwertet das Gericht nach der in der Judikatur vertretenen _____Auslegung des Abs. 1 deren Erklärungen als Beweis, fiel nach früherem Recht nach einer _____hierzu in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht eine anwaltliche Beweisgebühr nach _____§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO an.108 Demgegenüber wurde vertreten, die Beweisgebühr erwach_____se nicht, wenn eine Parteianhörung durchgeführt wird, bei der es lediglich um eine Klä_____rung und Ergänzung offener Punkte im Parteivortrag geht.109 Dagegen wird zutreffend _____die Ansicht110 vertreten, dass damit die Grenzen zwischen Parteianhörung und förmli_____chen Beweis fehlerhaft verschoben werden. Hintergrund der Gegenansicht ist, dass ein _____Festhalten an den Formen der ZPO als „zu formalistisch“ erscheint:111 Besonders im Ehe_____verfahren soll überdies der Anfall einer Beweisgebühr für die persönliche Anhörung der _____Ehegatten nicht durch eine „formlose“ Anhörung nach § 141 umgangen werden kön_____ _____ _____ _____104 MünchKomm-Peters Rdn. 4; Brehm Die Bindung des Richters an den Parteivortrag und Grenzen _____freier Verhandlungswürdigung, 1982, S. 252. _____105 RGZ 169, 63; BGH NJW 1951, 110; 1969, 428. 106 BGH VersR 1962, 281. _____107 Zöller-Greger Rdn. 7. _____108 OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 133; im Anschluss an OLG München OLGR 1996, 85; OLG Düsseldorf _____OLGR 2001, 397 f.; auch OLG Nürnberg NJW-RR 1997, 127 = JurBüro 1997, 28, allerdings unter _____ausdrücklicher Betonung der Besonderheiten im Arzthaftungsprozess bei der Anhörung über die _____Patienteneinwilligung wegen deren sachlich beweisidentischen Bedeutung; a.A. OLG Hamburg OLGR 1996, 320; ähnlich OLG Koblenz Rpfleger 1996, 129 = JurBüro 1996, 358 = AnwBl 1996, 409. _____109 OLG Hamburg MDR 2001, 414 (unter lediglich ausnahmsweiser Bejahung einer Beweisgebühr: _____Parteivernehmung muss wie eine Beweisaufnahme zu werten sein, indem durch die Anhörung der _____Parteien ein gegensätzlicher Parteivortrag zur Überzeugung des Gerichts geklärt worden ist); OLG _____Hamburg OLGR 2000, 412 f. (keine anwaltliche Beweisgebühr bei Anhörung des im Klagerubrum aufgeführten Bevollmächtigten des Beklagten im Termin). _____110 BGH MDR 1967, 834; OLG Hamm JurBüro 1986, 1202; OLG Stuttgart MDR 1981, 945; Riedel-Sußbauer _____Kommentar zur BRAGO, 7. Auflage, § 31 Rdn. 118. _____111 Siehe Fn. 91.

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____nen.112 Auch wenn dies nicht unverständlich ist, begegnet die Aufweichung der zivilpro____zessual vorgeschriebenen Distinktionen doch den bereits angesprochenen nachdrückli____chen Bedenken. ____ ____ IV. Vertreterentsendung, Abs. 3 Satz 2 ____ ____ 1. Funktion. In Fällen der Verhinderung der Partei oder Fällen, in denen die dem ____Rechtsstreit zugrunde liegenden Verhältnisse nicht von der Partei in personam, sondern ____unterrichteten Angestellten, Verwandten oder anderen Dritten wahrgenommen worden ____sind, bedarf es des persönlichen Erscheinens der Partei dann nicht, wenn gemäß Abs. 2 ____Satz 2 an ihrer Stelle ein Dritter als „Vertreter in der Auskunft“ in die Verhandlung ent____sandt wird. Auf das Rechtsverhältnis dieses „Vertreters in der Auskunft“ zur Partei ____kommt es nicht an. ____ ____ 2. Hinderungsgründe. Die Partei kommt ihrer Pflicht aus Abs. 1 daher auch da____durch nach, dass sie einen sachverhaltskundigen Vertreter entsendet, Abs. 3 Satz 2. Das ____Gericht ist dabei keinesfalls befugt, einen offensichtlich zur Sachaufklärung geeigneten ____Vertreter einer geladenen Partei von der Verhandlung auszuschließen, nur weil er von ____der vertretenen Partei auch als Zeuge benannt ist.113 ____ ____ 3. Anforderungen an den „Vertreter in der Auskunft“. Die Sachverhaltskunde ____des Vertreters kann – anders als bei Zeugen – aus eigener Wahrnehmung oder aus Un____terrichtung durch die Partei herrühren.114 Daher kann auch der Prozessbevollmächtigte ____ein sachverhaltskundiger Vertreter der Partei sein.115 Will man die gesetzlich vorgesehe____ne Möglichkeit der Vertreterentsendung nicht aushöhlen, ist davon abzusehen, dass der ____Vertreter so umfassend informiert zu sein hat, dass er sich auf jede neue konkrete Be____hauptung einlassen können muss.116 Mit Fragen zu ihren persönlichen Lebensumständen ____muss die Partei, deren persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, aber nicht rech____nen, wenn das Gericht die Entsendung eines Vertreters nach § 141 III 2 anheim gestellt ____und entsprechende Fragen nicht angekündigt hat.117 ____ Allein zur Abgabe der gebotenen Erklärungen muss der „Vertreter in der Auskunft“ ____ermächtigt sein. Der zur Aufklärung aufgrund seiner Sachverhaltskunde bereite Vertreter ____muss darüber hinaus aber nicht zur Abgabe prozessualer Erklärungen, wie besonders ____dem Abschluss eines Prozessvergleichs, bevollmächtigt sein, da die Anordnung des per____sönlichen Erscheinens nicht zwingend die gütliche Beilegung des Verfahrens befördern ____soll (siehe oben Rdn. 1).118 Der Wortsinn von Abs. 3 Satz 2 steht dem nur scheinbar entge____gen, denn Regelungsgegenstand des Abs. 3 ist allein die Zulässigkeit der Verhängung ____von Ordnungsgeld gegen die Partei. ____ ____ ____112 OLG Stuttgart RPfl. 2001, 202 = Justiz 2001, 85 f.; a.A. OLG Zweibrücken JurBüro 1983, 1520; OLG ____Bamberg JurBüro 1991, 1642. ____113 OLG Schleswig SchlHA 2001, 236 = OLGR 2001, 362. 114 OLG Düsseldorf MDR 1963, 602; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27. ____115 Reinberg ZZP 49 (1925) S. 378; Fleddermann/Tschöpe NZA 2000, 1269 ff.; E. Schneider MDR 1975, 186; ____einschränkend Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27: nur dann, wenn der Prozessvertreter so umfassend informiert ____ist, dass die Partei kein besseres Informationsmittel sei; noch enger OLG Hamm JW 1930, 3864; LAG ____Frankfurt NJW 1965, 1042; LAG Hamm MDR 1972, 362 (363). 116 OLG Schleswig OLGR 2001, 257; OLG Stuttgart MDR 2009, 1301. ____117 OLGR Frankfurt 2007, 511. ____118 Ähnlich Tschöpe/Fleddermann NZA 2000, 1274; MünchKomm-Peters Rdn. 22; a.A. OLG München ____NJW-RR 1992, 827; Zöller-Greger Rdn. 18; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 50.

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_____ 57 Der „Vertreter in der Auskunft“ ist nicht befugt, sich der Aussage unter Hinweis auf _____ihm erteilte Anweisungen zu entziehen. Der Vorsitzende hat dementsprechend darauf _____hinzuwirken, dass der Vertreter sich erklärt; schweigt dieser, treffen die Rechtsfolgen _____daraus aber nicht den Vertreter, sondern die nicht in personam erschienene Partei.119 _____ Kann der Vertreter die geforderten Erklärungen nicht abgeben, kann gegen die nicht 58 _____in personam erschienene Partei ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.120 Dies gilt auch _____für den Fall, dass der Partei in der Ladung nicht mitgeteilt worden ist, welche Fragen das _____Gericht zu stellen gedenkt.121 _____ _____ 59 4. Kostenerstattung. Die durch die Entsendung des Vertreters anfallenden Kosten _____sind von der nach allgemeinen Grundsätzen erstattungspflichtigen Partei unter Zugrun_____delegung der Sätze des ZSEG zu erstatten.122 Im Übrigen ist auf die Ausführungen oben _____Rdn. 24 zu verweisen. _____ _____ V. Ausbleiben der Partei, Abs. 3 _____ _____ 1. Allgemeines. Bleibt die Partei aus, kann nach Abs. 3 Satz 1 gegen sie wie ge60 _____gen einen nicht erschienenen Zeugen ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, dessen _____Höhe nach Art. 6 Abs. 1 EGStGB € 5 bis € 1000 beträgt. Adressat ist immer die Partei, so _____dass etwa aufgrund des nicht erschienenen GmbH-Geschäftsführers ein Ordnungsgeld _____nur gegen die Partei, nicht jedoch gegen den Geschäftsführer festgesetzt werden darf.123 _____Voraussetzung dafür ist nach Abs. 3 Satz 3, dass in der Ladung auf die Möglichkeit _____hingewiesen wird, dass ein Ordnungsgeld verhängt werden kann.124 Ferner bedarf die _____Festsetzung einer (kurzen) – aber nicht formelhaften125 – Begründung, warum es unter _____pflichtgemäßer Abwägung des Für und Wider ein Ordnungsgeld verhängt und eventuell _____auch eine Entschuldigung der Partei für nicht genügend angesehen hat.126 Anzumerken _____ist, dass alternativ Ordnungshaft nicht vorgesehen ist.127 Sie kann folglich auch dann _____nicht angeordnet werden, wenn das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann.128 _____ _____ 2. Unzulässigkeit der Festsetzung eines Ordnungsgeldes. Ein Ordnungsgeld darf 61 _____nie festgesetzt werden, soweit die Partei sich nicht zur Sache eingelassen hat, da es ihr _____freisteht, sich am Verfahren zu beteiligen.129 Die Festsetzung ist nach Verkündung des _____auf die mündliche Verhandlung ergangenen Urteils unzulässig.130 Es scheidet auch bei _____Ladung einer im Ausland ansässigen Partei aus, weil die Zwangsbefugnisse an der deut_____schen Grenze enden.131 Zu beachten ist ferner, dass die Vorschrift des Abs. 3 gemäß § 273 _____ _____ _____119 Zöller-Greger Rdn. 19. 120 OLG Köln VersR 2005, 382. _____121 OLG Frankfurt NJW 1991, 2090. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27 a. _____122 OLG Frankfurt JurBüro 1979, 1519; OLG Koblenz JurBüro 1977, 99 = VersR 1976, 163 (LS). _____123 LAG Hamm MDR 1999, 825; OLG Dresden NZG 2012, 554; KG VersR 2008, 1234. _____124 OLG Düsseldorf Verkehrsrecht aktuell 2004, 148M OLG Köln VersR 2005, 382. _____125 OLG Oldenburg OLGR 1995, 92 f. 126 OLG Brandenburg JurBüro 1999, 155 f. = MDR 1999, 508 = OLGR 1999, 42, 44. _____127 OLG Köln FamRZ 193, 338; OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 450; OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 613. _____128 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 33. _____129 OLG Naumburg MDR 1999, 1020 = OLGR 2000, 36–37; ist die Partei vor der Einlassung zur Sache _____geladen worden und hat sie sich danach aber zur Sache eingelassen, ist die Ladung wirksam, auch wenn sie nicht wiederholt wird: OLG Naumburg a.a.O. _____130 OLGR Hamm 2004, 233. _____131 OLG München NJW-RR 1996, 59, 60; unbenommen bleibt aber eine Würdigung nach § 286 bei _____unentschuldigtem Fernbleiben.

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____Abs. 4 entsprechend gilt, wenn das persönliche Erscheinen der Parteien vorbereitend ____angeordnet worden ist. Da ein Ordnungsgeld nur festgesetzt werden kann, wenn das ____unentschuldigte Ausbleiben einer Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den ____Prozess verzögert, scheidet die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach. 3 Satz 1, § 381 ____aus, falls eine gütliche Beilegung der Auseinandersetzung scheitert und die Erledigung ____des Rechtsstreits eine Beweisaufnahme in einem gesonderten Termin erfordert.132 Da ein ____Ordnungsgeld gegen eine geladene Partei, die zwar nicht erscheint, aber gemäß Abs. 3 ____durch einen informierten Rechtsanwalt vertreten wird, nicht die Bestrafung eines Unge____horsams bezweckt, ist das Festsetzen eines Ordnungsgeldes trotz Abschlusses eines Ver____gleichs in Abwesenheit der Partei jedenfalls dann ermessensfehlerhaft, wenn es erst ____nach Widerruf des geschlossenen Vergleichs gegen die widerrufende Partei erfolgt.133 ____ Die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme setzt das Vorliegen der vollständigen 62 ____richterlichen Unterschrift voraus. Das Fehlen der Unterschrift führt zur Aufhebung des ____Beschlusses im Beschwerdeverfahren134 ebenso wie das Fehlen einer Begründung.135 ____ ____ 3. Ermessensbetätigung ____ ____ a) Zweckausrichtung. Ob Ordnungsgeld verhängt wird und in welcher Höhe liegt 63 ____im Ermessen des Gerichts.136 Dabei ist als ermessenslenkender Umstand zu berücksichti____gen, dass das Ordnungsgeld keine Sanktion gegen eine im Ausbleiben der Partei liegen____de Missachtung des Gerichts darstellt.137 Denn in erster Linie soll vielmehr ein ordnungs____gemäßer und zügiger Ablauf des Verfahrens mit einer weitgehenden Aufklärung des ____Sachverhalts ermöglicht werden.138 Kurz formuliert: Ein Ordnungsgeld ist nicht zu ver____längern, wenn das unentschuldigte Ausbleiben keine Verzögerung der Sachverhaltsauf____lösung bewirkt139 bzw. die Partei nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen kann.140 ____Dem Vorstoß,141 aus der Stärkung der materiellen Prozessleitung im Zuge des ZPO-RG ____könne auf die Möglichkeit geschlossen werden, akzentuiert Ordnungsgelder festsetzen ____zu dürfen, ohne dass es auf den Umstand der Verzögerung noch relevant ankäme, ist ____entgegenzutreten: Die Stärkung der Einflussmöglichkeiten des Gerichts ist kein Selbst____zweck,142 schon gar nicht dient es der Hervorhebung seiner Machtvollkommenheit. Viel____mehr müssen die Erwägungen des Gerichts von normimmanenten Zwecken getragen ____sein. Diese sind allein beschleunigende Sachaufklärung zum Zwecke der (auch gütli____ ____ ____132 BGH NJW-RR 2011, 1363; vgl. auch OLGR Frankfurt 2007, 217; KGR Berlin 2002, 375. ____133 KGR Berlin 2007, 838. ____134 LSG Sachsen Bibliothek BSG E-LSG B-155. ____135 OLGR Koblenz 2004, 384. 136 OLG Schleswig JurBüro 1978, 283; OLG Köln JurBüro 1976, 1112; OLG Koblenz NJOZ 2004, 2862; ____SchlHA 2003, 168. ____137 OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 613; OLG München MDR 1978, 147; OLG Celle Nds.Rpfl 1988, 164; OLG ____Köln FamRZ 1993, 339 (= OLGZ 1993, 362); Stein/Jonas-Leipold Rdn. 35; E. Schneider MDR 1975, 187; AK____Schmidt Rdn. 13; siehe auch schon M. J. Schmid JR 1881, 8; anders noch beispielsweise OLG Düsseldorf MDR ____1963, 602; OLG Schleswig JurBüro 1978, 283 (285); a.A. VGH München Az 4 C 98.2213 (Juris): Sanktionierung einer bewussten Missachtung der gerichtlichen Anordnung. ____138 OLG Brandenburg OLGR 2001, 41, 43; MDR 2001, 411 = NJW-RR 2001, 1649, 1650; auch OLG ____Thüringen Az 6 W 447/99. ____139 OLG Hamm MDR 1997, 1061 = OLGR 1997, 235 f.; LSG Berlin Beschluss v. 8.3.2010, Az.: L 5 AS 1114/ ____09 B. 140 OLG Stuttgart MDR 2004, 1020. ____141 Zöller-Greger Rdn. 12. ____142 Vgl. LAG Brandenburg NZA 2001, 173, 175 = ArbuR 2001, 79 zur Anordnung persönlichen ____Erscheinens nach § 51 Abs. 1 ArbGG.

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_____chen) Streitbeendigung143 (siehe oben Rdn. 1). Jede Disziplinierung, die dies nicht im _____Blick hat, ist ermessensfehlerhaft. Allgemein sollte von der Möglichkeit zur Festsetzung _____eines Ordnungsgeldes gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 ohnehin nur zurückhaltend Gebrauch _____gemacht werden.144 _____ Die bisherige Rechtsprechung, die Anordnung des persönlichen Erscheinens dann 64 _____für unzulässig zu halten, wenn sie zum Zwecke der Vergleichsanbahnung und nicht zur _____Sachaufklärung erfolgt,145 ist trotz der Betonung des Vergleichsgedankens (§ 278) im _____Zuge des ZPO-RG insofern zustimmungswürdig, weil es nach wie vor keinen Zwang zum _____Prozessvergleich gibt. Leitmotiv muss die Sachaufklärung sein, sei es auch zum Zwecke _____der gütlichen Einigung (siehe oben Rdn. 1). _____ _____ b) Erforderlichkeit der Vergleichsermächtigung. Zum Teil wird die These vertre65 _____ten, ein Ordnungsgeld nach § 141 Abs. 3 Satz 1 könne gegen die trotz Anordnung des per_____sönlichen Erscheinens nicht erschienene Partei auch dann verhängt werden, wenn der _____entsandte Vertreter zwar zur Sachaufklärung beitragen kann, aber nicht zum Ver_____gleichsabschluss bevollmächtigt ist.146 Das überzeugt deshalb nicht, weil das Ordnungs_____geld kein Selbstzweck ist, sondern der zügigen Sachaufklärung (siehe oben Rdn. 1) dient. _____Die Gegenauffassung stellt in der Sache die Sanktionierung der Missachtung des Ge_____richts dar, wiewohl dies zum einen gerade kein tauglicher Anknüpfungspunkt einer Ord_____nungsgeldfestsetzung ist (siehe oben Rdn. 63) und zum anderen die Sachverhaltsaufklä_____rung durch den Vertreter gerade gefördert wurde. _____ 66 Auf der Basis dieses Verständnisses kann zwanglos der allgemeine Schluss gezogen _____werden, die Festsetzung eines Ordnungsgeldes immer dann für unzulässig zu halten, _____wenn das Ausbleiben der Partei keine verfahrensverzögenden Wirkungen zeitigt.147 Das _____gilt etwa, wenn der Prozessbevollmächtigte alle Fragen beantworten konnte oder hätte _____beantworten können148 oder wenn gegen die ausbleibende Partei Versäumnisurteil oder _____eine nachteilige Entscheidung ergehen kann.149 _____ _____ c) Parteiverschulden. Die Verhängung der repressiven Sanktion des Ordnungsgel67 _____des setzt ferner voraus, dass die Partei das Ausbleiben verschuldet hat.150 An einer aus_____reichenden Entschuldigung fehlt es etwa, wenn eine Partei zur Entschuldigung ihres _____Fernbleibens von einem Termin, zu dem ihr persönliches Erscheinen angeordnet war, _____ein privatärztliches Attest vorlegt, das ohne nähere Angaben lediglich ihre Verhand_____lungsunfähigkeit bescheinigt.151 Verschuldet hingegen der Anwalt z.B. durch die fehler_____ _____ _____143 LAG Brandenburg a.a.O. (Fn. 52); weiter allerdings KG Berlin JR 1983, 156; OLG München MDR 1978, _____147: keine Beschränkung auf den Verzögerungsaspekt. 144 OLG Köln OLGR 1997, 69. _____145 OLG Köln FamRZ 1995, 100 f. = VersR 1995, 1465. _____146 OLG Nürnberg MDR 2001, 954 = OLGR Nürnberg 2001, 290 f. _____147 So auch Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums: OLG Celle Nds.Rpfl 1988, 164; OLG Köln _____FamRZ 1992, 334; Burger MDR 1982, 91 (93); Stein/Jonas-Leipold Rdn. 35 a. _____148 OLG Köln NJW 1974, 1003; OLG München MDR 1978, 147. 149 Vgl. OLG Köln NJW-RR 2004, 1722; OLG Brandenburg OLGR 2001, 41, 43; OLG Frankfurt/M. NJW-RR _____2000, 1344: schlichte Belastung der Partei mit den ihr aus dem Fernbleiben erwachsenden Nachteilen _____(hier: Beweisfälligkeit); siehe ferner OLG Hamm MDR 1997, 1061 = OLGR 1997, 235 f. _____150 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 34; OLG Düsseldorf OLGZ 1994, 576–579 = OLGR 1994, 183–185: neben _____bewusster Missachtung des Gerichts genügt auch fahrlässiges Nichterscheinen; siehe auch OLG Frankfurt OLGR 1999, 138: Befreiung der Partei bei nachträglicher Entschuldigung von der Ordnungsmaßnahme _____auch dann, wenn die Möglichkeit rechtzeitiger Entschuldigung bestanden hat, aber nicht wahrgenommen _____worden ist (arg.: keine Sanktionierung verspäteter Entschuldigung). _____151 OLG Nürnberg MDR 1999, 315 = NJW-RR 1999, 940 = OLGR 1999, 34–36.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 142

____hafte Auskunft, die Partei müsse den Termin nicht wahrnehmen, das Ausbleiben der ____Partei, wird ihr dies im Gegensatz zu § 85 Abs. 2 nicht zugerechnet, da es sich nicht um ____eine prozessuale Last, sondern eine eigene Pflicht der Partei handelt.152 ____ ____ d) Sachverhaltsaufklärung als Zweck der Anordnung. Entschuldigung des 68 ____Nichterscheinens. Ein Nichtbefolgen der Anordnung des persönlichen Erscheinens un____terliegt der in §§ 141 Abs. 3, 380 vorgesehenen Sanktion nur dann, wenn die persönliche ____Anwesenheit der Partei zu dem Zweck einer weiteren Sachverhaltsaufklärung verfügt ____worden ist.153 Denn § 141 Abs. 3 sanktioniert nicht das schlichte Nichtbefolgen einer ge____richtlichen Vorladung. § 381, auf den § 141 Abs. 3 Satz 1 verweist, befreit die Prozesspar____tei bei nachträglicher Entschuldigung von der Ordnungsmaßnahme auch dann, wenn ____die Möglichkeit rechtzeitiger Entschuldigung bestanden hat, aber nicht wahrgenommen ____worden ist, denn eine Sanktion für das Verspäten mit der Entschuldigung sieht das Ge____setz nicht vor.154 ____ ____ 5. Rechtsmittel. Die Festsetzung des Ordnungsgeldes kann nach Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 70 ____§ 380 Abs. 3 mit der Beschwerde angegriffen werden. Das gilt sowohl für das Ob der Fest____setzung, wie auch für die Höhe.155 ____ ____ VI. § 51 ArbGG ____ ____ Für das arbeitsgerichtliche Verfahren regelt § 51 ArbGG als, § 141 ausschließende, lex 71 ____specialis156 das Recht des persönlichen Erscheinens der Parteien. Sowohl im Urteilsver____fahren (§ 64 Abs. 7 ArbGG) als auch im Beschlussverfahren erster und zweiter Instanz ____(§ 80 Abs. 2, § 87 Abs. 2 ArbGG) kann der Vorsitzende – abweichend von § 141 allein – das ____persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, § 51 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Dies gilt für die ____streitige Verhandlung gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG ebenso wie für die Güteverhand____lung, § 54 Abs. 1 ArbGG. In allen Fällen greift die Ordnungsgeldsanktion des § 141 Abs. 3 ____gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG nicht nur unter der Voraussetzung, dass das unentschul____digte Fernbleiben der Partei die Sachverhaltsaufklärung beeinträchtigt, sondern auch im ____Falle des Fernbleibens vom Güteversuch.157 ____ ____ ____ § 142 ____ Anordnung der Urkundenvorlegung ____ § 142 Smid ____ (1) Das Gericht kann anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem ____oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich ____eine Partei bezogen hat, vorlegt. Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen sowie ____anordnen, dass die vorgelegten Unterlagen während einer von ihm zu bestim____menden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben. ____ ____ 152 OLG Bamberg MDR 1982, 585; OLG Celle Nds.Rpfl 1988, 164 (165); E. Schneider NJW 1979, 987; ____M. J. Schmid JR 1981, 8 (9); MünchKomm-Peters Rdn. 26; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 34; a.A. LSG Thüringen ____E-LSG B-127 (Juris). ____153 OLG Brandenburg MDR 2001, 411; OLG Köln NJW-RR 1992, 827; Burger MDR 1982, 91, 93. ____154 OLG Frankfurt OLGR Frankfurt 1999, 138. 155 MünchKomm-Peters Rdn. 29. ____156 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 41. ____157 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 42; dies betont Bauer NJW 1988, 958 insbesondere für ____Kündigungsschutzklagen.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ (2) Dritte sind zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zu_____mutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt _____sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend. _____ (3) Das Gericht kann anordnen, dass von in fremder Sprache abgefassten Ur_____kunden eine Übersetzung beigebracht werde, die ein Übersetzer angefertigt hat, _____der für Sprachübertragungen der betreffenden Art in einem Land nach den landes_____rechtlichen Vorschriften ermächtigt oder öffentlich bestellt wurde oder einem sol_____chen Übersetzer jeweils gleichgestellt ist. Eine solche Übersetzung gilt als richtig _____und vollständig, wenn dies von dem Übersetzer bescheinigt wird. Die Bescheini_____gung soll auf die Übersetzung gesetzt werden, Ort und Tag der Übersetzung sowie _____die Stellung des Übersetzers angeben und von ihm unterschrieben werden. Der _____Beweis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Übersetzung ist zulässig. Die _____Anordnung nach Satz 1 kann nicht gegenüber dem Dritten ergehen. _____ § 142 Smid _____ Schrifttum _____ Baltzer FS Bruns 1980, 73 ff.; Gruber/Kießling Die Vorlagepflichten der §§ 142 ff. ZPO nach der Reform _____2002, ZZP 116, 305 ff.; Peters ZZP 98 (1985), 200 ff.; Reischl JR 1997, 404 ff.; Schöpflin Die Beweiserhebung _____von Amts wegen im Zivilprozess, 1992; E. Schneider Die Zumutbarkeit der Aktenvorlegung durch Dritte, _____MDR 2004, 1; Schreiber Die Urkunde im Zivilprozess, 1982; Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien im _____Zivilprozess, 1976. _____ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren _____ Übersicht III. Folgen bei Nichtbefolgung ____ 20 _____I. Normzweck/-genese ____ 1 II. Voraussetzungen IV. Verwahrung der Urkunden, Abs. 1 Satz 2 _____ 1. Abgrenzung von pflichtwidriger Unter1. Inhalt der Anordnung ____ 22 _____ stützung des Parteivorbringens ____ 5 2. Öffentlich-rechtliches Verwahrungs_____ 2. Bezugnahme der Partei auf die vorzuverhältnis ____ 24 _____ legenden Schriftstücke ____ 6 V. Drittvorlagepflicht _____ 3. Vorlegungspflichtige Schriftstücke ____ 8 1. Regelungsinhalt ____ 25 _____ a) Urkunden ____ 8 2. Unzumutbarkeit/Verweigerungsrecht _____ b) Weitre Fälle ____ 9 nach §§ 383–385 ____ 26 _____ c) Elektronisch gespeicherte Informaa) Allgemeines ____ 26 _____ tionen ____ 10 b) Verweigerungsrecht nach Maßgabe der §§ 383 ff. ____ 27 _____ 4. Vorlegungspflicht der darlegungs- und beweisbelasteten Partei ____ 11 c) Sonstige Unzumutbarkeiten ____ 28 _____ des Gegners ____ 12 VI. Fremdsprachig abgefasste Urkunden, _____ 5. Vorlegungspflicht a) Allgemeines ____ 12 Abs. 3 ____ 29 _____ b) Fallgruppen ____ 14 VII. Ausnahmsweise Anordnungs_____ 6. „Im Besitz befindliche Urkunden“ ____ 16 pflicht ____ 31 _____ 7. Form und Verfahren der Anordnung VIII. Verfahrensrechtliche Fragen der _____ nach Abs. 1 Satz 1 ____ 17 Anordnung ____ 34 _____ 8. Sonstiges ____ 18 _____ _____ I. Normzweck/-genese _____ Die Regelung der richterlichen Anordnung der Vorlage von Urkunden hat nach zu1 _____ _____treffender h.M.1 eine mehrfache Funktion. Zum einen ergänzt die Vorschrift die richterli_____che Hinweispflicht nach § 139 dadurch, dass es dem Gericht möglich ist, den Parteien zur _____Ergänzung und Klarstellung ihres Sachverhaltsvortrages die Urkundsvorlegung aufzu_____ _____1 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Gruber/Kießling ZZP 116, 305 ff.; Stein Rechtliche Prozessleitung, 2005, _____S. 93 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 142

____geben (Aufklärungsfunktion).2 Zum anderen dient die Anordnung nach § 142 der Bereit____stellung von Beweismitteln zur Feststellung von streitigen Tatsachen (Beweisfunktion).3 ____Überdies leitet sich aus der Intention der jüngsten Reform4 eine Beschleunigungsfunk____tion ab.5 ____ Die Statuierung der Befugnis des Gerichts, nach § 142 in eigener Verantwortung die ____Parteien zur Vorlegung der in Abs. 1 aufgeführten Schriftstücke zu veranlassen, durch____bricht die Verhandlungsmaxime.6 Das lässt sich nicht einfach damit rechtfertigen, dass ____man sich darauf beruft, die Prozessmaximen stellten „abstrakte Modelle“ dar, die der ____Kombination zugänglich seien.7 So richtig diese selbst abstrakte Behauptung ist, wird die ____Frage doch problematisch, wenn man die Unparteilichkeit des Richters in den Blick ____nimmt. Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 erscheint zwar dann ausge____schlossen, wenn das Gericht in zulässiger Weise eine Anordnung nach § 142 getroffen ____hat. Wann das allerdings der Fall ist, bedarf einer eingehenderen Bestimmung. Unzuläs____sig ist jedenfalls die Vorlage, die auf Ausforschung der Parteien zielt und ein Vorbringen ____provoziert, welches im Parteiverhalten bislang nicht angeklungen ist. Denn § 142 ver____pflichtet das Gericht nicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen.8 ____ Die Regelung des § 142 ist strukturell denen der §§ 143, 144 angenähert. ____ Normhistorie: Bis 1900 § 130 CPO; Änderungen 1927 (RGBl. 1927, S. 175), 1950 ____(BGBl. I 1950, S. 533) und 20019 (Einführung einer prozessualen Drittvorlagepflicht, siehe ____unten Rdn. 25 ff.). ____ ____ II. Voraussetzungen ____ ____ 1. Abgrenzung von pflichtwidriger Unterstützung des Parteivorbringens. Die ____Prozessförderung durch das Gericht auf der einen und drohender Verdacht der Partei____lichkeit auf der anderen Seite – aufgrund der unter Rdn. 1 geschilderten Funktion der ____Vorschrift – kommt darin zum Ausdruck, dass dem Richter für den Erlass der Anordnun____gen nach § 142 ein pflichtgemäßes Ermessen („kann“) eingeräumt wird. Damit kann aber ____nicht gemeint sein, dass beliebigen Abwägungen Tür und Tor geöffnet wird.10 Das ist ____insbesondere wegen der Schaffung der Drittvorlagepflicht zu beachten, weil insoweit ____Rechte (möglicherweise) Unbeteiligter betroffen sind (siehe unten Rdn. 25 ff.). Bei der ____Bestimmung der Maßstäbe, die an die Pflichtgemäßheit der Ermessensentscheidung an____zulegen sind, ist auf die Aufgabe zurückzugreifen, die das Gericht bei seiner Prozessför____derung zu erfüllen hat. Allgemein kann gesagt werden, dass die Anordnung nach § 142 ____nicht dazu dienen darf, der Partei die Beweisführung und die damit verbundenen Lasten ____ ____ ____ 2 Nach BAG DB 1976, 828 kann einer Partei nach ZPO § 142 auch die Vorlage solcher Urkunden ____aufgegeben werden, auf die sie sich nicht zuvor bezogen hatte; LAG München AMBl BY 1978 C 22. ____3 Musielak-Stadler Rdn. 1. ____4 Zivilprozessreformgesetz (Fortan ZPO-RG) vom 27.7.2001: BGBl. I 2001, 1887 ff. ____5 Begründung des Ersten Entwurfs, BT(-Drucks.) 14/3750 S. 53: „Das Gericht erhält die Möglichkeit, sich ____… möglichst früh einen Überblick … zu verschaffen“. 6 Allgemeine Meinung: Zöller-Greger Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 1. Dagegen zum sozialgerichtlichen Verfahren LSG Thüringen SGb 2005, 41. Zur ____insolvenzgerichtlichen Amtsermittlung LG Köln NZJ 2004, 671. ____7 So aber MünchKomm-Peters Rdn. 2. ____8 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. 9 Durch das ZPO-RG, siehe Fn. 2. ____10 Wenn MünchKomm-Peters Rdn. 3 von „pflichtgemäßer“ Ermessensausübung spricht, ist damit kein ____Erkenntnisgewinn über die das Ermessen lenkenden Determinanten verbunden. Ähnlich unklar Stein/ ____Jonas-Leipold Rdn. 1.

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_____abzunehmen.11 Daran ändert auch die Intention des Gesetzgebers12 nichts, die materielle _____Prozessleitung stärken zu wollen.13 Wollte man dies zum Anlass nehmen, der Partei die _____Beweisführung abzunehmen, hieße das in der Sache die Etablierung der Inquisitionsma_____xime. Andererseits bedeutet dies nicht, dass im Einzelfall eine Ermessensschrumpfung _____und damit Vorlagepflicht geboten sein kann: In Arzthaftungssachen hat das Gericht bei _____Erhebung von Sachverständigenbeweis in aller Regel, um einen Verfahrensfehler zu _____vermeiden, zweckmäßigerweise die Krankenunterlagen vor Einholung des Gutachtens _____beizuziehen und dem Sachverständigen zugänglich zu machen.14 _____ _____ 6 2. Bezugnahme der Partei auf die vorzulegenden Schriftstücke. Bereits nach _____dem Wortlaut der Vorschrift darf das Gericht daher die Vorlegung von Schriftstücken nur _____soweit anordnen, wie sich eine Partei darauf bezogen hat. Stellt man dieses Tatbe_____standsmerkmal in den Sinnzusammenhang der Unparteilichkeit des Gerichts, verliert es _____an der Unklarheit, die bisweilen in der Literatur15 beklagt wird. Das Gericht soll der Partei _____nicht in den Mund legen, welche Urkunden für den Prozess von Belang sind. Freilich ist _____der Kritik darin Recht zu geben, dass es wenig plausibel ist, dass Handelsbücher des _____Kaufmanns gemäß § 258 HGB und Tagebücher des Maklers gemäß § 102 HGB nicht aus_____drücklich angesprochen sind. Hieraus wird der Schluss gezogen, die Bezugnahme der _____Partei könne nicht als Tatbestandsmerkmal für die Vorlageanordnung dienen.16 Das wird _____vornehmlich mit dem Hinweis auf § 273 Abs. 2 Nr. 1 a.F. begründet, wo eine Urkunden_____vorlagepflicht auch ohne entsprechende Bezugnahme normiert ist.17 Ferner kann man _____das Argument finden, die Bezugnahme könne nicht die Funktion haben, die Anordnung _____auf den Rahmen des von den Parteien festgelegten Streitgegenstandes zu begrenzen, da _____sie dann für alle Objekte gelten müsste.18 In der Tat ist dies zwar nicht von der Hand zu _____weisen, der Schluss, der daraus gezogen wird, ist aber nicht überzeugend. Im Gegenteil _____ist daraus zu folgern, dass die Bezugnahme allgemeines Tatbestandsmerkmal für alle _____Objekte ist.19 Dafür spricht die Auslegung des Tatbestandsmerkmals nach ihrem insoweit _____eindeutigen Wortsinn („… auf die sie sich bezogen hat“). Überdies läuft der Hinweis auf _____§ 273 Abs. 2 Nr. 1 a.F. nunmehr leer, da diese Regelung im Zuge des ZPO-RG20 gestrichen _____wurde. Letztlich ausschlaggebend ist aber die im Hinblick auf die Geltung der Verhand_____lungsmaxime erforderliche Beschränkung der richterlichen Befugnisse, die ein funk_____tionsorientiertes Verständnis des § 142 bedingt (vgl. oben Rdn. 1). _____ Gemäß Abs. 1 Satz 1 kann die Anordnung der Vorlage einer Urkunde, die sich im Be7 _____sitz einer Partei oder eines Dritten befindet, daher nur bei entsprechend substantiiertem _____Vortrag zum Inhalt dieser Urkunde getroffen werden.21 _____ _____ _____11 Den Kern des Problems trifft auch Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1 nicht, wenn er darauf abstellt, dass § 142 eine Beweiserhebung von Amts wegen gestatte. _____12 Vgl. insoweit die amtlichen Begründungen in BT(-Drucks.) 14/4722 S. 58, 60 f. _____13 Keine grundsätzliche Neuorientierung im Rahmen des § 142 auch bei Zöller-Greger (24. Aufl.) _____Rdn. 1. _____14 OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 535 = OLG Oldenburg OLGR 1997, 43. _____15 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 1, 4; Zöller-Greger Rdn. 2. 16 BAG DB 1976, 1020 und das überwiegende Schrifttum: Schreiber S. 77 f.; Prütting NJW 1980, 361 (363); _____Schöpflin S. 234 f.; E. Schneider MDR 1992, 20; Stein/Jonas-Stadler Rdn. 2; i.Erg. auch MünchKomm-Peters _____Rdn. 11; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. _____17 Schreiber S. 77 f.; Prütting NJW 1980, 361 (363); Schöpflin S. 234 f.; E. Schneider MDR 1992, 20; Stein/ _____Jonas-Stadler Rdn. 2. 18 MünchKomm-Peters Rdn. 11. _____19 Vgl. BGH WM 2000, 2253 (2255); auch Rosenberg/Schwab/Gottwald § 121 IV 1. _____20 Siehe oben Fn. 4. _____21 LAG Berlin EzA-SD 2003, Nr. 4, 13; Zöller-Greger Rdn. 2.

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____ 3. Vorlegungspflichtige Schriftstücke ____ ____ a) Urkunden. Im Allgemeinen sind Urkunden vorlegungspflichtig. Unter Urkunden ____i.S.d. Zivilprozessrechts versteht man schriftliche Verkörperungen einer Gedankenerklä____rung durch übliche oder vereinbarte Wortzeichen.22 Beweiszeichen – z.B. Grenzzeichen, ____Siegelabdrucke, Kfz- und Motornummern23 – sind dagegen keine Urkunden (auch keine ____sonstigen Unterlagen), sondern Augenscheinsobjekte, fallen also unter § 144. In der Lite____ratur werden Handelsbücher des Kaufmanns gemäß § 258 HGB und Tagebücher des Mak____lers gemäß § 102 HGB z.T. neben den Urkunden genannt,24 wiewohl sie zwanglos dem ____Bereich der Privaturkunden gemäß § 416 zugerechnet werden können, sofern sie im Üb____rigen den an Urkunden im Allgemeinen zu richtenden Anforderungen genügen. ____ ____ b) Weitere Fälle. Gegenstände einer Vorlegungspflicht der Partei nach Abs. 1 kön____nen weiter Pläne, Risse und Zeichnungen sein, auch soweit sie nicht Teil von Urkunden ____(man denke an Teilungserklärungen nach § 8 Abs. 1 WEG) sind, sondern z.B. im Baupro____zess dem Gericht Einblick in die Sachlage vermitteln können. Gleiches gilt für Stamm____bäume. Diese bislang in § 142 Abs. 1 a.F. aufgezählten, aber nunmehr weggefallenen25 ____gesetzlichen Beispiele dürften – wenn nicht unter den Urkundenbegriff – so jedenfalls ____unter die sonstigen Unterlagen fallen, so dass sich insoweit durch die Neuformulierung ____nichts geändert hat.26 Hierzu zählen auch Röntgenbilder.27 ____ ____ c) Elektronisch gespeicherte Informationen. Zweifelhaft erscheint, ob unter den ____Begriff der sonstigen Unterlagen nunmehr auch elektronisch gespeicherte Informationen ____gefasst werden können.28 Der insoweit weiterreichende Begriff gegenüber der Urkunde ____lässt eine derartige Deutung zwar zu. Jedoch steht dem der ebenfalls neugeschaffene ____Begriff des „elektronischen Dokuments“ nach § 371 Abs. 1 Satz 2 entgegen, der EDV____Datenträger nunmehr eindeutig dem Augenschein zuordnet.29 Überdies legt der Wort____sinn eine Urkundenähnlichkeit nahe. Das bedingt – insoweit hat sich durch die Neufor____mulierung nichts geändert – die Ausgrenzung von elektronischen Speichermedien aus ____dem Tatbestand des § 142. ____ ____ 4. Vorlegungspflicht der Darlegungs- und beweisbelasteten Partei. Der Wort____laut der Vorschrift lässt vermuten, dass die Parteien als Adressaten einer Anordnung ____nach § 142 vorlegungspflichtig sein können. Grundsätzlich kann sich die Aufforderung ____zunächst an die behauptungsbelastete Partei richten, wenn eine Aufklärungsanordnung ____erlassen werden soll.30 Soll eine Beweisanordnung erlassen werden, richtet sie sich an ____die beweisbelastete Partei (Zu dieser Differenzierung siehe oben Rdn. 1). Kommt diese ____ ____ ____22 Rosenberg/Schwab/Gottwald (15. Aufl.) § 121 I. (= S. 697); ähnlich Schreiber Die Urkunde im ____Zivilprozess, 1982, S. 42. ____23 Beispiele nach Zöller-Geimer Vor § 415 Rdn. 2. ____24 MünchKomm-Peters Rdn. 8; Stein/Jonas-Stadler Rdn. 2. 25 Durch das Gesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. (wie Fn. 4). ____26 Musielak-Stadler (3. Aufl.) Rdn. 2. ____27 OLG Braunschweig NdsRpfl 2010, 80 (zum Verhältnis zur ärztlichen Schweigepflicht und zum allg. ____Persönlichkeitsrecht). ____28 Elektronische Informationen unter den insoweit allein in Betracht kommenden Urkundenbegriff zu fassen, wird zu § 142 a.F. zu Recht abgelehnt: Baltzer, S. 80; Maltzer DNotZ 1998, 107; Zöller-Geimer Vor ____§ 415 Rdn. 2. ____29 Musielak-Stadler Rdn. 2. ____30 MünchKomm-Peters Rdn. 9.

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_____der Anordnung nicht nach, trägt sie die sich daraus ergebenden Folgen, namentlich _____bleibt sie beweisfällig.31 _____ _____ 5. Vorlegungspflicht des Gegners _____ _____ a) Allgemeines. Ebenso wie im Rahmen des § 273 Abs. 2 Nr. 132 ist die Beweislastver12 _____teilung zu beachten: Der Gegner der beweisbelasteten Partei ist im Allgemeinen nicht _____Adressat der Vorlegungspflicht, soweit damit Beweiszwecke erfüllt werden. Denn § 142 _____hebt die Grundregel des § 420 nicht auf, derzufolge der Beweisantritt beim Urkundenbe_____weis im Wege der Vorlegung durch den Beweisführer erfolgt. Andernfalls würde man den _____Gegner dazu nötigen, dem anderen Teil Beweismittel zu verschaffen. Im Schrifttum ha_____ben Peters33 und Stürner34 hingegen mit z.T. differenzierten Argumentationsfolgen eine _____Mitwirkungspflicht der Parteien (gemeint ist immer der nicht beweisbelastete Gegner!) _____aus den §§ 138, 372 a hergeleitet.35 Demnach obliegt auch dem Gegner der beweisbelaste_____ten Partei eine grundsätzliche Vorlagepflicht. Der BGH36 hat sich im Ergebnis diesen Er_____wägungen, prozessuale Hilfestellungen des nicht beweisbelasteten Gegners anzuerken_____nen, zwar nicht verschlossen. Allerdings verschreibt er sich keiner konkreten dog_____matischen Konstruktion, sondern stützt sich vielmehr auf Treu und Glauben.37 Daran ist _____richtig, dass das materielle Recht keine allgemeinen – wohl spezielle, siehe unten _____Rdn. 13 – Aufklärungspflichten kennt, ihre Etablierung demnach auch nicht Aufgabe des _____Prozessrechts sein kann.38 Der BGH39 hat lange entschieden, eine zivilprozessuale Pflicht _____zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei könne sich nur aus den spe_____ziellen Vorschriften der §§ 422, 423 oder aus einer Anordnung des Gerichts nach Abs. 1, _____nicht aber aus den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast ergeben. Der BGH _____meint nunmehr, nach Abs. 1 könne das Gericht die Vorlegung im Besitz einer Partei be_____findlicher Urkunden anordnen, auf die sich die andere Partei bezogen hat. Anders als im _____Falle des § 423 reiche dazu die Bezugnahme der beweispflichtigen Partei auf Urkunden _____aus, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befinden. In einem solchen Fall _____liegt in der Anwendung des Abs. 1 keine prozessordnungswidrige Ausforschung des Pro_____zessgegners. Denn die Vorschrift befreie die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, _____nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast.40 _____ Insofern bedarf es Determinanten, die eine Bestimmung der Maßstäbe von Treu und 13 _____Glauben im Sinnzusammenhang der Regelung des § 142 ermöglichen. Diesbezüglich sind _____die Wertungen der §§ 420 ff. zu beachten. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten (§ 138 _____Abs. 1 und Abs. 2, § 372 a) würden überdehnt, würde man sie zur Legitimation der Aufhe_____bung der prozessualen Lastenverteilung heranziehen. Die Vorlegung kann daher gegen_____über dem Gegner zunächst nur in den im gesetzlichen Beweisrecht geregelten Sonderfäl_____len erfolgen. Verfahrensrechtlich greifen dort die §§ 424, 425. Sie kann daher dann nach _____§ 425 angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 422 vorliegen, der Gegner _____ _____ _____31 Zu den Begriffen der Behauptungs- und Beweislast allgemein Musielak-Foerste § 286 Rdn. 31 ff. _____32 Der Wegfall der Vorlagepflicht bezüglich Urkunden und Gegenständen nach § 273 II Nr. 2 a.F. durch das ZPO-RG 2001 (siehe oben Fn. 4) bringt insofern keine Änderung. _____33 E. Peters ZZP 76 (1963) 200 ff., insbesondere 208 ff. _____34 Stürner S. 86 f., 98 ff., 134 ff., 234 ff.; Stürner ZZP 98 (1985) 237. _____35 Ablehnend insoweit noch RGZ 63, 410; BGH VersR 1958, 768. _____36 Prägend insoweit BGH NJW 1961, 826 = MDR 1961, 387 = BB 1961, 350. 37 BGH NJW 1990, 3151; BGHZ 109, 139 = NJW 1990, 314, 316; NJW 1989, 161, 162; GRUR 1971, 164, 167. _____38 BGH NJW 1990, 3151 = JR 1991, 415 Schreiber. _____39 BGH NJW 2007, 2989. _____40 BGH WM 2010, 1448; a.A. OLGR Frankfurt 2007, 466.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____mithin zur Herausgabe oder Vorlegung der Urkunde der anderen Partei nach Vorschriften ____des bürgerlichen Rechts verpflichtet ist.41 ____ ____ b) Fallgruppen. Zu den gesetzlichen Vorlagepflichten i.S.v. § 422 gehören die Fälle42 14 ____des § 259 Abs. 1 BGB (Pflicht zur Vorlage von Belegen bei Verwaltungstätigkeit); des ____§ 402 BGB (Pflicht des Zessionars zur Ablieferung von die Forderung beweisenden Ur____kunden); § 667 BGB (Herausgabepflicht aus Auftrag, ggf. i.V.m. §§ 675, 681 oder 2218 BGB ____aus auftragsähnlichem Rechtsverhältnis); § 716 Abs. 1 BGB (Recht des Gesellschafters auf ____Einsichtnahme in Geschäftsbücher und Papiere); § 810 BGB (Gestattung der Einsicht bei ____rechtlichem Interesse); §§ 896, 1145 BGB (Pflicht zur Vorlage des Grundpfandrechts____briefs); § 952 BGB (i.V.m. § 985 BGB Herausgabeanspruch des Forderungsgläubigers an ____der Schuldurkunde); §§ 1698, 1890 BGB (Herausgabeansprüche i.R. der Rechnungsle____gung); § 1799 Abs. 2 BGB (Recht auf Einsichtnahme des Gegenvormunds); § 2130 BGB ____(umfänglicher Herausgabeanspruch des Nacherben gegenüber Vorerben). ____ Nach einer Entscheidung des LG Ingolstadt ist der Insolvenzverwalter nach Abs. 1 15 ____verpflichtet, solche Unterlagen dem Prozessgericht vorzulegen, die er als Dritter im Be____sitz hat und deren Inhalt für die Beweisführung in einem Verfahren von Bedeutung ist.43 ____Dies begegnet Zweifeln,44 soweit der Insolvenzverwalter damit verpflichtet würde, zu ____prozessualen Lasten der Masse Urkunden entgegen der Beweislastverteilung herauszu____geben. Soweit die Herausgabe masseneutral ist, nimmt der Insolvenzverwalter als Partei ____kraft Amtes keine andere Stellung ein als ein anderer Dritter, der nicht Partei des Rechts____streits ist. ____ ____ 6. „Im Besitz befindliche Urkunden“. Es muss sich nach Abs. 1 Satz 1 um „im Be- 16 ____sitz befindliche Urkunden“ handeln. Das umfasst den unmittelbaren, wie auch den mit____telbaren Besitz.45 Gegenüber dem bis zum 31.12.2000 geltenden Abs. 1 a.F.46 ist das ein ____Novum: Das Tatbestandsmerkmal „in ihren Händen befindlichen Urkunden“ (Abs. 1 a.F.) ____wurde in der Sache auf den unmittelbaren Besitz beschränkt, weil die Partei jedenfalls ____Zugriff auf die Urkunde („in ihren Händen“) – entweder selbst oder durch einen heraus____gabebereiten Dritten – haben musste.47 Über die ebenfalls neu eingeführte Drittvorlage____pflicht (dazu unten Rdn. 25 ff.) dürfte sich die Relevanz der Herausgabewilligkeit Dritter ____aber wieder egalisieren. Die eher untergeordnete praktische Relevanz dieser Änderung ____dürfte sich überdies auch aus dem gesetzgeberischen Willen ableiten lassen, der diese ____Änderung gänzlich unerwähnt lässt.48 Allerdings erscheint die bislang vertretene An____nahme, man dürfe von einer Partei die Vorlage von erst noch anzufertigenden Stamm____bäumen, Plänen, Rissen oder sonstigen Zeichnungen verlangen,49 mit der Einführung ____des präjudizierten Begriffs des „Besitzes“ jedenfalls nicht länger haltbar.50 ____ ____ ____ ____41 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 117 VI 2; Schreiber S. 78, 86; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3. ____42 Siehe auch Reischl JR 1997, 404. ____43 LG Ingolstadt ZInsO 2002, 990. 44 Uhlenbruck NZI 2002, 589; Lüpke/Müller NZI 2002, 588. ____45 Musielak-Stadler Rdn. 3. ____46 Reformiert durch das ZPO-RG vom 27.7.2001, siehe oben Fn. 4. ____47 Musielak-Stadler (2. Aufl.) zu § 142 a.F. Rdn. 3; auch zu § 142 a.F. Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 8. 48 Vgl. Ausführungen zum Entwurf des § 142: BT-Drucks. 14/3750 S. 53 f.; 14/4722 S. 78 f.; 14/6036 ____S. 120 f. ____49 So zu § 142 a.F. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 2. ____50 So ohnehin schon die Vorauflage Anm. A. I. zu § 142 a.F.

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_____ 17 7. Form und Verfahren der Anordnung nach Abs. 1 Satz 1. Die Anordnung nach _____Abs. 1 Satz 1 kann im Wege eines Beschlusses ergehen.51 Ausreichend ist aber grundsätz_____lich eine formlose Verfügung.52 Enthält sie eine Fristsetzung nach Abs. 1 Satz 2, so muss _____sie den Parteien zugestellt werden. Die gerichtliche Verfügung bedarf der vollen Unter_____schrift. _____ _____ 18 8. Sonstiges. Der Anwaltszwang und der Beibringungsgrundsatz verbieten es über_____dies nicht, im Anwaltsprozess bei Säumnis des anwaltlich nicht vertretenen Beklagten _____eine von diesem eingereichte Urkunde bei der Prüfung der Schlüssigkeit des Klägervor_____bringens gemäß § 331 zu berücksichtigen; dies gilt richtigerweise insbesondere dann, _____wenn sich aus dieser Urkunde erhebliche Zweifel an der Wahrheitsgemäßheit des Tatsa_____chenvorbringens des Klägers ergeben.53 _____ 19 Es kann ferner im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 184 GVG (deutsche _____Gerichtssprache) geboten sein, der ausländischen Partei über § 144 eine Übersetzung _____von Dokumenten abzunehmen, soweit die Partei diese als bedeutsam dartut, aber die _____Kosten nicht aufzubringen vermag.54 _____ _____ III. Folgen bei Nichtbefolgung _____ _____ Die Vorlage ist grundsätzlich nicht erzwingbar, doch muss die Partei gegebenenfalls 20 _____mit Konsequenzen rechnen: So ist zur bisher geltenden Rechtslage vertreten worden, _____dass etwa der Patient, der der Anordnung der Vorlage der Behandlungsunterlagen des _____nachbehandelnden Arztes zur Begründung eines zahnärztlichen Behandlungsfehlers _____nicht nachkomme, mit seinem Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständi_____gengutachtens in der Berufungsinstanz zurückgewiesen werden darf.55 Diesen Gedanken _____wird man auch nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 n.F. fruchtbar machen dürfen, weil die Nichtvor_____lage trotz Anordnung insoweit die Parteinachlässigkeit indiziert. _____ 21 Allgemein gilt, soweit die Vorlage die beweisbelastete Partei trifft, bleibt sie beweis_____fällig; hat der Gegner vorzulegen und kommt er dem nicht nach, so kann sein Verhalten _____nach § 286 gewürdigt werden.56 _____ _____ IV. Verwahrung der Urkunden, Abs. 1 Satz 2 _____ _____ 22 1. Inhalt der Anordnung. Wegen aller im Prozess vorgelegten Schriftstücke kann _____das Gericht nach Abs. 1 Satz 2 anordnen, dass die Schriftstücke auf seiner Geschäftsstelle _____für einen zu bestimmenden Zeitraum verbleiben. Die Anordnung der Verwahrung geht _____sachlich über den Bereich der in Abs. 1 Satz 1 genannten besonderen Schriftstücke hin_____aus.57 Man kann aus der Neuformulierung durch das ZPO-RG58 auch systematisch nichts _____Gegenteiliges daraus schließen, dass sich die Regelung nunmehr im Rahmen des Abs. 1 _____einfügt und an den Abs. 1 Satz 1 gebunden ist, die „vorgelegten Urkunden“ also allein _____die nach Abs. 1 Satz 1 zu sein scheinen. Ein derartig einschränkender Wille kann beim _____ _____ 51 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6; Zöller-Greger Rdn. 2. _____52 Begründung nicht erforderlich: Stein/Jonas-Leipold Rdn. 4; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann _____(59. Aufl.) Rdn. 24. _____53 OLG Frankf. NJW-RR 1995, 1471 = MDR 1995, 1262 f. _____54 BVerfG NVwZ 1987, 785–785 = NJW 1987, 3077 (Ls). 55 OLG Hamburg OLGR 1996, 35, 36. _____56 MünchKomm-Peters Rdn. 12. _____57 So bereits zu § 142 Abs. 2 a.F. (der Vorgängerregelung) MünchKomm-Peters Rdn. 13. _____58 Siehe oben Fn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Reformgesetzgeber nicht festgestellt werden.59 Diese Anordnung kann daher auch den ____Zweck der Sicherung nicht nur vorlegungspflichtiger Urkunden verfolgen, § 443, oder ____der Einsichtgewährung nach § 134 Abs. 2 dienen. ____ Form- und verfahrenstechnisch kann die Anordnung nach Abs. 1 Satz 2 – wie jene 23 ____nach Abs. 1 Satz 1 – im Wege eines formlosen, bei Fristsetzung zustellungsbedürftigen ____Beschlusses ergehen60 (siehe insoweit Rdn. 17). ____ ____ 2. Öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis. Durch die Anordnung des Ver- 24 ____bleibs der Schriftstücke auf der Geschäftsstelle des Prozessgerichts wird ein öffentlich____rechtliches Verwahrungsverhältnis an den Schriftstücken begründet61 (siehe auch § 134 ____Rdn. 7). Daraus berechtigt und verpflichtet sind die vorlegungspflichtige Partei auf der ____einen und die Justizverwaltung auf der anderen Seite. Dieses Verwahrungsverhältnis ____endet mit dem Ablauf der gerichtlich festgelegten Zeit (Abs. 1 Satz 2). Fehlt es an einer ____solchen Fristsetzung, endet das Verwahrungsverhältnis mit Rechtskraft des Urteils in ____dem Prozess, in dem die Vorlegung angeordnet worden ist.62 Das bedeutet im Übrigen ____keineswegs, dass damit ein Verlust von vertraglichen Sekundäransprüchen im Scha____densfalle einhergeht. Insofern gelten die Grundsätze über nachwirkende Schutzpflichten ____aufgrund schuldrechtlicher Sonderverbindung auch hier. Die etwa schuldhafte Beschä____digung durch einen Beamten der Geschäftsstelle nach Ablauf der Rechtsmittelfrist führt ____zu einem Anspruch aus § 280 Abs. 1 n.F. BGB. Allerdings dürften mit Rechtskraft des Ur____teils bzw. Fristablauf auch annahmeverzugsbegründende Umstände i.S.d. §§ 295, 296 ____BGB verbunden sein und damit eine Haftungserleichterung nach § 300 Abs. 1 BGB in ____Betracht kommen. Herauszugeben ist das Schriftstück dann von der Justizverwaltung, ____nicht vom Prozessgericht.63 ____ ____ V. Drittvorlagepflicht ____ ____ 1. Regelungsinhalt. Der Gesetzgeber hat im Zuge des ZPO-RG64 eine prozessuale 25 ____Vorlagepflicht für am Prozess nicht beteiligte Dritte etabliert. Der nicht von der Hand zu ____weisenden Betroffenheit des Dritten in grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, ____wird zwar über Abs. 2 bei Unzumutbarkeit oder nach §§ 383 f. entgegengetreten (Siehe ____Rdn. 26). Doch der Vorschlag, die Verneinung der Vorlagepflicht „aus wichtigen Grün____den, insbesondere wegen eines überwiegenden Geheimhaltungsbedürfnisses“ zuzulas____sen, ist ausdrücklich verworfen worden.65 Der insoweit zustimmungswürdige Vorwurf ____fehlender Eingrenzung der Drittvorlagepflicht,66 kann auch nicht durch die Betonung ____relativiert werden, es sei „keine (unzulässige) Ausforschung […] des Dritten bezweckt“.67 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____59 Siehe BT-Drucks. 14/3750 S. 53 f.; 14/4722 S. 78 f.; 14/6036 S. 120 f. 60 Siehe auch Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. ____61 MünchKomm-Peters Rdn. 13. ____62 MünchKomm-Peters Rdn. 14; a.A. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. ____63 A.A. noch die Vorauflage Anm. B II. ____64 E. Schneider MDR 2004, 1 ff. 65 So die ablehnende Stellungnahme der (Regierungs-)Mehrheit im Rechtsausschuss des Bundestages ____zum Änderungsvorschlag der F.D.P.-Fraktion: BT-Drucks. 14/6036 S. 116 f. ____66 Kritisch Schellhammer MDR 2001, 1081, 1084; auch Musielak-Stadler Rdn. 8. ____67 BT-Drucks. 14/6036 S. 120.

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_____ 2. Unzumutbarkeit/Verweigerungsrecht nach §§ 383–385 _____ _____ a) Allgemeines. Ihre Grenze findet die Drittvorlagepflicht nach Abs. 2 in der Zumut26 _____barkeit oder bei Eingreifen einer der Tatbestände nach den §§ 383, 384 und dem Nicht_____vorliegen von Voraussetzungen nach § 385 Abs. 2 und ist mithin Ausdruck der gesetzge_____berischen Intention, die richterlichen Befugnisse nur „behutsam“ durch die Einführung _____der Drittvorlagepflicht zu erweitern.68 Weitere Determinanten der Zumutbarkeit sind al_____lerdings den einschlägigen Ausführungen nicht zu entnehmen.69 Der Hinweis, man be_____zwecke keine dem deutschen Zivilprozessrecht unbekannte Ausforschung der Verfah_____rensbeteiligten,70 läuft demnach insofern leer, als der Dritte überhaupt zum einen gar _____kein Verfahrensbeteiligter sein muss (aber sein kann, siehe sogleich Rdn. 27) und zum _____anderen mit der Verneinung des „Ausforschungsbeweises“ nur der „Worst-Case“ ausge_____grenzt wird.71 _____ Eine gemäß § 142 als Dritte auf Vorlage von Unterlagen in Anspruch genommene ju26a _____ristische Person kann die Herausgabe verweigern, wenn ihr dadurch ein eigener vermö_____gensrechtlicher Schaden entstehen würde (§ 142 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 384 Nr. 1). Hierfür _____genügt es, dass die Durchsetzung von Ansprüchen gegen sie auch nur erleichtert wür_____de.72 _____ _____ b) Verweigerungsrecht nach Maßgabe der §§ 383 ff. Die allgemeine Verweisung 27 _____auf die §§ 383–385 erlaubt vom Wortsinn her die allgemeine Verweigerung des Dritten – _____über § 385 eingeschränkt – aus persönlichen wie sachlichen Gründen. Nun lässt sich _____dem gegenüber aber eine Situation denkbar erscheinen, deren Gewärtigung einer pau_____schalen Anwendung gerade entgegensteht: Der Dritte kann dadurch, dass er in Bezie_____hung zu einer Prozesspartei steht, deshalb ein Herausgabeverweigerungsrecht haben, _____weil die schutzwürdigen Belange des Hintermannes, also der Partei, in Rede stehen _____(etwa der Anwalt der Partei nach § 383 Abs. 1 Nr. 6). In letzterem Fall kann es sich einmal _____um die beweisbelastete oder aber die Gegenseite handeln. Würde man im letzt genann_____ten Fall dem Dritten – etwa als Anwalt der beweisbelasteten Partei – pauschal die Ver_____weigerung der Herausgabe der Urkunde nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 zugestehen, würde das _____Weigerungsrecht weiter reichen als das der Partei, welches sich in den Grenzen der _____§§ 422 f. bewegt (siehe oben Rdn. 13 ff.). Weil aber das Weigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 _____Nr. 6 lediglich derivativ an die Schutzbedürftigkeit des Hintermannes anknüpft,73 der _____Hintermann vorliegend aber die nicht beweisbelastete Partei ist, müssen auch für den _____Dritten die Wertungen der §§ 422, 423 gelten. Die Verweisung auf die §§ 383–385 bedarf _____insoweit einer teleologischen Korrektur. _____ _____ c) Sonstige Unzumutbarkeit. Die Herleitung von Unzumutbarkeit aus allgemeinen 28 _____Umständen bleibt von der allgemeinen Verweisung auf §§ 383–385 jedenfalls unberührt. _____Für diese gilt: Genauso wenig wie nach § 141 Abs. 1 (siehe dort Rdn. 39 ff.) kann die Un_____zumutbarkeit anhand starrer Kriterien ermittelt werden. Vielmehr bedarf es einer Abwä_____gung der widerstreitenden Interessen: Die drohenden Eingriffe beim Dritten – unter Wah_____ _____68 BT-Drucks. 14/6036 S. 120. _____69 Vgl. die Ausführungen zu § 142 in BT-Drucks. 14/3750 S. 53 f.; 14/4722 S. 78 f.; 14/6036 S. 120 f. _____70 BT-Drucks. 14/6036 S. 120 f. mit rechtsvergleichenden Ausführungen zum US-amerikanischen _____„pre-trial discovery of documents“-Verfahren. 71 Zur Vorlagepflicht des am Prozess (Versicherungsnehmer gegen Versicherung) nicht Beteiligten _____Arztes LG Köln VersR 2003, 234. _____72 BGH NJW 2007, 155. _____73 BGH DB 1990, 93.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 142

____rung der berechtigten Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes74 – müssen ____dem prognostizierten Erkenntnisgewinn der Vorlage im Prozess und (kumulativ) den in ____Rede stehenden Interessen insgesamt (Streitwert) gegenübergestellt werden. In die Ab____wägung ebenfalls einzustellen sind die Möglichkeiten einer flexiblen Terminanbe____raumung, die dem nur temporär verhinderten Dritten entgegenkommen.75 Überdies ist ____wegen § 273 Abs. 3 Satz 1 eine Drittvorlage immer unzumutbar, wenn der Beklagte dem ____Klageanspruch noch nicht widersprochen hat. Das OLG Stuttgart76 meint, eine Beein____trächtigung der Ehre begründe keine Unzumutbarkeit der Vorlage i.S.v. Abs. 2 Satz 1. Bei ____Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann nach der Judikatur des BGH77 ____eine Vorlegung von Urkunden oder sonstigen Unterlagen nach § 142 angeordnet werden, ____wenn die Vorlegung zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich, weiter ____verhältnismäßig und angemessen, d.h. dem zur Vorlage Verpflichteten bei Berücksichti____gung seiner rechtlich geschützten Interessen nach Abwägung der kollidierenden Interes____sen zumutbar ist. Das ist nicht unbedenklich, da damit die Vorlagepflicht weitgehend ____von Einzelfallerwägungen abhängig gemacht wird. ____ ____ VI. Fremdsprachig abgefasste Urkunden, Abs. 3 ____ ____ Über den Inhalt der Urkunde wird grundsätzlich in deutscher Sprache verhandelt, 29 ____§ 184 GVG. Dies gilt natürlich auch für in fremden Sprachen abgefasste Urkunden. Daraus ____kann aber nicht geschlossen werden, die Parteien im Zivilprozess seien in jedem Fall ____gehalten, fremdsprachige Schriftstücke nur in bzw. mit Übersetzung vorzulegen:78 Das ist ____überflüssig, wenn alle Beteiligten in der Lage sind, den Inhalt zu verstehen.79 Nach Abs. 3 ____kann das Gericht gegenüber der Partei, die die Urkunde eingeführt hat, anordnen, dass ____diese eine Übersetzung dieser Urkunden durch einen ermächtigten Übersetzer anfertigen ____lässt und vorlegt. Nach Abs. 3 Satz 5 kann die Anordnung nach Satz 1 nicht gegenüber ei____nem Dritten ergehen. Der Erlass einer entsprechenden Anordnung liegt im pflichtgemä____ßen Ermessen des Gerichts:80 Demgemäß hat das Gericht die Wahl, eine in einer Fremd____sprache abgefasste letztwillige Verfügung zur Ermittlung des Wortsinns nach seinem ____Ermessen durch von den Beteiligten vorgelegte Übersetzungen zu verwerten oder von ____Amts wegen eine Übersetzung einzuholen.81 Verfügt es also über Sprachkenntnisse, die es ____ihm erlauben, den Inhalt der Urkunde ohne Zuhilfenahme eines Übersetzers zu verstehen, ____kann es die Erkenntnisse als Beweismittel ohne weiteres verwerten.82 Deshalb ist es auch ____zulässig, die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs nach § 1064 ____Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 ohne Beifügung einer Übersetzung erfolgen zu lassen.83 ____ Zur Wahrung der nach Abs. 1 fakultativen Frist genügt die Vorlage des Originals, 30 ____nicht der Übersetzung,84 weil das Gericht sich auch mit dem Original zufrieden geben ____ ____74 Siehe Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundestages: BT-Drucks. 14/6036 S. 120. ____75 So der zutreffende Gedanke von AK-Schmidt §§ 141–144 Rdn. 12 zur Zumutbarkeit des ____Parteierscheinens nach § 141. ____76 OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 250. ____77 BGH NJW-RR 2007, 106. 78 OLGR Zweibrücken 1998, 285, 287 = NJWE-WettbR 1998, 267 f. ____79 OLG Zweibrücken a.a.O.; siehe auch OLG Hamm RIW 1997, 236, 238 = IPRax 1998, 358, 360; ____IPRax 1998, 339–348, Bungert, Hartwin (Entscheidungsbesprechung). ____80 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. ____81 BayObLG Rpfl. 1997, 68 f. = NJW-RR 1997, 201, 202 = FamRZ 1997, 318, 320 = BayObLGZ 1997, 165, 171. ____82 BGH FamRZ 1988, 827 (828); RGZ 162, 282 (287). ____83 BayObLGZ 2000, 233–237 = JurBüro 2001, 50. ____84 MünchKomm-Peters Rdn. 17; im Anschluss an E. Schneider MDR 1979, 534.

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§ 142

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____kann (siehe oben Rdn. 29), der Umstand möglicher Sprachunkenntnis also nicht der Par_____teisphäre zugeordnet werden darf. _____ Abs. 3 Satz 2 sieht vor, dass eine den Anforderungen des Abs. 3 Satz 1 entspre30a _____chende Übersetzung als richtig und vollständig gilt, wenn dies von dem Übersetzer mit _____einer Bescheinigung ausgewiesen wird, die nach Abs. 3 Satz 3 auf die Übersetzung unter _____Angabe von Ort und Tag der Übersetzung sowie der Stellung des Übersetzers gesetzt und _____von ihm unterschrieben zu werden hat. _____ Gegen die Übersetzung kann nach Abs. 3 Satz 4 der Beweis der Unrichtigkeit oder 30b _____Unvollständigkeit geführt werden. _____ _____ VII. Ausnahmsweise Anordnungspflicht _____ _____ 31 Zu bedenken ist, dass auch eine Übersetzung im Wege amtswegiger Anordnung _____nach § 144 möglich erscheint (siehe auch dort). Das Ermessen dürfte dort – mit der Folge _____der zwingenden Anordnung nach § 144 – auf Null reduziert sein, soweit das Gericht über _____diese Sprachkenntnisse nicht verfügt.85 _____ Entsprechendes muss bei fremdsprachigen Urkunden gelten, wenn die Vorlage32 _____pflicht gegenüber einem Dritten ergeht, der sich auf Abs. 3 Satz 2 berufen kann, welcher _____ihn von der Übersetzung befreit. Würde hier nach § 144 keine Übersetzung veranlasst, _____würde die Drittvorlagepflicht mangels übersetzungsverpflichteter Person bei bestehen_____der Sprachunkenntnis des Gerichts und dem daraus folgenden Bedürfnis nach einer _____Übersetzung zur schlichten Schikane und damit jedenfalls ein unzulässiger Eingriff in _____die Rechte des Dritten. _____ Die Kosten für die Übersetzung einer fremdsprachigen Urkunde sind erstattungsfä33 _____hig, wenn die Partei sie bei sorgsamer, vernünftiger Überlegung im Zeitpunkt der Anfer_____tigung der Übersetzung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsver_____teidigung erforderlich halten durfte.86 _____ _____ VIII. Verfahrensrechtliche Fragen der Anordnung _____ _____ 34 Die Anordnung kann wahlweise durch Beschluss oder formlose Verfügung ergehen, _____ist jedenfalls aber nicht selbstständig anfechtbar,87 unbeachtlich der Möglichkeit inzi_____denter Überprüfung über Rechtsmittel gegen die Endentscheidung88 oder – im Zuge der _____Zurückdrängung der Kollegialzuständigkeit nach den §§ 348 f. n.F. weniger praxisrele_____vant – nach § 140 bei Entscheidungen durch den Vorsitzenden. Da Anordnung und Vor_____legung von Akten Beweisaufnahmen darstellen, kann die Vorlegung auch vor einem _____beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen.89 _____ Unterlässt die belastete Partei die Vorlegung der Urkunde, kann die Befolgung der 35 _____Anordnung nicht erzwungen werden.90 Die Nichtbefolgung der Anordnung unterliegt _____indes der richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 28691 (siehe oben Rdn. 20 f.). _____ Da die Vorlage von Urkunden zum Zwecke des Beweises erfolgt, kommt die Anwen36 _____dung von Präklusionsregeln in Betracht. _____ _____ _____85 MünchKomm-Peters Rdn. 15. _____86 OLG Frankfurt/M. MDR 1981, 58 f. = RuS 1980, 223 = JurBüro 1981, 146. _____87 MünchKomm-Peters Rdn. 16. 88 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 28. _____89 Zöller-Geimer § 434 Rdn. 1 ff. _____90 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5. _____91 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 27.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 143

____ Die Entscheidung nach Abs. 1 ist nicht beschwerdefähig.92 ____ Zur früheren gebührenrechtlichen Lage vgl. § 141 Rdn. 52. ____ ____ ____ § 143 ____ Anordnung der Aktenvorlegung ____ § 143 Smid ____ Das Gericht kann anordnen, dass die Parteien die in ihrem Besitz befindlichen ____Akten vorlegen, soweit diese aus Schriftstücken bestehen, welche die Verhand____lung und Entscheidung der Sache betreffen. ____ ____ Schrifttum ____ Levin Richterliche Prozessleitung und Sitzungspolizei, 1913; Siegel Die Vorlegung von Urkunden im ____Prozess, 1904; Schreiber Die Urkunde im Zivilprozess, 1982. ____ ____ Übersicht ____I. Normzweck/-genese ____ 1 2. Keine Erzwingung der Aktenvor____II. Einzelheiten legung ____ 6 ____ 1. Gegenstand der Vorlagepflicht 3. Auswirkungen des ZPO-RG ____ 7 a) Reichweite ____ 3 ____ b) Grenzen der Vorlagepflicht ____ 4 ____ ____ ____ I. Normzweck/-genese ____ ____ Wie die Anordnung der Urkundenvorlegung und die Anordnung nach § 144 hat die ____der Vorlegung von im Besitz der Parteien befindlicher Akten sowohl eine Aufklärungs____als auch eine Beweisfunktion (§ 142 Rdn. 1). Anders als nach § 142 geht es im Rahmen des ____§ 143 allerdings lediglich um solche Akten, die zur Prozessführung bereits genutzt oder ____für diese bestimmt waren.1 Richtigerweise kann § 143 also lediglich eine Vervollständi____gungsfunktion zugesprochen werden.2 Demgemäß hat die Vorschrift wenig praktische ____Bedeutung. ____ Gesetzesgeschichte: Bis 1900 § 134 CPO. ____ ____ II. Einzelheiten ____ ____ 1. Gegenstand der Vorlagepflicht ____ ____ a) Reichweite. Betroffen sind aufgrund der Funktion der Aktenvorlegung solche ____Schriftstücke, die eine Partei im Prozess eingereicht hat oder die zur Einreichung be____stimmt waren und die den Adressaten nicht erreicht haben oder verlorengegangen sind.3 ____Wegen des systematischen Zusammenhangs zu §§ 142, 144 und vor dem Hintergrund der ____Funktion des § 143 (siehe oben Rdn. 1) ist es richtig, dass das Gericht auch die Vervoll____ ____ ____ ____92 OLGR Frankfurt 2005, 594. ____ 1 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1; Stein Rechtliche Prozessleitung, 2005, S. 149 ff. ____2 Schreiber S. 86 ff.; anders hingegen die Rechtsprechung des BAG, die der Vorlageverpflichtung ____insoweit keine Grenzen setzt: Siehe etwa BAG PersV 1974, 249. ____3 MünchKomm-Peters Rdn. 18; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1.

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§ 144

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ständigung gegnerischer Akten anordnen darf.4 Wegen des Vervollständigungscharak_____ters der Vorschrift erscheint es auch sinnwidrig, über § 143 eine Beweisgebühr nach § 31 _____Abs. 1 Nr. 1 auslösen zu wollen.5 _____ _____ b) Grenzen der Vorlagepflicht. Nicht vorlagepflichtig sind hingegen Akten, auf die 4 _____die Partei momentan und zukünftig keinen Zugriff hat (arg. „in ihrem Besitz befindli_____chen“); notwendig aber auch hinreichend ist insoweit der zur Herausgabe bereite Dritte,6 _____denn eine Drittvorlagepflicht ist in § 143 – anders als nach §§ 142, 144 – nicht normiert. _____Nicht von § 143 erfasst sind ferner die Korrespondenz zwischen Partei und Anwalt, Kor_____respondenzen von am Prozess Unbeteiligten.7 Das gilt auch für behördliche Akten, so_____fern die Behörde nicht Partei des Rechtsstreits ist.8 Für Letztere steht der Weg über _____§ 273 II Nr. 2 oder ggf. über § 432 offen. _____ Es kann ferner im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 184 GVG (deutsche 5 _____Gerichtssprache) geboten sein, der ausländischen Partei über § 144 eine Übersetzung _____von Dokumenten abzunehmen, soweit die Partei diese als bedeutsam dartut, aber die _____Kosten nicht aufzubringen vermag.9 _____ _____ 2. Keine Erzwingung der Aktenvorlegung. Die Anordnung nach § 143 ist nicht 6 _____zwangsweise durchsetzbar. Die Nichtbefolgung der nach § 143 angeordneten Aktenvor_____legung kann aber nach § 286 gewürdigt werden. _____ _____ 7 3. Auswirkungen des ZPO-RG. Die Neuerungen in den §§ 142–144 im Zuge des ZPO_____RG10 sind im Rahmen des nicht neugefassten § 143 nur mittelbarer Natur. Trotzdem sollte _____deshalb erst Recht die Wertung des § 142 beachtet werden: Weil nunmehr alle „sonstigen _____Unterlagen“ nach § 142 Abs. 1 unter den dort geltenden Voraussetzungen vorlagepflichtig _____sind (siehe dort Rdn. 9 f.), darf sich aus § 143 insoweit keine über die aus § 142 hinausrei_____chende Pflicht ergeben.11 _____ _____ _____ § 144 _____ Augenschein; Sachverständige _____ § 144 Smid _____ (1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung _____durch Sachverständige anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder ei_____nem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegen_____standes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der _____Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist. _____ (2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen _____diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis _____385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend. _____ _____ _____ 4 Musielak-Stadler Rdn. 1; a.A. Zöller-Greger Rdn. 1. _____5 Unklar insoweit LAG Frankfurt MDR 2001, 598 = BB 2001, 528 (Ls). _____6 Ähnlich Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. _____7 Levin S. 138. _____8 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3. 9 BVerfG NVwZ 1987, 785–785 = NJW 1987, 3077 (Ls). _____10 Gesetz zur Reform des Zivilprozessrechts vom 27.7.2001; BGBl. I 2001, 1887 ff. _____11 Andere Ansicht insoweit noch Siegel S. 98, der § 143 einen über § 142 a.F. hinausreichenden _____Anwendungsbereich zuschreibt.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 144

____ (3) Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften, die eine auf Antrag ange____ordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige ____zum Gegenstand haben. ____ ____ Schrifttum ____ Amelung NJW 1986, 2075 (2976); Brüggemann Judex statutor und judex investigator, 1968; Habscheid ____ZZP 96 (1983), 309; Peters Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozess, 1982. ____ ____ Übersicht ____I. Normzweck/-genese ____ 1 III. Anordnung der Vorlage ____II. Anordnungsermessen 1. Beweisbeschluss ____ 14 ____ 2. Anordnungsinhalt 1. Ermessensschrumpfung ____ 3 2. Kollision mit der Verhandlungsa) Vorlage- und Duldungspflicht ____ 15 ____ maxime ____ 9 b) Wohnungsbetroffenheit ____ 16 ____ 3. Besorgnis der Befangenheit, § 42 c) Vorlagepflichtige Personen ____ 19 ____ Abs. 2 ____ 12 IV. Sonstiges ____ 20 ____ ____ ____ I. Normzweck/-genese ____ ____ Abs. 1 ZPO statuiert eine prozessuale Duldungspflicht, die unabhängig davon be- 1 ____steht, ob der Dritte im Verhältnis zum Antragsteller aus materiellem Recht zur Duldung ____verpflichtet ist.1 Wie die Anordnung der Urkundsvorlegung und die Anordnung nach ____§ 143 dient die Anordnung der Einnahme des Augenscheins und die der Begutachtung ____durch Sachverständige sowohl der sachaufklärenden Information des Gerichts2 als auch ____der Beschaffung von Beweismitteln bei streitigem Sachverhalt3 (siehe § 142 Rdn. 1). Dies____bezüglich ist dem Gericht – wie bei § 142 – ein Ermessenspielraum eingeräumt4 (siehe ____auch Rdn. 3 ff.). Demzufolge setzt die Begutachtung durch Sachverständige stets voraus, ____dass das Gericht die Beweisfrage selbst formuliert und die Ergebnisse selbst nachvollzo____gen hat.5 ____ Normgeschichte: Bis 1900 § 135 CPO; Neufassung (Erweiterung auf insoweit mit § 142 2 ____gleichlaufende Vorlagepflicht für Dritte) durch Reform 2001.6 ____ ____ II. Anordnungsermessen ____ ____ 1. Ermessensschrumpfung. Bei der Bestimmung der Maßstäbe, die an die Pflicht- 3 ____gemäßheit der Ermessensentscheidung anzulegen sind, ist auf die Aufgabe zurückzu____greifen, die das Gericht bei seiner Prozessförderung zu erfüllen hat (Rdn. 1). Demgemäß ____hat das Gericht etwa in Arzthaftungssachen regelmäßig bei Erhebung von Sachverstän____digenbeweis zweckmäßigerweise die Krankenunterlagen vor Einholung des Gutachtens ____beizuziehen und dem Sachverständigen zugänglich zu machen, um von Amts wegen ____einen Augenschein einzunehmen oder – wenn hierfür besondere Sachkunde erforderlich ____ ____ 1 KG NJW-RR 2006, 241. ____2 Siehe etwa BAG NZA 1999, 324, 326; BGH NJW 1992, 2019; Stein Rechtliche Prozessleitung, 2005, ____S. 159 ff. ____3 BGH NJW 2001, 2465. ____4 BGHZ 66, 68; OLG Köln NJW-RR 1998, 1274; BAG BAGE 34, 158 (Ls); auch Habscheid ZZP 96 (1983), 309. ____5 BAG NZA 1999, 324, 328 = DB 1999, 104 (Ls 1–5) = BB 1999, 270; siehe auch OLG München NJW-RR ____1986, 1142, 1143; ferner BGHZ 37, 389–396 = NJW 1962, 1770, 1771 = MDR 1962, 893, 893. ____6 Gesetz über die Reform des Zivilprozessrechts vom 27.7.2001; BGBl. I 2001, 1887 ff.

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§ 144

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ist – durch Sachverständige vornehmen zu lassen.7 Verallgemeinernd lässt sich also for_____mulieren, dass die Feststellung der fehlenden eigenen Sachkompetenz des Gerichts nicht _____nur ein Anordnungsrecht, sondern eine Anordnungspflicht auslöst,8 denn bei erkannten _____Defiziten hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung kann eine Entscheidung, die Anord_____nung zu unterlassen, nur ermessensfehlerhaft sein.9 Entsprechendes gilt, wenn über die _____nach § 287 zu ermittelnde Schadenshöhe Unklarheit herrscht.10 _____ 4 Es kann ferner im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 184 GVG (deutsche _____Gerichtssprache) geboten sein, der ausländischen Partei über § 144 eine Übersetzung _____von Dokumenten abzunehmen, soweit die Partei diese als bedeutsam dartut, aber die _____Kosten nicht aufzubringen vermag.11 _____ Vor dem Hintergrund der erwähnten Determinanten des Ermessens kann die Einho5 _____lung von Übersetzungen etwa letztwilliger Verfügungen zur Ermittlung des Wortsinns _____über § 144 auch unabhängig von den seitens der Parteien vorgelegten Übersetzungen _____(§ 142 Abs. 3) als möglich erachtet werden,12 weil das Gericht die Mittel der eigenen Sach_____aufklärung selbst bestimmen können muss. _____ 6 Die Zuziehung eines Sachverständigen kann wegen der amtswegigen Anordnung _____nicht von Vorschusszahlung abhängig gemacht werden. Davon zu unterscheiden ist die _____Möglichkeit der Einholung eines Auslagenvorschusses nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG, wel_____cher aber richtigerweise nicht Bedingung zur Beweisaufnahme sein kann.13 Die Vorschrift _____des § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG, die es gestattet, für von Amts wegen vorzunehmende Hand_____lungen einen Vorschuss zur Deckung der Auslagen zu erheben, kann im Falle einer ge_____mäß Abs. 1 angeordneten Beweiserhebung nicht als Grundlage für eine Vorschussanfor_____derung herangezogen werden.14 _____ Will das Gericht von einer Anordnung nach § 144 absehen, so ist die beweisbelastete 7 _____Partei stattdessen nach § 139 regelmäßig darauf hinzuweisen, einen entsprechenden _____Beweisantrag nach §§ 371, 372 zu stellen.15 Das gilt jedenfalls dann, wenn die Partei An_____lass zu der Annahme hatte, ein Gutachten sei nicht erforderlich oder werde von Amts _____wegen eingeholt.16 _____ Auf sachverständige Hilfe wird auch ein in Patentsachen erfahrenes Gericht vor allem 8 _____dann zurückgreifen müssen, wenn zweifelhaft und auf andere Weise nicht zu klären ist, _____wie der einschlägige Fachmann im Patentanspruch oder in der Beschreibung verwendete _____technische Begriffe versteht. Ob und in welchem Umfang die Einholung eines Sachver_____ständigengutachtens erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.17 Im _____ _____7 OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 535; siehe auch BGH MDR 1994, 38, 39 = VersR 1994, 50–52; OLG _____Stuttgart VersR 1991, 229, 231. _____8 Siehe etwa OLG München OLGR 1994, 153 (fehlende Kenntnis über wassertechnische Details bei _____Überschwemmung); BGH VersR 1969, 615, 616 (fehlende Kenntnis über Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und abgefahrenen Reifen); einschränkend auch BGH NJW 1987, 591 (fehlendes Sprachvermögen bei _____englischer Vertragsklausel): Bei fehlender Anordnung nach § 144 muss Hinweis nach § 139 erfolgen (siehe _____auch Rdn. 6); ebenso einschränkend OLG Naumburg OLGR 1995, 129, 130. _____9 So auch BGH VersR 1982, 146, 147 = NJW 1982, 1049, 1050 = MDR 1982, 399–399 bei sich _____widersprechenden Erkenntnissen. _____10 BGH VersR 1968, 987; BGH NJW 1994, 663, 665 = MDR 1994, 250, 251 = DB 1994, 422, 424 = WM 1994, 758, 761. _____11 BVerfG NVwZ 1987, 785–785 = NJW 1987, 3077 (Ls). _____12 Siehe dazu BayObLG Rpfl. 1997, 68, 69 = NJW-RR 1997, 201, 202 = FamRZ 1997, 318–320. _____13 BGH MDR 1976, 396; OLG Saarbrücken DAVorm 1976, 273. _____14 BGH NJW 2000, 743. 15 OLG Köln NJW-RR 1998, 1274 bezüglich Einholung eines Sachverständigengutachtens. _____16 BGH NJW 1991, 493, 495 (Erforderlichkeit eines Meinungsforschungsgutachten über Konnotate eines _____Produkts bei abweichender Beurteilung in der Berufungsinstanz); BGH NJW 1987, 591. _____17 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 144

____Arzthaftungsprozess obliegt dem Patienten bei Geltendmachung eines Schmerzensgeld____anspruchs wegen eines überflüssigen und fehlerhaften medizinischen Eingriffs regelmä____ßig die Darlegungs- und Beweislast. Dies genügt nicht dadurch, dass er dem Gericht Fach____literatur mit dem Hinweis vorlegt, das Gericht könne sich anhand dieser Literatur die ____erforderliche Sachkunde beschaffen.18 ____ ____ 2. Kollision mit der Verhandlungsmaxime. Im Rahmen der Ermessensausübung 9 ____ist das Gericht trotz alledem gehalten, die Verhandlungsmaxime als tragendes Element ____des Zivilprozesses zu beachten: Demgemäß kann allgemein gesagt werden, dass die An____ordnung nach § 144 nicht dazu dienen darf, der Partei die Beweisführung und die damit ____verbundenen Lasten abzunehmen.19 Wenn eine Partei etwa in grob nachlässiger Weise ____ihre Prozessförderungspflicht (§ 282 Abs. 1) verletzt, indem sie als beweisbelastete Partei ____sich auf die Vorlage eines von der Gegenseite substantiiert bestrittenen Privatgutachtens ____beschränkt und sich nicht auf die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengut____achtens beruft, kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts we____gen regelmäßig nicht in Betracht.20 Dasselbe gilt, wenn der klagende Mieter aufgrund ____seines bevorstehenden Auszugs aus der gemieteten Wohnung auf die Einholung des ____toxikologischen Gutachtens verzichtet hat; auch insoweit besteht richtigerweise keine ____Veranlassung zum Beweiseinzug von Amts wegen durch Begutachtung durch einen ____Sachverständigen (§ 144),21 weil es nicht Aufgabe des Gerichts ist, den Parteien die Ver____antwortung für den Streit- und Beweisstoff abzunehmen.22 Weil die Erhebung des Sach____verständigenbeweises regelmäßig nur auf Antrag der beweisbelasteten Partei durch Be____nennung des Beweismittels und des genauen Beweisthemas geschieht, ist demgemäß ____eine Erhebung des Beweises nach pflichtgemäßem Ermessen auch ohne Antrag der Par____tei nach § 144 im Allgemeinen nicht veranlasst, wenn das Gericht der beweisbelasteten ____Partei gemäß § 139 Gelegenheit gegeben hat, Beweis durch Sachverständigengutachten ____anzutreten, die Partei den Beweisantrag daraufhin aber nicht stellt.23 ____ Die im Ermessen des Gerichtes stehende Beweisanordnung im Sinne des Abs. 1 setzt 10 ____voraus, dass diese für eine sachgerechte Entscheidung unentbehrlich und insbesondere ____im Hinblick auf die durch ein schriftliches Sachverständigengutachten erfahrungsgemäß ____ausgelösten beträchtlichen Kosten auch angemessen und verhältnismäßig erscheint. Die ____Anordnung ist jedenfalls ermessensfehlerhaft, wo ein entsprechender Beweisantrag der ____Partei nicht zulässig ist und z.B. als Ausforschungsbeweis zurückzuweisen wäre.24 ____ Vor dem Hintergrund der Ausrichtung des Ermessens (Rdn. 1) lässt sich auch zwanglos 11 ____begründen, dass das Ausbleiben eines nach § 68 Abs. 3 GKG eingeforderten Kostenvor____schusses – etwa für die Bestellung eines Sachverständigen – kein tauglicher Anlass sein ____kann, die Anordnung nach § 144 zu verweigern.25 Ein Rekurrieren auf die Gründe des Aus____bleibens (Zahlungsunfähigkeit) oder um die Gerechtigkeit zu wahren26 erscheint insoweit ____nicht erforderlich:27 Das Bedürfnis nach aufklärender Augenscheinnahme – als ermessens____ ____ ____18 OLG Frankfurt/M. IVH 2003, 93. ____19 Peters S. 146; Brüggemann S. 448 f. 20 OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 949 f. ____21 LG Tübingen WuM 1997, 41, 42 = ZMR 1997, 189. ____22 OLG Frankfurt/M. MDR 1993, 81, 82 = NJW-RR 1993, 169, 171; siehe auch BGHZ 5, 302, 307. ____23 OLG Frankfurt/M. MDR 1993, 81, 82 = NJW-RR 1993, 169, 171. ____24 BGH FamRZ 2003, 385. 25 OLG Koblenz NJW-RR 2002, 432; AK-Schmidt Rdn. 22; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7; a.A. RGZ 109, 66 ____(68); RG JW 1925, 757; RGZ 155, 37, 39; OLG Düsseldorf MDR 1974, 321. ____26 So BGH MDR 1976, 396. ____27 Kritisch auch Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8.

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§ 144

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____lenkender Zweck – hängt nicht davon ab, ob ein Vorschuss beglichen wurde. Insoweit _____ist die Feststellung richtig, es wäre widersprüchlich, die in § 144 Abs. 1 enthaltene Durch_____brechung des Beibringungsgrundsatzes auf der Ebene des Kostenrechts wieder rückgän_____gig zu machen.28 _____ _____ 3. Besorgnis der Befangenheit, § 42 Abs. 2. Unzulässige Inquisition erregt immer 12 _____die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2. Es würde deshalb eine Missachtung des _____Neutralitätsgebots darstellen, wenn das Gericht Anordnungen nach § 144 träfe, die bei _____einem entsprechenden Parteiverhalten unzulässig wären; sei es wegen § 296 Abs. 1,29 sei _____es wegen unzulässigen Beweisantritts.30 Auch einen unterlassenen, aber gebotenen Hin_____weis darf das Gericht nicht durch eine Anordnung nach § 144 kompensieren,31 weil der _____bloße Hinweis nach § 139 den Gegner weniger benachteiligt als die Maßnahme nach _____§ 144, welche der Sache nach bereits die Realisierung eines Hinweises darstellt. Hingegen _____ist mangelnde eigene Sachkunde immer Anlass, Anordnungen nach § 144 zu treffen.32 _____ § 144 verpflichtet das Gericht auch nicht, von Amts wegen jeder nur denkbaren Be13 _____weisanordnung nachzugehen, was insbesondere gilt, wenn damit beträchtliche Kosten _____für die Parteien verbunden sind.33 _____ _____ III. Anordnung der Vorlage _____ _____ 1. Beweisbeschluss. Soweit eine Beweisaufnahme durchgeführt werden soll, bedarf 14 _____es des Erlasses eines Beweisbeschlusses gemäß § 358 a.34 Für das dabei zu beachtende Ver_____fahren gelten nach Abs. 3 die §§ 371 ff., 402 ff. Im Übrigen kann die Anordnung auch durch _____prozessleitende Verfügung (§ 272 Abs. 2 Nr. 5) erlassen werden,35 die formlos bekanntgege_____ben wird, es sei denn, das Gericht setzt in ihr eine Frist. Die Nichtbefolgung einer – nicht er_____zwingbaren – Vorlage- oder Duldungsanordnung hat regelmäßig zur Folge, dass das Partei_____vorbringen nicht substantiiert ist, soweit es sich um eine Aufklärungsanordnung handelt; _____bei beweisdienenden Anordnungen bleibt die beweisbelastete Partei beweisfällig, die nicht _____beweisbelastete Partei muss eine entsprechende Würdigung nach § 286 in Kauf nehmen.36 _____Gegen Dritte kann über Abs. 2 i.V.m. § 390 Ordnungsgeld oder -haft verhängt werden. Inso_____weit gelten dieselben Grundsätze wie bei § 142 (siehe dort Rdn. 25 ff.). Modifikationen er_____geben sich bei der Wohnungsbetroffenheit nach Abs. 1 Satz 3 a.E. (siehe unten Rdn. 16). _____ _____ 2. Anordnungsinhalt _____ _____ a) Vorlage- und Duldungspflicht. Die neue Differenzierung nach Abs. 1 in eine 15 _____Vorlage- und Duldungspflicht ist der Vorgängerregelung zwar unbekannt, bringt aber in _____der Sache nichts Neues. Sinn macht sie insofern, als bei Betroffenheit einer Wohnung, _____die einem Dritten ein Weigerungsrecht nach Abs. 1 Satz 3 a.E. eröffnet, nur eine Dul_____ _____ _____28 So BGH NJW 2000, 743, 744 = VersR 2001, 914, 915. _____29 Musielak-Stadler Rdn. 5. 30 BGHZ 5, 302 (305). _____31 Vgl. OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1993, 169 (170). _____32 BGH NJW 1987, 591; BAG NZA 1999, 324–328 = DB 1999, 104 (Ls 1–5) = BB 1999, 270 (Ls 1–5); OLG _____Düsseldorf MDR 1984, 1033; OLG Stuttgart VersR 1991, 230. _____33 OLG Düsseldorf VersR 1994, 1322 zur Frage der Anordnung eines aufwendigen Testverfahrens zur Überprüfung der Rutschfestigkeit von Bodenfliesen. _____34 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. _____35 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. _____36 MünchKomm-Peters Rdn. 12.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 144

____dungsverpflichtung der Inaugenscheinnahme denklogisch möglich erscheint; wiewohl ____dieses Ergebnis auch durch Auslegung erreichbar gewesen wäre. Unter den Begriff der ____Wohnung im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 3 fallen auch nicht allgemein zugängliche Ne____bengebäude und Garagen.37 ____ ____ b) Wohnungsbetroffenheit. Allerdings ist im Rahmen des Abs. 1 – anders als nach ____§ 142 – das Dulden der Inaugenscheinnahme von unbeweglichen Sachen nach Abs. 1 ____Satz 3 (etwa Ortstermin/Sachverständige) durch das Betreten von Wohnungen ausge____nommen. Damit soll dem verfassungsrechtlichen Recht nach Art. 13 GG auf Unverletz____lichkeit der Wohnung Rechnung getragen werden.38 Wegen der insofern eindeutigen ____Bezugnahme ist wohl auch der Wohnungsbegriff verfassungsrechtlich zu verstehen: Dies ____sind alle Örtlichkeiten, die subjektiv Wohnzwecken dienen, und objektiv als solche er____kennbar sind,39 gegebenenfalls also auch Wohnwagen, Lauben, Boote usw. Die Vorschrift ____erscheint wegen des Schutzes der Intimsphäre insofern auch die konsequente Weiterfüh____rung des Gedankens des Ausnahmecharakters von Eingriffen in höchste Persönlich____keitsgüter nach § 372 a. ____ Die prozessual bedeutsame Folgefrage ist aber die nach der Konsequenz einer Wei____gerung einer Wohnungsbeschau/-begutachtung: Wenn eine Anordnung bei Wohnungs____betroffenheit nicht zulässig ist, liegt der Schluss nahe, dass ihre Nichtbefolgung nicht ____dieselben Konsequenzen wie die gewöhnliche Nichtbefolgung (siehe oben Rdn. 14) zeiti____gen kann. Dieser Schluss führt aber zu unlösbaren Friktionen, weil etwa die Nichtbefol____gung einer Beweisanordnung durch die beweisbelastete Partei unter der Geltung des ____Beibringungsgrundsatzes nicht unberücksichtigt bleiben kann; sie bleibt also beweisfäl____lig. Auch das Unterlassen einer Würdigung nach § 286 bei Nichtbefolgung seitens der ____nicht beweisbelasteten Partei erscheint unangemessen, weil die Betroffenheit der Woh____nung nicht per se geeignet ist, die Treuwidrigkeit einer Weigerung zu widerlegen. Einzig ____einem Dritten wird man demgemäß eine folgenlose Weigerung der Inaugenscheinnahme ____seiner Wohnung zubilligen können. ____ Vor dem Hintergrund der fehlenden Erzwingbarkeit erheischt auch die im Verfas____sungsrecht diskutierte These, von einer allgemeinen Ausdehnung des Wohnungsbegriffs ____auf Zubehörflächen auszugehen, die in erkennbarem Zusammenhang zu Wohnzwecken ____stehen (Hof, Garten u.a.),40 jedenfalls zivilprozessual keine Zustimmung. ____ ____ c) Vorlagepflichtige Personen. Hinsichtlich der Frage, wie sich die jeweilige Stel____lung einer Partei zum in Rede stehenden Punkt (beweisbelastet, nicht beweisbelas____tet) verhält, kann wegen der Geltung derselben Grundsätze auf § 142 (Rdn. 11 ff.) verwie____sen werden. Neu ist überdies die Möglichkeit, eine Anordnung nach § 144 auch gegen____über Dritten zu treffen. Es gilt hier aber regelmäßig dasselbe wie in § 142 (siehe dort ____Rdn. 25 ff.), Ausnahmen sind bei Betroffenheit einer Wohnung (Abs. 1 Satz 3 a.E.) denk____bar (siehe oben Rdn. 16 ff.). ____ ____ IV. Sonstiges ____ ____ Die Einholung von Übersetzungen etwa letztwilliger Verfügungen zur Ermittlung ____des Wortsinns ist über § 144 auch unabhängig von den seitens der Parteien vorgelegten ____ ____ 37 BGH NJW-RR 2009, 1393. ____38 BT-Drucks. 14/3750 S. 54. ____39 Sachs/GG-Kühne Art. 13 Rdn. 2. ____40 So Amelung NJW 1986, 2075 (2976) metaphorisch auf einen „Ausstrahlungsgedanken“ rekurrierend.

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§ 145

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_____Übersetzungen (§ 142 Abs. 3) möglich,41 weil das Gericht die Mittel der eigenen Sachauf_____klärung selbst bestimmen können muss. _____ Werden nach einem Vermerk im Verhandlungsprotokoll und in den Urteilsgründen 21 _____Lichtbilder „zu Informationszwecken“ herangezogen, in Augenschein genommen und _____zur Entscheidungsfindung verwendet, dann hat eine Beweisaufnahme stattgefunden. _____Dem Anwalt ist dann eine Beweisgebühr entstanden.42 _____ Wurde ohne förmliche Beteiligung des Dritten entschieden, dass er eine Maßnahme 22 _____nach Abs. 1 zu dulden hat, steht dem Dritten als materiell Betroffenen das verfahrens_____rechtlich gegen die Entscheidung vorgesehene Rechtsmittel zu.43 _____ _____ _____ § 145 _____ Prozesstrennung, getrennte Verhandlung über Aufrechnung _____ § 145 Smid _____ (1) Das Gericht kann anordnen, dass mehrere in einer Klage erhobene Ansprü_____che in getrennten Prozessen verhandelt werden. _____ (2) Das gleiche gilt, wenn der Beklagte eine Widerklage erhoben hat und der _____Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch nicht in recht_____lichem Zusammenhang steht. _____ (3) Macht der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend, die mit _____der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht in rechtlichem Zusammen_____hang steht, so kann das Gericht anordnen, dass über die Klage und über die Auf_____rechnung getrennt verhandelt werde; die Vorschriften des § 302 sind anzuwenden. _____ _____ Schrifttum _____ Ott Die Parteiwiderklage, 1999; E. Schneider ZAP Fach 13, 491–500; Schwab Bemerkungen zur Pro_____zessaufrechnung, FS Nipperdey (1965) Bd. I 161 ff. _____ _____ Übersicht _____I. Normzweck/-anwendungsbereich und III. Prozesstrennung im Falle einer Widerklage, _____ Normgenese ____ 1 Abs. 2 ____ 14 _____II. Trennung mehrerer Klagebegehren, 1. Allgemeines ____ 14 _____ Abs. 1 ____ 5 2. Fehlende Konnexität ____ 16 _____ 1. Objektive Klagehäufung ____ 5 a) Unterschiedliche Streitgegena) Erhobene Ansprüche ____ 5 stände von Klage und Wider_____ b) Objektive Klagehäufung ____ 6 klage ____ 16 _____ ____ 7 2. Subjektive Klagehäufung b) Fehlender rechtlicher Zusammen_____ vorgeschriebene Trenhang von Klage und Wider_____ 3. Gesetzlich nung ____ 9 klage ____ 17 _____ 4. Gesetzlich verbotene Tren3. Folgen und Wirkung der Tren_____ nung ____ 10 nung ____ 22 _____ 5. Wirkung der Trennung ____ 11 IV. Abgetrennte Verhandlung im Falle der _____ a) Fortsetzung des Rechtsstreits Prozessaufrechnung, Abs. 3 ____ 25 _____ in selbstständigen Prozes1. Allgemeines ____ 25 _____ sen ____ 11 a) Prozessaufrechnung als Verteidib) Perpetuatio fori ____ 12 gungsmittel ____ 26 _____ c) Geschäftsverteilung ____ 13 b) Zuständigkeit ____ 30 _____ _____ _____41 Siehe dazu BayObLG Rpfl. 1997, 68, 69 = NJW-RR 1997, 201, 202 = FamRZ 1997, 318–320. _____42 OLG Brandenburg AGS 2000, 106. _____43 OLG Stuttgart NJW 2011, 1745.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 145

c) Primäraufrechnung durch den b) Entscheidung über die Gegenforde____ Beklagten ____ 33 rung ____ 50 ____ d) Eventualaufrechnung durch den c) Berufungsinstanz ____ 51 ____ ____ 36 ____ 52 Beklagten V. Verfahren ____ e) Aufrechnung durch den 1. Zuständigkeit ____ 52 ____ Kläger ____ 41 2. Anordnung nach mündlicher Verhand____ f) Teilklagen ____ 45 lung ____ 53 ____ g) Prüfungsreihenfolge ____ 46 3. Amtswegige ermessensgebundene ____ Anordnung ____ 54 2. Besondere Voraussetzung der Anord____ nung abgetrennter Verhandlungen nach 4. Beschluss ____ 55 ____ 5. Rechtsmittel ____ 56 Abs. 3 ____ 47 3. Ablauf des Verfahrens bei abgetrennter 6. Gebühren und Kosten ____ 58 ____ ____ 49 a) Allgemeines ____ 58 Verhandlung nach Abs. 3 ____ a) Entscheidung über die Klagefordeb) Gerichtskosten ____ 59 ____ ____ rung 49 c) Rechtsanwaltsgebühren ____ 60 ____ ____ ____ I. Normzweck/-anwendungsbereich und Normgenese ____ Die Maßnahmen der Prozesstrennung gemäß § 145 dienen der Förderung des Ver- 1 ____ ____fahrens durch die Herstellung übersichtlicher und entscheidbarer Komplexe von nach ____Maßgabe der Abs. 1 bis 3 rechtlich abgegrenzten Streitthemen.1 Durch die Aufspaltung ____eines einheitlichen Prozesses in verschiedene Prozesse (unten Rdn. 9) oder die getrennte ____Verhandlung im Falle der Aufrechnung (unten Rdn. 19) soll eine zügigere Erledigung der ____jeweiligen Prozesse oder Prozessteile erreicht werden.2 In den nach § 145 getrennten Pro____zessen ergehen eigenständige Urteile ohne Bezug auf die zunächst im einheitlichen Pro____zess geltend gemachten Ansprüche, Widerklage oder die Aufrechnung: Darüber hinaus ____lässt § 145 eine weitere Differenzierung nach einzelnen „Streitpunkten“ nicht zu; eine ____getrennte Verhandlung über selbstständige Angriffs- und Verteidigungsmittel kann nach ____§ 146 angeordnet werden. Im Falle der Prozesstrennung nach Abs. 1 kann über die in ____„eigene“ Prozesse verwiesenen Ansprüche unabhängig von den anderen zunächst in ____einem einheitlichen Prozess geltend gemachten Ansprüchen entschieden werden. Dies ____gilt auch im Falle der Verweisung der nichtkonnexen Widerklage in einen eigenen Pro____zess nach Abs. 2. Schließlich sieht Abs. 3 vor, dass im Falle der Aufrechnung des Beklag____ten mit einer Gegenforderung über diese abgetrennt von mit der Klage geltend gemach____ten Forderungen verhandelt werden kann. So kann ein rasches Vorbehaltsurteil (§ 302) ____ergehen, die mitunter zweifelhaftere Gegenforderung ins Nachverfahren verwiesen wer____den. § 20 FamFG trifft eine entsprechende Regelung für die dem Geltungsbereich des 2 ____ ____FamFG unterliegenden Verfahren;3 wegen § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Vorschrift auf ____Ehe- und Familienstreitsachen nicht anwendbar,4 dessen Satz 2 auf die Regelungen der ____ZPO – verweist.5 Im Scheidungsverbund sind aber als leges speciales6 die Regelungen ____der §§ 137, 140 FamFG. § 140 Abs. 1 FamFG. ____ ____ ____1 BVerfG NJW 1997, 649–650 = ZIP 1996, 1527–1528 = WM 1996, 1792–1794: Maßstab ist „Ordnung des ____Prozessstoffes im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit“. ____2 Die Beschleunigung wenigstens eines Teils, muss zur Rechtfertigung der Trennung zu erwarten sein: ____BGH NJW 1995, 3120 = WM 1995, 1816–1818 = MDR 1996, 269; siehe auch E. Schneider MDR 1974, 7 (8). 3 MünchKomm-Pabst FamFG § 20 Rdn. 3 ff. ____4 MünchKomm-Pabst FamFG § 20 Rdn. 2. ____5 MünchKomm-Fischer FamFG § 113 Rdn. 2. ____6 MünchKomm-Pabst FamFG § 20 Rdn. 28.

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§ 145

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_____ 3 Der Anwendungsbereich der Vorschrift liegt vornehmlich im Erkenntnisverfahren. _____§ 145 kann entsprechend auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zum Zuge kommen.7 _____ Normgenese: Bis 1900 § 136 CPO durch Reform 20018 unverändert. 4 _____ _____ II. Trennung mehrerer Klagebegehren, Abs. 1 _____ _____ 1. Objektive Klagehäufung _____ _____ a) Erhobene Ansprüche. Abs. 1 sieht die Möglichkeit einer getrennten Verhandlung 5 _____vor, wenn in einer Klage mehrere Ansprüche erhoben werden. Eine Trennung kann frei_____lich nicht bereits dann erfolgen, wenn im Falle der (materiellrechtlichen) Anspruchs_____grundlagenkonkurrenz ein Antrag auf mehrere rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt _____werden kann:9 Beispielsweise scheidet § 145 bei der Klage des Verkäufers aus, die sich _____auf § 433 Abs. 2 BGB und – z.B. mit Blick auf § 850 f Abs. 2 – auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. _____§ 263 StGB stützt. Entsprechendes gilt etwa bei einer Herausgabeklage aus § 985 BGB und _____kumulativ aus § 862 BGB. Denn in derartigen Fällen ist der Verfahrensbeschleunigung _____dadurch Rechnung getragen, dass aus nahe liegendstem Grunde zu urteilen ist. § 145 _____Abs. 1 sieht daher die Möglichkeit einer Prozesstrennung bei mehreren mit der Klage _____verfolgten Prozessansprüchen vor.10 _____ _____ b) Objektive Klagehäufung. Mit der dem Gericht eröffneten Möglichkeit einer Pro6 _____zesstrennung trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass der Kläger mehrere Pro_____zessansprüche gegen einen Beklagten verbinden kann. Mit den „erhobenen Ansprü_____chen“, von denen Abs. 1 spricht, sind daher zunächst Fälle der objektiven Klagehäufung _____gemäß § 260 gemeint, unter der zu verstehen ist, dass wenigstens zwei Sachanträge vom _____Kläger gestellt werden. 11 Die Klage enthält in diesem Falle wenigstens zwei Streit_____gegenstände. Dies ist nicht der Fall bei alternativer Klagenhäufung, bei der die Zahlungs_____klage mit zwei selbstständigen Klageansprüchen gerechtfertigt wird,12 beispielsweise _____Zahlungsklage aus Wechselhingabe und Darlehen. Wird ein Beschluss von Wohnungs_____eigentümern, der eine aus einer Vielzahl von Einzelregelungen bestehende Haus- und _____Gartenordnung zum Gegenstand hat, angefochten, handelt es sich um einen einheitli_____chen Verfahrensgegenstand. Es ist grundsätzlich ermessensfehlerhaft, das Verfahren _____entsprechend der Zahl der Einzelregelungen in eine Vielzahl von Verfahren zu zerle_____gen.13 Dagegen ist eine Verfahrenstrennung nach § 145 nicht ermessensfehlerhaft, wenn _____es Ziel des Prozessgerichts war, den Prozessstoff zu ordnen und übersichtlicher zu ge_____stalten.14 _____ _____ 2. Subjektive Klagehäufung. Weiter ist die Trennung nach Abs. 1 bei subjektiver 7 _____Klagehäufung im Falle der einfachen Streitgenossenschaft gemäß §§ 59, 60, nicht aber in _____ _____ _____7 Etwa bei einem Anspruch und Antrag auf Pfändung und Überweisung mehrerer gegen verschiedene _____Drittschuldner gerichteter Forderungen: KG Rpfl. 1976, 327; LG Berlin Rpfl. 1993, 167; auch im Verfahren zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach §§ 899 ff.: LG Oldenburg Rpfl. 1981, 363. _____8 Zivilprozessrechtsreformgesetz (fortan ZPO-RG) vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. _____9 Vgl. BGH NJW 1961, 72; E. Schneider MDR 1974, 7; Mühl NJW 1954, 1655 (1667): Es kommt allein § 146 in _____Betracht. _____10 Allg.M. MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5; AK-Schmidt Rdn. 3. 11 BGH NJW 1961, 72; AK-Göring Rdn. 1. _____12 MünchKomm-Lüke § 260 Rdn. 24. _____13 BayObLG München, 2. Zivilsenat, Beschluss vom 23. Oktober 2003, Az: 2 Z BR 63/03. _____14 BGH GWR 2010, 294.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 145

____dem der notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 6215 zulässig. Während im letztge____nannten Fall das streitige Rechtsverhältnis nur einheitlich allen Beklagten als Streitge____nossen gegenüber festgestellt werden kann und damit eine Prozesstrennung sinnwidrig ____wäre,16 ist eine Trennung möglich, wenn die Beklagten wegen des Streitgegenstandes ____wie z.B. bei Bruchteils- oder Miteigentumsgemeinschaft oder im Falle der Klage des Ge____schädigten gegen Pflichtversicherer und Versicherungsnehmer in Rechtsgemeinschaft ____stehen oder aus identischem oder im wesentlichen gleichartigen Grund berechtigt oder ____verpflichtet sind. § 240 untersagt die Anordnung einer Prozesstrennung nach § 145, wenn ____diese – wie in der Regel – auch Interessen des insolventen Streitgenossen berührt.17 Hat ____das Erstgericht bei einer von ursprünglich insgesamt 27 Klägern erhobenen Schadener____satzklage gegen die Treuhandkommanditistin einer Fonds-KG wegen Kapitalanlegerver____lusten eine Trennung der Verfahren unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorge____nommen, ist dies ermessensfehlerhaft.18 ____ Im Übergang vom Mahnverfahren zum Streitverfahren bedarf es eines Trennungs- 8 ____beschlusses dann nicht, wenn das Verfahren gegen verschiedene Beklagte fortgesetzt ____werden soll.19 ____ ____ 3. Gesetzlich vorgeschriebene Trennung. Das Gericht hat zwingend eine Prozess- 9 ____trennung anzuordnen, wenn dies aufgrund der „Wesensverschiedenheit“ von Verfahren ____geboten ist, die unterschiedlichen Strukturprinzipien folgen und andernfalls durch Kla____gehäufungen verbunden würden: Dies gilt etwa für den Restitutionsprozess gemäß § 578 ____Abs. 2, in Familien- und Nichtfamiliensachen,20 Urkundsprozess und Nachverfahren,21 ____einstweilige Verfügungen und Hauptsacheverfahren.22 Auch erste und Berufungsinstanz ____dürfen (selbstverständlich!) nicht miteinander verbunden werden.23 Zu beachten ist, dass ____allein wegen der nicht dem Gesetz entsprechenden – also verbundenen – Geltendma____chung von Ansprüchen eine Abweisung als unzulässig richtigerweise nicht in Betracht ____kommt, vielmehr in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden ist.24 ____ ____ 4. Gesetzlich verbotene Trennung. Im Falle der notwendigen Streitgenossenschaft 10 ____gemäß § 62 muss die Einheitlichkeit der Entscheidung gewahrt bleiben. Daher ist die An____ordnung der Prozesstrennung unzulässig.25 Ebenso ausgeschlossen ist die Trennung von ____Haupt- und Eventualantrag,26 da andernfalls entgegen dem Willen des Antragstellers aus ____dem Eventual- ein Hauptantrag gemacht würde.27 Weiterhin verbieten die §§ 518 Satz 2, ____623 Abs. 1 Satz 1,28 §§ 246 Abs. 3, 249 Abs. 2 AktG die Anordnung der Prozesstrennung. Im ____ ____ ____15 BGH MDR 1997, 746; auch schon die Vorauflage Anm. A II b 12. ____16 MünchKomm-Peters Rdn. 11. 17 KG v. 24.2.2003 – 5 W 326/02. ____18 OLG München v. 26.6.2009 – 10 U 1575/09. ____19 MünchKomm-Peters Rdn. 17. ____20 BGH NJW 1979, 426; OLG Düsseldorf FamRZ 1982, 511. ____21 BGH NJW 1978, 44. ____22 MünchKomm-Peters Rdn. 11. 23 AK-Göring § 147 Rdn. 4. ____24 BGH FamRZ 1997, 811–813 = NJW 1997, 2176–2178 = MDR 1997, 746–747 bezüglich eines ____vorbereitenden Auskunftsanspruchs (BGB §§ 1580, 1605), der nicht im Rahmen einer Stufenklage geltend ____gemacht wird und nicht in den Scheidungsverbund gehört. ____25 MünchKomm-Peters Rdn. 11. 26 Siehe auch BGH MDR 1982, 43; MDR 1980, 565. ____27 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5. ____28 In Familiensachen ist aber § 145 möglich soweit zwischen Scheidungsverbund und vorbereitenden ____Auskunftsansprüchen keine Stufenklage vorliegt: BGH NJW 1997, 2176 (2177).

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§ 145

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_____Falle der objektiven Klagehäufung scheidet bei Entscheidungsreife eine Trennung eben_____falls aus;29 es hat vielmehr wegen des geltend gemachten entscheidungsreifen Anspruchs _____Teilurteil nach § 301 zu ergehen30 (arg. § 301 Abs. 1 Satz 2). Im Übrigen gilt: Die Zulässigkeit _____der Prozesstrennung bei Anspruchshäufung nach Abs. 1 begegnet nicht den gleichen Ein_____schränkungen wie die Zulässigkeit eines Teilurteils nach § 301. Auch wenn die Möglich_____keit einander widersprechender Entscheidungen im ordentlichen Verfahren über den _____abgetrennten Verfahrensteil und im Nachverfahren des Urkundenprozesses im Falle ge_____meinsamer Vorfragen besteht, ist daher eine Prozesstrennung zulässig.31 _____ Eine Verfahrenstrennung kann am Ende des Verfahrens nicht mehr greifen; jeden10a _____falls ist eine Trennung allein zur Vereinfachung der Kostenentscheidung unzulässig. _____Denn ist ein Rechtsstreit zur Entscheidung reif, ist eine Trennung nach § 145 ausge_____schlossen.32 _____ _____ 5. Wirkung der Trennung _____ _____ a) Fortsetzung des Rechtsstreits in selbstständigen Prozessen. Die Trennung 11 _____nach Abs. 1 bewirkt, dass der Rechtsstreit danach in mehreren selbstständigen Prozessen _____fortgeführt wird, für die eigene Akten anzulegen und die durch eigenes Endurteil zu ent_____scheiden sind.33 Teilurteile über den jeweiligen Streitgegenstand mit Blick auf die vor der _____Trennung vorgenommene Klagenhäufung scheiden daher aus.34 Das bis zur Trennung _____erfolgte Parteivorbringen sowie bis dahin durchgeführte Beweisaufnahmen sind in je_____dem der danach zu führenden Prozesse beachtlich.35 _____ _____ b) Perpetuatio fori. Die Trennung verschiedener erhobener Ansprüche nach Abs. 1 12 _____lässt die Zuständigkeit nach § 5 wegen perpetuatio fori unberührt; sie kann nach § 150 _____aufgehoben werden. Hiervon sind Fälle zu unterscheiden, in denen die Klagehäufung _____unzulässig ist (siehe oben Rdn. 9).36 Hier ist die Trennung von Amts wegen vorzunehmen _____und führt, wenn die Streitwertzuständigkeit des LG nicht erreicht wird, zur Abweisung _____bzw. zur Verweisung gemäß § 281.37 Werden die Ansprüche in einer Prozessart erhoben, _____ist aber wegen eines der Ansprüche die Geltendmachung in der Prozessart unzulässig, _____erfolgt Abweisung als unstatthaft (vgl. § 597 Abs. 2); da für den abzuweisenden Antrag _____Entscheidungsreife besteht, kommt eine Trennung nicht in Betracht (siehe schon _____Rdn. 10). _____ _____ c) Geschäftsverteilung. Fraglich ist die Wirkung der Trennung auf die Geschäfts13 _____verteilung des Gerichts. Die wohl h.M.38 empfiehlt, § 261 Abs. 3 Nr. 2 entsprechend anzu_____wenden, so dass die getrennten Prozesse beide vor denselben Spruchkörper gelangen. _____Damit soll vermieden werden, dass die Auswahl des andernfalls für die Entscheidung _____ _____ _____29 BAG DB 1972, 244; OLG München OLGR 2000, 279. _____30 BGH NJW 1957, 183; OLG München OLGR 2000, 279; BayObLG WuM 1998, 630 (Ls); OLG Köln VersR _____1973, 285; siehe auch Vorauflage Anm. A I. 31 BGH NJW 2003, 2386. _____32 OLG München v. 8.4.2010 – 19 U 1565/09 –. _____33 Aus dem Anlegen von Akten kann aber nicht auf eine zulässige und wirksame Trennung geschlossen _____werden: Vgl. LG Berlin Rpfl. 1998, 40–41 = JurBüro 1998, 30–31. _____34 MünchKomm-Peters Rdn. 12. 35 MünchKomm-Peters Rdn. 12. _____36 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 16. _____37 OLG Frankfurt/M. OLGR 2000, 35; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 16. _____38 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 23; MünchKomm-Peters Rdn. 14.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____des neu konstituierten Prozesses zuständigen Richters in die Willkür des sein Ermessen ____nach Abs. 1 ausübenden Richters oder Spruchkörpers gelegt würde, was mit einer Verlet____zung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG einhergehen ____würde.39 Das dürfte eine Überspannung dessen darstellen, was mit dieser verfassungs____rechtlichen Garantie gemeint ist. Denn sie stellt vornehmlich den Schutz vor Willkür si____cher.40 Die zulässige Prozesstrennung ist aber keineswegs willkürlich, sondern Ergebnis ____einer Ermessensbetätigung. Der Kern des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG ist vielmehr die vor der ____Klage bereits bestehende rechtssatzmäßige Bestimmbarkeit des zuständigen Spruchkör____pers unter den die Klage ausmachenden Umständen.41 Soweit die Geschäftsverteilung ____mithin abstrakt die Zuständigkeit nach einer Trennung festlegt, ist der gesetzliche Rich____ter bestimmt.42 Wollte man trotzdem eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 GG annehmen, ____müsste dies etwa auch für jede – auch gemäß Geschäftsverteilungsplan festgelegte – ____Krankheitsvertretung gelten. Mithin können allein unzulässige – also ermessensfehler____hafte – Prozesstrennungen das Gebot des gesetzlichen Richters verletzen,43 für eine An____wendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 bleibt regelmäßig kein Raum. ____ ____ III. Prozesstrennung im Falle einer Widerklage, Abs. 2 ____ ____ 1. Allgemeines. Wie nach Abs. 1 (siehe oben Rdn. 10) ist bei der Klage und Wider- 14 ____klage eine Trennung unzulässig, soweit eines von beiden zur Endentscheidung reif ist, ____es hat vielmehr eine Teilentscheidung zu ergehen.44 Eine Trennung von Klage und Wi____derklage nach § 145 Abs. 2 kann nur erfolgen, wenn sie nicht in rechtlichem Zusammen____hang stehen. Werden mit der Klage oder Widerklage mehrere Ansprüche geltend ge____macht, so ist für jeden mit der Widerklage verfolgten Anspruch getrennt sein sachlicher ____Zusammenhang mit der Klage und somit seine Abtrennbarkeit zu überprüfen. Dabei ist ____ein rechtlicher Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage in weiter Auslegung ____anzunehmen, wenn die Ansprüche aus einem einheitlichen und innerlich zusammenge____hörigen Lebensverhältnis entspringen.45 Die Trennung von Klage und Widerklage ist ____nicht zu beanstanden, wenn die Voraussetzungen, unter denen eine nur gegen einen ____bislang nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten gerichtete Widerklage ausnahmsweise ____zulässig ist, nicht ersichtlich sind.46 ____ Wird eine allgemeine Widerklage in unstatthafter Weise (vgl. § 595 Abs. 1) im Ur- 15 ____kundsprozess erhoben, ist diese nicht abzuweisen, sondern zwingend nach Abs. 2 zu ____trennen und gesondert zu verhandeln.47 Das gilt nach zutreffender Ansicht48 auch für die ____im Urkundsprozess als Urkunden-Widerklage erhobene Widerklage. Die Gegenmeinung49 ____geht davon aus, dass eine Trennung erst dann möglich sei, wenn der Widerkläger nach ____§ 596 davon Abstand genommen habe, im Urkundsprozess vorzugehen; andernfalls sei ____ ____39 Stein/Jonas-Schumann Rdn. 23; MünchKomm-Peters Rdn. 14. ____40 BVerfG NJW 1988, 1139; BGH NJW 1983, 671. ____41 BVerfGE 95, 322, 329. ____42 Die Rechtsprechung lehnt die Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 auf den Geschäftsverteilungsplan ____auch ab: BGH NJW 1977, 1736; 1981, 2464. 43 Für diesen Fall will auch Stein/Jonas-Leipold § 145 Rdn. 23 den Gedanken des § 261 Abs. 3 Nr. 2 nicht ____angewendet wissen. ____44 BayObLG WuM 1998, 694 (Ls) im Wohnungseigentumsverfahren als einem echten Streitverfahren der ____freiwilligen Gerichtsbarkeit, wo die §§ 145, 301 entsprechend anzuwenden sind. ____45 OLG Brandenburg v. 12.11.2011 – 12 U 115/11. 46 KG v. 17.2.2004 – 12 W 320/03. ____47 Zöller-Peters § 596 Rdn. 1. ____48 Musielak-Voit § 595 Rdn. 3. ____49 Stein/Jonas-Schlosser § 595 Rdn. 1.

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_____die Widerklage als unzulässig abzuweisen. Das überzeugt nicht, weil es nicht verständ_____lich ist, weshalb der Widerkläger zu einem Verfahren nach § 596 gezwungen werden soll, _____dessen Wahl nach dem Gesetz ihm allein obliegt. Vielmehr entspricht es sowohl dem _____Sinn des § 595 Abs. 1 als auch der Regelung des Abs. 2, die Urkunden-Widerklage zu _____trennen und zwei getrennte Urkundenprozesse weiterzuführen. _____ _____ 2. Fehlende Konnexität _____ _____ a) Unterschiedliche Streitgegenstände von Klage und Widerklage. Abs. 2 ordnet 16 _____an, dass die Befugnis des Gerichts zur Anordnung der Verhandlung in getrennten Pro_____zessen nach Abs. 1 sich auch auf Fälle erstreckt, in denen der Beklagte eine Widerklage _____erhoben hat, sofern die mit Widerklage und Klage erhobenen Ansprüche nicht in rechtli_____chem Zusammenhang stehen.50 Die Anordnung in Abs. 2 beruht darauf, dass mit der Wi_____derklage jedenfalls dann ein selbstständiger Streitgegenstand begründet wird, wenn _____Widerklage und Klage nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen, wie es Abs. 2 als _____Voraussetzung für die Trennungsbefugnis des Gerichts fordert. Dies ist dann der Fall, _____wenn die Widerklage gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten gerich_____tet wird.51 _____ _____ b) Fehlender rechtlicher Zusammenhang von Klage und Widerklage. Der Begriff 17 _____des rechtlichen Zusammenhangs von Klage und Widerklage des Abs. 2 deckt sich mit dem _____des § 33 Abs. 1.52 Dort wird ein besonderer Gerichtsstand des Sachzusammenhangs be_____stimmt. Die Vorschrift betrifft nach richtiger Auffassung53 die örtliche Zuständigkeit des _____angerufenen Gerichts, regelt aber entgegen einer – in Teilen älteren – Ansicht54 nicht die _____allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Widerklage. Eine nichtkonnexe Wider_____klage kann vor dem Gericht der Klage erhoben werden, wenn dieses örtlich zuständig ist. _____Liegt kein sachlicher Zusammenhang vor, kann der Zuständigkeitsmangel durch rügelo_____se Einlassung gemäß § 39 Satz 1 geheilt werden. _____ Anstelle des rechtlichen Zusammenhangs genügt auch ein lediglich wirtschaftlicher 18 _____Zusammenhang aufgrund eines innerlich zusammengehörigen, einheitlichen Lebensver_____hältnisses.55 Darunter fallen daher Widerklagen, die sich gegen die erhobenen Kaufpreis_____klage mit Gewährleistungsansprüchen richten56 oder die sich auf Ansprüche aus gegen_____seitigen Geschäftsverbindungen beziehen, wobei neben der Judikatur57 auch die Vertreter _____der Gegenmeinung58 es genügen lassen, dass die jeweiligen Ansprüche sich aufgrund _____ihres zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als natürliche Einheit darstellen. Dazu _____gehören ferner Ansprüche aus dem Grundgeschäft gegenüber Wechsel- oder Scheckfor_____derungen59 oder der Grundbuchberichtigungsanspruch gegenüber dem Anspruch auf Er_____ _____50 OLG Naumburg OLGR 2002, 526. _____51 KG MDR 2004, 962. _____52 OLG Hamburg FamRZ 1996, 676 bezüglich gegenläufiger Anträge in FG-Verfahren. _____53 Stein/Jonas-Schumann § 33 Rdn. 6, 7; Wieczorek-Hausmann § 33 Rdn. 5; MünchKomm-Patzina § 33 _____Rdn. 2. 54 RGZ 23, 396, 397 f.; 110, 97, 98; Fischer ZZP 43 (1913), 96 ff.; Heinsheimer ZZP 38 (1909), 1 ff.; _____differenzierend Rimmelspacher FS Lüke, 1997, S. 655, 664; Ott S. 87 f. _____55 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 98 II 2c; offen gelassen in BGHZ 53, 166, 168 = NJW 1970, 707; a.A. _____Stein/Jonas-Schumann Rdn. 17; MünchKomm-Patzina § 33 Rdn. 20; Zöller-Vollkommer § 33 Rdn. 15; _____Wieczorek-Hausmann Rdn. 32; vgl. ausführlich Ott S. 61. 56 BGHZ 52, 30, 34 = NJW 1969, 1563. _____57 BGHZ 54, 244, 250 = NJW 1970, 2019; RGZ 68, 32, 34; OLG Düsseldorf NJW 1978, 703. _____58 Wieczorek-Hausmann Rdn. 34. _____59 BGH NJW 1991, 2838.

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____satz von aufgewendeten Hypothekenzinsen60 oder wechselseitige deliktische Schadens____ersatzansprüche aus einem einheitlichen Schadensereignis. ____ Im Einzelnen ist zu beachten: Für die Widerklage gelten zunächst die allgemein für ____Klagen geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen wie deutsche Gerichtsbarkeit, Zivil____rechtsweg, Partei- und Prozessfähigkeit. Zudem muss das Gericht, vor dem die Wider____klage erhoben wird, sachlich zuständig sein, wobei die Eingangszuständigkeit gemäß § 5 ____Hs 2 vom Wert der Klage bestimmt wird. War die Klage beim Amtsgericht anhängig und ____eröffnet der Wert der Widerklage die Zuständigkeit des Landgerichts, so ist gemäß § 506 ____auf Antrag der gesamte Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen.61 Während die ____Zivilkammer auch für eine Widerklage zuständig ist, die vor die Kammer für Handelssa____chen gehören würde, werden im umgekehrten Fall einer vor der Kammer für Handelssa____chen erhobenen nicht handelsrechtlichen Widerklage beide Klagen auf Antrag des Wi____derklägers gemäß § 99 GVG an die Zivilkammer verwiesen.62 In den Fällen der §§ 97 ____Abs. 2, 99 Abs. 2 GVG kann die Verweisung auch von Amts wegen erfolgen. ____ Ist die Hauptklage in 1. Instanz anhängig, muss die Widerklage bis zum Schluss ____der mündlichen Verhandlung (§§ 256 Abs. 2, 261 Abs. 2) erhoben werden, anschließend ____ist sie unzulässig, soweit die Verhandlung nicht nach § 156 wiedereröffnet wird.63 Im ____schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der ____Zeitpunkt bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, § 128 Abs. 2 Satz 2. Ist die ____Hauptklage in der 2. Instanz anhängig, kann die Widerklage erhoben werden, wenn die ____Voraussetzungen nach § 533 Nr. 2 erfüllt sind und der Kläger einwilligt oder das Gericht ____die Geltendmachung des Anspruchs für sachdienlich hält. Letzteres hat insbesondere ____dann zu geschehen, wenn der Kläger die Zustimmung rechtsmissbräuchlich verweigert ____oder das Gericht nach seinem nicht nachprüfbaren Ermessen die Zulassung der Wider____klage für sachdienlich hält, um weiteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen und um den ____gegenwärtigen Prozessstoff schneller erledigen zu können.64 In der Revisionsinstanz ist ____die Widerklage gemäß § 559 Abs. 1 ausgeschlossen. Gegen die Widerklage erhobene pro____zesshindernde Einreden sind gesondert zu prüfen.65 ____ Die Widerklage setzt voraus, dass eine Hauptklage erhoben und rechtshängig ge____worden ist, wobei die Rechtshängigkeit zur Zeit der Erhebung der Widerklage noch an____dauern muss. Danach ist die Erhebung der Widerklage ausgeschlossen, wenn die Klage ____gemäß § 269 zurückgenommen, durch beiderseitige Erledigungserklärung beseitigt oder ____durch Vergleich erledigt ist. Eine gleichwohl eingelegte Widerklage kann aber als Haupt____klage behandelt werden.66 Da es auf die Zulässigkeit der Hauptklage nicht ankommt, ____kann der Beklagte Widerklage auch vor dem für die Hauptklage unzuständigen Gericht ____erheben.67 ____ ____ 3. Folgen und Wirkung der Trennung. Eine Widerklage wird vom Zeitpunkt ihrer ____zulässigen Erhebung an wie eine selbstständige Klage behandelt.68 Sie hat einen gegen____über der Klage eigenständigen Streitgegenstand;69 das bloße Entgegentreten gegen den ____ ____ ____60 RG WarnR 1911, 391. 61 Musielak-Smid § 33 Rdn. 4. ____62 Musielak-Smid § 33 Rdn. 4. ____63 Musielak-Smid § 33 Rdn. 5. ____64 Musielak-Smid § 33 Rdn. 5. ____65 Musielak-Smid § 33 Rdn. 5. 66 RGZ 22, 419, 420; OLG Celle FamRZ 1981, 790, 791. ____67 KG OLGRspr 19, 132, 133. ____68 BAG NZA 1990, 987, 988. ____69 BGH WM 1991, 1154; BAG (Fn. 40); i.E. Ott S. 47 f.

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_____Klageantrag, beispielsweise durch einen negativen Feststellungsantrag gegen eine posi_____tive Feststellungsklage genügt nicht.70 Beharrt der Beklagte in diesen Fällen trotz richter_____lichen Hinweises darauf, eine Widerklage zu erheben, ist diese wegen Rechtshängigkeit _____des Streitgegenstandes als unzulässig abzuweisen.71 Das gleiche gilt trotz differierender _____Streitgegenstände wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses, wenn die Unterlassung _____klagebegründender Behauptungen widerklagend begehrt wird.72 Der mit der Widerklage _____geltend gemachte Anspruch kann aber aus dem gleichen Rechtsverhältnis herrühren, _____das dem Klageanspruch zugrunde liegt, etwa wenn der Abänderungsklage nach § 323 mit _____einer Widerklage auf Herabsetzung der Unterhaltspflicht entgegengetreten wird oder _____wenn gegen die negative Feststellungsklage widerklagend Leistung begehrt wird;73 da_____durch erledigt sich die negative Feststellungsklage. Auf die Bezeichnung als „Widerkla_____ge“ kommt es nicht an.74 _____ Die Selbstständigkeit der Widerklage wird daran deutlich, dass ihr Fortbestand, wie 23 _____auch § 301 ergibt, nicht mehr von der andauernden Rechtshängigkeit der Hauptklage _____abhängt. So lässt etwa eine Zurücknahme der Hauptklage die kurz zuvor erhobene Wi_____derklage unberührt. _____ Im Übrigen entsprechen die Wirkungen der Prozesstrennung nach Abs. 2 denen 24 _____nach Abs. 1 (siehe oben Rdn. 11 ff.). _____ _____ IV. Abgetrennte Verhandlung im Falle der Prozessaufrechnung, Abs. 3 _____ _____ 1. Allgemeines. Die von den Regelungen der Abs. 1 und 2 abweichende besondere 25 _____Regelung der Möglichkeit einer abgetrennten Verhandlung über die im Prozess zur Auf_____rechnung gestellte Gegenforderung nach Abs. 3 beruht auf den sachlichen Besonderhei_____ten und Problemen, die sich im Zusammenhang der Prozessaufrechnung stellen und _____über die daher im folgenden ein Überblick gegeben werden soll, soweit es zum Ver_____ständnis der Regelung des Abs. 3 erforderlich erscheint. Im Übrigen ist insbesondere auf _____die Erläuterungen zu § 302 und zu § 322 zu verweisen. _____ _____ a) Prozessaufrechnung als Verteidigungsmittel. Verteidigt sich der Beklagte 26 _____durch Aufrechnung,75 kann die Feststellung der damit verbundenen Fragen den Prozess _____nicht allein komplizieren, sondern für den Fall unnötig belasten, dass sich die Klagefor_____derung als unbegründet erweist oder die Entscheidung über die zur Aufrechnung gestell_____te Forderung mit erheblichen Aufwendungen belastet ist. Abs. 3 räumt für diesen Fall _____dem Gericht die Möglichkeit ein, die Verhandlung über die zur Aufrechnung gestellte _____Forderung von der über die Klageforderung abzutrennen. Die abgetrennte Verhandlung _____hebt die Einheit des Prozesses nicht auf, vielmehr führt die Anordnung nach Abs. 3 dazu, _____dass zeitlich und gegenständlich getrennte Verhandlungen geführt werden.76 Insofern _____unterscheidet sich der Regelungsinhalt des Abs. 3 in seiner Grundstruktur von dem der _____Abs. 1 und 2. Der sachliche Grund liegt in der Besonderheit der Prozessaufrechnung. Mit _____der Prozessaufrechnung wird ein Verteidigungsmittel des Beklagten in den Prozess ein_____ _____ _____70 BAG NZA 1990, 987, 988; RGZ 71, 68, 75; RG JW 1918, 309. _____71 Stein/Jonas-Schumann § 33 Rdn. 2; MünchKomm-Patzina § 33 Rdn. 8. _____72 BGH NJW 1987, 3188, 3189. _____73 Wieczorek-Hausmann Rdn. 8. 74 RGZ 51, 318, 321. _____75 Sei es durch Einführung von die Aufrechnung begründenden Tatsachen in den Prozess oder durch _____Erklärung im Prozess: Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald (15. Aufl.) § 106 II 1. _____76 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 67.

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____geführt,77 dessen Voraussetzungen nach materiellem Recht zu beurteilen sind78 – im Fol____genden Rdn. 29. Als Verteidigungsmittel bezieht sich die Prozessaufrechnung daher im____mer auf den oder die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche. Eine Abtrennung in ____verschiedene Prozesse wäre daher im Unterschied zu der Behandlung der Widerklage ____nach Abs. 2 nicht angemessen.79 Die Prozessaufrechnung stellt sich daher nicht als un____entwickelte Form der Widerklage80 dar.81 Denn als Verteidigungsmittel macht die Pro____zessaufrechnung die Gegenforderung nicht unabhängig von der Klage zum Streitgegen____stand.82 Dies ist auch vor dem Hintergrund des § 302 Abs. 4 Satz 1 (unten Rdn. 47) richtig, ____da diese Vorschrift die Anhängigkeit des Rechtsstreits in Bezug auf die zur Aufrechnung ____gestellte Gegenforderung nur insoweit betrifft, als über die Klageforderung zwar durch ____Endurteil entschieden, der prozessuale Zusammenhang von Klageforderung und Gegen____forderung aber durch den Vorbehalt des Endurteils (§ 302 Abs. 1) verwirklicht ist. Über ____die Gegenforderung kann nur solange entschieden werden, wie die Rechtshängigkeit der ____Klage andauert,83 die mit dem Betrag der Klageforderung zugleich den Umfang definiert, ____in dem über die Gegenforderung entschieden werden kann.84 ____ Die anderweitige Rechtshängigkeit der Gegenforderung (als Klageforderung in ei- 27 ____nem zweiten Prozess) hindert die Aufrechnung nicht. § 261 Abs. 3 Nr. 1 kommt insoweit ____nicht zum Zuge.85 Auch entfällt für die Klage aus der Aufrechnungsforderung wegen der ____Erklärung der Aufrechnung nicht das Rechtsschutzbedürfnis; es ist sinnvollerweise die____ser Prozess nach § 148 bis zur Entscheidung über den Aufrechnungseinwand auszuset____zen.86 ____ Diese Verhandlungstrennung kann dazu führen, dass über die Klageforderung in ei- 28 ____ner in ein Vorbehaltsurteil mündenden Verhandlung, über die zur Aufrechnung gestellte ____Forderung im Nachverfahren verhandelt wird, soweit die Klageforderung nicht bereits ____unbegründet ist.87 Insoweit ist Abs. 3 die konsequente Übertragung des § 302 auf die ____Ebene der Verhandlung.88 ____ Bei der Aufrechnung handelt es sich um ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechts- 29 ____geschäft,89 das die gegen den Aufrechnenden erhobene Hauptforderung kompensiert: ____Die Aufrechnung mit der Gegenforderung bewirkt gemäß § 389 BGB,90 dass die Haupt____forderung zu dem Zeitpunkt als erloschen zu behandeln ist, zu dem sich Haupt- und Ge____genforderung in aufrechenbarer Weise gegenübergestanden haben.91 Dessen Vorausset____zungen sind nach materiellem Recht gemäß §§ 387 ff. BGB zu beurteilen sind. Die im ____Prozess erklärte Aufrechnung erfüllt insofern einen „Doppeltatbestand“, als ihre mate____ ____ ____77 Zöller-Greger Rdn. 15; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27, 30. ____78 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 27. ____79 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 30. 80 So aber Schreiber ZZP 90 (1977), 395, 398 ff.; Schmidt ZZP 87 (1974), 29, 33; Brettermann NJW 1972, ____2285, 2287. ____81 Dagegen auch Stein/Jonas-Leipold Rdn. 30 a.E., sowie Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ____82 Schellhammer ZPO, Rdn. 326 ff.; a.A. Häsemeyer FS Weber 1975, S. 219, 232 ff. ____83 Musielak Grundkurs ZPO, Rdn. 302 f. ____84 Stein/Jonas-Leipold § 322 Rdn. 173 m.w.N. 85 BGH WM 2004, 2324 f.; MünchKomm-Peters Rdn. 29. ____86 BGH WM 2004, 2324 f.; MünchKomm-Peters Rdn. 31. ____87 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 68. ____88 Wegen des Ausnahmecharakters der Aufrechnung verbietet sich auch eine analoge Übertragung auf ____andere Einreden: RGZ 8, 364; 15, 421; 73, 54; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 24: Gleichbehandlung bei sich gegenüberstehenden, fälligen Geldforderungen. ____89 Palandt-Heinrichs § 387 Rdn. 1. ____90 Palandt-Heinrichs § 389 Rdn. 1. ____91 Palandt-Heinrichs § 389 Rdn. 2.

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_____riellrechtlichen Voraussetzungen nach bürgerlichem Recht, die prozessualen Bedingun_____gen ihrer Einführung und Berücksichtigung im Prozess aber nach Prozessrecht zu beur_____teilen sind.92 Ob die materiellrechtliche Prüfung anzustellen ist, richtet sich daher da_____nach, ob die Prozessaufrechnung als Prozesshandlung ordentlich erklärt und in das _____Verfahren eingeführt worden ist.93 _____ _____ 30 b) Zuständigkeit. Regelmäßig hat jedes Gericht über alle in einem bei ihm zulässi_____gerweise anhängigen Rechtsstreit erfolgten Einwendungen selbst zu entscheiden.94 So _____hat das ordentliche Streitgericht nach der Judikatur auch über solche zur Aufrechnung _____gestellten Forderungen zu befinden, die an sich vor dem Arbeitsgericht (siehe unten _____Rdn. 32), vor dem Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Wohnungseigentumssa_____chen, vor dem Landwirtschaftsgericht oder vor dem Familiengericht eingeklagt werden _____müssten.95 Es ist aber zu beachten, dass bei einem Rechtsstreit über eine Klageforderung, _____die etwa nicht Familiensache ist, das Familiengericht nicht deshalb zuständig wird, weil _____mit einem Anspruch aufgerechnet wird, für den die Zuständigkeit des Familiengerichts _____gegeben ist.96 Die Entscheidung über im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemach_____te Gegenforderungen des Beklagten setzt ebenfalls voraus, dass das Prozessgericht auch _____insoweit international zuständig ist.97 _____ 31 Da durch die Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ge_____mäß § 322 Abs. 2 mit Rechtskraft entschieden wird, ist es nicht gerechtfertigt, dem or_____dentlichen Gericht eine Entscheidung über Gegenforderungen zu gestatten, die auf dem _____Rechtsweg zu den Sozial-, Verwaltungs- oder Finanzgerichten geltend gemacht werden _____muss.98 Dagegen spricht auch nicht § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, der anordnet, dass das Gericht _____den Rechtsstreit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender rechtlicher Ge_____sichtspunkte entscheidet. Denn die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegen_____forderung entspricht strukturell der Erhebung eines selbstständigen prozessualen An_____spruchs; sie ist daher nicht als der Entscheidungsbefugnis des ordentlichen Gerichts _____unterworfener rechtlicher Gesichtspunkt i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG anzusehen.99 Dies _____hätte als Konsequenz die Statuierung eines Aufrechnungsverbots, das nicht sachgerecht _____wäre. Um dies zu vermeiden, stellt das Gesetz mit der Aussetzung des Verfahrens nach _____§ 148 einen Ausweg bereit. Das ordentliche Gericht kann das Verfahren aussetzen, bis über _____den Bestand und Fortbestand der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung durch das _____Gericht der rechtswegzuständigen Fachgerichtsbarkeit entschieden worden ist.100 Zutref_____fend nehmen die höchstrichterliche Judikatur101 und die hL102 an, dass das Erstgericht zur _____Aussetzung gemäß § 148 in diesen Fällen verpflichtet ist, um im Hinblick auf § 322 Abs. 2 _____ _____ _____92 Palandt-Heinrichs § 388 Rdn. 2. 93 Paulus, Zivilprozessrecht, Rdn. 191 ff. _____94 OLG Düsseldorf OLGR 1991, Nr. 5, 18–19. _____95 OLG Düsseldorf OLGR 1991, Nr. 5, 18–19 sich auf BGH FamRZ 1989, 166 berufend. _____96 BayObLG NJW-RR 1986, 6–7 = BayObLGZ 1985, 219–222 = FamRZ 1985, 1057–1059 = MDR 1985, 1035– _____1035. _____97 BGH NJW 1993, 2753–2755 = WM 1993, 1755–1758 = MDR 1993, 1012–1013 wobei es an der internationalen Zuständigkeit des Prozessgerichts für die Entscheidung über im Wege der _____Prozessaufrechnung geltend gemachte streitige und inkonnexe Gegenforderungen des Beklagten fehlen _____soll, wenn für deren selbständige Geltendmachung die Gerichte im Heimatstaat des Klägers zuständig _____wären und dieser die internationale Unzuständigkeit des Prozessgerichts gerügt hat. _____98 So zutr. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 33. 99 Thomas/Putzo-Putzo § 17 GVG Rdn. 9; Musielak Grundkurs ZPO, Rdn. 311. _____100 Stein/Jonas-Roth § 148 Rdn. 11. _____101 BGHZ 16, 138; BVerwG NJW 87, 2530; 99, 160/1. _____102 MünchKomm-Peters Rdn. 31 ff.; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 33 a; Zöller-Greger Rdn. 19 a.

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____ein richtiges Urteil fällen zu können.103 Gegebenenfalls ist dem Beklagten eine Frist dafür ____zu setzen, vor dem Gericht im anderen zuständigen Rechtsweg eine Klage anhängig zu ____machen;104 dessen bedarf es nicht, wenn im anderen Rechtsweg die wegen der Gegenfor____derung entstandenen Streitfragen außer Streit oder gar rechtskräftig entschieden sind.105 ____Der anhängige Zivilprozess begründet dabei ein rechtliches Interesse dafür, vor den ____rechtswegzuständigen Gerichten auf Feststellung des früheren Bestehens der zur Auf____rechnung gestellten Gegenforderung zu klagen.106 Um einer hierbei möglichen Prozess____verschleppung entgegenzuwirken, kann das Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit ____über die Klageforderung ein Vorbehaltsurteil gemäß § 302 fällen.107 ____ Fragen wirft die Behandlung von zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen auf, 32 ____die in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgerichte fallen. Mit der Änderung des § 48 ____Abs. 1 ArbGG im Jahre 1991108 handelt es sich insofern nicht mehr ohne weiteres um eine ____Zuständigkeitsfrage. Gleichwohl behandeln höchstrichterliche Judikatur109 und h.M.110 ____diesen Fall weiterhin wie eine Zuständigkeitsfrage. Die sachliche Nähe von Zivil- und ____Arbeitsgerichtsbarkeit111 macht dies durchaus plausibel; gleichwohl überwiegen dagegen ____Bedenken. Denn eine solche sachliche Nähe kann im Einzelnen – abhängig vom Verfah____rensgegenstand – auch zwischen Zivilgerichtsbarkeit und den besonderen Verwaltungs____gerichtsbarkeiten bestehen. Ausschlaggebend ist, dass der Gerichtsverfassungsgesetz____geber dies für eine Entscheidungskompetenz nicht hat ausreichen lassen. Richtiger Weise ____ist daher davon auszugehen, dass auch im Falle der Aufrechnung im Zivilprozess mit ____einer Forderung, für die die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet ist, bis zur Ent____scheidung des Arbeitsgerichts nach § 148 auszusetzen ist.112 ____ ____ c) Primäraufrechnung durch den Beklagten. Grundsätzlich ist die Prozessauf- 33 ____rechnung wegen ihres Charakters als Verteidigungsmittel als hilfsweise für den Fall vor____gebracht anzusehen, dass der Beklagte mit weiteren Verteidigungsmitteln nicht durch____dringt:113 Trotz der allgemeinen Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen wird ____die eventualiter erklärte Prozessaufrechnung als zulässig angesehen, da die Feststel____lung des Bestandes der Klageforderung als innerprozessuale Bedingung qualifiziert ____wird.114 ____ Eine abgetrennte Verhandlung kommt nicht in Betracht, wenn das Gericht auch 34 ____über die Gegenforderung entscheiden kann und ein Vorbehaltsurteil nicht zu erlassen ____wäre. Dies ist zunächst der Fall, wenn der Beklagte den Bestand der Klageforderung im ____Übrigen nicht angreift, sondern sich gegen sie allein mit der Aufrechnung als sog. Pri____märaufrechnung zur Wehr setzt.115 Ist die Klageforderung zulässig und schlüssig, hat ____das Gericht ohne weiteres über die Aufrechnung zu entscheiden; der Erlass eines Vorbe____haltsurteils über die Klageforderung kommt dann nicht in Betracht. Daher wäre die An____ ____103 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 33 a. ____104 Zöller-Greger Rdn. 19 a; MünchKomm-Peters Rdn. 31. ____105 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 34. ____106 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 33 a. ____107 BVerwG NJW 1993, 2255. 108 Art. 6 Gesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2809). ____109 BGHZ 26, 304 = NJW 1985, 543; BGHZ 60, 85, 88; BAG AP Nr. 43 zu § 256 ZPO (zust. E. Schumann) = ____NJW 1966, 1771. ____110 MünchKomm-Peters Rdn. 34; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 32. ____111 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 32. 112 So zutr. OLG Celle AP Nr. 1 zu § 263 ZPO; Grunsky ArbGG § 2 Rdn. 11 ff., 14 ff. ____113 Musielak-Stadler Rdn. 18. ____114 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50; Musielak-Stadler Rdn. 16 (Wirksamkeitsvoraussetzung). ____115 MünchKomm-Peters Rdn. 17.

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_____ordnung abgetrennter Verhandlung nicht zweckmäßig, also ermessensfehlerhaft (zum _____Ermessen unten Rdn. 54). _____ Rechnet der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten 35 _____Gegenforderung in einem weiteren Prozess erneut auf, so hat das mit der Zweitaufrech_____nung befasste Gericht – soweit es auf die Einwendung ankommt – zu prüfen, ob die Ge_____genforderung (noch) besteht. Es ist unzulässig, die Gegenforderung in dem zweiten Pro_____zess nur deswegen zu verneinen, weil über sie bereits in dem ersten Verfahren sachlich _____entschieden werde. Bei einer doppelten Prozessaufrechnung ist es im allgemeinen _____zweckmäßig, den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszuset_____zen, in dem die erste Aufrechnung erklärt wurde. Das gilt auch dann, wenn die Zweitauf_____rechnung in einem Urkundenprozess erfolgt ist.116 _____ _____ d) Eventualaufrechnung durch den Beklagten _____ _____ aa) Kein Verstoß gegen das Bedingungsverbot des § 388 Satz 2 BGB. Besonder36 _____heiten sind zu beachten, wenn der Beklagte seine Gegenforderung nur für den Fall gegen _____die Klageforderung zur Aufrechnung stellt, dass seine Verteidigung im Übrigen erfolglos _____bleiben sollte (sog. Eventualaufrechnung).117 Dabei ist zu beachten, dass sie als rechtsge_____schäftliche Willenserklärungen auch den materiellrechtlichen Regelungen der §§ 387 ff. _____BGB unterworfen ist.118 Dies ist unabhängig davon, ob die Aufrechnung vorprozessual _____erfolgt ist oder einen Doppeltatbestand dadurch darstellt, dass sie als prozessuale Gel_____tendmachung im Prozess erklärt worden ist. Daraus ergibt sich zunächst, dass die pro_____zessuale Eventualaufrechnung nicht gegen das Bedingungsverbot des § 388 Satz 2 BGB _____verstößt, was heute allgemein anerkannt wird.119 _____ _____ bb) Einwendungen gegen die Klageforderung. Bekämpft der Beklagte die Klage37 _____forderung damit, dass er Einwendungen gegen deren Bestehen erhebt, trägt er inzidenter _____vor, dass eine Aufrechnungslage nicht bestehe. Denn die §§ 387, 389 BGB setzen das Be_____stehen der Forderung, gegen die sich die Aufrechnung richtet, tatbestandlich voraus. _____Weder „will“ der Beklagte in einem solchen Falle seine Gegenforderung „opfern“, noch _____kann er es, betrachtet man die Aufrechnung nach ihren materiellrechtlichen Vorausset_____zungen. Eine Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung kommt _____daher solange nicht in Betracht, wie nicht die Einwendungen gegen die Klageforderun_____gen ausgeräumt und das Gericht deren Bestehen festgestellt oder darauf erkannt hat, _____dass die Klageforderung nicht besteht.120 In letztgenanntem Fall ist, ohne dass über die _____Aufrechnung zu entscheiden wäre, die Klage abzuweisen, im erstgenannten ein Vorbe_____haltsurteil zu fällen.121 _____ _____116 BGH WM 2004, 2324. _____117 Das ist praktisch der Regelfall: Nach BGHZ 57, 301 = BGH NJW 72, 257 wird deshalb die unbedingte _____Aufrechnung sogar als konkludentes Bejahen der Klageforderung (unbeachtlich der _____Aufrechnungswirkung) gedeutet; auch Musielak-Stadler Rdn. 17; Baumbach/Lauterbach-Hartmann _____Rdn. 14. 118 Schwab S. 165; Lüke-Huppert JuS 1971, 165, 168; Rosenberg/Schwab/Gottwald (15. Aufl.) § 105 II 1; _____a.A. Papenstecher Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 1900, S. 490 f.; Larenz (9. Aufl.) SchRt I, § 27 _____III c; wohl auch Kohler ZZP 24 (1898), 1, 18. _____119 RGZ 57, 97 (101); 79, 24 (26); 97, 269 (273); Rosenberg/Schwab/Gottwald (15. Aufl.) § 105 II 2; _____MünchKomm-Peters Rdn. 21 ff.; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50; auch schon Oertmann Die Aufrechnung im deutschen Zivilprozessrecht, 1916, S. 265 ff. _____120 Rosenberg/Schwab/Gottwald (15. Aufl.) § 105 II 2; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 50 auf Basis der sog. _____Beweiserhebungstheorie; dazu BGH ZZP 69 (1965), 429; BGHZ 80, 97, 99; RGZ 167, 258. _____121 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 68.

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____ cc) Einreden gegen die Klageforderung. Einreden des Beklagten wie Stundung ____oder Verjährung leugnen nicht den Bestand der Forderung. Die Aufrechnungslage be____steht in diesem Fall zwar. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, der Be____klagte habe entgegen § 388 Satz 2 BGB die Eventualaufrechnung unzulässiger Weise von ____einer Bedingung abhängig gemacht. Vielmehr ist sein Eventualantrag dahin zu deuten, ____dass vor der Aufrechnung die anderen Einwendungen geprüft werden sollen. Denn er____weist sich bereits insoweit die Klageforderung als unbegründet, so fehlt es wiederum an ____einer Aufrechnungslage.122 ____ ____ dd) Sonstige Situationen. Stellt das Gericht im Übrigen fest, dass nach dem Vortrag ____des Beklagten seine Gegenforderung nicht besteht, ist er antragsgemäß zu verurteilen. ____Dagegen ist die Klage abzuweisen, wenn das Gericht die Klageforderung zwar für be____gründet, aber durch die Aufrechnung für erloschen hält. ____ ____ ee) Zeitpunkt der Verhandlung über Aufrechnung. Daraus ergibt sich die Frage, ____in welchem Stadium des Verfahrens bei Abtrennung über die Zulässigkeit der Aufrech____nung zu verhandeln ist. ____ ____ e) Aufrechnung durch den Kläger. Unproblematisch ist der Fall der Aufrechnung ____des Klägers bei einer gegen die Behauptung einer Forderung des Beklagten gerichteten ____negativen Feststellungsklage. Durch seine Aufrechnung setzt sich der Kläger in einer der ____Aufrechnung des Beklagten vergleichbaren Weise zur Wehr. In diesen Fällen kommt eine ____Trennung nach Abs. 3 in Betracht.123 ____ Eine Gegenaufrechnung des Klägers ist jedenfalls dann im Prozess zu berück____sichtigen, wenn der Kläger vorträgt, zeitlich vor der Aufrechnung durch den Beklagten ____seinerseits gegen die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung mit einer (weiteren, ____nicht mit der Klagforderung identischen Forderung) die Aufrechnung erklärt zu haben. ____In diesem Fall trägt der Kläger nämlich vor, die Gegenforderung sei nach § 389 BGB erlo____schen, womit der Beklagte mit der Prozessaufrechnung als Verteidigungsmittel schei____tert.124 ____ Streit besteht über die Frage, wie eine nach Erklärung der Aufrechnung durch den ____Beklagten seitens des Klägers erklärte Gegenaufrechnung zu behandeln ist. Hat der Be____klagte ausnahmsweise kategorisch die Aufrechnung erklärt, ist die Gegenforderung mit ____der Folge verbraucht, dass eine Gegenaufrechnung des Klägers ins Leere geht.125 Proble____me bereitet der „Regelfall“ einer unter der Voraussetzung der Feststellung der Klagefor____derung gestellten Eventualaufrechnung (oben Rdn. 36). Eine überwiegende Meinung ____hält diese zeitlich auf die Prozessaufrechnung des Beklagten folgende klägerische Ge____genaufrechnung ebenfalls für nicht geeignet, ein Erlöschen der Gegenforderung herbei____zuführen. Denn der Beklagte verbrauche durch die Erklärung der Aufrechnung seine ____Gegenforderung unter der auflösenden Bedingung, dass der Bestand der Klageforderung ____festgestellt werde. Die eventualiter erklärte Prozessaufrechnung solle allein vermeiden, ____dass die Gegenforderung endgültig verbraucht werde, obwohl die Klageforderung nicht ____besteht. Der Beklagte wolle sie aber nicht eigenen Kompensationshandlungen des Klä____gers aussetzen. Diese Meinung stützt sich materiellrechtlich auf § 396 BGB und § 366 ____ ____ ____ 122 Zustimmungswürdig insoweit Stein/Jonas-Leipold Rdn. 51. ____123 Pawlowski ZZP 104 (1991), 249, 268 f. ____124 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 28 a. ____125 Musielak-Stadler Rdn. 19.

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_____Abs. 2 BGB, wonach der Aufrechnende bei mehreren gegen ihn gerichteten Forderungen _____bestimmen kann, gegen welche Forderung er die Aufrechnung erklären will.126 _____ Diese Begründung trägt aber nicht; sie geht an den materiellrechtlichen Kompetenz44 _____verteilungen vorbei, die Kläger und Beklagter gleichermaßen in Anspruch nehmen kön_____nen: § 396 BGB behandelt einen strukturell anderen Fall, in dem die Aufrechnung unbe_____dingt erklärt wird. Bleibt die Wirksamkeit der Aufrechnung in der Schwebe, greift § 396 _____BGB schon deshalb nicht ein, da bis zum Verbrauch der Gegenforderung der Aufrech_____nungsgegner als Aufrechnender in den Genuss des § 396 BGB kommt. Die referierte Mei_____nung umschifft dies dadurch, dass sie vom gekünstelt erscheinenden Konstrukt der _____Nichtfeststellung des Bestandes der Klageforderung als auflösender Bedingung der Auf_____rechnungserklärung ausgeht. Wenn der Beklagte daher die Gegenforderung während _____des Schwebezustandes bis zur Entscheidung über den Bestand der Klageforderung der _____Aufrechnung mit einer weiteren Forderung des Klägers entziehen will, muss er seiner_____seits die Aufrechnung unbedingt erklären. Ansonsten hätte für den Fall einer Eventual_____aufrechnung die Trennung nach Abs. 3 zu Lasten des Klägers zur Folge, dass er der Ver_____teidigungsmittel beraubt würde, die dem Beklagten zugebilligt werden – was aus _____Gesichtspunkten der Gewährung prozessualer Waffengleichheit Bedenken hervorruft. _____Daher erscheint die Qualifizierung der Eventualaufrechnung im Prozess als aufschie_____bend bedingte Aufrechnung sachgerecht.127 _____ _____ f) Dies zeigt sich im Übrigen im Zusammenhang von Teilklagen. Hatte der Beklagte 45 _____vorprozessual gegenüber der Gesamtforderung mit einer betragsmäßig geringeren Ge_____genforderung die Aufrechnung erklärt, ist davon auszugehen, dass der Kläger den Teil_____betrag geltend gemacht hat, der hiervon nicht betroffen worden ist.128 Gegen die erstma_____lig nach Rechtshängigkeit der Teil-Klageforderung erklärte Prozessaufrechnung kann _____der Kläger dagegen nicht vorbringen, sie beziehe sich auf den außerhalb des Streits ge_____bliebenen Teil der Gesamtforderung.129 _____ _____ g) Der sachliche Sinn der Möglichkeit einer abgetrennten Verhandlung nach Abs. 3 46 _____folgt nach alledem daraus, dass die Funktion und Struktur der Prozessaufrechnung die _____Einhaltung einer bestimmten Prüfungsreihenfolge gebieten, die vom Gericht einzuhal_____ten ist: Es darf nämlich nicht deshalb die Prüfung der Begründetheit der Klageforderung _____dahingestellt gelassen werden, weil sie „jedenfalls“ durch die Aufrechnung erloschen _____ist.130 Denn verneint das Gericht das Bestehen der Klageforderung aus anderen Gründen _____als dem des § 389 BGB, erstreckt sich die Rechtskraftwirkung des Urteils nicht auf die zur _____Aufrechnung gestellte Gegenforderung.131 Daher ist jedenfalls zunächst die Begründet_____heit der Klageforderung und erst für den Fall, dass diese bejaht wird, die Frage ihres Er_____löschens aufgrund der Aufrechnung zu prüfen. 132 In diesem Fall erstreckt sich die _____Rechtskraft des Urteils sowohl auf die Klageforderung als auch die zur Aufrechnung ge_____stellte Gegenforderung,133 § 322 Abs. 2. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klage als _____unbegründet abgewiesen worden ist, weil die Aufrechnung zum Erlöschen der Klagefor_____derung geführt hat, oder ob ihr stattgegeben worden ist, weil das Gericht festgestellt hat, _____ _____126 Niklas MDR 1987, 96, 98. _____127 Braun ZZP 89 (1976) 93, 97 ff.; Pawlowski ZZP 104 (1991) 249, 269. _____128 BGH LM § 18 Abs. 1 Nr. 3 UmstG Nr. 25; RGZ 129, 63, 66; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 48. _____129 BGH LM § 18 Abs. 1 Nr. 3 UmstG Nr. 25; RGZ 80, 393; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 48 a.E. 130 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 47. _____131 MünchKomm-Peters Rdn. 29; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 47. _____132 MünchKomm-Peters Rdn. 24. _____133 Musielak-Stadler Rdn. 26.

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____dass der Beklagte mit der Aufrechnung nicht hat durchdringen können.134 Wegen der ____weiteren Einzelheiten ist auf die Erläuterungen zu § 322 zu verweisen. ____ ____ 2. Besondere Voraussetzung der Anordnung abgetrennter Verhandlung nach ____ Abs. 3135 ____ ____ a) Die vom Gericht einzuhaltende Prüfungsreihenfolge (soeben Rdn. 46) zieht in be- 47 ____sonderem Maße die Gefahr nach sich, dass die Prozessaufrechnung des Beklagten (nicht ____die des Klägers, oben Rdn. 41 ff.) eine Verschleppung des Prozesses verursacht. Dem ____wirkt die getrennte Verhandlung dadurch entgegen, dass die Möglichkeit des Erlasses ____eines Vorbehaltsurteils gemäß § 302 eröffnet wird. Diese Vorschrift (§ 302 Abs. 1) besagt, ____dass eine Entscheidung unter dem Vorbehalt einer Entscheidung über die Aufrechnung ____ergehen kann, wenn nur die Verhandlung über die Klageforderung zur Entscheidung reif ____ist. Der Rechtsstreit bleibt im Übrigen in Bezug auf die Gegenforderung, die zur Aufrech____nung gestellt worden ist, anhängig, § 302 Abs. 4 Satz 1. ____ ____ b) Diese Verschleppungsgefahr besteht auch, soweit der Beklagte nicht die Aufrech- 48 ____nung erklärt, sondern gegen den Klageanspruch andere Einreden im prozessualen Sinne ____erhebt. Wegen der besonderen Fragestellungen im Rahmen der Aufrechnung verbietet es ____sich nach richtiger Auffassung aber, über den Wortlaut hinaus Abs. 3 ausdehnend ent____sprechend anzuwenden.136 Daraus erwachsen keine Härten, da für diese Fälle § 146 zur ____Anwendung gelangen kann. ____ ____ 3. Ablauf des Verfahrens bei abgetrennter Verhandlung nach Abs. 3 ____ ____ a) Entscheidung über die Klageforderung. Wird zuerst über die Klageforderung 49 ____verhandelt – was wegen der vom Gericht zu berücksichtigenden Prüfungsreihenfolge ____(Rdn. 46) regelmäßig der Fall sein wird – und ist diese zur Entscheidung reif, ist zu un____terscheiden: Für den Fall, dass das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klagefor____derung unabhängig von der bedingt oder unbedingt zur Aufrechnung gestellten Gegen____forderung nicht besteht, ergeht Endurteil, ohne dass es der Entscheidung über die ____Aufrechnung bedürfte.137 Hat der Beklagte Einreden gegen die Klageforderung erhoben, ____die mit der Aufrechnung in Verbindung stehen, sind diese gleichwohl im Rahmen der ____Verhandlung über die Klageforderung zu berücksichtigen. Gelangt das Gericht demge____genüber zu der Feststellung, dass die Klageforderung begründet ist, sofern von der Auf____rechnung mit der Gegenforderung abgesehen wird, hat es darüber durch Vorbehaltsurteil ____gemäß § 302 Abs. 1 zu entscheiden. Mit der Neufassung des § 302 Abs. 1138 kommt es da____bei auch nicht mehr darauf an, ob die Gegenforderung im rechtlichen Zusammenhang139 ____steht. Trifft das Gericht die Feststellung, die Klageforderung sei nur dem Grunde nach ____begründet, kann nach Abs. 1 auch ein Vorbehalts-Grundurteil gemäß § 304 ergehen. ____ ____ ____ ____ ____134 Musielak-Stadler § 322 Rdn. 85. ____135 BGH WM 2004, 2324 f. ____136 So auch Zöller-Greger Rdn. 25; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 63; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 24. ____137 Zöller-Greger Rdn. 24; MünchKomm-Peters Rdn. 17. ____138 Durch Gesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. (sog. Zivilprozessrechtsreformgesetz). ____139 Siehe OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 882; zu den Folgen kritisch Korbion MDR 2000, 942.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 50 b) Entscheidung über die Gegenforderung. Ist hingegen die zur Aufrechnung ge_____stellte Forderung zur Entscheidung reif, kommt zwar ein Vorbehaltsurteil nicht in Be_____tracht (siehe Rdn. 34). Ebenso muss ein Zwischenurteil ausscheiden, weil es bei der Be_____handlung der entscheidungsreifen Gegenforderung am verfahrensrechtlichen Bezug _____fehlt, der für den Zwischenstreit i.S.v. § 303 erforderlich ist.140 Auch eine Aussetzung _____nach § 148 scheidet mangels Prozesstrennung aus.141 Einzig gangbarer Weg erscheint _____deshalb, die Verhandlungstrennung über § 150 wieder rückgängig zu machen, weil die _____„forderungsverbrauchende“ Aufrechnung nur dann zur Klageabweisung verwendet _____werden darf, wenn die Klageforderung im Übrigen besteht.142 _____ _____ c) Berufungsinstanz. Unabhängig davon, ob die Aufrechnung erstinstanzlich oder 51 _____erst in der Berufungsinstanz gemäß § 533 erklärt worden ist, kann auch in der Berufungs_____instanz die abgetrennte Verhandlung angeordnet werden.143 Eine Zurückverweisung der _____abgetrennten Verhandlung an das erstinstanzliche Gericht kommt dabei nicht in Be_____tracht.144 _____ _____ V. Verfahren _____ _____ 52 1. Zuständigkeit. Die Trennung setzt in allen Fällen der Abs. 1 bis 3 einen Beschluss _____des Gerichts voraus. Im Falle der Entscheidung durch Kollegialgerichte ist daher nicht _____der Vorsitzende, sondern das Kollegium zuständig. Soweit der Einzelrichter zuständig ist _____(§§ 348, 348 a) liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung nach § 145 allein bei ihm.145 _____Dies gilt auch für den Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen,146 da der Vorsitzen_____de in der Lage sein muss, eine erschöpfende Vorbereitung der Schlussverhandlung vor _____der Kammer durchzuführen.147 Die Aufzählung der in seiner Zuständigkeit liegenden _____Gegenstände ist nicht abschließend. _____ _____ 53 2. Anordnung nach mündlicher Verhandlung. Das Gericht erlässt die Anordnun_____gen von Amts wegen; grundsätzlich ist erforderlich, dass der Anordnung eine mündliche _____Verhandlung vorangegangen ist.148 Dies ist entbehrlich, wenn beide Parteien mit der _____Trennung einverstanden sind.149 Jedenfalls hat das Gericht den Parteien rechtliches Ge_____hör zu gewähren.150 Anträge der Parteien stellen sich als Anregungen dar.151 _____ _____ 54 3. Amtswegige ermessensgebundene Anordnung. Bei den Anordnungen nach _____§ 145 hat das Gericht grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen152 zu verfahren, wo_____bei die von Gesetzes wegen bestehenden Trennungsge- und -verbote zu beachten sind, _____ _____ 140 Vgl. zum Begriff des Zwischenstreits MünchKomm-Musielak § 303 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach_____Hartmann § 303 Rdn. 4. _____141 Siehe auch OLG Düsseldorf OLGR 1991, Nr. 5, 18–19. _____142 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 69. _____143 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 71. _____144 Vgl. RGZ 28, 414. 145 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. _____146 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 349 Rdn. 16. _____147 Zöller-Vollkommer § 349 Rdn. 2; MünchKomm-Deubner § 349 Rdn. 2. _____148 BGH NJW 1957, 183; Zöller-Greger Rdn. 6; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 16; a.A. Baumbach/Lauterbach_____Hartmann Rdn. 5. 149 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 16. _____150 MünchKomm-Peters Rdn. 8. _____151 MünchKomm-Peters Rdn. 7. _____152 BVerfG ZIP 1996, 1527–1528 = WM 1996, 1792–1794 = NJW 1997, 649–650.

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____die eine Ermessensentscheidung des Gerichts ausschließen (siehe oben Rdn. 9 f.). Soweit ____gesetzliche Regelungen nicht eingreifen, hat das Gericht seine Entscheidung daher am ____Beschleunigungszweck153 und der Schaffung von Übersichtlichkeit154 zu orientieren (siehe ____auch Rdn. 1). Bislang wurde richtigerweise angenommen, § 145 sei auch in der Berufungs____instanz noch anzuwenden.155 Die praktische Relevanz von Prozesstrennungen dürfte al____lerdings im Zuge des Neuverständnisses der Berufung als Fehlerkontrollinstanz156 in dem ____Maße abnehmen, wie die Berücksichtigungsfähigkeit neuer Tatsachen überhaupt noch ____geeignet erscheint, eine Trennung nach § 145 zu rechtfertigen. ____ ____ 4. Beschluss. Die Anordnungen ergehen durch Beschluss. Es gilt § 329.157 Der Be- 55 ____schluss ist daher zu verkünden, wenn er aufgrund – fakultativer158 – mündlicher Ver____handlung ergeht (§ 329 Abs. 1), im Übrigen ist er formlos mitzuteilen (§ 329 Abs. 2 ____Satz 1).159 Der Beschluss ist zu begründen.160 Richtig ist, dass allein das Prozessgericht für ____eine Anordnung nach § 145 zuständig ist, nie dasjenige Gericht, das eine Entscheidung ____nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 trifft.161 ____ ____ 5. Rechtsmittel. Der Anordnungsbeschluss selbst ist nicht anfechtbar,162 auch nicht 56 ____nach der Neufassung des § 567 Abs. 1, weil es weder gesetzlich vorgesehen ist (§ 567 ____Abs. 1 Nr. 1), noch handelt es sich um ein „das Verfahren betreffendes Gesuch“ (§ 567 ____Abs. 1 Nr. 2).163 Das schließt eine inzidente Überprüfung im Rechtsmittelverfahren nicht ____aus.164 Der Beschluss kann freilich offensichtlich gesetzeswidrig sein und schwere Ver____fahrensfehler wie insbesondere die Versagung rechtlichen Gehörs nach sich ziehen. Aber ____auch insofern bedarf es nicht der Zulassung einer besonderen Beschwerdebefugnis. Das ____ergibt sich zunächst daraus, dass § 321 a n.F. die Überprüfung eines auf derartigen ____schweren Verfahrensmängeln beruhenden Urteils zulässt; im Übrigen wird dem Gericht ____eine Abänderung seiner Entscheidung nach § 150 (siehe auch dort) ermöglicht. Die somit ____in weitem Umfang gesetzlich eingeräumte Selbstkorrekturmöglichkeit der entscheiden____den Instanz lässt eine isolierte Anfechtung der Entscheidungen nach § 145 als verzicht____bar erscheinen.165 ____ Von praktisch untergeordneter Relevanz dürfte nunmehr sein, dass den Parteien 57 ____durch eine unzulässige Entscheidung keine Instanz wegen Nichterreichens der Rechts____mittelsumme genommen werden darf,166 weil die Rechtsmittelsumme nur noch im amts____gerichtlichen Verfahren relevant wird, § 511 Abs. 2 Nr. 1. Davon zu unterscheiden ist die ____ ____ ____153 BGH NJW 1995, 3120. ____154 Siehe BVerfG a.a.O. (Fn. 2). ____155 BGH MDR 1979, 295–296 = NJW 1979, 659–660. 156 RegE BT(-Drucks.) 14/4722 S. 61 und 64. ____157 MünchKomm-Peters Rdn. 9. ____158 A.A. Zöller-Greger Rdn. 6. ____159 Auch stillschweigend: Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; aber nicht bei bloßer Änderung des ____Rubrums, OLG Stuttgart AnwBl 1989, 232. ____160 OLG Koblenz VRS 1983, 174. 161 BGH MDR 1979, 295–296 = NJW 1979, 659–660. ____162 BGH NJW 1995, 3120; NJW 1957, 183; OLG München NJW 1984, 2227, 2228 = MDR 1984, 946; auch OLG ____Frankfurt/M. OLGR 2000, 35: Beschränkung des Beklagten auf Zulässigkeitsrüge; KG InVo 2003, 440; a.A. ____BayObLG WuM 1998, 694 (Ls). ____163 Richtig Zöller-Gummer § 567 Rdn. 35. 164 BGH NJW 1957, 183; OLG München NJW 1984, 2227, 2228 = MDR 1984, 946. ____165 Im Erg. auch OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1992, 32; OLG München NJW 1984, 2227. ____166 Zum vor dem ZPO-RG geltenden Recht: BGH NJW 1957, 183; BAG BB 1972, 221 (Ls); RGZ 142, 255, 257 ____zu §§ 511 a, 546.

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_____richtige Erkenntnis, dass eine zulässige Prozesstrennung durchaus eine Entscheidung _____erst unanfechtbar machen kann.167 _____ _____ 6. Gebühren und Kosten _____ _____ a) Allgemeines. Werden mehrere Gläubiger gegenüber demselben Schuldner von 58 _____einem Prozessbevollmächtigten vertreten, so kann es erstattungsrechtlich – nach den _____besonderen Umständen des Einzelfalls – rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie nicht in _____einem gemeinsamen Verfahren gegen den Schuldner vorgehen.168 Richtig daran scheint _____insbesondere der Gedanke zu sein, die Rechtsprechung des BGH169 zu § 13 Abs. 5 UWG _____fruchtbar zu machen, die einen sachlichen Grund für die getrennte Geltendmachung der _____Unterlassungsansprüche verlangt, soll die Kostenerstattung auch getrennt erfolgen.170 _____ _____ b) Gerichtskosten. Bei unzulässiger Prozesstrennung muss eine doppelte Inan59 _____spruchnahme der unterliegenden Partei richtigerweise ausscheiden.171 Allerdings schul_____det der Kläger, der gegen drei Beklagte eine Klage erhoben hat, als Antragsteller der _____Instanz dann auch die Gerichtsgebühren für das abgetrennte Verfahren, wenn eine Ver_____fahrensabtrennung wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen einen Gesamtschuld_____ner statthaft gewesen ist.172 Wurde bei gleichzeitig beantragten und erlassenen Mahn_____bescheiden gegen Gesamtschuldner nach Einlegung des Widerspruchs das streitige _____Verfahren bei demselben Gericht in getrennten Verfahren geführt, so ist bezüglich des _____Anfalls der Gerichtskosten von einem einheitlichen Verfahren auszugehen, weil die _____Trennung unzulässig war.173 _____ _____ 60 c) Rechtsanwaltsgebühren. Regelmäßig hat der verfahrensbevollmächtigte Rechts_____anwalt die Wahl, ob er einheitlich die Gebühren nach dem Gesamtstreitwert oder geson_____dert aus den getrennten Verfahren mit den jeweiligen Einzelwerten geltend macht.174 _____Richtig ist deshalb der Hinweis, § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO stehe nicht entgegen,175 weil _____„dieselbe Angelegenheit“ begrifflich sowohl den Ursprungsprozess als auch die getrenn_____ten Verfahren erfasst. Die Trennung darf nur nicht zu einer Gebührenkumulation führen. _____Diese läge vor, wenn die beanspruchten Gebühren größer wären als bei Unterstellung _____der Weiterführung beider Prozesse in einem Verfahren oder bei Unterstellung einer _____Trennung von Beginn an. Wurde deshalb bei gleichzeitig beantragten und erlassenen _____Mahnbescheiden gegen Gesamtschuldner nach Einlegung des Widerspruchs das streitige _____Verfahren bei demselben Gericht in getrennten Verfahren geführt, so ist bezüglich des _____Anfalls der Gerichtskosten von einem einheitlichen Verfahren auszugehen.176 Wird ein _____Rechtsstreit, der sich gegen mehrere Streitgenossen gerichtet hat, gemäß Abs. 1 getrennt, _____ _____ _____167 So schon RGZ 6, 416. _____168 OLG München MDR 2001, 652–653; bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen gegen _____denselben Beklagten aufgrund desselben Lebenssachverhalts durch mehrere Kläger, die alle durch _____denselben Anwalt vertreten wurden. 169 BGH NJW 2000, 3566. _____170 Getrennte Anträge können durchaus zulässig sein, erstattungsrechtlich aber dazu führen, dass nicht _____im vollen Umfang ein Erstattungsanspruch besteht: OLG München a.a.O. _____171 BGH NJW-RR 1997, 831; LG Berlin JurBüro 1998, 30. _____172 OLG Koblenz OLGR 2000, 420–421. 173 OLG München MDR 1998, 738–739 = NJW-RR 1998, 1080. _____174 OLG Düsseldorf Rpfl. 2000, 84–85 = JurBüro 2001, 136–137 = FamRZ 2000, 1385 (Ls). _____175 LG Saarbrücken MDR 2001, 1442–1444. _____176 OLG München MDR 1998, 738–739 = NJW-RR 1998, 1080.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 146

____so können in dem durch die Trennung entstandenen neuen Prozess sämtliche Rechts____anwaltsgebühren von neuem entstehen.177 ____ Ebenso wenig kann mehr als eine Prozessgebühr verlangt werden, wenn ein Mahn- 61 ____verfahren gegen zwei Gesamtschuldner eingeleitet worden ist und fälschlich bei der ____Übersendung der Mahnakten von dem zentralen Mahngericht an das Prozessgericht dort ____zwei Prozessakten angelegt und zwei Aktenzeichen vergeben wurden, denn derartige ____Umstände stellen keine Trennung i.S.v. § 145 dar.178 ____ ____ ____ § 146 ____ Beschränkung auf einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel ____ § 146 Smid ____ Das Gericht kann anordnen, dass bei mehreren auf denselben Anspruch sich ____beziehenden selbstständigen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln (Klagegründen, ____Einreden, Repliken usw.) die Verhandlung zunächst auf eines oder einige dieser ____Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu beschränken sei. ____ Übersicht ____ ____ 1 2. Selbstständigkeit ____ 5 ____I. Normzweck/-genese II. Einzelheiten 3. Verfahren/Wirkung ____ 7 ____ 1. Angriffs- und Verteidigungsmittel 4. Verhältnis zu § 145 ____ 8 ____ a) Begriff ____ 3 III. Form, Inhalt und Wirkung der Anord____ b) Grenze ____ 4 nung ____ 9 ____ ____ I. Normzweck/-genese ____ ____ Wie § 145 soll § 146 die Straffung der Verhandlung1 dadurch erleichtern, dass – an- 1 ____ders als im Falle des § 145 – im Rahmen eines einheitlichen Prozesses durch Beschluss ____des Gerichts angeordnet wird, einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel gleichsam ____nacheinander abzuhandeln. Die Vorschrift kommt aber in der Rechtswirklichkeit seit der ____Reform des Jahres 19242 kaum zum Zuge,3 da damals die Befugnis des Gerichts, mittels ____materiellen Zwischenurteils zu entscheiden, abgeschafft worden ist. An ihre Stelle ist ____weitgehend die ohne förmliche Beschlüsse auskommende richterliche Verhandlungslei____tung gemäß § 272 getreten. Überdies lässt sich die Anordnung ebenso – auch formlos – ____über § 136 realisieren.4 Die Entscheidung nach § 146 durch Beschluss ist im Übrigen al____lenfalls dann praktikabel, wenn dem Gericht ein sehr umfangreicher und rechtlich kom____plexer Sachverhalt vorgelegt wird, der die förmliche Abschichtung einzelner selbststän____diger Angriffs- und Verteidigungsmittel als zweckmäßig erscheinen lässt.5 Aber auch ____dann scheidet eine Erledigung durch Zwischenurteil aus.6 ____ ____ ____177 OLG Zweibrücken OLGR 2003, 290. ____178 LG Berlin Rpfl. 1998, 40–41 = JurBüro 1998, 30–31. ____ 1 Unpräziser insoweit AK-Göring Rdn. 1: die Regelung diene der „Übersichtlichkeit der Verhandlung“, ____weshalb er zu Unrecht folgert, eine „weitherzige Handhabung könne … zur Verzögerung des Rechtstreits“ ____führen. ____2 VO über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. 13.2.1924 (RGBl. I S. 135). ____3 Insofern prägnant bereits Sonnen JW 1925, 735: § 146 sei eine „völlig stumpfe Waffe“; dazu auch Bettermann ZZP 79 (1966) 392 (400). ____4 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1; Zöller-Greger Rdn. 1. ____5 MünchKomm-Peters Rdn. 1. ____6 Zu dessen Funktion nach alter Rechtslage: Bettermann ZZP 79 (1966), 392 ff.

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§ 146

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 2 Normhistorie: Bis 1900 § 137 CPO; mittelbar betroffen durch die das Zwischenur_____teil nach § 303 aufhebende Novelle von 1924;7 durch Reformgesetz von 20018 unverän_____dert. _____ _____ II. Einzelheiten _____ _____ 1. Angriffs- und Verteidigungsmittel _____ _____ a) Begriff. Die in § 146 angesprochenen Angriffs- und Verteidigungsmittel decken 3 _____sich mit dem sehr weiten9 Begriff in § 282 Abs. 2. Es handelt sich mithin um alle zur Be_____gründung des Klageantrages oder zur Verteidigung gegen ihn vorgebrachten tatsächli_____chen Behauptungen, Bestreiten, den Vortrag von Einwendungen und Einreden, Beweis_____anträge.10 Das Gericht kann im Übrigen die Beschränkung gemäß § 146 auch bei einer _____Mehrheit von Ansprüchen und im Falle der Aufrechnung anordnen.11 Voraussetzung _____dafür ist, dass nicht nach § 145 verfahren worden ist (eingehend unten Rdn. 8). _____ _____ b) Grenze. Keine Angriffs- und Verteidigungsmittel sind demnach die Anträge der 4 _____Parteien, die als Angriff oder Verteidigung selbst anzusehen sind12 sowie die rechtlichen _____Ausführungen der Parteien.13 Wird eine gegen drei Beklagte gerichtete Klage z.B. unter _____dem Aspekt der Verjährung abgewiesen, so unterliegt das Urteil wegen Verfahrensfeh_____lern der Aufhebung, wenn sich die Gründe mit der Verjährung des Anspruchs nur im _____Verhältnis zu einem der Beklagten auseinandersetzen und die Verjährung ohne jede Dif_____ferenzierung auch gegenüber den beiden anderen Beklagten, die sich der Einrede über_____haupt nicht bedienten, als begründet erachtet wird. Insofern ist das Urteil nicht mit _____Gründen versehen.14 Dies ist bereits dann der Fall, wenn auf einzelne selbstständige _____Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der §§ 146, 303 überhaupt nicht eingegangen _____wird.15 Dies gilt etwa, wenn die Verjährungseinrede nicht eigens beschieden wird.16 _____ _____ 2. Selbstständigkeit. Das Verständnis des Begriffs der Selbstständigkeit des Angriffs5 _____oder Verteidigungsmittels ist am Normzweck zu orientieren: Eine Verhandlungsstraffung _____kommt nur dort in Betracht, wo behandelte Teilaspekte auch in sich abgeschlossene Teil_____ergebnisse ermöglichen.17 Deshalb liegt Selbstständigkeit vor, soweit das Angriffs- und _____Verteidigungsmittel für sich rechtsbegründend, -vernichtend oder -erhaltend wirkt.18 Da_____runter fallen jedenfalls selbstständige Klagegründe,19 einzelne Berechnungsposten,20 pro_____ _____ _____ _____7 VO v. 13.2.1924 (Fn. 2). 8 Gesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. _____9 Zum extensiven Verständnis BGH VersR 1982, 346. _____10 Statt aller: MünchKomm-Peters Rdn. 2. _____11 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9. _____12 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 282 Rdn. 5; zur materiellrechtlichen Aufrechnungserklärung _____BGHZ 91, 303. 13 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; a.A. Deubner NJW 1977, 921. _____14 OLG Saarbrücken NJW-RR 2000, 826. _____15 BGH NJW-RR 1988, 1146 f. _____16 BGH VersR 1979, 348 f. _____17 Ähnlich Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7. 18 HM: BGHZ 39, 333 ff.; MDR 1974, 390 = LM § 41 p PatG Nr. 26; NJW 1980, 1794; RG HRR 1939, 576; _____Musielak-Stadler (3. Aufl.) Rdn. 5; Zöller-Greger Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____19 RGZ 3, 388; 390; RG JW 1900, 657 f. _____20 RG JW 1897, 232; 1899, 534 (535); RGZ 21, 340 (342 ff.).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 146

____zessrechtliche Einreden21 (Verjährung,22 Scheingeschäft nach § 117 BGB,23 Verzicht,24 Rück____tritt,25 Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB,26 Aufrechnung nach § 389 BGB27 oder Mitver____schulden nach § 254 BGB)28sowie Repliken,29 wie etwa die Hemmungsvorschriften der ____§§ 203 ff. BGB. Auch die allgemeinen Prozessvoraussetzungen gehören dazu.30 ____ Hingegen ist Selbstständigkeit abzulehnen bei einzelnen Elementen eines einheit- 6 ____lichen Klagegrundes,31 einzelnen Tatsachen32 und auch, wenn nur Anhaltspunkte vor____liegen, die einen mittelbaren Schluss auf die möglicherweise vorliegenden Vorausset____zungen einer Rechtsfolge zulassen.33 Nicht unter den Begriff der Selbstständigkeit fallen ____Beweismittel34 und die schlichte Klageleugnung,35 ferner bloße Rechtsausführungen.36 ____ ____ 3. Verfahren/Wirkung. Die Trennungsanordnung ergeht – wie bei § 145 – durch zu 7 ____begründenden Beschluss, gegen den die Beschwerde nicht zulässig ist; der Beschluss kann ____aber nach § 150 abgeändert werden. Wegen Einzelheiten vgl. deshalb § 145 Rdn. 12 f. Zu ____beachten ist, dass die Verhandlungsbeschränkung nach § 146 insoweit auf die Rechtzei____tigkeit und Beachtlichkeit von Vorbringen nach §§ 296, 282 wirkt, als nicht betroffene ____Punkte auch nicht vorgebracht werden müssen, also zunächst unterbleiben dürfen.37 Ver____handlungsbeschränkung heißt überdies nie Terminbeschränkung,38 also keine Terminie____rung zur Verhandlung über einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel.39 Bei Entschei____dungsreife ist umgehend Endurteil (§ 300) zu fällen.40 ____ ____ 4. Verhältnis zu § 145. Die beiden Vorschriften nach § 145 und § 146 können inso- 8 ____fern als in einem Stufenverhältnis stehend angesehen werden, als eine Beschränkung ____auf Einzelfragen nach § 146 ein minus zur vollständigen Prozesstrennung nach § 145 dar____stellt. So erscheint eine getrennte Verhandlung über zunächst den Klagegrund und an____schließend über die Einrede der Aufrechnung denkbar.41 Aus diesem Blickwinkel dürfte ____§ 146 auch das Ermessen im Rahmen des § 145 Abs. 3 insofern beeinflussen können, als ____eine schlichte Verhandlungstrennung dann in Betracht kommt, wenn die Prozesstren____ ____ ____ ____21 Siehe zum Begriff allgemein Rosenberg/Schwab/Gottwald § 104 II 2. ____22 RGZ 94, 312. ____23 RGZ 109, 201 (204). ____24 RG Warn 1908, 551 = SeuffArch 64, 79. 25 BGH NJW 1951, 275. ____26 RGZ 170, 328 (332). ____27 RGZ 160, 338 (343). ____28 RG HRR 1933, 1537. ____29 MünchKomm-Peters Rdn. 3. 30 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ____31 RG JW 1912, 1107 (Verschuldensfrage bei § 823 Abs. 1 BGB). ____32 RG JW 1927, 374. ____33 BGH NJW 1980, 1794; BGH GRUR 1979, 220 (221); GRUR 1964, 201 (202) = LM § 41p PatG Nr. 2. ____34 BGH NJW 1982, 1535; BGH MDR 1974, 399. ____35 BGHZ 12, 49; JZ 1977, 102; OLG Köln NJW 1973, 1847; RGZ 60, 366 ff. 36 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6; im Anschluss an Weth Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens im ____Zivilprozess, 1988, S. 91 f. ____37 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. ____38 So in der Sache schon Troll Versäumnisurteil, 1887, S. 142 ff. ____39 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. 40 RGZ 17, 349 (350); RG JW 1901, 7; RG Warn. 1908, 551; das gilt auch bei Säumnis und Versäumnisurteil ____nach §§ 330 ff. bzw. Entscheidung nach Lage der Akten: RGZ 36, 425 (428); Troll Versäumnisurteil, ____S. 142 ff. ____41 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9.

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§ 147

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____nung – mit der Möglichkeit des vollstreckungsfähigen Urteils nach § 704 Abs. 1 – unan_____gemessen erscheint, weil die Aufrechnung Aussicht auf Erfolg hat. _____ _____ III. Form, Inhalt und Wirkung der Anordnung _____ _____ Die Anordnung nach § 146 ergeht ohne Antrag einer Partei von Amts wegen durch 9 _____förmlichen Beschluss.42 Der Beschluss wird verkündet.43 Ergeht er ohne mündliche Ver_____handlung, genügt eine formlose Mitteilung.44 _____ Der Anordnungsbeschluss ist nicht selbstständig angreifbar.45 Er ist aber mit der Be10 _____rufung oder der Revision inzidenter mit der Entscheidung überprüfbar, die auf ihn hin _____ergangen ist.46 _____ Mit der Anordnung werden die prozessualen „Pflichten“ der Parteien näher be11 _____stimmt: Die Parteien wissen aufgrund des Beschlusses, dass sie ihren Vortrag auf den _____bestimmten Punkt beschränken müssen; sie laufen dann keine Gefahr, im Übrigen mit _____ihrem Sachvortrag präkludiert zu werden.47 Der Prozess wird im Unterschied zur Prozess_____trennung nach § 145 aber einheitlich weitergeführt.48 In dem jeweiligen Termin wird da_____her nicht allein zu den jeweiligen Angriffs- oder Verhandlungsmitteln, sondern zum _____Streitgegenstand als Ganzem verhandelt, so dass im Falle der Säumnis Versäumnisurteil _____ergehen kann.49 Wird gegen ein nach dem Erlass des Beschlusses gemäß § 146 ergange_____nes Urteil Berufung eingelegt, erstreckt sich der Devolutiveffekt auf den gesamten _____Rechtsstreit. Der BGH50 hat daher zu Recht darauf erkannt, dass eine Zurückverweisung _____des Rechtsstreits durch das Berufungsgericht auch dann nicht in Betracht kommt, wenn _____aufgrund der Beschränkung auf einzelne Verhandlungspunkte nur über diese verhan_____delt worden ist.51 _____ _____ _____ § 147 _____ Prozessverbindung _____ § 147 Smid _____ Das Gericht kann die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Prozesse der_____selben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung _____und Entscheidung anordnen, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Pro_____zesse bilden, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage hätten gel_____tend gemacht werden können. _____ _____ Schrifttum _____ Ehlicke Die Zusammenfassung von Insolvenzverfahren mehrerer Unternehmen, DVRR 1999, 353; Ott _____Die Parteiwiderklage, 1999; Renschle Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Rechtsverfolgung, WM 2004, _____966. _____ _____ _____42 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 10. _____43 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4, § 145 Rdn. 9. _____44 Musielak-Stadler Rdn. 3. _____45 BGH NJW 1977, 1152; MünchKomm-Peters Rdn. 4, § 145 Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 6. _____46 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 11 a.E. _____47 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12. 48 MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12; Musielak-Stadler Rdn. 2. _____49 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 5. _____50 BGH NJW 1977, 1152. _____51 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 13.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 147

Übersicht ____ 2. Beschluss ____ 12 ____I. Normzweck/-anwendungsbereich/ ____ -genese 1 a) Zuständigkeit, Rechtliches ____ Gehör ____ 12 ____II. Voraussetzungen b) Rechtsmittel ____ 13 1. Anhängigkeit vor demselben ____ Gericht ____ 4 V. Wirkung ____ 2. Dieselbe Prozessart, Verbindungs1. Einheitlicher Prozess ____ 15 ____ a) Ausschluss der selbständigen verbote ____ 5 ____ Führung der Prozesse ____ 15 3. Rechtlicher Zusammenhang der ____ Prozesse ____ 6 b) Parteistellungen ____ 16 ____ 4. Verbindungsgebot ____ 8 2. Bedeutung des bisherigen Verfahrensverlaufs für das weitere ____III. Einfluss der Prozessverbindung auf den Verfahren ____ 18 gesetzlichen Richter ____ 3. Gebührenstreitwert/Gebühren/ 1. Problemstellung und Meinungs____ Kosten ____ 20 stand ____ 9 ____ 2. Stellungnahme ____ 10 a) Gebührenstreitwert/Gebühren ____ 20 ____ IV. Verfahren b) Anwaltsgebühren ____ 21 ____ 1. Ermessen des Gerichts ____ 11 ____ ____ ____ I. Normzweck/-anwendungsbereich/-genese ____ Nach der Vorschrift liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, verschiedene 1 ____ ____Prozesse zur Verhandlung und Entscheidung in einem einheitlichen Prozess zusammen____zufassen. Die Verhandlung in einem einheitlichen Prozess vermeidet eine ansonsten ____denkbare abweichende oder gar widersprüchliche Behandlung 1 eines einheitlichen ____Sachverhalts durch verschiedene Spruchkörper eines Gerichts oder sogar durch ein und ____denselben Spruchkörper. Zudem kommt § 147 eine die Verfahrenseffizienz steigernde ____Funktion zu.2 Zur Umsetzung gebracht wird dieser Gedanke durch eine einheitliche Be____weisaufnahme und Beweiswürdigung.3 Dadurch soll nicht allein Gesichtspunkten der ____Prozessökonomie Rechnung dadurch getragen werden, dass Arbeit und Kosten der pa____rallelen Ermittlung eines einheitlichen Sachverhalts in nebeneinander laufenden Ver____fahren erspart werden. Vielmehr dient die Prozessverbindung wesentlich auch dazu, ____einander widersprechende Sachverhaltsfeststellungen zu vermeiden. Insofern ist die ____Prozessverbindung nach § 147 ebenso eine prozessleitende Maßnahme wie ihr Gegen____stück, die Prozesstrennung nach § 145. Die Bestimmung des § 147 ist nicht nur auf Klage____verfahren anwendbar, sondern auf zivilprozessuale Erkenntnisverfahren aller Art. Des____halb dürfen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch zwei selbständige ____Beweisverfahren miteinander verbunden werden.4 Nicht von § 147 erfasst wird die bloße tatsächliche Zusammenlegung von Verfahren 2 ____ ____zur gemeinsamen Verhandlung.5 Das schließt die Zulässigkeit derartiger Zusammenle____gung allerdings nicht aus, welche den Vorteil bietet, im nachfolgenden (getrennten!) ____Prozess auf den vorangegangenen Bezug zu nehmen.6 Eine Verbindung mehrerer Insol____ ____ 1 Dazu BAG DB 1983, 2579. ____2 Vgl. BGHZ 68, 81; a.A. Kollhosser NJW 1976, 144 zur Frage der Verbindung von Klage auf Zustimmung ____zur Ausschließung eines Gesellschafters und der Klage auf die Ausschließung selbst. ____3 MünchKomm-Peters Rdn. 1. ____4 OLGR Koblenz 2004, 69. 5 Keine Verbindung nach § 147 allein zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung ohne einheitliche ____Entscheidung: OLG Köln VersR 1973, 285; RGZ 142, 255. ____6 BGH NJW 1957, 183 = ZZP 70 (1957), 124; AK-Göring Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; ____Zöller-Greger Rdn. 5.

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§ 147

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____venzverfahren kann nach Eröffnung gemäß § 4 InsO i.V.m. § 147 erfolgen, wenn mehrere _____Gläubiger Ansprüche gegen denselben Schuldner geltend machen.7 _____ Normhistorie: Bis 1900 § 138 CPO (durch Reformgesetz 20018 nicht geändert). § 20 3 _____FamFG trifft eine entsprechende Regelung für die dem Geltungsbereich des FamFG un_____terliegenden Verfahren;9 wegen § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Vorschrift auf Ehe- und _____Familienstreitsachen nicht anwendbar,10 dessen Satz 2 auf die Regelungen der ZPO – _____und damit auch auf § 147 – verweist.11 _____ _____ II. Voraussetzungen _____ _____ 1. Anhängigkeit vor demselben Gericht. Um verbunden werden zu können, müs4 _____sen mehrere Prozesse bei demselben Gericht zumindest anhängig12 (nicht rechtshängig) _____sein. Unter dem Gericht i.S.d. Vorschrift versteht man die organisatorische gerichtsver_____fassungsrechtliche Einheit eines örtlich zuständigen Amtsgerichts, Landgerichts, Ober_____landesgerichts oder des BGH, da eine Verbindung auch in der Rechtsmittelinstanz in _____Betracht kommt.13 Eine Verbindung kommt daher auch dann in Betracht, wenn die Pro_____zesse bei verschiedenen Spruchkörpern eines Gerichts, also verschiedenen Abteilungen, _____Kammern oder Senaten anhängig sind.14 Zu den Problemen, die diese Auslegung mit _____Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auslöst, vgl. unten Rdn. 9. Soweit der Einzelrichter zu_____ständig ist, kann er den vor ihm geführten Prozess überdies nur mit solchen Prozessen _____verbinden, die ebenfalls vor ihm oder die vor einem anderen Einzelrichter geführt wer_____den.15 Wird ein anderer Prozess dagegen vor seinem oder einem anderen Spruchkörper _____geführt, ist er zur Verbindung nicht berechtigt.16 Der Einzelrichter hat in diesem Fall die _____Möglichkeit, bei dem Spruchkörper die Übertragung an den Einzelrichter formlos anzu_____regen, um damit den Weg für die Verbindung zu ebnen.17 Erlässt daher die Zivilkammer _____in der Besetzung des § 75 GVG eine einstweilige Verfügung, die mit einem Widerspruch _____bekämpft wird, und verbindet die Kammer sodann das einstweilige Verfügungsverfahren _____mit der Hauptsache, die hiernach dem Einzelrichter übertragen wird, ist dieser nicht be_____fugt, einen Ordnungsmittelbeschluss nach § 890 zu erlassen. Prozessgericht des ersten _____Rechtszuges bleibt vielmehr die vollbesetzte Kammer.18 _____ _____ 2. Dieselbe Prozessart. Verbindungsverbote. Da mit der Prozessverbindung durch 5 _____das Gericht eine Klagehäufung bewirkt wird, sind die Voraussetzungen des § 260 zu be_____achten.19 Daher setzt die Verbindung von mehreren Prozessen voraus, dass sie in der _____gleichen Prozessart geführt werden. Prozessarten sind im Wesentlichen der Urkunds_____ _____ _____ 7 AG Göttingen, NZI 2002, 560; FK-InsO/Schmerbach § 13 Rdn. 37. _____8 Zivilprozessrechtsreformgesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. _____9 MünchKomm-Pabst FamFG § 20 Rdn. 3 ff. _____10 MünchKomm-Pabst FamFG § 20 Rdn. 2. _____11 MünchKomm-Fischer FamFG § 113 Rdn. 2. _____12 Allgemeine Meinung: MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 2; Rosenberg/Schwab/ Gottwald § 100 I; Zöller-Greger Rdn. 2. _____13 BGH NJW 1977, 1152. _____14 MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____15 OLG Frankfurt OLGR 2003, 67; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3; Baumbach/ _____Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. 16 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 3. _____17 MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____18 OLG Koblenz NJW-RR 2002, 1724. _____19 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9; MünchKomm-Peters Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 147

____und Wechselprozess nach den §§ 592 ff.,20 das Verfahren in Familien und Kindschaftssa____chen nach den §§ 606 ff., 640 ff., vgl. aber § 610 und § 640c Abs. 1, das Verfahren vorläu____figen Rechtsschutzes nach den §§ 916 ff.,21 oder das Wiederaufnahmeverfahren nach den ____§§ 578 ff., vgl. aber § 578 Abs. 2. Eine Verbindung kommt ferner auch nicht im Kostenfest____setzungsverfahren in Betracht, jedenfalls dann nicht, wenn bereits Kostengrundent____scheidungen ergangen sind.22 Die Verbindung erst in der Berufungsinstanz setzt voraus, ____dass in den zu verbindenden Verfahren jeweils die Rechtsmittelsumme (§ 511 Abs. 2 ____Nr. 2) erreicht wird;23 praktisch relevant wird das nunmehr allerdings nur noch für amts____gerichtliche Verfahren, deren jeweiliger Streitwert nicht > 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 2) ist. ____Das Verbindungsverbot wird ferner neben den zitierten Fällen durch die Art. 51 § 5 CIM, ____Art. 51 § 5 CIV modifiziert. ____ ____ 3. Rechtlicher Zusammenhang der Prozesse. Als „Kernstück“ der Voraussetzun- 6 ____gen einer Prozessverbindung wird bezeichnet,24 dass die zu verbindenden Prozesse in ____rechtlichem Zusammenhang zueinander stehen; hierauf sind die gleichen Maßstäbe an____zulegen, die für § 33 entscheidend sind: Gefordert wird von Abs. 1 ein rechtlicher Zu____sammenhang zwischen Klage und Widerklage25 oder mit den gegen die Klage vorge____brachten selbstständigen Verteidigungsmitteln des Beklagten (vgl. unten Rdn. 12). § 33 ____bestimmt einen besonderen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs. Die Vorschrift be____trifft nach richtiger Auffassung26 die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, ____regelt aber entgegen einer älteren Ansicht27 nicht die allgemeinen Zulässigkeitsvoraus____setzungen der Widerklage. Eine nicht-konnexe Widerklage kann vor dem Gericht der ____Klage erhoben werden, wenn dieses örtlich zuständig ist. Liegt kein sachlicher Zusam____menhang vor, kann der Zuständigkeitsmangel durch rügelose Einlassung gemäß § 39 ____geheilt werden. Anstelle des rechtlichen Zusammenhangs genügt ein wirtschaftlicher ____Zusammenhang aufgrund eines innerlich zusammengehörigen, einheitlichen Lebensver____hältnisses.28 Darunter fallen daher Widerklagen, die sich gegen die erhobene Kaufpreis____klage mit Gewährleistungsansprüchen richten29 oder die sich auf Ansprüche aus gegensei____tigen Geschäftsverbindungen beziehen, wobei neben der Judikatur30 auch die Vertreter ____der Gegenmeinung31 es genügen lassen, dass die jeweiligen Ansprüche sich aufgrund ih____res zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als natürliche Einheit darstellen. Dazu ____gehören Ansprüche aus dem Grundgeschäft gegenüber Wechsel- oder Scheckforderun____gen32 oder der Grundbuchberichtigungsanspruch gegenüber dem Anspruch auf Ersatz ____ ____20 Unzulässigkeit der Verbindung von Urkundenprozess und Nachverfahren: BGH NJW 1978, 44; KG ____OLGRspr 33 (1916), 76. ____21 Keine Verbindung von vorläufigem Rechtsschutz und Hauptprozess: OLG Karlsruhe Justiz 1968, 475. ____22 OLG Stuttgart OLGR 2001, 427–428 = Rpfl. 2001, 617–618 = Justiz 2001, 545–546 = MDR 2002, 117–118; eine andere Frage ist, ob die unterlassene Verbindung zu nicht vertretbaren Kostenerhöhungen geführt ____hat: OLG Stuttgart a.a.O. ____23 BGH NJW 1977, 1152 = MDR 1977, 658. ____24 So MünchKomm-Peters, § 147 Rdn. 5. ____25 RGZ 11, 423. ____26 Stein/Jonas-Schumann Rdn. 6, 7; Wieczorek-Hausmann Rdn. 5; MünchKomm-Patzina Rdn. 2. 27 RGZ 23, 396, 397 f.; 110, 97, 98; Fischer ZZP 43 (1913) 96 ff.; Heinsheimer ZZP 38 (1909) 1 ff.; ____differenzierend Rimmelspacher FS Lüke, 1997, 655, 664; Ott S. 87 f. ____28 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 98 II 2 c; offen gelassen in BGHZ 53, 166, 168 = NJW 1970, 707; a.A. ____Stein/Jonas-Schumann Rdn. 17; MünchKomm-Patzina Rdn. 20; Zöller-Vollkommer Rdn. 15; Wieczorek____Hausmann Rdn. 32; vgl. ausführlich Ott (Fn. 6), S. 61. 29 BGHZ 52, 30, 34 = NJW 1969, 1563. ____30 BGHZ 54, 244, 250 = NJW 1970, 2019; RGZ 68, 32, 34; OLG Düsseldorf NJW 1978, 703. ____31 Wieczorek-Hausmann Rdn. 34. ____32 BGH NJW 1991, 2838.

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§ 147

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____von aufgewendeten Hypothekenzinsen 33 oder wechselseitige deliktische Schadenser_____satzansprüche aus einem einheitlichen Schadensereignis. Für die Prozessverbindung _____genügt es aber, dass die Klageansprüche, die den zu verbindenden Prozessen zugrunde _____liegen, in einer Klage in objektiver Klagehäufung gemäß § 260 (siehe oben Rdn. 5) oder _____subjektiver Klagehäufung nach den §§ 59, 60 hätten geltend gemacht werden können. Im _____Falle der objektiven Klagehäufung weist die Klage wenigstens zwei Streitgegenstände34 _____auf; in dem der subjektiven Klagehäufung stehen die Beteiligten als Parteien35 wegen des _____Streitgegenstandes – wie z.B. bei Bruchteils- oder Miteigentumsgemeinschaft oder im _____Falle der Klage des Geschädigten gegen Pflichtversicherer und Versicherungsnehmer – _____in Rechtsgemeinschaft oder sind aus identischem oder im Wesentlichen gleichartigen _____Grund berechtigt oder verpflichtet.36 Verbindet das Prozessgericht im Falle eines Scha_____densersatzprozesses aus einem Verkehrsunfall die vom Kläger erhobene Vorklage mit _____Zustimmung der Parteien gemäß § 147 mit der später eingegangenen Widerklage auf ge_____genläufige Ersatzansprüche gegen den Kläger des ersten, zunächst gesondert anhängig _____gewesenen Rechtsstreits, dann darf im Falle von Klage und Widerklage kein Teilurteil _____nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ergehen, wenn beide wegen der gemeinsamen Vorfrage des Un_____fallverschuldens in untrennbarem Zusammenhang stehen und sich die gleiche Frage _____erneut in der Rechtsmittelinstanz stellen kann, so dass die bloße Möglichkeit einer ab_____weichenden Beurteilung der erneuten Verschuldensprüfung durch das Rechtsmittelge_____richt besteht und ein Gleichlauf der Entscheidungen nicht gewährleistet ist.37 _____ Erhebt, ohne dass der Insolvenzverwalter die sicherungszedierte Forderung zuvor 7 _____an ihn freigegeben hätte, der Sicherungszessionar Klage gegen den Forderungsschuld_____ner, ist er nicht prozessführungsbefugt – und es ist mangels Zulässigkeit der Klage diese _____durch Prozessurteil abzuweisen.38 „Konkurriert“ eine solche Klage mit der Einziehungs_____klage des prozessführungsbefugten Insolvenzverwalters, wird es sich gegebenenfalls für _____das Prozessgericht empfehlen, die Prozesse nach § 147 zu verbinden.39 Dadurch kann die _____Frage, ob der Insolvenzverwalter die Forderung an den Sicherungszessionar freigegeben _____und damit dessen, die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters ausschließende _____Prozessführungsbefugnis wieder hergestellt worden ist, für beide Streitverhältnisse ein_____heitlich entschieden werden. _____ _____ 4. Verbindungsgebot. Die Verbindung kann gesetzlich geboten sein. So ist im Falle 8 _____der notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 62 die Einheitlichkeit der Entscheidung _____zu wahren. Daher ist die Anordnung der Prozesstrennung unzulässig. Ebenso ausge_____schlossen ist die Trennung von Haupt- und Eventualantrag, da andernfalls entgegen _____dem Willen des Antragstellers aus dem Eventual- ein Hauptantrag gemacht würde (siehe _____§ 145 Rdn. 10). Weiterhin verbieten die § 518 Satz 2, § 623 Abs. 1 Satz 1, §§ 246 Abs. 3, 249 _____Abs. 2, 250 Abs. 3,40 275 AktG die Anordnung der Prozesstrennung.41 Besonderheiten gel_____ten nach § 959 für das Aufgebotsverfahren. _____ _____ _____ _____33 RG WarnR 1911, 391. 34 Also eine Mehrzahl von Klageanträgen und/oder -gründen (= Lebensachverhalten): MünchKomm_____Lüke § 260 Rdn. 5. _____35 MünchKomm-Schilken § 59 Rdn. 3. _____36 MünchKomm-Schilken § 59 Rdn. 7. _____37 OLGR Celle 2007, 854. 38 Smid Kreditsicherheiten in der Insolvenz des Sicherungsgebers, 2003, § 11 Rdn. 70. _____39 MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____40 OLG Hamburg Die AG 1971, 403. _____41 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 12.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 147

____ III. Einfluss der Prozessverbindung auf den gesetzlichen Richter ____ ____ 1. Problemstellung und Meinungsstand. Anders als die Prozesstrennung gemäß 9 ____§ 145, für die perpetuatio fori gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 greift, ändert die Prozessverbindung ____nach § 147 zwar die sachliche Streitwertzuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts ____auch dann nicht, wenn die Streitwertaddition gemäß § 5 zu einer veränderten erstinstanz____lichen Zuständigkeit führen würde; insofern greift § 261 Abs. 3 Nr. 2 auch im Rahmen der ____Prozessverbindung.42 Die Verbindung lässt aber die Zuständigkeit des erkennenden Ge____richts i.S.d. zur Entscheidung berufenen Einzelrichters oder Spruchkörpers gegebenen____falls nicht unberührt. Das ruft die Frage der Vereinbarkeit der Verbindungsbefugnis mit ____dem Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auf den Plan. Denn ____dem anderen Einzelrichter oder Spruchkörper wird die Zuständigkeit zur Entscheidung ____über den verbundenen Prozess entzogen und die Zuständigkeit des die Verbindung aus____sprechenden Richters für die Sache begründet (sogleich Rdn. 10). Denkbar wäre es daher, ____die Befugnis zur Prozessverbindung auf solche Fälle zu beschränken, in denen die zu ver____bindenden Prozesse vor demselben Einzelrichter oder Spruchkörper anhängig sind.43 Die ____erwünschten Leistungen, die § 147 erbringen soll (oben Rdn. 1), würden damit aber sehr ____stark eingeschränkt.44 Deshalb wird vorgeschlagen, dass das Gericht vor der Prozessver____bindung die Parteien sowohl in dem vor ihm geführten als auch in dem oder den zu ver____bindenden Verfahren hören und ihre Zustimmung zur Prozessverbindung einholen muss, ____soweit die Verfahren vor verschiedenen Spruchkörpern erfolgen.45 ____ ____ 2. Stellungnahme. Die vorgetragenen Bedenken erscheinen indes sachlich nicht ge- 10 ____rechtfertigt: Denn der Anspruch auf den gesetzlichen Richter schützt nicht per se vor ____jedwedem Richterwechsel, sondern nur vor solchen, die willkürlich erfolgen.46 Die nach ____pflichtgemäßem Ermessen getroffene Entscheidung zur Prozessverbindung erfüllt nun ____aber diese Voraussetzung gerade nicht; sie ist vielmehr das Gegenteil von Willkür. Von ____dieser Warte erscheint die nicht zu leugnende Betroffenheit des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ____hinnehmbar. Überdies passt das Zustimmungserfordernis der hL nicht zur – auch von ihr ____nicht bestrittenen47 – amtswegigen Anordnung der Verbindung (siehe Rdn. 11); von die____ser bliebe nicht mehr viel übrig. Der gesetzliche Richter ist nicht gewahrt, wenn er durch ____eine Ermessensentscheidung bestimmt werden kann. Eine abstrakt-generelle Regelung, ____die eine Ermessensentscheidung über die Zuständigkeit ausschließt, liegt nicht vor, ____wenn der Geschäftsverteilungsplan eines Landesarbeitsgerichts vorsieht, dass „in Sa____chen, die in mehreren Kammern anhängig sind und bei denen eine Verbindung in Frage ____kommt (§ 147), die Verbindung durch die Kammer erfolgen soll, in der die zuerst einge____gangene Sache anhängig ist“. Denn Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen ____Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Ent____scheidung zuständigen Richters.48 Eine Verbindung nach § 147 die dazu führt, dass für ____das Verfahren eine andere Kammer, als nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehen, ____ ____ ____42 RGZ 6, 417 zum Bestehenbleiben der amtsgerichtlichen Zuständigkeit; RGZ 5, 355; 49, 401 (402); RG JW 1899, 696; MünchKomm-Peters Rdn. 13; AK-Göring Rdn. 7, auf den die richtige Einschränkung ____zurückzuführen ist, bei bewussten Teilklagen zur Erschleichung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit § 261 ____Abs. 3 Nr. 2 nicht anzuwenden; Schneider MDR 1974, 7 (9). ____43 So noch Rosenberg/Schwab/Gottwald § 62 III 3. ____44 So charakterisiert auch MünchKomm-Peters Rdn. 8 die Situation. 45 MünchKomm-Peters Rn 8; Zöller-Greger Rdn. 2; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 15. ____46 BVerfG NJW 1988, 1139; BGH NJW 1983, 671. ____47 MünchKomm-Peters Rdn. 7; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 18. ____48 BAG NZA 2002, 1349.

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§ 147

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____zuständig wird, ist deshalb allenfalls dann zulässig, wenn alle Parteien dem zustim_____men.49 Hat eine Partei aber stets der Verbindung ausdrücklich widersprochen, liegt dies _____nicht vor.50 _____ _____ IV. Verfahren _____ _____ 11 1. Ermessen des Gerichts. Das Gericht entscheidet über die Prozessverbindung von _____Amts wegen.51 Anträge der Parteien stellen sich als Anregungen dar; das Gericht ist an _____sie nicht gebunden. Bei seiner Entscheidung hat es sein pflichtgemäßes Ermessen aus_____zuüben. Kein Raum für ein richterliches Ermessen liegt im Falle des Vorliegens von Ver_____bindungsgeboten (oben Rdn. 8) vor. Eine Verbindung kommt daher in Betracht bei Pro_____zessen gegen Gesamtschuldner aus demselben Lebenssachverhalt oder der Akzessorietät _____der Haftung des zweiten Beklagten. Einen Ermessensfehlgebrauch würde eine Prozess_____verbindung darstellen, wenn sich das Gericht bei seiner Entscheidung davon leiten lie_____ße, dass und ob den Parteien durch die Entscheidung eine Instanz wegen Erreichens der _____Rechtsmittelsumme gewährt würde52 oder – etwa im Falle der Versagung einer von den _____Parteien angeregten Verbindung – die Zahl der Geschäftsnummern des Gerichts erhalten _____bliebe.53 Im Übrigen determiniert der Normzweck das Ermessen: Die leitenden Erwägun_____gen müssen sein, widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden und/oder eine effi_____zientere Bearbeitung zu gewährleisten (siehe oben Rdn. 1).54 Demgemäß wäre es verfehlt, _____Klagen gegen den Hauptschuldner und den Bürgen aus Kostenerstattungsgesichtspunk_____ten zu verbinden,55 und geradezu geboten, bei Anfechtung eines Wohnungseigentümer_____beschlusses seitens mehrerer Wohnungseigentümer wegen Identität des Verfahrensge_____genstandes eine Anordnung nach § 147 zu treffen.56 Deshalb darf auch keine Verbindung _____angeordnet werden, wo bereits in einer Sache Entscheidungsreife vorliegt;57 dort muss _____Endurteil (§ 300) ergehen, nicht Teilurteil nach § 301. Hat der Schuldner einer Forderung _____der Zahlungsklage des Zessionars die Aufrechnung mit einer bestrittenen höheren Ge_____genforderung gegen den Zedenten entgegengehalten, und den hierfür nicht verwendeten _____Rest gegen diesen eingeklagt, so kann das Gericht beide Prozesse wegen des Streits um _____die bestrittene Forderung zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entschei_____dung verbinden. BGH LM Nr. 7 zu § 5 ZPO = BB 1969, 295 (Gründe) = NJW 1969, 699 (Ls) = _____MDR 1969, 570 (Ls). _____ _____ 2. Beschluss _____ _____ a) Zuständigkeit. Rechtliches Gehör. Die Prozessverbindung wird durch Beschluss 12 _____angeordnet. Zuständig für seinen Erlass ist der Einzelrichter oder Spruchkörper, der den _____ _____49 Vgl. Stein/Jonas-Leipold Rdn. 15; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Zöller-Greger Rdn. 2; Musielak-Stadler _____Rdn. 2; a.A. Fischer MDR 1996, 239, 240. _____50 BAG NZA 2002, 1349. _____51 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 18; a.A. Zöller-Greger Rdn. 7: „auf Antrag oder von Amts wegen“. _____52 BSG MDR 1973, 967. 53 Beispiel nach Stein/Jonas-Leipold Rdn. 11. _____54 I Erg. auch BGH LM Nr. 7 zu § 5 ZPO = NJW 1969, 699 (Ls) = MDR 1969, 570 (Ls); Wenn hingegen OLG _____Hamm Rpfl. 1980, 439–439 = JurBüro 1981, 448–449 die Verbindung mehrerer _____Kostenfestsetzungsverfahren aus getrennt geführten Prozessen für nicht statthaft hält, ist das in dieser _____Pauschalität nicht zustimmungswürdig. 55 Richtig OLG Koblenz Rpfl. 1991, 80–81 = WM 1991, 278–279 = VersR 1992, 339. _____56 LG Frankfurt/M. NJW-RR 1987, 1423–1424 unter gleichzeitiger Ablehnung der Möglichkeit einer _____Aussetzung nach § 148. _____57 BGH NJW 1957, 183 = ZZP 70 (1957) 124.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 147

____zweiten oder die anderen Prozesse an sich zieht. Die Zustimmung des betroffenen ____Spruchkörpers, vor dem der zu verbindende Prozess geführt wird, ist nicht erforderlich.58 ____Der Beschluss kann im schriftlichen Verfahren ergehen.59 Vom hier vertretenen Stand____punkt aus (siehe oben Rdn. 10) kann davon auch keine Ausnahme gemacht werden, ____wenn eine beiderseitige Einverständniserklärung der Parteien die mündliche Verhand____lung obsolet erscheinen lässt.60 Abzulehnen ist die vom OLG Düsseldorf geäußerte An____sicht, nach der die Anordnung der Verbindung zwar zum Zwecke der gleichzeitigen Ver____handlung und Entscheidung nach Maßgabe der ZPO grundsätzlich durch Beschluss ____ergeht. Es sei aber auch eine Verbindung ohne ausdrückliche Anordnung aufgrund ____schlüssigen Verhaltens des Gerichts möglich. Davon sei auszugehen, wenn die Gesamt____heit der erkennbaren Umstände den Schluss rechtfertigt, das Gericht habe mehrere Ver____fahren verbinden wollen.61 Der Beschluss ist – insbesondere die Ermessensausübung – ____(kurz) zu begründen. ____ ____ b) Rechtsmittel. Gegen den Beschluss (§ 329), mit dem Prozessverbindung ange- 13 ____ordnet wird, ist – wie bei allen Anordnungen nach den §§ 141 ff. – die Beschwerde nicht ____zulässig (siehe Ausführungen bei § 145 Rdn. 56). Eine Ausnahme dürfte aber analog ____§ 252 gerechtfertigt sein soweit die – in der Sache unstatthafte (siehe oben Rdn. 5) – Ver____bindung mit einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz faktisch zu einer Ausset____zung des Eilverfahrens und damit der Entziehung des Rechtsschutzes führen würde.62 ____Ebenso wenig ist gegen die Ablehnung der Verbindung ein Rechtsmittel statthaft.63 Da____von unberührt bleibt selbstredend die inzidente Überprüfung im Rahmen der Urteilsan____fechtung. ____ Ferner erscheint nunmehr eine Rüge nach § 321 a für den Fall denkbar, dass eine Be- 14 ____rufung wegen unterschrittener Berufungssumme unzulässig (§ 511 Abs. 2) ist, aber eine ____Verletzung des rechtlichen Gehörs im Raume steht.64 Das dürfte insbesondere dann in ____Betracht kommen, wenn die Anordnung der Verbindung ohne vorherige Parteiinforma____tion erfolgt. Die fehlende Zustimmung der Parteien kann hingegen kein Rügerecht auslö____sen (siehe oben Rdn. 10). ____ ____ V. Wirkung ____ ____ 1. Einheitlicher Prozess ____ ____ a) Ausschluss der selbstständigen Führung der Prozesse. Die Prozessverbin- 15 ____dung65 soll die einheitliche Entscheidung ermöglichen (siehe oben Rdn. 1). Daher ist ein ____einheitliches Endurteil zu erlassen. Stellt sich heraus, dass ein einheitliches Endurteil ____nicht erlassen werden kann, ist die Prozessverbindung gemäß § 150 aufzuheben. Das ist ____ ____ ____58 MünchKomm-Peters Rdn. 6, der aber richtigerweise vorherige Kontaktaufnahme vorschlägt. ____59 LG Halle juris KORE 433702005; anders zur früheren Gesetzeslage BGH NJW 1957, 183 (zu § 145); ____Stein/Jonas-Leipold Rdn. 18; MünchKomm-Peters Rdn. 6; a.A. KG JW 1937, 2465; LG Kiel HRR 1929 Nr. 657; auch Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ____60 So Stein/Jonas-Leipold Rdn. 18. ____61 OLG Düsseldorf OLGR 2002, 356. ____62 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1992, 32; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16. ____63 OLG Koblenz JurBüro 1991, 547. 64 Zum Rügeverfahren nach § 321 a siehe auch Vollkommer FS Schumann, 2001, 507. ____65 Zu unterscheiden ist die Verbindung von einer bloß tatsächlichen gemeinsamen Verhandlung, was ____durch Auslegung zu ermitteln ist: BGH NJW 1957, 183; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 22. Im Zweifel darf man ____wohl von einer Anordnung nach § 147 ausgehen: BGH a.a.O.; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 15.

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§ 147

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____der Fall, wenn der Prozess wegen des Stoffes einer der früher selbstständigen Prozesse _____entscheidungsreif wird. Insofern ist der Erlass eines Teilurteils gemäß § 301 ausgeschlos_____sen. Der BGH geht davon aus, dass ein Vollendurteil zu erlassen sei, das im Ergebnis zu_____gleich eine stillschweigende Aufhebung der Prozessverbindung beinhaltet.66 _____ _____ b) Parteistellungen. Durch die Zusammenfassung der zuvor selbstständigen Pro16 _____zesse werden die auf derselben Seite stehenden Parteien in dem einheitlichen Prozess zu _____Streitgenossen. Das schließt es aus, einen Streitgenossen als Zeugen zu vernehmen.67 Die _____Rechtsprechung68 will davon eine Ausnahme machen, wenn der Streitgenosse zu Be_____hauptungen gehört werden soll, die ausschließlich den anderen Streitgenossen betref_____fen.69 Eine Begründung wird in dem Hinweis gesucht, die Beschränkungen der §§ 445, _____447 seien in einer solchen Lage nicht sachgerecht.70 Da eine einheitliche Entscheidung _____zu fällen ist (unten Rdn. 17), fällt es schwer, dem zu folgen. Macht man die Probe und _____fragt, ob der Streitgenosse auch dann die Zeugenstellung einnimmt, wenn er vom Gegner _____als Zeuge benannt wird, so ist klar, dass der Streitgenosse nicht vernommen werden _____kann.71 Überdies verwischt die Gegenansicht die parteiähnliche Stellung des Streitgenos_____sen gegenüber dem gewöhnlichen – vernehmungsfähigen72 – Nebenintervenienten (§ 67), _____wenn er in der Sache wie letzterer zu behandeln wäre und ignoriert die Interessenkollisi_____on, der auch der nicht betroffene Streitgenosse ausgesetzt ist. _____ Nehmen die Parteien entgegengesetzte Parteirollen an, wird die später im verbun17 _____denen Prozess anhängig gewordene Klage im einheitlichen Prozess zur Widerklage.73 _____ _____ 2. Bedeutung des bisherigen Verfahrensverlaufs für das weitere Verfahren. Die 18 _____Prozessverbindung stellt nicht den einfachen Fall einer „Umkehrung“ der Prozesstren_____nung dar. Das zeigt sich insbesondere an der zentralen Frage, wieweit die bisherigen _____Prozesshandlungen im weiteren Verfahren Geltung beanspruchen können. Bestreiten, _____Nichtbestreiten oder das Geständnis im bisherigen Verfahren können nicht ohne weite_____res auf den durch die Prozessverbindung hinzugekommenen Verfahrensstoff bezogen _____werden.74 Daher muss das Gericht unter Gewährung rechtlichen Gehörs klären, ob und _____wieweit sich Prozesshandlungen auf das oder die hinzugekommenen Verfahren erstre_____cken. Dementsprechend können auch Beweisaufnahmen nicht ohne Gewährung rechtli_____chen Gehörs den Parteien gegenüber in den einheitlichen Prozess als Ganzem eingeführt _____werden, die an der früheren Beweisaufnahme nicht teilgenommen haben. Stimmen diese _____Personen der Verwertung der Beweisaufnahme nicht nach § 295 zu, muss das Gericht die _____Beweisaufnahme wiederholen.75 _____ Ist die Verbindung zweier gleichartiger Prozesse unterblieben und sind zwei Kosten19 _____grundentscheidungen ergangen, kann die Rechtspflegerin die Verbindung im Kosten_____ _____ _____66 BGH NJW 1957, 183 = ZZP 70 (1957). _____67 RGZ 91, 37, 38; 29, 370; SeuffA 86, 201; OLG Köln VersR 1973, 285; siehe auch schon Vorauflage Anm. _____B II a 3. _____68 BGH MDR 1999, 47, 48 a.E.; NJW-RR 91, 256; NJW 1983, 2508; BAG JZ 1973, 58; BayObLG MDR 1998, 180; OLG Düsseldorf MDR 1971, 56; KG OLGZ 77, 244. _____69 Noch weitergehend (generelle Zeugenfähigkeit des Streitgenossen): Gottwald JA 1982, 64, 65; _____Lindacher JuS 1986, 379; Grunsky ZPR § 29 I 2; Jauernig ZPR § 81 III. _____70 So insbesondere MünchKomm-Peters Rdn. 12. _____71 BGH NJW 1983, 2508 (LS); BAG JZ 1973, 58; OLG Düsseldorf MDR 1971, 56. 72 RGZ 46, 404 (406); Rosenberg/Schwab/Gottwald § 50 IV 1; a.A. noch die Vorauflage Anm. B II a 4. _____73 St.Rspr.: BGH NJW 1957, 183 = ZZP 70 (1957) 124; RGZ 44, 419 (420). _____74 MünchKomm-Peters Rdn. 11. _____75 Zöller-Greger Rdn. 8.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 147

____festsetzungsverfahren nicht nachholen.76 Die Prozessverbindung (§ 147) ist – ebenso wie ____die Prozesstrennung (§ 145) – eine Frage der prozessualen Zweckmäßigkeit, über die ____allein das Gericht zu befinden hat. Hat die Kammer von einer Verbindung abgesehen, ____muss die Rechtspflegerin dies im Kostenfestsetzungsverfahren hinnehmen. ____ ____ 3. Gebührenstreitwert/Gebühren/Kosten ____ ____ a) Gebührenstreitwert/Gebühren. Eine Addition der Streitwerte der verbundenen 20 ____Verfahren ist auch – wie beim Rechtsmittelstreitwert nach § 5 – wegen des Gebührenge____genstandswerts (§§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 1 RVG) vorzunehmen.77 Ergeben sich aus einer Kos____tengrundentscheidung in einem Urteil mehrere Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die mit ____einer Erinnerungsschrift und einer einheitlichen Begründung angefochten werden, so ____stellt es keine unrichtige Sachbehandlung dar, wenn das Beschwerdegericht von einer – ____kostengünstigeren – Verbindung der Beschwerdeverfahren absieht und deshalb bei ei____ner Zurückweisung der Rechtsmittel mehrere Beschwerdegebühren anfallen (JMBl. NW ____1998, 59–60 (Leitsatz und Gründe) OLGR Düsseldorf 1998, 84–85). ____ ____ b) Anwaltsgebühren. Ist bei der Verbindung getrennt anhängig gemachter Prozes- 21 ____se vor der Verbindung nur in einem derselben verhandelt worden und wird nach der ____Verbindung über den verbundenen Streitgegenstand verhandelt, fällt außer der durch ____die frühere Verhandlung bereits verdienten Verhandlungsgebühr für die Verhandlung ____nach der Verbindung eine Verhandlungsgebühr aus dem zusammengerechneten Wert ____beider Sachen an; diese Gebühr ist allerdings in dem Verhältnis gekürzt, das dem Anteil ____des Streitwertes der einen Sache, in der vor der Verbindung verhandelt worden war, an ____dem zusammengerechneten Streitwert entspricht.78 Demgemäß gilt auch im Mahnver____fahren bei gleichzeitigem Geltendmachen von Zahlungsansprüchen gegen einen Schuld____ner und einen Bürgen mit einem einheitlichen Mahnbescheidsantrag – wobei nach Ab____gabe der Sache an das einheitlich zuständige Streitgericht dort aus durch den Kläger ____nicht veranlassten Gründen in Bezug auf jeden Beklagten gesonderte Verfahren einge____tragen werden –, dass die vor der mündlichen Verhandlung miteinander verbunden Ver____fahren gebührenrechtlich eine Angelegenheit darstellen mit der Folge des Ausschlusses ____des Ansatzes einer doppelten Prozessgebühr für den klägerischen Prozessbevollmächtig____ten.79 ____ Hat der Anwalt in mehreren Verfahren die Prozessgebühr bereits verdient, ehe sie 22 ____verbunden wurden, so bleiben ihm die Einzelgebühren zwar erhalten, sie werden aber ____voll angerechnet auf die Prozessgebühr aus dem verbundenen Verfahren, auch wenn ____sich diese durch Einbeziehung weiterer Streitgegenstände erhöht (Anschluss KG Berlin ____Rpfleger 1973, 441; OLG Stuttgart JurBüro 1982, 1670–1671). ____ ____ ____ ____76 OLG Stuttgart OLGR 2001, 427. ____77 OLG München AnwBl 1981, 155; bei übereinstimmendem Rechtsgrund auch Zusammenrechnung bei verschiedenen Parteirollen statthaft: BGH NJW 1969, 699; allerdings Errechnung der ____Rechtsanwaltsgebühren nach dem Streitwert der getrennten Prozesse, wenn sich zweifelsfrei aus den ____Umständen ergibt, dass keine eigentliche Prozessverbindung, sondern nur eine der tatsächlichen ____Vereinfachung dienende vorübergehende Maßnahme beabsichtigt war: OLG München MDR 1990, 345–346 ____= JurBüro 1990, 393–394 = Rpfl. 1990, 184. 78 Zur Rechtslage nach der BRAGO OLG Düsseldorf MDR 1995, 645–646 = NJW-RR 1996, 192 = Rpfl. 1995, ____477; a.A. OLG Zweibrücken JurBüro 1981, 699–700; MünchKomm-Peters Rdn. 14. ____79 Zur Rechtslage nach der BRAGO OLG Düsseldorf JMBl NW 1997, 251–252 = AnwBl 1997, 624 = JurBüro ____1998, 82–83.

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§ 148

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 23 Bei der nach Verfahrensverbindung vorgenommenen Streitwerterhöhung erhält der _____Rechtsanwalt die Gebühren aus dem höchsten erreichten Streitwert, wenn diese die _____Summe der vor der Verbindung verdienten Einzelgebühren übersteigen (so auch OLG _____Stuttgart, 1982 JurBüro 1982, 1670; OLG München MDR 1986, 329–329). _____ Werden gerichtliche Verfahren miteinander verbunden, so sind ab Verbindung die 24 _____einmaligen Gebühren aus den summierten Einzelwerten zu berechnen (OLG Bamberg _____JurBüro 1986, 219–220). _____ _____ _____ § 148 _____ Aussetzung bei Vorgreiflichkeit _____ § 148 Smid _____ Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil _____von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den _____Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwal_____tungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung _____des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde aus_____zusetzen sei. _____ _____ Schrifttum _____ Althammer Zur Aussetzung eines Urkundenprozesses wegen eines Zivilprozesses, ZZP 113, 500; Blo_____ching Die Aussetzung des Urkundenprozesses wegen Vorgreiflichkeit, JurBüro 2003, 121; Cornils Vorfra_____genkompetenz und Aussetzung des Verfahrens, VorwArch 89, 526 ff.; Dahlem/Wiesner Die Aussetzung _____eines Arbeitsgesetzprozesses, insbesondere die Aussetzung der Lohnklage wegen eines Kündigungs_____schutzprozesses nach § 148 ZPO, NZA-RR 2001, 169; Göbel Streitverkündung und Aussetzung in Baumän_____gelprozessen, BauR 2004, 1533; Kähler Verfahrensaussetzung bei zu erwartender Leitentscheidung?, NJW _____2004, 1132; Rogge Zur Aussetzung in Patentverletzungsprozessen, GRUR-Int 1996, 386; Sesemann Verfah_____rensaussetzung nach § 148 ZPO analog bis zur verfassungsrechtlichen Überprüfung des Judikatur der Rest_____schuldbefreiung, ZVI 2003, 99. _____ _____ Übersicht 5. Strafverfahren ____ 21 _____I. Normzweck des aussetzen6. Weitere Verfahren ____ 23 a _____ 1. Prozesslenkungsaufgabe den Gerichts ____ 1 III. „Abhängigkeit“ der Entscheidung _____ 2. Ermessensausübung durch das 1. Übersicht ____ 24 _____ Gericht ____ 2 2. Anhängigkeit ____ 28 _____ 3. Gesetzliche Fälle der Aussetzung nach 3. Vorgreiflichkeit der Entscheidung des _____ der ZPO ____ 7 anderen Rechtsstreits ____ 30 _____ 4. Gesetzlich geregelte Fälle der Prozess4. Verfahren zwischen verschiedenen _____ aussetzung außerhalb der ZPO ____ 9 Parteien ____ 41 5. Wahrung der Waffengleichheit der _____ 5. Prozessaussetzung bei Vorabentscheidung nach § 17 a Abs. 3 Parteien ____ 42 _____ ____ GVG 10 6. Identität der Verfahrensgegen_____ in anderen stände ____ 43 _____ 6. Parallele Vorschriften ____ Prozessordnungen 11 IV. Vorgreiflichkeit von Entscheidungen des _____ II. Fälle der Aussetzung gemäß § 148 BVerfG und des EuGH und des EuGH außer_____ 1. Richtung des Verfahrens aus einer halb von Vorlagefällen _____ Entscheidung ____ 12 1. BVerfG ____ 45 _____ 2. Eilverfahren ____ 14 2. EuGH ____ 46 _____ 3. Verfahren mit urteilsersetzenden BeV. Sonderfall eines Verwaltungsverfahrens _____ schlüssen ____ 17 1. Organisation sinnvoller Streitentscheidung ____ 47 _____ 4. Zwangsvollstreckungsverfahren ____ 20 Smid

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3. Abschnitt. Verfahren

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2. Erwartung alsbaldiger Verwaltungs2. Begründung ____ 59 ____ entscheidung ____ 48 3. Rechtsmittel ____ 60 ____ Ausländische Zivilprozesse 4. Kosten ____ 61 ____VI. ____ 49 1. Problem VIII. Wirkung der Aussetzung ____ 2. Normierte Fälle ____ 52 1. § 249 ____ 62 ____ 3. Aussetzung wegen der Vorgreiflichkeit 2. Ende und zeitliche Grenzen der Ausset____ ausländischer Eheurteile, Art. 7 § 1 zung ____ 64 ____ Anhang: Aussetzung im Falle von Vorlagen an das FamRÄndG ____ 55 ____VII. Verfahren BVerfG, Landesverfassungsgericht und den ____ EuGH ____ 65 1. Form der Entscheidung ____ 57 ____ ____ I. Normzweck ____ ____ 1. Prozesslenkungsaufgabe des aussetzenden Gerichts. Gemäß § 148 kann das 1 ____Verfahren ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits vom Bestehen ____oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses „abhängt“, das den Gegenstand eines an____deren anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ____ist. Dem Gericht ermöglicht § 148, im Verfahren einstweilen innezuhalten, um die an____derweitige Klärung von Vorfragen abzuwarten. Während § 145 dies wegen innerprozes____sualer Verhältnisse mit Rücksicht auf einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel der ____Parteien vorsieht, betrifft § 148 Fälle, in denen auf außerhalb des auszusetzenden Pro____zesses ablaufende Vorgänge durch das Gericht reagiert werden können soll.1 Mit der auf ____sie gerichteten richterlichen Anordnung der Aussetzung tritt Stillstand des Verfahrens ____ein.2 Die zivilgerichtliche Feststellung des zwischen den Parteien eines Rechtsstreits gel____tenden Rechts kann von der Entscheidung anderer Rechtsstreitigkeiten zwischen den ____Parteien, sei es vor anderen Zivil- oder Verwaltungsgerichten oder in Verwaltungsverfah____ren abhängen. Es geht bei § 148 also um die verfahrensrechtliche Reaktion auf die im wei____testen Sinne konkurrierende Beziehung des laufenden und auszusetzenden Prozesses zu ____einem anderen Verfahren.3 In diesem Konkurrenzverhältnis dient die Aussetzungsmög____lichkeit nach § 148 dazu, abweichende Entscheidungen zu vermeiden.4 Darüber hinaus ____dient die Vorschrift unter dem Gesichtspunkt der Verringerung der Aufwendungen des ____angerufenen Gerichts auch der Prozessökonomie.5 Im Mittelpunkt der Funktion der Vor____schrift steht der Gedanke, dass die Aufgabe des Gerichts, durch Maßnahmen der Prozess____leitung den Prozessstoff und den Ablauf des Verfahrens in einer Weise zu ordnen, die ____eine sinnvolle, an dem zwischen den Parteien geltenden Recht orientierte Konfliktlösung ____ermöglicht, die Abstimmung mit vorgreiflichen oder auch nur tatsächlich hierfür ein____flussreichen Entscheidungen in anderen Verfahren erfordert. ____ ____ 2. Ermessensausübung durch das Gericht ____ ____ a) Die Aussetzung des Prozesses führt regelmäßig zu einer Verzögerung des Ver- 2 ____fahrens. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens hat das Gericht daher ____nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen6 (zum dabei zu befolgenden Verfahren unten ____Rdn. 57 f.), soweit die gesetzlich normierten Voraussetzungen (im Folgenden Rdn. 24 ff.) ____ ____ ____1 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, 13. ____2 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 1. 3 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, 13. ____4 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 1. ____5 OLG Dresden NJW 1994, 139; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ____6 LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2004, 614; LAG Niedersachsen LAGE § 18 BErzGG Nr. 2.

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_____vorliegen. Bei der Ausübung seines Ermessens hat das Gericht darauf Rücksicht zu neh_____men, dass die mit der Aussetzung verbundene Hinauszögerung der Entscheidung die _____Rechte der Parteien auf Justizgewährung zu berühren vermag.7 Streiten die Parteien in _____Parallelprozessen mit umgekehrten Parteistellen und hat das Gericht im Parallelprozess _____bereits die Aussetzung angeordnet, ist die Aussetzung im anderen Prozess ermessensfeh_____lerhaft.8 Die Aussetzung wegen zu erwartender „Leitentscheidungen“ begegnet demge_____genüber Zweifeln.9 _____ _____ b) Mit der Aussetzung des Verfahrens soll das Gericht mit anderen Worten im ver3 _____fahrensrechtlichen Sinne zweckmäßig handeln. Das ihm hierbei eingeräumte Ermessen _____„verdichtet“ sich allerdings zu einem Aussetzungszwang10 in einer Reihe von Fällen, in _____denen der Gesetzgeber die Aussetzung ausdrücklich angeordnet hat. Auf die Aussetzung _____in den nachfolgend hierzu genannten Fällen (Rdn. 5 f.) sind die Grundsätze der Ent_____scheidung nach § 148 entsprechend anzuwenden. Dies hat Auswirkungen auf das Ver_____fahren (unten Rdn. 57 f.): Wiewohl im Allgemeinen von den Parteien ein Antrag auf Aus_____setzung nicht gestellt werden kann, ist eine darauf gerichtete Anregung jedenfalls dann _____vom Gericht zwingend zu beachten, wenn das ihm eingeräumte pflichtgemäße Ermessen _____nur durch Anordnung der Aussetzung ausgeübt werden kann.11 _____ 4 Die Aussetzung erfordert im Rahmen der Ermessensausübung eine sorgfältige Abwä_____gung der mit einer Aussetzung verbundenen Verzögerung des Verfahrens zu den die Aus_____setzung möglicherweise rechtfertigenden Umständen.12 Die Ermessensausübung im Rah_____men des § 148 kann so reduziert sein, dass eine Aussetzung rechtswidrig ist.13 So liegt z.B. _____ein wesentlicher Verfahrensmangel wegen fehlerhafter Ermessensausübung vor, wenn _____das Gericht trotz Anhängigkeit einer Unterhaltsabänderungsklage des Unterhaltspflichti_____gen im vereinfachten Verfahren sachlich entscheidet, ohne auf einen Aussetzungsantrag _____einzugehen.14 Dem Aussetzungsbeschluss muss zu entnehmen sein, dass das Gericht eine _____Abwägung bezüglich der mit der Aussetzung verbundenen Verzögerung des Verfahrens _____vorgenommen und dabei die Umstände, die für und gegen eine Aussetzung sprechen, ge_____geneinander abgewogen hat. Das Gericht hat in diesem Rahmen eine Prognose über den _____Ausgang des aus seiner Sicht präjudizierenden Rechtsstreites anzustellen.15 _____ 5 In statusrechtlichen Verfahren ist an die Stelle dieses Ermessens von Gesetzes we_____gen ein Aussetzungszwang getreten, vgl. für die Aufhebbarkeit der Ehe § 152 (dort _____Rdn. 1), für die Feststellungen der Ehelichkeit eines Kindes und die Vaterschaftsaner_____kennung § 153 (dort Rdn. 8) sowie für die Feststellung des Bestehens einer Ehe, eines _____Eltern-Kindesverhältnisses oder der elterlichen Sorge § 154 (dort Rdn. 2). Die Aussetzung _____des Verfahrens auf Herstellung des ehelichen Lebens (§ 614 Abs. 1) und des Scheidungs_____verfahrens (§ 614 Abs. 2) wird vom Gesetz zur Ermöglichung einer gütlichen Beilegung _____zur Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft angeordnet. Auch das Verfah_____ren auf Ersetzung der Einwilligung eines leiblichen Elternteils zur Adoption ist nach zu_____treffender Ansicht des OLG Naumburg16 zwingend auszusetzen, wenn das Verfahren auf _____ _____ _____7 Hess. LAG AR-Blattei ES 160.7 Nr. 223; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 5. 8 BGH BB 2005, 1136. _____9 Kähler NJW 2004, 1132. _____10 So Stein/Jonas-Leipold Rdn. 6. _____11 Vgl. bereits Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, 68. _____12 OLG Jena OLG-NL 2000, 215. 13 OLG Jena NJW-RR 2001, 503. _____14 KG FamRZ 2002, 330. _____15 OLG Jena NJW-RR 2001, 503. _____16 OLG Naumburg OLGR 2004, 29.

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____Übertragung der elterlichen Sorge noch nicht abgeschlossen ist; das nach § 148 auszu____übende Ermessen des Gerichts ist wegen § 1747 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf Null reduziert. ____ Weiter ist gesetzlich geregelt die Aussetzung des Statusverfahrens nach den §§ 640 ff., ____nach §§ 640 f. wegen eines für eine Begutachtung zu geringen Alters des Kindes. ____ ____ 3. Gesetzliche Fälle der Aussetzung nach der ZPO ____ ____ a) Die Aussetzung des Verfahrens sieht das Gesetz in denjenigen Fällen vor, in de____nen die durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene Partei stirbt (§ 239), insolvent ____wird (§ 240), die Prozessfähigkeit verliert (§ 241), der gesetzliche Vertreter wegfällt, die ____Nachlassverwaltung angeordnet wird (§ 243) oder die Nacherbfolge eintritt (§ 242) und ____der Prozess wegen § 246 nicht unterbrochen wird, ferner in dem Fall der Beeinträchti____gung der Rechtspflege infolge eines Kriegsausbruches gemäß § 247 – zu Verfahren und ____Wirkungen der Aussetzung in diesen Fällen vgl. §§ 248, 249. ____ ____ b) Gesetzlich vorgesehen ist, dass das Gericht auf Antrag einer Partei den Hauptpro____zess bis zur Entscheidung über die Hauptintervention aussetzen kann. Eine Aussetzung ____des Interventionsprozesses bis zur Erledigung des Hauptprozesses gemäß § 148 kommt ____dagegen in der Regel mit Blick auf § 65 nicht in Betracht.17 § 65 sieht gerade nicht eine ____Aussetzung des Interventionsrechtsstreits, sondern eine Aussetzung des Hauptprozesses ____vor. Durch die Hauptinterventionsklage mit der Möglichkeit der Aussetzung des Haupt____prozesses soll es dem materiell Berechtigten ermöglicht werden, seine Rechte vor Ab____schluss des Hauptprozesses geltend zu machen. Diese gesetzgeberische Intention würde ____verfehlt, wenn statt des Hauptprozesses der Interventionsprozess ausgesetzt würde: Der ____Hauptintervenient, der selbst nicht Partei des Hauptprozesses ist, würde Gefahr laufen, ____seine Forderung zu verlieren. Ein anderes Ergebnis rechtfertigt insbesondere auch, dass ____das (möglicherweise) Bestehen eines Pfandrechts vorgetragen wird, welches als akzesso____risches Recht vom Bestand einer (angeblichen) Forderung abhängig sei, und die Frage ____nach dem Bestand der Forderung im Hauptprozess zunächst beantwortet werden müsse. ____Denn das bedeutet allein, dass der Bestand der Forderung, über die im Hauptprozess ____gestritten wird, für den Interventionsprozess eine Vorfrage ist. Das Abgrenzungskriteri____um, ob die Entscheidung des Hauptprozesses eine Vorfrage des laufenden Interven____tionsprozesses beantwortet, kann aber für die Entscheidung über die Aussetzung eines ____Interventionsprozesses nach § 148 nicht maßgeblich sein. Würde auf dieses Kriterium ____abgestellt, könnte ein Interventionsprozess regelmäßig nach § 148 ausgesetzt werden, ____weil es auf die vorab zu klärende Frage ankommt, ob die Forderung, die im Hauptpro____zess geltend gemacht wird, besteht. Das kommt aber aus den angeführten Gründen nicht ____in Betracht. ____ ____ 4. Gesetzlich geregelte Fälle der Prozessaussetzung außerhalb der ZPO. Ferner ____sind außerhalb der ZPO folgende Fallgruppen gesetzlicher Prozessaussetzung geregelt: ____– die Aussetzung bei Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gemäß Art. 100 GG, ____ wobei nach § 80 BVerfGG vom Zivilgericht die Entscheidung des BVerfG einzuholen ____ ist,18 unten Anhang Rdn. 65 ff.; ____ ____ ____ 17 OLG Düsseldorf JurBüro 2002, 598. ____18 BGH WRP 1998, 787; OLG Stuttgart FamRZ 2003, 538. Darüber hinaus können Gründe der ____Verfahrensökonomie es geboten erscheinen lassen, ein Verfahren auszusetzen, wenn eine Rechtsfrage in ____Rede steht, die Gegenstand eines bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens ist, vgl. OLG

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_____– Aussetzungen nach § 97 Abs. 5 ArbGG; § 96 Abs. 2 GWB; § 46 Abs. 2 WEG; § 140 PatG; _____ § 19 GebrMG; § 82 Abs. 2 MarkenG. _____ _____ 10 5. Prozessaussetzung bei Vorabentscheidung nach § 17 a Abs. 3 GVG. Aussetzen _____muss das Gericht weiter, wenn eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des be_____schrittenen Rechtswegs nach § 17 a Abs. 3 GVG getroffen worden ist.19 In diesem Fall ist _____wegen der Vergleichbarkeit der prozessualen Lage § 148 entsprechend anzuwenden.20 _____ _____ 6. Parallele Vorschriften in anderen Prozessordnungen. Dem § 148 entsprechen 11 _____die § 94 VwGO, § 74 FGO, § 114 SGG und § 262 Abs. 2 StPO. _____ _____ II. Fälle der Aussetzung gemäß § 148 _____ _____ 1. Richtung des Verfahrens auf eine Entscheidung _____ _____ a) Voraussetzung für die Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens ist, dass es 12 _____einen Entscheidungscharakter hat.21 Die Aussetzung kann in jedem zivilprozessualen _____Verfahren angeordnet werden, sofern nicht die Funktion und Struktur des Verfahrens _____einer Aussetzung widersprechen. _____ _____ b) Auch im Instanzenzug ist die Aussetzung gemäß § 148 möglich. Dies gilt für die 13 _____Berufungsinstanz nach dem ZPO-RG mit der Einschränkung, dass eine Aussetzung, die _____der Einführung neuer Tatsachen dienen soll, nur erfolgen darf, wenn gemäß § 529 Abs. 1 _____Satz 2 eine neue Tatsachenfeststellung geboten ist. Auch das Revisionsgericht kann das _____Verfahren nach § 148 aussetzen, soweit die Aussetzung nicht der Einführung neuer Tat_____sachen dient.22 Eine Aussetzung nach § 148 (analog) ist auch im Nichtzulassungsbe_____schwerdeverfahren möglich.23 _____ _____ 2. Eilverfahren _____ _____ a) Die Aussetzung von eilbedürftigen Verfahren würde sich regelmäßig als pflicht14 _____widriger Fehlgebrauch des dem Gericht eingeräumten Ermessens darstellen, so nament_____lich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und einstweilige Verfü_____gung).24 Die Eilentscheidung, die dort getroffen wird, hat einen nur vorläufigen Charakter, _____was es im Allgemeinen rechtfertigt, das Verfahren ohne die vorangegangene Klärung der _____Fragen, die in den in § 148 angesprochenen Verfahren zur Debatte stehen, zu einem _____Ende zu bringen. Dabei ist aber zu beachten, dass sich dies in besonderen Fallkonstella_____tionen anders darstellen kann. So ist entschieden worden, dass eine Aussetzung im _____Rahmen des Aufhebungsverfahrens nach den §§ 927, 936 möglich sei, wenn das in erster _____Instanz erfolglos gebliebene Hauptsacheverfahren in der Berufungsinstanz fortgeführt _____ _____ _____ Jena OLG-NL 2001, 119. Wohl aus der besonderen Lage des Verfahrens zu verstehen die Bedenken von OLG _____Schleswig NJWE-WettbR 2000, 27. _____19 Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Zöller-Gummer § 17 a GVG Rdn. 8. _____20 Kissel NJW 1991, 945, 949. _____21 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 7; Göbel Bank 2004, 1532 ff. (Baumängelprozess); zum Urkundenprozess: Althammer ZZP 113 (2004), 500; Bloching JurBüro 2003, 121 ff. _____22 BGH NJW-RR 1992, 1149; BGH MDR 1983, 54; BGHZ 81, 397, 399 = NJW 1982, 830. _____23 BGHZ 158, 372, 374 f. _____24 HessLAG ArbuR 2004, 478; Dahlem/Wiesner NZA-RR 2001, 169.

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____wird.25 Dafür spricht, dass der Sicherungs- bzw. Regelungszweck des Verfahrens des vor____läufigen Rechtsschutzes durch die Aussetzung des Aufhebungsverfahrens nicht berührt ____wird. Dies gilt auch, wenn eine vorläufige Anordnung (vgl. §§ 620 ff.) wegen veränderter ____Umstände aufgehoben werden soll; auch in diesem Verfahren stellt sich die Hauptsa____cheentscheidung als vorgreiflich (unten Rdn. 30 ff.) dar; eine Aussetzung kommt in Be____tracht, weil die Schutzzwecke der vorläufigen Rechtsschutzes nicht beeinträchtigt wer____den. Dementsprechend verdient die Ansicht Zustimmung, nach der ein Verfahren, in ____dem der ehemalige Verfügungskläger aus anderen Gründen Kostenerstattung verlangt, ____ausgesetzt werden kann, solange das Hauptsacheverfahren noch anhängig ist.26 ____ ____ b) Ähnliche Erwägungen wie bei den Eilverfahren führen dazu, dass auch im Ur____kunden- oder Wechselprozess27 (vgl. auch unten Rdn. 38 im Rahmen der Vorgreiflich____keit) bis zum Erlass des Vorbehaltsurteils die Aussetzung für unzulässig gehalten wird. ____Das ist jedenfalls soweit richtig, wie Einwendungen gegen den verbrieften Klagean____spruch erhoben werden; geht es aber bei der Aussetzung darum, ein Verfahren abzuwar____ten, bei dem es um die Echtheit der Urkunde geht, greifen diese Argumente nicht.28 ____ ____ c) Das Prozesskostenhilfeverfahren ist ebenfalls beschleunigt zum Abschluss zu ____bringen, was nach allgemeiner Ansicht29 gegen die Anwendung des § 148 spricht. Machte ____beispielsweise eine vermögende Partei die Erhebung der Klage davon abhängig, wel____chen Ausgang der anhängige vorgreifliche Prozess nimmt, würde sich die beabsichtigte ____Rechtsverfolgung der mittellosen Partei bis zur tatsächlichen Erhebung einer Klage ge____gen sie als mutwillig i.S.d. § 114 darstellen. In diesem Fall wäre das Prozesskostenhilfe____verfahren nicht auszusetzen, sondern durch Versagung der Gewährung der Prozesskos____tenhilfe durch Entscheidung zu beenden.30 ____ ____ 3. Verfahren mit urteilsersetzenden Beschlüssen ____ ____ a) Soweit eine isolierte Entscheidung über die Prozesskosten auf der Grundlage des ____Sach- und Streitstandes gefällt wird, wie namentlich bei beiderseitiger Erledigungserklä____rung nach § 91 a, stellt sich der Beschluss als Entscheidung dar; das Verfahren kann nach ____§ 148 ausgesetzt werden. Die Gegenmeinung31 verkennt, dass Kern der Entscheidung ____nach § 91 a eine Feststellungsentscheidung ist.32 ____ ____ b) In echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit kommt wegen der ____strukturell dem ordentlichen Zivilprozess gleichgelagerten Problemstellung dieser Ver____fahren eine Aussetzung in Fällen des § 148 Betracht,33 bei der das Verfahren nach § 148 ____entsprechend zu beachten ist. Ein gesetzlich nicht ausdrücklich geregelter Fall ist die ____Aussetzung des Hausratsverfahrens (§ 620 Nr. 7) bei Anhängigkeit eines Herausgabepro____zesses. Auch in nichtstreitigen Verfahren nach dem FGG kann eine Verfahrensausset____ ____ ____ 25 OLG Düsseldorf NJW 1985, 1967 m.w.N. ____26 OLG Nürnberg OLGR 2003, 415. ____27 OLG Hamm NJW 1976, 246; Althammer ZZP 113 (2004) 500; JurBüro 2003, 121 ff.; Bloching (Fn. 19). ____28 OLG München JB 2003, 154. ____29 OLG München MDR 1988, 783. 30 Stein/Jonas-Roth Rdn. 32. ____31 OLG Hamm GRUR 1990, 225; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 21. ____32 Smid ZZP 97 (1984), 245 ff. ____33 BayObLG WuM 2004, 744 und WuM 2004, 629 (WEG-Verfahren).

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_____zung wegen der Beachtlichkeit der Entscheidungen in einem anhängigen Prozess oder _____einem Verwaltungsverfahren geboten sein. _____ _____ 19 c) In den Verfahren der klassischen nichtstreitigen freiwilligen Gerichtsbarkeit _____kommt dagegen eine Aussetzung des Verfahrens entspr. § 148 soweit nicht in Betracht, _____wie das Gericht eigene rechtsfürsorgerische Aufgaben zu erfüllen hat.34 Die Lage ist der_____jenigen in Eilverfahren strukturell vergleichbar. Im Grundbuchverfahren ist der Ausset_____zung am ehesten die Zwischenverfügung vergleichbar. _____ _____ 19a d) Eine Aussetzung des Beschlussverfahrens gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf das _____anhängige Kündigungsschutzverfahren ist nach Judikatur des LAG Bremen35 nicht vor_____zunehmen. Will der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit einer früheren _____Beendigungskündigung gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine weitere Kündigung _____aussprechen, so muss es ihm möglich sein, das Verfahren gemäß § 103 Abs. 1 und 2 Betr_____VG einzuleiten und eine entsprechende Entscheidung zu erlangen, weil ihm sonst die _____Befugnis zur Rechtsgestaltung durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung – unter _____Umständen endgültig – genommen würde. _____ _____ 20 4. Zwangsvollstreckungsverfahren. Ausgeschlossen ist eine Aussetzung des _____Zwangsvollstreckungsverfahrens, wenn dadurch der rangwahrende Zugriff des Gläubi_____gers vereitelt würde. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 148, da es sich bei der _____Zwangsvollstreckung nicht um ein Verfahren handelt, das auf den Erlass einer Entschei_____dung gerichtet ist.36 In den Urteilsverfahren nach den §§ 767, 771 kommt dagegen eine _____Aussetzung in Betracht. Soweit der Schuldner Schutz gegen eine laufende oder drohende _____Zwangsvollstreckungsmaßnahme begehrt, kommt die Aufhebung (§ 776) oder die einst_____weilige Einstellung (§ 769) von Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht. _____ _____ 21 5. Strafverfahren. Eine Aussetzung eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits wegen ei_____nes Strafverfahrens scheidet aus, weil das Zivilgericht nicht an die Feststellungen des _____Strafgerichts gebunden ist und es somit an der Vorgreiflichkeit der Entscheidung im _____strafrechtlichen Verfahren fehlt.37 Vielmehr müssen sich die Zivilgerichte eine eigene _____Überzeugung bilden.38 Dies ergab sich früher unmittelbar aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, der _____das Außerkrafttreten von landesrechtlichen Vorschriften über die bindende Kraft straf_____gerichtlicher Urteile zum Gegenstand hatte. Diese Vorschrift wurde mittlerweile als ge_____genstandslos aufgehoben. Dies ändert aber nichts an der durch die Rechtsprechung _____bestätigten Tatsache, dass aufgrund der Unterschiede zwischen den Verfahren keine _____Bindung der Zivilrichter besteht, diese vielmehr das Ergebnis eines strafgerichtlichen _____Urteils im Rahmen der Beweiswürdigung frei zu würdigen hat.39 So rechtfertigt z.B. ein _____gegen eine Partei auf Unterlassung von schmähenden Äußerungen bei der Staatsanwalt_____schaft geführtes Ermittlungsverfahren keine Aussetzung des Zivilrechtsstreits. In diesem _____Fall fehlt es nicht nur an der Vorgreiflichkeit, sondern schon an der erforderlichen An_____hängigkeit bei Gericht, da das Strafverfahren erst nach Abschluss des staatsanwaltlichen _____Ermittlungsverfahrens vor dem Strafgericht anhängig gemacht wird. Nach § 149 kann _____ _____ _____34 Missverständlich MünchKomm-Peters Rdn. 22. _____35 LAG Bremen juris KARE 600011748. 36 OLG Hamm NJW 1954, 1123; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 9. _____37 OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 176. _____38 BAG NJW 1999, 82; BGH NJW 1983, 230; MünchKomm-Wolf § 14 EGZPO Rdn. 4. _____39 BGH NJW 1983, 230; BGH WM 1973, 651; BAG NJW 1999, 82; Köln FamRZ 1991, 580 m.w.N.

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____das Gericht aber, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat er____gibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Ver____handlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Anders mag dies sein, wo ____der Verdacht des Begehens einer Straftat erheblich ist.40 ____ Eine Aussetzung des Anerkennungsverfahrens für eine ausländische Entschei____dung nach § 148 wegen möglicher Vorgreiflichkeit eines weiteren inländischen Erkennt____nisverfahrens kann im Rahmen richterlichen Ermessens zur Vermeidung von Verzöge____rungen dann abgelehnt werden, wenn das ausländische Gericht im Sinne von Art. 21 ____EuGVÜ das zuerst angerufene Gericht war und von daher Bedenken gegen die Zulässig____keit einer in der Bundesrepublik erhobenen Klage bestehen.41 ____ Die Aussetzung eines Amtshaftungsprozesses wegen einer vor Ablauf der Anfech____tungsfrist im Handelsregister eingetragenen formwechselnden Umwandlung bis zur Ent____scheidung über eine Anfechtungsklage gemäß § 246 AktG ist unzulässig. Die Frage der ____Ersatzpflicht des beklagten Landes hängt nicht davon ab, wie die Klärung der Rechts____widrigkeit und des Bestands des Umwandlungsbeschlusses im Anfechtungsrechtsstreit ____endet, denn eine rechtswidrige und vorwerfbar verfrüht erfolgte Eintragung würde, falls ____alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, selbst dann zur Ersatzpflicht führen, ____wenn bei pflichtgemäßem und rechtmäßigem Vorgehen die Eintragung ebenfalls (jedoch ____zu späterer Zeit) erfolgt wäre.42 ____ ____ 6. Weitere Verfahren. Wird nach Rechtshängigkeit der Verletzungsklage aus ei____ner Gemeinschaftsmarke ein Löschungsantrag beim HABM gestellt, kann das Gemein____schaftsmarkengericht wegen der in Art. 97 Abs. 3 GMV ausdrücklich vorbehaltenen er____gänzenden Anwendung nationaler Verfahrensregelungen das Verfahren gemäß § 148 ____ZPO aussetzen.43 Spruchverfahren können in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO ____ausgesetzt werden, wenn ein (Zivil-)Rechtsstreit greifbaren Einfluss auf die Unterneh____mensbewertung auszuüben vermag und die Aussetzung den Verfahrensbeteiligten zu____mutbar ist.44 ____ ____ III. „Abhängigkeit“ der Entscheidung ____ ____ 1. Übersicht ____ ____ a) Eine Aussetzung kommt in Betracht, wenn die Entscheidung des auszusetzenden ____Prozesses ganz oder teilweise von der Vorfrage abhängig ist, ob ein Rechtsverhältnis ____besteht oder nicht besteht, über das in einem anderen anhängigen Zivilprozess oder ei____nen Verwaltungsgerichtsprozess (unten Rdn. 42 f.) oder Verwaltungsverfahren entschie____den wird.45 Die Entscheidung des anderen anhängigen Verfahrens muss also für die des ____laufenden und auszusetzenden Prozesses vorgreiflich sein. Eine teilweise Abhängigkeit, ____wie sie besonders bei der Widerklage in Betracht kommt, genügt.46 Erwägt das Gericht ____die Aussetzung nach § 148 ZPO unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Beteiligung des ____ ____ ____40 BayObLG FamRZ 2004, 1323 (Betreuervergütung). ____41 OLG Frankfurt/M. IPRax 2002, 523. ____42 OLG Hamm DB 2002, 1431. ____43 OLG Hamburg v. 27.1.2003 – 5 W 081/02. 44 OLG München ZIP 2007, 699. ____45 OLG Stuttgart ZIP 2004, 1456 ff. (Anfechtung AG Hauptversammlungsbeschluss); MünchKomm-Peters ____Rdn. 6. ____46 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 21.

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_____Schädigers am Sozialverwaltungsverfahren, hat es grundsätzlich zu prüfen, ob die Vo_____raussetzungen einer Beteiligung gemäß § 12 Abs. 2 SGB X schlüssig dargelegt sind.47 _____ _____ b) Der Begriff der „Abhängigkeit“ ist unklar.48 Er bedarf der Klärung, weil seine 25 _____Reichweite darüber entscheidet, unter welchen Voraussetzungen durch die Anordnung _____der Aussetzung die Erledigung des Rechtsstreits hinausgezögert werden darf. Insbeson_____dere bedarf es der Klärung, in welchem Verhältnis die von § 148 geforderte „Abhängig_____keit“ zu dem von § 149, aber auch von § 33 BVerfGG verlangten „Einfluss“ des anderen _____Verfahrens steht,49 zumal vielfach die Meinung vertreten wird (unten Rdn. 37), es genüge _____für die Anordnung der Aussetzung nach § 148, dass die andere Entscheidung „tatsächli_____chen Einfluss“ auf die im auszusetzenden Prozess zu fällende Entscheidung zeitigen _____könne. Dabei tritt in den Blick, dass eine „Abhängigkeit“ der Entscheidung von dem im _____anderen Prozess festzustellenden Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnis_____ses dann vorliegt, wenn dies eine „Vorfrage“ der Entscheidung im auszusetzenden Pro_____zess darstellt.50 Das ist der Fall, wenn je nach der Art ihrer Beantwortung das Urteil über _____den klägerischen Anspruch unterschiedlich ausfiele. _____ Im Schrifttum51 wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beziehung zwischen 26 _____der im auszusetzenden Prozess zu beantwortenden Hauptfrage und der im anderen Ver_____fahren gegenständlichen Vorfrage zum einen organisatorischer Art dergestalt sein kann, _____dass eine institutionelle oder rechtliche Abhängigkeit vorliegt, wie etwa in Fällen der _____unten (Rdn. 31) zu behandelnden Präjudizialität; zum anderen aber auch ein logischer _____Zusammenhang vorliegen kann. Um das Recht der Parteien auf ein – zeitnahes – Urteil _____nicht zu beeinträchtigen, ist dabei die „Abhängigkeit“ der Entscheidung von derjenigen _____im anderen Verfahren mit Blick auf die konkrete Prozesslage dort, wo sich die Ausset_____zungsfrage stellt, zu beurteilen:52 Die „logische“ Abhängigkeit des Urteils vom Ausgang _____des anderen Verfahrens lässt sich nämlich nur dann angemessen beurteilen, wenn das _____Gericht die Vorfrage in den Sinnzusammenhang der jeweiligen Prozesslage stellt. Ver_____langt der Kläger als Erbe vom Beklagten Herausgabe von Nachlassgegenständen und _____verteidigt sich der Beklagte damit, er sei nicht im Besitz von Nachlassgegenständen und _____der Kläger sei nicht Erbe, kommt es nicht ausschließlich auf den Ausgang eines paralle_____len Erbstreits an.53 Das Gericht kann daher nicht unabhängig vom Vorbringen beider _____Parteien in Klage und Klageerwiderung die Aussetzung anordnen, da die abstrakte Ab_____hängigkeit der Entscheidung von der Beantwortung der im anderen Verfahren gegen_____ständlichen Vorfrage aufgrund der prozessualen Erklärungen der Parteien wegfallen _____kann: Erkennt der Beklagte an oder stellen die Parteien Streitfragen unstreitig, wird das _____Ergebnis einer anderweitigen Entscheidung über den Gegenstand von Anerkenntnis oder _____Streitlosstellung für das Urteil regelmäßig nicht mehr von Bedeutung sein – es sei denn, _____die Erklärungen der Parteien wären für das Gericht aus Gründen der §§ 134, 138 BGB _____ausnahmsweise unbeachtlich. _____ _____ c) Eine Aussetzung kommt nach alledem nicht in Betracht, wenn das Gericht durch 27 _____die Aussetzung des Verfahrens die eigene Entscheidung über Vorliegen oder Fehlen des _____ _____47 BGH VersR 2012, 463. _____48 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 17 ff., 18 et passim. _____49 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 17. _____50 BGHZ 158, 372 (Patentnichtigkeitsverfahren/Patentverletzungsstreit); Rogge GRUR-Int 1996, 386. Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 24 f. _____51 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 25. _____52 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 27 f. _____53 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 29.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Rechtsschutzinteresses des Klägers vermeiden will: Daher liegt kein Fall des § 148 vor, ____wenn das Gericht dem aus § 894 BGB auf Grundbuchberichtigung klagenden Eigentümer ____unter Aussetzung des Prozesses nahelegt, sein Begehren im vermeintlich einfacheren ____Verfahren nach § 22 GBO zu verfolgen.54 Denn trägt der Kläger hier vor, der Beklagte wil____lige nicht in die Grundbuchberichtigung ein und er könne den entsprechenden Nachweis ____nicht mit öffentlichen Urkunden führen, mag der Gegenstand des Grundbuchverfahrens ____zwar dem des Prozesses entsprechen; dies enthebt das Gericht jedoch nicht von seiner ____Entscheidungspflicht. ____ ____ 2. Anhängigkeit. Weitere Voraussetzung der Aussetzung ist, dass der andere Pro- 28 ____zess anhängig ist. Der Rechtshängigkeit bedarf es nicht. § 148 beschränkt sich nicht auf ____Fälle der Anhängigkeit vor einem Zivilgericht. Vielmehr kommt jeder Prozess auch in ____anderen als dem Zivilrechtsweg, also vor Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- oder Finanzge____richten in Betracht.55 Der Zivilprozess kann auch ausgesetzt werden, wenn ein Verfahren ____vor einem Schiedsgericht anhängig ist. Ist die Entscheidung eines ausländischen Gerichts ____in Deutschland anzuerkennen und ist das Ergebnis dieses Prozesses für den laufenden ____Prozess bindend oder maßgebend, kann ausgesetzt werden.56 Eine die Aussetzung des ____Rechtsstreits nach § 148 ZPO aussprechende Entscheidung muss erkennen lassen, dass ____die Entscheidung über die streitgegenständlichen Ansprüche zumindest teilweise vom ____Erfolg des vorgreiflichen Verfahrens abhängig ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn die Kla____ge entweder unzulässig oder der Klagevortrag bereits unschlüssig ist.57 Dabei muss es ____sich nicht zwingend um ein Verfahren vor staatlichen Gerichten oder Verwaltungsbe____hörden (unten Rdn. 47) handeln. Die Anhängigkeit in einem Schiedsgerichtsverfahren ____genügt, §§ 1025, 1040.58 Zur Anhängigkeit vor ausländischen Gerichten vgl. unten Rdn. 49. ____Dagegen ist es nicht ausreichend, dass ein Mahnverfahren anhängig ist.59 Die Ausset____zung kommt dann erst in Betracht, wenn das Verfahren nach Einspruch des Schuldners ____in das ordentliche Streitverfahren übergeleitet worden ist.60 ____ Von dem Erfordernis der Anhängigkeit macht § 17 a GVG (oben Rdn. 10) eine Aus- 29 ____nahme.61 ____ ____ 3. Vorgreiflichkeit der Entscheidung des anderen Rechtsstreits ____ ____ a) Die Entscheidung des anderen Prozesses ist für die des laufenden Prozesses je- 30 ____denfalls dann vorgreiflich, wenn das auszusetzende Gericht durch die Entscheidung im ____anderen Prozess gebunden ist. Um das Recht der Parteien auf ein zeitnahes Urteil nicht ____zu beeinträchtigen, ist dabei zu fordern, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von ____einer konkreten Rechtsfolge abhängt, über die im vorgreiflichen Verfahren mit großer ____Wahrscheinlichkeit eine dort für die Parteien verbindliche Feststellung getroffen wird.62 ____Das LG Hamburg befürwortet dies im Falle von „Masseverfahren“ (100 Kläger gegen den ____ ____ ____54 So aber OLG München BayJMBl. 1952, 216 f.; zu Recht krit. dagegen Mittenzwei Die Aussetzung des ____Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 43. 55 Musielak-Stadler Rdn. 6. ____56 Zöller-Greger Rdn. 6; siehe auch Art. 21, 22, 30, 38 GVÜ. ____57 OLG Naumburg MittdtschPatAnw 2011, 152. ____58 BGHZ 23, 17 = NJW 1957, 591: allg.M. ____59 MünchKomm-Peters Rdn. 11. 60 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ____61 OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 830, 831. ____62 OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 191; OLGR Karlsruhe 2004, 254. Treffend Mittenzwei Die Aussetzung des ____Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, S. 163.

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_____Gasversorger als Beklagten). Es hält eine Verfahrensaussetzung bis zur Erledigung eines _____anderen Rechtsstreits für gerechtfertigt, wenn die Entscheidung des Rechtstreits ganz _____oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, _____welches Gegenstand des anderen Verfahrens bildet.63 _____ _____ b) Vorgreiflichkeit liegt jedenfalls vor, wenn die Entscheidung im anderen Prozess 31 _____für das Urteil in dem auszusetzenden Prozess präjudiziell ist.64 Präjudizialität liegt vor, _____wenn sich das im anderen Prozess zur Entscheidung stehende Rechtsverhältnis als Vor_____frage für die Entscheidung in der Sache darstellt, etwa wenn es in dem anderen Prozess _____um die Eigentümerstellung des Klägers geht, der im auszusetzenden Unterlassungspro_____zess die Beeinträchtigung seines Eigentums (§ 1004 BGB) geltend macht. Präjudiziell _____sind auch Entscheidungen über Rechtsfragen, die im auszusetzenden Prozess als Einre_____de Bedeutung haben.65 Werden eine erstrangige und eine zweitrangige Teilforderung aus _____demselben Schlussrechnungssaldo in zwei verschiedenen Prozessen geltend gemacht, _____handelt es sich bei der Frage des Bestehens bzw. Nichtbestehens der erstrangigen Teil_____forderung um ein gegenüber der zweitrangigen Teilforderung vorgreifliches Rechtsver_____hältnis i.S.v. § 148 ZPO, das die Anordnung der Aussetzung der Verhandlung über die _____zweitrangige Teilforderung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits rechtfertigt.66 _____Die den Gegenstand einer negativen Feststellungsklage bildende Frage, ob eine Partei _____gegenüber der anderen verpflichtet ist, sich auf ein Schlichtungsverfahren zur Aufstel_____lung gemeinsamer Vergütungsregeln einzulassen, ist für das Bestellungsverfahren ge_____mäß § 36 a Abs. 3 UrhG vorgreiflich.67 _____ _____ c) Für die Vorgreiflichkeit der Entscheidung im anderen Prozess bedarf es keiner 32 _____Rechtskraftwirkung.68 Es ist für die Aussetzung auch nicht erforderlich, dass die Paral_____lelität der Prozesse einander widersprechende Entscheidung besorgen lässt; die Ausset_____zung ist dann aber zweckmäßig.69 Es wird als ausreichend angesehen, dass die Entschei_____dung im anderen Prozess rechtlich oder tatsächlich von Einfluss auf die Entscheidung im _____auszusetzenden Prozess ist.70 Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 kommt dann _____in Betracht, wenn der Beklagte im Zugewinnausgleichsverfahren ein Zurückbehaltungs_____recht gegen einen Anspruch auf Zugewinnausgleich geltend macht, das Gegenstand ei_____nes anderen Verfahrens ist. Dabei ist allein maßgeblich, ob dieser Anspruch schlüssig _____vorgetragen ist.71 Eine die Aussetzung rechtfertigende Abhängigkeit besteht dagegen _____nicht, wenn die andere Entscheidung nur geeignet ist, einen „irgendwie gearteten Ein_____fluss“ auf die Entscheidung des auszusetzenden Rechtsstreites auszuüben,72 wenn nicht _____die andere Entscheidung eine Vorfrage für die Entscheidung des laufenden Prozesses _____beantwortet. _____ _____ _____ _____ _____63 LG Hamburg v. 23.8.2011 – 320 S 27/10 und 320 S 70/10. _____64 OLG Frankfurt NJW 1986,1443; OLG Düsseldorf NJW 1974, 1714; OLG Köln NJW 1958, 106. 65 So die h.M., so etwa OLG Zweibrücken FamRZ 1998, 380; MünchKomm-Peters Rdn. 6. _____66 KG BauR 2010, 1266. _____67 OLG München GRUR-RR 2010, 494. _____68 Nicht erforderlich OLG Köln NJW-RR 1988, 1172, 1173; aber möglich BGHZ 16, 124, 130–134 = NJW 1955, _____497. 69 BGH NJW-RR 1986, 1060, 1061; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 22. _____70 Stein/Jonas-Leipold Rdn. 22. _____71 OLG Bamberg OLGR 2001, 88. _____72 OLG Jena OLG-NL 2000, 215.

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____ d) Eine Bindung des im auszusetzenden Prozess erkennenden Gerichts aufgrund der ____materiellen Rechtskraft der im anderen Prozess zu fällenden Entscheidung hat zur ____Folge, dass das Gericht des laufenden Prozesses an die Entscheidung des anderen Ge____richtes gebunden ist. Das ist der Fall, wenn der im anderen Prozess rechtskräftig ausge____urteilte Anspruch nach materiellem Recht eine Vorfrage der Entscheidung über den Ge____genstand des laufenden auszusetzenden Prozesses bildet. Das Wiederholungsverbot des ____Satzes ne bis in idem hindert den Richter des laufenden Prozesses daran, über den Ge____genstand der präjudiziellen Vorentscheidung in sachliche Prüfungen einzutreten. Der ____Richter ist daher an jeder selbstständigen Verhandlung, Beweisaufnahme oder Ent____scheidung über das rechtkräftig festgestellte Tatbestandsmerkmal gehindert. Die Ausset____zung nach § 148 stellt das Instrument dar, im Falle zeitlich parallel laufender Verfahren ____die Bindungswirkung aufgrund materieller Rechtskraft zu verwirklichen. Wegen der Ein____zelheiten ist auf die Erläuterungen zu § 322 zu verweisen. ____ Beispielsfälle für die materielle Rechtskraft sind die Feststellung des Eigentums für ____eine Herausgabeklage nach § 985 BGB, die Verurteilung zur Leistung für den Schadener____satzprozess wegen Leistungsstörungen. Die Aussetzung kommt insbesondere in solchen ____Fällen in Betracht, wenn der Beklagte die Aufrechnung mit einer Gegenforderung erklärt, ____die er selbstständig eingeklagt hat; z.B. im Falle der Aufrechnung mit einer „rechts____wegfremden“ Forderung: Kommt das erkennende Gericht im auszusetzenden Prozess ____nämlich zu dem Schluss, dass die Klageforderung – die Aufrechnung unberücksichtigt ____gelassen – begründet ist, hängt die Entscheidung von der über die zur Aufrechnung ge____stellte Gegenforderung im anderen Prozess ab. ____ ____ e) Gestaltungswirkungen der Entscheidungen im anderen Verfahren betreffen den ____auszusetzenden Prozess mit der Folge, dass eine Entscheidung nach § 148 in Betracht ____gezogen werden kann. Freilich gelten für Statusprozesse die Sonderregelungen der ____§§ 152 ff. (oben Rdn. 5): Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Ehe ____aufhebbar ist, und ist die Aufhebung beantragt, so hat das Gericht gemäß § 152 das Ver____fahren auf Antrag auszusetzen. Gleiches gilt nach § 153, wenn die Entscheidung eines ____Rechtsstreits davon abhängt, ob ein Mann, dessen Vaterschaft im Wege der Anfech____tungsklage angefochten worden ist, der Vater des Kindes ist. Schließlich ist auf Antrag ____das Verfahren gemäß § 154 auszusetzen, wenn im Laufe eines Rechtsstreits streitig wird, ____ob zwischen den Parteien eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht oder nicht ____besteht und wenn von der Entscheidung dieser Frage die Entscheidung des Rechtsstreits ____abhängt, bis der Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe oder der Lebens____partnerschaft im Wege der Feststellungsklage erledigt ist. Für die Aussetzung nach § 148 ____kommen Fälle wie die der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen durch die zu____ständige Landesjustizverwaltung gemäß Art. 7 FamRÄndG als Vorfrage eines Unter____haltsprozesses oder der öffentlichrechtlichen Genehmigungen als Vorfrage eines Leis____tungsprozesses in Betracht. ____ ____ f) Musterprozesse. Darüber, ob und inwieweit ein Prozess ausgesetzt werden darf, ____um das Ergebnis eines Musterprozesses abzuwarten, gehen die Meinungen auseinander. ____Nicht sehr überzeugend ist hierbei die Argumentation der ablehnenden Meinung, eine ____Aussetzung dürfe nicht allein aufgrund von Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgen.73 Für ____das im laufenden auszusetzenden Prozess zu fällende Urteil kann auch die Entscheidung ____im anderen Verfahren vorgreiflich sein, wenn es sich dabei um einen Musterprozess ____ ____ ____73 BGH NJW 1983, 2496; OLG München MDR 1996, 197; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16.

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_____handelt und die Parteien hierüber eine entsprechende Abrede getroffen haben.74 Präju_____dizialität liegt danach vor, wenn eine Gestaltungswirkung des Urteils im anderen Prozess _____vom Gericht des laufenden Prozesses bei seiner Entscheidung zu beachten ist oder im _____Falle von Abreden über die Führung eines Musterprozesses zwischen den Parteien oder _____bei rein tatsächlichem Einfluss der Vorgänge des anderen Prozesses auf den laufenden _____Prozess. Eine Aussetzung ist hierbei sowohl unter dem Gesichtspunkt der Prozessöko_____nomie, als auch zum Zweck der Vermeidung sich widersprechender Urteile geboten.75 _____ _____ g) Vorgreiflichkeit in anderen Fällen wird angenommen, wenn durch den ande37 _____ren Prozess durch das Ergebnis von Beweisaufnahmen und Beweiswürdigungen in tat_____sächlicher Hinsicht76 Einfluss auf den auszusetzenden Prozess genommen wird. Im Hin_____blick auf den Wortlaut des § 148 („Abhängigkeit“) ist die zum Teil vertretene Auffassung _____abzulehnen, dass eine solche Abhängigkeit in der Regel bereits dann bestehen soll, _____wenn die andere Entscheidung geeignet ist, einen irgendwie gearteten erheblichen Ein_____fluss auf die Entscheidung im auszusetzenden Rechtsstreit auszuüben.77 Dies würde im _____Ergebnis dazu führen, dass bereits ein rein tatsächlicher Einfluss der Vorgänge des ande_____ren Prozesses auf die Entscheidung des laufenden Prozesses genügen würde, um eine _____Aussetzung zu rechtfertigen. Für eine solche Ausdehnung der Aussetzungsbefugnis mag _____zwar das Interesse an der Wirtschaftlichkeit der Prozessführung sowie an der Einheit_____lichkeit der Rechtsprechung ins Feld geführt werden, jedoch ist anerkannt, dass die Pro_____zessökonomie für sich allein die Aussetzung ebenso wenig rechtfertigt wie die Gefahr _____einander in den Gründen widersprechender Urteile.78 Der entscheidende Zweck des § 148 _____besteht darin, zu verhindern, dass ein weniger gut unterrichtetes Gericht über eine Frage _____befinden muss, die ihm sachlich ferner liegt als einem anderen Gericht. Im Falle der Par_____allelität zweier Prozesse mit unterschiedlichen Streitgegenständen wird dieser Zweck _____aber gerade verfehlt, wenn beide Gerichte in gleicher Weise zur Entscheidung des jewei_____ligen Rechtsstreites berufen sind. Dass eine Aussetzung nur zweckmäßig ist, genügt _____nicht.79 _____ Diese grundsätzliche Erwägung bedarf allerdings einer näheren Bestimmung für be38 _____sondere Verfahren: Ein Verfahren, in dem der Wechselgläubiger die einer Wechselbege_____bung zugrunde liegende Kausalforderung geltend macht, kann wegen des anderweitig _____im Nachverfahren anhängig gebliebenen Wechselverfahrens wegen Vorgreiflichkeit aus_____gesetzt werden. Dass der Wechselgläubiger im Wechselverfahren die Darlegungs- und _____Beweislast für seine Einwendungen trägt, ändert an den Voraussetzungen des § 148 _____nichts, weil der Wechselgläubiger sich durch die Begebung des Wechsels erfüllungshal_____ber auf eine neben dem Kausalverhältnis bestehende weitere Haftung aus dem Wechsel _____eingelassen hat.80 Darauf, dass es sich bei der im Wechselverfahren geltend gemachten _____Forderung aus dem Wechselbegebungsvertrag und der diesem zugrunde liegenden _____Werklohnforderung, die im vorliegenden Verfahren verfolgt wird, um unterschiedliche _____Streitgegenstände handelt,81 kommt es deshalb nicht an. So liegt es, wenn der Beklagten, _____die dem Anspruch im Wechselprozess widersprochen hat, die Wahrnehmung ihrer Rech_____ _____ _____74 OLG Stuttgart OLGR 1999, 134. _____75 MünchKomm-Peters Rdn. 9 f. _____76 Stein/Jonas-Schuhmann Rdn. 24 m.w.N. _____77 So OLG Köln NJW-RR 1988, 1172; anderer Auffassung OLG Köln MDR 1983, 848. 78 OLG Köln NJW 1958, 106. _____79 OLG Jena NJW-RR 2001, 503. _____80 OLGR Köln 2000, 492. _____81 BGHZ 17, 31 ff.

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____te im Nachverfahren vorbehalten worden ist (§ 599) und der Rechtsstreit im Nachverfah____ren anhängig geblieben ist (§ 600). ____ Durch die Regelungen der §§ 208 ff. InsO ist die frühere Judikatur,82 nach der die 39 ____Leistungsklage eines Massegläubigers wegen Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses als ____derzeit unzulässig abzuweisen war, nachdem der Konkursverwalter die Gefahr des Ein____tritts der Masseunzulänglichkeit geltend gemacht hatte, überholt. Denn die InsO sieht ____für den Fall der Masseunzulänglichkeit das Verteilungsverfahren nach § 209 InsO und ____damit die Berücksichtigung des Massegläubigers mit einer Quote vor.83 Daher kommt ____eine Aussetzung – nicht die Klageabweisung mangels Rechtsschutzbedürfnisses wegen ____„verfrühter“ Klageerhebung – im Falle der Zahlungsklage eines Massegläubigers (§§ 53, ____55 InsO) in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter gemäß § 208 InsO die Masseunzuläng____lichkeit angezeigt hat, aber die auf den einzelnen Massegläubiger entfallende Quote ____noch nicht zu beziffern imstande ist.84 ____ Wenn im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren ein zuvor 40 ____eingeleitetes selbstständiges Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen ist, das Pro____zessgericht jedoch den Ausgang des selbstständigen Beweisverfahrens für seine Ent____scheidung (hier: über eine Vertragsstrafenforderung wegen Überschreitung eines Zwi____schentermins bei der Bauausführung) für maßgeblich hält, kann es das Verfahren bis ____zum Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 148 aussetzen.85 Das selbst____ständige Beweisverfahren ist zwar kein Rechtsstreit i.S.v. § 148, sondern erschöpft sich in ____der bloßen Feststellung von Tatsachen durch Beweisaufnahme. Dies steht jedoch der ____analogen Anwendung des § 148 nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundes____gerichtshofs ist die Streitverkündung im selbstständigen Beweisverfahren des § 485 zu____lässig.86 Dann muss es aber auch möglich sein, das danach anhängig gemachte Hauptsa____cheverfahren auszusetzen, denn andernfalls würde die Zulassung der Streitverkündung ____im selbstständigen Beweisverfahren wenig Sinn machen. Denn dann käme der Grund für ____die analoge Anwendung der Streitverkündungsvorschriften nicht mehr zum Tragen, der ____darin besteht, dass mehrfache Beweiserhebungen wegen des gleichen Gegenstandes mit ____möglicherweise unterschiedlichen Ergebnissen vermieden werden sollen und dass dem ____Streitverkündeten die Einflussnahme auf das Verfahren durch Unterstützung einer der ____streitenden Parteien ermöglicht wird, um widersprüchliche Prozessergebnisse zu vermei____den und die Zahl der Prozesse zu verringern. Demnach ist § 148 aus denselben Gründen ____im Hinblick auf ein selbstständiges Beweisverfahren i.S.d. § 485 Abs. 2 ebenso entspre____chend anzuwenden wie die Streitverkündungsvorschriften, zumal eine Streitverkündung ____die Aussetzung nach § 148 zulässig macht87 und die Streitverkündung nach § 68 i.V.m. ____§ 493 bewirkt, dass die selbstständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem ____Prozessgericht gleichsteht und das Ergebnis der Beweiserhebung im Hauptsacheprozess ____zwischen Streitverkünder und Streitverkündetem dem Streitverkündeten entgegengehal____ten werden kann.88 Die Aussetzung eines Rechtsstreits gegen mehrere Beklagte wegen ei____nes anderweitig anhängigen selbstständigen Beweisverfahrens kommt aber jedenfalls ____ ____ ____ ____82 LAG Köln KTS 1985, 563; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 23. ____83 LAG Köln KTS 1985, 563, 564 m. zust. Anm. Uhlenbruck; MünchKomm-Peters Rdn. 23; siehe auch BAG ____NJW 1980, 141, 142. ____84 BAG DB 1979, 847 = KTS 1979, 305; MünchKomm-Peters Rdn. 23. 85 KG Berlin KGR 2000, 266. ____86 BGH NJW-RR 1997, 859. ____87 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 26, Stichwort: „Streitverkündung“. ____88 KG Berlin KGR 2000, 266.

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_____dann nicht in Betracht, wenn das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens des_____halb nicht verwertbar ist, weil nicht alle Beklagten an diesem Verfahren beteiligt sind.89 _____ _____ 4. Verfahren zwischen verschiedenen Parteien. Auszusetzender und anderer 41 _____Prozess müssen nicht zwischen den gleichen Parteien geführt werden.90 Ausgesetzt wer_____den kann ein Prozess gemäß §§ 129 ff. InsO zwischen dem Insolvenzverwalter und einem _____Anfechtungsgegner, solange der Insolvenzverwalter mit dem Insolvenzschuldner über _____die Massezugehörigkeit des Rechts gemäß §§ 35, 36 InsO streitet.91 _____ _____ 42 5. Wahrung der Waffengleichheit der Parteien. Die Aussetzung des Verfahrens _____darf nicht dazu führen, dass die Waffengleichheit der Parteien einseitig zu Lasten einer _____Partei verschoben wird. Das wäre der Fall, wenn durch die Aussetzung ein entschei_____dungsreifes Verfahren entgegen § 300 nicht zum Abschluss gebracht würde. Nach alle_____dem muss der Inhalt der Entscheidung im anderen Verfahren für den laufenden, auszu_____setzenden Prozess derart von Bedeutung sein, dass die Entscheidung beeinflusst wird.92 _____Ist allein die Existenz des anderen Urteils für die im laufenden Prozess zu fällende Ent_____scheidung von Bedeutung, wird die Befugnis des Gerichts, das Verfahren auszusetzen, _____abgelehnt.93 Hängt nämlich vom Vorliegen der anderen Entscheidung die Sachbefugnis _____des Klägers im laufenden Prozess ab, würde die Aussetzung des Verfahrens den Beklag_____ten um sein obsiegendes Urteil bringen. Beispiel hierfür sind Anfechtungsprozesse des _____Gläubigers.94 Hat dieser kein Urteil gegen den Schuldner erlangt, ist er nicht nach dem _____AnfG zur Klage gegen den Anfechtungsgegner legitimiert (§ 2 AnfG). Der oben (Rdn. 41) _____zitierte Fall der Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters liegt nur scheinbar gleich; die _____Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters beruht auf der Beschlagnahme der Ist_____Masse gemäß § 148 InsO und deren Sicherung.95 _____ _____ 6. Identität der Verfahrensgegenstände _____ _____ a) Liegt nicht Präjudizialität, sondern Identität der Gegenstände der Prozesse vor, 43 _____hängt die Entscheidung im zweiten Prozess nicht von derjenigen im ersten ab. Denn im _____zweiten Prozess ist die Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit gemäß § 261 abzu_____weisen.96 _____ _____ 44 b) Wird in einem Prozess eine Forderung geltend gemacht, mit der in einem anderen _____die Prozessaufrechnung erklärt worden ist, wird es im Allgemeinen zweckmäßig sein, _____den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszusetzen, in dem über _____die zur Aufrechnung gestellte Forderung zu entscheiden ist (§ 145 Rdn. 27). Das gilt auch _____dann, wenn die Zweitaufrechnung in einem Urkundenprozess erfolgt ist.97 Denn wenn _____der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten Gegenforde_____rung in einem weiteren Prozess erneut aufrechnet, hat das mit der Zweitaufrechnung _____ _____ _____89 BGH NJW 2003, 3057; OLG Naumburg OLGR 2001, 351. 90 BGH NJW-RR 1986, 1060, 1061 (Regressprozess); Stein/Jonas-Roth Rdn. 28. _____91 Vgl. Jaeger-Henckel KO § 10 Rdn. 50. _____92 Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. _____93 Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. _____94 RGZ 61, 150, 153; OLG Königsberg OLGR 13, 122; Kuttner Die privatrechtlichen Nebenwirkungen der Zivilurteile, 1908, S. 250 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. _____95 Smid Grundzüge des Insolvenzrechts, 4. Aufl. 2002, § 7 Rdn. 5. _____96 OLG Köln NJW 1958, 106. _____97 BGH WM 2004, 2334.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____befasste Gericht – soweit es auf die Einwendung ankommt – zu prüfen, ob die Gegenfor____derung (noch) besteht. Es ist unzulässig, die Gegenforderung in dem zweiten Prozess nur ____deswegen zu verneinen, weil über sie bereits in dem ersten Verfahren sachlich entschie____den werde. ____ ____ IV. Vorgreiflichkeit von Entscheidungen des BVerfG und des EuGH außerhalb ____ von Vorlagefällen ____ ____ 1. BVerfG. Vorgreiflich kann die Entscheidung des BVerfG in einer Verfassungsbe- 45 ____schwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a, b GG sein,98 wenn eine im Zivilprozess anzuwen____dende Vorschrift angegriffen wird. Aber auch dann kann Vorgreiflichkeit bejaht werden, ____wenn eine Norm im Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG geprüft wird. Gleiches gilt ____für die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder die Normprüfung ____im Bund-Länder-Streit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG.99 In all diesen Fällen kommt eine ____Aussetzung des Zivilprozesses in entsprechender Anwendung des § 148 in Betracht.100 ____Hält das Gericht des Zivilprozesses die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundes____verfassungsgericht gemäß Art. 100 GG für gegeben, kann es eine Aussetzung nach § 148 ____nicht auf die Vorlage durch ein anderes Gericht in einem Parallelverfahren stützen, son____dern muss gemäß § 80 BVerfGG selber vorlegen,101 wobei Art. 100 GG dann auch die ____Rechtsgrundlage für die Aussetzung darstellt.102 ____ ____ 2. EuGH. Außerhalb von Vorabentscheidungen auf Vorlage eines nationalen Ge- 46 ____richts an den EuGH kommt eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 in ____Betracht, wenn der EuGH aufgrund seiner Zuständigkeit nach Art. 178 EG-Vertrag über ____einen Streitgegenstand zu entscheiden hat, der mit dem des aussetzenden Zivilgerichts ____identisch ist, bei einem Verfahren erster Instanz nach Art. 168 a EG-Vertrag und bei prä____judiziellen Verfahren vor der Kommission.103 Wenn in einem Parallelverfahren der EuGH ____um eine Vorabentscheidung angerufen worden ist, soll eine Verfahrensaussetzung in ____analoger Anwendung von § 148, wenn das entscheidende Gericht den EuGH nicht ange____rufen hat, nur dann in Betracht kommen, wenn das aussetzende Gericht die Vorlagefrage ____ebenso beurteilt wie das vorlegende.104 Eine ausstehende Entscheidung des EGMR hin____sichtlich des Sorgerechtsbegehrens eines Elternteils sei nicht vorgreiflich i.S.v. § 148.105 ____ ____ V. Sonderfall eines Verwaltungsverfahrens ____ ____ 1. Organisation sinnvoller Streitentscheidung. Eine Vorfrage eines Zivilprozesses 47 ____kann auch Gegenstand der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde sein.106 Wie in den ____in Rdn. 9 angesprochenen Fällen geht es bei der Aussetzung des Zivilprozesses wegen ____ ____ ____98 BVerfG NJW 2000, 1484; Sesemann ZVI 2003, 99. ____99 Zum Ganzen Stein/Jonas-Roth Rdn. 117. ____100 Stein/Jonas-Roth Rdn. 93 ff. und Rdn. 117; zweifelhaft LG Krefeld ZIP 2004, 1162 (zum Beschwerdeverfahren wegen der Vergütung des Insolvenzverwalters) m. krit. Anm. Prütting/Ahrens. ____101 BVerfG NJW 1973, 1319; OLG Celle NJW 1978, 1983; OLG Frankfurt OLGZ 1979, 154 = NJW 1979, 767; ____OLG Hamburg NJW 1994, 1482; Stein/Jonas-Roth Rdn. 93 f.; Zöller-Greger Rdn. 3; MünchKomm-Peters ____Rdn. 24. ____102 Stein/Jonas-Roth Rdn. 98. 103 Stein/Jonas-Roth Rdn. 178 f. ____104 BGH BB 2000, 1061. ____105 OLG Naumburg OLGR 2004, 29. ____106 Cornils VerwArch 89, 526 ff.

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_____der Abhängigkeit des Urteils von der Entscheidung in einem Verwaltungsverfahren an_____ders als bei materieller Rechtskraft oder Gestaltungswirkung des in einem anderen Pro_____zess zu fällenden Urteils nicht darum, dass das Zivilgericht an die Verwaltungsentschei_____dung gebunden wäre; vielmehr hat diese auf das streitige Rechtsverhältnis tatsächlichen _____Einfluss. Die Konfliktlösung durch das zivilgerichtliche Urteil wäre nur eingeschränkt _____brauchbar, wenn dies nicht in das Urteil eingehen würde. Die sinnvolle Ordnung der _____Streitentscheidung, die Gegenstand der richterlichen Prozessleitung ist, steht m.a.W. im _____Vordergrund der Anordnung der Aussetzung im Falle der Vorgreiflichkeit einer zu er_____wartenden Verwaltungsentscheidung. 107 In der Judikatur sind Fälle zugunsten einer _____Aussetzung entschieden worden, bei denen eine Partei im Verwaltungsverfahren einen _____Anspruch auf rückwirkenden Erlass des streitigen Anspruchs durch das Finanzamt bean_____tragt hatte,108 im Falle eines Unterhaltsstreits bei einem Antrag auf rückwirkende Be_____willigung einer Sozialversicherungsrente.109 Grund der Aussetzung ist, dass der u.U. ent_____scheidungsreife Prozess deshalb vor dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht _____sinnvoll zu Ende gebracht werden kann, weil sich durch den Verwaltungsakt alsbald die _____Urteilsgrundlagen ändern würden. Das Brandenburgische OLG hat die Ansicht vertreten, _____in diesen Fällen sei der Zivilrechtsstreit in der Regel nur dann auszusetzen, wenn der _____erwarteten Verwaltungsentscheidung Rückwirkung zukommt, diese also ex tunc wirkt. _____Habe die erwartete Verwaltungsentscheidung keine Rückwirkung, fehle es in der Regel _____an der Vorgreiflichkeit.110 Dem ist nach oben gesagtem nicht uneingeschränkt zu folgen, _____denn unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie und der sinnvollen Ordnung der _____Streitentscheidung kann auch die Aussetzung wegen einer nur ex nunc wirkenden Ver_____waltungsentscheidung sinnvoll sein.111 Nach Ansicht des OLG Dresden112 ist ein Rechts_____streit über die Räumung und Herausgabe eines Kirchengrundstücks nicht wegen anhän_____giger Restitutionsverfahren nach dem Vermögensgesetz auszusetzen, wenn mit einer _____baldigen bestandskräftigen Entscheidung des Verwaltungsverfahrens nicht zu rechnen _____ist und das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen in der Mitteilung der beabsich_____tigten Entscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass es einen Rückübertra_____gungsanspruch der Antragsteller zurückweisen wolle. _____ _____ 48 2. Erwartung alsbaldiger Verwaltungsentscheidung. Soweit § 148 die Aussetzung _____wegen der Vorgreiflichkeit der Entscheidung aufgrund eines Verwaltungsverfahrens _____vorsieht, ist nicht erforderlich, dass ein solches Verfahren bereits in der Schwebe wäre; _____von „Anhängigkeit“ lässt sich in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die Ordnungs_____aufgabe des Gerichts bringt es aber mit sich, dass die Aussetzung in diesen Fällen dann _____und nur dann anzuordnen ist, wenn alsbald mit einer Verwaltungsentscheidung zu _____rechnen ist. Andernfalls würde den Parteien das Recht auf ein Urteil in angemessener _____Zeit verwehrt. _____ _____ _____ _____ _____ 107 BGH MDR 1988, 299; Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, 1971, _____S. 124 f. _____108 Schleswig SchlHA 50, 194. _____109 OLG Düsseldorf, 6. FamS, FamRZ 1981, 52; a.A. allerdings OLG Düsseldorf, 5. FamS, FamRZ 1982, _____821. 110 OLG Brandenburg VIZ 2000, 416. _____111 BGH MDR 1988, 299; MünchKomm-Peters Rdn. 12; Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur _____Klärung von Vorfragen, 1971, S. 124 f. _____112 OLG Dresden NJW 2000, 442.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 148

____ VI. Ausländische Zivilprozesse ____ ____ 1. Problem ____ ____ a) Auch ein vor einem ausländischen Gericht anhängiges Verfahren kann eine für ____die Entscheidung des deutschen Gerichts vorgreifliche Frage betreffen, die eine Ausset____zung des Verfahrens rechtfertigt. Die Aussetzung des deutschen Verfahrens unterliegt ____(lex fori) stets dem deutschen Recht.113 Die Aussetzung des deutschen wegen eines im ____Ausland anhängigen Verfahrens richtet sich daher weithin nach den dargestellten Grund____sätzen. Allerdings sind dabei Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn in noch stärke____rem Maße als im Falle vorgreiflicher inländischer Verfahren kann sich die Aussetzung ____wegen eines ausländischen Verfahrens als problematische Beschränkung der Justizge____währung darstellen (oben Rdn. 2 ff.). Daher begegnet eine allgemeine Anwendung des ____§ 148 in diesen Fällen erheblichen Bedenken. ____ ____ b) Eine Aussetzung des deutschen Verfahrens kommt in Betracht, soweit die im ____Ausland zu fällende Entscheidung im Inland in dem oben geschilderten Umfang Bin____dungswirkungen zeitigt114 oder seine Feststellungen für das deutsche Gericht maßgeblich ____sind.115 ____ ____ c) Stehen einer Anerkennung der ausländischen Entscheidung (§ 328) Hindernisse ____entgegen, kann nicht ausgesetzt werden.116 Gleiches gilt, wenn das zeitlich früher an____hängig gemachte ausländische Verfahren den identischen Streitgegenstand betrifft, über ____den im deutschen Zivilprozess verhandelt wird. In diesem Fall ist die inländische Klage ____wegen § 261 als unzulässig abzuweisen.117 ____ ____ 2. Normierte Fälle ____ ____ a) Das später angerufene Gericht kann nach Art. 21 Abs. 2 EuGVÜ das Verfahren bis ____zur Feststellung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts aussetzen.118 Erst bei ____Feststellung der Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts erfolgt gemäß Art. 21 Abs. 2 ____EuGVÜ Klagabweisung. Bei im Zusammenhang stehenden Klagen, die vor Gerichten ver____schiedener Vertragsstaaten erhoben werden, kann das später angerufene Gericht nach ____Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ aussetzen.119 Diese Regelungen vermeiden im Sinne des Grundsat____zes zeitlicher Priorität Doppelprozesse.120 Anerkennungsverfahren können nach Art. 30 ____EuGVÜ ausgesetzt werden, solange die Möglichkeit besteht, dass die Entscheidung im ____Verfahren im anderen Mitgliedsstaat noch aufgehoben oder abgeändert wird;121 eine ent____sprechende Aussetzungsbefugnis regelt Art. 38 EuGVÜ für das Verfahren der Vollstreck____barkeitserklärung.122 ____ ____ ____ ____113 Stein/Jonas-Roth Rdn. 136, 141. 114 Musielak-Stadler Rdn. 6. ____115 MünchKomm-Peters Rdn. 11. ____116 Stein/Jonas-Roth Rdn. 142. ____117 Stein/Jonas-Roth Rdn. 142. ____118 MünchKomm-Gottwald Art. 21 EuGVÜ Rdn. 14. 119 MünchKomm-Gottwald Art. 22 EuGVÜ Rdn. 3. ____120 Stein/Jonas-Roth Rdn. 145 m.w.N. ____121 Stein/Jonas-Roth Rdn. 158. ____122 Stein/Jonas-Roth Rdn. 162.

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_____ 53 b) Aussetzungsvoraussetzungen werden weiter in bilateralen Verträgen normiert. _____Im Einzelnen sind folgende Regelungen zu nennen: Art. 44 des deutsch-tunesischen Ver_____trags vom 19.7.1966 (BGBl. 1969 II 889); Art. 21 des deutsch-norwegischen Anerkennungs_____und Vollstreckungsvertrages vom 17.6.1977 (BGBl. 1981 II 341); Art. 22 des deutsch-israe_____lischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages vom 20.7.1977 (BGBl. 1980 II 925) _____und Art. 21 des deutsch-spanischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages vom _____14.11.1983 (BGBl. 1987 II 35), die alle in ähnlicher Weise eine Aussetzung bei Anhän_____gigkeit eines Verfahrens mit identischem Streitgegenstand im Vertragsstaat – außer in _____Eilfällen – zulassen; Art. III (2) des deutsch-britischen Vollstreckungsabkommens vom _____14.7.1960 (BGBl. 1961 II 302); Art. 10 Abs. 2 des deutsch-belgischen Abkommens über die _____gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen vom _____30.6.1958 (BGBl. 1959 II 766) und Art. 10 Abs. 2 des deutsch-griechischen Vollstreckungs_____vertrages vom 4.11.1961 (BGBl. 1963 II 1278), in denen dem deutschen Gericht eine Aus_____setzungsmöglichkeit eingeräumt wird, wenn gegen ein im Vertragsstaat ergangenes Ur_____teil ein Rechtsbehelf eingelegt wurde oder eine Rechtsbehelfsfrist noch nicht abgelaufen _____ist. _____ _____ c) In Fällen internationaler Schiedssprüche aufgrund des Washingtoner Über54 _____einkommens zur Beilegung von Invesititionsstreitigkeiten zwischen Staaten und An_____gehörigen anderer Staaten vom 18.3.1965 (BGBl. 1969 II 371) sieht Art. 3 des deutschen _____Ausführungsgesetzes vom 25.2.1969 (BGBl. II 369) die Aussetzung des Verfahrens der _____Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch auf Antrag des Schuldners vor.123 Nach _____Art. 6 Abs. 3 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Handels_____schiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 (BGBl. 1965 II 107) hat das staatliche Gericht, vor _____dem auf Feststellung des Nichtbestehens der Schiedsvereinbarung geklagt wird, das _____Verfahren auszusetzen, bis der Schiedsspruch ergangen ist.124 _____ _____ 55 3. Aussetzung wegen der Vorgreiflichkeit ausländischer Eheurteile, Art. 7 § 1 _____FamRÄndG. Ist für die Entscheidung des inländischen (deutschen) Gerichts im laufen_____den Prozess die Aufhebung oder Scheidung einer Ehe im Rahmen eines ausländischen _____Eheprozesses vorgreiflich, findet § 152 keine Anwendung (vgl. dort die Erläuterungen _____Rdn. 5), denn Art. 7 § 1 FamRÄndG ordnet an, dass für die Anerkennung eines ausländi_____schen Eheurteils die jeweilige Landesjustizverwaltung zuständig ist; die Frage, ob eine _____Aussetzung anzuordnen ist, beurteilt sich daher nach § 148. Es besteht aber Einigkeit _____darüber, dass dabei den „Grundgedanken“ des § 152 Rechnung getragen werden soll. _____Ausgesetzt wird der laufende Prozess also wegen des laufenden Anerkennungsverfah_____rens bzw. wenn eine positive Anerkennungsprognose gestellt werden kann.125 _____ Dies gilt auch für den Fall, dass vor dem ausländischen Gericht der fragliche Ehe56 _____prozess noch anhängig ist. Hier liegt ein inländisches Anerkennungsverfahren noch nicht _____vor. Sofern das Gericht des auszusetzenden Prozesses davon ausgeht, dass ein Anerken_____nungsverfahren eingeleitet werden könne, kommt eine Aussetzung des laufenden Pro_____zesses in Betracht. Läuft der ausländische Eheprozess zu einem deutschen Eheprozess _____mit identischem Streitgegenstand parallel, kommt eine Klageabweisung in Deutschland _____regelmäßig nicht in Betracht; auch in diesem Fall ist nach § 148 bei positiver Anerken_____nungsprognose auszusetzen. _____ _____ _____123 Stein/Jonas-Roth Rdn. 171 f. _____124 Zum Ganzen Stein/Jonas-Roth Rdn. 173. _____125 BGH NJW 1983, 514.

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____ VII. Verfahren ____ ____ 1. Form der Entscheidung. Die Anordnung der Aussetzung erfolgt im Wege eines ____prozessleitenden Beschlusses. Der mündlichen Verhandlung bedarf es nicht, wenn im ____schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 und 3 oder § 331 a prozediert wird. Im Übrigen ____ergeht der Beschluss auf mündliche Verhandlung.126 Die Gegenansicht127 überzeugt nicht. ____Die Aussetzung nach § 148 betrifft unmittelbar den Streitgegenstand als Inhalt der rich____terlichen Streitentscheidung, was bereits für sich genommen die mündliche Verhand____lung hierüber nahelegt. Weiter zeigt § 248 Abs. 2, dass nur für die Fälle der §§ 246 f. auf ____eine der Anordnung der Aussetzung des Prozesses vorgängige mündliche Verhandlung ____verzichtet werden kann. Der Beschluss ist nach § 329 Abs. 1 zu verkünden, wenn er auf ____eine mündliche Verhandlung ergeht; er ist formlos mitzuteilen, § 329 Abs. 2 Satz 1, wenn ____er im schriftlichen Verfahren erlassen worden ist. ____ Das Berufungsgericht kann den bei dem Landgericht noch anhängigen Teil des ____Streitgegenstands nicht an sich ziehen, wenn das Landgericht durch mit Teilurteil ver____kündeten Beschluss insoweit das Verfahren ausgesetzt hat.128 Mit Aussetzung des Ver____fahrens sind etwaige Prozesshandlungen des Gerichts wirkungslos.129 Den Aussetzungs____beschluss kann jedoch nur das Gericht, vor dem das Verfahren anhängig ist, und nicht ____das Berufungsgericht aufheben.130 Da das Berufungsgericht daher die Aussetzung nicht ____beseitigen kann, scheidet eine Entscheidung über den noch beim erstinstanzlichen Ge____richt (noch) anhängigen Streitteil aus.131 ____ ____ 2. Begründung. Der Beschluss bedarf der Begründung.132 Das ergibt sich schon dar____aus, dass der Beschluss mit der Beschwerde anfechtbar (unten Rdn. 60) ist und daher für ____die durch den Aussetzungsbeschluss belasteten Parteien und das Obergericht die Grün____de erkennen lassen muss, die das aussetzende Gericht zu seiner Entscheidung bewogen ____haben. ____ ____ 3. Rechtsmittel. Der Beschluss ist mit der Beschwerde angreifbar. Ist die von den ____Parteien angeregte oder beantragte Aussetzung dagegen erst mit dem Endurteil abge____lehnt worden, findet keine isolierte Anfechtung statt.133 Vielmehr wird dann das Urteil als ____solches angegriffen.134 Da die Entscheidung über die Aussetzung der Verhandlung ge____mäß § 148 im Ermessen des Gerichts liegt, kann das Beschwerdegericht die Ermessens____entscheidung lediglich dahin überprüfen, ob das Erstgericht die Grenzen des Ermessens ____überschritten hat. Es ist nicht befugt, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht ____eingeräumten Ermessens zu setzen.135 ____ ____ 4. Kosten. Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei. Anwaltsgebühren fallen für ____den in erster Instanz gestellten Antrag in der Regel nicht an, denn dieser ist mit der Ver____fahrensgebühr abgegolten. Ist noch keine volle Prozessgebühr angefallen, so löst der ____ ____ ____126 MünchKomm-Peters Rdn. 13; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. 127 OLG München OLGZ 1968, 432 = NJW 1968, 2150; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 2. ____128 OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 34. ____129 BGHZ 111, 104, 107; Zöller-Greger § 249 Rdn. 7. ____130 Zöller-Greger § 150 Rdn. 1. ____131 OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 34. 132 MünchKomm-Peters Rdn. 15. ____133 MünchKomm-Peters Rdn. 17. ____134 Musielak-Stadler § 252 Rdn. 1. ____135 OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 356; LAG Nürnberg NZA-RR 2003, 602.

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_____schriftsätzlich gestellte Aussetzungsantrag eine Verfahrensgebühr von 0,8 (Nr. 3101 Nr. 1 _____VV RVG) aus. Die volle Terminsgebühr von 1,2 (Nr. 3104 VV RVG) fällt an, wenn die Aus_____setzung in der mündlichen Verhandlung beantragt wird. Die Reduzierung aus Nr. 3105 _____greift nur bei Säumnis einer Partei ein.136 Im Beschwerdeverfahren fällt eine Gerichtsge_____bühr an, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (GKG KV Nr. 1953). _____Der Streitwert ist dann nach dem Interesse des Beschwerdeführers festzusetzen (§ 3).137 _____ _____ VIII. Wirkung der Aussetzung _____ _____ 62 1. § 249. Die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249, wegen der Einzel_____heiten vgl. die Erörterungen dort. Nach § 249 hat die Aussetzung zur Folge, dass der Lauf _____einer jeden prozessualen Frist aufhört;138 nach dem Ende der Aussetzung beginnt der _____Lauf der vollen gesetzlichen Frist, § 249 Abs. 1. Prozesshandlungen der Partei während _____der Aussetzung sind gegenüber dem Gegner relativ unwirksam, § 249 Abs. 2. Die Unwirk_____samkeit kann durch rügeloses Einlassen gemäß § 295 geheilt werden. Gegenüber dem _____Gericht sind die Prozesshandlungen der Partei auch während der Prozessaussetzung _____wirksam. Nach außen hin ergehende Handlungen des Gerichts sind unzulässig und nach _____dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 ohne rechtliche Wirkung. _____ 63 Es ist anerkannt, dass § 204 Abs. 2 Satz 1 n.F. BGB (§ 211 Abs. 2 Satz 1 a.F. BGB) nicht _____anwendbar ist, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen _____Aussetzung und damit nicht auf der Untätigkeit der Parteien beruht.139 Die Sperrwirkung, _____die die Aussetzung im Hinblick auf § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB ausübt, endet jedoch mit dem _____Wegfall des Aussetzungsgrundes. _____ _____ 64 2. Ende und zeitliche Grenzen der Aussetzung. Mit dem endgültigen Abschluss _____des anderen Verfahrens, in dem über die vorgreifliche Frage entschieden worden ist, _____endet die Aussetzung ipso iure, ohne dass es einer Aufnahmeerklärung der Parteien oder _____eines gerichtlichen Aufhebungsbeschlusses bedürfte.140 Da das Gericht nach § 249 Abs. 3 _____auch während des durch die Aussetzung bewirkten Verfahrensstillstandes dazu befugt _____ist, eine Entscheidung zu erlassen und nach § 150 den Aussetzungsbeschluss aufheben _____kann bzw. eine Endentscheidung erlassen darf, endet dadurch der Verfahrensstillstand. _____ _____ Anhang: _____ Aussetzung im Falle von Vorlagen an das BVerfG, _____ Landesverfassungsgerichte und den EuGH _____ _____ Aussetzungszwang bei der Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100, 126 GG _____ _____ Im Falle der Richtervorlage nach Art. 100 und 126 GG hat das Zivilgericht das Ver65 _____fahren stets von Amts wegen auszusetzen, § 80 Abs. 3 BVerfGG. Zuvor hat es münd_____lich hierüber zu verhandeln, um den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren,141 die _____Ausführungen in Rdn. 57 gelten insoweit auch hier. Die Vorlagepflicht besteht auch, _____wenn das BVerfG in derselben Sache bereits durch anderweitige Vorlagen befasst _____ _____ _____136 Musielak-Stadler Rdn. 19. _____137 BGHZ 22, 283 = NJW 1957, 424. 138 Chab AnwBl. 2001, 625 ff. _____139 BGHZ 15, 80, 82; 106, 295, 297; NJW-RR 1993, 741, 742. _____140 BGHZ 106, 295, 297; OLG Köln VersR 2002, 68. _____141 Stein/Jonas-Roth Rdn. 98.

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____ist.142 Bis zur Entscheidung durch das BVerfG kann das Zivilgericht aber vorläufigen ____Rechtsschutz gewähren.143 Der Vorlagepflicht unterliegen bundes- und landesrechtliche ____nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne sowie gesetzesvertretende Rechtsver____ordnungen.144 Die Vorlagemöglichkeit besteht auch, wenn das Gesetz zwischenzeitlich ____aufgehoben wurde, aber für das laufende Zivilverfahren noch entscheidungserheblich ____ist.145 ____ Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien oder auch nur ernst____zunehmende Zweifel des Gerichts darüber, ob Recht als Bundesrecht fortgilt, ist nach ____Art. 126 GG i.V.m. § 86 Abs. 2 BVerfG auszusetzen. Dies betrifft neben Gesetzen im formel____len Sinne auch Rechtsverordnungen und Satzungen.146 ____ Besonderheiten gelten für das Gemeinschaftsrecht. Die Kontrolle des primären ____Gemeinschaftsrechts (Grundverträge der Europäischen Gemeinschaft) erfolgt über die ____Kontrolle der im innerstaatlichen Ratifikationsverfahren erlassenen Zustimmungs- und ____Vertragsgesetze, mit denen das Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umgesetzt ____wird.147 Umstritten ist, ob auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht (aufgrund der Euro____paverträge von Gemeinschaftsorganen erlassenes Recht) der Prüfung am Maßstab des ____nationalen Verfassungsrechts unterliegt. Nachdem sich das Bundesverfassungsgericht ____zunächst eine uneingeschränkte Prüfungskompetenz bis zur Einführung eines parla____mentarisch beschlossenen Grundrechtskataloges für die Gemeinschaft zugesprochen ____hatte,148 hält es nunmehr fest, dass es sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht mehr an den ____Grundrechten messen werde und dementsprechend Vorlagen nach Art. 100 I GG für un____zulässig erklären werde, solange die Gemeinschaft den Schutz der Grundrechte generell ____gewährleiste.149 Weite Teile der Literatur kritisieren auch diesen zweiten Ansatz und ____sprechen dem Bundesverfassungsgericht eine Kompetenz zur Kontrolle sekundären Ge____meinschaftsrechts generell ab, da es sich bei dem sekundären Gemeinschaftsrecht um ____eine von dem nationalen Recht grundverschiedene Rechtsordnung handele, die nicht am ____Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes zu prüfen sei.150 ____ Hinsichtlich des Völkerrechts gilt, dass bei ernstzunehmenden Zweifeln des Zivilge____richts, ob und inwieweit eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des innerstaatlichen ____Bundesrechts ist und aus ihr unmittelbar gemäß Art. 25 GG Rechte und Pflichten für den ____einzelnen folgen, eine Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 2 GG stattzufinden hat.151 ____ Die Vorschrift, deretwegen die Vorlage erfolgt, muss für die Entscheidung durch das ____Ausgangsgericht erheblich sein. Dies kann bei Endurteilen und bei Zwischenurteilen der ____Fall sein. Beweisbeschlüsse kommen nicht in Betracht; sie können ausnahmsweise bei ____der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit eine Rolle spielen, wenn durch sie in ____einer verfassungswidrigen Weise die Rechtsstellung von Angehörigen fremder Staaten ____beeinträchtigt wird.152 ____ ____142 BVerfG NJW 1973, 1319, 1320; BGH NJW 1998, 1957; OLG Frankfurt NJW 1979, 767, 768; Pestalozza JuS ____1981, 649, 651 ff.; a.A. (Aussetzung ohne eigene Vorlegung) BAG NJW 1988, 2558; OLG Hamburg NJW 1994, ____1482; OLG Düsseldorf FamRZ 1980, 27 f. ____143 Stein/Jonas-Roth Rdn. 93. ____144 BVerfGE 19, 282, 287 f.; BVerfGE 37, 271, 283; Stein-Jonas-Roth Rdn. 53 ff. 145 BVerwG NVwZ 1992, 682, 685. ____146 BVerfGE 28, 119, 132 f. ____147 BVerfGE 52, 187. ____148 BVerfGE 27, 271 („Solange I“). ____149 BVerfGE 73, 339 („Solange II“). 150 Streinz Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, ____1989, S. 285 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 65. ____151 BVerfGE 46, 342, 363; BVerfGE 75, 1, 11. ____152 BVerfGE 11, 330, 335; BVerfGE 47, 146, 152 ff.; BVerfGE 50, 108, 113.

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_____ 70 Voraussetzung für die Vorlage nach Art. 100 ist die gerichtliche Überzeugung von _____der Verfassungswidrigkeit der zu kontrollierenden Vorschrift.153 Im Falle der Zuständig_____keit des Rechtspflegers hat er gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Richter vorzulegen. Hält _____das Gericht eine verfassungskonforme Auslegung für möglich, sind Vorlage und Ausset_____zung des Verfahrens unzulässig.154 Unzulässig sind Vorlage und Aussetzung auch, wenn _____es sich um vorkonstitutionelles, vor dem Inkrafttreten des GG (vgl. Art. 145 Abs. 2 GG) _____erlassenes Recht handelt, da insofern jedes Gericht, also auch das Zivilgericht dazu be_____rechtigt ist, das fragliche Gesetz als mit dem Grundgesetz für unvereinbar zu erklären _____und zu verwerfen.155 Hat dagegen der nachkonstitutionelle Gesetzgeber das vorkonstitu_____tionelle Gesetz nicht nur deklaratorisch Klarstellungen unterworfen, sondern seinen _____konkreten Bestätigungswillen zu erkennen gegeben, greift das Verfahren der Art. 100, _____126 GG ein.156 Hält das Gericht nur die Auslegung des Gesetzes durch ein übergeordnetes _____Gericht für verfassungswidrig, ist die Vorlage unzulässig.157 Gleiches gilt, wenn ein Rechts_____mittelgericht in seiner Zurückverweisungsentscheidung ausdrücklich oder stillschwei_____gend die Verfassungsmäßigkeit der Norm unterstellt hat.158 _____ 71 Im Falle landesrechtlicher Normenkontrolle wegen landesrechtlicher Gesetze im _____formellen Sinne kommt eine Vorlage an das jeweilige Landesverfassungsgericht in Be_____tracht. Für die Vorlage gelten: Baden-Württemberg: Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 Verf., 51 STGHG _____vom 13.12.1954 (GBl. 171); Bayern: Art. 65, 92 Verf., Art. 2 Nr. 5, 50, VfGHG vom 10.5.1990 _____(GVBl. 122, ber. 231); Berlin: Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 Verf., § 14 Nr. 5, § 46 VerfGHG vom _____8.11.1990 (GVBl. 2246); geändert durch Gesetz vom 11.12.1991 (GVBl. 280); Brandenburg: _____Art. 112, 113 Nr. 3 Verf. vom 20.8.1992, GVBl. f. das Land Brandenburg Teil I, Satz 298; _____Bremen: Art. 142 Verf., § 1 Nr. 2 StGHG i.d.F. vom 12.5.1964 (SaBremR 1102-a-a1), § 4 Ver_____fahrensO vom 17.3.1956 (SaBremR 1102-a-2); Hamburg: Art. 64 Abs. 2, Art. 65 Abs. 2 Nr. 4 _____Verf., §§ 44 ff. VerfGG i.d.F. vom 23.3.1982 (GVBl. 59), zuletzt geändert durch das 1. ÄndG _____vom 5.7.1990 (GVBl. 145); Hessen: Art. 133 Verf., §§ 41 ff. StGHG vom 12.12.1947 _____(GVBl. 1948, 3, ber. 122); Mecklenburg-Vorpommern GVBl. 1993 Satz 371 ff.; Niedersach_____sen: Art. 54 Nr. 4 Verf., §§ 38 ff. StGHG vom 31.3.1955 (Nieders. GVBl. Sb I17), zuletzt ge_____ändert durch Gesetz vom 19.5.1993 (Nieders. GVBl. 107); Nordrhein-Westfalen: Art. 75 _____Nr. 4 Verf., § 50 VerfGHG vom 14.12.1989 (GVNW 708), Rheinland-Pfalz: Art. 130 Abs. 3 _____Verf., §§ 24 ff. VerfGHG vom 23.7.1949 (GVBl. 285, ber. 585), zuletzt geändert durch Gesetz _____vom 10.11.1992 GVBl. 317); Saarland: Art. 97 Nr. 3 Verf. (i.d.F. des Gesetzes Nr. 1251 vom _____25.10.1989) (ABl. 1570), § 47 VGHG i.d.F. 19.11.1982 (ABl. 917); Sachsen: Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 _____Verf. vom 27.5.1992, Sächs. GVBl. Satz 243; Sachsen-Anhalt: Art. 75 Nr. 5 Verf. vom _____16.7.1992, GVBl. Satz 600 ff. _____ Als einziges deutsches Land verfügte Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2008 über 72 _____keine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit. Stattdessen waren landesverfassungsrechtli_____che Streitigkeiten gemäß Art. 44 der Landesverfassung in Verbindung mit Art. 99 GG _____dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen; mit Wirkung vom 27. Oktober 2006 wurde _____die Landesverfassung jedoch geändert (GVOBl. 2008, 223, i.d.F. v. 13. Mai 2008); Art. 44 _____Abs. 1 sieht nunmehr ein Landesverfassungsgericht vor. _____ _____ 153 BVerfGE 1, 184, 189; BVerfGE 9, 237, 240; BVerfGE 66, 265, 269 f.; BVerfGE 79, 256, 263; BGH NJW _____1993, 588, 589. _____154 BVerfGE 68, 337, 344; BVerfGE 76, 100, 105; BVerfGE 78, 20, 24. _____155 BVerfGE 2, 124, 129. _____156 Zum Ganzen Stein/Jonas-Roth Rdn. 66 ff. 157 BVerfGE 22, 373, 377; BVerfGE 68, 337, 345; BVerfGE 78, 20, 24 f.; BVerfGE 80, 54 ff.; a.A. Stein/ _____Jonas-Roth Rdn. 90. _____158 BVerfGE 2, 406, 412; BVerfGE 12, 67, 72 f.; BVerfGE 42, 91, 95; BVerfGE 65, 132, 140; BVerfGE 68, 352, _____358.

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§ 149

____ Die Aussetzung von Eilverfahren ist im Allgemeinen ausgeschlossen, vgl. Rdn. 14. ____Sie kommt nur dann in Betracht, wenn die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften, auf ____denen die Durchführung des Eilverfahrens selbst beruht, zweifelhaft ist.159 ____ Der Vorlagebeschluss muss nach der Judikatur des BVerfG aus sich selbst heraus ____ohne Beiziehung der Akten verständlich sein und mit hinreichender Deutlichkeit erken____nen lassen, dass das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen ____Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen ____würde.160 Dabei muss das vorlegende Gericht den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaß____stab angeben und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen erschöpfend darlegen, hier____bei hat es sich mit den zur Auslegung der Norm in Literatur und Judikatur entwickelten ____Grundsätzen auseinanderzusetzen.161 ____ Ist die verfassungswidrige Norm bereits durch das BVerfG wegen Unvereinbarkeit ____mit dem GG aufgehoben worden und steht eine gesetzliche Neuregelung noch aus, liegt ____kein Fall der Art. 100, 126 GG vor. In diesen Fällen wird es häufig sinnvoll sein, das Ver____fahren nach § 148 auszusetzen.162 ____ ____ Vorgreiflichkeit von Entscheidungen des EuGH ____ ____ Vorgreiflich ist weiter die ausstehende Entscheidung des EuGH auf eine für den aus____zusetzenden Rechtsstreit erhebliche Vorlagefrage des BGH.163 Die Aussetzung des Ver____fahrens ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auch ohne gleichzeitiges Vora____bentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich zu____lässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage ____abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen ____Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde.164 ____ ____ ____ § 149 ____ Aussetzung bei Verdacht einer Straftat ____ § 149 Smid ____ (1) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht ei____ner Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die ____Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. ____ (2) Das Gericht hat die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen, wenn ____seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn gewichtige Gründe ____für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen. ____ ____ ____ ____ ____ ____159 Bettermann Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, ____Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, 1976, S. 356; Pestalozza JuS 1978, 314. ____160 BVerfGE 7, 171, 173, BVerfGE 10, 258, 261; BVerfGE 13, 97, 103; BVerfGE 37, 328, 334; BVerfGE 65, 265, ____277; BVerfGE 66, 100, 105; BVerfGE 67, 26, 33 f.; BVerfGE 72, 91, 102; BVerfGE 78, 306, 316; BVerfGE 86, 52, ____56. ____161 So auch Stein/Jonas-Roth Rdn. 85. 162 BVerfGE 82, 126, 155; BVerfG NJW 1991, 1944, 1946; a.A. in der Literatur: Koch NZA 1991, 50 ff.; ____Kraushaar BB 1991, 1764, 1765 ff. ____163 OLG Zweibrücken 1. Zivilsenat, Beschluss vom 10.7.2002, Az: 1 U 38/02, juris. ____164 So BGH v. 24.1.2012 – VIII ZR 236/10 und VIII ZR 158/11 im Anschluss an BAG NJW 2011, 1836.

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§ 149

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Schrifttum _____ Böse Der Nemo-tenetur-Grundsatz als Gebot zur Aussetzung des Zivilprozesses nach § 149 ZPO? _____wistra 1999, 451. _____ _____ Übersicht _____I. Normzweck ____ 1 c) Eilverfahren ____ 7 _____II. Voraussetzungen 3. Strafurteil als Tatbestandsmerk_____ 1. Verdacht einer Straftat ____ 2 mal ____ 8 2. Einfluss auf das Zivilverfahren III. Verfahren. Wirkungen der Aussetzung _____ a) Auswirkungen auf die zivil1. Anordnung durch Beschluss ____ 10 _____ 2. Prozessstillstand ____ 11 gerichtlichen Tatsachenfest_____ stellungen ____ 5 3. Abs. 2 ____ 14 _____ b) Fälle, in denen ein Einfluss auf _____ die tatsächlichen Entscheidungs_____ grundlagen ausgeschlossen ist ____ 6 _____ _____ _____ I. Normzweck _____ Die Vorschrift räumt dem Zivilgericht die Möglichkeit ein, die Verhandlung bis zum 1 _____ _____Abschluss eines Strafverfahrens auszusetzen. Wie im Falle der Aussetzung nach § 148 _____steht im Kern der Funktion der Vorschrift die Aufgabe des Gerichts, durch seine Prozess_____leitung den Prozessstoff und den Ablauf des Verfahrens in einer Weise zu ordnen, die _____eine sinnvolle, an dem zwischen den Parteien geltenden Recht orientierte Konfliktlösung _____ermöglicht, was die Abstimmung mit vorgreiflichen oder auch nur tatsächlich hierfür _____einflussreichen Entscheidungen im Strafverfahren zweckmäßig erscheinen lässt. Der _____Zivilrichter ist nicht an die Ergebnisse eines Strafverfahrens gebunden, denn die dort _____geltenden Grundsätze wie die Entscheidung in dubio pro reo können zu Wertungen füh_____ren, die von denen im Zivilprozess abweichen.1 Daher bleibt die durch § 286 normierte _____Freiheit der zivilrichterlichen Beweiswürdigung durch den Ausgang eines Strafverfah_____rens zwar unangetastet; dessen Ergebnisse können aber für die Tatsachenfeststellungen _____im Zivilprozess hilfreich sein. _____ _____ II. Voraussetzungen _____ _____ 1. Verdacht einer Straftat _____ a) Die Prozessaussetzung nach § 149 setzt zunächst voraus, dass der Verdacht der 2 _____ _____Straftat eines Prozessbeteiligten besteht. Prozessbeteiligte i.S.d. Vorschrift sind die Par_____teien,2 aber auch Zeugen3 oder ggf. Dritte,4 wenn deren Verhalten materiell tatbestand_____lich für das zu fällende Zivilurteil ist, wie im Falle des Erfüllungs- oder Verrichtungsge_____hilfen oder im Falle des Verhaltens eines Dritten, das nach § 123 Abs. 2 BGB zu beurteilen _____ist.5 Dabei genügt weder die bloße Behauptung einer Partei noch der vage bleibende _____Verdacht des Richters. Vielmehr setzt die Aussetzung im Falle des § 149 voraus, dass _____ _____ _____1 BGH NJW 1983, 230. _____2 Vgl. zum Parteibegriff: Musielak-Weth § 50 Rdn. 3; MünchKomm-Lindacher § 50 Rdn. 1. 3 Vgl. zum Zeugenbegriff: Musielak-Huber § 373 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 373 Rdn. 4. _____4 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. _____5 So auch Stein/Jonas-Roth Rdn. 5; Zöller-Greger Rdn. 2; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 3; Thomas-Putzo_____Reichold Rdn. 1.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO mit der Ent____scheidung eines Strafgerichts wegen der dem Verdacht entsprechenden Straftat gerech____net werden kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Straftat, derer ein Prozessbe____teiligter verdächtig ist, sich vor oder erst im Lauf des Zivilverfahrens ereignet hat. Das ____Strafverfahren muss im Übrigen nicht anhängig sein, zumal der Zivilrichter gegebenen____falls im Wege der verfahrensübergreifenden Mitteilung nach § 17 Nr. 1 EGGVG die Akten ____der Staatsanwaltschaft zur weiteren Prüfung zuleiten kann und muss.6 ____ ____ b) Strafverfahren i.S.d. Vorschrift sind sowohl der Strafprozess i.e.S. als auch Ord- 3 ____nungswidrigkeitsverfahren.7 Demgegenüber zählen ehrengerichtliche Verfahren, dienst____strafrechtliche Verfahren oder Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse8 ____nicht hierzu. Der Strafprozess oder das Ordnungswidrigkeitsverfahren brauchen noch ____nicht anhängig zu sein; es genügt, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungstätigkeit ____aufgenommen hat.9 Im Falle des § 149 ZPO müssen die streitigen Umstände, auf die es im ____Zivilverfahren ankommt und die im Strafverfahren leichter oder einfacher geklärt wer____den können, so konkret und eingehend dargestellt werden, dass das Rechtsbeschwerde____gericht die Ermessensausübung der Vorinstanzen auf Ermessensfehler überprüfen kann. ____Dies ist nicht möglich, wenn nicht dargestellt ist, welche konkreten Ansprüche mit der ____Klage geltend gemacht werden und inwieweit diese auf strafbare Handlungen gestützt ____werden, die Gegenstand des Strafverfahrens sind.10 Verfehlt ist OLG Jena, das meint, der ____Tatverdacht des sexuellen Missbrauchs eines Kindes sei kein Grund für die Aussetzung ____eines Sorgerechtsverfahrens. Da das Gericht an die Feststellungen in einem Strafurteil ____nicht gebunden ist, sei der Ausgang bzw. das Ergebnis des Strafverfahrens gegen den ____Elternteil für die Entscheidung des Sorgerechtsverfahrens nicht „vorgreiflich“.11 ____ ____ c) Die Aussetzung ist zulässig, wenn der Ausgang des Strafverfahrens auf die Be- 4 ____weiswürdigung im Zivilprozesses Einfluss haben kann – was etwa dann nicht der Fall ____sein wird, wenn wegen einer falschen Zeugenaussage eine Mitteilung in Zivilsachen ge____macht worden ist12 (unten Rdn. 6). Dass der diesbezügliche Verdacht „im Laufe des Pro____zesses“ auftreten muss, schränkt § 149 nicht ein.13 Zeichnet sich für den weiteren Verlauf ____des Rechtstreits die Notwendigkeit ab, Zeugen in Italien im Wege der Rechtshilfe zu ver____nehmen, so dass eine zeitnahe Erledigung nicht zu erwarten ist, kann sich eine Ausset____zung des Verfahrens nach § 149 Abs. 1 ZPO bis zur Erledigung eines zeitgleichen straf____rechtlichen Ermittlungsverfahrens als ein prozessökonomisches Vorgehen darstellen.14 ____ ____ 2. Einfluss auf das Zivilverfahren ____ ____ a) Auswirkungen auf die zivilgerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Da eine ma- 5 ____terielle Bindung des Zivilrichters an das Ergebnis des Strafverfahrens wegen der Struktur____unterschiede von Zivil- und Strafprozess (oben Rdn. 1) nicht in Betracht kommt, hängt die ____Befugnis zur Aussetzung des Zivilprozesses nach § 149 davon ab, ob der Ausgang des Straf____ ____ 6 Nierwekberg NJW 1996, 432 ff.; Knoche MDR 2000, 371 ff. ____7 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 2. ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ____9 MünchKomm-Peters Rdn. 3. ____10 BGH NJW-RR 2010, 423. 11 OLG Jena FamRZ 2009, 1771. ____12 BayObLG FamRZ 1992, 975, 976 (Rechtsbeschwerde). ____13 Zöller-Greger Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ____14 OLG Bremen MDR 2011, 881.

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_____verfahrens tatsächliche Auswirkungen auf die Tatsachenfeststellungen im Zivilverfahren _____zeitigen kann. Dabei ist an Fallgestaltungen zu denken, in denen eine Partei oder andere _____Prozessbeteiligte Urkunden gefälscht haben, aus denen sich entscheidungserhebliche _____Tatsachen ergeben, Falschaussagen von Zeugen oder Sachverständigen gemacht werden _____oder im Rahmen von Schadenersatzprozessen strafprozessuale Ermittlungen wegen der _____dem Zivilprozess zugrunde liegenden strafrechtlich relevanten Handlungen durchgeführt _____werden.15 Da eine Aussetzung allein bei Auswirkungen auf Tatsachenfeststellungen in _____Betracht kommt, findet diese Vorschrift nach dem ZPO-RG, durch das die Berufung weit_____gehend auf Fehlerkontrolle und -beseitigung beschränkt wurde, in erster Linie in erstin_____stanzlichen Verfahren Anwendung, bei Berufungsverfahren dagegen nur noch soweit ge_____mäß § 529 I Nr. 1, 2. Hs. eine erneute Feststellung von Tatsachen geboten ist und diese neue _____Tatsachenfeststellung vom Ausgang eines Strafverfahrens abhängen kann. _____ _____ b) Fälle, in denen ein Einfluss auf die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen 6 _____ausgeschlossen ist. In der Revisionsinstanz und in der Berufungsinstanz, soweit bei _____letzterer keine Ausnahme nach § 529 I Nr. 1, 2. Hs. vorliegt (oben Rdn. 5), ist eine Ausset_____zung nach § 149 unzulässig, da wegen der Bindung an die tatsächlichen Feststellungen _____in der Vorinstanz in den oberen Instanzen keine Tatsachenfeststellungen getroffen wer_____den, auf die das Strafverfahren Einfluss nehmen könnte. Liegt dagegen ein in einem _____Schuldspruch bestehendes rechtskräftiges Strafurteil vor, ist dies rechtlich auch von den _____Berufungs- und Revisionsgerichten zu berücksichtigen und an die Vorinstanz zurückzu_____verweisen. Auch in anderen Fällen ist die Aussetzung nach § 149 ausgeschlossen, wenn _____die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen die tatsächlichen Feststellungen, die _____den Gegenstand des Zivilprozesses betreffen, nicht beeinflussen können. Hier ist z.B. das _____Betragsverfahren zu nennen, wenn das Strafverfahren tatsächlich nur den – bereits mit _____Grundurteil festgestellten – Grund der Haftung betrifft. Wird gegen den Beklagten wegen _____einer Straftat ermittelt und könnte er deshalb bei Beachtung seiner zivilprozessualen _____Wahrheitspflicht gezwungen sein, sich mit faktischer Auswirkung für das Ermittlungs_____verfahren selbst zu belasten, ist dies kein Grund den Zivilprozess auszusetzen.16 Ein _____Schadenersatzprozess einer Kfz-Kaskoversicherung gegen denjenigen, der ein versicher_____tes Fahrzeug (angeblich) in Kenntnis dessen, dass es gestohlen war, erworben hat, ist _____nicht bereits deshalb auszusetzen, weil gegen den Beklagten wegen desselben Sachver_____halts Strafanklage erhoben worden ist. Die Belange des Beklagten überwiegen nicht das _____Interesse der Klägerin an einer durch den Verlauf des Strafverfahrens unbeeinflussten _____Fortsetzung des Rechtsstreits. Insbesondere bleibt das Recht des Beklagten, sich im _____Strafverfahren nicht zu äußern, unabhängig davon, wie er sich im Zivilprozess verhält, _____bestehen. Er ist auch nicht gezwungen, sich zur Wahrnehmung berechtigter Interessen _____im Zivilrechtsstreit wahrheitswidrig zu äußern.17 _____ _____ c) Eilverfahren. Im Übrigen ist im Rahmen zivilprozessualer Eilverfahren danach zu 7 _____unterscheiden, worauf sich die strafprozessualen Ermittlungen beziehen und in wel_____chem Zusammenhang sie tatsächlichen Einfluss auf die zivilgerichtliche Entscheidung _____haben können. So ist im Verfahren der Gewährung von Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff.) _____oder in dem vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 916 ff.) eine Aussetzung nach § 149 zurück_____haltend zu beurteilen; es kann insofern auf die Erläuterungen zu § 148 verwiesen wer_____den. Dagegen wird eine Aussetzung von Urkunden- oder Wechselprozess ihres summari_____ _____15 OLG Köln ZVI 2004, 686; hierzu vgl. auch Böse wistra 1999, 451 ff. _____16 OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2001, 1649; KG MDR 1983, 139. _____17 OLG Hamm JurBüro 2001, 53.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____schen Charakters ungeachtet in Betracht zu ziehen sein, wenn ein Strafverfahren gegen ____einen Verfahrensbeteiligten wegen Urkundsdelikten der §§ 267 ff. StGB geführt wird oder ____der Verdacht einer Urkundenstraftat besteht. Denn insofern betreffen die tatsächlichen ____Feststellungen, die im Strafverfahren getroffen werden, keine Einwendungen, die im ____Urkunden- oder Wechselprozess unstatthaft wären (§ 597 Abs. 2), sondern sind im Ge____genteil geeignet, auf die im Urkundenprozess durchzuführende Beweisaufnahme bzw. ____die Würdigung des nach § 592 Abs. 2 zu erhebenden Beweises über die Echtheit oder Un____echtheit der Urkunde Einfluss zu nehmen. ____ ____ 3. Strafurteil als Tatbestandsmerkmal. Nicht unmittelbar von § 149 erfasst werden ____Fälle, in denen es nicht um die tatsächlichen Feststellungen des Strafverfahrens geht, ____sondern das Strafurteil selbst Tatbestandsmerkmal des zivilgerichtlichen Urteils ist. Als ____Beispiel hierfür ist der Schuldspruch bei der Restitutionsklage gemäß §§ 580 Nr. 1 bis 5, ____581 zu nennen. Nach einer Meinung18 soll § 149 in diesen Fällen nicht zur Anwendung ____gelangen können, mit der Folge, dass unmittelbar nach Erlass des Strafurteils ein weite____rer Zivilprozess angestrengt werden müsste. Aus prozessökonomischen Gründen ver____dient daher die Meinung19 Zustimmung, nach der § 149 in derartigen Fällen zur entspre____chenden Anwendung gelangt. ____ Die Aussetzung darf indes nicht erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine ____bisher unzulässige oder unbegründete Klage zulässig oder begründet wird. ____ ____ III. Verfahren. Wirkungen der Aussetzung ____ ____ 1. Anordnung durch Beschluss. Die Anordnung der Aussetzung erfolgt im Wege ____eines prozessleitenden Beschlusses. Die Entscheidung über die Aussetzung des Prozes____ses steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Der Beschluss ist mit der Beschwer____de angreifbar und bedarf daher einer Begründung. Im Falle des § 149 ZPO müssen die ____streitigen Umstände, auf die es im Zivilverfahren ankommt und die im Strafverfahren ____leichter oder einfacher geklärt werden können, konkret und eingehend herausgearbeitet ____werden. Eine pauschale Begründung hält sich nicht innerhalb des dem Gericht einge____räumten Ermessensspielraumes.20 Wegen der Einzelheiten kann auf § 148 Rdn. 57 f. ver____wiesen werden. ____ ____ 2. Prozessstillstand. Die Aussetzung bewirkt den Stillstand des Prozesses. Die Wir____kungen der Aussetzung richten sich nach § 249; wegen der Einzelheiten vgl. die Erörte____rungen dort und zu § 148 Rdn. 62 f. ____ Vor der Aussetzung der Verhandlung nach Abs. 1 wegen des Verdachts einer Straftat ____ist im Wege des Ermessens zwischen dem Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit und der ____Beschleunigung des Verfahrens abzuwägen. Dabei müssen die Umstände, die eine Aus____wertung der Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens für den konkreten Fall als ____geboten erscheinen lassen, den Stillstand des Verfahrens rechtfertigen.21 ____ Dem Beschwerdegericht eröffnet § 252 nur die Nachprüfung auf Verfahrens- und Er____messensfehler. Eine eigene Beurteilung der Sach- und Rechtslage findet dagegen nicht ____statt.22 In der Begründung der Entscheidung über die Aussetzung eines Zivilprozesses bis ____ ____ ____18 OLG Köln OLGZ 1991, 352 ff.; OLG München FamRZ 56, 292; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 2. 19 LG Landshut FamRZ 1956, 291; Stein/Jonas-Leipold Rdn. 8; i.E. auch MünchKomm-Peters Rdn. 7. ____20 OLG München NJW-RR 2008, 1091. ____21 OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1531. ____22 OLG Celle 20. Zivilsenat, Beschluss vom 7.1. 2003, Az: 20 W 31/02, juris.

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§ 150

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_____zur Erledigung eines Strafverfahrens, ist das Ergebnis der Abwägung in einer Weise dar_____zustellen, dass für das Beschwerdegericht nachvollziehbar ist, ob das insoweit beste_____hende Ermessen sachgerecht ausgeübt wurde.23 Sind die dem Aussetzungsbeschluss zu_____grunde liegenden Ermessenserwägungen nicht dem Akteninhalt zu entnehmen, ist der _____Aussetzungsbeschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.24 _____ _____ 14 3. Abs. 2. Nach Abs. 2 Satz 1 hat das Gericht die Verhandlung auf Antrag einer _____Partei fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist. Ablauf der _____Jahresfrist nach Abs. 2 kann das Unterlassen der Fortführung des Verfahrens mit der _____sofortigen Beschwerde angegriffen werden. Die Aufrechterhaltung der Aussetzung ent_____gegen einem Fortführungsantrag bedarf einer mit Gründen versehenen Entscheidung _____zum Vorliegen „gewichtiger Gründe“.25 _____ _____ _____ § 150 _____ Aufhebung von Trennung, Verbindung oder Aussetzung _____ § 150 Smid _____ Das Gericht kann die von ihm erlassenen, eine Trennung, Verbindung oder _____Aussetzung betreffenden Anordnungen wieder aufheben. § 149 Abs. 2 bleibt unbe_____rührt. _____ _____ Übersicht ____ 1 III. Aufhebung der Aussetzung _____I. Normzweck II. Aufhebung der Trennung und Verbindung 1. Zuständigkeit ____ 6 _____ ____ 2 2. Rechtsmittel ____ 8 _____ 1. Zuständigkeit 2. Voraussetzungen und Form ____ 3 _____ 3. Rechtsmittel ____ 5 _____ _____ _____ _____ I. Normzweck _____ Die prozessleitenden Beschlüsse zur Trennung oder Verbindung von Prozessen nach 1 _____den §§ 145, 147 oder die Aussetzung des Verfahrens nach den §§ 152 bis 154 oder des § 247 _____können sich bei einem vom Gericht zunächst nicht vorhergesehenen Verlauf des Verfah_____rens später als zweckwidrig darstellen, sofern zu hiervon betroffenen Punkten noch wei_____ter verhandelt werden muss. Damit das Gericht seiner Aufgabe, den Prozess bzw. die _____Prozesse zu einer raschen Endentscheidung zu bringen, gerecht werden kann, ordnet die _____Vorschrift die Änderbarkeit der Beschlüsse an. Daher kommt § 150 nicht zur Anwendung, _____wenn der Prozess zur Endentscheidung reif ist.1 _____ _____ _____ II. Aufhebung der Trennung und Verbindung _____ 1. Zuständigkeit. Das Gericht kann nur die von ihm selbst erlassenen Anordnun2 _____gen, nicht aber die eines anderen Spruchkörpers aufheben. Daraus folgt, dass das Gericht _____regelmäßig ein verbundenes Verfahren durch Aufhebung des Verbindungsbeschlusses _____ _____ _____23 OLG Naumburg, Beschluss vom 23.4.2002, Az: 11 W 58/02, juris. 24 OLG Celle OLGR 2001, 156. _____25 OLGR Karlsruhe 2005, 136; OLG Koblenz MDR 2011, 1201. _____ _____1 RGZ 49, 401, 402; Musielak-Stadler Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 151

____trennen, getrennte Verfahren aber nur dann verbinden kann, wenn sie noch vor ihm ge____führt werden.2 In der Berufungsinstanz ist es dem Berufungsgericht verwehrt, die erstin____stanzlich vollzogene Trennung aufzuheben, wenn mit dem Rechtsmittel das Urteil in nur ____einem Verfahren aufgehoben worden ist.3 Die erstinstanzlich beschlossene Verbindung ____von Prozessen kann dagegen in der Berufungsinstanz aufgehoben werden.4 ____ ____ 2. Voraussetzungen und Form. Stellt sich nach Auffassung des Gerichts die Zweck____widrigkeit eines prozessleitenden Beschlusses heraus, liegt es in seinem pflichtgemäßen ____Ermessen, die Aufhebung anzuordnen. Die Aufhebungsanordnung ergeht in Form eines ____Beschlusses. Den Parteien ist rechtliches Gehör zu gewähren. Der Beschluss ist nach ____§ 329 Abs. 1 zu verkünden, wenn er auf eine mündliche Verhandlung ergeht; er ist form____los mitzuteilen, § 329 Abs. 2 Satz 1, wenn er im schriftlichen Verfahren erlassen worden ____ist. Der Beschluss bedarf der Begründung. Wegen Einzelheiten vgl. § 148 Rdn. 57 f. ____ Bei einem Antrag auf Aufhebung der Aussetzung kann die Aufhebung nicht mit der Be____gründung versagt werden, dem Kläger sei im Parallelverfahren, das der Beklagte betreibe, ____der Streit verkündet worden und die Interventionswirkung gebiete die Aussetzung.5 ____ ____ 3. Rechtsmittel. Ob der Aufhebungsbeschluss mit der Beschwerde angreifbar ist, ____richtet sich nach der Beschwerdefähigkeit des ursprünglichen Beschlusses.6 ____ ____ III. Aufhebung der Aussetzung ____ ____ 1. Zuständigkeit. In der oben Rdn. 3 dargestellten Form beendet das Gericht die ____Aussetzung für das Verfahren, das in seiner Zuständigkeit liegt. ____ Eines Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht, wenn im Aussetzungsbeschluss ein ____Beendigungstatbestand angegeben worden ist; mit dessen Eintritt endet die Aussetzung, ____ohne weiteres.7 Gleiches gilt für den Fall, dass die Aussetzung in den Fällen der §§ 152– ____154 an die Durchführung bestimmter Prozesse oder wie im Falle des § 246 an eine im frei____en Entschluss der Partei stehende Aufnahmehandlung8 geknüpft ist. Im Falle der Aus____setzung auf Antrag nach den §§ 152 und 153 trifft § 155 eine Sonderregelung der Aufhe____bung des Aussetzungsbeschlusses; im Falle des § 154 greift § 150 ein.9 § 150 kommt auch ____dann zum Zuge, wenn in den Fällen der §§ 152 und 153 nicht auf Antrag, sondern nach ____§ 148 ausgesetzt worden ist.10 ____ ____ 2. Rechtsmittel. Der Beschluss, mit dem die Aussetzung aufgehoben wird, ist mit ____der sofortigen Beschwerde anfechtbar, vgl. § 252, 2. Hs. ____ ____ § 151 Smid ____ § 151 ____ aufgehoben ____ ____ ____ 2 Zöller-Greger Rdn. 1. ____3 Zöller-Greger Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ____4 Vgl. RGZ 49, 401 f.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ____5 OLG Nürnberg MDR 2004, 231. ____6 OLG Nürnberg MDR 2004, 231. 7 Dazu Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 7. ____9 MünchKomm-Peters § 155 Rdn. 5. ____10 Stein/Jonas-Roth § 155 Rdn. 1.

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§ 152

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 152 _____ Aussetzung bei Eheaufhebungsantrag _____ § 152 Smid _____ Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Ehe aufhebbar _____ist, und ist die Aufhebung beantragt, so hat das Gericht auf Antrag das Verfahren _____auszusetzen. Ist das Verfahren über die Aufhebung erledigt, so findet die Aufnah_____me des ausgesetzten Verfahrens statt. _____ _____ Übersicht ____ 1–3 2. Andere Fälle ____ 5, 6 _____I. Normzweck III. Verfahren _____II. Voraussetzungen über 1. Form der Aussetzung ____ 7 _____ 1. Vorgreiflichkeit der Entscheidung ____ die Aufhebbarkeit der Ehe 4 2. Wirkung. Reichweite ____ 8 _____ _____ _____ I. Normzweck _____ _____ 1 Das Verfahren der Eheaufhebung ist gemäß § 121 Nr. 2 FamFG eine Ehesache,1 die _____grundsätzlich dem Geltungsbereich des FamFG unterfällt. Wegen § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG _____ist aber die Vorschrift des § 152 auf Ehe- und Familienstreitsachen anwendbar, da § 113 _____Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die Regelungen der ZPO – und damit auch auf § 152 – verweist.2 _____ Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht nach § 1313 BGB3 von 2 _____der Gültigkeit einer Ehe positiv auszugehen hat. Wird von einer Partei in einem ordentli_____chen Zivilprozess entscheidungserheblich geltend gemacht, eine Ehe sei aufhebbar, wird _____das Zivilgericht an der inzidenten Entscheidung über diese vorgreifliche Frage durch die _____Zuständigkeit des Familiengerichts für Statusprozesse gemäß § 23b Abs. 1 Nr. 1 GVG4 ge_____hindert. Die Entscheidung über die Eheaufhebung zeitigt Gestaltungswirkungen, die _____wegen ihrer Geltung inter omnes nicht allein im auszusetzenden Prozess zu berücksich_____tigen sind, sondern darüber hinaus in anderen Prozessen als Grund für Gestaltungsrech_____te einer Partei wie Rücktritt oder Kündigung oder der Auswirkung auf Vertragsverhält_____nisse im Rahmen einer Vertragsanpassung oder -ergänzung etwa wegen Wegfalls der _____Geschäftsgrundlage vorgreiflich sein können. Liegt aus diesen Gründen ein Antrag auf _____Aussetzung des Verfahrens vor, hat das Gericht hierüber zu entscheiden. Bleibt ein sol_____cher Antrag trotz richterlichen Hinweis gemäß § 139 aus, hat das Gericht unter Anwen_____dung des § 148 von Amts wegen über die Aussetzung zu entscheiden. _____ 3 Die aufhebbare Ehe muss nach alledem nicht zwischen den Parteien des auszuset_____zenden Zivilprozesses bestehen. _____ _____ II. Voraussetzungen _____ _____ 1. Vorgreiflichkeit der Entscheidung über die Aufhebbarkeit der Ehe. Die Aus4 _____setzung des Verfahrens nach § 152 setzt voraus, dass für die Entscheidung des laufenden _____auszusetzenden Prozesses die Entscheidung über die Aufhebbarkeit der Ehe vorgreiflich _____ist. Das Aufhebungsverfahren muss bereits durch Erhebung eines Aufhebungsantrags _____eingeleitet worden sein.5 _____ _____ _____1 MünchKomm-Hilbig FamFG § 121 Rdn. 5. 2 MünchKomm-Fischer FamFG § 113 Rdn. 2. _____3 MünchKomm-Peters Rdn. 1. _____4 Musielak-Stadler Rdn. 1. _____5 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 153

____ 2. Andere Fälle. Obwohl die Entscheidung eines Ehescheidungsverfahrens regel____mäßig für die Zukunft wirkt, kann sich doch ergeben, dass es für den laufenden auszu____setzenden Prozess vorgreiflich ist (vgl. oben Rdn. 1 zu Fällen der Auswirkung auf beste____hende Vertragsverhältnisse). Der Wortlaut des § 152 erfasst diese Fallgestaltungen nicht; ____die Lehre geht aber einheitlich davon aus, dass die Vorschrift auf diese Fälle entspre____chend anzuwenden sei. ____ Einen Sonderfall stellt die Wirkung einer im Ausland ergangenen Entscheidung in ____Ehesachen dar. Für die Anerkennung derartiger ausländischer Entscheidungen sind ____nach Art. 7 Abs. 1 FamRÄndG ausschließlich die Landesjustizverwaltungen, nicht aber ____die Gerichte, zuständig. § 152 kommt insofern nicht zur Anwendung, sondern § 148, vgl. ____dort die Erläuterungen Rdn. 55 f. ____ ____ III. Verfahren ____ ____ 1. Form der Aussetzung. Die Anordnung der Aussetzung erfolgt durch Beschluss. ____Der Beschluss bedarf der Begründung. Der mündlichen Verhandlung bedarf es nicht, ____wenn im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 und 3 oder § 331 a prozessiert wird.6 Im ____Übrigen ergeht der Beschluss auf mündliche Verhandlung.7 Der Beschluss ist nach § 329 ____Abs. 1 zu verkünden, wenn er auf eine mündliche Verhandlung ergeht; er ist formlos ____mitzuteilen, § 329 Abs. 2 Satz 1, wenn er im schriftlichen Verfahren erlassen worden ist. ____Die Entscheidung über die Aussetzung des Prozesses steht nicht im Ermessen des Ge____richts;8 es ist aus den oben (Rdn. 1) genannten Gründen zur Entscheidung verpflichtet. ____Wegen Einzelheiten vgl. § 148 Rdn. 2 ff., insbesondere 5. ____ ____ 2. Wirkung. Reichweite. Die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249. ____Wegen Einzelheiten vgl. § 148 Rdn. 62 ff. Die Aussetzung endet durch Verfahrensauf____nahme nach § 250 oder durch Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses gemäß § 155. ____ ____ ____ § 153 ____ Aussetzung bei Vaterschaftsanfechtungsklage ____ § 153 Smid ____ Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob ein Mann, dessen Va____terschaft im Wege der Anfechtungsklage angefochten worden ist, der Vater des ____Kindes ist, so gelten die Vorschriften des § 152 entsprechend. ____ Übersicht ____ ____ 1 III. Verfahren ____I. Normzweck 1. Form der Aussetzung ____ 4 ____II. Voraussetzungen ____ 1. Vorgreiflichkeit 2 2. Wirkung. Reichweite ____ 5 ____ 2. Ausschluss der Aussetzung in Verfahren IV. Tod einer Partei ____ 6 ____ des vorläufigen Rechtsschutzes ____ 3 V. Verfahren ohne Aussetzungsantrag ____ 8 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____6 MünchKomm-Peters § 148 Rdn. 13. ____7 Zöller-Greger Rdn. 3. ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 6.

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§ 153

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ I. Normzweck _____ _____ Das Verfahren der Vaterschaftsanfechtung unterfällt gemäß § 169 Nr. 1 FamFG 1 _____grundsätzlich dem Geltungsbereich des FamFG.1 Wegen § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist _____aber die Vorschrift des § 152 auf Ehe- und Familienstreitsachen anwendbar, da § 113 _____Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die Regelungen der ZPO – und damit auch auf § 152 – verweist.2 _____ Die Regelung des § 153 entspricht derjenigen des § 152: Die §§ 1591 ff. BGB in der Fas1a _____sung des Art. 1 KindRG vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2942) gehen von der Anfechtbarkeit _____der Vaterschaft aus. Das Fehlen der Vaterschaft kann danach nur nach erfolgreicher _____Vaterschaftsanfechtungsklage gemäß §§ 1599 ff. BGB geltend gemacht werden, die aus_____schließlich im Statusverfahren der § 640 Abs. 1 und 2, §§ 640 a ff. n.F. vor dem Amtsge_____richt als Familiengericht gemäß § 1600 e n.F. BGB, § 23 b Abs. 1 Nr. 12 n.F. GVG durchge_____führt wird.3 _____ _____ II. Voraussetzungen _____ _____ 1. Vorgreiflichkeit. Das Vaterschaftsanfechtungsurteil zeitigt gemäß § 640 h ZPO 2 _____statusrechtliche Gestaltungswirkungen.4 Die im Vaterschaftsanfechtungsprozess getrof_____fene Entscheidung kann in anderen Prozessen vorgreiflich sein; sie ist es regelmäßig für _____Unterhaltsprozesse.5 _____ _____ 3 2. Ausschluss der Aussetzung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. _____Begehrt das Kind im Wege einstweiliger Verfügungen vorläufig Unterhalt vom Vater, _____kommt eine Aussetzung nach § 153 wegen des summarischen Charakters des eilbedürfti_____gen Verfahrens nicht in Betracht,6 vgl. § 148 Rdn. 14. Vielmehr hat das Gericht, das im _____Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angerufen wird, im Rahmen der Prüfung des _____Verfügungsanspruchs zu klären, ob der in Anspruch genommene Anspruchsgegner vor_____aussichtlich im Statusprozess obsiegen werde, was den Erlass der begehrten Anordnung _____ausschließen würde.7 Demgegenüber kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zwei_____fel an der gesetzlich gemäß § 1592 BGB vermuteten Vaterschaft den Verfügungsgrund zu _____beseitigen geeignet wären. _____ _____ III. Verfahren _____ _____ 1. Form der Aussetzung. Die Anordnung der Aussetzung erfolgt durch zu begrün4 _____denden Beschluss. Wegen Einzelheiten vgl. § 148 Rdn. 57 f. _____ _____ 2. Wirkung. Reichweite. Die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249. 5 _____Wegen Einzelheiten vgl. § 148 Rdn. 62 f. Die Aussetzung endet durch Verfahrensaufnah_____me nach § 250 oder durch Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses gemäß § 155. _____ _____ _____ _____ _____1 MünchKomm-Coester-Waltjen/Hilbig FamFG § 169 Rdn. 1. _____2 MünchKomm-Fischer FamFG § 113 Rdn. 2. _____3 Musielak-Stadler Rdn. 1. 4 MünchKomm-Peters Rdn. 3. _____5 Zöller-Greger Rdn. 1. _____6 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 2. _____7 MünchKomm-Peters Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 154

____ IV. Tod einer Partei ____ ____ Tod des Mannes im Anfechtungsprozess. Im Falle des Versterbens des anfech- 6 ____tenden Mannes kann eine Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens in Betracht kommen, ____da das Verfahren von überlebenden Eltern bzw. einem überlebenden Elternteil fortge____führt werden kann und daher nicht nach § 619 erledigt wird.8 Lebt zum Zeitpunkt des ____Todes des Mannes kein Elternteil mehr, kommt eine Aufnahme nicht mehr in Betracht, ____da Erledigung eintritt. Das Gericht hat dann von der Ehelichkeit des Kindes auszugehen.9 ____ Verstirbt das Kind, endet die Aussetzung; es tritt Erledigung des Anfechtungsstreits 7 ____ein, §§ 640 Abs. 1, 619.10 ____ ____ V. Verfahren ohne Aussetzungsantrag ____ ____ Ist der erforderliche Aussetzungsantrag nicht gestellt worden, wird das Gericht nach 8 ____§ 139 einen entsprechenden Hinweis zu geben haben; bleibt dies ohne Reaktion, kommt ____§ 148 zum Zuge.11 In der Literatur12 wird angenommen, das Ermessen des Gerichts werde ____zu einem „Aussetzungszwang“ reduziert, um mit einer Inzidententscheidung die Gefahr ____statusrechtlich widersprechender Entscheidungen auszuschließen. ____ ____ ____ § 154 ____ Aussetzung bei Ehe- oder Kindschaftsstreit ____ § 154 Smid ____ (1) Wird im Laufe eines Rechtsstreits streitig, ob zwischen den Parteien eine ____Ehe oder eine Lebenspartnerschaft bestehe oder nicht bestehe, und hängt von der ____Entscheidung dieser Frage die Entscheidung des Rechtsstreits ab, so hat das Ge____richt auf Antrag das Verfahren auszusetzen, bis der Streit über das Bestehen oder ____Nichtbestehen der Ehe oder der Lebenspartnerschaft im Wege der Feststellungs____klage erledigt ist. ____ (2) Diese Vorschrift gilt entsprechend, wenn im Laufe eines Rechtsstreits strei____tig wird, ob zwischen den Parteien ein Eltern- und Kindesverhältnis bestehe oder ____nicht bestehe oder ob der einen Partei die elterliche Sorge für die andere zustehe ____oder nicht zustehe, und von der Entscheidung dieser Fragen die Entscheidung des ____Rechtsstreits abhängt. ____ Übersicht ____ ____ 1 III. Aussetzung nach Abs. 1 ____ 4 ____I. Normzweck der AussetzungsIV. Aussetzung nach Abs. 2 ____ 5 ____II. Gemeinsame Struktur ____ 2 entscheidung ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. 9 Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ____10 Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. ____11 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8. ____12 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 8.

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Smid

§ 154

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ I. Normzweck _____ _____ Das Verfahren der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe ist ge1 _____mäß § 121 Nr. 3 FamFG eine Ehesache, 1 die grundsätzlich dem Geltungsbereich des _____FamFG unterfällt. Wegen § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist aber die Vorschrift des § 154 auf _____Ehe- und Familienstreitsachen anwendbar, da § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die Rege_____lungen der ZPO – und damit auch auf § 154 – verweist.2 Kindschaftssachen des Kataloges _____der Nrn.1 bis 8 des § 151 FamFG sind auch im Ehescheidungsverbund keine Ehesachen _____oder Familiensachen,3 so dass § 113 Abs. 1 FamFG nicht zur Anwendung gelangt mit der _____Folge, dass die Vorschriften des FamFG anzuwenden sind. _____ § 154 trägt dem Umstand Rechnung, dass der Prozess auf Feststellung des Bestehens 1a _____oder Nichtbestehens einer Ehe vom Familiengericht nach § 23b Abs. 1 Nr. 1 GVG bzw. ein _____Prozess auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltern-Kindesverhält_____nis zwischen den Parteien im Rahmen eines Statusprozesses zu entscheiden ist. _____ _____ II. Gemeinsame Struktur der Aussetzungsentscheidungen _____ _____ Wie im Rahmen der Aussetzung nach § 152 ist Voraussetzung der Entscheidung, 2 _____dass der Ausgang des Statusprozesses für das Urteil im auszusetzenden Prozess vorgreif_____lich ist. Die Feststellungsklagen i.S.v. Abs. 1 und Abs. 2 müssen noch nicht anhängig _____sein.4 _____ 3 Liegt aus diesen Gründen ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens vor, hat das Ge_____richt hierüber zu entscheiden. Bleibt ein solcher Antrag trotz richterlichem Hinweis ge_____mäß § 139 aus, hat das Gericht unter Anwendung des § 148 von Amts wegen über die _____Aussetzung zu entscheiden. Die Anordnung der Aussetzung erfolgt durch zu begrün_____denden Beschluss. Die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249. Wegen Ein_____zelheiten vgl. § 148 Rdn. 57 ff. _____ _____ III. Aussetzung nach Abs. 1 _____ _____ 4 Voraussetzungen und Verfahren der Aussetzung nach Abs. 1 sind denen des § 152 _____nachgebildet. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht nach § 1313 _____BGB5 bis zur Aufhebung durch Urteil von der Gültigkeit einer Ehe positiv auszugehen _____hat. Wird von einer Partei in einem ordentlichen Zivilprozess entscheidungserheblich _____geltend gemacht, eine Ehe bestehe bzw. bestehe nicht, hindert die Zuständigkeit des _____Familiengerichts für Statusprozesse gemäß § 23 b Abs. 1 Nr. 1 GVG6 das Zivilgericht an der _____inzidenten Entscheidung über diese vorgreifliche Frage. Wegen Einzelheiten vgl. § 152 _____Rdn. 1 f. Der Geltungsbereich des § 152 überschneidet sich nicht mit dem des § 154, da die _____von § 152 vorausgesetzte Aufhebbarkeit der Ehe für die Zukunft wirkt, während Bestehen _____oder Nichtbestehen der Ehe einen status quo darstellt, dessen Feststellung nach § 632 _____keine Gestaltungswirkung zukommt. _____ _____ _____ _____ _____1 MünchKomm-Hilbig FamFG § 121 Rdn. 12 ff. _____2 MünchKomm-Fischer FamFG § 113 Rdn. 2. 3 MünchKomm-Heilmann FamFG § 151 Rdn. 47. _____4 MünchKomm-Peters Rdn. 4. _____5 Zöller-Greger Rdn. 2. _____6 Musielak-Stadler Rdn. 1.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 155

____ IV. Aussetzung nach Abs. 2 ____ ____ Voraussetzungen und Verfahren der Aussetzung nach Abs. 2 sind denen des § 153 5 ____nachgebildet. Während § 153 bei Vorgreiflichkeit der Frage der Anfechtbarkeit einer ____Vaterschaft auch dann Anwendung finden kann, wenn der Vater oder das Kind, deren ____Eltern-Kind-Verhältnis in Frage steht, nicht Partei ist, beschränkt sich § 154 Abs. 2 aus____drücklich auf die Fälle, in denen streitig ist, ob zwischen den Parteien des auszusetzen____den Zivilprozesses ein Eltern-Kind-Verhältnis bzw. ein elterliches Sorgerecht bestehe. ____Auch hier hindert die Zuständigkeit des Familiengerichts für Statusprozesse gemäß § 23 b ____Abs. 1 Nr. 1 GVG das Zivilgericht an der inzidenten Entscheidung über eine solche vor____greifliche Frage. ____ ____ ____ § 155 ____ Aufhebung der Aussetzung bei Verzögerung ____ § 155 Smid ____ In den Fällen der §§ 152, 153 kann das Gericht auf Antrag die Anordnung, durch ____die das Verfahren ausgesetzt ist, aufheben, wenn die Betreibung des Rechtsstreits, ____der zu der Aussetzung Anlass gegeben hat, verzögert wird. ____ Übersicht ____ ____ 1 3. Gerichtliches Ermessen ____ 4 ____I. Normzweck ____ 2 III. Verfahren und Form ____ 5 ____II. Voraussetzungen 1. Verschuldete Verzögerung des StatusIV. Wirkungen des Aufhebungsbeschlus____ prozesses ____ 2 ses ____ 6 ____ 2. § 150 ____ 3 ____ ____ I. Normzweck ____ ____ § 155 fungiert als Norm zur Verhinderung einer Prozessverschleppung, nicht bloß als 1 ____Mittel, den Prozess zu beschleunigen:1 Die Vorschrift unterscheidet sich in ihrer Stoß____richtung daher von der des § 150: Die prozessleitenden Beschlüsse nach den §§ 152 und ____153 können bei einem vom Gericht zunächst nicht vorhergesehenen Verlauf des Verfah____rens zu einer unnötigen und zweckwidrigen Verzögerung führen. Um eine derartige den ____Grundsätzen der Prozessleitung widersprechende Unwirtschaftlichkeit zu vermeiden, ____ordnet die Vorschrift die Änderbarkeit der Beschlüsse an. Im Falle des § 155 soll das aus____setzende Gericht auf eine Verzögerung des Statusprozesses reagieren können, wenn eine ____Partei dies beantragt. Wird der Statusprozess nämlich von derjenigen Partei, die sich ____entgegen der gesetzlichen Statusvermutung darauf beruft, eine Ehe bestehe nicht oder ____sei aufhebbar oder es bestehe ein Eltern-Kind-Verhältnis nicht, nicht zügig betrieben, ____soll sie nicht durch die Herbeiführung der Aussetzung des laufenden Verfahrens das ____Recht der anderen Partei auf ein Rechtsklarheit schaffendes Urteil zeitlich hinauszögern. ____ ____ II. Voraussetzungen ____ ____ 1. Verschuldete Verzögerung des Statusprozesses. Die herrschende Meinung in 2 ____der Literatur versteht § 155 als eine mit den §§ 282, 296 vergleichbare Sanktionsnorm, die ____nur zur Anwendung kommen soll, wenn eine Partei den Statusprozess, für den ausge____ ____ ____1 MünchKomm-Peters Rdn. 1.

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§ 155

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____setzt wurde, schuldhaft verzögert.2 Dem wird entgegen gehalten, dass dies dem Wortlaut _____des § 155 nicht zu entnehmen sei und nach Sinn und Zweck der Vorschrift jede unzumut_____bare Verzögerung zu vermeiden sei, so dass nicht das Verschulden, sondern die Dauer _____der Verzögerung für die Entscheidung ausschlaggebend sein müssen; die Aufhebung der _____Aussetzung könne daher auch dann erfolgen, wenn keiner Partei ein „Verschulden“ hin_____sichtlich der Verzögerung des Prozesses vorzuwerfen ist.3 Dennoch ist mit der herr_____schenden Ansicht eine Beschränkung auf Fälle schuldhafter Verzögerung vorzuziehen, _____da bei einer Aufhebung der Aussetzung nach § 155 im weiteren Prozess die gesetzlichen _____Statusvermutungen als gültig zugrunde zu legen sind, wodurch es zu mit den tatsächli_____chen Verhältnissen nicht vereinbaren Entscheidungen kommen kann, die nach Möglich_____keit zu vermeiden sind. Bei der Aufhebung der Aussetzung nach § 155 kann es der Sache _____nach nicht darum gehen, derjenigen Partei, die sich entgegen den gesetzlichen Vermu_____tungen der §§ 1313, 1592 BGB auf eine hiervon abweichende Lage beruft, ihren Anspruch _____auf rechtliches Gehör dadurch zu verkürzen, dass das Ergebnis des sich ohne ihr Ver_____schulden verzögernden Statusprozesses nicht abgewartet wird. _____ _____ 2. § 150. Da § 155 einen besonderen Fall der Aussetzung als Sanktion einer Verfah3 _____rensverzögerung regelt, schließt die Vorschrift die Anwendbarkeit des § 150 nicht aus. _____ _____ 3. Gerichtliches Ermessen. Die Aufhebung der Aussetzung des Verfahrens steht im 4 _____pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei die Dauer der Verzögerung und das Maß _____des Verschuldens einerseits gegen die Folgen eines Ergebnisfehlers bei Nichtabwarten _____der vorgreiflichen Entscheidung andererseits abzuwägen sind.4 _____ _____ III. Verfahren und Form _____ _____ Für die Aufhebung nach § 155 bedarf es eines entsprechenden Antrags einer Partei. 5 _____Die Aufhebungsanordnung ergeht in Form eines Beschlusses. Im Übrigen gilt zu Form _____und Verfahren der Aufhebung das zu § 150 Gesagte; wegen Einzelheiten vgl. daher § 150 _____Rdn. 3 und § 148 Rdn. 10 f. _____ _____ IV. Wirkung des Aufhebungsbeschlusses _____ _____ Die Aufhebung der Aussetzung bewirkt, dass der ausgesetzte Prozess fortzuführen 6 _____und ohne Rücksicht auf einen gegebenenfalls parallel geführten Statusprozess zu ent_____scheiden ist. Damit wird das Vorbringen der Partei, die gesetzlichen Statusvermutungen _____griffen nicht, im fortzuführenden Prozess unbeachtlich, so dass das erkennende Gericht _____gemäß § 1313 BGB n.F. vom Bestehen der Ehe oder von der Ehelichkeit des Kindes bzw. _____den Wirkungen der Vaterschaftsanerkennung gemäß §§ 1593, 1600 a BGB auszugehen _____hat. _____ Das auf dieser Grundlage gefällte Urteil kann daher auf einem Ergebnisfehler beru7 _____hen, der aber eine Wiederaufnahme der Entscheidung nicht rechtfertigt.5 Damit stellt _____sich insbesondere bei den hier interessierenden Unterhaltsprozessen die Frage, ob eine _____Ergebnisfehlerkorrektur im Hinblick auf die Verurteilung dem Grunde nach über § 323 _____ _____ _____2 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 1. 3 So wohl nur Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. _____4 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 2. _____5 BGH NJW 2000, 142, 143; BGH NJW 1999, 2123; BGH MW 1979, 587, 588; BAG NJW 1996, 2749; OLG Köln _____NJW-RR 1996, 1341, 1343; OLG Schleswig OLGZ 1981, 245, 247.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 156

____oder im Wege des § 826 BGB möglich ist. Im Ergebnis wird diese bisher nicht zu ent____scheidende Frage zu bejahen sein, da es untragbar wäre, jemanden jahrelang aufgrund ____eines derart fehlerhaften Urteils Unterhalt zahlen zu lassen, obwohl er hierzu nach der ____tatsächlichen materiellen Rechtslage überhaupt nicht verpflichtet wäre. Diese Konstella____tion geht sogar über die üblicherweise unter § 323 fallenden Unterhaltsfälle hinaus, bei ____denen lediglich der Betrag im Rahmen einer aber tatsächlich bestehenden Unterhalts____pflicht zu korrigieren ist; § 323 muss demnach auf die hier dargestellte Konstellation erst ____recht Anwendung finden. ____ ____ ____ § 156 ____ Wiedereröffnung der Verhandlung ____ § 156 Smid ____ (1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen ____war, anordnen. ____ (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn ____1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler ____ (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht ____ (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt, ____2. nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen ____ Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder ____3. zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Be____ ratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein ____ Richter ausgeschieden ist. ____ ____ Schrifttum ____ Fischer Die Berücksichtigung nachgereichter Schriftsätze im Zivilprozess NJW 1994, 1315 ff. ____ ____ Übersicht ____I. Normzweck/-genese ____ 1 a) Andere rügbare Verfahrensfehler ____II. Zwingend gebotene Wiedereröffnung des nach § 295 ____ 13 ____ Verfahrens nach Abs. 2 b) Unzulässige Präklusion ____ 14 ____ 1. Entscheidungserheblicher rügbarer c) Streiterledigung ohne Urteil nach Verfahrensfehler, Abs. 2 Nr. 1 ____ 3 Schluss der mündlichen Verhand____ a) Verletzung der Hinweis- und Auflung ____ 15 ____ ____ 3 ____ 15 a klärungspflicht IV. Abs. 2 ____ b) Verletzung rechtlichen V. Verhältnis von § 156 zum Rügeverfahren nach ____ Gehörs ____ 5 § 321 a ____ 16 ____ 2. Nachträgliche WiederaufnahmeVI. Verfahren ____ gründe (§§ 579, 580) nach Abs. 2 1. Wirkungen ____ 19 ____ ____ Nr. 2 10 a) Allgemeine Wirkung ____ 19 ____ 3. Ausscheiden eines Richters nach Abs. 2 b) Kein Versäumnisurteil ____ 20 ____ ____ Nr. 3 11 2. Beschluss ____ 21 ____III. Wiedereröffnung des Verfahrens nach a) Allgemeines ____ 21 Abs. 1 b) Besetzung des beschließenden ____ 1. Keine Ermessensentscheidung ____ 12 Spruchkörpers ____ 22 ____ 2. Gründe zwingender Wiedereröffnung c) Begründungspflicht ____ 23 ____ nach Abs. 1 ____ 13 3. Rechtsmittel ____ 24 ____ ____ ____ ____ 297

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§ 156

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ I. Normzweck/-genese _____ _____ Treten nach dem durch den Vorsitzenden gemäß § 136 Abs. 4 erfolgten Schluss der 1 _____mündlichen Verhandlung Umstände ein, aufgrund derer die Beendigung des Verfahrens _____sich als fehlerhaft erweist, gibt § 156 dem Gericht die Möglichkeit, das Verfahren wieder _____zu eröffnen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich erweist, dass der Rechtsstreit _____noch nicht zur Endentscheidung reif ist. Die Regelungen nach Abs. 2 erscheinen insofern _____als nicht widerlegbare Gründe („insbesondere“) fehlender Entscheidungsreife. Überdies _____können auch sonstige Gründe für eine bislang unvollständige und nicht sachgerechte _____Erklärung der Parteien eine Wiedereröffnung rechtfertigen,1 so etwa bei Anwaltswech_____seln2 (siehe auch unten Rdn. 8 ff.) oder wenn eine streitige Entscheidung durch Aussicht _____auf Vergleich oder beiderseitige Erledigungserklärungen (siehe auch unten Rdn. 15) ob_____solet erscheint.3 _____ Normhistorie: Bis 1900 § 142 CPO; Abs. 2 eingefügt durch Zivilprozessrechtsreform2 _____gesetz 2001.4 _____ _____ II. Zwingend gebotene Wiedereröffnung des Verfahrens nach Abs. 2 _____ _____ 1. Entscheidungserheblicher und rügbarer Verfahrensfehler, Abs. 2 Nr. 1 _____ _____ a) Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht. Neben anderen rügbaren 3 _____Verfahrensfehlern stellt sich im Zuge der Erweiterung 2001 (siehe oben Rdn. 2) die Ver_____letzung der materiellen Prozessleitungspflichten nach § 139 5 explizit als zwingender _____Wiederaufnahmegrund dar. Die forensische Haltung zu einer Wiederaufnahme wegen _____Verletzung der richterlichen Aufklärungspflichten nach §§ 139, 278 III a.F. dürfte sich _____dadurch allerdings wenig ändern. Denn es war schon bislang richtige h.M., in eben jener _____Verletzung einen zwingenden Wiederaufnahmegrund zu sehen.6 Diese h.M. zur ausdrück_____lichen gesetzlichen Regelung zu machen, entspricht auch der Intention des Gesetzgebers.7 _____Demgemäß löst allgemein – wie schon bei § 156 a.F. – jedwede unzulängliche Ausübung _____der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht eine Wiedereröffnung nach Abs. 2 aus.8 _____Ist entgegen § 279 Abs. 3, § 285 Abs. 1 ZPO nach der Beweisaufnahme über deren Ergeb_____nis nicht verhandelt worden, muss das Gericht die mündliche Verhandlung nach § 156 _____wieder eröffnen, wenn eine Partei nachträglich neues Vorbringen einführt, mag das _____auch durch einen nicht nachgelassenen Schriftsatz geschehen.9 Erfolgt die Stellung_____nahme der darlegungsbelasteten Partei zu einem solchen späten Hinweis erst in einem _____ _____ _____1 BGH NJW 1993, 134 = WM 1993, 177–178 = MDR 1993, 173–174; siehe auch OLG Schleswig OLGZ 1981, 245, 247. _____2 BVerwG NJW 1986, 339; OLG Köln MDR 1971, 495 (Ls); anders jedoch, wenn eine Partei sich in der _____Berufungsinstanz in Familiensachen anwaltlich nicht hat vertreten lassen und die Wiederaufnahme der _____säumigen Partei die Anschlussberufung ermöglichen soll: BGH MDR 1964, 832–833. _____3 MünchKomm-Peters Rdn. 10. _____4 Gesetz vom 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887 ff. (fortan kurz ZPO-RG). 5 Schulz/Sticken MDR 2005, 1 ff.; Sticken Die „neue“ materielle Prozeßleitung (§ 139 ZPO) und die _____Unparteilichkeit des Richters, 2004, insbes. S. 77 ff. _____6 BayVerfGH NJW 1984, 1026 (1027); BGH EBE/BGH 2003, 412; BGH NJW 2000, 142, 143; NJW 1999, 2123; _____WM 1979, 587 (588); BGHZ 30, 60, 65; RGZ 102, 262, 266; BAG NJW 1996, 2749; OLG Köln NJW-RR 1990, _____1341, 1343; OLG Schleswig OLGZ 1981, 245, 247; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Deubner NJW 1980, 263, 265. _____7 Gemeinsamer Fraktionsentwurf d. Reg.-Koalition (SPD/Grüne) BT(-Drucks.) 14/3750 S. 54. _____8 BGH MDR 1999, 758–759 = NJW 1999, 2123–2125 = WM 1999, 1379–1381; LM Nr. 1 a zu § 156 ZPO. _____9 OLG Celle OLGR 2003, 338.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 156

____nicht nachgelassenen Schriftsatz und ergibt sich daraus auch die Unzulänglichkeit der ____bisherigen Ausübung der Hinweispflicht durch das Gericht, so ist die Wiedereröffnung ____der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 geboten.10 Nach ständiger Rechtsprechung ____des BGH ist das Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen Verhandlung ____verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen der Partei ergibt, dass die bisherige ____Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachge____mäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte.11 ____ Hat im Arzthaftungsprozess12 der medizinische Sachverständige in seinem mündlich ____erstatteten Gutachten neue und ausführlichere Beurteilungen gegenüber dem bisherigen ____Gutachten abgegeben, muss den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wer____den. Dabei sind auch Ausführungen in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz zur Kennt____nis zu nehmen und es muss, sofern sie Anlass zu weiterer tatsächlicher Aufklärung ge____ben, die mündliche Verhandlung wiedereröffnet werden.13 Dieser Grundsatz gilt indes ____nicht nur für medizinische Laien, sondern auch für die sachkundige Partei (i.d.R. der auf ____Haftung verklagte Mediziner), die unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs eben____falls die Möglichkeit haben muss, zu neuem medizinischen Vorbringen in der mündli____chen Verhandlung eine ergänzende Stellungnahme bzw. ein Privatgutachten vorzule____gen, und die deshalb Anspruch auf eine ordnungsgemäße Befassung des Gerichts mit ____einem solchen Gutachten hat.14 ____ ____ b) Verletzung rechtlichen Gehörs. Ebenso wie die Verletzung richterlicher Pro____zessleitungspflichten ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nunmehr15 ____zwingender Wiederaufnahmegrund. Auch dieses ist vom Gesetzgeber ausweislich der ____Gesetzesmaterialien explizit gewollt.16 Beispielsweise muss das Gericht wiedereröffnen, ____wenn es in der Beratung erkennt, dass einer Partei ein gegnerischer Schriftsatz (verse____hentlich) nicht zugestellt wurde.17 ____ Auch wenn ein Urteil bereits im Sinne des § 309 gefällt, aber noch nicht verkündet ____ist, muss das Gericht einen nicht nachgelassenen Schriftsatz zur Kenntnis nehmen und ____eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung prüfen. Hat der Gesamtspruchkör____per eines Kollegialgerichts nach § 309 über das Urteil beraten und abgestimmt, so kann ____jedenfalls dann über die Wiedereröffnung entsprechend § 320 Abs. 4 Sätze 2 und 3 nur in ____der Besetzung der Schlussverhandlung entschieden werden, wenn eine zwingende Wie____dereröffnung wegen eines Verfahrensfehlers oder eine Wiedereröffnung nach Ermessen ____des Gerichts in Betracht kommt. Deshalb ergeht in diesen Fällen bei Verhinderung eines ____der an Schlussverhandlung und Urteilsfällung beteiligten Richter die Entscheidung über ____die Wiedereröffnung ohne Hinzuziehung eines Vertreters in der verbleibenden Beset____zung der Richterbank.18 ____ Weist das Amtsgericht trotz erheblichen Vorbringens des Klägers in einem nicht ____nachgelassenen Schriftsatz die Klage mit der Begründung ab, der Kläger, der damals ____ ____ ____10 BGH NJW 1999, 2123. ____11 BGH NJW 1993, 134 m.w.N.; OLGR Zweibrücken 2004, 439 (nachträglich vorgelegte Urkunde). 12 BGH NJW 2001, 2795. ____13 BGH NJW 1988, 2302. ____14 BGH NJW 2001, 2796. ____15 Schon zu § 156 a.F. allgemeine Meinung: BGH MDR 2001, 567–568 = NJW 2001, 2796–2797; NJW 1988, ____2302; OLG Schleswig OLGZ 1981, 245 (247 f.); OLG Zweibrücken NJW-RR 1989, 221 (222); MünchKomm-Peters Rdn. 3. ____16 Fraktionsentwurf BT(-Drucks.) 14/3750 S. 54 (Fn. 6). ____17 BVerfGE 60, 96, 100. ____18 BGH NJW 2002, 1426; a.A. OLGR Koblenz 1999, 290.

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§ 156

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____noch nicht anwaltlich vertreten war, habe das erhebliche Vorbringen des Beklagten seit _____einigen Tagen vor dem Verhandlungstermin gekannt, so leidet das Verfahren an einem _____wesentlichen Verfahrensmangel, der zur Zurückverweisung führt.19 _____ Wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf Schlüssigkeitsbedenken 8 _____hinweist und der betroffenen Partei zu deren Behebung einen Schriftsatznachlass ge_____währt, muss es bei neuem Tatsachenvortrag im nachgelassenen Schriftsatz die Verhand_____lung wiedereröffnen. § 283 ist nicht anwendbar, weil der nachgelassene Schriftsatz nicht _____zu verspätetem Vorbringen des Gegners gewährt worden ist.20 Demgegenüber ist die Judi_____katur des BGH beachtlich: Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf Grund _____neuen, nicht gemäß § 283 nachgelassenen Vorbringens ist, von dem Sonderfall eines _____Wiederaufnahmegrundes abgesehen, nur dann geboten, wenn dieses Vorbringen ergibt, _____dass es aufgrund eines nicht prozessordnungsmäßigen Verhaltens des Gerichts, insbe_____sondere einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 139) oder des Anspruchs _____auf rechtliches Gehör, nicht rechtzeitig in den Rechtsstreit eingeführt worden ist.21 Im _____Übrigen steht der Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung im freien Ermessen des _____Gerichts.22 Wurde einer Prozesspartei von einem Kollegialgericht Schriftsatznachlass ge_____mäß § 283 gewährt, können über den eingegangenen Schriftsatz nur die erkennenden _____Richter i.S.v. § 309 befinden. Wurde einer der Richter inzwischen versetzt, muss die münd_____liche Verhandlung zwingend wiedereröffnet werden.23 Deutet die Nichtdurchführung der _____Beweisaufnahme allein mit einer – unzutreffenden – Feststellung auf eine grundsätzliche _____Verkennung des Art. 103 Abs. 1 GG hin, hätte das Instanzgericht gemäß § 156 die mündli_____che Verhandlung wieder eröffnen und die bereits angeordnete Zeugenvernehmung ver_____anlassen müssen.24 _____ Ändert der Kläger in einem nachgelassenen Schriftsatz die Klage, indem er vom vol9 _____len Werklohnanspruch auf den Anspruch aus § 649 BGB übergeht, so muss der Richter, _____will er den Anspruch aus § 649 BGB materiell prüfen, die mündliche Verhandlung wie_____dereröffnen.25 _____ _____ 2. Nachträgliche Wiederaufnahmegründe (§§ 579, 580) nach Abs. 2 Nr. 2. Ent10 _____sprechendes gilt für die obligatorische Wiederaufnahme bei nach Schluss der mündli_____chen Verhandlung glaubhaft gemachten Umständen (§ 295), die eine Nichtigkeits- oder _____Restitutionsklage nach §§ 579, 580 rechtfertigen würden: Auch dies stellt die vom Ge_____setzgeber intendierte26 Umsetzung der bislang herrschenden Auffassung dar,27 die auch _____etwaige gegenläufige Rechtsprechung28 obsolet werden lässt. Der insoweit gegenläufige _____Wortsinn, der eine Wiederaufnahme nur bei glaubhaft gemachten Nichtigkeits- und Res_____titutionsgründen erlaubt,29 dürfte teleologisch dahin zu korrigieren sein, dass auch zwin_____gend wieder zu eröffnen ist, wenn allein dem Gericht derartige Umstände nach Schluss _____der Verhandlung offenbar werden. _____ _____ _____19 LG Aurich MDR 2000, 106. _____20 OLGR Zweibrücken 2000, 221. _____21 BGHZ 30, 60; BGH NJW 1993, 134; MDR 1999, 758. 22 BGH NJW 1986, 1867; BGH NJW 2000, 142. _____23 OLG Oldenburg OLGR 2000, 123. _____24 BVerfG NJW 2000, 1327. _____25 OLG Koblenz NJW-RR 2001, 65. _____26 Fraktionsentwurf BT(-Drucks.) 14/3750 S. 54. 27 Fischer NJW 1994, 1315, 1318; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Zöller-Greger _____22. Aufl., Rdn. 5. _____28 BGH WuM 2004, 553. Vgl. Zur Behandlung neuer Sachanträge Schur ZZP 114 (2001), 319 ff. _____29 BGHZ 30, 60, 65 f.; wohl auch BGHZ 53, 245 (262).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 156

____ 3. Ausscheiden eines Richters nach Abs. 2 Nr. 3. Die Wiedereröffnung der münd- 11 ____lichen Verhandlung ist nach Abs. 2 Nr. 3 ebenfalls zwingend geboten, wenn nach ____Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor der Abfassung des Urteils, ggf. vor der ____Schlussberatung des Spruchkörpers – nicht Urteilsverkündung 30 (siehe auch unten ____Rdn. 17) – ein Richterwechsel eintritt. Insofern setzt die Regelung konsequent den in ____§ 309 normierten Gedanken um, der aber bereits zu § 156 a.F. vertreten wurde.31 Inhalt____lich ändert sich am Anwendungsbereich des § 156 insofern nichts. Die Regelung des ____Abs. 2 Nr. 3 ist allerdings wenig ergiebig, da die unzulässige Besetzung des Gerichts i.S.v. ____§ 309 ohnehin durch § 579 Abs. 1 Nr. 1 erfasst ist32 und damit unter den Tatbestand von ____Abs. 2 Nr. 2 fällt. ____ ____ III. Wiedereröffnung des Verfahrens nach Abs. 1 ____ ____ 1. Keine Ermessensentscheidung. Nach wohl h.M. soll eine Wiedereröffnung der 12 ____geschlossenen mündlichen Verhandlung nach dem insoweit unveränderten Wortlaut33 ____gemäß Abs. 1 grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehen.34 Auch ____wenn man diesbezüglich nunmehr eine Ausnahme bei den zwingenden Wiederaufnah____megründen nach Abs. 2 machen wollte und insbesondere die Rechtsprechung auch die ____Möglichkeit einer Ermessensreduktion auf Null nie verneint hat,35 erscheint dieser An____satz bereits im Grunde verfehlt: Im Falle der Erkenntnis fehlender Entscheidungsreife ____beim Gericht – als Anlass zur Wiedereröffnung (siehe oben Rdn. 1) – ist das Ermessen ____des Gerichts regelmäßig auf Null reduziert:36 Denn für die Annahme mehrerer richtiger ____Entscheidungen als konstituierendem Merkmal einer Ermessensnorm bleibt kein Raum, ____wenn Urteile ohne entsprechende Entscheidungsreife (noch) nicht ergehen dürfen.37 ____M.a.W.: Entweder es fehlt – aus den unter Rdn. 1 genannten Gründen – an Entschei____dungsreife und es ist wiederzueröffnen38 oder es hat Endurteil zu ergehen und für eine ____Wiedereröffnung bleibt kein Raum, arg. § 300 Abs. 1.39 Demgemäß ist zu konstatieren, ____dass Abs. 2 insoweit keine abschließende Aufzählung von Wiedereröffnungsgründen ____beinhaltet,40 also auch nach Abs. 1 eine Wiedereröffnung zwingend geboten sein kann.41 ____ ____ ____ ____ ____ 30 Musielak-Stadler2 Rdn. 3. ____31 Ausscheiden eines Richters als Wiederaufnahmegrund: RGZ 16, 417, 419; allgemeiner Stein/Jonas____Roth Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 8, AK-Göring Rdn. 3; auch MünchKomm-Musielak § 309 Rdn. 12; ____Stein/Jonas-Leipold § 309 Rdn. 14; Zöller-Vollkommer § 309 Rdn. 4; a.A. OLG Koblenz OLGR 1999, 290: ____Keine Pflicht zur Entscheidung über die Wiederaufnahme in der ursprünglichen Besetzung. 32 Zöller-Vollkommer § 309 Rdn. 5. ____33 Gemeint ist die Anfügung des Abs. 2 durch das ZPO-RG 2001 (Fn. 4). ____34 BGH MDR 2002, 658, 659; MDR 1979, 746–747; BGHZ 30, 60, 65 f.; VersR 1959, 890–891; RGZ 102, 262, ____266; OLG Düsseldorf NTBau 2004, 553; OLG Köln ZInsO 2004, 930. Fischer NJW 1994, 1315, 1318; Zöller____Greger Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; E. Schneider MDR 1990, 122. ____35 BGH NJW 1988, 2302, 2303; VersR 1974, 1127, 1128. 36 Dies wird auch von den Vertretern einer Ermessensnorm nicht bestritten; siehe oben Rdn. 4 ff. ____37 RG DR 1939, 879; MünchKomm-Musielak § 300 Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 300 ____Rdn. 2. ____38 I. Erg. auch MünchKomm-Peters Rdn. 2; wohl auch schon Walchshöfer NJW 1972, 1028, 1030. ____39 Siehe auch MünchKomm-Musielak § 300 Rdn. 1. 40 So auch der Fraktionsentwurf (Fn. 5) BT(-Drucks.) 14/3750 S. 54. ____41 Insoweit missverständlich Zöller-Greger Rdn. 5: „Im Ermessen … steht die Wiedereröffnung in den ____nicht von Abs. 2 erfassten Fällen.“ – Nachfolgend aber konstatierend, dass „keinesfalls“ die Wertung des ____§ 296 umgangen werden dürfe.

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§ 156

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 2. Gründe zwingender Wiedereröffnung nach Abs. 1 _____ _____ a) Andere rügbare Verfahrensfehler nach § 295. Wesentliche Verfahrensfehler 13 _____können durch rügeloses Einlassen nach § 295 geheilt werden. Bestehen dafür keine An_____haltspunkte, ist eine Wiederaufnahme nach Abs. 1 dann geboten, wenn ein wesentlicher, _____entscheidungserheblicher42 Verfahrensfehler vorliegt43 und nicht einer der Tatbestände _____nach Abs. 2 Nr. 1 eingreift („insbesondere“). In diesen Zusammenhang gehört die Fest_____stellung des Gerichts, dass es die Öffentlichkeit der Verhandlung (§ 169 GVG) oder die _____Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme (§ 397) verletzt hat. _____ _____ b) Unzulässige Präklusion. Eine Pflicht zur Wiedereröffnung liegt im Falle unzu14 _____lässiger Präklusion vor, soweit einer Partei ein Schriftsatz nachgelassen worden ist, in _____dem erhebliche Behauptungen aufgestellt worden sind.44 § 296 a Satz 2 ordnet nämlich _____ausdrücklich an, dass das Verbot, nach Schluss der mündlichen Verhandlung Angriffs_____und Verteidigungsmittel vorzubringen (§ 296 a Satz 1) im Falle des § 156 und des § 282 _____nicht greift. Nach zutreffender h.M.45 tritt im Falle der Einräumung einer Frist nach § 283 _____keine Verzögerung ein, so dass der Berücksichtigung des Vorbringens die Regelung des _____§ 296 im Allgemeinen nicht entgegensteht. Im Übrigen besteht aber Einigkeit darüber, _____dass § 296 a Satz 2 i.V.m. § 156 die Präklusionsvorschrift des § 296 und den Ausschluss_____tatbestand des § 296 a Satz 1 nicht unterlaufen darf.46 Es erscheint dabei allerdings wenig _____überzeugend, pauschal eine zurückhaltende Handhabung des § 156 zu empfehlen.47 _____Vielmehr hat die Entscheidung sich daran zu orientieren, ob allein der Tatbestand des _____§ 296 Abs. 1 vorliegt, der allein einer Wiedereröffnung zwingend entgegensteht.48 Aber _____auch bei nicht nachgelassenen Schriftsätzen muss eine Wiedereröffnung ausscheiden, _____wenn neues Vorbringen erfolgt, das bewusst zurückgehalten wurde, damit ein Zeuge _____sich nicht auf die Befragung vorbereiten konnte.49 Anders verhält es sich jedoch im Arzt_____haftungsprozess, wo der medizinische Sachverständige in seinem mündlich erstatteten _____Gutachten neue und ausführlichere Beurteilungen gegenüber dem bisherigen Gutachten _____abgibt, so dass auch der sachkundigen Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben _____werden und das Gericht die Ausführungen zur Kenntnis nehmen muss.50 _____ Aus § 296 a Satz 1 ZPO folgt nicht, dass das Gericht einen nach Schluss der mündli14a _____chen Verhandlung eingereichten Schriftsatz von vornherein unberücksichtigt lassen _____darf. Das Gericht muss das Vorbringen vielmehr in jedem Fall beachten. Es hat darüber _____hinaus zu prüfen, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung _____ _____ _____42 Vgl. BGH NJW 1993, 2314. _____43 So bereits zu § 156 a.F. Fischer NJW 1994, 1317; Walchshöfer NJW 1972, 1028 ff. 44 BGH MDR 2001, 567–568 = NJW 2001, 2796–2797 für den Arzthaftungsprozess, in dem der _____medizinische Sachverständige in seinem mündlich erstatteten Gutachten neue und ausführlichere _____Beurteilungen gegenüber dem bisherigen Gutachten abgibt, so dass auch der sachkundigen Partei _____Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss. _____45 BGH NJW 1985, 1556, 1558; BAG NJW 1989, 2213; OLG Brandenburg NJW-RR 1998, 498; OLG Naumburg _____NJW-RR 1994, 705; OLG Hamm 1992, 186; Zöller-Greger § 296 Rdn. 16; Stein/Jonas-Leipold § 283 Rdn. 4 f.; MünchKomm-Prütting § 283 Rdn. 3; a.A. OLG Stuttgart NJW 1984, 2538; Baumbach/Lauterbach-Hartmann _____§ 283 Rdn. 2 m.w.N. _____46 MünchKomm-Peters Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Zöller-Greger Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach_____Hartmann Rdn. 9; siehe auch OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 509. _____47 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; in diese Richtung wohl auch Stein/Jonas-Roth Rdn. 13. 48 So wohl i.Erg. auch MünchKomm-Peters Rdn. 9. _____49 OLG Naumburg OLGR 1999, 368–369. _____50 BGH MDR 2001, 567–568 = NJW 2001, 2796–2797; allerdings müssen richtigerweise die Ausführungen _____überhaupt Anlass zu weiterer tatsächlicher Aufklärung geben: BGH a.a.O.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 156

____nach § 156 Abs. 2 ZPO gegeben sind oder ob nach dem Ermessen des Gerichts die münd____liche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Auch wenn der nachgereichte Schriftsatz nicht ____mehr bei der Entscheidung über das Urteil Beachtung finden kann, weil das Urteil nach ____Beratung und Abstimmung bereits gefällt, aber noch nicht verkündet ist, hat das Gericht ____weiterhin bis zur Urteilsverkündung eingehende Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen ____und eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu prüfen.51 ____ ____ c) Streiterledigung ohne Urteil nach Schluss der mündlichen Verhandlung. ____Tragen die Parteien nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor, dass sie beabsichti____gen, die Hauptsache übereinstimmend für erledigt zu erklären oder einen Prozessver____gleich schließen zu wollen, kommt ebenfalls die Wiedereröffnung der mündlichen Ver____handlung in Betracht (siehe Rdn. 1). Nach zutreffender Auffassung erscheint nämlich die ____Streitbeilegung durch die Parteien der Streitbeendigung durch gerichtliches Urteil vor____zugswürdig.52 Dies muss jedenfalls vor dem Hintergrund der Intention des Gesetzgebers ____konstatiert werden, der eine gütliche Einigung nunmehr gegenüber streitiger Entschei____dung preferiert.53 Insofern lässt sich sagen, dass die Sache nicht zur (streitigen) Entschei____dung i.S.v. § 300 I reif sei. ____ ____ IV. Abs. 2 ____ ____ Abs. 2 Satz 1 verpflichtet die Gerichte, die mündliche Verhandlung von Amts wegen ____wieder zu eröffnen, wenn eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erkenn____bar ist; entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung des rechtlichen Gehörs sind auch ____im schriftlichen Verfahren von Amts wegen zu ergreifen.54 ____ Tritt nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Fällung des Urteils (ab____schließende Beratung und Abstimmung) aufgrund einer Änderung des Geschäftsvertei____lungsplans ein Richterwechsel ein, so ist das erkennende Gericht nicht ordnungsgemäß ____besetzt, wenn entgegen Abs. 2 Nr. 3 nicht die mündliche Verhandlung wieder eröffnet, ____sondern ein Urteil verkündet wird, das (auch) von dem mittlerweile ausgeschiedenen ____Richter unterschrieben worden ist.55 ____ ____ V. Verhältnis von § 156 zum Rügeverfahren nach § 321 a ____ ____ Grundsätzlich überschneiden sich die Anwendungsbereiche des neuen Rügeverfah____rens nach § 321 a56 und der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ____nicht: Der Anwendungsbereich des § 156 reicht regelmäßig vom Schluss der mündlichen ____Verhandlung bis zur Urteilsverkündung;57 § 321 a setzt hingegen ein wirksames Urteil ____voraus, gilt also ab Urteilsverkündung.58 ____ ____ ____51 BAG FA 2012, 149. ____52 AK-ZPO-Röhl § 279 Rdn. 2; a.A. MünchKomm-Prütting § 279 Rdn. 3; Schellhammer Rdn. 707; Stürner JR ____1979, 133, 138: Gleichwertigkeit von streitiger Entscheidung und gütlicher Einigung. 53 RegE BT(-Drucks.) 14/4722 S. 62. ____54 BVerfG AnwBl 2009, 150. ____55 BGH NJW-RR 2012, 508. ____56 In die ZPO aufgenommen durch das ZPO-RG 2001 (oben Fn. 4) zur fachgerichtlichen Abhilfe von ____Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei unanfechtbaren amtsgerichtlicher Entscheidungen (§ 511 Abs. 2). ____57 Vor Verkündung erzeugt auch das bereits beschlossene Urteil keine Bindungswirkung für das ____erkennende Gericht: BGHZ 61, 369, 370 = MDR 1974, 219. ____58 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 17 Dennoch erscheint das Verhältnis beider Regelungen nicht unproblematisch: Soweit _____eine Anregung einer Wiedereröffnung seitens einer Partei mit dem Hinweis auf eine _____Nichtgewährung rechtlichen Gehörs das Gericht über eben diese Umstände in Kenntnis _____setzt und das Gericht gleichwohl eine Wiedereröffnung ablehnt, muss die Sinnhaftigkeit _____einer Rüge gemäß § 321 a nach Urteilsverkündung bezweifelt werden: Wo das Gericht die _____von Amts wegen bestehende Pflicht nach § 156 aus Sicht der Partei bereits verletzt hat, _____dürfte eine überdies erfolgende Rüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach _____§ 321 a praktisch wenig wert haben. Denn auch über sie entscheidet der judex a quo, also _____das erkennende erstinstanzliche Gericht. Insoweit muss ein wirklich spürbarer Entlas_____tungseffekt beim Bundesverfassungsgericht bezweifelt werden,59 weil auch nach erfolg_____loser Rüge gemäß § 321 a der Weg über Art. 93 GG nicht gesperrt ist.60 Überdies erscheint _____die nahezu sichere Belastung der Partei in einer derartigen Situation mit der Kostenge_____bühr nach KV 1960 von 50 € wegen zurückgewiesener Rüge nach § 321 a unangemessen, _____ist sie doch erst notwendige „Eintrittskarte“ zur Erhebung der ansonsten unzulässigen61 _____Verfassungsbeschwerde. _____ 18 Vor diesem Hintergrund dürfte das Rügeverfahren nach § 321 a demgemäß einen _____sinnvollen – erfolgversprechenden – Anwendungsbereich nur dort haben, wo das Ge_____richt sich mangels Anregung der Partei bis zur Urteilsverkündung einer Nichtgewährung _____rechtlichen Gehörs nicht bewusst ist, es also erst mittels der Rüge nach § 321 a nach Ur_____teilsverkündung über die das rechtliche Gehör verletzenden Umstände in Kenntnis ge_____setzt wird.62 _____ _____ VI. Verfahren _____ _____ 1. Wirkungen _____ _____ a) Allgemeine Wirkung. Mit der Wiedereröffnung wird der gesamte Prozessstoff 19 _____unter Einschluss aller früher vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel, Beweis_____mittel und Ergebnisse einer Beweisaufnahme sowie im Rahmen der §§ 296 ff. das neue _____Vorbringen der Parteien erneut Gegenstand der mündlichen Verhandlung. In diesem _____Rahmen ist den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren und sind ihnen gegebenenfalls _____richterliche Hinweise zu erteilen. _____ _____ 20 b) Kein Versäumnisurteil. Die Fortführung der mündlichen Verhandlung kann _____auch unmittelbar im Anschluss an den Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen, _____aber auch im Anschluss an einen besonderen Verkündungstermin. Hat sich eine Partei _____nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entfernt, kann aber trotz der Wiederer_____öffnung der mündlichen Verhandlung ein Versäumnisurteil gegen sie nicht ergehen: _____Denn im Falle des im Anschluss an den Schluss der mündlichen Verhandlung ergehen_____den Beschlusses ist die Partei zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nicht nach _____ _____ _____ 59 So der Sinn und Zweck des Verfahrens nach § 321 a: RegE BT(-Drucks.) 14/4722 S. 63. _____60 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 61; Zöller-Vollkommer § 321 a Rdn. 18 und 3; a.A. E. Schneider _____ZAP 2001, 1091 = F. 13 S. 1073. _____61 Der Grundsatz der Subsidiarität – i.S.d. Versuchs einer Beseitigung der behaupteten _____Grundrechtsverletzung im Zivilrechtsweg, dazu Stein/Jonas-Roth Rdn. 5 – wäre nicht gewahrt, würde die eine Wiedereröffnung anregende Partei auf die wenig erfolgversprechende Rüge nach § 321 a _____verzichten. _____62 Vgl. auch Vollkommer FS Schumann 2001 S. 524 und 526. Vgl. auch Vollkommer FS Schumann 2001 _____S. 524 und 526.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 156

____§ 335 Abs. 1 Nr. 2 ordnungsmäßig geladen.63 Entsprechendes gilt im Falle der an den Ver____kündungstermin sich anschließenden wiedereröffneten mündlichen Verhandlung: Dort ____fehlt es richtigerweise an einem zur Verhandlung bestimmten Termin.64 ____ ____ 2. Beschluss ____ ____ a) Allgemeines. Die Entscheidung ergeht von Amts wegen; Anträge der Parteien 21 ____sind lediglich als Anregungen zu werten. Das Gericht entscheidet über die Wiedereröff____nung der mündlichen Verhandlung durch Beschluss. Der Beschluss ist nach § 329 Abs. 1 ____zu verkünden, wenn er auf eine mündliche Verhandlung ergeht; er ist formlos mitzutei____len, § 329 Abs. 2 Satz 1, wenn er im schriftlichen Verfahren erlassen wird. Der Beschluss ____kann auch konkludent dadurch erlassen werden, dass ein Beweisbeschluss oder neuer ____Verhandlungstermin verkündet wird. Der BGH vertritt nunmehr den Ansatz, die zulässi____ge Ablehnung einer Wiedereröffnungsanregung durch neues Vorbringen in nicht nach____gelassenem Schriftsatz nach Beschließung, aber vor Verkündung des Urteils könne auch ____in Abweichung von der vorangehenden Besetzung des Spruchkörpers analog § 320 IV 2 ____und 3 erfolgen.65 Der BGH argumentiert, § 309 träfe nur eine Aussage über die Spruch____körperbesetzung bei Fällung der Entscheidung; sei diese bereits erfolgt (nur noch nicht ____verkündet), könne § 309 konsequenterweise nicht entgegenstehen.66 Insofern folge aus ____§ 309 nicht, dass die Prüfung der Umstände, die eine Wiedereröffnung rechtfertigen ____können, nur in der ursprünglichen Besetzung erfolgen dürfe67 (siehe auch schon oben ____Rdn. 6). Dieser Ansatz überzeugt indes nicht. Denn es kann sachlich keinen Unterschied ____machen, ob die vermeintlich wiedereröffnungsbegründenden Umstände vor oder nach ____Fällung des Urteils offenkundig werden.68 Das Vorliegen dieser Umstände ist bereits mit ____dem Schluss der mündlichen Verhandlung gegeben; daran kann das zeitlich spätere ____Vorbringen nichts ändern. Die Ablehnung einer Wiedereröffnung in abweichender Be____setzung nach Urteilsfällung kann daher keiner anderen Beurteilung unterliegen. Dem____gemäß muss § 309 auch dann gelten. ____ ____ b) Besetzung des beschließenden Spruchkörpers. Über die Wiedereröffnung der 22 ____mündlichen Verhandlung hat das Gericht durch den Spruchkörper in vollständiger Be____setzung und nicht durch den Vorsitzenden allein zu entscheiden.69 ____ ____ c) Begründungspflicht. Nach richtiger Ansicht ist der Beschluss – zumindest bei 23 ____Ablehnung – im Rahmen der Urteilsgründe zu begründen.70 Zum einen ergibt sich dies ____aus einer verfahrensmäßigen Komponente der Gewährung rechtlichen Gehörs, wonach ____das Gericht sich über die Gewährung eben jenes Gehörs zu erklären hat.71 Zum anderen ____ ____63 Stein/Jonas-Roth Rdn. 18; MünchKomm-Peters Rdn. 15; auch Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 13. ____64 Stein/Jonas-Roth Rdn. 18, Münchkomm-Peters Rdn. 15. ____65 BGH NJW 2002, 1426, 1427 = MDR 2002, 658, 659 (Ablauf der Abordnung eines beisitzenden Richters ____und deshalb alleinige Unterschrift des Vorsitzenden und des verbleibenden Richters). 66 BGH NJW 2002, 1426, 1428 = MDR 2002, 658, 659; siehe auch MünchKomm-Musielak § 309 Rdn. 13. ____67 BGH NJW 2002, 1426, 1427 = MDR 2002, 658. ____68 Vor Entscheidung des Urteils muss bei Richterwechsel wiedereröffnet werden: MünchKomm____Musielak § 309 Rdn. 12; Stein/Jonas-Leipold § 309 Rdn. 14; Zöller-Vollkommer § 309 Rdn. 4. ____69 BAG FA 2012, 149. 70 BFH BB 1992, 1547, 1548; MünchKomm-Peters Rdn. 13; Stein/Jonas-Roth Rdn. 15; a.A. OLG Köln ____JurBüro 1969, 1107; RG JW 1902, 543; AK-Göring Rdn. 4 (lediglich „empfehlenswert“). ____71 Siehe etwa BVerfGE 47, 182, 189; 54, 43, 46; 58, 353, 357; auch BayVerfGHE 35, 119, 122; Kopp ____Verfassungsrecht S. 47; Vollkommer FS Schumann 2001, S. 527.

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§ 156

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____folgt eine Begründungspflicht daraus, dass die Ablehnung der Wiedereröffnung rechts_____mitteleröffnender Verfahren ein Verfahrensfehler sein kann (siehe unten Rdn. 24 ff.), _____welcher ebenfalls eine Begründung erforderlich macht.72 Der BGH folgt dieser Ansicht, _____wenn er konstatiert, die revisionsrechtliche Überprüfung der Ablehnung einer Wiederer_____öffnung erstrecke sich auch darauf, ob „diese mit rechtsfehlerhaften Erwägungen be_____gründet ist“,73 denn dieser Überprüfungsmaßstab setzt eine Begründungspflicht denklo_____gisch voraus. _____ _____ 3. Rechtsmittel. Anfechtbar ist ein nicht beschwerdefähiger Verstoß gegen § 156 nur 24 _____inzident durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil selbst.74 Richtigerweise _____kann der Verstoß gegen § 156 aber nur bei expliziter Rüge eines Verfahrensfehlers in der _____Revision nachgeprüft werden.75 Bei fehlerhaft unterlassener Wiedereröffnung führt dies _____in der Revision dann zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung.76 Daran hat _____sich auch im Zuge der Rechtsmittelneufassung77 nach § 562, § 563 n.F. nichts geändert. _____Das Berufungsgericht darf die Sache ebenfalls nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 zurückverweisen, _____da die Unterlassung der gebotenen Wiedereröffnung ein „wesentlicher Mangel“ ist. Die _____wiedereröffnete Verhandlung muss allerdings eine „umfangreiche oder aufwendige Be_____weisaufnahme“ erfordern, deren Voraussetzungen § 538 normiert. _____ 25 Die These allerdings, die Überprüfung der Entscheidung über eine Wiedereröffnung _____in der Rechtsmittelinstanz sei „nicht all zu weit auszudehnen“, weil dies bewirke, dass _____vornehmlich – qualitativ eher weniger überzeugende – ad-hoc-Entscheidungen gleich _____im Anschluss an die mündliche Verhandlung ergehen würden,78 erheischt indes keine _____Zustimmung: Zum einen nicht, weil § 156 kein Ermessen einräumt (siehe oben Rdn. 8). _____Zum anderen, weil sich ebenso behaupten ließe, die Kenntnis über die – weit ausge_____dehnte – Überprüfbarkeit der Entscheidung verbessere deren Qualität. _____ Im Falle unanfechtbarer amtsgerichtlicher Urteile (§ 511 Abs. 2) kommt bei abgelehn26 _____tem Antrag („Anregung“) auf Wiedereröffnung nunmehr das Rügeverfahren nach § 321 a _____in Betracht, soweit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in Rede _____steht (siehe oben Rdn. 4). Bei anderen unanfechtbaren Entscheidungen bleibt in einem _____solchen Falle allein die Verfassungsbeschwerde.79 _____ 27 Reicht der Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung einen Klageerweite_____rungsschriftsatz ein, wird aber die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abge_____lehnt und wird anschließend das Verfahren hinsichtlich der Klageerweiterung nicht wei_____ter betrieben, dann beschränkt sich die Kostenschuld für das weitere Verfahren auf eine _____Gerichtsgebühr aus dem Wert der Klageerweiterung.80 _____ _____ _____ _____ _____72 Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. _____73 BGH WM 1979, 588; NJW 1986, 1868. _____74 BGH NJW 1986, 1868; BGHZ 30, 67; OLG Köln NJW-RR 1990, 1341, 1343; Haertlein EWiR 2000, 311; _____Sangmeister NVwZ 1997, 249 ff. 75 BGH NJW 1986, 1868; LM § 158 Nr 1 a; JR 1958, 345; Fischer NJW 1994, 1315, 1320. _____76 OLG Köln NJW-RR 1990, 1341, 1343 _____77 Durch das ZPO-RG 2001 (Fn. 4). _____78 So Fischer NJW 1994, 1315, 1320. _____79 Stein/Jonas-Roth Rdn. 21; richtigerweise muss aber bereits im Instanzenzug versucht worden sein, sich Gehör zu verschaffen: Roth Rdn. 5; das bestätigt BGH NJW 2002, 1577 insofern, als die regelmäßig _____mittels der Beschwerde angreifbaren Nebenentscheidungen – sollte die Rechtsbeschwerde nach §§ 564 ff. _____unstatthaft sein – allein über die Verfassungsbeschwerde angreifbar sein sollen. _____80 OLG München OLGR 2002, 446.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 157

____ § 157 ____ Untervertretung in der Verhandlung ____ § 157 Smid ____ Der bevollmächtigte Rechtsanwalt kann in Verfahren, in denen die Parteien ____den Rechtsstreit selbst führen können, zur Vertretung in der Verhandlung einen ____Referendar bevollmächtigen, der im Vorbereitungsdienst bei ihm beschäftigt ist. ____ Übersicht ____ ____ 1 III. Nicht unter die Regelung fallende Referen____I. Normzweck ____ 2 dare ____ 5 ____II. Regelung Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ____ ____ I. Normzweck ____ Die Vorschrift dient dazu, im Rahmen der Referendarausbildung in der Anwaltsta____ ____tion gemäß § 59 BRAO den Referendaren ein eigenständiges Auftreten vor Gerichten zu ____ermöglichen. Damit wird gewährleistet, dass der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung aus § 59 Satz 1 ____ ____BRAO, in angemessenem Umfang an der Ausbildung der Referendare mitzuwirken, da____durch Genüge tun kann. Dass dem Referendar in die forensischen Aufgaben eines ____Rechtsanwalts eingeführt werden kann, wie es § 59 Satz 3 BRAO ausdrücklich vorsieht. ____ ____ II. Regelung ____ § 157 ZPO eröffnet die Möglichkeit, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt zur Ver____ ____tretung in der Verhandlung einen Rechtsreferendar bevollmächtigt, der im Vorberei____tungsdienst bei ihm beschäftigt ist (Fall der Untervertretung). Die Vorschrift ergänzt da____mit § 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Parteien, soweit eine Vertretung ____durch Rechtsanwälte nicht geboten ist (Parteiprozess), den Rechtsstreit selbst führen ____oder sich durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen können. Stationsreferendare in der Rechtsanwaltsstation oder dem Pflichtwahlpraktikum, ____ ____die dem Rechtsanwalt nach § 59 BRAO zur Ausbildung zugewiesen sind, können danach ____im Parteiprozess den bevollmächtigten Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung ____(z.B. vor dem Amtsgericht, § 10 FamFG und § 11 ArbGG) vertreten. Im Anwaltsprozess gemäß § 78 Abs. 1, 2 ZPO) können sie dagegen allein als Bei____ ____stand gemäß § 90 ZPO fungieren. Sie können in dieser Eigenschaft neben dem Rechts____anwalt auftreten. ____ ____ III. Nicht unter die Regelung fallende Referendare ____ Andere Referendare, die z.B. lediglich in Nebentätigkeit beim Rechtsanwalt arbei____ ____ten, fallen ebenso wie sonstige Kanzleimitarbeiter nicht unter diese Regelung.1 Unbe____rührt bleibt die Möglichkeit der Bestellung zum allgemeinen Vertreter des Rechtsan____walts nach § 53 BRAO. Außerhalb ihrer Ausbildung beschäftigte Referendare dürfen ____somit nicht mehr mit Terminsvollmacht in die Verhandlung entsandt werden. Sie wer____den nach § 79 Abs. 3 ZPO zurückgewiesen.2 Eine Säumnisentscheidung darf jedoch ____nach § 335 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zunächst nicht ergehen. ____ ____1 A.A. wohl Zöller/Vollkommer ZPO, 28. Aufl., § 79 Rdn. 5 und § 81 Rdn. 6 ____2 H.L.: Thomas/Putzo ZPO, 30. Aufl., § 157 Rdn. 1; Zöller/Greger ZPO, 28. Aufl., § 157 Rdn. 1 f.; Sabel ____AnwBl 2008, 390.

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§ 158

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 158 ______ Entfernung infolge Prozessleitungsanordnung ______ § 158 Smid ______ Ist eine bei der Verhandlung beteiligte Person zur Aufrechterhaltung der Ord______nung von dem Ort der Verhandlung entfernt worden, so kann auf Antrag gegen sie ______in gleicher Weise verfahren werden, als wenn sie freiwillig sich entfernt hätte. Das ______gleiche gilt im Falle des § 157 Abs. 2, sofern die Untersagung bereits bei einer frü______heren Verhandlung geschehen war. ______ ______ Übersicht ____ 1 a) Entfernung einer Partei ____ 5 ______I. Normzweck/-genese II. Einzelheiten b) Entfernung von Zeugen oder Sach______ ____ 3 1. Personenkreis verständigen ____ 6 ______ 2. Ermessen ____ 4 c) Beistand ____ 7 ______ 3. Wirkungen 4. Regelung des Satzes 2 ____ 8 ______ ______ ______ I. Normzweck/-genese ______ 1 Die Entfernung von Personen aus dem Sitzungszimmer in Ausübung der Sitzungspo______lizei gemäß § 177 GVG hat Konsequenzen für den laufenden Prozess. § 158 bestimmt hier______zu, dass die gleichen Rechtsfolgen eingreifen, die zu beachten wären, wenn die entfern______ten Personen sich freiwillig entfernt hätten: Auf Antrag kann Versäumnisurteil oder ______Entscheidung nach Aktenlage nach §§ 330 ff. ergehen. ______ Normhistorie: Bis 1900 § 140 CPO; umformuliert 1933, aber ohne sachliche Änderung 2 ______(RGBl. 1933 I, S. 821). ______ ______ ______ II. Einzelheiten ______ 1. Personenkreis. Der Kreis der an der Verhandlung beteiligten Personen umfasst 3 ______die nach § 177 GVG sitzungspolizeilichen Anordnungen unterworfenen Personen, dies ______sind im Einzelnen die Parteien unter Einschluss ihrer Vertreter, sofern es sich nicht um ______Rechtsanwälte oder zugelassene Prozessagenten handelt, die von § 177 GVG ausgenom______men sind.1 Ferner fallen in den Bereich der Beteiligten i.S.v. § 158 Zeugen und Sachver______ständige, nicht aber Zuhörer. Der unrechtmäßige Ausschluss der Öffentlichkeit kann ein ______Rechtsmittel gegen die daraufhin ergangene Entscheidung begründen; im Rahmen des ______§ 158 geht es aber um die prozessualen Folgelasten für die Parteien aus der Entfernung ______von Beteiligten. ______ ______ 2. Ermessen. Das Gericht ist nicht verpflichtet, dem Antrag auf Erlass eines Ver4 ______säumnisurteils stattzugeben, denn insoweit hat das Gericht einen Ermessensspielraum ______(arg. „kann“). Alternativ kommt etwa auch eine Vertagung in Betracht. Empfehlenswert ______ist dies insbesondere bei Entfernung des Beistandes einer unbeholfen erscheinenden ______Partei.2 ______ ______ ______ ______ ______ ______ ______1 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______2 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 158

____ 3. Wirkungen ____ ____ a) Entfernung einer Partei. Wird eine Partei aus dem Ort der Verhandlung entfernt, ____kann, solange noch nicht zur Sache verhandelt worden ist, gegen sie im Parteiprozess ____auf Antrag ein Versäumnisurteil ergehen oder nach Aktenlage entschieden werden, so____fern sie nicht anwaltlich vertreten ist.3 Ist bereits verhandelt worden, kann, sofern nach ____Entfernung der Partei der Prozess zur Entscheidung reif ist, ein streitiges Urteil ergehen.4 ____War das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet worden, kann das Gericht gegen ____sie gemäß § 141 Abs. 3 (Einzelheiten dort Rdn. 23 ff.) Ordnungsgeld festsetzen, wenn sie ____nach § 177 entfernt worden ist. Tritt ein Anwalt für die Partei auf, verliert diese durch ihre ____zwangsweise Entfernung allein die Möglichkeit, in personam das Wort nach § 137 Abs. 4 ____zu ergreifen.5 ____ ____ b) Entfernung von Zeugen oder Sachverständigen. Wird ein Zeuge oder wird ein ____Sachverständiger im Wege sitzungspolizeilicher Maßnahmen vom Ort der mündlichen ____Verhandlung entfernt, gerät dies nicht unmittelbar zum Nachteil der beweisbelasteten ____Partei; die Wirkungen treffen vielmehr zunächst den Ausgeschlossenen selbst, indem ____das Gericht gegen den Ausgeschlossenen wie gegen den ordnungsgemäß geladenen, ____aber ausgebliebenen Zeugen oder Sachverständigen Zwangsmittel ergreifen kann. Es ____besteht also gemäß §§ 380, 390, 409 die Möglichkeit der Festsetzung von Ordnungsgeld ____bzw. ersatzweiser Ordnungshaft.6 ____ ____ c) Entfernt das Gericht den Beistand gemäß § 90, geht die Partei der durch den Bei____stand erhofften Unterstützung verlustig. Erweist sich die Partei als zur Wahrnehmung ____der Angelegenheiten außer Stande, kommt eine Vertagung der Verhandlung in Be____tracht.7 Der Rechtsanwalt der Partei kann – und muss – ausgeschlossen werden, wenn ____gegen ihn nach § 156 Abs. 2 BRAO ein Vertretungsverbot verhängt worden ist. ____ ____ 4. Regelung des Satzes 2. Die von Satz 1 vorgesehenen Wirkungen treten auch und ____nur für den Fall ein, dass das Gericht Parteien, Bevollmächtigten oder Beiständen, die ____nicht Rechtsanwälte sind, gemäß § 157 Abs. 2 wegen mangelnder Befähigung den weite____ren Vortrag untersagt hat, Einzelheiten vgl. § 157 Rdn. 16 ff. Die Entfernung der Person ____setzt voraus, dass in einem früheren Termin die Untersagung weiteren Vortrags ausge____sprochen worden ist.8 ____ § 158 setzt weiter voraus, dass die Untersagung gegen dieselbe Person gerichtet ist. ____Die zurückgewiesene Partei kann daher in den Termin einen Bevollmächtigten entsen____den und damit die Entfernung unterlaufen. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____3 Zöller-Greger Rdn. 3. ____4 MünchKomm-Peters Rdn. 1. 5 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ____6 Musielak-Stadler Rdn. 1. ____7 MünchKomm-Peters § 157 Rdn. 19. ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8 f.

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§ 159

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______ § 159 ______ Protokollaufnahme ______ § 159 Smid ______ (1) Über die Verhandlung und jede Beweisaufnahme ist ein Protokoll aufzu______nehmen. Für die Protokollführung kann ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ______zugezogen werden, wenn dies auf Grund des zu erwartenden Umfangs des Proto______kolls, in Anbetracht der besonderen Schwierigkeit der Sache oder aus einem sons______tigen wichtigen Grund erforderlich ist. ______ (2) Absatz 1 gilt entsprechend für Verhandlungen, die außerhalb der Sitzung ______vor Richtern beim Amtsgericht oder vor beauftragten oder ersuchten Richtern ______stattfinden. Ein Protokoll über eine Güteverhandlung oder weitere Güteversuche ______vor einem ersuchten Richter wird nur auf übereinstimmenden Antrag der Parteien ______aufgenommen. ______ ______ Übersicht ____ 1 2. Inhalt des § 159 Abs. 1 Satz 2 ____ 7 ______I. Normzweck II. Normstruktur 3. Inhalt des § 159 Abs. 2 Satz 1 ____ 13 ______ ____ Abs. 2 3 4. Zeitpunkt der Protokollie______ 1. Abs. 1 Satz 1 und ____ 4 rung ____ 14 ______ 2. Abs. 1 Satz 2 III. Inhalt des § 159 5. Absehen von der Protokollierung, ______ 1. Inhalt des § 159 Abs. 1 ____ 5 Abs. 2 Satz 2 ____ 16 ______ ______ I. Normzweck ______ ______ Das Erstellen eines Protokolls der mündlichen Verhandlung hat zwei zentrale Funk1 ______tionen: Das Protokoll beweist gemäß § 165, dass sich die festgehaltenen Umstände sowie ______Vorgänge ausschließlich in der protokollierten Art und Weise zugetragen haben.1 Die ______Pflicht zur Errichtung eines Protokolls schafft somit die Grundvoraussetzung zur Kont______rolle eines ordnungsgemäßen Verfahrens durch das Rechtsmittelgericht und gewährleis______tet zugleich die Einhaltung der Protokollierungsvorschriften.2 Der konkrete im Protokoll ______aufzunehmende Inhalt wird indes durch die spezielleren dem § 159 folgenden Vorschrif______ten über die Protokollierung bestimmt. Die Wiedergabe der zu protokollierenden Anga______ben im Urteilstatbestand steht der Protokollierung nicht gleich.3 Des weiteren ist das ______Protokoll gemäß § 127 a BGB in der Lage die gegebenenfalls erforderliche Form der proto______kollierten Erklärungen zu wahren.4 Eine Zustellung des Protokolls über die mündliche ______Verhandlung ist nicht Voraussetzung für seine Wirksamkeit.5 ______ Die Protokollierung über die mündliche Verhandlung dient dem Zweck, den vom 2 ______Gericht ermittelten Tatsachenstoff zu sichern und dadurch die Überprüfung des darauf ______beruhenden Urteils durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. Das Fehlen jeglicher ______Aufzeichnungen ist auch für die dem Rechtsmittelgericht obliegende rechtliche Überprü______fung des angefochtenen Urteils rechtserheblich. Eine in wesentlichen Teilen unvollstän______dige Protokollierung steht einer fehlenden Niederschrift gleich. Im Unterschied zu einer ______nur gelegentlichen Unklarheit, die mit Hilfe einer Protokollberichtigung behoben wer______ ______1 MünchKomm-Peters Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Vor § 159 Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 24. Zu streitigen Verfahren nach dem FGG: Beckmann/Krömker AO-StB 2005, 81 ff. ______2 BGH NJW 1978, 2509; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Vor § 159 Rdn. 2. ______3 BVerwG NJW 1976, 1705; NVwZ 1985, 337; NVwZ 1985, 182; NJW 1988, 579; Sächs. OVG NVwZ 2001, Beilage Nr. I 8, 103. ______4 BGH 107, 200; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Vor § 159 Rdn. 2; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 24. ______5 BFH StuB 2001, 710.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 159

____den kann, bedarf es in derartigen Fällen auch keiner näheren Darlegung dessen, was der ____vernommene Zeuge tatsächlich gesagt hat und inwieweit die von ihm bekundeten Um____stände möglicherweise für die Entscheidungsfindung Bedeutung gehabt haben könn____ten.6 So ist ein gerichtlicher Vergleich nur dann als verfahrensbeendende Prozesshand____lung wirksam, wenn er ordnungsgemäß protokolliert ist. Daran fehlt es, wenn sich eine ____Partei im Vergleich zur Ausführung bestimmter, von einem Sachverständigen in einem ____vorangegangenen Beweisverfahren als erforderlich festgestellter Arbeiten verpflichtet, ____das Gutachten aber nicht als Anlage zum Vergleich zu Protokoll genommen wird.7 ____ Durch die Einfügung des Satz 2 soll der Schutz der Vertraulichkeit einer Gütever- 2a ____handlung oder weiterer Güteversuche nach § 278 Absatz 5 in der geänderten Fassung ____erhöht werden, da die Parteien nach Vorstellung des Gesetzgebers8 eher zu einer umfas____senden Beratung über die Lösung eines Konfliktes bereit sein werden, wenn ihnen ihre ____Erklärungen und ihr Verhalten im Rahmen der Güteverhandlung in dem nachfolgenden ____gerichtlichen Verfahren nicht entgegengehalten werden können. Daher wird ein Protokoll ____über das richterlich geführte Gütegespräch nur aufgenommen, wenn dies überein____stimmend von den Parteien beantragt wird. Die Vertraulichkeit eines Gütegespräches vor ____einem Güterichter wird im übrigen durch weitere Regelungen geschützt, namentlich da____durch, dass es unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden kann, da das Öffent____lichkeitsgebot nach § 169 Satz 1 GVG nicht gilt. Dem Güterichter steht zudem ebenso wie ____dem Streitrichter nach § 383 Abs. 1 grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht über ____den Inhalt des Gütegespräches zu. Der Schutz der Vertraulichkeit wird gewährleistet, ____wenn die Güteverhandlung oder der weitere Güteversuch vor einem ersuchten Richter ____geführt wird. Bei einem beauftragten Richter ist eine Abweichung von der grundsätzlich ____bestehenden Protokollierungspflicht gerichtlicher Verhandlungen nicht geboten, da der ____beauftragte Richter im Unterschied zum ersuchten Richter zum erkennenden Gericht ____gehört und deshalb unabhängig von einer etwaigen Protokollierung Kenntnis von dem ____Inhalt der Gütegespräche hat. ____ ____ II. Normstruktur ____ ____ 1. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2. Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 normieren eine umfassende Pro- 3 ____tokollierungspflicht. Abs. 1 Satz 1 eröffnet die Pflicht zur Protokollierung für die mündliche ____Verhandlung und erweitert den Anwendungsbereich gemäß Abs. 2 auch für außerhalb ____von Richtern beim Amtsgericht oder von beauftragten oder ersuchten Richtern abgehal____tenen Verhandlungen. ____ ____ 2. Abs. 1 Satz 2. Abs. 1 Satz 2 regelt organisatorisch die Aufnahme der zu protokol- 4 ____lierenden Umstände und Erklärungen in Verhandlungen nach Abs. 1 und 2. Im Grund____satz ist für die Protokollierung demnach ein Urkundsbeamter zuständig. 9 Nur aus____nahmsweise, wenn der Vorsitzende dies bestimmt, wird die Tätigkeit von einem anderen ____vorgenommen. ____ ____ ____ ____ ____ ____ 6 BFH StuB 2001, 663. ____7 OLG Hamm MDR 2000, 350. ____8 Begr. zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 17/8058, S. 21). ____9 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5.

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§ 159

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ III. Inhalt des § 159 ______ ______ 1. Inhalt des § 159 Abs. 1. Über jede mündliche Verhandlung vor dem erkennenden 5 ______Gericht ist mit deren Eröffnung gemäß §§ 159 ff. ein Protokoll über deren konkreten Ver______lauf anzufertigen.10 Zu den Verhandlungen gehören die Güteverhandlung gemäß § 278, ______die mündliche Verhandlung nach § 279, die abgesonderte Verhandlung nach § 280,11 das ______selbstständige Beweisverfahren vor dem Gericht gemäß §§ 485 f.,12 das Verfahren nach ______billigem Ermessen gemäß § 495 a, sofern es zu einer mündlichen Schlussverhandlung ______kommt,13 der Erlass eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 916 f., ______935 f.,14 sowie die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, §§ 899 f.15 Im Zwangsver______steigerungsverfahren gelten die §§ 78 und 80 ZVG.16 Aus dem Umkehrschluss zu den ______zwingend erforderlichen Inhalten des Protokolls gemäß § 160 Abs. 2 und 3 wird ferner ______hergeleitet, dass sowohl die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung als auch die in ______§ 160 Abs. 3, Nummern 1 bis 7 aufgeführten Verfahrenshandlungen wie z.B. die Ent______scheidungsverkündung,17 die Vertagung18 und der Prozessvergleich der Erstellung eines ______Protokolls bedürfen.19 Ferner ist bei der Säumnis der Parteien im Gegensatz zur Beratung ______und Abstimmung20 ein Protokoll anzufertigen.21 Eine derartige Protokollierungspflicht ______ergibt sich jedoch schon direkt aus § 159 Abs. 1, da die Ergebnisse gemäß § 160 Abs. 3 ______und wesentlichen Vorgänge nach Abs. 2 stets in einer mündlichen Verhandlung bzw. ______Beweisaufnahme stattfinden und somit schon aufgrund dessen immer protokolliert wer______den müssen. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet § 159 keine Anwen______dung.22 ______ Grundsätzlich ist zwar eine Beschwerde gegen die Berichtigung eines Protokolls 6 ______oder deren Ablehnung unstatthaft, weil das Beschwerdegericht den richtigen Protokoll______inhalt nicht bestimmen kann, da es an der Sitzung nicht teilgenommen hat. Ausnahms______weise ist aber eine Beschwerde statthaft, wenn eine beantragte Berichtigung als unzuläs______sig abgelehnt wird, aber auch dann nur, wenn nicht der zu protokollierende Sachverhalt, ______sondern die Frage seiner Protokollierungsbedürftigkeit streitig ist. Die Beschwerde gegen ______die Nichtaufnahme einer Zeugenbefragung außerhalb der förmlichen Beweisaufnahme ______in das Protokoll ist regelmäßig auch begründet. Die informelle Zeugenbefragung ist ein ______wesentlicher Verfahrensbestandteil, der im Sitzungsprotokoll erscheinen muss.23 ______ ______ ______ 10 Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ______11 Zöller-Stöber Rdn. 1; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4. ______12 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ______13 Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. ______14 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4. 15 Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. ______16 MünchKomm-Peters Rdn. 1 und 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Thomas/Putzo-Reichold § 160 Rdn. 3; ______Zöller-Stöber Rdn. 4; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4. ______17 Holtgrave DB 1975, 821; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4; Thomas/Putzo______Reichold § 160 Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ______18 Holtgrave DB 1975, 821; Musielak-Stadler 160 Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ______19 Zöller-Stöber Rdn. 1; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Thomas/Putzo-Reichold § 160 Rdn. 2. ______20 Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4. ______21 Zöller-Stöber Rdn. 1; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4; Thomas/Putzo-Reichold, § 160 Rdn. 2; a.A. Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 11, wonach die bloße Aktennotiz bei Säumnis oder Ausfall der Verhandlung wg. Unterbrechung des Verfahrens ausreicht. ______22 WuM 1989, 347–349, KG NJW-RR 1989, 842; Wohnungseigentümer 1989, 139–140; Musielak-Stadler ______§ 160 Rdn. 4. ______23 OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 863.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 2. Inhalt des § 159 Abs. 1 Satz 2. Ist der Vorsitzende verhindert, gilt § 163 Abs. 2. In 7 ____jedem Fall ist nach Abs. 2 Satz 1–3 jedoch zumindest die Unterschrift eines Richters oder ____des Urkundsbeamten erforderlich. Die nachträgliche Unterschrift des Urkundsbeamten ____nach § 163 Abs. 1 Satz 2 kann die fehlende Unterschrift des Richters nicht ersetzen.24 Ent____gegen dem Wortlaut des § 163 Abs. 1 Satz 1 lässt sich aus der Systematik zu § 159 Abs. 1 ____Satz 2 entnehmen, dass die alleinige Unterschrift des Vorsitzenden stets genügt, wenn ____von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten gemäß § 159 Abs. 1 Satz 2 abgesehen wor____den ist.25 ____ Die Entscheidung, von einer zur Protokollführung zuständigen Person i.S.d. Abs. 1 8 ____Satz 2 abzusehen, ist vom Vorsitzenden frei zu treffen.26 Sie darf nicht aufgrund Perso____nalmangels oder organisatorischer Schwierigkeiten praktisch vorweggenommen wer____den.27 Insoweit besteht die Amtspflicht der Justizverwaltung, einen geeigneten Protokoll____führer sowie erforderliche technische Sachmittel wie Aufnahmegeräte, notwendiges ____Schreibmaterial und Protokollvordrucke usw. auf Anforderung zur Verfügung zu stel____len.28 Auf diese Weise ist sicherzustellen, dass die verfassungsrechtlich eingeräumte per____sonelle sowie sachliche Unabhängigkeit der Richter gemäß Art. 97 Abs. 1 gewahrt ____bleibt.29 Der Verwaltung steht auch nicht die Beurteilung zu, ob es dem Gericht im Ein____zelfall zumutbar gewesen wäre, das Protokoll selbst zu führen und auf die Hinzuziehung ____eines Urkundsbeamten zu verzichten.30 Vielmehr hat sich die Verwaltung auf die vom ____Gericht bestimmten Termine einzustellen.31 Die Auswahl eines geeigneten Protokollfüh____rers obliegt indes der Justizverwaltung.32 Der Richter ist ferner nicht zur Entscheidung ____über die Geeignetheit oder Ungeeignetheit eines Protokollführers berufen. In dem Fall, ____dass der zugeteilte Beamte nach Ansicht des Richters ungeeignet ist, kann der Richter ____dies der Justizverwaltung mitteilen. Ist die Ungeeignetheit des Protokollführers in der ____Verhandlung oder Beweisaufnahme hingegen offenkundig, so muss der Richter diese ____notfalls abbrechen. Die Ungeeignetheit eines Urkundsbeamten ergibt sich jedoch nicht ____schon daraus, dass der Beamte dem mittleren Justizdienst angehört. Eine solche An____nahme wird schon dadurch widerlegt, dass seit jeher in allen Bundesländern Beamte des ____mittleren Justizdienstes mit der Protokollführung beauftragt werden und durchgreifende ____Beanstandungen insoweit bisher nicht bekannt geworden sind.33 Der Richter kann insbe____sondere nicht verlangen, dass ihm statt eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine ____Stenotypistin als Protokollführer zugeteilt wird.34 ____ ____ 24 Stein/Jonas-Roth Rdn. 20. ____25 Stein/Jonas-Roth Rdn. 21. ____26 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12, 13: pflichtgem. Ermessen?; kein Anspruch Hartmann ____Rdn. 15; MünchKomm-Peters Rdn. 7; freies Ermessen Stein/Jonas-Roth Rdn. 18, 19. ____27 BGH NJW 1988, 417; Stanicki DRiZ 1983, 271; Putzo NJW 1975, 185, 188; Zöller-Stöber Rdn. 3; nach Hartmann sollte der Richter auf die Arbeitserleichterung durch Hinzuziehung eines Urkundsbeamten nicht ____verzichten, in Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 7; a.A. Rabe AnwBl ____1981, 303, wonach die Verwaltung das Gericht und den Richter dazu zwingen könne, auf die Hinzuziehung ____eines Urkundsbeamten zu verzichten. ____28 Franzki DRiZ 1975, 98; Zöller-Stöber Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; MünchKomm____Peters Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 18. 29 Celle DRiZ 1999, 59–62. ____30 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Putzo NJW 1975, 188. ____31 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Musielak-Stadler § 160 ____Rdn. 7. ____32 BGH NJW 1988, S. 417, 418; Franzki DRiZ 1975, 98; Zöller-Stöber Rdn. 3; Baumbach/LauterbachHartmann Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 18; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Musielak-Stadler § 160 ____Rdn. 7. ____33 NJW 1988, 417–418. ____34 BGH NJW 1988, S. 417, 418.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 9 Nur in besonderen Fällen ist ausnahmsweise dem Gericht zumutbar, auf unzurei______chende Sachmittel sowie einen ungeeigneten Protokollführer zurückzugreifen.35 Da ge______genwärtig eine solche Notsituation jedoch nicht vorliegt und der Staat daher zu einer ______erforderlichen personellen Besetzung verpflichtet ist, sollte im Interesse einer sinnvollen ______Arbeitsteilung stets ein Protokollführer hinzugezogen werden,36 Damit kann der Richter ______zugleich auch dem Anschein der Befangenheit entgegenwirken37 und einen reibungslo______sen, zeitsparenden Verfahrensablauf gewährleisten.38 ______ Kommt die Verwaltung ihrer Amtspflicht, genügend und geeignete personelle sowie 10 ______sachliche Mittel bereitzustellen, auch nur für einen Teil der Verhandlungszeit nicht ______nach, so steht es dem Gericht frei, die Verhandlung zu vertagen oder zu unterbrechen.39 ______Hat ein Richter einen Termin aufgehoben, weil ihm kurzfristig kein Urkundsbeamter zur ______Verfügung gestellt werden konnte, so ist ein Vorhalt i.S.v. § 26 Abs 2 DRiG unzulässig.40 ______Den Staat trifft im Fall der Verletzung dieser Amtspflicht für unmittelbar darauf beru______hende Schäden die Haftung gegenüber Dritten gemäß § 839 i.V.m. Art 34 GG. Keinesfalls ______haftet der Richter in diesen Fällen persönlich.41 Wird trotz der Verpflichtung gemäß § 159 ______gar kein Protokoll geführt oder entspricht das geführte nicht den Anforderungen aus ______§ 160, kann, sofern das Urteil auf diesem Versäumnis beruht, ein Rechtsmittel mit die______sem Mangel begründet werden.42 ______ Bei Uneinigkeit über den vom Urkundsbeamten aufzunehmenden Inhalt des Pro11 ______tokolls entscheidet, dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 2 folgend, der von Protokollführung ______spricht, der zugezogene Urkundsbeamte über die Art und Weise der Protokollierung. ______Lässt sich auch durch erneutes Nachfragen Einigkeit über den aufzunehmenden Inhalt ______nicht erzielen, darf der Urkundsbeamte daher nicht zugunsten des Vorsitzenden entge______gen seiner Wahrnehmung das Protokoll führen. Vielmehr ist der Inhalt vom Urkundsbe______amten zu bestimmen. Die Wahrnehmung des Vorsitzenden ist aber von ihm in Form ei______ner Anmerkung im Protokoll zu vermerken.43 Anderenfalls braucht keiner von beiden zu ______unterschreiben, solange die Meinungsverschiedenheit nicht zum Ausdruck kommt. An ______Anordnungen des Richters bezüglich des zu protokollierenden Inhalts ist der Protokoll______führer nicht gebunden.44 ______ Das Protokoll braucht nicht als solches ausdrücklich gekennzeichnet werden, ent12 ______scheidend ist bloß, dass es als Protokoll erkennbar, sowie leserlich und verständlich ______abgefasst worden ist.45 Das setzt eine ordentliche äußere Form des Protokolls voraus. ______Rasuren sind unzulässig, § 419, Abkürzungen sind angängig (z.B. „vg“, RGZ 53, S. 150). ______Der Umfang der Beweiskraft wird durch die höhere Instanz nach der freien Beweiswür______digung festgestellt.46 Haben die Parteien in Österreich einen gerichtlich protokollierten ______abschließenden Scheidungsfolgenvergleich geschlossen, der – weil nach dortigem Pro______zessrecht nicht erforderlich – nach Diktat nicht vorgespielt und genehmigt wurde, kann ______ ______35 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ______36 MünchKomm-Peters Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 22. ______37 Dienstgericht Düsseldorf Celle MDR 1988, 970; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______38 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5 ff. ______39 BGH NJW 1988; 417, 418; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 7. 40 Dienstgericht Düsseldorf DRiZ 1999, 59–62. ______41 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. ______42 BAG AP § 162 ZPO a.F. mit Anm. Pohle; RG JW 1905, 233; insbesondere im Fall des beauftragten oder ______ersuchten Richters; Musielak-Stadler Rdn. 5; ebenso Stein/Jonas-Roth Rdn. 25. ______43 Zöller-Stöber Rdn. 3; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; a.A. MünchKommPeters § 163 Rdn. 3, wonach beide Auffassungen aufzunehmen sind. ______44 Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Zöller-Stöber Rdn. 4. ______45 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 6. ______46 Zöller-Stöber Rdn. 6.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 159

____später erfolgreich Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs vor einem deut____schen Gericht betreffend in Deutschland erworbene Versorgungsanwartschaften gestellt ____werden. Denn hinsichtlich des Versorgungsausgleichs ist allein maßgeblich das Ge____schäftsstatut, wenn das Ortsrecht – hier das österreichische Recht – den Versorgungs____ausgleich nicht kennt. Der vergleichsweise Verzicht auf den Versorgungsausgleich aber ____ist nach § 125 BGB unwirksam, weil die gemäß § 7 VersAusglG vorgeschriebene Form ____in Bezug auf die Protokollierungsvorschriften nach §§ 159 ff. ZPO nicht eingehalten wur____de.47 ____ ____ 3. Inhalt des § 159 Abs. 2 Satz 1. Nach Abs. 2 ist über alle Verhandlungen sowie 13 ____Beweisaufnahmen außerhalb der Sitzung vor Richtern beim Amtsgericht ein Protokoll ____aufzunehmen. Zu nennen ist das Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 sowie nach §§ 278, ____375, 434, 479 oder das Vollstreckungsverfahren gemäß §§ 764 Abs. 3, 900.48 Abs. 1 gilt ____ferner entsprechend für Verhandlungen vor beauftragten oder ersuchten Richtern, z.B. ____im Fall eines gerichtlichen Geständnis nach § 288 Abs. 1, 2. Variante oder nach § 361 f ____Entsprechend Abs. 1 Satz 2 hat der beauftragte oder ersuchte Richter das Protokoll zu ____erstellen, sofern er von der Zuziehung eines Urkundsbeamten absieht.49 Das erstellte ____Beweisaufnahmeprotokoll ist gemäß § 362 Abs. 2 in Urschrift an das Prozessgericht zu ____schicken.50 Die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 165 gilt jedoch nicht. Sie richtet sich ____vielmehr nach §§ 415 f. Im Übrigen kann auf die Anmerkungen zu Abs. 1 verwiesen wer____den. ____ ____ 4. Zeitpunkt der Protokollierung. Nach § 159 Abs. 1 Satz 1 ist das Protokoll über die 14 ____mündliche Verhandlung und jede Beweisaufnahme zu erstellen. Folglich ist die Erstel____lung des Protokolls während der Verhandlung grundsätzlich nicht zwingend erforderlich ____und kann auch nach dieser geschehen.51 Beinhaltet das Protokoll hingegen Feststellun____gen gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, 5, 8, 9 oder erklärte Anträge, so sind diese gemäß § 162 ____Abs. 1 Satz 1 aus dem Protokoll vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Die genann____ten Feststellungen oder erklärten Anträge müssen demnach bereits während der Ver____handlung oder Beweisaufnahme im Protokoll bzw. in der zulässigen Form gemäß §§ 160, ____160 a vermerkt werden.52 Eine nachträgliche Anfertigung wäre eine Fälschung.53 Das vor____gelesene oder vorgelegte Protokoll erhebt also insoweit kein Anspruch auf Vollständig____keit und Abgeschlossenheit.54 Eine Niederschrift der nach § 162 Abs. 1 Satz 1 vorzulegen____den Inhalte außerhalb eines Protokolls in Form einer vorläufigen stichwortartigen Notiz ____genügt den Anforderungen des § 162 nicht. Das gilt selbst dann, wenn das Protokoll nach ____einem freien Vortrag über den eigentlich aus dem Protokoll vorzulesenden Inhalt ver____vollständigt wird und an die Stelle der Notiz tritt.55 Daher entspricht insbesondere ein ____ ____ ____47 OLG Schleswig FamRZ 2012, 132. ____48 RGSt JW 27, S. 2141; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 1; MünchKomm-Peters ____Rdn. 1. ____49 RGZ 114, 1; OLG München BayZ 27, 98; Zöller-Stöber Rdn. 2. 50 Musielak-Stadler § 160 Rdn. 4. ____51 BGHZ 14, 381, 397; OLG Saarbrücken NJW 1972, 61, 62; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Musielak-Stadler ____§ 160 Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; a.A. OLG Karlsruhe JW 32, 115. ____52 BGH NJW 1999, 794; Zöller-Stöber Rdn. 5; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 8; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; a.A. Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 3. 53 OLG Karlsruhe JW 32, 115. ____54 MünchKomm-Peters Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12. ____55 BGHZ 14, 396 = NJW 1954, 1886; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Musielak-Stadler § 160 Rdn. 8; Stein/ ____Jonas-Roth Rdn. 12.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______nachträglich aus dem Gedächtnis verfasstes Protokoll nicht den Anforderungen des ______§§ 159, 162.56 Im Fall der Videokonferenzschaltung gemäß § 128 a darf die Übertragung ______gemäß § 128 a Abs. 3 Satz 1 auch nicht zum Zwecke der nachträglichen Protokollierung ______aufgezeichnet werden.57 Die nach der mündlichen Verhandlung im Protokoll aufgenom______menen Vorgänge außerhalb der Verhandlung sind nicht mehr Bestandteil des Sitzungs______protokolls. ______ 15 Zu den verzichtbaren Verfahrensmängeln gehört auch das Unterlassen der Protokol______lierung bestimmter Vorgänge. Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht ______auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge unter.58 ______ ______ 5. Absehen von der Protokollierung, Abs. 2 Satz 2. Durch die Einfügung des Satz 2 16 ______soll der Schutz der Vertraulichkeit einer Güteverhandlung oder weiterer Güteversuche ______nach § 278 Absatz 5 in der geänderten Fassung erhöht werden, da die Parteien nach Vor______stellung des Gesetzgebers59 eher zu einer umfassenden Beratung über die Lösung eines ______Konfliktes bereit sein werden, wenn ihnen ihre Erklärungen und ihr Verhalten im Rah______men der Güteverhandlung in dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nicht entge______gengehalten werden können. Daher wird ein Protokoll über das richterlich geführte Gü______tegespräch nur aufgenommen, wenn dies übereinstimmend von den Parteien beantragt ______wird. Die Vertraulichkeit eines Gütegespräches vor einem Güterichter wird im übrigen ______durch weitere Regelungen geschützt, namentlich dadurch, dass es unter Ausschluss der ______Öffentlichkeit geführt werden kann, da das Öffentlichkeitsgebot nach § 169 Satz 1 GVG ______nicht gilt. Dem Güterichter steht zudem ebenso wie dem Streitrichter nach § 383 Abs. 1 ______grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht über den Inhalt des Gütegespräches zu. ______Der Schutz der Vertraulichkeit wird gewährleistet, wenn die Güteverhandlung oder der ______weitere Güteversuch vor einem ersuchten Richter geführt wird. Bei einem beauftragten ______Richter ist eine Abweichung von der grundsätzlich bestehenden Protokollierungspflicht ______gerichtlicher Verhandlungen nicht geboten, da der beauftragte Richter im Unterschied ______zum ersuchten Richter zum erkennenden Gericht gehört und deshalb unabhängig von ______einer etwaigen Protokollierung Kenntnis von dem Inhalt der Gütegespräche hat. ______ ______ ______ § 160 ______ Inhalt des Protokolls ______ § 160 Smid ______ (1) Das Protokoll enthält ______1. den Ort und den Tag der Verhandlung; ______2. die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa ______ zugezogenen Dolmetschers; ______3. die Bezeichnung des Rechtsstreits; ______4. die Namen der erschienenen Parteien, Nebenintervenienten, Vertreter, Be______ vollmächtigten, Beistände, Zeugen und Sachverständigen und im Falle des ______ § 128 a der Ort, von dem aus sie an der Verhandlung teilnehmen; ______5. die Angabe, dass öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen ______ worden ist. ______ (2) Die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung sind aufzunehmen. ______ ______ 56 MünchKomm-Peters Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12. ______57 Musielak-Stadler § 160 Rdn. 8. ______58 BFH/NV 2003, 1195. ______59 Begr. zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 17/8058, S. 21).

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ (3) Im Protokoll sind festzustellen ____1. Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich; ____2. die Anträge; ____3. Geständnis und Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung sowie ____ sonstige Erklärungen, wenn ihre Feststellung vorgeschrieben ist; ____4. die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien; bei ____ einer wiederholten Vernehmung braucht die Aussage nur insoweit in das Pro____ tokoll aufgenommen zu werden, als sie von der früheren abweicht; ____5. das Ergebnis eines Augenscheins; ____6. die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts; ____7. die Verkündung der Entscheidungen; ____8. die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels; ____9. der Verzicht auf Rechtsmittel; ____10. das Ergebnis der Güteverhandlung. ____ (4) Die Beteiligten können beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äuße____rungen in das Protokoll aufgenommen werden. Das Gericht kann von der Aufnah____me absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ____ankommt. Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er ist in das Protokoll aufzuneh____men. ____ (5) Der Aufnahme in das Protokoll steht die Aufnahme in eine Schrift gleich, ____die dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist. ____ Übersicht ____ ____ 1 V. Katalog einzelner, zwingend zu protokollie____I. Normzweck ____ 2 II. Übersicht render Vorgänge, Abs. 3 ____ 1. Allgemeines ____ 23 ____III. Formvorschriften bezüglich des Inhalts der Sitzungsniederschrift, Abs. 1 2. Einzelfälle ____ 24 ____ ____ 1. Allgemeines 4 VI. Antrag auf Protokollierung, Abs. 4 ____ 2. Regelungen des Abs. 1 Nr. 1 bis 5 im 1. Antragsberechtigung ____ 56 ____ ____ Einzelnen 5 2. Zuständigkeit ____ 57 ____IV. Protokollierung der wesentlichen Vorgänge 3. Ermessen des Gerichts ____ 58 ____ der Verhandlung, Abs. 2 4. Keine isolierte Anfechtbarkeit des ____ 1. Allgemeines ____ 16 ablehnenden Beschlusses nach Abs. 4 2. Einzelfälle ____ 17 Satz 3 ____ 60 ____ VII. Anlagen als Protokollbestandteile, ____ Abs. 5 ____ 62 ____ VIII. Beseitigung von Formfehlern ____ 63 ____ ____ ____ I. Normzweck ____ Der umfassende Protokollierungszwang und die Beweiskraft des Protokolls gemäß 1 ____ ____§§ 165, 415, 417 und 418 erfordern die Formalisierung der zwingend durch das Protokoll ____zu erfassenden Umstände, Vorgänge und Erklärungen. Hierzu dient der Katalog des ____§ 160 als Prüfungsmaßstab für ein ordnungsgemäßes Verfahren.1 Die Abs. 1 bis 3 bestim____men den zwingenden Inhalt des Protokolls. Das Gericht hat das Protokoll von Amts we____gen mit dem durch § 160 normierten Inhalt zu führen.2 Über den Bereich zivilprozessua____ ____ 1 Vgl. Begr. zu § 179 RegE, BT(-Drucks.) 12/2443, S. 174; BGH VersR 1985, 46; BGH NJW 1978, 2059; BGH ____NJW 1990, 122; Hamm OLGZ, 1988, 71; BVerwG NJW 1988, 579; Zöller-Stöber Rdn. 1; insbesondere für die ____Prüfung des Rechtsmittelgerichts gem. §§ 529 Abs. 2, 538 Abs. 2 Nr. 1, 546 und 547. ____2 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Zöller-Stöber Rdn. 1.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ler Verfahren hinaus kommt die Vorschrift auch zur unmittelbaren Anwendung in ech______ten Strafverfahren nach dem FGG.3 ______ ______ II. Übersicht ______ ______ Der Gang der Verhandlung ist nur im Allgemeinen anzugeben. Die Vorschrift ist, 2 ______soweit sie nicht durch Abs. 1 und 3 ausgefüllt wird oder ein gemäß Abs. 2 wesentlicher ______Vorgang der Verhandlung vorliegt, eine Sollvorschrift. Daher ist es unschädlich, wenn ______der gesamte Verhandlungsgang in die Niederschrift aufgenommen wird oder wenn au______ßer den Feststellungen nach Abs. 1 bis 3 kein weiterer Inhalt zu Protokoll genommen ______wird.4 Ergänzt werden die Vorschriften durch §§ 182, 183 GVG einerseits und durch ______§§ 313 f. andererseits. Im amtsgerichtlichen Verfahren gilt ferner § 510 a. ______ Im Protokoll stets aufzunehmen sind alle gemäß § 160 Abs. 1 bezeichneten äußeren 3 ______Gegebenheiten einer jeden geführten Verhandlung. Sie ermöglichen anhand dieser er______forderlichen Angaben zur Sache, den Beteiligten, den Erschienenen und der Öffentlich______keit der Verhandlung gemäß §§ 169 ff. GVG, eine Unterscheidung zu anderen Gerichts______verhandlungen, ohne den konkreten Ablauf niederzulegen. Dieser ist vielmehr gemäß ______Abs. 3 von Gerichts wegen im Protokoll festzustellen. Der Katalog umfasst eventuelle ______Vorgänge und Erklärungen während einer Sitzung. In den Fällen des § 161 Abs. 1 brau______chen Feststellungen nach Abs. 3 Nr. 4 und 5 ausnahmsweise jedoch nicht vermerkt wer______den. Darüber hinaus sind gemäß Abs. 2 die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung ______aufzunehmen, sofern sie nicht schon unter Abs. 1 und 3 oder 4 fallen. Abs. 2 kommt so______mit eine Auffangfunktion zu. Abs. 4 bestimmt den möglichen weiteren Inhalt des Proto______kolls. Nach Abs. 4 können die Beteiligten beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder ______Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Dies gilt jedoch nur bis zum Schluss ______der mündlichen Verhandlung.5 Die beantragte Aufnahme steht im Gegensatz zu Abs. 1 ______und 2 im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, sofern der Versagungsgrund gemäß ______Abs. 4 Satz 2 nicht greift. Die ablehnende Entscheidung ist gemäß Abs. 4 Satz 3 unan______fechtbar und ihrerseits im Protokoll festzuhalten. Abs. 5 stellt die Aufnahme in eine An______lage zum Protokoll der Aufnahme in das Protokoll gleich. ______ ______ III. Formvorschriften bezüglich des Inhalts der Sitzungsniederschrift, Abs. 1 ______ ______ 1. Allgemeines. Abs. 1 bestimmt die wesentlichen Förmlichkeiten der Sitzungsnie4 ______derschrift. Sind sie niedergeschrieben, so kommt es zur Beweiswirkung des § 165. Fehlen ______Angaben indes, so gilt § 165 derart, dass diese nicht anderweitig ergänzbar sind. Das Pro______tokoll beweist hingegen nicht, ob i.S.d. § 333 verhandelt worden ist.6 Eine Zustellung des ______Protokolls ist mangels entsprechender gesetzlicher Regelung keine Voraussetzung für ______seine Wirksamkeit.7 ______ ______ ______ ______ ______ ______ ______3 Beckmann/Krömker AO-StB 2005, 81 ff. ______4 Vgl. aber KG JW 37/832, wonach die Protokollierung nach Abs. 2 unter § 165 fallen soll, dagegen: BGH v. 28.11.1955 II ZR 203/54 5. 24. ______5 OLG Frankfurt/Main NJW-RR 1990, 123. ______6 OLG Braunschweig Seuff. 65/226, München 23/137. ______7 BFH StuB 2001, 710.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 2. Regelungen des Abs. 1 Nr. 1 bis 5 im Einzelnen ____ ____ a) Nach Abs. 1 Nr. 1 sind Ort und Tag der Verhandlung, und zwar der Wahrheit ge- 5 ____mäß, anzugeben. Nicht erforderlich ist die Benennung des Sitzungsraums.8 Fehlen die ____Angaben, so sind sie zwar nicht anderweitig ergänzbar, doch wird immerhin nachgewie____sen, dass an irgendeinem Ort im Gerichtsinland und zu irgendeiner zurückliegenden Zeit ____mündlich verhandelt worden ist,9 also im Besonderen dass die Sache zur Verhandlung ____aufgerufen wurde.10 Die Angabe über den Zeitpunkt des Aufrufs zur Sache ist nicht er____forderlich.11 Ebenso wenig muss die genaue Uhrzeit des Schlusses der Verhandlung oder ____der Sitzung im Protokoll angegeben werden. Kommt es zur Verlegung des anberaumten ____Versteigerungstermins in einen anderen als in der Ladung vorgesehenen Sitzungsraum ____desselben Gerichts, ist ein dementsprechender erkennbarer Hinweis vor beiden Räumen ____anzubringen.12 In einem solchen Falle muss nur gewährleistet sein, dass auch unerfah____rene Personen zuverlässig über den wirklichen Terminsort unterrichtet werden.13 Eine ____darüber hinausgehende Hilfestellung durch einen ständig anwesenden Gerichtsbediens____teten ist nicht zu fordern.14 Ist der Termin vorher nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht ____worden, so muss er aufgehoben werden. Zumindest darf dann kein Zuschlag erteilt wer____den. Stets erforderlich ist allerdings, dass die öffentlichen Angaben auch tatsächlich zu____treffen. Will das Gericht nachweisen, wie lange es auf einen Beteiligten gewartet hat, ____sollte es ebenfalls den Zeitpunkt des Verhandlungsbeginns, des Erscheinens des Verspä____teten sowie des ergangenen Versäumnisurteils in das Protokoll aufnehmen.15 Erörterun____gen über die Zuständigkeitsfrage müssen nicht protokolliert werden.16 ____ ____ b) Nach Abs. 1 Nr. 2 sind die Namen der Richter zu beurkunden, einschließlich der 6 ____nach § 192 GVG hinzugezogenen Ergänzungsrichter.17 Wird dies unterlassen, zeitigt dies ____nur dann rechtliche Wirkungen, wenn später ein Ergänzungsrichter an der Entscheidung ____mitwirkt und eine seine Anwesenheit betreffende Rüge erhoben worden ist. Die Unter____schrift des Richters ersetzt seine Benennung im Text.18 Die Kenntlichmachung im Proto____koll, wie das Gericht besetzt war, ist nicht notwendig,19 sie darf in der Entscheidung ____nachgeholt werden.20 ____ Die Unterschrift des mitwirkenden Urkundsbeamten der Geschäftsstelle genügt in- 7 ____soweit den Anforderungen an die Nennung des Namens des Urkundsbeamten gemäß ____ ____ ____8 OLG Köln NJW-RR, 1992, 1022; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ____9 OLG Colmar ZZP 33 (1920), 286. ____10 RG Warn. 1925 Nr. 139. ____11 OLG Köln NJW-RR, 1992, 1022; Zöller-Stöber Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 2. 12 Dies gilt für das Zwangsversteigerungsverfahren gem. § 80 ZVG nach: LG Oldenburg Rpfl. 1990, 470, ____471; Musielak-Stadler Rdn. 2; allgemein: Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 6. ____13 Abweichung OLG Hamm Rpfl. 1979, 29. ____14 LG Oldenburg Rpfl. 1990, 470 f.; a.A. LG Oldenburg Rpfl. 1985, 311–312, die Vorkehrungen, die das ____Gericht bei Verlegung des Terminsortes trifft, um alle Interessenten zu unterrichten, sind in dem Versteigerungsprotokoll zu vermerken, OLG Hamm OLGZ 1979, 376 ff. = OLG Hamm Rpfl. 1979, 29 = NJW ____1979, 1720–1720 = MDR 1979, 151–151; DB 1978, 2475–2475. ____15 So OLG Köln NJW-RR 1992, 1022; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ____16 OLG Koblenz Rpfl. 1979, 474 f. ____17 Musielak-Stadler Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. 18 RGZ 50, 15, 16 ff. = RG v. 18.11.1901 IV E 50/16 für den Einzelrichter; Stein/Jonas-Roth (21) Rdn. 2. ____19 OGH v. 12.12.1948 II E 1/286. ____20 Dagegen aber zu Recht mit Rücksicht auf die Ausschließungsmöglichkeit des § 41: OLG Hamburg HRR ____34/1062.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Abs. 1 Nr. 2.21 Wirken mehrere im Nacheinander mit, so muss jeder Urkundsbeamte den ______Teil, wo er mitgewirkt hat, unterschreiben und seinen Eintritt kenntlich machen. Dabei ______darf auch teilweise mit, teilweise ohne Urkundsbeamte verhandelt werden.22 ______ Abs. 1 Nr. 2 schreibt ferner vor, dass ein hinzugezogener Dolmetscher gemäß 8 ______§§ 185 f. GVG im Protokoll namentlich genannt werden muss.23 Die Verletzung dieser Vor______schrift bewirkt jedoch nur, dass Rügen, welche auf eine unrichtige Verdolmetschung ______gestützt werden, Erfolg haben müssen. In der Berufungsinstanz sind sie u.U. durch Hin______zuziehung eines anderen Dolmetschers zu beheben, in der Revisionsinstanz dadurch, ______dass die falsche Verdolmetschung unterstellt werden muss, so dass gerügte Überset______zungsmängel ebenfalls behoben werden müssen. ______ ______ c) Weiterhin muss nach § 160 Abs. 1 Nr. 3 der Rechtsstreit gekennzeichnet sein, um 9 ______ihn von anderen Verhandlungen, insbesondere Prozessen derselben Parteien, unter______scheiden zu können. Die Angabe des Aktenzeichens24 mit kurzer Sachbezeichnung ist ______üblich und ausreichend; doch genügt auch jede andere Kennzeichnung, auch die durch ______die Parteien und die Richter allein, wenn vor ihnen kein weiterer Streit schwebt, der das______selbe Rubrum hatte.25 ______ ______ d) Abs. 1 Nr. 4 schreibt vor, dass der Name der Erschienenen anzugeben ist. Zu den 10 ______Erschienen gehören die Parteien, die Streitgehilfen, die gesetzlichen Vertreter (§ 51), die ______gewillkürten Vertreter (§ 78), die organmäßigen Vertreter und die Beistände (§ 90). Eine ______Ladung wird für die Protokollierung der Erschienenen nach Abs. 1 Nr. 4 nicht vorausge______setzt.26 Soweit die Nämlichkeit der Person aktenkundig oder gerichtsbekannt ist, genügt ______die kurze Bezeichnung mit der Parteistellung „der Kläger in Person“. Insoweit gehört ______dann die Nämlichkeit der Erschienenen nicht unter § 165.27 Die Prozessbevollmächtigten ______werden durchweg namentlich bezeichnet, doch würde es auch genügen, wenn man sie ______als Prozessbevollmächtigte der Partei nennt. Anders ist dies, wenn nicht der Prozessbe______vollmächtigte selbst, sondern für ihn ein Vertreter erscheint, dann muss auch dieser be______zeichnet werden, oder wenn von mehreren nur einer oder einige erschienen sind. ______ Eine Pflicht, die ladungsfähigen Anschriften (Adressen) der erschienenen Partei11 ______en aufzunehmen, besteht nach § Abs. 1 Nr. 4 nicht. Etwas anderes gilt nach § 750 Abs. 1 ______aber für den Fall, dass das Protokoll einen Vollstreckungstitel beinhaltet.28 Dessen Auf______nahme wird aber nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 für die Zustellung sowie den reibungslosen Ab______lauf der Zwangsvollstreckung als zwingend angesehen.29 ______ Zwar wurde sogar der Beweis gegen die Protokolle zugelassen, wonach ein anderer 12 ______als der aufgeführte Anwalt für die Partei erschienen war.30 Dies stellt jedoch ein Verstoß ______gegen § 165 dar. Die Feststellung, dass die Vertreter bevollmächtigt worden sind, fällt ______ ______21 Vgl. RGZ 50, 15, 16 ff. ______22 Stein/Jonas-Roth Rdn. 19. ______23 Jessnitzer Dolmetscher, 1982, 7. Abschnitt M III. ______24 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______25 Stadler spricht von schlagwortartiger Bezeichnung des Rechtsstreits, in Musielak Rdn. 2. 26 Musielak-Stadler Rdn. 2; nur Parteien, Zeugen und Sachverständige, in Zöller-Stöber Rdn. 2; nach ______Roth sind nur geladene Zeugen stets zu protokollieren, in Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______27 RGSt 46, 112. ______28 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 750 Rdn. 15. ______29 Musielak-Stadler Rdn. 2; Musielak-Musielak § 313 Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 2; offen gelassen, aber darauf hingewiesen, dass dies nicht der verbreiteten Praxis entspricht, die sich mit dem kurzen Rubrum ______begnügt und für eine vollstreckbare Ausfertigung die übrigen Angaben aus der Klageschrift entnimmt, in ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6, ebenso Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______30 OLG Hamm SJZ 49/552.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____nicht unter § 165;31 auch nicht die, dass ein als gesetzlicher Vertreter Auftretender es ist. ____Über Protokollberichtigung vgl. § 164. In der Sitzungsniederschrift braucht ein im Sit____zungssaal anwesender, aber nicht mündlich verhandelnder Prozessbevollmächtigter ____nicht aufgeführt zu werden.32 ____ Ferner sind die Zeugen und Sachverständigen in das Protokoll aufzunehmen. Das 13 ____gilt für Zeugen und Sachverständige sogar für den Fall, dass diese nicht vernommen ____werden.33 Dabei empfiehlt es sich, den Zeitpunkt der Entlassung des Zeugen und Sach____verständigen im Protokoll zu vermerken,34 sowie einen eventuellen Verzicht auf eine ____Entschädigung.35 In das Protokoll der mündlichen Verhandlung ist daher grundsätzlich ____die Aussage des Gutachters aufzunehmen, der sein Gutachten zur Mangelhaftigkeit der ____Mietsache, die im Streit steht, mündlich erläutert. Das Gericht kann aber ausnahmsweise ____die Erläuterungen des Sachverständigen in einem Aktenvermerk oder im Tatbestand des ____Urteils festhalten oder sie in den Entscheidungsgründen hinreichend deutlich erkennen ____lassen.36 ____ Regelmäßig sind auch Personen, denen aufgrund Gewohnheitsrechts die Beiwoh- 14 ____nung einer nichtöffentlichen Verhandlung gestattet wird, nicht namentlich im Protokoll ____zu vermerken.37 Werden im Wege der Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen ____i.S.d. § 128 a von einem anderen Ort vorgenommen, so ist dieser ebenfalls im Protokoll ____anzugeben.38 ____ Nach Abs. 1 Nr. 5 ist noch anzugeben, ob i.S.d. §§ 169 ff. GVG öffentlich oder nicht öf- 15 ____fentlich verhandelt worden ist.39 Bei der Bezeichnung der Verhandlung als „öffentliche ____Sitzung“ ist der Beweis erbracht, dass öffentlich verhandelt wurde.40 Bei einer nichtöf____fentlichen Verhandlung sei die Beurkundung, dass kein Nichtbeteiligter anwesend war, ____nicht als ausreichend anzusehen.41 Doch ist dies im Zivilprozess überspannt. Die Öffent____lichkeit darf nur nach den örtlichen Gegebenheiten eingeschränkt werden, wenn sie das ____Gesetz anordnet.42 Fehlt die Angabe über die Öffentlichkeit, so ist, dem Regelfall im Zi____vilprozess entsprechend, davon auszugehen, dass öffentlich verhandelt worden ist.43 ____ ____ ____ ____31 RG v. 13.5.1930 III E 129/37. ____32 Landessozialgericht Rheinland ZfSH 1976, 366; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz SozVers 1974, ____336. ____33 Nur Zeugen, in Musielak-Stadler Rdn. 2; einschränkend nur auf geladene Zeugen abstellend, Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; bei Parteien und Zeugen, in Zöller-Stöber Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach____Hartmann Rdn. 6. ____34 Musielak-Stadler Rdn. 2; grds. entbehrlich, wenn sich Uhrzeit aus dem von dem Richter ____unterzeichneten Gebührenformular ersehen lässt; in Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2; ebenso ____Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. 35 Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ____36 BGH WuM 2004, 411. ____37 Köln OLGZ 1985, 319; Hartmann nennt z.B. in anderer Sache wartende Anwälte, in Baumbach/ ____Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. in nichtöffentlichen Verhandlungen anwesende Personen, abgesehen ____von Richtern oder Beamten der Dienstaufsicht gem. § 175 Abs. 3 GVG, sollten jedoch namentlich ____festgehalten werden, in Zöller-Stöber Rdn. 2; Anwesende sollten namentlich vermerkt werden, MusielakStadler Rdn. 2. ____38 Zöller-Stöber Rdn. 2. ____39 RG v. 4.5.1938 VI E 157, 341, 343; RArbG ArbRspr. 29, 310; RG v 11.3.2004 IV JW, 373: bei der ____Ausschließung der Öffentlichkeit; vgl. § 547 Nr. 5, wonach die Verletzung der Vorschriften über die ____Öffentlichkeit des Verfahrens einen absoluten Revisionsgrund darstellt. 40 OLG Köln NJW-RR 1986, 560; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ____41 RG v. 13.1.1938 IV DJ, S. 467; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ____42 RG v. 4.5.1938 VI E 157, 341. ____43 BVerwG NJW 1960, 2210.

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______Trotz erhobener Rüge hat das Gericht frei zu würdigen, ob öffentlich verhandelt wurde ______(vgl. § 159).44 ______ ______ IV. Protokollierung der wesentlichen Vorgänge der Verhandlung, Abs. 2 ______ ______ 1. Allgemeines. Nach Abs. 2 sind die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung auf16 ______zunehmen. Was im konkreten Einzelfall wesentlich ist, ist nach den Grundsätzen der für ______unbestimmte Rechtsbegriffe geltenden Auslegungsmethoden zu ermitteln.45 Die Rechts______folge wesentlicher Vorgänge ins Protokoll aufzunehmen, ist nach dem eindeutigen Wort______laut des Abs. 2 hingegen zwingend.46 Unter telelogischer Auslegung der „wesentlichen ______Vorgänge“ ergibt sich, dass zumindest alle für das laufende Verfahren entscheidungs______und ergebniserheblichen Vorgänge protokolliert werden müssen, damit sich die Rechts______mittelinstanz im Einzelfall von der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens effektiv über______zeugen kann.47 Bei systematischer Auslegung sind Vermerke über die im Einzelnen ______gesetzlich geregelten Vorgänge und konkretisierten Verfahrensabläufe als wesentlich ______einzustufen. Dazu gehören insbesondere §§ 139, 278 Abs. 2 und 3, 279, 285.48 Ferner sind ______unter verfassungskonformer Auslegung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG die Vorgänge ______hinsichtlich der Gewährung richterlichen Gehörs wesentlich. Schließlich sind mit Rück______sicht auf einen effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 im Zweifel alle Vorgänge ______aufzunehmen, welche für eine gerichtliche Überprüfung des Verfahrens erforderlich ______sind. ______ ______ 2. Einzelfälle ______ ______ 17 a) Aufzunehmen ist daher nur, was tatsächlich im konkreten Einzelfall Bedeutung ______hat.49 Dazu gehört nur der äußere Hergang der Verhandlung.50 Zu protokollieren ist ______danach, ob Urkunden zu Beweiszwecken oder ausschließlich zur Information in die Ver______handlung eingeführt worden sind.51 Festzuhalten ist ebenfalls, welche Vergleichsvor______schläge das Gericht vorgetragen hat und inwieweit das Gericht auf das Verfahren i.S.d. ______ ______ ______ ______44 BGH NJW, 711. ______45 Peters räumt dem Gericht bei der Einschätzung, was wesentlich ist, eine großzügige Handhabung ein, in MünchKomm-Peters Rdn. 2. ______46 A.A. Koblenz MDR 1975, 63; München NJW 1964, 361; Köln FamRZ 1998, 1444; sowie ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7 spricht in diesem Zusammenhang von einem weiten Ermessen. ______Dieses Ergebnis widerspricht dem Wortlaut der Norm, welche die äußerste Auslegungsgrenze darstellt; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 5 sieht in den Angaben über die Gewährung des rechtlichen Gehörs, auch Vermerke über §§ 139, 278 Abs. 3 a.F. als „angebracht“ und „empfehlungswert“, womit nur ein auf der ______Rechtsfolgenseite eingeräumtes Ermessen des Gerichts gemeint sein kann oder der Schluss zu ziehen ist, ______dass ein solcher Vermerk unwesentlich ist; so auch Franzki DRiZ 1977, 161, 164; Bischof Der Zivilprozess ______nach der Vereinfachungsnovelle, 1980, Rdn. 182; Zöller-Greger Rdn. 9; nach Stöber fallen Prozessanträge ______unter Abs. 2, zieht daraufhin aber den Schluss, dass ihre Aufnahme daher nicht zwingend sei, in Zöller______Stöber Rdn. 6. 47 OLG Frankfurt am Main MDR 1989, 550; Stadler empfiehlt daher, unter Berufung auf den Normzweck, ______eine großzügigere Protokollierung, um Missverständnissen in der Rechtsmittelinstanz vorzubeugen, in ______Musielak-Stadler Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 1 und 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ______48 So auch BGH MDR 1989, 972 = BGH NJW 1990, 121, 122; Hamm OLGZ 1988, 71; § 182 GVG, KG MDR ______1982, 330; bezogen auf ein Zwangsvollstreckungsverfahren, OLG Zweibr Rpfl. 1978, 108; Baumbach/ Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3. ______49 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9. ______50 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3 m.w.N. ______51 Zöller-Stöber Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7.

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____§ 139 Einfluss genommen hat.52 Dabei ist zugleich das Verhalten der Parteien im Proto____koll festzuhalten. Vermerkt werden muss auch, ob die Parteien streitig verhandelt ha____ben.53 Eine kurzfristige Unterbrechung der mündlichen Verhandlung ist kein in das ____Sitzungsprotokoll aufzunehmender wesentlicher Vorgang. Insbesondere ist aus dem ____Schweigen des Protokolls nicht auf eine fehlende Unterbrechung der mündlichen Ver____handlung zu schließen.54 Auch solche Umstände während des Verhandlungsablaufs, die ____materiellrechtlich für die Rechtserkenntnis ausschlaggebend sind, hat das Gericht in der ____Sitzungsniederschrift zu berücksichtigen. Erfährt beispielsweise der Arbeitnehmer von ____einem Kündigungsschreiben erst im Gütetermin, kann ein Antrag zur nachträglichen ____Klagezulassung nebst Begründung und eventueller Glaubhaftmachung in der mündli____chen Verhandlung gestellt werden und ist gemäß Abs. 2 ZPO in das Protokoll aufzuneh____men.55 ____ ____ b) Formelle Anträge sollten aufgenommen werden (vgl. aber § 160 Rdn. 36). Eine ____auswärtige Beweisaufnahme (§ 285 Abs. 2), die erstinstanzliche Entscheidung und ____Beweisverhandlung im Berufungsverfahren (§ 526) und im Revisionsverfahren (§ 566) ____sollten protokolliert werden. Die Unterlassung verstößt gegen § 165;56 doch ist das Unter____bleiben der Feststellung im Protokoll, wenn es geschehen ist, bedeutungslos für das Kos____tenrecht.57 ____ ____ c) Auch die Beeidigung und die Parteierklärungen hierzu sollten niedergeschrie____ben werden. Nach Möglichkeit gilt dies auch für die Einzelheiten des mündlichen Vor____trags der Parteien, soweit er vom schriftlichen abweicht, wenn dieser nach § 313 Abs. 1 ____Nr. 3 in den Tatbestand gehört, wie überhaupt der Tatbestand in all diesen Fällen das ____Protokoll ergänzt. ____ ____ d) Jedenfalls ist auch die Tatsache, dass die Partei auf Antrag selbst das Wort er____halten hat zu protokollieren58 und nicht bloß im Tatbestand festzuhalten; nicht aber ____notwendigerweise das, was sie ausgeführt hat. Ebenso ist die Tatsache zu protokollieren, ____dass rechtliches Gehör gewährt worden ist.59 ____ ____ e) Zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung, die nach Abs. 2 in das Proto____koll aufzunehmen sind, gehört im weiteren die Verhandlung der Parteien über das Er____gebnis der Beweisaufnahme nach § 285 Abs. 1 und die erneute Erörterung des Sach- und ____Streitstands nach § 278 Abs. 2 Satz 2.60 ____ ____ ____52 RG v. 28.10.1911 V 141/11 N/7; Zöller-Stöber Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3; dies gebietet insbesondere § 139 Abs. 4, eine Verletzung der Dokumentationspflicht kann verfassungsrechtlich als ____Missachtung des Art. 103 Abs. 1, 19 Abs. 4 gerügt werden. ____53 LArbG Frankfurt NZA-RR 1996, 168–170; Herpers DRiZ 1974, 225, 226; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ____54 BAGE 5, 170, 173; BFH 11. Senat, BB 2001, 2043–2046; BFH/NV 2001, 1505–1508; BFH-PR 2001, 394– ____395; DStZ 2001, 829–830; DStRE 2001, 1254–1256; StRK FGO § 94 R. 42; DB 2001, 2180. ____55 LAG Nürnberg Beschluss vom 5.1.2004, Az: 9 Ta 162/03 Bibliothek BAG; EzA 2004, Nr. 4, 7; StBT 2004, Nr. 5, 19. ____56 Nach RG v. 9.2.1905 V Seuff. 61/97. ____57 KG JW 37/832. ____58 § 137 IV, RG v. 8.7.1904 II JW, 493. ____59 RG v. 31.5.1923 VI E 107, 142, 144; nach BSG NJW 1991, 1909 reichte der Vermerk gem. § 279 Abs. 3 „der Sach- und Streitstand wurde mit den Parteien erörtert“ nicht aus; sich anschließend Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 6; nach a.A. sei dieser Vermerk ausreichend, sofern im Einzelfall vom Gericht aufgenommen und ____nicht ausschließlich im Protokollformular vorgedruckt, in Musielak-Stadler Rdn. 3. ____60 BGH GRUR 1989, 628–629 = MDR 1989, 972 = NJW 1990, 121–122.

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______ 22 f) Ist die Erörterung kostenpflichtig, sollte das im Protokoll vermerkt werden. Un______abhängig davon, dass die Erörterungsgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO nicht allein ______dafür vorausgesetzt wird.61 Eine ausführliche Protokollierung ist bei Fragen der Befan______genheit eines Richters vorzunehmen.62 Darüber hinaus ist zu vermerken, ob eine Festset______zung eines Ordnungsgeldes wegen Ungebühr nach § 178 GVG63 erfolgte. Ferner ist das ______Schließen der Verhandlung zu protokollieren.64 ______ ______ V. Katalog einzelner, zwingend zu protokollierender Vorgänge, Abs. 3 ______ ______ 1. Allgemeines. Nach Abs. 3 sind die in den folgenden Erläuterungen näher zu be23 ______handelnden Ereignisse zwingend in das Protokoll aufzunehmen. Sie fallen unter § 165. ______Allerdings dürfen die Förmlichkeiten der Beweisaufnahme, im Besonderen die der Beei______digung der Zeugen,65 der Sachverständigen und der Parteien66 auch durch den Tatbe______stand der Entscheidung nachgewiesen werden. Die Beratung wird überhaupt nicht pro______tokolliert.67 Über das Erfordernis der Verlesung zu § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, 5, 8, 9 vgl. § 162 ______Rdn. 2 f. Soweit die Parteien im Verlauf der Verhandlung rechtsgeschäftliche Erklärun______gen abgeben, sind für deren Protokollierung allein die zivilprozessualen Vorschriften ______maßgeblich, nicht die außerhalb des Prozesses geltenden Regelungen.68 Der gerichtlich ______im Protokoll aufgenommene Vergleich (unten Rdn. 30 f.) ersetzt allerdings nach § 127 a ______BGB die notarielle Beurkundung.69 ______ ______ 2. Einzelfälle ______ ______ a) Im Wortlaut zu protokollieren sind gemäß Abs. 3 Nr. 1 das Anerkenntnis des Kla24 ______geanspruchs durch den Gegner nach § 30770 und der Verzicht auf den (Klage-)Anspruch ______durch den zuvor Begehrenden nach § 306.71 Ist ein Anerkenntnis ausweislich des Proto______kolls nicht vorgespielt, vielmehr lediglich laut diktiert und genehmigt worden, hat der ______Verstoß gegen die Protokollierungsvorschriften die Unbeachtlichkeit des Anerkenntnisses ______auch dann zur Folge, wenn Abgabe und Inhalt der Genehmigungserklärung anderweitig ______festgestellt werden können.72 Aus einem gerichtlichen Vergleich, der zur Bezeichnung von ______Mängeln auf ein Sachverständigengutachten Bezug nimmt, kann die Zwangsvollstre______ckung nur durchgeführt werden, wenn das Gutachten im Vergleichsprotokoll als Anlage ______bezeichnet und diesem beigefügt ist.73 ______ ______ ______61 BSG NJW 1991, 1909; OLG Düsseldorf MDR 1989, 751; BGH FamRZ 1986, 899; OLG Hamburg JurBüro ______1985, 411, 412; Hamm Rpfl. 1988, 381; Schmidt MDR 1976, 589; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber ______Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. 62 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______63 Zöller-Stöber Rdn. 3. ______64 Stein/Jonas-Roth Rdn. 24. ______65 RG v. 9.2.1905 VI Seuff. 61/97. ______66 RG v. 9.2.1905 VI JW, 233. ______67 RGSt 17/287. 68 Stein/Jonas-Roth Rdn. 11. ______69 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 3. ______70 Ffm AnwBl 1988, 119; ebenfalls der Verzicht in Kindschaftssachen, Hamm Rpfl. 1987, 414; Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 5; Peters spricht nur von der ______Notwendigkeit der Protokollierung, in MünchKomm-Peters Rdn. 3. 71 Zöller-Stöber Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Musielak-Stadler Rdn. 5; ______MünchKomm-Peters Rdn. 3. ______72 Abzulehnen die abweichende Ansicht vom OLG Brandenburg DAVorm 2000, 58. ______73 OLG Schleswig BauR 2009, 851.

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____ Stellt ein Anerkenntnis, Anspruchsverzicht oder Vergleich das Ergebnis der, der ____mündlichen Verhandlung vorausgegangenen gerichtlichen Güteverhandlung gemäß ____§ 278 Abs. 2 dar, war dieses bereits gemäß Abs. 3 Nr. 10 festzuhalten. ____ Anerkenntnis und Verzicht können im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2) auch ____schriftlich wirksam erklärt werden. In diesem Fall werden sie nicht protokolliert. An Stel____le eines prozessual unwirksamen Anerkenntnisses oder Verzichts kann bei Wahrung der ____Schriftlichkeit ein außerprozessuales Anerkenntnis nach § 781 BGB abgegeben werden, ____und zwar bei Vollkaufleuten auch ohne Wahrung der Schriftform durch mündlichen ____Vertrag gemäß § 350 HGB. Anstelle eines prozessual unwirksamen Verzichts kann ein ____formloser Erlassvertrag nach § 397 BGB gegeben sein. Die sich aus der außerprozessua____len Erklärung ergebende Wirkung muss aber, gegebenenfalls im selben Prozess, zur pro____zessualen Entscheidung gebracht werden;74 vgl. § 794. ____ Soweit außerprozessuale Erklärungen wie Anerkenntnis und Verzicht im Prozess ____wirksam abgegeben werden, sind sie von der prozessualen Wirksamkeit nicht abhängig. ____Prozessuales Anerkenntnis und prozessualer Verzicht führen daher nach Antrag der an____deren Seite unmittelbar zum Urteil. ____ ____ aa) Ferner ist der Vergleich in seinem ganzen Inhalt nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 zu proto____kollieren. 75 Die Erklärung muss unzweideutig, 76 braucht aber nicht ausdrücklich zu ____sein.77 Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie auch für die Rechtsmittelverzich____te gemäß Abs. 3 Nr. 9 (unten Rdn. 56). Die Festsetzung einer anwaltlichen Vergleichsge____bühr im Kostenfestsetzungsverfahren erfordert, dass die Parteien einen als Vollstre____ckungstitel tauglichen Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO haben protokollieren ____lassen.78 Ferner ist im Protokoll festzuhalten, ob der Vergleich vor oder nach streitiger ____Verhandlung erfolgte.79 ____ Der Vergleich zur Beendigung des Verfahrenshandlung ist daher nur dann wirksam ____und ohne weiteres Vollstreckungstitel, wenn er in der Form der §§ 794 Abs. 1 Nr. 1 sowie ____der §§ 159–160 a, 162 bis 164 protokolliert wurde.80 Ein Prozessvergleich, der ausweislich ____des Protokollinhalts den Parteien weder vorgelesen noch zur Durchsicht vorgelegt wor____den ist, ist, da er prozessual unwirksam ist, auch keine Grundlage einer Kostenfestset____ ____ ____74 Vgl. RG v. 29.9.1933 I E 142/1: bei Anfechtung eines außergerichtlichen Vergleichs: aber nicht, sofern ____behauptet wurde, dass eine Partei nach außerprozessualem Recht vom außergerichtlichen Vergleich zurückgetreten sei; a.M. RG v. 30.1.1909 I Warn. 330 das annahm, dass die Vergleichsanzeige die Revision ____unzulässig mache; RG v. 1.12.1912 VII E 78, 286, 289 setzte dasselbe Verfahren nur bei äußerem Mangel des ____Vergleichs fort; RG v. 21.2.1923 V E 106/313 verlangte bei Streit über Inhalt und Tragweite des Vergleichs ____einen neuen Prozess; ebenso BGH v. 10.3.1955 II E 16/388 = NJW 705 bei Rücktritt vom Vergleich nach BGB ____§ 326; RG v. 19.5.1933 VII E 141/104 hat für den Fall, dass die Geisteskrankheit einer Partei behauptet wurde, den neuen Prozess für erforderlich gehalten. ____75 OLG Hamm MDR 2000, 350; OLG Ffm FamRZ 1991, 839; BayObLG Wohnungseigentümer 1989, 183; ____OLG Köln FamRZ 1984, 1048; Zweibrücken RR 1992, 1408 OLG Zweibrücken Rpfl. 2004, 508; Baumbach/ ____Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 3. ____76 RG v. 18.5.1986 II E 16, 344, 346. ____77 RG v. 30.1.1909 I Warn. 330. 78 BGH NJW 2002, 3713 = MDR 2002, 3713. ____79 Zöller-Stöber Rdn. 4. ____80 BGH 16, 388, 390 = NJW 1955, 705; KG Rpfl. 1973, 325 m.w.N.; OLG Frankfurt NJW 1973, 1131, FamRZ ____1980, 907; Köln FamRZ 1984, 1048; OLG Zweibrücken NJW-RR 1992, 1408; OLG Hamm MDR 2000, 350; ____FamRZ 1984; 1048; OLG Nürnberg MDR 1960, 931; BAGE 8, 228 = BAG JZ 1960, 321; OLG Oldenburg MDR 1958, 850; OLG Celle NJW 1965, 1970; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 5; ____Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13, 15; ferner ist auf die identitätssichere Bezeichnung der ____Parteien im Protokoll zu achten, in MünchKomm-Peters Rdn. 3, § 159 Rdn. 5; a.A. Vollkommer Rpfl. 1973, ____269.

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______zung.81 Es sei denn, die Parteien haben auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Former______fordernis verzichtet, und deren Nichtbeachtung gefährdet den damit verbundenen Zweck ______nicht.82 Eine nach § 160 a Abs. 1 erfolgte Dokumentation des Willens der Prozessparteien, ______einen Vergleich abzuschließen, kann nicht aufgrund eines z.B. durch einen Übertragungs______fehler falsch hergestellten Protokolls in Frage gestellt werden.83 Bei Abschluss eines Ver______gleiches ist daher erforderlich, dessen gesamten Inhalt in das Sitzungsprotokoll aufzu______nehmen. ______ ______ bb) Widerruf. Der Widerruf einer Vaterschaftsanerkennung ist nur solange mög30 ______lich, wie die Anerkennung noch nicht wirksam geworden ist. ______ Wird ein Vergleich unter Widerruf geschlossen, so ist diese Bedingung in das Proto31 ______koll aufzunehmen. Ist sie nicht aufgenommen, so ist der Vergleich sofort gemäß § 794 ______Abs. 1 Nr. 1 vollstreckbar. Dennoch kann sie aber auch ohne Protokollierung im selben ______Verfahren geltend gemacht werden, wie dies bei dem angefochtenen Vergleich der Fall ______ist (vgl. § 794). Der Widerruf kann stets innerhalb der Frist gegenüber dem Gericht erklärt ______werden, und zwar schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle,84 mündlich ohne Pro______tokollierung nur in einem Termin.85 Wurde die Widerrufsfrist für einen Prozessvergleich ______bei der vorläufigen Aufzeichnung auf Tonträger gemäß § 160 a Abs. 1 festgehalten und ______von den Parteien nach Vorspielen genehmigt, ist dieser Termin gegenüber dem abwei______chenden Inhalt des gemäß § 160 a Abs. 2 hergestellten Protokolls maßgeblich, da der ______vorläufig aufgezeichnete Stichtag für den Fristablauf dem wirklichen Willen der Parteien ______entspricht.86 Wird ein Prozessvergleich hingegen unbedingt abgeschlossen, beendet die______ser den Rechtsstreit ungeachtet eines nachträglich vereinbarten Widerrufsvorbehalts.87 ______ ______ 32 cc) Eine inhaltliche Verweisung auf ein Schriftstück, das der Niederschrift nicht als ______Anlage beigefügt ist, ist nicht zulässig, auch wenn es sich dabei um eine notarielle Ur______kunde handelt.88 ______ ______ dd) Den Anforderungen des Abs. 3 Nr. 1 kann gemäß Abs. 5 auch dadurch Rechnung 33 ______getragen werden, dass der Inhalt des Anerkenntnisses oder Verzichts, regelmäßig des ______Vergleiches in eine Schrift aufgenommen wird, die dem Sitzungsprotokoll als Anlage ______beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist. Wird in einem zu Protokoll des Gerichts ______geschlossenen Prozessvergleich zur (notwendigen) Verdeutlichung des titulierten An______spruchs auf Schriftstücke Bezug genommen, so stellt dieser Vergleich nur dann einen ______zur Vollstreckung geeigneten Titel dar, wenn die Schriftstücke dem Protokoll daher nach ______Maßgabe des Abs. 5 beigefügt sind.89 Die nicht diesen Anforderungen genügende Bezug______nahme auf ein Schriftstück außerhalb des Protokolls stellt keine ordnungsgemäße Beur______kundung des Vergleiches dar90 und ist daher unwirksam. So ist es nicht genügend, dass ______sich eine Partei im Vergleich zur Ausführung bestimmter, von einem Sachverständigen ______ ______ ______81 LG Berlin JurBüro 1987, 1889–1890. ______82 OLG Hamburg MDR 1973, 767–768. 83 SchlHA OLG 1996, 221. ______84 OLG München 23/156; die Erklärung gegenüber dem Gegner wirkt außerprozessual stets, prozessual ______nur wie der nicht protokollierte Widerruf; a.M. OLG Hamburg v. 3.6.1954 – 6 U 424/53. ______85 Derselben Sache; RG v. 25.11.1932 III HRR 33/342. ______86 OLGR Schleswig 1996, 220–221. 87 OLG Koblenz JurBüro 1993, 115–116 = MDR 1993, 687. ______88 Bezüglich eines Vergleiches, BayObLG Wohnungseigentümer 1989, 183. ______89 OLG Zweibrücken Rpfl. 1992, 441 = NJW-RR 1992, 1408 = MDR 1993, 84. ______90 OLG Zweibrücken MDR 1993, 84.

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____in einem vorangegangenen Beweisverfahren als erforderlich festgestellter Arbeiten ver____pflichtet, das Gutachten aber nicht als Anlage zum Vergleich zu Protokoll genommen ____wird.91 Lässt sich nicht feststellen, ob ein vor Vergleichsabschluss vorbereitetes, von den ____Parteien nicht unterzeichnetes Schriftstück, das als Anlage zum Gerichtsprotokoll ge____nommen worden ist, vorgelesen und von den Parteien genehmigt wurde, liegt ein Pro____zessvergleich nicht vor. Eine Betreibung der Zwangsvollstreckung aus diesem Vergleich ____scheidet damit aus.92 Ebenfalls ist der auf Tonträger aufgenommene, aber nicht vorge____spielte Vergleich in prozessualer Hinsicht unwirksam. Ein diesbezüglicher Verzicht der ____Parteien ist rechtlich nicht von Belang. Ist ein Prozessvergleich wegen formeller Mängel ____unwirksam, so kann die getroffene Vereinbarung gleichwohl als außergerichtlicher ma____teriell-rechtlicher Vergleich Bestand haben,93 sofern dies dem mutmaßlichen Parteiwil____len entspricht.94 Für diesen Fall kann aber keine Beendigung des Rechtsstreits ange____nommen werden95 (§ 794). ____ ____ b) Die nach Abs. 3 Nr. 2 in die Niederschrift aufzunehmenden Anträge betreffen nur 34 ____Sachanträge (§ 261), also die, welche den außerprozessualen Anspruch betreffen. Dazu ____gehören somit nicht Prozessanträge.96 So fallen daher Anträge auf Klagabweisung, Kos____tenanträge nach Klagrücknahme gemäß § 269 Abs. 3 oder nach Berufungsrücknahme ____oder Erledigung der Sache gemäß § 91 a oder Anträge zur Zuständigkeit des Gerichts oder ____auf Vertagung97 sowie das Einverständnis zur schriftlichen Entscheidung oder der An____trag auf Aktenlageentscheidung nach § 331 a98 nicht unter die Protokollierungspflicht ____gemäß Abs. 3 Nr. 2. Das Gleiche gilt für Anträge auf Erlass von Anerkenntnis, Verzicht____und Versäumnisurteilen.99 ____ Die zu protokollierenden Anträge müssen in Schriftsätzen, im Protokoll oder in einer 35 ____Anlage zum Protokoll gemäß § 297 schriftlich niedergelegt sein.100 Ob sie verlesen oder ____auf sie Bezug genommen wird, was beides zulässig ist, braucht im Protokoll nicht festge____stellt zu werden.101 Verstöße dagegen sind unschädlich,102 wenn die Anträge im Protokoll ____ ____ ____91 OLG Hamm, MDR 2000, 350; BauR 2000, 1231–1232. ____92 KG Berlin FamRZ 1981, S. 193–195. ____93 BGHZ 79, 71, 74; BAGE 8, 228 = BAG JZ 1960, 321; RG v. 26.2.1909 VII Warn. 294. ____94 LG Zweibrücken OLGR 2002, 112–113. ____95 BArbG E 8/28 = MDR 60/440. 96 Köln MDR 1998, 1370 = NJW-RR 1999, 288; BVerwG NJW 1988, 1228; Düsseldorf NJW 1991, 1492, 1493; ____Ffm FamRZ 1982, 810; Düsseldorf MDR 1990, 561; OLG Koblenz JurBüro 1974, 1269, 1270; OLG München ____NJW 1964, 361, 364; OLG Hamm AnwBl 1974, 276; Prozessanträge sind nach Abs. 2 zu protokollieren, in ____Zöller-Stöber Rdn. 6; ebenso Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; a.A. ____Peters der auch Prozessanträge erfasst sieht und die enge Auslegung mit dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift nicht vereinbar hält; zieht hingegen jedoch nicht die konsequente Folge der Verpflichtung zur ____Protokollierung gem. Abs. 3 Nr. 2, sondern zieht bloß in Erwägung die Protokollierung nach Abs. 2 ____vorzunehmen, in MünchKomm-Peters Rdn. 4; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 6. ____97 OLG München NJW 1964, 361; OLG Hamm Rpfl. 1974, 327; OLG Koblenz MDR 1975, 63; Stein/Jonas____Roth Rdn. 16; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16. ____98 OLG Koblenz 75/63. 99 RG v. 23.2.1939 V E 159, 357, 360. ____100 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 17; ____MünchKomm-Peters Rdn. 5; nach Stadler braucht die Protokollierung nicht wörtlich erfolgen, in Musielak____Stadler Rdn. 6. ____101 OLG Saarbrücken NJW 72/61, a.A. diff. Stein/Jonas-Roth Rdn. 17: Vorlesen, Vorlage sowie Abspielen sind nach § 162 Abs. 1 Satz 3 ebenso wie die Genehmigung oder erhobene Einwendungen zu vermerken; ____bei der Bezugnahme auf ein Schriftstück ist der Protokollierung mit einer Anlage gem. Abs. 5 genüge ____getan; Musielak-Stadler Rdn. 6. ____102 A.M. OLG Dresden 23/160.

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______fehlen, aber in den Tatbestand der Entscheidung aufgenommen werden.103 Schweigt in______soweit nur das Protokoll, steht aber der Tatbestand fest, so ist das Schweigen des Proto______kolls nicht unbeachtlich.104 Das folgt schon daraus, dass bei Widerspruch zwischen Pro______tokoll und Tatbestand aber nach § 313 Abs. 1 Nr. 5, § 314 Abs. 1 Satz 2, auch bezüglich des ______Inhalts der gestellten Anträge,105 das Protokoll vorgeht.106 Daher gilt, dass das Fehlen des ______notwendigerweise zu protokollierenden Klageantrags im Protokoll durch Aufnahme in ______den Urteilstatbestand nicht ersetzt und der Verstoß gegen § 308 dadurch nicht geheilt ______werden kann. Vielmehr geht das Sitzungsprotokoll dem Inhalt des Tatbestands vor.107 ______Daher muss auch eine Beschränkung des Klageantrags protokolliert werden.108 ______ 36 Weiterhin sind in die Niederschrift die Erklärungen aufzunehmen, deren Feststel______lung vorgesehen ist, also die Zeugnis- und Gutachtenverweigerung, die nach §§ 389 ______Abs. 1, 402, 372 a Abs. 2 vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erklärt wird. Aber ______auch in diesen Fällen ersetzt der Tatbestand der Entscheidung regelmäßig das Fehlen im ______Protokoll. Jedenfalls fällt die Aufnahme in das Protokoll unter Abs. 2. ______ Die im Protokoll aufgenommenen Anträge beweisen, dass die Anträge ausschließ37 ______lich auf die beschriebene Weise gestellt worden sind.109 Im Falle der Weiterverhandlung ______in einem neuen Termin müssen auch bei einem Richterwechsel die Sachanträge nicht ______erneut gestellt und protokolliert werden, wenn dies in einem früheren Termin bereits ge______schehen war.110 ______ ______ c) Nach Abs. 3 Nr. 3 sind das Geständnis gemäß §§ 288 bis 290 und die Erklärun38 ______gen über einen Antrag auf Parteivernehmung, vgl. §§ 445 ff., zu protokollieren. Die Pro______tokollierung des Geständnisses ist vor einem ersuchten oder beauftragten Richter anders ______als vor dem Prozessgericht111 zugleich Wirksamkeitsvoraussetzung.112 Wird eine Behaup______tung des Gegners ausdrücklich außer Streit gestellt, kann dies bereits als Geständnis ______anzusehen sein. Dass dieses entgegen den §§ 162 Abs. 1 nicht nach vorläufiger Aufzeich______nung des Protokolls vorgelesen und genehmigt worden ist, hindert also seine Wirksam______keit nicht.113 Die Festsetzung einer Einigungsgebühr gemäß Ziffern 1000, 1003 VV-RVG ______erfordert die Protokollierung einer Vereinbarung entsprechend §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 ______Abs. 1. Eine protokollierte Vereinbarung liegt nicht vor, wenn das Angebot des Beklagten ______zur außergerichtlichen Zahlung von 1.000 € bei Klagerücknahme und sodann die umge______hende Klagerücknahme protokolliert wird.114 ______ Die Pflicht, „sonstige Erklärungen“ zu protokollieren, ist gesetzlich vorgesehen,115 39 ______wenn die Feststellung gesetzlich vorgesehen ist. Dies ist bei der Zeugnisverweigerung ______gemäß § 389 Abs. 1 oder der Zustimmung zur Scheidung, deren Widerruf nach § 630 ______ ______ ______103 RG v. 19.12.1995 VI Gruch. 41/177. 104 So aber OLG Düsseldorf OLGZ 1966, 178; RG v. 20.5.1927 VI JW 1931. ______105 RG v. 19.10.1934 II E 146, 133, 143. ______106 BFH BB 1993, 2370 = DStR 1993, 1857 BGH NJW 1992, 311, 312; BVerwG NJW 1988, 1228; BAG NJW ______1971, 1332; OLG Stuttgart WRP 1974, 172; Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. ______107 OLGR Düsseldorf 2001, 387. ______108 Anders RG v. 28.5.1896 VI JW 369. 109 BAG NJW 1991, 1630, 1631; Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. ______110 Bibliothek BAG; Landesarbeitsgericht Köln MDR 2002, 465–467; ARST 2002, 115 (red. Leitsatz 1–2) ______bezüglich des ehrenamtlichen Richters; a.A. BAG vom 28.9.1978 – 2 AZR 2/77. ______111 OLG Braunschweig MDR 1976, 673; Stein/Jonas-Roth Rdn. 18. ______112 BAG, 10 AZR 130/92; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 7; Stein/ Jonas-Roth Rdn. 18. ______113 BGH NJW 1994, 3109–3110 = MDR 1995, 90. ______114 OLG Karlsruhe JurBüro 2006, 361. ______115 Zöller-Stöber Rdn. 7.

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§ 160

____Abs. 2116 bzw. einer Erklärung gemäß § 141117 der Fall; diese Erklärungen sind daher zu ____protokollieren. Maßgeblich für die Protokollierung ist mangels weiterer gesetzlicher Re____gelung die Entscheidungserheblichkeit der Erklärung.118 Die Aufnahme weiterer Partei____erklärungen richtet sich im amtsgerichtlichen Verfahren nach § 510 a.119 Andere Erklä____rungen i.S.d. § 510 a sind aufzunehmen, sofern sie erforderlich sind. 120 Auch das ____Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und ist da____her im Einzelfall auszulegen. Insoweit gleicht die Bestimmung der Erforderlichkeit daher ____den Grundsätzen des Abs. 2.121 Im Gegensatz zur Wesentlichkeit in Abs. 2, welche sich auf ____die Wichtigkeit von Vorgängen bezieht, spricht § 510 a von der Erforderlichkeit in Bezug ____auf Erklärungen. Diese müssen nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift ____jedoch Voraussetzungen für bestimmte Verfahrenshandlungen darstellen, d.h. eine kon____krete Zweckbindung aufweisen. Auf die Wichtigkeit der Erklärung für das laufende Ver____fahren sowie für Entscheidung und Ergebnis des Verfahrens kommt es nicht an. Die Pro____tokollierungspflicht aus § 510 a dient auch nicht primär der Kontrolle des Verfahrens ____durch die Rechtsmittelinstanz. Im Statusprozess finden die Vorschriften des § 160 Abs. 3 ____Nr. 1 und 3 sowie § 162 Abs. 1 für die Anerkennung der Vaterschaft zu Protokoll analoge ____Anwendung.122 ____ ____ d) Abs. 3 Nr. 4 bestimmt, dass in das Protokoll die Erklärungen der Beweismittel 40 ____aufzunehmen sind,123 also die der Zeugen gemäß §§ 373 ff., der Sachverständigen gemäß ____§§ 407 ff., der Parteien nach §§ 445 ff.124 und § 613.125 Die Norm gilt in allen Verfahrensar____ten, auch im Beschwerdeverfahren126 und im einstweiligen Verfügungsverfahren127 sowie ____vor dem Berufungsgericht128 und in Wehrpflichtsachen.129 Der Vermerk des Berichterstat____ters genügt den Anforderungen nicht.130 Grundsätzlich ist eine Wiedergabe in indirekter ____ ____ ____116 OLG Saarbrücken FamRZ 1992, 109, 110; Musielak-Stadler Rdn. 7; bei der Zeugnisverweigerung, ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 18. ____117 Zöller-Stöber Rdn. 7. 118 Stein/Jonas-Roth Rdn. 17; Zöller-Stöber Rdn. 7. ____119 Zöller-Stöber Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 18; MünchKomm-Peters Rdn. 7. ____120 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10. ____121 Die Erforderlichkeit richtet sich nach der Richtschnur des Abs. 2, in MünchKomm-Peters Rdn. 7; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 18; Zöller-Stöber Rdn. 7, Herget wonach § 510 a neben Abs. 2 keine besondere ____praktische Bedeutung zukommt, in Zöller-Herget § 510 a Rdn. 1; a.A. nach Stadler steht dem Gericht ein Ermessen zu, in Musielak-Stadler Rdn. 7. ____122 Hamm DAVorm 1987, 805 = OLG Hamm OLGZ 1988, 80, 82 = FamRZ 1988, S. 101; Musielak-Stadler ____Rdn. 7; Zöller-Stöber Rdn. 7; Philippi § 641 c Rdn. 1; a.A. wonach, entgegen den Anforderungen aus ____§ 162 Abs. 1 Satz 1, bereits ein lautes Diktat und Genehmigung ausreicht, OLG Brandenburg FamRZ 2000, ____548. 123 BGH WuM 2004, 411. Keine Erklärungen nach §§ 141; BGHZ 1950, 84, 86; VersR 1962, 281; BGH ____FamRZ 1989, 158; Zöller-Stöber Rdn. 8; ebenso nicht für § 279, in Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; Musielak-Stadler Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 10. ____124 BGH FamRZ 1989, S. 158; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19, 20; ____MünchKomm-Peters Rdn. 10. ____125 BGH MDR 1962, S. 552; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; a.A. Zöller-Stöber Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 10. ____126 OLG Hamm JMBl. NRW 55/222. ____127 A.M. LG Bonn JMBl. NRW 56/7; die Protokollierung wird der zunehmender Bedeutung des ____summarischen Verfahrens gerecht, Stein/Jonas-Roth Rdn. 19. ____128 BGH VersR 1989, 189; NJW 1987, 1200, 1201; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; Stein/JonasRoth Rdn. 19; Musielak-Stadler Rdn. 8. ____129 BVerwG BVerwGE 48, 369 ff. ____130 OGH v. 11.5.1950 I E 3/383 = MDR 417, OLG Stuttgart die Justiz 67/118 [für die erste Instanz]; vgl. aber ____§ 161.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Rede ausreichend.131 Zumindest bei der Beeidigung gemäß §§ 391, 410 und 452 ist die ______Aussage wörtlich im Protokoll festzuhalten.132 Auch sonst sind streitige Aussagen oder ______komplizierte Schilderungen bzw. Korrekturen während einer Aussage so genau wie mög______lich zu protokollieren.133 Ist ein Sachverständigengutachten nur mündlich zu erstatten, ______so sind die Darlegungen des Sachverständigen vollständig in das Sitzungsprotokoll auf______zunehmen, sofern die Sache berufungsfähig ist. Nur unter diesen Umständen ist es dem ______Berufungsgericht möglich, die Ausführungen des Sachverständigen zu überprüfen und ______kritisch zu würdigen.134 Der Protokollvermerk: „Der Sachverständige erläuterte sein Gut______achten“, ist daher nicht genügend.135 Selbst bei der wörtlichen Wiedergabe der Aussage ______ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des Diktats des Richters die unmittelbare Wort______wahl des Aussagenden verändert werden kann.136 Absolut wortgetreu kann die Aussage ______daher nur im Wege einer einwandfrei abspielbaren, d.h. in ihrem wesentlichen Bestand ______akustisch wahrnehmbaren, technischen Aufzeichnung nach § 160 a festgehalten wer______den.137 Anderenfalls kann eine vorläufige Aufnahme einer Zeugen- oder Parteiaussage ______nicht für eine Überprüfung des darauf beruhenden Urteils im Rechtsmittelverfahren her______angezogen werden.138 Wird die Protokollierung von Aussagen und Erläuterungen sowohl ______in der Sitzungsniederschrift als auch in einem Berichterstattervermerk sowie im Urteil ______unterlassen, ist das als ein absoluter, von Gerichts wegen zu beachtender Revisions______grund angesehen worden.139 Nicht erforderlich ist es, die Beurkundung zu wiederholen, ______wenn das Beweismittel in späterer Verhandlung z.B. im Fall nach § 398 dasselbe, wie ______bereits früher protokolliert, aussagt.140 Dies gilt auch für eine Vernehmung im Beweissi______cherungsverfahren, §§ 485 ff.,141 und die mündliche Stellungnahme zu einem schriftli______chen Gutachten nach § 411 Abs. 3.142 Andererseits kann erwogen werden, selbst Gesten, ______wie das Nicken des Kopfes eines befragten Zeugen zu einer anschließenden Befragung ______eines weiteren Zeugen zu streitigen Punkten, sofort niederzuschreiben.143 ______ ______ ______ ______131 Sie sollte möglichst unverfälscht sein, in Musielak-Stadler Rdn. 8. 132 Zöller-Stöber Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; nach Roth empfiehlt sie sich, in ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 8. ______133 Wiedergabe in direkter Rede, in Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; bloß vorzugswürdig, in ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; ebenso in Musielak-Stadler Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 8. ______134 LG Hagen (Westfalen) WuM 1989, 438–439. ______135 BGH NJW-RR 1987, 1197 f. = MDR 1987, 751–752. 136 BGH NJW 1984, 2039; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Scheuerle ZZP 66, 1953, 306; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19. ______137 Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; MünchKomm-Peters Rdn. 8. ______138 BVerwG Buchholz 310 § 105 VwGO Nr. 46 (Kriegsdienstverweigerungsprozess); MDR 1977, 604; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 19. 139 BGH NJW-RR 1993, 1034–1035; BGH v. 6.6. 1963 IV E 4O/84 = MDR 919 = NJW 2070; BGHZ 40, 84, 85; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 20. ______140 Zöller-Stöber Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 22; ______MünchKomm-Peters Rdn. 8. ______141 Stein/Jonas-Roth Rdn. 22. ______142 OLG Schleswig MDR 2001, 711; BGH NJW- RR 1993, 1034, 1035; 1987, 1197, 1198; BGH VersR 1989, 189; Aufzunehmen sind im Ergebnis nur Veränderungen gegenüber der alten Aussage, diese werden den ______eingeschränkt zu protokollierenden bloßen Wiederholungen, Erläuterungen, entgegengesetzt; in Zöller______Stöber Rdn. 8; ebenso Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; auch Stein/Jonas-Roth Rdn. 22, bei ______Ergänzungen und Erläuterungen anders, wenn Gutachten nur mündlich zu erstatten ist, LG Hagen WuM ______1989, S. 438, 439 und Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; Erläuterungen sind aufzunehmen, in Musielak-Stadler Rdn. 8; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 9, der ohne Differenzierung die Protokollierungspflicht bei ______Erläuterungen einschränken will. ______143 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; deutlicher Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; zu weit gehend ______Stadler, der selbst sichtliche Nervositätsanzeichen genügen lässt, in Musielak-Stadler Rdn. 8.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ Soweit gemäß §§ 377 Abs. 3, Abs. 4, 411 schriftlich ausgesagt werden darf, erübrigt 41 ____sich die Protokollierung. Soweit die mündliche Aussage von dem Schriftlichen nicht ab____weicht, genügt die Feststellung, dass sich der Zeuge und dgl. m. zu der aktenkundigen ____nicht unterschriebenen Äußerung bzw. Aufzeichnung bekannt hat.144 Auch brauchen ____Äußerungen nicht protokolliert zu werden, auf die es nicht ankommt,145 doch sollten sie ____stets aufgenommen werden, sofern eine Partei darauf besteht. Die unterlassene Protokol____lierung ist aber kein absoluter Revisionsgrund.146 Die Feststellung im Protokoll wird in ____dem Fall des § 161 ersetzt durch die im Tatbestand;147 aber auch abgesehen von diesem ____Fall ist die unterbliebenen Feststellung zu Protokoll kein absoluter Revisionsgrund.148 ____Eine zu protokollierende Erklärung von Zeugen- und Sachverständigenaussagen kann ____auch durch eine Darstellung im Tatbestand, im Urteil149 oder im Wege eines Berichterstat____tervermerkes über das Ergebnis der Beweisaufnahme, auf den das Urteil Bezug nimmt, ____ersetzt werden, sofern sie nur von der Beweiswürdigung getrennt ist.150 Weicht die Proto____kollierung von den Feststellungen in der Entscheidung ab, so gilt das Protokoll.151 Sind ____aufgrund der unterlassenen Protokollierung die tatsächlichen Unterlagen der Entschei____dung nicht vollständig erkennbar, so findet § 295 keine Anwendung.152 ____ Nicht protokolliert zu werden braucht die Parteierklärung nach §§ 85 Abs. 1 Satz 2, 42 ____137 Abs. 4,153 141,154 278 Abs. 2 Satz 3155 sowie die von einer Partei bei ihrer formlosen An____hörung in der mündlichen Verhandlung zum Zwecke der Aufklärung eines noch nicht ____ausreichend vorgetragenen Sachverhalts gemachten Angaben gemäß § 279.156 Ist im ver____waltungsgerichtlichen Verfahren ein Asylkläger in der mündlichen Verhandlung persön____lich angehört worden, ohne dass ein förmlicher Beweisbeschluss erlassen worden ist, so ____kann die Anhörung nur dann als Beweisaufnahme, Parteivernehmung, eingestuft wer____den, wenn die weiteren bei einer Parteivernehmung erforderlichen Förmlichkeiten wie ____die Belehrung über die Wahrheitspflicht und Möglichkeit einer Vereidigung, Fertigung ____einer Niederschrift, Vorlesen und Genehmigung der Niederschrift, §§ 451, 395 Abs. 1, 160 ____Abs. 3 Nr. 4, § 162 beachtet worden sind. Anderenfalls muss dem Terminsprotokoll in ____sonstiger Weise zumindest eindeutig zu entnehmen sein, dass das Gericht eine Beweis____aufnahme, Parteivernehmung, hat durchführen wollen.157 ____ ____ ____144 RG v. 12.11.1935 III E 149/286. ____145 RG v. 28.2.1936 VII E 150, 330, 336. ____146 RG a.a.O. 147 Stein/Jonas-Roth Rdn. 21. ____148 § 551; RG v. 28.2.1936 VII E 150, 330, 336; BGHZ 40, 84, 85; Stein/Jonas-Roth Rdn. 20. ____149 BGH MDR 1991, 343; NJW-RR 1987, 1197, 1198; BGHZ 40, 84, 86 = NJW 1963, 2070, 2071; Musielak____Stadler Rdn. 8. ____150 BGH FamRZ 1991, 43, 45 = NJW 1991, 1547, 1549 li. Sp. = MDR 1991, 343–344; BGH NJW 1972, 1673; BGH VersR 1989, 189; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; bei Sachverständigenaussagen, ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; bei Sachverständigenaussagen, in Musielak-Stadler Rdn. 8. ____151 § 165, RG v. 21.2.1985 I E 13, 418, 421. ____152 BGH NJW-RR 1993, 520; 1993, 1034; BGH NJW 1987, 1200, 1201; VersR 1989, 189; Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 21; Musielak-Stadler Rdn. 8; a.A. BVerwG NJW 1988, 579 für die Parteivernehmung; offen gelassen in ____BGH NJW 1984, 124. 153 RG v. 17.10.1935 VI E 149, 63. ____154 BGH v. 11.12.1950 III NJW 1951, 110, v. 29.4.1958 VI VersR 481, v. 1.12.1961 VI VersR 1962, 281, RG v. ____23.3.1932 VIII HRR 1610, das aber Wiedergabe im Urteil fordert; RGZ 149, 63, 64; BGH v. 9.7.1951 IV ZR 94, ____50, teilweise abgedruckt in JZ 719, hat dies auch für § 619 ausgesprochen; BGH FamRZ 1989, 157, 158; BGHZ ____40, 84, 86 = NJW 1963, 2070; VersR 1962, 281; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; Musielak-Stadler Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 10. ____155 BGHZ 40, 84, 86 = NJW 1963, 2070; VersR 1962, 281; Musielak-Stadler Rdn. 8. ____156 BVerwG DÖV 1983, 949; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12. ____157 OVG Lüneburg JurBüro 1986, 1671 ff.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 43 Im Fall der Berichtigung von Aussagen, sollte sowohl die alte als auch die neue ______Fassung wörtlich im Protokoll aufgenommen werden. Erst das ermöglicht eine Beweis______würdigung nach § 286.158 Abs. 3 Nr. 4 findet zudem analoge Anwendung für amtliche ______Auskünfte in mündlicher Form.159 Die verfahrensrechtliche Bedeutung einer mündlich ______erteilten amtlichen Auskunft entspricht, soweit unter dem Gesichtspunkt des § 160 von ______der Interessenlage her, der Aussage eines Zeugen oder eines Sachverständigen. Dass die ______amtliche Auskunft vom Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird, beruht darauf, dass ______dieses Beweismittel zwar in der ZPO erwähnt, z.B. in § 273 Abs. 2 Nr. 2, aber nicht ab______schließend geregelt ist. Außerdem werden amtliche Auskünfte im Allgemeinen in schrift______licher Form erteilt. Eine Protokollierung mündlich erteilter amtlicher Auskünfte ist daher ______geboten.160 ______ Zweifelhaft ist die ältere Judikatur des BGH, wonach das Berufungsgericht bei der 44 ______mündlichen Erstattung eines auch technisch schwierigen und verwickelten Gutachtens ______nicht gehalten sein soll, das Gutachten in Anwesenheit des Sachverständigen und der ______Parteivertreter gemäß Abs. 3 Nr. 4 durch Aufnahme in das Sitzungsprotokoll festzustel______len. In einem solchen Fall solle das Berufungsgericht von der Möglichkeit der § 161 Ge______brauch machen können.161 ______ ______ e) Abs. 3 Nr. 5 sieht vor, dass die Ergebnisse eines Augenscheins nach § 371 nieder45 ______zuschreiben sind. Diese bestehen in der Wiedergabe der Sinneswahrnehmung und zwar ______ohne weitere Rechtsschlüsse.162 Festzuhalten ist insbesondere das Augenscheinsobjekt ______und der Ort des Augenscheins163 sowie der darauf beruhende subjektive Eindruck des ______Richters.164 Dieser Eindruck ist den Parteien gemäß § 162 mitzuteilen.165 Nicht so protokol______lierte Wahrnehmungen, etwa bloße Aufzeichnungen des Einzelrichters über seine Wahr______nehmungen, dürfen nicht verwertet werden.166 Keinesfalls genügt der Bericht des Einzel______richters über einen von ihm genommenen Augenschein.167 § 161 ist hier nicht entsprechend ______anwendbar.168 Bei einer Zeugenvernehmung vor dem Kollegialgericht im FGG-Verfahren ______kann ein nicht im Protokoll niedergelegter persönlicher Eindruck von den Richtern, die ______an der Beweisaufnahme teilgenommen haben, dem oder den an der Endentscheidung ______mitwirkenden Richtern, die nicht an der Beweisaufnahme teilgenommen haben, vermit______telt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen besonderen für die Be______weiswürdigung entscheidenden Eindruck handelt.169 Kommen der Vorsitzende und der ______Urkundsbeamte bei einem Augenschein zu unterschiedlichen Wahrnehmungen, müssen ______ ______158 Zöller-Stöber Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19. ______159 BVerwG NVwZ 1988, 1019 = NJW 1988, 2491–2492; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; Musielak-Stadler Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 8. ______160 BVerwG NVwZ 1988, 1019 = NJW 1988, 2491 f. 161 BGHZ 21, 59 ff. = BGH NJW 1956, 1355 f. ______162 RG v. 20.10.1902 VI JW, 588; MünchKomm-Peters Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 23. ______163 Zöller-Stöber Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 9. ______164 Stein/Jonas-Roth Rdn. 23; Musielak-Stadler Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 13; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 11, wonach nur äußere Umstände unter Abs. 3 Nr. 5 fallen. ______165 Stein/Jonas-Roth Rdn. 23; Zöller-Stöber Rdn. 9; allgemein Musielak-Stadler Rdn. 9. ______166 RG v. 13.12.1938 III HRR 39, 514; a.M. BGH v. 21.3.1972 VI MDR, 595 = NJW, 1202 bei einem den ______Parteien mitgeteilten Vermerk eines beauftragten Richters, der von ihnen inhaltlich zunächst ungerügt ______hingenommen wurde; Karlsruhe Justiz 1973, 246; Zöller-Stöber Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. 167 RG v. 13.12.1938 III JW 39, 650. ______168 RG v. 22.4.1896 V JW, 320; a.M. BGH v. 20.11.1952 VI JR, 144, BArbG NJW 57, 1492, RG v. 6.3.1940 VI – ______Warn. 82 = HRR, 690. ______169 OLG Köln FamRZ 1992, 200–201.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160

____diese den Personen zuordenbar ebenfalls im Protokoll festgestellt werden.170 Die Proto____kollierung ist in den Fällen des § 161 entbehrlich. ____ Die Einnahme des Augenscheins kann gemäß § 372 Abs. 2 auch einem anderen Mit- 46 ____glied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht übertragen werden.171 Das Kollegi____um darf das Protokoll aber nur verwerten, sofern die Anforderungen an die Form gemäß ____Abs. 3 Nr. 5, 162 Abs. 1 gewahrt worden sind.172 Dem Protokoll kommt im Fall der Einhal____tung der Formvorschriften volle Beweiskraft zu und zwar unabhängig davon, ob der be____auftragte Richter zwischenzeitlich ausgeschieden ist.173 Ein Richterwechsel nach der Be____weisaufnahme erfordert daher nicht grundsätzlich deren Wiederholung. Die Ergebnisse ____eines früheren Augenscheins können im Wege des Urkundenbeweises durch Heranzie____hung des Augenscheinsprotokolls verwertet werden. Das Gericht darf dann bei der Be____weiswürdigung aber nur das berücksichtigen, was auf der persönlichen Erinnerung aller ____an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aktenkundig ist und wozu die Par____teien sich erklären konnten. Eindrücke, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufge____nommen worden sind, zu denen also die Parteien auch keine Stellung nehmen konnten, ____dürfen dagegen nach einem Richterwechsel nicht verwertet werden, selbst wenn von ____drei mitwirkenden Richtern nur einer an der Beweisaufnahme nicht teilgenommen hat.174 ____Mängel sind gemäß § 295 heilbar, sofern den Parteien die Möglichkeit gewährt worden ____ist, diese zu rügen.175 ____ ____ f) Abs. 3 Nr. 6 sieht vor, dass gerichtliche Entscheidungen aller Art176 in das Proto- 47 ____koll zu nehmen sind, sofern sie nicht dem Protokoll schriftlich beigefügt werden. Verfü____gungen des Vorsitzenden, etwa nach § 136, bedürfen aber nicht der Feststellung,177 wohl ____aber Rechtsmittelbeschlüsse über abgelehnte Fragen an Beweismittel. Eine bloße Ver____weisung genügt bei den auf die Klage nach § 313 Abs. 3 wie auf den Mahnbescheid nach ____§ 696 Abs. 3 gesetzten, abgekürzten Urteilen. Verstöße hiergegen machen die Entschei____dung nicht unwirksam, sondern nur angreifbar. Bei Urteilen ist die Protokollierung der ____Formel genügend, § 311 Abs. 2 Satz 1.178 Im Fall des § 313b Abs. 2 Satz 4 ist neben dem ____grds. möglichen Verweis auf eine Protokollanlage nach Abs. 5179 auch der „nach Klagan____trag“ ausreichend.180 ____ Im Verfahren gemäß § 495 a Abs. 1 Satz 1 braucht das Urteil Entscheidungsgründe 48 ____nicht zu enthalten, wenn ihr wesentlicher Inhalt in das Protokoll aufgenommen worden ____ ____ ____170 Betreffend ein FGG-Verfahren BayObLG MDR 1984, 324; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 13. ____171 MünchKomm-Peters Rdn. 12. ____172 BGH WM 1992, 1712, 1714; RG HRR 1939 Nr. 514; BayObLG MDR 1984, 324; MünchKomm-Peters Rdn. 12; Musielak-Stadler Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 23. ____173 BGH NJW 1985, 1782; MDR 1999, 181; BGH MDR 1992, S. 777; MünchKomm-Peters Rdn. 12; ____anderenfalls liegt ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vor, in Musielak-Stadler Rdn. 9; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 23; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____174 BGH MDR 1992, 777 f. = NJW 1992, 2882 = WM 1992, 1712 ff. ____175 BGH WM 1992, 1712, 1714; Stein/Jonas-Roth Rdn. 23; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. 176 Stein/Jonas-Roth Rdn. 24; Musielak-Stadler Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ____177 Stein/Jonas-Roth Rdn. 24; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 10, nicht Verfügungen des Vorsitzenden ____oder Einzelrichters; so auch MünchKomm-Peters Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ____178 Stein/Jonas-Roth Rdn. 24; Musielak-Stadler Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 10; MünchKomm-Peters ____Rdn. 13. 179 BGH MDR 1990, 919 = NJW-RR 1991, 1084; Zöller-Stöber Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 13; ____Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ____180 Stein/Jonas-Roth Rdn. 24; Musielak-Stadler Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 10; MünchKomm-Peters ____Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ist.181 (Die der Reinschrift des Protokolls beigefügte Anlage braucht nicht mit der bei der ______Verkündung vorhandenen Niederschrift identisch zu sein.)182 ______ ______ g) Nach Abs. 3 Nr. 7 muss die Verkündung einer Entscheidung im Protokoll fest49 ______gestellt werden. Die Feststellung der Verkündung ist eine nach § 165 wesentliche Förm______lichkeit.183 Ohne die allein durch das Protokoll beweisbare Verkündung liegt kein Urteil, ______sondern lediglich ein unverbindlicher Urteilsentscheidungsentwurf vor.184 Die fehlende ______Protokollierung kann allerdings nachgeholt werden, auch noch nach längerer Zeit. Ob ______das jedoch auch für den Fall gilt, dass mehr als zweieinhalb Jahre vergangen sind, ist ______zweifelhaft.185 Die Notwendigkeit der Verkündung sehen die §§ 310–312, 329; §§ 169, 173, ______174 GVG vor. Die protokollarische Feststellung, dass die Entscheidung „erlassen“ sei, ______genügt,186 sofern feststeht, welche Entscheidung damit gemeint ist.187 Ebenso ist die Fest______stellung, dass das „anliegende Urteil verkündet wird“, ausreichend.188 Das Vorliegen der ______schriftlichen Urteilsformel bei Verkündung189 kann durch nachträgliches Beifügen des ______vollständigen Urteils als Anlage ersetzt werden.190 Der Gegenstand der Verkündung muss ______sich aus dem Protokoll selbst oder in einer dem Protokoll beigefügten und als solche ______darin bezeichneten Anlage ergeben.191 Ein auf Tonträger gesprochener Beschluss ist ______nicht ordnungsgemäß verkündet, wenn der Tonträger abgespielt und im Protokoll ledig______lich vermerkt wird, dass der Beschluss durch Abspielen vom Tonträger verkündet wor______den ist. Die Verkündung ist in diesem Fall nur wirksam, wenn die Beschlussformel im ______Protokoll oder einer Protokollanlage im Wortlaut wiedergegeben wird.192 Ein Verkün______dungsvermerk auf dem Urteil i.S.d. § 315 Abs. 3 durch den Urkundsbeamten der Ge______schäftsstelle ist als Nachweis der Verkündung ungenügend und ersetzt das erforderliche ______Verkündungsprotokoll nicht.193 Das gleiche gilt in dieser Hinsicht für die dienstliche Äu______ßerung eines Richters.194 Nicht erforderlich ist der Vermerk im Protokoll, ob die Verkün______dung durch Vorlesung der Urteilsformel, § 311 Abs. 2 Satz 1, oder durch Bezugnahme auf ______ ______ ______ 181 Musielak-Stadler Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______182 BGH VersR 1985, 46; Stein/Jonas-Roth Rdn. 25; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______183 RG v. 20.6.1935 VI E 148, 151, 153, OGH v. 15.4.1948 E 1, 1, 2 mit Zulassung der Abänderbarkeit solcher ______„Urteilsentwürfe“; im Fall des § 311 Abs. 2 Satz 1, BGH NJW 1985, 1782. ______184 OLG Zweibrücken FamRZ 1992, 972, 973; BGH FamRZ 1990, 507: RGZ 148, 151, 153; 133, 215, 221, BGHZ ______10, 327, 328 = NJW 1953, 1829; BGHZ 10, 346, 348 = NJW 1954, 34; OGHZ 1, 1 = NJW 1948, 421; Zöller-Stöber Rdn. 11; solange bloßer Entwurf, in Stein/Jonas-Roth Rdn. 26; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 11; ______MünchKomm-Peters Rdn. 14; so Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ______185 OLG Zweibrücken FamRZ 1992, 972–973; Fortführung OLG Zweibrücken, OLGZ 1987, 371. ______186 RG v. 9.2.1887 I E 17, 420; MünchKomm-Peters Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ______187 RG v. 23.12.1904 II JW 05, 115 f. 188 BGH NJW 1994, 3358; MDR 1995, 198; BGH NJW 1985, 1782, 1783; 1994, 3358; BGHZ 10, 327, 329 = NJW ______1953, 1829: auch ohne dass das Urteil als Protokollanlage gekennzeichnet ist; Jauernig NJW 1986, 117; ______MünchKomm-Peters Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 11; Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 15. ______189 BGH NJW 1999, 794; MDR 1990, 919; Musielak-Stadler Rdn. 11. ______190 BGH MDR 1995, 198; Musielak-Stadler Rdn. 11; Jauernig NJW 1986, 117; a.A. BGH NJW 1985, 1782; MünchKomm-Peters Rdn. 14. ______191 BGH FamRZ 1990, 507 = Rpfl. 1990, 306 = MDR 1990, 919; Stein/Jonas-Roth Rdn. 27; Musielak-Stadler ______Rdn. 11. ______192 LG Frankfurt Rpfl. 1976, 257; Zöller-Stöber Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______193 BGH MDR 1990, 919; Brandenburgisches OLG OLGR Brandenburg 1999, 161 f.; OLG Brandenburg MDR 1999, 563, 564; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1995, 511; OLG Zweibrücken FamRZ 1992, 972, 973; ______BGH FamRZ 1990, 507; Musielak-Stadler Rdn. 11; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ______194 BGH MDR 1990, 919; OLG Brandenburg MDR 1999, 563, 564; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1995, ______511; OLG Zweibrücken FamRZ 1992, 972, 973; Musielak-Stadler Rdn. 11.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160

____die Urteilsformel, § 311 Abs. 2 Satz 2, erfolgte.195 Die Angabe, ob die Parteien, § 312 Abs. 1, ____oder wer sonst bei der Verkündung anwesend waren, ist nicht erforderlich. Ebenfalls ____ohne Belang ist es, ob die Entscheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung ver____kündet wird oder in einem besonderen Termin.196 ____ Der vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle angebrachte Verkündungsvermerk ____gemäß § 315 Abs. 3 ersetzt das gemäß Abs. 3 Nr. 7 erforderliche Verkündungsprotokoll ____nicht.197 ____ Hat der Erstrichter am Schluss der mündlichen Verhandlung einen Beschluss ver____kündet, wonach die „Entscheidung am Ende der Sitzung ergeht“, hat er damit einen ____Verkündungstermin bestimmt. In diesem Fall muss gemäß §§ 310 Abs. 2, 315 Abs. 1 Satz 1 ____das vollständig abgefasste und unterschriebene Urteil vorliegen und über dessen Ver____kündung ein gesondertes Verkündungsprotokoll mit dem Inhalt des § 160 Abs. 3 Nr. 6, 7 ____erstellt werden.198 Liegt ein solches Verkündungsprotokoll nicht vor, enthält vielmehr ____das zusammen mit dem Verhandlungsprotokoll übersandte, vollständig schriftlich abge____fasste und unterschriebene Urteil nach der Unterschrift des Richters einen Verkün____dungsvermerk, welcher, dem Gang der Verhandlung entsprechend konsequenterweise ____nicht unterschrieben wurde, und ist ein solches Verkündungsprotokoll auch nicht etwa ____später angefertigt und später nur verloren gegangen, handelt es sich um ein sog. Schein____urteil. Ein solches „Urteil“ beendet nicht die Instanz, vielmehr handelt es sich nur um ____einen Urteilsentwurf, der aber mit der Berufung zur Beseitigung des durch die Zustellung ____bewirkten Rechtsscheins angegriffen werden kann.199 ____ Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sollen die Entscheidungsgründe nach §§ 60 ____Abs. 2 ArbGG verkündet werden. (Die Anwendbarkeit der §§ 159–165 ZPO ergibt sich für ____das Verfahren in Arbeitssachen aus §§ 46 Abs. 2, 64 Abs. 6, 72 Abs. 5 ArbGG.) Ist diese ____Tatsache im Protokoll nicht festgehalten, so ist eine Berichtigung der Urteilsformel aus der ____Verkündung der Gründe unzulässig.200 Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist ferner nach ____§ 55 Abs. 2 Satz 2 ArbGG auch der Antrag der Parteien auf Entscheidung durch den Vor____sitzenden allein ohne Hinzuziehung der Beisitzer zu beurkunden. ____ ____ h) Abs. 3 Nr. 8 bestimmt, dass die Klage- und die Rechtsmittelrücknahme in der ____mündlichen Verhandlung201 gemäß §§ 269 bzw. 346, 515, 516, 565, 566, 573 zu protokol____lieren sind. Entsprechende Anwendung soll Abs. 3 Nr. 8 für Beschwerden finden.202 Für die ____Pflicht zur Protokollierung ist im Interesse einer umfassenden Prüfung der Wirksamkeit ____der Vornahme der Erklärung203 unerheblich, ob die Zurücknahme wirksam geworden ____ist.204 Die ordnungsgemäße Protokollierung der Klagerücknahmeerklärung ist demnach ____ ____ ____ ____195 BGH NJW 1985, 1782 = MDR 1985, 396–397; BGH NJW 1994, 3358; Jauernig NJW 1986, 117; vgl. ____Rostock OLGR 2001, 43; Zöller-Stöber Rdn. 11; zumindest nicht zwingend erforderlich, in Musielak-Stadler ____Rdn. 11; so auch MünchKomm-Peters Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ____196 RG v. 20.6.1935 VI E 148, 153. ____197 OLG Brandenburg MDR 1999, 563. 198 BGHZ 158, 37. ____199 OLG München NJW 2011, 689. ____200 Nach BArbG I AP § 164, 2. ____201 BGH JZ 1984, 103; keine Aufnahme eines außergerichtlichen vertraglichen Rechtsmittelverzichts in ____das Protokoll, in MünchKomm-Peters Rdn. 14; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 12. 202 MünchKomm-Peters Rdn. 15; gilt ebenfalls für Beschwerden, in Zöller-Stöber Rdn. 12; ebenfalls ____Musielak-Stadler Rdn. 12; die Beschwerde zu den Rechtsmittel zählend, in Stein/Jonas-Roth Rdn. 28. ____203 Zöller-Stöber Rdn. 12; Musielak-Stadler Rdn. 12. ____204 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16.

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______keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Klagerücknahme.205 Eine in der mündli______chen Verhandlung erklärte Klagerücknahme ist auch nicht deshalb unwirksam, weil im ______Protokoll ein Vermerk über die Verlesung und Genehmigung der Erklärung nach Abs. 1 ______Satz 3 fehlt. Den Protokollierungsvorschriften kommt bloß die Funktion der Beweissiche______rung dessen zu, was in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, nicht aber die Wirk______samkeit des dortigen Geschehens an die Feststellung im Protokoll zu binden.206 ______ 53 Eine eventuell abgegebene und erforderliche Einwilligung des Parteigegners in die ______Klage- und Rechtsmittelrücknahme gemäß § 269 Abs. 1207 sowie dessen Kostenantrag ______sind in das Protokoll aufzunehmen.208 Stellt sich die Frage, ob eine Rücknahme beab______sichtigt war, so sollte dessen klärende Feststellung ebenfalls protokolliert werden.209 Die ______Zurücknahme der Klage und der Rechtsmittel bilden darüber hinaus zugleich die Tatbe______standsmerkmale für eine vereinfachte Protokollierung nach § 161 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. ______ ______ i) Gem. Abs. 3 Nr. 9 ist der Rechtsmittelverzicht nach §§ 514, 515, 555, 566 sowie ent54 ______sprechend der Verzicht auf eine Beschwerde210 während der Verhandlung im Protokoll ______anzugeben.211 Wie bei der Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels, hat die feh______lende ordnungsgemäße Protokollierung des Verzichts auf Rechtsmittel keine Auswir______kungen auf dessen Wirksamkeit.212 Ein beiderseitiger Verzicht auf Rechtsmittel gegen ein ______Scheidungsurteil ist prozessual hingegen nur wirksam, wenn er von beiden Parteivertre______tern der Eheleute erklärt worden ist, die, in dem Verfahren mit Anwaltszwang, die Postu______lationsfähigkeit für die Abgabe der Verzichtserklärung als Prozesshandlung besaßen, ______und wenn die Verzichtserklärungen im Protokoll festgestellt worden sind. Für die Wirk______samkeit des Rechtsmittelverzichts kommt es nicht auf die Erklärungen der, im Ehever______fahren nicht postulationsfähigen, Parteien selbst an. Deshalb kann eine ausländische ______Partei der Wirksamkeit des von ihrem Verfahrensbevollmächtigten erklärten Rechtsmit______telverzichts nicht entgegenhalten, die Verzichtserklärung sei ihr nicht übersetzt, vorge______lesen, und von ihr nicht genehmigt worden.213 Im Übrigen kann auf die Ausführungen zu ______Abs. 3 Nr. 8 verwiesen werden. ______ ______ j) Abs. 3 Nr. 10 ist durch Art. 2 ZPO-RG vom 27.7.2001 (BGBl. I Satz 1887) eingefügt 55 ______worden. Danach ist auch das Ergebnis der Güteverhandlung im Protokoll zu vermerken. ______Die Protokollierungspflicht lehnt sich an die gemäß § 278 Abs. 2 Satz 1 zwingend erfor______derliche Güteverhandlung an und trägt somit zur Dokumentation bei, ob und ggfs. in______wieweit die Bereitschaft der Parteien besteht, der anderen bei der Verfolgung ihrer Inte______ressen entgegenzukommen. Damit gibt Abs. 3 Nr. 10 dem Gericht den Rahmen vor, ______ ______ ______205 BSG MDR 1981, 612; BGH LM Nr. 5 = NJW 1984, 1465; BGH 1989, 1934; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 401; OVG Bremen DÖV 1983, 38 = NJW 1983, 303; LSG Baden-Württemberg Die Justiz 1980, 453; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16; MünchKomm-Peters Rdn. 15; Peters § 159 Rdn. 5; Musielak______Stadler Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 28; a.A. LSG Rheinland-Pfalz ZfSH 1976, 151, 152. ______206 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen JMBl. NW 1990, 191 = DÖV 1990, 795. ______207 Franzki DRiZ 1975, 97, 98; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16; MünchKomm-Peters Rdn. 15; ______Zöller-Stöber Rdn. 12; Musielak-Stadler Rdn. 12; Stein/Jonas-Roth Rdn. 28. 208 Franzki DRiZ 1975, 97, 98; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16; Zöller-Stöber Rdn. 12. ______209 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16; Stein/Jonas-Roth Rdn. 28. ______210 MünchKomm-Peters Rdn. 15; auch auf Beschwerden anwendbar, in Zöller-Stöber Rdn. 13; ______anschließend Stein/Jonas-Roth Rdn. 29; Musielak-Stadler Rdn. 13. ______211 BGHZ JZ 1984; 103; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 17; MünchKomm-Peters Rdn. 15; Stein/ Jonas-Roth Rdn. 29; Musielak-Stadler Rdn. 13. ______212 BGH FamRZ 1984, 372–373 = JZ 1984, 391–391; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 17; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 29; a.A. OLG Celle Nds.Rpfl 1981, 197; Hamm Rpfl. 1982, 111; so auch Vorauflage § 162 C I. ______213 BGH FamRZ 1994, 300–302; NJW-RR 1994, 386–387.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160

____innerhalb dessen es im weiteren Verfahren gemäß § 278 Abs. 1 effektiv auf eine gütliche ____Beilegung des Rechtsstreites oder einzelner Streitpunkte hinzuwirken hat. Nr. 10 findet ____als lex spezialis zu den vorhergehenden Nummern für jegliches Ergebnis der Gütever____handlung Anwendung.214 Im Protokoll zu vermerken ist, ob die Parteien erschienen sind ____oder eine Partei nicht erschienen ist bzw. beim etwaigen persönlichen Fernbleiben ein ____Ordnungsgeld verhängt worden ist. Ebenfalls zu protokollieren ist, in welcher Form die ____Güteverhandlung vorgenommen worden ist, d.h. vor Gericht, vor einem kommissari____schen Richter oder einer außergerichtlichen Streitstelle. Zu den Ergebnissen der Güte____verhandlung gehört einerseits der unter Abs. 3 Nr. 1 fallende Vergleich sowie anderer____seits gemäß § 278 Abs. 6 der Vergleich außerhalb der mündlichen Verhandlung. Führt ____die Verhandlung nicht zur gütlichen Beilegung, sind die Standpunkte, insbesondere die ____Grenze der Bereitschaft zur Einigung beider Parteien sowie deren vorgebrachte Begrün____dungen, im Ergebnis aufzunehmen. Nr. 10 hat daher insbesondere Bedeutung für den ____fehlgeschlagenen Einigungsversuch, auch ein Ergebnis nach § 278 Abs. 5 fällt als Er____gebnis der Güteverhandlung darunter.215 ____ ____ VI. Antrag auf Protokollierung, Abs. 4 ____ ____ 1. Antragsberechtigung. Außer dem Gericht und dem Urkundsbeamten216 besteht 56 ____für jeden am Verfahren Beteiligten nach § 160 Abs. 4 Satz 1 die Möglichkeit, bis zum ____Schluss der mündlichen Verhandlung zu beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder ____bestimmte Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden.217 Unter Vorgängen in ____diesem Sinne werden alle zur Beurteilung der Verhandlung erheblichen Zwischenfälle ____und Reaktionen, auch Gesten,218 verstanden.219 Zu den Äußerungen gehören Erklärungen ____jeglicher Art.220 Es kommt nicht darauf an, ob die Vorgänge oder Äußerungen auf einen ____Prozessbeteiligten oder einen Prozessfremden zurückzuführen sind.221 Der formlose An____trag222 auf Aufnahme eines Vorgangs oder einer Äußerung in das Protokoll kann bis zum ____Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen,223 §§ 136 Abs. 4 und 296 a. Erstrebt eine ____Partei die Aufnahme der Äußerung eines Zeugen durch den die Aussage zusammenfas____senden diktierenden Richter in die vorläufige Protokollaufzeichnung, so kann sie dies ____nur mittels eines Protokollaufnahmeantrags nach Abs. 4 erreichen, der bis zum Schluss ____dieser Verhandlung zu stellen ist.224 Ein Antrag auf Protokollaufnahme nach Abs. 4 kann ____nur bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung gestellt werden, über die das ____Protokoll aufgenommen worden ist. Ein später gestellter Antrag ist unzulässig.225 Der ____ ____ ____214 A.A. Musielak-Stadler Rdn. 13 a, nach dem für den Vergleich innerhalb der mündlichen ____Verhandlung Abs. 3 Nr. 1 gilt. 215 Musielak-Stadler Rdn. 13 a. ____216 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 18; Musielak-Stadler Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 15. ____217 BGH WuM 2004, 411; Zöller-Stöber Rdn. 15; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 18; ____MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 30. ____218 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19; Stein/Jonas-Roth Rdn. 31. ____219 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 18; Zöller-Stöber Rdn. 15; Musielak-Stadler Rdn. 14; Stein/ Jonas-Roth Rdn. 31, auch von nicht am Verfahren beteiligten Personen. ____220 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19; Musielak-Stadler Rdn. 14; Stein/Jonas-Roth Rdn. 32. ____221 Stein/Jonas-Roth Rdn. 32. ____222 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19; Stein/Jonas-Roth Rdn. 30. ____223 RG SeuffArch 58, 1903, 372; OLG Frankfurt am Main MDR 1990, 123; OLG Frankfurt am Main MDR 1989, 550 = NJW-RR 1990, 123; BVerwG NJW 1963, 730; Zöller-Stöber Rdn. 15; Musielak-Stadler Rdn. 14; ____MünchKomm-Peters Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19; Stein/Jonas-Roth Rdn. 30. ____224 OLGR Frankfurt 2005, 463. ____225 OLG Schleswig MDR 2011, 751.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Antrag muss aber den bestimmten zu protokollierenden Vorgang bzw. die bestimmte ______Äußerung erkennen lassen.226 ______ ______ 2. Zuständigkeit. Der Vorsitzende entscheidet darüber, dass antragsgemäß die Auf57 ______nahme in das Protokoll erfolgt.227 Die Entscheidung über die Ablehnung des Antrags er______folgt dagegen durch das Gericht, § 329.228 Die Entscheidung muss umgehend gefällt wer______den, um der Partei eventuell die Stellung eines Befangenheitsantrags zu ermöglichen.229 ______Der Ablehnungsbeschluss ist gemäß Abs. 3 Nr. 4 mit einer Begründung in das Protokoll ______aufzunehmen, die wenigstens umrissartig den abgelehnten Antrag wiedergibt.230 Die Ge______genmeinung, die davon ausgeht, eine Begründung brauche die Ablehnung nicht zu ent______halten,231 ist irrig. Die Begründung des Ablehnungsbeschlusses dient sowohl den be______schwerten Parteien als auch – im Falle der inzidenten Überprüfung der Entscheidung bei ______Anfechtung des Urteils – dem Rechtsmittelgericht. Daher ist auch die Gegenmeinung ______abzulehnen, die behauptet, im Protokoll sei zwar die Ablehnung des Antrags festzuhal______ten, nicht hingegen Inhalt oder Wortlaut des Antrags.232 ______ ______ 3. Ermessen des Gerichts. Die Protokollierung steht im pflichtgemäßen Ermessen 58 ______des Gerichts. Sie hat daher zu erfolgen, sofern der Versagungsgrund gemäß Abs. 4 Satz 2 ______nicht greift. Wird die Äußerung oder der Vorgang zu einem späteren Zeitpunkt des Ver______fahrens beachtlich, so ist der einst gestellte Antrag gemäß Abs. 4 Satz 1 als fortbestehend ______zu betrachten und nunmehr positiv zu bescheiden.233 Hat das Gericht Zweifel, ob die Par______tei an ihrem Antrag noch festhält, so hat es das Interesse der Partei auf Aufnahme in das ______Protokoll gemäß § 139 Abs. 1 zu erfragen.234 ______ Nimmt der Richter Anträge einer Partei in das Protokoll auf und Anträge der anderen 59 ______Partei nicht, obwohl die Anträge nicht unbedingt protokolliert werden müssen, kann der ______Richter daher seine Neutralitätspflicht verletzen, so dass ein Befangenheitsantrag be______gründet sein kann.235 Zu protokollieren sind in der mündlichen Verhandlung Anträge auf ______Schriftsatznachlass und Richterablehnungsgesuche. Für sich allein führt die Weigerung ______des Richters, derartige Anträge und Gesuche zu Protokoll nehmen zu lassen, noch nicht ______zu einer begründenden Besorgnis der Befangenheit des Richters.236 Auf die Äußerung ______oder den Vorgang kommt es nicht an, wenn dieser unter keinerlei Umständen dem wei______teren Verfahrenslauf dienlich ist, z.B. in keinerlei Zusammenhang mit dem Streitgegen______stand steht.237 Im Übrigen handelt es sich bei dem Versagungsgrund ebenfalls um einen ______ ______ ______226 Vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19. ______227 Zöller-Stöber Rdn. 15; Musielak-Stadler Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 33. 228 BFH/NV 2001, S. 1565; Musielak-Stadler Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 33. ______229 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20; a.A. grds. kurze Begründung erforderlich, in Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 20. ______230 Stein/Jonas-Roth Rdn. 33. ______231 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20; a.A. nach Stadler bedarf es einer kurzen Begründung, in Musielak-Stadler Rdn. 14; ebenso Stein/Jonas-Roth Rdn. 33. ______232 Zöller-Stöber Rdn. 15; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 13; Musielak-Stadler Rdn. 14; Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 20; a.A. der Antrag müsse in „grobem Umriss“ protokolliert werden, in Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 33. ______233 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20, für den Fall, dass das Gericht seine „Meinung“ ändert. 234 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 20. ______235 OLG Köln OLGR 1998, 369–370; FamRZ 1998, 1444; MDR 1998, 1370; NJW-RR 1999, 288–289. ______236 LG Bochum AnwBl 1978, 101–102. ______237 Stein/Jonas-Roth Rdn. 31.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____unbestimmten Rechtsbegriff, der im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller ____Umstände auszulegen ist. Stellt in einem Anwaltsprozess gemäß § 78 Abs. 1 die Partei ____persönlich den Antrag nach Abs. 4 Satz 1, ohne dass ihr Prozessbevollmächtigter seiner____seits diesen vorbringt, so braucht der Antrag nur gemäß Abs. 4 Satz 2 beschieden wer____den, wenn das Gericht auch die Partei persönlich gehört oder vernommen hat.238 ____ ____ 4. Keine isolierte Anfechtbarkeit des ablehnenden Beschlusses nach Abs. 4 60 ____Satz 3. Die Entscheidung über die beantragte Protokollergänzung ist nicht isoliert an____fechtbar, denn das Beschwerdegericht kann den richtigen Protokollinhalt nicht be____stimmen, da es an der Sitzung nicht teilgenommen hat.239 Nach Abs. 4 entscheidet das ____protokollierende Gericht unanfechtbar darüber, ob Protokollergänzungen aufgenommen ____werden sollen oder nicht. Dies hat seinen Sinn darin, dass die Richter des Beschwerdege____richts beim fraglichen Termin nicht zugegen waren und daher keine Entscheidung über ____die Berechtigung des Anliegens treffen können.240 Eine sofortige Beschwerde gegen die ____Zurückweisung eines Protokollberichtigungsantrags ist daher unzulässig, wenn die Zu____rückweisung damit begründet worden ist, dass das Protokoll inhaltlich zutreffend sei.241 ____Es liegt im Ermessen des Gerichts, in welchem Umfange Erklärungen der Parteien nach ____§ 141 ins Protokoll aufgenommen würden, und zwar nach Maßgabe der Entscheidungs____erheblichkeit. Dies ergibt sich ohne weiteres aus Abs. 4. Soweit diejenigen Erklärungen ____protokolliert wurden, die das Gericht für entscheidungserheblich gehalten hat, müssen ____jedenfalls keine weiteren Erklärungen protokolliert werden, um ein richtiges und voll____ständiges Bild zu gewährleisten.242 ____ Wird die Protokollierung abgelehnt, so ist die Feststellung des Vorgangs auf ande- 61 ____rem Wege, etwa nach § 161, unzulässig. Die Beteiligten können im Falle der Ablehnung ____ihr Anliegen aber auf schriftlichem Wege vorbringen.243 Zur Abmilderung der nachteili____gen Folgen des in Abs. 4 eindeutig geregelten Rügeverlustes bei verspäteter Antragstel____lung soll bei einer Fristversäumung von der Möglichkeit einer Protokollberichtigung ____nach § 164 Gebrauch gemacht werden.244 ____ ____ VII. Anlagen als Protokollbestandteile, Abs. 5 ____ ____ Die Anlage zum Protokoll ist gemäß Abs. 5 sein Bestandteil. Sie bildet mit ihm eine 62 ____Einheit, auch bezüglich der Beweiskraft, §§ 165, 314, 415 f.245 Aufgrund des Wortlauts und ____der Systematik bezieht sich der Abs. 5 auf alle vorhergehenden Absätze.246 Eine Proto____kollanlage liegt aber nur vor, wenn im Protokoll ausdrücklich auf sie verwiesen wird247 ____und diese dem Protokoll beiliegt.248 Auch sollte auf der Anlage ihre Zugehörigkeit zum ____Protokoll gekennzeichnet werden. Sofern Zweifel durch das Unterlassen nicht entstehen, ____ ____ ____ ____238 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 19. ____239 OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 863. ____240 OLG Naumburg OLGR 2004, 29. 241 OLG Schleswig SchlHA 2003, 301. ____242 Zöller-Stöber, Rdn. 15. ____243 Musielak-Stadler Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 15; Stein/Jonas-Roth Rdn. 34. ____244 Finanzgericht Baden-Württemberg EFG 2001, 583–584; StE 2001, 141. ____245 RG v. 5.1.1907 I JW, 146; Stein/Jonas-Roth Rdn. 35; Zöller-Stöber Rdn. 16. 246 Stein/Jonas-Roth Rdn. 35; a.A. Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 15, nur für die Fälle des Abs. 3. ____247 RG a.a.O., RGSt 25, 248; BGH 10, 327, 329; BGH FamRZ 1990, 507; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 15; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 35; Zöller-Stöber Rdn. 16; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ____248 OLG Zweibrücken NJW-RR 1992, 1408; Musielak-Stadler Rdn. 15.

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§ 160

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ist dieses insoweit unschädlich.249 Soweit eine Protokollanlage gefertigt ist, ist es gleich______gültig, ob sie etwa im Protokoll oder in seiner Anlage steht. Das gilt auch, wenn im An______waltsprozess Anlagen nicht in das Protokoll aufgenommen werden, sondern gemäß § 297 ______als Anlage beigefügt werden sollen. Der Verstoß dagegen ist also unerheblich. Schrift______sätzliche Parteierklärungen sind aber regelmäßig keine Anlagen zum Protokoll,250 doch ______ist der im Schriftsatz enthalten gewesene Beweisantrag jetzt nach § 137 Abs. 3 als gestellt ______anzusehen, selbst wenn er mündlich nicht vorgetragen wird. Auch gelte eine Schrift, die ______als Anlage dem Sitzungsprotokoll beigefügt wurde, als vorgetragen.251 Andererseits macht ______die bloße Überreichung eines schriftlichen Vergleichs diesen nicht zum prozessrechtli______chen in der Form des § 794 Abs. 1 Satz 1, selbst wenn er als Anlage zum Protokoll ge______nommen wird.252 Über die Protokollanfertigung bei der Benutzung technischer Hilfsmit______tel, siehe § 160 a. ______ ______ VIII. Beseitigung von Formfehlern ______ ______ 63 Die Möglichkeit einer Heilung von Formfehlern nach § 295 scheidet jedenfalls dann ______aus,253 wenn der Verfahrensverstoß einen tatbestandlichen Mangel in der Revisionsin______stanz zur Folge hat.254 Für die Berichtigung des Protokolls gilt § 164. Dabei ist es gleich______gültig, ob alle diese Erklärungen nun den gesamten Streit oder einen Teil betreffen oder ______im Falle des Vergleichs gemäß Abs. 3 Nr. 1 sogar über den Prozess hinausgehen255 und ______sich auf Dritte erstrecken.256 Wird die Form bei Anerkenntnis oder Verzicht nicht ge______wahrt, so liegt keine prozessual wirksame Erklärung vor.257 Die Protokollierung rechtfer______tigt also nicht den Erlass eines Anerkenntnisurteils. Es kann aber als außerprozessuales, ______deklaratorisches Schuldanerkenntnis materiell-rechtlich wirksam sein. Ob die Parteien ______einen wirksamen Schuldbestätigungsvertrag geschlossen haben, ist eine Frage der Aus______legung der im Zusammenhang mit dem protokollierten Anerkenntnis abgegebenen ______Parteierklärungen im jeweiligen konkreten Einzelfall.258 So sind Verzichtserklärungen im ______Sinne von § 1587 o Abs. 1 BGB gemäß FGG § 53 b Abs. 4 i.V.m. ZPO §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 ______Abs. 1 im Protokoll über die mündliche Verhandlung festzuhalten, den Parteien vorzule______sen, sofern die Aufzeichnungen nur vorläufig auf Tonband aufgenommen worden sind, ______vorzuspielen und von ihnen sodann zu genehmigen. Fehlt es an einem dieser Erforder______nisse, dann ist die Vereinbarung gemäß § 125 Satz 1 BGB formunwirksam. Der Mangel der ______Form wird auch durch die familiengerichtliche Genehmigung gemäß § 1587o Abs. 2 ______Satz 3 BGB nicht geheilt.259 Das in einem Schriftsatz angekündigte prozessuale Aner______kenntnis wird hingegen auch ohne ausdrückliche Protokollierung bereits dadurch wirk______sam, dass in der mündlichen Verhandlung auf die Schriftsätze pauschal Bezug genom______men wird. In der Berufungsinstanz kann sich diese Bezugnahme aus dem Tatbestand des ______ ______ ______ ______249 BGH v. 7.10.53 II E 10, 327 (BGH 10, 327) = NJW 1953, 1829; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 15; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 35; Zöller-Stöber Rdn. 16; Musielak-Stadler Rdn. 15; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ______250 RG v. 5.1.1903 VI JW 65; Zöller-Stöber Rdn. 16. 251 RG v. 5.1.1907 I 308/06 N/4, nicht mit abgedruckt in JW 07/136. ______252 RG v. 29.9.33 I JW 34/93. ______253 Musielak-Stadler Rdn. 5; Zöller-Stöber Rdn. 5. ______254 BGH NJW 1987, 1200–1201 = MDR 1987, 209 f. ______255 RG. v. 30.10.1924 IV 802/23 N/8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8. 256 RG a.a.O. ______257 A.M. OLG München 35/127: Feststellung im Tatbestand genüge. ______258 OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 721–728. ______259 Brandenburgisches Oberlandesgericht EzFamR aktuell 2000, 67–69; FamRZ 2000, 1157.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160a

____erstinstanzlichen Urteils ergeben. An das Anerkenntnis bleibt der Beklagte auch in zwei____ter Instanz gebunden.260 ____ ____ ____ § 160 a ____ Vorläufige Protokollaufzeichnung ____ § 160a Smid ____ (1) Der Inhalt des Protokolls kann in einer gebräuchlichen Kurzschrift, durch ____verständliche Abkürzungen oder auf einem Ton- oder Datenträger vorläufig aufge____zeichnet werden. ____ (2) Das Protokoll ist in diesem Fall unverzüglich nach der Sitzung herzustellen. ____Soweit Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 mit einem Tonaufnahmegerät ____vorläufig aufgezeichnet worden sind, braucht lediglich dies in dem Protokoll ver____merkt zu werden. Das Protokoll ist um die Feststellungen zu ergänzen, wenn eine ____Partei dies bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens beantragt oder das ____Rechtsmittelgericht die Ergänzung anfordert. Sind Feststellungen nach § 160 Abs. 3 ____Nr. 4 unmittelbar aufgenommen und ist zugleich das wesentliche Ergebnis der ____Aussagen vorläufig aufgezeichnet worden, so kann eine Ergänzung des Protokolls ____nur um das wesentliche Ergebnis der Aussagen verlangt werden. ____ (3) Die vorläufigen Aufzeichnungen sind zu den Prozessakten zu nehmen oder, ____wenn sie sich nicht dazu eignen, bei der Geschäftsstelle mit den Prozessakten auf____zubewahren. Aufzeichnungen auf Ton- oder Datenträgern können gelöscht wer____den, ____1. soweit das Protokoll nach der Sitzung hergestellt oder um die vorläufig aufge____ zeichneten Feststellungen ergänzt ist, wenn die Parteien innerhalb eines Mo____ nats nach Mitteilung der Abschrift keine Einwendungen erhoben haben; ____2. nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens. ____ Soweit das Gericht über eine zentrale Datenspeichereinrichtung verfügt, kön____nen die vorläufigen Aufzeichnungen an Stelle der Aufbewahrung nach Satz 1 auf ____der zentralen Datenspeichereinrichtung gespeichert werden. ____ (4) Die endgültige Herstellung durch Aufzeichnung auf Datenträger in der ____Form des § 130 b ist möglich. ____ Übersicht ____ ____ 1 V. Verbindung der Aufzeichnungen mit der ____I. Normzweck ____ 3 II. Kurzprotokoll Prozessakte, Abs. 3 Satz 1 ____ 19 ____ Aufzeichnung des ProtoVI. Löschung von Ton- oder Datenträgern, Abs. 3 ____III. Vorläufige kolls ____ 5 Satz 2 ____ IV. Herstellung des Protokolls gemäß Abs. 2 1. Vorbemerkung ____ 21 ____ 1. Funktion ____ 12 2. Regelung gemäß Nr. 1 ____ 23 ____ 2. Vermerk von Tonbandaufzeichnungen im 3. Regelung gemäß Nr. 2 ____ 24 ____ Protokoll, Abs. 2 Satz 2 ____ 13 VII. Verwahrung von digitalen Protokoll____ 3. Ergänzung des Protokolls, Abs. 2 ufnahmen auf einem zentralen Server des ____ Satz 2 ____ 14 Gerichts, Abs. 3 Satz 3 ____ 25 4. Beschränkung der Protokollergänzung ____ auf das „wesentliche Ergebnis“ der ____ Beweisaufnahme, § 160 a Abs. 2 ____ Satz 4 ____ 16 ____ ____ ____ ____260 OLG Hamm WRP 1992, 252–253.

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§ 160a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ I. Normzweck ______ ______ Die vorläufige Aufzeichnung des Protokollinhalts nach § 160 a ermöglicht eine erheb1 ______lichen Arbeitsentlastung sowie Zeitersparnis während der Verhandlung. Dieser Zweck ______des § 160 a findet selbst bei den heutigen technischen Möglichkeiten, wie der Einführung ______der Computer mit selbständigem Drucker,1 noch seine Berechtigung.2 ______ § 160 a bestimmt einerseits die zulässigen Aufzeichnungsmittel, Abs. 1, sowie die 2 ______einzelnen Anforderungen an die Art und Weise der Erstellung einer vorläufigen Auf______zeichnung und des endgültigen Protokolls, Abs. 2, andererseits die Verwahrung der vor______läufigen Aufzeichnungen und dessen Löschung, sofern sie sich auf Ton- und Datenträ______gern befinden, Abs. 3. ______ ______ II. Kurzprotokoll ______ ______ Im inländischen Verfahren gibt es, obwohl man sie herstellen könnte, z.B. durch die 3 ______Aufzeichnung der gesamten Verhandlung von Eröffnung bis Schluss,3 nur selten Wort______protokolle, geschweige denn vollständige Wortprotokolle. Vielmehr beschränkt sich das ______Gericht darauf, alle sachdienlichen Ausführungen eines Aussagenden aufzuzeichnen. ______Die Übertragung bloß der als wesentlich erachteten4 und daher aufgenommenen Aussa______gen in die vorläufige Aufzeichnung trägt zugleich zur Verständlichkeit bei.5 Bei Tonauf______nahmen empfiehlt sich daher, dass der Richter den wesentlichen Inhalt der Aussagen ______selbst auf den Tonträger spricht,6 bei den sonstigen Aufzeichnungsmitteln diesen zu dik______tieren.7 Ebenfalls ist es dem Vorsitzenden unbenommen, die Art der zulässigen Aufzeich______nungsmittel innerhalb der Verhandlung zu wechseln8 oder mehrere nebeneinander anzu______wenden9 bzw. auf ein weiteres zu verzichten.10 Die Prozessbeteiligten haben auch, anders ______als das Rechtsmittelgericht,11 auf ein vollständiges Wortprotokoll keinen Anspruch.12 Dies ______ergibt sich im Umkehrschluss schon aus § 160 Abs. 4 Satz 2.13 Unbenommen ist den Par______teien der Antrag gemäß § 160 Abs. 4 Satz 1. Darüber hinaus stehen den Parteien gegen ______die Anordnung des Vorsitzenden bezüglich einer vorläufigen Aufzeichnung sowie des______sen Aufzeichnungsmittel keine Rechtsmittel zur Verfügung.14 Im Zivilprozess ist das ______ ______ ______1 Jaeger MDR 1996, 757. ______2 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1. 3 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 1; Musielak-Stadler ______Rdn. 2. ______4 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ______5 Franzki DRiZ 1975, 97, 99; das vollständige Wortprotokoll führe meist zur Verwirrung, in Zöller-Stöber ______Rdn. 2; nach Hartmann kann ein solches Protokoll hilfreich als auch umständlich sein, in Baumbach/ Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; das Wortprotokoll sei untunlich, in Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; unpraktisch, ______Musielak-Stadler Rdn. 2. ______6 Zöller-Stöber Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 1. ______7 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3, z.B. in wörtlicher Rede; Zöller-Stöber Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 2. ______8 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ______9 Zöller-Stöber Rdn. 5, z.B. Tonaufnahme und Stenogramm, insbesondere empfehlenswert bei umfangreichen Aussagen. ______10 Nach BVerwG kann neben der Tonaufnahme auf eine Zusammenfassung per Diktat des ______Richters verzichtet werden, NJW 1976, 1282; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ______Rdn. 6. ______11 Schmidt NJW 1975, 1307; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. 12 Schmidt NJW 1975, 1307; Zöller-Stöber Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3, 17; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 3, 10; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 2. ______13 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ______14 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 17.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160a

____Wortprotokoll wegen der Bezugnahme nach § 137 Abs. 3 auch überall dort nicht erforder____lich, wo die Partei schriftsätzlich vortragen kann. ____ Der Inhalt dieses Kurzprotokolls wird durch die Notwendigkeit der Protokollierung 4 ____der Vorgänge zu § 160 Abs. 3 Nr. 1–3, 8, 9 einerseits bestimmt; andererseits durch §§ 160 ____Abs. 3 Nr. 4, 5; 160 a Abs. 2 Satz 2–4, was die Partei- und die Beweismittelerklärungen ____und Beweisfeststellungen betrifft. Den Anforderungen an ein vorläufiges Protokoll ist ____sowohl durch ein Kurzschriftprotokoll (selbst mit unvollständiger, also schon geraffter ____Wiedergabe der Erklärungen) als auch durch eine (vollständige oder eine entsprechend ____geraffte) Tonbandaufnahme genüge getan. Gerichtliche Entscheidungen (§ 160 Abs. 3 ____Nr. 6 und 7, Abs. 4 Satz 3) gehören zwar auch in das Protokoll; doch hat sich an den bis____her üblichen Formen der Protokollierung nichts geändert. Dies gilt im Besonderen dafür, ____dass nur der Tenor einer Entscheidung verkündet und so (auch als Anlage zum Proto____koll) protokolliert zu werden braucht; nicht Tatbestand15 und Entscheidungsgründe der ____Urteile. Inwieweit das bei Beschlüssen entsprechend gilt, inwieweit der Beschluss schon ____(vollständig) begründet in das Protokoll aufzunehmen ist, entscheidet das Gesetz im ____Einzelfall (vgl. § 182 GVG). Dabei mag die Vermeidung der Mehrarbeit es erfordern, dass ____(zusätzlich) ein Kurzprotokoll (als Hauptprotokoll) geführt wird. Enthält ein Protokoll ____die Feststellung, „anliegende Entscheidung“ sei verkündet worden, so erbringt es aber ____nur dann Beweis dafür, dass ein Urteil auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Ur____teilsformel verkündet worden ist, wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des ____§ 517 erstellt worden ist.16 ____ ____ III. Vorläufige Aufzeichnung des Protokolls ____ ____ Abs. 1 lässt zur vorläufigen Aufzeichnung des gesamten im Protokoll aufzunehmen- 5 ____den Inhalts nach § 16017 (Hand- oder Maschinen-)Kurzschrift in gebräuchlicher Form wie ____z.B. Stenogramm18 oder der deutschen Einheitskurzschrift19 durch allgemein verständli____che Abkürzungen (in Langschrift)20 sowie auf Tonband21 und Datenträgern wie Schreibau____tomaten mit einem Bildschirmlesegerät oder auf einer Computerfestplatte bzw. Diskette,22 ____CD und DVD zu. Ebenfalls ist die Protokollierung unter Verwendung eines Dimafongeräts ____verfahrensrechtlich zulässig.23 Gebräuchlich sind sonstige Kurzschriften, wenn sie an ____dem entsprechendem Gericht von der überwiegenden Mehrheit der Urkundsbeamten ____oder Richter als vorläufiges Aufzeichnungsmittel verwendet wird oder allgemein an der ____Mehrheit der Gerichte eingesetzt werden.24 Entscheidet sich der vorsitzende Richter, zu____mindest einen Teil der Verhandlung vorläufig durch eine Art der vorläufigen Aufzeich____ ____ ____ ____15 A.A. Zöller-Stöber Rdn. 6, wonach bei einem Urteil gem. § 313 Abs. 2 S. 2 und Protokollvermerk der ____Tonbandaufnahme, die Bezugnahme auf die Tonaufzeichnung ausreicht. ____16 BGH NJW 2011, 1741 in Abgrenzung zu BGH NJW 1985, 1782. ____17 BGH VersR 1985, 46; Zöller-Stöber Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; Thomas/Putzo____Reichold Rdn. 1. 18 BGH NJW 1999, 794–796 = MDR 1999, 181–182; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 1; ____Musielak-Stadler Rdn. 2. ____19 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 1. ____20 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ____21 BVerwG NJW 1976, 1282. 22 Jaeger MDR 1996, 757; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak____Stadler Rdn. 2. ____23 BGH DRiZ 1962, 130–131. ____24 Allg. von einer Reihe von Personen sprechend, Stein/Jonas-Roth Rdn. 2.

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§ 160a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______nung festzuhalten,25 so ist unverzüglich nach Beendigung der Sitzung die vorläufige ______Aufzeichnung zu übertragen und so das endgültige und vollständige Protokoll herzustel______len, Abs. 2 Satz 1. Wann die Erstellung des Protokolls unverzüglich ist, wird mangels ______Legaldefinition in der ZPO durch § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt. Danach muss die Pro______tokollierung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, woraus folgt, dass andere Aufgaben ______ggfs. zweitrangig zu erledigen sind.26 Das Erfordernis trägt im Übrigen auch der Erstel______lung eines die Verhandlung im Einzelnen genau wiedergebenden Protokolls bei, da der ______Vorsitzende aufgrund der zeitlichen Nähe zur Verhandlung die Sitzung realitätstreu re______konstruieren und die vorläufigen Aufzeichnungen in diesem Zusammenhang gewichten ______kann. Dieses Protokoll ist dann grds. gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 vom Vorsitzenden und ______von dem Urkundsbeamten zu unterzeichnen.27 Vorher hat der Urkundsbeamte die Rich______tigkeit der Übertragung in das Protokoll zu überprüfen,28 selbst wenn die Kurzschrift ______bzw. Tonaufnahme vom Vorsitzenden selbst ohne Heranziehung eines Urkundsbeamten ______hergestellt worden ist,29 § 159 Abs. 1 Satz 2. Ist die in dieser Funktion erfolgte Unterschrift ______des Urkundsbeamten durch ausdrückliche Kennzeichnung nicht ersichtlich, so kann ______dies noch in der Revision nachgeholt werden.30 Der Vorsitzende selbst trägt diesbezüg______lich eine bloße Mitverantwortung.31 ______ Im Falle der vorläufigen Aufzeichnung von Feststellungen gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 6 ______und 5 per Tonbandgerät kann nach § 313 Abs. 2 Satz 2 im Tatbestand des Urteils auf die ______Beweisergebnisse verwiesen werden.32 Eine vorherige Bekanntmachung eines Berichter______stattervermerks ist nicht notwendig.33 Erforderlich ist, dass die Tonbandaufnahme alle ______wesentlichen Aussagen klar und verständlich aufgenommen hat.34 Anderenfalls ist der ______Tatbestand des Urteils insoweit mangels Niederschrift35 ausfüllungsbedürftig und kann ______nicht zur Überprüfung des Urteils im Rechtsmittelverfahren herangezogen werden.36 ______Bestehen die Lücken fort, wird das Urteil im Revisionsverfahren aufgehoben und der ______Prozess zurückverwiesen.37 Das gleiche gilt, wenn das benutzte Gerät einen Defekt auf______weist, so dass praktisch die gesamte Aussage des Klägers tatsächlich nicht vorläufig auf______gezeichnet worden ist. In diesem Fall fehlt es dann an einer Aufzeichnung überhaupt, ______weil nicht gemäß § 160 a Abs. 2 Satz 4 zugleich das wesentliche Ergebnis der Aussage ______anderweitig, z.B. in einem gesonderten Berichterstattervermerk, auf den in zulässiger ______Weise Bezug genommen worden ist,38 vorläufig aufgezeichnet wurde.39 Damit dient das ______ ______ ______25 Zöller-Stöber Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3, 7; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 2. ______26 Schneider JurBüro 1975, 130; Zöller-Stöber Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 3. ______27 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______28 BVerwG NJW 1977, 264; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. 29 Abweichend nach früherem Recht: BGH v. 5.10.1954 V E 14, 381; BVerwG NJW 1977, 264; Stein/Jonas______Roth Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 2. ______30 BVerwG NJW 1977, 264; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. ______31 BVerwG NJW 1977, 264; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; gemeinsam verantwortlich Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 7. ______32 MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 10; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 3; MusielakStadler Rdn. 4. ______33 Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ______34 Musielak-Stadler Rdn. 4. ______35 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. ______36 BVerwG DÖV 1977, 370–370 = MDR 1977, 604; Stein/Jonas-Schuhmann (21) Rdn. 4; MünchKommPeters Rdn. 5; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8. ______37 MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ______38 BGH NJW-RR 1993, 1034; BVerwG DÖV 1977, 370–370; BVerwGE 67, 43; DÖV 1983, 550. ______39 BVerwGE 67, 43.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 160a

____erstellte Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht seinem Zweck, den vom Ge____richt ermittelten Tatsachenstoff zu sichern und derart die Überprüfung des darauf beru____henden Urteils durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. Die vom Verwaltungsge____richt vorgenommene Tonbandaufzeichnung enthält nämlich nicht nur einzelne, ____geringfügige und deshalb nicht ins Gewicht fallende Lücken, sondern es fehlt praktisch ____die gesamte Aussage des Klägers.40 Im Interesse aller Prozessbeteiligten und des Ge____richts, insbesondere des Rechtsmittelgerichts, ist daher vor der Ingebrauchnahme eines ____Tonaufnahmegeräts zum Zwecke der Protokollierung dessen einwandfreies Funktionie____ren zu überprüfen und sich zuvor mit der Bedienung des Geräts vertraut zu machen.41 ____Kann das vom Vorsitzenden während der mündlichen Verhandlung in zulässiger Weise ____auf Tonträger aufgenommene Protokoll gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 160 a Abs. 1 gemäß ____§ 160 a Abs. 2 Satz 1 ZPO nach der Sitzung nicht übertragen werden, weil das Tonband ____versehentlich gelöscht worden war, ist dieser Mangel einer Sitzungsniederschrift indes____sen kein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 138 VwGO. Er führt nicht stets zur Feh____lerhaftigkeit des angefochtenen Urteils. In der Revisionsbegründung muss vielmehr dar____gelegt werden, dass und inwiefern das angefochtene Urteil auf dem gerügten Mangel ____beruht oder zumindest beruhen kann.42 Ein Ausnahmefall, in dem zur Sicherung des ____vom Tatsachengericht ermittelten Tatsachenstoffs die Protokollierung einer Beweisauf____nahme offensichtlich unerlässlich ist und deswegen auf nähere Ausführungen zur Er____heblichkeit eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Wiedergabe von Bekundun____gen verzichtet werden kann, liegt hier nicht vor. Der Mangel einer Niederschrift über die ____mündliche Verhandlung der Vorinstanz macht eine erschöpfende sachliche Überprüfung ____durch das Revisionsgericht nicht unmöglich. Der für die Entscheidung maßgebliche Tat____sachenstoff ist im Tatbestand des angefochtenen Urteils beurkundet.43 ____ Andere Kurzschriftaufnahmen können sich sowohl auf die gesamten Erklärungen 7 ____wie auf einen Teil von ihnen beziehen. Auch sie haben den Charakter einer vorläufigen ____Aufzeichnung (§ 160 a Abs. 1). Auf sie bezieht sich § 160 a Abs. 2, 3 Satz 1 (nicht § 160 a ____Abs. 3 Satz 2). Im Gegensatz zum früheren Recht müssen sie nicht vollständig übertragen ____werden, was indes nur Sinn hat, wenn sie der Richter selbst aufnimmt; was jedenfalls ____dann nicht angeht, wenn der Richter die Erklärungen für das (Haupt-)Protokoll erklärt ____hat. ____ Streitig ist, ob sich die Vorläufigkeit der Aufzeichnung i.S.d. Abs. 1 nur auf die Art der 8 ____Aufzeichnung oder auch auf die inhaltliche Wiedergabe der Verhandlung erstreckt.44 Da ____eine willkürliche Kürzung des Inhalts den Anforderungen aus § 160 sowie damit dem Sinn ____und Zweck der Protokollierungspflichten aus §§ 159 f. widersprechen würde, kann die Mög____lichkeit der vorläufigen Aufzeichnung nur dazu dienen, den Tätigkeitsaufwand zu redu____zieren. Anderenfalls wäre das eingeräumte Ermessen aufgrund der Verletzung des Grund____satzes des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Der Inhalt darf daher ____nur soweit gekürzt werden, als die Umstände gemäß § 160 Abs. 1, 3 sowie alle sonstigen ____wesentlichen Vorgänge gemäß Abs. 2 vorläufig aufgezeichnet worden sind und auf dieser ____Grundlage in das vollständige Protokoll gemäß § 160 a Abs. 2 Satz 1 aufgenommen werden ____ ____ ____40 Bezügl. der Kriegsdienstverweigerung BVerwG ZBR 1983, 194–194. ____41 StuB 2001, 663; BVerwG ZBR 1983, 194–194 = StB 1983, 366; OLG Saarbrücken NJW 1972, 61. ____42 St.Rspr. BVerwGE 48, 369, 371 f. ____43 BGH NJW 2002, 359–361 = DRiZ 2002, 14–17. 44 Ausschließlich die Art der Aufzeichnung betreffend: Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; vom zeitlichen Element ____sprechend, Musielak-Stadler Rdn. 2; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3, der aber zumindest ____auch das Wesentliche ungekürzt aufnehmen will und nach Rdn. 4 eindeutig Grenzen der inhaltlichen ____Kürzung nennt.

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______können.45 Die vorläufige Aufzeichnung darf daher nicht dazu führen, dass letztlich Zweifel ______entstehen, was insbesondere von einer Beweisperson ausgesagt worden ist.46 ______ Nimmt das Gericht Zeugenaussagen auf ein Tonbandgerät auf, bedarf es dafür kei9 ______ner Zustimmung des Aussagenden,47 da er insoweit zur Aussage in einer öffentlichen ______Verhandlung verpflichtet ist und eine Persönlichkeitsverletzung daher ohnehin nicht ______vorliegt. Somit gleicht die Aufzeichnung durch das Aufnahmegerät dem des Wortsteno______gramms.48 Die Aufnahme der Verhandlung per Tonbandgerät durch die Parteien bzw. ______Prozessbevollmächtigten selbst für eigene Zwecke ist hingegen nur bei Erlaubnis des ______Vorsitzenden sowie mit Zustimmung aller anwesenden Beteiligten zulässig,49 und zwar ______unabhängig davon, ob das Gericht ein Tonbandgerät während der Sitzung verwendet.50 ______Die erforderliche Zustimmung des Vorsitzenden erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen ______unabhängig davon, ob die übrigen Prozessbeteiligten zustimmen.51 Für Presseaufnah______men gilt § 169 Satz 2 GVG. ______ Da es sich bei den Aufzeichnungen gemäß Abs. 1 bloß um vorläufige handelt, kann 10 ______weder die Berichtigung des Protokolls gemäß § 164 noch ein Befangenheitsantrag auf______grund der vorläufigen Formulierung des Vorsitzenden begründet werden.52 Entschei______dende Bedeutung kommt insoweit erst dem endgültigem Protokoll in Reinschrift gemäß ______Abs. 2 Satz 1 zu.53 Ist die Kurzschrift ganz oder teilweise nicht mehr leserlich, so ist dies ______im Hauptprotokoll kenntlich zu machen. Entsprechendes gilt für den besprochenen Ton______träger. Insoweit kommt § 419 zum Zuge. Sind, abgesehen von äußeren Mängeln des Pro______tokolls, bei einer auf Tonträger aufgezeichneten Partei- oder Zeugenaussage wesentliche ______Passagen unverständlich oder unvollständig, so kann das darauf beruhende Urteil in der ______Revisionsinstanz nicht mehr auf seine Grundlagen kontrolliert werden.54 ______ Die richterliche Entscheidung, ob das Protokoll vom Urkundsbeamten der Ge11 ______schäftsstelle aufzunehmen oder sein Inhalt mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig auf______zuzeichnen ist, kann nach alledem grundsätzlich auch nicht Gegenstand einer Maßnah______me der Dienstaufsicht sein.55 ______ ______ IV. Herstellung des Protokolls gemäß Abs. 2 ______ ______ 1. Funktion. Erst dem zeitlich nach der vorläufigen Aufzeichnung erstellten Protokoll 12 ______kommt die volle Beweiskraft gemäß § 165 zu.56 Das gilt auch für den Fall, dass das Protokoll ______nach Abs. 2 Satz 1 nicht wie erforderlich unverzüglich erstellt worden ist.57 Ebenfalls fol______ ______45 LG Frankfurt am Main Rpfl. 1976, 257; sonst müssten im Fall des Abs. 2 S. 3 Feststellungen ______verbotenerweise aus dem Gedächtnis ergänzt werden, Stein/Jonas-Roth Rdn. 4, 6; ebenso Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; so auch Musielak-Stadler Rdn. 2. ______46 Franzki DRiZ 1975, 99; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. 47 Musielak-Stadler Rdn. 2. ______48 MünchKomm-Peters Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Baumbach/Kissel GVG (1981), § 169 Rdn. 72. ______49 MünchKomm-Peters Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______50 Zöller-Stöber Rdn. 11; Stein/Jonas-Roth Rdn. 21; MK/Wolf § 169 GVG Rdn. 48. Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 8. ______51 OLG Düsseldorf NJW 1990, 2898 (Aufzeichnung auf Tonträger im Strafprozess); Stein/Jonas-Roth Rdn. 21. ______52 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5. ______53 Musielak-Stadler Rdn. 2. ______54 BVerwG MDR 1977, 604; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 17. ______55 BGH NJW 1988, 417 f.; BGH DRiZ 1978, 281 = NJW 1978, 2509. 56 BGH VersR 1985, 45 ff. = BGH MDR 1985, 396 = NJW 1985, 1782, 1783; BGH MDR 1999, 181 = NJW 1999, ______794; Zöller-Stöber Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______57 BGH NJW 1985, 1782, BGH NJW 1994, 3358; Zöller-Stöber Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/ ______Jonas-Roth Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 3.

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____genlos ist es, wenn das Sitzungsprotokoll erst über fünf Monate nach dem Verhand____lungstermin und damit nicht mehr unverzüglich aufgrund einer Tonträgeraufzeichnung ____gefertigt wurde. Der Verstoß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Protokollanfertigung ____ist eine bloße Nachlässigkeit.58 Bei Verzögerung kann jedoch Dienstaufsichtsbeschwerde ____gemäß § 26 Abs. 2 DRiG eingelegt werden,59 u.U. auch ein Amtshaftungsanspruch gemäß ____Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB.60 Wird das Protokoll aus dem Gedächtnis um Feststellungen ____gemäß Abs. 2 Satz 3 ergänzt, kommt dem erstellten Protokoll die Beweiswirkung nach ____§ 165 nicht zu.61 Stimmt der Inhalt des Protokolls nicht mit dem aus der vorläufigen Auf____zeichnung überein, können Förmlichkeiten ausschließlich durch das Protokoll bewiesen ____werden. Der übrige Inhalt der vorläufigen Aufzeichnung ist als Gegenbeweis zulässig, ____§ 415 Abs. 2.62 Erfolgt die Löschung entgegen Abs. 3 Satz 2 zu früh, so besteht die Mög____lichkeit, dass eine Entscheidung auf diesem Fehler beruht, nur, wenn konkret bezweifelt ____werden kann, dass eine Aussage oder das Ergebnis einer Augenscheinseinnahme nicht der ____Wahrheit oder der ordnungsgemäßen Würdigung entsprechend in das Protokoll über____nommen worden ist.63 Im Übrigen stellt die nicht rechtzeitig vorgebrachte Einwendung ____einen konkludenten Rügeverzicht nach § 295 Abs. 1 dar.64 Die unmittelbare Aufzeich____nung durch Tonaufnahmegerät ist bei Parteivernehmungen auch in Kriegsdienstverwei____gerungsverfahren grundsätzlich zulässig.65 ____ ____ 2. Vermerk von Tonbandaufzeichnungen im Protokoll, Abs. 2 Satz 2. Besonde- 13 ____res Gewicht kommt indes der Aufzeichnung der Bekundungen der Beweismittel und der ____Feststellung eines Augenscheines nach § 160 Abs. 3 Nr. 4, 5 zu, da diese (regelmäßig) ____vom nur Mündlichen her festgehalten werden müssen. In diesen Fällen ist die Tonband____aufzeichnung einschließlich der Fragen, welche zu den Aussagen führen, also der ge____samte Gang der Beweisaufnahme, einschließlich der Tönung, von besonderer Bedeu____tung. Der Gesetzgeber hat eine solche Tonbandaufnahme zwar zugelassen, ihren vollen ____Gehalt zu Unrecht aber wieder gerade durch § 160 a Abs. 2 Satz 2–4, Abs. 3 Satz 2 zurück____gedrängt und das Aufgenommene verstümmeln lassen. So ist bei der vorläufigen Auf____zeichnung von Feststellungen i.S.d. § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 per Tonaufnahmegerät ledig____lich ein dementsprechender Vermerk genügend, § 160 a Abs. 2 Satz 2. Jedoch ist die Norm ____des § 160 Abs. 1 zu beachten, so dass sich aus dem Hauptprotokoll im Besonderen die ____Nämlichkeit des vernommenen Beweismittels (§ 160 Abs. 1 Nr. 4) ergeben muss. Zwar ____nähert sich dieses Verfahren dem sonstigen, in dem regelmäßig der Richter „diktiert“, ____an, womit nur eine abgekürzte Form des Bekundeten (in der Tönung der Ausdrucksweise ____des Diktierenden) in das Protokoll gerät. Vom Standpunkt der Berufungsinstanz aus ____lässt sich dieses Verfahren indes in dem durch § 529 gezogenen Rahmen durch Wieder____holung (vgl. § 398) ausgleichen; vom Standpunkt der Revisionsinstanz aus dagegen nur, ____soweit ein wiedergegebener Wortlaut gar nicht zutrifft (weil sonst die Beweiswürdigung ____Angelegenheit des Tatsachengerichts ist). ____ ____ ____58 OLG-NL 1994, 68–69; BGH VersR 1985, 45–47 = NJW 1985, 1782–1784 = MDR 1985, 396–397. ____59 Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Baumbach/LauterbachHartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 3. ____60 Zöller-Stöber Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak____Stadler Rdn. 3. ____61 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 2. ____62 Bezüglich der unwahren Wiedergabe einer Vergleichsfrist, SchlHOLG SchlHA 1996, 221; Zöller-Stöber Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 2. ____63 BVerwG NJW 1988, 2491, 2492; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16. ____64 Schneider JurBüro 1975, 130, 131; Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. ____65 BVerwG DÖV 1976, 746.

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______ 14 3. Ergänzung des Protokolls, Abs. 2 Satz 2. In diesen Fällen lässt Abs. 2 Satz 2 eine ______Ergänzung des Protokolls zu. Voraussetzung dafür ist, dass diese Ergänzung von ei______ner Partei beantragt oder vom Rechtsmittelgericht66 angefordert worden ist. Dem ______eindeutigen Wortlaut folgend, findet Abs. 2 Satz 2 als Ausnahme zu Abs. 2 Satz 1 ledig______lich beim Einsatz von Tonaufnahmegeräten Anwendung, also nicht bei den übrigen vor______läufigen Aufzeichnungsarten nach Abs. 1.67 ______ 15 Der Antrag der Partei auf Protokollergänzung kann nur bis zum rechtskräftigen Ab______schluss des Verfahrens beantragt werden, Abs. 2 Satz 3. ______ ______ 4. Beschränkung der Protokollergänzung auf das „wesentliche Ergebnis“ der ______ Beweisaufnahme, § 160 a Abs. 2 Satz ______ ______ 16 a) Die Rechtsfolge der Ergänzung des Protokolls um die Feststellungen ist gebun______den. § 161 stellt insoweit die Protokollierung von Feststellungen zwar grds. zur Disposi______tion, dies gilt aber nur, sofern das Gericht zur Protokollierung nicht ausdrücklich ver______pflichtet wird. Dieses Ergebnis wird durch Sinn und Zweck des § 161 bestärkt, auf die ______Kontrolle des Protokollinhalts anhand einer Protokollierungspflicht allgemein verzich______ten zu können, sofern aufgrund der in Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Umstände eine ______Rechtskontrolle sowieso eingeschränkt möglich ist. Aus diesem Grund hat der Gesetzge______ber die Aufnahme aber auch nicht als sinnlos zwingend ausgeschlossen, sondern zur ______Disposition des Gerichts gestellt. Die Norm stellt folglich keinen Versagungsgrund i.S.d. ______Abs. 2 Satz 3 dar.68 In diesem Fall ist im Umkehrschluss zu Abs. 2 Satz 4 eine vollständige ______Wiedergabe der Tonaufnahme in Vollschrift erforderlich,69 sofern nicht Feststellungen ______nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 unmittelbar aufgenommen und das wesentliche Ergebnis der Aus______sagen vorläufig aufgezeichnet worden ist.70 Somit ist auf diesem Wege, entgegen dem ______Normzweck des § 160 a, wieder die vollständige Protokollierung zu fordern.71 In diesem ______Zusammenhang ist daher zu fordern, dass die auf Antrag vorzunehmende Ergänzung des ______Protokolls um die mit einem Tonaufnahmegerät aufgenommenen Aussagen der Zeugen, ______Sachverständigen und vernommenen Parteien, auch den Wortlaut der Fragen des Ge______richts und der Verfahrensbeteiligten umfasst, auf die der Kläger geantwortet hat. Ande______renfalls sind die Antworten ohne Wiedergabe der Fragen zum Teil nur schwer verständ______lich.72 ______ ______ 17 b) Abs. 2 Satz 4 bezieht sich ausschließlich auf die Aussagen der Zeugen, Sachver______ständigen und vernommenen Parteien und stellt eine Ausnahme zu dem Grundsatz der ______vollständigen Wiedergabe der Feststellungen im Protokoll dar. ______ ______ c) Die zusätzlichen Vermerke nach Abs. 2 Satz 4 können vom Vorsitzenden, einem 18 ______beisitzenden Richter, auch vom Urkundsbeamten aufgenommen worden sein; sie sind in ______das Protokoll oder als Anlage zum Protokoll (§ 160 Abs. 5) zu nehmen. ______ ______ ______ 66 Stein/Jonas-Roth Rdn. 9. ______67 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 5; MünchKomm-Peters Rdn. 4; a.A. Schneider JurBüro ______1975, 130; nach der Vorauflage ebenfalls die Kurzschrift. ______68 A.A. Zöller-Stöber Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 4. ______69 Zöller-Stöber Rdn. 5; nur auf Tonbandaufnahmen anwendbar, MünchKomm-Peters Rdn. 4. 70 BVerwG DÖV 1981, 840 f.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9. ______71 Den Rationalisierungseffekt der Vorschrift einschränkend, Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Zöller-Stöber ______Rdn. 5. ______72 Buchholz 310 § 105 VwGO Nr. 42.

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____ V. Verbindung der Aufzeichnungen mit der Prozessakte, Abs. 3 Satz 1 ____ ____ a) Die vorläufigen Aufzeichnungen sind gemäß § 160 a Abs. 3 Satz 1 zu den Prozess- 19 ____akten zu nehmen, d.h. sie müssen sachlich mit der Prozessakte verbunden sein.73 Ist dies ____aus technischen Gründen nicht möglich, weil sie dazu nicht geeignet sind, wie z.B. bei ____Schallplatten, Tonbändern, Kassetten und Disketten,74 so müssen sie bei der Geschäfts____stelle, den Prozessakten räumlich unmittelbar zugeordnet, aufbewahrt werden.75 Die Fi____xierung der vorläufigen Aufzeichnung auf Diskette ist selbst dann erforderlich, wenn die ____volle Kapazität der Festplatte noch nicht erreicht ist.76 Das Erfordernis der unmittelbaren ____räumlichen Nähe schließt auch eine Sammelverwahrung bei einer Geschäftsstelle77 nicht ____zwingend aus.78 Die konkrete Verwahrung der vorläufigen Aufzeichnungen wird in den ____jeweiligen Landesjustizverwaltungen festgelegt. Ferner können die subsidiären Regeln ____der AktO angewendet werden.79 Aufgrund der Art der Verwahrung wird die vorläufige ____Aufzeichnung jedoch nicht zugleich Inhalt des Protokolls.80 Die Pflicht, vorläufige Auf____zeichnungen zu den Prozessakten zu nehmen, gilt wegen ihrer Bedeutung als Teil des ____Protokolls ebenfalls für Aufzeichnungen eines Richters über das wesentliche Ergebnis ____von Aussagen nach Abs. 2 Satz 3.81 Sofern dem Gericht die Akten vorliegen oder diese in ____der Kanzlei bearbeitet werden bzw. die Akten an ein anderes Gericht versandt werden, ____brauchen die Aufzeichnungen den Prozessakten ausnahmsweise nicht beigelegt zu wer____den.82 Sie sind aber mit in das Archiv zu nehmen, wenn die Prozessakten archiviert wer____den und die geltenden Archivvorschriften nichts anderes vorsehen.83 ____ ____ b) Die Verwahrung dient der Erstellung des Protokolls gemäß Abs. 2 Satz 1, einer 20 ____eventuellen Ergänzung, Abs. 2 Satz 3, einer Berichtigung des Protokolls, § 164,84 sowie ____der Überprüfung des Protokolls und des Urteilstatbestandes.85 Aus diesem Grund muss ____den Parteien das Recht auf Abhören eines Tonbands bzw. im Sonstigen auf Einsicht____nahme zustehen. Dieses Recht kann bis zur tatsächlichen Löschung der Aufzeichnun____gen86 bei der Geschäftsstelle in Anspruch genommen werden.87 Eine Beanstandung des ____ ____ ____73 Musielak-Stadler Rdn. 6. ____74 Zöller-Stöber Rdn. 8; wegen erhöhter Stückzahl, außerdem sind sie eindeutig zu kennzeichnen, ____MünchKomm-Peters Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13; ____Musielak-Stadler Rdn. 6. 75 A.A. noch die Vorauflage, wonach aufgrund des Wortlauts „bei“ der Geschäftsstelle eine getrennte ____Aufbewahrung zulässig war, jedoch sind Akten und Aufzeichnung nicht nur bei der Geschäftsstelle, ____sondern „mit“ – einander aufzubewahren; unklar Stein/Jonas-Roth Rdn. 13, „zusammen“, jedoch nicht in ____einer „engen räumlichen“ Verbindung; a.A. Franzki DRiZ 1975, 97, 100. ____76 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. 77 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____78 So Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____79 Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____80 Zöller-Stöber Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 6; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 11, 12, noch Protokollanlage; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13; Musielak-Stadler Rdn. 2; a.A. ____noch die Vorauflage. 81 BVerwGE 67, 43–47 = DÖV 1983, 550–551. ____82 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Franzki DRiZ 1975, 97, 100; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____83 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13. ____84 Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13; Musielak-Stadler Rdn. 6. ____85 Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Zöller-Stöber Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 6, 8, 9. 86 Zöller-Stöber Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14; Musielak-Stadler Rdn. 6; a.A. Stein/ ____Jonas-Roth Rdn. 18; Franzki DRiZ 1975, 97, 100. ____87 Karlsr Rpfl. 1994, 312; Zöller-Stöber Rdn. 10; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19, 20; MünchKomm-Peters ____Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 13, 14; Musielak-Stadler Rdn. 6.

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______Protokolls nach Ablauf der Monatsfrist ist dann aber nur noch eingeschränkt möglich.88 ______Man wird auch die Überspielung des Tonträgers anstelle von Abschriften der Bekundun______gen zulassen müssen, sofern gewährleistet ist, dass die Originalaufzeichnung durch den ______technischen Vorgang des Überspielens nicht leidet.89 Dem Vorsitzenden kommt die Ent______scheidungskompetenz zu.90 Sowie die Aufnahme der Verhandlung per Tonbandgerät ______durch die Parteien bzw. Prozessbevollmächtigte selbst für eigene Zwecke der Zustim______mung aller Prozessbeteiligter und des Vorsitzenden bedarf, so ist bei der Vervielfältigung ______der Aufzeichnungen zusätzlich die Zustimmung aller darin aufgenommenen Beteiligten ______notwendig.91 Das ist Ausfluss des Persönlichkeitsrechtes und dient dem Schutz des ge______sprochenen Wortes.92 Die Justizverwaltung hat die Voraussetzungen für das Abhören ______und Ablesen der vorläufigen Aufzeichnung bereitzustellen.93 Ein Recht auf Aushändi______gung der Aufzeichnung gibt es gemäß § 299 indes nicht.94 ______ ______ VI. Löschung von Ton- oder Datenträgern, Abs. 3 Satz 2 ______ ______ 21 1. Vorbemerkung. Die praktische Relevanz dieser Regelungen war hoch, solange ______Datenträger, namentlich Tonträger sperrig sind und ihre Aufbewahrung mit erheblichen ______Kosten und Mühen der Justizverwaltung verbunden ist. Schon heute – im Jahre 2012 – ist ______dies angesichts der Entwicklung der elektronischen Speichermöglichkeiten kaum noch ______der Fall; CD-ROM ließen sich mühelos zu geringen Kosten in den Akten verwahren. ______ Die Löschungsvorschrift über Tonaufzeichnungen ist daher bedenklich. Diese Be22 ______denken rühren zum einen daher, dass auch mit rechtskräftigem Abschluss des Verfah______rens noch keinesfalls die Nutzlosigkeit der Verwendungen (etwa bei Wiederaufnahme______klagen oder zu sonstigen Prozessen) mit Eintritt der Rechtskraft feststeht. Zudem wird ______aber auch zu anderen Kurzschriftaufzeichnungen ein ungleiches Recht gesetzt. In den ______Fällen des Abs. 2 Satz 2 müssen sie deshalb trotz der Norm des Abs. 3 länger (solange wie ______die Akten überhaupt) aufbewahrt werden. Die geschilderte Entwicklung der Möglichkei______ten digitaler Aufzeichnungen nährt erhebliche Zweifeln daran, ob sich wenigstens in den ______übrigen Fällen die Löschung von Aufzeichnungen rechtfertigen lässt. ______ ______ 23 2. Regelung gemäß Nr. 1. Die vorläufigen Aufzeichnungen auf Ton- oder Datenträ______gern können nach Nr. 1 zum einen gelöscht werden, sobald das Protokoll vollständig ______und in Reinschrift fertig gestellt worden ist, 1. Variante, oder zum anderen das Protokoll ______um die vorläufig aufgezeichneten Feststellungen ergänzt worden ist und ebenfalls in______nerhalb einer Frist von einem Monat ab dem Zeitpunkt der Mitteilung der Abschrift keine ______Einwendung erhoben worden sind, 2. Variante. Für den Beginn der Monatsfrist reicht ______die formlose95 Mitteilung an die Partien, dass die Herstellung des Protokolls nach Abs. 2 ______Satz 1 erfolgte. Die Mitteilung bedarf keiner Zustellung i.S.d. § 329 Abs. 2 Satz 2, da sie ______ ______ ______88 Schneider JurBüro 1975, 131; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15. ______89 Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; Zöller-Stöber Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 6. ______90 Entspricht der Zustimmung im Fall der Vervielfältigung der Aufzeichnung, Zöller-Stöber Rdn. 10; Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; MünchKomm-Peters Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______91 Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 14; Musielak-Stadler Rdn. 6. ______92 Stein/Jonas-Roth Rdn. 20; Zöller-Stöber Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 14; Musielak-Stadler Rdn. 6. 93 Zöller-Stöber Rdn. 10; Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______94 Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; Zöller-Stöber Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14. ______95 Zöller-Stöber Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15; Musielak-Stadler Rdn. 7; a.A. Schmidt NJW 1975, 1308.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____weder Beschluss noch Verfügung ist.96 Zur Überprüfung des Fristablaufs ist der Vermerk ____des Absendezeitpunktes jedoch hilfreich.97 Für die Entscheidung, wann die Monatsfrist ____abgelaufen ist und die Löschung vorgenommen werden kann, ist der Vorsitzende zu____ständig.98 Auf jeden Fall darf die Löschung nicht vor einer nach § 164 beantragten Proto____kollberichtigung erfolgen.99 Wird die Einwendung fristgerecht eingelegt, darf ebenfalls ____bis zum Verfahrensabschluss keine Löschung erfolgen.100 ____ ____ 3. Regelung gemäß Nr. 2. Ferner ist die Löschung nach rechtskräftigem Abschluss 24 ____des Verfahrens zulässig, Nr. 2. Die vorzeitige Löschung kann allerdings nur dann erfolg____reich gerügt werden, wenn eine Entscheidung auf einem Verstoß gegen die Pflicht zur ____Aufbewahrung eines auf Tonträgern aufgenommenen Protokolls beruht und Anlass be____steht, an der Richtigkeit der Wiedergabe oder der Deutung einer protokollierten Aussage ____oder der protokollierten Ergebnisse einer Augenscheinseinnahme zu zweifeln.101 ____ ____ VII. Verwahrung von digitalen Protokollaufnahmen auf einem zentralen ____ Server des Gerichts, Abs. 3 Satz 3 ____ ____ Im Rahmen der Einführung digitaler Diktiersysteme an Gerichten soll das Sitzungs- 25 ____protokoll zunächst durch ein mobiles Aufnahmegerät aufgenommen werden. Abhängig ____von dem jeweils zum Einsatz kommenden technischen System sollen die Daten dabei auf ____einem geeigneten mobilen Speichermedium (SD-Karte) oder unmittelbar auf dem Auf____nahmegerät gespeichert werden. Anschließend soll die Protokolldatei auf ein Verzeich____nis des zentralen Servers des Gerichts überspielt werden. Der Datenträger kann beim ____bzw. im Anschluss an die Übertragung gelöscht werden. Die Protokolldatei kann für die ____nach Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 erforderliche Dauer auf dem Server gespeichert bleiben. ____Abs. 3 Satz 3 sieht hierzu vor, dass die Speicherung der Datei der vorläufigen Aufzeich____nung des Protokolls auf einem zentralen Server des Gerichts mit der Verwahrung eines ____Ton- oder Datenträgers bei den Prozessakten oder bei der Geschäftsstelle gleichgestellt ____wird. Soweit bei einem Gericht die vorläufige Aufzeichnung des Protokolls mittels digita____lem Aufzeichnungsgerät erfolgt, kann daher die entsprechende Datei auf einem zentra____len Server verwahrt werden. Diese Form der Speicherung stellt nach Ansicht des Gesetz____gebers ein geeignetes technisches Verfahren dar, mit dem dem Erfordernis entsprochen ____wird, die Aufzeichnung zum Zwecke der Ergänzung bzw. Berichtigung des Protokolls ____verfügbar zu halten.102 ____ ____ ____ ____ ____96 MünchKomm-Peters Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Thomas/Putzo Rdn. 5; Zöller-Stöber Rdn. 9; ____Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 15; Musielak-Stadler Rdn. 7; a.A. Schmidt NJW 1975, 1308, 1309. ____97 Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Zöller-Stöber Rdn. 9; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Baumbach/Lauterbach____Hartmann Rdn. 15; Musielak-Stadler Fn. 19. ____98 Zöller-Stöber Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 7; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 7, die Geschäftsstelle sei ohne Zustimmung des Vorsitzenden für die Löschung verantwortlich; ebenso Baumbach/Lauterbach____Hartmann Rdn. 16; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14, sowohl Vorsitzender als auch Urkundsbeamte gemeinsam ____seien zuständig. ____99 Zöller-Stöber Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 16; Musielak-Stadler Rdn. 7. ____100 Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. 101 BVerwG NVwZ 1988, 1019 = NJW 1988, 2491–2492. ____102 Abs. 3 S. 3 neu eingefügt m.W.v. 18.12.2007 durch das Gesetz zur Neuregelung des ____Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007 (BGBl. I, S. 2840); Begr. zur Beschlussempfehlung des ____Rechtssauschusses (BT-Drucks. 16/6634, S. 55).

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§ 161

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 161 ______ Entbehrliche Feststellungen ______ § 161 Smid ______ (1) Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 brauchen nicht in das Protokoll ______aufgenommen zu werden, ______1. wenn das Prozessgericht die Vernehmung oder den Augenschein durchführt ______ und das Endurteil der Berufung oder der Revision nicht unterliegt; ______2. soweit die Klage zurückgenommen, der geltend gemachte Anspruch aner______ kannt oder auf ihn verzichtet wird, auf ein Rechtsmittel verzichtet oder der ______ Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet wird. ______ (2) In dem Protokoll ist zu vermerken, dass die Vernehmung oder der Augen______schein durchgeführt worden ist. § 160 a Abs. 3 gilt entsprechend. ______ ______ Übersicht ____ 1 V. Protokoll und Urteilsinhalt ____ 13 ______I. Normzweck II. Entbehrlichkeit des Protokolls, Abs. 1 VI. Behebung von Mängeln ____ 16 ______ ____ VII. Vermerk im Protokoll gemäß Abs. 2 Satz 1 ______ 1. Abs. 1 Nr. 1 ____ 2 7 1. Durchführung der Vernehmung oder des ______ 2. Abs. 1 Nr. 2 III. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die AnAugenscheins ____ 19 ______ forderungen des Abs. 1 ____ 11 2. Abs. 2 Satz 2: Verweis auf § 160 a ______IV. Ergänzungen des Protokolls ____ 12 Abs. 3 ____ 20 ______ ______ I. Normzweck ______ ______ Die Vorschrift dient der Entlastung von der Protokollierung von Feststellungen nach 1 ______§ 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5, da in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 2 in der Regel ein Bedürfnis ______der Aufnahme dieser Feststellungen nicht besteht. Abs. 1 Nr. 1 und 2 schafft daher ge______genüber der allgemeinen und umfassenden Protokollierungspflicht des § 160 einen spe______ziellen Ausnahmetatbestand. Abs. 2 Satz 1 legt fest, dass zumindest ein Vermerk über die ______Durchführung der Vernehmung im Protokoll aufzunehmen ist, sofern die Protokollie______rung gemäß Abs. 1 entfallen ist. Satz 2 regelt die Aufbewahrung und Löschung entspre______chend dem § 160 a Abs. 3. ______ ______ II. Entbehrlichkeit des Protokolls, Abs. 1 ______ ______ 1. Abs. 1 Nr. 1 ______ ______ 2 a) § 161 ist ausschließlich eine Ausnahmevorschrift zu § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5. Sie gilt ______also nur bei Zeugenaussagen nach §§ 373 f., Sachverständigenaussagen nach §§ 402 f., auch ______wenn es um schwierige technische Fragen geht,1 Parteivernehmungen nach §§ 445 f. ein______schließlich der Vernehmung nach § 6192 und bei dem Ergebnis der Augenscheineinnah______me.3 Handelt es sich um komplizierte Aussagen, Gutachten oder Fragen, sollte aber von ______dem Verzicht der Protokollierung abgesehen werden.4 Sieht der Vorsitzende nach Abs. 1 ______Nr. 1 von der Protokollierung ab, so führt das zwangsläufig dazu, dass den Parteien die ______Möglichkeit der Kontrolle entzogen wird und Berichtigungsanträge nach § 164 ausschei______ ______ ______1 Inhaltlich schwierige Aussagen Stein/Jonas-Roth Rdn. 1. 2 BGH MDR 1969, 207 = NJW 1969, 428; BGH MDR 1963, 919 = NJW 1963, 2070; BGH MDR 1962, 552. ______3 Vgl. BGH JR 1953, 144. ______4 BGHZ 21, 59 ff. = LM ZPO Nr. 4 = NJW 1956, 1355; m. Anm. Fischer zu LM ZPO Nr. 4; MünchKomm-Peters ______Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1.

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____den.5 Die Entscheidung, von der Aufnahme dieser Feststellung in das Protokoll abzuse____hen, steht im Ermessen des Vorsitzenden.6 ____ ____ b) Abs. 1 Nr. 1 gilt nur für die Protokollierung der Beweisaufnahme vor dem Prozess- 3 ____gericht bzw. dem streitentscheidenden Einzelrichter nach §§ 348, 348 a, 349 Abs. 3 und ____dem Berufungsgericht bzw. streitentscheidenden Einzelrichter7 nach §§ 526, 527 Abs. 3, 4 ____und § 568.8 Die Voraussetzungen, unter denen gemäß Abs. 1 Nr. 1 Feststellungen nach ____§ 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 – etwa die Ausführungen eines Sachverständigen – nicht in das ____Protokoll aufgenommen werden müssen, liegen nicht vor, wenn das in dem Rechtsstreit ____zu erlassende Urteil des Berufungsgerichts der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ____unterliegt.9 ____ Anwendbar ist das Verfahren in der Berufung- und in der Revisionsinstanz; in der 4 ____ersten Instanz nur, wenn gegen die Entscheidung keine Berufung oder Revision zulässig ____ist, §§ 511, 542.10 Der Wortlaut von § 161 Abs. 1 Nr. 1 ist zwar nicht völlig eindeutig. Er ließe ____sich bei isolierter Betrachtung vielleicht so verstehen, dass nicht protokolliert zu wer____den braucht, wenn das Urteil einem der beiden Rechtsmittel nicht unterliegt. Für diese ____Auslegung spräche dann die Verknüpfung von Berufung und Revision durch das Wort ____„oder“. Das ist jedoch nicht zwingend. Denn da ein Urteil ohnehin nur mit einem ____Rechtsmittel angegriffen werden kann, sei es auch aufgrund einer Wahl der Partei, liegt ____es nach dem Wortlaut im Gegenteil nahe, dass die Möglichkeit einer Ausnahme von der ____Protokollierungspflicht schon entfällt, wenn die Entscheidung einem der Rechtsmittel, ____der Revision oder der Berufung, unterliegt. Die negative Formulierung des Gesetzes kann ____ohne weiteres in eine positive Aussage übersetzt werden. Allein diese Interpretation ent____spricht auch dem offenkundigen Sinn und Zweck der Vorschrift, die tatsächlichen ____Grundlagen für die Überprüfung durch ein höheres Gericht zu sichern. Die Protokollie____rung erübrigt sich nur noch, wenn das Urteil keiner obergerichtlichen Überprüfung mehr ____unterliegt, wie das bei Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts der Fall ____ist, soweit die Beschwer die Berufungssumme nicht erreicht. Die Bemühung der höchst____richterlichen Rechtsprechung nach der erforderlichen Sicherung des tatsächlichen Ent____scheidungsstoffs ist mithin vom Gesetzgeber dahin realisiert worden, dass grundsätzlich ____auch in allen der Revision unterliegenden Sachen nur noch die Feststellung der Bekun____dungen im Protokoll selbst den verfahrensrechtlichen Anforderungen genügt. Diese Aus____legung des Abs. 1 Nr. 1 widerspricht auch nicht dem Zweck der Vereinfachung des Proto____kolls. Die Berufung sowie Revision ist zum einen unstatthaft, sofern keine mit diesen ____Rechtsmitteln anfechtbare Entscheidung vorliegt oder das Rechtsmittel von einem unbe____rechtigten Beteiligten bzw. nicht form-, fristgerecht eingelegt wird. Zum anderen ist die ____Berufung dann unstatthaft, wenn entweder der Wert des Beschwerdegegenstandes ____sechshundert Euro nicht übersteigt oder das erstinstanzliche Gericht die Berufung im ____Urteil als unzulässig ausgeschlossen hat, § 511 Abs. 2. Das Gericht entscheidet darüber ____von Amts wegen im Urteil.11 Macht die erste Instanz von dem Protokollverzicht Gebrauch, ____ ____ ____5 Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; MünchKomm-Peters Rdn. 2. 6 Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; die Vorauflage spricht von einem freien Ermessen ____B I; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ____7 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/ ____Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4. ____8 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 2; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 2. ____9 BGH NJW 2003, 3057. ____10 Musielak-Stadler Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____11 Musielak-Stadler Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann Rdn. 5.

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______so muss, wenn die Berufung vom Berufungsgericht als zulässig behandelt wird, die Be______weisaufnahme wiederholt werden. Ist eine Berufung nach § 511 Abs. 2 unzulässig und ______sieht das Gericht nach § 161 von der Protokollierung der Feststellungen gemäß § 160 ______Abs. 3 Nr. 4 und 5 ab, so wird u.U. dem durch das Urteil Beschwerten der Beweis der Ver______letzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 321 a auf der Grundlage eines Protokolls entzo______gen. Die tatsächliche Umsetzung und Kontrolle der Gewährleistung des rechtlichen Ge______hörs erfordert aber die umfassende Protokollierung. Anderenfalls kann der Betroffene ______nicht ersehen, ob sein Vorbringen berücksichtigt worden ist. Für die Handhabung des ______Rechts auf gerichtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gilt der Grundsatz der Effekti______vität, d.h. es ist ein wirksamer Rechtsschutz vor den Gerichten anzustreben.12 Das einge______räumte Ermessen ist daher verfassungskonform auszulegen und führt zur Reduzierung ______dahingehend, stets ein Protokoll aufzunehmen, solange nicht das Gericht entschieden ______hat, das ein Rechtsmittel i.Satz der Nr. 1 unstatthaft ist.13 Das Landesarbeitsgericht darf ______in aller Regel von einer Protokollierung der Beweisaufnahme nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und ______Nr. 5 ZPO nicht gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 absehen, weil nicht auszuschließen ist, dass trotz ______fehlender Revisionszulassung durch das Landesarbeitsgericht sein Urteil aufgrund einer ______Zulassung durch das Bundesarbeitsgericht der Revision unterliegt.14 Die Revision ist so______wohl in den Fällen des § 542 Abs. 2 als auch dann unstatthaft, wenn das Berufungsurteil ______in dem Urteil oder das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung diese ______nicht zugelassen hat,15 § 543 Abs. 1. Das Gleiche gilt für die Revisionszulassung hinsicht______lich der Nichtzulassungsbeschwerde,16 §§ 543 Abs. 1 und 544. ______ ______ c) Die Voraussetzungen, unter denen gemäß Abs. 1 Nr. 1 Feststellungen nach § 160 5 ______Abs. 3 Nr. 4 und 5 (hier: die Ausführungen eines Sachverständigen) nicht in das Proto______koll aufgenommen werden müssen, liegen nicht vor, wenn das in dem Rechtsstreit zu ______erlassende Urteil des Berufungsgerichts der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 un______terliegt.17 Dies deckt sich mit der Judikatur des BAG: Danach darf das Landesarbeitsge______richt in aller Regel von einer Protokollierung der Beweisaufnahme (§ 160 Abs. 3 Nr. 4 und ______Nr. 5) nicht gemäß Abs. 1 Nr. 1 absehen, weil nicht auszuschließen ist, dass trotz fehlen______der Revisionszulassung durch das Landesarbeitsgericht sein Urteil aufgrund einer Zulas______sung durch das Bundesarbeitsgericht der Revision unterliegt.18 ______ ______ d) Keine Anwendung findet Abs. 1 Nr. 1 demnach bei Beweisaufnahmen vor dem 6 ______beauftragten oder ersuchten Richter19 sowie vor dem vorbereitenden Einzelrichter des ______Berufungsgerichts20 nach § 527. Dies würde sich nicht nur aus dem eindeutigen Wortlaut ______ergeben, sondern ließe sich auch aus dem Sinn und Zweck der Norm schließen, da nur ______die unmittelbaren Wahrnehmungen aller Richter ein Inhaltsprotokoll ersetzen können.21 ______Erfolgte die Beweisaufnahme außerhalb des Prozessgerichts, so haben die Parteien ihr ______ ______ ______12 BVerfGE 81 123, 129; BVerfG NJW 1977, 726; Sachs Art. 103 Rdn. 3, 10 a. ______13 Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 3; bei Zweifeln sollte ein Protokoll erstellt werden ______MünchKomm-Peters Rdn. 3. 14 BAG BB 1999, 2302–2304 = DB 1999, 2216–2218. ______15 Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 3. ______16 Musielak-Stadler Rdn. 3. ______17 BGH NJW 2003, 3057. ______18 BAG NZA 1999, 1270 19 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 2; Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 2. ______20 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4. ______21 BVerwG DVBl. 1990, 1354; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 4.

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____Ergebnis auf Grund der Beweisverhandlungen nach § 285 Abs. 2 vorzutragen. Entspre____chend anwendbar ist die Vorschrift in den Fällen der freigestellt mündlichen Verhand____lung, sofern keine Beschwerde zulässig ist, vgl. § 567 Abs. 1 n.F. (nach altem Recht: ____§§ 567 Abs. 3 und 4, 568 Abs. 2 und 3).22 ____ ____ 2. Abs. 1 Nr. 2. Nach Abs. 1 Nr. 2 kann von der Aufnahme der Feststellungen nach ____§ 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 abgesehen werden, soweit der Rechtsstreit aufgrund einer Klag____rücknahme, § 269, einem Anerkenntnis, § 307, einem Anspruchsverzicht, § 306, einem ____Verzicht auf Rechtsmittel, §§ 515,23 566, oder einem Vergleich,24 § 794 Abs. 1 Nr. 1, been____det wird. Die Protokollierung der Zeugenaussagen ist allerdings nach Abs. 1 Nr. 2 nicht ____entbehrlich, wenn durch Vergleich nur die Hauptsache erledigt, der Rechtsstreit aber ____noch wegen der Kosten anhängig und insoweit auch noch ein Rechtsmittel möglich ist.25 ____ Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die nicht in der ZPO normierten Mög____lichkeiten, eine Rechtsstreitigkeit beizulegen, übersehen hat.26 Ihm kam es entscheidend ____auf die Beendigung des Rechtsstreites an, und zwar auf andere Weise als durch Endur____teil.27 Somit findet Abs. 1 Nr. 2 aufgrund gleicher Interessen- und Rechtslage bei beidsei____tiger Erledigung der Hauptsache,28 Verzicht bzw. Zurücknahme des Einspruchs gegen ein ____Versäumnisurteil29 gemäß § 346 und Rücknahme eines bereits eingelegten Rechtsmit____tels30 entsprechende Anwendung.31 ____ Wird die Klage erneuert, Anerkenntnis oder Verzicht oder der Vergleich angefochten ____und der Streit deshalb fortgesetzt, so muss die Beweisaufnahme nachgeholt werden. ____ Dem Wortlaut des Abs. 1 Nr. 2 folgend, würde die Protokollierungspflicht im Umfang ____des nicht erledigten Rechtsstreites bestehen bleiben.32 Das ist aber nicht überzeugend: ____Auch in dem Fall, dass sich der Streit nur zum Teil erledigt hat, ist bei verfassungskon____former Ermessensbetätigung ein umfassendes Protokoll anzufertigen, sofern dieser Teil ____nicht hinreichend genau bestimmt werden kann33 und sich daher die insoweit fehlende ____Protokollierung zu Lasten des weiteren Verfahrens und der Überwachung der Einräu____mung rechtlichen Gehörs auswirkt. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____22 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ____23 Spricht sich im Fall des § 515 für eine entsprechende Anwendung aus Baumbach/Lauterbach____Hartmann Rdn. 4. ____24 Auch die Kosten betreffend OLGR 1997 23; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 4. 25 OLG Hamm OLGR 1997, 23–24. ____26 Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. ____27 BT(-Drucks.) 7/2729 vom 5.11.1974, 60. ____28 Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; ____MünchKomm-Peters Rdn. 5; a.A. OLG Hamm OLGR 1997, 23; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 4. ____29 Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 4; MünchKommPeters Rdn. 5. ____30 Franzki DRiZ 1975, 97, 100; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 4; MünchKomm-Peters ____Rdn. 5. ____31 MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; im Beschlussverfahren und mit Abs. 1 Nr. 1 ____vergleichbaren Verfahrensbeendigungen Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 5; im Beschlussverfahren Baumbach/ Lauterbach-Hartmann Rdn. 2. ____32 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 4. ____33 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; Thomas/Putzo Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Thomas/Putzo-Reichold ____Rdn. 4; allgemein Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1.

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______ III. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Anforderungen des Abs. 1 ______ ______ Unterbleiben entgegen der allgemeinen Protokollierungspflicht aus § 160 Abs. 3 11 ______Nr. 4 und 5 die erforderlichen Feststellungen im Protokoll, z.B. weil die Rechtsmittelfä______higkeit des Urteils verkannt worden ist34 oder irrtümlich § 161 außerhalb des Prozessge______richts angewandt worden ist, so ist die Beweisaufnahme nur dann zu berücksichtigen, ______wenn die Richter der letzten Verhandlung auch unmittelbar die Beweisaufnahme vorge______nommen haben.35 Voraussetzung muss aber sein, dass sich alle beteiligten Richter an ______den Vorgang noch erinnern. Abs. 1 Nr. 1 führt folglich bei jedem Richterwechsel zwin______gend zur Wiederholung der Beweisaufnahme,36 § 355 Abs. 1 Satz 1. Das gilt im Übrigen ______selbst dann, wenn aufgrund der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht gemäß ______§ 161 auf die Protokollierung verzichtet werden kann.37 Die bloße Aufzeichnung ist bei ______wechselnden Richtern als nicht vorhanden anzusehen38 und darf auch nicht urkunden______beweislich gewertet werden. Der Parteiverzicht hierauf ist unwirksam39 und vermag die ______fehlende Protokollierung nicht zu heilen.40 Hierbei handelt es sich nämlich um einen ______Mangel des Urteils und nicht um einen Verfahrensfehler i.S.v. § 295.41 Auch nach Aufhe______bung und Zurückverweisung eines Urteils durch die Revisionsinstanz müssen die Bewei______se neu erhoben werden,42 jedenfalls, wenn aus formellen Gründen, m.a.W., wenn auch ______das zugrunde liegende Verfahren aufgehoben wird, was in den Revisionsurteilen meist ______nicht mehr gesagt wird.43 Nur in Einzelfällen kann von der Aufhebung eines Berufungs______urteils wegen fehlenden Tatbestandes abgesehen werden, wenn sich der Sach- und ______Streitstand in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichenden ______ ______ ______34 Franzki DRiZ 1975, 100; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8. 35 Anderenfalls ist das gekürzte Protokoll ungenügend MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 2 und 5; Zöller-Stöber Rdn. 3; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 3. ______36 BGH JR 1952, 104; BGH VersR 67, 25; a.M. BGH v. 20.4.1967 III ZR 61/65, 12 das urkundliche ______Verwendung trotz Wechsels der Richterbank zulässt. ______37 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. 38 RG v. 14.12.38 VI JW 1939 S. 434. ______39 Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 8; Musielak-Stadler Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; ______MünchKomm-Peters Rdn. 6. ______40 RG 14, 379 382; 17, 344 348; RG SeuffArch 59 (1904), 34; RG JW 1938, 1538; BGH ZZP 65 (1952), 267; ______BFH NJW 1966, 1480; BVerwG NVwZ 1985, 182; BGH NJW 1987, 1200 = BGH MDR 1987, 209; RG v. 14.12. ______1938 VI JW 1939, 434; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 9; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 9; a.M. RG v. 29.6.1940 IV HRR, 1258 = Warn. 148 das den Vermerk des Berichterstatters urkundenbeweislich wertet; BVerwG NJW 1988, ______579. Auch BGH NJW 1956, 1878 hat die Bezugnahme auf einen Vermerk des Berichterstatters im Tatbestand ______ausreichen lassen; BGH MDR 1961, 142 selbst dann, wenn der Aktenvermerk durch ein Versehen der ______Geschäftsstelle nicht zu den – den Parteien allein zugänglichen – Akten gebracht war und wo die foliierten ______Akten kein Fehlen des Vermerks kundig machten; nach BGH LM Nr. 2 zu § 141 ZPO braucht der Aktenvermerk den Parteien nicht einmal mitgeteilt zu werden (allerdings hat BGH MDR 1961, 142 die ______Richtigkeit dieser Entscheidung angezweifelt). Beiläufig abweichend will BGH MDR 1961, 312 die ______Beweiserhebung im Einvernehmen mit den Parteien verwerten (im zweiten Berufungsverfahren bei ______Richterwechsel vgl. § 286 CIII b 5). Dagegen hat mit Recht BGH NJW 1972, 1673 = JR 1972, 510 = MDR ______verlangt, dass grundsätzlich (wenn nicht alsbald danach das Urteil verkündet werde abweichend zu BGH ______MDR 1961, 142) vor Erlass des Urteils den Parteien der Berichterstattervermerk zugänglich gemacht werden soll (ebenso BGH 23, 107) und dass eine Frist von zehn Monaten zu lang ist, um noch die Erinnerung an ______eine Zeugenaussage zu ermöglichen (vgl. dazu auch 5128 G 1 V e 2). ______41 RGZ 14, 379–382; 17, 344–348; RG Seuff. Arch 59 (1904), 34; RG JW 1938, 1538; BGH ZZP 65 (1952), 267; ______BFH NJW 1966, 1480; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 10. ______42 BGH v. 21.11.1960 VII MDR 1961, 312 es sei denn, die Parteien stimmten der Verwertung zu; RG v. 21.1.1935 VI E 146, 348–354; v. 22.11. 1934 VI E 145, 390. ______43 AM wohl BGH v. 6.11.1951 I ZR 61/51 teilweise abgedruckt in MDR 1952, 160; nach BGH v. 15.3.1962 III ______MDR, 465 = NJW, 960 darf das vor Jahren von derselben Richterbank Aufgenommene noch verwendet ______werden.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 161

____Umfang aus den Entscheidungsgründen ergibt. Fehlt es auch daran, insbesondere weil ____das Berufungsgericht unter irriger Annahme der Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 davon ____abgesehen hat, Zeugenaussagen zu protokollieren, kann das Urteil nicht bestehen blei____ben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge____richt zurückzuverweisen.44 Der Verfahrensverstoß ist nicht dadurch gemäß § 295 geheilt, ____dass die Parteien nach Durchführung der Beweisaufnahme mündlich verhandelt haben, ____ohne die Unterlassung der Protokollierung zu rügen. Denn der Verstoß hat gleichzeitig ____zur Folge, dass die tatsächlichen Grundlagen des angefochtenen Urteils für das Revisi____onsgericht nicht in vollem Umfang ersichtlich sind und damit ein nicht der Parteidisposi____tion unterliegender und auch ohne Verfahrensrüge zu berücksichtigender Tatbestands____mangel vorliegt.45 Auch fehlt die Genauigkeit in der Feststellung, im Besonderen durch ____den Wegfall der Verlesung. Nicht verwendbar ist die Beweisaufnahme auch, wenn es ____nach einem Teilurteil in derselben Sache im weiteren Berufungsverfahren zu einem an____deren Urteil, Teil- oder dem Schlussurteil kommt.46 ____ ____ IV. Ergänzungen des Protokolls ____ ____ Ergänzungen des Protokolls durch die Wiedergabe der Aussagen von Zeugen und 12 ____Sachverständigen im Urteil sind ständig vom RG und BGH als Ersatz einer an sich erfor____derlichen Protokollierung gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 zugelassen worden.47 Liegen die Vor____aussetzungen des § 161 vor, so darf daher auch bei technisch schwierigen und verwickel____ten Gutachten erst im Tatbestand, d.h. also in Abwesenheit des Gutachters und der Par____teien, beurkundet werden.48 ____ ____ V. Protokoll und Urteilsinhalt ____ ____ Protokolliert werden muss die unter § 161 fallende Beweisaufnahme im Urteil,49 re- 13 ____gelmäßig in seinem Tatbestand,50 ein Verzicht dieser Angaben aufgrund der Anwendung ____des § 161 scheidet aus.51 § 313 stellt insoweit eine abschließende Regelung dar.52 Eine Be____zugnahme nach § 313 Abs. 2 Satz 2 muss mangels protokollierter Feststellungen aus____scheiden.53 Wird die Aussage indes in die Gründe aufgenommen, so genügt auch dies, ____soweit man auch die tatsächliche Feststellung in den Gründen gelten lässt,54 also soweit ____klar zwischen Aussage und ihrer Würdigung unterschieden wird.55 In geschlossenem ____ ____ ____44 BGHR ZPO § 543 Abs. 2 Tatbestand. ____45 BGHZ 40, 84 ff.; BGH NJW 1987, 1200; VersR 1989 189. ____46 BGH MDR 1961, 312. 47 Vom RG v. 19.2.1903 IV 342/02 N S. 3; v. 12. 3. 1900 I 480/99 N/1 abgedruckt in JW 342; BGHZ 40, 84 ff. ____= NJW 1963, 2070 und BGH NJW 1987, 1200; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 9; ____Musielak-Stadler Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. ____48 BGH NJW 1956, 1355. ____49 RG v. 26.1.1932 III HRR 1508; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14. ____50 RG v. 15.5.1936 II E 151, 239–250; BAG NJW 1963, 1078; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5. ____51 BGHZ 40, 84; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14. ____52 Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; Musielak-Stadler Rdn. 1. ____53 Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14. ____54 RG v. 29.10.1928 IV HRR 29/251; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5. 55 BGH NJW-RR 1993, 520; BGH LM Nr. 2; BGH NJW 1987, 1200; BGHZ 40, 84–86 = NJW 1963, 2070; BAG ____AP/2; RG v. 21.8.1936 III JW 37/35; OGH v. 30.9.1948 II E 1/168; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Musielak-Stadler ____Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Thomas/Putzo-Reichold ____Rdn. 5.

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§ 161

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Zusammenhang braucht die Aussage nicht gebracht zu werden.56 Auch kann sie zum Teil ______im Tatbestand,57 zum Teil in den Gründen gebracht werden.58 Dies ist aber bedenklich. ______Entscheidend ist, dass der gesamte entscheidungserhebliche Inhalt der getroffenen Aus______sagen erkennbar ist.59 ______ Auch die Vermerke des Berichterstatters über das Ergebnis der Beweisaufnahme, 14 ______auf die sich das Urteil bezieht, können eine fehlende Protokollierung ersetzen.60 Im Üb______rigen gilt für die Protokollierung das, was zu § 160 Abs. 3 Nr. 3 gilt.61 Jedenfalls genügt ______die Bezugnahme auf den Vermerk des Berichterstatters, wenn er den Parteien vor der Ur______teilverkündung mitgeteilt62 und von ihnen nicht beanstandet worden ist.63 Ausnahms______weise ist eine Verwertung im Urteil ohne Mitteilung an die Parteien zulässig, wenn das ______Urteil noch am selben Tag der Beweisaufnahme verkündet worden ist.64 Ebenso darf auf ______eine vom Zeugen selbst niedergelegte Äußerung verwiesen werden, wenn sie seiner ______mündlichen Vernehmung entspricht.65 ______ Zu beurkunden ist der wesentliche Inhalt,66 nicht bloß der, welcher zur Begründung 15 ______der Entscheidung erforderlich ist, sondern was auch bei abweichender Rechtsansicht ______erheblich sein könnte.67 Die Angabe, dass die Zeugen „im Wesentlichen“ ihre frühere ______Aussage bestätigen, genügte früher nicht,68 auch nicht dasselbe in Bezug auf das schrift______lich Gebrachte eines mündlich vernommenen Sachverständigen.69 Anders ist dies jetzt ______bei Protokollierung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4. Der BGH hielt es schon früher für ausrei______chend, dass das Berufungsgericht erklärte, der Zeuge habe dasselbe wie in erster Instanz ______ausgesagt.70 Auch wenn die Beweiserhebung überflüssig war, braucht nichts protokol______liert zu werden.71 ______ ______ VI. Behebung von Mängeln ______ ______ Fehler können entweder durch Tatbestandsberichtigung oder durch Rechtsmittel16 ______rüge behebbar sein. Die Berichtigung der so festgestellten Aussage im Urteil ist nach ______ ______ 56 RG v. 21.8.1936 III HRR 1543. ______57 BGH v. 26.1.1951 I ZR 57/50; Ergebnis in den Tatbestand MünchKomm-Peters Rdn. 9. ______58 Beweiswürdigung in Urteilsgründe MünchKomm-Peters Rdn. 9; Beweisergebnis Thomas/Putzo______Reichold Rdn. 4. ______59 BGH NJW 1987, 1200; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; ______MünchKomm-Peters Rdn. 9. 60 BGH NJW 1991, 1547 1548; BGH NJW 1987, 1200; BGH LM Nr. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Musielak______Stadler Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Thomas/Putzo______Reichold Rdn. 5. ______61 RG v. 21.8.1936 III HRR S. 1543. ______62 Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5. ______63 RG v. 6.3.1941 V DRA S. 1741; a.M. nach früherem Recht: RG v. 24.11.1936 III Warm. 37/34: die ______Bezugnahme sei unzulässig; vgl. auch OHG v. 11.5.1950 IE 3 S. 384–389 und A II. ______64 BGH NJW 1991, 1547 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Thomas/Putzo-Reichold ______Rdn. 5. ______65 RG v. 27.7.1936 VI HRR 1671. 66 MünchKomm-Peters Rdn. 9 in Bezug auf Beweisergebnis im Tatbestand des Urteils. ______67 OGH v. 24.6.1949 II NJW 669 v. 2.5.1949 II E 1/169 = JR 381; RG v. 21.8.1936 III HRR 1543 verlangte, dass ______alles, was nach vernünftigem Ermessen erheblich sein könnte, beurkundet wird; weil zweifelhaft sein ______könne, ob das Gericht das Wesentliche erkannt habe: RG v. 15.5.1936 II E 151/239 [250 f.]; RArbG E 14/176 ______verlangte, dass die Aussage, zuverlässig“ im Urteil wiedergegeben werde. 68 RG v. 4.5.1938 VI E 157/341 [348] BArbG AP 161/3. ______69 RG v. 20.3.1939 V DR B 391. ______70 BGH v. 30.4.1964 VI VR 527/335. ______71 OGH v. 13.7.1949 II E 2/232.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 161

____§§ 319 sowie 32072 zulässig.73 Der Verstoß gegen § 161 tritt erst bei der Urteilsfällung her____vor, so dass er zuvor nicht nach § 295 gerügt zu werden braucht.74 Doch muss in der ____Rechtsmittel- oder Revisionsinstanz dieser Mangel gerügt werden.75 Eine Beweiserhe____bung über den Inhalt der Aussage ist danach aber unzulässig. Misslich ist dies, wenn ____etwa, wegen Wegfalls der übrigen Richter, gerade nur der Berichterstatter zur Berichti____gung kommt. Eine Heilung nach § 295 scheidet aus.76 Ansonsten ist eine Überprüfung ____durch die Revisionsinstanz zumindest im Berufungsverfahren aufgrund fehlenden Pro____tokolls und Feststellungen im Berufungsurteil nicht möglich.77 ____ Bei begründeten Rechtsmittelrügen wird in der Berufungsinstanz die Vernehmung 17 ____wiederholt, in der Revisionsinstanz aufgehoben und zurückverwiesen.78 Fehlen die Be____urkundungen im Protokoll wie im Tatbestand, so greift die Rüge durch,79 sofern ausge____führt wird, dass darauf das Urteil beruht und die Rüge nicht verwirkt wurde.80 Im Übri____gen hat ein eventueller Verzicht der Parteien, das Fehlen des Protokolls zu rügen, auf die ____Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanz keine Auswirkungen.81 Mängel im Tatbestand ____sind von Amts wegen zu berücksichtigen.82 ____ Die vor Erlass der Endentscheidung gemäß Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 160 a Abs. 3 Satz 2 18 ____Nr. 1 erforderliche Mitteilung des Vermerks gilt nur für den Fall der Tonträgeraufzeich____nung. Nur bei schon rechtskräftig gewordenen Urteilen darf die Mitteilung unterbleiben, ____§ 160 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2. Wird in anderen Fällen vorher den Parteien ein Vermerk, des ____Berichterstatters und dgl. mehr über die Beweisaufnahme mitgeteilt, so liegt eine Proto____kollierung nach § 160 a vor, wobei der Vermerk als Anlage zum Protokoll gezogen wer____den sollte, § 160 Abs. 5. Dagegen ist es zulässig, wenn er als allgemeines Erinnerungsbild ____protokolliert wird.83 Jedenfalls unterliegt ein solcher Vermerk den Regeln der §§ 160 a, ____164 in vollem Umfang. Wird ein solcher Vermerk nicht vor dem Erlass des Endurteils den ____Parteien mitgeteilt bzw. wird die Beweisaufnahme im Tatbestand beurkundet, so wird ____auch der Vermerk als zum Tatbestand des Urteils gehörig zu behandeln sein und unter____liegt der Berichtigung nach § 320. Andernfalls hindert der Erlass des Endurteils nicht ____die Verfahren nach §§ 160 a, 164. § 161 schreibt indes nicht die Beurkundung durch einen ____Vermerk vor und lässt die im Urteil genügen; doch ist sie dort regelmäßig im Tatbestand, ____nach der Rechtsprechung auch als tatbestandliches Moment in den Entscheidungsgrün____den, erforderlich und genügend. Die unvollständige Beurkundung ist unzulässig.84 ____ ____ ____72 BVerwG NJW 1977, 313; RG v. 19.11.1935 II E 149/312 f. OLG Schleswig SchlHA 70/19; Thomas/PutzoReichold Rdn. 7. ____73 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 9. ____74 BGH JR 1952, 104; RG v. 7.4.1938 IV JW 1538; a.M. BGH NJW 1972, 1673 der aber der Partei keine ____Nachforschungspflicht nach einem Vermerk des Berichterstatters auferlegt. ____75 Von Gerichts wegen wird er nicht beachtet RG v. 15.5.1936 II E 151/239 [249]; RArbG DR 39 A 1463; a.A. RArbG E 14/176 [179]; BGH v. 26.6.1963 IV E 40/84 = MDR 919 = NJW 2017 im Fall des § 619; offen gelassen ____von BGH MDR 1955, 92 = NJW 1955, 20. ____76 BGH NJW-RR 1993, 1034; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5; ____Zöller-Stöber Rdn. 9; anders noch BVerwG NJW 1988, 579; BGH VersR 1980, 751; BVerwG NJW 1976, 1283; ____Schmitz DRiZ 1976, 313; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; MünchKomm-Peters Rdn. 7, 8; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 11. 77 BGH NJW 1987, 1200; BGH NJW-RR 1993, 1034; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5. ____78 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8. ____79 OGH v. 24.6.1949 II VRS 1/227; RG v. 21.1. 1935 VI E 146/348 [354]. ____80 OLG Bamberg FamRZ 1984, 302; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; a.A. BVerwG NJW 1988, ____579. 81 BGH MDR 1987, 209; MünchKomm-Peters Rdn. 9. ____82 BGH LM Nr. 2; BGHZ 40, S. 84 ff. = NJW 1963, 2070; MünchKomm-Peters Rdn. 9. ____83 RG v. 24.11.1936 III Warn. 37/34 lässt sie selbst dann nicht zu. ____84 BArbG NJW 1964, 220.

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§ 162

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ VII. Vermerk im Protokoll gemäß Abs. 2 Satz 1 ______ ______ 1. Durchführung der Vernehmung oder des Augenscheins. Macht das Gericht 19 ______von § 161 Gebrauch, so ist zu beachten, dass nach Abs. 2 Satz 1 die Tatsache der Verneh______mung der Zeugen oder der Sachverständigen oder der Partei unter Angabe ihrer Näm______lichkeit im Protokoll festgestellt werden muss85 sowie u.U. der Ort der Vernehmung86 ______gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 4. Ebenfalls ist zu vermerken, ob die Vernehmung eidlich oder ______unbeeidet stattgefunden hat.87 Weitere inhaltliche Angaben zu den Feststellungen wer______den gemäß Abs. 2 Satz 1 nicht gefordert.88 Fehlt diese Feststellung, so ist aber ein Angriff ______nur mit der Begründung wirksam, dass das Beweismittel tatsächlich nicht vernommen ______worden ist. Nicht aber ist es ausreichend, dass es anders ausgesagt habe. Beim Augen______schein ist gemäß Abs. 2 Satz 1 im Protokoll nur festzustellen, dass dies geschehen ist. ______Davon abgesehen muss der Gegenstand des Augenscheins gekennzeichnet werden und ______sich sonst aus dem Protokoll der Tag der Augenscheineinnahme ergeben, vgl. auch § 160 ______Abs. 1. In den Fällen einer Berichterstattung müssen die Parteien zur Wahrung des recht______lichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG so frühzeitig über den entsprechenden Vermerk ______in Kenntnis gesetzt werden, dass eine mündliche Auseinandersetzung möglich ist.89 ______ ______ 2. Abs. 2 Satz 2: Verweis auf § 160 a Abs. 3. Gem. Abs. 2 Satz 2 finden die Grundsät20 ______ze über die Aufbewahrung und Löschung nach § 160 a Abs. 3 entsprechende Anwen______dung. Folglich sind die Aufzeichnungen entweder zu den Prozessakten zu nehmen oder ______bei der Geschäftsstelle mit den Prozessakten aufzubewahren. Die erste Variante ordnet ______die Aufzeichnungen lediglich den Prozessakten zu, lässt den genauen Aufbewahrungs______ort selbst jedoch unbeantwortet.90 ______ ______ ______ § 162 ______ Genehmigung des Protokolls ______ § 162 Smid ______ (1) Das Protokoll ist insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, ______5, 8, 9 oder zu Protokoll erklärte Anträge enthält, den Beteiligten vorzulesen oder ______zur Durchsicht vorzulegen. Ist der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeich______net worden, so genügt es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt ______werden. In dem Protokoll ist zu vermerken, dass dies geschehen und die Geneh______migung erteilt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind. ______ (2) Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 brauchen nicht abgespielt zu werden, ______wenn sie in Gegenwart der Beteiligten unmittelbar aufgezeichnet worden sind; der ______Beteiligte, dessen Aussage aufgezeichnet ist, kann das Abspielen verlangen. So______ ______ ______85 Früher a.M. BGH v. 28.11.1955 II ZR 203/54; üblich ist es, zu sagen: „Der Zeuge … wurde zur Sache ______vernommen“; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Musielak-Stadler Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ______Rdn. 5, 6. 86 Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 6. ______87 Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber § 160 a Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 6. ______88 Musielak-Stadler Rdn. 6; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 4. ______89 BVerfGE 101, 404; BGH NJW 1972, 1673 in Abgrenzung dazu BGH NJW 1991, 1547 ff.; LM ZPO § 554 ______Nr. 23; ferner Mezger NJW 1961, 1701; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; MünchKomm-Peters Rdn. 8 diff. bei gesonderter Urteilsverkündung BGH LM § 554 a Nr. 23; NJW 1972, 1673; ______ZZP 70 (1957) S. 80 wohl generell Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 5. ______90 Nach Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7 dürfen sich die Aufzeichnungen nicht im Schreibtisch ______des Richters befinden, ebenso Stein/Jonas-Roth Rdn. 12.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 162

____weit Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 in Gegenwart der Beteiligten dik____tiert worden sind, kann das Abspielen, das Vorlesen oder die Vorlage zur Durch____sicht unterbleiben, wenn die Beteiligten nach der Aufzeichnung darauf verzichten; ____in dem Protokoll ist zu vermerken, dass der Verzicht ausgesprochen worden ist. ____ Übersicht ____ ____ 1 4. Verstöße gegen Abs. 1 ____ 18 ____I. Normzweck II. Verlesung des Protokolls, Abs. 1 5. Prozessvergleich ____ 19 ____ ____ 6. § 162 Abs. 2 Satz 2 ____ 22 1. Übersicht 2 ____ 2. Abs. 2 ____ 8 7. Verfahren nach dem FamFG ____ 25 ____ ____ 14 3. Abs. 1 Satz 3 ____ ____ I. Normzweck ____ ____ Die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 165 setzt voraus, dass die Parteien die Gele- 1 ____genheit hatten, die Richtigkeit der protokollierten Feststellungen überprüfen zu können. ____Auf diesem Wege trägt der § 162 die Gewähr für die Richtigkeit der genehmigten und im ____Protokoll vermerkten Umstände.1 ____ Die Oberlandesgerichte Düsseldorf 2 und Celle3 sehen demgegenüber den Zweck des 1a ____§ 162 Abs. 1 darin, die Parteien vor Übereilung zu schützen und ihnen noch einmal ge____nau vor Augen zu führen, was sie erklärt haben. Abgesehen davon, dass eine Verweige____rung der Genehmigung die Wirksamkeit des bereits Erklärten nicht immer berührt, wird ____hierbei aber nicht berücksichtigt, dass prozessuale und materiell-rechtliche Formvor____schriften verschiedene Aufgaben haben. Die ersteren sollen den sicheren Ablauf des Ver____fahrens gewährleisten, während nur für die letzteren Zwecke, wie der Schutz vor Über____eilung, die Abschluss- und Inhaltsklarheit, die fachmännische Beratung usw. typisch ____sind.4 Auch wenn man § 162 Abs. 1 als Formvorschrift ansehen wollte, handelte es sich ____um eine solche des Prozessrechts, die jedenfalls bei reinen Prozesshandlungen nicht den ____Schutz vor Übereilung bezwecken würde. Das hier vertretene Verständnis der Norm führt ____nicht dazu, dass Verstöße sanktionslos bleiben, wie das OLG Düsseldorf (a.a.O.) meint. ____Die Sanktion besteht darin, dass in Bezug auf die betroffene Prozesshandlung dem Pro____tokoll die Beweiskraft als öffentliche Urkunde fehlt. Entsteht Streit darüber, muss gege____benenfalls eine Klärung im Wege der Beweisaufnahme erfolgen, wie sie im vorliegenden ____Fall das Oberlandesgericht zu Recht vorgenommen hat. ____ Die in § 162 Abs. 1 Satz 1 aufgezählten – einseitigen – Parteihandlungen werden 1b ____vielmehr in der mündlichen Verhandlung allein durch die Erklärung gegenüber dem ____Gericht vollzogen und damit perfekt.5 Folglich ist das in § 162 Abs. 1 vorgeschriebene ____Verfahren (Verlesung und Genehmigung) nicht im Sinne eines Formerfordernisses zu ____verstehen, sondern es soll für die Richtigkeit des Protokolls zusätzliche Gewähr bieten. ____OVG für das Land Nordrhein-Westfalen DÖV 1990, 795. Vgl. BGH, NJW 1984, 1465. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____1 BGH NJW 1984, 1465 1466; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1; MünchKomm-Peters Rdn. 2; ____Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; Zöller-Stöber Rdn. 1. 2 OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 721 ff. ____3 Nds.Rpfl 1981, 197 f. ____4 Vgl. Baumgärtel a.a.O. S. 110. ____5 BGH NJW 1984, 1465; FamRZ 1984, 372 f. = JZ 1984, 391.

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§ 162

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ II. Verlesung des Protokolls, Abs. 1 ______ ______ 1. Übersicht. § 162 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 gewährt den Beteiligten die Kenntnis2 ______nahme von den im Protokoll niedergelegten Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, ______5, 8, 9 oder zu Protokoll erklärten Anträgen. Die Präsentation des Schriftstücks, des ______Tonbandes, der Schallplatte usw. bildet damit die Grundlage für die Genehmigung der ______richtigen Protokollierung.6 Nach Abs. 1 Satz 3 sind diese Vorgänge im Protokoll zu do______kumentieren. Darüber hinaus ist die erteilte Genehmigung zu protokollieren oder bei ______Einwendungen, inwieweit die Beteiligten den aufgenommenen Inhalt für richtig halten. ______Soweit Abs. 1 das Vorlesen bzw. Abspielen vorschreibt, können die Beteiligten darauf ______nicht verzichten. ______ Das durch Abs. 1 vorgeschriebene Verfahren (Verlesung und Genehmigung) ist nicht 3 ______im Sinne eines Formerfordernisses zu verstehen, sondern es soll für die Richtigkeit des ______Protokolls zusätzliche Gewähr bieten. Im Stadium des Verlesens ist die Sitzungsnieder______schrift noch Entwurf (vgl. § 163); da es sich um besonders bedeutsame Parteierklärungen ______handelt, soll urkundlich geklärt werden, inwieweit das Gericht und die Beteiligten in die______sem Punkt über die Richtigkeit des Protokolls übereinstimmen.7 Diese Auslegung wird ______durch folgende Überlegung bestätigt: Wird nach dem Verlesen die Genehmigung ver______weigert, ergibt sich aus Abs. 1 Satz 3, dass die betroffene Prozesshandlung nicht allein ______deswegen unwirksam ist. In diesem Falle sind vielmehr die erhobenen Einwendungen im ______Protokoll zu vermerken, d.h. es ist in ihm aufzunehmen, warum die Genehmigung nicht ______erteilt worden ist. Über den Wert der Einwendungen hat später das Gericht frei zu befin______den; es kann also die Einwendungen zurückweisen und die nicht genehmigte Prozess______handlung als wirksam ansehen. Der Verzicht auf Einzelausgebote muss im Protokoll über ______den Versteigerungstermin festgestellt, aber nicht vorgelesen und genehmigt werden.8 ______ Ausschließlich in den Fällen des § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, 5, 8, 9 sowie der zu Protokoll 4 ______erklärten Anträge gemäß § 297 Abs. 1 Satz 39 muss das Protokoll verlesen oder zur Durch______sicht vorgelegt werden. Das gilt unabhängig davon, ob die Aufnahme in das Protokoll ______aufgrund der Gleichstellung nach § 160 Abs. 5 geschehen ist.10 Aus dem Umkehrschluss ______zu § 162 Abs. 1 Satz 2 und der Systematik des § 163 Abs. 1 Satz 1 lässt sich schließen, dass ______sich das noch vor dem Stadium der Unterzeichnung befindliche insoweit vollständige ______Protokoll in Reinschrift grds. vorzulesen oder zur Durchsicht zur Verfügung zu stellen ______ist.11 Sowohl das Vorlesen als auch das Vorlegen zur Durchsicht muss noch vor dem Ver______handlungsschluss vorgenommen werden.12 Anderenfalls ist das Unterlassen jedoch nach ______der mündlichen Verhandlung nachholbar, indem das Verfahren erneut eröffnet wird, ______und der Mangel so geheilt wird.13 Dem Wortlaut folgend genügt weder das laute Diktie______ren des Protokolls14 noch das laute Protokollieren eines Rechtmittelverzichts gemäß § 160 ______ ______6 OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 723; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ______7 Brandenb. OLG FamRZ 2004, 1655; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1. ______8 BGH NJW-RR 2010, 1458. ______9 Zöller-Stöber Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 1; auch der Fall nach § 297 ______Abs. 1 S. 2 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1. 10 KG FamRZ 1981, 193; Schneider MDR 1997, 1091; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ______11 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 2; widersprüchlich Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 2; a.A. vom Entwurf sprechend: BGH NJW 1984, 1465 f.; OLG Frankfurt/M. AnwBl 1988, 119. ______12 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; a.A. Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. 13 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 5. ______14 Das alte Recht betreffend: BAG AP ZPO Nr. 1 m. Anm. Pohle; LG Bonn NJW 1957, 1239, 1240; Schneider ______E. MDR 1963, 973, 974; Wiesenthal DRiZ 1959, 181; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 2; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 162

____Abs. 3 Nr. 9 den Anforderungen des Vorlesens, auch wenn eine Genehmigung erfolgte.15 ____Somit ist auch der Vermerk „Laut diktiert und genehmigt. Auf nochmaliges Vorspielen ____wird verzichtet.“ den Anforderungen bei der Protokollierung einer Klagerücknahme ____nicht genügend.16 ____ Wird zur Durchsicht vorgelegt, so muss dies jedem einzelnen Beteiligten gegenüber ____geschehen, unabhängig davon, ob dieser tatsächlich ausgesagt hat. Beteiligt sind eine ____jede Partei und jeder Streitgehilfe, die Beistände17 sowie die Prozessvertreter.18 Zeugen ____und Sachverständige nur, soweit ihre Aussage betroffen wird19 oder im letzten Falle, so____weit sie sich ein Bild von dem, was jemand bekundet hat, machen sollen. ____ Die Handlungen nach Abs. 1 Satz 1 können aus tatsächlichen Gründen entbehrlich ____werden, so wenn z.B. ein Beteiligter unter entsprechendem Vermerk im Protokoll die ____Verhandlung vorzeitig verlassen hat.20 Hat dies aber der Aussagende bzw. der sich Erklä____rende getan, so ist seine Vernehmung bzw. Erklärung noch nicht vollendet. Denn selbst ____die Verlesung aus einem in Bezug auf die zu verlesende Erklärung unvollständigen, ____noch nicht fertigen Protokoll ist unzulässig.21 Soweit sich die zu verlesende Erklärung in ____einer Anlage findet, ist auch sie zu verlesen. Auch wenn einem Beteiligten das vorzule____sende Schriftstück z.B. nach § 297 vorgelesen worden ist,22 kann auf eine erneute Vorle____sung verzichtet werden. Das gilt aber nicht, sofern ein Vergleich überreicht und vorge____tragen worden ist.23 ____ Da aber § 162 nicht zur Disposition der Parteien steht, ist ein dementsprechender ____vorheriger Verzicht gegenstandslos.24 Sofern die Parteien jedoch auf die Befolgung des ____§ 162 Abs. 1 Satz 1 verzichten oder den Mangel nicht rechtzeitig gerügt haben, § 295 ____Abs. 1, ist ein solcher Mangel nachträglich geheilt.25 Zwar begründet Abs. 1 Satz 1 eine ____von Anträgen und Anregungen der Beteiligten unabhängige Pflicht des Gerichts, das ____Protokoll hinsichtlich der Zeugen- und Parteiaussagen vorzulesen oder den Beteiligten ____zur Durchsicht vorzulegen. Gleichwohl hat die Rechtsprechung stets angenommen, dass ____eine Partei auf die Befolgung dieser Vorschrift dadurch verzichten kann, dass sie in der ____nächsten Verhandlung, das kann auch die sich nach § 370 Abs. 1 an die Beweisaufnahme ____anschließende Verhandlung sein, den Mangel nicht rügt, obgleich er ihr bekannt war ____oder bekannt sein musste.26 ____ ____ 2. Abs. 2. Abs. 2 Satz 1 schafft eine Ausnahme zu dem Grundsatz des Vorlesens, Vor____legens oder Abspielens nach § 162 Abs. 1 für Feststellungen gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4. ____Ferner schafft Abs. 2 Satz 2 eine derartige Ausnahme für Feststellungen nach § 160 Abs. 3 ____ ____ ____15 OLG Celle Nds.Rpfl 1981, 197, 198; BArbG AP § 160/1; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 2; a.A. OLG Brandenburg FamRZ 2000, 548. 16 Thüringer Landessozialgericht Breith 1995, 890 ff. ____17 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ____18 Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2. ____19 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; ____Zöller-Stöber Rdn. 2. ____20 Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 4. 21 OLG Karlsruhe JW 32/115; dass der Urkundsbeamter und Richter noch nicht unterschrieben haben, ____schadet dagegen nicht. ____22 RG Gruchot 53 (1909), 722; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ____23 RG Gruchot 53 (1909), 722 f.; RG v. 30.10.1908 VII JW 720; Vorauflage; a.A. Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ____24 OLG Zweibrücken Rpfl. 2000 461; RGZ 133, 215 ff.; 135, 118 f.; OLG Frankfurt/M FamRZ 1980, 907; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5; a.A. Verzicht sei zulässig, sofern keine Rechte ____anderer Beteiligter beeinträchtigt werden Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ____25 RGZ 12, 436 ff.; BVerwG DÖV 1981, 840; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. ____26 BGHZ 28, 310 f.; BVerwGE 50, 344 f.

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______Nr. 4 und 5, wenn diese in Gegenwart der Beteiligten diktiert worden sind und diese nach ______der Aufzeichnung auf die wiederholte Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des ______Protokolls verzichten. ______ 9 Nach Abs. 2 Satz 1 brauchen auch unmittelbare Aufzeichnungen der Aussagen von ______Zeugen, Sachverständigen und Parteien, § 160 Abs. 3 Nr. 4, auf Tonträger ausnahmswei______se nicht abgespielt zu werden. Kommt es aber neben der unmittelbaren noch zur vorläu______figen Aufzeichnung, so findet insoweit § 162 uneingeschränkte Anwendung.27 Auch ohne ______Verzicht28 aller Beteiligten braucht daher nach § 162 Abs. 2 Satz 1 der Tonträger nicht ab______gespielt zu werden, wenn der Aussagende darauf nicht besteht und das laut in seiner ______Gegenwart Diktierte genehmigt. Doch ist dies dahin einzuschränken, dass, wenn eine ______Frage einer Partei an das Beweismittel aufgenommen worden ist, auch diese Partei ent______sprechend § 162 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz, das Vorspielen verlangen kann.29 Eine Pflicht ______des Gerichts gemäß § 139 darauf hinzuweisen, dass das Abspielen verlangt werden kann, ______besteht zumindest bei anwaltlicher Vertretung der Partei nicht.30 Das Gericht sollte bei ______wesentlichen oder komplizierten Aussagen schon von sich aus diese den Beteiligten vor______spielen und von ihnen genehmigen lassen.31 Werden andere Feststellungen unmittelbar ______aufgezeichnet, findet Abs. 2 Satz 1 hingegen keine Anwendung.32 Das gilt ebenfalls bei ______Kurzschriftaufnahmen.33 Vielmehr gilt der Abs. 1.34 Wie bei der Kurzschriftaufnahme ei______ner Zeugenaussage werden über Bildschirm – anders als bei der unmittelbaren Aufnah______me der Originalaussage auf einen Tonträger – nur die wesentlichen Äußerungen erfasst. ______Eine entsprechende Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 1 ZPO kommt daher nicht in Be______tracht.35 ______ Die Feststellung der Beweismittelergebnisse ist damit zwiespältig geregelt. Werden 10 ______sie im Regelprotokoll, sei es dem vorläufigen nach § 160 a, sei es dem endgültigen nach ______§ 160 aufgenommen, so unterliegen diese Beurkundungen der Norm des Abs. 2. Werden ______sie indes nach § 161 aufgenommen, so kommt Abs. 2 nicht zum Zuge, d.h. es unterbleibt ______jede protokollarische Feststellung. Mag auch die Beurkundung etwa in den Endentschei______dungen erforderlich werden (§ 161 Rdn. 13), mag sie völlig unterbleiben dürfen (§ 161 ______Rdn. 18). ______ Betrifft der Verstoß Beweisergebnisse, also die Erklärungen der Zeugen, der Sach11 ______verständigen und der Parteien in der Parteivernehmung, so kann auf die Verlesung bzw. ______die Durchsicht nach § 295 von allen Beteiligten36 bis auf den Aussagenden verzichtet ______werden.37 Der fehlende Verzicht des Aussagenden wird indes im Prozess nur bedeutsam, ______wenn er erklärt, sich so, wie protokolliert, nicht geäußert zu haben; also im Besonderen ______ ______ ______27 BVerwGE 67, 43 ff. = NJW 1983, 2275; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______28 Dieser ist folglich sinnlos BVerwG NJW 1976, 1282; Franzki DRiZ 1975, 98; uneindeutig BGH RR 1988, 395; nach Hartmann sei der stillschweigende Verzicht zulässig Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; ______MünchKomm-Peters Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber Rdn. 5. ______29 A.A. Musielak-Stadler Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn.5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7. ______30 BVerwG DÖV 1983, 550 f. = NJW 1983, 2275; BVerwG NJW 1976, 1282; allgemein Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 5; diff. Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; a.A. Musielak______Stadler Rdn. 6. 31 MünchKomm-Peters Rdn. 5. ______32 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13. ______33 BVerwG NJW 1976, 1283; Buchholz 310 § 105 VwGO Nr. 40; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; ______Musielak-Stadler Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber Rdn. 5. ______34 Stein/Jonas-Roth Rdn. 13. 35 BFH/NV 2001, 475 f. ______36 MünchKomm-Peters Rdn. 6. ______37 BArbG AP 5162/1 nahm bei lautem Diktat keinen Verstoß auf dem das Urteil beruhte an; nach LG ______Stuttgart ZZP 68 (1955), 82 kann auf die Verlesung überhaupt nicht verzichtet werden.

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____für die vernommene, Partei, die durch ihre Aussage beschwert wird. Aber auch dieser ____Mangel ist kein absoluter Revisionsgrund, sondern es muss mit der Rüge im Besonderen ____gesagt werden, was unrichtig protokolliert ist. Entsprechendes gilt für die Fälle des § 160 ____Abs. 2 Satz 2, soweit sie nicht unter Abs. 1 gehören. Betrifft der Verstoß die Augenschein____einnahme, so ist der Rügeverlust nur derart denkbar.38 ____ Wird bei einer Augenscheinseinnahme nach § 161 verfahren, so gilt bei fehlerhaf- 12 ____ter Protokollierung das Entsprechende wie bei der Beweismittelaufnahme (vgl. § 161 ____Rdn. 16). Doch dürfen andere Wahrnehmungen, etwa die eines Richters, des nicht allein ____Erkennbaren, nicht verwertet werden, wenn sie nicht protokolliert worden sind. In den ____Fällen des § 161 kommt es weder zu einer Präsentation noch zu einer Genehmigung der ____Erklärungen. ____ Nur soweit es sich um die vorläufige Protokollierung nach § 160 a handelt, braucht 13 ____das endgültige Protokoll zum Zeitpunkt der Verlautbarung noch nicht fertig gestellt zu ____sein. Vielmehr ist insoweit auch die Verlesung bzw. das Abspielen gemäß Abs. 1 Satz 2 ____genügend. Das Sitzungsprotokoll ist auch dann zu verlesen, wenn die vorläufigen Auf____zeichnungen gemäß § 160 a ZPO über Bildschirm erfasst werden.39 Kommt es aber neben ____der vorläufigen Aufzeichnung noch zur Anfertigung eines Protokolls über die Verhand____lung bzw. Teile derselben, findet insoweit § 162 uneingeschränkte Anwendung.40 Auch ____bezüglich der Anforderungen des Verlesens oder Abspielens erfüllt ein lautes Diktieren ____der vorläufigen Aufzeichnung diesen selbst im Fall der Genehmigung41 nicht.42 Es sei ____denn, es liegt zugleich ein Verzicht nach Abs. 2 Satz 2 vor. Im Übrigen ist ein Verzicht der ____Parteien bedeutungslos.43 Der auf Tonträger aufgenommene, aber nicht vorgespielte ____Vergleich ist in prozessualer Hinsicht daher unwirksam. Ist ein Prozessvergleich wegen ____formeller Mängel unwirksam, so kann die getroffene Vereinbarung gleichwohl als au____ßergerichtlicher materiell-rechtlicher Vergleich Bestand haben, wenn dies dem mutmaß____lichen Parteiwillen entspricht.44 Der Mangel der Verlesens oder des Abspielens ist, abge____sehen vom Prozessvergleich,45 (str.) heilbar,46 § 295. ____ ____ 3. Abs. 1 Satz 3. Der sich auf die beiden vorangehenden Sätze beziehende Abs. 1 14 ____Satz 3 fordert von den betreffenden Beteiligten die Dokumentation der Möglichkeit, vom ____Protokollinhalt Kenntnis zu nehmen und die der diesbezüglichen Genehmigung oder der ____Erhebung von bestimmten Einwendungen. Dass verlesen, zur Durchsicht vorgelegt oder ____abgespielt worden ist, bzw. das Protokoll genehmigt oder gegen den Inhalt Einwendun____gen erhoben worden sind, kann nur nach § 165 durch die entsprechenden Vermerke im ____ ____ ____ ____ 38 RG v. 13.12.1938 III JW 39/650. ____39 BFH/NV 2001, 475 f. ____40 BVerwG NJW 1983, 2275; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. ____41 OLG Saarbrücken FamRZ 1992, 109, 110; OLG Schleswig SchlHA 1980, 72 73: OVG Münster NJW 1976, ____1228, 1229; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; a.A. Brdb FamRZ 2000, ____548. 42 Zu a.F.: OVG Münster NJW 1976, 1228 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; MünchKomm____Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ____43 OLG Zweibrücken OLGR 2002, 112 f.; OLG Frankfurt am Main FamRZ 1980, 907; Baumbach/ ____Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____44 OLG Zweibrücken OLGR Zweibrücken 2002, 112 f. 45 Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ____46 BVerwG NJW 1988, 579 f.; 1983, 2275; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; a.A. OLG Franfurt am Main FamRZ ____1980, 907; OLG Koblenz FamRZ 1984, 270, 271 Verzicht gem. § 242 u.U. aber prozessbeendende Wirkung; ____Musielak-Stadler Rdn. 4.

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______Protokoll bewiesen werden. Bei der Nichtbeachtung des § 162 fehlt dem Verhandlungs______protokoll die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nach den §§ 415 f.47 ______ Die Genehmigung kann mündlich erteilt werden.48 Das Protokoll wird von den Betei15 ______ligten nicht unterschrieben,49 auch in den Fällen nicht, in denen das Protokoll ein priva______tes, nach § 126 BGB formbedürftiges Rechtsgeschäft beinhaltet.50 Die Rechtsprechung ______verwendet im Protokoll üblicherweise die Formulierung „vorgelesen und genehmigt“ so______wie die Kurzformel „v.g.“, „v.u.g.“,51 „a.g.“52 oder „ v.g.u.“.53 Ein für die Präsentation des ______Protokolls gemäß Abs. 1 bedeutungsloser Verzicht ist nicht zu vermerken. ______ Soweit der Inhalt der Erklärung von dem sich Erklärenden zu genehmigen ist,54 be16 ______zieht sich die Genehmigung auf die Richtigkeit des Erklärten. Der sich Erklärende hat ______deshalb weitgehend die Möglichkeit, die Protokollfassung zu beanstanden. Dies ist als ______„Einwendung“ im Fall der nicht sofortigen Korrektur55 zu protokollieren und damit er______neut zu verlesen. Im Übrigen bezieht sich die Genehmigung nur auf die Richtigkeit der ______Wiedergabe. Wird von einem Dritten beanstandet, d.h. einem sich nicht Erklärenden, so ______ist dies zu vermerken; einer Verlesung dieser Beanstandung bedarf es nicht. Doch wird ______der sich Erklärende dazu zu befragen sein. ______ Inwieweit das Gericht den Beanstandungen des Betreffenden sofort abhilft oder die 17 ______Einwendung als unbegründet zurückweist,56 entscheidet das Gericht nach seinem pflicht______gemäßen Ermessen.57 In jedem Fall aber ist die im Sitzungsprotokoll aufgenommene Pro______zesshandlung wirksam.58 So kann sich das Gericht auf eine Zeugenaussage auch dann ______stützen, wenn gegen diese Einwendungen erhoben worden sind. Zu einer erneuten Ver______nehmung des Zeugen ist das Gericht indes nicht verpflichtet.59 ______ ______ 4. Verstöße gegen Abs. 1. Verstöße gegen § 162 haben unterschiedliche Folgen.60 18 ______Betrifft der Verstoß eine Erklärung, die von einer Partei, einem Streitgehilfen, ausgeht ______und die nicht unter die Parteivernehmung fällt, d.h. also die Fälle des § 160 Abs. 3 Nr. 1, ______3, 8 und 9, so macht die fehlende Verlesung bzw. die fehlende Vorlegung zur Durchsicht ______bzw. die fehlende Verlautbarung im Falle des § 160 a die Erklärung unwirksam.61 Diese ______erlangt erst bei darauf folgender Genehmigung gemäß Abs. 1 Satz 3 Geltung. § 295 kann ______insoweit nicht zum Zuge kommen.62 Der Vergleich wird ohne Beachtung der Form nie______ ______ ______47 BGH NJW 1984, 1465 f.; OLG Saarbrücken FamRZ 1992, 109 ff. li. Spalte; Baumbach/Lauterbach______Hartmann Rdn. 10; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11. 48 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8. ______49 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. ______50 BGH NJW 1999, 2806 f.; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 3. ______51 Und genügend RGZ 53, 150 ff.; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 3. ______52 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. 53 Für vorgelesen genehmigt unterschrieben Musielak-Stadler Rdn. 2. ______54 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ______55 Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ______56 BGH NJW 1984, 1465 f.; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ______57 BGH NJW 1984, 1465 f.; BVerwG NJW 1986, 3154 ff.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; ______MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 3. 58 BGH NJW 1984, 1465 f.; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ______59 BVerwG NJW 1986, 3154–3157; BGH NJW 1984, 1465 f.; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 10. ______60 MünchKomm-Peters Rdn. 4. ______61 Bezogen auf einen Vergleich OLG Zweibrücken Rpfl. 2000, 461. Bei den einseitigen Prozesshandlungen trete keine Unwirksamkeit ein Münch-Komm-Peters Rdn. 4, 7; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 5; Zöller-Stöber Rdn. 6; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11, 12. ______62 BayObLG Z 53/367 a.M. OLG Köln HEZ 2/294: weil ein Vergleich außergerichtlich befolgt wurde, ______wurde auch die Vollstreckungsklausel erteilt.

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____mals Prozessvergleich, d.h. im Besonderen nicht Vollstreckungstitel.63 Er kann aber an____dererseits Bestand haben. Ein prozessual unwirksamer Vergleich ist auch keine Grund____lage einer Kostenfestsetzung.64 Ist der vor Gericht abgeschlossene Vergleich wegen for____meller Mängel unwirksam, behält er wegen der Doppelnatur des Prozessvergleichs seine ____materiell-rechtlichen Wirkungen, wenn das dem mutmaßlichen Willen der Prozesspar____teien entspricht.65 Ein Verstoß gegen Abs. 1 berührt jedoch nicht die Wirksamkeit der ____Prozesserklärung, solange deren Abgabe und Inhalt anderweitig festgestellt werden ____können.66 Demnach hat ein Anerkenntnis, welches ausweislich des Protokolls nicht vor____gespielt, vielmehr lediglich laut diktiert und genehmigt worden ist, trotz des Verstoßes ____gegen die Protokollierungsvorschriften nicht die Unbeachtlichkeit des Anerkenntnisses ____zur Folge, wenn Abgabe und Inhalt der Genehmigungserklärung anderweitig festgestellt ____werden können.67 Das Anerkenntnis ist trotz des Verstoßes gegen Abs. 1 als Prozesshand____lung wirksam und rechtfertigt den Erlass eines Anerkenntnisurteils.68 Das Gleiche gilt für ____eine nicht ordnungsgemäß protokollierte Klagerücknahme69 oder den Rechtsmittelver____zicht.70 Der Wirksamkeit einer in der mündlichen Verhandlung erklärten Zustimmung ____zur Scheidung steht eine gemäß Abs. 1 nicht ordnungsgemäße Protokollierung ebenfalls ____nicht entgegen.71 Abgesehen davon ist ein beiderseitiger Verzicht auf Rechtsmittel gegen ____ein Scheidungsurteil prozessual wirksam, wenn er von beiden Parteivertretern der Ehe____leute erklärt worden ist, die in dem Verfahren mit Anwaltszwang die Postulationsfähig____keit für die Abgabe der Verzichtserklärung als Prozesshandlung besaßen, und wenn die ____Verzichtserklärungen unter Beachtung von § 160 Abs. 3 Nr. 9 im Protokoll festgestellt ____worden sind. Für die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts kommt es nicht auf die Er____klärungen der im Eheverfahren nicht postulationsfähigen Parteien selbst an. Deshalb ____kann eine ausländische Partei der Wirksamkeit des von ihrem Verfahrensbevollmächtig____ten erklärten Rechtsmittelverzichts nicht entgegenhalten, die Verzichtserklärung sei ihr ____nicht übersetzt, vorgelesen, und von ihr nicht genehmigt worden.72 Insoweit liegt daher ____kein Verstoß gegen § 162 vor. Dass ein Geständnis entgegen Abs. 1, § 160 Abs. 3 Nr. 3 ____nicht nach vorläufiger Aufzeichnung des Protokolls vorgelesen und genehmigt worden ____ist, hindert seine Wirksamkeit ebenfalls nicht.73 Kommt es indes aufgrund der Parteier____klärungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 8, 9, abgesehen vom Vergleich, zu einer gerichtli____chen Entscheidung, obwohl deren Formen nicht gewahrt sind, so sind diese Entschei____dungen mit den zulässigen Rechtsmitteln bzw. der Wiederaufnahmeklage nach § 579 ____Abs. 1 Satz 4 bzw. § 580 Abs. 1 Nr. 7b anzugreifen, wenn ihr Bestand beseitigt werden ____soll. Allerdings meint der BGH, dass, wenn das Protokoll oder die vorläufige Protokoll____aufzeichnung unter Verstoß gegen Abs. 1 den Beteiligten nicht vorgelesen und von ihnen ____nicht genehmigt worden sind, dem Protokoll insoweit zwar die Beweiskraft einer öffent____ ____ 63 OLG Hamm MDR 2000, 350; OLG Köln OLGR 1997, 322; OLG Köln FamRZ 1994, 1048; BayObLG ____München Wohnungseigentümer 1989 183; OLG Frankfurt FamRZ 1980, 907 f.; OLG Frankfurt NJW 1973, ____1131 f.; OLG Nürnberg MDR 1960, 931. ____64 LG Berlin JurBüro 1987, 1889; KG Berlin Rpfl. 1973, 325 f. ____65 AG Weißwasser WuM 1996, 781. ____66 BGH FamRZ 1984, 372. 67 FamRZ 2000, 548; NJW-RR 2000, 741 f.; BGHZ 107, 142 ff. = DB 1989, 1670; OLG Karlsruhe FamRZ 1989, ____645–647. ____68 OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 401 f.; a.A. OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 721. ____69 Thüringer Landessozialgericht Breith 1995, 890 ff.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen DÖV 1990, ____795; OVG Bremen DÖV 1983, 38. 70 BGH FamRZ 1984, 372. ____71 OLG Saarbrücken Rpfl. 1991, 504 f. = FamRZ 1992, 109 ff. ____72 BGH FamRZ 1994, 300 ff. ____73 BGH NJW 1994, 3109 f. = MDR 1995, 90.

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______lichen Urkunde fehlt. Auch in einem solchen Fall könne der Rechtsmittelverzicht aber ______unstreitig sein oder auf andere Weise bewiesen werden.74 ______ ______ 5. Prozessvergleich. Allerdings schreibt Abs. 1 Satz 3 ZPO weiter die Aufnahme ei19 ______nes Vermerks in das Protokoll darüber vor, dass die Feststellungen vorgelesen oder sonst ______nach Satz 1 und 2 eröffnet wurde, dass die Genehmigung erteilt wurde oder welche Ein______wendungen erhoben worden sind. Das Vorhandensein dieses Vermerks ist indessen ______nicht Voraussetzung dafür, dass die notarielle Beurkundung durch § 127 a BGB ersetzt ist, ______denn die Beurkundung selbst bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines entsprechenden Ver______merks des Notars nicht. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) BeurkG muss zwar die Nie______derschrift in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und ______eigenhändig unterschrieben werden. Die Feststellung in der Niederschrift, dass dies ge______schehen ist, ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BeurkG aber nur als Sollbestimmung ausgestaltet, ______von deren Vorliegen die Wirksamkeit der Beurkundung nicht abhängt. Es kann auch ______nicht davon ausgegangen werden, dass Abs. 1 Satz 3 ZPO an die Wirksamkeit eines vor ______Gericht abgeschlossenen Vergleiches höhere Anforderungen stellt, als das Beurkun______dungsgesetz an den Vergleich zur Niederschrift des Notars. Ein Verstoß gegen die in ______Abs. 1 ZPO getroffenen Anordnungen, also bereits das Unterbleiben der Verlesung oder ______sonstigen Eröffnung der im Protokoll enthaltenen Feststellungen, berührt nach der ______Rechtsprechung die Wirksamkeit der festgestellten Prozesshandlungen nicht. 75 Beim ______Prozessvergleich gilt nur deshalb Besonderes, weil er Prozesshandlung und zugleich ______materielles Rechtsgeschäft ist.76 Dies hat indessen, wenn sein Gegenstand ein Grund______stücksgeschäft im Sinne des § 311 b Abs. 1 Satz 1 BGB ist, nur zur Folge, dass die Förm______lichkeiten seines Abschlusses nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben dürfen, die ______das Beurkundungsgesetz an den Vergleich zur Niederschrift des Notars stellt. Dass sie ______diese zu übertreffen hätten, verlangt § 127 a BGB nicht. Der nicht verlesene oder nicht ______vorgespielte Vergleich ist deshalb nicht in prozessualer Hinsicht unwirksam.77 Bei einem ______gerichtlichen Vergleich wird die notarielle Beurkundung auch dann durch das Protokoll ______ersetzt, wenn in diesem der Vermerk unterblieben ist, dass die Erklärungen vorgelesen ______(oder sonst in gesetzlicher Form eröffnet) und genehmigt worden sind. Im Verfahren um ______die Grundstücksverkehrsgenehmigung kann vor dem Landwirtschaftsgericht ein Ver______gleich abgeschlossen werden, der sich auf Bestimmungen über die Veräußerung von ______Grundstücken beschränkt.78 ______ Ist ein Anerkenntnis ausweislich des Protokolls nicht vorgespielt, vielmehr ledig20 ______lich laut diktiert und genehmigt worden, hat der Verstoß gegen die Protokollierungsvor______schriften nicht die Unbeachtlichkeit des Anerkenntnisses zur Folge, wenn Abgabe und ______Inhalt der Genehmigungserklärung anderweitig festgestellt werden können.79 ______ Die Anerkennung der Vaterschaft zu Protokoll im Statusprozess gemäß § 641 c erfor21 ______dert die Verlesung und Genehmigung der protokollierten Erklärung in analoger Anwen______dung von § 160 Abs. 3 Nr. 1 und 3 in Verbindung mit § 162.80 Im Wohnungseigentumsver______fahren ist es zwar zweckmäßig, nicht aber zwingend geboten, Erklärungen und Anträge ______ ______ ______ ______74 BGH NJW-RR 2007, 1451. ______75 BGH NJW 1984, 1465; BGHZ 107 142 ff. ______76 BGHZ 79, 71 ff. 77 OLG Zweibrücken Rpfl. 2000, 461. ______78 BGHZ 142, 84 = WM 1999, 1738 = NJW 1999, 2806. ______79 OLG Brandenburg DAVorm 2000, 58 = NJW-RR 2000, 741. ______80 OLG Hamm OLGZ 1988, 80 ff. = FamRZ 1988, 101 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 162

____eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in einem Protokoll schriftlich nieder____zulegen und sie vorlesen und genehmigen zu lassen.81 ____ ____ 6. § 162 Abs. 2 Satz 2. Eine weitere Lockerung zu Abs. 1 Satz 2 hat Abs. 2 Satz 2 vor____gesehen, wenn Beweismittelerhebungen und Augenschein, § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5, in ____Gegenwart der Beteiligten diktiert worden sind und diese auf die Präsentation verzichten ____und das Gericht dem zustimmt. Beteiligt sind, wie das Zitat des § 160 Abs. 3 Nr. 5, Augen____scheinbeweis, ergibt, auch die Parteien. Dies gilt im Falle des Abs. 2 Satz 2 auch für Be____weismittelvernehmungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4. Im Gegensatz zu Abs. 2 Satz 1, wo auf ____die Erklärung des sich Erklärenden abgestellt wird, ist der Verzicht von allen Beteilig____ten82 nach dem Diktat zu erklären.83 ____ Die Norm besagt nicht, dass der Beteiligte, sich aber Nichterklärende, bei der Erklä____rung des Verzichts zugegen gewesen sein muss. Ist er indes überhaupt nicht anwesend, ____so kann nach § 160 Abs. 2 Satz 2 nicht verfahren werden,84 wenn auch die Partei bei spä____ter unterlassener Rüge (§ 295) ihrer verlustig geht. ____ Ein stillschweigender Verzicht ist, da er nach außen nicht erkennbar und letztlich ____einer bloßen Vermutung gleichkommt, nicht anzuerkennen.85 Der Verzicht ist im Proto____koll gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz zu vermerken.86 Anderenfalls kommt dem Pro____tokoll die Beweiskraft der §§ 415 f. nicht zu.87 Der Vermerk kann durch übliche Abkür____zungen geschehen, z.B. „auf V. verz.“88 oder „nach Diktat genehmigt“.89 Auch bedarf ____dieser nicht der Unterschrift der Beteiligten.90 Es ist jedoch erforderlich, dass der Ver____zicht durch alle Beteiligten aus dem Protokoll deutlich ersichtlich wird, wie z.B. durch ____die Formulierung „nach Diktat von allen Beteiligten genehmigt“ oder „nach Diktat ver____zichten alle Beteiligten auf Verlesung“.91 Der Verzicht gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 schließt ____auf der anderen Seite nicht aus, dass sich das Gericht einzelne wesentliche Aussagen ____und Ergebnisse auf ihre Richtigkeit hin von den Beteiligten genehmigen lässt. 92 ____ ____ 7. Verfahren nach dem FamFG. Auch im Verfahren nach dem FamFG sind bei der ____Protokollierung eines Vergleichs die Formvorschriften der ZPO einzuhalten. Ist ein Ver____gleich den Beteiligten entgegen §§ 36 Abs. 2 Satz 2 FamFG, 162 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ____ZPO nicht zur Genehmigung vorgespielt bzw. vorgelesen worden, so ist er unwirksam. ____Die nachfolgende Androhung von Ordnungsmitteln durch das Gericht vermag die feh____lende Genehmigung nicht zu ersetzen.93 ____ ____ ____81 BayObLG München WuM 1996, 500 f. ____82 H. J. Schmidt NJW 1975, 1308; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 6; ____Musielak-Stadler Rdn. 6; Putzo NJW 1975, 185 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 5. 83 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; MünchKomm-Peters Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; ____Musielak-Stadler Rdn. 6. ____84 BVerwG NJW 1976, 1283; Schmidt NJW 1975, 1308; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 14. ____85 Diff. Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; a.A. insbesondere bei anwaltlicher Vertretung jedoch u.U. auch bei ____rechtsunkundigen Zeugen Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1, 8. 86 A.A. bei stillschweigendem Verzicht Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. ____87 Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. ____88 Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. ____89 Formulierung zu uneindeutig Stein/Jonas-Roth Rdn. 15; Thomas/Putzo-Reichold Rdn. 4. ____90 Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. 91 MünchKomm-Peters Rdn. 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. ____92 MünchKomm-Peters Rdn. 6; bei zu beeidenden Aussagen nach §§ 391, 410, 452 Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 15 ebenso Zöller-Stöber Rdn. 5. ____93 OLG Hamm MDR 2011, 1259.

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§ 163

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 163 ______ Unterschreiben des Protokolls ______ § 163 Smid ______ (1) Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und von dem Urkundsbeamten der ______Geschäftsstelle zu unterschreiben. Ist der Inhalt des Protokolls ganz oder teilweise ______mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet worden, so hat der Ur______kundsbeamte der Geschäftsstelle die Richtigkeit der Übertragung zu prüfen und ______durch seine Unterschrift zu bestätigen; dies gilt auch dann, wenn der Urkundsbe______amte der Geschäftsstelle zur Sitzung nicht zugezogen war. ______ (2) Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt für ihn der älteste beisit______zende Richter; war nur ein Richter tätig und ist dieser verhindert, so genügt die ______Unterschrift des zur Protokollführung zugezogenen Urkundsbeamten der Ge______schäftsstelle. Ist dieser verhindert, so genügt die Unterschrift des Richters. Der ______Grund der Verhinderung soll im Protokoll vermerkt werden. ______ ______ Übersicht ____ 1 IV. § 163 Abs. 2 Satz 2 ____ 11 ______I. Normzweck ____ V. § 163 Abs. 2 Satz 3 ____ 12 ______II. § 163 Abs. 1 Satz 2 ____ 6 III. § 163 Abs. 2 Satz 1 8 ______ ______ ______ I. Normzweck ______ 1 § 163 sieht vor, dass durch die Leistung der Unterschrift die für die Richtigkeit des ______ ______Protokolls verantwortliche Person festgestellt werden kann und dem Protokoll die Be______weiskraft einer öffentlichen Urkunde gemäß §§ 415 f. zuteil wird. Nach Abs. 1 Satz 1 ist das Protokoll grundsätzlich vom Vorsitzenden oder seinem 2 ______ ______Vertreter gemäß Abs. 2 und, falls ein Urkundsbeamter hinzugezogen worden ist, auch ______von diesem handschriftlich zu unterschreiben.1 Abs. 1 Satz 1 setzt hingegen keine Anfor______derungen an die Modalitäten des Unterschreibens, so dass Vorsitzender und Urkundsbe______amter nicht zur gleichen Zeit unterschreiben müssen.2 Der Zeitpunkt des Unterschrei______bens ist vom Gesetz nicht bestimmt worden. Die Unterschrift kann folglich auch noch ______nach der Sitzung erfolgen, selbst in dem Zeitpunkt, in welchem bereits das Fehlen mit ______Rechtsmitteln gerügt worden ist.3 Für die Protokollberichtigung gilt § 164.4 Die Unter______schrift sollte aber schon in der Sitzung oder zumindest im unmittelbaren Anschluss dar______an erfolgen.5 Unterzeichnet der Vorsitzende das Protokoll, das die Verkündung eines ______Urteils beurkundet, erst nach Ablauf von fünf Monaten nach dem Verkündungstermin, ______bleibt die bis zu diesem Zeitpunkt mangels einer in der Form des § 165 nachweisbaren ______Verkündung fristgerechte Berufung weiterhin zulässig.6 ______ ______ ______ ______1 RG v. 4.5.1900 III E 46/375, 377; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 2. ______2 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; ZöllerStöber Rdn. 2. ______3 BGH LM § 164 Nr. 3 = BGH NJW 1958, 1237; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4, 6; Musielak______Stadler Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1; Zöller-Stöber Rdn. 8; AK-ZPO-Göring ______Rdn. 2; Vollkommer 1973, 301 Rdn. 33, 410; offen gelassen BGH VersR 1989, 604. ______4 BGH MDR 1958, 512 = NJW 1958, 1237 hat es zugelassen dass die fehlende Unterschrift noch nach Erhebung der Verfahrensrüge nachgeholt wurde. ______5 BGH NJW 1958, 1237; Zöller-Stöber Rdn. 8; a.A. zwingend ohne schuldhaftes Zögern gem. § 121 Abs. 1 ______S. 1 BGB Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ______6 BGHZ 172, 298.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 163

____ Eine nach § 163 Abs. 1 Satz 1 erforderliche Unterschrift muss den Leser des Protokolls 3 ____in die Lage versetzen, den Unterzeichner von anderen Richtern und Urkundsbeamten am ____entsprechenden Gericht aufgrund voller Namenswiedergabe7 und seinem individuellen ____Schriftzug zu identifizieren.8 Es gelten die Formvorschriften nach §§ 129, 130, 169, 315, ____329.9 Unterschreibt der Richter das Protokoll, übernimmt er zugleich neben dem Ur____kundsbeamten die Verantwortung für den gesamten Inhalt.10 Die Kontrolle des Protokoll____inhalts durch den Richter anhand seines Gedächtnisses genügt, sofern keine inhaltli____chen Widersprüche bestehen.11 ____ Nach § 159 Abs. 1 Satz 2 darf der Vorsitzende von der Hinzuziehung eines Urkunds- 4 ____beamten nach seinem Ermessen absehen.12 In diesem Fall unterschreibt er allein.13 Ist ein ____Urkundsbeamter hinzugezogen, so muss er das Protokoll auf eigene Verantwortung un____terschreiben;14 deshalb darf er seine abweichende Meinung zum Ausdruck bringen15 und ____muss dies tun, da er wegen § 348 StGB nichts Falsches protokollieren darf.16 Bestehen ____unauflösliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorsitzenden und Urkundsbeam____ten, sind beide Auffassungen im Protokoll zu vermerken.17 Ansonsten muss von der Un____terschrift abgesehen werden.18 Auch kann der Vorsitzende nicht nachträglich das Proto____koll allein fertigen; denn die Möglichkeit, von der Heranziehung eines Urkundsbeamten ____nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Abstand zu nehmen, besteht nur vor der Verhandlung oder auch ____in der Verhandlung für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit. Abzusehen ist hier ____nur von dem Fall, in dem das Protokoll selbst auch noch nachträglich angefertigt werden ____darf, vgl. § 159 Rdn. 13, also nicht in dem Fall des § 160 Abs. 3 Nr. 1–3, 6–9 (Nr. 1, 3, 4, 5, ____8, 9 = § 162). ____ Ohne Unterschrift des Vorsitzenden bzw. seines Vertreters hat das Protokoll keine 5 ____Beweiskraft nach §§ 165, 415.19 Das Sitzungsprotokoll ist ungültig.20 Trotzdem wird jetzt ____eine Entscheidung auch ohne Verkündung existent, so dass selbst, wenn das Protokoll ____über die Verkündung einer Entscheidung nicht vollzogen ist, das Urteil und ihm gleich____stehende Entscheidungen, nachdem es herausgegeben ist (vgl. § 310, § 160 Rdn. 49), ____nicht mehr abänderbar ist (§ 318). Ist das Protokoll unvollständig oder unleserlich, so ist ____der festgehaltene Inhalt der freien Würdigung durch das Gericht zugänglich. Für die Un____richtigkeit der Übertragung kann Beweis angetreten werden.21 ____ ____ ____ ____7 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. 8 BGH VersR 1966, 827 f.; eigenhändig Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; ebenso Musielak____Stadler Rdn. 2; nur Anfangsbuchstabe reiche nicht Zöller-Stöber Rdn. 2. ____9 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 2. ____10 BT(-Drucks.) 7/2729 S. 62; BGH VersR 1989, 604; BVerwG MDR 1977, 339 = NJW 1977, 264; Baumbach/ ____Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1, 5; Zöller-Stöber Rdn. 2. ____11 BT(-Drucks.) 7/2729 S. 62; BVerwG NJW 1977, 264; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; ____Musielak-Stadler Rdn. 1; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2; Stein-Jonas Rdn. 5; Franzki DRiZ ____1975, 97 ff. ____12 Auch bei Beweisaufnahmen: OLG Hamburg MDR 1971, 932. ____13 MünchKomm-Peters Rdn. 1. 14 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ____15 OLG Dresden Sächs. Ann. 25/79 f. ____16 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ____17 Im Protokollzusatz Musielak-Stadler Rdn. 2; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ____18 Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. 19 RG v. 20.6.1935 VI E 148/153; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 1; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 1. ____20 Musielak-Stadler Rdn. 4. ____21 Stein/Jonas-Roth Rdn. 9.

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§ 163

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ II. § 163 Abs. 1 Satz 2 ______ ______ Für vorläufige Protokolle nach § 160 a Abs. 1 schreibt § 163 Abs. 1 Satz 2 in Bezug auf 6 ______Tonträgeraufnahme ein besonderes Verfahren vor. Demnach hat der Urkundsbeamte bei ______der Übertragung dieser vorläufigen Aufzeichnung ins endgültige Protokoll gemäß § 160 a ______Abs. 2 Satz 1 den Umfang und die inhaltliche Richtigkeit22 auf deren Übereinstimmung ______abzugleichen und durch die Unterschrift festzustellen. Das gilt ebenso im Fall der nach______träglichen Ergänzung des Protokolls gemäß § 160 a Abs. 2 Satz 3 und 4. Ohne Bedeutung ______ist es gemäß § 163 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz, ob er persönlich der Verhandlung bei______gewohnt hat oder nicht.23 Die Unterschrift muss den Beamten in der Funktion als Ur______kundsbeamten,24 z.B. durch eine der Unterzeichnung zugeordnete Bezeichnung, kennt______lich machen. Sie ist auch dann unverzichtbar, wenn der Urkundsbeamte ausschließlich ______bei der Übertragung eines nur vom Vorsitzenden hergestellten Tonaufnahme beteiligt ______ist.25 Die Nachholung einer Funktionsbezeichnung als Urkundsbeamter kann aber noch ______in der Revisionsinstanz erfolgen.26 Dasselbe gilt für die Leistung der Unterschrift.27 Ein ______die Richtigkeit der Übertragung wiedergebender zusätzlicher Vermerk im Protokoll ist ______entbehrlich.28 ______ Dem eindeutigen Wortlaut des § 163 Abs. 1 Satz 2 folgend, findet der Satz 2 für alle 7 ______übrigen vorläufigen Aufzeichnungen nach § 160 a Abs. 1 hingegen keine Anwendung. ______Somit erfolgt weder eine Überprüfung des Protokollinhalts noch wird eine solche durch ______Unterschrift des Urkundsbeamten bestätigt.29 Das Entsprechende muss indes auch für ______die anderen vorläufigen Kurzschriftprotokolle gelten,30 die unter § 160 a Abs. 1 fallen, so______weit es sich dabei um Aufzeichnungen, die unter § 160 Abs. 3 Nr. 4, 5 fallen, handelt. ______Diese wirken indes nur, sofern schon das Hauptprotokoll hergestellt ist (vgl. § 160 a ______Abs. 2). § 163 Abs. 1 Satz 2 lässt sodann die Übertragung solcher Aufzeichnungen durch ______einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu, der nicht an der Aufnahme dieser teilge______nommen hat. Diese Übertragung ist deshalb von der übrigen Protokollierung völlig ge______löst. Sie ist bei Wegfall eines jeden Richters wie des Urkundsbeamten, der an der Sitzung ______mitgewirkt hat, zulässig und wirksam. In diesem Fall (§ 163 Abs. 1 Satz 2) genügt die Bes______tätigung des übertragenden Urkundsbeamten. Kann er nicht übertragen, so muss er die ______u.U. bestehenden Lücken kenntlich machen. Sodann kommt § 419 entsprechend zum ______Zuge. Überträgt der Urkundsbeamte hingegen lediglich das Stenogramm des Richters in ______Reinschrift, bedarf es keiner Unterschrift des Urkundsbeamten.31 ______ ______ ______ ______ ______ 22 BT(-Drucks.) 7/2729 S. 62; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 1; ______MünchKomm-Peters Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Thomas/Putzo Rdn. 1. ______23 BVerwG NJW 1977, 264; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Zöller______Stöber § 163 Rdn. 3; Franzki DRiZ 1975, 95 ff. ______24 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber § 163 Rdn. 3; a.A. ______nicht zwingend Musielak-Stadler Rdn. 2. 25 Zöller-Stöber Rdn. 3. ______26 BVerwG NJW 1977, 264; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ______27 BVerwG NJW 1977, 264; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ______28 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 3; a.A. für den ______Fall, dass dieser nicht der Sitzung beigewohnt hat Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Franzki DRiZ 1975, 97–100. 29 Zöller-Stöber Rdn. 3. ______30 BT(-Drucks.) 7/2729 S. 62; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; nach Stadler h.M. Musielak ______Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 6. ______31 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; Zöller-Stöber Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 163

____ III. § 163 Abs. 2 Satz 1 ____ ____ Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt nach § 163 Abs. 2 Satz 1 der älteste 8 ____beisitzende Richter. Ist auch dieser verhindert, so der nächstfolgende, und ist jeder Rich____ter verhindert, so genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten. Die Verhinderung kann ____rechtlicher, z.B. Abberufung oder Versetzung,32 wie tatsächlicher Art, Krankheit oder ____Urlaub, sein.33 Ein Vorsitzender ist nicht an der Unterschrift gehindert und i.S.d. § 163 ____Abs. 2 verhindert, nur weil er blind ist. Dass er das geschriebene Protokoll nicht selbst ____lesen konnte, ist kein Hinderungsgrund, das Protokoll zu unterschreiben. Den Protokoll____inhalt konnte er durch Vorlesen aufnehmen und durch seine Unterschrift billigen. Es ____gelten hier nicht die strengen Regeln, die der Bundesgerichtshof für die Tätigkeit eines ____Notars aufgestellt hat.34 Ein Zuwarten muss prozessual unverantwortlich bzw. sinnlos ____sein.35 Das Dienstalter entscheidet analog §§ 21 f. Abs. 2 Satz 2, 1. Var. 21 h Satz 1, 1. Var., ____197 GVG über die Rangfolge der insoweit zuständigen beisitzenden Richter.36 Befinden ____sich im Kollegium Richter gleichen Alters, ist in entsprechender Anwendung des §§ 21 h, ____21 f. Abs. 2 Satz 2 GVG zugleich auf das Lebensalter abzustellen.37 Es unterschreibt dann ____der Ältere.38 Ist neben dem Vorsitzenden auch der dienstälteste Beisitzer verhindert, so ____ist mangels positiver Regelung davon auszugehen, dass nicht nur der Urkundsbeamte ____sondern zumindest auch der zweitälteste beisitzende Richter unterschreibt.39 Anderen____falls würde im Fall der Verhinderung des Urkundsbeamten überhaupt kein Protokoll ____vorliegen, obwohl ein dritter Richter der Verhandlung beiwohnt.40 Der Urkundsbeamte ____soll erst dann alleiniger Unterschreibender sein, wenn ansonsten auf niemanden zu____rückgegriffen werden kann, d.h. sowohl der Vorsitzende als auch alle Beisitzer verhin____dert sind.41 Dieses Ergebnis entspricht der Interessen- und Rechtslage bei der Verhinde____rung des alleinigen Richters gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz.42 ____ § 163 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz findet auf den Einzelrichter, Amtsrichter, beauftrag- 9 ____ten oder ersuchten Richter,43 Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen sowie Rechts____pfleger Anwendung.44 Voraussetzung ist nur, dass der unterschreibende Urkundsbeamte ____zur Führung des Protokolls hinzugezogen worden ist. Sonst kommt ein Protokoll nicht ____zustande, z.B. ist bei Verhinderung des Vorsitzenden die Unterschrift des Urkundsbeam____ten allein nicht genügend, wenn dieser der Protokollführung nicht zugezogen war und ____die Übertragung nach § 163 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz vornimmt45 oder bei zusätzlicher ____ ____ ____ ____ ____32 BGH VersR 1981, 553; a.M. Stuttgart Rpfl. 1976, 258. ____33 AK-ZPO/Göring Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 4. 34 BFHE 140, 514; BGHZ 38, 347 ff. ____35 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6. ____36 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 6; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____37 Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ____38 Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. 39 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 6; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____40 MünchKomm-Peters Rdn. 6; Zöller-Stöber § 163 Rdn. 4. ____41 Musielak-Stadler Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____42 Musielak-Stadler Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 4; AK-ZPO/Göring Rdn. 4. 43 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ____44 Zöller-Stöber Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ____45 BT(-Drucks.) 7/2729 S. 63; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 7; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Zöller-Stöber Rdn. 5.

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§ 164

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Verhinderung des Urkundsbeamten.46 Das so erstellte Protokoll unterliegt lediglich der ______freien Würdigung des Gerichts gemäß § 286.47 ______ Unterzeichnet ein nach der Rangfolge des § 163 Abs. 2 Satz 1 unzuständiger Richter, 10 ______so ist dieser Fehler durch Nachholung des zuständigen Richters jederzeit behebbar.48 ______Zumindest besteht ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 233.49 Ein Richterwechsel mit ______Änderung des Geschäftsverteilungsplanes oder Versetzung des Richters hat auf die ______Nachholung der Unterschrift keine Auswirkung,50 solange der Richter sich noch im Amt ______befindet.51 Das Gleiche gilt für den Urkundsbeamten.52 ______ ______ IV. § 163 Abs. 2 Satz 2 ______ ______ § 163 Abs. 2 Satz 2 bezieht sich auf den gesamten § 163, so dass der Vorsitzende bzw. 11 ______vertretende älteste beisitzende Richter allein das Protokoll nach §§ 160 und 160 a unter______schreiben kann, sofern der Urkundsbeamte verhindert ist.53 ______ ______ 5. § 163 Abs. 2 Satz 3 ______ ______ Die Tatsache der Verhinderung ist im Protokoll anzugeben. Gem. § 163 Abs. 2 Satz 3 12 ______soll auch der Grund der Verhinderung vermerkt werden.54 Somit ist dieser immer aufzu______nehmen, es sei denn eine Sonderkonstellation rechtfertigt die Abweichung vom Normal______fall. Der Verstoß gegen diese Ordnungsvorschrift führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit.55 ______ 13 Die Vorschrift gilt auch, wenn außerhalb der Sitzung protokolliert wird.56 ______ ______ ______ § 164 ______ Protokollberichtigung ______ § 164 Smid ______ (1) Unrichtigkeiten des Protokolls können jederzeit berichtigt werden. ______ (2) Vor der Berichtigung sind die Parteien und, soweit es die in § 160 Abs. 3 ______Nr. 4 genannten Feststellungen betrifft, auch die anderen Beteiligten zu hören. ______ ______ ______ ______46 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7, 9; Musielak-Stadler Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Zöller-Stöber Rdn. 9. ______47 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9. ______48 Vollkommer Rpfl. 1976, 258 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4, 6, 9; Zöller-Stöber Rdn. 8. ______49 BGH VersR 1989, 604; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. ______50 OLG Stuttgart OLGZ 1976, 241 ff.; obiter dictum OLG München OLGZ 1980, 465 ff.; Vollkommer Rpfl. 1976, 258–259; Busch JZ 1964, 749; OLG Schleswig SchlHA 1960, 145; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ______Rdn. 9; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 8; ______a.A. bezüglich der Versetzung OLG Stuttgart OLGZ 1976, 241 ff. = MDR 1976, 673; Vollkommer Rpfl. 1976, ______257. ______51 BVerwG NJW 1977, 264; München MDR 1983, 410; Stuttgart JB 1976, 380; OLG Stuttgart OLGZ 1976, ______241 ff. mit ablehnender Anmerkung Vollkommer Rpfl. 1976, 257; OLG München OLGZ 1979, 465; Baumbach/ Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 8. ______52 OLG Hamm OLGZ 1979, 376 ff.; OLG München OLGZ 1979, 465; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Musielak______Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 5. ______53 RG v. 23.9.1940 IV E 164/359 im Fall der Protokollberichtigung vgl. dazu § 164; Baumbach/ Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber Rdn. 6. ______54 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8. ______55 Musielak-Stadler Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13. ______56 § 159 Abs. 2; RG v. 17.5.1926 IV E 114/1.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 164

____ (3) Die Berichtigung wird auf dem Protokoll vermerkt; dabei kann auf eine mit ____dem Protokoll zu verbindende Anlage verwiesen werden. Der Vermerk ist von dem ____Richter, der das Protokoll unterschrieben hat, oder dem allein tätig gewesenen ____Richter, selbst wenn dieser an der Unterschrift verhindert war, und von dem Ur____kundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit er zur Protokollführung zugezogen war, ____zu unterschreiben. ____ (4) Erfolgt der Berichtigungsvermerk in der Form des § 130b, ist er in einem ____gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem ____Protokoll untrennbar zu verbinden. ____ ____ Schrifttum ____ Wüllenkemper Zuständigkeit bei nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestelltem Antrag auf ____Protokollberichtigung, DStZ 2004, 488. ____ ____ Übersicht ____I. Normzweck ____ 1 1. Unterschriebener Berichtigungsver____II. „Jederzeitige“ Berichtigung des Protokolls, merk ____ 11 ____ 2. Beteiligte des BerichtigungsverfahAbs. 1 rens ____ 12 1. Übersicht ____ 4 ____ 2. Sperrwirkung des § 162 Abs. 1 3. Richter und Urkundsbeamte, Abs. 3 ____ ____ 6 Satz 3 Satz 2 ____ 15 ____ 3. Fälle des § 319 ____ 7 VII. Wirkungen der Protokollberichtigung ____ III. Feststellungen hinsichtlich Beweis1. Ordentliche Protokollberichti____ aufnahmen (§ 160 Abs. 3 Nr. 4) gung ____ 20 ____ Abs. 2 ____ 8 2. Unzulässige Protokollberichti____IV. Abgrenzung ____ 9 gung ____ 21 ____V. Berichtigung der Protokollierung eines VIII. Berichtigungsvermerk in elektronischer ____ gerichtlichen Vergleichs ____ 10 Datei ____ 22 ____VI. Verfahren der Protokollberichtigung, Abs. 3 IX. Rechtsmittel ____ 22 Satz 1 ____ ____ ____ I. Normzweck ____ ____ Wenn in der Literatur nicht ohne Pathos die Aufgabe der Norm dadurch erklärt wird, 1 ____die dieses Verfahren regelnde Vorschrift des § 164 diene der Gerechtigkeit sowie der Pro____zessökonomie,1 ist das für § 164 natürlich ebenso richtig, wie für eine jede andere prozes____suale Vorschrift. Interessant ist der sachliche Hintergrund, vor dem diese Gerechtigkeits____funktion sich entfaltet: Die Urkundsfunktion des Protokolls (§ 165 Rdn. 2 ff.) macht es ____erforderlich, ein Verfahren der Berichtigung von Fehlern des Protokolls einzurichten. ____Dieses Verfahren gibt den Betroffenen das Instrumentarium dafür in die Hand, Unrich____tigkeiten des Protokolls korrigieren zu lassen, Abs. 1. ____ Abs. 2 und 3 schreibt das Berichtigungsverfahren vor. Dabei normiert Abs. 2 die Be- 2 ____teiligung der Parteien und sonstigen Beteiligten bevor es zu einer Berichtigung kommt. ____Abs. 3 bestimmt die Zuständigkeit für die Berichtigung des Protokolls, Satz 2, sowie die ____formellen Anforderungen einer Berichtigung, Satz 1. ____ Die Möglichkeit der Protokollberichtigung wird in zweifacher Weise eingeschränkt. 3 ____Zum einen durch Abs. 2, der die Anhörungspflicht der Parteien wie der Beweismittel, ____soweit es um eine Berichtigung der Bekundungen geht, fordert. Zum anderen dadurch, ____ ____ ____1 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1.

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______dass sich die nach Abs. 3 Satz 2 Zuständigen über die Berichtigung des Protokollinhalts ______einig sein müssen.2 Sind die Anforderungen an eine Protokollberichtigung erfüllt, kann ______die Unrichtigkeit gemäß Abs. 2 berichtigt werden. Entgegen dem Wortlaut des Abs. 1 ______steht die Berichtigung nicht im Ermessen des Gerichts, sondern ist bei der Unrichtigkeit ______zwingend vorzunehmen.3 Abs. 1 eröffnet vielmehr nur die Zuständigkeit.4 ______ In Abgrenzung zum Protokollaufnahmeantrag nach § 160 Abs. 4 kann ein Protokoll3a ______berichtigungsantrag nach § 164 nur sprachliche Unvollständigkeiten bei der Wiedergabe ______eines Vorgangs oder einer Äußerung umfassen, nicht jedoch die vollständig fehlende ______Wiedergabe eines Vorgangs oder einer Äußerung.5 ______ ______ II. „Jederzeitige“ Berichtigung des Protokolls, Abs. 1 ______ ______ 1. Übersicht. Abs. 1 lässt die nachträgliche Berichtigung von Unrichtigkeiten des 4 ______Protokolls jederzeit zu, d.h. selbst nach Einlegung eines Rechtsmittels6 oder nach Ablauf ______der Frist zum Vergleichswiderruf.7 Selbst in dem Zeitpunkt, in dem das Rechtsmittelge______richt auf der Grundlage des noch nicht berichtigten Protokolls entschieden hat und diese ______Entscheidung nicht rechtskräftig ist, soll eine Berichtigung zulässig sein.8 Eine Berichti______gung setzt indes voraus, dass sich die beteiligten Urkundspersonen an die Sitzung erin______nern. Eine Beweisaufnahme über den Sachverhalt ist unzulässig, es sei denn, sie dient ______der Auffrischung des Gedächtnisses.9 ______ Unrichtig ist das Protokoll bereits dann, wenn es den Vorschriften über die inhaltli5 ______chen bzw. formellen Anforderungen eines Verhandlungsprotokolls nicht genügt.10 In______wieweit ein Fehler für die Entscheidung erheblich ist, ist unbedeutend.11 Auch ein lü______ckenhaftes Protokoll fällt daher in den Anwendungsbereich des § 164.12 Eine offenbare ______Unrichtigkeit nach § 319 Abs. 1 ist nicht erforderlich.13 Die Berichtigung des Protokolls ______kann sowohl auf Antrag sowie von Gerichts wegen erfolgen.14 Eine Parteierklärung ist ______daraufhin auszulegen, ob sie als Berichtigungsantrag gilt. So liegt ein solcher Antrag z.B. ______vor, wenn eine rechtsunkundige Partei erklärt, sie sei zwar bei der Verhandlung anwe______send gewesen, wurde aber nicht aufgerufen.15 Der Berichtigungsantrag kann dabei auch ______von jedem Richter des Kollegialgerichts gestellt werden, nicht jedoch von dem Urkunds______beamten. Beantragt eine Partei die Berichtigung, so trägt sie gemäß § 418 Abs. 2 die Be______ ______ ______2 Saarbrücken NJW 1972, 61. 3 OLG Düsseldorf OLGR 2002, 37 = NJW-RR 2002 863; Kanzleiter DNotZ 1990, 483; Baumbach/ ______Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 2. ______4 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5; MünchKomm-Peters Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 4. ______5 OLG Schleswig MDR 2011, 751. ______6 BGHZ 26, 340 = NJW 1958, 711; BVerwG MDR 1981, 166; OLG Hamm OLGZ 1979, 376 ff.; Hamm Rpfl. 1979, 30; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 3; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 2. ______7 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5; Wüllenkemper DStZ 2004, 488 ff. ______8 OLG Hamm OLGZ 1979, 376, 381; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ______9 OLG Celle MDR 1961, 1021; offen gelassen vom BAG AP S 159/1 MDR 1965, 423 = NJW 1965, 931. ______10 Hamm MDR 1983, 410; OLG München OLGZ 1980, 466; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 2; a.A. ______Stuttgart Rpfl. 1976, 278. ______11 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 1; Zöller-Stöber Rdn. 2. ______12 MünchKomm-Peters Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 1. ______13 München OLGZ 1980, 465 f.; OLG Hamm OLGZ 1979, 376 ff.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 2. ______14 OLG München OLGZ 1980, 465 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters ______Rdn. 3; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 2. ______15 BVerfG 42, 364 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____weislast für die Unrichtigkeit des Protokolls.16 Betrifft die Unrichtigkeit hingegen Abläufe ____aus dem der Partei verschlossenen internen Rechtskreis des Gerichts, ist der Anscheins____beweis für die Unrichtigkeit der Protokollierung genügend.17 § 164 Abs. 2 und 3 schreibt ____das Berichtigungsverfahren vor. Dabei normiert Abs. 2 die Beteiligung der Parteien und ____sonstigen Beteiligten, bevor es zu einer Berichtigung kommt. Abs. 3 bestimmt die Zu____ständigkeit für die Berichtigung des Protokolls, Satz 2, sowie die formellen Anforderun____gen einer Berichtigung, Satz 1. ____ ____ 2. Sperrwirkung des § 162 Abs. 1 Satz 3. Der Protokollierungspflicht gemäß Abs. 1 6 ____Satz 3 kommt in dem Zusammenhang der Berichtigung eine Sperrwirkung gegen die Be____richtigung zu. Ist im Protokoll vermerkt worden, dass Feststellungen nach § 160 Abs. 3 ____Nr. 1, 3, 4, 5, 8, 9 oder zu Protokoll erklärte Anträge nach § 162 Abs. 1 Satz 3 vorgelesen ____und genehmigt worden sind, so würde die nachträgliche Berichtigung ihrerseits insoweit ____unrichtig werden. Die Berichtigung ist daher unzulässig.18 Es bedarf vielmehr einer er____neuten Protokollierung.19 Die ausschließlich unrichtige Herstellung des Protokolls bei ei____ner vorläufigen Aufzeichnung gemäß § 160 a Abs. 2 Satz 1 ist hingegen unschädlich, so____fern diese Aufzeichnung als solche richtig ist und dessen Verlesung, Abspielung und ____Genehmigung gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 und 3 ordnungsgemäß im Protokoll vermerkt ____wurde.20 ____ ____ 3. Fälle des § 319. Die nachträgliche Berichtigung des Protokolls wird in den Fällen 7 ____des § 319 stets als zulässig angesehen.21 Soweit danach eine nachträgliche Anfertigung ____zulässig ist, wird aufgrund entsprechender Anwendung des § 164 nach der Rechtspre____chung22 eine Protokollberichtigung auch darüber hinaus zeitlich unbegrenzt als zulässig ____angesehen, soweit die Erinnerung des protokollierenden Gerichts zu reichen imstande ____ist. Ferner wird auch dann davon ausgegangen, dass eine Protokollberichtigung zulässig ____ist, wenn der Protokollierende an ein anderes Gericht versetzt worden ist.23 ____ ____ III. Feststellungen hinsichtlich Beweisaufnahmen (§ 160 Abs. 3 Nr. 4), Abs. 2 ____ ____ Für die Aussagen der Beweismittel gilt insoweit dasselbe in Bezug auf die Sperrwir- 8 ____kung für eine Berichtigung, wie wenn gerade das Beweismittel als solches betroffen ist. ____Bei der Protokollierung des Augenscheins kommt es indes gerade auf den Protokollie____renden bzw. das Gericht, das ihn nimmt, an; aber auch auf die Parteien bzw. ihre postu____lationsfähigen Vertreter, die an dem Augenscheintermin teilgenommen haben. Eine ____Sperrwirkung kann hier grundsätzlich nur eintreten, wenn ein beteiligter Richter oder ____eine solche teilgenommen habende Partei widerspricht. Wurde indes noch ein Beweis____mittel, z.B. ein Sachverständiger, hinzugezogen, so gilt insoweit das für die Beweismittel ____ ____ ____16 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 3. ____17 BGH NJW 1985, 1782 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; Musielak-Stadler Fn. 7; Zöller-Stöber ____Rdn. 2. 18 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 2. ____19 Hamm MDR 1983, 410; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller____Stöber Rdn. 3. ____20 Frankfurt am Main MDR 1986, 152; OLG Hamm OLGZ 1983, 89 ff.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 4, 6; Musielak-Stadler Rdn. 2; Zöller-Stöber Rdn. 3. 21 Vgl. RG v. 24.5.2001 Gruch. 45/1119; auch nach Ablauf der Revisionsbegründungfrist: OLG Hamburg ____NJW 1971, 1326 und auch in Bezug auf materiell rechtliche Erklärungen: OLG Koblenz Rpfl. 69/137. ____22 BAG E 3/146 = NJW 1957, 605 RGSt 43/1, RG v. 19.11.1935 E 149/312 RArbG JW 30/1528. ____23 OLG Schleswig SchlHA 60/145.

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______Gesagte entsprechend. Selbst, soweit ein Beteiligter die Berichtigung sperren kann, sollte ______Heilung angenommen werden, wenn es um seine Genehmigung geht; auch bei nachträg______licher Genehmigung darf deshalb „berichtigt“ werden. Das Entsprechende sollte gelten, ______soweit einseitige Erklärungen in Betracht kommen (Anerkenntnis, Verzicht, Geständnis, ______Annahme oder Ablehnung der Parteivernehmung), und der sie Erklärende – nachträg______lich – bestätigt. Berichtigt indes ein Beweismittel seine Aussage in Abweichung von dem ______Bekundeten, so ist zwar auch dies festzuhalten; dies lässt indes eine Protokollberichti______gung nicht zu bzw. kann nicht zur Heilung führen, selbst wenn dies der ursprünglichen ______Fassung entspricht, weil die Parteien dadurch benachteiligt werden können. ______ ______ IV. Abgrenzung ______ ______ 9 Keine Protokollberichtigung liegt vor, wenn die Parteien nachträglich ihre Erklärung ______einschränken wollen, z.B. aufgrund eines, wenn auch unstreitigen Kalkulationsfehlers ______beim Vergleich.24 Darüber wäre ein neues Protokoll aufzunehmen; inwieweit die Ände______rung dann wirkt, ist nach prozessualem (vgl. z.B. § 290) wie nach außerprozessualem ______Recht, etwa als neuer Vergleich, § 779 BGB zu beurteilen. Eine Ablehnung der Proto______kollierung erscheint selbst dann nicht angängig, wenn die beabsichtigte Änderung un______wirksam ist. Ein nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf Proto______kollergänzung ist unzulässig; er kann aber als Anregung zur Protokollberichtigung ______behandelt werden.25 ______ ______ V. Berichtigung der Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs ______ ______ Wird ein Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 geschlossen und sein Zustandekom10 ______men sowie Inhalt des Vergleichs nach Satz 2 unrichtig festgestellt, so wird auf § 164 in ______entsprechender Anwendung zurückgegriffen.26 Voraussetzung dafür ist, dass die Nieder______schrift im Protokoll mit dem vorgelesenen und genehmigten Wortlaut nicht überein______stimmt.27 Dasselbe gilt für eine notarielle Urkunde28 oder für das Protokoll der Zwangs______versteigerung gemäß §§ 869, 78 ZVG.29 ______ ______ VI. Verfahren der Protokollberichtigung, Abs. 3 Satz 1 ______ ______ 1. Unterschriebener Berichtigungsvermerk. Die Berichtigung wird dadurch vollzo11 ______gen, dass dem Protokoll ein unterschriebener Berichtigungsvermerk gemäß Abs. 3 Satz 1 ______beigefügt wird, der indes stets der richterlichen Vollziehung bedarf. Ein auf die Berichti______gung gerichteter Beschluss ist nicht erforderlich.30 Die Berichtigung ist auf dem Protokoll ______zu vermerken, ausreichend ist es dabei, auf eine mit dem Protokoll verbundene Anlage zu ______verweisen. Erforderlich ist in jedem Fall ein entsprechender Berichtigungshinweis31 am ______ ______ ______ ______24 OLG Frankfurt am Main MDR 1986, 152 f.; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5; ZöllerStöber Rdn. 3. ______25 FG Baden-Württemberg EFG 2001, 583 f. ______26 OLG Koblenz Rpfl. 1969, 137; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 1. ______27 Stein/Jonas-Roth Rdn. 5. ______28 Kanzleiter DNotZ 1990, 484; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4. 29 OLG Hamm OLGZ 1979, 376 ff.; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ______30 BGH VersR 1986, 487 f.; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 8. ______31 BGH VersR 1986, 487; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Protokollrand selbst32 oder Protokollende.33 Dieser Vermerk oder Hinweis ist daher stets ____im Protokoll zu unterschreiben.34 Allein eine Unterschrift als solche genügt den Anforde____rungen des Abs. 3 Satz 1 nicht.35 Der berichtigte Inhalt des Protokolls muss ermöglichen, ____die Veränderung nachzuvollziehen. Daher darf die Berichtigung nicht dazu führen, dass ____der ursprüngliche Inhalt unleserlich wird oder wegfällt.36 Die Berichtigung des Proto____kolls sollte aus ihrer Vornahme selbst hinreichend erkennbar werden,37 zumindest aber ____durch den Berichtigungsvermerk.38 Sofern das Protokoll den Beteiligten schon mitgeteilt ____worden ist, ist diesen der Berichtigungsvermerk formlos zu übersenden.39 ____ Nach § 130 b genügt der Form der handschriftlichen Unterzeichnung die Aufzeich- 11a ____nung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des ____Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektro____nischen Signatur versehen; Abs. 4 Satz 1 erlaubt dies auch für das Protokoll. Abs. 4 Satz 2 ____schreibt aber vor, dass in diesem Fall das Dokument mit dem Protokoll untrennbar zu ____verbinden ist. ____ ____ 2. Beteiligte des Berichtigungsverfahrens ____ ____ a) Die Parteien bzw. ihre Rechtsnachfolger sowie Streitgehilfen nach § 68 sind 12 ____gemäß Abs. 2 vor der Berichtigung anzuhören.40 Dies gilt für Streitverkündungsemp____fänger auch, wenn sie untätig geblieben sind.41 Die Anhörung ist Ausfluss des rechtli____chen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und kann sowohl mündlich als auch schriftlich ____gewährt werden.42 Daneben hat der zur Berichtigung nach § 164 Abs. 3 Satz 2 zuständige ____Urkundsbeamte das Recht, angehört zu werden.43 Beruht die Unrichtigkeit erkennbar auf ____der bloßen fehlerhaften Herstellung des Protokolls, bedarf es keiner Anhörung.44 ____ ____ b) Das Gesetz schweigt zu dem Fall, dass die Erklärung nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 7 13 ____und 8 von einem Prozessbevollmächtigten (insbesondere einem postulationsfähigem ____Rechtsanwalt) abgegeben worden ist. Dieser ist deshalb im Berichtigungsverfahren ____Nichtbeteiligter. Soweit er sich im Berichtungsverfahren erklären soll, muss er, auch ____wenn er nicht mehr postulationsfähig bzw. als Prozessbevollmächtigter von der Partei ____abberufen worden ist, von ihr Aussagegenehmigung erhalten (vgl. §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, ____Abs. 2, 384 Nr. 2). Im Übrigen richtet sich die Postulationsfähigkeit im Berichtigungsver____fahren nach der im Ursprungsverfahren. ____ ____32 BGH VersR 1986, 487; MünchKomm-Peters Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 8. ____33 MünchKomm-Peters Rdn. 7; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9. ____34 OLG Frankfurt/M JurBüro 1993, 745; BAG NJW 1997, 1868–1869; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ____Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. 35 OLG Frankfurt/M JurBüro 1993, 745. ____36 Musielak-Stadler Rdn. 4; Zöller-Stöber Rdn. 8. ____37 MünchKomm-Peters Rdn. 7. ____38 Stein/Jonas-Roth Rdn. 8. ____39 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 8, 9; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; Zöller____Stöber Rdn. 8. 40 MünchKomm-Peters Rdn. 4, 5; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____41 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 6; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7; a.A. ____BGH VersR 1986, 488; Hamm Rpfl. 1984, 193; Musielak-Stadler Rdn. 3; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____42 OLG Hamm OLGZ 1979, 376–383; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters ____Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 4. 43 München OLGZ 1980, 465–467; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____44 Franzki DRiZ 1975, 97–101; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 4; MünchKomm-Peters Rdn. 6 bei ____entscheidenden Veränderungen unentbehrlich; ebenso Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 8; ____Zöller-Stöber Rdn. 4.

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§ 164

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 14 c) Weiter sind Zeugen und Sachverständige hinsichtlich ihrer Aussagen gemäß ______§ 160 Abs. 3 Nr. 4 am Berichtigungsverfahren zu beteiligen.45 Es ist den Beteiligten eine ______dem Umfang der Berichtigung entsprechende Frist zur Stellungnahme zu gewähren.46 ______Dazu gehören auch die Richter eines Kollegiums, die an einem Augenschein teilgenom______men haben. ______ ______ 3. Richter und Urkundsbeamte, Abs. 3 Satz 2 ______ ______ a) Wer die Berichtigung vorzunehmen hat, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Aus 15 ______Abs. 3 Satz 2 ergibt sich, dass die Berichtigung voraussetzt, dass auf der Seite des Ge______richts der Richter, der das Protokoll unterschrieben hat bzw. auch der Richter, welcher ______allein tätig war, selbst wenn er das Protokoll nicht unterschrieben hat, mitwirkt. Richter ______ist bei jedem Kollegium jeder einzelne Richter; dennoch ist Herr des Protokollberichti______gungsverfahrens nur der Vorsitzende. Nach Abs. 3 Satz 2 ist die alleinige Unterschrift ______einer Urkundsperson nicht genügend, so dass der Richter und der Urkundsbeamte, so______weit er gemäß § 159 Abs. 1 Satz 2 zur Protokollführung zugezogen war, gemeinschaftlich ______die Berichtigung vornehmen müssen. Abs. 3 Satz 2 verlangt das kumulative Zusammen______wirken dieser Gerichtspersonen und stimmt mit § 163 Abs. 1 Satz 1 überein, der die Ver______antwortung für die Richtigkeit des Protokolls sowohl dem Vorsitzenden als auch dem ______Urkundsbeamten auferlegt.47 Richter und Urkundsbeamter müssen nicht darin überein______stimmen, dass sich beide an den bei der Abfassung des Sitzungsprotokolls unterlaufe______nen Fehler erinnern; die Überzeugung von der Unrichtigkeit des Sitzungsprotokolls kann ______auch auf andere Umstände zurückgehen.48 War der Urkundsbeamte hingegen nicht zur ______Protokollführung zugezogen, unterschreibt der gemäß § 163 Abs. 1 Satz 2 zuständige Be______amte nur ausnahmsweise dann, wenn die Unrichtigkeit ausschließlich durch die Über______tragung zustande gekommen war.49 ______ ______ 16 b) Im Verhinderungsfall des Urkundsbeamten darf der Vorsitzende allein berich______tigen,50 im Umgekehrten aber nicht sein Vertreter bzw. der Urkundsbeamte.51 Die Ge______genmeinung, die für den Fall der Verhinderung des oder der Richter davon ausgeht, der ______Urkundsbeamte habe die Befugnis, das Protokoll aufgrund der vergleichbaren Interes______sen- und Rechtslage entsprechend dem § 163 Abs. 2 Satz 1 allein zu berichtigen und zu ______unterschreiben,52 verkennt die gesetzliche Kompetenzverteilung. Im umgekehrten Fall, ______der Verhinderung des Urkundsbeamten, unterschreibt und berichtigt indes allein der ______Richter entsprechend § 163 Abs. 2 Satz 2.53 War ein Richter bei der Leistung der Unter______schrift nach § 163 Abs. 2 Satz 1 ersatzlos verhindert, so ist es ihm andererseits unbenom______ ______ 45 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 7. ______46 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 7; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. ______47 VG BayVBl. 1989, 566–567; Hamm Rfl. 1984, 193; OLG Saarbrücken NJW 1972, 61; nach RG v. 20.6.1905 ______VII B 150/05 N S 159/1 sollte nur der Vorsitzende nach Anhörung des Urkundsbeamten entscheiden; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5, 9; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10. ______48 OLG Saarbrücken NJW 1972, 61. 49 Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 7. ______50 RG v. 23.9.1901 V E 164/360. ______51 A.M. nach früherem Recht: BArbG AP S 159/1 = MDR 65/423 = NJW 65/931 OLG Schleswig SchlHA ______60/145. ______52 OLG München OLGZ 1980, 465; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5, 9; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5, 6; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber Rdn. 6; a.A. Franzki DRiZ 1975, ______101. ______53 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12; Zöller-Stöber Rdn. 6; a.A. Franzki ______DRiZ 1975, 101.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____men, bei der Berichtigung dieses Protokolls mit zu unterschreiben.54 Erforderlich ist al____lerdings, dass er überhaupt bei der Verhandlung anwesend gewesen ist. Ebenso unter____schreibt der Urkundsbeamte die Berichtigung, der seinerseits bei der Unterzeichnung ____des unrichtigen Protokolls verhindert war. Ein Richterwechsel mit Änderung des Ge____schäftsverteilungsplanes oder Versetzung des Richters hat auf die Berichtigung keine ____Auswirkung,55 solange der Richter sich noch im Amt befindet.56 Ist ebenfalls der Ur____kundsbeamte entlassen, sind beide verhindert.57 Der Amtsnachfolger ist hingegen nicht ____zur Berichtigung befugt, ebenso wenig zulässig ist es, dass der Vorsitzende bei Unter____zeichnung durch den Einzelrichter die Berichtigung vornimmt.58 Das sichert die Verant____wortung für das Protokoll in einer Person.59 Sind sowohl der Richter als auch der Ur____kundsbeamte verhindert, kann es zu keiner wirksamen Berichtigung kommen.60 Fehlen ____die Unterschriften für die Berichtigung des Protokolls, kommt dem berichtigenden Pro____tokoll keine Beweiskraft nach § 165 zu.61 ____ ____ c) Die Protokollberichtigung scheitert, wenn nach vorheriger Anhörung entweder 17 ____der Vorsitzende oder der Urkundsbeamte diese ablehnt.62 Die Ablehnung des Berichti____gungsantrags kann der Richter ohne Mitwirkung des Urkundsbeamten nach der Anhö____rung beschließen.63 Sie ist mit Gründen zu versehen64 und den Beteiligten gemäß § 329 ____Abs. 2 Satz 1 zu verkünden oder formlos mitzuteilen. ____ ____ d) Auch ist eine Protokollberichtigung ausgeschlossen, wenn ein maßgeblicher 18 ____Richter nicht vorhanden ist oder wenn der Urkundsbeamte, der bei dem ursprünglichen ____Protokoll mitgewirkt hat, nicht unterschreibt, obwohl er nicht verhindert ist. Dabei ____scheitert das Berichtigungsverfahren auch, wenn der maßgebliche Richter noch in die____sem Verfahren abgelehnt worden ist. ____ ____ e) Für den Rechtspfleger, soweit er „richterliche“ Protokolle aufnimmt, gelten die 19 ____für den Richter dargestellten Grundsätze. ____ ____ ____54 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; MünchKomm-Peters Rdn. 8; Musielak-Stadler Rdn. 5; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 10; Zöller-Stöber Rdn. 5. ____55 OLG Stuttgart OLGZ 1976, 241 ff.; obiter dictum OLG München OLGZ 1980, 465 ff.; Vollkommer Rpfl. ____1976, 258–259; Busch JZ 1964, 749; OLG Schleswig SchlHA 1960, 145; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; MünchKomm-Peters § 163 Rdn. 5; Musielak-Stadler § 163 Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth § 163 Rdn. 3; ____Zöller-Stöber Rdn. 6; § 162 Rdn. 8; a.A. bezüglich der Versetzung Stuttgart MDR 1976, 673; OLG Stuttgart ____OLGZ 1976, 241–243; Vollkommer Rpfl. 1976, 257. ____56 BVerwG NJW 1977, 264; München MDR 1983, 410; Stuttgart JB 1976, 380; OLG Stuttgart OLGZ 1976, ____241, 243 mit ablehnender Anmerkung Vollkommer Rpfl. 1976, 257; OLG München OLGZ 1979, 465; OLG München OLGZ 1980, 465, 467 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 163 Rdn. 9; Musielak-Stadler § 163 ____Rdn. 3; MünchKomm-Peters § 163 Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth § 163 Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13; Zöller____Stöber Rdn. 6; § 162 Rdn. 8. ____57 München OLGZ 1980, 467; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5. ____58 Franzki DRiZ 1975, 97 ff.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 5, 9; Musielak-Stadler Rdn. 6; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Zöller-Stöber Rdn. 5 59 Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; MünchKomm-Peters § 163 Rdn. 9. ____60 Franzki DRiZ 1975, 101; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 13. ____61 Stein/Jonas-Roth Rdn. 12. ____62 LG Frankfurt am Main JurBüro 1993, 745; VGH München BayVBl. 1989, 566 f.; OLG Oldenburg JR ____51/378 Saarbrücken NJW 1972, 61, 62; vgl. OLG Braunschweig JW 27/1169; Baumbach/LauterbachHartmann Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 7; Stein/Jonas-Roth Rdn. 3. ____63 Musielak-Stadler Rdn. 7; Zöller-Stöber Rdn. 10; a.A. Stein/Jonas-Roth § 163 Rdn. 18; ____Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 12; offen gelassen LAG Hamm MDR 1988, 172. ____64 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11.

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§ 164

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ VII. Wirkungen der Protokollberichtigung ______ ______ 1. Ordentliche Protokollberichtigung. Die Berichtigung des Protokolls hat Rück20 ______wirkung, so dass allein das berichtigte Protokoll ausschlaggebend ist nicht das unrichti______ge Urteil. Eine solche Rückwirkung fehlt indes, wenn das Protokoll eine erforderliche ______Beurkundung ersetzen soll.65 ______ ______ 2. Unzulässige Protokollberichtigung. Die unzulässige Protokollberichtigung ist 21 ______schlechthin unwirksam. Dies ist auch ohne Rechtsmittelrüge zu beachten. Allerdings ______können als vom Gericht durch Endurteil bzw. Endbeschluss abgeschlossene Verfahren ______nur durch Rechtsmittel berichtigt werden. Die Rüge, dass ein Protokoll fehlt oder man______gelhaft ist, ist nur dann erheblich, wenn das Urteil auf diesem Fehler beruht,66 also wenn ______der Fehler schon in der ursprünglichen Fassung des Protokolls besteht; wahrt das Urteil ______selbst aber die Förmlichkeiten, so kann die Rüge nicht darauf gestützt werden, dass das ______Protokoll darüber nichts enthalte,67 sofern nicht das Protokoll allein darüber zu berich______ten hat und auch nicht der Tatbestand es tut und tun darf, wie im Besonderen über Par______teierklärungen. ______ ______ VIII. Berichtigungsvermerk in elektronischer Datei ______ ______ Die Berichtigung ist in einem gesonderten Dokument und nicht durch Veränderung 22 ______des gespeicherten Originalurteils vorzunehmen. Die Berichtigung auf elektronischem ______Wege kommt in Betracht, wenn das Protokoll selbst elektronisch vorliegt, ist aber nicht ______auf diese Fälle beschränkt. Der elektronische Protokollberichtigungsvermerk ist von den ______in § 164 Abs. 3 genannten Personen in der nach § 130 b vorgeschrieben Form zu signieren ______und bei elektronischer Aktenführung mit dem elektronischen Protokoll in untrennbarer ______Weise zu verbinden. Die verantwortenden Personen haben daher am Ende des Doku______ments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektroni______schen Signatur zu versehen. ______ ______ IX. Rechtsmittel ______ ______ Grundsätzlich ist daher eine Beschwerde gegen die Berichtigung eines Protokolls 23 ______oder deren Ablehnung68 unstatthaft,69 weil das Beschwerdegericht den richtigen Proto______kollinhalt nicht bestimmen kann.70 Die Feststellung des protokollierten Verhandlungs______hergangs ist allein Sache der anwesenden Gerichtspersonen.71 Das gilt ebenfalls, wenn ______die Beschwerde sich darauf begründet, dass die vorgenommene Berichtigung unzutref______fend sei.72 Die Parteien können sich jedoch auf die Unverwertbarkeit des Protokolls in ______ ______ ______ ______65 Kanzleiter DNotZ 1990, 484; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 9; Zöller-Stöber Rdn. 9. ______66 RG v. 9.2.1905 VI JW 233. 67 RG v. 7.3.1927 IV Wa 88. ______68 BGH MDR 2005, 46; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 52/249; OLG Nürnberg MDR 1963, 603; RGSt 3/47 vgl. ______§ 319 Abs. 2. ______69 BGH NJW-RR 2005, 214; vgl. auch OLG Stuttgart Justiz 2011, 180 sowie MDR 2004, 410. ______70 OLG Düsseldorf OLGR 2002, 37; OLG Zweibrücken OLGR 1997, 343; OLG Hamm NJW 1989, 1680; LAG Nürnberg MDR 1981, 789. ______71 OLG Celle OLGR 2003, 405. ______72 BAG NJW 1965, 931 932; OLG Nürnberg MDR 1963, 603; OLG Hamm NJW 1989, 1680; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 15; a.A. Koblenz MDR 1986,593.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 164

____dem jeweiligen Verfahren berufen.73 Wird dagegen eine Berichtigung als unzulässig ab____gelehnt, so ist dagegen die sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 zulässig.74 Eben____falls ist die befristete Erinnerung nach § 573 Abs. 1 statthaft und zwar selbst wenn die ____Berichtigung von einem Unzuständigen erfolgt ist75 oder das Berichtigungsverfahren be____anstandet worden ist.76 Uneinigkeit besteht darüber, ob dies nur im Fall der unzuläs____sigen77 Protokollberichtigung oder auch bei Ablehnung aus sachlichen Gründen gilt.78 ____Gegen eine Beschwerdeentscheidung in einem Protokollberichtigungsverfahren gibt es ____auch im Zwangsversteigerungsverfahren keine weitere Beschwerde.79 Die sofortige Be____schwerde gegen die Berichtigung eines protokollierten Prozessvergleichs ist nicht statt____haft.80 Eine Protokollberichtigung ist grundsätzlich nicht mit einem Rechtsmittel an____greifbar. Auch bei der Berichtigung einer offensichtlichen Unrichtigkeit, z.B. einem ____Rechen- oder Kalkulationsfehler, liegt auch keine offensichtliche Gesetzwidrigkeit vor, ____die zu einer außerordentlichen sofortigen Beschwerde berechtigten würde.81 ____ Darüber hinaus kann aber das Rechtsmittelgericht bei erwiesener Protokollfäl- 24 ____schung die Beweiskraft des Protokolls nach § 165 aufheben.82 ____ Grundsätzlich ist zwar eine Beschwerde gegen die Berichtigung eines Protokolls 25 ____oder deren Ablehnung unstatthaft, weil das Beschwerdegericht den richtigen Protokoll____inhalt nicht bestimmen kann, da es an der Sitzung nicht teilgenommen hat. Gegen die ____Berichtigung einer notariellen Urkunde durch den Notar gemäß § 44 a Abs. 2 BeurkG ist ____in entsprechender Anwendung des § 164 kein Rechtsmittel gegeben.83 Ob etwas anderes ____dann gelten kann, wenn besondere Umstände – wie etwa die Mitschrift eines Richters ____zur Einvernahme eines Zeugen – vorliegen, die einen Abgleich zwischen den tatsächlich ____abgegebenen Erklärungen und deren protokollierten Inhalt gestatten, ist zweifelhaft.84 ____Ausnahmsweise ist aber eine Beschwerde statthaft, wenn eine beantragte Berichtigung ____als unzulässig abgelehnt wird; denn streitig ist dann nicht der zu protokollierende Sach____verhalt, sondern die Frage seiner Protokollierungsbedürftigkeit.85 ____ Wird das Protokoll nach § 319 (oben Rdn. 6 f.) berichtigt, so steht der Gegenpartei die 26 ____sofortige Beschwerde entsprechend § 319 Abs. 2 zu,86 was allerdings gerade vor dem OLG ____wegen des § 567 Abs. 1 (§ 567 Abs. 3 a.F.) bedeutungslos ist. Auch wird man eine Rüge im ____Rechtsmittelverfahren dahin geben müssen, dass keine offenbare Unrichtigkeit vorlag ____und deshalb eine solche auch nicht berichtigt werden konnte. Der Auslegung durch die ____höhere Instanz ist das Protokoll stets unterworfen.87 ____ ____ 73 Musielak-Stadler Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. ____74 OLG Düsseldorf OLGR 2002, 37 = NJW-RR 2002; OLG Frankfurt OLGR 1998, 15; KG KGBl. 27/38 OLG ____Koblenz Rpfl. 1969, 137; OLGZ 1980, 466; LG Ffm JB 1993, 745; LAG Hamm (Westfalen) MDR 1988, 172 f.; ____OLG Hamm OLGZ 1983, 89–92; OLG Frankfurt Rpfl. 1978, 454; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 14; ____Musielak-Stadler Rdn. 8. 75 LG Frankfurt JurBüro 1993, 744 f.; Hamm MDR 1983, 410; Koblenz Rpfl. 1969, 137; München OLGZ ____1980, 465, 466; LAG Hamm MDR 1988, 172; OLG Frankfurt Rpfl. 1978, 454; Franzki DRiZ 1975, 97, 101; ____Stein/Jonas-Roth Rdn. 19; Zöller-Stöber Rdn. 11. ____76 OLG Frankfurt OLGR 1998, 15; LG Frankfurt am Main JurBüro 1993, 745; Zöller-Stöber Rdn. 11. ____77 MünchKomm-Peters Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Zöller-Stöber Rdn. 11. ____78 OLG Koblenz MDR 1986, 593. 79 OLG Karlsruhe Rpfl. 1995, 472–473. ____80 OLG Stuttgart OLGR 2003, 519. ____81 LG Göttingen, B v. 4.11.2002, Az: 6 T 45/02 juris. ____82 Zöller-Stöber Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 8; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16. ____83 OLG Frankfurt/M DNotZ 2011, 48 84 So aber OLGR Rostock 2009, 549. ____85 OLG Düsseldorf OLGR 2002, 37; OLG Schleswig MDR 2011, 751. ____86 AM BArbG AP S 159/1 = MDR 1965, 423 = NJW 1965, 931. ____87 BGH MDR 1958, 325 = NJW 1958, 711 = JW 37/2004.

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§ 165

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 27 Gegen die Entschließung des Notars, durch die der Antrag eines Urkundsbeteiligten ______auf Berichtigung einer notariellen Urkunde aus sachlichen Gründen abgelehnt wird, ______findet kein Rechtsmittel statt. §§ 164, 319 werden entsprechend angewandt.88 ______ ______ ______ § 165 ______ Beweiskraft des Protokolls ______ § 165 Smid ______ Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten ______kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkei______ten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. ______ ______ Schrifttum ______ Britz Beschränkung der freien Beweiswürdigung durch gesetzliche Beweisregeln, ZZP 110, 61. ______ ______ Übersicht ______I. Normzweck ____ 1 2. Abgrenzung ____ 10 ______II. Beweiskraft des Protokolls ____ 2 3. Offenbare Unvollständigkeit des Proto______III. „Förmlichkeiten“ kolls ____ 15 ______ 1. Anwendungsbereich ____ 6 IV. Protokollfälschung ____ 18 ______ ______ I. Normzweck ______ ______ Das Protokoll beweist, dass die Förmlichkeiten eines Verfahrens ordnungsgemäß 1 ______eingehalten worden sind. § 165 stellt sich als Beweisregel i.S.v. § 286 Abs. 21 dar;2 sie fin______det sowohl auf die Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung als auch der Gütever______handlung Anwendung.3 Das Protokoll erbringt den vollen Beweis der in ihm bezeugten ______Wahrheit i.S.v. §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 (vgl. aber Rdn. 3).4 Die Beweisregel des § 165 ______schließt für den Beweis der protokollierten Tatsachen § 286 Abs. 1 aus.5 ______ ______ II. Beweiskraft des Protokolls ______ ______ Voraussetzung für seine Beweiskraft ist, dass das Protokoll den Anforderungen der 2 ______§§ 159 ff. genügt.6 ______ 3 Insofern stellt § 165 eine Sondervorschrift zu den §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 dar.7 An______ders als nach diesen Vorschriften kann der Gegenbeweis aber nur dadurch geführt ______werden, dass die Fälschung des Protokolls nachgewiesen wird8 – was rechtstatsächlich ______erhebliche Schwierigkeiten verursacht. Unter Fälschung ist die bewusst falsche Nieder______ ______ ______88 OLG Frankfurt OLGR Frankfurt 1996, 131–132. ______ ______1 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. 2 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______3 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 2; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein-Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller______Stöber Rdn. 1. ______4 Stein/Jonas-Roth Rdn. 1. ______5 Musielak-Stadler Rdn. 1. 6 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 1. ______7 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______8 BGH Report 2004, 262. Sonstige Beweisanträge sind unzulässig: BGH MDR 1965, 423 = NJW 1965, 931; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 11.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 165

____schrift oder die bewusste nachträgliche Veränderung des protokollierten Gedankenin____halts bei Auseinanderfallen seines geistigen Urhebers und des erkennbaren Ausstellers ____zu verstehen, § 267 StGB, sowie bei der Herstellung eines inhaltlich unwahren Protokolls ____§§ 271, 348 StGB.9 Eine fahrlässige Unrichtigkeit ist ebenso wenig genügend,10 wie der ____Beweis der objektiven Unrichtigkeit des Protokolls.11 Auch Zweifel oder die Wahrschein____lichkeit, dass das Protokoll unrichtig ist, widerlegen die Beweiskraft des Protokolls nach ____§ 165 Satz 1 nicht.12 Dasselbe gilt für die bloße Behauptung, der Zeuge habe sich über die ____protokollierte Aussage hinaus noch zu einem weiteren Punkte geäußert.13 ____ Das Protokoll kann im Fall der Unrichtigkeit nach § 164 berichtigt werden.14 Unge- 4 ____achtet dessen sollen äußere Mängel der Urkunde oder auffällige Umstände in der Lage ____sein, die Beweiskraft des Protokolls zu untergraben.15 Für den Nachweis der Fälschung ____im Sinne der §§ 267, 271, 348 StGB ist es zumindest nicht erforderlich, dass ein aus dem ____Protokoll erkennbarer äußerer Mangel nach § 419 vorliegt.16 Von einem Strafurteil, das ____den Zivilrichter nicht binden würde, ist der Nachweis der Fälschung nicht abhängig;17 ____hierfür ist vielmehr jedes Beweismittel zugelassen, und es gilt insoweit auch freie Be____weiswürdigung (§ 286).18 Zum Teil soll der Anscheinsbeweis der Fälschung genügen.19 ____ Soweit § 165 als Beweisregel zutrifft, gibt es keine freie Beweiswürdigung nach § 286.20 5 ____Auch gelten bezüglich der Förmlichkeiten nicht die §§ 415, 418;21 auch nicht § 415 Abs. 2 ____etwa dahin, dass die tatsächlich verlesenen Anträge einen anderen Inhalt gehabt hätten.22 ____Die Förmlichkeit ist somit gewahrt, wenn sie beurkundet ist.23 Die Förmlichkeiten werden ____daher stets durch das Protokoll gemäß § 165 bewiesen, sofern die Fälschung nicht bewie____sen ist. Das Protokoll entkräftet ferner gemäß § 314 Satz 2 den durch den Tatbestand des ____Urteils insoweit zum Protokoll im Widerspruch stehenden Beweis für das mündliche Par____teivorbringen.24 Fehlt hingegen eine Angabe im Protokoll, welche im Tatbestand des Ur____ ____ ____9 BGH VersR 1985, 45 ff.; BGH NJW 1999, 794; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; MünchKomm____Peters Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 5. ____10 RG v. 13.12.1933 VE 142/383 [388]; a.M. OGH v. 2.12.1948 IIE 1/286: es genüge, dass von keiner Partei in Frage gestellt werde, dass eine Förmlichkeit gewahrt worden sei; OLG Hamm SJZ 9/552: bloßer ____Zeugenbeweis genüge im Fall des 5160 III 4; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/ ____Jonas-Roth Rdn. 14. ____11 RGSt 7, 338; Frankfurt am Main JurBüro 1078, 447; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; ____MünchKomm-Peters Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 5. ____12 OLG Saarbrücken NJW 1972, 61; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11, 15; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____13 OLG Karlsruhe Justiz 1988, 363. ____14 LG Kiel SchlHA 1976, 95; BAG NJW 1965, 931; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; ____MünchKomm-Peters Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/Jonas-Roth Rdn. 5, 11; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____15 Zöller-Stöber Rdn. 5. 16 A.A. BGH VersR 1985, 46; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11. ____17 BGH VersR 1989, 487 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; Musielak-Stadler Rdn. 5; Stein/ ____Jonas-Roth Rdn. 14. ____18 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 15; ____Britz ZZP 110, 61 ff. ____19 BGH NJW 1985, 1782–1783; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 11; MünchKomm-Peters Rdn. 9; Stein/Jonas-Roth Rdn. 15. ____20 MünchKomm-Peters Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____21 RG v. 19.10.1934 II E 146/133–143; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6, 11; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____22 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10. ____23 Bbg JurBüro 1991, 1642; Frankfurt am Main 1982, 810; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11; Zöller-Stöber Rdn. 3. ____24 OLG Düsseldorf OLGR 2001, 387; DB 2001, 846–848; OLG Stuttgart FamRZ 1985, 609; OLG Stuttgart ____WRP 1974, 172; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth ____Rdn. 3, 13.

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§ 165

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______teils enthalten ist, so entkräftigt das Protokoll diese im Tatbestand festgehaltenen Anga______ben nicht.25 Voraussetzung für die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 165 ist allerdings ______dessen ordnungsgemäße Unterzeichnung,26 die Verlesung und Genehmigung des Proto______kolls nach § 16227 sowie, dass das Protokoll frei von äußeren Mängeln gemäß § 419 ist.28 ______ ______ III. „Förmlichkeiten“ ______ ______ 1. Anwendungsbereich ______ ______ 6 a) Förmlichkeiten im Sinne des § 165 sind die Feststellungen des Protokolls zum äu______ßeren Hergang29 der mündlichen Verhandlung. Dazu gehören die nach § 160 Abs. 130 ______und 331 sowie § 161 Abs. 232 niedergelegten Erfordernisse.33 Enthält ein Protokoll z.B. die ______Feststellung, „anliegende Entscheidung“ sei verkündet worden, so erbringt es daher nur ______dann Beweis dafür, dass ein Urteil auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteils______formel verkündet worden ist, wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ______erstellt worden ist.34 Unterzeichnet der Vorsitzende das Protokoll, das die Verkündung ______eines Urteils beurkundet, erst nach Ablauf von fünf Monaten nach dem Verkündungs______termin, bleibt die bis zu diesem Zeitpunkt mangels einer in der Form des § 165 nachweis______baren Verkündung fristgerechte Berufung weiterhin zulässig.35 ______ Unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt auch das berichtigte Protokoll 7 ______nach § 164.36 ______ ______ b) Der Inhalt des Protokolls beweist, dass eine Prozesshandlung nach § 160 Abs. 3 8 ______Nr. 1, 3, 8 oder 9 überhaupt vorgenommen worden ist.37 Unter die Beweiskraft des Proto______kolls fällt entgegen einer nicht überzeugenden Gegenansicht auch die übereinstim______mende Erledigungserklärung der Parteien einschließlich der Kostenanträge.38 ______ ______ 9 c) Die unterlassene Beurkundung im Protokoll und im Entscheidungstatbestand ______beweist, dass der Vorgang sich nicht zugetragen hat,39 auch wenn überhaupt kein Proto______koll angefertigt worden ist;40 da die Verkündung nicht in den Tatbestand gehört, muss ______ ______ ______25 RG JW 1927, 1931; BVerfG NJW 1988, 1228; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; Zöller-Stöber ______Rdn. 13. 26 BGH VersR 1989, 604; Musielak-Stadler Rdn. 4. ______27 Musielak-Stadler Rdn. 43. ______28 Stein/Jonas-Roth Rdn. 2. ______29 Bei enger Auslegung Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak______Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. 30 BGH NJW-RR 1990, 342; OLG Köln OLGZ 1985, 318 f.; OLG Saarbrücken NJW 1972, 61; MünchKomm______Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 2. ______31 Für III 2: OLG Bremen NJW 1963, 1157. ______32 Weil insoweit nur § 5160 III anwendbar bleibt. ______33 Nach KG 3W 37/832 auch die des § 5160 II vgl. dazu unter S 160 A 1. ______34 BGH NJW 2011, 1741 in Abgrenzung zu BGH NJW 1985, 1782. 35 BGHZ 172, 298. ______36 BAG NJW 1965, 931; OLG Frankfurt OLGZ 1974, 301; MünchKomm-Peters Rdn. 6; Musielak-Stadler ______Rdn. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11. ______37 Musielak-Stadler Rdn. 2. ______38 OVG Berlin NJW 1970, 486; Stein; a.A. MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 2. 39 Bbg JurBüro 1991, 1642; OLG Frankfurt FamRZ 1982, 808–810; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ______Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 4; Musielak-Stadler Rdn. 3; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16; Zöller-Stöber ______Rdn. 3; a.A. OGHZ 1, 286, 288. ______40 RG JW 1915, 592 Nr. 26; Stein/Jonas-Roth Rdn. 11.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 165

____sie also stets im Protokoll nachgewiesen werden.41 Der Verkündungsvermerk gemäß ____§ 315 Abs. 3 ersetzt dagegen das nach § 165 Satz 1, § 160 Abs. 3 Nr. 7 erforderliche Ver____kündungsprotokoll nicht.42 Ein Beweis, dass die protokollierte Entscheidung nicht ver____kündet oder statt des Urteils ein Beschluss verkündet sei, ist also unzulässig.43 Doch er____langt eine Entscheidung nicht zwingend nur durch Verkündung ihre Existenz. ____ ____ 2. Abgrenzung ____ ____ a) Würdigungen, die aufgrund von Feststellungen zum äußeren Hergang getroffen 10 ____werden, sind hingegen nicht Gegenstand der erhöhten Beweiskraft nach § 165.44 Nicht ____vom Umfang der Beweiskraft des Protokolls erfasst sind daher die inhaltlichen Feststel____lungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 bis 645 und 10.46 ____ ____ b) Die Vorgänge nach § 160 Abs. 2, soweit sie sich nicht auf den äußeren Ablauf 11 ____beziehen,47 werden von der besonderen Beweiskraft des Protokolls ebenfalls nicht er____fasst. Das Gleiche gilt für die Protokollierung der Antragstellung als solche48 und des ____Antragsinhalts gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 249 sowie ferner der Feststellungen über die Ver____kündung.50 Inwieweit indes Vorgänge nur durch das Protokoll oder auch durch den Tat____bestand festgestellt werden dürfen, ist gewohnheitsrechtlich im Einzelfall abgegrenzt ____worden. Die Versuche, allgemein abzugrenzen, sind nicht gelungen. Nur in das Protokoll ____gehören rechtliche Geschehnisse und Prozessgrundlagen, die begriffsnotwendig oder ____nach gesetzlicher Bestimmung Voraussetzungen oder Bestandteil des mündlichen und ____öffentlichen Verfahrens überhaupt sind,51 im Gegensatz zum Inhalt des konkreten Pro____zessstoffs. Bezeichnend dabei ist, dass der Inhalt des Protokolls auch dort gilt, wo er ____nicht verlesen zu werden braucht (vgl. § 162). Es ist jedenfalls nicht richtig, dass nur die ____Förmlichkeit, nicht der Inhalt einer Erklärung unter § 165 falle.52 Nur durch das Protokoll ____wird die Ordnungsmäßigkeit des Aufrufs der Sache,53 dass in einem Termin verhandelt ____wurde, bewiesen.54 ____ ____ ____ ____41 Die verkündete Entscheidung als Protokollanlage zu kennzeichnen hielt BGH v. 7.10.1953 II E 10/327 ____NJW 1829 nicht für erforderlich. ____42 BGH VersR 1989, 604. 43 RG v. 31.5.1923 VI E 107/143 vgl. dazu 5310 C; im arbeitsgerichtlichen Verfahren der ersten und der ____zweiten Instanz ist die Tatsache der nach ArbGG 560 II 64 III erforderlichen mündlichen Eröffnung der ____Entscheidungsgründe zu protokollieren: BAG AP ZPO 5319/3; vgl. 5160 B VI c; BAG NJW 1991, 1631; ____Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10. ____44 Zöller-Stöber Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 12. 45 BGH FamRZ 1994, 300, 302; NJW 1982, 1052–1053; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler ____Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 9; a.A. Inhalt des Parteivortrags OLG Düsseldorf ZMR 1988, 335 f.; OLG ____Stuttgart FamRZ 1985, 607, 609. ____46 Musielak-Stadler Rdn. 2. ____47 BGH NJW 1990, 121, 122; Musielak-Stadler Rdn. 2; Stein/Jonas-Roth Rdn. 8. ____48 BAG NJW 1991, 1630, 1631; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 2. 49 BAG NJW 1991, 1630, 1631; RGZ 146, 133, 143; OLG Frankfurt am Main FamRZ 1982, 809–810; ____Musielak-Stadler Rdn. 2. ____50 BGH NJW 1999, 794; BFH Stub 2001, 710 eine unterlassene Verfahrensrüge betreffend; Musielak____Stadler Rdn. 2. ____51 Nach RG v. 18.3.1986 1V E 16/332. 52 RG v. 19.10.1934 II E 146/133 143 im Fall der KO 5182; OLG Hamm SJZ 49/552 für den Inhalt einer von ____einem Anwalt abgegebenen Erklärung. ____53 LG Berlin JR 67/264; MünchKomm-Peters Rdn. 1; Musielak-Stadler Rdn. 2. ____54 OLG Saarbrücken NJW 1972, 61.

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______ 12 c) Die Beweisregel des § 165 wird eng ausgelegt.55 Den nicht unter § 165 fallenden ______beurkundeten Feststellungen und Vorgängen kommt dann zwar die volle Beweiskraft ______einer öffentlichen Urkunde nach § 415 f zu,56 es gilt aber insoweit die freie Beweiswürdi______gung nach §§ 286, 415 Abs. 2, 418 Abs. 2.57 Das gilt ebenfalls im Kostenfestsetzungsver______fahren für gebührenrechtliche Tatbestände.58 Hier kann also der Gegenbeweis beliebig ______geführt werden, auch durch Erklärung der Urkundspersonen.59 Auch gelten die Beweis______regeln nur innerhalb desselben Rechtsstreits,60 nicht wenn über den Gang der Verhand______lung in einem anderen behördlichen Verfahren gestritten wird;61 wohl aber soweit für ______diesen anderen Prozess § 68 anzuwenden ist. Somit ist im Kostenerstattungsverfahren ______sowie im Verfahren nach § 19 BRAGO a.F. der Gegenbeweis zulässig.62 Dies gilt nunmehr ______entsprechend für das Verfahren nach § 11 RVG. ______ ______ d) Aber auch soweit § 165 nicht reicht und etwas zu Protokoll beurkundet worden 13 ______ist, was nicht beurkundet zu werden brauchte, kann nicht der Gegenbeweis zu dem posi______tiv Protokollierten durch den Tatbestand der Entscheidung geführt werden.63 Ist deshalb ______ein Schriftsatz als Anlage zum Protokoll genommen worden, so darf ihn der Tatbestand ______nicht als nicht vorgetragen unberücksichtigt lassen.64 Doch ersetzt der Tatbestand die ______Auslassungen des Protokolls, soweit sie in ihm nicht zwingend vollständig zu beurkun______den sind.65 So darf im Besonderen die Erhebung der Widerklage im Tatbestand beurkun______det werden.66 Schweigt das Protokoll hingegen zu Vorgängen, dessen Niederschrift zwar ______zweckmäßig gewesen wäre, aber nicht zwingend erforderlich ist, lässt sich aus der unter______lassenen Protokollierung nicht beweisen, dass diese Vorgänge nicht vorgenommen wor______den seien.67 ______ Wird in einem Zivilprozess, der keine Ehesache oder Entmündigungssache betrifft, 14 ______ein Protokollvordruck verwandt, der mit den Worten „Nichtöffentliche Sitzung“ beginnt, ______und unterbleibt die Streichung des Wortteils „Nicht“, so erbringt diese Tatsache für sich ______alleine nicht den Beweis, dass unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden ______sei. In einem solchen Fall ist unter Heranziehung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, ______insbesondere eines erst während des Revisionsverfahrens von der Vorinstanz erlassenen ______Protokollberechtigungsbeschlusses, frei zu würdigen, ob tatsächlich eine nichtöffentli______ ______ ______ ______ 55 Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 1. ______56 BGH FamRZ 1994, 301; Frankfurt am Main JurBüro 1978, 446; Koblenz JurBüro 1980, 1846; ______Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 3. ______57 OLG Kiel 3W 30/3865; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 8; ______Stein/Jonas-Roth Rdn. 17. 58 OLG Düsseldorf MDR 1989, 751; OLG Koblenz JurBüro 1980, 1846, 1847; OLG Frankfurt am Main Rpfl. ______1980, 70; JurBüro 1978, 446 f.; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 1; Zöller______Stöber Rdn. 3. ______59 RGSt 24/214 OLG München 23/137. ______60 BGH MDR 1963, 481: NJW 1963, 1060; BGH NJW 1963, 1060–1062; Baumbach/Lauterbach-Hartmann ______Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 1; Zöller-Stöber Rdn. 14; Zöller-Stöber Rdn. 3. 61 RG Gruchot 39, 997, 1003; RGZ 142, 383, 387; KG OLGRsp 25, 293; Zöller-Stöber Rdn. 11; Zöller-Stöber ______Rdn. 3. ______62 BGH LM ZVG § 80 Nr. 1; OLG Frankfurt am Main JurBüro 1978, 446, 447; Stein/Jonas-Roth ______Rdn. 14. ______63 § 314 Abs. 1 Satz 2 RG v. 28.9.1939 II E 162/337 340; Zöller-Stöber Rdn. 3. 64 RG v. 5.1.1907 1 308/06 N 5164/4. ______65 RG v. 20.5.1927 VI 3W 1931 Bay ObLGZ 1951/7. ______66 BayObLG Z 1951/4 vgl. § 314 Abs. 1 und im Übrigen § 418. ______67 Musielak-Stadler Rdn. 3.

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____che Verhandlung stattgefunden hat.68 Auch ist § 419 für äußere Mängel des Protokolls ____anzuwenden.69 ____ ____ 3. Offenbare Unvollständigkeit des Protokolls. Bei offenbarer Unvollständigkeit ____wird der Verhandlungsgang nach freier Beweiswürdigung des Revisionsgerichts ge____klärt.70 Dabei sind Lücken im Wege der Auslegung zu schließen.71 Sind dagegen wesent____liche Prozessvorgänge nicht protokolliert worden und lassen sich diese auch nicht im ____Wege der Auslegung erschließen, so kommt der Protokollierung keine formelle Beweis____kraft nach § 165 zu.72 Die fehlende Beweiskraft kann weder durch Parteivereinbarung ____noch durch eine unterlassene Rüge nach § 295 hergestellt werden.73 Es obliegt dann dem ____Gericht, in freier Beweiswürdigung den Vorgang festzustellen.74 Der in Sitzungsnieder____schriften anzutreffende, in Protokollformularen auch schon mit vorgedruckte Satz: „Das ____Sach- und Streitverhältnis wurde mit den Beteiligten erörtert“, ist für sich allein nicht ____geeignet, verlässlichen Nachweis für eine dem Grundsatz der Gewährung rechtlichen ____Gehörs genügende Erörterung des Streitstoffs und -standes zu liefern.75 ____ Hält aber ein Gericht einen Vorgang, der tatsächlich geschehen ist, nicht für beur____kundungsnotwendig, obwohl er es ist, so gilt er als beurkundet, wenn er anderweitig als ____geschehen festgestellt wird; in diesem Falle genügt also die Auskunft der Urkundsperso____nen an Stelle des Protokolls; doch muss das Geschehen unzweifelhaft sein. ____ Widerspricht sich das Protokoll selbst, so wird nichts erwiesen, soweit der Wider____spruch geht.76 Zuvor ist aber auch das Protokoll seinem Sinn nach auszulegen.77 Aller____dings kann mit der Revision nur dann auf eine fehlende Förmlichkeit zurückgegriffen ____werden, wenn zugleich behauptet wird, dass sie nicht gewahrt worden sei; denn sonst ____ist sie für den Erlass der Entscheidung nicht erheblich;78 dies muss auch für absolute ____Revisionsgründe gelten. ____ ____ IV. Protokollfälschung ____ ____ Gegen den die Beachtung der „Förmlichkeiten“ betreffenden Inhalt des Protokolls ____ist nach Satz 2 nur der Nachweis einer Fälschung zulässig. Eine Fälschung des Protokolls ____liegt nur dann vor, wenn es wissentlich falsch beurkundet oder nachträglich verfälscht ____wird.79 ____ Wird eine Protokollfälschung behauptet, dürfen selbst bei Anlegung eines strengen ____Maßstabs an die Darlegungslast die Anforderungen an die Prozesspartei insoweit nicht ____ ____ ____68 BGHZ 26, 340 ff. = MDR 1958, 325 f. ____69 OLG Kiel 3W 30/3865; Musielak-Stadler Rdn. 4; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6. 70 BGH NJW 1990, 121–122; VersR 1986, 487; OLG Frankfurt am Main FamRZ 1982, 809, 810; BGH 26, ____340–343 = MDR 325 = NJW 711; Stein/Jonas-Roth Rdn. 6; Zöller-Stöber Rdn. 4. ____71 BGHZ 26, 340 = NJW 1958, 711; Baumbach/Lauterbach-Hartmann Rdn. 10; MünchKomm-Peters Rdn. 5; ____Zöller-Stöber Rdn. 4. ____72 BGHZ 26, 340 ff. = NJW 1958, 711; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 5; Zöller-Stöber ____Rdn. 4. 73 ArbG Stade AP § 163 a ZPO a.F. Nr. 1; Stein/Jonas-Roth Rdn. 16. ____74 OLG Frankfurt am Main FamRZ 1982, S. 809, 810; Hamburg JurBüro 1995, 30; Baumbach/Lauterbach____Hartmann Rdn. 10; Musielak-Stadler Rdn. 5. ____75 BSG NJW 1991, 1909. ____76 RGSt HRR 34/83; BGHZ 26, 340, 343 = NJW 1958, 711; MünchKomm-Peters Rdn. 5; Musielak-Stadler Rdn. 5. ____77 RGSt JW 32/421. ____78 OGH v. 4.11.1948 E l/235. ____79 LG Augsburg Rpfleger 2009, 40.

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______überspannt werden. Denn die Partei, die in aller Regel keinen hinreichenden Einblick in ______die internen Geschäftsabläufe des Gerichts und die Arbeitsweise des Richters hat, ist in ______derartigen Fällen durchweg auf bloße Indizien für den objektiven Tatbestand und auf ______Schlussfolgerungen für dessen subjektive Seite angewiesen.80 In dem vom BGH81 ent______schiedenen Fall befanden sich in der Akte unstreitig nicht weniger als drei unterschiedli______che mit einem Verkündungsvermerk versehene Fassungen des Urteilstenors. Das Urteil ______war in der vollständig abgefassten Form (12 Zeilen Urteilsgründe) erst nahezu neun Mo______nate nach der dem Protokoll zufolge erfolgten Verkündung zur Geschäftsstelle gelangt. ______Damit sah der BGH – nachvollziehbar – die behauptete Protokollfälschung als ausrei______chend substantiiert dargelegt. ______ ______ ______ TITEL 2 ______ Verfahren bei Zustellungen ______ Vor §§ 166 ff. Smid/Rohe ______ Vorbemerkungen ______ ______ Schrifttum ______ Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (BLAH-Bearbeiter) ZPO, 70. Aufl. 2012; Bischof Alte und ______neue Zustellungsprobleme nach der Vereinfachungsnovelle, NJW 1980, 2235; Brand Die Verjährungsunter______brechung nach § 167 ZPO bei der Auslandszustellung, NJW 2004, 1138–1141; Christmann Die Zustellung an ______Minderjährige, DGVZ 1994, 65; Coenen Übersicht und praktische Hinweise zu dem ab 1. Juli 2002 geltenden ______Zustellungsreformgesetz – ZustRG –, DGVZ 2002, 5–11; Coenen Neues Zustellungsrecht: Erste praktische ______Erfahrungen und Probleme, DGVZ 2002, 183–184; Coenen Das (nicht mehr ganz neue) Zustellungsrecht ______oder knappe Formulierung = klare Regelung?, DGVZ 2004, 69–71; Ebert Verjährungshemmung durch ______Mahnverfahren, NJW 2003, 732–733; Eyinck Die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Zu______stellungsrecht, MDR 2011, 1389; Frank Fischer Die öffentliche Zustellung im Zivilprozeß, ZZP 107 (1994) ______163–182; Graßhof Sein und Schein – wie weit reicht die Beweiskraft der Zustellungsurkunde über die Niederlegung hinsichtlich der Wohnung des Zustellungsadressaten?, in: Gerhardt/Hencke/Vilger/Kreft ______ (Hrsg.), FS Merz zum 65. Geburtstag (1992) 133–145; Johannes Hager Die Vertretung der Aktiengesellschaft ______im Prozeß mit ihren früheren Vorstandsmitgliedern, NJW 1992 352; Häublein Zustellungsrecht – Zustellung ______von „Anwalt zu Anwalt“ nach der Reform, MDR 2002, 563; Hannich/Meyer-Seitz ZPO-Reform 2002 mit Zu______stellungsreformgesetz, München 2002; Heinemann Neubestimmung der prozessualen Schriftform, Köln ______(u.a.) 2002; Hentzen Die förmliche Zustellung – Vorlage der Vollmacht nach § 171 Satz 2 ZPO n.F., MDR ______2003, 361–364; Heß Neues deutsches und europäisches Zustellungsrecht, NJW 2002, 2417–2426; Hohmann ______Die Übermittlung von Schriftstücken in der Zivil, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (1977), Hornung ______Zustellungsreformgesetz, Rpfl. 2002, 493–503; Kremer Reform des Verwaltungszustellungsrechts, NJW ______2002, 2615–2617; Kondring Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; ______Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung (MünchKomm-ZPO) Band 1 3. Aufl. 2008; Musielak Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 8. Aufl. 2011; Münzberg Zum Anwendungsbereich des § 176 ZPO im Hin______ blick auf die Zwangsvollstreckung, DGVZ 2000, 177–181; Niemeyer Folgen unwirksamer Titelzustellung an ______Prozeßunfähige, NJW 1976, 742; Nordmeier Die Bedeutung des anwendbaren Rechts für die Rückwirkung ______der Zustellung nach § 167 ZPO, ZZP 124 (2011) 95–121; Piller/Hermann Justizverwaltungsvorschriften, Stand ______66. EL; Reichert Der Zugangsnachweis beim Einwurf-Einschreiben, NJW 2001, 2523–2524; Prütting/Gehrlein ______ZPO Kommentar, 3. Aufl. 2011; Rohe Zur Neuorientierung des Zustellungsrechts, in: Greger/Gleußner/ ______Heinemann (Hrsg.), FS Vollkommer (2006) 291; Rosenberg Stellvertretung im Prozeß 1905; Rosenberg/ ______Schwab/Gottwald Zivilprozeßrecht, 16. Aufl. 2004; Saenger Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2009; Schack ______Internationales Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2002; Schilken Überlegungen zu einer Reform des Zustel______lungsrechts, DGVZ 1995, 161–166; Schmitz Fiktive Auslandszustellung, 1980; Schneider Über gekrümmte ______ ______80 BGH NJW 1985, 1782; BGH NJW-RR 2008, 804. ______81 BGH NJW 1985, 1782; BGH NJW-RR 2008, 804.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Linien, Bogen, Striche, Haken und Unterschriften, NJW 1998, 1844–1846; E. Schumann Die Relativität des ____Begriffs der Rechtshängigkeit, in: Prütting/Rüssmann (Hrsg.) FS Lüke zum 70. Geburtstag (1997) 767–791; ____E. Schumann Der Vorsteher einer Postanstalt als Zustellungsbevollmächtigter wider Willen, NJW 1969, ____2185; Schütze Zur Zustellung nach § 176 ZPO im einstweiligen Verfügungsverfahren, BB 1978, 589; Schwartz ____Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs durch einzelne Vorschriften der Zivilprozeßordnung (1977); Stein-Jonas ZPO, 22. Aufl. 2005, Bd. 3, 128–252; Strasser Die Inlandszustellung an Aus____landsgesellschaften, ZIP 2008, 2111; Thomas/Putzo ZPO, 33. Aufl. 2012; Tielmann Die Zustellung der ak____tienrechtlichen Anfechtungsklage nach dem Zustellungsreformgesetz, ZIP 2002, 1879–1884; Vollkommer ____Verjährungsunterbrechung und „Bezeichnung“ des Anspruchs im Mahnbescheid, in: Prütting/Rüssmann ____(Hrsg.), FS Lüke (1997) 865–895; Vollkommer Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, München 1973; ____Vollkommer Formzwang und Formzweck im Prozeßrecht, FS Hagen (1999) 49–72; Wunsch Zustellungsre____formgesetz – Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zustellwesens, JuS 2003, 276–281; Zimmermann ____Zivilprozessordnung, 8. Aufl. 2008; Zöller ZPO, 29. Aufl. 2012. Vgl. auch die Hinweise Vor § 183. ____ Vor §§ 166 ff. Rohe ____ Übersicht ____ II. Systematik, Rechtsmissbrauch ____ 10 I. Sinn und Zweck der Vorschriften über die ____ III. Zustellungsmängel ____ 13 Zustellung ____ IV. Inländische und grenzüberschreitende Zu1. Beteiligte Interessen und ihre Umset____ stellung ____ 19 zung ____ 1 ____ 2. Verfahrensvorgänge ohne ZustellungsV. Wirkung der Zustellung ____ 21 ____ erfordernis ____ 5 VI. Übergangsvorschriften ____ 23 ____ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ____ I. Sinn und Zweck der Vorschriften über die Zustellung ____ ____ 1. Beteiligte Interessen und ihre Umsetzung. Die Zustellung bildet die Grundlage 1 ____für die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens, seinen Fortgang und die Bestandskraft ____der verfahrensbeendenden Entscheidung.1 Das Zustellungsrecht muss vorrangig einen ____Ausgleich der Beteiligteninteressen bewältigen: Die Interessen des an der Zustellung ____Interessierten an wirksamem Rechtsschutz in angemessener Zeit (Justizgewährungs____anspruch; vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) sind ebenso zu wahren wie das Recht des Zustellungs____gegners auf rechtliches Gehör2 (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. auch § 328 Abs. 1 Nr. 2) und auf ____ein faires Verfahren.3 Der Adressat (zum Begriff § 166 Rdn. 10 f.) muss deshalb angemes____sene Gelegenheit haben, vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis zu neh____men4 (zum Erfordernis der Bekanntgabe vgl. § 166 Rdn. 45 f.). Werden dritte Personen ____(z.B. Vertreter gemäß § 171) in den Zustellungsvorgang eingeschaltet, kommen hinsicht____lich ihrer Legitimation auch Aspekte des Vertrauensschutzes zum tragen.5 Mit alledem ____wird zugleich Rechtssicherheit als wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 ____Abs. 3 GG) angestrebt.6 Die Vorschriften über die Zustellung sind also kein Selbstzweck.7 ____Sie sind stets im Lichte der eben genannten Interessen auszulegen. ____ ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13. ____2 BVerfGE 67, 208, 211 = NJW 1984, 2567, 2568; BVerfG NJW 1988, 2361 m.w.N.; BVerfG NJW 1992, 224, 225; BayVerfGH NJW 1994, 2280, 2281; BGH NJW 1978, 1858; BGHZ 111, 1, 6 f. = NJW 1990, 1666; BGHZ 118, ____45 = NJW 1992, 2280 f.; BGH FamRZ 1992, 1056, 1057; BGH NJW 2001, 1946, 1947; BGH WM 2003, 653, 654 = ____NJW 2003, 1530; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496; Schwartz, 64; Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; vgl. auch ____OLG Jena NJW-RR 2011, 1694, 1695. ____3 Vgl. nur BVerfG NJW-RR 2010, 421 m.w.N. 4 BGH NJW 1978, 1058, 1059; BGH Rpfl. 2003, 138, 139 = NJW-RR 2003, 208. ____5 BGH VersR 1986, 993, 994 und BGHZ 118, 312, 322 zum Prozessbevollmächtigten i.S.v. § 176 a.F. ____6 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13 unter A.I. ____7 Vgl. nur BGH NJW 1984, 926, 927.

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Vor §§ 166 ff.

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ 2 Das Zustellungsrecht wurde mit dem Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustel____lungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001,8 ____in Kraft seit 1.7.2002 (zum Übergangsrecht vgl. Rdn. 23 f.), grundlegend neu geregelt. ____Spätere kleinere Änderungen betreffen die §§ 174, 183, 184, 185, 187 und 194. Die vorheri____gen wichtigen Novellen – zuletzt die Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 mit Wirkung ____vom 1.7.1977 – hatten mit dem weitgehenden Übergang zum Amtsbetrieb, gewissen Er____leichterungen der Zustellungen an Behörden, Anwälte und andere Organe der Rechts____pflege sowie den erweiterten Möglichkeiten formloser Mitteilung hilfreich gewirkt. Den____noch blieb das Zustellungsrecht bis zur letzten grundlegenden Novelle systematisch seit ____Inkrafttreten der CPO (Civilprozessordnung) zum 1.10.18799 annähernd unverändert und ____damit veraltet, vergleichsweise unübersichtlich und weit umständlicher als seinen Zwe____cken nach erforderlich.10 Hier hat das ZustRG weitgehend Abhilfe geschaffen. Weitere ____punktuelle Änderungen erfolgten durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8. ____2004,11 in Kraft seit 1.9.2004 (Neufassung von § 181), das Anhörungsgesetz vom 9.12. ____2004,12 in Kraft seit 1.1.2005 (Ergänzung in § 172) und das Justizkommunikationsgesetz ____(JKomG) vom 22.3.2005,13 in Kraft seit 1.4.2005 (Änderung der §§ 166, 174, 176, 181, 182, ____186, 187, 189, 190, 193, 195). Mit den Änderungen durch das IKomG wird der Zivilprozess ____für eine elektronische Aktenbearbeitung geöffnet.14 ____ 3 Ein Überblick über die wesentlichen Änderungen gegenüber der vorherigen Rechts____lage findet sich in der Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13–15 mit an____schließender Begründung zu den einzelnen Vorschriften. Die inhaltlich überholte Sys____tematik wurde mit der Umstellung von der praktisch wenig bedeutsamen Zustellung im ____Parteibetrieb auf die Zustellung im Amtsbetrieb als Regelfall (§ 166 Abs. 2) den Gegeben____heiten angepasst. Die möglichen Zustellungswege wurden um unaufwendige und dem ____technischen Fortschritt angepasste Verfahren ergänzt. Umständliche und fehleranfällige ____Formvorschriften wurden auf das notwendige Maß zurückgeführt. Der Kreis der Perso____nen, die am Zustellvorgang beteiligt werden können, wurde gemäß den gewandelten ____sozialen Realitäten neu bestimmt, auch wurden die Folgen der Poststrukturreform be____rücksichtigt. Einige praktisch bedeutungslose Vorschriften wurden gestrichen. Die Mög____lichkeit der Heilung von Zustellungsmängeln wurde wesentlich erweitert. Die Regelung ____des § 270 Abs. 3 a.F. über die Fristwahrung durch Zustellung wurde mit § 167 in das Zu____stellungsrecht integriert. Auf die Stellungnahme des Bundesrates hin15 wurde ein erheb____licher Teil der vorgeschlagenen Modifikationen (zu §§ 168, 169, 173, 174, 176, 181 und 182 ____n.F.) in das nun geltende Recht übernommen.16 Auf Einzelheiten auch zu späteren Ände____rungen wird bei der Kommentierung der jeweiligen Norm eingegangen. Dabei wurde ____insbesondere beachtet, ob und inwieweit die Neuregelung die zuvor bestehende Regelung ____überhaupt nicht, nur sprachlich oder auch inhaltlich geändert hat. Bei inhaltlichen Än____derungen sind die zuvor veröffentlichten, sich auf das vormalige Recht beziehenden Ent____ ____ ____8 BGBl. I, 1206. ____9 In Helgoland zum 1.4.1891, VO v. 22.3.1891, RGBl. S. 21. ____10 Vgl. nur die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13 und Schilken DGVZ 1995, 161 ff. 11 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz, BGBl. I 2004, 2198. ____12 Gesetz über die Rechenschaft bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ____(Anhörungsrügengesetz), BGBl. I 2004, 3220. ____13 Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz ____(Justizkommunikationsgesetz – IKomG), BGBl. I 2005, 837. 14 Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, vgl. BT(-Drucks.) 15/4067 – ____http://dip. bundestag.de/btd/15/040/1504067.pdf. ____15 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 30–32. ____16 Vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT(-Drucks.) 14/4554, S. 33 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____scheidungen und das einschlägige Schrifttum nur noch eingeschränkt heranzuziehen. ____Dabei ist darauf hinzuweisen, dass einige der nach Inkrafttreten der Novelle noch zum ____alten Recht ergangenen Entscheidungen auch zum novellierten Recht Stellung nehmen. ____ Das ZustRG beinhaltet eine Fülle von Folgeänderungen und Anpassungen in Vor____schriften der ZPO außerhalb des Zustellungsrechts sowie in anderen Gesetzen und Rechts____verordnungen; vgl. hierzu die Aufstellung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26–29. Anders als ____nach vormaligem Recht wird das Zustellungsrecht der ZPO nun auch über Verfahren der ____ordentlichen Gerichtsbarkeit hinaus in vielen anderen Verfahrensordnungen und Geset____zen für entsprechend anwendbar erklärt. Dies sind im Einzelnen nunmehr: Verwaltungs____zustellungsgesetz, Bundesrückerstattungsgesetz, Bundesentschädigungsgesetz, Rechts____pflegergesetz, Bundesrechtsanwaltsordnung, Beurkundungsgesetz, Gesetz betreffend die ____Einführung der Zivilprozessordnung, Verordnung zur Einführung von Vordrucken für ____das Mahnverfahren, Schuldnerverzeichnisverordnung, Kindesunterhalt-Vordruckverord____nung, Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, Strafprozessord____nung, Grundbuchordnung, Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschafts____sachen, Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz, Arbeitsgerichtsgesetz, ____Verordnung zur Einführung von Vordrucken für das arbeitsgerichtliche Mahnverfahren, ____Sozialgerichtsgesetz, Verwaltungsgerichtsordnung, Finanzgerichtsordnung, Gerichtskos____tengesetz, Kostenordnung, Gerichtsvollzieherkostengesetz, Justizbeitreibungsordnung, ____Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Bürgerliches Gesetzbuch, Patentgesetz, ____Markengesetz, Patentanwaltsordnung, Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zu____satzvereinbarungen, Abgabenordnung und das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder____und Jugendhilfe (vgl. Art. 2 ZustRG und Übersicht MüKo-Wenzel § 166 Rdn. 5). Zu Son____dervorschriften vgl. unten Rdn. 19 f. ____ ____ 2. Verfahrensvorgänge ohne Zustellungserfordernis. Nicht jeder verfahrensrele____vante Vorgang bedarf der Zustellung. Das Gericht kann jedoch im Rahmen seines ____pflichtgemäßen Ermessens die Zustellung auch in solchen Fällen anordnen (§ 166 Abs. 2 ____2. Alt.). ____ Eine formlose Mitteilung genügt bei §§ 73 Satz 2 im Hinblick auf den Gegner des ____Streitverkünders, 104 Abs. 1 Satz 3,17 4 2. Hs, 134 Abs. 1, 141 Abs. 2 Satz 2 2. Hs, Ladungen ____(§§ 214 ff.), 226 Abs. 3, 251 a Abs. 2 Satz 3, 270 Abs. 2 mit besonderer Zugangsregel in ____Satz 2, 273 Abs. 4, 329 Abs. 2 Satz 1 (auch im Hinblick auf die Verfügung, durch die der ____Vorsitzende eine Berufungsbegründungsfrist verlängert),18 331 a Satz 2 i.V.m. § 251 a Abs. 2 ____Satz 3, 357 Abs. 2 mit besonderer Zugangsregel in Satz 2, 360 Satz 4, 362 Abs. 2, 364 ____Abs. 4 Satz 1, 365 Satz 2, 370 Abs. 2 Satz 2, 376 Abs. 3, 377 Abs. 1, 386 Abs. 4, 497 Abs. 1, ____695 Satz 1, 696 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1, 733 Abs. 2, 1044 Satz 1, 1047 Abs. 2 und wohl auch bei ____§ 1059 Abs. 3 Satz 3.19 Im Fall des § 105 Abs. 1 Satz 2 erfolgt die formlose Mitteilung mit ____dem Urteil bzw. seinen Ausfertigungen. Die formale Mitteilung kann z.B. auch fern____mündlich oder durch einfache E-Mail erfolgen. 20 ____ Der Haftbefehl im Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung muss ____dem Schuldner bei Verhaftung in beglaubigter Abschrift übergeben werden (§ 909 Abs. 1 ____Satz 2). Der Zustellung bedarf es nicht,21 sie ist jedoch zulässig.22 ____ ____ ____17 Für den Fall, dass dem Festsetzungsantrag nicht entsprochen wird. ____18 BGH FamRZ 1990, 613 m.w.N. 19 BGH NJW 2001, 3787, 3788 lässt dahinstehen. ____20 Vgl. BT(-Drucks.) 15/4067, S. 25 (unter III. 1.e) zum IKomG von 22.3.2005. ____21 Vgl. AG Westerburg DGVZ 2003, 142 zur insoweit vergleichbaren Vorläuferregelung. ____22 LG Ulm NJW 1963, 867.

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____ 8 Manche Verfahrensvorgänge müssen oder dürfen dem Verfahrensgegner überhaupt ____nicht mitgeteilt werden. Dies gilt für den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids oder ____Vollstreckungsbescheids im Hinblick auf den Antragsgegner (vgl. § 702 Abs. 2), für das ____Pfändungsgesuch vor der Pfändung im Hinblick auf den Schuldner (vgl. § 834), für den ____Beschluss, durch den das Arrestgesuch oder der Antrag auf Erlass einer einstweiligen ____Verfügung zurückgewiesen oder vorherige Sicherheitsleistung für erforderlich erklärt ____wird (vgl. § 922 Abs. 3, für die einstweilige Verfügung i.V.m. § 936) und für die Mitteilung ____des Aufgebots an die Nachlassgläubiger (vgl. die Soll-Vorschrift des § 994 Abs. 2 Satz 1 ____ZPO). ____ 9 Besonderheiten gelten schließlich für die Übermittlung von Schriftstücken zwi____schen Gerichten. Bei einer Verweisung gemäß § 281 muss dem (nunmehr) zuständigen ____Gericht eine zu vollstreckende Entscheidung des abgebenden Gerichts gegen einen Ver____fahrensbeteiligten nicht gesondert zugestellt werden, wenn bereits die Akten mit der ____Urschrift übersandt worden waren. Der Zweck der Zustellung, einen urkundlichen Beleg ____über den Zustellvorgang zu schaffen, wird in solchen Fällen mit dem Anbringen eines ____Eingangsstempels auf der Zuleitungsverfügung erfüllt.23 ____ ____ II. Systematik, Rechtsmissbrauch ____ ____ Systematischer Regelfall ist die Zustellung an den Adressaten durch reale Übergabe 10 ____der Sendung bzw. deren sonstige Bekanntgabe i.S.v. § 166 (vgl. § 166 Rdn. 45 f.). Zum ____Schutz des redlichen rechtssuchenden Verkehrs sind jedoch auch Zustellungsfiktionen ____erforderlich. Die sichere Möglichkeit des Adressaten zur Kenntnisnahme kann also durch ____die Interessen des Zustellenden beschränkt werden. Der notwendige Interessenausgleich ____wird dabei mit Hilfe vergleichsweise sehr präzise gefasster Voraussetzungen für die Fik____tionswirkung hergestellt. Eine solche Wirkung tritt ein bei Annahmeverweigerung ____(§ 179), bei Ersatzzustellung in Wohnung, Geschäftsräumen und Einrichtungen (§ 178), ____durch Niederlegung (§ 181) oder bei öffentlicher Zustellung (§§ 185–188). Dabei werden ____feine hierarchische Abstufungen zwischen den einzelnen Arten der Ersatzzustellung ____vorgenommen, welche die Interessen des Adressaten an der Möglichkeit realer Kennt____nisnahme möglichst optimal wahren (vgl. z.B. §§ 178, 180 Satz 1, 181 Abs. 1 sowie die ____strengen Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung). Zu Erweiterungen nach ____Rechtsscheingesichtspunkten oder Treu und Glauben vgl. Rdn. 21, § 178 Rdn. 80 und ____§ 189 Rdn. 34 ff. ____ Die Formalisierung dient Beweiszwecken und der Rechtssicherheit allgemein. Der 11 ____Veranlasser wird in die Lage versetzt, urkundlich Tatsache, Art und Zeit der Bekannt____gabe zu beweisen.24 Der Zustellungsgegner kann die rechtlichen Konsequenzen der Zu____stellung wie etwa den Beginn von Fristläufen oder den Eintritt von Sanktionen genau ____bestimmen. Allerdings hat sich die starke Formalisierung mit der zwingenden Beurkun____dung des Zustellvorgangs nach vormaligem Recht (vgl. § 166 Rdn. 8 und 45 f.) nicht be____währt. Deshalb hält das Gesetz nun unterschiedlich aufwendige Zustellungswege bereit, ____die allerdings auch in unterschiedlichem Maße dem Beweis zugänglich sind. Die Zustel____lungsurkunde als öffentliche Urkunde i.S.v. § 418 wird deshalb auch künftig Bedeutung ____behalten (vgl. § 166 Rdn. 8; § 182 Rdn. 3 und 4 ff.). ____ Die Zustellung dient wie der größte Teil des Zivilverfahrensrechts der Durchsetzung 12 ____materieller Rechtspositionen von Rechtssubjekten.25 Soweit die eben skizzierten spezi____ ____23 BayObLGZ 1990, 255, 258 f. ____24 BVerfG 67, 208, 211 = NJW 1984, 2567; BGH NJW 1978, 1058, 1059; BGHZ 118, 45, 47 = NJW 1992, 2280 f. ____25 RGZ 123, 204, 206.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____fischen Interessen bei der Zustellung gewahrt bleiben, ist die Durchsetzung des materiel____len Rechts zu fördern und nicht zu behindern.26 Deshalb führt nicht jede Verletzung von ____Zustellungsvorschriften zur Unwirksamkeit der Zustellung (zu den unterschiedlichen ____Folgen von Zustellungsmängeln vgl. Rdn. 13 ff. sowie die Kommentierung der einzelnen ____Normen). Umgekehrt kann in Fällen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens die Zustellung ____verweigert werden, z.B. bei der unzulässigen Streitverkündung gegenüber dem im sel____ben Verfahren eingeschalteten Sachverständigen.27 Zu Besonderheiten im grenzüber____schreitenden Zustellungsverkehr vgl. Vor § 183, 184 Rdn. 1; § 183 Rdn. 58, Anh. §§ 183, ____184 Rdn. 30 ff. ____ ____ III. Zustellungsmängel ____ ____ Die meisten der Zustellungsvorschriften dienen erkennbar den eben (Rdn. 10 ff.) ____dargelegten Interessen. Soweit Vorschriften sicherstellen sollen, dass der Adressat (zum ____Begriff vgl. § 166 Rdn. 10 f.) die Möglichkeit zur inhaltlichen Kenntnisnahme des zuzu____stellenden Schriftstücks erhält, führen Zustellungsmängel grundsätzlich zur prozes____sualen Unwirksamkeit der Zustellung. Das Beweisinteresse zählt seit der Novelle zum ____1.7.2002 hierzu nicht mehr (vgl. die Komm. zu den einzelnen Normen). Andere Vorschrif____ten sollen ebenfalls die ordnungsgemäße Zustellung fördern, sind aber bei der Durchset____zung der verfolgten Interessen verzichtbar oder in ihrem Ziel auf anderem Wege zu errei____chen. Beispiele hierfür sind der unterlassene Zustellungsnachweis für den Adressaten ____nach §§ 193 Abs. 3 oder 195 Abs. 2 (vgl. § 193 Rdn. 10; § 195 Rdn. 32 ff.). Mängel hierbei ____können den Beweiswert der Zustellungsbeurkundung beeinträchtigen und Fristenläufe ____beeinflussen, müssen aber nicht die Zustellung schlechthin unwirksam machen. Gene____rell gilt, dass die wirksame Zustellung vom Zustellenden nachgewiesen werden muss. ____Verbleiben Zweifel, so kann nicht von einer wirksamen Zustellung ausgegangen wer____den.28 Zu Heilungsmöglichkeiten vgl. §§ 189, 295. ____ Insgesamt erscheint es wenig hilfreich, die Zustellungsvorschriften abstrakt in sol____che mit größerer oder minderer Bedeutung aufzuteilen. Weiterführend ist alleine die ____Frage nach den Rechtsfolgen, wenn eine Vorschrift nicht oder nicht hinreichend be____achtet worden ist. Die Antwort hierauf ist in Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift ____vor dem Hintergrund der von ihr geschützten Interessen zu suchen. Solche Folgen kön____nen Unwirksamkeit oder Wirksamkeit der Zustellung schlechthin sein; dazwischen an____gesiedelt ist die Minderung der Beweiskraft von Zustellungsdokumenten (vgl. z.B. §§ 174 ____Rdn. 16, 182 Rdn. 3 und 4 ff., 195 Rdn. 32 ff.). ____ Andererseits kann Kenntnis des Mitgeteilten ohne wirksame Zustellung nicht ____generell von Bedeutung sein: Eine generelle Berücksichtigung widerspräche den in ____Rdn. 1 ff. genannten Beweis-, Rechtssicherheits- und Effizienzinteressen. Dennoch be____rücksichtigt das Gesetz in verschiedenen Vorschriften, dass die Zustellung primär der ____Durchsetzung bzw. Verteidigung materieller Rechtspositionen dient. Nach praktisch weit____reichenden Ausnahmen ist eine Vielzahl von Zustellungsmängeln unbeachtlich oder ____heilbar. ____ Jedenfalls unschädlich sind bloße Mängel oder Unklarheiten bei der Beurkundung ____einer ansonsten formgemäßen Zustellung, soweit diese Mängel die Beweiskraft der Zu____stellungsformalitäten nicht beeinträchtigen (z.B. falsche Angaben über den Grund der ____ ____ ____26 RGZ 123, 204, 206. ____27 BGH NJW 2006, 3214 f. ____28 OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496.

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____Ersatzzustellung; 29 falsches Datum bei erweislich ordnungsgemäß erfolgter Zustel____lung),30 oder soweit Unklarheiten (z.B. die Verwechslung von „Kläger“ und „Beklagter“ ____bei Zustellung „im Auftrag des Klägers“ an den Kläger)31 unschwer zu durchschauen ____sind. Bloße äußere Mängel schaden deshalb nicht,32 wenn dadurch keine Verwirrung ____beim Adressaten entsteht. Unschädlich für die Wirksamkeit der Zustellung können auch ____eine nicht den Vorschriften entsprechende Herstellung der Zustellungsurkunde (vgl. ____§ 182 Rdn. 40 f., § 193 Rdn. 9) oder eine irrtümliche Hinzufügung nicht notwendiger An____gaben sein, sofern sie den Adressaten nicht verwirren.33 Daneben kann die Verletzung ____solcher Vorschriften, die nur die Interessen des die Zustellung Betreibenden wahren sol____len, nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führen. Schließlich sind manche Vorschrif____ten der ZPO als bloße Soll-Vorschriften ausgestaltet, deren Verletzung nicht zur Unwirk____samkeit führen kann. Zu Einzelheiten vgl. die Kommentierung der jeweils einschlägigen ____Normen. ____ Daneben sind Mängel, die zur Unwirksamkeit der Zustellung führen, in erheblichem 17 ____Umfang der Heilung34 zugänglich. Wichtigste Norm ist die mit der Novelle von 2002 er____weiterte Heilungsvorschrift des § 189. Zur Frage, inwieweit darüber hinaus der auch im ____Prozessrecht grds. anwendbare Grundsatz von Treu und Glauben eingreifen kann, vgl. ____§ 189 Rdn. 34 f. Hinzu tritt die Möglichkeit, eine Heilung durch Rügeverzicht (§ 295) im ____Rahmen bestehender Verfügungsmacht35 zu bewirken. So kann im Wege des § 295 auf ____förmliche Zustellung schlechthin verzichtet werden.36 Allerdings tritt Heilung durch Rü____geverzicht oder rügeloses Einlassen nicht ein, soweit Vorschriften betroffen sind, die der ____Parteidisposition entzogen sind.37 Dasselbe gilt für entsprechende Willenserklärungen ____des Adressaten betreffend die Zustellungsmodalitäten.38 Zu Einzelheiten vgl. die Kom____mentierung des § 189. ____ 18 Niemandem dienliche Formalismen werden also in erheblichem Umfang vermieden. ____Eine ganze Reihe von Mitteilungen kann zudem ohnehin formlos erfolgen (vgl. oben ____Rdn. 6). Die vom Gesetz vorgegebene Systematik der Einzelfallregelung versperrt jedoch ____den Weg zu einer generalklauselartigen Nichtbeachtung geringfügigerer Zustellungs____mängel. ____ ____ IV. Inländische und grenzüberschreitende Zustellung ____ ____ Zwischen inländischer und grenzüberschreitender Zustellung ist zu unterscheiden 19 ____(zur inländischen Zustellung an NATO-Truppenangehörige vgl. das Zusatzabkommen ____zum NATO-Truppenstatut § 166 Rdn. 58 ff.). Die Zustellung im Amtsbetrieb ist ein Ho____heitsakt; auch die Zustellung im Parteibetrieb entfaltet Wirkungen, welche die Souverä____nität anderer Staaten berühren können. Im grenzüberschreitenden Bereich bedarf es ____daher grundsätzlich des Einvernehmens der beteiligten Staaten im Hinblick auf die er____ ____ ____29 RGZ 109, 265, 267 f.; 124, 22, 27; BayObLG FPR 2002, 159. ____30 OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1976, 310 f.; Stein/Jonas/Roth § 182 Rdn. 12; a.A. OLG Hamm NJW 1975, 2209 ____LS m. abl. Anm. Schulte ebenda. 31 BGH ZZP 67 (1954), 59, 60 f. ____32 RG LZ 1932, 680 Nr. 25. ____33 RG JW 1899, 37 Nr. 26. ____34 Hierzu Kondring, 48 ff., 54 ff. ____35 BGHZ 23, 172, 175 = NJW 1957, 713, 714; BGHZ 25, 66, 72 ff. = NJW 1957, 1517; BGH NJW 1960, 820; BGH NJW 1960, 1947; BGH NJW 1984, 926; BGH NJW 1992, 2099, 2100. ____36 OLG Zweibrücken NJW-RR 1998, 429; Zöller/Greger § 253 Rdn. 26 a, § 295 Rdn. 6. ____37 BGH NJW 1952, 934, 935; BGH NJW 1994, 2295, 2296 zu Notfristen; Zöller/Greger § 253 Rdn. 26 a. ____38 BGH NJW-RR 1993, 1083 m.w.N.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____strebten Wirkungen der Zustellung. Damit sind auch besondere Formalien verbunden ____(zu alledem vgl. §§ 183 f.). Andererseits soll die grenzüberschreitende Zustellung in der____selben Weise wie die inländische der Rechtswahrung zugunsten der Beteiligten dienen. ____Eine Überspannung der Formalien würde dem entgegenstehen. Andererseits ist zu be____rücksichtigen, dass die Beteiligten in der Regel leichtere Erkenntnismöglichkeiten im ____Hinblick auf die Verfahrensvorschriften haben, die an ihrem Wohnsitz gelten. Insofern ____besteht ein Schutzbedürfnis im Hinblick auf nicht erkennbare oder hinnehmbare Wir____kungen ausländischer Verfahrensvorschriften im Rahmen der Zustellung (Anhang zu ____§§ 183, 184 Rdn. 30 f.).39 ____ Die grenzüberschreitende Zustellung wird in internationalen Abkommen (vgl. ____§ 166 Rdn. 57 ff.) und in §§ 183, 184 geregelt. Für die inländische länder- oder gerichtsbe____zirksübergreifende Zustellung gelten §§ 160, 161 GVG. ____ ____ V. Wirkung der Zustellung ____ ____ Sind die Vorschriften über die reale oder fiktive Zustellung (vgl. Rdn. 10 ff.) eingehal____ten, so treten die angeordneten Rechtswirkungen (v.a. Beginn von Fristläufen; Verkün____dungsersatz; Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung;40 Pfändungswirkung; Hemmung der ____Verjährung, vgl. § 204 Abs. 1 BGB)41 unabhängig davon ein, ob der Adressat das zuge____stellte Schriftstück zur Kenntnis genommen hat oder nicht. Mit anderen Worten kann ____sich der Adressat grundsätzlich nicht auf Unkenntnis trotz wirksamer Zustellung berufen ____(allg.M.). Dies gilt auch für Fälle, in denen eine dem Adressaten unter Rechtsscheinge____sichtspunkten oder nach Treu und Glauben zuzurechnende Namensverwechslung zur ____Zustellung an den anderen Namensträger führt: Die Zustellung an diesen ist dann im ____Verhältnis zum wirklichen Adressaten wirksam.42 Allerdings entfällt die Pflicht zur Zu____stellung unter Berufung auf deren arglistige Verhinderung nicht schon deshalb, weil der ____Empfänger es versäumt hat, eine neue Anschrift mitzuteilen bzw. einen Nachsendean____trag zu stellen: Hieraus kann noch nicht alleine der Schluss gezogen werden, die Zustel____lung solle dadurch vereitelt werden. Reine Nachlässigkeit reicht nicht aus, um derartige ____prozessuale Sanktionen auszulösen.43 ____ Allerdings ist eine Berufung auf Unkenntnis nach Maßgabe anderer Vorschriften ____möglich; unverschuldete Unkenntnis ist z.B. ein Grund für die Wiedereinsetzung in den ____vorigen Stand gemäß § 233. ____ ____ VI. Übergangsvorschriften ____ ____ Gemäß Art. 4 ZustRG trat die Neuregelung am ersten Tag des dreizehnten auf die ____Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft, also am 1.7.2002. Überleitungsvor____schriften hat der Gesetzgeber angesichts der langen Zeitspanne zwischen Verkündung ____und Inkrafttreten nicht vorgesehen. Demnach gilt für alle Zustellungsakte, die ab 1.7. ____2002 0.00 Uhr vorgenommen wurden, das neue Zustellungsrecht.44 Die gegenüber der ____vorherigen Rechtslage erweiterten Heilungsmöglichkeiten nach § 189 n.F. sind auf Vor____ ____ ____39 Vgl. BVerfG NJW 2003, 2598–2600 = BVerfGE 108, 238–250 zu exorbitanten US-Klagen. ____40 Vgl. zur notwendigen Zustellung der Vollstreckungsklausel OLG Schleswig NJW-RR 1988, 700. ____41 Vgl. BGHZ 104, 268, 273 ff.; BGH NJW 1995, 2230, 2231 (zu § 209 BGB a.F.). 42 LG Marburg VersR 1993, 1424 für konzernmäßig verbundene Versicherungsunternehmen ____gleichartigen Namens unter gleicher Adresse. ____43 BGH NJW-RR 2011, 233. ____44 So auch MünchKomm-ZPO/Häublein § 166 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege Vor § 166 n.F. Rdn. 1.

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____gänge, die vor Inkrafttreten des ZustRG am 1.7.2002 abgeschlossen waren, nicht anzu____wenden, auch dann nicht, wenn erst danach über sie gerichtlich entschieden wird.45 ____ Soweit die Neuregelung keine inhaltlichen Änderungen mit sich gebracht hat (vgl. 24 ____hierzu jeweils die Einführung zu den einzelnen Normen), ist die hier vorgelegte Kom____mentierung auch für den zuvor geltenden Rechtszustand nutzbar. Von einer Kommentie____rung inhaltlich geänderter oder aufgehobener Vorschriften des vormaligen Rechts wurde ____hier abgesehen; vgl. insoweit die 2. Auflage. ____ ____ ____ Untertitel I ____ Zustellungen von Amts wegen ____ ____ § 166 ____ Zustellung ____ § 166 Rohe ____ (1) Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in ____diesem Titel bestimmten Form. ____ (2) Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ____ist, sind von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht anderes bestimmt ist. ____ ____ Übersicht ____ 1 (2) Funktion der Ausferti____I. Einführung gung und Folgen von ____II. Begriff der Zustellung (Abs. 1) und formlose MitteiMängeln ____ 24 ____ 1. Zustellung ____ lung 5 cc) Zustellung beglaubigter Ab____ 2. Zusteller; Zustellungsadressat und schriften ____ 40 ____ ____ Zustellungsempfänger 9 c) Zustellung an mehrere Adressa____ 3. Das zuzustellende Dokuten ____ 44 ____ ____ ment 16 4. Die Bekanntgabe ____ 45 ____ a) Allgemeines ____ 16 III. Zustellungsverfahren (Abs. 2) ____ b) Das zuzustellende Doku1. Systematik ____ 47 ment ____ 18 2. Die Zustellung von Amts wegen ____ 52 ____ ____ aa) Die Urschrift 19 3. Sondervorschriften ____ 54 ____ bb) Zustellung von Ausfertiguna) Zustellungen in der Bundes____ gen ____ 23 wehr ____ 54 ____ (1) Fälle der Zustellung von b) Inländische Zustellung an NATO____ Ausfertigungen ____ 23 Truppenangehörige ____ 57 ____ ____ ____ ____ I. Einführung ____ Die Norm regelt wesentliche Grundlagen des Zustellungsrechts (zu seinen grundle1 ____genden Zwecken vgl. Vor § 166 Rdn. 1). ____ Abs. 1 enthält eine Legaldefinition der Zustellung und grenzt diese damit gegen2 ____über bloßen formlosen Mitteilungen ab (vgl. sogleich Rdn. 7; Vor § 166 Rdn. 6). Die in ____Abs. 1 erwähnte Form ergibt sich aus den jeweiligen Regelungen für die unterschiedli____chen Zustellungsarten (vgl. die Übersicht Vor § 166 Rdn. 5 f. sowie die Einzelregelungen ____in §§ 168 ff.). Der Gesetzgeber hat bei der Novelle von 2002 bewusst von allgemeinen Vor____ ____ ____45 BGH NJW 2003, 1192, 1193; OLG Hamburg v. 27.6.2003 (Az 2 Ws 174/03) juris Rechtsprechung ____Nr. KORE 403122003.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____schriften darüber abgesehen, welche Schriftstücke in welchen Fällen zuzustellen sind. ____Dies wird vielmehr im Zusammenhang mit den jeweiligen Verfahrensvorschriften und in ____einzelnen materiell-rechtlichen Vorschriften geregelt.1 Die Zustellung wird etwa in §§ 73 ____Satz 2, 253 Abs. 1 i.V.m. §§ 270 f. und in §§ 269 Abs. 2 Satz 3, 310 Abs. 3, 317 Abs. 1 Satz 1, ____329 Abs. 2 Satz 2, 329 Abs. 3, 521 Abs. 1, 550 Abs. 2, 551 Abs. 4 sowie in § 554 Abs. 3 Satz 2 ____angeordnet. ____ Abs. 2 formuliert seit der Neuregelung des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 den ____Grundsatz der Zustellung im Amtsbetrieb, der faktisch bereits vor der Neuregelung ____galt. Inhaltliche Änderungen sind damit nicht verbunden. ____ Zu Fragen der grenzüberschreitenden Zustellung vgl. Vor §§ 183, 184 ff. ____ ____ II. Begriff der Zustellung (Abs. 1) ____ ____ 1. Zustellung und formlose Mitteilung. § 166 Abs. 1 enthält eine Legaldefinition ____der Zustellung, deren Tatbestandsmerkmale teilweise von anderen Normen des Zustel____lungsrechts präzisiert werden. Zustellung im Sinne der §§ 166 ff. ist die vom Zustellenden ____gewollte2 und real oder in den gesetzlich bestimmten Fällen fiktiv bewirkte Bekanntga____be eines Dokuments in gesetzlich bestimmter Form. Sie soll dem Zustellungsgegner ____eine formal abgesicherte Gelegenheit geben, sich zur Einrichtung seiner Rechtsverfol____gung und -verteidigung in angemessener Weise Kenntnis vom Inhalt des übermittelten ____Dokuments zu verschaffen (vgl. hierzu Vor § 166 Rdn. 1). Die Abkehr von der zuvor gän____gigen Definition3 erklärt sich v.a. daraus, dass nunmehr die Beurkundung der Zustellung ____nicht mehr zu deren Wirksamkeitsvoraussetzungen (konstitutiven Bestandteilen) zählt ____(vgl. Rdn. 8).4 ____ Der Gesetzgeber hat an die Stelle der zuvor notwendigen „Übergabe“ des Doku____ments nun seine „Bekanntgabe“ gesetzt. Nur so wird der erwünschte unaufwendige ____Einsatz moderner Massenkommunikationsmittel möglich, bei denen eine „Übergabe“ im ____engeren Wortsinn (unter gleichzeitiger Anwesenheit zweier Personen mit gegenständ____licher Aushändigung des zuzustellenden Schriftstücks) nicht erfolgt (vgl. unten ____Rdn. 46 f.). ____ Den Gegensatz zur Zustellung bildet die formlose Mitteilung, z.B. durch mündli____che Benachrichtigung oder Einwurf eines einfachen Briefs in den Briefkasten5 (vgl. dazu ____die Komm. bei den einzelnen Normen). Sie ist in den §§ 73 Satz 2 im Hinblick auf den ____Gegner des Streitverkünders, 104 Abs. 1 Satz 3,6 4 2. Hs, 134 Abs. 1, 141 Abs. 2 Satz 2 2. Hs, ____Ladungen (§§ 214 ff.), 226 Abs. 3, 251 a Abs. 2 Satz 3, 270 Abs. 2 mit besonderer Zugangsre____gel in Satz 2, 273 Abs. 4, 329 Abs. 2 Satz 1 (auch im Hinblick auf die Verfügung, durch die ____der Vorsitzende eine Berufungsbegründungsfrist verlängert),7 331 a Satz 2 i.V.m. § 251 a ____Abs. 2 Satz 3, 357 Abs. 2 mit besonderer Zugangsregel in Satz 2, 360 Satz 4, 362 Abs. 2, ____364 Abs. 4 Satz 1, 365 Satz 2, 370 Abs. 2 Satz 2, 376 Abs. 3, 377 Abs. 1, 386 Abs. 4, 497 ____Abs. 1, 695 Satz 1, 696 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1, 733 Abs. 2, 1044 Satz 1, 1047 Abs. 2 und wohl ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15. 2 HM, vgl. hier nur BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH FamRZ 1989, 494; BGH NJW 1994, 2297 ____sowie die Nachweise zum Zustellungswillen in § 168 Rdn. 5 ff., § 174 Rdn. 15 f. und § 195 Rdn. 18. ____3 Eine zuvor geläufige Definition lautete „Zustellung ist der in gesetzlicher Form zu bewirkende und zu ____beurkundende Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks ____verschafft wird“, BGH NJW 1978, 1858. 4 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15. ____5 RGZ 6, 341 ff.; RG JW 1903, 176 Nr. 11. ____6 Für den Fall, dass dem Festsetzungsantrag nicht entsprochen wird. ____7 BGH FamRZ 1990, 613 m.w.N.

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____auch bei § 1059 Abs. 3 Satz 38 vorgesehen; im Fall des § 105 Abs. 1 Satz 2 erfolgt die form____lose Mitteilung mit dem Urteil bzw. seinen Ausfertigungen. Die formlose Mitteilung kann ____zwar materiell-rechtliche Wirkung entfalten (z.B. Kündigung), sie bleibt aber, soweit es ____einer Zustellung bedarf (zu anderen Fällen vgl. Rdn. 16 und 18 ff.) prozessual wirkungslos, ____soweit keine Heilung eintritt9 (vgl. Rdn. 12 f. und Vor § 166 Rdn. 17 f.; § 189). ____ Die Novelle zum 1.7.2002 hat die seit langer Zeit geforderten Vereinfachungen des 8 ____zuvor unnötig komplizierten Zustellungsverfahrens bewirkt. Sie hat als eine der wesent____lichsten Änderungen gegenüber der vorherigen Rechtslage darauf verzichtet, an der ____(ordnungsgemäßen) Beurkundung des Zustellungsvorgangs als Wirksamkeitsvorausset____zung10 für die Zustellung festzuhalten (vgl. auch § 182 Rdn. 2).11 Die Beurkundung ist ____weiterhin in vielen einzelnen Ausführungsregelungen vorgeschrieben. Sie dient jedoch ____nur noch dem Beweisinteresse (v.a. des Betreibenden; vgl. insbesondere zur Zustel____lungsurkunde als öffentlicher Urkunde § 182 Rdn. 4 ff.). Im Übrigen können nun unauf____wendige Massenkommunikationsmittel zu Zustellungszwecken genutzt werden (vgl. ins____bes. §§ 174, 175, 180). Die Novelle hat dabei nicht nur den technischen Fortschritt in der ____EDV-gestützten Kommunikation berücksichtigt, sondern auch der Poststrukturreform ____Rechnung getragen.12 ____ ____ 9 2. Zusteller; Zustellungsadressat und Zustellungsempfänger. Zusteller ist dieje____nige Person, welche die Zustellung tatsächlich ausführt. Dies ist bei Zustellung im Amts____betrieb der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (vgl. § 168 Abs. 1) bzw. der Gerichtsvoll____zieher (§ 168 Abs. 2), bei der Zustellung im Parteibetrieb der Gerichtsvollzieher (§ 192 ____Abs. 1). In beiden Fällen können andere Personen durch den grds. zuständigen Urkunds____beamten bzw. den Gerichtsvollzieher eingeschaltet werden (Postbedienstete; Justizbe____dienstete; vgl. §§ 168 Abs. 1 Satz 2; 192 Abs. 1, 194). ____ § 166 Abs. 1 bildet die Grundnorm im Hinblick auf die Person dessen, an den zuge10 ____stellt wird; sie geht davon aus, dass grundsätzlich das zuzustellende Dokument dem ____Adressaten zu übergeben ist.13 Die Zustellung ist beim Adressaten zu bewirken, jedoch ____nicht notwendig unter seiner direkten Beteiligung; § 182 Abs. 2 unterscheidet insoweit ____nach der Person, an die zugestellt werden soll (§ 182 Abs. 2 Nr. 1) – Adressat – und der ____Person, der tatsächlich zugestellt ist (§ 182 Abs. 2 Nr. 2) – Empfänger. ____ Innerhalb des Kreises der Adressaten lässt sich zum besseren Verständnis zwischen 11 ____gesetzlichen und gewillkürten Vertretern als „formellen“ Adressaten im Sinne des Zu____stellungsrechts und dem Vertretenen als „materiellen“ Adressaten unterscheiden (vgl. ____Vor § 170 Rdn. 2 ff.). Für die Zustellung an Anwälte und andere als besonders zuverlässig ____angesehene Personen bzw. von Anwalt zu Anwalt vgl. §§ 174; 195. ____ 12 Im Hinblick auf Mängel des zuzustellenden Dokuments (vgl. Rdn. 24 ff.) bei der Ad____ressierung kann der jeweils gewählte Gang der Zustellung zu unterschiedlichen Ergeb____nissen führen. Maßgeblich ist die Wahrung des Interesses des Adressaten an der ange____messenen Möglichkeit, das Dokument zur Kenntnis nehmen zu können (vgl. Vor § 166 ____Rdn. 1). So können Ungenauigkeiten bei der Wiedergabe von Name und Adresse des Ad____ressaten unschädlich sein, wenn seine Identität unzweifelhaft feststeht und das Schrift____ ____8 BGH NJW 2001, 3787, 3788 lässt dahinstehen. ____9 Z.B. OLG Hamm NJW-RR 1994, 63 zur formlosen Übermittlung einer Abschrift der Klageschrift. ____10 Vgl. zum vormaligen Recht BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 8, 314, 316; BGH NJW 1963, 1779; BGH NJW ____1978, 1858 f.; BGHZ 118, 45, 47 = NJW 1992, 2280, 2281; BVerwG DGVZ 1984, 149, 150; BFH NVwZ 1989, 694, 695 = DB 1988, 1935, 1936. ____11 So explizit die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15 zu Abs. 1. ____12 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13 unter A.I. und II.1. ____13 Vgl. nur BGH NJW 2001, 1946, 1947 m.w.N.

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____stück persönlich zugestellt wird.14 Dagegen führen solche Ungenauigkeiten zur Unwirk____samkeit der Zustellung, wenn etwa die falsche Namensbezeichnung dazu führt, dass der ____Adressat das gemäß § 181 niedergelegte Schriftstück nicht erhält (vgl. § 181 Rdn. 26 f.).15 ____ Die Adressierung muss den Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift i.S.v. ____§ 253 genügen. Häufig, jedoch nicht zwingend wird die Wohnanschrift des Adressaten ____gewählt werden.16 Bei der förmlichen Zustellung gemäß §§ 176 ff. ist die Grundregel des ____§ 177 zu beachten, wonach primär an den Adressaten – unabhängig vom Ort, an dem er ____angetroffen wird – zuzustellen ist. Die Angabe der Anschrift muss vornehmlich darauf ____gerichtet sein, dem Adressaten selbst zustellen zu können. Deshalb kann in geeigneten ____Fällen z.B. auch die hinreichend präzise Angabe der Arbeitsstelle (Angabe des Adressa____ten und seiner Arbeitsstätte, u.U. Funktionsangabe und dergleichen) genügen (vgl. auch ____§ 177 Rdn. 5).17 Nicht ausreichend ist die bloße Angabe einer Mobiltelefon-Nummer und ____einer E-Mail-Anschrift.18 ____ Zur Wirksamkeit der Zustellung bei Namensverwechslung vgl. Rdn. 12 und Vor ____§ 166 Rdn. 16. ____ Die Zustellung ist keine selbständige Prozesshandlung; daher bedarf es nicht der ____Postulationsfähigkeit der Beteiligten (vgl. § 170 Rdn. 1).19 ____ ____ 3. Das zuzustellende Dokument ____ ____ a) Allgemeines. Der Gesetzgeber hat bei der Novelle von 2002 bewusst von allge____meinen Vorschriften abgesehen, welche Schriftstücke oder sonstigen Dokumente in ____welchen Fällen zuzustellen sind. Dies wird vielmehr im Zusammenhang mit den jeweili____gen Verfahrensvorschriften geregelt (vgl. Rdn. 2).20 Dasselbe gilt für das zuzustellende ____„Dokument“ (Schriftstück in Urschrift, Ausfertigung oder Abschrift bzw. elektronisches ____Dokument).21 Im Hinblick auf Schriftstücke war sachliche Änderung gegenüber der Re____gelung des § 170 a.F. offenbar nicht beabsichtigt.22 Die konstitutiven Merkmale von Aus____fertigung und Abschrift bleiben also erhalten. Ebenso kann nicht gewollt sein, dass je ____nach einzelnem Regelungszusammenhang unterschiedliche Anforderungen gelten sol____len. Deshalb ist die Rechtsprechung zu § 170 a.F.23 grds. weiterhin maßgeblich. Durch ____das IKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3) werden auch elektronische Dokumente ____i.S.v. §§ 130 a, b der formellen Zustellung zugänglich gemacht. Dadurch soll die mit Rege____lungen wie in § 174 begonnene Modernisierung und Effizienzsteigerung grundlegend ____erweitert werden. Das IKomG hat ohne weitere inhaltliche Begründung in § 166 das vor____herige Tatbestandsmal des „Schriftstücks“ durch „Dokument“ ersetzt.24 Auf die Zustel____lung dieser Dokumente sind die bisherigen Regelungen für Schriftstücke sinngemäß ____zu übertragen. An einigen Stellen – so in § 174 Abs. 2 Satz 1 – hat der Gesetzgeber sich ____ ____ ____14 OLG Celle DGVZ 1984, 25, 26 („Karl-Dieter“ statt richtig „Rolf-Dieter“). ____15 LG Paderborn NJW 1977, 2077 (zum insoweit inhaltsgleichen § 182 a.F.). ____16 BGHZ 145, 354 = NW 2001, 885, 887. ____17 BGHZ 145, 354 = NW 2001, 885, 887 m.w.N.; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1999, 1474, 1477. 18 BSG v. 18.11.2003 (B 1 KR 1/02 S), NV. ____19 OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800 m.w.N. ____20 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15. ____21 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____22 Vergleichbar Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5; Coenen DGVZ 2002, 5. 23 Die Norm lautete wie folgt: ____(1) Die Zustellung besteht, wenn eine Ausfertigung zugestellt werden soll, in deren Übergabe, in den ____übrigen Fällen in der Übergabe einer beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks. (…). ____24 Vgl. die lapidare Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 15/4067, S. 32.

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____bewusst, wenngleich ohne klar erkennbare Linie, dafür entschieden, den Begriff des ____„Schriftstückes“ beizubehalten.25 Regelungstechnisch misslich ist, dass in der Grund____norm des § 166 dieser Begriff nicht mehr enthalten ist. Zur Klarstellung könnte eine Legal____definition erfolgen, z.B. „Schriftstücke und andere Dokumente i.S.v. §§ 130 a, 130 b (Do____kument)“. Dabei sind die vorrangigen Regelungsziele des Zustellungsrechts – Gewähr ____inhaltlicher Richtigkeit und Authentizität der relevanten zu übermittelnden Dokumente ____(Rechtssicherheit) einerseits und Erleichterung der Übermittlung (wirksamer Rechts____schutz in angemessener Zeit) andererseits –26 in Einklang zu bringen. Vgl. im Einzelnen ____§ 174 Abs. 2 und 3; §§ 130 a, 130 b. ____ 17 Eine Sondervorschrift hinsichtlich der Form von Beschlüssen, Verfügungen und ____Ausfertigungen, die in maschineller Bearbeitung erstellt werden, enthält § 703 b Abs. 1 ____(Verzicht auf die Unterschrift). ____ ____ b) Das zuzustellende Schriftstück. Je nach einschlägiger materiell- oder verfah18 ____rensrechtlicher Vorschrift27 kann die Zustellung der Urschrift, einer Ausfertigung oder ____einer Abschrift erforderlich werden. Besteht keine Regelung, so genügt die Zustellung ____einer beglaubigten (vgl. § 169 Abs. 2) Abschrift (vgl. unten Rdn. 40 ff.). Sie kann in jedem ____Falle durch eine Ausfertigung ersetzt werden (vgl. Rdn. 23 ff.). ____ ____ aa) Die Urschrift. Bei der Zustellung im Parteibetrieb setzt § 192 die Übergabe der 19 ____Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks an Gerichtsvollzieher oder die Zustellung ____vermittelnde Geschäftsstelle voraus (vgl. § 192 Rdn. 26). In § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ist ____die Zurücksendung der Urschrift mit verbundener Zustellungsurkunde an die Partei, für ____welche die Zustellung erfolgt, vorgesehen. Diese für die Beweisfunktion des Zustellungs____rechts (vgl. Vor § 166 Rdn. 1) bedeutsame Regelung schließt es aus, an Stelle der Urschrift ____nur eine beglaubigte Abschrift zu verwenden.28 Dies gilt auch für die Zustellung im Voll____streckungsverfahren gemäß § 750 Abs. 2. Neben dem bereits genannten Grund (Siche____rung der Beweisfunktion) spricht dafür der Umstand, dass der Gerichtsvollzieher die Ur____schrift benötigt, um gegebenenfalls erforderliche Abschriften nach § 26 Nr. 2, Nr. 4 GVGA ____herzustellen.29 ____ Die Funktion der Urschrift wird jedoch von der Ausfertigung (zweite Urschrift; vgl. 20 ____Rdn. 23 ff.) übernommen,30 wenn die Urschrift selbst nicht für den Rechtsverkehr be____stimmt ist (vgl. z.B. § 317 für Urteile; § 47 BeurkG).31 Urschriften gerichtlicher Entschei____dungen verbleiben bei den Akten, so dass für den Rechtsverkehr die Ausfertigung von ____vornherein an die Stelle der Urschrift tritt.32 An die Adressaten werden daher je nach ge____setzlicher Anordnung Ausfertigungen oder beglaubigte Abschriften übergeben. ____ 21 Verwechslungen bei der Zustellung sind unschädlich, soweit statt des eigentlich ____zuzustellenden Schriftstücks ein Dokument größerer beweismäßiger Dignität zugestellt ____wird (Urschrift statt Ausfertigung bzw. beglaubigter Abschrift; Ausfertigung statt be____ ____ ____ ____25 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT(-Drucks.) 15/4952, S. 11 und 48 (zu Nr. 52 c). ____26 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 13 unter A.I. ____27 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____28 Vgl. LG Münster DGVZ 1989, 186, 187; Zöller/Stöber § 193 Rdn. 6; Stein/Jonas/Roth § 193 Rdn. 7. ____29 LG Münster DGVZ 1989, 186, 187. 30 BGH NJW 1959, 2117, 2119; BGH NJW 1981, 2345, 2346; BGH FamRZ 1990, 1227; BGH VersR 1994, 1495, ____1496; Zöller/Stöber Rdn. 5. ____31 Dazu ausführlich Vorauflage Anm. A II. ____32 Stein/Jonas/Roth § 192 Rdn. 6; MünchKomm/Häublein § 166 Rdn. 10.

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____glaubigter Abschrift).33 Zur Zustellung von (beglaubigten) Abschriften anstelle von Aus____fertigungen vgl. Rdn. 40 ff. ____ Ordnet ein Gericht für einen Fall des gewerblichen Rechtsschutzes im Entschei- 22 ____dungstenor seiner einstweiligen Verfügung an, dass die Wirksamkeit der Zustellung (vgl. ____§ 922 Abs. 2) die Zustellung bestimmter einzeln aufgeführter Schriftstücke voraus____setzt, so liegt keine Wirksamkeit vor, wenn nicht all diese Schriftstücke mit zugestellt ____werden.34 Diese formale Handhabung ist ein Gebot der erforderlichen Rechtssicherheit. ____Ausnahmsweise tritt die Wirksamkeit auch dann ein, wenn sich die zuzustellenden ____Schriftstücke bereits im Besitz des Schuldners befinden und keine Unsicherheit über ____deren Identität mit den in der Entscheidung genannten Schriftstücke besteht.35 ____ ____ bb) Zustellung von Ausfertigungen ____ ____ (1) Fälle der Zustellung von Ausfertigungen. Die Ausfertigung erfüllt die Funktion 23 ____der Urschrift zuzustellender Dokumente (vgl. soeben Rdn. 21). Für elektronische Doku____mente vgl. die Neuregelungen durch das IKomG (Vor §§ 166 ff. Rdn. 3; oben Rdn. 16) in ____§§ 317, 298 ff. Die Zustellung von Ausfertigungen erfolgt in den gesetzlich dafür vorgese____henen Fällen (vgl. § 317 Abs. 1, 4: Urteil; § 329 Abs. 1, 3: dort genannte Beschlüsse;36 ____§§ 377 Abs. 1, 402: Ladung von Zeugen und Sachverständigen, sofern sie überhaupt zu____gestellt werden soll; § 699 Abs. 4: Vollstreckungsbescheid; §§ 724, 750: vollstreckbare ____Ausfertigung des Urteils; § 794 Abs. 1 Nr. 1: Prozessvergleich; § 794 Abs. 1 Nr. 5, § 47 ____BeurkG: notarielle Urkunde; § 1064 Abs. 1 i.V.m. § 1054 Abs. 4: Schiedsspruch). Explizit ____ordnet das Gesetz nur in §§ 377 und 402 die Zustellung bzw. Übersendung einer Ausferti____gung an. In den übrigen Fällen genügt die Zustellung beglaubigter Abschriften (vgl. ____oben Rdn. 21). Die Vorlage einer solchen genügt nun37 auch in § 1064 Abs. 1 Satz 1, an____ders noch § 1039 Abs. 2 a.F. Zur Handhabung bei Telekopien und elektronischen Doku____menten vgl. § 313 Abs. 3, 4. ____ ____ (2) Funktion der Ausfertigung und Folgen von Mängeln. Die Ausfertigung vertritt 24 ____die bei den Akten verbleibende Urschrift. Eine zum Zweck der Zustellung hergestellte ____Ausfertigung muss deshalb die Urschrift wortgetreu und richtig wiedergeben.38 Hieran ____knüpfen sich strenge Voraussetzungen. Insbesondere bedarf es eines Ausfertigungs____vermerks (zu den Bestandteilen vgl. § 317 Abs. 4). Er verleiht der Ausfertigung die Ei____genschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt, dass die Ausfertigung mit der Ur____schrift des Urteils übereinstimmt.39 Gemäß § 317 Abs. 4 bedarf der Ausfertigungsvermerk ____ ____ ____33 RGZ 15, 411 f.; BGHZ 14, 342, 344 = NJW 1954, 1722, 1723; Stein/Jonas/Roth § 193 Rdn. 8 m.w.N. 34 OLG Nürnberg WRP 1991, 827; wohl auch BGHZ 100, 234 = NJW 1987, 2868; großzügiger OLG Koblenz ____GRUR 1982, 571, 572; OLG Düsseldorf GRUR 1984, 78; OLG Celle WRP 1984, 149, 150; OLG Frankfurt a.M. ____OLGZ 1993, 70. ____35 Vgl. OLG Düsseldorf GRUR 1984, 78; so ohne die letztgenannte Einschränkung OLG Frankfurt a.M. ____OLGZ 1993, 70, 72 zu vorprozessualen Abmahnschreiben. ____36 Bejahend für die vom Gericht dem Gläubiger zu übergebende, durch Beschluss ergangene Unterlassungsverfügung OLG Koblenz WRP 1981, 286, 287 (nicht: für die Zustellung an den Schuldner; hier ____genügt die beglaubigte Abschrift, vgl. nur OLG Koblenz WRP 1980, 643, 644). ____37 Neufassung mit Wirkung vom 1.1.1998 durch das Gesetz zur Neuregelung des ____Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) vom 22.12.1997 (BGBl. I S. 3224). ____38 BGH NJW 1981, 2345, 2346; BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214; BGH VersR 1994, 1495; BGH NJW-RR 2000, 1665, 1666; BGH NJW 2001, 1653, 1654; OLG Hamm OLGZ 1989, 350, 351 = WRP 1989, 262; OLG Köln MDR ____1990, 346; OVG Münster NJW 1992, 1187, 1188; OLG Köln NZI 2000, 480, 484; OLG Nürnberg FamRZ 2004, ____470. ____39 BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868; BGH DtZ 1993, 54, 55; BGH VersR 1993, 1423.

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____der Unterschrift des Urkundsbeamten und des Gerichtssiegels (der Stempel genügt).40 ____In Telekopien müssen die vorgenannten Bestandteile enthalten sein (§ 317 Abs. 5 Satz 2). ____Elektronische Dokumente bedürfen der qualifizierten elektronischen Signatur des Ur____kundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 317 Abs. 5 Satz 3). Weitere Formerfordernisse beste____hen nicht.41 Es muss aber klar sein, dass die Erstellung einer Ausfertigung und nicht ____etwa nur einer Abschrift gewollt ist.42 Die Beifügung einer ordnungsgemäßen Vollstre____ckungsklausel bei der Urteilsabschrift genügt dieser Voraussetzung.43 Zur Erteilung von ____Anfertigungen von Telekopien oder elektronischen Dokumenten vgl. § 317 Abs. 5. ____ Die Ausfertigung dient bestimmungsgemäß als Grundlage der weiteren Entschei25 ____dungen des Adressaten. Deshalb müssen zumindest alle für diese Entscheidungen not____wendige Bestandteile und Inhalte zutreffend und klar erkennbar wiedergegeben ____werden: Der Adressat muss im Interesse der Rechtssicherheit die Gewähr haben, im Be____sitz einer lückenlosen Entscheidungsgrundlage zu sein.44 Die Sicherung der Authentizi____tät ist also kein Selbstzweck; deshalb führen gewichtige äußere und innere Mängel grds. ____zur Unwirksamkeit der Zustellung. Eine gewisse Fehleranfälligkeit ergibt sich neben der ____hohen und eher steigenden Belastung der Justiz bei gleichzeitiger Personalreduzierung ____aus der verbreiteten EDV-gestützten Arbeit mit Textbausteinen,45 so dass an die Wah____rung der Formalien insgesamt ein vergleichsweise strenger Maßstab anzulegen ist. Klei____ne Fehler schaden dagegen nicht, solange der Adressat aus der Ausfertigung den Inhalt ____der Urschrift erkennen kann.46 In jedem Falle ist m.E. danach zu differenzieren, ob Män____gel der Ausfertigung im konkreten Fall den Adressaten belasten oder nicht (vgl. zu den ____Rechtsfolgen von Mängeln nach dieser Differenzierung unten Rdn. 33 ff.). ____ Fehlende Seiten bei der zugestellten Abschrift stellen einen wesentlichen Mangel 26 ____dar, der zur Unwirksamkeit der Zustellung führt47 (vgl. Rdn. 29); dies gilt grds. auch ____schon bei Fehlen einer einzigen Seite.48 Auf die Bedeutung des Inhalts kommt es hierbei ____nicht an: Die notwendig typisierende Betrachtungsweise des Zustellungsrechts verträgt ____sich nicht mit einer Berücksichtigung der individuellen Verständnismöglichkeiten des ____Adressaten.49 Die Zustellung ist ferner dann unwirksam, wenn das übergebene Schrift____stück weithin unleserlich ist, so dass es als Grundlage für weitere Entscheidungen des ____Adressaten nicht dienen kann.50 Hingegen schadet die Unleserlichkeit einzelner Stellen ____nicht.51 Bei einem zuzustellenden Urteil darf der Tenor nicht fehlen oder falsch sein;52 ____das Fehlen eines Tenorteils in der Ausfertigung (Klageabweisung im Übrigen) schadet ____dagegen nicht, solange der Ausgang des Verfahrens ohne weiteres deutlich wird53 (vgl. ____Rdn. 38). Es darf nicht unklar bleiben, ob es sich um ein Versäumnisurteil oder um ein ____ ____ ____40 BGH VersR 1985, 551 m.w.N.; BGH DtZ 1993, 54, 55; KG NJW 1962, 2161. ____41 BGH NJW 1959, 2117, 2119; BGH VersR 1994, 1495, 1496; Zöller/Stöber § 169 Rdn. 15. 42 Vgl. BGH NJW 1959, 2117, 2119. ____43 BGH NJW 1963, 1307, 1309 f. ____44 BGH MDR 1991, 236; vgl. auch BGHZ 113, 228, 231; BGH NJW-RR 2006, 1570, 1571. ____45 Nach Kenntnis des Verfassers wurden z.B. in Massenverfahren schon Urteile zugestellt, deren Inhalt ____nicht zum zwischen den genannten Parteien geführten Rechtsstreit passte. Auch lag dem Verfasser schon ____ein Urteil vor, in dem weite Teile der Urteilsbegründung aus schlecht leserlichen Kopien aus einem Sachverständigengutachten bestanden. ____46 BGH NJW-RR 2000, 1665, 1666 m.w.N. ____47 BGHZ 138, 166 = NJW 1998, 1959, 1960. ____48 BGH ebenda. ____49 BGH ebenda. 50 BayObLGZ 1982, 90, 92. ____51 OLG Naumburg MDR 2000, 601 f. ____52 BGHZ 17, 149; BGH VersR 1967, 754, 755; BGH VersR 1978, 155. ____53 BGHZ 67, 284, 286 ff. = NJW 1977, 297.

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____kontradiktorisches Urteil handelt.54 Schädlich ist auch das Fehlen des Ausspruchs der ____vorläufigen Vollstreckbarkeit.55 Weiterhin muss erkennbar sein, dass ein ordnungsge____mäß verkündetes56 und mit den Unterschriften der an der Entscheidung mitwirkenden ____Richter versehenes Urteil vorliegt.57 Vergleichbares gilt für Prozessvergleiche, bei denen ____die Ausfertigung die Unterschriften des Vorsitzenden oder seiner Vertreter (vgl. § 163 ____Abs. 2) sowie des Urkundsbeamten (vgl. § 163 Abs. 1) dokumentieren muss.58 Der Zweck ____der Zustellung, dem Adressaten vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks sichere ____Kenntnis zu geben, erfordert zudem, dass das Schriftstück in allen wesentlichen Punkten ____mit der Urschrift übereinstimmt59 (zu den Folgen von Mängeln sogleich im Folgen____den). Ungenauigkeiten und Fehler im Übrigen sind der Berichtigung zugänglich und ____machen die Zustellung nicht notwendig unwirksam.60 Ist in der Ausfertigung ein Mangel ____enthalten, der bei Abfassung des Urteils sofort gemäß § 319 hätte berichtigt werden kön____nen, so kann dieser Mangel in der Ausfertigung nicht schwerer wiegen als beim Urteil ____selbst.61 Auch fehlende fettgedruckte Gerichtsbezeichnung und Landeswappen schaden ____nicht.62 ____ Ein fehlender Ausfertigungsvermerk führt zur Unwirksamkeit der Zustellung.63 27 ____Dasselbe gilt, wenn sich aus der zugestellten Urteilsausfertigung selbst ergibt,64 dass der ____Ausfertigungsvermerk vor Verkündung des Urteils angebracht wurde65 (Verstoß gegen ____§ 317 Abs. 2 Satz 1): damit wird deutlich, dass die Ausfertigung nur auf einem Urteilsent____wurf beruht, also gerade nicht die Übereinstimmung mit dem Urteil beurkundet. Auch ____die fehlende Unterschrift (vgl. aber die Sondervorschrift des § 703b Abs. 1, Rdn. 17) un____ter dem Ausfertigungsvermerk weist auf einen bloßen Entwurf hin, der nicht wirksam ____zugestellt werden kann.66 Jedoch soll eine Heilung nach § 189 möglich sein (vgl. § 189 ____Rdn. 14 ff.).67 Bloße Unleserlichkeit der Unterschrift (zu den Anforderungen vgl. die ____auch hier geltenden Ausführungen zur Anwaltsunterschrift in § 174 Rdn. 51 f.) des Ur____kundsbeamten jedoch schadet nicht, wenn die Unterschrift auf der Urkunde zweifellos ____ersichtlich von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle herrührt.68 Den Beweiszwe____cken ist auch ohne jederzeitige Erkennbarkeit der Person des Urkundsbeamten Genüge ____getan, solange seine Funktion feststeht. Deshalb ist auch die Wiedergabe seines Namens ____nicht erforderlich; es reicht aus, deutlich zu machen, dass überhaupt ein Urkundsbeam____ter unterschrieben hat (z.B. durch den Vermerk „gez. Unterschrift“).69 Das Vorhanden____sein der Unterschrift muss indes dokumentiert werden; nicht genügt die bloße Namens____ ____ 54 BGH MDR 1991, 236 für ein unechtes Versäumnisurteil. ____55 BGH NJW 1981, 2345, 2346. ____56 Nach BGHZ 8, 303 = NJW 1953, 622, 623 soll Verkündung bis zum Zeitpunkt der Zustellung der ____Ausfertigung ausreichen. ____57 BGHZ 8, 303 = NJW 1953, 622, 623; BGHZ 67, 284, 285 = NJW 1977, 297. 58 Zöller/Stöber § 169 Rdn. 14. ____59 BGH MDR 1967, 834; BGH NJW 1995, 2230, 2231; BayObLGZ 1982, 90, 92 m.w.N. ____60 BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214; vgl. auch BGH VersR 1985, 551. ____61 BGH NJW-RR 2006, 1570, 1571 m.w.N. ____62 BGH VersR 1985, 551. ____63 RGZ 159, 25, 27; RGZ 164, 52, 56; BGHZ 100, 234, 237 f. = NJW 1987, 2868; BGH VersR 1993, 1423; OLG Hamm NJW 1978, 830, 831; OLG Hamm NJW-RR 1988, 1535; vgl. auch Zöller/Stöber § 169 Rdn. 13. ____64 Ansonsten gilt dies nicht, vgl. RGZ 140, 348, 350 f.; BGHZ 8, 303 = NJW 1953, 622, 623 und die ____Bezugnahme in BGH VersR 1993, 1423. ____65 BGH VersR 1993, 1423 m. zust. Anm. Hirte EWiR § 317 ZPO 1/93. ____66 BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868; vgl. zur Abgrenzung BGH NJW 2001, 1653, 1654. 67 OLG Hamm NJW 1976, 2026. ____68 RGZ 164, 52, 56; BGH VersR 1985, 503; a.A. OLG München NJW 1982, 2783 LS ohne Differenzierung für ____einen nicht kennzeichnenden individuellen Schriftzug. ____69 BGH NJW 1965, 104, 105; BGH NJW 1975, 781; BGH NJW 1981, 2256; BGH DtZ 1993, 54, 55.

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____wiedergabe in Klammern ohne Zeichnungsvermerk.70 Die Funktion wird durch den nicht ____notwendigen aber üblichen Hinweis „als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle“ doku____mentiert. Es reicht aus, wenn sich aus der beigefügten Dienstbezeichnung nach den lan____desrechtlichen Vorschriften die Funktion als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle er____gibt.71 ____ Als Voraussetzung einer wirksamen Zustellung ist auch die (erforderliche) hand28 ____schriftliche Unterzeichnung der Urschrift in der Ausfertigung (z.B. durch den Vermerk ____„gez.“ mit Namen der unterzeichnenden Richter, auch in Klammern)72 kenntlich zu ma____chen.73 Nicht ausreichend ist die Namenswiedergabe im Kopf des Urteils,74 die bloße An____gabe „gez. Unterschrift“75 oder bloße Wiedergabe der Richternamen in Klammern ohne ____Hinweis auf die geleistete Unterschrift.76 Dagegen genügt in der Regel77 die Wiedergabe ____der Richternamen ohne Klammern78 oder zwischen Binde- oder Trennstrichen79 jeweils ____mit oder ohne den Zusatz „gez.“. War ein Richter bei der Unterzeichnung verhindert, so ____muss deutlich werden, wer tatsächlich unterschrieben hat. Der Verhinderungsvermerk ____ist entsprechend deutlich anzubringen.80 ____ Ebenso müssen in der zugestellten Ausfertigung alle wesentlichen Bestandteile 29 ____der Urschrift wiedergegeben werden; ein fehlender Urteilstenor führt zur Unwirksam____keit der Zustellung.81 Unwirksamkeit tritt auch dann ein, wenn zwar die Ausfertigung mit ____der Urschrift übereinstimmt, diese selbst aber nicht den für ihre Form und oder ihren ____Inhalt wesentlichen Vorschriften genügt (z.B. Fehlen wesentlicher Urteilsbestandteile; ____zur Behandlung der äußerlich ordnungsgemäßen Ausfertigung Rdn. 34). Ebenfalls un____wirksam ist die Zustellung einer Ausfertigung, die nicht erkennen lässt, ob es sich um ____ein Urteil oder um einen Beschluss handelt.82 ____ Dagegen sind geringfügige, die Interessen des Adressaten nicht beeinträchtigende 30 ____Mängel wie schwere Lesbarkeit83 oder, wie soeben erwähnt, Unleserlichkeit der Unter____schrift des Ausfertigungsvermerks, unschädlich. Auch die auf der Ausfertigung unter____bliebene Wiedergabe des Verkündungsvermerks bewirkt keine Unwirksamkeit der Zu____stellung.84 Die Interessen des Adressaten sind in solchen Fällen gewahrt, solange die ____übergebene Fassung so klar ist, dass sie eine Grundlage für sein weiteres verfahrens____rechtliches Handeln bilden kann.85 ____ ____ ____70 BGH NJW 1975, 781 m.w.N.; krit. hierzu Vollkommer, ZZP 88 (1975), 334. Formulierungsvorschlag bei ____MünchKomm/Häublein § 166 Rdn. 12. 71 BGH NJW 1961, 783 LS; MünchKomm/Wenzel Rdn. 12; anders BGHZ 100, 234, 241 = NJW 1987, 2868, ____wo in besonders bedeutsamen Fällen auch das Dienstsiegel verlangt wird. ____72 BGH VersR 1965, 1075. ____73 BGH NJW 1975, 781; BGH VersR 1980, 333; BGH FamRZ 1982, 482; BGH NJW-RR 1987, 377; BGH FamRZ ____1990, 1227; BFH DStRE 2003, 1123. 74 BGH Rpfl. 1973, 15 Nr. 5. ____75 RGZ 159, 25, 26; BGH NJW 1975, 781 m.w.N. ____76 BGH NJW 1975, 781; BGH VersR 1980, 741, 742; BGH FamRZ 1982, 482; BGH NJW-RR 1987, 377; BGH ____FamRZ 1990, 1227. ____77 BGH NJW 1978, 217 für einen Ausnahmefall. ____78 BGH NJW 1975, 781, 782; BGH NJW 1978, 217; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH VersR 1981, 576; BGH VersR 1994, 1495. ____79 BGH VersR 1973, 965; BGH FamRZ 1990, 1227. ____80 Vgl. BGH NJW 1978, 217; BGH VersR 1981, 576 m.w.N.; Zöller/Stöber § 169 Rdn. 14. ____Formulierungsvorschläge bei MünchKomm/Häublein Rdn. 12 f. ____81 BGH VersR 1967, 754, 755; BGH VersR 1978, 155. 82 OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 454, 455 f. ____83 BGH VersR 1980, 771, 772; BGH VersR 1983, 874; BayObLGZ 1982, 90, 92. ____84 RGZ 140, 348, 351; BGH DtZ 1993, 54, 55. ____85 BGH NJW-RR 2006, 1570, 1571; BayObLGZ 1982, 90, 92; vgl. auch BGHZ 67, 284, 289 = NJW 1977, 297.

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____ Da die ZPO im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen keine Rechtsbehelfsbe____lehrung vorschreibt, ist auch die Zustellung eines Vollstreckungsbescheids ohne solche ____Belehrung wirksam.86 Der Umstand, dass die nach § 703c vorgesehenen Formulare eine ____solche Belehrung für den Schuldner vorsehen, besagt nichts über deren verfahrensmä____ßige Notwendigkeit. ____ Bei Abweichungen der zugestellten Ausfertigung von der Urschrift bzw. der ____einbehaltenen Ausfertigung kann sich der Adressat auf betätigtes schützenswertes ____Vertrauen in die Richtigkeit der zugestellten Ausfertigung berufen.87 Grundlage solchen ____Vertrauensschutzes ist der Umstand, dass der Adressat die Urschrift eben nicht erhält, ____sondern sich auf die Ausfertigung verlassen muss. Unwesentliche Abweichungen (zu ____Beispielen Rdn. 41) begründen allerdings kein schützenswertes Vertrauen. Dasselbe gilt, ____wenn der Ausfertigung selbst zu entnehmen ist, dass sie von der Urschrift abweicht bzw. ____dass sie überhaupt nicht auf einer ordnungsgemäßen Urschrift beruht (vgl. zum Ausfer____tigungsvermerk Rdn. 27). ____ Die Rechtsfolgen von Abweichungen hängen von den Schutzbedürfnissen des ____Adressaten ab. So ist z.B. von einer wirksamen Zustellung der äußerlich ordnungsge____mäßen Ausfertigung im Hinblick auf darauf gestützte Rechtsmittel oder Zwangsvollstre____ckungsmaßnahmen auszugehen.88 Wenn dagegen die Annahme einer Zustellung nach____teilig für ihn wäre, liegt Unwirksamkeit vor (dazu sogleich im Folgenden, zur Heilung ____vgl. § 189 Rdn. 14 ff.). ____ Weitergehende konstitutive Wirkungen der Zustellung einer abweichenden Ausfer____tigung sind nicht gewollt (str.). In der Rechtsprechung uneinheitlich behandelt wird in ____diesem Zusammenhang die Zustellung einer äußerlich ordnungsgemäßen Ausferti____gung, die sich auf eine an wesentlichen Mängeln leidende Urschrift bezieht.89 Hier wer____den in der Argumentation oft die Wirkung zugunsten des Adressaten mit einer solchen ____zu seinen Lasten vermengt. Dass die Zustellung zugunsten des Adressaten wirksam ist, ____wurde bereits dargelegt (Rdn. 33). Eine Wirkung zu seinen Lasten ließe sich nur mit dem ____Erfordernis von Rechtssicherheit begründen.90 In der Tat wird deshalb in entsprechender ____Anwendung des § 189 (vgl. noch Rdn. 37) davon auszugehen sein, dass bei abgeschlosse____nen Vorgängen keine Berufung auf die hier erörterten Zustellungsmängel mehr möglich ____ist.91 Ebenso entsteht meist kein schützenswertes Vertrauen, soweit eine Berichtigung der ____Urschrift oder der Ausfertigung gemäß § 319 in Betracht kommt92 (vgl. zu unwesentlichen ____Mängeln noch Rdn. 30). Allerdings kann ausnahmsweise trotz offenbarer Unrichtigkeit ____Vertrauensschutz erforderlich werden, die Zustellung also unwirksam sein, wenn an____dernfalls durch Fehler des Gerichts die Rechtsschutzmöglichkeiten einer Partei beein____trächtigt oder vereitelt würden.93 ____ ____ ____ ____ ____86 OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 895, 895 f.; a.A. LG Darmstadt DGVZ 1986, 1987; Zöller/Vollkommer ____§ 703 c Rdn. 6. ____87 Vgl. RG(VZS)Z 82, 422, 425 ff.; RG JW 1935, 2050 Nr. 11 LS; BGH NJW 2001, 1653, 1654; OLG Frankfurt a.M. NJW 1983, 2395, 2396; MünchKomm/Häublein Rdn. 15; lapidar a.A. ohne Erwähnung der konkreten ____Fallumstände OLG Nürnberg FamRZ 2004, 470. ____88 Vgl. RG(VZS)Z 82, 422, 425 f. ____89 Vgl. RG(VZS)Z 82, 422, 424 ff.; OGH BrZ Köln NJW 1950, 309. ____90 Sinngemäß vergleichbar OGH BrZ Köln NJW 1950, 309. 91 Vgl. die Argumentation in BGHZ 100, 234, 239 f. = NJW 1987, 2868. ____92 Vgl. BGHZ 67, 284, 286 f. = NJW 1977, 297; BGH FamRZ 1990, 988 m.w.N. ____93 BGHZ 113, 228, 231 m.w.N. für die später gemäß § 319 korrigierte Falschbezeichnung des Klägers in ____einem durch Rechtsmittel angegriffenen Urteil.

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____ 35 Darüber hinaus besteht jedoch kein Grund zu der Annahme, dass eine Umgehung ____wesentlicher Vorschriften über Form und Inhalt der Urschrift gewollt ist.94 Andernfalls ____würde deren vorgesehene Aufnahme in die Akten ihren Sinn verlieren; wegen der Mög____lichkeit einer Akteneinsicht für Dritte gemäß § 299 Abs. 2 entstünde dann auch die Ge____fahr gegensätzlicher Information des Rechtsverkehrs über ein und denselben Sachver____halt. ____ Demnach kann sich der Adressat m.E. auf die ihm günstigere Urschrift stützen, 36 ____wenn es gerade auf sie ankommt (z.B. wenn eine Ausfertigung zugestellt wird, bevor die ____Urschrift unterschrieben worden ist); dann ist die Zustellung unwirksam.95 Insgesamt ____hält die höchstrichterliche Rechtsprechung die Unwirksamkeit der Zustellung für mög____lich, wenn in wesentlichen Punkten Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung ____bestehen.96 Eine zur Unwirksamkeit der Zustellung führende Abweichung liegt z.B. dann ____vor, wenn eine Ausfertigung auf der Grundlage einer in wesentlichen Teilen unvollstän____digen Urschrift unter (inhaltlich korrekter) Hinzuziehung der ergänzenden Schriftstücke ____hergestellt wurde,97 oder wenn die Ausfertigung die Unterschrift eines Richters wieder____gibt, der das Urteil (die Urschrift) nicht selbst unterschrieben hat.98 Dasselbe gilt für fal____sche Beträge und für den Zinslauf maßgebliche Datumsangaben im Tenor99 sowie für die ____unzutreffende Streichung des Hinweises „für vorläufig vollstreckbar erklärt“ in der Aus____fertigung.100 ____ Im Einzelfall kommt es zum Schutz des Rechtsverkehrs in Betracht, dem Adressaten 37 ____entsprechend § 189 die Berufung auf Abweichungen zu versagen. Dies betrifft Fälle, in ____denen die unwirksame Zustellung den Adressaten zu einer abgeschlossenen Leistung ____veranlasst hat.101 ____ Weiterhin wird die Wirksamkeit der Zustellung mangels schützenswerten Vertrau38 ____ens nicht durch Ungenauigkeiten der Ausfertigung (oder der beglaubigten Abschrift) ____in Nebensächlichkeiten, 102 offenbare Unrichtigkeiten (dann entsteht kein Vertrauens____schutz) oder Ungenauigkeiten im Rubrum berührt. Zu solchen bloßen Ungenauigkeiten ____können auch Name und Anschrift des Adressaten gehören, wenn über seine Identität ____kein Zweifel besteht,103 oder das Fehlen eines Tenorteils (Klageabweisung im Übrigen), ____wenn auch eine nicht anwaltlich vertretene Partei ohne weiteres den Ausgang des Ver____fahrens erkennen kann.104 ____ Auch andere, nicht im zuzustellenden Schriftstück selbst liegende Mängel können 39 ____zur Unwirksamkeit der Zustellung führen. So liegt es z.B. bei der Zustellung einer nicht ____ordnungsgemäß verkündeten Entscheidung, welche deshalb nur als nicht zustellungs____fähiger Entwurf zu qualifizieren ist.105 ____ ____ ____94 Offenbar a.A. RG(VZS)Z 82, 422, 424; OLG Frankfurt a.M. NJW 1983, 2395, 2396; wie hier BGHZ 67, 284, 288 f. = NJW 1977, 297 für schwerste Mängel, die zur Nichtexistenz der Entscheidung führen; i.Erg. auch ____BGHZ 8, 303 = NJW 1953, 622, 623. Vgl. auch OGH BrZ Köln NJW 1950, 309. ____95 OGH NJW 1950, 309. ____96 BGH NJW 1981, 2345, 2346; BGH VersR 1982, 70; BGH NJW 2001, 1653, 1654 m.w.N. ____97 OVG Münster NJW 1992, 1187, 1188. ____98 BGH VersR 1980, 333; OLG Hamm OLGZ 1989, 350, 351 = WRP 1989, 262; a.A. offenbar OLG Frankfurt a.M. NJW 1983, 2395, 2396. ____99 BGH MDR 1967, 834; die Vorauflage (Anm. A III a 2) nimmt nur relative Unwirksamkeit an. ____100 BGH NJW 1981, 2345, 2346. ____101 So dem Gedanken nach BGHZ 100, 234, 239 f. = NJW 1987, 2868 mit dem Beispiel der Durchsetzung ____schlichter Zahlungsansprüche; vgl. auch OGH BrZ Köln NJW 1950, 309. 102 RGZ 61, 394, 395 f.; OLG Hamm NJW 1977, 830, 831. ____103 LG Paderborn NJW 1977, 2077 obiter; vgl. auch LAG Frankfurt a.M. BB 1967, 1044. ____104 Vgl. BGHZ 67, 284, 290 = NJW 1977, 297. ____105 BGH NJW 1995, 404 m.w.N.

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____ cc) Zustellung beglaubigter Abschriften. In den Fällen, in denen es keiner Zustel____lung von Ausfertigungen bedarf, ist die Übergabe einer beglaubigten (vgl. § 169 Abs. 2) ____Abschrift (Zweitschrift; auch als Photokopie)106 erforderlich und ausreichend.107 Die Be____glaubigung bezeugt prozessual, dass die Abschrift mit der Urschrift oder deren Ausferti____gung übereinstimmt.108 Zu Kompetenz für die Beglaubigung und Förmlichkeiten sowie ____zu Folgen von Mängeln und Fehlen der Beglaubigung vgl. § 169 Rdn. 11 ff. und 15 ff. ____ Im Übrigen ist für die Frage der Wirksamkeit wie bei der Zustellung von Ausferti____gungen (vgl. Rdn. 30) nach wesentlichen und unwesentlichen Mängeln zu unter____scheiden. So führt auch bei der beglaubigten Abschrift das Fehlen des Ausfertigungs____vermerks,109 seine unvollständige Wiedergabe110 oder das Fehlen der Unterschriften der ____Richter111 bzw. des Rechtspflegers112 – nicht aber die fehlende Unterschrift des Urkunds____beamten beim Ausfertigungsvermerk (vgl. Rdn. 27) zur Unwirksamkeit der Zustellung, ____weil der erforderliche Nachweis, dass die Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt, ohne ____den Ausfertigungsvermerk nicht ohne weiteres erbracht werden kann (vgl. Rdn. 28). Zur ____Heilung nach § 189 vgl. dort Rdn. 14). Fehlende Wiedergabe des Gerichtssiegels (vgl. ____§ 317 Abs. 4) führt aber allein nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung, weil auch die ____wörtliche „Wiedergabe“ keinen wirklichen Beweischarakter hat.113 ____ Ebenso kommt der zugestellten beglaubigten Abschrift keine konstitutive Wirkung ____in dem Sinne zu, dass sie wesentliche Mängel der Urschrift durch Abweichungen aus____gleichen kann. Hierher gehören beispielsweise Mängel der Unterschrift des Richters auf ____der Urschrift.114 Schließlich muss auch die beglaubigte Abschrift eine hinreichend klare ____Grundlage für Entscheidungen des Adressaten sein (vgl. Rdn. 5 und 16). Dies ist z.B. bei ____Fehlen einer Anlage115 oder bei unklarer Wiedergabe relevanter Abbildungen116 nicht der ____Fall. ____ Schon vor der Reform durch das IKomG (vgl. Rdn. 16) sollte m.E. der Begriff des ____„Schriftstücks“ (vgl. auch die entsprechenden Begriffe in internationalen Zustellungs____übereinkommen; hierzu Anhang zu §§ 183, 184) gemäß den Bedürfnissen eines massen____haften und standardisierten Rechtsverkehrs auch nach der lex lata weit verstanden wer____den. Die Neuregelung durch das IKomG hat dies bestätigt. ____ ____ c) Zustellung an mehrere Adressaten. Grundsätzlich ist eine der Anzahl der Zu____stellungsadressaten entsprechende Zahl von Abschriften zu übergeben, weil jedem Be____troffenen ein Exemplar zu überlassen ist.117 Dieser Grundsatz war in § 169 a.F. enthalten; ____ ____ ____ ____106 BGHZ 36, 62; BGH NJW 1974, 1142; MünchKomm/Häublein Rdn. 17; Zöller/Stöber § 169 Rdn. 8. ____107 Vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1987, 509, 510; MünchKomm/Häublein Rdn. 9; allg. Ansicht. 108 BGH NJW-RR 1987, 395, 396; OLG Karlsruhe WRP 1989, 744, 745. ____109 BGHZ 100, 234, 237 f. m.w.N. = NJW 1987, 2868; OLG Hamm NJW 1978, 830, 831; OLG Hamm OLGZ ____1979, 357, 358 f. = WRP 1979, 325, 326; OLG Koblenz WRP 1980, 643, 644; OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1981, 99; ____OLG Hamm WRP 1981, 37; OLG München WRP 1983, 46, 47; OLG Hamm NJW-RR 1988, 1534; OLG Hamm ____OLGZ 1989, 350, 352 f. = WRP 1989, 262; OLG Karlsruhe WRP 1989, 744, 745; OLG Karlsruhe OLGZ 1992, 368, ____371 ff. = WRP 1992, 339; OLG Celle WRP 1993, 181. 110 Vgl. BGHZ 100, 234, 237 f. = NJW 1987, 2868. ____111 LG Braunschweig DGVZ 1982, 75. ____112 BGH NJW 1981, 2256. ____113 BGH NJW 1965, 104, 105; BGH VersR 1976, 492, 493; KG NJW 1962, 2161. ____114 LG Braunschweig AnwBl 1969, 166; a.A. die Voraufl. Anm. A III a 1. 115 BGH NJW 1995, 2230, 2231. ____116 OLG Düsseldorf MDR 1994, 302. ____117 Vgl. RG JW 1887, 111 Nr. 4; KG JW 1935, 1037 Nr. 3 LS; BayObLGZ 1959, 435, 438; BAG AP § 187 ZPO ____Nr. 4; VGH Kassel NJW 2009, 1624, 1625.

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____die Novelle zum 1.7.2002 hat hieran inhaltlich nichts geändert. Für Einzelheiten vgl. ____§ 170 Rdn. 34. ____ ____ 4. Die Bekanntgabe. Während das Zustellungsrecht vor der Novelle zum 1.7.2002 in 45 ____§ 170 a.F. die „Übergabe“ des zuzustellenden Schriftstücks forderte, genügt nunmehr ____dessen „Bekanntgabe“ (vgl. Rdn. 6). Der Gesetzeszweck wurde damit nicht geändert: ____nach wie vor bedarf es zur Verwirklichung des rechtlichen Gehörs (vgl. Vor § 166 Rdn. 1) ____einer zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme. Die Änderung steht mit dem Um____stand in Zusammenhang, dass es nunmehr unaufwendige Übermittlungswege geben ____soll, bei denen die gegenständliche Aushändigung eines Schriftstücks nicht möglich ist ____(vgl. Rdn. 6; § 174 Rdn. 31 ff. zur Telekopie, Rdn. 16 zum elektronischen Dokument; ____§§ 130 a, 130 b). Die reale Kenntnisnahme ist nach wie vor nicht erforderlich. Zu den Ein____zelheiten vgl. die Kommentierung der jeweiligen Ausführungsnormen. ____ Bei Zustellungswegen, bei denen Zustellender und Adressat bzw. Empfänger (vgl. 46 ____Rdn. 9 ff.) zusammentreffen, entspricht die Bekanntgabe der Übergabe i.S.v. § 170 a.F. ____Übergabe im Sinne dieser Norm (wie nun auch i.S.v. Abs. 1) heißt nach allgemeiner Mei____nung die Aushändigung zum Verbleib118 beim Adressaten; nach Maßgabe des § 179 n.F. ____genügte Zurücklassen des Schriftstücks am Ort der Zustellung. Dieses Erfordernis wird ____bei Aushändigung unter ausdrücklicher Aufforderung einer Rücksendung nicht erfüllt; ____jedoch kommt eine Heilung gemäß § 189 in Betracht (vgl. § 189 Rdn. 11 ff.).119 Erst recht ____genügen nicht Vorlage zur Einsicht oder nur inhaltliche Mitteilung.120 Unschädlich soll ____es dagegen sein, wenn der Gerichtsvollzieher die Übergabeabsicht kundgetan, das ____Schriftstück aber dann versehentlich wieder mitgenommen hat.121 Sinn und Zweck der ____Zustellung – die angemessene Gelegenheit, vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis zu ____nehmen122 – wird damit aber nicht erreicht. ____ ____ III. Zustellungsverfahren (Abs. 2) ____ ____ 1. Systematik. Die Novelle von 2002 hat die Systematik des Zustellungsrechts grund47 ____legend geändert und damit der Realität angepasst. Stellte zuvor die Parteizustellung den ____gesetzlichen Regelfall dar, so ist nun an dessen Stelle die Zustellung von Amts wegen ____getreten (Abs. 2; §§ 167–190). Die Zustellung auf Betreiben der Parteien wird ergänzend ____(vgl. § 191) in §§ 191–195 geregelt. ____ Die Zuordnung zu einer der beiden Zustellungsarten (Zustellung von Amts wegen 48 ____oder Parteizustellung) ist weiterhin zwingend. Bei fehlerhafter Wahl der Zustellungsart ____gilt Folgendes: ____ Die Zustellung im Parteibetrieb anstelle des vorgesehenen Amtsbetriebs ist grds. 49 ____unwirksam.123 ____ Die Zustellung im Amtsbetrieb statt im vorgesehenen Parteibetrieb ist unwirksam, 50 ____wenn gerade die Parteizustellung dazu dient, den Willen der Partei zum Ausdruck zu ____ ____ ____118 BGHZ 24, 116, 117; BGH ZZP 65 (1952), 268, 269; BGHZ 36, 62, 65; OLG Stuttgart NJW 1956, 917 (LS); OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384; vgl. zum Zweck der Zustellung MünchKomm/Häublein § 166 ____Rdn. 5. ____119 OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384. ____120 OLG Braunschweig SeuffArch 52 Nr. 264; RGZ 109, 132, 133. ____121 RG JW 1915, 364 Nr. 38. 122 BGH NJW 1978, 1058, 1059; vgl. auch Vor § 166 Rdn. 1. ____123 Grds. RG JW 1902, 182 Nr. 6 für die falsche Zustellungsart; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 5 m.w.N.; ____nicht beanstandet hat BGH NJW 1989, 1432 das Betreiben durch den Gerichtsvollzieher anstelle der ____Geschäftsstelle.

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____bringen, sich den Inhalt des Schriftstücks zu eigen zu machen.124 Dies betrifft die Zustel____lung der Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§§ 922 Abs. 2, ____936); grds. wird nach der h.M. in der obergerichtlichen Praxis nur durch die Parteizustel____lung der Wille zur Vollziehung der Entscheidung hinreichend dokumentiert.125 Die Amts____zustellung soll insoweit auch keine Heilung bewirken, auch dann nicht, wenn zunächst ____eine wegen § 172 oder aus anderen Gründen unwirksame (vgl. § 172 Rdn. 4 f.) Zustellung ____an die Partei selbst und danach eine Amtszustellung an den Prozessbevollmächtigten ____erfolgt ist126 (vgl. zur grds. Möglichkeit einer solchen Heilung § 189 Rdn. 11). ____ Soweit das Gesetz die Parteizustellung alternativ oder gar ausschließlich vorsieht, ____ist sie der Amtszustellung gleichwertig. Deshalb setzt auch die in § 699 Abs. 4 Satz 1 ____alternativ ermöglichte Parteizustellung die Einspruchsfrist der §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ____gegen den Vollstreckungsbescheid in Gang.127 Wenn ein nach Anhörung des Schuldners ____erlassener Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gemäß § 829 Abs. 2 im Parteibetrieb ____(vgl. § 829 Rdn. 67) zugestellt wurde, bedarf es keiner zusätzlichen Zustellung von Amts ____wegen.128 ____ ____ 2. Die Zustellung von Amts wegen. Die Zustellung von Amts wegen ist der gesetz____liche Regelfall (Abs. 2). Sie ist gemäß Abs. 2 zum einen dann geboten, wenn eine Zustel____lung nach einschlägigen Verfahrensvorschriften überhaupt erforderlich ist und nichts ____abweichendes bestimmt ist (Abs. 2 1. Alt.). Zum anderen kann das Gericht auch in Fäl____len, in denen grds. eine formlose Übersendung möglich ist (vgl. Vor § 166 Rdn. 6) die ____Zustellung anordnen (Abs. 2 2. Alt.); auch dann erfolgt die Zustellung von Amts wegen. ____Die Anordnung des Gerichts erfolgt im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens dann, ____wenn es diesen Weg für geboten erachtet. Der Gesetzgeber hat wegen der Unterschied____lichkeit möglicher Fallgestaltungen bewusst davon abgesehen, hierfür nähere Bestim____mungen zu treffen.129 Zuständig für die Ausführung der Amtszustellung ist der Urkunds____beamte (§ 168 Abs. 1) oder das Gericht (§ 168 Abs. 2: Vorsitzender des Prozessgerichts ____oder ein von ihm bestimmtes Mitglied). Eine praktisch nicht sehr bedeutsame Legalaus____nahme für bestimmte Fälle bei Zustellung von Anwalt zu Anwalt enthält § 195 Abs. 1 ____Satz 2 (vgl. § 195 Rdn. 7). ____ Die Zustellung auf Betreiben einer Partei erfolgt nur noch dann, wenn sie aus____drücklich vorgeschrieben oder zugelassen ist (vgl. § 191 Rdn. 1, 3 f.). Zuständig für die ____Ausführung ist grds. der Gerichtsvollzieher (§ 192 Abs. 1). In einer praktisch sehr bedeut____samen Legalannahme lässt § 195 die Zustellung von Anwalt zu Anwalt im Parteibetrieb ____zu (vgl. § 195 Rdn. 4 ff.). ____ ____ 3. Sondervorschriften ____ ____ a) Zustellungen in der Bundeswehr. Grds. keine Besonderheiten gelten für die Zu____stellung an Soldaten in der Bundeswehr. Für Zustellungen, Ladungen, Vorführungen ____ ____ ____124 Ohne solche Einschränkung für Unwirksamkeit Zöller/Stöber Vor § 166 Rdn. 3; vgl. auch Addicks MDR 1994, 25, 229. ____125 OLG Celle NJWE-WettbR 1998, 1, 2; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 1684 m.w.N.; OLG Potsdam ____DGVZ 1999, 169, 170 m. krit. Anm. d. Schriftleitung; vgl. auch OLG München WRP 1983, 46, 47; OLG Hamm ____OLGZ 1991, 450, 451 = MDR 1992, 78. Ohne solche Einschränkung OLG Stuttgart NJW 1961, 81. ____126 OLG Hamm OLGZ 1991, 450, 451 = MDR 1992, 78; OLG Celle OLGR 2000, 161; a.A. OLG München WRP 1983, 46, 47; OLG Hamburg OLGR 2000, 475. ____127 Vgl. Bischof NJW 1980, 2235. ____128 Vgl. LG Düsseldorf Rpfl. 1990, 376 m. krit. Anm. Schauf Rpfl. 1990, 469 f. ____129 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15.

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____und Zwangsvollstreckungen in der Bundeswehr liegt jedoch ein Erlass des Bundesmi____nisters der Verteidigung vom 23. Juli 1998130 vor, dessen einschlägige Vorschriften wie ____folgt lauten: ____ A. Zustellungen an Soldaten 55 ____ ____ ____ 1. ____ Für Zustellungen an Soldaten in gerichtlichen Verfahren gelten dieselben gesetzlichen Bestimmun____gen wie für Zustellungen an andere Personen. ____ ____ 2. ____ Will ein mit der Zustellung Beauftragter (z.B. Gerichtsvollzieher, Post- oder Behördenbediensteter, ____Gerichtswachtmeister) in einer Truppenunterkunft einem Soldaten zustellen, ist er von der Wache in das ____Geschäftszimmer der Einheit des Soldaten zu verweisen. ____ ____ 3. ____ Ist der Soldat, dem zugestellt werden soll, sogleich zu erreichen, hat ihn der Kompaniefeldwebel auf ____das Geschäftszimmer zu rufen. ____ ____ 4. ____ Ist der Soldat nicht sogleich erreichbar, hat der Kompaniefeldwebel dies dem mit der Zustellung Be____auftragten mitzuteilen. Handelt es sich um einen in Gemeinschaftsunterkunft wohnenden Soldaten, kann ____der Zustellungsbeamte auf Grund von § 178 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) oder der entspre____chenden Vorschriften der Verwaltungszustellungsgesetze, eine Ersatzzustellung an den Kompaniefeldwe____bel – in dessen Abwesenheit an seinen Stellvertreter – durchführen. Der Kompaniefeldwebel ist im Sinne ____dieser Vorschriften zur Entgegennahme der Zustellung ermächtigter Vertreter. ____ ____ 5. ____ Wird der Soldat, dem zugestellt werden soll, voraussichtlich längere Zeit abwesend sein, z.B. auf ____Grund eines mehrmonatigen Auslandseinsatzes, hat der Kompaniefeldwebel die Annahme des zuzustel____lenden Schriftstücks abzulehnen. Er hat dabei, sofern nicht Gründe der militärischen Geheimhaltung ent____gegenstehen, dem mit der Zustellung Beauftragten die Anschrift mitzuteilen, unter der der Zustellungsad____ressat zu erreichen ist. ____ 6. ____ ____ Eine Ersatzzustellung an den Kompaniefeldwebel ist nicht zulässig, wenn der Soldat, dem zugestellt ____werden soll, innerhalb des Kasernenbereichs eine besondere Wohnung hat oder außerhalb des Kasernen____bereichs wohnt. In diesen Fällen hat der Kompaniefeldwebel dem mit der Zustellung Beauftragten die ____Wohnung des Soldaten anzugeben. ____ 7. ____ ____ Der Kompaniefeldwebel darf nicht gegen den Willen des Soldaten von dem Inhalt des zugestellten ____Schriftstücks Kenntnis nehmen oder den Soldaten auffordern, ihm den Inhalt mitzuteilen. ____ 8. ____ ____ Der Kompaniefeldwebel hat Schriftstücke, die ihm bei der Ersatzzustellung übergeben worden sind, ____dem Adressaten sogleich nach dessen Rückkehr auszuhändigen. Über die Aushändigung hat er einen ____Vermerk zu fertigen, der nach einem Jahr zu vernichten ist. ____ ____130 VMBl 1998, 246; geändert durch Erlass v. 10.3.2003, VMBl 2003, 95.

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9. ____ ____ Bei eingeschifften Soldaten ist der Wachtmeister eines Schiffes bzw. der Kommandant eines Bootes – ____in dessen Abwesenheit sein Stellvertreter – im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an Bord zur Entgegennah____me von Ersatzzustellungen befugt. ____ ____ 10. ____ Diese Vorschriften gelten auch, wenn im gerichtlichen Verfahren ein Soldat eine Zustellung auszu____führen hat (vgl. § 5 Abs. 1 und 2 der Wehrdisziplinarordnung). ____ … ____ ____ E. Erzwingungshaft gegen Soldaten ____ ____ … ____ ____ 45. ____ Dieser Erlass tritt am Tage seiner Veröffentlichung in Kraft. Gleichzeitig werden die Erlasse vom ____ ____– 16. März 1982 – VR II 1 – Az 39-85-25/00 (VMBl. S. 130) und – 20. Juni 1983 – VR II 1 – Az 39-85-25/00 (VMBl. S. 182) ____ ____ aufgehoben. ____ ____ Zur Zustellung in der Wohnung von Soldaten nach § 178 vgl. § 178 Rdn. 61. ____ ____ b) Inländische Zustellung an NATO-Truppenangehörige. Für die Zustellung an ____NATO-Truppenangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, gel____ten Art. 32 bis 37 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut v. 18.8. 1961 mit den ____Bestimmungen des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarun____gen vom 18.8.1961.131 ____ Gemäß Art. 32 Abs. 2 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut wird bei Zu____stellungen an Angehörige von Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges eine ____Abschrift des Schriftstückes der Verbindungsstelle des Entsendestaates unverzüglich ____übermittelt, falls der betreffende Staat darum im Einzelfall oder allgemein ersucht, so____fern nicht die Verbindungsstelle selbst gemäß Art 32 Abs. 1 (a) Satz 2 des Zusatzabkom____mens zum NATO-Truppenstatut um die Zustellung ersucht wird. ____ Art. 4 c des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarun____gen vom 18.8.1961 regelt die Einschaltung der Verbindungsstelle durch schriftliche An____zeige bei unmittelbarer Zustellung von verfahrenseinleitenden Schriftstücken (Abs. 1) ____und durch Unterrichtung bei unmittelbarer Zustellung von Urteilen oder Rechtsmittel____schriften (Abs. 2). Durch das ZustRG (Art. 2 Abs. 29) wird Art. 4 c dieses Gesetzes durch ____Übernahme des Wortlauts des § 205 ZPO a.F. wie folgt gefasst: ____ ____ Abs. 1 Satz 1: ____ ____ Bei Zustellungen an Angehörige von Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges müssen in ____der in Artikel 32 Abs. 2 des Zusatzabkommens vorgesehenen schriftlichen Anzeige bezeichnet werden ____1. das Prozessgericht, die Parteien und der Gegenstand des Prozesses, ____2. ein in dem zuzustellenden Schriftstück enthaltener Antrag, ____ ____131 BGBl. II S. 1183, 1245; geändert durch ÄndAbk. v. 18.3.1993 und ÄndG v. 28.9.1994, BGBl. II S. 2594 ____sowie ZustRG v. 25.6.2001, BGBl. I S. 1206.

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____3. die Formel einer zuzustellenden Entscheidung, ____4. bei der Zustellung einer Ladung deren Zweck und die Zeit, zu welcher der Geladene erscheinen soll, ____5. bei der Zustellung einer Aufforderung nach § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Zivilprozessordnung der ____ Inhalt der Aufforderung und die vorgeschrieben Belehrung. ____ 59 ____ Abs. 2: ____ ____ Die Unterrichtung der Verbindungsstelle durch ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde ____nach Artikel 32 Abs. 3 des Zusatzabkommens setzt voraus, dass der Zustellungsadressat und alle anderen ____Verfahrensbeteiligten zuvor schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung über das ihnen zustehende ____Widerspruchsrecht belehrt worden sind und ihnen eine Frist von mindestens zwei Wochen zur Ausübung dieses Rechts eingeräumt worden ist. Belehrung und Fristsetzung sind bereits vor Erlass eines Urteils zu____ lässig. Die Verbindungsstelle wird durch Übersendung einer Abschrift des Urteils oder der Rechtsmittel____schrift unterrichtet. Hat ein Verfahrensbeteiligter sich nur mit einer eingeschränkten Information der Ver____bindungsstelle einverstanden erklärt oder stehen überwiegende Interessen einer Person oder öffentliche ____Belange der Übersendung einer Abschrift entgegen, beschränkt sich die Unterrichtung auf die in Absatz 1 ____Satz 1 genannten Angaben. ____ ____ Zur Einschränkung der öffentlichen Zustellung an NATO-Truppenangehörige vgl. 60 ____§ 185 Rdn. 10. ____ ____ ____ § 167 ____ Rückwirkung der Zustellung ____ § 167 Rohe ____ Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu ____beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt ____diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die ____Zustellung demnächst erfolgt. ____ ____ Übersicht d) Eingang bei Nutzung von Mittel der ____I. Einführung ____ 1 Fernkommunikation ____ 34 ____ 1. Allgemeines ____ 5 2. Anwendungsbereich 6. Wahrung sonstiger Verfahrensvoraus____ setzungen ____ 39 ____II. Eingang des Antrags/der Erklärung 1. Zumutbare Bemühungen des BetreibenIII. Zustellung „demnächst“ ____ den ____ 12 1. Zeitpunkt der Zustellung ____ 44 ____ 2. Zeitpunkt des Eingangs des Antrags/ a) Grundlagen ____ 44 ____ der Erklärung ____ 14 b) Anwendbarkeit der Norm trotz Nach____ 3. Form des Antrags/der Erklärung ____ 16 lässigkeit des Betreibenden ____ 46 ____ 4. Der Eingang ____ 23 c) Anwendbarkeit der Norm bei nicht mehr geringfügiger Verzöge____ 5. Der Eingangsort ____ 26 a) Grundlagen ____ 26 rung ____ 51 ____ b) Eingang bei Personen ____ 27 d) Falllagen gemischter Verantwort____ c) Eingang mit Einlegen in Briefkästen, lichkeit für die Verzögerung ____ 55 ____ Einlegefächer und vergleichbare Ein2. Sonstige Voraussetzungen ____ 57 ____ richtungen ____ 29 IV. Rechtsfolgen der Norm ____ 60 ____ ____ ____ ____ ____ ____ Rohe

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____ I. Einführung ____ ____ 1. Allgemeines. Die Norm regelt die Rückwirkung bei der Zustellung von Amts we____gen. Aus systematischen Gründen wurden die Vorgängerregelungen des § 270 Abs. 3 a.F. ____und des § 693 Abs. 2 a.F. im Zuge der Novellierung zum 1.7.2002 in das Zustellungsrecht ____eingefügt.1 Zugleich nimmt sie die Vorgängerregelung des § 207 a.F. zur Zustellung im ____Parteibetrieb auf. Deshalb ist die Norm über § 191 auch für Zustellungen im Parteibetrieb ____entsprechend anwendbar.2 Inhaltlich ist die Norm im Wesentlichen unverändert geblie____ben. Neben kleinen redaktionellen Änderungen erfolgte eine Abstimmung auf das zuvor ____reformierte Verjährungsrecht.3 Entscheidungen und wissenschaftliche Stellungnahmen ____zu den Vorgängerregelungen sind daher unverändert aktuell. ____ Die Norm stellt eine Härtefallregelung zugunsten des an der Zustellung Interessier____ten dar. Sie soll verhindern, dass dieser rechtliche Nachteile aus einer ihm nicht zuzu____rechnenden kurzfristigen Verspätung der Zustellung erleidet, die er auch bei gewissen____hafter Prozessführung nicht vermeiden kann (allg.M.).4 So soll er bei der Zustellung von ____Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtli____chen Geschäftsbetriebs bewahrt werden.5 ____ Die Norm beinhaltet demnach zwei maßgebliche Voraussetzungen: Zum einen ein ____zeitliches Element nur vergleichsweise kurzer Verspätung („demnächst“; vgl. hierzu ____Rdn. 44 ff.), zum anderen ein Zurechnungselement in dem Sinne, dass die Verspätung ____nicht auf dem konkreten – nachlässigen – Vorgehen des Betreibenden selbst bzw. der ____von ihm eingeschalteten Personen beruhen darf (vgl. hierzu Rdn. 46 ff.). Zu den Rechts____folgen vgl. Rdn. 60 ff. ____ Greift § 167 nicht ein, so ist im Einzelfall eine Berufung auf § 242 BGB (rechtsmiss____bräuchliche Erhebung der Verjährungseinrede) denkbar.6 ____ ____ 2. Anwendungsbereich. Die Regelung ist nach ihrem Wortlaut auf die Zustellung ____zur Wahrung von Fristen sowie zum Neubeginn (vgl. § 212 BGB) bzw. zur Hemmung ____(vgl. § 204 BGB) der Verjährung anwendbar. Dies gilt nicht nur für den erstinstanzlichen ____Zugang zu den Gerichten, sondern auch für den Rechtsmittelzug sowie für den Zugang ____fristwahrender Schriftsätze innerhalb der Instanz mit gleicher Wirkung wie ein Rechts____mittelschriftsatz.7 Davon erfasst ist demnach auch der Vergleichswiderruf, weil davon ____Anschluss bzw. Fortsetzung des Verfahrens abhängen.8 Ebenfalls erfasst sind Anträge ____auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl. Rdn. 42) und die Zustellung der Streitver____kündung.9 ____ Die Norm setzt voraus, dass gerade die Zustellung die erstrebte Rechtsfolge (Frist____wahrung, Wirkung auf Verjährung) auslöst. Erfasst sind demnach alle materiellen und ____prozessualen Fristen, die durch gerichtliche Geltendmachung bzw. im Rahmen der ____entsprechenden Anwendung gemäß § 191 zu wahren sind oder deren Lauf gehemmt ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16; 26 (Aufhebung des § 693 Abs. 2). ____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. 3 Vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. ____4 Vgl. nur Schumann FS Lüke, 1997, 767, 777 ff.; BVerfG NJW 1994, 1853; BGHZ 116, 293, 297 lediglich mit ____Verweis auf Ausführung hins. „demnächst“ i.S.v. § 693 Abs. 2 ZPO BGH NJW 1992, 1820, 1821; BGH NJW ____2003, 2830, 2831. ____5 BGH NJW 2008, 1674 m.w.N.; BGH NJW 2010, 856, 857. 6 BGH NJW 2002, 3110, 3111. ____7 BVerfG NJW 1986, 244; BVerfG NJW 1991, 2076 m.w.N. ____8 BVerfG NJW 1986, 244; vgl. auch BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215. ____9 BGH NJW 1979, 264, 265.

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____wird bzw. neu beginnt.10 Hierzu zählen z.B. die Fristen gemäß §§ 548, 558b Abs. 2, 1585 ____Abs. 3,11 1600b Abs. 1,12 233213 BGB; §§ 234, 320, 517 f., 520 Abs. 2, 548, 551 Abs. 2, 569, 586 ____ZPO (zum Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vgl. unten Rdn. 42); §§ 242 ____Abs. 2 Satz 2,14 246 Abs. 1,15 256 Abs. 6 Satz 216 AktG, §§ 4, 7 Abs. 2 AnfG;17 Art. 45 Abs. 2 ____Satz 1 bayEG,18 Art. 237 § 2 EGBGB;19 § 51 InsO20 (§ 41 KO), § 4 KSchG (nicht aber für die ____Vorbehaltserklärung nach § 2 Satz 2 KSchG);21 § 558 b Abs. 2 BGB;22 Art. 12 NTS-AG,23 § 23 ____Abs. 4 WEG24 sowie die Ausschlussfrist nach den AGB einer staatlich betriebenen Lotte____rie;25 nicht erfasst sein soll der Ausschluss des Ehegattenerbrechts nach § 1933 Satz 1 ____BGB.26 Daneben sind auch Fristen erfasst, bei denen es gleichfalls auf den Zugang mate____riell-rechtlicher Willenserklärungen ankommt (z.B. §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 1, 3, 532, 937, ____941 BGB);27 dies ergibt sich daraus, dass auch § 207 Abs. 2 a.F. in § 167 n.F. aufgegangen ____ist. ____ Nicht generell erfasst sind dagegen sonstige Fristen, für die eine gerichtliche Gel7 ____tendmachung entbehrlich ist, z.B. die Fristen des § 121 Abs. 1 BGB,28 des 545 BGB,29 des ____§ 651g Abs. 1 BGB,30 die Frist des § 13 Nr. 5 VOB/B,31 tarifvertragliche Ausschlussfristen,32 ____vertragliche Frist für die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft33 (zu Ausnahmen vgl. ____unten Rdn. 9), sowie Fristen für die Abgabe von Willenserklärungen, bei denen es für ____den Eintritt der Rechtswirkungen nicht auf den Zugang ankommt.34 Anderes gilt jedoch, ____wenn ihre gerichtliche Geltendmachung möglich ist und auch tatsächlich dieser Weg ____gewählt wurde. Die Wahl dieser stärksten) Form der Geltendmachung muss Sicherheit ____darüber verschaffen, dass die Einreichung fristwahrend wirkt.35 ____ Ebenfalls nicht erfasst sind Normen, welche andere als fristwahrende bzw. auf 8 ____die Verjährung im o.g. Sinne einwirkende Folgen haben (z.B. Bewirkung der Rechtshän____gigkeit; Ingangsetzung von Fristen; Begründung oder Erweiterung von Ansprüchen; ____ ____ ____ ____10 Vgl. LAG Hannover AnwBl 2000, 59 ff. für die Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist; ____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Zöller/Greger Rdn. 3. 11 OLG Düsseldorf FamRZ 2002, 327. ____12 BGH FamRZ 1995, 1485. ____13 OLG Düsseldorf FamRZ 1991, 958 f. ____14 BGH NJW 1989, 904, 905. ____15 BGH NJW 1974, 1557 f.; OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 710, 711. ____16 LG Düsseldorf KTS 1988, 796, 800 f. 17 OLG Frankfurt a.M. OLGR 1994, 263. ____18 BayObLGE 1995, 61, 66. ____19 BGH WM 2001, 477. ____20 OLG Düsseldorf KTS 1999, 533, 534. ____21 BAG DB 1998, 2170, 2171; vgl. auch ArbG Berlin DB 1988, 1608. 22 KG NJWE-MietR 1997, 170, 171; AG Dortmund NJW-RR 1995, 971, 972 zu § 2 Abs. 3 MHG a.F. ____23 BGH NJW 1979, 1709, 1710; OLG Karlsruhe NZV 1990, 28. ____24 BGH NJW 1998, 3648; OLG Köln ZMR 2001, 661 = NZM 2002, 299; OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 960; ____OLG Schleswig OLGR 2002, 148 = NZM 2002, 960; OLG Köln MDR 2004, 271 f. ____25 BGH NJW 1991, 1745. ____26 BGHZ 111, 329, 333 f.; a.A. Schumann, FS Lüke, 1997, 767, 782 ff., 786. 27 Zöller/Greger Rdn. 3. ____28 BGH NJW 1975, 39 f. ____29 OLG Stuttgart NJW-RR 1987, 788; LG Paderborn MDR 1984, 581 (beide zu § 568 BGB a.F.). ____30 AG Düsseldorf NJW 1986, 593. ____31 LG Leipzig MDR 1999, 1492, 1493. 32 BAG NJW 1976, 1520; LAG Hannover AnwBl 2000, 59 ff. ____33 BGH NJW 1982, 172 f. i.O. ____34 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Zöller/Greger Rdn. 3. ____35 So überzeugend Zöller/Greger Rdn. 3 m.w.N.

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____allg.M.).36 So ist die Norm auch nicht auf den Zeitpunkt der Abänderung nach § 323 ____Abs. 3 anwendbar, weil es dabei nicht um die Wahrung, sondern um die Ingangsetzung ____einer Frist geht.37 Ebenfalls keine Anwendung findet sie auf bloße Auskunftsansprüche ____im Hinblick auf den später geltend gemachten Leistungsanspruch.38 ____ In Einzelfällen wird eine entsprechende Anwendung der Norm auch dann in Be- 9 ____tracht gezogen. So hat der BGH39 die entsprechende Anwendbarkeit bejaht, wenn der ____Schuldner gegenüber dem Gläubiger auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis ____zum Ablauf einer bestimmten Frist verzichtet hat. Sinn und Zweck der Vorschrift komme ____in gleicher Weise zum Tragen, wenn es sich um einen zeitlich befristeten „Verzicht“ des ____Schuldners auf Erhebung der Verjährungseinrede handelt. Dessen Interesse an alsbaldi____ger Gewissheit darüber, ob der Gläubiger seinen Anspruch durchsetzen will, sei in derar____tigen Fällen ebenso zu bewerten wie in den in § 167 (n.F.) geregelten Fällen. Ebenso soll ____im Einzelfall auch dann, wenn eine gerichtliche Geltendmachung nicht zwingend ist ____(vgl. soeben Rdn. 7), dennoch eine entsprechende Anwendung zur Wahrung der Fristen ____des § 16 Abs. 5 Nr. 3 VOB/B40 und des § 89b Abs. 4 Satz 2 HGB41 möglich sein. ____ Auch bei der grenzüberschreitenden Zustellung kann die Norm zur Anwendung 10 ____kommen.42 Hierbei kommt es darauf an, ob die zu wahrende Frist dem materiellen Recht ____(z.B. Verjährung)43 oder dem Verfahrensrecht angehört.44 Die Zuordnung richtet sich ____nach der jeweiligen Funktion.45 Auf materiell-rechtliche Fristen ist die Norm demnach ____nur anwendbar, wenn die Frist deutschem Sachrecht unterliegt. Bei Anwendbarkeit ____fremden Sachrechts ist dann zu prüfen, ob es eine dem § 167 vergleichbare Regelung ____kennt, die dann unabhängig davon Anwendung findet, ob das ausländische Recht sie ma____teriell-rechtlich oder verfahrensrechtlich qualifiziert. Fehlt jegliche Regelung, so kommt ____im einzelnen ein Eingreifen des deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) in Betracht mit ____der Folge, dass dann doch § 167 eingreift. Auf verfahrensrechtliche Fristen ist die ____Norm dann anzuwenden, wenn das Verfahren vor einem deutschen Gericht betrieben ____wird (Grundsatz der Anwendung der lex fori). Maßgeblich ist hierbei das Gericht der ____Hauptsache. ____ Bei der Zustellung im Anwendungsbereich des NATO-Truppenstatuts (Art. 12 11 ____Abs. 3 Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen) ist die Norm ____anwendbar (vgl. § 166 Rdn. 58 ff. mit Nachweisen). ____ ____ ____ ____36 Vgl. nur BGH LM § 419 BGB Nr. 19; OLG Frankfurt a.M. GRUR 1987, 650, 651; OLG Koblenz WM 1989, ____1425. ____37 BGH NJW 1982, 1812, 1813 m.w.N. ____38 OLG Celle NJW-RR 1995, 1411 m.w.N.; a.A. OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1988, 82, 83 i.O. 39 BGH NJW 1974, 1285 = JR 1974, 470 m. abl. Anm. Haase a.a.O., 472 f. ____40 BGHZ 75, 307, 313 f. = NJW 1980, 455 m. krit. Anm. Raudszus NJW 1983, 667, 668; BGH NJW 1983, ____816. ____41 BGHZ 53, 332, 338 f. = NJW 1970, 1002; a.A. MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 4; Zöller/Greger ____Rdn. 3. ____42 Vgl. die sinngemäß dahingehenden Ausführungen der Bundesregierung in der Gegenäußerung der zur Stellungnahme des Bundesrates vom 14.4.2008 (zu § 1089 Abs. 2 und der Anwendbarkeit des § 167), ____BT(-Drucks.) 16/8839 vom 16.4.2008, S. 39 zu Nr. 7. Danach bleibt die Norm auch in Fällen ____grenzüberschreitender Zustellung im Amtsbetrieb „selbstverständlich anwendbar“. ____43 LAG München IPRax 1992, 97. ____44 So überzeugend mit ausführlicher Begründung und zahlreichen Nachweisen Nordmeier ZZP 124 (2011), 95 ff., 121; angedeutet bereits in LAG München IPRax 1992, 97, 99; Gegenäußerung der ____Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates vom 14.4.2008 (zu § 1089 Abs. 2 und der ____Anwendbarkeit des § 167), BT(-Drucks.) 16/8839 vom 16.4.2008, S. 39 zu Nr. 7. ____45 Vgl. nur Nordmeier ZZP 124 (2011), 95, 99 m.w.N.

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____ II. Eingang des Antrags/der Erklärung ____ ____ 1. Zumutbare Bemühungen des Betreibenden. Der Wortlaut der Norm gibt keinen 12 ____Aufschluss darüber, ob über das zeitliche Element hinaus Verschulden auf Seiten des ____die Zustellung Betreibenden ihre Anwendung ausschließt. Nach Sinn und Zweck der ____Regelung ist dies indes zu bejahen. Die Rückwirkung von Handlungen auf bereits abge____laufene Fristen (einschließlich der in der Norm genannten Verjährungsfragen) stellt eine ____Ausnahme dar, welche zu Lasten der Rechtssicherheitsinteressen des Adressaten wirkt. ____Diese belastende Wirkung ist nach einer Abwägung der gegenläufigen Interessen von ____Betreibendem und Adressaten46 nur dann gerechtfertigt, wenn sie zum einen in zeitlicher ____Hinsicht nicht zu großen Umfang einnimmt („demnächst“) und zum anderen nicht auf ____eigener Nachlässigkeit des Betreibenden bzw. der von ihm eingeschalteten Personen ____(in der Praxis meist der Prozessbevollmächtigte; vgl. § 85 Abs. 2) beruht (Zurechnungs____element).47 Andernfalls würde die notwendige besondere formale Strenge bei der Ein____haltung von Fristen sinnwidrig aufgeweicht. Das Erfordernis dieses Zurechnungsele____ments ist unumstritten. Oft wird es am Tatbestandsmerkmal „demnächst“ festgemacht. ____M.E. ist der Begriff „demnächst“ allerdings nur unter äußerster Anspannung des Wort____sinns mit einem Wertungselement aufzuladen. Vorzugswürdig erscheint – ohne inhaltli____che Abweichung – die Annahme eines ungeschriebenen negativen Tatbestands____merkmals mangelnden Verschuldens der Verzögerung. Demnach muss der Betreibende ____dafür Sorge tragen, dass der Antrag/die Erklärung rechtzeitig bei Gericht eingehen (vgl. ____Rdn. 14 ff.), dass sie der vorgeschriebenen Form entsprechen (vgl. Rdn. 16 ff.) und dass ____alle weiteren erforderlichen Verfahrensvoraussetzungen erfüllt werden, soweit er darauf ____Einfluss hat (vgl. Rdn. 39 ff.). ____ Es schadet grds. bereits leichtes Verschulden.48 Allerdings können Bagatellfälle 13 ____im Wege der Fristbestimmung beim Tatbestandsmerkmal „demnächst“ berücksichtigt ____werden. So sollen geringfügige und den Adressaten wenig belastende Verzögerungen ____unschädlich sein, auch wenn der Betreibende bzw. sein Prozessbevollmächtigter dies ____verschuldet haben.49 Die Rechtsprechung50 nahm über lange Zeit i.d.R. eine nur gering____fügige Verzögerung an, wenn sie nicht mehr als 14 Tage beträgt. Nach neuerer Recht____sprechung soll in Anlehnung an die Frist des § 691 Abs. 2 auch für die verzögerte Zustel____lung von Mahnbescheiden nach § 693 Abs. 2 a.F., der mittlerweile in § 167 aufgegangen ____ist (vgl. Rdn. 1), eine Monatsfrist als noch geringfügig angesehen werden (vgl. hierzu ____unten Rdn. 44 ff.).51 ____ ____ 2. Zeitpunkt des Eingangs des Antrags/der Erklärung. Der Antrag bzw. die Erklä14 ____rung selbst müssen vor Fristablauf bei Gericht eingehen (zum Eingang vgl. Rdn. 23 ff.). ____Hierfür tragen alleine der Betreibende bzw. die von ihm eingeschalteten Personen die ____Verantwortung. § 167 will insoweit nicht vor den Folgen von Verspätungen schützen. Der ____Schutz beschränkt sich vielmehr darauf, vom Betreibenden nicht beeinflussbare kürzere ____ ____ ____46 Vgl. BGH FamRZ 2005, 598; Zöller/Greger Rdn. 1. 47 Vgl. BGH VersR 1983, 831, 832; BGH NJW 1988, 411, 413; BGHZ 134, 343 = NJW 1997, 1584, 1586; BGHZ ____145, 358, 363 = NJW 2001, 885, 887 BGH NJW 2003, 2830, 2831 m.w.N.; BGH FamRZ 2005, 598; BGH NJW-RR ____2006, 3206, 3207 m.w.N. ____48 BGH NJW 1991, 1745, 1746; BGH NJW 1992, 1820, 1822 m.w.N.; BGH NJW-RR 1995, 254; BGH NJW 1996, ____1061; OLG Potsdam OLG-NL 2004, 110, 111; OLG Frankfurt a.M. 15.11.2010, BeckRS 2010, 30171. 49 Vgl. BGH NJW 1992, 1820, 1822 m.w.N. BGH NJW 2003, 2830, 2831; OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508; ____BGH VersR 1974, 1106 (Verzögerung von 4 Tagen). ____50 BGH NJW 1999, 3125; BGHZ 150, 221 = NJW 2002, 2794 (zur Zustellung von Mahnbescheiden). ____51 BGHZ 150, 221 = NJW 2002, 2794, 2795.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____Verzögerungen zwischen Eingang des Antrags/der Erklärung und ordnungsgemäßer ____Zustellung beim Adressaten unbeachtlich zu machen. ____ Andererseits darf der Betreibende laufende Verfahrensfristen bis zu ihrer Grenze 15 ____ausnutzen, ohne dass ihm dies als Verschulden angerechnet werden kann.52 Demnach ____genügt der Eingang am letzten Tag des Fristablaufs.53 Dies gilt unabhängig davon, ob an ____diesem Tag noch mit einer Leerung der Abgabestelle (vgl. Rdn. 29) zu rechnen ist.54 Für ____die Rechtzeitigkeit des Eingangs ist allein entscheidend, dass das Schriftstück innerhalb ____der Frist tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt. Dabei kommt es ____weder auf das Ende der Dienstzeit noch auf die fristgerechte Entgegennahme (vgl. zur ____Entbehrlichkeit einer Annahme Rdn. 27 f.) durch den zuständigen Bediensteten der Ge____schäftsstelle an.55 Der Betreibende darf nicht mit Unsicherheiten in der internen Ge____schäftsabwicklung des Gerichts belastet werden.56 Andererseits hat es das Gericht in der ____Hand, durch Einrichtung von Nachtbriefkästen oder vergleichbare Einrichtungen die ____kontrollierbare Rechtzeitigkeit des Eingangs vor Fristablauf sicherzustellen.57 ____ ____ 3. Form des Antrags/der Erklärung. Antrag/Erklärung müssen alle für die zügige 16 ____Ausführung der Zustellung erforderlichen Angaben enthalten und dürfen grds. keine ____Fehler aufweisen, die einer solchen Zustellung entgegenstehen. ____ Das zuzustellende Schriftstück muss grds. in zustellungsfähiger Weise (vgl. zu 17 ____E-Mail-Adressen etc. § 166 Rdn. 13) und zutreffend adressiert sein.58 Hierbei sind groß____zügige Maßstäbe anzulegen: Das Schriftstück muss nicht in einer Weise adressiert sein, ____welche eine Ersatzzustellung ermöglicht. Vielmehr genügt es, wenn irgendeine der ge____setzlich vorgesehenen Zustellungsformen dadurch grds. ermöglicht wird. Die Angabe der ____ladungsfähigen Anschrift muss demnach vornehmlich darauf gerichtet sein, eine Über____gabe an den Adressaten selbst zu ermöglichen.59 Zudem wirken fehlerhafte Angaben, wel____che dem Adressaten selbst zuzurechnen sind (vgl. § 178 Rdn. 17 ff., 48 ff., § 181 Rdn. 4 f. und ____Rdn. 54), nicht zu Lasten des Betreibenden.60 Auch darf der Betreibende grds. vom Fort____bestand der ihm bekannten Adresse des Adressaten ausgehen.61 Aus vergeblichen Zustell____versuchen alleine lässt sich demnach keine Nachlässigkeit ableiten.62 Nachforschungen ____müssen hingegen dann angestellt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Ad____ressenwechsel (z.B. Wohnungswechsel) vorliegen.63 Generell gilt, dass den Zustellung____betreiber eine ggf. fortwährende Pflicht trifft, innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens ____die möglichen Maßnahmen für eine zeitnahe Zustellung zu ergreifen.64 Dabei müssen die ____ ____ ____52 BVerfGE 53, 203 = NJW 1980, 580; BVerfG NJW 1991, 2076; BGH NJW 1986, 1347, 1348; BGH NJW 1993, ____2320; BGH FamRZ 1995, 1485; OLG Potsdam OLG-NL 2004, 110, 111; st. Rspr. ____53 BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215; OLG Hamm VersR 1976, 233; OLG Köln NJW 1986, 859. 54 BGH NJW 1984, 1237; BGH NJW 1986, 2646, 2647; BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215; offen gelassen in BAG ____NJW 1986, 1373, 1374. ____55 BVerfG 1976, 747; BVerfGE 53, 203 = NJW 1980, 580; BVerfGE 57, 117, 120 = NJW 1981, 1951; BVerfG ____NJW 1986, 244; BVerfG NJW 1991, 2076. ____56 Vgl. nur BVerfG NJW 1991, 2076 m.w.N. ____57 Vgl. nur BVerfG NJW 1976, 747; BVerfG NJW 1976, 1255. 58 BGH NJW 1971, 891, 892; BGH FamRZ 1988, 1154, 1155 f.; BGHZ 145, 358, 363 = NJW 2001, 885, 887; OLG ____Frankfurt a.M. 15.11.2020, BeckRS 2010, 30171. ____59 BGHZ 358, 363 = NJW 2001, 885, 887 m.w.N. (dort ist missverständlich vom „Zustellungsempfänger“ ____die Rede, an den die Übergabe ermöglicht werden soll). ____60 BGH NJW 1988, 411, 413; OLG Dresden WM 2007, 297, 298. 61 BGH NJW 1993, 2614, 2615; BGHZ 145, 358, 363 = NJW 2001, 885, 887. ____62 BGH NJW 1993, 2614, 2615. ____63 BGH NJW 1993, 2614, 2615. ____64 OLG Dresden WM 2007, 297, 298.

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____zu Gebote stehenden Hilfsmittel in zumutbarem Umfang genutzt werden. Insoweit sind ____die Maßstäbe anzulegen, die als Voraussetzung für eine Bewilligung der öffentlichen ____Zustellung gelten (vgl. § 189 Rdn. 16, 18 ff.). Werden die vorhandenen Hilfsmittel nicht ____entsprechend genutzt, liegt Nachlässigkeit vor.65 Dasselbe gilt, wenn der Betreibende bzw. ____sein Prozessbevollmächtigter eine für die Ersatzzustellung geeignete Adresse kennen, ____sofern bisherige Zustellversuche an der angegebenen Adresse fehlgeschlagen sind.66 Um____gekehrt muss dann, wenn der Betreibende die mangelnde Ermittelbarkeit des Aufent____haltsorts des Adressaten erkennt, die öffentliche Zustellung betrieben werden, um dem ____Nachlässigkeitsvorwurf zu entgehen.67 ____ 18 Auch die Person des Adressaten muss in zustellungsfähiger Weise bezeichnet sein, ____wobei insbesondere bei juristischen Personen eine großzügige Handhabung geboten ist ____(vgl. auch § 170 Rdn. 8 ff., 20 ff.).68 In Wohnungseigentumssachen genügt auf der Passiv____seite eine Kurzfassung; es bedarf nicht der namentlichen Auflistung der einzelnen Woh____nungseigentümer oder der Vorlage einer Eigentümerliste.69 ____ Grds. muss auch die erforderliche Zahl von Abschriften beigelegt werden (vgl. § 133 19 ____Abs. 1).70 Dies betrifft alle Versendungsformen, die nicht auf elektronische Dokumente ____(§ 130 a) gestützt sind.71 Mängel sollen insoweit allerdings unschädlich sein, sofern sie ____nur zu einer wenig belastenden, kurzfristigen Verzögerung der Zustellung führen.72 ____ Das Schriftstück muss ferner grds. alle Angaben enthalten, welche das Gesetz als 20 ____notwendigen Inhalt vorsieht. Auch Angaben, die nur in Soll-Vorschriften festgelegt ____sind (z.B. die Streitwertangabe i.S.v. § 253 Abs. 3), sind grds. nötig, wenn andernfalls ____Rückfragen des Gerichts erforderlich werden und dadurch eine nicht nur geringfügige ____(d.i. mehr als bis zu 14 Tage) Verzögerung eintritt.73 ____ Unnötige74 oder unnötig umständlich betriebene Rückfragen oder Zwischenver21 ____fügungen des Gerichts mit Verzögerungsfolgen wirken nicht zu Lasten des Betreiben____den. Dasselbe gilt für eine vermeidbar verzögerte interne Bearbeitung75 oder für Fehler ____und Versäumnisse wie verspätete Veranlassung der Zustellung, Schreibfehler, die zur ____Unzustellbarkeit führen, oder unvollständige Weiterleitung des zuzustellenden Schrift____stücks.76 Ebenso wirken solche Verzögerungen nicht zu Lasten des Zustellenden, die sich ____daraus ergeben, dass die Anforderung eines Kostenvorschusses entgegen der einschlägi____gen Landesregelung nicht dem Kläger, sondern dessen Prozessbevollmächtigten über____ ____ ____ 65 Vgl. OLG Potsdam OLG-NL 2004, 110, 112 (CD-ROM der Deutschen Telekom mit Eintrag eines sehr ____seltenen Namens). ____66 OLG Dresden OLG-NL 2003, 66, 68. ____67 Vergleichbar Zöller/Greger Rdn. 13. ____68 BGHZ 134, 343 = NJW 1997, 1584, 1586. 69 OLG Köln OLGR 2002, 215; OLG Köln Beschl. v. 28.7.2003 (16 Wx 143/03). ____70 BGH VersR 1974, 1106. ____71 Vgl. Zöller/Greger § 133 Rdn. 1. ____72 BGH VersR 1974, 1106. ____73 BGH VersR 1994, 455 f. ____74 BGH NJW 1984, 242; BGH NJW-RR 1992, 470, 471; BGH NJW 1993, 2811, 2813; BGHZ 134, 343 = NJW 1997, 1584, 1586; BGH NJW 2000, 2282; BGHZ 145, 358, 363 = NJW 2001, 885, 887; BGH FamRZ 2005, 598, ____599; OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 960 f.; OLG Köln ZMR 2001, 661 = NZM 2002, 299; OLG Köln Beschl. v. ____28.7.2003 (16 Wx 143/03) (Einforderung eines nicht geschuldeten Vorschusses im WEG____Beschlussanfechtungsverfahren); OLG Hamburg NJW-RR 2003, 286 f. (im konkreten Fall Erlass einer ____Zwischenverfügung als im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens liegend beurteilt). 75 BGH NJW 2000, 2282; BGH FamRZ 2005, 598, 599; OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508; vgl. auch Jungk ____Bespr. v. OLG München v. 7.3.2002, BRAK-Mitt 1/2003, 167 f. ____76 Vgl. BGH NJW 1995, 2230, 2231; Schuschke Kurzkommentar zu BGH ZIP 2000, 1140, BGH EWiR § 270 ____ZPO 1/2000, 1077.

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____sandt worden ist.77 Auch Verzögerungen bei der Ausführung der Zustellung sind dem ____Betreibenden nicht anzulasten. Im Einzelfall können Nachfragen geboten sein, wenn ____eine verzögerte Zustellung aus unerklärlichen Gründen droht. Der Umfang dieser Ver____pflichtung hängt maßgeblich davon ab, ob der Betreibende infolge eigenen nachlässigen ____Verhaltens mit der fehlenden Zustellung rechnen musste oder nicht, ob er also alles zur ____Zustellung Erforderliche getan hat oder nicht. Im weiteren Fall soll ein Abwarten von gut ____2 Monaten seit Antragseingang unschädlich sein.78 ____ Zu Abweichungen zwischen Antrag/Erklärung und zugestelltem Schriftstück vgl. ____unten Rdn. 58. ____ ____ 4. Der Eingang. Antrag bzw. Erklärung müssen bei Gericht (im Falle der Zustellung ____im Parteibetrieb beim Gerichtsvollzieher; vgl. § 192) eingehen. Es bedarf über den Ein____gang in den Machtbereich des Gerichts hinaus (vgl. zum Eingangsort Rdn. 26) nach ____st. Rspr. keiner Annahme durch das Gericht.79 Vielmehr genügt die Einreichung durch ____den Betreibenden. ____ Ein Eingang i.S.d. Norm kann auch bei einem örtlich oder sachlich unzuständi____gen Gericht erfolgen,80 dies auch dann, wenn zugleich ein Verweisungsantrag gestellt ____wird.81 Die Frage der Fristwahrung darf nicht unnötig mit möglicherweise schwer zu ____klärenden Zuständigkeitsfragen belastet werden. Erst recht genügt der Eingang beim ____„Stammgericht“, wenn ein auswärtiger Spruchkörper bzw. eine Außenstelle zuständig ____sind,82 und auch umgekehrt der Eingang bei einem auswärtigen Spruchkörper für das ____zuständige „Stammgericht“.83 Hiervon sind die Fälle abzugrenzen, in denen das Schrift____stück an ein anderes als das angerufene (zuständige) Gericht adressiert und zunächst ____zugeleitet wird (vgl. hierzu unten Rdn. 31). ____ Kein Eingang i.S.v. § 167 liegt dann vor, wenn das (unzuständige) Gericht nicht ____selbst angerufen wird, sondern nur als „Bote“ fungieren soll.84 Ebenso liegt z.B. auch ____kein Einreichen beim OLG vor, wenn eine Berufungsschrift dem Wachtmeister der ____Posteinlaufstelle des LG übergeben wird und dieser nicht anstelle des zuständigen Ur____kundsbeamten der Geschäftsstelle des OLG handeln wollte.85 ____ ____ 5. Der Eingangsort ____ ____ a) Grundlagen. Der Antrag/die Erklärung müssen fristgerecht in die tatsächliche ____Verfügungsgewalt des Gerichts gelangen.86 Damit gemeint ist der Gewahrsam des Ge____richts unter grds. Ausschluss einer fortbestehenden Zugriffsmöglichkeit des Absenders ____ ____ ____77 BGH Urt. v. 3.2.2012, BeckRS 2010, 06071. 78 Vgl. BGH FamRZ 2004, 1368; BGH FamRZ 2005, 598, 599. Vgl. BGH FamRZ 2004, 1368; BGH FamRZ ____2005, 598, 599. ____79 BVerfGE 53, 203 = NJW 1980, 580; BVerfG NJW 1981, 1951; BGHZ 80, 62 = BGH NJW 1981, 1216 f. m.w.N. ____zur früher abweichenden Ansicht; BGH NJW 1994, 1354, 1355; BAG NZA 1999, 925. ____80 BGH NJW 1978, 1058 m.w.N.; BGHZ 86, 313, 322 = NJW 1983, 1050; OLG Hamm NJW 1984, 375; OLG ____Köln NJW-RR 1989, 572, 573 m.w.N.; vergleichbar BGHZ 97, 155 = NJW 1986, 2255 zur Wahrung der Klagefrist nach § 30 PrEnteignG und OLG Stuttgart VersR 1987, 696, 697 (sofern die Weiterverweisung an ____das zuständige Gericht erfolgt); a.A. KG NJW 1983, 2709, 2710 (nur für das Mahnverfahren); OLG ____Naumburg NJW-RR 2003, 1663. ____81 Angedeutet in ArbG Bielefeld BB 1976, 844. ____82 Vgl. BGH NJW 1967, 107. 83 OLG Karlsruhe NJW 1984, 744; BAG NJW 1982, 1119; BFH BB 1981, 1759. ____84 OLG Köln NJW-RR 1989, 572, 573; ArbG Bielefeld BB 1976, 844. ____85 BGH VersR 76, 1063. ____86 BVerfGE 53, 203 = NJW 1980, 580 m.w.N.; BGH NJW 1994, 1354, 1355; st. Rspr.

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____oder Beförderers.87 Wo sie beginnt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls ____(zu typischen Fallgruppen vgl. Rdn. 29 ff.).88 Bei der exakten Bestimmung des Eingangs____orts werden Vertrauensschutzgesichtspunkte maßgeblich. Dies gilt unabhängig da____von, ob der Betreibende durch Rechtsanwälte vertreten ist oder nicht.89 Solcher Vertrau____ensschutz entsteht durch Bereitstellung von Personen oder Einrichtungen, die zur ____Entgegennahme von Anträgen/Erklärungen geeignet und erkennbar auch vorgesehen ____sind.90 Demnach hat das BVerfG aufgrund der Angabe eines Fernschreibanschlusses auf ____dem amtlichen Briefbogen ein schützenswertes Vertrauen darauf bejaht, dass Fern____schreiben fristwahrend entgegengenommen werden.91 ____ ____ b) Eingang bei Personen. Unverkörperte (mündliche) Anträge/Erklärungen 27 ____können in den gesetzlich bestimmten Fällen zu Protokoll des Urkundsbeamten ange____bracht werden (vgl. z.B. §§ 44 Abs. 1, 118 Abs. 1 Satz 2, 496, 920 Abs. 3). Grundsätzlich ist ____hierfür die persönliche Anwesenheit des Betreibenden bzw. der zulässigerweise einge____schalteten Personen erforderlich; ein Anspruch auf fernmündliche Entgegennahme be____steht nicht. Soweit jedoch die Geschäftsstelle bereit ist, auf der Grundlage fernmündli____chen Kontakts zu protokollieren,92 muss diese Form der Kommunikation ebenfalls für ____den Eingang ausreichen. Der Eingang i.S.v. § 167 erfolgt in all diesen Fällen mit Ab____schluss der Protokollierung.93 ____ Verkörperte Anträge/Erklärungen (Schriftstücke) können in jedem Falle den zu28 ____ständigen Bediensteten direkt übergeben werden und gelangen mit Übergabe in die Ver____fügungsgewalt des Gerichts. Die Zuständigkeit ergibt sich aus den dem Publikumsver____kehr erkennbaren Gepflogenheiten; regelmäßig werden die in Posteingangsstellen bzw. ____einzelnen Geschäftsstellen tätigen Bediensteten zuständig sein.94 Auch eine Aushändi____gung an Richter während der Sitzung oder an eine von der Justizverwaltung benannte ____Stelle ist möglich,95 i.d.R. aber nicht an Gerichtswachtmeister außerhalb ihrer entspre____chenden Zuständigkeit bei dem Gericht, an welches das Schriftstück adressiert ist.96 ____ ____ c) Eingang mit Einlegen in Briefkästen, Einlegefächer und vergleichbare Ein29 ____richtungen. Ist ein besonderer Nachtbriefkasten vorhanden, zugleich aber ohne be____sondere Kennzeichnung eine weiterer Briefkasten z.B. an der Posteingangsstelle, so ____kann auch letzterer ohne Einschränkungen benutzt werden.97 Ebenso kann ein allgemein ____zur Verfügung stehender Hausbriefkasten trotz abweichender Hinweise („Tagesbrief____kasten“) zu jeder Zeit genutzt werden, wenn keine weiteren Abgabestellen vorhanden ____bzw. zugänglich sind.98 ____ ____ ____ ____87 BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215; LAG Bremen MDR 1996, 417. ____88 BVerfGE 60, 243 = NJW 1982, 1804; BGH NJW 1990, 2822, 2823. ____89 BVerfG NJW 1986, 244, 245. ____90 Vgl. BVerfG NJW 1986, 244, 245. ____91 BVerfG NJW 1986, 244, 245; BGHZ 101, 276 = NJW 1987, 2586, 2587. 92 Vgl. zur Zulässigkeit etwa Zöller/Herget § 496 Rdn. 3; Anm. Schönke zu BGH JZ 1953, 179, a.a.O. 180 ____m.w.N. ____93 Ebenso Zöller/Greger Rdn. 8. ____94 Ebenso für die fernmündliche Durchgabe des Inhalts eines Telegramms BGH JZ 1953, 179 m. zust. ____Anm. Schönke; BGHSt 14, 233 = NJW 1960, 1310 m.w.N.; BVerwG NJW 1954, 1135. 95 Musielak/Wolst Rdn. 4. ____96 Vgl. BGH VersR 1976, 1063 (zum Wachtmeister eines anderen Gerichts); Musielak/Wolst Rdn. 4. ____97 BVerfG NJW 1991, 2076, 2077; BGH NJW 1984, 1237. ____98 Vgl. BGHZ 80, 62 = BGH NJW 1981, 1216, 1217.

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____ Grundsätzlich in gleicher Weise geeignet sind Gemeinschaftsbriefkästen mehrerer 30 ____Gerichte/Justizbehörden oder gemeinsame Briefannahmestellen.99 Das Schriftstück ge____langt in diesem Fall in die Verfügungsgewalt des Gerichts, an das es adressiert ist; inso____weit liegt es am Betreibenden, durch Adressierung oder in anderer Weise klar zum Aus____druck zu bringen, für welches der angeschlossenen Gerichte das Schriftstück bestimmt ____ist.100 Ist es falsch adressiert (an das unzuständige Gericht), so gelangt es nicht bereits ____mit der Abgabe in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts,101 weil zunächst grds. ____eine ungeprüfte Weiterleitung an den Adressaten erfolgen darf. Der relevante Eingang ____erfolgt dann erst mit (späterem) Eingang beim zuständigen Gericht.102 Dasselbe gilt für ____den Einwurf eines fälschlicherweise an einen Anwalt adressierten Schriftstücks in den ____(auch) vom zuständigen Gericht betriebenen Gemeinschaftsbriefkasten.103 Ist das Schrift____stück falsch adressiert, aber zusätzlich mit dem zutreffenden Aktenzeichen des zustän____digen Gerichts versehen, so soll dies zum Eingang beim zuständigen Gericht ausrei____chen.104 Dafür spricht in der Tat, dass das (zutreffende) Aktenzeichen jedem Kundigen ____(insbesondere auch dem zuständigen Gerichtsbediensteten) einen deutlichen Hinweis ____auf den Adressaten gibt, der eine sofortige Öffnung mit Weiterleitung an das tatsächlich ____zuständige Gericht nahelegt. Fehlt jegliche Adressierung, so ist ebenfalls anzunehmen, ____dass das Schriftstück beim zuständigen Gericht eingegangen ist.105 Zwar mag die damit ____verbundene „Besserstellung“ gegenüber dem falsch adressierten Schriftstück (z.B. ver____sehentlich LG statt OLG) zunächst irritieren. Jedoch darf davon ausgegangen werden, ____dass das überhaupt nicht adressierte Schriftstück alsbald geöffnet und dann dem zu____ständigen Gericht zugeordnet wird. Der rechtzeitige Eingang kann in diesem Fall nicht ____davon abhängig sein, ob das Schriftstück zufällig beim zuständigen oder beim unzu____ständigen Gericht geöffnet wurde. ____ Haben verschiedene Gerichte jeweils eigene – u.U. auch benachbarte – Briefkäs- 31 ____ten, so gelangt das an das zuständige Gericht adressierte, aber in dem (anderen) Brief____kasten des unzuständigen Gerichts eingeworfene Schriftstück damit ebenfalls noch nicht ____in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts.106 Dies soll auch dann gelten, wenn ____ein Mitarbeiter des unzuständigen Gerichts das Schriftstück in ein intern genutztes Be____hördenfach für an das zuständige Gericht gerichtete Schriftstücke einlegt, weil dies vor ____Weiterleitung noch jederzeit rückgängig gemacht werden kann.107 ____ Geeigneter Einreichungsort ist auch das täglich geleerte „Gerichtsfach“ in einem im 32 ____Gerichtsgebäude gelegenen Zimmer des Anwaltsvereins.108 Nach dem üblichen Lauf der ____Dinge gelangen die dort eingelegten Schriftstücke ohne weiteres in die Hände der für die ____Abholung zuständigen Person; die nur theoretische Möglichkeit eines Zugriffs durch ____Unbefugte ändert nichts an dem Eintritt in die Verfügungsgewalt des Gerichts. Dasselbe ____gilt für ein entsprechend beschriftetes und tatsächlich betriebenes Abholfach in einem ____ ____99 Vgl. BGH NJW 1975, 2294; BGH NJW 1990, 2822; BGH NJW 1994, 1354, 1355; BGH NJW-RR 1997, ____892. ____100 BGH NJW 1983, 123; BGH NJW 1989, 590, 591; BGH NJW-RR 1997, 892, 893. ____101 BGH NJW 1975, 2294, 2295 m.w.N.; BGH NJW 1990, 2822 f.; BAG NJW 1975, 184; st.Rspr. ____102 Vgl. nur BGH NJW-RR 1997, 892, 893; BAG NJW 2002, 845, 846; Zöller/Greger Rdn. 6. Zur verfassungsrechtlich (faires Verfahren) gebotenen zumutbaren Weiterleitung an das zuständige Gericht ____vgl. BVerfG NJW 1995, 3173, 3175. ____103 BGH NJW 1990, 2822 f. ____104 BGH NJW 1989, 590, 591 (fälschlich an das LG adressierte „U“-Sache); a.A. Zöller/Greger Rdn. 6. ____105 In diese Richtung BGH NJW 1989, 590, 591 obiter; BGH NJW 1992, 1047 (bei Kennzeichnung des Schriftstücks als Berufungsschrift); a.A. Zöller/Greger Rdn. 6. ____106 BGH NJW 1994, 1354, 1355. ____107 LAG Bremen MDR 1996, 417 f. ____108 OLG Köln NJW 1986, 859.

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____Gerichtsgebäude als Empfangseinrichtung für die an ein anderes Gericht gerichtete ____Post.109 Das Schriftstück gelangt dann bereits mit Einlegen in das Abholfach in die Ver____fügungsgewalt des Empfangsgerichts, nicht erst mit Anbringen dessen Eingangsstem____pels.110 ____ Geeigneter Einreichungsort ist ferner das Postfach.111 33 ____ ____ d) Eingang bei Nutzung von Mitteln der Fernkommunikation. Die Übermittlung 34 ____fristwahrender Dokumente im Wege EDV-gestützter Kommunikation ist mittlerweile ____Standard und z.T. vom Gesetzgeber explizit geregelt (vgl. § 130 a). Der Eingang elektro____nischer Dokumente i.S.v. § 130 a erfolgt gemäß § 130 a Abs. 3 mit Aufzeichnung durch ____die für den Empfang bestimmte Einrichtung. ____ Auch die fristwahrende Übermittlung von Schriftstücken per Telekopie (Telefax) 35 ____wird von der st. Rspr. gebilligt112 und entspricht der Alltagspraxis. Die höchstrichterliche ____Rechtsprechung behandelt allerdings den exakten Zeitpunkt des Eingangs solcherart ____übermittelter Schriftstücke uneinheitlich. Konsequent und m.E. vorzugswürdig ist mit ____Greger113 eine Gleichbehandlung mit der Übermittlung elektronischer Dokumente i.S.v. ____§ 130 a Abs. 3. Hat also die für den Empfang bestimmte Einrichtung einen Speicher, so ____erfolgt der Eingang bereits mit der abgeschlossenen Speicherung und nicht erst mit dem ____u.U. späteren Ausdruck.114 Er erfolgt fristwahrend bis Ablauf der letzten Sekunde der ____Frist (vgl. oben Rdn. 14 f.). Ein später angebrachter und auf ein späteres Eingangsdatum ____verweisender Eingangsvermerk bleibt aus solcher Sicht unbeachtlich.115 Hingegen stellt ____der BGH in gefestigter Rspr. grds. erst auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der an das Emp____fangsgerät übermittelten Daten ab.116 ____ Für die hier vertretene Ansicht spricht neben der konsequenten Gleichbehandlung 36 ____mit elektronischen Dokumenten auch die Grundhaltung des Bundesverfassungsgerichts: ____Wird die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax durch ein Gericht eröffnet, ____so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels her____rührenden besonderen Risiken – insbesondere Störungen des Empfangsgeräts, aber auch ____der Übermittlungsleitungen – nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden, ____sondern liegen in der Sphäre des Gerichts.117 Diese Entscheidung ist zwar zu § 233 ergan____gen, trifft jedoch inhaltlich auch schon die hier zu entscheidende Frage. Es erscheint im ____Lichte dieser Entscheidung zumindest praktikabler, sogleich auf den Zeitpunkt der – ____nachweisbaren – Speicherung abzustellen, als bei Annahme eines erst mit Ausdruck ____erfolgten verspäteten Eingangs großzügig die Wiedereinsetzung gewähren zu müssen. ____ Für die übrigen Fälle, in denen keine Speicherung erfolgt, ist mit dem BGH auf den 37 ____Zeitpunkt des Ausdrucks abzustellen. Grds. ist hierbei auf den jeweiligen Abschluss des ____Ausdrucks abzustellen. Allerdings erscheint die u.U. sekundengenaue Trennung eines ____bereits in Gang gesetzten Ausdruckvorgangs in einen fristgerechten und einen verspäte____ ____ ____109 BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215 (Abholfach im AG für die Post des übergeordneten LG). ____110 BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215. ____111 BGH NJW 1986, 2646, 2647; BGH NJW-RR 1989, 1214, 1215 m.w.N.; BVerwG NJW 1964, 786; BSG MDR 1978, 83. ____112 Vgl. nur BVerfGE 74, 228 = NJW 1987, 2067; BVerfG NJW 1995, 2857; BAGE 79, 379 = NJW 1995, 2745; ____BAG NJW 2002, 845 m.w.N. ____113 Zöller/Greger Rdn. 9. ____114 So auch BAG NZA 1999, 925. 115 BAG NZA 1999, 925. ____116 BGHZ 101, 276 = NJW 1986, 2586, 2587; BGH NJW 1994, 1881, 1882; BGH NJW 1994, 2097; grds. auch ____BGH NJW 2001, 1581, 1582. ____117 BVerfG NJW 1996, 2857.

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____ten Anteil118 wenig praktikabel und auch nicht erforderlich. M.E. sollte es für den (recht____zeitigen) Eingang des gesamten ausgedruckten Schriftstücks ausreichen, wenn der Vor____gang des Ausdruckens noch fristgerecht in Gang gesetzt wurde, soweit seine Fortsetzung ____ohne Unterbrechung erfolgt ist. Immerhin reicht auch nach Auffassung des BGH die voll____ständige elektronische Übermittlung an das Empfangsgerät auch bei nicht vollständigem ____und fehlerfreiem Ausdruck aufgrund technischer Störungen aus, wenn der Gesamtinhalt ____des Schriftstücks auf andere Weise einwandfrei zu ermitteln ist.119 ____ Das übliche Nachreichen des Originalschriftstücks ist m.E. als für die Fristwahrung 38 ____grds. unmaßgebliche weitere Übermittlung zu qualifizieren,120 nicht hingegen als erneute ____Vornahme der verfahrensrechtlich relevanten Handlung.121 ____ ____ 6. Wahrung sonstiger Verfahrensvoraussetzungen. Der Betreibende genießt nicht 39 ____den Schutz des § 167, wenn ihm die nicht mehr geringfügige Verzögerung zwischen Ein____gang seines Antrags/seiner Erklärung und der verspäteten Zustellung (vgl. Rdn. 46 ff.) ____anzulasten ist.122 ____ Gemäß § 12 GKG ist die Vorauszahlung eines Gerichtskostenvorschusses vorgese- 40 ____hen, bevor die Zustellung betrieben wird. Es handelt sich um eine Soll-Vorschrift, die ____vom Betreibenden (auch bei anwaltlicher Vertretung) nicht verlangt, den Vorschuss un____aufgefordert zu entrichten; er darf zunächst die Aufforderung hierzu abwarten.123 Für die ____rechtliche Wirkung der Verzögerung ist danach zu unterscheiden, ob vor bzw. nach Ab____lauf der zu wahrenden Frist eine Anforderung erfolgt oder nicht. Erfolgt die Anforderung ____vor Ablauf der Frist, so berechnet sich die Verzögerung ab dem Zeitpunkt des Fristab____laufs; der Betreibende kann laufende Fristen bis zum Ablauf nutzen, ohne dass ihm dies ____nachteilig angerechnet werden darf (vgl. oben Rdn. 14 f.).124 Erfolgt die Aufforderung spä____ter, so beginnt die Berechnung der Verzögerung mit der Anforderung.125 Nach Anforde____rung muss der Betreibende allerdings unverzüglich zahlen, wobei für die Berechnung ____der Frist die unten Rdn. 40 dargelegten Maßstäbe gelten.126 Verzögerungen bei zulässi____gen Zahlungen im Wege des bargeldlosen Zahlungsverkehrs hat er nur zu vertreten, ____wenn eigenes vorwerfbares Verhalten vorliegt (z.B. fehlerhafte Erstellung eines Daten____trägers; mangelnde Kontendeckung).127 Erfolgt nach Ablauf der zu wahrenden Frist keine ____Anforderung (aber auch keine Zustellung), so ist der Betreibende grds. innerhalb einer ____angemessenen Frist (ungefähr 3–4 Wochen;128 2 Monate dürften i.d.R. zu lang sein)129 ge____ ____ 118 Vgl. BGH NJW 1994, 2097. ____119 BGH NJW 1994, 1881, 1882; BGH NJW 2001, 1581, 1582. ____120 So VGH Kassel NJW 1992, 3055; Vollkommer FS Hagen 1999, 49, 64; Zöller/Greger Rdn. 9 m.w.N. ____121 So BGH NJW 1993, 3141 m.w.N.; BAG NZA 1999, 895. ____122 OLG Hamm VersR 1976, 233. 123 BGHZ 69, 361 = NJW 1978, 215, 216; BGH NJW 1986, 1347, 1348; BGH NJW 1993, 2811, 2812; OLG ____Düsseldorf ZMR 1996, 608, 609; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 53 = GmbHR 2003, 1482; OLG München NJW____RR 2008, 947, 948. ____124 Vgl. hier nur BGH NJW 1988, 1259, 1260. ____125 BGH NJW 1993, 2811, 2812. ____126 BGH NJW 1993, 2811, 2812; OLG Hamm NJW 1977, 2364 lässt für große Behörden eine Frist von 19 Tagen ausreichen (entgegen der damals h.M. einer Begrenzung auf 14 Tage); vgl. auch LG Nürnberg____Fürth NJW 2009, 374 (zum seit 2007 geänderten Verfahren nach dem WEG). ____127 Vgl. BGH NJW 1984, 1239, 1240 für eine aufgrund behördeninterner Vorgänge verzögerte ____Scheckzahlung, welche nicht zum Nachteil des Betreibenden gereichte; vgl. zur Zulässigkeit einer solchen ____Zahlung BGH NJW-RR 1993, 429, 430. 128 BGH NJW-RR 1992, 470, 471 (3 Wochen sind allgemein nicht zu lang); OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, ____573 (ca. 4 Wochen reichen aus); nach BGH VersR 1968, 1062, 1063 sind 25 Tage zu lang; nach OLG ____Saarbrücken NJW-RR 2002, 1025, 1027 dürfen 3 Wochen nicht überschritten werden. ____129 Vgl. BGHZ 69, 361 = NJW 1978, 215, 216; Wax NJW 1994, 2331, 2332.

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____halten, nachzufragen,130 ohne weiteres zu zahlen oder einen Antrag gemäß § 14 GKG zu ____stellen.131 Konsequenterweise sollte auch hier auf die in § 691 Abs. 2 festgelegte Monats____frist abgestellt werden (vgl. Rdn. 46 f.). Anderes (keine Pflicht zum eigenständigen Tä____tigwerden) soll im Mahnverfahren gelten.132 ____ Ist der Gerichtskostenvorschuss bereits entrichtet, so hat der Betreibende insoweit 41 ____alles getan, um eine alsbaldige Zustellung zu erreichen.133 Anders als bei nicht entrichte____tem Vorschuss (vgl. Rdn. 40) muss er auch grds. nicht nachfragen, wenn die Zustellung ____daraufhin nicht erfolgt,134 sofern nicht andere von ihm zu verantwortende Umstände ____(vgl. Rdn. 46 ff.) eine Nachfrage gebieten. ____ Wird ein Prozesskostenhilfeverfahren betrieben, so genügt zunächst die ordnungs42 ____gemäße135 (vgl. § 117) Einreichung des Antrags vor Ablauf der zu wahrenden Frist.136 Auch ____hier darf die Frist bis zum Ablauf genutzt werden (vgl. allg. oben Rdn. 14 f.).137 Nach einer ____– positiven oder negativen – Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag muss die ____Klage unverzüglich zugestellt werden.138 Der Betreibende muss alles ihm zumutbare da____für tun, um die Zustellung möglichst zu beschleunigen.139 Insoweit ist ihm im Falle der ____Ablehnung eine Überlegungsfrist von nicht mehr als 2 Wochen zuzubilligen, binnen de____rer er zulässige Rechtsbehelfe einlegen muss.140 Nach Auffassung des OLG Karlsruhe141 ____muss nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe hierauf in der Klageschrift unter Angabe ____des Aktenzeichens hingewiesen werden. ____ Die Interessen des Adressaten sind dadurch gewahrt, dass er wie bei einer Klageer43 ____hebung zur gleichen Zeit von der beabsichtigten Rechtsverfolgung erfährt.142 ____ ____ III. Zustellung „demnächst“ ____ ____ 1. Zeitpunkt der Zustellung ____ ____ a) Grundlagen. Das Gesetz legt keinen Zeitpunkt dafür fest, wann die verzögerte 44 ____Zustellung spätestens erfolgen muss, um noch das Tatbestandsmerkmal „demnächst“ zu ____erfüllen. Auch die Rechtsprechung hat keine absolute zeitliche Grenze dafür entwickelt, ____wann eine Zustellung nicht mehr als „demnächst“ qualifiziert werden kann.143 Die Verzö____gerung muss sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls in einem „hin____ ____ ____130 Auf die nach mehrfacher Nachfrage hin gegeben Auskunft, die Anforderung werde demnächst erfolgen, darf sich der Betreibende grds verlassen, ohne eigene Obliegenheiten zu verletzen, so zu Recht ____OLG München NJW-RR 2008, 947 f. ____131 Vgl. BGHZ 69, 361 = NJW 1978, 215, 216; BGH NJW-RR 1992, 470, 471; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, ____1025, 1027; OLG Naumburg NJW-RR 2003, 1663; BGH NJW 2010, 222, 223; Zöller/Greger Rdn. 15. ____132 BGH NJW 1993, 2811, 2812. 133 OLG Hamm VersR 1976, 233; vgl. auch BGH NJW 2010, 222, 223. ____134 BGH NJW 2010, 222, 223 f.; OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508. ____135 Vgl. nur BGH JZ 1989, 504. ____136 BGHZ 70, 235, 239; BGH NJW-RR 1989, 675; OLG Düsseldorf FamRZ 1991, 958, 959; LAG Hannover ____AnwBl 2000, 59 ff. für die Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist; vgl. auch BGH NJW 1991, 1745, 1746; ____a.A. OLG Bamberg FamRZ 1984, 483, 485 (zu § 1408 Abs. 2 BGB). 137 BGHZ 70, 235, 239; BGH NJW 2012, 612 f. ____138 BGH NJW 1991, 1745, 1746. ____139 BGH NJW-RR 1989, 675; BGH NJW 1991, 1745, 1746. ____140 BGH NJW 1991, 1745, 1746; OLG Karlsruhe VersR 1992, 1205; für einen wohl singulären Sonderfall ____überlanger Verfahrensdauer vgl. BVerfG NJW 1994, 1853, 184 mit eigenartiger Begründung. 141 OLG Karlsruhe VersR 1992, 1205. ____142 BGHZ 70, 235, 239. ____143 BGH WM 1983, 985, 986; BGH NJW 1993, 2614, 2615; BGH NJW 2003, 2830, 2831; BGH FamRZ 2005, ____598; BGH NJW 2010, 856, 857.

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____nehmbaren Rahmen“ halten.144 Hierbei ist nach Fallgruppen zu unterscheiden (vgl. ____Rdn. 46 ff.). ____ Grundsätzlich gilt, dass dem Betreibenden jedes ihm zuzurechnende Verschulden 45 ____für die verzögerte Zustellung schadet (vgl. oben Rdn. 12 f.). Die Verzögerung berechnet ____sich allerdings erst ab Ablauf der zu wahrenden Frist, weil der Betreibende diese Frist ____nach ihrem Sinn und Zweck bis zum Zeitpunkt des Ablaufs ausschöpfen darf (vgl. oben ____Rdn. 14 f.). Zudem kann in – praktisch wichtigen – Bagatellfällen nur geringfügiger Ver____zögerung auch im Falle von Nachlässigkeit des Betreibenden dennoch die Wirkung des ____§ 167 eintreten (sogleich Rdn. 46 ff.). ____ ____ b) Anwendbarkeit der Norm trotz Nachlässigkeit des Betreibenden. Die ständi- 46 ____ge Rechtsprechung hat in einer wertenden Betrachtung dem Betreibenden die Wirkung ____des § 167 in solchen Fälle zugestanden, in denen ein vorwerfbares Verhalten zu einer ____nur geringfügigen und daher den Adressaten kaum belastenden Verzögerung der Zu____stellung geführt hat (vgl. oben zum Fehlen von Abschriften oder der Streitwertangabe ____Rdn. 20). Eine Frist von höchstens 14 Tagen gilt mittlerweile fast durchgängig als in sol____chem Sinne geringfügig.145 In einer generalisierenden Betrachtung hat der BGH in einer ____Grundsatzentscheidung zur verzögerten Zustellung von Mahnbescheiden (zu § 693 Abs. 2 ____a.F.)146 ausgesprochen, dass i.d.R. auch bei verschuldeten Verzögerungen eine Monats____frist (vgl. § 691 Abs. 2) noch als geringfügig anzusehen ist. Nachdem § 693 Abs. 2 a.F. in ____die Neuregelung des § 167 eingeflossen ist, erscheint es angemessen, diese Monatsfrist ____auf alle Zustellungen zu übertragen.147 Es wäre wenig konsistent, eine längere Verzöge____rungsfrist gerade dem einer schnellen und unaufwendigen Rechtsdurchsetzung dienen____den Mahnverfahren vorzubehalten.148 Zudem hat der Gesetzgeber § 693 Abs. 2 a.F. in die ____allgemeinere Regelung des § 167 n.F. eingehen lassen, weil er offenbar keine besondere ____Behandlung des Mahnverfahrens in dieser Frage für geboten hielt. Damit ist die zuvor ____herrschende Auffassung der Rechtsprechung, welche die Geringfügigkeitsgrenze bei ei____ner Frist von 14 Tagen ansetzte,149 obsolet geworden.150 Allerdings halten manche Ober____gerichte an der 14 Tage-Grenze fest,151 und verbreitet legt die Rechtsprechung auch bei ____der Anfechtungsfrist in WEG-Verfahren strenge Maßstäbe an.152 ____ In der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wurde bislang der Beginn des 47 ____Laufs der „geringfügigen“ Frist. Für eine Anknüpfung bereits an den Zeitpunkt des Ab____laufs der zu wahrenden Frist könnte sprechen, dass es sich hier um eine Belastung des ____ ____144 BGH Urt. v. 3.2.2012, BeckRS 2010, 06071. ____145 BGH NJW 2011, 1227 m. zahlr. N. A.A. für einen Sonderfall (Auslandszustellung mit Privilegierung ____des Zustellungsempfängers durch Regelungen des Warschauer Abkommens) OLG Frankfurt a.M. ____15.11.2010, BeckRS 2010, 30171. 146 BGHZ 150, 221 = NJW 2002, 2794, 2795; vergleichbar OLG Frankfurt a.M. MDR 2001, 892; OLG ____Hamburg NJW-RR 2003, 286 f.; OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508. ____147 So nunmehr ArbG Berlin v. 6.8.2003 (Az. 7 Ca 5097/03), juris Rechtsprechung Nr. KARE 600009093 ____unter Berufung auf Zöller/Greger Rdn. 11. ____148 So aber OLG Karlsruhe OLGR 2004, 53 = GmbHR 2003, 1482; skeptisch auch Foerste BGH EWiR § 167 ____ZPO 1/02, 780; vgl. aber auch Vollkommer FS Lüke, 1997, 865, 981 f. für die weitgehende Parallelität von Klage- und Mahnverfahren im Hinblick auf die Verjährungsunterbrechung. ____149 Vgl. nur BGH NJW 1996, 1060, 1061; BGH NJW 1999, 3125; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 53 = GmbHR ____2003, 1482 m.w.N. ____150 Vgl. BGH Urt. v. 3.2.2012, BeckRS 2010, 06071; Jungk, BRAK-Mitt 1/2003, 167, 168. ____151 OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 166; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 53 = GmbHR 2003, 1482; OLG Potsdam OLG-NL 2004, 110, 111; OLG Dresden WM 2007, 297, 298; OLG Bremen Beschl 26.1.2011 (3 U 10/10; ____unveröffentlicht). ____152 LG Nürnberg-Fürth NJW 2009, 274; Drasdo NJW-Spezial 2009, 129 m.w.N.; großzügiger nun BGH ____3.3.2010, BeckRS 2012, 06071.

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____Adressaten aus Gründen handelt, die vom Betreibenden zu vertreten sind, und dass die____se Belastung möglichst gering ausfallen sollte. Andererseits hat schon die bisherige ____Rechtsprechung in Fällen, in denen dem Betreibenden gegenüber eine Mitteilung über ____seine Versäumnisse (im weiten Sinne, z.B. durch Anfragen, Zwischenverfügungen, Mit____teilung über erfolglose Zustellungsversuche etc.) abgegeben wurde, den Fristlauf erst ab ____Erhalt dieser Mitteilung angesetzt.153 Hierfür spricht, dass erst zu diesem Zeitpunkt für ____den Betreibenden Klarheit darüber besteht, dass er etwas versäumt hat und dass er dies ____in geeigneter Weise beheben muss. Auch wird mit dieser Sicht nur die gesetzgeberische ____Grundentscheidung der § 691 Abs. 2 verallgemeinert. Bei der Berechnung der Verzöge____rung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum ____für die Zustellung als Folge der Nachlässigkeit verzögert.154 ____ Schließt man sich mit der hier vertretenen Ansicht einer Verallgemeinerung der Re48 ____gel des § 691 Abs. 2 an, so muss konsequenterweise § 167 auch dann noch eingreifen, ____wenn der Grund der verzögerten Zustellung (ab Mitteilung des Mangels) innerhalb eines ____Monats beseitigt wird und danach die Zustellung demnächst erfolgt.155 Die auf Geringfü____gigkeit hin zu prüfende Frist ist also nur diejenige zwischen Mitteilung des Mangels und ____dessen Behebung (Fristende). Immerhin entspricht dies der gesetzgeberischen Grund____entscheidung des § 691 Abs. 2 in der Abwägung der berechtigten Interessen des Betrei____benden und des Adressaten. Nicht maßgeblich ist nach dieser Berechnungsart also die ____Frist zwischen Behebung des Mangels und Zustellung. ____ Vorwerfbares Verhalten des Betreibenden schadet ihm ferner dann nicht, wenn es 49 ____für die Verzögerung nicht kausal geworden ist.156 Zur mangelnden Vorwerfbarkeit einer ____Ausnutzung der laufenden Frist bis zum unmittelbaren Ablauf vgl. oben Rdn. 14 f. ____ Nicht zu Lasten des Betreibenden dürfen Verzögerungen wirken, die auf Versäum50 ____nissen außerhalb seines eigenen Verantwortungsbereichs beruhen (vgl. zu unnöti____gen Nachfragen u.a. oben Rdn. 21; zur gemischten Verantwortlichkeit unten Rdn. 55 ff.). ____Der hierauf entfallende Zeitraum wird also nicht auf die Geringfügigkeitsfrist angerech____net.157 ____ ____ c) Anwendbarkeit der Norm bei nicht mehr geringfügiger Verzögerung. Bei Zu51 ____stellungsverzögerungen, welchen die Monatsfrist (a.A.: die 14-Tagesfrist, vgl. soeben ____Rdn. 46) überschreiten, kann die Zustellung grds. nur noch dann „demnächst“ bewirkt ____werden, wenn die Verzögerung nicht im Verantwortungsbereich des Betreibenden liegt, ____oder wenn seine Nachlässigkeit für die Verzögerung nicht kausal geworden ist (vgl. ____Rdn. 49). ____ Die Festlegung einer absoluten zeitlichen Grenze, ab der keinesfalls mehr „dem52 ____nächst“ zugestellt wird, wird von der st.Rspr. abgelehnt (vgl. oben Rdn. 44). Freilich wird ____mit zunehmendem Zeitablauf das berechtigte Interesse des Adressaten an der endgül____tigen Klärung des Fristablaufs immer mehr zunehmen.158 Das OLG Hamm159 hält einen ____Zeitraum von unter 6 Monaten für grds. hinzunehmen. ____ ____ ____153 Vgl. BGH FamRZ 1988, 1154, 1156; BGH NJW 1994, 1073, 1074; BGHZ 150, 221 = NJW 2002, 2794, 2795 zum Mahnbescheidsverfahren. ____154 BGH NJW 2011, 1227 m.w.N. ____155 Zöller/Vollkommer § 691 Rdn. 4; Zöller/Greger Rdn. 11; B. Ebert NJW 2003, 732. So auch BGHZ 150, 221 ____= NJW 2002, 2794, 2795 für das Mahnverfahren. ____156 BGH MDR 2003, 568, 569. 157 BGH NJW 2000, 2282; OLG Köln ZMR 2001, 661, 662; OLG Köln MDR 2004, 271 f.; OLG Zweibrücken ____FGPrax 2003, 216 m.w.N. ____158 Vgl. nur OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508. ____159 OLG Hamm NJW-RR 2002, 1508.

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____ Bei der Auslandszustellung sind vergleichsweise lang dauernde Verzögerungen oft ____unvermeidlich. Ursachen hierfür können in der teils aufwendigen und langwierigen Aus____führung im Ausland zu finden sein, aber auch in einer schleppenden oder mangelhaften ____Bearbeitung des Antrags im Inland.160 In beiden Fällen liegen die Ursachen außerhalb ____des Verantwortungsbereichs des Betreibenden. So sollen Fristen von 9–10 Monaten noch ____im Rahmen des § 167 liegen.161 Andererseits mag es in besonderen Einzelfällen Aufgabe ____des Betreibenden sein, nach Möglichkeit einen Zustellungsweg zu wählen, der von der ____(ungewissen) Mitwirkung des Adressaten unabhängig ist.162 In aller Regel ist es aller____dings Aufgabe des Gerichts, den geeigneten Weg zu wählen; der Betreibende darf darauf ____vertrauen, dass das Gericht die Zustellung veranlasst und ihn, falls erforderlich, zur Mit____wirkung auffordern wird (vgl. auch Vor §§ 183, 184 Rdn. 41 ff.).163 Ist die Auslandszustel____lung außerhalb des Verantwortungsbereichs des Betreibenden fehlgeschlagen, so ist es ____erforderlich, aber auch ausreichend, zügig die öffentliche Zustellung in Gang zu brin____gen.164 ____ Liegt die verzögerte Zustellung im Verantwortungsbereich des Adressaten – z.B. ____bei pflichtwidrigem Nichtbeibringen einer zustellungsfähigen Adresse oder bei Ver____schleierung der zutreffenden Adresse bzw. bewusster Vereitelung einer Zustellung – so ____kann gleichfalls eine monatelange Verzögerung noch den Voraussetzungen des § 167 ____genügen.165 ____ ____ d) Falllagen gemischter Verantwortlichkeit für die Verzögerung. In manchen ____Fällen tragen sowohl Nachlässigkeiten des Betreibenden als auch Fehler oder Versäum____nisse bei Gericht gemeinsam zur verzögerten Zustellung bei (vgl. oben Rdn. 21 zu un____nötigen Rückfragen etc.). In diesem Fällen prüft die höchstrichterliche Rechtsprechung, ____welche Anteile der Verzögerung in wessen Verantwortungsbereich fällt. Überschreitet ____der dem Betreibenden anzulastende Anteil nicht die Geringfügigkeitsgrenze (vgl. ____Rdn. 46 ff.), so kann die Wirkung des § 167 eintreten.166 Bei zeitlich nicht zu trennenden ____Verantwortungsanteilen wird eine Schwerpunktbetrachtung erforderlich; eine mehr ____als nur geringfügige Mitverantwortung wirkt zu Lasten des Betreibenden.167 ____ Bleibt das Gericht über längere Zeit untätig, obgleich der Betreibende alles erforder____liche getan hat, so kann nach Ablauf einer längeren Frist eine Nachfrage erforderlich ____werden.168 Diese Frist muss indessen großzügig bemessen werden.169 ____ ____ ____ ____160 OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277; AG Köln FamRZ 2004, 468, 469 vgl. auch OLG Köln IPRax 2005, ____149 m. Anm. Försterling, a.a.O., 124 f. ____161 BGH NJW 1988, 411, 413 m.w.N. 162 Vgl. OLG Schleswig NJW 1988, 3104, 3105 mit z.T. fragwürdiger Begründung (vgl. Pfennig NJW 1989, ____2172); zur Abgrenzung AG Köln FamRZ 2004, 468, 469 (Nichteinhaltung der vom Adressaten zugesagten ____Mitwirkung). ____163 Pfennig NJW 1989, 2172, 2173 mit zu recht krit. Bespr. v. OLG Schleswig NJW 1988, 3104; nun auch ____BGH NJW 2003, 2830, 2831 f. ____164 Vgl. AG Köln FamRZ 2004, 468, 469; vgl. auch Pfennig NJW 1989, 2172, 2173. 165 BGH NJW 1988, 411, 413. ____166 BGH NJW 2000, 2282 = ZIP 2000, 1140; krit. hierzu Schuschke BGH EWiR § 270 ZPO 1/2000, 1077. Vgl. ____auch BGH NJW-RR 1995, 254, 255; OLG Zweibrücken FGPrax 2003, 216 m.w.N. ____167 So wohl auch OLG Stuttgart VersR 1980, 15, 16 (mit Annahme weit überwiegender Verantwortung ____des Gerichts); ohne solche Einschränkung die Verantwortung des Betreibenden bejahend LG Ellwangen WuM 1997, 117. ____168 Vgl. LG Hannover NJW-RR 1998, 1162; anders nun wohl BGH NJW 2006, 3206, 3207 m.w.N.; unklar ____BGH NJW-RR 2006, 1436 f. ____169 Vgl. OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1988, 82, 83.

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____ 57 2. Sonstige Voraussetzungen. Die (verzögerte) Zustellung muss tatsächlich er____folgt und wirksam sein, um die Rechtsfolge des § 167 auslösen zu können.170 ____ Das zugestellte Schriftstück muss mit dem eingegangenen Antrag im Wesentlichen 58 ____identisch sein.171 Abweichungen können insoweit z.B. entstehen, wenn zunächst Klage ____zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht wurde (vgl. § 496) und sodann eine Klage____schrift zugestellt wird.172 Grds. tritt die Wirkung des § 167 nur ein, wenn dasselbe Schrift____stück, das eingereicht wurde, auch zugestellt wird. Geringfügige formelle oder inhalt____liche Abweichungen sind allerdings unschädlich,173 solange sie nicht die Qualität einer ____Klageänderung erreichen. 174 Auch hinsichtlich der Parteien muss Identität gegeben ____sein.175 ____ Zum mangelnden Verschulden des Betreibenden für die verzögerte Zustellung als 59 ____negativem Tatbestandsmerkmal vgl. oben Rdn. 12. ____ ____ IV. Rechtsfolgen der Norm ____ ____ Wurde die Zustellung demnächst im ausgeführten Sinne (vgl. Rdn. 44 ff.) bewirkt, so 60 ____treten die Zustellungswirkungen in bestimmten Fällen bereits mit dem Zeitpunkt des ____Eingangs des Antrags/der Erklärung ein (Rückwirkungsfiktion). Betroffen sind hiervon ____die Wahrung von prozessualen wie materiellen Fristen (vgl. Rdn. 6) sowie der Neubeginn ____der Verjährung bzw. die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 BGB. Bei entsprechen____der Anwendung auf die Zustellung im Parteibetrieb gemäß § 191 (vgl. § 191 Rdn. 5 ff.) tritt ____die Rückwirkung mit demnächst erfolgter Zustellung nach ordnungsgemäßer Einrei____chung des Schriftstücks durch die Partei ein.176 ____ Die Rückwirkungsfiktion tritt erst mit tatsächlich erfolgter wirksamer Zustellung 61 ____ein.177 Wurde eine Klage, eine Klageerweiterung oder ein anderes zuzustellendes Schrift____stück unwirksam zugestellt, so kommt eine Anwendung der Norm schon deshalb nicht ____in Betracht, weil selbst die rechtzeitige Zustellung die erstrebten Rechtswirkungen nicht ____ausgelöst hätte.178 ____ Weitere Wirkungen (z.B. Bewirkung der Rechtshängigkeit oder Ingangsetzung von 62 ____Fristen) entfaltet die Norm nicht (allg.M.; vgl. oben Rdn. 1 ff.). ____ ____ ____ § 168 ____ Aufgaben der Geschäftsstelle ____ § 168 Rohe ____ (1) Die Geschäftsstelle führt die Zustellung nach §§ 173 bis 175 aus. Sie kann ei____nen nach § 33 Abs. 1 des Postgesetzes beliehenen Unternehmer (Post) oder einen ____Justizbediensteten mit der Ausführung der Zustellung beauftragen. Den Auftrag an ____die Post erteilt die Geschäftsstelle auf dem dafür vorgesehenen Vordruck. ____ ____ ____ ____170 BGH NJW 1995, 2230, 2231 m.w.N.; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277; ebenso für die Auslandszustellung Brand NJW 2004, 1138, 1139. ____171 BGH NJW 1995, 2230, 2231. ____172 Vgl. BGH NJW 1978, 1058. ____173 BGH NJW 1978, 1058, 1059. ____174 Zöller/Greger Rdn. 16; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 11. 175 KG NJWE-MietR 1997, 170, 171. ____176 Vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____177 BGH NJW 1995, 2230, 2231 m.w.N.; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277. ____178 BGHZ 103, 20, 26.

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____ (2) Der Vorsitzende des Prozessgerichts oder ein von ihm bestimmtes Mitglied ____können einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit der Ausführung ____der Zustellung beauftragen, wenn eine Zustellung nach Absatz 1 keinen Erfolg ver____spricht. ____ Übersicht ____ ____ 1 a) Delegation der Ausführung durch die ____I. Einführung Geschäftsstelle ____ 9 II. Ausführung der Zustellung ____ b) Ausführung durch die 1. Ausführung durch die Geschäftsstelle ____ Post ____ 11 (Abs. 1 Satz 1) ____ 3 ____ a) Zuständigkeit und Art der c) Ausführung durch Justizbe____ Ausführung ____ 3 dienstete ____ 14 ____ ____ 5 b) Zustellungswille 3. Delegation der Ausführung an einen ____ c) Haftung ____ 8 Gerichtsvollzieher oder eine andere ____ 2. Delegation der Ausführung an die Behörde durch das Prozessgericht ____ Post oder einen Justizbediensteten (Abs. 2) ____ 16 durch die Geschäftsstelle III. Kosten ____ 20 ____ ____ (Abs. 1 Satz 2) 9 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 168 regelt die Zuständigkeit für die inländische Ausführung der Zustellung im 1 ____Amtsbetrieb. Die Zustellung im Ausland regeln gesonderte Vorschriften, darunter § 183. ____Für die Ausführung der Zustellung ist grds. die Geschäftsstelle zuständig (Abs. 1 Satz 1); ____das gilt auch für die Ausführung der vom Prozessgericht bewilligten (§ 186 Abs. 1) öffent____lichen Zustellung.1 Sie kann jedoch die Ausführung gemäß Abs. 1 Satz 2 delegieren. Dem ____Prozessgericht kommt eine subsidiäre Kompetenz nach Abs. 2 zu. Besondere gerichtliche ____Zuständigkeiten sind bei der Zustellung im Ausland (§ 184) vorgesehen. ____ Bei der Zustellung im Parteibetrieb (§§ 191 ff.) wird die Vorschrift durch § 192 er- 2 ____setzt, sie ist also nicht über § 191 anwendbar (vgl. § 191 Rdn. 6–9). ____ ____ II. Ausführung der Zustellung ____ ____ 1. Ausführung durch die Geschäftsstelle (Abs. 1 Satz ____ ____ a) Zuständigkeit und Art der Ausführung. Nach Abs. 1 Satz 1 führt grds. die Ge- 3 ____schäftsstelle die Zustellung aus. Zuständig ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ____(vgl. § 153 GVG) als Organ der Rechtspflege.2 Er handelt hoheitlich und ist an Weisungen ____von Parteien nicht gebunden.3 Der Urkundsbeamte muss die Notwendigkeit der Zustel____lung prüfen (vgl. zu Fällen der formlosen Übermittlung Vor § 166 Rdn. 6) und gegebenen____falls die Zustellung veranlassen.4 Die Auswahl der Zustellungsart (Aushändigung an ____der Amtsstelle, Zustellung gegen Empfangsbekenntnis oder durch Einschreiben mit Rück____schein, §§ 173 bis 175 bzw. Delegation nach Satz 2) hat der Urkundsbeamte nach pflicht____gemäßem Ermessen zu treffen.5 Auszuwählen ist grds. diejenige Zustellungsart, die nach ____ ____ ____1 Zöller/Stöber will § 168 entsprechend anwenden (§ 186 Rdn. 6). § 186 regelt indes nicht die ____Ausführungszuständigkeit, so dass m.E. insoweit § 168 direkt anwendbar ist. 2 OLG Frankfurt a.M. OLGR 2002, 167. ____3 Bereits zum vormaligen Zustellungsrecht mit dem Grundsatz des Parteibetriebs RGZ 46, 323 f. ____4 RGZ 105, 422, 423; BGH NJW 1956, 1878, 1879. ____5 BGH VersR 1985, 142, 143; BGH NJW 1990, 2125; BGH FamRZ 1995, 799.

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____den gegebenen Umständen deutlich ausreichende Sicherheit bietet, auch wenn es billi____gere Alternativen gibt. Das Risiko einer fehlgeschlagenen Zustellung bzw. einer Verlet____zung des rechtlichen Gehörs wiegt schwerer als der finanzielle Aufwand.6 Allerdings ____sind die eingeschränkten Personalkapazitäten des Justizdienstes (Satz 2) zu berücksich____tigen,7 daneben auch der Umstand, dass eine im Raum stehende Ersatzzustellung nur ____auf dem Weg des förmlichen Zustellungsauftrags (§ 176) möglich ist.8 Bei vergleichbarer ____Sicherheit ist die kostengünstigste und einfachste Zustellungsart zu wählen. Regelmäßig ____wird dies die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 174 sein,9 ansonsten die Be____auftragung der Post oder eines Justizbediensteten nach Satz 2. Der Urkundsbeamte muss ____auch die rechtzeitige und ordnungsgemäße Ausführung der Zustellung überwachen, ins____besondere den Eingang von Zustellungsnachweisen (Zustellungsurkunde; Empfangsbe____kenntnis, § 174; Rückschein, § 175).10 Dabei ist auch zu prüfen, ob sie die ordnungsgemäße ____Ausführung der Zustellung belegen. Gegebenenfalls ist eine unwirksame Zustellung in ____ordnungsgemäßer Form zu wiederholen.11 Anders als nach vormaligem Zustellungsrecht ____kann m.E. wegen des Übergangs zum generellen Amtsbetrieb ein Hinweis auf Zweifel an ____den Beteiligten, in dessen Interesse die Zustellung betrieben wird, nicht mehr ausrei____chen.12 ____ Die Zustellung nach Abs. 1 Satz 1 ist auch dann wirksam, wenn sie der Richter an4 ____stelle des Urkundsbeamten verfügt13 oder er Anordnungen hinsichtlich der Zustellung ____trifft.14 Solche richterlichen Anordnungen sind trotz der eigenen Zuständigkeit und Ver____antwortung der Geschäftsstelle bindend.15 Dagegen ist der Gerichtsvollzieher außerhalb ____des Anwendungsbereichs des Abs. 2 nicht zuständig.16 Handelt er anstelle des Urkunds____beamten, so ist die Zustellung unwirksam. ____ ____ 5 b) Zustellungswille. Die rechtswirksame Zustellung setzt voraus, dass die Ge____schäftsstelle das Schriftstück dem Zustellungsempfänger übersandt hat mit dem Willen, ____es zuzustellen (zum korrespondierenden Empfangswillen vgl. § 174 Rdn. 19 ff.). 17 Die ____formlose Übersendung eines Schriftstücks ohne Zustellungswillen ist keine Zustellung ____(vgl. § 166 Rdn. 50).18 Die spätere Übersendung eines Zustellungsformulars ändert hieran ____alleine nichts. Jedoch kann in der Unterzeichnung des Formulars ein Verzicht auf förmli____che Zustellung liegen (vgl. auch § 174 Rdn. 15 f.).19 ____ ____ ____ 6 Vgl. auch Zöller/Stöber Rdn. 2; die Gesetzesbegründung (BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16) sieht den Aspekt ____der Einfachheit und Kostengünstigkeit gar im Vordergrund. Vgl. aber auch LG Bonn DGVZ 2004, 44, 45 ____m. zust. Anm. Kessel (zum vergleichbaren Auswahlermessen des Gerichtsvollziehers). ____7 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____8 Heß NJW 2002, 2417, 2418. 9 LAG Bremen Rpfl. 1988, 165; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein § 174 Rdn. 2; a.A. BLAH/Hartmann § 174 ____Rdn. 6 für „wichtige“ Schriftstücke; unklar bleibt, wonach sich die Wichtigkeit bemessen soll, und ____weswegen dann die Zustellung nach § 174 von minderer Dignität ist. ____10 RGZ 105, 423 f.; vgl. auch BGH NJW 1990, 176, 177. ____11 Vgl. BGH NJW 1990, 176, 177. ____12 So zum vormaligen Recht BGH NJW 1990, 176, 177; weiterhin Zöller/Stöber Rdn. 4. 13 BGH NJW 1956, 1878, 1879. ____14 BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ____15 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16; BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ____16 OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1979, 40, 41; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 5 (beide schon nach vormaligem ____Zustellungsrecht). 17 BGH NJW 1994, 2297; BGH VersR 2001, 606, 607; OLG Brandenburg 6.11.2008, BeckRS 2009, 09942; ____vgl. auch BayObLG FGPrax 1997, 74; BayObLG FGPrax 1997, 168. ____18 BGH FamRZ 1972, 91. ____19 BGH FamRZ 1972, 91, 92; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5.

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____ Der Wille zur Zustellung ist m.E. nicht mehr hinreichend deutlich, wenn die Ge____schäftsstelle in zeitnahem Zusammenhang mit der Zustellung (am selben Tag) den Ad____ressaten oder den Empfänger auffordert, das „falsche“ bzw. fälschlich zugestellte ____Schriftstück wieder zurückzusenden.20 Der BGH21 hebt zwar darauf ab, dass die wirksame ____Zustellung den Zugang, nicht aber den Verbleib des Schriftstücks voraussetze. Die späte____re Rückgabe des Schriftstücks allein berührt deshalb in der Tat die Wirksamkeit der Zu____stellung nicht.22 Jedoch können der Geschäftsstelle zuzurechnende Zweifel an der Wirk____samkeit der Zustellung (fehlender Zustellungswille) nicht zu Lasten des Adressaten ____gehen. Die Korrektur von Fehlern im zuzustellenden Schriftstück – dies wird i.d.R. der ____Anlass für die Rückforderung sein – kann schlicht dadurch erfolgen, dass unverzüglich ____eine erneute Zustellung des berichtigten Schriftstücks vorgenommen wird. Hierbei sollte ____zur Vermeidung von Zweifeln ein deutlicher Hinweis auf die Berichtigung gegeben wer____den. ____ In jedem Falle ist ein Widerruf der Zustellung (Verneinung des Zustellungswillens) ____bis zum Zeitpunkt des Zugangs des zuzustellenden Schriftstücks möglich, etwa mit der ____Bitte um Rücksendung des noch unausgefüllten Empfangsbekenntnisses.23 ____ ____ c) Haftung. Bei Verletzung der obengenannten (Rdn. 3) Pflichten kann die Haftung ____nach § 839 BGB, Art. 14 GG eingreifen.24 Dies gilt insbesondere dann, wenn ein erkennbar ____unzulässiger Zustellungsweg gewählt wird (z.B. Zustellung an den Gegner des Adressa____ten entgegen der Vorschrift des § 178 Abs. 2).25 Hinsichtlich der Auswahl unter mehreren ____zulässigen wird eine solche Haftung in der Praxis auf Extremfälle beschränkt bleiben, in ____denen die Auswahl des „falschen“ Zustellungswegs schlechterdings unverständlich ist. ____Dabei sind Streitigkeiten über eine billige, aber fehlgeschlagene Zustellung viel eher zu ____erwarten als umgekehrt solche über die etwas höheren Kosten der Zustellung. ____ ____ 2. Delegation der Ausführung an die Post oder einen Justizbediensteten durch ____ die Geschäftsstelle (Abs. 1 Satz ____ ____ a) Delegation der Ausführung durch die Geschäftsstelle. In der Regel erfolgt die ____Zustellung durch Beauftragung der Post (vgl. Rdn. 11 ff.) oder eines Justizbediensteten ____(vgl. Rdn. 14 f.). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle entscheidet hierüber nach ____pflichtgemäßem Ermessen (vgl. oben Rdn. 3). Post bzw. Justizbedienstete führen die Zu____stellung dann in eigener Zuständigkeit und Verantwortung aus.26 Die Ausführung der ____Zustellung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 176 Abs. 2, 177–181), zur ____äußeren Form des zuzustellenden Schriftstücks vgl. § 176 Abs. 1. Der Urkundsbeamte ____muss das zu übergebende Schriftstück dem Ausführenden nicht persönlich aushändi____gen. Er kann sich dazu eines Gerichtswachtmeisters oder anderer Personen bedienen.27 ____Einzelweisungen der Geschäftsstelle muss der Beauftragte beachten. Es handelt sich ____dabei jedoch nur um interne Anordnungen ohne Außenwirkung zugunsten des Adressa____ten. Liegen also die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung (§§ 178 ff.) ____ ____ 20 Vergleichbar OLG Köln FamRZ 1993, 345; a.A. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5. ____21 BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ____22 BGH a.a.O.; BGH NJW-RR 1992, 251. ____23 Vgl. BGH NJW-RR 1992, 251, 252. ____24 Vgl. RGZ 17, 391; RGZ 51, 258; RGZ 79, 216; BGH NJW 1990, 176, 177; OLG Celle DGVZ 2003, 8, 9 (Gerichtsvollzieher nach altem Zustellungsrecht); Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. ____25 OLG Celle DGVZ 2003, 8, 9 (zu § 185 a.F. unter Einbeziehung der Reform). ____26 BGH Rpfl. 2003, 138, 139 = NJW-RR 2003, 208. ____27 BGHZ 8, 314 = NJW 1953, 422 zu § 213.

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____vor, so ist eine solche Zustellung auch dann wirksam, wenn sie durch Weisung der Ge____schäftsstelle ausgeschlossen wurde.28 ____ Der Urkundsbeamte muss in jedem Falle die ordnungsgemäße und rechtzeitige Aus10 ____führung der Zustellung überwachen (vgl. oben Rdn. 3). ____ ____ b) Ausführung durch die Post. Unter „Post“ fasst die Vorschrift jeden nach § 33 11 ____Abs. 1 des Postgesetzes29 mit Zustellungsaufgaben beliehenen Unternehmer. Erfasst ist ____damit nicht nur die Deutsche Post AG, sondern auch der Lizenznehmer i.S. der Norm. ____ Gemäß Abs. 1 Satz 3 erteilt die Geschäftsstelle den Auftrag an die Post gemäß des 12 ____hierfür vorgesehenen Vordrucks (vgl. § 190). Hierbei handelt es sich um eine interne Ord____nungsvorschrift zur effizienten Abwicklung. Die Wirksamkeit der Zustellung wird von ihr ____nicht beeinflusst. ____ Die Post haftet für Pflichtverletzungen bei der Durchführung förmlicher Zustellun13 ____gen wie ein öffentlich-rechtlicher Dienstherr für seine Bediensteten im hoheitlichen Be____reich (§ 35 PostG i.V.m. § 839 BGB, Art. 34 GG).30 ____ ____ c) Ausführung durch Justizbedienstete. Die Stellung des Justizbediensteten i.S.v. 14 ____Abs. 1 Satz 2 ergibt sich aus den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. In Be____tracht kommt jeder geeignete Bedienstete des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft ____gleich welchen Beschäftigungsverhältnisses31 (Beamter, Angestellter, Auszubildender). ____Er handelt ebenso als Zustellungsorgan wie der eingeschaltete Postbedienstete (vgl. ____oben Rdn. 13). Der ausführende Bedienstete muss nicht beim zustellenden Gericht tätig ____sein; möglich und zweckmäßig ist also auch die Beauftragung z.B. eines Gerichtswacht____meisters am (davon verschiedenen) Ort der Zustellung. Dagegen muss der ausführende ____Beamte der Justizvollzugsanstalt in der Anstalt beschäftigt sein, in der sich der Adressat ____befindet.32 ____ Der Urkundsbeamte muss das zu übergebende Schriftstück dem Ausführenden nicht 15 ____persönlich aushändigen. Er kann sich dazu eines Gerichtswachtmeisters oder anderer ____Personen bedienen.33 ____ ____ 3. Delegation der Ausführung an einen Gerichtsvollzieher oder eine andere 16 ____Behörde durch das Prozessgericht (Abs. 2). Ist in Einzelfällen die Zustellung nach ____Abs. 1 durch die Geschäftsstelle oder die Post nicht möglich und verspricht auch die Zu____stellung durch einen Justizbediensteten keinen Erfolg, so kann ein Gerichtsvollzieher ____(vgl. § 192 Rdn. 12 ff.) oder eine andere Behörde mit der Ausführung der Zustellung beauf____tragt werden.34 Beispielsfälle sind die Zustellung an Personen ohne festen Wohnsitz (mit ____bekanntem Aufenthaltsort) oder auf Binnenschiffen. Dann können kommunale Behör____den, die Polizei oder die Wasserschutzpolizei eingeschaltet werden. Beauftragte Ge____richtsvollzieher oder Behörden werden hier als gesetzliches Zustellungsorgan tätig.35 ____Es bedarf also keines zusätzlichen Auftrags der Justizverwaltungsbehörde nach § 24 ____Abs. 1 GVO.36 ____ ____ 28 BGH Rpfl. 2003, 138, 139 = NJW-RR 2003, 208. ____29 PostG v. 22.12.1997, BGBl. I S. 3294; vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____30 BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832. ____31 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____32 Stein/Jonas/Roth, 21. Aufl. § 211 (a.F.) Rdn. 8. 33 BGHZ 8, 314 = NJW 1953, 422 zu § 213. ____34 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____35 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____36 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16.

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____ Zuständig für die Beauftragung mit der Ausführung ist der Vorsitzende des Pro____zessgerichts (das ist der Senats- oder Kammervorsitzende, der Einzelrichter nach §§ 348, ____348 a, 526, 527, der Richter am AG sowie im übertragenen Aufgabenkreis der Rechtspfle____ger, § 4 Abs. 1 RPflG) oder ein von ihm bestimmtes Mitglied des Spruchkörpers.37 ____ Die Beauftragung nach Abs. 2 darf nur erfolgen, wenn eine Zustellung nach Abs. 1 ____keinen Erfolg verspricht. Eine bloße Erleichterung gegenüber den Möglichkeiten nach ____Abs. 1 reicht demnach grds. nicht aus. Die Einschätzung obliegt dem für die Beauftra____gung zuständigen Vorsitzenden bzw. dem von ihm Bestimmten. Fehleinschätzungen ____haben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Zustellung.38 Die Ausführung der Beauf____tragung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. ____ Eine Zustellung nach Abs. 2 kann in Bagatellfällen unterbleiben, wenn z.B. der Zu____stellungsaufwand den Wert der im Mahnverfahren geltend gemachten Geldforderung ____übersteigen würde.39 ____ ____ III. Kosten ____ ____ Für die Zustellung durch die Post fallen Auslagen nach dem 9. Teil Nr. 9002 Ziff. 1, ____bei Zustellung durch Justizbedienstete nach Nr. 9002 Ziff. 2 des KV zum GKG an; Gleiches ____gilt gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 KostO. ____ Das Gesetz über Kosten der Gerichtsvollzieher (GvKostG) und die dazu verabschiede____ten Durchführungsbestimmungen der Länder40 bestimmen über Art und Höhe der Ge____bühren für Amtshandlungen des Gerichtsvollziehers. Für das Gebiet der neuen Länder ____ist in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 23 Maßgabe a eine Ermäßigung ____vorgesehen. Die der zustellenden Partei bewilligte Prozesskostenhilfe umfasst gemäß ____§ 122 Abs. 1 Nr. 1 a) auch die Gerichtsvollzieherkosten, was sich durch § 162 KostO n.F. ____nicht geändert hat. ____ Bevor der Gerichtsvollzieher tätig wird, muss grundsätzlich ein Betrag eingezahlt ____werden, der voraussichtlich die Gebühren und baren Auslagen deckt (§ 4 GvKostG). Für ____Kostenstreitigkeiten steht gemäß § 5 II und III GvKostG bzw. § 766 Abs. 2 ZPO die Erinne____rung offen, über die im Beschlussweg entschieden wird. Der Gebühreneinzug erfolgt ____nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO). ____ Die Kosten einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher muss die unterlegene Par____tei gemäß § 91 erstatten, wenn die zustellende Partei trotz der Möglichkeit einer Zustel____lung von Anwalt zu Anwalt ein berechtigtes sachliches Interesse an der Einschaltung des ____Gerichtsvollziehers hat.41 ____ Das Betreiben der Zustellung durch den Verfahrensbevollmächtigten begründet kei____nen Anspruch auf eine zusätzliche Gebühr nach §§ 18 Nr. 4, 25 RVG jedenfalls wird sie ____von der Verfahrensgebühr, vgl. Nr. 3100, 3200, 3206 VV, erfasst.42 ____ ____ ____ ____ ____ ____37 Vgl. zu dieser gesetzgeberischen Erweiterung BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20; Zöller/Stöber Rdn. 5. ____38 Vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 6. ____39 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____40 GvKostG vom 26.7.1957; DB-GvKostG; abgedruckt bei Piller/Hermann Nr. 9 b. 41 KG DGVZ 1981, 59 m.w.N. für die Zustellung einer im Beschlusswege erlassenen einstweiligen ____Verfügung. ____42 So OLG Düsseldorf VersR 1988, 860, 861 hins. §§ 57, 59 BRAGO zur Prozessgebühr, vgl. auch zur ____Struktur des RVG BB Special 4/2004, 1, 5 f.

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____ § 169 ____ Bescheinigung des Zeitpunktes der Zustellung; Beglaubigung ____ § 169 Rohe ____ (1) Die Geschäftsstelle bescheinigt auf Antrag den Zeitpunkt der Zustellung. ____ (2) Die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke wird von der Geschäfts____stelle vorgenommen. Dies gilt auch, soweit von einem Anwalt eingereichte Schrift____stücke nicht bereits von diesem beglaubigt wurden. ____ ____ Übersicht ____ 1 III. Beglaubigung der zuzustellenden Schrift____I. Einführung stücke (Abs. 2) ____II. Bescheinigung des Zeitpunktes der 1) 1. Einführung ____ 9 ____ Zustellung (Abs.____ 2 2. Kompetenz zur Beglaubigung ____ 11 ____ 1. Einführung 2. Erteilung der Bescheinigung ____ 3 3. Anforderungen an die Beglaubi____ 3. Rechtsbehelfe ____ 7 gung ____ 15 ____ 4. Kosten ____ 8 4. Kosten ____ 22 ____ ____ ____ I. Einführung ____ In § 169 sind ohne innere Verbindung zwei Aufgaben der Geschäftsstelle geregelt. 1 ____ ____Abs. 1 übernimmt die Regelung in § 213 a a.F. über die Bescheinigung des Zustellungs____zeitpunktes ohne inhaltliche Änderungen.1 In Abs. 2 wird die Befugnis zur Beglaubigung ____zuzustellender Schriftstücke in einzelnen Aspekten neu geregelt. Satz 1 greift die Rege____lung des § 210 a.F. auf, Satz 2 diejenige des § 170 a.F. ____ ____ II. Bescheinigung des Zeitpunktes der Zustellung (Abs. 1) ____ 1. Einführung. Bei der Zustellung im Amtsbetrieb ergibt sich der Zustellungszeit2 ____ ____punkt nur aus den Gerichtsakten (vgl. § 182 Abs. 3). Die Norm dient dazu, der interessier____ten Partei einen Nachweis über diesen Zeitpunkt zu verschaffen. Darin muss neben der ____Zeitangabe eine kurze Kennzeichnung des übergebenen Schriftstücks erfolgen. Dieser ____Nachweis kann für sämtliche Arten der Zustellung verlangt werden. Bedeutsam wird er ____insbesondere für die Überprüfung von Rechtsmittelfristen und für die Zwangsvollstre____ckung (vgl. §§ 750 Abs. 1; 798). Andere Umstände als der Zeitpunkt der Zustellung (ins____besondere die Art der Zustellung) müssen nicht beurkundet werden.2 ____ 2. Erteilung der Bescheinigung. Die Erteilung der Zustellungsbescheinigung setzt 3 ____ ____auch nach geltendem Recht einen dahingehenden Antrag voraus. Hierbei gilt kein An____waltszwang (vgl. § 78 Abs. 3).3 Der Antrag wird in der Praxis formularmäßig in der Klage____schrift gestellt,4 bedarf jedoch keiner Form. Wird die Erteilung einer vollstreckbaren Aus____fertigung (§§ 724, 795) oder eines Vollstreckungsbescheides (§ 699) beantragt, so liegt ____darin auch der Antrag auf Erteilung der Zustellungsbescheinigung.5 Zuständig für die Erteilung der Bescheinigung ist der Urkundsbeamte der Ge4 ____ ____schäftsstelle (vgl. § 168 Rdn. 3). Sie bedarf keiner bestimmten Form. Zweckmäßig ist die ____ ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. 2 Vgl. RG JW 1914, 98, 99. ____3 So auch Zöller/Stöber Rdn. 2. ____4 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____5 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 1; Zöller/Stöber Rdn. 2.

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____Verbindung mit einer Ausfertigung oder Abschrift des zugestellten Schriftstücks. An____sonsten muss das zugestellte Schriftstück hinreichend deutlich bezeichnet werden. ____ Bei der Beurkundung muss der Zeitpunkt der Zustellung datumsmäßig festgehalten ____werden. Gleichzeitig ist die Urheberschaft hinreichend deutlich zu machen. Hierzu be____darf es der eigenhändigen Unterschrift des Urkundsbeamten (vgl. § 166 Rdn. 27) sowie ____eines Hinweises auf seine Funktion (vgl. § 166 Rdn. 27). Nennung des Ausstellungsda____tums und Anbringung eines Dienststempels sind dagegen nicht erforderlich.6 Vor Aus____stellung der Bescheinigung muss sich der Urkundsbeamte von der Wirksamkeit der Zu____stellung überzeugen.7 ____ Die Bescheinigung erbringt Beweis (§ 418) dafür, dass der Urkundsbeamte davon ____überzeugt war, dass die Zustellung zum angegebenen Zeitpunkt stattgefunden hat.8 Der ____Nachweis darüber, dass die Zustellung tatsächlich erfolgt ist, ist damit noch nicht ge____führt. Jedoch kommt der Bescheinigung erhebliche Indizwirkung zu. Deshalb bedarf es ____eines substantiierten Bestreitens (§ 418 Abs. 3), wenn der Adressat die Zustellung nicht ____gegen sich gelten lassen will.9 ____ ____ 3. Rechtsbehelfe. Stellt der Urkundsbeamte die Bescheinigung nicht oder unrichtig ____aus, so ist gemäß § 573 Abs. 1 die Entscheidung des Prozessgerichts zu beantragen. Ge____gen seine Entscheidung findet im Anwendungsbereich des § 573 Abs. 2 die sofortige Be____schwerde statt, ansonsten die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe des § 574. ____ ____ 4. Kosten. Die Erinnerung bei Nicht- oder unrichtiger Bescheinigung ist kostenfrei, ____für die Beschwerden gelten die allgemeinen Vorschriften.10 Anwaltskosten für die Zustel____lung werden von § 19 Nr. 9 RVG erfasst. ____ ____ III. Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke (Abs. 2) ____ ____ 1. Einführung. Abs. 2 setzt wie die Vorläuferregelung des § 210 a.F. voraus, dass die ____zuzustellenden Schriftstücke beglaubigt werden müssen.11 Die Übereinstimmung zwi____schen Urschrift und Abschrift soll dadurch hinreichend sichergestellt werden (Rechtssi____cherheit). Die Änderung des Wortlauts der Vorschrift gegenüber § 210 a.F. will hieran ____ersichtlich nichts ändern. Andernfalls wäre es auch wenig verständlich, weswegen eine ____Beglaubigung überhaupt noch gesetzlich vorgesehen ist. ____ Gegenstand der Zustellung ist im Amts- wie im Parteibetrieb meist eine beglaubigte ____Abschrift.12 Anders als in § 170 Abs. 1 a.F. wird jedoch die Art des zuzustellenden Schrift____stücks nach geltendem Recht nicht mehr allgemein festgelegt, sondern im Zusammenhang ____mit den konkreten Regelungen der jeweiligen Verfahrensschritte (vgl. § 166 Rdn. 19). Eine ____zuzustellende Ausfertigung wird nicht beglaubigt, weil sie die Urschrift selbst nach au____ßen vertritt. Sie bedarf jedoch eines Ausfertigungsvermerks (vgl. § 166 Rdn. 27). ____ ____ 2. Kompetenz zur Beglaubigung. Die Neufassung der Beglaubigungsvorschriften ____in Abs. 2 hat an der grundsätzlichen Kompetenzzuweisung nichts geändert. Zur Kom____ ____6 LG Berlin MDR 1978, 411; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 1. ____7 Zöller/Stöber Rdn. 3. ____8 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 1. ____9 So auch Zöller/Stöber Rdn. 5 gegen OLG Köln Rpfl. 1997, 31; dem OLG Köln zustimmend Hannich/ Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____10 Vgl. Zöller/Stöber § 169 Rdn. 6 i.V.m. Zöller/Heßler § 573 Rdn. 7. ____11 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; a.A. Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 166 Rdn. 5. ____12 BGHZ 15, 142, 144 = NJW 1955, 142; BGHZ 42, 94 = NJW 1964, 1857.

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____petenz des Gerichtsvollziehers bei der Zustellung im Parteibetrieb vgl. § 192 Rdn. 2 ff., ____9. ____ Nach Satz 1 ist in jedem Falle der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (vgl. § 168 12 ____Rdn. 3 f.) zuständig für die Vornahme der Beglaubigung. Satz 2 verdeutlicht, dass dies ____auch dann gilt, wenn von einem Anwalt eingereichte Schriftstücke nicht bereits von die____sem beglaubigt wurden.13 ____ Die Befugnis der Anwälte zur Beglaubigung der von ihnen eingereichten Schriftstü13 ____cke bleibt erhalten (Satz 2). Ist also eine solche Beglaubigung bereits erfolgt, so bedarf es ____keiner erneuten Vornahme durch die Geschäftsstelle. ____ Bei der Zustellung im Anwaltsprozess oder ansonsten auf Betreiben von Rechtsan14 ____wälten besitzt der Anwalt (zur Vertretungsmacht vgl. § 170 Rdn. 35, § 172 Rdn. 8 ff., § 195 ____Rdn. 4 ff., 8 f.) die Kompetenz zur Beglaubigung. Die Befugnis des Anwalts zur Beglaubi____gung beschränkt sich auf die in Abs. 2 geregelten Zustellungsfragen.14 Eingeschlossen ist ____die Zustellung der vom Anwalt betriebenen Zustellung einer vollstreckbaren notariellen ____Urkunde15 wie das Zwangsvollstreckungsverfahren insgesamt.16 Der Anwalt darf die ge____samte Zustellung auf einen anderen Anwalt übertragen17 und ihn daher auch zur Beglau____bigung bevollmächtigen. Gemäß § 33 Abs. 1 VwVfG und § 1 VO über die zu Beglaubigun____gen befugten Behörden (BeglV)18 sind die dort jeweils erfassten Behörden berechtigt, ____Beglaubigungen vorzunehmen. Nicht zur Beglaubigung befugt sind Prozessagenten oder ____Rechtsbeistände (vgl. § 26 Nr. 3 Satz 3 GVGA). ____ ____ 3. Anforderungen an die Beglaubigung. Der Beglaubigungsvermerk muss deut15 ____lich machen, dass ein Akt der Beglaubigung vorgenommen werden sollte.19 Dabei muss ____die funktionale Urheberschaft erkenntlich werden.20 Bei der Beglaubigung durch einen ____Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist also der Zusatz „als Urkundsbeamter der Ge____schäftsstelle“ oder vergleichbares anzubringen.21 Bei Beteiligung der Staatsanwaltschaft ____am Verfahren kann deren Urkundsbeamter die Beglaubigung vornehmen.22 ____ Für den Beglaubigungsvermerk ist weder ein bestimmter Wortlaut noch eine be16 ____stimmte Form vorgeschrieben.23 Es genügt die sinngemäße Erklärung des Beglaubi____genden, er habe die zuzustellende Abschrift (vgl. § 166 Rdn. 41 ff.) mit der ihm vorliegen____den Urschrift bzw. Ausfertigung verglichen und völlige Übereinstimmung festgestellt ____(z.B. „Für den Gleichlaut der Abschrift mit der Urschrift“).24 Dabei muss deutlich werden, ____dass es sich um die Abschrift einer (vorliegenden) Ausfertigung handelt.25 Eine beglau____bigte Abschrift bietet keine hinreichende Grundlage für die Anfertigung einer weiteren ____ ____ ____13 Diese Verdeutlichung geht auf eine Anregung des Bundesrats zurück, vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S.30 ____und BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20. 14 RGZ 56, 374, 377; BGHZ 92, 76, 79 m.w.N. für die Einwilligungserklärung des Gegners gemäß § 566 a ____Abs. 2 a.F. (nun § 566 Abs. 1 Nr. 1) bei der Sprungrevision. ____15 AG Bonn DGVZ 1992, 189. ____16 A.A. LG München JW 1929, 2542, 2543 m. abl. Anm. Stemmer, ebenda. ____17 RGZ 164, 52, 55 f.; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 10; Stein/Jonas/Roth Rdn. 6. ____18 VO v. 13.3.2003, BGBl. I, S. 361. 19 Sinngemäß BGHZ 42, 94 = NJW 1964, 1857 unter 3.b). ____20 BGHZ 42, 94 = NJW 1964, 1857. ____21 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 10. ____22 RGZ 33, 365, 366. ____23 RGZ 164, 52, 54; BGHZ 31, 32, 36; BGHZ 36, 62, 63; BGHZ 55, 251, 252 = NJW 1971, 659; BGHZ 76, 222, 228. ____24 Vgl. BGHZ 31, 32 = NJW 1959, 2307, 2308; BGH NJW 1963, 1307, 1308; BGHZ 55, 251, 252 = NJW 1971, 659 ____m.w.N. ____25 OLG München NJW 1965, 447, 448.

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____beglaubigten Abschrift.26 Im Einzelfall kann die bloße Unterzeichnung ausreichen, wenn ____die Unterschrift den Umständen nach keine andere Bedeutung haben kann.27 Ebenso ____genügt es, wenn ein Anwalt bescheinigt, „beglaubigte Abschrift“ zugestellt zu haben; ____darin liegt die Erklärung, das zugestellte Schriftstück sei eine beglaubigte Abschrift.28 ____Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn noch eine gesonderte Beglaubigung vorge____sehen war, die Unterschrift hierbei aber versehentlich unterblieben ist.29 Die Angabe von ____Ort und Datum ist üblich, aber nicht zwingend erforderlich. ____ Der Beglaubigungsvermerk bedarf der handschriftlichen Unterzeichnung durch 17 ____den Zustellenden.30 Ein Stempel reicht nicht aus,31 dies auch dann nicht, wenn sich der ____Empfänger bei der Zustellung durch Einsicht und Vergleich mit der nicht bei ihm ver____bleibenden Urschrift von der inhaltlichen Richtigkeit der Abschrift überzeugen kann.32 ____Die Unterschrift muss nicht lesbar sein.33 Ein Schriftzug, der mangels individuellen Cha____rakters des Schriftbildes die Identität des Unterzeichners nicht erkennen lässt, bewirkt ____jedoch die Unwirksamkeit der Zustellung.34 So verhält es sich bei bloßen Anfangsbuch____staben oder bei Handzeichen (Paraphen) ohne oder mit nicht handschriftlich beigefüg____tem Namen (vgl. die Nachweise bei § 174 Rdn. 51). Hinreichende Individualität ist aber ____schon dann gegeben, wenn charakteristische Merkmale einer vollen Namensunterschrift ____vorhanden sind und die Nachahmung durch Dritte zumindest erschwert ist. Bedeutsam ____ist hierbei, ob der Unterzeichner üblicherweise in vergleichbarer Art unterzeichnet.35 ____Dabei genügt es, wenn jemand, der den Namen und die Unterschriften des Unterzeich____nenden kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann.36 Die einschlägige ____Rechtsprechung ist insgesamt nicht über die Maßen konsistent, scheint aber zusehends ____von den vormals sehr strengen Maßstäben abzurücken. Auch ein unleserlicher Schrift____zug wird jedenfalls dann als Unterschrift angesehen, wenn seine individuellen, charak____teristischen Merkmale die Wiedergabe eines Namens erkennen lassen und aufgrund ei____ner Gesamtwürdigung aller zum relevanten Prüfungszeitpunkt bekannten Umstände die ____Identifizierung des Unterschriftsleistenden möglich ist.37 In der Tat ist Großzügigkeit bei ____der Anerkennung als Unterschrift angebracht: Die Fälschungsgefahr dürfte eher gering ____sein; andererseits werden die erforderlichen Unterschriften in einem täglichen Massen____betrieb geleistet und dementsprechend „abgeschliffen“ (vgl. auch § 174 Rdn. 51).38 ____ Der Beglaubigungsvermerk muss nicht auf jedem Blatt des beglaubigten Schrift- 18 ____stücks erscheinen. Es genügt eine hinreichend feste Verbindung mehrerer Schriftstücke, ____ ____ 26 BGH NJW 1959, 2117, 2118 f.; AG Aachen und LG Aachen Rpfl. 1990, 520. ____27 BGHZ 55, 251, 253 = NJW 1971, 659. ____28 BGHZ 31, 32, 36 f. = NJW 1959, 2307; BGHZ 36, 62, 63 = NJW 1961, 2307. ____29 BGHZ 36, 62, 63 = NJW 1961, 2307. ____30 BGHZ 24, 116, 117; BGHZ 31, 32, 36 = NJW 1959, 2307, 2308; BGH NJW 1976, 2263 m.w.N.; BGHZ 76, 222, 227; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7. ____31 BGH NJW 1952, 934, 935; BGHZ 24, 116, 117; BGH VersR 1970, 184; BGHZ 76, 222, 228. ____32 BGHZ 24, 116, 117. ____33 BGH NJW 1974, 1383, 1384; BGH VersR 197, 988, 989 (zu §§ 130, 212 a). ____34 BGH NJW 1976, 2263 m.w.N.; BGH VersR 1983, 402; BGH NJW 1985, 1227; zu den Anforderungen vgl. ____auch BGH NJW 1974, 1090; BGH NJW 1975, 1705, 1706; BGH NJW 1987, 713; OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 3079. ____35 BGH VersR 1983, 273, 274; BGH VersR 1983, 402; BGH VersR 1997, 988, 989 (zu §§ 130, 212 a a.F.). ____36 BGH VersR 1978, 763 (zu § 212 a a.F.); BGH NJW 1987, 713 m.w.N.; BGH NJW-RR 1992, 1150 (zu § 212 a) ____a.F.; OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 3079 zu § 191 Nr. 7 a.F. BGH VersR 1978, 763 (zu § 212 a a.F.); BGH NJW ____1987, 713 m.w.N.; BGH NJW-RR 1992, 1150 (zu § 212 a) a.F.; OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 3079 zu § 191 Nr. 7 a.F. ____37 BGH NJW-RR 2010, 358; BGH FamRZ 2012, 1133 (zu § 160 Nr. 6 ZPO). ____38 Vgl. auch Schneider NJW 1998, 1844 ff. m.w.N.; jdf. gegen eine strenge Beurteilung BVerfG NJW 1998, ____1853.

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____die sich nur durch Eingriff in die Substanz der Urkunde lösen lässt oder ansonsten als ____dauerhaft gewollt und nur durch Gewalt aufzulösen ist (z.B. bei Heftung mit Heftma____schine). 39 Aus dem Vermerk muss hervorgehen, dass er sich auf alle verbundenen ____Schriftstücke bezieht. Diese Anforderung ist erfüllt, wenn entweder der Vermerk dies ____ausdrücklich beinhaltet oder wenn er durch seine Anbringung auf der letzten Seite als ____abschließende Bestätigung im Hinblick auf alle vorangehenden Schriftstücke dient.40 ____Hingegen reicht es nicht aus, wenn der Vermerk nicht auf dem letzten der verbundenen ____Blätter angebracht ist und keinen expliziten Hinweis darauf enthält, dass er sich auf alle ____beigefügten (bezeichneten) Blätter bezieht.41 Nach der höchstrichterlichen Rechtspre____chung genügt auch eine Blanko-Beglaubigung (Beglaubigungsvermerk auf der letzten ____Seite einer im Übrigen erst noch zu fertigenden Abschrift) nicht.42 Allerdings leuchtet es ____nicht ein, weswegen z.B. eine im Vertrauen auf die Gewissenhaftigkeit des Büroperso____nals vorgenommene Beglaubigung ohne inhaltliche Prüfung genügte, wenn die Ab____schrift bereits vollständig vorliegt, während das in die Zukunft gerichtete, inhaltlich je____doch identische Vertrauen zur Unwirksamkeit führt. ____ 19 Ausreichend ist eine Bezugnahme auf „vorstehende Fotokopie“ eines Schriftstücks, ____das die Überschrift „Beglaubigte Fotokopie“ trägt.43 Ebenso genügt die handschriftliche ____Unterzeichnung eines Zustellungsvermerks i.S.v. § 195 Abs. 1 Satz 3, der sich ausdrück____lich auf die Zustellung einer „beglaubigten Abschrift“ bezieht, auch wenn der vorgese____hene Beglaubigungsvermerk versehentlich nicht unterschrieben wurde.44 ____ Fehlen der Beglaubigung – auch nur im Hinblick auf allfällige Anlagen45 – bewirkt 20 ____die Unwirksamkeit der Zustellung.46 Daran hat die Novelle zum 1.7.2002 nichts geän____dert.47 Schon die Gesetzesbegründung greift nur die schon bislang üblichen Formen der ____„Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift“48 auf. Auch §§ 169 Abs. 2 Satz 1 und ____192 Abs. 2 Satz 2 gehen selbstverständlich von der Notwendigkeit der Beglaubigung ____aus.49 Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich der Gesetzgeber in dieser bedeutsamen ____Frage von der zuvor ganz h.M. ohne irgendeine Begründung abgewandt haben soll.50 ____M.E. kommt auch eine Heilung der fehlenden Beglaubigung nach § 189 nicht in Be____tracht51 (str. vgl. § 189 Rdn. 14). Andernfalls müsste der Adressat die Authentizität der ____Abschrift selbst prüfen. Dies ist ihm jedoch nicht zuzumuten.52 Dagegen ist eine Heilung ____gemäß § 295 möglich:53 Insoweit verzichtet der Adressat selbst auf die Prüfung der Au____thentizität. Dagegen bewirkt das Fehlen des Verkündungs- oder Zustellungsvermerks ____nach § 315 Abs. 2 keine Unwirksamkeit der Zustellung.54 ____ ____39 BGH NJW 1974, 1383, 1384. ____40 OLG Celle OLGR 1999, 328; OLG Bamberg OLGR 2002, 239, 240. ____41 OLG Karlsruhe OLGZ 1992, 368, 370 = WRP 1992, 339. ____42 BGH NJW 1973, 1973 m. krit. Anm. Vollkommer a.a.O.; der Rspr. zust. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; Stein/Jonas/Roth Rdn. 10. ____43 BGH NJW 1974, 1142. ____44 BGHZ 36, 62, 64; aufgegriffen in BGHZ 76, 222, 228. ____45 OLG Nürnberg NJW 1976, 1101. ____46 RGZ 99, 140; BGHZ 24, 116, 117; BGH NJW 1965, 104; BGHZ 55, 251, 252 = NJW 1971, 659; BGHZ 76, 222, ____228; OLG Koblenz NJW-RR 1987, 509, 510. 47 MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 3; Zöller/Stöber Rdn. 12; a.A. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5. ____48 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____49 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 10. ____50 So aber Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5, der indes auch zur Beibehaltung der Beglaubigung rät. ____51 A.A. BGH NJW 1965, 104; BGHZ 76, 222, 229; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; weitere Nachweise bei § 189 Rdn. 14. ____52 Vgl. auch BGHZ 24, 116, 117 f. ____53 A.A. RGZ 99, 140, 141 f. m.w.N. ____54 BGHZ 8, 303, 304 = NJW 1953, 622.

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3. Abschnitt. Verfahren

Vor §§ 170–174

____ Zu den inhaltlichen Anforderungen an die beglaubigte Wiedergabe der Urschrift ____bzw. Ausfertigung und den Folgen etwaiger Mängel vgl. § 166 Rdn. 24 ff. Zu den Anforde____rungen an den Ausfertigungsvermerk vgl. § 166 Rdn. 27. ____ ____ 4. Kosten. Für die Beglaubigung durch den Urkundsbeamten wird gemäß § 2 ____Abs. 1 JVKostO i.V.m. Nr. 102 Gebührenverzeichnis Nr. 1 eine Seitengebühr erhoben. ____ Bei der Beglaubigung durch den Rechtsanwalt fällt keine besondere Gebühr an, ____weil die Zustellung von Entscheidungen zum Rechtszug (§ 19 Nr. 9 RVG), im außerge____richtlichen Verfahren zum Betreiben des Geschäfts (Nr. 2400 VV) zählt. Im Beschwerde____verfahren fällt eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV und ggf. eine Terminsge____bühr von 0,5 nach Nr. 3513 VV an. ____ Für die Beglaubigung durch den Gerichtsvollzieher vgl. § 192 Rdn. 31. ____ ____ ____ Vor §§ 170 bis 174 ____ Vor §§ 170–174 Rohe ____ §§ 170 bis 174 regeln, an welche Vertreter oder Bevollmächtigte des Adressaten oder ____kraft Amtsstellung autorisierte Personen zugestellt werden kann. Die Zustellung nach ____Maßgabe dieser Normen erfolgt an den Adressaten (an die insoweit an seine Stelle tre____tenden Personen – formelle Adressaten; vgl. § 166 Rdn. 11) selbst und ist deshalb von der ____– praktisch häufigen – Ersatzzustellung gemäß §§ 177 bis 181 zu unterscheiden. Die Neu____regelung erweitert den Kreis der formellen Adressaten aus Vereinfachungsgründen und ____zur Vermeidung von Ersatzzustellungen erheblich.1 ____ Grundsätzlich ist an prozessfähige Personen (vgl. §§ 50, 51; für Ausländer vgl. § 55) ____selbst zuzustellen (vgl. § 170 Rdn. 1). Solche Personen haben es jedoch in der Hand, ge____willkürte Vertreter bzw. Zustellungsbevollmächtigte einzusetzen. Diese sind dann ____selbst „formelle“ Adressaten (im Gegensatz zum Vertretenen als „materiellem“ Adres____saten). Sind mehrere formelle Adressaten vorhanden, so genügt die Zustellung an einen ____von ihnen (vgl. § 170 Abs. 3); zur Anzahl der dann zuzustellenden Schriftstücke vgl. § 170 ____Rdn. 33 ff. Alternative Zustellung an einen Sonderbevollmächtigten der Partei2 (z.B. den ____Handlungsbevollmächtigten mit Prozessführungsvollmacht) ist ebenfalls möglich, auch ____in Gestalt des Zustellungsbevollmächtigten außerhalb des Anwendungsbereichs des ____§ 171.3 Diese Norm bildet keine Grenze für die Einschaltung von Zustellungsbevollmäch____tigten, sondern setzt die Möglichkeiten dazu voraus. Der allgemeine Auftrag der Adressa____ten, Post entgegenzunehmen und an ihn weiterzuleiten, genügt jedoch nicht, wenn er ____nicht auch erkennbar Zustellungen bzw. Rechtsstreitigkeiten erfassen soll.4 Die Angabe ____eines Postschließfachs beinhaltet nicht die Erteilung von Zustellungsvollmacht für den ____Leiter der jeweiligen Postfiliale.5 Auch der Haftpflichtversicherer ist nicht ohne weiteres ____Zustellungsbevollmächtigter des Schädigers.6 Die Mitwirkung an Zustellungen kann die ____– formlos mögliche – Erteilung der Vollmacht erkennbar machen (vgl. § 195 Rdn. 24).7 ____ Zur Pflicht, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, vgl. § 184. Für den ____Zustellungsakt kommt es nicht darauf an, ob der Bevollmächtigte in Kenntnis oder Be____ ____1 Vgl. Heß NJW 2002, 2417, 2418. ____2 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 171 Rdn. 1. ____3 Vgl. BGH MDR 1972, 946; BGH NJW-RR 1993, 1083; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 174 (a.F.) Rdn. 2. ____4 BGH NJW-RR 1993, 1083; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496. 5 So für den vormaligen Postamtsvorsteher OLG Hamburg NJW 1970, 104 entgegen der Vorinstanz LG ____Hamburg NJW 1968, 2384; dazu Schumann NJW 1969, 2185 f. ____6 LG München II VersR 1971, 615. ____7 BGH NJW-RR 1986, 286, 287 (zu § 212 a a.F.).

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____wusstsein der Vollmacht handelt.8 Hat der Zustellungsbevollmächtigte einen inländi____schen Wohnsitz, so liegt eine Inlandszustellung an ihn auch dann vor, wenn der mate____rielle Adressat (zur Begrifflichkeit vgl. § 166 Rdn. 11) keinen inländischen (Wohn-)Sitz ____hat. Deshalb kann § 189 ungeachtet des Streits über seine Anwendbarkeit bei der Aus____landszustellung eingreifen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der empfangende Anwalt bei ____der Zustellung nach § 174 oder § 195 erst nach Erhalt des zu übermittelnden Schriftstücks ____Vollmacht erhält.9 ____ Für die Zustellung in einem anhängigen Rechtsstreit hat die spezielle Regelung 4 ____des § 172 Abs. 1 Satz 1 Vorrang. Ist ein Prozessbevollmächtigter i.S.v. § 172 bestellt wor____den, ist an diesen zuzustellen. Die Angabe des Prozessbevollmächtigten anstelle der Par____tei auf dem zuzustellenden Schriftstück macht die Zustellung nicht notwendig unwirk____sam (vgl. § 194 Rdn. 6).10 Unwirksam (aber heilbar nach § 189) ist jedoch die Zustellung ____an die Partei, wenn ein Prozessbevollmächtigter vorhanden ist.11 Zur Zustellung an ande____re Prozessbevollmächtigte vgl. § 172 Rdn. 35. ____ Die Zustellung an nicht prozessfähige materielle Adressaten und an solche, die 5 ____keine natürlichen Personen sind, regelt § 170. Zur Zustellung an mehrere Vertreter ____bzw. Vertretene vgl. § 170 Rdn. 27 ff. ____ Ist an einen tatsächlich nicht vertretungsberechtigten Vertreter zugestellt worden, 6 ____so ist die Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 für alle Fälle fehlender Vertretungs____macht eröffnet.12 Vgl. im Übrigen die Kommentierung der einzelnen Normen über die ____Zustellung an Vertreter. Zum grenzüberschreitenden Rechtsverkehr vgl. § 183 Rdn. 15. ____ ____ ____ § 170 ____ Zustellung an Vertreter ____ § 170 Rohe ____ (1) Bei nicht prozessfähigen Personen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzu____stellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam. ____ (2) Ist der Zustellungsadressat keine natürliche Person, genügt die Zustellung ____an den Leiter. ____ (3) Bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Leitern genügt die Zustellung an ____einen von ihnen. ____ ____ Übersicht ____ 1 III. Zustellung an andere als natürliche Personen ____I. Einführung II. Zustellung an nicht prozessfähige Personen (Abs. 2) ____ 20 ____ IV. Zustellung bei mehreren Repräsentanten ____ (Abs. 1) ____ 3 (Abs. 3) ____ 1. Einführung 2. Die Prozessunfähigkeit ____ 4 1. Zustellung bei mehreren gesetzlichen ____ 3. Ausführung der Zustellung an nicht proVertretern oder Leitern ____ 27 ____ ____ zessfähige Personen 8 2. Anzahl der zuzustellenden Schrift____ 4. Folgen von Zustellungsmängeln ____ 15 stücke ____ 33 ____ ____ a) Zustellung an Prozessunfähige 15 a) Einführung ____ 33 ____ b) Zustellung an den unrichtigen b) Zustellung an Vertreter ____ 35 ____ Vertreter 19 aa) Begriff des Vertreters ____ 35 ____ ____ ____ ____8 BGH VersR 1974, 548; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 173 (a.F.) Rdn. 9. 9 BGH NJW 1989, 1154 f. ____10 BGH NJW 1965, 104 f. ____11 OLG Hamm OLGZ 1991, 450, 451. ____12 BVerfG NJW 1998, 745.

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bb) Zustellung an den Vertreter mehrec) Zustellung an Zustellungsbevoll____ rer Beteiligter ____ 36 mächtigte ____ 40 ____ cc) Zustellung an einen von mehreren d) Kosten ____ 41 ____ ____ 39 Vertretern ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 170 setzt voraus, dass an prozessfähige Personen grundsätzlich (zu Ausnahmen ____sogleich Rdn. 20 ff.) selbst zuzustellen ist (zur korrekten Kennzeichnung vgl. Vor § 50 ____Rdn. 9 ff.). Die Prozessfähigkeit muss zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Zustellung ____erfolgt.1 Die Postulationsfähigkeit im betreffenden Rechtsstreit ist für die Zustellung ____ohne Bedeutung (vgl. auch § 172 Rdn. 33). ____ Die Vorschrift des § 170 stellt klar, wer formeller Adressat (vgl. § 166 Rdn. 11; Vor ____§§ 170–174 Rdn. 2) der Zustellung ist, wenn die Person, an die zugestellt werden soll, ____nicht prozessfähig (Abs. 1) oder keine natürliche Person (Abs. 2) ist. Abs. 3 trifft eine ____Regelung für den Fall, dass der materielle Adressat (vgl. § 166 Rdn. 11; Vor §§ 170–174 ____Rdn. 1, 3) mehrere Repräsentanten hat. Die Regelungen in § 170 entsprechen im We____sentlichen denen des § 171 a.F.2 ____ ____ II. Zustellung an nicht prozessfähige Personen (Abs. 1) ____ ____ 1. Einführung. Abs. 1 Satz 1 entspricht inhaltlich § 171 Abs. 1 a.F.3 Der bisherige ____Wortlaut, der auf die Zustellung an „eine Partei“ beschränkt war, ist nach der Neufas____sung des Zustellungsrechts zu eng. Die Norm gilt nunmehr grds. für alle Zustellungen ____an Beteiligte.4 Von der Vorschrift wird auch die Zustellung an Streithelfer, Streitverkün____dungsgegner, mittelbare Besitzer i.S.v. §76 oder Drittschuldner nach §§ 829 Abs. 2, 845 ____Abs. 1 erfasst, nicht dagegen die Zustellung an Zeugen oder Sachverständige.5 Die Vor____schrift gilt für alle nicht prozessfähigen Personen, wobei für die Zustellung an nicht na____türliche Personen die Sonderregel des Abs. 2 eingreifen kann. Nicht anwendbar ist die ____Vorschrift in Betreuungssachen, weil insoweit die Regelung des § 275 FamFG vorgeht. ____Die allgemein gehaltene Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist deshalb einschrän____kend dahingehend auszulegen, dass § 170 nicht eingreift. Die Zustellung in einschlägi____gen Verfahren muss also an den Betreuten selbst erfolgen.6 ____ ____ 2. Die Prozessunfähigkeit. Die Prozessunfähigkeit beurteilt sich grds. nach mate____riellem Recht i.V.m. §§ 51 ff. (vgl. dort; zu beachten ist auch die Verkehrsschutzregelung ____des § 55 im Hinblick auf Ausländer). Minderjährige können in Hinblick auf Streitigkeiten ____aus bestimmten Geschäften prozessfähig sein (vgl. §§ 112 f. BGB).7 Geschäftsfähig und ____damit prozessfähig ist auch der nur vorübergehend Geistesgestörte;8 der systematische ____Zusammenhang von § 105 Abs. 1 und 2 BGB zeigt, dass die rechtliche Unfähigkeit, Wil____lenserklärungen abzugeben, nicht schon auf der in §§ 104, 105 Abs. 1 BGB geregelten ____ ____ ____1 BGH NJW-RR 1986, 1119. ____2 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16 f. ____3 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16. ____4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. 5 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1; Zöller/Stöber Rdn. 2. ____6 BGH NJW-RR 2011, 1011 m.w.N. ____7 Vgl. AG Fürth DGVZ 1972, 187; Christmann DGVZ 1994, 65 ff. ____8 OLG Hamm NJW 1960, 1391.

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____Geschäftsunfähigkeit beruht. Ebenso wenig verliert der Gemeinschuldner alleine wegen ____der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Prozessfähigkeit; an ihn kann also zugestellt ____werden.9 Die Anordnung einer Postsperre (vgl. § 99 InsO) verändert nicht die Vorschrif____ten des Zustellungsrechts.10 ____ Der volljährige Geschäftsunfähige ist auch in Hinblick auf die von § 105 a BGB er5 ____fassten Geschäfte nicht prozessfähig. Die Fiktion des § 105 a Satz 1 führt nicht zur Wirk____samkeit der vertraglichen Verpflichtung schlechthin; § 52 greift also nicht ein.11 Andern____falls würde auch die formell ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens von der ____materiellen Frage abhängig gemacht, ob durch die Transaktion die Person oder das ____Vermögen des Geschäftsunfähigen in Gefahr gerät (§ 105 a Satz 2 BGB). Dasselbe gilt im ____Ergebnis auch für Taschengeldgeschäfte nach § 110 BGB; auch hier entsteht keine ____wirksame vertragliche Verpflichtung als solche, die zur Prozessfähigkeit führen würde.12 ____ Die GbR kann nach jüngerer gefestigter Rspr. eigene Rechte und Pflichten begrün6 ____den. Sie ist in diesem Rahmen im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig. Dann ist ge____mäß § 170 Nr. 1 an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen.13 Nicht prozessfähig ist nach ____bisheriger Rspr. die GmbH & Co KG; Zustellungsadressat ist bei ihr danach der Geschäfts____führer der Komplementär-GmbH.14 ____ Im Streit um die Prozessfähigkeit (nicht in Hinblick auf Nichtigkeitsklagen nach 7 ____§ 579 Abs. 1 Nr. 4)15 gilt auch die prozessunfähige Partei als prozessfähig.16 Sie ist daher ____selbst Zustellungsempfänger, muss aber die von ihr und gegen sie bewirkten Zustellun____gen auch dann gegen sich gelten lassen, wenn sie sich nunmehr auf Prozessunfähigkeit ____beruft (vgl. Rdn. 16). Ein von der prozessunfähigen Partei eingeschalteter Prozessbe____vollmächtigter hat insoweit Vertretungsmacht; Zustellungen sind dann gemäß § 172 an ____ihn zu bewirken.17 Im Übrigen ist die Bestellung des Prozessbevollmächtigten Aufgabe ____des gesetzlichen Vertreters. Handelt ein vermeintlich Prozessbevollmächtigter, kommt in ____Hinblick auf das Verhalten des gesetzlichen Vertreters die Erteilung einer Duldungs____oder Anscheinsvollmacht an diesen in Betracht.18 ____ ____ 3. Ausführung der Zustellung an nicht prozessfähige Personen. Die Zustellung 8 ____an nicht prozessfähige Personen (vgl. §§ 51 ff.) erfolgt grundsätzlich an ihre gesetzlichen ____Vertreter als formelle Adressaten. Das gilt grds. auch für nicht natürliche Personen; ____allerdings eröffnet Abs. 2 insofern eine wesentliche Erleichterung. In anhängigen ____Rechtsstreitigkeiten (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1) sowie in den in § 172 Abs. 1 Satz 2 und ____Abs. 2 genannten Fällen muss an den Prozessbevollmächtigten, in Ermangelung eines ____solchen an den Zustellungsbevollmächtigen (§ 184), höchst hilfsweise an den Gegner ____selbst (vgl. § 172 Abs. 2 Satz 3) zugestellt werden. ____ ____ ____9 KG ZIP 1990, 1092, 1093. ____10 Vgl. BayObLG JZ 1979, 318: keine Wirkung gegen den Gemeinschuldner bei Auslieferung an den ____Konkursverwalter. ____11 So auch Bamberger/Roth/Wendtland § 105 a Rdn. 8, 7. ____12 So auch Christmann, DGVZ 1994, 65 m.w.N. 13 BGH DGVZ 2006, 86, 87 m.w.N.; zur Abgrenzung BGH NJW 2006, 2189, 2190 f. ____14 BayObLG BB 1989, 171; Ahrens, ZZP 103 (1990), 34, 35; anders für das VwVfG Hessischer VGH GmbHR ____1990, 85 (GmbH & Co KG als Adressatin). ____15 Vgl. die zweite Aufl. Anm. C II. ____16 Vgl. BVerfGE 10, 302, 306; BGHZ 70, 252, 255 f.; BGH NJW 1996, 1059 f.; BayObLGZ 1966, 386, 388 f.; Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rdn. 12 ____17 Vgl. OLG Hamburg NJW 1971, 199 f.; OLG Nürnberg NJW 1971, 1274, 1275 f. (zum wirksamen ____Anwaltsvertrag). ____18 BGHZ 40, 197, 203 f.; BGH FamRZ 1981, 865, 866.

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____ Zur Vertretung der AG vgl. Rdn. 29, 30. Zustellungsadressat des Betriebsrats ist der ____Vorsitzende.19 An Inkassounternehmen kann zugestellt werden, wenn sie im Schuldner____bereinigungsplan als Vertreter des Gläubigers bezeichnet werden.20 Zustellungen an die ____Wohnungseigentümer i.S.d. WEG können gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG an den Verwalter ____gerichtet werden.21 Die Rechtsprechung lässt dies unabhängig davon zu, ob alle als Be____klagte bezeichneten Personen noch Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft ____sind bzw. ob sich der geltend gemachte Anspruch gegen alle Mitglieder richtet.22 Die Zu____stellung müsse im Ergebnis nicht alle Eigentümer betreffen, es reiche aus, dass dies ____möglicherweise so sei (vgl. auch Rdn. 35). Vgl. im Übrigen auch § 51 Rdn. 2 ff. ____ Der gesetzliche Vertreter ist zu bezeichnen (vgl. § 182 Abs. 2 Nr. 1), wobei die Anga____be im zuzustellenden Schriftstück ausreicht (vgl. § 17 GVGA; vgl. auch § 28 Nr. 4 GVGA ____und § 130 Nr. 1). Hieran sind insbesondere bei Zustellung an nicht natürliche Personen ____großzügige Maßstäbe anzulegen (vgl. § 182 Rdn. 21 ff.). Namentliche Bezeichnung ist ____nicht unbedingt erforderlich. Vielmehr genügt die Kennzeichnung durch die bloße An____gabe der Organstellung wie z.B. „vertreten durch den Geschäftsführer“.23 Es kann auch ____nur die Angabe der Gesellschaft selbst ausreichen.24 Vergleichbares muss m.E. auch für ____die nach jüngerer, mittlerweile gefestigter Rechtsprechung partei- und prozessfähige ____BGB-Außengesellschaft25 gelten. Großzügigkeit ist insbesondere auch bei der Bezeich____nung des gesetzlichen Vertreters von nicht natürlichen Personen angebracht, deren Or____ganisationsstruktur ausländischem Gesellschaftsrecht unterliegt.26 Hier sollte jedenfalls ____in einer funktionalen Betrachtungsweise die abstrakte Benennung des „Geschäftsfüh____rers“ ausreichen. Bei Zustellungen an den Fiskus muss die Endvertretungsbehörde nicht ____zutreffend bezeichnet sein.27 ____ Nicht genügt die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter im Wege der bloßen Er____satzzustellung nach § 178.28 Auch muss stets deutlich werden, dass an den gesetzlichen ____Vertreter als solchen zugestellt wird.29 Nur so wird gewährleistet, dass Vertreter und ____Vertretenem hinreichend klar wird, sich nun um die Interessen des Vertretenen küm____mern zu müssen. Bei Zustellung an einen Elternteil, der Gesamtschuldner mit dem ver____tretenen Kind ist, muss demnach erkennbar sein, dass der Elternteil auch als gesetzli____cher Vertreter des Kindes Adressat sein soll.30 ____ § 170 regelt nur Zustellungsfragen. Deshalb muss der gesetzliche Vertreter keine ____Prozessführungsbefugnis für den Vertretenen besitzen.31 Der gesetzliche Vertreter muss ____jedoch selbst prozessfähig sein. ____ ____ ____19 BAG BB 76, 510. ____20 OLG Köln NJW-RR 2001, 267. ____21 Vgl. BGH NJW 2003, 589, 590 zur Abgrenzung zwischen Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellungen einerseits und Zurechnungsfragen andererseits. ____22 BGHZ 78, 166 = NJW 1981, 282; krit. Drasdo NZM 2003, 793, 794 ff. m.w.N. ____23 BGH NJW 1993, 2811, 2813. ____24 BGH NJW 1989, 2689 (zu § 191 Nr. 3 a.F.) bei der Zustellung an eine AG. ____25 Vgl. BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGH DGVZ 2006, 86 ff.; K. Schmidt NJW 2001, 993, insbes. ____999 ff.; Zöller/Stöber Rdn. 3. 26 Vgl. zur dahingehenden „Gründungstheorie“ und ihrem Anwendungsbereich im Internationalen ____Gesellschaftsrecht Bamberger/Roth/Mäsch Art. 12 EGBGB Rdn. 45 ff. Im Gefolge der Rechtsprechung des ____EuGH ist die Anwendung ausländischen Gesellschaftsrechts in Deutschland zum „Normalfall“ geworden. ____27 OLG Zweibrücken OLGZ 78, 108. ____28 BayObLGZ 1967, 182; OLG Karlsruhe FamRZ 1973, 272, 273; Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 3; a.A. RGZ 107, 161, 165 f. ____29 OLG Stuttgart NVwZ 1994, 518, 519. ____30 LG Frankfurt a.M. NJW 1976, 757 m.w.N. ____31 RGZ 69, 298, 303 f.

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____ 13 Umstritten ist, ob konkrete Vertretungsbefugnis vorliegen muss. Sie kann fehlen, ____wenn der Vertreter selbst Prozessgegner ist,32 nicht jedoch bereits dann, wenn die beste____hende Absicht, dem Prozessgegner beizutreten, zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht ____verwirklicht war.33 Nach neuerer Rechtsprechung34 ist § 178 Abs. 2 wegen der strengen ____Formalität des Zustellungsrechts hier nicht anwendbar. Zudem erhält der Adressat selbst ____im Gegensatz zur Ersatzzustellung an einen anderen Empfänger das Schriftstück. Mögli____che Interessenkollisionen können demnach bei Pflichtverstößen Schadensersatzansprü____che auslösen, berühren aber nicht die Wirksamkeit der Zustellung. Insgesamt öffnet ____sich hier ein Zielkonflikt zwischen den Rechtssicherheitsinteressen des Zustellenden und ____dem Zweck der Zustellung, dem materiellen Adressaten (dem Vertretenen) Kenntnis vom ____zuzustellenden Schriftstück zu verschaffen (vgl. Vor § 166 Rdn. 1): In Kollisionsfällen ____besteht die Gefahr, dass das Schriftstück nicht ordnungsgemäß weitergeleitet wird. Diese ____Gefahr beschränkt sich nicht auf die in § 178 Abs. 2 geregelten Fälle der Ersatzzustellung. ____Mit der neueren Rechtsprechung ist indes dem Rechtssicherheitsinteresse grundsätzlich ____der Vorzug zu geben. Der Zustellungsvorgang an den formellen Adressaten kann nicht ____mit dem Streit um materielle Interessenkonflikte belastet werden. Der gesetzliche Vertre____ter zählt zur Sphäre und damit zum Risikobereich des materiellen Adressaten. Etwas ____anderes muss aber dort gelten, wo der Konflikt bereits äußerlich erkennbar ist, belasten____de Unklarheiten also überhaupt nicht entstehen können. Dies ist dann der Fall, wenn ____derjenige, der die Zustellung betreibt, mit dem Adressaten (gesetzlicher Vertreter) iden____tisch ist.35 ____ Zustellung an den gesetzlichen Vertreter muss auch dann erfolgen, wenn er nicht 14 ____im Titel genannt ist.36 Ist kein gesetzlicher Vertreter vorhanden, kann eine Zustellung ____nur nach Maßgabe der §§ 56 ff. erfolgen. Im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 178 kann ____eine Zustellung auch an den Vertretenen erfolgen;37 formeller Adressat bleibt der Vertre____ter. Dagegen ist eine Ersatzzustellung an den gesetzlichen Vertreter nicht möglich, wenn ____der Prozessunfähige selbst formeller Adressat ist.38 Hier kann allerdings Heilung gemäß ____§ 189 eintreten.39 ____ ____ 4. Folgen von Zustellungsmängeln ____ ____ a) Zustellung an Prozessunfähige. Die Zustellung an Prozessunfähige ist gemäß 15 ____Satz 2 unwirksam (zum Lauf von Einspruchs- und Rechtsmittelfristen vgl. sogleich ____Rdn. 17).40 Sie kann aber nach § 18941 oder durch Rügeverzicht gemäß § 29542 geheilt wer____den. An einen erkanntermaßen Prozessunfähigen darf nicht zugestellt werden.43 ____ Die unwirksame Zustellung muss an den gesetzlichen Vertreter wiederholt werden 16 ____bzw. an den mittlerweile prozessfähig Gewordenen selbst. Im letzteren Falle tritt keine ____ ____32 RGZ 7, 404 f.; LG Frankfurt a.M. Rpfl. 1988, 72. ____33 RG Recht 1909, Nr. 1337. ____34 BGH NJW 1984, 57 (zu § 185 a.F.). ____35 Vgl. die Konstellation in BayObLGZ 1990, 173. ____36 LG Braunschweig MDR 1959, 848. 37 BGH Rpfl. 1973, 129; Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 3. ____38 OLG Karlsruhe FamRZ 1973, 272, 273. ____39 LG Hannover DGVZ 1996, 138, 139. ____40 RGZ 121, 63, 64; BGH FamRZ 2008, 1169; OLG Karlsruhe FamRZ 1973, 272, 273 m.w.N.; LG Bielefeld ____DGVZ 2003, 92, 93. 41 Vgl. LG Hannover DGVZ 1996, 138, 139; Zöller/Stöber § 189 Rdn. 5; a.A. Thomas/Putzo Rdn. 3; Heß ____NJW 2002, 2417, 2418 Fn. 27. ____42 Vgl. BGH NJW 1984, 926. ____43 AG Arnsberg DGVZ 1986, 140.

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____Konvaleszenz ohne erneute Zustellung ein.44 Im Hinblick auf den Streit über die Prozess____fähigkeit selbst gilt jedoch auch der Prozessunfähige als prozessfähig (vgl. Rdn. 7). ____ Besonderheiten gelten bei der Zustellung an Personen, deren Prozessunfähigkeit ____nicht aus dem zuzustellenden Schriftstück erkennbar ist, im Hinblick auf Einspruchs____und Rechtsmittelfristen. Solche Fristen laufen auch bei Zustellung an Prozessunfähige ____mit der Folge, dass zugestellte Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen können (str.).45 ____Nur so kann die erforderliche Rechtssicherheit gewährleistet werden. Andernfalls ____könnten Titel bis hin in die Zwangsvollstreckung ohne Zeitbegrenzung mit der Behaup____tung angegriffen werden, die Partei sei zum Zeitpunkt der Zustellung nicht prozessfähig ____gewesen. Diese Sicht wird gestützt durch die systematische Überlegung, dass die Nich____tigkeitsklage wegen mangelnder gesetzmäßiger Vertretung (§ 579 Abs. 1 Nr. 4) ein ____rechtskräftiges Urteil voraussetzt. Sinn und Zweck einer solchen Handhabung bei Urtei____len deckt sich mit der Situation beim Vollstreckungsbescheid. Hier bedarf es ebenfalls ____des sicheren Eintritts formeller Rechtskraft.46 Das Schutzbedürfnis des Adressaten wird ____durch die Möglichkeit gewahrt, auch gegen den Vollstreckungsbescheid Nichtigkeitskla____ge zu erheben (§§ 578 Abs. 1, 579 Abs. 1 Nr. 4, 584 Abs. 2, 586 Abs. 3); damit wird auch ____dem Anspruch auf rechtliches Gehör hinreichend Rechnung getragen.47 Bei alledem kann ____es nicht darauf ankommen, ob im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Gelegenheit ____war, sich von der Prozessfähigkeit der Partei zu überzeugen, oder ob andere Verfahrens____beteiligte die Prozessunfähigkeit kannten. Mit dem Postulat der Rechtssicherheit wäre ____eine Berücksichtigung solcher subjektiven Umstände nicht vereinbar.48 ____ Nach LG Paderborn49 soll der vom Prozessunfähigen erhobene Einspruch auch dann ____unwirksam sein, wenn die an ihn bewirkte Zustellung die Einspruchsfrist in Gang gesetzt ____hat. ____ ____ b) Zustellung an den unrichtigen Vertreter. Die Zustellung an den unrichtigen ____Vertreter ist unwirksam,50 kann jedoch gemäß § 189 oder durch Rügeverzicht nach § 295 ____geheilt werden. Die Partei oder der richtige Vertreter können die Zustellung an den un____richtigen Vertreter nicht verhindern. ____ ____ III. Zustellung an andere als natürliche Personen (Abs. 2) ____ ____ Die Regelung in Abs. 2 entspricht weitgehend derjenigen in § 171 Abs. 2 a.F.51 Im ____Grundsatz ist auch bei der Zustellung an solche Adressaten der gesetzliche Vertreter ____formeller Adressat (vgl. Rdn. 8). Zur Vereinfachung kann jedoch auch an den jeweiligen ____Leiter (vgl. Rdn. 23) zugestellt werden. ____ ____ ____ ____44 LG Köln DGVZ 1956, 91. ____45 RGZ 121, 63, 64 f. m.w.N. auch zu abweichenden Entscheidungen; BGHZ 104, 109, 111 ff. m.w.N. = NJW ____1988, 2049 und zust. Anm. Orfanides ZZP 102 (1989), 371 ff. m. zahlr. N.; BGH FamRZ 2008, 1169 mit ____ausdrücklicher Bestätigung von BGHZ 104, 109; vgl. auch BVerwG NJW 1970, 962 f.; LG Paderborn NJW 1975, 1748. A.A. z.B. LG Detmold NJW 1955, 1115; LG Frankfurt a.M. NJW 1976, 757; LG Berlin MDR 1988, ____588 f.; AG Hamburg-Harburg NJW-RR 1998, 791; Zöller/Vollkommer § 52 Rdn. 13; . Wie hier MünchKomm____ZPO/Häublein Rdn. 5. ____46 BGHZ 104, 109, 111 ff. = NJW 1988, 2049. ____47 BGHZ 104, 109, 112 m.w.N. = NJW 1988, 2049; vgl. auch Orfanides ZZP 102 (1989), 371, 381 f. 48 BGHZ 104, 109, 112 f. = NJW 1988, 2049; Orfanides ZZP 102 (1989), 371, 384. ____49 NJW 1975, 1748. ____50 RGZ 67, 75, 77; OLG Nürnberg NJW 1962, 2014 f.; vgl. auch LG Braunschweig MDR 1959, 848. ____51 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17.

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____ 21 Abs. 2 erfasst sämtliche materiellen Adressaten, die nicht natürliche Personen ____sind, also auch rechtsfähige Personengesellschaften52 unter Einschluss der Gesellschaft ____bürgerlichen Rechts.53 Die Reform des Zustellungsrechts vom 1.7.2002 hat eine Abkehr ____von der vorherigen Aufzählung (Behörden, Gemeinden und Korporationen sowie bei ____Vereinen, die als solche klagen und verklagt werden können)54 mit sich gebracht. ____ Hier genügt anstelle der Zustellung an den gesetzlichen Vertreter (das Vertretungs22 ____organ) die Zustellung an den Leiter. Der vor der Reform verwendete Begriff des „Vor____stehers“, der nicht für alle erfassten Adressaten passt, wurde ohne inhaltliche Änderung ____durch den des Leiters ersetzt.55 Gemeint ist hiermit alleine der Leiter der Gesamtorgani____sation (Behörde etc.), nicht jedoch der Leiter einer Untergliederung des (materiellen) ____Adressaten.56 ____ Leiter ist, wer nach öffentlichem Recht bzw. Satzung oder sonstigem Organisations23 ____akt dazu bestellt ist, die Behörde oder sonstige nicht natürliche Person nach außen hin ____zu repräsentieren. Dazu bedarf es nicht der Stellung eines gesetzlichen Vertreters.57 ____Andernfalls liefe die Regelung in Abs. 2 leer. Bei der Zustellung an juristische Personen ____des öffentlichen Rechts genügt auch die Adressierung des zuzustellenden Schriftstücks ____zu Händen eines zuständigen Mitarbeiters anstatt zu Händen des gesetzlichen Vertre____ters.58 ____ Hat der Adressat die Doppelstellung eines gesetzlichen Vertreters und Leiters, ist 24 ____die Zustellung an ihn wirksam, auch wenn das zuzustellende Schriftstück die nicht ____maßgebliche Funktion benennt.59 In Fällen der Vertretung durch einen institutionalisier____ten Verbund mehrerer Organe darf nicht eines dieser Organe als Leiter qualifiziert wer____den, an den alleine zugestellt werden könnte. Andernfalls liefe der Kontrollzweck der ____vorgesehenen Doppelvertretung leer.60 ____ 25 Bei Gemeinden ist mit allgemeiner Wirkung an den Bürgermeister zuzustellen. Wenn ____das zuzustellende Schriftstück daneben an einen bestimmten Verwaltungsteil adressiert ____ist, beschränkt sich die Zustellungswirkung auf die bezeichnete Sondervermögensmasse ____der Gemeinde.61 Zustellung an ein Gericht kann durch Aktenübersendung erfolgen.62 ____ Der Leiter muss nicht als formeller Adressat benannt werden. Aus Vereinfa26 ____chungsgründen empfiehlt sich aber die Angabe. Fehlbezeichnungen in der Person oder ____der Funktion schaden nicht, solange an die richtige Person zugestellt wird.63 ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ 52 Darauf deutet die Gesetzesbegründung hin, vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17; wie hier Wunsch JuS ____2003, 276, 277; zweifelnd Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5. ____53 BGH NJW 2007, 995, 996: So ist grds die Zustellung an den geschäftsführenden Gesellschafter ____möglich. ____54 Hierbei erfolgte schon nach § 171 Abs. 2 a.F. eine erweiterte Auslegung, vgl. BFH NVwZ 1989, 694, 695 ____= DB 1988, 1935 zu § 184 a.F. 55 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____56 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____57 Vgl. RGZ 67, 75, 76; J. Hager NJW 1992, 352, 353. ____58 BFH NVwZ 1989, 695, 696 = DB 1988, 1935. ____59 BGHZ 32, 114, 119 = NJW 1960, 1006, 1007. 60 Vgl. auch J. Hager NJW 1992, 352, 353 f. ____61 Zöller/Stöber Rdn. 5. ____62 BayObLGZ 1990, 255, 258 f. ____63 KG Rpfl. 1976, 222, 222 f.; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6.

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____ IV. Zustellung bei mehreren Repräsentanten (Abs. 3) ____ ____ 1. Zustellung bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Leitern. Die Vorschrift ____des Abs. 3 entspricht § 171 Abs. 3 a.F.64 Die Änderung des Wortlauts („Leiter“ statt wie ____zuvor „Vorsteher“) ist rein redaktioneller Natur und entspricht der Neufassung des ____Abs. 2, auf den sich die Regelung insoweit bezieht. Zur Anzahl der zuzustellenden ____Schriftstücke vgl. Rdn. 33 ff. ____ Gemäß Abs. 3 genügt bei Zustellung an einen Adressaten, der durch mehrere ge____setzliche Vertreter oder Leiter (Abs. 2) repräsentiert wird, die Zustellung an einen von ____ihnen. Damit ist eine verfassungsgemäße65 Erleichterung verbunden, die auch mit der ____Regelung in § 189 a.F. aufgegriffen wurde (vgl. zur notwendigen Anzahl der zuzustellen____den Schriftstücke unten Rdn. 39). Der Zweck der Zustellung – Möglichkeit der Kenntnis____nahme durch den Adressaten – wird mit der Übergabe an einen Vertreter bzw. Leiter ____erfüllt. Voraussetzung ist in jedem Falle Parteifähigkeit dessen, für den der Vertreter ____bzw. Leiter in Erscheinung tritt. Zur Zustellung an BGB-Gesellschaften vgl. Rdn. 10. ____ Voraussetzung ist Gleichordnung der Vertreter bzw. Organe. Solche Gleichord____nung liegt vor bei mehreren Vorstandsmitgliedern eines Vereins,66 bei mehreren gesamt____vertretungsberechtigten Gesellschaftern, sofern sie das Organ vertreten, dem zuzustellen ____ist67 (vgl. Rdn. 24), bei Eltern68 (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB), Vormündern (vgl. § 1797 ____Abs. 1 Satz 1 BGB), Pflegern69 (vgl. §§ 1915, 1797 Abs. 1 Satz 1 BGB) und bei mehreren Tes____tamentsvollstreckern70 (vgl. § 2224 Abs. 1 Satz 1), bei Vertretern von OHG, KG, GmbH ____(auch der Stellvertreter, vgl. § 44 GmbHG), AktG (auch der Stellvertreter, vgl. § 94 AktG), ____KGaA und Genossenschaft71 sowie des Fiskus.72 ____ Gleichordnung ist dagegen nicht gegeben bei der – nur im Verbund möglichen – ____Vertretung der Aktiengesellschaft durch Vorstand und Aufsichtsrat bei Anfechtungs____und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse (§§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 ____Abs. 1 AktG).73 Überall dort, wo eine Doppelvertretung institutionell verankert ist (vgl. ____§§ 250 Abs. 3, 251 Abs. 3, 255 Abs. 3, 257 Abs. 2 Satz 1, 275 Abs. 4 Satz 1, 278 Abs. 3 AktG; ____§§ 51 Abs. 3 GenG), widerspräche die Zustellung nur an einen Teil dem damit verfolgten ____Kontrollzweck. Bei intern mehrgliedrigen, nicht gleichgeordneten Organen genügt indes ____die Zustellung an jeweils einen Vertreter; insoweit kommt Abs. 3 zur Anwendung.74 Zur ____erforderlichen Bezeichnung in der Zustellungsurkunde vgl. § 182 Rdn. 21 f. ____ Besteht Einzelvertretungsmacht, so wird gemäß Abs. 1 an den Einzelvertretungs____berechtigten zugestellt.75 ____ An welchen der Vertreter oder Leiter zuzustellen ist, kann im Zustellungsauftrag ____bestimmt sein. Ohne solche Bestimmung erfolgt die Zustellung an einen von ihnen nach ____Wahl des Ausführenden. ____ ____64 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____65 BVerfGE 67, 208, 211 f. = NJW 1984, 2567, 2568. ____66 RG Gruchot 50 (1906), 1061. ____67 BGHZ 32, 114, 119 = NJW 1960, 1006, 1007; KG OLGE 17, 137; Voraufl. Anm. B I a 1. ____68 Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 8 m.w.N.; unklar OLG Saarbrücken NJW 1979, 2620. 69 Zur gesetzlichen Vertretung BGH FamRZ 1981, 865. ____70 In entsprechender Anwendung des Abs. 3, wenn man sie als Partei kraft Amts qualifiziert; Stein/ ____Jonas/Roth § 170 Rdn. 8. ____71 Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 8; Zöller/Stöber Rdn. 6. ____72 RGZ 67, 75, 77 obiter. 73 Vgl. BGHZ 32, 114, 119 = NJW 1960, 1006, 1007; BGH NJW 1974, 278; BGHZ 70, 384, 386 f. = NJW 1978, ____1325; BGH NJW 1992, 2099, 2100; Zöller/Stöber Rdn. 6. ____74 BGHZ 32, 114, 119 f. = NJW 1960, 1006, 1007. ____75 Zöller/Stöber Rdn. 6.

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____ 2. Anzahl der zuzustellenden Schriftstücke ____ ____ a) Einführung. § 189 a.F. traf Regelungen über die Anzahl der zuzustellenden 33 ____Schriftstücke (Ausfertigungen oder Abschriften) an Vertreter bzw. Zustellungsbevoll____mächtigte mehrerer Beteiligter und an einen von mehreren Vertretern. Bei der Straffung ____der Zustellungsvorschriften in der Reform vom 1.7.2002 wurde von einer eigenständigen ____Regelung abgesehen. Die in § 189 a.F. enthaltenen Grundsätze gelten jedoch weiter.76 ____ Das Zustellungsrecht setzt voraus, dass grundsätzlich jedem Zustellungsadressa34 ____ten ein Exemplar des zuzustellenden Schriftstücks übergeben werden muss,77 wobei ein ____Umlaufverfahren nicht ausreicht78 (vgl. auch § 192 Rdn. 26). Diese Regel gilt uneinge____schränkt für die Zustellung unter Einschaltung eines Zustellungsbevollmächtigten ____(§ 184; vgl. Rdn. 3). Wirksam ist jedoch die Zustellung an denjenigen Adressaten, der das ____Exemplar erhalten hat.79 Bei der Zustellung an den Vertreter mehrerer Beteiligter oder ____an einen von mehreren Vertretern (vgl. Rdn. 27 ff.) ist eine Vereinfachung und Kos____tensenkung in Fällen angezeigt, in denen die Funktionen der Zustellung (vgl. Vor § 166 ____Rdn. 1 ff.) auch ohne unmittelbare Aushändigung des Schriftstücks an jeden Adressaten ____erfüllt werden. Es genügt dann die Übergabe nur eines Exemplars des zuzustellenden ____Schriftstücks (Ausfertigung oder Abschrift, vgl. § 166 Rdn. 18, 23 ff. und 40 ff.). ____ ____ b) Zustellung an Vertreter ____ ____ 35 aa) Begriff des Vertreters. Der Begriff des Vertreters ist umfassend zu verstehen. ____Erfasst werden alle Fälle gewillkürter und gesetzlicher Vertreterschaft. Dazu zählt insbe____sondere die praktisch wichtige Prozessbevollmächtigung durch mehrere Beteiligte. Auch ____der gemäß § 89 nur einstweilen zur Prozessführung Zugelassene erfüllt die Eigenschaft ____des Vertreters.80 Gleiches gilt für den Treuhänder einer Bauherrengemeinschaft mit um____fassender Vollmacht81 hinsichtlich der Zustellungen an vertretene Bauherren und für den ____Verwalter von Wohneigentum mit (inhaltlich beschränkter) Verfahrensvollmacht gemäß ____§ 27 Abs. 3 Nr. 1 WEG82 in Hinblick auf Zustellungen an (auch nur einzelne)83 vertretene ____Wohnungseigentümer (vgl. auch Rdn.9). Nur diese Auffassung entspricht dem Sinn und ____Zweck des § 27 WEG, der einen nicht unnötig erschwerten Rechtsverkehr mit einer poten____tiell unbegrenzten Vielzahl in einer Eigentümergemeinschaft zusammengefasster Woh____nungseigentümer ermöglichen will. Die Interessen der Wohnungseigentümer werden ____durch den Anspruch gegen den Verwalter auf unverzügliche Unterrichtung (§§ 675, 666 ____BGB) gewahrt.84 Allerdings scheidet der Verwalter wegen eines Interessenkonflikts als ____Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümer aus, wenn er selbst Antragsteller oder ____Rechtsmittelführer im Streit um seine Rechte und Pflichten ist.85 ____ ____ ____76 Wie hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8. ____77 Vgl. RG JW 1887, 111 Nr. 4; KG JW 1935, 1037 Nr. 3 LS; BayObLGZ 1959, 435, 438; BAG AP § 187 ZPO ____Nr. 4. ____78 BAG AP § 187 ZPO Nr. 4. 79 A.A. BAG AP § 187 ZPO Nr. 4 m. zu recht krit. Anm. J. Blomeyer. ____80 RGZ 67, 149. ____81 OLG München Rpfl. 1987, 335 f. ____82 BGHZ 78, 166 = NJW 1981, 282, 283 m. abl. Anm. Kellmann a.a.O., 284; BGH WuM 1985, 33, 35; BGH ____NJW 2003, 589, 590 = NZM 2003, 118 f.; OVG Bremen NJW 1985, 2660 LS; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8; Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 3; a.A. AG Essen ZMR 1986, 24. ____83 BGHZ 78, 166, 172 = NJW 1981, 282, 283. ____84 BGHZ 78, 166 = NJW 1981, 282, 283; krit. Kellmann NJW 1981, 284; Drasdo NZM 2003, 793, 794 f. ____85 BayObLGZ 1989, 342, 345; BayObLGZ 1990, 173, 174.

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____ bb) Zustellung an den Vertreter mehrerer Beteiligter. Für die Zustellung an meh____rere Beteiligte genügt die Übergabe eines Exemplars des zuzustellenden Schriftstücks an ____den für sie empfangsberechtigten Vertreter (zur Abgrenzung zum Zustellungsbevoll____mächtigten unten Rdn. 40). Die Weitergabe an die Vertretenen ist dann Aufgabe des Ver____treters und liegt im Risikobereich der materiellen Adressaten. Dies gilt auch für den Fall, ____dass ein selbst Beteiligter, der gleichzeitig Vertreter eines anderen Beteiligten ist, und ____der Vertretene einen gemeinsamen Vertreter haben (z.B. der gemeinsame Prozessbe____vollmächtigte von Eltern und Kindern). ____ Zu beachten ist der rechtliche Ausschluss gesetzlicher Vertretung für einen oder ____mehrere/alle Beteiligte(n) wegen Interessenkollisionen; dann entfällt auch die Emp____fangsberechtigung.86 Nicht alleine empfangsberechtigt sind auch Vertreter, denen nur ____gemeinsame Vertretungsmacht zusteht (vgl. oben Rdn. 30), wie bei der Vertretung der ____Aktiengesellschaft durch Vorstand und Aufsichtsrat bei Anfechtungs- und Nichtigkeits____klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse (§§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 Abs. 1 AktG).87 ____Heilung nach § 189 oder Rügeverzicht gemäß § 295 kommen zwar in Betracht, auch noch ____in der Revisionsinstanz.88 Der Rügeverzicht setzt aber Prozessvollmacht des Auftreten____den für alle Zustellungsadressaten,89 die Heilung setzt tatsächliche Übergabe des Schrift____stücks voraus, wobei eine bloße Unterrichtung durch einen Zustellungsadressaten nicht ____genügt.90 ____ Die Übergabe nur eines Schriftstücks reicht auch bei der Zustellung an einen Ver____treter aus, der zugleich selbst Beteiligter ist, sofern seine Vertretungsmacht nicht aus ____gesetzlich verankerten Befangenheitsgründen beschränkt ist oder explizit an ihn als Be____teiligter zugestellt wird.91 Im ersten Ausnahmefall entsteht eine vom Grundfall abwei____chende Gefährdung des oder der Vertretenen, im zweiten Fall wird die Vertreterstellung ____des Empfängers überhaupt nicht aktiviert. Im Übrigen besteht keine von der Grundkons____tellation verschiedene Lage, so dass insoweit eine Gleichbehandlung geboten ist. ____ ____ cc) Zustellung an einen von mehreren Vertretern. Auch für die Zustellung an ei____nen von mehreren Vertretern genügt im Grundsatz die Übergabe eines Exemplars des ____zuzustellenden Schriftstücks an einen empfangsberechtigten Vertreter.92 Für mehrere ____gesetzliche Vertreter bringt dies Abs. 3 zum Ausdruck. Voraussetzung ist jedoch Identität ____der Vertretenen. ____ ____ c) Zustellung an Zustellungsbevollmächtigte. Bei Einschaltung eines Zustel____lungsbevollmächtigten (vgl. § 184) bleibt es bei der Regel, nach der eine der Anzahl der ____beteiligten Adressaten entsprechende Zahl von zuzustellenden Schriftstücken überge____ben werden muss. Im Unterschied zum Vertreter (vgl. Rdn. 36), dessen Stellung der eines ____Empfangsvertreters bei der Entgegennahme von Willenserklärungen entspricht, kommt ____der Zustellungsbevollmächtigte einem bloßen Empfangsboten von Willenserklärungen ____gleich. Damit wird die interne Weiterleitung des zuzustellenden Schriftstücks institutio____nell erforderlich. ____ ____ ____86 Vgl. Vorauflage § 169 Anm. B I und § 51 Rdn. E IV a 2. ____87 Vgl. BGHZ 70, 384, 386; BGH WM 1992, 984, 985; OLG Dresden NJW-RR 1997, 739, 740; OLG Stuttgart ____ZIP 2001, 650, 651. ____88 Vgl. BGH NJW 1998, 384, 385; OLG Stuttgart ZIP 2001, 650, 651. 89 Vgl. OLG Stuttgart ZIP 2001, 650, 651. ____90 BGH WM 1992, 984, 985. ____91 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8. ____92 Vgl. RG JW 1900, 46; Vorauflage § 169 Anm. B I.

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____ 41 d) Kosten. Nach § 9 GvKostG i.V.m. KVGv 1. Abs. 1 liegt bei der Zustellung an den ____Zustellungsbevollmächtigten mehrerer Personen nur eine Zustellung vor; jedoch fällt die ____Schreibauslage gemäß 9 GvKostG i.V.m. KVGv Nr. 700 für jede Abschrift der zuzustellen____den Schriftstücke und der Zustellungsurkunde an. ____ ____ ____ § 171 ____ Zustellung an Bevollmächtigte ____ § 171 Rohe ____ An den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter kann mit gleicher Wirkung wie ____an den Vertretenen zugestellt werden. Der Vertreter hat eine schriftliche Voll____macht vorzulegen. ____ ____ Übersicht ____ 1 2. Die Vertretungs____I. Einführung II. Der rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter; macht ____ 7 ____ III. Die Vollmachtsurkunde ____ die Vertretungsmacht ____ 5 (Satz 2) ____ 14 ____ 1. Der Vertreter ____ ____ I. Einführung ____ Die Vorschrift greift die Regelung in § 173 a.F. auf, erweitert sie aber wesentlich. War 1 ____ ____nach § 173 a.F. nur eine gewillkürte Vertretung durch Generalbevollmächtigte oder ____Prokuristen möglich, so wird nun der Kreis potentieller Vertreter auf alle Personen er____weitert, die überhaupt rechtsgeschäftlich zum Vertreter bestellt werden können (vgl. ____Rdn. 5). Die Regelung bezweckt eine Erleichterung der Zustellung beispielsweise an ____Nachbarn des Adressaten, der eine entsprechende Vollmachtsurkunde vorweisen kann. ____Damit sollen zugleich Ersatzzustellungen verringert werden.1 Andererseits erhöht sich ____das Risiko des Adressaten, dass das zuzustellende Schriftstück nicht an ihn weitergelei____tet wird.2 Dies ist indes ein selbstgewähltes Risiko nach eigener Abwägung der Vor- und ____Nachteile. Die Vorschrift stellt eine Ausnahme von der Regel dar, nach der an den materiellen 2 ____ ____Adressaten selbst zuzustellen ist (vgl. Vor §§ 170–174 Rdn. 2; § 170 Rdn. 1 f.). In ihrem ____Anwendungsbereich kann mit identischer Wirkung alternativ an den materiellen Adres____saten oder an die hier erfassten rechtsgeschäftlich bestellen Vertreter zugestellt ____werden. Letztere sind im Gegensatz zum in § 170 genannten gesetzlichen Vertreter ge____willkürte Vertreter der Partei. § 171 knüpft daran indes die gesetzliche Folge der Adressa____teneigenschaft. Diese kann rechtsgeschäftlich nicht ausgeschlossen werden. Zur persön____lichen Adressierung vgl. Rdn. 5. Die Zustellung an den rechtsgeschäftlichen Vertreter als mögliche Variante liegt 3 ____ ____im pflichtgemäßen Ermessen des Ausführenden. Seine Auswahl macht die Zustellung ____nicht unwirksam, sofern andere zulässige Varianten – auch die Ersatzzustellung nach ____§§ 178 ff.3 – gewählt werden. Immer zu beachten ist die vorrangige Regelung in § 172. 4 ____ ____ ____ ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17 auch zu den Unzuträglichkeiten nach der vorherigen Rechtslage. ____2 Hierauf weist Heß (NJW 2002, 2417, 2418 Fn. 30) hin. ____3 Zöller/Stöber Rdn. 5.

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____ II. Der rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter; die Vertretungsmacht ____ ____ 1. Der Vertreter. Vertreter i.S.v. § 171 kann jede Person sein, die nach allgemeinen ____materiell-rechtlichen Rechtsvorschriften rechtsgeschäftlich zum Vertreter bestellt wer____den kann. Zulässig ist die Bevollmächtigung mehrerer Personen (Gesamtvertretung). ____Dann ist jeder Vertreter allein zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigt.4 Für die ____Zustellung ist wie beim gesetzlichen Vertreter (vgl. § 170 Rdn. 12) fehlende Prozessvoll____macht unerheblich.5 Der Zustellende muss die Vollmacht des Adressaten beweisen. Zur ____Zustellung an den Vertreter, dessen Vollmacht bereits dem Gericht angezeigt worden ist, ____vgl. Rdn. 14. Persönliche Adressierung soll die Möglichkeit der Zustellung an den rechts____geschäftlichen Vertreter ausschließen.6 ____ § 171 bezieht sich auf den (Vertreter des) Adressaten selbst. Der gesetzliche Vertre____ter kann seine Vertretungsmacht nicht delegieren. Ebenso muss die Erteilung einer ____Vollmacht im Verhältnis zwischen Vertretern bzw. Organen ausscheiden, welche die Par____tei in Zustellungsfragen nur gemeinschaftlich repräsentieren können (vgl. § 170 Rdn. 30). ____Andernfalls würde der mit der Doppelvertretung verfolgte Kontrollzweck verfehlt. Insge____samt sind Interessenkollisionen unter Abwägung der Interessen des Zustellenden und ____des materiellen Zustellungsadressaten ebenso zu lösen wie beim gesetzlichen Vertreter ____(vgl. § 170 Rdn. 13). Grundsätzlich haben Rechtssicherheitsinteressen den Vorrang, nicht ____aber dort, wo die Interessenkollision bereits aus dem Zustellungsvorgang selbst ersicht____lich ist. Nicht ausreichend ist deshalb die Zustellung an einen Bevollmächtigten, der ____gleichzeitig Partei ist (vgl. zu sonstigen Kollisionsfällen § 178 Rdn. 70 ff.).7 ____ ____ 2. Die Vertretungsmacht. Wirksam zugestellt kann nur werden, soweit die Voll____macht reicht. Es kann sich um eine Generalvollmacht handeln oder aber um eine auf ____bestimmte Zwecke beschränkte Vollmacht, sofern sie nach ihrem erkennbaren Sinn auch ____die Entgegennahme zuzustellender Sendungen beinhaltet.8 Nicht erfasst sind Bereiche, ____die ausdrücklich von der Vollmacht ausgenommen wurden, sowie solche, in denen Voll____macht überhaupt nicht erteilt werden kann. Dazu zählen nicht generell nichtvermögens____rechtliche Angelegenheiten.9 Zum Schutz des redlichen Rechtsverkehrs sind hier die ____Institute der Duldungs-10 und Anscheinsvollmacht anwendbar. Ausreichend ist die bloße ____Zustellungsvollmacht, die sich auf die Entgegennahme zuzustellender Sendungen be____schränkt.11 ____ Ausreichend ist nach Sinn und Zweck der Norm auch die Vollmacht, alle in Postsen____dungen enthaltenen Mitteilungen entgegenzunehmen (Postvollmacht).12 Galt dies schon ____nach Teilen der Rechtsprechung zu § 173 a.F., so gebietet dies erst recht der mit der Neu____fassung erstrebte Erleichterungszweck. Gerade die in der Gesetzesbegründung genannte ____ ____4 OLG Köln NStZ-RR 2008, 379, 380 m.w.N. ____5 Vgl. RGZ 69, 298, 303 f. ____6 BayObLG NJW-RR 2001, 445, 446. ____7 LG Frankfurt a.M. Rpfl. 1988, 72; so jetzt auch Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 10; vgl. auch MünchKomm____ZPO/Häublein § 170 Rdn. 8. 8 ZB OLG Köln NStZ-RR 2008, 379, 380: „Einverständniserklärung“ gegenüber einer ____Suchtberatungsstelle mit der Formulierung „Hiermit bestätige ich, dass meine Post an die Suchthilfe A ____geschickt werden soll.“ ____9 A.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege Rdn. 2. ____10 So noch Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 173 (a.F.) Rdn. 3. 11 BGH LM § 173 Nr. 1; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496. ____12 OLG Hamm MDR 1993, 1237; OLG Köln NStZ-RR 2008, 379 (die Formulierung „Hiermit bestätige ich, ____dass meine Post an die Suchthilfe A geschickt werden soll“), reicht hierfür aus).; grds. auch Zöller/Stöber ____Rdn. 3; a.A. Coenen, DGVZ 2002, 183; zum alten Recht OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495.

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____Intention, die unkomplizierte Zustellung an bevollmächtigte Nachbarn zu ermöglichen, ____fordert dies. Demnach muss die Postvollmacht für Zustellungen ausreichen, die durch ____die Post selbst (Beliehene gemäß §§ 168 Abs. 1 Satz 2; 33 Abs. 1 PostG) oder im Wege des ____§ 175 ausgeführt wird.13 Im Zweifel nicht erfasst sind Zustellungen auf anderen Wegen, ____etwa durch den Gerichtsvollzieher oder durch Behörden.14 Hier mag ein allgemeineres ____Diskretionsinteresse des Vertretenen vorliegen, das einer Annahme der Bevollmächti____gung auch für solche Fälle entgegensteht. ____ Die Prokura (vgl. § 49 HGB) ist eine besondere Form der Bevollmächtigung, die 9 ____schon nach dem insgesamt engeren § 173 a.F. ausdrücklich zur Entgegennahme von Zu____stellungen ausgereicht hat. Gesamtprokura reicht aus.15 In diesem Fall genügt die Zustel____lung entsprechend § 170 Abs. 3 an einen der Prokuristen.16 Die Anbindung an das mate____rielle Handelsrecht bewirkt, dass auch dessen Einschränkungen für das Zustellungsrecht ____bedeutsam werden können. Allerdings sind die spezifischen Funktionen des Zustel____lungsrechts zu berücksichtigen. Ist die Prokura gemäß § 50 Abs. 3 HGB auf eine Nieder____lassung beschränkt, so begrenzt dies auch die Möglichkeit der Zustellung an den Proku____risten als Adressaten. Dies steht den Anforderungen weitgehender Formalisierung des ____Zustellungsverfahrens nicht entgegen: Die Beschränkung der Prokura ist für den Rechts____verkehr unschwer zu erkennen. Die Interessen des materiellen Adressaten (vgl. § 170 ____Rdn. 13) gebieten es, nur bei tatsächlich oder aus Rechtsscheingründen entstandener ____Vertretungsmacht die Wirkungen der Zustellung eintreten zu lassen. Der Rechtsverkehr ____– auch der Zustellende – wird durch einschlägige Rechtsscheintatbestände hinreichend ____geschützt (vgl. § 170 Rdn. 7 zu Duldungs- und Anscheinsvollmacht). ____ Im Gegensatz zum Prokuristen ist der Handlungsbevollmächtigte (vgl. § 54 HGB) 10 ____in § 173 nicht generell rechtsgeschäftlicher Vertreter für den Empfang von Zustellungen. ____Daher ist eine Zustellung an ihn als Adressaten (zur Ersatzzustellung vgl. § 183) nur mög____lich, wenn er Prozessführungsbefugnis (vgl. § 54 Abs. 2 HGB) besitzt oder ansonsten ge____mäß Satz 2 bevollmächtigt wird. Zum Wohnungseigentumsverwalter vgl. § 27 WEG und ____§ 170 Rdn. 35. ____ Von § 171 erfasst ist auch der Hauptbevollmächtigte einer ausländischen Versiche11 ____rung gemäß § 106 Abs. 3 VAG, sofern man ihn nicht schon als gesetzlichen Vertreter an____sieht,17 ebenso der inländische Vertreter des im Ausland ansässigen Patentinhabers18 ____(vgl. § 25 PatG) oder Geschmacksmusterinhabers (vgl. § 16 GeschmacksmusterG) und der ____Korrespondentreeder (§ 493 HGB) in Bezug auf das Schiff.19 ____ 12 Generell gilt bei der rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung mit Auslandsbezug ____(vgl. Art. 3 EGBGB) mangels entspr. Rechtswahl (Art. 27 ff. EGBGB) das Recht des Wir____kungsstatuts (Niederlassung des Vertreters, hilfsweise Gebrauchsort der Vollmacht),20 ____bei Inlandszustellungen also deutsches Sachrecht. Wird ein ausländisches Vertretungs____statut gewählt, so ist für die Inlandszustellung überdies der Gedanke des Art. 12 EGBGB ____anwendbar. Ist die Bevollmächtigung also nur wegen des Eingreifens ausländischer ____Rechtsvorschriften unwirksam, wäre sie nach deutschem Sachrecht jedoch wirksam, so ____kann sich der materielle Adressat nur dann auf die Unwirksamkeit berufen, wenn der ____ ____ 13 Zöller/Stöber Rdn. 3; a.A. zum alten Recht OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495. ____14 Zöller/Stöber Rdn. 3. ____15 OLG Stettin OLGE 3, 122. ____16 BGHZ 65, 291 = NJW 1976, 478, 480; BGH Warn. 1978 Nr. 205; Stein/Jonas/Roth § 170 Rdn. 8; a.A. ____Zöller/Stöber Rdn. 7. 17 So Zöller/Stöber Rdn. 8. ____18 RGZ 42, 92. ____19 OLG Hamburg OLGE 23, 90, 92; Voraufl. Anm. B I b m.w.N. ____20 HM, vgl. statt vieler Bamberger/Roth/Mäsch Anh. Art. 10 EGBGB Rdn. 103 ff. m.w.N.

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____Zustellende (nach dem Gedanken des § 166 BGB derjenige, der die Zustellung ausführt) ____nicht in gutem Glauben war. ____ Die Unwirksamkeit der Zustellung mangels wirksam erteilter Vollmacht kann ge____mäß §§ 189; 295 geheilt werden. ____ ____ III. Die Vollmachtsurkunde (Satz 2) ____ ____ Satz 2 schafft gegenüber der vorherigen Rechtslage eine wesentliche Erleichterung ____(vgl. Rdn. 1). Nach wie vor ist es indes möglich, eine rechtsgeschäftliche (Empfangs-) ____Vollmacht schon vor Ausführung der Zustellung bei Gericht anzuzeigen. Dann kann die ____Zustellung an den Vertreter auch als formellen Adressaten erfolgen.21 ____ Gemäß der Regelung in Satz 2 muss der Vertreter demgegenüber (vgl. soeben ____Rdn. 14) nur eine schriftliche Vollmachtsurkunde vorlegen. Für die Wirksamkeit der ____Zustellung reicht es indes aus, dass die – wirksam errichtete – Urkunde zum Zeitpunkt ____der Ausführung der Zustellung überhaupt vorliegt.22 Eine Vorlage ist also nicht zwin____gend erforderlich.23 Ist z.B. dem Zusteller die Existenz der Vollmacht bekannt, so muss er ____sich die Urkunde nicht vorlegen lassen.24 Nach der Gesetzesbegründung muss der Zustel____ler keine Ermittlungen darüber anstellen, ob ein Dritter bevollmächtigt ist oder ob die ____vorgelegte Vollmachtsurkunde ordnungsgemäß ist.25 Bei Zweifeln an der Echtheit der ____Urkunde soll der Zusteller von seinem Ermessen, an den Vertreter zuzustellen, keinen ____Gebrauch machen. ____ In Hinblick auf diejenigen rechtsgeschäftlichen Vertreter, deren Vertretungsmacht ____sich nicht auf Zustellungsfragen beschränkt (vgl. Rdn. 8 ff.) kann m.E. an die Stelle der ____schriftlichen Vollmacht ein Funktionsäquivalent treten, wie z.B. ein Handelsregister____auszug.26 ____ Aus Rechtssicherheitsgründen nicht ausreichend für die Zustellung nach § 171 ist ____die nur mündliche Bevollmächtigung. Jedoch sollte es zulässig sein, dass der Vertretene ____später eine schriftliche Vollmachtsurkunde errichtet, deren Ausstellung dann jedenfalls ____eine Heilung gemäß § 189 bewirkt. ____ ____ ____ § 172 ____ Zustellung an Prozessbevollmächtigte ____ § 172 Rohe ____ (1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechts____zug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozess____handlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer ____Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, ei____ner Rüge nach § 321 a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangs____vollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ____ersten Rechtszug. ____ ____ ____21 BGH MDR 1972, 946; BGH NJW-RR 1993, 1083. ____22 Dahingehend auch die Gesetzesbegründung, BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17; a.A. offenbar BLAH/ ____Hartmann Rdn. 6, der auch ein Schutzbedürfnis des Vertreters (welches?; vgl. auch Hentzen MDR 2003, ____361, 363) erkennen will. Wie hier Hentzen a.a.O.; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3. 23 BGH BeckRS 2011, 27449 m.w.N. ____24 Vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 4. ____25 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____26 Ebenso Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5.

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____ (2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozess____bevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten ____wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug be____stellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei selbst ist zuzustellen, ____wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat. ____ ____ Übersicht ____ 1 c) Beendigung der Prozessvollmacht im ____I. Einführung laufenden Verfahren ____ 35 II. Zustellung in einem anhängigen Verfahren ____ 4. Zustellung im anhängigen Verfah____ (Abs. 1) ____ 7 ren ____ 38 ____ 1. Einführung 2. Die Bestellung des Prozessbevollmäch5. Rechtsfolgen der wirksamen Bestel____ tigten ____ 8 lung ____ 39 ____ ____ a) Form der Bestellung 6. Ausnahmen ____ 40 8 ____ b) Zeitpunkt der BestelIII. Zustellung bei Einlegung eines Rechtsmittels ____ lung ____ 17 (Abs. 2) ____ c) Der Bestellende ____ 18 1. Einführung ____ 43 ____ 19 d) Der Bestellte 2. Anwendungsbereich der ____ Norm ____ 46 ____ 3. Umfang und Ende der Bestellung des ____ Prozessbevollmächtigten 22 3. Zustellung an den Prozessbevollmäch____ a) Der Rechtszug ____ 22 tigten (Abs. 2 Satz 1, 2) ____ 48 ____ b) Die Bestimmung der Prozessvoll4. Zustellung an die Partei nach ____ macht ____ 32 (Abs. 2 Satz 3) ____ 51 ____ ____ ____ I. Einführung ____ Die Regelung fasst die §§ 176, 178 und 210 a Abs. 2 a.F. im Kern zusammen.1 Abs. 1 ____ 1 ____Satz 1 entspricht § 176 a.F., Abs. 1 Satz 2 § 178 a.F. und Abs. 2 weitgehend § 210 a Abs. 1 ____a.F. Die Norm legt fest, dass im anhängigen Verfahren (dazu Rdn. 7 ff.) erforderlichen2 ____ 2 ____Zustellungen nur an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten (dazu ____Rdn. 8 ff.) erfolgen dürfen (zu Ausnahmen Rdn. 40 ff.). Damit soll sichergestellt werden, ____dass der Prozessbevollmächtigte von allen verfahrensrelevanten Vorgängen Kenntnis ____erhält.3 Deshalb hat § 172 als spezielle Regelung Vorrang vor der möglichen Bestellung ____eines sonstigen Bevollmächtigten (vgl. § 171 Rdn. 5 ff.). Die Regelung gilt für sämtliche ____Verfahrensarten, auf welche die Zustellungsvorschriften der ZPO anwendbar sind,4 also ____auch im Mahnverfahren,5 beim einstweiligen Rechtsschutz6 und in der Zwangsvollstre____ckung,7 insbesondere auch für entsprechende FG-Verfahren8 und in Verfahren ohne An____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____2 Vgl. BGH NJW 2008, 3220, 3221 (zu § 751 Abs. 2): Die Norm regelt nur die Ausführung erforderlicher ____Zustellungen, nicht aber die Erforderlichkeit selbst. ____3 Vgl. nur BGH NJW 2002, 1728, 1729; BGH NJW 2008, 234. ____4 Die Zustellung von Kartellbußbescheiden richtet sich nicht (ausschließlich) nach § 176, sondern nach den Vorschriften der StPO, BGHSt 18, 352 = NJW 1963, 1558 m.w.N. ____5 OLG Zweibrücken VersR 1979, 143. ____6 Vgl. nur OLG Hamburg WRP 1993, 822, 823 m.w.N.; a.A. RGZ 45, 364, 366 f. ____7 OLG Celle DGVZ 1971, 74, 75; Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. ____8 BGHZ 61, 308, 310 = NJW 1974, 240, 241; BGH NJW 1991, 2086; BGH NJW 2002, 2252; KG NJW-RR 1993, 187, 188; BayObLG FamRZ 1994, 1599; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1994, 1408; OLG Schleswig NVwZ 1996, ____1142; OLG Zweibrücken OLGR 2002, 416 = FGPrax 2002, 277. Das OLG Hamm (OLGZ 1992, 162 = Rpfl. 1992, ____114, 115) verlangt für die zwingende Wirkung des § 176 im nicht-streitigen Verfahren den Nachweis des ____Vollmachtumfangs; einschränkend auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3 m.w.N.

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____waltszwang (vgl. § 79). Sie gilt nicht für außergerichtliche Streitigkeiten.9 Zum Vorrang ____zwischenstaatlicher Regelungen vgl. Rdn. 41. ____ Für die Wirkungen des § 172 kommt es alleine auf den verfahrensrechtlich relevan____ten Akt der Bestellung an, nicht auf den zugrundeliegenden Auftrag bzw. die Vollmacht ____(dazu unten Rdn. 8). ____ Zum Umfang des Rechtszuges vgl. Rdn. 22 ff. Ist kein Prozessbevollmächtigter be____stellt, so ist an die Partei selbst (vgl. dazu und zum Verfahren § 176) zuzustellen. § 172 gilt ____auch für formlose Mitteilungen10 (vgl. Vor § 166 Rdn. 6). ____ Verstöße führen zur Unwirksamkeit der Zustellung, auch wenn die Zustellung an ____den Vertretenen selbst erfolgt,11 mit Heilungsmöglichkeit nach § 189, (vgl. § 189 Rdn. 13) ____und nach § 295. ____ Die Norm ist auf Amts- und Parteizustellung (vgl. § 191) in gleicher Weise anwend____bar. Das gilt auch für die Zustellung von Urteilen und Vergleichen (vgl. Rdn. 23 ff.); sie ____zählen zustellungsrechtlich noch zum „Verfahren“.12 ____ ____ II. Zustellung in einem anhängigen Verfahren (Abs. 1) ____ ____ 1. Einführung. Die Regelung in Satz 1 deckt sich inhaltlich mit § 176 a.F. In Satz 2 ____wird ebenfalls inhaltsgleich die Regelung des § 178 Satz 1 a.F. aufgenommen, in Satz 3 ____diejenige des § 178 Satz 2 a.F. ____ ____ 2. Die Bestellung des Prozessbevollmächtigten ____ ____ a) Form der Bestellung. Die Bestellung des Prozessbevollmächtigten ist als verfah____rensmäßig relevante Handlung zu unterscheiden von der internen Bevollmächti____gung.13 Es kommt dafür nicht auf den zugrunde liegenden Auftrag bzw. die entsprechen____de Vollmacht an, sondern nur darauf, ob die eingeschaltete Person für das Gericht bzw. ____bei Parteizustellung für den Gegner erkennbar zum Prozessbevollmächtigten bestellt ____ist.14 Maßgeblich ist also der Aspekt des Vertrauensschutzes zugunsten dessen, der auf____grund der Umstände auf das Bestehen von Prozessvollmacht vertrauen darf (Sicht eines ____unvoreingenommenen Dritten).15 Solches Vertrauen kann sich bereits aus der einstweili____gen Zulassung gemäß § 89 ergeben, auch wenn die Genehmigung später nicht erteilt ____wird.16 Ist schutzwürdiges Vertrauen entstanden, so kommt es auf einen entgegenste____henden Willen des Mitwirkenden, als Prozessbevollmächtigter zu agieren, nicht an (§ 242 ____BGB).17 ____ ____ ____ ____9 BGH NJW 2011, 1005, 1006. ____10 RGZ 149, 157, 162; Stein/Jonas/Roth Rdn. 6. ____11 BGHZ 61, 310 = NJW 1974, 240, 241; BGH NJW 1984, 926; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800; OLG ____Zweibrücken FamRZ 1989, 191, 192. ____12 So bereits zum im Wortlaut enger gefassten § 176 a.F. überzeugend Münzberg, DGVZ 2000, 177, 178 m.w.N. ____13 BGHZ 61, 308, 310 f. = NJW 1974, 240, 241; BGH NJW 1986, 993, 994; BGH NJW-RR 1986, 286, 287; ____BGHZ 118, 312, 322; BGH NJW 2002, 2252; KG NJW 1987, 1338, 1339; KG NJW 1994, 3111. ____14 BGH NJW 1987, 440; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277, 1278; BGH NJW 2002, 1728, 1729 m.w.N.; KG ____NJW 1994, 3111 m.w.N. 15 BGH VersR 1986, 993, 994; BGHZ 118, 312, 322 = NJW 1992, 3096; BGH NJW 2002, 1728, 1729; vgl. auch ____RGZ 67, 148, 151. ____16 RGZ 67, 148, 151. ____17 OLG Naumburg VIZ 2002, 654, 655.

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____ 9 Die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten ist nicht formgebunden.18 Sie erfor____dert also auch keine förmliche Anzeige an Gericht oder Verfahrensgegner; schlüssiges ____Verhalten kann ausreichen.19 Die Mitwirkung an Zustellvorgängen kann eine erfolgte ____Bevollmächtigung hinreichend deutlich erkennbar machen.20 Im Auftreten eines Rechts____anwalts vor Gericht liegt seine Bestellung auch dann, wenn er keine Prozessvollmacht ____hat.21 Fehlt es im Übrigen an der entsprechenden Vollmacht, so sind die Interessen des ____Vertretenen durch Rechtsmittelmöglichkeiten oder Schadensersatzansprüche gegen den ____vollmachtlosen Vertreter hinreichend gewahrt.22 ____ Die Pflicht, an den Prozessbevollmächtigten zuzustellen, setzt allerdings Kenntnis 10 ____von der Bestellung voraus;23 Kennenmüssen steht dem gleich,24 weil der maßgebliche ____Aspekt des Vertrauensschutzes (vgl. soeben Rdn. 8) redliches Bemühen dessen voraus____setzt, der mit hinreichend klaren Anzeichen für die Bestellung eines Bevollmächtigten ____konfrontiert wird. Dazu muss erkennbar gemacht werden, dass der Vertreter Prozess____vollmacht, also eine das ganze Verfahren umfassende Vertretungsmacht hat (zur Ab____grenzung vgl. unten Rdn. 32). Dies muss nicht ausdrücklich geschehen, sondern kann ____sich auch aus den Umständen ergeben.25 So kann das Einreichen eigener Schriftsätze des ____Bevollmächtigten oder sein Auftreten vor Gericht auch ohne Vorlage der Vollmachtsur____kunde ausreichen,26 ebenso die Entgegennahme von Zustellungen unter Ausstellung und ____Rücksendung von Empfangsbekenntnissen27 (vgl. § 174). Tritt ein Rechtsanwalt auf, so ____besteht vor einer Rüge mangelnder Vollmacht nach § 88 grds. kein Anlass, an seiner ____Vollmacht zu zweifeln.28 Zum relevanten Zeitpunkt für die Kenntnis vgl. Rdn. 13. ____ Unter zustellungsrechtlichen Aspekten ausreichend ist die bloße Benennung 11 ____durch den Verfahrensgegner (z.B. des gegnerischen Prozessbevollmächtigten im ____Rubrum der Klageschrift), auch wenn nicht klar wird, ob dieser eine Prozessbevollmäch____tigung durch die Partei nur vermutet.29 Das Risiko einer fehlerhaften Annahme trägt ____nämlich der Verfahrensgegner selbst. Ohne weiteren Hinweis erstreckt sich die für ein ____bestimmtes Verfahren erteilte Vollmacht auch nicht auf andere beim selben Gericht an____hängige Verfahren zwischen den Parteien.30 ____ Nach dem Vorstehenden ist es unerheblich, ob der Bevollmächtigte oder der Be12 ____vollmächtigende bzw. sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung anzeigt.31 Es kommt ____ ____ ____18 BGH NJW-RR 1986, 286, 287; BGH VersR 1986, 371; BGH NJW-RR 1992, 699; OLG Frankfurt a.M. NJW____RR 1986, 587; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701. 19 BGH NJW 2002, 1728, 1729 m.w.N. ____20 BGH NJW-RR 1986, 286, 287 (zu § 212 a). ____21 BGH NJW-RR 2011, 417, 418 m.w.N. ____22 BGHZ 118, 312, 322. ____23 BGHZ 61, 308, 310 f. = NJW 1974, 240, 241; BayVerfGH NJW 1994, 2280, 2281; KG NJW 1987, 1338, 1339; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277, 1278; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701; OLG Hamburg NJW-RR ____1995, 444, 445; allg.M. ____24 BGH NJW 1981, 1673, 1674; BAG BB 1977, 919, 920; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1986, 587; ____Zöller/Stöber Rdn. 10; a.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 9. ____25 BGH NJW-RR 1986, 286, 287; BGH NJW-RR 1992, 699; BGHZ 118, 312, 322; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, ____700, 701; OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1994, 835; KG NJW 1994, 3111. 26 BGHZ 61, 308, 311 = NJW 1974, 240, 241 m.w.N.; BGH VersR 1978, 720; BGH VersR 1979, 255; BGH ____VersR 1986, 371; BGH NJW-RR 1992, 699; BGH NJW 1995, 1225; BGH NJW 2002, 1728, 1729; KG NJW 1987, ____1338, 1339 m.w.N. ____27 BGH NJW-RR 1986, 286, 287. ____28 OLG Zweibrücken MDR 1982, 586; KG NJW-RR 1993, 187, 188; Stein/Jonas/Roth Rdn. 12. 29 BGH NJW-RR 2011, 997, 98 unter Aufgabe von BGH NJW-RR 1986, 286, 287; zustimmend Eyinck MDR ____2011, 1389. ____30 OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701. ____31 BGH NJW-RR 1986, 286, 287; BGH NJW-RR 2011, 997¸KG NJW 1994, 3111; Zöller/Stöber Rdn. 6 m.w.N.

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____alleine darauf an, ob aus der Sicht des Gerichts bzw. des Prozessgegners erkennbar eine ____Bestellung erfolgt ist. ____ Die Kenntnis von der Bestellung des Prozessbevollmächtigten muss spätestens ____bei Beginn der Zustellung vorliegen,32 um die Wirkung des § 172 auszulösen. Allerdings ____erscheint es bei enger zeitlicher Koinzidenz sinnvoll (aber nicht geboten), die Zustellung ____an den erst später zur Kenntnis gebrachten Bevollmächtigten zu wiederholen. ____ Beginn der Zustellung in diesem Sinne ist Weggabe des Schriftstücks zur Zustel____lung.33 Die Weggabe ist noch nicht abgeschlossen, wenn die Zustellung durch die Ge____schäftsstelle bereits verfügt, die Verfügung aber noch nicht ausgeführt worden ist.34 ____Auch an den erst nach Verkündung einer Entscheidung bestellten Prozessbevollmächtig____ten ist daher zuzustellen.35 Fallen Beginn der Zustellung durch das Gericht und Bestel____lung des Bevollmächtigten auf denselben Tag, so ist bei nicht aufklärbarer zeitlicher Ab____folge davon auszugehen, dass die Bestellung bei Zustellungsbeginn bereits bekannt war ____oder hätte sein müssen; dem Vertretenen kann insoweit die Beweislast für die Organisa____tionsabläufe des Gerichts nicht aufgebürdet werden.36 Dasselbe muss allgemeiner gelten, ____wenn sich nicht aufklären lässt, ob das Gericht bei Beginn der Zustellung entsprechende ____Kenntnis hatte.37 ____ Nachträgliche Kenntniserlangung über die Bestellung eines Prozessbevollmächtig____ten (nach der Zustellung) schadet nicht.38 ____ Bei verbleibender Unklarheit, ob ein Benannter im Sinne des § 172 zum Prozessbe____vollmächtigten bestellt ist, kann das Postulat eines fairen Verfahrens eine Rückfrage bei ____dem Benannten gebieten.39 Grds. besteht allerdings keine Nachforschungspflicht. Wenn ____aber im Passivrubrum einer Beschlussverfügung ein ortsansässiger Anwalt als Bevoll____mächtigter genannt wird, muss die zustellende Partei sich Klarheit verschaffen, wenn sie ____meint, § 172 greife nicht ein.40 Dasselbe kommt bei verbleibender Unklarheit darüber in ____Betracht, ob der für einen eigenständigen Verfahrensteil Bevollmächtigte Prozessvoll____macht für das Gesamtverfahren hat41 (vgl. oben Rdn. 10). Es sind dies Fälle, in denen eine ____tatsächliche Vermutung dafür streitet, dass Prozessvollmacht erteilt ist. ____ ____ b) Zeitpunkt der Bestellung. Die Bestellung des Prozessbevollmächtigten kann au____ßerhalb des Verfahrens und bereits vor dessen Anhängigkeit erfolgen.42 Die erforderliche ____Anzeige kann deshalb z.B. im Wettbewerbsstreit bereits in einer Schutzschrift enthalten ____sein (zum Umfang der solcherart erteilten Vollmacht vgl. unten Rdn. 34).43 Spätester ____Zeitpunkt ist der Moment, in dem der Zustellende die Zustellung abschließend veranlasst ____(vgl. oben Rdn. 14). ____ ____ ____ ____32 BGH NJW 1981, 1673, 1674; BGH NJW-RR 1986, 286, 287. ____33 OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1986, 587 m.w.N.; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277, 1278 m.w.N. ____34 Vgl. OLG Köln NJW 1983, 460 LS. ____35 OLG Hamm NJW 1962, 641; OLG Köln NJW 1983, 460 LS; Zöller/Stöber Rdn. 8. ____36 BGH NJW 1981, 1673, 1674; Zöller/Stöber Rdn. 8. 37 LG Köln NJW 1986, 1179, 1180. ____38 OLG Hamburg NJW-RR 1988, 1277, 1278; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 105, 108. ____39 BVerfG NJW 1987, 2003; Zöller/Stöber Rdn. 7. ____40 OLG Hamburg NJW-RR 1995, 444, 445 m.w.N. ____41 OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 699, 700. 42 OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 699, 700. ____43 OLG Düsseldorf WRP 1982, 531, 532; OLG Karlsruhe WRP 1986, 166, 167; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR ____1986, 587; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701; OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 624; OLG Hamburg NJW-RR ____1995, 444, 445; OLG Hamburg GRUR-RR 2003, 105, 108; Schütze BB 1978, 589.

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____ 18 c) Der Bestellende. Bestellender ist grds. der materielle Adressat der Zustellung. Im ____Streit um die Prozessfähigkeit der Partei kann diese wirksam einen Prozessbevollmäch____tigten bestellen, an den dann Zustellungen zu bewirken sind (zu den Wirkungen vgl. ____§ 170 Rdn. 7). Im Übrigen ist die Bestellung des Prozessbevollmächtigten Aufgabe des ____gesetzlichen Vertreters. Handelt ein vermeintlich Prozessbevollmächtigter, kommt im ____Hinblick auf das Verhalten des gesetzlichen Vertreters die Erteilung einer Duldungs____oder Anscheinsvollmacht an diesen in Betracht.44 Es genügt aber auch, wenn ein voll____machtloser Vertreter, in Ausnahmefällen auch ein anderer Beteiligter den hinreichenden ____Rechtsschein einer Bestellung setzt (vgl. oben Rdn. 8); so kann auch der von einem Ge____schäftsunfähigen Eingeschaltete Prozessbevollmächtigter werden.45 ____ ____ d) Der Bestellte. Prozessbevollmächtigter ist die dazu bestellte Person. Bestellt 19 ____werden kann auch eine Rechtsanwalts-Gesellschaft nach § 59 l Satz 1 BRAO oder Partner____schaft nach § 7 Abs. 4 Satz 1 PartGG.46 Dem bevollmächtigten Anwalt steht der nach § 53 ____BRAO amtlich bestellte Vertreter47 und der Abwickler nach § 55 BRAO gleich, nicht ____hingegen der nur Unterbevollmächtigte48 oder der Verkehrsanwalt.49 ____ Gehört der Prozessbevollmächtigte einer örtlichen Anwaltssozietät an, so ist grds. 20 ____jeder zugehörige Anwalt empfangsberechtigt.50 Das gilt im Zweifel auch für ein erst spä____ter eintretendes Mitglied.51 Besonderheiten sind in Hinblick auf überörtliche Sozietäten ____zu beachten. Wenn man mit der hier vertretenen Ansicht keine Postulationsfähigkeit des ____Prozessbevollmächtigten fordert (vgl. Rdn. 33), kommt generell eine Anwendung des ____§ 172 auch auf nicht ortsansässige Anwälte in Betracht. Auch bei der überörtlichen Sozie____tät kommt es nicht darauf an, auf welche Rechtsanwälte sich der Prozessauftrag konkret ____erstreckt. Maßgeblich ist allein, ob der Prozessbevollmächtigte oder der Bevollmächti____gende dem Gericht bzw. dem Gegner hinreichend sichere Kenntnis von der Person des ____Prozessbevollmächtigten verschafft haben.52 Im Gegensatz zum Regelfall bei der örtli____chen Sozietät vermittelt allerdings die bloße Nennung nicht ortsansässiger Anwälte im ____Briefkopf bei der überörtlichen Sozietät nicht solche Kenntnis.53 Anders als bei der ört____lichen Sozietät ist aus räumlich-organisatorischen Gründen nicht von der Möglichkeit ____jederzeitigen Informationsflusses auszugehen, auch nicht im Zeitalter EDV-gestützter ____Informationsübermittlung. Wirksam ist die Zustellung an die ortsansässige Kanzlei ____auch dann, wenn die Bearbeitung und Absendung der Schriftstücke von einer an einem ____anderen Ort ansässigen Kanzlei der Sozietät ausgeführt wurde.54 ____ 21 Sind mehrere Prozessbevollmächtigte bestellt, so genügt die Zustellung an einen ____von ihnen.55 Korrespondenzanwalt und später bestellter Prozessbevollmächtigter stehen ____aber nicht gleich; in diesem Falle ist nur an letzteren zuzustellen.56 ____ ____ 44 BGHZ 40, 197, 203 f.; BGH FamRZ 1981, 865, 866. ____45 BGH NJW 1987, 440. ____46 Zöller/Stöber Rdn. 4. ____47 Zöller/Stöber Rdn. 4. ____48 BayVerfGH NJW-RR 1992, 1465; BAG AP ZPO § 176 Nr. 1; Stein/Jonas/Roth Rdn. 7; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____49 BGH NJW 1994, 2295, 2296. 50 BGH NJW 1969, 1486; BGH NJW 1980, 999; KG NJW 1994, 3111, 3112; LG Berlin NJW-RR 2003, 428, 429; ____Stein/Jonas/Roth Rdn. 13; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____51 BGH VersR 1994, 874 m.w.N.; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____52 KG NJW 1994, 3111. ____53 KG NJW 1994, 3111; Boin MDR 1995, 882. 54 LG Berlin NJW-RR 2003, 428, 429. ____55 BGHZ 118, 312, 322; ebenso BVerwG NJW 1998, 3582; BFH 28.1.2003 (X B 84/02), juris-online STRE ____200350150; Stein/Jonas/Roth Rdn. 13 m.w.N. ____56 BGH NJW-RR 1992, 699.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 3. Umfang und Ende der Bestellung des Prozessbevollmächtigten ____ ____ a) Der Rechtszug. Der Begriff des Rechtszuges wird im Gesetz nicht definiert. ____Im Sinne des § 172 beginnt er mit der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schrift____stücks (Klageschrift, Mahn- oder Arrestantrag, Rechtsmittelschrift) bei der maßgeblichen ____Instanz; dazu zählt auch das Gericht derselben Instanzenordnung, an welches das Ver____fahren verwiesen oder abgegeben wurde.57 Deshalb ist an den bisherigen Prozessbevoll____mächtigten zuzustellen, auch wenn er beim nunmehr zuständigen Gericht nicht zugelas____sen ist (zur Unmaßgeblichkeit der Postulationsfähigkeit vgl. unten Rdn. 33).58 ____ Der Rechtszug endet vorbehaltlich der Regelung in Abs. 2 mit der Einlegung von ____Rechtsmitteln bzw. mit formeller Rechtskraft der Entscheidung,59 nicht also schon mit ____Zustellung des Endurteils. Insoweit herrscht Übereinstimmung mit der Dauer der Rechts____hängigkeit nach § 261. Das den Rechtszug abschließende Urteil ist demnach an den Pro____zessbevollmächtigten dieses Rechtszuges zuzustellen, selbst wenn für den nächsten ____Rechtszug ein Prozessbevollmächtigter bereits bestellt ist.60 ____ Die Regelungen in Satz 2 und 3 übernehmen diejenigen des § 178 a.F., ergänzt um ____die Anhörungsrüge nach § 321 a durch das Anhörungsrügengesetz (vgl. Vor § 166 Rdn. 2). ____Sie präzisieren bzw. normieren, was zum Rechtszug i.S.v. § 172 zählt, sind aber nicht ____abschließend.61 ____ Wenn das Verfahren ohne Urteil beendet wurde (Fälle der Klagerücknahme, der bei____derseitigen Erledigungserklärung oder des Vergleichs), so zählt das folgende Beschluss____verfahren nach § 269 Abs. 3, 4 noch zum Rechtszug.62 Ebenfalls zugehörig ist das Kos____tenfestsetzungsverfahren als (selbständiges) Nachverfahren zum Hauptprozess.63 Aller____dings endet die Prozessvollmacht für das Kostenfestsetzungsverfahren nach angezeigter ____Mandatsbeendigung auch im Anwaltsprozess, selbst wenn keine Anzeige von der Bestel____lung eines anderen Anwalts erfolgt,64 weil insoweit kein Anwaltszwang besteht (vgl. ____§§ 13, 21 Nr. 1 RPflG) und die ratio des § 87 Abs. 1 damit entfällt. Dasselbe gilt allgemeiner ____für sämtliche Nebenverfahren im Rahmen des Rechtszuges, für die kein Anwaltszwang ____herrscht.65 Jedoch zählt das Verfahren nach §§ 120 Abs. 4 Satz 2, 124 nach neuerer höchst____richterlicher Rechtsprechung (Erklärung über die Änderung der Verhältnisse bei der ____PKH-Rückzahlung) noch zum Rechtszug.66 Folgerichtig wird auch dieses Verfahren ____noch von der für das PKH-Verfahren erteilten Vollmacht umfasst.67 ____ Die erforderliche Anzeige der Beendigung der Prozessvollmacht kann in der Weise ____erfolgen, dass der bislang Vertretene hinreichend deutlich zu erkennen gibt, er wolle ____nicht mehr vertreten werden. Dafür kann eigenes Auftreten68 ebenso ausreichen wie die ____Mitteilung, dass der Bevollmächtigte nicht mehr auftrete bzw. dass ein anderer Bevoll____mächtigter bestellt sei.69 ____ ____57 Stein/Jonas/Roth Rdn. 14. ____58 OLG Hamm MDR 1968, 155; OLG Köln MDR 1976, 50; Zöller/Stöber Rdn. 13. ____59 BGH NJW 1995, 1095, 1096 m.w.N. unter Aufgabe der früheren Rspr.; OLG Naumburg FamRZ 2006, 1401. ____60 RGZ 9, 366, 367 f.; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 176 (a.F.) Rdn. 9; Zöller/Stöber Rdn. 13. ____61 Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 178 (a.F.) Rdn. 1; vgl. dazu Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. 62 Zöller/Stöber Rdn. 13; vgl. auch BGH NJW 1995, 1095, 1096. ____63 OLG München NJW 1970, 1609; KG NJW 1994, 3111. ____64 KG NJW 1972, 543, 544 f. ____65 AG und LG Ansbach DGVZ 1983, 77 f.; LG Trier Rpfl. 1988, 29; Stein/Jonas/Roth Rdn. 19. ____66 BGH NJOZ 2011, 1638, 1639 m.w.N.; BAG NJOZ 2006, 3452; OLG Brandenburg 6.11.2008, BeckRS 2009, 09942; a.A. die Vorauflage m.w.N. ____67 BGH NJOZ 2011, 1638, 1640 m.w.N. ____68 OLG München Rpfl. 1979, 465; LG Trier Rpfl. 1988, 29 m.w.N. ____69 OLG Frankfurt a.M. Rpfl. 1986, 391; LG Gießen Rpfl. 1981, 26.

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____ 27 Zum Rechtszug gehören Prozesshandlungen, die das Verfahren vor dem Gericht des ____Rechtszuges infolge eines Einspruchs (§§ 338 ff.; 700 Abs. 3–6) zum Gegenstand haben; ____§ 172 Abs. 1 Satz 2 weist darauf nur hin. ____ Weiterhin zählen hierzu Verfahren vor dem Gericht des Rechtszuges nach der 28 ____Aufhebung seines Urteils, also in Fällen der Zurückverweisung (§§ 538, 563 Abs. 1, 566 ____Abs. 8). § 172 Abs. 1 Satz 2 erfasst auch Fälle der unmittelbaren Zurückverweisung an ____die Berufungsinstanz als maßgeblicher „Rechtszug“, dagegen nicht solche, in denen erst ____nach einer neuen Entscheidung der Ausgangsinstanz erneut die Rechtsmittelinstanz ____befasst wird,70 dies auch dann nicht, wenn eine unmittelbare Verweisung an die Rechts____mittelinstanz möglich gewesen wäre.71 Ferner werden das Wiederaufnahmeverfahren ____(§§ 578 ff.) sowie die Anhörungsrüge nach § 321 a erfasst; wegen des rechtskrafterschwe____renden Charakters der Anhörungsrüge hat der Gesetzgeber eine ausdrückliche Klarstel____lung vorgenommen.72 ____ Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 2 gehören zum Rechtszug auch Verfahren vor dem Gericht 29 ____des Rechtszuges, die neues Vorbringen zwischen denselben Parteien (nicht: durch Drit____te, vgl. sogleich Rdn. 31) in der Zwangsvollstreckung zum Gegenstand haben (§§ 731; ____767–770;73 781–786 a; 887 ff.).74 ____ Nach § 172 Abs. 1 Satz 3 zählt das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht ins30 ____gesamt zum Rechtszug (§§ 764 ff., 766, 793, 822 f., 828 ff., 899 f (letztere bis zum 31.12. ____2012), einschließlich der Zustellungen zur Einleitung der Zwangsvollstreckung (§§ 750 f., ____756, 765) 75 sowie der Zwangsversteigerung. 76 Erfasst ist die gesamte Vollstreckungs____instanz, z.B. auch die Mitwirkung an einem Prozessvergleich.77 Eine Sonderregelung für ____die Zustellung trifft § 900 (bis zum 31.12.2012) in Hinblick auf die Abnahme der eides____stattlichen Versicherung (vgl. Rdn. 40). ____ 31 § 172 ist auf einen Teil selbständiger Verfahren nicht anzuwenden. In diesem Sinne ____nicht zum Rechtszug gehörig sind die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ____(§§ 916 ff., 935 ff.)78 und Verfahren, die durch Dritte in Gang gebracht werden (Hauptin____tervention, § 64;79 Drittwiderspruchsklage, §§ 771 ff.80 und 810 Abs. 2; Klagen von Gläubi____gern nach §§ 805; 878 f.).81 Insoweit besteht keine vollständige Übereinstimmung mit der ____Reichweite der Prozessvollmacht nach § 82. Zustellung an den Prozessbevollmächtigten ____ist in diesen Fällen wegen § 82 zulässig, aber nicht gemäß § 172 geboten.82 ____ ____ b) Die Bestimmung der Prozessvollmacht. Der Umfang der Prozessvollmacht und 32 ____mögliche Beschränkungen ergeben sich aus §§ 81 ff. Keine Prozessvollmacht im Sinne ____ ____ ____70 RG JW 1925, 756. ____71 Vgl. die Nachweis in der Voraufl. Anm. A II. 72 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT(-Drucks.) 15/4061, S. 25. ____73 Vgl. OLG Posen SeuffArch 67, 65; Voraufl. Anm. B I m.w.N. ____74 OLG Schleswig SchlHA 1957, 205, 206. ____75 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 16; Zöller/Stöber Rdn. 20. ____76 LG Gießen Rpfl. 1981, 26. ____77 KG JW 1932, 1980; AG und LG Würzburg DGVZ 1979, 125 f.; LG Köln DGVZ 1990, 121 f.; LG Detmold DGVZ 1999, 61; vgl. auch RG Gruchot 37 (1893), 425, 427; Münzberg, DGVZ 2000, 177 m.w.N.; a.A. AG Mainz ____DGVZ 2000, 189. ____78 RGZ 45, 364, 366; Stein/Jonas/Roth Rdn. 18 m.w.N.; Zöller/Stöber Rdn. 18. ____79 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 19; Stein/Jonas/Roth Rdn. 18; a.A. RGZ 15, 428 f.; Zöller/Stöber ____Rdn. 18. 80 OLG Augsburg OLGE 14, 162, 163. ____81 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 19; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 178 (a.F.) Rdn. 5; Zöller/Stöber ____Rdn. 17. ____82 Stein/Jonas/Roth Rdn. 18; Zöller/Stöber Rdn. 18.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____einer das ganze Verfahren umfassenden Vertretungsmacht ist die bloße Terminvoll____macht,83 die Vollmacht zur Vornahme einer einzigen Prozesshandlung84 oder zur Füh____rung von Vorkorrespondenz,85 die bloße Zustellungsvollmacht gemäß § 18486 oder die ____bloße Beiordnung im Prozesskostenhilfeverfahren87 (zu deren Fortwirkung im Rückfor____derungsverfahren Rdn. 25). Dagegen kann sich aus den Umständen ergeben, dass sich ____eine Bevollmächtigung für das Eilverfahren auch auf das Hauptverfahren erstrecken ____soll.88 Dasselbe gilt für die Bevollmächtigung für das Beweissicherungsverfahren in Hin____blick auf das Gesamtverfahren89 sowie für das Tätigwerden im Prozesskostenhilfeverfah____ren, wenn keine Einschränkung darauf ersichtlich wird (z.B. bei einer Erklärung mit dem ____Wortlaut „zeige ich an, dass ich die Bekl. vertrete“).90 Erst recht ist im Zweifel von einer ____umfassenden Bevollmächtigung auszugehen, wenn darüber hinaus – wenn auch be____dingt durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe –, Sachanträge gestellt werden.91 ____ Die Prozessvollmacht erstreckt sich auf das anhängige Verfahren auch dann, wenn 33 ____der Anwalt beim Prozessgericht nicht oder nicht mehr postulationsfähig ist.92 Die Zustel____lung ist keine selbständige Prozesshandlung und setzt deshalb Postulationsfähigkeit ____nicht notwendig voraus (vgl. schon § 170 Rdn. 1). Auch an die nicht postulationsfähige ____Partei kann und muss zugestellt werden, solange sie keinen Prozessbevollmächtigten ____hat. Die Einschaltung eines solchen dient aber nicht der weiteren Formalisierung der ____Verfahrensgestaltung. § 172 will nur die umfassende Information des Prozessbevollmäch____tigten gewährleisten (vgl. oben Rdn. 2); die Postulationsfähigkeit ist insoweit ohne Be____lang. Zwar wird dann ein Korrespondenzanwalt einzuschalten sein; auch dieser benötigt ____aber umfassende fachliche Information, die allein der bisherige Bevollmächtigte liefern ____kann. Auch würde ein zusätzliches Prüfungserfordernis in Hinblick auf die Postulations____fähigkeit unnötigen Zusatzaufwand und Unsicherheiten verursachen. Wer entgegen der ____hier vertretenen Ansicht Postulationsfähigkeit fordert, muss prüfen, ob der nicht postu____lationsfähige Anwalt von der Partei speziell bevollmächtigt war, Zustellungen im anhän____gigen Verfahren entgegenzunehmen. Dies kann sich aus den Umständen des Einzelfalles ____ergeben und reicht grds. für eine wirksame Zustellung aus.93 Zudem soll der Verlust der ____Postulationsfähigkeit allenfalls mit Kenntnisgabe relevant sein.94 Unstreitig ist an den ____Prozessbevollmächtigten für die erste Instanz zuzustellen, solange für die nächste In____stanz kein Prozessbevollmächtigter bestellt oder wenn dieser weggefallen 95 ist (vgl. ____§ 174), auch wenn ersterer bei der Rechtsmittelinstanz nicht zugelassen ist.96 ____ ____ 83 BGH NJW-RR 1994, 127; BGH FamRZ 2007, 390. ____84 BGHZ 61, 308, 311 m.w.N. ____85 OLG Hamburg NJW-RR 1993, 958. ____86 KG NJW 1987, 1338, 1339 zu § 175 a.F. ____87 RGZ 135, 303, 304; BGH VersR 1991, 936 f.; Stein/Jonas/Roth Rdn. 12; Zöller/Stöber Rdn. 4. 88 Vgl. OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1994, 835. ____89 OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 699, 700. ____90 BGH NJW 2002, 1728, 1729. ____91 Vgl. BGH NJW 2002, 1728, 1729 m.w.N. ____92 OLG Celle Rpfl. 1969, 63; OLG Köln MDR 1976, 50; OLG Zweibrücken VersR 1979, 143; OLG Köln ____FamRZ 1985, 1278; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800 m.w.N.; OLG Düsseldorf OLGZ 1988, 119, 120 = NJW-RR 1987, 1214; OLG Zweibrücken FamRZ 1989, 191, 192; OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 624; Schütze BB ____1978, 589; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth Rdn. 7 f., 29. A.A. BGH VersR 1984, 873 ____ohne Begründung; OLG Hamburg GRUR 1981, 90, 91; OLG Köln WRP 1994, 322, 323 m.w.N. für das ____Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; OLG Köln 2.4.2008, BeckRS 2008, 10047; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____Offengelassen in KG NJW 1994, 3111, 3112. 93 BGH VersR 1974, 548; BGH VersR 1984, 873. ____94 OLG München NJW 1970, 1609. ____95 Vgl. RGZ 103, 334, 336. ____96 Vgl. sinngemäß Zöller/Stöber Rdn. 9.

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§ 172

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____ Wird die Erteilung der Prozessvollmacht im Rahmen eines bestimmten Verfahrens – 34 ____z.B. in einer bei Gericht eingereichten Schutzschrift (vgl. oben Rdn. 17) angezeigt, so er____streckt sie sich nicht ohne weiteres auf ein anderes Verfahren zwischen den Parteien ____bei demselben Gericht.97

____ ____ c) Beendigung der Prozessvollmacht im laufenden Verfahren. Die Prozessvoll35 ____macht kann im laufenden Verfahren durch Ausscheiden des Bevollmächtigten aufgrund ____Todes oder Krankheit oder mit wirksamer Mandatsbeendigung durch den Vollmacht____geber oder den Bevollmächtigten enden. Sie endet auch bei Eröffnung des Insolvenz____verfahrens über das Vermögen der Partei.98 Andere Umstände in der Person des Voll____machtgebers sind nach Maßgabe des § 86 unbeachtlich. Modifikationen hinsichtlich ____der Außenwirkung ergeben sich aus Erfordernissen des Verkehrsschutzes und des ge____ordneten Verfahrensganges (vgl. § 87). Deshalb bedarf es einer Anzeige der Beendigung ____(vgl. § 87 Abs. 1), um sie zustellungsrechtlich relevant zu machen. Im Parteiprozess kann ____insoweit § 87 Abs. 2 auch zu Lasten der Partei insofern wirken, als Zustellungen an den ____Prozessbevollmächtigten auch nach Mandatsniederlegung wirksam erfolgen können.99 ____Für den Anwaltsprozess dagegen folgt aus § 87 Abs. 1 ohnehin, dass an den bisherigen ____Anwalt bis zur Bestellung eines neuen Anwalts zuzustellen ist.100 Dasselbe gilt für die ____– nicht angezeigte – Beschränkung der Vollmacht.101 Auch die Bestellung eines anderen ____Prozessbevollmächtigten beendet die zustellungsrelevante Bevollmächtigung erst mit ____Anzeige der Mandatsbeendigung an das Gericht.102 Andererseits endet die Prozessvoll____macht i.S.v. § 172 mit Zurückweisung des Anwalts durch das Gericht auch dann, wenn ____tatsächlich Prozessvollmacht erteilt wurde; dies gebietet die Rechtssicherheit.103 Zum ____Verlust des Anwalts wegen Todes oder Vertretungsunfähigkeit vgl. § 244. ____ Eine Kündigung durch den Bevollmächtigten liegt nicht schon dann vor, wenn er 36 ____in der mündlichen Verhandlung erklärt, er trete nicht auf, stelle auch keinen Antrag.104 ____Solches Vorgehen kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Prozessvollmacht aufrechter____halten werden soll (z.B. bei der „Flucht in die Säumnis“ zur Vermeidung einer Präklusi____on). ____ Unschädlich ist die Beendigung des Mandats nach Weggabe des Schriftstücks zur 37 ____Zustellung.105 ____ ____ 4. Zustellung im anhängigen Verfahren. § 176 bezieht sich auf Zustellungen in ei38 ____nem anhängigen Verfahren. Die frühere Formulierung „anhängiger Rechtsstreit“ in ____§ 176 a.F., die zu Interpretationsproblemen geführt hat,106 wurde durch die von vornher____ein weitere Formulierung „des anhängigen Verfahrens“ abgelöst. Gemeint ist das Ver____fahren, für dessen Führung Prozessvollmacht erteilt worden ist (dazu oben Rdn. 8 ff.). ____Die Norm entfaltet ihre Wirkung bereits ab Anhängigkeit, nicht erst ab Rechtshängigkeit ____ ____ ____97 OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701. ____98 BGH KTS 1989, 371, 372 f. = MDR 1989, 255. ____99 BGH NJW 2008, 234 m.w.N. unter einschränkender Auslegung der Entscheidung BGH NJW 1991, 295; a.A. OLG Hamm NJW 1982, 1887; OLG Köln RPfl. 1992, 242. ____100 RGZ 60, 269, 271; BGHZ 43, 135, 137 = NJW 1965, 1019; BGH NJW 1975, 120; BGH NJW 1980, 999; OLG ____Köln FamRZ 1985, 1278; BAG AP ZPO § 87 Nr. 1 mit zust. Anm. Stephan; Zöller/Stöber Rdn. 11. ____101 OLG Hamm ZMR 1997, 155, 156. ____102 OLG Zweibrücken OLGR 2002, 416 = FGPrax 2002, 277 m.w.N. 103 OLG Zweibrücken MDR 1982, 586 m.w.N. ____104 BGH NJW-RR 1986, 286, 287. ____105 Vgl. BGHZ 118, 312, 322 zur „späteren“ Beendigung des Mandats. ____106 Vgl. nur Münzberg DGVZ 2000, 177.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____des Verfahrens. Die schon zuvor mitgeteilte Bestellung eines Prozessbevollmächtigten ____wirkt ab diesem Zeitpunkt (vgl. oben Rdn. 17 zur Schutzschrift). ____ ____ 5. Rechtsfolgen der wirksamen Bestellung. Ab Wirksamkeit der Bestellung (vgl. ____zur notwendigen Anzeige oben Rdn. 10 ff.) darf nur noch an den Prozessbevollmäch____tigten zugestellt werden (zu Ausnahmen vgl. Rdn. 40 ff.). Die Zustellung an die Partei ____oder an einen anderen Bevollmächtigten ist unwirksam (aber heilbar nach §§ 187, 295), ____wenn ein Prozessbevollmächtigter vorhanden ist (zu Einzelheiten der Heilung vgl. § 189 ____Rdn. 13).107 Unschädlich kann dagegen die Angabe des Prozessbevollmächtigten statt des ____Zustellenden auf dem zuzustellenden Schriftstück sein.108 ____ ____ 6. Ausnahmen. In Ausnahmefällen ist trotz Bestellung eines Prozessbevollmäch____tigten die Zustellung oder die Mitteilung an die Partei selbst zu richten. Dies betrifft Fäl____le der persönlichen Beteiligung der Partei am Verfahren nach den Vorschriften der §§ 141 ____Abs. 2 Satz 2 (Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei – eine Zustellung ist ____hier gemäß Satz 2 2. Hs nicht erforderlich), 239 Abs. 3 Satz 1 (Ladung des Rechtsnachfol____gers der Partei), 273 Abs. 4 Satz 2 (Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei ____im Termin), 278 Abs. 3 (Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei zum Güte____versuch), 450 Abs. 1 Satz 3 (Ladung der Partei zur Vernehmung; auch hier bedarf es ge____mäß Satz 3 2. Hs keiner Zustellung) und 900 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 5 (bis zum 31.12. ____2012))109sowie § 128 FamFG (Anordnung des persönlichen Erscheinens in Ehesachen). In ____einigen Fällen ist daneben auch Zustellung an den Prozessbevollmächtigten erforderlich ____(vgl. z.B. § 246 Abs. 2; gegenteilig ausdrücklich § 900 Abs. 1 Satz 3 2. Hs). ____ Generell wird § 172 von spezielleren zwischenstaatlichen Abkommen verdrängt, ____so z.B. im Anwendungsbereich des HZPÜ, wenn nach dessen Vorschriften unmittelbar ____an die Partei zuzustellen ist (vgl. § 183 Rdn. 5 und 2).110 Dagegen enthält das NATO-Trup____penstatut keine Regelung, welche die Anwendbarkeit des § 172 einschränkt.111 ____ Kein Ausnahmefall ist die Notwendigkeit, sich an die Partei selbst zu wenden, um ____materiell-rechtliche Voraussetzungen für ein weiteres Verfahren herzustellen, wie ____etwa die Bewirkung des Annahmeverzuges durch Aufforderung gemäß § 295 als Voraus____setzung dafür, aus einem Titel mit Verurteilung zur Leistung Zug-um-Zug vollstrecken zu ____können. Dabei handelt es sich überhaupt nicht um eine Zustellung im anhängigen Ver____fahren i.S.v. § 172.112 ____ ____ III. Zustellung bei Einlegung eines Rechtsmittels (Abs. 2) ____ ____ 1. Einführung. Die Regelung in Abs. 2 entspricht weitgehend § 210 a a.F.,113 bringt ____aber Vereinfachungen gegenüber dieser Norm mit sich. Entfallen ist die vormalige Rege____lung über die Zustellung durch Aufgabe per Post, sofern kein Zustellungsbevollmächtig____ ____ ____107 BGHZ 61, 308, 310 = NJW 1974, 240, 241; BGH VersR 1978, 720; BGH NJW 1984, 926; BGH NJW 1991, ____2086; BGH JZ 1996, 978; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800; OLG Karlsruhe WRP 1986, 166, 167; OLG Hamm OLGZ 1991, 450, 451; BayObLG FamRZ 1994, 1599; OLG Braunschweig NJW-RR 1996, 380, 381; OLG ____Celle NJWE-WettbR 1998, 1, 2; OLG Naumburg VIZ 2002, 654, 655; LG Kassel WRP 2002, 1106 (LS). ____108 BGH NJW 1965, 104 f. ____109 Anders für die Zustellung des folgenden Haftbefehls nach §§ 901, 909 LG Kaiserslautern Rpfl. 1989, ____116. 110 BGHZ 65, 291, 296 = NJW 1976, 478, 480. ____111 AG Bad Vilbel DGVZ 1985, 122; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3. ____112 AG und LG Köln DGVZ 1980, 41 f. ____113 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17.

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____ter bestellt wurde, weil dieser nunmehr für Inlandszustellungen nicht mehr gefordert ____wird (anders noch in § 174 a.F.). Für Auslandszustellungen gilt insoweit § 183.114 ____ Abs. 2 betrifft die Zustellung in Rechtsmittelverfahren (vgl. zur Abgrenzung 44 ____Rdn. 46), bei denen Prozessbevollmächtigte eingeschaltet sind oder einzuschalten ____waren. Die Norm beinhaltet drei aufeinander abgestimmte Regelungen in Satz 1, 2 und 3. ____ Abs. 2 ergänzt die Regelungen in Abs. 1. Für die Frage, wer Prozessbevollmächtigter 45 ____ist und in welchen Fällen an ihn zugestellt werden muss, gelten in vollem Umfang die ____Darlegungen zu Abs. 1. Das gilt insbesondere auch für die Kenntnis des Zustellenden als ____Voraussetzung für die Pflicht, an den jeweiligen Prozessbevollmächtigten (Abs. 2 Satz 1, ____2) zuzustellen. ____ ____ 2. Anwendungsbereich der Norm. Abs. 2 betrifft nur Zustellungen im Rechtsmit46 ____telverfahren. Das gilt auch für Satz 3.115 Von den Rechtsmitteln (Berufung, Revision, ____Beschwerde) sind bloße Rechtsbehelfe (Einspruch, Erinnerung, Wiederaufnahmeklage, ____Wiedereinsetzungsantrag) abzugrenzen, welche nicht von der Norm erfasst werden. ____Dagegen werden über den Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, hinaus ____auch Begründungsschriftsätze sowie alle weiteren das Rechtsmittelverfahren betreffen____den Schriftsätze an den in Betracht kommenden Adressaten (Prozessbevollmächtigter ____oder die Partei selbst) zugestellt, solange kein für die nächste Instanz postulationsfähi____ger Prozessbevollmächtigter bestellt ist.116 ____ Verstöße gegen die Norm unterliegen der Heilung nach §§ 187, 295.117 47 ____ ____ 3. Zustellung an den Prozessbevollmächtigten (Abs. 2 Satz 1, 2). Gemäß Abs. 2 48 ____Satz 1 sind Rechtsmittelschriften (vgl. Rdn. 46) grds. dem Prozessbevollmächtigten ____des Rechtszuges, dessen Entscheidung angefochten wird, zuzustellen. Hierfür gelten ____die Ausführungen zu Abs. 1 einschließlich denen zur Fortdauer der Prozessvollmacht ____(vgl. Rdn. 22 ff.). Es kommt demgemäß alleine auf den verfahrensrechtlich relevanten Akt ____der Bestellung an, nicht auf den zugrunde liegenden Auftrag bzw. die Vollmacht (vgl. ____Rdn. 8). Postulationsfähigkeit des Prozessbevollmächtigten setzt auch Abs. 2 nicht vor____aus.118 Werden gegen mehrere Entscheidungen Rechtsmittel eingelegt, so ist die Bestel____lung jeweils gesondert zu prüfen. ____ Die Regelung ist nur teilweise übertragbar auf Fälle, in denen die Staatsanwalt49 ____schaft Gegner des eingelegten Rechtsmittels ist. In diesen Fällen ist der Behördenleiter ____beim Rechtsmittelgericht oder derjenige beim vorinstanzlichen Gericht Zustellungsad____ressat, nicht aber der beim erstinstanzlichen Gericht.119 ____ Wurde für den höheren, zur Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel 50 ____zuständigen Rechtszug bereits ein Prozessbevollmächtigter bestellt, so muss nun ____gemäß Abs. 2 Satz 2 die Zustellung an diesen erfolgen; die Vorläuferregelung in § 210 a ____Abs. 1 Satz 2 sah dies als bloße Alternative zur Zustellung an den Prozessbevollmächtig____ten i.S.v. Satz 1 vor. Zur Bestellung vgl. die Ausführungen in Rdn. 8 ff. Die Regelung ist ____dem Sinne nach auch anwendbar auf einen Anwalt als Gegner, der beim Rechtsmittelge____richt zugelassen ist.120 ____ ____ ____114 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____115 Vgl. Coenen DGVZ 2002, 5, 7. ____116 Vgl. RGZ 8, 424, 425 f.; RGZ 9, 329 f.; RG Gruchot 48 (1904), 393. 117 Vgl. BGHZ 65, 114, 116; BAGE 21, 193 = NJW 1969, 1366, 1367. ____118 OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 624. ____119 RGZ 18, 404, 405 f.; 25, 419 f.; 36, 345, 346 f. ____120 Wie hier Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 210 (a a.F.) Rdn. 4 und Stein/Jonas/Roth Rdn. 21.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 173

____ 4. Zustellung an die Partei nach (Abs. 2 Satz 3). Abs. 2 Satz 3 regelt die Fälle, in ____denen keiner der in Abs. 2 Satz 1 und 2 genannten Prozessbevollmächtigten bestellt ____worden ist. Entfallen ist die Regelung des § 210 a Abs. 2 a.F., wonach eine solche Zustel____lung auch bei unbekanntem Aufenthaltsort des jeweiligen Prozessbevollmächtigten vor____zunehmen ist. Die Art der Ausführung unterliegt den allgemeinen Regeln ohne die in ____§ 210 a Abs. 2 a.F. a.E. vorgesehene Festlegung. ____ ____ ____ § 173 ____ Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle ____ § 173 Rohe ____ Ein Schriftstück kann dem Adressaten oder seinem rechtsgeschäftlich bestell____ten Vertreter durch Aushändigung an der Amtsstelle zugestellt werden. Zum ____Nachweis der Zustellung ist auf dem Schriftstück und in den Akten zu vermerken, ____dass es zum Zwecke der Zustellung ausgehändigt wurde und wann das geschehen ____ist; bei Aushändigung an den Vertreter ist dies mit dem Zusatz zu vermerken, an ____wen das Schriftstück ausgehändigt wurde und dass die Vollmacht nach § 171 Satz 2 ____vorgelegt wurde. Der Vermerk ist von dem Bediensteten zu unterschreiben, der die ____Aushändigung vorgenommen hat. ____ Übersicht ____ ____ 1 III. Beurkundung der Zustellung ____I. Einführung ____ 3 (Satz 2, 3) ____ 9 ____II. Vollzug der Zustellung (Satz 1) ____ ____ I. Einführung ____ Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 212b a.F.1 Sie ermöglicht eine besonders ____ ____einfache Form der Zustellung. Das zu übergebende Schriftstück kann danach dem Adres____saten (zur Begrifflichkeit vgl. § 166 Rdn. 10 ff. und unten Rdn. 3) oder einem Vertreter un____mittelbar an der Amtsstelle übergeben werden. Dieser Vorgang ist nach Maßgabe des ____Satz 2 zu beurkunden. Die Formalien sind hierbei auf ein unerlässliches Minimum zu ____reduzieren, weil die Nachweisprobleme und Verlustrisiken bei der unmittelbaren Überga____be des Schriftstücks an den Adressaten ohne Beförderungswege besonders gering sind. Eine Heilung von Verstößen gegen die Norm ist gemäß §§ 187, 295 möglich. Zur An____ ____wendung während des Laufs der öffentlichen Zustellung vgl. § 187 Rdn. 32. ____ ____ II. Vollzug der Zustellung (Satz 1) ____ Die Zustellung an den Adressaten (vgl. § 182 Rdn. 20) kann an der Amtsstelle erfol____ ____gen. Gemeint ist hier der formelle Adressat, also auch der gesetzliche Vertreter (§ 170), ____der Prozessbevollmächtigte (§ 172) oder der Zustellungsbevollmächtigte (§ 184).2 Eine ____Ersatzzustellung ist auf diesem Wege nicht zulässig. § 179 Abs. 1 Satz 3 greift nicht ein. Gemäß Satz 2 2. Hs ist auch eine Aushändigung an den rechtsgeschäftlichen3 Ver____ ____treter (vgl. § 171) möglich. Dabei ist grds. die entsprechende Vollmacht vorzulegen; ____dies ergibt sich aus der Regelung, wonach auch die Vorlage zu beurkunden ist. Aller____dings dient die Variante der Aushändigung an den Vertreter offensichtlich Erleichte____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____2 So sinngemäß auch Zöller/Stöber Rdn. 2; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 1. ____3 Der gesetzliche Vertreter ist selbst Adressat i.S.v. § 173.

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____rungszwecken gegenüber der bisherigen Rechtslage nach § 212b a.F.4 Ähnlich wie bei ____§ 171 Abs. 2, auf den die Regelung Bezug nimmt, reicht m.E. das Bestehen der Vollmacht ____aus, wenn sie dem Aushändigenden bereits bekannt ist. Auch eine fernmündliche Bestä____tigung sollte genügen.5 Jedoch kann die Aushändigung ohne Vorlage einer Vollmacht ____ohne weiteres verweigert werden. Zur Prüfung der Vollmacht gelten die Ausführungen ____zu § 171 Abs. 2 (dort Rdn. 15). ____ 5 Mit der Amtsstelle wird nicht nur die Geschäftsstelle, sondern das gesamte Ge____richtsgebäude (alle Diensträume des Gerichts6 einschließlich der Gerichtsflure)7 bezeich____net. Darüber hinaus sind solche Orte erfasst, an denen gerichtliche Tätigkeit ausgeübt ____werden kann, wie z.B. Bezirkskrankenhäuser, Behinderteneinrichtungen oder Altenhei____me im Bereich der Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts.8 ____ Die Ausführung muss durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder eine 6 ____andere Person erfolgen, die generell – also nicht notwendig im konkreten Fall – zur Ak____tenbearbeitung zuständig ist und deshalb Beurkundungen wirksam vornehmen kann. ____Dies ergibt sich aus dem Beurkundungserfordernis nach Satz 2, 3 (dazu Rdn. 9 ff.),9 auch ____wenn es nicht mehr Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Erfasst sind auch Gerichtswacht____meister,10 nicht aber technisches Personal. Aushändigung durch den Richter selbst ist ____zulässig und muss nicht gesondert vermerkt werden.11 ____ In Hinblick auf das zu übergebende Schriftstück und den Akt der Übergabe gel7 ____ten grds. die allgemeinen Vorschriften (vgl. § 166 Rdn. 45 ff.). Mangels besonderer Rege____lung kann das Schriftstück offen oder geschlossen übergeben werden; § 176 Abs. 1 gilt ____nicht.12 ____ Die Übergabe kann nicht durch das Einlegen in ein Gerichtsfach (des Anwalts als 8 ____Adressaten) erfolgen. Bei solchem Vorgehen ist der typisierte sichere Zugang nicht ge____währleistet. Es bedarf also der persönlichen Aushändigung.13 Dagegen sind an die Ad____ressierung geringere Anforderung zu stellen. Sie muss nur so genau sein, dass der Adres____sat unzweifelhaft bestimmt werden kann. Da die Übergabe an der Amtsstelle erfolgt, ist ____auch kein gesonderter Hinweis auf den Absender erforderlich. ____ ____ III. Beurkundung der Zustellung (Satz 2, 3) ____ ____ In den Akten und auf dem ausgehändigten Schriftstück ist der Umstand, dass das 9 ____Schriftstück dem Adressaten zum Zweck der Zustellung (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 ff.) ausge____händigt wurde, sowie das Datum der Ausführung zu vermerken (Satz 2) und vom Aus____führenden zu unterschreiben (Satz 3).14 Weitere Formalien sind nicht vorgesehen. ____ ____ ____4 Vgl. zum Verbot der Zustellung an Bevollmächtigte nach dieser Norm LG Hannover AnwBl 1986, 246; AG Köln DGVZ 1979, 11, 12. Die Erweiterung wurde auf Empfehlung des Bundesrats vorgenommen; vgl. ____BT(-Drucks.) 14/4554, S. 30; Musielak/Wolst Rdn. 1. ____5 So nun auch Zöller/Stöber Rdn. 3. ____6 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____7 Musielak/Wolst Rdn. 2. ____8 So BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. 9 Vgl. BGHZ 8, 314 = NJW 1954, 422 zu § 213; wie hier auch Zöller/Stöber Rdn. 5; Musielak/Wolst ____Rdn. 2. ____10 Musielak/Wolst Rdn. 2; a.A. zu § 213 a.F. BGHZ 8, 314 = NJW 1954, 422, 423. ____11 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____12 Zöller/Stöber Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____13 BGH NJW 1963, 1779. ____14 Vgl. für die in § 60 SGB VIII vorgesehene entsprechende Anwendung das DIJuF-Rechtsgutachten v. ____3.7.2002, JAmt 2002, 296.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 174

____ Bei Übergabe an den Vertreter (vgl. Rdn. 4) muss der Vermerk zusätzlich die Person ____des Vertreters benennen und darauf hinweisen, dass die Vollmacht nach § 171 Abs. 2 ____vorgelegt wurde (vgl. Rdn. 4). ____ Der Aktenvermerk ersetzt funktional die Zustellungsurkunde.15 Wird die Übergabe ____in das gerichtliche Protokoll aufgenommen, so ersetzt diese höherwertige Form der Be____urkundung den vorgesehenen Vermerk.16 ____ Die Beurkundung hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle oder andere zur Be____urkundung berufene Personen (Richter, Rechtspfleger, Sachbearbeiter) vorzunehmen. Die ____Dienststellung des Beurkundenden muss nicht kenntlich gemacht werden. Zu den Anfor____derungen an die notwendige eigenhändige Unterschrift (Satz 3) vgl. § 166 Rdn. 24 ff. ____ Anders als nach dem Zustellungsrecht vor der Reform vom 1.7.200217 ist die Beur____kundung des Zustellungsvorgangs keine Wirksamkeitsvoraussetzung mehr; sie dient ____nur noch Beweiszwecken (vgl. § 166 Rdn. 8). Das gilt nicht nur für § 182, sondern auch für ____die Beurkundung nach § 173.18 ____ Der auf dem ausgehändigten Schriftstück anzubringende Zustellungsvermerk ist ____ebenfalls kein Wirksamkeitserfordernis der Zustellung.19 Unterbleibt jedoch der Vermerk ____oder ist er fehlerhaft, so werden durch die Zustellung keine Notfristen in Gang gesetzt ____(vgl. zur entsprechenden Lage bei § 193 dort Rdn. 7). Bei Abweichungen zwischen Da____tumsvermerk auf der Sendung und in der Zustellungsurkunde gelten die in § 193 Rdn. 8 ____genannten Grundsätze. ____ ____ ____ § 174 ____ Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ____ § 174 Rohe ____ (1) Ein Schriftstück kann an einen Anwalt, einen Notar, einen Gerichtsvollzie____her, einen Steuerberater oder an eine sonstige Person, bei der aufgrund ihres Beru____fes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann, eine Behörde, ____eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts gegen Empfangsbekenntnis ____zugestellt werden. ____ (2) An die in Absatz 1 Genannten kann das Schriftstück auch durch Telekopie ____zugestellt werden. Die Übermittlung soll mit dem Hinweis „Zustellung gegen Emp____fangsbekenntnis“ eingeleitet werden und die absendende Stelle, den Namen und ____die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie den Namen des Justizbediensteten ____erkennen lassen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat. ____ (3) An die in Absatz 1 Genannten kann auch ein elektronisches Dokument zu____gestellt werden. Gleiches gilt für andere Verfahrensbeteiligte, wenn sie der Über____mittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt haben. Für die Über____mittlung ist das Dokument mit einer elektronischen Signatur zu versehen und ____gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen. Die Übermittlung kann auch ____über De-Mail-Dienste im Sinne von § 1 des De-Mail-Gesetzes erfolgen. ____ ____ ____15 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____16 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 17. ____17 Vgl. BGHZ 8, 314 = NJW 1954, 422 zu § 213; OLD Saarbrücken FGPrax 1995, 251, 252; LG Göttingen ____Nds.Rpfl 1948, 88; Zwirner NJW 1954, 907 zur vormaligen h.M.; a.A. OLG Hamburg MDR 1957, 489; BLAH/Hartmann Rdn. 5. ____18 So auch Zöller/Stöber Rdn. 6; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6; MünchKomm-ZPO/Häublein ____Rdn. 5. ____19 Wie hier Zöller/Stöber Rdn. 6; Stein/Jonas/Roth Rdn. 7.

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____ (4) Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift des ____Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ____ist. Das Empfangsbekenntnis kann schriftlich, durch Telekopie oder als elektroni____sches Dokument (§ 130 a) zurückgesandt werden. Wird es als elektronisches Doku____ment erteilt, soll es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Sig____naturgesetz versehen werden. ____ ____ Übersicht ____ 1 2. Art des Empfangsbekenntnisses ____ 48 ____I. Einführung gegen Empfangsa) Schriftliches Empfangsbekennt____II. Adressaten der Zustellung 1) ____ 4 nis ____ 48 ____ bekenntnis (Abs. ____ 15 aa) Form und notwendiger Inhalt ____III. Zustellungswille IV. Kenntnis vom Zustellungswillen und des Empfangsbekenntnis____ Annahmewille ____ 17 ses ____ 48 ____V. Die Übermittlungswege bei der Zustelbb) Beweiskraft des Empfangs____ lung bekenntnisses ____ 55 ____ 1. Übergabe an den Adressaten b) Telekopie ____ 61 ____ (Abs. 1) ____ 29 c) Elektronisches Dokument ____ 63 3. Zurücksendung des Empfangsbekennt____ 2. Übermittlung durch Telekopie (Abs. 2) ____ 31 nisses an das Gericht ____ 65 ____ 3. Übermittlung als elektronisches DokuVII. Der Zeitpunkt der Zustellung ____ ____ 35 ____ 67 ment (Abs. 3) 1 Einführung ____ 4. Übermittlung über De-Mail2. Kenntnis vom Gewahrsam am zu über____ Dienste ____ 42 a mittelnden Schriftstück ____ 69 ____VI. Das Empfangsbekenntnis (Abs. 4) 3. Erstellung des Empfangsbekenntnis____ 1. Einführung ____ 43 ses ____ 70 ____ ____ ____ I. Einführung ____ 1 ____ Die Vorschrift greift die Regelung des § 212 a a.F. (diese in Anlehnung an § 198 a.F.) ____über die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis auf. Sie dient der Vereinfachung der ____Zustellung im Amtsbetrieb. Sie ermöglicht eine vergleichsweise unaufwendige Übermitt____lung von Schriftstücken an Adressaten, die typischerweise besondere Vertrauenswür____digkeit genießen1 und deshalb autorisiert werden, den Zustellvorgang durch Empfangs____bekenntnis zu beurkunden. In Abs. 1 wird der gegenüber der Vorläufernorm erweiterte ____Adressatenkreis dieser praktisch äußerst bedeutsamen Zustellungsform benannt. In ____Abs. 2 und Abs. 3 wird die Möglichkeit eröffnet, die Mittel der modernen Bürokommu____nikation für die Zustellungspraxis zu nutzen. Insoweit erfolgte durch das JKomG vom ____22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, § 166 Rdn. 16) eine deutliche Erleichterung (Möglichkei____ten der Vorstellung elektronischer Dokumente). Die Änderung der Terminologie (Schrift____stück – Dokument) durch das JKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, § 166 Rdn. 16) ____erscheint nicht restlos durchdacht, führt aber inhaltlich nicht zu Zweifelsfällen. Der ____möglichen Fehleranfälligkeit wird durch die Mitwirkungshandlung des Empfängers be____gegnet.2 Eine weitere Erleichterung erfolgte mit der Ergänzung in Abs. 3 Satz 4 durch das ____Gesetz zur Regelung von De-Mail-Diensten vom 28.4.2012,3 das seit 3.5.2012 in Kraft ist. ____Abs. 4 regelt die Formalien für das Empfangsbekenntnis, welches abgestimmt auf die ____unterschiedlichen Übermittlungswege in allen Fällen erforderlich ist. ____ ____1 Vgl. BGH NJW 1990, 2125; BVerwG NJW 1994, 535, 536. ____2 Zu alledem BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____3 BGBl. I, 666.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 174

____ Die Wahl des Zustellungswegs und die Abwägung, ob die vereinfachte Zustellung ____nach § 174 oder aber die „sichere“ Zustellungsurkunde vorzuziehen ist, liegt im pflicht____gemäßen Ermessen der Geschäftsstelle (vgl. auch § 168 Rdn. 3).4 ____ Eine inhaltlich weitgehend identische Sonderregelung trifft § 195 (vormals §§ 212 a, ____198 a.F.) für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt. Die zu den Vorgängernormen ergan____gene Rechtsprechung ist grds. auf die Auslegung des § 174 übertragbar. ____ ____ II. Adressaten der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (Abs. 1) ____ ____ Abs. 1 benennt den Adressatenkreis einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis. ____Dabei kommt es alleine auf die Eigenschaft als formeller Adressat an (vgl. § 166 Rdn. 11; ____Vor § 170 Rdn. 1 f.). Es ist also gleichgültig, ob der Adressat zugleich auch materieller ____Adressat (vgl. § 166 Rdn. 11) ist oder aber als gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Ver____treter etc. eingeschaltet wird.5 Sinnvoll, aber nicht erforderlich ist die Benennung des ____Berufs des Adressaten im zuzustellenden Schriftstück.6 ____ Mögliche Adressaten der Zustellung nach § 174 sind zunächst Rechtsanwälte. Ih____nen stehen amtlich bestellte Vertreter (vgl. § 53 BRAO) und Abwickler (vgl. § 55 BRAO) ____sowie Zustellungsbevollmächtigte nach § 30 BRAO (vgl. § 30 Abs. 2 BRAO) gleich, nicht ____jedoch sonstige Beschäftigte.7 Für Einzelheiten vgl. § 195 Rdn. 8 ff. Zur Zustellung von ____Anwalt zu Anwalt vgl. § 195. ____ Ebenso ist die Zustellung auf diesem Weg an Gerichtsvollzieher (vgl. § 192; § 154 ____GVG) möglich. ____ Daneben kann die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis auch an Notare erfolgen. ____Dem Notar steht sein Vertreter nach § 39 BNotO und der Notariatsverwalter nach § 56 ____BNotO gleich. ____ Gegenüber der Vorgängernorm des § 212 a a.F. ist der Adressatenkreis in Abs. 1 um ____Steuerberater als mögliche Adressaten erweitert worden. ____ Eine wesentliche Neuerung ist die generalklauselartige Benennung von Personen, ____bei denen aufgrund ihres Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen ____werden kann. Gemeint ist Zuverlässigkeit im Hinblick auf die unverzügliche Zurücksen____dung des Empfangsbekenntnisses.8 Damit wird an die positiven Erfahrungen mit der ____Zustellung an den bislang (§ 212 a a.F.) explizit benannten Adressatenkreis angeknüpft. ____Hierbei soll eine flexible und den besonderen Bedürfnissen der Fachgerichtsbarkeiten ____entsprechende Anwendung ermöglicht werden. Die Berufsgruppenbildung wird der ge____richtlichen Praxis überlassen.9 Ausgangspunkt sollte sein, dass der Gesetzgeber solche ____Berufsgruppen beispielhaft benannt hat, die besonderen standesrechtlichen Regelungen ____unterliegen10 oder denen institutionell Aufgaben der Rechtspflege zugewiesen sind. Dem____nach ist die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis auch an Angehörige folgender Be____rufsgruppen möglich: Wirtschaftsprüfer11 und vereidigte Buchprüfer12 (vgl. § 5 Abs. 4 ____ ____ ____4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____5 Vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 2. 6 BFH v. 28.3.2003 (V B 180/02), BFH/NV 2003, 1072; BFH v. 16.5.2003 (IV B 164/02), BFH/NV 2003, 1426– ____1427. ____7 Vgl. BGH NJW 1982, 1650 = MDR 1982, 917; OLG Stuttgart NJW 2010, 2532, 2533 (Assessor genügt nicht); ____BSG NJW 2010, 317, 318 (Büroangestellte), sowie § 195 Rdn. 8 m.w.N. ____8 Musielak/Wolst Rdn. 2. 9 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____10 Zöller/Stöber Rdn. 3. ____11 Zöller/Stöber Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Hornung Rpfl. 2002, 493, 496. ____12 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4.

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____VwZG; unten Rdn. 13) und Buchprüfungsgesellschaften,13 öffentlich bestellte Sachver____ständige, 14 Patentanwälte, 15 Rechtsbeistände, 16 Prozessagenten, 17 Steuerbevollmächtigte 18 ____und Architekten.19 Gleichgültig ist die jeweilige Organisationsform; so sind auch Wirt____schaftsprüfungsgesellschaften 20 oder Steuerberatungsgesellschaften 21 erfasst. Daneben ____kommen genereller die Berufsgruppen in Betracht, die zur Vornahme von Beglaubigun____gen autorisiert sind (vgl. § 63 BeurkG). Bei ihnen ist typischerweise zu vermuten, dass sie ____mit der Bedeutung für den Rechtsverkehr relevanter Formalien vertraut sind. ____ Ausscheiden müssen weitere Berufsgruppen, bei denen zwar aus allgemeinen 10 ____dienstrechtlichen oder berufsethischen Gründen eine erhöhte Zuverlässigkeit zu vermu____ten ist, bei denen die Zustellung aber nicht ihre berufliche Tätigkeit betrifft, wie etwa ____Beamte allgemein, Lehrer oder Pfarrer.22 Bei ihnen fehlt es an der Grundlage für die Ver____mutung, dass ihnen typischerweise die Bedeutung der Zustellungsformalien (vgl. insbe____sondere zum Annahmewillen und den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Empfangsbe____kenntnisses Rdn. 19 ff.; 48 ff.) vertraut ist. In jedem Fall notwendig ist zudem ein ____hinreichendes Berufsprofil mit personeller Kontinuität. Deshalb reicht es nicht aus, ____wenn zwar der Tätigkeitsbereich hinreichend konturiert ist, nicht aber der Kreis der Aus____führenden die Tätigkeit über längere Dauer und im Schwerpunkt ausübt. Keine ver____gleichbar festgefügte Berufsgruppe sind demnach Testamentsvollstrecker, Zwangs____verwalter, Vormünder, Pfleger oder Beistände.23 ____ Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber davon Abstand genommen hat, die individuel11 ____le erhöhte Zuverlässigkeit des Adressaten für eine Zustellung gegen Empfangsbekennt____nis ausreichen zu lassen. Dies sei derzeit nicht möglich, weil eine Mitwirkung an Zustel____lungen nicht generell erwartet werden könne. Damit bestünde die Gefahr, dass der ____Empfänger aus Nachlässigkeit oder böswillig das Empfangsbekenntnis nicht zurücksen____det. Dies führe letztlich zu unzuträglichen Verzögerungen und zu erheblichem Mehrauf____wand für die Geschäftsstelle.24 Die vorgenommene Pauschalierung ist zwar angesichts des ____sehr unpräzise gefassten Merkmals der „erhöhten Zuverlässigkeit“ nicht unangreifbar,25 ____bietet aber letztlich doch einen plausiblen Ansatzpunkt. Die gerichtliche Praxis wird eine ____sachkundige Beurteilung am ehesten vornehmen können, wobei eine behutsame Ent____wicklung zu erwarten ist. Ohne jede Pauschalierung würde indes der Zustellvorgang mit ____nur schwer belegbaren Einzelfallprüfungen belastet werden. Eine entsprechende Anwen____dung der Vorschrift auf solche Personen, die nicht wegen ihrer beruflichen Stellung er____höhte Zuverlässigkeit vermuten lassen, muss deshalb ausscheiden.26 Andererseits ist von ____einer Zustellung nach § 174 abzusehen, wenn der Adressat zwar einer von der Norm erfass____ten Berufsgruppe angehört, aber bekannt unzuverlässig ist. ____ Darüber hinaus bestehen gesetzliche Verweisungen auf § 174 wie in § 50 Abs. 2 12 ____ArbGG. Erfasst sind dabei auch die gemäß § 11 ArbGG zugelassenen Prozessvertreter von ____ ____13 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____14 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____15 Zöller/Stöber Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____16 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Hornung Rpfl. 2002, 493, 496. ____17 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. 18 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Hornung Rpfl. 2002, 493, 496. ____19 Hornung Rpfl. 2002, 493, 496. ____20 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____21 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____22 Zurückhaltend auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; wohl auch Hornung Rpfl. 2002, 493, 496. 23 Zöller/Stöber Rdn. 4. ____24 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 zu Abs. 1; krit. hierzu Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____25 Krit. BLAH/Hartmann Rdn. 4. ____26 So auch Zöller/Stöber Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 174

____Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen und Zusammenschlüssen dieser Verbände. ____Wer nicht nach dieser Norm vertretungsberechtigt ist (als amtlich bestellter Vertreter ____oder mit allgemeiner Prozessführungsbefugnis), kann auch nicht wirksam an der Zustel____lung mitwirken. Das gilt z.B. für den Stationsreferendar bei einem Arbeitgeberverband ____oder bei einer Gewerkschaft ohne solche Vertretungsmacht.27 Eine weitere Verweisung ____findet sich in § 63 Abs. 2 Satz 2 SGG. ____ Eine Parallelregelung enthält § 5 Abs. 4 VwZG. Sie lässt die Zustellung gegen Emp- 13 ____fangsbekenntnis an Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, ____Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbe____vollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberatungsgesellschaften, ____Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften zu. § 5 Abs. 5 VwZG ____erweitert de Zustellungsmöglichkeiten im Hinblick auf Zustellungen in elektronischer ____Form. ____ Bei der Zustellung an Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen 14 ____Rechts muss der hierfür zuständige Bedienstete vom Zugang des Schriftstücks Kennt____nis erhalten und das Empfangsbekenntnis ausstellen. Die Zuständigkeit richtet sich nach ____der behördeninternen Aufgabenverteilung. Der Vertretungsberechtigung nach außen ____folgt nicht notwendig die interne Zuständigkeit. Somit ist zwar grundsätzlich,28 aber ____nicht etwa stets der Behördenleiter (Vorsteher) zuständig. Dies gilt auch dann, wenn sich ____dieser zu anderen Zwecken die eingehende Post vorlegen lässt. Eine damit verbundene ____zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen, wenn sogar die gänzliche Verweigerung einer ____Mitwirkung an der Zustellung keine zustellungsrechtlichen Konsequenzen hat (vgl. § 195 ____Rdn. 23, 27).29 ____ ____ III. Zustellungswille ____ ____ Der Zustellende (die Geschäftsstelle, der zustellende Anwalt bei § 195 oder das 15 ____Schiedsgericht im Falle des § 1059 Abs. 3 bei Übermittlung des Schiedsspruchs)30 muss mit ____Zustellungswillen handeln (vgl. § 166 Rdn. 50; § 195 Rdn. 18 f.).31 Hierbei ist eine Abgren____zung zur bloßen formlosen Übersendung vorzunehmen (vgl. § 195 Rdn. 18). Eine ausdrück____liche Erklärung, es werde zugestellt, ist nicht vorgeschrieben.32 Ein entsprechender Zustel____lungsvermerk in den Akten dokumentiert aber den Zustellungswillen.33 Regelmäßig – aber ____nicht notwendig – wird der Zustellungswille dadurch verlautbart, dass das zuzustellende ____Schriftstück zusammen mit einem Formular für das Empfangsbekenntnis (vgl. Rdn. 43 ff.) ____übersandt wird.34 Es kann aber auch die Übermittlung in formalisierter Weise, wie sie für ____die Zustellung vorgeschrieben ist (z.B. durch Einschreiben mit Rückschein wie bei § 175), ____den Zustellungswillen hinreichend belegen.35 Die Bezeichnung des Berufs des Adressa____ten ist nicht Voraussetzung für die Annahme eines Zustellungswillens.36 ____ ____ ____27 BAG NJW 1976, 991. ____28 LSG Stuttgart BeckRS 2008, 54485. ____29 BAG NJW 1995, 1916, 1917. 30 BGH NJW 2001, 3787, 3788 m.w.N. ____31 BGH NJW 1969, 1297, 1300; BGH FamRZ 1989, 494 = NJW-RR 1989, 57, 58; BGH FamRZ 1990, 866; BGH ____NJW 1994, 2297; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; OLG Stuttgart NJW 2010, 2532, 2533. ____32 BGH NJW 1969, 1298, 1299; BGH NJW 2001, 3787, 3788. ____33 BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607. 34 BGH NJW 2001, 3787, 3788 m.w.N. ____35 Vgl. BGH NJW 2001, 3787, 3788. ____36 BFH v. 28.3.2003 (V B 180/02), BFH/NV 2003, 1072; BFH v. 16.5.2003 (IV B 164/02), BFH/NV 2003, ____1426–1427.

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____ 16 Sendet die Geschäftsstelle das Schriftstück entgegen einer richterlichen Verfügung ____formlos ab, so kommt eine Heilung gemäß § 189 in Betracht.37 Im Gegensatz zum Fall ____gänzlich fehlenden Zustellungswillens (vgl. auch § 195 Rdn. 19) kann hier ein schlichtes ____Büroversehen vorliegen, das den entsprechenden Willen nicht beseitigt.38 Bei fehlendem ____Zustellungswillen schlechthin ist eine Heilung nach § 189 nicht möglich (vgl. § 189 ____Rdn. 23). ____ ____ IV. Kenntnis vom Zustellungswillen und Annahmewille ____ ____ Wie bei der Zustellung gemäß § 195 ist die persönliche Beteiligung des Adressaten 17 ____erforderlich. ____ Zum einen ist Kenntnis des Adressaten vom Zustellungswillen des Zustellenden 18 ____erforderlich.39 Diese Kenntnis wird regelmäßig durch Erhalt des zuzustellenden Schrift____stücks mit Empfangsbekenntnisformular entstehen, ferner bei formalisierter Übersen____dung, welche den Schluss auf die Zustellungsabsicht trägt.40 Ebenso kann die fernmünd____liche oder anderweitige Nachfrage des Zustellenden genügen.41 ____ Der Adressat muss zum anderen in Kenntnis seines Gewahrsams am übermittelten 19 ____Schriftstück einen auf die Zustellung bezogenen Annahmewillen haben und dokumen____tieren (vgl. § 195 Rdn. 27).42 Das Erfordernis des Annahmewillens ergibt sich zum einen ____daraus, dass er ein Empfangsbekenntnis abzugeben hat, was ohne seinen Willen nicht ____möglich ist; das Empfangsbekenntnis ist insoweit als konstitutives Element der Zustel____lung zu verstehen (vgl. noch Rdn. 44).43 Zudem hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, für ____den Fall rechtsgrundloser Annahmeverweigerung eine dem § 179 entsprechende Vor____schrift einzuführen. Deshalb ist auch die standesrechtliche Bewertung einer Weigerung, ____an der Zustellung mitzuwirken (vgl. zu § 14 BORA Rdn. 45), insoweit ohne Bedeutung.44 ____ Der Annahmewille muss hinreichend deutlich nach außen manifestiert werden, 20 ____ohne dass dafür eine Form vorgeschrieben wäre. Die Rechtsbegriffe „Zustellung“ bzw. ____„zugestellt“ müssen dabei nicht verwendet werden.45 Der Annahmewille wird regelmä____ßig, aber nicht notwendig46 durch Unterzeichnung und Absendung des Empfangsbe____kenntnisses (vgl. Rdn. 48) zum Ausdruck gebracht.47 Ausstellung und Hinausgabe des ____Empfangsbekenntnisses begründen eine tatsächliche Vermutung des Annahmewil____ ____ ____ 37 BGH NJW 1956, 1878, 1879; BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ____38 Vgl. auch BGH NJW 1956, 1878, 1879 für die richterliche Zustellungsverfügung bei § 209. ____39 BGH NJW-RR 1989, 57, 58; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; BGH NJW 2001, 3787, 3789 ____m.w.N. ____40 BGH NJW 2001, 3787, 3789 m.w.N. 41 BGH NJW 1994, 2297; BGH NJW 2001, 3787, 3788. ____42 Vgl. BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; RGZ 8, 328, 331 f.; RGZ 98, 241, 243; RGZ 109, 341, 343; BGHZ 14, ____342, 345 = NJW 1954, 1722, 1723; BGH NJW 1959, 885; BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; BGHZ 30, 335, ____336 = NJW 1959, 2062; BGH NJW 1979, 2566; BGH FamRZ 1972, 91 f.; BGH VersR 1983, 876; BGH NJW 1987, ____2679, 2680; BGH NJW 1989, 227, 228; BGH NJW 1989, 1154; BGH NJW-RR 1989, 57, 58; BGH NJW 1994, 2295, ____2296; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N.; BGH VersR 1995, 113, 114; BGH NJW 1998, 1442, 1443; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; BGH NJW 2003, 2460; BGH NJW 2006, 1206, 1207; BGH NJW 2007, 600; OLG ____Stuttgart NJW 2010, 2532, 2533. ____43 BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872 m.w.N.; BGHZ 35, 236, 237 = NJW 1961, 575. ____44 BGH NJW-RR 1989, 57, 58. ____45 BGH NJW 1969, 1298, 1299; BGH VersR 1985, 551; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N. 46 Vgl. BGH NJW 1974, 1469, 1470: Manifestation des Annahmewillens durch Zuschreibung des ____übermittelten Schriftstücks an einen Sozius zur Bearbeitung; BGH NJW 1994, 2295: Bestätigung in ____Rechtsmittelschrift; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607: Bestätigung in Schriftsatz. ____47 BGH NJW 1979, 2566 m.w.N.; BGH VersR 1983, 876.

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____lens.48 Stellt der Empfänger ein Empfangsbekenntnis aus, obgleich er die Übermittlung ____einer den gesetzlichen Vorschriften genügende Ausfertigung anstelle einer beglaubigten ____Abschrift beanstandet, so genügt dies für eine wirksame Zustellung.49 Auch Ungenauig____keiten und Unrichtigkeiten in der Formulierung des Empfangsbekenntnisses schaden ____nicht, wenn keine Zweifel bestehen, was gemeint ist (vgl. Rdn. 48 ff.).50 Allgemeiner ge____nügt es, dass der Empfänger das zur Übermittlung bestimmte Schriftstück mit Annah____mewillen entgegennimmt.51 Für Wirksamkeit und Zeitpunkt der Zustellung (dazu noch ____Rdn. 67 ff.) kommt es auf eine abweichende Rechtsauffassung oder einen im Übrigen ab____weichenden Willen (z.B. im Hinblick auf die Ingangsetzung einer Frist) nicht an.52 Auch ____eine Irrtumsanfechtung ist insoweit ausgeschlossen.53 ____ Der Annahmewille setzt voraus, dass der Empfänger Kenntnis von seinem Ge- 21 ____wahrsam an dem ihm zustellungshalber übersandten Schriftstück hat.54 Kennenmüssen ____genügt nicht; es ist persönliche Kenntnis z.B. des Anwalts erforderlich.55 Es reicht also ____nicht schon aus, dass das Schriftstück in die Sphäre des Adressaten gelangt, beispiels____weise in die Hände des Praxispersonals.56 Hierin unterscheidet sich die Zustellung nach ____§ 174 von der gemäß § 176. Andererseits ist es nicht notwendig, dass der Empfänger das ____Schriftstück „in den Händen“ hat. Es genügt, wenn es in seinen Herrschaftsbereich ge____langt und er diese Tatsache bewusst und gewollt akzeptiert.57 Sind die technischen Aus____stattungen für eine Übermittlung nach Abs. 2 oder 3 vorhanden, so kann sich der Adres____sat nicht darauf berufen, er wolle sie nicht für Zustellungszwecke verwenden. Dies ergibt ____sich aus Sinn und Zweck dieser Normen, welche die Zustellung erleichtern wollen, sowie ____aus § 177.58 ____ Vom bestehenden Annahmewillen ist im Sinne einer tatsächlichen Vermutung für 22 ____den Regelfall auszugehen. Gerade die Position des in § 174 genannten Adressatenkreises ____trägt die Vermutung, dass die Beteiligten bis zum Beweis des Gegenteils bereit sind, ihre ____Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Voraussetzung für das Eingreifen dieser Vermu____tung ist allerdings, dass der Empfänger ein inhaltlich uneingeschränktes Empfangsbe____kenntnis (vgl. Rdn. 48 ff.) übermittelt. Wird ein solches Empfangsbekenntnis übermittelt, ____so ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Empfänger damit auch den Erhalt des ____zuzustellenden Schriftstücks dokumentieren will.59 Der bloße Eingangsstempel auf dem ____zuzustellenden Schriftstück hat keinen entsprechenden Aussagewert.60 ____ Erstellung und Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses ohne Absendung rei- 23 ____chen im Regelfall nicht für die Vermutung des Annahmewillens aus, weil der Annah____ ____ ____ ____48 BGH NJW-RR 1993, 1213; BGH NJW-RR 2000, 1665, 1666; BGH NJW 2011, 1598; noch weitergehend OLG ____Jena NJW-RR 2011, 1694, 1695. 49 BGH NJW 1959, 885. ____50 BGH FamRZ 2000, 1565 m.w.N. (hier: erkennbare Verwechslung von Kläger und Beklagtem). ____51 BGH NJW 1974, 1469; BGH VersR 1983, 876, 877. ____52 BGH NJW 1974, 1469 f.; BGH NJW 1979, 2566, 2567; BGH VersR 1983, 876, 877. ____53 BGH NJW 1974, 1469, 1470. ____54 BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH VersR 1983, 876; BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252. ____55 BGH NJW 1953, 620 m.w.N.; BGH NJW 1979, 2566; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH NJW 1991, 42; BGH ____NJW-RR 1992, 251, 252. ____56 BGH NJW 1991, 42. ____57 OVG Greifswald NVwZ 2002, 113. 58 Vgl. BFH v. 16.5.2003 (IV B 164/02), BFH/NV 2003, 1426–1427; vgl. auch BFH v. 28.3.2003 (V B 180/ ____02), BFH/NV 2003, 1072. ____59 Vgl. OVG Greifswald NVwZ 2002, 113. ____60 Vgl. BGH NJW 1992, 574.

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____mewille damit noch nicht notwendig dokumentiert ist.61 Das Empfangsbekenntnis ist wie ____erwähnt konstitutiv für die Wirksamkeit der Zustellung (vgl. noch Rdn. 48). Demzufolge ____darf der Zustellende aus der bloßen Entgegennahme des Schriftstücks ohne weitere Re____aktion gerade nicht auf einen stillschweigend oder konkludent geäußerten Annahmewil____len schließen. Insoweit besteht ein durchgreifender Unterschied zu den Grundsätzen der ____Rechtsgeschäftslehre.62 Unterbleibt allerdings die vom Empfänger gewünschte Absen____dung des Empfangsbekenntnisses an den Zustellenden nachweislich nur versehentlich, ____so wird die Vermutung des Annahmewillens nicht entkräftet.63 ____ Wird ein Empfangsbekenntnis (vgl. Rdn. 43 ff.) ausgestellt und übermittelt, so lässt 24 ____dies ohne weiteres den Schluss auf einen Annahmewillen des Empfängers zu.64 Dies ____gilt auch dann, wenn das Empfangsbekenntnis nur versehentlich zunächst nicht unter____schrieben und abgesandt wird. Erfolgen Unterschrift und Absendung später, so ist im ____Zweifel anzunehmen, dass der Annahmewille bereits zum Zeitpunkt der Entgegennahme ____des Schriftstücks bestand.65 Dasselbe gilt, wenn ein Rechtsanwalt unterzeichnetes Emp____fangsbekenntnis entgegen seiner Anweisung versehentlich abgesandt wird, bevor er den ____Lauf einer Rechtsmittelfrist überprüft hat. Diese Anweisung lässt keinen Schluss auf ei____nen generell fehlenden Empfangswillen zu.66 Allgemeiner ist es nicht erforderlich, dass ____der Empfänger sich mit dem zugestellten Schriftstück in irgendeiner Weise befasst, es ____angesehen oder sich über seinen Inhalt Gedanken gemacht hat.67 ____ Anders verhält es sich, wenn mit dem Empfangsbekenntnis hinreichend deutlich 25 ____gemacht wird, dass noch kein Annahmewille vorliegt.68 In Wirklichkeit handelt es sich ____hierbei nicht um ein Empfangsbekenntnis im Sinne des Zustellungsrechts, sondern nur ____um eine Eingangsbestätigung. ____ Im Übrigen kann der Annahmewille auch in anderer Form zum Ausdruck gebracht 26 ____werden, dies auch durch nachträgliche, hinreichend deutliche Bestätigung69 z.B. beim ____Anwalt in einer Rechtsmittelschrift oder einem Wiedereinsetzungsantrag:70 Es kommt ____nicht auf den Zeitpunkt der Bestätigung, sondern auf den des erstmaligen Vorliegens ____an. Allerdings müssen empfangender Anwalt und Urheber der Bestätigung identisch ____sein.71 ____ Eine Heilung fehlenden Annahmewillens nach § 189 ist ausgeschlossen; allerdings 27 ____kann der vorhandene Annahmewille auch nur konkludent durch späteres Verhalten zum ____Ausdruck gebracht werden.72 Das gilt etwa dann, wenn der Empfänger zwar kein Emp____ ____ ____ ____61 So uneingeschränkt OLG Frankfurt a.M. NJW 1973, 1888, 1889. ____62 BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871 f.; vgl. auch BGH NJW-RR 1989, 57, 58. ____63 Diesen Fall übersieht OLG Frankfurt a.M. NJW 1973, 1888, 1889. 64 BGH NJW 1975, 1652, 1653; BGH VersR 1978, 763, 764; BGH NJW 1981, 462, 463; BGH NJW-RR 1992, 251, ____252; BGH NJW-RR 1993, 1213. ____65 RG JW 1899, 176 Nr. 5; bestätigt in BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872. ____66 BGH NJW 2007, 600, 601. ____67 OVG Münster NJW 2009, 1623. ____68 BGH VersR 1975, 906 für die Formulierung „(…) kann ich eine wirksame förmliche Zustellung von Anwalt zu Anwalt nicht anerkennen“; BGH NJW 1994, 2297 f. m.w.N. zur Zurücksendung eines nicht ____unterschriebenen Vordrucks. ____69 Vgl. BGH NJW 1994, 2297: Unkommentierte Bestätigung des „Erhalts“ gegenüber der Geschäftsstelle ____im Wissen, dass diese mit Zustellungswillen handelte; zur Abgrenzung vgl. BGH FamRZ 1989, 494 = NJW____RR 1989, 57. 70 BGH NJW 1987, 2679, 2680; BGH NJW-RR 1992, 1150; BGH NJW 1994, 2295; BGH NJW 1994, 2295, 2296 ____m.w.N.; BGH VersR 1995, 113, 114. ____71 BGH NJW 1994, 2295. ____72 BGH NJW 1989, 1154; Zöller/Stöber Rdn. 6.

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____fangsbekenntnis zurückgesandt, jedoch gegen die zugestellte Entscheidung unter Be____zugnahme auf dieses Dokument Rechtsmittel eingelegt hat.73 ____ Hat der Empfänger einmal Gewahrsam erlangt, so kommt es auf dessen Fortdauer ____nicht an.74 Ebensowenig ist es notwendig, dass der Empfänger den Inhalt des übermittel____ten Schriftstücks zur Kenntnis genommen hat; die Möglichkeit hierzu genügt.75 ____ ____ V. Die Übermittlungswege bei der Zustellung ____ ____ 1. Übergabe an den Adressaten (Abs. 1). Die Übermittlung nach Abs. 1 kann auf ____allen für die Zustellung generell zulässigen Wegen erfolgen, ferner durch Einschaltung ____anderer Übermittlungspersonen und -wege, die auf die Übermittlung an den in Abs. 1 ____genannten Empfänger abzielt, nicht aber durch Ersatzzustellung.76 Denkbar ist etwa die ____persönliche Übergabe an den gemäß Abs. 1 Empfangsberechtigten, die Einlage in Abhol____fächer,77 der Einwurf in den Briefkasten, die Übersendung auf dem Postweg auch durch ____einfachen Brief78 oder die Übergabe an Büropersonal oder andere Bedienstete des Emp____fängers. Wirksam wird die Übermittlung aber erst, wenn der Empfänger selbst Gewahr____sam an dem Schriftstück erhalten hat (vgl. Rdn. 21). ____ Die äußere Form bzw. Einkleidung des Schriftstücks unterliegt keiner Regelung; ____§ 176 ist nicht anwendbar.79 Es wäre wenig sinnvoll, hier strengere Anforderungen zu ____stellen als etwa bei der Telekopie. ____ ____ 2. Übermittlung durch Telekopie (Abs. 2). Gemäß Abs. 2 Satz 1 kann das zuzustel____lende Schriftstück80 an die in Abs. 1 Genannten nun auch uneingeschränkt81 als Tele____kopie (Telefax;82 vgl. hierzu § 130 Nr. 6) zugestellt werden. Mit dieser Neuregelung soll ____die Nutzung der Möglichkeiten moderner Bürokommunikation eröffnet werden.83 Der ____Gesetzgeber sieht hierin zu recht hinreichende Sicherheit und erhebliche Effizienzge____winne. Grundlage der Regelung ist die Annahme, dass Adressaten, die ein Schriftstück ____als zugestellt akzeptieren, wenn es sie als einfacher Brief oder durch Einlage in ein Ab____holfach erreicht, in gleicher Weise mitwirken werden, wenn es ihnen als Telekopie über____mittelt wird.84 ____ Die Zustellung gilt als bewirkt, wenn der Adressat bestätigt, das ihm als Telekopie ____übermittelte Dokument (vgl. Rdn. 33) erhalten und zu einem bestimmten Zeitpunkt als ____zugestellt entgegengenommen zu haben.85 Es bedarf also wie bei der Übermittlung nach ____Abs. 1 des hinreichend dokumentierten Annahmewillens (vgl. Rdn. 19 ff.) zu einem be____stimmten Zeitpunkt (vgl. Rdn. 67 ff.).86 Die Telekopie muss dem Adressaten wie bei der ____ ____ ____73 BVerwG NJW 2007, 3223; OLG Hamm NJW 2010, 3380, 3381. 74 BGH NJW 1981, 462, 463; BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252. ____75 BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252. ____76 Zöller/Stöber Rdn. 7. ____77 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 (zu Abs. 2). ____78 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 (zu Abs. 2). ____79 Zöller/Stöber Rdn. 7. 80 Der Gesetzgeber des IKomG hat hier anders als bei V. 2 bewusst am Begriff des Schriftstücks ____festgehalten, vgl. BT(-Drucks.) 15/4952, S. 70 (zu Nr. 526). ____81 Vgl. zur unklaren vorherigen Rechtslage nur GmS-OGB NJW 2000, 2340 einerseits, BFH BFHE 198, ____330 andererseits. ____82 Vgl. BFH v. 22.12.2003 (VII B 358/02) NV. 83 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____84 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____85 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____86 OLG Hamm NJW 2010, 3380, 3381.

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____Zustellung nach Abs. 1 zugänglich sein (vgl. Rdn. 21). Störungen beim Übermittlungsvor____gang verhindern also eine wirksame Zustellung. Einziger wesentlicher Unterschied zur ____Zustellung nach Abs. 1 ist neben der besonderen Übermittlungsart der Verzicht auf die ____Originalunterschrift beim notwendigen (vgl. Abs. 4; hierzu Rdn. 51 f.) Empfangsbe____kenntnis. ____ In Satz 2 werden Formalien für die Übermittlung festgelegt. Die Regelung ist nur als 33 ____Soll-Vorschrift ausgestaltet. Ihre Nichteinhaltung führt nicht zur Unwirksamkeit der Zu____stellung, solange die allgemein geltenden Voraussetzungen im Hinblick auf Zustellungs____willen, Annahmewillen und Dokumentation eingehalten werden. Durch das JJKomG vom ____22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, § 166 Rdn. 16) wurde der vormalige Begriff des Schrift____stücks in Satz 2 durch den des Dokuments ersetzt. Damit sollte die Lösung des Übermitt____lungsvorgangs vom Erfordernis der Stofflichkeit verdeutlicht werden.87 ____ Die Übermittlung soll mit dem Hinweis „Zustellung gegen Empfangsbekenntnis“ 34 ____eingeleitet werden; dies wird in der Regel auf einem Vorblatt erfolgen. Dadurch soll der ____Adressat deutlich erkennen können, dass ihm ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft ____ein Dokument zum Zweck der Zustellung übermittelt.88 Ferner sollen die absendende ____Stelle, der Name und die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie der Name des Jus____tizbediensteten aufgeführt werden, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat. ____Von der Festlegung weiterer zunächst vorgesehener Formalien (Zustellungsvermerk) hat ____der Gesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Abstand genommen.89 Der Be____weiswert des notwendigen Empfangsbekenntnisses macht weiteres entbehrlich; für die ____interne Kontrolle wird dennoch regelmäßig der übliche Erledigungsvermerk angefertigt ____werden. ____ ____ 35 3. Übermittlung als elektronisches Dokument (Abs. 3). Gemäß Abs. 3 Satz 1 kann ____das zuzustellende Schriftstück nun auch als elektronisches Dokument (vgl. hierzu ____§ 130 a) zugestellt werden. Mit dieser Neuregelung soll die Nutzung der Möglichkeiten ____moderner Bürokommunikation eröffnet werden (vgl. Rdn. 1). Sie betrifft sämtliche Fälle, ____in denen zuzustellende Dokumente auf elektronischen Datenträgern gespeichert sind, ____sei es beim bloßen Erstellen des Dokuments oder im Rahmen einer institutionalisierten ____Aktenführung in ausschließlich elektronischer Form.90 ____ Die Zustellung gilt als bewirkt, wenn der Adressat bestätigt, die ihm als elektroni36 ____sches Dokument übermittelte Datei erhalten und zu einem bestimmten Zeitpunkt als ____zugestellt entgegengenommen zu haben.91 Es bedarf also wie bei der Übermittlung nach ____Abs. 1 oder Abs. 2 des hinreichend dokumentierten Annahmewillens (vgl. Rdn. 19 ff.) zu ____einem bestimmten Zeitpunkt (vgl. Rdn. 67 ff.). Die Datei muss dem Adressaten wie bei der ____Zustellung nach Abs. 1 zugänglich sein (vgl. Rdn. 21). Störungen beim Übermittlungsvor____gang verhindern also eine wirksame Zustellung. Keine solche Störung liegt allerdings ____vor, wenn nur interne Abrufmechanismen ungenutzt bleiben oder fehlschlagen, die Da____tei aber z.B. auf dem Server abrufbar ist, der dem Adressaten (nicht nur dem Büroperso____nal, vgl. Rdn. 21) selbst unmittelbar zugänglich ist (vgl. § 130 a Abs. 3: Einreichung mit ____Aufzeichnung durch die für den Empfang bestimmte Einrichtung). ____ ____ ____87 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT(-Drucks.) 15/4952, S. 69 (zu ____Nr. 25). ____88 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. 89 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 31 (zu Artikel 1 Nr. 2) sowie den Bericht des Rechtsausschusses des ____Deutschen Bundestages in BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20. ____90 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18. ____91 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19.

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____ In Abs. 3 Satz 3 werden Maßnahmen gefordert, welche die Authentizität des Doku____ments sichern (Signatur) und hinreichenden Datenschutz gewährleisten sollen. Der Si____cherung der Authentizität dient das Erfordernis, das Dokument mit einer elektroni____schen Signatur gemäß den Vorschriften des Signaturgesetzes (vgl. § 130 a Abs. 1 Satz 2) ____zu versehen. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob nur die Authentizität des Dokuments ____oder auch seine durch Dritte unveränderte Übermittlung (Schutz gegen unerkannte Ma____nipulationen) gesichert werden soll.92 Diese Signatur ist von dem mit der Ausführung der ____Zustellung beauftragten Bediensteten vorzunehmen. Er trifft auch die Auswahl unter den ____in Betracht kommenden Arten der Signatur.93 Bei zuzustellenden Schriftsätzen wird in ____aller Regel auch die Sicherung gegen Manipulationen bei der Übermittlung und deshalb ____eine qualifizierte Signatur erforderlich werden.94 ____ Zugleich werden in Satz 3 Maßnahmen gefordert, mit deren Hilfe das Dokument bei ____der Übermittlung gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter geschützt wird. Dieses Ge____bot hinreichenden Datenschutzes bildet eine Grundlage dafür, die Übermittlung als ____elektronisches Dokument zulassen zu können. Die hiermit verbundene Schutzrichtung ____lässt jedoch die Wirksamkeit der Zustellung unberührt, auch wenn die geforderten ____Maßnahmen nicht oder nicht in vollem Umfang eingehalten wurden. ____ Wesentlicher Unterschied zur Zustellung nach Abs. 1 ist neben der besonderen Über____mittlungsart der Verzicht auf die Originalunterschrift beim notwendigen (vgl. Abs. 4; ____hierzu Rdn. 44 f.) Empfangsbekenntnis. ____ Der auf Vorschlag des Bundesrates95 eingefügte Abs. 3 Satz 2 erweitert – anders als ____Abs. 2 – den möglichen Adressatenkreis um andere Verfahrensbeteiligte, wenn sie ____der Übermittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt haben. Damit ____wird eine inhaltliche Abstimmung mit § 130 a erreicht. Am Erfordernis ausdrücklicher ____Zustimmung ist festzuhalten, auch wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument ____im Regelfall die weitaus einfachste Kommunikationsform darstellen dürfte. Immerhin ____tritt hier eine Abhängigkeit von einer nicht immer betriebsbereiten Technik96 ein, auf ____deren Funktionstüchtigkeit gerade in Terminsachen nicht jeder vertrauen mag. Die bloße ____Angabe einer E-Mail-Adresse im Briefkopf beinhaltet nicht schon die erforderliche aus____drückliche Zustimmung.97 ____ Der Begriff der Zustimmung ist wie im materiellen bürgerlichen Recht zu verstehen. ____Er umfasst die – vorherige – Einwilligung wie auch die – nachträgliche – Genehmi____gung.98 Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weswegen nicht auch eine nachträglich aus____drücklich erteilte Genehmigung die Zustellungswirkung soll auslösen können. Jedenfalls ____wäre dann eine Heilung anzunehmen. ____ Abs. 3 Satz 2 stellt keine besonderen Anforderungen an die Zuverlässigkeit der „an____deren Verfahrensbeteiligten“. Ersichtlich wollte der Gesetzgeber hier keine Berufsgrup____penbildung vornehmen, bei der von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden ____kann, sondern schlicht die Kommunikation in Abstimmung mit § 130 a wesentlich verein____fachen. Die Wirksamkeit der Zustellung darf – über die Zustimmung zu dieser Kommu____ ____ ____92 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 15; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 20. ____93 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____94 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 15. ____95 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 31 sowie den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ____in BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20. 96 Der Verfasser verfügt über langjährige einschlägige Erfahrungen. ____97 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 19; Steppling NJW-Editorial ____NJW Heft 18/2009. ____98 A.A. hinsichtlich der Genehmigung BLAH/Hartmann Rdn. 17 mit vagen Formulierungen.

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____nikationsform hinaus – demnach nicht mit einer zusätzlichen Verlässlichkeitsprüfung ____belastet werden.99 ____ Abs. 2 Satz 4 ermöglicht mit Wirkung vom 3.5.2012 (vgl. Rdn. 1) die Übermittlung 42a ____über De-Mail-Dienste in Sinne von § 1 des De-Mail-Gesetzes. Davon erfasst werden nach ____den Maßgaben dieses Gesetzes akkreditierte Dienste auf einer elektronischen Kommuni____kationsplattform, die einen sicheren, vertraulichen und nachweisbaren Geschäftsver____kehr für jedermann im Internet sicherstellen. Gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes muss ein De____Mail-Dienst eine sichere Anmeldung, die Nutzung eines Post- und Versanddienstes so____wie die Nutzung eines Verzeichnisdienstes ermöglichen; er kann zusätzlich auch Identi____tätsbestätigungs- und Dokumentenablagedienste anbieten. Der Gesetzgeber100 will damit ____eine Übermittlungsform ermöglichen, welche die Vorteile des E-Mail (unaufwendige, ____schnelle, kostengünstige und ortsunabhängige Kommunikation) mit denen des Briefes ____(Vertraulichkeit und Zuverlässigkeit) verbindet. Das Zustimmungserfordernis des Abs. 3 ____Satz 2 gilt auch für diesen Zustellungsweg.101 Ebenso ist die Regelung des Abs. 3 Satz 3 ____anwendbar, wobei hier die Signatur gemäß § 2 Nr. 1 Signaturgesetz ausreicht und die ____nach §§ 17 bis 21 De-Mail-Gesetz akkreditierten und beaufsichtigten Diensteanbieter kei____ne Dritten im Sinne des Satz 3 sind.102 Auch bleibt die Regelung des Abs. 4 unberührt.103 ____ ____ VI. Das Empfangsbekenntnis (Abs. 4) ____ ____ 1. Einführung. Für alle in § 174 Abs. 1 bis 3 genannten Übermittlungswege ist die Er43 ____stellung eines Empfangsbekenntnisses erforderlich. Die zunächst erwogene Zustellung ____durch bloße Einlage in ein Abholfach oder Übersendung durch einfachen Brief wurde ____aus Gründen der Rechtssicherheit nicht aufgenommen.104 ____ Das Empfangsbekenntnis dient nicht nur Beweiszwecken, sondern ist Wirksam44 ____keitsvoraussetzung der Zustellung (vgl. auch § 195 Rdn. 32).105 Das gilt auch nach der ____Reform des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 (str.).106 Diese Reform sieht zwar in bewusster ____Abkehr von der vormaligen Rechtslage die Beurkundung der Zustellung weitgehend ____nicht mehr als Wirksamkeitsvoraussetzung an (vgl. Vor § 166 Rdn. 8). Dies gilt insbeson____dere für die Zustellungsurkunde i.S.v. § 182 (vgl. § 182 Rdn. 2). Der Zweck des Empfangs____bekenntnisses erschöpft sich indes nicht in der Beweisfunktion. Vielmehr manifestiert es ____in der gebotenen unzweifelhaften Weise den erforderlichen Annahmewillen des Adressa____ten.107 Auch Wortlaut und Systematik des § 174 stützen diese Auffassung: Während ____Abs. 4 die Beweisfunktion des Empfangsbekenntnisses anspricht, regelt Abs. 1 generell ____ ____ ____99 A.A. offenbar BLAH/Hartmann Rdn. 17. ____100 Vgl. die Gesetzentwürfe der Bundesregierung vom 8.4.2009, BT(-Drucks.) 16/12598, S. 1, 14 und vom 8.11.2010, BT(-Drucks.) 17/3630, S. 1, 18 f. ____101 BT(-Drucks.) 17/3630, S. 45. ____102 BT(-Drucks.) 17/3630, S. 45. ____103 BT(-Drucks.) 17/3630, S. 45. ____104 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 1. ____105 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 zur Zustellung nach Abs. 1; LAG Berlin MDR 2003, 1376; zu §§ 198, 212 a a.F. BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGH NJW 2001, 3787, 3789 m.w.N. ____106 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 (zu § 174); OLG Hamm NJW 2010, 3380, 3381 f.; Musielak/Wolst ____Rdn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege Rdn. 7; wohl auch BGH NJW 2007, 600, 601; a.A. BFH NJW-RR 2007, 1001; ____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7 mit § 174 Rdn. 8. Zur Lage vor der Reform BGHZ 30, 299, 303 f. = NJW ____1959, 1871, 1872 m.w.N.; BGH NJW 1963, 1307, 1308; BGH NJW 1974, 1469; BGH NJW 1976, 107, 108; BGH NJW 1987, 2679, 2680; BGH NJW 1989, 1154; BGH NJW 1992, 2235, 2236; BGH NJW 1994, 526; BGH NJW 1994, ____2295, 2296; BGH NJW 1994, 2297; BGH NJW 2003, 2460; LG Stuttgart NJW 2001, 3791, 3792. ____107 Vgl. Musielak/Wolst Rdn. 5. Das übersieht MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8; BGH NJW 2003, 2460 ____(zu § 212 a a.F.).

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____die besondere Zustellungsform „gegen Empfangsbekenntnis“. Ist das Empfangsbekennt____nis einmal wirksam erstellt worden, so schadet sein späterer Verlust bzw. seine Unauf____findbarkeit nicht; die vorherige Existenz kann im Wege des Freibeweises bewiesen wer____den.108 Auch führt nicht jede Abweichung von den in § 174 festgelegten Formalien zur ____Unwirksamkeit der Zustellung. Zur möglichen nachträglichen Erstellung des Empfangs____bekenntnisses vgl. Rdn. 52–54. Systematisch konsequent kann im übrigen auf die erwei____terten Möglichkeiten der Heilung gemäß § 189 zurückgegriffen werden.109 ____ Die Auswahl bleibt dem Adressaten überlassen. In der Praxis wird die Form und ____Übermittlung des Empfangsbekenntnisses mit Form und Übermittlung des zuzustellen____den Schriftstücks korrespondieren. Notwendig ist dies jedoch nicht. ____ Rechtsanwälte sind standesrechtlich gemäß § 14 BORA110 gehalten, an ordnungs____gemäßen Zustellungen mitzuwirken. Diese Mitwirkung ist – auch im Hinblick auf die ____Übermittlung des Empfangsbekenntnisses – wie erwähnt Wirksamkeitsvoraussetzung. ____Dabei ist es ohne Bedeutung, wie das Verhalten eines Rechtsanwalts standesrechtlich zu ____bewerten ist und ob Nachteile für den Absender oder Prozessgegner entstehen.111 ____ Allerdings unterliegt der Anwalt bei der Mitwirkung an der Zustellung auch einer ____besonderen Sorgfaltspflicht, dies auch im Hinblick auf § 233.112 Dies gilt z.B. für die zu____verlässige Dokumentation des Zustellungszeitpunkts, von dem der Lauf wichtiger Fristen ____abhängen kann. So darf der Anwalt das Empfangsbekenntnis (sogleich Rdn. 51 f.) erst ____unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehal____ten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.113 Diese Grund____sätze sind nicht ohne weiteres auf die anderen in § 174 Abs. 1 genannten Adressaten zu ____übertragen. ____ Die Kosten der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses trägt nach der Gesetzes____systematik (Abs. 4 Satz 1)114 der Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks.115 Eine Vor____frankierung durch den Zustellenden ist daher nicht erforderlich. Nur diese Lösung ent____spricht den in § 174 Abs. 4 genannten Übermittlungsvarianten: Eine Vorfrankierung ist ____ersichtlich unsinnig, wenn das Empfangsbekenntnis unaufwendig per Telekopie oder ____per elektronischem Dokument übermitteln werden kann und soll. Eine abweichende ____Lösung würde theoretisch vielleicht reizvolle, aber praktisch unergiebige bereicherungs____rechtliche Fragen aufwerfen, wenn vorfrankierte Umschläge einbehalten und kosten____günstigere Übermittlungswege gewählt würden. ____ ____ 108 BGH VersR 1977, 424 f.; Musielak/Wolst Rdn. 5. ____109 So im Ergebnis auch BVerwG NJW 2007, 3223 mit insoweit unnötigen und nach hier vertretener ____Ansicht unzutreffenden Ausführungen zur Wirksamkeit des Empfangsbekenntnisses ohne Unterschrift ____und Datierung. ____110 Der Text der Berufsordnung [BORA] in der Fassung vom 1.1.2004 abgerufen am 11.4.2005 unter www.brak.de/seiten/pdf/Berufsregeln/BORAStand1.11.04.pdf lautet insoweit wie folgt: ____§ 14 Zustellungen ____Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis ____mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Wenn der Rechtsanwalt bei einer nicht ____ordnungsgemäßen Zustellung die Mitwirkung verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich ____mitteilen. 111 Vgl. BGH NJW-RR 1989, 57, 58 und schon BGHZ 20, 299, 305 = NJW 1959, 1871. ____112 BGH NJW 1992, 574; BGH FamRZ 2004, 1710, 1711; BGH NJW 2010, 3305. ____113 BGH NJW 2003, 435, 436 m.w.N. und zust. Anm. Chab BRAK-Mitt. 1/2003, 12; BAG NJW 2003, 1269 ____m.w.N. ____114 Vgl. die Begründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.30 f.; vgl. auch schon OLG Hamm NJW 1998, 1233. ____115 So auch Zöller/Stöber Rdn. 13; a.A. aus standesrechtlicher Sicht z.B. der Präsident der RAK Berlin ____Pohl Berliner Anwaltsblatt 7–8/2002, abgerufen am 23.3.2003 unter http://www.rak-berlin.de/aktuelles/ ____Themen/Pohl30.htm.

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____ 2. Art des Empfangsbekenntnisses ____ ____ a) Schriftliches Empfangsbekenntnis ____ ____ aa) Form und notwendiger Inhalt des Empfangsbekenntnisses. Über die Schrift48 ____form hinaus werden keine formalen Festlegungen für das Empfangsbekenntnis getrof____fen. Empfangsbekenntnisse werden meist mit Hilfe von Vordrucken ausgestellt. Eine ____geläufige Formulierung lautet: „Empfangsbekenntnis – Zustellung gemäß § 174 –. In Sa____chen … bin ich zur Entgegennahme der Zustellung legitimiert und habe heute erhalten: ____… Datum, Stempel und eigenhändige Unterschrift“. Die Benutzung solcher Vordrucke ist ____jedoch nicht erforderlich (allg.M.).116 Es kommt alleine auf den notwendigen Inhalt an ____(dazu sogleich im Folgenden). Er muss auch den erforderlichen Annahmewillen des ____Empfängers hinreichend deutlich dokumentieren (vgl. Rdn. 19 ff.; 44). Die Zustellung ____ist unwirksam, wenn das Empfangsbekenntnis fehlt (vgl. Rdn. 44) oder inhaltlich den ____Beweiserfordernissen nicht genügt. ____ Zum notwendigen Inhalt des Empfangsbekenntnisses zähen nach hier vertretener 49 ____Auffassung wie bei der grds. funktional vergleichbaren Zustellungsurkunde117 Datum118 ____und Unterschrift119 des Empfängers (vgl. die Regelung in Abs. 4 Satz 1 und sogleich ____Rdn. 51 ff.). Auch muss die Identität des übermittelten Schriftstücks deutlich gemacht ____werden,120 jedoch nicht in der für die Zustellungsurkunde vorgeschriebenen strengen For____malisierung.121 Bezeichnungsfehler schaden nicht, solange an der Identität kein Zweifel ____entsteht.122 Das gilt auch für die fehlerhafte Angabe des Aktenzeichens123 und allgemeiner ____für Fehler bei nicht notwendigen Angaben, solange dadurch keine Identitätszweifel aus____gelöst werden. Nicht erforderlich ist ein zeitlicher Zusammenfall von Übernahme des ____Schriftstücks mit Annahmewillen (vgl. Rdn. 19 ff.) und Ausstellung des Empfangsbe____kenntnisses (zur Nachholung insgesamt oder in einzelnen Bestandteilen vgl. Rdn. 24 ff. ____sowie sogleich im Folgenden).124 ____ Fehlerhafte Angaben im Hinblick auf die Qualität des Schriftstücks (beglaubigte 50 ____Abschrift, Ausfertigung usw.) können die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses be____einträchtigen, führen jedoch nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Zustellung.125 ____Unschädlich sind auch andere Ungenauigkeiten und Fehler in der Formulierung des ____Empfangsbekenntnisses, solange keine Zweifel daran bestehen können, was gemeint ist, ____z.B. die erkennbare Verwechslung von Kläger und Beklagtem.126 ____ 51 Die Unterschrift dokumentiert den für das Empfangsbekenntnis konstitutiven An____nahmewillen (vgl. Rdn. 20). Sie muss nach den bisherigen Maßstäben der Rechtspre____ ____ ____116 Vgl. nur BGH VersR 2001, 606, 607. 117 BGHZ 35, 236, 237 = NJW 1961, 575; OLG Koblenz MDR 1996, 852. ____118 BGHZ 35, 236, 237 f. = NJW 1961, 575; BGH NJW 1991, 709; BGH NJW 1994, 526; BGH NJW 1994, 2295, ____2296; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N.; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; a.A. nun BGH FamRZ ____2005, 1552, 1553; BVerwG NJW 2007, 3223. ____119 RGZ 124, 22, 27; BGHZ 35, 236, 237 = NJW 1961, 575; BGHZ 57, 160 = NJW 1972, 50; BGH NJW 1988, ____838; BGH NJW-RR 1992, 1150; BGH NJW 1994, 2295, 2296; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N.; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; nach der Reform von 2002 wohl auch BGH NJW 2007, 600, 601; offen gelassen ____von BGH NJW 2005, 3216, 3217; BVerwG NJW 2007, 3223. ____120 BGH NJW 1969, 1297; BGH VersR 1994, 1495, 1496. ____121 BGH NJW 1963, 1307, 1308; vgl. auch BGHZ 14, 342, 344 f. = NJW 1954, 1722, 1723. ____122 BGH VersR 1978, 961; BGH NJW-RR 1993, 1213. 123 OLG Brandenburg FamRZ 2009, 907. ____124 BGH FamRZ 1990, 866, 867; BGH NJW-RR 1992, 1150; BGH VersR 1995, 113, 114 m.w.N. ____125 BGH NJW 1963, 1307, 1308. ____126 BGH FamRZ 2000, 1565 = BGH VersR 2001, 606, 607 m.w.N.

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____chung handschriftlich und grds. mit vollem Namen erfolgen.127 Ein Faksimile-Stempel,128 ____der bloße Anfangsbuchstabe des Namens129 oder eine Paraphe ohne130 oder mit Zusatz ____des Namensstempels131 sollen nicht genügen. Nur die eigenhändige Unterschrift gewähr____leiste, dass die zustellungsrechtliche Funktion des Anwalts nicht auf dafür nicht vorge____sehene Personen übertragen wird. Fehlende Unterschrift führt grds. zur Unwirksamkeit ____der Zustellung.132 Dasselbe gilt für die Unterschrift eines Nichtberechtigten133 (z.B. Büro____personal oder außenstehende Dritte; vgl. zu den Grenzen einer Vertretung Rdn. 5; § 195 ____Rdn. 8). Die Mindestanforderungen an die Unterschrift richten sich nach den in § 169 ____Rdn. 17 wiedergegebenen Maßstäben. Schwere Lesbarkeit alleine ist unschädlich, solan____ge noch ein individueller Charakter erkennbar ist.134 Insgesamt ist Großzügigkeit bei der ____Anerkennung als Unterschrift angebracht: Die Fälschungsgefahr dürfte eher gering sein; ____andererseits werden die erforderlichen Unterschriften in einem täglichen Massenbetrieb ____geleistet und dementsprechend „abgeschliffen“.135 Dies gilt erst recht, seit mit der Reform ____vom 1.7.2002 auch andere als schriftliche Empfangsbekenntnisse (elektronisches Doku____ment) ausreichen. Deshalb sprechen überwiegende Gründe insbesondere der inneren ____Konsistenz bei den unterschiedlichen Übermittlungswegen dafür, das Unterschriftser____fordernis als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung aufzugeben, solange die Authenti____zität der Person und ihrer Willensäußerung aus anderen Umständen hinreichend sicher ____abgeleitet werden kann.136 ____ Die Unterschrift kann auch später mit „Rückwirkung“ vollzogen werden, z.B. in ei- 52 ____ner als Empfangsbekenntnis zu interpretierenden Rechtsmittelschrift (vgl. Rdn. 54). Je____doch ist auch hier Identität zwischen empfangendem Anwalt und Urheber des nachge____holten Empfangsbekenntnisses erforderlich.137 Mängel sind der Heilung nach §§ 189 oder ____295138 zugänglich. ____ Auch die Datierung ist nach der bis zur Reform von 2002 h.M. und nach dem Wil- 53 ____len des Reformgesetzgebers139 entgegen neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung140 ____ein wesentliches Erfordernis des Empfangsbekenntnisses (vgl. Rdn. 49). Es kann jedoch ____der Eingangsstempel ausreichen, auch wenn (nur) die formularmäßig vorgesehene Da____tumsangabe unausgefüllt bleibt; Zweifel entstehen erst dann, wenn eine weitere dort ____angebrachte Datumsangabe vom Eingangsstempel abweicht (vgl. hierzu sogleich im ____Folgenden).141 Gänzlich fehlende Datierung führt i.d.R. zur Unwirksamkeit der Zustel____ ____ ____127 BGH VersR 1978, 763; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH VersR 1985, 551; BGH NJW-RR 1992, 1150 m.w.N. ____128 BGH NJW 1988, 838 f.; KG NJW 1969, 57, 58. ____129 BGH VersR 1968, 1143; BGH VersR 1974, 1223 f. ____130 BGH VersR 1981, 57; BGH VersR 1983, 273, 274; BGH VersR 1983, 402; BGH NJW 1995, 533; OLG ____Hamm NJW 1989, 3289. 131 BGHZ 57, 160 = NJW 1972, 50 f. m.w.N. ____132 Offengelassen nach der Reform von 2002 in BGH NJW 2005, 3216; BVerwG 2007, 3223. ____133 BGH NJW 1994, 2295, 2296. ____134 BGH VersR 1983, 273, 274;BGH NJW-RR 2010, 358; BGH FamRZ 2012, 1133; OLG Frankfurt a.M. NJW____RR 1995, 1422 f. m.w.N. ____135 Vgl. auch Schneider NJW 1998, 1844 ff. m.w.N.; jdf. gegen eine strenge Beurteilung BVerfG NJW 1998, 1853. ____136 Ebenso Zöller/Greger § 130 Rdn. 21 f.; Heinemann S. 338 ff. und bereits Vollkommer S. 301 ff. ____137 BGH NJW 1994, 2295, 2296 (zu § 212 a). ____138 Für beides BGH NJW 1994, 2295, 2296 (zu § 212 a): Notfristen können damit jedoch nicht in Gang ____gesetzt werden. 139 Vgl. BT-Drs. 14/4554, S. 18; zur Bedeutung des Dokumentenvermerks OLG Lüneburg NJW 2005, ____3892; vgl. auch BGH FamRZ 2005, 1552, 1553 mit Kritik. ____140 BGH NStZ-RR 2005, 77; BGH NJW 2005, 3216; BVerwG NJW 2007, 3223. ____141 OLG Koblenz MDR 1996, 852.

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____lung.142 Gleiches gilt für die unleserliche Datierung.143 Der Zustellungswille als konstituti____ves Element muss sich auf einen bestimmten Zeitpunkt beziehen. Ist jedoch ein Eingangs____stempel auf dem zurückgesandten und ansonsten mangelfreien Empfangsbekenntnis ____vorhanden, welcher einen Termin post quem non zum Zweck der Fristwahrung angibt, ____so kann eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass der erforderliche Zustel____lungswille auch ohne Datierung hinreichend konkretisiert war. Wird eine Datierung be____wusst (durch Vor- oder Rückdatierung) oder unbewusst (wegen Zeit- oder Rechtsirrtums) ____unrichtig vorgenommen, so berührt dies nicht die Wirksamkeit der Zustellung (vgl. ____Rdn. 56). Der empfangende Anwalt kann die Zustellung zwar rechtswirksam, wenngleich ____pflichtwidrig ablehnen (vgl. Rdn. 19). Dagegen ist er nicht in der Lage, die konkreten ____Zustellungswirkungen zu verändern (zum konkreten Zeitpunkt der Zustellung und des____sen Beweis vgl. Rdn. 55 ff.).144 Demzufolge kann der Anwalt auch das unrichtige Datum ____berichtigen. Maßgeblich für die Zustellung ist jedenfalls dann das berichtigte Datum, ____wenn seine Richtigkeit zur Überzeugung des Gerichts feststeht.145 Ist eine Datierung vor____genommen, aber nicht eindeutig (z.B. bei zwei inhaltlich unterschiedlichen, sich teilwei____se überdeckenden Datumsstempeln auf dem Empfangsbekenntnis), so ist die Zustellung ____ebenfalls rechtswirksam. Jedoch verliert die Urkunde ihre Beweiskraft hinsichtlich des ____früheren Datums.146 Zur beweisrechtlichen Seite falscher Angaben sogleich im Folgen____den. ____ Demnach genügt die nachträgliche Anfertigung eines Empfangsbekenntnisses für 54 ____eine wirksame Zustellung.147 Dies ergibt sich daraus, dass es maßgeblich auf den An____nahmewillen des empfangenden Anwalts ankommt. Dieser muss freilich dokumentiert ____werden; der Zeitpunkt der Dokumentation ist dagegen nicht entscheidend (zum zustel____lungsrechtlich relevanten Zeitpunkt vgl. Rdn. 67 ff.). Durch die nachträgliche Dokumen____tation erfolgt kein Eingriff in die Zustellungsvorschriften: Das Gericht hat nicht von sich ____aus Ermittlungen über die Richtigkeit der Datierung anzustellen.148 Vielmehr liegt es am ____Zustellungsempfänger, zu prüfen, wann genau er das übermittelte Schriftstück erhalten ____hat. So ist eine nachträgliche Anfertigung noch möglich, wenn gegen das zugestellte ____Urteil bereits Rechtsmittel eingelegt sind und das Empfangsbekenntnis ergibt, dass die ____Rechtsmittelfrist versäumt ist; es gelten dieselben Maßstäbe wie für den Vermerk des ____Urkundsbeamten nach § 184 Abs. 2 Satz 3 (vgl. § 184 Rdn. 49).149 Im Übrigen kommt eine ____Heilung nach §§ 189,150 295 in Betracht. ____ ____ 55 bb) Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses. Das Empfangsbekenntnis liefert ____nach h.M. im Anwendungsbereich des § 415 als öffentliche Urkunde151 den vollen Be____ ____ ____142 Vgl. BGHZ 35, 236, 237 = NJW 1961, 575 m.w.N.; BGH NJW 1991, 709; BGH NJW 1994, 526 m.w.N. (beide letztgenannten zu § 212 a); a.A. die Voraufl. Anm. B I b 1 und nun BGH FamRZ 2005, 1552, 1553; ____BVerwG 2007, 3223. ____143 BGH NJW-RR 1986, 1254; BGH NJW 1994, 526 (beide zu § 212 a). ____144 Vgl. BGH NJW 1979, 2566, 2567; BGH NJW 1991, 709 (zu § 212 a). ____145 BGH NJW 1969, 1297; BGH NJW 1991, 709, 710 (beide zu § 212 a). ____146 Vgl. BGH NJW-RR 1987, 1151; NJW 1992, 512, 513; zur Abgrenzung BGH VersR 1984, 663. 147 BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; BGHZ 35, 236, 238 f. = NJW 1961, ____575; BGHZ 57, 160 f. = NJW 1972, 50, 51; BGH NJW 1979, 1469, 1470 m.w.N.; BGH VersR 1986, 371, 372; BGH ____NJW-RR 1992, 251, 252. ____148 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575. ____149 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575; BVerfG NJW 2001, 1563, 1564 m.w.N. 150 BGH NJW 1978, 2294; BGH NJW 1992, 2235, 2236; BGH FamRZ 2005, 1552, 1553; OLG Hamm NJW 2010, ____3380, 3382. ____151 BGH VersR 1985, 142, 143; BGH NJW 1987, 1335; BGH NJW-RR 1987, 1151; BGH NJW 2007, 600, 601; ____OLG Koblenz ZIP 1993, 297, 298 m.w.N.; OVG Münster NJW 2009, 1623; OVG Münster NJW 2010, 3385;

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____weis der in ihm beurkundeten Tatsachen (§ 418),152 ansonsten als Privaturkunde den Be____weis nach § 416.153 Dazu zählt der Umstand, dass das bezeichnete Schriftstück zugestellt ____worden ist und die Datumsangabe (vgl. Rdn. 53).154 Soweit die Bestandteile des über____mittelten Schriftstücks im Empfangsbekenntnisdokumentiert werden, hat auch diese ____Angabe Teil an der Beweiskraft. 155 Eine Widerlegung kann und muss im Wege des Ge____genbeweises (Hauptbeweis des Gegenteils) erfolgen.156 Hierbei gilt der Freibeweis.157 Der ____Gegenbeweis muss die Beweiswirkung vollständig entkräften. Er ist deshalb nicht schon ____dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit ____besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist.158 An den Gegenbeweis sind ____nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung strenge Anforderun____gen zu stellen.159 Andernfalls könnten z.B. Notfristen umgangen werden. ____ Ein bewusst oder irrtümlich falsch aufgenommenes Datum bleibt unberücksich- 56 ____tigt, wenn sich das wirkliche Übergabedatum im Wege des Gegenbeweises ermitteln ____lässt (vgl. noch Rdn. 53).160 So liegt es, wenn Empfangsbekenntnisse in der Kanzlei mit ____einem Datumsstempel versehen werden, bevor der empfangende Anwalt Kenntnis vom ____Gewahrsam am übermittelten Schriftstück erhalten und den entsprechenden Annahme____willen geäußert hat. Dies gilt auch dann, wenn er das unzutreffende Datum in dem ____Glauben unberichtigt lässt, dass bereits das Datum des Eingangs in der Kanzlei den Zu____stellungszeitpunkt bestimme.161 ____ Ist ein Datum nur fehlerhaft angegeben, so bleibt die Zustellung wirksam; maßgeb- 57 ____lich ist das wirkliche Datum der Zustellung (zur Beweislage vgl. Rdn. 55).162 Im Übrigen ____können die in § 419 genannten Mängel die Beweiskraft beeinträchtigen. Beispiel hierfür ____sind vorhandene, aber in sich widersprüchliche Datumsangaben auf dem Empfangsbe____ ____ ____Musielak/Huber § 418 Rdn. 2; a.A. BGH NJW 1990, 2125; BGH VersR 1994, 371; BGH FamRZ 1995, 799; ____Zöller/Stöber Rdn. 20: Privaturkunde. ____152 BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGH NJW 1987, 1335 m.w.N.; BGH NJW 1996, 2514, 2515; BGH NJW-RR ____1997, 769; BSG NJW-RR 2002, 1652; BVerwG NJW 1994, 535 f.; i.Erg. auch BGH NJW 1990, 2125; BGH VersR 1994, 371; BGH FamRZ 1995, 799; BSG NJW-RR 2002, 1652; Stein/Jonas/Roth Rdn. 23. ____153 Generell für eine Qualifikation als Privaturkunde Zöller/Stöber Rdn. 20. ____154 St. Rspr., vgl. BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGH NJW 1975, 1652, 1653; BGH NJW 1979, 2566; BGH ____NJW 1987, 325; BGH NJW 1987, 1335; BGH NJW 1991, 42 m.w.N.; BGH FamRZ 1995, 799; BGH NJW 1996, ____2514; BGH NJW-RR 1997, 769; BGH NJW 2001, 2722, 2723; BGH NJW 2002, 3027, 3028; ; BGH NJW 2003, ____2460; so denn auch Zöller/Stöber Rdn. 20. 155 BGH NJW 1975, 1652, 1653. ____156 BGH NJW 1959, 885; BGH NJW 1974, 1469, 1470; BGH NJW 1975, 1652, 1653; BGH VersR 1979, 258; ____BGH NJW 1979, 2566; BGH VersR 1980, 555; BGH VersR 1985, 142, 143; BGH NJW 1987, 325; BGH NJW 1990, ____2125 f. m.w.N.; BGH NJW 1996, 2514; BGH NJW 1996, 3014; BGH NJW-RR 1997, 769; BGH NJW 2001, 2722, ____2723; BGH NJW 2002, 3027, 3028; BGH NJW 2003, 2460; OLG Köln NJW-RR 1997, 894; OLG Düsseldorf NStZRR 1998, 110. ____157 BGH NJW 2000, 814; BGH NJW 2001, 2722, 2723 m.w.N.; BGH NJW 2002, 3027, 3028. ____158 BGH NJW 2001, 2722, 2723 m.w.N.; BGH NJW 2002, 3027, 3028; BSG NJW-RR 2002, 1652; BGH NJW ____2003, 2460. ____159 BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGH VersR 1980, 386; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH VersR 1982, 160; ____BGH VersR 1982, 244, 245; BGH VersR 1982, 273; BGH VersR 1985, 142, 143; BGH VersR 1986, 470; BGH NJW 1987, 1335; BGH NJW 1987, 325; BGH FamRZ 1995, 799; BGH NJW 1996, 3014; BGH NJW 2002, 3027, 3028; ____BGH NJW 2003, 2460; OLG Köln NJW-RR 1997, 894; BayObLG NZM 2000, 295, 296; hierzu Eyinck MDR 2011, ____1389, 1390 f. ____160 BGHZ 35, 236, 238 f. = NJW 1961, 575; BGH VersR 1971, 1176; BGH NJW 1974, 1469, 1470 m.w.N.; BGH ____NJW 1975, 1652, 1653; BGH VersR 1979, 258 m.w.N.; BGH NJW 1979, 2566 f.; BGH VersR 1982, 160; BGH NJW 1987, 1335; BGH NJW 1991, 42 m.w.N.; BGH NJW 1996, 3014; BGH NJW-RR 1997, 769; OLG Düsseldorf NStZ____RR 1998, 110. ____161 BGH NJW 1979, 2566 f. ____162 BGHZ 35, 236, 238 = NJW 1961, 575; BGH NJW 1979, 2566 f. m.w.N.

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____kenntnis.163 Anderes gilt für Abweichungen zwischen (eindeutiger) Datierung des Emp____fangsbekenntnisses und abweichendem Eingangsstempel; auf Letzteren kommt es nicht ____an (vgl. Rdn. 53).164 ____ Es gibt jedoch Fälle, in denen das Empfangsbekenntnis erst nach Erhalt des zu 58 ____übergebenden Schriftstücks erstellt wird (vgl. Rdn. 54). In solchen Fällen ist nach den ____Gründen für die spätere Datierung zu differenzieren. Ist die später nachgeholte Ausstel____lung oder Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses nur versehentlich unterblieben, ____so darf ohne weiteres auf einen Annahmewillen zum Zeitpunkt der Übergabe geschlos____sen werden.165 Lässt sich der Übergabezeitpunkt aufklären, so spricht nichts dafür, am ____späteren Datum des Empfangsbekenntnisses festzuhalten. Anders liegt es, wenn der ____empfangende Anwalt bei Übergabe des Schriftstücks die Ausstellung eines Empfangsbe____kenntnisses bewusst unterlässt und erst später vornimmt. Dies kann beispielsweise dann ____vorkommen, wenn der Anwalt zunächst irrtümlich der Meinung war, das Mandat sei ____beendet und er deshalb zur Annahme nicht mehr berechtigt oder verpflichtet. In diesem ____Fall kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der Anwalt seine Meinungsänderung durch ____Ausstellen eines Empfangsbekenntnisses dokumentiert.166 ____ Im Übrigen schaden kleinere Fehler und Unvollständigkeiten nicht,167 solange 59 ____die Beweisfunktion dadurch nicht vereitelt wird; insoweit gelten die für andere Zustel____lungsnachweise aufgestellten Grundsätze entsprechend (vgl. vor § 166 Rdn. 16 f., § 182 ____Rdn. 5 ff.). Zur möglichen Minderung der Beweiskraft vgl. Rdn. 57. ____ Wird ein den Mindestanforderungen entsprechendes Empfangsbekenntnis erstellt 60 ____und dem Zustellenden übermittelt, so begründet dies zudem die tatsächliche Vermu____tung für den erforderlichen Annahmewillen (vgl. Rdn. 20). An deren Widerlegung sind ____strenge Anforderungen zu stellen.168 Zur Bedeutung der Rücksendung nach Abs. 4 Satz 1 ____vgl. Rdn. 24. ____ ____ b) Telekopie. Das Empfangsbekenntnis kann auch auf dem Wege der Telekopie 61 ____(vgl. Rdn. 31 ff.; § 130 Nr. 6) übermittelt werden. Dies gilt unabhängig vom jeweiligen ____Übermittlungsweg des zuzustellenden Schriftstücks (vgl. Rdn. 29 ff.). Im Übrigen gelten ____sämtliche für das schriftliche Empfangsbekenntnis aufgestellten Wirksamkeitsvoraus____setzungen. Nur die Originalunterschrift des Adressaten wird durch die Wiedergabe auf ____der Telekopie ersetzt;169 für die Mindestanforderungen an die Identifizierbarkeit gelten ____ebenfalls die allgemeinen Grundsätze (vgl. Rdn. 48 ff.). ____ Wird ein den Mindestanforderungen entsprechendes Empfangsbekenntnis erstellt 62 ____und dem Zustellenden übermittelt, so begründet dies zudem die tatsächliche Vermu____tung für den erforderlichen Annahmewillen (vgl. Rdn. 19 ff.). Zur Bedeutung der Rück____sendung vgl. Rdn. 24. ____ ____ c) Elektronisches Dokument. Das Empfangsbekenntnis kann auch als elektroni63 ____sches Dokument (§ 130 a) übermittelt werden. Dies gilt unabhängig vom jeweiligen Über____mittlungsweg des zuzustellenden Schriftstücks (vgl. Rdn. 29 ff.). Gemäß Abs. 4 Satz 2 soll ____ ____ 163 BGH NJW-RR 1987, 1151; NJW 1992, 512. ____164 BGH VersR 1984, 663; BGH FamRZ 1991, 1173; BGH NJW 1992, 574. ____165 Vgl. RG JW 1899, 176. ____166 RGZ 98, 241, 243 f. m.w.N.; bestätigt in BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; OLG Düsseldorf NJW ____1970, 1422 m.w.N. 167 BGH NJW 1969, 1297; BGH NJW-RR 1993, 1213; BGH VersR 1994, 1495, 1496; BGH FamRZ 2000, 1565 = ____VersR 2001, 606, 607 (erkennbare Verwechslung von Kläger und Beklagtem). ____168 Vgl. OVG Münster NJW 2009, 1623 f. ____169 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18, krit. hierzu Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 9 f.

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____es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen ____werden. Mit der Formulierung als bloßer Soll-Vorschrift hat der Gesetzgeber ersichtlich ____davon abgesehen, diese Art der Signatur als Wirksamkeitsvoraussetzung festzulegen ____(str.).170 Im Übrigen gelten sämtliche für das schriftliche Empfangsbekenntnis aufgestell____ten Wirksamkeitsvoraussetzungen. ____ Wird ein den Mindestanforderungen entsprechendes Empfangsbekenntnis erstellt ____und dem Zustellenden übermittelt, so begründet dies zudem die tatsächliche Vermu____tung für den erforderlichen Annahmewillen (vgl. Rdn. 19 ff.). Zur Bedeutung der Rück____sendung nach Abs. 4 Satz 1 vgl. Rdn. 24. ____ ____ 3. Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses an das Gericht. Das Empfangs____bekenntnis ersetzt funktional die Zustellungsurkunde nach § 182.171 Es ist deshalb ____ebenso der Geschäftsstelle zu übermitteln (Abs. 4 Satz 1 2. Hs).172 Dieser Vorgang liegt ____indes nach Abschluss der Zustellung und berührt deren Wirksamkeit grds. nicht.173 Al____lerdings kann die mangelnde Rücksendung für den Regelfall den Schluss auf einen feh____lenden Annahmewillen tragen (vgl. Rdn. 19 ff.). Dies wird deutlich in den Fällen, in de____nen Obergerichte die Unwirksamkeit der Zustellung wegen mangelnder Rücksendung ____bejaht haben.174 Maßgeblich ist also m.E. alleine, ob trotz unterbliebener Rücksendung ____der erforderliche Annahmewille vorlag.175 Für den Fall, dass die Rücksendung nachweis____lich nur versehentlich unterblieben ist, spricht insofern nichts gegen das Vorliegen des ____Annahmewillens (vgl. Rdn. 19 ff.). ____ Die Art und Weise der Rücksendung korrespondiert mit den in Abs. 1, 2 und 3 ge____nannten Varianten der Abfassung und Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks. ____Möglich ist nach Satz 2 also die Rücksendung in Schriftform, als Telekopie oder als elekt____ronisches Dokument (§ 130 a). Nicht vorgeschrieben ist, dass die Abfassung und Rück____sendung des Empfangsbekenntnisses mit Abfassung und Übermittlung des zuzustellen____den Schriftstücks korrespondieren muss. So kann z.B. das Empfangsbekenntnis für ein ____auf konventionellem Wege übermitteltes Schriftstück als Telekopie oder als elektroni____sches Dokument abgefasst und übermittelt werden, usw. ____ ____ VII. Der Zeitpunkt der Zustellung ____ ____ 1. Einführung. Die Zustellung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Empfänger das ____zu übermittelnde Schriftstück mit Annahmewillen entgegennimmt.176 Maßgeblich ist ____immer der Zeitpunkt, zu dem der Anwalt seinen Annahmewillen in persönlicher Kennt____ ____ ____170 Vgl. für die Parallelnorm des § 130 a Abs. 1 Zöller/Greger § 130 a Rdn. 4, a.A. BGH BGHZ 184, 75 = NJW 2010, 2134 = JZ 2010, 678 m. abl. Anm. Greger ____171 Vgl. nur BGHZ 35, 236, 237 = NJW 1961, 575; OLG Koblenz MDR 1996, 852. ____172 Dies wurde aus Klarstellungsgründen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt; vgl. ____den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in BT(-Drucks.) 14/5564, S. 19 unter ____III.1., 20. ____173 A.A. OLG Frankfurt a.M. NJW 1973, 1888, 1889; OLG Nürnberg MDR 1976, 939; Zöller/Stöber Rdn. 19. ____174 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 1973, 1888, 1889: vor Rücksendung durchgestrichene Datierung und ____Unterschrift mit zusätzlicher expliziter Mitteilung eines fehlenden Annahmewillens; OLG Nürnberg MDR ____1976, 939: vor Rücksendung durchgestrichene Unterschrift. ____175 Dafür finden sich Anhaltspunkte auch in der Gesetzesbegründung (BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18), die nur auf den (schriftlich) bestätigten Annahmewillen abhebt. ____176 BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575; BGH NJW 1974, 1469; BGH VersR ____1983, 876, 877; BGH NJW 1996, 1968; BGH NJW 2006, 1206; BGH NJW-RR 2010, 417; BSG NJW 2010, 317; ____BFH NJW-RR 2007, 1001; OVG Münster NJW 2010, 3385.

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____nis, dass er das zu übermittelnde Schriftstück in Gewahrsam hat (vgl. Rdn. 21), zum Aus____druck bringt. Hat der Anwalt wirksam einen Vertreter bestellt (vgl. Rdn. 5), so kommt es ____auf dessen Gewahrsamskenntnis und Annahmewillen an.177 ____ Für den Zeitpunkt der Zustellung ist es grds. ohne Bedeutung, wann das Emp68 ____fangsbekenntnis ausgestellt wird und welches Datum es trägt (vgl. Rdn. 53 f.).178 Der ____Empfänger kann nicht wirksam durch willkürliche Vor- oder Rückdatierung über diesen ____Zeitpunkt disponieren, um dadurch auf Fristenläufe Einfluss zu nehmen.179 Meist wird ____die Anfertigung des Empfangsbekenntnisses nach Annahme des Schriftstücks erfolgen ____und diesen Zeitpunkt dokumentieren. Zwingend ist dies indes nicht, z.B. im Hinblick auf ____vorformulierte und mit Stempel datierte Empfangsbekenntnisse. Zur beweisrechtlichen ____Seite des angegebenen Datums vgl. Rdn. 56 ff. ____ ____ 2. Kenntnis vom Gewahrsam am zu übermittelnden Schriftstück. Der erforderli69 ____che Annahmewille (vgl. Rdn. 19 ff.) setzt positive Kenntnis des Anwalts vom Gewahrsam ____am zu übermittelnden Schriftstück voraus.180 Kennenmüssen genügt nicht (vgl. Rdn. 21). ____Deshalb kommt es nicht darauf an, wann das Schriftstück in die Sphäre des Anwalts ge____langt (z.B. durch Einlegen in ein Gerichtspostfach, Abholung durch einen Kanzleiange____stellten oder Eingang in der Anwaltspraxis).181 ____ ____ 3. Erstellung des Empfangsbekenntnisses. Im notwendigen Empfangsbekenntnis 70 ____(vgl. Rdn. 43 ff.) wird die erfolgte Übergabe des Schriftstücks mit Annahmewillen des ____Empfängers auch zeitlich dokumentiert; vgl. § 14 BORA mit dem standesrechtlichen ____Erfordernis (vgl. Rdn. 45), das Empfangsbekenntnis mit Datumsangabe unverzüglich zu ____erteilen. Im Regelfall entspricht der Zeitpunkt der Zustellung dem im Empfangsbekennt____nis genannten Datum. Die Datumsangabe hat Teil an der Beweiskraft des Empfangsbe____kenntnisses (vgl. Rdn. 55 ff.). ____ ____ ____ § 175 ____ Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein ____ § 175 Rohe ____ Ein Schriftstück kann durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. ____Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein. ____ ____ Übersicht ____ 1 III. Nachweis der Zustellung (Satz 2) ____ 9 ____I. Einführung II. Grundlagen und Durchführung der ZustelIV. Kosten ____ 11 ____ ____ 3 ____ lung (Satz 1) ____ ____ I. Einführung ____ Die Neuregelung in § 175 beinhaltet eine wesentliche Erleichterung im Zustel1 ____ ____lungsverkehr. Durch das Einschreiben mit Rückschein als eigenständigem Zustel____ ____ ____177 BGH VersR 1971, 1176 für den amtlich bestellten Vertreter. ____178 BVerfG NJW 2001, 1563, 1564 m.w.N.; OVG Münster NJW 2010, 3385. 179 OLG Jena NJW-RR 2011, 1694; OVG Münster NJW 2010, 3385. ____180 Vgl. nur BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH VersR 1982, 273. ____181 RGZ 109, 341, 343; BGH NJW 1979, 2566 f.; BGH NJW 1991, 42 m.w.N.; BAG NJW 1995, 2125, 2126; LAG ____Hamm NJW 1968, 1981, 1982.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 175

____lungsverfahren wird die Zustellung durch die Post in einem vergleichsweise unaufwen____digen Verfahren ermöglicht. Die notwendige Beweissicherheit für die Zustellung wird ____durch das Erfordernis des Rückscheins erzielt. Die Reform zum 1.7.2002 sollte zugleich ____eine Annäherung an die Regelung in § 4 VwZG, an das Konzept des Europäischen Zustel____lungsübereinkommens (vgl. § 183 Rdn. 11 ff., 44 ff.) und die Abwicklung der Auslandszu____stellung im Strafverfahren gemäß § 37 Abs. 2 StPO bewirken.1 Anders als § 4 VwZG2 wird ____aber in § 175 keine Zustellungsfiktion angeordnet. Es bedarf vielmehr der realen Über____gabe des zuzustellenden Schriftstücks.3 ____ Zur Auswahl der Geschäftsstelle unter mehreren möglichen Zustellungswegen4 vgl. ____§ 168 Rdn. 3. ____ ____ II. Grundlagen und Durchführung der Zustellung (Satz 1) ____ ____ Die Beförderung von Schriftstücken als Einschreiben ist eine Universaldienstleis____tung im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 UniversaldienstleistungsVO.5 Sie wird von den hierzu ____autorisierten Postdienstleistungsunternehmen ausgeführt. § 175 lässt nur die besondere ____Form des Einschreibens mit Rückschein zu Zustellungszwecken zu. Damit entfallen ____für die förmliche Zustellung die etwas kostengünstigeren und noch unaufwendigeren ____Varianten wie das Einwurf-Einschreiben.6 ____ Das Gesetz sieht keine Formalien für die Gestaltung der Einschreibsendung vor. So ____muss kein besonderer Hinweis darauf gegeben werden, dass es sich um ein förmlich zu____zustellendes Schriftstück handelt. Entsprechende Aktenvermerke (Erledigungsvermerk) ____dienen lediglich internen Zwecken, haben aber keine Funktion im Rahmen der Zustel____lungsvorschriften.7 ____ Die Zustellung ist mit Übergabe des Einschreibens an den Adressaten wirksam ____vollzogen.8 ____ Statt des Adressaten – auch des Postbevollmächtigten (vgl. § 171) kommen als Er____satzempfänger die in den AGB der Postdienstleistungsunternehmen genannten Perso____nen in Betracht, so etwa Ehepartner, Familienangehörige oder regelmäßig in der Woh____nung bzw. im Betrieb des Adressaten Beschäftigte, von denen angenommen werden ____kann, dass sie zur Entgegennahme berechtigt sind.9 Dies kann sich allerdings nicht aus ____den AGB ergeben. Der Kreis dieser Personen kann nicht durch AGB der Postdienstleis____tungsunternehmen beliebig erweitert werden.10 Zustellungsrechtlich unbedenklich ist ____nur eine Erstreckung auf solche Personen, die denen in der Gesetzesbegründung Ge____nannten (s.o.) nach vermuteter Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit seitens des ____Adressaten vergleichbar sind.11 Plausibel ist eine Begrenzung durch den in §§ 170, 171 ____ ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____2 Vgl. hierfür nur BVerwG NJW 2001, 458. ____3 Vgl. Heß NJW 2002, 2417, 2419. ____4 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____5 BGBl. 1999 I, S. 2418. 6 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19 sowie BVerwG NJW 2001, 458; AG Kempten NJW 2007, 1215 m.w.N.; zu ____dessen (vergleichsweise geringem) Beweiswert vgl. Reichert NJW 2001, 2523, 2524; Hosenfeld NZM 2002, 93 ____und schon Bauer/Diller NJW 1998, 2795. ____7 Zöller/Stöber Rdn. 2. ____8 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. 9 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____10 Die Wahrscheinlichkeit einer ausufernden Ausdehnung ist gering, müssen doch diese Unternehmen ____ein Interesse daran haben, das Postübermittlungssystem möglichst störungsfrei zu erhalten. ____11 Vergleichbar Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3.

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§ 175

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____und 178 genannten Personenkreis.12 Die Aushändigung an all diese Personen ist ausge____schlossen, wenn die Sendung den Vermerk „Eigenhändig“ oder vergleichbares trägt.13 ____Ein Verstoß hiergegen führt zur Unwirksamkeit der Zustellung, kann jedoch nach §§ 189, ____295 geheilt werden. ____ Verweigert der Adressat oder ein möglicher Ersatzempfänger die Annahme der 7 ____Sendung, so ist sie an den Absender als unzustellbar zurückzuschicken.14 Anders als bei ____der Ersatzzustellung kann nicht nach § 179 verfahren werden (keine Zurücklassung bei ____unberechtigter Annahmeverweigerung).15 Allerdings kommt im Falle der unberechtigten ____Annahmeverweigerung (insoweit gelten die zu § 179 entwickelten Maßstäbe, vgl. § 179 ____Rdn. 4 ff.) die Anwendung des § 242 BGB in Betracht.16 Gegebenenfalls darf sich der Ad____ressat nicht auf die mangelnde Zustellung berufen. Dies kann freilich nur dann gelten, ____wenn er selbst die Annahme verweigert oder er einen möglichen Ersatzempfänger im ____Wissen von der mangelnden Berechtigung einer Verweigerung dazu veranlasst. Der ____Nachweis solcher Umstände kann sich schwierig gestalten. Deshalb empfiehlt es sich in ____jedem Falle, die Zustellung auf anderem Wege zu wiederholen.17 ____ 8 Wird weder der Adressat noch ein möglicher Ersatzempfänger angetroffen, so wird ____die Sendung i.d.R. bei dem Postdienstleistungsunternehmen über einen bestimmten ____Zeitraum gelagert (bei der Post AG sieben Werktage) und der Adressat über diesen Um____stand benachrichtigt. Wird die Sendung bis zum Ablauf dieser Frist nicht abgeholt, so ____ist sie an den Absender als unzustellbar zurückzuschicken.18 In diesem Fall lässt sich ____die Motivation der mangelnden Abholung regelmäßig nicht nachzeichnen (z.B. urlaubs____oder krankheitsbedingtes Unterbleiben). Deshalb kommt anders als bei der expliziten ____Annahmeverweigerung (soeben Rdn. 7) die Anwendung des § 242 BGB hier nicht in Be____tracht. ____ ____ III. Nachweis der Zustellung (Satz 2) ____ ____ 9 Gemäß Satz 2 genügt der Rückschein zum Nachweis der Zustellung. Im Gegensatz ____zur Zustellungsurkunde (vgl. § 182) ist der Rückschein keine öffentliche Urkunde.19 ____Seine Beweiskraft bemisst sich also nicht nach § 418, sondern nach § 416. Nach der Ge____setzesformulierung bleibt offen, ob der Nachweis nicht auch anderweitig erbracht wer____den kann, wenn z.B. der Rückschein verlorengeht. Der Gesetzgeber selbst hat indes dar____auf hingewiesen, dass die Zustellung bereits mit Übergabe des Einschreibens an den ____Adressaten vollzogen ist. Demnach zählt die Erstellung und Rücksendung nicht mehr ____zum Zustellvorgang selbst (vgl. zu Parallelen bei der Zustellung gegen Empfangsbe____ ____ ____ ____12 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3 vergleichbar BSG NJW 2005, 1303, 1304 unter ____Heranführung der Regelung des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB (Person der Empfangsboten). ____13 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____14 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____15 Heß NJW 2002, 2417, 2419; Zöller/Stöber Rdn. 3. 16 So in der Tendenz wohl auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6 m.w.N.; MünchKomm-ZPO/ ____Häublein Rdn. 4. Aus materiell-rechtlicher Sicht dahingehend BGHZ 137, 205 = NJW 1998, 976 m.w.N.; BAG ____NJW 1997, 146, 147. ____17 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6. ____18 Heß NJW 2002, 2417, 2419; Hornung Rpfl. 2002, 493, 497; Zöller/Stöber Rdn. 3 (der von einer „niedergelegten“ Sendung spricht). ____19 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19; BSG NJW 2005, 1303, 1304; ____vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; Hornung Rpfl. 2002, 493, 497; MünchKomm-ZPO/ ____Häublein Rdn. 5; a.A. ohne Erwähnung der Gesetzesbegründung BLAH/Hartmann Rdn. 4.

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§ 176

____kenntnis § 174 Rdn. 65). Deshalb spricht m.E. nichts dagegen, den Nachweis auch auf ____anderem Wege zuzulassen.20 ____ Kein Nachweis der Zustellung liegt allerdings in der Zurücksendung eines (z.B. we- 10 ____gen Annahmeverweigerung) unzustellbaren Schriftstücks (vgl. Rdn. 8).21 ____ ____ IV. Kosten ____ ____ Entgelte für Einschreiben mit Rückschein werden wie die für Zustellungen mit Zu- 11 ____stellungsurkunde als Auslagen zu den Gerichtskosten erhoben (§ 3 Abs. 2 GKG Anlage 1 ____Teil 9 KV Nr. 9002 Ziff. 1; § 137 Abs 1 Nr. 2 KostO. ____ ____ ____ § 176 ____ Zustellungsauftrag ____ § 176 Rohe ____ (1) Wird der Post, einem Justizbediensteten oder einem Gerichtsvollzieher ein ____Zustellungsauftrag erteilt oder wird eine andere Behörde um die Ausführung der ____Zustellung ersucht, übergibt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück in ____einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereitetes Formular einer Zustel____lungsurkunde. ____ (2) Die Ausführung der Zustellung erfolgt nach den §§ 177 bis 181. ____ Übersicht ____ ____ 1 c) Anschrift des Adressaten, Angaben ____I. Einführung II. Ausführung der Zustellung zur absendenden Stelle und zum ____ 1. Der Ausführende (Abs. 1) ____ 4 Schriftstück ____ 8 ____ 2. Das zu übergebende Schriftstück 3. Vornahme der Zustellung ____ (Abs. 1) ____ 6 (Abs. 2) ____ 12 ____ a) Verschluss ____ 6 III. Kosten ____ 13 ____ b) Verwendung von Vordrucken ____ 7 ____ ____ I. Einführung ____ ____ Ist eine Zustellung nach §§ 173 bis 175 nicht möglich oder nicht angebracht, so 1 ____kommt der Zustellungsauftrag als die Form der Zustellung mit der größtmöglichen ____Sicherheit in Betracht.1 Der Hauptvorteil dieses Verfahrens besteht in der Möglichkeit ____einer Ersatzzustellung (§§ 178, 180, 181) und einer sicheren Dokumentation des Zustell____vorgangs (§ 182). Nachteilig ist der vergleichsweise hohe Kostenaufwand. Der Streit da____rüber, ob die Zustellung nach §§ 176 ff. subsidiär ist2 oder nicht,3 erscheint wenig weiter____führend. Anzustreben ist das jeweils optimale Verhältnis von möglichster Sicherheit der ____Zustellung und Kostengünstigkeit (vgl. § 168 Rdn. 3). In der Praxis wird häufig – bei ver____gleichbarer Sicherheit – der Kostenfaktor den Ausschlag geben. Zum Auswahlermessen ____der Geschäftsstelle vgl. § 168 Rdn. 3. ____ ____ ____ ____20 So auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____21 Heß NJW 2002, 2417, 2419; Zöller/Stöber Rdn. 3. ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____2 So Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. ____3 So Heß NJW 2002, 2417, 2419 Rdn. 46.

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____ 2 Die Regelung entspricht im wesentlichen § 211 Abs. 1 ZPO a.F. Sie erweitert demge____genüber jedoch den Kreis der Personen, die mit der Ausführung der Zustellung beauf____tragt werden können.4 Abweichend vom Regierungsentwurf hat der Gesetzgeber auf ____Vorschlag des Bundesrates5 darauf verzichtet, eine als unnötig aufwendig kritisierte ____Sonderregelung für die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher (Abs. 2 ZPO-E) zu schaf____fen. Eine redaktionelle Begründung durch das IKomG (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, § 166 ____Rdn. 16)6 hat den vormaligen Begriff der Vordrucke durch den des nicht papiergebunde____nen Formulars ersetzt (Rdn. 7). ____ Abs. 1 regelt, wer zur Ausführung des Zustellungsauftrags herangezogen werden 3 ____kann, sowie die notwendige äußere Beschaffenheit des zu übergebenden Schrift____stücks. Der Reformgesetzgeber hat auch insoweit für eine Vereinfachung gesorgt; so ____bedarf es keines besonderen Zustellungsvermerks auf der Sendung mehr.7 Verstöße ge____gen § 176 können gemäß §§ 189, 295 geheilt werden.8 Für die Ausführung der Zustellung ____verweist Abs. 2 auf die §§ 177 bis 181. ____ ____ II. Ausführung der Zustellung ____ ____ 1. Der Ausführende (Abs. 1). Im Hinblick auf die Auswahl des Ausführenden knüpft 4 ____die Vorschrift an § 168 an. Die Geschäftsstelle entscheidet nach pflichtgemäßem Ermes____sen (vgl. § 168 Rdn. 3), ob sie die Zustellung durch die Post (vgl. § 168 Rdn. 1 ff.) oder ____durch einen Justizbediensteten (vgl. § 168 Rdn. 14 f.) veranlasst. Im Anwendungsbereich ____des § 168 Abs. 2 kann der Vorsitzende des Prozessgerichts oder das von ihm bestimmte ____Mitglied einen Gerichtsvollzieher beauftragen oder eine andere Behörde um die Ausfüh____rung der Zustellung ersuchen (vgl. § 168 Rdn. 16 ff.). Die Einschaltung von Justizbediens____teten ist insbesondere bei Eilbedürftigkeit in Betracht zu ziehen.9 Die Ausführung der ____Beauftragung unterliegt keinen Formvorschriften.10 Entsprechende Aktenvermerke stel____len bloße interne Erledigungsvermerke ohne Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustel____lung dar. ____ Wird die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt, so handelt sie insoweit 5 ____als beliehener Unternehmer hoheitlich (§ 33 Abs. 1 PostG).11 Die Stellung der Justizbe____diensteten ergibt sich aus den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften. Sie handeln ____ebenso als Zustellungsorgan wie der eingeschaltete Gerichtsvollzieher. Der ausfüh____rende Justizbedienstete muss nicht beim zustellenden Gericht tätig sein;12 möglich und ____zweckmäßig ist also auch die Beauftragung eines Bediensteten am (davon verschiede____nen) Ort der Zustellung. ____ ____ ____ ____ ____ ____4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. ____5 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 31 f. ____6 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 15/4067, S. 36 (zu Nr. 52). 7 Nach § 211 Abs. 1 S. 3 a.F. war der Vermerk „Vereinfachte Zustellung“ vorgesehen, um dem Adressaten ____die Bedeutung des Vorgangs deutlich zu machen; vgl. BGH NJW 1969, 1298, 1300; OLG Karlsruhe NJW ____1974, 1388. ____8 Zöller/Stöber Rdn. 6. ____9 Vgl. OLG Schleswig NJW 1988, 569 (zur Einschaltung des Gerichtswachtmeisters nach § 211 Abs. 1 a.F.). ____10 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 1. ____11 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____12 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3.

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§ 176

____ 2. Das zu übergebende Schriftstück (Abs. 1) ____ ____ a) Verschluss. Das zu übergebende (nicht: das zuzustellende) Schriftstück muss ____verschlossen sein. Diese Regelung dient dem Schutz der Persönlichkeitssphäre des ____Empfängers.13 Damit soll verhindert werden, aus dem Umschlag auf den Inhalt zu schlie____ßen. Der Verfasser kann indes aus eigener praktischer Erfahrung im Zustelldienst berich____ten, dass die in der Regel vorhandenen und für die Zuordnung des Schriftstücks auch ____erforderlichen Angaben für Geübte oft hinlänglich Aufschluss über die Art der Sendung ____geben können. Dem Geheimhaltungszweck kommt also im Falle von Verstößen keine ____allzu große Bedeutung bei. Daneben dient der Verschluss indes auch der Sicherung der ____Identität des zuzustellenden Schriftstücks. Es genügt ein einfacher Verschluss ohne ____weitere Formalien.14 Fehlt der Verschluss gänzlich, so ist die Zustellung unwirksam.15 ____Heilung nach §§ 189, 295 ist möglich. Ein nur mangelhafter Verschluss führt dagegen ____nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung. Doch muss dann im Streitfall anderweitig be____wiesen werden, dass die richtigen Schriftstücke übergeben wurden.16 ____ ____ b) Verwendung von Formularen. Mit dem zu übergebenden Schriftstück ist dem ____Ausführenden ein Formular einer Zustellungsurkunde zu übergeben. Auch für den ____Versandumschlag sind aus Vereinfachungsgründen Formulare vorgesehen (vgl. § 190 ____Rdn. 4). Die Neuformierung der Norm durch das IKomG vom 22.3.2005 (vgl. Rdn. 2) soll ____die Nutzung nichtpapiergebundener Vorlagen ermöglichen. Für Beweiszwecke ist die ____Verwendung der Formulare zwar sehr zu empfehlen, indes nicht zwingend (vgl. § 182 ____Rdn. 3; § 190 Rdn. 5). ____ ____ c) Anschrift des Adressaten, Angaben zur absendenden Stelle und zum Schrift____stück. Anders als § 211 Abs. 1 a.F. trifft § 176 keine Regelungen über weitere, den Adres____saten, den Absender und das zuzustellende Schriftstück betreffende Angaben. Die Mate____rialien geben nicht explizit Aufschluss darüber, ob die vormals erforderlichen Angaben ____(Anschrift des Adressaten, Bezeichnung der absendenden Stelle und Geschäftsnummer) ____nunmehr entbehrlich sind. Eine Klärung muss sich an den wesentlichen Merkmalen der ____Zustellung orientieren, insbesondere an der Dokumentation der Zustellung und dem ____Recht auf Annahmeverweigerung, welches § 179 voraussetzt. Die Sendung muss äußer____lich so gekennzeichnet sein, dass der Adressat erreicht werden, dass der Zustellungs____nachweis an die absendende Stelle zurückgelangen (vgl. § 182) und von ihr dem Zustell____vorgang zugeordnet werden kann. Zudem muss der Adressat bzw. Empfänger (vgl. § 166 ____Rdn. 10 ff.) eine hinreichende Grundlage dafür erhalten, ob er die Annahme verweigern ____darf oder nicht. ____ Hierfür bedarf es zunächst einer hinreichend präzisen Adressierung. Sie muss den ____Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift i.S.v. § 253 genügen. Häufig, jedoch ____nicht zwingend, wird dies die Wohnanschrift sein.17 Zu beachten ist hierbei die Grundre____gel des § 177, wonach primär an den Adressaten – unabhängig vom Ort, an dem er ange____troffen wird – zuzustellen ist. Die Angabe der Anschrift muss vornehmlich darauf gerich____tet sein, dem Adressaten selbst zustellen zu können. Deshalb kann in geeigneten Fällen ____z.B. auch die hinreichend präzise Angabe der Arbeitsstelle (Angabe des Adressaten und ____ ____ ____13 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19. 14 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 1. ____15 BGH LM Nr. 3 zu § 176 ZPO a.F.; OLG Nürnberg NJW 1963, 1207, 1208. ____16 Vgl. RGZ 133, 365, 366 ff. ____17 BGHZ 145, 354 = NJW 2001, 885, 887.

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____seiner Arbeitsstätte, u.U. Abteilung, Funktionsangabe und dergleichen) genügen (vgl. ____auch § 177 Rdn. 5).18 Zu den Anforderungen vgl. auch § 166 Rdn. 12 ff. Die Angabe eines ____Postfachs reicht aus (str.).19 ____ Darüber hinaus muss die absendende Stelle kenntlich gemacht werden. Dieses Er10 ____fordernis dient zum einen dazu, den ordnungsgemäßen Rücklauf des Urkundsdoku____ments sicherzustellen. Damit werden indes nur die Interessen des Zustellenden, nicht ____die des Adressaten gewahrt. Mängel führen demnach nicht zur Unwirksamkeit der Zu____stellung. Dem Adressaten oder Empfänger (vgl. zur Begrifflichkeit § 166 Rdn. 10 ff.) steht ____aber bei nicht hinreichender Kennzeichnung der absendenden Stelle das Recht zu, die ____Annahme des Schriftstücks zu verweigern (vgl. § 179 Rdn. 9). Deshalb bleibt es dann ____jedoch auch zulässig und empfehlenswert, den Absender deutlich zu machen. Dasselbe ____gilt sinngemäß für die Zuordnung des konkreten zuzustellenden Dokuments durch eine ____Geschäftsnummer. Anders als nach § 211 Abs. 1 a.F.20 ist sie nicht mehr Wirksamkeits____voraussetzung. Die Identifizierbarkeit des zugestellten Schriftstücks dient den Interessen ____des Zustellenden. Bestehen allerdings beim Adressaten bzw. Empfänger Zweifel über ____den Inhalt und darauf beruhend über eine mögliche Berechtigung zur Annahmever____weigerung, so darf die Annahme bei mangelnder Identifizierbarkeit durch eine Ge____schäftsnummer verweigert werden. Im Übrigen kann Heilung eintreten (vgl. Rdn. 6). ____ 11 Gegenüber der zeitsparenden Verwendung von Fensterumschlägen bestehen keine ____Bedenken, solange nur die hier genannten erforderlichen bzw. zulässigen Angaben ____sichtbar werden und nicht darüber hinaus solche, die vom Interesse des Adressaten an ____Geheimhaltung umfasst werden.21 ____ ____ 3. Vornahme der Zustellung (Abs. 2). Die Vornahme der Zustellung richtet sich 12 ____nach den §§ 177 bis 181 (Abs. 2). Anweisungen der Geschäftsstelle, wie die Anordnung ____einer persönlichen Zustellung, sind zu beachten.22 Ihre Nichteinhaltung führt jedoch ____nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.23 ____ ____ III. Kosten ____ ____ Für die Zustellung durch die Post fallen Gebühren nach Nr. 9002 Ziff. 1, bei Zustel13 ____lung durch Justizbedienstete nach Nr. 9002 Ziff. 2 des KV zum GKG an; Gleiches gilt ge____mäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 Nr. 3 KostO. Für die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher fallen ____Kosten gemäß Abschnitt 1 Nr. 100 des KV zu § 9 des GvKostG an. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____18 BGHZ 145, 354 = NJW 2001, 885, 887 m.w.N.: Angabe der zahlenmäßig bestimmten Krankenhausabteilung mit Funktionsangabe „Chefarzt“ bzw. „Leitender Oberarzt“; vgl. auch OLG ____Frankfurt a.M. NJW-RR 1999, 1474, 1477. ____19 Bejahend BFH BB 1983, 1713; ablehnend Stein/Jonas/Roth Rdn. 4; offen gelassen bei MünchKomm____ZPO/Häublein Rdn. 4. ____20 BGH MDR 1966, 44; OLG Nürnberg NJW 1963, 1207, 1208; vgl. auch BFH NVwZ 1992, 815, 816. 21 So nun auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4 in Abweichung von der Ansicht des ____Vorbearbeiters. ____22 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____23 BGH Rpfl. 2003, 138, 139 = BGH NJW-RR 2003, 208.

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§ 177

____ § 177 ____ Ort der Zustellung ____ § 177 Rohe ____ Das Schriftstück kann der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort ____übergeben werden, an dem sie angetroffen wird. ____ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren Übersicht ____ ____ 1 II. Ort der Zustellung an den Adressaten ____ 5 ____I. Einführung ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 177 stellt die Grundnorm für den letzten Akt bei Ausführung der Zustellung dar.1 ____Ihr Wortlaut hat gegenüber der Vorläuferregelung in § 180 a.F. nur eine redaktionelle ____Änderung ohne inhaltliche Bedeutung2 erfahren. Grundsätzlich ist an den Adressaten ____selbst zuzustellen (vgl. zur Einschaltung von Vertretern und Bevollmächtigten §§ 170 ff.; ____zum Begriff des Adressaten § 166 Rdn. 11). Es genügt Personenidentität zwischen dem ____Adressaten und dem in dem zuzustellenden Schriftstück Gemeinten; bestehen keine ____Zweifel über die Identität, so sind Schreibfehler unbeachtlich (vgl. auch § 166 Rdn. 12 f.).3 ____ Ist der Adressat an den Orten erreichbar, an denen ihm zuzustellen ist (nicht nur: ____zugestellt werden kann), so führt die dennoch vorgenommene Ersatzzustellung nach ____§§ 178 ff. zur Unwirksamkeit der Zustellung.4 Die Ersatzzustellung ist, wie es schon die ____Bezeichnung andeutet, nur eine Hilfslösung für den Fall, dass der Adressat nicht selbst ____erreichbar ist.5 Die unmittelbare Übergabe (vgl. § 166 Rdn. 45 ff.) des zuzustellenden ____Schriftstücks an den Adressaten ist der gleichzeitig einfachste und sicherste Weg, die ____Möglichkeit der Kenntnisnahme zu gewährleisten. Sie dient den Interessen von Betrei____bendem und Adressaten gleichermaßen. Der Normzweck wird selbstredend nur erreicht, ____wenn die Person, der das Schriftstück übergeben wird, tatsächlich der Adressat ist. ____ Wird der Adressat nicht angetroffen, so ist nach Maßgabe der §§ 178 bis 181 eine ____Ersatzzustellung an bestimmte andere Personen möglich. Für die Zustellung an sie gilt ____§ 177 nicht; die Folgenormen treffen insofern speziellere Regelungen. ____ Den Sonderfall unberechtigter Annahmeverweigerung regelt § 179. Diese Vor____schrift gilt für Adressaten6 und Ersatzzustellungsempfänger gleichermaßen. ____ ____ II. Ort der Zustellung an den Adressaten ____ ____ Die Zustellung kann an jedem Ort innerhalb Deutschlands erfolgen, an dem der ____Adressat angetroffen wird, beispielsweise auch am Arbeitsplatz (vgl. auch § 176 Rdn. 9),7 ____in einem Firmengebäude oder auf einer Messe.8 Unbeachtlich sind also Staatsangehörig____keit (auch im Hinblick auf Auslandsgesellschaften,9 soweit nicht völkerrechtliche Aner____kennungsgrundsätze entgegenstehen) Wohnsitz, Gerichtsstand oder polizeiliche Mel____ ____ ____1 Vgl. BGHZ 145, 354 = NW 2001, 885, 887. 2 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____3 OLG Celle DGVZ 1984, 25, 26 („Karl-Dieter“ statt richtig „Rolf-Dieter“). ____4 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. ____5 BGHZ 145, 354 = NW 2001, 885, 887 m.w.N. ____6 So explizit die Gesetzesbegründung, BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. 7 BGHZ 145, 354 = NJW 2001, 885, 887 m.w.N.; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1999, 1474, 1477; LG Hagen ____MDR 1984, 1034. ____8 Strasser ZIP 2008, 2111, 2113. ____9 Strasser ZIP 2008, 2111, 2113.

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§ 178

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____dung.10 Zur Zustellung an NATO-Truppenangehörige und an Soldaten der Bundeswehr _____sowie kasernierte Angehörige der Bereitschaftspolizei und des Bundesgrenzschutzes vgl. _____Vor § 166 Rdn. 19 f. und § 166 Rdn. 54 ff., 57 ff. und § 178 Rdn. 61. _____ Nach § 27 GVGA (vgl. § 179 Rdn. 6) soll allerdings an unpassenden Orten keine Zustel6 _____lung erfolgen, gemäß der Gesetzesbegründung11 auch nicht bei unangemessenen Gele_____genheiten und zu allgemein unpassender Zeit. Ein Verstoß hiergegen berührt jedoch _____grds. nicht die Wirksamkeit der Zustellung.12 Sie kann aber ein Recht zur Annahmeverwei_____gerung begründen (vgl. § 179 Rdn. 6 ff.). In Extremfällen kommt jedoch ein Verstoß gegen _____das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Betracht, der bei höherer Intensität zur Unwirk_____samkeit der Zustellung führen kann.13 Denkbar ist dies etwa bei Gottesdiensten oder ande_____ren Formen der Religionsausübung, Beerdigungen14 oder gesellschaftlichen Anlässen. _____ _____ _____ § 178 _____ Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und _____ Einrichtungen _____ § 178 Rohe _____ (1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Ge_____schäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht ange_____troffen, kann das Schriftstück zugestellt werden _____1. in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Fami_____ lie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner, _____2. in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person, _____3. in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu _____ ermächtigten Vertreter. _____ (2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirk_____sam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden _____soll, beteiligt ist. _____ _____ Übersicht b) Aufgabe der Wohnung ____ 24 _____I. Einführung 1. Ersatzzustellung, ihr Verhältnis zur c) Begründung einer neuen Woh_____ Zustellung an den Adressaten und ihre nung ____ 27 _____ Wirkung ____ 1 3. Mögliche Ersatzzustellungsempfän_____ 2. Voraussetzung der Nichterreichbarkeit ger ____ 28 _____ des Adressaten ____ 8 a) Einführung ____ 28 _____ 3. Verhältnis zwischen den Varianten b) Erwachsene Familienange_____ Abs. 1 und zu anderen Formen der hörige ____ 30 ____ _____ Ersatzzustellung 10 aa) Familienzugehörig_____II. Ersatzzustellung in der Wohnung des keit ____ 30 bb) Erwachsenenalter des _____ Adressaten (Abs. 1 Nr. 1) ____ 15 Empfängers ____ 34 _____ 1. Einführung der Wohnung des Adressac) In der Familie beschäftigte _____ 2. Begriff ten ____ 17 Personen ____ 38 _____ a) Voraussetzungen für das Bestehen d) Erwachsene ständige Mitbe_____ der Wohnung ____ 17 wohner ____ 41 _____ _____ _____10 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. 11 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. _____12 So auch Zöller/Stöber Rdn. 1. _____13 Vergleichbar Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. _____14 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

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4. Bereitschaft zur Annahme des Schrift2. Ersatzzustellung an den Leiter der ____ stücks ____ 44 Gemeinschaftseinrichtung oder dessen ____ Vertreter ____ 64 ____III. Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen des Adressaten (Abs. 1 V. Verbot der Ersatzzustellung an Gegner des ____ Nr. 2) Adressaten im Rechtsstreit (Abs. 2) ____ 1. Einführung ____ 46 1. Einführung ____ 66 ____ ____ 48 2. Der Geschäftsraum 2. Fälle der Interessenkollision, die ____ 3. Die im Geschäftsraum beschäftigte eine Zustellung an die in Abs. 1 ____ Person ____ 53 bezeichneten Personen ausschließen ____ 4. Bereitschaft zur Annahme des Schriftund Abgrenzung ____ 70 ____ ____ a) Einführung ____ 70 stücks 59 b) Einzelfälle ____ 72 ____IV. Ersatzzustellung in Gemeinschaftseinrich3. Nicht erfasste Fälle ____ 74 tungen (Abs. 1 Nr. 3) ____ VI. Wirkung von Verstößen gegen die 1. Wohnen des Adressaten in ____ Norm ____ 77 einer Gemeinschaftsein____ VII. Beweis durch Beurkundung ____ 83 richtung ____ 60 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ 1. Ersatzzustellung, ihr Verhältnis zur Zustellung an den Adressaten und ihre 1 ____Wirkung. § 178 regelt wesentliche Teile der Ersatzzustellung (vgl. § 177 Rdn. 3). Diese ____Form der Zustellung ist zulässig, wenn der Zustellungsadressat (vgl. zum Begriff § 166 ____Rdn. 10 ff., Vor § 170 Rdn. 2) nicht an den in Abs. 1 genannten Orten angetroffen (Rdn. 8 f.) ____wird. Die Norm fasst die bisherigen Regelungen in §§ 181 und 183 bis 185 a.F. unter ge____wissen Änderungen zusammen. Aufgegeben wird die vormalige Sonderregelung des ____§ 184 a.F. für die Zustellung an juristische Personen.1 Ergänzende Regelungen finden sich ____in §§ 180, 181 (Ausführung der Ersatzzustellung) und 182 (Beurkundung). Insgesamt er____gibt sich gegenüber der vormaligen, zersplitterten und kompliziert hierarchisch struktu____rierten Rechtslage eine wesentliche Vereinfachung der Ersatzzustellung.2 ____ Vorrangig ist an den Adressaten selbst zuzustellen (vgl. § 177 Rdn. 2). Allerdings 2 ____muss er grds. nur in seiner Wohnung bzw. an den in Abs. 1 Nr. 2 und 3 genannten Orten ____als den typischen Lebensmittelpunkten aufgesucht werden, nicht aber am Arbeitsplatz ____oder anderen möglicherweise unschwer zu ermittelnden Aufenthaltsorten (vgl. Rdn. 8). ____Ist er an den genannten Orten nicht anzutreffen (vgl. Rdn. 8 f.), so darf ersatzweise an ____bestimmte an den in Abs. 1 genannten Orten befindliche Personen zugestellt werden ____(zum Vollzug durch Übergabe vgl. § 166 Rdn. 45 f.; zur unberechtigten Annahmeverwei____gerung § 179). Vorrang genießt allerdings auch die Regelung des § 172 (Zustellung an ____Prozessbevollmächtigte). ____ Zur Wahrung der Rechte des Adressaten auf rechtliches Gehör3 ist es erforderlich, 3 ____dass die Weiterleitung des Schriftstücks an den Adressaten mit einem sehr hohen Maß ____an Wahrscheinlichkeit gewährleistet wird. Dazu bedarf es objektiver und eindeutiger ____Kriterien, damit der Ausführende in die Lage versetzt wird, die Ersatzzustellung ohne ____unvertretbar großen Aufwand auszuführen.4 Deshalb kommen nur solche Personen ____als Ersatzzustellungsempfänger in Betracht, die typischerweise in hohem Maße zuver____ ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____2 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 1; Heinze, Praxisprobleme bei der Zustellung von Schriftstücken mit Zustellungsurkunden im Sinne der §§ 166 ff. ZPO durch Bedienstete der Deutschen Post ____AG, DGVZ 2000, 111 ff. (zum alten Recht); OLG Dresden OLG-NL 2003, 66, 68 (zu § 184 Abs. 2 a.F.). ____3 Vgl. BGH NJW 1978, 1858 f.; BGH NJW 1985, 2197. ____4 Vgl. BGHZ 111, 1, 6 = NJW 1990, 1666.

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_____lässig sind, und die sich in solcher räumlichen Nähe zum Adressaten befinden, dass eine _____unverzügliche Weiterleitung des Schriftstücks innerhalb kurzer Zeit erwartet werden _____kann. 5 Damit wird ein Ausgleich zwischen den Beteiligteninteressen (vgl. Vor § 166 _____Rdn. 1 ff.) herbeigeführt. Dabei gebieten es die beteiligten Interessen, dass die ihrem _____Schutz dienlichen Tatbestandsmerkmale funktional – im spezifischen Sinne des Zustel_____lungsrechts – ausgelegt werden. Um den Zustellvorgang nicht mit unzumutbarem Auf_____wand zu belasten, muss der Erkenntnishorizont des Ausführenden berücksichtigt werden. _____Einfache Fragen nach den Verhältnissen sind ihm zuzumuten,6 aufwendige Nachfor_____schungen dagegen nicht. Im Übrigen kommt es wesentlich auf äußerlich erkennbare _____Verhältnisse und Indizien an (näheres dazu im einzelnen bei den jeweiligen Tatbe_____standsmerkmalen).7 Hier wird es angesichts der meist komplizierten Verhältnisse8 oft auf _____die subjektive Einschätzung des Ausführenden ankommen. _____ In jedem Falle ist der Vorrang des § 172 zu beachten.9 Umgekehrt ist die Zustellung 4 _____im Wege der Ersatzzustellung auch an einen Zustellungsbevollmächtigten (§ 171) wirk_____sam, der nicht zum genannten Kreis der Ersatzzustellungsempfänger zählt.10 _____ 5 Die Übergabe an den Ersatzzustellungsempfänger (zur Begrifflichkeit vgl. § 166 _____Rdn. 11) gilt bei Einhaltung der Formalien als wirksame Zustellung (zu subsidiären _____Formen der Übermittlung vgl. §§ 180, 181).11 Die berechtigten Interessen des Adressaten _____gebieten es, dass der Ausführende nach Möglichkeit die alsbaldige Weiterleitung des _____Schriftstücks sicherstellt. Dem Ersatzzustellungsempfänger muss die Notwendigkeit _____deutlich sein oder gemacht werden, welche Bedeutung die sichere und unverzügliche _____Weiterleitung hat.12 Dies wird typischerweise bereits durch die äußere Gestaltung der _____Sendung (vgl. § 176 Rdn. 6 ff.) sowie die Beurkundung der Zustellung erreicht. Der Emp_____fänger ist zur Weitergabe des Schriftstücks an den Adressaten verpflichtet. Nichtweiter_____gabe hat jedoch keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Zustellung mehr.13 Damit _____wird dem Interesse des Zustellenden an einem einfachen und effektiven Verfahren Rech_____nung getragen.14 Im Einzelfall kommt zugunsten des Adressaten die Wiedereinsetzung _____nach § 233 in Betracht,15 wobei Verschulden des Empfängers nicht notwendig schadet.16 _____ Die Vorschriften über die Ersatzzustellung bringen das Recht des Adressaten auf 6 _____rechtliches Gehör und ein faires Verfahren einerseits und die berechtigten Interessen des _____Betreibenden auf effiziente Zustellung (und damit effektiven Rechtsschutz) zum Aus_____gleich (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 ff.). Sie sind in ihrer Ausgestaltung verfassungsgemäß.17 Zur _____Wirkung von Verstößen gegen die Norm vgl. unten Rdn. 77 ff. _____ _____ _____ _____5 Vgl. BGHZ 111, 1, 5 = NJW 1990, 1666; BGH NJW-RR 1997, 1161. _____6 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 2; a.A. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 1684 (danach soll nicht einmal nach der Anwesenheit des Adressaten zu fragen sein); MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4 (Nachforschungen _____grds. nicht erforderlich). _____7 Vgl. nur Orfanides 71, 72 m.w.N. _____8 Eindrucksvoll Heinze DGVZ 2000, 111 ff.; der Verfasser kann Heinzes Eindrücke aus eigener praktischer _____Erfahrung in vollem Umfang bestätigen. _____9 Vgl. BAG DtZ 1997, 98, 99 m.w.N. 10 RGZ 107, 161, 165 f.; vgl. auch OLG Köln NStZ-RR 2008, 379. _____11 Vgl. OLG Hamburg NStZ 2003, 46, 47. _____12 Vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 1, 2 a.E. _____13 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3. _____14 BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW 1985, 2197. 15 OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701. _____16 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. _____17 BVerfGE 25, 158, 164 f. = NJW 1969, 1103, 1104 zur Niederlegung; BVerfG NJW 1992, 224, 225 zu §§ 181 f. _____a.F.; BVerfG NJW 1997, 1772 zur Zustellung gemäß § 175 Abs. 1 S. 2, 3 a.F.; Zöller/Stöber Rdn. 1.

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____ An die Wirksamkeit der Zustellung sind seit der Reform zum 1.7.2002 keine weiteren ____Voraussetzungen geknüpft. Die vorgeschriebene Beurkundung18 des Zustellungsvor____gangs (vgl. § 182) hat nur noch Beweisfunktion.19 Erst recht schadet es nicht, wenn die ____Zustellung ordnungsgemäß beurkundet wurde, die Urkunde aber später nicht mehr auf____findbar ist. In solchen Fällen kann der Beweis der Aufnahme der Urkunde auch mit Hilfe ____anderer Beweismittel erbracht werden.20 ____ ____ 2. Voraussetzung der Nichterreichbarkeit des Adressaten. Wegen des Vorrangs ____persönlicher Zustellung (vgl. § 177 Rdn. 2) muss hinreichend sichergestellt sein, dass ____der Adressat tatsächlich nicht erreichbar ist. Der Ausführende muss sich davon grds. ____persönlich überzeugen; Auskünfte von Dritten reichen regelmäßig nicht aus.21 Es genügt ____aber in der Regel, wenn sich der Ausführende auf die übliche Weise der Kontaktaufnah____me beschränkt (nicht nur einmaliges Bedienen der Klingel mit gewissem Zuwarten). Ist ____keine Klingel vorhanden, so muss der Ausführende die im Einzelfall möglichen Nachfor____schungen unternehmen, welche keinen unzumutbaren Aufwand verursachen. In Ge____meinschaftseinrichtungen (vgl. Abs. 1 Nr. 3) muss sich der Ausführende von einem an____wesenden Verwalter zur Wohnung des Adressaten führen lassen.22 Keinesfalls ist es ____erforderlich, sich gegen den Willen des Adressaten oder anderer Anwesender Zutritt zum ____Aufenthaltsort des Adressaten zu verschaffen. ____ Das Tatbestandsmerkmal des Nichtantreffens in Abs. 1 Satz 1 ist funktional zu ver____stehen. Es kann auch dann vorliegen, wenn der Adressat tatsächlich anwesend, aber ____faktisch nicht erreichbar ist. So liegt es z.B. bei Annahmeverhinderung des anwesenden ____Adressaten bei Krankheit, unabwendbarer Dienstgeschäfte23 oder Volltrunkenheit.24 Bei ____Haftunterbringung des Adressaten wird regelmäßig Nichterreichbarkeit gegeben25 sein ____(damit korrespondieren die Regelungen in §§ 29, 30 StVollzG), ebenso bei stationär auf____genommenen Klinikpatienten und auch bei Personen, die Unterbringungsmaßnahmen ____nach §§ 70 ff. FGG unterliegen; trotz des Wortlauts des § 70g Abs. 1 Satz 1 FGG ist hier ____eine Ersatzzustellung möglich.26 In solchen Fällen kann an die jeweilige Leitung zuge____stellt werden27 (vgl. Abs. 1 Nr. 3; sogleich unten Rdn. 64 f.). Anderes gilt grds. für die Zu____stellung an Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind; hier ist ____regelmäßig zunächst ein Zustellversuch beim Adressaten geboten.28 Nicht zulässig ist die ____Ersatzzustellung, wenn der Adressat verstorben ist.29 ____ ____ 3. Verhältnis zwischen den Varianten in Abs. 1 und zu anderen Formen der Er____satzzustellung. Anders als nach der Rechtslage vor der Reform zum 1.7.2002 besteht ____zwischen den drei in Abs. 1 genannten Varianten keine Anwendungshierarchie. Wenn ____ ____ 18 Vgl. BGH NJW 1990, 176; BFH NJW 1979, 736 m.w.N.; BVerwG DGVZ 1984, 149, 150; OLG Bremen NJW ____1955, 643; VGH Kassel NJW 1996, 1075. ____19 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22 (zu § 182 Abs. 1). ____20 BGH NJW 1981, 1613, 1614 m.w.N.; OLG Düsseldorf OLGZ 1991, 229, 231 f. zu § 183. ____21 OLG Zweibrücken MDR 1985, 1048. ____22 VG Freiburg NVwZ 1993, 808. 23 Beispiele aus BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____24 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____25 I.Erg. VGH Mannheim NJW 2001, 3569 unter Verweis auf §§ 29, 30 StVollzG. ____26 BayObLG FPR 2002, 159 = FamRZ 2002, 848. ____27 Vgl. VGH Kassel NVwZ 1989, 397; VGH Mannheim NJW 2001, 3569. Vgl. VGH Kassel NVwZ 1989, 397; VGH Mannheim NJW 2001, 3569. ____28 VGH Kassel NVwZ 1989, 397; VG Freiburg NVwZ 1993, 808. Die Neuregelung zum 1.7.2002 hat ____insoweit keine Änderungen mit sich gebracht. ____29 Zöller/Stöber Rdn. 2.

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_____der Gesetzgeber alle potentiellen Ersatzzustellungsempfänger für hinreichend vertrau_____enswürdig und zuverlässig hält, lässt sich eine Hierarchie nicht begründen. Der erkennba_____re Zweck der Vereinfachung des Zustellungsrechts würde zudem erheblich beeinträchtigt, _____wenn der Ausführende sich generell mit den individuellen Verhältnissen beschäftigen _____müsste. Allerdings ist zu beachten, dass die Zustellung an den Leiter einer Gemeinschafts_____einrichtung (Abs. 1 Nr. 3) erst dann erfolgen darf, wenn die unmittelbare Zustellung an _____den dort wohnenden Adressaten nicht möglich ist (vgl. Rdn. 8 ff.).30 Auch unter den in _____Abs. 1 jeweils genannten Personen herrscht grds. Gleichrang.31 Zwischen der Zustellung _____nach Nr. 1 und der nach Nr. 2 kann der Betreibende grundsätzlich auswählen. Hierbei _____kommt es grds. nicht auf den (gewerblichen oder nicht gewerblichen) Inhalt des zuzu_____stellenden Schriftstücks, den generellen Aufenthalt des Adressaten am Zustellungsort _____und allfällige reguläre Öffnungszeiten des Geschäftslokals an. Die Anwesenheit von Ad_____ressaten und/oder Beschäftigten auch außerhalb solcher Zeiten ist nicht ungewöhnlich _____und kann daher genutzt werden (vgl. unten Rdn. 48–52). Mit Angabe der jeweiligen _____Adresse fällt die Entscheidung für den einen oder anderen Weg der Zustellung. Dabei _____bleiben mögliche Fehler der Adressierung (z.B. falsche Hausnummern oder Etagenbe_____zeichnungen, falsche Postleitzahlen und ähnliches) unbeachtlich, solange keine Zwei_____fel darüber entstehen, ob es sich tatsächlich um die Wohnung bzw. die Geschäftsräume _____des Adressaten handelt. _____ Sind Wohnung und Geschäftslokal räumlich verbunden, so kann alternativ nach 11 _____Nr. 1 oder Nr. 2 zugestellt werden.32 Für das Vorliegen eines Geschäftsraumes genügt es, _____wenn innerhalb der Räumlichkeiten eine funktionale Trennung erkennbar ist. Dies ist _____insbesondere dann der Fall, wenn Gehilfen anwesend sind, die nicht zu dem in Nr. 1 ge_____nannten Personenkreis zählen. In Geschäftsräumen kann auch dann zugestellt werden, _____wenn das Schriftstück nur an das Postfach des gewerbetreibenden Adressaten adressiert _____ist;33 im gewerblichen Verkehr ist die vorzugsweise Nutzung des Postfachs üblich, gele_____gentlich wird nur dieses, nicht aber die tatsächliche Geschäftsadresse im Verkehr ange_____geben. _____ Das Erfordernis rechtlichen Gehörs (vgl. Vor § 166 Rdn. 1) kann dazu führen, dass 12 _____im Einzelfall bei offensichtlich stark ungleichem Grad an Verlässlichkeit des Empfän_____gers eine bestimmte Auswahl getroffen werden muss (zu den Rechtsfolgen vgl. unten _____Rdn. 77 ff.). _____ Ist eine der in Abs. 1 genannten Personen an dem Rechtsstreit als Gegner des Zustel13 _____lungsadressaten beteiligt, so muss gemäß Abs. 2 die Zustellung an ihn unterbleiben _____(hierzu Rdn. 66 ff.). _____ Die Vorschriften der §§ 180 und 181 sind subsidiär zur Zustellung gemäß § 178. 14 _____§ 180 eröffnet nunmehr vergleichsweise unaufwendige Wege der Ersatzzustellung, wenn _____die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar ist. Dabei stehen Abs. 1 _____Nr. 1 und Nr. 2 auf gleicher Ebene (vgl. soeben Rdn. 10). Scheitert also die Ersatzzustel_____lung im Geschäftsraum, so muss nicht noch ein Zustellungsversuch in der Wohnung _____unternommen werden,34 und umgekehrt. Allerdings muss der Ausführende nicht zwin_____gend sofort nach §§ 180, 181 vorgehen, wenn eine Ersatzzustellung nach der jeweils an_____deren Variante (Wohnung oder Geschäftsraum) dem Zweck der Zustellung erkennbar _____ _____ _____ _____30 So ausdrücklich BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. 31 Vgl. nur OLG Hamm NJW-RR 1987, 1279 zu § 181 a.F., nun Abs. 1 Nr. 1 (Mutter und Schwestern). _____32 Wie hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 21; Stein/Jonas/Roth Rdn. 20 m.w.N. _____33 BFH NJW 1983, 2408 LS. _____34 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20.

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____besser gerecht wird.35 Dies kann dann der Fall sein, wenn Wohnung und Geschäftsräume ____nahe beieinander liegen und der Ausführende weiß, dass der Adressat regelmäßig ent____weder am einen oder am anderen Ort anzutreffen ist. Der Ausführende kann jedoch in ____diesen Fällen stets auch sogleich nach § 180 vorgehen. Ist die Zustellung nach § 178 ____Abs. 1 Nr. 3 oder nach § 180 nicht ausführbar, so ist die eher aufwendige Niederlegung ____gemäß § 181 möglich. Hat der Adressat bekanntermaßen seine Wohnung aufgegeben ____und ist anderweitig nicht erreichbar, so kann keine wirksame Zustellung unter der ____alten Anschrift erfolgen. Vielmehr ist dann der Weg der öffentlichen Zustellung (§ 185) ____zu wählen.36 ____ ____ II. Ersatzzustellung in der Wohnung des Adressaten (Abs. 1 Nr. 1) ____ ____ 1. Einführung. Wird der Adressat nicht in seiner Wohnung (Rdn. 17 ff.) angetroffen 15 ____(oben Rdn. 8 f.), so kann eine Ersatzzustellung in der Wohnung an dort befindliche er____wachsene Familienangehörige (Rdn. 30 ff.), an in der Familie beschäftigte Personen ____(Rdn. 38 ff.) oder an erwachsene ständige Mitbewohner erfolgen. Gegenüber der vormali____gen Rechtslage ist es nicht mehr erforderlich, dass der angetroffene erwachsene Fami____lienangehörige auch selbst in der Wohnung des Adressaten wohnt (vgl. Rdn. 33). Ebenso ____wurde ohne Begründung darauf verzichtet, den Kreis der in der Familie beschäftigten ____Personen als mögliche Empfänger auf Erwachsene zu begrenzen (hierzu Rdn. 40). Als ____mögliche Empfänger neu hinzugetreten sind erwachsene ständige Mitbewohner. Grds. ____kann der Ausführende unter mehreren in Betracht kommenden Ersatzzustellungsemp____fängern auswählen (zu Fällen des Ausschlusses wegen möglicher Befangenheit vgl. Abs. 2, ____zur Verwechslung Rdn. 79; zu evident unterschiedlicher Zuverlässigkeit oben Rdn. 3). ____ Nach dem Wortlaut der Nr. 1 („in der Wohnung“) hat nur die Zustellung an die in der 16 ____Wohnung befindlichen genannten Personen zu erfolgen. Damit soll die notwendige ____räumliche Nähe des Empfängers zum Adressaten gewährleistet werden, die eine kurz____fristige Weiterleitung des Schriftstücks an ihn erwarten lässt. Dazu bedarf es allerdings ____nicht der Übergabe in der Wohnung selbst.37 Unproblematisch ist die Übergabe im Haus____flur, an der Eingangstür des Wohngebäudes oder am Gartentor. Sind dem Ausführenden ____die Lebensumstände des Adressaten bekannt, wie dies oftmals beim Postzustelldienst ____der Fall ist, so kommt auch eine Übergabe außerhalb des Wohnhauses in Betracht. Weiß ____der Ausführende, dass der Adressat sich z.B. an seiner Arbeitsstelle aufhält, und begeg____net er einer der in Abs. 1 genannten Personen in der Nähe der Wohnung bei einem Gang, ____der eine baldige Rückkehr in die Wohnung erwarten lässt, so wäre es ein unnötiger und ____Verstimmungen provozierender Formalismus, den Weg zur Wohnung fortzusetzen, um ____dort womöglich im Wege der Niederlegung zuzustellen.38 ____ ____ 2. Begriff der Wohnung des Adressaten ____ ____ a) Voraussetzungen für das Bestehen einer Wohnung. Der Begriff der Wohnung 17 ____ist nicht in Anlehnung an melderechtliche Vorgänge39 oder an den bürgerlich-recht____ ____ ____35 Im Ansatz vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 21; Hornung Rpfl. 2002, 493, 498. ____36 BGH NJW-RR 1986, 1083. ____37 Wie hier Zöller/Stöber Rdn. 14; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 18; (einschränkend) Stein/Jonas/ Roth Rdn. 17. ____38 A.A. Zöller/Stöber Rdn. 14; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 18. ____39 BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW-RR 1986, 1083; BGH NJW 1988, 713, 714; BGH KTS 1992, 114, 116; BGH ____NJW-RR 1997, 1161; OLG Köln NJW-RR 2003, 864.

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_____lichen Wohnsitz40 anzuknüpfen, sondern nach Sinn und Zweck des Zustellungsrechts _____(vgl. Vor § 166 Rdn. 1) eigenständig auszulegen. Von entscheidender Bedeutung ist stets, _____ob der Adressat in der Räumlichkeit typischerweise (nicht im tatsächlichen Einzelfall) in _____regelmäßigen, vergleichsweise kurzen Abständen anzutreffen ist. Maßgeblich sind also _____grds. nicht rechtliche Fiktionen, sondern tatsächliche Verhältnisse.41 Näheres bestim_____men die Umstände des Einzelfalles.42 _____ 18 Allerdings existiert eine Reihe von äußeren Anhaltspunkten dafür, wann eine _____Wohnung besteht. Auf solche äußeren Anhaltspunkte kommt es an. Subjektive Kriterien, _____die nicht nach außen erkennbar geworden sind, können wegen der Eigenheiten des Zu_____stellungsvorgangs nicht berücksichtigt werden; der Rechtsverkehr muss sich auf äußere _____Anzeichen verlassen können. Andernfalls entstünden auch Manipulationsmöglichkeiten _____durch schlichte (unzutreffende) Behauptungen.43 So wird in aller Regel dort eine (nicht _____notwendig: die einzige) Wohnung bestehen, wo der Adressat seinen gewöhnlichen Auf_____enthalt (Daseins- oder Lebensmittelpunkt)44 hat. Die Rechtsprechung formuliert auf die_____ser Linie, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Wohnung gegeben sind, wenn der _____Adressat in der Regel „in den Räumen lebt“,45 dort auch schläft46 und dorthin regelmäßig _____zurückkehrt.47 Es genügt eine Räumlichkeit, die diese Zwecke erfüllt, auch ein im Umbau _____befindliches Haus,48 ein Hotelzimmer, ein Wohnwagen,49 ein Schiff,50 die Säule Simeons _____des Styliten oder das Erdloch Timons von Athen. Ein bloßes Wochenendhaus erfüllt die_____se Kriterien dagegen in aller Regel nicht.51 Die polizeiliche Meldung kann, muss aber _____nicht Indizcharakter gewinnen52 (dazu unten Rdn. 22 und 24; 86). Andererseits kann die _____Wohnung im zustellungsrechtlichen Sinne (auch nur vorübergehend) aufgehoben wer_____den, wenn der Zustellende selbst die vormalige Wohnung des Adressaten in einen un_____bewohnbaren Zustand versetzt hat. Dies gilt auch dann, wenn der Adressat davon keine _____ _____40 BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW-RR 1997, 1161; OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224 setzt unscharf _____Lebensmittelpunkt und Wohnsitz gleich. _____41 Vgl. BVerfG NJW-RR 2010, 421, 422 m.w.N.; BGH NJW 1978, 1858 und BGH NJW-RR 1986, 1083: _____„tatsächliche(s) Wohnen“; BVerwG NJW 1991, 1904; BGH NJW-RR 2005, 415; BGH DGVZ 2008, 83, 84; BGH NJW-RR 2010, 489, 490 m.w.N. (tatsächliche Nutzung); BGH BeckRS 2011, 27449; OLG München NJW-RR _____1991, 1470; OLG Köln NJW-RR 2001, 1511; OLG Köln NJW-RR 2003, 864; OLG Dresden RPfl. 2005, 269; OLG _____Bamberg NJW 2006, 1078; FG Münster NJW 1985, 1184. _____42 Ausdrücklich BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW 1988, 713; BGH NJW-RR 1994, 564, 565; OLG Hamm _____NStZ-RR 2006, 309, 310. _____43 Vgl. BGH NJW 1988, 713, 714; BGH NJW-RR 1994, 564, 565; OLG München NJW-RR 1991, 1470; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6. _____44 Vgl. BVerfG NJW 1992, 224, 226; BGH NJW 1992, 1963; OLG Dresden RPfl. 2005, 269; OLG Hamm NJW_____RR 1995, 223, 224 setzt Lebensmittelpunkt und Wohnsitz begrifflich gleich, ohne in der Sache _____abzuweichen; OLG Hamm MDR 1998, 182, 183. _____45 BGH NJW 1985, 2197; BGH FamRZ 1990, 143; BGH NJW 1992, 1963; OLG München NJW-RR 1995, 59. 46 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW 1985, 2197; BGH NJW-RR 1994, 564 f.; BGH _____NJW-RR 1997, 1161; BVerwG NJW 1991, 1904; BFH NJW 1988, 1999, 2000; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, _____894, 895; OLG Celle Rpfl. 1992, 305; OLG Köln VersR 1997, 989, 990 (Schlafen und Zubereiten von _____Mahlzeiten). A.A. im Einzelfall OLG Köln NJW-RR 1989, 443. BVerfG NJW 1992, 224, 225; BGH NJW 1978, _____1858; BGH NJW 1985, 2197; BGH NJW-RR 1994, 564 f.; BGH NJW-RR 1997, 1161; BVerwG NJW 1991, 1904; _____BFH NJW 1988, 1999, 2000; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 894, 895; OLG Celle Rpfl. 1992, 305; OLG Köln VersR 1997, 989, 990 (Schlafen und Zubereiten von Mahlzeiten). A.A. im Einzelfall OLG Köln NJW-RR 1989, _____443. _____47 BGH NJW-RR 1997, 1161. _____48 BayObLG NJW-RR 1988, 509. _____49 OLG München NJW-RR 1991, 1470. 50 LG Stade DGVZ 1977, 174, 175; MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 10. _____51 OLG Celle Rpfl. 1992, 305. _____52 BGH KTS 1992, 114, 116; Gegenbeispiel in BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092, 3094 f.; OLG Frankfurt a.M. _____NStZ-RR 2003, 174.

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____Kenntnis hat und die polizeiliche Meldung deshalb fortbesteht und das Namensschild an ____der Haustür nicht entfernt wird.53 Die Angabe einer bloßen Kontaktadresse, z.B. in an____waltlicher oder geschäftlicher Korrespondenz, begründet keine Wohnung.54 ____ Eine Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts kann auch unfreiwillig begründet ____werden, wenn Aufenthaltszwang herrscht und die genannten Voraussetzungen gegeben ____sind. In der Regel wird es sich hierbei um eine Einrichtung i.S.v. Nr. 3 handeln (vgl. un____ten Rdn. 61). ____ Auch im Hinblick auf die baulichen Verhältnisse kommt es für die Frage, ob es ____sich innerhalb desselben Hauses um eine oder mehrere Wohnungen handelt, auf die ____Umstände des Einzelfalles an (dies wird etwa für die Frage bedeutsam, ob die Zustellung ____an einen in derselben Wohnung befindlichen Familienangehörigen oder an einen Be____schäftigten erfolgen kann). Insoweit ist von einem funktionalen Wohnungsbegriff aus____zugehen. Nicht in jedem Falle erforderlich ist eine gemeinsame Eingangstür, wenn ____anderweitig der Raum zu einem so engen Zusammenleben angelegt ist, dass eine regel____mäßige Kommunikation und damit die Weitergabe des zuzustellenden Schriftstücks er____wartet werden darf. Auch die gemeinsame Postempfangsstelle für Wohnung und Ge____schäftsräume (z.B. Klinikgebäude) kann in solchem Sinne als zur Wohnung gehörig ____zählen.55 ____ Mehrere Wohnungen sind möglich.56 Deshalb führt auch die Begründung einer ____neuen Wohnung (Rdn. 17 ff.) nicht notwendig zur Aufgabe der bisherigen Wohnung. Al____lerdings ist die Begründung mehrerer Wohnungen außerhalb der Fälle berufsbedingter ____getrennter Haushaltsführung57 oder der ortsfernen Ableistung des Wehr- oder Zivil____diensts kein Regelfall. Wird also eine neue Wohnung durch Verlagerung des Lebensmit____telpunkts begründet, so spricht in einigen Konstellationen eine tatsächliche Vermutung ____dafür, dass die alte Wohnung aufgegeben wurde (vgl. unten Rdn. 24 ff.), wenn nicht hin____reichend deutliche Indizien für die Begründung nur einer weiteren Wohnung vorliegen.58 ____Solche Indizien können im Belassen von persönlicher Habe und Mobiliar sowie des Na____mensschildes an der Tür, Behalten von Schlüsseln und Nichtstellen eines Nachsendean____trags gesehen werden.59 ____ Maßgeblich ist immer die typische Erreichbarkeit des Adressaten. Eine längere ____Abwesenheit kann daher zur Aufgabe der Wohnung führen,60 auch wenn dingliche oder ____schuldrechtliche Rechte an der Wohnung fortbestehen. Andererseits hebt vorüberge____hende, auch längere Abwesenheit die Wohnungseigenschaft nicht auf, wenn der Le____bensmittelpunkt nicht gänzlich an den neuen Aufenthaltsort verlagert wird.61 Trotz der ____Unabhängigkeit des zustellungsrechtlichen Wohnungsbegriffs vom Melderecht ist die ____Anmeldung einer neuen Wohnung als „Zweitwohnung“ ein starkes Indiz dafür, dass die ____alte Wohnung nicht aufgegeben werden soll.62 Auch die ordnungsgemäße Anmeldung ____ ____53 OLG Köln VersR 1997, 989, 990. ____54 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 10. ____55 VGH München NJW 1991, 1249, 1250. ____56 Vgl. BGH NJW 1988, 713, 714; BGH NJW-RR 1994, 564, 565; BGH BeckRS 2011, 27449; OLG Köln NJW____RR 1989, 443, 444. Vgl. BGH NJW 1988, 713, 714; BGH NJW-RR 1994, 564, 565; OLG Köln NJW-RR 1989, 443, 444. ____57 Vgl. den Sachverhalt in OLG Köln NJW-RR 1989, 443 (grenznahe ganztätige Hausmeistertätigkeit bei ____Belassen des Familienwohnsitzes im grenznahen Ausland). ____58 Vgl. BGH NJW 1988, 713, 714. ____59 Vgl. BGH NJW 1988, 713, 714 m.w.N. 60 Vgl. BGH NJW-RR 1997, 1161 m.w.N. ____61 BGH NJW 1985, 2197; BGH NJW-RR 1994, 564, 565; BFH NJW 1988, 1999, 2000; OLG Hamm NStZ-RR ____2006, 309, 310. ____62 BGH NJW-RR 1994, 564, 565.

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_____kann bei nicht erfolgter Abmeldung indizielle Bedeutung für den Fortbestand der Woh_____nung gewinnen.63 Insgesamt können Meldebescheinigungen oder Mietverträge indizielle _____Wirkung gewinnen, jedoch nicht in jedem Falle64 (vgl. oben Rdn. 18).65 _____ Der Besitz weiterer Immobilien zu Eigentum oder im Wege von Miete oder Pacht 23 _____hat zustellungsrechtlich keine Aussagekraft. Zur Wohnung wird eine solche Immobilie _____erst, wenn sie (auch) den Lebensmittelpunkt des Adressaten bildet. Bei Immobilien, die _____nur zu Urlaubszwecken oder Wochenendaufenthalten genutzt werden, ist dies in aller _____Regel nicht der Fall.66 _____ _____ 24 b) Aufgabe der Wohnung. Die Wohnungseigenschaft geht verloren, wenn der Ad_____ressat den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens (gänzlich) an einen neuen Aufent_____haltsort verlagert.67 Hierfür ist zur Vermeidung von Manipulationen nicht alleine die _____Absicht des Adressaten entscheidend, die Wohnung aufzugeben. Vielmehr muss der _____entsprechende Wille auch durch sein Verhalten nach außen erkennbar werden. Dabei ist _____es nicht erforderlich, dass sämtliche Merkmale beseitigt werden, die den Anschein des _____Fortbestandes erwecken könnten; so muss nicht zwingend der Briefschlitz zugeklebt _____oder ein Hinweisschild angebracht werden. Die Aufgabe muss aber so gestaltet sein, _____dass sie für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar wird.68 Indi_____zien für die Aufgabe der Wohnung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu in _____der Wohnung Verbliebenen sowie Absicht und Möglichkeit zur Rückkehr sein.69 Die ver_____breitete auch längere Abwesenheit zu Urlaubszwecken,70 Geschäftsreisen oder Heilbe_____handlungsaufenthalten71 hebt die Wohnungseigenschaft in aller Regel nicht auf. Ande_____res kann für einen längeren berufs-72 oder studienbedingten Auslandsaufenthalt oder bei _____vergleichbarer, räumlich größerer Distanz im Inland gelten. Auch ein ununterbrochener _____monatelanger Aufenthalt in einer Behandlungseinrichtung zu Therapiezwecken führt _____zur Verlagerung des Lebensmittelpunkts dorthin.73 Ein Grenzfall ist die Tätigkeit in der _____Hochseeschifffahrt;74 hier wird auf Dauer der Abwesenheit bzw. Urlaubsunterbrechun_____gen sowie auf fortbestehende Informationsverbindungen abzustellen sein. Auf das Zu_____rücklassen persönlicher Habe oder von Einrichtungsgegenständen kommt es nicht an;75 _____dies kann nur – nicht ausreichendes – Indiz dafür sein, dass die (Wieder-)Begründung _____einer Wohnung in Betracht gezogen wird. Die bloße Stellung eines Nachsendeantrags _____genügt nicht ohne weiteres als hinreichendes Indiz für die Begründung einer Wohnung _____und/oder die Aufgabe der bisherigen Wohnung;76 die Nachsendung kann z.B. auch für _____ _____ _____63 BGH KTS 1992, 114, 116. _____64 Vgl. etwa BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092, 3094 f. _____65 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1997, 956, 957. 66 OLG Celle Rpfl. 1992, 305 zum Wochenendhaus. _____67 BGH NJW 1978, 1858. _____68 BGH NJW-RR 2010, 489, 490 f. m.w.N. _____69 BGH NJW 1978, 1858; OLG Dresden RPfl. 2005, 269. _____70 BGH NJW-RR 1994, 564, 565; OLG Braunschweig MDR 1997, 884. _____71 Vgl. BGH NJW 1985, 2197; OLG Frankfurt a.M. NJW 1985, 1910. 72 BGH NJW-RR 1997, 1161 m.w.N.; AG Duisburg NJW-RR 1995, 953; vgl. auch OLG Celle NJW 1971, _____1227. _____73 OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 174 m.w.N.; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1997, 3183. Aus dem _____abweichenden Beschluss des OLG Köln (NStZ-RR 208, 379, 380) geht nicht hervor, wie lange der _____Empfänger sich in der Einrichtung aufhielt; jedoch wurde dann ein Fall des § 171 angenommen. 74 Vgl. AG Oldenburg DGVZ 1980, 27. _____75 BGH NJW 1978, 1858; BGH NJW 1988, 713, 714; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 174 m.w.N.; AG _____Duisburg NJW-RR 1995, 593, 594 m.w.N. _____76 VGH Mannheim NJW 1997, 3330 f.

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____bloße Urlaubsabwesenheit gewünscht sein.77 Ein Indiz für die Nichtaufgabe ist dagegen ____die Beibehaltung eines Telefonanschlusses, für den der Adressat die Entgelte weiter ent____richtet. 78 Einzelfallbezogen ist die Indizwirkung einer fortbestehenden polizeilichen ____Meldung (vgl. Rdn. 18). ____ Der Aufgabe der Wohnung steht es gleich, wenn der Inhaber sie aus äußeren ____Gründen über einen längeren Zeitraum – insbesondere gegen seinen Willen – nicht nut____zen kann. Die Zwangsabwesenheit ist im Gegensatz zur freiwilligen Abwesenheit (z.B. ____im Urlaub) ein Indiz dagegen, dass die Wohnung Lebensmittelpunkt bleibt.79 So liegt es ____etwa bei Verbüßung einer Haftstrafe, auch einer kurzen von z.B. einem Monat,80 dies ____insbesondere dann, wenn keine Angehörigen des Adressaten in der Wohnung verblei____ben,81 regelmäßig aber auch bei fortbestehendem Kontakt mit dort verbleibenden Ange____hörigen.82 Dagegen besteht die Wohnung eines Festgenommenen für die Zustellung am ____Folgetag noch fort, auch wenn die Festnahme in längerer Untersuchungshaft fortgeführt ____wird.83 In solchen Fällen kommt es darauf an, ob der Adressat schon längere Zeit vor der ____Zustellung inhaftiert war oder nicht.84 Insgesamt sind die jeweiligen Umstände des Ein____zelfalls maßgebend.85 ____ Nicht notwendig zur Aufgabe der bisherigen oder einer neubegründeten Wohnung ____führt der Kasernenaufenthalt zur Ableistung des Wehrdienstes86 oder die ortsferne Ab____leistung des Zivildienstes. ____ ____ c) Begründung einer neuen Wohnung. Eine neue Wohnung wird mit der Verlage____rung des räumlichen Lebensmittelpunkts an ihren Ort begründet. Eine Wohnung kann ____auch im Frauenhaus begründet werden, wenn hinreichend erkennbar wird, dass die ____Aufnahme dort nicht nur für einen präzise bestimmten Zeitraum erfolgen soll.87 ____ ____ 3. Mögliche Ersatzzustellungsempfänger ____ ____ a) Einführung. Die Auswahl des Personenkreises, an den die Ersatzzustellung in ____der Wohnung in Betracht kommt, bestimmt sich nach typisierten Verlässlichkeitskri____terien. Damit soll sichergestellt werden, dass der Adressat das zuzustellende Schrift____stück mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich erhält. Familienzugehörigkeit, ver____tragliche Bindung zur Familie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder ge____meinsames ständiges Wohnen lassen ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen ____Empfänger und Adressaten typischerweise erwarten.88 ____ ____ ____77 Dies die tragfähige Begründung für die i.Erg. gleichlautende Entscheidung OLG München NJW-RR ____1995, 59. 78 Vgl. BGH KTS 1992, 114, 116. ____79 BGH NJW 1978, 1858; vgl. auch OLG Hamm Rpfl. 1977, 177 a.A. wohl OLG Dresden RPfl. 2005, ____269. ____80 BGH NJW 1951, 931; bezügl. dieser kurzen Frist offen gelassen in BGH NJW 1978, 1858 (bejaht für ____Freiheitsstrafe von knapp zwei Monaten); OLG Düsseldorf FamRZ 1980, 718, 719 und OLG Düsseldorf NJW____RR 1987, 894, 895 sowie OLG München NJW-RR 1987, 895 für mehrmonatige Freiheitsstrafe. 81 BGH NJW 1978, 1858. ____82 OLG Düsseldorf FamRZ 1980, 718, 719; a.A. offenbar OLG Dresden RPfl. 2005, 269. ____83 OLG Hamm NJW 1962, 264. ____84 Wie hier Hess. VGH FamRZ 1992, 831 (bejaht Fortbestehen der Wohnung bei Haftdauer von 22 Tagen ____bis zur Ersatzzustellung). 85 BGH NJW-RR 2008, 1565. ____86 Vgl. OLG München NJW-RR 1991, 1470; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 13. ____87 OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 1220 zur Wohnsitzzuständigkeit. ____88 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20.

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_____ 29 Hingegen ist anders als nach vormaligem Recht (§ 181 Abs. 2 a.F.) die Ersatzzustel_____lung an den Vermieter oder an den im selben Hause wohnenden Hauswirt in dieser _____Eigenschaft nicht mehr zulässig. Anders als bei den in Nr. 1 genannten Personen ist _____hier kein gleichermaßen typisches Vertrauensverhältnis zum Adressaten zu vermuten. _____Dann wäre es – auch unter dem Aspekt notwendigen Persönlichkeitsschutzes – bedenk_____lich, diese Personen generell als mögliche Empfänger vorzusehen.89 Zudem ist es im Ein_____zelfall den Beteiligten bei bestehendem Vertrauensverhältnis unschwer möglich, Ver_____mieter oder Hauswirte nach Maßgabe des § 171 zu bevollmächtigen.90 _____ _____ b) Erwachsene Familienangehörige _____ _____ aa) Familienzugehörigkeit. Unstreitig werden vom Familienbegriff alle verwandt30 _____schaftlich verbundenen Personen erfasst, insbesondere also Eltern, Kinder und Ge_____schwister.91 Auch der Ehegatte zählt hierzu, selbst dann, wenn die Ehegatten bereits in _____Trennung leben und ein Scheidungsverfahren anhängig ist92 (für Zustellungen betref_____fend ein Scheidungsverfahren ist Abs. 2 zu beachten). Eine Zäsur bewirkt die (rechtskräf_____tige) Ehescheidung;93 mit ihr endet die zustellungsrechtliche Familienhausgemeinschaft. _____Allerdings kommt im Falle der Beibehaltung einer gemeinsamen Wohnung der Einwand _____rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Betracht, wenn der Adressat in zurechenbarer _____Weise den Anschein setzt, dass der geschiedene Ehegatte weiterhin in der Wohnung _____lebt. Auch der im Haushalt aufgenommene Verlobte wird vom Familienbegriff erfasst,94 _____ebenso Verschwägerte (vgl. § 1590 BGB; §11 Abs. 2 LPartG).95 Dasselbe gilt nach der ge_____botenen funktionalen Sicht für Lebenspartner in einer Lebenspartnerschaft (vgl. §§ 1, 11 _____Abs. 1 LPartG).96 Für die zustellungsrechtlichen Folgen der Aufhebung der Lebenspart_____nerschaft gelten die soeben getroffenen Feststellungen für die Ehescheidung sinngemäß. _____Problematisch ist, ob auch Konstellationen erfasst werden sollen, die auf vom deut_____schen Recht abweichenden rechtskulturellen Grundlagen beruhen (die ménage à trois ist _____in Deutschland zwar nicht verboten und soll angeblich auch vorkommen, bleibt aber _____rechtlich unbeachtlich). Hier ist v.a. an die vereinzelten Fälle im Inland geführter poly_____gamer Ehen unter Ausländern zu denken. Für Inlandssachverhalte stellt § 1306 BGB _____klar, dass nur die Einehe den Ehebegriff des deutschen Rechts erfüllt. Solche Ehen sind _____indes nach einigen asiatischen und afrikanischen Rechtsordnungen zulässig. Der Ge_____setzgeber hat sich entschlossen, im Hinblick auf Vertrauensschutzaspekte zugunsten der _____„Ehefrauen“ die Rechtswirkungen einmal wirksam geschlossener polygamer Ehen auch _____im Inland in gewissem Umfang anzuerkennen.97 Zwischen privatrechtlichen und öffent_____lich-rechtlichen Aspekten ist hierbei zu unterscheiden.98 Das Zustellungsrecht ist zwar _____dem öffentlichen Recht zuzurechnen, zielt aber auf die Durchsetzung privatrechtlicher _____Ansprüche ab. Deshalb erscheint es geboten, in einer funktionalen Betrachtung (so_____ _____ _____89 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. _____90 Darauf verweist BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. _____91 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1987, 1279. 92 OLG Hamm NJW 1969, 800; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 15. _____93 BVerwG NJW 1958, 1985. _____94 OLG Celle DGVZ 1984, 25; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 15. _____95 Zöller/Stöber Rdn. 8. _____96 Vergleichbar schon OVG Hamburg NJW 1988, 1807, 1808; OLG Schleswig NJW 1999, 2602, 2603; a.A. BLAH/Hartmann Rdn. 12. _____97 Vgl. hierzu Rohe Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. München 2011, 361 f. _____m.w.N. _____98 Vgl. OVG Koblenz Urt. v. 12.3.2004 Az. 10 A 11717/03. OVG; Rohe (Fn. 96).

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____gleich Rdn. 31) auch solche Fälle nach der ersten Variante der Nr. 1 zu behandeln, wenn____gleich festzuhalten bleibt, dass die polygame Ehe dem rechtlichen und kulturellen Leit____bild der Ehe in Deutschland massiv widerspricht. Abweichend von der rechtswirksam ____geschlossenen Einehe bewirkt auch bereits der erkennbare Wunsch einer „Ehefrau“, ____diese Beziehung zu beenden, sofort die obengenannte Zäsur. Allgemeiner gilt, dass grds. ____alle personenorientierten, nach einer in privatrechtlichen Fragen anzuwendenden Rechts____ordnung wirksamen Rechtsbeziehungen von der ersten Variante erfasst werden, wenn ____sie typischerweise dieselbe Gewähr für die Weiterleitung des zuzustellenden Schrift____stücks bieten wie Familienbeziehungen auf der Grundlage deutschen Sachrechts. ____ Nach der neueren höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung zur 31 ____Vorgängerregelung in § 181 Abs. 1 a.F. ist die Familienzugehörigkeit nicht rechtlich, son____dern in einem tatsächlichen Sinne zu verstehen.99 Als maßgeblich wird erachtet, ob ein ____so enges und nach außen dokumentiertes Vertrauensverhältnis besteht, dass typischer____weise wie innerhalb des rechtlichen Familienverbandes das Schriftstück an den Adressa____ten weitergeleitet wird.100 Dies wurde in Fällen gemeinsamer Haushaltsführung nach ____familiärer Art regelmäßig bejaht. Nunmehr sieht das Gesetz in der dritten Variante (stän____diger Mitbewohner; vgl. Rdn. 41 ff.) eine gegenüber der vorherigen Rechtslage ohnehin ____erweiterte Möglichkeit der Zustellung vor. Das Tatbestandsmerkmal des „ständigen“ ____Mitwohnens deckt m.E. in manchen Konstellationen die vormals unter den erweiterten ____Familienbegriff fallenden Sachverhalte ab und ist insofern als speziellere Regelung ____zu verstehen. Die gilt vor allem für die nichteheliche Lebensgemeinschaft. Das Erfor____dernis kontinuierlichen Zusammenwohnens sichert die berechtigten Interessen des ____Adressaten und dürfte in der Praxis wohl eine Vereinfachung gegenüber der Prüfung ____darstellen, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft101 vorliegt. Die Maßstäbe der Recht____sprechung zu § 181 Abs. 1 a.F. behalten Gültigkeit für die Prüfung der Voraussetzung der ____Eigenschaft als ständiger Mitbewohner nach der dritten Variante (Rdn. 41). Hingegen ____wird weiterhin die Beziehung zwischen Pflegekind und Pflegeeltern dem erweiterten ____Familienbegriff zuzurechnen sein.102 ____ Auf das Zusammenleben im größeren Familienkreis kann es nicht ankommen, son- 32 ____dern allein auf die typischerweise hohe Wahrscheinlichkeit der Weitergabe des Schrift____stücks. Damit wird eine funktionale Handhabung des Familienbegriffs notwendig,103 ____die auch den Ein-Personen-Haushalt oder den Zwei-Personen-Haushalt in der Konstella____tion Erwachsener – Pflegekind – umfasst. M.E. ergibt sich dies nun auch aus der neuen ____Fassung des Abs. 1, der nur noch auf den Umstand der Familienzugehörigkeit unabhän____gig davon abstellt, ob der Empfänger mit dem Adressaten zusammenwohnt. ____ Abweichend vom vormaligen Recht (§ 181 Abs. 1 a.F.) hat der Gesetzgeber das zusätz- 33 ____liche Merkmal des „Hausgenossen“ aufgegeben. Demnach kann auch an solche erwach____sene Familienangehörige zugestellt werden, die nicht in der Wohnung des verhinderten ____Adressaten leben.104 Der Gesetzgeber nimmt an, dass die Familienzugehörigkeit als sol____che ausreicht, um ein hinreichendes Vertrauensverhältnis zwischen dem Angehörigen ____ ____ ____99 BGHZ 111, 1, 3 ff. = NJW 1990, 1666 m.w.N. auch zur früher abweichenden Ansicht; zust. OVG Hamburg NJW 1988, 1807, 1808. ____100 BGHZ 111, 1, 5 = NJW 1990, 1666. ____101 Vgl. zur rechtlichen Erfassung BGHZ 92, 213; BGHZ 121, 116 = BGH NJW 1993, 999; BGH NJW 1997, ____1851, 1852. ____102 So auch Zöller/Stöber Rdn. 8. 103 Im Hinblick auf § 181 a.F. angedeutet in BGHZ 111, 1, 7 = NJW 1990, 1666. Wie hier die Anm. Orfanides ____71 ff.; OVG Hamburg NJW 1988, 1807, 1808 m.w.N. A.A. noch BGH NJW 1987, 1562; BFH NJW 1982, 2895 f.; ____OLG München NJW-RR 1986, 862. ____104 So ausdrücklich BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20.

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_____als Empfänger und dem Adressaten zu begründen.105 Die Vielzahl an Nachbarstreitigkei_____ten unter Familienangehörigen spricht nicht zwingend für diese Sicht. Allerdings dürfte _____der Umstand, dass der betreffende Familienangehörige in der Wohnung des verhinder_____ten Adressaten anzutreffen ist, in der Tat für ein typischerweise bestehendes Vertrauen _____sprechen. _____ _____ 34 bb) Erwachsenenalter des Empfängers. Die Voraussetzung des Erwachsenseins _____dient wie die anderen Tatbestandsmerkmale der Norm dazu, typische Verlässlichkeit _____hinsichtlich der Weitergabe des zuzustellenden Schriftstücks zu gewährleisten. Dazu ist _____eine entsprechende geistige Entwicklung erforderlich. Als erwachsen gilt in diesem _____Sinne grds. jeder, der das Volljährigkeitsalter erreicht hat (vgl. § 2 BGB). Geschäftsunfä_____higkeit i.S.v. § 104 Nr. 2 wie Geisteskrankheit, aber auch Betrunkensein i.S.v. § 105 Abs. 2 _____BGB – schließen die erforderliche Verlässlichkeit aus. _____ Zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs ist auch der Ausländer, der nach sei35 _____nem Heimatrecht noch nicht volljährig ist, aber das Volljährigkeitsalter des § 2 BGB er_____reicht hat, grds. als erwachsen anzusehen (vgl. die Zwecke der Art. 7, 12 EGBGB). Umge_____kehrt kann im Zustellungsrecht darüber hinaus der Ausländer, der nur nach seinem _____Heimatrecht volljährig ist (vgl. Art. 7 EGBGB), nicht alleine aus diesem Grund als er_____wachsen gelten. Das Anknüpfungsmerkmal der Staatsangehörigkeit ist nicht geeignet _____für die Beurteilung, ob ein nach deutschem Sachrecht Minderjähriger die im Zustellungs_____recht erforderliche Verlässlichkeit aufweist. Diese Eigenschaft wird zu erheblichen Tei_____len von der sozialen Umwelt mitgebildet, so dass in einer typisierten Betrachtungsweise _____an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts – hier des Zustellungsorts – anzuknüpfen _____ist.106 Eine Ausnahme ist m.E. in Fällen geboten, in denen Ausländer nicht einmal über _____minimale Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und ihnen deshalb die Bedeutung _____des Vorgangs in keiner Weise verdeutlicht werden kann. Diese Personen scheiden als _____Empfänger i.S.v. § 178 Nr. 1 aus, so dass ggf. eine Zustellung nach §§ 180, 181 erfolgen _____kann. _____ Minderjährige sind nach h.M. nicht generell ausgeschlossen.107 So soll die Zu36 _____stellung an einen 17-Jährigen ausreichen, wenn er „körperlich genügend entwickelt“ _____ist.108 Angesichts des Schutzzwecks kann es allerdings nur auf die geistige Entwicklung _____ankommen. Indes widerspricht das Abstellen auf solch subjektive Kriterien dem Erfor_____dernis vergleichsweise einfacher Beurteilung der Verhältnisse durch den Ausführenden. _____Dabei ist zu bedenken, dass eine Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach _____§ 180 bzw. durch Niederlegung nach § 181 unwirksam ist, wenn kein erfolgloser Versuch _____der Zustellung in der Wohnung vorangegangen ist (vgl. § 180 Rdn. 3 ff.; § 181 Rdn. 3 f.). _____Die – verbreitete – Zustellung nach §§ 180 bzw. 181 darf aber nicht mit dem Streit darüber _____belastet werden, ob ein in der Wohnung angetroffener Minderjähriger zum vielleicht _____weit zurückliegenden Zeitpunkt der Zustellung die einem Volljährigen vergleichbare _____Reife besaß. Im Gegensatz zur Information darüber, in welchem Verhältnis die angetrof_____ _____ _____105 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20; anders die Rechtsprechung zur abweichenden Rechtslage nach §181 Abs. 1 a.F.; vgl. BGHZ 111, 1, 5 = NJW 1990, 1666; BGH NJW-RR 1997, 1161. _____106 Vgl. hierzu Rohe Staatsangehörigkeit oder Lebensmittelpunkt?, in: FS Rothoeft, 1994, S. 1, 13 ff., _____27 ff. _____107 Vgl. BGH VersR 1973, 156; BGH NJW 1981, 1613, 1614; BGH NJW-RR 2002, 137; MünchKomm_____ZPO/Häublein Rdn. 14; Stein/Jonas/Roth Rdn. 13. 108 Vgl. BGH NJW-RR 2002, 137 (Jugendliche im Alter von 16 bzw. 17 Jahren); OLG Hamm NJW 1974, _____1150; LG Köln NStZ-RR 1999, 368 (Eindruck eines Erwachsenen nach der körperlichen Entwicklung und _____dem äußerem Erscheinen); MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 14; vgl. auch LG Konstanz NJW-RR 1999, 1508 _____(131/2-Jährige); LG Köln NStZ-RR 1999, 368 (14-Jähriger); AG Bonn WuM 1997, 559 (15-Jährige).

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____fene Person zum Adressaten steht, ist dies auch nicht durch einfache Fragen zu ermit____teln. Deshalb erscheint eine typisierte Betrachtung unerlässlich. In Betracht zu ziehen ____ist zum einen eine Grenze bei 16 Jahren; sie könnte daran anknüpfen, dass Jugendschutz____vorschriften hier eine Schwelle zu mehr eigenverantwortlichem Handeln ziehen und dass ____Personen dieses Alters z.T. bereits ein aktives Wahlrecht eingeräumt wird. Überzeugender ____erscheint jedoch die Anknüpfung an § 10 StGB i.V.m. § 1 II JGG. Die Zubilligung der ____Strafmündigkeit dürfte eine der weitestreichenden Konsequenzen von Rechtsvorschrif____ten überhaupt beinhalten. Wer für seine zu verantwortenden Rechtsverstöße mit z.T. ____massiven staatlichen Maßnahmen einstehen muss, dem ist typischerweise zuzutrauen, ____die Bedeutung der Einschaltung in Zustellungsvorgänge zu erkennen. Demnach sind ____Personen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr als „erwachsen“ im Sinne des § 178 zu ____qualifizieren.109 ____ Den Interessen des Zustellenden wird im Übrigen durch die Heilungsvorschriften 37 ____der §§ 189, 295 ebenso Rechnung getragen wie durch das Verbot rechtsmissbräuchlichen ____Verhaltens. Letzteres kann eingreifen, wenn der Adressat in zurechenbarer Weise den ____weniger als 14-Jährigen als Empfänger einschaltet (vgl. zum Rechtsmissbrauch unten ____Rdn. 80). ____ ____ c) In der Familie beschäftigte Personen. Der Begriff des „Beschäftigten“ ist weit 38 ____zu verstehen; inhaltlich entspricht er dem der in der Familie „dienenden“ Person in § 181 ____Abs. 1 a.F.110 Unzweifelhaft wird er erfüllt, wenn die Tätigkeit auf einer vertraglichen Re____gelung beruht, die auf eine regelmäßige und nicht nur sehr kurzfristige Beschäftigung ____abzielt. Der Begriff setzt jedoch nicht notwendig eine rechtlich verfestigte Beziehung ____voraus. Die Gesetzesbegründung111 nennt zwar die vertragliche Bindung, jedoch eher ____kursorisch und ohne näheres Eingehen auf die Voraussetzungen. Es wird nicht erkenn____bar, dass eine Abweichung gegenüber der bisher vorherrschenden großzügigeren An____sicht beabsichtigt war.112 Es genügt also nach wie vor die Tatsache des „Beschäftigtseins“ ____– Mitarbeit, Bedienung, Betreuung oder Pflege113 – im Sinne eines nur faktischen, auch ____unentgeltlichen Dienstverhältnisses, also einer Gefälligkeit.114 Ist darüber hinaus eine ____rechtliche Bindung gegeben, so kommt es nicht darauf an, ob diese auch im Verhältnis ____zum Adressaten selbst oder nur zu anderen Familienmitgliedern (zum weiten Begriff vgl. ____Rdn. 31) besteht.115 Maßgeblich ist, dass die Tätigkeit regelmäßig und auf längere Zeit ____geplant116 ausgeübt wird. Nicht erforderlich ist eine hauptberufliche Beschäftigung. Aus____reichen kann auch ein regelmäßiges „Aushelfen“ im nicht nur sporadisch auftretenden ____Bedarfsfall.117 Die Tätigkeiten einer Privatsekretärin,118 eines Erziehers, eines Dieners, ____Kochs, Hausgärtners oder Privatchauffeurs, einer Putzfrau,119 einer nicht nur sporadisch ____eingesetzten Haushaltshilfe, auch einer Verwandten, die gefälligkeitshalber über länge____ ____109 So auch OLG Schleswig SchlHA 1980, 1980, 214; Thomas/Putzo/Hüßtege Rdn. 11; i.Erg. LG Köln ____NStZ-RR 1999, 368, 369. ____110 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6. ____111 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. ____112 Wie hier Zöller/Stöber Rdn. 11. 113 Zöller/Stöber Rdn. 11. ____114 OLG Hamm NJW 1983, 694 LS; VGH München NJW 1991, 1249, 1250. ____115 FG Berlin NJW 1986, 344 m.w.N. ____116 Entgegen dem unpräzise formulierenden VGH München NJW 1991, 1249, 1250 ist es nicht ____entscheidend, dass die Tätigkeit bereits seit längerer Zeit ausgeübt wurde. Nach FG Berlin NJW 1986, 344 genügt eine nicht nur vorübergehende Beschäftigung. ____117 Vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 11. ____118 OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496; VGH München NJW 1991, 1249, 1250. ____119 FG Berlin NJW 1986, 344.

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_____re Zeit regelmäßig täglich zwei Stunden im Haushalt des Adressaten tätig ist,120 erfüllen _____diese Voraussetzungen. Nicht ausreichend ist die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme _____von Post bei Abwesenheit des Adressaten, wenn keine Bevollmächtigung i.S.v. § 171 vor_____liegt.121 _____ Beschäftigung „in der Familie“ ist ebenfalls weit auszulegen. Es kommt nur auf ein 39 _____für die Familie typisches Maß an Verbundenheit an. Diese Voraussetzung erfüllt bei_____spielsweise die Haushälterin eines katholischen Geistlichen, eines sonstigen Junggesel_____len122 oder auch die Beziehung zwischen Pflegeelternteil und Pflegekind.123 _____ Abweichend von der Vorläuferregelung in § 181 Abs. 1 a.F. und anders als in den 40 _____beiden weiteren Varianten der Nr. 1 fehlt das Tatbestandsmerkmal des Erwachsen_____seins. Die Gesetzgebungsmaterialien geben keinen Aufschluss über den Grund dieses _____Fehlens. Ein Redaktionsversehen ist mindestens ebenso denkbar wie ein bewusstes Ab_____weichen von der Vorläuferregelung; Änderungen pflegt der Gesetzgeber zu begründen.124 _____Das Problem lässt sich indes lösen, wenn man die für die erste Variante entwickelten _____Maßstäbe für das Erwachsensein (grds. ab Vollendung des 14. Lebensjahres, vgl. soeben _____Rdn. 36) sinngemäß überträgt. Personen unter diesem Alter ist die Übernahme einer re_____gelmäßigen Beschäftigung (als Voraussetzung für die 2. Variante) in aller Regel schon von _____Rechts wegen verschlossen. Deshalb liegt es nahe, auch hier wegen der notwendigen Ty_____pisierung (vgl. Rdn. 3) ein ungeschriebenes Mindestalter von 14 Jahren anzunehmen. _____Dies entspricht auch dem Mindestalter bei Absolvieren der neunjährigen Schulpflicht. _____Bei jüngeren Personen darf grds. nicht angenommen werden, dass sie eine Beschäfti_____gung im Sinne der Norm ausführen. _____ _____ d) Erwachsene ständige Mitbewohner. Der Reformgesetzgeber hat die Vorläufer41 _____regelung des § 181 Abs. 1 a.F. um die Zustellung an erwachsene ständige Mitbewohner _____erweitert, die nicht Familienangehörige im Sinne der ersten Variante der Nr. 1 sind. Auch _____von diesem Personenkreis wird typische Verlässlichkeit aufgrund des nicht nur vor_____übergehenden gemeinsamen Wohnens125 vermutet. Damit wird der gewandelten sozia_____len Realität, z.B. im Hinblick auf nicht-eheliche Lebensgemeinschaften126 oder schlichte _____Wohngemeinschaften Rechnung getragen. Diese erfüllen regelmäßig die Voraussetzun_____gen der dritten Variante der Nr. 1.127 Maßgeblich ist die nicht nur auf kurze Frist oder nur _____sehr unregelmäßige Nutzung angelegte Begründung eines innerhalb einer Wohnung _____(vgl. hierzu Rdn. 17) gemeinsamen räumlichen Daseinsmittelpunkts. Die Rechtsprechung _____zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des Internationalen Privat_____und Zivilverfahrensrechts lässt sich hierfür heranziehen.128 Bereits der Wille zum gemein_____samen Wohnen reicht ab Einzug in die gemeinsame Wohnung aus. Die Begründung ei_____ner Wirtschaftsgemeinschaft ist nicht Voraussetzung.129 _____ _____ _____ _____120 OLG Hamm NJW 1983, 694 LS. _____121 Vgl. OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496. _____122 RG JW 1937, 1663 Nr. 29. 123 OVG Hamburg NJW 1988, 1807, 1808. _____124 Zu kurz greift deshalb BLAH/Hartmann (Rdn. 13) mit Verweis auf den „klaren Text“. _____125 Die Gesetzesbegründung spricht vom „gemeinsamen Zusammenwohnen“, BT(-Drucks.) 14/4554, _____S. 20. _____126 Vgl. schon BGHZ 111, 1, 5 = NJW 1990, 1666. 127 So schon BGH NJW 2001, 1946, 1947 im Hinblick auf die nunmehr umgesetzte Reform. Anders zum _____früheren Recht ebenfalls BGH NJW 2001, 1946, 1947; OVG Hamburg NJW 1988, 1807, 1808. _____128 Vgl. beispielhaft statt vieler Bamberger/Roth/S. Lorenz Art. 5 EGBGB Rdn. 13 ff. _____129 Zöller/Stöber Rdn. 12.

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____ Für das „Mit“wohnen genügt die Nutzung von Räumen innerhalb einer und der____selben Wohnung; gemeinsame Raumnutzung ist nicht erforderlich. Sind allerdings kei____nerlei Gemeinschaftsräume vorhanden, so wird die Gesamtheit von Einzelräumen auch ____dann nicht zur gemeinsamen Wohnung, wenn nur eine einzige Tür zu diesen Räumen ____führt. Dasselbe wird bei sehr großen Einheiten z.B. in Wohnheimen vorliegen, wenn eine ____große Fluktuation herrscht und die Bewohner nur über von sehr vielen Personen genutz____te Gemeinschaftsräume verfügen; in solchen Fällen ist von einer Gemeinschaftseinrich____tung i.S.v. Nr. 3 auszugehen. Umgekehrt kann eine gemeinsame Wohnung auch dann ____vorliegen, wenn mehrere räumlich getrennte Wohneinheiten durch Einrichtung von ge____meinschaftlich genutzten Räumen innerlich verbunden werden. 130 M.E. spricht auch ____nichts dagegen, den Fall der Untermiete als gemeinsames Wohnen im Sinne der Vor____schrift zu qualifizieren.131 ____ Für die Voraussetzung des Erwachsenseins gelten die Ausführungen zum Famili____enangehörigen (Rdn. 34 ff.). ____ ____ 4. Bereitschaft zur Annahme des Schriftstücks. Die in Abs. 1 Nr. 1 1. und 2. Va____riante genannten Personen stehen regelmäßig im „Loyalitätskreis“ des Adressaten. ____Dies setzt allerdings vertragliche, familienrechtliche oder vergleichbare Sonderbeziehun____gen zwischen Adressat und Empfänger voraus. Bestehen solche Beziehungen – wie in ____der Regel bei erwachsenen Familienangehörigen und in der Familie beschäftigten Per____sonen anzunehmen –, so kommt es auf den Annahmewillen des Empfängers nicht an. Im ____Falle der Weigerung kann beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen § 179 eingrei____fen (vgl. § 179 Rdn. 11 ff.). ____ In den verbleibenden Fällen besteht dagegen ein Annahmeverweigerungsrecht ____(vgl. § 179 Rdn. 11). Hierfür dürfte insbesondere der in Nr. 1 3. Variante erfasste Perso____nenkreis der erwachsenen Mitbewohner in Betracht kommen. Zwar lässt sich der Ge____setzgeber von der plausiblen Vermutung leiten, dass auch diese Personen typischerwei____se zuverlässig die zuzustellende Sendung an den Adressaten weiterleiten werden. Damit ____korrespondiert jedoch nicht zwingend eine Verpflichtung dazu. Wegen der Haftungsrisi____ken (vgl. § 179 Rdn. 12) wird den ständigen Mitbewohnern, die keine Familienangehöri____gen des Adressaten sind, ein Annahmeverweigerungsrecht zustehen. Macht der poten____tielle Empfänger vom Annahmeverweigerungsrecht Gebrauch, so ist den Interessen des ____Zustellenden durch funktionale Auslegung des Begriffs des Antreffens in Abs. 2 Rech____nung zu tragen. Wer berechtigterweise die Annahme verweigert, wird in solchem Sinne ____nicht angetroffen (vgl. § 179 Rdn. 4 ff.), so dass entweder die Zustellung an die in Abs. 1 ____Nr. 2 oder 3 genannten Personen versucht werden, andernfalls nach § 180 oder § 181 vor____gegangen werden kann. ____ ____ III. Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen des Adressaten (Abs. 1 Nr. 2) ____ ____ 1. Einführung. Abs. 1 Nr. 2 knüpft an die vormaligen Regelungen in §§ 183 Abs. 1 ____und 2 sowie 184 a.F. an.132 Anders als in diesen erfolgt aber keine Beschränkung auf ____bestimmte Berufsgruppen oder Personen (Gewerbetreibende, Rechtsanwälte, Notare, ____Gerichtsvollzieher, § 183 a.F.; Behörden, Gemeinden, Korporationen und Vereine, § 184 ____a.F.) bzw. Zeiten (§ 184 Abs. 1 a.F.). Der Gesetzgeber hält insbesondere die vormalige ____Beschränkung der Zustellungszeiten für unzeitgemäß. Der Vereinfachungszweck der ____ ____130 Ohne solche Differenzierung Zöller/Stöber Rdn. 12. ____131 A.A. ohne Begründung Zöller/Stöber Rdn. 12. ____132 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20.

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_____Neufassung bringt es mit sich, dass die Zustellung durch die Post noch weiter an Gewicht _____gewinnt. Dann aber muss die reguläre Geschäftszeit des Adressaten in ihrer Bedeutung _____hinter den Erfordernissen der Betriebs- und Arbeitsorganisation des Zustelldienstes zu_____rücktreten.133 _____ Nunmehr genügt das Vorhandensein eines Geschäftsraums (Rdn. 48 ff.) und eines 47 _____dort vorhandenen Beschäftigten (Rdn. 53 ff.). Aus dem Umstand, dass der Geschäftsin_____haber (Adressat) dem Beschäftigten das Geschäftslokal überlässt, ist zu schließen, dass _____der Geschäftsinhaber dem Beschäftigten auch das für Zustellungen notwendige Vertrau_____en entgegenbringt.134 Zum Annahmeverweigerungsrecht des Ersatzzustellungsempfän_____gers und der Zustellung nach § 179 vgl. Rdn. 44 f. _____ _____ 2. Der Geschäftsraum. Geschäftsräume sind diejenigen Räumlichkeiten, in denen 48 _____der Adressat zur Zeit der Zustellung regelmäßig seinen gewerblichen oder berufli_____chen Erwerbsgeschäften nachgeht.135 Wie bei der Wohnung (vgl. Rdn. 17) ist die tat_____sächliche Nutzung der Geschäftsräume durch den Adressaten entscheidend, wobei die _____Prüfungsmaßstäbe (vgl. Rdn. 24: Wille und objektive Erkennbarkeit sind kumulativ er_____forderlich) sich grundsätzlich136 decken.137 Abzustellen ist nicht auf das u.U. vorhandene _____Bürogebäude insgesamt, sondern auf diejenigen Geschäftsräume, in denen sich der Pub_____likumsverkehr abspielt und zu denen der Zustellende Zutritt hat, wenn er das Schrift_____stück abgibt.138 Zu den Geschäftsräumen zählen auch besondere Büroräume wie Sekreta_____riat oder Registratur einer Behörde und Räume für den Publikumsverkehr,139 u.U. auch _____eine Werkstatt140 Oder eine Spielhalle.141 Auch mobile, nur zeitweilig an einem bestimmten _____Ort unterhaltene Geschäftsräume sind denkbar, z.B. Messestände für die Zeit der Messe,142 _____entsprechend ausgewiesene Baubüros auf Baustellen143 oder Verkaufswagen fliegender _____Händler. Nicht ausreichend sind dagegen bloße Warenlager ohne Schreibraum, Fabrik _____oder Auslieferungsstelle.144 Es genügt, dass der Adressat die Räumlichkeiten tatsächlich _____als Geschäftslokal nutzt; auf ordnungsrechtliche oder sonstige Zulässigkeit der Nutzung _____bzw. der Gewerbetätigkeit kommt es nicht an. Auch genügt es, wenn ein nur zeitweise _____besetzter Raum der geschäftlichen Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar _____ist.145 Umgekehrt kann häufige Schließung von Räumlichkeiten gegen das Vorliegen (tat_____sächlich benutzter) Geschäftsräume sprechen.146 Verliert ein Anwalt seine Zulassung mit _____sofortiger Wirkung, so verliert seine Kanzlei damit regelmäßig die Eigenschaft des Ge_____schäftsraums. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anwalt dort nur noch persönliche _____Angelegenheiten betreibt, nicht aber seinen Geschäftsbetrieb dort verbotswidrig fort_____ _____ _____133 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. _____134 So die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. 135 RGZ 16, 349 f.; BGH NJW 1998, 1958, 1959; OLG Düsseldorf OLGZ 1965, 325 m.w.N.; vergleichbar OLG _____Köln NJW-RR 1989, 355. _____136 Besonderheiten gelten bei Inhaftierung des Adressaten (vgl. Rdn. 48): Anders als bei der Wohnung _____kann alleine die Inhaftierung des Geschäftsführers einer Gesellschaft nach Ansicht des BGH (NJW-RR _____2008, 1565) keine Verlagerung des Geschäftsorts der Gesellschaft bewirken. _____137 BGH NJW-RR 2010, 489, 490. 138 OVG Berlin-Brandenburg NJW-RR 2012, 951, 952. _____139 BFH DGVZ 1984, 109. _____140 OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 1742, 1743; OLG Rostock BauR 2000, 1365, 1367. _____141 OVG Berlin-Brandenburg NJW-RR 2012, 951, 952. _____142 OLG Koblenz WRP 1984, 44, 45; OLG Köln NJW-RR 2010, 647, 648. 143 OLG Rostock BauR 2000, 1365, 1366. _____144 OLG Köln MDR 1990, 1021. _____145 BGH NJW 2011, 2440, 2441 m.w.N. _____146 Vgl. OLG Dresden OLG-NL 2003, 66, 67.

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____setzt.147 Bei der Zustellung an Gesellschaften ist für die Prüfung, ob ein Geschäftsraum ____(noch) unterhalten wird, auf die Sicht des (u.U. nicht prozessfähigen) Vertretenen abzu____stellen, nicht auf diejenige ihres Vertreters.148 Wird also z.B. der Geschäftsführer inhaf____tiert, bewirkt dies noch nicht die Aufgabe der Geschäftsräume.149 ____ Mit dem Geschäftsraum ist nicht das Bürogebäude mit allen Geschäftsräumen ge- 49 ____meint, sondern regelmäßig der Raum, in dem sich der Publikumsverkehr abspielt und ____zu dem der mit der Zustellung Beauftragte Zutritt hat, wenn er das Schriftstück abgibt.150 ____Trifft er den Adressaten dort nicht an (vgl. oben Rdn. 8 f.), so kann er dort das Schrift____stück einem anwesenden Beschäftigten übergeben. Der Geschäftsraum ist hierbei nicht ____notwendig auf einen einzelnen Raum begrenzt. Es ist also zulässig, einen Beschäftigten ____einzuschalten, der sich in einem funktional mit dem konkret in Rede stehenden Raum ____zusammengefassten Nebenraum befindet. Nicht angetroffen i.S.v. Abs. 1 wird auch der ____im Geschäftslokal anwesende Adressat, wenn der Ausführende nicht zu ihm vorgelas____sen, sondern z.B. im Sekretariat abgefertigt wird151 (vgl. auch oben Rdn. 9). Dabei handelt ____es sich nicht etwa um eine Annahmeverweigerung nach § 179.152 ____ Es muss sich um eigene Geschäftsräume des Adressaten handeln; nur dort besteht 50 ____hinreichende Gewähr der Weiterleitung. Demnach kommt die Zustellung an den Vor____stand einer juristischen Person153 oder den (alleinigen) Geschäftsführer einer GmbH als ____persönlichen154 Adressaten (nicht als Vertreter der GmbH) oder an deren Gesellschafter ____im Geschäftslokal der GmbH nicht in Betracht.155 Das Geschäftslokal der – selbständigen ____– juristischen Person ist nicht zugleich das ihrer Gesellschafter, Angestellten oder Beam____ten. Dagegen reicht es aus, wenn der Adressat ein Geschäftslokal mit mehreren anderen ____Personen auch als eigenes unterhält, wie etwa im Falle einer Bürogemeinschaft oder ____einer Sozietät.156 Auch die dauernde Mitbenutzung einer „fremden“ Posteingangsstelle ____genügt.157 Ein eigenes Geschäftslokal unterhält nur der Inhaber – ggf. auch der Insol____venzverwalter in den Geschäftsräumen des Insolvenzschuldner158 –, nicht aber seine An____gestellten. Unbeachtlich ist hingegen der geschäftliche oder private Hintergrund des ____zuzustellenden Schriftstücks (vgl. Rdn. 10). ____ Im Einzelfall kann die Zustellung im „fremden“ Geschäftslokal auch dann erfolgen, 51 ____wenn der Adressat in zurechenbarer Weise den Anschein gesetzt hat, es handle sich um ____sein eigenes Geschäftslokal.159 Dafür genügt jedoch nicht die Stellung eines Nachsende____antrags: Dieser enthält keine Erklärung über die rechtliche Qualität der neuen Adresse.160 ____Allgemeiner muss sich derjenige Adressat, der in zurechenbarer Weise den Anschein ____ ____ ____147 BGH NJW-RR 2011, 561. ____148 OVG Berlin-Brandenburg NJW-RR 2012, 951, 952. ____149 BGH NJW-RR 2008, 1565. 150 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 7 m.w.N.; MünchKomm____ZPO/Häublein Rdn. 21; BFH NVwZ 1989, 694 f. ____151 BVerwG NJW 1962, 70. ____152 I. Erg. vergleichbar BVerwG NJW 1962, 70. ____153 LG Kaiserslautern Rpfl. 1993, 256. ____154 Darauf stellt BGHZ 97, 341, 343 = JZ 1986, 857 ab, ebenso OLG Hamm NJW 1984, 2372; BayObLGZ 1985, 20; OLG Bamberg NJW 2006, 1078. ____155 BGHZ 97, 341, 343 = JZ 1986, 857; OLG Hamm NJW 1984, 2372; BayObLGZ 1985, 20, 22; OLG ____Zweibrücken DGVZ 1991, 56 m.w.N.; OLG Nürnberg MDR 1998, 1369; BayObLG NJW-RR 2000, 464. ____156 Vgl. RGZ 107, 161, 165; BFH DGVZ 1984, 109. ____157 BFH DGVZ 1984, 109 m.w.N. 158 ArbG Berlin 6.8.2003, Az 7 Ca 5097/03. ____159 So i.Erg. BVerwG MDR 1974, 337, 338; angedeutet in BGHZ 97, 341, 343; BGH NJW-RR 1993, 1083; ____BGH NJW 1998, 1958, 1959 (im entschiedenen Fall verneint); BayObLGZ 1985, 20, 22 f. (zu eng). ____160 BGH NJW 1998, 1958, 1959.

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_____eines eigenen Geschäftslokals erweckt, an diesem selbstgeschaffenen Faktum festhalten _____lassen.161 Hier gelten sinngemäß die Maßstäbe für den zurechenbar gesetzten Anschein _____einer Wohnung i.S.d. Nr. 1 (vgl. Rdn. 18). _____ Möglich ist die Unterhaltung mehrerer Geschäftsräume i.S.d. Nr. 2; eine Beschrän52 _____kung auf das Hauptgeschäft erfolgt nicht.162 _____ _____ 53 3. Die im Geschäftsraum beschäftigte Person. Der Begriff der in Geschäftsräumen _____des Adressaten beschäftigten Person ist funktional zu bestimmen. Es kann nicht jede _____eine Tätigkeit ausübende anwesende Person gemeint sein, sondern nur eine solche, bei _____der die Annahme zuverlässiger Weiterleitung typischerweise gerechtfertigt ist (vgl. _____oben Rdn. 3). Dafür bedarf es einer gewissen Beziehung zum Adressaten, die insbeson_____dere – aber nicht notwendig – durch ein rechtlich abgesichertes Beschäftigungsver_____hältnis hergestellt wird.163 Nicht erforderlich ist ein Arbeits- oder Angestelltenverhält_____nis.164 Die Beschäftigung muss nicht dauerhaft angelegt sein; auch Aushilfskräfte wie _____z.B. Studierende kommen als Empfänger in Betracht.165 Erst recht ist es nicht erforder_____lich, dass die beschäftigte Person eine bestimmte, gar leitende Funktion einnimmt.166 Der _____Reformgesetzgeber benennt wie nach zuvor geltendem Recht Gewerbegehilfen, Gehilfen _____oder Büro- oder Schreibkräfte eines Rechtsanwalts oder Notars oder Gerichtsvollzieher _____sowie Beamte oder Bedienstete167 als in Betracht kommende Empfänger. Auch unentgelt_____lich beschäftigte Personen wie z.B. Familienangehörige erfüllen diese Voraussetzun_____gen,168 ebenso Auszubildende,169 auch Stationsreferendare170 oder Volontäre. Das hierbei _____auch erforderliche Vertrauensverhältnis171 zum Adressaten leitet der Reformgesetzge_____ber bereits aus der vom Adressaten gebilligten Anwesenheit des Beschäftigten im Ge_____schäftsraum ab (vgl. Rdn. 47). Insofern ist gegenüber der vormaligen, enger gefassten _____Zustellmöglichkeit in Geschäftsräumen eine eher großzügige Auslegung angebracht. _____Auszuscheiden sind allerdings Personen, die ersichtlich nur zu Arbeiten ohne inneren _____Bezug zum Bürobetrieb anwesend sind, wie etwa Putzkräfte, Wachdienstangehörige, _____Türsteher oder Boten.172 Im Übrigen ergibt sich die notwendige Begrenzung aus der Be_____stimmung des jeweils relevanten Geschäftsraums (vgl. Rdn. 48). So ist z.B. nicht die Fab_____rikhalle, sondern die zum Betrieb gehörende Posteingangsstelle Geschäftsraum im Sinne _____der Vorschrift. _____ Wie bei der Zustellung nach Nr. 1 kommen als Empfänger auch minderjährige Be54 _____schäftigte in Betracht.173 Hier ergibt sich nämlich aus den typischen Umständen, dass _____diese Personen nach Beurteilung durch einen Arbeitgeber in der Lage sind, an der ge_____werblichen Tätigkeit mitzuwirken. Dazu zählt die Entgegennahme von Zustellungen. _____Auch §§ 112 f. BGB enthalten eine ähnliche Mechanik mit ähnlichen Rechtsfolgen. Anders _____ _____ _____161 Vgl. BGH NJW-RR 1993, 1083 m.w.N.; OLG Rostock BauR 2000, 1365, 1367; BayObLG ZMR 2001, 369, _____370 (im konkreten Fall verneinend). _____162 RGZ 109, 265, 267; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 7. _____163 Vgl. BGH NJW 1998, 1958, 1959. _____164 OLG Rostock BauR 2000, 1365, 1367. 165 BFH NVwZ 1989, 694, 695; vgl. auch OLG Rostock BauR 2000, 1365, 1367. _____166 OLG Köln NJW-RR 2010, 646, 647. _____167 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20. _____168 Ebenso Zöller/Stöber Rdn. 18. _____169 BVerwG NJW 1962, 70, 71. 170 BFH NJW 1994, 960. _____171 Vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 1742, 1743. _____172 Vgl. auch Zöller/Stöber Rdn. 18. _____173 Vgl. auch BVerwG NJW 1962, 70 f. zu Abs. 2.

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____als bei Ausfüllung des Erwachsenenbegriffs in Nr. 1 (vgl. Rdn. 36) ist hier deshalb auch ____kein Mindestalter zu fordern. ____ Beschäftigung i.S.d. Nr. 2 setzt in der Regel eine vom Adressaten abhängige oder je____denfalls seinen Weisungen unterstellte Tätigkeit voraus. Nicht erfasst sind demnach ____dem (Mit-)Inhaber gleichrangige Sozien, soweit sie nicht ohnehin selbst (Mit-)Adressaten ____sind. Regelmäßig wird auch der (selbständige) Agent oder Reisende nicht Beschäftigter ____sein. Im Einzelfall kann jedoch anderes gelten, wenn z.B. der selbständige Handelsver____treter einen Messestand als Geschäftsraum für den Adressaten betreibt.174 Auch bloße ____Scheinselbständigkeit im Betrieb des Adressaten hebt die Beschäftigteneigenschaft nicht ____auf. ____ Wird der Geschäftsraum von mehreren Personen unterhalten, so genügt es, wenn ____der Empfänger auch als Gehilfe des Adressaten fungiert. Einer vertraglichen Grundlage ____oder einer Entlohnung bedarf es hierfür nicht.175 ____ Unter mehreren möglichen Empfängern kann der Ausführende auswählen,176 so____lange nicht im Extremfall mangelnde Weitergabe durch einen bestimmten Gehilfen be____fürchtet werden muss. ____ Für die sehr eingeschränkte Pflicht des Ausführenden zu Nachforschungen über ____die Voraussetzungen der Ersatzzustellung (einfache Nachfragen) gelten die Ausführun____gen oben Rdn. 3 sinngemäß. ____ ____ 4. Bereitschaft zur Annahme des Schriftstücks. Für die Bereitschaft zur Annahme ____des Schriftstücks gelten sinngemäß die Ausführungen zur Zustellung nach Nr. 1 ____(Rdn. 44 f.). Beschäftigte im Sinne der Nr. 2 werden in aller Regel einer vertraglich unter____legten Loyalitätspflicht gegenüber dem Adressaten unterliegen. Haftungsrisiken dürften ____weitestgehend durch die spezifischen Haftungsregeln im Rahmen von Beschäftigungs____verhältnissen minimiert sein. Deshalb steht den Beschäftigten regelmäßig kein Recht zur ____Annahmeverweigerung zu (vgl. auch § 179 Rdn. 12). ____ ____ IV. Ersatzzustellung in Gemeinschaftseinrichtungen (Abs. 1 Nr. 3) ____ ____ 1. Wohnen des Adressaten in einer Gemeinschaftseinrichtung. In Gemein____schaftseinrichtungen wie z.B. Altenheimen, Lehrlingsheimen, Arbeiterwohnheimen, ____Kasernen, Krankenhäusern, 177 Frauenhäusern, Pflegeheimen, Justizvollzugsanstalten, ____Therapieeinrichtungen und ähnlichen Einrichtungen kann gemäß Nr. 3 die Ersatzzustel____lung an deren Leiter oder einen dazu ermächtigten Vertreter erfolgen. Die rechtliche Or____ganisationsform der Einrichtung (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) ist unerheb____lich.178 Zur Abgrenzung zwischen Wohnung und Gemeinschaftseinrichtung vgl. oben ____Rdn. 42. ____ Der Adressat muss in der Gemeinschaftseinrichtung wohnen. Hierfür gelten grds. ____dieselben Maßstäbe wie für die Begründung einer Wohnung i.S.d. Nr. 1 (vgl. oben Rdn. 27). ____Allerdings genügt die nur vorübergehende Begründung eines Lebensmittelpunkts in ____der Gemeinschaftseinrichtung, wie etwa beim Aufenthalt im Krankenhaus oder im Frau____enhaus. Unschädlich ist die Beibehaltung der bisherigen Wohnung. Die Wohnung kann ____auch unfreiwillig begründet werden, wie es die Beispiele in der Gesetzesbegründung ____ ____ ____174 So OLG Koblenz WRP 1984, 44, 45. 175 BFH NJW 1994, 960. ____176 Vgl. RG JW 1930, 3310; BVerwG NJW 1962, 70, 71. ____177 Beispiele aus BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____178 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21.

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_____zeigen (vgl. schon oben Rdn. 19). So liegt es bei der Verbüßung einer Freiheitsstrafe _____in einer Justizvollzugsanstalt179 oder bei sonstiger zwangsweiser Unterbringung. Zum _____„Wohnen“ i.S.d. Nr. 3 führt grds. die Kasernierung als Berufs- oder Zeitsoldat oder zur _____Ableistung des Wehrdienstes.180 Allerdings besteht bei längerem Auslandseinsatz eines _____Soldaten keine Wohnung in der heimatlichen Truppenunterkunft i.S.v. Nr. 3 fort.181 Zur _____Zustellung an Militärangehörige vgl. auch Vor § 166 Rdn. 19 und § 166 Rdn. 54 ff., 57 ff. _____ 62 Das Wohnen in einer Gemeinschaftseinrichtung führt nicht notwendig zur Auf_____gabe einer bestehenden Wohnung i.S.v. Nr. 1 (vgl. oben Rdn. 21). _____ Wie bei Nr. 1 und 2 ist Voraussetzung der Ersatzzustellung, dass der Adressat nicht 63 _____selbst in der Einrichtung angetroffen (vgl. oben Rdn. 8 f.) wird.182 _____ _____ 2. Ersatzzustellung an den Leiter der Gemeinschaftseinrichtung oder dessen 64 _____Vertreter. Die Ersatzzustellung kann an den Leiter der Gemeinschaftseinrichtung oder _____an einen dazu ermächtigten Vertreter erfolgen. Die Leitereigenschaft ergibt sich aus dem _____öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestalteten Anstellungsverhältnis. Leiter im _____Sinne der Vorschrift ist auch der Vertreter im Amt. Zudem ist eine Ersatzzustellung an _____einen dazu ermächtigten Vertreter des Leiters möglich. Die Vertretungsmacht muss vom _____Leiter183 oder der tragenden Institution selbst herrühren. Sie kann auf diesen Zweck be_____schränkt sein. Nach den Zwecken des Zustellungsrechts kommen hierfür alle in der Ein_____richtung beschäftigten Personen in Betracht, die typischerweise als hinreichend zuver_____lässig im Hinblick auf die Weitergabe des Schriftstücks gelten können. Die zu Nr. 2 _____entwickelten Grundsätze sind hier sinngemäß anzuwenden. Wurde nicht explizit Vertre_____tungsmacht erteilt, so kommt eine sinngemäße Anwendung der Grundsätze des Bürger_____lichen Rechts über die Duldungs- und die Anscheinsvollmacht in Betracht. _____ 65 Für die Bereitschaft zur Annahme des Schriftstücks gelten sinngemäß die Ausfüh_____rungen zur Zustellung nach Nr. 1 (Rdn. 44 f.). Leiter im Sinne der Nr. 3 wird in aller Regel _____eine öffentlich-rechtlich oder vertraglich unterlegte Pflicht zur Mitwirkung an der Zustel_____lung gegenüber dem Adressaten treffen; dasselbe gilt für deren eingeschaltete Vertreter. _____Deshalb steht ihnen regelmäßig kein Recht zur Annahmeverweigerung zu (vgl. auch _____§ 179 Rdn. 12). _____ _____ V. Verbot der Ersatzzustellung an Gegner des Adressaten im Rechtsstreit _____ (Abs. 2) _____ _____ 1. Einführung. Die Regelung des Abs. 2 übernimmt inhaltlich die Vorgängerrege66 _____lung in § 185 a.F.184 Die Ersatzzustellung nach Abs. 1 muss das Recht des Adressaten auf _____rechtliches Gehör (vgl. Vor § 166 Rdn. 1) wahren. Mit der Übergabe des zuzustellenden _____Schriftstücks an die dort genannten Personen soll das höchstmögliche Maß an Wahr_____scheinlichkeit einer Weiterleitung an den Adressaten gewährleistet werden. Deshalb _____kommen nur solche Personen als Empfänger in Betracht, bei denen typischerweise Zu_____verlässigkeit und eine zumutbare Möglichkeit zur alsbaldigen Weitergabe des Schrift_____stücks an den Adressaten besteht (vgl. oben Rdn. 3). Die typischerweise hohe Wahrschein_____ _____ _____179 OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 894, 895; inzident BayObLG VersR 1985, 741, 742. _____180 Unzutreffend der anderslautende redaktionelle Leitsatz zu OLG München NJW-RR 1991, 1470, den _____die Entscheidung nicht trägt; wie hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 13, 24. 181 OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1441. _____182 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. _____183 Vgl. VGH Mannheim NJW 2001, 3569 (zu § 181 a.F.). _____184 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; OLG Celle DGVZ 2003, 8.

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____lichkeit einer Weiterleitung wird indessen gemindert, wenn sich der eingeschaltete Emp____fänger in einer die Zustellung betreffenden Interessenkollision befindet. Es besteht ____dann die Gefahr, dass der Empfänger in Verfolgung eigener Vorteile das zuzustellende ____Schriftstück verzögert oder überhaupt nicht weiterleitet. In dieser Konstellation ist das ____Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör nicht hinreichend gewahrt. Dasselbe gilt ____sinngemäß für die Abgabe der Mitteilung über die Niederlegung gemäß § 181.185 ____ Allerdings betrifft die Norm nur die Falllagen der Ersatzzustellung, in denen der Ad____ressat den potentiellen Empfänger nicht speziell für den Zustellungsverkehr eingeschal____tet hat. Anderes gilt für die Zustellung an gesetzliche Vertreter als „formelle“ Adressa____ten186 oder an dazu Bevollmächtigte (vgl. Vor § 170 Rdn. 2; § 171 sowie unten Rdn. 74 f.). ____So verbleibt das Risiko, dass der formelle Adressat das zuzustellende Schriftstück nicht ____weiterleitet, in der Sphäre des materiellen Adressaten; dieser muss sich gegebenenfalls ____im Wege des Schadensersatzes beim ungetreuen formellen Adressaten schadlos hal____ten.187 ____ Weitere Kollisionsfälle außerhalb des Anwendungsbereichs des Abs. 2 können sich ____aus den zustellungsrechtlichen Vorschriften über die Vertretung ergeben (vgl. § 171 ____Rdn. 6). ____ Zur Wirkung von Verstößen gegen Abs. 2 vgl. Rdn. 77 ff. ____ ____ 2. Fälle der Interessenkollision, die eine Zustellung an die in Abs. 1 ____ bezeichneten Personen ausschließen und Abgrenzung ____ ____ a) Einführung. Die Norm dient dem Zweck, das Recht des Adressaten auf rechtli____ches Gehör sicherzustellen (Rdn. 1). Dieses Recht ist im Falle der prozessualen Interes____senkollision gefährdet. Dabei kommt es – zumal im Verfahren der freiwilligen Gerichts____barkeit188 – nicht entscheidend auf die formale Position als Gegner des betreffenden ____Rechtsstreits an. Diese Konstellation ist nicht als abschließend zu verstehen. Die Ausle____gung der Norm erfolgt erweiternd anhand der Frage, ob eine solche Interessenkollision ____in der in Rede stehenden Verfahrenskonstellation konkret vorliegt.189 Zudem soll der Zu____steller vor der außergewöhnlichen Gefahr einer Manipulation oder versäumten Weiterlei____tung geschützt werden.190 ____ Kommt eine Kollision i.S.d. Abs. 2 in Betracht, so muss der Urkundsbeamte auf der ____Sendung und dem Vordruck für die Zustellungsurkunde (§§ 182, 190) vermerken, dass ____eine Ersatzzustellung an den jeweiligen Empfänger, in dessen Person die Kollision auf____tritt, nicht erfolgen darf (z.B. „Keine Ersatzzustellung an …“).191 Maßgeblich ist indes nur ____das objektive Vorliegen einer Interessenkollision i.S.d. Abs. 2. Der Vermerk des Urkunds____beamten stellt nur eine interne Verwaltungsanordnung ohne Außenwirkung (weder zu ____Gunsten noch zu Lasten des Adressaten) dar.192 Wenn also der Urkundsbeamte objektiv ____unrichtig eine Kollision angenommen hat, bleibt die dennoch erfolgte Ersatzzustellung ____wirksam.193 ____ ____ ____ 185 Vgl. auch OLG Nürnberg FamRZ 2005, 727 f. ____186 BGH NJW 1984, 57, 58. ____187 BGH NJW 1984, 57, 58; für verfassungsgemäß erklärt in BVerfGE 67, 208, 211 = NJW 1984, 2567, 2568. ____188 OLG Hamm NJW 1969, 800, 801. ____189 BGH NJW 1984, 57; OLG Stuttgart BWNotZ 1989, 91; OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 583, 584. 190 OLG Celle DGVZ 2003, 8 m.w.N. ____191 Zöller/Stöber Rdn. 26. ____192 BGH NJW-RR 2003, 208. ____193 BGH NJW-RR 2003, 208.

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_____ 72 b) Einzelfälle. Bereits ihrem Wortlaut nach erfasst die Norm diejenigen Fälle, in de_____nen der in Abs. 1 bezeichnete Empfänger Gegner des Adressaten in dem Rechtsstreit ist, in _____dessen Rahmen die Zustellung erfolgt. Dies gilt auch für den Fall, dass dem Empfänger _____eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) erteilt worden war.194 Geg_____ner im Sinne der Vorschrift sind auch der Antragsteller im Unterbringungsverfahren und _____der davon Betroffene.195 Darüber hinaus wird die Zustellung an nahe Angehörige196 des _____Prozessgegners (nicht: des Adressaten)197 ausgeschlossen, so z.B. an Ehegatten,198 Eltern _____oder Kinder, sowie an Personen, die den Weisungen des Prozessgegners unterliegen.199 _____Gleiches gilt für die Zustellung an Streitgenossen200 oder Streithelfer des Gegners. Auch _____der Streitverkündungsgegner ist im Verhältnis zum Streitverkünder Gegenpartei, nicht _____aber notwendig in anderen Konstellationen. Abs. 2 kann auch nach beendetem Rechts_____streit eingreifen, soweit Zustellungen inhaltlich an ihn anknüpfen.201 Die Vorschrift betrifft _____ferner auch die Ersatzzustellung an gesetzliche Vertreter des Prozessgegners, z.B. an die _____Mutter der gemeinsamen Kinder, welche in deren Vertretung einen Unterhaltsprozess _____gegen den Vater als nunmehrigen Adressaten geführt hat.202 Diese Falllage ist von der _____Konstellation zu unterscheiden, in der es nicht um eine Ersatzzustellung mit Wirkung für _____den Adressaten, sondern um die Zustellung an dessen gesetzlichen Vertreter geht. _____ Zur Absicherung sollte im Bedarfsfall auf dem zuzustellenden Schriftstück ein Vermerk 73 _____angebracht werden, an wen keine Ersatzzustellung erfolgen darf (vgl. auch § 43 GVGA). _____ _____ 3. Nicht erfasste Fälle. Nicht von der Norm erfasst wird grds., wer nicht Ersatzzu74 _____stellungsempfänger, sondern selbst (formeller) Adressat ist (vgl. Rdn. § 166 Rdn. 11). _____Gleiches gilt grds. für den von der Partei bestellten Zustellungsbevollmächtigten.203 _____Der Adressat schafft insoweit selbst die Möglichkeit einer Interessenkollision und kann _____diese dementsprechend selbst beenden. Andererseits wird dem Ausführenden bei der _____Zustellung in vielen Fällen die mögliche Interessenkollision nicht erkennbar sein. _____ Anders als bei der Zustellung an den Generalbevollmächtigten, der selbst die Zustel75 _____lung betreibt (vgl. § 171 Rdn. 6) kann die Zustellung an einen einfachen Postbevoll_____mächtigten z.B. als Beschäftigten (Abs. 1 Nr. 2) erfolgen, ohne dass aus dem Zustellvor_____gang ersichtlich wird, dass bei dem Empfänger eine Interessenkollision vorliegt. Beispiel _____ist die streitige Frage, ob Abs. 2 bei der Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungs_____beschlusses an den Drittschuldner (Arbeitgeber) durch Aushändigung an den Schuldner _____(Arbeitnehmer mit Stellung eines Beschäftigten i.S.v. Abs. 1 Nr. 2) eingreift. Wollte man _____hier Abs. 2 anwenden, so würde der Ausführende (im Regelfall der Zustellung durch die _____Post) bei jedem Zustellvorgang im gewerblichen oder freiberuflichen Bereich zu Nachfor_____schungen über die inhaltliche Betroffenheit des Empfängers gezwungen. Damit würden _____die berechtigten Interessen des die Zustellung Betreibenden verkürzt, zumal die Zustel_____ _____ _____194 OLG Stuttgart MDR 1955, 174. _____195 OLG Stuttgart BWNotZ 1989, 91. _____196 BGH NJW 1984, 57. _____197 Vgl. BGH VersR 1973, 156: Für Unregelmäßigkeiten hierbei bietet § 185 keinen Schutz. 198 RGZ 35, 429, 431; OLG Karlsruhe Die Justiz 2000, 397; vgl. auch die 2. Auflage (§ 185) Rdn. B I a m.w.N. _____199 OLG Karlsruhe Rpfl. 1984, 25, 26: Sekretärin des Klägers mit Postvollmacht für den Beklagten; Stein/ _____Jonas/Roth Rdn. 34. _____200 OLG Celle DGVZ 2003, 8 m.w.N. _____201 OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 583 für die Überleitungsanzeige des Sozialamts an den Unterhaltsschuldner. _____202 OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 583, 584. _____203 LG Kaiserslautern Rpfl. 1993, 256. A.A. wohl BAG NJW 1981, 1399, 1400 mit entspr. Anwendung der _____Norm auf den Postbevollmächtigten.

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____lung bereits bei objektivem Vorliegen der Kollisionslage unwirksam wird (vgl. Rdn. 71), ____deren Kenntnis oder Kennenmüssen seitens des Ausführenden also nicht erforderlich ist. ____Ist demnach eine Interessenkollision nicht ohne weiteres erkennbar, so bleibt das Risiko ____für Fehlverhalten ungetreuer Mitarbeiter beim Arbeitgeber; Abs. 2 greift nicht ein.204 Die ____Interessen des Adressaten sind dadurch zu wahren, dass ihn eine Fortzahlung der ge____pfändeten Bezüge an den Schuldner in analoger Anwendung der §§ 1275, 407 BGB be____freit, wenn er nachweislich von der Pfändung nichts wusste.205 Nach denselben Erwä____gungen kann auch ein Arbeitnehmer als Empfänger für an den Gesamtbetriebsrat ____gerichtete Schriftstücke eingeschaltet werden.206 ____ Ist ein Zustellungsbevollmächtigter auf der Grundlage des § 184 benannt worden, ____so kann an ihn stets zugestellt werden. Der Schutzzweck des § 184 (vgl. § 184 Rdn. 1) lässt ____nichts anderes zu. Mögliche Interessenkollisionen muss der Bevollmächtigende selbst ____verhindern. ____ ____ VI. Wirkung von Verstößen gegen die Norm ____ ____ Verstöße gegen Abs. 1 führen zur Unwirksamkeit der Zustellung. Dies gilt etwa ____dann, wenn nicht sämtliche kumulativ erforderliche Voraussetzungen der Ersatzzustel____lung gegeben sind (vgl. Rdn. 1 ff.). Unschädlich ist es hingegen, wenn der Zusteller zwar ____unzutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Ersatzzustellung ausgegangen ____ist, jedoch die Voraussetzungen einer Zustellung an den rechtgeschäftlich bestellten Ver____treter nach § 171 vorlagen.207 ____ Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung ist die Nichterreichbarkeit des ____Adressaten am relevanten Ort. Dabei muss es sich auch tatsächlich um die Wohnung im ____Sinne des Zustellungsrechts (oben Rdn. 17 ff.) bzw. um eigene Geschäftsräume han____deln.208 Dasselbe gilt für die Eigenschaften, welche die angetroffenen Personen als Er____satzzustellungsempfänger qualifizieren. Bei Unkenntnis muss sich der Ausführende ____also auch Informationen über die Beziehung des in der Wohnung Angetroffenen zum ____Adressaten verschaffen.209 Dabei ist es unbedenklich, gegebenenfalls z.B. nach dem Be____stehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu fragen. Der erkennbare, rein äußer____liche Zustellungszweck lässt diese Frage für alle Beteiligten als ohne weiteres zumutbar ____erscheinen.210 Zur Folge von Fehleinschätzungen vgl. unten Rdn. 79 f. ____ Unterliegt der Ausführende einem Irrtum über die Person des Empfängers, so scha____det dies nicht, wenn die Person tatsächlich zum Kreis der möglichen gleichwertigen (vgl. ____oben Rdn. 10 ff. zur mangelnden Hierarchie) Ersatzzustellungsempfänger gehört (z.B. bei ____Verwechslung Ehefrau – Mutter – Schwester).211 In engen Ausnahmefällen kann auch die ____Ersatzzustellung an eine bestimmte Person aus dem jeweils in Abs. 1 und 2 genannten Per____sonenkreis geboten sein, wenn entgegen der typisierten Vermutung nur sie im Gegensatz ____zu anderen in Betracht Kommenden die Gewähr für die Weitergabe des Schriftstücks bietet. ____ ____ ____204 Wie hier RGZ 87, 412, 414; BayObLGZ 7, 427; Noack, DGVZ 1981, 33, 34 ff.; a.A. BAG NJW 1981, 1399, ____1400 m.w.N.; OLG Celle DGVZ 2003, 8; AG Cochem DGVZ 1989, 77 sowie die 2.Auflage (§ 185)Rdn. B II c m.w.N. Vgl. auch Hamme NJW 1994, 1035, 1036 ff. m.w.N. ____205 Vgl. BGHZ 86, 338 f.; Jauernig Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. Aufl. 1999, § 19 VII.1.a). ____206 BAG BB 1976, 510 (Ls. 4). ____207 OLG Köln NStZ-RR 2008, 379, 380. ____208 Vgl. BGH NJW 1985, 2197; BGH FamRZ 1990, 143; BGH NJW 1992, 1673; BGH NJW-RR 1997, 1161. 209 BGHZ 111, 1, 6 = NJW 1990, 1666. ____210 BGHZ 111, 1, 6 = NJW 1990, 1666. ____211 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1987, 1279; OLG Schleswig JurBüro 1991, 122, 123; vgl. auch BayObLG FPR ____2002, 159 = FamRZ 2002, 848.

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_____ 80 Fehlinformationen über Wohnverhältnisse oder beteiligte Personen gehen grds. zu _____Lasten des Betreibenden, bewirken also die Unwirksamkeit der Zustellung. Allerdings _____kann dem Adressaten, der in zurechenbarer Weise den Anschein einer Wohnungsbe_____gründung oder -fortführung gesetzt hat, ohne dass die objektiven Voraussetzungen hier_____für vorliegen, der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegengehalten _____werden212 (vgl. zu Einzelfällen oben Rdn. 30 [geschiedener Ehegatte], 37 [Minderjähriger] _____und 51 [Geschäftsraum]). So verhält es sich beispielsweise, wenn der Adressat ein Na_____mensschild an Briefkasten und Klingel anbringt und entsprechende Nachsendeanträge _____stellt.213 Ebenso verhält es sich, wenn der Bevollmächtigte des Adressaten mit Nennung _____dessen Namens unter einer inländischen Anschrift Korrespondenz betreibt, welche eine _____Wohnung des Adressaten selbst an diesem Ort nahelegt.214 Auch genügt nicht die bloße _____Behauptung, am Zustellungsort nicht gewohnt zu haben; ohne klare und vollständige _____Angaben zur tatsächlichen anderen Wohnung bleibt der Einwand unbeachtlich.215 Ver_____traut jedoch der Zusteller auf derartige bewusste Falschangaben des Empfängers und _____schickt die Sendung zurück, so liegt ein Fall der verweigerten Annahme vor, welcher _____eine Zustellung im Wege des § 179 ermöglicht.216 Gezielte Verhinderung des Bekanntwer_____dens der neuen Wohnung unter Aufrechterhaltung des Anscheins, die aufgegebene alte _____Wohnung fortzuführen – eine Fallkonstellation z.B. in Familienrechtsstreitigkeiten,217 _____eröffnet in jedem Falle die Möglichkeit einer Zustellung unter der alten Adresse. Wer _____allerdings die tatsächliche Wohnung des Adressaten kennt oder weiß, dass die angege_____bene Adresse nicht die Wohnung des Adressaten ist, handelt selbst rechtsmissbräuchlich, _____wenn er dort die Ersatzzustellung betreibt, und kann sich daher nicht auf Rechtsmiss_____brauch des Adressaten stützen.218 Angesichts der häufig komplizierten Lebensverhältnisse _____wird es zudem maßgeblich auf die sehr einzelfallbezogenen subjektiven Einschätzun_____gen des Ausführenden ankommen (vgl. oben Rdn. 3). Sind sie plausibel, so ist der zu_____grundeliegende Anschein letztlich häufig dem Adressaten zuzurechnen. Die Ersatzzu_____stellung ist dann im Ergebnis wirksam (vgl. zur Widerlegung der Zustellungsurkunde _____sogleich Rdn. 85 f.). Rechtsmissbräuchliches Verhalten setzt allerdings vorsätzliches _____Handeln voraus.219 Alleine objektive Zurechenbarkeit bzw. Fahrlässigkeit im Sinne blo_____ßer Nachlässigkeit z.B. beim Versäumnis, in einem laufenden Verfahren die neue An_____schrift mitzuteilen oder einen Nachsendeantrag zu stellen, reicht hingegen nicht aus, _____der Zustellung Wirksamkeit zu verleihen.220 Andernfalls würde der Anspruch des Emp_____fängers auf rechtliches Gehör entgegen der klaren gesetzlichen Regelung unzulässig be_____ _____ _____212 In BGH NJW-RR 1986, 1083 vorausgesetzt; BGH KTS 1992, 114, 115; BGH BeckRS 2011, 27449; FG _____Münster NJW 1985, 1184; vgl. auch BGH NJW 1978, 1858; OLG Frankfurt a.M. NJW 1985, 1910; OLG Köln _____NJW-RR 1989, 443, 444; OLG Düsseldorf FamRZ 1990, 75 f.; OLG Köln NJW-RR 2001, 1511, 1512 (m.E. zu großzügig bei der Ablehnung eines gesetzten Rechtsscheins); AG Duisburg NJW-RR 1995, 953, 954 m.w.N. _____A.A. für Notfristen OLG München NJW-RR 1995, 59 f. _____213 FG Münster NJW 1985, 1184. _____214 BGH BeckRS 2011, 27449. _____215 BVerfG NJW 1992, 224, 225 f.; BGH FamRZ 1990, 143; BGH FamRZ 1994, 1521, 1522; OLG Karlsruhe _____NJW-RR 1992, 700, 701. 216 VGH München NJW 2012, 950, 951 m.w.N. _____217 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1990, 75 f. _____218 OLG Frankfurt a.M. NJW 1985, 1910 für die erstgenannte, BGH NJW-RR 1986, 1083 für die _____zweitgenannte Variante. _____219 BGH NJW-RR 2011, 233 verwendet unter Berufung auf Häublein (MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 11) die Formulierung des „arglistigen“ Verhinderns als Kriterium. In BGH NJW 2011, 2440, 2441 wird „doloses _____Verhalten“ im Sinne „bewussten und zielgerichteten“ Herbeiführens eines Irrtums als _____Abgrenzungskriterium benannt, _____220 Sehr deutlich BGH NJW 2011, 2440, 2441.

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____schränkt. Erst recht liegt kein Rechtsmissbrauch im beschriebenen Sinne vor, wenn der ____Zustellende die Fakten kennt, welche die dann erfolgte Zustellung unwirksam machen.221 ____Umgekehrt hält die hier benannte Linie der Rechtsprechung mit Beschränkung auf vor____sätzliches Verhalten Art. 103 Abs. 1 GG stand; bei so definiertem Rechtsmissbrauch des ____Empfängers überwiegen die gegenläufigen Interessen des Zustellenden.222 ____ Unabhängig vom Einwand des Rechtsmissbrauchs sind die Heilungsvorschriften ____der §§ 189, 295 anwendbar.223 ____ Verstöße gegen Abs. 2 führen zur Unwirksamkeit der Ersatzzustellung; dies gilt ____bereits bei objektivem Vorliegen einer Kollisionslage, ohne dass es auf Kenntnis oder ____Kennenmüssen auf Seiten des Ausführenden ankäme. Möglich ist die Heilung gemäß ____§§ 189, 295.224 ____ ____ VII. Beweis durch Beurkundung ____ ____ § 182 Abs. 1, 2 Nr. 4 schreibt die Beurkundung der Ersatzzustellung und ihrer Be____gleitumstände vor. Diese Beurkundung ist nicht mehr Voraussetzung für die Wirksam____keit der Zustellung (vgl. oben Rdn. 7 und § 182). Sie bleibt jedoch als öffentliche Urkunde ____(vgl. § 182 Rdn. 4 ff.) wichtiges Beweismittel.225 ____ Hinsichtlich der Beweislast ist zu beachten, dass die Modalitäten der Ersatzzustel____lung in der Zustellungsurkunde gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 4 aufgenommen werden. Wegen ____der in § 418 angeordneten Beweiskraft liegt die Beweislast für Fehler bei der Ersatzzustel____lung entgegen den Daten in der Zustellungsurkunde beim Adressaten;226 die Überfüh____rung der vormaligen Deutschen Bundespost in die Deutsche Post AG hat daran nichts ____geändert.227 Die Urkunde beweist in diesem Sinne, dass der Ausführende den Adressaten ____unter der ihm angegebenen Anschrift nicht persönlich angetroffen hat.228 Die Beurkun____dung muss allerdings im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Zustellungs____vorgang erfolgen; ist dieser abgeschlossen, so bewirkt eine spätere Ergänzung der un____vollständigen Urkunde nicht mehr ihre Beweiskraft.229 ____ Der (volle) Gegenbeweis230 kann angetreten werden, muss aber hinreichend sub____stantiiert werden. Dafür genügt jedoch nicht schlichtes Bestreiten der ordnungsgemäßen ____Zustellung unter Benennung des Zustellers als Zeugen.231 (Zu Einzelheiten vgl. § 182 ____Rdn. 8 f.). ____ ____ ____ ____221 BGH NJW-RR 2011, 561 zum (sofort wirksamen) Widerruf der Anwaltszulassung, welcher eine ____Zustellung in den Kanzleiräumen auch dann unwirksam macht, wenn der Anwalt dort noch persönliche ____Angelegenheiten betreibt (also keine Anwaltsgeschäfte über die ihn betreffenden Zulassungsfragen hinaus). ____222 BVerfG NJW-RR 2010, 421. ____223 BGHZ 97, 341, 343 = JZ 1986, 857; BGH NJW 1992, 1963; BGH NJW 2001, 1946; OLG Zweibrücken DGVZ ____1991, 56; OLG Rostock FamRZ 1997, 90, 91; OLG Hamburg NStZ 2003, 46, 47; BFH BFH/NV 2003, 1590; ____Zöller/Stöber Rdn. 28; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn.29. ____224 Zöller/Stöber Rdn. 28; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn.29. 225 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22 (zu § 182). ____226 Vgl. BVerfG NJW 1992, 224, 225; BGH NJW 1988, 713, 714; BGH KTS 1992, 114, 115; OLG Hamm NJW ____1969, 800; BayObLG NJW-RR 1988, 509; Zöller/Stöber Rdn. 29. ____227 BFH BB 1997, 1938; OLG Frankfurt a.M. NJW 1996, 3159 m.w.N.; a.A. VG Frankfurt a.M. NJW 1997, ____3329 f. 228 BVerfG NJW 1992, 224, 225 zu § 182. ____229 Vgl. BGH NJW 1990, 176, 177 m.w.N. (zur Unwirksamkeitsfolge nach vormaligem Zustellungsrecht). ____230 Vgl. BFH 10.11.2003 (Az VII B 366/02). ____231 BVerwG NJW 1985, 1179, 1180 und BVerwG NJW 1986, 2127 zu § 182.

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_____ 86 Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich allerdings nicht darauf, dass _____der Adressat zur Zustellungszeit an der Zustellungsanschrift wohnte;232 dem Adressaten _____kann keine Beweislast für Tatsachen aufgebürdet werden, die sich der zuverlässigen _____Feststellung und Wahrnehmung durch den Ausführenden entziehen.233 Die Angabe des _____Ausführenden, den Adressaten nicht „in der Wohnung“ (vgl. § 182 Abs. 2 Nr. 4) angetrof_____fen zu haben, begründet aber ein beweiskräftiges Indiz dafür, das nur durch eine plausi_____ble und schlüssige Gegendarstellung entkräftet werden kann (vgl. zu Einzelheiten § 182 _____Rdn. 11 ff.).234 Dabei ist es wegen der Möglichkeit mehrerer Wohnungen (vgl. Rdn. 21 ff.) _____ggf. erforderlich, neben der Begründung einer neuen Wohnung auch die Aufgabe der _____alten Wohnung zu belegen.235 Hierzu kann z.B. die Vorlage einer entsprechenden Melde_____bestätigung dienen.236 Stimmt die in der Zustellungsurkunde angegebene Wohnanschrift _____mit der vom Adressaten selbst zu den Akten gebrachten Anschrift überein, so ist der _____Vollbeweis der Wohnung erbracht.237 _____ Weitere Vermerke des Ausführenden auf der Zustellungsurkunde, welche nicht den 87 _____in § 182 genannten Formalien entsprechen, haben an der Beweiskraft nach § 418 keinen _____Anteil.238 _____ _____ _____ § 179 _____ Zustellung bei verweigerter Annahme _____ § 179 Rohe _____ Wird die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks unberechtigt verweigert, _____so ist das Schriftstück in der Wohnung oder in dem Geschäftsraum zurückzulas_____sen. Hat der Zustellungsadressat keine Wohnung oder ist kein Geschäftsraum vor_____handen, ist das zuzustellende Schriftstück zurückzusenden. Mit der Annahmever_____weigerung gilt das Schriftstück als zugestellt. _____ _____ Übersicht ____ 1 III. Bewirken der Zustellung _____I. Einführung 1. Durch Zurücklassen in der Wohnung _____II. Annahmeverweigerung ohne rechtlichen oder im Geschäftsraum _____ Grund 1. Einführung ____ 4 (Satz 1 2. Hs) ____ 16 _____ 2. Annahmeverweigerung durch den 2. Durch Zurücksendung des Schriftstücks _____ materiellen Adressaten ____ 5 (Satz 2) ____ 20 _____ 3. Annahmeverweigerung durch den 3. Beurkundung der Zustellung ____ 21 _____ formellen Adressaten ____ 10 IV. Kosten ____ 22 _____ 4. Annahmeverweigerung durch den Ersatzzustellungsempfänger ____ 11 _____ _____ _____ _____ _____232 BVerfG NJW 1992, 224, 225 f.; BVerfG NJW-RR 1992, 1084, 1085; BGH FamRZ 1990, 143; BGH NJW _____1992, 1963; BGH FamRZ 1994, 1521, 1522; OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224; OLG Köln FamRZ 1996, 1152; _____OLG Dresden JurBüro 2000, 320. 233 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BVerfG NJW-RR 1992, 1084, 1085; BGH NJW-RR 1997, 1161; BGH WM _____2004, 1391, 1392; OLG Nürnberg NJW-RR 1998, 495, 496. _____234 BVerfG NJW 1992, 224, 225 f.; BGH FamRZ 1990, 143; BGH NJW 1992, 1963; BGH NJW-RR 1994, 564; _____BGH FamRZ 1994, 1521, 1522; BGH WM 2004, 1391, 1392; OLG Dresden JurBüro 2000, 320; OLG Köln NJW-RR _____2001, 1511, 1512; Graßhof Sein und Schein, FS Merz, 1992, 133 ff. 235 Vgl. BGH NJW 1992, 1963. _____236 BGH NJW 1992, 1963; OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224. _____237 OLG Köln FamRZ 1996, 1152. _____238 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224.

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____ I. Einführung ____ ____ Die Norm knüpft an die Regelung in § 186 a.F. an. Sie dient den Rechtsdurchset____zungsinteressen dessen, der in redlicher Weise die Zustellung betreibt. Wird die An____nahme des zuzustellenden Schriftstücks ohne Rechtsgrund verweigert, so kann die ____Zustellungswirkung dadurch erzielt werden, dass das zuzustellende Schriftstück am ____Ort der Zustellung zurückgelassen oder zurückgesandt wird. Dadurch tritt die in Satz 3 ____angeordnete Fiktion der Zustellung ein (zur Beurkundung vgl. Rdn. 21). Hierbei sind ____allerdings auch die Interessen des Adressaten zu wahren; der Verlust des Schriftstücks ____ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Dem trägt die Regelung in Satz 2 Rechnung. Liegen ____allerdings die Voraussetzungen des Satz 1 2. Hs vor, so ist die Zustellung auch dann ____wirksam, wenn das Schriftstück abhanden kommt oder dem Adressaten aus anderen ____Gründen nicht zur Kenntnis gelangt.1 Zum Verhältnis zu § 180 vgl. dort Rdn. 6. ____ An die Wirksamkeit der Zustellung sind nach der Reform von 2002 keine weiteren ____formellen Voraussetzungen geknüpft. Die zuvor konstitutive hinreichende Beurkun____dung2 des Zustellungsvorgangs (vgl. § 191 a.F.) ist nach dem ausdrücklichen Willen des ____Gesetzgebers keine Wirksamkeitsvoraussetzung mehr.3 Die Zustellungsurkunde hat nur ____noch die in § 182 Abs. 1 festgelegte Beweisfunktion. Erst recht schadet es nicht, wenn die ____Zustellung ordnungsgemäß beurkundet wurde, die Urkunde aber später nicht mehr auf____findbar ist. In solchen Fällen kann der Beweis der Aufnahme der Urkunde auch mit Hilfe ____anderer Beweismittel erbracht werden.4 ____ Auf den in § 179 vorausgesetzten Schutz kann verzichtet werden. Wird die Annah____me trotz dafür bestehenden Rechtsgrundes (vgl. Rdn. 4 ff.) nicht verweigert, so ist sie bei ____Fehlen anderweitiger Unwirksamkeitsgründe wirksam (so auch die Regelung in § 188 ____Abs. 4 a.F.). Im Übrigen kann Heilung nach §§ 189, 295 eintreten. ____ ____ II. Annahmeverweigerung ohne rechtlichen Grund ____ ____ 1. Einführung. § 179 betrifft die Annahmeverweigerung durch Adressaten und Emp____fänger5 (zur Begrifflichkeit vgl. § 166 Rdn. 10 ff.) gleichermaßen. Die Ersatzzustellung ____nach § 179 setzt voraus, dass der Zustellungsadressat oder -empfänger die Annahme ____ohne Rechtsgrund verweigert. Grundsätzlich besteht kein solches Recht.6 Rechtsgründe ____zur Verweigerung können sich aus Verfahrensrecht oder materiellem Recht ergeben. Im ____einzelnen bestehen Unterschiede je nachdem, an welche Person das Schriftstück über____geben werden soll. In jedem Falle liegt jedoch eine unberechtigte Annahmeverweige____rung vor, wenn Adressat oder Empfänger bei ordnungsgemäßer Zustellung den Ausfüh____renden über ihre Identität täuschen.7 Dasselbe gilt, wenn der Empfänger dem Zusteller ____wahrheitswidrig vorspiegelt, nicht am Zustellungsort, sondern an einem anderen Ort zu ____wohnen8 bzw. am Zustellungsort keinen Geschäftsraum zu unterhalten. Hingegen kann ____§ 179 nicht in denjenigen Fällen helfen, in denen potentielle Adressaten wie z.B. Hausbe____ ____ ____1 Ebenso Zöller/Stöber Rdn. 4. 2 Vgl. BGH NJW 1990, 176; BFH NJW 1979, 736 m.w.N.; BVerwG DGVZ 1984, 149, 150; OLG Bremen NJW ____1955, 643; VGH Kassel NJW 1996, 1075. ____3 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15. ____4 BGH NJW 1981, 1613, 1614 m.w.N.; OLG Düsseldorf OLGZ 1991, 229, 231 f. zu § 183 a.F. ____5 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 1 m.w.N.; vgl. auch BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21, wo ein Ersatzzustellungsempfänger als Beispiel genannt wird. ____6 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____7 Vgl. BGH NJW 1978, 426. ____8 VGH München NJW 2012, 950 f. m.w.N.

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_____setzer ihre Identität generell arglistig verschleiern und damit schon eine individuelle _____Adressierung verhindern.9 _____ _____ 2. Annahmeverweigerung durch den materiellen Adressaten. Der materielle 5 _____Adressat (vgl. § 166 Rdn. 11) hat grds. kein Recht auf Annahmeverweigerung,10 sofern _____sich ein solches nicht aus dem materiellen Recht ergibt. _____ Ein Annahmeverweigerungsrecht aus verfahrensrechtlichen Gründen besteht aus6 _____nahmsweise dann, wenn zu allgemein unpassender Zeit oder bei unangemessenen _____Gelegenheiten zugestellt werden soll (vgl. auch § 177 Rdn. 6).11 Grundsätzlich kann an _____den Adressaten allerdings an jedem von der Regelung des § 177 erfassten Ort zugestellt _____werden. Deshalb kann grds. nach § 179 auch dann verfahren werden, wenn ein Zustel_____lungsversuch an einem anderen Ort als der Wohnung oder dem Geschäftsraum scheitert _____(vgl. auch § 177 Rdn. 5 und unten Rdn. 17). Nach § 27 GVGA (vgl. § 177 Rdn. 6) soll indes _____an unpassenden Orten keine Zustellung erfolgen. Dies wird sinngemäß auch bei § 179 _____relevant. So wird die Zustellung bei Gottesdiensten, Beerdigungen12 oder gesellschaftli_____chen Anlässen in aller Regel ein Annahmeverweigerungsrecht begründen. _____ Eine präzise Regelung der allgemein passenden bzw. unpassenden Zeiten, wie sie 7 _____§ 188 a.F.13 zu entnehmen war, besteht nicht mehr. Die Gesetzgebungsmaterialien schwei_____gen hierzu. Der Verzicht auf eine Regelung dürfte mit dem Bestreben des Reformgesetz_____gebers nach Verschlankung des Zustellungsrechts zu erklären sein, nicht mit dem Willen _____zur gänzlichen inhaltlichen Aufgabe der bisherigen Regelung. Die Formulierung „allge_____mein unpassend“ in den Gesetzgebungsmaterialien deutet zunächst darauf hin, dass wie _____bei § 188 a.F. nicht auf die individuellen Verhältnisse des Adressaten abzustellen ist _____(z.B. Nachtschichtarbeit mit Ruhezeiten am Tage); das berechtigte Interesse an einer _____effizienten Zustellung erfordert eine gewisse Standardisierung der Voraussetzungen, die _____nicht mit Streitigkeiten um individuelle Lebensverhältnisse belastet werden darf. Nach wie _____vor dürften Nachtzeiten (von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr, vgl. § 758 a Abs. 4 Satz 2), Sonntage _____und allgemeine Feiertage als allgemein unpassende Zeiten für Zustellungen zu qualifizie_____ren sein. Allgemeine Feiertage können sich aus Bundesrecht, Landesrecht oder örtli_____chem Recht ergeben.14 Im Einzelfall kann – unabhängig vom Zeitfaktor – eine unpassen_____ _____ _____9 Vgl. hierzu Raeschke-Kessler NJW 1981, 663. _____10 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. 11 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. _____12 MünchKomm-ZPO/Häublein § 177 Rdn. 2. _____13 Die Norm lautete wie folgt: _____(1) Zur Nachtzeit sowie an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen darf eine Zustellung, sofern sie _____nicht durch Aufgabe zur Post bewirkt wird, nur mit richterlicher Erlaubnis erfolgen. Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraum vom 1. April bis 30. September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens _____und in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr _____morgens. _____(2) Die Erlaubnis wird vom Vorsitzenden des Prozeßgerichts erteilt; sie kann auch von dem Amtsrichter, in _____dessen Bezirk die Zustellung erfolgen soll, und in Angelegenheiten, die durch einen beauftragten oder _____ersuchten Richter zu erledigen sind, von diesem erteilt werden. (3) Die Verfügung, durch welche die Erlaubnis erteilt wird, ist bei der Zustellung abschriftlich mitzuteilen. _____(4) Eine Zustellung, bei der die Vorschriften dieses Paragraphen nicht beachtet sind, ist gültig, wenn die _____Annahme nicht verweigert ist. _____14 Bundeseinheitliche Feiertage sind der Neujahrstag (1. Januar), Karfreitag, Ostermontag, Christi _____Himmelfahrt, der 1. Mai, Pfingstmontag, der 3. Oktober, der erste und der zweite Weihnachtsfeiertag (25. und 26. Dezember); kein Feiertag sind die Samstage. _____Landesrechtlich unterschiedlich behandelt sind die Tage Heilige Drei Könige (6. Januar), Fronleichnam, _____Mariae Himmelfahrt, Reformationstag (31. Oktober), Allerheiligen (1. November) und Buß- und Bettag. _____Teilweise legt das Landesrecht die Feiertagswirkung nur für bestimmte Gebietskörperschaften fest.

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____de „Gelegenheit“ vorliegen. Dies kann auch Feiertage anderer als christlicher Religions____gemeinschaften betreffen, deren Feiertage nicht von deutschen Feiertagsgesetzen erfasst ____werden, z.B. die jüdischen Festtage Jom Kippur, Rosch ha-Schana oder Sukkot, die isla____mischen Feste des Fastenbrechens (ʻīđ al-fitr/şeker bayramı) und des Opferfests (ʻīđ ____al-adhā/kurban bayramı). Allerdings darf man vom Zustellenden nicht die Kenntnis aller ____denkbaren religiösen Festtage erwarten. Unpassend ist die Zustellung demnach nur ____dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Begehung entsprechender Feier____lichkeiten auch hinreichend erkennbar wird. ____ Andererseits ist zu beachten, dass bereits nach § 188 a.F. unter besonderen Voraus- 8 ____setzungen eine Zustellung zu Nachtzeiten sowie an Sonn- und allgemeinen Feiertagen ____zulässig war. Eine Erschwerung der Zustellung durch Streichung der gesamten Vor____schrift war vom Gesetzgeber sicherlich nicht beabsichtigt. In dringlichen Fällen kann ____deshalb die Zustellung rechtmäßig auch an grds. zustellungsfreien Zeiten (Nachtzeiten ____sowie Sonn- und Feiertagen) erfolgen. Dafür ist regelmäßig, jedoch nicht generell, ein ____fehlgeschlagener Zustellversuch zu den vorgesehenen Zeiten erforderlich. Anders als im ____Recht der Zwangsvollstreckung15 stehen im Zustellungsrecht weitere Formen (fiktiver) ____Ersatzzustellung zur Verfügung (vgl. §§ 178, 180 f.). Dringlichkeit kann sich vor solchem ____Hintergrund vor allem daraus ergeben, dass der Adressat am Aufenthaltsort zu den übli____chen Zustellungszeiten nicht persönlich angetroffen wird und er weder eine Wohnung ____noch ein Geschäftslokal unterhält, in denen eine Ersatzzustellung vorgenommen werden ____könnte. Befindet sich der Adressat nur zur Durchreise am Ort, so wird ein vorheriger Zu____stellversuch zu den üblichen Zeiten nicht verlangt werden können, wenn baldige Abreise ____zu besorgen ist. ____ Ein Annahmeverweigerungsrecht besteht schließlich auch dann, wenn Zweifel über 9 ____die Identität der als Zustellungsadressat in Anspruch genommenen Person mit dem ____auf der Sendung angegebenen Adressaten bestehen.16 Dasselbe muss für den Fall gelten, ____dass Zweifel nur im Hinblick auf die konkret zuzustellende Sendung bestehen. Deshalb ____darf und sollte die Adresse mit weiteren Kennzeichnungsmerkmalen für den Zustellen____den und den Adressaten sichtbar versehen werden (vgl. § 176 Rdn. 10). Zur Identitätstäu____schung bei ordnungsgemäßer Zustellung vgl. oben Rdn. 4. ____ ____ 3. Annahmeverweigerung durch den formellen Adressaten. Auch der formelle 10 ____Adressat ist als gesetzlicher Vertreter oder Bevollmächtigter zur Annahme verpflichtet ____und hat deshalb keine weiterreichenden Annahmeverweigerungsrechte als der materiel____le Adressat.17 Für ihn gelten die Ausführungen zum materiellen Adressaten in gleicher ____Weise. Zu den einzuhaltenden Formalien zählt neben den Anforderungen an das zuzu____stellende Schriftstück auch die Beachtung der grds. zustellungsfreien Zeiten und die Ver____meidung sonstiger unangemessener Gelegenheiten (vgl. oben Rdn. 6 ff.). Unerheblich sind ____Fehler in der Adressatenbezeichnung, solange über die Identität zwischen im Schriftstück ____ausgewiesenem und real angetroffenem Adressaten kein Zweifel aufkommen kann (vgl. ____§ 166 Rdn. 12 ff.). Dagegen besteht das Recht zur Annahmeverweigerung, wenn der Ab____sendende nicht hinreichend deutlich auf dem zu übergebenden Schriftstück kenntlich ____gemacht wird: Sendungen, deren Herkunft nicht zuzuordnen ist, muss man nicht an____nehmen (vgl. auch § 176 Rdn. 10). ____ ____ ____Einzelheiten ergeben sich aus den Feiertagsgesetzen der Länder. In der Stadt Augsburg ist das Friedensfest am 8. August gesetzlicher Feiertag. ____15 Vgl. LG Trier DGVZ 1981, 13, 14. ____16 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____17 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; RGZ 107, 161, 166.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 11 4. Annahmeverweigerung durch den Ersatzzustellungsempfänger. Bei Zustel_____lung an Ersatzzustellungsempfänger sind zunächst die Formalien der Ersatzzustel_____lung einzuhalten. Dazu zählen neben den für den Adressaten selbst geltenden Weige_____rungsgründen die Nichterreichbarkeit des Adressaten, die Beschränkung des in § 178 _____Abs. 1 und 2 genannten Personenkreises und die Modalitäten der Übergabe. So steht _____etwa demjenigen, der sich nur als Besucher in der Wohnung des Adressaten aufhält und _____der nicht dessen Familie angehört (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 1), ein Annahmeverweigerungs_____recht zu.18 Auch muss (anders als für die Wirksamkeitsvoraussetzungen bei erfolgter _____Übergabe) der potentielle Empfänger die Zustellung nicht annehmen, wenn er außerhalb _____der Wohnung bzw. der Geschäftsräume oder Gemeinschaftseinrichtungen (vgl. § 178 _____Abs. 1) angetroffen wird. Für eine Verweigerung kann er gute Gründe haben, z.B. die _____Befürchtung eines Verlusts oder einer Beschädigung. Die abweichende Beurteilung der _____Frage, ob bei Annahmebereitschaft eine wirksame Zustellung auch außerhalb der ge_____nannten Räumlichkeiten erfolgen kann (vgl. § 178 Rdn. 16), ändert daran nichts. Sie er_____klärt sich daraus, dass in diesen Fällen die Interessen des Betreibenden an einer zügigen _____Zustellung prävalieren, solange dem Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör Genüge _____getan wird. _____ Eine unberechtigte Annahmeverweigerung liegt nur dann vor, wenn der in Betracht 12 _____kommende Ersatzzustellungsempfänger dem Adressaten gegenüber zur Annahme _____und Weiterleitung besonders verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung kann sich aus _____Dienst- oder Arbeitsvertrag, Verträgen zugunsten Dritter, Auftrag, Geschäftsbesorgung, _____Familienrecht oder anderen Verpflichtungsgründen ergeben und wird in der Praxis die _____meisten Empfänger erfassen. In den vor allem bei der Zustellung nach § 178 verbleiben_____den Fällen kann jedoch eine Verpflichtung aller in Betracht kommenden Empfänger aus _____öffentlichem Recht nicht angenommen werden. Eine solche Verpflichtung könnte bei _____versäumter Weitergabe des Schriftstücks Haftungspflichten des Empfängers auslösen, _____die nicht wie die Deliktshaftung auf der Pflicht gründen, den Bestand fremder Rechtsgü_____ter zu respektieren, sondern die bloßen Vermögensschutz erreichen. Dieser ist aber grds. _____dem Vertragsrecht vorbehalten, setzt also auch dementsprechende Verpflichtungen zwi_____schen Adressaten und Empfänger voraus. Unhaltbar wird die andere Ansicht, wenn sie _____auch Minderjährige als geeignete Ersatzzustellungsempfänger i.S.v. § 178 ansieht (vgl. _____§ 178 Rdn. 36). Die Interessen dessen, der die Zustellung betreibt, sind durch eine funk_____tionale Interpretation des Tatbestandsmerkmals „kann“ in § 178 Abs. 1 zu wahren. Die _____berechtigte Annahmeverweigerung verhindert ein „Können“ im Sinne dieser Norm, so _____dass die Zustellung nach § 180, hilfsweise die Niederlegung nach § 181 offenstehen. _____ Für die in § 181 zur Niederlegung vorgesehenen Stellen ergibt sich die Verpflichtung 13 _____aus öffentlichem Recht. _____ Fehlt es an einer rechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Adressaten, so darf 14 _____der potentielle Empfänger die Annahme verweigern, ohne dass der Weg des § 179 of_____fenstünde. _____ Schließlich kann sich der Ersatzzustellungsempfänger auf alle Weigerungsrechte 15 _____berufen, die dem Adressaten zustünden. _____ _____ III. Bewirken der Zustellung _____ _____ 1. Durch Zurücklassen in der Wohnung oder im Geschäftsraum (Satz 1 2. Hs). 16 _____Die Zustellung wird im Falle unberechtigter Annahmeverweigerung grds. durch Zurück_____ _____ _____18 So ausdrücklich BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____lassen des Schriftstücks in der Wohnung (vgl. § 178 Rdn. 17 ff.) oder im Geschäftsraum ____(vgl. § 178 Rdn. 48 ff.) bewirkt. Dadurch soll dem Adressaten die Möglichkeit erhalten ____bleiben, seine Annahmeverweigerung zu überdenken und Kenntnis vom Inhalt des ____Schriftstücks zu nehmen.19 Die Systematik in Satz 1 2. Hs und Satz 2 macht deutlich, dass ____nur Wohnungen oder Geschäftsräume für hinreichend sicher gehalten werden, um das ____Schriftstück dort zurücklassen zu können. Ist ein Briefkasten oder eine ähnliche Vorrich____tung i.S.v. § 180 vorhanden, so zählt sie in funktionaler Betrachtungsweise zur Wohnung ____bzw. zum Geschäftsraum i.S.v. § 179. Der Ausführende kann also zwischen diesen in Be____tracht kommenden Orten wählen. Zu beurkunden ist dann eine Zustellung nach § 179 ____(vgl. § 182 Abs. 2 Nr. 5).20 ____ In anderen Fällen (in einer Gemeinschaftseinrichtung, vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 3, oder 17 ____einem anderen Zustellungsort) würde das Interesse des Adressaten, vom Inhalt des ____zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis zu erhalten (vgl. Vor § 166 Rdn. 1), wegen des Ver____lustrisikos unverhältnismäßig eingeschränkt.21 Verweigert der Adressat die Annahme an ____solchen Orten, ist eine Zurücklassung dort nicht zulässig.22 Hier steht dann der Weg über ____Satz 2 offen (Rdn. 20 ff.).23 Macht der Adressat jedoch deutlich, die Annahme auch in ____Wohnung bzw. Geschäftslokal verweigern zu wollen, darf das Schriftstück sogleich dort ____zurückgelassen werden, wenn dort kein anderer annahmebereiter Ersatzzustellungs____empfänger vorhanden ist. ____ Das Zurücklassen ersetzt die Übergabe (Fiktion der Zustellung, vgl. Satz 3 und 18 ____Rdn. 1).24 Die genaue Art und Weise des Zurücklassens richtet sich nach den Umstän____den des Einzelfalls. Grundsätzlich sieht der Gesetzgeber vor, dass das Schriftstück wie ____ein gewöhnlicher Brief behandelt wird.25 Befindet sich der Ausführende in der Wohnung ____bzw. im Geschäftsraum, so kann er das Schriftstück auf einer zur Ablage geeigneten Flä____che (Tisch oder Ähnliches) zurücklassen. Hat der Ausführende dort keinen Einlass erhal____ten, so genügt das Einwerfen in dem Briefkasten; hiervon geht der Gesetzgeber als ____„Selbstverständlichkeit“ aus.26 Jedoch schließt der § 178 Abs. 2 zugrundeliegende Gedan____ke den Einwurf in einen erkennbar gemeinsam mit dem Gegner genutzten Briefkasten ____aus.27 Fehlt ein geeigneter Briefkasten, so kommen die Ablage vor der Eingangstür, das ____Befestigen an der Tür bzw. im angrenzenden Eingangsbereich, das Hineinschieben durch ____Türspalten, der Einwurf durch ein geöffnetes Fenster oder Ähnliches in Betracht.28 ____ Keinesfalls darf das Schriftstück nur vorgezeigt und wieder mitgenommen werden. 19 ____Auch die Aushändigung an einen nicht zum Empfang berechtigten Dritten erfüllt nicht ____die Voraussetzungen des § 179. Dasselbe gilt für das Zurücklassen an anderen als in § 179 ____vorgesehenen Orten statt der dann vorgeschriebenen Zurücksendung gemäß Satz 2. In ____all diesen Fällen ist die Zustellung unwirksam, kann jedoch nach §§ 189, 295 geheilt29 ____werden. ____ ____ ____19 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____20 Offengelassen von Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____21 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____22 In BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21 wird sinngemäß wohl vergleichbar gesagt, ein Zurücklassen dort sei „nicht möglich“; wie hier Coenen DGVZ 2002, 183, 184 m.w.N. ____23 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 20 (zu § 177). ____24 OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 636, 638. ____25 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____26 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. 27 Zöller/Stöber Rdn. 1; LG Fulda MDR 1987, 149 (zu § 182 a.F.). ____28 Vergleichbar die h.M. zur Vorläuferregelung in § 186; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4; Zöller/ ____Stöber Rdn. 1. ____29 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5.

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_____ 20 2. Durch Zurücksendung des Schriftstücks (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen _____des Satz 1 2. Hs nicht vor, so kann die Zustellung durch Zurücksenden des Schriftstücks _____bewirkt werden (Satz 2). Dies gilt entsprechend dem Wortlaut zum einen für die Fälle, in _____denen keine Wohnung (vgl. § 178 Rdn. 17 ff.) bzw. kein Geschäftsraum (vgl. § 178 _____Rdn. 48 ff.) des Adressaten vorhanden ist. Erfasst werden zum anderen Fälle, in denen _____der Adressat außerhalb dieser Orte angetroffen wird und dort unberechtigterweise die _____Annahme verweigert (vgl. Rdn. 6). Die Zurücksendung nach Satz 2 muss an die absen_____dende Stelle erfolgen.30 _____ _____ 3. Beurkundung der Zustellung. Mit unberechtigter Annahmeverweigerung gilt 21 _____das Schriftstück als zugestellt (Satz 3). Das Gesetz sieht jedoch zusätzlich eine Beurkun_____dung der Annahmeverweigerung und der Zurücklassung oder Zurücksendung des _____Schriftstücks vor (§ 182 Abs. 2 Nr. 5). Die Gesetzesbegründung zu § 179 verweist hierauf _____ausdrücklich.31 Diese Beurkundung hat nach der Reform des Zustellungsrechts zum _____1.7.2002 indes nur noch eine Beweisfunktion, ist also nicht mehr32 Wirksamkeitsvo_____raussetzung.33 _____ _____ IV. Kosten _____ _____ Für die Rechtsanwaltstätigkeit zählt die Zustellung zu grundsätzlich zustellungsfrei22 _____en Zeiten zum Rechtszug (vgl. § 19 Nr. 9 RVG). Für den Gerichtsvollzieher fällt eine dop_____pelte Gebühr für die Stunden an, die zumindest teilweise in die zustellungsfreien Zeiten _____fallen, wenn die Zustellung „auf Verlangen“ erfolgt (§ 11 GVKostG). Beachte zur Verdop_____pelung des Zeitzuschlages KVGvKostG Nr. 500. _____ _____ _____ § 180 _____ Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten _____ § 180 Rohe _____ Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das _____Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Brief_____kasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für _____den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine _____sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zu_____gestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schrift_____stücks das Datum der Zustellung. _____ _____ Übersicht ____ 1 2. Einlegung des Schriftstücks in _____I. Einführung II. Voraussetzungen für die Zustellung nach § 180 Briefkästen und ähnliche Vorrichtun_____ 1. Fehlgeschlagene Zustellung an den Adresgen ____ 7 _____ saten und fehlgeschlagene Ersatzzustel3. Datumsvermerk (Satz 3) ____ 11 _____ lung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ____ 3 III. Folgen ____ 12 _____ _____ _____ _____ _____30 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. 31 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. _____32 Vgl. zum früheren Rechtszustand OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 636, 638 (zum ansonsten _____inhaltsgleichen § 191 Nr. 5 a.F.). _____33 So eindeutig BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22 (zu § 182 Abs. 1).

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ I. Einführung ____ ____ § 180 beinhaltet eine der wesentlichen Neuerungen des Zustellungsrechts.1 Sie ____dient dazu, den zuvor hohen Anteil an – vergleichweise aufwendigen – Zustellungen ____durch Niederlegung (vgl. § 181) zu reduzieren und zugleich den Zugang der Sendung an ____den Adressaten zu erleichtern und zu beschleunigen.2 Dies wird durch die Fiktion der ____Zustellung (Satz 2)3 bereits mit Einlegen des Schriftstücks in eine zu der Wohnung bzw. ____zum Geschäftsraum gehörende Vorrichtung (Satz 1) erreicht. Insbesondere die Zustel____lung in Geschäftsräumen wird dadurch wesentlich vereinfacht, wenn die Zustellung au____ßerhalb der Öffnungszeiten ausgeführt wird.4 ____ Die Zustellung nach § 180 ist eine Form der Ersatzzustellung (vgl. § 178 Rdn. 14). ____Sie setzt voraus, dass die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar war ____(Satz 1; vgl. Rdn. 3 ff.). Die erleichterte Zustellung nach § 180 ist jedoch nicht für die von ____§ 178 Abs. 1 Nr. 3 erfassten Falllagen vorgesehen. Das Einlegen in den Briefkasten einer ____Gemeinschaftseinrichtung führt also nicht zu einer wirksamen Ersatzzustellung. Viel____mehr ist in diesen Fällen die Niederlegung gemäß § 181 erforderlich.5 ____ ____ II. Voraussetzungen für die Zustellung nach § 180 ____ ____ 1. Fehlgeschlagene Zustellung an den Adressaten und fehlgeschlagene Ersatz____zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2. Die Zustellung nach § 180 setzt einen fehlge____schlagenen Versuch der Zustellung an den Adressaten selbst sowie der Ersatzzustel____lung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 (Zustellversuch in der Wohnung) oder 2 (Zustellversuch in ____eigenen Geschäftsräumen) voraus.6 Beides wird häufig miteinander verbunden sein. Es ____muss sich um einen Versuch handeln, bei dem die Tatbestandsvoraussetzungen des ____§ 178 Abs. 1 eingehalten wurden.7 Nicht ausreichend ist demnach z.B. ein Zustellversuch ____an einem Ort, der weder tatsächlich noch aus Rechtsscheingründen als Wohnung (vgl. ____§ 178 Rdn. 17 ff.) oder als eigener Geschäftsraum (vgl. § 178 Rdn. 48 ff.) des Adressaten zu ____qualifizieren ist. ____ Nicht erforderlich ist ein vorheriger erneuter Versuch der Zustellung am selben ____Ort oder an einem anderen der in § 178 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Orte. Der Gesetzgeber ____geht erkennbar und zutreffend von der grds. Gleichwertigkeit der in § 178 Abs. 1 genann____ten Varianten aus (vgl. § 178 Rdn. 10 ff.). Damit korrespondiert die Freiheit des Zustellen____den, durch Wahl der Anschrift die Zustellung an den jeweiligen Ort zu lenken (vgl. § 178 ____Rdn. 10). Ebensowenig erforderlich ist der Versuch, den Adressaten an einem gemäß ____§ 177 in Betracht kommenden Ort (vgl. § 177 Rdn. 5 f.) aufzusuchen oder entsprechende ____Nachforschungen anzustellen. ____ Die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 kann aus unterschiedlichen Gründen ____unausführbar i.S.v. Satz 1 sein. Unausführbarkeit liegt dann vor, wenn der Adressat an ____der angegebenen Adresse weder über eine Wohnung noch über Geschäftsräume i.S.v. ____§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 verfügt. Unausführbarkeit ist auch gegeben, wenn zwar ein solcher ____Ort vorhanden ist, dort aber kein in Betracht kommender Ersatzzustellungsempfänger ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; BGH NJW 2007, 2186, 2187. ____3 BGH NJW 2007, 2186, 2187 4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____5 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; BGH NJW 2007, 2186, 2187. ____6 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____7 Vgl. nur BGH NJW-RR 2010, 489, 490 m.w.N.

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_____angetroffen wird. Dabei bleiben mögliche Fehler der Adressierung (z.B. falsche Haus_____nummern oder Etagenbezeichnungen, falsche Postleitzahlen und Ähnliches) unbeacht_____lich, solange keine Zweifel darüber entstehen, ob es sich tatsächlich um die Wohnung _____bzw. die Geschäftsräume des Adressaten handelt (vgl. § 178 Rdn. 10). Ferner führt auch _____§ 178 Abs. 2 zur Unausführbarkeit, wenn kein anderer Ersatzzustellungsempfänger an_____wesend ist, in dessen Person keine Hinderungsgründe bestehen. Unausführbar ist die _____Zustellung auch dann, wenn sie außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten erfolgt. _____Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Geschäft noch nicht geöffnet oder schon wieder _____geschlossen hat. Zeitliche Festlegungen verbieten schon wegen der Liberalisierung der _____Ladenschlusszeiten, aber auch allgemeiner wegen des Gesetzeszwecks, die Zahl der Nie_____derlegungen zu vermindern.8 _____ Vom Gesetzgeber nicht geklärt ist das Verhältnis zwischen § 179 und § 180. § 179 6 _____dürfte gegenüber §180 die speziellere Regelung darstellen.9 § 180 knüpft an die Fälle an, _____in denen weder der Adressat noch ein annahmebereiter Empfänger angetroffen werden, _____während § 179 sich auf die engeren Fälle unberechtigter Annahmeverweigerung be_____schränkt. Praktisch werden sich kaum Probleme bei der Ausführung ergeben. Hat der _____Ausführende Zugang zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum erhalten, so kann er das _____Schriftstück dort zurücklassen. Ist ein Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung i.S.v. _____§ 180 vorhanden, so zählt sie in funktionaler Betrachtungsweise zur Wohnung bzw. zum _____Geschäftsraum i.S.v. § 179. Der Ausführende kann also zwischen diesen in Betracht kom_____menden Orten wählen. Zu beurkunden ist dann eine Zustellung nach § 179 (vgl. § 182 _____Abs. 2 Nr. 5).10 _____ _____ 2. Einlegung des Schriftstücks in Briefkästen und ähnliche Vorrichtungen. Das 7 _____Schriftstück kann in einen zur Wohnung bzw. zu Geschäftsräumen des Adressaten _____gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden (vgl. noch _____Rdn. 10). Hierbei ist eine funktionale Betrachtungsweise erforderlich. Eine unmittelbare _____räumliche Verbindung zwischen der Bausubstanz von Wohnung bzw. Geschäftsräumen _____und Briefkasten bzw. ähnlicher Vorrichtung ist nicht erforderlich. Beispielsweise reicht _____es aus, wenn der Briefkasten am Eingangstor, am Gartenzaun oder als gesonderte Vor_____richtung am Beginn der Grundstückszufahrt angebracht ist. Andererseits erfüllt ein in _____einem funktional abgetrennten Gebäude gelegenes Postfach oder Postabholfach grund_____sätzlich (zu Ausnahmen vgl. noch Rdn. 10) nicht die Anforderungen an die Zugehörigkeit _____zur Wohnung oder zu den Geschäftsräumen. In allen Fällen muss das Anbringen des _____Briefkastens bzw. der ähnlichen Vorrichtung vom Adressaten herrühren. Dies ergibt _____sich für den Briefkasten aus der notwendigen „Zugehörigkeit“, für ähnliche Vorrichtun_____gen unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut („die der Adressat für den Postempfang ein_____gerichtet hat“). Dazu ist nicht erforderlich, dass er selbst den Briefkasten oder die Vor_____richtung angebracht hat; es genügt die bewusste Nutzbarmachung, die i.d.R. durch das _____Anbringen eines Namensschildes erfolgt. Andererseits erscheint es nicht in jedem Falle _____als zwingend erforderlich, dass das Namensschild oder das sonstige Zuordnungszeichen _____zum Adressaten noch hinreichend lesbar oder auch nur vorhanden ist. In der Regel wird _____man dies verlangen müssen, nicht aber dann, wenn der Briefkasten erkennbar weiterbe_____nutzt wird und der Adressat es nur versäumt hat, das Namensschild zu erneuern. Wollte _____man hieran strengere Maßstäbe anlegen, so dürfte nach umfangreichen praktischen Er_____ _____ 8 BGH NJW 2007, 2186, 2187; BVerwG NJW 2007, 3222 f. _____9 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3; a.A. offenbar BLAH/Hartmann § 179 Rdn. 3 („Einen Briefkasten _____muss der Zusteller nach § 180 benutzen.“. _____10 Offengelassen von Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3.

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____fahrungen des Verfassers im Zustelldienst in einem erheblichen Teil der Fälle eine Zu____stellung nach § 180 ausscheiden müssen. Freilich ist insbesondere bei fehlenden Na____mensschildern Vorsicht angebracht, weil dies auf eine Aufgabe der Wohnung bzw. der ____Geschäftsräume hindeuten kann. Entfernt der Adressat seinen Namenszug vom Briefkas____ten und fordert er den Postzustellbediensteten auf, dort keine Post mehr einzulegen (z.B. ____wenn der Briefkasten aufgebrochen und sein Inhalt entwendet wurde), so ist die weitere ____Benutzung zu Zustellungszwecken eindeutig nicht mehr zulässig.11 Andernfalls nähme ____man dem Adressaten die Möglichkeit, der Diebstahlsgefahr entgegenzuwirken. Da das ____Gesetz andere – im Einzelfall sicherere – Wege der Zustellung vorsieht, besteht auch ____nicht die Gefahr der Zugangsvereitelung. Ein eindeutiges Zeichen, dass der Briefkasten ____nicht (mehr) dem Adressaten zuzuordnen ist, liegt auch im Zukleben oder vergleichba____ren Arten der Nutzungsverhinderung. ____ Der notwendige Schutz des Adressaten (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 ff.) wird zudem nur 8 ____dann gewährleistet, wenn die Vorrichtung, in welche das Schriftstück eingelegt wird, für ____eine sichere Aufbewahrung in der allgemein üblichen Art geeignet ist. Satz 1 sieht dies ____ausdrücklich für dem Briefkasten ähnliche Vorrichtungen vor. Jedoch muss auch der ____Briefkasten selbst diesen Anforderungen genügen.12 Notwendig ist ein Mindestmaß an ____Sicherheit. So ist ein offenstehender, aufgebrochener (nicht nur unwesentlich verboge____ner) und nicht mehr verschließbarer Briefkasten objektiv nicht mehr hinreichend sicher. ____Dasselbe gilt, wenn er überquillt und deshalb das Schriftstück nicht mehr in Gänze ein____gelegt werden kann.13 Allerdings setzen zustellungsrechtliche Folgen voraus, das der ____Zustellende solche Sicherheitsmängel erkennt oder erkennen kann.14 Deshalb muss der ____Briefkasten nicht zwingend verschlossen sein.15 In nicht seltenen Fällen sind Schlösser ____defekt, oder die Nutzer drücken aus Bequemlichkeitsgründen die Tür nur zu. Solange ein ____derartiger äußerer Minimalschutz gewährleistet ist, geht das Verlustrisiko zu Lasten des ____Adressaten. Demjenigen, welcher einen Briefkasten trotz nur für ihn erkennbarer Sicher____heitsmängel nutzt, steht die Berufung auf diesen Sicherheitsmangel nicht zu (Unbeacht____lichkeit widersprüchlichen Verhaltens). Dasselbe gilt für äußerlich intakte Briefkästen, ____deren für den Zustellenden nicht sichtbare Öffnungstür im Hausinneren nicht abschließ____bar ist.16 ____ Ein Gemeinschaftsbriefkasten mehrerer Personen reicht aus, wenn er nur von ei- 9 ____nem überschaubaren Personenkreis17 genutzt wird, der insgesamt (auch alternativ) unter ____die in § 178 Abs. 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen fällt;18 wenn dieser Personenkreis ____typischerweise hinreichend vertrauenswürdig für die Weiterleitung des zuzustellenden ____Schriftstücks erscheint, so ist dem nicht weiterreichenden Sicherheitsbedürfnis des § 180 ____ebenfalls Genüge getan.19 Wird ein derartiger Gemeinschaftsbriefkasten unter der Wohn____ ____ 11 A.A. BayObLG NJW-RR 1988, 509 zu § 182 a.F. ____12 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21. ____13 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; dort wird das Überquellen als Indiz ____gegen regelmäßige Leerung gewürdigt, ohne dass deutlich wird, was dies besagen soll. M.E. ist alleine der ____Sicherheitsaspekt entscheidend. So kann das Überquellen auch bei längerer Urlaubsabwesenheit ____eintreten, ohne dass der Adressat damit ein Signal für die Aufgabe der Wohnung bzw. des Briefkastens geben möchte. ____14 So sinngemäß und überzeugend OLG Nürnberg NJW 2009, 2229 f. ____15 OLG Nürnberg NJW 2009, 2229 f.; vergleichbar Zöller/Stöber Rdn. 3; a.A. Hannich/Meyer-Seitz/ ____Häublein Rdn. 5. ____16 OLG Nürnberg NJW 2009, 2229 f. 17 Nach OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2010, 349, 350 erfüllen 6 Mietparteien diese Voraussetzung noch. ____18 Vergleichbar für die Mitteilung nach § 182 a.F. BGH WM 2001, 274, 275 = Rpfl. 2001, 141. ____19 Vergleichbar OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 349, 350 m.w.N. (eindeutige Zuordnung an den ____Adressaten möglich, überschaubarer Kreis der Mitbenutzer, typischer Erhalt der Post auf diesem Weg).

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_____bzw. Geschäftsanschrift des Adressaten betrieben, so muss er hinreichend deutlich ma_____chen, dass er die Zustellung in einen separaten Briefkasten wünscht.20 Bei alledem ist _____§ 178 Abs. 2 sinngemäß anzuwenden.21 Jedoch darf der Zustellende die Sendung nur dann _____nicht einwerfen, wenn er weiß, dass dessen Voraussetzungen vorliegen.22 Weiterrei_____chende Voraussetzungen würden eine Zustellung gemäß § 180 weitgehend vereiteln oder _____erheblich erschweren; die Interessen des Adressaten können im Wege der Wiedereinse_____hung gewahrt werden. Der Einwurf in den Briefkasten einer Gemeinschaftseinrichtung _____ist generell ausgeschlossen (vgl. oben Rdn. 2). _____ Eine ähnliche Vorrichtung i.S.v. Satz 1 ist z.B. der Briefschlitz in der Haustür eines 10 _____Einfamilienhauses.23 Aus Sicherheitsgründen nicht ausreichend ist hingegen ein Haus_____türbriefschlitz in einem Mehrfamilienhaus oder in einem sonstigen größeren Gebäude, _____das von mehreren nicht gemeinsam wohnenden Personen bewohnt bzw. von mehreren _____Inhabern unterschiedlicher Firmen bzw. Stellen genutzt wird.24 Die Annahme, dass der _____Adressat, welcher eine solche Einrichtung gewöhnlich für den Postempfang nutzt, damit _____sein Vertrauen gegenüber den Mitbenutzern zu erkennen gebe,25 erscheint jedenfalls für _____eine beträchtliche Zahl von Fällen wenig lebensnah. Man denke etwa an die Wohn- und _____Lebenssituation in sozialen Brennpunkten oder von Migranten, die mit der hierzulande _____üblichen Zustellungskultur noch nicht vertraut sind; gerade in solchen Milieus aber dür_____ften derartige Einrichtungen eher vorhanden sein als in gutbürgerlich situierten Vierteln. _____Sie berücksichtigt auch nicht hinreichend den grundlegenden Unterschied zwischen den _____Zugangsmöglichkeiten für Dritte zu Einfamilienhäusern einerseits und zu Mehrfamilien_____häusern andererseits. Ebenfalls nicht hinreichend sicher ist i.d.R. ein Zeitungsrohr oder _____eine geschützte, am Gebäude befindliche Ablagefläche. Anderes ist ausnahmsweise nur _____dann denkbar, wenn es an einem so abgelegenen Ort angebracht ist, dass regelmäßig _____nicht damit zu rechnen ist, dass andere Personen als der Adressat und sein Umkreis _____(§ 178 Nr. 1, 2) sowie Postzusteller dort vorbeikommen. Auch Vorrichtungen, die z.B. auf_____grund von Witterungseinflüssen den Verlust des Schriftstücks befürchten lassen, sind _____nicht geeignet. Ausscheiden müssen ferner Einrichtungen, die der Adressat nicht spezi_____fisch für den Postempfang eingerichtet hat. Das Einklemmen an Blumenkästen, Blitzab_____leiter oder andere technische oder dekorative Einrichtungen sowie das Einlegen in Lam_____penschalen oder Einrichtungen in Carports etc. muss deshalb unterbleiben. Auch das _____Hindurchschieben unter der Wohnungstür erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 180,26 _____ebenso wenig das Hineinwerfen durch ein geöffnetes Fenster; damit würde der Begriff _____der „Vorrichtung“ unzulässig überdehnt. In diesen Fällen ist im Wege der Niederlegung _____nach § 181 zuzustellen. Die hierbei erforderliche Mitteilung (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 3) kann _____ _____ _____20 Vgl. OLG Köln NJW-RR 2001, 1221, 1222 zum „englischen Briefkasten“ mit Lösung über ein Verschulden gemäß § 233. M.E. kann sich der Adressat schon gemäß § 242 BGB nicht auf mangelnden _____Zugang berufen. _____21 OLG Nürnberg NJW-RR 2004, 1517, 1518. _____22 Ohne diese Einschränkung OLG Nürnberg NJW-RR 2004, 1517, 1518; Zöller/Stöber Rdn. 3; _____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; eher wie hier Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. _____23 So ausdrücklich BT(-Drucks.) 14/4554, S. 21; BGH NJW 2011, 2440, 2442; vgl. auch BGH VersR 1995, 73, 74. _____24 OLG Bremen Urt. v. 28.2.2007 (1 U 64/06 b, unveröff.) (zum unbeschrifteten Posteinwurfschlitz in _____einem Mehrfamilienhaus); obiter OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2010, 349, 350; so auch Musielak/Wolst _____Rdn. 2; Prütting/Gehrlein/Kessen Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth Rdn. 3; Zöller/Stöber Rdn. 3; a.A. BGH NJW _____2011, 2440, 2442. 25 So BGH NJW 2011, 2440, 2442; im zustimmend Eyinck MDR 2011, 1389, 1393. Der Verfasser verfügt _____über eigene Erfahrungen im Zustelldienst. _____26 A.A. Zöller/Stöber Rdn. 3. Anders auch BVerwG NJW 1973, 1945 und BVerwG NJW 1988, 578 für die _____Abgabe der Mitteilung über die Niederlegung nach § 182 a.F. (vgl. § 181 Rdn. 18).

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____dann in gegenüber § 180 erleichterter Form abgegeben werden, so dass die Zustellung ____insgesamt nicht erschwert wird. Grundsätzlich nicht geeignet sind auch räumlich deut____lich getrennte Einrichtungen wie Postfächer (vgl. Rdn. 8) oder Postablagefächer. Aus____nahmsweise kann aber etwas anderes gelten, wenn keine Wohn- oder Geschäftsanschrift ____des Adressaten, wohl aber sein Post(ablage)fach bekannt ist und andernfalls die öffentli____che Zustellung betrieben werden müsste.27 ____ ____ 3. Datumsvermerk (Satz 3). Gemäß Satz 3 hat der Zusteller auf dem Umschlag des 11 ____zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken. Dadurch soll der ____Adressat erkennen können, ab wann relevante Fristen zu laufen beginnen. Der Datums____vermerk ist jedoch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung. Dies ergibt sich ____schon aus der systematischen Stellung nach Satz 2, welcher die Zustellungsfiktion nur ____an die Voraussetzungen des Satz 1 knüpft. Vor allem aber erfüllt nach der Reform des ____Zustellungsrechts selbst die Beurkundung des Zustellvorgangs (vgl. § 182 Abs. 2 Nr. 4) ____nur noch Beweiszwecke, ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung mehr (vgl. § 182 ____Rdn. 2). Dies muss erst recht für den Datumsvermerk gelten. ____ ____ III. Folgen ____ ____ Werden die Voraussetzungen des Satz 1 eingehalten, so gilt das Schriftstück mit der 12 ____Einlegung in die nach Satz 1 vorgesehenen Vorrichtungen als zugestellt (Fiktion). Ver____stöße gegen Satz 1 führen grds. zur Unwirksamkeit der Zustellung. Allerdings schadet es ____nicht, wenn der Ausführende Wohnraum und Geschäftsraum verwechselt, weil beide ____Orte nach der Systematik des Zustellungsrechts als gleichwertig anzusehen sind (vgl. ____§ 178 Rdn. 10). In jedem Falle ist Heilung gemäß §§ 189, 295 möglich.28 ____ ____ ____ § 181 ____ Ersatzzustellung durch Niederlegung ____ § 181 Rohe ____ (1) Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar, kann ____das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen ____Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der Aus____führung der Zustellung beauftragt, ist das zuzustellende Schriftstück am Ort der ____Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post dafür bestimmten ____Stelle niederzulegen. Über die Niederlegung ist eine schriftliche Mitteilung auf ____dem vorgesehenen Formular unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden ____soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn das ____nicht möglich ist, an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemein____schaftseinrichtung anzuheften. Das Schriftstück gilt mit der Abgabe der schriftli____chen Mitteilung als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzu____stellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung. ____ (2) Das niedergelegte Schriftstück ist drei Monate zur Abholung bereitzuhal____ten. Nicht abgeholte Schriftstücke sind danach an den Absender zurückzusenden. ____ ____ ____ ____ ____27 BGH NJW-RR 2012, 1012, 1013 hält das Postfach „jedenfalls“ in diesem Fall für geeignet. ____28 Zöller/Stöber Rdn. 7; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7.

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_____ Übersicht ____ 1 c) Mitteilung in der bei gewöhnlichen _____I. Einführung Briefen üblichen Weise ____ 15 _____II. Vornahme der Ersatzzustellung durch Niederlegung (Abs. 1 Satz 1 1. Hs) d) Mitteilung durch Anheften an der Tür _____ 1. Voraussetzungen ____ 3 des Zustellungsortes bei Unmöglich_____ 2. Ort der Niederlegung (Abs. 1 Satz 1 2. Hs keit der Abgabe in der für Postsen_____ und Satz 2) ____ 6 dungen üblichen Weise ____ 22 _____ 3. Schriftliche Mitteilung über die Nieder4. Datumsvermerk (Abs. 1 Satz 5) ____ 25 _____ legung (Abs. 1 Satz 3) ____ 12 III. Folgen (Abs. 1 Satz 4) ____ 26 _____ a) Einführung ____ 12 IV. Verfahren mit dem niedergelegten Schrift_____ b) Schriftliche Mitteilung über die stück (Abs. 2) ____ 31 Niederlegung ____ 14 _____ _____ _____ I. Einführung _____ _____ Die Zustellung durch Niederlegung stellt eine verfassungsgemäße1 Form fiktiver 1 _____Kenntnisgabe zum Schutz des redlichen Rechtsverkehrs dar (vgl. Vor § 166 Rdn. 10 f.). _____Sie darf nur stattfinden, wenn vorrangige Zustellungsarten nicht zum Erfolg geführt ha_____ben. _____ 2 Die Regelung des § 181 knüpft inhaltlich an § 182 a.F. an. Sie entspricht im Wesentli_____chen der Vorgängerregelung, sieht jedoch einige nicht unerhebliche Änderungen vor.2 _____Insbesondere will der Gesetzgeber durch die Neuregelung der Ersatzzustellung (vgl. _____§ 178 Rdn. 1 ff.) die vergleichsweise aufwendige Niederlegung durch einfachere Verfah_____ren (§§ 178, 180) ersetzen (vgl. § 180 Rdn. 1; unten Rdn. 3 ff.). Auch tritt die Zustellungs_____fiktion bereits mit Abgabe der nach Abs. 1 Satz 2 erforderlichen schriftlichen Mitteilung _____ein (vgl. Rdn. 26). Durch das JuMoG vom 24.8.20043 wurden die Regelungen in Abs. 1 _____Satz 1 und 2 präzisiert und leicht verändert. Das JKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 _____Rdn. 3, § 166 Rdn. 16) brachte eine schnelle Folgeänderung mit sich (vgl. Rdn. 14). _____ _____ II. Vornahme der Ersatzzustellung durch Niederlegung (Abs. 1 Satz 1 1. Hs) _____ _____ 3 1. Voraussetzungen. Die Zustellung durch Niederlegung kann erst dann erfolgen, _____wenn andere Formen der Ersatzzustellung nicht möglich oder erfolglos waren.4 Sie ist _____also gegenüber dem Vorgehen gemäß §§ 178, 180 subsidiär. Hier ist eine gestaffelte _____Prüfung erforderlich. _____ Wurde die Ersatzzustellung zunächst gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 1 (Wohnung) oder Nr. 2 4 _____(Geschäftsraum) erfolglos versucht, so muss zunächst gemäß § 180 verfahren werden _____(Abs. 1 Satz 1 1. Hs). Nur wenn auch die Zustellung nach § 180 nicht ausführbar ist (vgl. _____§ 180 Rdn. 3 ff.), kann im Wege der Niederlegung zugestellt werden. Es genügt der einma_____lige erfolglose Zustellversuch; Verzögerungen durch Wiederholung an Folgetagen sind _____nicht zuzumuten (vgl. § 178 Rdn. 8 f.). Damit dürfte in der Praxis die Niederlegung im _____Rahmen einer Zustellung in der Wohnung bzw. in Geschäftsräumen nur noch in Aus_____nahmefällen in Betracht kommen. Allerdings ist dieser mögliche Weg bei der Auslegung _____des § 180 mitzubeachten: Wenn mangels geeigneter Vorrichtung der Verlust des zuzu_____stellenden Schriftstücks droht, ist den Interessen der Beteiligten mehr gedient, wenn die _____etwas aufwendigere, dann aber sicherere Niederlegung vorgenommen wird (vgl. § 180 _____ _____ 1 BVerfGE 25, 158, 164 f. = NJW 1969, 1103, 1104; BVerwG NJW 1980, 1480, 1481. _____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. _____3 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz, BGBl. I, 2198. _____4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; OLG Köln NJOZ 2007, 702, 703.

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____Rdn. 10). Voraussetzung ist weiterhin, dass der Adressat tatsächlich eine Wohnung bzw. ____einen Geschäftsraum unter der angegebenen Anschrift unterhält. Die Begriffe der Woh____nung und des Geschäftsraumes ist für die Anwendung der §§ 181 und 178 identisch. Be____steht keine solche Wohnung bzw. kein solcher Geschäftsraum im zustellungsrechtlichen ____Sinne, so kommt eine Zustellung durch Niederlegung am angegebenen Ort nicht in Be____tracht, auch dann nicht, wenn dort früher eine Wohnung oder ein Geschäftsraum vor____handen war und der Adressat anderweitig nicht zu erreichen ist. Auch die Unterhaltung ____eines Postfachs steht der Ersatzzustellung durch Niederlegung nicht entgegen5 (zur Ab____gabe der Mitteilung über die Niederlegung vgl. Rdn. 12 ff.). Vielmehr ist in solchen Fällen ____die öffentliche Zustellung zu betreiben.6 ____ Wurde die Zustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 3 (Gemeinschaftseinrichtungen) er____folglos versucht, so kann sogleich die Niederlegung erfolgen, weil in diesen Fällen eine ____Ersatzzustellung nach § 180 ausgeschlossen ist (vgl. § 180 Rdn. 2). ____ ____ 2. Ort der Niederlegung (Abs. 1 Satz 1 2. Hs und Satz 2). Die Niederlegung besteht ____in der Ablieferung des zuzustellenden Schriftstücks bei der zuständigen Stelle7 unab____hängig von einer weiteren Bearbeitung.8 ____ Wie nach vormaligem Recht kann die Niederlegung zum einen bei der Geschäfts____stelle (vgl. § 168 Rdn. 3) des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung ____liegt, erfolgen. Nicht vorausgesetzt wird, dass sich das Amtsgericht am Wohnort des Ad____ressaten im Sinne der politischen Gemeinde befindet; gemeint ist das für den Wohnort ____zuständige Amtsgericht. ____ Zum anderen ist die Niederlegung an einer von der Post am Zustellungsort dafür be____stimmten Stelle möglich, wenn die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt ____ist. In der Praxis dominiert die Ausführung der Zustellung durch die Post und damit ver____bunden die Niederlegung bei der örtlichen Poststelle (auch Postagenturen).9 Die Um____wandlung der vormaligen Deutschen Bundespost in die Deutsche Post AG hat zustel____lungsrechtlich keine Folgen (vgl. nunmehr § 168 Abs. 1).10 Erfasst sind auch die nach § 33 ____Abs. 1 des Postgesetzes beliehenen Unternehmer (vgl. § 168 Rdn. 11).11 Wurde ein sol____cherart beliehener Unternehmer beauftragt, so kann das Schriftstück gleichfalls an einer ____von ihm dafür bestimmten Stelle am Zustellungsort niedergelegt werden.12 Damit kann ____für die Niederlegung auch eine Stelle bestimmt werden, die von der Beleihung nach § 33 ____Abs. 1 des Postgesetzes selbst nicht erfasst ist.13 Allerdings sind hierfür Mindestvoraus____setzungen gegeben. So muss das Unternehmen im Hinblick auf die Größe seines Li____zenzbereichs eine ausreichende Zahl von Stellen einrichten, mit fachlich geeigneten und ____persönlich zuverlässigen Mitarbeitern besetzen und so ausstatten, dass eine sichere Auf____bewahrung des niedergelegten Schriftstücks auf die Dauer der dreimonatigen Abholfrist ____gewährleistet ist.14 Auch müssen die Öffnungszeiten so angelegt sein, dass jeder Adressat ____innerhalb einer angemessenen Zeit unabhängig von individuellen Arbeitszeiten in der ____ ____ ____5 VGH Kassel NJW 1990, 1500, 1501. ____6 BGH NJW-RR 1986, 1083. 7 BAG NJW 1970, 1894; BVerwG Rpfl. 1992, 71. ____8 BayObLGZ 1998, 279 = NJW-RR 1999, 1379, 1380. ____9 Vgl. zur Zulässigkeit nur Hannich-Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2 m.w.N. ____10 Vgl. schon BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832 m.w.N. ____11 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; vgl. auch OLG Düsseldorf Rpfl. 2001, 91 = NJW-RR 2001, 1148; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 1147. ____12 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____13 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____14 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22.

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_____Lage ist, das Schriftstück abzuholen. Dem Gesetzgeber steht insgesamt ein Beurteilungs_____spielraum zu, welche Unternehmen als hinreichend verlässlich für die Ausführung der _____Zustellung und die Niederlegung gelten können. Hierbei darf auch eine typisierte Be_____trachtungsweise angelegt werden. Jedoch wird darauf zu achten sein, dass sich die Tat_____sachengrundlagen für die gesetzgeberischen Einschätzungen nicht nachteilig verän_____dern, sofern dadurch die Rechte von Zustellenden oder Adressaten (vgl. Vor § 166 _____Rdn. 9 ff.) unzumutbar beeinträchtigt werden können. _____ Die Niederlegungsstelle muss sich im Zustellungsort sowie am Ort des Amtsgerichts 9 _____befinden.15 Hiermit ist die Poststelle am Zustellort sowie Amtsgerichtsort als politischer _____Gemeinde gemeint.16 Deshalb darf die Niederlegung nicht an einer außerhalb liegenden _____Poststelle erfolgen, auch wenn die Zustellung von dort aus erfolgt.17 Andernfalls wäre _____typische schnelle Erreichbarkeit nicht gewährleistet.18 Andererseits sind auch Poststellen _____außerhalb der Firmenorganisation im Agenturbetrieb19 oder ähnlichen Kooperationsfor_____men zur Niederlegung geeignet. _____ Die in § 181 Abs. 1 Satz 1 und 2 genannten zur Niederlegung geeigneten Stellen ste10 _____hen im Falle der Ausführung durch die Post gleichwertig nebeneinander. Dies wollte _____der Gesetzgeber durch das JuMoG um 24.8.2004 ausdrücklich klarstellen.20 Der Ausfüh_____rende kann wählen, wo er das Schriftstück niederlegen möchte. In allen Fällen bedarf es _____der Information des Adressaten mittels einer schriftlichen Mitteilung über die Niederle_____gung (Abs. 1 Satz 2; zu den Einzelheiten Rdn. 12 ff.). _____ Auf Initiative des Bundesrates21 hat der Gesetzgeber davon abgesehen, wie nach 11 _____vormaligem Recht die Niederlegung bei Polizeidienststellen zuzulassen. Die beiden Va_____rianten des Abs. 1 Satz 1 2. Hs wurden als ausreichend für die Zwecke der Niederlegung _____erachtet. Die Initiative des Bundesrates, bei Postzustellung zentrale Niederlegungsstel_____len für mehrere politische Gemeinden zu ermöglichen,22 wurde aus Gründen des Schut_____zes des Zustellungsempfängers vor unzumutbaren Entfernungen nicht umgesetzt.23 Die _____Geschäftsstelle des Amtsgerichts (vgl. Satz 1) darf nicht benutzt werden; vielmehr müs_____sen die Postdienstleistungsunternehmen eigene Niederlegungsstellen betreiben.24 _____ _____ 3. Schriftliche Mitteilung über die Niederlegung (Abs. 1 Satz 3) _____ _____ a) Einführung. Weitere Voraussetzung der Ersatzzustellung durch Niederlegung ist 12 _____die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Adressaten _____(vgl. Vor § 170 Rdn. 2). Die Mitteilung kann wie nach vormaligem Recht25 in der bei ge_____wöhnlichen Briefen üblichen Weise oder, wenn das nicht möglich ist, durch Anheften an _____die Tür des jeweiligen Zustellungsorts (vgl. § 178 Abs. 1) abgegeben werden. Damit soll _____im Sinne der Gewährung rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, dass der Adressat, _____ _____15 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. _____16 BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832 („Gemeinde am Wohnsitz des Empfängers“); VGH Kassel _____NJW 1986, 1192 LS; Stein/Jonas/Roth Rdn. 4. _____17 VGH Kassel NJW 1986, 1192 LS; LG Kiel NJW-RR 1997, 1021, 1022 m.w.N. _____18 Krit. insoweit im Hinblick auf die geltende Regelung insbesondere bei großen Amtsgerichtsbezirken in Flächenstaaten Zöller/Stöber Rdn. 3b. _____19 Vgl. OLG Düsseldorf Rpfl. 2001, 91 = NJW-RR 2001, 1148; OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 1147. _____20 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs in BT(-Drucks.) 15/1508, S. 17. _____21 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 32; vgl. auch die zustimmende Stellungnahme des Rechtsausschusses des _____Bundestages in BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20. 22 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT(-Drucks.) 15/1508, S. 38 f. _____23 Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT(-Drucks.) 15/1508, S. 49. _____24 Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT(-Drucks.) 15/1508, S. 49. _____25 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22.

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____der das zuzustellende Schriftstück ja nicht erhält, über dessen Existenz informiert wird. ____Das Gesetz geht davon aus, dass im Regelfall die Abgabe der Mitteilung in der bei ge____wöhnlichen Briefen üblichen Weise am ehesten geeignet ist, die Rechte des Adressaten ____zu wahren. Nur bei Unmöglichkeit kommt die andere Möglichkeit des Anheftens der Mit____teilung in Betracht. Damit gelten die zum vormaligen Recht entwickelten Maßstäbe un____verändert fort. ____ Anders als nach vormaligem Recht (§ 182 a.F. letzte Variante) kann die Mitteilung ____nicht mehr generell einer in der Nachbarschaft wohnenden Person zur Weitergabe aus____gehändigt werden (zu Einzelfällen vgl. Rdn. 18). Der Gesetzgeber sieht die hierfür erfor____derliche Vertrauensgrundlage nicht mehr als gegeben an.26 Gänzlich unproblematisch ist ____dies nicht, insbesondere in Fällen, in denen z.B. wegen größerer Bauarbeiten im Hause ____keine Abgabevorrichtung vorhanden ist und das Anheften an der Tür unter den gegebe____nen Umständen wenig sicher erscheint. ____ ____ b) Schriftliche Mitteilung über die Niederlegung. Der Ausführende muss eine ____schriftliche Mitteilung über die Niederlegung zur Abgabe an den Adressaten anfertigen. ____Dafür sind die gemäß § 190 i.V.m. den Vorschriften der ZustellungsvordruckVO (vgl. ____§ 190 Rdn. 4) vorgesehenen Formulare zu verwenden.27 Durch das JKomG vom 22.3.2005 ____wurde das – papierbezogene – Merkmal des ,Vordrucks‘ durch dass weitere des ,For____mulars‘ erreicht. Diese Mitteilung muss so beschaffen sein, dass der Adressat in zumut____barer Weise von ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung Kenntnis nehmen kann. Dies erfor____dert Leserlichkeit sowie Angaben über Urheberschaft der Mitteilung, Umstand und Ort ____der Niederlegung, nicht notwendigerweise aber das Datum. Keinesfalls ausreichend ist ____eine Mitteilung ohne Angabe des Adressaten, des zuzustellenden Schriftstücks oder ____sonstige Angaben („Blanko-Formular“).28 ____ ____ c) Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise. Als Maßstab ____kann zunächst die Regelung in § 180 Satz 1 herangezogen werden. Verfügt der Adressat ____über einen tauglichen (vgl. § 180 Rdn. 7 ff.) Briefkasten oder ist eine ähnliche Vorrich____tung i.S.v. § 180 Satz 1 vorhanden, so kann dort die Mitteilung abgegeben werden. Wenn ____diese Vorrichtungen als hinreichend sicher für die Einlegung des zuzustellenden Schrift____stücks selbst angesehen werden, so muss dies erst recht für die Einlegung der bloßen ____Mitteilung über die Niederlegung gelten. Daran wird zugleich deutlich, dass die Voraus____setzungen des § 181 etwas geringer sein können als diejenigen des § 180. Auch der unter____schiedliche Gesetzeswortlaut legt dies nahe, wenn in § 181 nur auf die „bei gewöhnlichen ____Briefen übliche Weise“ der Abgabe abstellt. Letztlich muss der Ausführende abwägen, ____ob die konkret ins Auge gefasste Art der Abgabe sicherer ist als das andernfalls vorgese____hene Anheften an die Tür des jeweiligen Zustellungsortes (vgl. Rdn. 22 f.). ____ Im Übrigen muss die übliche Art der Briefabgabe in Bezug auf den jeweiligen Ad____ressaten bestimmt werden.29 Maßstab ist immer das Anliegen, dem Adressaten mög____lichst bald und zuverlässig Kenntnis von der Niederlegung zu geben.30 Gewisse Typisie____rungen sind aber im Regelfall trotz der Maßgeblichkeit der jeweiligen Umstände des ____Einzelfalls unvermeidlich. Dabei kann jedoch nicht alleine die Gewohnheit des Ausfüh____ ____ ____26 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____27 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. 28 AG Baden-Baden NJW 2001, 839, 840 mit etwas ungewöhnlicher Diktion. ____29 BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832; BVerwG NJW 1985, 1179; BFH NJW 1988, 1999, 2000 ____m.w.N. ____30 BVerwG NJW 1985, 1179.

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_____renden maßgeblich sein, solange nicht zumindest die Duldung31 durch den Adressaten _____hinzutritt (vgl. auch die Parallelerwägungen in § 180 Rdn. 7). _____ Duldung setzt die Berechtigung zur Annahme voraus, dass der Adressat weiß und in 17 _____der Lage wäre, sich gegen eine aus seiner Sicht nicht akzeptable Art der Abgabe zur _____Wehr zu setzen. Dies kann z.B. bei der Zustellung in Sammelunterkünften von Asylbe_____werbern relevant werden (vgl. § 180 Rdn. 9).32 Entfernt der Adressat seinen Namen vom _____Briefkasten und fordert er den Postzustellbediensteten auf, dort keine Post mehr einzu_____legen (z.B. wenn der Briefkasten aufgebrochen und sein Inhalt entwendet wurde), so _____endet damit die übliche Art der Abgabe durch Einwurf in den Briefkasten;33 andernfalls _____nähme man dem Adressaten die Möglichkeit, der Diebstahlsgefahr entgegenzuwirken. _____Da das Gesetz andere – im Einzelfall sicherere – Wege der Benachrichtigung vorsieht, _____besteht auch nicht die Gefahr der Zugangsvereitelung. _____ 18 Die verbreitet übliche Art der Abgabe ist der Einwurf in den Hausbriefkasten34 oder _____in einen entsprechenden Türschlitz35 (vgl. nun auch § 180 Satz 1). Die Mitteilung über die _____Niederlegung ist also regelmäßig ebenfalls dort einzuwerfen. Dies gilt auch dann, wenn _____der Briefkasten nicht verschlossen bzw. aufgebrochen ist, solange der Adressat nicht _____deutlich macht, der Briefkasten solle nicht weiter (für ihn) genutzt werden (vgl. § 180 _____Rdn. 7).36 Nicht erforderlich ist die alleinige Nutzung des Briefkastens durch den Adres_____saten; ein Gemeinschaftsbriefkasten reicht aus,37 gleichgültig, in welcher rechtlichen _____Beziehung die Verwender zueinander stehen.38 Dasselbe gilt für den Briefschlitz in der _____Haustüreingangstür, auch wenn Dritte das Haus mitbewohnen.39 Etwa abweichende Vor_____schriften der Postkundenschutzverordnung40 können das Zustellungsrecht nicht verän_____dern.41 Allerdings gilt § 178 Abs. 2 sinngemäß auch hier (vgl. § 178 Rdn. 66).42 _____ Möglich ist auch das Hindurchschieben unter der Wohnungstür.43 Unterhält der _____Adressat ein Postfach, so kann dieses genutzt werden.44 Entgegen einer verbreiteten _____anderslautenden Auffassung45 kann kein Zweifel daran bestehen, dass die übliche Ab_____gabe gewöhnlicher Briefe auch dort erfolgt. Ist daneben ein Hausbriefkasten vorhanden, _____so kann die Mitteilung in jedem Falle auch dort eingeworfen werden. Der Adressat gibt _____mit dem Bereithalten eines Briefkastens zu erkennen, dass er auf diesem Wege regelmä_____ßig erreichbar ist. Zudem kann es in seinem Interesse liegen, die Mitteilung sofort zu _____erhalten, ohne das – vielleicht bereits geleerte – Postfach aufsuchen zu müssen. Die im _____konkreten Fall übliche Art der Abgabe kann auch in der Aushändigung an einen annah_____ _____ 31 Vgl. BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832 m.w.N. _____32 Nicht unbedenklich insoweit BVerwG NJW 1985, 1179, 1180. _____33 A.A. BayObLG NJW-RR 1988, 509. _____34 BFH NJW 1988, 1999, 2000; OLG München NJW-RR 1994, 702. _____35 Vgl. BGH VersR 1995, 73, 74. 36 Ohne diese Einschränkung BayObLG NJW-RR 1988, 509. _____37 BGH WM 2001, 274, 275 = NJW 2001, 832. _____38 BVerwG NJW 1988, 578, 579. A.A. LG Neuruppin NJW 1997, 2337 f. m. abl. Anm. Eyinck, 206. _____39 BFH 12.11.2003 (X B 57/03) (NV) m.w.N. _____40 BGBl. I 1995, S. 2016. _____41 Wie hier Eyinck Zustellungsrecht und Postreform: Gemeinschaftsbriefkasten bei Ersatzzustellung durch Niederlegung, NJW 1998, 206; die Wertungen der Postkundenschutzverordnung will dagegen _____Westphal (Noch einmal: Gemeinschaftsbriefkasten bei Ersatzzustellung durch Niederlegung, NJW 1998, _____2413 f.) berücksichtigen. _____42 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2005, 7275. _____43 BVerwG NJW 1973, 1945; BVerwG NJW 1988, 578. 44 BVerwG NJW 1971, 1284, 1285; VGH Kassel NJW 1990, 1500, 1501; wohl auch BayObLGZ 1980, 266, 269. _____A.A. BFH NJW 1984, 448; BSG NJW 1967, 903; BayObLG NJW 1963, 600 f.; Stein/Jonas/Roth Rdn. 9; Zöller/ _____Stöber Rdn. 4. _____45 Vgl. BFH NJW 1984, 448; BSG NJW 1967, 903; BayObLG NJW 1963, 600 f. LS.

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____mebereiten Nachbarn liegen. Satz 2 sieht schon nach seinem Wortlaut nicht vor, dass ____die Abgabe der Mitteilung in der Wohnung bzw. im Geschäftsraum zu erfolgen habe. ____Auch Sinn und Zweck der Regelung machen deutlich, dass eine gewisse räumliche Nähe ____der Abgabe ausreicht, wenn sie dem vom Adressaten herrührenden (vgl. Rdn. 16) Übli____chen entspricht. ____ Das einfache Ablegen vor der Wohnungstür kann m.E. nicht als übliche Abgabeart ____ausreichen, selbst wenn Briefsendungen und Grobpostsendungen dort mangels Brief____kasten oder ähnlicher Vorrichtung üblicherweise abgelegt werden.46 Hier ist zu beach____ten, dass ein einfaches unbefestigtes Formular z.B. durch Witterungseinfluss ver____gleichsweise sehr leicht abhanden kommen kann, und dass andererseits das Anheften ____an die Tür des Zustellungsorts offensteht. Nicht ausreichend ist auch die Übersendung ____der Mitteilung per Post.47 ____ Wenn der Adressat einen Nachsendeantrag gestellt hat, der sich nicht auf Postzu____stellungsaufträge bezieht, so bleibt es bei der Möglichkeit, die Mitteilung in den Haus____briefkasten einzuwerfen oder die ansonsten übliche Art der Briefabgabe zu wählen,48 ____solange die bisherige Wohnung nicht aufgegeben ist (vgl. dazu § 178 Rdn. 24 ff.). Die Stel____lung eines Nachsendeantrags erzeugt keine Rechtspflicht zur Nachsendung,49 beein____flusst die „Üblichkeit“ der Abgabeweise also nicht.50 Sie ändert auch nicht die „Anschrift ____des Empfängers“, unter der allein die Mitteilung erfolgen kann.51 Andernfalls könnten ____Ort und Zeit der Zustellung nicht mehr beweiskräftig im Sinne des § 418 dokumentiert ____werden, weil nur noch die Absendung der Mitteilung, nicht aber ihr Eintritt in den Emp____fangsbereich des Adressaten zu beurkunden wäre. Damit würde ein wichtiger Zweck der ____Zustellungsvorschriften (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 ff.) verfehlt.52 Die Nachsendung an die im ____Antrag genannte Adresse wäre zudem mit zustellungsrechtlichen Unsicherheiten behaf____tet, weil durch die Stellung eines solchen Antrags nicht notwendig eine neue Wohnung ____begründet wird (vgl. § 178 Rdn. 24). Andererseits ist fraglich, ob die Stellung eines sol____chen Antrags in jedem Falle einen Anschein der Begründung einer Wohnung erzeugt. ____ Aus den genannten Gründen kommt erst recht keine Nachsendung des Schriftstücks ____selbst zum Zweck der Ersatzzustellung in Betracht.53 Den Bedürfnissen des länger ab____wesenden Adressaten wird bereits die Möglichkeit gerecht, das niedergelegte und damit ____zugestellte Schriftstück gegen Entgelt nachsenden zu lassen.54 ____ ____ d) Mitteilung durch Anheften an der Tür des Zustellungsortes bei Unmöglich____keit der Abgabe in der für Postsendungen üblichen Weise. Die Unmöglichkeit der ____Abgabe in der für Postsendungen üblichen Weise kann sich daraus ergeben, dass über____haupt kein geregelter Briefzugang gewährleistet ist, oder aus der jeweiligen Situation des ____Einzelfalls. So kann es liegen, wenn Prozessgegner denselben Gemeinschaftsbriefkasten ____benutzen.55 Hier kommt der Gedanke des § 178 Abs. 2 zum Tragen, ohne dass die Norm ____selbst anwendbar wäre (vgl. auch § 180 Rdn. 9). Allerdings muss der Ausführende positi____ ____ ____46 A.A. BVerwG NJW 1985, 1179, 1180 zu § 182 a.F. ____47 AG Haßfurt DGVZ 1989, 74, 75. 48 BGH VersR 1995, 73, 74; BFH NJW 1988, 1999, 2000; BVerwG NJW 1991, 1904; VGH Kassel NJW 1996, ____1075; VGH Mannheim NJW 1997, 3330 f. ____49 VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. ____50 BVerwG NJW 1991, 1904. ____51 VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. 52 BFH NJW 1988, 1999, 2000 m.w.N.; BVerwG NJW 1991, 1904; BayObLGZ 1980, 266, 269. ____53 VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. ____54 VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. ____55 LG Fulda MDR 1987, 149 (zu § 185 a.F.); angedeutet in BVerwG NJW 1988, 578, 579.

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_____ve Kenntnis von der Kollisionslage haben, um Unmöglichkeit annehmen zu können. _____Nicht möglich i.S.d. Norm ist auch das Einwerfen in einen überfüllten, nicht mehr sicher _____aufnahmebereiten Briefkasten.56 _____ Nur die Befestigung an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemein23 _____schaftseinrichtung bietet hinreichend sichere Gewähr für die Möglichkeit der Kenntnis_____nahme. Die Befestigung an der davon getrennten Haus- oder Gartentür genügt nicht.57 _____Bei Geschäftsräumen und Gemeinschaftseinrichtungen ist diejenige Tür zu wählen, die _____unmittelbar zu den für Zustellungszwecke vorgesehenen Räumlichkeiten führt (vgl. § 178 _____Rdn. 49 f.). _____ 24 Das Anheften an der Wohnungstür muss so vorgenommen werden, dass die Gefahr _____einer Beseitigung durch Unbefugte oder andere Einwirkungen möglichst gering gehalten _____wird.58 Dafür ist die Verbindung z.B. mittels einer Heftzwecke oder eines Klebestreifens _____erforderlich. Nicht ausreichend ist das bloße Einklemmen oder Einstecken in den Tür_____spalt.59 _____ _____ 25 4. Datumsvermerk (Abs. 1 Satz 5). Gemäß Abs. 1 Satz 4 hat der Zusteller das Datum _____der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken. Für _____diesen Datumsvermerk gelten sinngemäß die Ausführungen zu § 180 Satz 3 (vgl. § 180 _____Rdn. 11). Er dient dazu, dem Adressaten Klarheit über mögliche Fristläufe zu verschaf_____fen, ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung.60 Die Gesetzesbe_____gründung äußert sich hierzu wie bei der Parallelregelung in § 180 nicht explizit. Aus den_____selben systematischen und teleologischen Erwägungen wie bei § 180 (§ 180 Rdn. 11) ist _____dieses Ergebnis jedoch eindeutig. _____ _____ III. Folgen (Abs. 1 Satz 4) _____ _____ Anders als nach vormaligem Recht legt Abs. 1 Satz 3 fest, dass das Schriftstück be26 _____reits mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung (Satz 2) als zugestellt gilt.61 _____ Verstöße gegen die Vorschriften des Satz 1 1. Hs und des Satz 3 führen zur Unwirk27 _____samkeit der Zustellung.62 Dies ist der Fall, wenn der Vorrang der §§ 178 (einschließlich _____§ 178 Abs. 2), 180 nicht beachtet wird (vgl. Rdn. 3), wenn der Adressat unter der Zustel_____lungsadresse keine Wohnung bzw. Gemeinschaftsunterkunft oder keinen Geschäftsraum _____im zustellungsrechtlichen Sinne hat (vgl. Rdn. 4 f.) oder wenn die Mitteilung über die Nie_____derlegung nicht in der vorgesehenen Form und Weise abgegeben wurde (vgl. Rdn. 12 ff.), _____wobei auch der grundsätzliche Vorrang der Abgabe in der für gewöhnliche Briefe üblichen _____Weise zu beachten ist. Ungenauigkeiten in der Mitteilung über die Niederlegung können _____zur Unwirksamkeit der Zustellung führen, wenn etwa die falsche Namensbezeichnung _____dazu führt, dass der Adressat das gemäß § 181 niedergelegte Schriftstück nicht erhält.63 Der _____ _____ _____ _____56 Hannich-Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. _____57 Vgl. BVerfG NJW 1988, 817; OLG Köln NJOZ 2007, 702, 703; Zöller/Stöber Rdn. 5. 58 BFH BB 1981, 230; VGH Kassel NJW 1990, 1500, 1501. _____59 BFH BB 1981, 230; VGH Kassel NJW 1990, 1500, 1501. _____60 A.A. zum vormaligen Recht (obsolet) LG Berlin NJW 2001, 238. _____61 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; die Rechtsprechung zu § 182 a.F. (BGHZ 28, 30, 31 = NJW 1958, 1676; BGH _____VersR 1995, 73, 74; BAG NJW 1970, 1894; BVerwG NJW 1991, 1904; BFH NJW 1988, 1999 2000) ist damit insoweit obsolet. _____62 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 2000, 3511 m.w.N. (zu § 182 a.F.; insoweit obsolet für die Niederlegung _____selbst); OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46 f.; AG Neuruppin NJW 2003, 2249, 2250. _____63 LG Paderborn NJW 1977, 2077 zu § 170 a.F.

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____Datumsvermerk gemäß Abs. 1 Satz 5 stellt keine Wirksamkeitsvoraussetzung dar (vgl. ____Rdn. 25), Fehler sind demnach für die Zustellungswirkung unbeachtlich. ____ Eine Heilung nach §§ 189, 295 ist im Hinblick auf alle genannten Unwirksamkeits____gründe möglich.64 ____ Auf die Niederlegung selbst (Satz 1) kommt es nicht mehr an. Fehler bei der Nieder____legung berühren also nicht die Wirksamkeit der Zustellung.65 ____ Für die Zustellungswirkung kommt es auf spätere Weiterleitung oder Abholung ____ebenso wenig an66 wie auf die Stellung eines Nachsendeantrags67 (vgl. Rdn. 20). Der ____redliche Adressat genießt Schutz über die Vorschriften der Wiedereinsetzung in den ____vorigen Stand68 (§ 233). Holt er jedoch das vorschriftsgemäß niedergelegte Schriftstück ____nicht ab, so liegt darin ein Verstoß gegen die prozessuale Sorgfaltspflicht, der eine Wie____dereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ausschließt.69 ____ ____ IV. Verfahren mit dem niedergelegten Schriftstück (Abs. 2) ____ ____ Die Regelung des Abs. 2 schreibt die bereits zuvor bestehende Praxis für alle Nieder____legungsstellen (Abs. 1 Satz 1 2. Hs und Satz 2; vgl. Rdn. 6 ff.) rechtsförmig fort.70 Demnach ____ist das niedergelegte Schriftstück drei Monate zur Abholung bereitzuhalten. Nicht abge____holte Schriftstücke sind danach an den Absender zurückzusenden. Auch die Bereithal____tung ist nicht mehr Bestandteil des Zustellvorgangs. Fehler berühren daher die Wirk____samkeit der Zustellung nicht.71 ____ ____ ____ § 182 ____ Zustellungsurkunde ____ § 182 Rohe ____ (1) Zum Nachweis der Zustellung nach den §§ 171, 177 bis 181 ist eine Urkunde ____auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen. Für diese Zustellungsur____kunde gilt § 418. ____ (2) Die Zustellungsurkunde muss enthalten: ____1. die Bezeichnung der Person, der zugestellt werden soll, ____2. die Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben ____ wurde, ____3. im Falle des § 171 die Angabe, dass die Vollmachtsurkunde vorgelegen hat, ____4. im Falle der §§ 178, 180 die Angabe des Grundes, der diese Zustellung rechtfer____ tigt und wenn nach § 181 verfahren wurde, die Bemerkung, wie die schriftliche ____ Mitteilung abgegeben wurde, ____ ____ ____64 BayObLGZ 1963, 261, 264; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46, 47. ____65 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; OLG Hamburg NStZ-RR 2003, 46 f.; obsolet deshalb OLG Frankfurt a.M. ____NStZ-RR 1997, 138 und OLG Düsseldorf NJW 2000, 3511 zu § 182 a.F. (ebenso die Entscheidungen unter ____Fn. 54). Krit. zur Neuregelung Nies MDR 2002, 69, 73; Wunsch JuS 2003, 276, 279. 66 BVerwG NJW 1980, 1480; BVerwG NJW 1991, 1904; BayObLG FamRZ 1990, 428, 429. Zum Verfahren ____nach Niederlegung vgl. Zöller/Stöber Rdn. 8 f. m.w.N. ____67 BGH VersR 1995, 73, 74; BayObLGZ 1980, 266, 268 ff. ____68 Vgl. BGH VersR 1995, 73, 74; BGH NJW-RR 2001, 571, 572; BVerwG NJW 1983, 1923; BVerwG NJW 1988, ____578, 579; BVerwG NJW 1991, 1904; BFH NJW 1968, 2126, 2127; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992, 700, 701; VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. ____69 BGH VersR 1978, 826, 827; BVerwG NJW 1970, 773. ____70 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____71 Hannich-Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 7.

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_____5. im Falle des § 179 die Erwähnung, wer die Annahme verweigert hat und dass _____ der Brief am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender zurück_____ gesandt wurde, _____6. die Bemerkung, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzu_____ stellende Schriftstück enthält, vermerkt ist, _____7. den Ort, das Datum und auf Anordnung der Geschäftsstelle auch die Uhrzeit _____ der Zustellung, _____8. Name, Vorname und Unterschrift des Zustellers sowie die Angabe des beauf_____ tragten Unternehmens oder der ersuchten Behörde. _____ (3) Die Zustellungsurkunde ist der Geschäftsstelle unverzüglich zurückzulei_____ten. _____ _____ Übersicht ____ 1 5. Angabe des Grundes, der die Ersatzzu_____I. Einführung stellung nach §§ 178, 180 rechtfertigt und Zustellungsurkunde (Abs. 1 _____II. Form der ____ 3 die Bemerkung, wie im Falle des § 181 _____ Satz 1) III. Beweiskraft der Zustellungsurkunde (Abs. 1 die schriftliche Mitteilung abgegeben _____ Satz 2) wurde (Nr. 4) ____ 27 _____ 1. Charakter einer öffentlichen 6. Bei Zustellung nach § 179 die Erwäh_____ Urkunde ____ 4 nung, wer die Annahme verweigert hat _____ 2. Beweiskraft und ihre Grenzen ____ 5 und dass der Brief am Ort der Zustellung _____ a) Inhalte der Beweiskraft ____ 5 zurückgelassen oder an den Absender _____ b) Grenzen der Beweiskraft ____ 11 zurückgesandt wurde (Nr. 5) ____ 30 c) Berichtigung der Zustellungs7. Datumsvermerk (Nr. 6) ____ 32 _____ urkunde ____ 17 8. Ort und Datum der Zustellung _____ IV. Inhalt der Zustellungsurkunde (Abs. 2) (Nr. 7) ____ 34 _____ ____ 18 9. Name, Vorname und Unterschrift des _____ 1. Einführung der zugestellt Zustellers sowie die Angabe des beauf_____ 2. Bezeichnung der Person, werden soll (Nr. 1) ____ 20 tragten Unternehmers oder der ersuch_____ 3. Bezeichnung der Person, an die der Brief ten Behörde ____ 36 _____ oder das Schriftstück übergeben wurde V. Verfahren mit der Zustellungsurkunde _____ (Nr. 2) ____ 25 (Abs. 3) ____ 38 _____ 4. Vorliegen der Vollmachtsurkunde bei VI. Folge von Verstößen gegen die Norm ____ 40 _____ Zustellung nach § 171 (Nr. 3) ____ 26 _____ _____ I. Einführung _____ _____ Die Norm regelt den Nachweis der Zustellung nach § 171 (Zustellung an Bevollmäch1 _____tigte) sowie der Ersatzzustellung nach §§ 177 bis 181 durch eine formalisierte Zustel_____lungsurkunde. Sie bestimmt den notwendigen Inhalt der Zustellungsurkunde (Abs. 2), _____ihre Beweiskraft (Abs. 1 Satz 2) sowie das Verfahren mit ihr (Abs. 3). Leichte Modifikatio_____nen bei der Zustellung im Parteibetrieb ergeben sich aus § 193. _____ Anders als nach vormaligem Zustellungsrecht ist diese Beurkundung nicht mehr 2 _____Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung selbst, sie ist nicht mehr konstitutiver _____Teil der Zustellung.1 Das gilt auch für die Fälle der Annahmeverweigerung nach § 179 _____und der Niederlegung nach § 181.2 Die Zustellungsurkunde behält aber eine wichtige _____Beweisfunktion. Unter diesen geänderten Vorzeichen fasst § 182 mit gewissen Modifika_____tionen die vormaligen Regelungen der §§ 190 Abs. 1, 191, 195 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 und 212 _____ _____ _____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; BGH BeckRS 2007, 18290; OLG Berlin NVwZ-RR 2004, 724 m.w.N. _____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22.

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____a.F. zusammen.3 Durch das IKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3; § 166 Rdn. 16) ____wurde das – papierbezogene – Merkmal des ,Vordrucks‘ durch das weitere des ,Formu____lars‘ ersetzt. ____ ____ II. Form der Zustellungsurkunde (Abs. 1 Satz 1) ____ ____ Gemäß Abs. 1 Satz 1 ist zum Nachweis der Zustellung nach §§ 171, 177 bis 181 eine Ur- 3 ____kunde auf dem nach § 190 vorgesehenen Formular (vgl. § 190 Rdn. 4) anzufertigen. Die ____absendende Stelle muss diesen Vordruck dem zuzustellenden Schriftstück beifügen ____(§ 176 Abs. 1).4 Damit soll eine Erleichterung des Verfahrens durch Vereinheitlichung ____gewährleistet werden. Darüber hinausgehende Zwecke sind bei der Standardisierung ____nicht ersichtlich. Deshalb ist die Verwendung des vorgesehenen Formulars keine zwin____gende Voraussetzung für die Beweiskraft der Urkunde, wenn sie den nach Abs. 2 erfor____derlichen Inhalt auf andere Weise wiedergibt.5 ____ ____ III. Beweiskraft der Zustellungsurkunde (Abs. 1 Satz 2) ____ ____ 1. Charakter einer öffentlichen Urkunde. Die Zustellungsurkunde ist gemäß Abs. 1 4 ____Satz 2 eine öffentliche Urkunde i.S.v. §§ 415 Abs. 1, 418. Sie hat diesen Charakter auch ____dann, wenn sie von einem mit der Ausführung der Zustellung beauftragten Mitarbeiter ____der Post (vgl. § 168 Rdn. 11 ff.) errichtet wird.6 Satz 2 stellt nach dem Willen des Gesetzge____bers klar, dass für die beauftragte Person § 418 entsprechend gilt.7 Damit wird der Streit ____über die Konsequenzen aus der Privatisierung der Post8 entschieden. Der Gerichtsvoll____zieher ist ohnehin kraft seiner Stellung gemäß § 154 GVG öffentliche Urkundsperson ____i.S.v. §§ 415 Abs. 1, 418.9 ____ ____ 2. Beweiskraft und ihre Grenzen ____ ____ a) Inhalte der Beweiskraft. Die Zustellungsurkunde begründet als öffentliche Ur- 5 ____kunde nach § 418 den vollen Beweis der in ihr bezeugten, vom Ausführenden wahrge____nommenen und festgestellten Tatsachen.10 ____ ____ ____3 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. 4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____5 Vgl. schon zur Vorgängerregelung in § 190 Abs. 2 a.F. RGZ 52, 11, 13 f. ____6 So ausdrücklich BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. Vgl. nur BGH WM 2004, 1391, 1392. ____7 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____8 Vereinzelt wurde vertreten, dass mit der Privatisierung die Voraussetzungen für die öffentliche Beurkundung entfallen seien (vgl. VG Frankfurt a.M. NJW 1997, 3329, 3330; Seltmann AnwBl 1996, 403 ff.; ____Späth NJW 1998, 1620 f.). Hätte der Gesetzgeber dies aber für möglich gehalten, so hätte er mit Sicherheit ____das Zustellungsrecht an die geänderten Verhältnisse angepasst. Die anderslautende Ansicht unterliegt dem ____Irrglauben, dass nur durch unmittelbare Staatstätigkeit zuverlässig gearbeitet werden könne. Immerhin ist ____ein privatwirtschaftlich geführtes, künftig wohl auch echtem breiteren Wettbewerb unterliegendes ____Unternehmen darauf angewiesen, sich durch zuverlässige Leistungserbringung dauerhaft am Markt zu behaupten. Unzutreffend ist auch die Behauptung, die Deutsche Post AG sei im Wege einer rechtswidrigen ____Beleihung in die Lage versetzt worden, durch ihre AGB auf der untergesetzlichen Ebene verbindliches Recht ____im Hinblick auf die Zustellungsvorschriften zu setzen. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Zustellung bleiben ____nach wie vor alleine die Vorschriften der ZPO. Sollte die Ausführung der Zustellung aufgrund von AGB oder ____interner Regelungen dazu führen, dass die ZPO-Regelungen nicht erfüllt werden, so führt dies gegebenenfalls zur Unwirksamkeit der Zustellung. Die Organisationsform der Post hat darauf keinen Einfluss. ____9 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____10 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BVerfG NJW-RR 2002, 1008; BGH WM 2004, 1391, 1392; OLG Düsseldorf ____JurBüro 1995, 41.

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_____ 6 Die Beurkundung muss allerdings im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit _____dem Zustellungsvorgang erfolgen.11 Der späteste Zeitpunkt hierfür ist mit der Absendung _____der Urkunde an den Destinatär anzusetzen.12 Andernfalls wird die Beweiskraft der Ur_____kunde beeinträchtigt. Zu nachträglichen Korrekturen vgl. unten Rdn. 17. _____ Die Urkunde beweist in diesem Sinne, dass die Postsendung dem in der Urkunde be7 _____zeichneten Empfänger übergeben wurde.13 Bei der Ersatzzustellung beweist sie, dass der _____Ausführende den Adressaten unter der ihm angegebenen Anschrift nicht persönlich an_____getroffen hat14 und dass der Zusteller die Sendung in den zur Wohnung des Adressaten _____gehörenden Briefkasten eingelegt hat.15 Bei der Ersatzzustellung durch Niederlegung _____(§ 181) erstreckt sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde darauf, dass der Ausfüh_____rende den Adressaten unter der ihm angegebenen Anschrift nicht persönlich und dort _____auch keine zur Ersatzzustellung geeignete und bereite Person angetroffen hat, und dass _____er die Benachrichtigung über die Niederlegung an dem angegebenen Tag in den Haus_____briefkasten gelegt16 bzw. die ansonsten zulässige Art der Mitteilung vollzogen hat.17 Be_____urkundet wird damit auch, dass die Benachrichtigung in der für die Abgabe gewöhnli_____cher Briefe üblichen Weise erfolgt ist.18 Ferner wird damit das Datum der Zustellung _____bewiesen.19 Die Beweiskraft erstreckt sich nicht darauf, dass der Adressat in der angege_____benen Wohnung tatsächlich wohnt bzw. in den angegebenen Räumen tatsächlich Ge_____schäftsräume unterhält. Diese Angaben entfalten jedoch i.d.R. Indizwirkung (vgl. _____Rdn. 11 ff.; § 178 Rdn. 86 m.w.N.). _____ Der Gegenbeweis20 kann über den immer möglichen Angriff gegen die Echtheit der 8 _____Urkunde angetreten werden, muss aber hinreichend substantiiert werden. Dafür genügt _____jedoch nicht schlichtes Bestreiten der ordnungsgemäßen Zustellung21 unter Benennung _____des Zustellers als Zeugen.22 Ebenfalls nicht ausreichend ist die pauschale Behauptung _____eines anderen als des beurkundeten Zustellungsdatums.23 Dasselbe gilt für die Behaup_____tung des Adressaten, er habe entgegen der Beurkundung keinen Briefkasten oder Ver_____gleichbares eingerichtet, solange er nicht erläutert, auf welchem Wege ihn Postsendun_____gen erreichen.24 Auch der einfache Hinweis darauf, bei der zuständigen Poststelle sei es _____schon einmal zu einer falschen Bescheinigung über die persönliche Aushändigung eines _____ _____ _____11 BGH NJW 1981, 874, 875 m.w.N.; BGH NJW 1990, 176, 177 m.w.N. (die Unwirksamkeitsfolge des _____vormaligen Zustellungsrechts wird von der Neuregelung ausgeschlossen; es verbleibt aber der _____beweisrechtliche Aspekt). 12 Vgl. BGH NJW 1981, 874, 875 m.w.N. _____13 OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2011, 147 m.w.N. _____14 BVerfG NJW 1992, 224, 225 zu § 182. _____15 OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2010, 349. _____16 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BVerwG NJW 1986, 2127, 2128; OLG Düsseldorf NJW 2000, 2831; FG Düsseldorf NVwZ-RR 2000, 654. _____17 Vgl. BGH VersR 1984, 81, 82; BGH VersR 1986, 787; BVerwG DGVZ 1984, 149, 150; BVerwG NZWehrr _____2002, 217; BSG FamRZ 1983, 895, 896; OLG Köln FuR 1992, 239; Graßhof Sein und Schein, in: FS Merz zum _____65. Geburtstag, 1992, 133, insbes. 141 f. _____18 BVerwG NJW 1986, 2127, 2128. _____19 BVerfG NJW-RR 2002, 1008. 20 Vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1008; BGH NJW-RR 2001, 571; OLG Köln NJW-RR 1997, 894 m.w.N.; OLG _____Düsseldorf NJW 2000, 2831, 2831; BVerwG NZWehrr 2002, 217; BFH 24.7.2003 (X B 123/02) (NV); BFH v. _____10.11.2003 (VII B 366/02). _____21 OLG Düsseldorf JurBüro 1995, 41; BayObLGZ 1980, 266, 268 auch für Verfahren der freiwilligen _____Gerichtsbarkeit; OLG Düsseldorf NJW 2000, 2831, 2832 (Strafsachen); OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2010, 349, 350; BVerwG NZWehrr 2002, 217; BFH v. 6.10.2003 (VII B 12/03) (NV); BFH v. 10.11.2003 (VII B 366/02). _____22 BVerwG NJW 1985, 1179, 1180. _____23 BVerfG NJW-RR 2002, 1008. _____24 BFH v. 6.10.2003 (VII B 12/03) (NV).

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____Bescheids gekommen, reicht nicht aus.25 Ebensowenig genügt der schlichte Vortrag, den ____Benachrichtigungszettel nicht im Briefkasten vorgefunden zu haben;26 auch eine dahin____gehende eidesstattliche Versicherung des Adressaten selbst hilft nicht.27 Anders kann es ____liegen, wenn entsprechender Zeugenbeweis angeboten wird.28 Auch kann mit der bestä____tigten Angabe, dass es im Zustellungsbezirk in der letzten Zeit zu zahlreichen Zustel____lungsfehlern gekommen ist, der Beweis geführt werden.29 Ferner kann der Beweis gegen ____das beurkundete Zustellungsdatum auf der Grundlage der substantiierten Behauptung ____geführt werden, es habe mangels Vorliegens des niedergelegten Schriftstücks vergebli____che Abholversuche gegeben.30 Generell ist eine umfassende Würdigung erforderlich, in ____der der Beweiskraft der Urkunde die der angebotenen Gegenbeweismittel gegenüberzu____stellen ist.31 Dabei darf die wichtige Beweisfunktion der Zustellungsurkunde nicht durch ____zu großzügige Maßstäbe für den Gegenbeweis vereitelt werden. Insbesondere ist stets ____mögliches schlichtes Bestreiten unzureichend. Auch bloße Zweifel an der Richtigkeit der ____Zustellungsurkunde reichen nicht aus.32 Zur Widerlegung der Indizwirkung33 (vgl. so____eben Rdn. 7) vgl. auch § 178 Rdn. 86. ____ Wird der Gegenbeweis hinsichtlich eines bestimmten Tatbestandsmerkmals ge____führt, so wirkt sich dies nicht zwingend auf die Beweiskraft der Zustellungsurkunde als ____Ganzes aus. So widerlegt der Nachweis einer unzutreffenden Datumsangabe grds. nur ____die Datierung selbst, nicht hingegen die Beweiskraft hinsichtlich der Vornahme einer ____Ersatzzustellung gemäß § 18034 oder 181. ____ Wenn die Zustellung ordnungsgemäß beurkundet wurde, die Urkunde aber später ____nicht mehr auffindbar ist, kann der Beweis der Aufnahme der Urkunde auch mit Hilfe ____anderer Beweismittel erbracht werden.35 ____ ____ b) Grenzen der Beweiskraft. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt ____sich nicht auf Tatsachen, die sich der zuverlässigen Feststellung und Wahrnehmung ____durch den Ausführenden entziehen.36 Andernfalls würde das Recht des Zustellungsad____ressaten auf rechtliches Gehör in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise verkürzt.37 ____ Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich demnach nicht darauf, dass ____der Adressat zur Zustellungszeit an der Zustellungsanschrift wohnte oder Geschäfts____räume unterhielt (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3).38 Ebensowenig wird durch sie bewiesen, ____dass die entgegennehmende Person Beschäftigter des Adressaten war.39 Die entspre____chende Angabe des Ausführenden, den Adressaten nicht in der Wohnung bzw. in den ____Geschäftsräumen angetroffen zu haben begründet aber ein beweiskräftiges Indiz dafür, ____ ____ ____25 OLG München NJW-RR 1994, 702; vgl. auch BVerwG NJW 1983, 1923. ____26 FG Düsseldorf NVwZ-RR 2000, 654, 655. 27 BFH 12.11.2003 (X B 57/03) (NV); vgl. auch BFH v. 10.11.2003 (VII B 366/02). ____28 Vgl. BGH NJW-RR 2001, 571; OLG Dresden JurBüro 2000, 320. ____29 OLG Köln FuR 1992, 239. ____30 Vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1008. ____31 BGH NJW-RR 2001, 571; vgl. auch FG Düsseldorf NVwZ-RR 2000, 654. ____32 BFH v. 10.11.2003 (VII B 366/02). 33 Vgl. z.B. OLG Dresden JurBüro 2000, 320; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 174. ____34 BFH v. 6.10.2003 (VII B 12/03) (NV). ____35 RGZ 124, 22, 27; BGH NJW 1981, 1613, 1614; OLG Düsseldorf OLGZ 1991, 229, 231 f. zu § 183. ____36 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BGH NJW-RR 1997, 1161; BGH WM 2004, 1391, 1392. ____37 BVerfG NJW 1992, 224, 225; BVerfG NJW-RR 1992, 1084, 1085. 38 Hierzu OLG Köln NStZ-RR 2008, 379, 380. Deshalb wird die Zustellung auch nicht unwirksam, wenn ____fälschlich die Voraussetzungen der Ersatzzustellung angenommen wurden, tatsächlich aber der ____Entgegennehmende rechtsgeschäftlich bestellter (§ 171) Vertreter war. ____39 BGH WM 2004, 1391, 1392 (zum „Bediensteten“ nach § 184 a.F.).

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_____das nur durch eine plausible und schlüssige Gegendarstellung entkräftet werden kann.40 _____Dabei ist es wegen der Möglichkeit mehrerer Wohnungen (vgl. § 178 Rdn. 21) ggf. erfor_____derlich, neben der Begründung einer neuen Wohnung auch die Aufgabe der alten Woh_____nung zu belegen.41 Hierzu kann z.B. die Vorlage einer entsprechenden Meldebestätigung _____dienen.42 Stimmt die in der Zustellungsurkunde angegebene Wohnanschrift mit der vom _____Adressaten selbst zu den Akten gebrachten Anschrift überein, so ist der Vollbeweis der _____Wohnung erbracht.43 _____ Vergleichbare Indizwirkung kommt der Angabe in der Zustellungsurkunde zu, das 13 _____Schriftstück sei einem Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Per_____son oder einem ständigen Mitbewohner (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 1)44 bzw. einem Beschäftig_____ten i.S.v. § 178 Abs. 1 Nr. 245 übergeben worden. Wurde das zuzustellende Schriftstück _____(§ 180) oder die Mitteilung über die Niederlegung (§ 181 Abs. 1 Satz 3) ausweislich der _____Urkunde in den Briefkasten eingelegt, so entfaltet dieser Vermerk Indizwirkung dafür, _____dass sich an der angegebenen Adresse ein Briefkasten befindet, der zumindest auch den _____Namen des Adressaten trägt oder ansonsten diesem hinreichend sicher zuzuordnen ist.46 _____Zu den Einzelheiten vgl. § 178 Rdn. 80, § 180 Rdn. 7 ff., § 181 Rdn. 17 ff. _____ Weitere Vermerke des Ausführenden auf der Zustellungsurkunde, welche nicht den _____in Abs. 2 genannten Formalien entsprechen, genießen nicht die Beweiskraft des § 418.47 _____ 14 Zum Datumsvermerk auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück ent_____hält (Abs. 2 Nr. 6), und seinen Auswirkungen auf die Beweiskraft der Zustellungsurkun_____de vgl. Rdn. 32 f. _____ 15 Einschränkungen der Beweiskraft ergeben sich aus widersprüchlichen oder un_____klaren Angaben in einer ansonsten formal ordnungsgemäßen Zustellungsurkunde. So _____liegt es bei einer inländischen Zustellungsurkunde, die eine ausländische Adresse des _____Adressaten enthält.48Auch die Verwendung einer Zustellungsurkunde für mehrere Zu_____stellungsversuche an verschiedenen Orten bzw. unter verschiedenen Umständen muss _____ausscheiden.49 Allgemeiner werden diejenigen Fehler oder Unklarheiten, die nach vor_____maligem Zustellungsrecht zur Unwirksamkeit der Zustellung geführt haben, die Beweis_____kraft erheblich einschränken oder ganz ausschließen. _____ Die Beurkundung der Identität des zugestellten Schriftstücks durch Angabe der 16 _____Geschäftsnummer ist anders als nach § 195 Abs. 2 Satz 1 a.F. nicht mehr vorgeschrie_____ben. Daher erstreckt sich hierauf auch nicht die Beweiskraft der Urkunde.50 _____ _____ c) Berichtigung der Zustellungsurkunde. Möglich ist die Berichtigung einer ver17 _____sehentlich falsch ausgefüllten Zustellungsurkunde. Voraussetzung dafür ist, dass der _____korrigierte Inhalt auf einer hinreichend präsenten Erinnerung des Ausführenden beruht51 _____und dass die Ausführung der Korrektur keine neuen Unklarheiten über Inhalt oder Her_____ _____40 BVerfG NJW 1992, 224, 225 f.; BVerfG NJW-RR 1992, 1084, 1085; BGH FamRZ 1990, 143; BGH NJW 1992, _____1963; BGH FamRZ 1994, 1521, 1522; BGH WM 2004, 1391, 1392; BGH NJW 2011, 2440, 2441; OLG Frankfurt _____a.M. NJW-RR 1997, 956, 957. _____41 Vgl. BGH NJW 1992, 1963. _____42 BGH NJW 1992, 1963; OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224. 43 OLG Köln FamRZ 1996, 1152. _____44 Vgl. OLG Rostock FamRZ 1997, 90, 91. _____45 BGH WM 2004, 1391, 1392 (zum Bediensteten nach § 184 a.F.). _____46 OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1997, 956, 957. _____47 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1995, 223, 224. 48 Vgl. BGH BeckRS 2011, 27449 (Anschrift in Dubai). _____49 Vgl. VGH Kassel NJW 1990, 467, 468; VGH Kassel NJW 1996, 1075. _____50 Vgl. hierzu Steiner/Steiner NVwZ 2002, 437 ff. _____51 Vgl. BGH NJW 1981, 874, 875 zur Urkundenergänzung.

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____kunft schafft. Dazu gehört, dass die Berichtigung eindeutig und durch einen entspre____chenden Vermerk des Ausführenden auf der Urkunde dokumentiert ist.52 Durchstrei____chungen und Neueinfügungen werden dafür meist nicht genügen.53 In der Regel sollte ____ein Berichtigungsvermerk mit erneuter Datierung und Unterschrift angebracht werden,54 ____wie in der Praxis auch üblich. Die Beweiskraft ist nicht wiederherzustellen, wenn ver____schiedene Zustellvermerke eingetragen werden, die einander ausschließen.55 Die Berich____tigung muss wie die Ergänzung einer unvollständig ausgefüllten Urkunde (vgl. Rdn. 6) ____vor Abschluss des gesamten Zustellvorgangs in einem engen zeitlichen Zusammenhang ____mit der Ausführung der Zustellung erfolgen;56 andernfalls wird sich der Ausführende ____nicht hinreichend verlässlich an die Umstände der Ausführung erinnern können. Das gilt ____auch für die Nachholung einer unterbliebenen Unterschrift (vgl. Rdn. 36). Der späteste ____Zeitpunkt hierfür ist mit der Absendung der Urkunde an den Destinatär anzusetzen.57 ____ ____ IV. Inhalt der Zustellungsurkunde (Abs. 2) ____ ____ 1. Einführung. Die Vorschriften in Abs. 2 knüpfen an die Regelungen der §§ 191 ____Nr. 1, 3 bis 5, 7 und 195 Abs. 2 a.F. an.58 ____ Bei der Zustellung von Amts wegen bedarf es nicht der Bezeichnung der Person, ____für die zugestellt wurde (anders bei der Zustellung im Parteibetrieb, vgl. § 193 Abs. 1 ____Satz 1).59 ____ ____ 2. Bezeichnung der Person, der zugestellt werden soll (Nr. 1). Nr. 1 bezieht sich ____nur auf den Adressaten des zuzustellenden Schriftstücks in Abgrenzung zum – tatsäch____lichen – Empfänger, der in Nr. 2 erwähnt wird; zur Unterscheidung vgl. § 166 Rdn. 11. Der ____Kreis möglicher Adressaten ergibt sich aus §§ 166, 170 bis 172, 184. Zustellungsrechtlich ____erfasst ist also nicht nur die materiell betroffene Partei („materieller Adressat“), sondern ____auch im Rahmen des Zulässigen eingesetzte oder gesetzlich bestimmte „formelle“ Adres____saten.60 ____ Einzelfälle: Bei Zustellung an die juristische Person ist der gesetzliche Vertreter Ad____ressat i.S.v. Nr. 1. Bei der Aktiengesellschaft sind dies für den Anfechtungsprozess Vor____stand und Aufsichtsrat (§ 246 Abs. 2 AktG) (vgl. auch § 170 Rdn. 30). Namentliche Be____zeichnung ist nicht unbedingt erforderlich. Vielmehr genügt die Kennzeichnung durch ____die bloße Angabe der Organstellung wie z.B. „vertreten durch den Geschäftsführer“.61 Es ____kann auch nur die Angabe der Gesellschaft selbst ausreichen.62 Vergleichbares muss ____m.E. auch für die nach jüngerer, mittlerweile gefestigter Rechtsprechung partei- und pro____zessfähige BGB-Außengesellschaft63 gelten. Großzügigkeit ist insbesondere auch bei der ____Bezeichnung des gesetzlichen Vertreters von nicht natürlichen Personen angebracht, de____ ____ ____52 BVerwG DGVZ 1984, 149, 150. ____53 Vgl. VGH Kassel NJW 1996, 1075. ____54 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3 m.w.N. ____55 VGH Kassel NJW 1990, 467, 468; VGH Kassel NJW 1996, 1075 (mit Unwirksamkeitsfolge nach vormaligem Zustellungsrecht). ____56 Vgl. BGH NJW 1990, 176, 177; ähnlich Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. ____57 Vgl. BGH NJW 1981, 874, 875 m.w.N. ____58 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____59 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. 60 Vgl. RG JW 1899, 37 Nr. 6; Stein/Jonas/Roth Rdn. 5; Zöller/Stöber Rdn. 5. ____61 BGH NJW 1993, 2811, 2813. ____62 BGH NJW 1989, 2689 (zu § 191 Nr. 3 a.F.) bei der Zustellung an eine AG. ____63 Vgl. BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; K. Schmidt NJW 2001, 993, insbes. 999 ff.

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_____ren Organisationsstruktur ausländischem Gesellschaftsrecht unterliegt.64 Hier sollte je_____denfalls in einer funktionalen Betrachtungsweise die abstrakte Benennung des „Ge_____schäftsführers“ ausreichen. _____ 22 Wird in den Geschäftsräumen zugestellt (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 2), so genügt die Be_____zeichnung der Gesellschaft in der Zustellungsurkunde. Einer Bezeichnung auch der ge_____setzlichen Vertreter bedarf es nicht, weil sich üblicherweise nur Vorstandsmitglieder, _____nicht aber Aufsichtsratsmitglieder dort aufhalten. Der Vermerk, keinen gesetzlichen Ver_____treter angetroffen zu haben, kann sich also nur auf Vorstandsmitglieder beziehen.65 Zur _____notwendigen Zustellung auch an den Aufsichtsrat in solchen Fällen vgl. § 170 Rdn. 30. _____Auch in anderen eindeutigen Fällen kann es genügen, nur die Partei als solche zu be_____zeichnen. So reicht es aus, die Behörde ohne Nennung des Vorstehers anzugeben. _____ Ungenauigkeiten bei der Wiedergabe von Name und Adresse des Adressaten können 23 _____unschädlich sein, wenn seine Identität unzweifelhaft feststeht.66 So kann es bei man_____gelnder Berücksichtigung einer bei Eheschließung erfolgten Namensänderung liegen.67 _____Ebenso unschädlich ist die fehlerhafte Angabe über die Parteistellung des materiellen _____Adressaten bei Zustellung an den Prozessbevollmächtigten (z.B. Verwechslung von Klä_____ger- und Beklagtenstellung), wenn hieraus keine Unklarheiten beim formellen Adressa_____ten entstanden sind.68 Unwirksam ist dagegen die Zustellung bei Namensidentität meh_____rerer konkret in Betracht kommender Adressaten,69 z.B. bei gleicher Adresse. _____ Die unrichtige Beurkundung der persönlichen Aushändigung anstelle der tatsäch24 _____lich ausgeführten Ersatzzustellung kann die Beweiskraft der Zustellungsurkunde beein_____trächtigen.70 Anderes gilt für die Zustellung an einen Adressaten unter dem fälschlichen _____Eindruck, es handle sich um einen bloßen (Ersatzzustellungs-)Empfänger.71 Kommen _____mehrere Adressaten in Betracht, so schaden Verwechslungen unter ihnen gleichfalls _____nicht.72 Unschädlich ist auch die überflüssige, inhaltlich unrichtige Beifügung des Ver_____tretenen, wenn der Prozessbevollmächtigte zutreffend bezeichnet ist und hieraus keine _____Unklarheiten entstehen.73 _____ _____ 3. Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben 25 _____wurde (Nr. 2). Im Unterschied zu Nr. 1, die nur den Adressaten betrifft, bezieht sich Nr. 2 _____auf den – tatsächlichen – Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks; zur Unterschei_____dung vgl. § 166 Rdn. 11. Dabei kann es sich um Adressaten oder Ersatzzustellungsemp_____fänger handeln. Die Angabe muss so klar sein, dass eine eindeutige Identifizierung mög_____lich wird.74 Einer namentlichen Bezeichnung bedarf es dafür nicht notwendigerweise. Sie _____wird aber in der Regel erforderlich sein. Fehlende oder unzureichende Benennung des _____ _____ _____64 Vgl. zur dahingehenden „Gründungstheorie“ und ihrem Anwendungsbereich im Internationalen Gesellschaftsrecht Bamberger/Roth/Mäsch Art. 12 EGBGB Anh II EGBGB Rdn. 88 a ff. Im Gefolge der _____Rechtsprechung des EuGH ist die Anwendung ausländischen Gesellschaftsrechts in Deutschland zum _____„Normalfall“ geworden. _____65 BGHZ 107, 296 = NJW 1989, 2689. _____66 OLG Celle DGVZ 1984, 25, 26 zu § 170 („Karl-Dieter“ statt richtig „Rolf-Dieter“); vgl. auch Kleffmann _____NJW 1989, 1142, 1143. 67 OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 1742, 1743. _____68 BGH VersR 1962, 979, 980. _____69 Vgl. LG Marburg Rpfl. 1979, 67 f. _____70 BFHE 119, 41; OLG Düsseldorf JurBüro 1995, 41 m.w.N. (beide mit Unwirksamkeitsfolge nach _____vormaligem Zustellungsrecht); BFH 24.7.2003 (X B 123/02) (NV). 71 Vgl. RGZ 107, 161, 165 f. _____72 Vgl. RGZ 107, 161, 165 f. _____73 RG JW 1899, 37 Nr. 26. _____74 Vgl. OLG Karlsruhe OLGE 2, 422, 424.

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____Empfängers beeinträchtigt die Beweiskraft der Zustellungsurkunde.75 IdR unschädlich ist ____es aber, wenn nur die Person des tauglichen Empfängers falsch bezeichnet wird, z.B. die ____Bezeichnung der in Geschäftsräumen beschäftigten Person76 i.S.v. § 178 Abs. 1 Nr. 2; Mut____ter und Schwestern als Familienangehörige i.S.v. § 178 Abs. 1 Nr. 1 anstelle der Ehefrau;77 ____Ehegatte statt zutreffend (nichtehelicher) Lebensgefährte als ständigem Mitbewohner78 ____(vgl. dazu § 178 Rdn. 28 ff.). Die Bezeichnung des Ersatzzustellungsempfängers ist nur für ____den Umstand von Bedeutung, ob die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung im kon____kreten Fall vorgelegen haben. Steht dies fest, so kommt es auf die Person im Einzelnen ____nicht an. ____ ____ 4. Vorliegen der Vollmachtsurkunde bei Zustellung nach § 171 (Nr. 3). Gemäß 26 ____Nr. 3 ist bei Zustellung an einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter (§ 171) die Angabe ____aufzunehmen, dass die Vollmachtsurkunde (vgl. § 171 Satz 2) vorgelegen hat. Die Vor____schrift der Nr. 3 wurde auf Initiative des Bundesrates aufgenommen.79 Sie soll dazu dienen, ____soweit wie möglich späterem Streit über die Wirksamkeit der Zustellung vorzubeugen. Das ____Tatbestandsmerkmal des „Vorliegens“ ist wie bei Anwendung des § 171 funktional aus____zulegen. Es genügt also, dass eine Vollmachtsurkunde überhaupt vorliegt; bei Bekannt____heit muss sie nicht bei jedem Zustellvorgang erneut dem Zustellenden vorgelegt werden ____(vgl. § 171 Rdn. 15). ____ ____ 5. Angabe des Grundes, der die Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 rechtfertigt 27 ____und die Bemerkung, wie im Falle des § 181 die schriftliche Mitteilung abgegeben ____wurde (Nr. 4). Nr. 4 verlangt für die Ersatzzustellung gemäß §§ 178, 180 die Angabe des ____Grundes, durch den die Zustellung an die bezeichnete Person gerechtfertigt wird. Gene____rell erforderlich ist die Angabe, dass eine Ersatzzustellung vorgenommen wurde, sowie ____Angaben über die gewählte Variante.80 Hierzu zählt auch der Umstand, dass es sich beim ____Ort, an dem die Zustellung nach § 178 Abs. 1 ausgeführt wurde, um die Wohnung bzw. ____die Geschäftsräume des Adressaten gehandelt hat (zur Erforschungspflicht und Beweis____kraft vgl. § 178 Rdn. 3, 83 ff.). Zudem muss beurkundet werden, dass der Adressat nicht ____angetroffen (vgl. § 178 Rdn. 8 f.) wurde. Bereits unter Nr. 3 fällt ggf. die Angabe der Per____son des Ersatzzustellungsempfängers und damit auch die Art ihrer Verbindung mit dem ____Adressaten. Auch das ggf. erforderliche Erwachsensein des Empfängers (vgl. § 178 ____Rdn. 34 ff.) – genauer die entsprechende Einschätzung des Ausführenden – ist zu beur____kunden. ____ Wurde gemäß § 180 zugestellt, so ist die Angabe erforderlich, dass und weswegen 28 ____eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar war. Hierfür reicht es aus, ____wenn aus der Zustellungsurkunde hervorgeht, dass weder der Adressat noch ein gemäß ____§ 178 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, Abs. 2 in Betracht kommender Empfänger erreichbar war.81 ____Hingegen schreibt das Gesetz keine Angaben darüber vor, in welchen Briefkasten oder in ____welche ähnliche Vorrichtung das Schriftstück eingelegt wurde. Dies mag im Hinblick auf ____ ____ ____75 BGHZ 93, 71, 74 f.; OLG Hamburg MDR 1993, 685; OVG Bautzen NVwZ 1994, 81 (mit Unwirksamkeitsfolge nach vormaligem Recht). ____76 RGZ 107, 161, 165. ____77 OLG Hamm NJW-RR 1987, 1279. ____78 FG Hamburg NJW 1985, 512. ____79 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 32 sowie die zustimmende Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundestages in BT(-Drucks.) 14/5564, S. 20. ____80 BVerwG DGVZ 1984, 149, 150; BFH NJW 1979, 736 (als Wirksamkeitsvoraussetzung nach vormaligem ____Recht). ____81 Vgl. BFH v. 6.10.2003 (VII B 12/03) (NV).

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_____die für die Niederlegung nach § 181 vorgesehene Bemerkung als wenig systematisch er_____scheinen. Es wäre aber unangemessen, den erkennbaren Vereinfachungszweck der Re_____formgesetzgebung durch Aufstellung zusätzlicher Anforderungen an Formalien zu kon_____terkarieren.82 Der Ausgleich ist schonender über die Würdigung der Beweiskraft der _____Zustellungsurkunde im Einzelfall möglich. _____ Ferner ist eine Bemerkung darüber erforderlich, auf welche Weise im Falle des 29 _____§ 181 die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung abgegeben wurde (vgl. § 181 _____Rdn. 12 ff.). Die üblichen Vordrucke enthalten (unter 11.2. bzw. 11.3.) entsprechende an_____zukreuzende Vermerke.83 _____ _____ 6. Bei Zustellung nach § 179 die Erwähnung, wer die Annahme verweigert hat 30 _____und dass der Brief am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender _____zurückgesandt wurde (Nr. 5). Im Falle unberechtigter Annahmeverweigerung (vgl. _____§ 179 Rdn. 4 ff.) ist die Zustellung nach § 179 eröffnet. Hier wird zum einen die Erwäh_____nung der Person erforderlich, welche die Annahme verweigert hat. Dies ist deshalb be_____deutsam, weil je nach Verhältnis zum Adressaten unterschiedliche Annahmepflichten _____bestehen, welche über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der Annahmeverwei_____gerung entscheiden. Kennt der Ausführende die Person, welche die Annahme verwei_____gert, nicht und weigert sich diese, ihre Identität bzw. ihre zustellungsrechtlich relevante _____Stellung gegenüber dem Adressaten zu offenbaren, so genügt grds. die Angabe dieses _____Umstandes. Allerdings wird der Ausführende dann meist nicht einschätzen können, ob _____ein Fall unberechtigter Annahmeverweigerung vorliegt; dann wird i.d.R. die Zustellung _____im Wege der §§ 180, 181 erforderlich werden. _____ Zum anderen muss erwähnt werden, ob der Brief am Ort der Zustellung zurückge31 _____lassen oder ob er an den Absender zurückgesandt wurde. _____ _____ 7. Datumsvermerk (Nr. 6). Gemäß Nr. 6 ist in der Zustellungsurkunde festzuhal32 _____ten, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück _____enthält, vermerkt ist. Aus diesem allgemein gefassten Wortlaut ergibt sich zugleich, _____dass über die expliziten Regelungen in § 180 Satz 3 (vgl. § 180 Rdn. 11) und 181 Abs. 1 _____Satz 5 (vgl. § 181 Rdn. 25) hinaus in allen Fällen der Zustellung – auch nach §§ 171, 177, _____178 oder 179 – ein solcher Datumsvermerk auf dem Umschlag, der das zuzustellende _____Schriftstück enthält, anzubringen ist.84 Der Vermerk soll den Adressaten darauf hinwei_____sen, wann eine mit der Zustellung in Gang gesetzte Frist beginnt.85 Dieser Zweck erfasst _____alle in § 182 Abs. 1 Satz 1 genannten Arten der Zustellung gleichermaßen. _____ Der Datumsvermerk selbst ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung 33 _____(vgl. § 180 Rdn. 11, § 181 Rdn. 25). Jedoch ist sein Fehlen oder eine Abweichung vom aus _____der Zustellungsurkunde ausgewiesenen Zustellungsdatum bei der Prüfung (Beweis_____würdigung), ob und wann das Schriftstück als zugestellt gilt, zu berücksichtigen.86 _____ _____ 8. Ort und Datum der Zustellung (Nr. 7). Die Zustellungsurkunde muss Ort und 34 _____Tag87 der Zustellung eindeutig ausweisen.88 Der Ort ist i.d.R. nach Straße und Hausnum_____ _____82 So nun auch BGH NJW 2006, 150, 151 f.; Zöller/Stöber Rdn. 8. _____83 So zumindest die im Sprengel des OLG Nürnberg verwendeten Vordrucke, wie dem Verfasser aus _____richterlicher Tätigkeit bekannt. _____84 Zöller/Stöber Rdn. 10. 85 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. _____86 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22; vgl. auch Hannich-Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6. _____87 BGH NJW 1984, 57. _____88 BVerwG NJW 1983, 1076.

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____mer zu bezeichnen.89 Präzise Angaben sind insbesondere bei Zustellung außerhalb der ____Wohnung des Adressaten (vgl. § 177) sowie bei der Ersatzzustellung erforderlich. Es muss ____überprüfbar werden, ob die Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Ersatzzustellung in ____örtlicher und zeitlicher Hinsicht eingehalten wurden. Hierbei ergeben sich Überschnei____dungen mit den Anforderungen der Nr. 4. Wenn die Zustellungsurkunde durch Falsch____angabe der Zustellungszeit fehlerhaft ist oder wenn die Zeitangabe ganz fehlt, verliert die ____Urkunde insoweit ihre Beweiskraft. Den Bedürfnissen aller Beteiligten ist Genüge getan, ____wenn wie bei fehlerhaften Angaben grds. die tatsächliche Zeit der Zustellung maßgeblich ____ist, welche dann anderweitig zu beweisen ist. ____ Auf Anordnung der Geschäftsstelle (vgl. § 168 Rdn. 3 f.) muss auch die Uhrzeit der ____Zustellung beurkundet werden. ____ ____ 9. Name, Vorname und Unterschrift des Zustellers sowie die Angabe des beauf____tragten Unternehmens oder der ersuchten Behörde. Der Zusteller (die Person, welche ____die Zustellung tatsächlich ausführt; vgl. § 166 Rdn. 9), muss seinen Namen und Vorna____men (Rufnamen) angeben und die Urkunde unterschreiben. Die Anforderungen an die ____Unterschrift entsprechen denen des § 174 für die handschriftliche Unterzeichnung (vgl. ____§ 174 Rdn. 51 f.).90 Fehlt die Unterschrift, so ist die Beurkundung noch nicht abgeschlos____sen. Jedoch kann die Unterschrift in einem engen zeitlichen Zusammenhang91 mit der ____Zustellung nachgeholt werden (vgl. zum vergleichbar gelagerten Fall der Urkundenbe____richtigung oben Rdn. 17). ____ Da künftig mehrere Postunternehmen für die Ausführung der Zustellung in Betracht ____kommen, muss auch das beauftragte Unternehmen (vgl. § 168 Abs. 1, 176 Abs. 1) ange____geben werden.92 Wird eine Behörde um Ausführung der Zustellung ersucht (vgl. §§ 168 ____Abs. 2, 176 Abs. 1), so ist diese anzugeben. Gerichtsvollzieher oder Justizbedienstete93 ____müssen hierzu ihre Dienstbezeichnung angeben. ____ ____ V. Verfahren mit der Zustellungsurkunde (Abs. 3) ____ ____ Gemäß der Regelung in Abs. 3 ist die Zustellungsurkunde der Geschäftsstelle (vgl. ____§ 168 Rdn. 3 f.) unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB: ohne schuldhaftes Zögern) zu____rückzuleiten. Die Rückleitung ist – wie die Beurkundung selbst – kein Teil des Zustell____vorgangs, sondern erfolgt nach dessen Abschluss.94 ____ Die interessierte Partei selbst erhält also keinen Zustellungsnachweis. Deshalb ____räumt ihr § 169 Abs. 1 die Möglichkeit ein, sich den Zeitpunkt der Zustellung auf Antrag ____von der Geschäftsstelle bescheinigen zu lassen (vgl. § 169 Rdn. 2 ff.). ____ ____ VI. Folge von Verstößen gegen die Norm ____ ____ Je nach Gewicht des Verstoßes kann die Beweiskraft der Zustellungsurkunde ge____mindert oder ganz beseitigt werden (vgl. Rdn. 5 ff.). Keinen Einfluss auf die Beweis____kraft hat die bloße mangelnde Verwendung eines anderen als des nach § 190 vorgesehe____ ____ ____ ____89 Vgl. OLG München MDR 2002, 414. ____90 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 3079 m.w.N.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 371 f. m.w.N. 91 Ohne diese Einschränkung BGH BeckRS 2007, 18290; Zöller/Stöber Rdn. 18. ____92 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 22. ____93 Vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 371, 372. ____94 BGH NJW 1981, 874, 875 zu § 212 a.F.

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_____nen Formulars. Zur möglichen Berichtigung und ihren beweisrechtlichen Grenzen vgl. _____Rdn. 17. _____ Die Heilung gemäß §§ 189,95 295 ist in jedem Falle möglich. 41 _____ _____ _____ Vor §§ 183, 184 _____ Vor §§ 183, 184 Rohe _____ Schrifttum _____ Ahrens, Martin, Neues zur Annahmeverweigerung im europäischen Zustellungsrecht, NJW 2008, _____2817–2820; Bach, Ivo, Die Art und Weise der Zustellung in Art. 34 Nr. 2 EuGVVO: autonomer Maßstab ver_____sus nationales Zustellungsrecht, IPRax 2011, 241–245; Bajons, Ena-Marlis Internationale Zustellung und _____Recht auf Verteidigung, in: Geimer, Reinhold (Hrsg.), FS Schütze (1999) 49–73; Basedow, Jürgen Qualifika_____tion, Vorfrage und Anpassung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in: Schlosser (Hrsg.), Materielles _____Recht und Prozeßrecht und die Auswirkungen der Unterscheidung im Recht der Internationalen Zwangs_____vollstreckung, 1992, 131 ff.; Baur, Marie Odile Erläuternder Bericht zum Europäischen Übereinkommen vom _____26. Mai 1997 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handels_____sachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EZÜ), ABlEG Nr. C 261 v. 27.8.1997, S. 26–37; Behr _____Europäisierung und Globalisierung des internationalen Prozessrechts, in: Bottke u.a. (Hrsg.), Recht in Europa, 2003, 43–62; Bischof, Thomas Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- und Han_____ delssachen, 1997; Böckstiegel, Karl-Heinz/Schlafen, Dieter Die Haager Reformübereinkommen über die _____Zustellung und die Beweisaufnahme im Ausland, NJW 1978, 1073–1077; Brand, Peter-Andreas Die Verjäh_____rungsunterbrechung nach § 167 ZPO bei der Auslandszustellung, NJW 2004, 1138–1141; Brand, Peter_____Andreas/Reichhelm, Johannes Fehlerhafte Auslandszustellung, IPRax 2001, 173–177; Braun, Johann Einlas_____sungszwang bei einer Klage auf Zahlung von 17 Mrd. Dollar? Prozeßrechtsdogmatische Bemerkungen über _____das Vergnügen, verklagt zu werden, ZIP 2003, 2225–2231; Brenn, Christoph Europäische Zustellungsver_____ordnung, 2002; Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssa_____chen, 4 Bde. München, Loseblattsammlung (Stand 41/2011); Emde, Raimond Zulässigkeit von Direktzustel_____lungen ausländischer Prozeßbevollmächtigter an deutsche Parteien nach Art. 14 EuZVO?, NJW 2004, _____1830–1834; Fleischhauer, Jens Die Inlandszustellung an Ausländer – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozeßrechts unter verfassungs- und _____ völkerrechtlichen Aspekten, 1996; Fogt, Schack Keine Urteilszustellung im deutsch-dänischen Rechtsver_____kehr?, IPRax 2005, 118–124; Fohrer, Katja/Mattil, Peter Der „grenzüberschreitende“ dingliche Arrest im _____Anwendungsbereich des EuGVÜ, WM 2002, 840–847; Fucks, Susanne Die Zustellungsbevollmächtigung _____von inländischen Schadensregulierungsbeauftragten ausländischer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, _____IPRax 2012, 140–144; Geimer, Gregor Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts – Vorschläge für _____eine neue Zustellungskonvention, 1998; Geimer, Reinhold Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009 _____(zit. Geimer, IZPR); Geimer, Reinhold Einige Facetten des internationalen Zustellungsrechts und anderes _____mehr im Rückspiegel der neueren Rechtsprechung, IPRax 2010, 224-226; Geimer, Reinhold/Schütze, Rolf _____Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2009 (zit. Geimer/Schütze/Bearbeiter, EuZVR); Gottwald, Peter _____Sicherheit vor Effizienz? – Auslandszustellung in der Europäischen Union in Zivil- und Handelssachen, in: Geimer, Reinhold (Hrsg.), FS Schütze (1999) 225–235; Greger, Reinhard Verfassung und internationale _____ Rechtshilfe, in: Waldner/Künzl (Hrsg.), Erlanger FS Schwab (1990) 331–338; Gsell, Beate Direkte Postzu_____stellung an Adressaten im EU-Ausland nach neuem Zustellungsrecht, EWS 2002, 115–124; Hau, Wolfgang _____Zustellung ausländischer Prozeßführungsverbote: Zwischen Verpflichtung zur Rechtshilfe und Schutz _____inländischer Hoheitsrechte, IPRax 1997, 245–248; Hausmann, Rainer Zustellung durch Aufgabe zur Post an _____Parteien mit Wohnsitz im Ausland, IPRax 1988, 140–144; Heidenberger, Peter Zustellung amerikanischer _____Punitive-damages-Klagen weiterhin ein Problem, RIW 1995, 705–708; Heinze, Christian, Fiktive Inlandszu_____stellungen und der Vorrang des europäischen Zivilverfahrensrechts, IPRax 2010, 155–160; Heß, Burkhard _____Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992; Heß, Burkhard Zur Zustellung von Klagen gegen fremde Staa_____ten, RIW 1989, 254–260; Heß, Burkhard Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, _____NJW 2001, 15–23; Heß, Burkhard Transatlantischer Rechtsverkehr heute: Von der Kooperation zum Kon_____ _____95 Vgl. nur BGHZ 93, 71, 75; BGH FamRZ 1995, 32, 33; BFH 24.7.2003 (X B 123/02) (NV).

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____flikt?, JZ 2003, 923–926; Heß, Burkhard Noch einmal: Direktzustellungen nach Art. 14 EuZVO, NJW 2004, ____3301–3303; Heß, Burkhard Übersetzungserfordernisse im europäischen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2008, ____400–408; Hornung, Anton Zustellungsreformgesetz, RPfl. 2002, 493–503; Hornung, Anton Zur Frage der ____Auslandszustellung durch den Gerichtsvollzieher – ablehnende Stellungnahme zu Möller, NJW 2003, 1571, ____DGVZ 2003, 167–169; Hornung, Anton Die Zustellung an den Schuldner (im Ausland) bei Forderungspfändung, DGVZ 2004, 85–88; Jastrow, Serge-Daniel Europäische Zustellung und Beweisaufnahme 2004 – ____Neuregelungen im deutschen Recht und konsularische Beweisaufnahme, IPRax 2004, 11–13; Jastrow, Ser____ge-Daniel Die Zustellung im Inland und aus dem Ausland, NJW-aktuell Heft 1/2005, XXII–XXIV; Jayme/ ____Hausmann Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 16. Aufl. 2012; Hess Europäisches Zivilprozess____recht, 2010; Juenger, Friedrich/Reimann, Mathias Zustellung von Klagen auf punitive damages nach dem ____Haager Zustellungsübereinkommen, NJW 1994, 3274–3275; Junker, Abbo Der lange Arm amerikanischer ____Gerichte: Gerichtsgewalt, Zustellung und Jurisdictional Discovery, IPRax 1986, 197–208; Koch, Harald ____Neuere Probleme der internationalen Zwangsvollstreckung einschließlich des einstweiligen Rechtsschut____zes, in: Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozeßrecht und die Auswirkungen der Unterscheidung ____im Recht der Internationalen Zwangsvollstreckung, 1992, 171–207; Kondring, Jörg Die Heilung von Zustel____lungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; Kondring, Jörg Die „konsularische Zustellung durch die Post“, RIW 1996, 722–726; Kuntze-Kaufhold, Gregor Verjährungsrechtliche Auswirkungen durch ____das Europäische Zustellungsrecht, NJW 2003, 1998–2000; Lindacher, Walter Europäisches Zustellungs____recht – Die VO (EG) Nr. 1348/2000: Fortschritt, Auslegungsbedarf, Problemausblendung, ZZP 114 (2001) ____179–194; de Lind van Wijngaarden-Maack Internationale Zustellung nach der EuZVO und internationale ____Zuständigkeit bei Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Exklusivvertriebsvertrages, IPRax 2004, ____212 ff.; Linke, Hartmut Die Probleme der internationalen Zustellung, in: Schiemann/Gottwald (Hrsg.), ____Grundfragen der Gerichtsverfassung, 1999, 95–132; Linke, Hartmut/Hau, Wolfgang Internationales Zivilver____fahrensrecht, 5. Aufl. 2011 (zit. Linke/Hau IZVR); Mankowski, Peter Übersetzungserfordernisse und Zu____rückweisungsrecht des Empfängers im europäischen Zustellungsrecht, IPRax 2009, 180–183; Mansel, ____Heinz-Peter Zustellung einer Klage in Sachen „Tschernobyl“, IPRax 1987, 210–215; Mansel, Heinz-Peter ____Grenzüberschreitende Prozeßführungsverbote (antisuit injunctions) und Zustellungsverweigerung, EuZW 1996, 335–340; Merkt, Hanno Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995; Meyer, J. Euro____päisches Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, IPRax ____1997, 401–404; Möller, Reinhard Auslandszustellung durch den Gerichtsvollzieher, NJW 2003, 1571–1573; ____Mössle, Klaus Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990; Morisse, ____Heiko Die Zustellung US-amerikanischer Punitive-damages-Klagen in Deutschland, RIW 1995, 370–373; ____Nagel, Heinrich Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971; Nagel, Heinrich/Gottwald, Peter Internatio____nales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2006 (zit. Nagel/Gottwald, IZPR); Nordmeier, Carl Friedrich Die Bedeutung ____des anwendbaren Rechts für die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO – Zur Abgrenzung von deut____schem Prozessrecht und ausländischem Sachrecht, ZZP 124 (2011) 95–121; Oberhammer, Paul Deutsche ____Grundrechte und die Zustellung US-amerikanischer Klagen im Rechtshilfeweg, IPRax 2004, 40–45; Pfen____nig, Günter Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988; Rauscher, Thomas (Hrsg.), Europäisches Zivilprozessrecht, 2010/2011; Rösler/Siepmann Vermutung eines Übersetzungserfordernisses ____bei Postzustellung ins europäische Ausland, IPRax 2006, 236–237; Rohe, Mathias Zur Neuorientierung des ____Zustellungsrechts, in: Greger/Gleußner/Heinemann (Hrsg.), FS Vollkommer (2006) 291–310; Roth, Herbert ____Heilung von Zustellungsmängeln im internationalen Rechtsverkehr, in: Schilken/Kreft/Wagner/Eckardt ____(Hrsg.), FS Gerhardt (2004) 799–814; Roth, Herbert Remise au parquet und Auslandszustellung nach dem ____Haager Zustellungsübereinkommen von 1965, IPRax 2000, 497–499 Rothe, Oliver Zustellung einer US____amerikanischen Schadensersatzklage nach dem HZÜ: Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip?, RIW 2003, ____859–864; Sauerwein, Heike Die Anwendung moderner Kommunikationstechnologie im nationalen und ____internationalen Zivilverfahrensrecht, Konstanz 2002; Schack, Haimo Internationales Zivilverfahrensrecht, ____5. Aufl. 2010 (zit. Schack, IZVR); Schack, Haimo Einheitliche und zwingende Regeln der internationalen ____Zustellung, in: Schütze, Rolf (Hrsg.), FS Geimer (2002) 931–946; Schlosser, Peter Legislatio in fraudem legis internationalis, in: Lutter, Marcus (Hrsg.), FS Stiefel (1987) 683–695; Schlosser, Peter Die internationale ____Zustellung zwischen staatlichem Souveränitätsanspruch und Anspruch der Prozeßpartei auf ein faires ____Verfahren, in: Ballon, Oskar/Hagen, Johann (Hrsg.), FS Matscher (1993) 387–399; Schlosser, Peter EU-Zivil____prozessrecht, 3. Aufl. 2009 (zit. Schlosser EUZPR); Schlosser, Peter Jurisdiction and International and Ad____ministrative Co-Operation, RdC 284 (2000) 9, 89 ff.; Schmidt, Holger Parteizustellung im Ausland durch ____Einschreiben mit Rückschein – ein gangbarer Weg?, IPRax 2004, 13–20; Schmitz, Berthold Fiktive Aus553

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_____landszustellung, 1980; Schütze, Rolf Deutsches Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2005 (zit. Schütze _____Deutsches IZPR); Schütze, Rolf Formlose Zustellung im internationalen Rechtsverkehr, RIW 2000, 20–21; _____Schütze, Rolf Probleme der Übersetzung im Justizprozeßrecht, in: K. Berger u.a. (Hrsg.), FS Sandrock _____(2000) 871–879; Schütze, Rolf Zur Zustellung US-amerikanischer Klagen in Deutschland, in: Trunk/Knie_____per/Soetlauer (Hrsg.) FS Boguslawskij (2004) 325–337; Sharma, Daniel Zustellungen im Europäischen Binnenmarkt, 2003; Siegrist, Dave Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, Zürich 1987; Stadler, Astrid Neues _____europäisches Zustellungsrecht, IPRax 2001, 514–521; Stadler, Astrid Die Reform des deutschen Zustellungs_____rechts und ihre Auswirkungen auf die internationale Zustellung, IPRax 2002, 471–478; Stürner, Rolf Euro_____päische Urteilsvollstreckung nach Zustellungsmängeln, in: Habscheid, Walter/Schwab, Karl-Heinz (Hrsg.), _____FS Nagel (1987) 446–456; Stürner, Rolf Förmlichkeit und Billigkeit bei der Klagzustellung im europäischen _____Zivilprozeß, JZ 1992, 325–334; Sujecki, Bartosz Die reformierte Zustellungsverordnung, NJW 2008, 1628_____1631; Volken, Paul Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; Vollkommer, Gregor/Huber, Stefan _____Neues Europäisches Zivilverfahrensrecht in Deutschland, NJW 2009, 1105–1109; Vollkommer, Max Dishar_____monien und Spannungen im internationalen Rechtshilfeverkehr zwischen den USA und Deutschland (Zu_____stellungen und Ladungen), ZZP 80 (1967) 248–263; Wiehe, Herbert Zustellungen, Zustellungsmängel und _____Urteilsanerkennung am Beispiel fiktiver Inlandszustellungen in Deutschland, Frankreich und den USA, 1993; Zekoll, Joachim Neue Maßstäbe für Zustellungen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen, NJW _____2003, 2885–2887. _____ Datenbank: Hier genannt seien die Informationen des europäischen justiziellen Netzes in Zivil_____sachen – http://ec.europa.eu/civiljustice/index_de.htm. sowie die hilfreiche aktuelle Länderübersicht _____des Auswärtigen Amts, abrufbar unter http://www.konsularinfo.diplo.de/contentblob/2462970/Daten/ _____2585984/Laenderliste.pdf. (zuletzt 13.9.2012) _____ _____ Ergänzend zum Vor § 166 genannten Schrifttum befassen sich die hier aufgeführten Titel vornehmlich _____oder in Gänze mit dem Recht der grenzüberschreitenden Zustellung. _____ _____ Übersicht _____I. Ordnungsprobleme der grenzüberschreiten3. Ausführung der Zustel_____ den Zustellung ____ 1 lung ____ 51 _____II. Rechtsquellen für die grenzüberschreitende a) Auslandszustellung (ausgehende _____ Zustellung Ersuchen) ____ 51 aa) Allgemeines ____ 51 _____ 1. Einführung ____ 8 ____ 14 bb) Zustellung im vertraglichen _____ 2. Zustellungen im Ausland im Inland mit AuslandsbeVerkehr ____ 60 _____ 3. Zustellungen ____ zug 19 cc) Zustellung im vertragslosen _____ III. Vorliegen einer grenzüberschreitenden Verkehr ____ 63 _____ Zustellung b) Inlandszustellung (eingehende _____ 1. Anwendungsbereich europarechtlicher Ersuchen) ____ 65 _____ Regelungen und internationaler oder aa) Zustellung im vertraglichen _____ bilateraler Übereinkommen ____ 22 Verkehr ____ 66 _____ 2. Anwendung autonomen deutschen bb) Zustellung im vertragslosen _____ Zustellungsrechts ____ 30 Verkehr ____ 71 4. Rechtsbehelfe und Schadens_____IV. Zulässigkeit und Wirkungen formloser ____ 33 ersatz ____ 75 _____ Mitteilungen a) Vorgehen gegen die Entscheidung _____V. Ausnahmsweise Entbehrlichkeit der förmin grenzüberschreitenden der Justizverwaltung ____ 75 _____ lichen Zustellung ____ Fällen 39 b) Amtshaftungsansprüche ____ 78 _____ VI. Anordnung und Ausführung der Zustellung VII. Das zuzustellende Schriftstück; Über_____ 1. Zustellungen in Parteibetrieb und Amtssetzung _____ betrieb; Zustellung durch Private ____ 40 1. Allgemeines ____ 80 ____ _____ a) Allgemeines 40 2. Übersetzung ____ 81 _____ b) Zustellung im Amtsbetrieb ____ 41 a) Einführung ____ 81 ____ _____ c) Zustellung im Parteibetrieb 45 b) Autonomes deutsches Zustellungsrecht ____ 86 _____ 2. Anordnung der Zustellung ____ 49 Rohe

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c) EU-Schriftstückeg) Anforderungen an die erforderliche ____ ZustellungsVO ____ 87 Übersetzung ____ 96 ____ ____ d) HZÜ 93 3. Nachweis der Zustellung ____ 98 ____ ____ 94 e) HZPÜ VIII. Folge von Verstößen ____ 102 ____ ____ f) Sonstiges 95 ____ ____ ____ I. Ordnungsprobleme der grenzüberschreitenden Zustellung ____ ____ Bei der Notwendigkeit grenzüberschreitender Zustellung sind spezifische Interes- 1 ____senkollisionen zu lösen. Die (förmliche; vgl. Vor § 166 Rdn. 19) Zustellung ist zumindest ____aus deutscher Sicht ein Hoheitsakt.1 Sie berührt deshalb die Souveränität derjenigen ____Staaten, auf deren Territorium sie ausgeführt wird. Deutsche Zustellungsorgane dürfen ____daher nur mit Einverständnis des fremden Souveräns auf dessen Territorium tätig wer____den (vgl. § 13 ZRHO; hierzu Rdn. 9).2 Sanktionen sind grenzüberschreitend ebenfalls nur ____in diesem Rahmen durchzusetzen.3 Andererseits verlangt das deutsche Prozessrecht für ____Verfahren vor staatlichen Gerichten in aller Regel die Vornahme förmlicher Zustellungen ____(vgl. § 166 Rdn. 52 f.) unabhängig davon, ob sie im Inland oder im Ausland zu bewirken ____sind. Hieraus entstehen Abwicklungsprobleme, die in internationalen oder bilateralen ____Übereinkommen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 9 ff.) nur teilweise gelöst sind. Grenzen ____der Zustellung werden auch im vertraglichen Verkehr meist durch den ordre public ge____zogen (nicht aber im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO, vgl. § 183 ____Rdn. 58).4 Zur Abgrenzung zwischen innerstaatlicher und grenzüberschreitender Zustel____lung vgl. Rdn. 22. ____ Aus Sicht des Zustellenden ist das Anliegen effizienter Rechtsdurchsetzung be- 2 ____sonders gefährdet, wenn langwierige und umständliche Prozeduren auszuführen sind.5 ____Die wünschenswerte zeitnahe Zustellung ist innerhalb der EU oft nicht zu realisieren ____(Zustelldauer meist zwischen 4 und 6 Monaten, aber auch bis zu zwei Jahren).6 Auch ____der Kostenfaktor mag eine Rolle spielen. Deshalb schafft das Zustellungsrecht in § 184 ____Erleichterungen, wenn der Adressat erst einmal in formwirksamer Weise über die In____gangsetzung eines Verfahrens unterrichtet worden ist (vgl. § 184 Rdn. 1, 37, 59).7 Die ____Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung nach § 185 Nr. 3 oder 4 tritt hinzu, wenn der ____betroffene Souverän Rechtshilfe verweigert oder aus anderen Gründen die Zustellung ____unzumutbar erschwert wird; nach der Reform zum 1.7.2002 ist dies auch im Hinblick ____auf Nicht-Parteien wie etwa dem Drittschuldner bei der Forderungspfändung möglich.8 ____ ____ ____1 Vgl. BVerfGE 63, 343, 372; BVerfGE 91, 335 = NJW 1995, 649; BVerfGE 108, 239, 249 = NJW 2003, 2598, ____2599; BGHZ 8, 314, 316; BGHZ 58, 177, 179; Siegrist Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987, 168 ff.; G. Geimer Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 23, 129 f.; Geimer IZPR Rdn. 2075, ____modifizierend Rdn. 2083; Schmidt, IPRax 2004, 13 m.w.N.; allgemeiner ausführlich Bischof Die Zustellung, ____S. 172 ff. m. zahlr. N. auch zur a.A.; krit. Linke/Hau IZVR Rdn. 286 ff.; Schack IZVR Rdn. 589 ff.; Schlosser FS ____Matscher, 387, 389. ____2 Abgedruckt z.B. in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4 unter Nr. 900. ____3 Vgl. Schütze Deutsches IZPR 187 f.; Schack IZVR Rdn. 592, 980; Rohe IPRax 1997, 14, 19 m.w.N. 4 Vgl. hier nur Zöller/Geimer § 183 Rdn. 115. ____5 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 1929, 2090. ____6 Vgl. Gottwald FS Schütze, 1999, 225 f.; Stadler Die Europäisierung des Zivilprozeßrechts, in: Canaris/ ____K. Schmidt (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. 3, 2000, 645, 650; ____Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 3; BGH NJW 2003, 2830, 2832 unter Berufung auf Schack IZVR Rdn. 600. ____7 Vgl. nur BGH NJW 2000, 3284, 3285 zu § 175 a.F.; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 13. ____8 Vgl. zur Abwicklung Hornung DGVZ 2004, 85 ff.; zu den zuvor bestehenden Problemen bei der ____Rechtsschutzgewährung Zöller/Geimer ZPO 24. Aufl., § 183 Rdn. 35 m.w.N.

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_____Eine weitere Erleichterung bringt § 185 Nr. 2 mit Wirkung vom 1.11.20089 mit sich. Diese _____Regelung reagiert vor allem auf Missbrauchs- und Abwicklungsfälle bei in- und aus_____ländischen Gesellschaften, die wegen der Angabe unzutreffender Daten faktisch uner_____reichbar sind (vgl. § 185 Rdn. 24 a). Zu den Problemen, die sich aus solchen Erleichte_____rungen für das Recht auf rechtliches Gehör des Adressaten ergeben,10 vgl. § 184 Rdn. 3; _____§ 185 Rdn. 2. _____ 3 Von herausgehobener Bedeutung ist andererseits das Recht des Zustellungsgegners _____auf rechtliches Gehör (vgl. Vor § 166 Rdn. 1; auf Europäischer Ebene vgl. auch Art. II-47 _____Abs. 2 der künftigen Europäischen Grundrechte-Charta der Verfassung für Europa).11 Die _____Einleitung und Durchführung gerichtlicher Verfahren außerhalb des (Wohn-)Sitzstaats _____(dies ist der Regelfall bei der grenzüberschreitenden Zustellung) ist für den Gegner typi_____scherweise aufwendig und mit größeren Unsicherheiten verbunden als bei Verfahren im _____Aufenthaltsstaat. Sprachbarrieren können hinzutreten. Die Interessen des Adressaten _____werden in Ländern, die dem System der fiktiven Inlandszustellung durch die remise au _____parquet folgen (vgl. Rdn. 5), weit zurückgestellt. _____ 4 Das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör tritt hinter den anderen beteiligten _____Interessen zurück, wenn er sich selbst unerreichbar macht, um Zustellungen zu verhin_____dern.12 _____ 5 Ein „Wettbewerbsnachteil“ für den Betreibenden des Verfahrens vor deutschen Ge_____richten besteht gegenüber Verfahren in den Staaten, welche grundsätzlich der sog. remi_____se au parquet folgen. Danach wird die Auslandszustellung bereits mit der Einreichung _____des zuzustellenden Schriftstücks bei der jeweiligen inländischen Staatsanwaltschaft _____bewirkt, dies auch bei verfahrenseinleitenden Schriftstücken.13 Dieses Schutzgefälle wird _____allerdings durch kompensatorische Schutzvorschriften in internationalen Übereinkom_____men und entsprechende innerstaatliche Normen (v.a. über die Wiedereinsetzung in den _____vorigen Stand, vgl. § 233;14 Art. 16 Abs. 1 HZÜ, hierzu Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 10, 36) _____gemildert. Im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist die remise au _____parquet unzulässig.15 _____ Individuelle Vereinbarungen über gesetzlich nicht vorgesehene Zustellungsformen 6 _____sind nicht statthaft.16 Die sachlich durchaus einleuchtende Vereinbarung vereinfachter _____Zustellungsformen kann nicht anerkannt werden. Allerdings ergibt sich dies m.E. nicht _____schon aus dem hoheitlichen Charakter der Zustellung.17 Aus Sicht der Beteiligten ist der _____mit der Formalisierung in §§ 183, 184 bezweckte Schutz verzichtbar. Jedoch kann ein _____möglicher Streit über die Wirksamkeit einer Zustellungsvereinbarung nicht geklärt wer_____den, wenn der Adressat auf eine Zustellung außerhalb der gesetzlich vorgesehenen For_____ _____ _____9 Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026, 2037. _____10 Vgl. hier nur Schack IZVR Rdn. 596. _____11 Vgl. BGH NJW 2000, 3284, 3285 zu § 175 a.F.; Geimer IZPR Rdn. 2086 ff.; Roth IPRax 1990, 90, 91 f.; _____Stürner JZ 1992, 325, 326; ausführl. Fleischhauer Inlandszustellung 212 ff. _____12 Vgl. BGH RIW 1992, 56 f. = WM 1992, 286, 287 f.; LG Kiel IPRspr. 1983 Nr. 162; Geimer IZPR Rdn. 2104 _____m.w.N. 13 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2093 m.w.N.; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 95 ff.; Nagel/Gottwald IZPR § 7 Rdn. 13 f.; _____Kondring Die Heilung von Zustellungsfehlern, 1995, S. 88 ff.; Bajons FS Schütze, 49, 55 ff.; OLG Oldenburg _____RIW 1991, 950 (zum französischen Recht); Fleischhauer Inlandszustellung S. 178 ff. _____14 Vgl. BGH NJW 2000, 3284, 3285 zu § 175 a.F. _____15 EuGH NJW 2005, 3627 = IPRax 2006, 157 m. Anm. Stadler a.a.O., 116; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 15. 16 Heß RIW 1989, 254, 258 Fn. 91; Kondring Die Heilung von Zustellungsfehlern, 1995, 132 f. A.A. _____Schlosser EUZPR Art. 1 HZÜ Rdn. 19; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 27 m.w.N.; vgl. auch G. Geimer Neuordnung _____des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 283 ff. _____17 So Heß RIW 1989, 254, 258 Fn. 91; insoweit wie hier Zöller/Geimer § 183 Rdn. 27 f.

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____men nicht reagiert. Das Verfahren würde dann in der Schwebe gehalten. Dies verträgt ____sich nicht mit dem Interesse des justizgewährenden Staates an effizienter Rechtspflege ____mittels Rechtssicherheitsetablierung (vgl. Vor § 166 Rdn. 1). Aus denselben Gründen ver____bietet es sich auch, an eine formlose Anfrage, ob der Adressat sich am Verfahren beteili____gen wolle, zustellungsrechtliche Folgen zu knüpfen.18 ____ Werden Zustellungen dennoch außerhalb der gesetzlichen Formen ausgeführt, so ____verbleiben die Heilungsmöglichkeiten nach § 295, nicht jedoch die nach § 189 (vgl. un____ten Rdn. 104 ff.). ____ ____ II. Rechtsquellen für die grenzüberschreitende Zustellung ____ ____ 1. Einführung. Je nach einschlägiger europäischer, internationaler, bilateraler oder ____autonomer Rechtsgrundlage sind unterschiedlich aufwendige Verfahren der grenz____überschreitenden Zustellung eröffnet (vgl. zu den Konkurrenzen Anhang zu §§ 183, 184 ____Rdn. 5 ff.). ____ Traditionell wird zwischen „ausgehenden Ersuchen“ (Zustellung aus dem Inland ____ins Ausland; hierzu sogleich Rdn. 14 ff.) und „eingehenden Ersuchen“ (Zustellungen ____aus dem Ausland im Inland; hierzu Rdn. 19 ff.) unterschieden; vgl. §§ 11 ff. ZRHO zu aus____gehenden Ersuchen, §§ 57 ff. zu eingehenden Ersuchen. ____ Ferner ist hinsichtlich der erforderlichen Rechtshilfe zwischen vertraglichem und ____vertragslosem Rechtshilfeverkehr zu unterscheiden. Im letzteren Fall entspricht die ____Rechtshilfe der courtoisie internationale (comitas).19 Eine dahingehende völkerrechtliche ____Verpflichtung besteht hingegen nach allg.M. nicht.20 Im vertragslosen Rechtshilfever____kehr ist deshalb auch nur die „formlose Zustellung“ zulässig, die nicht gegen den Wil____len des Empfängers und des Empfangsstaats erfolgen darf (vgl. unten Rdn. 33). Auch ____eine derartige formlose Zustellung ist aber eine vollgültige Zustellung im Sinne der ZPO ____(§ 32 Abs. 4 Satz 2 ZRHO). Zum Kreis der Staaten, die vertragslose Rechtshilfe gewähren, ____vgl. den Länderteil im Anhang zur ZRHO.21 ____ Generell stehen für grenzüberschreitende (förmliche) Zustellungen die folgenden ____Wege zur Verfügung, soweit die jeweils einschlägige Rechtsgrundlage sie enthält (vgl. ____§ 6 ZRHO und § 183 Rdn. 8 ff.): ____– Unmittelbarer Verkehr per Post (in qualifizierter oder einfacher Form) ____– Direkter Weg zwischen den Behörden der beteiligten Staaten (entweder zwischen ____ den unmittelbar involvierten Stellen oder über die Justizressorts des ersuchenden ____ und des ersuchten Staats) ____– Diplomatischer Weg über das Auswärtige Amt an die diplomatische Vertretung des ____ ersuchten Staates ____– Diplomatischer oder konsularischer Weg über die deutsche Auslandsvertretung ____ bzw. den deutschen Konsul an die zur Entgegennahme zuständige Stelle ____– Weg über die zuständige Auslandsvertretung an Deutsche mit Immunitätsrecht an ____ einer Vertretung im Ausland. ____ Daneben gibt es Fälle, in denen zwar ein grenzüberschreitender Bezug besteht, die ____Zustellung rechtlich aber als Inlandsvorgang qualifiziert wird (vgl. Rdn. 25). ____ ____ ____18 Vgl. Zöller/Geimer § 183 Rdn. 33 und Geimer NJW 1991, 1423 unter 6. zu AG Bonn a.a.O. 1430. ____19 Vgl. BVerwG NJW 1984, 574; Bischof Die Zustellung, S. 17 f. m.w.N.; Schack IZVR Rdn. 170, 601. 20 Vgl. nur Pfennig Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 69 S. 22 ff.; Schütze ____Deutsches IZPR, 244; Geimer IZPR Rdn. 3631; Schack IZVR Rdn. 170. ____21 Abgedruckt bei Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4 Nr. 900 a.E.; erhältlich auch unter ____www.justiz.nrw.de/RB/justizverwaltungsv/ir_online/index.html .

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_____ 13 Schließlich ist in besonderen Fällen auch eine förmliche Zustellung entbehrlich _____(vgl. Rdn. 39). _____ _____ 14 2. Zustellungen im Ausland. Das grenzüberschreitende Zustellungsrecht ist nur _____teilweise in der ZPO geregelt. Gegenüber dem autonomen innerstaatlichen Recht vorran_____gig sind einschlägige Europäische Normen (Anhang 5 ff. zu §§ 183, 184) sowie Vorschrif_____ten in internationalen (Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 9 ff. und 42 ff.) und bilateralen (An_____hang zu §§ 183, 184 Rdn. 51 ff.) Übereinkommen. Zu den Konkurrenzen vgl. § 183 Rdn. 56; _____Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 5 ff. _____ Sonderregelungen finden sich im autonomen innerstaatlichen Recht in § 8 InsO 15 _____(vgl. vormals §§ 77 KO, 118 VerglO) sowie in §§ 829 Abs. 2 Satz 2, 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO _____(vgl. auch unten Rdn. 19: Es handelt sich nach ganz h.M. um Sonderfälle der Inlandszu_____stellung). Im Übrigen regeln §§ 183 und 184 die grenzüberschreitende Zustellung ins _____Ausland. § 183 erfasst die Zustellung im Ausland, während § 184 bestimmte Fälle der _____Ausführung im Inland mit grenzüberschreitendem Bezug regelt. _____ 16 Im Mahnverfahren findet eine Zustellung des Mahnbescheids ins Ausland grds. _____nicht statt (§ 688 Abs. 3). Anderes gilt nach dieser Norm, soweit das Anerkennungs- und _____Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) vom 19. Februar 200122 dies vorsieht (vgl. §§ 1, _____32 AVAG). Möglich ist die Auslandszustellung im Mahnverfahren im Anwendungsbe_____reich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. hierzu § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 _____AVAG), der EuGVVO, des EuGVÜ und des LugÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 67) so_____wie für Zustellungen im Verhältnis zu Norwegen23 und Israel.24 Soll im weiteren Mahn_____verfahren die Zustellung des Vollstreckungsbescheids durch Aufgabe zur Post erfolgen, _____gilt § 184. In diesem Fall ordnet das Gericht bereits mit der Zustellung des das Mahnver_____fahren einleitenden Mahnbescheids an, dass der Antragsgegner einen Zustellungsbe_____vollmächtigten zu benennen hat, der den Voraussetzungen des § 184 genügt.25 Vgl. zu _____alledem §§ 1, 32 AVAG sowie § 184 Rdn. 42. _____ Wie und durch wen im einzelnen die Zustellung ins Ausland auf den Weg gebracht 17 _____wird, ist der bundes- und ländereinheitlichen Rechtshilfeordnung in Zivilsachen vom _____19.10.1956 (ZRHO) niedergelegt („Ausgehende Ersuchen“, §§ 32 ff. ZRHO sowie die Post_____zustellung nach § 31 q ZRHO); vgl. hierzu unten Rdn. 51 ff. Die ZRHO ist keine Rechtsver_____ordnung, sondern eine durch Ministerialerlasse ständig ergänzte Verwaltungsanweisung. _____Sie bindet Gerichte und die zuständigen ausführenden Stellen der Landesjustizverwal_____tungen (vgl. Rdn. 51). Dort sind die geltenden zwischenstaatlichen Abkommen in aktua_____lisierter Form berücksichtigt. Zum 1. Januar 2004 wurde die ZRHO grundlegend moderni_____siert.26 _____ Zur Unterscheidung zwischen der Zustellung im vertraglichen Verkehr und der 18 _____zwingend formlosen Zustellung im vertragslosen Rechtshilfeverkehr vgl. Rdn. 60, 63; _____§ 183 Rdn. 3, 10, 13, 26, 30, 42, 80. Beide unterscheiden sich wesentlich dadurch, dass die _____Zustellungswirkungen nur bei der förmlichen Zustellung auch gegen den Willen des Ad_____ressaten herbeigeführt werden können. Zur Verantwortlichkeit für die Auswahl vgl. _____ _____ 22 BGBl. I S. 288. _____23 Vertrag vom 17.6.1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher _____Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1981 II, S. 341; abgedruckt z.B. _____in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 2 Nr. 645. _____24 Vertrag vom 20.7.1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1980 II, S. 926; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann _____unter Nr. 186. _____25 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 27 f. zu Absatz 15 Nr. 2. _____26 Vgl. Jastrow IPRax 2004, 11, 13.

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____Rdn. 57. Zur Auswahl des Zustellungswegs bei mehreren möglichen Varianten vgl. ____Rdn. 61; § 183 Rdn. 42 ff. ____ ____ 3. Zustellungen im Inland mit Auslandsbezug. Das deutsche autonome Recht hat ____keine spezifischen Zustellungsnormen für Zustellungen aus dem Ausland ins Inland ____entwickelt. Einschlägige Vorschriften sind in internationalen und bilateralen Überein____kommen enthalten (vgl. hierzu Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 1). Zu Inlandszustellungen im ____Anwendungsbereich des NATO-Truppenstatuts vom 19.6.1951 vgl. § 166 Rdn. 57 ff. Im ____Übrigen gelten hierfür die deutschen Vorschriften über den vertragslosen Rechtshilfe____verkehr (vgl. §§ 66 ff. ZRHO). ____ Wie im Einzelnen die Zustellung im Inland ausgeführt wird, ist der bundes- und ____ländereinheitlichen Rechtshilfeordnung in Zivilsachen vom 19.10.1956 (ZRHO; vgl. An____hang zu §§ 183, 184 Rdn. 68 ff.)27 niedergelegt („Eingehende Ersuchen“, §§ 57 ff. ZRHO). ____Die ZRHO ist keine Rechtsverordnung, sondern eine durch Ministerialerlasse ständig ____ergänzte Verwaltungsanweisung (vgl. Rdn. 17). Dort sind die geltenden zwischenstaatli____chen Abkommen in aktualisierter Form berücksichtigt. ____ Zu unterscheiden ist zwischen der Zustellung im vertraglichen Verkehr (Rdn. 66 ff.) ____und der zwingend formlosen Zustellung im vertragslosen Verkehr (Rdn. 71 ff.). ____ ____ III. Vorliegen einer grenzüberschreitenden Zustellung ____ ____ 1. Anwendungsbereich europarechtlicher Regelungen und internationaler ____oder bilateraler Übereinkommen. Vor einer Anwendung der Vorschriften über grenz____überschreitende Zustellung ist festzustellen, ob überhaupt eine derartige Zustellung vor____liegt. Die geltenden europarechtlichen Regelungen28 und völkerrechtlichen Verträge tref____fen hierüber keine expliziten Aussagen. Sie setzen vielmehr die Notwendigkeit einer ____Auslandszustellung voraus und regeln dann deren Ausführung (vgl. aber Anhang zu ____§§ 183, 184 Rdn. 17 zum HZÜ).29 Nach h.M. verbleibt also die Kompetenz für die Abgren____zung von rein innerstaatlichen Sachverhalten einerseits und grenzüberschreitenden ____Sachverhalten – mit möglicher Anwendbarkeit internationaler oder bilateraler Überein____kommen – bei den einzelnen Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten.30 Freilich dürfen die ____Mitgliedstaaten ihr innerstaatliches Zustellungsrecht nicht so ausgestalten, dass interna____tionale Übereinkommen wie das HZÜ praktisch leerlaufen („legislatio in fraudem inter____nationalis“),31 dass insbesondere die Regeln der Art. 15, 16 HZÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, ____ ____ ____ ____ 27 Abgedruckt z.B. in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4 unter Nr. 900. ____28 Auch nicht die VO EG Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen ____Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 30.4.2004, S. 15 (dort u.a. ____Erwägungsgrund 19); Zöller/Geimer § 183 Rdn. 20; vgl. aber auch Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 189; ____Nagel/Gottwald IZPR, § 7 Rdn. 60. ____29 BGH NJW 1999, 1187, 1188 = JZ 1999, 414 = IPRax 2000, 23 zum HZÜ m.w.N.; vgl. auch OLG Saarbrücken OLGR 2004, 285 ausführlich Fleischhauer Inlandszustellung, insbes. S. 30 ff. m.w.N. auch zur ____a.A. ____30 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1188 = JZ 1999, 414 = IPRax 2000, 23; BGH NJW 1999, 2442, 2443; OLG ____Düsseldorf MDR 1985, 242 f.; OLG München IPRax 1990, 111, 112 = IPRspr. 1988, 176 m. krit. Anm. Roth ____IPRax 1990, 90 ff.; OLG Oldenburg RIW 1991, 950; U.S. Supreme Court in Volkswagenwerk AG v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988) = 108 S.Ct. 2104, 2111 (Mehrheitsvotum zum HZÜ) und hierzu Heidenberger/Barde RIW ____1988, 683 ff. (alle zum HZÜ); Geimer IZPR Rdn. 2080; MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 2. ____31 Schlosser FS Stiefel, 1987, 683 ff. und Schlosser FS Matscher, 387, 399; ihm folgend Stürner JZ 1992, ____325, 328.

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_____184 Rdn. 9 ff.) ausgehebelt werden.32 Insoweit löst § 183 Abs. 5 ZPO eine denkbare Kollisi_____on mit Europäischem Zustellungsrecht inhaltlich dahingehend, dass die Vorschriften der _____EuZVO von den in Abs. 1, 2 getroffenen Regelungen unberührt bleiben; im Anwendungs_____bereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 56 ff.) kommt die Zustellung _____nach § 184 also nicht in Betracht (vgl. § 184 Rdn. 7).33 Hingegen verstößt die (Inlands-) _____Zustellung gemäß § 184 nicht gegen das HZÜ oder das deutsch-türkische Abkommen von _____192934 (vgl. § 184 Rdn. 7). Im Übrigen dürfte auch ein Verstoß gegen völkerrechtliche _____Verpflichtungen nicht ohne weiteres zur Unanwendbarkeit der entgegenstehenden in_____nerstaatlichen Zustellungsnorm führen. Möglicherweise könnte eine völkerrechtskon_____forme Auslegung der entsprechenden Norm weiterhelfen.35 Im Blick auf das geltende _____deutsche innerstaatliche Zustellungsrecht stellt sich diese Frage nicht, weil die Tatbe_____stände, die eine Inlandszustellung bei ausländischer Beteiligung vorsehen, auch einen _____hinreichenden Inlandsbezug aufweisen.36 Auch das Minderheitenvotum bei einer ein_____schlägigen Entscheidung des US Supreme Court37 hält die Inlandszustellung an eine _____100%ige Inlandstochter eines ausländischen Unternehmens für unbedenklich. _____ 23 Eine Auslandszustellung ist demnach entbehrlich, wenn nach maßgeblichem _____deutschem innerstaatlichem Zustellungsrecht ein im Inland belegener und erreichbarer _____Zustellungsort vorhanden ist. So ist die Inlandszustellung bereits dann möglich, wenn _____der im Ausland ansässige Adressat sich im Inland aufhält (§ 177)38 oder wenn er hier eine _____Zweitwohnung39 (vgl. zum Wohnungsbegriff § 178 Rdn. 17 ff.) oder Geschäftsräume40 (vgl. _____zum Begriff § 178 Rdn. 48 ff.) unterhält. Längere Abwesenheit des im Inland wohnenden _____Ausländers schadet nicht, solange noch der zustellungsrechtliche Wohnungsbegriff er_____füllt ist.41 Die Inlandszustellung ist auch dann eröffnet, wenn der im Ausland ansässige _____Adressat einen inländischen Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat.42 _____Vgl. auch §§ 5 AVAG, 30 BRAO, 10, 31 EuRAG, 28 GebrMG, 96 Abs. 1, 94 Abs. 1 Nr. 1 Mar_____kenG, 25 PatG, Art. 40 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO, 23 Abs. 2 Satz 2 EheGVO zur Verpflichtung, _____einen Zustellungbevollmächtigten zu bestellen. Ebenso kann nach Maßgabe von Art. 5 _____Nr. 5 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ sowie des § 21 an die inländische Zweigniederlassung zuge_____stellt werden.43 Dann tritt allerdings nur Rechtshängigkeit hinsichtlich der Teile des _____Streitgegenstands ein, die sich auf die inländische Niederlassung beziehen.44 Wird die _____Zustellung an die Niederlassung zur Umgehung der eigentlich erforderlichen Auslands_____ _____ _____32 Vgl. Stürner JZ 1992, 325, 328; zum HZÜ Stein/Jonas-Roth 21. Aufl. § 199 Rdn. 22; vgl. nunmehr zum EuZVO Stein/Jonas/Roth § 183 Rdn. 65 ff. _____33 Vgl. hier nur BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885 ff.; Heß NJW 2002, 2417, 2424. _____34 BGH NJW 2012, 2588, 2590 m.w.N.; OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 1631, 1632; OLG Hamm NJW-RR 2012, _____62, 63. _____35 Für den problematischen § 175 ZPO a.F. angedeutet bei Roth IPRax 1990, 90, 91 (Begrenzung der Reichweite von Fiktionswirkungen). _____36 Auch Stürner (JZ 1992, 325, 328), der sich für eine eingeschränkte Exklusivität des HZÜ ausspricht, _____hält den problematischen § 175 ZPO a.F. für vereinbar mit dem HZÜ, weil es verfahrenseinleitende _____Schriftsätze nicht erfasse. _____37 Volkswagenwerk AG v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988) = 108 S.Ct. 2104, 2111; das Minderheitenvotum _____hält eine Einschränkung innerstaatlicher Zustellungsregelungen wegen Konventionswidrigkeit für möglich. _____38 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 21. _____39 OLG Köln NJW-RR 1989, 443, 444. _____40 BGH NJW 1999, 2442, 2443; OLG Düsseldorf MDR 1978, 930. _____41 Vgl. BSG NJW 1992, 3120. 42 BGH NJW 1989, 1154, 1155 = RIW 1989, 481; BGH NJW 1999, 2442, 2443 m.w.N.; vgl. auch OLG _____Hamburg NJW-RR 1988, 1277, 1278. _____43 LG Frankfurt a.M. RIW 1987, 221, 222. _____44 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 23.

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____zustellung in Kenntnis des Umstands betrieben, dass der Streitgegenstand ganz oder ____teilweise nicht die Niederlassung betrifft, so kann auch keine Heilung gemäß § 189 er____folgen:45 Dieser Fall ist demjenigen gleichzustellen, in dem überhaupt keine förmliche ____Zustellung betrieben wurde (vgl. Rdn. 37). ____ Außerhalb von Art. 5 Nr. 5 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ bzw. § 21 ZPO kommt hingegen ____eine Zustellung an Tochtergesellschaften nach deutschem Recht nicht in Betracht.46 Die ____abweichende Ansicht für 100%ige Tochtergesellschaften47 stützt sich darauf, dass auf ____solche Weise dem Recht auf rechtliches Gehör eher Rechnung getragen werde als bei ____fiktiver Zustellung. Jedoch ist die fiktive Zustellung an enge Voraussetzungen geknüpft; ____im Übrigen kann eine informelle Information parallel zur fiktiven Zustellung geboten ____sein (vgl. § 185 Rdn. 35). Damit kann das Recht auf rechtliches Gehör hinreichend be____rücksichtigt werden. Zudem darf das Zustellungsverfahren nicht mit Unsicherheiten ____darüber belastet werden, in welchem Verhältnis die Empfängerin zur Adressatin tatsäch____lich steht. ____ Auslegungsprobleme ergeben sich im Hinblick auf die Zustellung nach § 184 Abs. 1 ____Satz 2. Obwohl dabei zuzustellende Schriftstücke über die Grenze befördert werden, gilt ____aus deutscher Sicht das Verfahren nach § 184 als inländische Zustellung (vgl. § 184 ____Rdn. 2).48 Eine Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 darf jedoch bei entgegen____stehenden internationalen oder bilateralen Übereinkommen nicht erfolgen.49 Vgl. hierzu ____Rdn. 35. ____ Auch die Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß §§ 829 Abs. 2 Satz 3, 835 Abs. 3 ____stellt einen Fall der Inlandszustellung dar (vgl. § 829 Abs. 3 Satz 3. „An Stelle einer … im ____Ausland zu bewirkenden Zustellung“).50 ____ Die öffentliche Zustellung nach § 185 wird durch völkerrechtliche Übereinkommen ____nicht explizit eingeschränkt. Zur Anwendung vgl. § 185 Rdn. 7 ff. ____ Ist eine Inlandszustellung möglich, so bedarf es ungeachtet der Nationalität oder ____des Wohnsitzes/Geschäftssitzes/Aufenthaltsorts des Adressaten nicht der Beifügung ____einer Übersetzung (vgl. § 184 GVG sowie unten Rdn. 86). Dies gilt auch für den Fall einer ____Zustellung gemäß § 177 an den durchreisenden Ausländer.51 Eine Besserstellung durch ____entsprechende Anwendung von Art. 5 Abs. 3 HZÜ, 55 Abs. 2 EuGVVO, 48 Abs. 2 EuGVÜ/ ____LugÜ ist nicht angezeigt.52 Das Recht auf rechtliches Gehör wird in diesem Falle mittels ____der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt, die nach den individuellen Ver____hältnissen zu gewähren ist. ____ Zu Zulässigkeit und Wirkungen formloser Mitteilungen vgl. unten Rdn. 33 ff. ____ ____ 2. Anwendung autonomen deutschen Zustellungsrechts. Nach autonomem in____nerstaatlichem Zustellungsrecht gelten §§ 183, 184 sowie die in Rdn. 19 genannten Son____derregelungen (zum Anspruch auf Zustellung nach § 183 trotz eröffneter Möglichkeit der ____Zustellung nach § 184 vgl. oben Rdn. 22). Das Vorgehen nach § 184 setzt allerdings die ____ ____ ____45 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 24. ____46 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 23. 47 Vgl. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 251 f. ____48 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1188 f.; BGH NJW 1999, 1871, 1872; BGH NJW 1999, 2442, 2443; BGH NJW ____2002, 521, 522 = RIW 2002, 237, 238 m.w.N.; BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885; BGH NJW 2012, 2588, 2590 ____m.w.N. ____49 LG Berlin NJW 1989, 1434, 1435. 50 Vgl. auch Hornung DGVZ 2003, 167, 169 m.w.N. ____51 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 25. ____52 A.A. Koch in: Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozeßrecht, 1992, 171, 203 f.; wie hier Zöller/ ____Geimer § 183 Rdn. 25.

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_____wirksame Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks voraus (vgl. § 184 Rdn. 8; _____für das Mahnverfahren vgl. oben Rdn. 16; § 184 Rdn. 42. Vgl. auch § 32 AVAG für Zustel_____lungen im Mahnverfahren (Text in Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 67). _____ 31 Auch ist die Bestimmung einer angemessenen Einspruchsfrist gegen Versäumnis_____urteile bei Notwendigkeit einer Auslandszustellung (§ 339 Abs. 2) zu beachten (nicht aber _____bei der Inlandszustellung gemäß § 184, vgl. dort Rdn. 60 f.). _____ 32 Zu Zulässigkeit und Wirkungen formloser Mitteilungen vgl. sogleich unten Rdn. 33. _____ _____ IV. Zulässigkeit und Wirkungen formloser Mitteilungen _____ _____ Von der grenzüberschreitenden Zustellung sind formlose grenzüberschreitende 33 _____Mitteilungen (z.B. durch einfachen Brief, Telekopie oder E-Mail) abzugrenzen, soweit _____diese nicht nach den Vorschriften grenzüberschreitender Abkommen oder den jeweiligen _____Regelungen des autonomen Zustellungsrechts zulässige Medien der grenzüberschrei_____tenden Zustellung sind.53 Solche formlosen Mitteilungen greifen nicht in jedem Falle in _____fremde Souveränitätsrechte ein und sind insoweit völkerrechtlich unbedenklich.54 In _____bestimmten Fällen ist es sogar angezeigt, eine solche Mitteilung auf den Weg zu bringen, _____um das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör nach Möglichkeit zu wahren (vgl. _____§ 185 Rdn. 35; zum vertragslosen Rechtshilfeverkehr sogleich Rdn. 36). All dies gilt grds. _____auch dann, wenn die Mitteilung sich auf einen deutschen Hoheitsakt bezieht (z.B. eine _____Ladung, eine gerichtliche Entscheidung). Dieser Hoheitsakt wird im Inland vollzogen _____und grenzüberschreitend nur noch mitgeteilt.55 Andererseits wird man nicht sagen kön_____nen, dass die Übermittlung durch einfache Postsendung die fremde Souveränität nicht _____berühren kann.56 Die Souveränität dient nicht zuletzt der Durchsetzung persönlichen _____und vermögensbezogenen Schutzes des Souveräns (aller geschützten Bürger und Be_____wohner des betreffenden Staates). Dieser Schutz wird beeinträchtigt, sobald ein „Mit_____glied“ des Souveräns zum grenzüberschreitenden Handeln gezwungen wird, um keine _____derartigen Nachteile zu erleiden. Damit werden über sanktionsbewehrte Mitteilungen _____hinaus (hierzu sogleich im Folgenden) alle solchen Benachrichtigungen erfasst, deren _____Erhalt Voraussetzung für Beginn, Fortgang oder Abschluss gerichtlicher Verfahren ist. _____Nur so ist auch die Aufnahme dieser Zustellungsform in internationale Übereinkommen _____sinnvoll zu deuten. Dessen ungeachtet bleibt die gesetzliche Zulassung dieser Zustel_____lungsform wünschenswert, wobei an den Inhalt gewisse Voraussetzungen zu knüpfen _____wären. Ohne weiteres wäre sie im Hinblick auf Länder möglich, welche sie bereits jetzt _____dulden (zur insoweit strengen Auffassung in Deutschland vgl. sogleich Rdn. 35).57 _____ Problematisch ist in jedem Falle die formlose Übermittlung sanktionsbewehrter 34 _____Inhalte.58 Zwar kann die Sanktion vor Ort nicht ohne Mitwirkung des fremden Souveräns _____durchgesetzt werden. Jedoch sind Falllagen nicht selten, in denen die Adressaten auch _____ _____ _____53 Vgl. Art. 14 EuZVO. Auch Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 HZPÜ und 10 lit. a HZÜ sehen eine Zustellung durch die _____Post grds. als Möglichkeit vor. Deutschland hat jedoch vom Widerspruchsrecht der Art. 6 Abs. 2 HZPÜ und _____21 Abs. 2 HZÜ Gebrauch gemacht; vgl. Geimer IZPR Rdn. 2084 und Rdn. 418 m.w.N. 54 Geimer IZPR Rdn. 2082 und 418 m.w.N. zu den unterschiedlichen Ansichten. _____55 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1188 = JZ 1999, 414 = IPRax 2000, 23; Geimer IZPR Rdn. 2083 m.w.N.; krit. _____Schack IZVR Rdn. 594. _____56 Vgl. OLG München NJW-RR 1996, 59, 60. A.A. Schack IZVR Rdn. 593; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 4; _____Geimer IZPR Rdn. 2083 m.w.N. auch zur abweichenden Ansicht. 57 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2084 f. m.w.N.; a.A. Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze-Karl Bd. 2, 663 zu _____Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 des dt.-span. Vollstreckungsvertrags vom 14.11.1983. _____58 Vgl. Pfennig Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 76, 568; Stadler Der _____Schutz des Unternehmensgeheimnisses 1989, 284 f.; insoweit zust. auch Schack IZVR Rdn. 592.

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____in rechtlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht Verbindungen zu dem Staat haben, in dem ____der Hoheitsakt erlassen wurde. Dann mag die Befürchtung entstehen, dass jedenfalls im ____Hinblick auf diese Verbindungen Sanktionen doch durchgesetzt werden könnten. Damit ____entsteht ein zwar abgeschwächter, aber doch signifikanter Druck, auf die Sanktion zu ____reagieren, der die Souveränität des Aufenthaltsstaates des Adressaten nicht unberührt ____lässt.59 Solche Mitteilungen müssen demnach im Wege der Zustellung erfolgen. ____ Nach h.M. dürfen die deutschen Gerichte im Anwendungsbereich von HZPÜ und 35 ____HZÜ auch dann keine Zustellung durch einfachen Postbrief veranlassen, wenn der ____Empfangsstaat nicht von den Widerspruchsmöglichkeiten dieser Übereinkommen Ge____brauch gemacht hat. Die Zustellung durch einfache Postsendung eröffnen Art. 6 Abs. 1 ____Nr. 1 HZPÜ, 10 lit. a HZÜ. Jedoch hat Deutschland vom Widerspruchsrecht (Art. 6 Abs. 2 ____HZPÜ, 21 Abs. 2 HZÜ) Gebrauch gemacht.60 Dieser Vorbehalt wird in der deutschen Pra____xis umfassend gesehen, weil auch nach innerstaatlichem Zustellungsrecht die Zustel____lung durch einfache Postsendung nicht vorgesehen ist.61 Auch Art. 14 EU-Schriftstücke____ZustellungsVO sieht eine qualifizierte Übermittlung in Gestalt des Einschreibens mit ____Rückschein vor; hierzu § 183 Rdn. 86, 98 ff.). Anderes gilt nur für die Ausnahmebestim____mung in Art. 6 des dt.-brit. Abkommens über den Rechtsverkehr vom 20.3.192862 ____(vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 58 ff.), welches nach Art. 25 HZÜ Vorrang genießt. Zu____stellungen in das Vereinigte Königreich sind demnach auf einfachem Postwege nach ____Maßgabe des dort geltenden Zustellungsrechts möglich, nicht jedoch Zustellungen von ____dort nach Deutschland.63 ____ Im Übrigen ist die formlose Zustellung der einzige mögliche Weg, wenn die Rechts- 36 ____hilfe eines Empfangsstaats erforderlich wird, weil zu ihm keine staatsvertraglichen Rege____lungen bestehen (vertragsloser Rechtshilfeverkehr; vgl. § 70 Abs. 2 ZRHO). Dies betrifft ____den Verkehr mit Staaten außerhalb des Geltungsbereichs der einschlägigen EG-Verord____nungen, des HZPÜ (Art. 3 Abs. 2) und des HZÜ (Art. 5) sowie einschlägiger bilateraler ____Abkommen (Vereinigtes Königreich,64 Griechenland,65 Türkische Republik,66 Tunesien,67 ____Marokko).68, 69 Zur derartigen Zustellung in Deutschland vgl. Anhang zu §§ 183, 184 ____Rdn. 2. ____ ____ ____59 Vgl. für die Rechtspraxis die Falllage, welche dem Urteil des BGH v. 2.11.1995 (IPRax 1997, 36 ff.) ____zugrunde lag (sanktionslose Mitteilung einer Entscheidung in Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes); ____dazu Rohe a.a.O., 14 ff. 60 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2084. ____61 Vgl. § 6 S. 2 des Ausführungsgesetzes zu den Haager Zustellungs- und Beweisübereinkommen v. ____22.12.1977, BGBl. I, S. 3105; abgedruckt bei Jayme/Hausmann Nr. 212 a und die Beschlussempfehlung des ____Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT(-Drucks.) 14/5564, S. 21, sowie die Nachweise bei ____Kondring RIW 1996, 722 f.; krit. hierzu Schack IZVR Rdn. 593 f. 62 RGBl. II, 623; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann Nr. 228. ____63 Vgl. OLG Frankfurt a.M. RIW 1991, 587 f.; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 6. ____64 Art. 3 lit. d dt.-brit. Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 ____Rdn. 59). ____65 Art. 3 Abs. 1 dt.-griech. Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des ____bürgerlichen und Handels-Rechts v. 11.5.1938 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 62). 66 Art. 10 Abs. 2 i.V.m. 9 Abs. 1 S. 3 dt.-türk. Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und ____Handelssachen v. 29.5.1929 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 57). ____67 Art. 12 Abs. 2 dt.-tunes. Vertrag v. 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und ____Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die ____Handelsschiedsgerichtsbarkeit (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 55). 68 Art. 5 dt.-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und ____Handelssachen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 53). ____69 Vgl. auch die Übersicht bei Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4, Nr. 900, Fn. 174 f. zu § 70 ZRHO ____(Stand 2/2004).

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_____ 37 In jedem Falle ist es zu vermeiden, an formlose Mitteilungen die Rechtsfolgen _____einer förmlichen Zustellung zu knüpfen (vgl. schon oben Rdn. 34 sowie § 68 ZRHO). _____Andernfalls könnte das zentrale Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör verletzt _____werden, indem z.B. die bei der förmlichen Zustellung erforderlichen Übersetzungen feh_____len können (vgl. hierzu auch Rdn. 81 ff.).70 So kann auch keine Heilung gemäß § 189 _____aufgrund des tatsächlichen Zugangs des übermittelten Schriftstücks erfolgen. Eine sol_____che Heilung scheitert schon daran, dass bei formloser Mitteilung überhaupt keine (feh_____lerhafte) Zustellung in Gang gebracht wurde,71 sondern ein aliud. Ebenfalls dürfen keine _____zustellungsrechtlichen Sanktionen an die (zustellungsrechtlich berechtigte!) Annahme_____verweigerung geknüpft werden (vgl. auch die in § 69 Abs. 3 Satz 2 ZRHO vorgeschriebene _____Belehrung über das Recht zur Annahmeverweigerung).72 Die Belehrung über das Recht _____auf Annahmeverweigerung muss effizient erfolgen: die bloße Belehrung eines zur Abho_____lung bevollmächtigten Beschäftigten, welcher die Tragweite nicht ermessen kann, reicht _____deshalb nicht aus.73 Auch Individualvereinbarungen über gesetzlich nicht vorgesehene _____Zustellungsformen sind nicht zulässig (vgl. oben Rdn. 6). Andererseits kann eine rügelo_____se Einlassung den Zustellungsmangel überwinden (vgl. zur Anwendbarkeit des § 295 _____auch Rdn. 109).74 _____ Zur Durchführung der „formlosen Zustellung“ eingehender Ersuchen im Inland 38 _____vgl. unten Rdn. 71. _____ _____ V. Ausnahmsweise Entbehrlichkeit der förmlichen Zustellung in _____ grenzüberschreitenden Fällen _____ _____ Wird eine Auslandszustellung grds. erforderlich, so erklärt das Gesetz sie an mehre39 _____ren Stellen für entbehrlich. Nach § 841 entfällt die Pflicht, dem Schuldner gerichtlich den _____Streit zu verkünden, wenn eine Auslandszustellung erforderlich wäre. Dasselbe gilt für _____die Anhörung des Gegners im Rahmen des § 844 (vgl. § 844 Abs. 2) und die Ladung des _____Schuldners zum Termin im Verteilungsverfahren (vgl. § 875 Abs. 2). _____ _____ VI. Anordnung und Ausführung der Zustellung _____ _____ 1. Zustellungen in Parteibetrieb und Amtsbetrieb; Zustellung durch Private _____ _____ 40 a) Allgemeines. Die Vorschriften über die grenzüberschreitende Zustellung sind für _____den Amtsbetrieb direkt, für den Parteibetrieb über § 191 anwendbar (vgl. § 191 _____Rdn. 5 ff.). _____ _____ b) Zustellung im Amtsbetrieb. Bei der Zustellung im Amtsbetrieb hat die Prozess41 _____partei einen Anspruch darauf, dass die Zustellung in einer Art und Weise bewirkt wird, _____welche die Vornahme daran geknüpfter Maßnahmen (z.B. Vollstreckung) im Empfangs_____staat ermöglicht. Einer Antragstellung bedarf es nicht (vgl. aber Rdn. 44).75 Vielmehr _____liegt es alleine in der Verantwortung der Justizbehörden (vgl. Rdn. 50), das Zustel_____lungsverfahren korrekt und effizient durchzuführen. Diese müssen dafür sorgen, dass _____ _____ _____70 Vgl. hierzu Schütze RIW 2000, 20 f. _____71 BayObLGZ 1995, 61, 71 ff.; OLG Jena FamRZ 1998, 1446 f. 72 Hierzu Schütze RIW 2000, 20, 21 f. _____73 Vgl. Schöbe FS Boguslawskij (2004) 325, 333 f. _____74 Geimer IZPR Rdn. 2083 Fn. 22 a.E. _____75 BGH NJW 2003, 2830, 2831.

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____eine wirksame Zustellung erreicht und das hierfür ggf. nötige und geeignete Rechtshilfe____ersuchen gestellt wird.76 Es obliegt ihnen dabei, die einschlägigen Staatsverträge und die ____zu diesen ergangenen Ausführungsregelungen zu ermitteln und die dort gestellten An____forderungen (Benutzung von Musterformularen; Veranlassung notwendiger Übersetzun____gen, vgl. Rdn. 81 ff., Beifügung weiterer Abschriften etc.) zu erfüllen und, soweit dazu ____besondere Anforderungen an eine Partei zu stellen sind, die betroffene Partei zu veran____lassen, diese Anforderungen zu erfüllen.77 ____ Insoweit kann sich das grds. bestehende Auswahlermessen des Gerichts bzw. der ____Justizverwaltung (vgl. Rdn. 50; § 183 Rdn. 26, 43) zwischen mehreren eröffneten Varian____ten auf die Auswahl einzelner – erfolgversprechender – Wege verdichten.78 Anerken____nungsprobleme kann insbesondere die Zustellungsfiktion der (Inlands-)Zustellung ge____mäß § 184 Abs. 2 bereiten. Wird nach Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen die ____Zustellung durch Aufgabe zur Post im Empfangsstaat nicht anerkannt, muss entspre____chend der im einschlägigen Abkommen vorgesehenen Form bzw. nach § 183 zugestellt ____werden, um nicht die Prozesspartei rechtlos zu stellen,79 auch wenn die Voraussetzun____gen des § 184 vorliegen.80 Dies gebietet der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Anspruch auf ____effektiven Rechtsschutz.81 Allerdings genügen hierfür nicht bloße abstrakte Befürchtun____gen mangelnder Anerkennung; andernfalls würde der Vereinfachungszweck des § 184 ____Abs. 2 weitgehend vereitelt. Voraussetzung für einen Anspruch auf die Wahl eines be____stimmten Zustellungswegs sind vielmehr zumindest begründete Anzeichen dafür, dass ____die Anerkennung im Ausland an Bedenken hinsichtlich der Zustellung scheitern könn____te.82 Denkbar ist in solchen Fällen auch eine kumulative Zustellung nach § 184 und nach ____§ 183 bzw. entsprechenden vorrangigen Normen. Die Fristenläufe sollten sich dann aus ____Gründen der Rechtsklarheit alleine an § 184 Abs. 2 ausrichten.83 ____ Korrekturen zur im Einzelfall angemessenen Wahrung des rechtlichen Gehörs sind ____bei Prüfung der Wiedereinsetzung möglich (vgl. auch Rdn. 5; 28; § 184 Rdn. 59 ff.). ____ Ein gestellter Antrag ist allerdings i.d.R. zu berücksichtigen (vgl. Rdn. 67 und 79). ____Dies gilt etwa im Hinblick auf einen Antrag auf – meist umständlichere – förmliche Zu____stellung, welcher die Mitwirkung des Adressaten entbehrlich macht. Dann verbleibt dem ____Gericht kein Ermessensspielraum mehr.284 ____ ____ c) Zustellung im Parteibetrieb. Bei der Zustellung im Parteibetrieb kann es kei____nen Automatismus geben, welcher die Auslandszustellung bzw. die Bewilligung der öf____fentlichen Zustellung in Gang bringt. Deshalb ist zusätzlich zu den Anforderungen bei ____der Zustellung im Amtsbetrieb ein dahingehender Antrag der betreibenden Partei an ____den Vorsitzenden des Prozessgerichts85 erforderlich. Die Antragstellung unterliegt nicht ____dem Anwaltszwang nach § 78.86 Wie bei der Zustellung im Amtsbetrieb ist bei der Aus____wahl unter verschiedenen Zustellungsarten und -wegen ein bestimmter Antrag grds. ____ ____ ____76 BGH NJW 2003, 2830, 2831 unter Berufung auf Schlosser Art. 3 HZÜ Rdn. 3. ____77 BGH NJW 2003, 2830, 2831. ____78 OLG München IPRax 1988, 163, 165. 79 LG Berlin NJW 1989, 1434, 1435. ____80 Vgl. Linke/Hau IZVR Rdn. 300; Nagel/Gottwald IZPR § 7 Rdn. 12; Schack IZVR Rdn. 613; so noch Zöller/ ____Geimer 24. Aufl. § 183 Rdn. 91 m.w.N.; LG Berlin NJW 1989, 1434, 1435. ____81 OLG München IPRax 1988, 163, 164 m. zust. Anm. Hausmann a.a.O., 140, 143 f. ____82 OLG München IPRax 1988, 163, 165. 83 So in der Tendenz auch noch Zöller/Geimer 24. Aufl. § 183 Rdn. 92. ____84 Zöller/Geimer Rdn. 66. ____85 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 55. ____86 RGZ 17, 392, 403; OLG Köln IPRax 1987, 233.

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_____zu berücksichtigen. Bei Verstößen kommen Amtshaftungsansprüche in Betracht (vgl. _____Rdn. 78 f.). _____ Bei der Zustellung im Parteibetrieb (vgl. §§ 191 ff.) ist im Übrigen streitig, ob der Ge46 _____richtsvollzieher im Anwendungsbereich des § 183 Abs. 1 und Abs. 5 durch Einschreiben _____mit Rückschein zustellen darf. Die Gesetzgebungsmaterialien geben hierüber keinen _____expliziten Aufschluss, obgleich jedenfalls für die Inlandszustellung kein dahingehendes _____praktisches Bedürfnis gesehen wird87 (vgl. § 192 Rdn. 3). Allerdings könnte aus §§ 192 _____Abs. 1 i.V.m. 193, 194 zuschließen sein, dass dem Gerichtsvollzieher nur die persönliche _____Zustellung und die Beauftragung der Post zu Gebote stehen.88 Dies würde eine Fort_____schreibung des Rechtszustandes vor der Reform des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 be_____deuten. Dagegen spricht indes, dass die Erleichterung der Zustellung durch Öffnung ein_____facher Übermittlungswege und durch Verzicht auf die Beurkundung als konstitutives _____Element der Zustellung ein Kernanliegen des Reformgesetzgebers war (vgl. Vor § 166 _____Rdn. 11). Die maßgeblich erleichterte Übermittlung ist sowohl für die Inlandszustellung _____(§ 175) als auch für die Auslandszustellung (§ 183 Abs. 1) vorgesehen. Im letzteren Fall _____entfällt die bislang uneingeschränkte Zuständigkeit des Vorsitzenden des Prozessge_____richts. Es würde demnach dem erklärten Reformziel widersprechen, bei der grenzüber_____schreitenden Zustellung im Parteibetrieb den am wenigsten aufwendigen Zustellungs_____weg zu verschließen.89 Dabei ist auch zu bedenken, dass die anderen Zustellungswege _____bei Inlandszustellungen in der Regel erheblich weniger Aufwand erfordern als bei der _____Auslandszustellung, dass Letztere also in ganz besonderem Maße aufwendig bliebe. Die_____se grundlegenden Erwägungen lassen den Schluss zu, dass sich die Vorschriften der _____§§ 192 Abs. 1, 193, 194 nur auf Inlandszustellungen beziehen. Gestützt wird dieses Ergeb_____nis durch den Umstand, dass die inhaltliche Ausgestaltung der §§ 193, 194 ersichtlich _____(nur) Inlandssachverhalte im Auge hat. Vergleichbares gilt grds. auch für die Zustellung _____im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (§ 183 Abs. 5 i.V.m. Art. 14 _____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO).90 Es genügt, dass die Person, welche die Zustellung in _____Gang bringt, nach dem Recht des Übermittlungsstaats (Ursprungsstaats) hierzu befugt _____ist (vgl. auch § 183 Rdn. 96).91 Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland nicht von _____der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Notare oder Gerichtsvollzieher als Übermittlungs_____stellen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO zu benennen. Vielmehr sind _____nach der Regelung des § 1069 Abs. 1 nur die dort genannten Gerichte zuständig. Deshalb _____sind aus Gründen der Rechtssicherheit Notare und Gerichtsvollzieher in Deutschland _____gezwungen, die benannten Übermittlungsstellen einzuschalten.92 _____ Art. 15 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO, Abs. 1 Nr. 2 HZPÜ, 10 lit. c) HZÜ eröffnen die 47 _____Möglichkeit, dass Parteien und Verfahrensbeteiligte unmittelbar die Zustellungsorgane _____des Bestimmungsstaats mit der Zustellung beauftragen. Anders als nach der Vorläufer_____regelung in Art. 15 Abs. 2 EuZVO kann dagegen kein Widerspruch eingelegt werden. _____Deshalb ist dieser Zustellungweg nunmehr auch für Zustellungen nach Deutschland und _____ _____ _____ _____87 So die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25 zu § 192 Abs. 1. 88 So Hornung Rpfl. 2002, 493, 502. _____89 Überzeugend Möller NJW 2003, 1571, 1572 f.; Heß NJW 2004, 3301, 3302 f. (zur EuZVO); a.A. Hornung _____DGVZ 203, 167 ff.; Emde NJW 2004, 1830, 1832 ff.; Mankowski RIW 2004, 587, 594 (zur EuZVO); Zöller/ _____Geimer § 183 Rdn. 1. Wie hier auch Schmidt IPRax 2004, 13, 17, 20. _____90 Möller NJW 2003, 1571, 1572; Heß NJW 2004, 3301, 3302 f.; Jastrow NJW-aktuell Heft 1/2005, XXII f.; a.A. Emde NJW 2004, 1830, 1832 ff. _____91 Vgl. OLG Köln IPRax 2004, 512, 523 (Rechtsanwalt in Griechenland) m. abl. Anm. Geimer a.a.O., 505, _____506 und Emde NJW 2004, 1830, 1832 ff.; vgl. auch LG Trier NJW-RR 2003, 287 f. _____92 Vgl. Zöller/Geimer § 1069 Rdn. 3 m.w.N.

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____in diejenigen Staaten möglich, die einen Widerspruch nach der Vorläuferregelung einge____legt hatten.93 Zu Einzelheiten vgl. § 183 Rdn. 101 f. ____ Eine (förmliche) Zustellung durch Private sieht das deutsche Verfahrensrecht ____nicht vor.94 ____ ____ 2. Anordnung der Zustellung. Die Anordnung der Auslandszustellung im Amtsbe____trieb durch Gerichte erfolgt in richterlicher Unabhängigkeit.95 Dasselbe gilt für die Be____stimmung des Adressaten. Insoweit besteht kein Weisungsrecht der Justizverwaltung.96 ____Zur Zuständigkeit und zur Ingangsetzung der Ausführung vgl. § 183 Rdn. 20 ff., 66 ff. und ____Rdn. 54 und 68. ____ Dem die Zustellung Betreibenden (Gericht oder Partei, vgl. oben Rdn. 40 ff.) steht ____grds. die Wahl zwischen mehreren möglichen Zustellungswegen offen (vgl. zu Einzel____heiten § 183 Rdn. 42 ff.). Dieses Auswahlermessen kann sich in Richtung auf einen be____stimmten Weg verdichten, wenn andernfalls kein effektiver Rechtsschutz (vgl. Art. 19 ____Abs. 4 GG) gewährleistet werden kann; vgl. hierzu Rdn. 42. Im Interesse effektiven Rechts____schutzes ist es auch von Bedeutung, von welchen zustellungsrechtlichen Anforderungen ____der Vollstreckungsstaat die Anerkennung ausländischer (hier: deutscher) Entscheidun____gen abhängig macht. So kann es geboten sein, eine in solchem Sinne erfolgversprechen____de Zustellungart (u.U. zusätzlich) zu wählen, wenn für Zustellungszwecke alleine auch ____eine andere, einfachere Art der Zustellung ausreichend wäre, dann aber die Anerkennung ____der Entscheidung im Vollstreckungsstaat zweifelhaft würde.97 Zur Wahl eines anderen als ____den gerichtlich festgelegten Zustellungsweg durch die ausführende Justizverwaltung vgl. ____sogleich Rdn. 51. Zur nach h.M. mangelnden Zulässigkeit von Vereinbarungen über die ____Zustellung vgl. Rdn. 6. ____ ____ 3. Ausführung der Zustellung ____ ____ a) Auslandszustellung (ausgehende Ersuchen) ____ ____ aa) Allgemeines. Die Ausführung der Auslandszustellung ist ungeachtet der jeweils ____einschlägigen Rechtsgrundlage stets Aufgabe der Justizverwaltung.98 Nach allg.M. fällt ____die Auslandszustellung in die Kompetenz des Bundes für die Pflege der auswärtigen Be____ziehungen nach Art. 32 Abs. 1, 73 Nr. 1 GG; entsprechende Regelungen fallen nicht in den ____von Art. 74 Nr. 1 GG erfassten Bereich des gerichtlichen Verfahrens.99 Sie zählt also nicht ____zur richterlichen Tätigkeit (vgl. auch § 9 ZRHO). Deshalb darf die Justizverwaltung auch ____nach pflichtgemäßem Ermessen vom gerichtlich festgelegten Zustellungsweg abwei____chen, ohne damit in die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) einzugreifen.100 ____ ____93 Vgl. hierzu und zur vormaligen Rechtslage Zöller/Geimer EG-VO Zustellung Rdn. 1. ____94 Vgl. OLG Hamm IPRax 2005, 146, 148. Anders etwa im anglo-amerikanischen Rechtskreis, vgl. Schack ____IZVR Rdn. 589 m.w.N. ____95 Vgl. BGH NJW 1983, 2769, 2770 (zum vergleichbaren Rechtshilfeersuchen in Beweisfragen); Zöller/ ____Geimer § 183 Rdn. 47. 96 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 58. ____97 Vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 1631, 1632 m.w.N. ____98 Vgl. BGH NJW 1983, 2769, 2770; BGH NJW 1986, 664; BGH NJW 2003, 2830, 2831; Bülow/Böckstiegel/ ____Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand 02/2004, Nr. 900, ____Vorbemerkung 2. zur ZRHO mit Fn. 4 MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 6; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 48; vgl. auch EuGH NJW 2009, 2513, 2514. ____99 Vgl. nur Zöller/Geimer § 183 Rdn. 49. ____100 Vgl. Zöller/Geimer § 183 Rdn. 48; vgl. auch BGH NJW 2830, 2831: „Gericht oder Prüfungsstelle“ ____bestimmen die Zustellungsart.

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_____ 52 Nichts anderes gilt auch für die Fälle, in denen in Europäischen Normen oder inter_____nationalen Übereinkommen der unmittelbare Verkehr zwischen den Gerichten vorge_____sehen ist.101 Auch hier handelt es sich um Maßnahmen der Justizverwaltung und abhän_____gig von den Ausführungsmodalitäten im Einzelnen. _____ Zur Unterscheidung zwischen förmlicher und formloser Zustellung vgl. Rdn. 8 ff. 53 _____ Einzelheiten der Ausführung ergeben sich aus den jeweils einschlägigen Europäi54 _____schen, internationalen, bilateralen oder innerstaatlichen Rechtsgrundlagen sowie der _____ZRHO (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 68).102 Mit der ZRHO hat der Bund eine einheitli_____che Verwaltungsanweisung (vgl. oben Rdn. 17) geschaffen, auf deren Grundlage die Ge_____richte und die zuständigen Stellen der Länder (grds. die Prüfungsstellen, § 9 Abs. 1, 2 _____ZRHO; in bestimmten Fällen unter Hinzuziehung der Landesjustizverwaltung nach §§ 9 _____Abs. 1, 28 Abs. 2 ZRHO) die Aufgaben des Bundes ausführen.103 Gemäß §§ 9 Abs. 1, 28 _____Abs. 2 ZRHO müssen die Prüfungsstellen – auch im Anwendungsbereich der EU-Schrift_____stücke-ZustellungsVO – zunächst der Landesjustizverwaltung berichten, wenn gegen die _____Absendung des Ersuchens wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit oder Hoheits_____rechten Bedenken bestehen (vgl. auch Rdn. 1, 33, 57). Keine erkennbaren Änderungen _____ergeben sich aus der Errichtung des Bundesamtes für Justiz durch das BfJG zum 1.1.2007. _____Dieses Bundesamt unterstützt das Bundesministerium für Justiz u.a. auf dem Gebiet der _____Rechtshilfe in Zivilsachen (§ 2 Abs. 2 a BfJG). Neuregelungen für das Zustellungsrecht _____werden daraus nicht ersichtlich. Der einschlägige Erlass zur Aufgabenzuweisung an das _____Bundesamt aus dem Ministerium war nicht erhältlich. Nach informeller Auskunft des _____Bundesamts soll Hilfestellung in Fällen von Schwierigkeiten bei Zustellungen gegeben _____werden, wobei Einzelheiten noch erklärungsbedürftig sind. _____ Für die Arbeitsgerichtsbarkeit ist die ZRHO ebenfalls anwendbar.104 Die Gemein55 _____same Anordnung vom 30. Dezember 1959105 trifft für diesen Bereich spezielle Zuständig_____keitsregelungen. _____ Zur Ausführung im Einzelnen vgl. § 183 Rdn. 8 ff. 56 _____ 57 Nach pflichtgemäßen Ermessen darf die Justizverwaltung vom gerichtlich ange_____ordneten Zustellungsweg abweichen (vgl. soeben Rdn. 51) oder die Weiterleitung des _____Rechtshilfeersuchens an den Empfangsstaat ablehnen, wenn ein solches Ersuchen kei_____nen Erfolg verspricht.106 Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der ersuchte Staat der_____artige Ersuchen erfahrungsgemäß ablehnt und keine Anzeichen für eine Änderung vor_____liegen,107 wenn die Bundesregierung oder das Auswärtige Amts politische Bedenken _____dagegen geltend machen (vgl. 54),108 oder wenn das Ersuchen gegen internationale Ge_____pflogenheiten verstoßen würde.109 _____ Schuldhafte Verletzungen der hiermit verbundenen Pflichten des Ausführenden 58 _____können Ansprüche aus Amtshaftung auslösen (vgl. Rdn. 78 f.). _____ Eine besondere Form der Auslandszustellung ist diejenige an eigene Staatsange59 _____hörige mit Immunitätsrecht im Ausland (vgl. § 183 Abs. 3). Trotz des Vollzugs der Zu_____stellung im Ausland wird hierbei die Hoheitssphäre des Aufenthaltsstaats nicht berührt. _____ _____ _____101 Vgl. BGH NJW 1983, 2769, 2770; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 54 und § 1069 Rdn. 1 m.w.N. 102 Vgl. BGH NJW 2003, 2830, 2831. _____103 Vgl. Zöller/Geimer § 183 Rdn. 47; MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 6; Wiehe Zustellungen, S. 38; _____a.A. Kondring Die Heilung von Zustellungsfehlern, S. 78. _____104 Vorbemerkung Ziff. 3 zur ZRHO. _____105 Abgedruckt z.B. bei Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4 Nr. 900, ZRHO, Vorbemerkung. 106 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 50. _____107 Vergleichbar Zöller/Geimer § 183 Rdn. 50. _____108 Vgl. LG Bonn sowie OLG Köln IPRax 1987, 231, 233 m. Anm. Mansel a.a.O., 210. _____109 OLG Frankfurt a.M. RIW 1988, 133, 134; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 50.

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____Deshalb können Formalitäten entfallen, welche der Sicherung solcher Hoheitsrechte ____dienen (zu Einzelheiten vgl. § 183 Rdn. 27, 36). Zur Zustellung an privilegierte Ausländer ____im Inland vgl. § 183 Rdn. 34 f. ____ ____ bb) Zustellung im vertraglichen Verkehr. Im vertraglichen Verkehr kommt grds. ____sowohl die förmliche als auch die formlose Zustellung in Betracht. Letztere hat den ____Vorzug typischerweise größerer Schnelligkeit, kann jedoch keine Wirkungen gegenüber ____einem nicht mitwirkungsbereiten Adressaten entfalten.110 Keine formlose Zustellung fin____det im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO statt (vgl. § 65 k Abs. 3 ____ZRHO). Gemäß Art. 32 Abs. 3 Satz 1 ZRHO ist deshalb im Zustellungsantrag anzugeben, ____ob die formlose und hilfsweise die förmliche oder sogleich die förmliche Zustellung be____antragt wird. ____ Besteht die Wahl zwischen unterschiedlichen Zustellungsarten und -wegen, so ent____scheidet die zuständige Stelle der Justizverwaltung (vgl. Rdn. 54, 68) nach pflichtgemä____ßem Ermessen (vgl. Rdn. 57). Bei der Zustellung im Amtsbetrieb bedarf es – anders bei ____der im Parteibetrieb (vgl. Rdn. 41) – keines Antrags der Partei (vgl. Rdn. 45). In jedem ____Falle ist aber ein gestellter Antrag zu berücksichtigen (vgl. Rdn. 44). Zu Rechtsbehelfen ____und Schadensersatzansprüchen vgl. Rdn. 75 ff.; 78 f. ____ Die Übermittlung von Schriftstücken durch die deutsche Auslandsvertretung an ____empfangsbereite deutsche Adressaten (vgl. Art. 8 Abs. 1 HZÜ; § 5 Nr. 1 lit. a ZRHO) ist ____stets eine formlose Zustellung.111 Hierbei handelt die Auslandsvertretung in eigener ____Zuständigkeit.112 Vgl. zur formlosen Zustellung auch Rdn. 33 ff. ____ ____ cc) Zustellung im vertragslosen Verkehr. Die Behandlung ausgehender Ersuchen ____werden in §§ 11 ff. ZRHO geregelt. Nur eine formlose Zustellung ist im vertragslosen ____Rechtshilfeverkehr zulässig (vgl. zu den Staaten, mit denen ein solcher Verkehr eröff____net ist, oben Rdn. 10).113 Zur formlosen Zustellung im vertraglichen Verkehr vgl. soeben ____Rdn. 60. Die Vornahme von Zustellungen durch den Konsul (vgl. § 16 KonsularG) ist nur ____mit Einverständnis des Empfangsstaats zulässig (vgl. § 13 Abs. 2 ZRHO). ____ Im Hinblick auf Zuständigkeit und Verfahren gelten im Übrigen die Ausführungen ____zum vertraglichen Verkehr (oben Rdn. 60 ff.). ____ ____ b) Inlandszustellung (eingehende Ersuchen). Vgl. zur Inlandszustellung allg. ____oben Rdn. 19 ff. Auch die Zustellung eingehender Ersuchen zählt zur Tätigkeit der Justiz____verwaltung (vgl. oben Rdn. 20). ____ ____ aa) Zustellung im vertraglichen Verkehr. Im vertraglichen Verkehr kommt sowohl ____die förmliche als auch die formlose Zustellung (vgl. zu letzterer Rdn. 71) in Betracht. ____Beide unterscheiden sich wesentlich dadurch, dass die Zustellungswirkungen nur bei ____der förmlichen Zustellung auch gegen den Willen des Adressaten herbeigeführt werden ____können. Zur Verantwortlichkeit für die Auswahl vgl. Rdn. 61. ____ Die Behandlung eingehender Ersuchen auf förmliche Zustellung ergibt sich aus ____§§ 57–65 s ZRHO (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 68). ____ Auch für die Ausführung eingehender Ersuchen sind grds. gemäß § 9 Abs. 1 ZRHO ____die Prüfungsstellen (vgl. § 9 Abs. 2 ZRHO) zuständig, sofern nicht der Anwendungsbe____ ____ 110 Vgl. hier nur BVerfG NJW 2000, 683, 684. ____111 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 64. ____112 MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 6. ____113 Vgl. Schack IZVR Rdn. 601.

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_____reich des § 9 Abs. 4 ZRHO bzw. der §§ 9 Abs. 1, 59 Abs. 2, 3 ZRHO eröffnet ist. Letztere Fälle _____betreffen Zustellungen nach Maßgabe des HZÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 9 ff.) und _____des HBÜ.114 _____ § 9 Abs. 4 ZRHO benennt die gemäß HZÜ und HBÜ bestimmten Zentralen Behörden 69 _____für die Behandlung der eingehenden Ersuchen (vgl. den Text im Anhang zu §§ 183, 184 _____Rdn. 68). _____ Gemäß §§ 9 Abs. 1, 59 Abs. 2, 3 ZRHO prüfen die unmittelbar ersuchten Landes70 _____justizverwaltungen (§ 59 Abs. 2 ZRHO) bzw. die von ihnen verschiedenen Zentralen Be_____hörden, Prüfungsstellen, Amtsgerichte, Empfangsstellen oder ersuchten Gerichte (§ 59 _____Abs. 3 ZRHO) die Zulässigkeit der Rechtshilfe. Im Zweifel muss eine Vorlage an die Lan_____desjustizverwaltung zur Beurteilung erfolgen (§ 59 Abs. 3 Satz 3 ZRHO). § 59 Abs. 3 Satz 4 _____ZRHO benennt Beispiele für derartige Zweifelsfälle (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 68). _____ _____ bb) Zustellung im vertragslosen Verkehr. Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr 71 _____kann nur eine formlose Zustellung erfolgen (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 ZRHO). Dann sind die Vor_____schriften des ZPO über die Zustellung nicht anzuwenden (§ 68 Abs. 1 ZRHO). _____ Zudem bedarf es der bewussten und freiwilligen Entscheidung des Empfängers 72 _____über die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks (vgl. §§ 68 Abs. 2, 69 Abs. 3 ZRHO). _____Die Übergabe muss an den im Zustellungsantrag genannten Empfänger selbst oder an _____die in den §§ 170 und 171 ZPO bezeichneten Personen erfolgen (§ 69 Abs. 2 ZRHO). Zuvor _____ist dem Empfänger Gelegenheit zu geben, sich das Schriftstück anzusehen und sich über _____die Annahme zu entscheiden. Ist nur die formlose Zustellung zulässig, so ist er darüber _____aufzuklären, dass er zur Annahme nicht verpflichtet sei, dass aber unter Umständen das _____ausländische Verfahren ohne Rücksicht auf die Annahmeverweigerung durchgeführt _____werden und er auch sonstige Nachteile erleiden könne (§ 69 Abs. 3 Satz 1 ZRHO). Diese _____Belehrung ist aktenkundig zu machen und im in § 65 ZRHO genannten Begleitbericht zu _____vermerken (§ 69 Abs. 3 Satz 2 ZRHO). Fehlt es an einer hinreichenden Belehrung, so dür_____fen dem Empfänger hieraus keine späteren prozessualen Nachteile erwachsen. _____ In keinem Falle ist eine Zustellung gemäß § 179 ZPO zulässig (§ 68 Abs. 2 Satz 2 73 _____ZRHO). Ebenso ist die Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ff. ZPO ausgeschlossen (§ 68 _____Abs. 2 Satz 3 ZRHO). _____ Die örtliche und sachliche Zuständigkeit für die Ausführung der Zustellung ergibt 74 _____sich aus § 66 Abs. 1, 3 ZRHO i.V.m. den jeweils einschlägigen Ausführungsbestimmun_____gen (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 3 ZRHO). Die Ausführung erfolgt gemäß § 66 Abs. 2 ZRHO ent_____weder durch den Rechtspfleger oder, falls landesrechtliche Vorschriften dies anordnen, _____durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.115 _____ _____ 4. Rechtsbehelfe und Schadensersatz _____ _____ a) Vorgehen gegen die Entscheidung der Justizverwaltung. Bei der Entschei75 _____dung über Ausführung oder Ablehnung der Zustellung handelt es sich um einen Justiz_____verwaltungsakt (vgl. Rdn. 49 ff.). Die Ablehnung oder die Ausführung durch die Justiz_____verwaltung kann mit den Rechtsbehelfen der §§ 23 ff. EGGVG angegriffen werden, im _____Falle der Ausführung auch dann, wenn die Zustellung bereits bewirkt ist.116 _____ _____ _____114 Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen v. 18. März 1970, BGBl. 1977 II, S. 1472; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 212. _____115 Vgl. hierzu Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 4, Nr. 900, ZRHO Fn. 161. _____116 OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1992, 89, 90 f. = RIW 1991, 417 ff.; OLG Düsseldorf NJW 1992, 3110; OLG _____Frankfurt a.M. RIW 2001, 464, 465; Geimer IZPR Rdn. 2130 m.w.N.

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____ Die Partei, in deren Interesse die Zustellung durchgeführt wird, und auch der Partei____vertreter als ersuchende Stelle sowie der Adressat sind anfechtungsberechtigt.117 Hinge____gen ist das ersuchende Gericht selbst nicht zur Anfechtung berechtigt.118 ____ Ebenso kann das ersuchende Gericht der Justizverwaltung keine Weisungen zur ____Abhilfe erteilen, weil die Ausführung der Auslandszustellung nicht in den Bereich rich____terlicher Tätigkeit fällt (vgl. Rdn. 51).119 ____ ____ b) Amtshaftungsansprüche. Dem Verfahrensbeteiligten, in dessen Interesse die ____Zustellung betrieben wird, können Ansprüche aus Amtshaftung aus § 839 BGB, Art. 34 ____GG erwachsen. ____ Amtshaftungsansprüche kommen etwa dann in Betracht, wenn ermessensfehlerhaft ____die Weiterleitung des ausgehenden Ersuchens abgelehnt wird, wenn statt der beantrag____ten förmlichen Zustellung formlos zugestellt wird (vgl. Rdn. 44) oder wenn die förmliche ____Zustellung nicht hinreichend zügig betrieben wird und der an der Zustellung Interessier____te deshalb einen Schaden erleidet.120 Ebenso darf der Gerichtsvollzieher nicht die Zustel____lung unter Berufung auf § 27 GVGA verweigern.121 ____ ____ VII. Das zuzustellende Schriftstück; Übersetzung ____ ____ 1. Allgemeines. Die Anforderungen an das zuzustellende Schriftstück ergeben sich ____aus einschlägigen Übereinkommen (vgl. Art. 4 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO, hierzu ____§ 183 Rdn. 60; Art. 16 f. EuVu-FVO;122 hierzu Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 2) bzw. aus dem ____einschlägigen nationalen Verfahrensrecht (vgl. für das innerstaatliche deutsche Recht ____§ 166 Rdn. 16 ff.). ____ ____ 2. Übersetzung ____ ____ a) Einführung. Bei der grenzüberschreitenden Zustellung stellt sich zusätzlich die ____Frage, ob die Beifügung einer Übersetzung in die Amtssprache(n) des Empfangsstaats ____und/oder eine dem Adressaten geläufige Sprache erforderlich ist. Hierbei ist grds. zwi____schen dem Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör einerseits und auf das Interesse ____des Betreibenden auf möglichst kostengünstige und schnelle Ausführung der Zustellung ____andererseits abzuwägen.123 ____ Eine generelle Forderung nach adressatengerechter Sprachwahl würde das Zu____stellungsrecht mit allzu subjektiven Momenten belasten; dann würde möglicherweise ____die Wirksamkeit der Zustellung von der mehr oder weniger adäquaten Sprachbeherr____schung des Adressaten abhängen, welche der Betreibende möglicherweise nicht einmal ____beurteilen kann. Andererseits könnte sich dieses Problem auch bei Inlandszustellungen ____in gleicher Weise stellen – nicht alle im Inland ansässigen Adressaten sind des Deut____schen hinreichend mächtig –, ohne dass in diesem Bereich die Sprachbeherrschung zu____ ____ ____117 OLG München NJW 1989, 3102 = RIW 1989, 484; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 52. 118 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 52; a.A. Wiehe Zustellungen, S. 42; Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 11. ____119 OLG Köln FamRZ 1985, 1279. ____120 Vgl. Zöller/Geimer § 183 Rdn. 67 mit dem Beispiel des Verlusts eines inländischen Gerichtsstands ____wegen schnellerer ausländischer Klagezustellung im Inland. ____121 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 22. 122 VO EG Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für ____unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 30.4.2004, S. 15; zuletzt geändert durch Verordnung ____Nr. 1103/2008 vom 22.10.2008 m.W.v. 4.12.2008. ____123 Vgl. z.B. EuGH NJW 2008, 1721, 1723.

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_____stellungsrechtlich relevant würde (vgl. Rdn. 86 sowie § 184 GVG). Die Sprachkompetenz _____des Adressaten kann also nicht generell relevant werden, sondern allenfalls auf der Ebe_____ne der Heilungsvorschriften (vgl. Rdn. 107). Zu den Grenzen der Wirkungen unzulässiger _____formloser Übermittlung vgl. auch oben Rdn. 37. _____ Auch die Übersetzung in die Amtssprache(n) des Empfangsstaats erscheint nicht in 83 _____jedem Falle geboten (vgl. nun auch Art. 8 Abs. 1 lit. a EU-Schriftstücke-ZustellungsVO).124 _____Gerade Zustellungen in Empfangsstaaten mit mehreren Amtssprachen (z.B. die Schweiz) _____würden ansonsten unnötig belastet; unsinnig wäre z.B. die zwingende Übersetzung in _____eine Amtssprache des Empfangsstaats, wenn der Adressat nicht dessen Staatsangehöri_____ger ist und die Sprache des Originalschriftstücks seine Muttersprache ist. _____ Die Beifügung einer Übersetzung ist also nur dann erforderlich, wenn dies durch die 84 _____jeweils einschlägigen internationalen oder nationalen Zustellungsvorschriften explizit _____vorgeschrieben wird. _____ Grundsätzlich ist für die Frage, ob eine Übersetzung notwendig ist, auf die (vermute85 _____ten) Sprachkenntnisse des Adressaten abzustellen. Bei der Zustellung an juristische _____Personen sollte es in jedem Falle ausreichen, die Amtssprache am statutarischen oder _____am tatsächlichen Sitz ausreichen zu lassen.125 Bei Zustellungen an Unternehmen oder Or_____ganisationen genügt es aber auch, auf die Sprachkenntnisse des gesetzlichen126 oder des _____im Einzelfall benannten Vertreters abzustellen. Bei Zustellungen an Unternehmen oder _____Organisationen wäre es zudem nicht immer angemessen, nur auf die Sprachkenntnisse _____des genannten Vertreters abzustellen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, ob erwartet wer_____den darf, dass das Schriftstück in die Hände eines leitenden, im einschlägigen Bereich _____entscheidungsbefugten Repräsentanten gelangt, welcher der Sprache, in der das Schrift_____stück abgefasst ist, hinreichend mächtig ist.127 Bei grenzüberschreitend tätigen Wirt_____schaftsunternehmen wird man Englischkenntnisse insoweit in der Regel voraussetzen _____dürfen.128 Alleine aus einer vertraglichen Sprachenklausel kann keine generelle Vermu_____tung abgeleitet werden, dass der Adressat über hinreichende einschlägige Sprachkennt_____nisse verfügt.129 Jedoch ist sie ein bedeutsames Indiz dafür, das je nach den Umständen _____des Einzelfalls (z.B. Intensität der Korrespondenz, weitere auf die Maßgeblichkeit der _____verwendeten Sprache hindeutende Vertragsklauseln) noch verstärkt werden kann.130 Im _____gewerblichen Verkehr ist zudem generell von hinreichender Sprachbeherrschung auszu_____gehen, wenn eine vertragliche Sprachenklausel vereinbart und auch tatsächlich in dieser _____Sprache korrespondiert wurde.131 Lehnt ein Adressat die Entgegennahme eines Schrift_____stücks ab, obgleich er die Sprache, in der es abgefasst ist, sehr gut beherrscht, so kann _____eine spätere Berufung auf eine mangelnde ordnungsgemäße Zustellung rechtsmiss_____bräuchlich sein.132 Zudem muss nicht jedes Detail übersetzt werden, solange der Adres_____ _____ _____ _____124 A.A. Bajons FS Schütze, 49, 71 mit m.E. zu weitgehender Argumentation aus _____Souveränitätsgesichtspunkten. _____125 Saarländisches OLG Urt. v. 11.10.2005 (Az. 4 U 399/04), abgerufen am 14.12.2005 unter _____http://www.jurisweb.de/jurisweb/cgi-bin/j2000cgi.sh m.w.N. 126 Saarländisches OLG, a.a.O. _____127 Vergleichbar LG München I, BeckRS 2009, 88061; Zöller/Geimer Anh II EG-VO-Zustellung Rdn. 3 (zu _____prüfen ist, ob im Unternehmen die entsprechenden Sprachkenntnisse vorhanden sind); Schlosser EUZPR _____Art. 8 EuZVO Rdn. 2 (alle zu Art. 8 EuZVO/EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). _____128 Schlosser EUZPR Art. 8 EuZVO Rdn. 2; a.A. Rauscher/Heiderhoff Art. 8 EuZVO Rdn. 5. 129 EuGH NJW 2008, 1721, 1725. _____130 Vgl. EuGH NJW 2008, 1721, 1725; zust. Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 19. _____131 EuGH NJW 2008, 1721, 1726. _____132 Schlosser EUZPR Art. 5 HZÜ Rdn. 7; krit. Rauscher/Heiderhoff Art. 8 EuZVO Rdn. 6 f.

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____sat aufgrund der vorliegenden Übersetzung hinreichend in die Lage versetzt wird, seine ____Rechte im Übermittlungsstaat geltend zu machen (vgl. noch Rdn. 88).133 ____ ____ b) Autonomes deutsches Zustellungsrecht. Das innerstaatliche deutsche Zu- 86 ____stellungsrecht erfordert keine Übersetzung. § 183 trifft keine solche Regelung;134 § 184 ____regelt einen Fall der Inlandszustellung (vgl. Rdn. 25) und ist hier schon gar nicht ein____schlägig. Eine Besserstellung von Ausländern durch entsprechende Anwendung von ____Art. 5 Abs. 3 HZÜ, 55 Abs. 2 EuGVVO, 48 Abs. 2 EuGVÜ/LugÜ ist nicht angezeigt.135 ____ ____ c) EU-Schriftstücke-ZustellungsVO. Im Anwendungsbereich der EU-Schriftstü- 87 ____cke-ZustellungsVO ist ebenfalls grds. keine Übersetzung erforderlich. Vielmehr schafft ____die Verordnung für den Rechtshilfeverkehr in Art. 5, 8 eine flexible Lösung mit einer ____Kombination von eingeschränktem Übersetzungsbedarf mit Annahmeverweigerungs____recht bzw. Rücksendungsrecht bei Verstößen sowie Hinweispflichten an Adressaten und ____Betreibenden (vgl. auch § 183 Rdn. 60). Allerdings eröffnet Art. 8 Abs. 3 EU-Schriftstücke____ZustellungsVO nunmehr auch klar geregelte Heilungsmöglichkeiten (vgl. Rdn. 107 a). ____ Art. 8 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. auch § 31 q ZRHO) sieht vor, dass 88 ____der Adressat („Empfänger“) die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern ____darf, wenn dieses in einer anderen als den folgenden Sprachen abgefasst und keine ____Übersetzung in einer dieser Sprachen beigefügt ist: ____– einer Sprache,136 die der Empfänger versteht ____– der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitglied____ staat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des ____ Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll. ____ ____ Über die Berechtigung zur Annahmeverweigerung nach dieser Regelung entschei____det jedes damit befasste Gericht autonom.137 Maßgeblich ist, ob das Recht des Adressa____ten auf rechtliches Gehör durch das zuzustellende Schriftstück hinreichend gewahrt ____ist.138 Ist generell eine Übersetzung mangels hinreichenden Sprachkenntnissen (vgl. hier____zu Rdn. 85) erforderlich, so muss nicht zwingend das gesamte zuzustellende Schriftstück ____übersetzt werden. Sind z.B. bei der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks ____Anlagen beigefügt, die nur Beweisfunktion besitzen, die aber für das Verständnis und den ____Grund des Antrags nicht unerlässlich sind, besteht kein Annahmeverweigerungsrecht.139 ____Andererseits ist eine Mindestanforderung140 dahingehend zu formulieren, dass der Adres____sat die für ihn wesentlichen Informationen erhält, insbesondere wer ihn mit welchem ____Zweck (nicht notwendig: aufgrund welcher Rechtsnorm oder welcher Verpflichtung im ____Einzelnen bei einem personell zuordenbaren Schuldverhältnis) in Anspruch nimmt, um ____ ____ ____133 So überzeugend EuGH NJW 2008, 1721, 1725. ____134 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 44. ____135 A.A. Koch in: Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 203 f.; wie hier Zöller/ ____Geimer § 183 Rdn. 25. 136 Also nicht notwendig: Die Amtssprache am Wohnsitz, des Staates der Staatsangehörigkeit des ____Adressaten etc. ____137 Vgl. EuGH NJW 2008, 1721, 1725; Zöller/Geimer Anh. II EG-VO-Zustellung Rdn. 6 m.w.N. ____138 Vgl. EuGH NJW 2008, 1721. ____139 EuGH NJW 2008, 1721, 1722 ff. zu Art. 8 EuZVO auf Vorlagebeschluss des BGH (NJW 2007, 775, 778 ff.) mit vergleichbarer Tendenz; zust. Ahrens NJW 2008, 2817, 2819 f.; Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 19. ____140 Vgl. die entsprechende Erwägung in OLG Nürnberg (4 VA 72/05) IPRax 2006, 38 zum HZÜ (nicht ____vollständig abgedruckt); in diese Richtung noch OLG Hamm RIW 1993, 148, 149; zust. Prütting/Gehrlein/ ____Kessen Anhang nach § 1071: EuZVO Art. 5 Rdn. 1.

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_____sich entsprechend verteidigen zu können. Fachterminologische Fehlgriffe z.B. bei juristi_____schen Personen schaden nicht, wenn eindeutig bleibt, welche Partei gemeint ist; alles _____weitere muss der Prüfung der Passivlegitimation im Prozess vorbehalten bleiben. Wollte _____man weitergehende Anforderungen stellen, so würde im Grunde stets eine inhaltliche _____Richtigkeitsprüfung durch die Ausführenden erforderlich, welche den grenzüberschrei_____tenden Zustellungsbetrieb massiv und ohne Not belasten würde. Das gilt insbesondere _____dann, wenn bereits der Originaltext inhaltliche Unklarheiten ausweist, welche die Über_____setzung nur nachvollzieht.141 Letztlich liefen weitergehende Anforderungen auf eine nicht _____vorgesehene Schlüssigkeitsprüfung schon bei der Zustellung hinaus, an der im übrigen _____auch die eine oder andere inländische Klageschrift schon im Zustellungsvorgang schei_____tern müsste. Schon deshalb leuchtet es nicht ein, weswegen eine weitergehende „Ver_____ständlichkeit“ nur bei grenzüberschreitenden Zustellungen zu fordern wäre.142 _____ Bestünde ein Annahmeverweigerungsrecht gemäß Art. 8 Abs. 1 EU-Schriftstücke89 _____ZustellungsVO, so empfiehlt sich die Anfertigung einer Übersetzung. Gemäß Art. 5 Abs. 1 _____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO muss die Übermittlungsstelle den Verfahrensbeteilig_____ten, der an der Zustellung des Schriftstücks interessiert ist bzw. ihr (bei Zustellung im _____Parteibetrieb) das Schriftstück zu Übermittlungszwecken übergibt, vom Annahmever_____weigerungsrecht in Kenntnis setzen.143 Der Verfahrensbeteiligte hat es dann in der _____Hand, zumindest zunächst auf eigene Kosten (Art. 5 Abs. 2 EU-Schriftstücke-Zustellungs_____VO) eine Übersetzung anfertigen zu lassen (vgl. § 31 f Abs. 2 ZRHO). Wenn der Verfah_____rensbeteiligte keine Erklärung hinsichtlich der Übersetzung abgibt, so ist nach § 31 f _____Abs. 3 Satz 1 ZRHO keine Übersetzung beizufügen. § 31 f Abs. 3 Satz 2 ZRHO fordert die _____Beifügung einer Übersetzung allerdings schon dann, wenn nur mindestens einer von _____mehreren Beteiligten eine entsprechende Erklärung abgibt. _____ Die Empfangsstelle muss den Adressaten gemäß Art. 8 Abs. 1 EU-Schriftstücke90 _____ZustellungsVO über sein Recht zur Annahmeverweigerung oder zur Zurücksendung des _____Schriftstücks an die Empfangsstelle binnen einer Woche (zwingende Frist)144 unter Ver_____wendung des in Anhang II der VO enthaltenen Formblatts145 in Kenntnis setzen. Nach _____Sinn und Zweck der Norm muss gewährleistet sein, dass der Adressat eine bewusste Ent_____scheidung über die Annahme oder ihre Verweigerung treffen kann. Unterbleibt die Be_____lehrung über diese Rechte oder die einzuhaltende Frist oder ist sie nicht nur marginal _____fehlerhaft, so dürfen dem Adressaten hieraus keine prozessualen Nachteile erwachsen _____(zur vergleichbaren Lage bei formloser Zustellung vgl. Rdn. 37). Im Falle der Zustellung _____gemäß Art. 13 oder Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO sind gemäß Art. 8 Abs. 5 EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen (für _____Art. 13) bzw. die zustellende Behörde oder Person (für Art. 14) dafür zuständig, den Ad_____ressaten davon in Kenntnis zu setzen, dass er die Annahme des Schriftstücks verweigern _____darf und dass Schriftstücke, deren Annahme verweigert wurde, diesen Vertretungen _____bzw. dieser Behörde oder Person zu übermitteln sind. _____ _____ _____141 So der Sachverhalt in OLG Nürnberg (4 VA 72/05) (zum HZÜ), nur teilweise abgedruckt in IPRax _____2006, 38 (der Verfasser hat an der Entscheidung mitgewirkt): Bereits der türkische Originaltext war für mehrere juristisch versierte türkische Muttersprachler in Einzelheiten nicht sicher zu entschlüsseln. _____142 So aber wohl Wilske/Krapfl IPRax 2006, 13. _____143 Zu recht weisen Schlosser (EUZPR, Art. 5 EuZVO Rdn. 1) und Geimer (Geimer/Schütze/Geimer EuZVR, _____Art. 5 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO Rdn. 1) darauf hin, dass der Wortlaut missglückt ist, weil er vom _____vormaligen systematischen Regelfall der Parteizustellung in Deutschland ausgeht. 144 Vgl. Zöller/Geimer Anh. II EG-VO-Zustellung Rdn. 1, allerdings besteht die Möglichkeit, _____Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2009, 71, 72; Zöller/ _____Geimer a.a.O. Rdn. 5 m.w.N.). _____145 Eine zusätzliche mündliche Belehrung ist zulässig, vgl. Sujecki NJW 2008, 1628, 1629 m.w.N.

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____ Art. 8 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO geht von einer Mitteilung der Annah____meverweigerung gemäß Abs. 1 gegenüber der Empfangsstelle aus. Diese setzt dann die ____Übermittlungsstelle unter Verwendung der in Art. 10 geregelten Bescheinigung unver____züglich davon in Kenntnis und sendet den Antrag sowie die Schriftstücke, um deren ____Übersetzung ersucht wird, unverzüglich zurück. Nach Sinn und Zweck dieser Regelung ____ist es unschädlich, wenn schon die Annahmeverweigerung selbst sogleich gegenüber der ____Übermittlungsstelle erklärt wird.146 ____ Auch Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO sieht für den unmittelbaren Verkehr ____nicht zwingend eine Übersetzung vor (vgl. auch § 31 f ZRHO),147 ebensowenig die anderen ____in Artt. 13 und 15 geregelten Übermittlungs- und Zustellungsformen. Gemäß Art. 8 ____Abs. 4 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO gelten für all diese Formen gleichermaßen die ____Regelungen des Art. 8 Abs. 1 bis 3. ____ ____ d) HZÜ. Die Beifügung einer Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks ist im ____Anwendungsbereich des HZÜ (vgl. Art. 5 Abs. 3 HZÜ) nicht zwingend.148 Nach Art. 5 ____Abs. 1, 3 HZÜ kann bei förmlicher Zustellung die zuständige Zentrale Behörde des er____suchten Staats Abfassung oder Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks in die bzw. ____eine der Amtssprachen des ersuchten Staats verlangen;149 dies gilt nicht für die formlose ____Zustellung an den annahmebereiten Adressaten (Art. 5 Abs. 2 HZÜ).150 ____ ____ e) HZPÜ. Die Beifügung einer Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks ist im ____Anwendungsbereich des HZPÜ151 (vgl. Art. 1, 2 Abs. 2, 3 Abs. 2 HZPÜ) nicht zwingend. Ge____mäß Art. 3 Abs. 2 HZPÜ ist für die förmliche Zustellung eine Abfassung bzw. beglaubigte ____(Art. 3 Abs. 3 HZPÜ) Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks in die Sprache der ____ersuchten Behörde oder in eine zwischen den beteiligten Staaten vereinbarte Sprache152 ____nötig. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so muss die ersuchte Behörde zunächst ____einen Versuch formloser Zustellung an den ggf. annahmebereiten Adressaten versuchen ____(Art. 2, 3 Abs. 2 Satz 2 HZPÜ).153 ____ ____ f) Sonstiges. Auch die bilateralen Rechtshilfeabkommen (vgl. Anhang zu §§ 184, 184 ____Rdn. 51 ff.) sehen für die förmliche Zustellung Übersetzungen vor. Vergleiche die Ab____kommen mit Griechenland, 154 Marokko, 155 der Türkischen Republik, 156 Tunesien 157 und ____dem Vereinigten Königreich.158 ____ ____146 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2009, 71, 72; Zöller/Geimer Anh II EG-VO-Zustellung Rdn. 1. ____147 Vgl. OLG Celle NJW 2004, 2315 (zur Zustellung im Vereinigten Königreich). ____148 Vgl. OLG Saarbrücken OLGR 2004, 285. ____149 Vgl. OLG München NJW 1989, 3102, 3103. 150 Vgl. auch BGH NJW 1991, 641 f. ____151 BGHZ 51, 330 = NJW 1969, 980 f. ____152 Die Bundesrepublik Deutschland hat keine solche Vereinbarung mit einem Vertragsstaat getroffen. ____153 Vgl. auch BGH NJW 1991, 641 f. ____154 Art. 3 Abs. 1 dt.-griech. Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des ____bürgerlichen und Handels-Rechts v. 11.5.1938 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 62). 155 Art. 5 i.V.m. 29 Abs. 3 i.V.m. 28 Abs. 2, 3 dt.-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und ____Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 53). ____156 Art. 10 Abs. 2 i.V.m. 9 Abs. 1 S. 3 dt.-türk. Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und ____Handelssachen v. 29.5.1929 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 57). ____157 Art. 12 Abs. 2 i.V.m. 11 Abs. 1 dt.-tunes. Vertrag v. 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die ____Handelsschiedsgerichtsbarkeit (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 55). ____158 Art. 3 lit. d dt.-brit. Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 ____Rdn. 59).

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_____ 96 g) Anforderungen an die erforderliche Übersetzung. Ist eine Übersetzung erfor_____derlich (zum nötigen Umfang der Übersetzung vgl. Rdn. 88), so muss sie inhaltlich zu_____treffend sein. Nicht jeder Fehler führt indes zur Unwirksamkeit der Zustellung bzw. zu _____einem Annahmeverweigerungsrecht (nach Art. 8 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Sol_____che Konsequenzen knüpfen sich aber an schwere, in nicht nur marginalen Bereichen _____sinnstörende Übersetzungsfehler.159 Ist überhaupt eine Übersetzung vorhanden, so ist _____die Zustellung auszuführen, wenn sie nicht nur eine evident völlig unbrauchbare Schein_____Übersetzung darstellt. Die an der Zustellung beteiligten Stellen sind i.d.R. nicht in der _____Lage, zeitnah die Erfüllung der Anforderungen an die Übersetzung zu prüfen, ob die _____Mindestanforderungen an die Übersetzung erfüllt sind, ist also erst bei der Prüfung der _____Wirksamkeit der erfolgten Zustellung zu klären. Im übrigen muss die zuständige prüfen_____de Stelle sich bemühen, im Rahmen des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts diejeni_____ge Lösung zu finden, welche die Wirksamkeit der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO unter _____weitestmöglicher Wahrung der Interessen aller Parteien des Rechtsstreits bestmöglich _____sicherstellt.160 Bedenklich ist es deshalb, bei Streit zwischen den Parteien über die Not_____wendigkeit einer Übersetzung die Klage ohne weiteres als unzulässig abzuweisen, wenn _____der Antragsteller sich weigert, eine Übersetzung beizubringen.161 _____ Ist eine Übersetzung erforderlich, so muss sie ferner vollständig sein.162 Ein bloßes 97 _____„summary“ reicht nicht aus, sofern dies nicht ausdrücklich für ausreichend erklärt wird _____(vgl. Art. 5 Abs. 4 HZÜ). Auch hier folgen nicht bei jedem Fehler Unwirksamkeit der Zu_____stellung bzw. ein Annahmeverweigerungsrecht (nach der EU-Schriftstücke-Zustellungs_____VO). Anders ist dies jedoch, wenn die Übersetzung nicht nur marginal unvollständig ist, _____weil ansonsten der Adressat nicht beurteilen kann, ob im unübersetzten Teil für ihn Re_____levantes enthalten ist. Zur Notwendigkeit der Zustellung vgl. soeben Rdn. 96. _____ _____ 3. Nachweis der Zustellung. Im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-Zustel98 _____lungsVO (Art. 10 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; vgl. § 183 Rdn. 60; Art. 14 EU-Schrift_____stücke-ZustellungsVO i.V.m. § 1068) sowie internationaler und bilateraler Übereinkom_____men finden sich eigenständige Regelungen über den Zustellungsnachweis (vgl. Art. 5 _____HZPÜ, 6 HZÜ; Art. 3g Satz 2 deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr vom _____20.3.1928; Art. 11 deutsch-türkisches Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und _____Handelssachen vom 29.5.1929; Texte im Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 51 ff.). _____ Als Variante wird ein datiertes und beglaubigtes Empfangsbekenntnis als Zustel99 _____lungsnachweis vorgesehen (vgl. Art. 5 Abs. 1 HZPÜ; Art. 11 deutsch-türkisches Abkom_____men über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 29.5.1929). _____ Nach autonomem deutschen Zustellungsrecht erfolgt der Nachweis grds. gemäß 100 _____§ 183 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 durch Rückschein, gemäß § 183 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 3 _____durch Zeugnis der ersuchten Behörde. Zum Nachweis der Inlandszustellung gemäß § 184 _____vgl. dort Rdn. 45 ff. _____ In allen Fällen ist die gesetzlich vorgesehene Form des Nachweises nicht konstitutiv 101 _____für die Wirksamkeit der Zustellung. Vielmehr kann der Nachweis auch in anderer Form _____geführt werden (vgl. die Kommentierung der jeweils einschlägigen Vorschriften). _____ _____ _____ _____159 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR, Art. 5 Rdn. 4 m.w.N.; Schütze FS Boguslawskij 2004, 325, 334 f. _____m.w.N. und Schütze FS Sandrock 2000, 871 ff. 160 EuGH NJW 2006, 491; EuGH NJW 2008, 1721, 1725 zu Art. 8 EuZVO; BGH NJW 2007, 776. _____161 So OLG Saarbrücken NJOZ 2010, 1152, 1154 f.; krit. auch Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung _____Rdn. 1: das Gericht müsse selbst eine Übersetzung anfertigen lassen. _____162 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR, Art. 5 Rdn. 5.

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____ VIII. Folge von Verstößen ____ ____ Werden die in § 183 eröffneten Zustellungswege nicht eingehalten, so ist die Zustel____lung unwirksam,163 sofern nicht die Voraussetzungen einschlägiger zwischenstaatlicher ____Übereinkommen erfüllt sind. Nicht wirksam ist nach h.M. die Zustellung durch einfache ____Postsendung (vgl. Rdn. 35). Ist keine wirksame Zustellung erfolgt, so kann keine Rechts____hängigkeit eintreten, die wiederum zwingende Voraussetzung einer Sachentscheidung ____ist.164 Zu den Folgen fehlender oder fehlerhafter Übersetzungen vgl. soeben Rdn. 96 f. ____ Eine Heilung ist in bestimmten Umfang möglich (vgl. sogleich Rdn. 104 ff.). ____ Explizit wird die Heilung von Zustellungsverstößen in Art. 18 Abs. 2 EuVuFVO165 ____geregelt. Werden die in Art. 13, 14 EuVuFVO genannten Voraussetzungen nicht eingehal____ten, so ist eine Heilung dieser Verfahrensmängel möglich, wenn durch das Verhalten des ____Schuldners im gerichtlichen Verfahren nachgewiesen ist, dass er das zuzustellende ____Schriftstück so rechtzeitig persönlich bekommen hat, dass er Vorkehrungen für seine ____Verteidigung treffen konnte. ____ Uneinigkeit besteht darüber, ob die Heilungsvorschrift des § 189 zur Anwendung ____kommen kann, wenn das Schriftstück beim Zustellungsadressaten ohne Einhaltung der ____vorgesehenen Formen zugegangen ist. Die Lösung hängt maßgeblich davon ab, ob und ____mit welchem Gewicht die Zustellung als Eingriff in die fremde Souveränität qualifiziert ____wird. Die Rechtsprechung lehnte längere Zeit weitgehend eine Heilung ab,166 während ____die ganz h.M. in der Literatur sie zulässt.167 In der Tat bestehen die Kernanliegen des Zu____stellungsrechts in der Gewährung effizienten Rechtsschutzes einerseits und in der Wah____rung des rechtlichen Gehörs des Adressaten andererseits (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 ff.). Dies ____schlägt sich auch in der – seit der Reform zum 1.7.2002 erweiterten – Heilungsregelung ____des § 189 n.F. nieder, die deshalb größeres Gewicht erhält (vgl. noch Rdn. 108). ____ Zwar berührt die Zustellung die Souveränität der Empfangsstaaten in jedem Falle ____(vgl. Rdn. 1). Den Souveränitätsinteressen kommt aber jedenfalls dann vergleichsweise ____geringeres Gewicht zu, wenn die Zustellung nicht unter bewusster Missachtung der ____fremden Souveränität betrieben wird. Umgekehrt sollten die legitimen Beteiligteninte____ressen im Zivilverfahren im Vordergrund stehen.168 Auf welchem Weg das erforderliche ____rechtliche Gehör (des Adressaten) realisiert wird, ist demnach regelmäßig nachrangig.169 ____In solchen Fällen muss daher auch die Heilung nach § 189 möglich sein. Vgl. aber auch ____oben Rdn. 105; 3. ____ ____ ____163 Vgl. LG Hamburg RIW 1991, 767 f. = IPRspr. 1991 Nr. 205, das sogar Wirkungslosigkeit eines ____ungeachtet von Zustellungsmängeln ergangenen Urteils annimmt; a.A. insoweit Geimer IZPR ____Rdn. 2079. 164 Vgl. OLG Hamm RIW 1996, 156 f.; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 34. ____165 VO EG Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für ____unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 30.4.2004, S. 15. ____166 BGHZ 58, 177, 179 f.; BGHZ 98, 263, 269 f. obiter; BGHZ 120, 305, 311 ff. = NJW 1993, 598 m.w.N.; BGHZ ____141, 286, 303 f. (fehlende Übersetzung); KG FamRZ 1988, 641, 643; vgl. auch BGH NJW 1989, 1154, 1155 ____m.w.N.; offen gelassen in BGH NJW 1990, 3090, 3091; a.A. (Zulassung der Heilung) BayObLGZ 1974, 471, 477; BayObLGZ 1978, 132, 133; OLG Hamm FamRZ 1988, 1292, 1293; OLG Hamm FamRZ 2000, 898; OLG ____Frankfurt a.M. NJW-RR 2009, 71, 72 und nun BGH FamRZ 2011, 1860 = NJW 2011, 3581. ____167 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 29; MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 17; Schack IZVR Rdn. 618; Linke/Hau ____IZVR Rdn. 309; Kondring Die Heilung von Zustellungsfehlern, S. 184 ff., 204 f.; Stein/Jonas/Roth § 183 ____Rdn. 73 ff.; Roth FS Gerhardt, 799 ff.; G. Geimer Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 285 f.; a.A. Stürner FS Nagel (1987) 446, 453 f. ____168 Vgl. Zöller/Geimer § 183 Rdn. 139 zu Sanktionen völkerrechtswidriger Zustellungen: „generell (sind) ____jede Prinzipienreiterei und jeder Justamentstandpunkt schädlich (…)“. ____169 Schack IZVR Rdn. 618.

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_____ 107 Die Heilung setzt m.E. bei der grenzüberschreitenden Zustellung allerdings neben _____den sonstigen Erfordernissen des § 189 auch voraus, dass der Adressat vom Inhalt des _____Schriftstücks aufgrund seiner Sprachkompetenz Kenntnis nehmen konnte (nicht not_____wendig: Kenntnis genommen hat). Im Gegensatz zur Inlandszustellung (vgl. Rdn. 86) _____wird man bei fehlender Übersetzung in eine dem Adressaten geläufige Sprache nicht _____fordern können, dass er eine Übersetzung anfertigen lässt, um sich erst über Bedeutung _____und Inhalt der Schriftstücks vergewissern zu können. Für das Vorliegen entsprechender _____Sprachkompetenz kann indes eine tatsächliche Vermutung sprechen, beispielsweise _____dann, wenn in der Sprache, in welcher das zuzustellende Schriftstück verfasst worden _____ist, zuvor Korrespondenz mit dem Adressaten geführt wurde. Hingegen kann m.E. auch _____im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO eine Heilung nicht schon _____durch die bloße Entgegennahme des Schriftstücks eintreten, wenn dem Adressaten wegen _____fehlender Übersetzung ein Annahmeverweigerungsrecht nach Art. 8 Abs. 1 EU-Schrift_____stücke-ZustellungsVO zugestanden hätte und er darüber nicht in Kenntnis gesetzt wor_____den ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Rdn. 90). Die Annahme trotz Kenntnis über ein _____bestehendes Annahmeverweigerungsrecht lässt dagegen in aller Regel auf die hinrei_____chende Einräumung rechtlichen Gehörs schließen170 und führt insoweit zur Wirksamkeit _____der Zustellung. _____ Der EuGH hat171 schon für die Zustellung nach der EuZVO bekräftigt, dass das Fehlen 107a _____einer erforderlichen Übersetzung die Zustellung nicht unwirksam macht. In Art. 8 Abs. 3 _____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO findet sich nun eine ausdrückliche Regelung für die _____Heilung. Hat der Adressat von seinen Rechten nach Abs. 1 Gebrauch gemacht, so kann _____die Zustellung bewirkt werden, indem dem Adressaten das Dokument gemeinsam mit _____einer Übersetzung des Schriftstücks in einer der in Abs. 1 vorgesehenen Sprachen gemäß _____der VO – nicht aber durch bloße formlose Übersendung172 – zugestellt wird (Abs. 3 _____Satz 1). Das relevante Zustellungsdatum wird in Art. 8 Abs. 3 Satz 2 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO nunmehr ebenfalls eindeutig geregelt: Maßgeblich ist das Datum, an den _____die Zustellung des Dokuments zusammen mit der Übersetzung nach dem Recht des Emp_____fangsmitgliedstaats bewirkt wird. Insoweit hat es der Antragsteller in der Hand, durch _____zügige Vorlage einer Übersetzung das Zustellungsdatum zu beeinflussen. Wenn jedoch _____nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten Frist _____zugestellt werden muss, so ist im Verhältnis zum Antragsteller als Datum der Zustellung _____der nach Art. 9 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ermittelte Tag maßgeblich, an _____dem das erste Schriftstück zugestellt worden ist (Art. 8 Abs. 3 Satz 4 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO). Hier stellt sich das Problem einer verzögerten Vorlage der Übersetzung. _____Hätte es der Antragsteller in der Hand, auch noch durch eine Monate später beigebrachte _____Übersetzung die Rückwirkung zu erzielen, würde dadurch das Recht des Adressaten auf _____rechtliches Gehör ohne Not beeinträchtigt. Zwar hat die Neuregelung durch die EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO die einschlägige Rechtsprechung des EuGH173 nicht explizit _____umgesetzt. Sie sollte aber weiterhin maßstabsbildend sein. Demnach wird im Regelfall _____zu fordern sein, dass die fehlende Übersetzung binnen eines Monats zugestellt wird (nun _____auch Gedanke des Art. 7 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Allerdings ist je nach _____den Umständen des Einzelfalls Flexibilität geboten, wenn etwa die Länge und Komplexi_____tät des Textes oder die Seltenheit der Zielsprache eine längere Zeit erfordern. Alternativ _____ _____ _____170 Noch weitergehend Lindacher ZZP 2001, 179, 187; gegen eine solche Vermutung BGH NJW 2007, 775, 778. _____171 EuGH Urt. v. 8.11.2005 (Leffler/Berlin Chemie AG) NJW 2006, 491, 492 Rdn. 38. _____172 Zöller/Geimer Anh II EG-VO-Zustellung Rdn. 7. _____173 Vgl. Rdn. 171.

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3. Abschnitt. Verfahren

Vor §§ 183, 184

____zur nachträglichen Übersetzung besteht die Möglichkeit des Nachweises, dass die An____nahme zu Unrecht verweigert wurde, weil die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 EU____Schriftstücke-ZustellungsVO tatsächlich nicht vorlagen.174 ____ Keine Heilung gemäß § 189 kann hingegen im Anwendungsbereich von interna- 108 ____tionalen und bilateralen Übereinkommen eintreten, soweit sie eine solche Heilung ____bewusst nicht vorsehen.175 In dieser Weise ist Art. 15 Abs. 1 HZÜ nach h.M. auszulegen; ____die Norm soll keine Heilung ermöglichen, sondern nur eine vertragsgerechte Fortfüh____rung des Verfahrens im Urteilstaat ohne Zustellungsnachweis. Im Anwendungsbereich ____des Art. 15 HZÜ scheidet demnach die Heilung gemäß § 189 aus.176 Hingegen kann die ____Übergabe des Schriftstücks an den annahmebereiten Adressaten – nicht an bloße Ersatz____zustellungsempfänger – gemäß Art. 5 Abs. 2 HZÜ177 oder Art. 2, 3 Abs. 2 HZPÜ die Heilung ____bewirken. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung scheint sich eine Differenzierung ____danach herauszubilden, ob Vorschriften des HZÜ selbst verletzt wurden – dann keine ____Heilung –, oder ob nur die anwendbaren internen Vorschriften des ersuchten Staats ____nicht eingehalten wurden, der Adressat aber tatsächlich Kenntnis erlangt hat. Im letzte____ren Fall soll das Anliegen, im Sinne eines geordneten zwischenstaatlichen Rechtsver____kehrs gewahrt sein und damit dem in § 189 geschützten Recht auf effektive Rechtsdurch____setzung ausschlaggebende Bedeutung zukommen.178 Unbeachtlich soll dabei sein, ob ____auch das verletzte Recht des ersuchten Staats eine entsprechende Heilung zulässt.179 Im ____Anwendungsbereich des deutsch-tunesischen Vertrags v. 19.7.1966 (vgl. Anhang zu ____§§ 183, 184 Rdn. 55) soll keine Heilung möglich sein; Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 soll keine ____Heilungsvorschrift darstellen, sondern (nur) eine Norm zum Schutz des Beklagten.180 Zur ____Wirkung von Verstößen gegen § 184 und deren Heilung vgl. § 184 Rdn. 50, 52. ____ Einigkeit besteht hingegen darüber, dass eine Heilung durch rügeloses Einlassen 109 ____i.S.v. § 295181 oder auf Grundlage entsprechender Europäischer Normen182 oder Regelun____gen in internationalen oder bilateralen Übereinkommen oder im Hinblick auf ein späte____res inländisches Anerkennungverfahren durch anderweitige Erklärung des Einverständ____nisses mit der Entscheidung183 eintreten kann. ____ Zustellungsmängel können, sofern sie nicht geheilt sind, im laufenden Verfahren 110 ____im Gerichtsstaat, aber auch im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklä____rung in anderen Staaten geltend gemacht werden (vgl. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO;184 Art. 27 ____ ____ ____174 Zöller/Geimer Anh II EG-VO-Zustellung Rdn. 8. 175 Schack IZVR Rdn. 619; krit. Linke/Hau IZVR Rdn. 310 m.w.N. ____176 BGHZ 120, 305, 311 ff. = NJW 1993, 598, 600; BGHZ 141, 286, 303 f. = NJW 1999, 3198, 3202 ff.; OLG ____Köln RIW 1995, 683; OLG Hamm RIW 1996, 156 f.; Schack IZVR Rdn. 619 und JZ 1993, 621, 622; ____MünchKomm/Häublein § 183 Rdn. 17; Stein/Jonas-Roth § 183 Rdn. 76; Roth FS Gerhardt, 799, 805 f.; ____differenzierend Kondring RIW 1996, 722, 725 f.; a.A. MünchKomm/Gottwald § 328 Rdn. 78; Linke in Schiemann/Gottwald, a.a.O., 95, 121. ____177 BGHZ 141, 286, 303; vgl. auch BGH NJW 1991, 641 f. ____178 So BGH FamRZ 2011, 1860, 1861, 1862 = NJW 2011, 3581 zu Art. 5 HZÜ mit einer ausführlichen ____Analyse der Rechtsprechung. ____179 BGH, a.a.O. ____180 OLG Düsseldorf FamRZ 2011, 1965, 1967 mit teilw. krit. Anm. Kondring a.a.O., 1967 f.; Justizministerium Baden-Württemberg FamRZ 2001, 1015, 1017 m. Anm. Gottwald, a.a.O. ____181 BGHZ 98, 263, 269 f.; BGH IPRspr. 1978 Nr. 152; MünchKomm/Häulein § 183 Rdn. 2; Schmidt IPRax ____2004, 13, 20; Schack IZVR Rdn. 618. ____182 Vgl. etwa zu Art. 27 Nr. 2, 34 Abs. 2 EuGVÜ OLG Köln IPRax 1991, 114 m. Anm. Linke a.a.O., ____92 ff. 183 BGH NJW 1990, 3090, 3091 zu § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. ____184 Vgl. hierzu Geimer IPRax 2004, 97 ff.; Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 192; Roth FS Gerhardt, ____799, 802 und ff. mit Hinweis auf die Unterschiede zwischen Art. 34 Nr. 2 EuGVVO und Art. 27 Nr. 2 ____EuGVÜ.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Nr. 2 EuGVÜ185/LugÜ;186 Art. 15 Abs. 1 lit. b EheVO I; Art. 22 lit. b, 23 lit. c EheVO II; Art. 12, _____13–15, 18 EuVuFVO;187 Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 Haager UnthVÜ188 § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).189, 190 _____Soweit es sich um die Anerkennung bzw. Vollstreckung ausländischer Entscheidungen _____handelt, bestimmt sich die Frage der Heilung von Zustellungsverstößen nach den jeweils _____einschlägigen Vorschriften des Europarechts, internationaler bzw. bilateraler Überein_____kommen oder des Rechts des ausländischen Gerichtsstaats.191 Allerdings kommt eine _____Geltendmachung von Zustellungsmängeln im Verfahren nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO nicht _____in Betracht, wenn der Adressat gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat keinen Rechts_____behelf (im weiten Sinne) eingelegt hat, obgleich er dazu in der Lage war.192 _____ _____ _____ § 183 _____ Zustellung im Ausland _____ § 183 Rohe _____ (1) Eine Zustellung im Ausland ist nach den bestehenden völkerrechtlichen _____Vereinbarungen vorzunehmen. Wenn Schriftstücke auf Grund völkerrechtlicher _____Vereinbarungen unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, so soll _____durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden, anderenfalls die Zustellung _____auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts unmittelbar durch die Behör_____den des fremden Staates erfolgen. _____ (2) Ist eine Zustellung nach Absatz 1 nicht möglich, ist durch die zuständige _____diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes oder die sonstige zu_____ständige Behörde zuzustellen. Nach Satz 1 ist insbesondere zu verfahren, wenn _____völkerrechtliche Vereinbarungen nicht bestehen, die zuständigen Stellen des be_____treffenden Staates zur Rechtshilfe nicht bereit sind oder besondere Gründe eine _____solche Zustellung rechtfertigen. _____ (3) An einen Deutschen, der das Recht der Immunität genießt und zu einer Ver_____tretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört, erfolgt die Zustellung _____auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch die zuständige Aus_____landsvertretung. _____ (4) Zum Nachweis der Zustellung nach Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 1 genügt der _____Rückschein. Die Zustellung nach Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 und den Absätzen 2 _____und 3 wird durch das Zeugnis der ersuchten Behörde nachgewiesen. _____ (5) Die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Par_____laments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher _____ _____ _____185 Vgl. EuGH DZWir 1993, 102 m. Anm. Maute und Vorlagebeschluss BGH EuZW 1991, 445; BGH NJW-RR 1987, 377; BGH NJW 1993, 2688; BGH WM 2004, 1391, 1392; OLG Köln IPRax 1991, 114 m. Anm. _____Linke a.a.O., 92 ff.; OLG Düsseldorf NJW 2000, 3290; OLG Köln NJW-RR 2001, 1576; OLG Jena WM 2001, _____1393. _____186 BGH IPRax 2010, 360, 361; OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 05210. _____187 VO EG Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für _____unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 30.4.2004, S. 15. 188 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. _____2. Oktober 1973, BGBl. 1986 II, S. 826; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 181. _____189 Vgl. BGHZ 120, 305 = NJW 1993, 598; BGHZ 141, 286 = NJW 1999, 3198 ff.; BGH NJW 1990, 3090. _____190 Vgl. hierzu G. Geimer Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, S. 109 ff. m.w.N.; Fohrer/ _____Mattil WM 2002, 840, 845 zum grenzüberschreitenden dinglichen Arrest. 191 BGHZ 120, 305, 311 f. im Anschluss an EuGH Slg. 1990 I-2725, Rdn. 29 ff. = IPRax 1991, 177, 179; BGHZ _____141, 286, 303; OLG Jena WM 2001, 1393, 1394; vgl. auch schon BGH NJW-RR 2007, 638; enger noch EuGH _____NJW 2007, 825. _____192 BGH IPRax 2011, 265, 266 f. m.w.N. mit teilw. krit. Anm. Bach a.a.O., 241 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitglied____staaten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. EU Nr. L 324 ____S. 79) bleiben unberührt. Für die Durchführung gelten § 1068 Abs. 1 und § 1069 ____Abs. 1. ____ Übersicht ____ ____ 1 3. Nachweis der Zustellung nach ____I. Einführung Abs. 1 (Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 2 II. Zustellungswege bei der Auslandszustellung ____ ____ 8 und 3) ____ 48 (Abs. 1–3) ____ 1. Zustellung durch Einschreiben IV. Zustellung im Anwendungsbereich der ____ mit Rückschein (Abs. 1 Satz 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (Abs. 5) ____ Halbsatz 1) ____ 11 1. Einführung ____ 56 ____ 2. Zustellung durch die Behörden des 2. Text der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ____ fremden Staates (Abs. 1 Satz 2 sowie der Durchführungsnormen in ____ Halbsatz 2) ____ 16 §§ 1067 bis 1071 ZPO ____ 60 ____ a) Einführung ____ 16 3. Erläuterungen ____ 61 b) Ingangsetzung des Verfahrens ____ 20 a) Anwendungsbereich ____ 61 ____ c) Ersuchungsschreiben und weiteres b) Zuständigkeiten ____ 66 ____ ____ Verfahren 23 c) Das zuzustellende Schriftstück und ____ d) Zustellung durch die Behörden des Begleitdokumente ____ 72 ____ ____ fremden Staates (1. Alt.) 29 d) Übermittlungsarten und ____ 3. Zustellung durch die zuständige -wege ____ 78 ____ diplomatische oder konsularische aa) Allgemeines ____ 78 ____ Vertretung des Bundes oder die bb) Zustellung durch ausländische ____ sonstige zuständige Behörde Empfangsstellen (Art. 4 bis 11 ____ (Abs. 2) ____ 30 EU-Schriftstücke____ 4. Zustellung an bestimmte Deutsche ZustellungsVO) ____ 81 durch die zuständige Auslandsvertrecc) Zustellung durch diplomatische ____ tung (Abs. 3) ____ 33 oder konsularische Vertretungen ____ a) Allgemeines ____ 33 (Art. 13; 12 EU-Schriftstücke____ ____ 37 b) Ausführung ZustellungsVO) ____ 93 ____ 5. Zustellung an ausländische Staaten dd) Zustellung durch die Post ____ und an Ausländer mit Immunitätsrech(Art. 14 EU-Schriftstücke____ ten ____ 40 ZustellungsVO) ____ 95 ____ 6. Auswahl unter mehreren eröffneten ee) Unmittelbare Zustellung ____ Zustellungswegen ____ 42 (Art. 15 EU-Schriftstücke____III. Nachweis der Zustellung (Abs. 4) ZustellungsVO) ____ 101 ____ 1. Allgemeines ____ 46 V. Verstöße gegen die Norm und ihre 2. Nachweis der Zustellung durch die Folgen ____ 103 ____ ____ 106 Post (Satz 1, Abs. 1 Satz 2 HalbVI. Kosten ____ ____ satz 1) 47 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 183 regelt wichtige Aspekte der grenzüberschreitenden Zustellung im Ausland 1 ____(Zustellungswege und Beteiligte, Abs. 1–3; Nachweis der Zustellung, Abs. 4; zu den be____sonderen Aspekten der grenzüberschreitenden Zustellung vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 1 ff.). ____Hierbei wurden die Regelungen der §§ 199, 200 und 202 a.F. über die grenzüberschrei____tende Zustellung durch die Reform vom 25.6.20011 inhaltlich nahezu unverändert zu____ ____ ____ ____1 Zustellungsreformgesetz – ZustRG, BGBl. I, 1206.

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§ 183

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_____sammengefasst.2 Eine wichtige Erleichterung der Auslandszustellung beinhaltet dabei _____die neue Regelung des Abs. 1 Satz 2. Sie greift die vormalige Regelung in § 37 Abs. 2 StPO _____a.F. auf.3 Wegen fortbestehender Unsicherheiten über das Verhältnis der einzelnen Zu_____stellungswege zueinander und zur Entlastung deutscher Auslandsvertretungen4 erfolgte _____die Neufassung der Norm durch das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden _____Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.20085 mit Wirkung zum 13.11.2008.6 _____Die unterschiedlichen Zustellungsarten sind nun in einer deutlichen Hierarchie zuein_____ander nach dem jeweiligen Effizienzgrad (Gewährung effektiven Rechtsschutzes) ausge_____staltet. Der Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen (Abs. 1 Satz 1) und die Subsi_____diarität der diplomatischen und konsularischen Zustellung werden hervorgehoben.7 _____Inhaltlich bringt die Neufassung keine wesentlichen inhaltlichen Neuerungen mit sich; _____insbesondere wird weiterhin in erheblichem Umfang an den umständlichen behördli_____chen Zustellungwegen festgehalten.8 Allerdings lässt es die Formulierung des Abs. 1 – _____Vorrang völkerrechtlicher Regelungen in Satz 1 und bloße Soll-Vorschrift des Satz 2 – zu, _____in völkerrechtlichen Vereinbarungen noch unaufwendigere Wege als z.B. die Zustellung _____per Post festzulegen.9 Über die faktischen Verhältnisse informiert die aktuelle Länder_____übersicht des Auswärtigen Amts, abrufbar unter http://www.konsularinfo.diplo.de/ _____contentblob/2462970/Daten/2585984/Laenderliste.pdf.10 _____ 2 Die Norm wird durch abweichende Regelungen in internationalen und bilateralen _____Übereinkommen verdrängt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 8 ff.; Abs. 3 zum Verhältnis zur _____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Dies unterstreicht nun auch Abs. 1 Satz 1.11 Aus der _____Formulierung des Abs. 5 Satz 1 wird deutlich, dass die Norm auch im Anwendungsbe_____reich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO verdrängt wird (Rdn. 56 ff.; zur entsprechen_____den Nichtanwendbarkeit des § 184 vgl. § 184 Rdn. 7). _____ 3 Die Norm setzt voraus, dass eine Auslandszustellung betrieben werden soll. Ob sie _____erforderlich ist, oder ob eine Inlandszustellung in Betracht kommt, ergibt sich aus den _____sonstigen Normen des deutschen Zustellungsrechts (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 22 ff.). So _____kann auch an einen Ausländer mit inländischer Wohnung oder im Inland unterhaltenen _____Geschäftsräumen oder mit schlichtem Inlandsaufenthalt eine Inlandszustellung betrieben _____werden; auch eine öffentliche Zustellung kommt in Betracht (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 23). _____Zu Zulässigkeit und Wirkungen formloser Mitteilungen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 33 ff. _____ Die Norm gilt für Auslandszustellungen generell, nicht nur für solche an Prozesspar4 _____teien. Ob eine förmliche Zustellung im einzelnen erforderlich ist, ist den jeweils ein_____schlägigen deutschen Verfahrensvorschriften zu entnehmen.12 _____ Die Norm ist gemäß § 191 auch auf Zustellungen im Parteibetrieb anwendbar.13 Zum 5 _____Antragserfordernis und zur Frage, ob der Gerichtsvollzieher die Zustellung durch Ein_____schreiben mit Rückschein betreiben darf (Abs. 1 Satz 2) vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 45 ff. _____ _____ _____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. _____3 Vgl. zu deren Änderung Art. 2 Abs. 12 Nr. 2 ZustRG, BT(-Drucks.) 14/4554, S. 9. _____4 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 2 unter A. a.E. _____5 BGBl. I, S. 2122. 6 A.a.O., Art. 8 Abs. 2 S. 1. _____7 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 2 unter B. a.E. _____8 Krit. hierzu Zöller/Geimer Rdn. 1. _____9 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), _____S. 20. 10 Zuletzt abgerufen 13.9.2012. _____11 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. _____12 Zöller/Geimer Rdn. 31. _____13 Vgl. hier nur Schmidt IPRax 2004, 13, 15 m.w.N.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ Zur Zustellung aus dem Ausland in Deutschland vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 65 ff. Zu ____Inlandszustellungen im Anwendungsbereich des NATO-Truppenstatuts vom 19.6.1951 ____vgl. § 166 Rdn. 57 ff. ____ Zum zuzustellenden Schriftstück und zur ggf. notwendigen Beifügung einer Über____setzung vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 81 ff. ____ ____ II. Zustellungswege bei der Auslandszustellung (Abs. 1–3) ____ ____ Abs. 1–3 enthalten drei Varianten von Zustellungswegen: Der einfachste und des____halb grds. zu wählende Weg ist die unmittelbare Zustellung per Post (Abs. 1 Satz 2 Halb____satz 1). Fehlen dahingehende völkerrechtliche Grundlagen, so eröffnet Abs. 1 Satz 2 ____Halbsatz 2 den vergleichsweise schwerfälligen Weg der Zustellung durch die Behörden ____des fremden Staates auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts. Sind beide Va____rianten des Abs. 1 nicht möglich, so bestimmt Abs. 2 die Zustellung durch die zuständige ____deutsche diplomatische oder konsularische Vertretung. Abs. 3 regelt darüber hinaus den ____Sonderfall der Zustellung an Deutsche an deutschen Auslandsvertretungen mit Immuni____tätsstatus. ____ Zur Auswahl unter mehreren eröffneten Zustellungswegen vgl. Vor §§ 183, 184 ____Rdn. 61; unten Rdn. 11 a, 42 ff. ____ Zur (zwingend) formlosen Zustellung im vertragslosen Rechtshilfeverkehr vgl. ____Vor §§ 183, 184 Rdn. 63. ____ ____ 1. Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein (Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1). ____Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 beinhaltet eine wesentliche Erleichterung der Auslandszustel____lung. Sie greift damit die vormalige Regelung des § 37 Abs. 2 StPO auf. Die Gesetzesbe____gründung zur Reform von 2002 weist daraufhin, dass die Regelung den Bemühungen der ____Bundesregierung entspricht, durch völkerrechtliche Vereinbarungen die internationale ____Zustellung wesentlich zu erleichtern, zu vereinfachen und zu beschleunigen.14 Die 2008 ____erfolgte Neuregelung unterstreicht den Vorrang dieser Zustellungsform (und andernfalls ____der Zustellung durch die Behörden des fremden Staates nach Halbsatz 2) vor der sehr ____aufwendigen Zustellung gemäß Abs. 2.15 Der Vorrang korrespondiert mit den Vorzügen ____dieses unaufwendigen Verfahrens für alle Beteiligten (Sicherung errektiven Rechts____schutzes unter möglichster Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör).16 Voraussetzung ____ist die Zulässigkeit dieses Zustellungsweges aufgrund entsprechender völkerrechtli____cher Vereinbarungen (vgl. noch Rdn. 12 f.). Der Reformgesetzgeber hat 2008 aus Grün____den der Rechtssicherheit ausdrücklich davon abgesehen, die Zulässigkeit schon dann ____anzuordnen, wenn der ausländische Staat diesen Weg außerhalb solcher Vereinbarun____gen nur duldet.17 ____ Die Vorschrift ist nur als Soll-Vorschrift ausgestaltet. Damit wird es in das pflicht____gemäße Ermessen des Betreibenden gestellt, zu prüfen, welcher Zustellungsweg die Inte____ressen der Beteiligten am besten wahrt. Ist die postalische Zustellung nach Halbsatz 1 ____gescheitert oder verspricht sie aufgrund konkreter Erkenntnisse von vornherein keinen ____ ____ ____ ____14 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. ____15 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 19 f. 16 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20; Zöller/ ____Geimer Rdn. 1 a. ____17 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20; krit. Zöller/ ____Geimer Rdn. 6.

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_____Erfolg, so wird von ihr abzusehen sein. Dann ist vorrangig nach Halbsatz 2 (Zustellung _____durch die Behörden des fremden Staates) vorzugehen.18 _____ Neben den in Nr. 1 erwähnten völkerrechtlichen Vereinbarungen ist die verein12 _____fachte Zustellung durch unmittelbare Übersendung per Post in Art. 14 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO vorgesehen; vgl. hierzu unten Rdn. 58; Anhang Rdn. 60. Entsprechende _____völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen mit Österreich19 und dem Vereinigten König_____reich.2021 _____ Zur Ablehnung der formlosen Direktzustellung durch die Post nach HZPÜ und HZÜ 13 _____in Deutschland vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 35; zur Parallelregelung in Ausführung von _____Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO vgl. unten Rdn. 58. Außerhalb des Anwendungs_____bereichs einschlägiger völkerrechtlicher Vereinbarungen i.S.v. Abs. 1 und der EU-Schrift_____stücke-ZustellungsVO (Abs. 5) ist die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein un_____zulässig.22 _____ Die Zustellung nach Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 erfolgt unmittelbar durch die Post durch 14 _____Einschreiben mit Rückschein. Bei der grenzüberschreitenden Zustellung wird die Ver_____wendung eines „internationalen Rückscheins“ erforderlich (vgl. Art. 55 Weltpostver_____trag).23, 24 Nur an den Adressaten darf zugestellt werden, wenn der Vermerk „eigenhändig“ _____die Übergabe an andere Empfänger ausschließt.25 Weitere Einzelheiten der Ausführung _____bleiben ungeregelt.26 Sie richten sich regelmäßig nach dem Recht des Bestimmungslan_____des.27 Insofern kann der in der Gesetzesbegründung genannte Katalog möglicher Emp_____fänger (Adressat, Ehepartner, Postbevollmächtigter oder Ersatzempfänger nach den Vor_____schriften des Bestimmungslandes) weder abschließend zu verstehen sein noch den _____Empfangsstaat verpflichtend den Kreis solcher Empfänger festlegen. _____ Zum Nachweis der Zustellung vgl. Abs. 4 (Rdn. 47). 15 _____ _____ 2. Zustellung durch die Behörden des fremden Staates (Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2) _____ _____ 16 a) Einführung. Bestehen keine Rechtsgrundlagen für die direkte Zustellung per Post _____i.S.v. Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, so muss die Zustellung nach Möglichkeit durch die Behör_____den des fremden Staates auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts erfol_____gen. Die Vorschrift des Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 entspricht ohne inhaltliche Änderung _____§ 183 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. a.F. Mit der Reform von 2008 hat der Gesetzgeber einerseits _____den Nachrang dieses Zustellungswegs gegenüber der (konkret erfolgversprechenden) _____ _____18 So die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. _____19 Vgl. § 23 des Ausführungsgesetzes vom 8.3. 1985 (BGBl. 1985 I, S. 535, 780) zum deutsch_____österreichischen Konkursvertrag vom 25.5.1979 (BGBl. 1985 II, S. 410, 712). _____20 Vgl. Art. 6 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928 (RGBl. 1928 II, S. 623 und Wiederanwendungsbekanntmachung BGBl. 1953 II, S. 116). _____21 Nachweise bei G. Geimer Die Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, S. 222 ff. _____22 Schmidt IPRax 2004, 13, 14; einschränkend Stadler IPRax 2002, 471, 473 mit Befürwortung der _____Zulässigkeit, sofern der Empfangsstaat die Direktzustellung zulässt. _____23 Vgl. BGBl. II 1992 S. 785–844. _____24 Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 5; Schmidt IPRax 2004, 13, 17; vgl. auch BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. _____25 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 8. Die _____„eigenhändige“ Zustellung mit internationalem Einschreiben ist gegenwärtig (Stand 12/2004) nicht _____möglich nach Frankreich, Griechenland und in die Niederlande; vgl. die Mitteilung der Deutschen Post AG _____v. 18.5.2001 – 141-2. 26 Krit. hierzu Stadler IPRax 2001, 514, 519; Schmidt IPRax 2004, 13, 16 ff. _____27 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23 (zu Abs. 1); für den Anwendungsbereich _____der EuZVO vgl. die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, _____BT(-Drucks.) 14/5564, S. 21.

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____postalischen Zustellung nach Halbsatz 1 unterstrichen (vgl. zum Auswahlermessen ____Rdn. 11 a),28 andererseits aber seinen Vorrang gegenüber grds. weit umständlicheren Zu____stellung nach Abs. 2 betont.29 Im Übrigen muss das selbst schon aufwendige Verfahren ____der Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 nur im Hinblick auf das verfahrenseinleitende Schriftstück ____betrieben werden (vgl. § 184 Rdn. 37 ff.). Spätere Zustellungen können ggf. in der erleich____terten Form des § 184 erfolgen (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 2; § 184). Zur wesentlich erleich____terten Zustellung auf dem Postweg ohne Ersuchen nach der EU-Schriftstücke-Zustel____lungsVO vgl. Rdn. 58, unten Rdn. 97 und § 1068. ____ Eine förmliche Zustellung kann aufgrund des HZPÜ (Art. 3 Abs. 2) und des HZÜ ____(Art. 5) sowie einschlägiger bilateraler Abkommen (Vereinigtes Königreich,30 Griechen____land,31 Türkische Republik,32 Tunesien,33 Marokko)34 sowie nach Maßgabe der EuVuFVO ____(Art. 13–15); vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 2, erfolgen. Zur Zustellung nach der EU____Schriftstücke-ZustellungsVO vgl. Rdn. 56 ff. ____ Die Behandlung ausgehender Ersuchen wird in §§ 12 ff. ZRHO geregelt. Die Aus____landszustellung kann danach unter Einschaltung der zuständigen ausländischen Be____hörde (vgl. auch § 16 ZRHO) erfolgen. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit der aus____ländischen Stellen richtet sich nach dem Recht des betreffenden Staates (vgl. § 16 Abs. 2 ____ZRHO). ____ Dieser Formalisierung liegt die herrschende Auffassung zugrunde, nach welcher ____die Zustellung einen Hoheitsakt darstellt und deshalb die staatliche Souveränität be____rührt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 1). Erleichterungen finden sich in – stets vorrangig zu ____berücksichtigenden (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 14) zwischenstaatlichen Übereinkommen ____(vgl. Anhang zu §§ 183, 184) sowie in der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (zu Abs. 5 vgl. ____unten Rdn. 56 ff.). ____ ____ b) Ingangsetzung des Verfahrens. Im Amtsbetrieb (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 41 ff.) ____wird die Zustellung durch den Vorsitzenden des Prozessgerichts in Gang gebracht. Bei ____Zustellungen im Parteibetrieb (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 45 ff.) muss die Partei einen ____Antrag an den Vorsitzenden des Prozessgerichts richten. ____ Vorsitzender in diesem Sinne ist neben dem Vorsitzenden eines Senats oder einer ____Kammer auch der Einzelrichter. Letzterer ist als Mitglied eines Kollegialspruchkörpers ____zuständig nach Übertragung gemäß §§ 348 a, 526. Die Stellung des Vorsitzenden nimmt ____auch der Rechtspfleger ein, dem das Verfahren übertragen worden ist.35 ____ Prozessgericht ist das jeweils befasste oder angerufene Gericht. Zur Instanz zählen ____noch das abschließende Urteil36 sowie alle danach noch erforderlichen Zustellungen bis ____zur Einlegung von Rechtsmitteln.37 Zu den Grenzen des Rechtszugs vgl. § 172 Rdn. 22 ff.; ____ ____ 28 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. ____29 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. ____30 Art. 3 lit. d dt.-brit. Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 59). ____31 Art. 3 Abs. 1 dt.-griech. Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des ____bürgerlichen und Handels-Rechts v. 11.5.1938 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 62). ____32 Art. 10 Abs. 2 i.V.m. 9 Abs. 1 Satz 3 dt.-türk. Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen v. 28.5.1929 (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 57). ____33 Art. 12 Abs. 2 dt.-tunes. Vertrag v. 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und ____Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die ____Handelsschiedsgerichtsbarkeit (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 55). ____34 Art. 5 dt.-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 53). ____35 Vgl. Zöller/Stöber § 184 Rdn. 3. ____36 RG(VSZ)Z 41, 426, 428. ____37 RG(VSZ)Z 68, 247, 250.

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_____zur Zustellung notarieller Urkunden und von Anwaltsvergleichen vgl. § 797. Im Vollstre_____ckungsverfahren ist das Vollstreckungsgericht zuständig (§ 764), im Beweissicherungs-, _____Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren das jeweils angerufene Gericht (§§ 486; _____919; 942, 943). Der Notar ist zuständig für die von ihm zu veranlassenden Zustellungen _____(vgl. § 20 Abs. 1 BNotO) sowie für die Zustellung seiner Kostenrechnung (vgl. § 156 Abs. 3 _____Satz 2 KostenO).38 _____ _____ c) Ersuchungsschreiben und weiteres Verfahren. Das Ersuchen erfolgt durch 23 _____Schreiben des Vorsitzenden des Prozessgerichts an die zuständige Prüfungsstelle (vgl. _____§ 9 ZRHO). Dies gilt auch dann, wenn der unmittelbare Verkehr mit ausländischen Stel_____len zugelassen ist (§ 28 Satz 1 ZRHO). Ausnahmen sind im Rahmen der EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO und der EuBVO39 möglich (vgl. § 28 Satz 2 ZRHO). _____ 24 Das Ersuchungsschreiben ist in Urschrift mit der Urschrift des zuzustellenden _____Schriftstücks sowie der zu überlassenden Ausfertigung(en) oder beglaubigten Ab_____schrift(en) (vgl. § 166 Rdn. 19 ff.; Art. 3 Abs. 1 HZPÜ; Art. 3 Abs. 2 HZÜ) an die Prüfungsstelle _____weiterzuleiten (vgl. § 28 ZRHO). Eine telegraphische Übermittlung ist zulässig,40 jedoch _____nur dann sinnvoll, wenn die ersuchte Stelle auch das zuzustellende Schriftstück erhält _____oder selbst herstellen kann. Hier eröffnen sich künftige Möglichkeiten EDV-mäßiger Da_____tenübermittlung (vgl. § 166 Rdn. 16, 45). Nähere Regelungen von Form (Sprache und _____Sprachverwendung im einzelnen; Bezeichnung ausländischer Stellen; Verwendung von _____Vordrucken; Unterschrift, ggf. nötige Legalisation) und Inhalt des Ersuchungsschreibens _____nebst Begleitdokumenten sind den §§ 7, 17 bis 27 ZRHO zu entnehmen, die ggf. auf die _____Sonderregelungen in Europäischen Normen und internationalen/bilateralen Überein_____kommen verweisen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 51 ff.; zur EU-Schriftstücke-Zustel_____lungsVO unten Rdn. 74). _____ Gemäß § 26 ZRHO sind den Ersuchen an eine ausländische Stelle und den Anlagen 25 _____von einem nach Landesrecht ermächtigten oder öffentlich bestellten oder einem solchen _____gleichgestellten Übersetzer gefertigte und beglaubigte Übersetzungen beizufügen, so_____weit nicht abweichende Regelung bestehen (vgl. hierzu den Text des § 26 ZRHO in An_____hang zu §§ 183, 184 Rdn. 68 sowie den Länderteil der ZRHO). Ersuchen an deutsche Aus_____landsvertretungen und Anlagen bedürfen keiner Übersetzung (vgl. § 27 Satz 1 ZRHO). _____Jedoch wird die Beifügung von Übersetzungen empfohlen, wenn Grund für die Annahme _____besteht, dass dies die Annahmebereitschaft des Adressaten erhöht (§ 27 Satz 2 ZRHO). _____ 26 Inhaltlich richtet sich das Ersuchungsschreiben entweder auf förmliche Zustel_____lung, soweit diese überhaupt eröffnet ist und nach pflichtgemäßem Ermessen am besten _____geeignet erscheint, andernfalls auf formlose Zustellung (vgl. hierzu Vor §§ 183, 184 _____Rdn. 44; zur Ermessensausübung und zur Wahl mehrerer Zustellungswege vgl. Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 50). _____ Die Prüfungsstelle muss gemäß § 29 Abs. 1 ZRHO feststellen, ob die Bestimmun27 _____gen der einschlägigen Staatsverträge und der ZRHO eingehalten sind. Zudem obliegt ihr _____die Prüfung, ob das Ersuchen samt Anlagen vollständig und für eine mit dem deutschen _____Recht nicht vertraute Stelle unschwer zu erledigen ist. Ferner muss sie nach § 29 Abs. 2 _____ZRHO prüfen, ob der Absendung Bedenken wegen Gefährdung der staatlichen Sicher_____ _____ _____ _____38 Geimer IZPR Rdn. 2100 a. 39 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der _____Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen vom 28. Mai 2001, ABlEG _____Nr. L 174, S. 1; abgedruckt und kommentiert in Geimer/Schütze EuZVR unter A.4. _____40 RGZ 14, 335 ff.

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____heit oder Hoheitsrechte (etwa bei Zustellungen an den fremden Staat selbst)41 entgegen____stehen (vgl. vor §§ 183, 184 Rdn. 54) und ggf. der zuständigen Landesjustizverwaltung ____berichten. Über Bedenken der Landesjustizverwaltung darf sich das Gericht nicht hin____wegsetzen. Nur demjenigen, in dessen Interesse die Zustellung betrieben wird, stehen ____Rechtsbehelfe gegen die ablehnende Entscheidung zu (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 75 ff.). ____Deshalb darf das Gericht auch nicht eine formlose Unterrichtung auf dem Postweg ver____anlassen, sondern muss auch hierfür die Zustimmung der Landesjustizverwaltung ein____holen.42 ____ Nach Prüfung, gegebenenfalls nach Behebung von Mängeln, leitet die Prüfungs- 28 ____stelle das Ersuchen weiter. Die Übermittlung erfolgt auf den Wegen, die in § 30 ZRHO ____unter Berücksichtigung einschlägiger zwischenstaatlicher Übereinkommen (vgl. hierzu ____Vor §§ 183, 184 Rdn. 54; zu den einzelnen Übereinkommen Anhang zu §§ 183, 184) vorge____sehen sind. ____ ____ d) Zustellung durch die Behörden des fremden Staates (1. Alt.). Wird die Zustel- 29 ____lung von ausländischen Behörden ausgeführt, so erfolgt dies nach Maßgabe des gelten____den ausländischen Rechts (vgl. Rdn. 18; vgl. auch § 16 Abs. 2 ZRHO zur örtlichen und ____sachlichen Zuständigkeit, die ebenfalls nach dem Recht des betreffenden Staates zu ____bestimmen ist). Das interne deutsche Verfahrensrecht kann nicht Maßnahmen, die von ____einer ausländischen Behörde auszuführen sind, mit Wirkung gegen Ausländer verbind____lich vorschreiben.43 Das ausländische Recht bestimmt insbesondere auch darüber, ob ____das zuzustellende Schriftstück in die Landessprache übersetzt sein muss44 (vgl. hierzu ____auch Rdn. 58, 75 f.; zur Lage im Anwendungsbereich internationaler Übereinkommen ____vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 81 ff.), ob der Zustellungsempfänger annahmebereit sein muss,45 ____oder ob eine öffentliche Zustellung ausreicht.46 ____ ____ 3. Zustellung durch die zuständige diplomatische oder konsularische Vertre- 30 ____tung des Bundes oder die sonstige zuständige Behörde (Abs. 2). Die Zustellung ____durch die zuständige diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes47 oder ____die sonstige zuständige Behörde. kann nur dann betrieben werden, wenn eine Zustel____lung nach Abs. 1 nicht möglich ist. Die deutschen Auslandsvertretungen sollen in eige____ner Zuständigkeit nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers (vgl. Rdn. 1) nur in Aus____nahmefällen in Anspruch genommen werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 ZRHO). Ihnen ist nur eine ____formlose Zustellung (vertragsloser Rechtshilfeverkehr; vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 63 f.) ____möglich48 (vgl. auch § 51 Abs. 4 Satz 1 ZRHO). Die Neuregelung der Norm durch die Re____form von 2008 hat den Nachrang zur Zustellung nach Abs. 1 systematisch hervorgehoben ____und den Kreis der einzuschaltenden Stellen um die „sonstige zuständige Behörde“ er____weitert. Diese Erweiterung beruht auf den völkerrechtlich bestehenden Möglichkeiten, ____ ____ ____41 Vgl. Zöller/Geimer Rdn. 60. ____42 Zöller/Geimer Rdn. 61; Wiehe Zustellungen, S. 40. ____43 BGHZ 51, 330 = NJW 1969, 980. 44 I.Erg. vergleichbar BGHZ 51, 330 = NJW 1969, 980. ____45 OLG München NJW 1972, 2186, 2188 für Frankreich. ____46 LG München II DAVorm 1972, 78. ____47 Die Formulierung in § 183 Abs. 1 Nr. 2 a.F., die auf die Vertretung des Bundes abhob, welche im ____Zustellungsstaat „residiert“, wurde durch die nun vorliegende Formulierung ersetzt, weil der Bund in manchen Staaten keine Auslandsvertretung mehr unterhält und deshalb eine in einem benachbarten Staat ____residierende Vertretung zuständig ist (vgl. Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, ____BT(-Drucks. 16/8839), S. 21). ____48 Vgl. Schack IZVR Rdn. 601; Zöller/Geimer Rdn. 76.

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_____andere als die beiden erstgenannten Stellen (z.B. Landesjustizverwaltungen)49 einzu_____schalten. Die Vornahme von Zustellungen durch diplomatische Vertretungen, den Kon_____sul (vgl. § 16 KonsularG) oder die sonstige zuständige Behörde ist nur mit Einverständnis _____des Empfangsstaats zulässig (vgl. auch § 14 Abs. 2 ZRHO). Dieses Recht bestimmt auch _____über den Personenkreis, an den auf diesem Wege zugestellt werden darf.50 Auch eine _____derartige formlose Zustellung ist aber eine vollgültige Zustellung im Sinne der ZPO (§ 51 _____Abs. 4 Satz 2 ZRHO). Wie die Zustellung durch fremde Behörden gemäß Abs. 1 Satz 2 _____Halbsatz 2 erfolgt die Zustellung nach Abs. 2 aufgrund eines entsprechenden Ersuchens _____des Vorsitzenden des Prozessgerichts (Rdn. 20 ff.). _____ 31 Die Neuregelung in Abs. 2 Satz 2 enthält Regelbeispiele für die Ausnahmefälle,51 _____welche die Einschaltung deutscher Auslandsvertretungen bzw. anderer zuständiger Be_____hörden begründen können. Sie sind danach insbesondere dann gegeben, wenn völker_____rechtliche Vereinbarungen nicht bestehen, die zuständigen Stellen des betreffenden _____Staates zur Rechtshilfe nicht bereit sind oder wenn andere besondere Gründe bestehen, _____die eine solche Zustellung rechtfertigen. Mit der letzten Variante wollte der Reformge_____setzgeber von 200852 ein hinreichend flexibles Tatbestandsmerkmal schaffen, das freilich _____dem Gewicht der beiden ersten Varianten im Einzelfall entsprechen muss. Beispiele sind _____Zustellungen nach dem HZÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 9) und dem HZPÜ (vgl. _____Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 42), welche die konsularische Zustellung vorschreiben.53 _____Dasselbe gilt für die notwendig diplomatische Zustellung an ausländische Diplomaten _____oder Staaten, soweit sie der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen.54 Zu denken ist auch _____an Eilsachen oder Beurkundungen von Erklärungen nach deutschem Sachrecht. Ande_____rerseits sollen vorrangig ausländische Stellen um die Zustellung eines verfahrenseinlei_____tenden Schriftstücks ersucht werden, wenn im betreffenden Staat mit der Anerkennung _____einer deutschen Entscheidung in Zivilsachen gerechnet werden kann (vgl. § 14 Abs. 3 _____ZRHO). _____ Zum Nachweis der Zustellung vgl. Rdn. 48 ff. 32 _____ _____ 4. Zustellung an bestimmte Deutsche durch die zuständige _____ Auslandsvertretung (Abs. 3) _____ _____ a) Allgemeines. Die Norm regelt die Zustellung an Deutsche im Ausland, die dort 33 _____ein von deutschen Stellen abgeleitetes Recht der Immunität genießen und die zu einer _____Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehören; § 15 Abs. 1 ZRHO greift _____die vormalige Regelung des § 200 Abs. 2 a.F. auf, wonach auch die Zustellung an die Lei_____ter der Konsulate der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Wege erfolgt. Gemäß § 15 _____Abs. 2 ZRHO soll auch die Zustellung an Konsulatsbeamte, Konsulatsangestellte deut_____scher Staatsangehörigkeit, Familienmitglieder und Bedienstete dieser Personen vorran_____gig auf dem Weg des Abs. 3 erfolgen. _____ 34 Nicht von Abs. 3 erfasst werden Zustellungen an im Ausland ansässige Deutsche, _____die Immunität aufgrund einer anderen Stellung genießen (z.B. als Mitglied einer interna_____tionalen Körperschaft). Zustellungen an sie erfolgen über die jeweilige Körperschaft (vgl. _____ _____49 ZB nach dem dt-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil_____und Handelssachen (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 53). Darauf verweist der Rechtsausschuss des _____Bundestages in seiner Beschlussempfehlung vom 18.6.2008, BT(-Drucks.) 16/9639, S. 5 zu Buchstabe c. _____50 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2139. 51 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. _____52 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. _____53 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. _____54 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20.

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____§ 18 GVG). Ebenfalls nicht von Nr. 3 erfasst wird die Zustellung an andere im Ausland ____befindliche Deutsche. Deutsche Bedienstete von Ausländern, welche die Privilegien der ____§§ 18 bis 20 GVG genießen, werden von diesem Privilegien grds. nicht erfasst. Deshalb ____kann an sie grds. im Wege der Inlandszustellung zugestellt werden. Allerdings bedarf die ____Zustellung in der Dienstwohnung, auf welche sich die genannten Privilegien beziehen, ____nur mit Zustimmung des Dienstherrn erfolgen.55 Zur Zustellung an Ausländer mit Immu____nitätsrechten vgl. Rdn. 41. ____ In Abweichung von der Vorgängerregelung (§ 183 Abs. 1 Nr. 3 a.F.) sieht die nun____mehr geltende Regelung nicht mehr die Zustellung durch das Auswärtige Amt vor,56 son____dern direkt durch die jeweils zuständige Auslandsvertretung. Dadurch sollen neben der ____Verfahrensbeschleunigung der Verwaltungsaufwand reduziert und der Datenschutz bes____ser gewahrt werden.57 ____ Trotz der Ausführung der Zustellung im Ausland berührt die Zustellung nach Abs. 3 ____nicht die Hoheitsrechte des Staates, in dem sich der Adressat aufhält. Deshalb bedarf ____es keines Rechtshilfeersuchens an den ausländischen Staat.58 ____ ____ b) Ausführung. Erforderlich ist ein Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts ____(vgl. Rdn. 20 ff.) an das Auswärtige Amt. Einzelheiten regelt § 15 ZRHO. Die Ersuchen ____sind mit Begleitbericht (§§ 7 Nr. 2, 24 ZRHO) der Landesjustizverwaltung vorzulegen, ____welche sie über das Bundesministerium der Justiz an das Auswärtige Amt weiterleitet.59 ____ Zum Nachweis der Zustellung vgl. unten Rdn. 48 ff. ____ Ist das verfahrenseinleitende Schriftstück wirksam zugestellt worden, so können in ____der Folge Zustellungen gemäß § 184 betrieben werden (vgl. § 184 Rdn. 8 ff.). ____ ____ 5. Zustellung an ausländische Staaten und an Ausländer mit Immunitätsrech____ten. Die Zustellung an ausländische Staaten im Hinblick auf deren fiskalische Tätigkeit ____(acta iure gestionis) erfolgt grds. auf diplomatischem Wege (vgl. § 54 Abs. 2 ZRHO).60 An ____ausländische Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland darf nicht unmittelbar ____durch das Gericht zugestellt werden61 (§ 35 Abs. 3 Satz 1 ZRHO), auch dann nicht, wenn ____das Einverständnis des Missionschefs vorliegt.62 Vielmehr ist der Zustellungsantrag der ____Landesjustizverwaltung zur weiteren Veranlassung vorzulegen (vgl. § 54 Abs. 1 ZRHO; ____vgl. auch Art. 16 Abs. 2 des Baseler Europäischen Übereinkommens über Staatenimmuni____tät vom 16. Mai 1972).63 Im Falle der Annahmeverweigerung durch den ausländischen ____Staat kann die öffentliche Zustellung gemäß § 185 Nr. 2 betrieben werden.64 ____ Die Zustellung an Ausländer mit Immunitätsrechten (vgl. §§ 18 bis 20 GVG) wird ____nicht von Nr. 3 erfasst. Sie erfolgt nach ggf. einschlägigen Europäischen, Internationalen ____oder bilateralen Regelungen, andernfalls gemäß Nr. 1 oder 2. Bei Ablehnung einer Zu____stellung durch den Entsendestaat wird die öffentliche Zustellung gemäß § 185 Nr. 3 ____ ____ ____ ____55 MünchKomm/Häublein Rdn. 14 (zu § 183 a.F.). ____56 Die Regelung in § 200 a.F. vor der Reform von 2002 sah noch die Zustellung durch den Bundeskanzler vor. ____57 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 21. ____58 Zöller/Geimer Rdn. 77. ____59 Vgl. Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze ZRHO § 14 Fn. 43. ____60 Vgl. Pfennig S. 111, 123; Mann NJW 1990, 618; Geimer IZPR Rdn. 2144. 61 Vgl. LG Bonn IPRax 1987, 210 ff. m. Anm. Mansel a.a.O., 231 ff.; OLG Köln IPRax 1987, 233. ____62 Pfennig S. 122; Geimer IZPR Rdn. 2144. ____63 BGBl. 1990 II, S. 35; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 142. ____64 Geimer IZPR Rdn. 2144 f.

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_____möglich.65 Zur Zustellung an deutsche Bedienstete privilegierter Ausländer vgl. oben _____Rdn. 33. _____ _____ 42 6. Auswahl unter mehreren eröffneten Zustellungswegen. Das Gesetz enthält _____nur teilweise Vorgaben über die Auswahl unter mehreren eröffneten Zustellungswe_____gen. Der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO lässt sich kein Vorrang der Zustellung durch _____Behörden entnehmen; Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist insoweit nicht als Aus_____nahmevorschrift zu qualifizieren, sondern als grds. gleichwertiger Zustellungsweg.66 _____Andererseits steht im Anwendungsbereich des HZÜ die förmliche Zustellung trotz der _____Möglichkeit formloser Zustellung gemäß Art. 5 Abs. 2 HZÜ im Vordergrund,67 so dass das _____Gericht regelmäßig von vornherein um förmliche Zustellung ersuchen kann. Zur Aus_____wahl bei Abs. 1 vgl. oben Rdn. 11 a. Zum grds. Vorrang der Einschaltung ausländischer _____Stellen gegenüber der Einschaltung deutscher Auslandsvertretungen (vgl. Abs. 2 Nr. 2) _____vgl. § 14 ZRHO und oben Rdn. 18. _____ Die Entscheidung, ob nach Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 (Post) oder Halbsatz 2 (ausländi43 _____sche Behörden) zugestellt werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzel_____falls. In vielen Fällen wird der bedeutend weniger aufwendige Weg des Einschreibens _____mit Rückschein zu wählen sein. Jedoch wird nicht gefordert, die Direktzustellung durch _____die Post stets vorrangig zu betreiben,68 was der Gesetzgeber mit der Reform von 2008 _____ausdrücklich klargestellt hat (vgl. Rdn. 11 a). Vielmehr ist stets zwischen dem Zeit- und _____Kostenaspekt einerseits und dem Bedürfnis nach möglichst sicherer Zustellung anderer_____seits abzuwägen (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 f.). Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass offen_____bar auch im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO noch die recht _____geringe Zuverlässigkeitsquote von 50% bis 60% bei der Direktzustellung durch die Post _____zu verzeichnen ist.69 Insbesondere wenn es um Fristenwahrung geht, dürfte dem Sicher_____heitsaspekt großes Gewicht zukommen. Dies kann dazu führen, dass neben der Direkt_____zustellung nach Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO auch eine Amtszustellung ange_____zeigt ist. 70 Die Zustellungswege des Abs. 1 sind gegenüber der weit aufwendigeren _____Zustellung gemäß Abs. 2 vorrangig (vgl. Rdn. 16). _____ Soweit das Prozessgericht (bzw. die Justizverwaltung, vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 49) 44 _____eingeschaltet wird, entscheidet es über die Wahl des Zustellungsweges nach pflichtge_____mäßem Ermessen (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 50).71 Dies gilt auch für die Frage, ob anstel_____le oder neben einer nach § 184 möglichen Inlandszustellung die Auslandszustellung ge_____boten ist (vgl. hierzu Vor §§ 183, 184 Rdn. 42 f.). _____ Stellt die Partei einen bestimmten Antrag, so ist dieser grds. zu berücksichtigen.72 45 _____ _____ _____ 65 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2148. _____66 So auch Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 185 f.; Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 6 mit _____überzeugendem Hinweis auf die Erwägungsgründe 2, 6, 7, 9 EuZVO; a.A. Heß NJW 2001, 15, 20. _____67 BGH NJW 2003, 2830, 2831; Denkschrift, BR(-Drucks.) 8/217, S. 43 f. _____68 So aber Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 6 unter Verweis auf den Zeit- und Kostenaspekt; _____vergleichbar Brand/Reichhelm IPRax 2001, 173, 177; MünchKomm/Häublein Rdn. 10 (zu § 183 a.F.). 69 Study on the Application of Council Regulation (EC) 1348/2000 on the service in the Member States of _____judicial and extrajudicial documents in civil or commercial matters, May 2004 (abgerufen am 17.12.2004 _____unter http://europa.eu.int/comm/justice_home/doc-centre/civil/studies/doc/study_ec1348_2000_en.pdf _____(Nachweis auch bei Heß NJW 2004, 3301, 3302 Fn. 17). Vgl. nun auch den Bericht der Kommission über die _____Anwendung der VO (EG) Nr. 1348/2000 vom 1.10.2004, KOM (2004) 603 endgültig (SEC [2004] 1145). 70 Heß NJW 2004, 3301, 3303. _____71 Zöller/Geimer Rdn. 78; MünchKomm/Häublein Rdn. 10 (zu § 183 a.F.); vgl. auch BGH NJW 2003, 2830, _____2831. _____72 Zöller/Geimer Rdn. 78.

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____ III. Nachweis der Zustellung (Abs. 4) ____ ____ 1. Allgemeines. Wie bei der rein inländischen Zustellung (vgl. Vor § 166 Rdn. 19 ff., ____§ 166 Rdn. 8) ist der Nachweis der Zustellung nach der Reform des Zustellungsrechts von ____2002 nicht mehr konstitutives Merkmal der Zustellung. Er dient nur noch Beweis____zwecken und weist nicht die Qualität einer öffentlichen Urkunde auf.73 Die Zustellung ____selbst wird bereits mit Übergabe an den Adressaten vollzogen (vgl. Vor § 166 Rdn. 10).74 ____Abs. 2 enthält zwei unterschiedliche Regelungen, welche an die gewählte Zustellungsart ____anknüpfen. Die Neuregelung des § 183 durch die Reform von 2008 übernahm die Vor____gängerregelung in § 183 Abs. 2 a.F. inhaltlich unverändert.75 ____ ____ 2. Nachweis der Zustellung durch die Post (Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1). ____Satz 1 bezieht sich auf die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein nach Abs. 1 ____Satz 2 Halbsatz 1. Zum Nachweis dieser Zustellung genügt der Rückschein mit dem Er____ledigungsvermerk des Postbediensteten des fremden Staates.76 Schon der Wortlaut ____„genügt“ deutet an, dass der Nachweis auch auf anderem Wege geführt werden kann.77 ____im Übrigen gelten dieselben Erwägungen wie zum Nachweis der Inlandszustellung ge____mäß § 175 (vgl. § 175 Rdn. 9). Für die Handhabung des Rückscheins gelten die Regelun____gen des jeweiligen Bestimmungslandes.78 Grundsätzlich wird der Rückschein vom Ad____ressaten unterzeichnet; er kann aber wie bei der Inlandszustellung auch von einer ____empfangsberechtigten Person oder von Amts wegen ausgestellt werden.79 Nur an den ____Adressaten darf aber zugestellt werden, wenn der Vermerk „eigenhändig“ die Übergabe ____an andere Empfänger ausschließt.80 ____ ____ 3. Nachweis der Zustellung nach Abs. 1 (Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 2 und 3). Satz 2 ____nimmt inhaltlich unverändert die Regelung des § 202 Abs. 2 a.F. und der Folgeregelung ____in § 183 a.F. auf.81 ____ Die Zustellung wird durch dahingehendes Zeugnis der ersuchten Behörden oder ____Beamten nachgewiesen. Es ersetzt funktional die Zustellungsurkunde nach § 182. Erfor____dernisse hinsichtlich Form und Inhalt sind nicht explizit festgelegt. Inhaltliche Min____desterfordernisse sind die Bezeichnung des übergebenen Schriftstücks, des Empfän____gers und der Übergabezeit sowie die Angabe, dass eine Übergabe des Schriftstücks oder ____ein nach dem anwendbaren Verfahrensrecht (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 22 ff.) vergleichba____rer Akt erfolgt ist.82 Die schlichte Bestätigung (eines Generalkonsulats), dass im Amtsbe____zirk ein Schriftstück an einem genannten Tag zugestellt worden sei, soll nicht genügen, ____weil hierbei die notwendigen Angaben über Art und Weise der Zustellung und die Person ____des Empfängers fehlten.83 Auch der Empfangsschein der ausländischen Post reicht nicht ____ ____73 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23; MünchKomm/Häublein Rdn. 710 (zu § 183 a.F.). ____74 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 19 (zu § 175); Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 9; BVerfG NJW ____2000, 683, 684. ____75 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. ____76 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23; vgl. auch Zöller/Geimer Rdn. 2. 77 So auch Zöller/Geimer Rdn. 2. ____78 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. ____79 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. ____80 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz-Häublein § 183 Rdn. 8. ____81 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. 82 Vgl. MünchKomm-Häublein Rdn. 12 (zu § 183 a.F.), der darüberhinaus die Angabe des Ortes verlangt; ____insoweit offen gelassen in BVerwG NJW 2000, 683, 684 m.w.N. (zur Zustellung nach dem VwZG). ____83 Vgl. BVerwG NJW 2000, 683 f.; FG Düsseldorf EFG 1988, 267; Geimer IZPR Rdn. 2138; abzuweichend ____Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze ZRHO § 20 mit Fn. 96: Die Angabe des Zustellungswegs sei nicht

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_____aus.84 Ebenso soll die übersandte Zustellungsurkunde des Zustellungsorgans nicht ge_____nügen.85 Außerhalb entsprechender Europäischer Normen oder internationaler Regelun_____gen kann das Gericht bestimmte Angaben zwar erbitten, jedoch nicht verlangen; im ver_____tragslosen Rechtsverkehr besteht kein dahingehendes Völkergewohnheitsrecht.86 _____ Im Anwendungsbereich internationaler Abkommen finden sich eigenständige Re50 _____gelungen über den Zustellungsnachweis (vgl. Art. 5 HZPÜ, 6 HZÜ; Art. 3 g Satz 2 dt.-brit. _____Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928; Art. 11 dt.-türk. Abkommen über den _____Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 29.5.1929); zur EU-Schriftstücke-Zustel_____lungsVO87 vgl. unten Rdn. 60 ff. Das Zeugnis wird im Amtsbetrieb zu den Gerichtsakten _____gebracht, im Parteibetrieb an den Zustellenden übergeben. Im Anwendungsbereich des _____HZÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, 184, Rdn. 11 ff.) kann der Zustellungsnachweis nach Maß_____gabe des Art. 15 Abs. 2 HZÜ entbehrlich werden (vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 35). _____ Ein solches Zeugnis ist öffentliche Urkunde i.S.v. § 41888 (vgl. für die inländische 51 _____Zustellungsurkunde die insoweit übertragbaren Grundsätze in § 182 Rdn. 4 f.; zur Echt_____heitsprüfung vgl. § 438). Erfüllt es die Mindestanforderungen (vgl. Rdn. 49), so wird da_____mit die ordnungsgemäße Zustellung durch Übergabe oder funktional entsprechenden _____Akt bewiesen. Der Gegenbeweis kann gemäß § 418 Abs. 2 geführt werden (vgl. insoweit _____auch § 182 Rdn. 4 f.).89 Soweit die Zustellung unter der Herrschaft ausländischen Ver_____fahrensrechts erfolgt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 22 ff.), kann der Gegenbeweis auch auf _____die Verletzung dessen Vorschriften gestützt werden.90 Dies ist keine Abkehr vom Grund_____satz, dass das anzuwendende Verfahrensrecht der lex fori zu entnehmen ist. Vielmehr _____substituiert die lex fori selbst einen Teil ihrer im Ausland nicht anwendbaren Vorschrif_____ten durch deren ausländische Äquivalente. Soweit diese ausländischen Vorschriften die _____Zwecke der Zustellung erfüllen (vgl. Vor § 166 Rdn. 19 f.), sind sie in vollem Umfang zu _____beachten. _____ Der Nachweis kann auch im Wege der EDV oder anderweitig91 übermittelt werden. 52 _____Er genießt jedoch nicht denselben Beweiswert wie eine öffentliche Urkunde, solange _____keine vergleichbare Verifikation gewährleistet ist. _____ Ist die Bescheinigung der ausländischen Behörde fehlerhaft, so kommt die Heilung 53 _____gemäß § 189 in Betracht.92 _____ 54 Die Zustellung ist erst mit ihrer Ausführung im Ausland bewirkt (anders die Rege_____lung bei der Inlandszustellung nach § 184 Abs. 2 mit Zustellungsfiktion).93 Jedoch kann _____nach Maßgabe des § 167 auch eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung des _____Ersuchens eintreten. Insoweit nimmt § 167 die entsprechende Vorgängerregelung des _____§ 207 a.F. auf (vgl. § 167 Rdn. 1). Bei der Zustellung im Parteibetrieb ist insoweit die An_____ _____ _____erforderlich, weil das ersuchende Gericht nicht nachzuprüfen habe, auf welchem Weg die Zustellung vollzogen worden ist. _____84 OLG Frankfurt a.M. OLGR 1992, 82; MünchKomm/Häublein Rdn. 12 (zu § 183 a.F.). _____85 BayObLG St 1981, 17, 18 f. _____86 Zöller/Geimer Rdn. 73. _____87 Vgl. OLG Celle NJW 2004, 2315. _____88 Vgl. BGHZ 65, 291, 295; BGH NJW 2002, 521, 522 = BGH RIW 2002, 237; MünchKomm/Häublein Rdn. 12 (zu § 183 a.F.); Schlosser EUZPR Art. 6 HZÜ Rdn. 3; Zöller/Geimer Rdn. 72; vgl. auch BGH NJW-RR 2001, 1361. _____89 Vgl. BGH NJW 2002, 521, 522 (bloßes Bestreiten des Erhalts genügt nicht); vgl. auch OLG Köln IPRax _____1991, 114 f. m. Anm. Linke a.a.O., 92 ff. _____90 Wie hier Stein/Jonas/Roth Rdn. 46 (zu § 183 a.F.); vgl. auch MünchKomm/Häublein Rdn. 12 (zu § 183 _____a.F.); a.A. Zöller/Geimer Rdn. 2. 91 Vgl. OLG Celle NJW 2004, 2315 zur vormaligen EuZVO; RGZ 14, 335 ff. (telegraphische Übermittlung). _____92 Zöller/Geimer Rdn. 74. _____93 BVerwG NJW 2000, 683, 684 (bei konsularischer Zustellung Aushändigung an den empfangsbereiten _____Adressaten); MünchKomm/Häublein Rdn. 12 (zu § 183 a.F.).

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____tragstellung (Einreichung des Zustellungsgesuchs beim Vorsitzenden des Prozessge____richts) maßgeblich (vgl. zum Erfordernis der Antragstellung in diesem Falle Vor §§ 183, ____184 Rdn. 45 f.).94 Zu Einzelheiten vgl. § 167 Rdn. 53, 57. ____ In internationalen Übereinkommen wird als Variante ein datiertes und beglau____bigtes Empfangsbekenntnis als Zustellungsnachweis vorgesehen (vgl. Art. 5 Abs. 1 ____HZPÜ; Art. 11 dt.-türk. Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen ____vom 29.5.1929; hierzu Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 57). ____ ____ IV. Zustellung im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ____ (Abs. 5) ____ ____ 1. Einführung. Bei der Reform des Zustellungsrechts von 2008 (vgl. Rdn. 1) wurde ____der vormalige § 183 Abs. 3 durch die Regelung in Abs. 5 ersetzt. Dabei wurde die Bezug____nahme auf die vormalige Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung ____gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den ____Mitgliedstaaten vom 29. Mai 200095 (EuZVO) durch die Bezugnahme auf ihre Nachfolge____regelung, die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Ra____tes vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher ____Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung ____der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (die nunmehrige EU-Schriftstücke-ZustellungsVO),96 ____in Gänze ersetzt.97 Der ausdrückliche Wortlaut lässt die Vorschriften der EU-Schriftstü____cke-ZustellungsVO vom sonstigen in § 183 geregelten internationalen Zustellungsrecht ____unberührt. Damit wird der ohnehin bestehende Vorrang der EU-Schriftstücke-Zustel____lungsVO (zu Konkurrenzfragen vgl. Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 5 ff.) bekräftigt. Auch die ____Anwendung des § 184 scheidet dann aus (vgl. § 184 Rdn. 17). Zum Anwendungsbereich ____vgl. unten Rdn. 61. ____ Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO wurde insbesondere auf der Grundlage der ____Art. 61 lit. c, 67 Abs. 5 zweiter Spiegelstrich EGV erlassen. Durchführungsbestimmun____gen wurden in §§ 1067 bis 1069 ZPO aufgenommen. Die Vorschriften der ZRHO (vgl. Vor ____§§ 183, 184 Rdn. 9, Text im Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 68) wurden entsprechend ange____passt.98 Zu den Einzelheiten vgl. unten Rdn. 61. ____ Inhaltlich dient die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO wie bereits die EuZVO dazu, ____das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, indem durch mög____lichst einfache Übermittlungsverfahren grenzüberschreitende gerichtliche Verfahren ____schnell und wirksam betrieben werden können, ohne das erforderliche Maß an Sicher____heit für die Beteiligten zu beeinträchtigen.99 Sie bringt im Einzelnen erhebliche Erleich____terungen mit sich, indem sie die Möglichkeit der Zustellung unmittelbar durch die Post ____(Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO) und die unmittelbare Zustellung (Art. 15 EU____Schriftstücke-ZustellungsVO) zulässt. Auch wird die Unwirksamkeitsfolge der Zustellung ____ ____ ____94 Vgl. Geimer IZPR Rdn. 2141; Zöller/Geimer Rdn. 38. ____95 ABlEG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 37; vgl. zum Überblick Heß NJW 2001, 15 ff. und NJW 2002, 2417, 2422 ff.; Jastrow NJW 2002, 3382 ff. und IPRax 2004, 11 ff.; Lindacher ZZP 114 (2001), 179 ff. Ausführliche ____Kommentierungen finden sich bei Geimer/Schütze/Geimer EuZVR unter A.3.; vgl. auch die ____Kommentierung von Schlosser EuZPR. ____96 ABlEU Nr. L 324 v. 10.12.2007, S. 79. ____97 Vgl. Erwägungsgrund 27 der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 20. ____98 Vgl. Jastrow IPRax 2004, 11, 13. ____99 Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 2 und 6 bis 10 zur EuZVO, ABlEG Nr. L 160, S. 37 f.; vgl. auch ____Rauscher/Heiderhoff Vorbem. EG-ZustellVO Rdn. 6.

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_____bei mangelnder erforderlicher Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks zugunsten _____einer flexiblen und eher restriktiven100 Annahmeverweigerungslösung vermieden (Art. 5, _____8 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Der Beschleunigungszweck soll durch Vorschriften _____gefördert werden, welche entsprechende Anreize für die Ausführenden setzen (z.B. Art. 4 _____Abs. 1, 6 Abs. 1). Zudem wird anders als bei den meisten grenzüberschreitend wirken_____den Regelungen auf einen ordre public-Vorbehalt verzichtet.101 Allerdings hält auch die _____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO teilweise am hergebrachten, eher schwerfälligen System _____der Rechtshilfeersuchen fest, wie es auch das HZÜ (vgl. Anhang zu §§ 183, 184) be_____herrscht.102 _____ 59 Die EuZVO wurde deshalb und aus weiteren Gründen oft als halbherzig und in wich_____tigen Teilen als reformbedürftig eingestuft.103 Nach Evaluationsmaßnahmen entschloss _____sich der EU-Verordnungsgeber, im der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO einige wesentli_____che Erleichterungen im Vergleich zur EuZVO durchzusetzen, etwa Maßnahmen der De_____zentralisierung und Einschränkungen nationaler Vorbehalte gegen erleichterte Zustel_____lungsformen sowie Klarstellungen in besonders praxisrelevanten Bereichen wie Fragen _____der Übersetzung bzw. des Annahmeverweigerungsrechts und von Fristen (Artt. 8, 9 EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO), teils im Umsetzung entsprechender Entscheidungen des _____EuGH.104 Auch wurden die Kosten faktisch gesenkt.105 Einzelheiten finden sich in den _____Erläuterungen (Rdn. 61 ff.). Auf die Kommentierung der EuZVO, welche schon seit 4 Jah_____ren in Gänze außer Kraft ist, wird hier verzichtet (vgl. hierzu die 3. Aufl. § 183 Rdn. 61 ff.). _____Soweit die Normen inhaltlich unverändert geblieben sind, wird die zu ihnen ergangene _____Rechtsprechung und über sie verfasste Literatur für die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO _____weiterhin berücksichtigt. _____ _____ 2. Text der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO sowie der Durchführungsnormen in _____ §§ 1067 bis 1069 (in Kursivschrift) _____ _____ 60 DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT _____ DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäi_____schen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 61 Buchstabe c und Artikel 67 Absatz 5 _____zweiter Gedankenstrich, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Euro_____päischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,106 gemäß dem Verfahren des Artikels 251 _____des Vertrags,107 in Erwägung nachstehender Gründe: _____ (1) Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und _____des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiter_____ _____ _____100 Vgl. Erwägungsgrund 8 zur EuZVO, ABlEG Nr. L 160, S. 37; Schlosser EUZPR Vorbemerkungen zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO. _____101 Vgl. schon zur EuZVO Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 184; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 _____Rdn. 10 und Art. 6 Rdn. 2; Schlosser EUZPR Vorbemerkungen zur EuZVO. _____102 Vgl. Zöller/Geimer Anh II EG-VO-Zustellung Art. 1 Rdn. 5 f.; zu den Gemeinsamkeiten zwischen HZÜ _____und EuZVO und den Neuerungen der EuZVO den Überblick bei Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 183 ff. _____103 Vgl. nur Heß NJW 2002, 2417, 2422 ff.; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 3 ff.; etwas positiver Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 183 ff., 192 ff.; Jastrow NJW 2002, 3382 ff. Vgl. nun auch den Bericht der _____Kommission vom 1.10.2004 (Fn. 71) unter 2. _____104 Vgl. zu alledem etwa den Überblick bei Sujecki NJW 2008, 1628 ff. _____105 Zu den intendierten Verbesserungen vgl. die Erwägungsgründe (insbes. Nrn. 5 ff.) zur EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO. 106 ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 7. _____107 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 4. Juli 2006 (ABl. C 303 E vom 13.12.2006, S. 69), _____Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 28. Juni 2007 (ABl. C 193 E vom 21.8.2007, S. 13) und Standpunkt _____des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 2007.

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____zuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau dieses Raums erlässt die Gemeinschaft unter ____anderem im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die für das reibungs____lose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Maßnahmen. ____ (2) Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts muss die Übermittlung ge____richtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in ei____nem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten ver____bessert und beschleunigt werden. ____ (3) Der Rat hat mit Rechtsakt vom 26. Mai 1997107a ein Übereinkommen über die Zu____stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen ____in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erstellt und das Übereinkommen den ____Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfoh____len. Dieses Übereinkommen ist nicht in Kraft getreten. Die bei der Aushandlung dieses ____Übereinkommens erzielten Ergebnisse sind zu wahren. Daher übernimmt die Verord____nung weitgehend den wesentlichen Inhalt des Übereinkommens. ____ (4) Am 29. Mai 2000 hat der Rat die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustel____lung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in ____den Mitgliedstaaten108 angenommen. Der wesentliche Inhalt des Übereinkommens hat in ____jene Verordnung Eingang gefunden. ____ (5) Am 1. Oktober 2004 hat die Kommission einen Bericht über die Anwendung der ____Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 angenommen. Diesem Bericht zufolge hat sich die ____Übermittlung und Zustellung von Schriftstücken in den Mitgliedstaaten seit Anwendung ____der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 im Allgemeinen verbessert und beschleunigt, doch ____werden bestimmte Vorschriften nicht gänzlich zufrieden stellend angewandt. ____ (6) Die Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren in Zivilsachen ____setzt voraus, dass die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke ____unmittelbar und auf schnellstmöglichem Wege zwischen den von den Mitgliedstaaten ____benannten örtlichen Stellen erfolgt. Die Mitgliedstaaten dürfen erklären, dass sie nur ____eine Übermittlungs- oder Empfangsstelle oder eine Stelle, die beide Funktionen zugleich ____wahrnimmt, für einen Zeitraum von fünf Jahren benennen wollen. Diese Benennung ____kann jedoch alle fünf Jahre erneuert werden. ____ (7) Eine schnelle Übermittlung erfordert den Einsatz aller geeigneten Mittel, wobei ____bestimmte Anforderungen an die Lesbarkeit und die Originaltreue des empfangenen ____Schriftstücks zu beachten sind. Zur Sicherstellung der Übermittlung muss das zu über____mittelnde Schriftstück mit einem Formblatt versehen sein, das in der Amtssprache oder ____einer der Amtssprachen des Ortes auszufüllen ist, an dem die Zustellung erfolgen soll, ____oder in einer anderen vom Empfängerstaat anerkannten Sprache. ____ (8) Diese Verordnung sollte nicht für die Zustellung eines Schriftstücks an den Be____vollmächtigten einer Partei in dem Mitgliedstaat gelten, in dem das Verfahren anhängig ____ist, unabhängig davon, wo die Partei ihren Wohnsitz hat. ____ (9) Die Zustellung eines Schriftstücks sollte so bald wie möglich, in jedem Fall aber ____innerhalb eines Monats nach Eingang bei der Empfangsstelle erfolgen. ____ (10) Um die Wirksamkeit dieser Verordnung zu gewährleisten, sollte die Möglich____keit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, auf Ausnahmefälle beschränkt ____werden. ____ ____ ____ 107a ABl. C 261 vom 27.8.1997, S. 1. Der Rat hat am Tag der Fertigstellung des Übereinkommens von dem ____erläuternden Bericht zu diesem Übereinkommen Kenntnis genommen. Dieser erläuternde Bericht ist auf ____Seite 26 des vorstehenden Amtsblatts enthalten. ____108 ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 37.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ (11) Um die Übermittlung und Zustellung von Schriftstücken zwischen den Mitglied_____staaten zu erleichtern, sollten die in den Anhängen dieser Verordnung enthaltenen _____Formblätter verwendet werden. _____ (12) Die Empfangsstelle sollte den Zustellungsempfänger schriftlich unter Verwen_____dung des Formblatts darüber belehren, dass er die Annahme des Schriftstücks bei der _____Zustellung oder dadurch verweigern darf, dass er das Schriftstück binnen einer Woche _____an die Empfangsstelle zurücksendet, wenn es nicht in einer Sprache, die er versteht, _____oder in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Zustellungsortes abgefasst ist. _____Diese Regel sollte auch für später erfolgende Zustellungen gelten, wenn der Empfänger _____sein Verweigerungsrecht ausgeübt hat. Diese Verweigerungsregeln sollten auch für die _____Zustellung durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen, die Zustellung _____durch Postdienste oder die unmittelbare Zustellung gelten. Die Zustellung eines Schrift_____stücks, dessen Annahme verweigert wurde, an den Zustellungsempfänger sollte durch _____die Zustellung einer Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks an den Zustellungs_____empfänger bewirkt werden können. _____ (14) Die Empfangsstelle sollte auch in den Fällen weiterhin alle für die Zustellung _____des Schriftstücks erforderlichen Schritte unternehmen, in denen es nicht möglich war, _____die Zustellung des Schriftstücks innerhalb eines Monats zu bewirken, beispielsweise weil _____der Beklagte urlaubsbedingt nicht zuhause war oder sich aus dienstlichen Gründen nicht _____in seinem Büro aufhielt. Die Übermittlungsstelle sollte jedoch zur Vermeidung einer un_____befristeten Pflicht der Empfangsstelle, Schritte zur Zustellung des Schriftstücks zu un_____ternehmen, in dem Formblatt eine Frist festlegen können, nach deren Ablauf die Zustel_____lung nicht mehr erforderlich ist. _____ (15) Aufgrund der verfahrensrechtlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten _____bestimmt sich der Zustellungszeitpunkt in den einzelnen Mitgliedstaaten nach unter_____schiedlichen Kriterien. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der möglicherweise _____daraus entstehenden Schwierigkeiten sollte diese Verordnung deshalb eine Regelung _____vorsehen, nach der sich der Zustellungszeitpunkt nach dem Recht des Empfangsmit_____gliedstaats bestimmt. _____ Muss jedoch nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer _____bestimmten Frist zugestellt werden, so sollte im Verhältnis zum Antragsteller als Datum _____der Zustellung das Datum gelten, das sich aus dem Recht dieses Mitgliedstaats ergibt. _____Diese Regelung des doppelten Datums besteht nur in einer begrenzten Zahl von Mit_____gliedstaaten. Diejenigen Mitgliedstaaten, die diese Regelung anwenden, sollten dies der _____Kommission mitteilen, die diese Information im Amtsblatt der Europäischen Union ver_____öffentlichen und über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, das _____durch die Entscheidung 2001/470/EG des Rates109 eingerichtet worden ist, zugänglich _____machen sollte. _____ (16) Um den Zugang zum Recht zu erleichtern, sollten die Kosten, die dadurch ent_____stehen, dass bei der Zustellung eine Amtsperson oder eine andere nach dem Recht des _____Empfangsmitgliedstaats zuständige Person mitwirkt, einer von diesem Mitgliedstaat _____nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung im Voraus _____festgesetzten einheitlichen Festgebühr entsprechen. Das Erfordernis einer einheitlichen _____Festgebühr sollte nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Mitgliedstaaten unter_____schiedliche Festgebühren für unterschiedliche Arten der Zustellung festlegen, sofern sie _____diese Grundsätze beachten. _____ _____ _____ _____109 ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 25.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ (17) Es sollte jedem Mitgliedstaat freistehen, Personen, die ihren Wohnsitz in einem ____anderen Mitgliedstaat haben, Schriftstücke unmittelbar durch Postdienste per Ein____schreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg zustellen zu lassen. ____ (18) Jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte sollte Schriftstücke unmittel____bar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmit____gliedstaats zustellen lassen können, wenn eine solche unmittelbare Zustellung nach ____dem Recht dieses Mitgliedstaats zulässig ist. ____ (19) Die Kommission sollte ein Handbuch mit Informationen zur ordnungsgemäßen ____Anwendung dieser Verordnung erstellen, das über das Europäische Justizielle Netz für ____die Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen zugänglich gemacht werden sollte. Die ____Kommission und die Mitgliedstaaten sollten ihr Möglichstes tun, um sicherzustellen, ____dass diese Informationen aktuell und vollständig sind, insbesondere hinsichtlich der ____Kontaktinformationen zu den Empfangs- und den Übermittlungsstellen. ____ (20) Die Berechnung der in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen und Termine ____sollte nach Maßgabe der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni ____1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine110 erfolgen. ____ (21) Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten ____gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Mo____dalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnis____se111 erlassen werden. ____ (22) Der Kommission sollte insbesondere die Befugnis zur Aktualisierung oder tech____nischen Anpassung der Formblätter in den Anhängen übertragen werden. Da es sich bei ____diesen Maßnahmen um Maßnahmen von allgemeiner Tragweite zur Änderung bzw. ____Streichung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung handelt, müssen sie ____nach Artikel 5 a des Beschlusses 1999/468/EG im Regelungsverfahren mit Kontrolle er____lassen werden. ____ (23) In den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien der von ____den Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen oder multilateralen Übereinkünfte oder ____Vereinbarungen sind, insbesondere des Protokolls zum Brüsseler Übereinkommen vom ____27. September 1968112 und des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965,113 hat ____diese Verordnung in ihrem Anwendungsbereich Vorrang vor den Bestimmungen der ____Übereinkünfte oder Vereinbarungen mit demselben Anwendungsbereich. Es steht den ____Mitgliedstaaten frei, Übereinkünfte oder Vereinbarungen zur Beschleunigung oder Ver____einfachung der Übermittlung von Schriftstücken beizubehalten oder zu schließen, sofern ____diese Übereinkünfte oder Vereinbarungen mit dieser Verordnung vereinbar sind. ____ (24) Die nach dieser Verordnung übermittelten Daten sollten angemessen geschützt ____werden. Diese Frage wird durch die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments ____und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbei____tung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr114 und die Richtlinie 2002/ ____58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbei____ ____ ____110 ABl. L 124 vom 8.6.1971, S. 1. 111 ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23. Geändert durch den Beschluss 2006/512/EG (ABl. L 200 vom ____22.7.2006, S. 11). ____112 Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die ____Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 299 vom 31.12.1972, ____S. 32. Konsolidierte Fassung im ABl. C 27 vom 26.1.1998, S. 1). 113 Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und ____außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen. ____114 ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31. Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom ____31.10.2003, S. 1).

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____tung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Tele_____kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation)115 geregelt. _____ (25) Spätestens am 1. Juni 2011 und danach alle fünf Jahre sollte die Kommission die _____Anwendung der Verordnung prüfen und gegebenenfalls erforderliche Änderungen vor_____schlagen. _____ (26) Da die Ziele dieser Verordnung auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend _____erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen besser _____auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit _____dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Ent_____sprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit _____geht diese Verordnung nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hi_____naus. _____ (27) Im Interesse einer besseren Übersicht und Verständlichkeit sollte die Verord_____nung (EG) Nr. 1348/2000 aufgehoben und durch die vorliegende Verordnung ersetzt _____werden. _____ (28) Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag _____zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position _____des Vereinigten Königreichs und Irlands beteiligen sich das Vereinigte Königreich und _____Irland an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung. _____ (29) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und _____dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über _____die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verord_____nung, die für Dänemark nicht bindend oder anwendbar ist — _____ HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN: _____ _____ Kapitel I. Allgemeine Bestimmungen _____ _____ Art. 1. Anwendungsbereich _____ _____ (1) Diese Verordnung ist in Zivil- oder Handelssachen anzuwenden, in denen ein ge_____richtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitglied_____staat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist. _____ Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Ange_____legenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rah_____men der Ausübung hoheitlicher Rechte („acta iure imperii“). _____ (2) Diese Verordnung findet keine Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers _____des Schriftstücks unbekannt ist. _____ (3) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ alle Mitglied_____staaten mit Ausnahme Dänemarks. _____ _____ Art. 2. Übermittlungs- und Empfangsstellen _____ _____ (1) Jeder Mitgliedstaat benennt die Behörden, Amtspersonen oder sonstigen Perso_____nen, die für die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, die in _____einem anderen Mitgliedstaat zuzustellen sind, zuständig sind, im folgenden „Übermitt_____lungsstellen“ genannt. _____ _____ _____115 ABl. L 201 vom 31.7.2002, S. 37. Geändert durch die Richtlinie 2006/24/EG (ABl. L 105 vom 13.4.2006, _____S. 54).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ (2) Jeder Mitgliedstaat benennt die Behörden, Amtspersonen oder sonstigen Perso____nen, die für die Entgegennahme gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke aus ____einem anderen Mitgliedstaat zuständig sind, im folgenden „Empfangsstellen“ genannt. ____ (3) Die Mitgliedstaaten können entweder eine Übermittlungsstelle und eine Emp____fangsstelle oder eine Stelle für beide Aufgaben benennen. Bundesstaaten, Staaten mit ____mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen Gebietskörperschaften können ____mehrere derartige Stellen benennen. Diese Benennung ist für einen Zeitraum von fünf ____Jahren gültig und kann alle fünf Jahre erneuert werden. ____ (4) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission folgende Angaben mit: ____ a) die Namen und Anschriften der Empfangsstellen nach den Absätzen 2 und 3, ____ b) den Bereich, für den diese örtlich zuständig sind, ____ c) die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Empfang von Schrift____stücken und ____ d) die Sprachen, in denen das Formblatt im Anhang I ausgefüllt werden darf. ____ Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede Änderung dieser Angaben mit. ____ ____ § 1069 Zuständigkeiten nach der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 ____ ____ (1) Für Zustellungen im Ausland sind als deutsche Übermittlungsstelle im Sinne von Ar____tikel 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 zuständig: ____1. für gerichtliche Schriftstücke das die Zustellung betreibende Gericht und ____2. für außergerichtliche Schriftstücke dasjenige Amtsgericht, in dessen Bezirk die Person, ____ welche die Zustellung betreibt, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; bei ____ notariellen Urkunden auch dasjenige Amtsgericht, in dessen Bezirk der beurkundende ____ Notar seinen Amtssitz hat; bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Wohnsitzes ____ oder des gewöhnlichen Aufenthalts der Sitz; die Landesregierungen können die Aufga____ ben der Übermittlungsstelle einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte ____ durch Rechtsverordnung zuweisen. ____ (2) Für Zustellungen in der Bundesrepublik Deutschland ist als deutsche Empfangsstel____le im Sinne von Artikel 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 dasjenige Amtsgericht ____zuständig, in dessen Bezirk das Schriftstück zugestellt werden soll. Die Landesregierungen ____können die Aufgaben der Empfangsstelle einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer ____Amtsgerichte durch Rechtsverordnung zuweisen. ____ (3) Text bei Art. 3 EuZVO) ____ (4) Die Landesregierungen können die Befugnis zum Erlass einer Rechtsverordnung ____nach Absatz 1 Nr. 2, Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1 einer obersten Landesbehörde ____übertragen. ____ ____ Art. 3. Zentralstelle ____ ____ Jeder Mitgliedstaat benennt eine Zentralstelle, die ____ a) den Übermittlungsstellen Auskünfte erteilt; ____ b) nach Lösungswegen sucht, wenn bei der Übermittlung von Schriftstücken zum ____Zwecke der Zustellung Schwierigkeiten auftreten; ____ c) in Ausnahmefällen auf Ersuchen einer Übermittlungsstelle einen Zustellungsan____trag an die zuständige Empfangsstelle weiterleitet. ____ Bundesstaaten, Staaten mit mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen ____Gebietskörperschaften können mehrere Zentralstellen benennen. ____ ____ 599

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 1069 Zuständigkeiten nach der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 _____ _____ (Text der Absätze 1, 2 und 4 bei Art. 2 EuZVO) _____ (3) Die Landesregierungen bestimmen durch Rechtsverordnung die Stelle, die in dem _____jeweiligen Land als deutsche Zentralstelle im Sinne von Artikel 3 Satz 1 der Verordnung _____(EG) Nr. 1393/2007 zuständig ist. Die Aufgaben der Zentralstelle können in jedem Land nur _____einer Stelle zugewiesen werden. _____ _____ _____ Kapitel II. Gerichtliche Schriftstücke _____ _____ Abschnitt 1. Übermittlung und Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken _____ _____ Art. 4. Übermittlung von Schriftstücken _____ _____ (1) Gerichtliche Schriftstücke sind zwischen den nach Artikel 2 benannten Stellen _____unmittelbar und so schnell wie möglich zu übermitteln. _____ (2) Die Übermittlung von Schriftstücken, Anträgen, Zeugnissen, Empfangsbestäti_____gungen, Bescheinigungen und sonstigen Dokumenten zwischen den Übermittlungs- und _____Empfangsstellen kann auf jedem geeigneten Übermittlungsweg erfolgen, sofern das _____empfangene Dokument mit dem versandten Dokument inhaltlich genau übereinstimmt _____und alle darin enthaltenen Angaben mühelos lesbar sind. _____ (3) Dem zu übermittelnden Schriftstück ist ein Antrag beizufügen, der nach dem _____Formblatt in Anhang I erstellt wird. Das Formblatt ist in der Amtssprache des Empfangs_____mitgliedstaats oder, wenn es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der _____Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, _____oder in einer sonstigen Sprache, die der Empfangsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufül_____len. Jeder Mitgliedstaat gibt die Amtssprache oder die Amtssprachen der Organe der Euro_____päischen Union an, die er außer seiner oder seinen eigenen Amtssprache(n) für die Ausfül_____lung des Formblatts zulässt. _____ (4) Die Schriftstücke sowie alle Dokumente, die übermittelt werden, bedürfen weder _____der Beglaubigung noch einer anderen gleichwertigen Formalität. _____ (5) Wünscht die Übermittlungsstelle die Rücksendung einer Abschrift des Schrift_____stücks zusammen mit der Bescheinigung nach Artikel 10, so übermittelt sie das betref_____fende Schriftstück in zweifacher Ausfertigung. _____ _____ Art. 5. Übersetzung der Schriftstücke _____ _____ (1) Der Antragsteller wird von der Übermittlungsstelle, der er das Schriftstück zum _____Zweck der Übermittlung übergibt, davon in Kenntnis gesetzt, dass der Empfänger die _____Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer der in Artikel 8 ge_____nannten Sprachen abgefasst ist. _____ (2) Der Antragsteller trägt etwaige vor der Übermittlung des Schriftstücks anfallende _____Übersetzungskosten unbeschadet einer etwaigen späteren Kostenentscheidung des zu_____ständigen Gerichts oder der zuständigen Behörde. _____ _____ Art. 6. Entgegennahme der Schriftstücke durch die Empfangsstelle _____ _____ (1) Nach Erhalt des Schriftstücks übersendet die Empfangsstelle der Übermittlungs_____stelle auf schnellstmöglichem Wege und so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerRohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____halb von sieben Tagen nach Erhalt des Schriftstücks, eine Empfangsbestätigung unter ____Verwendung des Formblatts im Anhang I. ____ (2) Kann der Zustellungsantrag aufgrund der übermittelten Angaben oder Dokumen____te nicht erledigt werden, so nimmt die Empfangsstelle auf schnellstmöglichem Wege ____Verbindung zu der Übermittlungsstelle auf, um die fehlenden Angaben oder Schriftstü____cke zu beschaffen. ____ (3) Fällt der Zustellungsantrag offenkundig nicht in den Anwendungsbereich dieser ____Verordnung oder ist die Zustellung wegen Nichtbeachtung der erforderlichen Formvor____schriften nicht möglich, sind der Zustellungsantrag und die übermittelten Schriftstücke ____sofort nach Erhalt unter Verwendung des Formblatts in Anhang I an die Übermittlungs____stelle zurückzusenden. ____ (4) Eine Empfangsstelle, die ein Schriftstück erhält, für dessen Zustellung sie örtlich ____nicht zuständig ist, leitet dieses Schriftstück zusammen mit dem Zustellungsantrag an die ____örtlich zuständige Empfangsstelle in demselben Mitgliedstaat weiter, sofern der Antrag den ____Voraussetzungen in Artikel 4 Absatz 3 entspricht; sie setzt die Übermittlungsstelle unter ____Verwendung des Formblatts im Anhang I davon in Kenntnis. Die örtlich zuständige Emp____fangsstelle teilt der Übermittlungsstelle gemäß Absatz 1 den Eingang des Schriftstücks mit. ____ ____ Art. 7. Zustellung der Schriftstücke ____ ____ (1) Die Zustellung des Schriftstücks wird von der Empfangsstelle bewirkt oder veran____lasst, und zwar entweder nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in einem von ____der Übermittlungsstelle gewünschten besonderen Verfahren, sofern dieses Verfahren mit ____dem Recht des Empfangsmitgliedstaats vereinbar ist. ____ (2) Die Empfangsstelle unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Zustellung ____des Schriftstücks so rasch wie möglich, in jedem Fall jedoch binnen einem Monat nach ____Eingang auszuführen. ____ Konnte die Zustellung nicht binnen einem Monat nach Eingang vorgenommen wer____den, verfährt die Empfangsstelle wie folgt: ____ a) Sie teilt dies der Übermittlungsstelle unverzüglich unter Verwendung der Be____scheinigung mit, die in dem Formblatt in Anhang I vorgesehen und gemäß Artikel 10 ____Absatz 2 auszufüllen ist, und ____ b) Sie unternimmt weiterhin, sofern die Übermittlungsstelle nichts anderes angibt, ____alle für die Zustellung des Schriftstücks erforderlichen Schritte, falls die Zustellung in____nerhalb einer angemessenen Frist möglich scheint. ____ ____ § 1068 Zustellung durch die Post ____ ____ Text von Abs. 1 bei Art. 14 EuZVO ____ (2) Ein Schriftstück, dessen Zustellung eine deutsche Empfangsstelle im Rahmen von ____Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 zu bewirken oder zu veranlassen hat, kann ____ebenfalls durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. ____ ____ Art. 8. Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks ____ ____ (1) Die Empfangsstelle setzt den Empfänger unter Verwendung des Formblatts in ____Anhang II davon in Kenntnis, dass er die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks bei ____der Zustellung verweigern oder das Schriftstück der Empfangsstelle binnen einer Woche ____zurücksenden darf, wenn das Schriftstück nicht in einer der folgenden Sprachen abge____fasst oder keine Übersetzung in einer der folgenden Sprachen beigefügt ist: 601

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ a) einer Sprache, die der Empfänger versteht, oder _____ b) der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmit_____gliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen _____des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll. _____ (2) Wird der Empfangsstelle mitgeteilt, dass der Empfänger die Annahme des _____Schriftstücks gemäß Absatz 1 verweigert hat, so setzt sie die Übermittlungsstelle un_____ter Verwendung der Bescheinigung nach Artikel 10 unverzüglich davon in Kenntnis _____und sendet den Antrag sowie die Schriftstücke, um deren Übersetzung ersucht wird, zu_____rück. _____ (3) Hat der Empfänger die Annahme des Schriftstücks gemäß Absatz 1 verweigert, _____kann die Zustellung dadurch bewirkt werden, dass dem Empfänger im Einklang mit dieser _____Verordnung das Dokument zusammen mit einer Übersetzung des Schriftstücks in eine der _____in Absatz 1 vorgesehenen Sprachen zugestellt wird. In diesem Fall ist das Datum der Zu_____stellung des Schriftstücks das Datum, an dem die Zustellung des Dokuments zusammen _____mit der Übersetzung nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats bewirkt wird. Muss je_____doch nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten _____Frist zugestellt werden, so ist im Verhältnis zum Antragsteller als Datum der Zustellung _____der nach Artikel 9 Absatz 2 ermittelte Tag maßgeblich, an dem das erste Schriftstück zu_____gestellt worden ist. _____ (4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für die Übermittlung und Zustellung gerichtli_____cher Schriftstücke nach Abschnitt 2. _____ (5) Für die Zwecke von Absatz 1 gilt Folgendes: Erfolgt die Zustellung gemäß Arti_____kel 13 durch diplomatische oder konsularische Vertretungen bzw. gemäß Artikel 14 _____durch eine Behörde oder Person, so setzen die diplomatischen oder konsularischen Ver_____tretungen bzw. die zustellende Behörde oder Person den Empfänger davon in Kenntnis, _____dass er die Annahme des Schriftstücks verweigern darf und dass Schriftstücke, deren _____Annahme verweigert wurden, diesen Vertretungen bzw. dieser Behörde oder Person zu _____übermitteln sind. _____ _____ Art. 9. Datum der Zustellung _____ _____ (1) Unbeschadet des Artikels 8 ist für das Datum der nach Artikel 7 erfolgten Zustel_____lung eines Schriftstücks das Recht des Empfangsmitgliedstaats maßgeblich. _____ (2) Muss jedoch nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück _____ innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden, so ist im Verhältnis zum An_____tragsteller als Datum der Zustellung der Tag maßgeblich, der sich aus dem Recht dieses _____Mitgliedstaats ergibt. _____ (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für die Übermittlung und Zustellung gerichtli_____cher Schriftstücke nach Abschnitt 2. _____ _____ Art. 10. Bescheinigung über die Zustellung und Abschrift des zugestellten _____ Schriftstücks _____ _____ (1) Nach Erledigung der für die Zustellung des Schriftstücks vorzunehmenden _____Schritte wird nach dem Formblatt im Anhang eine entsprechende Bescheinigung ausge_____stellt, die der Übermittlungsstelle übersandt wird. Bei Anwendung von Artikel 4 Absatz 5 _____wird der Bescheinigung eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks beigefügt. _____ (2) Die Bescheinigung ist in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des _____Übermittlungsmitgliedstaats oder in einer sonstigen Sprache, die der Übermittlungsmit_____gliedstaat zugelassen hat, auszustellen. Jeder Mitgliedstaat gibt die Amtssprache oder Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____die Amtssprachen der Organe der Europäischen Union an, die er außer seiner oder sei____nen eigenen Amtssprache(n) für die Ausfüllung des Formblatts zulässt. ____ ____ Art. 11. Kosten der Zustellung ____ ____ (1) Für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke aus einem anderen Mitgliedstaat ____darf keine Zahlung oder Erstattung von Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit des ____Empfangsmitgliedstaats verlangt werden. ____ (2) Der Antragsteller hat jedoch die Auslagen zu zahlen oder zu erstatten, die da____durch entstehen, ____ a) dass bei der Zustellung eine Amtsperson oder eine andere nach dem Recht des ____Empfangsmitgliedstaats zuständige Person mitwirkt; ____ b) dass ein besonderes Verfahren der Zustellung gewählt wird. ____ Auslagen, die dadurch entstehen, dass bei der Zustellung eine Amtsperson oder eine ____andere nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats zuständige Person mitwirkt, müs____sen einer von diesem Mitgliedstaat nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und ____der Nichtdiskriminierung im Voraus festgesetzten einheitlichen Festgebühr entsprechen. ____Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die jeweiligen Festgebühren mit. ____ ____ Abschnitt 2. Andere Arten der Übermittlung und Zustellung gerichtlicher ____ Schriftstücke ____ ____ Art. 12. Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Weg ____ ____ Jedem Mitgliedstaat steht es in Ausnahmefällen frei, den nach Artikel 2 oder Arti____kel 3 benannten Stellen eines anderen Mitgliedstaats gerichtliche Schriftstücke zum ____Zweck der Zustellung auf konsularischem oder diplomatischem Weg zu übermitteln. ____ ____ Art. 13. Zustellung von Schriftstücken durch die diplomatischen oder ____ konsularischen Vertretungen ____ ____ (1) Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen ____Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch seine diplomatischen ____oder konsularischen Vertretungen ohne Anwendung von Zwang zustellen zu lassen. ____ (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 mitteilen, dass er eine solche ____Zustellung in seinem Hoheitsgebiet nicht zulässt, außer wenn das Schriftstück einem ____Staatsangehörigen des Übermittlungsmitgliedstaats zuzustellen ist. ____ ____ § 1067 ZPO Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen ____ ____ Eine Zustellung nach Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen ____Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und ____außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten und ____zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. EU Nr. L 324 S. 79), die in der ____Bundesrepublik Deutschland bewirkt werden soll, ist nur zulässig, wenn der Adressat des ____zuzustellenden Schriftstücks Staatsangehöriger des Übermittlungsstaats ist. ____ ____ ____ ____ 603

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Art. 14. Zustellung durch Postdienste _____ _____ Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen _____Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch Postdienste per Ein_____schreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg zustellen zu lassen. _____ _____ § 1068 Zustellung durch die Post _____ _____ (1) Zum Nachweis der Zustellung nach Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 _____genügt der Rückschein oder der gleichwertige Beleg. _____ (2) Ein Schriftstück, dessen Zustellung eine deutsche Empfangsstelle im Rahmen von _____Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 zu bewirken oder zu veranlassen hat, _____kann ebenfalls durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. _____ _____ Art. 15. Unmittelbare Zustellung _____ _____ Jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte kann gerichtliche Schriftstücke _____unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Emp_____fangsmitgliedstaats zustellen lassen, wenn eine solche unmittelbare Zustellung nach _____dem Recht dieses Mitgliedstaats zulässig ist. _____ _____ Kapitel III. Außergerichtliche Schriftstücke _____ _____ Art. 16. Übermittlung _____ _____ Außergerichtliche Schriftstücke können zum Zweck der Zustellung in einem ande_____ren Mitgliedstaat nach Maßgabe dieser Verordnung übermittelt werden. _____ _____ Kapitel IV. Schlussbestimmungen _____ _____ Art. 17. Durchführungsbestimmungen _____ _____ Die Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Elemente dieser Verordnung wie _____die Aktualisierung oder technische Anpassung der Formblätter in den Anhängen I und II _____werden nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß Artikel 18 Absatz 2 erlas_____sen. _____ _____ Art. 18. Ausschuss _____ _____ (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. _____ (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5 a Absätze 1 bis 4 _____und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. _____ _____ Art. 19. Nichteinlassung des Beklagten _____ _____ (1) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück _____nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu _____übermitteln und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so hat das _____Gericht das Verfahren auszusetzen, bis festgestellt ist, _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ a) dass das Schriftstück in einem Verfahren zugestellt worden ist, die das Recht des ____Empfangsmitgliedstaats für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten ____Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, oder ____ b) dass das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausgehän____digt oder nach einem anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in seiner ____Wohnung abgegeben worden ist, ____ und dass in jedem dieser Fälle das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder ausge____händigt bzw. abgegeben worden ist, dass der Beklagte sich hätte verteidigen können. ____ (2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 mitteilen, dass seine Gerichte ____ungeachtet des Absatzes 1 den Rechtsstreit entscheiden können, auch wenn keine Be____scheinigung über die Zustellung oder die Aushändigung bzw. Abgabe eingegangen ist, ____sofern folgende Voraussetzungen gegeben sind: ____ a) Das Schriftstück ist nach einem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren ____übermittelt worden. ____ b) Seit der Absendung des Schriftstücks ist eine Frist von mindestens sechs Mona____ten verstrichen, die das Gericht nach den Umständen des Falles als angemessen erach____tet. ____ c) Trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden oder Stellen des ____Empfangsmitgliedstaats war eine Bescheinigung nicht zu erlangen. ____ (3) Unbeschadet der Absätze 1 und 2 kann das Gericht in dringenden Fällen einst____weilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen anordnen. ____ (4) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück ____nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu ____übermitteln und ist eine Entscheidung gegen einen Beklagten ergangen, der sich nicht ____auf das Verfahren eingelassen hat, so kann ihm das Gericht in bezug auf Rechtsmittel____fristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen, sofern ____ a) der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schrift____stück erlangt hat, dass er sich hätte verteidigen können, und nicht so rechtzeitig Kennt____nis von der Entscheidung erlangt hat, dass er sie hätte anfechten können, und ____ b) die Verteidigung des Beklagten nicht von vornherein aussichtslos scheint. ____ Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nur innerhalb einer an____gemessenen Frist, nachdem der Beklagte von der Entscheidung Kenntnis erhalten hat, ____gestellt werden. ____ Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 erklären, dass dieser Antrag nach ____Ablauf einer in seiner Mitteilung anzugebenden Frist unzulässig ist; diese Frist muss ____jedoch mindestens ein Jahr ab Erlass der Entscheidung betragen. ____ (5) Absatz 4 gilt nicht für Entscheidungen, die den Personenstand betreffen. ____ ____ Art. 20. Verhältnis zu von den Mitgliedsstaaten geschlossenen Übereinkünften ____ oder Vereinbarungen ____ ____ (1) Die Verordnung hat in ihrem Anwendungsbereich Vorrang vor den Bestimmun____gen, die in den von den Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen oder multilateralen ____Übereinkünften oder Vereinbarungen enthalten sind, insbesondere vor Artikel IV des ____Protokolls zum Brüsseler Übereinkommen von 1968 und vor dem Haager Übereinkom____men vom 15. November 1956. ____ (2) Die Verordnung hindert einzelne Mitgliedstaaten nicht daran, Übereinkünfte ____oder Vereinbarungen zur weiteren Beschleunigung oder Vereinfachung der Übermitt____lung von Schriftstücken beizubehalten oder zu schließen, sofern sie mit dieser Verord____nung vereinbar sind. 605

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ (3) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission _____ a) eine Abschrift der zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünfte _____oder Vereinbarungen nach Absatz 2 sowie Entwürfe dieser von ihnen geplanten Über_____einkünfte oder Vereinbarungen sowie _____ b) jede Kündigung oder Änderung dieser Übereinkünfte oder Vereinbarungen. _____ _____ Art. 21. Prozesskostenhilfe _____ _____ Artikel 23 des Abkommens über den Zivilprozess vom 17. Juli 1905, Artikel 24 des _____Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1. März 1954 und Artikel 13 des Abkommens _____über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten vom 25. Oktober _____1980 bleiben im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten, die Vertragspartei dieser Über_____einkünfte sind, von dieser Verordnung unberührt. _____ _____ Art. 22. Datenschutz _____ _____ (1) Die Empfangsstelle darf die nach dieser Verordnung übermittelten Informationen _____– einschließlich personenbezogener Daten – nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie _____übermittelt wurden. _____ (2) Die Empfangsstelle stellt die Vertraulichkeit derartiger Informationen nach Maß_____gabe ihres nationalen Rechts sicher. _____ (3) Die Absätze 1 und 2 berühren nicht das Auskunftsrecht von Betroffenen über die _____Verwendung der nach dieser Verordnung übermittelten Informationen, das ihnen nach _____dem einschlägigen nationalen Recht zusteht. _____ (4) Die Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG bleiben von dieser Verordnung unbe_____rührt. _____ _____ Art. 23. Mitteilung und Veröffentlichung _____ _____ (1) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Angaben nach den Artikeln 2, 3, 4, _____10, 11, 13, 15 und 19 mit. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, ob nach ihrem _____innerstaatlichen Recht ein Dokument gemäß Artikel 8 Absatz 3 und Artikel 9 Absatz 2 _____innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden muss. _____ (2) Die Kommission veröffentlicht die gemäß Absatz 1 mitgeteilten Angaben im Amts_____blatt der Europäischen Union, mit Ausnahme der Anschriften und sonstigen Kontaktdaten _____der Stellen und der Zentralstellen und ihrer geografischen Zuständigkeitsgebiete. _____ (3) Die Kommission sorgt für die Erstellung und regelmäßige Aktualisierung eines _____Handbuchs, das die Angaben nach Absatz 1 enthält und in elektronischer Form bereitge_____stellt wird, insbesondere über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssa_____chen. _____ _____ Art. 24. Überprüfung _____ _____ Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen _____Wirtschafts- und Sozialausschuss spätestens am 1. Juni 2011 und danach alle fünf Jahre _____einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor, wobei sie insbesondere auf _____die Effizienz der nach Artikel 2 bezeichneten Stellen und die praktische Anwendung des _____Artikels 3 Buchstabe c und des Artikels 9 achtet. Diesem Bericht werden erforderlichen_____falls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung an die Entwicklung der Zustellungs_____systeme beigefügt. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ Art. 25. Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 ____ ____ (1) Die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 wird mit Beginn der Geltung dieser Verord____nung aufgehoben. ____ (2) Jede Bezugnahme auf die aufgehobene Verordnung gilt als Bezugnahme auf die ____vorliegende Verordnung nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III. ____ ____ Art. 26. Inkrafttreten ____ ____ Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amts____blatt der Europäischen Union in Kraft. ____ Sie gilt ab dem 13. November 2008 mit Ausnahme des Artikels 23, der ab dem 13. Au____gust 2008 gilt. ____ Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag ____zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten. ____ ____ Geschehen zu Straßburg am 13. November 2007. ____ ____ Im Namen des Europäischen Parlaments ____ Der Präsident ____ H.-G. PÖTTERING ____ ____ Im Namen des Rates ____ Der Präsident ____ M. LOBO ANTUNES ____ ____ ANHANG I ____ [Zustellung, Empfangsbestätigung, Rücksendung und Weiterleitung von ____ Schriftstücken] ____ ANTRAG AUF ZUSTELLUNG VON SCHRIFTSTÜCKEN ____ ____ (Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 Europäischen Parla____ments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und ____außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaa____ten (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79)) ____ ____Referenznummer: ____ ____1. ÜBERMITTLUNGSSTELLE ____ 1.1. Name/Bezeichnung: ____ 1.2. Anschrift: ____ 1.2.1. Straße + Hausnummer/Postfach: ____ 1.2.2. PLZ + Ort: ____ 1.2.3. Staat: ____ 1.3. Tel.: ____ 1.4. Fax:(*) ____ 1.5. E-Mail:(*) ____ ____ ____(*) Amtl. Anm.: Angabe freigestellt.

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§ 183

_____2. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____3. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____4. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____5. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____6. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____(*)

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

EMPFANGSSTELLE 2.1. Name/Bezeichnung: 2.2. Anschrift: 2.2.1. Straße + Hausnummer/Postfach: 2.2.2. PLZ + Ort: 2.2.3. Staat: 2.3. Tel.: 2.4. Fax:(*) 2.5. E-Mail:(*) ANTRAGSTELLER 3.1. Name/Bezeichnung: 3.2. Anschrift: 3.2.1. Straße + Hausnummer/Postfach: 3.2.2. PLZ + Ort: 3.2.3. Staat: 3.3. Tel.:(*) 3.4. Fax:(*) 3.5. E-Mail:(*) EMPFÄNGER 4.1. Name/Bezeichnung: 4.2. Anschrift: 4.2.1. Straße + Hausnummer/Postfach: 4.2.2. PLZ + Ort: 4.2.3. Staat: 4.3. Tel.:(*) 4.4. Fax:(*) 4.5. E-Mail:(*) 4.6. Personenkennziffer oder Sozialversicherungsnummer oder gleichwertige Kennnummer/Kennnummer des Unternehmens oder gleichwertige Kennnummer:(*) VERFAHREN DER ZUSTELLUNG 5.1. Gemäß den Rechtsvorschriften des Empfangsmitgliedstaats 5.2. Gemäß folgendem besonderen Verfahren: 5.2.1. Falls dieses Verfahren der Zustellung mit dem Recht des Empfangsmitgliedstaats unvereinbar ist, soll die Zustellung nach seinem Recht erfolgen: 5.2.1.1. Ja 5.2.1.2. Nein ZUZUSTELLENDES SCHRIFTSTÜCK a) 6.1. Art des Schriftstücks 6.1.1. gerichtlich: 6.1.1.1. schriftliche Vorladung 6.1.1.2. Urteil 6.1.1.3. Rechtsmittel

_____ Rohe

Amtl. Anm.: Angabe freigestellt.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ 6.1.1.4. sonstige Art: ____ 6.1.2. außergerichtlich ____ b) 6.2. Datum oder Frist, nach dem/der die Zustellung nicht mehr erforderlich ist:(*) ____ … (Tag) … (Monat) … (Jahr) ____ c) 6.3. Sprache des Schriftstücks: ____ 6.3.1. Original BG, ES, CS, DE, ET, El, EN, FR, GA, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, ____ PT, RO, SK, SL, FI, SV, sonstige Sprache: ____ 6.3.2. Übersetzung(*) (BG, ES, CS, DE, ET, El, EN, FR, GA, IT, LV, LT, HU, MT, ____ NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV, sonstige Sprache): ____ d) 6.4. Anzahl der Anlagen: ____ ____7. RÜCKSENDUNG EINER ABSCHRIFT DES SCHRIFTSTÜCKS ZUSAMMEN MIT DER BE____ SCHEINIGUNG ÜBER DIE ZUSTELLUNG (Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) ____ Nr. 1393/2007) ____ 7.1. Ja (in diesem Fall ist das zuzustellende Schriftstück zweifach zu übersenden) ____ 7.2. Nein ____ ____ 1. Nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 + müssen alle für die ____Zustellung erforderlichen Schritte so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb ei____nes Monats nach Eingang des Schriftstücks erfolgen. Ist es nicht möglich gewesen, die ____Zustellung innerhalb eines Monats nach Eingang vorzunehmen, so muss dies der Über____mittlungsstelle durch Angabe in Nummer 13 der Bescheinigung über die Zustellung bzw. ____Nichtzustellung von Schriftstücken mitgeteilt werden. ____ 2. Kann der Antrag anhand der übermittelten Informationen oder Dokumente nicht ____erledigt werden, so müssen Sie nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1393/ ____2007 + auf schnellstmöglichem Wege Verbindung zu der Übermittlungsstelle aufneh____men, um die fehlenden Auskünfte oder Aktenstücke zu beschaffen. ____ ____Geschehen zu: ____am: ____Unterschrift und/oder Stempel: ____Referenznummer der Übermittlungsstelle: ____Referenznummer der Empfangsstelle: ____ ____ EMPFANGSBESTÄTIGUNG ____ ____ (Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Par____laments und des Rates vom 13. November 2001 über die Zustellung gerichtlicher ____und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mit____gliedsstaaten) ____ ____ Diese Bestätigung ist auf schnellstmöglichem Wege und so bald wie möglich, auf je____den Fall aber innerhalb von sieben Tagen nach Eingang des Schriftstücks, zu übermit____teln. ____ ____ ____ ____ ____ ____(*) Amtl. Anm.: Angabe freigestellt.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____8. TAG DES EINGANGS: _____ _____Geschehen zu: _____am: _____Unterschrift und/oder Stempel: _____Referenznummer der Übermittlungsstelle: _____Referenznummer der Empfangsstelle: _____ _____ BENACHRICHTIGUNG ÜBER DIE RÜCKSENDUNG DES ANTRAGS UND DES SCHRIFT_____ STÜCKS _____ _____ (Artikel 6 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Par_____laments und des Rates vom 13. November 2001 über die Zustellung gerichtlicher _____und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mit_____gliedsstaaten (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79)) _____ _____ Der Antrag und das Schriftstück sind sofort nach Erhalt zurückzuschicken. _____ _____9. GRUND FÜR DIE RÜCKSENDUNG: _____ 9.1. Der Antrag fällt offensichtlich nicht in den Anwendungsbereich der Verord_____ nung: _____ 9.1.1. Das Schriftstück betrifft nicht Zivil- oder Handelssachen _____ 9.1.2. Die Zustellung erfolgt nicht von einem Mitgliedstaat in einen anderen _____ Mitgliedstaat _____ 9.2. Aufgrund der Nichtbeachtung der erforderlichen Formvorschriften ist die Zu_____ stellung nicht möglich: _____ 9.2.1. Das Schriftstück ist nicht mühelos lesbar _____ 9.2.2. Die zur Ausfüllung des Formblattes verwendete Sprache ist unzulässig _____ 9.2.3. Das empfangene Schriftstück stimmt mit dem versandten Schriftstück _____ inhaltlich nicht genau überein _____ 9.2.4. Sonstiges (genaue Angaben): _____ 9.3. Die Form der Zustellung ist mit dem Recht des Empfangsmitgliedstaats nicht _____ vereinbar (Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007) _____ _____Geschehen zu: _____am: _____Unterschrift und/oder Stempel: _____Referenznummer der Übermittlungsstelle: _____Referenznummer der Empfangsstelle: _____ _____ BENACHRICHTIGUNG ÜBER DIE WEITERLEITUNG DES ANTRAGS UND DES _____ SCHRIFTSTÜCKS AN DIE ZUSTÄNDIGE EMPFANGSSTELLE _____ _____ (Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Par_____laments und des Rates vom 13. November 2001 über die Zustellung gerichtlicher _____und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mit_____gliedsstaaten (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79)) _____ _____ Der Antrag und das Schriftstück wurden an die folgende, örtlich zuständige Emp_____fangsstelle weitergeleitet: Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____10. Zuständige Empfangsstelle ____ 10.1. Name oder Bezeichnung: ____ 10.2. Anschrift: ____ 10.2.1. Straße + Hausnummer/Postfach: ____ 10.2.2. PLZ + Ort: ____ 10.2.3. Staat: ____ 10.3. Tel.: ____ 10.4. Fax:(*) ____ 10.5. E-Mail:(*) ____ ____Geschehen zu: ____am: ____Unterschrift und/oder Stempel: ____Referenznummer der Übermittlungsstelle: ____Referenznummer der Empfangsstelle: ____ ____ EMPFANGSMITTEILUNG DER ZUSTÄNDIGEN EMPFANGSSTELLE AN ____ DIE ÜBERMITTLUNGSSTELLE ____ ____ (Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Par____ laments und des Rates vom 13. November 2001 über die Zustellung gerichtlicher ____ und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mit____ gliedsstaaten (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79)) ____ ____ Diese Mitteilung ist auf schnellstmöglichem Wege und so bald wie möglich, auf je____ den Fall aber innerhalb von sieben Tagen nach Eingang des Schriftstücks, zu übermit____ teln. ____ ____ 11. TAG DES EINGANGS: ____ ____ Geschehen zu: ____ am: ____ Unterschrift und/oder Stempel: ____ Referenznummer der Übermittlungsstelle: ____ Referenznummer der Empfangsstelle: ____ ____ ____ BESCHEINIGUNG ÜBER DIE ZUSTELLUNG BZW. NICHTZUSTELLUNG VON SCHRIFT____STÜCKEN ____ (Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments ____ und des Rates vom 13. November 2001 über die Zustellung gerichtlicher und au____ ßergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaa____ ten (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79)) ____ ____ Die Schriftstücke werden so rasch wie möglich zugestellt. Konnte die Zustellung ____ nicht binnen einem Monat nach Eingang vorgenommen werden, teilt die Empfangsstelle ____ ____ ____ ____(*) Amtl. Anm.: Angabe freigestellt.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____dies der Übermittlungsstelle mit (gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1393/ _____2007). _____ _____12. DURCHFÜHRUNG DER ZUSTELLUNG _____ a) 12.1. Tag und Ort der Zustellung: _____ b) 12.2. Das Dokument wurde _____ A) 12.2.1. gemäß dem Recht des Empfangsmitgliedstaats zugestellt, und zwar _____ 12.2.1.1. übergeben _____ 12.2.1.1.1. dem Empfänger persönlich _____ 12.2.1.1.2. einer anderen Person _____ 12.2.1.1.2.1. Name _____ 12.2.1.1.2.2. Anschrift _____ 12.2.1.1.2.2.1. Straße + Haus-Nummer/Postfach: _____ 12.2.1.1.2.2.2. PLZ + Ort: _____ 12.2.1.1.2.2.3. Staat: _____ 12.2.1.1.2.3. Beziehung zum Empfänger: _____ Familienangehöriger _____ … Angestellter _____ … Sonstiges … _____ 12.2.1.1.3. am Wohnsitz des Empfängers _____ 12.2.1.2. auf dem Postweg zugestellt _____ 12.2.1.2.1. ohne Empfangsbestätigung _____ 12.2.1.2.2. mit der beigefügten Empfangsbestätigung _____ 12.2.1.2.2.1. des Empfängers _____ 12.2.1.2.2.2. einer anderen Person _____ 12.2.1.2.2.2.1. Name: _____ 12.2.1.2.2.2.2. Anschrift: _____ 12.2.1.2.2.2.2.1. Straße + Haus-Nummer/Postfach _____ 12.2.1.2.2.2.2.2. PLZ + Ort _____ 12.2.1.2.2.2.2.3. Staat: _____ 12.2.1.2.2.2.3. Beziehung zum Empfänger: _____ Familienangehöriger _____ Angestellter _____ Sonstiges _____ 12.2.1.3. auf andere Weise zugestellt (bitte genaue Angabe): _____ B) 12.2.2. in folgender besonderer Form zugestellt (bitte genaue Angabe): _____ c) 12.3. Der Empfänger des Schriftstücks wurde schriftlich davon in Kenntnis _____ gesetzt, dass er die Entgegennahme des Schriftstücks verweigern kann, _____ wenn es weder in einer Sprache, die er versteht, noch in einer Amtsspra_____ che oder einer der Amtssprachen des Zustellungsortes abgefasst ist oder _____ wenn dem Schriftstück keine Übersetzung in einer dieser Sprachen beige_____ fügt ist. _____ _____13. MITTEILUNG GEMÄSS ARTIKEL 7 ABSATZ 2 der Verordnung (EG) 1393/2007 _____ Die Zustellung konnte nicht binnen einem Monat nach Erhalt des Schriftstücks vor_____ genommen werden. _____ _____14. VERWEIGERUNG DER ANNAHME _____ Der Empfänger verweigerte die Annahme des Schriftstücks aufgrund der verwende_____ ten Sprache. Die Schriftstücke sind dieser Bescheinigung beigefügt. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____15. GRUND FÜR DIE NICHTZUSTELLUNG DES SCHRIFTSTÜCKS ____ 15.1. Wohnsitz nicht bekannt ____ 15.2. Empfänger unbekannt ____ 15.3. Das Schriftstück konnte nicht vor dem Datum bzw. innerhalb der Frist nach ____ Nummer 6.2 zugestellt werden ____ 15.4. Sonstiges (bitte angeben): ____ ____ Die Schriftstücke sind dieser Bescheinigung beigefügt. ____ ____Geschehen zu: ____am: ____Unterschrift und/oder Stempel: ____ ____ 3. Erläuterungen ____ ____ a) Anwendungsbereich. Gemäß ihrem Art. 26 trat die EU-Schriftstücke-Zustellungs- 61 ____VO seit dem zwanzigsten Tag nach Veröffentlichung im Amtsblatt (erfolgt am 10.12.2007) ____in Kraft und gilt nach dieser Norm ab dem 13.11.2008 mit Ausnahme des Art. 23, der be____reits ab dem 13.8.2008 gilt. Nach Art. 1 Abs. 3 ist sie in allen Mitgliedstaaten der EU au____ßer Dänemark116 unmittelbar (Art. 26 Satz 3) anwendbar. Jedoch hatte Dänemark durch ____Abkommen von 2005117 die EuZVO, die zuvor ebenfalls unanwendbar war, übernommen; ____gemäß Art. 3 gelten Änderungen für Dänemark nicht automatisch, sie können aber ____übernommen werden. Eine solche Übernahmeerklärung hat Dänemark im Jahre 2008118 ____abgegeben. In ihrem Anwendungsbereich geht die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO – so____weit nichts anderes vereinbart ist – allen anderen bisher bestehenden bilateralen und ____multilateralen Übereinkommen zum Rechtshilfeverkehr vor, insbesondere auch dem ____HZÜ (vgl. Art. 20 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO); allerdings ist es denkbar, dass die ____Anwendungsbereiche sich – trotz vergleichbarer Terminologie – nicht völlig decken und ____insofern ein Restanwendungsbereich der ansonsten verdrängten Übereinkommen ver____bleibt (vgl. auch Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 5 ff.).119 Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ____ist anwendbar auf Zustellungen gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke ____(zur Abgrenzung zu formlosen Mitteilungen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 33 ff.) in Zivil- und ____Handelssachen (Art. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Nicht geregelt wird die Frage, ____in welchen Fällen eine Auslandszustellung erforderlich ist, die Abgrenzung zur Inlands____zustellung bleibt also weiterhin den jeweiligen nationalen Zustellungsvorschriften über____lassen (vgl. Rdn. 64).120 ____ Der Begriff der Zivil- und Handelssachen ist Europäischer Rechtstradition entspre- 62 ____chend autonom auszulegen. Für die Auslegung sind zur Wahrung der Einheitlichkeit ____innerhalb der EU die Maßstäbe heranzuziehen, welche für Art. 1 EuGVVO bzw. die Vor____läuferregelungen in Art. 1 EuGVÜ/LugÜ entwickelt wurden.121 Maßgeblich ist nicht die Zu____ ____ ____116 Vgl. Erwägungsgrund 29 zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO, ABlEG Nr. L 324 v. 10.12.2007 S. 79; § 31 a S. 3 ZRHO; OLG Hamm IPRax 2005, 146, 147; OLG Düsseldorf IPRax 2005, 148 m. Anm. Fogt/Schock ____a.a.O., 118. ____117 Abkommen vom 19.10.2005, ABl. EU Nr. L 300 v. 17.11.2005, S. 555; vgl. Geimer/Schütze EuZVR, ____A 15. ____118 Mitteilung abgedruckt in ABl. EU Nr. L 331 v. 10.12.2008, S. 21. 119 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 25. ____120 Krit. hierzu Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 1 Rdn. 8 m.w.N. ____121 Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 1 Rdn. 2 m.w.N.; Schlosser EUZPR Art. 1 EU____Schriftstücke-ZustellungsVO Rdn. 2; vgl. auch Rauscher/Heiderhoff Vorbem. EG-TZustellVO Rdn. 29 ff.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ordnung des verfahrensbetreibenden Gerichts (z.B. bei Adhäsionsverfahren i.S.v. § 403 _____StPO), sondern die Qualifikation des Verfahrensgegenstandes.122 Nach Abs. 1 Satz 2 sind _____nun ausdrücklich Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie _____Staatshaftungssachen im Hinblick auf Handlungen oder Unterlassung bei hoheitlichem _____Handeln („acta iure imperii“) vom Anwendungsbereich ausgenommen. Amtshaftung_____klagen sind also weiterhin erfasst, soweit nicht hoheitliches Handeln den Gegenstand _____bildet.123 _____ Von der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO erfasst wird die Zustellung von Schriftstü63 _____cken. Angesichts des Vereinfachungszwecks der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist hier _____eine weite Auslegung erforderlich, wie sie in Art. 4 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO an_____gelegt ist. Danach müssen nur inhaltliche Übereinstimmung des empfangenen Doku_____ments mit dem Versandten sowie mühelose Lesbarkeit gewährleistet sein. Dies kann _____auch bei einer zertifizierten Übersendung per E-Mail der Fall sein.124 Das Tatbestands_____merkmal der gerichtlichen Schriftstücke ist weit auszulegen. Es erfasst alle Schriftstü_____cke im Zusammenhang mit Einleitung, Fortführung und Abschluss eines Gerichtsverfah_____rens einschließlich der Zwangsvollstreckung und deren Sicherung durch einstweiligen _____Rechtsschutz.125 Der Begriff der außergerichtlichen Schriftstücke, welche gemäß Art. 16 _____der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO gleichfalls nach Maßgabe der VO übermittelt wer_____den können, ist autonom auszulegen.126 Er beschränkt sich nach Sinn und Zweck der _____Regelung nicht ausschließlich auf Zustellungen im Rahmen gerichtlicher Verfahren, _____sondern kann z.B. auch notariell veranlasste Zustellungen erfassen.127 _____ 64 Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist nur bei grenzüberschreitenden Zustellun_____gen zwischen den Mitgliedstaaten anwendbar, also weder bei Zustellungen in andere _____oder aus anderen als Mitgliedstaaten noch bei rein inländischen Zustellungen. Grds. _____kommt es nicht auf den Wohnsitz bzw. Sitz des Adressaten an, sondern die tatsächliche _____Möglichkeit einer Zustellung nach den Vorschriften des Empfangsstaats. 128 Ob eine _____grenzüberschreitende Zustellung in solchem Sinne vorliegt, bestimmt sich grds. nach _____dem jeweiligen innerstaatlichen Recht (vgl. schon Rdn. 61; zu den Grenzen vgl. Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 22 ff.). _____ Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist nicht anwendbar auf Falllagen der öffentli65 _____chen Zustellung (wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist _____(Art. 1 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Daraus ergibt sich, dass der Empfangs_____mitgliedstaat nicht verpflichtet (wohl aber berechtigt) ist, die Adresse des Adressaten zu _____erforschen.129 In diesen Fällen kommt eine öffentliche Zustellung nach innerstaatlichem _____Recht in Betracht (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 27; § 185 Rdn. 25 ff.). _____ _____ b) Zuständigkeiten. Soweit keine Zustellung durch die Post gemäß Art. 14 EU66 _____Schriftstücke-ZustellungsVO oder unmittelbar im Sinne des Art. 15 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO erfolgt, sind nach der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO zwei Zustellungs_____wege eröffnet: Grundsätzlich erfolgt dann die Zustellung durch Einschaltung von Über_____ _____ _____122 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 23. 123 Vgl. EuGH IPRax 1994, 37, 38 (Rdn. 18 ff.) m. Anm. Heß a.a.O., 10 ff. zur Schadensersatzklage wegen _____Aufsichtspflichtverletzung gegen einen beamteten Lehrer vor einem Strafgericht. _____124 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 4 Rdn. 2; unklar deshalb Geimer a.a.O., Art. 1 Rdn. 36. _____125 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 37. _____126 EuGH NJW 2009, 2513, 2514 f. 127 EuGH NJW 2009, 2513, 2515; vgl. auch Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 16 Rdn. 1 mit _____weiteren Einzelheiten. _____128 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 33. _____129 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 40, 44.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____mittlungs- und Empfangsstellen (Art. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO), in Ausnah____mefällen auch unter Einschaltung einer Zentralstelle durch die Übermittlungsstelle ____(Art. 3 lit. c) EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Für die Anordnung der Auslandszustel____lung verbleibt es bei der allgemeinen Zuständigkeit des Gerichts (ggf. in Verbindung mit ____einem dahingehenden Antrag; vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 41 ff.; oben Rdn. 20 ff.). ____ Die Übermittlungsstellen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO wer- 67 ____den für Deutschland in § 1069 Abs. 1 festgelegt. Danach ist für gerichtliche Schriftstü____cke das die Zustellung betreibende Gericht Übermittlungsstelle (§ 1069 Abs. 1 Nr. 1). ____Innerhalb des Gerichts ist die Geschäftsstelle funktional zuständig.130 Auch bei einer ____möglichen Übermittlung direkt von Gericht zu Gericht bleibt die Funktion der Prüfungs____stellen erhalten, weil die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO nicht das innerstaatliche Ver____hältnis zwischen Justiz und Exekutive mitregelt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 11).131 Für ____außergerichtliche Schriftstücke ist gemäß § 1069 Abs. 1 Nr. 2 dasjenige Amtsgericht ____zuständig, in dessen Bezirk die Person, welche die Zustellung betreibt, ihren Wohnsitz ____oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; bei notariellen Urkunden auch dasjenige Amtsge____richt, in dessen Bezirk der beurkundende Notar seinen Amtssitz hat; bei juristischen Per____sonen tritt an die Stelle des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts der Sitz; die ____Landesregierungen können die Aufgaben der Übermittlungsstelle einem Amtsgericht für ____die Bezirke mehrerer Amtsgerichte durch Rechtsverordnung zuweisen. Die letztgenannte ____Befugnis kann gemäß § 1069 Abs. 4 einer obersten Landesbehörde übertragen werden. ____Zu den Übermittlungsstellen in den anderen Mitgliedstaaten vgl. die Staatenübersicht ____bei Geimer/Schütze/Geimer EuZVR, A.3 Anhang II. Zur Ausführung der Zustellung durch ____die Übermittlungsstelle vgl. unten Rdn. 81 ff.). ____ Die Empfangsstellen i.S.v. Art. 2 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO werden für 68 ____Deutschland in § 1069 Abs. 2 festgelegt. Danach ist für Zustellungen in Deutschland das____jenige Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk das Schriftstück zugestellt werden soll. ____Gemäß § 1069 Abs. 2 Satz 2 können die Landesregierungen die Aufgaben der Empfangs____stelle einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte durch Rechtsverordnung ____zuweisen. Die letztgenannte Befugnis kann gemäß § 1069 Abs. 4 einer obersten Landes____behörde übertragen werden. Gemäß Art. 2 Abs. 4 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO teilt ____jeder Mitgliedstaat der Kommission die Namen und Anschriften der Empfangsstellen ____nach den Absätzen 2 und 3, den Bereich, für den diese örtlich zuständig sind, die ihnen ____zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Empfang von Schriftstücken und die ____Sprachen, in denen das Formblatt im Anhang I ausgefüllt werden darf, mit. Die Mitglied____staaten teilen der Kommission auch jede Änderung dieser Angaben mit. Zu den Emp____fangsstellen in den anderen Mitgliedstaaten vgl. auch die Staatenübersicht bei Gei____mer/Schütze/Geimer EuZVR, A.3 Anhang II. Zur Ausführung der Zustellung durch die ____Empfangsstelle vgl. Art. 7 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (unten Rdn. 81 ff.). ____ Zentralstellen i.S.v. Art. 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO werden in Deutschland 69 ____nach Maßgabe des § 1069 Abs. 3 durch die Landesregierungen durch Rechtsverordnung ____bestimmt; diese Befugnis kann gemäß § 1069 Abs. 4 auf eine oberste Landesbehörde ____übertragen werden. Die Aufgaben der Zentralstelle können in jedem Land nur einer Stel____le zugewiesen werden (Abs. 3 Satz 2). Neben der ausnahmsweisen Mitwirkung an Zustel____lungen nach Art. 3 lit. c) EU-Schriftstücke-ZustellungsVO kommt den Zentralstellen die ____Aufgabe zu, den Übermittlungsstellen Auskünfte zu erteilen (Art. 3 lit. a) EU-Schriftstü____cke-ZustellungsVO) und nach Lösungswegen zu suchen, wenn bei der Übermittlung von ____ ____ ____130 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 2 Rdn. 6. ____131 Zöller/Geimer § 1069 Rdn. 1.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Schriftstücken zum Zweck der Zustellung Schwierigkeiten auftreten (Art. 3 lit. b) EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO). _____ _____ Zentrale Behörden in den Vertragstaaten sind: _____ _____ Belgien _____ _____ Zentralstelle ist die „Chambre nationale des huissiers de justice/Nationale Kamer _____van Gerechtsdeurwaarders“. _____ _____Chambre nationale de huissiers de justice/Nationale Kamer van Gerechtsdeuwaarders _____Avenue Henri Jaspar 93/Henri Jasparlaan 93 _____B-1060 Brüssel _____Tel. (32-2) 5 38 00 92 _____Fax (32-2) 5 39 41 11 _____E-Mail: [email protected] _____ [email protected] _____ [email protected]. _____ _____ Angaben können per Post, per Fax, per E-Mail oder telefonisch übermittelt werden. _____Sprachkenntnisse: Französisch, Niederländisch, Deutsch und Englisch. _____ _____ Deutschland _____ _____ Die Aufgabe der Zentralstelle wird in jedem deutschen Bundesland durch eine von _____der Landesregierung bestimmte Stelle wahrgenommen (§ 4 Abs. 3 ZustDG). _____ _____ Verzeichnis der Zentralstellen nebst den zur Verfügung stehenden _____ Kommunikationsmitteln _____ _____ Als Postanschrift ist – soweit vorhanden – zunächst die Großkundenadresse, sonst – _____gegebenenfalls zusätzlich – die Postfachadresse angegeben. _____ Für den Briefdienst ist in erster Linie die Großkundenadresse, sonst die Postfachad_____resse zu verwenden. _____ Für Eilsendungen und für den Paketdienst (einschließlich Päckchen) ist die Hausan_____schrift zu verwenden. _____ Postanschrift Hausanschrift _____ _____A. Baden-Württemberg (49-761) 2 05-0 Amtsgericht Freiburg Amtsgericht Freiburg _____Tel. Fax (49-761) 2 05-1800 Holzmarkt 2 Holzmarkt 2 _____ D-79098 Freiburg D-79098 Freiburg _____E-Mail: [email protected]. bwl.de im Breisgau im Breisgau _____ _____B. Bayern _____Tel. (49-89) 55 97-01 Bayerisches Bayerisches _____Fax (49-89) 55 97-23 22 Staatsministerium Staatsministerium der Justiz der Justiz _____E-Mail: [email protected] D-80097 München Justizpalast _____ Prielmayerstraße 7 _____ D-80335 München _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

____ ____C. Berlin (49-30) 90 13-0 ____Tel. (49-30) 90 13-20 00 ____Fax E-Mail: [email protected] ____ D-10825 Berlin ____ ____D. Brandenburg ____Tel. (49-3 31) 8 66-0 ____Fax (49-3 31) 8 66-30 80/30 81 ____E-Mail: poststelle@mdje. brandenburg.de ____ D-14460 Potsdam ____ D-14473 Potsdam ____ ____E. Bremen ____Tel. (49-4 21) 3 61 42 04 ____Fax (49-4 21) 3 61 67 13 ____E-Mail: [email protected] ____ ____F. Hamburg (49-40) 4 28 28-0 ____Tel. Fax (49-40) 4 28 43-43 18 ____ ____E-Mail: [email protected]. hamburg.de ____ ____G. Hessen ____Tel. (49-6 11) 32-0 ____Fax (49-6 11) 32-27 63 ____E-Mail: [email protected] D-65021 Wiesbaden ____ ____ ____H. Mecklenburg-Vorpommern (49-3 85) 5 88-0 ____Tel. Fax (49-3 85) 5 88-34 50 ____ E-Mail: [email protected] ____ D-19055 Schwerin ____ ____I. Niedersachsen ____Tel. (49-5 11) 1 20-0 ____Fax (49-5 11) 1 20-51 70/51 85 ____E-Mail: [email protected] D-30002 Hannover ____ ____ ____J. Nordrhein-Westfalen (49-2 11) 49 71-0 ____Tel. Fax (49-2 11) 49 71-5 48 ____E-Mail: poststelle@olg____ duesseldorf.nrw.de ____ ____K. Rheinland-Pfalz ____Tel. (49-61 31) 16-4800 (49-61 31) 16-48 87 ____Fax ____E-Mail: [email protected] ____ 617

§ 183

Postanschrift

Hausanschrift

Senatsverwaltung für Justiz Salzburger Str. 21–25 D-10825 Berlin

Senatsverwaltung für Justiz Salzburger Str. 21–25

Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg Heinrich-Mann-Allee 107

Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg

Landgericht Bremen Postfach 10 78 43 D-28078 Bremen

Landgericht Bremen Domsheide 16 D-28195 Bremen

Amtsgericht Hamburg Postfach 300121 20348 Hamburg

Amtsgericht Hamburg Sievekingplatz 1 D-20355 Hamburg

Hessisches Ministerium der Justiz Postfach 31 69 D-65185 Wiesbaden

Hessisches Ministerium der Justiz Luisenstraße 13

Justizministerium MecklenburgVorpommern D-19048 Schwerin

Justizministerium MecklenburgVorpommern Puschkinstraße 19-21

Niedersächsisches Justizministerium Postfach 201 D-30169 Hannover

Niedersächsisches Justizministerium Am Waterlooplatz 1

Oberlandesgericht Düsseldorf Postfach 30 02 10 D-40402 Düsseldorf

Oberlandesgericht Düsseldorf Cecilienallee 3 D-40474 Düsseldorf

Ministerium der Justiz Postfach 32 60 D-55022 Mainz

Ministerium der Justiz Ernst-Ludwig-Straße 3 D-55116 Mainz

Rohe

§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ _____L. Saarland (49-6 81) 5 01-00 _____Tel. (49-6 81) 5 01-58 55 _____Fax _____E-Mail: [email protected]. saarland.de _____ _____M. Sachsen _____Tel. (49-3 51) 4 46-0 _____Fax (49-3 51) 4 46-1529 _____E-Mail: [email protected]. sachsen.de _____ _____ _____N. Sachsen-Anhalt (49-3 91) 5 67-01 _____Tel. (49-3 91) 5 67-61 80 _____Fax E-Mail: [email protected]_____ anhalt.de _____ _____O. Schleswig-Holstein _____Tel. (49-4 31) 9 88-0 _____Fax (49-4 31) 9 88- 37 04 _____E-Mail: [email protected] Lorentzendamm 35 _____ D-24103 Kiel _____ _____ _____P. Thüringen Tel. (49-3 61) 37 95-0 00 _____Fax (49-3 61) 37 95-8 88 _____E-Mail: [email protected] _____ D-99001 Erfurt _____ D-99096 Erfurt _____ _____ _____ Territoriale Zuständigkeiten: _____A. Baden-Württemberg _____B. Bayern _____C. Berlin _____D. Brandenburg _____E. Bremen _____F. Hamburg _____G. Hessen _____H. Mecklenburg-Vorpommern _____I. Niedersachsen _____J. Nordrhein-Westfalen _____K. Rheinland-Pfalz _____L. Saarland _____M. Sachsen _____N. Sachsen-Anhalt _____O. Schleswig-Holstein _____P. Thüringen _____ _____ Rohe

Postanschrift

Hausanschrift

Ministerium der Justiz Postfach 10 24 51 D-66024 Saarbrücken

Ministerium der Justiz Zähringerstr. 12 D-66119 Saarbrücken

Oberlandesgericht Dresden Postfach 12 07 32 D-01008 Dresden

Oberlandesgericht Dresden Schloßplatz 1 D-01067 Dresden

Ministerium der Justiz Postfach 37 64 D-39012 Magdeburg

Ministerium der Justiz Domplatz 2-4 D-39104 Magdeburg

Ministerium der Justiz, Frauen, Jugend und Familie Lorentzendamm 35 D-24103 Kiel

Ministerium der Justiz, Frauen, Jugend und Familie

Thüringer Justizministerium Postfach 10 01 51 Straße 5

Thüringer Justizministerium Werner-Seelenbinder-

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____ Folgende Möglichkeiten der Kommunikation stehen zur Verfügung: ____– für Empfang und Versendung: Post und private Zustelldienste, Telefax, ____– Für formlose Mitteilungen: Telefon und E-Mail. ____ ____ Außer der deutschen wird die englische Sprache zugelassen. ____ ____ Griechenland ____ ____ Zentralstelle ist das Justizministerium. ____ ____Υπουργεο Δικαιοσνης/Ipourgio Dikeosinis ____Mesogíon 96 ____GR-11527 Athen ____Tel. (30-1) 7 71 41 86 ____Fax (30-1) 7 71 59 94. ____ ____ Verantwortlich für die Entgegennahme der Dokumente sind Frau Argyro Eleftharia____dou, Frau Eirini Kouzeli und Herr Georgos Kouvelas. ____ Diese Beamten beherrschen Englisch und Französisch. ____ ____ Spanien ____ ____ Als Zentralstelle wird für Spanien die „Subdirección General de Cooperación Jurídi____ca Internacional del Ministerio de Justicia“ (Unterabteilung „Internationale justizielle ____Zusammenarbeit“ des Justizministeriums) benannt. ____ ____Subdirección General de Cooperación Jurídica Internacional Ministreio de Justicia ____San Bernardo, 45 ____E-28015 Madrid ____E-Mail: [email protected] ____Fax (34) 9 13 90 44 57. ____ ____ Zurzeit ist die Zentralstelle nur auf dem Postweg erreichbar. ____ Sprachkenntnisse: Spanisch, Französisch und Englisch. ____ ____ Frankreich ____ ____ Zentralstelle ist das „Bureau de l’entraide judiciaire civile et commerciale“. ____ ____Bureau de l’entraide judiciaire civile et commerciale ____Direction des affaires Civiles et du sceau ____13, place Vendôme ____F-75042 Paris Cedex 01 ____Tel. (33) 1 44 86 14 83/(33) 1 44 86 14 01 ____Fax (33) 1 44 86 14 06. ____ ____ Sprachkenntnisse: Französisch und Englisch. ____ ____ ____ 619

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Irland _____ _____The Master _____The High Court _____Four Courts _____Dublin 7 _____Irland. _____ _____ Mitteilungen in Englisch oder Gälisch können per Post, per Fax (Nr. (353-1) 888 6152) _____oder per E-Mail ([email protected]) an das „Central Office of the High _____Court“ gerichtet werden. Das „Central Office of the High Court“ kann auch telefonisch _____unter der Nummer (353-1) 888 60 00 kontaktiert werden. _____ _____ Italien _____ _____ Zentralstelle ist das Zentralbüro der Gerichtsvollzieher beim Berufungsgericht Rom. _____ _____Ufficio unico degli uffiali giudiziari presso la Corte d’appello di Roma _____Viale Giulio Cesare 52 _____I-00192 Roma _____Tel. (39) 06 32 83 670 58 _____Fax (39) 06 32 83 679 33 _____ _____ Nach Italien zuzustellende Schriftstücke sind auf dem Postweg zu übermitteln. Sie _____werden den Übermittlungsstellen ebenfalls auf dem Postweg zurückgeschickt. _____ Sprachkenntnisse: Italienisch, Französisch und Englisch. _____ _____ Luxemburg _____ _____ Zentralstelle ist die Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof. _____ _____Parquet général près la Cour supérieure de justice _____Cité judiciaire _____Bâtiment CR _____L-2080 Luxembourg _____Tel. (3 52) 47 59 81-336 _____Fax (3 52) 47 05 50 _____E-Mail: [email protected] _____ _____ Sprachkenntnisse: Französisch und Deutsch. _____ _____ Niederlande _____ _____ Die Zentralstelle ist bis zum Inkrafttreten des neuen Gerichtsvollziehergesetzes (Mit_____te 2001) de „Koninklijke Vereniging van Gerechtsdeurwaarders“ und anschließend die _____„Koinklijke Beroepsorganisatie van Gerechtsdeuwaarders“. _____ Die Anschrift der letzteren Vereinigung lautet: _____ _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____Prinses Mrgrietplantsoen 49 ____2595 BR DEN HAAG ____Niederlande ____Tel. (+31-70) 890 35 30 ____Fax (+31-70) 890 35 31 ____E-Mail: [email protected] ____ ____ Die Zentralstelle kann Schriftstücke per Post, Fax, E-Mail oder Telefon in niederlän____discher und englischer Sprache empfangen und übermitteln. ____ ____ Österreich ____ ____ Zentralstelle ist das Bundesministerium für Justiz. ____ ____Bundesministerium für Justiz ____Postfach 63 ____A-1016 Wien oder ____Bundesministerium für Justiz ____Museumstrasse 7 ____A-1070 Wien oder ____ ____Bundesministerium für Justiz ____Neustiftgasse 2 ____A-1070 Wien ____ ____Tel. (43-1)5 26 36 86 ____ (43-1)5 21 52-21 15 ____ (43-1)5 21 52-21 30 ____Fax (43-1)5 21 52-28 29 ____E-Mail: [email protected] ____ [email protected] ____ [email protected] ____ ____ Sprachkenntnisse: Deutsch und Englisch. ____ ____ Portugal ____ ____ Zentralstelle ist die „Direcção-Geral da Administração da Justiça“ (Generaldirektion ____Justizverwaltung). ____ ____Direcção-Geral da Administração da Justiça ____Av. D. João II, 1.08.01 ____D/E 1990-097 LISBOA ____Tel. (3 51) 2 17 90 62 00 ____Fax (3 51) 2 11 545 100 60 ____E-Mail: [email protected] ____ ____ Sprachkenntnisse: Portugiesisch, Spanisch, Französisch und Englisch. ____ ____ 621

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Finnland _____ _____ Zentralstelle ist das Justizministerium. _____ _____Oikeusministeriö _____PL 1/Eteläesplanadi 10 _____FIN-00131 Helsinki _____Tel. (3 58-9) 18 25 76 28 02951 6001 _____Fax (3 58-9) 18 25 75 24 09 1606 7730 _____E-Mail: [email protected] _____ _____ Schriftstücke können per Post, per Fax oder per E-Mail übermittelt werden. Sprach_____kenntnisse: Finnisch, Schwedisch und Englisch. _____ _____ Schweden _____ _____ Zentralstelle ist das Justizministerium. _____ _____Justitiedepartementet _____Rosenbad 4 _____SE-10333 Stockholm _____Postadresse: Regeringskansliet _____SE-10333 Stockholm _____Tel. (46-8) 4 05 10 00 _____Fax (46-8) 20 27 34 _____E-Mail: [email protected]. _____ _____ Informationen können per Post, per Fax oder je nach dem im Einzelfall geltenden _____Bestimmungen auf andere Weise entgegengenommen werden. Eine Kontaktaufnahme ist _____auch telefonisch möglich. _____ Sprachkenntnisse: Schwedisch und Englisch. _____ _____ Vereinigtes Königreich _____ _____1. England und Wales: _____The Senior Master _____For the Attention of the Foreign Process Department (Room E10) _____Royal Courts of Justice _____Strand _____London WC2A 2LL _____Vereinigtes Königreich _____Tel. (44-2 07)9 47 61 91 _____Fax (44-2 07)9 47 62 37 _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____2. Schottland: ____Scottish Executive ____Civil Justice and International Division ____Hayweight House ____Lauriston Street ____Edinburgh EH3 9DQ ____Schottland ____Vereinigtes Königreich ____Tel. (44-1 31) 2 21 67 60 ____Fax (44 1 31) 2 21 68 94. ____E-Mail: [email protected]. ____ ____3. Nordirland: ____The Master (Queen’s Bench and Appeals) ____Royal Courts of Justice ____Chichester Street ____Belfast BT1 3JF ____Vereinigtes Königreich ____Tel. (44-28) 90 72 47 06 ____Fax (44-28) 90 23 51 86. ____ ____4. Gibraltar: ____The Registrar of the Supreme Court of Gibraltar ____Supreme Court ____Law Courts ____277 Main Street ____Gibraltar ____Tel. (3 50) 7 88 08 ____Fax (3 50) 7 71 18. ____ ____ Förmliche Mitteilungen an die Empfangsstelle sind über folgende Anschrift an den ____‚Registrar of the Supreme Court of Gibraltar‘ (Anschrift s.o.) zu richten: ____ ____The United Kingdom Government Gibraltar Liaison Unit for EU Affairs ____Foreign and Commonwealth Office ____King Charles Street ____London ____SW1A 2AH ____Tel. (44-2 07) 0 08 15 77 ____Fax (44-2 07) 0 08 36 29 ____E-Mail: [email protected]. ____ ____ Daneben kann in Ausnahmefällen (Art. 12 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO) den 70 ____nach Art. 2 oder 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO benannten Stellen eines anderen Mit____gliedstaats (Empfangsstellen) gerichtliche Schriftstücke auf konsularischem oder dip____lomatischem Weg übermittelt werden (vgl. hierzu Rdn. 93 ff.). ____ Art. 13 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO lässt es generell zu, Personen, die ihren 71 ____Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar ____durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen des Übermittlungsstaats ____freiwillig (mit deren Mitwirkungsbereitschaft) zustellen zu lassen (vgl. Rdn. 93). Die 623

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Bundesrepublik Deutschland hat insoweit einen Vorbehalt gemäß Art. 13 Abs. 2, 23 _____Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO erklärt. Die hierzu ergangene Durchführungsvor_____schrift des § 1067 beschränkt die Zustellung nach Art. 13 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO _____auf den in Abs. 2 formulierten Mindestanwendungsbereich. Danach ist diese Form der _____Zustellung in Deutschland nur zulässig, wenn der Adressat des zuzustellenden Schrift_____stücks Staatsangehöriger des Übermittlungsstaats ist. _____ _____ c) Das zuzustellende Schriftstück und Begleitdokumente. Zur Form des zuzu72 _____stellenden Schriftstücks vgl. oben Rdn. 7. _____ 73 Wünscht die Übermittlungsstelle die Rücksendung einer Abschrift des Schrift_____stücks zusammen mit der Bescheinigung nach Artikel 10 EU-Schriftstücke-Zustellungs_____VO, so übermittelt sie gemäß Art. 4 Abs. 5 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO das betref_____fende Schriftstück in zweifacher Ausfertigung. _____ Dem zu übermittelnden Schriftstück ist gemäß Art. 4 Abs. 3 EU-Schriftstücke-Zu74 _____stellungsVO ein Antrag beizufügen, der nach dem Formblatt im Anhang erstellt wird. _____Das Formblatt ist in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es in die_____sem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amts_____sprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder in einer sonstigen Sprache, _____die der Empfangsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufüllen. Die Gestaltung des in Art. 4 _____Abs. 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO genannten Formblatts ist dem Anhang zur EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO zu entnehmen (oben Rdn. 60 a.E.). Jeder Mitgliedstaat hat _____die Amtssprache oder die Amtssprachen der Organe der Europäischen Union anzugeben, _____die er außer seiner oder seinen eigenen für die Ausfüllung des Formblatts zulässt. In der _____Bundesrepublik Deutschland sind Deutsch und Englisch zugelassen.132 _____ 75 Zur Notwendigkeit von Übersetzungen (Art. 5, 8 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO) _____und dem korrespondierenden Recht zur Annahmeverweigerung sowie der Notwen_____digkeit entsprechender Belehrungen gemäß Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 4 EU-Schriftstü_____cke-ZustellungsVO vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 81 ff.; Heilungsmöglichkeiten vgl. ebenda _____Rdn. 107 a. Insgesamt liegt in dem vergleichsweise weiten Verzicht auf Übersetzungen _____und den flexiblen Rechtsfolgen des Fehlens einer ggf. erforderlichen Übersetzung eine _____wesentliche Erleichterung der grenzüberschreitenden Zustellung (vgl. oben Rdn. 58). _____ Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO enthält keine Regelung der rechtlichen Folgen 76 _____einer unrechtmäßigen Annahmeverweigerung. Insoweit ist davon auszugehen, dass _____nach international üblichen Rechtsgrundsätzen in diesem Falle die Zustellung als wirk_____sam vollzogen gilt,133 oder dass sich der Adressat im Ergebnis identisch nicht auf die _____mangelnde Zustellung berufen darf.134 _____ 77 Gemäß Art. 4 Abs. 4 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO bedürfen die Schriftstücke so_____wie alle Dokumente, die übermittelt werden, weder der Beglaubigung noch einer an_____deren gleichwertigen Formalität. Hierin liegt eine wesentliche Erleichterung. _____ _____ d) Übermittlungsarten und -wege _____ _____ 78 aa) Allgemeines. Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO kennt vier Zustellungsarten _____– Zustellung durch ausländische Empfangsstellen (Art. 4 bis 11 EU-Schriftstücke-Zu_____ stellungsVO; hierzu Rdn. 81 ff.) _____ _____ 132 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR A.3 Anhang 2 „Deutschland“. _____133 So Schlosser EUZPR, Vorbemerkungen zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; vgl. auch a.a.O., Art. 8 _____Rdn. 5. _____134 Vgl. OLG Stuttgart NJOZ 2010, 2518, 2519.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____– Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen (Art. 13 EU-Schrift____ stücke-ZustellungsVO; Mischform in Art. 12 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; hierzu ____ Rdn. 93 f.) ____– Zustellung durch die Post (Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; hierzu Rdn. 95 ff.; ____ Vor §§ 183, 184 Rdn. 35) ____– unmittelbare Zustellung (Art. 15 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; hierzu Rdn. 101 ff.) ____ ____ Diese Zustellungsarten stehen grds. gleichrangig nebeneinander, insbesondere die ____ausführlich geregelte Zustellung durch Rechtshilfeersuchen (Art. 4 bis 11 EU-Schriftstü____cke-ZustellungsVO) einerseits und die Direktzustellung nach Art. 14, 15 EU-Schriftstücke____ZustellungsVO andererseits.135 Die systematische Aneinanderreihung beider Zustellung____arten und die unterschiedliche Regelungsdichte führen zu keinem anderen Schluss. Nur ____die in Art. 12 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO geregelte Zustellungsart bildet explizit eine ____Ausnahme. Der Ausnahmecharakter der Zustellungsart des Art. 13 EU-Schriftstücke____ZustellungsVO ergibt sich für Deutschland auch aus § 14 Abs. 1 ZRHO. Beide Wege sind ____im Grunde verzichtbar. ____ Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO unterscheidet nicht zwischen förmlicher und ____formloser Zustellung (hierzu Vor §§ 183, 184 Rdn. 60). Deshalb ist im Anwendungsbe____reich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO bei inländischer Zustellung nur diejenige nach ____§§ 166 ff. ZPO zulässig.136 ____ ____ bb) Zustellung durch ausländische Empfangsstellen (Art. 4 bis 11 EU-Schrift____stücke-ZustellungsVO). Die üblicherweise zuständige Übermittlungsstelle (vgl. ____Rdn. 66 ff.) nimmt Kontakt mit der ausländischen Empfangsstelle auf. Die Übermitt____lung von Schriftstücken, Anträgen, Zeugnissen, Empfangsbestätigungen, Bescheinigun____gen und sonstigen Dokumenten zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen ____kann gemäß Art. 4 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO auf jedem geeigneten Über____mittlungsweg erfolgen, sofern das empfangene Dokument mit dem versandten Doku____ment inhaltlich genau übereinstimmt und alle darin enthaltenen Angaben mühelos les____bar sind (vgl. oben Rdn. 63). Zu den zu übersendenden Dokumenten vgl. oben Rdn. 72 ff. ____ Die Empfangsstelle führt die Zustellung nach Maßgabe der Art. 6, 7 EU-Schrift____stücke-ZustellungsVO aus. ____ Fällt der Zustellungsantrag offenkundig nicht in den Anwendungsbereich dieser ____Verordnung oder ist die Zustellung wegen Nichtbeachtung der erforderlichen Formvor____schriften nicht möglich, sind gemäß Art. 6 Abs. 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO der ____Zustellungsantrag und die übermittelten Schriftstücke sofort nach Erhalt unter Verwen____dung des Formblatts in Anhang I für die Benachrichtigung über Rücksendung an die ____Übermittlungsstelle zurückzusenden. ____ Ansonsten übersendet die Empfangsstelle gemäß Art. 6 Abs. 1 EU-Schriftstücke-Zu____stellungsVO nach Erhalt des Schriftstücks der Übermittlungsstelle auf schnellstmögli____chem Wege und so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von sieben Tagen ____nach Erhalt des Schriftstücks, eine Empfangsbestätigung unter Verwendung des Form____blatts im Anhang zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO. Kann der Zustellungsantrag auf____ ____ ____135 Wie hier auch Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 16; Gsell EWS 2002, 115, 117; Hannich/ ____Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6; Lindacher ZZP 114 (2001), 179, 185; Nagel/Gottwald IZPR § 7 Rdn. 57; Schlosser EUZPR Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO Rdn. 2; Stadler IPRax 2001, 514, 519; Schmidt IPRax 2004, ____13, 15 und nun EuGH NJW 2006, 975; a.A. Heß NJW 2001, 15, 19 (a.A. de lege ferenda, a.a.O., 21) und NJW ____2002, 2417, 2422. ____136 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 7 Rdn. 7.

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§ 183

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____grund der übermittelten Angaben oder Dokumente nicht erledigt werden, so nimmt die _____Empfangsstelle gemäß Art. 6 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO auf schnellstmögli_____chem Wege Verbindung zu der Übermittlungsstelle auf, um die fehlenden Angaben _____oder Schriftstücke zu beschaffen. _____ Eine Empfangsstelle, die ein Schriftstück erhält, für dessen Zustellung sie örtlich 85 _____nicht zuständig ist, leitet dieses Schriftstück zusammen mit dem Zustellungsantrag an _____die örtlich zuständige Empfangsstelle in demselben Mitgliedstaat weiter, sofern der _____Antrag den Voraussetzungen in Artikel 4 Absatz 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ent_____spricht; sie setzt die Übermittlungsstelle unter Verwendung des Formblatts in Anhang I _____davon in Kenntnis. Die örtlich zuständige Empfangsstelle teilt der Übermittlungsstelle _____gemäß Art. 6 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO den Eingang des Schriftstücks mit. _____ Gemäß Art. 7 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO wird die Zustellung des Schrift86 _____stücks von der Empfangsstelle bewirkt oder veranlasst, und zwar entweder nach _____dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in einer von der Übermittlungsstelle _____gewünschten besonderen Form (vgl. Vor §§ 183, 184 zur eigenhändigen Übergabe), so_____fern dieses Verfahren mit dem Recht des Empfangsmitgliedstaats vereinbar ist. In _____Deutschland erfolgt demnach die Zustellung grds. gemäß §§ 166 ff. ZPO. Da gemäß der _____Durchführungsnorm des § 1069 Abs. 2 das Amtsgericht zuständige Übermittlungsstelle _____ist, gelten §§ 166 ff. unmittelbar, auch wenn die Zustellung im Parteibetrieb in Gang ge_____bracht wurde.137 Gemäß § 1068 Abs. 2 kann ein Schriftstück, dessen Zustellung eine deut_____sche Empfangsstelle im Rahmen von Artikel 7 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO zu bewir_____ken oder zu veranlassen hat, durch die Post per Einschreiben mit Rückschein zugestellt _____werden. Jedoch ist zu bedenken, dass dieser Weg von der betreibenden Stelle wohl meist _____nicht gewünscht ist, weil andernfalls sogleich der Weg über Art. 14 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO hätte gewählt werden können. Dies ist bei der Auswahl durch die Emp_____fangsstelle zu berücksichtigen; insofern kann die Übermittlung durch Rechtshilfeersu_____chen stillschweigend den nach Art. 7 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO zulässigen _____Wunsch beinhalten, nicht auf diesem Wege zuzustellen.138 _____ Alle für die Zustellung erforderlichen Schritte sind nach Art. 7 Abs. 2 so vorzuneh87 _____men, dass die Zustellung so rasch wie möglich erfolgen kann, in jedem Fall jedoch bin_____nen einem Monat nach Eingang. Konnte die Zustellung nicht binnen einem Monat nach _____Eingang des Schriftstücks vorgenommen werden, so hat die Empfangsstelle wie folgt _____vorzugehen: Sie teilt dies der Übermittlungsstelle unverzüglich unter Verwendung der _____Bescheinigung mit, die in dem Formblatt in Anhang I zur EU-Schriftstücke-Zustellungs_____VO vorgesehen und gemäß Artikel 10 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO auszustel_____len ist. Sie unternimmt aber auch weiterhin, sofern die Übermittlungsstelle nichts an_____deres angibt, alle für die Zustellung des Schriftstücks erforderlichen Schritte, falls die _____Zustellung innerhalb einer angemessenen Frist möglich ist. Dies beurteilt sich nach den _____Umständen des Einzelfalls. Möglich ist hierbei auch die öffentliche Zustellung gemäß _____§ 185.139 Zuständig ist in der Bundesrepublik Deutschland in jedem Falle das Amtsgericht _____gemäß § 1069 Abs 2, auch wenn die Zustellung nach dem Recht des ersuchenden Staats _____im Parteibetrieb erfolgt.140 _____ 88 Wird die Ausführung der Zustellung verweigert, so richtet sich die Frage nach _____Rechtsbehelfen nach dem jeweiligen Recht des betroffenen Mitgliedstaats.141 Gegen _____ _____ _____137 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 7 Rdn. 4; Schlosser EUZPR, Art. 7 Rdn. 2. 138 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 7 Rdn. 6; Schlosser EUZPR, Art. 7 Rdn. 2. _____139 Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Artt. 4-7 Rdn. 2. _____140 Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Artt. 4-7 Rdn. 1. _____141 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 6 Rdn. 4.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 183

____handelnde deutsche Stellen stehen die Rechtsbehelfe der §§ 23 ff. EGGVG zur Verfügung ____(vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 75). Statthaft kann auch der Antrag sein, die Unzulässigkeit ____der Zustellung nach der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO festzustellen.142 Die EU-Schrift____stücke-ZustellungsVO selbst enthält keine einschlägigen Regelungen. ____ Das Wirksamkeitsdatum der Zustellung ergibt sich – vorbehaltlich Art. 8 Abs. 3 ____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (hierzu Vor §§ 183, 184 Rdn. 107 a) – aus der Regelung ____des Art. 9 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO. Grds. ist gemäß Art. 9 Abs. 1 EU-Schriftstü____cke-ZustellungsVO für das Datum der nach Art. 7 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO erfolg____ten Zustellung eines Schriftstücks das Recht des Empfangsmitgliedstaats maßgeblich. ____Wenn jedoch ein Schriftstück nach dem Recht eines Mitgliedstaats innerhalb einer be____stimmten Frist zugestellt werden muss, ist gemäß Art. 9 Abs. 2 EU-Schriftstücke-Zustel____lungsVO im Verhältnis zum Antragsteller als Datum der Zustellung der Tag maßgeblich, ____der sich aus dem Recht dieses Mitgliedstaats ergibt. Als Antragsteller in diesem Sinne ist ____bei der Zustellung im Amtsbetrieb nicht das betreibende Gericht zu verstehen, sondern ____derjenige, in dessen Interesse die Zustellung betrieben wird.143 Fällt ein relevanter Zeit____punkt in (nur) einem der beteiligten Staaten auf einen Feiertag, so erscheint es jedoch ____angemessen, diesen ungeachtet des Umstandes zu berücksichtigen, dass er im anderen ____beteiligten Staat nicht besteht.144 Wurden kumulativ (z.B. zur Absicherung) mehrere je____weils wirksame Zustellungen betrieben, so ist für den Zeitpunkt diejenige Zustellung ____maßgeblich, die als erste bewirkt worden ist.145 Die Regelung gilt gemäß Abs. 3 auch für ____die Übermittlung und Zustellung gerichtlicher Schriftstücke auf anderen Zustellungswe____gen (Abschnitt 2 der VO). ____ Gemäß Art. 10 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist die Erledigung der Zustellung zu ____dokumentieren. Nach Erledigung der für die Zustellung des Schriftstücks vorzuneh____menden Schritte wird gemäß Art. 10 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO nach dem ____Formblatt in Anhang I zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO eine entsprechende Be____scheinigung ausgestellt, die der Übermittlungsstelle übersandt wird. Schlägt die Zustel____lung fehl, so werden die im Formblatt unter Nr. 15 aufgeführten begründenden Anga____ben erforderlich. Bei Anwendung von Art. 4 Abs. 5 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. ____oben Rdn. 73) wird der Bescheinigung gemäß Art. 10 Abs. 2 EU-Schriftstücke-Zustel____lungsVO eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks beigefügt. Zur Lage bei fehlendem ____Nachweis vgl. unten Rdn. 98. ____ Gemäß Art. 10 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist die Bescheinigung in der ____Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des Übermittlungsmitgliedstaats oder in ____einer sonstigen Sprache, die der Übermittlungsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufül____len. Jeder Mitgliedstaat hat die Amtssprache oder die Amtssprachen der Organe der Eu____ropäischen Union anzugeben, die er außer seiner oder seinen eigenen Amtssprache(n) ____für die Ausfüllung des Formblatts zulässt. In der Bundesrepublik Deutschland wird hier____für außer der deutschen die englische Sprache zugelassen.146 Für die anderen Mitglied____staaten vgl. die Staatenübersicht bei Geimer/Schütze/Geimer EuZVR A.3 Anhang II. ____ Zu den Kosten gemäß Art. 11 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO vgl. unten Rdn. 106 ff. ____ ____ cc) Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen (Art. 13; ____12 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Art. 13 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO lässt es ____ ____ ____142 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 6 Rdn. 5. 143 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 9 Rdn. 1 m.w.N. ____144 Vgl. Schlosser EUZPR Art. 9 Rdn. 2. ____145 EuGH NJW 2006, 975, 976; Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 9 Rdn. 1. ____146 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR A.3 Anhang II zu „Deutschland“.

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_____generell (also nicht nachrangig gegenüber anderen Zustellungsmethoden)147 zu, Perso_____nen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstü_____cke unmittelbar durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen des Über_____mittlungsstaats freiwillig (mit deren Mitwirkungsbereitschaft) zustellen zu lassen (vgl. _____Rdn. 71). Die Bundesrepublik Deutschland hat insoweit einen Vorbehalt gemäß Art. 13 _____Abs. 2, 23 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO erklärt. Die hierzu ergangene Durch_____führungsvorschrift des § 1067 beschränkt die Zustellung nach Art. 13 EU-Schriftstücke_____ZustellungsVO auf den dort in Abs. 2 formulierten Mindestanwendungsbereich. Danach _____ist diese Form der Zustellung in Deutschland nur zulässig, wenn der Adressat des zuzu_____stellenden Schriftstücks Staatsangehöriger148 des Übermittlungsstaats ist. Bei Zustellun_____gen im Ausland erfolgt der Zustellungsnachweis in der Form des § 183 Abs. 2 Satz 1 (vgl. _____§ 31 p Abs. 2 Satz 2 ZRHO; oben Rdn. 48 ff.). _____ In Ausnahmefällen149 können gerichtliche Schriftstücke gemäß Art. 12 EU-Schrift94 _____stücke-ZustellungsVO den nach Art. 2 oder 3 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO benann_____ten Stellen eines anderen Mitgliedstaats (Empfangsstellen) auf konsularischem oder _____diplomatischem Weg übermittelt werden. Zur Zustellung an ausländische Mitgliedstaa_____ten oder deren Diplomaten vgl. §§ 31r, 35 ZRHO (Text im Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 68). _____ _____ 95 dd) Zustellung durch die Post (Art. 14 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Eine _____wesentliche Erleichterung bei der grenzüberschreitenden Zustellung bietet die Möglich_____keit der Direktzustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post gemäß Art. 14 EU_____Schriftstücke-ZustellungsVO. 150 Sie hat per Einschreiben mit Rückschein oder einem _____funktional gleichwertigen Beleg zu erfolgen. Dieser Zustellungsweg ist nach der Rechts_____lage in Deutschland (§§ 183 Abs. 3; 1068 Abs. 1, 2) grds. für Zustellungen im Ausland wie _____in Deutschland eröffnet und im Verhältnis zur Zustellung im Rechtshilfeweg gleichran_____gig (vgl. oben Rdn. 79). Möglich ist nur die Zustellung im Wohnsitzstaat des Adressaten. _____Der gewöhnliche Aufenthalt ist dem Wohnsitz insoweit gleichzustellen.151 _____ 96 Zur zuständigen Übermittlungsstelle in Deutschland (Geschäftsstelle des Amtsge_____richts)152 vgl. oben Rdn. 67. Auch Rechtsanwälte oder andere im Übermittlungsstaat (Ur_____sprungsstaat) befugte Personen können grds. die Zustellung gemäß Art. 14 EU-Schrift_____stücke-ZustellungsVO veranlassen.153 Es genügt, dass die Person, welche die Zustellung _____in Gang bringt, nach dem Recht des Übermittlungsstaats (Ursprungsstaats) hierzu befugt _____ist (vgl. auch § 183 Rdn. 96).154 Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland nicht von _____der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Notare oder Gerichtsvollzieher als Übermittlungs_____stellen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO zu benennen. Vielmehr sind _____nach der Regelung des § 1069 Abs. 1 nur die dort genannten Gerichte zuständig. Deshalb _____ _____ _____147 Vgl. auch Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 13 Rdn. 3. _____148 Für juristische Personen bestimmt sie sich nach dem Gründungsstatut, Zöller/Geimer Rdn. 1 m.w.N.; _____in diese Richtung auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier Rdn. 4. _____149 Vgl. ABlEG Nr. C 261 v. 27.8.1997, S. 26, 34: Gedacht ist an „soziale und klimatische _____Beförderungshindernisse“. Fraglich bleibt, ob in solchen Fällen die Zustellung nach Art. 12 weiterhilft. 150 Vgl. zu den Vorzügen der Direktzustellung ausführl. G. Geimer Neuordnung, S. 217 ff.; vgl. zu Daten _____aus jüngster Zeit auch Jastrow NJW-aktuell Heft 1/2005, XXII, XXIV. _____151 Weitergehend Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 14 Rdn. 11, der jeden Aufenthalt genügen lassen _____will. _____152 Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 14 Rdn. 8. 153 Vgl. OLG Köln IPRax 2004, 523, 523 m. krit. Anm. Geimer a.a.O., 505, 506 (Rechtsanwalt in _____Griechenland). _____154 Vgl. OLG Köln IPRax 2004, 512, 523 (Rechtsanwalt in Griechenland) m. abl. Anm. Geimer a.a.O., 505, _____506 und Emde NJW 2004, 1830, 1832 ff.; vgl. auch LG Trier NJW-RR 2003, 287 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____sind aus Gründen der Rechtssicherheit Notare und Gerichtsvollzieher in Deutschland ____gezwungen, die benannten Übermittlungsstellen einzuschalten.155 ____ Zur Notwendigkeit von Übersetzungen bzw. die erforderlichen Belehrungen über ____das Annahmeverweigerungsrecht vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 90. Für Zustellungen im Par____teibetrieb vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 40, 45 ff. ____ Zustellungen gemäß Art. 14 müssen grds. durch Rückschein oder ein vergleichba____res Dokument belegt werden. Der Rückschein ist also nicht konstitutiv für die Zustel____lung, welche grds. auch durch vergleichbar aussagekräftige Dokumente bewiesen wer____den kann156 (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. b EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Nicht generell aus____reichend ist die Dokumentation der Benachrichtigung des Adressaten darüber, dass ein ____Schriftstück für ihn bereitliegt,157 wenn die Abholung des Schriftstücks nicht nachweis____bar ist. Vergleichbar im Sinne des Art. 14 kann nur ein Dokument sein, welches unstrei____tig dem Adressaten zugegangen ist und das zuzustellende Schreiben konkret bezeichnet. ____Nur dann kann diese Falllage dem wissentlichen Ignorieren des Schriftstücks nach Er____halt gleichgestellt werden; alternativ steht der Weg über die Nichtbeachtlichkeit des ____Einwandes mangelnder ordnungsgemäßer Zustellung offen (vgl. Rdn. 76).158 Im Übrigen ____steht es gemäß Art. 19 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO den Mitgliedstaaten offen, ____nach Art. 23 Abs. 1 mitzuteilen, dass auch bei fehlendem Zustellungsnachweis eine ge____richtliche Entscheidung ergehen darf, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 lit. a bis c ____gegeben sind. Zu den Mitgliedstaaten, die solche Erklärungen abgegeben haben, vgl. die ____die Staatenübersicht bei Geimer/Schütze/Geimer EuZVR A.3 Anhang II. ____ Für Zustellungen ins Ausland auf postalischem Wege gilt die Sprachenregelung ____des Art. 8 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO.159 Hierzu und zu den ebenfalls erforderlichen ____Belehrungen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 90. ____ Ungeklärt ist, wie der Fall einer unberechtigten Annahmeverweigerung zu be____handeln ist. In diesem Fall ist die Rücksendung des (vom Adressaten unterschriebenen) ____Rückscheins nicht möglich. Andererseits widerspräche es allgemeinen Rechtsgrundsät____zen, wenn ein Adressat sich auf diese Weise ohne weiteres den rechtlichen Folgen der ____Zustellung entziehen könnte. Deshalb erscheint es angemessen, die Zustellung dann ____grds. als bewirkt anzusehen160 (vgl. § 179) oder dem Adressaten jedenfalls die Berufung ____auf mangelnde Zustellung zu verwehren.161 Zusätzlich wir man allerdings fordern müs____sen, dass anstelle des ausgefüllten Rückscheins das gesamte Schriftstück zu Beweiszwe____cken zurückgesandt wird.162 ____ ____ ee) Unmittelbare Zustellung (Art. 15 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO). Art. 15 ____EU-Schriftstücke-ZustellungsVO eröffnet die Möglichkeit, dass Parteien und Verfahrens____beteiligte unmittelbar die Zustellungsorgane (Amtspersonen, Beamte oder sonstige zu____ständige Personen) des Zustellungsstaats (Empfangsstaats) mit der Zustellung beauftra____gen. Voraussetzung hierfür ist nur, dass der Zustellungsstaat dies für zulässig erklärt. ____Anders als nach der Vorläuferregelung in Art. 15 Abs. 2 EuZVO kann dagegen kein Wi____derspruch eingelegt werden. Deshalb ist dieser Zustellungweg nunmehr auch für Zustel____ ____ 155 Vgl. Zöller/Geimer § 1069 Rdn. 3 m.w.N. ____156 Vgl. zur EuZVO OLG Celle NJW 2004, 2315. ____157 So aber Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Rdn. 3 m.w.N. ____158 So OLG Stuttgart NJOZ 2010, 2518, 2519. ____159 Zöller/Geimer § 1068 Rdn. 4 m.w.N. auch zu a.A. zur EuZVO. 160 In solchem Sinne (zum Zustellungsrecht der DDR) BGH NJW 1997, 2051, 2052; G. Geimer ____Neuordnung, S. 252 f.; Geimer/Schütze/Geimer ZuZVR Art. 14 Rdn. 21; a.A. Schlosser EUZPR Art. 14 Rdn. 5. ____161 Vergleichbar OLG Stuttgart Beschl. v. 31.3.2010 (Az 5 W 62/09). ____162 Vgl. insoweit Schlosser EUZPR Art. 14 Rdn. 5.

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_____lungen nach Deutschland und in diejenigen Staaten möglich, die einen Widerspruch _____nach der Vorläuferregelung eingelegt hatten.163 _____ Mitteilungen der Mitgliedstaaten zu Art. 15 erfolgen gemäß Art. 23 an die Kommis102 _____sion. Sie können unter „Mitteilungen der Mitgliedstaaten“ im European Judicial Atlas in _____Civil Matters unter http://europa.eu.int/comm/justice_home/judicialatlascivil/html/ds_ _____information_de.htm abgerufen werden. _____ _____ V. Verstöße gegen die Norm und ihre Folgen _____ _____ Werden die in § 183 eröffneten Zustellungswege nicht eingehalten, so ist die Zu103 _____stellung grds. unwirksam,164 sofern nicht die Voraussetzungen einschlägiger zwischen_____staatlicher Übereinkommen erfüllt sind. Nicht wirksam ist nach h.M. die Zustellung _____durch einfache Postsendung (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 35). _____ Besondere Heilungsvorschriften sind in Art. 19 Abs. 1 und 2 EU-Schriftstücke-Zu104 _____stellungsVO enthalten. Abs. 1 ist im Umkehrschluss zu entnehmen, dass die Einlassung _____auf das Verfahren die Heilung von Zustellungsmängeln bewirkt. Bei Nichteinlassung _____genügt es, dass das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausge_____händigt oder nach einem anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in sei_____ner Wohnung abgegeben worden ist, sofern das Schriftstück so rechtzeitig ausgehändigt _____bzw. abgegeben worden ist, dass der Beklagte sich hätte verteidigen können. Zu Heilungs_____möglichkeiten bei zunächst unterbliebener notwendiger Übersetzung vgl. Vor §§ 183, 184 _____Rdn. 107 a. _____ Eine Heilung ist im Übrigen gemäß §§ 189, 295 in bestimmten Umfang möglich (vgl. 105 _____Vor §§ 183, 184 Rdn. 103 ff.). _____ _____ VI. Kosten _____ _____ Für die Zustellung nach Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 1068 Abs. 1 106 _____fallen Kosten für das Einschreiben mit Rückschein nach GKG KV 9002 Nr. 1 an. _____ Bei Zustellung nach Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 fallen als Gerichtskosten die 107 _____Gebühr nach Nr. 201 des Verzeichnisses zu § 2 Abs. 1 JVKostO sowie eventuelle Auslagen _____(z.B. für Übersetzungen oder als Kosten der deutschen Auslandsvertretungen)165 an. _____ Im Anwendungsbereich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO darf gemäß Art. 11 108 _____Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke aus _____einem anderen Mitgliedstaat keine Zahlung oder Erstattung von Gebühren und Auslagen _____für die Tätigkeit des Empfangsmitgliedstaats verlangt werden. _____ Gemäß Art. 11 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO muss der Verfahrensbeteiligte 109 _____jedoch die Auslagen zahlen oder erstatten, die dadurch entstehen, dass bei der Zustel_____lung eine Amtsperson oder eine andere nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats _____zuständige Person mitwirkt; dies gilt beispielsweise für die in manchen Mitgliedstaaten _____übliche Zustellung durch Gerichtsvollzieher166 (lit. a) oder dass eine besondere Form der _____Zustellung eingehalten wird (lit. b). Zu den Kosten des Einschreibens mit Rückschein vgl. _____oben Rdn. 106. Die Ergänzung in Abs. 2 Satz 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO dient der _____Reduzierung bislang teilweise eingeforderter übermäßiger Kosten. Danach müssen die _____ _____ _____163 Vgl. hierzu und zur vormaligen Rechtslage Zöller/Geimer EG-VO Zustellung Rdn. 1. 164 Vgl. LG Hamburg RIW 1991, 767 f., das sogar Wirkungslosigkeit eines ungeachtet von _____Zustellungsmängeln ergangenen Urteils annimmt; a.A. insoweit Geimer IZPR Rdn. 2079. _____165 Zöller/Geimer Rdn.143 zu Kosten. _____166 Vgl. Heß NJW 2002, 2417, 2422; Jastrow NJW 2002, 3382, 3383.

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____Kosten von den Mitgliedstaaten nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der ____Nichtdiskriminierung im Voraus durch einheitliche Festgebühren festgelegt werden. ____Satz 3 ordnet die Mitteilung dieser Festgebühren an die Kommission an. Zulässig ist die ____Anordnung von Kostenvorschüssen.167 ____ Gemäß Art. 5 Abs. 2 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO trägt der Verfahrensbeteiligte 110 ____etwaige vor der Übermittlung des Schriftstücks anfallende Übersetzungskosten unbe____schadet einer etwaigen späteren Kostenentscheidung des zuständigen Gerichts oder der ____zuständigen Behörde. ____ ____ § 184 Rohe Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ____ § 184 ____ Zustellungsbevollmächtigter; Zustellung durch Aufgabe zur Post ____ ____ (1) Das Gericht kann bei der Zustellung nach § 183 anordnen, dass die Partei in____nerhalb einer angemessenen Frist einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, der ____im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat, falls sie nicht einen Prozessbe____vollmächtigten bestellt hat. Wird kein Zustellungsbevollmächtigter benannt, so ____können spätere Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung dadurch bewirkt ____werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift der Partei zur Post gegeben wird. ____ (2) Das Schriftstück gilt zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Das ____Gericht kann eine längere Frist bestimmen. In der Anordnung nach Absatz 1 ist auf ____diese Rechtsfolgen hinzuweisen. Zum Nachweis der Zustellung ist in den Akten zu ____vermerken, zu welcher Zeit und unter welcher Anschrift das Schriftstück zur Post ____gegeben wurde. ____ Übersicht ____ ____ 1 g) Zustellung des verfahrensleitenden ____I. Einführung II. Anordnung der Benennung eines ZustelSchriftstücks ____ 37 ____ lungsbevollmächtigten 2. Zuständigkeit und Entscheidung ____ 1. Voraussetzungen ____ 8 (Abs. 1 Satz 1) ____ 43 ____ a) Notwendigkeit einer Zustellung nach 3. Zustellungsnachweis ____ § 183 (Abs. 1 Satz 1) ____ 8 (Abs. 2 Satz 4) ____ 45 ____ b) Mangelnde Erreichbarkeit im Inland 4. Rechtsfolgen ____ 50 ____ (Abs. 1 Satz 1) ____ 9 a) Allgemeines ____ 50 ____ c) Der zu ernennende Zustellungsb) Bei wirksamer Benennung ____ bevollmächtigte (Abs. 1 Satz 1); eines ZustellungsbevollmächBenennung und Zustellungsvolltigten ____ 52 ____ ____ macht 17 c) Bei Nichtbenennung eines Zustel____ d) Benennung; Erteilung der Zustellungsbevollmächtigten ____ 54 ____ lungsvollmacht ____ 21 aa) Möglichkeit der Zustellung ____ e) Frist für die Benennung des Zusteldurch Aufgabe zur Post ____ lungsbevollmächtigten (Abs. 1 (Abs. 1 Satz 2) ____ 54 ____ ____ Satz 1) 25 bb) Zustellungsfiktion (Abs. 2 ____ f) Formalien ____ 27 Satz 1) ____ 57 ____ aa) Das zuzustellende Schriftstück cc) Verhältnis zu anderen Varianten ____ und seine Adressierung (Abs. 1 der Zustellung ____ 62 ____ ____ ____ Satz 2) 27 III. Kosten 64 bb) Die Anordnung ____ (Abs. 2 Satz 3) ____ 35 ____ ____ ____ ____167 Zöller/Geimer Anh II EG-VO Zustellung Art. 11 Rdn. 1.

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_____ I. Einführung _____ _____ Die Norm regelt die Zustellung durch Aufgabe zur Post an nicht im Inland wohnen1 _____de oder hier einen Geschäftsraum unterhaltende Adressaten; die früher auch für Inlands_____fälle geltende Vorläuferregelung in § 174 Abs. 1 a.F. wurde mangels praktischen Bedürf_____nisses abgeschafft.1 Eine nur redaktionelle Änderung in Abstimmung mit der Neufassung _____des § 183 erfolgte in Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung vom 13.11.2008 (hierzu Rdn. 8).2 Die Rege_____lung des § 184 verfolgt das Ziel, effektiven Rechtsschutz in Fällen typischerweise _____schwieriger Erreichbarkeit des Gegners durchzusetzen (vgl. Vor § 166 Rdn. 1; Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 2 f. sowie die Neuregelung in § 185 Nr. 2 zum 1.11.2008, § 185 Rdn. 5, 24 a). _____Sinn und Zweck der Norm ist es also, der Gefahr unangemessener Verzögerung von be_____reits in Gang befindlichen Verfahren (vgl. Rdn. 37, 59) vorzubeugen, an denen eine _____solche Partei beteiligt ist.3 Solche Erreichbarkeit ist bereits gegeben, wenn ein Prozess_____bevollmächtigter vorhanden ist; dann bedarf es keines Zustellungsbevollmächtigten _____(Abs. 1 Satz 1). _____ 2 Die Regelung ermöglicht eine fiktive Inlandszustellung (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 3, _____24 und unten Rdn. 57 ff.). Fremde Hoheitsrechte werden davon grds. nicht berührt, weil _____die Zustellung bereits mit Fristablauf nach Aufgabe zur Post (im Inland) abgeschlossen _____ist.4 Dabei wird das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör dadurch in angemesse_____ner Weise gewahrt, dass er unter Hinweis (Rdn. 50) auf die Rechtsfolgen (Rdn. 50 ff.) _____förmlich dazu aufgefordert werden muss, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benen_____nen, bevor die Fiktionswirkung des Abs. 2 (vgl. Rdn. 57 ff.) eintreten kann. _____ Die Regelung knüpft an § 174 a.F. an, beinhaltet aber gewisse Änderungen, die zu 3 _____einer stärkeren Berücksichtigung des Rechts des Adressaten auf rechtliches Gehör5 (vgl. _____Vor §§ 166 Rdn. 1; Vor §§ 183, 184 Rdn. 3) führen. So ist der Zustellungsbevollmächtigte _____nicht mehr von Gesetzes wegen zu benennen, sondern nur noch nach pflichtgemäßem _____Ermessen des Gerichts. Damit trägt der Gesetzgeber der an den Vorgängerregelungen _____geäußerten Kritik Rechnung.6 Auch kann das Gericht nun die Frist verlängern, mit deren _____Ablauf die Zustellungsfiktion des Abs. 2 greift. In jedem Falle ist gewährleistet, dass der _____Adressat die Gelegenheit hat, vom verfahrenseinleitenden Schriftstück und damit vom _____Verfahren überhaupt Kenntnis zu nehmen, weil § 184 dies voraussetzt (vgl. Rdn. 37). _____Wurde schon die für den Adressaten nachteiligere Vorgängerregelung in §§ 174 Abs. 2, _____175 a.F. als verfassungsgemäß eingestuft,7 so gilt dies nun erst recht für die adressaten_____freundlichere geltende Regelung des § 184. Damit dürfte zugleich den geäußerten völker_____und menschenrechtlichen Bedenken8 Rechnung getragen sein. _____ Die Vorschrift ist gemäß § 191 auf Zustellungen im Parteibetrieb entsprechend an4 _____wendbar. Zu Einzelheiten (Antragserfordernis) vgl. § 191 Rdn. 8; Vor §§ 183, 184 Rdn. 45 f. _____ Europa- und völkerrechtlich verbindliche Vorschriften wie Art. 40 Abs. 2 EuGVVO, 5 _____33 Abs. 2 EuGVÜ/LuGÜ, § 5 AVAG oder andere besondere gesetzliche Ausnahmeregelun_____ _____ _____1 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23. _____2 Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.2008, BGBl. 2008 I, S. 2122; Regelung des Inkrafttretens in Art. 8 Abs. 2 Satz 1. _____3 BGHZ 98, 263, 266 = NJW 1987, 592; BGH NJW 1992, 1701, 1702; BGH FamRZ 1996, 347 = NJW-RR 1986, _____387 f.; BGH NJW 1999, 1187, 1189. _____4 OLG München IPRax 1988, 163, 164; zust. Hausmann a.a.O., 140, 143. _____5 Vgl. hier nur BGH NJW 2000, 3284, 3285. 6 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.23. _____7 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.23 unter Berufung auf BVerfG NJW 1997, 1772. _____8 Vgl. hierzu Fleischhauer Die Inlandszustellung, 72 ff., 79 ff.; Stadler FS BGH (2000), 645, 652; Schlosser _____EuZPR, Vorbem. zum HZÜ Rdn. 1.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____gen bleiben von der Norm unberührt.9 Im Anwendungsbereich der EuGVVO (Art. 40 ____Abs. 2 Satz 2) und des EuGVÜ/des LuGÜ (Art. 33 Abs. 2 Satz 2) i.V.m. § 5 AVAG10 muss der ____Vollstreckende einen Zustellungsbevollmächtigten benennen, wenn im Recht des Voll____streckungsstaates ein Wahldomizil i.S.v. Art. 40 Abs. 2 Satz 1 EuGVVO bzw. Art. 33 Abs. 2 ____Satz 1 EuGVÜ/LugÜ nicht vorgesehen ist (so in Deutschland). Einschlägig ist weiter § 5 ____des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22.3.1977 zur Erleich____terung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwäl____te (RADG).11 Im Anwendungsbereich der „Brüssel II a“-VO,12 des Haager Kindesentfüh____rungsübk.13 und des Europäischen Sorgerechtsübk.14 gilt § 17 IntFamRVG15 mit Verweis ____auf § 184. ____ In anderen Normen wird die Regelung des § 184 oder Teile davon teils für entspre- 6 ____chend anwendbar erklärt (§ 127 Abs. 1 Nr. 2 PatG; § 94 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG), teils aus____drücklich ausgeschlossen (§ 88 Abs. 2 lit. a GBO). So kann ein Versäumnisurteil oder ____eine Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 nur nach ordnungsge____mäßer, insbesondere rechtzeitiger Ladung ergehen; vergleichbar Art. 19 Abs. 1 EuZVO ____(vgl. § 183 Rdn. 60), Art. 26 Abs. 2 EuGVVO, Art. 20 Abs. 2 EuGVÜ/LugÜ, Art. 15 Abs. 1 ____HZÜ, Art. 9 Abs. 1 dt.-marokkan. Vertrag, Art. 17 Abs. 1 dt.-tunes. Vertrag (vgl. Anhang zu ____§§ 183, 184 Rdn. 51 ff.). Auch ist die Bestimmung einer angemessenen Einspruchsfrist bei ____Notwendigkeit einer Auslandszustellung (§ Abs. 2) zu beachten. ____ Im Übrigen regeln Europäische, internationale und bilaterale Normen im Grundsatz 7 ____nicht die Frage, ob eine Auslandszustellung vorliegt, sondern nur deren Abwicklung. Da ____§ 184 als Fall der Inlandszustellung zu qualifizieren ist (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 25), be____stimmt grds. das autonome Verfahrensrecht über deren Zulässigkeit. Allerdings sind ____Verbote einer Zustellung im Wege des § 184 durch vorrangige Europäische, internationa____le oder bilaterale Regelungen zu beachten (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 14 f.). Im Anwen____dungsbereich der EuZVO bzw. der sie ablösenden EU-Schriftstücke-ZustellungsVO ist ____das Verfahren nach § 184 ausgeschlossen. § 183, auf den § 184 Bezug nimmt, lässt nach ____Abs. 5 diese Vorschriften gerade unberührt.16 Zudem würde andernfalls gegen das Dis____kriminierungsverbot des Art. 12 EG verstoßen.17 Dagegen enthält das HZÜ keine Regelun____gen der Frage, ob überhaupt eine förmliche Auslandszustellung vorzunehmen ist; inso____weit verbleibt es bei der Maßgeblichkeit des autonomen Zustellungsrechts und damit ____ ____ ____9 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.23. 10 Gesetz vom 30.5.1988, BGBl. I, 662. ____11 Gesetz vom 16.8.1980, BGBl. I, 1453. ____12 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die ____Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend der ____elterlichen Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABlEU Nr. L 338, S. 1. ____13 Haager Übereinkommen vom 20.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler ____Kindesentführung, BGBl. 1990 II, S. 207. ____14 Luxemburger Europäisches Übereinkommen vom 20.5.1980 über die Anerkennung und Vollstreckung ____von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses, ____BGBl. 1990 II, S. 220. 15 Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des ____internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG), ____BGBl. 2005 I, 162. ____16 BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885 ff. mit ausführlicher und überzeugender Begründung; BGH NJW 2011, ____2218; BGH NJW 2012, 2588, 2589 obiter; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1522; Heß NJW 2002, 2417, 2424; unklar Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3; ablehnend OLG Koblenz NJOZ 2010, 1937; Zöller/Geimer ____§ 183 Rdn. 79 a m.w.N.; vgl. auch Heinze IPRax 2010, 155, 158 ff. ____17 Heß NJW 2002, 2417, 2424 und NJW 2001, 15, 18; insoweit zweifelnd auch Hannich/Meyer-Seitz/ ____Häublein Rdn. 3.

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_____auch der Anwendbarkeit des § 184.18 Dasselbe gilt für die im Verhältnis zur Türkei gel_____tenden (vgl. § 183 Rdn. 17) völkerrechtlichen Vereinbarungen.19 _____ _____ II. Anordnung der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten _____ _____ 1. Voraussetzungen _____ _____ a) Notwendigkeit einer Zustellung nach § 183 (Abs. 1 Satz 1). Die Norm setzt vor8 _____aus, dass eine Zustellung an den Adressaten gemäß § 183 nötig ist. Dies ist meist dann _____nicht der Fall, wenn aufgrund europarechtlicher Regelungen oder völkerrechtlicher Ver_____einbarungen zuzustellende Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden _____dürfen. Sachlich bezieht sich die Norm also weiterhin vor allem auf die nunmehr in § 183 _____Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz, Abs. 2 und Abs. 3 geregelten Fälle, wenngleich sie generell auf _____§ 183 Abs. 1–4 (nicht: Abs. 5) Anwendung findet.20 Ist die postalische Übersendung im Ein_____zelfall nach Einschätzung des Prozessgerichts möglich und erfolgversprechend, dann ist _____der in § 183 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz eröffnete Weg vorgegeben und die Zustellung nach _____§ 184, welche das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör typischerweise weniger be_____rücksichtigt, ausgeschlossen.21 Die Neufassung der Norm erweitert insoweit das Ermessen _____des Prozessgerichts.22 Sie greift damit im Ergebnis die im Jahre 2002 noch abgelehnte23 _____Stellungnahme des Bundesrats24 zur Reform von 2002 auf, wonach auch bei der Zustel_____lung nach § 183 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz (postalische Zustellung) der Weg des § 184 nicht _____zwingend verschlossen sein soll. Auch der (isolierte) postalische Zustellungsweg im Sinne _____des § 183 Abs. 1 kann mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein, welche die An_____wendbarkeit des § 184 rechtfertigen. Das Prozessgericht hat dann nach pflichtgemäßem _____Ermessen abzuwägen, ob die grds. mögliche postalische Übersendung nach § 183 Abs. 1 _____Satz 2 im Einzelfall keinen Erfolg verspricht25 und deshalb der Weg über § 184 gewählt _____wird. Dabei kann es zur Wahrung der gegenläufigen Beteiligteninteressen an effizientem _____Rechtsschutz bzw. an Gewährung rechtlichen Gehörs im Einzelfall auch erforderlich wer_____den, parallel die Zustellung nach § 183 und nach § 184 zu betreiben (vgl. Vor §§ 183, 184 _____Rdn. 42). Vgl. zu den Einzelheiten der Auswahl zwischen verschiedenen Zustellungswe_____gen Vor §§ 183, 184 Rdn. 50; § 183 Rdn. 42 ff. sowie unten Rdn. 44. _____ _____ b) Mangelnde Erreichbarkeit im Inland (Abs. 1 Satz 1). Die Norm setzt voraus, 9 _____dass der Adressat keine inländische Wohnung bzw. Geschäftsräume unterhält, also _____einen ausländischen Wohn- bzw. Geschäftssitz des Adressaten (zum Begriff gelten _____hier die Ausführungen in § 178 Rdn. 17 ff., 48 ff.). Maßgeblich ist der gerichtsbekannte _____Stand; das Gericht muss keine eigenen Nachforschungen betreiben.26 Änderungen sind _____also nur beachtlich, soweit sie dem Gericht mitgeteilt werden (vgl. auch Rdn. 29). Wird die _____ _____ _____18 BGH NJW 2012, 2588, 2590 m.w.N.; OLG Hamm NJW-RR 2012, 62, 63. _____19 BGH NJW 2012, 2588, 2590 m.w.N.; OLG Hamm NJW-RR 2012, 62, 63. _____20 BGHZ 188, 164 = NJW 2011, 1885. 21 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 23 f. Vor der Reform von 2008 sollte bei _____möglicher postalischer Zustellung der Weg über § 184 generell versperrt sein. _____22 Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf vom 16.4.2008, BT(-Drucks. 16/8839), S. 2 unter B. a.E. _____23 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT(-Drucks.) 14/4554, S. 33 f. _____24 Stellungnahme des Bundesrats in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 32 (zu § 183 Abs. 1 Nr. 1 a.F.). 25 So die Formulierung in der Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 16/9939, S. 21 zu § 184 Abs. 1 Satz 1 _____ZPO-E. Hier wird auch betont, dass die strengen Voraussetzungen zugunsten des Adressaten (Recht auf _____rechtliches Gehör) nicht herabgesetzt werden sollen. _____26 BGH NJW 1999, 1187, 1189 f. m.w.N.; OLG Köln OLGZ 1986, 216, 219 = MDR 1986, 243, 244.

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____Zustellung an einen im Ausland ansässigen Adressaten in zulässiger Weise im Inland aus____geführt (z.B. auf einer Messe im Inland gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2), so liegt darin eine In____landszustellung, welche das Verfahren gemäß § 184 ausschließt27 (zu den Folgen von ____Verstößen vgl. Rdn. 50). ____ Vorübergehende – nicht zu berechnende – Erreichbarkeit des Adressaten im Inland ____i.S.v. § 177 ist unerheblich.28 Auch die Staatsangehörigkeit des Adressaten ist gleichgül____tig. Schon deshalb liegt in dieser Anknüpfung keine Diskriminierung i.S.v. Art. 12 EG); ____auch ist die Anknüpfung der Obliegenheit zur Ernennung eines Zustellungsbevollmäch____tigten mit dem sachlichen Grund der typisch schwierigeren Auslandszustellung verbun____den.29 Zudem haben die Mitgliedstaaten in Art. 40 Abs. 2 EuGVVO, 33 Abs. 2 EuGVÜ/ ____LugÜ vergleichbare Regelungen geschaffen. Sie tragen wie § 184 dem Umstand Rech____nung, dass die grenzüberschreitend wirkende Zustellung faktisch umständlicher ist und ____deshalb die Gefahr unzumutbarer Verfahrensverzögerungen beinhaltet. Durch die be____sonderen Vorschriften für die Zustellung an im Ausland Wohnende wird demnach nur ____das Gerechtigkeitspostulat verwirklicht, nach dem Ungleiches auch ungleich zu behan____deln ist. ____ Das Fehlen eines Prozessbevollmächtigten (vgl. § 172) ist weitere Voraussetzung ____für das Bedürfnis nach einem Zustellungsbevollmächtigten. Im anhängigen Rechts____streit sind gemäß § 172 Zustellungen immer an den für den Rechtszug bestellten Pro____zessbevollmächtigten zu bewirken. Solange § 172 anwendbar ist, kann eine Anordnung ____gegenüber der Partei nach § 184 nicht erfolgen.30 ____ Meldet sich ein im Inland wohnender Rechtsanwalt mit Prozessvollmacht für die ____ausländische Partei, so ist er bevollmächtigt i.S.v. Abs. 1.31 Dasselbe gilt für den ortsan____sässigen Anwalt mit Untervollmacht vom ausländischen Prozessbevollmächtigten. 32 ____Nicht hierher gehört der Fall des § 244: Der Anwaltsverlust bewirkt nichts weiter als eine ____Unterbrechung des Verfahrens.33 Ist ein im Ausland ansässiger Prozessbevollmächtigter ____vorhanden, so ist an diesen zuzustellen; korrespondierend muss dieser gemäß § 184 ei____nen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen. ____ Auch der Prozessbevollmächtigte kann sich eines Zustellungsbevollmächtigten ____bedienen. Im Falle des § 30 BRAO (Befreiung von der Pflicht, eine Kanzlei zu unterhal____ten) ist er dazu verpflichtet. Eine entsprechende Anordnung ist auch ihm gegenüber ge____mäß § 184 möglich.34 ____ Die Möglichkeit einer Anordnung entsteht auch dann, wenn der Adressat ins Aus____land verzieht oder wenn sein Prozessbevollmächtigter wegfällt.35 ____ Mangelnder Erreichbarkeit des Adressaten im Inland steht es gleich, wenn eine Zu____stellung an den benannten Zustellungsbevollmächtigten trotz Anwendung größtmög____licher Sorgfalt nicht möglich ist.36 ____ Wenn die Partei nachträglich eine inländische Adresse i.S.v. § 178 mitteilt, einen ____Zustellungsbevollmächtigten benennt oder einen Prozessbevollmächtigen bestellt (zur ____ ____ ____27 BGH NJW-RR 2008, 1082. ____28 A.A. wohl MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5. 29 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1190; BGH NJW 1999, 1871, 1872 (zu Art. 6 EGV a.F.). ____30 Vgl. schon RGZ 103, 334, 337. ____31 BGH NJW 1976, 1581. ____32 BGH LM BEG 1956 § 209 Nr. 55. ____33 RG JW 1905, 178 Nr. 22. 34 BGH MDR 1963, 829, 830 LS; Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 4. ____35 BayObLG Rpfl. 1978, 446; OLG Koblenz VersR 1984, 545 LS. ____36 Ohne die Einschränkung möglichst sorgfältigen Vorgehens MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6; ____Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 3 f.; Zöller/Stöber Rdn. 5.

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_____Bestellung § 172 Rdn. 8 ff.), scheidet ab diesem Zeitpunkt die Zustellung durch Aufgabe _____zur Post aus. _____ _____ 17 c) Der zu ernennende Zustellungsbevollmächtigte (Abs. 1 Satz 1); Benennung _____und Zustellungsvollmacht. Die gerichtliche Anordnung richtet sich auf die Benennung _____eines Zustellungsbevollmächtigten, der im Inland wohnt (zum Begriff der Wohnung _____vgl. § 178 Rdn. 17 ff.) oder dort einen Geschäftsraum (zum Begriff des Geschäftsraums _____vgl. § 178 Rdn. 48 ff.) hat. _____ Der Zustellungsbevollmächtigte muss weder postulations- noch prozessfähig sein 18 _____(vgl. zum gewillkürten Vertreter § 171 Rdn. 5 ff.).37 Er muss aber fähig zur Stellvertretung _____sein (vgl. § 165 BGB); ausgeschlossen sind damit Geschäftsunfähige wie auch juristische _____Personen. Jedoch kann die unwirksame Zustellungsvollmacht der juristischen Person in _____eine solche ihrer gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter umgedeutet werden.38 § 170 _____Abs. 3 zeigt, dass die Bevollmächtigung einer Personenmehrheit nicht schadet.39 Auch ist _____Erteilung einer Zustellungsuntervollmacht möglich. Die Untervollmacht eines am Sitz _____des Prozessgerichts ansässigen Anwalts beinhaltet regelmäßig solche Zustellungsvoll_____macht.40 _____ Der Zustellungsbevollmächtigte kann mehrere, auch gegnerische Parteien vertre19 _____ten.41 § 178 Abs. 2 greift nicht ein (str.; vgl. § 178 Rdn. 74). _____ Die Zustellungsvollmacht ist enger als die Prozessvollmacht. Sie beschränkt sich 20 _____auf die Entgegennahme von Schriftstücken für die Partei.42 Von der Vollmacht erst recht _____nicht erfasst ist die Entgegennahme persönlicher Ladungen (vgl. §§ 141 Abs. 2 Satz 2; 450 _____Abs. 1 Satz 3). _____ _____ d) Benennung; Erteilung der Zustellungsvollmacht. Die Benennung des Zustel21 _____lungsbevollmächtigten kann mit der Erteilung der Vollmacht an ihn zusammenfallen, _____muss dies aber nicht. Die Benennung kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder _____stillschweigend erfolgen.43 Sie (und nicht die Vollmachtserteilung selbst) ist maßgeblich _____für das weitere Verfahren, soweit der Benannte die oben Rdn. 17 ff. aufgeführten Eigen_____schaften aufweist. _____ Die Erteilung der Zustellungsvollmacht erfolgt zwar auf Anordnung des Gerichts, 22 _____aber immer durch die Partei selbst. Postulationsfähigkeit der Partei ist dabei nicht erfor_____derlich.44 Für die aus eigener Initiative erfolgte Bevollmächtigung über §184 hinaus ist _____dies ohnehin selbstverständlich. Die Erteilung bedarf weder der Schriftform noch einer _____Annahmeerklärung des Bevollmächtigten.45 Das Gericht muss sie beachten, sobald die _____Partei oder der Bevollmächtigte die Bevollmächtigung mitgeteilt haben. _____ 23 Die Zustellungsvollmacht (vgl. oben Rdn. 20) und damit die Benennung wirkt grds. _____für das gesamte Verfahren46 (alle Instanzen einschließlich der Zwangsvollstreckung). _____§ 172 Abs. 2 ist zu entnehmen, dass die Beschränkung auf eine Instanz oder auf be_____ _____ _____37 Wie hier i.Erg. RGZ 103, 334, 337; a.A. Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 7 OLG Naumburg JW 1925, 2357, _____2358 m. insoweit abl. Anm. Karlewski ebenda; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5; Zöller/Stöber Rdn. 4. 38 LG Kaiserslautern Rpfl. 1993, 256. _____39 Vgl. LG Kaiserslautern Rpfl. 1993, 256. _____40 BGH MDR 1963, 485; a.A. Zöller/Stöber Rdn. 4. _____41 RGZ 157, 168, 169 f.; LG Kaiserslautern Rpfl. 1993, 256; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn.5 . _____42 Vgl. RGZ 30, 389, 392. 43 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5. _____44 OLG Köln OLGZ 1986, 216, 218 f. = MDR 1986, 243, 244. _____45 Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 9. _____46 Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 9.

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____stimmte Akte innerhalb dieser möglich ist. Zudem kann die Zustellungsvollmacht und ____damit auch die Benennung jederzeit widerrufen werden.47 ____ Die Zustellungsvollmacht und damit die Benennung endet mit der Mitteilung an das ____Gericht;48 § 87 ist entsprechend anzuwenden.49 Entsprechend § 86 endet die Zustellungs____vollmacht nicht mit den dort genannten Änderungen in der Person des Vollmachtgebers ____(Tod, Prozessfähigkeit, gesetzliche Vertretung).50 Wird ein Prozessbevollmächtigter be____stellt, endet die Zustellungsvollmacht nach Anzeige entspr. § 8751 ohne weiteres.52 Fällt ____der Prozessbevollmächtigte später weg, so lebt die Zustellungsvollmacht aus Gründen ____der Rechtssicherheit nicht einfach wieder auf. Anderes gilt im Hinblick auf die Prozess____vollmacht des ersten Prozessbevollmächtigten.53 ____ ____ e) Frist für die Benennung des Zustellungsbevollmächtigten (Abs. 1 Satz 1). Die ____gerichtliche Anordnung muss eine angemessene Frist beinhalten, bis zu deren Ablauf ____die Partei einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat. Anders als nach § 175 ____Abs. 1 Satz 1 a.F. (Benennung bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung oder, wenn ____die Partei vorher dem Gegner einen Schriftsatz zustellen lässt, in diesem) sind keine prä____zisen Zeitpunkte festgelegt. Es wird nach der Intensität der Inlandsbeziehungen des Ad____ressaten und danach zu differenzieren sein, ob das Verfahren unternehmerische oder ____private Aktivitäten des Adressaten betrifft. Bei in Deutschland tätigen Unternehmen ____dürfte eine zweiwöchige Frist ausreichen, bei Privaten könnten je nach Näheverhältnis ____zu Deutschland vier bis sechs Wochen in Betracht zu ziehen sein.54 Die Bestimmung ei____ner unangemessenen Frist setzt eine angemessene Frist in Lauf. Erfolgt die Benennung ____des Zustellungsbevollmächtigten vor Ablauf der angemessenen Frist, so ist eine zuvor ____erfolgte Zustellung nach § 184 unwirksam.55 ____ Der Fristlauf beginnt mit erfolgter Zustellung der Anordnung.56 ____ ____ f) Formalien ____ ____ aa) Das zuzustellende Schriftstück und seine Adressierung (Abs. 1 Satz 2). ____Abs. 1 Satz 2 setzt eine ordnungsgemäße Aufgabe zur Post voraus. Der Zustellende ____muss alles nötige dafür tun, um die Zustellung an den Adressaten auf ordnungsgemä____ßem, störungsfreien Postweg zu ermöglichen.57 Nur dann kann auch bei Unzustellbarkeit ____die Fiktionswirkung eintreten. ____ Erforderlich ist die Angabe der richtigen und in allen wesentlichen Teilen vollstän____digen Adresse des Adressaten (vgl. auch § 166 Rdn. 13; § 176 Rdn. 9).58 Notwendig ist ____insbesondere Individualisierbarkeit. Im Einzelfall kann die Angabe des Bestimmungs____landes erforderlich sein,59 nicht aber als bloße Förmelei, wenn das Land ohne weiteres ____ ____47 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____48 RG JW 1935, 2430 f. ____49 Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 9; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____50 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; a.A. Zöller/Stöber Rdn. 4. ____51 Zöller/Stöber Rdn. 4. 52 Zöller/Stöber Rdn. 4; vgl. auch Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 9. ____53 RGZ 103, 334, 336 f. ____54 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6. ____55 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7. ____56 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 6. 57 Vgl. BGHZ 73, 388, 391; OLG Köln OLGZ 1986, 216, 219 = MDR 1986, 243, 244. ____58 Vgl. BGHZ 73, 388, 391; BGH NJW 1999, 1187, 1189; OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1979, 40, 41. ____59 BGHZ 73, 388, 391 = RIW 1979, 714 f. mit fragwürdiger Forderung, dem Bestimmungsort „Bronx N.Y. 10452“ ____noch „USA“ beizufügen; offen gelassen in BGH NJW 1999, 1187, 1189; abl. Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 15.

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_____erkennbar ist (z.B. Zustellung von Deutschland nach Zürich oder Rom).60 Jedenfalls ge_____nügt auch eine hinreichend klare Abkürzung zur gegebenenfalls erforderlichen Bezeich_____nung des Bestimmungslandes („E“ für Spanien).61 Unschädlich sind Fehler, die keine _____Verwechslungsgefahr auslösen, welche zu einer verzögerten Zustellung führen könnte, _____wie z.B. geringfügige Schreibfehler beim ansonsten eindeutigen Bestimmungsort (vgl. _____auch § 166 Rdn. 12 ff.).62 _____ 29 Ändert sich die Adresse im laufenden Verfahren, so muss die neue Adresse erst _____nach Bekanntgabe berücksichtigt werden (vgl. oben Rdn. 9).63 _____ Das zu übergebende Schriftstück muss auch verschlossen sein. Dies ist zwar im Ge30 _____gensatz zu § 176 nicht explizit vorgeschrieben (vgl. zu Einzelheiten § 176 Rdn. 6). Es er_____gibt sich aber daraus, dass wie bei einer in wesentlichen Teilen unvollständigen Adresse _____beim unverschlossenen Brief keine Gewähr dafür besteht, dass das zuzustellende _____Schriftstück nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ankommen wird. Fällt es einmal _____heraus, ist es bei der massenhaften Postbeförderung kaum gewährleistet, dass eine Zu_____ordnung zu einem Adressaten noch erfolgen kann, dies insbesondere dann nicht, wenn _____nur ein Teil des Schriftstücks herausfällt. _____ Auf dem Brief muss kein Gerichtsaktenzeichen angebracht sein.64 31 _____ Auch ausreichende Frankierung der Sendung ist nicht zwingend.65 Allerdings schei32 _____tert die Zustellung, wenn die Post die Beförderung verweigert oder der Adressat die Sen_____dung nicht annimmt. Letzteres ist aber grundsätzlich möglich; deshalb kann nicht gene_____rell Unwirksamkeit der Aufgabe zur Post angenommen werden. _____ 33 Für das zuzustellende Schriftstück gelten im Übrigen die in §§ 166 Rdn. 16 ff., 176 _____Rdn. 6 ff. dargelegten Grundsätze. _____ Bei der Zustellung nach Abs. 1 Satz 2 bedarf es nicht der Beifügung einer Überset34 _____zung.66 Insoweit kommt zum Tragen, dass es sich um eine Inlandszustellung handelt _____(vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 25, 28). Allerdings empfiehlt es sich, zur Vermeidung kosten_____trächtiger Wiedereinsetzungsanträge nach Möglichkeit alles zu tun, um dem Adressaten _____die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. So kann sich im Einzel_____fall empfehlen, eine Übersetzung beizufügen, unter Kostengesichtspunkten nicht aber _____dann, wenn ohnehin nicht damit zu rechnen ist, dass der Adressat sich auf das Verfah_____ren einlassen wird. _____ _____ bb) Die Anordnung (Abs. 2 Satz 3). In Abkehr von der vormaligen Rechtslage67 ord35 _____net Abs. 2 Satz 3 an, dass in der Anordnung nach Abs. 1 auf die Rechtsfolgen (Rdn. 50 ff.) _____der mangelnden Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (Möglichkeit der fikti_____ven Inlandszustellung) hinzuweisen ist (vgl. oben Rdn. 2). Damit wird der Adressat hin_____länglich über die möglichen Konsequenzen eines Unterlassens informiert.68 Einer Be_____gründung bedarf die Anordnung nicht zwingend, weil sie unanfechtbar ist.69 _____ _____ _____60 So OLG Köln OLGZ 1986, 216, 219 f. = MDR 1986, 243, 244; gemeint ist selbstverständlich die _____schweizerische bzw. italienische Stadt, wie hier Zöller/Stöber Rdn. 4. _____61 OLG Köln OLGZ 1986, 216, 220 = MDR 1986, 243, 244. 62 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1189 m.w.N.; BGH NJW-RR 2001, 1361 (unrichtige Straßenbezeichnung). _____63 BGH NJW 1999, 1187, 1189 f. m.w.N.; OLG Köln OLGZ 1986, 216, 219 = MDR 1986, 243, 244. _____64 BGH v. 23.3.1966 IV ZR 13/65; vgl. die Voraufl. Anm. A I. _____65 Wie hier Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 175 Rdn. 22. _____66 BGH FamRZ 1996, 347 = NJW-RR 1986, 387 f.; BGH NJW 1999, 1871, 1872; Zöller/Stöber Rdn. 5. 67 Vgl. BGHZ 98, 263, 268 = NJW 1987, 582; OLG München NJW-RR 1998, 357; zu den Bedenken gegen die _____alte Rechtslage vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1190 f. m.w.N. _____68 Vgl. BGH NJW 2012, 2588, 2589. _____69 BGH NJW 2012, 2589, 2591 m.w.N.

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____ Da die Anordnung dem Adressaten zuzustellen ist, ist ihr im vertraglichen Rechtshil____feverkehr (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 60 ff., 66 ff.) bei förmlicher Zustellung (vgl. Vor §§ 183, ____184) eine Übersetzung beizufügen (vgl. zur Notwendigkeit einer Übersetzung auch Vor ____§§ 183, 184 Rdn. 81 ff.; zur Entbehrlichkeit bei der späteren Zustellung nach § 184 oben ____Rdn. 34).70 ____ ____ g) Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks. Die Anordnung zur Be____nennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist dem im Ausland lebenden Adressaten ____gemäß § 183 zusammen mit dem verfahrenseinleitenden Schriftstück zuzustellen.71 ____Das Erfordernis rechtlichen Gehörs verbietet es, die im Ausland wohnende Partei vor ____ordnungsgemäßer Verfahrenseinleitung zur Benennung eines Zustellungsbevollmäch____tigten zu verpflichten.72 Für den Beklagten gilt dies demzufolge ab Rechtshängigkeit,73 ____setzt also grds. die ordnungsgemäße Klagezustellung voraus.74 Eine Anordnung zum ____Zweck einer solchen Zustellung scheidet daher aus (zur Möglichkeit einer Heilung vgl. ____Vor §§ 183, 184 Rdn. 102 ff.75 ____ Ist das verfahrenseinleitende Schriftstück wirksam zugestellt, so ist die Zustellung ____gemäß § 184 auch im Vollstreckungsverfahren möglich (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 3).76 ____ Bei selbständigen Annexverfahren (z.B. nach §§ 249 ff. FamFG bedarf es der erneu____ten Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, bevor § 184 eingreifen kann.77 ____Zu Besonderheiten bei Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl. OLG Bamberg ____NJW-RR 1999, 659. ____ Im Adhäsionsverfahren genügt die wirksame alleinige Zustellung der Strafklage ____nicht. Wird die Zivilklage erst später erhoben, so wird deren gesonderte Zustellung er____forderlich, bevor § 184 eingreifen kann.78 ____ Auch die Klageerweiterung macht eine erneute Zustellung erforderlich.79 Anderes ____verträgt sich nicht mit dem Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör: Er muss wissen, ____welche konkreten Risiken die mangelnde Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten ____mit sich bringen kann. Die bloße Möglichkeit, gegen ein Versäumnisurteil ohne Begrün____dung Einspruch erheben zu können und bei schuldlos versäumter Einspruchsfrist Wie____dereinsetzung in den vorigen Stand beantragen zu können,80 ist m.E. keine hinreichend ____verlässliche Grundlage für eine Risikoeinschätzung. Dies gilt insbesondere in Fällen, in ____denen die Klageerweiterung das Prozessrisiko maßgeblich erhöht. ____ Die informelle Übersendung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks – also nicht ____im Wege der Zustellung – reicht für die Anwendbarkeit des Abs. 1 nicht aus, soweit keine ____ ____ ____70 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.24; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein ____Rdn. 7. 71 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.24; vgl. auch schon OLG Köln OLGZ 1986, 216, 220 = ____MDR 1986, 243, 244; Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 5, 11; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. ____72 Vgl. BGH NJW 1987, 1707, 1708; OLG München NJW 1989, 234, 235; Roth IPRax 1990, 161, 162; vgl. ____auch BGH NJW 2000, 3284, 3285; OLG Köln MDR 1986, 243, 244. ____73 BGHZ 58, 177, 179 = NJW 1972, 1004; BGH ZIP 1998, 328, 330; LG Frankfurt a.M. NJW 1990, 652 = IPRax ____1990, 177 m. Anm. Roth a.a.O., 161 f.; Hausmann IPRax 1988, 140, 142. 74 BGHZ 58, 177, 179 = NJW 1972, 1004; BGH VersR 1999, 510; BGH NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237; OLG ____Köln OLGZ 1986, 216, 220 = MDR 1986, 243, 244; LG Frankfurt a.M. NJW 1990, 652 = IPRax 1990, 177 ____m. Anm. Roth a.a.O., 161 f. ____75 BGH ZIP 1998, 328, 330; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 81 f. ____76 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 88. 77 LG Aachen Rpfl. 1983, 74 f.; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 88. ____78 Geimer IZPR Rdn. 2077; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 83; Stürner JZ 1992, 333. ____79 Ebenso Stürner JZ 1992, 333; a.A. BGH NJW 2012, 2588, 2589; Geimer IZPR Rdn. 2077. ____80 Damit argumentiert BGH NJW 2012, 2588, 2589.

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_____Heilung eingetreten ist (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 102 ff.). Dies hat auch Bedeutung für das _____Mahnverfahren, insbesondere im Hinblick auf die notwendige grenzüberschreitende Zu_____stellung. Der Mahnbescheid wird im Ausland nur nach Maßgabe des § 688 Abs. 3 i.V.m. §§ 1, _____32 AVAG (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 16; Text im Anhang zu §§ 183, 184 Rdn. 67) zugestellt.81 _____Nur diese Fälle können die Obliegenheit des § 184 für den Verfahrensbetreibenden auslö_____sen.82 Der Antragsgegner ist dann gemäß § 184 im Mahnbescheid darauf hinzuweisen, _____dass er einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat, und über die Rechtsfolgen _____einer mangelnden Benennung zu belehren.83 Ausgeschlossen ist die Anordnung also im _____Mahnverfahren, soweit nur formlose Mitteilungen erfolgt sind (vgl. Rdn. 5).84 _____ _____ 2. Zuständigkeit und Entscheidung (Abs. 1 Satz 1). Die Anordnung, einen Zustel43 _____lungsbevollmächtigten zu ernennen, erfolgt durch den Vorsitzenden des Prozessge_____richts (Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 183 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3). Auch bei Kollegialgerichten ist _____nicht die Mitwirkung des gesamten Spruchkörpers erforderlich.85 Zu den Einzelheiten _____vgl. § 183 Rdn. 20 ff., 37. _____ 44 Die Entscheidung über die Anordnung trifft das Gericht nach pflichtgemäßem _____Ermessen („kann“) durch Beschluss.86 Erscheint aufgrund bestehender Vereinbarungen _____mit dem Empfangsstaat eine andere Form der Zustellung, die das Recht auf rechtliches _____Gehör typischerweise stärker berücksichtigt, mit zumutbarer Zeitverzögerung gewähr_____leistet, so wird regelmäßig dieser Weg zu wählen sein.87 Insgesamt verbleibt hier dem _____Prozessgericht jedoch ein erheblicher Ermessensspielraum (vgl. zur Begründung der _____Neuregelung 2008 und ihren Auswirkungen Rdn. 44). Zu anderen Zustellungsmöglich_____keiten vgl. unten Rdn. 50 a.E. In bestimmten Fällen kann sich das Ermessen auf die _____Auswahl eines oder mehrerer möglicher Zustellungswege verdichten (vgl. Vor §§ 183, 184 _____Rdn. 57). _____ _____ 3. Zustellungsnachweis (Abs. 2 Satz 4). Die Regelung entspricht dem § 213 a.F.88 45 _____Allerdings zählt der Nachweis der Zustellung seit der Reform des Zustellungsrechts _____nicht mehr zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Zustellung (vgl. § 166 Rdn. 8; _____§ 182 Rdn. 2).89 _____ 46 Abs. 2 Satz 4 verlangt, dass der zustellende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in _____den Akten vermerkt, zu welcher Zeit90 und unter welcher Adresse die Aufgabe gesche_____hen ist. Nicht erforderlich ist die Datierung des Vermerks selbst.91 Der Vermerk darf erst _____nach erfolgter Aufgabe des Schriftstücks zur Post aufgenommen werden.92 _____ Weitere formale Anforderungen stellt das Gesetz nicht explizit auf. Es genügt, wenn 47 _____sich aus dem Vermerk hinreichend deutlich ergibt, dass der Urkundsbeamte das hinrei_____ _____ 81 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 27 f. (zu Abs. 15 Nr. 2 – § 34 AVAG). _____82 Vgl. OLG München NJW 1989, 234 zu § 36 Abs. 3 S. 2 AVAG a.F. (vgl. nun § 32 AVAG). _____83 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 27 f. (zu Abs. 15 Nr. 2 – § 34 AVAG); die Neuregelung _____in § 184 ersetzt insoweit die vormalige, inhaltlich identische Spezialregelung in § 34 Abs. 3 S. 2, 3 AVAG. _____84 OLG München NJW 1989, 234; LG Frankfurt a.M. NJW 1976, 1597. _____85 Überzeugend BGH NJW 2012, 2588, 2590 f. mit ausführlicher Begründung und m.w.N. auch zu abweichenden Auffassungen; OLG Köln BeckRS 2011, 22376; a.A. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2010, 285. _____86 Zöller/Stöber Rdn. 3. _____87 Vgl. G. Geimer Neuordnung, S. 46 f.; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5; MünchKomm-ZPO/ _____Häublein Rdn. 7. _____88 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. 89 Vgl. BGH NJW 2012, 2589, 2591; Zöller/Stöber Rdn. 9. _____90 Vgl. schon BGH NJW-RR 2001, 1361. _____91 BGH NJW 1983, 884. _____92 BGH NJW 1983, 884 m.w.N.

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____chend identifizierbare Schriftstück93 zur Zustellung durch die Post aufgegeben hat. Dafür ____bedarf es der Unterzeichnung durch den Urkundsbeamten.94 Nicht ausreichend ist der ____Vermerk, das zu übergebende Schriftstück sei dem Justizwachtmeister zwecks Zustel____lung durch Aufgabe zur Post übergeben worden.95 Damit wird die maßgebliche Aufgabe ____zur Post gerade nicht beurkundet. Bringt eine andere Person als der Urkundsbeamte das ____Schriftstück zur Post, so muss sich der Urkundsbeamte diesen Vorgang bestätigen las____sen, bevor er den Vermerk anfertigt.96 Die Unterzeichnung durch den Gerichtswacht____meister genügt nicht.97 ____ Der Aktenvermerk entspricht funktional einer Zustellungsurkunde98 und genießt die 48 ____Beweiskraft des § 41899 (vgl. hierzu § 182 Rdn. 32 ff.). Es muss die Aufgabe des Schrift____stücks „unter der Adresse der Partei“ nachgewiesen werden können.100 Dabei ist zu be____achten, dass die bloße Absendung von Schreiben per Post ohne formellen Nachweis ____nicht einmal Grundlage eines Anscheinsbeweises für die Zustellung sein kann, weil er____fahrungsgemäß immer wieder Postsendungen verlorengehen.101 Ein anderweitiger Nach____weis ist zulässig, aber praktisch wohl nur schwer möglich.102 ____ Der Urkundsbeamte darf allerdings die unterbliebene Adressenangabe auch nach 49 ____längerer Zeit nach Ausführung des Zustellvorgangs vornehmen.103 Voraussetzung hier____für ist, dass der Urkundsbeamte noch die Verantwortung für die Richtigkeit der enthal____tenen Angaben übernehmen kann.104 Die Beurteilung entspricht derjenigen einer nach____träglichen Anfertigung des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses nach §§ 174; 195 (vgl. ____§ 174 Rdn. 54).105 Unerheblich ist auch, ob zwischenzeitlich ein Rechtsmittel eingelegt ____worden ist, dessen Zulässigkeit durch den Vermerk berührt wird.106 Unschädlich ist es, ____wenn der Zeitpunkt der Anfertigung des Zustellungsvermerks (nicht: der Aufgabe zur ____Post) unzutreffend angegeben ist. Ein solcher Vermerk ist ohnehin entbehrlich, weil es ____alleine auf den beurkundeten Zeitpunkt der Aufgabe zur Post ankommt.107 ____ ____ 4. Rechtsfolgen ____ ____ a) Allgemeines. Liegen die Voraussetzungen des § 184 nicht vor, so bleibt eine nach 50 ____seiner Maßgabe bewirkte Zustellung unwirksam.108 Auch der Hinweis auf die Folgen ____einer Nichtbenennung nach Abs. 2 Satz 3 (vgl. Rdn. 35) gehört nach der Reform des Zu____ ____ ____93 BayObLGZ 1975, 184, 188; vgl. zu Einzelheiten auch OLG Düsseldorf NZI 2010, 276. 94 Vgl. BGHZ 8, 314 = NJW 1954, 422, 423; BGHZ 32, 370 = NJW 1960, 1763, 1764; BGH NJW 1979, 218; BGH ____NJW-RR 2001, 1361; OLG Frankfurt a.M. NJW 1960, 1954 m.w.N. (zur Unwirksamkeit nach vormaligem ____Zustellungsrecht). ____95 Vgl. BGH NJW 1979, 218 (zur Unwirksamkeit nach vormaligem Zustellungsrecht). ____96 Vgl. BGH Rpfl. 1966, 143. 97 BGHZ 8, 314 = NJW 1954, 422, 423 (zur Unwirksamkeit nach vormaligem Zustellungsrecht). ____98 Vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1189; BGH NJW-RR 2001, 1361; BGH NJW 2012, 2588, 2591; OLG Düsseldorf ____NJW-RR 1994, 5. ____99 Vgl. BGH NJW-RR 2001, 1361; Zöller/Geimer § 183 Rdn. 89. ____100 BGHZ 73, 388, 390 m.w.N. ____101 Vgl. BAG NJW 1961, 2132. 102 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 9. ____103 BGH NJW 2000, 3284, 3285 m.w.N. ____104 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575; BGH NJW 1987, 1707; BGH FamRZ 1989, 1287, 1288; BGH FamRZ ____1996, 347; BGH NJW 2012, 2589, 2591 f. ____105 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575. 106 BGH MDR 1961, 212; BGH VersR 1962, 123; BGH NJW 1983, 884; BGH NJW 1987, 1707, 1708; BGH NJW ____2012, 2589, 2591, a.A. die 2. Aufl. Anm. B I a. ____107 BGH NJW 1983, 884. ____108 BGHZ 98, 263, 269 = NJW 1987, 592 und st.Rspr.; BGH NJW-RR 2008, 1082; Zöller/Stöber Rdn. 13.

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_____stellungsrechts zum 1.7.2002 zu den Voraussetzungen.109 Nicht mehr zu den Vorausset_____zungen zählt hingegen der Aktenvermerk nach Abs. 2 Satz 4 (vgl. Rdn. 45); allerdings _____behält er eine bedeutsame Funktion für die Beweisbarkeit der Zustellung. Eine mögliche _____Verletzung der funktionellen Zuständigkeit innerhalb des betreibenden Prozessgerichts _____bewirkt ebenfalls nicht die Unwirksamkeit der Zustellung, weil dadurch das Recht des _____Adressaten auf rechtliches Gehör nicht beeinträchtigt wird.110 Im Übrigen ist eine Hei_____lung nach §§ 189; 295 möglich.111 Daneben bleibt die Zustellung an die Partei selbst auf _____gewöhnlichem Wege – also nicht per Aufgabe zur Post – neben der Zustellung an den _____Zustellungsbevollmächtigten möglich.112 _____ 51 Dem Fehlen eines ggf. erforderlichen Zustellungsbevollmächtigten steht der Fall _____gleich, in dem eine Zustellung an den benannten Zustellungsbevollmächtigten trotz _____Anwendung größtmöglicher Sorgfalt nicht möglich ist (vgl. oben Rdn. 15); auch dann _____kann gemäß § 184 zugestellt werden. _____ _____ b) Bei wirksamer Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten. Ab Benen52 _____nung des Zustellungsbevollmächtigten (vgl. oben Rdn. 21 ff.) kann nicht mehr wirksam _____gemäß § 184 durch Aufgabe zur Post zugestellt werden. Dies gilt auch dann, wenn das _____Gericht die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten angeordnet hat, ohne dass _____die Voraussetzungen dafür gegeben waren.113 Eine Heilung nach §§ 189; 295 ist möglich. _____Daneben bleibt die Zustellung an die Partei selbst auf gewöhnlichem Wege – also nicht _____per Aufgabe zur Post – neben der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten mög_____lich.114 _____ Wenn die Partei nachträglich einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, scheidet 53 _____ab diesem Zeitpunkt die Zustellung durch Aufgabe zur Post aus. _____ _____ c) Bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten _____ _____ 54 aa) Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post (Abs. 1 Satz 2). Ist entge_____gen Abs. 1 Satz 1 kein Zustellungsbevollmächtigter benannt worden, so können alle Zu_____stellungen bis zur nachträglichen Benennung unter Anschrift der Partei durch Aufgabe _____zur Post (nicht: durch Zustellung durch die Post)115 bewirkt werden (Abs. 1 Satz 2). Die _____Tätigkeit der Post beschränkt sich in diesem Falle und anders als bei der Zustellung _____durch die Post (vgl. §§ 168 Rdn. 11 ff., 175 Rdn. 1, 176 Rdn. 4 ff.) auf den bloßen – zustel_____lungsrechtlich nicht bedeutsamen – Transport. Der zustellungsrechtlich maßgebliche _____Vorgang liegt bereits in der Aufgabe des zuzustellenden Schriftstücks in Briefform zur _____Post.116 _____ 55 Bei Zustellungen im Amtsbetrieb handelt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle. _____Dieser darf sich bei der Aufgabe der Sendung zur Post der Hilfe des Gerichtswachtmeis_____ters bedienen,117 nicht aber bei Anfertigung des gemäß Abs. 2 Satz 4 erforderlichen Ver_____ _____ _____ _____109 OLG Hamm BeckRS 2011, 24071; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 15; Prütting/Gehrlein/Kessen Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth Rdn. 14. _____110 BGH NJW 2012, 2588, 2591. _____111 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 15. _____112 BGH FamRZ 1994, 1521; Stein/Jonas/Roth Rdn. 10. _____113 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 11; Stein/Jonas/Roth („unanfechtbar“) Rdn. 5. 114 BGH FamRZ 1994, 1521. _____115 Vgl. RGZ 57, 334, 336. _____116 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 7. _____117 BGHZ 8, 314, 315 = NJW 1953, 422; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 5.

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____merks.118 Zu den Anforderungen an die Gestaltung der Postsendung vgl. Rdn. 27 ff.). Der ____Urkundsbeamte entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, in welcher Form er das ____Schriftstück versendet. Wie bei der Zustellung im Parteibetrieb hat die Wahl der beson____deren Versendungsform des Einschreibens keinen Einfluss auf das Zustellungsdatum. ____Maßgeblich bleibt auch hier der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post.119 ____ Bei Zustellungen im Parteibetrieb gibt der Gerichtsvollzieher das zu übergebende ____Schriftstück unter der Adresse der Partei zur Post. Zu Einzelheiten vgl. die Kommentie____rung zu § 193 Abs. 1, insbes. Rdn. 5. ____ ____ bb) Zustellungsfiktion (Abs. 2 Satz 1). Abs. 2 Satz 1 ordnet eine weitreichende Fik____tionswirkung an. Die Zustellung gilt nach zwei Wochen bzw. nach Ablauf einer längeren ____gerichtlich bestimmten Frist nach ordnungsgemäßer Aufgabe zur Post (zu den Einzelhei____ten Rdn. 61) als bewirkt, auch dann, wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt120 ____oder tatsächlich nicht angekommen ist.121 ____ Die Wirkung der Aufgabe zur Post tritt bei Versendung unter persönlicher Überga____be an den Postbediensteten zu dieser Zeit, bei Einwurf in den Briefkasten in dem Zeit____punkt ein, in dem der Brief eingeworfen wurde.122 Bereits dieser Zeitpunkt und nicht der____jenige der (gewöhnlichen) Leerung des Briefkastens ist maßgeblich: Es geht hier nicht ____um die Frage des Zugangs, sondern um die der „Aufgabe“, also des Übergangs vom ____Machtbereich des Zustellenden in denjenigen der Post. Auch der Briefkasten eröffnet den ____Zugang zur Sphäre der Post. Eine Unterscheidung zwischen – undokumentierter – Über____gabe am Postschalter und Einwurf in den Briefkasten wäre willkürlich. Zudem kann ein ____Brief wie bei persönlicher Übergabe am Schalter bereits mit Einwurf in den Briefkasten ____vom Absender nicht mehr zurückerlangt werden. ____ Diese Fiktionswirkung ist Ergebnis eines angemessenen und daher verfassungsmä____ßigen123 Ausgleichs zwischen den Interessen von Zustellendem und Adressaten (vgl. Vor ____§ 166 Rdn. 1 ff.).124 Das Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren wird nicht ____verletzt, wenn die Partei in einem ordnungsgemäß eingeleiteten Verfahren darauf hin____gewiesen wurde, welche Folgen die Nichtbenennung eines notwendigen Zustellungsbe____vollmächtigten hat. Ist dieser Hinweis erfolgt, so ist kein milderes Mittel ersichtlich, mit ____dessen Hilfe der Adressat daran gehindert werden könnte, das Verfahren zu Lasten des ____Betreibenden unzumutbar zu verzögern.125 Dabei ist auch zu bedenken, dass der Adres____sat mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Korrektiv zur Hand ____hat.126 Mittels Anwendung des § 233 können die Spezifika des grenzüberschreitenden ____Rechtsverkehrs bei Anwendung vergleichsweise großzügiger Maßstäbe hinreichend und ____passgenau gewürdigt werden.127 Wegen der Möglichkeit der Wiedereinsetzung ist die ____ ____ 118 BGHZ 8, 314 = NJW 1953, 422 (zu § 213 a.F.). ____119 BGH NJW 1987, 1707, 1708. ____120 Vgl. BGH NJW 1989, 1432, 1433; BGH FamRZ 1996, 347 m. abl. Anm. Bachmann a.a.O., 1276, 1277. ____121 BGH FamRZ 1996, 347 = NJW-RR 1996, 387, 388; Zöller/Stöber Rdn. 8. ____122 Wie hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 12 m.w.N.; Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 16; a.A. ____Zöller/Stöber Rdn. 8. 123 BVerfG NJW 1997, 1772; BGH NJW 1999, 1871, 1872; BGH NJW 2000, 3284, 3285; BGH NJW 2012, 2588, ____2589 ff. mit umfassender Begründung; OLG München NJW-RR 1998, 357; a.A. Bachmann FamRZ 1996, 1276, ____1277 f. ____124 A.A. Bachmann FamRZ 1996, 1276, 1277. ____125 Vergleichbar BGH NJW 1992, 1701, 1702. 126 Vgl. BVerfG NJW 2000, 1633 f. und bereits BVerfG NJW-RR 1999, 1149 (Vor Wiedereinsetzungsantrag ____ist aus Gründen der Subsidiarität keine Verfassungsbeschwerde zulässig). ____127 Vgl. BGH NJW 1989, 1432, 1433; BGH NJW 1992, 1701, 1702; BGH FamRZ 1996, 347, 348; BGH NJW ____1999, 1187, 1191 f.; BGH NJW 2000, 3284, 3285; Hausmann FamRZ 1989, 1288, 1289 m.w.N.

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_____Wahl einer Versendungsform, die dem Adressaten möglichst Gelegenheit zu rechtzeiti_____ger Kenntnisnahme gibt (z.B. Versendung per Luftpost; Vorabinformation per Fax bei _____Kenntnis der Faxnummer)128 zwar nicht zwingend geboten, aber doch im Sinne der Ver_____fahrensfairness angezeigt. _____ Die in Abs. 2 Satz 1 angeordnete Zustellungswirkung macht deutlich, dass es sich bei 60 _____der Zustellung durch Aufgabe zur Post um eine Inlandszustellung handelt (vgl. Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 25, 86). Bei der Zustellung von Versäumnisurteilen bedarf es deshalb _____nicht zwingend einer Fristbestimmung nach § 339 Abs. 2 (vgl. aber sogleich unten _____Rdn. 61).129 Den Besonderheiten der faktisch grenzüberschreitenden Zustellung kann im _____Rahmen der Wiedereinsetzung Rechnung getragen werden130 (vgl. Rdn. 59). _____ Das Gericht kann für den Eintritt der Zustellungsfiktion eine längere Frist als die 61 _____Zwei-Wochen-Frist des Satz 1 bestimmen (Satz 2). Damit wird dem Adressaten gegenüber _____dem vormaligen Rechtszustand eine günstigere Voraussetzung zur Gewährleistung des _____rechtlichen Gehörs eingeräumt.131 Dies wird insbesondere bei der Zustellung von Ver_____säumnisurteilen relevant werden, wenngleich die Regelung des § 339 Abs. 2 nicht direkt _____Anwendung findet (vgl. oben Rdn. 60). Zur Vermeidung von Wiedereinsetzungsgesu_____chen ist deshalb eine Orientierung an § 339 Abs. 2 angezeigt.132 Bei Bemessung der Frist _____wird auf die gewöhnlichen Postlaufzeiten in den Empfangsstaat abzustellen sein.133 _____ _____ cc) Verhältnis zu anderen Varianten der Zustellung. Alternativ zur Zustellung 62 _____durch Aufgabe zur Post ist die sonstige (ordentliche) Zustellung134 und auch die öffentli_____che Zustellung gemäß einschlägigen Europäischen Normen, internationalen oder bilate_____ralen Regelungen oder §§ 185 ff. möglich135 (vgl. hierzu Vor §§ 183, 184 Rdn. 8 ff.; § 185 _____Rdn. 11 ff.). § 184 genießt keinen Vorrang. Andernfalls würde der Adressat ohne Not _____stets mit den harten Folgen fiktiver Zustellungswirkung belastet, ohne dass zuvor ver_____sucht werden könnte, seine Anschrift zu ermitteln.136 _____ Bei der Zustellung im Amtsbetrieb hat die Prozesspartei einen Anspruch darauf, 63 _____dass die Zustellung in einer Art und Weise bewirkt wird, welche die Vornahme daran _____geknüpfter Maßnahmen (z.B. Vollstreckung) im Empfangsstaat ermöglicht. Wird nach _____Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen die Zustellung durch Aufgabe zur Post dort _____nicht anerkannt, muss entsprechend der im einschlägigen Abkommen vorgesehenen _____Form zugestellt werden, um nicht die Prozesspartei rechtlos zu stellen (vgl. Vor §§ 183, _____184 Rdn. 2).137 In den übrigen Fällen – bei Zulässigkeit der Zustellung gemäß § 184 auch _____im Empfangsstaat – besteht dagegen kein solcher Anspruch.138 Allerdings wird nicht im_____mer ohne weiteres zu klären sein, ob die Zustellung nach § 184 im Empfangsstaat aner_____ _____ _____128 BVerfG NJW 1997, 1772; vgl. auch BGH FamRZ 1989, 1287, 1288. 129 RGZ 57, 334, 336; BGHZ 98, 263, 266 f. = NJW 1987, 592; BGH NJW 1992, 1701, 1702; BGH BB VersR _____1999, 510, 511; BGH NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237, 238; OLG Köln OLGZ 1986, 216, 218 = MDR 1986, 243, _____244; bestätigt in BVerfG NJW 1997, 1772; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8; Zöller/Stöber Rdn. 8; a.A. _____Stein/Jonas/Roth § 184 Rdn. 12; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; offen gelassen in BGH NJW 1992, _____1700, 1701. _____130 BVerfG NJW 1997, 1772; BGH NJW 1992, 1701, 1702; kritisch Schlosser JR 1987, 160 f. 131 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S.24. _____132 Hausmann IPRax 1988, 140, 141. _____133 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 8. _____134 RGZ 57, 334 f.; BGH NJW-RR 1995, 257. _____135 BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447; a.A. die 2. Aufl. 136 BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447. _____137 LG Berlin NJW 1989, 1434, 1435; obiter OLG München NJW 1987, 3086, 3087; Stein/Jonas/Roth Rdn. 11. _____138 OLG München NJW 1987, 3086, vgl. auch OLG München NJW 1983, 527 LS; a.A. Stein/Jonas/Roth _____Rdn. 11.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____kannt werden wird. In solchen Unsicherheitsfällen ist auf Antrag der Partei zusätzlich ____eine Zustellung nach § 184 vorzunehmen (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 42). ____ ____ III. Kosten ____ ____ Die Zustellungsgebühren für den Gerichtsvollzieher bestimmen sich nach § 9 Gv- 64 ____KostG i.V.m. Nr. 100, 101 GvKV, seine Auslagen nach § 9 GVKostG i.V.m. Nr. 701 GvKV. ____ ____ ____ Anhang zu §§ 183, 184 Anh §§ 183, 184 Rohe ____ Übersicht ____ aa) Der Text des Übereinkommens ____I. Auslandszustellung und gewöhnliche Inlandszustellung und der Vorschriften des ____ 1. Einführung: Rechtsgrundlagen und deutschen Ausführungs____ Konkurrenzen ____ 1 gesetzes vom 18. Dezember ____ 1958 ____ 43 a) Rechtsgrundlagen ____ 1 ____ ____ b) Konkurrenzen 5 bb) Erläuterungen ____ 44 ____ 2. Einzelne Übereinkommen ____ 9 cc) Deutsch-österreichische Vereinba____ a) Das HZÜ (Haager Übereinkommen rung ____ 49 ____ über die Zustellung gerichtlicher und c) Bilaterale Verträge ____ 51 außergerichtlicher Schriftstücke im aa) Liechtenstein ____ 52 ____ Ausland in Zivil- oder Handelssachen bb) Marokko ____ 53 ____ ____ vom 15. November 1965) 9 cc) Tunesien ____ 54 ____ aa) Der Text des Übereinkommens (1) Vertrag ____ 55 ____ und die deutschen Ausfüh(2) Ausführungsgesetz ____ 56 ____ rungsvorschriften ____ 10 dd) Türkei ____ 57 ____ bb) Erläuterungen ____ 11 ee) Vereinigtes König____ cc) Texte von Zusatzvereinbarungen reich ____ 58 ____ ____ i.S.v. Art. 24 HZÜ 38 (1) Abkommen ____ 59 ____ (1) Deutsch-dänische Verein(2) Verordnung ____ 60 ____ ____ barung 39 ff) Griechenland ____ 61 (2) Deutsch-norwegische (1) Abkommen ____ 62 ____ ____ Vereinbarung 40 (2) Verordnung ____ 63 ____ (3) Deutsch-schweizerische II. Inlandszustellung an Exterritoriale ____ Vereinbarung ____ 41 1. Einführung; Rechtsgrundlagen und ____ b) Das Haager Übereinkommen über Konkurrenzen ____ 64 ____ den Zivilprozeß vom 1. März 1954 III. Inländische Ausführungsvorschriften ____ (HZPÜ), mit deutschen Ausführungs1. Das AVAG ____ 67 ____ vorschriften und die deutsch2. Die ZRHO ____ 68 ____ österreichische Zusatzvereinbarung ____ vom 6. Juni 1959 ____ 42 ____ ____ I. Auslandszustellung und gewöhnliche Inlandszustellung ____ ____ 1. Einführung: Rechtsgrundlagen und Konkurrenzen ____ ____ a) Rechtsgrundlagen. Rechtsgrundlagen für die grenzüberschreitende Zustellung 1 ____finden sich in Europäischen Normen sowie in internationalen und bilateralen Regelun____gen. Sie gehen in ihrem Anwendungsbereich dem autonomen deutschen Zustellungs____recht (§ 183) vor (vgl. Vor §§ 183, 184; zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO vgl. § 183 ____Rdn. 56 ff.). Ob eine grenzüberschreitende Zustellung vorliegt oder nur eine (u.U. fiktive) ____Inlandszustellung, ergibt sich grds. aus dem jeweils anwendbaren autonomen Zustel645

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_____lungsrecht (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 22 ff.). Zu gemeinsamen Grundlagen der grenzüber_____schreitenden Zustellung (einschließlich der Frage einer Heilung von Verstößen) vgl. Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 51 ff. (ausgehende Ersuchen) und Rdn. 65 ff. (eingehende Ersuchen). Hilf_____reich ist die aktuelle Länderübersicht des Auswärtigen Amts, abrufbar unter http:// _____www.konsularinfo.diplo.de/contentblob/2462970/Daten/2585984/Laenderliste.pdf. _____ Eine förmliche Zustellung kann außer im Anwendungsbereich der EU-Schriftstü2 _____cke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 60) und der EuVuFVO1 aufgrund des HZPÜ (Art. 3 _____Abs. 2) und des HZÜ (Art. 5) sowie einschlägiger bilateraler Abkommen (Vereinigtes Kö_____nigreich,2 Griechenland,3 Türkische Republik,4 Tunesien,5 Marokko)6 erfolgen (vgl. § 114 _____Abs. 1 Abs. 1 ZRHO).7 Vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 35 ff. _____ Ausführungsbestimmungen finden sich im AVAG (Textauszug unten Rdn. 67), im 3 _____IntFamRVG (vgl. Rdn. 5) sowie in der ZRHO (vgl. Rdn. 68; Vor §§ 183, 184 Rdn. 68). Vgl. _____dort im Einzelnen den (hier nicht abgedruckten) Länderteil. _____ Zu den anerkennungs- und vollstreckungsrechtlichen Folgen von Zustellungsfeh4 _____lern vgl. die einschlägigen Europäischen Normen sowie die Regelungen in internationa_____len und bilateralen Übereinkommen und im autonomen Recht (§§ 328; 722 ZPO).8 _____ _____ b) Konkurrenzen. Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 56 ff.) geht 5 _____gemäß ihrem Art. 20 im Verhältnis unter den Mitgliedstaaten den von diesen geschlos_____senen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften oder Vereinbarungen vor. Nach_____rangig sind demnach HZÜ (unten Rdn. 10; vgl. § 183 Rdn. 61), HZPÜ (unten Rdn. 43; vgl. _____§ 183 Rdn. 61) und das mittlerweile obsolete Protokoll zum EuGVÜ.9 Allerdings ist es _____denkbar, dass die Anwendungsbereiche sich – trotz vergleichbarer Terminologie – nicht _____völlig decken und insofern ein Restanwendungsbereich der ansonsten verdrängten Über_____einkommen verbleibt.10 Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO hindert gemäß Art. 20 Abs. 2 _____einzelne Mitgliedstaaten nicht daran, Übereinkünfte oder Vereinbarungen zur weiteren _____Beschleunigung oder Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken beizubehalten _____oder zu schließen, sofern sie mit dieser Verordnung vereinbar sind. Aus deutscher Sicht _____weitestgehend obsolet sind aber auch die Zusatzvereinbarungen zum HZPÜ, welche ge_____mäß Art. 24 HZÜ aufrechterhalten worden sind, weil sie gegenüber dem Verfahren nach _____der EuZVO keine Vereinfachung oder Beschleunigung bewirken.11 _____ Die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO gilt nur aufgrund entsprechender bilateraler 6 _____Vereinbarungen (vgl. § 183 Rdn. 61 a) auch im Verhältnis zu Dänemark. _____ _____ _____1 VO EG Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für _____unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 20.4.2004, S. 15; zuletzt geändert durch Verordnung _____Nr. 1103/2008 vom 22.10.2008 m.W.v. 4.12.2008. 2 Art. 3 lit. d dt.-brit. Abkommen über den Rechtsverkehr v. 20.3.1928 Rdn. 58 f.). _____3 Art. 3 Abs. 1 dt.-griech. Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des _____bürgerlichen und Handels-Rechts v. 11.5.1938 (vgl. Rdn. 61 f.). _____4 Art. 10 Abs. 2 i.V.m. 9 Abs. 1 S. 3 dt.-türk. Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und _____Handelssachen v. 29.5.1929 (vgl. Rdn. 57 f.). (zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. April 2006 [BGBl. I _____S. 866, 880]). 5 Art. 12 Abs. 2 i.V.m. 11 Abs. 1 dt.-tunes. Vertrag v. 19.7.1966 (Rdn. 54 f.). _____6 Art 5 dt.-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und _____Handelssachen (vgl. Rdn. 53 f.). _____7 Vgl. die Übersicht bei Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Nr. 900, Fn. 174 f. zu § 70 ZRHO (Stand _____1/2005). 8 Vgl. hier nur BGH WM 2004, 1391, 1393 f. _____9 Vgl. Schlosser EUZPR, Art. 20 EuZVO Rdn. 1. _____10 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art. 1 Rdn. 25. _____11 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer EuZVR, Art. 20 EuZVO Rdn. 3; Schlosser EUZPR, Art. 20 EuZVO Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ Im Verhältnis zwischen HZÜ (unten Rdn. 10) und HZPÜ (unten Rdn. 43) hat das ers____tere das letztere abgelöst (vgl. Art. 22 HZÜ).12 Das HZPÜ ersetzt seinerseits in seinem An____wendungsbereich das Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 17. Juli 1905 ____(vgl. Art. 29 HZPÜ). Zur exklusiven Anwendung der Übereinkommen im Hinblick auf ____eine Heilung von Verfahrensverstößen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 108. ____ Zu fortgeltenden bilateralen Abkommen vgl. Art. 25 HZÜ; Texte unten Rdn. 10. De____cken sich die Anwendungsbereiche zwischen internationalem Übereinkommen und bila____teralen Abkommen und sind im Verhältnis zu den beteiligten Staaten beide anwendbar, ____so kann mangels abweichender Regelungen nach den der Durchführung der Rechtshilfe ____jeweils günstigeren Bestimmungen verfahren werden.13 ____ ____ 2. Einzelne Übereinkommen ____ ____ a) Das HZÜ (Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und ____ außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen ____ vom 15. November 1965)14 ____ aa) Der Text des Übereinkommens15 und die ____ deutschen Ausführungsvorschriften16 (Kursivdruck) ____ ____ Artikel 1. ____ (1) Dieses Übereinkommen ist in Zivil- oder Handelssachen in allen Fällen anzuwenden, in denen ein ____ ____gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist. ____ (2) Das Übereinkommen gilt nicht, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ____ist. ____ ____ Kapitel I. Gerichtliche Schriftstücke ____ Artikel 2. ____ (1) Jeder Vertragsstaat bestimmt eine Zentrale Behörde, die nach den Artikeln 3 bis 6 Anträge auf Zu____stellung von Schriftstücken aus einem anderen Vertragsstaat entgegenzunehmen und das Erforderliche zu ____veranlassen hat. ____ (2) Jeder Staat richtet die Zentrale Behörde nach Maßgabe seines Rechts ein. ____ §1 ____ Die Aufgaben der Zentralen Behörde (Artikel 2, 18 Abs. 3 des Übereinkommens) nehmen die von den ____ ____Landesregierungen bestimmten Stellen wahr. Jedes Land kann nur eine Zentrale Behörde einrichten. ____ Artikel 3. ____ (1) Die nach dem Recht des Ursprungsstaats zuständige Behörde oder der nach diesem Recht zustän____dige Justizbeamte richtet an die Zentrale Behörde des ersuchten Staates einen Antrag, der dem diesem ____Übereinkommen als Anlage beigefügten Muster entspricht, ohne daß die Schriftstücke der Legalisation ____oder einer anderen entsprechenden Förmlichkeit bedürfen. ____ ____ 12 Vgl. nur Zöller/Geimer § 183 Rdn. 93. ____13 Vgl. Stein/Jonas/Roth § 183 Rdn. 17. ____14 BGBl. 1977 II, S. 1452. ____15 In deutscher Übersetzung; die englische und die französische Fassung sind authentisch. ____16 Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (Geändert ____durch Art. 3 G v. 10.12.2008 I 2399) und des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die ____Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 22. Dezember 1977, BGBl. I, S. 3105. Hier ____abgedruckt werden die auf das HZÜ bezogenen §§ 1 bis 6.

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_____ (2) Dem Antrag ist das gerichtliche Schriftstück oder eine Abschrift davon beizufügen. Antrag und _____Schriftstück sind in zwei Stücken zu übermitteln. _____ _____ Artikel 4. _____ Ist die Zentrale Behörde der Ansicht, daß der Antrag nicht dem Übereinkommen entspricht, so unterrichtet sie unverzüglich die ersuchende Stelle und führt dabei die Einwände gegen den Antrag einzeln an. _____ _____ Artikel 5. _____ (1) Die Zustellung des Schriftstücks wird von der Zentralen Behörde des ersuchten Staates bewirkt _____oder veranlaßt, und zwar _____a) entweder in einer der Formen, die das Recht des ersuchten Staates für die Zustellung der in seinem _____ Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, _____b) der in einer besonderen von der ersuchenden Stelle gewünschten Form, es sei denn, daß diese Form _____ mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar ist. _____ (2) Von dem Fall des Absatzes 1 Buchstabe b abgesehen, darf die Zustellung stets durch einfache _____Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger bewirkt werden, wenn er zur Annahme bereit ist. (3) Ist das Schriftstück nach Absatz 1 zuzustellen, so kann die Zentrale Behörde verlangen, daß das _____Schriftstück in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des ersuchten Staates abgefaßt oder in diese _____übersetzt ist. _____ (4) Der Teil des Antrags, der entsprechend dem diesem Übereinkommen als Anlage beigefügten Mus_____ter den wesentlichen Inhalt des Schriftstücks wiedergibt, ist dem Empfänger auszuhändigen. _____ _____ § 3 _____ Eine förmliche Zustellung (Artikel 5 Abs. 1 des Übereinkommens) ist nur zulässig, wenn das zuzustellen_____de Schriftstück in deutscher Sprache abgefaßt oder in diese Sprache übersetzt ist. _____ _____ § 4 (1) Die Zentrale Behörde ist befugt, Zustellungsanträge unmittelbar durch die Post erledigen zu lassen, _____wenn die Voraussetzungen für eine Zustellung gemäß Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a des Übereinkommens er_____füllt sind. In diesem Fall händigt die Zentrale Behörde das zu übergebende Schriftstück der Post zur Zustel_____lung aus. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Zustellung von Amts wegen gelten entsprechend. _____ (2) Im Übrigen ist für die Erledigung von Zustellungsanträgen das Amtsgericht zuständig, in dessen Be_____zirk die Zustellung vorzunehmen ist. Die Zustellung wird durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts bewirkt. _____ _____ Artikel 6. _____ (1) Die Zentrale Behörde des ersuchten Staates oder jede von diesem hierzu bestimmte Behörde stellt _____ein Zustellungszeugnis aus, das dem diesem Übereinkommen als Anlage beigefügten Muster entspricht. _____ (2) Das Zeugnis enthält die Angaben über die Erledigung des Antrags; in ihm sind Form, Ort und Zeit der Erledigung sowie die Person anzugeben, der das Schriftstück übergeben worden ist. Gegebenenfalls _____sind die Umstände anzuführen, welche die Erledigung verhindert haben. _____ (3) Die ersuchende Stelle kann verlangen, daß ein nicht durch die Zentrale Behörde oder durch eine _____gerichtliche Behörde ausgestelltes Zeugnis mit einem Sichtvermerk einer dieser Behörden versehen wird. _____ (4) Das Zeugnis wird der ersuchenden Stelle unmittelbar zugesandt. _____ _____ § 5 17 _____ Das Zustellungszeugnis (Artikel 6 Abs. 1, 2 des Übereinkommens) erteilt im Fall des § 4 Abs. 1 die Zent_____rale Behörde, im Übrigen die Geschäftsstelle des Amtsgerichts. _____ _____ Artikel 7. (1) Die in dem diesem Übereinkommen beigefügten Muster vorgedruckten Teile müssen in englischer _____oder französischer Sprache abgefaßt sein. Sie können außerdem in der Amtssprache oder einer der Amts_____sprachen des Ursprungsstaats abgefaßt sein. _____ _____ _____17 Abgedruckt nach Art. 5 HZÜ.

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3. Abschnitt. Verfahren

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(2) Die Eintragungen können in der Sprache des ersuchten Staates oder in englischer oder französi____ ____scher Sprache gemacht werden. ____ Artikel 8. ____ (1) Jedem Vertragsstaat steht es frei, Personen, die sich im Ausland befinden, gerichtliche Schriftstü____ cke unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ohne Anwendung von Zwang ____zustellen zu lassen. ____ (2) Jeder Staat kann erklären, daß er einer solchen Zustellung in seinem Hoheitsgebiet widerspricht, ____außer wenn das Schriftstück einem Angehörigen des Ursprungsstaats zuzustellen ist. ____ ____ §6 Eine Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertreter (Artikel 8 des Übereinkommens) ist ____ 18 ____nur zulässig, wenn das Schriftstück einem Angehörigen des Absendestaates zuzustellen ist. (…) ____ Artikel 9. ____ (1) Jedem Vertragsstaat steht es ferner frei, den konsularischen Weg zu benutzen, um gerichtliche ____ Schriftstücke zum Zweck der Zustellung den Behörden eines anderen Vertragsstaats, die dieser hierfür ____bestimmt hat, zu übermitteln. ____ (2) Wenn außergewöhnliche Umstände dies erfordern, kann jeder Vertragsstaat zu demselben Zweck ____den diplomatischen Weg benutzen. ____ ____ §2 Für die Entgegennahme von Zustellungsanträgen, die von einem ausländischen Konsul innerhalb der ____ ____Bundesrepublik Deutschland übermittelt werden (Artikel 9 Abs. 1 des Übereinkommens), sind die Zentrale ____Behörde des Landes, in dem die Zustellung bewirkt werden soll, und die Stellen zuständig, die gemäß § 1 des ____Gesetzes zur 19Ausführung des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß vom 18. De____zember 1958 (BGBl. I, S. 939) zur Entgegennahme von Anträgen des Konsuls eines ausländischen Staates zuständig sind. ____ ____ Artikel 10. ____ Dieses Übereinkommen schließt, sofern der Bestimmungsstaat keinen Widerspruch erklärt, nicht ____aus, ____a) daß gerichtliche Schriftstücke im Ausland befindlichen Personen unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, ____ ____b) daß Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Ursprungsstaats Zustellungen unmittelbar durch Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungs____ staats bewirken lassen dürfen, ____ ____c) daß jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke unmittelbar durch Justizbeamte, andere Beamte oder sonst zuständige Personen des Bestimmungsstaats ____ bewirken lassen darf. ____ ____ §6 ____ (…).20 Eine Zustellung nach Artikel 10 des Übereinkommens findet nicht statt. ____ Artikel 11. ____ Dieses Übereinkommen schließt nicht aus, daß Vertragsstaaten vereinbaren, zum Zweck der Zustel____ ____lung gerichtlicher Schriftstücke andere als die in den vorstehenden Artikeln vorgesehenen Übermitt____lungswege zuzulassen, insbesondere den unmittelbaren Verkehr zwischen ihren Behörden. ____ ____ ____ ____18 Satz 2 abgedruckt nach Art. 10 HZÜ. ____19 Abgedruckt unten Rdn. 43. ____20 Satz 1 abgedruckt nach Art. 8 HZÜ.

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_____ Artikel 12. _____ (1) Für Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke aus einem Vertragsstaat darf die Zahlung oder Erstat_____tung von Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit des ersuchten Staates nicht verlangt werden. _____ (2) Die ersuchende Stelle hat jedoch die Auslagen zu zahlen oder zu erstatten, die dadurch entstehen, _____a) daß bei der Zustellung ein Justizbeamter oder eine nach dem Recht des Bestimmungsstaats zuständige Person mitwirkt, _____b) daß eine besondere Form der Zustellung angewendet wird. _____ _____ Artikel 13. _____ (1) Die Erledigung eines Zustellungsantrags nach diesem Übereinkommen kann nur abgelehnt wer_____den, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. _____ (2) Die Erledigung darf nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden, daß der ersuchte Staat nach _____seinem Recht die ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte für die Sache in Anspruch nimmt oder ein _____Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für das der Antrag gestellt wird. _____ (3) Über die Ablehnung unterrichtet die Zentrale Behörde unverzüglich die ersuchende Stelle unter _____Angabe der Gründe. _____ Artikel 14. _____ Schwierigkeiten, die aus Anlaß der Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke zum Zweck der Zustel_____lung entstehen, werden auf diplomatischem Weg beigelegt. _____ _____ Artikel 15. _____ (1) War zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens eine Ladung oder ein entsprechendes Schrift_____stück nach diesem Übereinkommen zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln und hat sich _____der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so hat der Richter das Verfahren auszusetzen, bis festge_____stellt ist, _____a) daß das Schriftstück in einer der Formen zugestellt worden ist, die das Recht des ersuchten Staates für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Perso_____ nen vorschreibt, oder _____b) daß das Schriftstück entweder dem Beklagten selbst oder aber in seiner Wohnung nach einem ande_____ ren in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übergeben worden ist _____ und daß in jedem dieser Fälle das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder übergeben worden ist, _____daß der Beklagte sich hätte verteidigen können. _____ (2) Jedem Vertragsstaat steht es frei zu erklären, daß seine Richter ungeachtet des Absatzes 1 den _____Rechtsstreit entscheiden können, auch wenn ein Zeugnis über die Zustellung oder die Übergabe nicht _____eingegangen ist, vorausgesetzt, _____a) daß das Schriftstück nach einem in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren übermittelt _____ worden ist, b) daß seit der Absendung des Schriftstücks eine Frist verstrichen ist, die der Richter nach den Umstän_____ den des Falles als angemessen erachtet und die mindestens sechs Monate betragen muß, und _____c) daß trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden des ersuchten Staates ein Zeugnis _____ nicht zu erlangen war. _____ (3) Dieser Artikel hindert nicht, daß der Richter in dringenden Fällen vorläufige Maßnahmen ein_____schließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, anordnet. _____ _____ Artikel 16. _____ (1) War zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens eine Ladung oder ein entsprechendes Schrift_____stück nach diesem Übereinkommen zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln und ist eine _____Entscheidung gegen den Beklagten ergangen, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, so kann ihm der Richter in Bezug auf Rechtsmittelfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen, _____vorausgesetzt, _____a) daß der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schriftstück erlangt _____ hat, daß er sich hätte verteidigen können, und nicht so rechtzeitig Kenntnis von der Entscheidung, _____ daß er sie hätte anfechten können, und _____b) daß die Verteidigung des Beklagten nicht von vornherein aussichtslos scheint. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur zulässig, wenn der Beklagte ihn in____ ____nerhalb einer angemessenen Frist stellt, nachdem er von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat. (3) Jedem Vertragsstaat steht es frei zu erklären, daß dieser Antrag nach Ablauf einer in der Erklärung ____ ____festgelegten Frist unzulässig ist, vorausgesetzt, daß diese Frist nicht weniger als ein Jahr beträgt, vom ____Erlaß der Entscheidung an gerechnet. (4) Dieser Artikel ist nicht auf Entscheidungen anzuwenden, die den Personenstand betreffen. ____ ____ Kapitel II. Außergerichtliche Schriftstücke ____ Artikel 17. ____ Außergerichtliche Schriftstücke, die von Behörden und Justizbeamten eines Vertragsstaats stammen, ____ können zum Zweck der Zustellung in einem anderen Vertragsstaat nach den in diesem Übereinkommen ____ vorgesehenen Verfahren und Bedingungen übermittelt werden. ____ ____ Kapitel III. Allgemeine Bestimmungen ____ Artikel 18. ____ (1) Jeder Vertragsstaat kann außer der Zentralen Behörde weitere Behörden bestimmen, deren Zu____ ständigkeit er festlegt. ____ (2) Die ersuchende Stelle hat jedoch stets das Recht, sich unmittelbar an die Zentrale Behörde zu ____wenden. ____ (3) Bundesstaaten steht es frei, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen. ____ ____ Artikel 19. Dieses Übereinkommen schließt nicht aus, daß das innerstaatliche Recht eines Vertragsstaats außer ____ ____den in den vorstehenden Artikeln vorgesehenen auch andere Verfahren zuläßt, nach denen Schriftstücke ____aus dem Ausland zum Zweck der Zustellung in seinem Hoheitsgebiet übermittelt werden können. ____ Artikel 20. ____ Dieses Übereinkommen schließt nicht aus, daß Vertragsstaaten vereinbaren, von folgenden Bestim____mungen abzuweichen:21 ____a) Artikel 3 Absatz 2 in bezug auf das Erfordernis, die Schriftstücke in zwei Stücken zu übermitteln, ____b) Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 7 in bezug auf die Verwendung von Sprachen, ____c) Artikel 5 Absatz 4, ____d) Artikel 12 Absatz 2. ____ Artikel 21. (nicht abgedruckt) ____ ____ Artikel 22. ____ Dieses Übereinkommen tritt zwischen den Staaten, die es ratifiziert haben, an die Stelle der Artikel 1 ____ bis 7 des am 17. Juli 1905 in Den Haag unterzeichneten Abkommens über den Zivilprozeß und des am ____1. März 1954 in Den Haag unterzeichneten Übereinkommens über den Zivilprozeß, soweit diese Staaten ____Vertragsparteien jenes Abkommens oder jenes Übereinkommens sind. ____ ____ Artikel 23. ____ (1) Dieses Übereinkommen berührt weder die Anwendung des Artikels 23 des am 17. Juli 1905 in Den ____Haag unterzeichneten Abkommens über den Zivilprozeß noch die Anwendung des Artikels 24 des am ____1. März 1954 in Den Haag unterzeichneten Übereinkommens über den Zivilprozeß. (2) Diese Artikel sind jedoch nur anwendbar, wenn die in diesen Übereinkünften vorgesehenen Über____ mittlungswege benutzt werden. ____ ____ ____ ____ ____ ____21 Deutschland hat keine solchen Vereinbarungen getroffen; vgl. nur Schlosser EUZPR, Art. 20 HZÜ.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Artikel 24. _____ Zusatzvereinbarungen zu dem Abkommen von 1905 und dem Übereinkommen von 1954, die Ver_____tragsstaaten geschlossen haben, sind auch auf das vorliegende Übereinkommen anzuwenden, es sei denn, _____daß die beteiligten Staaten etwas anderes vereinbaren. _____ Artikel 25. _____ Unbeschadet der Artikel 22 und 24 berührt dieses Übereinkommen nicht die Übereinkommen, denen _____die Vertragsstaaten angehören oder angehören werden und die Bestimmungen über Rechtsgebiete enthal_____ten, die durch dieses Übereinkommen geregelt sind. _____ _____ Artikel 26–31. (nicht abgedruckt) _____ _____ bb) Erläuterungen. Das HZÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 11 _____dem 26.6.1979.22 Vertragsparteien sind die folgenden Staaten:23 _____ Ägypten, Albanien, Antigua und Barbuda, Argentinien, Australien, Bahamas, Bar_____bados, Belarus, Belgien, Belize, Bosnien und Herzegowina, Botsuana, Bulgarien, Bundes_____republik Deutschland, VR China, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechen_____land, Indien, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Republik Korea (Südkorea), _____Kroatien, Kuwait, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malawi, Malta, Marokko, Mazedonien, _____Mexiko, Monaco, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, Russi_____sche Föderation, San Marino, Schweden, Schweiz, Serbien, Seychellen, Slowakei, Slo_____wenien, Spanien, Sri Lanka, St. Vincent und die Grenadinen, Tschechische Republik, _____ehemalige Tschechoslowakei, Türkei, Ukraine, Ungarn, Venezuela, Vereinigtes König_____reich, Vereinigte Staaten, Zypern. _____ Zwischen einer Reihe von Vertragsstaaten wurden Zusatzvereinbarungen gemäß 12 _____Art. 24 HZÜ geschlossen bzw. galten solche Zusatzabkommen zu den Vorläuferregelun_____gen (HZPÜ und dessen Vorläuferregelung Haager Abkommen vom 17. Juli 1905). Im An_____wendungsbereich der EuZVO werden sie mit dem HZÜ verdrängt (vgl. oben Rdn. 5 ff.). _____Zum Text der deutsch-dänischen, der deutsch-norwegischen und der deutsch-schweize_____rischen Vereinbarung vgl. unten Rdn. 39 ff. _____ Für Einzelheiten der Ausführung der Zustellung in den Vertragsstaaten vgl. den 13 _____Länderteil der ZRHO (vgl. Rdn. 68); für Deutschland auch die Ausführungen Vor §§ 183, _____184 (ausgehende Ersuchen Rdn. 51 ff., eingehende Ersuchen Rdn. 65 ff.). _____ Das HZÜ bildet die maßgebliche Vorläuferregelung der vormaligen EuZVO bzw. 14 _____nun der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 56 ff.). Soweit die Vorschriften _____inhaltlich übereinstimmen, kann die Kommentierung dieser Nachfolgeregelungen auch _____für das HZÜ herangezogen werden, wenngleich die Übereinstimmung im Wortlaut der _____Vorschriften nicht zwingend eine inhaltliche Identität bedeutet (vgl. zur Konkurrenz _____oben Rdn. 5). _____ Der Anwendungsbereich ergibt sich aus Art. 1 HZÜ. Insgesamt herrscht im Schrift15 _____tum Einigkeit darüber, dass der Begriff der Zivil- und Handelssachen weit auszulegen ist. _____Die wohl h.M. verlangt zu Recht eine vertragsautonome Auslegung,24 wie sie auch im _____Anwendungsbereich der EuGVO und sinngemäß bei der Regelung der EuZVO/der EU_____ _____ _____22 Bekanntmachung v. 21.6.1979, BGBl. II, S. 779, zuletzt ergänzt durch die Bekanntmachung v. _____17.7.1995, BGBl. II, S. 755 ff. _____23 Unter www.datenbanken.justiz.nrw.de/ir_htm/vertragsstaaten-hzue65.htm (Stand März 2012) zuletzt abgerufen am 13.9.2012. _____24 Schack IZVR Rdn. 605 ; Stein/Jonas/Roth § 183 Rdn. 10; Empfehlung der Expertenkommission der _____Haager Konferenz für IPR vom 17.–20.4.1989, RabelsZ 54 (1990), 364, 370; a.A. Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ _____Rdn. 1.

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____Schriftstücke-ZustellungsVO erforderlich ist (vgl. § 183 Rdn. 62). In den Staaten, in denen ____die die EU-Schriftstücke-ZustellungsVO gilt, sind die vom EuGH entwickelten Maßstäbe ____auch im Rahmen des HZÜ anwendbar.25 Es fallen aber auch die in Art. 1 Abs. 2 lit. a und b ____EuGVVO genannten (Ausnahme-)Bereiche in den Anwendungsbereich des HZÜ, sofern ____einer der Vertragsstaaten sie privatrechtlich qualifiziert.26 Auch die Amtshaftung wird ____vom HZÜ erfasst,27 ebenso Klagen auf punitive damages28 jedenfalls dann, wenn die pu____nitive damage an den Geschädigten selbst zu entrichten sind,29 oder class actions, deren ____Zustellung allerdings u.U. gemäß Art. 13 HZÜ verhindert werden kann (vgl. Rdn. 31). Maß____stab ist eine funktionale Sichtweise,30 nicht die Zuweisung zu bestimmten Gerichts____zweigen, welche nur indiziellen Charakter haben kann. Demnach kann der Anwen____dungsbereich des HZÜ auch dann überschritten sein, wenn ein Zivilgericht in Staaten ____mit unterentwickelter Verwaltungsgerichtsbarkeit für hoheitliche Streitgegenstände zu____ständig ist. Andererseits fallen wie bei der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 ____Rdn. 60) Privatklagen in Adhäsionsverfahren in den Anwendungsbereich des HZÜ. Für ____weitere Beispiele vgl. Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 4. ____ Es sollte eine alternative Qualifikation in dem Sinne genügen, dass der Anwen- 16 ____dungsbereich des HZÜ bereits dann eröffnet ist, wenn das Recht auch nur eines der be____teiligten Vertragsstaaten die Sache privatrechtlich qualifiziert.31 Der evidente Vereinfa____chungszweck des HZÜ ist höher zu gewichten als der uneinheitlich beurteilte Charakter ____des Verfahrens, in dessen Rahmen die Zustellung betrieben wird, sofern die Zuordnung ____nicht ohne jeglichen Sachgrund erfolgt. Deshalb bedarf es unter diesem Voraussetzun____gen nicht zwingend der privatrechtlichen Qualifikation im Ursprungsstaat oder im er____suchten Staat und schon gar nicht einer kumulativen privatrechtlichen Qualifikation ____durch alle beteiligten Vertragsstaaten (str.).32 Die Qualifikation steht nicht zur Disposi____tion der von der Zustellung betroffenen Prozessparteien.33 ____ Ob ein Schriftstück zum Zweck der Zustellung ins Ausland zu übermitteln ist 17 ____(Art. 1 Abs. 1 HZÜ), ergibt sich nicht aus dem HZÜ, sondern aus der jeweiligen lex fori ____(Recht des Gerichtsstaats).34 Auch die Frage, ob eine Auslandszustellung erforderlich ____wird, entscheiden grds. die jeweiligen autonomen Zustellungsregelungen der Vertrags____staaten (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 22 ff.). Allerdings ergibt es sich aus Sinn und Zweck des ____HZÜ, dass eine Auslandszustellung bei einem Auseinanderfallen zwischen Gerichtsstaat ____(Ursprungsstaat) und Empfangsstaat (Staat, in dem zuzustellen ist) vorliegt, unabhängig ____davon, ob die Zustellung durch eine staatliche Stelle (im Ursprungsstaat) veranlasst wird ____oder nicht.35 Zu formlosen Mitteilungen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 37. ____ ____ ____25 Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 2. ____26 Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ m.w.N. zu Insolvenzverfahren. 27 Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 2. ____28 Vgl. OLG München WM 1989, 1481 = IPRax 1990, 175 = NJW 1989, 3102 m. zust. Anm. Greger a.a.O., ____3103; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2006, 3575; OLG München BeckRS 2006, 07453, OLG Celle BeckRS 2006, ____09152; OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 500 m.w.N. (zu treble damages). A.A. Schütze FS Boguslawskij, 2004, ____325, 328; für exorbitante Klagen Merkt Abwehr der Zustellung, S. 205. ____29 OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 500. Entsprechend grenzt OLG Frankfurt a.M. (Beschl: v. 8.2.2010, 20 VA 15/09) nach dem deutsch-britischen Abkommen von 1928 ab; bei Abführung in die Staatskasse liegt ____keine Zivil- und Handelsache vor. ____30 GSOBG BGHZ 97, 312 = NJW 1986, 2359 f.; BGHZ 106, 134 = NJW 1989, 303 ff. (Natur des ____Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird). ____31 Basedow Jürgen, in Schlosser (Hrsg.), 1992, 131 ff.; Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 2. 32 Vgl. die Nachweise bei Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 2. ____33 A.A. Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 2. ____34 BGH RIW 1999, 456; Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 5 m.w.N. ____35 OLG Hamm IPRax 2005, 146, 147.

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_____ 18 Das HZÜ erfasst die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke. _____Wie bei der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 60) ist eine weite Auslegung _____geboten. Gerichtliche Schriftstücke sind alle Schriftstücke, die auf die Einleitung, Fort_____führung oder Beendigung eines gerichtlichen Verfahrens abzielen. Außergerichtliche _____Schriftstücke sind solche, deren Übermittlung die Mitwirkung einer Behörde, eines Jus_____tizbeamten, Notars, Gerichtsvollziehers oder vergleichbarer Personen erfordern, um pri_____vatrechtliche Wirkungen auszulösen.36 _____ Art. 1 Abs. 2 HZÜ ist zu entnehmen, dass der ersuchte Staat nicht verpflichtet (wohl 18a _____aber berechtigt) ist, die Anschrift des Adressaten zu erforschen.37 _____ Die Zuständigkeiten für die Ausführung der Zustellung ergeben sich aus Art. 2 19 _____HZÜ. Danach ist ein vergleichsweise schwerfälliges System Zentraler Behörden vorge_____sehen, über welche die Zustellung abzuwickeln ist. Eine ergänzende Regelung findet _____sich in Art. 18 HZÜ; vgl. hierzu den Länderbericht der ZRHO.38 Die Einschaltung unzu_____ständiger Behörden als „Zentrale Behörde“ führt zur Unwirksamkeit der Zustellung;39 zur _____Frage der Heilung vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 102 ff. _____ 20 Zu den Zentralstellen vgl. § 183 Rdn. 69. _____ Die Ausführung der Zustellung wird gemäß Art. 3 HZÜ durch Antrag des nach dem 21 _____Recht des Ursprungsstaats Zuständigen an die Zentrale Behörde des ersuchten Staa_____tes in Gang gebracht, in dem die Zustellung auszuführen ist (vgl. für Deutschland § 1 des _____Ausführungsgesetzes zum HZÜ). Art. 4 HZÜ regelt das Verfahren bei durchgreifenden _____Zweifeln der Zentralen Behörde über die Konformität des Antrags mit dem HZÜ. Ge_____meint sind hier ausschließlich Zweifel im Hinblick auf mögliche formelle Mängel, z.B. _____bei offensichtlich durch Schwärzungen oder Überdeckungen manipulierten Unterlagen. _____Inhaltliche Bedenken werden hingegen (nur) von der engen Regelung des Art. 13 HZÜ _____erfasst (vgl. unten Rdn. 31).40 _____ Die Ausführung der Zustellung erfolgt gemäß Art. 5 Abs. 1 HZÜ (vergleichbar Art. 7 22 _____Abs. 1 EU-Schriftstücke-ZustellungsVO; vgl. § 183 Rdn. 60) grds. nach dem Zustellungs_____recht des ersuchten Staates (lit. a)41 oder aber in einer besonderen von der ersuchen_____den Stelle gewünschten Form (lit. b). Eine Verwechslung von Zustellung an den Adres_____saten und Ersatzzustellung schadet.42 Für die Zustellung in Deutschland verweist § 4 _____Abs. 1 des Ausführungsgesetzes zum HZÜ auf das autonome deutsche Zustellungsrecht _____und insbesondere auf die Möglichkeit der Erledigung durch die Post (Satz 1, 2). _____ Möglich ist auch die freiwillige Zustellung durch einfache Übergabe gemäß Art. 5 23 _____Abs. 2 HZÜ.43 Zur Auswahl unter mehreren möglichen Zustellungswegen vgl. § 183 Rdn. 41 ff. _____ Die Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung der Rechtshilfe trifft 24 _____trotz der Regelung in § 4 Abs. 2 des deutschen Ausführungsgesetzes zum HZÜ aus_____schließlich die Zentrale Behörde;44 deshalb ist auch (nur) sie der richtige Antragsgegner _____bei Streitigkeiten über die Entscheidung.45 _____ _____ _____36 Vgl. Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 12 mit Beispielen. _____37 A.A. wohl Schlosser EUZPR, Art. 1 HZÜ Rdn. 10,21, der entsprechendes Gewohnheitsrecht annimmt. _____38 Vom 19.10.1956 i.d.F. der Bekanntmachung v. 26.2.1976, Stand Januar 2004, vgl. Bülow/Böckstiegel/ Geimer/Schütze Fn. 2 zu Nr. 900 (Stand 2/2004) . _____39 OLG Jena WM 2001, 1393 f. _____40 Vgl. Schlosser EUZPR, Art. 4 HZÜ Rdn. 1. _____41 Vgl. BGH WM 2004, 1391, 1392; OLG Saarbrücken OLGR 2004, 285, 287 m.w.N. Zum kalifornischen _____Recht vgl. BGH FamRZ 2011, 1860, 1861 = NJW 2011, 3581. 42 OLG Saarbrücken OLGR 2004, 285, 287 f. _____43 Vgl. hierzu Schack IZVR, Rdn. 607. _____44 OLG Düsseldorf NJW 1992, 3110 m.w.N. _____45 Vgl. auch Schlosser EUZPR, Art. 4 HZÜ Rdn. 2.

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____ Regelungen über die zuzustellenden Schriftstücke trifft Art. 3 HZÜ. Soweit eine ____Abschrift i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 beigefügt wird, bestimmen sich deren zustellungs____rechtliche Voraussetzungen nach dem Recht des Ursprungsstaats.46 Zur Notwendigkeit ____von Übersetzungen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 81 ff. § 3 des deutschen Ausführungsgeset____zes zum HZÜ lässt die förmliche Zustellung in Deutschland nur zu, wenn das zuzustel____lende Schriftstück entweder auf deutsch verfasst oder ins Deutsche übersetzt ist;47 eine ____Beglaubigung ist nicht erforderlich.48 Art. 5 Abs. 4, 7 HZÜ treffen Regelungen über die ____Muster der beizufügenden Dokumente. ____ Dokumentiert wird die Zustellung durch ein in Art. 6 HZÜ in Form und Inhalt49 nä____her geregeltes Zustellungszeugnis. Die Zentrale Behörde des ersuchten Staates oder ____jede von diesem hierzu bestimmte Behörde (vgl. für Deutschland § 5 des Ausführungsge____setzes zum HZÜ) stellt dieses Zustellungszeugnis nach dem Muster in der Anlage zum ____HZÜ aus. Das Zeugnis wird der ersuchenden Stelle unmittelbar zugesandt (Art. 6 Abs. 4 ____HZÜ). Zur Beweiskraft vgl. die Ausführungen zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (§ 183 ____Rdn. 60, 51 ff.). Allerdings soll dem Zeugnis dann keine Beweiskraft für eine bezeugte ____ordnungsgemäße Zustellung entfalten, wenn die im Zeugnis bekundeten Tatsachen bei ____zutreffender rechtlicher Wertung einen (erheblichen) Fehler erkennen lassen, der zur ____Unwirksamkeit der Zustellung führt.50 Umgekehrt ist das Zustellungszeugnis kein konsti____tutiver Bestandteil der Zustellung; seine Fehlerhaftigkeit führt nicht zur Unwirksamkeit ____der Zustellung.51 ____ Alternativ zur Ausführung nach Art. 3 ff. HZÜ ist die freiwillige diplomatische ____oder konsularische Zustellung nach Art. 8 HZÜ möglich (Deutschland hat einen Vor____behalt gemäß Art. 8 Abs. 2 HZÜ erklärt).52 Die Voraussetzung der freiwilligen Mitwirkung ____des Adressaten schließt eine Ersatzzustellung aus, weil ihre Wirkung (Zustellungsfik____tion) einer zwangsweisen Durchführung der Zustellung gleichkommt.53 ____ Ferner ist die Übermittlung von Schriftstücken an die zuständigen Behörden des ____Bestimmungsstaates auf konsularischem oder in Ausnahmefällen auf diplomatischem ____Weg nach Art. 9 HZÜ zulässig. Weiterhin lässt Art. 10 HZÜ mangels Widerspruchs des ____Bestimmungsstaats die Übersendung unmittelbar durch die Post (Art. 10 lit. a HZÜ) so____wie das Bewirken der Zustellung durch bestimmte Personen zu (Art. 10 lit. b, c HZÜ). ____Deutschland hat hiergegen einen Widerspruch erklärt.54 Deshalb kann z.B. ein deut____scher Gerichtsvollzieher nicht zur Zustellung eines nach dem HZÜ zuzustellenden Urteils ____verpflichtet werden.55 Art. 11 HZÜ erlaubt die Vereinbarung anderer als der eben genann____ten Zustellungswege, insbesondere im unmittelbaren Behördenverkehr. Vgl. zu solchen ____Vereinbarungen, die weitestgehend durch die vorrangige EU-Schriftstücke-Zustellungs____VO obsolet geworden sind, oben Rdn. 42 ff. sowie die deutsch-österreichische Zusatzver____einbarung zum HZPÜ (Rdn. 42 ff.). ____ ____46 Schlosser EUZPR, Art. 3 HZÜ Rdn. 4. ____47 Vgl. BGH NJW 1991, 641, 642; BGH NJW 1993, 598, 599. ____48 Schlosser EUZPR, Art. 5 HZÜ Rdn. 6. ____49 Vgl. hierzu BGH WM 2004, 1391, 1393. ____50 BGH NJW 1993, 2688. Krit. hierzu Schlosser EUZPR, Art. 6 Rdn. 2 unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes. Vgl. auch schon BGH EuZW 1991, 445 f. ____51 BGH NJW 1976, 478, 479 (zum insoweit vergleichbaren Art. 5 HZPÜ); OLG Frankfurt a.M. OLG ____Frankfurt a.M. OLGZ 1992, 89, 92 = RIW 1991, 417, 418. ____52 § 6 S. 1 des Ausführungsgesetzes v. 22.12.1977. ____53 OLG Hamm RIW 1996, 156, 157. 54 § 6 S. 2 des Ausführungsgesetzes v. 22.12.1977; zur berechtigten Kritik vgl. nur Schlosser EUZPR, ____Art. 10 HZÜ Rdn. 1 f.; vgl. auch BGH NJW 1991, 641, 642; BGH NJW 1993, 598, 599; OLG Jena WM 2001, 1393, ____1394. ____55 Vgl. OLG Hamm IPRax 2005, 146; OLG Düsseldorf IPRax 2005, 148 m. Anm. Fogt/Schack a.a.O., 118 ff.

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_____ 29 Ein wesentlicher Unterschied zur EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. hierzu § 183 _____Rdn. 61 f.) ergibt sich aus dem Vorbehalt des Art. 13 HZÜ. Hierüber ist in Deutschland in _____den vergangenen Jahren insbesondere im Hinblick auf drei Institute ausländischer _____Rechtsordnungen gestritten worden: Einmal über die (verweigerte) Zustellung von Kla_____gen auf punitive damages oder in Gestalt von Sammelklagen (class actions) mit exorbi_____tanten Klagesummen (Rdn. 31),56 zum anderen über die (verweigerte) Zustellung von _____antisuit injunctions (Rdn. 32). _____ Der Vorbehalt des Art. 13 ist grds. eng auszulegen, enger als der (deutsche) ordre 30 _____public57 und nur auf besonders gravierende Fälle anzuwenden.58 Sinn und Zweck des _____HZÜ wie aller einschlägigen Übereinkommen ist die Vereinfachung und Beschleunigung _____der Zustellung. Dies dient letztlich auch der rechtzeitigen Kenntnisnahme durch den _____Adressaten. Deshalb darf grds. die innerstaatliche Rechtsordnung nicht zum Prüfungs_____maßstab für die Zustellung gemacht werden.59 Klagen in im Inland unbekannten Verfah_____rensarten müssen deshalb grds. zugestellt werden.60 Auch sind die Folgen des möglichen _____Entscheidungsergebnisses nicht zu berücksichtigen; diese Kontrolle ist ggf. dem Aner_____kennungs- und Vollstreckungsverfahren vorbehalten.61 Ebenso sind grds. alle Zustellun_____gen an Verfahrensbeteiligte und Dritte auszuführen, die den Fortgang des Verfahrens _____betreffen, auch wenn das ausländische Verfahrensrecht vom inländischen deutlich ab_____weicht.62 Offen bleibt, ob ein durch die Zustellung bewirkter Verstoß gegen Völkerrecht _____deutsche Hoheitsträger aus verfassungsrechtlichen Gründen dann verpflichtet, nach _____Art. 13 vorzugehen.63 Mit Schlosser64 ist zu empfehlen, einen Hinweis darauf beizufügen, _____dass die Zustellung keine Verpflichtung des Adressaten auslöst, dem Inhalt des zuge_____stellten Schriftstücks Folge zu leisten. Die Grenzen werden in Art. 13 HZÜ genannt: Ein _____Zustellungsersuchen kann abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat seine Erledigung _____für geeignet hält, seine Hoheitsrechte65 oder seine Sicherheit zu gefährden (Art. 13 Abs. 1 _____HZÜ). Darin dürfte insgesamt eine stark eingeschränkte Form des ordre public interna_____tional zu sehen sein. 66 _____ _____ _____ _____ _____56 Vgl. zu diesem Rechtsinstitut und seinen problematischen Aspekten Merkt, Merkt, Abwehr der _____Zustellung von „punitive damages“-Klagen, Heidelberg 1995; Heidenberger RIW 1995, 705 ff.; Ady _____Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004, u.a. 42 ff., 133 ff., 150 ff., 160 ff., 169 f.; Rohe Gründe und Grenzen deliktischer Haftung – die Ordnungsaufgaben des Deliktsrechts (einschließlich der Haftung _____ohne Verschulden) in rechtsvergleichender Betrachtung, AcP 201 (2001), 118, 131 (bei Fn. 69). _____57 Vgl. BVerfGE 91, 335 ff. = NJW 1995, 649 ff.; OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1992, 89, 92 = RIW 1991, 417; _____OLG Düsseldorf NJW 1992, 3110, 3111; OLG Düsseldorf WM 2003, 1587, 1588 m.w.N.; Rothe RIW 2003, 859, _____860 f. m.w.N. zu den widerstreitenden Ansichten; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2006, 3575; OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 500. _____58 Vgl. BVerfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 ff. = WM 2003, 1583: OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2002, _____357 f.; OLG Düsseldorf WM 2003, 1587, 1588; Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 3. _____59 Vgl. BVerfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 = WM 2003, 1583. _____60 BVerfGE 91, 335 ff. = NJW 1995, 649; BVerfGE 108, 238, 248 = NJW 2003, 2598, 2599 = WM 2003, 1583; _____G. Geimer Neuordnung, S. 77. 61 Vgl. nur Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 5 m.w.N. _____62 Vgl. auch Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 6. _____63 BVerfG WM 2006, 2105 zu einer Klage, die auf einem rechtskräftig als völkerrechtswidrig beurteilten _____V.S-Gesetz beruht (es fehlt an einem unmittelbaren Völkerrechtsverstoß deutscher Hoheitsträger). _____64 Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 6. 65 Krit. zur Formulierung des Tatbestandsmerkmals Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 2. _____66 Überzeugend Schlosser EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 3; vgl. auch Kronke EuZW 1995, 221; Mansel EuZW _____1996, 335, 336; a.A. Schütze FS Boguslawskij, 2004, 325, 328 ff., der bei einem Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 _____HZÜ ein zwingendes Zustellungsverbot annimmt.

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____ Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts67 ist die Grenze des 31 ____Art. 13 HZÜ erst dann erreicht, wenn das mit der Klage verfolgte Ziel offensichtlich gegen ____unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße, wenn z.B. aus____ländische Klageforderungen zumindest der Höhe nach offenkundig keine substantiel____le Grundlage haben und nur dazu dienen, durch öffentliche Gerichtsverfahren offen____sichtlich missbräuchlich Druck auf einen Marktteilnehmer auszuüben, um ihn gefügig ____zu machen.68 Eine inhaltliche Parallelregelung findet das Gericht in Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 ____EGBGB.69 Demnach können punitive damages bzw. entsprechenden class actions grds. ____Funktionen zukommen, welche eine rechtliche Durchsetzung auch in Deutschland er____lauben.70 Auch darf im Zustellungsverfahren grds. keine Schlüssigkeitsprüfung durchge____führt werden.71 Insgesamt müssen die Gründe für eine Verzögerung/Ablehnung der ____Rechtshilfe durch den ersuchten Staat von erheblichem Gewicht sein.72 So liegt es aber in ____den soeben genannten Fällen offensichtlich unbegründeter exorbitanter Forderungen ____mit unmittelbarem oder mittelbarem wirtschaftlichem Druckcharakter. Da es sich bei der ____Zustellung um einen Hoheitsakt handelt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 1), kann sie selbst ____schon in solchen Fällen der grds. bestehenden Verpflichtung und Erlaubnis zur Rechts____hilfe im Inland entgegenstehen.73 Der Adressat kann sich zwar möglicherweise auch ____noch später im allfälligen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zur Wehr setzen. ____Dies schützt ihn jedoch nicht hinreichend vor einer Auslandsvollstreckung (v.a. im Ge____richtsstaat) und vor dem möglichen Reputationsverlust.74 Dem ist entgegen der z.T. ge____äußerten Kritik75 bei der gebotenen engen Handhabung zuzustimmen.76 Ergänzend ist zu ____bemerken, dass derartige missbräuchliche Klagen aus dem anglo-amerikanischen Rechts____kreis wegen der u.U. äußerst aufwendigen Obliegenheiten in der Beweisführung einen ____zusätzlichen massiven Kostendruck verursachen können,77 gegen den spätere Abhilfe ____nicht ausreicht. Gewiss kann auch durch inländische Verfahren Druck ausgeübt wer____den;78 in den hier erörterten Fällen ist jedoch die offensichtliche Unbegründetheit in ____Verbindung mit dem besonders hohen Druckpotential das Anstößige. Auch kann der ____Umstand, dass der Adressat möglicherweise auch ohne Zustellung nach dem HZÜ mit ____ ____67 BVerfG NJW 2007, 3709 und schon BVerfGE 108, 238, 248 = NJW 2003, 2598, 2599 = WM 2003, 1583; ____anders noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf WM 2003, 1587 und frühere Entscheidungen wie OLG ____München WM 1989, 1481 = IPRax 1990, 175175 = NJW 1989, 3102 m. insoweit skeptischer Anm. Greger ____a.a.O., 3103; OLG München WM 1992, 1465 = NJW 1992, 3113; differenziert schon OLG Frankfurt a.M. OLGZ ____1992, 89, 92 obiter; wie das BVerfG auch OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 500. 68 BVerfGE 108, 238, 248 = NJW 2003, 2598, 2599 = WM 2003, 1583. ____69 Krit. hierzu Oberhammer IPRax 2004, 40, 42. ____70 Vgl. nur BVerfG NJW 2004, 3552, 3553= WM 2004, 1402; BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096 (zur ____Anerkennung nach § 328 ZPO) und BVerfGE 91, 335, 343 = NJW 1995, 649, 650; BVerfG Beschl. v. 24.1.2007 ____(2 BvR 1133/04); OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 500 m.w.N. 71 Insoweit zutreffend OLG Düsseldorf WM 2003, 1587, 1589. ____72 BVerfG NJW 2004, 3552, 3553 = WM 2004, 1402. ____73 BVerfGE 108, 238, 248 = NJW 2003, 2598, 2599 = WM 2003, 1583. ____74 Vgl. BVerfGE 108, 238, 249 = NJW 2003, 2598, 2599 f. = WM 2003, 1583. Schütze (FS Boguslawskij 2004, ____325, 330) schreibt prägnant von „erpressten Vergleichen“, welche durch solche Verfahren erzwungen ____werden können. 75 Vgl. Zekoll NJW 2003, 2885 ff.; Oberhammer IPRax 2004, 40, 45 (nicht gänzlich ablehnend); Heß JZ ____2003, 926, 923 (vorwiegend aus rechtspolitischen Erwägungen); Zöller/Geimer § 183 Rdn. 116 und ff. und ____schon Juenger/Reimann NJW 1994, 3274 f.; Morisse RIW 1995, 370 ff.; Stadler JZ 1995, 718 ff. (zu BVerfGE 91, ____335 ff. = NJW 1995, 649 = JZ, a.a.O., 716). ____76 Wie hier auch Braun ZIP 2003, 2225, 2229 ff. und schon Greger FS Schwab, 331, 336 ff.; in der Tendenz auch Rothe RIW 2003, 859, 864; Mankowski RIW 2004, 587, 595. Noch weitergehend als hier Schütze FS ____Boguslawskij 2004, 325, 330. ____77 Vgl. nur Heß JZ 2003, 923, 924. ____78 Darauf verweist OLG Düsseldorf WM 2003, 1587, 1589.

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Hilfe anderer im Gerichtsstaat möglichen Zustellungsformen in Anspruch genommen _____werden kann, kein Grund dafür sein, eine derartige Zustellung im Inland vorzunehmen. _____Demnach greift Art. 13 HZÜ auch dann ein, wenn derartige Klagen eine Dimension errei_____chen, welche die wirtschaftliche Existenz des Adressaten bedrohen.79 _____ Auch die Zustellung ausländischer antisuit injunctions (Prozessführungsverbote) 32 _____kann Probleme bereiten. Solche antisuit injunctions können etwa dazu dienen, Gerichts_____standsvereinbarungen oder Schiedsabreden abzusichern,80 indem sogleich die Prozess_____führung vor einem anderen denkbaren Forum verboten wird. Die Zustellung des Verbots, _____im ersuchten Staat selbst ein Verfahren zu betreiben, greift indes in die Hoheitsrechte _____dieses Staats ein.81 Dies zeigt sich besonders deutlich dann, wenn die Wirksamkeit der _____getroffenen Vereinbarung in Streit steht und im Falle der Unwirksamkeit vielleicht sogar _____ein ausschließlicher inländischer Gerichtsstand gegeben wäre. Über die damit verbun_____dene Souveränitätsverletzung hinaus greift die antisuit injunction auch in die Schutz_____rechte des Adressaten ein, die durch die Zuständigkeitsregeln gesichert werden und die _____durchzusetzen der jeweilige Gerichtsstaat verpflichtet ist.82 Bei alledem ist zudem zu be_____denken, dass die Intention der antisuit injunction auch auf anderem Wege schonend _____durchgesetzt werden kann; das angerufene inländische Gericht muss selbstverständlich _____seine Zuständigkeit vom Amts wegen prüfen und sich deshalb auch mit allfälligen Ver_____einbarungen befassen, welche die Zuständigkeit ausschließen würden. Die Zustellung _____von antisuit injunctions kann deshalb gemäß Art. 13 HZÜ verweigert werden.83 In glei_____cher Weise anstößig sind Klagen bewusst anonymer Kläger, die dem Beklagten keine _____angemessene Einschätzung seines künftigen Vorgehens erlauben. Hierin liegt ein Ver_____stoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren.84 _____ Art. 15 HZÜ zielt auf die Wahrung des Rechts des Adressaten auf rechtliches Gehör 33 _____ab. Dieser Schutz ist von besonderer Bedeutung, weil die problematische remise au par_____quet (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 5) im Anwendungsbereich des HZÜ zulässig bleibt.85 Die _____Vorschrift betrifft (nur) die Verfahrenseinleitung selbst, nicht jedoch die spätere Durch_____führung des Verfahrens.86 Der Schutz des Art. 15 Abs. 1 HZÜ entfällt durch rügelose Ein_____lassung, wie es sich im Umkehrschluss aus Art. 15 Abs. 1 HZÜ ergibt.87 Eine Verfahrensbe_____teiligung schadet dem Adressaten nicht, solange er vorrangig die mangelnde Zustellung _____rügt.88 Zudem darf der Richter in dringenden Fällen vorläufige Maßnahmen einschließlich _____solcher anordnen, die auf eine Sicherung gerichtet sind (Art. 15 Abs. 3 HZÜ). _____ Hat sich der Beklagte (Zustellungsadressat) nicht auf das Verfahren eingelassen, so 34 _____hat der Richter gemäß Art. 15 Abs. 1 HZÜ das Verfahren auszusetzen, bis festgestellt _____ist, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück (Ladung oder Entsprechendes) in ei_____ _____ _____79 Angedeutet in BVerfG NJW 2004, 3552, 3553 = WM 2004, 1402 (im konkreten Fall verneint); vgl. auch BVerfG Beschl. v. 24.1.2007 (2 BvR 1133/04). _____80 Vgl. nur Mansel EuZW 1996, 335, 336. _____81 OLG Düsseldorf EuZW 1996, 351, 352; zust. Mansel EuZW 1996, 335, 336 f.; Hau IPRax 1997, 245 ff. _____82 Vgl. OLG Düsseldorf EuZW 1996, 351, 352; zust. Mansel EuZW 1996, 335, 337. _____83 OLG Düsseldorf EuZW 1996, 351; Mansel EuZW 1996, 351; Hau IPRax 1997, 245 ff. ; a.A. Schlosser _____EUZPR, Art. 13 HZÜ Rdn. 2; G. Geimer Neuordnung, S. 78 ff. 84 Schütze FS Boguslawskij 2004, 325, 331 f. m.w.N. _____85 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 95, 97 m.w.N.; ausführl. Schlosser EUZPR, Art. 15 HZÜ Rdn. 1 ff.; siehe auch _____Stein/Jonas/Roth § 183 Rdn. 12. _____86 Vgl. nur Zöller/Geimer § 183 Rdn. 99. _____87 Vgl. BGHZ 98, 263, 269 f. = IPRax 1988, 159, 161 = NJW 1987, 592, 593 = RIW 1986, 991, 992 = WM 1986, 1444, 1445 f. = ZZP 100 (1987), 435 m. Anm. Schack a.a.O., 442 ff. _____88 Umkehrschluss aus BGHZ 98, 263, 269 f. = IPRax 1988, 159, 161 = NJW 1987, 592, 593 = RIW 1986, 991, _____992 = WM 1986, 1444, 1445 f. = ZZP 100 (1987), 435 m. Anm. Schack a.a.O., 442 ff., insbes. 448; vgl. auch _____OLG Köln IPRax 1991, 114 m. Anm. Linke a.a.O., 92, 93.

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

____ner der Formen zugestellt89 worden ist, die das Recht des ersuchten Staates für die ____Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche ____Personen vorschreibt (lit. a), oder dass das Schriftstück entweder dem Beklagten selbst ____oder aber in seiner Wohnung90 nach einem anderen in diesem Übereinkommen vorgese____henen Verfahren übergeben worden ist (lit. b) und dass in jedem dieser Fälle das ____Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder übergeben worden ist, dass der Beklagte sich ____hätte verteidigen können. Für andere als verfahrenseinleitende Schriftstücke gilt der ____Schutz des Art. 15 HZÜ nicht.91 ____ Art. 15 Abs. 2 HZÜ stellt es dem Vertragsstaat frei zu erklären, dass seine Richter 35 ____ungeachtet des Abs. 1 HZÜ den Rechtsstreit entscheiden können, auch wenn ein Zeug____nis über die Zustellung oder die Übergabe nicht eingegangen ist, vorausgesetzt, dass ____das Schriftstück nach einem in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verfahren über____mittelt worden ist, dass seit der Absendung92 des Schriftstücks eine Frist verstrichen ist, ____die der Richter nach den Umständen des Falles als angemessen erachtet und die mindes____tens sechs Monate betragen muss, und dass trotz aller zumutbaren Schritte bei den zu____ständigen Behörden des ersuchten Staates ein Zeugnis nicht zu erlangen war. Deutschland ____hat von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht.93 Die Zumutbarkeit richtet sich nach den ____Umständen des Einzelfalls,94 ebenso die Angemessenheit der Frist; maßgeblich wird es ____auf den üblichen Grad an Effizienz der jeweiligen Justizverwaltung ankommen.95 Die all____fällige Nachfrage des Gerichts bei der zuständigen Behörde fällt unter die richterliche ____Unabhängigkeit (Art. 97 GG);96 vgl. zur Abgrenzung zur Tätigkeit der Justizverwaltung ____Vor §§ 183, 184 Rdn. 49, 51 f. ____ Einen weiterreichenden Schutz des Adressaten sieht das HZÜ grds. nicht vor. Die 36 ____wichtigen Fragen des zustellungsabhängigen Fristenlaufs werden alleine vom Recht des ____Gerichtsstaats entschieden.97 Allerdings eröffnet Art. 16 HZÜ die Möglichkeit, in Bezug ____auf Rechtsmittelfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, voraus____gesetzt, dass der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem ____Schriftstück erlangt hat, dass er sich hätte verteidigen können, und nicht so rechtzeitig ____Kenntnis von der Entscheidung, dass er sie hätte anfechten können, und dass seine Ver____teidigung nicht von vornherein aussichtslos scheint (Abs. 1). Einschränkungen finden ____sich in den Absätzen 2 bis 4. Deutschland hat eine Erklärung gemäß Abs. 3 HZÜ abgege____ben.98 Die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 soll auch im Rahmen des Art. 16 Abs. 2 HZÜ gel____ten.99 Eine entsprechende Anwendung des Art. 16 HZÜ ist für die Fälle geboten, in ____denen nach dem Zustellungsrecht des Ursprungsstaats (Gerichtsstaats) eine grenzüber____schreitend fristenwirksame Inlandszustellung möglich war (z.B. bei der remise au par____quet; vgl. oben Rdn. 33 und Vor §§ 183, 184 Rdn. 5).100 ____ ____ 89 Zum im Hinblick auf die – erfasste – remise au parquet missverständlichen Wortlaut vgl. Schlosser ____EUZPR, Art. 15 HZÜ Rdn. 3; Schack IZVR, Rdn. 609 ff., 611 f. ____90 Für Deutschland können insoweit die Maßstäbe des § 178 ZPO herangezogen werden. ____91 Vgl. OLG Oldenburg RIW 1991, 950 = IPRax 1992, 169 m. zust. Anm. Nagel a.a.O., 150 f. ____92 Maßgeblich ist die Absendung ins Ausland; vgl. Schlosser EUZPR, Art. 15 HZÜ Rdn. 8 m.w.N. ____93 BGBl. 1993 II, S. 704. 94 Vgl. etwa OLG Hamm IPRspr. 1998 Nr. 180: Sachstandsanfrage. ____95 Vgl. OLG Hamm NJW 1989, 2203 m. zust. Anm. Geimer a.a.O., 2204 f.; ablehnend Schlosser EUZPR, ____Art. 15 HZÜ Rdn. 7 mit ungenauem Zitat aus der kritisierten Entscheidung. ____96 Vgl. Geimer Anm. zu OLG Hamm NJW 1989, 2203 a.a.O., 2204, 2205; Schlosser EUZPR, Art. 15 HZÜ Rdn. 7. ____97 Zöller/Geimer § 183 Rdn. 100. 98 BGBl. 1993 II, S. 703 f. ____99 OLG Hamm IPRspr. 1998 Nr. 180. ____100 Schlosser EUZPR, Art. 16 HZÜ Rdn. 2; Hausmann FamRZ 1989, 1287, 1288 f.; BGH FamRZ 1989, 1287 ____(ohne Benennung des Art. 16 HZÜ).

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 37 Zur Heilung von Zustellungsmängeln im Anwendungsbereich des HZÜ vgl. Vor _____§§ 183, 184 Rdn. 108. _____ _____ cc) Texte von Zusatzvereinbarungen i.S.v. § Art. 24 HZÜ 38 _____ _____ (1) Deutsch-dänische Vereinbarung101 39 _____ _____ Artikel 1 _____ Gemäß den Vorbehalten im Artikel 1 Abs. 4 und im Artikel 9 Abs. 4 des Haager Abkommens über den _____Zivilprozeß vom 17. Juli 1905 ist den deutschen und den dänischen gerichtlichen Behörden der unmittelba_____re Geschäftsverkehr miteinander in allen Fällen gestattet, in denen durch das Abkommen der Rechtshilfe_____verkehr in Zivil- und Handelssachen für die Mitteilung gerichtlicher und außergerichtlicher Urkunden sowie für die Erledigung von Ersuchungsschreiben geregelt ist. _____ _____ Artikel 2 _____ Auf Seiten des Reichs sind für die unmittelbare Übermittlung von Zustellungs- und sonstigen Rechtshil_____feersuchen alle gerichtlichen Behörden, für ihre Entgegennahme die Landgerichtspräsidenten zuständig. _____ Auf Seiten Dänemarks sind für die unmittelbare Übermittlung von Zustellungs- und sonstigen Rechts_____hilfeersuchen alle gerichtlichen Behörden zuständig, für ihre Entgegennahme: _____a. außerhalb Kopenhagens: _____ das Gericht des Ortes, wo die Zustellung zu bewirken oder die nachgesuchte Handlung vorzunehmen _____ ist; _____b. in Kopenhagen: bei Zustellungsersuchen der Präsident des Kopenhagener Stadtgerichts und bei sonstigen Rechtshil_____ feersuchen das Justizministerium. _____ Im Falle der örtlichen Unzuständigkeit der ersuchten Behörde ist das Ersuchen von Amtswegen an _____die zuständige Behörde abzugeben und die ersuchende Behörde hiervon unverzüglich zu benachrichtigen. _____ _____ Artikel 3 _____ (1) In dem unmittelbaren Geschäftsverkehre werden die Schreiben der beiderseitigen Behörden in de_____ren Landessprache abgefaßt. _____ (2) Die im Artikel 3 Abs. 1 des Haager Abkommens über den Zivilprozeß vorgesehenen Übersetzungen _____sind zu beglaubigen. Die Beglaubigung erfolgt durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter _____des ersuchenden Staates oder durch einen beeidigten oder amtlich bestellten Dolmetscher des ersuchenden oder ersuchten Staates. Sind den im genannten Artikel des Haager Abkommens über den Zivilprozeß _____erwähnten Schriftstücken derartig beglaubigte Übersetzungen nicht beigegeben, so werden die erforderli_____chen Übersetzungen von der ersuchten Behörde auf Kosten der ersuchenden Behörde beschafft. _____ (…) _____ _____ (2) Deutsch-norwegische Vereinbarung102 40 _____ _____ Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke _____ _____ Artikel 1 _____ In Zivil- und Handelssachen können gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die von einem _____der beiden Staaten ausgehen, auch im unmittelbaren Verkehr übersandt werden, und zwar _____ _____101 Dt.-dän. Vereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs, in Kraft am 15.6.1910 _____(Bek. v. 3.6.1910 – RGBl. 1910 S. 871, 873), Änderungsvereinbarung vom 6.1.1932 (Bek. v. 18.1.1932 – RGBl. II _____S. 20), Wiederanwendung (Bek. v. 30.6.1953 – BGBl. II S. 186), Weiteranwendung (Bek. v. 27.6.1960 – BGBl. II S. 1853). _____102 Dt.-norw. Vereinbarung vom 17.6.1977 zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs nach _____dem Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 über den Zivilprozeß, in Kraft am 1.1.1980 (Bek. v. 23.11.1979 – _____BGBl. II S. 1292).

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

____1. wenn die Zustellung an Personen in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt werden soll, von den zuständigen norwegischen Justizbehörden an den Präsidenten des Landgerichts oder Amtsgerichts, ____ in dessen Bezirk sich der Empfänger aufhält, ____ ____2. wenn die Zustellung an Personen in Norwegen bewirkt werden soll, von den zuständigen deutschen Justizbehörden an das herredsrett oder das byrett, in dessen Bezirk sich der Empfänger aufhält. ____ ____ Artikel 2 ____ Ist die Behörde, der das Schriftstück übersandt worden ist, nicht zuständig, so gibt sie es von Amts ____wegen an die zuständige Behörde ab. Sie benachrichtigt hiervon unverzüglich die ersuchende Behörde auf ____demselben Wege, auf dem ihr das Ersuchen zugegangen ist. ____ Artikel 3 ____ (1) In dem Antrag soll angegeben werden, ob die Zustellung durch einfache Übergabe des Schrift____ ____stücks an den Empfänger (Artikel 2 des Haager Übereinkommens) oder in der Form, die durch die Rechts____vorschriften der ersuchten Behörde vorgeschrieben ist, oder in einer besonderen Form (Artikel 3 Absatz 2 ____des Haager Übereinkommens) bewirkt werden soll. Der Wunsch, die Zustellung in einer der in Artikel 3 Absatz 2 des Haager Übereinkommens vorgesehenen Formen zu bewirken, kann auch nur hilfsweise für ____den Fall ausgesprochen werden, daß die einfache Übergabe nicht möglich ist, weil der Empfänger zur ____Annahme des Schriftstücks nicht bereit ist. ____ (2) Hat die ersuchende Behörde nicht, wie in Artikel 3 Absatz 2 des Haager Übereinkommens vorge____sehen, den Wunsch ausgesprochen, das Schriftstück in einer der in Artikel 3 Absatz 2 des Haager Überein____kommens angeführten Formen zuzustellen, und kann die Zustellung nicht durch einfache Übergabe nach ____Artikel 2 des Haager Übereinkommens bewirkt werden, so sendet die ersuchte Behörde das Schriftstück ____unverzüglich der ersuchenden Behörde zurück und teilt ihr die Gründe mit, aus denen die einfache Über____gabe nicht möglich war. Ist jedoch das zuzustellende Schriftstück von einer Übersetzung begleitet, so wird ____die Zustellung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der ersuchten Behörde für die Bewirkung ____gleichartiger Zustellungen durchgeführt. (3) Hat die ersuchende Behörde ihrem Antrag nach Absatz 1, ein Schriftstück in den in Artikel 3 Ab____satz 2 des Haager Übereinkommens vorgesehenen Formen zuzustellen, eine Übersetzung ausnahmsweise ____nicht beigefügt, so wird diese von der ersuchten Behörde beschafft. Die Kosten der Übersetzung werden ____von der ersuchenden Behörde erstattet. ____ (4) Die in Artikel 3 Absatz 2 des Haager Übereinkommens vorgesehene Übersetzung kann auch von ____einem vereidigten Übersetzer des ersuchenden Staates beglaubigt werden. (5) Die beiden Staaten verzichten gegenseitig auf die Erstattung von Auslagen, die in den Fällen des ____ ____Artikels 3 Absatz 2 des Haager Übereinkommens dadurch entstanden sind, daß bei der Zustellung ein ____Gerichtsbeamter mitgewirkt hat oder eine besondere Form beachtet worden ist. Jedoch teilt die ersuchte ____norwegische Behörde der ersuchenden deutschen Behörde den Betrag dieser Auslagen mit. ____ Artikel 4 ____ (1) Die diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines jeden der beiden Staaten können Zustel____lungen ohne Anwendung von Zwang (Artikel 6 Absatz 1 Nummer 3 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2 des ____Haager Übereinkommens) auch dann bewirken, wenn die Empfänger neben der Staatsangehörigkeit des ____Entsendestaates auch die eines dritten Staates besitzen. Kommen für die Beurteilung der Staatsangehörig____keit der Person, an die zugestellt werden soll, verschiedene Rechte in Betracht, so ist das Recht des Staates ____maßgebend, in dem der Zustellungsantrag ausgeführt werden soll. (2) Im Verhältnis zwischen beiden Staaten sind die in Artikel 6 Absatz 1 Nummern 1 und 2 des Haager ____ ____Übereinkommens vorgesehenen unmittelbaren Zustellungsarten ebenso wie die unmittelbare Zustellung ____durch die diplomatischen oder konsularischen Vertreter an Personen, welche die Staatsangehörigkeit des ____Empfangsstaates oder eines dritten Staates besitzen, nicht zulässig. ____ ____ ____ ____ ____ 661

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Schlußbestimmungen _____ Artikel 14 _____ Die vorstehenden Vereinbarungen schließen nicht aus, daß Zustellungsanträge, Rechtshilfeersuchen _____oder Anträge auf Bewilligung des Armenrechts auf dem im Haager Übereinkommen vorgesehenen Wege _____(Artikel 1 Absatz 1, Artikel 9 Absatz 1, Artikel 23 Absatz 1) übermittelt werden. _____ _____ _____ 41 (3) Deutsch-schweizerische Vereinbarung103 _____ Artikel 1 _____ Gemäß den Vorbehalten im Artikel 1 Abs. 4 und im Artikel 9 Abs. 4 des Haager Abkommens über den _____Zivilprozeß vom 17. Juli 1905 wird in allen Fällen, in denen durch das Abkommen der Rechtshilfeverkehr in _____Zivil- und Handelssachen für die Mitteilung gerichtlicher und außergerichtlicher Urkunden sowie für die _____Erledigung von Ersuchungsschreiben geregelt ist, der zwischen den deutschen und den schweizerischen _____gerichtlichen Behörden auf Grund der Vereinbarung vom 1./10. Dezember 1878 bestehende unmittelbare _____Geschäftsverkehr beibehalten. _____ _____ Artikel 2 _____ In dem unmittelbaren Geschäftsverkehre werden die Schreiben der beiderseitigen Behörden in deren Landessprache abgefaßt. _____ Die Bestimmungen des Artikel 3 des Haager Abkommens über den Zivilprozeß wegen Abfassung oder _____Übersetzung der dort bezeichneten Schriftstücke bleiben unberührt. Sind diesen Schriftstücken die vorge_____schriebenen Übersetzungen nicht beigegeben, so werden sie von der ersuchten Behörde auf Kosten der _____ersuchenden Behörde beschafft. _____ _____ Artikel 3 _____ Die Bestimmungen des Artikel 2 Abs. 2 dieser Erklärung finden Anwendung auf die im Artikel 19 des _____Haager Abkommens über den Zivilprozeß bezeichneten Schriftstücke, die den auf diplomatischem Wege _____zu stellenden Anträgen wegen Vollstreckbarkeitserklärung von Kostenentscheidungen beizufügen sind. _____ Gemäß dem Vorbehalt im Artikel 19 Abs. 3 des Abkommens soll die dort vorgesehene Bescheinigung des höchsten Justizverwaltungsbeamten über die Zuständigkeit der Behörde, welche die Erklärung über _____die Rechtskraft der Kostenentscheidung abgibt, nicht verlangt werden, wenn die Erklärung nach dem _____Beglaubigungsvertrage vom 14. Februar 1907 keiner Beglaubigung bedarf. _____ _____ Artikel 4 _____ Soweit nach dem Haager Abkommen über den Zivilprozeß Kosten in Rechnung gestellt werden kön_____nen, werden sie nach den Vorschriften berechnet, die in dem ersuchten Staate für gleiche Handlungen in _____einem inländischen Verfahren gelten. _____ (…) _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ 103 Dt.-schweiz. – Vereinbarung vom 30.4.1910 zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs, in _____Kraft am 1.6.1910 (Bek. v. 7.5.1910 – RGBl. S. 674); Weiteranwendung (Bek. v. 23.12.1959 – BGBl. II S. 1224); _____gilt mittelbar auch für Liechtenstein (vgl. Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Bd. 1, Nr. 450 sowie oben _____Rdn. 52).

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ b) Das Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 42 ____ (HZPÜ)104 mit deutschen Ausführungsvorschriften und die deutsch____ österreichische Zusatzvereinbarung vom 6. Juni 1959 ____ ____ aa) Der Text des Übereinkommens und der Vorschriften des deutschen 43 ____ Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958105 (in Kursivschrift) ____ I. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke ____ ____ Artikel 1. ____ (1) In Zivil- oder Handelssachen wird die Zustellung von Schriftstücken, die für eine im Ausland be____findliche Person bestimmt sind, innerhalb der Vertragsstaaten auf einen Antrag bewirkt, der von dem ____Konsul des ersuchenden Staates an die von dem ersuchten Staat zu bezeichnende Behörde gerichtet wird. ____Der Antrag, in dem die Behörde, von der das übermittelte Schriftstück ausgeht, die Namen und die Stel____lung der Parteien, die Anschrift des Empfängers sowie die Art des zuzustellenden Schriftstücks anzugeben ____sind, muß in der Sprache der ersuchten Behörde abgefaßt sein. Diese Behörde hat dem Konsul die Urkun____de zu übersenden, welche die Zustellung nachweist oder den Grund angibt, aus dem die Zustellung nicht hat bewirkt werden können. ____ (2) Schwierigkeiten, die aus Anlaß des Antrags des Konsuls entstehen, werden auf diplomatischem ____Wege geregelt. ____ (3) Jeder Vertragsstaat kann in einer an die anderen Vertragsstaaten gerichteten Mitteilung verlan____gen, daß der Antrag, eine Zustellung in seinem Hoheitsgebiet zu bewirken, mit den in Absatz 1 bezeichne____ten Angaben auf diplomatischem Wege an ihn gerichtet werde. ____ (4) Die vorstehenden Bestimmungen hindern nicht, daß zwei Vertragsstaaten vereinbaren, den un____mittelbaren Verkehr zwischen ihren Behörden zuzulassen. ____ §1 ____ Für die Entgegennahme von Zustellungsanträgen (Artikel 1 Abs. 1 des Übereinkommens) oder von ____ Rechtshilfeersuchen (Artikel 8, Artikel 9 Abs. 1), die von einem ausländischen Konsul innerhalb der Bundes____ republik Deutschland übermittelt werden, ist der Präsident des Landgerichts zuständig, in dessen Bezirk die ____Zustellung bewirkt oder das Rechtshilfeersuchen erledigt werden soll. An die Stelle des Landgerichtspräsiden____ten tritt der Amtsgerichtspräsident, wenn der Zustellungsantrag oder das Rechtshilfeersuchen in dem Bezirk ____des Amtsgerichts erledigt werden soll, das seiner Dienstaufsicht untersteht. ____ ____ § 3 (aufgehoben) ____ Artikel 2. ____ Die Zustellung wird durch die Behörde bewirkt, die nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staa____ tes zuständig ist. Diese Behörde kann sich, abgesehen von den in Artikel 3 vorgesehenen Fällen, darauf ____ beschränken, die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, ____ wenn er zur Annahme bereit ist. ____ ____ §2 ____ (1) Für die Erledigung von Zustellungsanträgen oder von Rechtshilfeersuchen ist das Amtsgericht zu____ständig, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorzunehmen ist. ____ (2) Die Zustellung wird durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts bewirkt. Diese hat auch den Zustel____lungsnachweis (Artikel 1 Abs. 1, Artikel 5 des Übereinkommens) zu erteilen. ____ ____ ____ ____ ____104 BGBl. 1958 II S. 576 ff. ____105 Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 über den Zivilprozess vom ____18. Dezember 1958, BGBl. I, S. 939, zuletzt geändert durch Gesetz v. 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Artikel 3. _____ (1) Dem Antrag ist das zuzustellende Schriftstück in zwei Stücken beizufügen. _____ (2) Ist das zuzustellende Schriftstück in der Sprache der ersuchten Behörde oder in der zwischen den _____beiden beteiligten Staaten vereinbarten Sprache abgefaßt oder ist es von einer Übersetzung in eine dieser _____Sprachen begleitet, so läßt die ersuchte Behörde, falls in dem Antrag ein dahingehender Wunsch ausgesprochen ist, das Schriftstück in der durch ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die Bewirkung gleicharti_____ger Zustellungen vorgeschriebenen Form oder in einer besonderen Form, sofern diese ihren Rechtsvorschrif_____ten nicht zuwiderläuft, zustellen. Ist ein solcher Wunsch nicht ausgesprochen, so wird die ersuchte Behörde _____zunächst versuchen, das Schriftstück nach Artikel 2 durch einfache Übergabe zuzustellen. _____ (3) Vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung ist die in Absatz 2 vorgesehene Übersetzung von dem _____diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates oder von einem beeidigten Über_____setzer des ersuchten Staates zu beglaubigen. _____ _____ Artikel 4. _____ Eine in den Artikeln 1, 2 und 3 vorgesehene Zustellung kann nur abgelehnt werden, wenn der Staat, _____in dessen Hoheitsgebiet sie bewirkt werden soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. _____ _____ Artikel 5. _____ (1) Zum Nachweis der Zustellung dient entweder ein mit Datum versehenes und beglaubigtes Emp_____fangsbekenntnis des Empfängers oder ein Zeugnis der Behörde des ersuchten Staates, aus dem sich die _____Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergibt. _____ (2) Das Empfangsbekenntnis oder das Zeugnis ist auf eines der beiden Stücke des zuzustellenden _____Schriftstücks zu setzen oder damit zu verbinden. _____ _____ Artikel 6. _____ (1) Die vorstehenden Artikel schließen es nicht aus: 1. daß Schriftstücke den im Ausland befindlichen Beteiligten unmittelbar durch die Post übersandt _____ werden dürfen; _____2. daß die Beteiligten Zustellungen unmittelbar durch die zuständigen Gerichtsbeamten oder andere _____ zuständige Beamte des Bestimmungslandes bewirken lassen dürfen; _____3. daß jeder Staat Zustellungen an die im Ausland befindlichen Personen unmittelbar durch seine dip_____ lomatischen oder konsularischen Vertreter bewirken lassen darf. _____ (2) Eine solche Befugnis besteht jedoch in jedem Falle nur dann, wenn sie durch Abkommen zwi_____schen den beteiligten Staaten eingeräumt wird oder wenn beim Fehlen solcher Abkommen der Staat, in _____dessen Hoheitsgebiet die Zustellung zu bewirken ist, ihr nicht widerspricht. Dieser Staat kann jedoch einer _____Zustellung gemäß Absatz 1 Nr. 3 nicht widersprechen, wenn das Schriftstück einem Angehörigen des ersu_____chenden Staates ohne Anwendung von Zwang zugestellt werden soll. _____ Artikel 7. _____ (1) Für Zustellungen dürfen Gebühren oder Auslagen irgendwelcher Art nicht erhoben werden. _____ (2) Der ersuchte Staat ist jedoch vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung berechtigt, von dem ersu_____chenden Staat die Erstattung der Auslagen zu verlangen, die in den Fällen des Artikels 3 dadurch entstan_____den sind, daß bei der Zustellung ein Gerichtsbeamter mitgewirkt hat oder daß bei ihr eine besondere Form _____angewendet worden ist. _____ _____ II. Rechtshilfeersuchen _____ Artikel 8 bis 16 (nicht abgedruckt) _____ _____ III. Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten _____ Artikel 17. _____ (1) Den Angehörigen eines der Vertragsstaaten, die in einem dieser Staaten ihren Wohnsitz ha_____ben und vor den Gerichten eines anderen dieser Staaten als Kläger oder Intervenienten auftreten, darf _____wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder AufentRohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____halts eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht auferlegt ____werden. (2) Das gleiche gilt für Vorschüsse, die zur Deckung der Gerichtskosten von den Klägern oder Interve____ ____nienten einzufordern wären. (3) Die Abkommen, durch die Vertragsstaaten für ihre Angehörigen ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ____ Befreiung von der Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten oder von der Zahlung von Vorschüssen zur ____Deckung der Gerichtskosten vereinbart haben, sind weiter anzuwenden. ____ ____ Artikel 18. ____ (1) War der Kläger oder Intervenient von der Sicherheitsleistung, der Hinterlegung oder der Vor____schußpflicht auf Grund des Artikels 17 Absatz 1 und 2 oder der im Staate der Klageerhebung geltenden ____Rechtsvorschriften befreit, so wird eine Entscheidung über die Kosten des Prozesses, die in einem Ver____tragsstaat gegen ihn ergangen ist, gemäß einem auf diplomatischem Wege zu stellenden Antrag in jedem ____anderen Vertragsstaat durch die zuständige Behörde kostenfrei für vollstreckbar erklärt. (2) Das gleiche gilt für gerichtliche Entscheidungen, durch die der Betrag der Kosten des Prozesses ____ ____später festgesetzt wird. (3) Die vorstehenden Bestimmungen hindern nicht, daß zwei Vertragsstaaten vereinbaren, die betei____ligte Partei selbst dürfe den Antrag auf Vollstreckbarerklärung unmittelbar stellen. ____ ____ Artikel 19. ____ (1) Die Kostenentscheidungen werden ohne Anhörung der Parteien gemäß den Rechtsvorschriften ____des Landes, in dem die Vollstreckung betrieben werden soll, unbeschadet eines späteren Rekurses der ____verurteilten Partei für vollstreckbar erklärt. (2) Die für die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zuständige Behörde hat ihre ____ ____Prüfung darauf zu beschränken: ____1. ob die Ausfertigung der Kostenentscheidung nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie ergangen ist, die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; ____ 2. ob die Entscheidung nach diesen Rechtsvorschriften die Rechtskraft erlangt hat; ____3. ob der entscheidende Teil der Entscheidung in der Sprache der ersuchten Behörde oder in der zwi____ schen den beiden beteiligten Staaten vereinbarten Sprache abgefaßt oder aber von einer Übersetzung ____ in eine dieser Sprachen begleitet ist, die vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung durch einen dip____ lomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates oder einen beeidigten Übersetzer ____ des ersuchten Staates beglaubigt ist. (3) Den Erfordernissen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 wird genügt entweder durch eine Erklärung der zu____ ____ständigen Behörde des ersuchenden Staates, daß die Entscheidung die Rechtskraft erlangt hat, oder durch ____die Vorlegung ordnungsmäßig beglaubigter Urkunden, aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung die ____Rechtskraft erlangt hat. Die Zuständigkeit dieser Behörde ist vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung ____durch den höchsten Justizverwaltungsbeamten des ersuchenden Staates zu bescheinigen. Die Erklärung und die Bescheinigung, die vorstehend erwähnt sind, müssen gemäß Absatz 2 Nr. 3 abgefaßt oder über____setzt sein. ____ (4) Die für die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zuständige Behörde hat, so____fern die Partei dies gleichzeitig beantragt, den Betrag der in Absatz 2 Nr. 3 erwähnten Kosten der Beschei____nigung, der Übersetzung und der Beglaubigung bei der Vollstreckbarerklärung zu berücksichtigen. Diese ____Kosten gelten als Kosten des Prozesses. ____ §4 ____ (1) Kostenentscheidungen, die gegen einen Kläger ergangen sind (Artikel 18 des Übereinkommens), wer____ ____den ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß des Amtsgerichts für vollstreckbar erklärt. (2) Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, bei dem der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichts____ stand hat, und beim Fehlen eines solchen das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich das Vermögen des Kosten____schuldners befindet oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. ____ ____ §5 ____ (1) Ist der Antrag, die Kostenentscheidung für vollstreckbar zu erklären, auf diplomatischem Wege ge____stellt (Artikel 18 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens), so hat das Amtsgericht eine von Amts wegen zu erteilen665

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____de Ausfertigung seines Beschlusses der Landesjustizverwaltung einzureichen. Die Ausfertigung ist, falls dem _____Antrag stattgegeben wird, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dem Kostenschuldner wird der _____Beschluß nur auf Betreiben des Kostengläubigers zugestellt. _____ (2) Hat der Kostengläubiger selbst den Antrag auf Vollstreckbarerklärung bei dem Amtsgericht unmit_____telbar gestellt (Artikel 18 Abs. 3), so ist der Beschluß diesem und dem Kostenschuldner von Amts wegen zuzustellen. _____ _____ § 6 _____ (1) Gegen den Beschluß, durch den die Kostenentscheidung für vollstreckbar erklärt wird, steht dem Kos_____tenschuldner die Beschwerde nach den §§ 567 bis 577 der Zivilprozeßordnung zu. _____ (2) Der Beschluß, durch den der Antrag auf Vollstreckbarerklärung abgelehnt wird, unterliegt der Be_____schwerde nach §§ 567 bis 577 der Zivilprozeßordnung. Die Beschwerde steht, sofern der Antrag auf diplomati_____schem Wege gestellt ist, dem Staatsanwalt zu. Hat der Kostengläubiger selbst den Antrag bei dem Amtsge_____richt unmittelbar gestellt, so ist er berechtigt, die Beschwerde einzulegen. _____ _____ § 7 Aus der für vollstreckbar erklärten Kostenentscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zi_____vilprozeßordnung statt; § 798 der Zivilprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden. _____ _____ § 8 _____ (1) Sollen von einem Kläger, gegen den eine Kostenentscheidung ergangen ist (Artikel 18 des Überein_____kommens), in einem Vertragsstaat Gerichtskosten eingezogen werden, so ist deren Betrag für ein Verfahren _____der Vollstreckbarerklärung (Artikel 18 Abs. 2) von dem Gericht der Instanz ohne mündliche Verhandlung _____durch Beschluß festzusetzen. Die Entscheidung ergeht auf Antrag der für die Beitreibung der Gerichtskosten _____zuständigen Behörde. _____ (2) Der Beschluß, durch den der Betrag der Gerichtskosten festgesetzt wird, unterliegt der Beschwerde _____nach den §§ 567 bis 577 der Zivilprozeßordnung. Die sofortige Beschwerde kann durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts eingelegt werden. _____ _____ IV. Armenrecht _____ _____ Artikel 20. _____ (1) In Zivil- und Handelssachen werden die Angehörigen eines jeden Vertragsstaates in allen anderen Vertragstaaten ebenso wie die eigenen Staatsangehörigen zum Armenrecht nach den Rechtsvorschriften _____ des Staates zugelassen, in dem das Armenrecht nachgesucht wird. _____ (2) In den Staaten, in denen das Armenrecht auch in verwaltungsgerichtlichen Verfahren besteht, ist _____Absatz 1 auch auf die Angelegenheiten anzuwenden, die vor die hierfür zuständigen Gerichte gebracht _____werden. _____ _____ Artikel 21. _____ (1) In allen Fällen muß die Bescheinigung oder die Erklärung über das Unvermögen von den Behör_____den des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Ausländers oder beim Fehlen eines solchen von den Behörden _____seines derzeitigen Aufenthaltsortes ausgestellt oder entgegengenommen sein. Gehören diese Behörden _____keinem Vertragsstaat an und werden von ihnen solche Bescheinigungen oder Erklärungen nicht ausgestellt oder entgegengenommen, so genügt es, daß die Bescheinigung oder Erklärung durch einen diploma_____ tischen oder konsularischen Vertreter des Landes, dem der Ausländer angehört, ausgestellt oder entge_____gengenommen wird. _____ (2) Hält der Antragsteller sich nicht in dem Land auf, in dem das Armenrecht nachgesucht wird, so ist _____die Bescheinigung oder die Erklärung über das Unvermögen von einem diplomatischen oder konsulari_____schen Vertreter des Landes, in dem sie vorgelegt werden soll, kostenfrei zu beglaubigen. _____ _____ Artikel 22. _____ (1) Die Behörde, die zuständig ist, die Bescheinigung oder die Erklärung über das Unvermögen aus_____zustellen oder entgegenzunehmen, kann bei den Behörden der anderen Vertragsstaaten Auskünfte über _____die Vermögenslage des Antragstellers einholen. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

(2) Die Behörde, die über den Antrag auf Bewilligung des Armenrechts zu entscheiden hat, ist in den ____ ____Grenzen ihrer Amtsbefugnisse berechtigt, die ihr vorgelegten Bescheinigungen, Erklärungen und Auskünf____te nachzuprüfen und sich zu ihrer ausreichenden Unterrichtung ergänzende Aufschlüsse geben zu lassen. ____ Artikel 23. ____ (1) Befindet sich der Bedürftige in einem anderen Land als demjenigen, in dem das Armenrecht nach____gesucht werden soll, so kann sein Antrag auf Bewilligung des Armenrechts zusammen mit den Bescheini____gungen oder Erklärungen über das Unvermögen und gegebenenfalls mit weiteren für die Behandlung des ____Antrags sachdienlichen Unterlagen durch den Konsul seines Landes der Behörde, die über den Antrag zu ____entscheiden hat, oder der Behörde, die von dem Staat bezeichnet ist, in dem der Antrag behandelt werden ____soll, übermittelt werden. (2) Die Bestimmungen, die in Artikel 9 Absatz 2, 3 und 4 und in den Artikeln 10 und 12 für Rechtshil____ ____feersuchen vorgesehen sind, gelten für die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung des Armenrechts ____und ihrer Anlagen entsprechend. ____ Artikel 24. ____ (1) Ist einem Angehörigen eines Vertragsstaates für ein Verfahren das Armenrecht bewilligt worden, ____so hat der ersuchende Staat für Zustellungen jeglicher Art, die sich auf dieses Verfahren beziehen und die ____in einem anderen Vertragsstaat zu bewirken sind, dem ersuchten Staat Kosten nicht zu erstatten. ____ (2) Das gleiche gilt für Rechtshilfeersuchen, mit Ausnahme der Entschädigungen, die an Sachver____ständige gezahlt sind. ____ §9 ____ Für die Entgegennahme von Anträgen auf Bewilligung des Armenrechts, die von einem ausländischen ____ ____Konsul innerhalb der Bundesrepublik Deutschland übermittelt werden (Artikel 23 Abs. 1 des Übereinkom____mens), ist der Landgerichts- oder Amtsgerichtspräsident zuständig. § 1 ist entsprechend anzuwenden. ____ § 10 ____ (1) Ein Angehöriger eines Vertragsstaates, der im Ausland das Armenrecht für eine Klage vor einem Ge____richt eines anderen Vertragsstaates auf dem in Artikel 23 des Übereinkommens vorgesehenen Weg nachsu____chen will, kann seinen Antrag auf Bewilligung des Armenrechts zusammen mit den erforderlichen Unterlagen ____bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Er kann das Gesuch ____bei diesem Gericht auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären. (2) Für die Übermittlung eines Antrags auf Bewilligung des Armenrechts durch den diplomatischen ____ ____oder konsularischen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland werden Gebühren und Auslagen nicht erho____ben. ____ V. Kostenfreie Ausstellung von Personenstandsurkunden ____ Artikel 25. ____ Die bedürftigen Angehörigen eines Vertragsstaates können sich unter den gleichen Voraussetzungen ____ ____wie die eigenen Staatsangehörigen Personenstandsurkunden kostenfrei erteilen lassen. Die zu ihrer Ehe____schließung erforderlichen Urkunden sind von den diplomatischen oder konsularischen Vertretern der Vertragsstaaten gebührenfrei zu legalisieren. ____ ____ VI. Personalhaft ____ Artikel 26. ____ In Zivil- oder Handelssachen darf die Personalhaft als Mittel der Zwangsvollstreckung oder auch nur ____ als Sicherungsmaßnahme gegen die einem Vertragsstaat angehörenden Ausländer nur in den Fällen an____gewendet werden, in denen sie auch gegen eigene Staatsangehörige anwendbar sein würde. Ein Grund, ____aus dem ein im Inland wohnhafter eigener Staatsangehöriger die Aufhebung der Personalhaft beantragen ____kann, berechtigt auch den Angehörigen eines Vertragsstaates zu einem solchen Antrag, selbst wenn der ____Grund im Ausland eingetreten ist. ____ ____

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ VII. Schlußbestimmungen _____ Artikel 26–31. (nicht abgedruckt) _____ _____ Artikel 32. _____ (1) Jeder Vertragsstaat kann sich bei der Unterzeichnung oder Ratifizierung dieses Übereinkommens _____oder bei seinem Beitritt zu diesem Übereinkommen das Recht vorbehalten, die Anwendung des Artikels 17 _____auf die Angehörigen der Vertragsstaaten zu beschränken, die in seinem Hoheitsgebiet ihren gewöhnlichen _____Aufenthalt haben. _____ (2) Ein Staat, der von der in Absatz 1 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, kann die An_____wendung des Artikels 17 durch die anderen Vertragsstaaten nur zugunsten derjenigen seiner Staatsangehörigen beanspruchen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Vertragsstaates haben, vor des_____ sen Gerichten sie als Kläger oder Intervenienten auftreten. _____ _____ Artikel 33. (nicht abgedruckt) _____ _____ 44 bb) Erläuterungen. Das HZPÜ tritt gemäß seinem Art. 29 im Verhältnis zwischen _____ den _____ Staaten, die es ratifiziert haben, an die Stelle des am 17. Juli 1905 in Den Haag un106 _____terzeichneten Abkommens über den Zivilprozess. Das Haager Abkommen von 1905 107 _____gilt nur noch im Verhältnis zu Estland. Das HZPÜ ist für die Bundesrepublik Deutsch108 _____land am 1.1.1960 in Kraft getreten. Zu den auch im Anwendungsbereich des HZÜ noch _____bedeutsamen Zusatzvereinbarungen vgl. oben Rdn. 38 ff. Da die Zusatzübereinkommen _____zum HZPÜ aus deutscher Sicht weitestgehend obsolet sind, wird hier von ihrem Abdruck _____weitestgehend (vgl. unten die deutsch-österreichische Vereinbarung, Rdn. 49) abgese_____hen. 45 Vertragsparteien des HZPÜ sind/waren die folgenden Staaten: _____ _____ Ägypten, Argentinien, Anguilla, Antigua und Barbuda, Aruba (niederl.), Armenien, _____Bahamas, Barbados, Belarus, Belgien, Bermuda (brit.), Botsuana, Britische Jungfernin_____seln (brit.), Bulgarien, China, Dänemark, District of Columbia (USA), Estland, Falkland_____Inseln und Nebengebiete, Finnland, Frankreich, Gibraltar (brit.), Griechenland, Guam _____(USA), Guernsey (brit.), Hongkong (brit.), Insel Man (brit.), Irland, Island, Israel, Italien, _____Japan, Jugoslawien, Jungferninseln (USA), Kaiman-Inseln (brit.), Kanada, Kirgistan, Ko_____rea, Kroatien, Lettland, Libanon, Litauen, Luxemburg, Malawi, Marokko,, Mexiko, Mol_____dawien, Montenegro, Montserrat (brit.), Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, _____Pitcairn (brit.), Polen, Portugal, Puerto Rico (USA), Rumänien, Russische Föderation, _____Schweden, Schweiz, Serbien, Seychellen, Slowakei, Slowenien, ehemalige Sowjetunion, _____Spanien, St. Helena und Nebengebiete (brit.), Surinam, Tschechische Republik, ehema_____lige Tschechoslowakei, Türkei, Turks- und Caicos-Inseln (brit.), Ukraine, Ungarn, Vati_____kanstadt, Venezuela, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten, Vereinigte Staaten _____(Einzelstaaten), Zypern (Akrotiri, Dhekelia). Wegen vorrangiger anderweitiger Regelun109 _____gen vieler Staaten ist die Anwendbarkeit des Abkommens stark eingeschränkt. Der Anwendungsbereich des HZPÜ deckt sich mit dem des HZÜ (Zivil- und Han46 _____ _____delssachen, Art. 1 Abs. 1 HZPÜ). Das HZÜ stellt im wesentlichen eine Fortschreibung des _____HZPÜ dar; soweit das HZÜ Regelungen des HZPÜ inhaltlich übernommen hat, wird des_____halb auf die Kommentierung des HZÜ verwiesen (oben Rdn. 11 ff.). Gemäß Art. 1 Abs. 1 _____HZPÜ wird die Zustellung innerhalb der Vertragsstaaten auf einen Antrag bewirkt, der _____ _____ 106 RGBl. 1909, S. 409; deutsches Ausführungsgesetz v. 5.4.1909, RGBl. S. 430. _____107 Vgl. Jayme/Hausmann HZPÜ Fn. 2. _____108 Bekanntmachung v. 2.12.1959, BGBl. II, S. 1388. _____109 Vgl. Jayme/Hausmann HZPÜ Fn. 5, 12.

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

____von dem Konsul des ersuchenden Staates (vgl. auch die Regelung des Art. 1 Abs. 3 HZPÜ) ____an die von dem ersuchten Staat zu bezeichnende Behörde (vgl. für Deutschland § 1 Aus____führungsgesetz) gerichtet wird. Der Antrag, in dem die Behörde, von der das übermittelte ____Schriftstück ausgeht, die Namen und die Stellung der Parteien, die Anschrift des Emp____fängers sowie die Art des zuzustellenden Schriftstücks anzugeben sind, muss in der ____Sprache der ersuchten Behörde abgefasst sein. Diese Behörde hat dem Konsul die Ur____kunde zu übersenden, welche die Zustellung nachweist oder den Grund angibt, aus dem ____die Zustellung nicht hat bewirkt werden können. Die Zustellung wird gemäß Art. 2 HZPÜ ____durch die Behörde bewirkt, die nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates zu____ständig ist (vgl. für Deutschland § 2 des Ausführungsgesetzes: Geschäftsstelle des Amts____gerichts, in dessen Bezirk die Zustellung vorzunehmen ist). Diese Behörde kann sich, ____abgesehen von den in Art. 3 HZPÜ vorgesehenen Fällen, darauf beschränken, die Zustel____lung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, wenn ____er zur Annahme bereit ist (vgl. auch Art. 5 Abs. 2 HZÜ). Gemäß Art. 6 HZPÜ können ver____einfachte Zustellungsformen genutzt werden; gegen die unmittelbare Zustellung durch ____die Post gemäß Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 HZPÜ hat Deutschland jedoch einen Widerspruch ein____gelegt (vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 35).110 Art. 4 HZPÜ beinhaltet eine Form des ordre pub____lic-Vorbehalts gegen die Ausführung von Zustellungen im Einzelfall (vgl. insoweit die ____Ausführungen zu Art. 13 HZÜ). Zum zuzustellenden Schriftstück und der Notwendigkeit ____von Übersetzungen vgl. Art. 3 HZPÜ (zu Letzterem auch Vor §§ 183, 184 Rdn. 94). Zum ____Zustellungsnachweis vgl. Art. 5 HZPÜ. Die hier vorgesehene Form des Nachweises ist ____nicht konstitutiv für die Wirksamkeit der Zustellung.111 ____ Zur Ausführung im Einzelnen vgl. den Länderteil der ZRHO (www.datenbanken. 47 ____justiz.nrw.de/pls/jmi/ir_par_start) ____ 48 Zur Heilung von Verstößen vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 102 ff. ____ ____ cc) Deutsch-österreichische Vereinbarung112 49 ____ Zustellung von Schriftstücken ____ Artikel 1 ____ (1) In Zivil- und Handelssachen werden die Zustellungsanträge (die Ersuchen um Zustellung) im un____ ____mittelbaren Verkehr der beiderseitigen Behörden übersandt. (2) Für die Entgegennahme von Ersuchen um Zustellung (Zustellungsanträgen) ist das Amtsgericht ____ ____(das Bezirksgericht) zuständig, in dessen Bezirk die Zustellung bewirkt werden soll. (3) Ist die ersuchte Behörde nicht zuständig, so hat sie den Zustellungsantrag (das Ersuchen um Zu____stellung) von Amts wegen an die zuständige Behörde abzugeben und die ersuchende Behörde von der ____Abgabe unverzüglich zu benachrichtigen. ____ ____ Artikel 2 ____ Die ersuchte Behörde hat die Zustellung in der durch ihre innere Gesetzgebung für gleichartige Zu____stellungen vorgeschriebenen Form zu bewirken. Auf Wunsch der ersuchenden Behörde hat sie die Zustel____lung in einer besonderen Form durchzuführen, sofern diese ihrer Gesetzgebung nicht zuwiderläuft. ____ Artikel 3 ____ Die beiden Staaten verzichten gegenseitig auf die Erstattung von Auslagen, die bei einer Zustellung ____ entstanden sind. ____ ____ ____110 Vgl. OLG Düsseldorf IPRax 1997, 194, 195 m. krit. Anm. E. J. a.a.O. 111 BGH NJW 1976, 478, 479. ____112 Dt.-österr. Vereinbarung vom 6. Juni 1959 zur weiteren Vereinfachung des rechtlichen Verkehrs ____nach dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954, in Kraft seit dem 1.1.1960, Bekanntmachung v. ____18.12.1959, BGBl. II, S. 1523.

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ Rechtshilfeersuchen _____ Artikel 4 _____ In Zivil- und Handelssachen werden die Rechtshilfeersuchen im unmittelbaren Verkehr der beidersei_____tigen Behörden übersandt. Artikel 1 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. _____ _____ Artikel 5 _____ (1) Die beiden Staaten verzichten gegenseitig auf die Erstattung von Auslagen, die bei der Erledigung _____eines Rechtshilfeersuchens entstanden sind; dies gilt auch für die Beträge, die an Sachverständige gezahlt _____worden sind. _____ (2) Die ersuchte Behörde hat die ihr erwachsenen Auslagen der ersuchenden Behörde mitzuteilen. _____ Artikel 6 _____ Jeder Staat kann Rechtshilfeersuchen, auf Grund deren eigene Staatsangehörige vernommen oder zur _____Vorlegung von Urkunden angehalten werden sollen, von seinen diplomatischen oder konsularischen Ver_____tretern unmittelbar ohne Anwendung von Zwang ausführen lassen. Die Staatsangehörigkeit der Person, _____auf die sich das Ersuchen bezieht, wird nach dem Rechte des Staates beurteilt, in dem das Rechtshilfeersu_____chen durchgeführt werden soll. _____ _____ Vollstreckung und Kostenentscheidungen _____ Artikel 7 _____ Der Antrag, eine Entscheidung über die Prozeßkosten nach den Artikeln 18 und 19 des Haager _____Übereinkommens vom 1. März 1954 für vollstreckbar zu erklären (auf Grund einer Entscheidung über die _____Prozeßkosten nach den Artikeln 18 und 19 des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 die Exekution zu _____bewilligen), kann von dem Berechtigten bei dem zuständigen Gericht unmittelbar gestellt werden. _____ _____ Artikel 8 _____ Die Bescheinigung der zuständigen Behörde, daß die Kostenentscheidung die Rechtskraft erlangt hat, bedarf keiner Bestätigung der höchsten Justizverwaltungsbehörde nach Artikel 19 Absatz 3 Satz 2 des _____Haaager Übereinkommens vom 1. März 1954. _____ _____ Armenrecht _____ Artikel 9 _____ Anträge auf Bewilligung des Armenrechtes, die gemäß Artikel 23 des Haager Übereinkommens vom 1. _____März 1954 gestellt werden, können auch im unmittelbaren Verkehr der beiderseitigen Behörden übersandt _____werden. Artikel 1 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. _____ _____ Schlußbestimmungen _____ Artikel 10 _____ Diese Vereinbarung gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik _____Deutschland gegenüber der Bundesregierung der Republik Österreich innerhalb von drei Monaten nach _____dem Tage des Inkrafttretens dieser Vereinbarung eine gegenteilige Erklärung abgibt. _____ _____ Artikel 11 _____ Der Tag, an dem diese Vereinbarung in Kraft tritt, wird durch Notenwechsel vereinbart werden, so_____bald die erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten vorliegen. _____ Artikel 12 _____ Jede der beiden Regierungen kann die Vereinbarung kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate _____nach dem Zeitpunkt wirksam, an dem sie der anderen Regierung notifiziert wurde. _____ _____ _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

____ Deutschland und Österreich haben der Kommission gemäß Art. 20 Abs. 3 am 30. Mai ____2001 Folgendes mitgeteilt:113 ____ Im gegenseitigen Rechtshilfeverkehr, soweit sich dieser auch auf Zustellungen be____zieht, wenden die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich die von ih____ren Regierungen am 6. Juni 1959 abgeschlossene Vereinbarung zur weiteren Vereinfa____chung des rechtlichen Verkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 ____(kundgemacht im österreichischen BGBl. Nr. 27/1960 und im deutschen BGBl. 1959 II ____S. 1523) weiter an. ____ Die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich verzich____ten daher im wechselseitigen Zustellungsverkehr im Interesse der weiteren Beschleuni____gung und Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken auch auf die Verwendung ____des im Anhang zu der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über ____die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handels____sachen in den Mitgliedstaaten vorgesehenen Formblatts. ____ ____ c) Bilaterale Verträge ____ ____ aa) Liechtenstein.114 Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beehrt sich …, ____der Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein vorzuschlagen, in Rechtshilfeangele____genheiten gegenseitig den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Justizbehörden ____der Bundesrepublik Deutschland und des Fürstentums Liechtenstein in dem gleichen ____Umfang zuzulassen, wie er zwischen den Justizbehörden der Bundesrepublik Deutsch____land und der Schweiz besteht. (…) ____ Auf Grund einer Note der Gesandtschaft des Fürstentums Liechtenstein vom 22. Mai ____1958 ist das Politische Departement in der Lage, der Botschaft der Bundesrepublik ____Deutschland mitzuteilen, dass die Fürstliche Regierung bereit ist, der vorgeschlagenen ____Regelung in dem Sinne zuzustimmen, dass ab 22. Mai 1958 in Rechtshilfeangelegenhei____ten der direkte Geschäftsverkehr zwischen den Justizbehörden des Fürstentums Liech____tenstein und der Bundesrepublik Deutschland in gleichem Umfange zugelassen sein ____wird, wie er bereits zwischen den Justizbehörden der Schweiz und der Bundesrepublik ____Deutschland besteht. ____ ____ bb) Marokko115 ____ (…) ____ ____ Titel I. Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen ____ ____ Kapitel II. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke ____ ____ Artikel 3 (1) Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen, die von einem der ____ ____beiden Staaten ausgehen, werden im unmittelbaren Verkehr übersandt, und zwar, ____ ____113 Lt. Auskunft des Bundesjustizministeriums vom 2.2.2005 wurde diese Mitteilung nicht ____veröffentlicht; vgl. die Angabe der Mitteilung bei Geimer/Schütze/Geimer EUZVR, Art. 20 Rdn. 4. ____114 Vereinbarung vom 17.2./29.5.1958 über den unmittelbaren Geschäftsverkehr in Zivil- und ____Strafsachen zwischen den Justizbehörden der Bundesrepublik Deutschland und des Fürstentums Liechtenstein. In Kraft am 22.5.1958 (Bek. v. 25.3.1959 – BAnz. Nr. 73/59). ____115 Dt.-marokk. Vertrag vom 29.10.1985 über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und ____Handelssachen – Gesetz vom 25.11.1988 (BGBl. II S. 1054) in Kraft seit 23.6.1994 (Bek. v. 24.6.1994, BGBl. II ____S. 1192).

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____a) wenn sie für Personen in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt sind, vom Justizministerium des _____ Königreichs Marokko (Abteilung Zivilsachen) an das Justizministerium des betreffenden Landes der _____ Bundesrepublik Deutschland; _____b) wenn sie für Personen im Königreich Marokko bestimmt sind, von der zuständigen Landesjustizver_____ waltung an das Justizministerium des Königreichs Marokko (Abteilung Zivilsachen). (2) Der Zustellungsantrag hat zu bezeichnen _____a) das Gericht oder die Behörde, von dem oder von der er ausgeht, _____b) die genaue Bezeichnung und die Stellung der Parteien, _____c) die genaue Anschrift des Empfängers, _____d) die Art der zuzustellenden Schriftstücke, _____e) Termin oder Ort der Ladung, die im Schriftstück vermerkten Fristen, das Gericht, das die Entschei_____ dung erlassen hat, sowie gegebenenfalls alle anderen zweckdienlichen Angaben. _____ _____ Artikel 4 _____ (1) Dem Antrag ist das zuzustellende Schriftstück in zwei Stücken beizufügen. _____ (2) Die Zustellung wird durch die Behörde bewirkt, die nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates zuständig ist. _____ (3) Die durch diese Behörde zu bewirkende Zustellung kann sich, abgesehen von den in Artikel 5 auf_____geführten Fällen, auf die einfache Übergabe der Schriftstücke an den Empfänger beschränken, wenn er zur _____Annahme bereit ist. _____ _____ Artikel 5 _____ Falls in dem Antrag ein dahingehender Wunsch ausgesprochen wird, bewirkt die ersuchte Behörde _____die Zustellung des Schriftstücks in der durch ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die Bewirkung _____gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form oder in einer besonderen Form, sofern diese ihren _____Rechtsvorschriften nicht zuwiderläuft. _____ Artikel 6 _____ (1) Zum Nachweis der Zustellung dient entweder ein mit Datum versehenes und beglaubigtes Emp_____fangsbekenntnis des Empfängers oder ein Zeugnis des ersuchten Staates, aus dem sich die Tatsache, die _____Form und die Zeit der Zustellung ergeben. _____ (2) Das Empfangsbekenntnis oder das Zeugnis ist auf eine der beiden Ausfertigungen des zuzustel_____lenden Schriftstücks zu setzen oder damit zu verbinden; sie werden nach Maßgabe des Artikels 3 dem _____Justizministerium des ersuchenden Staates übersandt. _____ _____ Artikel 7 _____ Ungeachtet der vorstehenden Artikel kann jeder Staat Zustellungen an eigene Staatsangehörige, die _____sich im Hoheitsgebiet des anderen Staates befinden, unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter bewirken lassen. _____ _____ Artikel 8 _____ (1) Die Zustellung in einer der in Artikel 5 vorgesehenen Formen kann auch hilfsweise für den Fall _____beantragt werden, daß die einfache Übergabe nicht möglich ist, weil der Empfänger zur Annahme des _____Schriftstücks nicht bereit ist. _____ (2) Hat der ersuchende Staat nicht, wie in Artikel 5 vorgesehen, den Wunsch ausgesprochen, das _____Schriftstück in den in jenem Artikel vorgesehenen Formen zuzustellen, und kann eine Zustellung nicht _____durch einfache Übergabe nach Artikel 4 bewirkt werden, so sendet der ersuchte Staat das Schriftstück _____unverzüglich an den ersuchenden Staat zurück und teilt diesem die Gründe mit, aus denen die einfache _____Übergabe nicht möglich war. _____ Artikel 9 _____ (1) Ist zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens des Zivil- oder Handelsrechts in dem einen Staat _____eine Klage, eine Vorladung oder ein anderes Schriftstück dem Beklagten in dem anderen Staat zuzustellen, _____so darf das Gericht, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht einläßt, keine Entscheidung erlassen, _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____bevor nicht festgestellt ist, daß das Schriftstück dem Beklagten auf einem der in diesem Vertrag vorgese____henen Wege zugestellt worden ist. (2) Die Zustellung muß so rechtzeitig erfolgt sein, daß der Beklagte in der Lage war, sich zu verteidi____ ____gen. (3) Sind jedoch seit der Übermittlung eines Zustellungsantrags an die Empfangsstelle des ersuchten ____ Staates sechs Monate vergangen, so darf das Gericht, auch wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht ____erfüllt sind, eine Entscheidung erlassen, sofern festgestellt wird, daß im ersuchenden Staat alle Maßnah____men getroffen worden sind, damit das Ersuchen hätte erledigt werden können. ____ (4) Die Bestimmungen dieses Artikels stehen dem Erlaß einstweiliger Maßnahmen einschließlich sol____cher, die auf eine Sicherstellung gerichtet sind, nicht entgegen. ____ Artikel 10 ____ Die beiden Staaten verzichten gegenseitig auf die Erstattung von Auslagen, die in den Fällen des Ar____ ____tikels 5 dadurch entstanden sind, daß bei der Zustellung ein Justizbeamter mitgewirkt hat oder daß bei ihr ____eine besondere Form beachtet worden ist. (…) ____ ____ Titel III. Gemeinsame Vorschriften ____ (…) ____ ____ Kapitel II. Sprache und Übersetzung ____ ____ Artikel 28 (1) Die Justizministerien können in ihrer Landessprache korrespondieren. ____ (2) Sofern ein deutsches Justizministerium Absender ist, ist eine Übersetzung nach dessen Wahl in ____ ____französischer oder arabischer Sprache beizufügen. (3) Sofern das marokkanische Justizministerium Absender ist, ist eine Übersetzung nach dessen Wahl ____ ____in französischer oder deutscher Sprache beizufügen. ____ Artikel 29 ____ (1) Zuzustellende Schriftstücke, Rechtshilfeersuchen, Prozeßkostenentscheidungen und Kostenfest____setzungen sowie Prozeßkostenhilfeanträge und die ihnen beigefügten Ersuchen um die erforderlichen ____Auskünfte und deren Anlagen können in der Sprache des ersuchenden Staates abgefaßt sein. ____ (2) Die Erledigungsstücke können in der Sprache des ersuchten Staates abgefaßt sein. (3) Sind Vorgänge, die in den anderen Staat übermittelt werden sollen, nicht in dessen Landesspra____ ____che abgefaßt, so gilt Artikel 28 Abs. 2 und 3 entsprechend; ausgenommen von dieser Regelung sind die ____Erledigungsstücke. ____ Artikel 30 ____ (1) Übersetzungen sind von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden ____Staates oder einem beeidigten Übersetzer des ersuchenden Staates zu beglaubigen. ____ (2) Die Übersetzung der Korrespondenz nach Artikel 28 bedarf keiner Beglaubigung. ____ (3) Übersetzungskosten werden nicht erstattet. ____ (…) ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ 673

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ 54 cc) Tunesien116 mit Ausführungsgesetz v. 29.4.1969 _____ _____ (1) Vertrag 55 _____ (…) _____ _____ Zweiter Titel. Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen _____ _____ Kapitel I. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke _____ _____ Erster Abschnitt. Zustellungsantrag _____ Artikel 8 _____ In Zivil- und Handelssachen stellen die Behörden des einen Staates Personen, die sich in seinem Ho_____heitsgebiet befinden, auf Antrag der Gerichte oder Behörden des anderen Staates gerichtliche oder außer_____gerichtliche Schriftstücke zu. _____ _____ Artikel 9 _____ (1) Der Antrag auf Zustellung ist von dem Konsul des ersuchenden Staates der zuständigen Emp_____fangsstelle des ersuchten Staates zu übermitteln. _____ (2) Diese Empfangsstelle ist: 1. in der Bundesrepublik Deutschland der Präsident des Landgerichts oder der Präsident des Amtsge_____ richts, in dessen Bezirk sich der Empfänger aufhält, _____2. der Tunesischen Republik der Procureur Général de la République (Generalstaatsanwalt der Repub_____ lik). _____ _____ Artikel 10 _____ Der Antrag auf Zustellung hat zu bezeichnen: _____1. das Gericht oder die Behörde, von dem oder von der er ausgeht, _____2. den Namen und die Stellung der Parteien, _____3. die genaue Anschrift des Empfängers, _____4. die Art des zuzustellenden Schriftstücks. _____ Artikel 11 _____ (1) Der Zustellungsantrag und das zuzustellende Schriftstück müssen entweder in der Sprache des er_____suchten Staates abgefaßt oder von einer Übersetzung in diese Sprache begleitet sein. _____ (2) Die Übersetzungen sind von einem amtlich bestellten oder vereidigten Übersetzer oder von einem _____diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines der beiden Staaten als richtig zu bescheinigen. _____ (3) Der Antrag und seine Anlagen bedürfen keiner Legalisation und vorbehaltlich des Absatzes 2 kei_____ner ähnlichen Förmlichkeit. _____ _____ Artikel 12 _____ (1) Die Zustellung wird durch die Behörde bewirkt, die nach dem Recht des ersuchten Staates zuständig ist. _____ (2) Die ersuchte Behörde läßt das Schriftstück zustellen: _____1. in der durch ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die Bewirkung gleichartiger Zustellungen _____ vorgeschriebenen Form; die ersuchte Behörde darf jedoch zunächst versuchen, die Zustellung durch _____ einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, wenn dieser zur Annahme be_____ reit ist; oder _____ _____ _____ 116 Vertrag vom 19.7.1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik _____über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in _____Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit – Gesetz vom 29.4.1969 (BGBl. II _____S. 889) in Kraft seit 13.3.1970 (Bek. v. 2.3.1970, BGBl. II S. 125).

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____2. in einer von dem ersuchenden Gericht oder der ersuchenden Behörde gewünschten besonderen Form, sofern diese dem Recht des ersuchten Staates nicht zuwiderläuft. ____ ____ Artikel 13 ____ (1) Die Zustellung kann nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine ____ Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. ____ (2) Die Zustellung darf nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil der ersuchte Staat für die Sache, ____in welcher der Zustellungsantrag gestellt wird, die ausschließliche Zuständigkeit für seine Gerichte in ____Anspruch nimmt oder weil sein Recht ein Verfahren dieser Art nicht kennt. ____ ____ Artikel 14 (1) Zum Nachweis der Zustellung dient entweder ein mit Datum versehenes und vom Empfänger un____ ____terzeichnetes sowie von der ersuchten Behörde beglaubigtes Empfangsbekenntnis oder ein Zeugnis der ____Behörde des ersuchten Staates, aus dem sich die Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergeben. (2) Die ersuchte Behörde übersendet die Urkunde, durch welche die Zustellung nachgewiesen wird, ____ ____dem Konsul des ersuchenden Staates. (3) Kann die Zustellung nicht bewirkt werden, so übersendet die ersuchte Behörde dem Konsul des ____ersuchenden Staates eine Urkunde, aus der sich der die Zustellung hindernde Umstand ergibt. ____ ____ Artikel 15 ____ (1) Für Zustellungen dürfen Gebühren oder Auslagen irgendwelcher Art nicht erhoben werden. ____ (2) Der ersuchte Staat ist jedoch berechtigt, von dem ersuchenden Staat die Erstattung der Auslagen ____zu verlangen, die dadurch entstanden sind, daß bei der Zustellung eine besondere Form nach Artikel 12 ____Abs. 2 Nr. 2 eingehalten worden ist. Der ersuchende Staat erstattet diese Kosten unverzüglich ohne Rück____sicht darauf, ob er sie von den beteiligten Parteien zurückerhält oder nicht. ____ Artikel 16 ____ Jeder der beiden Staaten hat die Befugnis, Zustellungen an eigene Staatsangehörige, die sich im Ho____heitsgebiete des anderen Staates befinden, durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ____ohne Anwendung von Zwang bewirken zu lassen. Kommen für die Beurteilung der Staatsangehörigkeit des ____Empfängers verschiedene Rechte in Betracht, so ist das Recht des Staates maßgebend, in dem die Zustel____lung bewirkt werden soll. ____ Zweiter Abschnitt. Besonderer Schutz des Beklagten bei Zustellung gerichtlicher Schriftstücke ____ ____ Artikel 17 ____ (1) Ist zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens des Zivil- oder Handelsrechts in dem einen Staate ____eine Klage, eine Vorladung oder ein anderes Schriftstück dem Beklagten in dem anderen Staate zuzustel____len, so darf das Gericht, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht einläßt, keine Entscheidung erlas____sen, bevor nicht festgestellt ist, daß die Klage, die Vorladung oder das andere Schriftstück ____1. dem Beklagten auf einem der in diesem Vertrage vorgesehenen Wege zugestellt oder ____2. ihm tatsächlich ausgehändigt worden ist. Die Zustellung oder Aushändigung muß so rechtzeitig erfolgt sein, daß der Beklagte in der Lage war, ____ sich zu verteidigen. ____ (2) Sind jedoch seit der Übermittlung eines Zustellungsantrages an die Empfangsstelle des ersuchten ____Staates (Artikel 9) acht Monate vergangen, so darf das Gericht, auch wenn die Voraussetzungen des Absat____zes 1 nicht erfüllt sind, eine Entscheidung erlassen, sofern festgestellt wird, daß im ersuchenden Staat alle ____Maßnahmen getroffen worden sind, damit das Ersuchen hätte erledigt werden können. ____ (3) Die Bestimmungen dieses Artikels stehen dem Erlaß einstweiliger Maßnahmen einschließlich sol____cher, die auf eine Sicherstellung gerichtet sind, nicht entgegen. ____ Protokoll ____ 1. Die in dem Artikel 7 Abs. 4, den Artikeln 11 und 20 sowie dem Artikel 38 Abs. 1 Nr. 5 vorgesehenen ____ Übersetzungen werden beiderseits in französischer Sprache abgefaßt. ____ (…) ____ 675

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_____ 56 (2) Gesetz vom 29.4.1969 zur Ausführung117 _____ (…) _____ _____ Zweiter Abschnitt. Zustellungsanträge und Rechtshilfeersuchen _____ _____ § 3 _____ (1) Für die Erledigung von Zustellungsanträgen (Artikel 8 des Vertrages) oder von Rechtshilfeersu_____chen (Artikel 18 des Vertrages) ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorzu_____nehmen ist. _____ (2) Die Zustellung wird durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts bewirkt. Diese hat auch den _____Nachweis über die Zustellung oder über deren Undurchführbarkeit (Artikel 14 des Vertrages) zu erteilen. (3) Werden die zuzustellenden Schriftstücke nicht angenommen, weil sie nicht in deutscher Sprache _____ abgefaßt oder von einer deutschen Übersetzung begleitet sind, so hat die Geschäftsstelle, bevor die Zustel_____lung bewirkt wird, eine deutsche Übersetzung zu beschaffen, wenn der Empfänger dies verlangt. Die _____durch die Übersetzung entstandenen Auslagen werden von dem Empfänger erhoben. Von der Erhebung _____der Auslange ist ganz oder teilweise abzusehen, wenn dies mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhält_____nisse des Empfängers oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten erscheint. Im Übrigen gelten die Vor_____schriften über Kosten im Bereich der Justizverwaltung. _____ _____ § 4 (aufgehoben durch Art. 9 des Gesetzes v. 27.6.2000, BGBl. I S. 897) _____ _____ dd) Türkei118 57 _____ Zweiter Abschnitt. Rechtshilfe _____ _____ Artikel 9 _____ (1) In Zivil- oder Handelssachen erfolgen die Zustellungen von Schriftstücken, die von den Behör_____den des einen Staates ausgehen und für eine im Gebiete des anderen Staates befindliche Person bestimmt _____sind, auf einen Antrag, der vom Konsul des ersuchenden Staates an die vom ersuchten Staat zu bezeichnende Behörde gerichtet wird. Der Antrag hat die Behörde, von der das übermittelte Schriftstück aus_____geht, den Namen sowie die Stellung der Parteien, die Anschrift des Empfängers und die Art des in Rede _____stehenden Schriftstücks anzugeben und ist in der Sprache des ersuchten Staates abzufassen. Eine nach _____Maßgabe des Artikel 4 Abs. 2 b beglaubigte Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks ist dem Antrag _____beizufügen. _____ (2) Die Behörde, an die der Antrag gerichtet ist, hat dem Konsul die Urkunde zu übersenden, die die _____Zustellung nachweist oder die den die Zustellung hindernden Umstand angibt. Im Falle ihrer örtlichen _____Unzuständigkeit hat sie den Antrag von Amts wegen an die zuständige Behörde abzugeben und den Kon_____sul hiervon unverzüglich zu benachrichtigen. _____ _____ Artikel 10 (1) Für die Zustellung hat die zuständige Behörde des ersuchten Staates Sorge zu tragen. Diese Be_____hörde kann sich, abgesehen von den in Abs. 2 vorgesehenen Fällen, darauf beschränken, die Zustellung _____durch Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, sofern er zur Annahme bereit ist. _____ (2) Auf Antrag der ersuchenden Behörde hat die ersuchte Behörde das zuzustellende Schriftstück in _____der durch ihre innere Gesetzgebung für die Bewirkung gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form _____oder in einer besonderen Form zuzustellen, sofern diese ihrer Gesetzgebung nicht zuwiderläuft. _____ _____ _____ _____ _____ 117 (BGBl. 1969 I S. 333), in Kraft am 13.3.1970 (Bek. v. 25.3.1970 – BGBl. I S. 307). _____118 Dt.-türk. Abkommen vom 29.5.1929 über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen – Gesetz _____vom 3.1.1930 (RGBl. II S. 6) in Kraft am 18.11.1931 (Bek. v. 20.8.1931 – RGBl. II S. 539). Wiederanwendung _____(Bek. v. 29.5.1952 – BGBl. II S. 608).

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3. Abschnitt. Verfahren

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Artikel 11 ____ Der Nachweis der Zustellung erfolgt entweder durch eine mit Datum versehene und beglaubigte Emp____ ____fangsbestätigung des Empfängers oder durch ein Zeugnis der Behörde des ersuchten Staates, aus dem sich ____die Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergibt. ____ Artikel 12 ____ (1) In Zivil- oder Handelssachen kann sich die Gerichtsbehörde des einen Staates gemäß den Vor____schriften ihrer Gesetzgebung mittels Rechtshilfeersuchens an die zuständige Behörde des anderen Staates ____wenden, um die Vornahme einer Prozeßhandlung oder anderer gerichtlicher Handlungen innerhalb ihres ____Geschäftskreises nachzusuchen. ____ (2) Das Rechtshilfeersuchen wird durch den Konsul des ersuchenden Staates der von dem ersuchten ____Staate zu bezeichnenden Behörde übermittelt. Eine Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates ist ____beizufügen; diese ist durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates ____oder durch einen beeidigten Dolmetscher des ersuchenden oder ersuchten Staates zu beglaubigen. (3) Die Behörde, an die das Rechtshilfeersuchen gerichtet ist, hat dem Konsul die Urkunde zu über____ ____senden, aus der sich die Erledigung des Ersuchens oder die die Erledigung hindernden Umstände ergeben. Im Falle ihrer örtlichen Unzuständigkeit hat sie das Ersuchen von Amts wegen an die zuständige Behörde ____abzugeben und den Konsul hiervon unverzüglich zu benachrichtigen. ____ ____ Artikel 13 ____ (1) Die Gerichtsbehörde, an die das Rechtshilfeersuchen gerichtet ist, ist verpflichtet, ihm zu entspre____chen, und hat dabei dieselben Zwangsmittel anzuwenden wie bei der Erledigung eines Ersuchens der ____Landesbehörden. Zwangsmittel brauchen nicht angewendet zu werden, wenn es sich um das persönliche ____Erscheinen der streitenden Parteien handelt. (2) Die ersuchte Behörde hat bei Erledigung des Rechtshilfeersuchens in Ansehung der zu beobach____ ____tenden Form die Gesetze ihres Landes anzuwenden. Indessen ist dem Antrag der ersuchenden Behörde, ____nach einer besonderen Form zu verfahren, zu entsprechen, wenn diese Form der Gesetzgebung des ersuchten Staates nicht zuwiderläuft. ____ (3) Die ersuchende Behörde ist auf ihr Verlangen von Zeit und Ort der Erledigung des Ersuchens zu ____benachrichtigen, damit die interessierte Partei in die Lage versetzt wird, dabei zugegen zu sein. ____ ____ Artikel 14 ____ Alle Schwierigkeiten, die etwa aus Anlaß eines Zustellungsantrags des Konsuls oder eines durch ihn ____übermittelten Rechtshilfeersuchens entstehen, werden auf diplomatischem Wege geregelt. ____ Artikel 15 ____ Die Erledigung eines Zustellungsantrages oder eines Rechtshilfeersuchens kann abgelehnt werden, ____ ____wenn der Staat, in dessen Gebiet die Erledigung stattfinden soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte, seine Sicherheit oder die öffentliche Ordnung zu gefährden. Die Erledigung von Ersuchen kann ferner ____abgelehnt werden, wenn die Echtheit der Urkunde nicht festgestellt ist oder wenn im Gebiete des ersuch____ten Staates die Erledigung des Ersuchens nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt. ____ ____ Artikel 16 ____ (1) Für die Erledigung von Zustellungsanträgen und von Rechtshilfeersuchen dürfen Gebühren und ____Auslagen irgendwelcher Art nicht erhoben werden. (2) Indessen kann der ersuchte Staat von dem ersuchenden die Erstattung von Zeugen- und Sachver____ ____ständigengebühren verlangen sowie derjenigen Auslagen, die durch die Mitwirkung eines Vollziehungs____beamten entstehen, wenn eine solche dadurch notwendig wird, daß Zeugen freiwillig nicht erscheinen; ____endlich derjenigen Auslagen, die gegebenenfalls infolge Anwendung einer besonderen Form bei Erledigung der Zustellungen oder Rechtshilfeersuchen erforderlich werden. ____ ____ Artikel 17 ____ (1) Jeder der beiden Staaten hat die Befugnis, Zustellungen an eigene Staatsangehörige, die sich in ____dem Gebiete des anderen Staates befinden, durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ____ohne Anwendung von Zwang bewirken zu lassen.

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_____ (2) Das gleiche gilt für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen. _____ (3) Ergeben sich bei Anwendung dieses Artikels Schwierigkeiten, so wird gemäß Artikel 9 und 12 ver_____fahren. _____ (…) _____ _____ ee) Vereinigtes Königreich119 mit Ausführungsverordnung v. 5.3.1929120 58 _____ _____ 59 (1) Abkommen _____ _____ (Vertragsparteien: Anguilla, Australien, Bahamas, Barbados, Bermuda (brit.), Briti_____sche Jungferninseln (brit.), Dominica, Falkland-Inseln (brit.), Fidschi, Gambia, Gibraltar _____(brit.), Grenada, Guyana, Jamaika, Kaiman-Inseln (brit.), Kanada, Kenia, Lesotho, Mala_____wi, Malaysia, Malta, Mauritius, Montserrat (brit.), Nauru, Neuseeland, Nigeria, Papua_____Neuguinea, Salomonen, Sambia, Seschellen, Sierra Leone, Singapur, St. Christoph_____Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Swasiland, Tansania, Trinidad und _____Tobago, Zypern) _____ _____ I. Vorbemerkung _____ Artikel 1 _____ Dieses Abkommen findet nur auf Zivil- und Handelssachen121 einschließlich nichtstreitiger Sachen _____Anwendung. _____ _____ II. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke _____ Artikel 2 _____ Wenn gerichtliche oder außergerichtliche Schriftstücke, die in dem Gebiet eines der vertragschlie_____ßenden Teile ausgestellt sind, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, Personen, Gesellschaften _____oder Körperschaften in dem Gebiete des anderen Teils zugestellt werden sollen, auf das dieses Abkommen _____Anwendung findet, so können sie, unbeschadet der Bestimmungen der nachstehenden Artikel 6 und 7, _____dem Empfänger auf einem der in den Artikeln 3 und 5 vorgesehenen Wege zugestellt werden. _____ _____ Artikel 3 _____a) Der Zustellungsantrag wird übermittelt: _____ in Deutschland durch einen britischen konsularischen Beamten an den Präsidenten des deutschen Landgerichts, _____ in England durch einen deutschen diplomatischen oder konsularischen Beamten an den Senior Mas_____ ter des Höchsten Gerichtshofs in England. _____b) Das Übermittlungsschreiben, das den Namen der Behörde, von der das übermittelte Schriftstück _____ ausgeht, die Namen und Bezeichnungen der Parteien, die Anschrift des Empfängers und die Art des _____ in Frage stehenden Schriftstücks angibt, ist in der Sprache des ersuchten Landes abzufassen. Wenn _____ in einem besonderen Falle die ersuchte gerichtliche Behörde gegenüber dem diplomatischen oder _____ konsularischen Beamten, der den Antrag übermittelt hat, einen dahingehenden Wunsch äußert, wird _____ dieser Beamte eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks zur Verfügung stellen. _____ _____ 119 Dt.-brit. Abkommen vom 20.3.1928 über den Rechtsverkehr – Gesetz vom 3.12.1928 (RGBl. II S. 623) _____in Kraft am 16.3.1929 (Bek. v. 4.3.1929 – RGBl. II S. 133). Ausgedehnt auf Nordirland (Bek. v. 1.6.1929 – _____RGBl. II S. 401), Schottland (Bek. v. 22.11.1930 – RGBl. II S. 1273), Kanalinseln und Insel Man (Bek. v. _____18.4.1935 – RGBl. II S. 410). Wiederanwendung (Bek. v. 13.3.1953 – BGBl. II S. 116). _____120 Vom 5.3.1929 zur Ausführung des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr (RGBl. II S. 135). _____121 Vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschl: v. 8.2.2010 (20 VA 15/09): Bei Abführung von punitive damages an _____die Staatskasse (civil penalty o.Ä.) nach neuseeländischem Wettbewerbsrecht liegt keine Zivil- oder _____Handelsache vor.

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____c) Die Zustellung ist durch die zuständige Behörde des ersuchten Landes zu bewirken. Mit Ausnahme des im Abs. d dieses Artikels vorgesehenen Falles kann die Behörde ihre Tätigkeit darauf beschrän____ ken, die Zustellung durch Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger zu bewirken, sofern er zur ____ Annahme bereit ist. ____ d) Ist das zuzustellende Schriftstück in der Sprache des ersuchten Landes abgefaßt oder ist es von einer ____ Übersetzung in dieser Sprache begleitet, so läßt die ersuchte Behörde, falls in dem Antrag ein dahin____ gehender Wunsch ausgesprochen ist, das Schriftstück in der durch die innere Gesetzgebung für die ____ Bewirkung gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form oder in einer besonderen Form zustel____ len, sofern diese ihrer Gesetzgebung nicht zuwiderläuft. ____e) Die in diesem Artikel vorgesehene Übersetzung ist von dem diplomatischen oder konsularischen ____ Beamten des ersuchenden Teiles oder durch einen beamteten oder beeidigten Dolmetscher eines der beiden Länder zu beglaubigen. ____ ____f) Die Ausführung des Zustellungsantrags kann nur abgelehnt werden, wenn der vertragschließende Teil, in dessen Gebiet sie erfolgen soll, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit ____ zu gefährden. ____ ____g) Die Behörde, die den Zustellungsantrag empfängt, hat dem diplomatischen oder konsularischen Beamten, der ihn übermittelt hat, die Urkunde zu übersenden, durch die die Zustellung nachgewie____ sen wird oder aus der sich der die Zustellung hindernde Umstand ergibt. Der Nachweis der Zustellung ____ wird durch ein Zeugnis der Behörde des ersuchten Landes erbracht, aus dem sich die Tatsache, die ____ Art und Weise und der Zeitpunkt der Zustellung ergibt. Ist ein zuzustellendes Schriftstück in zwei ____ gleichen Stücken übermittelt worden, so ist das Zustellungszeugnis auf eines der beiden Stücke zu ____ setzen oder damit zu verbinden. ____ Artikel 4 ____ Für Zustellungen sind Gebühren irgendwelcher Art von dem einen vertragschließenden Teile an den ____ ____anderen nicht zu entrichten. Jedoch muß der ersuchende Teil in den im Artikel 3 vorgesehenen Fällen dem ____ersuchten Teil alle Kosten und Auslagen erstatten, die nach Maßgabe des örtlichen Rechtes an die mit der Ausführung der Zustellung betrauten Personen zu zahlen sind, sowie alle Kosten und Auslagen, die da____durch erwachsen, daß die Zustellung in einer besonderen Form bewirkt wird. Diese Kosten und Auslagen ____sollen die gleichen sein, wie sie bei den Gerichten des ersuchten Teiles in solchen Fällen üblich sind. Die ____Erstattung dieser Kosten und Auslagen wird durch die gerichtliche Behörde, die die Zustellung bewirkt ____hat, von dem ersuchenden diplomatischen oder konsularischen Beamten bei der Übermittlung des im ____Artikel 3 g vorgesehenen Zeugnisses erfordert. ____ Artikel 5 ____ Das zuzustellende Schriftstück kann dem Empfänger, sofern er nicht ein Angehöriger des vertrag____ ____schließenden Teiles ist, in dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll, auch ohne Mitwirkung der Behörden ____dieses Landes zugestellt werden: a) durch einen diplomatischen oder konsularischen Beamten des Teiles, in dessen Gebiet das Schrift____ stück ausgestellt ist, oder ____b) durch einen Vertreter, der von einem Gerichte des Landes, in dem das Schriftstück ausgestellt ist, ____ oder von der Partei, auf deren Antrag das Schriftstück ausgestellt ist, allgemein oder für einen beson____ deren Fall bestellt ist, mit der Maßgabe, daß die Wirksamkeit einer durch einen solchen Vertreter be____ wirkten Zustellung von den Gerichten des Landes, wo die Zustellung so bewirkt wird, nach dem Rechte dieses Landes zu beurteilen ist. ____ ____ Artikel 6 ____ Schriftstücke können auch durch die Post übermittelt werden in Fällen, wo diese Art der Übermitt____ lung nach dem Rechte des Landes gestattet ist, in welchem das Schriftstück ausgestellt ist. ____ ____ Artikel 7 ____ Die Bestimmungen der Artikel 2, 3, 4, 5 und 6 stehen dem nicht entgegen, daß die beteiligten Perso____nen die Zustellung unmittelbar durch die zuständigen Beamten des Landes bewirken, in dem das Schrift____stück zugestellt werden soll. ____ 679

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_____ 60 (2) Verordnung _____ Artikel 1 _____ Für die Erledigung der in den Artikeln 3 und 9 des Abkommens vorgesehenen Angelegenheiten ist _____das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. _____ (…) _____ _____ _____ ff) Griechenland122 mit Ausführungsverordnung v. 31.5.1939123 61 _____ _____ (1) Abkommen 62 _____ _____ I. Mitteilung gerichtlicher und außergerichtlicher Urkunden _____ Artikel 1 _____ (1) In Zivil- und Handelssachen erfolgt die Zustellung von Schriftstücken, die für eine im Gebiet des _____anderen Staates befindliche Person bestimmt sind, auf einen Antrag, der von dem Konsul des ersuchenden _____Staates im Deutschen Reich dem Präsidenten des Landgerichts, in Griechenland dem Staatsanwalt bei dem _____Gerichtshof erster Instanz übermittelt wird, in dessen Bezirk die Zustellung erfolgen soll. Der Antrag hat _____die Behörde, von der er ausgeht, den Namen und die Stellung der Parteien, die Anschrift des Empfängers _____und die Art des zuzustellenden Schriftstücks zu bezeichnen. Der Antrag ist in der amtlichen Sprache des _____ersuchenden Staates abzufassen. Eine Übersetzung des Antrags in die Sprache des ersuchten Staates ist _____beizufügen; dabei sind die von den beiden Regierungen einander mitzuteilenden doppelsprachigen Vor_____drucke zu benutzen. (2) Die Urkunde, durch die die Zustellung nachgewiesen wird, ist dem Konsul zu übersenden; gege_____benenfalls ist ihm der die Zustellung hindernde Umstand mitzuteilen. _____ _____ Artikel 2 _____ Für die Zustellung hat die zuständige Behörde des ersuchten Staates Sorge zu tragen. Diese Behörde _____kann sich, abgesehen von den im Artikel 3 vorgesehenen Fällen, darauf beschränken, die Zustellung durch _____Übergabe des Schriftstückes an den Empfänger zu bewirken, sofern er zur Annahme bereit ist. _____ _____ Artikel 3 _____ (1) Ist das zuzustellende Schriftstück in der Sprache des ersuchten Staates abgefaßt oder ist es von ei_____ner Übersetzung in diese Sprache begleitet, so läßt die ersuchte Behörde, falls in dem Antrag ein dahingehender Wunsch ausgesprochen ist, das Schriftstück in der durch ihre innere Gesetzgebung für die Bewir_____kung gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form oder in einer besonderen Form, sofern diese ihrer _____Gesetzgebung nicht zuwiderläuft, zustellen. Ist ein solcher Wunsch nicht ausgesprochen, so wird die er_____suchte Behörde zunächst die Übergabe nach den Vorschriften des Artikels 2 zu bewirken suchen. _____ (2) Die im vorstehenden Absatz vorgesehene Übersetzung ist von dem diplomatischen oder konsula_____rischen Vertreter oder einem beeidigten Dolmetscher des ersuchenden oder ersuchten Staates zu beglau_____bigen. _____ _____ Artikel 4 _____ Die Ausführung der in den Artikeln 1, 2, 3 vorgesehenen Zustellung kann nur abgelehnt werden, _____wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. _____ _____ _____ _____ _____122 Dt.-griech. Abkommen vom 11.5.1938 über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handels-Rechts in Kraft am 17.7.1939 (Bek. v. 28.6.1939 – RGBl. II S. 848), Bek. v. _____26.6.1940 (RGBl. II S. 136) betr. Vordrucke, Wiederanwendung (Bek. v. 26.6.1952 – BGBl. II S. 634). _____123 Vom 31.5.1939 zur Ausführung des deutsch-griechischen Abkommens über die gegenseitige _____Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handels-Rechts (RGBl. II S. 847).

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Artikel 5 ____ (1) Der Nachweis der Zustellung erfolgt entweder durch ein mit Datum versehenes und beglaubigtes ____ ____Empfangsbekenntnis des Empfängers oder durch ein Zeugnis der Behörde des ersuchten Staates, aus dem ____sich die Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergeben. (2) Ist das zuzustellende Schriftstück in zwei gleichen Stücken übermittelt worden, so ist das Emp____ fangsbekenntnis oder das Zeugnis auf eins der beiden Stücke zu setzen oder damit zu verbinden. ____ ____ Artikel 6 ____ Jeder der beiden Staaten hat die Befugnis, Zustellungen an eigene Staatsangehörige, die sich im Ge____biete des anderen Staates befinden, durch seine diplomatischen und konsularischen Vertreter ohne An____wendung von Zwang bewirken zu lassen. (…) ____ ____ ____ (2) Verordnung ____ Artikel 1. Zustellungsanträge und Rechtshilfeersuchen ____ ____ §1 ____ Für die Erledigung der in den Artikeln 1 und 7 des Abkommens vorgesehenen Angelegenheiten ist ____das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. ____ §2 ____ Für die Übermittlung eines Zustellungsantrags oder eines Rechtshilfeersuchens durch den Konsul ____ ____des Reichs beträgt die Gebühr 1,50 Deutsche Mark. ____ §3 ____ Die für die Erhebung von Auslagen geltenden reichs- und landesrechtlichen Vorschriften finden auf ____die gemäß Artikel 25 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Abkommens von der ersuchten griechischen Behörde mitge____teilten Auslagen entsprechende Anwendung. ____ ____ II. Inlandszustellung an Exterritoriale ____ ____ 1. Einführung; Rechtsgrundlagen und Konkurrenzen. Die Zustellung an Exterri____toriale in Deutschland (vgl. §§ 18–20 GVG) erfolgt nach Maßgabe internationaler Über____einkommen auf diplomatischem Wege über das Bundesministerium des Auswärtigen. ____Zustellungen an die Mitglieder der diplomatischen Missionen, deren Familienmitglieder ____und ihre privaten Hausangestellten regelt Art. 31 Abs. 4 des Wiener Übereinkommens ____über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961124 (vgl. Art. 18 GVG). Zustellungen an die ____Mitglieder der konsularischen Vertretungen einschließlich der Wahlkonsularbeamte ____sind nach Maßgabe von Art. 45, 43 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über konsulari____sche Beziehungen vom 24.4.1963125 auszuführen (vgl. Art. 19 GVG). Nach Art. 43 Abs. 2, ____45 Abs. 3 des letztgenannten Übereinkommens unterliegen Konsularbeamte und -ange____stellte in erheblichem Umfang der inländischen Gerichtsbarkeit. ____ Hilfsweise ist eine öffentliche Zustellung nach § 185 Nrn. 3, 4 möglich (vgl. § 185 ____Rdn. 25 ff.; 37).126 ____ Zustellungen an Staaten werden von Art. 16 des Baseler Übereinkommens über Staa____tenimmunität vom 16.5.1972127 erfasst. Eine Zustellung erfolgt auf diplomatischem Wege ____durch Vermittlung der jeweiligen deutschen Auslandsvertretung (vgl. §§ 54 Abs. 2, 54 ____ ____ 124 BGBl. 1964 II, 957; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 140. ____125 BGBl. 1969 II, 1585; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 141. ____126 Geimer Rdn. 2148. ____127 BGBl. 1990 II, 35; abgedruckt z.B. bei Jayme/Hausmann unter Nr. 142.

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_____Abs. 1, 29 Abs. 3 ZRHO).128 Ausgeschlossen ist demnach die Einschaltung der inländi_____schen Vertretung des betroffenen Staates (vgl. auch § 183 Rdn. 40).129 Dagegen kommt _____hilfsweise eine öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 3 in Betracht.130 _____ _____ III. Inländische Ausführungsvorschriften _____ _____ 1. Das AVAG (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz) 67 _____ _____ Teil 1. Allgemeines _____ _____ Abschnitt 1. Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen _____ _____ § 1 Anwendungsbereich _____ (1) Diesem Gesetz unterliegen _____1. die Ausführung folgender zwischenstaatlicher Verträge (Anerkennungs- und Vollstreckungsver_____ träge): _____ a) Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Voll_____ streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBI. 1972 II S. 773); _____ b) Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658); _____ _____ c) Vertrag vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und _____ anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1981 II S. 341); _____ d) Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über _____ die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und _____ Handelssachen (BGBl. 1980 II S. 925); _____ e) Vertrag vom 14. November 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über _____ die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie _____ vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1987 II S. 34); _____2. die Durchführung folgender Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft: _____ a) der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han_____ delssachen (ABl. EG Nr. L 12 S. 1); _____ b) des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Kö_____ nigreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung _____ von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 299 S. 62); _____ c) des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Aner_____ kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 339 _____ S. 3). _____ (2) Die Regelungen der in Absatz 1 Nummer 2 genannten Verordnungen und Abkommen werden als _____unmittelbar geltendes Recht der Europäischen Gemeinschaft durch die Durchführungsbestimmungen _____dieses Gesetzes nicht berührt. Unberührt bleiben auch die Regelungen der zwischenstaatlichen Verträge; _____dies gilt insbesondere für die Regelungen über _____1. den sachlichen Anwendungsbereich, _____2. die Art der Entscheidungen und sonstigen Titel, die im Inland anerkannt oder zur Zwangsvollstreckung zugelassen werden können, _____3. das Erfordernis der Rechtskraft der Entscheidungen, _____ _____ _____ 128 Vgl. nur Geimer Rdn. 2144. _____129 Vgl. OLG Köln IPRax 1987, 133, 134 m. krit. Anm. Mansel a.a.O., 210 ff.; Heß RIW 1989, 254, 257 f. _____m.w.N. _____130 Geimer Rdn. 2144 a.E.; Mansel IPRax 1987, 210, 212 f.; Heß RIW 1989, 254, 259 f. m.w.N.

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh §§ 183, 184

____4. die Art der Urkunden, die im Verfahren vorzulegen sind, und ____5. die Gründe, die zur Versagung der Anerkennung oder Zulassung der Zwangsvollstreckung führen. (3) Der Anwendungsbereich des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898) bleibt ____ ____unberührt. ____ § 2 Begriffsbestimmungen ____ Im Sinne dieses Gesetzes sind ____1. unter Mitgliedstaaten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ____2. unter Titeln Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden, auf welche der je____ weils auszuführende Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag, die jeweils durchzuführende Ver____ ordnung oder das jeweils durchzuführende Abkommen Anwendung findet, zu verstehen. ____ ____ ____ Abschnitt 2. Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen Titeln ____ § 3 Zuständigkeit ____ (1) Für die Vollstreckbarerklärung von Titeln aus einem anderen Staat ist das Landgericht ausschließ____ lich zuständig. ____ (2) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Gericht, in dessen Bezirk der Verpflichtete seinen Wohn____sitz hat, oder, wenn er im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstre____ckung durchgeführt werden soll. Der Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen steht dem Wohn____sitz gleich. ____ (3) Über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entscheidet der Vorsitzende einer Zivil____kammer. ____ § 4 Antragstellung ____ (1) Der in einem anderen Staat vollstreckbare Titel wird dadurch zur Zwangsvollstreckung zugelas____ ____sen, dass er auf Antrag mit der Vollstreckungsklausel versehen wird. (2) Der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel kann bei dem zuständigen Gericht schriftlich ____eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. ____ (3) Ist der Antrag entgegen § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht in deutscher Sprache abge____fasst, so kann das Gericht dem Antragsteller aufgeben, eine Übersetzung des Antrags beizubringen, deren ____Richtigkeit von einer ____1. in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder ____ ____2. in einem Vertragsstaat des jeweils auszuführenden Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags hierzu befugten Person bestätigt worden ist. ____ (4) Der Ausfertigung des Titels, der mit der Vollstreckungsklausel versehen werden soll, und seiner ____ Übersetzung, soweit eine solche vorgelegt wird, sollen zwei Abschriften beigefügt werden. ____ ____ § 5 Zustellungsempfänger ____ (1) Hat die antragstellende Person in dem Antrag keinen Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des ____§ 184 Absatz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung benannt, so können bis zur nachträglichen Benennung alle ____Zustellungen an sie durch Aufgabe zur Post (§ 184 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 der Zivilprozessordnung) ____bewirkt werden. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die antragstellende Person einen Verfahrensbevollmächtigten für das ____ ____Verfahren bestellt hat, an den im Inland zugestellt werden kann. ____ § 6 Verfahren ____ (1) Das Gericht entscheidet ohne Anhörung des Verpflichteten. ____ (2) Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung. Jedoch kann eine mündliche Erörterung ____mit dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten stattfinden, wenn der Antragsteller oder der Bevoll____mächtigte hiermit einverstanden ist und die Erörterung der Beschleunigung dient. ____ (3) Im ersten Rechtszug ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich. ____ 683

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_____ § 7 Vollstreckbarkeit ausländischer Titel in Sonderfällen _____ (1) Hängt die Zwangsvollstreckung nach dem Inhalt des Titels von einer dem Berechtigten obliegen_____den Sicherheitsleistung, dem Ablauf einer Frist oder dem Eintritt einer anderen Tatsache ab oder wird die _____Vollstreckungsklausel zugunsten eines anderen als des in dem Titel bezeichneten Berechtigten oder gegen _____einen anderen als den darin bezeichneten Verpflichteten beantragt, so ist die Frage, inwieweit die Zulassung der Zwangsvollstreckung von dem Nachweis besonderer Voraussetzungen abhängig oder ob der Titel _____für oder gegen den anderen vollstreckbar ist, nach dem Recht des Staates zu entscheiden, in dem der Titel _____errichtet ist. Der Nachweis ist durch Urkunden zu führen, es sei denn, dass die Tatsachen bei dem Gericht _____offenkundig sind. _____ (2) Kann der Nachweis durch Urkunden nicht geführt werden, so ist auf Antrag des Berechtigten der _____Verpflichtete zu hören. In diesem Falle sind alle Beweismittel zulässig. Das Gericht kann auch die mündli_____che Verhandlung anordnen. _____ _____ § 8 Entscheidung _____ (1) Ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zuzulassen, so beschließt das Gericht, dass der Titel mit _____der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. In dem Beschluss ist die zu vollstreckende Verpflichtung in deutscher Sprache wiederzugeben. Zur Begründung des Beschlusses genügt in der Regel die Bezugnahme _____auf die durchzuführende Verordnung oder das durchzuführende Abkommen sowie auf von dem An_____tragsteller vorgelegte Urkunden. Auf die Kosten des Verfahrens ist § 788 der Zivilprozessordnung entspre_____chend anzuwenden. _____ (2) Ist der Antrag nicht zulässig oder nicht begründet, so lehnt ihn das Gericht durch mit Gründen _____versehenen Beschluss ab. Die Kosten sind dem Antragsteller aufzuerlegen. _____ _____ § 9 Vollstreckungsklausel _____ (1) Auf Grund des Beschlusses nach § 8 Absatz 1 erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die _____Vollstreckungsklausel in folgender Form: _____ „Vollstreckungsklausel nach § 4 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 (BGBI. l S. 288). Gemäß dem Beschluss des …………. (Bezeichnung des Gerichts und des _____Beschlusses) ist die Zwangsvollstreckung aus ………… (Bezeichnung des Titels) zugunsten …………. (Be_____zeichnung des Berechtigten) gegen ………. (Bezeichnung des Verpflichteten) zulässig. _____ Die zu vollstreckende Verpflichtung lautet: _____ ……. (Angabe der dem Verpflichteten aus dem ausländischen Titel obliegenden Verpflichtung in _____deutscher Sprache; aus dem Beschluss nach § 8 Absatz 1 zu übernehmen). _____ Die Zwangsvollstreckung darf über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen, bis der Gläubiger _____eine gerichtliche Anordnung oder ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt statt_____finden darf.“ _____ Lautet der Titel auf Leistung von Geld, so ist der Vollstreckungsklausel folgender Zusatz anzufügen: _____ „Solange die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, kann der Schuldner die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von ………. (Angabe des Be_____trages, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf) abwenden.“ _____ (2) Wird die Zwangsvollstreckung nur für einen oder mehrere der durch die ausländische Entschei_____dung zuerkannten oder in einem anderen ausländischen Titel niedergelegten Ansprüche oder nur für _____einen Teil des Gegenstands der Verpflichtung zugelassen, so ist die Vollstreckungsklausel als „Teil_____Vollstreckungsklausel nach § 4 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Feb_____ruar 2001 (BGBI. l S. 288)“ zu bezeichnen. _____ (3) Die Vollstreckungsklausel ist von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben _____und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Sie ist entweder auf die Ausfertigung des Titels oder auf ein damit _____zu verbindendes Blatt zu setzen. Falls eine Übersetzung des Titels vorliegt, ist sie mit der Ausfertigung zu _____verbinden. _____ § 10 Bekanntgabe der Entscheidung _____ (1) Im Falle des § 8 Absatz 1 sind dem Verpflichteten eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses, eine _____beglaubigte Abschrift des mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titels und gegebenenfalls seiner _____Übersetzung sowie der gemäß § 8 Absatz 1 Satz 3 in Bezug genommenen Urkunden von Amts wegen zuzu_____stellen. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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(2) Muss die Zustellung an den Verpflichteten im Ausland oder durch öffentliche Bekanntmachung ____ ____erfolgen und hält das Gericht die Beschwerdefrist nach § 11 Absatz 3 Satz 1 nicht für ausreichend, so be____stimmt es in dem Beschluss nach § 8 Absatz 1 oder nachträglich durch besonderen Beschluss, der ohne ____mündliche Verhandlung ergeht, eine längere Beschwerdefrist. Die Bestimmungen über den Beginn der ____Beschwerdefrist bleiben auch im Falle der nachträglichen Festsetzung unberührt. (3) Dem Antragsteller sind eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses nach § 8, im Falle des § 8 Ab____satz 1 ferner die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Titels und eine Bescheinigung ____über die bewirkte Zustellung, zu übersenden. In den Fällen des Absatzes 2 ist die festgesetzte Frist für die ____Einlegung der Beschwerde auf der Bescheinigung über die bewirkte Zustellung zu vermerken. ____ ____ Abschnitt 3. Beschwerde, Vollstreckungsabwehrklage ____ § 11 Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist ____ (1) Die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung über den Antrag auf Er____ ____teilung der Vollstreckungsklausel wird bei dem Beschwerdegericht durch Einreichen einer Beschwerde____schrift oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt. Beschwerdegericht ist das Ober____landesgericht. Der Beschwerdeschrift soll die für ihre Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften beigefügt werden. ____ (2) Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sie statt bei dem Beschwerdege____richt bei dem Gericht des ersten Rechtszuges eingelegt wird; die Beschwerde ist unverzüglich von Amts ____wegen an das Beschwerdegericht abzugeben. ____ (3) Die Beschwerde des Verpflichteten gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ist innerhalb ei____nes Monats, im Falle des § 10 Absatz 2 Satz 1 innerhalb der nach dieser Vorschrift bestimmten längeren ____Frist einzulegen. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Zustellung nach § 10 Absatz 1. Sie ist eine Notfrist. (4) Die Beschwerde ist dem Beschwerdegegner von Amts wegen zuzustellen. ____ ____ § 12 Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch im Beschwerdeverfahren ____ (1) Der Verpflichtete kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ____ aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, ____als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind. ____ (2) Mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtli____chen Vergleich oder einer öffentlichen Urkunde richtet, kann der Verpflichtete die Einwendungen gegen ____den Anspruch selbst ungeachtet der in Absatz 1 enthaltenen Beschränkung geltend machen. ____ § 13 Verfahren und Entscheidung über die Beschwerde ____ (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist und ohne ____ ____mündliche Verhandlung ergehen kann. Der Beschwerdegegner ist vor der Entscheidung zu hören. (2) Solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet ist, können zu Protokoll der Geschäftsstel____ le Anträge gestellt und Erklärungen abgegeben werden. Wird die mündliche Verhandlung angeordnet, so ____ gilt für die Ladung § 215 der Zivilprozessordnung. ____ (3) Eine vollständige Ausfertigung des Beschlusses ist dem Berechtigten und dem Verpflichteten auch ____dann von Amts wegen zuzustellen, wenn der Beschluss verkündet worden ist. ____ (4) Soweit nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts die Zwangsvollstreckung aus dem Titel erst____mals zuzulassen ist, erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts die Vollstre____ckungsklausel. § 8 Absatz 1 Satz 2 und 4, §§ 9 und 10 Absatz 1 und 3 Satz 1 sind entsprechend anzuwenden. ____Ein Zusatz, dass die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, ist nur ____aufzunehmen, wenn das Beschwerdegericht eine Anordnung nach diesem Gesetz (§ 22 Absatz 2, § 40 Ab____satz 1 Nummer 1 oder § 45 Absatz 1 Nummer 1) erlassen hat. Der Inhalt des Zusatzes bestimmt sich nach ____dem Inhalt der Anordnung. ____ § 14 Vollstreckungsabwehrklage ____ (1) Ist die Zwangsvollstreckung aus einem Titel zugelassen, so kann der Verpflichtete Einwendungen ____gegen den Anspruch selbst in einem Verfahren nach § 767 der Zivilprozessordnung nur geltend machen, ____wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, erst ____

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_____1. nach Ablauf der Frist, innerhalb deren er die Beschwerde hätte einlegen können, oder _____2. falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens _____ entstanden sind. _____ (2) Die Klage nach § 767 der Zivilprozessordnung ist bei dem Gericht zu erheben, das über den Antrag _____auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat. Soweit die Klage einen Unterhaltstitel zum Gegenstand hat, ist das Familiengericht zuständig; für die örtliche Zuständigkeit gelten die Vorschriften der _____Zivilprozessordnung für Unterhaltssachen. _____ _____ _____ Abschnitt 4. Rechtsbeschwerde _____ § 15 Statthaftigkeit und Frist _____ (1) Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts findet die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe des _____§ 574 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 der Zivilprozessordnung statt. _____ (2) Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats einzulegen. _____ (3) Die Rechtsbeschwerdefrist ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (§ 13 _____Absatz 3). _____ § 16 Einlegung und Begründung _____ (1) Die Rechtsbeschwerde wird durch Einreichen der Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof _____eingelegt. _____ (2) Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen. § 575 Absatz 2 bis 4 der Zivilprozessordnung ist entspre_____chend anzuwenden. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Beschwerdegericht von _____einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abgewichen sei, muss die Ent_____scheidung, von der der angefochtene Beschluss abweicht, bezeichnet werden. _____ (3) Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Beschlusses, ge_____gen den sich die Rechtsbeschwerde richtet, vorgelegt werden. _____ _____ § 17 Verfahren und Entscheidung (1) Der Bundesgerichtshof kann nur überprüfen, ob der Beschluss auf einer Verletzung des Rechts der _____Europäischen Gemeinschaft, eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags, sonstigen Bundesrechts _____oder einer anderen Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesge_____richts hinaus erstreckt. Er darf nicht prüfen, ob das Gericht seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht ange_____nommen hat. _____ (2) Der Bundesgerichtshof kann über die Rechtsbeschwerde ohne mündliche Verhandlung entschei_____den. Auf das Verfahren über die Rechtsbeschwerde sind § 574 Absatz 4, § 576 Absatz 3 und § 577 der Zivil_____prozessordnung entsprechend anzuwenden. _____ (3) Soweit die Zwangsvollstreckung aus dem Titel erstmals durch den Bundesgerichtshof zugelassen _____wird, erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dieses Gerichts die Vollstreckungsklausel. § 8 Absatz 1 _____Satz 2 und 4, §§ 9 und 10 Absatz 1 und 3 Satz 1 gelten entsprechend. Ein Zusatz über die Beschränkung der Zwangsvollstreckung entfällt. _____ (…) _____ _____ _____ Abschnitt 8. Vorschriften für Entscheidungen deutscher Gerichte und für das Mahnverfahren _____ (…) _____ _____ § 32 Mahnverfahren mit Zustellung im Ausland _____ (1) Das Mahnverfahren findet auch statt, wenn die Zustellung des Mahnbescheids in einem anderen _____Vertrags- oder Mitgliedstaat erfolgen muss. In diesem Falle kann der Anspruch auch die Zahlung einer _____bestimmten Geldsumme in ausländischer Währung zum Gegenstand haben. _____ (2) Macht der Antragsteller geltend, dass das Gericht auf Grund einer Gerichtsstandsvereinbarung zu_____ständig sei, so hat er dem Mahnantrag die erforderlichen Schriftstücke über die Vereinbarung beizufügen. _____ (3) Die Widerspruchsfrist (§ 692 Absatz 1 Nummer 3 der Zivilprozessordnung) beträgt einen Monat. _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 2. Die ZRHO131 68 ____ § 1 Gegenstand der Regelung ____ (1) Die Rechtshilfeordnung für Zivilsachen enthält die allgemeinen Richtlinien für den Rechtshilfe____verkehr der deutschen Justizbehörden mit dem Ausland im Bereich der Verfahrensgegenstände des Zivil____oder Handelsrechts, wobei es unerheblich ist, ob es sich um Angelegenheiten der streitigen oder freiwilli____gen Gerichtsbarkeit handelt. ____ (2)Die Bestimmungen des Allgemeinen Teils sind nicht anzuwenden, soweit nach dem Länderteil, ____nach europäischem Unionsrecht oder nach zwischenstaatlichen Vereinbarungen anders zu verfahren ist. ____ § 2 Begriff der Rechtshilfe ____ (1) Rechtshilfe ist jede gerichtliche oder behördliche Hilfe in einer bürgerlichen Rechtsangelegenheit, ____ die entweder zur Förderung eines inländischen Verfahrens im Ausland oder zur Förderung eines ausländi____ schen Verfahrens im Inland geleistet wird. Hierzu zählen auch Ersuchen, die die Erteilung von Auskünften ____über ausländisches Recht zum Gegenstand haben. Rechtshilfe kann auch durch Zustellung von Schriftstü____cken geleistet werden, die nicht oder noch nicht im Zusammenhang mit einem Verfahren stehen. Eine ____Rechtsangelegenheit ist als eine bürgerliche anzusehen, wenn der Gegenstand des Verfahrens seiner Natur ____nach das Bestehen oder Nichtbestehen privater Rechte oder Rechtsverhältnisse gleichgeordneter Parteien ____betrifft. Die Art der Gerichtsbarkeit, der das mit der Angelegenheit befasste Gericht angehört, ist nicht ____maßgebend. (2) Rechtshilfe wird in der Regel gewährt auf Ersuchen von Gerichten oder Behörden, die mit der ____ ____Rechtsangelegenheit befasst oder nach dem Recht des ersuchenden Staates für die Stellung des Ersuchens ____zuständig sind. Auf Antrag eines an dem Verfahren Beteiligten wird sie nur gewährt, wenn er aufgrund europäischen Unionsrechts oder einer zwischenstaatlichen Vereinbarung einen solchen Antrag stellen ____ kann oder wenn ihm das Gericht oder die Behörde aufgegeben hat, einen solchen Antrag zu stellen. ____ ____ § 3 Grundlagen des Rechtshilfeverkehrs ____ (1) Der Rechtshilfeverkehr wird durchgeführt: ____1. auf Grund europäischen Unionsrechts; ____2. auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung (vertraglicher Rechtshilfeverkehr); ____3. im Übrigen auf Grund gegenseitigen Entgegenkommens (vertragloser Rechtshilfeverkehr). (2) Für den auf europäischem Unionsrecht beruhenden und den vertraglichen Rechtshilfeverkehr ____ ____sind insbesondere die nachstehenden EU-Rechtsakte und zwischenstaatlichen Vereinbarungen von Be____deutung: 1. a. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November ____ 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Han____ delssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der ____ Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79); ____ b. Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen ____ den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handels____ sachen (ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 1); c. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständig____ keit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ____ (ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1); ____ d. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und ____ die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betref____ fend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. ____ L 338 vom 23.12.2003, S. 1); ____ e. Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen ____ Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen (ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 25), geändert durch ____ die Entscheidung Nr. 568/2009/EG vom 18. Juni 2009 (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 35); ____ ____ ____131 Aktuelle Fassung Stand November 2010; abgerufen am 14.9.2012 unter ____http://www.datenbanken.justiz.nrw.de/pls/jmi/ir_par_start.

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Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. L 143 vom 30.4.2004, S. 15); g. Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399 vom 30.12.2006, S. 1); h. Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. L 199 vom 31.7. 2007, S. 1); i. Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. L 7 vom 10.1.2009, S. 1). a. Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozess (BGBl. 1959 II S. 576; 1959 II S. 1388) und das Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 über den Zivilprozess vom 18. Dezember 1958 (BGBl. I S. 939). b. Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; 1979 II S. 779; 1991 II S. 1396; 1993 II S. 703, 704; 1995 II S. 755, 757); dieses Übereinkommen tritt für die Staaten, die es ratifiziert haben, an die Stelle der Artikel 1 bis 7 des Übereinkommens zu Nummer 2 Buchstabe a); c. Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1452, 1472; 1979 II S. 780; 1991 II S. 1396; 1993 II S. 739; 1995 II S. 77); dieses Übereinkommen tritt für die Staaten, die es ratifiziert haben, an die Stelle der Artikel 8 bis 16 des Übereinkommens zu Nummer 2 Buchstabe a). Zu Nummer 2 Buchstabe b und c: vergleiche auch Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 22. Dezember 1977 (BGBl. I S. 3105). a) Deutsch-britisches Abkommen vom 20. März 1928 über den Rechtsverkehr (RGBl. II S. 623; 1929 II S. 133, BGBl. 1953 II S. 116); Verordnung zur Ausführung des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 5. März 1929 (RGBl. II S. 135). b) Übereinkommen vom 27. September 1968 (Fn. 1) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1972 II S. 773, 1973 II S. 60); c) Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (BGBl. 1972 II S. 845, 1975 II S. 1138); d) Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof (BGBl. 1983 II S. 802, 1986 II S. 1020, 1146, 1988 II S. 610); e) Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof in der Fassung des Übereinkommens über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (BGBl. 1988 II S. 453, 1989 II S. 214, 752); f) Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof (BGBl. 1994 II S. 518, 3707); g) Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum

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3. Abschnitt. Verfahren

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Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof (BGBl. 1998 II ____ S. 1411, 1999 II 419); ____ h) Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstre____ ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658, 3772, ____ 1995 II S. 221); Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung der Be____ kanntmachung vom 3. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3830; ____5. a) Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über gerichtliche Zuständigkeiten und die Anerkennung ____ und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 339 vom 21.12.2007; S. 3; ____ ABl. L 147 vom 10.6.2009, S. 1); Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der ____ Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3830). ____ b) Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (BGBl. 1959 II S. 149, 1377, 1971 II S. 105), Auslandsunterhaltsge____ setz vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898); ____ c) Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Ent____ scheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (BGBl. 1961 II S. 1005, ____ 1962 II S. 15); Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. April 1958 über die ____ Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht ge____ genüber Kindern vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1033); ____ d) Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Un____ terhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 825, 1987 II S. 220); Anerkennungs- und Vollstre____ ckungsausführungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 2009 (BGBl. I ____ S. 3830), Auslandsunterhaltsgesetz vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898). ____6. Europäisches Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl. 1974 II S. 937, 1975 II S. 300); vergleiche auch Gesetz zur Ausführung des Europäischen Über____ einkommens vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht und seines Zusatzpro____ tokolls (Auslands-Rechtsauskunftgesetz vom 5. Juli 1974 (BGBl. I S. 1433, 1975 I S. 698) in der Fassung ____ des Gesetzes vom 21. Januar 1987 (BGBl. 1987 II S. 58). ____ (3) Für die in Absatz 2 genannten zwischenstaatlichen Vereinbarungen werden in der Rechtshilfeord____nung für Zivilsachen folgende Kurzbezeichnungen verwendet: ____ ____ Zu Nummer 1: ____ a. EG-Zustellungsverordnung ____ b. EG-Beweisaufnahmeverordnung ____ c. Brüssel-I-Verordnung ____d. Brüssel-II a-Verordnung ____e. Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen: EJN für Zivil- und Handelssachen ____f. EG-Vollstreckungstitel-Verordnung ____g. EG-Mahnverfahren-Verordnung ____h. EG-Verordnung für geringfügige Forderungen ____i. EG-Unterhaltsverordnung ____ Zu Nummer 2: ____ ____a. Haager Zivilprozessübereinkommen vom 1. März 1954 – Ausführungsgesetz hierzu vom 18. Dezember ____ 1958 ____b. Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 – Ausführungsgesetz hierzu vom 22. Dezember 1977 ____ ____c. Haager Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. März 1970 – Ausführungsgesetz hierzu vom 22. Dezember 1977 ____ ____ Zu Nummer 3: ____ Deutsch-britisches Rechtshilfeabkommen vom 20. März 1928 – Ausführungsverordnung hierzu vom ____ ____5. März 1929. ____

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_____ Zu Nummer 4: _____a. EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27. September 1968132 _____b. Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungs_____ übereinkommens vom 27. September 1968 durch den Gerichtshof _____c. 1. Beitrittsübereinkommen vom 9. Oktober 1978 _____d. 2. Beitrittsübereinkommen vom 25. Oktober 1982 _____e. 3. Beitrittsübereinkommen vom 26. Mai 1989 _____f. 4. Beitrittsübereinkommen vom 29. November 1996 _____g. Lugano-Übereinkommen vom 16. September 1988 – hierzu Anerkennungs- und Vollstreckungsaus_____ führungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 2009 _____ Zu Nummer 5: _____ _____a. VN-Unterhaltsübereinkommen vom 20. Juni 1956 _____b. Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen vom 15. April 1958 – Ausführungsgesetz hierzu vom _____ 18. Juli 1961 – c. Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen vom 2. Oktober 1973 – hierzu Anerkennungs- und _____ Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 2009 _____ _____ Zu Nummer 6: _____ Europäisches Rechtsauskunftsübereinkommen vom 7. Juni 1968 – Ausführungsgesetz hierzu vom _____ 5. Juli 1974 in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 1987. _____ (4) Auf weitere für das Gebiet des Zivil- oder Handelsrechts bedeutsame zwischenstaatliche Vereinba_____rungen wird im Länderteil besonders hingewiesen. Da jedoch auch diese Angaben nicht erschöpfend sind, _____wird insoweit noch auf den als Beilage zum Bundesgesetzblatt Teil II herausgegebenen Fundstellennach_____weis B – Völkerrechtliche Vereinbarungen/Verträge zur Vorbereitung und Herstellung der Einheit Deutsch_____lands – Bezug genommen. _____ (5) Soweit Übereinkommen und Verträge Regelungen über Rechts- und Amtshilfe in Personenstands_____und Nachlasssachen enthalten, wird hierauf hingewiesen. Nicht aufgenommen sind _____1. Übereinkommen und Verträge in Vormundschafts- und Betreuungssachen, die Fragen des interna_____ tionalen Privatrechts betreffen (vergleiche hierzu die Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen – MiZi –); _____ 2. Übereinkünfte in Sorgerechtsangelegenheiten _____ a. Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das an_____ zuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen – BGBl. 1971 II S. 217, 1150 _____ b. Europäisches Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von _____ Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnis_____ ses – BGBl. 1990 II S. 206, 220, 1991 II S. 392 _____ c. Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung – BGBl. 1990 II S. 206, 1991 II S. 329; vergleiche auch Internationales Fami_____ lienrechtsverfahrensgesetz vom 26. Januar 2005, BGBl. I S. 162 _____ _____ § 4 Begriffsbestimmungen, Gleichstellungsbestimmung _____ (1) In der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen werden bezeichnet: _____1. als ausgehende Ersuchen die Ersuchen, die eine deutsche Justizbehörde an eine deutsche Auslands_____ vertretung oder an eine ausländische Stelle richtet. _____2. als eingehende Ersuchen die Ersuchen, die eine ausländische Stelle oder Vertretung an eine deutsche _____ Justizbehörde richtet. _____3. als ausländische Stellen die nichtdeutschen Behörden und Stellen im Ausland. _____4. als ausländische Vertretungen die ausländischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen _____ im Inland. _____ _____132 In der Fassung der Beitrittsübereinkommen vom 9. Oktober 1978, 25. Oktober, 26. Mai 1989 und _____29. November 1996.

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____5. als deutsche Auslandsvertretungen die deutschen diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen im Ausland. ____ (2) In der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen gelten Status- und Funktionsbestimmungen jeweils in ____ ____männlicher und weiblicher Form. ____ § 5 Arten der Ersuchen ____ Im Rechtshilfeverkehr werden folgende Ersuchen unterschieden: ____1. Z u s t e l l u n g s a n t r ä g e sind im vertraglichen und im vertraglosen Rechtshilfeverkehr auf die Über____ gabe eines Schriftstücks und die amtliche Feststellung der Übergabe gerichtet. Nach der Art der ____ Durchführung kommen in Betracht: ____ a. Anträge auf formlose Zustellung, mit denen die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger bewirkt werden soll, wenn er zur Annahme bereit ist; ____ b. Anträge auf förmliche Zustellung, mit denen die Zustellung entweder in der Form, die durch die ____ innere Gesetzgebung des ersuchten Staates für gleichartige Zustellungen vorgeschrieben ist, ____ oder in einer besonderen Form bewirkt werden soll, die der ersuchende Staat gewünscht hat. ____ Die EG-Zustellungsverordnung unterscheidet nicht zwischen formloser und förmlicher Zustellung. ____ Auf § 42 wird verwiesen. ____2. R e c h t s h i l f e e r s u c h e n sind auf Vornahme einer Beweisaufnahme oder einer anderen gerichtli____ chen Handlung gerichtet, insbesondere Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder Parteien, ____ Einnahme eines Augenscheins, Aufnahme eines Urkundenbeweises oder Prüfung von Urkunden, ____ Abnahme von Eiden, Vornahme eines Sühneversuchs. ____3. E r s u c h e n u m V o l l s t r e c k u n g s h i l f e werden vornehmlich gestellt, wenn Kosten im ersuchten Staat einzuziehen sind. ____ ____4. E r s u c h e n u m V e r f a h r e n s ü b e r l e i t u n g werden gestellt, wenn ein in einem Staat anhängiges Verfahren, beispielsweise in Vormundschafts- und Nachlasssachen, an die Behörden eines anderen ____ Staates abgegeben oder von ihnen übernommen werden soll. ____ 5. E r s u c h e n u m V e r f a h r e n s h i l f e enthalten die Bitte, andere als gerichtliche Handlungen vorzu____ nehmen, beispielsweise Akten oder Urkunden zu übersenden, behördliche Auskünfte zu erteilen ____ oder Zeugen oder Berechtigte zu ermitteln. ____6. E r s u c h e n u m R e c h t s a u s k u n f t enthalten die Bitte um Auskunft über den Inhalt ausländischen ____ Rechts, insbesondere nach dem Europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen vom 7. Juni 1968 so____ wie gegebenenfalls um Auskunft allgemeiner Art (außerhalb anhängiger Zivilsachen) im Rahmen des ____ Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen. ____ § 6 Beförderungswege im Rechtshilfeverkehr ____ (1) Für den Verkehr der inländischen Behörden mit ausländischen Stellen in Angelegenheiten der ____ ____Rechtshilfe kommen in der Regel in Betracht: ____1. d e r u n m i t t e l b a r e V e r k e h r zwischen den Stellen des ersuchenden und des ersuchten Staates; ____2. d e r k o n s u l a r i s c h e W e g , bei dem der Konsul des ersuchenden Staates die Erledigung vermit____ telt; ____3. d e r m i n i s t e r i e l l e W e g , bei dem die Ersuchen über die Justizressorts des ersuchenden und des ____ ersuchten Staates geleitet werden; ____4. d e r d i p l o m a t i s c h e W e g , bei dem die diplomatische Vertretung des ersuchenden Staates die Erledigung des Ersuchens vermittelt. ____ (2) Der diplomatische Weg ist zu wählen, wenn der konsularische Weg oder der unmittelbare Verkehr ____ ____nicht zugelassen sind. (3) Ist der konsularische Weg oder der unmittelbare Verkehr zugelassen, so ist gleichwohl der diplo____ matische Weg zu wählen, wenn tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder sonstige Gründe es an____ gezeigt erscheinen lassen. ____ (4) Der ministerielle Weg ist in den aus dem Länderteil ersichtlichen Fällen maßgebend. ____ ____ ____ ____ 691

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 7 Besondere Schriftstücke im Rechtshilfeverkehr _____ Im Rechtshilfeverkehr werden folgende besondere Schriftstücke verwendet: _____1. D a s B e g l e i t s c h r e i b e n dient der Übermittlung eines Ersuchens um Rechtshilfe oder der Rücklei_____ tung eines erledigten Ersuchens an die ersuchende Stelle. Es wird gerichtet: _____ a. b e i a u s g e h e n d e n E r s u c h e n an eine deutsche Auslandsvertretung oder im unmittelbaren Verkehr an eine besondere ausländische Empfangsstelle, wenn die Auslandsvertretung oder die _____ Empfangsstelle das Ersuchen an die ersuchte Stelle weitergeben soll; _____ b. b e i e i n g e g a n g e n e n E r s u c h e n an eine ausländische Stelle, der die Erledigungsstücke zu _____ einem Ersuchen übermittelt werden. _____ Bei Zustellungsanträgen und Zustellungszeugnissen nach der EG-Zustellungsverordnung und dem _____ Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 sind Begleitschreiben nicht erforderlich. _____ Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung. _____2. Mit dem B e g l e i t b e r i c h t werden Vorgänge aller Art der Prüfungsstelle oder der Landesjustizver_____ waltung vorgelegt. _____3. D i e D e n k s c h r i f t soll eine ausländische Stelle oder eine ausländische Vertretung in tatsächlicher _____ oder rechtlicher Hinsicht näher unterrichten. _____ § 8 Äußere Form des Schriftverkehrs _____ Im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland ist auf die äußere Form aller Schriftstücke einschließlich der _____Anlagen besondere Sorgfalt zu verwenden. Die Schriftstücke müssen gut leserlich sein. Sie sollen keine _____Schreibfehler oder Durchstreichungen enthalten. Randbemerkungen sind unstatthaft. Die in den jeweili_____gen Rechtsvorschriften des europäischen Unionsrechts oder zwischenstaatlichen Vereinbarungen festge_____legten Vordrucke sind zu verwenden. _____ _____ § 9 Verwaltungsmäßige Prüfung und Überwachung des Schriftverkehrs _____ (1) Die verwaltungsmäßige Prüfung, ob ausgehende Ersuchen um Rechtshilfe zur Weiterleitung ge_____eignet sind und ob bei eingehenden Ersuchen Rechtshilfe zu leisten ist, wird vorbehaltlich des Absatzes 4 und der Bestimmungen des § 29 Absatz 2 und des § 84 Absatz 2, 3 den Prüfungsstellen übertragen. Die _____Prüfungsstellen haben auch den Rechtshilfeverkehr allgemein zu überwachen und insbesondere darauf zu _____achten, ob eingehende Ersuchen – mit Ausnahme von Zustellungsanträgen – im Inland vollständig und _____fristgerecht erledigt werden. Im Rahmen der EG-Zustellungsverordnung erteilen die Prüfungsstellen den _____deutschen Übermittlungs- und Empfangsstellen Auskunft. _____ (2) Prüfungsstellen sind für die Landgerichte und Amtsgerichte die Präsidenten der Landgerichte; an _____ihre Stelle treten für die Amtsgerichte die Präsidenten der Amtsgerichte, wenn sie die Dienstaufsicht über _____ein Amtsgericht ausüben. Für die Oberlandesgerichte nehmen die Präsidenten dieser Gerichte die Aufga_____ben der Prüfungsstelle wahr. Die Landesjustizverwaltungen können hiervon abweichende Regelungen _____treffen. _____ (3) Zur Beschleunigung des Verkehrs berichten die Prüfungsstellen unmittelbar an die Landesjustizverwaltung. Sind die Berichte von allgemeiner Bedeutung oder berühren sie auch andere Geschäftszweige _____der Landesjustizverwaltung, so ist ohne besondere Anordnung dem Präsidenten des Oberlandesgerichts _____eine Mehrfertigung des Berichts zu übermitteln. _____ (4) Werden eingehende Ersuchen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November _____1965 oder nach dem Haager Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. März 1970 der Zentralen Behörde _____übermittelt, nimmt diese die verwaltungsmäßige Prüfung vor. Als Zentrale Behörde im Sinne des Haager _____Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 und des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens _____vom 18. März 1970 sind die jeweiligen Landesjustizverwaltungen bestimmt worden. Abweichend davon _____wird diese Aufgabe _____– in Baden-Württemberg vom Amtsgericht Freiburg, _____– in Bayern vom Präsidenten des Oberlandesgerichts München, – in Bremen vom Präsidenten des Landgerichts, _____– in Hamburg vom Präsidenten des Amtsgerichts, _____– in Hessen vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, _____– in Nordrhein-Westfalen vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf und _____– in Sachsen vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Dresden wahrgenommen. _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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Absatz 3 findet für die Zentralen Behörden in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hes____ ____sen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen Anwendung. ____ § 10 Unterrichtung der Landesjustizverwaltung ____ Den Landesjustizverwaltungen ist – abgesehen von den Fällen des § 29 Absatz 2, des § 30 Absatz 3 ____ und des § 84 Absatz 3 Satz 3 und 4, Absatz 7 – zu berichten, wenn sich bei oder nach der Erledigung eines ____Ersuchens besondere Umstände ergeben, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sein können und ____deren Kenntnis wahrscheinlich im Interesse der Landesjustizverwaltung ist. Dies kann beispielsweise der ____Fall sein bei der Anwendung oder Auslegung von europäischem Unionsrecht oder zwischenstaatlicher ____Vereinbarungen, Schwierigkeiten bei der Kostenerstattung, wesentlichen Abweichungen von bestehenden ____Gepflogenheiten, besondere Schwierigkeiten aus der Nichtverwendung vorgesehener Formblätter und ____Sprachen, wiederholten Mängeln sowie Besonderheiten, die den innerstaatlichen Rechtsgrundsätzen wi____dersprechen. ____ § 11 Behandlung von Post- und Wertsendungen ____ (1) Alle ins Ausland gehende Postsendungen sind freigemacht aufzugeben. Sendungen, die für ver____ schiedene ausländische Stellen bestimmt sind, dürfen nicht in einem Sammelbrief an eine ausländische ____Stelle übermittelt werden, es sei denn, dass diese Stelle für die Weiterleitung der an verschiedene Behör____den gerichteten Sendungen zuständig ist, beispielsweise die Zentralen Behörden nach dem Haager Zustel____lungsübereinkommen vom 15. November 1965 und dem Haager Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. ____März 1970. Um Fehlleitungen im Ausland zu vermeiden, soll aus der Anschrift die Bezeichnung der aus____ländischen Stelle in deren Sprache ersichtlich sein. (2) Nicht oder nicht genügend freigemachte Sendungen ausländischer Stellen sind anzunehmen. Ein ____ ____Antrag auf Erstattung der Postgebühren ist nicht zu stellen. Bei häufigeren Wiederholungen ist der Lan____desjustizverwaltung zu berichten. (3) Ist die Versendung von Schriftstücken oder Gegenständen nach dem Ausland auf dem Postweg ____ oder dem Kurierweg nach § 30 Absatz 2 nicht zulässig, unmöglich oder nicht empfehlenswert (beispiels____ weise wegen ihres besonderen Wertes oder ihrer besonderen Bedeutung), so sind sie der Landesjustizver____waltung zur Weiterleitung vorzulegen. ____ ____ § 12 Allgemeines ____ (1) Ausgehende Ersuchen (§ 5) werden grundsätzlich durch ausländische Stellen erledigt. In einigen ____Ländern (siehe Länderteil) können ausländische Stellen die Erledigung an Beauftragte übertragen, etwa ____bei Beweisaufnahmen durch US-amerikanische „commissioners“. (2) Ferner können Ersuchen durch deutsche Auslandsvertretungen in eigener Zuständigkeit erledigt ____ ____werden, soweit diese dazu im Ausland befugt sind und ihre Inanspruchnahme aus besonderen Gründen ____erforderlich wird (§ 14). (3) Ohne Ersuchen an ausländische Stellen oder deutsche Auslandsvertretungen können Zustellungen ____ im Ausland unmittelbar durch Postdienste erfolgen, soweit dies auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarun____gen zulässig ist (§ 183 der Zivilprozessordnung). Im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsverordnung ____sind Zustellungen durch Postdienste grundsätzlich zugelassen (Artikel 14 der EG-Zustellungsverordnung). ____Näheres zur Zulässigkeit der Zustellung durch Postdienste ergibt sich aus dem Länderteil. ____ ____ § 13 Allgemeines zur Zuständigkeit deutscher Auslandsvertretungen (1) Die Zuständigkeit der deutschen Auslandsvertretungen für Konsularsachen ergibt sich im All____ ____gemeinen aus dem Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) ____vom 11. September 1974 (BGBl. I S. 2317), geändert durch Artikel 20 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 ____(BGBl. I S. 2586). (2) Die konsularischen Amtsbezirke der deutschen Auslandsvertretungen sind im Bundesan____ zeiger veröffentlicht und auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes verzeichnet (siehe 6.9 der Einfüh____rung). ____ ____ § 14 Ersuchen an deutsche Auslandsvertretungen zur Erledigung in eigener Zuständigkeit ____ (1) Die deutschen Auslandsvertretungen sollen zur Erledigung in eigener Zuständigkeit nur in Aus____nahmefällen in Anspruch genommen werden. Ausnahmefälle sind regelmäßig gegeben, wenn die zustän-

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_____digen Stellen des betreffenden Staates zur Rechtshilfe nicht bereit sind, vorrangige Regelungen über die _____unionsrechtliche oder zwischenstaatliche Rechtshilfe nicht bestehen (vertragloser Zustand) oder im Ein_____zelfall besondere Gründe die Inanspruchnahme der Auslandsvertretung rechtfertigen (beispielsweise in _____Eilsachen oder weil Erklärungen nach deutschem Recht beurkundet werden sollen). _____ (2) Ferner können die Auslandsvertretungen Zustellungsanträge und Rechtshilfeersuchen nur dann selbst erledigen, wenn sie hierzu im Empfangsstaat befugt sind. Die Befugnisse ergeben sich aus dem je_____weiligen Länderabschnitt. Hängt die Befugnis von der Staatsangehörigkeit des Zustellungsempfängers _____oder der zu vernehmenden Person ab, ist im Ersuchen alles anzugeben, was über die Staatsangehörigkeit _____dieser Person bekannt ist. _____ (3) Im Übrigen ist zu prüfen, ob die Zustellung durch eine Auslandsvertretung im Einzelfall zweck_____mäßig erscheint. Hiervon wird zum Beispiel möglichst abzusehen sein, wenn eine den Rechtsstreit einlei_____tende Ladung in einem Staat zugestellt werden soll, in dem mit der Anerkennung deutscher Entscheidun_____gen in Zivilsachen gerechnet werden kann. In einem solchen Fall wird in der Regel zunächst die _____ausländische Stelle um Zustellung zu ersuchen sein. _____ (4) Soll ein Vernehmungsersuchen an eine deutsche Auslandsvertretung gerichtet werden, deren _____ständige Besetzung mit einem gemäß § 19 Absatz 1 des Konsulargesetzes befugten oder gemäß § 19 Absatz 2 des Konsulargesetzes ermächtigten Beamten nicht gewährleistet ist, empfiehlt es sich, vorher Rück_____frage beim Auswärtigen Amt (auch telefonisch) wegen der derzeitigen Besetzung zu halten. _____ _____ § 15 Rechtshilfe bei Beteiligung von Angehörigen der deutschen Auslandsvertretungen _____ (1) Soll an Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen oder an die Leiter der Konsulate der _____Bundesrepublik Deutschland zugestellt werden, so ist die Vermittlung des Auswärtigen Amtes nachzusu_____chen (§ 183 Absatz 3 der Zivilprozessordnung). Die Ersuchen sind mit Begleitbericht der Landesjustizver_____waltung vorzulegen. Ebenso ist bei Ersuchen um Vernehmung solcher Personen zu verfahren. _____ (2) Ist der Zustellungsempfänger oder die zu vernehmende Person ein Konsulatsbeamter, ein Konsu_____latsangestellter deutscher Staatsangehörigkeit, ein Familienmitglied oder ein deutscher Bediensteter die_____ser Personen, so soll das Ersuchen nicht an ausländische Behörden gerichtet werden. In diesem Falle ist ebenfalls die Vermittlung des Auswärtigen Amtes zu erbitten. Das Ersuchen ist mit Begleitbericht der Lan_____desjustizverwaltung vorzulegen. _____ (3) Die Vernehmung des diplomatischen Vertreters oder des Leiters des Konsulats wird häufig da_____durch entbehrlich werden, dass diese Beamten im Einverständnis der Parteien um ihre dienstliche Äuße_____rung ersucht werden. Die übrigen in Absatz 2 aufgeführten Personen wird regelmäßig das Konsulat ver_____nehmen können. _____ _____ § 16 Allgemeines zur Zuständigkeit ausländischer Stellen _____ (1) Ausländische Stellen müssen in Anspruch genommen werden, wenn _____1. Zustellungen nicht unmittelbar durch Postdienste erfolgen und _____2. Ersuchen nicht durch deutsche Auslandsvertretungen selbst erledigt werden (vgl. § 14). (2) Die örtliche und sachliche Zuständigkeit ausländischer Stellen richtet sich nach dem Recht des be_____treffenden Staates. Näheres zur Bezeichnung, Anschrift und Zuständigkeit ausländischer Stellen ergibt _____sich aus dem Länderabschnitt. _____ _____ § 17 Fassung der Ersuchen _____ (1) Für Ersuchen an ausländische Stellen nach der EG-Zustellungsverordnung, der EG-Beweisaufnah_____meverordnung und dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 sind sowohl die Vor_____rucke als auch die Sprachen, in denen sie auszufüllen sind, vorgeschrieben. Ferner bestehen mit einigen _____Staaten Zusatzvereinbarungen, die die Benutzung von Vordrucken und gegebenenfalls Sprachregelungen _____beinhalten. Sind keine Vordrucke vorgesehen, sind die Ersuchen grundsätzlich in deutscher Sprache abzu_____fassen. Sie sollen auch für ausländische Stellen leicht verständlich sein. Abkürzungen, insbesondere auch abgekürzte Bezeichnungen deutscher Gesetze, sind nur zulässig, wenn sie bei ihrer erstmaligen Verwen_____dung zusammen mit den ungekürzten Bezeichnungen verwendet werden. Zum Erfordernis von Überset_____zungen wird auf die §§ 26, 27 verwiesen. Einzelheiten ergeben sich aus dem Länderteil. _____ (2) Das Ersuchen und seine Anlagen dürfen keine Ausdrücke oder Wendungen enthalten, die von _____dem ersuchten Staat als Herabsetzung seiner Behörden, Einrichtungen oder Angehörigen empfunden wer_____den könnten. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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(3) In dem Ersuchen ist die ersuchte Stelle genau zu bezeichnen. Steht ihre Zuständigkeit nicht fest, ____ ____ist der Zusatz „oder an die zuständige Stelle“ beizufügen. Ist die zu ersuchende Stelle unbekannt, ist das ____Ersuchen allgemein „An die zuständige Stelle für den Ort …“ zu richten. (4) Für den fremden Staat und seine Behörden sind die amtlichen Bezeichnungen zu verwenden. ____ (5) Besonders eilig zu behandelnde Sachen sind auf dem Ersuchen in hervorgehobener Weise kennt____ lich zu machen, beispielsweise durch einen Vermerk „Eilsache, nächster Gerichtstermin am …“. ____ (6) Die Ersuchen sind stets von einem Richter unter Beifügung der Amtsbezeichnung zu unterschrei____ben. In Verfahren, die dem Rechtspfleger zur Erledigung übertragen sind, unterschreibt in gleicher Weise ____der Rechtspfleger. Ein Abdruck des Dienststempels oder Dienstsiegels ist beizufügen. ____ ____ § 18 Anlagen (1) Anlagen sind in Ersuchen nach Zahl und Art anzugeben und derart anzuschließen, dass ein Ver____ ____lust oder eine Verwechslung nicht eintreten kann. (2) Urkunden sind regelmäßig in beglaubigter Abschrift beizufügen. Die Urschrift darf nur dann über____ ____sandt werden, wenn das Ersuchen sonst nicht sachgemäß erledigt werden kann. In diesem Falle ist eine ____Fotokopie der Urkunde zurückzubehalten. (3) Auf Augenscheinsobjekten wie Lichtbildern, Abbildungen und Plänen ist zu vermerken, welche ____Person oder welchen Gegenstand sie darstellen. ____ ____ § 19 Legalisation ____ (1) Ob im Ausnahmefall eine Legalisation der Unterschriften auf ausgehenden Ersuchen und Anlagen ____durch die ausländische Vertretung im Inland erforderlich ist, ergibt sich aus dem Länderteil. Sofern erfor____derlich, hat die Prüfungsstelle für die Vorbeglaubigung und die Legalisation zu sorgen. (2) Die Vorbeglaubigung ist regelmäßig in folgender Form vorzunehmen: „Die Echtheit vorstehender ____ ____Unterschrift des … (Amtsbezeichnung, Name) und die Echtheit des beigedrückten Dienststempels/Dienst____siegels werden hiermit bestätigt. Zugleich wird bescheinigt, dass der Vorgenannte zur Vornahme der ____Amtshandlung befugt war.“ ____ § 20 Inhalt der Ersuchen ____ (1) In den Ersuchen ist der Gegenstand des Rechtshilfebegehrens vollständig und deutlich zu be____zeichnen. Form und Inhalt der Ersuchen können vom europäischen Unionsrecht vorgegeben oder beson____ders vertraglich vereinbart sein (beispielsweise Artikel 4 Absatz 3 der EG-Zustellungsverordnung, Artikel 4 ____Absatz 1 der EG-Beweisaufnahmeverordnung, Artikel 3, 5 Absatz 4 des Haager Zustellungsübereinkom____mens vom 15. November 1965, Artikel 3 des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970). ____Die Ersuchen müssen eine klare und leicht verständliche Darstellung des Sachverhalts enthalten, soweit es ____zu ihrer ordnungsmäßigen Erledigung erforderlich ist. Akten dürfen zur Erläuterung des Ersuchens nicht ____mit übersandt werden. (2) Die Beschlüsse und Verfügungen, die den Anlass zu dem Ersuchen geben, sind nicht in Abschrift ____ mitzuteilen, sondern inhaltlich in das Ersuchen aufzunehmen. Dabei darf in Ersuchen an ausländische ____Stellen auf Bestimmungen der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen oder auf Anordnungen der Justizverwal____tungsbehörden (beispielsweise Erlasse oder Verfügungen) nicht Bezug genommen werden. ____ (3) Die Anschriften der Zustellungsempfänger oder zu vernehmenden Personen sind im Ersuchen ge____nau anzugeben. ____ § 21 Deutsche Formvorschriften ____ Da das deutsche Recht in der Regel nicht verlangt, dass die ersuchte ausländische Stelle bei der Erle____ ____digung deutsche Formvorschriften berücksichtigen muss, soll um deren Anwendung grundsätzlich nicht ____gebeten werden. Auf Vorschriften der deutschen Prozessgesetze ist nur zu verweisen, wenn es durch den ____Gegenstand des Ersuchens oder sonst im Einzelfall geboten erscheint (beispielsweise bei Belehrungen über das Zeugnisverweigerungsrecht). ____ ____ § 22 Ersuchen um mehrere Amtshandlungen ____ Sollen in derselben Sache mehrere Amtshandlungen im Ausland vorgenommen werden, so bedarf es ____nur eines Ersuchens, wenn dieselbe Stelle zuständig ist. Anderenfalls sind so viele Ersuchen zu stellen, als ____ausländische Stellen für die Erledigung in Anspruch genommen werden, wenn nicht ausnahmsweise ein

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_____anderes Verfahren angezeigt ist. In jedes Ersuchen ist nur der für dessen Erledigung notwendige Inhalt _____aufzunehmen. _____ _____ § 23 Begleitschreiben _____ (1) Soweit das Ersuchen nicht unmittelbar der ersuchten Stelle, sondern an eine die Erledigung vermittelnde Stelle im Ausland zu übersenden ist (beispielsweise deutsche Auslandsvertretung), muss dem _____Ersuchen ein Begleitschreiben (§ 7 Nummer 1 Buchstabe a) vorangestellt werden. Das Begleitschreiben ist _____an die vermittelnde Stelle zu richten. Bei Zustellungsanträgen nach der EG-Zustellungsverordnung und _____dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 sowie bei Ersuchen nach der EG-Beweis_____aufnahmeverordnung sind Begleitschreiben grundsätzlich nicht erforderlich. _____ (2) In dem Begleitschreiben ist die Bitte auszusprechen, das Ersuchen an die zuständige Stelle weiter_____zuleiten. Gegebenenfalls können weitere Angaben aufgenommen werden, wenn dies zweckmäßig er_____scheint (beispielsweise zur Feststellung der zuständigen Stelle, soweit diese im Ersuchen selbst nicht ge_____nau bezeichnet werden konnte, sowie bei Eilbedürftigkeit oder Berücksichtigung von Sonderwünschen). _____Außerdem ist in dem Begleitschreiben an eine deutsche Auslandsvertretung anzugeben, was über die _____Staatsangehörigkeit des Zustellungsempfängers oder der zu vernehmenden Person bekannt ist. (3) Nur für den inländischen Geschäftsverkehr bestimmte Mitteilungen darf das Begleitschreiben _____nicht enthalten. Auf § 20 Absatz 2 Satz 2 wird verwiesen. _____ (4) Begleitschreiben an ausländische Stellen sind mit einer Übersetzung in die dortige Amtssprache – _____sofern diese nicht Deutsch ist – zu versehen. Begleitschreiben an deutsche Auslandesvertretungen bedür_____fen keiner Übersetzung. _____ _____ § 24 Begleitbericht _____ (1) Der Begleitbericht (§ 7 Nummer 2) kann in abgekürzter Form auf einen Abdruck des Ersuchens _____oder des Begleitschreibens gesetzt werden. Ist dies ausnahmsweise untunlich, so ist in dem Bericht die _____Rechtsangelegenheit und der Grund der Vorlage kurz zu bezeichnen. Der Inhalt des Ersuchens braucht in _____dem Bericht nicht wiederholt zu werden. (2) Ist die Landesjustizverwaltung schon früher mit der Sache befasst gewesen, so ist darauf hinzu_____weisen. _____ _____ § 25 Denkschrift _____ In der Denkschrift (§ 7 Nummer 3), der eine Übersetzung beizufügen ist, ist die Sach- und Rechtslage _____ausführlich darzustellen. Eine Anschrift ist nicht aufzunehmen. _____ _____ § 26 Ersuchen an ausländische Stellen _____ (1) Ersuchen an eine ausländische Stelle sind Übersetzungen beizufügen, einschließlich Übersetzun_____gen der Anlagen. Näheres regelt der Länderteil. Die Übersetzungen sind von einem nach Landesrecht er_____mächtigten oder öffentlich bestellten oder einem solchen gleichgestellten Übersetzer zu fertigen und zu beglaubigen, sofern nicht im Länderteil etwas anderes bestimmt ist. Im Anwendungsbereich des Haager _____Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 brauchen die Übersetzungen der zuzustellenden _____Schriftstücke nicht beglaubigt zu sein. _____ (2) Übersetzungen der Anlagen müssen nicht beigefügt werden, wenn im vertraglichen Rechtshilfe_____verkehr nur formlose Zustellung beantragt wird und nach der vertraglichen Regelung für diesen Fall Über_____setzungen nicht erforderlich sind. Besteht Grund zu der Annahme, dass der Zustellungsempfänger der _____deutschen Sprache nicht mächtig ist und durch Übersetzungen seine Bereitschaft zur Annahme der _____Schriftstücke herbeigeführt werden kann, so sollen Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke beige_____fügt werden. _____ (3) Wird um Zustellung an einen fremden Staat oder ausländischen Diplomaten ersucht, sind dem Er_____suchen und dessen Anlagen Übersetzungen beizufügen. Dies gilt auch im Bereich des vertraglichen Rechtshilfeverkehrs. _____ (4) Für Besonderheiten und Erleichterungen wird im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsver_____ordnung auf §§ 38 bis 44 und im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung auf § 55 Ab_____satz 6 verwiesen. _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 27 Ersuchen an deutsche Auslandsvertretungen ____ Bei Ersuchen, die durch die deutsche Auslandsvertretung in eigener Zuständigkeit erledigt werden ____ ____können, sind Übersetzungen des Ersuchens und der Anlagen nicht erforderlich. Falls jedoch bei Zustel____lungsanträgen Grund für die Annahme besteht, dass der Zustellungsempfänger der deutschen Sprache ____nicht mächtig ist und durch Übersetzungen seine Bereitschaft zur Annahme der Schriftstücke herbeigeführt werden kann, so empfiehlt es sich, Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke beizufügen. In ____Ländern mit mehreren Amtssprachen ist die Sprache zu wählen, die der Zustellungsempfänger vermutlich ____beherrscht. ____ ____ § 28 Allgemeines ____ Die an ausländische Stellen oder deutsche Auslandsvertretungen gerichteten Ersuchen (§ 5) sind den ____Prüfungsstellen (§ 9) mit Begleitbericht vorzulegen, auch wenn der unmittelbare Verkehr mit den auslän____dischen Stellen zugelassen ist. Beizufügen sind etwaige Begleitschreiben (§ 7 Nummer 1 Buchstabe a, § 23) ____und gegebenenfalls gefertigte Denkschriften (§ 7 Nummer 3, § 25). Abweichend hiervon können die Lan____desjustizverwaltungen im Bereich der EG-Zustellungsverordnung sowie der EG-Beweisaufnahmever____ordnung von einer Beteiligung der Prüfungsstelle absehen. ____ § 29 Aufgaben der Prüfungsstelle ____ (1) Die Prüfungsstelle hat festzustellen, ob die Bestimmungen des maßgeblichen europäischen Uni____onsrechts, der einschlägigen Staatsverträge sowie der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen beachtet sind. ____Ferner ist zu prüfen, ob das Ersuchen und seine Anlagen vollständig und so gehalten sind, dass auch eine ____mit den Einrichtungen des deutschen Rechts nicht vertraute Stelle das Ersuchen unschwer erledigen kann. (2) Bestehen gegen die Absendung des Ersuchens wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit oder ____ ____Hoheitsrechte Bedenken, ist zunächst der Landesjustizverwaltung zu berichten. Dies gilt auch im Anwen____dungsbereich der EG-Zustellungsverordnung. (3) Die besonderen Regelungen für Zustellungen an Angehörige deutscher Auslandsvertretungen ____ oder an fremde Staaten sowie ausländische Diplomaten sind zu beachten (§§ 15, 54). ____ ____ § 30 Verfahren der Prüfungsstelle ____ (1) Die Prüfungsstelle leitet das Ersuchen nach Prüfung und gegebenenfalls nach Behebung von ____Mängeln weiter, wenn ____1. der unmittelbare Verkehr zugelassen ist, je nach den für das betreffende Land geltenden Bestimmun____ gen (siehe Länderteil) unmittelbar an die für die Erledigung zuständige ausländische Stelle oder ausländische besondere Empfangsstelle; ____ ____2. der konsularische Weg vorgeschrieben ist, unmittelbar an das örtlich zuständige Konsulat der Bundesrepublik Deutschland oder die zuständige Konsularabteilung der diplomatischen Vertretung ____ (Amtsbezirke vergleiche § 13 Absatz 2); ____ ____3. die Übermittlung auf dem diplomatischen Wege zu erfolgen hat, unmittelbar an die zuständige diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, wenn nicht im Länderteil etwas anderes be____ stimmt ist; ____4. das Ersuchen durch eine deutsche Auslandsvertretung in eigener Zuständigkeit erledigt werden soll ____ (§ 14 und Länderteil), unmittelbar an das örtlich zuständige Konsulat der Bundesrepublik Deutsch____ land oder die zuständige Konsularabteilung der diplomatischen Vertretung (Amtsbezirke vergleiche ____ § 13 Absatz 2). (2) Für die Übermittlung der Ersuchen an die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland ____ ____ist, sofern in dem Staatenverzeichnis nichts anderes vermerkt ist, der Kurierweg des Auswärtigen Amtes zu ____benutzen. Diese Sendungen sind mit folgender Anschrift zu versehen: ____ ____Auswärtiges Amt für Botschaft …/für Generalkonsulat … ____11013 Berlin ____ ____ Eine Liste der deutschen Auslandsvertretungen und ihrer Amtsbezirke befindet sich auf der Home____page des Auswärtigen Amtes im Internet und kann unter www.auswaertiges-amt.de abgerufen werden. Ist ____nach dem Staatenverzeichnis für die Übermittlung der Ersuchen der „Postweg“ vorgesehen, soll der Ku-

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____rierweg nur ausnahmsweise benutzt werden (etwa bei besonderem Geheimhaltungsbedürfnis, zur Siche_____rung von Personen, wegen Unsicherheit der Postverhältnisse im ersuchten Staat). Statt des normalen _____Postweges ist insbesondere im Postverkehr mit dem außereuropäischen Bereich der „Luftpostweg“ zu _____wählen, wenn hierdurch eine nicht unwesentliche Beschleunigung zu erwarten ist. _____ (3) Abweichend von Absatz 1 ist das Ersuchen der Landesjustizverwaltung vorzulegen, wenn: 1. eine Vermittlung der Zentralbehörden, insbesondere des Auswärtigen Amtes, aus besonderen Grün_____ den angezeigt erscheint (beispielsweise, wenn der Inhalt des Ersuchens aus politischen oder rechtli_____ chen Gesichtspunkten dazu Anlass bietet oder Zweifel über die Verpflichtung zur Leistung der erbe_____ tenen Rechtshilfe oder über die Art, in der um diese nachzusuchen ist, bestehen). In diesen Fällen _____ sind die Gründe für die Vorlage näher darzulegen, im Übrigen ist das Ersuchen zur Weiterleitung _____ vorbereitet mit dem etwa erforderlichen Begleitschreiben vorzulegen; _____2. ohnehin eine Mitwirkung der Landesjustizverwaltung oder des Auswärtigen Amtes erforderlich ist _____ (beispielsweise, wenn für einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eine Bescheinigung des höchsten _____ Justizverwaltungsbeamten gemäß Artikel 19 Absatz 3 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. _____ März 1954 erforderlich ist); _____3. für ein ausgehendes Ersuchen eine Vorlage bei der Landesjustizverwaltung sonst in diesem Abschnitt oder im Länderteil besonders angeordnet ist. _____ _____ § 31 Benachrichtigung der ersuchten Stelle _____ (1) Ein Ersuchen ist zurückzunehmen, wenn die erbetene Rechtshilfe nicht mehr benötigt wird. _____ (2) Soll ein Ersuchen geändert oder zurückgenommen werden, so ist die ersuchte Stelle hiervon auf _____dem gleichen Weg, auf dem das Ersuchen übermittelt wurde, unverzüglich zu benachrichtigen. _____ _____ § 32 Maßnahmen der ersuchenden Stelle _____ (1) Ob Ersuchen in angemessener Zeit erledigt werden und die Mitteilungen im Rahmen der EG_____Zustellungsverordnung und der EG-Beweisaufnahmeverordnung fristgerecht erfolgen, hat diejenige Stelle _____zu überwachen, die das Ersuchen gestellt hat. Erforderlichenfalls ist bei der ausländischen Stelle in jeder geeigneten Form (beispielsweise per Post, Fax, E-Mail) an die Erledigung zu erinnern. Bleiben die Bemü_____hungen fruchtlos, besteht die Möglichkeit, wie folgt zu verfahren: _____a. Im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsverordnung nach Artikel 19 Absatz 2 in Verbindung mit _____ der hierzu von Deutschland abgegebenen Erklärung; _____b. im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 nach der _____ von Deutschland zu Artikel 15, 16 des Übereinkommens abgegebenen Erklärung (Bekanntmachung _____ vom 11. März 1993, BGBl. II S. 704). _____ (2) Bei Ersuchen sollen Nachfragen grundsätzlich nur schriftlich erfolgen. Für die Übermittlung ist _____der gleiche Weg zu benutzen, auf dem das Ersuchen weitergeleitet wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, _____das in einigen Ländern mit einer Erledigung von Ersuchen erst nach mehreren Monaten zu rechnen ist. _____ (3) Begegnet die Erledigung eines Ersuchens anderen Schwierigkeiten oder wird sie abgelehnt, so ist der Prüfungsstelle (§ 9) zu berichten. War diese bisher mit der Angelegenheit nicht befasst, so sind zwei _____Ablichtungen des Ersuchens nebst Anlagen sowie des nachfolgend mit dem Ausland geführten Schriftver_____kehrs beizufügen. In Fällen grundsätzlicher Bedeutung berichtet die Prüfungsstelle der Landesjustizver_____waltung. _____ _____ § 33 Verhältnis zu bilateralen und multilateralen Übereinkünften oder Vereinbarungen _____ Die EG-Zustellungsverordnung geht in ihrem Anwendungsbereich – soweit nichts anderes vereinbart _____ist – allen bisher bestehenden bilateralen oder multilateralen Übereinkommen zum Rechtshilfeverkehr in _____Zustellungssachen vor, insbesondere dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965. _____Abweichungen ergeben sich aus dem jeweiligen Länderabschnitt. _____ § 34 Zustellungsarten _____ Die EG-Zustellungsverordnung kennt folgende Zustellungsarten: _____– Zustellung durch ausländische Empfangsstellen (Artikel 4 bis 11) _____– Zustellung von Schriftstücken durch diplomatische oder konsularische Vertretungen (Artikel 13) _____– Zustellung durch Postdienste (Artikel 14) _____– unmittelbare Zustellung (Artikel 15). Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 35 Allgemeines ____ (1) Bei Zustellungen durch ausländische Empfangsstellen findet der unmittelbare Geschäftsverkehr ____ ____statt. Übermittlungsstellen sind die von jedem teilnehmenden Mitgliedstaat der Europäischen Union be____nannten Amtspersonen, Behörden oder sonstigen Personen, die für die Übermittlung gerichtlicher und ____außergerichtlicher Schriftstücke, die in einem anderen Mitgliedsstaat zuzustellen sind, zuständig sind (Artikel 2 Absatz 2 EG-Zustellungsverordnung). ____ Empfangsstellen sind die von jedem teilnehmenden Mitgliedstaat der Europäischen Union benann____ten Amtspersonen, Behörden oder sonstigen Personen, die für die Entgegennahme gerichtlicher und au____ßergerichtlicher Schriftstücke aus einem anderen Mitgliedsstaat zuständig sind (Artikel 2 Absatz 1 EG____Zustellungsverordnung). ____ Die Zustellung erfolgt unabhängig von der Sprache des zuzustellenden Schriftstücks; allerdings hat ____der Zustellungsempfänger unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die Annahme zu verweigern ____oder das Schriftstück binnen einer Woche zurückzusenden (§§ 41, 48). Das Formblatt in Anhang I der EG____Zustellungsverordnung ist zu verwenden. (2) Zustellungen durch deutsche diplomatische oder konsularische Vertretungen sind für gerichtliche ____ ____und außergerichtliche Schriftstücke in Ausnahmefällen möglich (Artikel 13 der EG-Zustellungsverordnung). Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Zustellung stattfinden soll, kann diese Möglichkeit ____auf Zustellungen an deutsche Staatsangehörige beschränken (siehe im Einzelnen die von den Mitglied____staaten abgegebenen Erklärungen zu Artikel 13 der EG-Zustellungsverordnung, abrufbar im Europäischen ____Gerichtsatlas für Zivilsachen). ____ (3) Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke können unmittelbar durch Postdienste per Ein____schreiben mit internationalem Rückschein oder gleichwertigem Beleg zugestellt werden. Gerichtliche Be____hörden im Zustellungsstaat müssen nicht beteiligt werden. (4) Jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte kann gerichtliche und außergerichtliche Schrift____ ____stücke unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmit____gliedstaats zustellen lassen, wenn eine solche unmittelbare Zustellung nach dem Recht des Mitgliedstaats ____zulässig ist (siehe im Einzelnen die von den Mitgliedstaaten abgegebenen Erklärungen zu Artikel 15 der EG-Zustellungsverordnung, abrufbar im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen). ____ ____ § 36 Zustellung durch ausländische Empfangsstellen ____ (1) Die Übermittlungsstellen erstellen das Ersuchen und übermitteln es an die zuständige Empfangs____stelle des Zustellungsstaats. ____ (2) Übermittlungsstelle ist gemäß § 1069 der Zivilprozessordnung für gerichtliche Schriftstücke das ____die Zustellung betreibende Gericht und für außergerichtliche Schriftstücke das Amtsgericht, in dessen ____Bezirk die Person, welche die Zustellung betreibt, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei ____notariellen Urkunden ist auch das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der beurkundende Notar sei____nen Amtssitz hat. Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Auf____enthaltes der Sitz. (3) Empfangsstelle für die Zustellung ist die vom jeweiligen Zustellungsstaat benannte Stelle. Die An____gaben der Mitgliedstaaten zu den jeweiligen Empfangsstellen sind im Europäischen Gerichtsatlas für Zivil____sachen abrufbar. ____ ____ § 37 Zentralstelle ____ Jeder Mitgliedstaat hat mindestens eine Zentralstelle eingerichtet (Artikel 3 Absatz 1 EG-Zustellungs____verordnung). Die Zentralstellen haben lediglich eine unterstützende Funktion. Ihre Aufgabe besteht darin, ____den Übermittlungsstellen Auskünfte zu erteilen und nach Lösungswegen zu suchen, wenn es bei der ____Übermittlung von Schriftstücken zu Schwierigkeiten gekommen ist, sowie nur in Ausnahmefällen Zustel____lungsanträge auf Ersuchen der Übermittlungsstelle an die zuständige Empfangsstelle weiterzuleiten. ____ § 38 Übersetzungs- und Benachrichtigungserfordernisse; Annahmeverweigerung ____ (1) Die EG-Zustellungsverordnung verlangt keine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks. Der ____Empfänger hat jedoch gemäß Artikel 8 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung das Recht, die Annahme des ____zuzustellenden Schriftstücks bei der Zustellung zu verweigern oder das Schriftstück der Empfangsstelle ____binnen einer Woche zurückzusenden, wenn es nicht in einer der folgenden Sprachen abgefasst ist oder ____wenn keine Übersetzung in einer der folgenden Sprachen beigefügt ist:

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____1. Eine Sprache, welche der Empfänger versteht, oder _____2. die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere _____ Amtssprachen gibt, die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung _____ erfolgen soll. _____ Über das Annahmeverweigerungsrecht setzt die Empfangsstelle den Empfänger unter Verwendung des Formblatts in Anhang II der EG-Zustellungsverordnung in Kenntnis. _____ (2) Die antragstellende Person, in deren Interesse die Zustellung erfolgt, entscheidet darüber, ob eine _____Übersetzung anzufertigen ist (Artikel 5 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung). Die antragstellende Person ist _____zuvor von dem Gericht als Übermittlungsstelle mündlich oder schriftlich darauf hinzuweisen, dass _____1. der Empfänger die Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer der in Artikel 8 _____ der EG-Zustellungsverordnung genannten Sprachen abgefasst ist, und _____2. sie anfallende Übersetzungskosten zu tragen hat, unbeschadet einer etwaigen späteren Kostenent_____ scheidung. _____ (3) Gibt die antragstellende Person keine Erklärung zur Frage der Übersetzung ab, sind keine Über_____setzungen anzufertigen. Bei mehreren antragstellenden Personen ist eine Übersetzung beizufügen, wenn _____eine oder mehrere Personen entsprechende Erklärungen abgeben. _____ § 39 Zustellungsantrag _____ (1) Für den Antrag ist das Formblatt in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung zu verwenden. _____ (2) Die Übermittlungsstelle kann eine Frist setzen oder ein Datum bestimmen, nach der/dem die Zu_____stellung nicht mehr erforderlich ist (Nummer 6.2 des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverord_____nung). _____ _____ § 40 Ausfüllen des Antrags _____ Die Eintragungen sind in einer der Amtssprachen des Empfangsmitgliedstaats oder in einer sonstigen _____Sprache, die der Empfangsmitgliedstaat zugelassen hat, vorzunehmen. Welche Sprachen für das Ausfüllen _____des Formblatts zugelassen sind, ist den Angaben der Mitgliedstaaten nach Artikel 23 der EG-Zustellungsverordnung zu entnehmen. Auf den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen wird hingewiesen. _____ Als Hilfe beim Ausfüllen des Formblatts kann das Glossar der Europäischen Kommission herangezo_____gen werden. Übersetzte Eintragungen müssen nicht beglaubigt sein. _____ _____ § 41 Annahmeverweigerungsrecht; Belehrung des Zustellungsempfängers _____ (1) Der Empfänger kann gemäß Artikel 8 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung die Annahme des _____zuzustellenden Schriftstücks verweigern oder darf das Schriftstück der Empfangsstelle binnen einer Wo_____che zurücksenden, wenn dieses nicht in einer der folgenden Sprachen abgefasst oder keine Übersetzung in _____einer der folgenden Sprachen beigefügt ist: _____1. In einer Sprache, welche der Empfänger versteht, oder _____2. der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung _____ erfolgen soll. _____ Über das Annahmeverweigerungsrecht wird der Empfänger durch die Empfangsstelle unter Verwen_____dung des Formblatts in Anhang II der EG-Zustellungsverordnung in Kenntnis gesetzt. _____ (2) Hat der Empfänger die Annahme des Schriftstücks gemäß Artikel 8 Absatz 1 der EG-Zustellungs_____verordnung verweigert, kann die Zustellung dadurch bewirkt werden, dass dem Empfänger im Einklang _____mit der EG-Zustellungsverordnung das Dokument zusammen mit einer Übersetzung des Schriftstücks, die _____von der Übermittlungsstelle zu veranlassen ist, in eine der in Artikel 8 Absatz 1 der EG-Zustellungsver_____ordnung vorgesehenen Sprachen zugestellt wird. In diesem Fall ist das Datum der Zustellung des Schrift_____stücks das Datum, an dem die Zustellung des Dokuments zusammen mit der Übersetzung nach dem Recht _____des Empfangsmitgliedstaats bewirkt wird. Muss jedoch nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden, so ist im Verhältnis zum Antragsteller als Datum _____der Zustellung der nach Artikel 9 Absatz 2 der EG-Zustellungsverordnung ermittelte Tag maßgeblich, an _____dem das erste Schriftstück zugestellt worden ist. _____ _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 42 Zustellungsform ____ Im Ersuchen ist anzuführen, ob die Zustellung nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in ____ ____einer besonderen mitzuteilenden Form gewünscht wird, sofern dieses Verfahren mit dem Recht des Emp____fangsmitgliedstaats vereinbar ist. Die im Rechtshilfeverkehr außerhalb der EG-Zustellungsverordnung ____übliche Unterscheidung zwischen förmlicher und formloser Zustellung findet nicht statt. Die Zustellung erfolgt unabhängig von der Sprache des zuzustellenden Schriftstücks. Dem Empfänger steht jedoch unter ____bestimmten Voraussetzungen ein Annahmeverweigerungsrecht zu (§ 41). ____ ____ § 43 Zuzustellende Schriftstücke ____ Das zuzustellende Schriftstück kann dem Zustellungsantrag in einem Exemplar beigefügt werden. ____Wird die Rücksendung einer Fertigung des zuzustellenden Schriftstücks zusammen mit dem Zustellungs____nachweis gewünscht, so ist das zuzustellende Schriftstück in zwei Exemplaren zu übersenden und der ____Wunsch der Rücksendung der Zweitfertigungen in Abschnitt 7. des Formblatts in Anhang I der EG-Zu____stellungsverordnung anzugeben. Im Übrigen gilt § 52 entsprechend. ____ § 44 Beglaubigung ____ Alle übermittelten Dokumente bedürfen weder der Beglaubigung noch einer anderen gleichwertigen ____Formalität. Innerstaatliche Beglaubigungsvorschriften bleiben jedoch unberührt. ____ ____ § 45 Übermittlung ____ Die Übermittlung kann auf jedem geeigneten Weg erfolgen. Ein Weg ist geeignet, wenn das emp____fangene Dokument mit dem versandten Dokument inhaltlich genau übereinstimmt und alle darin ent____haltenen Angaben mühelos lesbar sind (Artikel 4 Absatz 2 EG-Zustellungsverordnung). In Betracht kom____men etwa Übermittlung per Post (beispielsweise Luftpost, einfacher Brief, Einschreiben), Einschaltung ____privater Kurierdienste, Telefax, E-Mail. Die tatsächlichen Empfangsmöglichkeiten der Empfangsstelle ____sind im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen abrufbar. Wenn es nach deutschem Verfahrensrecht ____für die Wirksamkeit einer Zustellung erforderlich ist, dass den Empfänger das Original oder eine Ausfertigung des Schriftstückes tatsächlich erreicht, ist der Übermittlungsweg per Telefax oder Email nicht ____geeignet. ____ ____ § 46 Kosten ____ Bei der Erledigung durch ausländische Stellen können Kosten anfallen, siehe die §§ 79, 81. ____ § 47 Zustellung durch deutsche Auslandsvertretungen ____ (1) Eine Zustellung von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken durch deutsche Aus____ ____landsvertretungen ohne Anwendung von Zwang ist möglich, wenn der Zustellungsempfänger deutscher ____Staatsangehöriger ist. Die Auslandsvertretung soll jedoch nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen ____werden (§ 14). (2) Sofern der Zustellungsempfänger nicht deutscher Staatsangehöriger ist, ist eine solche Zustellung ____in dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates nicht zulässig, wenn der Mitgliedstaat erklärt hat, ____dass er eine solche Zustellung nicht zulässt. Ob ein Mitgliedstaat eine solche Erklärung abgegeben hat, ____ergibt sich aus dem jeweiligen Länderabschnitt. ____ (3) Die Auslandsvertretung kann zwar nur ohne Zwang zustellen (§ 14 Abs. 1), jedoch ist auch diese ____Zustellung eine gültige Zustellung im Sinne der Zivilprozessordnung. Die Zustellung wird gemäß § 183 ____Absatz 4 Satz 2 zweite Alternative der Zivilprozessordnung durch das Zustellungszeugnis der ersuchten ____Auslandsvertretung (§ 16 des Konsulargesetzes) nachgewiesen. (4) Über das Annahmeverweigerungsrecht ist der Empfänger durch die Auslandsvertretung zu beleh____ ____ren. Die Übermittlungsstelle soll zu diesem Zweck dem Zustellungsantrag das Formblatt in Anhang II der ____EG-Zustellungsverordnung beifügen. (5) Die §§ 52 und 53 finden Anwendung. ____ ____ § 48 Zustellung durch die Post ____ (1) Die Möglichkeit der Postzustellung besteht für gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke. ____Eine Zustellung durch die Post ist gemäß §§ 183 Absatz 5, 1068 Absatz 1 der Zivilprozessordnung per Ein____schreiben mit internationalem Rückschein oder gleichwertigem Beleg vorzunehmen.

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ (2) Der Empfänger hat ein Annahmeverweigerungsrecht von einer Woche, wenn die verwendete _____Sprache nicht den in Artikel 8 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung angeführten Sprachen entspricht. Über _____das Annahmeverweigerungsrecht ist der Empfänger durch die Übermittlungsstelle unter Verwendung des _____Formblatts in Anhang II der EG-Zustellungsverordnung gemäß Artikel 8 der EG-Zustellungsverordnung zu _____belehren. (3) Die Aushändigung des Schriftstücks an eine andere Person als den Adressaten ist ausgeschlossen, _____wenn der eingeschriebene Brief den Zusatz „eigenhändig“ trägt. _____ (4) Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein. _____ (5) Die §§ 52 und 53 finden Anwendung. _____ _____ § 49 Zustellung an fremde Staaten oder ausländische Diplomaten _____ Für Zustellungen an einen fremden Staat oder ausländische Diplomaten findet § 54 Anwendung. _____ _____ § 50 Zustellung durch Postdienste _____ (1) Soweit auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post zu_____gestellt werden dürfen, kann die Zustellung durch Einschreiben mit internationalem Rückschein (§ 183 Absatz 1 der Zivilprozessordnung) erfolgen. Soweit im Anwendungsbereich das Haager Zustellungsüber_____einkommens vom 15. November 1965 gemäß Artikel 10 eine Zustellung durch Postdienste mangels Wider_____spruchs des betreffenden Empfangsstaats grundsätzlich zulässig ist, hat das Gericht zu beurteilen, ob dem _____wegen des von Deutschland erklärten Widerspruchs gegen die Postzustellung in Deutschland ein Gegen_____seitigkeitserfordernis entgegensteht. Aussagen zur Zulässigkeit der Zustellung durch Postdienste, zu Er_____klärungen einzelner Staaten zur Postzustellung und zum Gegenseitigkeitserfordernis ergeben sich aus _____dem Länderteil. _____ (2) Vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall sind den zuzustellenden Schriftstücken Übersetzungen _____in die am Zustellungsort maßgebliche Amtssprache beizufügen. Eine Übersetzung kann beispielsweise _____entbehrlich sein, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zustellungsempfänger die _____deutsche Sprache beherrscht. Im Rahmen des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 brauchen Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke nicht beglaubigt zu sein. _____ (3) Im Falle einer Postzustellung nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November _____1965 sollte den zuzustellenden Schriftstücken das Formblatt ZRH 6 beigefügt werden. Dieses ist in engli_____scher, französischer oder der Amtsprache des Empfangsstaats auszufüllen (Artikel 7 Absatz 2 des Haager _____Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965). _____ (4) Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein oder ein gleichwertiger Beleg. _____ (5) Die §§ 52 und 53 finden Anwendung. _____ _____ § 51 Antrag an ausländische Stellen oder deutsche Auslandsvertretungen _____ (1) Soll eine Zustellung nicht nach § 184 der Zivilprozessordnung, sondern durch eine ausländische _____Stelle oder eine deutsche Auslandsvertretung bewirkt werden, so bedarf es eines Zustellungsantrags im Sinne der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen. Gegebenenfalls sind die in zwischenstaatlichen Vereinba_____rungen vorgesehenen Muster oder Vordrucke zu verwenden, beispielsweise für Zustellungsanträge nach _____dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 der Vordruck ZRH 1). _____ (2) In dem Zustellungsantrag ist außer dem zuzustellenden Schriftstück, der Person, der zugestellt _____werden soll (Zustellungsempfänger), und ihrer Anschrift auch die Rechtssache sowie Name und Stellung _____der Parteien anzugeben. Dabei ist das zuzustellende Schriftstück nach seiner Art (beispielsweise Klage, _____Widerklage, Ladung, Urteil) so zu kennzeichnen, dass bei der erledigenden Stelle keine Zweifel darüber _____aufkommen können, ob die Zustellung in einer bürgerlichen Rechtsangelegenheit erbeten wird. _____ (3) In dem Zustellungsantrag ist ferner anzugeben, ob die formlose und hilfsweise die förmliche _____oder sogleich die förmliche Zustellung beantragt wird. Im vertraglosen Rechtshilfeverkehr mit aus_____ländischen Stellen ist lediglich um „Zustellung“ ohne nähere Bezeichnung der Zustellungsform zu bitten. _____ (4) Soll eine Zustellung durch die deutsche Auslandsvertretung in eigener Zuständigkeit bewirkt _____werden (§ 14), kann diese nur formlos zustellen. _____ Die formlose Zustellung ist jedoch eine vollgültige Zustellung im Sinne der Zivilprozessordnung. _____ Die Zustellung wird gemäß § 183 Absatz 4 zweite Alternative der Zivilprozessordnung durch das Zu_____stellungszeugnis der ersuchten Auslandsvertretung (§ 16 des Konsulargesetzes) nachgewiesen. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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(5) Die in einzelnen zwischenstaatlichen Vereinbarungen vorgesehenen doppelsprachigen Vordrucke ____ ____für Zustellungsanträge sind – sofern in der Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist – durch das ersu____chende Gericht nur in deutscher Sprache auszufüllen. Einzelne Wörter im deutschen Text des Vordrucks ____sind erforderlichenfalls so sorgfältig zu streichen, dass die ausländische Stelle den Antrag an Hand des ____fremdsprachigen Textes, der sich unter dem stehengebliebenen deutschen Wortlaut befindet, ohne zusätzliche Übersetzung erledigen kann. Nach Artikel 7 Absatz 2 des Haager Zustellungsübereinkommens vom ____15. November 1965 sind die Eintragungen in dem Vordruck des Zustellungsantrags, der dem Übereinkom____men als Muster beigefügt ist, in der Sprache des ersuchten Staates oder in englischer oder französischer ____Sprache zu machen. Ist dies aus besonderen Gründen nicht möglich, so ist der Antrag in deutscher Spra____che auszufüllen. Die Eintragungen sind sodann in eine der in Artikel 7 Absatz 2 des Übereinkommens ge____nannten Sprachen zu übersetzen. ____ § 52 Zuzustellende Schriftstücke ____ (1) Bei Anträgen auf Zustellung von Klage- und Antragsschriften sowie Versäumnisurteilen und Voll____ ____streckungsbescheiden muss die Einlassungs- oder Einspruchsfrist oder die Frist nach § 276 Absatz 1 Satz 1 ____der Zivilprozessordnung besonders bestimmt sein (§ 274 Absatz 3 Satz 2, § 276 Absatz 1 Satz 3, § 622 Absatz 1, 2, § 495, § 339 Absatz 2 und § 700 Absatz 1 der Zivilprozessordnung). ____ (2) Die Termine sind so anzuberaumen, dass bei Berücksichtigung der Einlassungsfrist die rechtzeiti____ge Zustellung und der Eingang des Zustellungsnachweises vor dem Termin gesichert erscheinen. Dabei ist ____zu bedenken, dass die Erledigung durch ausländische Stellen häufig bis zu sechs Monate, im Einzelfall ____länger, in Anspruch nimmt. ____ (3) In Ladungen können zwar die prozessualen Nachteile hervorgehoben werden, die durch Ausblei____ben im Termin unter Umständen entstehen; Strafen dürfen jedoch nicht angedroht werden. ____ § 53 Zahl der zuzustellenden Schriftstücke ____ (1) Sofern in der für die Zustellung maßgebenden zwischenstaatlichen Vereinbarung oder im Länder____ teil nichts anderes vorgesehen ist, genügt es, wenn dem Zustellungsantrag jeweils ein Exemplar der zuzu____ stellenden Schriftstücke beigefügt wird. ____ (2) Bei Zustellungen an mehrere Personen sind dem Antrag stets so viele Ausfertigungen oder Ab____schriften der zuzustellenden Schriftstücke beizufügen, wie Zustellungsempfänger in Betracht kommen. ____Absatz 1 gilt entsprechend. ____ ____ § 54 Zustellung an einen fremden Staat oder einen ausländischen Diplomaten (1) Ein Antrag auf Zustellung an einen fremden Staat oder ausländischen Diplomaten ist über die ____ ____Landesjustizverwaltung dem Bundesamt für Justiz vorzulegen. (2) Die zuzustellenden Schriftstücke sind zur Übermittlung auf dem diplomatischen Weg (über die ____ ____zuständige deutsche Auslandsvertretung) vorzubereiten. Auf ein Begleitschreiben (§ 23) kann verzichtet ____werden; eine Denkschrift (§ 25) ist in jedem Fall beizufügen. Die Zustellung wird vom Auswärtigen Amt veranlasst, wenn dem nicht, unter Beachtung insbesondere der EG-Zustellungsverordnung oder des Haa____ger Zustellungsübereinkommens, auswärtige Interessen entgegen stehen. ____ (3) Schriftstücke dürfen einer ausländischen Vertretung (beispielsweise Botschaft, Konsulat) in der ____Bundesrepublik Deutschland nicht unmittelbar durch das Gericht zugestellt werden. Die ausländische ____Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht befugt, Schriftstücke für den Entsendestaat entge____genzunehmen, vielmehr ist nach Absatz 1 zu verfahren. ____ § 55 Anwendungsbereich und Zuständigkeit ____ (1) Für Rechtshilfeersuchen gelten insbesondere die EG-Beweisaufnahmeverordnung, das Haager ____ ____Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. März 1970, das Haager Zivilprozessübereinkommen vom 1. März ____1954 und bilaterale Vereinbarungen; siehe Länderteil. Ferner werden Rechtshilfeersuchen vertraglos durchgeführt. ____ (2) Die EG-Beweisaufnahmeverordnung geht in ihrem Anwendungsbereich – soweit nichts anderes ____vereinbart ist – allen bisher bestehenden bilateralen und multilateralen Übereinkünften bei Rechtshilfeer____suchen vor. Sofern solche abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden, ergibt sich dies aus dem Län____derteil. ____ (3) Der Übermittlungsweg ergibt sich aus dem Länderteil.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ (4) Im Geltungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung findet zwischen dem ersuchenden Ge_____richt und dem ersuchten Gericht der unmittelbare Geschäftsverkehr statt. Das zuständige Gericht kann _____dem Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen entnommen werden. _____ (5) Die nach Artikel 3 EG-Beweisaufnahmeverordnung in den ausländischen Mitgliedstaaten eingerich_____teten Zentralstellen haben lediglich unterstützende Funktion. Ihr Aufgabengebiet ergibt sich aus Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a und b der EG-Beweisaufnahmeverordnung. Nur in Ausnahmefällen sollen die Zentral_____stellen für die Weiterleitung von Ersuchen in Anspruch genommen werden. Können etwaige Schwierigkeiten _____bei der Abwicklung eines Ersuchens durch die ausländische Zentralstelle auch nach wiederholter Erinne_____rung nicht behoben werden, ist der Prüfungsstelle zu berichten. § 32 Absatz 3 findet Anwendung. _____ (6) Die Eintragungen in die Formblätter nebst Anlagen, die für Rechtshilfeersuchen und formgebun_____dene Mitteilungen sowie für die Ersuchen um unmittelbare Beweisaufnahme nach der EG-Beweisauf_____nahmeverordnung vorgesehen sind, sind in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an _____dem die beantragte Beweisaufnahme durchgeführt werden soll, oder in einer anderen Sprache, die der _____ersuchte Mitgliedstaat zugelassen hat, abzufassen oder mit einer Übersetzung in eine dieser Sprachen zu _____versehen (Artikel 4 Absatz 3. Artikel 5 EG-Beweisaufnahmeverordnung und Länderteil). Die Formularblät_____ter brauchen nicht übersetzt zu werden. Der Beglaubigung einer Übersetzung bedarf es nicht (Artikel 4 Absatz 2 EG-Beweisaufnahmeverordnung). _____ _____ § 56 Mitwirkung der Beteiligten _____ In vielen ausländischen Staaten stößt die Erledigung von Rechtshilfeersuchen auf Schwierigkeiten, _____wenn sie gemäß § 364 Absatz 1 der Zivilprozessordnung unmittelbar von der Partei bei den ausländischen _____Stellen betrieben wird. Es empfiehlt sich daher, diesen Weg nur dann zu wählen, wenn auf Grund früherer _____Erfahrungen oder anderer Umstände damit gerechnet werden kann, dass die Beweisaufnahme auf Betrei_____ben der Partei vorgenommen wird. _____ _____ § 57 Ersuchen um Vernehmung oder Beeidigung _____ (1) Bei Ersuchen um Vernehmung ist stets anzugeben, ob die Vernehmung nicht eidlich oder eidlich erfolgen soll. _____ (2) Bei Ersuchen um Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sind die einschlägigen deut_____schen Gesetzesbestimmungen über das Aussageverweigerungsrecht wörtlich anzuführen. Auf ein Aussa_____geverweigerungsrecht ist hinzuweisen. Zugleich ist die Bitte auszusprechen, die zu vernehmende Person _____über dieses Recht zu belehren. Bei Ersuchen nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung sind die vorge_____nannten Angaben in einer Anlage zu Ziffer 12.2.7. des Formblatts A aufzunehmen. _____ (3) Bei Ersuchen um eidliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ist ferner anzugeben, _____dass nach deutschem Recht das Aussageverweigerungsrecht ein Eidesverweigerungsrecht einschließt, und _____zu bitten, die zu vernehmende Person auch über dieses Recht zu belehren. Bei Ersuchen nach der EG_____Beweisaufnahmeverordnung sind die vorgenannten Angaben in einer Anlage zu Ziffer 12.2.9. des Form_____blatts A aufzunehmen. (4) Bei Ersuchen um Vernehmung oder Beeidigung einer Partei ist darauf hinzuweisen, dass die Par_____tei berechtigt ist, die Aussage oder den Eid zu verweigern. Zugleich ist die Bitte auszusprechen, die Partei _____gemäß § 446, § 453 Absatz 2 der Zivilprozessordnung zu belehren. Der wesentliche Inhalt dieser Bestim_____mung ist in das Ersuchen aufzunehmen. _____ (5) Bei Ersuchen nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung sind darüber hinaus die Formerfordernis_____se des Artikel 4 Absatz 1 zu beachten. _____ _____ § 58 Ersuchen um Erledigung in besonderer Form _____ (1) Das ausländische Gericht kann um Erledigung der Beweisaufnahme in besonderer Form gebeten _____werden. _____ (2) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist der Antrag unter Verwendung des Formblatts A und unter Beachtung von Artikel 10 Absatz 3 an das zuständige Gericht des Mitgliedstaates _____zu richten. _____ (3) Mit der Erhebung von Kosten muss gerechnet werden. _____ _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 59 Video- oder Telefonkonferenzen ____ (1) Eine Beweisaufnahme im Wege der Video- oder Telefonkonferenz kann beantragt werden (§ 128 a ____ ____der Zivilprozessordnung). Im Hinblick auf mögliche technische oder rechtliche Schwierigkeiten empfiehlt ____sich jedoch eine Vorabanfrage bei der zuständigen Stelle des ersuchten Staates. Die Anfrage ist über die ____Landesjustizverwaltung zu leiten. (2) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist der Antrag unter Verwendung des ____Formblatts A und unter Beachtung von Artikel 10 Absatz 4 an das zuständige Gericht des Mitgliedstaates ____zu richten. Für praktische Hinweise wird auf den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen sowie auf das ____Justizportal des Bundes und der Länder unter www.justiz.de/verzeichnis/index.php verwiesen. ____ (3) Mit dem Anfall von Kosten muss gerechnet werden. ____ § 60 Teilnahme von Verfahrensbeteiligten an Beweisaufnahmen im Ausland ____ (1) Soweit das deutsche Zivilprozessrecht nicht entgegensteht, können im Anwendungsbereich der ____ ____EG-Beweisaufnahmeverordnung Parteien und gegebenenfalls ihre Vertreter bei der Beweisaufnahme des ____ausländischen Gerichts anwesend und beteiligt sein, eine Beteiligung an der Beweisaufnahme kann das ____ersuchte Gericht jedoch an Bedingungen knüpfen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verordnung bleibt die Teilnahme der Beteiligten grundsätzlich der Entscheidung des ersuchten Gerichts vorbe____halten. ____ (2) Bei der Vorbereitung des Ersuchens ist zu klären, ob die Beteiligten, die nach den deutschen Vor____schriften das Recht haben, der Beweisaufnahme beizuwohnen, hiervon Gebrauch machen wollen und ____deshalb auf die Benachrichtigung von dem Beweistermin Wert legen. Hierbei empfiehlt es sich, die Betei____ligten darauf hinzuweisen, dass die Benachrichtigung von dem Termin die Erledigung des Ersuchens in ____der Regel erheblich verzögert und dass es daher zweckmäßig ist, die Benachrichtigung nur dann zu ver____langen, wenn die Absicht besteht, den Termin wahrzunehmen. Die Beteiligten sind um Erklärung zu ersu____chen, ob sie und gegebenenfalls ihre Vertreter unter diesen Umständen auf eine Terminsnachricht verzich____ten oder, sofern die EG-Beweisaufnahmeverordnung Anwendung findet, ob sie bei der Beweisaufnahme ____anwesend sein wollen und eine Beteiligung an dem ausländischen Verfahren gewünscht wird. (3) Haben die Beteiligten auf eine Terminsnachricht verzichtet, so ist dies in dem Ersuchen zu ver____merken und anzugeben, dass eine Mitteilung über den Termin zur Beweisaufnahme nicht erforderlich ist. ____Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung erübrigen sich bei einem Anwesenheits- und ____Beteiligungsverzicht der Beteiligten weitere Angaben im Formblatt A. ____ (4) Wenn die Beteiligten auf eine Terminsnachricht nicht verzichtet haben, muss das Ersuchen die ____Bitte enthalten, das ersuchende Gericht von dem anberaumten Termin so zeitig zu benachrichtigen, dass ____die Beteiligten noch rechtzeitig verständigt werden können. (5) Haben die Beteiligten und gegebenenfalls ihre Vertreter im Anwendungsbereich der EG-Beweis____ ____aufnahmeverordnung ihre Anwesenheit bei der Beweisaufnahme im Ausland angekündigt beziehungs____weise ihre Beteiligung gewünscht, ist dies im Formblatt A gemäß Artikel 11 entsprechend zu vermerken. (6) Das ersuchende Gericht hat nach Eingang der Benachrichtigung die Beteiligten von dem Termin ____ sofort in Kenntnis zu setzen. Halten die Beteiligten sich im ersuchten Staat auf, so ist die ersuchte Stelle zu ____bitten, die Beteiligten unmittelbar zu benachrichtigen; zu diesem Zweck ist die genaue Anschrift der Betei____ligten in dem Ersuchen anzugeben. Ebenso ist zu verfahren, wenn die unmittelbare Benachrichtigung der ____Beteiligten aus anderen Gründen zweckmäßig erscheint (siehe hierzu auch Artikel 7 des Haager Beweis____aufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970). ____ (7) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist eine Benachrichtigung der Betei____ligten von dem Termin durch das ersuchende Gericht nicht vorgesehen. ____ § 61 Teilnahme von Richtern und Sachverständigen an Beweisaufnahmen im Ausland sowie ____ ____Gutachtertätigkeit im Ausland (1) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung können deutsche Richter und vom ____ deutschen Gericht bestimmte Sachverständige an der Beweisaufnahme im Ausland anwesend und an ihr ____beteiligt sein. Hierfür bedarf es keiner Genehmigung. Für die Beteiligung kann das ersuchte Gericht Bedin____gungen festlegen. Die beabsichtigte Anwesenheit ist anzuzeigen und die Beteiligung zu beantragen (Form____blatt A). ____ (2) Im Übrigen bedarf die Teilnahme deutscher Richter an einer Beweisaufnahme im Ausland der Ge____nehmigung der Bundesregierung und des Staates, in dem die Beweisaufnahme stattfinden soll. Einer Ge-

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_____nehmigung des ausländischen Staates bedarf es nicht, wenn dieser Staat gemäß Artikel 8 des Haager Be_____weisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970 erklärt hat, dass für die Teilnahme von ausländischen _____Richtern an der Beweisaufnahme keine Genehmigung erforderlich ist. _____ (3) In das Ersuchen ist der Antrag auf Durchführung der Beweisaufnahme und, soweit erforderlich, _____die Bitte um Genehmigung der Teilnahme von deutschen Richtern oder Sachverständigen an der Beweisaufnahme beziehungsweise um Einholung dieser Genehmigung von der dafür zuständigen Stelle aufzu_____nehmen. Weiterhin ist die Bitte an den ersuchten Staat anzuführen, den Termin, an dem die Beweisauf_____nahme stattfinden soll, und, falls es der Genehmigung der ausländischen Stelle bedarf, die Erteilung _____dieser Genehmigung an das ersuchende Gericht so rechtzeitig mitzuteilen, dass die beantragte Teilnahme _____durchgeführt werden kann. _____ (4) Ist die Genehmigung der Bundesregierung erforderlich, ist diese über die Landesjustizverwaltung _____einzuholen. In dem Antrag auf Genehmigung ist die Notwendigkeit der Teilnahme darzulegen. Ein Exemp_____lar des Ersuchens ist beizufügen. Nach Erteilung der Genehmigung der Bundesregierung ist das Rechtshil_____feersuchen auf dem üblichen Weg zu übermitteln. Ist die Genehmigung der Bundesregierung nicht erfor_____derlich, kann das Ersuchen auf üblichem Weg ins Ausland übermittelt werden. Ob das Ersuchen vorab der _____Landesjustizverwaltung vorzulegen ist (beispielsweise zur Genehmigung der Auslandsdienstreise), bestimmt sich nach den Anordnungen der jeweiligen Landesjustizverwaltung. _____ (5) Für eine Gutachtertätigkeit im Ausland durch einen von einem deutschen Gericht beauftrag_____ten Sachverständigen ist die Genehmigung des ausländischen Staates einzuholen. Für Ersuchen um unmit_____telbare Beweisaufnahme im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung wird auf § 64 verwie_____sen. _____ _____ § 62 Schriftliche Befragung _____ Durch die Erledigung von Vernehmungsersuchen entstehen den Parteien vielfach erhebliche Kosten. _____Sie lassen sich vermindern, wenn nach § 377 Absatz 3 der Zivilprozessordnung die schriftliche Beantwor_____tung der Beweisfrage angeordnet wird. Das deutsche Gericht darf jedoch die zu vernehmende Person nicht _____unmittelbar befragen, da der ausländische Staat darin einen unzulässigen Eingriff in seine Hoheitsrechte erblicken kann. Das erleichterte Verfahren wird vornehmlich für Rechtshilfeersuchen in Betracht kommen, _____die von deutschen Auslandsvertretungen in eigener Zuständigkeit erledigt werden können. _____ _____ § 63 Einholung von Gutachten oder dergleichen _____ (1) Ausländische Stellen oder ausländische Privatpersonen (beispielsweise Gutachter) dürfen von ei_____nem deutschen Gericht nicht unmittelbar um die Erstattung eines Gutachtens ersucht werden, da der aus_____ländische Staat hierin einen Eingriff in seine Hoheitsrechte sehen kann. Vielmehr sind die Gutachten im _____Wege der Rechtshilfe einzuholen. Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung sind hier_____von abweichend unmittelbare Beweisaufnahmen zulässig (§ 64). _____ (2) Absatz 1 gilt entsprechend auch für andere Rechtshilfeersuchen, die nicht auf eine Vernehmung _____oder Beeidigung gerichtet sind. _____ § 64 Voraussetzungen, Übermittlungsweg, Form _____ (1) Eine unmittelbare Beweisaufnahme durch ein Mitglied des ersuchenden Gerichts oder einen Sach_____verständigen im ausländischen Staat ist nur zulässig, wenn sie freiwillig und ohne Zwang erfolgt (Arti_____kel 17 Absatz 2 EG-Beweisaufnahmeverordnung). _____ (2) Soll eine Person vernommen werden, teilt ihr das ersuchende Gericht mit, dass die Vernehmung _____nur auf freiwilliger Grundlage erfolgt. _____ (3) Das Ersuchen ist mit den Angaben nach Artikel 4 EG-Beweisaufnahmeverordnung unter Verwen_____dung des Formblatts I an die von dem Mitgliedstaat nach Artikel 3 Absatz 3 der EG-Beweisaufnahmeverord_____nung benannte zuständige Behörde oder Zentralstelle (siehe Europäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen) zu _____richten. Die zuständige Behörde kann Bedingungen für die Beweisaufnahme festlegen. Eine Video- oder Telefonkonferenz kann gleichfalls mit diesem Formblatt beantragt werden. Hinsichtlich der Übersetzungs_____erfordernisse wird auf § 55 Absatz 6 verwiesen. _____ _____ § 65 Allgemeines _____ (1) Ausländische Behörden sind um die Zwangsvollstreckung aus einem deutschen vollstreckbaren _____Titel regelmäßig nicht zu ersuchen, da Vereinbarungen allgemeiner Art über eine Vollstreckungshilfe Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____nicht bestehen. In der Regel kann die Vollstreckung nur von der Partei selbst in einem von ihr im Ausland ____zu betreibenden Verfahren erwirkt werden. (2) Durch Absatz 1 wird nicht ausgeschlossen, dass in einem deutschen Vollstreckungsverfahren Er____ ____suchen um Rechtshilfe anderer Art, die nicht auf die Vornahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im ____Ausland gerichtet sind, nach den für sie geltenden Vorschriften gestellt werden. ____ § 66 Vollstreckungshilfe bei Prozesskosten ____ (1) Die in den Artikeln 18, 19 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 bezeichneten ____Kostenentscheidungen, durch die ein Kläger zur Kostentragung verurteilt worden ist, werden innerhalb ____des Vertragsgebiets von Amts wegen kostenfrei für vollstreckbar erklärt. Für Kostenentscheidungen, de____nen ein nur vorläufig vollstreckbarer Titel zugrunde liegt, gilt dies nicht. (2) Geht bei Gericht ein Gesuch einer Partei um Herbeiführung der Vollstreckbarerklärung eines Kos____ ____tenfestsetzungsbeschlusses ein, so bereitet das Gericht erster Instanz den von der zuständigen diplomati____schen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland zu stellenden Antrag im Wortlaut vor. Die Beträge, für ____die die Vollstreckbarerklärung beantragt wird, sind einzeln aufzuführen. Die Anschrift der zuständigen ____ausländischen Stelle kann offen bleiben. (3) Das Gericht hat eine Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses (§§ 104, 105 der Zivilpro____zessordnung; § 8 des Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958 zum Haager Zivilprozessübereinkom____men vom 1. März 1954) und eine Ausfertigung des entscheidenden Teils der zugrunde liegenden rechts____kräftigen Entscheidung herstellen zu lassen. Für die Ausfertigungen dürfen Vordrucke nicht verwendet ____werden. Die Ausfertigungen sind mit dem Zeugnis der Rechtskraft zu versehen. Die für das Ausland be____langlose inländische Vollstreckungsklausel ist wegzulassen. Die erforderlichen Übersetzungen werden in ____den Fällen, in denen eine anderweitige Vereinbarung im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 Nummer 3 des Haa____ger Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 vorliegt, bereits von der ersuchenden Stelle beschafft. ____In allen anderen Fällen wird die erforderliche Übersetzung von der zuständigen deutschen Auslandsver____tretung gegen Kostenübernahmezusage beschafft. (4) Das Gericht hat das Gesuch der Partei um Herbeiführung der Vollstreckbarerklärung, die in Ab____ satz 2 genannten Unterlagen, die in Absatz 3 erwähnten Ausfertigungen und ein Begleitschreiben der Lan____desjustizverwaltung vorzulegen. Im Begleitbericht sind der Name und die Amtsbezeichnung des Beamten ____der Geschäftsstelle anzugeben, der das Rechtskraftzeugnis erteilt hat, damit der höchste Justizverwal____tungsbeamte im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 ____die dort vorgesehene Zuständigkeitsbescheinigung erteilen kann. Der Begleitbericht muss ferner Angaben ____über die Staatsangehörigkeit des Klägers, seinen Wohnsitz zur Zeit des Erlasses der Sachentscheidung und ____über seinen jetzigen Wohnsitz enthalten. (5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 sind entsprechend anzuwenden, soweit nach Sonderverträgen ____ ____und den zu ihrer Ausführung erlassenen Verordnungen ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung deutscher ____Kostenentscheidungen gegen einen Kläger auf diplomatischem Wege gestellt werden kann. (6) Im Verhältnis zu einzelnen Staaten ist vereinbart, dass der Antrag auf Vollstreckbarerklärung der ____ bezeichneten Kostenentscheidungen auch durch die beteiligte Partei unmittelbar bei der zuständigen aus____ländischen Behörde gestellt werden kann. Auf den Länderteil wird Bezug genommen. Die Absätze 2 ____bis 4 gelten für die Formerfordernisse auch hier, soweit nicht im Länderteil ausdrücklich etwas anderes ____bestimmt ist. ____ (7) Geht bei der Geschäftsstelle des Prozessgerichts ein Gesuch auf Herbeiführung der Vollstreckbar____erklärung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses ein, dem ein rechtskräftiger Schuldtitel zugrunde liegt, so ____ist der Gerichtskasse alsbald unter Beifügung der Akten davon Kenntnis zu geben und ihr anheimzustellen ____zu prüfen, ob wegen etwa rückständiger Gerichtskosten gleichfalls die Vollstreckbarerklärung zu Gunsten ____der Staatskasse herbeigeführt werden soll (§ 67 Absatz 3). Die Gerichtskasse hat ihre Äußerung binnen ____einer Woche einzureichen. Im Übrigen ist die Gerichtskasse unabhängig von Satz 1 jederzeit befugt, wegen ____der in einem anderen Vertragsstaat einzuziehenden Gerichtskosten die Vollstreckbarerklärung des nach § 8 des Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958 zum Haager Zivilprozessübereinkommen vom 1. März ____1954 zu erwirkenden Festsetzungsbeschlusses herbeizuführen. ____ (8) Ist die Vollstreckbarerklärung erwirkt, so ist es Aufgabe des Gläubigers, die Zwangsvollstreckung ____selbst zu betreiben. Wegen hierfür bestehender Sondervereinbarungen wird auf den Länderteil verwie____sen. ____ 707

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 67 Einziehung von Gerichtskosten _____ (1) Die für die Übersendung der Kostenrechnung zuständige Behörde kann einen im Ausland wohn_____haften Kostenschuldner unmittelbar auffordern, die Gerichtskosten zu bezahlen. Bleibt diese Aufforde_____rung ohne Erfolg, so kann die die Gerichtskosten einziehende Behörde die Hilfe der zuständigen Auslands_____vertretung der Bundesrepublik Deutschland zur gütlichen Herbeiführung der Zahlung (Absatz 2) oder zur zwangsweisen Einziehung (Absatz 3) in Anspruch nehmen. _____ (2) Wird die Vermittlung der Auslandsvertretung in Anspruch genommen, um den Kostenschuldner _____zur freiwilligen Begleichung seiner Schuld zu bestimmen, so ist dem Ersuchen der die Gerichtskosten ein_____ziehenden Behörde eine besondere Kostenrechnung beizufügen. In der Rechnung ist zu vermerken, dass _____der Kostenbetrag sich um die Gebühren und Auslagen der Auslandsvertretung erhöht. Zugleich ist die _____Auslandsvertretung um Mitteilung etwaiger Erkenntnisse über die Einkommens- und Vermögensverhält_____nisse des Kostenschuldners zu bitten. Ob die Auslandsvertretung um Vermittlung ersucht werden soll, ent_____scheidet die Prüfungsstelle. Diese leitet das Ersuchen unmittelbar an die zuständige Auslandsvertretung _____weiter. _____ (3) Sobald in den Fällen der Artikel 18, 19 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 _____die Entscheidung über die Gerichtskosten (§ 8 des Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958 zu diesem Übereinkommen) für vollstreckbar erklärt ist (§ 66), können die Gerichtskosten im Ausland beigetrieben _____werden. Dasselbe gilt nach den Bestimmungen einiger Sonderverträge. Um die Vermittlung der Beitrei_____bung ist stets die zuständige Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland zu ersuchen. Bevor die _____für die Gerichtskosteneinziehung zuständige Behörde einen solchen Antrag stellt, hat sie sorgfältig zu _____prüfen, ob die mit der Beitreibung verbundenen, im Allgemeinen recht hohen Aufwendungen im richtigen _____Verhältnis zu dem geschuldeten Betrag stehen. Das Ersuchen ist der Prüfungsstelle vorzulegen. Die Ent_____scheidung über die Vollstreckbarerklärung ist beizufügen. Wegen eines vereinfachten Beitreibungsverfah_____rens in einigen Staaten wird auf den Länderteil Bezug genommen. _____ _____ § 68 Ersuchen um Abgabe eines ausländischen Verfahrens _____ (1) Ersuchen um Abgabe eines bei einer ausländischen Behörde anhängigen Verfahrens sind, soweit nicht ausnahmsweise auch dafür der unmittelbare Verkehr zugelassen ist, in Form einer Denkschrift (§ 25) _____mit einem Begleitbericht der Landesjustizverwaltung vorzulegen. _____ (2) Mit einer Abgabe der von der ausländischen Behörde bisher geführten Akten ist im Allgemeinen _____nicht zu rechnen. In dem Ersuchen ist daher die Bitte auszusprechen, dem deutschen Gericht beglaubigte _____Abschriften aller wesentlichen Aktenvorgänge zu übersenden und eine ergänzende Sachdarstellung beizu_____fügen, falls die ersuchte Behörde es nicht vorziehe, die Akten abzugeben. _____ _____ § 69 Ersuchen um Übernahme eines inländischen Verfahrens _____ (1) Ersuchen um Übernahme eines bei einem deutschen Gericht anhängigen Verfahrens sind immer, _____auch soweit der unmittelbare Geschäftsverkehr mit den ausländischen Behörden zugelassen ist, über die _____Landesjustizverwaltung zu leiten. (2) Eine Abgabe von Akten an ausländische Behörden oder ausländische Vertretungen ist nur mit Er_____laubnis der Landesjustizverwaltung zulässig. Diese Erlaubnis wird im Rechtshilfeverkehr mit Österreich _____und der Schweiz regelmäßig, im Verkehr mit anderen Ländern nur in besonders begründeten Ausnahme_____fällen erteilt werden. Die abzugebenden Akten sind mit dem für die zuständige ausländische Behörde _____bestimmten Schreiben der Landesjustizverwaltung vorzulegen. Falls diese gegen die Abgabe keine Beden_____ken hat, leitet sie die Vorgänge selbst weiter. _____ (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn ein Vormundschaftsgericht, Betreuungsgericht oder Nach_____lassgericht Akten an österreichische oder schweizerische Behörden zur weiteren Behandlung abgibt und _____sich die Tätigkeit des deutschen Gerichts auf die Prüfung seiner Zuständigkeit beschränkt hat. _____ (4) Wenn nach den vorstehenden Bestimmungen eine Aktenabgabe in Betracht kommt, sind beglau_____bigte Abschriften, Ausfertigungen oder Fotokopien von wichtigen Vorgängen zurückzubehalten. Erforderlichenfalls ist eine ergänzende Aufzeichnung über den Akteninhalt zu fertigen. _____ (5) Können die Akten nicht abgegeben werden, so sind die für die übernehmende Behörde wesentli_____chen Aktenvorgänge in beglaubigter Abschrift oder, soweit es sich um rechtserhebliche Erklärungen han_____delt, in Ausfertigung dem Ersuchen beizulegen und bei größerem Umfang zu einem Abgabeband zusam_____menzufassen. _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 70 Allgemeines ____ Bei Ersuchen um Verfahrenshilfe liegt es regelmäßig im Ermessen des ersuchten Staates, ob er die er____ ____betene Handlung vornehmen will. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Hilfeleistungen, die ____keine höheren Kosten oder besondere Mühewaltung erfordern, gewährt werden. Solche Ersuchen können ____in der Form und auf dem Weg gestellt werden, die für Rechtshilfeersuchen nach den betreffenden Staaten vorgeschrieben sind. In anderen Fällen sind Ersuchen um Verfahrenshilfe in Form einer Denkschrift (§ 25), ____der ein Begleitschreiben beizufügen ist, der Landesjustizverwaltung vorzulegen. ____ ____ § 71 Ersuchen um behördliche Auskunft ____ (1) Bei Ersuchen um eine behördliche Auskunft sind die Punkte, über die Auskunft erbeten wird, ein____zeln zu bezeichnen. Ferner ist regelmäßig anzugeben, zu welchem Zweck die Auskunft benötigt wird. (2) An ausländische Konsularbehörden im Inland können Ersuchen um Auskunft unmittelbar gerich____ ____tet werden, soweit sie nicht Angelegenheiten von grundsätzlicher oder politischer Bedeutung betreffen ____und sich im Rahmen der den Konsularbehörden nach völkerrechtlicher Übung oder auf Grund von Staats____verträgen eingeräumten Befugnisse halten. Hiernach werden insbesondere Anfragen in Vormundschafts-, ____Betreuungs-, Nachlass- und Staatsangehörigkeitsangelegenheiten zulässig sein. (3) Absatz 2 gilt auch für den Verkehr in Konsularangelegenheiten mit einer ausländischen diploma____tischen Vertretung im Inland, soweit sie zugleich konsularische Aufgaben wahrnimmt. ____ (4) Im Übrigen sind Anfragen an ausländische Vertretungen im Inland grundsätzlich unzulässig. So____weit sie ausnahmsweise nötig werden, beispielsweise weil sie sich auf den Geschäftsverkehr dieser Behör____den oder auf bei ihnen beschäftigte Personen beziehen, sind die Ersuchen in Form einer Denkschrift (§ 25) ____mit einem Begleitbericht der Landesjustizverwaltung einzureichen. ____ § 72 Ersuchen um Rechtsauskunft ____ (1) Ersuchen um Auskunft über ausländisches Recht, die in einem Vertragsstaat des Europäischen ____ ____Rechtsauskunftsüberkommens vom 7. Juni 1968 (vergleiche auch das Ausführungsgesetz hierzu vom 5. Juli ____1974) nach diesem Übereinkommen zu erledigen sind, sind der Landesjustizverwaltung als Übermittlungsstelle nach dem Übereinkommen vorzulegen. Ob auf vertraglicher Grundlage Ersuchen um Rechtsauskunft ____gestellt werden können, ergibt sich aus dem Länderteil. ____ (2) Kann im Übrigen eine Auskunft über ausländisches Recht im Inland nicht erlangt werden oder soll ____eine Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland oder eine ausländische Vertretung im Inland ____um die Beschaffung einer solchen ersucht werden, so ist der Landesjustizverwaltung zu berichten. Werden ____ausländische Behörden oder Sachverständige in Anspruch genommen, ist möglicherweise mit hohen Kos____ten zu rechnen. ____ § 73 Europäisches Justizielles Netz in Zivil- und Handelssachen ____ (1) Das Europäische Justizielle Netz in Zivil- und Handelssachen erteilt Auskünfte zu allgemeinen ____ ____Fragen des Rechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie über den Stand im Ausland anhängiger Rechtssachen. Hierzu sind Kontaktstellen eingerichtet. Die gerichtliche Praxis kann entsprechende ____Anfragen den deutschen Kontaktstellen übermitteln. Auf § 16 a des Einführungsgesetzes zum Gerichtsver____fassungsgesetz (EGGVG) wird verwiesen. Zudem stellt die Europäische Kommission im Internet Informa____tionen bereit (siehe 6.3 der Einführung). ____ (2) Deutsche Kontaktstellen sind auf Bundesebene das Bundesamt für Justiz, auf Landesebene die ____Landesjustizverwaltungen. Abweichend davon sind als Kontaktstellen auf Landesebene bestimmt: ____– in Bayern der Präsident des Oberlandesgerichts München, ____– in Bremen der Präsident des Landgerichts, ____– in Hamburg der Präsident des Amtsgerichts, ____– in Hessen der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, ____– in Niedersachsen der Präsident des Oberlandesgerichts Celle, – in Nordrhein-Westfalen der Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf, ____– in Sachsen der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden. ____ (3) Als Kommunikationsmittel ist das Medium zu nutzen, das eine effiziente und rasche Erledigung ____der Anfragen verspricht. Hierzu zählt insbesondere die elektronische Übermittlung. ____ ____

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_____ § 74 Ersuchen um Aktenübersendung _____ (1) Ersuchen um zeitweilige Überlassung von Akten zur Einsichtnahme sind tunlichst zu vermeiden, _____es sei denn, Auskünfte oder Abschriften aus den Akten unterrichten nicht ausreichend. _____ (2) Das Ersuchen muss die Angabe enthalten, zu welchem Zweck die Aktenübersendung gewünscht _____wird und wie lange die Akten voraussichtlich benötigt werden. Die Fristen für die Rückgabe der Akten sind genau einzuhalten. _____ _____ § 75 Festsetzung und Einziehung der Gebühren _____ (1) Nach Nummer 200 der Anlage zur Justizverwaltungskostenordnung wird in Zivilsachen und Ange_____legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für die Prüfungstätigkeit der Prüfungsstellen (§ 9) eine Gebühr _____erhoben. _____ (2) Die im Einzelfalle zu erhebende Prüfungsgebühr wird von der Prüfungsstelle festgesetzt und der _____ersuchenden Behörde mitgeteilt. In der Regel sind zu erheben: _____1. bei Zustellungsanträgen .......................... 20 €. _____2. bei sonstigen Ersuchen ............................ 30 €. _____ Diese Regelgebührensätze sollen nur überschritten werden, wenn es sich um eine Sache von außergewöhnlichem Umfang, mit hohem Streitwert oder von besonderer Bedeutung handelt. In Fällen dieser Art _____sind der Prüfungsstelle auch die Akten vorzulegen. _____ (3) Falls das Verfahren nicht bei einem Gericht anhängig ist, sondern beispielsweise bei einem Notar, _____zieht die Prüfungsstelle die von ihr festgesetzte Gebühr selbst ein. _____ _____ § 76 Allgemeines _____ Das Auswärtige Amt und die deutschen Auslandsvertretungen erheben für ihre Tätigkeit bei der Erle_____digung von Zustellungsanträgen und Rechtshilfeersuchen Gebühren und Auslagen nach dem Auslands_____kostengesetz und nach der Auslandskostenverordnung. _____ _____ § 77 Gebührenfreiheit Wird persönliche Gebührenfreiheit nach § 9 des Auslandskostengesetzes in Anspruch genommen, so _____ist in dem an die Auslandsvertretung gerichteten Ersuchen oder in dem Begleitschreiben hierauf hinzu_____weisen. _____ _____ § 78 Zahlung der Gebühren und Auslagen _____ (1) Nach Eingang der Kostenrechnung der Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland sind _____die Gebühren und Auslagen unverzüglich unter Angabe der Kostenrechnungsnummer auf das in der Kos_____tenrechnung angegebene Konto zu überweisen. Die Zahlung hat grundsätzlich ohne Rücksicht darauf zu _____erfolgen, ob ein Kostenschuldner vorhanden oder der eingeforderte Vorschuss eingegangen ist. _____ (2) Ist in dem Verfahren einem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt, so ist dies nach Eingang der _____Kostenrechnung unverzüglich der Auslandsgebührenstelle des Bundesverwaltungsamtes in Köln unter Angabe der Kostenrechnungsnummer unmittelbar mitzuteilen. Die Gebühren und Auslagen sind in diesem _____Fall vorerst nicht zu überweisen. Können nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Kosten von _____keinem Beteiligten eingezogen werden, so ist die Auslandsgebührenstelle des Bundesverwaltungsamtes in _____Köln hiervon unmittelbar zu benachrichtigen. Gleichzeitig sind die in der Kostenrechnung der Auslands_____vertretung der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilten Auslagen auf das in der Kostenrechnung angege_____bene Konto zu überweisen. Die Gebühren der Auslandsvertretung sind nicht zu erstatten. _____ _____ § 79 Unionsrechtlicher und vertraglicher Rechtshilfeverkehr _____ (1) Nach Artikel 11 Absatz 2 EG-Zustellungsverordnung können insbesondere ausländische Gerichts_____vollzieher für die Erledigung von Zustellungsanträgen Kostenvorschüsse beziehungsweise Erstattung ihrer _____Kosten verlangen. Nach Artikel 18 EG-Beweisaufnahmeverordnung sind Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher sowie Auslagen, die durch Erledigung in besonderer Form oder durch Bild- oder _____Tonübertragung (Video- und Telefonkonferenzen) entstehen, zu erstatten. Eine Kaution oder ein Vor_____schuss kann nur verlangt werden, wenn ein Sachverständiger beauftragt wird. Im Übrigen darf die Erstat_____tung von Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden. _____ (2) Inwieweit im Verhältnis zu einzelnen Staaten weitere Kosten verlangt werden, ergibt sich aus dem _____Länderteil. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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(3) Dem Ersuchen ist eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskos____ ____tenhilfe beizufügen, wenn ____1. infolge der Bewilligung der Prozesskostenhilfe bei einem Ersuchen nach einem Vertragsstaat des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 die Vergünstigungen des Artikels 24 in An____ spruch genommen werden können oder ____ 2. die Vergünstigung auf Grund entsprechender Bestimmungen der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom ____ 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreiten____ dem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften über die Prozesskostenhilfe in derar____ tigen Streitsachen (ABl. L 26 vom 31.1.2003, S. 41, berichtigt in ABl. L 32 vom 7.2.2003, S. 15) oder ____ Sonderverträgen zu gewähren ist. ____ § 80 Vertragloser Rechtshilfeverkehr ____ Für den vertraglosen Rechtshilfeverkehr ergibt sich aus dem Länderteil, inwieweit die ausländischen ____ ____Stellen die Erstattung von Kosten verlangen. Ist in dem Länderteil nichts Besonderes vermerkt, so liegen ____keine Erkenntnisse vor. In solchen Fällen ist eine Anforderung von Kosten nicht ausgeschlossen. ____ § 81 Einforderung eines Kostenvorschusses ____ (1) Zur Deckung der Kosten der Rechtshilfe ist die Vornahme der Ersuchen, soweit es gesetzlich zuläs____sig ist (§§ 379, 402 der Zivilprozessordnung, § 17 des Gerichtskostengesetzes, § 8 der Kostenordnung), von ____der Zahlung eines Vorschusses abhängig zu machen. Als Auslagen im Sinne dieser gesetzlichen Bestim____mungen sind auch die Kosten der ausländischen Stellen und der deutschen Auslandsvertretung anzuse____hen. (2) Wird eine richterliche Anordnung im Sinne des Absatzes 1 nicht getroffen, so ist unverzüglich, ____ ____spätestens bei der Absendung des Ersuchens, ein angemessener Vorschuss anzufordern. ____ § 82 Entgegennahme der Ersuchen ____ (1) Für die Entgegennahme ausländischer Ersuchen um Rechtshilfe ist zuständig: ____ 1. die Empfangsstelle im Geltungsbereich der EG-Zustellungsverordnung (Artikel 2 Absatz 2 und 3), das ____ ersuchte Gericht im Geltungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung (Artikel 2 Absatz 1 und 2), ____2. die Zentrale Behörde im Geltungsbereichbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom ____ 15. November 1965 – soweit in § 2 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 hierzu nichts an____ deres bestimmt ist –, und des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970 (§ 9 Ab____ satz 4), wenn nicht durch bilaterale Abkommen oder die dazu ergangenen Ausführungsgesetze ein anderes bestimmt ist, ____ ____3. das Amtsgericht für Ersuchen im Rechtshilfeverkehr mit der Schweiz und Liechtenstein, ____4. im Übrigen die Prüfungsstelle (§ 9). (2) Geht bei einem Gericht ein Ersuchen unmittelbar ein, für dessen Entgegennahme eine Zuständig____ ____keit nach Absatz 1 nicht besteht, so ist es der Prüfungsstelle vorzulegen. (3) Die Zentralstelle nach der EG-Zustellungsverordnung sowie der EG-Beweisaufnahmeverordnung ____leitet an sie gerichtete Ersuchen an die zuständige Empfangsstelle oder das zuständige Gericht weiter, ____sofern ein Ausnahmefall besteht. ____ (4) Die Zentrale Behörde (§ 9 Absatz 4) leitet die Ersuchen an das für die Erledigung zuständige Amts____gericht weiter, soweit sie die Erledigung nicht selbst vornimmt (§ 4 des Ausführungsgesetzes vom 22. De____zember 1977). ____ § 83 Abgabe bei örtlicher Unzuständigkeit ____ (1) Ist das ersuchte Gericht örtlich nicht zuständig und besteht keine Vorlagepflicht nach § 82 Ab____ ____satz 2, so gibt es das Ersuchen unmittelbar an das zuständige Gericht ab und erteilt der ersuchenden Stelle ____Abgabenachricht. (2) Geht das Ersuchen bei einer örtlich unzuständigen Prüfungsstelle ein, so gibt diese es unmittelbar ____an die zuständige Prüfungsstelle ab. Der ersuchenden Stelle ist Abgabenachricht zu erteilen. ____ (3) Für die Abgabe nach der EG-Zustellungsverordnung wird auf deren Artikel 6 Absatz 4, nach der ____EG-Beweisaufnahmeverordnung auf deren Artikel 7 Absatz 2 verwiesen. ____ ____

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 84 Prüfung der Zulässigkeit der Rechtshilfe _____ (1) Vor der Erledigung des Ersuchens ist zu prüfen, ob gegen die Leistung der Rechtshilfe Bedenken _____bestehen. _____ (2) Soweit die Ersuchen über die Landesjustizverwaltung eingehen, prüft diese die Zulässigkeit der _____Rechtshilfe. Die zur Leistung der Rechtshilfe berufenen Gerichte können daher, wenn ihnen ein Ersuchen von der Landesjustizverwaltung zugeleitet wird und die Zuleitungsverfügung im Einzelnen keine besonde_____ren Anordnungen enthält, voraussetzen, dass grundsätzliche Bedenken gegen die Leistung der Rechtshilfe _____nicht bestehen. _____ (3) Soweit die Ersuchen unmittelbar von (nicht mit der Landesjustizverwaltung identischen) Zentra_____len Behörden, von der Prüfungsstelle oder dem Amtsgericht in Empfang genommen werden, haben diese _____die Zulässigkeit der Rechtshilfe zu prüfen. Bei Ersuchen nach der EG-Zustellungsverordnung erfolgt diese _____Prüfung durch die Empfangsstelle, bei Ersuchen nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung durch das _____ersuchte Gericht. Bestehen Zweifel, ob dem Ersuchen entsprochen werden kann, so ist es der Landesjustiz_____verwaltung zur Beurteilung vorzulegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Angelegenheit nicht zum _____Geschäftsbereich der Justizbehörden gehört oder nach dem Inhalt des Ersuchens Bedenken gegen seine _____Ausführung bestehen (beispielsweise bei Antrag auf Zustellung einer Klage, eines Mahnbescheids, einer Streitverkündung gegen die Bundesrepublik Deutschland oder ein Bundesland). Im Begleitbericht sind die _____Gründe darzulegen, die gegen eine Erledigung des Ersuchens sprechen. _____ (4) Der Erledigung des Ersuchens (beispielsweise um Zustellung einer Ladung oder um Benachrichti_____gung von einem Termin) steht nicht entgegen, dass es wegen seines verspäteten Eingangs nicht mehr _____rechtzeitig ausgeführt werden kann. Der Empfänger ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Auswir_____kungen der Verspätung auf das ausländische Verfahren nach europäischem Unionsrecht oder einer zwi_____schenstaatlichen Rechtsvorschrift, die der Zustellung zugrunde liegt (beispielsweise Artikel 19 der EG_____Zustellungsverordnung, Artikel 15 des Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965) oder nach _____dem Recht des ersuchenden Staates beurteilen. Ein Zustellungsantrag, mit dem um Ladung eines Zeugen _____oder Sachverständigen ersucht wird, ist unerledigt zurückzugeben, wenn die Ladung auch bei unverzügli_____cher Bearbeitung des Antrags nicht mehr rechtzeitig zugestellt werden kann, insbesondere der Termin bereits verstrichen ist. Wird in einer Ladung auf die prozessualen Nachteile hingewiesen, die durch Aus_____bleiben im Termin unter Umständen entstehen, oder werden in der Ladung Zwangsmaßnahmen oder Stra_____fen angedroht, steht dies einer Erledigung des Ersuchens nicht entgegen. Der Empfänger ist jedoch darauf _____hinzuweisen, dass die Androhung der Zwangsmaßnahmen oder Strafen in der Bundesrepublik Deutsch_____land nicht wirksam ist. Ein Antrag auf Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an _____einen Drittschuldner in Deutschland steht der Erledigung des Ersuchens nicht entgegen. Der Empfänger ist _____jedoch darauf hinzuweisen, dass die Zustellung keine Aussage darüber beinhaltet, ob und in welchem _____Umfang eine ausländische Entscheidung Rechtswirkungen im Inland entfaltet oder ob der Empfänger _____berechtigt oder verpflichtet ist, der Zahlungsaufforderung nachzukommen und ob ihm durch die Befol_____gung oder Nichtbefolgung der Zahlungsaufforderung im Inland oder im Ausland rechtliche Nachteile ent_____stehen. Ist dem Drittschuldner auch eine Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung zuzustellen, ist der Empfänger darauf hinzuweisen, dass die zugestellte Aufforderung in der Bundesrepublik _____Deutschland keinerlei Verpflichtung begründet, allerdings etwaige nachteilige Rechtsfolgen im Vollstre_____ckungsstaat nicht ausgeschlossen sind. _____ (5) Soweit nur Formvorschriften, deren Nichteinhaltung die Erledigung an sich nicht hindert, nicht _____beachtet sind (beispielsweise wenn an Stelle des diplomatischen oder konsularischen Weges der unmittel_____bare Verkehr gewählt ist), kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Erledigung geneh_____migt wird. In dem Begleitbericht, mit dem die Erledigungsstücke der Zentralen Behörde, der Prüfungsstelle _____oder der Zentralstelle vorgelegt werden, ist auf die Mängel hinzuweisen, damit auf deren Abstellung hin_____gewirkt werden kann. _____ (6) Durch die vorausgegangene Prüfung (Absätze 2 und 3) wird das ersuchte Gericht in keinem Falle _____der Verpflichtung enthoben, seinerseits zu prüfen, ob die Erledigung des Ersuchens noch zulässig ist. Ergeben sich während der Erledigung Bedenken, so ist von der weiteren Durchführung des Ersuchens _____einstweilen abzusehen und die Entscheidung der Zentralen Behörde oder der Prüfungsstelle über die Zu_____lässigkeit der Rechtshilfe einzuholen. _____ (7) Muss die Gewährung der Rechtshilfe abgelehnt werden, so sind die Ersuchen der Landesjustiz_____verwaltung vorzulegen, auch wenn der unmittelbare Verkehr mit der ersuchenden Behörde zugelassen ist. _____Dies gilt nicht, wenn Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____1. Zustellungsanträge nach der EG-Zustellungsverordnung aus Gründen des Artikels 6 Absatz 2 oder 3 nicht erledigt werden können und mit Formblatt in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung an die ____ Übermittlungsstelle zurückzusenden sind; ____ ____2. bei Ersuchen nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung Ablehnungsgründe nach Artikel 14 vorliegen, von denen das ersuchende Gericht unter Verwendung des Formblatts H innerhalb einer Frist von ____ 60 Tagen nach Eingang des Ersuchens in Kenntnis zu setzen ist. ____ ____ § 85 Übersetzungen ____ (1) Den eingehenden Ersuchen und ihren Anlagen müssen deutsche Übersetzungen beigefügt sein, ____soweit sich nicht aus den Absätzen 2 bis 5, den besonderen Bestimmungen für die einzelnen Arten der ____Ersuchen oder aus dem Länderteil etwas anderes ergibt. Dies gilt mit Ausnahme der vorgedruckten Teile ____des Formblatts auch für Rechtshilfeersuchen und Ersuchen um unmittelbare Beweisaufnahme nach der ____EG-Beweisaufnahmeverordnung (§ 1075 der Zivilprozessordnung). (2) Bei Ersuchen nach der EG-Zustellungsverordnung können die vorgedruckten Teile des Formblatts ____ ____in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung in jeder im Anwendungsbereich der Verordnung existierenden ____Amtssprache abgefasst sein. Die Eintragungen in das Formblatt müssen in deutscher oder englischer Sprache abgefasst sein (Arti____kel 4 Absatz 3 in Verbindung mit der hierzu von der Bundesrepublik Deutschland abgegebenen Erklärung ____nach Artikel 23 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung). ____ Die nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 zu verwendenden Vordru____cke für den Zustellungsantrag (Artikel 3) müssen in englischer oder französischer Sprache und können ____außerdem in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des ersuchenden Staates abgefasst sein. Die Eintragungen können in deutscher, englischer oder in französischer Sprache gemacht werden. ____ Soweit im Übrigen für Zustellungsanträge doppelsprachige Vordrucke eingeführt sind, kann eine ____ ____Übersetzung zum fremdsprachigen Vordrucktext nicht verlangt werden. die Sprachregelung für die Ein____tragungen ergibt sich aus dem Länderteil. (3) Soweit bei Rechtshilfeersuchen oder Ersuchen um Vollstreckungshilfe, Verfahrensüberleitung ____ oder Verfahrenshilfe eine nach den maßgebenden Vorschriften beizufügende Übersetzung fehlt, ist das ____Ersuchen mit der Bitte um Beifügung einer deutschsprachigen Übersetzung zurückzusenden. Bei Ersuchen ____nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist nach deren Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1 zu ver____fahren. ____ (4) Werden in Fällen, in denen zu einem fremdsprachigen Ersuchen Übersetzungen weder von der er____suchenden Behörde beizufügen noch auf deren Kosten zu beschaffen sind, für die verwaltungsmäßige ____Prüfung des Ersuchens oder für seine sachgemäße Erledigung Übersetzungen benötigt, so sind sie von der ____Prüfungsstelle oder der ersuchten Stelle zu beschaffen. Die hierdurch entstehenden Kosten sind als eigene ____Verwaltungskosten, nicht etwa als erstattungsfähige, an Sachverständige gezahlte Entschädigungen zu ____behandeln. Liegt bei einem Zustellungsantrag dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung nicht ____bei, so rechtfertigt das Interesse des Empfängers am Inhalt des Schriftstücks in der Regel nicht die Beschaffung einer Übersetzung. ____ Will sich der Empfänger erst nach Vorliegen einer Übersetzung über die Annahme des Schriftstücks ____entscheiden, so ist ihm, wenn nicht deshalb auf Grund besonderer Bestimmungen von Amts wegen eine ____Übersetzung beizubringen ist, in geeigneter Weise Gelegenheit zu geben, sich innerhalb angemessener ____Frist auf seine Kosten eine Übersetzung zu beschaffen. ____ (5) Nach der EG-Zustellungsverordnung ist keine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks not____wendig. Im Einzelnen wird auf die §§ 94, 104 verwiesen. ____ § 86 Legalisation ____ Eine Legalisation eingehender Ersuchen wird grundsätzlich nicht gefordert. Sollten im Einzelfall Be____ denken gegen die Echtheit des Ersuchens oder die sachliche Zuständigkeit des Unterzeichners der Urkun____ de bestehen, so ist der Landesjustizverwaltung zu berichten. ____ ____ § 87 Form und Inhalt der Erledigungsstücke ____ (1) Die Erledigungsstücke sind in entsprechender Anwendung des § 17 Absatz 1 abzufassen. Sie sind, ____soweit nicht für die einzelnen Arten der Ersuchen etwas anderes angeordnet ist, von einem Richter unter ____Beifügung der Amtsbezeichnung und eines Abdrucks des Dienststempels oder Dienstsiegels zu unter713

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____schreiben. In Verfahren, die dem Rechtspfleger zur Erledigung übertragen sind, unterschreibt in gleicher _____Weise der Rechtspfleger. _____ (2) Die Erledigungsstücke dürfen Mitteilungen, die nur für den inländischen Geschäftsverkehr be_____stimmt sind, nicht enthalten. Insbesondere ist es nicht zulässig, auf den Zustellungsnachweisen, Verneh_____mungsniederschriften und ähnlichen Schriftstücken Rückleitungsverfügungen oder ähnliche Vermerke anzubringen. Ferner ist darauf zu achten, dass Zusätze, die nicht die Erledigung des Ersuchens selbst be_____treffen (beispielsweise Ordnungsmittel gegen Zeugen) oder die für das Ausland bedeutungslos sind, weg_____gelassen werden. Gegebenenfalls ist nur eine auszugsweise Ausfertigung des Protokolls zu übersenden. _____ (3) Auf Lichtbildern, Abbildungen, Plänen und sonstigen Anlagen ist zu vermerken, welche Person _____oder welchen Gegenstand sie darstellen oder zu welchem Erledigungsstück sie gehören. _____ _____ § 88 Form und Inhalt des Begleitschreibens _____ (1) Die Erledigungsstücke sind der ersuchenden Stelle mit einem Begleitschreiben zu übersenden (§ 7 _____Nummer 1 Buchstabe b). Dieses ist in deutscher Sprache abzufassen. Übersetzungen sind nicht beizufü_____gen. Zahl und Art der beiliegenden Erledigungsstücke sind anzugeben. Soweit bei der Rückleitung von _____Zustellungszeugnissen Vordrucke nach EG-Zustellungsverordnung, nach Artikel 6 des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 oder nach bilateralen Zusatzvereinbarungen (siehe Länderteil) _____benutzt werden, sind Begleitschreiben nicht erforderlich. Im Anwendungsbereich der EG-Beweisauf_____nahmeverordnung erfolgt die Übersendung unter Beifügung einer Erledigungsbestätigung unter Verwen_____dung des vorgesehenen Formblattes. Die Sprachregelung für die Ausfüllung dieser Vordrucke ergibt sich _____aus dem Länderteil. _____ (2) In das Begleitschreiben sind gegebenenfalls nähere Angaben aufzunehmen, die dem ersuchenden _____Gericht die rechtliche Beurteilung der Art der Erledigung erleichtern. Dies ist insbesondere dann geboten, _____wenn auf Grund der deutschen Verfahrensvorschriften von den Wünschen der ausländischen Stelle abge_____wichen werden musste. In dem Begleitschreiben ist ferner anzugeben, aus welchen Gründen ein Ersuchen _____nicht oder nicht in vollem Umfang erledigt werden konnte. Konnte das Ersuchen wegen seines verspäteten _____Eingangs nicht mehr rechtzeitig erledigt werden (§ 84 Absatz 4), so ist hierauf besonders hinzuweisen. Sofern eine Ladung zugestellt worden ist, in der Zwangsmaßnahmen oder Strafen angedroht worden sind, _____ist der ersuchenden ausländischen Stelle mitzuteilen, dass diese Androhung in der Bundesrepublik _____Deutschland nicht wirksam und der Empfänger hierauf hingewiesen worden ist. _____ (3) Ist wegen des bevorstehenden Ablaufs einer von der ersuchenden Stelle gesetzten Frist oder aus _____sonstigen Gründen eine besonders beschleunigte Rücksendung angezeigt, so ist auf den Grund in dem _____Begleitschreiben hinzuweisen und dieses selbst als Eilsache zu bezeichnen. _____ (4) Das Begleitschreiben ist stets durch einen Richter unter Beifügung seiner Amtsbezeichnung zu _____unterschreiben. In Verfahren, die dem Rechtspfleger zur Erledigung übertragen sind, unterschreibt in _____gleicher Weise der Rechtspfleger. Ein Abdruck des Dienststempels oder Dienstsiegels ist beizufügen. _____ _____ § 89 Verwaltungsmäßige Prüfung der Erledigung und Rückleitung der Erledigungsstücke (1) Die Erledigungsstücke sind als Anlagen dem für die ersuchende Stelle bestimmten Begleitschrei_____ben (§ 88) derart anzuschließen, dass ein Verlust oder eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Die Urschrift _____des Ersuchens ist beizufügen. _____ (2) Die Erledigungsstücke sind, soweit in Absatz 4 nichts anderes bestimmt ist, mit dem Begleit_____schreiben zur Weiterleitung vorbereitet der Prüfungsstelle (§ 9) zuzuleiten, und zwar auch dann, wenn der _____unmittelbare Verkehr mit der ersuchenden Stelle zugelassen ist. Die Prüfung erstreckt sich auf die voll_____ständige und ordnungsmäßige Erledigung der Ersuchen. _____ (3) Das Begleitschreiben mit den Erledigungsstücken und dem Ersuchen wird von der Prüfungsstelle _____bei unmittelbarem Verkehr der ersuchenden Stelle übersandt, im Übrigen wird es auf dem Wege weiterge_____leitet, auf dem das Ersuchen übermittelt wurde. _____ (4) Im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsverordnung sowie im Anwendungsbereich des Artikel 6 Absatz 4 des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 werden die Erledigungs_____stücke – vorbehaltlich einer anderen Regelung der Landesjustizverwaltung – unmittelbar der ersuchenden _____Stelle zugesandt. _____ _____ § 90 Begleitbericht _____ Für den Begleitbericht, mit dem die Erledigungsstücke vorgelegt werden, findet § 24 Anwendung. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 91 Zustellungsanträge ____ (1) Die Verordnung hat in ihrem Anwendungsbereich Vorrang (§ 33). Sofern abweichende Vereinba____ ____rungen getroffen wurden, ergibt sich dies aus dem Länderteil. (2) Für die Zustellungsarten gelten die §§ 34 bis 49 entsprechend. Die unmittelbare Zustellung nach ____ Deutschland im Parteibetrieb ist jedoch nur für solche Schriftstücke zugelassen, für die auch das deutsche ____ Zivilverfahrensrecht eine solche unmittelbare Zustellung ausdrücklich zulässt (§ 166 Absatz 2 der Zivilpro____zessordnung). Einzelheiten der zulässigen unmittelbaren Zustellung regeln die §§ 191 bis 195 der Zivilpro____zessordnung. ____ ____ § 92 Zuständige Empfangs- und Übermittlungsstellen ____ Die nach § 1069 der Zivilprozessordnung zuständigen deutschen Empfangsstellen nehmen Ersuchen ____unmittelbar von den ausländischen Übermittlungsstellen entgegen. Angaben zu den Übermittlungsstellen der Mitgliedstaaten ergeben sich aus dem Europäischen Ge____ ____richtsatlas für Zivilsachen. ____ § 93 Übermittlungsweg ____ Die Übermittlung kann auf jedem geeigneten Übermittlungsweg erfolgen. ____ Das Ersuchen kann gemäß den Ziffern 9.2.1. und 9.2.3. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustel____lungsverordnung zurückgegeben werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das empfangene ____Dokument mit dem übersandten Dokument inhaltlich nicht genau übereinstimmt oder die darin enthalte____nen Angaben nicht mühelos lesbar sind. ____ § 94 Form und Sprache des Ersuchens ____ Das Ersuchen muss unter Verwendung des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung ____ ____erstellt sein. Die vorgedruckten Teile können in jeder im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsverord____nung existierenden Amtssprache abgefasst sein. Die Eintragungen in das Formblatt müssen in deut____scher oder englischer Sprache abgefasst sein. Sind die Eintragungen in einer anderen Sprache abgefasst, kann das Ersuchen gemäß Abschnitt 9.2.2. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung ____unerledigt an die Übermittlungsstelle zurückgesandt werden (Artikel 6 Absatz 3 EG-Zustellungsverord____nung). ____ ____ § 95 Formblattverwendung für die Erledigungsstücke ____ (1) Für Mitteilungen und Erledigungsstücke der Empfangsstelle an die Übermittlungsstelle ist das ____Formblatt in Anhang I (Ziffer 8. bis 15.) der EG-Zustellungsverordnung zu verwenden. (2) Ist in dem Zustellungsersuchen eine Referenznummer der Übermittlungsstelle nicht angegeben, ____ ____so ist sicherzustellen, dass eine Zuordnung der Mitteilung der Empfangsstelle zu dem Zustellungsantrag ____möglich ist. Zu diesem Zweck kann die Mitteilung der Empfangsstelle mit Ablichtungen des Zustellungsan____trags verbunden werden. ____ § 96 Sprache des Formblatts für Erledigungsstücke ____ Das Formblatt in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung ist zu verwenden. Die Eintragungen kön____nen für die Ziffern 8. bis 11. in deutscher Sprache erfolgen. Eintragungen unter den Ziffern 12. bis 15. (Be____scheinigung über die Zustellung oder Nichtzustellung gemäß Artikel 10 der EG-Zustellungsverordnung) ____sind in einer der Amtssprachen des Übermittlungsstaats oder in einer sonstigen Sprache, die der Übermitt____lungsstaat zugelassen hat, abzufassen. Diese Sprachen ergeben sich aus dem jeweiligen Länderabschnitt ____und dem Europäischen Gerichtsatlas. ____ § 97 Empfangsbestätigung ____ Die Empfangsstelle hat der Übermittlungsstelle innerhalb von sieben Tagen nach Erhalt des Zustel____ lungsantrags eine Empfangsbestätigung unter Verwendung von Ziffer 8. des Formblatts in Anhang I der ____EG-Zustellungsverordnung zu übermitteln (Artikel 6 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung). Sie ist mit Un____terschrift oder einem Abdruck des Dienstsiegels zu versehen. ____ ____ ____

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 98 Nachforderung fehlender Angaben oder Schriftstücke _____ Kann der Zustellungsantrag nicht erledigt werden auf Grund von Schwierigkeiten, die durch einfache _____Einholung von Auskünften oder Anforderungen behoben werden können, sind der Zustellungsantrag und _____das Schriftstück nicht an die Übermittlungsstelle zurückzusenden (Artikel 6 Absatz 2 EG-Zustellungs_____verordnung). Die Nachforderung der zu ergänzenden Angaben erfolgt formlos. _____ § 99 Rücksendung des Ersuchens wegen Nichtbeachtung von Formvorschriften oder fehlen_____dem Anwendungsbereich _____ (1) Der Zustellungsantrag und die zuzustellenden Schriftstücke sind unter Verwendung der Ziffer 9. _____des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung an die Übermittlungsstelle zurückzusenden, _____wenn der Zustellungsantrag offenkundig nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt oder die _____Zustellung wegen Nichtbeachtung der erforderlichen Formvorschriften nicht möglich ist (Artikel 6 Ab_____satz 3 EG-Zustellungsverordnung). _____ (2) Der entsprechende Formblattabschnitt ist mit Unterschrift oder einem Abdruck des Dienstsiegels _____zu versehen. _____ § 100 Abgabe bei örtlicher Unzuständigkeit _____ (1) Ist die ersuchte Empfangsstelle örtlich nicht zuständig, so gibt sie – falls das Ersuchen den Form_____vorschriften entspricht (Artikel 4 Absatz 3 EG-Zustellungsverordnung) – das Ersuchen unmittelbar an die _____zuständige Empfangsstelle ab und erteilt der Übermittlungsstelle unter Verwendung der Ziffer 10. des _____Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung Abgabenachricht (Artikel 6 Absatz 4 EG-Zustel_____lungsverordnung). _____ (2) Die Abgabenachricht ist mit Unterschrift oder einem Abdruck des Dienstsiegels zu versehen _____ (3) Die örtlich zuständige Empfangsstelle bestätigt der Übermittlungsstelle unter Verwendung der Zif_____fer 11. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung innerhalb von sieben Tagen den Erhalt _____des Ersuchens (Artikel 6 Absatz 4 EG-Zustellungsverordnung). _____ (4) Die Empfangsbestätigung ist mit Unterschrift oder einem Abdruck des Dienstsiegels zu versehen. _____ § 101 Arten der Zustellung _____ (1) Die Zustellung wird bewirkt: _____1. durch Anwendung der für Zustellungen geltenden inländischen Vorschriften; _____2. in einer besonderen, die Wünsche der Übermittlungsstelle beachtenden Form, sofern dies mit den _____ geltenden Vorschriften vereinbar ist. _____ (2) Die Art der Zustellung bestimmt sich nach dem Zustellungsantrag. _____ (3) Die im sonstigen Rechtshilfeverkehr übliche Unterscheidung zwischen formloser und förmlicher _____Zustellung (§ 111) findet nicht statt. _____ _____ § 102 Annahmeverweigerungsrecht des Empfängers (1) Dem Zustellungsempfänger steht gemäß Artikel 8 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung frei, die _____Annahme des zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern oder das Schriftstück der Empfangsstelle binnen _____einer Woche zurückzusenden, wenn das Schriftstück nicht in deutscher oder in einer anderen Sprache, die _____der Empfänger versteht, abgefasst oder in eine dieser Sprachen übersetzt wurde. _____ (2) Die Annahme kann nicht verweigert werden, wenn _____1. die Schriftstücke in deutscher Sprache abgefasst sind oder ins Deutsche übersetzt wurden oder _____2. die Schriftstücke in einer für den Empfänger verständlichen Sprache abgefasst sind oder in eine sol_____ che Sprache übersetzt wurden. _____ (3) Die Annahme darf aus anderen Gründen nicht verweigert werden. _____ (4) Ob eine Annahmeverweigerung berechtigt ist und rechtzeitig erfolgte, entscheidet die ausländi_____sche Stelle. (5) Auf § 107 wird ergänzend verwiesen. _____ _____ § 103 Belehrung des Zustellungsempfängers über das Annahmeverweigerungsrecht _____ Die Empfangsstelle setzt den Zustellungsempfänger bei der Zustellung über das Annahmeverweige_____rungsrecht unter Verwendung des Formblatts in Anhang II der EG-Zustellungsverordnung in Kenntnis _____(Artikel 8 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung). Die Belehrung ist in jedem Fall vorzunehmen, unabhängig Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____von der Sprache des zuzustellenden Schriftstücks. Bei Ersuchen aus Österreich ist die Belehrung nicht ____erforderlich. ____ § 104 Durchführung der Zustellung ____ (1) Die Zustellung ist unabhängig von der verwendeten Sprache des zuzustellenden Schriftstücks ____ durchzuführen. ____ (2) Ist der Wunsch ausgesprochen, die Zustellung in der nach den geltenden inländischen Vorschrif____ten vorgeschriebenen Form zu erledigen (Ziffer 5.1. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverord____nung), so ist nach den Vorschriften der §§ 166 bis 182 der Zivilprozessordnung zu verfahren. ____ Ist der Wunsch ausgesprochen, die Zustellung in einer besonderen Form zu erledigen (Ziffer 5.2. des ____Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung), so ist die Zustellung in der beantragten Form zu ____bewirken, sofern dies mit den geltenden inländischen Vorschriften vereinbar ist. Ist die Form der Zustel____lung mit den geltenden inländischen Vorschriften nicht vereinbar und ist auch nicht hilfsweise eine Zu____stellung nach deutschem Recht beantragt, so sind der Antrag und das Schriftstück gemäß Ziffer 9.3. des ____Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung zurückzusenden. ____ § 105 Rasche Durchführung ____ Die Empfangsstelle unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Zustellung des Schriftstücks so ____rasch wie möglich, in jedem Fall jedoch binnen eines Monats nach Eingang auszuführen. Kann die Zustel____lung nicht binnen eines Monats nach Eingang des Schriftstücks vorgenommen werden, so verfährt die ____Empfangsstelle wie folgt: ____1. sie teilt dies der Übermittlungsstelle unverzüglich unter Verwendung des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung Ziffer 13. der EG-Zustellungsverordnung mit, ____ ____2. sie unternimmt weiterhin, sofern die Übermittlungsstelle unter Ziffer 6.2. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung nichts anderes angibt, alle für die Zustellung des Schriftstücks erfor____ derlichen Schritte, falls die Zustellung innerhalb einer angenommenen Frist möglich scheint. ____ ____ § 106 Nachweis der Zustellung oder Nichtzustellung ____ (1) Für die Bescheinigung über die Zustellung oder Nichtzustellung von Schriftstücken sind die Zif____fern 12. bis 15. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung zu verwenden. Das Formblatt ist ____in einer der Amtssprachen des Übermittlungsmitgliedstaats oder einer sonstigen Sprache, die der Über____mittlungsmitgliedstaat zugelassen hat, auszufüllen. Die Sprachen, in denen das Formblatt ausgefüllt wer____den kann, ergeben sich aus den Länderabschnitten und dem Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen. ____§ 125 Absatz 2 findet Anwendung. Der entsprechende Formblattabschnitt ist mit Unterschrift oder einem ____Abdruck des Dienstsiegels zu versehen. Zuständig ist der Rechtspfleger, soweit die Landesjustizverwaltung ____keine abweichende Regelung trifft. (2) Die Bescheinigung der Zustellung wird unter Ziffer 12. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustel____ ____lungsverordnung dokumentiert. Sofern die tatsächlich zugestellten Schriftstücke nicht mit den im Antrag unter Ziffer 6. genannten zuzustellenden Schriftstücken übereinstimmen, sind die zugestellten Schriftstü____cke entweder in der Bescheinigung über die Zustellung konkret anzuführen, oder Ablichtungen der zuge____stellten Schriftstücke sind mit der Zustellungsbescheinigung zu verbinden. Zur Bezeichnung der zugestell____ten Schriftstücke ist dann auf diese Ablichtungen zu verweisen. Sind Zweitfertigungen der zuzustellenden ____Schriftstücke dem Antrag beigefügt, so kann zur Bezeichnung der zugestellten Schriftstücke auch auf ____diese Zweitfertigungen verwiesen werden und die Zweitfertigungen können mit der Zustellungsbescheini____gung verbunden werden. (3) Wird auf dem Postweg zugestellt, ist die Zustellungsurkunde nicht der Übermittlungsstelle zu ____ ____übersenden. Erfolgt die Zustellung an den Empfänger persönlich oder erfolgt eine Ersatzzustellung gemäß ____§ 178 der Zivilprozessordnung, ist dies unter Ziffer 12.2.1.2. mit „auf dem Postweg zugestellt“ zu dokumen____tieren. Hierbei ist Ziffer 12.2.1.2.1. „ohne Empfangsbestätigung“ auszuwählen. Obgleich die Gliederung des Formblatts für diesen Fall keine weitere Angabe vorsieht, sind die jeweiligen Angaben zu Empfänger, ____Ersatzempfänger, Anschrift des Empfängers und gegebenenfalls dessen Beziehung zum Adressaten unter ____Ziffer 12.2.1.2.2 anzuführen. Erfolgt eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 ____der Zivilprozessordnung oder durch Niederlegung gemäß § 181 der Zivilprozessordnung, ist dies unter Zif____fer 12.2.1.3. „auf andere Weise zugestellt“ zu dokumentieren. Soweit das zuzustellende Schriftstück als Fax ____oder ausgedruckte E-Mail vorlag, ist dies im Zustellungsnachweis anzugeben. Ist gemäß Ziffer 7.1. des 717

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Anh §§ 183, 184

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____Antrags die Rücksendung der Zweitfertigungen der zuzustellenden Schriftstücke beantragt, sind diese dem _____Zustellungsnachweis beizufügen (Artikel 10 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung). _____ (4) Konnte die Zustellung nicht erfolgen, sind die Gründe hierfür unter Abschnitt 15. des Formblatts _____in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung anzuführen und die Schriftstücke der Bescheinigung beizufü_____gen. (5) Eine Ablichtung der Bescheinigung über die Zustellung oder Nichtzustellung von Schriftstücken _____ist zum Vorgang zu nehmen für eventuell später erforderliche weitere Mitteilungen. _____ _____ § 107 Annahmeverweigerung _____ (1) Erklärt der Empfänger bei versuchter Zustellung der Schriftstücke sogleich auf Grund der verwen_____deten Sprache gemäß Artikel 8 Absatz 1 EG-Zustellungsverordnung die Annahmeverweigerung, ist dies _____unter Ziffer 14. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung zu dokumentieren. Die Beschei_____nigung über die Nichtzustellung ist mit den zuzustellenden Schriftstücken der Übermittlungsstelle zu_____rückzusenden. _____ (2) Ist die Zustellung durchgeführt worden und erklärt der Empfänger zu einem späteren Zeitpunkt, _____dass er die Annahme des Schriftstücks verweigere, sind der Übermittlungsstelle sowohl die durchgeführte Zustellung als auch die Annahmeverweigerung mitzuteilen. Der Antrag und die zuzustellenden Schriftstü_____cke sind zurückzusenden. Wird die Annahmeverweigerung mitgeteilt, bevor eine Zustellungsbescheini_____gung erteilt ist, sind die Zustellung unter Ziffer 12. und die Verweigerung der Entgegennahme des Schrift_____stücks unter Ziffer 14. des Formblatts in Anhang I der EG-Zustellungsverordnung zu dokumentieren. Wird _____die Annahmeverweigerung mitgeteilt, nachdem die Zustellung bereits der Übermittlungsstelle mitgeteilt _____wurde, ist die Kopie des Zustellungsnachweises zu verwenden und unter Ziffer 14. zu ergänzen, dass der _____Empfänger die Annahme der Schriftstücke auf Grund der verwendeten Sprache verweigert. Die Erklärung _____der Annahmeverweigerung muss nicht der Übermittlungsstelle übersandt werden. Der Antrag ist bei den _____Akten zu behalten und Ablichtungen der Schlussverfügung sind zu den Akten zu nehmen. Wird der Antrag _____in Original zurückgesandt, ist eine Ablichtung davon zu den Akten zu nehmen. _____ § 108 Zustellung durch ausländische Vertretungen _____ Eine Zustellung nach Artikel 13 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung durch ausländische Vertre_____tungen ist in der Bundesrepublik Deutschland nur zulässig, wenn der Adressat des zuzustellenden Schrift_____stücks Angehöriger des Übermittlungsmitgliedstaats ist (§ 1067 der Zivilprozessordnung). _____ _____ § 109 Eingehende Postzustellungen _____ In der Bundesrepublik Deutschland sind Zustellungen unmittelbar durch Postdienste im Sinne des _____Artikels 14 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung zugelassen. _____ _____ § 110 Zuständigkeit _____ (1) Die Zustellung hat – vorbehaltlich der Bestimmung in Absatz 3 – das Amtsgericht auszuführen, in dessen Bezirk der Zustellungsempfänger seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Dies ergibt sich für den _____Geltungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 aus § 4 des Ausfüh_____rungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 zu diesem Übereinkommen, für den Geltungsbereich des Haager Zi_____vilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 aus § 2 des Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958 zu _____diesem Übereinkommen und für den Geltungsbereich der besonderen Rechtshilfeverträge aus den zu die_____sen ergangenen Ausführungsverordnungen. Im vertraglosen Rechtshilfeverkehr gilt das Gleiche kraft _____Verwaltungsauftrags. _____ (2) Die Zustellung ist durch den Rechtspfleger zu besorgen, soweit sie nicht im vertraglosen Rechts_____hilfeverkehr durch Rechtsvorschriften eines Bundeslandes dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über_____tragen ist. Der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auch den Nachweis über die _____Zustellung oder über die Undurchführbarkeit der Zustellung zu erteilen. (3) Nach § 4 Absatz 1 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 zu dem Haager Zustellungs_____übereinkommen vom 15. November 1965 und dem Haager Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. März _____1970 ist auch die Zentrale Behörde befugt, Zustellungsanträge unmittelbar durch die Post erledigen zu _____lassen. _____ _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 111 Arten der Zustellung ____ (1) Die Zustellung wird bewirkt: ____ ____1. formlos durch einfache Übergabe, wenn der Empfänger zur Annahme bereit ist (formlose Zustellung) oder ____ 2. förmlich entweder unter Anwendung der dafür geltenden inländischen Vorschriften oder in einer ____ besonderen, die Wünsche der ersuchenden Behörde beachtenden Form (förmliche Zustellung). ____ (2) Die Art der Zustellung bestimmt sich nach dem Zustellungsantrag. Ist in Fällen, in denen eine ____förmliche Zustellung zulässig ist, eine solche nicht ausdrücklich beantragt, so soll zunächst die formlose ____Zustellung versucht werden. Erscheint dies im Einzelfall nicht zweckmäßig, ist sogleich die förmliche ____Zustellung durchzuführen. Ist bei einem Zustellungsantrag nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ____vom 15. November 1965 die Durchführung der förmlichen Zustellung nach den deutschen Rechtsvorschrif____ten zulässig und die Zustellungsalternative a (Zustellung gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a des Haager ____Zustellungsübereinkommens) nicht ausgeschlossen, soll auch bei Antrag auf formlose Zustellung sogleich ____die förmliche Zustellung durchgeführt werden, falls dies zweckmäßig erscheint. ____ § 112 Zulässigkeit ____ (1) Auf die formlose Zustellung sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zustellung ____nicht anzuwenden. ____ (2) Die formlose Zustellung ist nur statthaft, wenn der Empfänger zur Annahme des zuzustellenden ____Schriftstücks bereit ist. Eine Zustellung gegen den Willen des Empfängers (§ 179 der Zivilprozessordnung) ____ist unzulässig, selbst wenn das zuzustellende Schriftstück in deutscher Sprache abgefasst oder von einer ____Übersetzung in die deutsche Sprache begleitet ist. Eine Ersatzzustellung nach den §§ 178, 180 und 181 der ____Zivilprozessordnung ist nicht zulässig. ____ § 113 Durchführung der formlosen Zustellung ____ (1) Das zuzustellende Schriftstück ist durch den nach § 110 Absatz 2 zuständigen Beamten oder durch ____ einen Gerichtswachtmeister oder Gerichtsvollzieher zu übergeben. ____ (2) Die Übergabe ist an den im Zustellungsantrag genannten Empfänger selbst, an die in den §§ 170 ____und 171 der Zivilprozessordnung bezeichneten Personen zu bewirken. ____ (3) Dem Empfänger ist zunächst Gelegenheit zu geben, sich das Schriftstück anzusehen und über die ____Annahme zu entscheiden. Ist nur die formlose Zustellung zulässig, so ist er darüber aufzuklären, dass er ____zur Annahme nicht verpflichtet sei, dass aber unter Umständen das ausländische Verfahren ohne Rück____sicht auf die Annahmeverweigerung durchgeführt werden und er auch sonst Nachteile erleiden könne. Die ____Belehrung ist aktenkundig zu machen und im Begleitbericht (§ 24) zu vermerken. ____ § 114 Zulässigkeit ____ (1) Eine förmliche Zustellung ist nur im Geltungsbereich des Haager Zivilprozessübereinkommens ____ ____vom 1. März 1954, des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 sowie der besonderen Verträge zulässig, soweit in letzteren nicht etwas anderes bestimmt ist. ____ (2) Im vertraglosen Rechtshilfeverkehr ist eine förmliche Zustellung unzulässig. ____ ____ § 115 Übersetzungen ____ (1) Voraussetzung für die förmliche Zustellung ist, sofern sich aus dem Länderteil nicht etwas anderes ____ergibt, dass das zuzustellende Schriftstück in deutscher Sprache abgefasst oder von einer gehörig beglau____bigten Übersetzung begleitet ist. Dies gilt auch für Zustellungen im Rahmen des Haager Zustellungs____übereinkommens vom 15. November 1965; jedoch kann nach dem Übereinkommen eine Beglaubigung der ____Übersetzung der zuzustellenden Schriftstücke nicht verlangt werden. Der nach Artikel 5 Absatz 4 dieses ____Übereinkommens dem Zustellungsempfänger auszuhändigende Teil des Zustellungsantrags ersetzt die ____erforderlichen Übersetzungen nicht. (2) Eine Ausnahme besteht insbesondere, wenn mit dem betreffenden Land vereinbart ist, dass die ____Übersetzung auf Kosten der ersuchenden Behörde von der ersuchten Behörde zu beschaffen ist (siehe ____Länderteil). Hat in solchen Fällen die ersuchende Behörde ausdrücklich um förmliche Zustellung gebeten, ____so ist die Übersetzung zu beschaffen. Die Kosten der Übersetzung sind bei der Rückleitung der Erledi____gungsstücke in Rechnung zu stellen. ____

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 116 Durchführung der förmlichen Zustellung _____ (1) Ist der Wunsch ausgesprochen, die Zustellung in der durch die deutsche Gesetzgebung vorge_____schriebenen Form zu erledigen, so ist nach den Vorschriften der §§ 166 bis 182 der Zivilprozessordnung zu _____verfahren. _____ (2) Ist der Wunsch ausgesprochen, die Zustellung in einer besonderen Form zu erledigen, beispielsweise durch Übergabe in Gegenwart von Zeugen, so ist die Zustellung in der beantragten Form zu bewir_____ken, sofern dem zwingende Vorschriften der deutschen Gesetzgebung nicht entgegenstellen. _____ _____ § 117 Keine Auslagenerstattung _____ Fahrtkosten oder sonstige Auslagen werden einem Zustellungsempfänger, der auf Vorladung er_____scheint, nicht ersetzt. _____ _____ § 118 Allgemeines _____ (1) Die Zustellungsurkunde (Anlage 1 zu § 1 Nummer 1 der Zustellungsvordruckverordnung vom _____12. Februar 2002, BGBl. I S. 671, 1019) ist im internationalen Rechtshilfeverkehr n i c h t als Zustellungs_____nachweis zu verwenden. (2) Ausländische Empfangsbekenntnisse, die einem Zustellungsantrag beiliegen, dürfen grundsätz_____lich nicht verwendet werden, weil sie vielfach Vermerke enthalten, die nach ausländischem Recht durch _____die Unterschrift des Empfängers auch als anerkannt gelten und zu Rechtsnachteilen für den Zustellungs_____empfänger führen können. Die Empfangsbekenntnisse können ausnahmsweise benutzt werden, wenn ihre _____Verwendung ausdrücklich aus Gründen des ausländischen Rechts erbeten ist (beispielsweise weil Stem_____pelpapier des betreffenden Staates zu benutzen ist). Dies gilt nicht, wenn der Vordruck unzulässige Ver_____merke enthält. _____ (3) Der Zustellungsnachweis ist daher, von den in Absatz 2 zugelassenen Ausnahmen abgesehen und _____vorbehaltlich § 124, ausschließlich nach den folgenden Bestimmungen zu fertigen. _____ _____ § 119 Nachweis der formlosen Zustellung (1) Nimmt der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Zustellung durch einfa_____che Übergabe selbst vor, so hat er ein datiertes E m p f a n g s b e k e n n t n i s nach dem Vordruck ZRH 2 auf_____zunehmen. _____ (2) Wird die Zustellung durch einfache Übergabe von einem Gerichtsvollzieher oder Gerichtswacht_____meister ausgeführt, so hat er sich eine datierte Bescheinigung über den Empfang des zuzustellenden _____Schriftstücks von dem Empfänger ausstellen zu lassen. Auf Grund dieser Bescheinigung erteilt der Rechts_____pfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ein Z u s t e l l u n g s z e u g n i s nach dem Vordruck _____ZRH 3. _____ _____ § 120 Nachweis der förmlichen Zustellung nach der Zivilprozessordnung _____ Erfolgt die Zustellung in der durch die deutsche Gesetzgebung vorgeschriebenen Form, so hat der Rechtspfleger auf Grund der Zustellungsurkunde ein Z u s t e l l u n g s z e u g n i s nach dem Vordruck ZRH 4 _____zu erteilen. _____ _____ § 121 Nachweis der Zustellung in besonderer Form _____ Ist die Zustellung in einer besonderen Form nach den Wünschen der ersuchenden Behörde bewirkt, _____so ist ein Empfangsbekenntnis oder ein Zustellungszeugnis unter sinngemäßer Anwendung der vorste_____henden Bestimmungen je nach den Umständen des Falles zu fertigen. _____ _____ § 122 Zustellungsnachweis auf einer Zweitausfertigung _____ Ist das zuzustellende Schriftstück in zwei gleichen Stücken übermittelt worden, so ist das Empfangs_____bekenntnis nebst dem Beglaubigungsvermerk oder das Zustellungszeugnis auf eines der beiden Stücke zu setzen oder damit zu verbinden. _____ _____ § 123 Zeugnis über die Undurchführbarkeit der Zustellung _____ (1) Ist eine Zustellung nicht möglich, so ist ein Zeugnis über die Undurchführbarkeit der Zustellung _____auszustellen, aus dem sich die versuchte Art der Zustellung und der ihre Ausführung hindernde Umstand _____ergeben. Der Unterschrift sind die Amtsbezeichnung und ein Abdruck des Dienststempels oder DienstsieRohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____gels beizufügen. Kommt nur eine formlose Zustellung in Betracht und lehnt der Empfänger die Annahme ____ab, so ist in dem Zeugnis lediglich zum Ausdruck zu bringen, dass die Zustellung mangels Annahmebe____reitschaft des Empfängers nicht möglich ist. (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der Zustellungsantrag deshalb nicht ausgeführt werden ____ kann, weil die Gewährung der Rechtshilfe unzulässig und daher abzulehnen ist. In diesem Falle ist nach ____ § 84 Absatz 7 zu verfahren. ____ ____ § 124 Zustellungszeugnisse im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens ____vom 15. November 1965 ____ Im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 ist das Zu____stellungszeugnis ausschließlich nach dem Muster ZRH 1 zu erteilen. Die Eintragungen in dem Zustellungs____zeugnis können in deutscher, englischer oder französischer Sprache gemacht werden. Im Übrigen ist nach ____§ 122 zu verfahren. Soweit die EG-Zustellungsverordnung Vorrang hat, wird für die Zustellungsbescheini____gung auf § 106 verwiesen. ____ § 125 Erledigungsstücke ____ (1) Der Zustellungsnachweis oder das Zeugnis über die Undurchführbarkeit der Zustellung sowie Er____klärungen des Zustellungsempfängers, die bei der Zustellung aufgenommen und für das ausländische ____Gericht bestimmt sind, werden der ersuchenden Stelle übersandt. Der Zustellungsantrag ist beizufügen. ____ (2) Alle übrigen in Ausführung der Zustellung entstandenen Schriftstücke, insbesondere die Unterla____gen, auf Grund deren der Zustellungsnachweis ausgestellt wird, verbleiben bei dem ersuchten Gericht. ____ § 126 Verfahren bei unmittelbar eingehenden Aufträgen ____ (1) Unmittelbare Zustellungen im Parteibetrieb durch Amtspersonen, Beamte oder sonst zuständige ____ ____Personen an Empfänger im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland außerhalb des Anwendungs____bereichs der EG-Zustellungsverordnung (Artikel 15; § 91) sind unzulässig. Ausnahmen gelten, soweit das ____deutsch-britische Rechtshilfeabkommen vom 20. März 1928 anwendbar ist. (2) Geht bei einem Gerichtsvollzieher ein Auftrag zur Zustellung für ein ausländisches Verfahren ein, ____dessen Ausführung unzulässig ist, so ist der Auftrag dem aufsichtführenden Richter des Amtsgerichts ____vorzulegen. Näheres regelt die Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher. ____ Der aufsichtführende Richter legt den Auftrag folgenden Stellen vor: ____1. der Prüfungsstelle, ____2. im Anwendungsbereich der EG-Zustellungsverordnung der zuständigen Empfangsstelle oder ____3. im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15. November 1965 der Zentralen Behörde. ____ ____ § 127 Zuständigkeit, Mitteilungen ____ (1) Für die Erledigung ausländischer Rechtshilfeersuchen ist nach § 1074 Absatz 1 der Zivilprozess____ ordnung, nach § 8 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 zum Haager Zustellungsübereinkom____men vom 15. November 1965 und zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen vom 18. März 1970, nach ____§ 2 Absatz 1 des Ausführungsgesetzes vom 18. Dezember 1958 zum Haager Zivilprozessübereinkommen ____vom 1. März 1954 und den entsprechenden Bestimmungen der Ausführungsverordnungen zu den besonde____ren Verträgen das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Rechtshilfe vorgenommen werden soll. Im ____vertraglosen Rechtshilfeverkehr gilt das Gleiche kraft Verwaltungsauftrags. (2) Die nach Artikel 3 Absatz 1 der EG-Beweisaufnahmeverordnung in Verbindung mit § 1074 Absatz 3 ____ ____der Zivilprozessordnung in jedem Bundesland eingerichtete Zentralstelle hat lediglich unterstützende ____Funktion. Ihr Aufgabengebiet ergibt sich aus Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a und b der EG-Beweisaufnah____meverordnung. Nur in begründeten Ausnahmefällen leiten diese etwaige Ersuchen an das zuständige ____Gericht ihres Geschäftsbereichs oder an die zuständige Zentralstelle weiter. (3) Die Vernehmungen hat stets ein Richter vorzunehmen. Ein Referendar soll mit der Vernehmung ____nicht beauftragt werden. ____ (4) Im Geltungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung übersendet das ersuchte zuständige Ge____richt innerhalb von sieben Tagen nach Eingang des Ersuchens eine Empfangsbestätigung nach Maßgabe ____von Artikel 7 Absatz 1 und Formblatt B an das ersuchende Gericht. Bei fehlenden Übersetzungen und ____Nichtlesbarkeit der Unterlagen ist das Ersuchen mit Formblatt B und entsprechenden Vermerken an das 721

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ersuchende Gericht zurückzusenden. Bei örtlicher Unzuständigkeit gilt Artikel 7 Absatz 2 der EG-Beweis_____aufnahmeverordnung. _____ _____ § 128 Form und Fristen der Erledigung _____ (1) Die Rechtshilfeersuchen sind unter Beachtung der deutschen Formvorschriften zu erledigen, soweit nicht eine besondere Form beantragt wird und ihrer Erfüllung nicht zwingende deutsche Vorschriften _____entgegenstehen oder eine Berücksichtigung wegen erheblicher tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich _____ist. _____ (2) Die Beweisaufnahme kann auch im Wege der Video- oder Telefonkonferenz erfolgen (§ 128 a der _____Zivilprozessordnung). Muss ein solcher Antrag aus den in Absatz 1 aufgeführten Gründen abgelehnt wer_____den, unterrichtet das ersuchte Gericht darüber unverzüglich das ersuchende Gericht. Im Anwendungsbe_____reich der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist hierzu das Formblatt E zu verwenden. _____ (3) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung können die zu verwendenden Form_____blätter in deutscher Sprache abgefasst und ausgefüllt werden. Ebenso können weitere Erledigungsstücke _____in deutsch abgefasst werden. _____ (4) Soweit im Rahmen der EG-Beweisaufnahmeverordnung Kostenvorschüsse verlangt werden, sind diese spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens unter Verwendung des Formblatts C unter Angabe _____der Bankverbindung der Gerichtskasse und des Verwendungszwecks oder der Buchungsstelle anzufor_____dern. Der Eingang des Vorschusses ist innerhalb von zehn Tagen unter Verwendung des Formblatts D zu _____bestätigen (Artikel 8 EG-Beweisaufnahmeverordnung). Im Übrigen wird auf § 146 Absatz 1 verwiesen. _____ (5) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung hat das ersuchte Gericht das Rechts_____hilfeersuchen spätestens innerhalb von 90 Tagen nach Eingang zu erledigen. Die Frist beginnt nach Maß_____gabe des Artikels 9 der EG-Beweisaufnahmeverordnung mit dem Eingang eines ordnungsgemäßen Er_____suchens. Kann das ersuchte Gericht diese Frist nicht einhalten, setzt es das ersuchende Gericht nach _____Maßgabe von Artikel 15 EG-Beweisaufnahmeverordnung und Formblatt G unter Angabe der Gründe und _____des voraussichtlichen Erledigungstermins in Kenntnis. Kann das Ersuchen wegen Unvollständigkeit nicht _____erledigt werden, ist das ersuchende Gericht spätestens innerhalb von 30 Tagen nach Eingang des Ersuchens unter Angabe der Hinderungsgründe nach Maßgabe von Artikel 8 EG-Beweisaufnahmeverordnung _____und Formblatt C zu unterrichten. Die Erledigung des Ersuchens kann abgelehnt werden (Artikel 14 Ab_____satz 2 Buchstabe c und d), wenn das ausländische Gericht der Aufforderung des ersuchten Gerichts nicht _____innerhalb folgender Fristen nachkommt: _____1. bei Aufforderung um entsprechende Ergänzung des Ersuchens 30 Tage nach Abgang des Form_____ blatts C, _____2. bei Aufforderung zur Zahlung eines angeforderten Vorschusses 60 Tage nach Abgang des Form_____ blatts C. _____ (6) Zwangsmaßnahmen nach deutschen Vorschriften sind zulässig, es sei denn, es wird vertraglos _____Rechtshilfe geleistet. _____ (7) Im Hinblick auf die vielfach sehr strengen Formvorschriften der ausländischen Verfahrensordnungen können Protokolle mit Durchstreichungen oder Radierungen regelmäßig nicht als Beweisurkun_____den im Ausland verwendet werden. Ist im Einzelfall eine Durchstreichung unvermeidlich, so muss sie auf _____der Urkunde ausdrücklich bescheinigt werden. Der ersuchenden Behörde sollten in diesen Fällen statt der _____Urschriften Protokollausfertigungen übersandt werden. _____ (8) Mehrfertigungen von Vernehmungsprotokollen sind beizufügen, wenn es besonders beantragt ist _____oder wenn es sich um Ersuchen handelt, die von Behörden mit deutscher Amtssprache ausgehen. _____ _____ § 129 Schriftliche Befragung _____ Eine Vernehmung ist in der erleichterten Form der schriftlichen Befragung nur dann vorzunehmen, _____wenn die ersuchende Behörde dies ausdrücklich in dem Ersuchen gewünscht oder für zulässig erklärt hat. _____ § 130 Übergabe von schriftlichen Aufzeichnungen _____ Falls die zu vernehmende Person bei ihrer Vernehmung eine Aufzeichnung überreicht, muss das Pro_____tokoll erkennen lassen, dass sie über die in ihr Wissen gestellten Tatsachen befragt ist und sich darauf wie _____in dem überreichten Schriftstück geäußert hat, dass ihr dann das Schriftstück vorgelesen wurde und sie _____erklärt hat, der Inhalt entspreche ihrer soeben abgegebenen Aussage. Nach Möglichkeit ist jedoch von die_____sem Verfahren bei Zeugen nur in besonderen Ausnahmefällen Gebrauch zu machen, da diese Erledigung Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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____unter Umständen nach den ausländischen Gesetzen nicht als eine ordnungsmäßige Vernehmung aner____kannt wird und so zu Rechtsnachteilen für die beweisführende Partei führen kann. ____ § 131 Eidesabnahme ____ (1) Wird um die Vernehmung von Zeugen und um ihre Beeidigung oder andere Bekräftigung „soweit ____ zulässig“ oder „sofern ein gesetzlicher Hinderungsgrund nicht vorliegt“ ersucht, so hat die Beeidung in ____den Fällen des § 393 der Zivilprozessordnung zu unterbleiben. In dem Begleitschreiben (§ 88) ist zum Aus____druck zu bringen, dass und aus welchem Grund die Beeidigung nicht erfolgt ist. Die Anführung deutscher ____Gesetzesbestimmungen allein genügt nicht. ____ (2) Das Gleiche gilt, wenn ohne jede Einschränkung um eidliche Vernehmung ersucht wird. ____ (3) Ersuchen um eidliche Vernehmung werden in der Regel in der beantragten Form auch dann zu er____ledigen sein, wenn die erbetene Prozesshandlung für den gleichen Fall dem deutschen Recht unbekannt ____ist (beispielsweise zugeschobener Eid). ____ § 132 Aussagegenehmigung ____ Etwa erforderliche Aussagegenehmigungen sind von Amts wegen einzuholen. ____ ____ § 133 Teilnahme der Parteien des ausländischen Verfahrens an Beweisaufnahmen im Inland ____ (1) Beantragen die Parteien oder ihre Vertreter ihre Teilnahme an dem Beweisaufnahmetermin, so ist ____dem Antrag zu entsprechen, sofern nicht deutsche Vorschriften dem entgegenstehen. ____ (2) Im Geltungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung haben die Parteien und ihre Vertreter das ____Recht, bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht anwesend zu sein. Darüber hinaus kann das ____ersuchende Gericht eine Beteiligung der Parteien und gegebenenfalls ihrer Vertreter an der Beweisauf____nahme beantragen. Das ersuchte Gericht teilt den Parteien und gegebenenfalls ihren Vertretern unter Ver____wendung des Formblatts F Ort, Zeitpunkt der Verhandlung und gegebenenfalls die Bedingungen mit, ____unter denen sie nach Artikel 11 Absatz 3 und 10 EG-Beweisaufnahmeverordnung teilnehmen können. ____ § 134 Teilnahme ausländischer Richter und Sachverständiger an Beweisaufnahmen im Inland ____ (1) Im Geltungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung haben Mitglieder des ausländischen Ge____richts (Beauftragte) das Recht, bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht anwesend zu sein, ____soweit deutsches Recht dem nicht entgegensteht. Das Gleiche gilt auch für von dem ersuchenden Gericht ____bestimmte Sachverständige. Genehmigungen durch deutsche Regierungsstellen bedarf es nicht. Wird die ____Beteilung eines Beauftragten oder eines Sachverständigen beantragt, teilt das ersuchte Gericht dem ersu____chenden Gericht unter Verwendung des Formblatts F Ort, Zeitpunkt der Verhandlung und gegebenenfalls ____die Bedingungen, unter denen sie nach Artikel 12 Absatz 4 und 10 teilnehmen können, mit. (2) Im Geltungsbereich des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970 können Mit____ ____glieder des ersuchenden Gerichts eines anderen Vertragsstaats bei der Erledigung eines Rechtshilfeersu____chens anwesend sein, wenn die Zentrale Behörde dies genehmigt hat (§ 10 des Ausführungsgesetzes zu diesem Übereinkommen vom 22. Dezember 1977). ____ (3) Im Übrigen können Mitglieder des ersuchenden ausländischen Gerichts und vom ausländischen ____Gericht bestimmte Sachverständige bei der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens durch das Amtsgericht ____anwesend sein, sofern die Bundesregierung und die Landesjustizverwaltung die hierzu erforderliche Ge____nehmigung erteilt haben und das ersuchte deutsche Gericht keine Bedenken hat. ____ (4) Unmittelbar eingehende Ersuchen sind unerledigt der Landesjustizverwaltung vorzulegen. Dies ____gilt nicht für Ersuchen nach der EG-Beweisaufnahmeverordnung. ____ § 135 Rückleitung ____ Der ersuchenden Behörde werden die Niederschriften über die erbetenen Amtshandlungen in Ur____ schrift oder Ausfertigung nebst den dazugehörigen Anlagen übersandt; das Ersuchen ist beizufügen. Au____ ßerdem ist im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung die Erledigung durch Verwen____dung des Formblatts H zu bestätigen. Die bei der Erledigung entstandenen sonstigen Schriftstücke, die für ____das Ausland ohne Bedeutung sind (beispielsweise Ladungen, Terminsverlegungen), verbleiben beim er____suchten Gericht. Im Geltungsbereich des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970 ____werden die Erledigungsstücke über die Zentrale Behörde geleitet (Artikel 13 dieses Übereinkommens). ____ 723

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

_____ § 136 Voraussetzungen, Zuständigkeit, Form der Erledigung, Ablehnungsgründe _____ (1) Eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht oder einen beauftragten aus_____ländischen Sachverständigen in Deutschland ist nur zulässig, wenn sie auf freiwilliger Grundlage und _____ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann (Artikel 17 Absatz 2 EG-Beweisaufnahmeverordnung). Für das Er_____suchen ist das Formblatt I zu verwenden. Hinsichtlich der zu benutzenden Sprache wird auf § 85 Absatz 1 Satz 2 verwiesen. _____ (2) Die nach Artikel 3 Absatz 3 EG-Beweisaufnahmeverordnung in Verbindung mit § 1074 Absatz 3 _____Nummer 2 der Zivilprozessordnung und der jeweiligen Rechtsverordnung des Landes bestimmte zustän_____dige Behörde nimmt das Ersuchen entgegen. _____ (3) Die zuständige Behörde teilt dem ersuchenden Gericht unter Verwendung des Formblatts J inner_____halb von 30 Tagen nach Eingang des Ersuchens mit, ob dem Ersuchen stattgegeben werden kann und, _____soweit erforderlich, unter welchen Bedingungen die betreffende Handlung vorzunehmen ist (beispielswei_____se Anwesenheit oder Beteiligung eines deutschen Richters). Soweit Bedingungen oder weitere Erläuterung _____in das Formblatt oder gegebenenfalls in eine Anlage aufgenommen werden, sind sie in deutscher Sprache _____abzufassen. Das Formblatt kann in deutscher Sprache verwendet werden. _____ (4) Video- und Telefonkonferenzen sollen gefördert werden. Auf Artikel 10 Absatz 4 Satz 4 EG-Beweisaufnahmeverordnung wird hingewiesen. _____ (5) Die zuständige Stelle kann die unmittelbare Beweisaufnahme aus den Gründen des Artikel 17 Ab_____satz 5 EG-Beweisaufnahmeverordnung ablehnen. In solchen Fällen sind die Ersuchen der Landesjustiz_____verwaltung vorzulegen. _____ _____ § 137 Allgemeines _____ (1) Ersuchen ausländischer Behörden, ausländische vollstreckbare Titel im Wege der Rechtshilfe _____zu vollstrecken, kann nicht stattgegeben werden, da Vereinbarungen allgemeiner Art über eine dahinge_____hende Rechtshilfe nicht bestehen. Die Vollstreckung muss vielmehr von der Partei selbst betrieben wer_____den. _____ (2) Durch Absatz 1 wird nicht ausgeschlossen, dass Ersuchen um Rechtshilfe, die anlässlich eines ausländischen Vollstreckungsverfahrens gestellt werden, jedoch nicht auf die Vornahme von Zwangsvoll_____streckungsmaßnahmen im Inland gerichtet sind, nach den für sie geltenden Vorschriften von den deut_____schen Behörden erledigt werden. _____ _____ § 138 Vollstreckungshilfe bei Prozesskosten _____ (1) Die in Artikel 18 und 19 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1. März 1954 bezeichneten, _____in einem Vertragsstaat ergangenen Kostenentscheidungen, durch die ein Kläger zur Kostentragung verur_____teilt worden ist, werden im Inland von Amts wegen und ohne Anhörung des Klägers kostenfrei für voll_____streckbar erklärt. Für Kostenentscheidungen, denen ein nur vorläufig vollstreckbarer Titel zugrunde liegt, _____gilt dies nicht. _____ (2) Absatz 1 ist in dem Geltungsbereich der Sonderverträge entsprechend anzuwenden. (3) Die Anträge auf Vollstreckbarerklärung können in der Regel nur auf diplomatischem Weg einge_____hen. Mit einigen Staaten ist jedoch vereinbart, dass der Antrag auch unmittelbar von der Partei beim zu_____ständigen Gericht gestellt werden kann (siehe Länderteil). _____ (4) Für die Erledigung der Anträge auf Vollstreckbarerklärung nach den §§ 4 bis 7 des Ausführungs_____gesetzes vom 18. Dezember 1958 zum Haager Zivilprozessübereinkommen vom 1. März 1954 sowie nach _____den entsprechenden Bestimmungen der Ausführungsverordnungen zu den Sonderverträgen ist das Amts_____gericht zuständig. _____ (5) Wird einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung stattgegeben, so empfiehlt es sich, in dem Be_____schluss nicht lediglich die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der genau zu bezeichnenden Kosten_____entscheidung auszusprechen, sondern deren Inhalt in geeigneter Weise in die Formel des Beschlusses _____derart aufzunehmen, dass die deutschen Vollstreckungsorgane auch ohne Übersetzung der ausländischen Entscheidung alles für die Durchführung der Zwangsvollstreckung Erforderliche aus der Formel des amts_____gerichtlichen Beschlusses entnehmen können. Sollten hiergegen Bedenken bestehen, so ist die Ausferti_____gung des Beschlusses mit der ausländischen Kostenentscheidung durch Schnur und Siegel zu verbinden. _____ (6) Die Zwangsvollstreckung ist regelmäßig von der Partei selbst auf eigene Kosten zu betreiben. We_____gen abweichender besonderer Vereinbarungen wird auf den Länderteil Bezug genommen. _____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

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§ 139 Einziehung von Gerichtskosten ____ Rechtshilfe bei der Einziehung von Gerichtskosten wird von den deutschen Behörden regelmäßig ____ ____nicht geleistet. Die Zwangsvollstreckung wegen solcher Kosten muss auch dann im Parteiverfahren betrie____ben werden, wenn sie auf Grund einer gemäß § 138 für vollstreckbar erklärten Kostenentscheidung vorge____nommen werden soll. Wegen abweichender besonderer Vereinbarungen wird auf den Länderteil Bezug genommen. ____ ____ § 140 Ersuchen um Abgabe eines bei einem deutschen Gericht anhängigen Verfahrens ____ Soll einem Ersuchen um Abgabe eines bei einem deutschen Gericht anhängigen Verfahrens entspro____chen werden, so hat die Rückleitung, auch soweit der unmittelbare Geschäftsverkehr mit den ausländi____schen Behörden zugelassen ist, über die Landesjustizverwaltung zu erfolgen. § 69 Absatz 2 bis 5 findet ____Anwendung. ____ § 141 Ersuchen um Übernahme eines ausländischen Verfahrens ____ Ersucht eine ausländische Behörde um Übernahme eines bei ihr anhängigen Verfahrens, so wird sie ____ ____in der Regel die Akten nicht abgeben. Das deutsche Gericht, das dem Ersuchen entsprechen will, wird daher in dem Antwortschreiben darum bitten, beglaubigte Abschriften oder Ausfertigungen aller für das ____Verfahren wesentlichen Aktenvorgänge zu übersenden und eine ergänzende Sachdarstellung beizufügen, ____falls die ersuchende Behörde es nicht vorziehe, die Akten abzugeben. ____ ____ § 142 Allgemeines ____ (1) Eine Verpflichtung zur Verfahrenshilfe besteht in der Regel nicht. (2) Die ausländischen Behörden werden häufig nicht übersehen können, an welche deutsche Behörde ____ ____sie sich zu wenden haben, und werden daher ihre Bitte um Verfahrenshilfe oft bei dem im sonstigen ____Rechtshilfeverkehr zuständigen Gericht anbringen. Soweit es sich um Hilfeleistungen einfacher Art han____delt, die ohne Kosten und ohne besondere Mühewaltung von dem ersuchten Gericht, gegebenenfalls unter ____Inanspruchnahme anderer deutscher Behörden, gewährt werden können, sind die Ersuchen ebenso zu erledigen wie andere Rechtshilfeersuchen. ____ (3) In Zweifelsfällen sind Ersuchen um Verfahrenshilfe auch insoweit, als nach § 82 eine Vorlage ____nicht geboten wäre, unerledigt der Landesjustizverwaltung mit der Bitte um Weisung vorzulegen. ____ ____ § 143 Ersuchen um behördliche Auskunft ____ (1) Ersuchen ausländischer Behörden, mit denen Auskunft über deutsche Verwaltungsvorgänge er____beten wird, sind unerledigt der Prüfungsstelle vorzulegen. Diese entscheidet über die Zulässigkeit der ____Erledigung. Wird eine weitergehende Auskunft erbeten, als sie nach den deutschen Vorschriften einer ____Privatperson in einem gleichen Fall erteilt werden könnte, so hat die Prüfungsstelle eine Weisung der ____Landesjustizverwaltung einzuholen. Erfolgt eine Anfrage an Kontaktstellen im Rahmen des Europäischen ____Justiziellen Netzes in Zivil- und Handelssachen, gelten die unionsrechtlichen Vorgaben. (2) Anfragen ausländischer Konsularbehörden im Inland können unmittelbar beantwortet werden, ____wenn sie sich auf einen Einzelfall beziehen und sich im Rahmen der Befugnisse halten, die den Konsular____behörden nach völkerrechtlicher Übung oder auf Grund besonderer Staatsverträge eingeräumt sind. Dage____gen sind Anfragen, die grundsätzliche Angelegenheiten, insbesondere solche von politischer Bedeutung, ____zum Gegenstand haben, der Landesjustizverwaltung vorzulegen. ____ (3) Absatz 2 gilt auch für Anfragen ausländischer diplomatischer Vertretungen im Inland, soweit sie ____zugleich konsularische Aufgaben wahrnehmen. ____ § 144 Ersuchen um Rechtsauskunft ____ Ersuchen um Rechtsauskunft oder Beschaffung von Rechtsgutachten sind unerledigt der Landesjus____ tizverwaltung vorzulegen. ____ ____ § 145 Ersuchen um Aktenübersendung ____ (1) Im Rechtshilfeverkehr mit Österreich und der Schweiz dürfen Akten über bürgerliche Rechtsange____legenheiten mit Erlaubnis der Prüfungsstelle vorübergehend den österreichischen oder schweizerischen ____Gerichten überlassen werden. Die Akten sind mit dem für die österreichische oder schweizerische Behörde ____bestimmten Schreiben der Prüfungsstelle vorzulegen. Die Prüfungsstelle gibt das Schreiben mit den Akten

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_____weiter, wenn keine Bedenken bestehen; anderenfalls trifft sie die näheren Anordnungen. In Zweifelsfällen _____ist der Landesjustizverwaltung zu berichten. _____ (2) In allen übrigen Fällen sind Ersuchen ausländischer Behörden um zeitweilige Überlassung von _____Akten der Landesjustizverwaltung zur Entscheidung vorzulegen. _____ (3) Wird die Aktenübersendung genehmigt, so hat die versendende Stelle wichtige Aktenvorgänge in Abschrift oder Fotokopie zurückzubehalten. _____ _____ § 146 Umfang der Kostenerstattungspflicht _____ (1) Inwieweit im vertraglichen Rechtshilfeverkehr Kosten zu erstatten sind, ergibt sich aus dem Län_____derteil. In den Geltungsbereichen der EG-Zustellungsverordnung und der EG-Beweisaufnahmeverordnung _____dürfen für die Erledigung der Ersuchen Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden (Artikel 11 Absatz 1 _____EG-Zustellungsverordnung und Artikel 18 Absatz 1 EG-Beweisaufnahmeverordnung). Davon sind jedoch _____Kosten nach Artikel 11 Absatz 2 EG-Zustellungsverordnung sowie die in Artikel 18 Absatz 2 EG-Beweisauf_____nahmeverordnung genannten Kosten ausgenommen. Wegen der formgerechten Anforderung eines etwai_____gen Kostenvorschusses im Rahmen der EG-Beweisaufnahmeverordnung wird auf § 128 Absatz 4 verwiesen. _____ (2) Im vertraglosen Rechtshilfeverkehr wird von deutscher Seite die Erstattung von Kosten nur verlangt, soweit auch die ausländischen Behörden für die Erledigung deutscher Ersuchen um Rechtshilfe die _____Erstattung verlangen. Letzteres ergibt sich aus dem Länderteil. _____ (3) Im Verkehr mit einzelnen Staaten (siehe Länderteil) hat die ersuchte deutsche Behörde den Betrag _____der Auslagen, die vereinbarungsgemäß vom ersuchenden Staat nicht zu erstatten sind, der ersuchenden _____Behörde mitzuteilen, damit diese sie von den Personen einziehen kann, die nach den ausländischen Vor_____schriften zur Erstattung verpflichtet sind. Für die Mitteilung ist der Vordruck ZRH 5 zu verwenden. Als _____Auslagen sind nur solche Beträge anzugeben, die nach den bestehenden bundes- oder landesrechtlichen _____Kostenvorschriften erhoben werden können. _____ _____ § 147 Kostenschuldner _____ (1) Die Pflicht zur Erstattung der Rechtshilfekosten trifft unmittelbar den ersuchenden Staat, nicht die Beteiligten. Ein Kostenvorschuss ist daher nicht einzufordern. _____ (2) Ist in dem Ersuchen ausnahmsweise die Bitte ausgesprochen, die Rechtshilfekosten von einer Pri_____vatperson einzuziehen, oder wird gleichzeitig die Miteinziehung von Kosten, die im ersuchenden Staat _____erwachsen sind, erbeten, so ist das Ersuchen der Landesjustizverwaltung zur Entscheidung vorzulegen. _____ _____ § 148 Verfahren bei der Einziehung _____ (1) Soweit gemäß § 146 erstattungspflichtige Kosten entstanden sind, ist eine Kostenrechnung ohne _____Angabe des Kostenschuldners zu fertigen und den Erledigungsstücken beizufügen. Ein Vordruck ist hier_____für nicht zu benutzen. In dem Begleitschreiben an die ersuchende Behörde (§ 7 Nummer 1 Buchstabe b, _____§ 88) ist die Bitte auszusprechen, die in der Kostenrechnung aufgeführten Kosten an die Gerichtskasse _____unter Angabe der auf der Rechnung vermerkten Geschäftsnummer alsbald zu erstatten. Für die Anforderung von kleinen Kostenbeträgen gelten die hierfür erlassenen allgemeinen Vorschriften. Ist danach von _____einem Erstattungsantrag abzusehen, braucht eine Kostenrechnung nicht beigefügt zu werden. _____ (2) Gehen die Kosten binnen Jahresfrist nicht bei der Gerichtskasse ein, so ist der Landesjustizverwal_____tung zu berichten. _____ (3) Eine Gebühr nach den Nummern 201 und 202 des Gebührenverzeichnisses zur Justizverwaltungs_____kostenordnung ist nur zu erheben, wenn im vertraglosen Rechtshilfeverkehr beiderseits die Erstattung von _____Kosten verlangt wird. Die Gebühr wird vom Gericht unter Berücksichtigung der Tätigkeit der Prüfungsstel_____le festgesetzt. _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ Rohe

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____ § 185 ____ Öffentliche Zustellung ____ § 185 Rohe Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ____ Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustel____lung) erfolgen, wenn ____1. der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Ver____ treter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist, ____2. bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsan____ schrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der ____ eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen ____ Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ____ ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist, ____3. eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht ____ oder ____4. die Zustellung nicht erfolgen kann, weil der Ort der Zustellung die Wohnung ____ einer Person ist, die nach den §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes der ____ Gerichtsbarkeit nicht unterliegt. ____ Übersicht ____ ____ 1 V. Öffentliche Zustellung bei nicht ____I. Einführung II. Statthaftigkeit der öffentlichen Zustelausführbarer oder keinen Erfolg ____ lung versprechender Auslandszustellung ____ 1. Der Adressatenkreis ____ 7 (Nr. 3) ____ 2. Die Verfahrensarten ____ 11 1. Anwendungsbereich ____ 25 ____ ____ 3. Sonstige Voraussetzungen 12 2. Unausführbare Auslandszustel____III. Öffentliche Zustellung bei unbekanntem lung ____ 27 ____ Aufenthaltsort des Adressaten (Nr. 1) 3. Nicht erfolgversprechende Auslands____ 1. Unbekannter Aufenthaltsort des Adreszustellung ____ 30 ____ saten 14 4. Ausführung der Zustellung ____ 35 ____ a) Der Nachforschungspflichtige und VI. Öffentliche Zustellung bei Zustellungs____ die Maßstäbe für die Erfüllung der hindernissen aus §§ 18 bis 20 GVG ____ Nachforschungspflicht ____ 14 (Nr. 4) ____ 37 ____ b) Nichterreichbarkeit des Adressaten VII. Missbräuchliche Veranlassung der öffent____ an der alten Adresse ____ 18 lichen Zustellung und ihre Folgen ____ c) Mangelnde Kenntnis des neuen Auf1. Voraussetzungen des Vorliegens von ____ enthalts ____ 19 Missbrauch ____ 38 ____ 2. Erreichbarkeit des Adressaten über an2. Folgen des Missbrauchs ____ 39 ____ dere Personen ____ 23 VIII. Unverschuldete Nichtbeteiligung am ____IV. Öffentliche Zustellung bei im Inland registVerfahren nach öffentlicher Zustelrierungspflichtigen juristischen Personen lung ____ 45 ____ ____ ohne erreichbare Anschrift (Nr. 2) 24 a IX. Kosten ____ 47 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ Die Regelung des § 185 und die damit zusammenhängenden Regelungen der §§ 186 1 ____bis 188 bestimmen Voraussetzungen und Folgen der öffentlichen Zustellung (Zustel____lung durch öffentliche Bekanntmachung). Diese besondere Art der Zustellung verhin____dert die faktische Rechtsverweigerung zu Lasten einer Partei, deren Gegner wegen un____bekannten Aufenthalts im Inland (Nr. 1), wegen missbräuchlicher Verhinderung einer ____ordnungsgemäßen Inlandszustellung durch bestimmte juristische Personen (Nr. 2), we____gen Auslandsaufenthaltes (Nr. 3) oder aus den besonderen in Nr. 4 genannten Gründen ____ 727

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____(Exemtionen) nicht erreichbar ist. Hier hilft der Gesetzgeber dem Betreibenden mit der ____Fiktionswirkung des § 188. ____ Die öffentliche Zustellung ist andererseits am wenigsten geeignet, das Recht des Zu2 ____stellungsadressaten auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (vgl. zu den kollidierenden ____Interessen bei der Zustellung Vor § 166 Rdn. 1 ff.). Sie kann nur als „ultima ratio“1 dienen, ____wenn alle anderen, tendenziell zuverlässigeren Wege nicht in zumutbarer Weise be____schritten werden können.2 Deshalb sind an die Voraussetzungen für die öffentliche Zu____stellung strenge Anforderungen zu stellen. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen ____werden, dass der Adressat nach Möglichkeit Kenntnis vom Inhalt des zuzustellenden ____Schriftstücks erhalten kann. Hierfür treffen die §§ 186 f. Regelungen. Die Wirkungen der ____öffentlichen Zustellung (Zustellungsfiktion) ordnet § 188 an. ____ Zusätzlich erhält der Zustellungsgegner Schutz über die Wiedereinsetzung nach 3 ____§ 233.3 Andererseits ist eine Heilung von Verstößen nach §§ 189, 295 möglich. Insgesamt ____sind die widerstreitenden Interessen zwischen demjenigen, in dessen Interesse die Zu____stellung betrieben wird, und dem Zustellungsadressaten durch diese Vorschriften so ____austariert, dass sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen (Art. 103 Abs. 1 GG) ____genügen.4 ____ Die Vorschriften der §§ 185 ff. sind auf die Verhältnisse einer funktionierenden 4 ____Rechtspflege zugeschnitten. In Kriegszeiten und Nachkriegswirren herrschen auch in____soweit besondere Verhältnisse. Die einschlägige Rechtsprechung kann daher nur sehr ____eingeschränkt herangezogen werden.5 Überdies pflegt der Gesetzgeber für solche Katast____rophenlagen besondere Regelungen zu treffen.6 ____ Die Fassung des § 185 entspricht inhaltlich weitgehend der vormaligen Regelung 5 ____des § 203 a.F.7 In Nr. 1 erfolgen gewisse Klarstellungen. Nr. 3 entspricht § 203 Abs. 2 a.F., ____Nr. 4 mit geringen sprachlichen Änderungen § 203 Abs. 3 a.F.8 Durch das MoMiG mit ____Wirkung vom 1.11.20089 neu eingefügt wurde die Regelung in Nr. 2. Sie reagiert vor allem ____auf Missbrauchs- und Abwicklungsfälle bei in- und ausländischen Gesellschaften, die ____wegen der Angabe unzutreffender Daten faktisch unerreichbar sind (vgl. Rdn. 24 a). ____ Möglich ist die Heilung von Verstößen gemäß §§ 189, 295.10 Andererseits kann bei 6 ____Verstößen gegen die Grundlagen der öffentlichen Zustellung die Anerkennung und ____Vollstreckung ausländischer Entscheidungen verweigert werden (vgl. Vor §§ 183, 184 ____Rdn. 110). ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53; OLG Köln NStZ-RR 2008, 379, 380 m.w.N. ____2 Vgl. zur Interessenkollision BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 153, 189, 194 ff. = NJW 2003, 1326, 1327 f.; ____BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447. ____3 Vgl. BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 25, 11 = NJW 1957, 1400, 1401; BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280, 2281; ____OLG Köln NJW-RR 1993, 446; OLG Köln FamRZ 1995, 677, 678; OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 716, 717; vgl. auch Zöller/Greger § 234 Rdn. 12 und Zöller/Stöber § 186 Rdn. 9; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 15. ____4 BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 153, 189, 196 = NJW 2003, 1326, 1328. ____5 Vgl. OLG Koblenz NJW 1953, 1797; OLG Nürnberg FamRZ 1960, 204, 205. ____6 Vgl. zu alledem die Nachweise zu § 203 a.F. in der Vorauflage. ____7 So die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. 8 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. ____9 Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen ____vom 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026, 2037. ____10 OLG Celle NJW-RR 1989, 572.

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____ II. Statthaftigkeit der öffentlichen Zustellung ____ ____ 1. Der Adressatenkreis. Die öffentliche Zustellung ist anders als nach vormaligem ____Recht an alle Personen statthaft, nicht nur an Prozessparteien.11 Allerdings stellt die ____Neuformulierung in Nr. 1 klar, dass die öffentliche Zustellung dann nicht in Betracht ____kommt, wenn der Aufenthaltsort des Adressaten unbekannt ist, er aber einen Vertreter ____(§ 171) – auch einen Prozessbevollmächtigten (§ 172)12 – oder einen Zustellungsbevoll____mächtigten (§ 184) hat, an den die Zustellung möglich ist.13 Zum Fall der Erreichbarkeit ____von Zustellungsempfängern vgl. unten Rdn. 23. ____ Anstelle der nicht prozessfähigen Person ist auf deren gesetzlichen Vertreter ____(§ 170) bzw. den nach § 1911 BGB bestellten Abwesenheitspfleger14 abzustellen; ist dessen ____Aufenthaltsort unbekannt, so kann die öffentliche Zustellung betrieben werden. Fehlt es ____dagegen an einem Vertreter, so ist keine öffentliche Zustellung an die Partei selbst mög____lich.15 ____ Beteiligte i.S.v. Abs. 1 sind auch Streithelfer (§ 66) und Streitverkündungsgegner ____(§ 72) sowie Gläubiger und Schuldner in der Zwangsvollstreckung,16 Drittschuldner im ____Zwangsvollstreckungsverfahren,17 Zeugen18 oder Sachverständige. ____ Die öffentliche Zustellung findet darüberhinaus auch an Beteiligte nicht statt, soweit ____sie aufgrund internationaler Abkommen (vgl. § 183 Rdn. 65; vgl. Art. 36 des Zusatzab____kommens zum NATO-Truppenstatut)19oder anderer Normen ausgeschlossen ist (vgl. zu ____Nr. 4 unten Rdn. 37). ____ ____ 2. Die Verfahrensarten. Grundsätzlich ist eine öffentliche Zustellung in allen Ver____fahrens- und Klagearten statthaft.20 In bestimmten Fällen ist die öffentliche Zustellung ____jedoch explizit ausgeschlossen. So liegt es beim Mahnverfahren (vgl. § 688 Abs. 2 Nr. 3)21 ____und bei Teilen des Vollstreckungsverfahrens (vgl. § 763 Abs. 2 Satz 3). Nach §§ 829 Abs. 2 ____Satz 2 und 835 Abs. 3 Satz 1 ist die sofortige Zustellung von Pfändungs- und Überwei____sungsbeschlüssen an den Schuldner entbehrlich, wenn eine öffentliche Zustellung er____forderlich wäre. Nach § 841 entfällt die Pflicht, dem Schuldner gerichtlich den Streit zu ____verkünden, wenn eine öffentliche Zustellung erforderlich wäre. Dasselbe gilt für die An____hörung des Gegners im Rahmen des § 844 (vgl. § 844 Abs. 2) und die Ladung des Schuld____ners zum Termin im Verteilungsverfahren (vgl. § 875 Abs. 2). ____ ____ 3. Sonstige Voraussetzungen. Sind die Voraussetzungen des § 185 festgestellt ____(dazu sogleich Rdn. 14 ff.), so ist die öffentliche Zustellung grds. ohne weitere Prüfung ____ ____ ____11 Zöller/Stöber Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Hornung Rpfl. 2002, 493, 501. 12 Zöller/Stöber Rdn. 2. ____13 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. ____14 Vgl. OLG Karlsruhe SeuffArch 53 Nr. 188. ____15 Zöller/Stöber Rdn. 2. ____16 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. ____17 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Hornung Rpfl. 2002, 493, 501. 18 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. ____19 Hierzu AG Landstuhl NJW-RR 1994, 332 f. ____20 BayObLG NJW-RR 2000, 1452, 1453 für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; LG Berlin NJW 1959, ____1374 für das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 19 BRAGO; gegen die Notwendigkeit der öffentlichen ____Zustellung bei diesem Verfahren LG Bielefeld NJW 1960, 1817. 21 Zur Zulässigkeit einer Abgabe an das Streitgericht analog § 696 Abs. 1, wenn sich die Notwendigkeit ____der öffentlichen Zustellung erst nach Einleitung des Mahnverfahrens ergibt, vgl. LG Flensburg Rpfl. 1989, ____377 m. Anm. Blechinger Rpfl. 1990, 81 f. m.w.N. zu den gegensätzlichen Ansichten; a.A. AG Haßfurt NJW____RR 2000, 1232 f. m.w.N.

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____und Abwägung zu bewilligen (vgl. § 186 Abs. 1) Es ist keine Bewilligung für den gesam____ten Rechtszug möglich, sondern immer nur für eine bestimmte, nach Lage des Verfah____rens notwendige Zustellung (vgl. hierzu § 186 Rdn. 10).22 ____ Sonstige Prozessvoraussetzungen sind im Grundsatz nicht zu prüfen. Dies gilt 13 ____etwa für das Fortleben des Adressaten.23 Liegen allerdings bestimmte Hinderungsgründe ____offensichtlich vor, so scheidet die öffentliche Zustellung ausnahmsweise aus (vgl. zu den ____Einzelheiten § 186 Rdn. 12 ff.). Hierzu zählen etwa die Fälle, in denen ein offensichtlich un____zuständiges Gericht mutwillig angerufen wird, um eine öffentliche Zustellung zu erschlei____chen.24 Grds. unmaßgeblich sind auch die (internationale) Zuständigkeit,25 Erfolgsaus____sichten des Betreibenden im Verfahren26 oder die praktische Bedeutung der erstrebten ____Entscheidung.27 Etwas anderes kann nur für Extremfälle evidenter Erfolglosigkeit gelten ____(vgl. § 186 Rdn. 14). ____ ____ III. Öffentliche Zustellung bei unbekanntem Aufenthaltsort des Adressaten ____ (Nr. 1) ____ ____ 1. Unbekannter Aufenthaltsort des Adressaten ____ ____ 14 a) Der Nachforschungspflichtige und die Maßstäbe für die Erfüllung der Nach____forschungspflicht. Die öffentliche Zustellung kommt nur in Betracht, wenn der Auf____enthaltsort des Adressaten (vgl. § 166 Rdn. 13, Vor § 170 Rdn. 2) aus gleich welchen ____Gründen unbekannt ist (hierzu sogleich im folgenden) und die Zustellung auch nicht ____wirksam an Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigte erfolgen kann (vgl. Rdn. 23 f.). Die ____Regelung in Nr. 1 erfasst alle Fälle unbekannten Aufenthalts einschließlich des Aus____landsaufenthalts. Nr.3 regelt hingegen Fälle bekannten Auslandsaufenthalts.28 ____ Bei der Zustellung im Amtsbetrieb hat grds. das Gericht die entsprechenden Er15 ____mittlungen zu führen.29 Jedoch besteht insoweit eine Obliegenheit der Partei zur Verfah____rensförderung. Auch bei der Zustellung von Amts wegen obliegt es der an der Zustellung ____interessierten Partei, bei der Nachforschung nach Möglichkeit mitzuwirken oder darzu____tun, dass keine weiteren Nachforschungsmöglichkeiten bestehen.30 Dies ergibt sich schon ____daraus, dass der Aufenthalt des Adressaten auch der Partei unbekannt sein muss.31 Bei ____der Zustellung im Parteibetrieb (§§ 191–195) kommt es grds. alleine darauf an, was die ____betreibende Partei in zumutbarer Weise an Informationen erlangen kann. ____ ____ ____ ____ ____ ____22 RGZ 63, 82, 83; RGZ 64, 44, 47; OLG Bamberg FamRZ 1995, 1280, 1281. ____23 KG FamRZ 1975, 693 m.w.N. zu den Ausnahmefällen. ____24 OLG Köln IPRax 1987, 233 f. ____25 OLG Köln RJW 2003, 301, 302. ____26 Vgl. nur OLG Köln IPRax 1987, 233. 27 Insoweit unrichtig OLG Hamburg NJWE-WettbR 1997, 284, 285 zu § 203 Abs. 2 a.F. ____28 Vgl. OLG Köln FamRZ 1985, 1278, 1279. ____29 Vgl. BGHZ 149, 311, 315 = NJW 2002, 827,828; BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447; OLG Zweibrücken FamRZ ____1983, 630; KG KGR 1995, 273 f.; OLG Bamberg OLGR 2000, 165 = FuR 2000, 296; wohl auch OLG Köln NJW____RR 1989, 60; einschränkend OLG Hamm OLGZ 1994, 451, 453 f. 30 Vgl. BGHZ 149, 311, 315 = NJW 2002, 827, 828; BGH FamRZ 2012, 1376; OLG Stuttgart FamRZ 1991, 342, ____343; deutlich OLG Hamm OLGZ 1994, 451, 452; KG KGR 1995, 273 f.; OLG Frankfurt a.M. MDR 1999, 1402; ____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6. ____31 KG KGR 1995, 273 f.

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____ Subjektive Unkenntnis ohne zumutbare Nachforschungen reicht nicht aus.32 Viel____mehr muss der Aufenthalt allgemein unbekannt sein33 in dem Sinne, dass keine in zu____mutbarer Weise erreichbare Informationsquelle vorhanden ist. Unbekannt in solchem ____Sinne ist der Aufenthalt auch dann, wenn derjenige, der den Aufenthalt (als einzige er____reichbare Informationsquelle) kennt, sie nicht nennt.34 Nach erfolglosem Abschluss der ____gebotenen Nachforschungen ist andererseits die wahre Tatsachenlage nicht entschei____dend. Erteilt z.B. das Einwohnermeldeamt eine Falschauskunft, so kann die öffentliche ____Zustellung auf ihrer Grundlage wirksam erfolgen.35 Auch müssen keine erkennbar sinn____losen Nachforschungen angestellt werden.36 Zu den Wirkungen rechtsmissbräuchlicher ____Herbeiführung der öffentlichen Zustellung vgl. Rdn. 38 ff.; zu den Konsequenzen einer ____nicht zurechenbaren Nichterreichbarkeit des Adressaten Rdn. 45 f. ____ Wird noch innerhalb des Laufs der durch die Zustellung in Gang gesetzten Fristen ____bekannt, dass die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung weggefallen sind (z.B. ____durch nach Zustellung erlangte Kenntnis des Aufenthalts des Adressaten), so erfordert ____das Recht auf rechtliches Gehör eine Wiederholung der Zustellung an den nunmehr ____erreichbaren Adressaten. Die – zu Recht erfolgte – öffentliche Zustellung behält jedoch ____ihre Wirkungen (vgl. noch Rdn. 44 a). Deshalb setzt die erneute Zustellung die laufen____den Fristen nicht neu in Gang. Sind die jeweils relevanten Fristen verstrichen, so bleibt ____die spätere Erreichbarkeit des Adressaten für bereits erfolgte Zustellungen unbeachtlich. ____ ____ b) Nichterreichbarkeit des Adressaten an der alten Adresse. Der Begriff des ____Aufenthalts ist in spezifisch zustellungsrechtlichem Sinne auszulegen. Auf den tat____sächlichen Aufenthalt kann es nicht ankommen, solange am letzten bekannten Aufent____haltsort noch rechtswirksam zugestellt werden kann. In solchen Fällen scheidet die öf____fentliche Zustellung aus (vgl. hierzu §§ 177–182). Deshalb wird regelmäßig zumindest ein ____gescheiterter Zustellversuch nach §§ 178–182 nachzuweisen sein, bevor von einem unbe____kannten Aufenthalt auszugehen ist. Die bloße Angabe eines Postfachs ist dagegen un____maßgeblich, wenn sie nicht mit der Benennung eines Zustellungsvertreters verbunden ____ist. In den anderen Fällen lassen sich Zustellungen über das Postfach nicht ausführen, so ____dass der Aufenthalt des Inhabers trotz einer gewissen Kontaktmöglichkeit unbekannt ____i.S.v. Nr. 1 ist.37 ____ ____ c) Mangelnde Kenntnis des neuen Aufenthalts. Bevor die öffentliche Zustellung ____bewilligt wird, sind zusätzlich zu den eben genannten Voraussetzungen (vergeblicher ____Zustellversuch an der alten bekannten Adresse) erforderliche Ermittlungen des Aufent____halts in angemessenem Umfang anzustellen. Allgemeine Maßstäbe lassen sich hierfür ____nicht aufstellen.38 Zu beachten ist einerseits das Recht des Adressaten auf rechtliches ____Gehör (vgl. Rdn. 2 f.), andererseits aber auch der Umstand, dass der Adressat es in der ____Hand hat, durch sein Verhalten („Untertauchen“) die berechtigten Justizgewährungsin____ ____ ____32 AG Landstuhl NJW-RR 1994, 332 f. ____33 RGZ 59, 259, 263; BGHZ 149, 311, 314 = NJW 2002, 827, 828; BGH FamRZ 2012, 1376; OLG Koblenz NJW 1953, 1797; OLG Hamburg NJW 1970, 104, 105; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 630; OLG Celle NJW-RR 1989, ____572; OLG Stuttgart FamRZ 1991, 342, 343; OLG Hamm OLGZ 1994, 451, 452; OLG Frankfurt a.M. MDR 1999, ____1402; OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 1149; OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 716, 717; OLG Frankfurt a.M. ____NJW 2009, 2543, 2544. ____34 BGHZ 64, 5 = NJW 1975, 827; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1999, 1474, 1477. 35 OLG Köln FamRZ 1995, 677, 678. ____36 Angedeutet in OLG Stuttgart FamRZ 1991, 342, 343. ____37 OLG Hamburg NJW 1970, 104, 105. ____38 BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2.

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____teressen des Verfahrensgegners zu vereiteln.39 Der BGH40 will zwischen den Anforderun____gen im Erkenntnisverfahren einerseits und im Vollstreckungsverfahren andererseits ____unterscheiden. Im Vollstreckungsverfahren könnten weniger strenge Maßstäbe an die ____Nachforschungspflicht angelegt werden, weil hier nicht in gleicher Weise das Recht auf ____rechtliches Gehör betroffen werde. Deshalb genüge in diesem Fall (etwa bei Erlass eines ____Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses) grds. die Vorlage aktueller Auskünfte des ____Einwohnermelde- und Postamts am letzten bekannten Wohnort des Adressaten. ____ In jedem Falle sind zumindest Erkundigungen beim für die letzte bekannte Adresse 20 ____zuständigen Einwohnermeldeamt und bei der dortigen Poststelle erforderlich.41 Häu____fig wird sich die zumindest zweimalige Nachfrage in kürzerem Zeitabstand empfehlen, ____um ggf. laufende Ummeldungen noch berücksichtigen zu können.42 Zusätzliche Ermitt____lungen an der letzten bekannten Arbeitsstelle43 des Adressaten werden häufig erforder____lich sein, soweit sie ohne größeren Aufwand betrieben werden können und nicht von ____vornherein erfolglos erscheinen müssen. Auch Nachfragen im bekannten Familienkreis44 ____oder am letzten Wohnort (z.B. beim ehemaligen Vermieter oder bei Nachbarn)45 kom____men in Betracht, sofern diese ohne großen Aufwand zu erreichen sind.46 Am Wohn- oder ____Geschäftssitz der Partei wird dies regelmäßig ohne größeren Aufwand und damit zumut____bar zu bewerkstelligen sein, bei denkbaren überörtlichen Recherchen häufig nicht. In ____Einzelfällen können auch Dateien weiterführen; so kann eine CD-ROM der Deutschen ____Telekom mit deutschlandweitem Telefonbuch zum Auffinden von Adressaten mit sehr ____seltenem Namen geeignet sein.47 Bei Gewerbetreibenden oder Freiberuflern sind zusätz____lich Nachfragen bei registerführenden Stellen48 oder Standesvereinigungen in Be____tracht zu ziehen.49 Gerichte, nicht aber Parteien, werden in der Regel Zugang zu weiteren ____Informationsquellen wie Haftanstalten, Polizeidienststellen oder Sozialversicherungs____trägern haben.50 In Betracht zu ziehen sind ferner kontenführende Geldinstitute, sofern ____sie zur Herausgabe von Daten bereits sind.51 Zudem werden in der Regel Nachfragen ____beim Adressaten selbst erforderlich, wenn dessen Mobilfunknummer oder E-Mail____Adresse bekannt sind.52 Nachforschungen im Ausland müssen nicht regelmäßig und mit ____einheitlicher Intensität betrieben werden.53 Hierbei wird zwischen einzelnen Staaten zu ____differenzieren sein: In Mitgliedstaaten der EU dürfte häufig von einer erleichterten und ____ ____ 1149; vgl. auch OLG Schleswig NJW-RR 2002, 714, 715; ____39 So zu recht OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 4 ____OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 716, 718; Geimer IZPR Rdn. 2104. 40 BGH WM 2003, 653, 654 f. = NJW 2003, 1530; BGH FamRZ 2012, 1376; krit. Zöller/Stöber Rdn. 2. ____41 BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 630 mit weitergehenden ____Voraussetzungen; KG KGR 1995, 273 f.; OLG Frankfurt a.M. MDR 1999, 1402; LG Berlin NJW-RR 1991, 1152; ____AG Landstuhl NJW-RR 1994, 333; vgl. auch BGH WM 2003, 653, 654 = NJW 2003, 1530; OLG Hamm MDR ____1997, 1155 = NJW-RR 1998, 497. 42 Diesen Hinweis verdanke ich den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle des 4. ZS am OLG Nürnberg ____Frau Sereki und Frau Uhrmann. ____43 KG KGR 1995, 273 f. ____44 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1960, 204; KG KGR 1995, 273 f.; OLG Stuttgart NJWE-FER 1999, 218; OLG ____Schleswig NJW-RR 2002, 714, 715. ____45 KG KGR 1995, 273 f.; OLG Frankfurt a.M. MDR 1999, 1402 m.w.N.; a.A. für den Regelfall OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 1149. ____46 So letztlich wohl auch OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 1149. ____47 OLG Potsdam OLG-NL 2004, 110, 112. ____48 KG KGR 1995, 273 f.; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. MDR 1999, 1402. ____49 Vgl. LG Berlin NJW-RR 1991, 1152. 50 Vgl. KG KGR 1995, 273 f. ____51 Vgl. OLG Braunschweig NJW-RR 2008, 1523. ____52 OLG Frankfurt a.M. NJW 2009, 2543, 2544. ____53 Vgl. BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447; OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148, 1149.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____damit näherliegenden Recherche auszugehen sein als in anderen Staaten. Aber auch ____hier können abweichende Erfahrungen geltend gemacht werden.54 Soweit andere Staa____ten spezielle Hilfestellungen anbieten, müssen diese in zumutbarer Weise genutzt wer____den.55 Auch ist nach dem Inhalt des betroffenen Verfahrens zu unterscheiden. So besteht ____bei Statussachen mit ihren weitreichenden Wirkungen generell eine vergleichweise stär____kere Nachforschungspflicht.56 ____ Auf das Alter der vorgelegten Informationen kommt es m.E. nur dann an, wenn ____konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass aktuelle Recherchen erfolgreich sein könnten. ____In der Regel wird dies nicht der Fall sein.57 Ist ein Adressat einmal unbekannt verzogen, ____so stehen meist keine Ansatzpunkte für erfolgversprechende wiederholte Recherchen zur ____Verfügung. ____ Ist der Aufenthaltsort der Partei nach diesen Maßstäben unbekannt, so kommt es für ____die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung darauf an, ob auch keine anderen Adressa____ten oder Zustellungsempfänger erreichbar sind (hierzu sogleich im Folgenden). ____ ____ 2. Erreichbarkeit des Adressaten über andere Personen. § 185 ist nicht anwend____bar, wenn zwar der Aufenthalt des materiellen Adressaten (vgl. § 166 Rdn. 11) unbekannt ____ist, aber ein formeller Adressat (vgl. § 166 Rdn. 11; Vor § 170 Rdn. 2) bekannten Aufent____halts zur Verfügung steht. Dieser schon zur Vorgängerregelung des § 203 a.F. entwickelte ____Gedanke findet sich nun auch explizit in der Regelung der Nr. 1 (vgl. oben Rdn. 14). So ist ____i.d.R. der Vorwand einer Zustellung an die Privatadresse des Geschäftsführers (einer ____GmbH)58 erforderlich, bevor die öffentliche Zustellung an den materiellen Adressaten ____(z.B. die GmbH) erfolgen darf. Dasselbe gilt für den Fall erreichbarer Zustellungsemp____fänger (vgl. zur Begrifflichkeit § 166 Rdn. 11). Auch im Hinblick auf sie geht das Gesetz ____davon aus, dass sie das zu übergebende Schriftstück typischerweise zuverlässig an den ____materiellen Adressaten weiterleiten.59 Damit korrespondiert die grds. Notwendigkeit, vor ____Einleitung der öffentlichen Zustellung zumindest einen Versuch der Ersatzzustellung zu ____unternehmen (vgl. Rdn. 18). Nicht hiervon erfasst ist der Fall, in dem ein Nicht-Adressat ____zwar den Aufenthalt kennt, ihn aber trotz ernsthafter Nachfragebemühungen nicht ____preisgibt. In diesem Fall bleibt der Aufenthalt des Adressaten unbekannt.60 ____ Sind weder andere Adressaten noch Zustellungsempfänger erreichbar, so bestehen ____keine Hinderungsgründe für die öffentliche Zustellung. ____ ____ IV. Öffentliche Zustellung bei im Inland registrierungspflichtigen juristischen ____ Personen, wenn eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift ____ noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für ____ Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen ____ bekannten anderen inländischen Person möglich ist (Nr. 2) ____ ____ Die im Jahre 2008 (vgl. Rdn. 5) eingeführte Regelung in Nr. 2 erleichtert die öffentli____che Zustellung an handelsregisterpflichtige Inlands- und Auslandsgesellschaften ____ ____ 54 Vgl. OLG Braunschweig NJW-RR 2008, 1523 (erfahrungsgemäße Erfolglosigkeit von ____Rechtshilfeersuchen in Spanien für zwei bis drei Jahre). ____55 Vgl. für US-Suchdienste AG Landstuhl NJW-RR 1994, 333. ____56 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 630; OLG Köln FamRZ 1985, 1278, 1279; AG Landstuhl FamRZ ____1993, 212, 213; AG Landstuhl NJW-RR 1994, 333. 57 A.A. ohne Begründung BGHZ 149, 311, 315 = NJW 2002, 827, 828. ____58 OLG Stuttgart RPfl. 2005, 268, 269 m.w.N. ____59 Vgl. BayObLG Rpfl. 1978, 446, 447. ____60 OLG Braunschweig NJW-RR 2008, 1523 m.w.N.

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____mit inländischen, hier handelsregisterpflichtigen Niederlassungen, bei denen die an____gegebenen Adressen von Gesellschaft und möglichen Zustellungsempfängern unzutref____fend sind, wenn zusätzlich auch keine ohne weiteres bekannte inländische Anschrift für ____Zustellungen zur Verfügung steht (der Gesetzgeber61 spricht plakativ von „Missbrauchs____und Bestattungsfällen“). Eine Korrespondenzregelung findet sich in § 15 a HGB. In sol____chen Fällen bestand – gerade bei juristischen Personen – die Möglichkeit, durch „Abtau____chen“ vor allem ins Ausland Zeitgewinne zu erzielen, um die Vermögensverhältnisse der ____Gesellschaft zu verschleiern und Vermögen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse ab____zuziehen.62 Die Regelung korrespondiert mit der Handelsregisterpflichtigkeit der Gesell____schaft, an welche zugestellt werden soll. Insofern besteht eine zustellungsrechtliche Ob____liegenheit, die Erreichbarkeit durch zutreffende Angaben der Adresse der Gesellschaft ____oder einer anderen für Zustellungen empfangsberechtigten Person sicherzustellen.63Von ____der Vorschrift erfasst sind nur solche juristischen Personen, die zur Anmeldung einer ____inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind (GmbH, AG ____und vergleichbare Inlandsgesellschaften mit inländischer Zweigniederlassung, SE).64 ____Angesichts des klaren Wortlauts und der Gesetzesbegründung sind Personengesellschaf____ten nicht erfasst.65 Auch in anderen Registern eintragungspflichtige juristische Personen ____bleiben ausgeschlossen.66 Die Vorschrift setzt voraus, dass eine Inlandszustellung nicht ____anderweitig gemäß §§ 170 ff. bzw. als Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 180 möglich ist. ____Typischerweise ist in den hier geregelten Fällen das vormalige Geschäftslokal der Adres____satin geschlossen und sie postalisch nicht erreichbar. Es fehlt also objektiv am Vorliegen ____eines Geschäftslokals wie auch einem dahingehenden zurechenbaren Rechtsschein, ____welcher dort eine Ersatzzustellung ermöglichen würde.67 Insbesondere für diesen Fall, ____aber auch allgemein steht es der Gesellschaft ferner offen, eine weitere empfangsberech____tigte Person eintragen zu lassen, um z.B. im Falle des Umzugs weiter regulär erreichbar ____zu sein.68 Sind solche Personen eingetragen, so kann die Zustellung parallel an den Ver____treter der Gesellschaft (§ 170) oder an sie betrieben werden; es besteht keine Hierarchie ____zwischen den beiden Zustellungswegen.69 Wenn nach alledem die im Handelregister ____eingetragene Anschrift in solchem Sinne in ihren für die Zustellung bedeutsamen Ele____menten nicht (mehr) zutrifft und auch an allfällig eingetragene weitere Empfangsper____sonen (vgl. §§ 10 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, 13 e Abs. 2 Satz 4 HGB, 39 Abs. 1 Satz 2 AktG) nicht ____unter der registrierten Adresse zugestellt werden konnte, liegt eine Obliegenheitsverlet____zung vor, welche den Weg zur öffentlichen Zustellung öffnet. Indes soll diese Zustel____lungsform wegen des typischerweise gefährdeten Rechts auf rechtliches Gehör nur als ____ultima ratio eingreifen.70 Deshalb verlangt die Norm auch noch, dass dem Ausführenden ____keine andere inländische Anschrift bekannt ist, an welcher die Zustellung betrieben ____werden könnte. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 6.7.200771 europa- und ____verfassungsrechtlich begründete Bedenken gegen die Beschränkung dieses Tatbestands____merkmals auf Inlandsanschriften erhoben und angeregt, den räumlichen Anwendungsbe____ ____ ____61 Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53.1 unter B, 53. ____62 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 54. 63 KG JurBüro 2010, 546; Zöller/Stöber Rdn. 3. ____64 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. ____65 Vgl. auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 17; Prütting/Gehrlein/Kessen Rdn. 4. ____66 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 17. ____67 Vgl. BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. 68 Vgl. BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. ____69 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 54. ____70 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. ____71 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 70.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____reich der EU-Schriftstücke-ZustellungsVO (vgl. § 183 Rdn. 61 a) dem Inland gleichzustellen. ____Die gegenüber der inländischen Zustellung zu erwartende Zeitverzögerung bei derarti____gen Zustellungen falle im Hinblick auf die langwierige Prozedur bei der öffentlichen Zu____stellung nicht hinreichend ins Gewicht, um eine unterschiedliche Behandlung zu recht____fertigen. Diese Annahme wird allerdings nicht begründet und entspricht nicht durchweg ____den Erfahrungen deutscher Kläger, die Zustellungen z.B. in manchen südlich der Alpen ____gelegenen Mitgliedstaaten betreiben.72 Insofern erscheint die vorgenommene Differen____zierung bis auf weiteres sachgerecht. Die inländische Anschrift muss zudem dem Aus____führenden in den für eine wirksame Zustellung erforderlichen Elementen73 bekannt ____sein. Eigene (zu den relevanten Personen vgl. Rdn. 15) Ermittlungen müssen demnach ____nicht angestellt werden, selbst wenn sie im Einzelfall unaufwendig wären.74 Unbeacht____lich ist auch die Kenntnis nur einer ausländischen Anschrift. Dies korrespondiert wie____derum mit der Verletzung der Obliegenheiten der Gesellschaft.75 In Abwägung des Rechts ____auf rechtliches Gehör einerseits und dem Recht auf effizienten Rechtsschutz andererseits ____darf die Verletzung solcher Obliegenheiten konsequenter Weise nicht zu Lasten des da____für nicht verantwortlichen Zustellenden wirken. Die durch Nr. 2 erleichterte Form der ____Inlandszustellung wird demnach nicht durch eine grds. mögliche Auslandszustellung ____verdrängt; die Regelungen in Nrn. 2 und 3 sind insoweit als voneinander unabhängig ____anzusehen.76 Jedoch ist eine auch informelle Mitteilung über die öffentliche Zustellung ____ins Ausland in solchen Fällen anzuraten.77 ____ Nur wenn die Voraussetzungen der Nr. 2 kumulativ vorliegen (keine zustellungsfähi____ge Adresse im Handelregister, keine bekannte inländische Adresse), ist die öffentliche ____Zustellung zulässig. ____ ____ V. Öffentliche Zustellung bei nicht ausführbarer oder keinen Erfolg ____ versprechender Auslandszustellung (Nr. 3) ____ ____ 1. Anwendungsbereich. Nr. 3 setzt voraus, dass der ausländische Aufenthaltsort ____des Adressaten bekannt ist;78 andernfalls kommt Nr. 1 zur Anwendung (vgl. Rdn. 14). ____ Die öffentliche Zustellung nach Nr. 3 kommt in Betracht, wenn eine notwendige ____Auslandszustellung (vgl. § 183) nicht ordnungsgemäß ausführbar ist (generelle Sicht) ____oder wenn die Ausführung keinen Erfolg verspricht (konkretere Sicht). Maßgeblich ist ____hierbei die Feststellung der befassten Justizverwaltung (vgl. § 9 ZRHO; hierzu § 183 ____Rdn. 23).79 ____ ____ 2. Unausführbare Auslandszustellung. Die Auslandszustellung ist in aller Regel ____dann ausführbar, wenn mit dem ausländischen Staat ein Rechtshilfeverkehr einge____richtet ist (vgl. die Staatenübersicht in der ZRHO) und dieser generell funktionstüchtig ____ist. Dies gilt insbesondere für Zustellungen auf der Grundlage der EU-Schriftstücke____ZustellungsVO (vgl. § 183 Abs. 3).80 Letzteres kann zu verneinen sein, wenn etwa wegen ____ ____ ____ 72 Vgl. auch die entsprechenden Hinweise in BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 54. ____73 Prütting/Gehrlein/Kessen Rdn. 4. ____74 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53, vgl. auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 16. ____75 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. ____76 BT(-Drucks.) 16/6140 vom 25.7.2007, S. 53. 77 Bedenken gegen die Regelung z.B. bei MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 16. ____78 Vgl. OLG Köln FamRZ 1985, 1278, 1279. ____79 OLG Frankfurt a.M. RIW 1988, 133, 134; OLG Köln IPRax 1987, 233, 234; Geimer IZPR Rdn. 2105 a. ____80 Vgl. auch Heiderhoff IPRax 2010, 343.

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____Bürgerkrieges ein Stillstand der Rechtspflege eingetreten ist. Auch die faktische Uner____reichbarkeit wegen fehlenden Postverkehrs macht die Zustellung unausführbar.81 ____ Die Zustellung ist unausführbar, wenn der ausländische Staat die Zustellung 28 ____trotz Einhaltung der vorgesehenen Formalien (zu schikanösen Formalien vgl. Rdn. 34) ____ablehnt. Eine Ablehnung ist auch darin zu sehen, dass die Ausführung eines Rechtshil____feersuchens nicht in für den Betreibenden zumutbarer Zeit zu erwarten ist (zu den weite____ren Maßstäben bei der zweiten Alternative vgl. Rdn. 33).82 Allerdings muss eine ange____messene Bearbeitungsfrist angelegt werden, wobei auch landesübliche Schwerfälligkeit ____bei der Bearbeitung in gewissem Umfang hinzunehmen ist. Die Rechtsprechung hat eine ____Frist von 4 Monaten noch nicht als Grundlage für Unausführbarkeit anerkannt,83 wäh____rend 6 Monate hierfür nach Ansicht mancher genügen sollen.84 Systematisch passender ____erscheint es, diese Frage nicht am Tatbestandsmerkmal der Unausführbarkeit, sondern ____an dem mangelnder Erfolgsaussicht festzumachen (hierzu sogleich Rdn. 30, 33). ____ Dieselben Grundsätze gelten auch, wenn die Auslandszustellung an verweigerter,85 29 ____an inkompetenter und/oder unzumutbar verzögerter Bearbeitung durch inländische ____Stellen scheitert.86 Die Verwirklichung des Justizgewährungsanspruchs ist in diesen ____Fällen nicht weniger dringlich. Zur Wahrung des Rechts des Adressaten auf rechtliches ____Gehör vgl. Rdn. 2 f. ____ ____ 3. Nicht erfolgversprechende Auslandszustellung. Die öffentliche Zustellung 30 ____kann auch dann betrieben werden, wenn die ansonsten erforderliche Auslandszustel____lung zwar generell ausführbar, aber im Einzelfall nicht erfolgversprechend ist. Diese ____Voraussetzung liegt bereits dann vor, wenn die grds. mögliche Durchführung der Zustel____lung einen derart langen Zeitraum beanspruchen würde, dass der betreibenden Partei ____ein Zuwarten billigerweise nicht zugemutet werden kann (Recht auf effektive Justizge____währung), wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.87 Hierbei sind drei Sach____verhaltslagen zu unterscheiden. ____ 31 Die Hinderungsgründe können zum einen in der Person des Beteiligten, in dessen ____Interesse die Zustellung betrieben wird, bzw. in politischen, ihn betreffenden Umstän____den liegen (z.B. Klagen politischer Flüchtlinge).88 ____ 32 Ebenso können Hinderungsgründe vorliegen, wenn der ausländische Staat im kon____kreten Fall die Zustellung verweigern wird, weil er das betreffende Verfahren nicht als ____Zivilverfahren qualifiziert bzw. Immunität des Adressaten annimmt89 oder im Betrei____ben des Verfahrens einen Verstoß gegen seinen ordre public sieht.90 Gibt es hierfür ____ ____ ____ ____81 Zöller/Stöber Rdn. 5. 82 OLG Oldenburg MDR 1947, 259; OLG Hamburg MDR 170, 426; OLG Hamburg NJWE-WettbR 1997, 284 ____(zur mangelnden Erfolgsaussicht der Zustellung); a.A. die Voraufl. Anm. B II b zur zweiten Alternative des ____Abs. 2 des § 203 a.F. ____83 OLG Hamm NJW 1989, 2203 m. zust. Anm. Geimer a.a.O., 2204 f. ____84 OLG Köln NJW-RR 1998, 1683, 1684; AG Bonn NJW 1991, 1430, 1431; Geimer NJW 1989, 2204 f.; ____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; a.A. Fischer ZZP 107 (1994), 163, 171 und im Anschluss Hannich/ Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4; Musielak/Wolst Rdn. 6 (1 Jahr). ____85 Vgl. Mansel IPRax 1987, 210, 212 m.w.N. ____86 Vgl. den Sachverhalt in AG Bonn NJW 1991, 1430, 1431. ____87 BGH FamRZ 2009, 684 m.w.N. = IPRax 2010, 247 m. Anm. Heiderhoff a.a.O., 343 ff. ____88 Zöller/Stöber Rdn. 5. 89 Vgl. OLG Köln IPRax 1987, 233 (sehr restriktive Annahmen bezüglich der fehlenden Bereitschaft zur ____Weiterleitung) m. krit. Anm. Mansel a.a.O., 210, 215; zust. Heß RIW 1989, 254, 259. ____90 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1960, 204, 205 (Nichtweiterleitung bei Verfahren, in denen nur eigene ____Staatsangehörige beteiligt sind).

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3. Abschnitt. Verfahren

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____generalisierbare Regeln im ausländischen Staat, so kann auch Unausführbarkeit im Sin____ne der ersten Alternative der Nr. 3 vorliegen. ____ Schließlich können Besonderheiten des Verfahrens, in dessen Zuge die Zustellung ____betrieben wird, Hinderungsgründe aufwerfen. Bei besonderer Eilbedürftigkeit wie etwa ____im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes91 oder im Wechsel- und Scheckprozess92 ____ist die Auslandszustellung auch beim Verstreichen vergleichsweise kürzerer Bearbei____tungsfristen (vgl. zu den Fristen, welche bereits zur „Unausführbarkeit“ führen, Rdn. 28) ____als nicht erfolgversprechend anzusehen. Eine generelle Zeitobergrenze (z.B. sechs Mona____te) lässt sich nicht festlegen; auch ein Zeitraum von sechs bis neun Monaten oder auch ____bis zu einem Jahr kann noch internationalen Gepflogenheiten entsprechen.93 ____ Nicht ausreichend als Hinderungsgrund ist das Verlangen des ausländischen Staa____tes, die vorgesehenen Formalien der Zustellung einzuhalten. Eine Ausnahme kann ____dann vorliegen, wenn schikanöse, unter keinem Gesichtspunkt mit Sachgründen zu ____rechtfertigende Formalien aufgestellt werden, sofern dies nicht sogar zur Unausführbar____keit der Zustellung nach der ersten Alternative der Nr. 3 führt. ____ ____ 4. Ausführung der Zustellung. Die öffentliche Zustellung unterliegt auch in den ____Fällen der Nr. 2 den Regeln der §§ 186–188. Jedoch ist in diesen Fällen das Recht des Ad____ressaten auf rechtliches Gehör in besonderer Weise eingeschränkt, da die Bekanntma____chungsvorschriften der §§ 186 f. auf den inländischen Verkehr zugeschnitten sind. ____Deshalb ist für den Regelfall zu fordern, dass dem Adressaten formlos, aber in mög____lichst sicherer Weise, die Möglichkeit gegeben wird, vom Inhalt des zuzustellenden ____Schriftstücks Kenntnis zu erhalten.94 Dies ist nicht im Zusammenhang mit der Frage zu ____sehen, ob auf solche Weise eine Heilung der unwirksamen Auslandszustellung eintreten ____kann (vgl. § 189 Rdn. 7 ff.), sondern nur im Hinblick auf die Anforderungen der öffentli____chen Zustellung selbst. Das bewilligende Gericht (vgl. § 186 Abs. 1) muss deshalb im Re____gelfall die Partei auffordern, eine entsprechende Benachrichtigung vorzunehmen.95 Dies ____gilt grds. auch für Zustellungen im Amtsbetrieb, weil nur so völkerrechtliche Implikatio____nen (Probleme der Souveränitätsverletzung; dazu § 183 Rdn. 19) sicher ausgeschlossen ____werden können.96 Allerdings wird man nicht fordern können, dass ein entsprechender ____Nachweis zu erbringen ist, bevor die öffentliche Zustellung erfolgen kann. Andernfalls ____gäbe man dem Adressaten die Möglichkeit in die Hand, durch Zugangsvereitelung die ____Einleitung auch der öffentlichen Zustellung zu verhindern. ____ Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme wird im Allgemeinen mit Zusendung eines ein____geschriebenen Briefes gegeben sein, wobei ein Rückschein nur die Beweisinteressen des ____Betreibenden sichert, also nicht zu fordern ist,97 wenngleich er meist hilfreich sein dürf____ ____ 91 OLG Hamm MDR 1988, 589. ____92 OLG Hamburg MDR 1970, 426 (Wechselprozess). ____93 BGH FamRZ 2009, 684, 685 = IPRax 2010, 247, 249 m.w.N. auch zur a.A. ____94 OLG Oldenburg MDR 1947, 259 m. teilw. krit. Anm. Delbrück a.a.O., 261; OLG Köln FamRZ 1985, 1278, ____1279; OLG Köln NJW-RR 1998, 1683, 1684; AG Bonn NJW 1991, 1430, 1431; vgl. auch OLG Nürnberg FamRZ ____1960, 204, 205 f.; KG NJW 1983, 2950; wie hier Geimer NJW 1991, 1431, 1432 und Geimer IZPR Rdn. 252; Schack IZVR Rdn. 596; Stein/Jonas/Roth Rdn. 1, 18; Zöller/Stöber Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein ____Rdn. 9. ____95 Noch weitergehend für einen Sonderfall länger andauernder Geschäftsbeziehungen OLG Hamburg ____NJWE-WettbR 1997, 284, 285 mit der Forderung, solche Informationsversuche müssten schon mit der ____Antragsbegründung nach § 204 dargelegt werden; vergleichbar schon OLG Oldenburg MDR 1947, 259 m. krit. Anm. Delbrück a.a.O., 261. ____96 A.A. OLG Köln FamRZ 1985, 1278, 1279 für Zusendung in „neutraler Aufmachung“. ____97 So nun i.E. auch Stein/Jonas/Roth Rdn. 11; a.A. ohne Begründung OLG Köln FamRZ 1985, 1278, 1279; ____AG Bonn NJW 1991, 1430, 1431.

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____te. Als gleichwertig ist die Übermittlung über E-Mail oder andere EDV-gestützte Kommu____nikationsformen anzusehen. Zwar kann hierbei die Authentizität des Schriftstücks nicht ____in derselben Weise überprüft werden. Jedoch dürfte der Informationszugang jedenfalls ____schneller, häufig auch verlässlicher sein als derjenige im Postwege. Zustellungsrechtli____che Bedenken ergeben sich hierbei nicht, weil die maßgebliche öffentliche Bekanntma____chung ohnehin in den gesetzlich vorgesehenen Formen erfolgt. ____ ____ VI. Öffentliche Zustellung bei Zustellungshindernissen aus §§ 18 bis 20 GVG ____ (Nr. 4) ____ ____ Nach Nr. 4 kommt die öffentliche Zustellung in Betracht, wenn in der Wohnung ei37 ____nes Gerichtsfreien (vgl. §§ 18–20 GVG) nicht zugestellt werden kann. Mögliche Adressa____ten sind solche Gerichtsfreie, an die eine Zustellung gemäß §§ 183 oder 185 Nr. 3 nicht ____betrieben werden kann, sowie inländische Angestellte oder Hausgenossen eines Gerichts____freien, wenn dieser seine Erlaubnis zur Zustellung verweigert oder das entsprechende ____Ersuchen der deutschen Behörde abgelehnt wird. Voraussetzung ist, dass völkerrechtli____che Vereinbarungen nicht entgegenstehen. Die in § 183 Rdn. 33 ff. genannten Abkommen ____sehen jedoch andere Verfahren vor. Damit ist Nr. 4 praktisch ohne Bedeutung. ____ ____ VII. Missbräuchliche Veranlassung der öffentlichen Zustellung und ____ ihre Folgen ____ ____ 1. Voraussetzungen des Vorliegens von Missbrauch. Die öffentliche Zustellung 38 ____eröffnet Interessierten eine Möglichkeit, missbräuchlich einen Titel zu erstreiten. Dies ____trifft insbesondere in Fällen zu, in denen die betreibende Partei die Erfolgsaussichten ____des Verfahrens für gering hält. Denkbar ist jedoch auch bloße Bequemlichkeit bei der ____Aufenthaltsermittlung ohne weiterreichendes Kalkül. In beiden Fällen wird das Recht ____der Gegenseite auf rechtliches Gehör verletzt. ____ ____ 2. Folgen des Missbrauchs. Die Fiktionswirkung (§ 188) muss grds. auch dann 39 ____eingreifen, wenn die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung zum Zeitpunkt ihrer ____Ausführung objektiv nicht vorlagen98 (str.). Dies ist ein Gebot der Rechtssicherheit. ____Zweifel am Eintritt der Zustellungsfiktion in solchen Fällen99 können grds. nicht durch____greifen. Der Adressat ist dabei nicht schutzlos gestellt. Seine Interessen sind über eine ____großzügige Handhabung des § 233 (vgl. Rdn. 3),100 § 580 Nr. 1 oder Nr. 4101 (vgl. Rdn. 43) ____sowie über §§ 242, 826 BGB zu wahren (hierzu sogleich im Folgenden). Dazu bedarf es ____jedoch aktiven Vorgehens des Adressaten. Dieses ist ihm auch zuzumuten: Auch in Fäl____ ____98 Vgl. RGZ 59, 259, 263 f.; BGHZ 57, 108, 110 f. = NJW 1971, 2226; BGHZ 64, 5 = NJW 1975, 827; BGHZ 153, ____189, 194 = NJW 2003, 1326, 1327; OLG Celle NJW-RR 1989, 572; OLG Köln NJW-RR 1993, 446; OLG Köln ____FamRZ 1995, 677; OLG Hamm MDR 1997, 1155 = NJW-RR 1998, 497; OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 716, 717;KG ____NJW-RR 2006, 1380, 1381; OLG Frankfurt a.M. NJW 2009, 2543, 2544; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 9; ____Zöller/Stöber § 186 Rdn. 9; einschränkend, aber dogmatisch inkonsistent BVerfG NJW 1988, 2361 und im Anschluss OLG Köln NJW-RR 1993, 446; zweifelnd auch BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280, 2281; a.A. BGHZ ____149, 311, 315 = NJW 2002, 827, 828 ff.; BGH NJW 2007, 303; BGH FamRZ 2012, 1376; OLG Zweibrücken ____FamRZ 2002, 468, 470; OLG Schleswig NJW-RR 2002, 714, 715; Stein/Jonas/Roth Rdn. 16. ____99 BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280 f. ohne abschließende Entscheidung; dezidiert ____BGHZ 149, 311, 315 ff. = NJW 2002, 827, 828 ff.; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 468, 470; OLG Schleswig NJW-RR 2002, 714, 715; Stein/Jonas/Roth Rdn. 16. Wie hier auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 12 f. ____m.w.N. ____100 So mit guten Gründen Zöller/Stöber § 186 Rdn. 9. ____101 Vgl. BGHZ 153, 189, 196 ff. = NJW 2003, 1326, 1328.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____len materiell unrichtiger rechtskräftiger Titel muss eine auf § 826 BGB gestützte Klage ____erhoben werden. Ebenso ist die vorläufige Durchsetzung materiell unrichtiger Entschei____dungen nach Maßgabe der §§ 302 Abs. 4 Satz 3, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 zunächst ____hinzunehmen und muss mit der aktiven Durchsetzung daraus entstandener Schadenser____satzansprüche korrigiert werden.102 Eine nachteiligere Wirkung als materielle Unrichtig____keit kann aber die öffentliche Zustellung nicht bewirken. Daher wäre es wenig kon____sistent, den Missbrauchsnachweis vergleichsweise einfacher auszugestalten. Zudem ____spricht das Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen ordnungsgemäßer und missbräuchli____cher öffentlicher Zustellung für die Beibehaltung der Zustellungsfiktion. Da der Nach____weis unbekannten Aufenthalts an strenge Voraussetzungen geknüpft ist (vgl. Rdn. 14 ff.), ____ist regelmäßig das Recht des an der Zustellung Interessierten auf Justizgewährung ohne ____öffentliche Zustellung stärker gefährdet als das Recht des Adressaten auf rechtliches ____Gehör. Im übrigen verträgt es sich nicht, gleichzeitig die Fiktionswirkung anzuzweifeln ____und dem Adressaten Wiedereinsetzung zu gewähren;103 Letztere ist überflüssig, wenn ____erstere fehlt. Allerdings sollen bei einer öffentlichen Zustellung, deren Voraussetzungen ____für das Gericht erkennbar nicht vorlagen, Rechtsmittel- und -schutzfristen nicht in Gang ____gesetzt werden (einschränkende Auslegung des § 180).104 Gleichwohl rücken manche ____Senate des BGH105 in jüngerer Zeit von solchen Grundsätzen ab und nehmen Unwirksam____keit der Zustellung jedenfalls für die Fälle an, in denen die Unterlagen nicht hinreichend ____sorgfältig geprüft wurden und für das Gericht die Fehlerhaftigkeit erkennbar war. ____ In einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren kann sich jedenfalls die Partei 40 ____wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) nicht auf die öffentliche Zustellung ____berufen.106 Die neuere Rechtsprechung mancher Senate des BGH u n d a n d e r e r G e ____r i c h t e 107 konstruiert hieraus ein Recht zur Wiedereinsetzung zugunsten des Adressa____ten. Voraussetzung ist, dass die öffentliche Zustellung wider besseres Wissen der Partei ____arglistig herbeigeführt wird, indem sie zielgerichtet eine Zustellung, mit der sie sicher ____rechnet, verhindert (z.B. durch „Abtauchen“ trotz faktischer Erreichbarkeit).108 Die Beur____teilungsmaßstäbe decken sich im Wesentlichen mit denen, die für abgeschlossene Ver____fahren bei Prüfung des § 826 BGB gelten (vgl. hierzu sogleich im Folgenden). Insgesamt ____sind strenge Prüfungsmaßstäbe an die Missbräuchlichkeit anzulegen. Andernfalls würde ____das „Notmittel“ der öffentlichen Zustellung entwertet. Immerhin werden auch an die Vo____raussetzungen der öffentlichen Zustellung strenge Anforderungen gestellt (vgl. Rdn. 7 ff.), ____so dass Missbrauch schon vorab mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden ____kann. ____ Im Hinblick auf abgeschlossene Verfahren greift § 826 BGB ein.109 Hierbei zeigt 41 ____sich eine Parallele insbesondere zu den Fällen erschlichener Vollstreckungsbescheide;110 ____auch hierbei ist vor allem die Verletzung des rechtlichen Gehörs problematisch. Auch ein ____Rechtsanwalt kann (Mit-)Täter i.S.v. § 826 BGB sein, wenn er Kenntnis von einer zustel____ ____ ____102 Vgl. hierzu Rohe AcP 201 (2001), 177, 144 ff. ____103 Unklar insoweit BVerfG NJW 1988, 2361. ____104 BGH WM 2007, 276, 277. 105 BGHZ 149, 311, 323 = NJW 2002, 827, 830; BGH FamRZ 2012, 1376 m.w.N.; KG NJW-RR 2006, 1380, ____1381 und OLG Frankfurt a.M. NJW 2009, 2543, 2544 mit klarer Beschränkung auf solche Fälle ____106 Vgl. BGHZ 57, 108, 111 = NJW 1971, 2226; BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280 f.; BGH NJW-RR 2008, 1310; ____OLG Celle NJW-RR 1989, 572. ____107 BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280 f. 108 BGH NJW-RR 2008, 1310. ____109 RGZ 61, 359, 365; OLG Celle NJW-RR 1989, 572. Vgl. auch BGHZ 101, 380; OLG Düsseldorf NJW-RR ____2000, 875. ____110 Vgl. BVerfG WM 1993, 1326; BGHZ 101, 380; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1996, 110 f.

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§ 185

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____lungsfähigen Anschrift hat und dennoch namens eines Mandanten die öffentliche Zu____stellung beantragt.111 ____ Der alleinige Umstand, die öffentliche Zustellung trotz Kenntnis des Aufenthalts der 42 ____Gegenseite betrieben zu haben, ist indes unschädlich.112 Vielmehr muss die ergangene ____Entscheidung materiell unrichtig sein. Dies ist sie dann, wenn die nicht vertretene Ge____genseite an Vortrag gehindert wurde, der die Entscheidung zu ihren Gunsten hätte ____ausfallen lassen. Allerdings ist hierbei ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. Die ____Durchbrechung der Rechtskraft mittels § 826 BGB ist ohnedies nicht unproblematisch, ____wenngleich im Ergebnis unumgänglich: Das Recht darf nicht als Büttel offensichtlichen ____materiellen Unrechts missbraucht werden. Je mehr Zeit verstrichen ist, desto weniger ____wird eine Anwendung des § 826 BGB in Betracht kommen, weil sich die Beweislage mit ____Zeitablauf zu Lasten des Adressaten verschlechtert und das Gebot der Rechtssicherheit ____tendenziell an Bedeutung gewinnt. In diesen Fällen sind die Prüfungsmaßstäbe für ____Rechtsmissbrauch nach § 826 BGB noch strenger als die bei Prüfung des § 242 BGB (vgl. ____Rdn. 40). ____ Zudem ist die Möglichkeit einer Restitutionsklage eröffnet, wenn die Voraussetzun43 ____gen des § 580 Nr. 1 oder Nr. 4 erfüllt werden.113 ____ Der Nichteintritt der Zustellungsfiktion trotz Vornahme einer öffentlichen Zustel44 ____lung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn das bewilligende Gericht selbst aufgrund ____eigener Fehleinschätzungen übersieht, dass eine andere Form der Zustellung ohne wei____teres möglich wäre.114 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die Zustimmung ____verdient, bleibt es jedenfalls in den Fällen, in denen das Gericht vom Vorliegen der Vor____aussetzungen für die öffentliche Zustellung ausgeht und ausgehen darf, bei der Wirk____samkeit (Fiktionswirkung) selbst dann, wenn die Bewilligung auf wissentlich falschen ____oder unvollständigen Angaben des Betreibenden beruht.115 Es ist ein Gebot der Rechtssi____cherheit, dass in solchen Fällen nicht noch nach Jahren die Wirksamkeit der Zustellung ____in Frage gestellt werden kann, zumal das Gesetz auch für solche Fälle Abhilfemöglich____keiten vorsieht (vgl. Rdn. 43). ____ Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung objektiver Unrichtigkeit ist der Zeitpunkt, 44a ____zu dem die öffentliche Zustellung bewilligt wird.116 Spätere Kenntniserlangung des An____tragstellers z.B. vom Aufenthalt des Adressaten beeinträchtigt nicht die durch die erfolg____te öffentliche Zustellung herbeigeführten Rechtswirkungen. ____ ____ VIII. Unverschuldete Nichtbeteiligung am Verfahren nach öffentlicher ____ Zustellung ____ ____ Über die Missbrauchsfälle hinaus kann es Fallkonstellationen geben, in denen der 45 ____Adressat ohne sein Verschulden von der öffentlichen Zustellung keine Kenntnis erlangt. ____Nach Verfahrensabschluss ist eine Korrektur über § 233 nicht mehr möglich. Unter Be____achtung von Art. 103 GG kann aber die unzutreffende und nicht in zurechenbarer Weise ____ ____ ____111 OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 875. 112 Vgl. i.Erg. RGZ 59, 259, 263 f. ____113 BGHZ 153, 189, 197 = NJW 2003, 1326, 1328. ____114 So in der Tat BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 149, 311, 321 f. = NJW 2002, 827, 830; OLG Hamm MDR ____1997, 1155 = NJW-RR 1998, 497; OLG Hamm MDR 1997, 1155 = NJW-RR 1998, 497; BayObLG NJW-RR 2000, ____1452, 1453; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 468, 470; OLG Schleswig NJW-RR 2002, 714, 715 sowie die Nachweise in Fn. 4998; offen gelassen in BGHZ 153, 189, 194 f. = NJW 2003, 1326, 1327. ____115 BGHZ 153, 189, 194 = NJW 2003, 1326, 1327 m.w.N.; a.A. OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 468, 469 f.; ____offen gelassen in BGHZ 149, 311, 322 f. = NJW 2002, 827, 830. ____116 OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 952, 954 m.w.N. (zum Eintritt der Rechtshängigkeit).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 186

____vom Adressaten veranlasste Beurteilung des unbekannten Aufenthalts durch Zustellen____de, Partei, Gericht oder Auskunftspersonen nicht zu Lasten des Adressaten ausschlagen. ____Deshalb ist eine Korrektur der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch außerhalb von ____Missbrauchsfällen geboten. Besonders deutlich wird dies für Fälle, in denen der Adressat ____unfreiwillig und rechtswidrig an einem unbekannten Ort festgehalten wird.117 ____ Dies ist für Vermögensschäden wie Nichtvermögensschäden durch eine analoge 46 ____Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 zu erzielen. Nur so lässt sich die zunächst nicht zu ver____hindernde Außerachtlassung des Rechts auf rechtliches Gehör ausgleichen.118 Die in Miss____brauchsfällen zur Verfügung stehende Restitutionsklage (vgl. Rdn. 43) steht hier nicht ____zur Verfügung. Allerdings ist zu beachten, dass der Adressat keinen zurechenbaren An____lass für die Vornahme der öffentlichen Zustellung gegeben haben darf. Praktisch wird ____dies nur sehr selten der Fall sein. Zudem ist eine analoge Anwendung der Norm nur ____dann verfassungsrechtlich geboten, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs geeig____net war, ein anderes rechtliches Ergebnis herbeizuführen als die Wahrung der Verfah____rensrechte des Adressaten. Ist dies erkennbar ausgeschlossen, so greift § 579 Abs. 1 Nr. 4 ____nicht ein. In Zweifelsfällen ist dagegen eine Begründetheitsprüfung vorzunehmen. ____ ____ IX. Kosten ____ ____ Für das Bewilligungsverfahren und die Entscheidung fallen keine Gerichtskosten 47 ____an. ____ ____ ____ § 186 ____ Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung ____ § 186 Rohe ____ (1) Über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung entscheidet das Prozess____gericht. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. ____ (2) Die öffentliche Zustellung erfolgt durch Aushang einer Benachrichtigung an ____der Gerichtstafel oder durch Einstellung in ein elektronisches Informationssystem, ____das im Gericht öffentlich zugänglich ist. Die Benachrichtigung kann zusätzlich in ____einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten elektronischen In____formations- und Kommunikationssystem veröffentlicht werden. Die Benachrichti____gung muss erkennen lassen ____1. die Person, für die zugestellt wird, ____2. den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten, ____3. das Datum, das Aktenzeichen des Schriftstücks und die Bezeichnung des Pro____ zessgegenstandes sowie ____4. die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann. ____ Die Benachrichtigung muss den Hinweis enthalten, dass ein Schriftstück öf____fentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren ____Ablauf Rechtsverluste drohen können. Bei der Zustellung einer Ladung muss die ____Benachrichtigung den Hinweis enthalten, dass das Schriftstück eine Ladung zu ____einem Termin enthält, dessen Versäumung Rechtsnachteile zur Folge haben kann. ____ ____ ____117 Vgl. die Falllage in OLG Koblenz NJW 1953, 1797. 118 Wie hier i.Erg. OLG Hamm FamRZ 1981, 205, 206 m.w.N. auch zur Gegenansicht Braun JZ 2003, ____906 ff. (zu BGHZ 153, 189); a.A. OLG Frankfurt a.M. NJW 1957, 307, 308; BGHZ 153, 189, 197 f. = NJW 2003, ____1326, 1328 für die Konstellation der Missbrauchsfälle m.w.N.; dem BGH insgesamt zust. Gaul, JZ 2003, ____1088 ff., 1093 ff.

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§ 186

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ (3) In den Akten ist zu vermerken, wann die Benachrichtigung ausgehängt und ____wann sie abgenommen wurde. ____ ____ Übersicht ____ 1 a) Der Vorgang, den die Zustellung ____I. Einführung betrifft (Satz 3) ____ 19 ____II. Das Bewilligungsverfahren (Abs. 1) ____ 3 1. Zuständiges Prozessgericht (Satz 1) b) Der allgemeine Warnhinweis ____ 2. Verfahren (Satz 2) ____ 9 (Satz 4) ____ 24 ____ 3. Inhaltliche Prüfung und Nachweis ____ 12 c) Der besondere Warnhinweis bei ____III. Ausführung der öffentlichen Zustellung Ladungen (Satz 5) ____ 25 ____ (Abs. 2) IV. Der Aktenvermerk (Abs. 3) ____ 26 ____ 1. Vornahme der Benachrichtigung V. Folgen von Verstößen gegen die ____ (Satz 1) ____ 17 Norm ____ 27 ____ 2. Inhalt der Benachrichtigung VI. Verfahren bei Kenntniserlangung ____ 32 (Satz 3 bis 5) ____ 19 VII. Kosten ____ 33 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 186 schließt sich inhaltlich an § 185 an. Die Regelungen des § 186 knüpfen an 1 ____§§ 204, 205 a.F. an. Abs. 1 regelt das Bewilligungsverfahren; er entspricht (weitgehend) ____dem vormaligen § 204 Abs. 1,1 verzichtet jedoch auf das frühere Antragserfordernis (vgl. ____hierzu Rdn. 7 f.). Abs. 2 regelt die Ausführung der öffentlichen Zustellung; er greift die ____Vorgängerregelungen des § 204 Abs. 2 und des § 205 auf, verzichtet aus Gründen des ____Persönlichkeitsrechtsschutzes aber auf den unnötigen Aushang inhaltlicher Informatio____nen.2 Die nach vormaligem Recht (§ 203 Abs. 3 a.F.) z.T. erforderliche Einrückung in den ____Bundesanzeiger und andere Blätter wird in § 187 aufgegriffen. Durch eine redaktionelle ____Änderung und ergänzende Regelungen im JKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, ____§ 166 Rdn. 16) wurde die Norm des Erfordernisses elektronischer Datenverarbeitung an____gepasst. Der nach Abs. 3 vorgesehene Aktenvermerk dient Beweiszwecken. ____ Liegen die Voraussetzungen des § 185 vor, so hat das Gericht die öffentliche Zustel2 ____lung zu bewilligen (vgl. zur inhaltlichen Prüfung Rdn. 17 ff.).3 Einzelheiten zur Ausfüh____rung sind in Abs. 2 und Abs. 3 sowie in § 186 festgelegt. Verstöße können nach §§ 189, 295 ____geheilt werden (vgl. Rdn. 31). ____ ____ II. Das Bewilligungsverfahren (Abs. 1) ____ ____ 1. Zuständiges Prozessgericht (Satz 1). Über die Bewilligung der öffentlichen Zu3 ____stellung entscheidet das Prozessgericht (Satz 1). Zuständig ist also das Gericht, bei dem ____das Verfahren betrieben wird, in dessen Rahmen die Zustellung erfolgen soll.4 In der ____Zwangsvollstreckung ist das Vollstreckungsgericht Prozessgericht im Sinne der Vor____schrift.5 Bei Kollegialgerichten entscheidet das Kollegium, sofern nicht eine originäre ____Zuständigkeit des Einzelrichters gegeben (§§ 348, 568) oder eine Übertragung an den ____Einzelrichter erfolgt ist (§§ 348 a, 526 f.). Bei der Kammer für Handelssachen entscheidet ____ ____ ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. 2 Vgl. zu diesem Anliegen Finger NJW 1985, 2684 ff. ____3 OLG Oldenburg MDR 1947, 259; OLG Kassel NJW 1948, 555. ____4 Für Strafverfahren vgl. OLG Hamm NJW 2007, 933, 935 m.w.N.; OLG Stuttgart NJW 2007, 935, 936 f. ____5 OLG Hamm NJW 2007, 933, 935 m.w.N.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 186

____nach § 349 Abs. 1 der Vorsitzende.6 In seinem Aufgabenkreis entscheidet der Rechtspfle____ger (vgl. §§ 3, 4 Abs. 1 RPflG).7 ____ Über die öffentliche Zustellung vollstreckbarer notarieller Urkunden (vgl. § 797 ____Abs. 3) und Gütestellenvergleiche (vgl. § 797 a) entscheidet das jeweils zuständige Amts____gericht.8 Innerhalb des Vollstreckungsverfahrens entscheidet das Amtsgericht als Voll____streckungsgericht (§ 764). ____ In der Zwischeninstanz (nach Erlass der Entscheidung vor Einlegung eines Rechts____mittels) entscheidet die untere Instanz. Dasselbe gilt auch nach Einlegung von Rechts____mitteln in Bezug auf alle Handlungen, welche sich auf die untere Instanz beziehen (vgl. ____§§ 320, 321, 339 Abs. 2, 716). ____ Die Bewilligung durch ein unzuständiges Gericht führt zur Unwirksamkeit der Zu____stellung.9 ____ Anders als die Vorgängerregelung in § 203 Abs. 1 verlangt § 185 keinen Bewilli____gungsantrag der Person, in deren Interesse die Zustellung betrieben wird. Dies ist wohl ____mit dem grundlegenden Wechsel von der Zustellung im Parteibetrieb als gesetzlichem ____Regelfall zur regelmäßigen Zustellung im Amtsbetrieb zu erklären. Deshalb ist die Bei____behaltung des Begriffs der „Bewilligung“, welcher den Antrag eines anderen als des Ent____scheidenden selbst gedanklich voraussetzt, eher unglücklich. In der Sache haben sich ____jedoch kaum Änderungen ergeben. Schon vor der Neuregelung bedurfte es bei der Zu____stellung im Amtsbetrieb keines Antrags.10 Andererseits wird derjenige, in dessen Interes____se zugestellt wird, häufig eine ladungsfähige Anschrift des Adressaten beibringen müs____sen, so etwa bei der Klageerhebung gemäß § 253.11 Ist er dazu nicht in der Lage oder ____scheitert eine (Ersatz-)Zustellung unter der angegebenen Anschrift, so muss das weitere ____Vorgehen ohnehin zwischen Gericht und Verfahrensbetreibendem erörtert werden. Letz____teren trifft auch bei Zustellung im Amtsbetrieb die Obliegenheit zur Mitwirkung (vgl. ____§ 185 Rdn. 15). Zeigt er sein Interesse an der öffentlichen Zustellung, so liegt darin ____zugleich die Anregung, die öffentliche Zustellung zu bewilligen. ____ Auch für die Zustellung im Parteibetrieb sieht das Gesetz keinen Antrag der betrei____benden Partei mehr vor (vgl. § 191 und ff.). Es bliebe aber unklar, wie es bei dieser Art der ____Zustellung zu einer gerichtlichen Bewilligung ohne Antrag kommen könnte. Deshalb ____nimmt das Schrifttum weiterhin ein Antragserfordernis an.12 Jedoch wird – auch unter ____Berücksichtigung des Vereinfachungszwecks der Reformgesetzgebung – der Antrag re____gelmäßig konkludent gestellt werden können, indem das Gericht überhaupt mit der Zu____stellung befasst wird. ____ ____ 2. Verfahren (Satz 2). Das zuständige Gericht kann in Verfahren jeder Art13 über die ____Bewilligung ohne mündliche Verhandlung entscheiden (Satz 2). Wird die öffentliche ____Zustellung bewilligt, so wird sie durch die Geschäftsstelle von Amts wegen besorgt ____(Abs. 2; vgl. Rdn. 17 ff.). Der bewilligende Beschluss wird Verfahrensbeteiligten durch ____formlose Mitteilung (§ 329 Abs. 2 Satz 1) übermittelt. Der Adressat wird durch den Aus____ ____ ____ 6 OLG Frankfurt a.M. MDR 1987, 414. ____7 OLG München MDR 1988, 679; Hansens NJW 1991, 953, 954; Stein/Jonas/Roth Rdn. 3 m.w.N.; ____MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. ____8 KG OLGE 37 (1918), 112, 114 f. ____9 Zöller/Stöber Rdn. 1. 10 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; OLG Köln NJW-RR 1989, 60 m.w.N. ____11 Vgl. nur Zöller/Greger § 253 Rdn. 8 m.w.N. ____12 Zöller/Stöber § 191 Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Häublein § 191; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____13 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4.

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____hang (Abs. 2) informiert.14 Bei der öffentlichen Zustellung in grenzüberschreitenden Fäl____len kann eine zusätzliche formlose Information des Adressaten geboten sein (vgl. § 185 ____Rdn. 35 f.). ____ Es ist keine Bewilligung für den gesamten Rechtszug möglich, sondern immer nur 10 ____für eine bestimmte, nach Lage des Verfahrens notwendige Zustellung.15 Der im Säum____nisverfahren gemäß § 339 Abs. 2 nachträglich gefasste Beschluss über die Einspruchsfrist ____wird indes von der Bewilligung der öffentlichen Zustellung des vorangegangenen Ver____säumnisurteils erfasst. Die öffentliche Zustellung muss also nicht erneut bewilligt wer____den.16 ____ 11 Wird die Bewilligung der öffentlichen Zustellung verweigert, so steht die sofortige ____Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 217 offen. Die Bewilligung selbst ist nicht angreifbar. ____Zu möglichen Rechtsbehelfen des Adressaten vgl. § 185 Rdn. 38 ff. ____ ____ 3. Inhaltliche Prüfung und Nachweis. Das Gericht muss prüfen, ob die Vorausset12 ____zungen des § 185 vorliegen. Weitere Prüfungen (Vorliegen weiterer Prozessvorausset____zungen;18 Erfolgsaussichten)19 sind grds. nicht vorzunehmen (vgl. Rdn. 2). Dies gilt etwa ____für das Fortleben des Adressaten.20 Liegen die Voraussetzungen des § 185 vor, so ist die ____öffentliche Zustellung zu bewilligen.21 ____ 13 Ausnahmen bestehen für eng begrenzte Fälle, in denen Hinderungsgründe evident ____sind. Hierzu zählen etwa die Fälle, in denen ein offensichtlich unzuständiges Gericht ____mutwillig angerufen wird, um eine öffentliche Zustellung zu erschleichen.22 Dasselbe ____gilt, wenn der Tod des Adressaten feststeht.23 ____ Grds. unmaßgeblich sind hingegen die Erfolgsaussichten der Partei im Verfah14 ____ren 24 oder die praktische Bedeutung der erstrebten Entscheidung. 25 Auch insoweit ____kommen Ausnahmen nur in den eher theoretischen Fällen evidenter Erfolglosigkeit in ____Betracht. Solche liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn ein notwendiges Beweismittel ____unerreichbar ist oder eine notwendige Beweisaufnahme voraussichtlich nicht durchge____führt werden kann.26 ____ Über die Art des Nachweises entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Er15 ____messen.27 Sind die erforderlichen (vgl. § 185 Rdn. 14 ff.) Nachweise erbracht, so muss das ____Gericht grds. die öffentliche Zustellung bewilligen; insoweit besteht kein Ermessens____spielraum.28 Dies gilt auch für Fälle, in denen sicher zu erwarten ist, dass der Adressat ____keine Kenntnis von der Zustellung erlangen kann29 und ungeachtet der Gründe für seine ____ ____ ____14 Zöller/Stöber Rdn. 5. ____15 RGZ 63, 82, 83; RGZ 64, 44, 47; OLG Bamberg FamRZ 1995, 1280, 1281. ____16 RGZ 63, 82, 84 f. 17 Zöller/Stöber Rdn. 5. ____18 RGZ 46, 391, 392 f. ____19 Zöller/Stöber Rdn. 3. ____20 KG FamRZ 1975, 693 m.w.N. zu den Ausnahmefällen. ____21 OLG Oldenburg MDR 1947, 259; OLG Kassel NJW 1948, 555. ____22 OLG Köln IPRax 1987, 233 f. 23 KG FamRZ 1975, 693. ____24 KG FamRZ 1975, 693; OLG Köln IPRax 1987, 233; OLG Bamberg FamRZ 1995, 1280, 1281. ____25 Insoweit unrichtig OLG Hamburg NJWE-WettbR 1997, 284, 285 zu § 203 Abs. 2. ____26 OLG Bamberg FamRZ 1995, 1280, 1281. ____27 OLG Oldenburg MDR 1947, 259; Fischer ZZP 107 (1994), 163, 166. 28 OLG Oldenburg MDR 1947, 259; OLG Kassel NJW 1948, 555; BLAH-Hartmann Rdn. 6. A.A. Zöller/Stöber ____Rdn. 4: pflichtgemäßes Ermessen; wie hier nun auch zum neuen Recht Stein/Jonas/Roth Rdn. 5 und § 185 ____Rdn. 13. ____29 LG Berlin NJW 1959, 1374 f.; Zöller/Stöber Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 186

____Nichterreichbarkeit. Die berechtigten Interessen des Adressaten können dadurch be____rücksichtigt werden, dass z.B. bei folgeschweren Statusentscheidungen an den Nachweis ____der Nichterreichbarkeit strenge Voraussetzungen geknüpft werden. Zu den sonstigen ____Möglichkeiten, seine Interessen zu wahren, vgl. § 185 Rdn. 38 ff. Die abweichende An____sicht (Ermessensentscheidung nach Bedeutung des Falles und/oder Grund der Nichter____reichbarkeit) lässt die Möglichkeit offen, dem an der Zustellung Interessierten jeglichen ____effizienten Rechtsschutz zu verweigern. Das Recht auf rechtliches Gehör wiegt aber nicht ____generell schwerer als der Justizgewährungsanspruch. Die erforderliche praktische Kon____kordanz ist bereits dadurch hergestellt, dass die öffentliche Zustellung schon nach ihren ____Tatbestandsvoraussetzungen als ultima ratio ausgestaltet ist. Korrekturen über die in ____§ 185 Rdn. 38 ff. aufgezeigten Möglichkeiten hinaus verbieten sich also. ____ Geht das Gericht fälschlich vom Vorliegen der Voraussetzungen für die öffentliche 16 ____Zustellung aus, so ist die erfolgte Zustellung grds. dennoch wirksam (str.; vgl. § 185 ____Rdn. 39). Zu den Folgen einer missbräuchlich herbeigeführten öffentlichen Zustellung ____vgl. § 185 Rdn. 38 ff. Wird noch innerhalb des Laufs der durch die Zustellung in Gang ge____setzten Fristen bekannt, dass die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung wegge____fallen sind, so erfordert das Recht auf rechtliches Gehör eine Wiederholung der Zu____stellung an den nunmehr erreichbaren Adressaten. Die – zu Recht erfolgte – öffentliche ____Zustellung behält jedoch ihre Wirkungen. Deshalb setzt die erneute Zustellung die lau____fenden Fristen nicht neu in Gang. Sind die jeweils relevanten Fristen verstrichen, so ____bleibt die spätere Erreichbarkeit des Adressaten für bereits erfolgte Zustellungen unbe____achtlich. ____ ____ III. Ausführung der öffentlichen Zustellung (Abs. 2) ____ ____ 1. Vornahme der Benachrichtigung (Satz 1). Abs. 2 regelt die Ausführung der öf- 17 ____fentlichen Zustellung. Sie erfolgt durch Aushang einer Benachrichtigung des Adressa____ten an der Gerichtstafel oder durch Einstellung in ein elektronisches Informationssys____tem, das im Gericht (gemeint ist nur das Prozessgericht, vgl. Rdn. 3)30 öffentlich zugäng____lich ist.31 Die Ergänzung durch die 2. Variante schafft eine zeitgemäße zusätzliche Mög____lichkeit der Kenntnisnahme auf der Homepage des Protokollgerichts. 32 Erforderlich ____hierfür ist die Berichterstattung eines im Gericht allgemein zugänglichen Terminals, ____welches Standard-Suchfunktionen bereithält,33 die auch wenig kundige Benutzer un____schwer ausführen können. Die Benachrichtigung kann gemäß Satz 2 zusätzlich in einem ____von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten elektronischen Informations- und ____Kommunikationssystem veröffentlicht werden; hierin liegt eine Folgeänderung durch ____das JKomG vom 22.3.200534 (Satz 1). Zuständig ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstel____le. Die Vornahme des Aushangs kann er delegieren.35 Eine bestimmte Form für die Be____nachrichtigung ist nicht festgelegt. Es muss nur deutlich werden, dass der Aushang von ____der Geschäftsstelle herrührt.36 Zur Dauer des Aushangs und dem Eintritt der Fiktionswir____kung vgl. § 188. ____ ____ 30 OLG Hamm NJW 2007, 933, 935 m.w.N. auch zur a.A.; OLG Stuttgart NJW 2007, 935, 936 f. ____31 2. Variante eingeführt durch das IKomG v. 22.3.2005, in Kraft seit 1.4.2005. ____32 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 15/4067, S. 32. ____33 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT(-Drucks.) 15/4952 zu Nr. 14 (§ 106 ____Abs. 2 ZPO). 34 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT(-Drucks.) 15/4952 zu Nr. 14 (§ 186 ____Abs. 2 ZPO). ____35 RGZ 32, 400, 403 f. ____36 Vgl. auch Zöller/Stöber Rdn. 7: keine Unterzeichnung durch den Urkundsbeamten erforderlich.

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____ 18 Anders als nach vormaligem Recht (§ 204 Abs. 2 a.F.) wird das zuzustellende ____Schriftstück selbst nicht mehr ganz oder in Auszügen ausgehängt. Damit soll die Per____sönlichkeitssphäre des Adressaten geschützt werden.37 Das Erfordernis, den Adressaten ____über den Vorgang zu informieren, wird durch den vorgeschriebenen Aushang der Be____nachrichtigung in vollem Umfang erfüllt. ____ ____ 2. Inhalt der Benachrichtigung (Satz 3 bis 5) ____ ____ a) Der Vorgang, den die Zustellung betrifft (Satz 3). Die Regelung in Satz 3 präzi19 ____siert den notwendigen Inhalt der auszuhängenden Benachrichtigung im Hinblick auf ____den Vorgang, den die Zustellung betrifft. Sie muss so konkret sein, dass der Adressat sie ____zum einen sich selbst und zum anderen einem individualisierbaren Vorgang zuordnen ____kann. Die kumulativ in Satz 3 Nr. 1 bis 4 festgelegten Daten bieten hierfür in aller Regel ____eine hinreichende Grundlage und sind deshalb grds. als abschließend zu verstehen. Wei____terreichende Angaben sind nicht erforderlich und sollten zur Wahrung der Persönlich____keitsrechte der Beteiligten unterbleiben. Die Formulierung, wonach die Benachrichti____gung die aufgeführten Personen und Daten „erkennen lassen“ muss, deutet darauf hin, ____dass sich auch der Adressat im zumutbaren Umfang über den exakten Inhalt zu verge____wissern hat. Dies wird etwa bedeutsam bei evidenten Falschbezeichnungen oder bei Un____klarheiten, deren Formulierung auf den Adressaten selbst zurückgeht (z.B. Angabe einer ____unzutreffenden letzten Anschrift). ____ Gemäß Nr. 1 muss die Benachrichtigung die Person erkennen lassen, für die zuge20 ____stellt wird. Sie muss in hinreichend identifizierbarer Weise bezeichnet werden, jedoch ____nicht in der von § 130 Nr. 1 vorgesehenen Ausführlichkeit. So ist die Angabe des gesetzli____chen Vertreters entbehrlich. ____ Gemäß Nr. 2 muss die Benachrichtigung den Namen und die letzte bekannte Ad21 ____resse des Zustellungsadressaten erkennen lassen. Die Angaben müssen so beschaffen ____sein, dass der Betroffene zweifelsfrei erkennbar wird.38 Auch hier gilt, dass nicht die in ____§ 130 Nr. 1 vorgesehenen ausführlichen Angaben z.B. zum gesetzlichen Vertreter erfor____derlich sind. Im Übrigen sind die Ausführungen zu § 182 Abs. 2 Nr. 1 sinngemäß zu über____tragen. ____ Gemäß Nr. 3 muss die Benachrichtigung das Datum, das Aktenzeichen des Schrift22 ____stücks und die Bezeichnung des Prozessgegenstandes erkennen lassen. Zur Angabe ____des Prozessgegenstandes genügt eine kurze Kennzeichnung des verfolgten Anspruchs. ____Es genügt, wenn sich Eindeutigkeit aus der Kombination von Parteien und Kennzeich____nung des Anspruchs ergibt. ____ 23 Gemäß Nr. 4 muss die Benachrichtigung die Stelle, wo das Schriftstück eingese____hen werden kann, erkennen lassen. ____ ____ b) Der allgemeine Warnhinweis (Satz 4). Die Regelung in Satz 4 sieht einen all24 ____gemeinen Warnhinweis an den Adressaten vor. Danach muss die Benachrichtigung den ____Hinweis enthalten, dass ein Schriftstück öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang ____gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können. ____ ____ c) Der besondere Warnhinweis bei Ladungen (Satz 5). Bei der Zustellung einer 25 ____Ladung muss die Benachrichtigung gemäß Satz 5 den Hinweis enthalten, dass das ____ ____37 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. ____38 OLG Celle Nds. RPH 2003, 279 (zu falschen Wohndaten bei einem Adressaten mit häufig ____vorkommendem Namen).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 186

____Schriftstück eine Ladung zu einem Termin enthält, dessen Versäumung Rechtsnachteile ____zur Folge haben kann. ____ ____ IV. Der Aktenvermerk (Abs. 3) ____ ____ Abs. 3 verlangt die Anfertigung eines Aktenvermerks darüber, wann die Benachrich____tigung (Abs. 2) ausgehängt und wann sie abgenommen wurde (vgl. auch § 188). Dafür ____können jedoch auch alle anderen Beweismittel herangezogen werden. Der Vermerk ist ____keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die öffentliche Zustellung.39 ____ ____ V. Folgen von Verstößen gegen die Norm ____ ____ Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung durch ein unzuständiges Gericht (ein ____anderes als das nach Abs. 1 Satz 1 zuständige Gericht) führt zur Unwirksamkeit der öf____fentlichen Zustellung. Dasselbe gilt für den praktisch kaum denkbaren Fall, dass die ____Ausführung ohne Bewilligung erfolgt.40 Ebenso führt die Anbringung des Aushangs an ____der Gerichtstafel in einem anderen als dem Prozessgericht (vgl. Rdn. 17, 3) zur Unwirk____samkeit der Zustellung.41 ____ Unwirksam ist die öffentliche Zustellung auch dann, wenn die in Abs. 2 vorge____schriebenen Formalien nicht eingehalten werden.42 Dies ergibt sich daraus, dass die ____öffentliche Zustellung durch Aushang erst bewirkt (vgl. auch § 188) und der erforderliche ____Inhalt des Aushangs sogleich näher bestimmt wird. ____ Grds. nicht zur Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung führt die Fehlein____schätzung über das Vorliegen ihrer Voraussetzungen (vgl. § 185 Rdn. 7 ff.). ____ Ebenfalls unschädlich ist das Fehlen des nach Abs. 3 vorgesehenen Aktenver____merks, der nur Beweiszwecken dient (vgl. Rdn. 26). ____ In allen Fällen ist Heilung gemäß §§ 189, 295 möglich.43 ____ ____ VI. Verfahren bei Kenntniserlangung ____ ____ Erlangt der Adressat vor Ablauf der in § 188 festgelegten Frist Kenntnis von der öf____fentlichen Zustellung und verlangt er Einsicht in das zuzustellende Schriftstück, so ist ____ihm neben Gewährung der Einsicht das gemäß § 173 zu übergebende Schriftstück auszu____händigen. 44 Dies gebietet das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 185 ____Rdn. 2 f.). Zu den Wirkungen einer solchen Aushändigung vgl. § 188 Rdn. 7. Bei Erlan____gung der Kenntnis nach Ablauf dieser Frist ist dem Adressaten ebenfalls in geeigneter ____Form Kenntnis zu geben, jedoch nur durch Übergabe einer Abschrift,45 während das Ori____ginaldokument bei den Akten verbleibt. ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____39 So bereits RGZ 32, 400, 404; BGHZ 80, 320, 322. ____40 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 1. ____41 OLG Hamm NJW 2007, 933, 935 m.w.N.; OLG Stuttgart NJW 2007, 935, 937. 42 So im Ansatz auch Hornung Rpfl. 2002, 493, 501 („zwingend“). ____43 OLG Celle NJW-RR 1989, 572. ____44 Vgl. auch Zöller/Stöber § 188 Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6. ____45 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6.

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§ 187

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____ VII. Kosten ____ ____ Für das Verfahren der Bewilligung entstehen keine Gerichtsgebühren. Im Beschwer33 ____deverfahren fällt die Gebühr nach KV Nr. 1811 an. Für die Vornahme der Zustellung sind ____die Gebühren nach KV Nr. 1210, 9000 ff., 9004 zu entrichten. Die Verfahrensgebühr für ____den Anwalt umfasst auch das Bewilligungsverfahren (Nr. 3100, 3200, 3206 VV, § 19 Nr. 9 ____RVG). Für das Beschwerdeverfahren entsteht die Gebühr nach Nr. 3500 und ggf. Nr. 3513 ____VV. ____ ____ ____ § 187 ____ Veröffentlichung der Benachrichtigung ____ § 187 Rohe ____ Das Prozessgericht kann zusätzlich anordnen, dass die Benachrichtigung ein____mal oder mehrfach im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern zu veröffentlichen ____ist. ____ ____ Übersicht ____ 1 II. Anordnung der Publikation der Benachrich____ I. Einführung tigung ____ 2 ____ ____ ____ I. Einführung ____ Die Regelung des § 187 knüpft an die Vorgängerregelung des § 204 Abs. 3 ZPO a.F. 1 ____ ____an. Sie dient dazu, die Beeinträchtigung des Rechts des Adressaten auf rechtliches Ge____hör (vgl. § 185 Rdn. 2 f.) möglichst gering zu halten. Anders als nach vormaligem Recht ____ist die zusätzliche Veröffentlichung in den genannten Blättern aber nicht mehr zwin____gend.1 Andererseits kann sie unabhängig vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks ____angeordnet werden. Durch eine Änderung im Wege des JKomG vom 22.3.20052 wurde der ____„elektronische“ Bundesanzeiger als Publikationsmedium eingeführt. ____ ____ II. Anordnung der Publikation der Benachrichtigung ____ Die Regelung des § 187 nimmt inhaltlich Bezug auf § 186 Abs. 2. Das Prozessgericht 2 ____ ____(vgl. § 186 Rdn. 3 ff.) kann anordnen, dass die dort vorgesehene Benachrichtigung zu____sätzlich einmal oder mehrfach im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern zu veröffent____lichen ist. Zu den anderen Blättern zählen Mitteilungsblätter, Zeitungen oder Zeitschrif____ten, auch elektronische Publikationen, nicht jedoch die Homepage des Gerichts (vgl. ____§ 186 Rdn. 17; der Gesetzgeber hat derartige Anregungen nicht aufgegriffen).3 Darüber, ____ob eine solche Veröffentlichung vorzunehmen ist, wie oft und in welchem Publikations____organ das zu geschehen hat, entscheidet das Prozessgericht nach pflichtgemäßem Er____messen.4 Eine solche zusätzliche Veröffentlichung kommt dann in Betracht, wenn es ____möglich erscheint, dass der Adressat oder eine ihm nahestehende Person sie zur Kennt____nis nimmt.5 Die abstrakte „Möglichkeit“ kann nicht ausreichen, weil sie fast immer gege____ ____ ____1 Vgl. die kurze Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. 2 BGBl. 2005 I, 837. Vgl. die Gesetzesbegründung in BT(-Drucks.) 15/4067, S. 36. ____3 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 1 mit verständlichem Bedauern. ____4 So auch Zöller/Stöber Rdn. 1; Hornung Rpfl. 2002, 493, 501. ____5 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ben sein wird und andererseits der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, an der ____obligatorischen Veröffentlichung festzuhalten. Für den Regelfall wird anzunehmen sein, ____dass der Adressat die Veröffentlichung ebensowenig zur Kenntnis nimmt wie den Aus____hang an der Gerichtstafel. Der Bundesanzeiger dürfte nicht zu den meistfrequentierten ____Medien zählen. Eine Veröffentlichung in auflagenstarken Blättern dürfte regelmäßig ____hohe Kosten verursachen, ohne die Wahrscheinlichkeit der Kenntnisnahme nachhaltig ____zu erhöhen. Deshalb wird eine solche Veröffentlichung nur in Sonderfällen in Betracht ____zu ziehen sein,6 etwa bei Verfahren von außergewöhnlicher Bedeutung. Wird eine Veröf____fentlichung in Betracht gezogen, so dürfte die Wahl eines Lokalblattes am letzten Wohn____sitz oder einer einschlägigen Fachpublikation meist erfolgreicher sein als die des Bun____desanzeigers.7 ____ Die Benachrichtigung muss den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 186 ____Abs. 2 Sätze 3 bis 5 genügen.8 ____ Auf den Lauf der Frist des § 188 hat die Veröffentlichung nach § 187 keine Auswir____kungen.9 Fehler bei der Ermessensausübung – die praktisch kaum nachweisbar sein ____dürften – führen nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.10 Hingegen bewirken Fehler ____bei Einhaltung der nach § 186 Abs. 2 einzuhaltenden Formalien die Unwirksamkeit ____der Zustellung (vgl. auch § 186 Rdn. 28).11 Dies gilt auch dann, wenn nur bei der Veröf____fentlichung, nicht aber beim Aushang Fehler unterlaufen, weil bereits dann nicht mehr ____sichergestellt ist, dass der Adressat die erforderlichen Mindestinformationen erhält. Er____hält er jedoch auch Kenntnis vom – zutreffenden – Aushang an der Gerichtstafel, so ist ____ihm gemäß § 242 BGB die Berufung auf die Veröffentlichung verwehrt. ____ In jedem Falle ist Heilung nach §§ 189, 295 möglich. ____ ____ ____ § 188 ____ Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung ____ § 188 Rohe ____ Das Schriftstück gilt als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichti____gung ein Monat vergangen ist. Das Prozessgericht kann eine längere Frist bestim____men. ____ Übersicht ____ ____ 1 III. Zeitpunkt der Bewirkung ____ 3 ____I. Einführung ____ 2 ____II. Wirkung der öffentlichen Zustellung ____ ____ I. Einführung ____ ____ § 188 ordnet die Wirkung der öffentlichen Zustellung einschließlich des Zeit____punkts ihres Eintritts an. Die Norm führt in vereinfachter Form die Vorgängerregelungen ____in § 206 a.F. zusammen. Sie vollzieht damit die in § 186 vorgenommene Vereinfachung ____gegenüber dem vormaligen Rechtszustand nach. ____ ____ ____ ____6 A.A. offenbar BLAH/Hartmann Rdn. 2. ____7 Zöller/Stöber Rdn. 2. 8 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24 erwähnt ohne Begründung nur S. 2 und 3; wie hier Zöller/Stöber Rdn. 3. ____9 Zöller/Stöber Rdn. 2. ____10 So auch BLAH/Hartmann Rdn. 6. ____11 A.A. MünchKomm-ZPO/Häublein § 187 Rdn. 3.

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____ II. Wirkung der öffentlichen Zustellung ____ ____ Die wirksame öffentliche Zustellung bewirkt wie die wirksame Ersatzzustellung eine 2 ____Zustellungsfiktion.1 Die Fiktionswirkung des Satz 1 tritt grds. auch dann ein, wenn die ____Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung objektiv nicht gegeben waren (vgl. hierzu ____§ 185 Rdn. 39). ____ ____ III. Zeitpunkt der Bewirkung ____ ____ 3 Gemäß Satz 1 gilt das Schriftstück grds. nach Ablauf eines Monats seit Aushang ____der Benachrichtigung als zugestellt. Auf eine gemäß § 187 angeordnete zusätzliche Ver____öffentlichung kommt es nicht an. Nach Satz 2 kann das Prozessgericht (zu seiner Beset____zung vgl. § 186 Rdn. 3 ff.) bei Bewilligung der öffentlichen Zustellung2 die in Satz 1 ge____nannte Monatsfrist verlängern, nicht aber abkürzen. Nachträglich ist dies nicht ____möglich. Eine Verlängerung sollte angesichts der berechtigten Interessen an der Zustel____lung nur im Ausnahmefall vorgenommen werden. ____ Die Berechnung der Frist erfolgt gemäß §§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 4 ____BGB. Nach § 187 Abs. 1 ist der Tag, an dem der Aushang erfolgt, nicht mitzurechnen. ____Nicht anwendbar ist die Bestimmung des § 222 Abs. 2 (Fristende an Samstagen, Sonn____und Feiertagen), die sich nur auf eigentliche Fristen bezieht, innerhalb derer Prozess____handlungen vorzunehmen sind.3 ____ 5 Zum Aktenvermerk über den Aushang der Benachrichtigung vgl. § 186 Abs. 3 (vgl. ____§ 186 Rdn. 26). Er dient nur Beweiszwecken, ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung ____der Zustellung. ____ 6 Unschädlich ist die Entfernung des Aushangs vor Ablauf der nach Satz 1 oder ____Satz 2 relevanten Frist4 oder der fehlende Nachweis über den Aushang (vgl. § 186 Abs. 3), ____wenn der Beweis der Vornahme anderweitig geführt werden kann. Der Reformgesetzge____ber hat die dahingehende Vorgängerregelung des § 206 Abs. 3 a.F. zwar nicht übernom____men. Dies dürfte jedoch – eine Begründung fehlt insoweit – nur aus Vereinfachungs____gründen ohne die Absicht einer inhaltlichen Änderung erfolgt sein. Hierfür mag man ____auch den Wortlaut des Satz 1 bemühen, der nur darauf abhebt, dass überhaupt ein Aus____hang erfolgt ist („seit dem Aushang“). Zudem dürfte der Aushang in der Praxis in aller ____Regel nicht vom Adressaten zur Kenntnis genommen werden, was seinen Wert als In____strument zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ohnehin erheblich mindert. ____ Erhält der Adressat vor Ablauf der Frist Kenntnis vom zuzustellenden Schriftstück 7 ____(vgl. auch § 186 Rdn. 32), so ist dieser Zeitpunkt maßgeblich.5 ____ ____ ____ § 189 ____ Heilung von Zustellungsmängeln ____ § 189 Rohe ____ Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen ____oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zu____ ____ ____1 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 1. ____2 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24: „in dem Beschluss“. 3 MünchKomm-ZPO/v. Feldmann 2. Aufl. Rdn. 1 zu § 206 a.F.; im Anschluss Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; nun ____auch MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2. ____4 Zöller/Stöber Rdn. 4; a.A. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3. ____5 In diese Richtung auch Zöller/Stöber Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 189

____gegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Per____son, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden ____konnte, tatsächlich zugegangen ist. ____ Übersicht ____ ____ 1 2. Zugang bei einem in Betracht kommen____I. Einführung den Adressaten ____ 18 ____II. Voraussetzungen und Folgen der Heilung 1. Die von der Heilung erfassten a) Der in Betracht kommende ____ Mängel ____ 7 Adressat ____ 18 ____ a) Kein Nachweis formgerechter b) Zugang ____ 22 ____ Zustellung ____ 7 aa) Zustellungswille ____ 23 ____ b) Zugang unter Verletzung zwingender bb) Annahmewille des ____ Zustellungsvorschriften ____ 10 Adressaten ____ 24 ____ aa) Einführung ____ 10 cc) Tatsächlicher Zu____ bb) Verletzung von Vorschriften, gang ____ 26 welche den Zustellungsvorgang 3. Rechtsfolgen ____ 31 ____ und die daran Beteiligten betrefIII. Heilungswirkungen außerhalb des ____ fen ____ 11 Anwendungsbereichs von § 189 ____ 33 ____ cc) Verletzung von Vorschriften, ____ welche das zu übermittelnde ____ Dokument betreffen ____ 14 ____ ____ ____ I. Einführung ____ § 189 bewirkt einen Ausgleich zwischen dem Recht des Adressaten (zur Begrifflich- 1 ____ ____keit vgl. § 166 Rdn. 10 ff.) auf rechtliches Gehör und den Interessen der Verfahrensbe____teiligten an der effektiven Durchsetzung ihrer Rechte (Justizgewährungsanspruch). ____Die Zustellung selbst und die an sie geknüpften Wirksamkeitsvoraussetzungen dienen in ____weitem Umfang der verfassungsrechtlich gebotenen Wahrung rechtlichen Gehörs (vgl. ____Vor § 166 Rdn. 1). Zugunsten der betreibenden Partei erleichtern die Zustellungsvor____schriften den Nachweis der erfolgten Zustellung und die rechtliche Erreichbarkeit des ____Adressaten. Der Zweck der Zustellung, dem Adressaten zuverlässige Kenntnis von dem zuzustel- 2 ____ ____lenden Dokument zu verschaffen, kann indes im Einzelfall auf andere Weise erreicht ____werden.1 Ist das zu übermittelnde Dokument mit Zustellungswillen (vgl. Rdn. 23) dem ____Adressaten auf solche Weise tatsächlich zugegangen, so wird damit den rechtlich ge____schützten Interessen des Adressaten grds. in vollem Umfang Rechnung getragen.2 Es ____besteht daher regelmäßig kein Grund, ungeachtet dessen an der Einhaltung der Forma____lien festzuhalten. Deshalb sieht § 189 grds. eine Heilungswirkung mit Zugang des ____Schriftstücks vor. Die Norm ist ihrem Zweck gemäß weit auszulegen.3 Der Nachweis des ____Zugangs i.S.d. Norm (im Freibeweis)4 obliegt in jedem Falle dem Betreibenden. Nachteile ____entstehen dem Adressaten also nicht. Der Nachweis wird insbesondere dann als geführt ____gelten, wenn der Adressat auf das zuzustellende Dokument reagiert hat.5 ____ ____ ____1 BGHZ 17, 348, 352 f. = NJW 1955, 1399; BGH NJW 1965, 104; BGH NJW 1984, 926, 927; BGH NJW 1989, ____1154, 1155; BGH NJW 2001, 1946, 1948. ____2 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24; BGH NJW-RR 2011, 417, 418. 3 RGZ 123, 204, 206; BGH NJW 1989, 1154, 1155; OLG Nürnberg MDR 1982, 238; OLG Celle Rpfl. 1991, 166, ____167; Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. ____4 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 5; zu Einzelheiten BLAH/Hartmann Rdn. 12. ____5 Vgl. OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722; OLG Hamm FamRZ 2000, 898.

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§ 189

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ 3 Die Regelung des § 189 übernimmt inhaltlich weitestgehend die Vorläuferregelung ____des § 187 Satz 1 a.F. Sie hat die Regelung des heutigen § 8 VwZG zum Vorbild.6 Diese Hei____lungsvorschrift ist wiederum dem § 187 a.F. nachgebildet und deshalb im gleichen Sinne ____auszulegen;7 einschlägige Rechtsprechung kann deshalb weiterhin berücksichtigt wer____den. Der Anwendungsbereich des § 187 a.F. wurde durch die Reform vom 9.10.19408 we____sentlich erweitert; ältere Rechtsprechung kann daher nur noch sehr eingeschränkt zur ____Auslegung herangezogen werden.9 Eine redaktionelle Folgeänderung („Dokument“ statt ____zuvor „Schriftstück“) hat sich aus der Möglichkeit förmlicher Zustellung anderer Doku____mente als Schriftstücke aufgrund des JKomG vom 22.3.2005 ergeben (vgl. Vor § 166 ____Rdn. 3; § 166 Rdn. 16).10 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung vgl. Vor ____§ 166 Rdn. 23 f. ____ Eine wesentliche Änderung ergibt sich aus dem Verzicht auf die Übernahme des 4 ____§ 187 Satz 2 a.F.11 Nach dieser Norm konnte keine Heilung eintreten, soweit durch die ____Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden sollte. Demgegenüber eröffnet ____§ 189 nun auch für diese Fälle die Möglichkeit der Heilung. Ein großer Teil der bisherigen ____Rechtsprechung zu § 187 a.F. ist deshalb obsolet. ____ Die Vorschrift betrifft alle förmlich zuzustellenden Dokumente.12 5 ____ Zu weiteren rechtlichen Ansätzen einer Heilungswirkung vgl. Rdn. 33 ff. Zum Son6 ____derfall der Heilung von Mängeln bei grenzüberschreitenden Zustellungen vgl. § 183 ____Rdn. 53, 59, 104 f. ____ ____ II. Voraussetzungen und Folgen der Heilung ____ ____ 1. Die von der Heilung erfassten Mängel ____ ____ a) Kein Nachweis formgerechter Zustellung. Die Heilung ist zum einen dann 7 ____möglich, wenn eine Zustellung zwar erfolgt ist, ihre formgerechte Ausführung sich ____jedoch nicht nachweisen lässt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn die Zustel____lungsurkunde (§§ 182; 193), das Empfangsbekenntnis (§§ 174; 195 Abs. 2), der Rückschein ____(§ 175 Satz 2; § 183 Abs. 2 Satz 1) der Vermerk nach §§ 173 Satz 2, 184 Abs. 2 Satz 3 oder das ____Zeugnis der ersuchten Behörde nach § 183 Abs. 2 Satz 2 nicht auffindbar sind oder über____haupt nicht bzw. fehlerhaft erstellt wurden (die Beurkundung ist seit der Reform zum ____1.7.2002 nicht mehr Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung, vgl. Vor § 166 ____Rdn. 11 ff.). Für Einzelheiten vgl. die Kommentierung der jeweiligen Vorschrift. ____ Vorrangig ist der im Freibeweis mögliche Nachweis der Zustellung (vgl. § 182 8 ____Rdn. 1 ff., § 174 Rdn. 48 ff., § 175 Rdn. 9 f., § 183 Rdn. 46 ff., § 184 Rdn. 45 ff.).13 Dieser wird ____jedenfalls dann bedeutsam, wenn die wirksame Zustellung zeitlich vor dem nachweisli____ ____ ____ ____6 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24 f. (zur Vorläuferregelung in § 9 VwZG). ____7 BGHZ 100, 234, 238 = NJW 1987, 2868 m.w.N. ____8 RGBl. I, 1340. 9 Vgl. BGHZ 32, 114, 120 = NJW 1960, 1006, 1007. ____10 Vgl. BT(-Drucks.) 15/4067, S. 32. ____11 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____12 BGHZ 100, 234, 238 = NJW 1987, 2868; vgl. auch OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722 (einstweilige ____Verfügungen); OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 81, 82 m.w.N. (Scheidungsantrag); OLG Hamburg ZMR 1998, 713; BayObLG WuM 2000, 34 (WEG-Verfahren); LG Aachen NJW-RR 1990, 1344 (Arrestbefehl); AG ____Biedenkopf MDR 1983, 588 (Vorpfändung); OLG Düsseldorf Rpfl. 1989, 36 (Terminsladung); BGH NJW 1992, ____2235 (Schriftsätze nach § 261 Abs. 2); BGH NJW 1967, 823, 824 (Willenserklärungen nach § 132 BGB). ____13 Vergleichbar: MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 5.

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____chen tatsächlichen Zugang liegt und dies für die Einhaltung bzw. den Lauf von Fristen ____relevant wird. ____ Zum anderen ist die Heilung von Verstößen gegen Verfahrensvorschriften möglich, ____die zunächst zur Unwirksamkeit der Zustellung führen (dazu sogleich im Folgenden). ____ ____ b) Zugang unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften ____ ____ aa) Einführung. Die Vorschriften über die Zustellung sind fast durchweg zwingend ____(vgl. Vor § 166 Rdn. 21, 1 ff.). Zwingend sind all die Vorschriften, welche das Recht des ____Adressaten auf rechtliches Gehör durchsetzen sollen. Sofern einzelne Vorschriften aus ____der Sicht der Interessen eines Beteiligten nicht zwingend sind, berühren Verstöße gegen ____sie nicht die Wirksamkeit der Zustellung. In diesen Fällen bedarf es also keiner Anwen____dung des § 189. Welche Vorschriften in solchem Sinne nicht zwingend sind, ergibt sich ____aus der jeweiligen Kommentierung. ____ ____ bb) Verletzung von Vorschriften, welche den Zustellungsvorgang und die dar____an Beteiligten betreffen. Der Heilung grds. zugänglich sind Vorschriften, welche den ____Zustellungsvorgang und die daran Beteiligten betreffen. Dazu zählen Zuständigkeits____fragen (Zustellung im Partei- statt im vorgesehenen Amtsbetrieb14 und umgekehrt15 [vgl. ____§ 166 Rdn. 47 ff.], Zustellung durch die falsche Person, z.B. durch den Prozessbevoll____mächtigten anstelle des Gerichtsvollziehers im Parteibetrieb),16 soweit die Verletzung der ____Zuständigkeitsvorschriften die Unwirksamkeit der Zustellung bewirken (vgl. hierzu § 166 ____Rdn. 49 f.).17 ____ Heilbar sind ferner Mängel der Beurkundung (hierzu bei den einzelnen Vorschrif____ten), soweit sie die Wirksamkeit der Zustellung beeinträchtigen können. ____ Wird die Zustellung an eine andere Person als an den in Betracht kommenden Ad____ressaten oder Zustellungsempfänger bewirkt (vgl. zur Begrifflichkeit § 166 Rdn. 10 ff.; ____zum Personenkreis Vor § 170 Rdn. 2 f.), so sind auch diesbezügliche Mängel grds. heil____bar.18 Voraussetzung ist hierbei, dass der Zugang tatsächlich bei einem der in Betracht ____kommenden Adressaten erfolgt (vgl. Rdn. 18 ff.).19 Heilung ist demzufolge auch möglich, ____wenn das Schriftstück nicht an jeden von mehreren Adressaten übergeben wurde (vgl. ____hierzu § 166 Rdn. 44). So kann es z.B. bei der Zustellung an Ehegatten liegen.20 ____ ____ cc) Verletzung von Vorschriften, welche das zu übermittelnde Dokument be____treffen. Streitig ist, ob auch die Anforderungen an das zu übermittelnde Dokument ____selbst (vgl. § 166 Rdn. 27 und 34) zu den Zustellungsvorschriften zählen, die nach § 189 ____einer Heilung zugänglich sind.21 Die Rechtsprechung hat überwiegend eine Heilung bei ____ ____ ____14 A.A. BGH FamRZ 2010, 1328, 1329 m.w.N.; OLG Düsseldorf MDR 2010, 652; Zöller/Stöber Rdn. 3. Wie ____hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6; Musielak/Wolst Rdn. 2; Stein/Jonas/Roth Rdn. 14. ____15 OLG Celle OLGR 2000, 332, 333 f. ____16 OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722. 17 OLG Hamm NJW 1955, 873, 874; vgl. auch OLG Hamburg OLGR 2000, 475; OLG Celle OLGR 2000, ____261. ____18 BGHZ 61, 308, 310 = NJW 1974, 240, 241; BGH NJW 1983, 2448, 2449; BGH NJW 1984, 926, 927; OLG ____Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800; a.A. OLG Hamburg WRP 1993, 822, 824 m.w.N. zu beiden Ansichten. ____19 BGHZ 58, 177 ff. = NJW 1972, 1004; BGH NJW 1989, 1154, 1155 m.w.N. 20 BayObLGZ 1959, 435, 438. ____21 Befürwortend Thomas/Putzo/Hüßtege Rdn. 6; Musielak/Wolst Rdn. 2; differenzierend Zöller/Stöber ____Rdn. 8; ablehnend Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7; Stein/ ____Jonas/Roth Rdn. 16.

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____Übergabe einer unbeglaubigten Abschrift bzw. einer beglaubigten Abschrift ohne oder mit ____unvollständigem Ausfertigungsvermerk entgegen § 170 Abs. 1 a.F. angenommen.22 Damit ____wird es dem Adressaten aufgebürdet, die Authentizität der Abschrift selbst zu prüfen (vgl. ____auch § 166 Rdn. 40 ff.). Auch die Gesetzesbegründung zu § 18923 hebt auf „Mängel bei der ____Ausführung“ der Zustellung ab, worunter nicht ohne weiteres Mängel außerhalb der Zu____stellungshandlung selbst zu verstehen sind.24 Immerhin lehnt die Rechtsprechung ganz ____überwiegend eine Anwendung des § 189 dann ab, wenn es um weiterreichende Gegen____stände als einmalige Zahlungsansprüche geht.25 Dies gilt insbesondere für im Beschluss____wege ergangene Unterlassungsverfügungen nach §§ 922, 936. Hierbei entsteht das Unter____lassungsgebot erst durch Parteizustellung (§§ 922 Abs. 2, 191) an den Verfügungsgegner ____innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2. Die sanktionsbewehrte (§ 890) Unterlassungsver____pflichtung muss in solchen Fällen unzweifelhaft feststehen.26 Deshalb ist eine Heilung ____insoweit ausgeschlossen. ____ Eine Ausnahme ist für den Fall einzuräumen, dass trotz der Mängel des Schrift15 ____stücks seine Authentizität aufgrund anderer Umstände hinreichend sicher gewährleistet ____ist.27 ____ Sonstige Mängel des zuzustellenden Dokuments, die zur Unwirksamkeit der Zustel16 ____lung führen (vgl. § 166 Rdn. 25 ff., 41 f.), sind der Heilung nach § 189 nicht zugänglich.28 ____Dies gilt beispielsweise für die Zustellung in wesentlichen Bestandteilen (vgl. § 166 ____Rdn. 24 ff.) unrichtiger oder unvollständiger Urteils- oder Beschlussausfertigungen.29 Zur ____falschen Bezeichnung des Adressaten vgl. § 166 Rdn. 12 ff., § 170 Rdn. 26. ____ Nicht hierher gehört die Zustellung in wesentlichen Teilen unvollständiger Doku17 ____mente.30 Die Heilung hängt in solchen Fällen davon ab, ob dem Adressaten später das ____vollständige Dokument zugegangen (vgl. Rdn. 26 ff.) ist. ____ ____ ____ ____ ____ ____22 BGH NJW 1965, 104; BGH NJW 1967, 823, 824; BGHZ 76, 222, 229; OLG Nürnberg NJW 1976, 1101; OLG ____Celle FamRZ 1978, 414, 415; OLG Hamm NJW 1976, 2026; OLG Köln WRP 1980, 226; OLG Frankfurt a.M. ____OLGZ 1981, 99; OLG Koblenz NJW-RR 1987, 509, 510 (wegen § 187 S. 2 a.F. abgelehnt); OLG Hamm NJW-RR ____1988, 1535 (letztere für die beglaubigte Abschrift ohne bzw. ohne unterschriebenen und gesiegelten ____Ausfertigungsvermerk); OLG Stuttgart NJW-RR 1989, 1534; VGH Mannheim NJW 1989, 1180; zweifelnd BGHZ 100, 234, 239 f. = NJW 1987, 2868 m.w.N.; stark einschränkend OLG Hamm OLGZ 1979, 357, 358 f. = ____WRP 1979, 325, 326; OLG Hamm OLGZ 1989, 350, 352 f. = WRP 1989, 262; OLG Karlsruhe WRP 1989, 744, ____745; OLG Karlsruhe OLGZ 1992, 368, 371 ff. = WRP 1992, 339; ablehnend OLG Hamm NJW 1978, 830, 831; ____OLG Hamm WRP 1981, 37 m.w.N.; OLG Celle WRP 1993, 181; LG Braunschweig DGVZ 1982, 75 (die vier ____letzteren für die beglaubigte Abschrift ohne Ausfertigungsvermerk). 23 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 24. ____24 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. ____25 BGHZ 100, 234, 240 ff. = NJW 1987, 2868 m.w.N.; OLG Hamm WRP 1981, 37 f.; OLG Karlsruhe OLGZ ____1992, 368, 371 f. = WRP 1992, 339; abweichend OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1981, 99. ____26 OLG Hamm WRP 1981, 37 f. m.w.N.; OLG Karlsruhe WRP 1989, 744, 745; OLG Karlsruhe OLGZ 1992, ____368, 371 ff. = WRP 1992, 339; OLG Celle WRP 1993, 181. 27 So OLG Hamm OLGZ 1979, 357, 359 f. = WRP 1979, 325, 326; OLG Hamm OLGZ 1989, 350, 352 f. = WRP ____1989, 262; vergleichbar OLG Karlsruhe WRP 1989, 744, 745; OLG Karlsruhe OLGZ 1992, 368, 371 f. = WRP ____1992, 339; i.Erg. auch OLG Köln WRP 1980, 226 m.w.N.; LG Köln NJW-RR 1989, 191. ____28 Zöller/Stöber Rdn. 6. ____29 BGH VersR 1970, 623; BGH NJW 1981, 2256 f.; OLG Hamm OLGZ 1989, 350, 351 ff. = WRP 1989, 262 (alle zu fehlenden bzw. unzureichenden Wiedergaben der Unterschrift von Richtern, Rechtspflegern und ____Urkundsbeamten); OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 1684, 1685; a.A. hierzu OLG Stuttgart NJW-RR 1989, ____1534. ____30 Vgl. OLG Nürnberg 827, 828; OLG Frankfurt a.M. OLGZ 1993, 70.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____ 2. Zugang bei einem in Betracht kommenden Adressaten ____ ____ a) Der in Betracht kommende Adressat. Weitere Voraussetzung für die Heilung ____nach § 189 ist der Zugang bei einem Adressaten, an den die Zustellung dem Gesetz ge____mäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte. Hiervon erfasst sind alle in Betracht ____kommenden Adressaten (vgl. zur Begrifflichkeit und dem erfassten Personenkreis § 166 ____Rdn. 10 ff.; Vor § 170 Rdn. 2 f.).31 Das Dokument muss nicht zwingend an den in Betracht ____kommenden Adressaten gerichtet sein. Nach dem Gesetz genügt es, wenn es an ihn ge____richtet werden konnte, wenn er also möglicher Adressat im Sinne des Zustellungsrechts ____war. Damit wird die Heilung auch dann möglich, wenn der „falsche“ Adressat das Do____kument an ihn weiterleitet (hierzu Rdn. 21; 28). Wird der Adressat in doppelter Eigen____schaft tätig und wurde er bei der Zustellung in der falschen Funktion angesprochen, so ____ist die Zustellung zumindest nach dem Rechtsgedanken des § 189 wirksam.32 Bei mehre____ren eigenständigen Adressaten muss das zuzustellende Schriftstück (Ausfertigung) an ____jeden von ihnen zugestellt werden, wobei Kopien oder anderweitige Unterrichtung hier____für nicht ausreichen.33 Andererseits ist es unschädlich, wenn die mehrere Adressaten ____betreffenden Inhalte in einem einzigen (zuzustellenden) Schriftstück zusammengefasst ____sind,34 solange klar bleibt, welche inhaltlichen Teile sich an welchen Adressaten richten. ____ Für die nicht prozessfähige Partei ist grds. ihr gesetzlicher Vertreter der maßgebli____che Adressat (vgl. § 170 Rdn. 1 ff.; zu Ausnahmen § 170 Rdn. 3 ff.). Die Übermittlung an ____die vertretene Partei reicht also noch nicht aus. Erweiterungen finden sich in § 170 Abs. 2 ____und 3. Im Anwendungsbereich des § 172 ist der Prozessbevollmächtigte der einzige maß____gebliche Adressat.35 Die Übermittlung an die vertretene Partei genügt ebensowenig wie ____die an einen anderen Bevollmächtigten.36 Hierbei ist es jedoch ausreichend, wenn der ____erst später zum Prozessbevollmächtigten bestellte Anwalt das bereits – unwirksam – ____(vgl. § 195 Rdn. 24) zugestellte Schriftstück bei der Bestellung noch in Besitz hat.37 ____ Mögliche Adressaten sind auch Empfangsberechtigte38 wie der Bevollmächtigte ____gemäß § 171,39 insgesamt alle formellen Adressaten (vgl. § 166 Rdn. 11, Vor § 170 Rdn. 2). ____ Noch nicht ausreichend ist die Zustellung an einen Ersatzzustellungsempfänger ____(vgl. §§ 178; 182 Abs. 2 Nr. 2; dort Rdn. 25).40 Die Heilung kann erst mit Zugang beim Ad____ressaten nach erfolgter Weiterleitung an ihn eintreten. Die Gesetzesbegründung41 spricht ____zwar unscharf von Heilung bei Zustellung an „den Adressaten oder einen Empfangsbe____rechtigten“. Jedoch hat der Reformgesetzgeber die Bezeichnung derjenigen Personen, ____bei denen der Zugang tatsächlich erfolgt sein muss, aus der Vorgängerregelung des § 187 ____ ____ ____31 Vgl. hier nur BGH BeckRS 2011, 27449 (Bevollmächtigter). ____32 BGHZ 32, 114, 120 = NJW 1960, 1006, 1007. 33 VGH Kassel NJW 2009, 1624, 1625 m.w.N. ____34 VGH Kassel NJW 2009, 1624, 1625. ____35 BGH NJW 1984, 926, 927; vgl. auch BGH NJW 1983, 2448, 2449; OLG Hamburg WRP 1993, 822, 823 f. für ____die Zustellung einer Unterlassungsverfügung nach §§ 922, 936; vgl. auch BFH v. 24.6.2003 (I B 30/03), ____BFH/NV 2003, 1434. ____36 BGHZ 61, 308, 310 = NJW 1974, 240, 241; BGH VersR 1978, 720; BGH NJW 1984, 926; BGH NJW 1991, 2086; BGH JZ 1996, 978; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 799, 800; OLG Karlsruhe WRP 1986, 166, 167; OLG ____Hamm OLGZ 1991, 450, 451; BayObLG FamRZ 1994, 1599; OLG Braunschweig NJW-RR 1996, 380, 381; OLG ____Celle NJWE-WettbR 1998, 1, 2. ____37 BGH NJW 1989, 1154; OLG Bremen NJW 1969, 2243. ____38 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. 39 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8. ____40 BGH NJW 2001, 1964, 1947 f.; OLG Köln NJW-RR 1987, 575, 576; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3; ____MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 8; Zöller/Stöber Rdn. 3 (unklar Rdn. 10). ____41 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25.

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____Satz 1 a.F. übernommen. Auch geben die Gesetzgebungsmaterialien keinerlei Hinweis ____darauf, dass eine Änderung der bisherigen Lage beabsichtigt war. Vor allem aber ist zu ____bedenken, dass § 189 eine Ausnahmeregelung für die Fälle darstellt, in denen der Adres____sat (als der materiell Betroffene) tatsächlich sein Recht auf rechtliches Gehör verwirk____lichen kann. Dies ist jedoch bei Aushändigung an einen Ersatzzustellungsempfänger ____gerade noch nicht gewährleistet, vor allem dann, wenn gerade bei diesem Vorgang Zu____stellungsvorschriften verletzt worden sind. ____ ____ b) Zugang. Zugang i.S.v. § 189 bedeutet die Aushändigung des Schriftstücks bzw. 22 ____Übermittlung des sonstigen förmlich zustellungsfähigen Dokuments mit Zustellungswil____len des Betreibenden (sogleich Rdn. 23), Annahmewillen des Adressaten in den Fällen ____der §§ 174, 195 und der realen – nicht fiktiven – Möglichkeit, vom Inhalt Kenntnis zu neh____men (vgl. Rdn. 24 f.). Damit ist dem Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör Genüge ____getan. ____ ____ 23 aa) Zustellungswille. Die Übermittlung des Dokuments an den Adressaten muss ____mit dem Willen erfolgen, die Rechtsfolgen der Zustellung herbeizuführen (vgl. § 168 ____Rdn. 5 ff.).42 Es genügt also nicht die formlose Mitteilung43 oder gar zufällige Kenntniser____langung44 des Adressaten ohne Zutun des Betreibenden. Hierbei kommt es auf den Wil____len dessen an, der für die Zustellung zu sorgen hat, nicht auf den von ihm unterstellten ____ausführenden Personen.45 So wird auch die formlose Mitteilung geheilt, wenn der (zu____ständige) Richter die Zustellung gewollt und verfügt hat.46 Der Zustellungswille wird ____nicht ohne weiteres dadurch beseitigt, dass fälschlich im Partei- statt im Amtsbetrieb ____oder umgekehrt zugestellt wurde.47 Hinsichtlich des Willens, der auf die Herbeiführung ____der Rechtsfolgen der Zustellung gerichtet ist, dürfte regelmäßig Übereinstimmung zwi____schen dem Betreibenden und den eigentlich Zuständigen herrschen. Deshalb kommt hier ____auch eine Heilung des damit verbundenen Zustellungsmangels in Betracht (vgl. Rdn. 11). ____Bei notwendiger Zustellung an mehrere eigenständige Adressaten (vgl. Rdn. 18) muss ____sich der Zustellungswille auf jeden dieser Adressaten richten.48 Zu Einzelfällen vgl. ____§§ 168 Rdn. 5 ff.; § 174 Rdn. 15 f. ____ ____ bb) Annahmewille des Adressaten. Der Annahmewille ist nur bei der Zustellung 24 ____nach § 174 und nach § 195 erforderlich (vgl. § 174 Rdn. 19 ff.; § 195 Rdn. 27). ____ 25 Der erforderliche Annahmewille zeigt sich regelmäßig in der Entgegennahme des ____Schriftstücks bzw. qualitativ vergleichbaren Handlungen bei anderen förmlich zustel____lungsfähigen Dokumenten. Die bloße Einrichtung eines Empfangsgeräts (z.B. für Tele____ ____ 42 BGHZ 7, 268, 270 = NJW 1952, 1375, 1376; BGH NJW 1969, 1297, 1300; BGH FamRZ 1981, 167; BGH ____FamRZ 1989, 494; BGH FamRZ 1990, 866; BGH FamRZ 1993, 309; BGH NJW 1994, 2297; BGH NJW 2003, ____1192, 1193; BGH NJW-RR 2011, 417, 418; OLG Celle FamRZ 1978, 414, 415; OLG Köln FamRZ 1986, 278, 279 m. ____Anm. Becker-Eberhard a.a.O., 281 m.w.N.; LG Marburg DGVZ 1983, 119, 121; LG Hechingen DGVZ 1986, 188, ____189; LG Aachen NJW-RR 1990, 1344; a.A. OLG Düsseldorf NJW 1951, 968. ____43 BGHZ 7, 268, 270 = NJW 1952, 1375, 1376; BGH FamRZ 1993, 309; OLG Hamm NJW-RR 1994, 63; OLG Jena FamRZ 1998, 1446; LG Kiel NJW-RR 1997, 1021, 1022. ____44 OLG Köln FamRZ 1986, 278, 279 m. Anm. Becker-Eberhard ebenda; a.A. LG Köln NJW 1961, ____1478. ____45 Vgl. BGH NJW 1956, 1878, 1879; BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214 (zu § 212 a a.F.); LG Marburg DGVZ 1983, ____119, 121; LG Hechingen DGVZ 1986, 188, 189. 46 BGH NJW 1956, 1878. ____47 A.A. nun BGH FamRZ 2010, 1328, 1329; vgl. zu den unterschiedlichen Ansichten die Nachweise bei ____Rdn. 11. ____48 VGH Kassel NJW 2009, 1624, 1625.

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3. Abschnitt. Verfahren

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____kopien) erfüllt diese Voraussetzung nicht ohne weiteres.49 Probleme können sich bei der ____Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§§ 174; 195) ergeben. Fehlen des Annahmewillens ____kann nicht geheilt werden.50 Allerdings kann der vorhandene Annahmewille auch nur ____konkludent durch späteres Verhalten zum Ausdruck gebracht werden.51 Zu Einzelheiten ____vgl. § 174 Rdn. 19 ff. ____ ____ cc) Tatsächlicher Zugang. Die Neuregelung des § 189 hat gegenüber der Vorgän- 26 ____gerregelung in § 187 Satz 1 a.F. eine Präzisierung hinsichtlich des Zugangserfordernisses ____mit sich gebracht. Nunmehr ist es explizit erforderlich, dass das Dokument „tatsäch____lich“ dem Adressaten zugeht. Dies setzt anders als bei den Zugangsregelungen des mate____riellen Bürgerlichen Rechts die gegenständliche Übernahme durch den Adressaten ____selbst voraus (vgl. Rdn. 18 ff.). Es genügt also nicht der bloße Eintritt in den Machtbe____reich.52 Dies erklärt sich aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Unwirksam____keitsfolge bei mangelnder ordnungsgemäßer Zustellung und deren ausnahmsweiser ____Heilung. Die Heilung ist nur gerechtfertigt, wenn das Recht des Adressaten auf rechtli____ches Gehör tatsächlich und nicht nur potentiell gewahrt wurde. Die Interessen der be____treibenden Partei verdienen insoweit anders als bei der rechtsgeschäftlichen Mechanik ____der Willenserklärung keinen Schutz. Der Betreibende hat es hingegen in der Hand, nach ____Möglichkeit sofort eine neue ordnungsgemäße Zustellung zu veranlassen. Auf der hier ____vertretenen Linie liegt die Aussage des BGH, wonach eine Heilung eintreten kann, wenn ____der Adressat das zuzustellende Schriftstück „in die Hand bekommen hat“.53 ____ Andererseits kann es nicht darauf ankommen, dass der Adressat vom Dokument 27 ____inhaltlich Kenntnis genommen hat. Der Begriff des Zugangs ist auch weiter zu verste____hen als derjenige der Übergabe in § 177 und in Anwendung des § 166. Übergabe im ____Sinne dieser Normen heißt die Aushändigung bzw. Übermittlung zum Verbleib54 beim ____Adressaten (vgl. § 166 Rdn. 45 f.); nach Maßgabe des § 179 genügt Zurücklassen des ____Schriftstücks am Ort der Zustellung. Bei Schriftstücken wird dieses Erfordernis bei Aus____händigung unter ausdrücklicher Aufforderung einer Rücksendung nicht erfüllt. Jedoch ____kommt dann eine Heilung gemäß § 189 in Betracht,55 wenn der Adressat zumindest vor____übergehend in den Besitz des Schriftstücks gelangt.56 ____ Keine hinreichende Möglichkeit zur Kenntnisnahme bietet die mündliche57 oder 28 ____schriftliche58 Unterrichtung über den Inhalt des nicht selbst ausgehändigten Doku____ments.59 Auch die Übersendung eines inhaltsgleichen anderen Dokuments reicht nicht ____aus,60 wenn der Adressat damit nicht alle für die weitere Rechtsverfolgung nötigen In____formationen erhält.61 Ebensowenig soll die Möglichkeit zur Akteneinsicht unter Anferti____ ____ ____49 Vgl. OLG Hamburg NVwZ 2005, 235, 236. 50 BGH NJW 1989, 1154; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6; vgl. auch OLG Hamburg NVwZ 2005, 235, ____236; unklar BGH FamRZ 1972, 91, 92. ____51 BGH NJW 1989, 1154. ____52 BGH NJW 2001, 1964, 1948; differenzierend Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____53 BGH NJW 2001, 1946, 1948 m.w.N. ____54 BGHZ 24, 116, 117; BGH ZZP 65 (1952), 268, 269; BGHZ 36, 62, 65; OLG Stuttgart NJW 1956, 917 (LS); OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384. ____55 OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384. ____56 OLG Celle Rpfl. 1969, 63, 64; OLG Köln NJW-RR 1987, 575, 576; MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 8. ____57 BGHZ 70, 384, 387 = NJW 1978, 1325; BGH NJW 1992, 2099, 2100; OLG Köln NJW-RR 1987, 575, 576. ____58 OLG Hamm OLGZ 1991, 450, 451 = MDR 1992, 78. 59 VGH Kassel NJW 2009, 1624, 1625 m.w.N. ____60 OLG Hamm OLGZ 1991, 450, 451 = MDR 1992, 78. ____61 So wohl die Falllage bei Zustellung einer „Leseabschrift“ an den Prozessbevollmächtigten; vgl. BFH ____v. 24.6.2003 (I B 30/03), BFH/NV 2003, 1434.

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____gung einer Ablichtung genügen.62 Dies ist nur dann zutreffend, wenn nicht nachweislich ____alle relevanten Teile des Schriftstücks zum Verbleib beim Adressaten abgelichtet wur____den. Hat die Partei als „falscher“ Adressat von ihr selbst gefertigte Ablichtungen dem ____Prozessbevollmächtigten als „richtigem“ Adressaten übermittelt, so sind die Vorausset____zungen für den Zugang erfüllt.63 ____ Wird ein Schriftstück per Einschreiben zugesandt, so kommt es für den Zugang auf 29 ____die Art des verwendeten Einschreibens an. Beim gewöhnlichen Einschreiben erfolgt der ____Zugang nicht bereits mit dem Einwurf des Benachrichtigungszettels, sondern anders als ____bei der Zustellungsurkunde (vgl. § 182) erst mit Abholung des Einschreibens bei der ver____wahrenden Poststelle.64 In Einzelfällen darf sich allerdings der Adressat nach Treu und ____Glauben nicht auf mangelnden Zugang berufen, wenn er diesen vereitelt hat (vgl. unten ____Rdn. 34 f.).65 Die Nachteile des gewöhnlichen Einschreibens vermeidet das Einwurf-Ein____schreiben.66 ____ Der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs muss grds. nachgewiesen werden kön30 ____nen.67 Dabei genügt es, wenn ein terminus ante quem (Zeitpunkt, vor dem jedenfalls der ____Zugang erfolgte) festgestellt werden kann.68 Ausnahmsweise ist die Feststellung des ____Zeitpunkts entbehrlich, wenn der tatsächliche Zugang als solcher bewiesen ist und es im ____konkreten Fall alleine darauf, nicht aber auf den Zeitpunkt ankommt.69 ____ ____ 3. Rechtsfolgen. Die Zustellung gilt als in dem Zeitpunkt bewirkt (Fiktion),70 in 31 ____dem das zu übermittelnde Dokument dem Adressaten (vgl. Rdn. 18 ff.) tatsächlich zu____gegangen ist (vgl. Rdn. 26 ff.). Der Beweis des Zugangs kann mit allen vorhandenen Be____weismitteln geführt werden.71 Eine Rückwirkung findet anders als bei § 295 nicht statt. ____ Anders als nach der Vorgängerregelung in § 187 Satz 1 („kann als bewirkt angesehen 32 ____werden“) tritt die Zustellungsfiktion des § 189 bei Vorliegen der Voraussetzungen ex ____lege ein. Sie liegt also nicht im Ermessen des Gerichts.72 Freilich wird im jeweiligen an____hängigen Verfahren inzident über das Vorliegen der Voraussetzungen der Norm mitent____schieden.73 Die Entscheidung hierüber wird ohne gesonderten Beschluss gefällt. Ent____scheidendes Gericht in solchem Sinne ist demnach jede mit dem laufenden Verfahren ____betraute Stelle.74 Die Entscheidung kann nicht durch Rechtsbehelfe herbeigeführt oder ____selbständig angegriffen werden, auch nicht im Verfahren nach § 23 EGGVG.75 ____ ____ ____62 OLG Nürnberg MDR 1982, 238. 63 Sinngemäß ebenso OLG Braunschweig NJW-RR 1996, 380, 381. ____64 BGHZ 67, 271, 275 = NJW 1977, 194; BGHZ 137, 205, 208 = NJW 1998, 976, 977; BAG NJW 1997, 146, 147 ____m.w.N.; Herbert NJW 1997, 1829, 1830 m.w.N. ____65 BAG NJW 1993, 1093, 1094 f.; BGHZ 137, 205, 209 f. = NJW 1998, 976, 977; BAG NJW 1997, 146, 147 ____m.w.N.; Schwarz NJW 1994, 891, 893; Herbert NJW 1997, 1829, 1830 m.w.N. 66 Vgl. hierzu Dübbers NJW 1997, 2503 f. ____67 Vgl. BGH NJW 1984, 926, 927. ____68 Vgl. OLG Rostock v. 13.8.2003 (1 M 102/03), NordÖR 2003, 446. ____69 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 15; Hornung Rpfl. 2002, 493, 502. ____70 Vgl. OLG Hamburg v. 27.3.2003 (2 Ws 174/03). ____71 Hornung Rpfl. 2002, 493, 502; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 9; Zöller/Stöber Rdn. 14. 72 Vgl. Hornung Rpfl. 2002, 493, 502; Musielak/Wolst Rdn. 4; Zöller/Stöber Rdn. 7; Hannich/Meyer-Seitz/ ____Häublein Rdn. 5. Zur vormaligen Rechtslage vgl. BGHZ 17, 348, 353 = NJW 1955, 1399; BGH NJW 1956, 1878, ____1879; BGH FamRZ 1981, 167; BGH NJW 1984, 926, 927; OLG Karlsruhe OLGZ 1992, 368, 372 = WRP 1992, 339 ____(„pflichtgemäßes Ermessen“; anders noch BGH NJW 1978, 426 („freies Ermessen“). ____73 Zöller/Stöber Rdn. 16. 74 Vgl. AG Biedenkopf und LG Marburg DGVZ 1983, 25, 26; LG Aachen NJW-RR 1990, 1344 zum ____Vollstreckungsverfahren. ____75 OLG Karlsruhe OLGZ 1985, 201 = RIW 1986, 62; a.A. für Ablehnung der „Zulassung“ BLAH/Hartmann ____Rdn. 15.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 190

____ III. Heilungswirkungen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 189 ____ ____ Eine Heilungswirkung durch Rügeverzicht ist nach Maßgabe des § 295 möglich.76 Vgl. ____hierzu und zu Nachweisen die Kommentierung der einzelnen Zustellungsvorschriften. ____ Darüberhinaus kann der auch im Prozessrecht grds. anwendbare Grundsatz von ____Treu und Glauben eingreifen.77 Dies setzt einen hinreichenden Vertrauenstatbestand ____zugunsten dessen voraus, der sich auf Treu und Glauben beruft. Generell spricht die im ____Interesse der Beteiligten notwendige Formenstrenge des Zustellungsrechts (vgl. Vor § 166 ____Rdn. 11) für eine sehr zurückhaltende Anwendung dieses Grundsatzes. Dies gilt insbe____sondere angesichts der weiten Heilungsmöglichkeiten nach § 189, der selbst eine Aus____prägung des Grundsatzes von Treu und Glauben darstellt. Für die Anwendung weiterge____henden Vertrauensschutzes verbleibt daher wenig Raum.78 ____ Die Rechtsprechung hat im nicht überprüfbaren Vertrauen auf die Unterzeichnung ei____nes Empfangsbekenntnisses (§§ 174, 195) keine hinreichende Grundlage für Vertrauens____schutz gesehen.79 Zudem stehen auch eigene Nachlässigkeit oder die des Prozessbevoll____mächtigten der Anwendung des Grundsatzes entgegen.80 Die nachgewiesenen Fälle leh____nen eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Ergebnis fast durchweg ____ab. ____ Im Einzelfall ist eine Verwirkung prozessrechtlicher Befugnisse denkbar.81 ____ ____ ____ § 190 ____ Einheitliche Zustellungsformulare ____ § 190 Rohe ____ Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ____mit Zustimmung des Bundesrates zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der ____Zustellung Formulare einzuführen. ____ ____ Die Regelung in § 190 dient dazu, das Massengeschäft der Zustellung weiterhin mög____lichst standardisiert abwickeln zu können, nachdem das Postmonopol gefallen ist (vgl. ____§ 33 Abs. 1 PostG und § 168 Abs. 1 Satz 2).1 Hierzu wird das Bundesministerium der Justiz ____zum Erlass einer Rechtsverordnung über die Verwendung von Formularen mit Zustim____mung des Bundesrates ermächtigt. Durch das JKomG vom 22. 3.2005 (vgl. Vor § 166 ____Rdn. 3; § 166 Rdn. 16) wurde als redaktionelle Folgeänderung der vormalige Begriff des ____„Vordrucks“ durch „Formular“ ersetzt, womit auch die elektronische Datenübermittlung ____erfasst wird.2 ____ Der Verordnungsgeber hat von dieser Ermächtigung mit Erlass der Verordnung zur ____Einführung von Vordrucken für die Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungs____ ____ ____76 Vgl. z.B. BGHZ 4, 328, 335 = NJW 1952, 545; BGHZ 70, 384, 386 ff.; BGH NJW 1984, 926; BGH NJW 1992, ____2099, 2100; BGH VersR 2002, 908, 909; OLG Koblenz WRP 1980, 643, 645; OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, ____799, 800; OLG Zweibrücken FamRZ 1989, 191 f.; BAG AP § 187 ZPO Nr. 4. 77 BGH NJW 1978, 426; BGH NJW 1995, 533; OLG Hamm NJW 1989, 3289; angedeutet in BGH NJW-RR ____1992, 1150, 1151. ____78 BGH NJW 1978, 426 f.; LG Frankfurt a.M. NJW 1990, 652 = IPRax 1990, 177 m. Anm. Roth a.a.O., 161 f. ____79 BGH NJW 1995, 533 zu § 212 a a.F. (ablehnend für ein nicht unterschriebenes Empfangsbekenntnis). ____80 BGH VersR 1968, 1143 (nicht unterschriebenes Empfangsbekenntnis). 81 Vgl. BFH v. 2.9.2003 (V B 129/02), BFH/NV 2004, 205. ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25; Hornung Rpfl. 2002, 493, 499. ____2 Vgl. BT(-Drucks.) 15/4067, S. 35.

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____vordruckverordnung – ZustVV) vom 12. 2.2002 Gebrauch gemacht.3 Eine Anpassung ____der ZustVV an die Normregelungen durch das JKomG ist nicht erfolgt und laut Auskunft ____des Bundesministeriums der Justiz auch nicht vorgesehen. ____ 3 § 1 der ZustVV sieht entsprechend den gesetzgeberischen Vorgaben4 im Einzelnen ____Vordrucke für die Zustellung von Schriftstücken mit Zustellungsurkunde nach § 182 ____Abs. 1 und 2 (Zustellungsurkunde) vor (Anl. 1 der VO), weiterhin für den Briefumschlag ____nach § 176 Abs. 1 (innerer Briefumschlag) (Anl. 2 der VO), ferner für den Postzustellungs____auftrag nach § 168 Abs. 1 (äußerer Umschlag/Auftrag) (Anl. 3 der VO) sowie für die ____schriftliche Mitteilung über die Zustellung durch Niederlegung nach § 181 Abs. 1 Satz 3 ____(Benachrichtigung) (Anl. 4 der VO). § 2 der ZustVV lässt gewisse Abweichungen zu. ____ § 190 ist eine Ordnungsvorschrift. Verstöße führen nicht zur Unwirksamkeit der 4 ____Zustellung,5 solange andersgeartete Formulare oder Mitteilungen den jeweiligen Zweck ____aus Sicht des Adressaten der Mitteilung in vergleichbarer Weise erfüllen und die erfor____derlichen Daten/Informationen darin enthalten sind. Einen Vertrauensschutz dahinge____hend, dass nur die vorgeschriebenen Formulare als hinreichend „seriös“ gelten können, ____um die enthaltene Mitteilung gegen sich gelten lassen zu müssen, ist jedenfalls gegen____wärtig nicht gegeben. ____ ____ ____ Untertitel II ____ Zustellung auf Betreiben der Parteien ____ ____ § 191 ____ Zustellung ____ § 191 Rohe ____ Ist eine Zustellung auf Betreiben der Parteien zugelassen oder vorgeschrieben, ____finden die Vorschriften über die Zustellung von Amts wegen entsprechende An____wendung, soweit sich nicht aus den nachfolgenden Vorschriften Abweichungen ____ergeben. ____ ____ Übersicht ____ 1 1. Einführung ____ 5 ____I. Einführung ____ 3 II. Anwendungsbereich 2. Ausführung der Zustellung ____ 6 ____ 3. Beurkundung der Zustellung ____ 10 ____III. Anwendbare Vorschriften ____ ____ ____ I. Einführung ____ Die Zustellung im Parteibetrieb bildet die Ausnahme gegenüber dem Regelfall der 1 ____Zustellung von Amts wegen (vgl. § 166 Abs. 2). Dem entspricht die Einordnung der ein____schlägigen Vorschriften nach den Vorschriften über die Amtszustellung.1 Damit hat der ____Reformgesetzgeber die schon seit der Vereinfachungsnovelle von 1976 überholte und ____vielfach kritisierte Systematik der Vorgängerregelungen den tatsächlichen Bedürfnissen ____angepasst. Weitgehend sind auch auf die Zustellung im Parteibetrieb die Vorschriften ____über die Zustellung im Amtsbetrieb entsprechend anwendbar. ____ ____ ____3 BGBl. I, S. 671, berichtigt 1.3.2002, S. 1019. 4 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____5 Der Gesetzgeber schweigt hierzu. ____ ____1 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25 sowie S. 15 (Zur Überschrift Vor § 166).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 191

____ Die Zustellung im Amtsbetrieb und die Zustellung im Parteibetrieb sind grds. nicht ____austauschbar.2 Zu den Rechtsfolgen einer Zustellung im jeweils nicht vorhergesehenen ____Verfahren vgl. § 166 Rdn. 48 ff.; zu Heilungsmöglichkeiten vgl. § 189 Rdn. 11. ____ ____ II. Anwendungsbereich ____ ____ Die Vorschriften über die Zustellung im Parteibetrieb greifen (nur) ein, wenn diese ____Form der Zustellung vorgeschrieben oder zugelassen ist. Grds. keine Zustellung stellt ____die Übergabe der beglaubigten Abschrift des Haftbefehls (§ 909 Abs. 1 Satz 2) bei der Ver____haftung des Schuldners gemäß § 909 dar;3 eine Zustellung ist aber zulässig.4 Die Norm ____des § 909 wurde mit Wirkung zum 1.1.2013 aufgehoben.5 ____ Die Zustellung im Parteibetrieb hat praktische Bedeutung im Erkenntnisverfah____ren nur noch für den Fall der Zustellung des Vollstreckungsbescheids nach § 699 Abs. 4, ____wenn die Partei es beantragt, und für die Zwangsvollstreckung (Schuldtitel, die aus____schließlich im Parteibetrieb zuzustellen sind, wie vollstreckbare Urkunden, Urkunden ____zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gemäß § 750 Abs. 2, § 751 Abs. 2, §§ 756, 765, 795, ____Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gemäß § 829 Abs. 2, § 835 Abs. 3 und 5, §§ 846, ____857 Abs. 1, § 858 Abs. 3, Benachrichtigungen gemäß § 845, Verzichte der Gläubiger auf ____die Rechte aus der Pfändung und Überweisung gemäß § 843) sowie in bestimmtem Um____fang für das Arrestverfahren (§ 922 Abs. 2) und das Verfahren der einstweiligen Verfü____gung (§ 936).6 Daneben wird sie für die Zustellung von Willenserklärungen (§ 132 BGB) ____benötigt.7 ____ ____ III. Anwendbare Vorschriften ____ ____ 1. Einführung. § 191 verweist auf die Vorschriften über die Amtszustellung, sofern ____nicht in §§ 192–195 spezielle Regelungen getroffen werden. Hierbei ist zwischen Vor____schriften über die Ausführung der Zustellung (dazu sogleich Rdn. 6 ff.) und deren Beur____kundung (dazu Rdn. 10 ff.) zu unterscheiden. ____ ____ 2. Ausführung der Zustellung. Bei der Zustellung im Parteibetrieb tritt der Ge____richtsvollzieher an die Stelle der Geschäftsstelle; § 192 Abs. 1 verdrängt weitestgehend ____die §§ 168 und 169. Im Verfahren vor dem Amtsgericht kann die Partei den Gerichtsvoll____zieher unter Vermittlung durch die Geschäftsstelle beauftragen (§ 192 Abs. 3). Der Ge____richtsvollzieher kann die Zustellung selbst durchführen (§ 193) oder die Post damit be____auftragen (§ 194). Möglich ist ferner in Anlehnung an die Zustellung im Amtsbetrieb (vgl. ____§ 174) die erleichterte Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195). ____ Im Übrigen finden die Vorschriften über die Zustellung im Amtsbetrieb entspre____chende Anwendung. Dies gilt im Einzelnen für ____– § 166 Abs. 1 (Definition der Zustellung) ____– § 167 (Rückwirkung der Zustellung)8 ____ ____ ____2 Vgl. hier nur OLG Celle OLGR 2000, 161; OLG Hamburg OLGR 2000, 475. ____3 AG Westerburg DGVZ 2003, 142. Dann entfallen insoweit auch Gebühren. ____4 LG Ulm NJW 1963, 867. ____5 Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.7.2009, BGBl. 2009, 2258 in Artt. 1 Nr. 20, 6. ____6 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 15 (Zur Überschrift vor § 166) sowie S. 25. ____7 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____8 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 16 (zu § 167).

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____– §§ 170, 171 und 172 (Zustellung an Vertreter, Bevollmächtigte und Prozessbevoll____ mächtigte) ____– §§ 176 Abs. 2, 177 bis 181 (Ausführung der Zustellung) ____– § 182 Abs. 1 und 2, wobei ergänzend §§ 193 und 194 anzuwenden sind ____– § 189 (Heilung) ____– § 190 (einheitliche Zustellungsvordrucke) ____ ____ Entsprechend anwendbar sind grds. auch die Vorschriften der §§ 183, 184 (Auslands8 ____zustellung) und der §§ 185 bis 188. Allerdings kann es bei der Zustellung im Parteibetrieb ____keinen Automatismus geben, welcher die Auslandszustellung bzw. die Bewilligung der ____öffentlichen Zustellung in Gang bringt. Deshalb ist zusätzlich ein dahingehender Antrag ____der betreibenden Partei erforderlich (vgl. § 183 Rdn. 5, 20, 54 für die Auslandszustellung; ____§ 186 Rdn. 7 f. für die öffentliche Zustellung). Zur Frage der Möglichkeit einer Zustellung ____durch Einschreiben mit Rückschein vgl. Vor §§ 183, 184 Rdn. 45 ff. ____ Nicht anwendbar sind 9 ____– § 166 Abs. 2 (ersetzt durch § 191) ____– § 168 (ersetzt durch § 192) ____– § 173 ____– § 174 (teilweise ersetzt durch § 195) ____– § 175 ____– § 176 Abs. 1 (für Zustellungsauftrag an die Post ersetzt durch § 194) ____– § 182 Abs. 3 (ersetzt durch § 194 Abs. 2). ____ ____ 3. Beurkundung der Zustellung. Die Beurkundung der Zustellung regeln §§ 193 ff. 10 ____für die Ausführung der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher selbst (auch durch Auf____gabe zur Post, §§ 193 Abs. 1 Satz 2, 184 Abs. 1 Satz 2), 194 für die Ausführung durch die ____Post im Auftrag des Gerichtsvollziehers und § 195 für die Zustellung von Anwalt zu An____walt. Ergänzend findet § 182 Anwendung. ____ ____ ____ § 192 ____ Zustellung durch Gerichtsvollzieher ____ § 192 Rohe ____ (1) Die von den Parteien zu betreibenden Zustellungen erfolgen durch den Ge____richtsvollzieher nach Maßgabe der §§ 193 und 194. ____ (2) Die Partei übergibt dem Gerichtsvollzieher das zuzustellende Schriftstück ____mit den erforderlichen Abschriften. Der Gerichtsvollzieher beglaubigt die Ab____schriften; er kann fehlende Abschriften selbst herstellen. ____ (3) Im Verfahren vor dem Amtsgericht kann die Partei den Gerichtsvollzieher ____unter Vermittlung der Geschäftsstelle des Prozessgerichts mit der Zustellung be____auftragen. Insoweit hat diese den Gerichtsvollzieher mit der Zustellung zu beauf____tragen. ____ ____ Übersicht ____I. Einführung ____ 1 2. Örtliche Zuständig____II. Zuständigkeit (Abs. 1) ____ 2 keit ____ 8 ____III. Stellung des Gerichtsvollziehers und Wir3. Wirkungen der Handlungen des Gerichtsvollziehers und Haftungs____ kungen seiner Handlungen; Haftungsververhältnisse ____ 9 ____ hältnisse ____ 5 ____ 1. Stellung des Gerichtsvollziehers Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 192

a) Anwendungsbereich ____ 15 ____IV. Voraussetzungen der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher; Vermittlung durch die b) Ausführung der Vermitt____ Geschäftsstelle (Abs. 3) lung ____ 19 ____ 1. Unmittelbare Einschaltung des GerichtsV. Ausführung der Zustellung ____ 20 ____ ____ vollziehers VI. Verfahren mit dem zuzustellenden Schrift12 ____ stück (Abs. 2) ____ 26 2. Vermittlung durch die Geschäftsstelle ____ ____ 15 des Prozessgerichts (Abs. 3) VII. Kosten ____ 28 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ Die Norm regelt die Zuständigkeit für die Zustellung im Parteibetrieb (Abs. 1); zu den ____relevanten Fällen vgl. § 191 Rdn. 4. Der Gerichtsvollzieher übernimmt insoweit die Funk____tion der Geschäftsstelle (vgl. § 168). Nach der Sonderregelung in Abs. 3 kann die Partei ____den Gerichtsvollzieher unter Vermittlung durch die Geschäftsstelle beauftragen. Abs. 2 ____trifft Bestimmungen über das zuzustellende Schriftstück und ggf. erforderliche Abschrif____ten. Heilung von Verstößen ist gemäß §§ 189,1 295 möglich. ____ ____ II. Zuständigkeit (Abs. 1) ____ ____ Die Zustellung im Parteibetrieb obliegt auch nach der Reform zum 1.7.2002 dem ____Gerichtsvollzieher. Dies gilt auch dann, wenn die Zustellung unter Vermittlung der ____Geschäftsstelle zulässig ist (vgl. Abs. 3). Der Verweis auf §§ 193 und 194 stellt klar, ____dass der Gerichtsvollzieher entweder persönlich zustellt (§ 193; davon erfasst ist auch die ____Aufgabe zur Post nach § 193 Abs. 1 Satz 2) oder die Post mit der Zustellung beauftragt ____(§ 194).2 Nach Maßgabe des § 195 ist daneben eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt ____möglich. ____ Die Einschaltung eines Boten genügt nicht.3 Nicht vorgesehen ist auch die Zustel____lung gegen Empfangsbekenntnis oder die Übersendung eines Einschreibens mit Rück____schein.4 ____ Nicht vorgesehen ist die unmittelbare Beauftragung der Post durch die Partei ____oder deren Vertreter. Indes geht auch die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers direkt oder ____vermittelt auf einen Auftrag der Partei zurück. Daher ist es jedenfalls im Ergebnis un____schädlich, wenn der Auftrag direkt von der Partei oder ihrem Vertreter erteilt wird, so____lange die Zustellung ordnungsgemäß ausgeführt wird. Die h.M. lehnt die Wirksamkeit ____einer solchen Zustellung grds. ab,5 jedoch ist eine Heilung möglich.6 Allerdings tritt die ____Wirkung des § 132 Abs. 1 BGB nur bei Zustellung durch Vermittlung eines Gerichtsvoll____ziehers ein.7 Auch ist die Post nicht verpflichtet, einen solchen Auftrag anzunehmen.8 ____ ____ ____ ____ ____1 Vgl. OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722. ____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. 3 LG Marburg DGVZ 1983, 119, 121; LG Hechingen DGVZ 1986, 188, beide zu § 845 Abs. 1 ZPO. ____4 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25 („kein praktisches Bedürfnis“); krit. hierzu Hannich/Meyer-Seitz/Häublein ____Rdn. 1; vgl. auch LG Marburg DGVZ 1983, 119, 121 (zu § 845 Abs. 1 ZPO). A.A. ohne Begründung und ____entgegen der Gesetzesbegründung obiter OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722. ____5 BVerwG NJW 1981, 2712; OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722; Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. 6 OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, 1722. ____7 BGHZ 67, 271, 277 = NJW 1977, 194; BVerwG NJW 1981, 2712. ____8 Insoweit zutreffend BVerwG NJW 1981, 2712; OVG Berlin JZ 1978, 273 (beide zur Rechtslage vor der ____Privatisierung).

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____ III. Stellung des Gerichtsvollziehers und Wirkungen seiner Handlungen; ____ Haftungsverhältnisse ____ ____ 5 1. Stellung des Gerichtsvollziehers. Eine bundesrechtliche Regelung der Stellung ____des Gerichtsvollziehers trifft § 154 GVG. Danach werden die Dienst- und Geschäftsver____hältnisse der Gerichtsvollzieher beim Bundesgerichtshof durch den Bundesminister der ____Justiz, bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. Gemäß ____§ 154 GVG sind Beamte mit den Tätigkeiten des Gerichtsvollziehers zu betrauen; Anlage I ____Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Maßgabe q Abs. 2 des Einigungsvertrages sieht ____jedoch vor, dass in den neuen Bundesländen auch Angestellte eingesetzt werden kön____nen. Mit der Gerichtsvollzieherordnung (GVO)9 und der Geschäftsanweisung für Ge____richtsvollzieher (GVGA)10 haben die Länder eine bundesweite weitreichende Rechtsver____einheitlichung bewirkt. Nur einzelne Länder betreffende Sonderregelungen finden sich ____in §§ 274 ff. GVGA und in Ergänzungsbestimmungen zu GVGA und GVO.11 ____ Der Gerichtsvollzieher übt sein Amt gemäß § 45 I GVO nach eigenem pflichtgemäßen 6 ____Ermessen aus. Dazu zählt beispielsweise die Entscheidung über die Art der Zustellung ____(vgl. §§ 193, 194 und oben Rdn. 2).12 An Vorschriften der Partei über die Art der Zustellung ____ist er deshalb nicht gebunden (vgl. unten Rdn. 21). Wird auch die Beauftragung der Post ____gemäß § 194 den praktischen Regelfall bilden, so entspricht doch angesichts der nicht ____immer befriedigenden Zuverlässigkeit der Postzustellung auch die persönliche Zustel____lung als Grundsatz dem pflichtgemäßen Ermessen.13 ____ Dienstbehörde ist das Amtsgericht, welches zugleich seinen Amtssitz begründet; 7 ____unmittelbarer Dienstvorgesetzter ist der aufsichtsführende Richter des Amtsgerichts § 2 ____GVO. ____ ____ 2. Örtliche Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit für die persönliche Vornahme 8 ____von Zustellungen ergibt sich aus den Dienstvorschriften der Landesjustizverwaltungen. ____Zustellungen kann der Gerichtsvollzieher auch durch Aufgabe zur Post bewirken (vgl. ____§ 184 Abs. 1 Satz 2). Verstöße gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (vgl. ____§ 20 Abs. 1 GVGA) beeinträchtigen die Wirksamkeit der Zustellung nicht.14 Dafür streitet ____ein Argument de maiore ad minus aus § 513 Abs. 2. Dagegen bewirkt ein Verstoß gegen ____die Befangenheitsvorschrift des § 155 Ziff. I. GVG Unwirksamkeit. Unwirksam ist auch die ____Zustellung auf fremdem Hoheitsgebiet oder bei Exterritorialen (dazu § 183 Rdn. 19, 35 f.). ____ ____ 3. Wirkungen der Handlungen des Gerichtsvollziehers und Haftungsverhält9 ____nisse. Der Gerichtsvollzieher handelt hoheitlich in Ausübung der staatlichen Ge____richtsbarkeit.15 Zwischen ihm und dem Gläubiger wird kein privatrechtliches Auftrags____verhältnis begründet; der in der ZPO gebrauchte Begriff „Auftrag“ zielt auf einen ____ ____ ____9 GVO vom 1.4.1980 mit späteren Änderungen; zuletzt i.d.F. vom 15.12.2003; s. unter http://www. ____datenbanken.justiz.nrw.de/pls/jmi/jvv_proc_bestand?v_bes_id=1188, zuletzt abgerufen am 3.5.2012; auch ____abgedruckt bei Piller/Hermann Nr. 9c; zu Neuerungen beim Weitersendungsantrag vgl. Paschold DGVZ 2005, 163 f. ____10 GVGA vom 1.3.1954 in der Fassung vom 1.7.2003; s. unter http://www.datenbanken.justiz.nrw.de/ ____pls/jmi/jvv_proc_bestand?v_bes_id=1238, zuletzt abgerufen am 3.5.2012; auch abgedruckt bei Piller/ ____Hermann Nr. 9 d. ____11 Abgedruckt bei Piller/Hermann Anhänge nach Nr. 9d (GVGA) und Nr. 9 c (GVO). 12 LG Bonn DGVZ 2004, 44, 45 m. zust. Anm. Kessel; Zöller/Stöber Rdn. 3. ____13 LG Bonn DGVZ 2004, 44, 45 m. zust. Anm. Kessel. ____14 Zöller/Stöber Rdn. 2. ____15 Vgl. RGZ (VZS) 82, 85 ff. zur Zwangsvollstreckung; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. Vor § 166 (a.F.) Rdn. 34.

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____verfahrensrechtlichen Antrag als Voraussetzung für das Tätigwerden des Gerichtsvoll____ziehers (dazu unten Rdn. 12) ab.16 Korrespondierend dazu handelt der Gerichtsvollzieher ____regelmäßig (Ausnahme: § 840) nur als Bote der Partei, nicht als deren Stellvertreter.17 Zu ____den Folgen für die Bindungswirkung von Weisungen der Partei vgl. Rdn. 21. ____ Dem hoheitlichen Handeln des Gerichtsvollziehers entspricht die Haftung gegen____über der Partei. Mangels vertraglicher Bindung kommen nur Ansprüche aus Amtshaf____tung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) in Betracht.18 Eine solche Haftung knüpft sich bei____spielsweise an eine ermessensfehlerhafte Entscheidung über die Art der Zustellung19 ____(vgl. § 21 Nr. 2, 4 GVGA mit dem Erfordernis persönlicher Zustellung). Auch muss sich der ____Gerichtsvollzieher im Falle von Problemen bei der Ausführung, die sich nachteilig auf ____die Interessen der betreibenden Partei auswirken könnten, sofort mit dem Auftraggeber ____in Verbindung setzen.20 ____ Der Gerichtsvollzieher kann die Zustellung eines Schriftstück ablehnen, wenn des____sen Inhalt aufgrund äußerer Einwirkung nicht mehr klar erkennbar ist. Praktisch gewor____denes Beispiel ist ein Schriftstück, das vermutlich wegen Durchschreibeffekten durch ____Zahlen, Striche und Worte verändert wurde, ohne dass erkennbar war, ob die Verände____rungen gewollt oder unbeabsichtigt erfolgten.21 Ebenso darf der Gerichtsvollzieher die ____Zustellung verweigern, wenn die Rechtsnachfolgeklausel unter einem zuzustellenden ____Titel (vgl. § 727) nicht ordnungsgemäß unterschrieben ist.22 Auch einen unwirksamen ____Titel muss er nicht zustellen.23 Dagegen darf er wegen des materiellen Inhalts des Schrift____stücks die Zustellung nicht verweigern.24 Zur Zustellung an Prozessunfähige vgl. § 170 ____Rdn. 3 ff. ____ ____ IV. Voraussetzungen der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher; Vermittlung ____ durch die Geschäftsstelle (Abs. 3) ____ ____ 1. Unmittelbare Einschaltung des Gerichtsvollziehers. Das Tätigwerden des Ge____richtsvollziehers setzt einen Antrag („Auftrag“) der Partei voraus. Den Antrag kann die ____Partei selbst oder aber ein Prozessbevollmächtigter oder ein anderer Vertreter stellen, ____auch ein anderer Anwalt als der Prozessbevollmächtigte.25 Fehlt es an einem entspre____chenden Antrag oder an der Vollmacht des Vertreters, so ist die Zustellung unwirksam ____(fehlender Zustellungswille). Jedoch ist eine – rückwirkende – Genehmigung durch die ____Partei möglich.26 ____ Grundsätzlich muss der Antrag unmittelbar an den Gerichtsvollzieher gerich____tet werden. Nach Maßgabe des Abs. 3 ist es daneben in Ausnahmefällen möglich, die ____Geschäftsstelle des Prozessgerichts zur Vermittlung des Zustellungsantrags einzuschal____ten. ____ ____ ____16 Vgl. RGZ 79, 216, 218; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Musielak/Wolst Rdn. 3 zu Abs. 3; Stein/ ____Jonas/Roth 21. Aufl. Vor § 166 (a.F.) Rdn. 34. ____17 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. Vor § 166 (a.F.) Rdn. 35 m.w.N. zur ____abweichenden Ansicht. 18 Vgl. RGZ 51, 258 ff.; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. Vor § 166 (a.F.) Rdn. 34; Zöller/Stöber Rdn. 1. ____19 Vgl. RGZ 91, 179, 181 ff. ____20 Vgl. RGZ 91, 179, 184. ____21 AG Itzehoe DGVZ 1985, 122. ____22 AG Bremen DGVZ 1981, 61, 62 mit einschränkender Anm. der Schriftleitung. 23 AG Köln Rpfl. 1969, 438. ____24 KG JR 1949, 151. ____25 RGZ 17, 392, 398 ff. ____26 RGZ 17, 411, 415; Zöller/Stöber Rdn. 4.

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____ 14 In beiden Fällen genügt eine formlose Beauftragung durch eine mündliche Erklä____rung27 oder auch schlüssiges Verhalten.28 Ersteres war im vormaligen § 167 Abs. 1 aus____drücklich vorgesehen. Die Streichung dieser Norm diente offenbar nur der Entlastung ____des Gesetzestexts, sollte aber keine sachliche Änderung bewirken. Die Erteilung des Auf____trags muss dem Adressaten nicht nachgewiesen werden.29 ____ ____ 2. Vermittlung durch die Geschäftsstelle des Prozessgerichts (Abs. 3) ____ ____ a) Anwendungsbereich. Gemäß Abs. 3 kann die Partei im Verfahren vor dem 15 ____Amtsgericht die Vermittlung der Geschäftsstelle des Prozessgerichts in Anspruch ____nehmen. Dies entspricht der Vorläuferregelung in § 166 Abs. 1 Satz 1 a.F. Prozessgericht ____ist auch das Vollstreckungsgericht.30 Entfallen ist die vormalige Einschränkung für Zu____stellungen im Anwaltsprozess (§ 166 Abs. 1 Satz 2 a.F.). Deshalb kann nun auch in Fami____liensachen, in denen Anwaltszwang besteht, die Geschäftsstelle zur Vermittlung einge____schaltet werden.31 Die Partei kann jedoch auch unmittelbar den Gerichtsvollzieher mit ____der Ausführung beauftragen.32 ____ Im Erkenntnisverfahren verbleibt für Abs. 3 kein Anwendungsbereich, da bei der 16 ____einzig in Betracht kommenden Zustellung von Vollstreckungsbescheiden im Parteibe____trieb die Vermittlung der Geschäftsstelle in § 699 Abs. 4 Satz 2 2. Hs ausgeschlossen wird. ____Bedeutsam ist Abs. 3 dagegen im Vollstreckungsverfahren (vgl. § 191 Rdn. 4; § 166 ____Rdn. 53).33 Gemäß § 764 Abs. 1 ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht unabhängig ____davon zuständig, welche Gerichtsinstanz den Vollstreckungstitel erlassen hat.34 ____ Die Vermittlung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur auf Ersuchen der Par17 ____tei.35 Abs. 3 Satz 2 setzt einen solchen Antrag voraus („insoweit“).36 Es besteht kein An____waltszwang (vgl. § 78 Abs. 3). Das Ersuchen kann mündlich oder auch durch schlüssi____ges Verhalten formuliert werden (vgl. oben Rdn. 14). Ein solcher Antrag liegt nicht ____schon zwingend im Antrag auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel (§ 727) oder einer ____vollstreckbaren Ausfertigung eines Vergleichs (§ 794 Abs. 1 Nr.5.37 Anderes wird in al____ler Regel für den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gel____ten. Jedoch sollte auch hier explizit das gewünschte Zustellungsverfahren genannt wer____den.38 ____ Für Zustellungen außerhalb gerichtlicher Verfahren ist die Vermittlung durch 18 ____die Geschäftsstelle ausgeschlossen.39 ____ ____ b) Ausführung der Vermittlung. Die Vermittlung erfolgt nach Maßgabe des Abs. 3 19 ____Satz 2. Die Geschäftsstelle selbst hat den Gerichtsvollzieher zu beauftragen. Anders als ____nach § 196 a.F. ist ein unmittelbares Ersuchen der Post um Zustellung nicht mehr zuläs____ ____ ____27 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Zöller/Stöber Rdn. 4, 8. ____28 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; Zöller/Stöber Rdn. 4. ____29 BGH NJW 1981, 1210. ____30 Zöller/Stöber Rdn. 7. 31 Musielak/Wolst Rdn. 3; a.A. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6. ____32 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____33 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____34 Vgl. Musielak/Wolst Rdn. 3. ____35 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 6; Zöller/Stöber Rdn. 8. 36 So auch Zöller/Stöber Rdn. 9. ____37 Zöller/Stöber Rdn. 9. ____38 So Zöller/Stöber Rdn. 9. ____39 Zöller/Stöber Rdn. 8; a.A. BLAH/Hartmann Rdn. 8.

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____sig. Hierüber entscheidet vielmehr allein der Gerichtsvollzieher (Abs. 1, § 194). Der zu____ständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (vgl. § 168 Rdn. 3 f.) handelt ebenso wie der ____Gerichtsvollzieher (vgl. Rdn. 9) hoheitlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Urkunds____beamte muss innerhalb seines Pflichtenkreises alles dazu tun, um die Zustellung ord____nungsgemäß und im Interesse der Partei möglichst effizient zu bewirken. Für Fehler ____greift die Haftung nach § 839 BGB, Art. 14 GG ein.40 Da es sich bei der Zustellungsvermitt____lung nach Abs. 3 um Zustellungen im Parteibetrieb handelt, muss der Urkundsbeamte ____jedoch die fehlende Anschrift des Zustellungsadressaten nicht selbständig ermitteln.41 ____ ____ V. Ausführung der Zustellung ____ ____ Der Gerichtsvollzieher kann die Zustellung selbst ausführen (vgl. § 193). Zu dieser 20 ____Art der Ausführung zählt auch die Zustellung durch Aufgabe zur Post nach § 184 Abs. 1 ____Satz 2, § 193 Abs. 1 Satz 2; die Tätigkeit der Post beschränkt sich in diesem Falle auf den ____bloßen – zustellungsrechtlich nicht bedeutsamen – Transport. Praktischer Regelfall ist ____jedoch schon aus Kostengründen die Einschaltung der Post in den rechtlichen Zustel____lungsvorgang (Zustellung durch die Post, § 194; vgl. dort Rdn. 5 ff.). Ferner ist nach Maß____gabe der §§ 185 ff. die öffentliche Zustellung möglich; im grenzüberschreitenden Rechts____verkehr sind die besonderen Vorschriften multi- und bilateraler Abkommen sowie § 183 ____zu beachten. Nicht zulässig ist die Einschaltung von Boten oder die Übermittlung durch ____Einschreiben mit Rückschein (vgl. oben Rdn. 3). Zur Ausführung durch Zustellung von ____Anwalt zu Anwalt vgl. § 195. ____ Da der Gerichtsvollzieher hoheitlich handelt (vgl. Rdn. 9), ist er an Weisungen der 21 ____Partei z.B. hinsichtlich der Zustellungsart nicht gebunden (vgl. Rdn. 9 ff.). Er entscheidet ____allein nach pflichtgemäßem Ermessen. Anweisungen der Partei hinsichtlich der Aus____führung können aber ein Indiz für ihre konkreten Interessen darstellen. Wenn der Ge____richtsvollzieher der Überzeugung sein kann, dass die Partei ihre Anweisungen mit Be____dacht gewählt hat, wird er sich deshalb von ihnen leiten lassen, sofern nicht wegen ____veränderter Umstände oder aus dienstlichen Interessen anderes geboten ist. Auch wenn ____die Partei keine Anweisungen erteilt, wird das pflichtgemäße Ermessen in der Regel in ____Richtung auf eine Zustellung durch die Post gemäß § 194 gebunden sein, wenn nicht die ____Ausführung durch den Gerichtsvollzieher selbst erforderlich erscheint. Zum pflichtge____mäßen Ermessen zählt es, die Kosten für die Partei möglichst gering zu halten. Zwar ____wurde die Regelung des § 197 a.F., wonach überflüssige Mehrkosten aufgrund der Aus____führung durch den Gerichtsvollzieher selbst nicht im Rahmen der Prozesskostenerstat____tung geltend gemacht werden können, mit der Reform zum 1.7.2002 nicht übernommen. ____Der dieser Regelung zugrundeliegende Gedanke einer Vermeidung unnötiger Mehrkos____ten bleibt aber weiterhin gültig. ____ Maßstab für die Beurteilung ist die Perspektive eines verständigen die Zustellung 22 ____Betreibenden ex ante. Danach darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass die ____Postbediensteten über die Vorschriften der §§ 177 ff. unterrichtet sind und deren Bedeu____tung kennen. Weiß allerdings der Gerichtsvollzieher, dass es im relevanten Zustellbezirk ____zu größeren Unregelmäßigkeiten gekommen ist, so kann eine eigenhändige Ausführung ____angezeigt sein. Die Vornahme durch den Gerichtsvollzieher selbst kommt daneben in ____Betracht, wenn besondere Eilbedürftigkeit oder Wichtigkeit vorliegt.42 Schließlich ist ____ ____ 40 Vgl. RGZ 51, 258; RGZ 79, 216; Stein/Jonas/Roth 21. Aufl. § 168 (a.F.) Rdn. 2, Stein/Jonas/Roth § 168 ____Rdn. 3. ____41 LG Berlin MDR 1971, 400. ____42 RGZ 91, 179, 181 f.

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____persönliche Ausführung angezeigt, wenn im Hinblick auf den Adressaten eine Postsper____re gemäß § 99 InsO verhängt worden ist. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass ____die Post entsprechend ihren internen Vorschriften die Zustellung nicht ausführen, son____dern die Sendung als unzustellbar zurücksenden wird. Vergleichbares gilt für die Zustel____lung von Sendungen, welche die Post nach ihren internen Vorschriften nicht zur Zustel____lung übernimmt. Stellt die Post dennoch eine solche Sendung zu, so berührt dies nicht ____die Wirksamkeit der Zustellung. ____ Eine Zustellung durch die Post muss auch dann ausscheiden, wenn damit nicht die 23 ____erstrebte Rechtsfolge erzielt werden kann. So verhält es sich bei der Zustellung des Pfän____dungsbeschlusses an den Drittschuldner mit der Aufforderung gemäß § 840 und bei Zu____stellung von Willenserklärungen, die nur unter gleichzeitiger Urkundenvorlage wirksam ____werden (vgl. § 132 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 111 Satz 2, 174 Satz 1, 410 Abs. 1 Satz 2, 1160 Abs. 2, ____1831 Satz 2 BGB. Nichtbeachtung führt insoweit allerdings nicht zur Unwirksamkeit der ____Zustellung selbst. Jedoch werden die erstrebten Rechtsfolgen nicht ohne weiteres her____beigeführt. Für den Pfändungsbeschluss mit Aufforderung nach § 840 ergibt sich dies ____daraus, dass dem Drittschuldner nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden darf, die ____Erklärungen gemäß § 840 Abs. 3 dem Gerichtsvollzieher gegenüber mündlich abzuge____ben. Auch insoweit bleibt zwar die Zustellung selbst wirksam. Jedoch bietet sie keine ____Grundlage für den Anspruch auf Abgabe der Erklärungen nach § 840 Abs. 1 und eventu____elle Schadensersatzansprüche nach § 840 Abs. 2.43 ____ Weitere Amtspflicht ist es, die Ausführung der Zustellung bei der Einschaltung der 24 ____Post als Gehilfen zu überwachen44 (vgl. § 194 Rdn. 11). ____ Die Zustellung ist beim Adressaten zu bewirken, jedoch nicht notwendig unter sei25 ____ner direkten Beteiligung. Hier gelten die allgemeinen Regelungen über die Zustellung an ____Vertreter und (Ersatzzustellungs-)Empfänger (vgl. § 166 Rdn. 9 ff.; Vor § 170 Rdn. 2 f.; ____§ 191 Rdn. 5). ____ ____ VI. Verfahren mit dem zuzustellenden Schriftstück (Abs. 2) ____ ____ Die Partei übergibt dem Gerichtsvollzieher das zuzustellende Schriftstück (Ur26 ____schrift;45 gemeint ist hier das in §§ 193 und 194 genannte Dokument;46 vgl. § 166 Rdn. 19 ____zu den formalen Anforderungen) mit den erforderlichen Abschriften (Satz 1; vgl. zum ____Begriff § 166 Rdn. 40 ff.; § 169 Rdn. 10). Bei Vermittlung durch die Geschäftsstelle (Abs. 3) ____sind die Dokumente der Geschäftsstelle zu übergeben. Bei fehlender Urschrift bzw. ____Ausfertigung (vgl. § 166 Rdn. 19 ff.) erfolgt keine Zustellung. Fehlt die erforderliche ____Anzahl von Abschriften (grds. ein Exemplar für jeden Adressaten; vgl. zu Einzelheiten ____§ 166 Rdn. 44 ff.; § 170 Rdn. 33 ff.) von Abschriften, so kann der Gerichtsvollzieher sie ____selbst herstellen (Satz 2 2. Hs; vgl. § 26 Nr. 2 Satz 5, 6 GVGA). Diese Kompetenz wird ____durch Vorschriften der GVGA oder durch Weisungen des Gerichts nicht eingeschränkt.47 ____Bei Vermittlung durch die Geschäftsstelle hat diese die erforderlichen Abschriften aus____nahmsweise dann selbst herzustellen, wenn der Partei Prozesskostenhilfe bewilligt wur____de, ihr aber kein Rechtsanwalt beigeordnet ist (vgl. § 26 Nr. 2 Satz 3 GVGA).48 Gemäß § 26 ____ ____ ____43 RGZ 60, 330, 332 ff.; LG Tübingen MDR 1974, 676 f. Weitere Nachweise auch zur a.A. bei § 840 Rdn. 9. ____44 RGZ 91, 179, 184. ____45 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Zöller/Stöber Rdn. 5. 46 So zutreffend Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2; vergleichbar MünchKomm-ZPO/Häublein ____Rdn. 3; Zöller/Stöber Rdn. 5; LG Saarbrücken DGVZ 2004, 93, 94; unklar BLAH/Hartmann Rdn. 6 f. ____47 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; AG Berlin-Tiergarten DGVZ 1983, 78. ____48 Hornung Rpfl. 2002, 493, 502; Zöller/Stöber Rdn. 6.

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____Nr. 2 Satz 4 GVGA kann der Gerichtsvollzieher aber auch Nachlieferung verlangen, so____fern nicht der Erfolg wegen Fristablaufs vereitelt zu werden droht. Ein Anspruch der ____Partei auf Herstellung der Abschriften durch den Gerichtsvollzieher kommt nach Sinn ____und Zweck der Norm nur dort in Betracht, wo andernfalls die Rechtsvereitelung droht.49 ____Im übrigen ist es Sache der Partei, die Abschriften bereitzustellen.50 Allerdings hat der ____Gerichtsvollzieher die Entscheidung darüber, ob er selbst gegen Kostenerstattung Ab____schriften herstellt oder ob er Abschriften nachfordert, nach pflichtgemäßem Ermessen zu ____fällen. Wenn die Partei um Herstellung gegen Kostenübernahme gebeten hat und der ____Kostenerstattungsanspruch nicht gefährdet erscheint, wird eine Ablehnung der Herstel____lung in aller Regel pflichtwidrig sein;51 sie widerspricht dem Anliegen effizienter Rechts____gewährung und -durchsetzung. Im Zeitalter weiter Verbreitung von Photokopiergeräten ____dürfte der Belastungsmehraufwand des Gerichtsvollziehers zur quantité négligeable ____schrumpfen. Dabei besteht kein Unterschied zwischen anwaltlich vertretener und nicht ____vertretener Partei, weil die Weigerung immer zu einem vermeidbaren Zusatzaufwand ____führen wird. ____ Der Gerichtsvollzieher beglaubigt die Abschriften (Satz 2 1. Hs.), sofern dies nicht ____schon der Rechtsanwalt vorgenommen hat.52 Diese Funktion ist beschränkt auf Zustel____lungsvorgänge.53 Der Gerichtsvollzieher bleibt auch bei Vermittlung durch die Geschäfts____stelle nach Abs. 3 für die Beglaubigung zuständig.54 Für die Beglaubigung gelten die ____Ausführungen zu § 169 Abs. 2 Satz 1 sinngemäß (vgl. § 169 Rdn. 9 ff.). ____ ____ VII. Kosten ____ ____ Das Gesetz über Kosten der Gerichtsvollzieher (GVKostG)55 und die dazu verabschie____deten Durchführungsbestimmungen der Länder56 bestimmen über Art und Höhe der Ge____bühren für Amtshandlungen des Gerichtsvollziehers. Für das Gebiet der neuen Länder ____ist in Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 23 Maßgabe a eine Ermäßigung ____vorgesehen. Der zustellenden Partei bewilligte Prozesskostenhilfe umfasst gemäß § 122 ____Abs. 1 Nr. 1 a) auch die Gerichtsvollzieherkosten. ____ Bevor der Gerichtsvollzieher tätig wird, muss grundsätzlich ein Betrag eingezahlt ____werden, der voraussichtlich die Gebühren und baren Auslagen deckt (§ 4 GVKostG). Für ____Kostenstreitigkeiten steht gemäß § 5 GVKostG bzw. § 766 Abs. 2 ZPO die Erinnerung of____fen, über die im Beschlussweg entschieden wird. Der Gebühreneinzug erfolgt nach Maß____gabe des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Justizbeitreibungsordnung. ____ Die Kosten einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher muss die unterlegene Par____tei gemäß § 91 erstatten, wenn die zustellende Partei trotz der Möglichkeit einer Zustel____lung von Anwalt zu Anwalt ein berechtigtes sachliches Interesse an der Einschaltung des ____Gerichtsvollziehers hat.57 Dagegen besteht gemäß § 197 keine Pflicht der unterlegenen ____ ____ ____49 Für andere Fälle offen gelassen im Hinblick auf die anwaltlich vertretene Partei in KG DGVZ 1987, 26, ____28; generell offen gelassen in AG Berlin-Charlottenburg DGVZ 1981, 42, 43. ____50 Vgl. KG DGVZ 1987, 26, 28; a.A. AG Berlin-Tiergarten DGVZ 1983, 78; Stein/Jonas/Roth Rdn. 6 ff. 51 Wie hier i.Erg. Kühne DGVZ 1981, 57. ____52 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25 und §§ 169 Abs. 2 S. 2, 191. ____53 RGZ 33, 399, 400 f. ____54 Zöller/Stöber Rdn. 6. ____55 GvKostG vom 19.4.2001, abgedruckt bei Schönfelder Nr. 123. 56 DB-GvKostG i.d.F. vom 8.1.2008 zuletzt am 18.5.2012 abgerufen unter www.datenbanken.justiz.nrw. ____de/pls/jmi/jvv_proc_bestand?v_bes_id=1125&Begriff=Gerichsvollzieherkostengesetz. ____57 KG DGVZ 1981, 59 m.w.N. für die Zustellung einer im Beschlusswege erlassenen einstweiligen ____Verfügung.

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____Partei zur Mehrkostentragung, wenn eine Zustellung durch die Post (§ 193) unter Berück____sichtigung der Interessen der zustellenden Partei möglich gewesen wäre. ____ Das Betreiben der Zustellung durch den Verfahrensbevollmächtigten begründet kei31 ____nen Anspruch auf eine zusätzliche Gebühr nach §§ 18 Nr. 4, 25 RVG, von der Verfahrens____gebühr, vgl. Nr. 3100, 3200, 3206 VV, erfasst.58 ____ Für die Beglaubigung durch den Gerichtsvollzieher fällt gemäß § 9 GvKostG i.V.m. 32 ____Nr. 102 KVGv eine Beglaubigungsgebühr in Höhe der Dokumentenpauschale nach Nr. 700 ____KVGv an. ____ ____ ____ § 193 ____ Ausführung der Zustellung ____ § 193 Rohe ____ (1) Der Gerichtsvollzieher beurkundet auf der Urschrift des zuzustellenden ____Schriftstücks oder auf dem mit der Urschrift zu verbindenden hierfür vorgesehe____nen Formular die Ausführung der Zustellung nach § 182 Abs. 2 und vermerkt die ____Person, in deren Auftrag er zugestellt hat. Bei Zustellung durch Aufgabe zur Post ____ist das Datum und die Anschrift, unter der die Aufgabe erfolgte, zu vermerken. ____ (2) Der Gerichtsvollzieher vermerkt auf dem zu übergebenden Schriftstück den ____Tag der Zustellung, sofern er nicht eine beglaubigte Abschrift der Zustellungsur____kunde übergibt. ____ (3) Die Zustellungsurkunde ist der Partei zu übermitteln, für die zugestellt ____wurde. ____ ____ Übersicht ____ 1 III. Datumsvermerk auf dem zuzustellenden ____I. Einführung Schriftstück (Abs. 2) ____ 6 ____II. Beurkundung der Ausführung der Zustellung (Abs. 1) IV. Verfahren mit der Zustellungsurkunde ____ 1. Regelfall (Satz 1) ____ 2 (Abs. 3) ____ 10 ____ 2. Beurkundung bei Zustellung durch ____ Aufgabe zur Post (Satz 2) ____ 5 ____ ____ ____ I. Einführung ____ Die Vorschrift des § 193 entspricht im wesentlichen den §§ 190, 192 a.F.1 Ergänzend 1 ____ ____zu § 182 Abs. 2 regelt sie die Beurkundung der Zustellung, die der Gerichtsvollzieher ____auf Betreiben der Partei (§§ 191, 192) ausgeführt hat (Beweissicherung).2 Für die Ausfüh____rung der Zustellung selbst und die Beurkundung gelten im übrigen §§ 191, 177 ff. (vgl. ____§ 191 Rdn. 7). ____ ____ II. Beurkundung der Ausführung der Zustellung (Abs. 1) ____ ____ 1. Regelfall (Satz 1). Die Regelung des Abs. 1 nimmt inhaltlich Bezug auf 182 Abs. 2. 2 ____Wie bei der Zustellung im Amtsbetrieb muss auch die Zustellung im Parteibetrieb gemäß ____ ____ ____58 So OLG Düsseldorf VersR 1988, 860, 861 hins. §§ 57, 59 BRAGO zur Prozessgebühr, zur Struktur des RVG vgl. auch BBSpecial 4/2004, 1, 5 f. ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 193

____§ 182 Abs. 1 und 2 beurkundet werden (vgl. auch § 191 Rdn. 10). Der Gerichtsvollzieher ____beurkundet auf der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks (vgl. § 192 Rdn. 26 f.) oder ____auf dem mit der Urschrift zu verbindenden hierfür vorgesehenen Vordruck (vgl. § 190) ____die Ausführung der Zustellung nach § 182 Abs. 2. ____ Zusätzlich zu den dort festgelegten Erfordernissen muss er auch die Person be- 3 ____zeichnen, für die zugestellt wurde (die Partei). Dies entspricht § 191 Nr. 2 a.F. Gemeint ist ____nur die Partei selbst, nicht deren Prozessbevollmächtigter.3 Es muss erkennbar werden, ____durch wen bzw. in wessen Interesse die Zustellung betrieben wird. Zu nennen ist deshalb ____grds. die betreibende Partei, nicht deren Vertreter bei Auftragserteilung; die Auftragser____teilung ist insoweit zustellungsrechtlich bedeutungslos.4 Allerdings kann es im Einzelfall ____ausreichen, den Auftraggeber zu bezeichnen, wenn daraus deutlich wird, dass die Partei ____die Zustellung auf diesem Wege betreibt.5 Wird für mehrere Beteiligte zugestellt, so sind ____sie alle zu bezeichnen.6 Namentliche Nennung ist jedoch nicht zwingend erforderlich, ____solange nicht unklar bleibt, wer im Einzelnen die Zustellung betreibt.7 Auch die unrich____tige Personenbezeichnung oder eine offenbare Verwechslung der Parteirollen8 schadet in ____solchen Fällen nicht. Eine bestimmte Form der Bezeichnung ist nicht vorgeschrieben. Es ____genügt jede Art der Bezeichnung, die dem Adressaten die Identifikation des Betreiben____den bzw. der mehreren Betreibenden hinreichend ermöglicht.9 ____ Die Zustellung muss auf der Urschrift (vgl. zur Begrifflichkeit § 166 Rdn. 19 ff.) des 4 ____zuzustellenden Schriftstücks oder auf einen mit ihr zu verbindenden Formular10 beur____kundet werden (vgl. § 38 GVGA). Mit Urschrift ist hier das zuzustellende Schriftstück ____gemeint, das auch in einer bloßen Abschrift eines anderen Schriftstücks bestehen kann.11 ____Dieses Dokument ist der die Zustellung betreibenden Partei zu übermitteln (Abs. 3); die ____Verwendung einer bloßen Abschrift (dieser wie eben erläutert zu verstehenden Urschrift) ____reicht dafür nicht aus. Wird ein gesonderter Bogen verwendet, so muss die Verbin____dung mit der Urschrift so fest sein, dass etwaige Manipulationen ohne größeren Auf____wand ausgeschlossen sind. Es gelten die Maßstäbe bei der Anbringung eines Beglau____bigungsvermerks auf verbundenen Schriftstücken (vgl. § 169 Rdn. 18). Abs. 1 ist eine ____Ordnungsvorschrift, welche die Wirksamkeit der Zustellung nicht berührt (vgl. auch ____Rdn. 7).12 Nichteinhalten der Voraussetzungen kann aber Auswirkungen auf die Beweis____kraft der Urkunde haben. Hierfür gelten sinngemäß die Ausführungen zu § 182 Abs. 1 ____Satz 2. ____ ____ 2. Beurkundung bei Zustellung durch Aufgabe zur Post (Satz 2). Die Regelung 5 ____des Satz 2 entspricht § 192 a.F.13 Sie bezieht sich auf die Zustellung durch Aufgabe zur ____Post gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2. In diesen Fällen ist das Datum (vgl. zum Begriff § 182 ____Rdn. 34) und die Anschrift, unter der die Aufgabe erfolgt ist, auf der Urschrift oder dem ____ ____ ____ ____3 RGZ 17, 392, 402 f.; RG Gruchot 55 (1911), 118, 120; RGZ 107, 161, 164. ____4 Vgl. RGZ 17, 392, 402 f. ____5 BGH NJW 1965, 104 f. 6 Zöller/Stöber Rdn. 3. ____7 Vgl. RGZ 107, 161, 164. ____8 BGH ZZP 67 (1954), 59, 60 f. ____9 Vgl. RGZ 107, 161, 164; Zöller/Stöber Rdn. 3. ____10 Durch eine redaktionelle Folgeänderung im IKomG vom 22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3) wurde der – papierbezogene – Ausdruck des „Vordrucks“ durch das weitere des „Formulars“ ersetzt. ____11 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____12 RGZ 52, 11, 13 f. ____13 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25.

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§ 193

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____vorgesehenen Vordruck (Satz 1) zu vermerken. Der Einlieferungsschein für ein Ein____schreiben ist mit der Urschrift der Zustellungsurkunde zu verbinden.14 ____ ____ III. Datumsvermerk auf dem zuzustellenden Schriftstück (Abs. 2) ____ ____ Ein im Vergleich zur betreibenden Partei geringeres Beweisinteresse liegt beim Ad6 ____ressaten. Das einzige Interesse kann darin bestehen, mangelnde Kenntnis vom Inhalt ____des zuzustellenden Schriftstücks vor dem Zeitpunkt der Zustellung zu dokumentieren. ____Dieses Beweisinteresse kann auf zwei Wegen gewahrt werden. Zum einen kann eine ____durch den Gerichtsvollzieher beglaubigte Abschrift (zu den Voraussetzung vgl. § 192 ____Rdn. 26 sowie die sinngemäß übertragbaren Ausführungen zu § 169 Rdn. 9 ff.) der Zu____stellungsurkunde dem Adressaten oder Empfänger (vgl. zur Begrifflichkeit Vor § 166 ____Rdn. 10 ff., Vor § 170 Rdn. 1 f.) übergeben werden. Die Übergabe einer Abschrift der Zu____stellungsurkunde kann aber auch dadurch ersetzt werden, dass der Gerichtsvollzieher ____nur den Tag der Zustellung auf dem zu übergebenden Schriftstück vermerkt (vgl. zum ____Datumsvermerk auch § 180 Satz 3). Bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post (vgl. § 184 ____Abs. 1 Satz 2; oben Rdn. 5) ist der Tag der Aufgabe zu vermerken mit dem Zusatz, dass ____das Schriftstück zwei Wochen später bzw. nach Ablauf der gerichtlich festgelegten län____geren Frist (§ 184 Abs. 1 Satz 1, 2) als zugestellt gilt.15 Weitere Angaben sind nicht erfor____derlich. ____ Fehler bei der Beurkundung beeinträchtigen nicht die Wirksamkeit der Zustellung 7 ____(vgl. auch § 180 Rdn. 11). Auch wird der Lauf von Notfristen nicht mehr durch solche Feh____ler gehemmt.16 ____ Weicht die Abschrift der Zustellungsurkunde bzw. der Vermerk nach Satz 2 von der 8 ____Urschrift ab, so ist grds. der Inhalt der Urschrift maßgeblich. Der Adressat genießt jedoch ____Vertrauensschutz, soweit die ihm günstige Abweichung nicht auf einem offensichtli____chen Fehler beruht.17 Insoweit gelten sinngemäß die Grundsätze für die Abweichung ____von Urschrift und Ausfertigung/Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks (vgl. § 166 ____Rdn. 25 ff., 41 ff.). Allerdings ist dem Adressaten Kenntnis oder Kennenmüssen seiner ____verfahrensmäßigen Vertreter zuzurechnen. Vertrauensschutz kommt ebenso für die Fälle ____in Betracht, in denen Urschrift und Abschrift der Zustellungsurkunde identisch, aber ____inhaltlich fehlerhaft sind.18 Vertrauensschutz kann über die Wiedereinsetzung in den ____vorigen Stand (§ 233) gewährt werden. ____ 9 Mängel bei der Beurkundung führen nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung (vgl. ____§ 182 Rdn. 2).19 Sie können sich aber auf die Beweiskraft der Urkunde auswirken (vgl. ____§ 182 Rdn. 5 ff.). ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____ 14 Zöller/Stöber Rdn. 4. ____15 Zöller/Stöber Rdn. 5. ____16 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; obsolet GmS BGHZ 67, 355, 357 = NJW 1977, 621, 622, BVerwG ____NJW 1983, 1076 und BFH NVwZ 1988, 478, 479 für den insoweit inhaltsgleichen § 195 Abs. 2 a.F. ____17 Vgl. BGHZ 8, 314, 316 ff. = NJW 1953, 422. 18 Vgl. RGZ 52, 367, 368. ____19 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3; so schon für die Zustellung nach vormaligem Zustellungsrecht, ____für das die Beurkundung grds. konstitutiv war, RGZ 133, 365, 368; für den insoweit inhaltsgleichen § 195 ____Abs. 2 a.F. auch GmS BGHZ 67, 355, 357 = NJW 1977, 621 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 194

____ IV. Verfahren mit der Zustellungsurkunde (Abs. 3) ____ ____ Die Regelung des Abs. 3 entspricht derjenigen des § 190 Abs. 4 a.F.20 Die Zustel- 10 ____lungsurkunde ist der betreibenden Partei zu Beweiszwecken zu übermitteln (Abs. 3). ____Die Wirksamkeit der Zustellung wird davon nicht berührt; andernfalls verkehrte sich der ____Schutz der Partei ins Gegenteil (vgl. auch § 182 Rdn. 38 zum Parallelproblem bei der ____Amtszustellung).21 Seit der Reform des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 ergibt sich dies ____schon daraus, dass die Beurkundung selbst nicht mehr Wirksamkeitsvoraussetzung ist. ____Eine verspätete Weiterleitung kann aber Schadensersatzansprüche der betreibenden ____Partei auslösen.22 ____ ____ ____ § 194 ____ Zustellungsauftrag ____ § 194 Rohe ____ (1) Beauftragt der Gerichtsvollzieher die Post mit der Ausführung der Zustel____lung, vermerkt er auf dem zuzustellenden Schriftstück, im Auftrag welcher Person ____er es der Post übergibt. Auf der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks oder auf ____einem mit ihr zu verbindenden Übergabebogen bezeugt er, dass die mit der An____schrift des Zustellungsadressaten, der Bezeichnung des absendenden Gerichts____vollziehers und einem Aktenzeichen versehene Sendung der Post übergeben wur____de. ____ (2) Die Post leitet die Zustellungsurkunde unverzüglich an den Gerichtsvoll____zieher zurück. ____ Übersicht ____ ____ 1 IV. Verfahren mit der Zustellungsurkunde ____I. Einführung II. Umgang mit dem zuzustellenden Schrift(Abs. 2); Überwachung der Ausfüh____ ____ 5 stück (Abs. 1 Satz 1) rung ____ 11 ____ III. Beurkundung der Übergabe an die Post V. Kosten ____ 13 ____ (Abs. 1 Satz 2) ____ 8 ____ ____ ____ I. Einführung ____ ____ Die Vorschrift schließt an §§ 191 und 192 an. Sie enthält Maßgaben für die Ausfüh- 1 ____rung der Zustellung durch die Post, wenn diese vom Gerichtsvollzieher mit der Zu____stellung beauftragt wurde.1 Hiervon abzugrenzen ist die Zustellung durch Aufgabe zur ____Post (§§ 193 Abs. 1 Satz 2, 184 Abs. 1 Satz 2), welche eine besondere Form der Zustellung ____durch den Gerichtsvollzieher i.S.v. § 193 darstellt. Nicht vorgesehen ist die Einschaltung ____der Post unmittelbar durch die betreibende Partei (vgl. § 192 Rdn. 4). ____ Inhaltlich übernimmt Abs. 1 im Wesentlichen die Regelung des § 194 Abs. 2 a.F. Die 2 ____Bestimmungen des § 194 Abs. 1 a.F. werden z.T. über die Verweisung des § 191 auf § 176 ____inhaltlich übernommen. Die Regelung des Abs. 2 entspricht § 195 Abs. 3 a.F.2 ____ ____ ____20 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 25. ____21 BGH NJW 1981, 874, 876. 22 Vgl. RGZ 91, 179, 183 f. ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26. ____2 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26.

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§ 194

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____ 3 Die nach vormaligem Zustellungsrecht in § 196 a.F. vorgesehene unmittelbare Beauf____tragung der Post durch die vermittelnde Geschäftsstelle (vgl. § 193 Abs. 3) ist abge____schafft.3 ____ Die Norm betrifft nicht den Zustellvorgang im engeren Sinne – Übergabe des Schrift4 ____stücks an den Adressaten oder Empfänger –, sondern nur dessen Vorbereitung durch ____den Gerichtsvollzieher. ____ ____ II. Umgang mit dem zuzustellenden Schriftstück (Abs. 1 Satz 1) ____ ____ 5 Der Gerichtsvollzieher kann nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 192 Rdn. 21 ff.) ____entscheiden, ob er die Zustellung selbst ausführt oder ob er die Post damit beauftragt. ____Letzteres dürfte praktisch der Regelfall sein (vgl. § 192 Rdn. 20).4 Beauftragt der Ge____richtsvollzieher die Post (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2; dort Rdn. 9 ff.), so übergibt er ihr das ____zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen, mit der Anschrift des Adressaten ____und einem Aktenzeichen versehenen Umschlag mit dem Auftrag, einen Postbediensteten ____des Bestimmungsortes mit der Ausführung der Zustellung zu beauftragen.5 Insoweit gilt ____§ 176 Abs. 1 entsprechend.6 Die Übergabe erfolgt durch Abgabe bei einer Postannahme____stelle oder Einwurf in einen Briefkasten (vgl. § 39 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 GVGA).7 Damit erfolgt ____zugleich die Beauftragung der Post, die keiner Form bedarf.8 ____ Zusätzlich vermerkt der Gerichtsvollzieher gemäß Abs. 1 Satz 1 auf dem zuzustel6 ____lenden Schriftstück (vgl. § 166 Rdn. 18), im Auftrag welcher Person er es der Post über____gibt. Diese Regelung dient dazu, dem Adressaten (vgl. § 166 Rdn. 10 ff.; Vor § 170 Rdn. 1 f.) ____Klarheit darüber zu verschaffen, in wessen Interesse die Zustellung betrieben wird. Das ____ist wie bei der Parallelregelung in § 193 Abs. 1 Satz 1 a.F. die Partei, welche die Zustel____lung betreibt, nicht deren Vertreter oder Prozessbevollmächtigter. Der Adressat muss ____daraus hinreichende Klarheit gewinnen können, wer die Zustellung betreibt, um gege____benenfalls auch die Annahme verweigern zu können, wenn dafür ein rechtlicher Grund ____vorliegt (vgl. § 179). Insofern gelten die Ausführungen zu § 193 (vgl. § 193 Rdn. 3) sinnge____mäß auch hier. ____ Ferner sind auf der Sendung die Anschrift des Adressaten, der absendende Ge7 ____richtsvollzieher sowie das Aktenzeichen zu vermerken. Das ergibt sich aus der Regelung ____des Satz 2, welcher die Bezeugung eines solchen Vermerks vorschreibt. Fehlen oder Un____richtigkeit des Aktenzeichens führt jedoch nicht mehr zur Unwirksamkeit der Zustel____lung.9 Für die Notwendigkeit der Identifizierbarkeit der Sendung gelten die für § 176 ____entwickelten Maßstäbe (vgl. § 176 Rdn. 8 ff.) entsprechend. Im übrigen ist Heilung nach ____§§ 189, 295 möglich. ____ ____ III. Beurkundung der Übergabe an die Post (Abs. 1 Satz 2) ____ ____ 8 Gemäß Abs. 1 Satz 2 bezeugt der Gerichtsvollzieher auf der Urschrift (vgl. zum Be____griff § 193 Rdn. 4) des zuzustellenden Schriftstücks oder auf einem gesonderten Bogen ____ ____ 3 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 2. ____4 Vgl. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 1; Musielak/Wolst Rdn. 2; vgl. für einen abweichenden Fall ____LG Bonn DGVZ 2004, 44, 45 m. Anm. Kessel. ____5 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26. ____6 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26; Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Zöller/Stöber Rdn. 2. ____7 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3. ____8 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 3. ____9 Anders für § 194 a.F. BGH MDR 1966, 44 f.; OLG Nürnberg NJW 1963, 1207, 1208.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 194

____(sog. Postübergabezeugnis10 oder Postübergabeurkunde), dass er (Bezeichnung seiner ____Person) das mit Aktenzeichen versehene Schriftstück mit der Anschrift des Zustellungs____adressaten (vgl. § 166 Rdn. 10 ff., Vor § 170 Rdn. 1 f.) der Post übergeben hat. Hierbei han____delt es sich um ein eigenständiges, von der Zustellungsurkunde zu unterscheidendes ____Dokument.11 Für die Verbindung von Urschrift und Übergabebogen gelten die für § 193 ____Abs. 1 aufgestellten Maßstäbe (vgl. § 193 Rdn. 4). ____ Fehler bei der Beurkundung beeinträchtigen nicht die Wirksamkeit der Zustellung ____(vgl. Vor § 166 Rdn. 13 ff.), sondern können nur Auswirkungen auf die Beweiskraft der ____Urkunde haben.12 ____ Für die hier nicht geregelte Ausführung der Zustellung durch die Post gelten die ____Vorschriften über die Amtszustellung entsprechend (vgl. § 191 Rdn. 7). Ist weder die ____Zustellung an den Adressaten noch eine Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 möglich, so ____kommt die Ersatzzustellung durch Niederlegung gemäß § 181 in Betracht. Hat der Adres____sat einen Nachsendeantrag gestellt, so bleibt es bei der Möglichkeit einer Ersatzzustel____lung nach § 181, solange der Adressat am Ort der Vornahme noch wohnt (vgl. § 181 ____Rdn. 20). Eine Nachsendung des Schriftstücks ist nur im Wege des gewöhnlichen Briefs ____möglich, nicht aber zum Zweck der Ersatzzustellung (vgl. § 181 Rdn. 21).13 Andernfalls ____kann und muss der Postbedienstete das zuzustellende Schriftstück an den Gerichtsvoll____zieher zurückleiten. ____ ____ IV. Verfahren mit der Zustellungsurkunde (Abs. 2); ____ Überwachung der Ausführung ____ ____ Gemäß Abs. 2 muss die Post die Zustellungsurkunde (vgl. §§ 191, 176 Abs. 2, 182 ____Abs. 1, 2) unverzüglich an den Gerichtsvollzieher zurückleiten. Die Rücksendung an den ____Gerichtsvollzieher ist von dem Zustellungsauftrag mitumfasst.14 Hierfür gelten die Aus____führungen zur Parallelvorschrift des § 182 Abs. 3 sinngemäß. Der Gerichtsvollzieher ____übermittelt die Zustellungsurkunde seinerseits der betreibenden Partei; insoweit gilt ____§ 193 Abs. 3 entsprechend15 (vgl. auch § 46 Nr. 2 Satz 2 GVGA). Die Amtspflicht hierzu ____besteht gegenüber der Partei. Daraus ergibt sich gleichzeitig eine Überwachungspflicht ____für den Gerichtsvollzieher im Hinblick auf die zeitgerechte und ansonsten ordnungsge____mäße Ausführung der Zustellung durch die Post (vgl. § 46 Nr. 1 GVGA).16 Ergeben sich ____Probleme bei der Ausführung, die sich nachteilig auf die Interessen der betreibenden ____Partei auswirken könnten, muss der Gerichtsvollzieher sich sofort mit dem Auftraggeber ____in Verbindung setzen.17 ____ Die Übermittlung der Zustellungsurkunde an die betreibende Partei dient allein de____ren Beweisinteressen. Fehler hierbei beeinflussen schon deshalb die Wirksamkeit der ____Zustellung nicht.18 ____ ____ ____ ____ ____ 10 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26. ____11 Musielak/Wolst Rdn. 2; vgl. auch OLG Jena JW 1932, 1157. ____12 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; vgl. auch Zöller/Stöber Rdn. 3. ____13 Vgl. VGH Mannheim NJW 1997, 3330, 3331. ____14 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26. 15 Hannich/Meyer-Seitz/Häublein Rdn. 4. ____16 RGZ 91, 179, 184. ____17 Vgl. RGZ 91, 179, 184. ____18 Vgl. auch BGH NJW 1981, 874, 875.

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§ 195

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____ V. Kosten ____ ____ Für den Gerichtsvollzieher fällt die Gebühr nach Nr. 101 KVGv an, zusätzlich sind 13 ____Auslagen nach KVGv Nr. 701 in voller Höhe zu entrichten. ____ ____ ____ § 195 ____ Zustellung von Anwalt zu Anwalt ____ § 195 Rohe ____ (1) Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Dokument auch da____durch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das Dokument dem anderen ____Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt). Auch Schriftsätze, die nach ____den Vorschriften dieses Gesetzes von Amts wegen zugestellt werden, können ____stattdessen von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn nicht gleichzeitig dem ____Gegner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. In dem Schriftsatz soll die ____Erklärung enthalten sein, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde. Die Zustel____lung ist dem Gericht, sofern dies für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist, ____nachzuweisen. Für die Zustellung an einen Anwalt gilt § 174 Abs. 2 Satz1 und Abs. 3 ____Satz 1, 3 entsprechend. ____ (2) Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift ver____sehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist. ____§ 174 Abs. 4 Satz 2, 3 gilt entsprechend. Der Anwalt, der zustellt, hat dem anderen ____Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen. ____ ____ Übersicht ____ 1 aa) Annahme des zu übermittelnden ____I. Einführung Dokuments ____ 26 ____II. Voraussetzungen und Ausführung der Zustellung (Abs. 1) bb) Ausstellung und Übermittlung ____ 1. Voraussetzungen (Satz 1, 2) ____ 4 eines Empfangsbekenntnis____ 2. Ausführung der Zustellung ____ 8 ses ____ 29 ____ a) Stellung der Anwälte und EinschalIII. Zeitpunkt der Zustellung ____ 30 ____ tung von Vertretern ____ 8 IV. Nachweis der Zustellung ____ b) Übermittlung des zu übergebenden 1. Das Empfangsbekenntnis ____ Dokuments in Zustellungsab(Abs. 2 Satz 1, 2) ____ 32 ____ ____ sicht 14 a) Bedeutung und Inhalt des Empc) Erklärung, dass von Anwalt zu fangsbekenntnisses ____ 32 ____ Anwalt zugestellt werde (Abs. 1 b) Übermittlung des Empfangsbekennt____ Satz 3) ____ 20 nisses (Abs. 2 Satz 2) ____ 36 ____ 2. Die Zustellungsbescheinigung ____ 3. Pflicht des empfangenden Anwalts zur Mitwirkung an der Zustellung und ihre für den zustellenden Anwalt ____ Erfüllung ____ 21 (Abs. 2 Satz 3) ____ 37 ____ a) Begründung der Pflicht zur Mit3. Der Zustellungsnachweis für das Gericht ____ wirkung ____ 21 (Abs. 1 Satz 4) ____ 39 ____ b) Voraussetzungen der Pflicht zur V. Kosten ____ 40 ____ Mitwirkung ____ 23 ____ c) Inhalt der Pflicht zur Mitwirkung ____ 26 ____ ____ ____ ____ ____ ____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 195

____ I. Einführung ____ ____ Die Vorschrift bewirkt eine wesentliche Vereinfachung der Zustellung im Verkehr ____zwischen Anwälten unter Verzicht auf eine Einschaltung des Gerichtsvollziehers. Sie ____entspricht § 198 a.F.1 Abs. 1 regelt im Wesentlichen die Zustellung selbst, Abs. 2 sowie ____Abs. 1 Satz 4 deren Nachweis. Erfasst sind auch bestimmte Zustellungen, die grds. im ____Amtsbetrieb zu erfolgen haben (Abs. 1 Satz 2; vgl. Rdn. 4 ff.). Im Übrigen gilt für die Zu____stellung im Amtsbetrieb § 174 (vormals § 212 a a.F.). Entscheidungen zur Zustellung an ____Anwälte sind meist zu § 212 a a.F. ergangen und waren auf § 198 a.F. sinngemäß über____tragbar. Nachdem die Reform zum 1.7.2002 die Zustellung von Anwalt zu Anwalt im Kern ____unverändert belassen hat, ist diese Rechtsprechung auch für die Auslegung der novel____lierten Regelungen weiterhin verwertbar. Die Reform hat zusätzlich Erleichterungen ge____schaffen, indem auch der Weg elektronischer Telekommunikation eröffnet wird (Abs. 1 ____Satz 5, Abs. 2 Satz 2). Eine Erweiterung solcher Möglichkeiten ist durch das JKomG vom ____22.3.2005 (vgl. Vor § 166 Rdn. 3, § 166 Rdn. 16) erfolgt. Als redaktionelle Folgeänderung ____wurde der vormalige Begriff des „Schriftstücks“ durch den des „Dokuments“ ersetzt und ____– ohne inhaltliche Änderung – das nur für Schriftstücke passend formulierte Merkmale ____des „Übergebens“ gestrichen.2 ____ Bei Ausführung der Zustellung handeln die beteiligten Anwälte nicht nur als Partei____vertreter, sondern wegen ihrer typischen besonderen Vertrauenswürdigkeit auch als ____Zustellungsorgane (vgl. Rdn. 11 f.). Sie sind folgerichtig bei der Vornahme von Beglau____bigungen zu Zustellungszwecken (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2) mit öffentlichem Glauben ver____sehene Personen i.S.v. § 415. Zur denkbaren Erweiterung auf andere Angehörige von ____Standesberufen vgl. Rdn. 13. ____ § 195 wird ergänzt durch die Regelung des § 133 Abs. 2 (sofortige Einreichung von ____Abschriften bestimmter zugestellter Schriftsätze beim Prozessgericht). ____ ____ II. Voraussetzungen und Ausführung der Zustellung (Abs. 1) ____ ____ 1. Voraussetzungen (Satz 1, 2). Sind die an der Zustellung beteiligten Parteien (Be____treibender und Adressat) wie im Regelfall durch Anwälte vertreten, so ist eine direkte ____Übermittlung zu übergebender Schriftstücke zwischen den Anwälten zulässig. Dies gilt ____auch im Hinblick auf beteiligte NATO-Truppenangehörige mit Prozessbevollmächtigtem ____i.S.v. § 172.3 Ist ein Prozessbevollmächtigter i.S.v. § 172 in einem anhängigen Rechtsstreit ____eingeschaltet, so ist an diesen zuzustellen.4 Daneben bleiben alle anderen zulässigen ____Zustellungswege eröffnet.5 ____ Satz 1 hebt nicht auf einen Anwaltszwang ab (vgl. § 78), sondern allein auf die Ein____schaltung von Anwälten. Deshalb gilt die Vorschrift auch für Zustellungen im Partei____prozess.6 Dies entspricht dem alleinigen Zweck der Norm, die Zustellung zu vereinfa____chen. Die Rechtsprechung hat insbesondere entschieden, dass auch die Zustellung der ____Bürgschaftserklärung als Sicherheit für die vorläufige Urteilsvollstreckung (vgl. § 751) an ____den prozessbevollmächtigten Anwalt des Sicherungsberechtigten gemäß § 195 erfolgen ____ ____ ____ ____1 BT(-Drucks.) 14/4554, S. 26. ____2 Vgl. BT(-Drucks.) 15/4067, S. 32. 3 AG Bad Vilbel DGVZ 1985, 122. ____4 Musielak/Wolst Rdn. 2. ____5 Vgl. RGZ 40, 410, 411; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Zöller/Stöber Rdn. 2. ____6 Vgl. Musielak/Wolst Rdn. 1.

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____kann.7 Die Vorlage der Originalurkunde beim Sicherungsberechtigten selbst im Wege des ____§ 132 BGB ist also nicht zwingend erforderlich. ____ § 195 betrifft sämtliche Zustellungen im Parteibetrieb (vgl. zu den Anwendungsfäl6 ____len § 191 Rdn. 3 f.), sofern die daran beteiligten Parteien anwaltlich vertreten sind oder ____sich selbst als Anwälte vertreten.8 Die Zustellung von Vollstreckungstiteln ist insoweit ____erfasst, als dadurch der Vollstreckungsbeginn i.S.v. § 750 Abs. 1 ausgelöst wird (nicht ____aber im Hinblick auf die Ingangsetzung von Rechtsmittelfristen).9 Willenserklärungen ____i.S.v. § 132 BGB können nicht gemäß § 195 zugestellt werden (allg.M.).10 Nicht anwendbar ____ist die Vorschrift auch dann, wenn das Schriftstück nach den Verfahrensvorschriften ____unmittelbar bei Gericht einzureichen ist.11 So ist die Einreichung der Klage als bestim____mendem Schriftsatz ebenso wie Einlegung von Rechtsmitteln (§§ 519 Abs. 1, 549 Abs. 1 ____Satz 1, 569 Abs. 1) und deren Begründung (§§ 520 Abs. 3 Satz 1, 551 Abs. 2 Satz 1) nur bei ____Gericht möglich. Anders verhält es sich mit der Klageänderung oder -erweiterung (vgl. ____hierzu § 129 und sogleich Rdn. 7). ____ Für den Amtsbetrieb gilt die Norm ebenfalls (Satz 2), wenn nicht gleichzeitig dem 7 ____Gegner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. Die Zustellung originärer, den Fort____gang des Verfahrens betreffender Anordnungen (z.B. Maßnahmen nach §§ 271 Abs. 2, ____272–276) verbleibt also in den Händen des Gerichts. Der Anwendungsbereich des Satz 2 ____ist vergleichsweise gering, weil Schriftsätze häufig formlos übermittelt werden können ____(vgl. § 270 Satz 1). Erfasst sind Klageänderung oder -erweiterung12 sowie Widerklagen.13 ____ ____ 2. Ausführung der Zustellung ____ ____ a) Stellung der Anwälte und Einschaltung von Vertretern. Das Zustellungsver8 ____fahren selbst unterliegt nicht dem Anwaltszwang.14 Deshalb kann der beteiligte Anwalt ____in begrenztem Umfang auch nicht-anwaltliche Vertreter einschalten, soweit Sinn und ____Zweck des § 195 dies zulässt; der nach § 30 BRAO bestellte Zustellungsbevollmächtigte ____muss nicht Rechtsanwalt sein.15 Die Rechtsprechung hat jedoch nur in Einzelfällen die ____Einschaltung von Rechtsreferendaren gebilligt, die in der Anwaltspraxis beschäftigt ____sind,16 nicht dagegen die Bevollmächtigung von nicht ortsansässigen Personen17 (z.B. ____Justizwachtmeister am Sitz des ortsfernen LG)18 oder sonstigen nicht-anwaltlichen Büro____ ____ ____ ____7 OLG Frankfurt a.M. NJW 1978, 1441 f. m.w.N.; OLG Koblenz ZIP 1993, 297, 298; LG Mannheim ____DGVZ 1988, 187; LG Hannover DGVZ 1989, 141; AG Usingen DGVZ 1982, 13; AG Freiburg DGVZ 1989, ____46. ____8 Vgl. z.B. BGH NJW 1996, 3014. 9 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4; Musielak/Wolst Rdn. 1; Zöller/Stöber Rdn. 5. ____10 LG Landau MDR 1959, 929, 930; MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 2; Musielak/Wolst Rdn. 1; Zöller/ ____Stöber Rdn. 2. ____11 Wie hier MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth Rdn. 4; Zöller/Stöber Rdn. 5. ____12 BGHZ 17, 234, 235; BGH NJW 1992, 2235, 2236 m.w.N. ____13 Musielak/Wolst Rdn. 3. 14 BGHZ 31, 32, 35 = NJW 1959, 2307, 2308; BGH NJW 1975, 120, 121. ____15 BGHZ 67, 10, 12 f. = MDR 1976, 1015 m.w.N. ____16 BGHZ 14, 342, 344 f. = NJW 1954, 1722, 1723 (im konkreten Fall mangels Vollmachtserteilung verneint); ____BGHZ 67, 10, 13; a.A. unter fälschlicher Bezugnahme auf das erstgenannte Urteil BAG NJW 1976, 991; OLG ____Stuttgart NJW 2010, 2532, 2533 (für Assessor); ablehnend MünchKomm-ZPO/Wenzel Rdn. 3 für den Rechtsreferendar, der nicht amtlich bestellter Vertreter ist. ____17 BGH NJW 1994, 2295 generell im Hinblick auf „außenstehende Dritte“ für Verfahren vor ____Landgerichten und höheren Instanzen (zu § 212 a). ____18 BGH NJW 1982, 1649, 1650.

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____personals.19 In der Praxis angestellte andere Anwälte können indes ohne weiteres be____vollmächtigt werden.20 Sozien innerhalb einer Praxis gelten ohnehin alle als bevollmäch____tigt auch im Hinblick auf Zustellungen, die nur an einen der Sozien adressiert sind.21 Ins____gesamt wäre eine klare Linie wünschenswert, die sich so noch nicht abzeichnet. Danach ____ist jeder, der als Zustellungsbevollmächtigter gemäß § 30 BRAO in Betracht kommt und ____zumindest solche Zustellungsvollmacht innehat, zur Mitwirkung geeignet. ____ Ist der eingeschaltete Vertreter aber kein amtlicher Vertreter i.S.v. §§ 53 oder 55 ____BRAO und auch kein Zustellungsbevollmächtigter i.S.v. § 30 BRAO, so muss seine Ver____tretungsmacht nachgewiesen werden.22 Hierbei können auch die Grundsätze über die ____Duldungs- und Anscheinsvollmacht eingreifen.23 Ist ein amtlicher Vertreter wirksam be____stellt, so kann er an der Zustellung mitwirken, ohne dass es der Offenlegung seiner ____Stellung bedürfte.24 Allerdings endet die Vertretung nach § 53 BRAO regelmäßig mit ____Rückkehr des Vertretenen. Die vorherige Übernahme der Geschäfte durch den Vertreter ____(während der Abwesenheitszeit) bietet also ohne weiteres keine Grundlage für die An____nahme einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht.25 ____ Da die Zustellung nicht dem Anwaltszwang unterliegt, muss der beteiligte Anwalt ____nicht postulationsfähig sein (vgl. § 172 Rdn. 33).26 ____ Bei Ausführung der Zustellung handeln die beteiligten Anwälte nicht nur als Partei____vertreter, sondern wesentlich auch als Zustellungsorgane (str.).27 Sie sind bei der Vor____nahme von Beglaubigungen zu Zustellungszwecken (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2) mit öffentli____chem Glauben versehene Personen i.S.v. § 415. Die Befangenheitsvorschriften der §§ 49 ____ZPO, 155 GVG finden jedoch auf keinen der beteiligten Anwälte Anwendung. Zudem setzt ____das Recht (und die Pflicht) zur Mitwirkung an der Zustellung voraus, dass die Anwälte ____Vollmacht der zustellenden Partei bzw. des materiellen Adressaten haben.28 Die Voraus____setzungen hierfür sind für alle beteiligten Anwälte identisch (vgl. die Ausführungen zum ____empfangenden Anwalt Rdn. 23 ff.). ____ Da die Anwälte maßgeblich als Zustellungsorgane handeln, trifft sie die ausschließ____liche Pflicht, an einer ordnungsgemäßen Zustellung mitzuwirken (zur Ablehnung des ____Empfangs der Zustellung und/oder deren Bescheinigung vgl. Rdn. 21 f.). Gegenläufige ____Parteiinteressen dürfen sie hierbei nicht berücksichtigen. Auch sind sie an Weisungen ____der Parteien nicht gebunden, soweit nicht die Vornahme der Zustellung überhaupt von ____einer entsprechenden Parteiweisung abhängt. Standesrechtlich gilt § 14 BORA. ____ Die Norm beschränkt sich anders als § 174 auf die Anwaltszustellung. Eine Erweite____rung auf andere Standesberufe im Wege der Analogie ist ausgeschlossen. Der Gesetz____geber hat bewusst differenziert. Auch stünde einer Analogie insoweit die Formenstrenge ____des Zustellungsrechts entgegen. ____ ____ ____ ____19 BGH NJW-RR 1986, 1254; BGH NJW 1987, 2679, 2680; BGH NJW 1994, 2295; BSG NJW 2010, 317, 318; ____OLG Stuttgart NJW 2010, 2532, 2533 m.w.N.; für Verfahren vor Landgerichten und höheren Instanzen (zu ____§ 212 a); anders für § 5 Abs. 2 VwZG a.F. (vom 31. August 1998) BGHZ 67, 10, 13 f. ____20 BGH NJW 1975, 1652, 1653; BGHZ 67, 10, 13. 21 BGHZ 67, 10, 12 f. m.w.N. ____22 BGH VersR 1970, 466 für die Unterschrift des Rechtsreferendars „i.V.“. ____23 BGH NJW 1975, 1652, 1653 für den in der Praxis angestellten Anwalt; BGH VersR 1978, 626. ____24 BGHZ 31, 32, 34 = NJW 1959, 2307. ____25 BGH VersR 1978, 626. 26 RGZ 24, 418; BGHZ 31, 32, 35 = NJW 1959, 2307, 2308 m.w.N. ____27 A.A. BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872: Nur Vertreter der Partei; ebenso wohl BGHZ 57, 160 = NJW ____1972, 50, 51; BGH VersR 1975, 906, 907. ____28 BGHZ 31, 32, 35 = NJW 1959, 2307; BGH NJW 1989, 1154.

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____ 14 b) Übermittlung des zu übergebenden Dokuments in Zustellungsabsicht. Die ____Zustellung eines Schriftstücks nach § 195 erfolgt durch Übergabe des zuzustellenden ____Schriftstücks (einer Urschrift, einer Ausfertigung oder einer beglaubigten Abschrift, vgl. ____§ 166) an den Anwalt, dem zugestellt werden soll.29 Die Reform durch das JKomG wollte ____hiervon ersichtlich nichts ändern; das Merkmal der Übergabe wurde nur wegen dessen ____auf andere Dokumente unpassenden Wortlauts ausgestrichen. Es genügt die Übermitt____lung (zu den Einzelheiten bei der Übermittlung vgl. § 174 Abs. 1, dort Rdn. 29 f.) einer den ____gesetzlichen Vorschriften genügende Ausfertigung, auch wenn nach allgemeiner Büro____anweisung des zustellenden Anwalts eine beglaubigte Abschrift zugestellt werden soll.30 ____ Wer Transport und Übergabe vollzieht, ist gleichgültig (persönliche Vornahme, 15 ____Einschaltung von Post, Boten, auch des Gerichtsvollziehers als Boten; vgl. § 49 GVGA).31 ____Einer besonderen Versendungsform bedarf es ebenfalls nicht.32 Übergabe im Sinne der ____Vorschrift setzt die Aushändigung zum Verbleib voraus (vgl. § 166 Rdn. 45 f.).33 Bei Ver____stößen kommt eine Heilung gemäß §§ 189,34 295 in Betracht. ____ Gemäß Abs. 1 Satz 5 gelten die Vorschriften des § 174 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, 3 16 ____entsprechend. Demnach ist auch die Übermittlung durch Telekopie oder durch ein qua____lifiziertes elektronisches Dokument möglich. Zu den Einzelheiten vgl. § 174 Rdn. 31 ff.; ____Rdn. 35 ff. Die Verweisung auf § 174 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 bezieht sich erkennbar ____nur auf die Übermittlungsart, nicht jedoch auf den dort genannten weiteren Adressaten____kreis. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung des Satz 5, wonach (nur) „für die Zu____stellung an einen Anwalt“ die entsprechende Anwendung der genannten Normen vorge____sehen ist. ____ Eine Ersatzzustellung (§§ 178 ff.) von Anwalt zu Anwalt gibt es nicht.35 Die Zustel17 ____lung hat von Person zu Person bzw. unter Mitwirkung von eingeschalteten Vertretern ____(vgl. Rdn. 8 ff.) zu erfolgen. ____ Zustellung nach § 195 setzt eine dahingehende Absicht des zustellenden Anwalts 18 ____voraus (Zustellungswillen; vgl. § 174 Rdn. 15 f.).36 Sie muss nicht explizit zum Ausdruck ____gebracht werden, sondern kann in aller Regel aus der Übersendung mit Zustellungsver____merk oder vorbereitetem Empfangsbekenntnis geschlossen werden.37 Eine ausdrückliche ____Erklärung, es werde zugestellt, ist nicht vorgeschrieben.38 Ein entsprechender Zustel____lungsvermerk in den Akten dokumentiert aber den Zustellungswillen.39 Es kann aber ____auch die Übermittlung in formalisierter Weise, wie sie für die Zustellung vorgeschrieben ____ist (z.B. durch Einschreiben mit Rückschein wie bei § 175), den Zustellungswillen hinrei____chend belegen.40 Dagegen reicht die formlose Übersendung nicht aus. Der Vermerk ____„Gegner hat Abschrift“ soll für eine solche formlose Übersendung sprechen.41 Am Zustel____lungswillen fehlt es weiterhin, wenn dem empfangenden Anwalt spätestens gleichzeitig ____ ____ ____29 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 4. ____30 BGH NJW 1959, 885; vgl. auch BGH VersR 1975, 906, 907 m.w.N. ____31 RGZ 109, 341, 343. ____32 Vgl. BayObLG NJW 1967, 1976: Übermittlung per einfachem Brief genügt. ____33 OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384. 34 OLG München NJW-RR 1986, 1383, 1384. ____35 RG JW 1924, 962. ____36 BGH FamRZ 1972, 91; zum vergleichbaren § 212 a a.F. BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH FamRZ ____1989, 494; BGH NJW 1994, 2297; vgl. auch die Nachweise bei § 174 Rdn. 15 f. ____37 BGH FamRZ 1972, 91 f. 38 BGH NJW 1969, 1298, 1299; BGH NJW 2001, 3787, 3788. ____39 BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607. ____40 Vgl. BGH NJW 2001, 3787, 3788. ____41 OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1986, 807, 809.

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____ein Widerruf zugeht.42 Dagegen schadet die spätere Rückforderung nicht, wenn die Zu____stellung einmal wirksam erfolgt ist.43 Unbeachtlich ist schließlich die Beschränkung des ____Zustellungswillens auf Teile eines insgesamt übermittelten Dokuments; sie steht im Wi____derspruch zum erfolgten Vorgang der Gesamtübersendung.44 ____ Hat der zustellende Anwalt den Willen zur Zustellung, wird das Dokument aber z.B. ____aufgrund eines Büroversehens formlos abgesandt, so kommt eine Heilung gemäß § 189 ____in Betracht.45 In einem solchen Fall fehlt es nicht gänzlich am Zustellungswillen. Bei feh____lendem Zustellungswillen schlechthin ist eine Heilung nach § 189 nicht möglich (vgl. ____§ 189 Rdn. 23). ____ ____ c) Erklärung, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde (Abs. 1 Satz 3). Die in ____Abs. 1 Satz 3 vorgesehene Erklärung, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde, soll ____die Verfahrensabläufe möglichst transparent machen. Sie ist hilfreich, aber nicht uner____lässlich. Die Norm ist deshalb nur als Soll-Vorschrift ausgestaltet. Verstöße dagegen füh____ren nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.46 Streitig ist, ob sich die Vorschrift nur auf ____die in Satz 2 genannten Schriftsätze bezieht, welche grds. im Amtsbetrieb zuzustellen ____sind,47 oder auch auf die Zustellung im Parteibetrieb nach Satz 1.48 Die Klarstellungs____funktion der Vorschrift spricht dafür, sie generell auf Zustellungen nach § 195 anzuwen____den. Vgl. im Übrigen auch die Kommentierung zur Parallelvorschrift des § 174 Abs. 2 ____Satz 2. ____ ____ 3. Pflicht des empfangenden Anwalts zur Mitwirkung an der Zustellung und ____ ihre Erfüllung ____ ____ a) Begründung der Pflicht zur Mitwirkung. Da auch der empfangende Anwalt als ____Zustellungsorgan fungiert, darf er eine ordnungsgemäß vorgenommene (dazu Rdn. 23) ____Zustellung nicht ablehnen (str.). Gegenläufige Parteiinteressen müssen insoweit außer ____Betracht bleiben (vgl. Rdn. 12). Zum erforderlichen Annahmewillen vgl. unten Rdn. 27. ____Ebenso ist er verpflichtet, das nach Abs. 2 vorgesehene Empfangsbekenntnis (vgl. Rdn. 29) ____auszustellen und die weiteren in Abs. 2 geregelten Pflichten zu erfüllen. Jedoch besteht ____diese Mitwirkungspflicht nicht im Rahmen des Prozessrechtsverhältnisses mit dem Geg____ner.49 Die Weigerung zur Mitwirkung löst also keine Zustellungswirkungen (Zustellungs____fiktionen) oder Schadensersatzansprüche aus. Immerhin verbleiben dem Zustellenden ____alle anderen Zustellungsarten, für die dann § 179 oder andere Zustellungsfiktionen gelten. ____ Andererseits ist die Mitwirkung an der ordnungsgemäß bewirkten Zustellung auch ____dann geboten, wenn eine Weigerung der vertretenen Partei günstig wäre. Die der Partei ____nachteilige Mitwirkung kann also keine Ansprüche gegen den empfangenden Anwalt ____auslösen. Diesen Aspekt übersieht die Ansicht, welche die beteiligten Anwälte nur als ____Parteivertreter qualifiziert. ____ ____ b) Voraussetzungen der Pflicht zur Mitwirkung. Eine Pflicht zur Mitwirkung be____steht nur im Rahmen einer ordnungsgemäßen Zustellung. Insoweit sind die gesetzli____ ____42 RGZ 150, 392, 394. ____43 BGH NJW-RR 1992, 251, 252; BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ____44 OLG Hamm JR 1971, 468. ____45 Vgl. BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214 (zu § 212 a). 46 So bereits für §§ 198 bzw. 212 a a.F. BGHZ 14, 342, 344 = NJW 1954, 1722, 1723; BGH NJW 1959, 885. ____47 MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 5. ____48 Musielak/Wolst Rdn. 4. ____49 Insoweit identisch auch BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; BGH VersR 1975, 906, 907.

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____chen Anforderungen an das zu übermittelnde Dokument (vgl. § 166 Rdn. 16 ff.) einzuhal____ten.50 Hierbei ist alleine die dem Empfänger überlassene Version maßgeblich.51 Auch ____muss die Adresse so eindeutig gefasst sein, dass der empfangende Anwalt beurteilen ____kann, ob es sich um ein für ihn bzw. seinen Mandanten bestimmtes Dokument handelt. ____Insgesamt gelten hier die Maßstäbe, die einen formellen Adressaten im Rahmen einer ____Zustellung nach § 179 zur Annahmeverweigerung berechtigen (vgl. § 179 Rdn. 10). ____ Der empfangende Anwalt muss Vollmacht des materiellen Adressaten erhalten ha24 ____ben (vgl. Rdn. 11 und § 172 Rdn. 8 ff.). Da die Bevollmächtigung keiner besonderen Form ____unterliegt, kann die Bestellung als Prozessbevollmächtigter auch durch die Mitwirkung ____an der Zustellung (Entgegennahme der Zustellung und Ausstellung des Empfangsbe____kenntnisses; dazu noch Rdn. 26 ff., 29 ff.) erkennbar gemacht werden.52 Mängel der Voll____macht können entsprechend § 189 geheilt werden, wenn der Anwalt erst nach Empfang ____des Dokuments Vollmacht erhält und das Dokument zu diesem Zeitpunkt noch in Besitz ____hat.53 Weiterer Voraussetzungen bedarf es in personaler Hinsicht nicht. ____ Die Pflicht zur Mitwirkung endet grundsätzlich, wenn der beteiligte Anwalt das 25 ____Mandat beendet hat. Allerdings findet § 87 auch im Rahmen der Zustellung von Anwalt ____zu Anwalt Anwendung.54 Es gelten die Maßstäbe für die Beendigung der Prozessvoll____macht bei Anwendung des § 172 (vgl. § 172 Rdn. 22 ff.). Im Anwaltsprozess endet daher ____die Pflicht erst mit Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts (vgl. § 87 Abs. 1). Ver____weigert der Anwalt dessen ungeachtet die Mitwirkung, so ist die Zustellung an ihn un____wirksam.55 ____ ____ c) Inhalt der Pflicht zur Mitwirkung ____ ____ aa) Annahme des zu übermittelnden Dokuments. Die wirksame Zustellung an 26 ____einen Rechtsanwalt setzt zum einen voraus, dass dieser Kenntnis von seinem Gewahr____sam an dem ihm zustellungshalber übermittelnden Dokument hat.56 Kennenmüssen ____genügt nicht; es ist persönliche Kenntnis des Anwalts erforderlich.57 Hat der Anwalt ein____mal Gewahrsam erlangt, so kommt es auf dessen Fortdauer nicht an.58 Ebensowenig ist ____es notwendig, dass der Anwalt den Inhalt des übermittelten Schriftstücks zur Kenntnis ____genommen hat; die Möglichkeit hierzu genügt.59 Zudem ist Kenntnis des Adressaten ____vom Zustellungswillen des Zustellenden erforderlich (vgl. zu den Einzelheiten § 174 ____Rdn. 18).60 ____ ____ ____ ____50 BGHZ 24, 116, 117 f.; BGH NJW 1956, 1562; BGHZ 24, 116 = NJW 1957, 951. ____51 BGH NJW 1963, 1307, 1308. 52 BGH NJW-RR 1986, 286, 287 (zu § 212 a a.F.). ____53 BGH NJW 1989, 1154. ____54 BGHZ 31, 32, 35 f. = NJW 1959, 2307, 2308; BGH NJW 1975, 120, 121; BGH NJW 1978, 2294; BGH NJW ____1980, 999 (beide zu § 212 a a.F.). ____55 Vgl. nur BGH NJW 1964, 2062. ____56 Vgl. BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH VersR 1983, 876; BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252; BGH NJW 1994, 2295, 2296; BGH NJW 1994, ____2297 m.w.N.; BGH VersR 1995, 113, 114; BGH NJW 1998, 1442, 1443; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, ____606, 607. ____57 BGH NJW 1953, 620 m.w.N.; BGH NJW 1979, 2566; BGH VersR 1981, 61, 62; BGH NJW 1991, 42; BGH ____NJW-RR 1992, 251, 252 (letztere zu § 212 a a.F.). 58 BGH NJW 1981, 462, 463; BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252 (alle zu § 212 a a.F.). ____59 BGH NJW 1991, 42; BGH NJW-RR 1992, 251, 252 (beide zu § 212 a a.F.). ____60 BGH NJW-RR 1989, 57, 58; BGH FamRZ 2000, 1565 = VersR 2001, 606, 607; BGH NJW 2001, 3787, 3789 ____m.w.N.

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____ Zudem hängt die Wirksamkeit der Zustellung nach ständiger Rspr. vom auf die Zu____stellung bezogenen Annahmewillen des empfangenden Anwalts ab.61 Das Erfordernis ____des Annahmewillens ergibt sich zum einen daraus, dass er ein Empfangsbekenntnis ab____zugeben hat, was ohne seinen Willen nicht möglich ist; das Empfangsbekenntnis muss ____insoweit auch nach der Reform zum 1.7.2002 als konstitutives Element der Zustellung ____verstanden werden (vgl. noch Rdn. 29). Zudem hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, ____für den Fall rechtsgrundloser Annahmeverweigerung eine dem § 179 entsprechende ____Vorschrift einzuführen. Der Annahmewille muss hinreichend deutlich nach außen ma____nifestiert werden, ohne dass dafür eine Form vorgeschrieben wäre; die Rechtsbegriffe ____„Zustellung“ bzw. „zugestellt“ müssen dabei nicht verwendet werden.62 Stellt der emp____fangende Anwalt kein Empfangsbekenntnis aus, unterlässt er aber weitere Schritte (z.B. ____Rücksendung des übermittelten Dokuments oder vergleichbares) so kann aus diesem ____Unterlassen kein Annahmewillen abgeleitet werden.63 Zu den Einzelheiten vgl. § 174 ____Rdn. 19 ff. ____ Zum für die Zustellung anzusetzenden Zeitpunkt vgl. Rdn. 30 f.; § 174 Rdn. 67 ff. ____ ____ bb) Ausstellung und Übermittlung eines Empfangsbekenntnisses. Das Emp____fangsbekenntnis ist auch nach der Reform des Zustellungsrechts zum 1.7.2002 nicht nur ____Beweismittel (zur Beweiskraft vgl. Rdn. 35), sondern konstitutives Element der Zustel____lung nach § 195 (vgl. Rdn. 32; § 174 Rdn. 44). Es dokumentiert den erforderlichen Annah____mewillen (vgl. Rdn. 27). Der Zeitpunkt der Dokumentation dieses Willens ist nicht ent____scheidend (zum zustellungsrechtlich relevanten Zeitpunkt vgl. Rdn. 30 f.). Deshalb ist ____auch eine nachträgliche Erstellung des Empfangsbekenntnisses taugliche Grundlage für ____die Annahme eines solchen Willens. So ist eine nachträgliche Anfertigung noch möglich, ____wenn gegen das zugestellte Urteil bereits Rechtsmittel eingelegt sind und das Empfangs____bekenntnis ergibt, dass die Rechtsmittelfrist versäumt ist.64 Voraussetzung hierfür ist, ____dass der Anwalt noch die Verantwortung für die Richtigkeit der enthaltenen Angaben ____übernehmen kann.65 ____ ____ III. Zeitpunkt der Zustellung ____ ____ Die Zustellung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Adressat das zu übermittelnde ____Dokument mit Annahmewillen entgegennimmt.66 Maßgeblich ist immer der Zeitpunkt, ____zu dem der Anwalt seinen Annahmewillen in persönlicher Kenntnis, dass er das zu ____übermittelnde Schriftstück in Gewahrsam hat (vgl. Rdn. 26), zum Ausdruck bringt. Hat ____der Anwalt wirksam einen Vertreter bestellt (vgl. Rdn. 8 ff.), so kommt es auf dessen Ge____wahrsamskenntnis und Annahmewillen an.67 Vgl. zu den Einzelheiten § 174 Rdn. 17 ff. ____ ____ ____61 RGZ 8, 328, 331 f.; RGZ 98, 241, 243; RGZ 109, 341, 343; BGHZ 14, 342, 345 = NJW 1954, 1722, 1723; BGH ____NJW 1959, 885; BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; BGHZ 30, 335, 336 = NJW 1959, 2062; BGH NJW 1979, ____2566; BGH FamRZ 1972, 91 f.; BGH VersR 1983, 876; BGH NJW 1987, 2679, 2680; BGH NJW 1989, 227, 228; ____BGH NJW 1989, 1154; BGH NJW 1994, 2295, 2296; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N.; BGH VersR 1995, 113, 114 (letztere zu § 212 a a.F.). ____62 BGH NJW 1969, 1298, 1299; BGH VersR 1985, 551; BGH NJW 1994, 2297 m.w.N. (alle zu § 212 a a.F.). ____63 BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872. ____64 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575. ____65 Vgl. BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575; BGH NJW 1987, 1707; BGH FamRZ 1989, 1287, 1288; BGH FamRZ 1996, 347 (überwiegend zur Parallelproblematik des Aktenvermerks des Urkundsbeamten nach ____§ 213 a.F.). ____66 BGHZ 35, 236, 239 = NJW 1961, 575; BGH NJW 1974, 1469; BGH VersR 1983, 876, 877. ____67 BGH VersR 1971, 1176 für den amtlich bestellten Vertreter.

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§ 195

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ 31 Im Empfangsbekenntnis (vgl. Rdn. 32 ff.) wird die erfolgte Übermittlung des Do____kuments auch zeitlich dokumentiert. Im Regelfall entspricht der Zeitpunkt der Zustel____lung dem im Empfangsbekenntnis genannten Datum. Die Datumsangabe hat Teil an der ____Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses. Vgl. zu Einzelheiten auch im Hinblick auf ____fehlerhafte Datierung § 174 Rdn. 53).68 ____ ____ IV. Nachweis der Zustellung ____ ____ 1. Das Empfangsbekenntnis (Abs. 2 Satz 1, 2) ____ ____ a) Bedeutung und Inhalt des Empfangsbekenntnisses. Das Empfangsbekenntnis 32 ____ist nicht nur Beweismittel für die Zustellung, sondern deren konstitutiver Bestandteil ____(Wirksamkeitsvoraussetzung). Das gilt auch nach der Reform des Zustellungsrechts zum ____1.7.2002 (vgl. zur Begründung § 174 Rdn. 44).69 ____ Empfangsbekenntnisse werden meist mit Hilfe von Vordrucken ausgestellt. Ihre Be33 ____nutzung ist jedoch nicht erforderlich (allg.M.); es kommt alleine auf den notwendigen ____Inhalt an (vgl. zu den Einzelheiten § 174 Rdn. 48 ff.). ____ Das Empfangsbekenntnis muss hinreichend deutlich machen, dass der empfangen34 ____de Anwalt das Dokument als zugestellt angenommen hat.70 Unerheblich ist es, wenn ____statt der vorgesehenen beglaubigten Abschrift eine den gesetzlichen Anforderungen ge____nügende Abschrift zugestellt und dies dokumentiert wird.71 ____ 35 Zur Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses vgl. § 174 Rdn. 55 ff. ____ ____ b) Übermittlung des Empfangsbekenntnisses (Abs. 2 Satz 2). Das Empfangsbe36 ____kenntnis kann dem zustellenden Anwalt als Dokument auf demselben Weg zurückge____sandt werden wie das zugestellte Dokument. So eröffnet Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 174 Abs. 4 ____Satz 2, 3 die Möglichkeit einer Rücksendung durch Telekopie oder als elektronisches ____Dokument (vgl. zu den Einzelheiten § 174 Rdn. 61 ff.).72 ____ ____ 2. Die Zustellungsbescheinigung für den zustellenden Anwalt (Abs. 2 Satz 3). 37 ____Der empfangende Anwalt kann gemäß Abs. 2 Satz 2 vom zustellenden Anwalt verlangen, ____dass dieser eine Bescheinigung über die Zustellung erteilt („Gegenbescheinigung“). Die ____Vorschrift übernimmt wörtlich die Vorgängerregelung in § 198 Abs. 2 Satz 2 a.F. Inhaltli____che Einzelheiten regelt das Gesetz nicht. Die Gegenbescheinigung dient dazu, dem Ad____ressaten einen Beleg für die Zustellung einschließlich ihres Zeitpunkts zu verschaffen.73 ____Funktional entspricht die Gegenbescheinigung damit der Zustellungsbescheinigung ____ ____ ____ ____68 BGH NJW 1975, 1652, 1653; BGH NJW 1979, 2566; BGH NJW 1987, 325; BGH NJW 1987, 1335; BGH NJW ____1991, 42 m.w.N.; BGH FamRZ 1995, 799; BGH NJW 1996, 2514; BGH NJW-RR 1997, 769 (letztere zu § 212 a ____a.F.). ____69 Vgl. BT(-Drucks.) 14/4554, S. 18 (zu § 174); Musielak/Wolst Rdn. 5; Zöller/Stöber Rdn. 11; Thomas/ Putzo/Hüßtege Rdn. 9; a.A. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 7 mit § 174 Rdn. 8. Zur Lage vor der Reform ____BGHZ 30, 299, 303 f. = NJW 1959, 1871, 1872 m.w.N.; BGH NJW 1963, 1307, 1308; BGH NJW 1974, 1469; BGH ____NJW 1976, 107, 108; BGH NJW 1987, 2679, 2680; BGH NJW 1989, 1154; BGH NJW 1992, 2235, 2236; BGH NJW ____1994, 526; BGH NJW 1994, 2295, 2296; BGH NJW 1994, 2297. A.A. zuletzt OLG Neustadt NJW 1953, 791 f.; OLG ____Karlsruhe NJW 1954, 1287, 1288. 70 BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872. ____71 BGH NJW 1959, 885. ____72 Vgl. Musielak/Wolst Rdn. 5. ____73 Musielak/Wolst Rdn. 6.

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh § 195

____i.S.v. § 169 Abs. 1.74 Die dafür entwickelten Maßstäbe sind sinngemäß auch auf die Ge____genbescheinigung anwendbar. ____ Bei der Gegenbescheinigung handelt es sich nicht um eine Wirksamkeitsvoraus- 38 ____setzung für die Zustellung. Auf den richtigen Inhalt kommt es daher zustellungsrecht____lich nicht an.75 Die mit dem Empfangsbekenntnis übereinstimmende Datierung begrün____det den vollen Beweis des Zustellungsdatums. Der Gegenbeweis kann geführt werden, ____insbesondere mit Hilfe des (abweichenden) Empfangsbekenntnisses.76 ____ ____ 3. Der Zustellungsnachweis für das Gericht (Abs. 1 Satz 4). Gemäß Abs. 1 Satz 4 39 ____ist dem Gericht die Zustellung nachzuweisen, wenn dies für die von ihm zu treffende ____Entscheidung erforderlich ist. Diese Vorschrift, welche die Regelung des § 198 Abs. 1 ____Satz 4 a.F. übernommen hat, betrifft nicht die Zustellung selbst. Der Nachweis lässt sich ____beispielsweise mit Hilfe des Empfangsbekenntnisses führen.77 ____ ____ V. Kosten ____ ____ Wird ein Gerichtsvollzieher zur Übermittlung eingeschaltet, so ergeben sich die Kos- 40 ____ten aus §§ 9 GvKostG i.V.m. Nr. 101 KVGv. Wird anstelle der Zustellung von Anwalt zu ____Anwalt eine weniger kostengünstige Art der Zustellung gewählt, so sind auch diese hö____heren Kosten grds. gemäß § 91 ersatzfähig. Dies ergibt sich daraus, dass der Zustellende ____gegenüber dem empfangenden Anwalt keinen Anspruch auf Mitwirkung hat (vgl. ____Rdn. 21) und eine Ersatzzustellung nicht möglich ist. Andere Arten der Zustellung sind ____also nicht selten der sicherere Weg, der aus einer Perspektive ex ante grds. eingeschla____gen werden darf. ____ ____ Rohe ____ §§ 195 a bis 213 a ____ weggefallen ____ ____ ____ Anhang ____ Text der Normen des Zustellungsrechts vor der Reform vom 1.7.2002: ____ Anh § 195 Rohe ____ Zweiter Titel. Verfahren bei Zustellungen ____ ____ I. Zustellung auf Betreiben der Parteien ____ ____ § 166 ____ (1) Die von den Parteien zu betreibenden Zustellungen erfolgen durch Gerichtsvoll____zieher. ____ (2) In dem Verfahren vor den Amtsgerichten kann die Partei den Gerichtsvollzieher ____unter Vermittlung der Geschäftsstelle des Prozeßgerichts mit der Zustellung beauftragen. ____Das gleiche gilt in Anwaltsprozessen für Zustellungen, durch die eine Notfrist gewahrt ____werden soll. ____ ____ ____ 74 Vgl. Zöller/Stöber Rdn. 15. ____75 Vgl. schon BGHZ 31, 32, 34 = NJW 1959, 2307, 2308 zum vormaligen Zustellungsrecht. ____76 Vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein Rdn. 8; Musielak/Wolst Rdn. 6. ____77 Vgl. hierzu BGH NJW 1997, 3319.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ § 167 ____ (1) Die mündliche Erklärung einer Partei genügt, um den Gerichtsvollzieher zur Vor____nahme der Zustellung, die Geschäftsstelle zur Beauftragung eines Gerichtsvollziehers ____mit der Zustellung zu ermächtigen. ____ (2) Ist eine Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher bewirkt, so wird bis zum Be____weis des Gegenteils angenommen, daß sie im Auftrag der Partei erfolgt sei. ____ ____ § 168 ____ Insoweit eine Zustellung unter Vermittlung der Geschäftsstelle zulässig ist, hat diese ____einen Gerichtsvollzieher mit der erforderlichen Zustellung zu beauftragen, sofern nicht ____die Partei erklärt hat, daß sie selbst einen Gerichtsvollzieher beauftragen wolle; in An____waltsprozessen ist die Erklärung nur zu berücksichtigen, wenn sie in dem zuzustellen____den Schriftsatz enthalten ist. ____ ____ § 169 ____ (1) Die Partei hat dem Gerichtsvollzieher und, wenn unter Vermittlung der Ge____schäftsstelle zuzustellen ist, dieser neben der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks ____eine der Zahl der Personen, denen zuzustellen ist, entsprechende Anzahl von Abschrif____ten zu übergeben. ____ (2) Die Zeit der Übergabe ist auf der Urschrift und den Abschriften zu vermerken und ____der Partei auf Verlangen zu bescheinigen. ____ ____ § 170 ____ (1) Die Zustellung besteht, wenn eine Ausfertigung zugestellt werden soll, in deren ____Übergabe, in den übrigen Fällen in der Übergabe einer beglaubigten Abschrift des zuzu____stellenden Schriftstücks. ____ (2) Die Beglaubigung wird von dem Gerichtsvollzieher, bei den auf Betreiben von ____Rechtsanwälten oder in Anwaltsprozessen zuzustellenden Schriftstücken von dem An____walt vorgenommen. ____ ____ § 171 ____ (1) Die Zustellungen, die an eine Partei bewirkt werden sollen, erfolgen für die nicht ____prozeßfähigen Personen an ihre gesetzlichen Vertreter. ____ (2) Bei Behörden, Gemeinden und Korporationen sowie bei Vereinen, die als solche ____klagen und verklagt werden können, genügt die Zustellung an die Vorsteher. ____ (3) Bei mehreren gesetzlichen Vertretern sowie bei mehreren Vorstehern genügt die ____Zustellung an einen von ihnen. ____ ____ § 172 (aufgehoben) ____ ____ § 173 ____ Die Zustellung erfolgt an den Generalbevollmächtigten sowie in den durch den Be____trieb eines Handelsgewerbes hervorgerufenen Rechtsstreitigkeiten an den Prokuristen ____mit gleicher Wirkung wie an die Partei selbst. ____ ____ § 174 ____ (1) Wohnt eine Partei weder am Ort des Prozeßgerichts noch innerhalb des Amtsge____richtsbezirkes, in dem das Prozeßgericht seinen Sitz hat, so kann das Gericht, falls sie ____nicht einen in diesem Ort oder Bezirk wohnhaften Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, ____auf Antrag anordnen, daß sie eine daselbst wohnhafte Person zum Empfang der für sie Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh § 195

____bestimmten Schriftstücke bevollmächtige. Diese Anordnung kann ohne mündliche Ver____handlung ergehen. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. ____ (2) Wohnt die Partei nicht im Inland, so ist sie auch ohne Anordnung des Gerichts ____zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet, falls sie nicht einen in ____dem durch den ersten Absatz bezeichneten Ort oder Bezirk wohnhaften Prozeßbevoll____mächtigten bestellt hat. ____ ____ § 175 ____ (1) Der Zustellungsbevollmächtigte ist bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung ____oder, wenn die Partei vorher dem Gegner einen Schriftsatz zustellen läßt, in diesem zu ____benennen. Geschieht dies nicht, so können alle späteren Zustellungen bis zur nachträg____lichen Benennung in der Art bewirkt werden, daß der Gerichtsvollzieher das zu überge____bende Schriftstück unter der Adresse der Partei nach ihrem Wohnort zur Post gibt. Die ____Zustellung wird mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sen____dung als unbestellbar zurückkommt. ____ (2) Die Postsendungen sind mit der Bezeichnung „Einschreiben“ zu versehen, wenn ____die Partei es verlangt und zur Zahlung der Mehrkosten sich bereit erklärt. ____ ____ § 176 ____ Zustellungen, die in einem anhängigen Rechtsstreit bewirkt werden sollen, müssen ____an den für den Rechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten erfolgen. ____ ____ § 177 ____ (1) Ist der Aufenthalt eines Prozeßbevollmächtigten unbekannt, so hat das Prozeß____gericht auf Antrag die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten, in Ermangelung ____eines solchen an den Gegner selbst zu bewilligen. ____ (2) Die Entscheidung über den Antrag kann ohne mündliche Verhandlung erlassen ____werden. Eine Anfechtung der die Zustellung bewilligenden Entscheidung findet nicht ____statt. ____ ____ § 178 ____ Als zu dem Rechtszug gehörig sind im Sinne des § 176 auch diejenigen Prozeßhand____lungen anzusehen, die das Verfahren vor dem Gericht des Rechtszuges infolge eines Ein____spruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Ver____fahrens oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung zum ____Gegenstand haben. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht ist als zum ersten ____Rechtszuge gehörig anzusehen. ____ ____ § 179 (aufgehoben) ____ ____ § 180 ____ Die Zustellungen können an jedem Ort erfolgen, wo die Person, der zugestellt wer____den soll, angetroffen wird. ____ ____ ____ § 181 ____ (1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetrof____fen, so kann die Zustellung in der Wohnung an einen zu der Familie gehörenden er____wachsenen Hausgenossen oder an eine in der Familie dienende erwachsene Person er____folgen. 787

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Anh § 195

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ (2) Wird eine solche Person nicht angetroffen, so kann die Zustellung an den in ____demselben Hause wohnenden Hauswirt oder Vermieter erfolgen, wenn sie zur Annahme ____des Schriftstücks bereit sind. ____ ____ § 182 ____ Ist die Zustellung nach diesen Vorschriften nicht ausführbar, so kann sie dadurch ____erfolgen, daß das zu übergebende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, ____in dessen Bezirk der Ort der Zustellung gelegen ist, oder an diesem Ort bei der Postan____stalt oder dem Gemeindevorsteher oder dem Polizeivorsteher niedergelegt und eine ____schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der ____bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben oder, falls dies nicht tunlich ist, an ____die Tür der Wohnung befestigt oder einer in der Nachbarschaft wohnenden Person zur ____Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt wird. ____ ____ § 183 ____ (1) Für Gewerbetreibende, die ein besonderes Geschäftslokal haben, kann, wenn sie ____in dem Geschäftslokal nicht angetroffen werden, die Zustellung an einen darin anwe____senden Gewerbegehilfen erfolgen. ____ (2) Wird ein Rechtsanwalt, ein Notar oder ein Gerichtsvollzieher in seinem Ge____schäftslokal nicht angetroffen, so kann die Zustellung an einen darin anwesenden Gehil____fen oder Schreiber erfolgen. ____ ____ § 184 ____ (1) Wird der gesetzliche Vertreter oder der Vorsteher einer Behörde, einer Gemeinde, ____einer Korporation oder eines Vereins, dem zugestellt werden soll, in dem Geschäftslokal ____während der gewöhnlichen Geschäftsstunden nicht angetroffen oder ist er an der An____nahme verhindert, so kann die Zustellung an einen anderen in dem Geschäftslokal an____wesenden Beamten oder Bediensteten bewirkt werden. ____ (2) Wird der gesetzliche Vertreter oder der Vorsteher in seiner Wohnung nicht ange____troffen, so sind die Vorschriften der §§ 181, 182 nur anzuwenden, wenn ein besonderes ____Geschäftslokal nicht vorhanden ist. ____ ____ § 185 ____ Die Zustellung an eine in den §§ 181, 183, 184 Abs. 1 bezeichneten Personen hat zu ____unterbleiben, wenn die Person an dem Rechtsstreit als Gegner der Partei, an welche die ____Zustellung erfolgen soll, beteiligt ist. ____ ____ § 186 ____ Wird die Annahme der Zustellung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so ist das zu ____übergebende Schriftstück am Ort der Zustellung zurückzulassen. ____ ____ § 187 ____ Ist ein Schriftstück, ohne daß sich seine formgerechte Zustellung nachweisen läßt, ____oder unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften dem Prozeßbeteiligten zuge____gangen, an den die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden ____konnte, so kann die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt angesehen werden, in dem ____das Schriftstück dem Beteiligten zugegangen ist. Dies gilt nicht, soweit durch die Zustel____lung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden soll. ____ ____ Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh § 195

____ § 188 ____ (1) Zur Nachtzeit sowie an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen darf eine Zustel____lung, sofern sie nicht durch Aufgabe zur Post bewirkt wird, nur mit richterlicher Erlaub____nis erfolgen. Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraum vom 1. April bis 30. September die ____Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in dem Zeitraum vom 1. Oktober ____bis 31. März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. ____ (2) Die Erlaubnis wird von dem Vorsitzenden des Prozeßgerichts erteilt; sie kann ____auch von dem Amtsrichter, in dessen Bezirk die Zustellung erfolgen soll, und in Angele____genheiten, die durch einen beauftragten oder ersuchten Richter zu erledigen sind, von ____diesem erteilt werden. ____ (3) Die Verfügung, durch welche die Erlaubnis erteilt wird, ist bei der Zustellung ____abschriftlich mitzuteilen. ____ (4) Eine Zustellung, bei der die Vorschriften dieses Paragraphen nicht beachtet sind, ____ist gültig, wenn die Annahme nicht verweigert ist. ____ ____ § 189 ____ (1) Ist bei einer Zustellung an den Vertreter mehrerer Beteiligter oder an einen von ____mehreren Vertretern die Übergabe der Ausfertigung oder Abschrift eines Schriftstücks ____erforderlich, so genügt die Übergabe nur einer Ausfertigung oder Abschrift. ____ (2) Einem Zustellungsbevollmächtigten mehrerer Beteiligter sind so viele Ausferti____gungen oder Abschriften zu übergeben, als Beteiligte vorhanden sind. ____ ____ § 190 ____ (1) Über die Zustellung ist eine Urkunde aufzunehmen. ____ (2) Die Urkunde ist auf die Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks oder auf einen ____mit ihr zu verbindenden Bogen zu setzen. ____ (3) Eine durch den Gerichtsvollzieher beglaubigte Abschrift der Zustellungsurkunde ____ist auf das bei der Zustellung zu übergebende Schriftstück oder auf einen mit ihm zu ver____bindenden Bogen zu setzen. Die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsurkunde kann ____dadurch ersetzt werden, daß der Gerichtsvollzieher den Tag der Zustellung auf dem zu ____übergebenden Schriftstück vermerkt. ____ (4) Die Zustellungsurkunde ist der Partei, für welche die Zustellung erfolgt, zu über____mitteln. ____ ____ § 191 ____ Die Zustellungsurkunde muß enthalten: ____1. Ort und Zeit der Zustellung; ____2. die Bezeichnung der Person, für die zugestellt werden soll; ____3. die Bezeichnung der Person, an die zugestellt werden soll; ____4. die Bezeichnung der Person, der zugestellt ist; in den Fällen der §§ 181, 183, 184 die ____ Angabe des Grundes, durch den die Zustellung an die bezeichnete Person gerecht____ fertigt wird; wenn nach § 182 verfahren ist, die Bemerkung, wie die darin enthalte____ nen Vorschriften befolgt sind; ____5. im Falle der Verweigerung der Annahme die Erwähnung, daß die Annahme verwei____ gert und das zu übergebende Schriftstück am Ort der Zustellung zurückgelassen ist; ____6. die Bemerkung, daß eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift des zuzustel____ lenden Schriftstücks und daß eine beglaubigte Abschrift der Zustellungsurkunde ____ übergeben oder der Tag der Zustellung auf dem zu übergebenden Schriftstück ver____ merkt ist; ____7. die Unterschrift des die Zustellung vollziehenden Beamten. 789

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Anh § 195

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ § 192 ____ Ist die Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 175) erfolgt, so muß die Zustellungsur____kunde den Vorschriften des vorstehenden Paragraphen unter Nummern 2, 3, 7 entspre____chen und außerdem ergeben, zu welcher Zeit, unter welcher Adresse und bei welcher ____Postanstalt die Aufgabe geschehen ist. ____ ____ § 193 ____ Zustellungen können auch durch die Post erfolgen. ____ ____ § 194 ____ (1) Wird durch die Post zugestellt, so hat der Gerichtsvollzieher die zuzustellende ____Ausfertigung oder die beglaubigte Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks verschlos____sen der Post mit dem Ersuchen zu übergeben, die Zustellung einem Postbediensteten des ____Bestimmungsortes aufzutragen. Die Sendung muß mit der Anschrift der Person, an die ____zugestellt werden soll, sowie mit der Bezeichnung des absendenden Gerichtsvollziehers ____und einer Geschäftsnummer versehen sein. ____ (2) Der Gerichtsvollzieher hat auf dem bei der Zustellung zu übergebenden Schrift____stück zu vermerken, für welche Person er es der Post übergibt, und auf der Urschrift ____des zuzustellenden Schriftstücks oder auf einem mit ihr zu verbindenden Bogen zu be____zeugen, daß die Übergabe in der im Absatz 1 bezeichneten Art und für wen sie geschehen ____ist. ____ ____ § 195 ____ (1) Die Zustellung durch den Postbediensteten erfolgt nach den Vorschriften der ____§§ 180 bis 186. ____ (2) Über die Zustellung ist von dem Postbediensteten eine Urkunde aufzunehmen, ____die den Vorschriften des § 191 Nr. 1, 3 bis 5, 7 entsprechen und die Übergabe der ihrer ____Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung sowie der Abschrift ____der Zustellungsurkunde bezeugen muß. Die Übergabe einer Abschrift der Zustellungsur____kunde kann dadurch ersetzt werden, daß der Postbedienstete den Tag der Zustellung auf ____der Sendung vermerkt; er hat dies in der Zustellungsurkunde zu bezeugen. Für Zustel____lungsurkunden der Bediensteten der Deutschen Post AG gilt § 418 entsprechend. ____ (3) Die Urkunde ist von dem Postbediensteten der Postanstalt und von dieser dem ____Gerichtsvollzieher zu überliefern, der mit ihr nach der Vorschrift des § 190 Abs. 4 zu ver____fahren hat. ____ ____ § 195 a ____ Findet nach der Wohnung oder dem Geschäftsraum, in denen zugestellt werden soll, ____ein Postbestelldienst nicht statt, so wird die Sendung bei der zuständigen Postanstalt ____hinterlegt. Die Postanstalt vermerkt auf der Zustellungsurkunde und auf der Sendung ____den Grund und den Zeitpunkt der Niederlegung. Das Gericht kann die Zustellung als frü____hestens mit dem Ablauf einer Woche seit dieser Niederlegung bewirkt ansehen, wenn ____anzunehmen ist, daß der Empfänger in der Lage gewesen ist, sich die Sendung aushän____digen zu lassen oder sich über ihren Inhalt zu unterrichten. ____ ____ § 196 ____ Insoweit eine Zustellung unter Vermittlung der Geschäftsstelle zulässig ist, kann ____diese unmittelbar die Post um Bewirkung der Zustellung ersuchen. In diesem Falle gel____ten die Vorschriften der §§ 194, 195 für die Geschäftsstelle entsprechend; die erforderli____che Beglaubigung nimmt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle vor. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh § 195

____ § 197 ____ Ist eine Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher bewirkt, obgleich sie durch die ____Post hätte erfolgen können, so hat die zur Erstattung der Prozeßkosten verurteilte Partei ____die Mehrkosten nicht zu tragen. ____ ____ § 198 ____ (1) Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Schriftstück auch da____durch zugestellt werden, daß der zustellende Anwalt das zu übergebende Schriftstück ____dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt). Auch Schriftsätze, ____die nach den Vorschriften dieses Gesetzes von Amts wegen zuzustellen wären, können ____statt dessen von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn nicht gleichzeitig dem Geg____ner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. In dem Schriftsatz soll die Erklärung ____enthalten sein, daß er von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde. Die Zustellung ist dem ____Gericht, sofern dies für die von ihm zu treffende Entscheidung erforderlich ist, nachzu____weisen. ____ (2) Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene ____schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist. Der Anwalt, ____der zustellt, hat dem anderen Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustel____lung zu erteilen. ____ ____ § 199 ____ Eine im Ausland zu bewirkende Zustellung erfolgt mittels Ersuchens der zuständi____gen Behörde des fremden Staates oder des in diesem Staate residierenden Konsuls oder ____Gesandten des Bundes. ____ ____ § 200 ____ (1) Zustellungen an Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, erfolgen, ____wenn sie zur Mission des Bundes gehören, mittels Ersuchens des Bundeskanzlers. ____ (2) Zustellungen an die Vorsteher der Bundeskonsulate erfolgen mittels Ersuchens ____des Bundeskanzlers. ____ ____ § 201 (weggefallen) ____ ____ § 202 ____ (1) Die erforderlichen Ersuchungsschreiben werden von dem Vorsitzenden des Pro____zeßgerichts erlassen. ____ (2) Die Zustellung wird durch das schriftliche Zeugnis der ersuchten Behörden oder ____Beamten, daß die Zustellung erfolgt sei, nachgewiesen. ____ ____ § 203 ____ (1) Ist der Aufenthalt einer Partei unbekannt, so kann die Zustellung durch öffentli____che Bekanntmachung erfolgen. ____ (2) Die öffentliche Zustellung ist auch dann zulässig, wenn bei einer im Ausland zu ____bewirkenden Zustellung die Befolgung der für diese bestehenden Vorschriften unaus____führbar ist oder keinen Erfolg verspricht. ____ (3) Das gleiche gilt, wenn die Zustellung aus dem Grunde nicht bewirkt werden ____kann, weil die Wohnung einer nach den §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes der ____Gerichtsbarkeit nicht unterworfenen Person der Ort der Zustellung ist. ____ ____ 791

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Anh § 195

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

____ § 204 ____ (1) Die öffentliche Zustellung wird, nachdem sie auf Antrag der Partei vom Prozeßge____richt bewilligt ist, durch die Geschäftsstelle von Amts wegen besorgt. Über den Antrag ____kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. ____ (2) Zur öffentlichen Zustellung wird ein Auszug des zuzustellenden Schriftstücks ____und eine Benachrichtigung darüber, wo das Schriftstück eingesehen werden kann, an ____die Gerichtstafel angeheftet. ____ (3) Enthält das zuzustellende Schriftstück eine Ladung oder eine Aufforderung nach ____§ 276 Abs. 1 Satz 1, so ist außerdem die einmalige Einrückung eines Auszugs des Schrift____stücks in den Bundesanzeiger erforderlich. Das Prozeßgericht kann anordnen, daß der ____Auszug noch in andere Blätter und zu mehreren Malen eingerückt werde. ____ ____ § 205 ____ In dem Auszug müssen bezeichnet werden ____1. das Prozeßgericht, die Parteien und der Gegenstand des Prozesses, ____2. ein in dem zuzustellenden Schriftstück enthaltener Antrag, ____3. die Formel einer zuzustellenden Entscheidung, ____4. bei der Zustellung einer Ladung deren Zweck und die Zeit, zu welcher der Geladene ____ erscheinen soll, ____5. bei der Zustellung einer Aufforderung nach § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Inhalt der ____ Aufforderung und die vorgeschriebene Belehrung. ____ ____ § 206 ____ (1) Das eine Ladung oder eine Aufforderung nach § 276 Abs. 1 Satz 1 enthaltende ____Schriftstück gilt als an dem Tage zugestellt, an dem seit der letzten Einrückung des Aus____zugs in die öffentlichen Blätter ein Monat verstrichen ist. Das Prozeßgericht kann bei ____Bewilligung der öffentlichen Zustellung den Ablauf einer längeren Frist für erforderlich ____erklären. ____ (2) Im übrigen ist ein Schriftstück als zugestellt anzusehen, wenn seit der Anheftung ____des Auszugs an die Gerichtstafel zwei Wochen verstrichen sind. ____ (3) Auf die Gültigkeit der Zustellung hat es keinen Einfluß, wenn der anzuheftende ____Auszug von dem Ort der Anheftung zu früh entfernt wird. ____ ____ § 207 ____ (1) Wird auf ein Gesuch, das die Zustellung eines ihm beigefügten Schriftstücks mit____tels Ersuchens anderer Behörden oder Beamten oder mittels öffentlicher Bekanntma____chung betrifft, die Zustellung demnächst bewirkt, so treten, insoweit durch die Zustel____lung eine Frist gewahrt und der Lauf der Verjährung oder einer Frist unterbrochen wird, ____die Wirkungen der Zustellungen bereits mit der Überreichung des Gesuchs ein. ____ (2) Wird ein Schriftsatz, dessen Zustellung unter Vermittlung der Geschäftsstelle er____folgen soll, innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Einreichung bei der Ge____schäftsstelle zugestellt, so tritt, sofern durch die Zustellung eine Notfrist gewahrt wird, ____die Wirkung der Zustellung bereits mit der Einreichung ein. ____ ____ II. Zustellungen von Amts wegen ____ ____ § 208 ____ Auf die von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen gelten die Vorschriften über ____die Zustellungen auf Betreiben der Parteien entsprechend, soweit nicht aus den nachfol____genden Vorschriften sich Abweichungen ergeben. Rohe

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3. Abschnitt. Verfahren

Anh § 195

____ § 209 ____ Für die Bewirkung der Zustellung hat die Geschäftsstelle Sorge zu tragen. ____ ____ § 210 ____ Die bei der Zustellung zu übergebende Abschrift wird durch den Urkundsbeamten ____der Geschäftsstelle beglaubigt. ____ ____ § 210 a ____ (1) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozeßbevoll____mächtigten des Rechtszuges, dessen Entscheidung angefochten wird, in Ermangelung ____eines solchen dem Prozeßbevollmächtigten des ersten Rechtszuges zuzustellen. Ist von ____der Partei bereits ein Prozeßbevollmächtigter für den höheren, zur Verhandlung und ____Entscheidung über das Rechtsmittel zuständigen Rechtszug bestellt, so kann die Zustel____lung auch an diesen Prozeßbevollmächtigten erfolgen. ____ (2) Ist ein Prozeßbevollmächtigter, dem nach Absatz 1 zugestellt werden kann, nicht ____vorhanden oder ist sein Aufenthalt unbekannt, so erfolgt die Zustellung an den von der ____Partei, wenngleich nur für den ersten Rechtszug bestellten Zustellungsbevollmächtigten, ____in Ermangelung eines solchen an die Partei selbst, und zwar an diese durch Aufgabe zur ____Post, wenn sie einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen hatte, die Bestellung aber ____unterlassen hat. ____ ____ § 211 ____ (1) Die Geschäftsstelle hat das zu übergebende Schriftstück einem Gerichtswacht____meister oder der Post zur Zustellung auszuhändigen; ein Beamter der Justizvollzugsan____stalt steht bei der Zustellung an einen Gefangenen dem Gerichtswachtmeister gleich. Die ____Sendung muß verschlossen sein; sie muß mit der Anschrift der Person, an die zugestellt ____werden soll, sowie mit der Bezeichnung der absendenden Stelle und einer Geschäfts____nummer versehen sein. Sie muß den Vermerk „Vereinfachte Zustellung“ tragen. ____ (2) Die Vorschrift des § 194 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. ____ ____ § 212 ____ (1) Die Beurkundung der Zustellung durch den Gerichtswachtmeister oder den Post____bediensteten erfolgt nach den Vorschriften des § 195 Abs. 2 mit der Maßgabe, daß eine ____Abschrift der Zustellungsurkunde nicht zu übergeben, der Tag der Zustellung jedoch auf ____der Sendung zu vermerken ist. ____ (2) Die Zustellungsurkunde ist der Geschäftsstelle zu überliefern. ____ ____ § 212 a ____ Bei der Zustellung an einen Anwalt, Notar oder Gerichtsvollzieher oder eine Behörde ____oder Körperschaft des öffentlichen Rechts genügt zum Nachweis der Zustellung das mit ____Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts oder ____eines gemäß der Rechtsanwaltsordnung bestellten Zustellungsbevollmächtigten, des ____Notars oder Gerichtsvollziehers oder der Behörde oder Körperschaft. ____ ____ § 212 b ____ Eine Zustellung kann auch dadurch vollzogen werden, daß das zu übergebende ____Schriftstück an der Amtsstelle dem ausgehändigt wird, an den die Zustellung zu bewir____ken ist. In den Akten und auf dem ausgehändigten Schriftstück ist zu vermerken, wann ____dies geschehen ist; der Vermerk ist von dem Beamten, der die Aushändigung vorge____nommen hat, zu unterzeichnen. 793

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Vor §§ 214–229

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 213 ______ Ist die Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 175) erfolgt, so hat der Urkundsbeamte ______der Geschäftsstelle in den Akten zu vermerken, zu welcher Zeit und unter welcher Adres______se die Aufgabe geschehen ist. Der Aufnahme einer Zustellungsurkunde bedarf es nicht. ______ ______ § 213 a ______ Auf Antrag bescheinigt die Geschäftsstelle den Zeitpunkt der Zustellung. ______ ______ ______ TITEL 3 ______ Ladungen, Termine und Fristen ______ Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ______ Vorbemerkungen zu den §§ 214–229 ______ Vor §§ 214–229 Rohe/Gerken ______ Schrifttum ______ ______ Halbach Die Verweigerung der Terminsbestimmung und der Klagezustellung im Zivilprozeß, Diss. ______Köln 1980; Kempf Funktionelles Denken bei prozessualen Fristen JZ 1962, 84 ff.; Mösezahl Die wichtigsten ______Fristen im Prozeßrecht, 1982; Säcker Fristenhemmung und Fristenrestitution im Zivil- und Zivilprozeßrecht ______ZZP 80 (1967) 421 ff.; Schwalbach Über die Zeitbestimmungen im Zivilprozeß AcP 66, 250 ff., 264; Volbers ______Fristen, Termine, Zustellungen, 6. Aufl. 1988. ______ Übersicht ______I. Normzweck ____ 1 3. Unterteilung der prozessualen Fristen im ______II. Ladungen engeren Sinn ____ 24 ______ 1. Begriffe ____ 4 a) Gesetzliche Fristen ____ 25 ______ 2. Anwendungsbereich der Ladungsaa) Notfristen ____ 26 vorschriften, §§ 214 ff. ____ 7 bb) Zwischenfristen ____ 28 ______ ____ 9 cc) Sonstige gesetzliche ______ 3. Ausführung der Ladung ____ 13 Fristen ____ 31 ______III. Termine b) Richterliche Fristen ____ 32 ______IV. Fristen 1. Allgemeines ____ 14 c) Von den Parteien vereinbarte ______ 2. Anwendungsbereich der §§ 221–226 Fristen ____ 34 ______ a) Prozessuale und außerprozessuale 4. Gemeinsame Regeln für die ______ Fristen ____ 19 Fristen ____ 36 ______ b) Eigentliche und uneigentliche ______ Fristen ____ 20 ______ ______ I. Normzweck ______ ______ Die §§ 214 ff. befassen sich mit der zeitlichen Organisation des Verfahrens, die im 1 ______Wesentlichen dem Gericht obliegt. ______ ______ Fristen sind entweder gesetzlich vorgegeben oder werden vom Gericht festgesetzt. 2 ______Termine werden von Amts wegen bestimmt (§ 216 Abs. 1), Ladungen werden von Amts ______wegen bewirkt (§ 214). Die Änderung einer Frist oder die Verlegung eines Termins setzen ______grundsätzlich eine richterliche Entscheidung voraus. Nur die Verkürzung einer Frist (mit ______Ausnahme der Notfristen) steht den Parteien offen (§ 224 Abs. 1). Zulässig ist eine Ter______mins- oder Friständerung nur dann, wenn erhebliche Gründe anzunehmen sind (§§ 224 ______Abs. 2, 227 Abs. 1). ______ 3 Die Regelungen der §§ 214 ff. sind an dem Ziel orientiert, das Verfahren zu straffen. ______Dieses im Interesse aller Prozessbeteiligten stehende Anliegen darf allerdings nicht zu Rohe/Gerken

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___einer Übereilung führen. Dies kommt schon durch die Zwischenfristen (Einlassungs-, ___Ladungs- und Schriftsatzfristen; vgl. Rdn. 28) zum Ausdruck, durch die der Gesetzgeber ___einen zeitlichen Mindestrahmen vorgegeben hat. Durch die richterlichen Fristsetzungen ___vielfältiger Art (Rdn. 32) hat das Gericht die Möglichkeit, den Lauf des Verfahrens nach ___den jeweiligen Erfordernissen auszurichten und damit flexibel zu gestalten. Bei der Be___stimmung dieser Fristen, bei der Entscheidung über ihre Verlängerung sowie bei der ___Verlegung eines Termins darf das Interesse an der zügigen Durchführung nicht zu Las___ten der Wahrheitsfindung und damit der materiellen Gerechtigkeit gehen. Der Anspruch ___der Parteien auf ausreichendes rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) muss in jedem ___Verfahrensstadium beachtet werden. ___ Gerken ___ II. Ladungen ___ ___ 1. Begriffe. Die Ladung als prozessleitende Maßnahme ist die Aufforderung zum Er___scheinen im Termin (Rdn. 13). Sie erfolgt stets von Amts wegen (§§ 214, 274, 497). ___ Das Gesetz unterscheidet zwischen der Ladung und der Bekanntmachung bzw. ___Mitteilung des Termins (§§ 251 a Abs. 2 Satz 3, 341 a, 357 Abs. 2, 366 Abs. 2, 370 Abs. 2 ___Satz 2, 523 Abs. 2 ZPO, 553 Abs. 1 ZPO, 102 Satz 3 GVG). Dies hat historische Gründe. Die ___Ladung zum Verhandlungstermin war früher Sache der Partei. Das Gesetz verwendete ___den Begriff der Ladung ursprünglich dort, wo sie von der Partei zu bewirken war oder wo ___das Gericht für das Erscheinen von Beweispersonen (Zeugen, Sachverständige, Parteien ___gemäß § 141 Abs. 2 zur Anhörung oder zur Parteivernehmung) zu sorgen hatte. ___ Je nach Lage kann sowohl bei der Ladung als auch bei der Bekanntmachung die ___förmliche Zustellung der Verfügung des Gerichts erforderlich sein (§§ 239 Abs. 3 Satz 1, ___244 Abs. 2 Satz 1, 246 Abs. 2, 274 Abs. 2, 320 Abs. 3 Satz 2, 321 Abs. 3 Satz 2, 329 Abs. 2 ___Satz 2, 335 Abs. 2, 341 a, 357 Abs. 2 Satz 1 bei richterlicher Anordnung, 366 Abs. 2, 389 ___Abs. 2, 450 Abs. 1 Satz 2, 491 Abs. 1, 523 Abs. 2, 553 Abs. 1, 856 Abs. 3, 875, 900 Abs. 3) ___oder die formlose Mitteilung genügen (§§ 141 Abs. 2 Satz 2, 251 a Abs. 2 Satz 3, 357 Abs. 2 ___Satz 1, 377 Abs. 1 Satz 2, 402, 497 Abs. 1 Satz 1). Auch dort, wo das Gesetz „nur“ von Be___kanntmachung spricht, muss zum Teil zugestellt werden (z.B. §§ 341 a, 366 Abs. 2, 370 ___Abs. 2, 523 Abs. 2, 553 Abs. 1 ZPO, 102 Satz 3 GVG). Die Ladungsfrist (§ 217) ist bei La___dung und Bekanntmachung einzuhalten. ___ Die Ladung mittels Zustellung (§§ 166 ff.) und die formlose Mitteilung (schriftlich ___durch einfachen Brief, gemäß § 497 Abs. 2 auch mündlich) haben beide das Ziel, den ___Empfänger vom Termin zu benachrichtigen. Bei der Zustellung wird die Art und die Zeit ___der Bekanntgabe durch eine Urkunde belegt (§§ 174 Abs. 4, 175 Satz 2, 182); in den Fällen ___der §§ 179–181 wird der Zugang fingiert. Bei der einfachen Mitteilung fehlt ein Nachweis. ___ Die Zustellung kann auch dort angeordnet werden, wo das Gesetz die formlose Mittei___lung genügen lässt (Beispiel: § 357 Abs. 2 Satz 1). Umgekehrt kann die formlose Mitteilung ___die vorgeschriebene Zustellung nicht ersetzen. In diesem Fall kann aber § 189 eingreifen. ___ ___ 2. Anwendungsbereich der Ladungsvorschriften, §§ 214 ff. Die §§ 214 ff. regeln ___nur die Ladung der Parteien zur mündlichen Verhandlung. Sie gelten nicht für die ___Ladung der Zeugen und Sachverständigen und auch nicht, wenn die Parteien gemäß den ___§§ 141 Abs. 1, 450 Abs. 1 Satz 2 zur Anhörung oder Parteivernehmung geladen werden. ___ Die Ladung der Auskunftspersonen ist gesondert geregelt (§§ 141 Abs. 2, 377 Abs. 1 ___Satz 1, 402). Sie erfolgt ebenfalls von Amts wegen und wird von der Geschäftsstelle (§ 153 ___GVG) durchgeführt. Da die förmliche Zustellung nicht vorgeschrieben ist, kann die La___dung von Auskunftspersonen durch einfachen Brief oder mündlich geschehen. ___ 795

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______ 9 3. Ausführung der Ladung. Geladen wird von Amts wegen (§ 214). Dies schließt ______nicht aus, dass die Parteien unaufgefordert erscheinen und unter Verzicht auf die Ein______haltung der Ladungsfrist (§ 295) um einen sofortigen Termin bitten. ______ 10 Der Wortlaut der Ladung ist nicht festgelegt.1 § 186 Abs. 2 Satz 3 gibt einen Anhalts______punkt für den notwendigen Inhalt. ______ Die Verwendung des Wortes Ladung ist nicht erforderlich. Der Wortlaut muss aber ______so gefasst sein, dass sich die Partei tatsächlich aufgefordert fühlt, zum Termin zu er______scheinen.2 Zu den notwendigen Bestandteilen der Ladung s. § 214 Rdn. 4. Bewirkt wird ______die Ladung von der Geschäftsstelle (§§ 274 Abs. 1 ZPO, 153 GVG). ______ Ist die Terminsbestimmung in einer verkündeten Entscheidung enthalten, ist eine 11 ______Ladung unbeschadet der Vorschriften des § 141 Abs. 2 nicht erforderlich (§ 218). In allen ______anderen Fällen muss sie gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 förmlich zugestellt werden. ______ Die Ladung ist unwirksam, wenn sie inhaltlich unvollständig ist (s. § 214 Rdn. 4), 12 ______wenn die Ladungsfrist nicht gewahrt ist oder wenn sie nicht in der vorgeschriebenen ______Form bewirkt worden ist. Säumnisfolgen dürfen dann an das Nichterscheinen nicht ge______knüpft werden (§ 335 Abs. 1 Nr. 3). ______ ______ III. Termine ______ ______ Unter einem Termin versteht man nicht das Ende einer Frist, sondern den Zeitraum, 13 ______in dem die Prozessbeteiligten Erklärungen abgeben können. Termine können zur münd______lichen Verhandlung, zur Erörterung (§ 118 Abs. 1 Satz 3), zu einer Güteverhandlung ______(§ 278), zur Durchführung einer Beweisaufnahme oder zur Verkündung einer Entschei______dung bestimmt werden. Termin und Verhandlung sind nicht gleichzusetzen, da ein Ter______min nicht notwendig voraussetzt, dass eine Erörterung stattfindet oder Anträge gestellt ______werden. Mit der Terminsbestimmung bekundet das Gericht seine Bereitschaft zur Entge______gennahme von Parteierklärungen oder zur Vornahme einer prozessualen Handlung.3 ______Gemäß § 216 Abs. 1 werden die Termine von Amts wegen bestimmt. Zu den einzelnen ______Prozesssituationen, die eine Terminsbestimmung erfordern und zur Frage, wann ein ______Antrag nötig ist s. § 216 Rdn. 7–17. ______ ______ IV. Fristen ______ ______ 1. Allgemeines. Die §§ 221–226 befassen sich mit den prozessualen Fristen. Fristen 14 ______sind Zeiträume von bestimmter oder doch bestimmbarer Dauer.4 Innerhalb dieser Zeit______räume können oder müssen die Prozessbeteiligten Prozesshandlungen vornehmen.5 ______ Sie werden entweder direkt vom Gericht bestimmt oder von einem Ereignis an ge______rechnet (Verkündung, Zustellung einer durch Rechtsmittel angreifbaren Entscheidung, ______die Mitteilung einer Fristsetzung durch das Gericht). Die Funktion der prozessualen ______Fristen ist je nach Geltungsbereich unterschiedlich: ______ Die Zwischenfristen (s. Rdn. 28) geben den Parteien Zeit zur Vorbereitung und 15 ______Überlegung. Damit ist das Verfahren von vorn herein an einen bestimmten zeitlichen ______Mindestrahmen gebunden. Zwischenfristen binden das Gericht. Werden sie nicht beach______ ______ ______ ______1 RGZ 60, 269, 273. 2 RGZ a.a.O. ______3 RGZ 55, 22. ______4 RGZ 120, 362 (betr. Verjährungsfristen). ______5 BGH VersR 1985, 574.

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___tet, darf kein Versäumnisurteil ergehen (§§ 335 Abs. 1 Nr. 2, 337 Satz 1); eine Zurückwei___sung von Prozessvortrag (§§ 296, 530) findet nicht statt. ___ Bei den Handlungsfristen (z.B. §§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 276 Abs. 3, 277 Abs. 3, 4, 521 ___Abs. 2) wird ein Endzeitpunkt für die Vornahme einer Prozesshandlung bzw. Abgabe ___einer Erklärung gesetzt. Geschieht dies nicht fristgerecht, tritt ein Rechtsverlust ein, zu___mindest wenn sich der Gegner darauf beruft. Ein Handeln innerhalb der Frist wahrt da___gegen das prozessuale Recht. ___ Rechtsmittelfristen bestimmen den Zeitpunkt des Eintritts der formellen Rechts___kraft und schaffen dadurch Rechtsklarheit. ___ Je nach Funktion sind die Fristen unabänderlich (Notfristen Rdn. 26) oder abän___derbar (durch richterliche Entscheidung oder Parteivereinbarung), gesetzlich vorgege___ben oder vom Gericht bestimmbar, mit einer Ausschluss- oder nur einer Verspätungswir___kung versehen. ___ ___ 2. Anwendungsbereich der §§ 221–226 ___ ___ a) Prozessuale und außerprozessuale Fristen. Die §§ 221 ff. betreffen nur die pro___zessualen Fristen. Sie stehen, wie sich aus § 222 Abs. 1 ergibt, neben den Vorschriften ___über die außerprozessualen Fristen, für die die ZPO nicht gilt. Andererseits nimmt § 222 ___Abs. 1 zur Berechnung der prozessualen Fristen auf die Vorschriften des BGB Bezug. ___ Prozessualer Art sind die Fristen, die sich auf ein bestimmtes Verfahren beziehen. ___Außerprozessualer Art sind diejenigen, die einen materiellrechtlichen Anspruch betref___fen oder ein solches Rechtsverhältnis regeln. Solche materiellrechtlichen Fristen finden ___sich auch in der ZPO, und zwar in den §§ 255, 510b. Die Räumungsfrist in § 721 hat einen ___doppelten Charakter. Auch die Widerrufsfrist für einen Vergleich gehört hierher,6 soweit ___sie das materielle Rechtsverhältnis regelt (zur Frage der Verlängerung der Widerrufsfrist ___§ 224 Rdn. 4). ___ ___ b) Eigentliche und uneigentliche Fristen. Mit den Fristen im Sinne der §§ 221–226 ___sind nur die Fristen im engeren Sinn (sog. eigentliche Fristen) gemeint. ___ Uneigentliche Fristen sind die vom Gesetz bestimmten – und nicht als Fristen be___zeichneten – Zeiträume, in denen gerichtliche Handlungen vorzunehmen sind (§§ 216 ___Abs. 2, 251 a Abs. 2 Satz 2, 310 Abs. 1 Satz 2, 315 Abs. 2 Satz 1, 541 Abs. 1, 565, 816 Abs. 1, 875 ___Abs. 1 Satz 2, 913 Satz 1, 915 Abs. 1 Satz 2), vor oder nach deren Ablauf die Parteien mit ___bestimmten Prozesshandlungen ausgeschlossen sind (§§ 234 Abs. 3, 251 Abs. 2 Satz 1, 320 ___Abs. 2 Satz 3, 586 Abs. 2 Satz 2,7 694 Abs. 1, 958 Abs. 2, 994 Abs. 1) und die Frist, nach ___deren Ablauf der Eintritt eines Ereignisses fingiert wird. Ferner gehören hierzu die Fris___ten der §§ 701,8 811 b Abs. 2, 903, 914 Abs. 2, sowie die Aufgebotsfristen (§§ 437, 458 ___Abs. 2, 464, 476 FamFG). Diese Fristen sollen Verzögerungen ausschließen. ___ Keine Fristen im engeren Sinn sind auch der Zeitraum von fünf Monaten in den ___§§ 517 und 548,9 der von drei Monaten gemäß § 127 Abs. 3 Satz 4 sowie der Zeitraum wäh___rend einer Aussetzung des Verfahrens (§§ 148, 152 ff., 246).10 ___ ___ ___6 BGH NJW 1974, 107 = JR 1974, 179. ___7 KG Rpfl. 1976, 368. ___8 LAG Berlin MDR 1990, 186, 187. 9 RGZ 122, 51, 54: Die Frist schiebt nur den Beginn der Rechtsmittelfrist hinaus und ist keine ___Handlungsfrist; in BGHZ 32, 370 = NJW 1960, 1763 ist die Frist von 5 Monaten gem. § 517 allerdings wie eine ___Notfrist behandelt worden. ___10 BGH NJW 1977, 717, 718.

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______ 21 Bei den vom Gericht zu beachtenden uneigentlichen Fristen kann die Nichtein______haltung eine Amtspflichtsverletzung darstellen (Art. 34 GG, § 839 BGB) oder eine Dienst______aufsichtsbeschwerde (§ 26 Abs. 2 DRiG) rechtfertigen. Unmittelbare prozessuale Folgen ______entstehen hierdurch aber nicht. Diese Fristen haben daher nur Ordnungs- oder Erinne______rungsfunktion. ______ Für die Parteien führt die Versäumung einer uneigentlichen Frist zu einer Aus22 ______schließung. Denn diese Fristen können in ihrem Lauf nicht unterbrochen oder gehemmt ______werden. Sie stellen vielmehr die äußerste Grenze für die Vornahme einer Prozesshand______lung dar. Eine Wiedereinsetzung findet nicht statt.11 Mit Ablauf dieser Fristen soll in je______dem Fall Rechtsklarheit geschaffen sein. ______ Die Berechnung der uneigentlichen Fristen richtet sich nach § 222.12 Sonst sind die 23 ______Normen über die Fristen nicht anwendbar, obwohl es sich auch um prozessuale Fristen ______handelt.13 ______ ______ 3. Unterteilung der prozessualen Fristen im engeren Sinn. Zu unterscheiden ist 24 ______zwischen gesetzlichen, richterlichen und den Fristen, die auf Parteivereinbarung beru______hen (§ 224).14 ______ ______ a) Gesetzliche Fristen. Zu den gesetzlichen Fristen gehören die Notfristen, die 25 ______Zwischenfristen und die sonstigen gesetzlichen Fristen. ______ Ihre Dauer ist je nach Prozesssituation unterschiedlich. Sie können bestimmt sein ______nach Stunden (§§ 274 Abs. 3 Satz 2, 604 Abs. 2 Satz 1), nach Tagen (§§ 132 Abs. 2, 134 ______Abs. 2 Satz 1, 217, 313 a Abs. 1), nach Wochen (§§ 91 a Abs. 1 Satz 2, 106 Abs. 2 Satz 1, 132 ______Abs. 1, 217, 234 Abs. 1, 251 a Abs. 2 Satz 2, 274 Abs. 3 Satz 1, 275, 276 Abs. 1 Satz 1 und 2, ______277 Abs. 3 und 4, 310 Abs. 1, 315 Abs. 1, 320 Abs. 1, 321 Abs. 2, 321 a Abs. 2 Satz 1, 339 ______Abs. 1, 406 Abs. 2, 569 Abs. 1, 573 Abs. 1 Satz 1, 604 Abs. 3, 692 Abs. 1 Nr. 3, 697 Abs. 1 ______und 2) oder nach Monaten (§§ 107 Abs. 2 Satz 1, 127 Abs. 3 Satz 3, 128 Abs. 2 Satz 3, 234 ______Abs. 1, 317 Abs. 1 Satz 3, 517, 520 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 544 Abs. 1 und 2, 548, 551 ______Abs. 2 Satz 2, 575 Abs. 1 Satz 1, 586 Abs. 1, 701 Satz 1, 798 a Satz 1, 878 Abs. 1 Satz 1, 929 ______Abs. 2 Satz 1).15 ______ ______ aa) Notfristen. Dies sind diejenigen Fristen, die im Gesetz als solche bezeichnet 26 ______sind (§ 224 Abs. 1 Satz 2). Dies sind die Fristen der §§ 91 a Abs. 1 Satz 2, 269 Abs. 2 Satz 4, ______276 Abs. 1 Satz 1, 339 Abs. 1 und 2, 517, 544 Abs. 1 Satz 2, 548, 566 Abs. 2 Satz 2, 569 Abs. 1 ______Satz 1, 573 Abs. 1 Satz 1, 574 Abs. 4 Satz 1, 575 Abs. 1 und 2, 586 Abs. 1, 700. Sie finden ______sich auch in anderen Gesetzen (z.B. §§ 11 Abs. 2, 3 AVAG, 111 Abs. 1 Satz 3 GenG, 59 Satz 1, ______72 Abs. 3 Satz 1 ArbGG, 30b Abs. 1 Satz 1, 180 Abs. 2, 3 ZVG, 61 Abs. 3 Landbeschaf______fungsG). Von der Rechtsprechung wird ferner die Frist des § 181 Abs. 1 GVG als Notfrist ______behandelt.16 ______ Die gesetzlichen Notfristen sind unabänderlich. Sie können weder vom Gericht 27 ______noch durch die Parteien verlängert oder verkürzt werden. Die richterlich bestimmten ______Notfristen (§§ 276 Abs. 1 Satz 3, 339 Abs. 2) dürfen die gesetzliche Mindestdauer nicht ______ ______ ______11 RG HRR 1941, 902; RGZ 122, 51. ______12 RGZ 97, 300. Zur Anwendung von § 222 Abs. 2 auf die Fünfmonatsfrist der §§ 517, 548 sowie der ______Dreimonatsfrist des § 127 Abs. 3 S. 4 s. aber § 222 Rdn. 14. 13 RGZ 17, 328, 330. ______14 Vgl. Hahn Materialien zu den Reichsjustizgesetzen Bd. II/1 S. 238. ______15 Tabellarische Übersicht über die Dauer der Fristen bei Zöller/Stöber Vor § 214 Rdn. 7. ______16 OLG Hamm MDR 1954, 179; OLG Stuttgart Justiz 1979, 140; Kissel GVG § 181 Rdn. 5.

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___unterschreiten; eine Verlängerung ist aber möglich (§ 224 Abs. 2).17 Wird eine Notfrist ___unverschuldet versäumt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff.) be___antragt werden. Der Lauf der Notfristen wird durch die Anordnung des Ruhens des Ver___fahrens nicht beeinflusst. Nur bei Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens hört ___der Lauf einer Notfrist auf (§ 249). ___ ___ bb) Zwischenfristen. Als Zwischenfristen (§ 226 Abs. 1) bezeichnet man die Fristen ___für die Einlassung auf die Klage bzw. die Anspruchsbegründung, auf die Berufungs___und Revisionsbegründung (§§ 523 Abs. 2, 553 Abs. 2) sowie auf die Zustellung der Urkun___den im Urkundenprozess (§ 593 Abs. 2 Satz 2), die Ladungsfristen (§§ 217, 239 Abs. 3 ___Satz 2, 604 Abs. 2 und 3, 605 a) sowie die Fristen für die Zustellung vorbereitender ___Schriftsätze (§§ 132, 593 Abs. 2 Satz 2). Auch die Wartefrist von zwei Wochen gemäß ___§ 798 gehört hierzu. ___ Die Bestimmung der Zwischenfristen ist in einigen Fällen dem Gericht übertragen, ___und zwar dort, wo ihre Dauer besonderen Prozesssituationen angepasst werden muss ___(§§ 239 Abs. 3 Satz 2, 274 Abs. 3 Satz 2, 521 Abs. 2, 553 Abs. 2). Hierbei handelt es sich um ___richterliche Fristen. Der vom Gesetz vorgegebene Mindestrahmen ist bei der Fristsetzung ___zu beachten. ___ Die Einlassungsfristen und die Fristen für vorbereitende Schriftsätze dienen der ___Vorbereitung auf den Termin. Sie bestimmen den Zeitraum, der den Parteien mindes___tens zur Überlegung und Fertigung ihrer Einlassungen zur Verfügung stehen muss. ___ ___ cc) Sonstige gesetzliche Fristen. Hierzu gehören alle übrigen für die Vornahme ___von Parteihandlungen vorgeschriebenen Fristen, namentlich die Rechtsmittelbegrün___dungsfristen (§§ 520 Abs. 2 Satz 1, 551 Abs. 2 Satz 2, 575 Abs. 2), die Frist gemäß § 234 ___Abs. 1 für den Wiedereinsetzungsantrag, die Fristen für einen Antrag auf Berichtigung ___oder Ergänzung des Urteils (§§ 320 Abs. 1, 321 Abs. 2) sowie die der §§ 106 Abs. 1 Satz 1, ___107 Abs. 2 Satz 1, 134 Abs. 2 Satz 1, 692 Abs. 1 Nr. 3, 697 Abs. 1, 815 Abs. 2 Satz 2, 840 ___Abs. 1, 845 Abs. 2 Satz 1, 873, 929 Abs. 2 und 3 Satz 2). ___ ___ b) Richterliche Fristen. Bei den richterlichen Fristen bestimmt das Gericht die ___Länge der Frist. Dem Gericht wird hiermit die Möglichkeit gegeben, die Fristen nach den ___besonderen Erfordernissen einzelner Prozesssituationen individuell festzusetzen. In ei___nigen Fällen schreibt das Gesetz allerdings eine Mindestdauer vor. Der Beginn des Frist___laufs ist zum Teil an ein bestimmtes Ereignis geknüpft (z.B. Zustellung), zum Teil kann er ___auch vom Gericht festgesetzt werden. ___ Wird eine gesetzliche Frist durch richterliche Entscheidung verlängert (z.B. §§ 520 ___Abs. 2 Satz 2, 3, 551 Abs. 2 Satz 5, 6, 575 Abs. 2 Satz 3), wird sie dadurch nicht zu einer ___richterlichen Frist.18 ___ Richterliche Fristen können gesetzt werden zum Nachweis einzelner Prozessvoraus___setzungen (§ 56 Abs. 2 Satz 2), zur Beibringung der Genehmigung für einen vollmachtlo___sen Vertreter (§ 89 Abs. 1 Satz 2), für die Sicherheitsleistung (§§ 109 Abs. 1, 113), zur Be___stellung eines neuen Anwalts (§ 244 Abs. 2 Satz 1), zur Anzeige der Verteidigungsbereit___schaft (§ 276 Abs. 1 Satz 3), für die Einreichung von Schriftsätzen (§§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 275 ___Abs. 1, 2 und 4, 277 Abs. 3, 283 Satz 1, 521 Abs. 2, 697 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2), zur ___Beibringung von Beweismitteln (§§ 356, 364 Abs. 3, 379, 428, 431), in den Fällen der ___ ___ ___17 A.A. MünchKomm-ZPO/Feiber § 224 Rdn. 3. ___18 HansOLG Hamburg MDR 1952, 561.

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______§§ 769 Abs. 2, 771 Abs. 3, 805 Abs. 4 und gemäß § 942 zur Ladung des Gegners zur Ver______handlung über die Rechtmäßigkeit einer einstweiligen Verfügung. Ferner gehören hierzu ______die vom Rechtspfleger zu bestimmenden Fristen (§§ 926 Abs. 1 Satz 1, 936) und letztlich ______die gerichtlich festzusetzenden Zwischenfristen (Rdn. 28). ______ Bei den Fristen gemäß §§ 276 Abs. 1 Satz 3, 339 Abs. 2 handelt es sich um richterlich ______bestimmte Notfristen. ______ ______ c) Von den Parteien vereinbarte Fristen. Die dritte Gruppe bilden die von den Par34 ______teien vereinbarten Fristen. Hauptfall ist die Widerrufsfrist für einen Vergleich (§ 224 ______Rdn. 4). Sie hat wegen der Doppelnatur des Vergleichs auch prozessuale Wirkung. Mit ______Fristablauf ist der Rechtsstreit erledigt. Eine Wiedereinsetzung findet bei Versäumung ______der Frist nicht statt.19 ______ Sonst ist den Parteien die Disposition über die Fristen im Wesentlichen entzogen. 35 ______Gemäß § 224 können die Parteien die gesetzlichen und richterlichen Fristen mit Aus______nahme der Notfristen nur verkürzen aber nicht verlängern. Ist z.B. eine Notfrist durch ______Zustellung in Lauf gesetzt, kann die Wirkung der Zustellung nicht durch Parteivereinba______rung aufgehoben werden.20 Da eine Vereinbarung über die Abkürzung einer Frist nur in ______den seltensten Fällen zustande kommt, haben die von den Parteien vereinbarten Fristen ______– mit Ausnahme der Widerrufsfrist für den Vergleich – keine nennenswerte prozessuale ______Bedeutung. ______ ______ 36 4. Gemeinsame Regeln für die Fristen. Für den Fristbeginn gilt § 221. Die Fristen ______berechnen sich nach § 222 in Verbindung mit den §§ 187–189 BGB. Mit Ausnahme der ______Notfristen können sie durch richterliche Entscheidung geändert werden (§§ 224, 225, ______226). ______ Der Umstand, dass der Fristbeginn an ein bestimmtes Ereignis geknüpft ist, schließt 37 ______es nicht aus, die fristgebundene Prozesshandlung bereits vor diesem Ereignis vorzuneh______men. Dies gilt für den Einspruch (§ 338), die Berufung, Revision und Rechtsbeschwerde ______(§§ 517, 548, 575),21 die sofortige Beschwerde (§ 567) und die Wiederaufnahmeklage (§ 586 ______Abs. 1). ______ 38 Der Lauf der Fristen kann durch Unterbrechung, Aussetzung und Ruhen des Verfah______rens (§ 249), durch Hemmung und durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beein______flusst werden. ______ 39 Alle Fristen dürfen von den Parteien bis 24 Uhr des letzten Tages ausgeschöpft wer______den.22 Hieraus folgt, dass bis zum Fristende unvollständige oder unwirksame Prozess______handlungen nachgebessert werden können. Gewahrt ist eine Frist aber nur dann, wenn ______das Schriftstück mit den fristgebundenen Erklärungen rechtzeitig in die Verfügungsge______walt des Gerichts gelangt.23 Entscheidend ist der Eingang bei Gericht und nicht die ______fristgerechte Entgegennahme durch den zuständigen Bediensteten der Geschäftsstelle ______oder die Vorlage beim Richter.24 Der Einwurf in ein im Gerichtsgebäude befindliches ______Brieffach oder die Übermittlung durch Fax genügt zur Fristwahrung auch dann, wenn ______mit einer Leerung des Faches oder der Kenntnisnahme am selben Tag nicht mehr zu ______ ______ ______19 S. Erl. zu § 233 Rdn. 14. ______20 RG WarnRspr. 1933, 107. ______21 RG JW 1909, 270; das Rechtsmittel kann aber nicht schon vor der Verkündung wirksam eingelegt werden – RGZ 110, 170. ______22 BVerfG NJW 1975, 1405; BVerfGE 41, 323 = NJW 1976, 747. ______23 BVerfG 52, 203, 209 = NJW 1980, 580; BGHZ 101, 276 = NJW 1987, 2586. S. auch Erl. zu § 270. ______24 BVerfG NJW 1991, 2076 m.w.N.

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§ 214

___rechnen ist.25 Ist kein Nachtbriefkasten vorhanden, muss allerdings der Nachweis ge___führt werden, dass das Schriftstück vor 24 Uhr in den Briefkasten eingeworfen worden ___ist.26 Verzögerungen bei der Entgegennahme einer Eingabe durch das Gericht dürfen ___dem Bürger nicht angelastet werden.27 Zur Ausnutzung der Fristen s. auch § 222 Rdn. 12. ___ Das Gericht hat die Pflicht, fristgerechten Vortrag bei seiner Entscheidung zu be___rücksichtigen. Der Verstoß gegen diese Pflicht stellt eine Verletzung des Anspruchs auf ___rechtliches Gehör dar (Art. 103 Abs. 1 GG) und kann zur Aufhebung der Entscheidung ___führen. ___ Verstreicht eine Frist für eine Prozesshandlung, hat dies in der Regel die Wirkung, ___dass die Partei mit der vorzunehmenden Handlung ausgeschlossen ist (§ 230). Sie kann ___wirksam nur nachgeholt werden, wenn eine notwendige Belehrung unterblieben ist (§ 231 ___Abs. 2) oder in den Fällen des § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. ___ Bei einigen Fristen führt der Fristablauf allerdings nicht direkt zum Ausschluss, ___sondern dazu, dass das Vorbringen unter besonderen Voraussetzungen zurückgewiesen ___werden kann oder muss (§§ 296, 283 Satz 2, 356, 431, 530). ___ Wegen dieser Wirkungen ist der Fristbeginn von bestimmten formellen Voraus___setzungen abhängig. Sind sie nicht erfüllt, beginnt die Frist nicht zu laufen. Nicht ver___kündete fristsetzende Entscheidungen bzw. Verfügungen müssen mit vollständiger Un___terschrift versehen sein und in beglaubigter Abschrift förmlich zugestellt werden.28 ___ ___ ___ § 214 ___ Ladung zum Termin ___ § 214 Gerken ___ Die Ladung zu einem Termin wird von Amts wegen veranlasst. ___ Übersicht ___ ____ 1 III. Mängel der Ladung ____ 12 ___I. Allgemeines II. Voraussetzungen und Form der IV. Ladungen von Soldaten ____ 13 ___ ____ Ladung 3 ___ ___ I. Allgemeines ___ ___ Terminsbestimmung (§ 216) und Ladung sind prozessleitende Maßnahmen. Sie er___folgen von Amts wegen (§§ 214, 274, 497) und sind Teil der Prozessförderungspflicht des ___Gerichts.1 Mit der Ladung werden die Parteien aufgefordert, zum Termin zu erscheinen. ___ Zum Unterschied zwischen Ladung und Bekanntmachung bzw. Mitteilung des Ter___mins s. Erl. Vor § 214 Rdn. 4. ___ Die §§ 214 ff. beziehen sich nur auf die Ladung der Parteien zur mündlichen Ver___handlung. Die Ladung der Zeugen und Sachverständigen sowie die der Parteien gemäß ___den §§ 141, 450 Abs. 1 Satz 2 zur Anhörung oder Vernehmung (Vor § 214 Rdn. 7, 8) ist ge___sondert geregelt. Hierfür sind andere Förmlichkeiten zu beachten. Insbesondere braucht ___die Ladungsfrist (§ 217) nicht eingehalten zu werden. ___ ___ ___25 BGH NJW 1984, 1237 = MDR 1984, 653. ___26 BVerwG NJW 1964, 1239. ___27 BVerfG a.a.O. 28 BGHZ 76, 238 = NJW 1980, 1167 = MDR 1980, 572. ___ ___1 Eine Ausnahme gilt bei der Streitverkündung (§ 73); hier hat der Streitverkünder den Streitverkündeten ___über einen bereits angesetzten Termin zu unterrichten.

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______ II. Voraussetzungen und Form der Ladung ______ ______ Die Ladung erfolgt nach vorangegangener Terminsbestimmung2 durch den Vorsit3 ______zenden/Einzelrichter (§ 216). Zuständig für die Ausführung ist der Urkundsbeamte der ______Geschäftsstelle (§§ 274 ZPO, 153 GVG). Sie geschieht schriftlich. Dieser Form bedarf es ______nicht, wenn die Terminsbestimmung in einer verkündeten Entscheidung enthalten ist ______(§ 218). Nach § 497 Abs. 2 ist ausnahmsweise eine formlose, auch mündliche Mitteilung ______ausreichend. ______ In der Ladung müssen bezeichnet sein: 4 ______a) das Gericht, von dem die Ladung ausgeht (die Angabe der Spruchabteilung ist nicht ______ nötig), ______b) der Terminsort (Postanschrift, nicht notwendig der Sitzungssaal), ______c) das Datum und die Uhrzeit,3 ______d) der Terminszweck und ______e) die Aufforderung zum Erscheinen. ______ Ferner sind die Belehrungen gemäß § 215 Abs. 1 aufzunehmen. Im Anwaltsprozess ______(§ 78) muss die Ladung außerdem die Aufforderung enthalten, einen beim Prozessge______richt zugelassenen Anwalt zu bestellen (§ 215 Abs. 2). ______ 5 Der Zeit nach wird nur der Beginn der Verhandlung mitgeteilt. Die Parteien haben ______Anspruch darauf, dass die festgesetzte Uhrzeit abgewartet wird. Dies schließt es nicht ______aus, dass im Einverständnis beider Parteien (§ 295) schon vor der festgesetzten Termins______stunde mit der Verhandlung begonnen wird. Ist mit einer längeren Verhandlungsdauer ______zu rechnen, empfiehlt es sich, in der Ladung darauf hinzuweisen, damit sich die Anwälte ______in ihrer Zeitplanung hierauf einstellen können. Einen Anspruch auf pünktlichen Beginn ______haben die Parteien nicht (zur zumutbaren Wartezeit § 220 Rdn. 7, zur Wahl der Termins______stunde § 216 Rdn. 34). ______ Für den Terminszweck ist nur eine allgemeine Umschreibung erforderlich. Es 6 ______reicht aus, wenn die Partei „zur mündlichen Verhandlung“ geladen wird, sofern der Zu______sammenhang zu einem anhängigen, der Partei bekannten Rechtsstreit klar ist.4 Die Ver______wendung des Wortes Ladung ist nicht erforderlich. Der Wortlaut muss aber so gefasst ______sein, dass sich die Partei tatsächlich aufgefordert fühlt, zum Termin zu erscheinen.5 ______ Wird vom Prozessgericht nur zur Beweisaufnahme geladen, kann im Anschluss 7 ______hieran mündlich verhandelt werden, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus der ______Ladung ergibt; denn gemäß § 370 ist der Termin zugleich zur Fortsetzung der mündli______chen Verhandlung bestimmt. ______ Bereitet das Gericht Beweiserhebungen gemäß § 273 vor, muss die Ladung eine 8 ______entsprechende Benachrichtigung enthalten (§ 273 Abs. 4 Satz 1). Die Benachrichtigung ______kann nachgeholt werden. Unterbleibt sie, darf die Beweisaufnahme nicht durchgeführt ______werden, falls eine der Parteien widerspricht.6 Das Ergebnis einer gleichwohl durchge______führten Beweisaufnahme darf nicht verwertet werden, es sei denn, die Parteien haben ______sich rügelos eingelassen (§ 295). ______ Bei Ortsterminen ist genau zu bezeichnen, wo die Verhandlung stattfindet. Unklar9 ______heiten machen die Ladung unwirksam. Neben der Ladung ist ein schriftlicher Hinweis ______ ______ ______ ______2 RGZ 55, 305, 309. 3 RGZ 13, 334, 335; zur Terminszeit s. § 216 Rdn. 34 und § 220 Rdn. 5. ______4 BGH NJW 1982, 888 = VersR 1982, 268. ______5 RGZ 60, 269, 273. ______6 Stein/Jonas/Leipold § 273, 36; Thomas/Putzo § 273, 4; Zöller/Greger § 273, 12.

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___im Gerichtsgebäude auf den Ort der Verhandlung erforderlich, damit die Öffentlichkeit ___des Verfahrens gewahrt ist (§ 169 GVG).7 ___ Über die Folgen der Nichtwahrnehmung des Termins muss bei der Ladung zur ___mündlichen Verhandlung belehrt werden (§ 215 Abs. 1). Die negativen Folgen der ___Säumnis (§§ 95, 230, 231, 330 ff.) können ohne die Androhung nicht eintreten.8 ___ Bei der Ladung von Zeugen und Sachverständigen (Rdn. 2) ist auf die Folgen des ___Ausbleibens hinzuweisen (§§ 377 Abs. 2 Nr. 3, 402). Ferner ist eine summarische Angabe ___des Beweisthemas erforderlich. Sonst dürfen keine Ordnungsmittel verhängt werden. Bei ___der Ladung der Partei gemäß § 141 muss ebenfalls darauf hingewiesen werden, dass ___Ordnungsmittel verhängt werden können, falls sie nicht erscheint (§§ 141 Abs. 3 Satz 3, ___377 Abs. 2 Nr. 3). Wird die Partei dagegen gemäß den §§ 445, 448 zur Vernehmung gela___den, erfolgt keine Androhung, da die Aussage nicht erzwungen werden kann (§ 454).9 ___ ___ III. Mängel der Ladung ___ ___ Fehlt ein notwendiger Bestandteil (Rdn. 4), ist die Ladung unwirksam. Dies muss ___gerügt werden, da inhaltliche Mängel der Ladung in der Regel nicht aus den Akten er___sichtlich sind. Ein Versäumnisurteil darf nicht ergehen. Ist bei vorgeschriebener Zustel___lung (s. Vor § 214 Rdn. 5) der Zustellungsakt fehlerhaft, kann § 189 eingreifen, der aller___dings voraussetzt, dass das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugegangen ist. ___ Erreicht die Ladung den Empfänger nicht rechtzeitig, das heißt unter Wahrung der ___Einlassungs- und Ladungsfrist (zu den Zwischenfristen s. Vor 214 Rdn. 28), muss vertagt ___werden. Ein Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils muss zurückgewiesen werden ___(§ 335 Ab. 1 Nr. 2). Die nicht erschienene Partei ist zum neuen Termin zu laden (§ 335 Abs. 2). ___ Hat das Gericht einen Mangel der Ladung bei der Entscheidung übersehen, ist das ___Urteil angreifbar (Einspruch oder Berufung gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1). Die Entscheidung ___ist gesetzwidrig (§ 546), auch wenn dem Gericht die den Mangel begründenden Tatsa___chen nicht bekannt waren.10 ___ Mängel der Ladung oder die Nichteinhaltung der Fristen können gemäß § 295 durch ___rügelose Einlassung geheilt werden. ___ ___ IV. Ladungen von Soldaten ___ ___ Für Soldaten der Bundeswehr gelten keine Besonderheiten. Der innerdienstliche ___Vorgang im Bereich der Bundeswehr ist im Erlass des Bundesministers der Verteidigung ___vom 16.3.1982, geändert durch Erlass vom 20.6.1983, geregelt.11 ___ An die ausländischen Angehörigen der NATO-Truppen, zu denen auch das zivile ___Gefolge gehört,12 ist die förmliche Ladung sowie die formlose Mitteilung gemäß Art. 32, ___37 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.195913 über die Verbin___dungsstelle14 zuzustellen. Die öffentliche Zustellung ist unzulässig (Art. 36). ___ ___ ___7 Zum Straf- bzw. Bußgeldverfahren: OLG Stuttgart MDR 1977, 249; OLG Oldenburg MDR 1979, 518; OLG Düsseldorf NJW 1983, 2514. ___8 Zum Inhalt: BGHZ 86, 218; OLG Hamm NJW 1984, 1566 (zur Zustellung an einen Rechtsanwalt). ___9 OLG Oldenburg Rpfl. 1965, 316. ___10 RGZ 166, 248. ___11 Ministerialblatt des Bundesministers der Verteidigung 1982, 130 und 1983, 182. 12 Zur Zustellung an deutsche Bedienstete in den Anlagen der NATO-Streitkräfte: Schalhorn Jur-Büro ___1974, 161 und Mümmler JurBüro 1974, 832. ___13 BGBl. II 1961, 1218 ff., 1247. ___14 Anschriften der Verbindungsstellen bei Schwenk NJW 1976, 1564 Fn. 25.

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______ § 215 ______ Notwendiger Inhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung ______ § 215 Gerken ______ (1) In der Ladung zur mündlichen Verhandlung ist über die Folgen einer Ver______säumung des Termins zu belehren (§§ 330 bis 331 a). Die Belehrung hat die Rechts______folgen aus den §§ 91 und 708 Nr. 2 zu umfassen. ______ (2) In Anwaltsprozessen muss die Ladung zur mündlichen Verhandlung, so______fern die Zustellung nicht an einen Rechtsanwalt erfolgt, die Aufforderung enthal______ten, einen Anwalt zu bestellen. ______ ______ § 215 Abs. 2 geändert durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung ______des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 17.12.1999, BGBl. I 2448. ______ ______ Übersicht ____ 1 2. Adressat der Ladung ____ 4 ______I. Allgemeines II. Belehrung über die Folgen der Säumnis 3. Inhalt der Belehrung ____ 5 ______ III. Aufforderung zur Anwaltsbestellung ______ (Abs. 1) zur mündlichen Verhand(Abs. 2) ____ 7 ______ 1. Ladung ____ lung 3 IV. Folgen des Verstoßes ____ 8 ______ ______ I. Allgemeines ______ ______ Eine allgemeine Hinweis- und Belehrungspflicht besteht im Zivilprozess nicht. Für 1 ______einige Fälle ordnet das Gesetz allerdings einen Hinweis ausdrücklich an, und zwar zur ______Wahrung des rechtlichen Gehörs oder zur Abwendung besonderer prozessualer Nachtei______le (z.B. §§ 139 Abs. 2, 3; 276 Abs. 2; 277 Abs. 2; 383 Abs. 2; 480, 504; 522 Abs. 2 Satz 2). Ge______mäß § 335 Abs. 1 Nr. 4 ist der Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren ______gegen den Beklagten nur dann gestattet, wenn dieser bei Zustellung der Klage über die ______Folgen der nicht rechtzeitigen Anzeige der Verteidigungsbereitschaft belehrt worden ist ______(§§ 276 Abs. 2, 331 Abs. 3). § 215 Abs. 1 ergänzt diese Regelung für den Fall, dass sofort ______(§ 275) Verhandlungstermin anberaumt wird und ordnet gleichzeitig darüber hinaus eine ______Belehrungspflicht bei allen Terminsladungen an. Hintergrund dieser Vorschrift ist Art. 17 ______der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.20041 zur Einführung eines europäischen ______Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen. ______ Gemäß § 215 Abs. 2 hat das Gericht den bereits mit der Zustellung zur Klage zu ver2 ______bindenden Hinweis auf Bestellung eines Anwalts nach § 271 Abs. 2 zu wiederholen, wenn ______sich bis zur Terminsladung kein Prozessbevollmächtigter für die Partei gemeldet hat. ______ ______ II. Belehrung über die Folgen der Säumnis (Abs. 1) ______ ______ 1. Ladung zur mündlichen Verhandlung. § 215 Abs. 1 schreibt die Belehrung für 3 ______jede Ladung zu einem Verhandlungstermin vor. Die Pflicht gilt daher auch für Folgeter______mine. Für die Güteverhandlung besteht sie nicht. Soll sich allerdings die mündliche Ver______handlung unmittelbar an den Güteversuch anschließen, ist die Belehrung nötig. Auch ______für die Ladung zu einer Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht ist sie erforder______lich, da im Anschluss über das Beweisergebnis zu verhandeln ist (§ 285 Abs. 1) und die ______Säumnis in einem solchen Termin ebenfalls den Erlass eines Versäumnisurteils nach ______sich ziehen kann (§ 332). Weiterhin gilt die Belehrungspflicht auch dann, wenn der Ter______ ______ ______1 Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2004, L 143/15.

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___min nur zur Verhandlung über einen Zwischenstreit bestimmt ist. Denn auch in diesem ___Fall kann ein Versäumnisurteil ergehen, wenn auch beschränkt auf den Zwischenstreit ___(§ 347 Abs. 2). ___ ___ 2. Adressat der Ladung. Die Belehrungspflicht besteht unabhängig von der Sach___kunde der Partei. Daher muss auch der Anwalt, der in eigener Sache einen Prozess führt, ___auf die Folgen seiner Säumnis hingewiesen werden. Der Hinweis muss nicht nur bei der ___Ladung der Partei, sondern auch bei der des Streithelfers erfolgen, da dieser die Säumnis ___für die Partei abwenden kann. ___ ___ 3. Inhalt der Belehrung. Das Gesetz gibt den Wortlaut nicht vor. Es reicht ein for___mularmäßiger Hinweis als Anlage zur Ladung bzw. ein Textbaustein. Inhaltlich muss er ___so beschaffen sein, dass er alle Fälle der Säumnis erfasst, die für beide Parteien entste___hen können. Neben den in §§ 330, 331, 331 a geregelten Fällen, die § 215 Abs.1 ausdrück___lich benennt, müssen in entsprechender Anwendung auch die der §§ 345, 251 a (zweites ___Versäumnisurteil, Entscheidung nach Lage der Akten) genannt werden. Bei Ladung ei___nes Anwalts reicht es aus, dass die in Rede stehenden Vorschriften bezeichnet werden, ___da ihre Kenntnis vorausgesetzt werden kann.2 Wird die Partei persönlich geladen, muss ___der Inhalt der Vorschriften mitgeteilt werden.3 Der Hinweis selbst braucht nicht zu den ___Akten genommen zu werden. Es reicht ein Vermerk, welches Formular bzw. welcher ___Textbaustein verwendet worden ist. Dieser reicht aus, um dem Gericht die Prüfung der ___Ordnungsgemäßheit der Ladung zu ermöglichen. ___ Der Hinweis dahin, dass ein Versäumnisurteil ergehen kann, muss zugleich eine Be___lehrung über die Kostenpflicht der unterliegenden Partei sowie die Vollstreckbarkeit des ___Urteils ohne Sicherheitsleistung enthalten. Weitere Hinweise, etwa auf eine vom Regel___fall abweichende Kostenentscheidung (§§ 92 ff.) oder die Möglichkeit, Vollstreckungs___schutz zu erlangen (§ 719 ZPO), sind nicht nötig. ___ ___ III. Aufforderung zur Anwaltsbestellung (Abs. 2) ___ ___ Im Anwaltsprozess (§ 78) ist die Partei nicht postulationsfähig. Hierüber muss sie ___belehrt werden, damit ihr keine prozessualen Nachteile entstehen. Die Aufforderung, ___einen Anwalt zu bestellen, ist daher notwendiger Bestandteil aller Ladungen4 zur münd___lichen Verhandlung, sofern die Zustellung nicht an einen Rechtsanwalt, einen Vertreter ___(§ 53 BRAO) oder einen Abwickler (§ 55 BRAO) erfolgt. Sie muss schon mit der Klagezu___stellung verbunden werden (§ 271 Abs. 2) und ist bei allen weiteren der Partei zugestell___ten Ladungen zu wiederholen, und zwar auch bei einer Terminsverlegung oder Verta___gung. ___ ___ IV. Folgen des Verstoßes ___ ___ Fehlt die Belehrung nach Abs. 1 oder die Aufforderung nach Abs. 2, ist die Ladung ___unwirksam. Ein Versäumnisurteil darf nicht ergehen (§ 335 Abs. 1 Nr. 2). Die Mängel ___sind geheilt, wenn ein Anwalt als Prozessbevollmächtigter im Termin für die Partei er___scheint.5 Der Zweck des § 215 Abs. 2 ist mit dem Erscheinen des Prozessbevollmächtigten ___ ___ 2 Vgl. OLG Hamm NJW 1984, 1566 (zum Hinweis auf §§ 275, 27, 296). ___3 BGHZ 86, 218 ff. (zu § 296). ___4 Zum Fall, dass mehrfach geladen wird vgl. RG JW 1921, 1243. ___5 OLG Darmstadt ZZP 38 (1909), 236 (zu § 215 Abs. 2).

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§ 216

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______erreicht. Auch der Belehrung nach § 215 Abs. 1 bedarf es dann nicht mehr. Die Folgen der ______Säumnis können in diesem Fall nur noch dadurch eintreten, dass kein Antrag gestellt ______wird (§ 333). Dies kann bei einem Anwalt als bekannt vorausgesetzt werden. Ggf. kann ______ein entsprechender Hinweis mündlich erteilt werden. ______ Bei mehreren Ladungen reicht es aus, dass die Ladung zum letzten Termin die ge9 ______mäß § 215 erforderlichen Hinweise enthält.6 ______ ______ ______ § 216 ______ Terminsbestimmung ______ § 216 Gerken ______ (1) Die Termine werden von Amts wegen bestimmt, wenn Anträge oder Erklä______rungen eingereicht werden, über die nur nach mündlicher Verhandlung entschie______den werden kann oder über die mündliche Verhandlung vom Gericht angeordnet ______ist. ______ (2) Der Vorsitzende hat die Termine unverzüglich zu bestimmen. ______ (3) Auf Sonntage, allgemeine Feiertage oder Sonnabende sind Termine nur in ______Notfällen anzuberaumen. ______ ______ § 216 Abs. 3 geändert durch das Gesetz über den Fristablauf am Sonnabend vom ______10.8.1965 BGBl. I 753; Abs. 2 geändert durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 BGBl. I ______3281. ______ ______ Übersicht ____ 1 2. Verfahrenshindernisse ____ 18 ______I. Allgemeines a) Fehlende deutsche Gerichtsbar______II. Voraussetzungen der Terminsbestimkeit ____ 19 ______ mung die einen Termin b) Fehlende Partei- und Prozessfähig______ 1. Prozesssituation, erfordert ____ 7 keit ____ 20 ______ ____ a) Klage/Mahnverfahren 8 c) Unzuständigkeit des Gerichts ____ 21 ______ b) Prozesskostenhilfegesuch ____ 9 d) Mängel der Klageschrift ____ 22 ______ c) Termin zur Fortsetzung der e) Missbrauch der Rechtspflege ____ 23 ______ Verhandlung ____ 10 f) Fehlender Kostenvorschuss ____ 24 ______ d) Termine nach einem Zwischenurteil g) Verwaltungstechnische und bei der Stufenklage ____ 11 Gründe ____ 25 ______ ____ e) Säumnisverfahren 13 III. Verfahren bei der Terminsbestimmung ______ f) Unterbrechung/Ruhen des Verfah1. Zuständigkeit ____ 26 ______ ____ rens 14 2. Auswahl des Termins ____ 28 ______ g) Berufung/Revision ____ 15 3. Sonntage, allgemeine Feiertage und ______ h) Prozessvergleich ____ 16 Sonnabende ____ 35 ______ i) Sonderfälle ____ 17 IV. Ladung ____ 36 ______ V. Rechtsbehelfe ____ 37 ______ ______ I. Allgemeines ______ ______ § 216 betrifft alle Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung notwendig 1 ______(§ 128 Abs. 1) oder bei freigestellter Verhandlung angeordnet worden ist (z.B. §§ 46, 248 ______Abs. 2, 319 Abs. 2 Satz 1, 360 Satz 2, 431 Abs. 1 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 3, 552 Abs. 2, 707 ______Abs. 2 Satz 1, 921 Abs. 1, 937 Abs. 2). ______ ______ ______6 RG JW 1921, 1243.

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___ Wegen des Amtsbetriebs ist das Gericht verpflichtet, unverzüglich Termin anzuset___zen, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Der häufig mit der Klageerhebung ___verbundene Antrag auf Terminsanberaumung ist nur eine Anregung und überflüssig. ___ Mit der Terminsanberaumung erklärt sich das Gericht bereit, zur angegebenen ___Zeit mit den Parteien zu verhandeln.1 Bei notwendiger mündlicher Verhandlung darf ___ohne Termin nicht entschieden werden (§ 128 Rdn. 1). Termine haben den Sinn, den Par___teien Gelegenheit zum Vortrag und damit rechtliches Gehör zu gewähren. Dem Gericht ___nötigen sie die Entscheidung ab. ___ § 216 muss in Zusammenhang mit §§ 272, 275, 276 gesehen werden: ___ Wird eine Klage eingereicht oder der Anspruch nach vorangegangenem Mahn___verfahren gemäß § 697 begründet, ist zunächst über die Verfahrensart zu entschei___den. Beim frühen ersten Termin (§ 275) hat die Terminsanberaumung unverzüglich zu ___geschehen (§§ 216 Abs. 2). Bei Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens hängt die Ter___minsbestimmung (Haupttermin gemäß § 279 Abs. 2) dagegen davon ab, ob die Sache zur ___Erledigung in einem Termin hinreichend vorbereitet ist. Dadurch wird § 216 Abs. 2 modi___fiziert. ___ Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht sowie im Berufungsverfahren ___ist vor der Terminierung außerdem zu prüfen, ob die Sache dem Einzelrichter übertra___gen werden soll (§§ 348, 523 Abs. 1 Satz 1). Denn mit der Übertragung obliegt ihm die ___weitere Führung des Verfahrens und damit auch die Entscheidung über die Terminsbe___stimmung. ___ Von der Terminsanberaumung zu unterscheiden ist die Terminswahl. Dies ist die ___mit der Terminsbestimmung verbundene Angabe von Tag und Stunde der mündlichen ___Verhandlung. § 216 Abs. 2 schreibt nur für die Terminsbestimmung als solche unverzüg___liches Handeln vor. Die Auswahl des Termins steht dagegen im richterlichen Ermessen ___(im Einzelnen Rdn. 28 ff.). ___ ___ II. Voraussetzungen der Terminsbestimmung ___ ___ 1. Prozesssituation, die einen Termin erfordert. Jede Schrift, die bei Gericht ein___geht, ist darauf zu überprüfen, nach welchem Verfahren sie zu beantworten ist. Ob ein ___Termin anzusetzen ist, richtet sich nach der Art der Eingabe und dem Verfahrensstand. ___Nach Maßgabe des § 128 wird mit der Eingabe die Pflicht zur Terminsbestimmung ausge___löst. ___ Ob der Termin sofort oder später stattfinden muss, hängt von der jeweiligen Pro___zesssituation ab. Hierzu gilt im Einzelnen Folgendes: ___ ___ a) Klage/Mahnverfahren. Bei der Klage entscheidet die Wahl der Verfahrensart ___durch den Vorsitzenden darüber, ob sofort früher erster Termin gemäß § 275 anbe___raumt wird – dies muss dann unverzüglich geschehen –, oder ob zunächst ein schriftli___ches Vorverfahren durchgeführt wird. Im letzteren Fall setzt die Pflicht zur unverzügli___chen Terminierung erst dann ein, wenn die Sache soweit vorbereitet ist, dass sie nach ___Möglichkeit in einem Termin (Haupttermin gemäß § 279 Abs. 1) erledigt werden kann ___(§ 272 Abs. 1).2 ___ Nach vorangegangenem Mahnverfahren wird die Pflicht zur Terminsbestimmung ___durch Einreichung der Anspruchsbegründung ausgelöst (§ 697 Abs. 2 Satz 1). Geht die ___ ___ ___1 RGZ 55, 20, 22; Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. ___2 Zum Abbruch des schriftlichen Vorverfahrens durch Terminsbestimmung KG MDR 1985, 416.

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______Begründung nicht fristgerecht ein, kommt das Verfahren zum Stillstand, es sei denn, der ______Gegner beantragt, dass Termin bestimmt wird (§ 697 Abs. 3 Satz 1). ______ ______ 9 b) Prozesskostenhilfegesuch. Wird ein Prozesskostenhilfegesuch eingereicht, wird ______grundsätzlich im schriftlichen Verfahren entschieden. Die Ladung der Parteien zur münd______lichen Erörterung findet gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 nur statt, wenn eine Einigung zu er______warten ist.3 Wird das Prozesskostenhilfegesuch mit der Klage verbunden, ist unter Be______achtung des § 12 GKG zuzustellen und entsprechend den dargestellten Regeln Termin ______anzusetzen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Antragsteller ausdrücklich erklärt, dass die ______Klage nur unter der Voraussetzung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe erhoben wer______den soll.4 ______ ______ c) Termin zur Fortsetzung der Verhandlung. Wird der Rechtsstreit nicht im ersten 10 ______Termin erledigt, sind die Folgetermine stets von Amts wegen zu bestimmen, beispiels______weise in den Fällen der §§ 136 Abs. 3, 144, 358, 361 Abs. 2, 402 (Termin zur Erledigung ______eines Beweisbeschlusses vor dem Prozessgericht, dem beauftragten oder ersuchten Rich______ter), 370 (Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nach Beendigung der ______Beweisaufnahme) und 336, 337. ______ ______ d) Termine nach einem Zwischenurteil und bei der Stufenklage. Wird durch 11 ______Grundurteil (§ 304) entschieden, ist grundsätzlich die Rechtskraft abzuwarten. Danach ______ist von Amts wegen Termin zu bestimmen.5 Das Gericht kann jedoch, wenn der Anspruch ______für begründet erklärt wird, auf Antrag schon vor formeller Rechtskraft des Grundurteils ______die Durchführung des Betragsverfahrens anordnen (§ 304 Abs. 2). ______ Beim Teilurteil (§ 301) ist dagegen unverzüglich Termin zur Verhandlung über den ______Rest anzusetzen, auch wenn das Urteil angefochten wird. Denn mit Erlass des Teilurteils ______wird der Prozess in zwei von einander unabhängige Teile gespalten.6 Die gleichen ______Grundsätze gelten nach Erlass eines Vorbehaltsurteils gemäß § 302. ______ Beim Erlass eines Zwischenurteils gemäß § 280 tritt zunächst ein Verfahrensstill12 ______stand ein. Vor Rechtskraft des Urteils kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass zur ______Hauptsache zu verhandeln ist, etwa bei Eilbedürftigkeit der Sache (§ 280 Abs. 2 Satz 2). ______Nach Eintritt der Rechtskraft ist von Amts wegen zu terminieren.7 ______ Im Falle einer Stufenklage (§ 254) wird das Verfahren nach Erledigung der vorange______gangenen Stufe und erst auf Antrag fortgesetzt. ______ ______ e) Säumnisverfahren. Wird Einspruch gegen ein Versäumnisurteil eingelegt, ist 13 ______gemäß § 341 a von Amts wegen Termin anzuberaumen, es sei denn, der Einspruch soll ______durch Beschluss gemäß § 341 Abs. 2 Satz 1 verworfen werden (zur Frage, ob bei der Ter______minierung in diesem Fall auf verspätet vorgebrachte Beweismittel Rücksicht zu nehmen ______ist, s. Rdn. 33). ______ ______ f) Unterbrechung/Ruhen des Verfahrens. Ist das Verfahren unterbrochen 14 ______(§§ 239 ff.), muss es gemäß § 250 durch Zustellung eines Schriftsatzes wieder aufgenom______ ______ ______3 OLG Hamm MDR 1983, 674. ______4 BGHZ 4, 328 = NJW 1952, 545. 5 BGH NJW 1979, 2307 = MDR 1979, 923 = ZZP 93 (1980), 177 mit Anm. Grunsky; KG MDR 1971, 588. ______6 OLG Frankfurt JurBüro 1982, 614; OLG Köln JMBl.NRW 1984, 115 lässt offen, ob ein Antrag erforderlich ______ist. ______7 Vgl. BGH NJW 1979, 2307 = MDR 1979, 933.

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___men werden. Dies löst grundsätzlich die Pflicht zur Terminierung durch das Gericht aus. ___Im Falle der Aussetzung von Amts wegen (§§ 148 ff.) kann das Gericht von sich aus die ___Anordnung aufheben und Termin ansetzen (§ 150). ___ Beim Ruhen des Verfahrens gemäß den §§ 251, 251 a Abs. 3 ist regelmäßig eine Auf___nahme nach § 250 erforderlich (s. Erl. zu § 251 Rdn. 16 ff.). Im Fall des § 251 a Abs. 2 Satz 4 ___bestimmt das Gericht nach Fristablauf den neuen Termin von Amts wegen. ___ ___ g) Berufung/Revision. Im Berufungsverfahren ist zu terminieren, sobald die Be___gründung des Rechtsmittels vorliegt und feststeht, dass die Berufung nicht gemäß § 522 ___Abs. 1 oder Abs. 2 zurückzuweisen ist. Alsdann muss das Berufungsgericht darüber ___befinden, ob die Sache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen werden soll. An___schließend wird Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Kollegium oder dem Ein___zelrichter angesetzt (§ 523 Abs. 1 Satz 1), es sei denn, es ist zur sachgerechten Vorberei___tung des Termins ausnahmsweise erforderlich, dass noch Stellungnahmen gemäß § 521 ___Abs. 2 eingeholt werden. Im Revisionsverfahren ist zunächst zu klären, ob die Revision ___im schriftlichen Verfahren als unzulässig verworfen oder ob über sie gemäß § 552 a ent___schieden wird (§ 553 Abs. 1). ___ ___ h) Prozessvergleich. Wird nach Abschluss eines Prozessvergleichs geltend ge___macht, dieser sei unwirksam (Anfechtung, fehlerhafte Beurkundung), ist das alte Ver___fahren fortzusetzen,8 so dass auf einen entsprechenden Antrag von Amts wegen Termin ___zu bestimmen ist. ___ ___ i) Sonderfälle. Für das Nachverfahren nach Erlass eines Vorbehaltsurteils im Ur___kundenprozess (§§ 599, 600) muss ein Antrag auf Terminsbestimmung gestellt wer___den. ___ In den Fällen der §§ 431 Abs. 2, 697 Abs. 3 und 900 findet ein Termin ebenfalls nur ___auf Antrag statt. ___ ___ 2. Verfahrenshindernisse. Die Terminierung ist grundsätzlich nicht davon abhän___gig, dass die Klage zulässig ist und auch Erfolgsaussicht hat.9 Die mündliche Verhand___lung dient gerade zur Klärung dieser Fragen. ___ Hiervon sind aber einige Ausnahmen zu machen: ___ ___ a) Fehlende deutsche Gerichtsbarkeit. Ist der Beklagte von der deutschen Ge___richtsbarkeit befreit (Exterritorialität, Immunität, Exemtion) und ist auch nicht zu erwar___ten, dass er sich ihr unterwirft, darf kein Termin angesetzt werden, da die Terminsbe___stimmung bereits Ausübung der Gerichtsbarkeit ist.10 ___ Für die Mitglieder der diplomatischen Vertretungen gelten die §§ 18–20 GVG nebst ___den dazu abgeschlossenen zwischenstaatlichen Verträgen.11 ___ ___ ___ ___ ___ ___8 BGHZ 28, 171 = NJW 1958, 1970 = MDR 1958, 915; BAG JZ 1961, 452. ___9 OLG Hamburg NJW-RR 1989, 1022. 10 Hierzu gehört nicht das Fehlen der Prozessvoraussetzung der internationalen Zuständigkeit – OLG ___Frankfurt FamRZ 1987, 201. ___11 Zur Immunität ausländischer Staaten v. Schönfeld NJW 1986, 2980; OLG München NJW 1975, 2144; ___OLG Hamburg MDR 1953, 109.

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______ 20 b) Fehlende Partei- und Prozessfähigkeit. Fehlen Partei- oder Prozessfähigkeit, ist ______das Gericht grundsätzlich nicht berechtigt, von einer Terminierung abzusehen.12 Für den ______Streit über diese Verfahrensfragen muss die Partei als prozessfähig angesehen werden.13 ______Das gleiche gilt, wenn die Existenz einer Partei zweifelhaft ist14 (z.B. die Rechtsfähigkeit ______des klagenden Vereins). Diese Frage darf nicht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung ______und vom Vorsitzenden allein entschieden werden. Vielmehr muss die Klage in diesen ______Fällen ggf. durch Prozessurteil abgewiesen werden, das dann mit der Berufung ange______fochten werden kann. Etwas anderes gilt aber bei offensichtlichem Missbrauch, so z.B. ______bei einer Klage einer kurz zuvor unter Betreuung gemäß § 1903 BGB gestellten Person.15 ______Eine fehlerhafte Parteibezeichnung kann jederzeit berichtigt werden und verhindert die ______Terminierung nicht. ______ ______ c) Unzuständigkeit des Gerichts. Wird vor einem unzuständigen Gericht geklagt, 21 ______ist der Rechtsstreit gemäß § 281 auf Antrag des Klägers an das zuständige Gericht zu ver______weisen. Hierüber kann im schriftlichen Verfahren entschieden werden (§ 128 Abs. 4). Das ______Gericht, an das verwiesen wird, hat dann von Amts wegen zu terminieren. ______ ______ d) Mängel der Klageschrift. Fehlt ein wesentliches Erfordernis gemäß § 253 Abs. 2, 22 ______ist die Klageschrift nicht unterschrieben oder in einer fremden Sprache abgefasst oder ______wird vor einem funktionell unzuständigen Gericht geklagt, ist nicht zu terminieren. Das ______Gleiche gilt, wenn die Klage von einer nicht postulationsfähigen Partei erhoben wird.16 In ______diesen Fällen ist aber ein Hinweis geboten, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, den ______Mangel zu beseitigen. Besteht er aber auf Fortsetzung des Verfahrens, ist Termin anzu______setzen und die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. ______ ______ e) Missbrauch der Rechtspflege. Hat die Klage ausschließlich beleidigenden oder 23 ______unsachlichen Inhalt17 oder dient sie nur der Schikane (z.B. gleichzeitige Erhebung der______selben Klage vor 74 Gerichten),18 ist ebenfalls die Terminsbestimmung zu verweigern; ______denn in diesem Fall kann der Kläger keinen Rechtsschutz beanspruchen und das Gericht ______daher auch nicht zum Handeln veranlassen. ______ ______ f) Fehlender Kostenvorschuss. Ist der Gerichtskostenvorschuss nicht eingezahlt, 24 ______soll die Zustellung der Klage und damit auch die Terminierung unterbleiben (§ 12 Abs. 1 ______GKG; die Befreiung von der Vorschusspflicht gemäß den §§ 2, 14 GKG ist zu beachten). ______Dies gilt auch, wenn aufgrund einer Erweiterung der Klage neu verhandelt werden muss ______(§ 12 Abs. 1 Satz 2 GKG). In diesem Fall kann aber der Gegner beantragen, dass Termin ______angesetzt wird. Hat das Gericht trotz fehlenden Vorschusses terminiert, ist der Kläger ______auch zur mündlichen Verhandlung zuzulassen. Er kann nicht etwa deswegen als säumig ______behandelt werden, weil der Vorschuss nicht eingezahlt ist.19 ______ ______ ______12 Stein/Jonas/Roth Rdn. 18. ______13 BGH NJW-RR 1986, 157; BGH NJW 1990, 1734 (auch zur Zulässigkeit der Berufung in diesem Fall). 14 BGHZ 24, 91 = NJW 1957, 989, 990. ______15 OLG Schleswig SchlHA 1958, 230. ______16 OLG Schleswig SchlHA 1958, 230. ______17 Walchshöfer MDR 1975, 11; OLG Schleswig SchlHA 1958, 230; Halbach Die Verweigerung der ______Terminsbestimmung und der Klagezustellung im Zivilprozess, Diss. Köln 1980 S. 162–171. 18 ArbG Hamm MDR 1966, 272 m. Anm. E. Schneider. ______19 BGHZ 62, 174, 178 = NJW 1974, 1287 für den Fall, dass für einen Teilbetrag der Klage der Vorschuss ______eingezahlt wurde und der Beklagte im Termin zum Rest Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils stellt; ______weitergehend: RGZ 135, 224, 227.

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___ Verlangt der Beklagte gemäß den §§ 110, 111 Ausländersicherheit, ist nach Sicher___heitsleistung oder Fristablauf (§ 113) Verhandlungstermin zu bestimmen. ___ ___ g) Verwaltungstechnische Gründe. Diese dürfen die Terminsbestimmung nicht ___behindern. Bei der Versendung der Prozessakten (zur Einsicht an die Prozessbeteiligten ___oder an eine Behörde) ist darauf zu achten, dass der Prozessfortgang nicht gestört wird. ___Vernichtete oder verlorene Akten müssen unverzüglich wiederhergestellt werden.20 ___ ___ III. Verfahren bei der Terminsbestimmung ___ ___ 1. Zuständigkeit. Die Terminsbestimmung verfügt der Vorsitzende bzw. der Einzel___richter. Bei der Vertagung (§ 227 Abs. 4) entscheidet das Kollegium, und zwar durch Be___schluss. Die Verfügung ist als richterliche Entscheidung mit vollem Namen zu unter___zeichnen (§§ 317 Abs. 2 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 2).21 Enthält sie zugleich eine Fristsetzung, ___ist sie in beglaubigter Form zuzustellen.22 ___ Vor der Terminsbestimmung ist zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen ___hierfür vorliegen und ob die Verhandlung nach dem Stand des Verfahrens notwendig ist. ___Dies ist in der Regel unproblematisch und kann vom Vorsitzenden allein beurteilt wer___den. Geht es aber z.B. um die Frage, ob die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ___ist (§ 156) oder ob das schriftliche Verfahren so weit vorangeschritten ist, dass die Durch___führung des Haupttermins sinnvoll erscheint, ist eine Entscheidung des Kollegiums ___erforderlich. In diesen Fällen hat daher der Vorsitzende oder der Berichterstatter die Sa___che dem Kollegium zur Beratung vorzulegen. Das gleiche gilt, wenn der Vorsitzende von ___einer Terminierung absehen will, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Die Entschei___dung hierüber trifft daher ebenfalls das Kollegium. Im Berufungsverfahren muss das ___Kollegium vorab darüber befinden, ob die Berufung zulässig ist und sachlich Aussicht ___auf Erfolg hat. Denn andernfalls ist gemäß § 522 Abs. 1 bzw. Abs. 2 durch Beschluss zu ___entscheiden. ___ ___ 2. Auswahl des Termins. Liegen alle Voraussetzungen vor, ist der Termin unver___züglich zu bestimmen (§ 216 Abs. 2), das heißt ohne schuldhaftes Zögern (zum Begriff: ___§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). § 216 Abs. 2 a.F. sah hierzu eine Frist von 24 Stunden vor, diese ___war aber in der Praxis oft nicht einzuhalten. ___ Von der Terminsbestimmung muss die Auswahl des Termins streng unterschieden ___werden. Diese Auswahl, also die Bestimmung des Tages und der Stunde für die Verhand___lung, steht im Ermessen des Vorsitzenden.23 Hierbei ist er aber durch verschiedene Vor___schriften gebunden: ___ Als Mindestfristen müssen die Ladungs- und Einlassungsfrist sowie die Fristen für ___vorbereitende Schriftsätze beachtet werden (§§ 132, 217, 274 Abs. 3). Ist die Zustellung im ___Ausland zu bewirken, muss der Postlauf in Rechnung gestellt werden. Bei öffentlicher ___Zustellung gilt § 188. ___ Termine dürfen nicht unnötig hinausgeschoben werden. Die §§ 272 Abs. 3, 279 Abs. 1 ___Satz 2 verpflichten das Gericht, den nach der Geschäftslage frühest möglichen Termin ___zu wählen. Anzusetzen sind die Sachen grundsätzlich nach der Reihenfolge des Eingangs ___ ___ ___20 OLG Kiel JW 1920, 1042 nimmt an, dass in diesem Fall keine Pflicht zu sofortigen Terminierung besteht. ___21 BSG NJW 1990, 2083 = MDR 1990, 955; a.A. OVG Münster NJW 1991, 1628 für den Verwaltungsprozess. ___22 BGHZ 76, 238 = NJW 1980, 1167 = MDR 1980, 572. ___23 Walchshöfer NJW 1974, 2291.

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______bzw. nach dem Eintritt der Verhandlungsreife. Dies folgt aus dem Gebot zur Gleichbe______handlung. Hiervon darf nur abgewichen werden, wenn besondere Gründen eine Be______schleunigung gebieten (Arrest, einstweilige Verfügung, Zwangsvollstreckungsgegenkla______ge bei unmittelbar drohender Vollstreckung u.Ä.). ______ Allerdings kann die Sache selbst ein Hinausschieben der Verhandlung erfordern, 32 ______wenn vorab prozessleitende Maßnahmen gemäß § 273 getroffen werden und die Erle______digung Zeit beansprucht. ______ Ist nach der Geschäftslage kein naher Termin möglich, muss die Zwischenzeit zur ______Vorbereitung genutzt werden. Keinesfalls darf die Terminierung verweigert werden, weil ______das Gericht überlastet24 (zum Rechtsmittel in diesem Fall Rdn. 38 ff.) oder weil der Spruch______körper nicht voll besetzt ist.25 Sachen dürfen nicht auf eine „Warteliste“ gesetzt werden, ______von der aus sie dann zur Terminierung aufgerufen werden sollen.26 ______ Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Termin hinauszuschieben, damit es einer Par33 ______tei ermöglicht wird, verspäteten Vortrag nachzuliefern. Die Folgen der Verspätung ______müssen zwar nach Möglichkeit durch prozessleitende Maßnahmen abgewendet wer______den,27 hierauf muss aber bei der Terminierung nicht besonders Rücksicht genommen ______werden. Der Termin ist vielmehr auf den frühest möglichen Zeitpunkt festzusetzen, auch ______wenn bis dahin die Beweismittel möglicherweise nicht herbeigeschafft werden können. ______Bei langfristiger Terminierung muss aber unter Umständen eine Verhandlungsdauer ______eingeplant werden, die die Vernehmung auch mehrerer Zeugen zulässt.28 ______ Die Wahl der Terminsstunde erfordert eine sorgfältige Planung. Sammeltermine 34 ______sind in der Regel zu vermeiden, auch wenn sie keine unzumutbare Beschränkung der ______anwaltlichen Berufsausübung darstellen.29 Die Verpflichtung, den Parteien durch eine ______mündliche Erörterung rechtliches Gehör zu verschaffen, die zentrale Bedeutung der ______mündlichen Verhandlung im Zivilprozess und die Rücksichtnahme auf die Belange der ______Prozessbeteiligten erfordern es, dass ein geordneter Ablauf der einzelnen Verhandlun______gen sichergestellt wird. Ist eine Beweisaufnahme oder eine längere Erörterung zu erwar______ten, muss hierfür entsprechende Zeit eingeplant werden, selbst auf die Gefahr hin, dass ______ein gewisser Leerlauf entsteht. Das Gericht erwartet ein pünktliches Erscheinen der Be______teiligten. Daher dürfen die Anwälte und die Parteien ebenfalls davon ausgehen, dass die ______Verhandlung in ihrer Sache pünktlich beginnt. Da die Anwälte in der Regel nicht nur ______einen Termin am Vormittag zu erledigen haben, bricht häufig ein ganzer Terminplan ______zusammen, wenn eine Sache erst mit erheblicher Verzögerung beginnt. Dem muss das ______Gericht mit einem entsprechenden Zeitplan Rechnung tragen. ______ ______ 3. Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende. An diesen Tagen soll der 35 ______Termin nur in Notfällen stattfinden (§ 216 Abs. 3). Eine derartige Eilbedürftigkeit kommt ______vor allem in Betracht bei Arrest und einstweiliger Verfügung, eventuell aber auch im ______selbständigen Beweisverfahren gemäß den §§ 485 ff. ______ Die Entscheidung darüber, ob ein Notfall vorliegt, trifft der Vorsitzende (zur Anfech______tung der Verfügung Rdn. 37 ff.). ______ Die Feiertage sind in den jeweiligen Feiertagsgesetzen der einzelnen Bundesländer ______bestimmt (s. auch § 222 Rdn. 13). Eine Ausnahme macht nur der 3. Oktober (Tag der deut______ ______ ______24 OLG Hamm DRiZ 1974, 28; OLG Schleswig. SchlHA 1981, 125 = NJW 1982, 246 und NJW 1981, 691. ______25 OLG Karlsruhe NJW 1973, 1510 = Justiz 1973, 280. 26 OLG Schleswig a.a.O. ______27 BGHZ 75, 138 = NJW 1979, 1988 = MDR 1979, 928. ______28 BVerfG 81, 264 = NJW 1990, 2373; BGH NJW 1991, 1181. ______29 So BGH DRiZ 1982, 73.

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___schen Einheit), der auf Bundesgesetz beruht. Maßgeblich ist die Regelung am Gerichts___ort. Auf hiervon abweichende Feiertagsregelungen am Wohnort eines Prozessbeteiligten ___und auf religiöse Feiertage für eine Partei sollte bei der Terminsbestimmung aber Rück___sicht genommen werden. ___ ___ IV. Ladung ___ ___ Die Ladung, also die Mitteilung vom Termin, erfolgt von Amts wegen (§ 214). Sie ist ___von der Geschäftsstelle zu bewirken (§§ 274 ZPO, 153 GVG). Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 ist die ___Zustellung der Terminsverfügung vorgeschrieben. Ist sie in einer verkündeten Entschei___dung enthalten, ist die Ladung entbehrlich (§§ 218, 329 Abs. 1 Satz 1). ___ ___ V. Rechtsbehelfe ___ ___ Die Terminsbestimmung und die Auswahl des Zeitpunkts können grundsätzlich nicht ___mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden30 (zum Terminsort s. § 219 Rdn. 12). ___Hiervon sind aber zwei Ausnahmen zu machen: ___ Wird der Termin so weit hinausgeschoben, dass dies einer Aussetzung des Verfah___rens gleichkommt, ist die sofortige Beschwerde in entsprechender Anwendung von § 252 ___zulässig.31 Der Beschwerdeführer hat aber in diesem Fall Tatsachen vorzutragen, aus ___denen auf eine Rechtsschutzverweigerung geschlossen werden kann. Er muss darlegen, ___welche konkreten Umstände es in seinem Fall als untragbar erscheinen lassen, dass der ___Termin erst so spät stattfinden soll. ___ Wird die Terminsbestimmung ganz abgelehnt, ist die sofortige Beschwerde gleich___falls gegeben, weil diese Entscheidung einer Aussetzung gleichkommt32 oder weil ein das ___Verfahren betreffendes Gesuch (§ 567 Abs. 1 Nr. 2; das in der Klage enthaltene Gesuch um ___Terminsbestimmung) zurückgewiesen wird. ___ Die zweite Ausnahme ist der Fall der greifbaren Gesetzeswidrigkeit.33 Nimmt das ___Gericht in grob fehlerhafter Weise irrig Gründe für ein Hinausschieben des Termins an ___und werden hierdurch die Belange der Parteien erheblich beeinträchtigt, ist ausnahms___weise die sofortige Beschwerde gegeben. ___ Neben der Beschwerde ist in besonderen Fällen der Weg der Dienstaufsichtsbe___schwerde gemäß § 26 DRiG gangbar,34 aber nur mit dem Ziel, dass ein Vorhalt gemacht ___wird. Das Hinwirken auf eine Terminierung in angemessener Frist gehört noch zu dem ___der Dienstaufsicht unterliegenden äußeren Bereich der richterlichen Tätigkeit. ___ Schließlich kommt ein Antrag auf Terminsänderung (Vorverlegung) gemäß § 227 ___in Betracht. In der Regel dürfte er – wenn erhebliche Gründe vorgebracht werden – eher ___zum Ziel führen als eine Beschwerde, deren Zulässigkeit im Einzelfall zweifelhaft ist. ___ ___ ___ ___ ___ ___30 RGZ 65, 420; OLG Stuttgart ZZP 78 (1965), 237; OLG Frankfurt NJW 1974, 1715; OLG Celle OLGZ 1975, ___357 und NJW 1975, 1230; OLG Schleswig NJW 1981, 691. ___31 OLG Celle a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Schleswig NJW 1981, 691; OLG Hamburg NJW-RR 1989, ___1022 m.w.N.; Walchshöfer NJW 1974, 2291. 32 OLG Schleswig NJW 1982, 246; Schneider MDR 1966, 272, 273. ___33 Vgl. hierzu BGHZ 28, 350; BGH Rpfl. 1986, 56 = WPM 1986, 178; für den Fall der Terminsverfügung: ___OLG Köln NJW 1981, 2263. ___34 BGHZ 93, 238 = NJW 1985, 1471 = MDR 1985, 933.

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______ § 217 ______ Ladungsfrist ______ § 217 Gerken ______ Die Frist, die in einer anhängigen Sache zwischen der Zustellung der Ladung ______und dem Terminstag liegen soll (Ladungsfrist), beträgt in Anwaltsprozessen min______destens eine Woche, in anderen Prozessen mindestens drei Tage. ______ ______ § 217 geändert durch das Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien vom 28.10.1996 ______BGBl. I 1546. ______ ______ Übersicht ____ 1 V. Öffentliche Zustellung und Ladung im ______I. Allgemeines ____ 6 II. Anwendungsbereich Ausland ____ 15 ______ ____ 12 VI. Folgen der Nichteinhaltung ____ 17 ______III. Länge und Berechnung der Frist IV. Verlängerung und Verkürzung der ______ Frist ____ 13 ______ ______ ______ I. Allgemeines ______ Die Ladungsfrist ist eine gesetzliche Zwischenfrist (Begriff Vor § 214 Rdn. 28). Mit ihr 1 ______ ______wird sichergestellt, dass sich die Parteien zeitlich auf die Verhandlung vorbereiten kön______nen.1 Sie gibt ihnen Gelegenheit, sich den Termin freizuhalten oder für einen Vertreter zu ______sorgen. 2 Die Mindestfrist beträgt in Anwaltsprozessen (§ 78) eine Woche, sonst (vor dem ______ ______Amtsgericht mit Ausnahme der Familiensachen) drei Tage. Für den Wechsel- und Scheckprozess gelten die besonderen Fristen der §§ 604 3 ______ ______Abs. 2, 3 und 605 a. Im Falle des § 239 Abs. 3 Satz 2 (Unterbrechung des Verfahrens durch ______Tod des Gegners) wird die Ladungsfrist vom Vorsitzenden/Einzelrichter bestimmt. Neben der Ladungsfrist sind die sonstigen Vorbereitungsfristen zu beachten, und 4 ______ ______zwar die Einlassungsfristen auf die Klage (§ 274 Abs. 3 Satz 1) sowie auf die Berufung und ______die Revision (§§ 523 Abs. 2, 553). Wird die Klage, die Berufungs- oder die Revisionsbe______gründung zugleich mit der Terminsladung zugestellt, treten diese Fristen an die Stelle ______der Ladungsfrist. Die Frist wird nur in Lauf gesetzt, wenn die Ladung ordnungsgemäß ist2 (zu den An5 ______ ______forderungen Vor § 214 Rdn. 3 ff.). Zustellungsmängel können die Ladung ebenfalls un______wirksam machen. ______ ______ II. Anwendungsbereich ______ Die Ladungsfrist gilt für alle Termine im Sinne von § 214 (s. Vor § 214 Rdn. 13), also 6 ______ ______auch dort, wo das Gesetz von Bekanntmachung (Vor § 214 Rdn. 4) des Termins spricht. ______Ob durch Zustellung oder nur formlos geladen wird, ist ohne Belang. Die Frist ist gegen______über beiden Parteien zu wahren.3 ______ ______ ______ ______1 RGZ 81, 321, 323; OLG Oldenburg MDR 1987, 503. 2 RGZ 88, 66. ______3 OLG München VersR 1974, 674; nach RGZ 86, 139 soll die Ladungsfrist gegenüber derjenigen Partei ______nicht gelten, die Einspruch gegen ein Versäumnisurteil eingelegt hat und zum nachfolgenden Termin ______geladen wird.

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___ Die Ladungsfrist ist auch bei der Ladung zur Beweisaufnahme vor dem beauftrag___ten oder ersuchten Richter (§§ 361, 362) einzuhalten, denn der Beweistermin ist ebenso ___bedeutsam wie ein Verhandlungstermin.4 ___ Die Frist ist auch im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren zu beach___ten.5 Bei besonderer Eilbedürftigkeit muss sie verkürzt werden; hierzu ist allerdings ein ___Antrag nötig (§ 224 Rdn. 9). ___ Sie gilt dagegen nicht, soweit die Partei zur Anhörung gemäß §§ 141, 273 Abs. 2 ___Nr. 3 oder zur Parteivernehmung geladen wird. Allerdings muss die Ladung den Emp___fänger in diesem Fall so rechtzeitig erreichen, dass er sich auf den Termin einstellen ___kann; andernfalls dürfen keine Ordnungsmittel verhängt werden. ___ Für den Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist sie ebenfalls ohne Bedeu___tung, da hierbei die Anwesenheit der Parteien nicht erforderlich ist (§ 312 Abs. 1, 329 Abs. 1). ___ Da die Frist neben der Vorbereitung der Sache auch die zeitliche Disposition ermög___lichen soll, muss sie auch bei der Terminsänderung gemäß § 227 gewahrt werden,6 und ___zwar grundsätzlich auch dann, wenn nur die Terminsstunde verlegt wird.7 Eine gering___fügige Verschiebung auf eine spätere Terminsstunde muss die Partei hinnehmen, ohne ___dass Fristen zu wahren sind, nicht aber eine Vorverlegung.8 Die Ladungsfrist ist auch ___dann einzuhalten, wenn der Termin wegen Zeitmangels auf den nächsten Geschäftstag ___vertagt wird9 (zum Begriff der Vertagung § 227 Rdn. 6). ___ Umstritten ist, ob die Ladungsfrist auch für Termine gilt, die in verkündeten Ent___scheidungen (§ 218) bestimmt sind. Für den Schutzzweck des § 217, nämlich der Partei ___eine Vorbereitungszeit zu gewähren, macht es keinen Unterschied, ob schriftlich gela___den wird oder die Terminsbestimmung in einer verkündeten Entscheidung enthalten ist. ___Daher ist die Frist auch hier einzuhalten.10 ___ ___ III. Länge und Berechnung der Frist ___ ___ Für die Berechnung der Ladungsfrist gilt § 222. Der Tag des Zugangs der Ladung ___bzw. im Fall des § 218 der Tag der Verkündung der Entscheidung und der Terminstag ___sind nicht mitzurechnen (§§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Bei Stundenfris___ten (Vor § 214 Rdn. 25) wird die Ladungsfrist von der Mitteilung an berechnet. ___ ___ IV. Verlängerung und Verkürzung der Frist ___ ___ Die Ladungsfrist kann durch Vereinbarung der Parteien (§ 224 Abs. 1) oder auf An___trag einer der Parteien durch das Gericht verkürzt werden (§ 226 Abs. 1). Die Verfügung ___über die Abkürzung der Frist muss vollständig unterzeichnet (nicht nur durch Paraphe) ___und in beglaubigter Form förmlich zugestellt werden.11 Zu den Rechtsbehelfen gegen die ___Entscheidung über die Abkürzung s. § 225 Rdn. 18 ff. ___ ___ ___4 H.M. seit OLG Köln MDR 1973, 856 und Teplitzky NJW 1973, 1675. ___5 Teplitzky JuS 1981, 353. 6 S. Erl. zu § 227 Rdn. 4, 5; OLG Karlsruhe OLGZ 1968, 292. ___7 LG Koblenz NJW 1957, 305; a.A. LG Köln MDR 1987, 590. ___8 A.A. RG JW 1895, 379 Nr. 3. ___9 A.A. Voraufl. § 218 Anm. A. ___10 Stein/Jonas/Roth Rdn. 6; Gerhardt ZZP 98 (1985), 356; a.A. Zöller/Stöber Rdn. 1. Zu Unrecht werden in diesem Zusammenhang die Entscheidungen BGH NJW 1964, 658 und OLG Oldenburg MDR 1987, 503 ___herangezogen; in beiden Fällen war die Frage nicht entscheidungserheblich; vgl. die zutreffende ___Anmerkung bei Stein/Jonas/Roth Fn. 3. ___11 BGHZ 76, 238 = NJW 1980, 1167 = MDR 1980, 572.

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______ 14 Die Verlängerung der Ladungsfrist ist im Gesetz nicht vorgesehen. Wird sie von ei______ner Partei beantragt, kommt § 227 zur Anwendung und der Termin wird weiter hinausge______schoben, sofern die Voraussetzungen für eine Terminsänderung vorliegen. ______ ______ V. Öffentliche Zustellung und Ladung im Ausland ______ ______ 15 Bei öffentlicher Zustellung ist zu beachten, dass die Ladung erst an dem Tag als zu______gestellt gilt, an dem seit dem Aushang der Benachrichtigung gemäß § 186 Abs. 2 ein Mo______nat bzw. die vom Prozessgericht bestimmte Frist verstrichen ist (§ 188). ______ 16 Bei Auslandszustellung ist in den Vertragsstaaten des Haager Zustellungsüberein______kommens von 196512 gemäß Art. 15 das Verfahren auszusetzen, wenn der Beklagte die ______Ladung nicht so rechtzeitig erhalten hat, dass er sich hätte verteidigen können. Dasselbe ______gilt gemäß Art. 19 EuZustVO Nr. 1393/200713 bei Zustellungen innerhalb der europäi______schen Union. Dies entspricht der Pflicht zur Vertagung gemäß § 337 Satz 1. Der längere ______Postlauf muss bei Zustellungen im Ausland berücksichtigt werden. Eine zu kurzfristige ______Terminierung verzögert das Verfahren nur, da sich der Termin als sinnlos erweisen kann. ______Auch wenn zwischenstaatliche Vereinbarungen nicht bestehen, muss auf die Schwierig______keiten einer im Ausland wohnenden Partei bei der Terminswahrnehmung Rücksicht ge______nommen werden (Art. 103 Abs. 1 GG). ______ ______ VI. Folgen der Nichteinhaltung ______ ______ Ist die Frist nicht gewahrt, dürfen negative Folgen an die Säumnis nicht geknüpft 17 ______werden (§§ 335 Abs. 1 Nr. 2, 337 Satz 1). Ein Versäumnisurteil oder eine Entscheidung ______nach Lage der Akten (§ 251 a Abs. 2) darf nicht ergehen. Die Verhandlung ist vielmehr zu ______vertagen. Dies gilt auch, wenn die Ladung zu einem vorhergehenden Termin nicht ord______nungsgemäß und der folgende Termin durch verkündeten Beschluss (§ 329 Abs. 2 Satz 1) ______bekanntgemacht worden war.14 ______ Die Nichteinhaltung der Frist kann Art. 103 Abs. 1 GG verletzen.15 ______ ______ ______ § 218 ______ Entbehrlichkeit der Ladung ______ § 218 Gerken ______ Zu Terminen, die in verkündeten Entscheidungen bestimmt sind, ist eine La______dung der Parteien unbeschadet der Vorschriften des § 141 Abs. 2 nicht erforder______lich. ______ ______ I. Grundsätze ______ ______ Die verkündete Entscheidung, in der ein Termin bestimmt wird (§ 329 Abs. 1) wirkt 1 ______als Ladung, auch wenn eine oder beide Parteien bei der Verkündung abwesend war(en).1 ______ ______ ______12 BGBl. II 1977, 1452. ______13 Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und ______Handelssachen vom 13.11.2007, ABl. EU Nr. L 324 S. 79. 14 OLG München OLGZ 1974, 241. ______15 BFH DB 1981, 1446. ______ ______1 RGZ 41, 355, 356.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 218

___ Die Entscheidung muss den neuen Termin nennen; die Verkündung eines Beschlus___ses nach seinem wesentlichen Inhalt, der noch schriftlich abgesetzt werden soll, genügt ___daher nicht. Der neue Termin muss feststehen. Er darf nicht unter eine Bedingung ge___stellt werden. Wird der Termin z.B. vorsorglich für den Fall des Einspruchs gegen ein ___soeben verkündetes Versäumnisurteil oder den Widerruf eines geschlossenen Vergleichs ___anberaumt, entfaltet die Terminsbestimmung nicht die Wirkungen des § 218.2 In diesem ___Fall muss gesondert geladen werden. Andernfalls darf ein (zweites) Versäumnisurteil in ___dem neuen Termin nicht ergehen. ___ Nach § 218 ist es Sache der Parteien, sich nach dem Inhalt der gerichtlichen Ent___scheidung zu erkundigen.3 Anwälte und Parteien können nicht davon ausgehen, durch ___die Protokollabschrift rechtzeitig vom neuen Termin zu erfahren. Bei der anwaltlich ___nicht vertretenen Partei sollte der Termin allerdings so angesetzt werden, dass ihr die ___Protokollabschrift noch rechtzeitig vor dem Termin zugeht, auch wenn keine Pflicht zur ___Benachrichtigung besteht. Außerdem kann es angezeigt sein, die Partei in dem der Ver___kündung vorangehenden Verhandlungstermin darauf hinzuweisen, dass sie zum nächs___ten Termin auch ohne schriftliche Ladung erscheinen muss. ___ § 218 kommt nur dann zur Anwendung, wenn zu dem Termin, in dem die Entschei___dung verkündet wird, form- und fristgerecht geladen worden war bzw. wenn es hierzu ___keiner Ladung bedurft hatte.4 Ob es sich bei diesem Termin um einen Verhandlungs___oder reinen Verkündungstermin handelte, ist gleichgültig. Es ist daher denkbar, dass ___mehrere Termine hintereinander stattfinden, bei denen die Terminsmitteilung jeweils ___nach § 218 erfolgt. ___ Die Ladungsfrist (§ 217) ist einzuhalten, das heißt, zwischen Verkündung und neu___em Termin muss mindestens eine Woche liegen. Dies ist allerdings streitig.5 Das Argu___ment, bei der verkündeten Entscheidung werde nicht geladen, demgemäß müsse auch ___die Frist nicht eingehalten werden, überzeugt nicht. Die Ladungsfrist dient der Vorberei___tung und zeitlichen Disposition. Dieser Zweck besteht unabhängig von der Mitteilungs___form. Das gilt auch, wenn eine Verhandlung aus Zeitgründen unterbrochen und auf den ___nächsten Geschäftstag vertagt wird.6 Die Parteien können aber gemäß § 295 auf Einhal___tung der Frist verzichten. ___ Soweit der Termin nur zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt ist, braucht ___die Frist nicht gewahrt zu werden.7 ___ Ist die Terminsbestimmung in einem nicht verkündeten Beschluss enthalten, ist die___ser gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 förmlich zuzustellen. ___ ___ II. Ausnahmen ___ ___ § 218 ist in folgenden Fällen nicht anwendbar: ___ Ausdrücklich genannt wird von § 218 die Ladung der Partei zur Aufklärung des ___Sachverhalts gemäß § 141 Abs. 2;8 dazu gehört auch die Anordnung des persönlichen ___Erscheinens gemäß den §§ 273 Abs. 2 Nr. 3, 278 Abs. 2. Für die Ladung zur Parteiverneh___mung gilt § 450 Abs. 1 Satz 2. ___ ___ ___2 BGH NJW 2011, 928. ___3 RGZ 41, 355. ___4 OLG Hamburg OLG Rspr. 17 (1908), 319; OLG München OLGZ 1974, 241 = VersR 1974, 674, 675. 5 Hierzu Erl. zu § 217 Rdn. 11 m.w.N. ___6 Stein/Jonas/Roth § 217 Rdn. 6. ___7 S. Erl. zu § 217 Rdn. 9. ___8 Vgl. OLG Frankfurt JurBüro 1989, 1309, 1310.

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§ 219

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______ 7 Da in den §§ 214 ff. nur die Ladung der Parteien zur mündlichen Verhandlung gere______gelt wird, findet § 218 für die Ladung von Auskunftspersonen (Zeugen, Sachverständi______ge, Parteien bei Anordnung einer Parteivernehmung) keine Anwendung (s. Erl. Vor § 214 ______Rdn. 7, 8). Sie müssen stets geladen werden. Denn Zeugen und Sachverständigen wird ______die verkündete Entscheidung nicht bekanntgemacht (zur Form der Ladung Vor § 214 ______Rdn. 10, § 214 Rdn. 4). ______ 8 Bei der Entscheidung nach Aktenlage infolge der Säumnis einer oder beider Par______teien ist der Verkündungstermin der nicht erschienen Partei formlos mitzuteilen (§§ 251 a ______Abs. 2 Satz 3, 331 a Satz 2). Keine Ladung erfolgt dagegen im Fall des § 336 Abs. 1. ______ Wird die Verhandlung vertagt, weil die formellen Voraussetzungen für den Erlass 9 ______eines Versäumnisurteils nicht festgestellt werden können, muss das Gericht die nicht ______erschienene Partei abweichend von § 218 zum neuen Verhandlungstermin laden (§§ 335 ______Abs. 2, 337 Satz 2). Das muss in allen Fällen gelten, in denen die Hindernisse des § 335 ______Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bestehen, auch wenn kein Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils ______zurückgewiesen wird.9 Erfolgt die Vertagung aus anderen Gründen, ist die Neuladung ______nach § 218 ZPO entbehrlich.10 ______ § 218 ist nicht anwendbar bei der Vertagung eines Termins zur Abgabe der eides10 ______stattlichen Versicherung (§ 900).11 Das Ausbleiben einer Partei im Verhandlungstermin ______ist erlaubter Verzicht auf Verteidigung und das Versäumnisurteil lediglich Ausspruch ______der sich aus der Nichtverteidigung ergebenden Rechtsfolge; die Haftanordnung ist dage______gen ein Zwangsmittel und nur dort zulässig, wo sie sich gegen bewussten Ungehorsam ______richtet. ______ ______ ______ § 219 ______ Terminsort ______ § 219 Gerken ______ (1) Die Termine werden an der Gerichtsstelle abgehalten, sofern nicht die Ein______nahme eines Augenscheins an Ort und Stelle, die Verhandlung mit einer am Er______scheinen vor Gericht verhinderten Person oder eine sonstige Handlung erforder______lich ist, die an der Gerichtsstelle nicht vorgenommen werden kann. ______ (2) Der Bundespräsident ist nicht verpflichtet, persönlich an der Gerichtsstelle ______zu erscheinen. ______ ______ Übersicht ____ 1 III. Anfechtbarkeit der Entscheidung ____ 12 ______I. Terminsort ____ 7 II. Einzelheiten des Verfahrens IV. Sonderrechte ____ 13 ______ ______ ______ I. Terminsort ______ Die Termine werden an der Gerichtsstelle abgehalten, also im Gerichtsgebäude (zur 1 ______ ______Bezeichnung des Terminsortes in der Ladung § 214 Rdn. 4, 9). ______ Bei einer auswärtigen Kammer für Handelssachen (§ 93 GVG) ist dies das Gerichts______gebäude, in dem sie tagt. ______ ______ ______9 OLG München OLGZ 1974, 241, 244 = VersR 1974, 674, 675; LG Mannheim NJW 1959, 2071. 10 RGZ 41, 355; KGZ 41, 355. ______11 OLG Nürnberg Rpfl. 1977, 417; LG Wiesbaden MDR 1957, 366; OLG Hamm Rpfl. 1957, 355: Ladung ist ______dann nicht erforderlich, wenn der Schuldner zu dem Termin, in dem der neue Termin verkündet wird, ______erschienen ist.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 219

___ Werden Termine an sog. Gerichtstagen1 durchgeführt, ist Gerichtsstelle das dazu be___stimmte Gebäude.2 ___ Termine außerhalb der Gerichtsstelle (Lokal-/Ortstermine) sind nur unter besonde___ren Voraussetzungen zulässig. § 219 Abs. 1 nennt hierfür drei Fälle: den Augenschein, die ___Verhandlung mit einer Person, die an der Gerichtsstelle nicht erscheinen kann und die ___Notwendigkeit einer Handlung, die an der Gerichtsstelle nicht vorgenommen werden ___kann. ___ Die Anordnung des Augenscheins geschieht von Amts wegen (§ 144). Bei dem Par___teiantrag (§ 371) handelt es sich in Wahrheit nur um eine Anregung an das Gericht, eine ___Augenscheinseinnahme durchzuführen. Denn die Frage, ob sachgerechte Feststellungen ___auch ohne persönlichen Eindruck von den Örtlichkeiten möglich sind, muss das Gericht ___ohne Rücksicht auf Parteianträge von Amts wegen beurteilen. Insbesondere bei Ver___kehrsunfällen und in Bauprozessen sollte hiervon großzügig Gebrauch gemacht werden. ___Die mit der Augenscheinseinnahme verbundene Erschwernis wird in aller Regel aufge___wogen durch die bessere Aufklärungsmöglichkeit an Ort und Stelle. Geht es um Einwir___kungen im Sinne von § 906 BGB, wird der persönliche Eindruck für die Entscheidung in ___der Regel unerlässlich sein. ___ Unter die Verhandlung mit einer am Erscheinen vor Gericht verhinderten Per___son fällt die Anhörung einer Partei gemäß § 141, die Vernehmung einer Partei gemäß ___§§ 445 ff., eines Zeugen oder die eines Sachverständigen. Eine Person ist dann nicht ver___hindert, wenn das Hindernis beseitigt werden kann. So muss z.B. ein Strafgefangener zur ___Verhandlung in seiner Sache vorgeführt werden. Krankheit oder hohes Alter können da___gegen ein Verhinderungsgrund sein. ___ Sonstige Handlungen, die nicht an der Gerichtsstelle vorgenommen werden kön___nen, kommen z.B. bei experimentellen Sachverständigenbeweisen (Unfallrekonstruk___tion) vor. Auch eine große Anzahl von Zeugen kann es erforderlich machen, einen Ter___min außerhalb der Gerichtsstelle durchzuführen.3 ___ Ob ein Ortstermin erforderlich ist im Sinne von § 219 Abs. 1, hängt allein davon ab, ___ob ihn das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zur Herbeiführung einer gerechten ___Entscheidung für nützlich hält.4 Die Kostenersparnis (Reisekosten für Parteien und Zeu___gen), das Einverständnis der Parteien oder bloße Zweckmäßigkeitserwägungen geben ___keinen Grund für die Abhaltung eines Termins außerhalb der Gerichtsstelle.5 ___ ___ II. Einzelheiten des Verfahrens ___ ___ Streitig ist, ob die Anordnung des Ortstermins vom Vorsitzenden/Einzelrichter ___oder vom Kollegium erfolgen muss.6 Die Antwort hängt davon ab, ob mit der Anberau___mung des Termins zugleich über die Durchführung einer Beweisaufnahme entschieden ___wird. Dann hat das Kollegium zu entscheiden. Geht es hingegen nur um eine bloße ___Zweckmäßigkeitserwägung oder um die örtliche Durchführung einer bereits beschlosse___ ___ ___1 Hierzu § 3 der Verordnung für die einheitliche Regelung der Gerichtsverfassung v. 20.3.1935 RGBl. I S. 403, ber. S. 489. ___2 Zur Zulässigkeit OLG Koblenz NJW 1957, 796 mit Anm. Lauterbach. ___3 RG JW 1898, 140; zu den zumutbaren Untersuchungen aus Sicherungsgründen in diesem ___Zusammenhang OVG Münster JMBl. NRW 1973, 213. ___4 RGZ 56, 357, 359; Lauterbach NJW 1957, 797; Glombik MDR 1957, 19. 5 Ebenso Stein/Jonas/Roth Rdn. 1; zur kostenmäßigen Behandlung eines Termins, der unter Verstoß ___gegen § 219 stattgefunden hat s. OLG Koblenz NJW 1957, 796 mit Anm. von Lauterbach. ___6 Sache des Vorsitzenden: Glombik MDR 1957, 19; Lauterbach NJW 1957, 797; Sache der Kammer: ___Thomas/Putzo/Hüßtege Anm. 1.

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§ 219

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______nen Beweisaufnahme, handelt es sich um einen Akt der dem Vorsitzenden obliegenden ______Prozessleitung. ______ Der Ort des Lokaltermins ist in der Ladung genau zu bezeichnen. Auf Schwierig8 ______keiten bei der Suche ist bei Terminsbeginn Rücksicht zu nehmen. ______ Die Zustimmung des örtlich zuständigen Amtsgerichts ist nicht erforderlich, wenn ______der Ortstermin außerhalb des Gerichtsbezirks stattfindet (§ 166 GVG).7 ______ Im Ausland darf ein Ortstermin nicht abgehalten werden, weil es dafür an der erfor9 ______derlichen Gerichtshoheit des inländischen Gerichts fehlt. Zur Durchführung einer Be______weisaufnahme im Ausland s. §§ 363, 364. ______ Bei der Anberaumung und Durchführung des Termins muss das Hausrecht der Be10 ______teiligten beachtet werden. Das Grundrecht aus Art. 13 GG geht vor und wird durch die ______Anordnung eines Lokaltermins nicht berührt (§ 144 Abs. 1 Satz 3). Der Inhaber des Haus______rechts kann daher jedem Prozessbeteiligten den Zugang verbieten.8 ______ Scheitert der Termin, weil auf die Anwesenheit des Prozessbeteiligten nicht verzich______tet werden kann, hängen die Rechtsfolgen davon ab, ob der Beweisführer oder der ______Gegner den Zugang verweigert. Den Beweisführer treffen die negativen Folgen der Be______weislast. Zugunsten des Gegners sind die §§ 444, 454 analog anzuwenden. ______ Ordnungsmittel können nicht verhängt werden, wenn ein Termin an der Ausübung ______des Hausrechts durch einen der Beteiligten scheitert. Auch dürfen keine Säumnisfolgen ______gezogen werden.9 ______ Die Öffentlichkeit und Sitzungspolizei bei Lokalterminen richtet sich nach den all11 ______gemeinen Regeln der §§ 169 ff. GVG. ______ ______ III. Anfechtbarkeit der Entscheidung ______ ______ Die Anordnung eines Ortstermins ist nicht anfechtbar (§ 355 Abs. 2).10 Ein Verstoß 12 ______gegen § 219 macht aber die Ladung unwirksam, so kein Versäumnisurteil erlassen werden ______darf.11 ______ Die Beschwerde kann auch nicht gegen eine Entscheidung gerichtet werden, mit der ______eine Augenscheinseinahme abgelehnt wird. Sofern das Gericht ausnahmsweise hierüber ______einen Beschluss fasst, weist es zwar ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurück; die ______Entscheidung steht aber wie jede Beweisanordnung im Ermessen des Gerichts und dient ______der Vorbereitung des Urteils. Solche Entscheidungen sind der Beschwerde entzogen.12 ______Etwas anderes gilt allerdings, wenn es darum geht, dass der Beweisaufnahme Fortgang ______verschafft werden soll.13 ______ Die Weigerung des Gerichts, einen Ortstermin abzuhalten, ist mit der Berufung oder ______Revision angreifbar, wenn hierdurch eine entscheidungserhebliche Beweisaufnahme ______unterbleibt, nur unvollständig durchgeführt wird oder die Partei ihren Anspruch auf ______rechtliches Gehör nicht ausreichend wahrnehmen kann. ______ ______ ______ ______ 7 Eingeführt durch Rechtspflege-VereinfachungsG v. 17.12.1990 BGBl. I 2847. ______8 OLG Koblenz NJW 1968, 897; a.A. Zöller/Stöber Rdn. 4, wonach ein Zeuge den Parteien die ______Anwesenheit nicht verbieten darf. ______9 A.A. Zöller/Stöber Rdn. 4. ______10 OLG Schleswig SchlHA 1972, 95; Stein/Jonas/Roth Rdn. 6. 11 OLG Koblenz NJW 1957, 796. ______12 RG JW 1900, 590 und JW 1901, 801; OLG Hamburg MDR 1954, 554. ______13 OLG Köln NJW 1956, 555; FamRZ 1960, 409; OLG Hamm FamRZ 1958, 379; OLG Celle Nds.Rpfl. 1966, ______205; OLG Schleswig SchlHA 1968, 262; OLG Bremen NJW 1969, 1908; s. auch Erl. zu § 216 Rdn. 38 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 220

___ IV. Sonderrechte ___ ___ Der Bundespräsident braucht am Gerichtsort nicht zu erscheinen. Wünscht er eine ___Vernehmung außerhalb der Gerichtsstelle, muss das Gericht zu ihm kommen. Das sollte ___auch für seinen Vertreter im Amt angenommen werden, sofern dieser ihn tatsächlich ___vertritt.14 Auf andere inländische Personen, z.B. die Ministerpräsidenten der Länder, ist ___die Norm nicht auszudehnen. Der Schutz der Diplomaten und Konsuln bestimmt sich ___nach §§ 18, 19 GVG. Bei Ladungen von Angehörigen der NATO-Truppen gilt Art. 37 des ___Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959.15 ___ ___ ___ § 220 ___ Aufruf der Sache; versäumter Termin ___ § 220 Gerken ___ (1) Der Termin beginnt mit dem Aufruf der Sache. ___ (2) Der Termin ist von der Partei versäumt, wenn sie bis zum Schluss nicht ___verhandelt. ___ Übersicht ___ ____ 1 III. Fehlerhafter Aufruf ____ 10 ___I. Aufruf ____ 5 II. Einzelfragen IV. Säumnis ____ 12 ___ ___ ___ I. Aufruf ___ ___ Der Aufruf der Sache kennzeichnet den Terminsbeginn.1 Das Gericht gibt damit den ___Parteien gleichsam das „Startzeichen“, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in der ___mündlichen Verhandlung wahrzunehmen.2 Der Aufruf darf nicht als eine lästige Förm___lichkeit betrachtet werden. Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, die Parteien förmlich ___auf den Beginn ihres Termins hinzuweisen und sie damit tatsächlich in die Lage zu ver___setzen, an der Verhandlung teilzunehmen. ___ Zunächst ruft der Protokollführer oder der Wachtmeister die Sache vor dem Sit___zungssaal auf.3 Dies ist die Aufforderung an die Beteiligten, den Sitzungssaal zu betre___ten. Steht den Parteien bzw. den Anwälten ein besonderer Warteraum zur Verfügung, ___muss der Aufruf auch dort erfolgen.4 Ein Schild mit dem Hinweis, ohne besondere Auf___forderung in den Sitzungssaal einzutreten, genügt nicht.5 Auch die Eintragung der An___wälte in eine Sitzungsliste macht den Aufruf nicht entbehrlich.6 ___ Die Aufforderung zum Eintreten in den Sitzungssaal schafft die Voraussetzung für ___den Aufruf der einzelnen Sache durch den Vorsitzenden (§ 136 Abs. 1). Erst hiermit wird ___der eigentliche Terminsbeginn verlautbart, der in § 220 Abs. 1 gemeint ist. Er ist als we___sentlicher Vorgang der Verhandlung im Protokoll aufzunehmen (§ 160 Abs. 2). ___ ___ ___ 14 A.A.: Stein/Jonas/Roth Rdn. 10; Zöller/Stöber Rdn. 5. ___15 BGBl. II 1961, 1183. ___ ___1 RGZ 76, 101. ___2 BVerfGE 42, 346 = NJW 1977, 1443. 3 KG MDR 1974, 52; LG Berlin JR 1967, 264. ___4 BVerwG NJW 1986, 204. ___5 LG Hamburg NJW 1977, 1459. ___6 BVerfGE 42, 446 = NJW 1977, 1443.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 4 In welcher Form der Aufruf durch den Vorsitzenden zu geschehen hat, hängt von ______den Umständen ab. Er muss so erfolgen, dass sich auch die gerichtsunkundige Partei ______angesprochen fühlt. Wenn sich zahlreiche Personen im Verhandlungsraum aufhalten, ______z.B. bei „Sammelterminen“, muss ein verständlicher Aufruf vorausgehen, damit sicher______gestellt ist, dass die wartende Partei den Beginn ihrer Verhandlung auch mitbekommt. ______Dabei kann es angezeigt sein, einen Aufgerufenen nach Vornamen oder Beruf näher zu ______bezeichnen.7 Sind dagegen beide Parteien anwaltlich vertreten und treten beide Anwälte ______gemeinsam an den Richtertisch, genügt schon die Aufforderung, die Anträge zu stellen ______oder mit den Ausführungen zu beginnen. ______ ______ II. Einzelfragen ______ ______ 5 Vor der in der Ladung bezeichneten Terminsstunde darf die Sache nicht aufgerufen ______werden; dies wäre verfahrensfehlerhaft.8 Jedoch kann im Einverständnis beider Parteien ______bereits vor der festgesetzten Uhrzeit verhandelt werden. Ist in der Ladung die Termins______stunde nicht bezeichnet, gilt die Zeit, zu der das Gericht üblicherweise die Sitzung eröff______net.9 Insoweit besteht ggf. eine Erkundigungspflicht für die Partei. ______ Sind mehrere Sachen auf dieselbe Uhrzeit angesetzt, steht es im Ermessen des Vor6 ______sitzenden, welche Sache zuerst aufgerufen wird. Die Reihenfolge auf dem Terminszettel ______ist unmaßgeblich. ______ Anspruch auf pünktlichen Beginn der Verhandlung haben die Parteien nicht. Die 7 ______in der Ladung genannte Uhrzeit bezeichnet nur den frühest möglichen Beginn der Ver______handlung. Auf eine gewisse Wartezeit müssen die Beteiligten sich einstellen. Eine Ver______zögerung von einer Stunde muss wohl noch hingenommen werden.10 ______ Eine Verlegung (zum Begriff Erl. zu § 227 Rdn. 4) hinter eine später angesetzte Sache 8 ______ist nur unter den Voraussetzungen des § 227 zulässig. Hierzu gehört allerdings nicht der ______Fall, dass mit dem Aufruf abgewartet und eine Sache zurückgestellt wird, weil ein Pro______zessbeteiligter noch nicht erschienen ist. Zur Frage, ob bei der Verlegung die Ladungs______frist eingehalten muss, s. Erl. zu § 217 Rdn. 10. ______ Der Aufruf ist auch dann erforderlich, wenn der Termin nur zur Verkündung einer 9 ______Entscheidung bestimmt ist. Ein Verstoß hiergegen ist aber in der Regel ohne Einfluss auf ______Entscheidung, weil der Termin nicht zur Entgegennahme von Anträgen oder Erklärun______gen bestimmt ist.11 ______ ______ III. Fehlerhafter Aufruf ______ ______ Unterbleibt der Aufruf oder ist er nicht ordnungsgemäß, gilt die Partei als nicht ge10 ______laden;12 denn wie bei der unterbliebenen Ladung kann die Partei ihren Anspruch auf ______rechtliches Gehör nicht verwirklichen. Bevor die Säumnisfolge gezogen wird, muss sich ______das Gericht deshalb vergewissern, ob die Terminsstunde erreicht und ordnungsgemäß ______aufgerufen worden ist. ______ ______ ______ ______7 BVerfG a.a.O. ______8 KG NJW 1987, 1338, 1339. ______9 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. 10 LAG Hamm NJW 1973, 1950; unzumutbar ist dagegen eine Verschiebung von eineinhalb Stunden oder ______mehr – so LG Koblenz NJW 1957, 305. ______11 BGH JR 1958, 344. ______12 RGZ 76, 102.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 220

___ Ist die zumutbare Wartezeit überschritten (Rdn. 7), wird der verspätete Aufruf ___nicht mehr durch die Ladung gedeckt.13 Die Partei ist ohne ihr Verschulden am Erschei___nen verhindert, wenn sie sich mit Rücksicht auf einen anderen von ihr wahrzunehmen___den Termin bereits entfernt hat.14 Ein Versäumnisurteil darf nicht ergehen (§§ 335 Abs. 1 ___Nr. 2, 337). ___ ___ IV. Säumnis ___ ___ § 220 Abs. 2 konkretisiert den Begriff der Säumnis. Die Partei ist dann nicht säumig, ___wenn sie bis zum Schluss des Termins einmal verhandelt,15 das heißt, einen Sachantrag ___stellt (§ 333). Wegen der Einheit der mündlichen Verhandlung kann sie ihre Säumnis ___(§ 333) nicht dadurch nachträglich herbeiführen, dass sie ihren Antrag wieder „zurück___nimmt“.16 ___ Der Schluss des Termins wird dadurch bewirkt, dass der Vorsitzende gemäß § 136 ___Abs. 4 die Verhandlung schließt (§ 136 Rdn. 18). ___ Ist der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zwar gestellt, das Urteil aber noch ___nicht verkündet, ist die mündliche Verhandlung regelmäßig noch nicht geschlossen. Mit ___dem nachträglichen Erscheinen der säumigen Partei wird der Säumnisantrag gegen___standslos (§ 231 Abs. 2). Etwas anderes gilt aber, wenn – wie häufig üblich – das Gericht ___den Erlass des Versäumnisurteils auf den Schluss der Sitzung verschoben hat und schon ___zur Verhandlung der nächsten Sache übergegangen ist. In diesem Fall ist die Verhandlung ___bereits gemäß § 136 Abs. 4 geschlossen. Sie kann nur gemäß § 156 Abs. 1 wieder eröffnet ___werden. Ist der Gegner noch im Gerichtssaal anwesend und erklärt er sich einverstanden, ___kann die Fortsetzung der Verhandlung unter Verzicht auf die Ladungsfrist (§ 295) sofort ___stattfinden. Hierauf hat die säumige Partei allerdings keinen Anspruch. ___ Ist das Versäumnisurteil bereits verkündet und erscheinen dann die Parteien ge___meinsam, so wird das Versäumnisurteil bisweilen von der Praxis als nicht existent ange___sehen. Dies ist schon wegen der Kostenfolge aus § 344 nicht zulässig.17 Die säumige Par___tei muss Einspruch einlegen, was auch zu Protokoll geschehen kann. Im Einverständnis ___mit beiden Parteien kann danach über den Einspruch sofort verhandelt werden. Ebenso ___kann verfahren werden, wenn nicht ein Versäumnisurteil sondern ein Vertagungsbe___schluss (§ 335 Abs. 2, 337) verkündet oder das Ruhen des Verfahrens (§ 251 a Abs. 3) ___angeordnet worden ist. ___ Wann der Termin gemäß § 136 Abs. 4 geschlossen wird, entscheidet der Vorsitzende. ___Er kann daher die Verhandlung einer Sache zurückstellen, wenn nach Aufruf der Sa___che nur eine Partei erscheint. ___ Mit dem Erlass eines Versäumnisurteils wird üblicher Weise eine viertel bis eine hal___be Stunde nach Ablauf der festgesetzten Uhrzeit gewartet. Allerdings ist rechtlich nichts ___dagegen einzuwenden, wenn sofort entschieden wird. ___ Der säumige Anwalt kann nicht darauf vertrauen, dass der Gegner aufgrund des an___waltlichen Standesrechts kein Versäumnisurteil beantragt, ohne dies vorher angekün___digt zu haben.18 § 23 der anwaltlichen Standesrichtlinien entfaltet keine Wirkung mehr.19 ___ ___ ___13 So LG Koblenz NJW 1957, 305. ___14 Lent Anm. zur Entscheidung des LG Koblenz a.a.O. ___15 BGHZ 4, 328, 340. 16 RGZ 10, 392; OLG Hamm NJW 1974, 1097; OLG Frankfurt MDR 1982, 153. ___17 Großzügiger Voraufl. Anm. B I; wie hier Stein/Jonas/Roth Rdn. 10. ___18 BGH NJW 1991, 42, 43; die Entscheidung BGH NJW 1976, 196 = MDR 1976, 136 ist überholt. ___19 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191 und BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 194.

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§ 221

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______Das Gleiche gilt, wenn unabhängig von den Standesrichtlinien ein örtlicher Gerichts______gebrauch besteht, bei erstmaliger Säumnis gegen eine anwaltlich vertretene Partei ______keinVersäumnisurteil zu beantragen. Die Interessen des Mandanten haben grundsätzlich ______Vorrang vor kollegialer Rücksichtnahme.20 ______ ______ ______ § 221 ______ Fristbeginn ______ § 221 Gerken ______ Der Lauf einer richterlichen Frist beginnt, sofern nicht bei ihrer Festsetzung ______ein anderes bestimmt wird, mit der Zustellung des Dokuments, in dem die Frist ______festgesetzt ist, und, wenn es einer solchen Zustellung nicht bedarf, mit der Ver______kündung der Frist. ______ ______ Früherer § 221 Abs. 2 aufgehoben durch Vereinf Nov. 1976 BGBl. I 3281. ______ ______ Übersicht ____ 1 III. Länge der Frist ____ 8 ______I. Allgemeines ____ 5 ______II. Fristbeginn ______ ______ I. Allgemeines ______ 1 § 221 betrifft nur die richterlichen Fristen (zum Begriff s. Erl. Vor § 214 Rdn. 32, 33), ______ ______also nicht die zwischen den Parteien vereinbarten sowie die gesetzlichen Fristen. Von einer gesetzlichen Frist spricht man, wenn die Dauer der Frist nicht durch eine 2 ______ ______richterliche Entscheidung, sondern vom Gesetz bestimmt wird. Eine gesetzliche Frist ______wird nicht dadurch zu einer richterlichen Frist, dass sie durch eine richterliche Entschei______dung verlängert oder verkürzt wird.1 Bei der Verlängerung der (gesetzlichen) Rechtsmit______telbegründungsfristen wird daher keine neue richterliche Frist gesetzt, sondern nur der ______Lauf der gesetzlichen Frist weiter hinausgeschoben. Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen gesetzlichen und richterlichen Fristen 3 ______ ______sonst nur für die Zulässigkeit der Abänderung (§ 224 Abs. 2). Als richterliche Fristen kommen vor allem die Fristen für vorbereitende Schriftsät4 ______ ______ze (§ 273 Abs. 2 Nr. 1), die Klageerwiderung (§§ 275 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 276 Abs. 1 ______Satz 2), die Stellungnahme auf die Klageerwiderung (§§ 275 Abs. 4, 276 Abs. 3) und die ______Berufungserwiderung (§ 521 Abs. 2 Satz 1) in Betracht (Übersicht über die Fristen Vor ______§ 214 Rdn. 33). Die Vorschrift ist auch auf die im Insolvenzverfahren gesetzten richterli______chen Fristen anwendbar.2 Dagegen gilt sie nicht für die in einem gerichtlichen Vergleich ______bestimmte Widerrufsfrist; denn diese Frist wird von den Parteien vereinbart. Sie beginnt ______am Tag des Vergleichsabschlusses und nicht erst mit Zugang des Terminsprotokolls.3 ______ ______ ______ ______ ______ ______ ______20 BGH NJW 1991, 42, 43. ______1 OLG Hamburg MDR 1952, 561. ______2 BVerfG NJW 1988, 1773, 1774. ______3 OLG Schleswig NJW-RR 1987, 1022.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 222

___ II. Fristbeginn ___ ___ Maßgeblich für den Fristbeginn ist in erster Linie die richterliche Entscheidung. Das ___Gericht kann den Fristbeginn frei festsetzen. Die Bestimmung einer Frist, die bei Zustel___lung bereits abgelaufen ist, ist allerdings unwirksam. ___ Ist dagegen – wie in der Regel – kein Datum oder Ereignis für den Beginn genannt, ___kommt es bei nicht verkündeten Beschlüssen und Verfügungen (§ 329 Abs. 2) auf den ___Zeitpunkt der Zustellung an; denn erst mit der Zustellung erhalten sie Bestand und Gel___tung nach außen.4 Ohne sie dürfen negative Folgen (§§ 95, 230, 296) an die Fristüber___schreitung nicht geknüpft werden. ___ Die richterliche Entscheidung, die die Fristsetzung enthält, muss vollständig unter___zeichnet sein; eine Paraphe genügt nicht. Sie muss in beglaubigter Abschrift zugestellt ___werden (§ 329 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 317 Abs. 3).5 ___ Soweit keine Zustellung vorgeschrieben ist, beginnt die Frist mit der Verkündung ___(§ 329 Abs. 1). Auf die Anwesenheit der Parteien bei der Verkündung kommt es nicht an ___(§§ 312 Abs. 1, 329 Abs. 1 Satz 2). Voraussetzung ist allerdings, dass der Verkündungster___min ordnungsgemäß bekanntgemacht worden ist. Die verkündete Entscheidung muss ___die Frist nennen; eine Verkündung „dem wesentlichen Inhalt nach“ genügt nicht. ___ ___ III. Länge der Frist ___ ___ Bei der Bemessung der Frist müssen der Geschäftsgang innerhalb des Gerichts und ___der Postlauf berücksichtigt werden. Wird für die Fristerfüllung nur ein Enddatum ge___setzt, ist ein Teil der Frist schon abgelaufen, wenn die Parteien die Verfügung erhalten. ___In der Regel empfiehlt es sich daher, als Frist einen festen Zeitraum (eine Woche, einen ___Monat) zu wählen und in der fristsetzenden Entscheidung ausdrücklich klarzustellen, ___dass die Frist mit dem Zugang beginnt. ___ Die Fristen sind für jede Partei gesondert zu berechnen. Wird die Entscheidung ___zugestellt, kann es daher zu einem unterschiedlichen Fristenlauf kommen. Dies gilt auch ___bei Streitgenossen, wenn an sie nacheinander zugestellt wird.6 ___ Im Falle der Nebenintervention (§ 66) beginnt die Frist dagegen mit der Zustellung ___an die Hauptpartei,7 es sei denn, die Frist ist nur dem Nebenintervenienten gesetzt wor___den. ___ ___ ___ § 222 ___ Fristberechnung ___ § 222 Gerken ___ (1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen ___Gesetzbuchs. ___ (2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag ___oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages. ___ (3) Bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden bestimmt ist, werden ___Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet. ___ ___ ___ 4 RGZ 11, 403; 62, 28. ___5 BGHZ 76, 238 = NJW 1980, 1167 = MDR 1980, 572. ___6 RGZ 157, 33, 35; BGH VersR 1971, 846 für den Fall der einfachen Streitgenossenschaft. ___7 BGH NJW 1963, 1251; NJW 1975, 218; NJW 1986, 257 = MDR 1986, 36.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 222 Abs. 2, 3 geändert durch das Gesetz über den Fristablauf am Sonnabend vom ______10.8.1965 BGBl. I 753. ______ ______ Übersicht ____ 1 2. Fristdauer ____ 7 ______I. Anwendungsbereich 3. Fristablauf ______II. Fristberechnung a) Stundenfristen ____ 8 ______ 1. Fristbeginn ____ b) Tagesfristen ____ 9 a) Stundenfristen 3 ______ b) Ereignis oder Zeitpunkt im Laufe eic) Wochenfristen ____ 10 ______ ____ 4 nes Tages (§ 187 Abs. 1 BGB) d) Monats- und Jahresfristen ____ 11 ______ c) Fristanfang mit Beginn eines Tages 4. Ausnutzung der Fristen ____ 12 ______ (§ 187 Abs. 2 Satz 1 BGB) ____ 6 5. Sonn- und Feiertage; Samstage ____ 13 ______ ______ I. Anwendungsbereich ______ ______ § 222 verweist für die Fristberechnung auf die Vorschriften des Bürgerlichen Ge1 ______setzbuchs, und zwar auf die §§ 187–189, 191, 192 BGB. Die §§ 190, 193 BGB werden durch ______die §§ 222 Abs. 2, 224 Abs. 3 verdrängt. ______ Die Vorschriften gelten für alle (datumsmäßig nicht bestimmten) prozessualen Fris______ten einschließlich der durch richterliche Entscheidung verlängerten Fristen (§ 224 ______Abs. 2), die uneigentlichen Fristen1 und im Zweifel auch für die Widerrufsfrist beim Pro______zessvergleich.2 Sie finden nur dort keine unmittelbare Anwendung, wo das Gesetz unbe______stimmte Fristen (z.B. „demnächst“ im Sinne von § 693 Abs. 2 oder „unverzüglich“ gemäß ______§ 216 Abs. 2) verwendet. ______ Die Regeln sind für die gesetzlichen Fristen zwingend. Für die richterlich be______stimmten (s. Vor § 214 Rdn. 32) und die von den Parteien vereinbarten Fristen (s. Vor ______§ 214 Rdn. 34) handelt es sich dagegen um Auslegungsvorschriften, so dass der Nachweis ______möglich ist, dass eine andere Bestimmung gewollt ist.3 ______ 2 Die §§ 187–189, 192 BGB besagen nichts darüber, nach welchem Zeitmaß eine Frist ______festzusetzen ist. Fristsetzungen, die keinen bestimmten oder bestimmbaren Zeitraum ______angeben (alsbald, demnächst, unverzüglich), sind gewohnheitsrechtlich unzulässig, da ______sie nicht die Rechtsklarheit schaffen, die für die mit der Fristsetzung regelmäßig verbun______dene Ausschluss- oder Verspätungswirkung erforderlich ist. ______ Das Ursprungsereignis für den Fristbeginn kann frei bestimmt werden. Ist keine Be______stimmung vorhanden, beginnt die Frist mit Zustellung bzw. Verkündung (§ 221). Es ist ______auch zulässig, nur den Endzeitpunkt einer Frist festzusetzen. ______ ______ II. Fristberechnung ______ ______ Für die Fristberechnung gelten folgende Grundsätze: ______ ______ 1. Fristbeginn ______ ______ 3 a) Stundenfristen. Stundenfristen beginnen unmittelbar mit dem für ihren Beginn ______maßgebenden Ereignis (z.B. Zustellung oder Verkündung) und nicht erst mit Ablauf des ______ ______ ______1 RG HRR 1934, 61; zur Anwendung von § 222 Abs. 2 auf die Fünfmonatsfrist der §§ 516, 552 s. aber Rdn. 14. ______2 BGH NJW 1978, 2091 = MDR 1979, 49; OLG Schleswig NJW-RR 1987, 1022; OLG München NJW 1975, 933; ______zur Anwendung von § 222 Abs. 2 s. Rdn. 13. ______3 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1.

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___Tages. Da sie aber nach vollen Stunden berechnet werden, ist § 187 BGB entsprechend ___anzuwenden, so dass die angebrochene Stunde nicht mitzurechnen ist.4 Bei Zustellung ___um 9.05 Uhr endet die Ladungsfrist von 24 Stunden (§ 217) am folgenden Tag um 10 Uhr. ___ Bei Stundenfristen werden Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht ___mitgerechnet. Sie können an diesen Tagen weder beginnen noch enden (§ 222 Abs. 3). ___Wird am Wochenende zugestellt (die Zustellung am Sonntag und an Feiertagen ist ___gemäß § 188 BGB nur mit richterlicher Erlaubnis zulässig), berechnet sich die Frist ab ___Montag 0 Uhr. Erfolgt die Zustellung am Freitag um 10 Uhr, endet die Ladungsfrist von ___24 Stunden am Montag um 10 Uhr. ___ Bei einer richterlichen oder von den Parteien vereinbarten Frist von 24 Stunden ___kann in Abweichung von § 222 Abs. 3 auch ein Tag gemeint sein; dies ist eine Frage der ___Auslegung. ___ ___ b) Ereignis oder Zeitpunkt im Laufe eines Tages (§ 187 Abs. 1 BGB). Hängt der ___Anfang einer gesetzlichen, richterlichen (§ 221) oder von den Parteien vereinbarten Frist5 ___von einem Ereignis oder in den Lauf eines Tage fallenden Zeitpunkt ab (Zustellung, Be___kanntmachung, Verkündung), wird dieser Tag nicht mitgerechnet (§ 187 Abs. 1 BGB). Ob ___der erste Tag auf ein Wochenende oder einen Feiertag fällt, ist unerheblich.6 § 222 Abs. 2 ___gilt nur für den Fristablauf. Die Frist berechnet sich daher ab 0 Uhr des folgenden Tages.7 ___Dies ist für die prozessualen Fristen der Regelfall. ___ § 187 Abs. 1 BGB ist auch dann anzuwenden, wenn für den Fristbeginn anstelle des ___den Fristenlauf auslösenden Ereignisses der Tag des Ereignisses genannt wird (§§ 234 ___Abs. 2, 586 Abs. 2 Satz 1, 845 Abs. 2 Satz 2, 878 Abs. 1 Satz 1, 958 Abs. 1 Satz 2, 1059 Abs. 2 ___Satz 3).8 ___ ___ c) Fristanfang mit Beginn eines Tages (§ 187 Abs. 2 Satz 1 BGB). Ist der Beginn ___eines Tages der maßgebende Zeitpunkt für den Fristenlauf (z.B. „ab 1. Februar“), so ist ___der Anfangstag mitzurechnen. Denn er kann zur Fristwahrung voll genutzt werden. Dies ___gilt z.B. für die richterlich bestimmten Fristen, wenn sie das Ursprungsereignis auf den ___Beginn eines Tages festlegen9 und überall dort, wo sich eine Frist unmittelbar an eine ___mit dem Ablauf eines Tages endende Frist anschließt (§ 190 BGB). Die Zwischenfristen ___nach öffentlicher Zustellung (§ 188) beginnen unmittelbar im Anschluss an den Tag, an ___dem die Zustellungsfiktion eintritt. Bei der Fristverlängerung (§ 224 Abs. 2) schließt sich ___der verlängerte Teil der Frist unmittelbar an den Ablauf der vorigen Frist an, es sei denn, ___es ist etwas anderes bestimmt. Fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen ___Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, beginnt der verlängerte Teil der Frist ___erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktages (s. Rdn. 13).10 ___ ___ 2. Fristdauer. Der Monat wird zu dreißig, das Jahr zu 365 Tagen gerechnet (§ 191 ___BGB). Eine Frist von vier oder sechs Wochen ist als Wochenfrist und nicht als Monats___frist zu berechnen. Nach § 189 Abs. 1 BGB ist unter einem halben Jahr eine Frist von sechs ___Monaten, unter einem viertel Jahr eine Frist von drei Monaten zu verstehen. Das ent___ ___4 Zöller/Stöber Rdn. 3. ___5 Zur Widerrufsfrist beim Vergleich OLG Schleswig NJW-RR 1987, 1022. ___6 BVerwG NJW 1984, 2593. ___7 BGH NJW 1984, 1358 = MDR 1984, 473; VersR 1984, 1193: Fristbeginn ist bereits am Tag der Zustellung; nur für die Berechnung wird dieser Tag nicht mitgerechnet. ___8 RGZ 65, 25; 97, 300, 301. ___9 OLG Breslau JW 1932, 3636. ___10 BGHZ 21, 43 = NJW 1956, 1278 BGHReport 2006, 390; a.A. RGZ 131, 337.

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______sprechende gilt für andere Bruchteile eines Jahres, wobei zunächst in ganzen Monaten ______und der Rest in Dreißigstel aufzuteilen ist. Ein halber Monat berechnet sich nach § 189 ______Abs. 1 BGB mit fünfzehn Tagen. Eine im Prozess auf acht Tage festgesetzte Frist berech______net sich auf volle acht Tage, auch wenn im Volksmund hiermit häufig nur eine Woche ______gekennzeichnet wird. ______ ______ 3. Fristablauf ______ ______ a) Stundenfristen (§§ 217, 274 Abs. 3 Satz 2, 604 Abs. 2 Satz 1) enden mit dem Ablauf 8 ______der bestimmten Stundenzahl. Sie werden nach vollen Stunden berechnet. Auf Stunden______bruchteile ist § 187 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden, so dass nur volle Stunden ge______zählt werden. Wird z.B. die Klage um 9.05 Uhr zugestellt, darf zur Wahrung der Ladungs______frist von 24 Stunden gemäß § 217 erst um 10.00 Uhr verhandelt werden. Zum Ablauf an ______Sonntagen, allgemeinen Feiertagen und Sonnabenden s. Rdn. 16. ______ ______ 9 b) Tagesfristen (§§ 132 Abs. 2 Satz 1, 134 Abs. 2 Satz 1, 217, 313 a Abs. 1, 604 Abs. 2 ______Satz 2) enden um 24 Uhr des letzten Tages der Frist (§ 188 Abs. 1 BGB). Maßgeblich für ______den Zeitablauf ist die jeweils gesetzlich geltende Zeit (Winter- bzw. Sommerzeit). Die ______Festlegung erfolgt durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt11 (§§ 1, 2 des Geset______zes über die Zeitbestimmung).12 Der Tag, auf den das für den Fristbeginn maßgebliche ______Ereignis fällt, wird im Falle von § 187 Abs. 1 BGB nicht mitgerechnet. Es müssen die für ______die Frist maßgeblichen Tage voll zur Verfügung stehen. Wird z.B. bei einer Ladungsfrist ______von 3 Tagen (§ 217) am 1.4. zugestellt, darf der Termin erst am 5.4. stattfinden; bei Zustel______lung am Dienstag darf erst am Montag verhandelt werden. ______ Etwas anderes gilt aber, wenn der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist ______maßgebende Zeitpunkt ist (§ 187 Abs. 2 Satz 1). Wird eine richterliche Frist zur Erwide______rung auf einen Schriftsatz auf drei Tage, „beginnend mit dem 1.4.“ festgesetzt, endet sie ______am 3.4. um 24 Uhr. ______ ______ c) Wochenfristen (Vor § 214 Rdn. 25) enden im Fall des § 187 Abs. 1 BGB mit dem 10 ______Wochentag, auf den das Anfangsereignis fällt (§ 188 Abs. 2 BGB). Wird die Zustellung am ______Montag bewirkt, endet die Frist am Montag um 24 Uhr. Bei Anwendung von § 187 Abs. 2 ______Satz 1 BGB endet die Frist dagegen am vorhergehenden Wochentag (Zustellung am ______Dienstag, Fristende Montag 24 Uhr). ______ Ist der Tag, an dem die Frist enden soll, ein Sonnabend, Sonntag oder allgemeiner ______Feiertag, tritt an seine Stelle der nächste Werktag (§ 222 Abs. 2). ______ ______ d) Monats- und Jahresfristen. Monatsfristen (s. Vor § 214 Rdn. 25) und Fristen nach 11 ______einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum (ein oder mehrere Jahre, ein halbes Jahr, ______ein viertel Jahr – §§ 234 Abs. 3, 586 Abs. 2 Satz 2, 1043 Abs. 2 Satz 3) berechnen sich im ______Fall des § 187 Abs. 1 BGB von Datum zu Datum. Sie enden mit dem gleichen Datum, auf ______das das fristauslösende Ereignis fällt. Bei Zustellung des Urteils am 15.4. berechnet sich ______die Berufungsfrist vom 16.4. 0 Uhr an und endet am 15.5. um 24 Uhr. ______ Fehlt im letzten Monat der für den Fristablauf maßgebende Tag, endet die Frist am ______letzten Kalendertag dieses Monats (§ 188 Abs. 3 BGB). Die Berufungsfrist für das am ______31.1. zugestellte Urteil endet daher am 28.2. bzw. im Schaltjahr am 29.2. um 24 Uhr. Wird ______ ______ ______11 Zur Geltung für den Lauf der prozessualen Fristen s. BGH MDR 2004, 46. ______12 BGBl. I 1978, 1110, ber. 1262.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 222

___am 28. oder 29.2. zugestellt, dauert die Berufungsfrist auch nur bis zum 28. oder 29.3. ___(§ 188 Abs. 2 BGB).13 Für Jahresfristen gilt dasselbe. Wird im Schaltjahr am 29.2. zuge___stellt, endet die Jahresfrist mit Ablauf des 28.2. im folgenden Jahr. ___ Im Fall des § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB fällt das Fristende auf den Tag, der mit seinem ___Datum dem Ursprungsereignis vorangeht. Die richterlich bestimmte Frist von einem Mo___nat zur Erwiderung auf einen Schriftsatz, „beginnend am 15.4.“, endet am 14.5. um 24 ___Uhr. ___ ___ 4. Ausnutzung der Fristen. Fristen dürfen vollständig ausgeschöpft werden.14 Eine 12 ___fristgebundene Erklärung kann (abgesehen von den Stundenfristen) bis 24 Uhr15 des ___letzten Tages abgegeben werden. Eine Mitwirkung des Gerichts ist bei der Einreichung ___fristwahrender Schriftsätze nicht erforderlich.16 Auf das Ende der Dienstzeit kommt es ___daher nicht an.17 Maßgeblich ist allein, dass der Schriftsatz innerhalb der Frist in die Ver___fügungsgewalt des Gerichts gelangt.18 Ist kein Nachtbriefkasten vorhanden, muss aller___dings der Nachweis geführt werden, dass das Schriftstück vor 24 Uhr in den Gerichts___briefkasten eingeworfen worden ist.19 Der fristgerechte Einwurf in ein Postfach genügt ___zur Wahrung der Frist;20 denn mit dem Einsortieren ist dem Einsender und der Post die ___Zugriffsmöglichkeit entzogen. Ob noch am selben Tag mit einer Leerung zu rechnen ist, ___ist unerheblich.21 Ausreichend ist auch, dass ein Fernschreiben oder Fax innerhalb der ___Frist im Empfängerapparat ausgedruckt wird.22 Maßgeblich für die Zeitbestimmung, die ___erforderlich ist, um die Einhaltung einer prozessualen Frist zu beurteilen, ist die gesetz___liche Zeit im Sinne von §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung.23 ___ ___ 5. Sonn- und Feiertage; Samstage. § 222 Abs. 2 überträgt die Regel des § 193 BGB 13 ___auf die prozessualen Fristen.24 Eine Frist verlängert sich bis zum Ablauf des nächst fol___genden Werktages, wenn der für das Fristende bestimmte Tag auf einen Sonntag, staat___lich allgemein anerkannten Feiertag oder Samstag fällt. ___ Bei unterschiedlichen Feiertagsregelungen in verschiedenen Bundesländern ist ___der Ort maßgebend, wo die fristgebundene Handlung vorzunehmen ist.25 Ein Werktag, ___an dem die Behörden allgemein geschlossen bleiben (Silvester, Rosenmontag), ist kein ___Feiertag im Sinne dieser Bestimmung.26 ___ § 222 Abs. 2 gilt für alle prozessualen Fristen27 mit Ausnahme der Stundenfristen 14 ___(Rdn. 16). Er ist nicht anzuwenden auf die (uneigentlichen) Fristen von fünf Monaten nach ___§§ 517, 549 bzw. die von drei Monaten nach § 127 Abs. 3 Satz 4. Enden diese Zeiträume an ___einem Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, schließt sich die Monatsfrist un___ ___ ___13 BGH NJW 1984, 1358 = MDR 1984, 473; a.A. OLG Celle OLGZ 1979, 360, 361. 14 BVerfG NJW 1975, 1405. ___15 BVerfGE 41, 323 = NJW 1976, 747: das Ende der Dienstzeit ist unmaßgeblich. ___16 BVerfG a.a.O.; NJW 1980, 580 = MDR 1980, 117. ___17 BVerfG NJW 1986, 244. ___18 BVerfG NJW 1984, 1237 = MDR 1984, 653; NJW 1991, 2097. ___19 BVerwG NJW 1964, 1239. 20 BGH MDR 1987, 134; s.a. BAG MDR 1986, 876. ___21 BGH NJW 1984, 1237 = MDR 1984, 653. ___22 BGHZ 101, 276, 280 = NJW 1987, 1586; NJW 1988, 2788. ___23 BGBl. 1978, 1110, 1262; BGH NJW 2003, 3487. ___24 RGZ 83, 336, 338. 25 BGH MDR 2012, 301; BAG NJW 1989, 1181; BAG NJW 1959, 2279 (betr. Einreichung einer ___Rechtsmittelschrift bei einer auswärtigen Kammer); OVG Brandenburg NJW 2004, 3795. ___26 BGH NJW 1982, 184, 185 = MDR 1982, 387; VGH Mannheim NJW 1987, 1353. ___27 RGZ 65, 24, 25; 97, 300

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§ 224

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______mittelbar an; der Fristbeginn wird nicht bis zum nächsten Werktag hinausgeschoben.28 ______Wird eine Frist durch richterliche Entscheidung um einen bestimmten Zeitraum verlän______gert und fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf ein Wochenende oder einen all______gemeinen Feiertag, beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit Ablauf des nächst fol______genden Werktages. Denn mit dem Fristbeginn wird der Ablauf der ursprünglichen Frist ______endgültig festgelegt. Die verlängerte Frist knüpft an dieses fiktive Ende der ursprüngli______chen Frist an.29 Fällt das Ende der verlängerten Frist nach dem Wortlaut der Verfügung ______auf ein Wochenende oder einen allgemeinen Feiertag, endet die Frist ebenfalls erst am ______folgenden Werktag.30 ______ Dies gilt im Zweifel auch für die Widerrufsfrist beim Prozessvergleich.31 Die Frage, ______ob es sich hierbei (auch) um eine prozessuale Frist handelt, kann dabei auf sich beru______hen, da jedenfalls § 193 BGB heranzuziehen ist. Den Parteien steht es allerdings frei, das ______Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder allgemeinen Feiertag zu legen. Dies bedarf ______aber einer ausdrücklichen Vereinbarung. ______ Gesetzliche Feiertage im gesamten Bundesgebiet sind der 1. Januar, Karfreitag, Os15 ______termontag, Christi Himmelfahrt, 1. Mai, Pfingstmontag, 3. Oktober sowie der erste und ______zweite Weihnachtstag. Der 3. Oktober ist kraft Bundesgesetzes Feiertag;32 er ist an Stelle ______des 17. Juni getreten. Die übrigen Feiertage beruhen auf Landesrecht. Zu den Regelungen ______in den einzelnen Bundesländern vgl. die Übersicht bei Staudinger/Dilcher § 193 Rdn. 4. ______ Für die Stundenfristen (§§ 217, 274 Abs. 3 Satz 2, 604 Abs. 2 Satz 1) gilt § 222 Abs. 3. 16 ______Ein Wochenende oder ein allgemeiner Feiertag hemmt die Frist. Der noch nicht ver______brauchte Teil läuft am nächstfolgenden Werktag um 0 Uhr weiter. § 222 Abs. 2, nach dem ______die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet, ist daher nicht anwendbar. Beginnt ______die Ladungsfrist von 24 Stunden am Freitag um 12 Uhr, endet sie am folgenden Montag ______um 12 Uhr. Wird aufgrund richterlicher Erlaubnis gemäß § 188 am Sonntag oder am Fei______ertag zugestellt, beginnt die Ladungsfrist von 24 Stunden am Montag um 0 Uhr. ______ ______ Gerken ______ ______ § 223 ______ aufgehoben ______ ______ ______ § 224 ______ Fristkürzung; Fristverlängerung ______ § 224 Gerken ______ (1) Durch Vereinbarung der Parteien können Fristen, mit Ausnahme der Not______fristen, abgekürzt werden. Notfristen sind nur diejenigen Fristen, die in diesem ______Gesetz als solche bezeichnet sind. ______ (2) Auf Antrag können richterliche und gesetzliche Fristen abgekürzt oder ver______längert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind, gesetzliche Fris______ten jedoch nur in den besonders bestimmten Fällen. ______ ______ ______28 OLG Frankfurt NJW 1972, 2313. ______29 BGHZ 21, 43 = NJW 1956, 1278 BGHReport 2006, 390; BGH NJW-RR 2008, 76; BGH NJW-RR 2010, 211 ______mit w. Nachw.; a.A. RGZ 131, 337. 30 BVerfG Rpfl. 1982, 478; BGH LM § 519 Nr. 20 = LM § 765 Nr. 1. ______31 BGH NJW 1978, 2091 = MDR 1979, 49 = LM § 193 BGB Nr. 4; OLG München NJW 1975, 933; ______Stein/Jonas/Roth Rdn. 15; a.A. BayObLGZ 16 (1915), 95 (zu § 193 BGB). ______32 Kap I Art. 2 Abs. 2 des EingV BGBl. II 1990, S. 885, 890.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 224

___ (3) Im Falle der Verlängerung wird die neue Frist von dem Ablauf der vorigen ___Frist an berechnet, wenn nicht im einzelnen Falle ein anderes bestimmt ist. ___ ___ § 224 Abs. 1 Satz 2 angefügt durch das Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien ___vom 28.10.1996, BGBl. I 1546. ___ Übersicht ___ ____ 1 3. Fristveränderung nur auf Antrag ____ 9 ___I. Allgemeines ____ 5 II. Notfristen 4. Entscheidung ____ 13 ___ 5. Verlängerung nach Fristablauf ____ 16 ___III. Gerichtliche Friständerung IV. Fristberechnung ____ 18 1. Gesetzliche Fristen ____ 6 ___ 2. Richterliche Fristen ____ 7 ___ ___ ___ I. Allgemeines ___ ___ § 224 Abs. 1 bezieht sich nicht auf die uneigentlichen Fristen (zum Begriff Vor § 214 ___Rdn. 20). Die Notfristen (Vor § 214 Rdn. 26) sind ausdrücklich von der Verkürzung ausge___nommen. ___ § 224 Abs. 1 stellt nur die Verkürzung von Fristen zur Disposition der Parteien. Eine ___solche Vereinbarung kommt kaum zustande. Der praktisch allein bedeutsame Fall der ___Fristverlängerung ist dagegen der Parteiherrschaft entzogen. ___ Wird im Falle einer vereinbarten Fristverkürzung eine Prozesshandlung verspätet ___vorgenommen, gelten die gleichen Rechtsfolgen wie bei Versäumung einer gesetzlichen ___bzw. richterlichen Frist.1 ___ Die Frist für den Widerruf eines Vergleichs fällt nicht unter § 224, weil sie keine ___prozessuale Frist ist. Sie kann von den Parteien frei vereinbart, also auch verlängert wer___den.2 Eine gerichtliche Protokollierung ist hierfür nicht erforderlich.3 Eine Wiedereinset___zung findet bei Versäumung der Widerrufsfrist nicht statt.4 ___ ___ II. Notfristen ___ ___ Die Fristen der §§ 91 a Abs. 1 Satz 2127 Abs. 2 Satz 3, 269 Abs. 2 Satz 4, 276 Abs. 1 ___Satz 1, 321 a Abs. 2 Satz 1, 339 Abs. 1 und 2, 517, 544 Abs. 1 Satz 2, 548, 566 Abs. 2 Satz 2, ___569 Abs. 1 Satz 1, 573 Abs. 1 Satz 1, 574 Abs. 4 Satz 1, 575 Abs. 1 Satz 1, 586 Abs. 1, 700, ___1065 in Verb. mit 575 werden als Notfristen bezeichnet. ___ Zu den Besonderheiten der Notfristen s. Vor § 214 Rdn. 26. ___ ___ III. Gerichtliche Friständerung ___ ___ 1. Gesetzliche Fristen. Die gesetzlichen Fristen (Vor § 214 Rdn. 25 ff.) dürfen nur ___verlängert oder verkürzt werden, wenn dies vom Gesetz ausdrücklich gestattet wird ___(§§ 134 Abs. 2 Satz 2, 206 Abs. 1 Satz 226, 340 Abs. 3 Satz 2, 520 Abs. 2 Satz 2, 551 Abs. 2 ___Satz 5). In den Fällen der §§ 520 Abs. 2 Satz 1, 551 Abs. 2 Satz 6, 340 müssen erhebliche ___ ___ ___ ___1 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. 2 BGHZ 61, 398 = NJW 1974, 107; KG JW 1930, 2801; OLG Hamm FamRZ 1988, 535; Stein/Jonas/Roth ___Rdn. 5; Bergerfurth NJW 1969, 1799. ___3 OLG Hamm FamRZ 1988, 535. ___4 S. Erl. zu § 233 Rdn. 14.

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§ 224

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Gründe für die Fristverlängerung dargelegt werden, falls durch die Verlängerung eine ______Verzögerung des Rechtsstreits droht.5 ______ ______ 2. Richterliche Fristen. Alle richterlichen Fristen (Vor § 214 Rdn. 32, 33) dürfen 7 ______verlängert oder verkürzt werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind. So______fern das Gesetz dem Richter nur vor Beginn des Fristenlaufs die Möglichkeit gibt, eine ______Frist zu bestimmen (§§ 188 Satz 2, 274 Abs. 3 Satz 3) oder auch eine gesetzliche zu verlän______gern oder zu verkürzen, liegt keine richterliche Frist vor. Ob eine solche Frist noch ver______kürzt werden darf, hängt davon ab, ob dem Richter die Verlängerung oder Verkürzung ______ausdrücklich überlassen worden sind (z.B. § 134 Abs. 2). Der Richter darf eine gesetzliche ______Frist, die er nur verlängern darf, keinesfalls wieder verkürzen6 und eine Frist, die er nur ______verkürzen darf, nicht wieder verlängern. So kann z.B. die einmal gewährte Fristverlänge______rung für die Berufungsbegründung nicht wieder rückgängig gemacht werden,7 selbst ______dann nicht, wenn der Gegner entgegen § 225 Abs. 2 kein rechtliches Gehör erhalten bzw. ______nicht eingewilligt hatte (s. § 520 Rdn. 48). ______ 8 Eine richterliche Frist kann mehrfach verkürzt oder verlängert werden. Die wie______derholte Verlängerung ist allerdings nur nach Anhörung des Gegners zulässig (§ 225 ______Abs. 2). Mit einem Widerrufsvorbehalt – etwa für den Fall, dass ein behaupteter Verlän______gerungsgrund in Wahrheit nicht vorliegt – darf die Fristverlängerung nicht verbunden ______werden, da rechtsbegründende richterliche Verfügungen bedingungsfeindlich sind.8 ______ ______ 3. Fristveränderung nur auf Antrag. Die Verlängerung wie die Verkürzung einer 9 ______Frist setzen einen Antrag voraus, der von der Partei oder vom Streithelfer stammen ______kann. Der Antrag kann vor oder nach Fristbeginn gestellt werden, nicht aber nach ihrem ______Ablauf (Rdn. 16). Er unterliegt im Anwaltsprozess (§ 78) dem Anwaltszwang. Geht es um ______die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung oder der Revision, muss er ______schriftlich gestellt werden (sog. bestimmender Schriftsatz);9 er muss unterschrieben sein. ______ Die Verlängerung hängt nach § 224 Abs. 2 davon ab, dass erhebliche Gründe darge______legt und glaubhaft (§ 294) gemacht oder gerichtsbekannt sind.10 Eine Fristverlängerung, ______die ohne die erforderlichen Voraussetzungen ausgesprochen wird, ist gleichwohl wirk______sam11 (zur Anfechtbarkeit in diesem Fall § 225 Rdn. 20). ______ Erhebliche Gründe können z.B. sein: Kündigung des Prozessbevollmächtigten,12 er10 ______folgversprechende Vergleichsgespräche, Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts,13 Krank______heit, Todesfall in der engeren Verwandtschaft. Dagegen reicht es nicht aus, dass der Pro______zessbevollmächtigte das Mandat erst zu spät erhalten hat.14 Es gelten hier die gleichen ______Grundsätze, die auch bei einer Terminsverlegung heranzuziehen sind (s. § 227 Rdn. 8, 9 ______nebst den unter Rdn. 10 ff. erörterten Einzelfällen; zur Verlängerung der Berufungsbe______gründungsfrist s. § 520 Rdn. 36 ff.). ______ ______ ______5 BGH NJW-RR 1989, 1280. ______6 Für den Fall der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist s. OLG Hamburg MDR 1952, 561. ______7 BGH VersR 1964, 663; OLG Hamburg MDR 1952, 561. 8 RGZ 150, 144, 146. ______9 RGZ 160, 308; BGH NJW 1985, 1568. ______10 Zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist s. aber BGH NJW-RR 1989, 1280. ______11 RGZ 160, 309; BGH LM § 554 Nr. 3 = NJW 1953, 1705; BGH MDR 1963, 588. ______12 BGH DB 1978, 1174. 13 BGH NJW-RR 1989, 1280. ______14 OLG Schleswig SchlHA 1978, 117; das Gleiche soll nach OLG Düsseldorf MDR 1987, 768 gelten, wenn ______der Prozessbevollmächtigte keine Gelegenheit hatte, die Gerichtsakte in seiner Kanzlei mit der Handakte ______zu vergleichen.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 224

___ Die Pflicht zur Glaubhaftmachung entfällt nicht dadurch, dass sich der Gegner mit ___der Fristverlängerung einverstanden erklärt, da gemäß § 224 Abs. 1 die Fristen nicht ___durch Parteivereinbarung verlängert werden können. ___ Besondere Glaubhaftmachung ist entbehrlich, wenn die Gründe für die Fristverlän___gerung aktenkundig sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Prozessakten noch nicht zur ___Einsicht zur Verfügung stehen oder der Anwalt erst kurz zuvor im Wege der Prozesskos___tenhilfe beigeordnet worden ist. ___ Die Partei missbraucht ihr Antragsrecht unter Umständen, wenn sie selbst zuvor ei___ner gleichartigen Fristverlängerung für die Gegenseite erfolgreich widersprochen hatte. ___ ___ 4. Entscheidung. Zum Verfahren bei der Friständerung s. Erl. zu § 225 Rdn. 4 ff. ___ Die Entscheidung über die Fristverlängerung steht im Ermessen des Gerichts. Zu___ständig ist grundsätzlich das Prozessgericht, also das Kollegium bzw. der Einzelrichter, ___nicht aber der Berichterstatter. In vielen gesetzlich geregelten Fällen (§§ 134 Abs. 2 Satz 2, ___226 Abs. 3, 340 Abs. 3, 520 Abs. 2 Satz 2, 551 Abs. 2 Satz 5) ist sie dem Vorsitzenden über___tragen. Er ist auch zuständig, soweit es um eine Änderung der von ihm selbst zu setzen___den Fristen geht (§§ 273 Abs. 2 Nr. 1, 275 Abs. 1, 276 Abs. 1, 3, 521 Abs. 2), und zwar auch ___für die Zurückweisung eines Antrags (§ 225 Rdn. 4). Hat das Kollegium eine Frist bewil___ligt, kann sie auch nur vom Kollegium verlängert werden.15 ___ Ob und nach welchem Zeitraum eine Frist zu verlängern ist, hängt von der Lage ___des Prozesses und den Belangen der Parteien ab. Das Interesse an einer zügigen Prozess___abwicklung, dem der Gesetzgeber mit der Vereinfachungsnovelle 197616 besondere Be___deutung zugewiesen hat, und der Anspruch der Parteien auf ausreichende Vorbereitung ___sind gegeneinander abzuwägen. Allzu engherzige Handhabung kann zu einer Beein___trächtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) führen. Werden ___erhebliche Gründe im Sinne von § 224 Abs. 2 glaubhaft gemacht, führen Bedeutung und ___Tragweite diese Grundrechts regelmäßig zu einer Reduzierung des Ermessens, so dass ___eine Fristverlängerung gewährt werden muss.17 ___ Lässt die Geschäftslage des Gerichts ohnehin keinen baldigen Termin zu oder wi___derspricht der Gegner der Fristverlängerung nicht, sollte großzügig verfahren werden. ___Das Gleiche gilt bei Anträgen auf Terminsverlegung oder Vertagung in diesem Fall (§ 227 ___Rdn. 8 ff.). Das Risiko, dass eine beantragte Fristverlängerung in Ausübung des pflicht___gemäßen Ermessens versagt wird, liegt allerdings in jedem Fall beim Antragsteller18 (zur ___Frage der Wiedereinsetzung bei Vertrauen auf antragsgemäße Entscheidung s. Erl. zu ___§ 225 Rdn. 10, § 233 Rdn. 66). ___ Eine Frist kann auch um Stunden verlängert werden. Dies ist aber wenig zweckmä___ßig;19 die Einhaltung der Frist lässt sich nicht überprüfen, wenn der Eingangsstempel ___keine Uhrzeit enthält. ___ ___ 5. Verlängerung nach Fristablauf. Auch nach Fristablauf ist die Verlängerung zu___lässig.20 Dies wird in anderen Verfahrensordnungen ausdrücklich zugelassen (§§ 139 ___ ___ 15 BGH NJW 1983, 2030 = MDR 1983, 838 = LM § 224 ZPO Nr. 8. ___16 BGBl. I 3281. ___17 BVerwG NJW 1988, 1280. Nach BGH NJW 1991, 1359, 2080 kann der Anwalt regelmäßig erwarten, dass ___seinem ersten Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung stattgegeben wird, wenn einer ___der Gründe des § 520 Abs. 2 S. 3 vorgebracht wird. 18 BGHZ 83, 217, 222 = NJW 1982, 1651; VersR 1987, 261. ___19 Stein/Jonas/Roth Rdn. 7. ___20 BGHZ (GS) 83, 217 = NJW 1982, 1651; BGH NJW 1982, 51 (Vorlagebeschluss); BAG (GS) NJW 1980, 309; ___Stein/Jonas/Roth Rdn. 9 m.w.N. Die frühere Rechtsprechung (BGH VersR 1979, 180, 230, 256) ist überholt.

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______Abs. 3 Satz 3 VwGO; 160 a Abs. 2 Satz 2, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) und ______entspricht nunmehr auch für die ZPO der h.M. Die Dauer des Geschäftsgangs zwischen ______Eingang des Gesuchs und Entscheidung darf sich nicht zum Nachteil des Antragstellers ______auswirken. Der Antrag muss allerdings vor Ablauf der Frist gestellt werden, das heißt, er ______muss am letzten Tag der Frist bei Gericht eingegangen sein.21 Eine zeitliche Schranke für ______die Entscheidung über den Antrag besteht nicht.22 ______ 17 Geht der Antrag erst nach Ablauf der Frist ein, ist er unzulässig.23 Trifft die Partei ______kein Verschulden, kommt bei Versäumung der in § 233 genannten Fristen eine Wieder______einsetzung in den vorigen Stand in Betracht. ______ ______ IV. Fristberechnung ______ ______ 18 Bei der Fristverkürzung berechnet sich die neue Frist nach dem Beginn der ur______sprünglichen Frist. ______ Bei der Fristverlängerung schließt sich die neue Frist an die bis dahin laufende ______Frist an, wenn nichts anderes bestimmt ist (§§ 224 Abs. 3 ZPO, 190 BGB). Dies gilt auch, ______wenn die Frist erst nach ihrem Ablauf verlängert wird. Das Datum der fristverlängernden ______Entscheidung oder der Zeitpunkt der Bekanntmachung ist nicht maßgeblich, es sei denn, ______die Entscheidung nimmt ausdrücklich hierauf Bezug. ______ Fiel der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonnabend, Sonntag oder all______gemeinen Feiertag, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des ______nächstfolgenden Werktages.24 Beispiel: Fällt der letzte Tag der ersten Frist auf einen ______Sonnabend oder Sonntag, endet diese Frist am Montag; die neue Frist läuft ab Dienstag ______0 Uhr (§ 222 Abs. 2). ______ ______ ______ § 225 ______ Verfahren bei Friständerung ______ § 225 Gerken ______ (1) Über das Gesuch um Abkürzung oder Verlängerung einer Frist kann ohne ______mündliche Verhandlung entschieden werden. ______ (2) Die Abkürzung oder wiederholte Verlängerung darf nur nach Anhörung des ______Gegners bewilligt werden. ______ (3) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den das Gesuch um Verlängerung ______einer Frist zurückgewiesen ist, findet nicht statt. ______ ______ Übersicht ____ 1 4. Bekanntmachung der Entschei______I. Antrag dung ____ 13 ______II. Verfahren ____ 4 1. Zuständigkeit 5. Wirksamkeit fehlerhafter Entscheidun______ 2. Anhörung des Gegners ____ 6 gen ____ 16 ______ 3. Entscheidung ____ 10 III. Rechtsbehelfe ____ 18 ______ ______ ______ ______ ______ ______21 Zur Frage des Eingangs bei Gericht s. BVerfG MDR 1980, 117. 22 Für den Fall der Rechtsmittelbegründungsfrist vgl. BGHZ 102, 37 = NJW 1988, 268. ______23 BGHZ 83, 217 = NJW 1982, 1651; OLG Koblenz NJW 1989, 987. ______24 BGHZ 21, 43 = NJW 1956, 1278; BGH NJW 2006, 700, 701 = FamRZ 2006, 408; BGH NJW-RR 2010, 211 = ______FamRZ 2009, 868; a.A. RGZ 131, 337; OLG Rostock NJW 2003, 3141.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 225

___ I. Antrag ___ ___ Der Antrag gemäß § 224 Abs. 2 auf Änderung einer Frist ist bei dem Gericht einzu___reichen, bei dem die Frist eingehalten werden muss. Das ist das Prozessgericht oder der ___kommissarische Richter (§ 229). Er fällt im Anwaltsprozess unter den Anwaltszwang ___(§ 78). Antragsbefugt ist nur die Partei, der die Fristverlängerung unmittelbar zugute ___kommt. ___ Geht es um die Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist, unterliegt der ___Antrag nach h.M. dem Schriftformerfordernis.1 Dies ist zwar nicht ausdrücklich be___stimmt, folgt aber nach Ansicht des BGH aus dem Gebot der Rechtssicherheit. Denn der ___Verlängerungsantrag kann die Grundlage dafür abgeben, dass auch nach Fristablauf ___durch nachträgliche Entscheidung die Wirkungen des bereits eingetretenen Fristablaufs ___wieder aufgehoben werden (zur Zulässigkeit der Entscheidung über den Antrag nach ___Fristablauf § 224 Rdn. 16). Außerdem muss die Identität desjenigen feststehen, der den ___Antrag gestellt hat. Sonstige Antragsmängel lassen die Wirksamkeit der Verlängerungs___verfügung unberührt (s. Rdn. 16 f.).2 ___ Bei den übrigen Fristen ist keine Form für den Antrag vorgeschrieben. Bei telefoni___schen Anträgen ist es allerdings geboten, wenigstens die Antragstellung in der Gerichts___akte zu vermerken, damit das Verfahren nachvollziehbar bleibt. ___ Zur Glaubhaftmachung und Begründung des Antrags s. Erl. zu § 224 Rdn. 9 ff. ___ ___ II. Verfahren ___ ___ 1. Zuständigkeit. Zur Zuständigkeit (Vorsitzender/Kollegium) s. Erl. zu § 224 Rdn. 13. ___ Der Vorsitzende darf in den ihm übertragenen Fällen das Gesuch ganz oder teil___weise zurückweisen.3 Die Ansicht, die bei der Zurückweisung des Antrags einen Be___schluss des Kollegiums für erforderlich hält, ist abzulehnen. Das Gesetz hat diese Fälle ___dem Vorsitzenden zur eigenverantwortlichen Entscheidung übertragen. Hierzu gehört ___auch die Ablehnung einer beantragten Fristverlängerung. Wenn (nur) der Vorsitzende ___die Kompetenz zur Fristverlängerung hat, ist eine Beschlussfassung durch das Kollegium ___sinnlos. ___ Hat allerdings das Kollegium eine Frist gesetzt, entscheidet es auch über einen An___trag auf Fristverlängerung. In diesem Fall ist der Vorsitzende unzuständig.4 ___ ___ 2. Anhörung des Gegners. Einer Anhörung des Gegners bedarf es bei der erstmali___gen Fristverlängerung grundsätzlich nicht (§ 225 Abs. 2). Anders ist es allerdings bei der ___Verlängerung der Begründungsfrist für Berufung und Revision. Bei der Berufung ist die ___Verlängerung um mehr als einen Monat auch bei erstmaligem Antrag nur möglich, wenn ___der Gegner einwilligt (§ 520 Abs. 2 Satz 2, 3). Für die Revisionsbegründung gilt § 551 ___Abs. 2 Satz 5, 6. Wird die Berufungsbegründungsfrist auf den ersten Antrag nur um einen ___kurzen Zeitraum verlängert und bleibt die zweite Fristverlängerung ebenfalls noch in___nerhalb der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3, ist die Anhörung des Gegners entbehr___lich, da die Frist ohne seine Einwilligung insgesamt um bis zu einen Monat verlängert ___ ___ ___1 RGZ 160, 307 (der Antrag sei ein bestimmender Schriftsatz); BGHZ 93, 300 = NJW 1985, 1558; Zöller/ ___Stöber Rdn. 1; a.A.: Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. 2 BGH a.a.O.; NJW-RR 1989, 1278. ___3 Vgl. BGH VersR 1982, 1191, 1192; BGH NJW 1988, 211 = VersR 1988, 416; BGH NJW-RR 1989, 1278, 1279; ___Demharter MDR 1986, 797; MünchKomm/Feiber Rdn. 6. ___4 BGH NJW 1983, 2030, 2031 = MDR 1983, 838 m.w.N.

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§ 225

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______werden darf. Die Anhörung ist weiterhin nicht erforderlich bei der Abkürzung der La______dungs- und Einlassungsfrist gemäß § 226, da sie in diesem Fall nicht mit der durch die ______Fristverkürzung zu erzielenden Beschleunigung zu vereinbaren wäre. Das Recht des ______Gegners auf ausreichende Terminsvorbereitung darf bei einer Verkürzung dieser Fristen ______nicht beschnitten werden; dies würde seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen ______(Art. 103 Abs. 1 GG). ______ 7 Bei jeder anderen Fristverkürzung und bei der wiederholten Fristverlängerung (§ 225 ______Abs. 2) ist die Anhörung nötig, es sei denn, der Antrag soll ohnehin zurückgewiesen ______werden. ______ 8 Die Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Sie kann auch telefonisch erfol______gen; in diesem Fall sollte sie aber in den Akten vermerkt werden. ______ Auch für die Anhörung gelten die Regeln des Anwaltsprozesses. Ist in der Rechts9 ______mittelinstanz der Gegner noch nicht durch einen beim Rechtsmittelgericht zugelasse______nen Anwalt vertreten, muss der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte gehört werden. ______ ______ 10 3. Entscheidung. Der Antrag muss unverzüglich beschieden werden, in jedem ______Fall vor der Entscheidung in der Sache.5 Geht es um die Verlängerung einer Frist, muss ______der Antragsteller nach Möglichkeit in die Lage versetzt werden, im Falle der Zurückwei______sung seines Antrags die Prozesshandlung noch innerhalb der Frist vorzunehmen. Dies ______ist aber nur ein Gebot der Fürsorge. Ein Anspruch auf rechtzeitige Entscheidung besteht ______nicht, so dass der Antragsteller nicht darauf vertrauen darf, er werde bei einer Ableh______nung schon rechtzeitig benachrichtigt. Dies gilt insbesondere bei Anträgen auf „still______schweigende“ Fristverlängerung. Das Schweigen des Gerichts auf einen solchen Antrag ______schafft keinen Vertrauenstatbestand. Der Antragsteller kann daher auch dann nicht von ______einer Verlängerung ausgehen, wenn er um eine stillschweigende Fristverlängerung ge______beten hatte. Allerdings kann die Fristversäumung unter Umständen eine Wiedereinset______zung in den vorigen Stand rechtfertigen (s.a. § 233 Rdn. 66). ______ 11 Die Entscheidung wird nicht etwa deswegen entbehrlich, weil die Frist inzwischen ______abgelaufen ist; denn die Frist darf auch nach ihrem Ablauf verlängert werden, sofern ______der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (§ 224 Rdn. 16). Einer förmlichen Entscheidung ______bedarf es jedoch nicht mehr, wenn die fristgebundene Prozesshandlung inzwischen vor______genommen worden ist und Nachteile an die Fristüberschreitung nicht geknüpft werden ______dürfen. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Folgen der Verspätung durch prozessleitende ______Maßnahmen gemäß § 273 aufgefangen werden können. ______ Eine Begründung der Entscheidung ist nicht vorgeschrieben.6 Sie sollte aber erfol12 ______gen, wenn ein Fristverlängerungsantrag ganz oder teilweise zurückgewiesen oder eine ______Frist verkürzt wird. Zur Bemessung einer neuen Frist s. Erl. zu § 224 Rdn. 17. ______ ______ 4. Bekanntmachung der Entscheidung. Jede Fristverlängerung muss ausdrück13 ______lich erfolgen; „stillschweigend“ kann eine Frist nicht verlängert werden.7 Eine förmliche ______Zustellung ist im Fall der Verlängerung nicht erforderlich.8 Die Entscheidung kann ______formlos mitgeteilt werden, auch telefonisch.9 Die Fristverlängerung setzt sich aus zwei ______Entscheidungselementen zusammen, der Entbindung von dem alten Schlusstermin und ______ ______ ______ ______5 BVerwG NJW 1988, 1280. 6 BGH NJW-RR 1989, 1279. ______7 BGH NJW-RR 1990, 67. ______8 BGHZ 93, 300, 305 = NJW 1985, 1558; BGH NJW 1990, 1797; RGZ 156, 385, 388. ______9 BGHZ 14, 149 = NJW 1954, 1604; BGHZ 93, 300 = NJW 1985, 1558, 1559.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 225

___der Festsetzung des neuen Fristendes;10 sie ist aber eine einheitliche Entscheidung über ___eine Frist.11 Hinsichtlich der neuen Fristbestimmung wurde zum Teil unter Hinweis auf ___§ 329 Abs. 2 Satz 2 die förmliche Zustellung für notwendig gehalten.12 Mit der Fristverlän___gerung wird aber keine neue Frist in Lauf gesetzt, vielmehr wird nur das Ende der alten ___Frist auf das neue Fristende hinausgeschoben. ___ Eine Bindung an das Fristende tritt dann nicht ein, wenn in der Ausfertigung der ___Verfügung die Angabe des Fristendes fehlt.13 ___ Die Entscheidung über die Fristverkürzung muss der Partei, die die Frist einzuhal___ten hat, förmlich zugestellt werden (§ 329 Abs. 2 Satz 2), da ein neues Fristende festgelegt ___wird.14 ___ ___ 5. Wirksamkeit fehlerhafter Entscheidungen. Unklarheiten oder Formverstöße ___bei der Fristverlängerung dürfen nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Bei einer nur ___mündlich erklärten Fristverlängerung des Vorsitzenden kann der Antragsteller darauf ___vertrauen, dass der Mitteilung eine wirksame Verfügung zugrunde liegt.15 Dies gilt auch ___dann, wenn der Vorsitzende nicht zuständig dafür war, die Frist zu verlängern.16 Auch die ___ohne Antrag oder ohne rechtliches Gehör des Gegners gewährte Fristverlängerung ist ___wirksam.17 Dagegen ist die Verlängerung der Frist zur Rechtsmittelbegründung unwirk___sam, wenn die Frist zum Zeitpunkt des Eingangs des Verlängerungsantrags bereits abge___laufen war.18 ___ Ist eine Frist ohne gesetzliche Grundlage abgekürzt worden, ist die Entscheidung ___unwirksam. Dies gilt für die Notfristen, die Ausschlussfristen und die Rechtsmittelbe___gründungsfristen; denn diese Fristen dürfen nicht verkürzt werden. Eine Rechtsmittel___begründungsfrist darf auch dann nicht abgekürzt werden, wenn sie zuvor verlängert ___worden war.19 ___ ___ III. Rechtsbehelfe ___ ___ Wird ein Antrag auf Abkürzung einer Frist zurückgewiesen, ist nach Maßgabe von ___§ 567 Abs. 1 die sofortige Beschwerde gegeben. ___ Die Zurückweisung eines Verlängerungsantrags ist dagegen nicht anfechtbar ___(§ 225 Abs. 3). Auch die Berufung oder die Revision können nicht unmittelbar darauf ge___stützt werden, dass die beantragte Fristverlängerung zu Unrecht verweigert worden ist ___(§§ 512, 557 Abs. 2). Allerdings kann der Anspruch des Rechtsmittelführers auf rechtli___ches Gehör verletzt sein, wenn aufgrund zu kurzer Fristen eine sachgerechte Vorberei___tung nicht möglich war.20 Dies stellt einen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung des ___ ___ 10 Zur früheren Bedeutung einer Zerlegung, als eine Verlängerung nach Fristablauf noch nicht ___anerkannt war s. Müller NJW 1990, 1778. ___11 So schon RGZ 150, 357, 360. ___12 Zuletzt noch BGH-RR 1989, 1404 = VersR 1989, 1063; hieran wird aber nicht mehr festgehalten, vgl. ___BGH NJW 1990, 1797. ___13 BGH NJW-RR 1987, 1277; BGH MDR 1987, 651. 14 Zum Zustellungsvorgang bei Präklusionsfristen BGHZ 76, 236 = NJW 1980, 1167 = MDR 1980, 573; BGH ___NJW 1980, 1960 = MDR 1980, 749. ___15 BGHZ 93, 300, 305 = NJW 1985, 1558, 1559. ___16 BGH NJW 1983, 2030 = MDR 1983, 838 (betr. Frist nach § 283). ___17 RGZ 160, 307; BGH VersR 1974, 139, 140; BGH LM § 554 ZPO Nr. 3; BAG VersR 1979, 947; Stein/Jonas/ Roth Rdn. 3. ___18 BGH NJW 1992, 842 (Abweichung von BGHZ 102, 37 = NJW 1988, 268). ___19 BGH VersR 1964, 663. ___20 RGZ 81, 321; Stein/Jonas/Leipold vor § 128 Rdn. 56.

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§ 226

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______angefochtenen Urteils führen kann. Wird ein Antrag auf Verlängerung einer Frist zur ______Rechtsmittelbegründung überraschend zurückgewiesen, obwohl der Anwalt eine Be______gründung geliefert hatte, die üblicherweise zu einer Bewilligung führt, kann dies eine ______Wiedereinsetzung rechtfertigen (§ 233 Rdn. 66). ______ Gegen die stattgebende Entscheidung ist ebenfalls keine Beschwerde möglich, un20 ______abhängig davon, ob eine Frist verlängert oder verkürzt wird. Der Antragsteller ist nicht be______schwert. Dem Antragsgegner ist der Beschwerdeweg ebenfalls verschlossen, da kein von ______ihm gestellter Antrag zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs. 1). Die Entscheidung kann bei ______übermäßiger Verkürzung mittels Berufung oder Revision beanstandet werden (Rdn. 19). ______ ______ ______ § 226 ______ Abkürzung von Zwischenfristen ______ § 226 Gerken ______ (1) Einlassungsfristen, Ladungsfristen sowie diejenigen Fristen, die für die Zu______stellung vorbereitender Schriftsätze bestimmt sind, können auf Antrag abgekürzt ______werden. ______ (2) Die Abkürzung der Einlassungs- und der Ladungsfristen wird dadurch nicht ______ausgeschlossen, dass infolge der Abkürzung die mündliche Verhandlung durch ______Schriftsätze nicht vorbereitet werden kann. ______ (3) Der Vorsitzende kann bei Bestimmung des Termins die Abkürzung ohne ______Anhörung des Gegners und des sonst Beteiligten verfügen; diese Verfügung ist den ______Beteiligten abschriftlich mitzuteilen. ______ ______ Übersicht ____ 1 III. Rechtsbehelfe ____ 9 ______I. Antrag auf Fristabkürzung ____ 4 ______II. Entscheidung ______ ______ I. Antrag auf Fristabkürzung ______ § 226 regelt die Abkürzung der so genannten Zwischenfristen (Begriff Vor § 214 1 ______ ______Rdn. 28), mit der eine frühzeitige Verhandlung ermöglicht werden soll. ______ Die Einlassungsfrist (§§ 274 Abs. 3, 523 Abs. 2, 553 Abs. 2), die Ladungsfrist (§§ 217, ______604 Abs. 2, 3) und die Fristen für die Zustellung von vorbereitenden Schriftsätzen (§ 132, ______593 Abs. 2 Satz 2) dürfen nur auf Antrag abgekürzt werden. Die Abkürzung von Amts ______wegen hat keine gesetzliche Grundlage, ist aber gleichwohl grundsätzlich wirksam (zu ______den Rechtsbehelfen s. Rdn. 9). 2 Der Antrag kann schriftlich oder mündlich, also auch telefonisch gestellt werden.1 ______ ______Antragsbefugt sind beide Parteien, auch der Streithelfer. Es gilt wie sonst Anwaltszwang ______(§ 78). ______ Die Bitte, einen möglichst nahen Termin anzusetzen, enthält einen konkludenten ______Antrag und reicht aus, wenn ohne Abkürzung kein geeigneter Termin mehr zur Verfü______gung steht. Auch der Hinweis auf die besondere Eilbedürftigkeit kann eine ausreichende ______Entscheidungsgrundlage darstellen. Eine Begründung des Antrags ist – anders als im Fall des § 227 Abs. 1 – nicht aus3 ______ ______drücklich vorgeschrieben, gleichwohl aber regelmäßig notwendig, damit das Gericht ______dem Antrag stattgeben kann. ______ ______ ______1 A.A. Zöller/Stöber Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 226

___ Der Antragsteller muss eine besondere Eilbedürftigkeit darlegen, die es rechtfer___tigt, von den gesetzlichen Fristen abzuweichen und die Vorbereitungszeit für den Gegner ___zu beschränken. In Zweifelsfällen kann die Entscheidung davon abhängig gemacht wer___den, dass die Gründe glaubhaft gemacht werden. ___ ___ II. Entscheidung ___ ___ Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Eine Abkürzung ___sollte nur dann vorgenommen werden, wenn zugleich ein naher Termin anberaumt und ___dadurch eine wirkliche Verfahrensbeschleunigung herbeigeführt wird. Wird der Termin ___dagegen so weit hinausgeschoben, dass die gesetzlichen Fristen gewahrt werden kön___nen, ist eine Fristverkürzung sinnlos. ___ Da die gesetzlichen Fristen Mindestfristen sind und der Terminsvorbereitung dienen ___sollen, dürfen sie nur in besonderen Eilfällen abgekürzt werden. Eine unangemessene ___Abkürzung beeinträchtigt das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und verletzt das Ge___bot der Waffengleichheit. ___ Wird die Frist zu kurz bemessen und erscheint der Gegner nicht bzw. verweigert er ___die Einlassung, muss die Verhandlung vertagt werden (§ 337). Hierdurch kann der er___strebte Beschleunigungseffekt zunichte gemacht werden. ___ Zuständig ist der Vorsitzende bzw. der Einzelrichter. Für den Fall, dass die Frist___verkürzung mit der Terminsbestimmung einhergeht, ergibt sich dies ausdrücklich aus ___§ 226 Abs. 3, in anderen Fällen gilt aber dasselbe. ___ Der Gegner braucht nicht gehört zu werden (§ 226 Abs. 3). Seine Rechte sind nicht ___berührt. Zudem ließe sich bei einer Anhörung eine Beschleunigung durch die Fristver___kürzung kaum erreichen. ___ Die Entscheidung kann im schriftlichen Verfahren durch Verfügung oder Beschluss ___ergehen (§ 225 Abs. 1). Eine Begründung ist nicht vorgeschrieben, wohl aber zweckmäßig; ___denn eine Verkürzung ohne hinreichenden Grund kann einen Verfahrensfehler darstellen. ___ Zur Bekanntmachung der Entscheidung § 225 s. Rdn. 13. ___ Wenn ein bereits bestimmter Termin vorverlegt werden soll, ist § 227 anzuwenden. ___ ___ III. Rechtsbehelfe ___ Die Ablehnung der Fristverkürzung kann mit der sofortigen Beschwerde ange___ ___fochten werden (§ 567 Abs. 1). Die angestrebte Beschleunigung wird hiermit aber regel___mäßig nicht zu bewirken sein. Gegen die stattgebende Entscheidung ist keine Beschwerde möglich, denn es wird ___ ___kein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen (§ 567 Abs. 1). Eine Ausnahme ist aber dann zu machen, wenn eine Zwischenfrist von Amts wegen ___ ___verkürzt wird. Diese Entscheidung hat keine gesetzliche Grundlage und ist greifbar ge___setzeswidrig, so dass ausnahmsweise die Beschwerde gegeben ist.2 Das Kollegium kann ___der Beschwerde abhelfen. Bei zu kurzer Frist darf kein Versäumnisurteil ergehen (§ 337). ___ Das streitige Urteil kann mit der Begründung angefochten werden, die Frist sei zu ___ ___kurz bemessen worden, hierdurch sei das rechtliche Gehör verletzt. Die Tatsache, dass ___die Fristverkürzung nicht mit der Beschwerde angefochten werden kann, steht dem nicht ___entgegen.3 ___ ___2 Zur Anfechtung von Entscheidungen bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit BGH NJW-RR 1986, 738 m.w.N. ___3 BGHZ 27, 163, 169 = NJW 1958, 1186 = MDR 1958, 588.

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§ 227

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ § 227 ______ Terminsänderung ______ § 227 Gerken ______ (1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie ______eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht ______1. das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn ______ nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erschei______ nen verhindert ist; ______2. die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend ______ entschuldigt; ______3. das Einvernehmen der Parteien allein. ______ (2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Ver______tagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. ______ (3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme ______eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer ______Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt ______nicht für ______1. Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anord______ nung betreffenden Sachen, ______2. Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von ______ Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf ______ Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs, ______3. (aufgehoben), ______4. Wechsel oder Scheckprozesse, ______5. Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten ______ wird, ______6. Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Per______ son, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist, ______7. Zwangsvollstreckungsverfahren oder ______8. Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Hand______ lungen im Schiedsverfahren; ______ dabei genügt es, wenn nur einer von mehreren Ansprüchen die Voraussetzun______gen erfüllt. Wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf, ist dem Ver______legungsantrag nicht zu entsprechen. ______ (4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsit______zende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung ent______scheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfecht______bar. ______ ______ § 227 geändert durch: Vereinf Nov. 1976 BGBl. I 3281; Gesetz zur Abschaffung der Ge______richtsferien vom 28.10.1996 BGBl. I 1546 und KindRG vom 16.12.1997 BGBl. I 2942; Abs. 3 ______Nr. 2 durch Art. 3 MietRRG v. 19.6.2002 BGBl. I 1149. ______ ______ Übersicht ______I. Normzweck ____ 1 2. Einzelfälle ______II. Aufhebung, Verlegung, a) Verhinderung ____ 10 ______ Vertagung ____ 3 b) Mangelnde Vorberei______III. Voraussetzungen für die Terminstung ____ 16 ______ änderung c) Einvernehmen der Parteien ____ 19 ______ 1. Allgemeines ____ 8 Gerken

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d) Andere Gründe ____ 20 dd) Bausachen (Abs. 3 Satz 2 ___ Nr. 5) ____ 29 ___IV. Termine zwischen dem 1. Juli und 31. August ____ 1. Terminsverlegung 23 ee) Pfändungsschutz (Abs. 3 Satz 2 ___ 2. Ausnahmen Nr. 6) ____ 30 ___ ff) Zwangsvollstreckungsverfahren a) Besonderes Beschleunigungsbedürf___ (Abs. 3 Satz 2 Nr. 7) ____ 31 nis (§ 227 Abs. 3 Satz 3) ____ 25 ___ b) Katalog des § 227 Abs. 3 Satz 2 gg) Schiedsverfahren (Abs. 3 Satz 2 ___ aa) Arrestsachen, einstweilige VerfüNr. 8) ____ 32 ___ gungen und einstweilige Anordc) Verbindung mehrerer Klagean___ nungen (Abs. 3 Satz 2 Nr. 1) ____ 26 sprüche ____ 33 ___ bb) Streitigkeiten über Räume, V. Entscheidung über die Verlegung ____ 34 Mietstreitigkeiten (Abs. 3 Satz 2 VI. Rechtsbehelfe ____ 39 ___ ____ Nr. 2) 27 VII. Kosten/Gebühren ____ 44 ___ cc) Wechsel-, Scheckprozesse (Abs. 3 ___ Satz 2 Nr. 4) ____ 28 ___ ___ ___ I. Normzweck ___ ___ Die Bestimmung über Fristen und Termine ist den Parteien im Wesentlichen entzo___gen. Termine werden von Amts wegen festgesetzt (§ 216 Abs. 1). Eine Terminsbestim___mung darf das Gericht nur ändern, wenn erhebliche Gründe vorliegen. ___ § 227 Abs. 1 ist durch die Vereinfachungsnovelle 1976 (BGBl. I 3281) neu gefasst wor___den. Das Ziel der Novelle, eine Prozessbeschleunigung herbeizuführen, hat in § 227 ___Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–3 seinen Niederschlag gefunden. Der Gesetzgeber hat an Hand von ___exemplarischen Fällen klargestellt, welche Gründe nicht zu einer Änderung eines Ter___mins führen dürfen. Insbesondere § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 erfährt aber eine wesentliche ___Einschränkung durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (s. im Einzelnen Rdn. 9). ___Durch das Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien vom 28.10.19961 ist Abs. 3 angefügt ___worden. ___ Im schriftlichen Verfahren hat § 227 nur bei der Verlegung des Verkündungstermins ___(§ 128 Abs. 3 Satz 2) Bedeutung. ___ ___ II. Aufhebung, Verlegung, Vertagung ___ ___ Die Terminsänderung kann durch Aufhebung, Verlegung oder Vertagung gesche___hen. ___ Die Aufhebung ist die Beseitigung des Termins vor seinem Beginn, ohne dass ___zugleich ein neuer Termin festgesetzt wird. Die Änderung des Terminszwecks ist nicht ___mit der Aufhebung gleichzusetzen.2 So kann zum Beispiel ohne Einhaltung bestimmter ___Fristen ein bereits angesetzter Verhandlungstermin als Termin zur Durchführung einer ___Beweisaufnahme bestimmt werden (§ 273). Die nachträgliche Umwandlung eines Ver___handlungstermins in einen Verkündungstermin ist dagegen eine Aufhebung. ___ Verlegung bedeutet, dass der Termin vor seinem Beginn aufgehoben und gleichzei___tig ein neuer Termin bestimmt wird.3 Der neue Termin kann auf einen früheren oder spä___teren Zeitpunkt angesetzt werden. Bei einer Vorverlegung sind die Einlassungs- und die ___Ladungsfrist zu beachten. Außerdem ist in diesem Fall der Gegner entsprechend § 225 ___Abs. 2 zu hören. Diese Pflicht folgt aus dem Vertrauensgrundsatz; denn die Partei hat ___ ___1 BGBl. I 1546. ___2 Anders Lange NJW 1986, 1732 Fn. 35. ___3 RGZ 62, 207, 208.

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______sich eventuell schon auf den Termin eingestellt und in Anbetracht der zur Verfügung ______stehenden Zeit Dispositionen getroffen. ______ Die Hinausschieben der Terminsstunde ist grundsätzlich keine Verlegung. Ge5 ______ringfügige Verschiebungen auf eine spätere Uhrzeit sind hinzunehmen und nicht an die ______Voraussetzungen des § 227 gebunden. Eine kurzfristige Verschiebung um mehr als etwa ______eine Stunde oder eine Terminsänderung auf eine frühere Uhrzeit kann den Parteien aber ______nicht zugemutet werden (s. Erl. zu § 217 Rdn. 10). In diesen Fällen liegt eine Verlegung ______vor, so dass die Ladungsfrist (§ 217) zu beachten ist. Es bleibt natürlich die Möglichkeit, ______die Änderung telefonisch abzusprechen und einen Verzicht auf Einhaltung der Ladungs______frist (§ 295) zu erwirken. ______ Bei der Vertagung wird nach Aufruf der Sache (§ 220)4 die Verhandlung auf einen 6 ______anderen Tag oder eine andere Terminsstunde verschoben (z.B. §§ 335 Abs. 2, 337). Ist ______bereits streitig verhandelt oder die Sach- und Rechtslage schon erörtert worden und wird ______dann ein neuer Termin bestimmt, spricht man auch von einer Fortsetzung der mündli______chen Verhandlung. Wegen der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung ist eine ______Wiederholung früherer Erörterungen stets entbehrlich, so die Verhandlung im nächsten ______Termin fortgeführt wird. ______ Die Unterbrechung der Sitzung, um eine andere Sache dazwischen zu schieben 7 ______oder um den Parteien Gelegenheit zu einem Vergleichsgespräch zu geben, gehört nicht ______hierher. In solchen Fällen ruht nur die Erörterung, bis sie von den Prozessbeteiligten ______wieder aufgenommen wird.5 Diese Unterbrechung darf aber nicht über den Terminstag ______hinaus andauern. In diesem Fall ist zu vertagen. ______ ______ III. Voraussetzungen für die Terminsänderung ______ ______ 1. Allgemeines. Bei der Änderung von Terminen muss folgender Ausgangspunkt 8 ______beachtet werden: ______ § 227 dient der Straffung des Verfahrens. Ein sorgfältig vorbereiteter Haupttermin ______(§ 279 Abs. 2) soll nicht voreilig wieder aufgehoben werden. Ein früher erster Termin ______(§ 275) verfehlt seinen Zweck, wenn er ohne weiteres auf einen späteren Zeitpunkt ______verschoben wird und die Parteien in der Zwischenzeit eine umfangreiche schriftliche ______Auseinandersetzung führen. Durch Erklärungs- und Zwischenfristen ist der Zeitraum ______festgelegt, der für die Parteien im Allgemeinen zur Vorbereitung auf die mündliche ______Verhandlung ausreichen muss. Der Negativkatalog des § 227 Abs. 1 Satz 2 und die Be______stimmungen über die Änderung von Fristen zeigen, dass von diesem vorgegebenen ______Rahmen nur dann abgewichen werden soll, wenn dies aus besonderen Gründen gerecht______fertigt ist. Diese Schranke gilt auch dann, wenn das Gericht den Termin von sich aus ______aufheben oder verlegen will. Die Parteien haben daher nicht nur die Pflicht, den vom ______Gericht bzw. den gesetzlichen Fristen bestimmten „Fahrplan“ einzuhalten, sondern ______vielmehr auch einen Anspruch darauf, dass hiervon nur aus besonderen Gründen abge______wichen wird. ______ Auf der anderen Seite ist es unabdingbar, dass das Gericht bei der zeitlichen Ab9 ______wicklung des Prozesses Rücksicht auf die Belange der Parteien nimmt. Das Ziel der ______Beschleunigung findet seine Grenze dort, wo der Anspruch auf rechtliches Gehör be______schränkt wird. Daher müssen die Vorschriften über die Fristverlängerung sowie Ter______minsänderung flexibel gehandhabt werden. Übertriebene Strenge bei der Behandlung ______ ______ ______4 RGZ 62, 208; OLG Düsseldorf Rpfl. 1978, 271. ______5 Für den Zwangsversteigerungstermin vgl. OLG Köln Rpfl. 1984, 280, 218.

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3. Abschnitt. Verfahren

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___eines Antrags auf Terminsänderung gefährdet die Akzeptanz des Verfahrens und damit ___auch die der gerichtlichen Entscheidung. Sie kann daher oft mehr Schaden als Nutzen ___anrichten.6 Eine gegen den Willen einer Partei durchgeführte mündliche Verhandlung ___kann zu einem für das Gericht und die Parteien gleichermaßen unerfreulichen Ereignis ___werden. Bei der Ausübung des richterlichen Ermessens muss auch bedacht werden, dass ___bei den im Bereich des Gerichts liegenden Gründen oftmals geringe Anforderungen ge___stellt werden. So ist z.B. die Verlegung des Termins bei Urlaub, Tagungsaufenthalt oder ___Krankheit des Berichterstatters nicht ungewöhnlich, obwohl auch eine Vertretung denk___bar wäre. Für die übrigen Prozessbeteiligten dürfen nicht andere Maßstäbe angelegt ___werden.7 ___ ___ 2. Einzelfälle. Die folgenden Beispiele können nur eine grobe Richtschnur dafür ___bieten, wann unter den Voraussetzungen nach Abs. 1 im Einzelfall eine Terminsverle___gung bzw. Aufhebung notwendig sein kann. ___ ___ a) Verhinderung. Kann die Partei, die keinen Prozessbevollmächtigten beauftragt ___hat, ohne ihr Verschulden nicht zum Termin erscheinen, muss er aufgehoben oder ver___legt werden. Hierzu gehören die Verhinderung durch Krankheit,8 Todesfall in der Fami___lie, die Einhaltung eines persönlichen bzw. religiösen Feiertags oder unüberwindliche ___Schwierigkeiten bei der Anreise.9 Urlaub10 oder andere Verpflichtungen wie z.B. wichti___ge geschäftliche Besprechungen rechtfertigen nur dann eine Verlegung, wenn sie bereits ___langfristig geplant waren und nicht verschoben werden können. Bei einer Urlaubsreise ___ist in der Regel erforderlich, dass die Partei bereits Dispositionen getroffen hat (Hotelbu___chung etc). Nach Prozessbeginn muss sie sich in ihrer zeitlichen Planung auf den Pro___zess einstellen. Die Verhinderung muss glaubhaft gemacht werden. Ein ärztliches Attest, ___aus dem sich die Arbeitsunfähigkeit ergibt, reicht hierfür nur dann aus, wenn zugleich ___dargetan ist, dass der Termin deswegen nicht wahrgenommen werden kann.11 ___ Wird die Partei zu einem anderen gerichtlichen Termin geladen, ist sie regelmäßig ___verhindert.12 In diesem Fall müssen sich die Gerichte abstimmen. Die Partei hat nicht ___abzuwägen, welcher Termin „wichtiger“ ist. ___ Ist die Partei durch einen Anwalt vertreten, kommt es darauf an, ob ihre eigene ___Teilnahme am Termin erforderlich ist. Eine Verlegung ist dann geboten, wenn sie Grün___de darlegt, die ihr persönliches Erscheinen notwendig machen (besondere Sachkunde; ___der Wunsch, bestimmte Zusammenhänge darzustellen).13 Hält das Gericht das Erschei___nen von Amts wegen für erforderlich (zur Anhörung gemäß § 141 bzw. zur Parteiverneh___mung), ist eine Verlegung unumgänglich. Allerdings kann das Gericht die Anordnung ___des persönlichen Erscheinens wieder aufheben, wenn es meint, es könne auch ohne die ___Partei verhandelt werden.14 ___ Die Gründe, die wegen der Interessen der Parteien eine Terminsänderung rechtferti___gen, gelten auch für die Prozessbevollmächtigten.15 In den Beispielsfällen des § 227 ___ ___ ___6 Vgl. Schneider MDR 1977, 793, 794. 7 So zutreffend Lützeler NJW 1973, 1447. ___8 OLG Köln NJW-RR 1990, 1341; OLG Frankfurt AnwBl 1980, 151, 152; OVG Lüneburg NJW 2011, 1986. ___9 BVerwG NJW 1986, 1057. ___10 BVerwG NJW 1989, 2486. ___11 OVG Bautzen NJW 2011, 3177. 12 Siehe z.B. BFH BB 1980, 566. ___13 BFH NJW 1976, 1119; 1991, 2104; BVerwG NJW 1986, 2897. ___14 BVerwG MDR 1963, 782. ___15 Zum Fall der Krankheit s. BSG NJW 1984, 888.

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______Abs. 1 Satz 2 ist zwar nur von der Partei die Rede, nach dem Zweck der Vorschrift kann es ______aber keinem Zweifel unterliegen, dass der Fall der Verhinderung des Anwalts dem der ______Partei gleichsteht. Ein erheblicher Grund für eine Verlegung ist daher regelmäßig gege______ben, wenn der Anwalt durch einen bereits anberaumten Termin bei einem anderen Ge______richt, Urlaub oder eine Fortbildungsveranstaltung an der Terminswahrnehmung gehin______dert ist.16 Zwar muss in diesen Fällen stets geprüft werden, ob nicht eine Vertretung ______möglich ist. Diese wird aber nur dann in Betracht kommen, wenn der Anwalt in einer ______Sozietät tätig ist und die Sache keine besondere Einarbeitung erfordert.17 In der Regel ist ______das Erscheinen des sachbearbeitenden Anwalts erforderlich.18 Bei einer Verhinderung, ______die länger als eine Woche dauert, muss der Anwalt gemäß § 53 BRAO einen Vertreter ______bestellen. Besteht seit längerer Zeit eine chronische Erkrankung und ist keine Vorsorge ______für die Wahrnehmung von Gerichtsterminen getroffen, verletzt der Anwalt schuldhaft ______seine Mitwirkungspflicht. Ein erheblicher Grund liegt daher in diesem Fall nicht vor.19 ______Das Verschulden des Anwalts muss sich die Partei zurechnen lassen.20 Bei einer plötzli______chen Erkrankung muss die Verhinderung substanziiert dargelegt werden.21 Wird zur Be______gründung auf ein ärztliches Attest Bezug genommen, müssen die Angaben so beschaffen ______sein, dass das Gericht die Reise- bzw. Verhandlungsunfähigkeit nachvollziehen kann.22 ______ Eine Terminsänderung ist geboten, wenn die von Amts wegen zu berücksichtigen14 ______den Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils gemäß den §§ 335, 337 ______nicht vorliegen, z.B. wenn sich nach der Ladung herausstellt, dass die Einlassungs- oder ______die Ladungsfrist nicht gewahrt ist. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich im Ein______zelfall die Durchführung des Termins doch als sinnvoll erweisen kann. So kann etwa im ______Falle des § 335 Abs. 1 Nr. 3 dem Anspruch der Partei dadurch Rechnung getragen werden, ______dass ihr eine großzügige Frist gemäß § 283 eingeräumt wird, in der sie ihre Erklärung ______nachbringen kann. ______ Auch die Gründe, die bei einer Fristversäumung eine Wiedereinsetzung in den vo15 ______rigen Stand rechtfertigen, erfordern in der Regel eine Terminsverschiebung. ______ ______ b) Mangelnde Vorbereitung. Eine unzureichende Vorbereitung kann nur aus16 ______nahmsweise zur Terminsaufhebung oder Verlegung führen. Die gesetzlich vorgesehenen ______Fristen legen den Rahmen fest, der allgemein zur Beschaffung der notwendigen Informa______tionen und Fertigung der Schriftsätze ausreichen muss. Nachlässigkeiten der Parteien ______oder ihrer Anwälte dürfen den Prozessfortgang nicht behindern. Die allgemeine Über______lastung des Anwalts stellt keinen erheblichen Grund dar. Unter Umständen kann sie ______aber einen Antrag auf Fristverlängerung rechtfertigen.23 Auch die Erklärung der Partei, ______sie wolle ihren Klageantrag ändern oder noch Beweismittel beibringen, ist für sich allein ______noch kein wichtiger Grund für eine Terminsänderung. Entschuldigt ist die Partei aber ______dann, wenn die Vorbereitungszeit durch Urlaub oder Krankheit erheblich eingeschränkt ______war. Auch eine plötzlich auftretende Prozesswende – neuer und überraschender Vor______trag des Gegners, ein kurzfristiger rechtlicher Hinweis des Gerichts – kann einen An______lass zur Verlegung oder Vertagung geben.24 ______ ______ 16 OLG Frankfurt NJW 2008, 1328. ______17 BVerwG NJW 1984, 882; Franzki NJW 1979, 11. ______18 OLG Frankfurt NJW 2008, 1328. ______19 BVerwG NJW 2001, 2735. ______20 BGH VersR 1980, 386. 21 OLG Köln OLGReport 2004, 404. ______22 BVerwG NJW 2001, 2735. ______23 BGH NJW-RR 1989, 1280. ______24 Stein/Jonas/Roth Rdn. 22.

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___ Bei einem (unverschuldeten) Anwaltswechsel muss dem neuen Prozessbevollmäch___tigten eine ausreichende Einarbeitungszeit zur Verfügung stehen. Einen Anhaltspunkt ___dafür, welche Zeit in etwa erforderlich ist, geben die Einlassungs- und die Ladungsfrist.25 ___Die Einarbeitungszeit muss so bemessen sein, dass der Anwalt neben der ordnungsge___mäßen Wahrnehmung seiner bereits übernommenen Mandate noch Gelegenheit findet, ___auch die neue Sache sachgerecht zu bearbeiten. ___ Entzieht die Partei ihrem Anwalt das Mandat, weil das Vertrauensverhältnis zer___stört ist, kann sie im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 entschuldigt sein.26 Sie muss aber ___alles ihr Zumutbare tun, um möglichst noch rechtzeitig einen neuen Anwalt zu finden.27 ___Legt der Anwalt das Mandat zur Unzeit nieder und bleibt seinem Nachfolger keine aus___reichende Zeit zur Einarbeitung, handelt er schuldhaft; dieses Verschulden muss sich die ___Partei zurechnen lassen.28 ___ ___ c) Einvernehmen der Parteien. Der übereinstimmende Parteiwille rechtfertigt für ___sich allein keine Terminsänderung. Es müssen weitere Gründe hinzukommen. Diese ___können zum Beispiel vorliegen, wenn Vergleichsverhandlungen schweben, sofern die ___begründete Aussicht besteht, dass sie auch Erfolg haben, wenn der Ablauf eines ande___ren, vorgreiflichen Verfahrens abgewartet werden soll, wenn die Erledigung der Haupt___sache zu erwarten ist oder wenn ernsthaft eine Klagerücknahme oder ein Anerkenntnis ___in Erwägung gezogen wird und die Entscheidung hierüber von weiteren Erkundigungen ___abhängig ist. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass bei Annahme solcher Gründe Zurück___haltung geboten ist. Ist es einmal zum Prozess gekommen, sind die Aussichten einer ___außergerichtlichen Erledigung eher gering. ___ ___ d) Andere Gründe. Stehen notwendige Beweismittel nicht zur Verfügung, kann ___der Termin von Amts wegen verlegt werden. Diese Lage ist z.B. gegeben, wenn ein Zeuge ___oder ein zur Erläuterung seines Gutachtens geladener Sachverständiger verhindert ist, ___wenn Urkunden nicht rechtzeitig beschafft werden können oder noch amtliche Auskünf___te zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingeholt werden müssen. Das Gleiche ___gilt, wenn die Partei erklärt, sie wolle noch weitere Beweismittel herbeischaffen, dies ___bereite aber besondere Schwierigkeiten, so z.B. bei einem im Ausland lebenden Zeugen, ___der zum Termin sistiert werden soll.29 ___ Ferner kann der Grundsatz der Gleichbehandlung (Waffengleichheit) eine Ter___minsverlegung erfordern. Hat das Gericht einem Antrag des Gegners auf Verlegung ent___sprochen, muss es einem späteren Antrag der anderen Partei ebenfalls stattgegeben, ___wenn er auf die gleichen Gründe gestützt wird.30 Denn das Gericht hat mit seiner vorhe___rigen Handhabung insoweit einen Vertrauenstatbestand geschaffen. ___ Die Gründe, die für die Verhinderung der Parteien gelten, können bei einer Verhin___derung des Nebenintervenienten entsprechend herangezogen werden. Notwendige ___Streitgenossen vertreten sich gegenseitig, so dass bei Verhinderung eines Streitgenos___sen eine Verlegung nur dann nötig ist, wenn es gerade auf sein persönliches Erscheinen ___ankommt. Bei einfachen Streitgenossen ist eine Prozesstrennung denkbar, in der Regel ___aber wenig sinnvoll. ___ ___ ___25 BGHZ 27, 163 = NJW 1958, 1186. ___26 BVerwG NJW 1986, 339. 27 BSG NJW 1956, 1416; BGHR ZPO § 227 Anwaltswechsel 1. ___28 BGH VersR 1985, 542. ___29 BGH NJW 1976, 1742 = MDR 1977, 47 = LM § 398 ZPO Nr. 8. ___30 OLG Celle NJW 1969, 1905; OLG Köln MDR 1971, 933.

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______ IV. Termine zwischen dem 1. Juli und 31. August ______ ______ 1. Terminsverlegung. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August trifft das Gesetz eine 23 ______Sonderregelung. Fällt ein Termin in diesen Zeitraum, haben die Parteien einen Anspruch ______auf Verlegung, es sei denn, die Sache gehört zu dem in § 227 Abs. 3 Satz 2 aufgeführten ______Katalog oder sie bedarf aus anderen Gründen besonderer Beschleunigung. Damit soll auf ______die Abwesenheit während der Ferien Rücksicht genommen werden. Zu verlegen ist nur ______ein Verhandlungs-, nicht aber ein Verkündungstermin. Der Verlegungsantrag braucht ______nicht begründet zu werden.31 Er unterliegt im Anwaltsprozess dem Anwaltszwang. Eine ______bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Antragsbefugt sind nur die Parteien, nicht ______aber Zeugen oder Sachverständige. ______ Die Antragsfrist beträgt eine Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestim24 ______mung. Mit der Befristung soll vermieden werden, dass der Antrag kurz vor oder gar erst ______im Termin gestellt und damit zur Verzögerung missbraucht wird. Eine Abkürzung oder ______Verlängerung der Frist ist nicht möglich (§ 224 Abs. 2). Da es sich nicht um eine Notfrist ______handelt, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Eine Belehrung über das An______tragsrecht und die Frist findet nicht statt. Der Fristlauf wird auch dann ausgelöst, wenn ______zum Zeitpunkt der Ladung noch kein Anwalt bestellt worden ist. Die Berechnung der ______Frist erfolgt gemäß § 222. Bei förmlicher Zustellung ist das Zustellungsdatum maßgeb______lich. Bei formloser Mitteilung kommt es auf den tatsächlichen Zugang an. Zu einem ver______kündeten Termin wird nicht geladen (§ 218), so dass es in diesem Fall für den Fristbeginn ______auf das Verkündungsdatum ankommt.32 Ist die Frist zwischen Ladung und Termin kürzer ______als eine Woche, muss der Antrag vor der Verhandlung zur Sache gestellt werden. ______ ______ 2. Ausnahmen ______ ______ a) Besonderes Beschleunigungsbedürfnis (§ 227 Abs. 3 Satz 3). Bedarf das Ver25 ______fahren besonderer Beschleunigung, wird der Termin auch dann nicht verlegt, wenn er in ______die Zeit zwischen dem 1. Juli und 31. August fällt (§ 227 Abs. 3 Satz 3), es sei denn, der ______Antragsteller führt Gründe an, die eine Verlegung trotz des Beschleunigungsbedürfnis______ses rechtfertigen. Eine besondere Beschleunigung ist dann geboten, wenn Umstände ______vorliegen, die vom Normalfall abweichen und eine Förderung des Prozesses gebieten, ______die über das allgemein geltende Beschleunigungsgebot hinausgeht. Diese können z.B. ______gegeben sein, wenn ein Untergang oder unwiderbringlicher Verlust der streitgegen______ständliche Sache droht oder wenn sich der Kläger in einer besonderen Notlage befindet, ______die eine zügige Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch erfordert. Ferner ______besteht ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis, wenn die Sache von der antragstel______lenden Partei bereits in der Vergangenheit verschleppt worden ist.33 Ein ausdrücklicher ______Antrag der gegnerischen Partei, den Verlegungsantrag zurückzuweisen, ist nicht erfor______derlich.34 Denn die Beschleunigung ist Teil der Prozessförderungspflicht, die dem Gericht ______von Amts wegen obliegt. Eine vorherige Anhörung des Antragstellers vor Zurückweisung ______seines Antrags ist nicht nötig. Liegt tatsächlich ein Grund vor, der trotz des Beschleuni______gungsbedürfnisses die Terminsverlegung erfordert, kann er seinen Antrag jederzeit er______neuern. ______ ______ ______ 31 Kritisch zur Gerichtspraxis insoweit Soehring NJW 2001, 3319. ______32 OLG Brandenburg NJW-RR 1998, 500 (der Zugang des Protokolls ist nicht maßgeblich). ______33 BGH NJW 2009, 687; BGH NJW 2010, 2440. ______34 BGH NJW 2010, 2440.

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3. Abschnitt. Verfahren

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___ b) Katalog des § 227 Abs. 3 Satz 2. § 227 Abs. 3 Satz 2 enthält einen Katalog ver___schiedener Verfahren, die stets besonders eilbedürftig sind. Inhaltlich ist er angelehnt an ___die frühere Ferienregelung in § 200 Abs. 2 GVG a.F. ___ ___ aa) Arrestsachen, einstweilige Verfügungen und einstweilige Anordnungen ___(Abs. 3 Satz 2 Nr. 1). Unter Nr. 1 fallen die Verfahren gemäß §§ 916 ff. und 935 ff. mit Ein___schluss des Widerspruchs- (§§ 924, 936), Aufhebungs- (§ 927), und Rechtsmittelverfah___rens. Das Verfahren auf Schadensersatz gemäß § 945 bedarf keiner besonderen Be___schleunigung und fällt nicht hierunter. ___ ___ bb) Streitigkeiten über Räume, Mietstreitigkeiten (Abs. 3 Satz 2 Nr. 2). Nr. 2 be___trifft alle Streitigkeiten wegen der Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe ___von Räumen, und zwar unabhängig davon, ob sie auf Miete oder einem anderen Rechts___verhältnis beruhen. Daher fallen hierunter auch Ansprüche aus Pacht, Eigentum oder ___Besitz. Ohne Bedeutung ist es, ob es um Wohn- oder Geschäftsräume geht. Die Regelung ___umfasst u.a. Streitigkeiten über Instandsetzung,35 Gestattung von Umbaumaßnahmen,36 ___auf Unterlassung vertragswidrigen Gebrauchs,37 Schadensersatzklagen während des Ge___brauchs, Streitigkeiten über die Fortsetzung eines Mietverhältnisses über Wohnraum ___aufgrund eines Widerspruchs nach §§ 574, 574 a BGB gegen eine Kündigung sowie Strei___tigkeiten über das Bestehen oder den Umfang eines Vermieterpfandrechts (§§ 562–562 d ___BGB). Nicht darunter fallen Klagen auf Zahlung von Mietzins bzw. auf Zustimmung zur ___Mieterhöhung (§ 558 b), Nachfolgestreitigkeiten aus einem unstreitig beendeten Mietver___hältnis (z.B. Schadensersatz wegen Beschädigung von Wohnraum oder von eingebrach___ten Sachen des Mieters)38 oder eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Mietver___hältnisses.39 ___ ___ cc) Wechsel-, Scheckprozesse (Abs. 3 Satz 2 Nr. 4). Wechselsachen sind die Verfah___ren gemäß §§ 602 ff., also z.B. über Ansprüche aus Art. 8, 9, 15, 28, 32, 48 ff., einen Wech___selbereicherungsanspruch gemäß Art. 89 WG40 oder einen Anspruch auf Herausgabe des ___Wechsels. Für Schecksachen gilt § 605 a. Erforderlich ist, dass der Kläger im Wechsel- bzw. ___Scheckprozess vorgeht. Die Sache ist auch dann beschleunigungsbedürftig, wenn bereits ___ein Vorbehaltsurteil ergangen ist, da Vorbehalts- und Nachverfahren eine Einheit bilden. ___Wird gleichzeitig die Forderung aus dem Grundgeschäft geltend gemacht, bestimmt die ___Wechsel- bzw. Scheckforderung das Beschleunigungsbedürfnis (§ 227 Abs. 3 Satz 3). ___ ___ dd) Bausachen (Abs. 3 Satz 2 Nr. 5). Erforderlich ist, dass über die Fortsetzung ei___nes angefangenen Baus gestritten wird. Es muss um die Fertigstellung gehen.41 In diesem ___Fall besteht Eilbedürftigkeit, weil der angefangene Bau Schaden nehmen kann. Es kann ___sich dabei sowohl um eine Klage gegen einen Bauhandwerker auf Durchführung von ___übernommenen Bauarbeiten als auch um die Ausführung von Nachbesserungsarbeiten ___handeln, sofern die Fortsetzung des Baus von ihrer Durchführung abhängig ist.42 Die ___Einordnung der Sache hängt nicht davon ab, ob die Abnahme bereits erfolgt ist. Aller___ ___35 BGH NJW 1963, 713. ___36 LG Berlin MDR 1988, 591; LG Hamburg WM 1993, 479. ___37 LG Berlin MDR 1988, 591. ___38 BGH NJW 1980, 1695 = MDR 1980, 665. 39 BGH NJW 1958, 588. ___40 OLG Frankfurt NJW 1974, 153. ___41 BGH MDR 1977 77, 487. ___42 A.A. BGH JZ 1977, 233, 234 zu § 200 GVG a.F.

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§ 227

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______dings kann die Abnahme ein Indiz für die Fertigstellung sein. Es ist nicht erforderlich, ______dass der in Anspruch genommene Bauhandwerker selbst mit dem Bau begonnen hat. Es ______genügt, dass er an der Fertigstellung beteiligt ist. Eine gegen einen Nachbarn gerichtete ______Klage auf Duldung des Weiterbaus fällt ebenfalls unter Nr. 5. Streitigkeiten über die Ab______nahme, die Zahlung von Werklohn, die Vergütung des Architekten oder die Erfüllung ______von Gewährleistungsansprüchen fallen nicht hierunter. Dasselbe gilt für eine Streitigkeit ______über den Umfang der Pflichten aus einem Bauvertrag, es sei denn, sie ist Vorfrage in ei______nem Prozess über die Fortsetzung des Baus. Nicht unter Nr. 5 fallen Streitigkeiten nach ______Abschluss der Bauarbeiten über einzelne Vertragspflichten, über Gewährleistungsan______sprüche oder die Höhe des Werklohns. ______ ______ ee) Pfändungsschutz (Abs. 3 Satz 2 Nr. 6). Gemäß Nr. 6 sind die Verfahren be30 ______schleunigungsbedürftig, in denen über die Übergabe oder Herausgabe einer Sache an ______eine Person gestritten wird, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist (§§ 811, ______812). Allerdings dürfte der Gläubiger in derartigen Fällen in der Regel im Wege einer ______einstweiligen Verfügung vorgehen. Hierfür gilt bereits Nr. 1. ______ ______ ff) Zwangsvollstreckungsverfahren (Abs. 3 Satz 2 Nr. 7). Hierunter fallen alle Ter31 ______mine, die im Rahmen der Vollstreckung gemäß dem 8. Buch der ZPO und dem ZVG ______durchgeführt werden, und zwar einschließlich des Rechtsmittelverfahrens. Nicht dazu ______gehören Streitigkeiten, die aus Anlass der Vollstreckung entstehen,43 also Verhandlungs______termine über Klagen gemäß §§ 722, 731, 767,44 768, 785, 771,45 773, 774, 805, 878. ______ ______ gg) Schiedsverfahren (Abs. 3 Satz 2 Nr. 8). Die richterlichen Entscheidungen gemäß 32 ______§ 1062 bedürfen besonderer Beschleunigung. Wird gemäß § 1063 Termin zur mündlichen ______Verhandlung anberaumt, besteht dementsprechend kein Anspruch auf Verlegung. ______ ______ 33 c) Verbindung mehrerer Klageansprüche. Werden mehrere Klageansprüche mit______einander verbunden, genügt es, dass nur einer unter den Katalog des Abs. 3 Satz 2 fällt. ______Dieser Anspruch macht das gesamte Verfahren beschleunigungsbedürftig. Die Vorschrift ______greift auch dann ein, wenn es um Klage und Widerklage geht. Der Anspruch auf Ter______minsverlegung entfällt in dem Augenblick, in dem die – beschleunigungsbedürftige – ______Widerklage erhoben wird. ______ ______ V. Entscheidung über die Verlegung ______ ______ 34 Entschieden wird auf Antrag oder von Amts wegen. Eine Form ist nicht vorgeschrie______ben. Der Antrag, der dem Anwaltszwang (§ 78) unterliegt, ist zu begründen. Die Gründe ______sind auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 294); hierfür ist ggf. eine kurze ______Frist zu setzen.46 ______ Eine Anhörung der Gegenpartei ist nur erforderlich, wenn der Termin vorverlegt 35 ______wird und damit Zwischenfristen abgekürzt werden oder wenn der Antragsteller geltend ______macht, die Terminsverlegung liege auch im Interesse des Gegners. Im Übrigen ist eine ______Anhörung nicht vorgeschrieben, aber zu empfehlen, wenn die Terminsänderung aus ______Gründen erfolgen soll, die im Bereich der anderen Partei liegen. ______ ______ 43 BGH NJW 1988, 1095. ______44 BGH VersR 1967, 664. ______45 BGH NJW 1988, 1095. ______46 OLG Köln NJW-RR 1990, 1341, 1343.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 227

___ Zuständig ist der Vorsitzende/Einzelrichter, wenn die (prozessleitende) Entschei___dung außerhalb der mündlichen Verhandlung ergeht. Über die Vertagung (Begriff Rdn. 6) ___entscheidet das Kollegium. Zur Zuständigkeit des beauftragten oder ersuchten Richters s. ___Erl. zu § 229 Rdn. 1. ___ Die Entscheidung außerhalb der mündlichen Verhandlung ergeht durch Verfügung, ___sonst durch Beschluss. Sie ist kurz zu begründen (§ 227 Abs. 2 Satz 2). Durch den Be___gründungszwang soll einer leichtfertigen Terminsänderung vorgebeugt werden. Bei Zu___rückweisung eines Antrags auf Verlegung, Aufhebung oder Vertagung eines Termins ___kann eine nähere Begründung erforderlich sein, weil in diesem Fall das rechtliche Gehör ___beeinträchtigt sein kann (Rdn. 9). Ist der Vertagungsantrag im Termin gestellt worden, ___können die für die Zurückweisung maßgeblichen Gründe auch im Urteil dargelegt wer___den.47 ___ Die Bekanntmachung geschieht gemäß § 329. Wird in einer nicht verkündeten Ent___scheidung zugleich ein neuer Termin bestimmt, ist gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 Zustellung ___erforderlich. Die Entscheidung stellt zugleich die Ladung zum neuen Termin dar. Bei ___kurzfristigen Änderungen ist eine telefonische Nachricht angebracht. Wird der Antrag ___auf Verlegung nicht rechtzeitig beschieden, kann der Antragsteller nicht von einer still___schweigenden Terminsänderung ausgehen.48 Dies gilt auch dann, wenn er erklärt hatte, ___er sei mit einer stillschweigenden Entscheidung einverstanden. Denn eine solche „Ent___scheidung“ sieht das Gesetz nicht vor. ___ ___ VI. Rechtsbehelfe ___ ___ Die Entscheidung über den Antrag auf Terminsänderung ist nach Abs. 4 Satz 3 nicht ___anfechtbar. Bei der Stattgabe ist dem Antragsgegner der Beschwerdeweg zudem nach ___§ 567 Abs. 1 verschlossen. ___ Eine Ausnahme ist in den Fällen zu machen, in denen die Zurückweisung eines An___trags zugleich eine (ablehnende) Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens ent___hält (§ 252); diese kann mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden.49 ___ Wird der Antrag auf Terminsänderung zu Unrecht zurückgewiesen, kann der An___spruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein.50 Ferner kann hierin ein ___Verstoß gegen das Gebot zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen.51 Die ___mündliche Verhandlung setzt voraus, dass die Parteien an ihr auch tatsächlich teilneh___men können. Diese Verfahrensfehler können mit der Berufung oder der Revision sowie ___bei Erschöpfung des Rechtsweges mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden.52 ___ Wird zu Unrecht vertagt, obwohl die formellen Voraussetzungen für ein Versäum___nisurteil vorliegen, ist gemäß § 336 die sofortige Beschwerde gegeben.53 ___ Keine Maßnahme im Sinne von § 227 Abs. 4 liegt darin, dass das Gericht jede Termi___nierung ablehnt, weil es überlastet ist.54 Diese Entscheidung ist inhaltlich einer Ausset___zung gleich zu erachten, so dass über § 252 die sofortige Beschwerde gegeben ist (hierzu ___ ___ ___47 A.A. OLG Köln JurBüro 1977, 410, 411: es ist stets ein Beschluss erforderlich. 48 BGH NJW 1982, 888, 889 = VersR 1982, 268. ___49 OLG München JurBüro 1988, 1567 und NJW-RR 1989, 64; OLG Frankfurt AnwBl 1980, 151, 152. ___50 Beispiele: RGZ 81, 321; BGHZ 27, 163 = NJW 1958, 1186; BVerwG 1984, 882; 1986, 2897; 1989, 2486; ___1991, 2097; BSG NJW 1956, 1416; 1984, 888; BFH NJW 1976, 1119 = BFHE 117, 19; BFHE 121, 132; OLG Hamm ___NJW-RR 1992, 121. 51 BayObLG NJW-RR 2004, 804. ___52 BGHZ 27, 163 = NJW 1958, 1186; s. auch BVerfG MDR 1981, 470; BVerfGE 34, 157, 159. ___53 RGZ 111, 288, 290. ___54 OLG Schleswig NJW 1981, 691.

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§ 229

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______auch Erl. zu § 216 Rdn. 38 ff.). In ganz besonderen Ausnahmefällen kann die Terminie______rungspraxis auch mit der Dienstaufsichtsbeschwerde gemäß § 26 DRiG angegriffen ______werden.55 ______ ______ VII. Kosten/Gebühren ______ ______ 44 Veranlasst eine Partei durch ihr Verschulden eine Terminsänderung, hat sie gemäß ______§ 95 die hierdurch verursachten Mehrkosten zu tragen. Ferner kann ihr gemäß § 38 GKG ______eine besondere Gebühr auferlegt werden. ______ ______ ______ § 228 ______ aufgehoben ______ ______ ______ § 229 ______ Beauftragter oder ersuchter Richter ______ § 229 Gerken ______ Die in diesem Titel dem Gericht und dem Vorsitzenden beigelegten Befugnisse ______stehen dem beauftragten oder ersuchten Richter in Bezug auf die von diesem zu ______bestimmenden Termine und Fristen zu. ______ ______ Der beauftragte Richter (§§ 118 Abs. 3, 279 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1, 329 Abs. 2, 355 1 ______Abs. 1 Satz 2, 358 a Satz 2 Nr. 1, 360 Satz 3, 361, 365, 370 Abs. 2, 372 Abs. 2, 375 Abs. 1, 389 ______Abs. 1, 434, 479) ist ein Mitglied des Prozessgerichts, der ersuchte Richter (§§ 362, 365, ______372 Abs. 2, 375, 434, 479 ZPO, 156 ff. GVG) gehört einem anderen Gericht an. ______ Beide haben die Befugnisse des Prozessgerichts (des Vorsitzenden/der Kammer) ______gemäß den §§ 216, 224, 227. ______ Gegen die Entscheidungen des beauftragten und des ersuchten Richters ist gemäß 2 ______§ 573 Abs. 1 die Erinnerung an das Prozessgericht gegeben. Hält dieser sie für begründet, ______hat er ihr abzuhelfen (§§ 572 Abs. 1 Satz 1, 573 Abs. 1 Satz 3). Das Prozessgericht kann sein ______Ersuchen ändern oder zurücknehmen, jedoch keine Weisungen erteilen.1 ______ Der auf die Erinnerung ergehende Beschluss des Prozessgerichts kann unter den 3 ______Voraussetzungen des § 567 mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden (§ 573 ______Abs. 2). Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Entscheidung auch dann angefochten ______werden könnte, wenn sie vom Prozessgericht selbst erlassen worden wäre. § 573 Abs. 2 ______ist insoweit einzuschränken (s. im Einzelnen hierzu §§ 216 Rdn. 38, 219 Rdn. 12, 225 ______Rdn. 18, 226 Rdn. 9 und 227 Rdn. 40). Entscheidungen des Landgerichts als Berufungsge______richt und Beschlüsse des Oberlandesgerichts sind ohnehin nicht anfechtbar (§ 567 ______Abs. 1). ______ S. im Übrigen die Erl. zu § 573. ______ ______ ______ ______ ______ ______ ______55 Beispiele: BVerfG NJW 1989, 3148; BGHZ 93, 238 = NJW 1985, 1471. ______ ______1 Zöller/Stöber Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 230

___ TITEL 4 ___ Folgen der Versäumung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ___ ___ § 230 ___ Allgemeine Versäumnisfolge ___ § 230 Gerken ___ Die Versäumung einer Prozesshandlung hat zur allgemeinen Folge, dass die ___Partei mit der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen wird. ___ ___ I. Begriff der Versäumung ___ ___ Die §§ 230, 231 regeln die allgemeinen Folgen der Versäumung einer Prozesshandlung. 1 ___Spezielle Regelungen finden sich in zahlreichen Vorschriften, z.B. in §§ 39, 43, 295, 296 a, ___379 Satz 2, 522 Abs. 2 Satz 2, 524 Abs. 2 Satz 2, 552 Abs. 1 Satz 2, 554 Abs. 2 Satz 2, 556, 572 ___Abs. 2, 577 Abs. 1 Satz 2. Die Folgen der Versäumung eines Termins (Säumnis) sind außer___halb des Vierten Titels in § 141 Abs. 3 (Ordnungsgeld bei Parteianhörung), §§ 251 a, 331 a ___(Entscheidung nach Aktenlage), §§ 330 ff., 539 (Versäumnisurteil), § 454 (Aussage gilt u.U. ___als verweigert), § 877 (Einverständnis des Gläubigers beim Verteilungstermin) und § 901 ___(Haft bei eidesstattlicher Versicherung) geregelt. Die §§ 230 ff. finden hier keine Anwen___dung, weil das Erscheinen im Termin keine Prozesshandlung in diesem Sinne ist. ___ Eine Prozesshandlung ist versäumt, wenn sie innerhalb der gesetzten Zeitgrenze 2 ___nicht oder nicht wirksam vorgenommen worden ist. 1 Die zeitliche Grenze ist der Norm zu ___entnehmen, die die Vornahme der Prozesshandlung regelt. Sie kann durch eine (gesetz___liche oder richterliche) Frist (§§ 221 ff.) oder durch ein Prozessstadium bestimmt sein. Ist ___eine Frist einzuhalten, darf diese voll ausgeschöpft werden,2 also bis 24 Uhr des letzten ___Tages.3 Ausreichend ist, dass der fristgebundene Schriftsatz rechtzeitig in die Verfü___gungsgewalt des Gerichts gelangt.4 Eine Frist gilt noch (bis zum Ablauf des letzten Tages ___der Frist) nicht als versäumt, solange nicht über ein rechtzeitig eingelegtes Fristverlänge___rungsgesuch negativ entschieden ist.5 Als Prozessstadien sind u.a. maßgeblich: Antrag___stellung (§ 43), Verhandeln zur Hauptsache (§ 39), Einlassung auf die geänderte Klage ___(§ 267), nächster Termin (§ 295) oder Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 296 a). Im ___schriftlichen Verfahren gelten die vom Gericht nach § 128 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 ___festgelegten Zeitpunkte. ___ ___ II. Voraussetzungen für den Eintritt der Versäumungsfolgen ___ ___ Regelmäßig treten die Folgen der Versäumung ausschließlich durch die Versäu- 3 ___mung als solche (vgl. I.) ein. Einer Androhung der Folgen oder eines Antrages bedarf es ___ebenso wenig (vgl. § 231 Abs. 1) wie eines Verschuldens.6 Jedoch knüpft das Gesetz viel___fach den Eintritt der Versäumnisfolgen ausdrücklich an solche oder andere zusätzliche ___Voraussetzungen. So ist z.T. ein Antrag des Gegners (z.B. § 113), ein Verschulden (z.B. ___§§ 296 Abs. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) oder eine Verzögerung (z.B. § 356) erforderlich. Ob ___ ___1 BGH NJW 1962, 1248. Die irrtümliche Zurücknahme des Rechtsmittels gehört nicht hierher: BGH NJW ___1991, 2839. ___2 BVerfGE 51, 352, 355 für Rechtsmittelfristen. ___3 BVerfG NJW 1976, 747 zu § 43 StPO; NJW 1986, 244; s. auch Erl. zu § 222. 4 BVerfGE 18, 51, 52; BVerfGE 52, 203, 209 = NJW 1980, 580; BVerfG NJW 1991, 2076; BGHZ 101, 276, 280 = ___NJW 1987, 1586; BGH NJW 1988, 2788 – betr. Fernschreibverkehr. ___5 BGH VersR 1982, 1191. ___6 RG JW 1927, 792.

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§ 231

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______derartige oder andere zusätzliche Voraussetzungen vorliegen müssen, ist der Norm zu ______entnehmen, die für die betreffende Prozesshandlung eine Zeitgrenze bestimmt. ______ ______ III. Folgen der Versäumung ______ ______ § 230 ordnet als allgemeine, regelmäßige Folge der Versäumung das sogenannte 4 ______Präklusionsprinzip für die Partei und deren Streithelfer an. Eine verspätet vorgenomme______ne Prozesshandlung bleibt unbeachtet. Die Präklusionswirkung tritt in zeitlicher Hin______sicht ein, wenn die gesetzte Zeitgrenze (Rdn. 2) überschritten wurde. Ist ausnahmsweise ______ein Antrag des Verfahrensgegners erforderlich, gilt § 231 Abs. 2. Die Versäumung kann, ______sofern die säumige Partei nicht ohnehin alle Kosten des Rechtsstreits trägt, einen Kos______tennachteil auslösen, §§ 95, 238 Abs. 4 ZPO, 38 GKG. In einer Vielzahl von Fällen knüpft ______das Gesetz an die Versäumung einer Prozesshandlung entsprechend deren Art und In______halt besondere Nachteile (z.B. Fiktion des Geständnisses gemäß § 138 Abs. 3 oder des ______Einverständnisses gemäß §§ 267, 269 Abs. 2 Satz 4). ______ ______ IV. Heilungsmöglichkeiten ______ ______ 5 Eine Beseitigung der Versäumungsfolgen durch Nachholung der versäumten Pro______zesshandlung ist nur in den gesetzlich geregelten Fällen möglich. Die Voraussetzun______gen hierfür sind unterschiedlich ausgestaltet: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ______(§§ 233 ff.) bei bestimmten Fristen, Schuldlosigkeit (z.B. §§ 296 Abs. 1), Einwilligung des ______Gegners oder Sachdienlichkeit (z.B. §§ 263, 533). ______ ______ ______ § 231 ______ Keine Androhung; Nachholung der Prozesshandlung ______ § 231 Gerken ______ (1) Einer Androhung der gesetzlichen Folgen der Versäumung bedarf es nicht; ______sie treten von selbst ein, sofern nicht dieses Gesetz einen auf Verwirklichung des ______Rechtsnachteils gerichteten Antrag erfordert. ______ (2) Im letzteren Falle kann, solange nicht der Antrag gestellt und die mündli______che Verhandlung über ihn geschlossen ist, die versäumte Prozesshandlung nach______geholt werden. ______ ______ Die (allgemeinen und besonderen) Folgen der Versäumung (s. § 230 Rdn. 4) treten 1 ______regelmäßig kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer Androhung der Folgen oder eines An______trags bedarf, Abs. 1. Eine Belehrung über die Folgen der Versäumung ist zwar aus ver______fassungsrechtlichen Gründen nicht geboten.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ver______pflichtet aber das Gericht, auch verspäteten Parteivortrag zur Kenntnis zu nehmen, um ______ermitteln zu können, ob die über die Versäumung hinausgehenden Voraussetzungen der ______Präklusionsnorm (z.B. Verzögerung, Verschulden, vgl. § 230 Rdn. 3) vorliegen, etwa bei ______§ 2962 oder §§ 530, 531. Vorgeschrieben ist eine Belehrung bei Zustellung der Klage im ______schriftlichen Vorverfahren (§ 276 Abs. 2), für die Klageerwiderung (§ 277 Abs. 2), bei der ______Ladung zur mündlichen Verhandlung (§ 215 Abs. 1), beim Mahnbescheid (§ 692 Abs. 1 ______Nr. 4) oder bei öffentlichen Aufgeboten (§§ 947 Abs. 2 Nr. 3, 981, 987 Abs. 2, 995, 997 ______ ______ ______1 BVerfG NJW 1987, 2733, 2736 zu §§ 283, 296 für den Fall, dass die Partei anwaltlich vertreten war. ______2 BVerfG NJW 1987, 485 (Nr. 1); BGH NJW 1984, 203.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___Abs. 1 Satz 2, 1002 Abs. 6, 1008 Satz 2). Einen Antrag setzen u.a. § 109 Abs. 2 (Rückgabe ___der Sicherheit), § 113 (Ausländersicherheit), §§ 239 Abs. 4, 246 Abs. 2 (Wiederaufnahme ___nach einer Unterbrechung), § 699 (Vollstreckungsbescheid), § 926 Abs. 2 (Aufhebung des ___Arrestes) und § 952 (Ausschlussurteil) voraus. ___ Soweit ausnahmsweise ein Antrag erforderlich ist, kann dieser nach Abs. 2 bis zu 2 ___dem nach § 136 Abs. 4 eintretenden Schluss der mündlichen Verhandlung über die ver___säumte Prozesshandlung nachgeholt werden.3 In einigen Fällen ist die Nachholung noch ___bis zur Entscheidung des Gerichts möglich (z.B. § 109 Abs. 2). § 231 Abs. 2 ist auch in ___schriftlichen Verfahren anwendbar.4 Soweit das Gericht einen Zeitpunkt bestimmt, der ___dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht (§§ 128 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2), ___kann die Prozesshandlung bis zu diesem Zeitpunkt, andernfalls bis zum Erlass der Ent___scheidung, vorgenommen werden. Abs. 2 gilt auch für einen Aufhebungsantrag nach ___§ 927, wenn es darum geht, dass der Gegner eine angeordnete Sicherheitsleistung nicht ___fristgerecht, aber rechtzeitig vor der Aufhebung des Arrestes nachgeholt hat.5 Obwohl ___Abs. 2 eine Prozesshandlung voraussetzt, lässt die h.M. das Recht zur Schiedsrichter___Ernennung, § 1035 Abs. 3, nicht bereits mit fruchtlosem Ablauf der Frist, sondern erst ___mit Erlass des Gerichtsbeschlusses nach Abs. 3 Satz 3 endgültig entfallen.6 ___ ___ ___ § 232 ___ aufgehoben ___ ___ ___ § 233 ___ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ___ § 233 Gerken ___ War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist ___zur Begründung der Berufung, Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der ___Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag ___Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. ___ ___ § 233 geändert durch Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts v. ___14.6.1976 BGBl. I 1421; neu gefasst durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 BGBl. I, ___3281; geändert durch das FGG-Reformgesetz – FG-RG v. 17.12.2008 BGBl. I 2586. ___ ___ Schrifttum ___ Gilles Rechtsmittel im Zivilprozess, Berufung Revision und Beschwerde im Vergleich mit der Wieder___aufnahme des Verfahrens, dem Einspruch und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1972); Maniotis ___Das prozessuale Verschulden und die objektive Präklusion, zwei Auslegungsprobleme des § 233 ZPO, Diss. ___Freiburg i. Br., 1983; Müller Typische Fehler bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand NJW 1993, 681; ___Müller Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand NJW 1995, 3224; Pape/ ___Notthoff Prozessrechtliche Probleme bei der Verwendung von Telefax NJW 1996, 417; von Pentz Die Recht___sprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand NJW 2003, 858; Roth Wiedereinsetzung ___ ___ ___ ___3 OLG Karlsruhe JW 1922, 515 mit zust. Anmerkung Rosenberg. 4 KG OLG Rspr. Bd. 40 (1920), 369. ___5 KG OLG Rspr. Bd. 19 (1909), 37. ___6 Zu § 1029 a.F. s. Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Kap 10 Rdn. 16; Stein/Jonas/Schlosser ___§ 1029, 2; a.A. RGZ 45, 382.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______nach Fristversäumnis wegen Belegung des Telefaxempfangsgeräts des Gerichts, NJW 2008, 785; Scherer ______Die Wiedereinsetzung bei Versäumung der Widerrufsfrist, Diss. München 1967; Schlee Berufshaftpflicht ______und Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts DAV-Anwaltsverzeichnis 93/94, S. 1999, 2008; Szie______goleit Aufgabenverteilung zwischen Anwalt und Kanzlei im Recht der Wiedereinsetzung, Diss. Erlangen ______1985; Vollkommer Formenstrenge und prozessuale Billigkeit (1973); Vollkommer Die Erleichterung der Wiedereinsetzung im Zivilprozess, FS Ostler, S. 97; Vollkommer Anwaltshaftungsrecht (1989); Walchshöfer Die ______Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand JurBüro 1985, 321; ______1986, 322; 1989, 1481; Waltl/Borgmann Probleme der Fristenkontrolle per EDV – Risikoträchtig – NJW-CoR ______1994, 291. ______ ______ Übersicht d) Postverkehr ______I. Einführung ____ 1 aa) Ordnungsgemäße Absen______ 1. Normzweck ____ 3 dung ____ 34 ______ 2. Rechtsentwicklung bb) Postverzögerungen ____ 37 ______II. Anwendungsbereich ____ 6 e) Unkenntnis von Fristen ____ 39 1. Antragsberechtigte ______ 2. Fristen i.S.d. § 233 f) Sonstige Irrtümer ____ 40 ______ a) Notfristen ____ 7 g) Wirtschaftliches Unvermögen ______ b) Ausdrücklich genannte und ähnliche aa) Mittellosigkeit ____ 43 ______ Fristen ____ 8 bb) Kausalität ____ 45 ______ c) Verweisung in anderen Gesetcc) Bedeutung der Entscheidung ______ zen ____ 11 über den PKH-Antrag ____ 46 ____ d) Analoge Anwendung 12 h) Organisation in der Anwaltskanzlei ______ e) Fristen nach §§ 234 Abs. 3; 320 Abs. 1, aa) Allgemeine Büroorganisa______ Abs. 2 Satz 3; 321 Abs. 2 ____ 13 tion ____ 47 ______ ____ 14 f) Prozessvergleich bb) Einzelne Organisationspflich______ III. Begründetheit ten ____ 49 ______ 1. Fehlendes Verschulden ____ 15 cc) Abwesenheit/Verhinderung des ______ 2. Verschuldenszurechnung ____ 19 Rechtsanwalts ____ 50 ______ 3. Pflichtverletzung und Ursächlichi) Fristenwesen ______ keit ____ 21 aa) Entgegennahme von Zustellun______ 4. Einzelfälle gen ____ 52 ______ a) Geschäftsunfähigkeit, Erkranbb) Fristnotierung ____ 54 kung ____ 24 cc) Bearbeitung der Fristsachen ______ b) Abwesenheit der Partei ____ 26 durch den Rechtsanwalt ____ 59 ______ ____ 67 c) Vorbereitung der Prozessdd) Übermittlungswege ______ ____ ____ führung 30 ee) Ausgangskontrolle 69 ______ ______ Stichwortverzeichnis ______Absendung von Schriftstücken ____ 34, 38 Anzeige der Verteidigungsabsicht ____ 7 ______Abwesenheit Arbeitsteilung ____ 20 ______– des Geschäftsführers ____ 26 Arglist des Gegners ____ 40 ______– der Partei ____ 26–29 Aufgabendelegation ____ 19, 22, 47, 54 ______– des Rechtsanwalts ____ 50 f. Auflösung einer Handelsgesellschaft ____ 32 ____ 35, 36, 42, 61 Ausgangskontrolle ____ 68, 69 ff. ______Adressierung ____ 59, 60 Auskunft ____ 41 ______Aktenvorlage ____ Vertreter 19 Ausgangskontrolle ____ 48, 56, 68, 69 ______amtlich bestellter ____ 19 f., 31, 47–50, 52, 54–56, 59 f., 66, Angestellte Ausländer ____ 40 ______ Aussetzungsantrag ____ 66 ______ 67 Anschlussrechtsmittel ____ 9 Auswahl des Personals ____ 48 ______Anschrift ____ 28, 35, 61 Auszubildende ____ 35, 48, 49 ______Anwaltsbüro ____ 19 f., 47 ff. Bedürftigkeit ____ 12, 43–46 ______Anwälte, mehrere ____ 23 Behörden ____ 20, 31 ______Anweisung des Personals ____ 31, 47–49, 52, 55 f., Beitritt als Streitgenosse ____ 6 ______ 59 Belastung, seelisch ____ 51 Gerken

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3. Abschnitt. Verfahren

___Belehrung des Personals – ___ s. Anweisung ____ 39 ___Benachrichtigungszettel der Post ____ 13 Berichtigung des Tatbestandes ___ ____ 5, 7, 60 ___Berufung Berufungsfrist ____ 55 ___Berufungsanwalt ____ 64 ___Beschwerde ____ 7 ___Bestätigung des Rechtsmittelauftrags ____ 63 ___Betrieb ____ 20, 31 ___Bevollmächtigter ____ 4, 19 ___Bevollmächtigter, früherer ____ 19 ____ 47, 67 ___Botendienste ____ 30, 37, 67 Briefbeförderung ___ ____ 67 ___Brief, einfacher ____ 30, 38, 67 ___Briefkasten Briefkasten-Leerungszeiten ____ 38, 67 ___Büroorganisation ____ 19, 20, 47 ff., 59, 66, 69, 70 ___Büropersonal ____ 19 f., 31, 47–50, 52, 54–56, 59– ___ 61, 63, 66 f. ___Bürovorsteher ____ 49 f. ___Computerdefekt ____ 54, 68 ___Diktat ____ 59, 61 ____ 20 ___Drittverschulden ____ 54 ___EDV ____ 29 ___Ehepartner ____ 38, 67 ___Eilbrief Eingang einer Rechtsmittelschrift ____ 42, 60 ___Eingangsstempel ____ 52, 64 ___Einschränkung der Leistungsfähigkeit des ___ RA ____ 18, 51 ___Einschreiben ____ 38, 48 ___Eintragung in das Handelsregister ____ 32 ___Einzelanweisung ____ 22, 47, 52, 59 ____ 36 ___E-Mail ____ 52 Empfangsbekenntnis ___ ____ 41 ___Empfehlung, richterliche Entmündigung ____ 12 ___ Erkrankung ___– Angehöriger ____ 25 ___– des Geschäftsführers ____ 25 ___– der Partei ____ 24 f. ___– des Personals ____ 48 ___– des Rechtsanwalts ____ 50 ___Erkundigungspflicht ____ 31 ___– einer GmbH ____ 25 ___– der Partei ____ 60, 62 ___– des Rechtsanwalts ____ 54 ___Ersatzkraft Fähigkeit des Personals ____ 48, 49 ___Fahrlässigkeit ____ 16 ___Fasching ____ 40 ___Feiertage ____ 38, 40 ___Fehlleitung von Anwaltspost ____ 31 ___Formmangel ____ 42 855

§ 233

Freiwillige Gerichtsbarkeit ____ 12 Fristberechnung ____ 54 f. Fristbestimmungen in anderen Gesetzen ____ 11 Fristenkalender ____ 34, 47, 52, 54, 56, 68, 69 Fristenkontrolle ____ 20, 45, 48, 50, 54, 60, 69 Fristenwesen ____ 52 ff. Fristverkürzung ____ 21 Fristverlängerung ____ 45, 60, 66, 69 Fristversäumung ____ 21 Geldmangel ____ 12, 43–46 Gerichtsbriefkasten ____ 67 Gerichtsferien ____ 18, 55, 57 Geschäftsunfähigkeit ____ 24 Geschäftsführer ____ 26 Gewerbliche Betriebe ____ 20, 31 GmbH ____ 30 f. Haft ____ 27 Handakten ____ 52 Handelsgesellschaft ____ 32 Hinweis, rechtlicher ____ 41 Informationspflicht s. Erkundigungspflicht Inhaftierung ____ 27 Insolvenz ____ 32, 53 Insolvenzschuldner ____ 32 Irrtum ____ 16, 18, 40 Jahresfrist (§ 234 Abs. 3) ____ 13 Jugendamt ____ 31 Juristischer Mitarbeiter ____ 19, 23 Juristische Person ____ 26, 31 Karneval ____ 40 Kausalität ____ 21 f., 42, 45, 47 Kindschaftssachen ____ 19, 31 Klagerücknahme ____ 6 Kontrolle ____ 22, 36 Korrespondenzanwalt ____ 19, 65 Krankheit, s. Erkrankung Kündigung des Mandats ____ 30 Kuraufenthalt ____ 26 Kurierdienst ____ 38 Kuvertierung ____ 67 Leistungsfähigkeit ____ 18, 51 letzter Tag ____ 18, 34, 38, 60, 66 f., 69 Liquidation einer Handelsgesellschaft ____ 32 Löschung – im Handelsregister ____ 32 – von Fristen ____ 36, 56, 68 Mandat ____ 49, 62, 65 – Niederlegung ____ 19, 30, 39 mehrere Anwälte ____ 19, 23, 49, 59 Mitarbeiter, juristischer ____ 19, 22 Mitbewohner ____ 39 Mittellosigkeit ____ 12, 43, 45 f. Mittelsperson ____ 28 Mitursächlichkeit ____ 22

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Mitverschulden ____ 42 ____ 67 ______Nachtbriefkasten ____ 6 ______Nebenintervenient Niederlegung ______ ____ 19, 30, 39 ______– Schriftstück – Mandat ____ 30, 39 ______Notanwalt ____ 33 ______Notfrist ____ 7, 11, 68 ______Organisationsplan ____ 47 ______Organisationsverschulden ____ 47 ______Öffentliche Hand ____ 31 ______Öffentliche Zustellung ____ 39, 40 ____ 38 ______Päckchen ____ 32 Parteifähigkeit ______ ____ 14 ______Parteivereinbarung Personal ______ – Anweisung ____ 31, 47, 49, 52, 55, 59, 60, 63, 70 ______– Ausbildung ____ 19 ______– Auswahl ____ 48 ______– Belehrung ____ 48 ______– Überwachung ____ 48 ______– Verminderung ____ 48 ______Postabfertigung ____ 48 ____ 34, 69 ______Postausgangsbuch ____ 49 ______Posteingang ____ 35 ______Postfach ____ ______Postleitzahl ____ 35 Postverkehr 34, 63, 67 ______Postlaufzeit ____ 3, 21, 37, 38 ______Postulationsfähigkeit ____ 61 ______Prozesskostenhilfe ____ 12, 26, 43 ff. ______Prozessvergleich ____ 6, 14 ______Rechtsirrtum ____ 16, 18, 33, 40 ff. ______Rechtskraft ____ 6 ____ 19, 25, 33, 44 f., 53, 56, 58, 65 ______Rechtsmittel ____ 53, 62–65 Rechtsmittelanwalt ______ ____ 33, 41, 52, 62, 64, ______Rechtsmittelbelehrung Rechtsmittelbegründungsfrist ____ 45, 53, 58, 60, ______ 66 ______Rechtsmitteleinlegung ____ 6, 33, 38, 42 ______Rechtsmittelfrist ____ 9, 30, 31, 38, 40, 41, 45, 52, ______ 53, 55, 56, 62, 64 ______Rechtsmittelschrift ____ 38, 42, 60, 61, 63 ______Rechtsschutzversicherung ____ 44 ______Reise ____ 26 ______– der Partei ____ 50 ______– des RA ____ 55 ______Revisionsfrist ____ 9, 10 ______Rücknahme des Rechtsmittels Schädigung, vorsätzliche ____ 19 ______Sprachunkenntnis ____ 40 ______Selbsttötung ____ 25 ______Sorgfalt ____ 1, 2, 4, 17 ______– des Laien ____ 17, 39 ______– des Rechtsanwalts ____ 18, 35, 47 f., 59, 63 Gerken

Sozietät ____ 19, 23, 49, 59 – überörtliche ____ 47 Streitgenosse ____ 6 Streithelfer ____ 6 Tatbestandsberichtigung ____ 13 Tatsachenirrtum ____ 16 Telefax ____ 36, 37, 38, 61, 62, 67, 68 Telefonverkehr ____ 49, 63 Tod – der Partei ____ 25, 50 – des Rechtsanwalts ____ 19, 25, 50 Tonband ____ 59, 62 Überarbeitung ____ 18 Überlegungsfrist ____ 46 Übermittlung des Urteils ____ 64 Überprüfung des Fristablaufs ____ 31–34, 60, 62, 64 Überwachung Bedienstete ____ 31, 48 Umzug ____ 28 Unerfahrenheit, berufliche ____ 18 Unfähigkeit ____ 24 Unkenntnis der Fristen ____ 39 Unterbrechung des Verfahrens ____ 53, 55 Unterlassen, pflichtwidriges ____ 21 Unternehmen ____ 31 f. Unterschrift ____ 18 Unterschriftenkontrolle ____ 22, 49, 69 Unvermögen, wirtschaftliches ____ 43, 45 Unzuständigkeit des Gerichtes ____ 42 Urlaub – der Partei ____ 26, 30 – des Anwalts ____ 50 – einer Bürokraft ____ 49 Ursächlichkeit ____ 21 f., 42, 45, 47 Urteilsergänzung ____ 13 Vergleich, s. Prozessvergleich Verhinderung – des Rechtsanwalts ____ 50 – einer Kanzleiangestellten ____ 54 Verkehrsanwalt ____ 19, 65 Versäumnisurteil ____ 7 Verschulden ____ 1 ff., 15 f., 42 – einer Angestellten ____ 48 – des Anwalts ____ 4, 18 f., 22 f., 39, 42, 51, 68 – Dritter ____ 20 – des Gemeinschuldners ____ 32 – der Partei ____ 3 f., 15, 19, 21, 24, 28, 30, 39, 42 f. – des Rechtsmittelanwalts ____ 63 Versicherer ____ 19 Vertreter ____ 19 f. – amtlich bestellter ____ 50 – früherer ____ 39 – mehrere Vertreter ____ 23 – des Rechtsanwalts ____ 50

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

Wiedereinsetzungsantragsfrist ____ 3, 12 ___Verzögerung ____ 3, 21, 37 f. Wochenende ____ 38 ___– postalische ____ 55 Zufall, unabwendbarer ____ 1, 4, 15, 17, 40 ___– der Urteilszustellung ____ 30 Vorbereitung der Prozessführung Zulassung des Rechtsanwalts ____ 45 ___ ____ Zurechnung des Verschuldens ____ 3, 19, 20, 37, 39, ___Vorfrist ____ 57, 58, 60, 69 Vorsatz 16 f., 19 45, 47 ___Vorschuss ____ 33 Zurechnungszusammenhang ____ 21 ___Wechseln des Aufenthaltsortes ____ 28 Zuständigkeit des Gerichts ____ 42 ___„Weißen“ von Fristen ____ 56 Zustellung, öffentliche ____ 39 ___Widerrufsfrist bei Prozessvergleich ____ 14 Zustellungsbevollmächtigter ____ 32 ___Wiedereinsetzung in Familiensache ____ 19 Zustellungszeitpunkt ____ 31, 41, 52, 62–64 ___Wiedereinsetzungsantrag ____ 6, 8 f., 12 ___ ___ I. Einführung ___ ___ 1. Normzweck. Die Wiedereinsetzung ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf,1 der 1 ___die Fristenstrenge für ungewöhnliche Fälle mildern soll. Sie ist der Weg, um die nachtei___ligen Folgen einer Fristversäumung zu beseitigen. Durch die Wiedereinsetzung wird die ___Partei – zum Nachteil der Gegenpartei2 – in den Stand versetzt, die versäumte Prozess___handlung zulässigerweise nachzuholen (§ 236 Abs. 2 Satz 2). Das nachgeholte Anfech___tungsmittel gilt als rechtzeitig ausgeführt, wenn das Wiedereinsetzungsgesuch zulässig ___und begründet ist. Rechtstechnisch steht das Wiedereinsetzungsverfahren in Beziehung3 ___zu dem Anfechtungsmittel, mit dem die gerichtliche Entscheidung überprüft werden soll ___(Berufung, Revision etc.). Es ist ein „Zusatz“ zu diesem Anfechtungsmittel, mit dessen ___Hilfe die aus der Fristversäumung resultierende nachteilige Prozesslage gewandelt wer___den soll.4 Als Rechtsinstitut steht die Wiedereinsetzung im Brennpunkt zwischen For___menstrenge und prozessualer Billigkeit.5 Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung beruht ___auf einer Abwägung der Erfordernisse der Rechtsicherheit gegen die Forderung der ma___teriellen Gerechtigkeit.6 ___ Die Wiedereinsetzungsvorschriften dienen der rechtsstaatlichen Gestaltung des Ver- 2 ___fahrens (Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG). Bei ihrer Anwendung ist daher zu beachten, dass ___die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannt werden dür___fen. Andernfalls würde der Zugang zum Gericht in unzumutbarer Weise erschwert wer___den.7 Das Gericht darf es dem Antragsteller insbesondere nicht zum Verschulden gerei___chen lassen, dass er auf die eindeutige Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts ___vertraut.8 Es darf keine Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Anwalts stellen, die ___nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen der ___Anwalt daher nicht zu rechnen braucht.9 ___ ___ 2. Rechtsentwicklung. Nach der bis zum Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle 3 ___vom 3.12.197610 geltenden Gesetzesfassung war einer Partei auf Antrag die Wiedereinset___ ___ ___1 Hahn Mat. II 1, 246; s.a. Vor § 511 Rdn. 3. 2 R. Bruns JZ 1968, 456. ___3 Hahn Mat. II 1, 247. ___4 Gilles S. 150. ___5 Titel der Monographie von Vollkommer; zur Wiedereinsetzung S. 318 ff. ___6 BVerfG NJW 1992, 38. 7 BVerfG NJW 1992, 38 m.w.N. ___8 BVerfG NJW 1993, 720. ___9 BVerfG NJW 1995, 249 und 2544; BVerfG NJW 1996, 309. ___10 BGBl. I, 3281.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______zung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie „durch Naturereignisse oder andere ______unabwendbare Zufälle verhindert“ war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der ______Revision einzuhalten. Das Reichsgericht interpretierte die Ausdrücke „Naturereignisse ______oder andere unabwendbare Zufälle“ nicht rein objektiv, sondern bezog Verschuldens______elemente ein. Nach dieser Rechtsprechung war unter unabwendbarem Zufall ein Ereignis ______zu verstehen, „das unter den gegebenen, nach der Besonderheit des Falles zu berück______sichtigenden Umständen auch durch die äußerste diesen Umständen angemessene und ______vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt weder abzuwehren noch in seinen schädlichen ______Folgen zu vermeiden ist“.11 Das Fehlen eines Verschuldens reichte im Regelfall für die ______Wiedereinsetzung nicht. Hatte allerdings ein Verschulden die Fristversäumung verur______sacht, war die Wiedereinsetzung zu versagen.12 Der Bundesgerichtshof stellte nach der ______subjektiven Theorie darauf ab, ob ein Ereignis vorlag, „dessen Eintritt oder Folgen von ______demjenigen, dem die Vornahme einer Prozesshandlung oblag, bei Anwendung der gera______de ihm nach Lage des Falles gerechterweise zuzumutenden Sorgfalt nicht abgewendet ______werden konnte“.13 An die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung stellte er grundsätzlich ______strenge Anforderungen.14 ______ Zweck der Neufassung des § 233 mit der Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 war 4 ______es, die Wiedereinsetzung zu erleichtern.15 Ein „unabwendbarer Zufall“ ist nicht mehr ______erforderlich. Die vom Reichsgericht entwickelte Formel vom „äußersten Maß an Sorgfalt“ ______ist nicht übernommen worden. Der Gesetzestext verlangt nur noch das Fehlen von Ver______schulden der Partei und ihres Bevollmächtigten (§ 85 Abs. 2).16 ______ 5 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in verschiedenen Entscheidungen für eine ______großzügige Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften ausgesprochen. Im Wege der ______verfassungskonformen Auslegung hat es zum Beispiel entschieden, dass ______– zur fristgerechten Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes die Entgegen______ nahme durch einen dazu befugten Beamten des betreffenden Gerichts nicht erfor______ derlich ist, es vielmehr ausreicht, dass der Schriftsatz innerhalb der Frist in die Ver______ fügungsmacht des zuständigen Gerichts gelangt;17 ______– es einer Partei grundsätzlich nicht als Verschulden zuzurechnen ist, wenn sich bei ______ der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Post Verzögerungen ergeben;18 ______– bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax Störungen des Emp______ fangsgeräts wie auch der Übermittlungsleitungen einen Wiedereinsetzungsgrund ______ darstellen können;19 ______– der Anwalt beim unverschuldeten Scheitern der Übermittlung einer Rechtsmittel______ oder Rechtsmittelbegründungsschrift per Fax grundsätzlich nicht verpflichtet ist, ______ einen anderen Anwalt mit der Übermittlung zu beauftragen;20 ______ ______ ______ ______11 RGZ 2, 425, 426 f.; BGHZ 48, 409, 410 f. ______12 RGZ 73, 55, 57. ______13 BGHZ 6, 369, 372. ______14 Siehe Ostler NJW 1958, 405; BGH 1965, 1785, 2081. 15 BT(-Drucks.) VI/790, S. 47. ______16 Grundlegend dazu und zur Entwicklung des Wiedereinsetzungsrechts Vollkommer FS Ostler, S. 97, ______139 ff. Umfangreiche Nachweise der älteren Rechtsprechung sind in der Vorauflage dieses Kommentars ______dargestellt. ______17 BVerfGE 41, 323, 327 f. = NJW 1976, 747; 52, 203 = NJW 1980, 580; 57, 117, 120 = NJW 1981, 1951. 18 BVerfGE 50, 1 = NJW 1979, 641; 51, 146, 149 = MDR 1979, 907; BGH NJW 1983, 1479; dazu im Einzelnen ______und Rdn. 37 f. ______19 BVerfG NJW 1996, 2857; BVerfG NJW 2006, 829. ______20 BVerfG NJW 2001, 3473.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___– Versehen des Gerichts nicht über die Begründung besonderer Prüfungspflichten auf ___ die Parteien abgewälzt werden dürfen;21 ___– das erstinstanzlich Gericht, bei dem das Verfahren anhängig war, verpflichtet ist, ___ fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht ___ werden, an das zuständige Gericht weiterzuleiten.22 ___ ___ II. Anwendungsbereich ___ ___ 1. Antragsberechtigte. Neben der säumigen Partei kann auch ihr Streithelfer (§ 66) 6 ___den Wiedereinsetzungsantrag stellen. Der Streithelfer ist dabei an die für die Hauptpartei ___laufenden Fristen gebunden.23 Er muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in der er ___sich zur Zeit seines Beitritts befindet (§ 67). Ist der Prozess durch rechtskräftiges Urteil ___oder auf andere Weise (z.B. Vergleich, Klagerücknahme) beendet, ist ein Beitritt nicht ___mehr möglich.24 Der in § 66 Abs. 2 bestimmte Beitrittszeitraum gehört nicht zu den in ___§ 233 genannten Fristen. Wiedereinsetzung kann in diesem Fall nicht erfolgen, da nicht ___nur die Rechtsmitteleinlegung, sondern darüber hinaus auch die rechtzeitige Beitrittser___klärung versäumt wurde (s. §§ 66, 20). Nach richtiger Ansicht fehlt für die Erstreckung ___der Wiedereinsetzungsvorschriften auf die Beitrittserklärung ein anerkennenswertes ___Bedürfnis.25 War der Beitritt bereits vor Eintritt der Rechtskraft erfolgt, ist Wiederein___setzung zugunsten des Streithelfers möglich.26 Streitig ist, ob Wiedereinsetzung nur aus ___Gründen gewährt werden kann, die in der Person der Partei liegen (s. §§ 67, 55)27 oder ob ___auch Umstände aus dem Bereich des Streithelfers28 in Betracht kommen. Der BGH29 hat ___diese Frage wiederholt offen gelassen. Die Wiedereinsetzung für einen streitgenössi___schen Nebenintervenienten (§ 69 ZPO), der die selbständige prozessuale Stellung eines ___Streitgenossen hat, richtet sich nur nach Gründen, die in seiner Person liegen.30 ___ ___ 2. Fristen i.S.d. § 233 ___ ___ a) Notfristen. Notfristen sind nur diejenigen Fristen, die im Gesetz als solche be- 7 ___zeichnet werden, § 224 Abs. 1 Satz 2, also beispielsweise die Frist für die Anzeige der Ver___teidigungsabsicht (§ 276 Abs. 1 Satz 1),31 die Frist für den Einspruch gegen ein Versäum___nisurteil (§ 339 Abs. 1, 2),32 die Berufungsfrist (§ 517), die Revisionsfrist (§ 548) und die ___ ___ 21 BVerfG NJW 1995, 711. ___22 BVerfG NJW 1995, 3173; BGH NJW-RR 1996, 443; BGH NJW-RR 2000, 1731; die Verpflichtung besteht ___nicht für ein vom Rechtsmittelkläger angerufenes unzuständiges Rechtsmittelgericht – BGHReport 2004, ___1515; s. auch Rdn. 42. ___23 BGH NJW 1975, 218; BGH NJW 1986, 257; BGHR ZPO § 69 – Ehelichkeitsanfechtung. 24 BGH NJW 1991, 229; BGH NJW 1984, 353. ___25 RG HRR 1933 Nr. 1887 m. abl. Anm. Rosenberg ZZP 59 (1935), 55; RG JW 1936, 3046; BGH NJW 1991, ___229. ___26 Ganz h.M.; für viele RG HRR 1933, 1887; Stein/Jonas/Leipold § 67 Rdn. 6; Rosenberg/Schwab § 47 IV ___2 b. ___27 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; ebenso die Vorauflage § 66, A I b 2. 28 BGH VersR 1979, 350; Rosenberg ZZP 59 (1935, 56; Rosenberg/Schwab § 47 IV 2 b; § 70 III 1 b; BGH ___Windel ZZP 104 (1991 , 321, 339). ___29 BGH VersR 1988, 417; BGH NJW 1990, 190; BGH NJW 1991, 229. ___30 HM, vgl. nur Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; Stein/Jonas/Leipold § 69, 10. ___31 Zur Frage, ob Wiedereinsetzung nach Erlass des Versäumnisurteils noch in Betracht kommt s. KG NJW-RR 1997, 56 (ablehnend); Jauernig § 66 III 4; Kramer ZZP 91 (1978), 71, 73 ff.; Rastätter NJW 1978, 915; ___Unnützer NJW 1978, 985 und die Kommentierungen zu § 276. ___32 Keine Notfrist ist die Frist zur Begründung des Einspruchs nach § 340 Abs. 3 S. 1, deren Versäumung ___gem. S. 3 nach § 296 Abs. 1, 2, 4 zu behandeln ist; a.A. Hartmann NJW 1988, 2659.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Fristen für die sofortige Beschwerde (§ 569 Abs. 1 Satz 1), für die Nichtzulassungsbe______schwerde (§ 544 Abs. 1 Satz 2) und für die Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1). Zu den ______Besonderheiten der Notfristen s. Vor § 214, 26. ______ ______ b) Ausdrücklich genannte und ähnliche Fristen. Neben den Notfristen nennt 8 ______§ 233 die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbe______schwerde, der Rechtsbeschwerde und die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nach ______§ 234 Abs. 1.33 ______ Nach h.M.34 ist § 233 analog anzuwenden für die Fristen zur Einlegung der An9 ______schlussrechtsmittel. Daher ist bei Versäumung der Frist für die Einlegung der An______schlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2) und der Anschlussrevision (§ 554) Wiedereinset______zung in den vorigen Stand möglich,35 allerdings nur bis zur Beendigung des Verfahrens ______in der jeweiligen Instanz. ______ Umstritten ist, ob Wiedereinsetzung wegen der Unterlassung einzelner prozessua10 ______ler Rügen in einer form- und fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründungsschrift ______gewährt werden kann. Die Rechtsprechung36 lehnt dies unter Hinweis auf den klaren ______Wortlaut des § 233 für Verfahrensrügen im Rahmen der Revision mit zutreffenden Erwä______gungen ab. Dies gilt entsprechend, wenn der Berufungskläger in der Berufungsbegrün______dung nur einzelne Teile des erstinstanzlichen Urteils angreift und es im Übrigen an einer ______ordnungsgemäßen Rüge fehlt. Auch dieser Mangel kann nicht durch eine Wiedereinset______zung in den vorigen Stand behoben werden.37 Das Institut der Wiedereinsetzung ist nicht ______dazu da, inhaltliche Unvollständigkeiten einer an sich fristgerechten Berufungsbegrün______dung zu heilen. Nimmt eine Partei ein rechtzeitig eingelegtes Rechtsmittel infolge eines ______unverschuldeten Irrtums zurück, ist Wiedereinsetzung ebenfalls nicht möglich. In die______sem Fall ist keine Prozesshandlung versäumt worden.38 Anders ist die Lage, wenn der ______Rechtsmittelkläger das Verfahren mit Rücksicht auf einen ablehnenden PKH-Beschluss ______nur zeitweise durchführt und das Gericht später seine Meinung ändert (s.u. Rdn. 41 und ______§ 234, 13). ______ ______ c) Verweisung in anderen Gesetzen. Die §§ 233–236 gelten ferner, wenn Fristbe11 ______stimmungen in anderen Gesetzen auf sie verweisen oder die Vorschriften der ZPO über ______Notfristen für (entsprechend) anwendbar erklären (z.B. Art. 6 Abs. 3, 12 Abs. 3 NATO______Truppenstatut-AG). ______ ______ d) Analoge Anwendung. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Wiederein12 ______setzungsvorschriften unter Umständen auch entsprechend angewendet werden können. ______So hat das Bundesverfassungsgericht entgegen dem früheren Gesetzeswortlaut ent______schieden, dass einer unbemittelten Partei, die nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe ______die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag versäumt hatte, gemäß Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 ______GG die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu gewähren sei.39 Diese Entscheidung ist zwar ______ ______ ______33 S.a. BGH NJW 2011, 153. 34 Stein/Jonas/Roth Rdn. 7. ______35 RGZ 156, 156; BGH NJW 1952, 425 (zu § 556 a.F.). ______36 RGZ 121, 5, 6; BAG NJW 1962, 2030; BVerwGE 28, 18. ______37 BGH NJW 1997, 1309 = MDR 1997, 490; BGH FamRZ 2007, 903; anders ist es allerdings dann, wenn es ______nicht darum geht, eine vergessene Rüge nachzuholen, sondern ein Fehler bei der Übermittlung der Rechtsmittelschrift korrigiert werden soll, s. hierzu BGH NJW 2000, 364 = MDR 2000, 235 und OLG Celle ______NJW-RR 2003, 1439. ______38 BGH VersR 1992, 121. ______39 BVerfGE 22, 83 = NJW 1967, 1267 (z.B. § 233 a.F.).

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Gerken

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___durch die Vereinfachungsnovelle 197640 überholt. Die Grundsätze gelten aber für ähnli___che Konstellationen weiter. ___ ___ e) Fristen nach §§ 234 Abs. 3, 320 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3, 321 Abs. 2. Wiedereinset- 13 ___zung ist nach § 233 nicht möglich, wenn die Fristen für die Tatbestandsberichtigung ___(§ 320 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3)41 oder die Urteilsergänzung (§ 321 Abs. 2)42 versäumt worden ___sind. Auch gegen die Versäumung der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ist Wiedereinsetzung ___gesetzlich nicht vorgesehen.43 ___ ___ f) Prozessvergleich. Nach h.M. findet bei Versäumung der in einem Prozessver- 14 ___gleich vereinbarten Widerrufsfrist keine Wiedereinsetzung statt.44 Die Gegenansicht45 ___stellt darauf ab, dass der Prozessvergleich verfahrenbeendende Wirkung hat und der ___Versäumung der Widerrufsfrist daher die gleiche Bedeutung zukommt wie der Versäu___mung der in § 233 genannten Fristen. Damit wird der privatrechtliche Charakter der Wi___derrufsfrist nicht ausreichend berücksichtigt.46 Der Prozessvergleich ist ungeachtet sei___ner Doppelnatur ein Vertrag, durch den die Parteien ein Rechtsverhältnis, das über den ___Streitgegenstand hinausgehen kann, privatautonom gestalten. Beim Vergleich besteht ___die rechtserhebliche Mitwirkung des Gerichts lediglich darin, den Vergleich zu Protokoll ___zu nehmen,47 selbst wenn der Vorschlag zum Vergleichsabschluss vom Gericht ausgeht. ___Die Parteien haben bei Vertragsabschluss auch über die Widerrufsmöglichkeit zu bestim___men. Mit dem ungenutzten Ablauf der Widerrufsfrist wird der Vergleich endgültig wirk___sam.48 Er gestaltet unmittelbar das Rechtsverhältnis zwischen den Vertragschließenden. ___Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte weder materiellrechtlich noch pro___zessrechtlich eine Grundlage. Die Parteien können allerdings vereinbaren, dass die Wie___dereinsetzungsregeln gelten sollen.49 Das Bedenken, dass dem Gericht auf diese Weise ___ein gesetzlich nicht vorgesehenes Verfahren vorgeschrieben werde,50 ist dabei unbe___gründet. Denn es geht um die Frage, ob der gerichtliche Vergleich wirksam ist und ob er ___den Prozess beendet hat. Diese Frage kann und muss durch Fortsetzung des bisherigen ___Rechtsstreits geklärt werden.51 ___ ___ ___ ___ ___ ___ ___40 BGBl. I 3281. ___41 BGHZ 32, 17, 27 = NJW 1960, 866. ___42 BGH NJW 1980, 785. 43 BGH VersR 1987, 256; BGH LM § 234 C Nr. 1, 4. ___44 BGHZ 61, 394 = NJW 1974, 107; BGH NJW 1980, 1752; BGH NJW-RR 1992, 121; BGH NJW 1998, 2844; ___OLG Hamm FamRZ 1988, 535; Stein/Jonas/Münzberg § 794, 66 Fn. 268. ___45 Säcker ZZP 80 (1967, 421; BGH NJW 1967, 1117; BGH NJW 1968, 708; Stein/Jonas/Roth Rdn. 17; ___zustimmend Gerhardt ZZP 98 (1985), 357. Nach Säcker a.a.O., 431, 447 ist § 233 auf Prozessvergleiche ___sinngemäß anwendbar, wenn der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären ist; ist er gegenüber dem Prozessgegner zu erklären, soll ein „allgemeines Fristenhemmungsprinzip“ gelten (S. 442, 447). ___46 BGHZ 61, 394, 398 ff. = NJW 1974, 107. ___47 BGHZ 35, 309, 312 f. = NJW 1961, 1817; BGH NJW 1986, 1348. ___48 Nach BGHZ 88, 364 = NJW 1984, 312 stellt der Widerrufsvorbehalt im Regelfall eine aufschiebende ___Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs dar. 49 Stein/Jonas/Roth Rdn. 19; Bökelmann FS F.Weber, S. 101, 111; Bull AnwBl 1974, 378; BGH Meier___Scherling DRiZ 1974, 161. ___50 Stein/Jonas/Münzberg § 794, 66 Fn. 268. ___51 Vgl. nur BGHZ 87, 227, 230 = NJW 1983, 2034.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ III. Begründetheit ______ ______ 1. Fehlendes Verschulden. § 233 setzt nicht voraus, dass die Frist infolge eines un15 ______abwendbaren Zufalls versäumt wurde. Wiedereinsetzung muss bereits dann gewährt ______werden, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. ______ Ein Verschulden liegt vor, wenn die Partei eine Frist vorsätzlich oder infolge von 16 ______– auch leichter – Fahrlässigkeit verstreichen lässt. Vorsätzlich handelt derjenige, der ______von dem Fristablauf weiß, d.h. ihn zumindest für möglich hält, aber die gebotene Pro______zesshandlung nicht vornimmt, weil er die sich aus der Fristversäumnis ergebende ______Rechtsfolge bewusst will oder wenigstens billigend in Kauf nimmt.52 Rechts- oder Tatsa______chenirrtümer schließen Vorsatz aus. ______ Bei der Beurteilung des Verschuldens legt die Rechtsprechung seit jeher einen 17 ______subjektiven Maßstab an. Entscheidend ist, ob die Partei ihre Sorgfaltspflichten erfüllt ______hat.53 Derjenige, der der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit ______gegenübersteht, soll durch das Wiedereinsetzungsrecht nicht geschützt werden. Maß______geblich sind die Pflichten, die von der Partei unter den gegebenen Umständen nach ih______ren individuellen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen gerechterweise zuzumuten ______sind. Der subjektivierte Maßstab ist grundsätzlich richtig, da sich rein objektive Kriterien ______für eine verfahrensmäßige Sorgfalt von prozessunerfahrenen Laien nicht aufstellen las______sen. Andererseits ist in objektiver Hinsicht davon auszugehen, dass jede Partei unter ______normalen Umständen ihre prozessualen Obliegenheiten erfüllen kann. Der erforderliche ______Aufwand, der zur Wahrung der Frist erforderlich ist, ist ihr regelmäßig zuzumuten. Auch ______die nicht juristisch geschulte Partei muss sich daher rechtzeitig über Form und Frist ei______nes Rechtsmittels gegen eine für sie nachteilige Entscheidung erkundigen.54 Es geht zu ______ihren Lasten, wenn sie mögliche und ihr zumutbare Anstrengungen unterlassen hat, die ______Fristversäumnis abzuwenden.55 Beruht die Unkenntnis der Partei von einer Frist darauf, ______dass sie für ihren Prozessbevollmächtigten oder für das Gericht nicht erreichbar war, ______trifft sie dann ein Verschulden, wenn aufgrund des Verfahrensstands eine gerichtliche ______Mitteilung bzw. eine Nachricht des Anwalts zu erwarten war.56 Hätte die Partei das ______Rechtsmittel selbst einlegen können, kann sie sich nicht darauf berufen, dass sie keinen ______zur Vertretung bereiten Anwalt gefunden habe.57 Weiterhin kann ein vorwerfbares Ver______schulden darin liegen, dass eine Partei ihren Rechtsanwalt so kurzfristig informiert, dass ______er nicht mehr fristwahrend tätig werden kann. ______ 18 Ein strengerer Sorgfaltsmaßstab gilt für das Handeln des bevollmächtigten Rechts______anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO). Der Rechtsanwalt muss die übliche Sorgfalt eines or______dentlichen Rechtsanwalts anwenden,58 wie er sie nach dem geschlossenen Anwaltsver______trag schuldet. Die äußerste, auch den Umständen nach mögliche Sorgfalt ist nicht zu ______fordern.59 Vom Anwalt wird erwartet, dass er die maßgeblichen Rechtsvorschriften kennt ______ ______ ______52 BGH VersR 1975, 1028 (Verstreichenlassen der Berufungsfrist im Vertrauen auf das Zustandekommen ______eines Vergleichs). ______53 RG HRR 1929, 775; RG JW 1930, 139; RGZ 96, 138, 322, 324. 54 BGH NJW 1997, 1989. ______55 BVerfG NJW 1996, 1811. ______56 BGH VersR 1995, 810. ______57 OLG Köln NJW-RR 1996, 188. ______58 BGH VersR 1982, 495; BGH 1983, 374; BGH NJW 1985, 1710 = VersR 1985, 451. Zum „gemilderten Sorgfaltsmaßstab“ wegen der Veränderungen im Zuge des Beitritts der neuen Bundesländer s. BGH DtZ ______1991, 345; BGH 1993, 53; BGH VersR 1992, 1024. ______59 Vollkommer FS Ostler, S. 160 ff.; Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivilprozess (1984), ______S. 43 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___oder sich die erforderliche Kenntnis verschafft.60 Die fehlerhafte Veröffentlichung eines ___Gesetzestextes schließt ein Anwaltsverschulden aus.61 Unterzeichnet der Anwalt eine ___Rechtsmittelschrift, gehört es zu seinen Pflichten, die Formalien zu prüfen (ordnungsge___mäße Parteibezeichnung, Angabe des angefochtenen Urteils, Wahl des richtigen Rechts___mittels, Bezeichnung des zutreffenden Rechtsmittelgerichts).62 Diese Pflichten kann er ___nicht deligieren. Ein Irrtum des Anwalts bei der Fristberechnung kann entschuldigt sein, ___wenn sich der Anwalt einer unrichtigen Ansicht angeschlossen hat, die von einem OLG ___und in den gängigen Handkommentaren vertreten wurde.63 Das Gleiche gilt, wenn das ___Rechtsmittelgericht bei der Beurteilung einer Frist von der höchstrichterlichen Recht___sprechung abweicht64 (zur falschen Rechtsmittelbelehrung s. Rdn. 33, 41). Kein Vorwurf ___trifft den Anwalt, wenn seine langjährig geleistete Unterschrift plötzlich beanstandet ___wird,65 und zwar selbst dann, wenn es sich um eine – den Anforderungen nicht genü___gende – Paraphe handelt.66 Dasselbe gilt, wenn eine bisher als ausreichend angesehene ___Begründung für ein Fristverlängerungsgesuch überraschend beanstandet und das Ge___such zugleich zurückgewiesen wird67 (zu weiteren Irrtumsfällen s. Rdn. 40). Erhält der ___Prozessbevollmächtigte die Auskunft, es sei ein Berichtigungsbeschluss ergangen, ___braucht er nicht vorsorglich für den Fall, dass der Beschluss später im Wege der soforti___gen Beschwerde rückgängig gemacht wird, Berufung einzulegen.68 Kann der Anwalt ___trotz mehrfacher schriftlicher Anfrage beim Gericht nicht in Erfahrung bringen, ob und ___welche Entscheidung in dem ihm bekannt gemachten Verkündungstermin ergangen ist, ___kann ihm kein die Wiedereinsetzung hindernder Verschuldensvorwurf gemacht werden, ___wenn er die Fünfmonatsfrist des § 517 verstreichen lässt und die Zustellung der Ent___scheidung abwartet.69 Ob der Rechtsanwalt die übliche Sorgfalt angewendet hat, richtet ___sich in erster Linie nach objektiv-typisierten Kriterien.70 Die Sorgfaltspflichten verschär___fen sich nicht dadurch, dass der Anwalt organisatorische Sicherungen anordnet, die ___über das gebotene Maß hinausgehen.71 Überarbeitung72 oder berufliche Unerfahrenheit73 ___entschuldigen unter Umständen nicht. „Besondere“ Sorgfalt verlangt die Rechtspre___chung vom Anwalt in Fällen, in denen der Fristablauf unmittelbar bevorsteht.74 Aller___dings ist die Rechtsprechung nicht einheitlich. So hat es z.B. der BGH einem nicht beim ___Berufungsgericht ansässigen Anwalt nicht als Verschulden angerechnet, dass er es un___terlassen hat, eine Rechtsmittelschrift, deren Übermittlung per Fax eine Stunde vor ___Fristablauf gescheitert war, per Boten oder persönlich zu überbringen, obwohl dies zeit___lich noch möglich gewesen wäre.75 ___ ___ ___60 BGH VersR 1983, 876; 1985, 1183; 1986, 892; 1987, 764; BGH NJW 1992, 2158; zum Irrtum bei – ___jedenfalls höchstrichterlich – ungeklärter Rechtslage s. BbgVerfG NJW 2004, 3259. ___61 BVerfG NJW 2008, 2167. 62 BGH NJW 2009, 1750; BGH NJW-RR 2010, 1096 = MDR 2010, 887; BGH NJW 2011, 386, 387 und 3306. ___63 BGH VersR 1984, 1193; BGH NJW 1995, 1095. ___64 BVerfG NJW 1991, 2894. ___65 BGH VersR 1975, 927; dazu auch BVerfG NJW 1988, 2787. ___66 BGH NJW 1999, 60. ___67 BVerfG NJW-RR 2001, 1076. 68 BGH NJW 1998, 3280 = MDR 1999, 54. ___69 BGH NJW-RR 2004, 786 = MDR 2004, 406. ___70 Dazu ausführlich Borgmann/Haug § 26 4, S. 151 ff., die Verschulden im prozessualen und ___materiellrechtlichen Sinne unterscheiden; dagegen Vollkommer Anwaltshaftungsrecht, Rdn. 277 ff. ___71 BGH NJW 1992, 1047 = VersR 1992, 1154; BGH NJW 1995, 1682 = VersR 1995, 1253. 72 BGH VersR 1972, 886. ___73 BGH VersR 1972, 148. ___74 BGH VersR 1976, 783; BGH NJW 1980, 457. ___75 BGH NJW-RR 2004, 283 = BGHReport 2003, 1431.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 19 2. Verschuldenszurechnung. Dem eigenen Verschulden der Partei oder ihres ge______setzlichen Vertreters (§ 51 Abs. 2) steht das Verschulden eines Bevollmächtigten gleich, ______§ 85 Abs. 2 (s. Erl. zu dieser Vorschrift sowie § 234 Rdn. 12). Jede Form des Verschuldens ______des Bevollmächtigten, auch die vorsätzliche Schädigung,76 ist der Partei zuzurechnen. ______Wendet sich die Partei an eine Anwaltssozietät, ist grundsätzlich davon auszugehen, ______dass sie alle Mitglieder bevollmächtigt,77 wobei sich das Mandat im Zweifel auch auf spä______ter hinzutretende Sozietätsmitglieder erstreckt. Anders kann es sein, wenn ein Mitglied ______der Sozietät als Notanwalt (§ 78b) bestellt oder im PKH-Verfahren beigeordnet wird und ______die Partei nur diesem Anwalt Vollmacht erteilt.78 Zu den Bevollmächtigten zählt der Ver______kehrsanwalt (Korrespondenzanwalt)79 und der amtlich bestellte Vertreter,80 aber nicht ______mehr nach dem Tod des Anwalts.81 Als Vertreter oder Bevollmächtigter wird auch der ______Rechtsanwalt angesehen, der die Sache als juristischer Mitarbeiter des Prozessbevoll______mächtigten nicht nach bestimmten Weisungen, sondern selbständig bearbeitet.82 Ver______treter ist ferner ein Nichtanwalt, dem es die Partei überlassen hat, den Schriftwechsel mit ______dem beim Gericht auftretenden Rechtsanwalt zu führen oder den Rechtsanwalt mit der ______Führung des Prozesses oder der Einlegung eines Rechtsmittels zu beauftragen.83 Der ______Rechtsanwalt darf Aufgaben, die mit der Fristwahrung zusammenhängen, an das Büro______personal delegieren (dazu unten Rdn. 20, 54 ff.). Wenn das Büro allerdings mangelhaft ______organisiert oder das Personal nicht fachgerecht ausgebildet und überwacht worden ist ______und die Fristversäumung darauf beruht, liegt ein eigenes Verschulden des Anwalts vor. ______Hierfür muss die Partei einstehen. Nach der Beendigung des Auftragsverhältnisses (Nie______derlegung des Mandats)84 entfällt die Verschuldenszurechnung gemäß § 85 Abs. 2.85 Aller______dings kann das Verschulden darin liegen, das der Anwalt das Mandat zur Unzeit nieder______gelegt hat.86 Nimmt der frühere Bevollmächtigte eine nach § 87 wirksame Zustellung ______entgegen, muss er den Vollmachtgeber unterrichten. Geschieht das nicht, liegt ein Wie______dereinsetzungsgrund vor.87 ______ Das Verschulden Dritter, insbesondere des Büropersonals des Prozessbevoll20 ______mächtigten, ist der Partei nicht zuzurechnen, da eine entsprechende Zurechnungsnorm ______fehlt. Das gilt auch für Behörden und gewerbliche Betriebe, in denen die Kontrolle von ______ ______ ______76 A.A. VG Stade NJW 1983, 1509; Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivilprozess (1984), S. 43, 56; ______anders Stürner JZ 1986, 1092, der eine Reduktion des Zurechnungsgrundsatzes befürwortet für die Fälle, in ______denen hochrangige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen. 77 BGH NJW 1991, 2294; BGH NJW 1994, 257 = BGHZ 124, 47 = VersR 1994, 874 ; BGH NJW 1995, 1841; ______eingehend dazu Müller NJW 1993, 681, 684; zum Fall, dass ein Anwalt nur bei einem bestimmten Gericht ______zugelassen ist s. BGH VersR 1982, 848; BGH NJW 1994, 257, 258 m.w.N. ______78 BGH VersR 1992, 121. ______79 BGH VersR 1982, 879; 1988, 418; 1996, 606. 80 BGH VersR 1984, 585; OVG Hamburg NJW 1993, 747. ______81 BGH NJW 1982, 2324. ______82 BGH VersR 1974, 1000 = NJW 1974, 1511; BGH VersR 1983, 83, 641; 1984, 239, 443; 1990, 874; 1992, ______1421; 1994, 117; BGH NJW 2001, 1575 = MDR 2001, 599 (Urlaubsvertreter); BAG AP Nr. 12 zu § 233 ZPO 1977; ______BGH VersR 1995, 194 („unselbständiger“ Mitarbeiter); BGHReport 2004, 910; BGH NJW 2004, 2901 ______(Anwaltsassessor). 83 BGH VersR 1985, 1185; BGH VersR 1995, 931; BGH NJW-RR 2001, 427. Zur Anrechnung des ______Verschuldens des eingeschalteten Versicherers s. BGH VersR 1973, 746; zur Abgrenzung s. BGH NJW 1988, ______2673. ______84 Zur Wirksamkeit BGH VersR 1973, 185; zur Fristenkontrolle bei Mandatsniederlegung OLG Frankfurt ______VersR 1991, 897; zu den Sorgfaltspflichten des Anwalts gegenüber dem Mandanten bei Niederlegung s. BGH NJW 1998, 3783 = MDR 1998, 1443. ______85 BGH VersR 1992, 378; BGH NJW 2008, 2713. ______86 Beispiel: BGH NJW 2006, 2334. ______87 BGH NJW 1953, 703; BGH NJW 1980, 999; BGH VersR 1985, 1185.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___Fristen und Terminen ähnlich wie in einem Anwaltsbüro eingerichtet ist. Hinsichtlich ___Büroorganisation und Vertretung gelten dieselben Regeln wie für ein Rechtsanwalts___büro.88 ___ ___ 3. Pflichtverletzung und Ursächlichkeit. Ein Umstand ist ursächlich für die Frist- 21 ___versäumnis, wenn er zu einer fehlerhaften Sachbehandlung geführt hat und es ohne ihn ___nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu der Fristversäumung nicht gekommen ___wäre. Ein Unterlassen (z.B. einer anwaltlichen Vorsorgemaßnahme) ist dann ursächlich ___für die Fristversäumung, wenn der ausschlaggebende Fehler mit der sich anschließen___den Fristversäumung durch die unterbliebene Maßnahme vermieden worden wäre. Zu___sätzlich muss dabei geprüft werden, ob ein Zurechnungszusammenhang zwischen der ___Pflichtverletzung und der Fristversäumung besteht.89 Ein Verschulden der Partei, das sich ___auf die Fristversäumung nicht ausgewirkt hat, steht der Wiedereinsetzung daher nicht ___entgegen.90 Hat z.B. der Anwalt die Frist falsch notiert, den Schriftsatz aber rechtzeitig ___vor Ablauf der Frist abgesandt, ist die Postverzögerung ein Wiedereinsetzungsgrund. ___Denn die in der unrichtigen Notierung liegende fehlerhafte Sachbehandlung ist für die ___Fristüberschreitung nicht ursächlich geworden.91 Fällt der Hinderungsgrund vor Fristab___lauf weg, kommt es darauf an, ob es der Partei trotz verkürzter Frist zuzumuten ist, die ___fristwahrende Handlung rechtzeitig vorzunehmen.92 Für die Wiedereinsetzung spielt es ___keine Rolle, ob die Prozesshandlung überhaupt nicht oder nur in unwirksamer Weise ___vorgenommen worden ist.93 ___ Kommen mehrere Faktoren als Ursache für die Fristversäumung in Betracht, muss 22 ___jedes Glied der Kausalkette daraufhin untersucht werden, ob die Fristversäumung auf ___ihm beruht. Mitursächlichkeit eines anwaltlichen Verschuldens schließt die Wiederein___setzung in den vorigen Stand grundsätzlich aus.94 Ein Büroversehen, das trotz fachge___rechter Organisation passiert ist, entschuldigt daher nur, wenn es die allein relevante ___Ursache für die Fristversäumung ist.95 Wird ein Fristverlängerungsantrag irrtümlich an ___ein falsches Gericht geschickt, bleibt dieser Fehler auch dann ursächlich für die Fristver___säumung, wenn das unzuständige Gericht auf telefonische Rückfrage erklärt hatte, ei___nem ersten Verlängerungsantrag werde regelmäßig stattgegeben.96 Soweit der Anwalt ___allerdings eine Kontrollaufgabe delegieren darf, wie z.B. die Unterschriftenprüfung,97 ___schließt ein Anwaltsfehler (die Nicht-Unterzeichnung des Schriftsatzes), der durch die ___vorgesehene Kontrollmaßnahme ausgeschaltet werden sollte, die Wiedereinsetzung nicht ___aus. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Anwalts liegt in diesen Fällen nicht vor. Auf ___ ___ ___88 RG JW 1930, 1855; RG DR 1943, 527; BGH VersR 1989, 930; s. auch Rdn. 31. ___89 Vgl. BGH VersR 1974, 1001; 1975, 663; 1975, 1148; BGH NJW 1975, 1125; BGH VersR 1983, 661 a.E.; BGH VersR 1988, 941; BGH NJW 1996, 998 = VersR 1996, 910; BAG NJW 1989, 2708. ___90 RG JW 1891, 119; 1902, 604; BGH VersR 1976, 295; BGH VersR 1987, 49, 50; BGH VersR 1993, 1549; ___Zeuner JZ 1957, 158. ___91 BGH NJW 1963, 253. ___92 BGH NJW 1976, 626; s. auch Erl. zu § 234, 6. ___93 BGH NJW 2002, 3636 (rechtzeitiger Eingang einer nicht unterschriebenen Berufungsschrift). 94 BGH VersR 1963, 287; 1972, 148; 1981, 1126; 1987, 486; 1988, 251; BGH NJW 1990, 2822; großzügiger ___BGH VersR 1993, 77. ___95 BGH VersR 1963, 287. ___96 BGH NJW 2000, 1236 = MDR 2000, 1026. ___97 BVerfG VersR 1996, 605; BGH VersR 1985, 285 = NJW 1985, 1226; BGH VersR 1989, 589; BGH VersR 1986, 891; 1995, 194 (keine Delegation an unerfahrenen freien Mitarbeiter); BGH NJW 1996, 998 = VersR ___1996, 910 (Delegation an Auszubildende); BGH NJW-RR 2002, 1004; s. auch BGH VersR 1994, 1494 unter ___2 a; Vollkommer Anwaltshaftungsrecht Rdn. 376; anders Zeuner Anm. zu BAG AP Nr. 44 zu § 233 ZPO ___Bl. 1048 = NJW 1966, 799; gegen Zeuner/Ostler NJW 1967, 2300.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______die Ordnungsmäßigkeit der Büroorganisation kommt es auch nicht an, wenn der Anwalt ______eine Einzelanweisung (s. Rdn. 47) erteilt hat, auf deren Befolgung er vertrauen konnte. ______Durch eine spezielle Weisung, die der Fristwahrung dient, kann der Organisationsman______gel also nachträglich geheilt werden. Zum Mitverschulden von Justizorganen s. Rdn. 5, ______41, 42. ______ Hat eine Partei mehrere anwaltliche Vertreter, so hindert das relevante Verschul23 ______den nur eines von ihnen (sofern es in die Vertretungszeit fällt) bereits die Wiedereinset______zung.98 Als Bevollmächtigter der Partei im Sinne von § 85 Abs. 2 ist dabei auch der An______walt anzusehen, der als Angestellter oder freier Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten ______mit der Bearbeitung des Mandats betraut worden ist, es sei denn, er ist als bloße Hilfs______kraft in untergeordneter Position tätig geworden.99 ______ ______ 4. Einzelfälle ______ ______ a) Geschäftsunfähigkeit, Erkrankung. Ist eine Partei in dem entscheidenden Zeit24 ______raum geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB und daher nicht in der Lage, einen ______Anwalt wirksam zu bevollmächtigen, trifft sie kein Verschulden an der Nichteinhaltung ______der Frist.100 Das Gleiche gilt, wenn eine Partei körperlich oder geistig unfähig ist, von der ______Zustellung eines Urteils Kenntnis zu nehmen.101 ______ Die Erkrankung der Partei (zur Erkrankung des Anwalts s.u. Rdn. 50) ist Wiederein25 ______setzungsgrund, falls diese so schwerwiegend ist, dass es der Partei nicht möglich oder ______nicht zuzumuten ist, die zur Fristwahrung erforderlichen Handlungen vorzunehmen. ______Dies ist z.B. der Fall, wenn der Kranke nicht mehr imstande ist, den Rat eines Rechtsan______walts einzuholen, wenn er aufgrund seines Gesundheitszustands eine sachgemäße Ent______scheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels nicht mehr treffen kann oder wenn er ______den Rechtsanwalt nicht mehr ausreichend unterrichten kann.102 Eine vorübergehende ______nervöse Erschöpfung reicht als Wiedereinsetzungsgrund jedoch nicht.103 Unter Umstän______den muss sich die Partei trotz ihrer Erkrankung über Fristerfordernisse erkundigen104 ______oder sich beraten lassen. Bei einer länger andauernden Krankheit muss die Partei unter ______Umständen Vorsorge für den Fall treffen, dass sich die Krankheit verschlechtert.105 In ei______nem größeren Betrieb muss dafür gesorgt sein, dass während einer Erkrankung des Ge______schäftsführers fristgebundene Maßnahmen ergriffen werden.106 In besonderen Fällen kann ______die Erkrankung eines nahen Angehörigen einen Wiedereinsetzungsgrund bilden.107 Die ______Selbsttötung des für die Fristwahrung Verantwortlichen kann nicht als schuldhaftes ______Verhalten angesehen werden.108 ______ ______ 26 b) Abwesenheit der Partei. Im Fall einer geplanten Abwesenheit (z.B. Urlaub, Rei______se, Kuraufenthalt) muss die prozessführende Partei dafür sorgen, dass Fristen eingehal______ten werden. Dazu gehört vor allem, dass sie für ihren Prozessbevollmächtigten zu Rück______ ______ ______98 BGH NJW 2003, 2100. ______99 BGHReport 2004, 910, 911 m.w.N. 100 BGH NJW 1987, 44. ______101 BGH VersR 1986, 965. ______102 BGH VersR 1970, 821; 1985, 139, 393; 1985, 550; 1989, 931; BGH NJW-RR 1994, 957. ______103 BGH VersR 1983, 138; Bedenken dagegen bei Stein/Jonas/Roth Rdn. 136. ______104 BGH VersR 1977, 719; kritisch hierzu Stein/Jonas/Roth Rdn. 136; BGH VersR 1971, 1122. 105 BGH VersR 1985, 139. ______106 BGH VersR 1987, 561. ______107 RG JW 1929 325. ______108 BGH VersR 1984, 988.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___fragen erreichbar bleibt und die erforderlichen Weisungen rechtzeitig erteilt.109 Während ___eines Prozesses ist es vorhersehbar, dass Situationen auftauchen, die eine Mitwirkung ___der Partei notwendig machen. Daher kann eine Partei grundsätzlich nicht darauf ver___trauen, dass während einer längeren Abwesenheit keine fristgebundenen Handlungen ___vorzunehmen sind. Wenn absehbar ist, dass kurzfristig eine Entscheidung getroffen ___werden muss (z.B. nach Abschluss eines Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahrens), hat ___die Partei Sorge dafür zu tragen, dass sie für ihren Anwalt innerhalb weniger Tage er___reichbar ist.110 Dazu gehört es auch, dass die Partei von sich aus Kontakt mit ihrem Pro___zessbevollmächtigten aufnimmt, wenn die Möglichkeit besteht, dass dieser vergeblich ___versucht hat, sie zu erreichen. Hinterlässt sie z.B. eine Telefonnummer mit einem Anruf___beantworter oder einer sog. Mobilbox und stellt sich heraus, dass ein Aufzeichnungsde___fekt vorliegt, muss sie im Rahmen ihrer prozessualen Sorgfaltspflicht nachfragen, ob ihr ___ein Anruf entgangen ist.111 Die Verpflichtung, während einer geplanten Reise erreichbar ___zu bleiben, trifft auch den Geschäftsführer einer juristischen Person.112 Die Partei erfüllt ___ihre Sorgfaltspflicht, wenn sie hinreichende Vorkehrungen dafür trifft, dass sie unver___züglich von einem während ihrer Abwesenheit eingehenden Schriftstück informiert ___wird. Dabei kann eine Absprache mit einem im Haushalt lebenden Familienmitglied ge___nügen. Bei minderjährigen Kindern ist allerdings Voraussetzung, dass diese über den ___entsprechenden Reifegrad verfügen.113 ___ Selbst eine Inhaftierung befreit die Partei nicht von der Obliegenheit, sich um das 27 ___schwebende Verfahren zu kümmern. Sie muss zumindest dafür sorgen, dass eine Ge___richtsverfügung oder die Anwaltspost unverzüglich nachgeschickt wird.114 ___ Die Partei muss bei jedem Wechsel des Aufenthaltsortes dafür Sorge tragen, dass 28 ___sie für ihren Prozessbevollmächtigten erreichbar bleibt. Allerdings muss dies nicht unter ___allen Umständen durch Mitteilung der neuen Anschrift an den Anwalt geschehen. Ein ___Verschulden ist daher unter Umständen zu verneinen, wenn die Partei darauf vertrauen ___darf, dass eine zuverlässige Mittelsperson die für sie eingehende Anwaltspost an ihren ___neuen Aufenthaltsort nachschickt und sie von besonders eilbedürftigen Vorgängen so___fort benachrichtigt.115 ___ Muss die Partei nicht damit rechnen, dass ein Verfahren gegen sie in Gang gesetzt 29 ___wird, braucht sie für den Fall ihrer Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen zur ___Fristwahrung zu treffen.116 Sie braucht dann also nicht unbedingt eine Vertrauensperson ___zu beauftragen, die in der Lage ist, die notwendigen Maßnahmen zur Fristwahrung zu ___ergreifen. Wenn in diesen Fällen die Ehefrau auf Zustellungen nicht reagiert, hat der ___ ___ ___ ___ 109 BGH NJW 1974, 1384, 2321; BGH VersR 1977, 257; 1979, 231 = NJW 1979, 984; BGH VersR 1982, 652; ___1986, 95; 1986, 966; 1992, 119, 1373; 1993, 205; 1995, 810; BGH NJW 1993, 667; BGH NJW 2000, 3143 = MDR ___2000, 1391 (Auslandsreise der Partei in Kenntnis eines bereits drei Wochen zurückliegenden ___Verkündungstermins); ähnlich BGH NJW 2009, 1608. ___110 BGH VersR 1989, 104. ___111 BGH NJW 2003, 903. 112 BGH VersR 1991, 121. ___113 Beispiel nach BGH NJW-RR 2002, 137. ___114 Vgl. BGH NJW 1988, 2672, 2674 mit Hinweis auf die strengere, insoweit überholte Entscheidung BGH ___VersR 1977, 257. ___115 BGH NJW 1988, 2672; zum Fall, dass eine solche Vorsorge nicht getroffen worden ist, s. BGH NJW 2005, 688. ___116 RGZ 78, 121, 125; BVerfGE 41, 332, 335 f. = NJW 1976, 1537 (betr. § 44 StPO); BGH VersR 1988, 158 lässt ___offen, ob die Rechtsprechung des BVerfG zur Wiedereinsetzung in den summarischen Strafverfahren auch ___im Zivilprozess gilt.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Abwesende dies grundsätzlich nicht zu vertreten.117 Die Privatperson muss sich also nur ______auf Fristabläufe einrichten, die nach den Umständen vorhersehbar sind. ______ ______ 30 c) Vorbereitung der Prozessführung. Wiedereinsetzung ist zu versagen, wenn die ______Partei schuldhaft Prozessobliegenheiten vernachlässigt und sie deswegen die Frist ver______säumt. Schuldhaft handelt die Partei, die ______– die Klageschrift, die ihr durch Niederlegung zugestellt wurde, nicht vor ihrem Ur______ laub abholt, obwohl ihr die Abholung zuzumuten ist;118 ______– eine Entscheidung, die ihr während des Urlaubs durch eine Niederlegung zugestellt ______ wurde, nicht alsbald nach Urlaubsende abholt;119 ______– während der Rechtsmittelfrist erfährt, dass die Mitteilung über die Niederlegung ______ des Schriftstücks verloren gegangen ist und nicht unverzüglich geeignete Schritte ______ unternimmt, um die Frist zu wahren;120 ______– das Schreiben ihres Anwalts, der sein Mandat niedergelegt hat, nicht annimmt;121 ______– das Anwaltsmandat kündigt, ohne sich um die laufende Frist zu kümmern;122 ______– als GmbH nicht durch ausreichende Kennzeichnung des Briefkastens dafür sorgt, ______ dass der Postzugang gesichert ist.123 ______ Ernsthafte Behinderungen im Rahmen der Prozessführung können dagegen einen ______Wiedereinsetzungsgrund schaffen. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn dem für die ______Rechtsmittelinstanz neu beauftragten Anwalt die Prozessakten nicht innerhalb der Frist ______zur Begründung des Rechtsmittels zur Einsicht überlassen werden.124 ______ 31 Hat eine GmbH Kenntnis davon, dass zu ihrem Nachteil ein Urteil ergangen ist, und ______bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine angekündigte Auskunft ihres Anwalts über die ______Zustellung fehlgeleitet wurde, so ist sie verpflichtet, sich im Hinblick auf die Rechtsmit______telfrist bei ihrem Anwalt über den Zustellungszeitpunkt zu informieren. An die Erkundi______gungspflicht eines größeren Unternehmens sind höhere Anforderungen zu stellen als ______an die einer natürlichen Partei oder eines Handwerksbetriebes.125 Behörden126 und grö______ßere Unternehmen müssen eine Organisation einrichten, die gewährleistet, dass Pro______zessfristen zuverlässig beachtet und erledigt werden. Bedienstete müssen entsprechend ______angeleitet und überwacht werden.127 Ein Jugendamt muss einen juristisch geschulten ______Sachbearbeiter in Kindschaftssachen einsetzen.128 ______ Eine im Handelsregister eingetragene juristische Person bleibt während des anhän32 ______gigen Verfahrens auf Löschung bzw. Auflösung parteifähig und ist verpflichtet, prozes______suale Fristen zu wahren.129 Bei Insolvenz trifft den Gemeinschuldner hingegen kein Ver______ ______ ______117 BGH NJW 1986, 2958. ______118 BGH VersR 1977, 1098. 119 BGH VersR 1978, 826. ______120 BGH FamRZ 1987, 925 m. Anm. Gottwald (die Entscheidung ist sehr streng; mit beachtlichen ______Gründen plädiert Gottwald dafür, der Partei ab Kenntniserlangung die in § 234 Abs. 1 normierte Frist als ______Mindest-Überlegungsfrist zuzubilligen und ihr daher Wiedereinsetzung zu gewähren). ______121 BGH VersR 1982, 545. ______122 BGH VersR 1983, 540. 123 BGH NJW 1991, 109 = VersR 1991, 124. ______124 BGH NJW-RR 2005, 143. ______125 BGH VersR 1991, 123. ______126 Großzügig RG HRR 1930, 1865 (umständlicher Geschäftsgang bei einer Stadtgemeinde als ______unabwendbarer Zufall). 127 RG HRR 1928, 1855; 1931, 621; 1936, 1332; BGH VersR 1969, 1093; 1989, 930; OLG Hamm MDR 1971, ______495; zur Sorgfaltspflicht des Mitarbeiters einer Stadt OVG Münster NVwZ 1991, 490. ______128 BGH VersR 1972, 1051. ______129 BGH VersR 1991, 121.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___schulden, wenn er keinen Anwalt als Zustellungsbevollmächtigten für die Aufnahmeer___klärung des Gegners bestellt.130 Er muss aber insbesondere bei Beendigung des Insol___venzverfahrens auf den Fristablauf achten und ggf. Rechtsrat einholen.131 ___ Eine juristisch nicht vorgebildete Partei hat sich alsbald nach Zustellung einer ihr un- 33 ___günstigen Gerichtsentscheidung nach Form und Frist eines hiergegen zulässigen Rechts___mittels zu erkundigen.132 Das Fehlen einer gesetzlich nicht vorgeschriebenen Rechtsmit___telbelehrung ist grundsätzlich kein Wiedereinsetzungsgrund133 (s. auch Rdn. 41). Ist die ___Rechtsmittelbelehrung nötig, muss sie allerdings richtig sein. Die Partei darf auf die ___Richtigkeit vertrauen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Partei anwaltlich ver___treten ist.134 Die Partei muss rechtzeitig einen beim Gericht zugelassenen Rechtsanwalt ___bestellen und einen von diesem geforderten Vorschuss zahlen.135 Möglich ist dies aller___dings noch am letzten Tag der Frist. Denn es ist ihr gestattet, die Frist vollständig auszu___nutzen. Nach Ansicht des BGH soll es ihr nicht als Verschulden angelastet werden kön___nen, wenn sie noch am letzten Tag der Frist ihren Anwalt wechselt.136 Findet die Partei ___trotz ausreichender Bemühungen keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, muss sie recht___zeitig, auf jeden Fall vor Fristablauf, beantragen, dass ihr nach § 78 b ein Notanwalt bei___geordnet wird.137 ___ ___ d) Postverkehr ___ ___ aa) Ordnungsgemäße Absendung. Es liegt in der Verantwortung des Absenders, 34 ___das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend zu fran___kieren, zu beschriften und so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es bei regelmäßigem ___Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht.138 Der Anwalt ist verpflichtet, durch ___eine entsprechende Büroorganisation sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schrift___satz tatsächlich und rechtzeitig abgesandt wird. Die Erledigung muss täglich anhand des ___Fristenkalenders überprüft werden.139 Gibt es im Büro zwei Fristenkalender, muss si___chergestellt sein, dass die Fristen jeweils in beiden Kalendern eingetragen und gelöscht ___werden.140 Ein gesondertes Postausgangsbuch braucht allerdings nicht geführt zu wer___den.141 Sofern der Absender das Schriftstück ordnungsgemäß auf den Postweg gebracht ___hat, braucht er sich nicht darüber zu vergewissern, ob es auch noch am letzten Tag der ___ ___ ___130 BGH NJW 1964, 47. 131 BGH VersR 1982, 673; 1985, 548. ___132 BGH VersR 1971, 1175; 1977, 719; BGH FamRZ 1980, 347, 555; BGH VersR 1986, 993; BGH NJW 1987, ___440; BGH FamRZ 1988, 829; BGH FamRZ 1992, 300; BGH FamRZ 1993, 678 (Wiedereinsetzung in einem ___Sonderfall); BGH DtZ 1994, 28 = VersR 1994, 200; BayVerfGH NJW 1993, 2231. ___133 BGH WM 1991, 1740; BGH NJW-RR 2010, 1297 = FamRZ 2010, 1425; BGH NJW 2012, 453; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt MDR 2011, 387; siehe aber auch BGHZ 42, 223, 229 = NJW ___1964, 2304 (Wiedereinsetzung, wenn die Rechtslage „besonders zweifelhaft“ war). ___134 BGH MDR 2012, 362 mit w. Nachw.; BAG NJW 2010, 3387; a.A. zur fehlerhaften ___Rechtsmittelbelehrung im familiengerichtlichen Verfahren s. OLG Koblenz NJW 2010, 2594 und OLG ___Stuttgart NJW 2010, 1978; Brandenburgisches Oberlandesgericht 35 UF 87/09 – juris; zu einer ___„offensichtlich falschen“ Rechtsmittelbelehrung s. OLG Hamm NJW 2011, 463. 135 BGH VersR 1970, 928; BGH VersR 1991, 122; BGH Report 2005, 46. ___136 BGH NJW-RR 2000, 799. ___137 Nach einem Beschluss des BGH v. 10.7.1991 – XII ZR 115/90, der von einer großzügigeren Praxis ___abweicht, muss sich die Partei sehr intensiv um einen Anwalt bemühen und diese Bemühungen ggf. auch ___nach Fristablauf fortsetzen. 138 BGHZ 105, 116, 118 = NJW 1988, 3020; vgl auch BVerwG NJW 1990, 1747. ___139 BGH NJW-RR 2009, 937 = MDR 2009, 883; BGH MDR 2010, 710. ___140 BGH NJW 2011, 1597, 1598 = MDR 2011, 684. ___141 BGH NJW 2001, 1577 = MDR 2001, 587.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Frist eingegangen ist.142 Er darf darauf vertrauen, dass die Post zuverlässig arbeitet. Be______stätigt die Deutsche Post AG, dass ein am Freitag eingeworfener Brief unter normalen ______Umständen den Empfänger am Montag erreicht, darf bei einer gleichwohl eintretenden ______Verzögerung die Wiedereinsetzung nicht mit dem Argument versagt werden, die Partei ______hätte einen Sicherheitszuschlag machen müssen.143 ______ Nach der Rechtsprechung des BGH144 dürfen die Anforderungen an die Sorgfalts35 ______pflicht bei der Adressierung nicht überspannt werden (s. auch Rdn. 61). Die Bezeich______nung des Gerichts145 und die Angabe des Gerichtsortes mit Postleitzahl genügt.146 Unter______hält das Gericht ein Postfach, kann dieses als Adresse angegeben werden, da das ______Einlegen des Schriftstücks in das Fach als Zugang beim Gericht gilt.147 Kein Anwaltsver______schulden liegt vor, wenn eine zuverlässige Auszubildende einen Schriftsatz versehent______lich in einen falschen Briefumschlag einlegt.148 Dasselbe gilt, wenn versehentlich ein ______falsches Adressetikett auf den Umschlag geklebt wird und der Brief deswegen nicht frist______gerecht an das richtige Gericht gelangt.149 ______ Soll ein bestimmender Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine 36 ______wirksame Endkontrolle, dass die jeweilige Frist erst gelöscht wird, wenn der vom Tele______fax-Gerät ausgedruckte Nachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt ______(näher dazu unter Rdn. 68). Mitteilungen über die Aufhebung einer gemeinsamen Fern______kopierstelle der örtlichen Justizbehörden müssen in der Anwaltskanzlei unverzüglich ______organisatorisch umgesetzt werden.150 Erteilt der Mandant den Auftrag zur Einlegung ei______nes Rechtsmittels per E-Mail, muss er sich vergewissern, dass die Nachricht den Emp______fänger tatsächlich erreicht. Auch bei einer korrekten Adressierung darf er nicht ohne ______weiteres auf den Zugang vertrauen.151 ______ ______ 37 bb) Postverzögerungen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dür______fen ungewöhnliche Verzögerungen bei der Briefbeförderung und Zustellung durch die ______Post den Parteien nicht als Verschulden angerechnet werden. Dieser Grundsatz gilt un______abhängig davon, ob es schnellere Übertragungsmöglichkeiten (z.B. Telefax) gibt.152 Das ______Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz zunächst für Fälle entwickelt, die den ______Rechtsweg gegen Akte der öffentlichen Gewalt betrafen.153 Später hat es ihn auch auf den ______Zivilprozess einschließlich der Rechtsmittelverfahren angewandt.154 Die neuere Recht______sprechung des BGH steht damit im Einklang. Ungewöhnliche postalische Verzögerungen ______ ______ 142 BGHZ 9, 118, 122 = NJW 1953, 824; BGH NJW 1990, 188; BAG NJW 1973, 918; 1975, 1144; 1995, ______2575. ______143 BVerfG NJW 2001, 744; BGH NJW 1999, 2118 = MDR 1999, 894 (Verzögerung von 7% aller Sendungen ______hindert Wiedereinsetzung nicht). ______144 BGHZ 51, 1 = NJW 1969, 468; BGH VersR 1984, 871; 1990, 802. 145 Sie ist maßgeblich beim Einwurf in eine gemeinsame Postannahmestelle mehrerer Gerichte, vgl. ______BGH FamRZ 1997, 172. ______146 Strenger ist die Judikatur des BAG, s. NJW 1987, 3278 unter Berufung auf die Rechtsmittelbelehrung ______nach § 9 Abs. 5 ArbGG; offen gelassen von BAG NJW 1991, 1078 und BVerwG NJW 1990, 1747, 2639. ______147 BGH NJW 1986, 2646. ______148 BGH NJW 1994, 2958; BGH NJW-RR 2011, 1686 = MDR 2011, 1195. 149 BGH MDR 2012, 362. ______150 BGH NJW 1994, 1660; großzügiger BGH VersR 1994, 1448; beide Entscheidungen betreffen die ______Aufhebung einer gemeinsamen Fernkopierstelle von Gerichten in München. ______151 OLG Düsseldorf NJW 2003, 833. ______152 BVerfG NJW 1994, 1854. 153 BVerfGE 41, 23, 26 m.w.N. = NJW 1976, 513; 44, 302, 306 = NJW 1977, 1233. ______154 BVerfGE 50, 1, 3 = NJW 1979, 641; BVerfGE 51, 146, 149 = MDR 1979, 907; BVerfGE 52, 203, 207 = NJW ______1980, 580; BVerfGE 53, 25, 28 = NJW 1980, 769; BGH NJW 1992, 38 (betr. § 56 Abs. 2 S. 1 FGO); BGH NJW ______1994, 244 (Verzögerung nach Beendigung eines Poststreiks).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___sind danach der Prozesspartei auch dann nicht zuzurechnen, wenn die Ursache der Ver___zögerung ungeklärt bleibt.155 Entscheidend für diese Judikatur ist, dass die Post für die ___Beförderung die vom Gesetz vorgesehene Übermittlerin von fristgebundenen schriftli___chen Erklärungen ist.156 Wenn Vorkehrungen der Post versagen, sind Differenzierungen ___danach, ob die Verzögerung auf einer zeitweise besonders starken Beanspruchung der ___Leistungsfähigkeit der Post (z.B. vor Feiertagen),157 auf einer zeitweise verminderten ___Dienstleistung der Post (z.B. an den Wochenenden) oder auf der Nachlässigkeit eines ___Bediensteten beruht, unzulässig.158 Andererseits hat das BVerfG aber auch ausgespro___chen, dass der Absender die gewöhnliche Laufzeit einer Postsendung je nach deren Art ___und je nach der Entfernung zwischen Aufgabe- und Zustellungsort einkalkulieren muss.159 ___Im Verantwortungsbereich der Partei liegt es also (nur), das zu befördernde Schriftstück ___so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es bei normalem Betriebsablauf den Empfänger ___fristgerecht erreicht. Der BGH hat entschieden, dass der Absender auf die Zuverlässigkeit ___der Briefbeförderung durch die Post nicht mehr vertrauen kann und sich daher über den ___Eingang vergewissern muss, wenn der Briefverkehr durch größere, allgemein bekannte ___Streikmaßnahmen erheblich gestört ist.160 Das geht jedenfalls für die Fälle zu weit, in ___denen sich die Streiklage und ihre konkreten Auswirkungen als unklar darstellen. Dann ___ist es nicht Sache des Absenders nachzuforschen, ob die Post noch hinreichend zuver___lässig arbeitet. ___ Der Rechtsmittelkläger darf sich auch dann, wenn er die Rechtsmittelfrist bis zum 38 ___letzten Tag ausschöpft, darauf verlassen, dass die Sendung innerhalb der normalen ___Postlaufzeit zugestellt wird. Auf die amtlichen Laufzeitangaben darf er vertrauen.161 Der ___Absender ist allerdings gehalten, auf die Leerungszeiten der Briefkästen zu achten und ___sich im Zweifelsfall zu erkundigen, bis wann er den Brief der Post übergeben muss, da___mit er rechtzeitig beim Empfänger eintrifft.162 Der Bundesgerichtshof legt eine normale ___Laufzeit für eine im Bundesgebiet aufgegebene Briefsendung von einem Tag zugrunde, ___so dass der Absender grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine an einem Werktag ___aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert wird.163 Allerdings vari___ieren nach Angaben der Deutschen Post die Laufzeiten innerhalb des Bundesgebiets. Der ___Durchschnittswert für die Übermittlung am nächsten Werktag liegt innerhalb des Bun___desgebiets bei ca. 95%. Wer weiß oder wissen kann, dass aufgrund der Postlaufzeit die ___fristgerechte Rechtsmitteleinlegung per Briefpost nicht mehr gewährleistet ist, muss ___stattdessen ein schnelleres Kommunikationsmittel wählen. Wird der Brief am Freitag ___oder Samstag aufgegeben, kann man nicht ohne weiteres damit rechnen, dass er am fol___genden Montag zugestellt wird. In einer solchen Lage muss der Schriftsatz wenigstens ___ ___ ___ 155 BGH VersR 1978, 1162; 1979, 444; 1981, 1160; 1984, 861; 1986, 966; BGH NJW-RR 1990, 508; ___BGHReport 2004, 124. ___156 BGHZ 105, 116, 118 = NJW 1988, 3020. ___157 Nach BGH VersR 1975, 811 (betr. § 233 a.F.) ist über die Weihnachtsfeiertage allgemein mit ___erheblichen Störungen im Postverkehr zu rechnen. BGH NJW 1990, 2312 hat dahinstehen lassen, ob eine ___verminderte Dienstleistung der Post an Wochenenden in Rechnung gestellt werden muss. 158 BVerfGE 53, 25, 29 = NJW 1980, 769; BGH NJW 1992, 1952; 1995, 1210; BGH FamRZ 1993, 1190 (betr. ___Postlaufzeit in den neuen Bundesländern kurz nach der Wende). ___159 BVerfGE 40, 42 = NJW 1975, 1405. ___160 BGH NJW 1993, 1332 (Verfassungsbeschwerde nicht angenommen d. Beschl. v. 29.12.1994 BVerfG ___NJW 1995, 1210); ähnlich VGH Kassel NJW 1993, 750; anders BAG NJW 1995, 548. 161 BVerfG NJW 1995, 2546; BFH NJW 1991, 1704; BGH VersR 1994, 496; BGH NJW 2003, 3712. ___162 BGHZ 105, 116, 119 = NJW 1988, 3020; auf die Einhaltung der angegebenen Leerungszeiten kann man ___sich verlassen – BGH NJW 2009, 2379. ___163 A.A. BGH NJW 2011, 458; für den innerstädtischen Postverkehr s. BGH NJW 1990, 188, 189.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______als Eilbrief versandt werden.164 Zu beachten ist, dass die Beförderung eines Päckchens ______regelmäßig länger dauert als die Briefbeförderung.165 Im Postverkehr mit dem Ausland ______muss unter Umständen mit längeren Postlaufzeiten gerechnet werden.166 Die für die ______Deutsche Post AG entwickelten Grundsätze können auch auf private Kurierdienste über______tragen werden, wenn diese über eine hinreichend sichere Organisation verfügen und ______sich der Absender daher darauf verlassen darf, dass der Brief innerhalb der vorher ange______geben Zeit beim Empfänger eintrifft. 167 Wird der fristgebundene Schriftsatz per Fax ______übermittelt, darf der Anwalt darauf vertrauen, dass der Zugang innerhalb der sonst übli______chen Übertragungszeit erfolgt.168 Die erforderliche Übertragungszeit muss einkalkuliert ______werden.169 Mit einer technischen Störung im Empfangsgerät braucht er nicht zu rech______nen.170 Eine Überlastung des Empfangsgeräts zählt allerdings nicht dazu. Eine solche ______Überlastung muss der Anwalt in Rechnung stellen, und zwar insbesondere, wenn er ei______nen umfangreichen Schriftsatz erst unmittelbar vor Fristablauf übermitteln will.171 Bei ______der Überprüfung, ob es zu einer unerwartet langen Dauer der Übermittlung gekommen ______ist, sind die Sendeberichte auszuwerten.172 ______ ______ e) Unkenntnis von Fristen. Wiedereinsetzung wegen Unkenntnis der versäumten 39 ______Frist ist zu gewähren, wenn die Unkenntnis unvermeidbar war, obwohl die Partei die ihr ______zumutbare Sorgfaltspflicht erfüllt hat. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn eine Partei kei______ne Kenntnis von der öffentlichen Zustellung eines Urteils erlangt, mit der sie aufgrund ______außergewöhnlicher Umstände (Fehlen der Voraussetzungen des § 185; Unmöglichkeit ______der Kenntnisnahme etc.) nicht zu rechnen brauchte.173 Bei der Zustellung an den frühe______ren Vertreter, dessen Verschulden sich die Partei nicht zurechnen lassen muss (s.o. ______Rdn. 19), darf die Partei darauf vertrauen, dass sie über die Zustellung unterrichtet wird; ______sie braucht grundsätzlich wegen der zu erwartenden Zustellung nicht einen neuen Pro______zessbevollmächtigten zu bestellen.174 Post von ihrem früheren Anwalt, der das Mandat ______niedergelegt hat, muss sie entgegennehmen.175 Wiedereinsetzung ist zu erteilen, wenn die ______Partei von der Zustellung deswegen keine Kenntnis erlangt hat, weil ein Mitbewohner ihr ______die Gerichtspost unerwartet vorenthalten hat176 oder wenn der Benachrichtigungszettel ______der Post verloren gegangen ist, ohne dass die Partei unsorgfältig gehandelt hat.177 Dage______ ______ ______ ______ 164 BGH NJW 1990, 188; s. aber auch Späth BB 1991, 321. ______165 BGH VersR 1969, 753; BAG NZA 1990, 724. ______166 BGH VersR 1986, 703; BGH NJW-RR 1986, 287; BGH VersR 1989 m. kritischer Anmerkung von Schütze ______IPRax 1990, 188. ______167 Hierzu BVerfG NJW 1999, 3701; einschränkend OLG Köln MDR 2010, 951. 168 BGH MDR 2005, 469 (Übermittlungsbeginn um 23.45, Übertragungsdauer von 50 statt 15 Sekunden ______pro Seite). ______169 Vgl. OVG Schleswig NJW 2010, 3110 – Übertragungsbeginn um 23.58 bei einem sechsseitigen ______Telefax. ______170 BVerfG NJW 1996, 2857; NJW 2006, 829. ______171 BVerfG NJW 2007, 2838, kritisch hierzu Roth NJW 2008, 785 ff. 172 BGH NJW-RR 2001, 916; BGH NJW 2004, 2525. ______173 BGHZ 25, 11, 13 f. = NJW 1957, 1400; BGH VersR 1977, 932; BGH OLG Köln NJW-RR 1993, 446; BGHZ ______118, 45 = NJW 1992, 2280 (erschlichene öffentliche Zustellung); s. andererseits OLG Köln VersR 1993, 1127 ______(Umzug ins Ausland mit unbekanntem Aufenthalt, ohne Zustellungsvorkehrungen zu treffen); restriktiv ______auch Guttenberg MDR 1993, 1049. 174 BGH NJW 1980, 999. ______175 BGH VersR 1982, 545. ______176 BGH FamRZ 1957, 173; BGH VersR 1976, 928. ______177 BGH NJW 1994, 2898.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___gen ist die Fristversäumung verschuldet, wenn die Partei den Benachrichtigungszettel ___des Postbediensteten über die Niederlegung sorgfaltswidrig weggeworfen hat.178 ___ ___ f) Sonstige Irrtümer. Ein Irrtum entschuldigt dann, wenn er nach den individuellen 40 ___Fähigkeiten der Partei nicht vermeidbar war. Von einem Ausländer muss grundsätzlich ___erwartet werden, dass er sich unverzüglich über die Möglichkeiten der Urteilsanfechtung ___und ggf. der Wiedereinsetzung erkundigt, auch wenn er die deutsche Sprache nicht be___herrscht. 179 Allerdings kann die Versäumung der Rechtsmittelfrist unter Umständen ___dann entschuldigt sein, der Ausländer das Benachrichtigungsschreiben seines Anwalts ___missverstanden hat.180 Kein Verschulden liegt weiterhin dann vor, wenn die Partei einen ___grundsätzlich geeigneten Dolmetscher hinzuzieht, dieser aber falsch übersetzt.181 Wieder___einsetzung kommt auch in Betracht, wenn der auswärtigen Partei lokal begrenzte Um___stände unbekannt sind, etwa die Tatsache, dass am frühen Nachmittag des Rosenmontags ___alle Anwaltskanzleien geschlossen sind.182 Einer ausländischen Partei kann Wiederein___setzung nicht mit dem Argument versagt werden, sie hätte im Inland einen Zustellungs___bevollmächtigten bestellen und dadurch vermeiden müssen, dass ein ihr im Ausland ___zuzustellendes Schriftstück auf dem Postweg verloren geht.183 Arglistiges Verhalten des ___Gegners, das die Partei davon abhält, die fristwahrende Prozesshandlung vorzuneh___men, kann ebenfalls die Wiedereinsetzung rechtfertigen.184 ___ Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn ein Gericht eine missverständliche bzw. 41 ___falsche Rechtsmittelbelehrung (s. auch Rdn. 33)185 erteilt, einen unzutreffenden Hin___weis macht oder eine fehlerhafte Auskunft gibt und die Partei deswegen infolge eines ___entschuldbaren Rechtsirrtums die Frist versäumt.186 Das gilt grundsätzlich auch bei an___waltlicher Vertretung, es sei denn, es handelt sich um einen offenkundigen Fehler.187 ___Liegt der Wiedereinsetzungsgrund in einem Fehler des Gerichts, muss die Partei über die ___Möglichkeit der Wiedereinsetzung belehrt werden.188 Bei einem solchen Fehler kann ein ___ ___ ___178 Vgl. LAG Frankfurt BB 1986, 1092. 179 BGHR-ZPO § 233 Sprachunkenntnis 1. ___180 Vgl. einerseits BGH VersR 1977, 646, andererseits BGH VersR 1984, 875 (Wiedereinsetzung verneint ___bei einem in Deutschland geschäftlich tätigen Antragsteller). Zu den Ausländerfällen s. Schütze IPRax ___1990, 207 (Anm. zu BGH VersR 1989, 1318), der auf die besonderen Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung ___für Ausländer vor inländischen Gerichten aufmerksam macht. ___181 VGH München NJW 1997, 1324. 182 BGH NJW 1982, 184. ___183 BGH NJW 2000, 3284 = MDR 2000, 1333. ___184 BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280. ___185 BGH MDR 2012, 363; BAG NJW 2010, 3387; OLG Zweibrücken NJW-RR 2011, 1016; a.A. bei ___anwaltlicher Vertretung im familiengerichtlichen Verfahren: OLG Koblenz NJW 2010, 2594; OLG Stuttgart NJW 2010, 1978; OLG Karlsruhe NJW 2010, 1223; OLG Zweibrücken FamRZ 2011, 987; zu einer ___„offensichtlich falschen“ Belehrung s. OLG Hamm NJW 2011, 463. ___186 BVerfG NJW 1995, 711 (unrichtige Mitteilung über den Eingang einer Berufungsschrift); BGH VersR ___1959, 638; BGH NJW 1963, 713; BGH VersR 1972, 201 (Wiedergabe des Gesetzeswortlauts als ___Rechtsmittelbelehrung); BGH NJW 1981, 576; BGH NJW 1982, 1873, 1874; BGH VersR 1987, 986; BGH VersR ___1989, 603; BGH NJW 1992, 1700 (einschränkend); BGH NJW 1993, 3206 (falsche Rechtsmittelbelehrung eines OLG); BGH NJW 2011, 522 (fehlerhafte Auskunft über die Wirksamkeit einer Zustellung); BayVerfGH ___NJW 1984, 2454; vgl. auch BGH NJW 1966, 658; BGH VersR 1974, 1001 (betr. falsche Auskunft der ___Geschäftsstelle über das Zustellungsdatum); s. andererseits BGH VersR 1994, 702 = DtZ 1994, 29 ___(ungenügende telefonische Anfrage bei Gericht); BAG NJW 2004, 2112; BGH NJW-RR 2004, 1714 ___(Rechtsmittelbelehrung gegenüber einem Anwalt). 187 BAG NJW 2005, 3516; BAG NJW 2007, 1485; a.A. bei anwaltlicher Vertretung im familiengerichtlichen ___Verfahren: OLG Koblenz NJW 2010, 2594; OLG Stuttgart NJW 2010, 1978; OLG Karlsruhe NJW 2010, 1223; OLG ___Zweibrücken FamRZ 2011, 987; zu einer „offensichtlich falschen“ Belehrung s. OLG Hamm NJW 2011, 463. ___188 BVerfG NJW 2005, 3629.

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873

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______daneben bestehendes Anwaltsverschulden unter Umständen zurücktreten.189 Ähnlich ist ______die Rechtslage, wenn das Gericht seine in einem (ablehnenden) PKH-Beschluss vertrete______ne Rechtsauffassung im Laufe des Verfahrens zugunsten des Antragstellers ändert. Der ______Irrtum über das maßgebliche Zustellungsdatum beruht nicht auf einem Verschulden, ______wenn er vom Gericht durch eine unnötige neue Zustellung ausgelöst worden ist.190 Unab______hängig davon bleibt der beauftragte Anwalt allerdings verpflichtet, die Rechtslage ei______genverantwortlich zu prüfen; auf offensichtlich falsche Auskünfte darf er sich nicht ver______lassen.191 ______ Die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter192 tragen die Verantwortung dafür, dass 42 ______die Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht eingeht. Ein Irrtum des Anwalts ______darüber, welches Rechtsmittelgericht zuständig ist, rechtfertigt grundsätzlich keine ______Wiedereinsetzung.193 Das gilt auch bei einer Änderung des Verfahrensrechts. Bei zweifel______hafter Rechtslage muss der Anwalt die zur Verfügung stehende Rechtsprechung und ______Literatur auswerten.194 Er muss den sichersten Weg wählen. Wird der fristgebundene ______Schriftsatz durch Telefax übermittelt, muss die richtige Faxnummer angegeben werden. ______Ein Versehen bei der Eingabe der Telefaxnummer begründet ebenso wie die fehlerhafte ______Adressierung grundsätzlich ein Verschulden.195 Ist die Rechtsmittelschrift irrtümlich an ______das falsche Gericht geschickt worden, muss sie von dort allerdings weitergeleitet wer______den. Die Frage, ob in diesen Fällen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wer______den kann, hängt davon ab, welche Pflichten das untere Gericht treffen, um das Ver______säumnis auszugleichen. Der BGH hat anfangs den Standpunkt vertreten, das untere ______Gericht sei nicht verpflichtet, zur Heilung von Mängeln bei der Berufungseinlegung mit______zuwirken.196 Der Anwalt, der die Berufung beim falschen Gericht einreiche, könne sich ______nicht mit dem Argument entlasten, das Gericht habe die Berufungsschrift nicht rechtzei______tig weitergeleitet. Eine Wiedereinsetzung komme grundsätzlich auch dann nicht in Be______tracht, wenn die Frist bei sofortiger Weiterleitung noch hätte gewahrt werden können. ______Eine Ausnahme hat der BGH zunächst nur in einem Fall gemacht, bei dem die Beru______fungsschrift zwei Tage vor Fristablauf in ein für das Oberlandesgericht bestimmtes Brief______fach beim Landgericht eingeworfen worden war.197 Hier hatte er darauf abgestellt, dass ______das Landgericht mit der Einrichtung des Brieffachs die Funktion eines Boten übernom______men habe, so dass der Anwalt auf eine rechtzeitige Weiterleitung der Berufungsschrift ______habe vertrauen dürfen. Diese Rechtsprechung hat der BGH später in Anlehnung an die ______Rechtsprechung des BVerfG198 aufgegeben.199 Er stellt jetzt darauf ab, dass das erstinstanz______ ______ ______189 BVerfG NJW 2004, 2887. ______190 BGH VersR 1987, 258; BGH VersR 1995, 680; zum Irrtum bei Zustellung eines berichtigten Urteils s. ______BGH NJW-RR 2005, 1658. 191 BGH VersR 1995, 237; BGH VersR 1995, 1522. ______192 BGH VersR 1994, 1369 (Einwurf eines falsch adressierten Umschlags, der ungeöffnet an das ______unzuständige Gericht weitergeleitet wird); BGH VersR 1995, 71 (Umstrukturierung der ______Gerichtsorganisation, Auskunft eines Rechtspflegers); BGH NJW 2011, 3306; OLG Frankfurt NJW-RR 2005, ______1156 (Verkennung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG. ______193 BGH NJW-RR 2010, 1096 = MDR 2010, 887. 194 BGH MDR 2011, 45. ______195 BGH FamRZ 2003, 667; zum Fall, dass die falsche Telefaxnummer einem als zuverlässig bekannten ______EDV-Programm entnommen wurde, s. aber BGH NJW 2004, 2830. ______196 BGH NJW 1979, 876 = VersR 1979, 229; BGH VersR 1985, 767; BGH NJW-RR 1987, 186 = VersR 1987, 49, ______BGH VersR 1987, 486; 1992, 1154; teilw. abweichend OLG Karlsruhe OLGZ 1981, 241. 197 BGH JurBüro 1984, 51. ______198 BVerfGE 93, 99 = NJW 1995, 3171; NJW 2005, 2137; NJW 2006, 1579. ______199 BGHR § 233 ZPO Rechtsmitteleinlegung Nr. 8; BGH NJW-RR 1998, 1218; BGH NJW-RR 2000, 1730, ______1731; BGH MDR 2004, 1311; BGH NJW 2011, 2887 und 3240; s. auch BAG NJW 1998, 923.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___liche Gericht eine nachwirkende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessparteien hat. ___Hierzu gehört auch die Verpflichtung zur Weiterleitung fristgebundener Schriftsätze. Der ___Rechtsmittelkläger darf darauf vertrauen, dass hiernach verfahren werde. Geschieht dies ___nicht, ist der anwaltliche Fehler nicht mehr kausal für die Fristversäumnis, so dass ein ___Wiedereinsetzungsgrund vorliegt. Das gilt sogar dann, wenn der Anwalt seinen Fehler ___rechtzeitig bemerkt und ihn selbst noch hätte beheben können.200 Diesen Gedanken ___wendet der BGH auch auf den Fall an, dass das falsche Rechtsmittelgericht gewählt wird ___und dieses seine Unzuständigkeit rechtzeitig erkennt. Dieses ist verpflichtet, den Schrift___satz weiterzuleiten201 oder dem Anwalt alsbald einen rechtlichen Hinweis zu erteilen, ___damit er die Frist beim zuständigen Gericht noch wahren kann.202 Andernfalls ist das ___Verschulden der Partei nicht mehr kausal für die Fristversäumnis. Erforderlich ist stets, ___dass das unzuständige Gericht den Schriftsatz im normalen Geschäftsverkehr203 fristge___mäß an das zuständige Gericht hätte weiterleiten können.204 Die Übermittlung per Fax ___gehört grundsätzlich nicht dazu.205 Nur wenn die fristgerechte Übermittlung auf norma___lem Postweg noch möglich gewesen wäre, ist der Fehler nicht der Partei anzulasten. Da___bei muss dem Gericht zur Aufdeckung des anwaltlichen Fehlers eine angemessene Frist ___für die Bearbeitung der Akten zugebilligt werden.206 Eine Gerichtspraxis, nach der neu ___eingehende Berufungen zunächst nur von der Geschäftsstelle erfasst und erst bei Ein___gang der Berufungsbegründung dem Vorsitzenden vorgelegt werden, ist in diesem Zu___sammenhang nicht zu beanstanden.207 In diesem Stadium der Bearbeitung kommt es ___daher darauf an, ob die Geschäftsstelle die fehlerhafte Wahl des Berufungsgerichts hätte ___erkennen können. Dies wird grundsätzlich nur dann der Fall sein, wenn dies leicht und ___einwandfrei möglich war.208 Muss hiernach ein rechtlicher Hinweis erteilt werden, ge___nügt es, wenn er im normalen Geschäftsverkehr auf den Weg gebracht wird. Soll ein ___Schriftsatz weitergeleitet werden, muss für das unzuständige Gericht erkennbar sein, für ___welches Gericht der Schriftsatz eigentlich bestimmt ist.209 Ergibt sich dies erst aus den ___beizuziehenden Akten und gehen diese erst nach Fristablauf beim angerufenen Gericht ___ein, kann der Berufungskläger nicht darauf vertrauen, dass sein Schriftsatz rechtzeitig ___an das zuständige Gericht gelangt.210 Es besteht keine Verpflichtung des unzuständigen ___Gerichts, den Anwalt telefonisch oder per Fax auf sein Versäumnis hinzuweisen,211 damit ___er von sich aus die erforderlichen Maßnahmen zur Fristwahrung noch ergreifen kann. ___Keine Pflicht zur Weiterleitung besteht auch dann, wenn das unzuständige Gericht nach ___der Art der Adressierung bzw. dem übrigen Inhalt davon ausgehen kann, dass ein weite___res Exemplar des Schriftsatzes an das zuständige Gericht geschickt worden ist.212 Wird ___ ___ ___200 BGH MDR 2007, 1276. ___201 BGH NJW 2011, 2887 und 3240. 202 BGH NJW 2011, 683 = MDR 2011, 383; BGH NJW 2011, 2053. ___203 BVerfG NJW 2001, 1343; BGH MDR 2007, 44 – Frist von 5 Tagen ist zur Weiterleitung ausreichend; ___BGH MDR 2011, 1193. ___204 BGH NJW-RR 2000, 1730; BGH NJW-RR 2004, 1655; eine Pflicht zur unverzüglichen richterlichen ___Prüfung der Zuständigkeit besteht nicht – zum Fall des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG s. BGH NJW 2005, 3776. ___205 OVG Lüneburg NJW 2007, 3225. 206 OLG Köln MDR 2011, 941. ___207 BGH MDR 2012, 116. ___208 BGH MDR 2012, 116. ___209 BGH BGHReport 2003, 702; zur Weiterleitung eines falsch adressierten Verlängerungsantrags BGH ___MDR 2009, 344. 210 BGH MDR 2004, 1311 (keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts); OLG Celle ___Nds.Rpfl 2004, 128. ___211 BVerfG NJW 2001, 1343; BGHReport 2004, 1515; BGH AnwBl. 2006, 213. ___212 BGH BGHReport 2003, 702.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______eine Rechtsmittelschrift nicht aufgrund eines offensichtlichen Versehens, sondern einer ______rechtlich fehlerhaften Beurteilung der Zuständigkeit (z.B. Berufung gegen ein amtsge______richtliches Urteil im Fall des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b und c GVG beim LG statt beim OLG) an ______das falsche Gericht gerichtet, kann sich der Anwalt daher grundsätzlich nicht entlas______ten.213 Insbesondere bei Rechtsmitteleinlegung unmittelbar vor Fristablauf kann er nicht ______davon ausgehen, dass er noch rechtzeitig einen rechtlichen Hinweis erhält. Denn die ______Zuständigkeitsfrage kann das Berufungsgericht in aller Regel erst bei Eingang der Akten ______zuverlässig beurteilen. Ebenso wie das erstinstanzliche Gericht trifft auch das Rechts______mittelgericht eine prozessuale Fürsorgepflicht. Es muss eingehende Schriftsätze darauf ______überprüfen, ob die erforderlichen Formalien eingehalten sind. Fehlt z.B. die Unterschrift ______unter einer Berufungsschrift, muss das Rechtsmittelgericht den Anwalt darauf hinweisen ______und ihm Gelegenheit gegeben, die Unterschrift nachzuholen, sofern hierdurch die Frist ______noch gewahrt werden kann.214 Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist das Versäumnis des ______Anwalts nicht mehr kausal für die Fristversäumnis. ______ ______ g) Wirtschaftliches Unvermögen ______ ______ aa) Mittellosigkeit. Es besteht ein verfassungsrechtliches Gebot der prozessualen 43 ______Gleichbehandlung von bemittelten und mittellosen Parteien.215 Daher ist es nicht als Ver______schulden anzusehen, wenn eine Partei infolge Geldmangels gehindert ist, die Prozess______handlung vorzunehmen, aber vor Fristablauf (bis zum Ablauf des letzten Tages der ______Frist)216 oder bei fehlendem Verschulden innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1217 einen Pro______zesskostenhilfeantrag unter Vorlage der Erklärung und der Belege gemäß § 117 Abs. 2 bei ______dem zuständigen Gericht stellt (s. dazu auch Rdn. 46). Die Vorlage neuer PKH-Unterla______gen für einen höheren Rechtszug ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn sich die ______persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem früheren Rechtszug in ______keinem wesentlichen Punkt geändert haben und der Antragsteller dies unter Verweisung ______auf seine früheren Angaben glaubhaft erklärt.218 Eine sachliche Begründung braucht das ______Gesuch nach überwiegender Ansicht nicht zu enthalten.219 Unabhängig hiervon ist sie in ______jedem Fall empfehlenswert, wenn der Antragsteller mit seinem Antrag Erfolg haben will. ______Will er sein Rechtsmittel auf Gründe stützen, die das Rechtsmittelgericht nicht von Amts ______wegen prüft, ist eine Begründung unerlässlich. ______ Hat der Rechtsmittelkläger eine Rechtsschutzversicherung, muss er sich unverzüg44 ______lich um die Deckungszusage bemühen, wenn er die Prozesskosten aus eigenen Mitteln ______nicht aufbringen kann (§ 114). Dieses Verfahren – eventuell mit Stichentscheid nach ______§ 17 II ARB – erfordert allerdings eine gewisse Zeit. Das Hindernis der Bedürftigkeit ent______fällt daher in der Regel erst mit der Deckungszusage des Versicherers.220 Kann die De______ckungszusage nicht mehr rechtzeitig vor Fristablauf erreicht werden, muss der Rechts______ ______ ______ ______213 Beispiele: OLG Celle OLGReport 2004, 368, 369; OLG Saarbrücken MDR 2009, 220. ______214 BGH MDR 2009, 285. 215 BGH FamRZ 1988, 1152. ______216 BGHZ 16, 1 = NJW 1955, 345; BGHZ 38, 376 = NJW 1963, 584. ______217 BGH NJW 2002, 2180. ______218 BGH NJW 1983, 2145; BGH VersR 1984, 660; BGH NJW-RR 1993, 451 = FamRZ 1993, 688; BGH FamRZ ______1997, 546. 219 BGH NJW 1993, 732 = VersR 1993, 1035; BGH NJW-RR 2001, 570 und 1146; OLG Dresden MDR 2000, ______659; a.A. OLG Saabrücken FamRZ 1993, 715; OLG Schleswig NJW-RR 1999, 432; OLG Celle MDR 2003, ______420. ______220 BGH NJW 1991, 109.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___mittelkläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellen, um sich eine ___spätere Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zu sichern.221 ___ ___ bb) Kausalität. Die Mittellosigkeit muss für die Fristversäumung kausal geworden 45 ___sein. Die Kausalität entfällt nicht schon dadurch, dass die Partei ihr Rechtsmittel schon ___vor der Entscheidung über den PKH-Antrag eingelegt hat.222 Wiedereinsetzung ist z.B. ___gerechtfertigt, wenn der Rechtsanwalt das Rechtsmittel lediglich formularmäßig einlegt ___hat, ohne es zu begründen und nicht gewillt ist, ohne Kostendeckung weiter für sie tätig ___zu werden.223 Der Rechtsanwalt muss in diesen Fällen allerdings zur Vermeidung der Ver___schuldenszurechnung (§ 85 Abs. 2) klare (Vertrags-)Verhältnisse schaffen. Er muss ent___weder die Frist zur Begründung des Rechtsmittels überwachen, d.h. mindestens rechtzei___tig Fristverlängerung beantragen,224 oder seinem Mandanten gegenüber unzweifelhaft ___zum Ausdruck bringen, dass er mit der Rechtsmitteleinlegung seine Tätigkeit als beendet ___ansieht.225 Außerdem ist er verpflichtet, die rechtsunkundige Partei darüber zu belehren, ___dass mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils gleichzeitig die Begründungsfrist zu ___laufen begonnen hat und der Lauf dieser Frist auch nicht durch ein noch nicht beschie___denes PKH-Gesuch gehemmt wird.226 Ist der Anwalt unabhängig von der Bewilligung der ___Prozesskostenhilfe bereit, dass Rechtsmittel zu begründen, kommt eine Wiedereinset___zung nicht in Betracht.227 Hat der Anwalt die Begründungsfrist verstreichen lassen und ___reicht er dann vor Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch die Begründung ___nach, entfällt die Kausalität nicht. 228 Denn aus der Tatsache, dass die Begründungsschrift ___nachträglich gefertigt worden ist, kann nicht abgeleitet werden, dass die Bereitschaft ___hierzu schon vor Fristablauf bestand. Auf diese Bereitschaft kann auch nicht daraus ge___schlossen werden, dass der Anwalt eine Begründungschrift für das Prozesskostenhilfe___gesuch erstellt hat, da diese nicht gleichzusetzen ist mit einer ordnungsgemäßen Beru___fungsbegründung.229 ___ ___ cc) Bedeutung der Entscheidung über den PKH-Antrag. Wiedereinsetzung kann 46 ___gewährt werden, wenn PKH bewilligt oder wegen mangelnder Erfolgsaussichten versagt ___wurde.230 Bei Bewilligung entfällt das Hindernis zur Einlegung bzw. Begründung des ___Rechtsmittels mit der Bekanntgabe des Beschlusses.231 Im Falle der Ablehnung eines ___PKH-Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit kommt es darauf an, ob die Partei mit dieser ___Entscheidung vernünftigerweise rechnen musste.232 Ist die Erwartung, PKH zu bekom___men, gerechtfertigt, weil sich die Partei für bedürftig halten durfte und sie aus ihrer Sicht ___alles Erforderliche für den Erhalt einer positiven Entscheidung getan hat, ist sie ohne ihr ___Verschulden an der Vornahme der fristwahrenden Handlung verhindert.233 Das ist insbe___ ___ 221 BGH NJW 1998, 1230. ___222 BGH VersR 1957, 432; 1966, 267; 1985, 271. ___223 BGHZ 38, 376, 377 = NJW 1963, 584 = VersR 1963, 198, s.a. BVerfG NJW 2010, 2567. ___224 RGZ 145, 228; BGH JW 1935, 2287 (Nr. 26); BGH VersR 1993, 1125, 1126; BGH FamRZ 1996, 1467. ___225 RGZ 160, 378, 380; BGH JW 1935, 2287 (Nr.26). ___226 BGHZ 7, 280 = NJW 1953, 504 m. abl. Anm. Wulkop. 227 BGH NJW 2008, 2855; MDR 2011, 62. ___228 BGH NJW 1999, 3271 = MDR 1999, 1285. ___229 BGH NJW 2011, 230 = MDR 2011, 62. ___230 Zur Rechtzeitigkeit des Antrags s. § 234 Rdn. 13 ff. ___231 BGH FamRZ 2001, 1143; BGH NJW-RR 2008, 1306 = MDR 2008, 1117; BGHZ 176, 379 = NJW 2008, 3500 (zur Rechtsbeschwerde); a.A. zur Berufungsbegründungsfrist BGHZ 173, 14 = NJW 2007, 3354. ___232 BGH NJW-RR 2000, 879; 2001, 570; BGH NJW-RR 2008, 1313; BGH NJW-RR 2010, 424; BGH NJW 2011, ___230 = MDR 2011, 62; OLG Naumburg FamRZ 2002, 1266. ___233 BGH FamRZ 2004, 699; BGH FamRZ 2005, 105; BGH NJW-RR 2011, 995.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______sondere der Fall, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges PKH bewilligt hatte und die ______Verhältnisse gleich geblieben sind. Dann kann die Partei grundsätzlich davon ausgehen, ______dass auch das Gericht des zweiten Rechtszuges sie als bedürftig im Sinne von § 114 anse______hen wird,234 es sei denn, die erstinstanzliche Entscheidung ist offenkundig unrichtig.235 ______Nicht gerechtfertigt ist die Erwartung auf Bewilligung von PKH dann, wenn die Partei ______oder ihr Vertreter erkennen konnten, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht ______vorliegen oder nicht ausreichend dargetan sind. In diesem Fall ist Wiedereinsetzung zu ______versagen.236 Dies gilt z.B., wenn die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen ______Verhältnisse unvollständig ausgefüllt worden ist,237 wenn die nötigen Anlagen nicht bei______gefügt werden, wenn die Partei einen rechtlichen Hinweis mit Zweifeln an ihrer Bedürf______tigkeit erhält und sie weiß, dass sie diese Zweifel nicht ausräumen kann (s. auch § 234 ______Rdn. 15)238 oder wenn der Partei bereits eine negative gerichtliche Entscheidung vorliegt ______und der neue Antrag die dort genannten Gründe für die Versagung nicht ausräumt.239 ______Fehler treten bei einem PKH-Antrag immer wieder auf, wenn eine Antragsschrift am letz______ten Tag der Frist per Fax übermittelt wird. Es handelt sich um ein gängiges Büroverse______hen, nur die Antragsschrift per Fax zu schicken und die Anlagen zum PKH-Antrag erst ______mit dem Original der Antragsschrift zu übersenden. Der Anwalt muss durch eine ent______sprechende Büroorganisation sicherstellen, dass solche Fehler nicht vorkommen.240 Lü______cken im Vordruck können eventuell anhand der beigefügten Unterlagen geschlossen ______werden. Fehlen Angaben zu einzelnen Einkommensarten, kann es sich unter Umständen ______anhand der sonstigen Erklärungen aufdrängen, dass solche Einnahmen nicht vorhanden ______sind.241 Ist PKH bewilligt worden, kann später die Wiedereinsetzung nicht mit der Be______gründung versagt werden, die Partei hätte sich selbst nicht für bedürftig halten dürfen ______und daher das Rechtsmittel früher einlegen müssen.242 Wird die Prozesskostenhilfe vor ______Fristablauf verweigert, steht der Partei eine angemessene Überlegungsfrist zu, ob sie ______das Rechtsmittelverfahren auf eigene Kosten durchführen will.243 ______ ______ h) Organisation in der Anwaltskanzlei ______ ______ aa) Allgemeine Büroorganisation. Der Rechtsanwalt darf sich von rein büromäßi47 ______gen Aufgaben freihalten, um seinen eigentlichen Pflichten als Organ der Rechtspflege ______gerecht werden zu können.244 Er darf Aufgaben, die keine juristische Schulung verlan______gen, an sorgfältig ausgebildete und allgemein überwachte Angestellte delegieren.245 Mit ______einfachen Hilfeleistungen können auch minderqualifizierte Kräfte betraut werden, so______ ______ ______ ______234 BGH VersR 1984, 192; BGH FamRZ 1987, 1018. 235 OLG Naumburg FamRZ 2002, 1266. ______236 St.Rspr.; vgl. BGHZ 26, 99, 101 = NJW 1958, 183; BGH NJW 1984, 2413; BGH FamRZ 1988, 1152; 1990, ______389; 1996, 933; BGH NJW 1991, 109; BGH NJW-RR 1991, 637 = VersR 1991, 791; BGH NJW-RR 1991, 1532; BGH ______NJW-RR 2000, 879; BGH NJW 2001, 2720; BGH NJW-RR 2010, 424. ______237 BGH NJW-RR 2008, 942 und 1313; BGH NJW-RR 2009, 563. Zu den Anwaltspflichten in diesem ______Zusammenhang BGH FamRZ 2007, 809. 238 BGH NJW-RR 2010, 424 = MDR 2010, 400. ______239 BGH MDR 2012, 383. ______240 BGH NJW-RR 2001, 1072; BGH FamRZ 2007, 809; BGH NJW 2010, 3101. ______241 BGH NJW-RR 2009, 563. ______242 BGH FamRZ 1994, 567. 243 BGH NJW 1986, 257; s. auch Erl. zu § 234 Rdn. 13. ______244 BGH NJW-RR 1990, 1149; BGH VersR 1994, 1448 (Überprüfung von Telefaxnummern). ______245 BVerfG NJW 2009, 214; BGH NJW 1985, 1226; BGH NJW-RR 2007, 1429; BGH NJW 2007, 3497 ______(Fristenkontrolle); BGH NJW-RR 2008, 576.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___fern sie über die Bedeutung des Fristablaufs unterrichtet sind.246 Eine beanstandungs___freie Probezeit von sechs Monaten reicht für die Einarbeitung grundsätzlich aus.247 Ver___richtungen einfachster Art darf der Anwalt auch Auszubildenden oder bei ihm nicht an___gestellten Personen übertragen, sofern diese hinreichend eingewiesen worden sind und ___sich bei entsprechenden Kontrollen mehrfach als zuverlässig erwiesen haben.248 Das ___Verschulden von derartigen Hilfspersonen ist der Partei nicht zuzurechnen. Der Bürobe___trieb des Anwalts muss geordnet sein, und zwar so dass die allgemeinen Anweisungen ___tatsächlich geeignet sind, den in Rede stehenden Fehler zu vermeiden. Der Anwalt kann ___sich daher z.B. nicht damit entlasten, er habe seinen Bürobetrieb nach dem Qualitäts___managementsystem DIN EN ISO 9001 organisiert, wenn dieses System nach dem konkre___ten Fall unzureichend war.249 Ein erheblicher Organisationsmangel, der für die Fristver___säumung ursächlich geworden ist, steht der Wiedereinsetzung entgegen, es sei denn, der ___Rechtsanwalt hat eine sachgerechte Einzelanweisung erteilt, auf deren Befolgung er ___vertrauen durfte.250 Besteht eine solche Anweisung, braucht er sich in der Regel nicht zu ___vergewissern, dass sich auch tatsächlich so ausgeführt worden ist.251 Bei einer mündli___chen Anweisung müssen allerdings ausreichende Sicherheitsvorkehrungen dagegen ___getroffen worden sein, dass solche Anweisungen nicht im allgemeinen Bürobetrieb in ___Vergessenheit geraten.252 Die Einzelanweisung muss sicherstellen, dass der fristgebun___dene Schriftsatz tatsächlich pünktlich und in richtiger Ausfertigung abgesandt wird. ___Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn der Anwalt eine bereits unterzeichnete Berufungsschrift ___seinem Mitarbeiter mit der Weisung übergibt, diese vier Tage später an das Gericht abzu___senden.253 Denn in diesem Fall fehlt eine dem Fristenkalender vergleichbare Kontrolle. ___Anders verhält es sich, wenn der Anwalt seine Mitarbeiterin anweist, die erste (fehlerhaf___te) Seite der bereits von ihm unterschriebenen Rechtsmittelschrift auszutauschen und ___die berichtigte Fassung sodann per Fax an das Rechtsmittelgericht zu übersenden, diese ___Anweisung dann aber nicht ausgeführt wird. Wird gleichwohl die falsche Fassung über___mittelt und führt dies zu einem Zulässigskeitsmangel, ist ein Verschuldensvorwurf nicht ___zu machen. Denn in einem solchen Fall darf sich der Anwalt darauf verlassen, dass seine ___Weisung zutreffend ausgeführt wird.254 Die Weisung, eine fristgebundene Angelegenheit ___„sogleich“ auszuführen, reicht ebenfalls.255 Geht sie dagegen dahin, den fristgebundenen ___Schriftsatz noch am selben Tag zu versenden, muss gesichert sein, dass die Anweisung ___ ___ ___246 BGH VersR 1971, 454; 1988, 610; 1989, 166;1991, 790; BGH NJW-RR 1992, 1278; 1994, 510;1998, 1140 (Übermittlung eines Fristverlängerungsantrags durch Auszubildende im ersten Lehrjahr); zur ___Überwachung eines Boten vgl. BGH MDR 1998, 1443; sehr streng BGH VersR 1996, 256; s.a. BVerwG NJW ___1992, 63; BAG AP Nr. 16 zu § 233 ZPO 1977. ___247 BGH NJW 2011, 1080. ___248 BGH BGHReport 2002, 81; BGH NJW 2006, 1519; BGH NJW 2007, 3497; BGH FamRZ 2008, 142. 249 BGH NJW NJW-RR 2011, 138. ___250 BVerfG NJW 1995, 249 (anderer Anwalt als Bote); BGH VersR 1985, 369; BGH NJW 1990, 2707; BGH ___NJW 1991, 1179; BGH NJW 1992, 1023; BGH VersR 1996, 348; BGH VersR 1994, 1494; BGH FamRZ 1995, 1135; ___BGH NJW 2000, 2823; BGH NJW-RR 2002, 1289; BGH MDR 2003, 763; BGH NJW-RR 2007, 1430; BGH NJW ___2009, 1083, 1085; BGH NJW 2009, 296; BGH MDR 2011, 1442; zum Fall, dass die Einzelanweisung nur ___einzelne Elemente der Organisation ersetzt, BGH NJW 2004, 367 und BGH MDR 2005, 167; einschränkend für den Fall, dass eine Sekretärin als Übermittlerin für eine anwaltliche Weisung zwischengeschaltet wird, ___s. BGH-Report 2005, 1277. ___251 BGH NJW 2008, 2589; BGH MDR 2010, 400; BGH NJW 2010, 2286. ___252 BGH FamRZ 2009, 1132; BGH MDR 2012, 538. ___253 BGH NJW 1999, 429 = MDR 1999, 324; in BGH NJW 2004, 1361 = MDR 2004, 1375 wurde sogar in dem Fall ein Organisationsmangel bejaht, dass eine vormittags erteilte Anweisung, die Rechtsmittelschrift noch ___am selben Tag zu übermitteln, nicht kontrolliert wurde; dies dürfte zu weit gehen. ___254 BGH NJW-RR 2004, 711; BGH NJW 2010, 2286; BGH NJW-RR 2010, 998, 1000. ___255 BGH NJW-RR 2007, 1430; BGH NJW 2008, 526; BGH NJW 2008, 2589.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______nicht bei den übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät.256 Hinsichtlich der Fristen hat der ______Rechtsanwalt diejenigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, die nach vernünf______tigem Ermessen geeignet sind, eine Versäumung auszuschließen.257 Geht es um die Ein______haltung von Rechtsmittelfristen, müssen solche Vorkehrungen auch für die Ausführung ______von Einzelanweisungen getroffen werden.258 Dazu gehört z.B. auch die Anweisung, über ______die Notierung der Frist im Fristkalender einen Erledigungsvermerk in den Handakten zu ______machen.259 Sind allerdings solche allgemeinen Anweisungen vorhanden, kann dem An______walt auch ein wiederholtes Versagen seiner Angestellten in derselben Sache grundsätz______lich nicht angelastet werden.260 Eine Nachkontrolle bei einer konkreten Einzelanweisung ______ist nicht nötig.261 Die Aufgabenbereiche der Mitarbeiter müssen nach einem Organisa______tionsplan, dessen Ausgestaltung sich nach Art und Umfang der Kanzlei richtet, vonein______ander abgegrenzt sein.262 Das gilt auch dann, wenn die Fristen teilweise vom Anwalt ______selbst gestrichen werden.263 Zur ordnungsgemäßen Organisation gehört es, dass die Fris______tenkontrolle auch dann zuverlässig vorgenommen wird, wenn das Personal durch Ur______laub oder Krankheit reduziert ist.264 Soweit es an einer klaren (und zulässigen) Aufga______benzuweisung fehlt, ist der Anwalt für die Fristwahrung selbst verantwortlich. In einer ______überörtlichen Sozietät sind die Organisationspflichten von den Anwälten zu erfüllen, ______denen die Prozessführung am Gerichtsort obliegt.265 Gehen die organisatorischen Maß______nahmen des Anwalts zur Fristenkontrolle über das hinaus, was allgemein geboten ist, ______führt dies nicht zu einer Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs.266 ______ Dem Anwalt obliegt die Verpflichtung zur sorgfältigen Auswahl, Belehrung und 48 ______Überwachung des Personals. Er muss sich Gewissheit darüber verschaffen, dass seine ______für die Fristenkontrolle gegebenen allgemeinen Anweisungen verstanden und sorgfältig ______befolgt werden. Der BGH fordert, dass eine solche Überwachung auch bei eingearbeite______tem, als zuverlässig und befähigt bekannten Personal wenigstens in unregelmäßigen ______Abständen erfolgt. In verstärktem Maße ist sie nötig bei Kräften, die noch nicht ausrei______chend Gelegenheit gehabt haben, sich zu bewähren.267 Besonders intensiv sind demnach ______Auszubildende zu überwachen und zu belehren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf ______die Ausgangskontrolle und die Postabfertigung,268 die Aufgabe eingeschriebener Sen______dungen sowie für das Aussortieren von Fristsachen.269 Bei der Überwachung kann sich ______der Anwalt erprobter Mitarbeiter bedienen. Diese wiederum muss er selbst überwachen. ______Wenn – ein an sich als zuverlässig bekannter – Angestellter eine Fristversäumung ver______schuldet, muss der Anwalt organisatorische Konsequenzen ziehen.270 Andererseits darf ______ ______256 BGH NJW 2008, 234; BGH NJW 2008, 526. ______257 BGH VersR 1973, 88. Die Formulierung in BGH NJW 1988, 2804, der Anwalt sei verpflichtet, „sein ______Möglichstes“ zu tun, Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristen auszuschließen, geht zu weit. ______258 BGH NJW 2004, 367; BGH NJW 2004, 688, 689. 259 BGH NJW 2003, 1815. ______260 BGH NJW-RR 2001, 1072. ______261 BGH NJW 2009, 296. ______262 BGH NJW 1992, 3176; BGH NJW 2006, 1520. ______263 BGH NJW 2011, 385, 386 MDR 2011, 255. ______264 BGH NJW 1999, 3783 = MDR 1999, 1411. 265 BGH NJW 1994, 1878. ______266 BGH NJW 1998, 2676. ______267 BGH VersR 1971, 454; 1972, 557; 1976, 494; 1984, 166; 1997, 83 (Assessorin); s. andererseits aber BGH ______NJW 2006, 1070 (Referendar). ______268 BAG NJW 1973, 1392; BGH NJW 1994, 2958 (keine „Dauerkontrolle“ erforderlich); BGH MDR 2001, 587 (Ablage eines Schriftsatzes im Postausgangsfach genügt, wenn aufgrund der organisatorischen Vorgaben ______mit rechtzeitiger Weiterleitung zu rechnen ist); ebenso: BGH MDR 2010, 710. ______269 BAG AP Nr. 6 zu § 232 ZPO m. Anm. Pohle. ______270 BGH VersR 1971, 1148; BGH VersR 1972, 557.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___er darauf vertrauen, dass eine konkrete Einzelanweisung an eine Angestellte, die sich ___bislang als zuverlässig herausgestellt hat, ordnungsgemäß ausgeführt wird. Er ist daher ___nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung der Anweisung zu vergewis___sern.271 Die Sorgfaltspflicht des Anwalts erhöht sich immer dann, wenn eine besondere ___Gefahr für den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebes zu befürchten ist, insbesonde___re bei Verminderung des Personalbestandes, etwa durch Krankheit.272 Allerdings ist er ___nicht verpflichtet, eine generelle organisatorische Vorsorge für den krankheitsbedingten ___Ausfall eines Mitarbeiters zu schaffen. Es stellt daher kein Organisationsverschulden ___dar, wenn der Anwalt den von ihm unterschrieben fristgebundenen Schriftsatz einer als ___zuverlässig bekannten Mitarbeiterin zur Übermittlung per Telefax übergibt, diese den ___Auftrag dann aber aufgrund einer plötzlichen Erkrankung nicht mehr ausführt.273 ___ ___ bb) Einzelne Organisationspflichten. Auf der Grundlage von Fehlern, die zu Frist- 49 ___versäumnissen geführt haben, hat die Rechtsprechung in einer reichhaltigen Kasuistik ___vielfältige anwaltliche Pflichten herausgearbeitet. Der Anwalt muss u.a. folgende Pflich___ten erfüllen, deren Verletzung die Wiedereinsetzung regelmäßig ausschließt: ___– die Aufgabenbereiche der einzelnen Angestellten sind erkennbar voneinander ab___ zugrenzen und den jeweiligen Fähigkeiten anzupassen;274 ___– es sind Anweisungen zu erteilen, die sicherstellen, dass eingehende Post sorgfältig ___ geprüft, den richtigen Vorgängen beigefügt und sofort vorgelegt wird;275 ___– durch allgemeine Anordnung ist sicherzustellen, dass neu eingehende Mandate un___ verzüglich einem Mitglied der Sozietät vorgelegt werden;276 ___– der Telefonverkehr des Büros mit den Mandanten muss ordnungsgemäß organi___ siert sein; bei Abwesenheit des Rechtsanwalts und des Bürovorstehers darf nicht ein ___ Auszubildender im ersten Lehrjahr mit dem Telefondienst betraut werden;277 ___– für die Entgegennahme telefonischer Anrufe müssen Anweisungen erteilt werden; ___ die Büroangestellten müssen klare Weisungen dazu erhalten, wie mit wichtigen An___ rufen zu verfahren ist, damit Missverständnisse vermieden werden;278 ___– durch Einzelanweisung oder geeignete Organisationsmaßnahmen sind Fehlerquel___ len auf dem Informationsweg zu dem Mitarbeiter auszuschließen, der für die Füh___ rung der Fristenbücher verantwortlich ist;279 ___– durch entsprechende Vorkehrungen ist sicherzustellen, dass bestimmende Schrift___ sätze an das Gericht nur mit der Unterschrift eines zugelassenen Rechtsanwalts ___ hinausgehen;280 ___ ___ ___ ___271 BGH NJW 1997, 1930 = FamRZ 1997, 997; BGH NJW-RR 2003, 1578; BGH NJW 2009, 296; ehr streng insoweit BGH NJW 2004, 1361 = MDR 2004, 1375. ___272 BGH VersR 1970, 421; BGH VersR 1972, 861. ___273 BGH NJW-RR 2004, 1149. ___274 BGH NJW 1963, 258; BGH VersR 1977, 423; BGH VersR 1993, 206 = NJW 1992, 3176; BGH NJW 2006, ___1520. ___275 BGH VersR 1981, 79; 1988, 156; 1994, 1368; BGH NJW 2009, 854 (Vorlage eines rechtlichen Hinweises zur Erfolglosigkeit eines Prozesskostenhilfegesuchs für die Berufung, der die Frist für den ___Wiedereinsetzungsantrag auslöst). ___276 BGH VersR 1982, 1192. ___277 BGH VersR 1986, 1024. ___278 So jedenfalls BGH VersR 1981, 959. 279 BGH NJW 1988, 2804 (kommentarloses Ablegen der als Fristsache gekennzeichneten Akte auf dem ___Schreibtisch der Bürovorsteherin ist fahrlässig). ___280 BGH VersR 1975, 921; 1982, 848; 1986, 1211; 1988, 416; 1989, 715; 1995, 194; BGH NJW-RR 2001, 1366; ___zur Verwendung von Blankounterschriften BAG AP Nr. 7 zu § 233 ZPO 1977.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______– bei der Übermittlung eines bestimmenden Schriftsatzes per Fax muss die Anweisung ______ erteilt sein, als Vorlage nur das unterschriebene Original und nicht eine für die ______ Handakten bestimmte Durchschrift zu verwenden;281 ______– bei Absendung eines Fax muss die Eingabe der zutreffenden Faxnummer des Emp______ fängerapparats anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses überprüft werden, um ______ Fehler bei der Übertragung auszuschließen;282 ______– soll ein fristwahrender Schriftsatz am letzten Tag der Frist übermittelt werden, muss ______ sichergestellt sein, dass das Büropersonal auf die Fax-Nummer des Empfängerappa______ rats ohne Schwierigkeiten zugreifen kann;283 ______– es muss gewährleistet sein, dass fristwahrende Schriftsätze vollständig und richtig ______ adressiert werden;284 ______– im Falle des Urlaubs einer Bürokraft ist für geeignete Vertretung zu sorgen;285 ______– eine Berufungsbegründungsfrist muss stets eingetragen werden; die Beurteilung der ______ Frage, ob die Berufung schon begründet worden ist und ob deshalb ein Fristeintrag ______ ausnahmsweise unterbleiben darf, kann nicht einem juristisch ungeschulten Mitar______ beiter überlassen bleiben;286 ______– die rechtzeitige Fertigung fristgebundener Schriftsätze muss sichergestellt sein; ______ dazu gehört die Vorsorge, dass auf gespeicherte Texte auch dann Zugriff genommen ______ kann, wenn der zuständige Mitarbeiter nicht mehr im Büro ist.287 ______ ______ cc) Abwesenheit/Verhinderung des Rechtsanwalts. Jeder Rechtsanwalt muss die 50 ______nach den jeweiligen Umständen gebotene Vorsorge für den Fall treffen, dass er unvor______hergesehen an der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere an der Wahrung ge______setzlicher Fristen, gehindert ist, etwa durch Krankheit oder durch verspätete Rück______kehr von einer Reise.288 Er muss dafür sorgen, dass bei einer unvorhergesehenen ______Verhinderung ein Vertreter vorhanden ist289 oder dass sich das Kanzleipersonal an einen ______solchen wenden kann.290 Bei einer vorhersehbaren Abwesenheit muss der Anwalt nicht ______nur das Büropersonal, sondern auch den Vertreter auf Fristen hinweisen, die während ______der Abwesenheit ablaufen.291 Bei einem krankheitsbedingten Ausfall muss jeweils im ______Einzelfall geprüft werden, ob ein solcher Ausfall vorhersehbar war und deshalb konkrete ______Vorsorgemaßnahmen erforderlich gewesen wären.292 Bei einer unvorhergesehenen Er______krankung muss der Anwalt nur das unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ______ist.293 Ist ihm die fristgerechte Fertigung der Berufungsbegründung aufgrund der Erkran______kung nicht mehr möglich, kann ein Verschulden an der Fristversäumnis nicht daraus ______ ______ ______281 BGH MDR 2003, 709 = BGHReport 2003, 696; s. auch BVerfG NJW 2004, 2583. ______282 BGH NJW 2007, 996; BGH NJW-RR 2008, 1379 = MDR 2008, 703; s. aber auch BGH MDR 2010, 779 = VersR 2011, 1534. ______283 BGH NJW 1994, 2300; BGH MDR 2004, 291 = BGHReport 2004, 274; zur Prüfung der Telefaxnummer ______auf ihre Richtigkeit s. BVerwG NJW 2004, 2688 = NVwZ 2003, 868. ______284 BGH VersR 1994, 75; BGH NJW 2000, 82; BGH NJW 2000, 1043; s.a. OLG Nürnberg NJW 1999, 153 ______(falsche Fax-Nummer). ______285 BGH VersR 1978, 959; 1985, 148; 1987, 617; BGH NJW 1989, 1157; BGH NJW 1999, 3783. 286 BGH NJW-RR 2000, 1366. ______287 OLG Oldenburg NJW 2011, 2305. ______288 BGH NJW-RR 1990, 379; BGH VersR 1994, 1207; BGH NJW 1996, 1540; BGH FamRZ 2004, 182; zum ______Fall einer vorhersehbaren Erkrankung s. BGHReport 2005, 1050. ______289 Z.B. innerhalb der Sozietät: BGH VersR 1971, 665; 1979, 349; 1993, 207. 290 BGH VersR 1978, 667; 1980, 386; 1984, 762; 1985, 189; 1990, 1026. ______291 OLG Stuttgart MDR 2011, 1325. ______292 BGH VersR 1985, 139; BGH NJW 1996, 997, 998. NJW 2008, 3571. ______293 BGH FamRZ 2004, 182; BGH NJW 2008, 3571 (plötzliche fiebrige Erkrankung).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___abgeleitet werden, dass ein vorsorglich gestellter Antrag auf Verlängerung der Begrün___dungsfrist nicht ordnungsgemäß begründet worden ist und deswegen zurückzuweisen ___war.294 Denn Wiedereinsetzung hätte auch ohne den Verlängerungsantrag gewährt wer___den müssen. Ist der Anwalt nur vorübergehend erkrankt und kann er damit rechnen, ___dass er die anstehenden Fristsachen selbst erledigen kann, handelt er nicht pflichtwid___rig, wenn er keinen Vertreter beauftragt.295 Der Tod des Verkehrsanwalts vor Ablauf der ___Rechtsmittelfrist kann ebenfalls einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.296 ___ Fehler, die dem Rechtsanwalt infolge eingeschränkter Leistungsfähigkeit unter- 51 ___laufen (z.B. durch eine schwere seelische Belastung),297 können das Verschulden unter ___besonderen Umständen ausschließen. Im Übrigen reicht aber eine allgemeine Beein___trächtigung des Gesundheitszustandes als Wiedereinsetzungsgrund nicht aus. Sie min___dert die anwaltlichen Pflichten nicht.298 ___ ___ i) Fristenwesen ___ ___ aa) Entgegennahme von Zustellungen. Der Rechtsanwalt muss dafür sorgen, dass 52 ___der Zustellzeitpunkt in seinem Büro zuverlässig festgehalten wird, damit jederzeit fest___stellbar ist, wann die Rechtsmittelfrist und die Begründungsfrist ablaufen.299 Wenn er ___durch Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses (§ 174) die Fristen in Lauf setzt, ___muss er entweder selbst den Tag der förmlichen Urteilszustellung vermerken oder durch ___besondere Einzelanweisung sicherstellen, dass das Büropersonal das Datum in zuverläs___siger Weise sogleich notiert.300 Das gilt insbesondere dann, wenn das von ihm auf dem ___Empfangsbekenntnis eingetragene Zustellungsdatum vom Datum des Posteingangs im ___Büro abweicht.301 Maßgeblich für das Zustellungsdatum ist allein das Empfangsbekennt___nis des Anwalts bzw. die Postzustellungsurkunde.302 Der Eingangsstempel auf dem zuge___stellten Schriftstück ersetzt den Vermerk über das Datum der Zustellung nicht.303 Unter___zeichnen und zurückgeben darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine ___fristauslösende Zustellung grundsätzlich erst dann, wenn sichergestellt ist, dass in der ___Handakte der Ablauf der Fristen und die Fristnotierung (im Fristenkalender) vermerkt ___sind304 (anders dagegen bei der Zustellung einer Terminsladung, da die Eintragung des ___Termins keine besondere Rechtskenntnis erfordert).305 Unterbleibt der Vermerk, trifft ihn ___eine besondere Sorgfaltspflicht.306 Ferner muss der Anwalt prüfen, ob das zuzustellende ___ ___ ___294 BGH NJW 2009, 3037 = MDR 2009, 1240. ___295 BGH VersR 1979, 374; BGH NJW 1992, 1898. ___296 BGH VersR 1984, 989; OLG Köln NJW 1966, 208. ___297 BGH VersR 1981, 839; 1984, 988; 1985, 47. 298 BGH VersR 1975, 1149; BGH VersR 1977, 374; BGH NJW 1996, 997. ___299 BGH NJW 1992, 1695, 1696. ___300 BGH VersR 1991, 124; 1991, 1309; 1994, 371; BGH NJW 1992, 574; BGH NJW 1994, 2831 (Diktat auf ___Tonträger reicht nicht aus); BGH NJW 1995, 1682 = VersR 1995, 1253; BGH FamRZ 1996, 1004; BAG MDR ___1995, 965 = NZA 1995, 494; BGH NJW 1996, 1302 (LS); BGH MDR 2003, 708; BGH AnwBl 2001, 71 ___(Eintragung der Frist in den Handakten und Vermerk, dass die Frist im Kalender notiert ist); BGH NJW-RR 2010, 417. ___301 BGH NJW-RR 1998, 1442; BGH NJW 2010, 3305. ___302 BGH NJW 2010, 3305, ___303 BGH VersR 1982, 244; 1987, 564; 1992, 118; BGH NJW 1996, 1968. ___304 BGH VersR 1973, 547; 1974, 1099; 1977, 424; 1978, 523; 1979, 161; 1980, 764, 865; 1981, 39; 1983, 185, 559; 1985, 147; 1992, 1536; 1994, 873; 1996, 1390 = NJW 1996, 1900; BGH FamRZ 1990, 1342; BGH MDR ___2003, 708; BGH NJW 2002, 3782; BGHReport 2005, 1280; BGH NJW 2010, 1080; BAG NJW 2003, 1269. ___305 BGH NJW 1998, 3125 = MDR 1998, 1251. ___306 BGH NJW 2003, 1528.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Schriftstück auch tatsächlich beigefügt ist.307 Falls der Vermerk über das Zustellungs______datum auf die Urteilsausfertigung gesetzt wird, die dem Mandanten zugehen soll, muss ______dafür Sorge getragen werden, dass auch ein entsprechender Vermerk in der Handakte ge______macht wird.308 Zweckmäßig ist es, dass der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis foto______kopieren, die Vermerke über das Zustelldatum und die Fristnotierung von seinem Büro ______machen lässt und diese Maßnahmen anhand der Urteilsausfertigung und der Handakten ______selbst überprüft, bevor er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet.309 Ein bestimmtes Ver______fahren ist allerdings nicht vorgeschrieben.310 Die dargestellten Pflichten zu Vermerken ______über Zustelldatum und Fristnotierung kann der Rechtsanwalt sachgemäß nur erfül______len, wenn er die Angaben des Empfangsbekenntnisses mit der Urteilsausfertigung ver______gleicht.311 Ein Rechtsanwalt, der das Empfangsbekenntnis unterschreibt, ohne sich das ______darauf bezeichnete Schriftstück vorlegen zu lassen, handelt sorgfaltswidrig.312 Schließ______lich muss der Anwalt seine Partei rechtzeitig über die Fristen genau unterrichten. Er ______muss in seiner Rechtsmittelbelehrung klarstellen, was geschieht, wenn die Partei keine ______Weisung erteilt.313 ______ 53 Ist die Zustellung nicht an den Anwalt erfolgt, muss der Fristlauf vom Anwalt eigen______ständig überprüft werden. Der Anwalt darf sich nicht auf die Erklärung der Partei zur ______Frist verlassen.314 Der mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragte Anwalt hat den ______Lauf der Rechtsmittelfrist selbst zu prüfen.315 Wird der Lauf der Frist nicht durch eine ______Zustellung in Gang gesetzt, hat der Anwalt die zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um ______vom Fristbeginn anderweitig zu erfahren. Daher darf der während eines Rechtsmittelver______fahrens tätige Anwalt den Lauf der Rechtsmittelbegründungsfrist nach Unterbrechung ______des Verfahrens gemäß § 240 (die auch mit der Einstellung des Verfahrens mangels Masse ______endet!) nicht außer Kontrolle geraten lassen.316 ______ ______ bb) Fristnotierung. Zur Sicherung der Fristwahrung muss ein Fristenkalender ge54 ______führt werden. Eine doppelte Kontrolle ist allerdings nicht nötig.317 Die Verwendung loser ______Zettel oder von Aufklebern auf den Akten318 genügt nicht.319 Die Führung des Fristenka______lenders mittels EDV ist grundsätzlich möglich, da hiermit eine mindestens ebenso große ______Sicherheit erreicht werden kann wie bei der schriftlicher Fristnotierung, auch wenn nicht ______alle Sicherheitsvorgaben in genau gleicher Weise erfüllt werden können.320 Das verwen______dete Programm muss eine hinreichende Sicherheit für die Überwachung der Fristen bie______ten. Erforderlich sind insbesondere geeignete Vorkehrungen gegen falsche Dateneinga______be321 und Datenverlust. Eine automatisierte Kontrolle allein durch das EDV-Programm ______ ______ ______307 BGH NJW 2000, 2112 = MDR 2000, 853; OLG Schleswig NJW-RR 2005, 1229. ______308 BGH VersR 1981, 39. 309 BGH VersR 1978, 255; 1980, 865, 867. ______310 BGH NJW-RR 1993, 1213, 1214. ______311 BGH VersR 1978, 943; BGH 1983, 559. ______312 BGH VersR 1978, 943; BGH NJW 1980, 1846; offen gelassen von BGH VersR 1978, 627; einschränkend ______BGH VersR 1979, 282. ______313 BGH VersR 1996, 606; BGH FamRZ 1996, 1466. 314 BGH NJW 1990, 1239. ______315 BGH NJW-RR 1986, 614. ______316 BGH NJW 1990, 1239. ______317 BGH NJW 2000, 3006. ______318 BGH NJW 1999, 1336 = MDR 1999, 446. 319 BGH VersR 1985, 1184. ______320 Zu den Anforderungen BGH NJW-RR 2007, 1714, 1715; kritisch Waltl/Borgmann NJW-CoR 1994, 291, ______die einzelne Kriterien für ein Fristenprogramm darstellen. ______321 OLG Frankfurt NJW 2009, 604 (Tippfehler).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___wird dabei von der Rechtsprechung nicht für ausreichend gehalten. Die Rechtsprechung ___fordert, dass die Kontrolle anhand eines schriftlichen Ausdrucks der eingegebenen ___Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls des Programms vorgenommen wird. Mit dem ___Kontrollausdruck müssen sowohl Verarbeitungsfehler durch das EDV-Programm als ___auch Fehler oder Versäumnisse bei der Eingabe kontrolliert werden.322 Auch die Fristlö___schung muss sachgerecht eingerichtet sein.323 Wird der elektronische Kalender so ge___führt, dass am Tag des Fristablaufs solche Sachen, die zuvor versehentlich als erledigt ___gekennzeichnet worden sind, überhaupt nicht mehr in der Fristenliste erscheinen, kann ___nicht von einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gesprochen werden.324 Die Eintra___gung wichtiger Fristen muss zudem durch einen speziellen Erledigungsvermerk in den ___Handakten (z.B. auf der Urteilsausfertigung) gekennzeichnet werden.325 Werden im Büro ___zwei Fristenkalender geführt, muss durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt ___sein, dass der Vermerk in den Handakten erst erfolgt, wenn die Eintragung in beiden ___Kalendern vorgenommen worden ist.326 Dass dieser Vermerk erst erfolgt, nachdem die ___Eintragung im Terminkalender stattgefunden hat, muss der Anwalt nach Ansicht des ___BGH durch eine allgemeine Anweisung sicherstellen.327 Eine qualifizierte Bürokraft wird ___dies als Selbstverständlichkeit ansehen, über die sie nicht besonders zu belehren ist. Die ___Kalenderführung und die Kontrolle der Fristen darf der Rechtsanwalt einem gut ausge___bildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Mitarbeiter übertragen, ___keinesfalls aber einem Auszubildenden. Einem ganz besonders qualifizierten Mitarbei___ter328 darf er auch die Berechnung der üblichen Fristen, die in der Praxis häufig vorkom___men (Routinefristen),329 anvertrauen, sofern die Berechnung keine rechtlichen Schwie___rigkeiten bereitet.330 Weist der Anwalt eine in Fristsachen erfahrene Bürokraft an, eine ___von ihm berechnete Rechtsmittelfrist im Kalender einzutragen, trifft ihn kein Verschul___den, wenn diese die Frist aufgrund einer erstmaligen Eigenmächtigkeit falsch einträgt.331 ___Ein mit der Durchführung der Berufung beauftragter Rechtsanwalt kann die Feststellung ___und Berechnung der Berufungsfrist zumindest dann seinem ausgebildeten und über___wachten Büropersonal überlassen, wenn der erstinstanzliche Anwalt das Datum der Ur___teilszustellung in seinem Begleitschreiben mitgeteilt hat.332 Die Zuständigkeit für die ___Fristenkontrolle muss im Anwaltsbüro klar geregelt sein. Die Kontrolle muss grundsätz___lich einer bestimmten Fachkraft zugewiesen werden.333 Wechselt diese im Laufe des ___Arbeitstages, ist sicherzustellen, dass keine Unklarheiten durch eine zeitliche Über___schneidung entstehen. Bei der Verhinderung der mit der Führung des Fristenkalenders ___ ___ ___322 BGH NJW 1999, 582, 583 = MDR 1999, 61; BGH NJW-RR 2006, 500 = MDR 2006, 539; BGH NJW 2010, ___1363. ___323 BGH NJW 1995, 1756 = VersR 1995, 934; 1996, 387; BGH NJW 1997, 327 = VersR 1997, 257; BGH NJW 1999, 582 = MDR 1999, 61; OLG München NJW 1990, 191; Anm. Redeker CR 1990, 199; LG Berlin AnwBl 1993, ___585. ___324 BGH NJW 1999, 582; BGH NJW 2001, 370 = VersR 2001, 85; BGH NJW 2000, 162 = MDR 2000, 855. ___325 BGH NJW 1971, 2269; BGH VersR 1993, 1380. ___326 BGH NJW 2011, 1597, 1598 = MDR 2011, 684. ___327 BGH NJW-RR 1992, 826 = VersR 1992, 900 m. krit. Anm. Borgmann AnwBl 1992, 386; Späth VersR 1992, 1243. ___328 Dazu BGH NJW 1988, 2045; großzügiger BGH VersR 1988, 157. ___329 Dazu gehören im Allgemeinen nicht die im Verfahren vor dem BVerwG zu beachtende ___Rechtsmittelbegründungsfrist und die Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 VwGO, s. BVerwG ___NJW 1992, 852. 330 St.Rspr. seit BGHZ 43, 148, 152 = NJW 1965, 1021. ___331 BGH NJW 2001, 1578 = MDR 2001, 530. ___332 BGH NJW 2000, 1872 = MDR 2000, 845. ___333 BGH NJW 2007, 1453 mit Anm. Römermann.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______beauftragten Kanzleikraft muss eine gleichermaßen zuverlässige Ersatzkraft eingesetzt ______werden.334 Die reine Fristenkontrolle (Eintragung, Überwachung, Löschung) erfordert ______nach der Rechtsprechung eine „etwas geringere“ Qualifikation.335 ______ Den Lauf einer Frist, die durch eine Verfahrensunterbrechung beeinflusst wird, 55 ______muss der Anwalt selbst feststellen.336 Geht es um die Fünf-Monats-Rechtsmittelfrist ______nach §§ 517, 548, sollte wegen des damit verbundenen Organisationsaufwands nicht ge______nerell verlangt werden, dass diese notiert wird.337 Denn in der Regel wird sich diese No______tierung als überflüssig erweisen. Der Rechtsanwalt muss aber bei einer auffälligen Ver______zögerung der Urteilszustellung wachsam sein und in diesem Fall die Frist notieren.338 ______Dies muss auf jeden Fall geschehen, sobald er sich der Verzögerung bewusst wird. ______ Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen müssen im Fristenkalender 56 ______so vermerkt werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich ab______heben.339 Allein die Notierung einer Vorfrist genügt nicht.340 Eine hinreichende Sicherheit ______für die Ausgangskontrolle ist hiermit auch dann nicht gewährleistet, wenn die allgemeine ______Weisung besteht, die Handakten kurz vor Fristende wieder vorzulegen.341 Der Rechtsan______walt muss durch geeignete Anweisung sicherstellen, dass der Aktenvorgang unterscheid______bar gekennzeichnet wird, wenn unterschiedliche Verfahren namensgleicher Parteien ______geführt werden.342 Bei Verfahren mit zwei oder mehr Rechtsmittelfristen in einer einzigen ______Sache oder in Parallelsachen für einen Mandanten müssen Fristen für jedes Rechtsmittel ______auch bei gleichzeitigem Fristablauf gesondert notiert werden.343 Das Personal ist darauf ______hinzuweisen, dass einmal eingetragene Rechtsmitteleinlegungs- und -begründungsfris______ten nicht eigenmächtig gelöscht werden dürfen.344 Es müssen geeignete Vorkehrungen ______dafür getroffen werden, dass Fristen nicht versehentlich gestrichen werden (z.B. Na______menszeichen, Datum der Streichung).345 Ob der Rechtsanwalt auch verhindern muss, dass ______die Löschung durch „Weißen“ (d.h. völliges Unkenntlichmachen) statt durch Streichung ______vorgenommen wird, hat die Rechtsprechung bislang offen gelassen. 346 Wird beantragt, ______die Rechtsmittelbegründungsfrist zu verlängern, darf eine neue Frist erst eingetragen ______werden, wenn die Verlängerung bewilligt worden ist.347 Die Eintragung der beantragten ______Frist ist nicht sinnvoll, da nicht sicher ist, dass dem Antrag in vollem Umfang stattgeben ______wird.348 Grundlage für die neue Eintragung muss die schriftliche Mitteilung des Gerichts ______sein. Eine mündliche Nachfrage genügt nicht.349 Die Eintragung einer hypothetischen ______Frist ist fehlerhaft, weil die bewilligte Frist kürzer ausfallen kann, als sie beantragt ist. ______ ______ ______ ______334 BGH VersR 1978, 959; BGH 1985, 148, 574. ______335 BGH VersR 1988, 610. ______336 BGH VersR 1982, 974. 337 A.A. BGH NJW 1994, 459 = VersR 1994, 955; offen gelassen von BGH NJW 1989, 1157. ______338 BGH NJW 1989, 1156; BGH VersR 1994, 1207. ______339 BGH VersR 1986, 469; BGH NJW 1989, 2393; BGH Report 2005, 44; ein bestimmtes Verfahren ist ______dabei aber nicht vorgeschrieben – BGH NJW-RR 2005, 215. ______340 BGH NJW-RR 1998, 1526. ______341 BGH NJW 2001, 2975. 342 BGH NJW 1995, 2562. ______343 BGH FamRZ 1987, 1017; BGH NJW 1992, 2488; BGHReport 2005, 324 = FamRZ 2006, 190; BGH NJW ______2010, 3585. ______344 BGH VersR 1989, 1316; BGH VersR 1991, 123; BGH NJW 1996, 1350. ______345 BGH VersR 1993, 772. 346 BGH VersR 1989, 1316; 1991, 123. ______347 BGH MDR 2008, 97. ______348 Problematisch daher die Entscheidung BGH NJW 2011, 1598 = MDR 2011, 684. ______349 BGH NJW 2011, 1971 = MDR 2011, 381.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___Das zuständige Rechtsmittelgericht braucht im Fristenkalender nicht vermerkt zu wer___den.350 ___ Der Anwalt muss anordnen, dass im Kalender der Fristablauf und nicht nur ein frü- 57 ___heres Datum351 oder ein arbeitsfreier Tag352 vermerkt wird. Es genügt also nicht, dass ___der Anwalt nur Vorfristen eintragen lässt. Das gilt auch für Fristen, die gehemmt werden. ___Es muss sichergestellt sein, dass von vornherein das prozessrechtlich verbindliche Frist___ende vermerkt wird.353 ___ Nach der Rechtsprechung des BGH muss in der Organisation des Fristenwesens 58 ___grundsätzlich 354 sichergestellt sein, dass neben der eigentlichen Rechtsmittelbegrün___dungsfrist eine Vorfrist – etwa von einer Woche – notiert wird,355 und zwar bei solchen ___Prozesshandlungen, die grundsätzlich einen größeren Arbeitsaufwand erfordern (z.B. ___Rechtsmittelbegründung). Für eine Frist zur Einlegung des Rechtsmittels braucht dage___gen grundsätzlich356 keine Vorfrist notiert zu werden.357 Die Vorfristnotierung soll dem ___Anwalt einen Sicherheitsspielraum für die Bearbeitung der Sache verschaffen. Die Vor___frist darf nicht gestrichen werden, bevor der notierte Vorgang erledigt (Aktenvorlage) ___oder eine neue Vorfrist eingetragen ist.358 Das Fehlen eines Vorfristvermerks hindert die ___Wiedereinsetzung allerdings nur, wenn es für die Fristversäumung ursächlich geworden ___ist.359 Wird die Sache am Vorfristtag vorgelegt und ist die üblicherweise notierte Vorfrist ___ausreichend bemessen, muss der Anwalt die Akten nicht sofort auf einen drohenden ___Fristablauf überprüfen.360 Er kann vielmehr davon ausgehen, dass ihm noch eine ausrei___chende Zeit zur Bearbeitung zur Verfügung steht. ___ ___ cc) Bearbeitung der Fristsachen durch den Rechtsanwalt. In einer Sozietät muss 59 ___geregelt sein, welcher Anwalt für die Bearbeitung eines Vorgangs und die Einhaltung der ___Frist verantwortlich ist.361 Der Rechtsanwalt muss Anordnungen zu Fristnotierungen sei___nem Personal unmissverständlich und auf sicherem Wege erteilen. Er genügt seiner ___Sorgfaltspflicht, wenn er die einzutragende Frist der beauftragten Hilfskraft durch eine ___klare mündliche Weisung bekannt gibt und dabei den Eindruck gewinnt, dass die An___weisung richtig verstanden wurde.362 Diktiert er die Anweisung auf Tonband, muss er ___wegen der Gefahr von technischen Übermittlungsfehlern grundsätzlich überprüfen, ob ___das Diktat auf das Tonband gelangt ist und von der Schreibkraft richtig aufgenommen ___ ___ ___ 350 BGH NJW 2009, 296, 297. ___351 BGH VersR 1984, 666; BGH NJW 1988, 568; BGH VersR 1992, 1154; BAG NJW 1993, 1350: vgl. auch ___BGH NJW 1990, 2126; offen gelassen von BGH NJW 1991, 1178; BGH VersR 1996, 387; BGH NJW-RR 1998, ___1526. ___352 BGH VersR 1986, 891. 353 BGH VersR 1992, 1155; s. aber auch BGH NJW 1988; BGH VersR 1988, 185. ___354 Vgl. BGH VersR 1988, 941. ___355 BGH VersR 1962, 838; 1963, 1054; 1977, 332; 1985, 148, 574; 1988, 941; BGH NJW 1994, 2551; BGH ___FamRZ 1994, 1519; BGH NJW 2002, 443. ___356 Wenn BGH VersR 1979, 840 die Notwendigkeit für die Fälle der Einlegung eines Rechtsmittels bei ___einem auswärts gelegenen Rechtsmittelgericht oder einer Beauftragung eines auswärtigen Rechtsmittelanwalts erwägt, dürfte das durch den heutigen Stand der Kommunikationstechnik überholt ___sein. ___357 BGH VersR 1985, 396. ___358 BGH VersR 1974, 756. ___359 BGH VersR 1988, 941; s. aber auch BGH NJW 1994, 2831. 360 BGH NJW 1999, 2048 = MDR 1999, 767; BGH NJW 2000, 365 = MDR 1999, 1528; s.a. BGH NJW-RR ___1999, 429. ___361 BGH VersR 1982, 848; 1994, 117. ___362 BGH VersR 1983, 660.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______und ausgeführt wurde.363 Schriftliche Weisungen sind daher in der Regel vorzuziehen.364 ______Bei ordnungsgemäßer Büroorganisation kann sich der Rechtsanwalt darauf verlassen, ______dass die Aktenvorlage zur Vornahme einer fristgebundenen Prozesshandlung rechtzei______tig erfolgt.365 Wird die Akte dem Anwalt nicht wegen des Fristablaufs sondern aus ande______ren Gründen vorgelegt, muss er die Sache ohne besonderen Anlass nicht hinsichtlich der ______Frist kontrollieren. Er darf sich vielmehr grundsätzlich darauf verlassen, dass ihm die ______Akte später erneut wegen des im Kalender vermerkten Fristablaufs vorgelegt wird.366 ______Fehlt allerdings eine ordnungsgemäße Organisation, bleibt ein hieraus folgendes Ver______schulden nicht etwa deswegen folgenlos, weil der Anwalt für die Einhaltung der Frist ______eine Einzelanweisung erteilt hat.367 Nach Aktenvorlage ist der Anwalt selbst für die wei______tere Behandlung verantwortlich.368 Er muss den Mandanten rechtzeitig über den Ablauf ______einer Rechtsmittelfrist unterrichten.369 ______ Wenn dem Rechtsanwalt die Akten zur Vorbereitung einer fristgebundenen Pro60 ______zesshandlung vorgelegt werden, wozu auch der Antrag auf Verlängerung der Begrün______dungsfrist gehört,370 ist er zur eigenverantwortlichen Nachprüfung des Fristablaufs und ______des Aktenvermerks über die Fristnotierung verpflichtet.371 Ist durch geeignete organisa______torische Maßnahmen sichergestellt, dass Fristen richtig berechnet und eingetragen wer______den, kann er sich dabei grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte ______beschränken.372 Die Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakten nicht mit ______vorgelegt werden.373 Werden dem Anwalt die Akten bei Ablauf einer Vorfrist vorgelegt, ______muss er kontrollieren, ob die tatsächliche Frist notiert ist. In diesem Fall darf er die Ak______ten daher nicht ungeprüft zurückgeben. 374 Ist die tatsächliche Frist notiert, kann sich der ______Anwalt bei ordnungsgemäßer Büroorganisation darauf verlassen, dass die Akten ihm vor ______Ablauf dieser Frist vorgelegt werden. Er braucht sie daher nicht bis dahin eigenständig ______unter Kontrolle zu halten.375 Nach der Aktenvorlage darf sich der Rechtsanwalt nicht ______mehr darauf verlassen, dass ihn sein Personal rechtzeitig an den Fristablauf erinnert, ______selbst wenn er das Personal entsprechend angewiesen hat.376 Anders ist es aber aus______nahmsweise dann, wenn er die Akten in diesem Stadium zur Fertigung des fristgebun______ ______ ______363 BGH VersR 1976, 957; 1978, 537; 1980, 88; 1996, 479 (Adressierung des Rechtsmittelauftrags); 1996, ______480. ______364 Borgmann/Haug § 58 Rdn. 41 ff. ______365 BGH VersR 1984, 662; anders für einen Sonderfall die nicht überzeugende Begründung (letzt. Abs.) in BGH VersR 1993, 1420. ______366 BGH NJW-RR 1998, 1526. ______367 BGH NJW-RR 2001, 782 = MDR 2001, 540; s.a. BGH NJW 1999, 429 = MDR 1999, 324. ______368 OLG München NJW-RR 1991, 191. ______369 BGH VersR 1993, 630; BGH MDR 2007, 1148. 370 BGH VersR 1987, 764; BGH VersR 1991, 1269 = NJW-RR 1991, 827; BGH VersR 1995, 69; BGHReport ______2004, 1055. ______371 BGH VersR 1972, 886; BGH NJW 1976, 627; BGH VersR 1983, 988; BGH VersR 1987, 463, 485; BGHR ______ZPO § 234 Abs. 1 – Fristbeginn 1; BGH VersR 1991, 119; BGH NJW 1992, 841 sowie VersR 1997, 507 ______(Prüfungspflicht entsteht bereits bei der Vorlage der Akten, nicht erst bei deren Bearbeitung!); BGH MDR ______2001, 1072; BGH NJW 1992, 1632; zum Umfang der Nachprüfungspflicht des Rechtsmittelanwalts s. BGH NJW 1980, 1846, 1848; BGH NJW-RR 2005, 498 und 1085 (Kontrollpflicht für Einlegungs- und ______Begründungsfrist); BGH MDR 2012, 47. ______372 BGH NJW 2008, 1670; BGH MDR 2010, 533; BGH NJW 2011, 1597, 1598 = MDR 2011, 684. ______373 BGH NJW-RR 1991, 827; BGH FamRZ 2001, 1143; BGH MDR 2010, 533, 534. ______374 BGH NJW 1999, 2680. 375 BGH NJW 1997, 3243 = MDR 1997, 1050; BGH NJW 2012, 614. ______376 BGH VersR 1981, 282; BGH 1982, 71; BGH NJW 1992, 841 = VersR 1992, 1153; BGH NJW 1998, 460 ______(routinemäßiger Blick in die Akten erforderlich, auch wenn die Vorlage nicht als Fristsache erfolgt); BGH ______MDR 2005, 468 (Pflicht zur Fristnotierung anlässlich Mandatserteilung).

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___denen Schriftsatzes in den Kanzleibetrieb wieder zurückgibt und sie ihm dann aufgrund ___eines Büroversehens nicht wieder vorgelegt werden. In diesem Fall kann dem Anwalt ein ___Verschuldensvorwurf nicht gemacht werden.377 Bei der Fristenkontrolle im Zusammen___hang mit der sachlichen Bearbeitung der Akten handelt es nicht mehr um routinemäßige ___Büroarbeit, sondern um die Prüfung einer Zulässigkeitsvoraussetzung der beabsichtig___ten Prozesshandlung, die dem Anwalt selbst obliegt. Diese besondere Nachprüfungs___pflicht besteht zwar grundsätzlich nur, wenn die Akten dem Rechtsanwalt gerade im ___Zusammenhang mit dem bevorstehenden Fristablauf vorgelegt werden oder wenn sich ___die Notwendigkeit einer Überprüfung sonst aufdrängt.378 Andererseits dürfen aber Akten, ___die infolge eines Büroversehens nicht als fristgebunden gekennzeichnet sind, nicht un___angemessen lange liegen bleiben. Der Anwalt ist daher verpflichtet, alsbald durch einen ___Blick in die Akten zu prüfen, wie lange er sich mit der Bearbeitung der Sache Zeit lassen ___kann.379 Eine allgemeine Pflicht zur Nachprüfung von Fristnotierungen besteht nicht.380 ___Fristen, die nach dem Prozessstadium längst abgelaufen sein müssen, braucht er nicht ___erneut zu überprüfen.381 Daher besteht keine Verpflichtung des Rechtsanwalts, anläss___lich eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Einhaltung der ___Berufungsfrist zu prüfen.382 Bedeutsam werden die genannten Grundsätze vor allem in ___Fällen, in denen die Rechtsmittelfrist falsch notiert worden war. ___ Der Rechtsanwalt muss die von seinem Personal angefertigten Rechtsmittelschrif- 61 ___ten persönlich auf Vollständigkeit und Richtigkeit hin überprüfen, insbesondere im ___Hinblick auf die Bezeichnung des Gerichts, des Gerichtsortes und die übrigen Angaben ___nach § 519 Abs. 2.383 Er darf sich aber darauf verlassen, dass die Sekretärin die Weisung ___zur Korrektur einer Fehladressierung befolgt.384 Der Prozessbevollmächtigte braucht regel___mäßig nicht zu kontrollieren, ob die – zuverlässige und ausreichend belehrte – Schreib___kraft die von ihr einzusetzende Anschrift des Gerichts (Straße, Hausnummer)385 oder die ___Telefaxnummer386 richtig geschrieben hat. Auf die Angabe der Telefaxnummer durch das ___Gericht darf er sich verlassen.387 Auf seine Postulationsfähigkeit muss er selbst ach___ten.388 ___ Bei der Erteilung von Rechtsmittelaufträgen wie auch bei der Rechtsmittelbeleh- 62 ___rung gegenüber dem Mandanten muss der Anwalt das Zustellungsdatum zweifelsfrei – ___ ___ ___377 BGH MDR 2011, 1492. ___378 BGH NJW 1998, 1498. 379 BGH NJW 1998, 460 = VersR 1998, 342; BGH NJW 2011, 1600 (Prüfungszeit von einer Woche). ___380 BGH VersR 1973, 128, 186; BGH VersR 1974, 548. ___381 BGH NJW 2001, 2336 = MDR 2001, 1072 (Überprüfung der Berufungsfrist bei Antrag auf Verlängerung ___der Begründungsfrist). ___382 BGH NJW-RR 1997, 759, 760; BGH NJW 2001, 2336. 383 BGH VersR 1986, 1209; BGH 1987, 486; BGH NJW-RR 1987, 319; BGH NJW-RR 1990, 1149; BGH FamRZ ___1991, 318; BGH VersR 1993, 79, 1381; BGH VersR 1995, 1372 (auch bei EDV- Einsatz); BGH FamRZ 1997, 172; ___BAG NJW 1991, 1078. ___384 BGH VersR 1982, 190 = NJW 1982, 2670 m. Anm. Ostler BAG AP Nr. 6 zu § 233 ZPO 1977; s. ___andererseits aber auch BGH VersR 1993, 79; BGH NJW 1995, 263. ___385 BGH VersR 1990, 802; a.A. BAG NJW 1971, 1054 zu § 233 a.F.; offen gelassen von BAG NJW 1991, 1078; anders für den Fall, dass der Anwalt die Anschrift selbst diktiert hatte BGH VersR 1996, 479. ___386 BGH NJW 1995, 2105 = VersR 1995, 1467; BGH VersR 1996, 778; BGH VersR 1997, 468; BGH NJW 2011, ___312; BAG NJW 1995, 2742, das ferner eine generelle Anweisung zur abschließenden Kontrolle des ___Sendeberichts fordert; ebenso BGH FamRZ 2004, 1275 und BGH NJW 2006, 2412; s. auch BVerwG NJW 1988, ___2814; BGH NJW 1995, 2105 = VersR 1995, 1467; BGH VersR 1996, 778; BGH VersR 1997, 468; s. auch BVerwG NJW 1988, 2814. ___387 BGH NJW 1989, 589. ___388 BGH VersR 1993, 124; OLG Dresden MDR 2005, 1009; a.A. Waldner AnwBl 1994, 298; BGH VersR ___1993, 499.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______in der Regel schriftlich – mitteilen.389 Deshalb muss er den Zeitpunkt der Urteilszustel______lung vor Unterzeichnung des Instruktionsschreibens eigenverantwortlich kontrollie______ren.390 Er muss sich weiter darüber vergewissern, dass der beauftragte Anwalt die Man______datsübernahme innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt. Dasselbe gilt, wenn ______die Partei den Anwalt direkt beauftragt. Die Parteien treffen insoweit dieselben Sorg______faltsanforderungen.391 Bleibt die Bestätigung des zweit- oder drittinstanzlichen Anwalts ______aus, muss der Instanzanwalt rechtzeitig Rückfrage halten,392 es sei denn, es besteht eine ______Absprache, dass derartige Aufträge stets ausgeführt werden.393 Die rechtzeitige Absen______dung des Auftragsschreibens genügt grundsätzlich nicht.394 Vor Eingang der Bestätigung ______dürfen die für den Auftraggeber eingetragenen Fristen nicht gelöscht werden.395 Eine ______Ausnahme macht der BGH allerdings für den Fall, dass zwischen dem Instanzanwalt und ______dem Rechtsmittelanwalt allgemein abgesprochen ist, dass dieser Rechtsmittelaufträge ______grundsätzlich annehmen, prüfen und ausführen wird.396 Nimmt der Rechtsmittelanwalt ______das Mandat rechtzeitig an, kommt es auf die Überwachungs- und Rückfragepflicht des ______erstinstanzlichen Anwalts nicht mehr an.397 Der Rechtsmittelanwalt muss mit zutreffen______den Informationen versehen werden. Werden bei der Auftragserteilung die Parteirollen ______vertauscht und führt dieser Fehler zu einer Unzulässigkeit des Rechtsmittels, begründet ______dies einen Verschuldensvorwurf, den sich die Partei zurechnen lassen muss.398 ______ 63 Bei telefonischer Auftragserteilung muss das Personal angewiesen werden, dass ______zur Vermeidung von Missverständnissen mindestens der wesentliche Inhalt der Rechts______mittelschrift und die einzelnen Daten wiederholt werden.399 Der Instanzanwalt ist nach ______telefonischer Beauftragung eines Rechtsmittelanwalts aufgrund seiner gesteigerten Sorg______faltspflicht in Fristangelegenheiten in der Regel gehalten, den Rechtsmittelauftrag ______schriftlich zu bestätigen und hierbei das Zustellungsdatum nochmals anzugeben.400 Hat ______der Rechtsmittelanwalt das Mandat kurz vor Fristablauf schon durch eine mündliche ______Zusage übernommen, handelt er schuldhaft, wenn er die Rechtsmittelfrist nicht notiert, ______sondern darauf vertraut, dass der schriftliche Auftrag rechtzeitig auf dem Postweg ein______trifft.401 ______ Der Rechtsmittelanwalt, der die Rechtsmittelschrift abfasst, ist verpflichtet, die für 64 ______die Berechnung der Einlegungs- und Begründungsfrist maßgebenden Daten anhand der ______vorgelegten Unterlagen zu überprüfen und gegebenenfalls den Zustellungszeitpunkt auf ______ ______ ______389 BGH VersR 1986, 462; BGH VersR 1985, 499; BGH NJW-RR 1991, 91 = VersR 1991, 123 (L); BGH VersR 1994 199, 873. ______390 BGH NJW 1985, 1709 = VersR 1985, 738; BGH VersR 1987, 563; BGH VersR 1992, 118 (entgegen BGH ______NJW 1959, 46); BGH VersR 1996, 480 (Diktat- oder Übertragungsfehler); BGH FamRZ 1995, 671 (Richtiges ______Diktat auf Tonträger genügt nicht); BGH FamRZ 1997, 673; ausführlich und kritisch Borgmann/Haug § 56 ______Rdn. 22, S. 391 f. 391 BGH NJW 1994, 3101 = MDR 1994, 1248; BGH MDR 2008, 641. ______392 BGH NJW 2001, 3195. ______393 BGH NJW-RR 2001, 426. ______394 BGH VersR 1978, 722; BGH VersR 1984, 166, 788; BGHZ 105, 116 = NJW 1988, 3020; BGH FamRZ 1993, ______309; BGH VersR 1993, 770; BGH VersR 1994, 956; anders BGH VersR 1978, 1162; BGH VersR 1979, 444; ______großzügiger auch wohl BGH VersR 1996, 1125 und BGH NJW-RR 2001, 426. 395 BGH NJW 2000, 815 = MDR 2000, 237. ______396 BGH VersR 1982, 655; BGHZ 105, 116 = NJW 1988, 3020; BGH NJW 1991, 3035; BGH VersR 1992, 983; ______BGH VersR 1994, 956; BGH NJW 2001, 3195. Zur Zusammenarbeit zwischen einer Partei und dem ständig ______von ihr beauftragten Rechtsmittelanwalt BGH NJW 1994, 3101. ______397 BGH NJW 1975, 1125. 398 BGH NJW-RR 2004, 1148 = FamRZ 2004, 1020. ______399 BGH VersR 1981, 959. ______400 BGH VersR 1984, 166; BGH VersR 1991, 123 = NJW-RR 1991, 91; BGH VersR 1994, 199. ______401 BGH VersR 1980, 192.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___zuverlässigem Wege festzustellen, und zwar auch dann, wenn ihm der Rechtsmittelauf___trag von einem anderen Rechtsanwalt erteilt worden ist.402 Dabei kann er aus dem Datum ___des Eingangsstempels nicht ohne weiteres auf den Tag der Urteilszustellung schlie___ßen.403 Die eigene Prüfungspflicht des Anwalts entsteht erst, wenn er die fristwahrende ___Prozesshandlung vorbereitet. Geht der Auftrag ein und wird zunächst nur die Mandats___übernahme bestätigt, kann die Fristberechnung und -notierung einem zuverlässigen ___Angestellten überlassen werden.404 Der Berufungsanwalt hat nach Abschluss des Verfah___rens dafür Sorge zu tragen, dass das zweitinstanzliche Urteil mit Rechtsmittelbelehrung ___der Partei oder einem beauftragten Rechtsanwalt zugeht. Die Übermittlung an einen ___nicht mehr bevollmächtigten erstinstanzlichen Vertreter mit der Bitte um Weiterleitung ___genügt nicht.405 ___ Auch der Verkehrsanwalt (Korrespondenzanwalt) muss auf den Lauf der Fristen 65 ___achten.406 Bei der Erteilung von Rechtsmittelaufträgen ist er zu der gleichen Sorgfalt ver___pflichtet wie der Anwalt erster Instanz.407 Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte ___genügt seiner Sorgfaltspflicht, wenn er dem Verkehrsanwalt die Urteilszustellung mit___teilt408 und auf die Möglichkeit, ein Rechtsmittel einzulegen, hinweist.409 Wird sodann ___das Prozessmandat durch einen Rechtsmittelanwalt übernommen, trifft den Verkehrs___anwalt grundsätzlich keine Verpflichtung mehr, diesen bei seiner Tätigkeit zu überwa___chen. Etwas anderes gilt dann, wenn der Verkehrsanwalt erkennen muss, dass der Pro___zessbevollmächtigte die ihm obliegenden Pflichten verletzt.410 ___ Stellt der Rechtsanwalt einen Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegrün- 66 ___dungsfrist, trägt er grundsätzlich das Risiko, dass die Fristverlängerung versagt wird.411 ___Das Gesuch muss daher so rechtzeitig gestellt werden, dass er im Fall der Ablehnung ___noch reagieren kann. Ähnlich ist der Fall zu beurteilen, wenn der Anwalt wegen des To___des der Partei vor Fristablauf Aussetzungsantrag nach § 246 Abs. 1 stellt.412 Beim ersten ___Verlängerungsgesuch darf der Anwalt allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit erwar___ten, dass dem Antrag entsprochen wird, sofern ein erheblicher Grund im Sinne von § 520 ___Abs. 2 Satz 3 vorgebracht oder das Einverständnis des Gegners vorliegt.413 Wird trotz ord___nungsgemäßer Begründung die Verlängerung versagt, beruht die Versäumung der Be___ ___ ___402 BGH VersR 1986, 468; BGH NJW-RR 1991, 91 = VersR 1991, 123 (L); zu streng BGH VersR 1994, 199, ___wonach sich der Anwalt ggfs. persönlich nach dem Zustellungsdatum erkundigen muss; weiter geht die ___Aufklärungspflicht bei Mitteilungen von Nichtanwälten, s. BGH VersR 1995, 931. 403 BGH VersR 1986, 468 m.w.N. ___404 BGH VersR 1983, 988; s. andererseits BGH VersR 1982, 873 und BGH VersR 1975, 861, 862. ___405 BGH NJW 1958, 384; BGH NJW-RR 1991, 828. ___406 BGH VersR 1971, 961; BGH VersR 1975, 89. ___407 BGH NJW-RR 1991, 91 = VersR 1991, 123; BGH AnwBl 1991, 408; BGH VersR 1994, 956; BGH 1998, 2221 (Rechtsmittelauftrag ohne die Mitteilung, für welche Partei Berufung eingelegt werden soll); BGH MDR ___2001, 707. ___408 BGH VersR 1976, 1177. ___409 BGH VersR 1977, 453. ___410 BGH VersR 1990, 801. ___411 BGHZ 83, 217, 222 = NJW 1982, 1651; BGH VersR 1987, 261; BGH NJW 1992, 2426; BGH NJW 1993, 134 = VersR 1993, 1035; BGH 1997, 132; KG NJW-RR 2000, 1085. Zum Beginn der Antragsfrist nach § 234 s. BGH ___NJW 1992, 1898. ___412 BGHZ 69, 395, 397 = MDR 1978, 309; BGH NJW 1987, 2379; BGH LM § 233 ZPO Nr. 28. ___413 BGH NJW 1991, 1359 = VersR 1991, 897; BGH NJW 1991, 2080; BGH NJW 1993, 732; BGH NJW 1994, ___2957; BGH VersR 1993, 500; BGH VersR 1993, 771; BGH VersR 1997, 258; BGH NJW 1998, 2291, 2292; s.a. BVerfG NJW 1989, 1147; BAG NJW 1995, 150; s. andererseits BGH VersR 1993, 379 (Antrag ohne ___Begründung); BGH NJW 2009, 3100. Bei einem Verlängerungsantrag, der über die Monatsfrist des § 520 ___Abs. 2. S. 3 hinausgeht und für den eine Einwilligung des Gegners nicht beigebracht wird, besteht kein ___Vertrauensschutz – BGH NJW 2004, 1742 = BGHReport 2004, 840; BGH MDR 2005, 1129.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______gründungsfrist nicht auf einem Verschulden des Anwalts.414 Der Anwalt ist bei einem ______ersten Verlängerungsantrag, der sich innerhalb der Monatsgrenze des § 520 Abs. 2 Satz 3 ______bewegt, nicht verpflichtet, sich vor Fristablauf beim Gericht danach zu erkundigen, ob er ______tatsächlich eine Fristverlängerung erhält.415 Weiterhin darf er davon ausgehen, dass die ______zu gewährende Verlängerung so bemessen sein wird, dass ihm eine rechtzeitige Ferti______gung der Begründungsschrift noch möglich ist.416 Eine strengere Praxis, die solche Grün______de generell nicht für ausreichend erachtet, bewegt sich nach höchstrichterlicher Recht______sprechung nicht im Rahmen zulässiger Ermessensausübung. Auf eine solche Praxis ______braucht sich der Anwalt nicht einzustellen.417 Dieser Rechtsprechung ist beizupflichten, ______da sich im Anwendungsbereich der Ermessensvorschriften des § 551 Abs. 2 und auch des ______§ 520 Abs. 2 Satz 3 eine Gerichtspraxis entwickelt hat, die die Gewährung von Vertrau______ensschutz rechtfertigt und erfordert. Der BGH418 hat offen gelassen, ob etwas anderes ______gilt, wenn dem Rechtsanwalt eine abweichende, strengere Verfahrenspraxis des Senats______vorsitzenden bekannt ist. Von einer entsprechenden Kenntnis wird man regelmäßig ______nicht ausgehen können. Darf der Antragsteller hiernach annehmen, dass seinem ersten ______Verlängerungsantrag stattgegeben wird, stellt es auch kein Verschulden dar, wenn der ______Antrag wegen ungewöhnlicher Postverzögerung erst nach Fristablauf bei Gericht ein______geht.419 Wird über den Antrag nicht innerhalb der laufenden Frist entschieden, muss der ______Anwalt jedenfalls den von ihm selbst beantragten Verlängerungszeitraum beachten.420 ______Ferner muss er sich nach der Entscheidung über den Antrag beim Gericht erkundigen.421 ______Die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 wird in diesem Fall spätestens zu dem Zeitpunkt in ______Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort vom Gericht hätte erhalten müssen.422 In ______dem Fall, dass der Anwalt den Verlängerungsantrag schuldlos zu spät gestellt hat, steht ______ihm noch die Mindestfrist nach § 234 Abs. 1 zur Verfügung.423 Der Vertrauensschutz des ______Anwalts auf Erhalt einer Fristverlängerung geht allerdings nicht so weit, dass er in jedem ______Fall eine antragsgemäße Entscheidung erwarten darf. Da die gewährte Frist kürzer ______ausfallen kann, darf die Eintragung im Fristenkalender erst dann erfolgen, wenn die ______Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist.424 Weiterhin besteht dann kein Vertrau______ensschutz, wenn keine Begründung für den Verlängerungsantrag gegeben wird. In die______sem Fall kann er auch nicht davon ausgehen, dass er vom Gericht noch rechtzeitig einen ______Hinweis erhält.425 Die Kontrolle, ob die Fristverlängerung bewilligt wird, kann Bürokräf______ten überlassen werden, sofern diese sorgfältig ausgesucht und überwacht werden.426 Für ______den Fall der Ablehnung des Antrags muss durch organisatorische Maßnahmen sicherge______stellt sein, dass die Sache sofort einem Anwalt vorgelegt wird.427 Bei einem zweiten Ver______längerungsantrag ist der Anwalt zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Bei der Berufungs______begründungsfrist muss er insbesondere dafür sorgen, dass die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ______erforderliche Einwilligung des Gegners beigebracht wird, sofern der dort genannte Zeit______ ______414 BGH NJW 1998, 2291; BGH NJW 2010, 1610. ______415 BVerfG NJW-RR 2002, 1007, 1008; BGH NJW 1991, 2080, 2081; BGH NJW 1999, 430. ______416 BVerfG MDR 2001, 286. ______417 BVerfG NJW 1989, 1147; BGH VersR 1985, 972; BGH NJW-RR 1989, 1280; BAG NJW 1995, 1446. ______418 NJW-RR 1989, 1280. 419 BGH NJW 1983, 1741; BAG AP Nr. 10 zu § 233 ZPO 1977. ______420 BGH NJW 1994, 55. ______421 BGH NJW 2012, 159 = MDR 2011, 1496. ______422 BGH a.a.O. ______423 BGH NJW 1996, 1350; BGH VersR 1996, 1040. 424 BGH NJW-RR 1999, 1663; NJW-RR 2002, 717; BGH NJW 2011, 151, 152. ______425 BGH MDR 2008, 41. ______426 BGH NJW 1996, 1682. ______427 BGH VersR 1986, 366.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___raum von einem Monat überschritten wird.428 Die verlängerte Frist muss im Fristenka___lender als neue Begründungsfrist notiert werden. Dies darf erst auf der Grundlage der ___schriftlichen Mitteilung des Gerichts geschehen.429 Eine telefonische Nachfrage genügt ___nicht, um die alte Frist zu streichen. ___ ___ dd) Übermittlungswege. Grundsätzlich genügt es, dass der Anwalt seine Schrift- 67 ___stücke als einfachen Brief versendet. Das gilt auch für die Mitteilung des Zustelldatums ___eines Urteils mit der Rechtsmittelbelehrung. Zu einer Nachfrage ist er trotz Schweigens ___der Mandanten in der Regel nicht verpflichtet.430 Für die Übermittlung fristwahrender ___Schriftstücke darf grundsätzlich der normale Postweg gewählt werden, es sei denn, die ___verbleibende Frist reicht dafür nicht aus.431 Der Anwalt darf sich dabei darauf verlassen, ___dass die übliche Postlaufzeit eingehalten wird. Das gilt grundsätzlich auch bei der Beauf___tragung eines privaten Kurierdienstes.432 Einen Sicherheitszuschlag braucht der Anwalt ___nur dann zu machen, wenn ein besonderer Anlass für Zweifel an der Zuverlässigkeit der ___rechtzeitigen Übermittlung besteht.433 Unter Umständen kann allerdings auch die Ab___sendung per Eilbrief schuldhaft verspätet sein.434 In solchen besonderen Eilfällen muss ___ein Schriftsatz auf elektronischem Weg übermittelt werden. ___ Das Senden eines Telefax darf der Prozessbevollmächtigte einer hinreichend zuver- 68 ___lässigen Bürokraft übertragen, sofern organisatorisch für eine wirksame Ausgangskon___trolle gesorgt ist435 (s. dazu auch Rdn. 69). Gibt er die Nummer selbst fehlerhaft ein, be___gründet dies ebenso wie eine fehlerhafte Adressierung einen Fahrlässigkeitsvorwurf und ___schließt eine Wiedereinsetzung aus.436 Scheitert die Übermittlung437 wegen Störungen im ___Empfangsgerät des Gerichts oder der Übermittlungsleitungen und ist die Einreichung ___des Schriftsatzes auf anderem Wege nicht mehr möglich oder nicht mehr zumutbar, trifft ___den Rechtsanwalt kein Verschulden.438 Denn die beschriebenen Risiken liegen in der ___Sphäre des Gerichts.439 Der Anwalt braucht auch keine besondere Vorsorge für den plötz___lichen Ausfall des Gerätes zu treffen.440 Weiterhin darf er sich grundsätzlich darauf ___verlassen, dass sich die Übermittlung des Schriftsatzes nicht durch technische Schwie___ ___ ___428 BGH NJW-RR 2005, 865. ___429 BGH NJW 2011, 1971. ___430 BGH VersR 1985, 90; BGH VersR 1987, 286; BGH VersR 1992, 898 m.w.N. ___431 S. dazu im Einzelnen oben unter III 4 d „Postverkehr“, Rdn. 34 ff. 432 MDR 2008, 583. ___433 BVerfG NJW 2001, 744. ___434 BAG NJW 1960, 2071. ___435 BGH NJW 1994, 329; BGH NJW 1995, 2105 = VersR 1995, 1467; BGH NJW 1996, 778; BGH NJW 1997, ___468. 436 BGH FamRZ 2003, 667. ___437 Davon zu unterscheiden ist der Fall, in dem das Empfangsgerät die Signale zwar (vollständig) ___empfängt, aber keinen lesbaren Ausdruck produziert; vgl. BGHZ 105, 40 = NJW 1988, 2788; BGH VersR ___1991, 894; BGH 1994, 745 = NJW 1994, 1881, 2097; s.a. BGH NJW-RR 2005, 435 und VGH Mannheim NJW ___1994, 538 (Wiedereinsetzung wegen verspäteten Ausdrucks) sowie Burghard BB 1995, 223 m.w.N.; BGH ___Pape/Notthoff NJW 1996, 417, 419. 438 Vgl. hierzu BGH WM 1991, 2080 = ZIP 1991, 1629; zum Fall, dass die Übermittlung unvorhersehbar ___lange dauert s. BGH NJW 2005, 678. ___439 BVerfG NJW 1996, 2857 (entgegen BAG NJW 1995, 743); BGH NJW 1992, 244 = VersR 1991, 1426; BGH ___NJW 1995, 681, 1373; s. andererseits BGH NJW 1995, 1431; BGH NJW-RR 1996, 1275; BGH VersR 1997, 84; zu ___streng hinsichtlich der Dienstpflichten am Abend auch OLG München NJW 1991, 303 = VersR 1991, 831 mit abl. Anm. Jaeger VersR 1991, 831 und Pape/Notthoff NJW 1996, 417, 423; vgl. auch OLG Köln NJW 1989, 594 ___sowie Borgmann Fristwahrung und Telefax-Verkehr, AnwBl 1989, 666. ___440 BSG MDR 1993, 904 (Unvorhergesehener Ausfall zu einem Zeitpunkt, in dem eine Übermittlung auf ___anderem Wege nicht mehr möglich ist).

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______rigkeiten übermäßig verzögert.441 Ein berechtigtes Vertrauen in eine vollständige Über______mittlung ist allerdings dann nicht mehr gegeben, wenn die Übermittlung so kurz vor ______Fristablauf geschieht, dass in Anbetracht der Leistungsfähigkeit von Sende- und Emp______fangsgerät eine vollständige Übertragung ungewiss ist.442 Geht es um die Übermittlung ______einer umfangreichen Rechtsmittelbegründung, muss der Anwalt in einem solchen Fall ______insbesondere erwägen, statt dessen einen – sich lediglich auf eine Seite beschränkenden ______– Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist zu stellen.443 Wird dem Berufungsan______walt vom Empfängerapparat des Gerichts der Eingang bestätigt, kann er darauf vertrau______en, dass der Ausdruck fehlerfrei und vollständig erfolgt.444 Kommt es zu Verzögerungen ______bei der Übermittlung, sind bei der Prüfung der Wiedereinsetzung die Sendeberichte aus______zuwerten.445 Sie müssen daher aufbewahrt und vorgelegt werden. Ergibt sich, dass keine ______Verbindung mit dem Empfangsapparat zustande gekommen ist, muss der Anwalt versu______chen, die Rechtsmittelschrift auf andere Art und Weise zu übermitteln, um den Vorwurf ______schuldhaften Verhaltens auszuschließen.446 Zwar braucht er sich nicht von vornherein ______auf etwaige Pannen bei der Übermittlung einzustellen.447 Besteht aber noch die Möglich______keit, die Berufungsschrift auf einem anderen Weg fristgerecht zu übermitteln, muss er ______diese ausschöpfen.448 Ist das Empfangsgeräts besetzt, müssen später weitere Übermitt______lungsversuche gemacht werden.449 Unzumutbare Anstrengungen braucht der Anwalt ______aber nicht zu unternehmen. So hat zum Beispiel der BGH die Fristversäumnis für einen ______nicht am Ort des Berufungsgerichts ansässigen Rechtsanwalt als entschuldigt angese______hen, der nach dem endgültigen Scheitern der Übermittlung durch Fax gegen 23.00 Uhr ______am Tag des Fristablaufs davon abgesehen hat, die Berufungsbegründung mit dem Auto ______zu überbringen.450 Macht der Anwalt geltend, die rechtzeitige Übermittlung eines fristge______bundenen Schriftsatzes per Telefax sei deswegen gescheitert, weil das Ausdrucken auf______grund eines Computerdefekts (Absturz der Anlage) nicht möglich gewesen sei, bedarf es ______einer näheren Darlegung zur Art des Defekts und seiner Behebung.451 Denn es muss aus______geschlossen werden können, dass ein schuldhafter Bedienungsfehler vorliegt. Verlässt ______sich der Anwalt bei der Ermittlung der Faxnummer des Gerichts auf ein seit Jahren be______währtes EDV-Programm und wird der fristgebundene Schriftsatz unerkannt fehlgeleitet, ______weil die Nummer falsch war, kann ihm in der Regel ein Verschuldensvorwurf nicht ge______macht werden.452 Eine organisatorische Anweisung an das Personal zur Abgleichung der ______Nummer im Telefonbuch kann von ihm nicht verlangt werden. Andererseits hat das ______BVerwG453 aber für den Fall ein Organisationsverschulden bejaht, dass bei der Eingabe ______der Telefaxnummer eine Abgleichung der Nummer aus dem Sendeprotokoll mit einem ______aktuellen Verzeichnis oder der Handakte unterlassen wurde. Verlässt sich der Anwalt für ______ ______ ______441 BGH MDR 2005, 469 (Faxübermittlung von 50 Sekunden pro Seite statt einer üblichen Übertragungszeit von ca. 15 Sekunden). ______442 OVG Schleswig NJW 2010, 3110 (Übermittlung eines sechsseitigen Telefax um 23.58 Uhr). ______443 OLG Naumburg MDR 2011, 450. ______444 BVerfG NJW 1996, 2857; BGH NJW 2006, 1518 (Fehler aus dem Sendeprotokoll nicht ersichtlich). ______445 BGH NJW 2004, 2525 = MDR 2004, 1133. ______446 OLG München NJW 1991, 303; s.a. BGH NJW-RR 1995, 442. 447 BVerfGE 69, 381, 386 = NJW 1986, 244; BGHZ 105, 116 ff. = NJW 1988, 3020, 3021; BGH NJW 1990, 187, ______188. ______448 BGH NJW 1995, 1431, 1432 = BB 1995, 899. ______449 BVerfG NJW 2007, 2828; BGH NJW 2011, 1972. ______450 BGHReport 2003, 1431 = BGH NJW-RR 2004, 283. 451 BGH NJW 2004, 2525 = MDR 2004, 1133. ______452 BGH NJW 2004, 2830 = BGHReport 2004, 1514; zur Pflicht, die Empfängernummer zu kontrollieren, ______s. aber auch BGHReport 2005, 933 und 1273 = NJW 2005, 1373. ______453 NJW 2008, 932.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 233

___die rechtzeitige Übermittlung des Schriftstücks auf die vom Faxgerät angezeigte Uhrzeit, ___fällt ihm bei einer Fristversäumnis nur dann kein Verschulden zur Last, wenn sicherge___stellt ist, dass ein stetiger Abgleich mit der gesetzlichen Uhrzeit stattfindet.454 ___ ___ ee) Ausgangskontrolle. An geeigneter Stelle muss zunächst eine Unterschriften- 69 ___kontrolle stattfinden. Angestellte müssen darüber belehrt werden, dass Postsachen erst ___dann abgesandt werden dürfen, wenn sie unterschrieben worden sind.455 Eine weitere ___inhaltliche Prüfung des Schriftsatzes ist dagegen nicht erforderlich. Die Fristenkontrolle ___dient nicht dazu, fristwahrende Schriftsätze auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprü___fen.456 Sie kann sich daher auf die formalen Dinge beschränken. Daneben muss eine ___wirksame Ausgangskontrolle bestehen, die gewährleistet, dass fristwahrende Schrift___sätze457 tatsächlich gefertigt, rechtzeitig und vollständig abgesandt werden.458 Der An___walt muss dafür Sorge tragen, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend ___eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bü___rokraft überprüft wird.459 Allein die Kontrolle, ob der für das Gericht bestimmte Postaus___gangskorb leer ist, reicht nicht.460 Es muss eine selbständige, vom übrigen Arbeitsablauf ___gelöste Prüfung stattfinden.461 Die Kennzeichnung als erledigt im Kalender darf nur er___folgen, wenn zuverlässige Maßnahmen zur Gewährleistung der tatsächlichen Erledigung ___getroffen sind. Dazu gehört es, dass der Schriftsatz postausgangsfertig gemacht, also ___entweder ins Ausgangsfach gelegt oder zum Postversand kuvertiert worden ist.462 Ein ge___sondertes Postausgangsbuch braucht allerdings nicht geführt zu werden.463 Ein weiter___gehender Nachweis dahin, dass das Schriftstück auch tatsächlich zur Post gelangt ist, ___kann nicht verlangt werden. Es reicht die Glaubhaftmachung, dass der Verlust jedenfalls ___nicht in dem Bereich eingetreten ist, der in den Verantwortungsbereich der Partei fällt.464 ___Bei der Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax gehört zur wirksa___men Kontrolle, dass ein Einzelnachweis über die Versendung ausgedruckt und auf dieser ___Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung geprüft wird.465 Eine Einzelanweisung, ___einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, macht die erforderliche Kontrolle nicht ent___behrlich.466 Die Überprüfung muss sich dabei auch darauf erstrecken, dass alle Seiten ___ ___ ___ ___454 BGH NJW 2011, 859. ___455 BGH VersR 1974, 388; BGH VersR 1975, 135; BGH VersR 1987, 383; BGH NJW 1994, 2335; BGH NJW 1996, 998 = VersR 1996, 910; BGHReport 2006, 1048. ___456 BGH NJW-RR 2012, 252. ___457 Wozu auch ein Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist gehört, vgl. BGH NJW-RR ___1991, 1150 = VersR 1992, 120; BGH FamRZ 2006, 192. Nach BGH NJW 1993, 3140 und VersR 1994, 956, 957 ___sollen dazu auch Rechtsmittelaufträge gehören. Diese Fälle liegen jedoch anders, da die Absendung hier grundsätzlich nicht ausreicht, s. Rdn. 62. ___458 BGH NJW 1991, 1178; BGH NJW 1994, 3171; BGH VersR 1993, 207; BGH VersR 1993, 378; BGH VersR ___1993, 1420; BGH VersR 1995, 359; BAG NJW 1993, 2957; BGH FamRZ 2004, 1637. ___459 BGH NJW 1996, 1540 und 1900; BGH NJW 1997, 2120; BGH NJW 2008, 2508; BGH NJW-RR 2009, 937 = ___MDR 2009, 883; BGH MDR 2010, 710; BGH NJW-RR 2011, 138; BGH NJW 2011, 2367 = MDR 2011, 933; BGH ___MDR 2012, 486. 460 BGH VersR, 207; BGH NJW 2010, 1378, 1379. ___461 BGH NJW 2006, 2412 = FamRZ 2006, 1104; BGH MDR 2008, 53. ___462 BGH NJW 2011, 2051. ___463 BGH NJW-RR 2003, 862; BGH MDR 2010, 710. ___464 BGHZ 23, 291, 292; BGH NJW-RR 2003, 862; BGH NJW 2010, 1378, 1379. 465 BGH NJW 1994, 1879 = MDR 1995, 639; BGH FamRZ 1995, 1135; BGH VersR 1999, 996; BGHReport ___2004, 266, 267; BGH MDR 2010, 1416; BGH NJW-RR 2010, 1648; BAG NJW 2007, 3021, VGH München NJW ___2006, 196. ___466 BGH NJW 2010, 1648.

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§ 233

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______des Originalschriftsatzes nebst der erforderlichen Anlagen übermittelt worden sind.467 ______Ferner muss durch besondere organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die ______zutreffende Telefaxnummer verwendet wird.468 Wird die Telefaxnummer aus einem in ______der Akte befindlichen Schreiben übernommen, bedarf es einer doppelten Kontrolle. Zum ______einen muss sichergestellt werden, ob die gewählte Nummer mit der in dem Schreiben ______übereinstimmt. Zum anderen bedarf es der Prüfung, ob das als Vorlage herangezogene ______Schreiben auch vom Empfangsgericht stammt.469 Eine Notfrist darf erst nach Überprü______fung der Übermittlung gelöscht werden.470 In Betracht kommt ein Kontrollanruf beim ______Empfänger.471 Die allgemeine Weisung, die Frist im Kalender erst nach telefonischer ______Rückfrage über den Empfang zu streichen, reicht für eine ordnungsgemäße Büroorgani______sation allerdings nicht aus. Denn hierdurch wird keine Kontrolle für Schriftsätze geschaf______fen, die erst nach Dienstschluss übermittelt werden.472 Eine andere Möglichkeit für die ______Kontrolle ist die Auswertung des Sendeberichts. Es begründet ein eigenes Verschulden ______des Anwalts, wenn er selbst vor Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes die Frist als ______erledigt behandelt und damit eine Kontrolle verhindert473 oder wenn er in das von ihm ______geschaffene – eigentlich sichere – Kontrollsystem eingreift und damit verhindert, dass ______alle Kontrollschritte abgearbeitet werden.474 Sind ausreichende organisatorische Kon______trollmaßnahmen475 getroffen worden, braucht der Anwalt den Sendebericht des Faxgerä______tes nicht selbst zu überprüfen.476 Weiterhin darf er sich grundsätzlich auf die ordnungs______gemäße Übermittlung verlassen, wenn ihm diese von einem als zuverlässig bekannten ______Mitarbeiter bestätigt wird.477 Er muss sich dann nicht mehr vergewissern, dass seine Wei______sung fehlerfrei ausgeführt wurde.478 Auch für den normalen Postverkehr treffen den An______walt keine weitergehenden Überwachungspflichten. Gibt er z.B. einen fristwahrenden ______Schriftsatz zur Poststelle seiner Kanzlei und ist aufgrund allgemeiner organisatorischer ______Anweisungen gesichert, dass dort lagernde Briefe noch am selben Tag hinausgehen, trifft ______ihn bei einer Verzögerung kein Verschulden.479 Der Eingang fristgebundener Schriftsätze ______bei Gericht braucht regelmäßig nicht überwacht zu werden.480 Wesentliches Mittel im ______Kontrollsystem ist der Fristenkalender, anhand dessen die beauftragte Bürokraft an je______dem Tag zu überwachen hat, dass die fristgebundenen Sachen erledigt sind.481 Fristen ______dürfen erst gestrichen oder abgehakt482 werden, wenn die fristwahrenden Maßnahmen ______ ______ ______ ______467 BGH NJW 1994, 1879 = MDR 1995, 639; BGH MDR 2001, 889; BGH MDR 2008, 936. 468 BGH NJW 2000, 1043 = MDR 2000, 416 (keine Wiedereinsetzung bei unkontrollierter Übernahme ______einer falschen Nummer in den Computer); BGH NJW-RR 2005, 1373 = BGHReport 2005, 1273; BGH NJW ______2011, 312; zu den Sorgfaltsanforderungen s. auch BGH NJW 2006, 1518 und 1519. ______469 BGH NJW 2011, 312, 313 unter Aufgabe seiner früheren großzügigeren Rechtsprechung. ______470 BGH MDR 1998, 492; BGH NJW-RR 1998, 1361; BGH NJW 2000, 1043 = MDR 2000, 416; BGH NJW 2004, 3490; VGH München NJW 2006, 169. ______471 BGH NJW 2002, 522. ______472 BGH NJW-RR 2011, 138 = MDR 2010, 1416. ______473 BAG NJW 2007, 3021. ______474 Beispiel in BGH NJW-RR 2009, 785. ______475 Beispiele: BGH NJW 2004, 3491 = MDR 2004, 1374; BGH NJW 2007, 1690; BGH NJW-RR 2011, 1557. ______476 BGH VersR 2000, 338; BGH MDR 2001, 410; BGH NJW 2002, 522. ______477 BGH NJW-RR 2010, 1076. ______478 Grundsätzlich zur Überwachung bei Weisungen BGH FamRZ 2003, 1650; BGH NJW-RR 2004, 711; ______BGH NJW-RR 2010, 998, 1000. 479 BGH NJW 2001, 1577 = MDR 2001, 587. ______480 BVerfG NJW 1992, 38. ______481 BGH VersR 1985, 369, 766; BGH NJW-RR 1992, 1277; BGH NJW 1996, 1540. ______482 BGH NJW 1993, 3333.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 234

___ausgeführt worden sind.483 Der zur Einreichung bei Gericht bestimmte Schriftsatz muss ___tatsächlich herausgegangen oder wenigstens post- oder abtragsfähig gemacht worden ___sein.484 Diese Kontrolle muss eine qualifizierte Person wahrnehmen. Allein die äußere Prü___fung bereits geschlossener Briefe ist ungeeignet.485 Wird ein Bote eingesetzt (s. Rdn. 67 ___a.E.), muss sich dieser über die Bedeutung seiner Aufgabe im Klaren sein.486 Ein Ab___gangsvermerk neben der Friststreichung ist nicht erforderlich.487 Die Organisation muss ___darauf gerichtet sein, dass die Frist vor ihrem Ablauf gestrichen wird. Eine ausreichende ___Kontrolle fehlt, wenn die Streichung erst am nächsten Tag nach Eingang der Empfangs___bestätigung des Gerichts erfolgt.488 ___ Die dargestellten Vorkehrungen sind geeignet, die Fristwahrung für die Regelfälle 70 ___sicherzustellen. Nicht selten ergeben sich aber im Anwaltsbüro besonders kritische Si___tuationen, in denen die allgemeinen Organisationsanweisungen nicht greifen. Dann ___muss der Rechtsanwalt selbst die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Fristversäum___nisse zu vermeiden. Aus diesem Grund fordert die Rechtsprechung, dass der Anwalt be___sondere Vorsicht walten lässt, wenn der Fristablauf unmittelbar bevorsteht.489 ___ ___ ___ § 234 ___ Wiedereinsetzungsfrist ___ § 234 Gerken ___ (1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt ___werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur ___Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der ___Rechtsbeschwerde einzuhalten. ___ (2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. ___ (3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, ___kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. ___ ___ § 234 Abs. 1 neu gefasst durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 ___(BGBl. I, 2197); geändert durch das FGG-Reformgesetz – FG-RG v. 17.12.2008, BGBl. I ___2586. ___ Übersicht ___ ____ 1 3. Fristberechnung ____ 5 ___I. Einführung (Abs. 1) III. Fristbeginn (Abs. 2) ___II. Antragsfrist____ 1. Wesen 2 1. Fristbeginn im Allgemeinen ____ 6 ___ 2. Wiedereinsetzungsfrist für die Rechts2. Fehlerbereiche ____ 9 ___ mittelbegründung ____ 3 3. Fristlauf bei Prozesskostenhilfegesuch ___ ___ ___483 BGH NJW 1990, 2126 (offen geblieben ist, ob die Fristenkontrolle zuverlässig organisiert ist, wenn die ___Vorfrist nach Übergabe der Akten an den Rechtsanwalt gestrichen wird und dieser Fristenkontrolle dann ___selbst übernimmt); zur Endkontrolle s. BGH VersR 1994, 369 und BGH NJW-RR 1998, 1604. ___484 BGH VersR 1986, 365, 891, 1205; BGH VersR 1987, 888; BGH NJW-RR 1987, 186; BGH VersR 1988, 942; BGH VersR 1990, 800; BGH NJW 1989, 1157; BGH NJW 1990, 2126; BGH NJW-RR 1994, 565; BGH VersR 1994, ___956 (es ging allerdings nicht um einen fristwahrenden Schriftsatz; relevant war das Unterlassen der ___Rückfrage beim Rechtsmittelanwalt). ___485 BGH VersR 1974, 884; BGH VersR 1980, 554. ___486 S. BGH VersR 1996, 256 zur Beauftragung einer ganz unerfahrenen Sekretärin. 487 Offengelassen von BGH VersR 1983, 269 = NJW 1983, 884; dazu auch BGH VersR 1992, 120. ___488 BGH VersR 1972, 646; BGH VersR 1991, 1197. ___489 BGH VersR 1973, 185; BGH VersR 1976, 783; BGH NJW 1980, 457; BGH VersR 1994, 369, 370; s. aber ___auch BGH VersR 1992, 849.

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§ 234

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

a) Allgemeines ____ 13 d) Sonderfälle ____ 16 ______ b) Bewilligung der ProzesskostenIV. Ausschlussfrist (Abs. 3) ______ hilfe ____ 14 1. Normzweck ____ 17 ______ c) Versagung der Prozesskosten2. Anwendungsbereich ____ 18 ______ ____ hilfe 15 ______ Buch – Allgemeine Vorschriften 3. Abschnitt. Verfahren ______ Erstes § 234 Gerken ______ ______ I. Einführung ______ § 234 macht den Wiedereinsetzungsantrag von einer Frist abhängig. Dies folgt aus 1 ______der Natur der Sache. Da es um die Beseitigung der Folgen der Versäumung einer fristge______bundenen Prozesshandlung geht, muss der hierfür zur Verfügung gestellte Rechtsbehelf ______seinerseits fristgebunden sein. Für den Antrag gelten gemäß § 234 zwei zeitliche Gren______zen, und zwar eine zweiwöchige bzw. einmonatige Überlegungsfrist ab Behebung des ______Hindernisses (Abs. 1) und aus Gründen der Rechtssicherheit eine Ausschlussfrist von ______einem Jahr ab Fristversäumnis (Abs. 3). Die Einhaltung dieser Fristen gehört zu den Zu______lässigkeitsvoraussetzungen des Antrags, die von Amts wegen zu beachten sind.1 Die Fris______ten werden gewahrt durch Einreichung des Antrags beim zuständigen Gericht (vgl. ______§ 237). Die Form und der notwendige Inhalt des Antrags richten sich nach § 236. Zum ______Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen außerhalb der Zweiwochenfrist s. § 236, 6. ______ ______ ______ II. Antragsfrist (Abs. 1) ______ 1. Wesen. Die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages ist eine gesetzliche 2 ______Frist, jedoch keine Notfrist. Gegen die Versäumung der Antragsfrist ist gemäß § 233 ein ______Antrag auf Wiedereinsetzung statthaft.2 Versäumt eine Partei die eigentliche Frist (Frist ______i.S.d. § 233, z.B. die Berufungsfrist) und nach Behebung des Hindernisses auch die Wie______dereinsetzungsfrist des § 234, muss sie Wiedereinsetzung in zweifacher Hinsicht bean______tragen, und zwar zum einen Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist und zum ______anderen Wiedereinsetzung in die eigentliche Frist. Das Gericht muss dabei jeweils ge______sondert prüfen, ob die Fristen schuldlos versäumt wurden.3 Hält das Gericht bereits die ______Wiedereinsetzungsfrist für schuldhaft versäumt, so bedarf die Frage, ob die eigentliche ______Frist schuldlos versäumt wurde, keiner weiteren Prüfung. In diesen Fällen wird der An______trag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen. Geht das Ge______richt hingegen von einer schuldlosen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist aus, so ______muss es weiter prüfen, ob ein Wiedereinsetzungsgrund hinsichtlich der eigentlich ver______säumten Frist vorliegt.4 ______ ______ 2. Wiedereinsetzungsfrist für die Rechtsmittelbegründung. Die Regelung in 3 ______Abs. 1 Satz 2 ist mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz 20045 eingefügt worden. Der ______unbemittelten Partei soll die gleiche Frist für die Begründung eines Rechtsmittels zur ______Verfügung stehen wie der bemittelten. Wird – was der Regelfall ist – dem Rechtsmittel______führer erst nach Ablauf der Begründungsfrist Prozesskostenhilfe bewilligt, musste er ______nach der früheren Regelung sein Rechtsmittel binnen zwei Wochen nach Zustellung der ______ ______ ______1 RGZ 131, 261, 262 f. ______2 Dies bestimmt die Neufassung des § 233 jetzt ausdrücklich, und zwar im Anschluss an BVerfGE 22, 83 ff.; anders der Rechtszustand vor der Vereinfachungsnovelle. ______3 Vgl. BGH NJW-RR 1999, 430. ______4 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1. ______5 BGBl. I 2198; zu den Einzelheiten der Neuregelung s. Braunschneider MDR 2004, 1045.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 234

_____Bewilligungsentscheidung zugleich mit dem Wiedereinsetzungsgesuch begründen (§ 236 _____Abs. 2 Satz 2). Hierin hat die Rechtsprechung6 zu Recht eine Ungleichbehandlung gese_____hen und die Frist im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf einen Monat aus_____gedehnt.7 Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber aufgenommen, indem er die Frist für _____den Wiedereinsetzungsantrag bei Versäumung aller Rechtsmittelbegründungsfristen _____generell auf einen Monat festgelegt hat. Allerdings liegt hierin bei formaler Betrachtung _____nach wie vor eine Benachteiligung der bedürftigen Partei, die nach der Gesetzesbegrün_____dung8 gerade vermieden werden soll. Da die Partei erst nach der Bewilligung der Pro_____zesskostenhilfe mit der Vorbereitung ihrer Rechtsmittelbegründung beginnen kann, ver_____bleibt ihr effektiv nur ein Zeitraum von einem Monat. 9 Demgegenüber stehen der _____vermögenden Partei zwei Monate ab Zustellung der anzufechtenden Entscheidung zur _____Verfügung. Dieser Nachteil wiegt jedoch nicht schwer. Die Hauptarbeit für die Begrün_____dung hat die bedürftige Partei bereits bei Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs für _____die Einlegung des Rechtsmittels geleistet. An die dortige Begründung kann die Partei _____anknüpfen. Schwerer wiegt dagegen, dass die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 im Gegensatz _____zu den Fristen zur Begründung von Berufung, Revision, Nichtzulassungsbeschwerde _____und Rechtsbeschwerde (§§ 520 Abs. 2 Satz 2 und 3, 551 Abs. 2 Satz 5 und 6, 544 Abs. 2 _____Satz 2, 575 Abs. 2 Satz 3) nicht verlängert werden kann (§ 224 Abs. 2).10 Die Partei, die _____Prozesskostenhilfe erhalten hat, muss ihr Rechtsmittel daher in jedem Fall innerhalb der _____Monatsfrist begründen. Notfalls muss sie zunächst eine den formalen Anforderungen _____genügende Begründung einreichen und diese dann später durch weitere Ausführungen _____ergänzen. Der Vorwurf verspäteten Vorbringens (§§ 520, 296 Abs. 1) wird in diesem Fall _____mangels Verschuldens nicht erhoben werden können. _____ Nicht ausdrücklich geklärt hat der Gesetzgeber anlässlich der Neuregelung, ob die 4 _____Monatsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag bereits mit der Zustellung der Entschei_____dung über die Prozesskostenhilfebewilligung oder – entsprechend einer früheren Recht_____sprechung11 – mit der über die Wiedereinsetzung hinsichtlich der Frist für die Einlegung _____des Rechtsmittels beginnt. Das Hindernis, das sowohl der Einlegung als auch der Be_____gründung des Rechtsmittels entgegensteht, ist die Mittellosigkeit.12 Dieses Hindernis ist _____mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe beseitigt (Rdn. 14). Daher beginnt die Mo_____natsfrist bereits mit der Zustellung des Bewilligungsbeschlusses für die Prozesskosten_____hilfe und nicht erst mit der Zustellung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung, und _____zwar unabhängig davon, ob der Prozesskostenhilfeantrag für ein bereits eingelegtes _____Rechtsmittel gestellt worden ist oder ob das Rechtsmittel erst nach der Entscheidung _____über die Prozesskostenhilfe eingelegt werden soll.13 Zwar ist im zweiten Fall die letzte _____Hürde für die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens erst mit der Wiedereinsetzung in _____die Einlegungsfrist beseitigt. Diese Entscheidung hat aber im Fall der Bewilligung von _____ _____ _____6 BGH NJW 2003, 3275 = MDR 2003, 1308; BGH MDR 2004, 106; s.a. BGH NJW-RR 2005, 1586. _____7 BAG NJW 1984, 941 = MDR 1984, 84; BVerwG NJW 1992, 2307. _____8 BT(-Drucks.) 15/1508, S. 17, 18. _____9 Kritisch daher Fölsch MDR 2004, 1029, 1032; s.a. Schultz NJW 2004, 2329, 2334 und Krauer/Wolf NJW 2004, 2857 ff. _____10 BGH NJW 1999, 3051; a.A. BGH MDR 2007, 1332 = NJW-RR 2008, 146. _____11 BVerwG NJW 1992, 2307; BAG NJW 1984, 941 = MDR 1984, 84. _____12 BGH NJW-RR 2008, 1306. _____13 BGH (XII. Senat) NJW-RR 2008, 1313; s.a. BGH NJW 2008, 1740; zur Entwicklung: Born NJW 2007, 2088; a.A. BGHZ 173, 14 (XI. Senat) = NJW 2007, 3354; BGH (II. Senat) NJW-RR 2008, 1306; BGHZ 176, 379 _____(IX. Senat) = NJW 2008, 3500, allerdings differenzierend zwischen Berufungsbegründungs- und _____Rechtsbeschwerdebegründungsfrist; Fölsch MDR 2004, 1029, 1032; zur Nichtübertragbarkeit der _____Entscheidung BGHZ 173, 14 ff. auf andere Fristen s. BGH MDR 2010, 947.

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§ 234

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Prozesskostenhilfe nur formale Bedeutung. Die Voraussetzungen für die Wiedereinset______zung liegen in diesem Fall regelmäßig vor (s. Rdn. 13), so dass praktisch keine Unklarheit ______über die Durchführbarkeit des Rechtsmittelverfahrens besteht. Im Übrigen entscheidet ______das Rechtsmittelgericht über die Wiedereinsetzung in der Regel erst in der mündlichen ______Verhandlung oder im Urteil/Beschluss (§ 238 Abs. 1 Satz 1). Würde die Frist für den Wie______dereinsetzungsantrag für die Versäumung der Begründungsfrist erst mit der Zustellung ______des Beschlusses über die Wiedereinsetzung in die Frist für die Einlegung des Rechtsmit______tels beginnen, müsste das Rechtsmittelgericht stets vorab entscheiden, um die Frist in ______Lauf zu setzen. Verzögert sich diese Entscheidung oder wird sie versehentlich vergessen, ______wird das Rechtsmittelverfahren unnötig verlängert. Wird gegen den Beschluss über die ______Versagung der Prozesskostenhilfe eine Anhörungsrüge gemäß § 321 a erhoben, läuft ______die Wiedereinsetzungsfrist unabhängig hiervon weiter.14 ______ ______ 3. Fristberechnung. Die Frist wird nach §§ 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB be5 ______rechnet. Sie beginnt, an dem das Hindernis behoben ist. Nach § 187 Abs. 1 BGB ist dieser ______Tag nicht mitzurechnen.15 Die Frist kann nicht verlängert werden, § 224 Abs. 2.16 Der Ab______lauf der Antragsfrist kann nicht durch Rügeverzicht geheilt werden.17 Die Frist kann ana______log §§ 239 ff., 249 unterbrochen werden, auch wenn die Rechtsmittelfrist verstrichen ______ist.18 ______ ______ III. Fristbeginn (Abs. 2) ______ ______ 1. Fristbeginn im Allgemeinen. § 234 bestimmt eine Frist für die Geltendmachung 6 ______des prozessualen Wiedereinsetzungsanspruchs, nicht eine Frist für die Geltendmachung ______einzelner Wiedereinsetzungsgründe. Daher kann für ein bestimmtes Wiedereinsetzungs______gesuch nur eine einheitliche Frist laufen.19 Diese beginnt, wenn das der Wahrung der ______versäumten Frist entgegenstehende Hindernis tatsächlich aufhört zu bestehen oder ______wenn sein Weiterbestehen nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann.20 Die ______Säumnis der Partei ist ab dem Zeitpunkt nicht mehr unverschuldet, ab dem sie oder ihr ______Vertreter (§§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2) bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt die Säumnis ______bzw. den Wegfall des Hindernisses hätte erkennen können.21 Dabei kommt es stets nur ______auf das Verschulden der Partei und ihrer Vertreter (§ 85 Abs. 2) an. Für das Verschulden ______eines Angestellten des Bevollmächtigten braucht die Partei nicht gerade zu stehen. 22 Geht ______es um die Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung eines Rechtsmittels, beginnt die ______Frist – wie bei anderen Versäumnissen auch – mit dem Tag, an dem das Hindernis beho______ben ist und nicht erst mit Zustellung der Entscheidung über einen gleichzeitig gestellten ______ ______ ______ ______14 BGH NJOZ 2009, 3889 = r + s 2010, 40. ______15 RGZ 41, 367, 368. ______16 BGH VersR 1980, 582. ______17 RGZ 131, 262. 18 BGHZ 9, 308 = NJW 1958, 1144; s. auch BAG AP Nr. 1 zu § 241 ZPO m. Anm. Rimmelspacher. ______19 BGH VersR 1990, 326. ______20 BGHZ 4, 389, 396 = NJW 1952, 469; BAG AP Nr. 3 zu § 234 ZPO; VersR 1990, 402, 543; BGH NJW-RR ______1993, 451; BGH NJW 1997, 1311; BGHReport 2004, 57; BGH VersR 2006, 1141; OLG München NJW-RR 2006, ______1144. 21 St.Rspr.: BGH VersR1975, 860;1987, 52, 764;1990, 402; 1991, 120, 121; 1993, 205; BAG AP Nr. 7 zu § 234 ______m. Anm. Wieczorek; BGHReport 2004, 57 (zu den Kontrollpflichten des Anwalts beim Lauf der Berufungs______und Berufungsbegründungsfrist); BGH VersR 2006, 1141 (Zugang eines gerichtlichen Hinweises). ______22 BGH NJW 1975, 1125; BGH VersR 1980, 678.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 234

_____Wiedereinsetzungsantrag für die Rechtsmittelfrist. Zum Fristbeginn bei Beantragung von _____Prozesskostenhilfe für das Rechtsmittel s. Rdn. 3, 4. _____ Bestehen mehrere Hinderungsgründe nebeneinander, beginnt die Frist erst mit 7 _____dem Wegfall des letzten Grundes zu laufen. Beruht die Verhinderung dagegen auf dem _____Zusammenwirken von Umständen, von denen keiner für sich allein die Partei an der _____Fristwahrung gehindert hätte, genügt bereits der Wegfall eines dieser Umstände, um die _____Frist in Lauf zu setzen.23 _____ Nach herrschender, auch von der Rechtsprechung vertretener Ansicht kann die Be- 8 _____hebung des Hindernisses i.S.d. § 234 Abs. 2 vor oder nach Ablauf der zu wahrenden _____Frist liegen.24 Die Wiedereinsetzungsfrist kann also bereits vor Ablauf der versäumten _____eigentlichen Frist beginnen. Die Gegenansicht25 will die Wiedereinsetzungsfrist frühes_____tens mit Ablauf der versäumten eigentlichen Frist beginnen lassen. Unumstritten ist, _____dass in diesen Fällen zunächst gemäß § 233 zu prüfen ist, ob die Zeitspanne zwischen _____Wegfall des hindernden Umstandes und Fristablauf ausreicht, um die Frist zu wahren.26 _____Genügt die Zeitspanne nicht, besteht das Hindernis i.d.F. der §§ 233, 234 Abs. 2 folglich _____jedenfalls bis zum Ablauf der eigentlichen Frist fort. Wenn es darum geht, dass eine Par_____tei zur Beseitigung des Hindernisses zeitraubende Maßnahmen erledigen muss – z.B. _____Beschaffung von Urkunden –, ist für die Feststellung des zur Beseitigung des Hindernis_____ses erforderlichen Zeitraums die Zeit bis zum Ablauf der Notfrist zu berücksichtigen.27 _____ _____ 2. Fehlerbereiche. Besteht das Hindernis in einem unverschuldeten Irrtum über 9 _____den Lauf der Frist, entfällt es nicht erst im Zeitpunkt der Kenntniserlangung, sondern _____schon mit dem Eintritt von Umständen, die den Fortbestand der Unkenntnis als ver_____schuldet erscheinen lassen.28 Hindernisse i.S.d. § 233 können u.a. der Verlust von Ur_____kunden oder die Verzögerung in ihrer Übermittlung sein. Sie entfallen mit dem Wie_____derauffinden, dem Eingang der Übermittlung oder dem Zeitpunkt, in dem Veranlassung _____bestand, den Verlust oder die Verzögerung zu bemerken und aufzuklären.29 Hat der An_____walt Zweifel, ob ein per Fax am letzten Tag einer Frist übermittelter Schriftsatz tatsäch_____lich angekommen ist, muss er den Zugang am nächsten Arbeitstag klären.30 Bei Verlust _____eines Briefes mit einem Rechtsmittelauftrag beginnt der Fristenlauf mit der Nachricht, _____dass dieser Brief nicht angekommen ist.31 Liegt das Hindernis darin, dass ein Inhaftier_____ter seinen Wunsch, Revision einzulegen, aus der Justizvollzugsanstalt nicht rechtzeitig _____an seinen Prozessbevollmächtigten übermitteln konnte, entfällt es mit Zugang der schrift_____lichen Mitteilung an den Bevollmächtigten, die Revisionseinlegung zu veranlassen.32 _____Nach schwerer Erkrankung der Partei beginnt der Fristlauf, sobald die Partei imstande _____ist, Prozessvollmacht zu erteilen.33 Ist der Prozessbevollmächtigte erkrankt und war die _____Einhaltung der Frist durch einen Vertreter nicht möglich (zur Vorsorge für diesen Fall s. _____ _____23 BGH VersR 1990, 326. _____24 RG HRR 1929 Nr. 254; BGH VersR 1990, 543; 1995, 238; OLG Hamm NJW 1977, 2077; Stein/Jonas/Roth _____Rdn. 4; offen gelassen von BGH VersR 1987, 560. _____25 Ostler NJW 1977, 2078 f. _____26 BGH NJW 1976, 626; VersR 1990, 326, 543. 27 RG JW 1902, 604. _____28 BGHZ 4, 389, 396 = NJW 1952, 604; VersR 1990, 543; VersR 1991, 120, 121 (Fall einer _____Urteilsberichtigung). _____29 BGH NJW 1990, 189. _____30 BGH NJW-RR 2005, 923. 31 BGH NJW 1974, 994. _____32 BGH VersR 1985, 786. _____33 Enger OLG Köln NJW 1972, 831, welches die Wiedereinsetzungsfrist erst beginnen lässt, wenn der _____Rechtsanwalt tatsächlich Prozessvollmacht erhalten hat.

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§ 234

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______§ 233 Rdn. 50), beginnt die Wiedereinsetzungsfrist grundsätzlich mit dem Wegfall der ______Erkrankung. Dieser Zeitpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn bereits ein Antrag auf ______Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt war und der Gegner trotz der Er______krankung eine Zustimmung zu einer Verlängerung über den Zeitraum von einem Monat ______hinaus gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 verweigert.34 ______ In Fällen, in denen die Frist versäumt wurde, weil das Büropersonal des Rechts10 ______anwalts versagt hatte, beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 in dem Zeitpunkt zu laufen, in ______dem der Anwalt35 die Fristversäumnis erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen ______Sorgfalt hätte erkennen können.36 Diese Situation tritt ein, wenn sich ein (neuer) Anlass ______dafür ergibt, dass sich der Anwalt mit der Fristwahrung befasst.37 Der Anwalt muss daher ______die Einhaltung der Fristen neu prüfen, wenn ihm die Akten zur Vorbereitung der ______Rechtsmitteleinlegung oder -begründung vorgelegt werden38 oder wenn er einen ______Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist stellt.39 Der Anwalt muss dann also die ______Fristnotierung eigenverantwortlich überprüfen. Auch ohne besonderen Anlass ist er un______ter Umständen verpflichtet, anhand der ihm zugegangenen Mitteilung über den Ein______gang der Rechtsmittelschrift den rechtzeitigen Eingang zu überwachen oder durch ______geeignetes Personal überwachen zu lassen.40 Eine Prüfungspflicht hat der Anwalt ferner, ______wenn der Gegner auf die Fristversäumung hinweist.41 Muss die Partei oder ihr Anwalt ______nach den gegebenen Umständen sicher damit rechnen, dass die Frist versäumt wurde, ______beginnt die Wiedereinsetzungsfrist nicht erst mit der gerichtlichen Mitteilung über die ______Fristversäumung.42 Andererseits braucht der Anwalt die Fristwahrung nicht in jedem Fall ______beiläufig zu prüfen, wenn ihm die Akten vorgelegt werden, z.B. zwecks Einholung der ______Rechtskraftbescheinigung,43 oder wenn der Berufungsanwalt Einsicht in die Gerichtsak______ten zwecks Anfertigung der Berufungsbegründung nimmt.44 Wurde ein Schriftsatz recht______zeitig abgesandt und durfte die Frist deshalb in diesem Zeitpunkt gestrichen werden, ______entsteht noch keine Nachfragepflicht, wenn sich nachträglich allgemeine Zweifel an der ______ordnungsgemäßen Postbeförderung ergeben (z.B. wegen eines Poststreiks).45 Ergibt sich ______andererseits aus dem Übersendungsprotokoll des Faxgeräts, dass ein Teil des Schriftsat______zes erst nach 24 Uhr und damit nach Fristablauf übermittelt worden ist, besteht ein hin______reichender Anlass für eine Nachfrage bei Gericht, ob der Schriftsatz dennoch rechtzeitig ______eingegangen ist. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt daher mit diesem Tag zu laufen.46 ______Eine gerichtliche Mitteilung, mit der der Anwalt auf die Fristversäumnis hingewiesen ______ ______ 34 BGH MDR 2011, 683. ______35 Kenntnis des Büropersonals reicht nicht: BGH VersR 1980, 678. ______36 BGH VersR 1974, 1001; 1987, 560; VersR 1990, 326, 402, 543 = BGHR ZPO § 234 Abs. 2 – ______Fristbeginn 1–3; BGH NJW-RR 2005, 76. ______37 St. Rspr., etwa BGH VersR 1987, 52; BGH FamRZ 1996, 934; BGH NJW-RR 1999, 429 = FamRZ 1999, 649; BGH NJW-RR 2001, 426. s. auch BVerfG NJW 1992, 38, 39. ______38 BGH VersR 1981, 551; 1986, 38; 1987, 463; 1990, 543; 1993, 205; 1995, 238; 1997, 507 („Vorlage der ______Sache zur Bearbeitung“); FamRZ 1993, 1429; 1994, 568; BGH MDR 2011, 1208 (Überprüfung der ______Berufungsfrist bei Vorlage zur Fertigung der Berufungsbegründung). ______39 BGH VersR 1987, 764; 1995, 69; BGH FamRZ 1991, 792. ______40 BGH VersR 1982, 971; BGH NJW 1992, 2098; BAG NZA 1995, 95. 41 BGH VersR 1973, 32; 1995, 112. ______42 BGH VersR 1981, 280. ______43 BGH Beschl. vom 6.2.1991 – XII ZB 140/89. ______44 BGH NJW 1980, 1846 (falsche Mitteilung des Zustellungsdatums durch den erstinstanzlichen Anwalt); ______BGH NJW 2002, 3636 (fehlende Unterschrift unter der Berufungsschrift des früheren Prozessbevollmächtigten); OLG Schleswig NJW-RR 1990, 1215. ______45 A.A. BGH NJW 1993, 1332 = VersR 1993, 1421 – Entscheidung im konkreten Fall trotz ______verfassungsrechtlicher Beanstandung gebilligt von BVerfG NJW 1995, 1210. ______46 BGH NJW-RR 2000, 1591.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 234

_____wird, muss eindeutig sein.47 Werden z.B. in der Hinweisverfügung lediglich Zweifel an _____der ordnungsgemäßen Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift geäußert, wird der Frist_____lauf für den Wiedereinsetzungsantrag noch nicht in Gang gesetzt.48 _____ Bei Widerruf einer Rechtsmittelrücknahme beginnt die Wiedereinsetzungsfrist an 11 _____dem Tag zu laufen, an dem der Widerruf dem Gericht zugegangen ist, und zwar unabhän_____gig davon, ob der Widerruf zulässig ist.49 Macht die Partei, die während des Laufes der Be_____rufungsbegründungsfrist einen Prozessvergleich abgeschlossen hat, später die Nichtig_____keit dieses Vergleichs geltend, so beginnt die Frist, wenn die Partei Kenntnis von den An_____fechtungsgründen erlangt.50 Die Unkenntnis von dem Fristlauf gilt in dem Zeitpunkt als _____behoben, in dem diese Unkenntnis von der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten zu _____vertreten war.51 Wird noch rechtzeitig ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegrün_____dungsfrist gestellt, beginnt die Frist des § 234 Abs. 1 erst zu laufen, wenn die Partei (bzw. _____der Prozessbevollmächtigte) Kenntnis von der Ablehnung des Antrags erlangt.52 _____ Bei Unkenntnis von der Zustellung des Urteils beginnt der Fristlauf mit Zustel- 12 _____lung einer nachfolgenden Entscheidung, aus der sich die Existenz des zugrunde liegen_____den Urteils ergibt (z.B. Kostenfestsetzungsbeschluss oder Berichtigungsbeschluss gemäß _____§ 319).53 Das gilt auch bei einem entsprechenden Verschulden eines von der Partei beauf_____tragten Verkehrsanwalts.54 Bei Unkenntnis über die Zustellung eines Versäumnisurteils _____beginnt die Antragsfrist auch dann mit Kenntniserlangung zu laufen, wenn die erforder_____lichen Prozesshandlungen aus irgendwelchen Gründen nicht sofort vorgenommen wer_____den können; dafür steht gerade die Zweiwochen- bzw. die Monatsfrist zur Verfügung.55 _____Die Frist beginnt mit Zugang des Beschlusses, mit dem die Beiordnung eines Notanwalts _____nach § 78b wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt wird.56 Wird der _____Beschluss erst kurz vor Ablauf der Begründungsfrist zugestellt, ist der Partei noch eine _____Überlegungsfrist von etwa vier Tagen zuzugestehen.57 _____ _____ 3. Fristlauf bei Prozesskostenhilfegesuch _____ _____ a) Allgemeines. Die bedürftige Partei, die innerhalb der Rechtsmittelfrist – oder im 13 _____Falle fehlenden Verschuldens innerhalb der Frist des § 234 Abs. 158 – um Bewilligung von _____Prozesskostenhilfe nachsucht, ist grundsätzlich bis zur Bekanntgabe der Entscheidung _____über ihren Antrag als verhindert anzusehen, die Fristen zur Einlegung und zur Begrün_____dung des Rechtsmittels zu wahren.59 Ein vorsorglicher Antrag auf Fristverlängerung ist _____nicht nötig.60 Ergeht die Entscheidung vor Ablauf der eigentlichen Frist, hängt es von _____den Umständen ab, ob die Fristwahrung noch möglich ist. Nach Verweigerung der Pro_____zesskostenhilfe ist der Partei auf jeden Fall eine angemessene Überlegungsfrist zuzubil_____ _____ 47 BGH NJW-RR 2010, 1000. _____48 BGHReport 2003, 203. _____49 BGHZ 33, 73 = NJW 1960, 764. _____50 BGH NJW 1969, 925. _____51 BGH FamRZ 1988, 154. _____52 BGH NJW 1992, 1898. 53 BGH VersR 1972, 667; BGH NJW 2000, 592; BGHR 2001, 436; ebenso BGH FamRZ 1995, 800 für die _____Zustellung eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses. _____54 BGH MDR 1991, 676; BGH VersR 1996, 606. _____55 BGH VersR 1967, 159. _____56 BGH NJW 1996, 2937 = VersR 1996, 1562. 57 BGH FamRZ 1988, 1152. _____58 BGH NJW 2002, 2180. _____59 St. Rspr., s. Erl. zu § 233 Rdn. 43 ff. _____60 BGH MDR 2006, 166; BGH MDR 2007, 1151.

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§ 234

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ligen.61 Fällt die Mittellosigkeit der Partei während des Bewilligungsverfahrens für die ______Prozesskostenhilfe weg, ist damit das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels be______hoben. Die Frist für das Wiedereinsetzungsgesuch beginnt daher in diesem Fall nicht ______erst mit der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch.62 ______ ______ b) Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Im Falle der Bewilligung der Prozess14 ______kostenhilfe nach Ablauf der eigentlichen Frist beginnen die Fristen des § 234 Abs. 1 mit ______der Mitteilung des Bewilligungsbeschlusses an die arme Partei oder deren Vertreter (Ein______zelheiten zum Fristbeginn beim Wiedereinsetzungsgesuch für eine Rechtsmittelbe______gründung s. Rdn. 4). Den Anwalt trifft daher die Pflicht, bei Zugang des Beschlusses ______eine eventuelle Wiedereinsetzungsfrist selbständig zu prüfen.63 Der Beschluss bedarf kei______ner förmlichen Zustellung.64 Der Bevollmächtigte hat durch allgemeine Anweisung oder ______durch eine konkrete Einzelanweisung sicherzustellen, dass das Ende der Wiedereinset______zungsfrist im Fristenkalender und in den Handakten eingetragen wird.65 Vertreter ist der ______beigeordnete Rechtsanwalt, wenn er bereits bevollmächtigt ist,66 sowie der Rechtsan______walt, der das Prozesskostenhilfeverfahren für die Partei betrieben hat.67 Ist ein Anwalt ______noch nicht bevollmächtigt, so beginnt der Fristlauf nicht schon damit, dass der die Bei______ordnung aussprechende Bewilligungsbeschluss dem beigeordneten Anwalt zugeht.68 ______Vielmehr beginnt der Fristlauf erst, sobald eine Mitteilung an die Partei oder den erst______instanzlichen Prozessbevollmächtigten erfolgt ist. Dann muss die Partei bzw. der erst______instanzliche Bevollmächtigte von sich aus dafür Sorge tragen, dass der beigeordnete ______Rechtsanwalt das Rechtsmittel fristgerecht einlegt.69 Eine zusätzliche Überlegungsfrist ______vor Fristbeginn ist der Partei im Falle der positiven PKH-Entscheidung nicht zuzubilli______gen.70 Wird Prozesskostenhilfe nur teilweise bewilligt, beginnt der Fristlauf ebenfalls mit ______der Bekanntgabe des Beschlusses. Der Partei bleibt auch in diesem Fall für die Einhal______tung der Rechtsmittelfrist grundsätzlich keine zusätzliche Überlegungsfrist, weil sie das ______Rechtsmittel unbeschränkt einlegen und den Umfang zunächst offen lassen kann.71 Ihr ______steht dann die Rechtsmittelbegründungsfrist für die Prüfung der Frage zur Verfügung, ______ob sie das Rechtsmittel in vollem Umfang durchführt oder ob sie es auf den Umfang der ______Prozesskostenhilfe beschränkt. ______ ______ c) Versagung der Prozesskostenhilfe. Bei (vollständiger) Versagung der Pro15 ______zesskostenhilfe nach Fristablauf erfordert die Überlegung, ob der Rechtsstreit auf eige______ne Kosten weitergeführt werden soll, eine gründlichere und zeitaufwändigere Prüfung ______der Erfolgsaussichten als bei PKH-Bewilligung. Der Partei ist daher eine zusätzliche ______Überlegungsfrist einzuräumen, die üblicherweise auf drei bis vier Tage bemessen wird.72 ______ ______ 61 BGH NJW 1986, 257: Verhinderung jedenfalls dann, wenn der verbleibende Teil der Frist drei ______Werktage nicht überschreitet. ______62 BGH NJW 1999, 793. ______63 BGH NJW-RR 1999, 1585. ______64 BGHZ 30, 226, 229 = NJW 1959, 1732 im Anschluss an RGZ 157, 168; BGH VersR 1985, 68, 1986, 580; ______1987, 986; BGH VersR 2006, 1141; a.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. 65 BGH FamRZ 1992, 168. ______66 BGH NJW 1961, 1465. ______67 BGH VersR 1986, 580; BGH NJW-RR 1993, 451. ______68 Vgl. BGHZ 30, 226, 228; BGH VersR 1973, 420. ______69 BGH VersR 1991, 1196; 1994, 1324. 70 BGH NJW 1978, 1920. ______71 BGH NJW 1963, 1780; NJW-RR 1993, 451 = FamRZ 1993, 694; 1995, 34; a.A. OLG Hamburg NJW 1981, 2765. ______72 BGHZ 4, 55 = NJW 1952, 183; BGH VersR 1985, 272; BGHZ 100, 203, 206 = NJW 1987, 1766; BGH NJW-RR ______1990, 451; BGH FamRZ 1993, 1428; BGH MDR 2001, 1274; BGH MDR 2008, 99.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 234

_____Erst danach beginnt die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen. Dies gilt auch dann, wenn das _____Gericht nicht die Mittellosigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der Rechtsver_____folgung verneint hat.73 Ähnlich wie bei der Versagung der Prozesskostenhilfe ist es bei _____Zurückweisung eines Antrags auf Bestellung eines Notanwalts gemäß § 78b. Die oben _____genannten Grundsätze gelten daher entsprechend.74 Die Wiedereinsetzung setzt bei Ver_____sagung der Prozesskostenhilfe voraus, dass die Partei berechtigterweise mit der Bewil_____ligung von Prozesskostenhilfe rechnen durfte. Denn nur dann ist die Fristversäumnis _____unverschuldet. 75 Dazu gehört es, dass dem Prozesskostenhilfeantrag die erforderliche _____Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt worden _____war.76 Andererseits dürfen aber insoweit keine überzogenen Anforderungen gestellt wer_____den. So kann der antragstellenden Partei grundsätzlich nicht vorgehalten werden, sie _____habe deswegen nicht mit der Bewilligung rechnen können, weil die Kosten der Prozess_____führung vier Monatsraten gemäß § 115 Abs. 2, 4 ZPO voraussichtlich nicht übersteigen.77 _____Weiterhin entfällt ihr schutzwürdiges Vertrauen nicht deswegen, wenn ihr das Gericht _____eine Auflage zur Vervollständigung der Unterlagen macht. In diesem Fall endet ein Ver_____trauen in die Bewilligung erst mit Bekanntgabe des versagenden Beschlusses.78 _____ _____ d) Sonderfälle. Stellt die Partei nach Versagung der Prozesskostenhilfe ein zweites 16 _____Prozesskostenhilfegesuch innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist, wird dadurch die mit _____dem früheren Beschluss in Lauf gesetzte Frist weder gehemmt noch unterbrochen.79 _____Auch eine erfolglose Gegenvorstellung hemmt die Wiedereinsetzungsfrist nicht.80 Je_____doch beginnt die Frist erneut, sobald das Beschwerdegericht die Prozesskostenhilfe _____bewilligt oder das Gericht auf eine Gegenvorstellung hin bei gleichbleibendem Sachver_____halt seinen ersten Beschluss ändert und die Prozesskostenhilfe bewilligt. Die anfängliche _____Ablehnung der Prozesskostenhilfe, die auf einer falschen Beurteilung durch das Gericht _____beruht, ist als Hindernis im Sinne des § 233 anzusehen.81 Wird die Partei während eines _____Prozesskostenhilfeverfahrens vermögend, beginnt der Fristenlauf bereits dann, wenn _____die Partei nicht mehr von ihrer Bedürftigkeit überzeugt sein durfte, also nicht erst mit der _____Versagung der Prozesskostenhilfe aus diesem Grunde.82 Für einen rechtsschutzversicher_____ten Rechtsmittelkläger entfällt das Hindernis erst mit der Deckungszusage seines Rechts_____schutzversicherers.83 Hat das Gericht der Partei eine unbefristete Auflage zur Nachbes_____serung ihres Prozesskostenhilfeantrags gemacht und hat sie diese nicht in einer vom _____Gericht für angemessen erachteten Frist erledigt, beginnt die Frist erst zu laufen, wenn _____der Partei der Beschluss zugestellt wird, mit dem die Prozesskostenhilfe versagt wird.84 _____Ist die Partei einer befristeten Auflage schuldhaft nicht nachgekommen, beginnt die _____Antragsfrist zu laufen, sobald die zur Erfüllung der Auflage gesetzte Frist ungenutzt ver_____ _____ 73 BGH VersR 1957, 228; 1977, 432; 1985, 271; BGH NJW-RR 2009, 789 = NJW 2009, 3038 (Ls). _____74 BGH NJW 1996, 2937, 2938; BGH NJW-RR 2002, 204. _____75 BGH NJW 2008, 1313; OLG Naumburg FamRZ 2002, 1266. _____76 BGH VersR 2006, 166; BGH NJW 2008, 1313, 1315. _____77 BGH MDR 2008, 946. _____78 BGH MDR 2008, 1117. 79 BGH NJW 1952, 743. _____80 BGH VersR 1980, 86. _____81 RGZ 149, 379, 382; BGHZ 41, 1 = NJW 1964, 770; BGH – XII ZR 255/90 – Beschluss v. 22.1.1992 (betr. _____Versäumung der Revisionsbegründungsfrist). _____82 BGH FamRZ 1988, 1153. 83 BGH NJW 1991, 109; näher dazu Erl. zu § 233 Rdn. 44. _____84 BGH NJW 1971, 808; VersR 1971, 1151; anders früher BGH LM Nr. 19 zu § 234, wonach die Antragsfrist _____in dem Augenblick zu laufen beginnt, in dem eine für die Erfüllung der Auflage angemessene Frist _____verstrichen ist; dazu auch BGH NJW 1976, 330.

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§ 234

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______strichen ist.85 Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis, aus dem sich unmissver______ständlich ergibt, dass Prozesskostenhilfe für ein Rechtsmittel nicht bewilligt wird, be______ginnt die Frist bereits mit Zugang des Hinweises.86 Wird die Entscheidung über das Pro______zesskostenhilfegesuch wegen Vergleichsverhandlungen der Parteien zurückgestellt, ______beginnt die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht schon dadurch, dass die Partei ______die Mitteilung über das Scheitern der Verhandlungen schuldhaft unterlässt. Auch hier ______muss eine klarstellende Fristsetzung oder Entscheidung hinzutreten.87 Wird über das ______Vermögen der Partei, die rechtzeitig um Prozesskostenhilfe nachgesucht hatte, das In______solvenzverfahren eröffnet, wird die Wiedereinsetzungsfrist nach Ansicht des BGH analog ______§§ 240, 249 unterbrochen,88 so dass der Insolvenzverwalter innerhalb der Jahresfrist des ______§ 234 Abs. 3 einen Wiedereinsetzungsantrag stellen kann. ______ ______ IV. Ausschlussfrist (Abs. 3) ______ ______ 1. Normzweck. Die prozessuale Jahresausschlussfrist des Abs. 3 ist eine uneigentli17 ______che Frist, durch die eine feste Grenze für die Wiedereinsetzung gesetzt wird. Die Aus______schlussfrist soll eine unangemessene Verzögerung des Prozesses verhindern und die ______Wirkung der Rechtskraft gewährleisten.89 Mit ihr soll der Ungewissheit über die endgül______tige Rechtsbeständigkeit einer Entscheidung eine letzte zeitliche Grenze gesetzt werden. ______Sie verstößt nicht gegen das Grundgesetz.90 Die Frist läuft unabhängig von den Antrags______fristen des Abs. 1.91 ______ ______ 2. Anwendungsbereich. Trotz des Ausschlusscharakters der Frist macht die Recht18 ______sprechung zur Vermeidung unbilliger Härten einige Ausnahmen, und zwar in Fällen, in ______denen der Partei aus allein dem Gericht zuzurechnenden Gründen die Fristwahrung ______nicht möglich war. Beantragt die Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung ______von Prozesskostenhilfe und wird hierüber erst nach Ablauf der Jahresfrist entschieden, ______hat sich das Verfahren unangemessen verzögert. Dies darf sich aus rechtsstaatlichen ______Gründen nicht zum Nachteil der Partei auswirken.92 Ergeht aber der Beschluss noch vor ______Ablauf der Jahresfrist, bleibt es beim Fristablauf, auch wenn die Partei erst später Kennt______nis von dem Beschluss erlangt.93 Nach Ansicht des BAG94 ist die Ausschlussfrist des § 234 ______Abs. 3 ferner dann nicht anzuwenden, wenn das Revisionsgericht im Arbeitsgerichtsver______fahren nicht innerhalb eines Jahres darüber entschieden hat, ob die Revision form- und ______fristgerecht eingelegt worden ist, und beide Parteien aufgrund gerichtlicher Verfügun______gen inzwischen der Auffassung sein können, dass der Rechtsstreit demnächst sachlich ______ ______ ______ ______85 BGH NJW 1957, 1599; 1962, 153; BAG NJW 1967, 222; BGH VersR 1981, 679. ______86 BGH NJW 2009, 854, 855. ______87 BGH NJW 1976, 330. ______88 BGHZ 9, 308 = NJW 1958, 1144 (die Entscheidung ist ergangen, als es die Wiedereinsetzung in die Frist ______des § 234 Abs. 1 noch nicht gab); s. auch oben Rdn. 3. 89 BGH VersR 1987, 1237 m.w.N. ______90 BVerfG Beschluss v. 18.12.1972 2 BvR 756/71, zitiert nach BGH VersR 1987, 256. ______91 BGH VersR 1987, 1237. ______92 BGH VersR 1973, 861 = NJW 1973, 1373; BGH MDR 2004, 1437; OLG Braunschweig NJW 1962, 1823; a.A. ______Lüderitz ZZP 78 (1965) 131, 191. 93 BGH VersR 1976, 728. ______94 AP Nr. 13 zu § 234 ZPO = MDR 1982, 171 = NJW 1982, 1664 (L); ähnlich OLG Schleswig NJW-RR 1990, ______1216 für einen Fall, in dem das Gericht die Versäumung der Berufungsfrist erst nach Ablauf der Jahresfrist ______im Laufe des Verfahrens entdeckte; a.A. OLG Düsseldorf MDR 1994, 99.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 236

_____entschieden werde.95 Eine vergleichbare Situation liegt vor, wenn eine Partei eine Rechts_____mittelfrist und auch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 nur deswegen versäumt, weil ihr eine _____falsche Ausfertigung des Urteils zugestellt worden ist und sie den wahren Umfang ihrer _____Beschwer nicht kannte.96 Dieser berichtigenden Auslegung ist zuzustimmen. § 234 Abs. 3 _____setzt keine „absolute“ Zeitgrenze, da die Wiedereinsetzung ohne Antrag nach § 236 Abs. 2 _____Satz 2 Halbs. 2 auch nach Ablauf der Jahresfrist geschehen kann und erfolgen muss, falls _____die Voraussetzungen vorliegen. Weiterhin hat das BVerfG eine Anwendung von § 234 _____Abs. 3 für ausgeschlossen gehalten, wenn das Gericht das Verfahren ohne Rücksicht auf _____die Verfristung des Wiedereinsetzungsantrag über zwei Jahre fortgesetzt hat.97 _____ Die Ausschlussfrist gilt auch für Wiedereinsetzungsanträge gegen die Versäumung 19 _____der Klagefrist des § 210 BEG.98 Eine Wiedereinsetzung in die Jahresfrist ist ausgeschlos_____sen.99 _____ _____ _____ § 235 _____ aufgehoben _____ _____ _____ § 236 _____ Wiedereinsetzungsantrag _____ § 236 Gerken _____ (1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschrif_____ten, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. _____ (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tat_____sachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den _____Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozess_____handlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne _____Antrag gewährt werden. _____ _____ § 236 neu gefasst durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 BGBl. I, 3281. _____ Übersicht _____ ____ 1 V. Antragsinhalt _____I. Allgemeines ____ 2 1. Tatsachenangaben ____ 5 _____II. Form ____ 3 III. Adressat des Antrags 2. Glaubhaftmachung ____ 8 _____ ____ 4 3. Nachholung der versäumten Prozesshand_____IV. Entbehrlichkeit des Antrags lung ____ 9 _____ _____ _____ I. Allgemeines _____ _____ Der Antrag auf Wiedereinsetzung ergänzt die versäumte Prozesshandlung um die 1 _____Erklärung (Entschuldigung) ihrer verspäteten Vornahme. Er ist selbst eine Prozesshand_____lung und muss form- (§ 236) und fristgerecht (§ 234) beim zuständigen Gericht einge_____ _____ _____95 Anders für das gerichtliche Entschädigungsverfahren nach dem BEG BGH VersR 1983, 376; dazu auch _____BGH VersR 1987, 1237 (offen gelassen). 96 BGH NJW-RR 2004, 1651, 1653 = BGHReport 2004, 1644. _____97 BVerfG NJW 2004, 2149 (Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens). _____98 BGH VersR 1983, 376. _____99 BGH LM § 234 (C) Nr. 4; VersR 1987, 256.

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§ 236

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______reicht werden. Verstöße gegen die vorgeschriebene Form und Frist können nicht nach ______§ 295 Abs. 1 geheilt werden.1 Der Antrag als solcher lässt die Folgen der Fristversäumung ______unberührt. Er kann die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 707 ______ermöglichen. ______ ______ II. Form ______ ______ Da der Wiedereinsetzungsantrag nur eine Ergänzung der Prozesshandlung ist, un2 ______terliegt er denselben Formen wie diese. Das gilt für den Anwaltszwang gemäß § 782 und ______für die in §§ 340 Abs. 1, 519 Abs. 1, 520 Abs. 3 Satz 1, 549 Abs. 1, 551 Abs. 2 Satz 1, 554 ______Abs. 2 Satz 1, 569 Abs. 2 Satz 1, 575 Abs. 1 Satz 1 vorgeschriebene Schriftform.3 Die Erklä______rung zu Protokoll der Geschäftsstelle ist im amtsgerichtlichen Verfahren allgemein, ______§ 496, und nach § 569 Abs. 3 statthaft. Der Antrag auf Wiedereinsetzung braucht nicht ______ausdrücklich gestellt zu werden; schlüssiges Handeln genügt.4 Er liegt schon vor, wenn ______sich aus den Angaben in der Rechtsmittelschrift die Verspätung eindeutig ergibt und die ______Partei konkludent den Willen zu erkennen gibt, das Verfahren fortzusetzen.5 ______ ______ III. Adressat des Antrags ______ ______ Einzureichen ist der Antrag grundsätzlich bei dem Gericht, bei dem die versäumte 3 ______Prozesshandlung vorzunehmen ist (§ 237). Bei der sofortigen Beschwerde ist dies das ______untere wie das Beschwerdegericht (§ 569 Abs. 1 Satz 1). Sind verschiedene Gerichte zu______ständig, brauchen Prozesshandlung und Wiedereinsetzungsantrag nicht zusammen bei ______einem Gericht vorgenommen zu werden. Bei der befristeten Erinnerung gegen eine An______ordnung des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten ist der An______trag beim Prozessgericht einzureichen (§ 573). ______ ______ IV. Entbehrlichkeit des Antrags ______ ______ Nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Hs. 26 kann das Gericht Wiedereinsetzung von Amts 4 ______wegen gewähren, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist ______nachgeholt worden ist und ein Wiedereinsetzungsgrund festgestellt werden kann. Die ______Vorschrift enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch für andere Verfahrens______ordnungen gilt.7 Es handelt sich um die Fälle, in denen die maßgeblichen Tatsachen ak______tenkundig oder sonstwie offenkundig (§ 291) sind8 oder nach Erteilung eines Hinweises ______gemäß § 139 offenkundig werden. Eine Amtsermittlungspflicht besteht jedoch nicht.9 Die ______unverschuldete Fristversäumnis muss also offensichtlich oder innerhalb der Wiederein______ ______ ______ ______1 RGZ 131, 261, 262. ______2 Zur Rechtsbeschwerde s. BGH NJW-RR 2002, 1721. ______3 Nach BAG AP Nr. 3 zu § 236 ZPO m. kritischer Anm. Wieczorek genügt ein Vermerk im Sitzungsprotokoll nicht. ______4 BGHZ 61, 394, 395 = NJW 1974, 107; BGHZ 63, 389, 391 = NJW 1975, 928 = ZZP 89 (1976), 204 m. Anm. ______Vollkommer (beide Entscheidungen sind zu § 236 a.F. ergangen). ______5 Ratte JR 1975, 420, 422; weitergehend Vollkommer DRiZ 1969, 244, 245 f., der gegen BGH VersR 1968, ______992 Umdeutung eines Fristverlängerungsantrags in Wiedereinsetzungsantrag befürwortet. 6 Eingeführt durch die Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 BGBl. I 3281. ______7 Zur Geltung im FGG BayObLG NJW 2003, 1403. ______8 BGH VersR 1980, 264; 1985, 271; NJW-RR 1993, 1091; BAG NZA 1995, 550. ______9 BAG AP Nr. 1 zu § 236 ZPO 1977.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 236

_____setzungsfrist glaubhaft gemacht sein.10 Liegen die Voraussetzungen nach Abs. 2 vor, _____steht dem Gericht nach h.M. kein Ermessen zu. Vielmehr muss es die Wiedereinsetzung _____bewilligen.11 Die namentlich vom BAG vertretene Gegenansicht12 kann sich zwar auf den _____Gesetzeswortlaut berufen, stimmt aber nicht mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit _____überein, wenn sie dem Richter ein freies Ermessen einräumt. Außerdem wirft sie in vielen _____Fällen die schwierige Abgrenzungsfrage auf, welche Anforderungen an einen schlüssigen _____oder stillschweigenden Antrag zu stellen sind. Gibt die Partei allerdings nicht zu erken_____nen, dass sie das Verfahren fortführen will, reagiert sie also z.B. auf einen Hinweis des _____Gerichts auf die Fristversäumung nicht, dürfte Wiedereinsetzung auch nach der gelten_____den Gesetzesfassung ausscheiden.13 _____ _____ V. Antragsinhalt _____ _____ 1. Tatsachenangaben. Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 müssen im Wiedereinsetzungsan- 5 _____trag grundsätzlich alle zwischen Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden, nicht _____offenkundigen14 oder aktenkundigen15 Umstände (Tatsachen) dargelegt werden, die für _____die Frage bedeutsam sind, wie und durch wessen Verschulden es zur Fristversäumung _____gekommen ist.16 Dies erfordert eine aus sich heraus verständliche Darlegung des Gesche_____hens.17 Die Darlegung muss ergeben, auf welchen konkreten Umständen die Fristver_____säumnis beruht.18 So muss gegebenenfalls die Organisation der Fristenkontrolle beschrie_____ben und erklärt werden, weshalb sie versagt hat. Zur Schlüssigkeit des Antrags gehört es, _____dass ein Verfahrensablauf vorgetragen wird, der ein Verschulden des Anwalts aus_____schließt.19 Hat ein Büroangestellter des Anwalts den entscheidenden Fehler begangen, _____ist dessen Eignung, Zuverlässigkeit und die ausreichende Überwachung darzulegen, wo_____bei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen.20 Wird ein PKH-Antrag abge_____lehnt, weil die Voraussetzungen des § 114 nicht gegeben sind, ist erforderlich, dass der _____Antragsteller schuldlos annehmen durfte, zur rechtzeitigen Rechtsmitteleinlegung fi_____nanziell nicht in der Lage zu sein.21 Der Vortrag darf sich nicht auf Schlussfolgerungen _____und Bewertungen beschränken. Angegeben werden müssen grundsätzlich auch die Tat_____sachen, aus denen sich ergibt, dass die Wiedereinsetzungsfrist (§ 234) gewahrt ist.22 _____Dies erübrigt sich nur, soweit die Tatsachen aktenkundig oder sonstwie gerichtskundig _____sind.23 Ist z.B. die Berufungsbegründungsfrist wegen fehlender Fristnotierung versäumt _____worden, bedarf es zur Darlegung, dass die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag ge_____wahrt ist, der Mitteilung, wann die Sache dem Anwalt nach Ablauf der eigentlichen Frist _____ _____ _____10 BGH NJW-RR 2011, 568. _____11 BGH NJW-RR 1993, 1091; Stein/Jonas/Roth Rdn. 4. 12 BAG NJW 1989, 2708. _____13 BGH Beschl. v. 29.9.86 – AnwZ (B) 26/86 – und BAG NJW 1989, 2708 begründen das unter _____Ermessensgesichtspunkten. _____14 BGH NJW 1997, 1079 = VersR 1997, 507; BAG NJW 1973, 214. _____15 BGH VersR 1987, 1237. _____16 BGH VersR 1986, 365, 964; BGH NJW-RR 1987, 186; BGH NJW 2004, 2525; BGH NJW-RR 2005, 793. _____17 BGH GRUR-RR 2010, 407. _____18 BGH NJW-RR 2010, 998; BGH NJW 2011, 230. _____19 BAG NJW 2003, 1269; BGH NJW 2008, 3501. _____20 BGH NJW 1994, 2552. 21 BGH VersR 1982, 41. _____22 BGH NJW 2000, 592; BGH NJW-RR 2004, 282, 283; BGH NJW-RR 2011, 1284; OLG Koblenz NJW-RR _____2010, 576. _____23 BVerfG NJW 1995, 2544; BGH VersR 1992, 636.

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§ 236

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______erstmals vorgelegt worden ist. Denn von diesem Zeitpunkt an ist die Unkenntnis von der ______Fristversäumung nicht mehr als unverschuldet anzusehen.24 ______ Nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ist ein Nachschieben neuer Wiederein6 ______setzungsgründe nicht statthaft.25 Zulässig ist es aber, rechtzeitig geltend gemachte Wie______dereinsetzungsgründe nach Fristablauf und auch noch im Beschwerdeverfahren zu er______läutern, zu ergänzen und damit zu vervollständigen.26 Das gilt insbesondere dann, wenn ______das Gericht gemäß § 139 hätte rückfragen müssen.27 ______ Mit Rücksicht darauf, dass der als relevant beurteilte Sachverhalt häufig komplex 7 ______ist, hat das Gericht eine Hinweispflicht nach § 139, wenn es die Angaben des Antragstel______lers zu den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründen für unklar und ergänzungs______bedürftig hält.28 ______ ______ 8 2. Glaubhaftmachung. Der Antragsteller muss die Entschuldigungsgründe (§ 233) ______und die Rechtzeitigkeit des Antrags (§ 234 Abs. 1) glaubhaft machen (§ 294).29 Bleibt die ______Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung verschuldet war, kann Wiedereinsetzung ______nicht gewährt werden.30 Allerdings darf nicht außer Betracht bleiben, ob es um Umstän______de geht, die dem Einflussbereich des Antragstellers unterliegen. Das Beweisangebot, ______eine eidesstattliche Versicherung des Anwalts beizubringen, kann dahin ausgelegt wer______den, dass der Anwalt als Zeuge benannt werden soll.31 Wenn die Entscheidung über die ______Wiedereinsetzung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann (wie bei der Berufung, ______Revision, der sofortigen Beschwerde, der Rechtsbeschwerde und der Erinnerung), muss ______der Antragsteller die Mittel der Glaubhaftmachung bis zur Beschlussfassung beibrin______gen.32 Sonst braucht dies erst in der mündlichen Verhandlung zu geschehen.33 Im Be______schwerdeverfahren kann die Glaubhaftmachung nachgeholt werden, weil dieses noch ______zum Verfahren über den Antrag im Sinne von § 236 Abs. 2 zählt.34 Das Gericht muss seine ______Hinweispflicht (§ 139) dahingehend ausüben, dass unklare Angaben über die Mittel der ______Glaubhaftmachung ergänzt werden.35 Will das Beschwerdegericht einer eidesstattlichen ______Versicherung keinen Glauben schenken, muss es einen rechtlichen Hinweis erteilen. Der ______mit der Versicherung in der Regel verbundene Zeugenbeweis muss ggf. erhoben wer______den.36 Bestehen Zweifel, ob ein entsprechender Beweisantritt auf Vernehmung der Be______weisperson gewollt ist, müssen diese geklärt werden. Die zur Glaubhaftmachung vorge______legte eidesstattliche Versicherung muss grundsätzlich eine eigene Sachdarstellung ______enthalten.37 Ein Sachverhalt ist schon dann glaubhaft gemacht, wenn für ihn eine über______ ______24 BGH NJW 1997, 1079. ______25 BGH VersR 1982, 1168, 1169; 1989, 1316; BGH NJW 1991, 1359, 1892; 1992, 697, 899; BGH VersR 1992, ______983; BGH NJW-RR 1992, 1277; BGH NJW 1998, 2678; BAG NZA 1995, 550; BGH NJW-RR 2004, 282, 284. ______26 BGH VersR 1979, 349; 1982, 1168, 1169; 1985, 1140, 1184; BGH NJW-RR 1987, 900; BGH VersR 1989, 165, 166; BGH VersR 1991, 1308; BGH NJW 2006, 2269; BGH NJW 2007, 3212; BGH NJW 2010, 2811; BGH NJW ______2011, 458. ______27 BGH VersR 1994, 1368; BGH FamRZ 1995, 1135; BGH NJW 1997, 2120; BGH NJW 1998, 1498; BGH NJW ______1999, 2284 = MDR 1999, 1025; BAG AP Nr. 5 zu § 236 ZPO mit Anm. Grunsky. ______28 BGH VersR 1976, 732; 1985, 1140, 1184; 1994, 1368; BGH NJW-RR 1987, 900. ______29 BGH VersR 1992, 637; zur Entbehrlichkeit der Glaubhaftmachung bei Offenkundigkeit der die Wiedereinsetzung erfordernden Tatsachen s. BGH NJW 2006, 1205 = BGHReport 2006, 744. ______30 BGH VersR 1992, 637; 1993, 498. ______31 BGH NJW 2007, 3069. ______32 BGH FamRZ 1987, 925. ______33 BGH FamRZ 1989, 373. 34 BGH NJW-RR 1992, 1278; BGH VersR 1996, 1389. ______35 BGHZ 2, 342, 345 = NJW 1951, 964; BGH NJW-RR 1992, 1278. ______36 BGH MDR 2010, 97 = FamRZ 2010, 122; BGH MDR 2010, 648. ______37 BGH NJW 1988, 2045; BGH VersR 1988, 860; s. im Übrigen Erl. zu § 294.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 236

_____wiegende Wahrscheinlichkeit spricht.38 Die Überzeugung von der sachlichen Richtigkeit _____einer eidesstattlichen Versicherung kann durch Begleitumstände verstärkt werden. Über_____zogene Anforderungen dürfen nicht gestellt werden.39 Beruht die Fristversäumnis auf _____einem Versehen, ist es nicht nötig, dass Gründe dargelegt werden, die das Versehen er_____klären können.40 Ist – ggf. aus den Akten – offenkundig, dass die Fristversäumnis auf _____dem Verstoß einer sonst zuverlässigen Kanzleiangestellten gegen eine allgemein erteilte _____Büroanweisung beruht, bedarf es keiner Glaubhaftmachung des der Partei nicht zuzu_____rechnenden Verschuldens der Angestellten.41 Geht es um ein behördliches Versagen, _____können nähere Darlegungen vom Antragsteller in der Regel nicht erwartet werden.42 _____ _____ 3. Nachholung der versäumten Prozesshandlung. Innerhalb der Wiedereinset- 9 _____zungsfrist muss die versäumte Prozesshandlung formgerecht43 nachgeholt werden. An_____dernfalls ist der Antrag unzulässig.44 Entbehrlich ist dies nur, wenn die Prozesshandlung _____bereits vorgenommen worden ist.45 In diesem Fall ist eine ausdrückliche Bezugnahme _____nicht erforderlich.46 Ist z.B. die Berufungsfrist versäumt, braucht die Berufung bei Stel_____lung des Wiedereinsetzungsgesuchs nicht ausdrücklich wiederholt zu werden, wenn _____eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung vorliegt.47 Denn diese enthält zugleich eine _____Wiederholung der Berufung. Ein PKH-Antrag genügt nicht, da er lediglich der Vorberei_____tung der Rechtsmitteleinlegung dient. Nach ganz h.M. ist auch ein Antrag auf Fristver_____längerung grundsätzlich nicht geeignet, an die Stelle der nach § 236 Abs. 2 Satz 2 gefor_____derten Prozesshandlung zu treten.48 Für den Fall, dass die Revision beim früheren _____BayObLG eingelegt worden war und der BGH dem Revisionskläger im Prozesskostenhil_____feverfahren erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist einen Anwalt beigeordnet _____hatte, hat der I. Zivilsenat des BGH ein Gesuch um Verlängerung der Begründungsfrist _____als ausreichend erachtet.49 Andere Senate haben offen gelassen, ob weitere Ausnahmen _____„in Sonderfällen zur Vermeidung unzumutbarer Härten“ zu machen sind.50 Das sollte _____allgemein bejaht werden, wenn es der Partei und ihrem Anwalt nach den Umständen _____nicht zuzumuten51 ist, die Rechtsmittelbegründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist _____ _____ _____ _____38 BVerfG NJW 1995, 2545 (betr. Aufklärungsschwierigkeit infolge behördlichen Versagens); BGH VersR _____1992, 849; 1993, 771; BGH NJW 1994, 2898; BGH NJW 1996, 1682. _____39 BGH NJW-RR 1997, 955. 40 BGB NJW-RR 1999, 428; BGH MDR 2005, 469 = BGHReport 2005, 321. _____41 BGH NJW 2006, 1205. _____42 Vgl. z.B. BVerfG NJW 1995, 2545. _____43 Zu den – geringen – formellen Anforderungen bei der Einlegung eines Einspruchs BVerfG NJW 1993, _____1635. 44 BGH VersR 1986, 1024, 1025. _____45 BGH VersR 1978, 449; BGH VersR 1987, 1237; BGH VersR 1992, 1023; BGH NJW 2000, 3286. Für den _____Lauf der Begründungsfrist ist die frühere Berufung maßgeblich, s. BGH NJW 1955, 1318. Der Fristlauf wird _____durch das Wiedereinsetzungsverfahren nicht berührt: BGH NJW 1989, 1155 m.w.N. mit Anm. 1. _____46 Vgl. BGH VersR 1964, 1247; strenger RGZ 84, 41, 43; beide Entscheidungen zu § 233 Nr. 3 ZPO a.F., der _____eine Bezugnahme forderte. 47 BGH NJW 2000, 3286. _____48 Für die Berufungsbegründung: RG JW 1936, 2802; BGH VersR 1977, 643, 1101; 1986, 166; 1987, 308; _____1990, 402; 1995, 480 = NJW 1995, 60; BGH NJW 1999, 3051; OLG Karlsruhe VersR 1990, 915; für die _____Revisionsbegründung: BFH (GrS 1/85) DB 1987, 872; BGH NJW 1988, 3021; BAG AP Nr. 3 zu § 222 ZPO; a.A. _____Ganter NJW 1994, 164. 49 BGH NJW 1965, 585. _____50 BGH VersR 1984, 761 m.w.N. _____51 Das Gesetz fordert im Hinblick auf die Kürze der Frist „besondere Anstrengungen“, so BGH VersR _____1977, 1101; 1987, 308; NJW 1988, 3021.

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§ 237

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______vorzulegen.52 In Fortführung dieses Rechtsgedankens hat der BGH dahin entschieden, ______dass die Frist für die Begründung der Berufung im Fall der Bewilligung von Prozesskos______tenhilfe für die Einlegung der Berufung erst mit Zustellung der Bewilligungsentschei______dung beginnt, so dass – entgegen dem Wortlaut von §§ 520 Abs. 2, 236 Abs. 2 Satz 2 – die ______Berufung nicht zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für ______die Versäumung der Berufungsfrist begründet zu werden braucht.53 Wiedereinsetzung ______kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die Partei es schuldhaft (§ 233) versäumt, die Pro______zesshandlung innerhalb der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 nachzuholen,54 z.B. durch Nicht______zahlung des Gebührenvorschusses an den Anwalt. ______ ______ ______ § 237 ______ Zuständigkeit für Wiedereinsetzung ______ § 237 Gerken ______ Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet das Gericht, dem die Ent______scheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht. ______ ______ I. Allgemeines ______ ______ Der Antrag auf Wiedereinsetzung steht in Beziehung zu dem Prozess und nimmt 1 ______denselben Gang wie die Prozesshandlung, welche in der versäumten Frist vorzunehmen ______war.1 Folgerichtig ist für die Entscheidung über die beantragte wie über die antragslose ______Wiedereinsetzung2 dasjenige Gericht zuständig, welches über die nachgeholte Prozess______handlung zu entscheiden hat. In den Fällen der sofortigen Beschwerde entscheidet das ______Beschwerdegericht, auch wenn es die Beschwerde bereits verworfen hat.3 Bei einer be______fristeten Erinnerung gegen eine Anordnung des beauftragten oder ersuchten Richters ______oder des Urkundsbeamten ist das Prozessgericht zuständig, § 573 Abs. 1. ______ ______ II. Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts ______ ______ Nach der älteren Rechtsprechung des BGH konnte das Revisionsgericht im Rahmen 2 ______ der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob die Berufung zulässig war, über ei______ nen vom Berufungsgericht übergangenen4 oder erstmals im Revisionsrechtszug gestell______ 5 ten Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungs- oder Beru______ fungsbegründungsfrist selbst entscheiden. Da die Wiedereinsetzung nach § 238 Abs. 3 ______ auch für das Rechtsmittelgericht bindend ist, muss nach der neueren Rechtsprechung ______ grundsätzlich die Entscheidung des nach § 237 zuständigen unteren Gerichts herbeige______ führt und gegen diese das statthafte Rechtsmittel (§ 238 Abs. 2) eingelegt werden.6 Aus______ ______ ______52 Noch weitergehend OLG Karlsruhe MDR 1987, 240, das entgegen der h.M. generell den Antrag auf ______Fristverlängerung genügen lassen will; Vollkommer DRiZ 1969, 244, 246 f.; Stein/Jonas/Roth Rdn. 9. ______53 BGH NJW 2003, 3275; zur Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde s. BGH NJW 2003, 3782. 54 BGH VersR 1974, 656; BFH BB 1976, 1254. ______ ______1 Hahn Mat. II 1, 247. ______2 BGH NJW 1982, 1873, 1874. ______3 RGZ 42, 367, 368. 4 BGHZ 7, 280, 283. ______5 LM § 310 Abs. 2 Nr. 1 m. Anm. Lersch; s. auch BGH NJW 1980, 1168 betr. eine weitere Beschwerde. ______6 BGH NJW 1982, 887; 1873, 1874; BGHZ 101, 134, 141 = NJW 1987, 2588, 2589; BGHR ZPO § 237 – ______Revisionsgericht 1; siehe auch Erl. zu § 238 Rdn. 8 ff.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 238

_____nahmsweise ist das Rechtsmittelgericht zur eigenen Entscheidung befugt, wenn die _____Wiedereinsetzung nach Aktenlage ohne weiteres zu gewähren ist.7 Diese Entscheidung _____kann dann also auf die Beschwerde gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden _____Beschluss getroffen werden. _____ _____ _____ § 238 _____ Verfahren bei Wiedereinsetzung _____ § 238 Gerken _____ (1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren _____über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das _____Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag be_____schränken. _____ (2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfech_____tung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehun_____gen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag ge_____stellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu. _____ (3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar. _____ (4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit _____sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind. _____ _____ Abs. 3 eingefügt durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976, bisheriger Abs. 3 jetzt _____Abs. 4 (BGBl. I, 3218). _____ Übersicht _____ ____ 1 IV. Rechtsbehelfe _____I. Verfahren bis zur Entscheidung 1. Gewährte Wiedereinsetzung ____ 9 _____II. Entscheidung____ 1. Zeitpunkt 2 2. Abgelehnte Wiederein_____ 2. Form der Entscheidung ____ 3 setzung ____ 10 _____ 3. Säumnisverfahren ____ 5 3. Unterbliebene Wiederein_____III. Wirkung setzung ____ 13 _____ 1. Auswirkungen auf das ProzessrechtsV. Kosten/Gebühren ____ 14 _____ verhältnis ____ 7 _____ 2. Bindungswirkung ____ 8 _____ _____ I. Verfahren bis zur Entscheidung _____ _____ Das Wiedereinsetzungsverfahren unterliegt denselben Regeln wie das Verfahren 1 _____über die Zulässigkeit der versäumten Prozesshandlung (Abs. 1 Satz 1). Daher muss _____grundsätzlich eine mündliche Verhandlung (§ 128) stattfinden, es sei denn, sie ist fa_____kultativ wie im Berufungs- und Revisionsverfahren (§§ 522 Abs. 1 Satz 3, 552 Abs. 2, im _____Einspruchsverfahren (§ 341 Abs. 2) und in den Verfahren über die sofortige Beschwerde _____(§ 572 Abs. 4) und die Rechtsbeschwerde (§ 577 Abs. 6). Das Verfahren über die Wieder_____einsetzung darf – nach dem verfassungsrechtlich nicht eingeschränkten Ermessen des _____Gerichts1 – abgesondert werden (Abs. 1 Satz 2). Zweckmäßig ist dies nur, wenn mit einer _____positiven Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch zu rechnen ist. In diesem _____ _____ 7 BGH NJW 1982, 1873, 1874; BGH NJW 1985, 2650, 2651; BGHR ZPO § 237 – Revisionsgericht 1; BGH _____FamRZ 1989, 1064 = NJW-RR 1989, 962; BGH VersR 1993, 500 und 713. _____ _____1 BGH VersR 1989, 529 = NJW 1989, 1155 mit Anm. Wagner.

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§ 238

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Fall darf über den Sachantrag erst nach Erledigung des Wiedereinsetzungsverfahrens ______verhandelt und entschieden werden. Daraus folgt, dass ein Anschlussrechtsmittel oder ______eine Widerklage des Antragsgegners ohne weiteres ihre Wirkung verlieren, wenn der ______Wiedereinsetzungsantrag endgültig zurückgewiesen wird. Vor der Entscheidung muss ______dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt werden.2 Ihm muss die Antragsschrift ______von Amts wegen zugestellt werden (§ 270 Abs. 1). Da es um die Wahrung von Notfristen ______und ähnlichen Fristen geht, ist der für die Wiedereinsetzung maßgebliche Tatbestand in ______Hinsicht auf Wiedereinsetzungsgrund (§ 233), Fristwahrung (§ 234), Formgerechtigkeit ______und Glaubhaftmachung (§ 236) von Amts wegen zu prüfen. Parteiverzicht (§ 295) und ______Geständnis sind wirkungslos.3 Aufgrund des kasuistischen Richterrechts ist der Hin______weis- und Aufklärungspflicht nach § 1394 im Wiedereinsetzungsrecht besondere Be______deutung beizumessen. Die Begründetheit des sachlichen Begehrens des Antragstellers ______bleibt im eigentlichen Wiedereinsetzungsverfahren außer Betracht.5 Nur wenn das Ge______richt dem Wiedereinsetzungsantrag stattgibt, darf es sachlich entscheiden, soweit es ______dafür zuständig ist. In dem Fall, dass das Berufungsgericht dem Antrag auf Wiederein______setzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist stattgibt, gilt § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2.6 ______ ______ II. Entscheidung ______ ______ 1. Zeitpunkt. Über das Wiedereinsetzungsgesuch und die Prozesshandlung, für die 2 ______Wiedereinsetzung begehrt wird, darf nicht vor Ende der Frist gemäß § 234 Abs. 1 ent______schieden werden.7 Geht das Gesuch einige Zeit vor Fristende ein, muss abgewartet wer______den. Denn bis zum Fristende ist es dem Gesuchsteller gestattet, Gründe nachzuschieben. ______Eine andere Verfahrensweise verletzt den Anspruch der Partei auf Gewährung rechtli______chen Gehörs.8 ______ ______ 2. Form der Entscheidung. Zu entscheiden ist in derselben Form, wie sie für die 3 ______versäumte Prozesshandlung vorgeschrieben ist. Durch Urteil wird in den Fällen not______wendiger mündlicher Verhandlung entschieden. Die Verwerfung eines Einspruchs gegen ______ein Versäumnisurteil geschieht auch ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 341 ______Abs. 2). Wird der Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, handelt es sich um ein End______urteil, wenn zugleich, wie es geboten ist (§ 300 Abs. 1),9 das Rechtsmittel als unzulässig ______verworfen wird. Wird über die Wiedereinsetzung vorab entschieden, muss ebenfalls ein ______Urteil ergehen.10 Einer ausdrücklichen Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages in ______der Urteilsformel bedarf es nicht, da sie in der Verwerfung des Rechtsmittels enthalten ______ist.11 Auch bei abgesonderter Verhandlung (§ 238 Abs. 1 Satz 2) kann sogleich das Rechts______mittel durch Endurteil verworfen werden, falls Wiedereinsetzung abgelehnt wird; eine ______Verdoppelung der Entscheidungen hat keinen Sinn.12 War in der Sache schon entschie______den worden, stellt das Urteil klar, dass es wegen Fristversäumung bei der Sachentschei______ ______ ______2 BVerfG NJW 1982, 2234. ______3 RGZ 136, 275, 281; BGH FamRZ 1989, 373. 4 S. Erl. zu § 236 Rdn. 7. ______5 BGHZ 8, 284 = NJW 1953, 423. ______6 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 140 IV 1 a. ______7 BGH NJW 2011, 1363. ______8 BGH a.a.O. 9 BGHZ 47, 289, 291 = NJW 1967, 1566 m. Anm. Rietschel LM § 519 b ZPO Nr. 20. ______10 BGH NJW-RR 2008, 218; BGH NJW-RR 2010, 489. ______11 RGZ 67, 186, 190. ______12 Pohle AP Anm. zu § 232 ZPO Nr. 6.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 238

_____dung bleibt. Ein Zwischenurteil (§ 303) kann nach fakultativer mündlicher Verhandlung _____ergehen, wenn das Gericht dem Wiedereinsetzungsantrag stattgibt. _____ Durch Beschluss wird entschieden, wenn die mündliche Verhandlung freigestellt 4 _____ist und nicht mündlich verhandelt wurde (Ausnahme: § 341 Abs. 2). In den Fällen der _____§§ 522 Abs. 1, 552 und auch im Fall des § 341 Abs. 213 kann das Gericht die Wiedereinset_____zung vorab durch Beschluss gewähren. Dies ist insbesondere dann angebracht, wenn vor _____der mündlichen Verhandlung noch weitere Entscheidungen zu treffen sind, die von der _____Wiedereinsetzung abhängen. Wird z.B. gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinset_____zung für die Frist zur Begründung der Berufung um Verlängerung der Begründungsfrist _____nachgesucht, muss zunächst das Kollegium darüber entscheiden, ob es Wiedereinset_____zung gewährt. Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung kann nicht stillschweigend _____ergehen14 oder in schlüssigen Handlungen (z.B. Erlass eines Beweisbeschlusses) gefun_____den werden; sie muss ausdrücklich erlassen werden.15 Eine andere Frage ist, welchen _____Einfluss in diesen Fällen der Verfahrensfortgang auf den Lauf der Fristen des § 234 hat.16 _____ _____ 3. Säumnisverfahren. Wird über den Antrag nicht vorab durch Beschluss, sondern 5 _____sogleich über das Rechtsmittel nach mündlicher Verhandlung entschieden, ist bei _____Säumnis des Antragstellers das Wiedereinsetzungsgesuch auf Antrag durch echtes _____Versäumnisurteil zurückzuweisen.17 Das folgt aus § 238 Abs. 2 Satz 2, wonach dem säu_____migen Antragsteller der Einspruch nicht zusteht. Statthaft sind vielmehr Berufung und _____Revision (§ 565) unter den Voraussetzungen des § 514 Abs. 2.18 Erscheint der ordnungs_____gemäß geladene Antragsgegner nicht zum Verhandlungstermin, muss das Gericht den _____Wiedereinsetzungsantrag von Amts wegen prüfen und darüber entscheiden. Die Ent_____scheidung ergeht als unechtes Versäumnisurteil, falls der Antrag zurückgewiesen wird. _____Wird Wiedereinsetzung bewilligt und ist der Antragsgegner im Termin zur Verhandlung _____über den Antrag und die versäumte Prozesshandlung säumig, ergeht gegen ihn bei Vor_____liegen der übrigen Voraussetzungen (echtes) Versäumnisurteil (§§ 330 ff., 539). _____ Dieselben Grundsätze wie bei Rechtsmitteln gelten auch im Einspruchsverfahren 6 _____(§§ 338 ff.).19 Ist der Einspruch zulässig und der Einsprechende erneut säumig, so ist der Ein_____spruch durch technisch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen (§ 345). Wenn der Antrags_____gegner nicht erscheint, muss über die Wiedereinsetzung nach Prüfung von Amts wegen _____entschieden werden, und zwar bei entsprechendem Antrag entweder durch stattgebendes _____Versäumnisurteil, Entscheidung nach Aktenlage (§ 331 a) oder durch Endurteil (unechtes _____Versäumnisurteil, § 331 Abs. 2), das den Einspruch als unzulässig verwirft.20 Dabei genügt _____es , wenn der Ausspruch zur Wiedereinsetzung in den Gründen des Urteils erfolgt.21 _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____13 Demharter NJW 1986, 2754. _____14 BGH FamRZ 1990, 260 hat eine stillschweigende Wiedereinsetzung darin gesehen, dass das BerGer. den in der mündlichen Verhandlung gestellten Sachantrag beschieden hatte. _____15 LG Düsseldorf NJW 1950, 547 m. zust. Anm. Lent. _____16 Vgl. OLG Schleswig NJW-RR 1990, 1215; s. auch § 234, 16. _____17 RGZ 140, 79 f., auch zu der Entscheidung allein über den Wiedereinsetzungsantrag bei abgesonderter _____Verhandlung; BGH NJW 1969, 845. 18 BGH NJW 1969, 845 f. _____19 Zur Form der Entscheidung Demharter NJW 1986, 2754. _____20 RG JW 1895, 200. _____21 RGZ 67, 186, 190.

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§ 238

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ III. Wirkung ______ ______ 1. Auswirkungen auf das Prozessrechtsverhältnis. Wiedereinsetzung bedeutet, 7 ______dass die nachgeholte Prozesshandlung als rechtzeitig fingiert wird.22 Die Rechtsnachteile ______der Fristversäumung nach § 230 treten nicht ein. Durch die Wiedereinsetzung gegen die ______Versäumung einer Rechtsmittelfrist wird die zunächst eingetretene Rechtskraft des ange______fochtenen Urteils mit rückwirkender Kraft beseitigt.23 Ist bereits eine Entscheidung er______gangen, durch die das Rechtsmittel als unzulässig verworfen worden ist, wird sie durch ______die Wiedereinsetzung hinfällig,24 ohne dass es dazu eines besonderen Ausspruchs be______darf.25 Ein gegen die gegenstandslos gewordene Entscheidung eingelegtes Rechtsmittel ______wird daher unzulässig.26 ______ ______ 8 2. Bindungswirkung. Im Wiedereinsetzungsverfahren entscheidet das Gericht über ______ein vom Antragsteller in Anspruch genommenes Recht. Es ist an seine Entscheidung ent______sprechend § 318 ZPO gebunden, gleichviel ob sie in Form eines Zwischenurteils (§ 303) ______oder in Form eines Beschlusses ergeht.27 ______ ______ IV. Rechtsbehelfe ______ ______ 1. Gewährte Wiedereinsetzung. Gegen die Gewährung der Wiedereinsetzung ist 9 ______für den Gegner kein regulärer Rechtsbehelf gegeben, Abs. 3. Das gilt auch dann, wenn ______das Ausgangsgericht die Rechtsbeschwerde versehentlich zugelassen hat.28 Das Rechts______mittelgericht ist an die Entscheidung des Instanzgerichts gebunden.29 Möglich ist aber ______eine Verfassungsbeschwerde, die nach Ausschöpfung des Rechtsweges – wozu auch die ______Rüge gemäß § 321 a gehört30 – darauf gestützt werden kann, dass der Anspruch auf recht______liches Gehör verletzt wurde.31 ______ 2. Abgelehnte Wiedereinsetzung. Für die Anfechtung der die Wiedereinsetzung 10 ______ versagenden Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die für die Anfechtung ______ der Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung gelten, § 238 Abs. 2 Satz 1. Ge______ gen die Versagung der Wiedereinsetzung im Urteil ist also die Berufung bzw. die Revi______ sion gegeben, soweit diese Rechtsmittel statthaft sind. Wird der Antrag auf Wiederein______ setzung durch Zwischenurteil wegen Versäumung der Berufungs- bzw. Begründungsfrist ______ abgelehnt, kann dieses wie ein Endurteil selbständig mit der Revision angefochten wer______ ______ ______ ______ ______22 BGHZ 8, 284, 285; 98, 325, 328 = NJW 1987, 327; BGH NJW 1992, 1898. 23 Zu den subjektiven Grenzen, insbes. dazu, ob die rückwirkende Beseitigung von Urteilswirkungen ______auch eine – im Verhältnis zwischen Dritten eintretende – Tatbestandswirkung umfasst, Vollkommer JR ______1987, 225 sowie Erl. zu § 244, 6. ______24 BGH LM Nr. 9 zu § 519 b ZPO = VersR 1958, 28; BGH VersR 1965, 898; BGHZ 98, 325, 328 = NJW 1987, ______327 m.w.N.; BAG NJW 1995, 150; a.A. Gilles Rechtsmittel im Zivilprozess S. 151 Fn. 481. ______25 RGZ 127, 287. 26 RGZ 127, 287. ______27 BVerfGE 8, 253 = NJW 1958, 2011; BGH NJW 1980, 1095; RGZ 125, 68, 71; BGH NJW 1954, 880; BAG AP ______§ 238 ZPO Nr. 1 m. Anm. Grunsky; § 567 ZPO Nr. 1 m. Anm. Grunsky; BGHR ZPO § 237 – Gegenvorstellung 1; ______§ 238 III – Nachprüfbarkeit 1; BGH FamRZ 1993, 1191 – offen lassend, ob etwas anderes gilt, wenn dem ______Gegner kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. 28 BGHReport 2003, 151. ______29 Zur Kompetenzverteilung siehe Erl. zu § 237 Rdn. 2. ______30 BGH NJW-RR 2009, 642, 643. ______31 Vgl. BVerfG NJW 1982, 2234.

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_____den.32 Beschlüsse, durch die die Berufung als unzulässig verworfen und zugleich die _____Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungs- bzw. Begründungsfrist vom LG _____oder vom OLG versagt wird, sind mit der Rechtsbeschwerde anzufechten (§ 522 Abs. 1 _____Satz 4). Diese ist beim BGH einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1). Sie richtet sich gegen beide _____Elemente der Entscheidung.33 Unanfechtbar sind entsprechende Beschlüsse der Beru_____fungsgerichte in Arrest-, Verfügungs-, Besitzeinweisungs-, Enteignungs- und Umlegungs_____verfahren (§ 542 Abs. 2). _____ Wird die Ablehnung in einem gesonderten Beschluss ausgesprochen, muss dieser _____mit dem statthaften Rechtsmittel (Rechtsbeschwerde bei Ablehnung der Wiedereinset_____zung für die Berufungs- bzw. Begründungsfrist) angefochten werden, damit eine Überprü_____fung in der Rechtsmittelinstanz ermöglicht wird.34 Wird nur die später ergehende Ver_____werfungsentscheidung angegriffen, kann mit dem dagegen gerichteten Rechtsmittel die _____Versagung der Wiedereinsetzung nicht mehr gerügt werden. _____ Die Frage, ob die Voraussetzungen der §§ 233 ff. vorliegen, unterliegt der uneinge_____schränkten Prüfung durch das Rechtsmittelgericht, da es um die Zulässigkeit des _____Rechtsmittels geht. Dabei ist das Revisionsgericht an die Tatsachenfeststellungen der _____Vorinstanzen nicht gebunden, sondern zur selbständigen Würdigung der Beweislage be_____rufen.35 _____ _____ 3. Unterbliebene Wiedereinsetzung. Das Rechtsmittelgericht ist selbst zur Ent_____scheidung befugt, wenn das Berufungsgericht über die Wiedereinsetzung nicht ent_____schieden hat, sie aber nach Aktenlage in der Rechtsmittelinstanz ohne weiteres zu ge_____währen ist. S. Erl. zu § 234 Rdn. 2. _____ _____ V. Kosten/Gebühren _____ _____ Die Kosten des Verfahrens, auch die eines Beschwerdeverfahrens,36 fallen dem An_____tragsteller als säumiger Partei zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Wi_____derspruch des Gegners entstanden sind, Abs. 4.37 Letzteres ist kaum möglich, da das Ge_____richt die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung von Amts wegen zu prüfen hat (s.o. _____Rdn. 1). Die Regelung des Abs. 4 entspricht § 344. Im Falle einer Klagerücknahme erfasst _____§ 269 Abs. 3 Satz 2 auch die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens, geht also der Rege_____lung des Abs. 4 vor.38 Beim Erlass des Schlussurteils hat das Gericht gemäß §§ 308 Abs. 2, _____91 ff. über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden.39 Dazu gehören auch die Kosten nach _____ _____ _____32 RG JW 1895, 200 – mit einschränkender Begründung; BGHZ 47, 289 = NJW 1967, 1566 m. Anm. _____Rietschel LM § 519 b ZPO Nr. 20; BGH VersR 1979, 619, 960. 33 BGH NJW 1982, 887; 1995, 263. Das gilt nach BGHR ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1 – Anfechtung 1 für die _____Revision, wenn am selben Tag ein Beschluss sowie ein Urteil, das sich hauptsächlich mit der _____Wiedereinsetzungsfrage auseinandersetzt, verkündet worden sind. _____34 BGH MDR 1973, 126 = NJW 1973, 50 (L); BGH NJW 1982, 887; BGHR ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1 – _____Anfechtung 2; BGHR ZPO § 519 b Abs. 2 – Wiedereinsetzung 1; BGH NJW 1991, 2081, 2082; BGH VersR 1993, _____500; BGH NJW 2002, 2397. 35 Vgl. BGHZ 4, 389, 395 f. = NJW 1952, 469; BGHZ 6, 369 f. = NJW 1952, 1137 (LS); BGHZ 7, 280, 283 f. = _____NJW 1952, 504 m. Anm. Wulkop; BGH NJW 1982, 1873 f.; BGH NJW 1992, 1898 f. _____36 OLG Hamm MDR 1982, 501; OLG Frankfurt NJW 1987, 334. _____37 Weitergehend offenbar OLG Düsseldorf HRR 1941 Nr. 821. _____38 Vgl. OLG Hamm MDR 1977, 233 mit abl. Anm. E. Schneider; OLG Düsseldorf MDR 1983, 64; OLGZ 89, 250 – jeweils zu §§ 269 Abs. 3 S. 2, 344; Stein/Jonas/Roth Rdn. 12; a.A. z.B. OLG Hamm OLGZ 89, 464. _____39 BGH VersR 1979, 443: keine Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts über die Wiedereinsetzung _____des Berufungsklägers in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist; anders aber BGH, _____Beschl. v. 28.3.1997 – V ZB 2/96.

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Vor §§ 239–252

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______Abs. 4, die das Gericht im Kostenausspruch aussondern und konkret bezeichnen muss, ______wenn nicht der Antragsteller ohnehin alle Kosten zu tragen hat. Ist bereits eine Hauptsa______cheentscheidung ergangen und wird die Wiedereinsetzung versagt, muss die Kostenfol______ge in dem Versagungsbeschluss ausgesprochen werden. Wurde der besondere Kosten______punkt nach Abs. 4 übergangen, gilt § 321. ______ Besondere Gerichtsgebühren werden für das Wiedereinsetzungsverfahren (§§ 237, 15 ______238) nicht erhoben; nur Auslagen für eine Beweisaufnahme können entstehen. Auch be______sondere Anwaltsgebühren fallen im ersten Rechtszug regelmäßig nicht an (§§ 15 RVG). ______Für das Beschwerdeverfahren gelten Nr. 3500, 3513 VergV RVG. ______ ______ ______ TITEL 5 ______ Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens ______ ______ Vorbemerkungen zu §§ 239–252 ______ Vor §§ 239–252 Gerken ______ Übersicht 5. Entscheidung nach Lage der Akten ____ 9 ______I. Überblick ____ 1 II. Anwendungsbereich ____ 10 ______ 1. Allgemeines ____ 2. Unterbrechung 2 III. Verfahren bei Streit über die Unter______ 3. Aussetzung ____ 7 brechung ____ 12 ______ 4. Ruhen des Verfahrens ____ 8 IV. Fortgang des Verfahrens ____ 13 ______ ______ ______ I. Überblick ______ 1. Allgemeines. Ist eine Streitsache rechtshängig geworden (§ 261), können Um1 ______stände eintreten, die den gewöhnlichen Fortgang des Verfahrens behindern und einen ______Stillstand erfordern. Diese Fälle sind eng begrenzt. Nur in den gesetzlich geregelten und ______den analog zu behandelnden Fällen ist das Gericht befugt (arg. § 252), aber auch ver______pflichtet, seine Prozesstätigkeit einzustellen.1 Ein Stillstand aus bloßen Zweckmäßig______keitsgründen ist verfahrensrechtlich nicht zulässig. Der 5. Titel sieht als Stillstandsarten ______die Unterbrechung, die Aussetzung sowie das Ruhen vor. Ist eine dieser Konstellatio______nen gegeben, kann sich der Prozess nicht wirksam weiterentwickeln; insbesondere ______kommt es zur Unterbrechung von prozessualen Fristen (§ 249 Abs. 1, s. aber § 251 ______Satz 2). ______ ______ 2. Unterbrechung. Eine Unterbrechung tritt ein in folgenden Fällen: ______ ______ a) Tod einer Partei (und der gleich zu behandelnden Fälle), Verlust der Prozess2 ______fähigkeit, Wegfall des gesetzlichen Vertreters einer Partei, Anordnung einer Nach______lassverwaltung sowie – unter bestimmten Voraussetzungen – beim Eintritt der Nach______erbfolge, sofern nicht ein Bevollmächtigter den Prozess für die behinderte Partei führt – ______§§ 239, 241, 242, 246; ______ ______ b) Insolvenz, wenn der Prozess nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen die 3 ______Masse betrifft – § 240; ______ ______ ______ ______1 Wird ein die Zulässigkeit der Klage bejahendes Zwischenurteil erlassen, § 280, tritt ein tatsächlicher ______Stillstand bis zur formellen Rechtskraft des Urteils ein, s. RGZ 57, 416.

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_____ c) Aufhören der Gerichtstätigkeit infolge eines Krieges oder eines sonstigen Ereig_____nisses (sog. iustitium) – § 245; _____ _____ d) in Anwaltsprozessen im Falle des Todes des Anwalts oder des Verlustes seiner _____Fähigkeit, die Vertretung der Partei fortzuführen – § 244. _____ Den Unterbrechungsgründen liegt der Gedanke zugrunde, dass der Rechtsstreit so_____lange einhalten muss, bis die Partei wieder die Möglichkeit hat, für die Vertretung ihrer _____Rechte Sorge zu tragen.2 Dementsprechend bewirkt der bloße Eintritt der maßgeblichen _____Ereignisse die Unterbrechung; auf die Kenntnis des Gerichts und der Gegenpartei kommt _____es nicht an. _____ _____ 3. Aussetzung. Aussetzung bedeutet Verfahrensstillstand aufgrund richterlicher _____Anordnung. Die Anordnung kann von Amts wegen oder auf Antrag ergehen. Kommt es _____in den Fällen der §§ 239, 241, 242 (Tod der Partei, Verlust der Prozessfähigkeit, Eintritt der _____Nacherbfolge) deswegen nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens, weil ein Prozess_____bevollmächtigter vorhanden war, muss die Aussetzung angeordnet werden, wenn dies _____beantragt wird (§§ 246 Abs. 1 2. Halbs., 248). Zwingend ist die Aussetzung auf Antrag _____ferner in den Fällen der §§ 152 bis 154, wo es um vorgreifliche Ehe- und Familienstands_____fragen geht. Aussetzung ist weiter vorgesehen bei der Wiederaufnahme, § 578 Abs. 2. Das _____Gericht kann das Verfahren von Amts wegen bei „abgeschnittenem Verkehr“ aussetzen _____(§ 247), bei Präjudizialität eines anderen Rechtsstreits, Straf- oder Verwaltungsverfah_____rens (§§ 148, 149) und auf Antrag im Falle der Hauptintervention (§ 65). _____ _____ 4. Ruhen des Verfahrens. Das Ruhen des Verfahrens (§ 251) ist in seiner jetzigen _____Ausgestaltung, 3 wonach die Parteien den Stillstand nicht mehr beliebig herbeifüh_____ren können, eine besondere Art der Aussetzung. Das Gericht hat die Verfahrensruhe _____auf Antrag beider Parteien unter bestimmten Voraussetzungen – § 251 Satz 1 – anzuord_____nen. _____ _____ 5. Entscheidung nach Lage der Akten. Das durch die Novelle 1924 eingeführte In_____stitut der Entscheidung nach Lage der Akten (§ 251 a) ergänzt die §§ 227, 251. Es ermög_____licht dem Gericht, das Verfahren zu fördern, wenn beide Parteien den Verhandlungster_____min versäumen (zum Ausbleiben einer Partei s. 331 a). _____ _____ II. Anwendungsbereich _____ _____ Die §§ 239 ff. gelten grundsätzlich auch für den Arrest und die einstweilige Verfü_____gung,4 für das Kostenfestsetzungsverfahren5 und für das Beschwerdeverfahren.6 Die _____Regelung ist ferner im Mahnverfahren entsprechend anzuwenden, für das es keine spe_____ziellen Bestimmungen betreffend den Tod einer Partei oder die Insolvenz gibt7 (s. Erl. zu _____§§ 688 ff.). _____ _____ _____2 Hahn Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. II, 1, S. 249. _____3 Novelle von 1924, RGBl. 1924 I S. 135; geändert und ergänzt durch Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976, _____BGBl. I S. 3281. _____4 BGH LM Nr. 9 zu § 240 ZPO = NJW 1962, 591 (LS). 5 RG JW 1892, 204 Nr. 1; OLG Hamm Rpfl. 1975, 446; OLG München JurBüro 1975, 520; KG JurBüro 1976, _____377; OLG Stuttgart Die Justiz 1977, 61; s. auch Erl. zu § 249, 2. _____6 Vgl. RGZ 30, 409. _____7 BGH NJW 1974, 493; Behr JurBüro 1979, 1105.

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______ 11 Nicht anwendbar sind die §§ 239 ff. grundsätzlich in der Zwangsvollstreckung (s. ______§ 779 betr. Tod des Schuldners),8 im selbständigen Beweisverfahren9 (Ausnahme: Ent______scheidung über einen Antrag gemäß § 495 a),10 im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfah______ren11 und für die Streitwertfestsetzung.12 Durch die Insolvenz ändern sich die Voraus______setzungen für die Bewilligung von PKH. Auch im Schiedsgerichtsverfahren gelten die ______Vorschriften über Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens nicht.13 ______ ______ III. Verfahren bei Streit über die Unterbrechung ______ ______ Besteht Streit darüber, ob Unterbrechung eingetreten ist, muss das Gericht über die12 ______sen Zwischenstreit – regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung – vorab entscheiden ______(Einzelheiten hierzu § 239, 10). ______ ______ IV. Fortgang des Verfahrens ______ ______ 13 Die Unterbrechung endet grundsätzlich (Ausnahmen: § 240 Satz 1 2. Alt., § 245) mit ______der Aufnahme (§ 250); ebenso das Ruhen des Verfahrens, wenn es nicht von vornherein ______befristet ist. Die Aussetzung nach § 246 endet durch Aufnahme bzw. Anzeige (s. § 246, ______10). ______ ______ ______ § 239 ______ Unterbrechung durch Tod der Partei ______ § 239 Gerken ______ (1) Im Falle des Todes einer Partei tritt eine Unterbrechung des Verfahrens bis ______zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. ______ (2) Wird die Aufnahme verzögert, so sind auf Antrag des Gegners die Rechts______nachfolger zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden. ______ (3) Die Ladung ist mit dem den Antrag enthaltenden Schriftsatz den Rechts______nachfolgern selbst zuzustellen. Die Ladungsfrist wird von dem Vorsitzenden be______stimmt. ______ (4) Erscheinen die Rechtsnachfolger in dem Termin nicht, so ist auf Antrag die ______behauptete Rechtsnachfolge als zugestanden anzunehmen und zur Hauptsache zu ______verhandeln. ______ (5) Der Erbe ist vor der Annahme der Erbschaft zur Fortsetzung des Rechts______streits nicht verpflichtet. ______ ______ ______ ______8 OLG Neustadt NJW 1965, 591; OLG Frankfurt Rpfl. 1975, 441; OLG Stuttgart Rpfl. 1990, 312; LG ______Dortmund Rpfl. 1963, 311; Rosenberg/Gaul/Schilken Zwangsvollstreckungsrecht § 23 II 4d; a.A. Sojka MDR ______1982, 13. ______9 Das ergibt sich aus dem Zweck des Verfahrens (§485 Abs. 1), s. Stein/Jonas/Roth Vor § 239, 31, § 490, 2; BGH NJW 2004, 1388; s.a. Gundbach/Frenzel/Schmidt NJW 2004, 3222, 3224; Hamm NJW-RR 1997, 723; a.A. ______MünchKomm-ZPO/Gehrlein § 239 Rdn. 7. ______10 BGH MDR 2011, 749. ______11 BGH NJW 1966, 1126; OLG Oldenburg JW 1936, 1309; OLG Bremen OLGZ 65, 183; OLG Koblenz AnwBl ______1989, 178; OLG Köln NJW-RR 1999, 276; differenzierend zu den einzelnen Unterbrechungstatbeständen Fischer MDR 2004, 252 ff. ______12 OLG Hamm MDR 1971, 465. ______13 RGZ 62, 24; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit Kap. 16 XI Rdn. 40 ff.; Schütze/Tscherning/Wais ______Handbuch des Schiedsverfahrens Rdn. 362.

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_____ Schrifttum _____ De Boor Zur Lehre vom Parteiwechsel und vom Parteibegriff, FS der Leipziger Juristenfakultät für _____H. Siber (1943); Bork Die als vermögenslos gelöschte GmbH im Prozeß JZ 1991, 841; Bötticher Rechtsnach_____folge in die Prozeßführungsbefugnis? FS für R. Laun (1948) S. 295; Grunsky Die Veräußerung der streitbe_____fangenen Sache (1968); Henckel Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß (1961); Lindacher Die _____Nachgesellschaft – Prozessuale Fragen bei gelöschten Kapitalgesellschaften FS für W. Henckel (1995), _____S. 549; Scherer Die Fortführung des Zivilprozesses durch den Scheinerben JZ 1994, 401; Stöber Auswirkun_____gen des Todes einer Partei auf einen laufenden Zivilprozess mit ihren Erben MDR 2007, 757; Stöber Die _____Auswirkungen einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz auf einen laufenden Zivilprozess NZG _____2006, den 574 ff.; Wagemeyer Der gesetzliche Parteiwechsel und die Prozessstandschaft des § 265 ZPO _____(1954). _____ Übersicht _____ I. Allgemeines ____ 1 a) Feststellung der Rechtsnach_____II. Tod einer Partei folge ____ 17 _____ b) Säumnisverfahren ____ 18 1. Natürliche Personen ____ 5 _____ 2. Juristische Personen ____ 6 2. Verfahren bei Aufnahme zwischen den _____ Instanzen ____ 20 3. OHG, KG, BGB-Gesellschaft ____ 7 _____ 4. Parteien kraft Amtes ____ 8 VI. Erzwingung der Aufnahme durch den Gegner, Abs. 2–5 ____ 23 _____III. Verfahren bei Streit über die Unterbre____ 10 chung 1. Verfahren vor Annahme der Erb_____ IV. Begriff des Rechtsnachfolgers schaft ____ 24 _____ 1. Erbfolge nach § 1922 BGB ____ 11 2. Voraussetzungen für den Fortgang des _____ 2. Einzelrechtsnachfolge ____ 12 Verfahrens _____ 3. Untergang einer juristischen Person; Bea) Verzögerung der Aufnahme ____ 27 _____ endigung einer Amtsverwaltung ____ 13 b) Antrag auf Ladung des Rechtsnach_____ 4. Keine Rechtsnachfolge ____ 14 folgers ____ 28 _____V. Aufnahme durch den Rechtsnachfolc) Zuständigkeit ____ 29 _____ ger ____ 15 d) Ladung ____ 30 _____ 1. Verfahren bei Aufnahme innerhalb der 3. Weiterer Verfahrensgang ____ 32 Instanz ____ 16 VII. Kosten/Gebühren ____ 34 _____ _____ _____ I. Allgemeines _____ _____ Der Tod einer Partei führt i.d.R. zu einem Parteiwechsel kraft Gesetzes.1 Maßgeb- 1 _____lich dafür ist die erbrechtliche Lage, die unmittelbar nach Eintritt des Erbfalls häufig _____noch unklar ist. Daher ordnet § 239 eine Unterbrechung des Verfahrens an. Weiter regelt _____er, wie der Eintritt des Erben in das Prozessrechtsverhältnis prozessual festzustellen und _____zu berücksichtigen ist.2 § 239 Abs. 5 bestimmt (über die Regelung des § 1958 BGB hin_____aus), dass der Erbe vor der Annahme der Erbschaft zur Fortsetzung des Rechtsstreits _____nicht verpflichtet ist. _____ Durch den Tod einer Partei kann nur ein bereits rechtshängiges,3 noch nicht rechts- 2 _____kräftig abgeschlossenes Verfahren unterbrochen werden.4 Der Eintritt der Rechtshän_____gigkeit (durch Zustellung der Klageschrift) wird allein durch den Unterbrechungsgrund _____nicht verhindert. Nicht unterbrochen wird das Verfahren, wenn die Partei durch einen _____ _____ _____1 Vgl. RGZ 45, 359, 362; BGHZ 104, 1, 4 = NJW 1988, 1390; Jauernig § 86 I 1; Stein/Jonas/Roth vor § 239 _____Rdn. 19 f.; a.A. Henckel Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozess S. 149; ausführlich zum Meinungsstreit Scherer JZ 1994, 401. _____2 Vgl. Henckel Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozess, S. 149 f. _____3 A.A. Voraufl. Anm. D II: anhängiges Verfahren. _____4 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2; s. aber zum Fall des § 234 Abs. 1 Erl. zu § 234, 3, 14, § 249, 7.

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§ 239

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Prozessbevollmächtigten vertreten ist (§ 246). In diesem Fall kommt nur eine Ausset______zung in Betracht. Für die Anwendung des § 239 spielt es keine Rolle, welchen Einfluss ______der Tod einer Partei auf den Streitgegenstand hat. Wird die Partei allein von ihrem Pro______zessgegner beerbt, endet das Verfahren durch Konfusion.5 § 239 greift dann nicht ein. ______Erledigt sich die Hauptsache durch Tod, kann das Verfahren wegen der Kosten aufge______nommen werden. Insoweit tritt also Unterbrechung ein.6 ______ 3 Bei einfachen Streitgenossen (§ 61) wirkt die Unterbrechung singulär, d.h. nur im ______Verhältnis des Toten zu seinem Prozessgegner, nicht aber in Bezug auf die übrigen ______Streitgenossen. Bei notwendiger Streitgenossenschaft erstreckt sich die Unterbrechung ______zwar ebenfalls unmittelbar nur auf den Prozess des ausgeschiedenen Streitgenossen.7 Da ______aber in der Regel einheitlich entschieden werden muss, kommt auch das Verfahren der ______übrigen (notwendigen) Streitgenossen zum Stillstand.8 Die Vertretungswirkung nach ______§ 62 Abs. 1 besteht nicht.9 § 148 ist analog anzuwenden. ______ Der Tod des streitgenössischen Nebenintervenienten (§ 69) wird wie der Tod des 4 ______notwendigen Streitgenossen behandelt, gegen den einheitlich entschieden werden ______muss. Ein in der Person des Nebenintervenienten (§ 67) entstehender Unterbrechungs______oder Aussetzungsgrund unterbricht den Prozess nicht.10 Allerdings kann ein solches Er______eignis dazu führen, dass der Nebenintervenient nicht ordnungsgemäß nach § 71 Abs. 3 ______beteiligt werden kann und deshalb §§ 239 ff. entsprechend anzuwenden sind (eingehend ______dazu § 67, 80 ff.). ______ ______ II. Tod einer Partei ______ ______ 1. Natürliche Personen. Dem physischen Tod einer Partei steht die Todeserklä5 ______rung gleich, welche die Todesvermutung begründet (§§ 9, 23 VerschG). Unerheblich ist, ______ob dem Gericht oder dem Gegner der Tod bekannt geworden ist. ______ ______ 6 2. Juristische Personen. Dem Tod einer natürlichen Person gleichzustellen sind ______nach h.M.11 die Fälle des Erlöschens einer juristischen Person, sofern deren Vermögen ______als Ganzes auf ein anderes Rechtsobjekt übergeht.12 Diese Voraussetzung ist z.B. gege______ben: ______– bei Anfall des Vermögens eines Vereins oder einer Stiftung an den Berechtigten ______ nach §§ 45, 46, 88 BGB; ______– bei der Verschmelzung von Gesellschaften (§§ 2–122 UmwG) für den übertragenden ______ Rechtsträger;13 dagegen nicht bei einem Formwechsel gemäß §§ 190 ff. UmwG unter ______ Wahrung der Identität der Gesellschaft,14 bei einer Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) ______ bzw. Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG)15 oder bei der Fortsetzung einer aufgelösten ______ Aktiengesellschaft gemäß § 274 AktG; ______ ______ ______5 BGH NJW-RR 1999, 1152. ______6 S. § 246 Fn. 1. ______7 A.A. RG JW 1889, 280 Nr. 13; 1905, 533 Nr. 17; KG OLG Rspr. Bd. 23 (1911), 94; OLG Karlsruhe HRR 1935, 1075. ______8 OLG Frankfurt ZIP 2001, 1884; OLG Koblenz MDR 2010, 281. ______9 Stein/Jonas/Leipold § 62, 36; a.A. BAG NJW 1972, 1388 = AP § 246 Nr. 1 mit abl. Anm. E. Roth. ______10 OLG Celle NJW 1969, 515; OLG Hamburg NJW 1961, 611. ______11 Dagegen MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 17. 12 RGZ 56, 331. ______13 BGHZ 157, 151 = NJW 2004, 1528; OLG Celle WM 1988, 1375; Stöber NZG 2006, 574 m.w.N. unter Rdn. 3. ______14 Dehner UmwG, § 247 Rdn. 3. ______15 Stöber NZG 2006, 574; a.A. Zöller/Greger Rdn. 6.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 239

_____– bei der Vermögensübertragung (§§ 174–189 UmwG);16 _____– bei der Eingemeindung einer Gemeinde; _____– bei der Löschung einer AG, KGaA oder GmbH wegen Vermögenslosigkeit nach einer _____ in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach die juristische Person bei existie_____ rendem Aktivvermögen in eine Gesamthand umgewandelt wird (s. auch Erl. zu § 241 _____ Rdn. 5).17 _____ Der Übergang einer Gesellschaft in das Liquidationsstadium (Auflösung) ist kein _____Fall des § 239, da die Gesellschaft fortbesteht. Die Gesellschaft verliert ihre Parteifähig_____keit grundsätzlich erst mit der Vollbeendigung.18 _____ _____ 3. OHG, KG, BGB-Gesellschaft. Gemäß §§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB sind OHG 7 _____und KG als solche prozessfähig. Dies gilt auch für die GbR.19 Die Umwandlung einer OHG _____oder KG in eine GbR tritt unabhängig vom Willen der Gesellschafter durch eine Verände_____rung in der Geschäftstätigkeit ein. Sie bewirkt keine Unterbrechung. Das Gleiche bei der _____Umwandlung der OHG in eine KG oder umgekehrt.20 Die Auflösung,21 der Tod eines Ge_____sellschafters oder ein Gesellschafterwechsel22 führen ebenfalls keine Verfahrensunter_____brechung herbei. Die §§ 239 ff. kommen jedoch dann zum Zuge, wenn eine Vertretungs_____befugnis berührt wird, insbesondere diejenige des neu eintretenden Gesellschafters. _____Dann sind §§ 241, 246 entsprechend heranzuziehen.23 Das Gleiche gilt im Prozess der _____GmbH & Co KG bei Insolvenz der Komplementär-GmbH.24 Die Übertragung des Gesell_____schaftsvermögen einer BGB-Gesellschaft auf einen der Gesellschafter ist dem Erlöschen _____einer juristischen Person gleichzustellen (Rdn. 6), so dass in entsprechender Anwendung _____von § 239 Unterbrechung eintritt.25 _____ _____ 4. Parteien kraft Amtes. Stirbt eine Partei kraft Amtes (Insolvenzverwalter,26 Nach- 8 _____lassverwalter, Testamentsvollstrecker)27 oder verliert sie ihr Amt und wechselt dadurch _____der Amtsträger, gilt nicht § 239, sondern § 241 (s. §§ 241, 6).28 §§ 239, 242, 246 sind entspre_____chend anwendbar, wenn die Amtsverwaltung endet und die Prozessführungsbefugnis _____auf den Rechtsträger übergeht.29 Entfallen die Voraussetzungen für eine gewillkürte _____ _____ _____16 A.A. K. Schmidt FS Henckel S. 764 (entspr. Anwendung von § 241). _____17 Hüffer Gedächtnisschrift Schultz (1987), S. 99, 109; Hachenburg/Ulmer GmbHG § 60, 18, Anh. § 60, 47; _____a.A. Bork JZ 1991, 841; Stein/Jonas/Bork § 50, 34 c; in Lindacher FS W. Henckel, S. 549, 560. 18 Vgl. BGH NJW 1982, 238; 1979, 1592 (betr. rechtsfähigen Verein), s. auch Bokelmann NJW 1977, 1130. _____Die Löschung des Vereinsnamens führt allein nicht zum Verlust der Parteifähigkeit; s. BGH NJW 1984, _____668. _____19 BGH WM 2001, 408 ff. = ZIP 2001, 330 mit Anm. Römermann DB 2001, 428, Habersack BB 2001, 447 _____und Schemann DNotZ 2001, 244. 20 Stein/Jonas/Roth Rdn. 7. _____21 RGZ 34, 360, 362. _____22 BGHZ 62, 131, 133 = NJW 1974, 750; Heller Der Zivilprozess der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (1989) _____S. 201 f.; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozess, S. 182. _____23 Ulmer a.a.O. Rdn. 61. _____24 BGH WM 2004, 1138. 25 MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 16. _____26 BGHZ 83, 102, 105. _____27 OLG Koblenz NJW-RR 1993, 462; a.A. BGH NJW 1964, 2301. _____28 RG JW 1913, 876 Nr. 20; RG WarnRspr 1915 Nr. 34. _____29 Vgl. RGZ 155, 350, 353 m. Anm. Jonas JW 1937, 3249 und BGH NJW 1964, 2301 betr. Testamentsvollstrecker; LG Aachen MDR 1964, 330 betr. Insolvenzverwalter; zur Aufhebung der _____Zwangsverwaltung ausführlich – gegen BGH WM 1993, 309 – Wrobel Die Prozessführungsbefugnis des _____Zwangsverwalters (1993), S. 100 ff.; zum gewillkürten Parteiwechsel bei Aufhebung der _____Zwangsverwaltung BGHZ 71, 216 = NJW 1978, 1529; WM 1990, 742; s. auch Erl. zu § 240, 17, § 241, 14.

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§ 239

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Prozessstandschaft nach Klageerhebung, sind §§ 239 ff. nicht analog anzuwenden, da ______es an einer materiellen Rechtsnachfolge fehlt.30 ______ Wird der Prozess mit Wirkung für und gegen das Gesamtgut geführt und endet die 9 ______Gütergemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten, tritt Unterbrechung ein.31 Das Glei______che gilt bei Erlass einer Aufhebungsentscheidung (§§ 1447, 1448, 1469 BGB).32 Ob § 239 ______mit der Aufnahmelast eingreift oder ob § 242 entsprechend anzuwenden ist, wenn die ______Prozessführungsbefugnis des verwaltenden Ehegatten erlischt, ist vom BGH33 offen ge______lassen worden. ______ ______ III. Verfahren bei Streit über die Unterbrechung ______ ______ Das Gericht muss gemäß § 56 von Amts wegen berücksichtigen, dass der Rechtsstreit 10 ______kraft Gesetzes unterbrochen ist. Herrscht darüber Streit, muss das Gericht – im Regelfall ______aufgrund mündlicher Verhandlung – eine Entscheidung treffen, die in Form eines Zwi______schenurteils ergehen kann.34 Gegen das Zwischenurteil, das die Unterbrechung fest______stellt, ist ein Rechtsmittel wie gegen ein Endurteil gegeben, da es den Prozess endgültig ______beendet, wenn tatsächlich kein Unterbrechungstatbestand vorliegt und damit auch eine ______Aufnahme unmöglich ist.35 Will das Gericht eine Unterbrechung verneinen, wird es ______kein Zwischenurteil erlassen, sondern das Verfahren fortsetzen und durch Endurteil ent______scheiden. Die auf Fortsetzung des Verfahrens gerichtete Entscheidung ist nicht mit der ______Beschwerde anfechtbar (s. auch § 249, 21).36 ______ ______ IV. Begriff des Rechtsnachfolgers ______ ______ Als Rechtsnachfolger kann derjenige das Verfahren aufnehmen, auf den nach mate______riellem Recht die Rechtsposition übergegangen ist, über die gestritten wird.37 ______ ______ 1. Erbfolge nach § 1922 BGB. Nachfolger ist in der Regel der Erbe, nicht aber der 11 ______Vermächtnisnehmer oder der Erbschaftskäufer, welche nur Ansprüche gegen den Erben ______haben. Der Erbe kann die Aufnahme schon vor der Erbschaftsannahme erklären (§ 1922 ______Abs. 1).38 Bei einer Mehrheit von Erben kann der unterbrochene Rechtsstreit über einen ______Nachlassanspruch aufgrund § 2039 BGB von jedem einzelnen Miterben aufgenommen ______werden,39 eventuell auch von mehreren nacheinander.40 Wegen der gesamtschuldneri______ ______30 BGHZ 123, 132 = NJW 1993, 3072. ______31 RGZ 148, 243. ______32 Stein/Jonas/Roth Rdn. 10. ______33 BGH NJW 1951, 311 = JZ 1951, 447 m. Anm. de Boor, der „Parteiwechsel kraft Beendigung des Güterstandes“ annimmt; ähnlich Rosenberg DRiZ 1951, 205; siehe dazu auch Stein/Jonas/Roth Rdn. 10, 16. ______34 Vgl. BGHZ 82, 209, 218 = NJW 1982, 883, 886; OLG Königsberg HRR 1930, 2107; OLG Celle MDR 1967, ______311. Nach BAG AP Nr. 1 zu § 239 mit zust. Anm. Baumgärtel ist ein Beschluss, der die Unterbrechung des ______Verfahrens feststellt, ohne jede Wirkung. Rosenberg/Gottwald §125 VI halten Beschlussform mit ______Anfechtungsmöglichkeit entsprechend § 252 für richtig. ______35 BGH NJW 2005, 290; BGH MDR 2006, 529; ebenso Stein/Jonas/Roth Vor § 239, 12; zum Fall des § 241 s. aber BGHR ZPO § 303 – Anfechtbarkeit 1. ______36 Stein/Jonas/Roth Vor § 239, 13; MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 21. ______37 Vgl. RGZ 26, 141; RGZ 34, 427, 430, RGZ 109, 47. ______38 In der Aufnahme eines anhängigen Prozesses kann u.U. die Annahmeerklärung (§ 1943 BGB) zu ______sehen sein, s. MünchKomm-BGB/Leipold §1943, 5. 39 BGHZ 14, 251 = NJW 1953, 1523; BGHZ 23, 207, 212 = NJW 1957, 906; BGH MDR 1964, 669; BGH MDR ______2011, 1491; OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 457, 460 betr. den Fall, dass der Beklagte einer der Miterben des ______verstorbenen Klägers ist. ______40 OLG Frankfurt MDR 1966, 153.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 239

_____schen Erbenhaftung (§ 2058 BGB), gilt dies auch im Passivprozess.41 Beim Eintritt der _____Nacherbfolge während des Rechtsstreits greift § 242 ein. _____ _____ 2. Einzelrechtsnachfolge. Der Erbe rückt nicht in die Parteistellung der verstorbe- 12 _____nen Partei ein, wenn der umstrittene Gegenstand mit dem Ableben der Partei auf einen _____Sonderrechtsnachfolger übergeht.42 Rechtsnachfolger in diesem Sinne sind auch der _____– Zessionar der für den Todesfall abgetretenen Forderung sowie der Begünstigte _____ einer (nicht in den Nachlass fallenden) Zuwendung auf den Todesfall nach § 331 _____ BGB;43 _____– der Sonderrechtsnachfolger44 in einen Anteil an einer Personen-Handelsgesell_____ schaft;45 _____– der Eigentümer nach dem Tod des Nießbrauchers im Prozess um Mietzinsforderun_____ gen, die erst nach dem Tod des Nießbrauchers fällig werden, soweit er an die Pro_____ zessführung des Nießbrauchers gebunden ist;46 _____– der überlebende Ehegatte und die anteilsberechtigten Abkömmlinge bei der Güter_____ gemeinschaft, sofern der Rechtsstreit mit Wirkung für und gegen das Gesamtgut _____ geführt wird;47 _____– der Hoferbe, soweit der Streit das Hofvermögen betrifft; _____– die Angehörigen nach § 22 Satz 4 KunstUrhG bei der Unterlassungsklage wegen _____ Verletzung des Rechts am eigenen Bild;48 _____– der Familienangehörige bzw. Lebenspartner beim Eintritt in ein Mietverhältnis _____ nach §§ 563 ff. BGB.49 _____ _____ 3. Untergang einer juristischen Person; Beendigung einer Amtsverwaltung. 13 _____Findet im Fall des Erlöschens einer juristischen Person eine Gesamtrechtsnachfolge statt _____(s.o. Rdn. 6), bestimmt das materielle Recht den Rechtsnachfolger. Endet eine Insol_____venz-, Zwangs- oder Nachlassverwaltung, tritt der materiell Berechtigte die Prozessnach_____folge an (siehe o. Rdn. 8). Ist kein Rechtsnachfolger vorhanden, wird die Klage mit dem _____Untergang der juristischen Person unzulässig.50 _____ _____ 4. Keine Rechtsnachfolge. Kein Rechtsnachfolger ist der durch eine Lebens- oder 14 _____Unfallversicherung auf den Todesfall des Versicherungsnehmers Begünstigte. Denn _____das Recht, das der verstorbene Versicherungsnehmer besaß und das Recht, das nach _____seinem Tod dem Dritten zufällt, sind verschiedene Rechte.51 Auch der Abtretungsemp_____fänger52 und der Pfändungsgläubiger53 sind als solche nicht Rechtsnachfolger i.S.d. _____§ 239, da die Nachfolge auf dem Tod der bisherigen Partei beruhen muss. _____ _____ 41 BGH NJW 1964, 2301. _____42 BGHZ 69, 395 betr. Rechtsübergang nach Art. VI Nr. 1 Abs. 6 BEG SchlussG. _____43 Vgl. BGHZ 41, 95 = NJW 1964, 1124; NJW 1965, 1913; BGHZ 46, 198 = NJW 1967, 101. _____44 Vgl. BGHZ 68, 225 = NJW 1977, 1339. _____45 Stein/Jonas/Roth Rdn. 15; zur BGB-Gesellschaft s.o. Rdn. 7. _____46 Henckel Parteilehre, S. 170 f.; ihm folgend Stein/Jonas/Roth Rdn. 15. 47 RGZ 148, 243, 245. _____48 Stein/Jonas/Roth Rdn. 15. _____49 MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 27. _____50 BGHZ 74, 212 (Beendigung der Liquidation eines Vereins); a.A. allerdings BAG NJW 1982, 1831 mit _____Anm. Theil JZ 1982, 373 zum Fall, dass die Liquidation einer GmbH während eines Kündigungsschutzprozesses beendet wird. _____51 RGZ 54, 94, 96. _____52 RG WarnRspr 1939 Nr. 23. _____53 KG HRR 1938, 1558.

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§ 239

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ V. Aufnahme durch den Rechtsnachfolger ______ ______ Wenn nach dem Tod der Partei Nachlassverwaltung, oder Nachlasspflegschaft 15 ______angeordnet wird, wenn das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird oder wenn ein zur ______Führung des Rechtsstreits berechtigter Testamentsvollstrecker vorhanden ist, gelten ______die Sonderregeln der §§ 240, 241 Abs. 3, 243.54 In den übrigen Fällen endet die Unterbre______chung dadurch, dass der Rechtsnachfolger den Rechtsstreit gemäß § 250 aufnimmt oder ______die Fortsetzung nach Abs. 2 vom Gegner durchgesetzt wird. Die Aufnahme kann auf ei______nen Teil des Rechtsstreits i.S.d. § 301 beschränkt werden. ______ ______ 1. Verfahren bei Aufnahme innerhalb der Instanz. Nach Eingang des Schriftsat16 ______zes mit der Aufnahmeerklärung (§ 250) ist Termin zur mündlichen Verhandlung zu ______bestimmen (§ 216). Das Gericht kann die Verhandlung nach § 146 zunächst auf die Frage ______der Rechtsnachfolge beschränken. ______ ______ 17 a) Feststellung der Rechtsnachfolge. Für das Verfahren gilt der Verhandlungs______grundsatz.55 Ist die Rechtsnachfolge unstreitig, muss lediglich das Rubrum berichtigt ______werden. Einer besonderen Entscheidung bedarf es dann nicht. Im Streitfall hat der Prä______tendent, der den geltend gemachten Anspruch weiterverfolgt, die tatsächlichen Voraus______setzungen darzutun und zu beweisen. Gelingt ihm das, kann die Aufnahme durch Zwi______schenurteil (§ 303),56 gegen das kein selbständiges Rechtsmittel gegeben ist (vgl. §§ 512, ______557 Abs. 2), oder durch das auch in der Sache entscheidende Endurteil57 ausgesprochen ______werden. Für die Kostenentscheidung gilt neben § 96 auch § 94 entsprechend. Verneint ______das Gericht die Rechtsnachfolge, wird der Prätendent mit dem Urteil, das sich im Ver______hältnis zu ihm als Endurteil58 darstellt, aus dem Rechtsstreit gewiesen. Für ihn ist das ______Endurteil mit den gewöhnlichen Rechtsmitteln angreifbar. Mit Eintritt der Rechtskraft ______steht fest, dass die Unterbrechung noch andauert. Eine neuerliche Aufnahme ist nur ______durch einen anderen59 oder aufgrund eines neuen Nachfolgetatbestandes möglich. ______ ______ b) Säumnisverfahren. Verhandelt der Aufnehmende nicht und bestreitet der Geg18 ______ner die Rechtsnachfolge, wird der Säumige auf Antrag durch Prozessurteil (§§ 330, 331, ______331 a) aus dem Verfahren gewiesen. Ist die Rechtsnachfolge unstreitig, wird auf Antrag ______durch Versäumnisurteil in der Hauptsache oder gegebenenfalls durch Entscheidung ______nach Aktenlage (§ 331 a) erkannt. Voraussetzung ist allerdings, dass auch zur Verhand______lung der Hauptsache geladen worden war. ______ Erscheint der Gegner des Aufnehmenden nicht und beantragt der Aufnehmende 19 ______den Erlass eines Versäumnisurteils, ist die Rechtsnachfolge als zugestanden anzusehen. ______Als präjudizielles Rechtsverhältnis ist die Nachfolge eine einfache Tatsache, die einem ______Geständnis60 zugänglich ist.61 Es kann daher Versäumnisurteil über die Sache selbst ______(§§ 330, 331) ergehen. ______ ______ ______54 Im Fall der Testamentsvollstreckung ist zwischen Aktivprozessen und Passivprozessen zu unterscheiden, vgl. BGHZ 104, 1 = NJW 1988, 1390. ______55 RG JW 1907, 180 Nr. 20. ______56 Vgl. – zu § 240 – RGZ 27, 350, 358; RGZ 54, 120; RGZ 86, 235, 238. ______57 RGZ 86, 235, 238. ______58 RGZ 11, 312, 318; RGZ 34, 427, 429; RGZ 86, 235, 238; BGH NJW 2004, 2983; das Zwischenurteil BGH WM 1982, 1170 = ZIP 1982, 1318 sagt nichts anderes. ______59 RGZ 45, 359, 362. ______60 Dies gilt nicht für Verfahren, in denen der Untersuchungsgrundsatz herrscht. ______61 Vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 260 BGB; s. auch Erl. zu § 288.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 239

_____ 2. Verfahren bei Aufnahme zwischen den Instanzen. In dem Verfahrensstadium _____vor Rechtsmitteleinlegung kann die Aufnahme vor der unteren Instanz erklärt werden _____(§ 250). Der Rechtsnachfolger des siegreichen Klägers kann beantragen, dass zur Ver_____handlung über die Sachlegitimation geladen wird, um ein auf seinen Namen lautendes _____Zusatzurteil zu erlangen62 (zum Fristbeginn in diesem Fall s. § 249, 13). Der Gegner des _____Rechtsnachfolgers kann nach § 239 Abs. 2 vorgehen.63 Durch das Zusatzurteil,64 das ge_____gebenenfalls auch als Versäumnisurteil ergehen kann, wird über die Rechtsnachfolge _____entschieden.65 Bejaht das Gericht die Rechtsnachfolge, stellt es zugleich fest, dass die _____ergangene Sachentscheidung für und gegen den Rechtsnachfolger wirkt. Damit erübrigt _____sich eine Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 731.66 Der Erbe als Auf_____nehmender kann die Beschränkung der Erbenhaftung nach § 780 in das Urteil aufneh_____men lassen.67 _____ Das (End-)Urteil, das die Rechtsnachfolge verneint, kann mit dem regulären Rechts_____mittel angegriffen werden. Wird die Rechtsnachfolge angenommen, ist das Zusatzur_____teil zusammen mit dem in der Sache ergangenen Urteil anfechtbar.68 Die Anfechtung _____des Zusatzurteils genügt, wenn nur die Feststellung der Rechtsnachfolge angegriffen _____werden soll.69 §517 Satz 1 gilt für den Lauf der Berufungsfrist nicht70 (zum Fristlauf s. _____§ 249 Rdn. 14). _____ Der Rechtsnachfolger, der eine Beschwer angreifen will, kann nach h.M. aus _____Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit ohne vorherige Vollziehung der Aufnahme gleich _____die höhere Instanz angehen, indem er das gegebene Rechtsmittel einlegt und die Auf_____nahme erklärt (§ 250).71 Ist dann die Rechtsnachfolge zu verneinen, werden der Aufnah_____meantrag und das Rechtsmittel – als unzulässig72 – zurückgewiesen (s. auch § 250, 9). _____ _____ VI. Erzwingung der Aufnahme durch den Gegner, Abs. 2–5 _____ _____ Der Gegner des Rechtsnachfolgers kann den Rechtsstreit nicht unmittelbar selbst _____aufnehmen. Er kann aber die Aufnahme durch den Rechtsnachfolger gemäß Abs. 2–5 _____erzwingen, indem er dessen Ladung zur mündlichen Verhandlung beantragt. Die Unter_____brechung des Verfahrens endet sodann dadurch, _____– dass der Rechtsnachfolger die Aufnahmeerklärung in der mündlichen Verhandlung _____ oder schriftsätzlich (§ 250) abgibt, wobei die Aufnahme darin liegen kann, dass die _____ Rechtsnachfolge nicht bestritten und ein Schriftsatz mit Sachanträgen eingereicht _____ wird, oder dadurch, _____– dass die Rechtsnachfolge gemäß Abs. 4 als zugestanden anzusehen ist. _____ _____ _____ 62 Jonas JW 1931, 1764. _____63 S. und Rdn. 28 ff. _____64 RGZ 27, 350, 358 f. _____65 RG VZS 68, 247, 256; JW 1924, 1986 Nr. 19; Jonas JW 1931, 1764. _____66 Stein/Jonas/Roth Rdn. 32. _____67 OLG Düsseldorf NJW 1970, 1689; a.M. Stein/Jonas/Roth Rdn. 34; OLG Dresden SächsAnn. 23 (1902), 281, 283, wonach dies wegen § 781 unnötig ist. _____68 RGZ 27, 356; JW 1906, 430 Nr. 16; JW 1924, 1986 Nr. 19. _____69 Jonas JW 1931, 1764. _____70 RGZ 140, 348, 353. _____71 BGHZ 36, 258 = NJW 1962, 589 = LM Nr. 4 zu § 250 ZPO m. Anm. Rietschel; NJW 1970, 1790; BGHZ 111, 104, 109 f. = NJW 1990, 1854; Stein/Jonas/Roth § 250, 5; im Ergebnis auch Jaeger/Henckel KO § 10, 116 im _____Hinblick auf BGHZ 50, 397 = NJW 1969, 48; a.A. Henckel, ZZP 75 (1962), 359; Jauernig JZ 1965, 694. _____72 A.A. Voraufl. Anm. H III: als unbegründet, da die Entscheidung in Bezug auf die Rechtsnachfolge _____außerprozessual wirke.

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§ 239

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ Ist die Aufnahmefrage streitig auszutragen, hängt der Fristlauf von der Entschei______dung über den Aufnahmestreit ab (s. § 249, 13). ______ ______ 24 1. Verfahren vor Annahme der Erbschaft. Vor Annahme der Erbschaft ist der Erbe ______zur Fortsetzung eines Rechtsstreits nicht verpflichtet, Abs. 5. Diese Schutzvorschrift, die ______der ungeklärten Rechtsstellung des Erben zwischen Erbfall und Annahme der Erbschaft ______Rechnung trägt, geht über § 1958 BGB hinaus. Nach § 1958 BGB ist der Erbe vor Annahme ______der Erbschaft (§§ 1943, 1944) vor Passivprozessen geschützt; ihm fehlt insoweit die Pro______zessführungsbefugnis.73 Abs. 5 gilt für alle bereits rechtshängigen Verfahren, in denen ______sich ein Fall des § 239 Abs. 1 ereignet. ______ § 1958 BGB findet auf den Nachlasspfleger und auf den Testamentsvollstrecker 25 ______keine Anwendung (§§ 1960 Abs. 3, 2213 Abs. 2 BGB). Der Gläubiger kann nach § 1961 BGB ______die Bestellung eines Nachlasspflegers zum Zwecke der Geltendmachung seines An______spruchs beantragen. Für laufende Verfahren gelten in den Fällen der Nachlasspfleg______schaft und der Testamentsvollstreckung die Sonderregeln der §§ 241, 243. ______ In Prozessen mit Auslandsbeziehungen ist Abs. 5 nur anwendbar, wenn das aus26 ______ländische Recht einen dem deutschen Erbrecht vergleichbaren Schwebezustand vor Erb______schaftsannahme kennt.74 ______ ______ 2. Voraussetzungen für den Fortgang des Verfahrens ______ ______ a) Verzögerung der Aufnahme. Der Rechtsnachfolger verzögert die Aufnahme, 27 ______wenn er sie trotz Kenntnis von der Rechtsnachfolge und von dem Prozess75 ohne gesetz______lich vorgesehenen Grund nicht erklärt. Dem Erben, der die Erbschaft angenommen hat, ______ist keine weitere Überlegungsfrist zuzubilligen.76 Erkennt er die Rechtsnachfolge sofort ______an, kann das Gericht dem Gegner die Kosten des Aufnahmeverfahrens nach § 93 auferle______gen, falls besondere Kosten in Betracht kommen.77 ______ ______ b) Antrag auf Ladung des Rechtsnachfolgers. Der Antrag ist eine prozessuale Wil28 ______lenserklärung (Prozesshandlung), die schriftsätzlich (Abs. 3 Satz 1) dem Gericht gegen______über zu erklären ist. In dem Schriftsatz müssen der bzw. die zu ladenden Rechtsnachfol______ger als solche bezeichnet werden. Die Tatsachen, aus denen sich die Rechtsnachfolge ______ergibt, müssen angegeben werden, damit gegebenenfalls ein Versäumnisurteil (dazu ______und Rdn. 33) ergehen kann (§ 335 Abs. 1 Nr. 3). ______ ______ c) Zuständigkeit. Zuständig für die Entgegennahme des Aufnahmeantrags und für 29 ______die Aufnahmeverhandlung ist das Gericht, vor dem der Rechtsstreit schwebt. Ist vor der ______Unterbrechung noch kein Rechtsmittel eingelegt worden war, ist es das untere Gericht. ______Denn ein Rechtsmittel kann in diesem Fall wirksam erst dann eingelegt werden, wenn ______der Rechtsnachfolger in das Verfahren einbezogen ist.78 War der Rechtsstreit bereits an ______ein anderes Gericht verwiesen worden (§§ 281, 506 ZPO, 97 ff. GVG), ist dieses Gericht ______zuständig. Entsprechendes gilt bei zurückverweisenden Entscheidungen (§§ 538, 563), ______die rechtskräftig geworden sind. ______ ______ ______73 MünchKomm-BGB/Leipold § 1958, 10 m.w.N. ______74 Geimer Internationals Zivilprozessrecht (1987) Rdn. 324; Stein/Jonas/Roth Vor § 239, 35. 75 OLG Zweibrücken NJW 1968, 1635; OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 457, 459. ______76 A.A. offenbar OLG Dresden SächsAnn. 23 (1902), 281. ______77 OLG Zweibrücken NJW 1968, 1635. ______78 RGZ 27, 350, 358; RGZ VZS 68, 255 f.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 239

_____ d) Ladung. Die Ladung, die im Regelfall zur Verhandlung über die Rechtsnachfolge _____und zugleich zur Hauptsache erfolgt, ist den Rechtsnachfolgern selbst zuzustellen. Da_____mit ist die Zustellung an den bisherigen Prozessbevollmächtigten ausgeschlossen, nicht _____aber die Ersatzzustellung (§§ 180, 181) oder die öffentliche Zustellung (§§ 185 ff.). In den _____Verfahren mit notwendiger mündlicher Verhandlung muss der Vorsitzende (auch der _____Einzelrichter, §§ 348 ff.) zugleich mit der Terminanberaumung eine Ladungsfrist bestim_____men, Abs. 3 Satz 2. Dies ist eine richterliche Frist, die abgekürzt und verlängert werden _____darf (§ 224 Abs. 1, 2). Bei der Bemessung der Frist muss berücksichtigt werden, dass es _____für die Rechtsnachfolger u.U. schwierig ist, sich auf den ihnen unbekannten Prozess _____umzustellen. Bei der Fristbestimmung sind in bestimmten Verfahrensstadien (z.B. bei _____Unterbrechung nach Zustellung der Klageschrift) die Einlassungsfristen nach §§ 274 _____Abs. 3, 523 Abs. 2, 553 Abs. 2 sowie die Schriftsatzfristen nach § 275 Abs. 3, 4, 276 Abs. 1 _____Satz 2, Abs. 3, 277 Abs. 3, 4, 521 Abs. 2 zu beachten. Die Verfügung ist den Beteiligten _____abschriftlich mitzuteilen, § 226 Abs. 3. _____ Hatte der Lauf der Frist zur Begründung eines vor der Unterbrechung eingelegten _____Rechtsmittels aufgehört (§ 249), kann vor Ablauf der Begründungsfrist nur über die _____Aufnahme verhandelt werden. Diese Aufnahme wird entweder durch Zwischenurteil _____(§ 303)79 festgestellt oder der Antrag wird durch Endurteil (im Verhältnis zu dem Gelade_____nen) zurückgewiesen. _____ _____ 3. Weiterer Verfahrensgang. Für das weitere Verfahren gelten die oben dargestell_____ten Regeln (Rdn. 16 ff.) sinngemäß. Zu ergänzen ist folgendes: Erscheinen von mehreren _____geladenen Rechtsnachfolgern, die notwendige Streitgenossen sind, nur einzelne, gilt _____§ 62.80 Die Beweislast für die Voraussetzungen der Rechtsnachfolge trifft grundsätzlich _____die Partei, die sich zur Begründung ihres Anspruchs auf den Rechtsübergang beruft. Das _____wird in den Fällen des Aufnahmeverlangens regelmäßig der Gegner des Geladenen sein. _____Verneint das Gericht die Rechtsnachfolge des Geladenen, wird das Aufnahmeverlangen _____ihm gegenüber durch (anfechtbares) Endurteil für unbegründet erklärt.81 _____ Für das Säumnisverfahren stellt die Ladung zur Aufnahme die Mitteilung des neu_____en Antrags i.S.d. § 335 Abs. 1 Nr. 3 dar, der darauf gerichtet ist, das Verfahren gegen den _____Rechtsnachfolger für aufgenommen zu erklären.82 Erscheinen die Rechtsnachfolger im _____Termin nicht, ist auf Antrag die behauptete Rechtsnachfolge als zugestanden anzuneh_____men und zur Hauptsache zu verhandeln (§ 239 Abs. 4.). Fingiert wird also nicht das Zu_____gestehen einer Tatsache, sondern das für die Nachfolge maßgebliche Rechtsverhältnis. _____Im Rechtsmittelverfahren ist selbst bei unzulässigem Rechtsmittel durch echtes Ver_____säumnisurteil zu entscheiden, wenn der Rechtsnachfolger des Rechtsmittelklägers im _____Verhandlungstermin nicht erscheint.83 _____ _____ VII. Kosten/Gebühren _____ _____ Das Aufnahmeverfahren gehört gebührenrechtlich zu dem zunächst unterbroche_____nen, dann fortgesetzten Verfahren. Besondere Gerichts- und Anwaltsgebühren fallen _____nicht an. Die vorhergehende Verhandlung begründet keine zusätzlichen Gebühren für _____den Anwalt des Gegners des (angeblichen) Rechtsnachfolgers, da es sich nicht um ver_____ _____ _____79 RGZ 68, 390; RG JW 1938, 3255 Nr. 34; OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 457. 80 Dazu OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 457, 459. _____81 RGZ 11, 312, 318; 34, 427, 429 f.; 45, 359, 362; 86, 235, 238. _____82 RGZ 68, 390, 392 f.; RG JW 1938, 3255 Nr. 34. _____83 BGH NJW 1957, 1840.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______schiedene Angelegenheiten im Sinne von § 17 RVG handelt. Wird der Rechtsstreit gegen ______einen unbeteiligten Dritten als Erben aufgenommen, handelt es sich bei der Vertretung ______des Dritten für den Anwalt, der bisher den Erblasser vertreten hatte, um eine neue Ange______legenheit.84 ______ ______ ______ § 240 ______ Unterbrechung durch Insolvenzverfahren ______ § 240 Gerken ______ Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Par______tei wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es ______nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder ______das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs______und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen ______Insolvenzverwalter übergeht. ______ ______ § 240 neu gefasst durch Art. 18 Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung v. 5.10.1994 ______BGBl. I 2911. ______ ______ Schrifttum ______ Gundlach/Frenzel/Schmidt Die Verfahrensunterbrechung durch Insolvenzeröffnung NJW 2004, 3222 ff.; ______Paulus Vorsicht Falle – Wiederaufnahme eines durch Insolvenzverfahren unterbrochenen Prozesses NJW ______2010, 1633 FF; Schmidt Klage und Rechtshängigkeit bei Konkurseröffnung vor Klagezustellung NJW 1995, ______911; Voigt Der Einfluß des Konkurses auf die schwebenden Prozesse des Gemeinschuldners (1903); Voll______kommer Verfahrensunterbrechung nach § 240 ZPO bei Prozeßstandschaft und Sicherungszession MDR ______1998, 1269; Wosgien Konkurs und Erledigung in der Hauptsache (1984); weitere Nachweise Vor § 239. ______ ______ Übersicht ____ 1 III. Ende der Unterbrechung ______I. Vorbemerkung 1. Beendigung des Insolvenzverfahrens ______II. Eintritt der Unterbrechung eines Insolvenzverfaha) Nicht aufgenommene Verfah______ 1. Eröffnung rens ____ 3 ren ____ 17 ______ 2. Verfahrensstand ____ 5 b) Vom Insolvenzverwalter geführte ______ 3. Voraussetzungen der Unterbrechung Prozesse ____ 18 ______ a) Parteistellung ____ 7 2. Aufnahme des Verfahrens ____ 19 ______ b) Auswirkungen auf die Insolvenza) Allgemeine Verfahrensregeln ____ 20 ______ masse ____ 12 b) Aktivprozesse ____ 22 ______ aa) Einzelne Verfahren, die die c) Passivprozesse ____ 25 Insolvenzmasse betreffen ____ 14 d) Passivprozesse zur Schuldenmasse ______ bb) Verfahren, die nicht die Insol(Schuldenmassestreit) ____ 27 ______ ____ 15 venzmasse betreffen 3. Freigabe durch den Insolvenzverwalter; ______ 4. Entscheidung über die UnterbreVerzicht des Gläubigers auf Teilnahme ______ chung ____ 16 am Insolvenzverfahren ____ 31 ______ ______ ______ I. Vorbemerkung ______ Nach § 240 wird das Verfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 1 ______ ______das Vermögen einer Partei unterbrochen, sofern es die Insolvenzmasse betrifft. Der ______ ______ ______84 OLG Köln Rpfl. 1963, 361.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____Grund für diese Regelung ergibt sich aus § 80 Abs. 1 InsO.1 Das Verwaltungs- und Verfü_____gungsrecht über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen geht mit der Eröffnung _____des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Diesem muss eine Überle_____gungsfrist verschafft werden, damit er sich einarbeiten und sachgemäß entscheiden _____kann, ob die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens im Interesse der Insolvenzgläu_____biger liegt. Wird kein Insolvenzverwalter bestellt und ordnet das Gericht die Eigenver_____waltung durch den Schuldner gemäß § 270 InsO an, tritt ebenfalls Unterbrechung ein.2 _____Zwar fehlt in diesem Fall der für § 240 maßgebliche Umstand, dass ein Wechsel in der _____Prozessführungsbefugnis eingetreten ist. Der Insolvenzschuldner als Eigenverwalter _____benötigt aber ebenso wie der Insolvenzverwalter eine Überlegungsfrist, ob der den Pro_____zess fortführen will. Für Prozesse, in denen die Anfechtung außerhalb des Insolvenz_____verfahrens geltend macht wird, schreibt § 17 Abs. 1 AnfG die Unterbrechung vor.3 Diese _____Prozesse werden aber nur in Ansehung der Anfechtungsansprüche unterbrochen.4 Auf _____das schiedsrichterliche Verfahren ist § 240 grundsätzlich nicht anwendbar, da es nicht _____nach den Regeln der ZPO verläuft.5 Jedoch tritt der Insolvenzverwalter an die Stelle des _____Schuldners. Das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 1060 wird jedenfalls dann _____unterbrochen, wenn ein Aufhebungsgrund geltend gemacht wird.6 § 240 muss im Voll_____streckbarkeitsverfahren nach dem EuGVÜ und dem AVAG angewendet werden, so_____weit es – in zweiter Instanz – kontradiktorisch ausgestaltet ist.7 Zum selbständigen Be_____weisverfahren s. Vor § 239 Rdn. 11. _____ Die Unterbrechung tritt auch dann ein, wenn der Schuldner durch einen Prozessbe- 2 _____vollmächtigten vertreten wird. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt seine Pro_____zessvollmacht (§§ 115, 116 InsO).8 Der (frühere) Prozessbevollmächtigte kann daher kein _____Rechtsmittel gegen ein bereits ergangenes Urteil einlegen.9 Wird gleichwohl eingelegtes _____Rechtsmittel zurückgenommen, treffen die Kosten den Insolvenzschuldner und nicht die _____Masse.10 Bei Aufnahme des Rechtsstreits ist der frühere Prozessbevollmächtigte des _____Schuldners nicht Zustellungsbevollmächtigter des Insolvenzverwalters.11 Unterbrochen _____wird nur der Prozess selbst und nicht ein parallel laufendes oder selbständiges Prozess_____kostenhilfeprüfungsverfahren.12 _____ _____ _____ _____ _____ 1 Differenzierend Gundbach/Frenzel/Schmidt NJW 2004, 3222; s.a. BGHZ 50, 397 = NJW 1969, 48. _____2 BGH MDR 2007, 612. _____3 Wegen der Behandlung dieser Prozesse nach Beendigung des Insolvenzverfahren s.u. Rdn. 16. Zur _____entsprechenden Anwendung des § 17 AnfG (Unterbrechung, Aufnahme durch den Insolvenzverwalter) in _____dem Rechtsstreit, in dem ein Gesellschaftsgläubiger Ansprüche aus §§ 171, 176 HGB geltend macht, wenn für die KG das Insolvenzverfahren eröffnet wird, s. BGHZ 82, 209 = NJW 1982, 883 (betr. § 13 AnfG a.F.); _____dazu ausführlich Schlegelberger/K. Schmidt HGB §§ 171, 171 Rdn. 115. _____4 RGZ 143, 267 = JW 1934, 1169 m. Anm. Süß; anders ist es in dem Fall, dass ein einheitlicher Anspruch _____auf verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt wird – vgl. BGH NJW 2000, 1259, 1260. _____5 RGZ 62, 24; BGH WM 1967, 56; Schütze/Tscherning/Wais Handbuch des Schiedsverfahrens Rdn. 151; _____Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit Abschn. III Kap. 16, XI Rdn. 41. 6 BGH WM 1967, 56. _____7 Eingehend Mankowski ZIP 1994, 1577; a.A. OLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 636 = ZIP 1994, 1609. _____8 RGZ 118, 158, 161; BGH VersR 1982, 1054; kritisch hierzu insbesondere wegen der zusätzlich _____entstehenden Kosten Paulus NJW 2010, 1633 ff. _____9 BAG NJW 2005, 461. 10 BAG 2006, 461. _____11 BGH VersR 1963, 1224; NJW-RR 1989, 183. _____12 BGH NJW 1966, 1126; BGH NJW-RR 2006, 1208; OLG Dresden ZIP 1997, 730; OLG Stuttgart MDR 2010, _____285 (zur Unterbrechung bei Insolvenz des Gegners); a.A. OLG Köln NJW-RR 2003, 264.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ II. Eintritt der Unterbrechung ______ ______ 1. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens 3 ______führt zu dem in § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO bestimmten Zeitpunkt zur Unterbrechung des Ver______fahrens,13 ohne dass es auf die Kenntnis des Gerichts oder des Prozessgegners an______kommt.14 Gemäß § 240 Satz 2 gilt dasselbe, wenn nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein vorläufi______ger Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ______über das Vermögen des Schuldners übergeht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO).15 Anders ist es al______lerdings, soweit dem Schuldner nur ein Zustimmungsvorbehalt auferlegt wird (§ 21 ______Abs. 2 Nr. 2 InsO); denn in diesem Fall bleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ______noch beim Schuldner.16 Die Unterbrechung ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Sie ______hängt nicht davon ab, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig war17 oder ob der ______Eröffnungsbeschluss angefochten wird (§§ 34, 3 InsO). Ergeht trotz der Unterbrechung ______ein Urteil, ist dies nicht nichtig. Der Verfahrensverstoß muss mit einem Rechtsmittel gel______tend gemacht werden, das von jeder Partei eingelegt werden kann.18 Der Insolvenzver______walter kann das Urteil auch dann anfechten, wenn er sich die Aufnahme des Rechts______streits vorbehält.19 ______ Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland erfasst gemäß Art. 102 4 ______Abs.1 EGInsO das im Inland befindliche Vermögen des Schuldners. Geht nach dem Recht ______des Staates, in dem das Insolvenzverfahren stattfindet, die Prozessführungsbefugnis auf ______den Insolvenzverwalter über, wird ein Prozess über das Inlandsvermögen des Schuld______ners unterbrochen. Auch die weiteren Wirkungen auf den Prozess – einschließlich der ______Aufnahme – richten sich nach deutschem Prozessrecht.20 ______ ______ 5 2. Verfahrensstand. Unterbrochen werden Prozesse, die rechtshängig und noch ______anhängig, d.h. nicht rechtskräftig abgeschlossen sind.21 Der Unterbrechungsgrund hin______dert nicht den Eintritt der Rechtshängigkeit.22 Die Klage des Insolvenzschuldners kann ______und muss trotz Eröffnung noch zugestellt werden, auch wenn sie sich als unzulässig ______erweist. Sie ist zur Hemmung der Verjährung geeignet. Ist vor der Eröffnung des Insol______venzverfahrens eine Klage gegen den Schuldner eingereicht worden, wird die Rechts______hängigkeit erst durch Zustellung an ihn begründet. Eine Zustellung an den Insolvenz______verwalter ist unzulässig23 und macht ihn nicht zur Partei.24 Auch in diesem Fall wird das ______Verfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen, da es zu ______diesem Zeitpunkt noch nicht rechtshängig war. In welchem Stadium das (rechtshängige) ______Verfahren schwebt, ist gleichgültig.25 Die Unterbrechung tritt auch ein, wenn es nur noch ______ ______ ______13 Zur Unterbrechung im seerechtlichen Verteilungsverfahren s. BGHZ 104, 215 = NJW 1988, 3092. 14 OLG Nürnberg OLGZ 1982, 380. ______15 BGH BGH-Report 2004, 1446. Zur früheren Rechtslage s. BGH NJW-RR 1987, 1276 = MDR 1988, 124; ______OLG Schleswig KTS 1989, 925 m. abl. Anm. Wessel. ______16 BGH NJW 1999, 2822. ______17 RGZ 136, 97, 99; s. auch unten Rdn. 16. ______18 BGH NJW 1995, 2563. 19 BGH NJW 1997, 1445. ______20 BGH ZIP 1998, 659 ff.; zur früheren Rechtslage bei Geltung der KO s. BGH WM 1998, 43. ______21 Nach BGHZ 9, 308 = NJW 1958, 1144 wird die Frist nach § 234 Abs. 1 analog §§ 240, 249 durch die ______Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen; s. auch Erl. zu § 234 Rdn. 3, 14. ______22 S. auch Erl. zu § 239 Rdn. 2. 23 OLG Nürnberg KTS 1969, 249, 251 m. Anm. Uhlenbruck KTS 1969, 252. ______24 BGHZ 127, 156 = NJW 1994, 3232 mit Anm. Schmidt NJW 1995, 911. ______25 Auch im Revisionsverfahren ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen: BGH NJW ______1975, 442; BGHZ 82, 209, 218 = NJW 1982, 883, 886; BGHZ NJW 1988, 3092.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____um die Kosten des Verfahrens geht, etwa in den Fällen der §§ 91 a,26 99 Abs. 2, 269 Abs. 3 _____Satz 2 (selbständiger Kostenstreit). Ist der Hauptstreit z.Zt. der Eröffnung des Insolvenz_____verfahrens anhängig, bleibt hingegen der Kostenpunkt bei der Beurteilung der Frage, ob _____der Prozess die Insolvenzmasse betrifft, außer Betracht.27 Ein nachfolgendes Kostenfest_____setzungsverfahren wird ebenfalls unterbrochen.28 _____ Der Eintritt eines erledigenden Ereignisses ändert noch nichts daran, dass die Haupt- 6 _____sache anhängig bleibt. Geben die Parteien beiderseitig Erledigungserklärungen vor _____Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, wird der Rechtsstreit unterbrochen. Denn die _____Verfahrenskosten, über die noch zu entscheiden ist, betreffen die Insolvenzmasse. Ist die _____Kostenentscheidung verkündungsreif, kann sie ungeachtet des Insolvenzverfahrens er_____gehen, § 249 Abs. 3. Im Falle der einseitigen Erledigungserklärung durch den Kläger _____tritt Unterbrechung ein, falls die Hauptsache die Insolvenzmasse betrifft. Wird die _____streitbefangene Forderung abgetreten und danach über das Vermögen des Zedenten das _____Insolvenzverfahren eröffnet, geht das Prozessführungsrecht des Zedenten (§ 265 _____Abs. 2 ZPO)29 auf den Insolvenzverwalter über. Das gilt jedenfalls unter der Vorausset_____zung, dass die Insolvenzmasse nach der materiellen Rechtslage durch den Streit um die _____abgetretene Forderung berührt wird.30 Dies ist z.B. der Fall, wenn der Schuldner die For_____derung nur erfüllungshalber an den Zessionar abgetreten hat, dieser also seine Forde_____rung gegen die Insolvenzmasse geltend machen könnte, falls die Befriedigung aus der _____erfüllungshalber abgetretenen Forderung scheitert. Ob ein Vermögensnachteil für die _____Masse tatsächlich eintritt, kann für die Anwendung des § 240 nicht maßgebend sein. _____Unterbrechung muss angenommen werden, wenn ein Vermögensnachteil aus Rechts_____gründen möglich ist und die Masse träfe. _____ _____ 3. Voraussetzungen der Unterbrechung _____ _____ a) Parteistellung. Die Unterbrechung tritt nur ein, wenn der Schuldner formell Par- 7 _____tei in dem rechtshängigen Verfahren ist. Dies gilt auch bei gewillkürter Prozessstand_____schaft.31 Führt die Partei den Prozess als Nachlassverwalter, Insolvenzverwalter oder _____Testamentsvollstrecker, wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das _____eigene Vermögen der Partei der Prozess über das verwaltete Vermögen nicht unterbro_____chen. Bei einfacher Streitgenossenschaft (§ 61) wirkt die Unterbrechung singulär, d.h. _____nur im Verhältnis des vom Insolvenzverfahren betroffenen Streitgenossen zu seinem _____Prozessgegner, nicht jedoch in Bezug auf die übrigen Streitgenossen.32 Bei notwendiger _____Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) muss in der Regel einheitlich entschieden werden, so _____dass auch das Verfahren der übrigen Streitgenossen zum Stillstand kommt (s.a. § 239 _____Rdn. 3).33 _____ Wird die streitbefangene Forderung nach Rechtshängigkeit abgetreten und führt 8 _____der Zedent den Prozess gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 weiter, wird das Verfahren durch die _____ _____ _____26 BGH BGH-Report 2004, 1446; Wosgien Konkurs und Erledigung in der Hauptsache, S. 5 ff. _____27 RGZ 16, 358, 360; KG NJW-RR 1991, 41 = ZIP 1990, 1144. 28 BGH MDR 2006, 55. _____29 RGZ 66, 181. _____30 BGHZ 50, 397 = JZ 1969, 235 m. Anm. Grunsky = LM § 240 ZPO Nr. 14/15 m. Anm. H. Schneider = NJW _____1969, 48; OLG Koblenz ZIP 1995, 1033. _____31 Zur Insolvenz des Sicherungsgebers, der eine sicherungshalber abgetretene Forderung im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft geltend macht, s. Vollkommer MDR 1998, 1269. _____32 BGH NJW-RR 2003, 1002 (Teilurteil gegen die übrigen Streitgenossen zulässig). _____33 OLG Frankfurt ZIP 2001, 1884; OLG Koblenz MDR 2010, 281 (auch zur Anfechtung der _____Aussetzungsentscheidung).

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Zessionars nicht unterbro______chen.34 ______ Ist eine OHG oder KG Partei (§§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB), führt die Eröffnung des 9 ______Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters nicht zur Unterbrechung, ______da das Verfahren nicht das Gesellschaftsvermögen betrifft.35 Ist dagegen der Gesellschaf______ter Partei und wird er für eine Gesellschaftsschuld persönlich in Anspruch genommen, ______wird der Rechtsstreit durch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft ______unterbrochen. Denn gemäß § 93 InsO kann die persönliche Haftung des Gesellschafters ______während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht ______werden. Bei der Inanspruchnahme eines Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen ______Rechts für eine Gesellschaftsschuld folgt die Unterbrechung aus einer entsprechenden ______Anwendung von § 17 Abs.1 Satz 1 AnfG.36 Dasselbe bei der Insolvenz einer Kommanditge______sellschaft für Rechtsstreitigkeiten von Altgläubigern gegen Gesellschafter, die Komman______ditisten geworden sind und aus ihrer ehemals unbeschränkten Haftung in Anspruch ______genommen werden.37 ______ 10 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass unterbricht den Prozess, ______wenn der Erbe als solcher Partei ist,38 gleichviel, ob er von vornherein oder als Rechts______nachfolger des Erblassers (§ 239) Partei geworden ist. Ist der Rechtsstreit schon gemäß ______§ 239 unterbrochen, kann er, solange das Insolvenzverfahren fortdauert, nur nach § 240 ______aufgenommen werden, weil diese Vorschrift den Regeln des § 239 vorgeht. Nach Beendi______gung des Verfahrens gilt aber wieder § 239. ______ 11 Der Nebenintervenient (§ 67) ist auch im Sinne des § 240 nicht Partei; die Eröff______nung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen unterbricht den Prozess nicht39 (siehe ______Erl. zu § 67, 80 ff., § 239 Rdn. 3). ______ ______ b) Auswirkung auf die Insolvenzmasse. Unterbrochen wird nur das Verfahren, 12 ______das „die Insolvenzmasse betrifft“. Diese ist betroffen, wenn der Streitgegenstand als Ak______tivum oder als Passivum ganz oder anteilmäßig zur Masse gehört,40 unabhängig davon, ______ob der Schuldner Kläger oder Beklagter ist. Die Beziehung kann sich als unmittelbare ______oder als mittelbare41 darstellen, wie z.B. bei einer vorbereitenden Feststellungsklage42 ______oder bei einer Klage auf Rechnungslegung, sofern der Hauptanspruch die Masse be______rührt.43 Es kommt nicht darauf an, ob die Forderung eines Insolvenzgläubigers berech______tigt ist. Die Unterbrechung tritt auch dann ein, wenn der Kläger in gewillkürter Pro______zessstandschaft klagt und die Masse durch den Verfahrensgegenstand berührt wird.44 ______Auch Verfahren, welche in Aussonderungs- (§§ 47, 48 InsO) oder Absonderungsstreite ______(§§ 49 ff. InsO) übergehen, werden unterbrochen. Unerheblich ist, ob der Gläubiger sich ______ ______ ______34 BGH NJW 1998, 156. ______35 RGZ 34, 360, 363; RGZ 51, 54. ______36 BGH NJW 2003, 590. ______37 BGH NJW-RR 2009, 343. ______38 KG OLG Rspr. Bd. 1 (1900), 445; OLG Kassel ZZP 40 (1910), 324; BayObLGZ 1973, 283, 285; OLG München NJW-RR 1996, 228, 229. ______39 OLG Hamburg NJW 1961, 610; OLG Düsseldorf MDR 1985, 504. ______40 Eine nur wirtschaftliche Beziehung zur Masse reicht nicht aus – BGH MDR 2004, 1251, 1252. ______41 Stein/Jonas/Roth Rdn. 11. ______42 BGH LM § 146 KO Nr. 4; BAG NJW 1984, 998 = AP Nr. 3 zu § 240 ZPO m. Anm. Walchshöfer. 43 LG Düsseldorf BB 1977, 1673; Stein/Jonas/Roth Rdn. 6. Nicht zur Masse gehört z.B. ein Streit über ______Wirksamkeit eines Beschlusses über die Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers, sofern das ______Insolvenzverfahren das Vermögen der Gesellschaft betrifft, vgl. OLG München DB 1994, 1464. ______44 OLG Düsseldorf JMBlNrw 1976, 42; s auch oben Rdn. 7.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____an dem Insolvenzverfahren demnächst beteiligt oder nicht. Ein Teilnahmeverzicht kann _____erst mit Insolvenzeröffnung wirksam werden.45 Zum Kostenstreit s.o. Rdn. 5 f. _____ Sind mehrere Ansprüche in einer Klage verbunden (objektive Klagenhäufung, 13 _____§ 260), von denen nicht alle die Insolvenzmasse betreffen, wird der Prozess nur teilweise _____unterbrochen. Wird ein Anspruch durch die Insolvenzeröffnung „aufgeteilt“ (Unterlas_____sungsanspruch, der die Insolvenzmasse und die Rechtsstellung des Schuldners außer_____halb des Insolvenzverfahrens betrifft), tritt Unterbrechung im Ganzen ein.46 Soweit die _____insolvenzfreie Rechtsstellung des Schuldners betroffen ist, kann er den Rechtsstreit _____selbst aufnehmen, im Übrigen nur, wenn der Insolvenzverwalter die Aufnahme ablehnt _____(§ 85 Abs. 2 InsO).47 _____ _____ aa) Einzelne Verfahren, die die Insolvenzmasse betreffen: 14 _____– Leistungsklagen, die sich auf die Insolvenzmasse auswirken können. Dazu gehört _____ auch der Fall, dass der Gläubiger die verlangte Leistung auf Grund eines vorläufig _____ vollstreckbaren Urteils bereits beigetrieben hat. Denn die Masse kann durch Ansprü_____ che aus § 717 Abs. 2, 3 geschmälert werden.48 § 240 ist analog anzuwenden, wenn der _____ Schuldner den zur Masse gehörenden Pflichtteilsanspruch gerichtlich verfolgt;49 _____– Gestaltungsklagen, soweit sie massebezogen sind. Der Insolvenzverwalter kann _____ eine vom Schuldner gegen einen anderen Gesellschafter erhobene Ausschließungs_____ klage weiterbetreiben. Hat der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens _____ Klage auf Auflösung einer OHG erhoben, ist der Prozess durch die Eröffnung in der _____ Hauptsache erledigt, weil die Gesellschaft hierdurch aufgelöst wird (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 _____ HGB). Der Prozess wird unterbrochen und kann wegen der Kosten aufgenommen _____ werden; _____– Feststellungsklagen, wenn die Feststellung der Massezugehörigkeit oder der _____ Nichtzugehörigkeit eines Rechts begehrt wird oder wenn das Feststellungsinteresse _____ sich auf die Masse bezieht;50 _____– Unterlassungsklagen, wenn der Schuldner ein Recht geltend macht, das in die In_____ solvenzmasse fällt; im Falle der Klage gegen den Schuldner nur, wenn Vermögensin_____ teressen des Betriebes berührt werden, der in die Insolvenzmasse fällt;51 _____– Auskunftsklagen gegen den Insolvenzschuldner, soweit die Auskunft die Insol_____ venzmasse betrifft; dies ist z.B. der Fall, wenn der Kläger den Anspruch als un_____ selbständigen Nebenanspruch neben einem Hauptanspruch verfolgt;52 _____– Gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklagen, deren Ausgang den Massebestand _____ berühren;53 _____ _____ _____ 45 Stein/Jonas/Roth Rdn. 7 Fn. 18 m.w.N. _____46 RGZ 151, 282; BGH NJW 1966, 51. _____47 BGH NJW 1966, 51. _____48 KG OLGZ 1977, 364; a.A. OLG Celle OLGZ 1969, 368. _____49 Kuchinke NJW 1994, 1769, 1772 a.E. _____50 BGH LM Nr. 4 zu § 146 KO; BGH WM 1995, 838, 840 = NJW 1995, 1750; BAG NJW 1984, 998 = AP Nr. 3 zu § 240 ZPO m. Anm. Walchshöfer. _____51 Vgl. RGZ 45, 374 (Verstoß gegen das UWG); RGZ 89, 114 (Patent/Lizenz); RGZ 132, 362, 363 _____(patentrechtlicher Unterlassungsanspruch, drohende Schadensersatzforderung); BGH NJW 2010, 2213, _____2214 (gewerbliche Schutzrechtsverletzung einschließlich des daraus folgenden Schadensersatzanspruchs); _____Lehmann ZZP 38 (1909), 68; BGH NJW 1966, 51; Lobe ZZP 39 (1910), 493; K. Schmidt Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs, ZZP 90 (1977), _____38; Teplitzky Wettbewerbsrechtliche Ansprüche S. 296 ff. _____52 BGH NJW 1966, 51; BGHZ 155, 371, 380 = NJW 2003, 3060. _____53 BGHZ 32, 114, 121 = NJW 1960, 1006.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______– Gegen den Schuldner gerichtete Nichtigkeits-, Zurücknahme- und Zwangslizenz______ Verfahren nach §§ 81 ff., 99 Abs. 1 PatG. Umgekehrt stellt auch der Anspruch des ______ Schuldners auf Erklärung der Nichtigkeit eines Patents regelmäßig einen Vermö______ genswert dar, der zu seinem Gewerbebetrieb gehört.54 ______ ______ bb) Verfahren, die nicht die Insolvenzmasse betreffen: 15 ______– Prozesse über nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten; ______– Prozesse über insolvenzfreie Rechte des Schuldners (§§ 811 ff., 850 ff. i.V.m. § 36 ______ InsO), z.B. unpfändbare Unterhalts- und Lohnforderungen oder höchstpersönliche ______ Ansprüche;55 ______– Verfahren, in denen eine höchstpersönliche Leistung ohne Beziehung zum Ver______ mögen des Schuldners gefordert wird, z.B. Auskunft, Unterlassung;56 ______– Prozesse wegen eines Vermögensgegenstandes, den der Insolvenzverwalter schon ______ vor Klageerhebung freigegeben hat;57 ______– Prozesse wegen eines Anspruchs, hinsichtlich dessen der Gläubiger vor Klageerhe______ bung auf die Teilnahme an dem eröffneten Insolvenzverfahren verzichtet hat. Er ______ kann den unterbrochenen Rechtsstreit aufnehmen58 bzw. während des Insolvenzver______ fahrens Klage gegen den Schuldner erheben;59 ______– Klage eines Wettbewerbsvereins, der einen Unterlassungsanspruch nach § 13 Abs. 2 ______ Nr. 2 UWG geltend macht, da die Vermögenslage des Vereins durch die Hauptsache ______ nicht berührt wird;60 ______– Aktienrechtliche Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse gegen innere Gesellschafts______ angelegenheiten (z.B. Herabsetzung und Erhöhung des Grundkapitals, Wechsel in ______ den Personen der Aufsichtsratsmitglieder), welche die Verwaltung der Insolvenz______ masse nicht berühren.61 ______– Streitigkeiten über vermögensmäßig neutrale Gesellschafterbeschlüsse bei Eröff______ nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (z.B. über die ______ Wirksamkeit der Abberufung eines GmbH Gesellschafters);62 ______– Klage gegen den Insolvenzschuldner auf Erteilung einer sog. Drittauskunft im Rah______ men eines Wettbewerbsprozesses.63 ______ ______ 4. Entscheidung über die Unterbrechung. Das Gericht kann durch Zwischenurteil 16 ______darüber entscheiden, dass eine Unterbrechung des Verfahrens durch Eröffnung des Insol______venzverfahrens gemäß § 240 oder § 17 AnfG eingetreten ist. Dieses Zwischenurteil kann der ______Kläger wie ein Endurteil anfechten, wenn es trotz seiner Bezeichnung als Zwischenurteil ______im Ergebnis eine abschließende Entscheidung trifft. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein klagen______der Gläubiger geltend macht, der erhobene Anspruch betreffe nicht die Insolvenzmasse ______und sei nicht auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem AnfG gerichtet64 oder die ______ ______ ______54 RGZ 141, 427; BGH ZIP 1995, 414 m.w.N. ______55 Dazu, dass ein Kündigungsschutzprozess durch das Verbraucherinsolvenzverfahren nicht ______unterbrochen wird s. BAG NJW 2010, 955. 56 RGZ 134, 377, 379. ______57 BAG NJW 1984, 998; s. weiter Rdn. 24. ______58 BGHZ 72, 234, 235 = NJW 1979, 162; NJW 1996, 2035; OLG Frankfurt, MDR 1980, 856. ______59 BGHZ 25, 395 = NJW 1958, 23 = LM Nr. 1 zu §12 KO m. Anm. Rietschel. ______60 KG NJW-RR 1991, 41 = ZIP 1990, 1144; zweifelnd Teplitzky Wettbewerbsrechtliche Ansprüche S. 297 ff. 61 RGZ 76, 244, 247. ______62 OLG München DB 1994, 1464. ______63 BGH NJW 2010, 2213, 2214. ______64 BGH NJW 2005, 290 = MDR 2005, 345.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____Unterbrechung betreffe nicht ihn, sondern nur seinen Streitgenossen.65 Denn andernfalls _____könnte er seinen Anspruch auf unbestimmte Dauer nicht durchsetzen, obwohl die Vor_____aussetzungen für eine Unterbrechung nicht vorliegen. Dasselbe gilt, wenn ein Kläger mit _____dem Urteil endgültig aus dem Prozess verwiesen wird,66 wenn mit dem Urteil nach einer _____bereits stattgefunden Unterbrechung festgestellt wird, dass der Kläger endgültig daran _____gehindert ist, den Prozess wieder aufzunehmen. Entscheidet das Gericht anstatt durch _____Zwischenurteil fehlerhaft durch Beschluss, ist hiergegen nach dem Grundsatz der Meist_____begünstigung neben der sofortigen Beschwerde auch die Berufung möglich (zum Meist_____begünstigungsprinzip s. Vor § 511 Rdn. 85 ff.).67 _____ _____ III. Ende der Unterbrechung _____ _____ 1. Beendigung des Insolvenzverfahrens _____ _____ a) Nicht aufgenommene Verfahren. Die Unterbrechung der nicht aufgenomme- 17 _____nen Verfahren endet nach § 240 von selbst durch (nicht zurückwirkende) Aufhebung _____des Insolvenzverfahrens nach §§ 200, 258 InsO bzw. durch die Aufhebung des Eröff_____nungsbeschlusses durch das Beschwerdegericht (§ 34 Abs. 3 InsO). Die Aufhebung wird _____wirksam, wenn der Beschluss nach §§ 200 Abs. 2, 258 Abs. 2, 34 Abs. 3 InsO i.V.m. § 9 _____Abs. 1 Satz 3 InsO als bekannt gemacht gilt.68 Die Einstellung des Verfahrens nach _____§§ 207 ff. InsO steht der Aufhebung gleich.69 Für das Ende der Unterbrechung ist in diesen _____Fällen die Bekanntmachung gemäß § 9 Abs. 1 InsO maßgeblich; auf die Rechtskraft des _____Beschlusses kommt es nicht an. Im Falle der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses im _____Beschwerdeverfahren (§ 34 Abs. 2 InsO) endet die Unterbrechung mit Wirksamwerden _____des Beschlusses gemäß § 6 Abs. 3 InsO (Eintritt der Rechtskraft oder Anordnung der so_____fortigen Wirksamkeit) ex nunc.70 Der Schuldner kann die Prozesse ohne weiteres fortfüh_____ren; einer Aufnahme bedarf es nicht. Die Fristen beginnen von Neuem zu laufen. _____ _____ b) Vom Insolvenzverwalter geführte Prozesse. Mit der Beendigung des Insol- 18 _____venzverfahrens verliert der Verwalter grundsätzlich die Prozessführungsbefugnis für die _____Masse.71 Die Verwaltungsbefugnis des Schuldners lebt wieder auf oder die Prozessbefugnis _____geht auf einen Zessionar über.72 Ausnahmsweise besteht sie fort, wenn die streitbefangene _____Forderung (auch ein Rückgewähranspruch nach § 143 InsO) einer Nachtragsverteilung _____nach § 203 InsO vorbehalten ist.73 Andere Prozesse um die Masse, die bei Beendigung des _____Insolvenzverfahrens noch rechtshängig sind, können nach früher herrschender, nament_____lich vom Reichsgericht74 vertretener Auffassung sogleich vom Schuldner fortgesetzt wer_____ _____ _____65 OLG Koblenz MDR 2010, 281. _____66 BGH NJW 2004, 2983 = WM 2004, 1656. _____67 OLG Koblenz MDR 2010, 281. _____68 BGHZ 64, 1 = NJW 1975, 692 (zum früheren § 76 Abs. 1 Satz 2 KO). _____69 Zur früheren Regelung in §§ 202, 204 KO: RGZ 122, 51, 55; BGHZ 36, 258, 262 = NJW 1962, 589; BGHZ 64, 1 = NJW 1975, 692; NJW-RR 1989, 183; BGH NJW 1990, 1239 (auch zur anwaltlichen Sorgfaltspflicht im _____Hinblick auf § 233). _____70 BGH WM 1985, 750. _____71 Das ist auch in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen: BGHZ 28, 13 = NJW 1958, 1683; BGHZ 83, _____102. 72 BGH NJW 1992, 2894. _____73 RGZ 28, 68, 70; 32, 72, 74; BGH NJW 1973, 1198, 1199; BGHZ 83, 102 = NJW 1982, 1765; Uhlenbruck ZIP _____1993, 241, 245 f. _____74 RGZ 47, 372; 58, 369, 371; 73, 312, 314; 79, 27, 29.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______den, es sei denn, dass es sich um einen Anfechtungsprozess handelt, für den es keine ______Rechtsnachfolge gibt.75 In einer späteren Entscheidung hat das RG bei Wegfall des Ver______waltungsrechts des Testamentsvollstreckers Unterbrechung nach § 239 angenommen.76 ______Der Gesetzeszweck des § 239, den Parteien Zeit zur Einstellung auf eine veränderte Lage ______zu gewähren, erfordert es, auch für den Fall der Beendigung des Insolvenzverfahrens ______Unterbrechung analog §§239, 242 anzunehmen,77 die erst durch Aufnahme endet (s. dazu ______auch § 239, 8 und § 241, 14). War der Insolvenzverwalter durch einen Anwalt vertreten, ______kann das Verfahren auf Antrag gemäß § 246 ausgesetzt werden.78 Die vom Insolvenzver______walter erteilte Vollmacht bleibt analog § 86 bestehen.79 ______ ______ 2. Aufnahme des Verfahrens. Die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens 19 ______eingetretene Unterbrechung endet durch Aufnahme in der Form des § 250. Wegen der ______Voraussetzungen der Aufnahme verweist § 240 auf die für das Insolvenzverfahren gel______tenden Vorschriften (§§ 85 ff. InsO). Eine automatische Beendigung der Unterbrechung ______findet nicht statt.80 ______ ______ a) Allgemeine Verfahrensregeln. Nach der Aufnahme (§ 250)81 hat das Gericht von 20 ______Amts wegen82 zu prüfen, ob die insolvenzrechtlichen Aufnahmevoraussetzungen vorlie______gen. Denn es geht um die Prozessführungsbefugnis (§ 56). Auch in der Revisionsinstanz ______kann das unterbrochene Verfahren aufgenommen und der Klageantrag der veränderten ______Sachlage angepasst werden.83 Im Streitfall kann das Gericht ein feststellendes Zwischen______urteil erlassen, das nach § 280 Abs. 2 Satz 1 selbständig mit dem statthaften Rechtsmittel ______anfechtbar ist.84 Es kann die Frage aber auch in den Gründen des Endurteils erledigen. ______Das die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters verneinende Urteil ist diesem ______gegenüber ein Endurteil und nach den allgemeinen Regeln anfechtbar. Kommt es zur ______Aufnahme, wird die Kostenverbindlichkeit aus dem Prozess zur Masseschuld (§ 55 ______Abs. 1 Nr. 1 InsO), und zwar auch die vor der Unterbrechung entstandene.85 ______ 21 Die Aufnahme gestaltet sich verschieden, je nach dem, um welche Prozessart es sich ______handelt. Dabei ist die Parteirolle des Schuldners nicht ausschlaggebend.86 Es kommt ______darauf an, wie sich das Prozessergebnis auf den Bestand der Masse auswirkt. Danach ______sind zu unterscheiden: ______ ______ ______ ______75 BGHZ 83, 102 = NJW 1982, 1765. Nur im Kostenpunkt (§ 91 a) kann der Rechtsstreit für und gegen den ______Schuldner fortgesetzt werden: RGZ 52, 330. ______76 RGZ 155, 350, 353 m. Anm. Jonas JW 1937, 3249; BGH NJW 1964, 2301. ______77 De Boor Zur Lehre vom Parteiwechsel und vom Parteibegriff, FS H. Siber, S. 48 f.; Bötticher FS Laun (1948) 295, 303; Stein/Jonas/Roth Rdn. 39; a.A. Voraufl. Anm. F II, F II b 1 unter Hinweis auf § 241 (der für ______den Fall, dass die gesetzliche Vertretung endet, keine Unterbrechung vorsieht); Grunsky Die Veräußerung ______der streitbefangenen Sache, S. 95 ff., nimmt hier einen Fall des § 265 an. ______78 OLG Köln ZIP 1987, 1004. ______79 RGZ 73, 312, 314; Stein/Jonas/Roth Rdn. 33. Hatte der Insolvenzverwalter sich selbst als Anwalt ______vertreten, ist § 246 nicht anwendbar; s. § 246 Rdn. 4. 80 BGH NJW-RR 2010, 1351. ______81 Zu den Anforderungen an die Aufnahmeerklärung des Insolvenzverwalters BGH WM 1983, 401 = ZIP ______1983, 592. ______82 RGZ 86, 394, 396. ______83 BAG AP Nr. 7 zu § 91 a ZPO m. Anm. Vollkommer; BGH WM 1965, 626; BGH ZIP 1980, 23. Eine weitergehende Antragsänderung ist jedoch unzulässig, s. BGHZ 105, 34 = NJW 1989, 170. ______84 Stein/Jonas/Leipold Vor § 50, 21; s. auch § 239, 17. ______85 BAG AP Nr. 7 zu § 91 a ZPO m. Anm. Vollkommer. ______86 RGZ 134, 379.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____– Aktivprozesse über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen, § 85 InsO; _____– Passivprozesse, § 86 InsO, welche auf Aussonderung eines Gegenstandes aus der _____ Insolvenzmasse (§§ 47, 48 InsO) oder auf abgesonderte Befriedigung (§§ 49 ff. InsO) _____ gerichtet sind oder mit denen ein Masseanspruch (§§ 53 ff. InsO) verfolgt wird; _____– Passivprozesse zur Schuldenmasse (Schuldenmassestreit), die Insolvenzforde_____ rungen im Sinne von §§ 35, 38 InsO betreffen. _____ _____ b) Aktivprozesse. Aktivprozesse sind Verfahren, in denen Vermögensrechte zu- 22 _____gunsten des Schuldners geltend gemacht werden.87 Sie können nach § 85 Abs. 1 Satz 1 _____InsO zunächst nur vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Meistens wird er _____dann Kläger oder Widerkläger sein. Im negativen Feststellungsstreit und bei der Unter_____lassungsklage88 muss er dagegen Beklagter sein. Maßgeblich ist, für und gegen wen der _____Rechtsstreit nach Art und Inhalt sachlich anhängig ist.89 Ist der Schuldner bereits vorläu_____fig vollstreckbar verurteilt worden und hat er zur Abwendung der Zwangsvollstreckung _____gezahlt, schlägt der ursprüngliche Passivprozess in einen Aktivprozess um, da es dem _____Insolvenzverwalter in der Rechtsmittelinstanz darum geht, die Teilungsmasse zu vergrö_____ßern.90 Ob in dem Verfahren sogleich die Anträge nach § 717 Abs. 2, 3 ZPO gestellt wer_____den, ist nicht maßgeblich. Entsprechendes gilt für Verfahren nach §§ 302 Abs. 4 Satz 2 _____bis 4, 600 Abs. 2. _____ Verzögert der Insolvenzverwalter die Aufnahme, indem er sie nicht nach angemes- 23 _____sener Frist erklärt, kommen nach § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO die Bestimmungen des § 239 zur _____entsprechenden Anwendung. Der Gegner kann Ladung zur Aufnahme und zugleich zur _____Verhandlung der Hauptsache beantragen. Der Schriftsatz ist nur dem Insolvenzverwalter _____persönlich zuzustellen, auch wenn der Schuldner anwaltlich vertreten war91 (s. § 239, _____30). Im Fall der Säumnis des geladenen Insolvenzverwalters kann, sofern die Aufnah_____melast zu bejahen ist, Versäumnisurteil zur Hauptsache ergehen.92 Die aus den Prozess_____handlungen des Insolvenzverwalters entstehenden Kostenschulden sind Masseverbind_____lichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. _____ Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme ab, gibt er den Prozessgegenstand 24 _____damit regelmäßig aus der Masse frei.93 Der Gegenstand wird freies Vermögen des Schuld_____ners.94 Die Erklärung bedarf keiner bestimmten Form. Sie stellt eine außerprozessuale _____Willenserklärung dar, die gegenüber dem Schuldner oder der anderen Partei abgegeben _____werden kann. Sie ist auch dann noch möglich, wenn der Insolvenzverwalter zunächst _____den Streit aufgenommen hatte.95 Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters in Bezug _____auf den streitbefangenen Gegenstand, z.B. ein außergerichtlicher Verzicht, bleiben wirk_____sam.96 In der Abtretung der Forderung durch den Insolvenzverwalter an einen Dritten ist _____ _____ 87 Dazu rechnen auch Kostenforderungen aufgrund eines Beschlusses gem. § 91 a (s. Wosgien S. 27 ff.) _____sowie Pflichtteilsansprüche (s. Kuchinke NJW 1994, 1769, 1772 a.E. sowie oben Rdn. 14). _____88 RGZ 134, 377, 379; BGH NJW 1966, 51. _____89 RGZ 73, 276, 277; BGH NJW-RR 1986, 672, 673. _____90 RGZ 86, 394; BGHZ 36, 258, 260, 264 = NJW 1962, 589; BGH WM 1986, 295; BGH NJW 1995, 1750; KG _____OLGZ 77, 364; OLG Hamm MDR 1985, 682; a.A. OLG Celle, OLGZ 69, 368, das die Unterbrechung nach § 240 verneint. _____91 RGZ 118, 158, 161. _____92 RGZ 58, 202, 203; DR 1941, 2072. _____93 RGZ 70, 368; RGZ 94, 55; RGZ 122, 51, 57; RGZ 127, 97, 200; zur Auslegung einer Erklärung BGH MDR _____1969, 389 = LM § 10 KO Nr. 6. „Freigabe der Prozessführung“ reicht nicht aus: BGH NJW 1973, 2065 = MDR 1974, 38. _____94 RGZ 79, 28; BGH NJW 1966, 51. _____95 RGZ 79, 27, 30. _____96 Stein/Jonas/Roth Rdn. 16.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______keine Freigabe zu sehen97 (zur Wirkung der Freigabe s. unten Rdn. 31 f.). Gegner (Beklag______ter) wie Schuldner können den Prozess aufnehmen, § 85 Abs. 2 InsO, letzterer auch ______dann, wenn es sich um eine Handelsgesellschaft handelt.98 Der Beklagte wird dann mit ______einem ihm erwachsenden Kostenerstattungsanspruch meist leer ausgehen. ______ ______ c) Passivprozesse. Passivprozesse, in denen Aussonderungs- (§§ 47, 48 InsO), Ab25 ______sonderungs- (§§ 49 ff. InsO) oder Masseschuldansprüche (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO)99 gel______tend gemacht werden, können nach § 86 InsO jederzeit sowohl vom Insolvenzverwalter ______als auch vom Gegner aufgenommen werden. Nimmt der Gegner auf, ist der Schriftsatz ______dem Insolvenzverwalter (§ 250) und nicht dem Prozessbevollmächtigten des Schuldners ______zuzustellen. Die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Schuldners genügt auch ______dann nicht, wenn dieser später das Mandat vom Insolvenzverwalter erhält.100 Der Schuld______ner kann den Rechtsstreit nur aufnehmen, wenn der Insolvenzverwalter den streitbefan______genen Gegenstand freigibt.101 Nach § 86 InsO zu behandelnde Ansprüche können sich ______auch nachträglich im Laufe eines Prozesses ergeben und dann durch Klageänderung ______geltend gemacht werden.102 Für ein Säumnisverfahren gegen den widersprechenden In______solvenzverwalter, wonach der Streit für aufgenommen erklärt werden soll, bleibt regel______mäßig kein Raum.103 ______ 26 Der Insolvenzverwalter kann sich von der Kostenlast gemäß § 86 Abs. 2 InsO befrei______en, und zwar durch ein sofortiges Anerkenntnis. Die Kostenforderung des Gläubigers ist ______dann keine Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern einfache Insolvenzforde______rung.104 Liegen außerdem die Voraussetzungen des § 93 vor, weil auch der Schuldner ______keine Veranlassung zur Klage gegeben hat, fallen die Kosten dem Gläubiger zur Last. ______ ______ 27 d) Passivprozesse zur Schuldenmasse (Schuldenmassestreit). Verfahren, bei ______denen es um Insolvenzforderungen i.S.v. §§ 35, 38 InsO geht, können zunächst nicht auf______genommen werden. Solche Forderungen muss der Gläubiger vielmehr grundsätzlich105 ______im Insolvenzverfahren nach §§ 87, 174 InsO anmelden. Alsdann muss er das Ergebnis der ______Prüfung abwarten.106 Erfolgt die Eintragung in die Tabelle ohne Widerspruch, erledigt ______sich dadurch der Prozess, da die Eintragung wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber ______dem Insolvenzverwalter wirkt und der Gläubiger damit einen vollstreckbaren Titel erhält ______(§ 178 Abs. 3 InsO).107 Bestreitet nur der Schuldner den Anspruch, kann der Rechtsstreit ______gegen diesen aufgenommen werden (§ 184 Satz 2 InsO). Wird der Anspruch vom Insol______ ______ ______97 BGH NJW 1990, 1239 = ZIP 1989, 1411. ______98 Bislang ganz h.M.; vgl. LG Osnabrück NdsRpfl. 1993, 364 m. Anm. zust. Anm. Pape EWiR 1994, 165; ______dagegen grundsätzlich K. Schmidt KTS 1994, 309. 99 Zur Geltendmachung einer bevorrechtigten Insolvenzforderung bei Rechtshängigkeit einer ______Kündigungsschutzklage BGHZ 105, 34 = NJW 1989, 170. ______100 BGH ZIP 1999, 75. ______101 BGH NJW 1973, 2065. ______102 RGZ 86, 235, 240. ______103 RG ZZP 62 (1941), 89. Nach der Voraufl. Anm. G IV a kommt ein entsprechendes Versäumnisurteil bei Aufnahme „zwischen den Instanzen“ in Betracht. ______104 OLG Königsberg, SeuffArch 59, 113; OLG München KTS 1987, 327. ______105 Zur Behandlung von Kostenforderungen aufgrund eines Beschlusses gem. § 91 a s. Wosgien S. 8 ff., ______15 ff. ______106 RGZ 86, 394; JW 1931, 2104 Nr. 12; BGH DB 1954, 61 BAG WM 1983, 1141 = ZIP 1983, 1095 = AP Nr. 3 zu § 240 ZPO m. Anm. Walchshöfer (Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Versorgungszusage); OLG ______Nürnberg ZIP 1982, 476 (Anerkenntnis durch KV ohne Aufnahme); zur Nachholung der Anmeldung und ______Prüfung während des Revisionsverfahrens BGH LM § 61 KO Nr. 2, 3. ______107 BGH NJW 1961, 1066.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 240

_____venzverwalter oder von einem anderen Gläubiger bestritten und der Widerspruch nicht _____beseitigt, ist nach § 179 InsO zu verfahren. Gemäß §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 2 InsO kann der _____Gläubiger das Verfahren gegen den Widersprechenden (der die Parteistellung des _____Schuldners übernimmt) aufnehmen, nicht aber der Insolvenzverwalter.108 Die rügelose _____Einlassung des Gläubigers gegenüber der an sich unzulässigen Aufnahme durch den _____widersprechenden Insolvenzverwalter hat heilende Wirkung.109 Der Klageantrag ist auf _____Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle zu richten.110 Im Falle des § 157 VVG _____kann der Geschädigte ohne den Umweg über das Insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren _____mit dem Ziel der Befriedigung an der Versicherungsforderung gegen den Insolvenzver_____walter klagen.111 _____ Besitzt der Gläubiger eine (vorläufig oder endgültig vollstreckbare) titulierte Forde- 28 _____rung, muss nach § 179 Abs. 2 InsO der Widersprechende die Aufnahme bewirken und _____seinen Widerspruch mit den zulässigen prozessualen Mitteln (Feststellungsantrag)112 _____verfolgen. Anmeldung und Prüfung sind auch hier notwendige Prozessvoraussetzun_____gen.113 Der Gläubiger, der die Forderung zur Insolvenztabelle feststellen lassen will, kann _____die Aufnahme nicht nach § 239 Abs. 2 erzwingen. Vielmehr kann er ebenfalls den Rechts_____streit nach § 250 aufnehmen, ohne abwarten zu müssen.114 Das gilt auch, wenn es um das _____für eine titulierte Forderung beanspruchte Vorrecht geht.115 Bestreitet der Insolvenzver_____walter nur das Vorrecht, kann und muss er seinen Widerspruch im Wege der Feststel_____lungsklage verfolgen.116 Unter § 179 Abs. 2 InsO fallen auch Feststellungsurteile, Vorbe_____haltsurteile (§§ 302, 599), Versäumnisurteile,117 Titel nach § 794, für vollstreckbar erklärte _____Schiedssprüche, nicht aber prozessuale Zwischenurteile nach § 304118 und Arrestbefeh_____le.119 Der Streitwert bestimmt sich nach § 182 InsO.120 _____ Mit der Aufnahme durch den Gläubiger endet die Unterbrechung. Der Klageantrag 29 _____ist umzustellen,121 und zwar auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle _____(§ 180 Abs. 2 InsO) bzw. auf Feststellung des bestrittenen Vorrechts zu richten. Er richtet _____sich nunmehr gegen den Insolvenzverwalter bzw. den bestreitenden Gläubiger. Daneben _____kann der Rechtsstreit gleichzeitig gegen den Schuldner aufgenommen werden, und zwar _____mit dem Antrag auf Zahlung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens.122 Bei der Um_____stellung der Klage handelt es sich nicht um eine Klageänderung, sondern um einen Fall _____des § 264 Nr. 3 ZPO.123 Eine Forderung, deren Gegenstand eine nicht in Geld bestehende _____ _____ _____ 108 RG RGZ 63, 361, 366; JW 1931, 2104 Nr. 12; BayObLGZ 73, 285. Dem Anmelder ist es verwehrt, eine _____neue Klage zu erheben: BGHZ 105, 34, 37 = NJW 1989, 170. _____109 Stein/Jonas/Roth Rdn. 20. _____110 Zur Auslegung eines unrichtigen Antrags und Tenors BGH ZIP 1994, 1193. _____111 BGH VersR 1956, 625; BGH VersR 1989, 730. 112 BAG AP Nr. 2 zum früheren § 146 KO m. Anm. Weber; BGH NJW 1965, 1523 (Änderung des _____Klageantrags auch in der Revisionsinstanz). _____113 BGH LM § 146 KO Nr. 1. Zu dem Fall, dass der Gläubiger aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren _____Titels bereits befriedigt ist s.o. Rdn. 22. _____114 RGZ 34, 409; 51, 94, 97; 86, 235, 237; JW 1938, 1537 Nr. 27; BGH NJW 1965, 1523; BAGE 60, 74 = AP _____Nr. 7 zu § 91 a m. Anm. Vollkommer; BAG SAE 1960, 74. 115 BGH LM § 61 KO Nr. 2, 3. _____116 RGZ 116, 368, 373 f. _____117 RGZ 50, 412, 415. _____118 RG JW 1931, 2104. _____119 RGZ 85, 64, 68. 120 Zu § 146 Abs. 6 KO s. BGH NJW-RR 1994, 1251 = BGH ZIP 1994, 1193. _____121 BGH NJW-RR 1994, 1251 = BGH ZIP 1994, 1193. _____122 BGH WM 1980, 164. _____123 BGH NJW 1962, 153, 154; OLG Hamm ZIP 1993, 444.

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§ 240

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Leistung ist, wird nach § 45 InsO in eine Geldforderung umgewandelt.124 Die entspre______chende Antragsänderung ist noch in der Revisionsinstanz möglich.125 Durch die Auf______nahme bleibt die Prozessart – z.B. der Urkundenprozess – unverändert.126 Ein durch ______Insolvenzeröffnung unterbrochener Arrestprozess ist nach Aufnahme in derselben Pro______zessart mit denselben Anträgen weiterzuführen.127 ______ Hat der Schuldner der Feststellung widersprochen, kann der Gläubiger den Pro30 ______zess ungeachtet des Insolvenzverfahrens nach § 184 Satz 2 InsO gegen ihn aufnehmen. ______Der Schuldner ist dazu nicht befugt.128 Dieses Verfahren kann mit dem Verfahren auf ______Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle verbunden werden, falls auch der Insol______venzverwalter widersprochen hat. Da es sich um Klagen mit verschiedenen Ansprüchen ______handelt, sind Insolvenzverwalter und Schuldner nur einfache Streitgenossen.129 Bei ei______nem Streit über die Teilnahme am Insolvenzverfahrens gegen mehrere Widersprechende ______sind diese notwendige Streitgenossen (§ 62). Als Nebenintervenient (§§ 66 ff.) darf jeder ______Insolvenzgläubiger, der widersprochen hat, dem anderen beitreten; er ist dann selbstän______dig nach § 69. Der Insolvenzverwalter darf einem Gläubiger beitreten.130 Auch der Schuld______ner, der bestritten hat, kann als Nebenintervenient dem Insolvenzverwalter und einem ______widersprechenden Gläubiger beitreten.131 Zu der Frage, ob auch Schuldner und Insol______venzgläubiger beitrittsberechtigt sind, die der Feststellung zur Tabelle nicht rechtzeitig ______widersprochen haben s. Erl. zu §§ 66, 72. ______ ______ 3. Freigabe durch den Insolvenzverwalter; Verzicht des Gläubigers auf Teil31 ______nahme am Insolvenzverfahren. Bei Freigabe einer Forderung durch den Insolvenz______verwalter (s. dazu schon Rdn. 24) wird die Beschlagnahme zugunsten des Schuldners ______aufgehoben. Der Schuldner erlangt seine Verfügungsbefugnis über die Forderung zu______rück.132 Die nach § 240 eingetretene Unterbrechung endet aber erst mit der Aufnahme ______(§ 250) durch den Schuldner oder den Prozessgegner.133 Dasselbe gilt, wenn der Massebe______zug der Forderung während des Insolvenzverfahrens ohne Freigabe des Insolvenzver______walters entfällt.134 Versagt das Gericht dem Schuldner die Aufnahme, ist ein entsprechen______des Urteil wie ein Endurteil anfechtbar.135 Die Abtretung der streitbefangenen Forderung ______durch den Insolvenzverwalter an einen Dritten ist keine Freigabe.136 Beim einem Verzicht ______eines Gläubigers auf Teilnahme am Insolvenzverfahren (s.o. Rdn. 15) ist für die Beendi______gung der Unterbrechung ebenfalls die Aufnahme gemäß § 250 erforderlich. ______ ______ 124 RGZ 65, 132, BAG WM 1983, 1141 = ZIP 1983, 1095 (Versorgungszusage). Entsprechend ist der Fall zu ______behandeln, in dem eine Antragsänderung notwendig wird, nachdem der Insolvenzverwalter die ______Vertragserfüllung abgelehnt und dem Schadensersatzanspruch widersprochen hat, vgl. BGH NJW 1962, 153. ______125 Nach BGH LM § 146 Nr. 4 KO ist die Aufnahme gegen den Insolvenzverwalter nur mit dem Antrag ______möglich, die angemeldete Forderung zur Tabelle festzustellen; LM § 146 KO Nr. 5; BGH WM 1996, 297, 298; BayObLGZ 73, 283. ______126 KG OLGRspr. Bd. 29 (1914), 137; Stein/Jonas/Roth Rdn. 21; a.A. KG OLGRspr. Bd. 3 (1901) 60 (keine ______Überleitung in das ordentliche Verfahren). ______127 BGH LM § 240 ZPO Nr. 9 = MDR 1962, 400. ______128 RGZ 70, 368, 371. ______129 BGH WM 1980, 164. 130 KG OLGRspr. Bd. 31 (1915) 16 f. ______131 KG OLGRspr. Bd. 20 (1910) 297; Stein/Jonas/Bork § 66, 13; a.A. RGZ 28, 422, RG JW 1902, 213 Nr. 31; ______RG JW 1937, 3042. ______132 BGH NJW 1966, 51; BGHZ 163, 32. ______133 BGHZ 36, 258 = NJW 1962, 589 = MDR 1962, 297; BGH MDR 1970, 918; BGH ZIP 1988, 446; NJW 1990, 1239; BGH NJW 2005, 2015; a.A. das RG, vgl. RGZ 79, 27; 122, 51, 56; 138, 69, 71. ______134 BGH NJW-RR 2010, 1351. ______135 BGH NJW 2004, 2983 = WM 2004, 64; BGH NJW-RR 2006, 288; s. auch § 239, 17. ______136 BGH NJW 1990, 1239.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 241

_____ Ist der Insolvenzverwalter Partei geworden (durch Aufnahme oder Klageerhebung) 32 _____und gibt er die streitbefangene Forderung aus der Masse frei, kommt es nach Ansicht der _____Rechtsprechung ebenso wie im Falle der Beendigung des Insolvenzverfahrens (dazu s. _____Rdn. 18) zu einem Parteiwechsel; § 265 ist danach nicht anwendbar.137 Demgegenüber _____wendet die Literatur überwiegend § 265 für den Fall der Freigabe an.138 Diese Meinung _____verdient den Vorzug; denn die Interessen des Prozessgegners werden verletzt, wenn dem _____Insolvenzverwalter gestattet wird, aus dem von ihm geführten Prozess auszuscheiden _____und dem Schuldner die Parteirolle zu überlassen. _____ _____ _____ § 241 _____ Unterbrechung durch Prozessunfähigkeit _____ § 241 Gerken _____ (1) Verliert eine Partei die Prozessfähigkeit oder stirbt der gesetzliche Vertreter _____einer Partei oder hört seine Vertretungsbefugnis auf, ohne dass die Partei prozess_____fähig geworden ist, so wird das Verfahren unterbrochen, bis der gesetzliche Ver_____treter oder der neue gesetzliche Vertreter von seiner Bestellung dem Gericht An_____zeige macht oder der Gegner seine Absicht, das Verfahren fortzusetzen, dem _____Gericht angezeigt und das Gericht diese Anzeige von Amts wegen zugestellt hat. _____ (2) Die Anzeige des gesetzlichen Vertreters ist dem Gegner der durch ihn ver_____tretenen Partei, die Anzeige des Gegners ist dem Vertreter zuzustellen. _____ (3) Diese Vorschriften sind entsprechend anzuwenden, wenn eine Nachlass_____verwaltung angeordnet wird. _____ Übersicht _____ b) Vertretung juristischer Personen und _____I. Voraussetzungen der Unterbrechung 1. Verlust der Prozessfähigkeit der natürlivon Personenvereinigungen ____ 5 _____ ____ 1 chen Person c) Parteien kraft Amtes ____ 6 _____ ____ 2. Wegfall des gesetzlichen Vertreters 3 3. Nachlassverwaltung (Abs. 3) ____ 7 _____ a) Vertretung natürlicher PersoII. Beendigung der Unterbrechung ____ 11 _____ nen ____ 4 III. Erlangung der Prozessfähigkeit ____ 14 _____ _____ _____ I. Voraussetzungen der Unterbrechung _____ 1. Verlust der Prozessfähigkeit der natürlichen Person. Das Verfahren wird ge- 1 _____ _____mäß § 241 unterbrochen, wenn eine Partei (zum Nebenintervenienten s. § 67, 82 ff.) ihre _____Prozessfähigkeit (§ 52)1 nach Eintritt der Rechtshängigkeit verliert, sofern nicht ein Pro_____zessbevollmächtigter bestellt worden ist (§ 246).2 War die Partei schon vor Rechtshängig_____keit prozessunfähig, ist die Klage als unzulässig abzuweisen, es sei denn, der Mangel _____kann durch Bestellung eines Betreuers (§§ 1896 ff. BGB), durch Bestellung eines Prozess_____pflegers (§ 57) oder nach § 56 Abs. 2 behoben werden. Den Nachweis, dass Nachlassver_____ _____ 137 BGHZ 46, 249 = NJW 1967, 781 = JZ 1967, 365 m. Anm. Grunsky = ZZP 80 (1967), 469 m. Anm. _____F. Weber; WM 1967, 508; RGZ 79, 28; OLG Stuttgart NJW 1973, 1756 (Kostentragungspflicht des _____Insolvenzverwalters bei Ausscheiden aus einem Aktivprozess). _____138 Blomeyer I § 28 II 4 a.E.; Kuhn WM 1969, 226, 229; de Boor FS Siber, S. 65 f.; Bötticher JZ 1963, 585; _____Grunsky JZ 1967, 366; F. Weber KTS 1955, 109 und ZZP 80 (1967), 471. _____1 Zur Prozessfähigkeit von Ausländern s. § 55. _____2 BGH MDR 1964, 126 = LM Nr. 6 zu § 52 ZPO. § 246 gilt auch, wenn dem Beklagten das elterliche _____Sorgerecht für den minderjährigen Kläger übertragen wird: BGH FamRZ 1991, 548. S. auch § 246 Rdn. 5.

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§ 241

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______waltung nach Erlass des Berufungsurteils angeordnet worden ist, muss das Revisions______gericht beachten.3 ______ Der Verlust der Prozessfähigkeit einer natürlichen Person kann eintreten durch eine 2 ______krankhafte Störung der Geistestätigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB)4 oder durch Anordnung der ______Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB), soweit der Aufgabenkreis des ______Betreuers betroffen ist.5 Die Bestellung eines Pflegers6 (§§ 1911–1914 BGB) und die Anord______nung einer Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) ohne Einwilligungsvorbehalt 7 heben die Ge______schäfts- und Prozessfähigkeit nicht auf. Tritt der Pfleger oder Betreuer (innerhalb seines ______Wirkungskreises) nach § 53 im Prozess auf, kommt es dadurch nicht zur Unterbrechung, ______weil mit dem Eintritt des Betreuers oder Pflegers zugleich die Voraussetzung für das ______Ende einer Unterbrechung vorliegt.8 ______ ______ 2. Wegfall des gesetzlichen Vertreters. Weitere Unterbrechungsgründe sind der 3 ______Tod des gesetzlichen Vertreters einer Partei und das Ende der Vertretungsbefug______nis, soweit die Partei nicht prozessfähig geworden und auch nicht anwaltlich vertreten ______(§ 246) ist. Hat die Partei mehrere gesetzliche Vertreter, von denen jeder alleinvertre______tungsberechtigt ist, und fällt einer von diesen weg, wird der Prozess nicht unterbro______chen.9 Sind mehrere gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt, tritt bei Wegfall eines ______einzelnen keine Unterbrechung ein, sofern die verbleibenden vertretungsberechtigt ______bleiben.10 ______ ______ a) Vertretung natürlicher Personen. Die Befugnis der Eltern zur Vertretung ihrer 4 ______minderjährigen Kinder endet ganz oder partiell in den Fällen der Entziehung der elterli______chen Sorge (§ 1680 Abs. 2 BGB), des Ruhens der elterlichen Sorge (§§ 1673, 1674 BGB) und ______der Todeserklärung eines Elternteils (§§ 1677, 1681 BGB). Die Unterbrechung tritt in die______sen Fällen nicht ein, wenn nur ein Elternteil wegfällt und der andere Elternteil die elter______liche Sorge allein ausüben kann. Die Vertretungsbefugnis eines Betreuers, Vormunds ______oder Pflegers endet mit der Entlassung aus dem Amt (§§ 1886 ff., 1908 b, 1915 Abs. 1 ______BGB). ______ ______ 5 b) Vertretung juristischer Personen. Die Vertretung juristischer Personen und von ______Personenvereinigungen (z.B. OHG und KG) endet mit dem Tod, mit dem Eintritt der Pro______zessunfähigkeit, mit dem Amtsverlust oder mit der Entziehung der Vertretungsmacht ______(§ 127 HGB) des Vertreters. Die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer oder Liquidato______ren erlischt, wenn eine Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wird (s.a. § 239, ______6 a.E.).11 § 246 gilt auch in diesen Fällen.12 Soweit ein Wechsel der Vertretungsbefugten ______auf die Weise geschieht, dass anstelle der bisherigen Vertreter sogleich (etwa in dersel______ben Versammlung gewählte) andere treten, hört ebenfalls die Vertretungsbefugnis der ______bisherigen gesetzlichen Vertreter auf, so dass das Verfahren dadurch nach § 241 Abs. 1 ______ ______ ______3 RG JW 1938, 1025 Nr. 14. ______4 Unter Umständen auch bei wochenlanger Bewusstlosigkeit: OLG München NJW-RR 1989, 255. 5 S. dazu und zum Auftreten einer Geschäftsunfähigkeit während des Prozesses Bork MDR 1991, ______97. ______6 RGZ 52, 223. ______7 Bork MDR 1991, 97, 98 unter Ziff. 2. ______8 Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. 9 OLG München SeuffArch 70, 95; OLG Augsburg SeuffArch 70, 134. ______10 RG JW 1898, 280 Nr. 13. ______11 BGH NJW-RR 1994, 542; Bork JZ 1991, 841, 846; Lindacher FS Henckel, S. 549, 560. ______12 BGH NJW-RR 1994, 542; JZ 1981, 631 m. Anm. Theil.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 241

_____unterbrochen wird.13 Ein Fall des § 241 liegt dagegen nicht vor,14 wenn eine Handelsge_____sellschaft in das Liquidationsstadium tritt und die Liquidatoren mit den bisherigen _____Vertretern identisch sind.15 _____ _____ c) Parteien kraft Amtes. § 241 ist auch anzuwenden, wenn eine Partei kraft Amtes _____(z.B. Insolvenzverwalter) stirbt, prozessunfähig wird oder ihr Amt verliert. Wechselt nur _____die Person einer Partei kraft Amtes, ist entsprechend §§ 241, 246 zu verfahren.16 § 239 gilt _____in diesen Fällen nicht (s. § 239, 8; § 246, 3; zur Beendigung der Amtsverwaltung s.u. _____Rdn. 15). _____ _____ 3. Nachlassverwaltung. Nach § 241 Abs. 3 unterbricht die Anordnung der Nachlass_____verwaltung (§ 1981 BGB) die Verfahren, die den Nachlass betreffen,17 soweit keine Vertre_____tung durch einen Prozessbevollmächtigten erfolgt (§ 246).18 Die Anordnung der Nach_____lassverwaltung gleicht in ihren Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; _____der Nachlassverwalter hat eine ähnliche Stellung wie der Insolvenzverwalter.19 Er ist nicht _____der gesetzliche Vertreter des Erben.20 Er verliert mit der Anordnung der Nachlassverwal_____tung nur die Prozessführungsbefugnis für Verfahren, die den Nachlass betreffen (vgl. _____§ 1984 Abs. 1 Satz 1 BGB). Daher ordnet Abs. 3 die Unterbrechungswirkung für diesen Fall _____besonders an. _____ Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten werden nur unterbrochen, wenn die Haupt_____sache erledigt ist und lediglich noch die Kosten im Streit sind.21 Wegen persönlicher Mit_____gliedschaftsrechte eines Gesellschafter-Erben hat der Nachlassverwalter kein Prozess_____führungsrecht, da sich die Befugnisse des Nachlassverwalters nur auf den Nachlass _____erstrecken und nicht die persönlichen Rechtsbeziehungen des Erblassers erfassen.22 _____ Nicht unterbrochen wird der Prozess, in dem der Gläubiger den Erben persönlich _____in Anspruch nimmt. In Betracht kommt dies, wenn der Erbe unbeschränkt haftet (§ 2013 _____Abs. 1 Satz 1 BGB).23 Wird nach Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung auf Antrag _____eines Nachlassgläubigers gemäß § 1981 Abs. 2 BGB Nachlassverwaltung angeordnet, _____wird ein Rechtsstreit über eine Nachlassverbindlichkeit nur insoweit unterbrochen, als _____der Gläubiger einen gegen den Nachlassverwalter wirksamen Vollstreckungstitel erwir_____ken will.24 _____ Ein Streit darüber, ob der Erbe unbeschränkt haftet, ist zwischen dem Erben und _____dem Gläubiger auszutragen und sachlich zu entscheiden. Das Urteil berührt die Nach_____ _____ _____13 A.A. 2. Aufl. B III b mit der Rechtsunsicherheit erzeugenden Einschränkung, dass sich der Wechsel _____„alsbald“ vollziehen müsse – was im Zeitpunkt des Wegfalls der Vertretungsbefugnis nicht feststehen _____muss; K. Schmidt FS W. Henckel, S. 749, 754 f. 14 Auch § 239 greift nicht ein, s. § 239, 5. _____15 RGZ 34, 360, 362; BGH BB 1957, 725. _____16 RG v. 1.12.1917 V 218/17 N § 241/8; JW 1913, 876 Nr. 20; WarnRspr 1915 Nr. 34; RGZ 155, 350, 353 (betr. _____Testamentsvollstrecker); Jaeger/Henckel KO § 6, 115; zum Zwangsverwalter Wrobel Die _____Prozessführungsbefugnis des Zwangsverwalters (1993), S. 118 ff. _____17 RGRK/Johannsen BGB § 1984, 20. 18 Diese Regelung weicht von dem vergleichbaren Fall der Insolvenz (§ 240) ab und ist nicht _____folgerichtig, s. Stein/Jonas/Roth Rdn. 9. _____19 RGZ 65, 287, 289. _____20 MünchKomm-BGB/Küpper § 1975, 3. _____21 RG JW 1906, 311 Nr. 18; MünchKomm-BGB/Siegmann § 1984, 5. 22 BGHZ 47, 293 = NJW 1967, 1961. _____23 Das Gleiche gilt z.B., wenn ein Pflichtteilsberechtigter den Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB gegen _____den Erben persönlich geltend macht. _____24 Stein/Jonas/Roth Rdn. 10.

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§ 241

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______lassverwaltung nicht. Hat aber der Nachlassverwalter den (ursprünglich nach § 239 un______terbrochenen) Prozess wieder aufgenommen, kann sich der Gläubiger ihm nicht entzie______hen, indem er sich auf die Legitimation des unbeschränkt haftenden Erben beruft. Denn ______der Anspruch muss auch gegenüber dem Nachlass begründet sein, wenn der Erbe haften ______soll. Doch darf in diesem Fall der Gläubiger auch gegen den Erben nach § 239 vorgehen ______und so dessen unbeschränkte Haftung in Anspruch nehmen. ______ ______ II. Beendigung der Unterbrechung ______ ______ 11 Die Unterbrechung endet, wenn der gesetzliche Vertreter, der neue gesetzliche Vertre______ter oder der Nachlassverwalter dem Gericht von seiner Bestellung Anzeige gemacht oder ______der Gegner seine Absicht, das Verfahren fortzusetzen, dem Gericht angezeigt hat und ______diese Anzeige zugestellt wird (§ 250). Voraussetzung dafür, dass der Streit über die Sache ______fortgesetzt werden kann, ist die Legitimation des Vertreters bzw. des Nachlassverwalters ______zur Prozessführung.25 Diese hat das Gericht von Amts wegen zu klären (§ 56). Der Streit ______darüber ist ggf. in einem Zwischenverfahren auszutragen, in dem ein Urteil nach § 303 ______ergehen kann. Im Verhältnis zu dem angeblichen Vertreter bzw. Nachlassverwalter ergeht ______ein – regulär anfechtbares – Endurteil, das nur die Frage der Legitimation betrifft. ______ 12 Aus dieser verfahrensrechtlichen Lage ergibt sich für den Fristlauf folgende Konse______quenz: Rechtsmittel- und Begründungsfristen beginnen wieder zu laufen, sobald eine ______wirksame Anzeige im Sinne des § 241 Abs. 1 vorliegt, auch wenn erst in dem nachfolgen______den Zwischenstreit die Legitimation des Vertreters bzw. Nachlassverwalters geklärt ______wird.26 Ergibt der Zwischenstreit, dass der aufnehmende Vertreter nicht legitimiert ist, ______bleibt die Anzeige für die Partei ohne Wirkung (s. auch § 249 Rdn. 13). ______ 13 Im Falle einer Verzögerung der Vertreterbestellung kann ein Prozesspfleger nach ______§ 57 bestellt werden, sofern Gefahr im Verzuge ist. Im Übrigen hat der Gegner nur die ______Möglichkeit, die Organe der freiwilligen Gerichtsbarkeit einzuschalten.27 ______ ______ III. Erlangung der Prozessfähigkeit ______ ______ 14 Endet die gesetzliche Vertretung dadurch, dass die bis dahin prozessunfähige Partei ______die Prozessfähigkeit (erstmals oder wieder) erlangt (Eintritt der Volljährigkeit, Aufhe______bung einer Betreuung oder einer Nachlasspflegschaft), geht das Prozessrechtsverhältnis ______ohne weiteres auf die Partei über.28 Für eine Aussetzung ist kein Raum.29 Die von dem ______gesetzlichen Vertreter erteilte Prozessvollmacht gilt nach § 86 weiter. Ladungen und Zu______stellungen behalten ihre Wirkungen. ______ 15 Anders ist die Lage, wenn die Prozessführungsbefugnis von einer Partei kraft Amtes ______(Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker) auf den Rechtsträger ______übergeht.30 In diesen Fällen kann § 239 entsprechend angewendet werden31 (s.a. § 239, 8). ______ ______ ______25 BGH ZIP 1982, 1318 = WM 1982, 1170; a.A. offenbar BGH VersR 1983, 666; BGH NJW 1995, 2171. ______26 S. aber BGH VersR 1983, 667, wonach die Begründungsfrist schon beginnen soll, wenn die Anzeige von einem nicht zur Prozessführung befugten Testamentsvollstrecker stammt; ebenso betr. Aufnahme ______durch den Nachlasspfleger (§ 243) BGH NJW 1995, 2171. ______27 Zu den Fällen der Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB s. Bork MDR 1991, 97, 99. ______28 RGZ 33, 412. ______29 OLG Hamburg OLGRspr Bd. 17 (1908), 318. 30 Zur Fortführung des Verfahrens nach Ende einer Zwangsverwaltung durch gewillkürten Parteiwechsel ______s. BGH WM 1990, 742. ______31 Bei Wegfall des Verwaltungsrechts des Testamentsvollstreckers hat das Reichsgericht eine ______Unterbrechung nach § 239 angenommen – RGZ 155, 350, 353; gemäß RG JW 1930, 2047 sollen allerdings bei

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 242

_____ § 242 _____ Unterbrechung durch Nacherbfolge _____ § 242 Gerken _____ Tritt während des Rechtstreits zwischen einem Vorerben und einem Dritten _____über einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand der Fall der Nacherbfolge _____ein, so gelten, sofern der Vorerbe befugt war, ohne Zustimmung des Nacherben _____über den Gegenstand zu verfügen, hinsichtlich der Unterbrechung und der Auf_____nahme des Verfahrens die Vorschriften des § 239 entsprechend. _____ Übersicht _____ ____ 1 III. Prozesse über Nachlassverbindlich_____I. Normzweck ____ 4 keiten ____ 10 II. Anwendungsbereich _____ _____ _____ I. Normzweck _____ _____ Der Nacherbe ist Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht des Vorerben (§ 2100 _____BGB). Gleichwohl muss er unter bestimmten Voraussetzungen nach §§ 242, 239 einen _____vom Vorerben geführten Rechtsstreit aufnehmen. § 242 durchbricht also den Grundsatz _____des § 239, dass im Falle des Todes einer Partei (nur) ihre Rechtsnachfolger zur Aufnahme _____des Prozesses verpflichtet sind.1 Der Grund liegt darin, dass ohne eine entsprechende _____Anwendung des § 239 der Prozess nicht fortgeführt werden könnte. Der Vorerbe (bzw. _____sein Erbe) verliert mit dem Eintritt des Nacherbfalls seine Aktivlegitimation (§ 2139 BGB). _____Diese liegt nunmehr beim Nacherben. Demgemäß ist es sachgerecht, dass er den Prozess _____aufnimmt. Ergänzt wird die Regelung durch § 326 Abs. 2, wonach ein bereits vor Eintritt _____der Nacherbfolge rechtskräftig gewordenes Urteil auch gegen den Nacherben wirkt, _____wenn es um einen der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand geht und der Vorerbe _____über diesen Gegenstand ohne Zustimmung des Nacherben verfügen durfte. _____ Welches Ereignis den Eintritt der Nacherbfolge auslöst, ist gleichgültig. Regelmä_____ßig wird es der Tod des Vorerben sein (§ 2106 Abs. 1). Doch kann der Nacherbfall auch zu _____Lebzeiten des Vorerben eintreten (§§ 2103, 2104, 2106 Abs. 2 BGB), so dass es zur Pro_____zessnachfolge unter Lebenden kommt. _____ Der Nacherbe kann die Erbschaft ausschlagen (§ 2142 Abs. 1 BGB). Vor der Annahme _____ist er zur Fortsetzung des Rechtsstreits nicht verpflichtet (§ 239 Abs. 5). Verbleibt die Erb_____schaft nach der Ausschlagung des Nacherben mangels anderweitiger Bestimmung beim _____Vorerben (§ 2142 BGB), muss dieser den unterbrochenen Prozess aufnehmen. _____ _____ II. Anwendungsbereich _____ _____ § 242 betrifft Aktivprozesse2 in Bezug auf Nachlassgegenstände, über die der Vorer_____be frei verfügen kann. Die Vorschrift knüpft damit an das materielle Recht an, wonach _____der Vorerbe grundsätzlich mit Wirkung auch gegenüber dem Nacherben über die zur _____Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen darf (§ 2112 BGB), soweit sich nicht aus den _____Vorschriften der §§ 2113 bis 2115 ein anderes ergibt. Frei verfügen kann der Vorerbe auch _____dann, wenn der Nacherbe seine Einwilligung gemäß § 2120 BGB gegeben hat. Gleich zu _____ _____ _____Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Nachlassverwaltung die Erben ohne Unterbrechung in das Verfahren eintreten. _____ _____1 Vgl. RGZ 75, 364. _____2 A.A. Wolff Bürgerliches Recht und Prozessrecht in Wechselwirkung (1952) 72.

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§ 243

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______behandeln ist der Fall, dass eine Verfügung des Vorerben nach § 185 Abs. 2 BGB gegen______über dem Nacherben wirksam geworden ist.3 ______ Ist ein Nachlassgegenstand streitbefangen,4 über den der Vorerbe keine Verfü5 ______gungsbefugnis nach §§ 2112, 2136 oder über § 2120 BGB hat, versagt § 326 Abs. 2 einem ______darüber ergangenen Urteil die Wirkung gegen den Nacherben. Folglich ist der Nacherbe ______auch nicht verpflichtet, in einen bei Eintritt des Nacherbfalls noch anhängigen Rechts______streit dieser Art einzutreten. § 242 greift dann nicht ein. Die Rechte des Nacherben wer______den durch den Streit mit dem Vorerben nicht berührt. Der Vorerbe verliert mit Eintritt des ______Nacherbfalls die Aktivlegitimation (vgl. § 265 Abs. 3). Seine Klage ist als unbegründet ______abzuweisen.5 Dies kann im Fall seines Todes erst nach Aufnahme seinen Rechtsnachfol______gern gegenüber erfolgen (§ 239), wenn nicht § 246 eingreift. ______ Unter einem „der Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand“ sind nicht nur die Ak6 ______tivposten der Erbschaft zu verstehen.6 § 242 greift auch in dem Fall ein, dass der Vorerbe ______mit einem Miterben über den Umfang des der Nacherbfolge unterliegenden Erbteils strei______tet. ______ 7 Unterbrochen wird das Verfahren kraft Gesetzes selbst dann, wenn der Nacherbe ______durch Ausschlagung mit rückwirkender Kraft wegfällt und die Erbschaft dem Vorerben ______verbleibt (§ 2142 BGB). ______ 8 Zur entsprechenden Anwendung der §§ 239, 242 bei Beendigung einer Amtsver______waltung (Eröffnung des Insolvenzverfahrens etc.) s. § 239 Rdn. 8; § 240 Rdn. 17; § 241 ______Rdn. 14. ______ 9 Die Aufnahme selbst wird nach § 250 vollzogen, wobei der Nacherbe an die Stelle ______des Rechtsnachfolgers i.S.d. § 239 tritt. ______ ______ III. Prozesse über Nachlassverbindlichkeiten ______ ______ Verfahren, in denen der Vorerbe wegen einer Nachlassverbindlichkeit in Anspruch 10 ______genommen wird, fallen nicht unter § 242. Die Parteistellung der Vorerben geht daher in ______diesen Fällen nicht auf den Nacherben über. Mit dem Wegfall der Vorerbeneigenschaft ______(§ 2139 BGB) erlischt die Haftung des Vorerben, es sei denn, er haftet bereits unbeschränkt. ______Er (bzw. sein Erbe) kann sich fortan darauf berufen, dass er nicht mehr passivlegitimiert ______ist.7 In den verschiedenen Fällen des § 2145 BGB bleibt die Haftung des Vorerben ganz oder ______in eingeschränktem Umfang bestehen. Zur Entscheidung dieser Haftungsfragen werden ______anhängige Verfahren gegen den Vorerben fortgeführt. War die Nacherbfolge durch den ______Tod des Vorerben eingetreten, sind solche Verfahren nach §§ 239, 246 gegen die Rechts______nachfolger (Erben) des Vorerben aufzunehmen. ______ ______ ______ § 243 ______ Aufnahme bei Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung ______ § 243 Gerken ______ Wird im Falle der Unterbrechung des Verfahrens durch den Tod einer Partei ______ein Nachlasspfleger bestellt oder ist ein zur Führung des Rechtsstreits berechtigter ______Testamentsvollstrecker vorhanden, so sind die Vorschriften des § 241 und, wenn ______ ______ ______3 Stein/Jonas/Roth Rdn. 1 unter Hinweis auf RGZ 110, 94, 95. 4 Zum Prozessführungsrecht des Vorerben s. MünchKomm-BGB/Grunsky § 2100 Rdn. 21. ______5 Stein/Jonas/Roth Rdn. 16; MünchKomm-BGB/Grunsky § 2100 Rdn. 22. ______6 RGZ 75, 363, 366. ______7 RGRK/Johannsen BGB § 2145, 1; MünchKomm-BGB/Grunsky § 2145, 1, § 2100, 22.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 244

_____über den Nachlass das Insolvenzverfahren eröffnet wird, die Vorschriften des _____§ 240 bei der Aufnahme des Verfahrens anzuwenden. _____ _____ § 243 neu gefasst durch Art. 18 Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung v. 5.10.1994 _____BGBl. I 2911. _____ _____ § 243 ist eine Sondervorschrift für die Aufnahme des Verfahrens in den Fällen, in _____denen es durch den Tod einer Partei unterbrochen (§ 239) oder ausgesetzt (§ 246) und _____anschließend Nachlasspflegschaft (§§ 1960 ff. BGB) angeordnet bzw. das Nachlassinsol_____venzverfahren eröffnet (§§ 1975, 1980 BGB, 315 ff. InsO) worden ist oder in denen ein _____prozessführungsbefugter Testamentsvollstrecker (§§ 2212, 2213 BGB) vorhanden ist.1 Es _____gelten dann anstelle von § 239 die Aufnahmeregeln nach § 241 und § 240. Werden Nach_____lasspfleger oder Testamentsvollstrecker im Fall der Nacherbschaft eingesetzt, gilt eben_____falls § 243 entsprechend. Es ist dann also nicht wie gegenüber dem Nacherben nach § 239 _____(§ 242) zu verfahren, sondern nur nach § 243. _____ Durch § 243 wird nicht die Frage beantwortet, ob das Verfahren nach § 241 nur von _____dem Testamentsvollstrecker oder auch von den Erben fortgeführt werden kann. Handelt _____es sich um einen Aktivprozess, ist eine Aufnahme durch die Erben ausgeschlossen _____(§ 2212 BGB). Ein Passivprozess kann demgegenüber auch durch bzw. gegen die Erben _____aufgenommen werden (§ 2213 BGB). Der Gegner kann den Testamentsvollstrecker in das _____laufende Verfahren hineinziehen.2 _____ Die Aufnahme erfolgt durch Anzeige (§ 241) in der Form des § 250 seitens des Pfle_____gers bzw. Testamentsvollstreckers oder seitens des Gegners.3 Die Anzeige ist von Amts _____wegen zuzustellen.4 Diese Rechtsverfolgung ist schon vor der Annahme der Erbschaft _____möglich, §§ 1960 Abs. 3, 2213 Abs. 2 BGB.5 _____ Bei Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens (§§ 315 ff. InsO) kann der davon _____betroffene Rechtsstreit ausschließlich nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften der _____§§ 85, 86 InsO aufgenommen werden (s. § 240 Rdn. 18 ff.). Wird das Insolvenzverfahren _____beendet, ohne dass es zur Aufnahme gekommen war, bleibt der Rechtsstreit gemäß § 239 _____unterbrochen. Er muss daher aufgenommen werden.6 _____ _____ _____ § 244 _____ Unterbrechung durch Anwaltsverlust _____ § 244 Gerken _____ (1) Stirbt in Anwaltsprozessen der Anwalt einer Partei oder wird er unfähig, die _____Vertretung der Partei fortzuführen, so tritt eine Unterbrechung des Verfahrens ein, _____bis der bestellte neue Anwalt seine Bestellung dem Gericht angezeigt und das Ge_____richt die Anzeige dem Gegner von Amts wegen zugestellt hat. _____ (2) Wird diese Anzeige verzögert, so ist auf Antrag des Gegners die Partei selbst _____zur Verhandlung der Hauptsache zu laden oder zur Bestellung eines neuen An_____walts binnen einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist aufzufordern. _____Wird dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, so ist das Verfahren als aufgenom_____ _____ _____1 Zum Fall der Nachlassverwaltung s. § 241, 7 ff. _____2 BGHZ 104, 1 = NJW 1988, 1390. 3 RG JW 1904, 238 Nr. 17. _____4 BGHZ 104, 4, 5 = NJW 1988, 1390. _____5 RGRK/Johannsen § 1960, 38 f. und RGRK/Kregel § 2213, 11. _____6 BGH NJW 1962, 590.

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§ 244

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______men anzusehen. Bis zur nachträglichen Anzeige der Bestellung eines neuen An______walts erfolgen alle Zustellungen an die zur Anzeige verpflichtete Partei. ______ ______ § 244 Abs. 2 neu gefasst durch Art. 1 ZustellungsreformG vom 25.6.2001 BGBl. I ______1206. ______ ______ Übersicht ____ 1 d) Verlust der Prozessfähigkeit ____ 10 ______I. Allgemeines II. Eintritt der Unterbrechung e) Beendigung einer Kanzlei______ ____ 3 abwicklung ____ 11 ______ 1. Tod des Anwalts 2. Rechtliche Hindernisse ____ 4 3. Keine Unterbrechung ____ 12 ______ a) Ausschließung aus der Anwaltschaft, 4. Bedeutung des Verfahrensstandes ____ 13 ______ III. Ende der Unterbrechung Vertretungsverbot ____ 5 ______ b) Zurücknahme der Zulassung, Wegfall 1. Anzeige der Bestellung durch den neuen ______ der Postulationsfähigkeit ____ 7 Anwalt ____ 14 ____ ______ c) Berufs- oder Vertretungsverbot 9 2. Verzögerung der Anzeige ____ 16 ______ ______ I. Allgemeines ______ ______ Verliert die Partei im Verfahren mit Anwaltszwang ihren Prozessbevollmächtigten 1 ______durch Tod oder durch ein rechtliches Hindernis bei der Vertretung, kann sie keine wirk______samen Prozesshandlungen mehr vornehmen. § 244 ordnet daher eine Unterbrechung des ______Verfahrens an, und zwar mit den Wirkungen des § 249.1 Hat die Partei mehrere Anwälte ______für eine Instanz bestellt, z.B. eine Sozietät, wird das Verfahren erst bei Wegfall des letz______ten Anwalts unterbrochen.2 Ist die Partei selbst Anwalt und zugleich postulationsfähig, ______tritt keine Unterbrechung ein, weil eine Vertretung nicht geboten ist. Stirbt der Anwalt, ______der seine Interessen selbst im Anwaltsprozess vertritt, gilt § 239.3 Im Parteiprozess, in ______dem die Partei selbst postulationsfähig ist, oder im PKH-Prüfungsverfahren4 führt der ______Wegfall des Anwalts nicht zur Unterbrechung. 5 Besteht Anwaltszwang lediglich im Beru______fungsverfahren, tritt Unterbrechung nur ein, wenn der Anwalt bereits Berufung eingelegt ______hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anwalt schon für das Berufungsverfahren ______bestellt war.6 ______ 2 § 244 ist von Amts wegen zu beachten,7 da die Vorschriften über den Anwaltszwang ______zwingend sind. Ist streitig, ob § 244 eingreift, kann darüber im Endurteil oder auch in ______einem Zwischenurteil entschieden werden.8 Die Folgen der Beweislosigkeit hinsichtlich ______des Unterbrechungstatbestandes treffen die Partei, die ein Sachurteil erstrebt, da es um ______eine Zulässigkeitsvoraussetzung geht.9 ______ ______ ______ ______ ______ ______ ______1 S. BGH VersR 1981, 679 zum Ausscheiden eines Prozessbevollmächtigten vor Rechtsmittelbegründung. 2 BAG NJW 1972, 1388 = AP Nr. 1 zu § 246 m. Anm. E. Schumann; KG DR 1942, 748; s. auch Erl. zu § 246 ______Rdn. 3. ______3 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. ______4 BGH NJW 1966, 1126. ______5 BGH VersR 1992, 636. 6 BGH FamRZ 1992, 48,49; BAG NJW 2007, 3226. ______7 OLG Karlsruhe AnwBl 1982, 434. ______8 S. Erl. zu § 239 Rdn. 10. ______9 BAG AP § 244 Nr. 1 Anm. Leipold.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 244

_____ II. Eintritt der Unterbrechung _____ _____ 1. Tod des Anwalts. Die Unterbrechung nach § 244 tritt ein mit dem Tod des Pro_____zessbevollmächtigten.10 Das gilt jedoch nicht, wenn ein allgemeiner Vertreter nach § 53 _____BRAO bestellt ist. In diesem Fall ergibt sich die Unterbrechung erst mit der Löschung des _____verstorbenen Anwalts in der Anwaltsliste gemäß § 36 BRAO.11 War die Unterbrechung _____durch den Tod des Anwalts bereits eingetreten, wird sie durch die nachfolgende Bestel_____lung eines Abwicklers (§ 55 BRAO) nicht rückwirkend beseitigt; das Verfahren muss nach _____§ 250 aufgenommen werden.12 _____ _____ 2. Rechtliche Hindernisse. Verfahrensunterbrechung tritt im Anwaltsprozess fer_____ner ein, wenn der Rechtsanwalt unfähig wird, die Vertretung der Partei fortzuführen, _____also wenn er rechtlich daran gehindert ist.13 Es gibt verschiedene Hindernisse in diesem _____Sinne: _____ _____ a) Ausschließung aus der Anwaltschaft, Vertretungsverbot. Die rechtskräftige _____Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft (§§ 13, 114 Abs. 1 Nr. 5, 204 Abs. 1 Satz 1 _____BRAO) führt dazu, dass der Anwalt seine durch Zulassung erlangte Eigenschaft als _____Rechtsanwalt sowie die Zulassung bei dem Gericht (§ 34 Nr. 1 BRAO) verliert und keine _____Prozesshandlungen mehr vornehmen darf. Daher werden die vom ausgeschlossenen _____Anwalt geführten Anwaltsprozesse mit Rechtskraft des Ausschließungsurteils grundsätz_____lich unterbrochen.14 Der Zeitpunkt der Löschung in der Anwaltsliste (§ 36 BRAO) ist nicht _____maßgeblich,15 auch wenn Abs. 2 dieser Vorschrift Vertrauensschutz gegenüber Rechts_____handlungen gewährt, die der ehemalige Anwalt vor der Löschung noch vorgenommen _____hat, aber nicht mehr vornehmen durfte. Die Unterbrechung tritt unabhängig davon ein, _____ob dem Gericht der Unterbrechungsgrund bekannt ist. Eine ohne Rücksicht hierauf _____durchgeführte Beweisaufnahme ist fehlerhaft und zu wiederholen.16 Für das auf be_____stimmte Rechtsgebiete beschränkte Vertretungsverbot gelten die §§ 114 Abs. 1 Nr. 4, 114 a _____BRAO. _____ Der BGH17 hat angenommen, dass die dem Anwalt wegen Versäumung der Frist zur _____Berufung gegen das Ausschließungsurteil gewährte Wiedereinsetzung in den vori_____gen Stand den Verlust seiner Anwaltszulassung rückwirkend beseitigt und daher die _____Unterbrechung der von ihm geführten Zivilprozesse als nicht eingetreten gilt. Dieser An_____sicht kann nicht gefolgt werden.18 Zwar entfaltet die Wiedereinsetzung rückwirkende _____Kraft.19 Eine andere Frage ist aber, ob sich diese Wirkung auch auf ein anderes Prozess_____rechtsverhältnis erstreckt. Mit der Rechtskraft des Ausschließungsurteils werden die von _____dem Rechtsanwalt geführten Verfahren mit den in § 249 genannten Folgen unterbrochen. _____Nach dem Schutzzweck der §§ 244, 249 ist die Unterbrechungswirkung auch dann anzu_____nehmen, wenn die Ausschließung aufgrund eines Wiedereinsetzungsverfahrens rückwir_____ _____ _____10 Aus dem Tod des Verkehrsanwalts kann sich eventuell ein Wiedereinsetzungsgrund ergeben, s. BGH _____VersR 1984, 988 sowie Erl. zu § 233 Rdn. 25, 50. 11 BGHZ 61, 84 = NJW 1973, 1501; VersR 1977, 835; NJW 1982, 2324. _____12 BGH VersR 1981, 658. _____13 RGZ 141, 167, 168; BGH MDR 1976, 487. _____14 BGHZ 98, 325, 327 = NJW 1987, 327. _____15 Stein/Jonas/Roth Rdn. 18. 16 OLG Hamm MDR 2008, 996. _____17 BGHZ 98, 325 = NJW 1987, 327. _____18 Ebenso mit ausführlicher Begründung Vollkommer JR 1987, 225; Stein/Jonas/Roth Rdn. 8. _____19 S. § 238 Rdn. 6.

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§ 244

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______kend aufgehoben wird. Diese Aufhebung ändert nichts daran, dass der zunächst wirksam ______ausgeschlossene Anwalt in der Zwischenzeit keine wirksamen Prozesshandlungen vor______nehmen konnte. ______ ______ b) Zurücknahme der Zulassung, Wegfall der Postulationsfähigkeit. Ein Verwal7 ______tungsakt, durch den die Zulassung zurückgenommen oder widerrufen wird, führt zu ______einem Vertretungshindernis. Es tritt ein mit Anordnung der sofortigen Vollziehung (§§ 16 ______Abs. 6 Satz 2, 35 Abs. 2 Satz 7 BRAO) oder spätestens mit Eintritt der Unanfechtbarkeit ______nach ungenutztem Ablauf der Frist zur Stellung des Antrags auf gerichtliche Entschei______dung (§§ 16 Abs. 5, 35 Abs. 2 Satz 5 BRAO) bzw. mit Rechtskraft der ihn zurückweisenden ______Entscheidung.20 ______ Ein Unterbrechungsfall liegt ferner vor, wenn die Postulationsfähigkeit des Anwalts 8 ______durch die Zurücknahme der bisherigen Zulassung beim Wechsel an ein anderes Ge______richt (§§ 33, 33 a, 34 BRAO) wegfällt.21 ______ ______ 9 c) Berufs- oder Vertretungsverbot. Die Verhängung eines vorläufigen Berufs- oder ______Vertretungsverbots, das mit Verkündung des Beschlusses wirksam wird (§ 155 Abs. 1 ______BRAO), ist ebenfalls ein Unterbrechungsgrund,22 es sei denn, für den Rechtsanwalt ist ______ein Vertreter nach § 161 Abs. 1 Satz 1 BRAO bestellt worden. Das Gleiche gilt (auch bei ______Prozessführung in eigener Sache), wenn gegen den Anwalt ein strafgerichtliches Be______rufsverbot nach § 70 StGB wirksam wird.23 Die Wirkungen der Verfahrensunterbrechung ______bleiben von der Regelung des § 155 Abs. 5 BRAO unberührt. ______ ______ d) Verlust der Prozessfähigkeit. Durch den Verlust seiner Geschäfts- und Prozess10 ______fähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB, die sich auch als partielle auf die Führung eines bestimm______ten Rechtsstreits beschränken kann, wird der Anwalt ebenfalls im Sinne von § 244 Abs. 1 ______unfähig, die Vertretung der Partei fortzuführen.24 Auch in diesem Fall kommt es nicht zur ______Unterbrechung, falls ein allgemeiner Vertreter nach § 53 BRAO bestellt worden war.25 ______ ______ e) Beendigung einer Kanzleiabwicklung (§ 55 BRAO). Endet die Bestellung des 11 ______Abwicklers und hört seine Postulationsfähigkeit dadurch auf, ist das ebenfalls ein Un______terbrechungsgrund.26 ______ ______ 12 3. Keine Unterbrechung. Die Niederlegung des Mandats durch den Anwalt oder ______die Kündigung des Anwaltsvertrages durch die Partei führen nicht zur Unterbrechung. ______Hat die Partei mehrere Anwälte für eine Instanz bestellt, z.B. eine Sozietät, so wird das ______Verfahren erst bei Wegfall auch des letzten Anwalts unterbrochen.27 Eine tatsächliche ______Verhinderung des Anwalts wegen Krankheit, Unfall etc. hat keine Unterbrechung zur ______Folge.28 Auch wenn der Anwalt aus standesrechtlichen Gründen nach §§ 45, 46, 47 ______ ______ ______ ______20 Stein/Jonas/Roth Rdn. 9. 21 BGHZ 66, 59, 61 = MDR 1976, 487 = LM § 244 ZPO Nr. 9 m. Anm. Portmann. ______22 OLG Hamm MDR 2008, 996. ______23 BGHZ 111, 104 = NJW 1990, 1854. ______24 BGHZ 30, 112 = NJW 1959, 1587; BAG NJW 1966, 74; zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung BVerfG ______NJW 1974, 1279; zum Fall, dass der Anwalt sich selbst vertritt BGH NJW 2002, 2107. 25 Ebenso Stein/Jonas/Roth Rdn. 13. ______26 BGHZ 66, 59, 61 = LM § 244 ZPO Nr. 9 m. Anm. Portmann. ______27 BAG NJW 1972, 1388 = AP Nr. 1 zu § 246 m. Anm. E. Schumann; KG DR 1942, 748; s.a. § 246 Rdn. 3. ______28 RGZ 141, 167, 168.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 244

_____BRAO nicht tätig werden darf, folgt daraus keine Unfähigkeit zur Vertretung nach § 244 _____Abs. 1.29 _____ _____ 4. Bedeutung des Verfahrensstandes. Die untere Instanz ist nicht schon mit der 13 _____Urteilsverkündung beendet. Der Rechtszug endet erst mit Einlegung des Rechtsmittels _____oder mit Eintritt der formellen Rechtskraft.30 Bestand in erster Instanz kein Anwaltszwang _____und wird ein Anwalt erst für die Berufungsinstanz eingeschaltet, tritt eine Unterbrechung _____nur ein, wenn der Anwalt die Berufung bereits eingelegt hat. Allein die Bestellung reicht _____nicht aus.31 Fällt der Anwalt vor Berufungseinlegung weg, hilft nur die Wiedereinsetzung, _____wenn es zur Fristversäumnis gekommen ist. War die Partei in erster Instanz durch einen _____Anwalt vertreten und fällt dieser nach der V e r k ü n d u n g d e s U r t e i l s w e g , kann an _____ihn nicht mehr wirksam zugestellt werden.32 Demgemäß läuft auch keine Rechtsmittel_____frist. Für den Fall, dass die Partei ihren Anwalt zwar nach Urteilszustellung, aber vor _____Rechtsmitteleinlegung verliert, ist umstritten, ob Unterbrechung eintritt.33 Der Schutz_____zweck des § 244 gebietet es, auch in diesem Fall Unterbrechung zugunsten des poten_____tiellen Rechtsmittelklägers anzunehmen.34 Das sollte auch in dem Fall gelten, dass der _____„zwischen den Instanzen“ verstorbene Anwalt in der nächsten Instanz nicht postula_____tionsfähig gewesen wäre.35 Ein zweitinstanzliches Urteil kann nicht ersatzweise dem erst_____instanzlichen Prozessbevollmächtigten zugestellt werden.36 Der Tod des Prozessbevoll_____mächtigten nach Zustellung eines Versäumnisurteils unterbricht den Prozess ebenfalls; _____die in Lauf gesetzte Einspruchsfrist wird wieder abgebrochen.37 Bei Erlass von Vorbe_____halts- und Grundurteilen wird nur der Prozessabschnitt (z.B. Berufungsverfahren) un_____terbrochen, in dem der weggefallene Anwalt Prozessbevollmächtigter war.38 _____ _____ III. Ende der Unterbrechung _____ _____ 1. Anzeige der Bestellung durch den neuen Anwalt. Die Aufnahme des Verfah- 14 _____rens wird vorbereitet durch die Anzeige des neuen Prozessbevollmächtigten. Vollzo_____gen wird sie durch Zustellung des Schriftsatzes an den Gegner (§ 244 Abs. 1).39 Wird ein _____Abwickler gemäß § 55 BRAO bestellt, muss dieser seine Bestellung in dem Prozess anzei_____gen; die allgemeine Anzeige nach § 55 Abs. 2 Satz 5 BRAO genügt nicht. Die Bestellung _____des neuen Anwalts kann mit dem Sachschriftsatz (z.B. Berufungseinlegung/-begrün_____dung, Antrag auf Wiedereinsetzung) verbunden werden.40 Die Aufnahme kann auch _____konkludent erklärt werden, indem der neue Anwalt eine Prozesshandlung vornimmt (s. _____ _____ _____29 BGH NJW 1960, 819 = MDR 1960, 395 (Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit); NJW 1993, 1926. _____30 BGH NJW 1995, 1095, 1096; BAGE 28, 46, 50 ff. = NJW 1976, 1334; BAG NJW 2007, 3226, 3227. 31 BGH FamRZ 1992, 48, 49. _____32 BGHZ 111, 104 = NJW 1990, 1854 m.w.N. _____33 Zur Wiedereinsetzung in Fällen des Todes des Anwalts BGH FamRZ 1992, 48. _____34 BAG AP Nr. 2 zu § 244 ZPO = NJW 1976, 1334 (Vorlagebeschluss); dieser Ansicht folgend BGH AP § 244 _____ZPO Nr. 3; BGH NJW 1995, 1095 (zu § 176); a.A. BGH LM § 244 ZPO Nr. 2 = RzW 1958, 334 = NJW 1958, 1492 _____(LS); OLG Karlsruhe, MDR 1983, 61 = VersR 1983, 1041; Stein/Jonas/Roth Rdn. 5. 35 Offengelassen von BAG a.a.O. unter 3 b. _____36 BGHZ 23, 172 = NJW 1957, 713 = LM § 244 ZPO Nr. 1 ZPO m. Anm. Pagendarm. Anders ist die Lage, _____wenn das Verfahren nach § 244 Abs. 2 S. 1 als wieder aufgenommen gilt; dann können Zustellungen an den _____Prozessbevollmächtigten 1. Instanz erfolgen, vgl. RGZ 103, 334; BGHZ 23, 172, 174 = NJW 1957, 713. _____37 RGZ 13, 315, 318. 38 Vgl. RG JW 1917, 163 Nr. 10. _____39 BGH VersR 1981, 658; BAG 5, 103. _____40 BGHZ 30, 112, 119 = NJW 1959, 1587; BGHZ 36, 258, 260 = NJW 1962, 589; VersR 1977, 835; BGHZ 111, _____104 = NJW 1990, 1854; OLG Köln VersR 1973, 161.

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§ 245

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Erl. zu § 250 Rdn. 4). Der Aufnahme bedarf es auch, wenn der bisherige Prozessbevoll______mächtigte seine Vertretungsfähigkeit wiedererlangt, z.B. nach §§ 158, 159 BRAO. Auf die ______Rüge, dass der Anzeigeschriftsatz nicht zugestellt worden sei, kann der Gegner verzich______ten.41 ______ Zwischen den Instanzen (nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils) kann die Auf15 ______nahme zusammen mit der Rechtsmitteleinlegung in einem Schriftsatz erklärt werden, ______der bei dem höheren Gericht eingereicht wird. An sich müsste das Verfahren in Fällen ______dieser Art zunächst durch Zustellung der Anzeige gemäß § 244 Abs. 1 vor dem unteren ______Gericht aufgenommen werden. Von diesem Erfordernis sieht der BGH allerdings aus ______Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit ab.42 ______ ______ 2. Verzögerung der Anzeige. Bei Verzögerung der Aufnahme hat der Gegner nach 16 ______Abs. 2 das Recht, die Ladung der Partei zur Verhandlung der Hauptsache zu beantragen. ______Dieser Weg ist geboten, wenn über die Sache noch verhandelt werden muss. Da die ______Ladung nur an die Partei selbst erfolgen kann, muss sie nach § 215 mit der Aufforderung ______verbunden werden, einen postulationsfähigen Anwalt zu bestellen.43 Die Ladung ist förm______lich zuzustellen.44 Erscheint im anberaumten Verhandlungstermin kein neuer Anwalt, ______kann gegen die nicht ordnungsgemäß vertretene Partei Versäumnisurteil zur Hauptsa______che ergehen. ______ Alternativ kann der Gegner beantragen, dass die Partei aufgefordert werden möge, 17 ______binnen einer bestimmten Frist einen neuen Anwalt zu bestellen. Dieses Verfahren ______empfiehlt sich, wenn die Unterbrechung zwischen Rechtsmitteleinlegung und notwen______diger Begründung behoben werden soll. Mit fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist endet ______ohne weiteres die Unterbrechung, falls sich nicht vorher schon ein neuer Anwalt bestellt ______hat. Sodann erfolgen gemäß Abs. 2 Satz 3 alle Zustellungen an die Partei, bis sich (nach______träglich) ein neuer Anwalt meldet.45 ______ ______ ______ § 245 ______ Unterbrechung durch Stillstand der Rechtspflege ______ § 245 Gerken ______ Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Ge______richts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen. ______ ______ § 245 ordnet die Verfahrensunterbrechung für die Fälle an, in denen die Rechtspfle1 ______getätigkeit des Gerichts in seiner Gesamtheit aufhört, z.B. durch Krieg, Unruhen, Streiks, ______Naturkatastrophen. Nach der vergleichbaren Vorschrift des § 206 BGB ist die Verjährung ______gehemmt, solange der Berechtigte durch höhere Gewalt innerhalb der letzten sechs Mona______te der Verjährungsfrist an der Rechtsverfolgung verhindert ist.1 Die Gerichtstätigkeit selbst ______muss eingestellt sein. Es genügt nicht, dass der Berechtigte aufgrund der besonderen Um______stände persönlich gehindert ist, das Gericht in Anspruch zu nehmen (s. § 247).2 ______ ______ 41 BGHZ 23, 172, 175 = NJW 1957, 713 = LM § 244 ZPO Nr. 1 m. Anm. Pagendarm. ______42 BGHZ 36, 258 = NJW 1962, 589 = LM § 250 ZPO Nr. 4 m. Anm. Rietschel; BGHZ 111, 104, 109 = NJW 1990, ______1854; OLG Karlsruhe AnwBl 1982, 434; s. auch Erl. zu § 239 Rdn. 22 m. Nachw. zur Gegenansicht. ______43 RG JW 1905, 178 Nr. 22. ______44 RGZ 103, 334, 339; JW 1905, 178 Nr. 22. 45 RG JW 1897, 285. ______ ______1 Entsprechendes muss für Fristen gelten, welche zur Klageerhebung gesetzt sind. ______2 RGZ 128, 46.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 246

_____ Die Tätigkeit des Gerichts hört auf, wenn kein ordnungemäßer Justizbetrieb mehr _____stattfindet, d.h. Anträge und Eingaben von Rechtsuchenden nicht mehr entgegenge_____nommen und bearbeitet werden. Vorübergehende Funktionsstörungen, die durch die _____Gerichtsverwaltung ausgeglichen werden können, reichen nicht aus. Auch der Wegfall _____aller Richter eines Gericht bewirkt allein noch keinen Stillstand der Rechtspflege. Für _____diesen Fall gilt § 36 Abs. 1 Nr. 1. Wenn ein Gericht infolge von Kriegs- oder Naturereignis_____sen verlegt wird, muss das ebenfalls nicht zum Stillstand der Rechtspflege führen.3 Ob _____die Rechtspflege nicht mehr in Gang ist, muss das Gericht im Einzelfall selbst entschei_____den.4 _____ Die Unterbrechung erfolgt nur in den bei dem ausgefallenen Gericht anhängigen _____Verfahren. Ist ein Rechtsmittel beim Rechtsmittelgericht einzulegen, kommt es nur dar_____auf an, ob die Tätigkeit dieses Gerichts aufgehört hat. _____ Die Unterbrechung endet kraft Gesetzes mit der tatsächlichen Wiederaufnahme der _____Gerichtstätigkeit,5 ohne dass es der Zustellung eines Schriftsatzes nach § 250 bedarf.6 _____Doch können die Parteien erwarten, dass die Aufnahme der Tätigkeit öffentlich oder _____durch einen Verfahrenshinweis bekannt gegeben wird. Erlangt die Partei davon schuld_____los keine Kenntnis, kann ein Wiedereinsetzungsgrund (§ 233) gegeben sein. _____ Prozesshandlungen, die während des Stillstands vorgenommen werden, sind gültig; _____sie werden wirksam mit Wiederbeginn der Gerichtstätigkeit. Sie brauchen also nicht _____wiederholt zu werden. _____ _____ _____ § 246 _____ Aussetzung bei Vertretung durch Prozessbevollmächtigten _____ § 246 Gerken _____ (1) Fand in den Fällen des Todes, des Verlustes der Prozessfähigkeit, des Weg_____falls des gesetzlichen Vertreters, der Anordnung einer Nachlassverwaltung oder _____des Eintritts der Nacherbfolge (§§ 239, 241, 242) eine Vertretung durch einen Pro_____zessbevollmächtigten statt, so tritt eine Unterbrechung des Verfahrens nicht ein; _____das Prozessgericht hat jedoch auf Antrag des Bevollmächtigten, in den Fällen des _____Todes und der Nacherbfolge auch auf Antrag des Gegners die Aussetzung des Ver_____fahrens anzuordnen. _____ (2) Die Dauer der Aussetzung und die Aufnahme des Verfahrens richten sich _____nach den Vorschriften der §§ 239, 241 bis 243; in den Fällen des Todes und der _____Nacherbfolge ist die Ladung mit dem Schriftsatz, in dem sie beantragt ist, auch _____dem Bevollmächtigten zuzustellen. _____ Übersicht _____ ____ 1 IV. Aussetzung ____ 8 _____I. Allgemeines II. Vertretung durch einen ProzessbevollmächV. Aufnahme ____ 9 _____ ____ tigten 3 VI. Fortgang des Verfahrens ohne Ausset_____ ____ 6 zung ____ 10 _____III. Aussetzungsantrag _____ _____ _____ _____ _____3 RGZ 167, 215, 218 f. 4 Lt. 2. Aufl. A I b erklärten LG und AG Breslau infolge der Eingriffe der SA in die Justiz am 13.3. 1933 ein _____iustitium. _____5 OLG Breslau JW 1923, 190 (betr. Streik der gesamten Gerichtsverwaltung). _____6 RG Das Recht 21, 2625.

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§ 246

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ I. Allgemeines ______ ______ Nach § 86 wird die Prozessvollmacht weder durch den Tod des Vollmachtgebers 1 ______noch durch eine Veränderung in seiner Prozessfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertre______tung aufgehoben.1 Aus diesem Grund wird das Verfahren in den Fällen der §§ 239, 241, ______242 nicht von selbst unterbrochen, sofern die Partei durch einen Prozessbevollmächtig______ten vertreten ist. Der Bevollmächtigte hat aber nach § 246 das Recht, die Aussetzung des ______Verfahrens zu beantragen.2 Ihm soll dadurch die Möglichkeit verschafft werden, Wei______sungen und Vollmacht von dem Erben bzw. dem gesetzlichen Vertreter, dem Nachlass______verwalter oder dem Nacherben einzuholen.3 Das gleiche Recht gewährt die Vorschrift ______dem Gegner in den Fällen der §§ 239, 242 (Tod, Nacherbfolge und gleichartige Konstella______tionen). Der Gegner muss klären, wer der Nachfolger ist und sodann entscheiden, ob und ______wie er das Verfahren gegen ihn fortsetzen will. Die Vorschrift ist anwendbar in allen Ver______fahren, für die auch §§ 239, 241, 242 gelten (s. Vor § 239 Rdn. 6; zur Unterbrechung/Aus______setzung bei der Streitgenossenschaft s. § 239 Rdn. 3). Im Fall der Insolvenz (§ 240) findet ______§ 246 keine Anwendung, da der Insolvenzverwalter nicht Rechtsnachfolger des Gemein______schuldners ist (zum Fall der Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens s. ______§ 240 Rdn. 17). § 246 greift weiterhin dann nicht ein, wenn eine juristische Person ihre ______Parteifähigkeit verloren hat und die Liquidation beendet ist.4 In diesem Fall ist die Klage ______als unzulässig abzuweisen, weil kein Gegner mehr vorhanden ist. Wird dagegen eine ______Gesellschaft auf eine andere verschmolzen oder wird eine Umwandlung vorgenommen, ______tritt die übernehmende Rechtsträgerin an die Stelle der früheren Partei. In diesem Fall ______tritt keine Unterbrechung ein.5 ______ § 246 bezieht sich auf ein Ereignis i.S.d. §§ 239, 241, 242, das im Laufe eines Verfah2 ______rens eintritt.6 Fehlt von vornherein die Prozessfähigkeit7 oder fällt eine Partei ersatzlos ______weg, ist für die Anwendung des § 246 kein Raum; die Klage ist als unzulässig abzuwei______sen. Ebensowenig ist die Bestimmung einschlägig, wenn eine zunächst nicht bestehende ______Partei im Laufe des Verfahrens existent wird. ______ ______ II. Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten ______ ______ Die Anwendung des § 246 setzt voraus, dass der Prozessbevollmächtigte, der nicht 3 ______Anwalt sein muss, für eine andere Partei tätig ist. Ob Anwaltszwang herrscht, ist gleich______gültig. Ist der Prozessbevollmächtigte als gesetzlicher Vertreter einer Partei oder als Par______tei kraft Amtes tätig und „vertritt“ er sich nach § 78 Abs. 4 selbst, führt der Wegfall der ______Amtsstellung zur Unterbrechung gemäß § 241 (s. dort Rdn. 6); § 246 greift nicht ein.8 Die ______Vorschrift gilt hingegen bei der Klage einer Anwaltssozietät, sofern diese sich im Prozess ______ ______ ______ ______1 Zum Tod der Partei vor Rechtshängigkeit s. BGHZ 121, 263 = MDR 1993, 1238. ______2 Dies gilt auch für einen durch Tod einer Partei erledigten Eherechtsstreit, § 619, in dem noch über die ______Kosten zu entscheiden ist; OLG Schleswig SchlHA 1977, 102; a.A. OLG Schleswig SchlHA 1974, 103; s. auch BGH NJW 1981, 686; 1984, 2829, 2830; OLG Nürnberg NJW-RR 1996, 395 (betr. Folgesache ______Versorgungsausgleich). ______3 Hahn Mat. II, 1, zu § 215, S. 250. ______4 BGHZ 74, 212 = NJW 1979, 1592. ______5 BGHZ 157, 151 = NJW 2004, 1528. 6 Zur Berücksichtigung der Rechtsnachfolge in ihrer sachlichrechtlichen Auswirkung nach Aussetzung ______des Revisionsverfahrens wegen Todes des Klägers s. BGH ZIP 1986, 1454 = MDR 1987, 130. ______7 RGZ 18, 383. ______8 RG JW 1913, 876 Nr. 20.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 246

_____selbst vertritt und einer der Sozien stirbt. Auf Antrag ist das Verfahren dann auszusetzen _____(s. § 244 Rdn. 1).9 _____ Die Partei muss durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten vertreten 4 _____sein.10 Eine Partei, die im Laufe des Rechtsstreits prozessunfähig wird, ist wirksam ver_____treten, wenn sie die Prozessvollmacht zu einem Zeitpunkt erteilt hat, als sie noch pro_____zessfähig war.11 Bei Wegfall der gesetzlichen Vertretungsbefugnis eines Elternteils ist _____§ 246 anwendbar.12 Das gilt auch bei vorläufiger Sorgerechtsübertragung auf den beklag_____ten Elternteil, wenn der minderjährige Kläger anwaltlich vertreten ist.13 An der Vertre_____tung fehlt es, wenn der Prozessbevollmächtigte vor Eintritt der in Abs. 1 genannten Er_____eignisse das Mandat durch Erklärung gegenüber dem Gericht niedergelegt hatte.14 _____Ebenso ist der umgekehrte Fall zu behandeln, dass nach Eintritt des Unterbrechungs_____grundes (§§ 239, 241, 242) das Mandat beendet wird15 oder der Prozessbevollmächtigte _____wegfällt. In beiden Fällen ist die Partei schutzbedürftig und ungeachtet der Regelung des _____§ 87 Abs. 1 Hs. 2 nicht als vertreten im Sinne des § 246 Abs. 1 anzusehen. _____ Ob Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand, hängt ferner von 5 _____dem Verfahrensstand ab. Solange der Rechtsstreit nicht durch Rechtsmitteleinlegung _____in die nächste Instanz gelangt ist, also auch nach Urteilszustellung, bleibt die Partei _____durch den Prozessbevollmächtigten der Vorinstanz vertreten.16 Dieser kann Aussetzung _____beantragen oder auch einen Anwalt für die Rechtsmittelinstanz beauftragen (§§ 81, 86).17 _____Ist die Partei nach Einlegung des Rechtsmittels durch den Gegner in dem Augenblick, in _____dem das die Unterbrechung herbeiführende Ereignis eintritt, nicht durch einen beim _____Rechtsmittelgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten, wird das Verfah_____ren unterbrochen.18 Das Gleiche gilt, wenn die Partei nach Zustellung des erstinstanzli_____chen Urteils stirbt und die Sache dann durch Rechtsmitteleinlegung des Gegners in die _____höhere Instanz gebracht wird, wo die Rechtsnachfolger noch nicht vertreten sind. In die_____sem Fall tritt mit der Rechtsmitteleinlegung des Gegners die Unterbrechung ein.19 _____ _____ III. Aussetzungsantrag _____ _____ Die Berechtigten – der Prozessbevollmächtigte bzw. der Gegner (s. Rdn. 1), nicht 6 _____aber der Nebenintervenient20 – können den Aussetzungsantrag21 in jedem Verfahrens_____stadium bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung beim Prozessgericht (§ 248 _____Abs. 1) stellen, auch wenn der Grund schon vor Urteilserlass eingetreten ist. Nach Ablauf _____der Rechtsmittelfrist ist der Antrag unzulässig, ein dennoch ergehender Beschluss un_____wirksam.22 Die unrichtige schriftsätzliche Mitteilung des Prozessbevollmächtigten, der _____ _____ _____9 A.A. BAG NJW 1972, 1388 = AP Nr. 1 zu § 246, das Vertretung in entsprechender Anwendung des § 62 Abs. 1 annimmt, m. abl. Anm. E. Schumann. _____10 Beiordnung als PKH-Anwalt ohne Vollmachtserteilung reicht nicht: BGHZ 2, 227 = NJW 1951, 802. _____11 BGH MDR 1964, 126. _____12 OLG Hamburg FamRZ 1983, 1262. _____13 BGH FamRZ 1991, 548. _____14 BGHZ 43, 135, 137 = NJW 1965, 1019 = LM § 246 ZPO Nr. 6 m. Anm. Mattern. 15 BAG 31, 309 = AP Nr. 1 zu § 241 ZPO m. Anm. Rimmelspacher; s. auch § 244 Rdn. 12. _____16 RGZ VZS 68, 247; BGH NJW 1981, 686 f.; VersR 1993, 1375; s. auch BGH v. 18.11.1952 LM Nr. 28 zu § 233; _____OLG Schleswig MDR 1986, 154 (betr. Tod der Partei vor Abschluss des Rechtszuges). _____17 OLG Schleswig MDR 1986, 154. _____18 RGZ VZS 71, 155; 109, 47; BGHZ 2, 227 = NJW 1951, 802 (LS). 19 RGZ 155, 224. _____20 RG JW 1911, 99 Nr. 26. _____21 Dafür genügt die bloße Mitteilung über den Tod der Partei nicht, vgl. BGH VersR 1993, 1357. _____22 RGZ 62, 26.

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§ 246

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______Mandant sei verstorben und das Verfahren sei aus diesem Grund unterbrochen, kann ______nicht als Aussetzungsantrag ausgelegt werden.23 ______ Das Antragsrecht steht dem Gegner der verstorbenen Partei auch dann noch zu, 7 ______wenn die Rechtsnachfolger erklären, dass sie das Verfahren aufnehmen.24 Auf das An______tragsrecht kann der Berechtigte ausdrücklich oder konkludent verzichten.25 Ein Verzicht ______liegt nicht schon darin, dass der Prozessbevollmächtigte in Kenntnis des Aussetzungs______rechts den Prozess einstweilen fortführt, etwa zunächst das Urteil ergehen lässt, um ______dann den Aussetzungsantrag zu stellen.26 Auch in dem vorbehaltlosen Verhandeln zur ______Hauptsache ist noch kein Verzicht zu sehen.27 Unter besonderen Umständen kann sich ______die Antragstellung als Rechtsmissbrauch darstellen.28 Der Ablauf einer längeren Zeit ______zwischen Eintritt des Aussetzungsgrundes und Antragstellung reicht dafür allein nicht ______aus.29 Nur wenn die Aussetzung keinen prozessualen Sinn mehr hätte, kann ein entspre______chender Antrag als rechtsmissbräuchlich behandelt werden. § 249 Abs. 3 ist im Fall der ______Aussetzung nicht anwendbar. Das Gericht hat es jedoch bei Spruchreife in der Hand, ______sachlich zu entscheiden und zugleich auszusetzen.30 ______ ______ IV. Aussetzung ______ ______ Der Aussetzungsbeschluss ist wirksam ohne Rücksicht darauf, ob seine sachlichen 8 ______Voraussetzungen vorliegen.31 Seine Wirkungen (§ 249) treten erst mit der Verkündung ______bzw. mit der Mitteilung an die Parteien ein. Die formlose Mitteilung nach § 329 Abs. 2 ______Satz 1 genügt (s. § 248 Rdn. 3).32 Zwar bedarf die Entscheidung gemäß §§ 329 Abs. 3, 252 ______der Zustellung. Unterbleibt sie, darf den Parteien hierdurch kein Nachteil entstehen. Die ______Entscheidung wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Ursprungsereignisses oder der Antrag______stellung zurück.33 Eine vor Bekanntgabe des Aussetzungsbeschlusses bereits verstriche______ne Frist bleibt unberührt; sie kann nicht mehr nach § 249 Abs. 1 unterbrochen werden. ______Hieraus folgt, dass der Prozessbevollmächtigte, der einen Aussetzungsantrag während ______des Laufes der Rechtsmittelbegründungsfrist stellt, überwachen muss, ob die Ausset______zung rechtzeitig vor Fristablauf erfolgt.34 ______ ______ V. Aufnahme ______ ______ Für die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens sind die dieselben Vorschriften an9 ______zuwenden, die in den Fällen der Unterbrechung (§§ 239, 241–243) gelten, Abs. 2. Die Aus______setzung endet mit der Zustellung der Aufnahmeerklärung bzw. der Anzeige (§ 250) ______ ______ ______23 BGH VersR 1993, 1375. 24 RGZ 36, 401, 404. ______25 OLG Schleswig JR 1950, 246. ______26 RGZ 46, 379; a.A. MünchKomm-ZPO/Feiber Rdn. 15, der jedoch bei seiner Argumentation außer Acht ______lässt, dass die Fortführung nicht unbedingt eine Anzeige nach § 241 Abs. 1 enthalten muss. ______27 BFH BStBl. II 1971, 775; a.A. OLG Schleswig a.a.O. ______28 OLG Nürnberg ZZP 64 (1951), 387 m. Anm. Rosenberg (betr. den Fall der Verwerfung einer Berufung trotz vorliegenden Aussetzungsantrages); prinzipiell a.A. AK/Ankermann Rdn. 5; MünchKomm-ZPO/Feiber ______Rdn. 19. ______29 Nach Rosenberg/Schwab/Gottwald § 128 II 1 ist der Aussetzungsantrag rechtsmissbräuchlich, wenn er ______gestellt wird, obwohl die Klage abweisungsreif ist; s. auch Käfer MDR 1955, 197. ______30 RGZ 30, 374; BGHZ 43, 135 = NJW 1965, 1019. 31 BGHZ 43, 135, 136 = NJW 1965, 1019. ______32 Zur formlosen Bekanntgabe BGH NJW-RR 2011, 1282, 1283. ______33 RG JW 1928, 1297; BGH NJW 1987, 2379 = MDR 1987, 739; offen gelassen von BGH VersR 1993, 1375. ______34 BGHZ 69, 395; NJW 1987, 2379, 2380.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 247

_____oder nach § 239 Abs. 4. Zur Aufnahme „zwischen den Instanzen“ s. § 239 Rdn. 20. In den _____Fällen des § 239 und der Nacherbfolge sind der Aufnahmeschriftsatz und die Terminsla_____dung auch dem bisherigen Prozessbevollmächtigten zuzustellen, Abs. 2 Hs 2; ande_____renfalls ist die Ladung nicht ordnungsgemäß und es kann kein Versäumnisurteil gegen _____den Geladenen ergehen. Die Prozessvollmacht bleibt auch nach Aussetzung des Verfah_____rens bestehen.35 Tritt ein neuer Bevollmächtigter auf, hat er die Vollmachtserteilung _____durch den Rechtsnachfolger eventuell gemäß §§ 86, 80, 88 nachzuweisen. Er kann nach _____§ 89 einstweilen zugelassen werden. Zum Verfahren bei einem Streit über die Fortset_____zung des Rechtsstreits s. § 239 Rdn. 17; § 241 Rdn. 11. _____ _____ VI. Fortgang des Verfahrens ohne Aussetzung _____ _____ Wird kein Aussetzungsantrag gestellt, läuft das Verfahren unverändert fort. Die ein- 10 _____getretene Änderung braucht nicht angezeigt zu werden.36 Allerdings muss die Parteibe_____zeichnung richtig gestellt werden. Bleibt der Tod einer Partei unbeachtet, weil er dem _____Gericht nicht mitgeteilt worden ist, und wird auf den Namen der Partei das Urteil erlas_____sen, wirkt es für und gegen den Rechtsnachfolger.37 Die Erteilung einer vollstreckbaren _____Ausfertigung des Urteils richtet sich in diesem Fall nach § 727. Ein namens der verstor_____benen Partei eingelegtes Rechtsmittel gilt als im Namen der Erben eingelegt.38 Ein Streit _____über die Aktiv- oder Passivlegitimation des Nachfolgers ist zu entscheiden, auch wenn _____ein Aussetzungsantrag nicht gestellt wird.39 Die Legitimation eines neuen gesetzlichen _____Vertreters muss nach § 56 geprüft werden.40 _____ _____ _____ § 247 _____ Aussetzung bei abgeschnittenem Verkehr _____ § 247 Gerken _____ Hält sich eine Partei an einem Ort auf, der durch obrigkeitliche Anordnung _____oder durch Krieg oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessge_____richt abgeschnitten ist, so kann das Gericht auch von Amts wegen die Aussetzung _____des Verfahrens bis zur Beseitigung des Hindernisses anordnen. _____ _____ Das Gericht kann das Verfahren nach § 247 aussetzen, wenn die Partei durch Krieg 1 _____oder vergleichbare Umstände gehindert ist, den Prozess sachgemäß zu betreiben. Im _____Verfahren mit notwendigen Streitgenossen, in dem einheitlich entschieden werden _____muss, ist das Verfahren für und gegen alle Streitgenossen auszusetzen.1 In den Fällen der _____einfachen Streitgenossenschaft (§ 61) bietet sich eine Prozesstrennung nach § 145 an. Ob _____ein Nebenintervenient (§ 67) verhindert ist, wird nicht beachtet. Hingegen ist der selb_____ständige Nebenintervenient (§ 69) auch nach § 247 wie eine Partei zu behandeln. Die _____Verhinderung von Zeugen gehört nicht hierher; sie ist nach § 356 zu behandeln. _____ _____ _____ 35 Stein/Jonas/Bork § 86, 2 Fn. 6; Stein/Jonas/Roth Rdn. 9; a.A. RGZ 50, 339. _____36 OLG Hamburg OLGRspr. Bd. 21 (1910), 94. _____37 RG JW 1929, 1397 Nr. 31; OVG Münster NJW 1986, 1707; OLG München MDR 1991, 672 m.w.N. _____38 RGZ 68, 390, 391; RG JW 1936, 810 Nr. 23; OVG Münster NJW 1986, 1707; OLG München MDR 1991, _____672. 39 RGZ 50, 362. _____40 A.A. KG OLGRspr. Bd. 16 (1908), 35. _____ _____1 RGZ 106, 136, 142.

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§ 248

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 2 Der Gesetzestext gibt die Hinderungsgründe nur beispielhaft wieder. Sie müssen all______gemeiner Art sein wie Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien u.Ä.2 Als ausreichender ______Grund sind auch behördliche Absperrmaßnahmen angesehen worden, wie sie in der ______DDR galten.3 Die Vertretung der Partei durch einen Prozessbevollmächtigten schließt ______nicht aus, dass sie „von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist“, da es ______auch darum geht, dass die Partei ihren Bevollmächtigten unterrichten und vor Gericht ______ihre Rechte nach §§ 137 Abs. 4, 397 wahrnehmen kann. Die bloß in der Person der Partei ______liegenden Gründe (etwa Krankheit, Aufenthalt an einem entfernten Ort, finanzielles Un______vermögen) rechtfertigen dagegen keine Aussetzung. ______ 3 Das Gericht kann auf Antrag einer Partei (§ 248) oder von Amts wegen (§ 247) ohne ______mündliche Verhandlung entscheiden. Die Entscheidung liegt in seinem Ermessen. Eine ______Einschränkung ergibt sich lediglich aus Art. 103 Abs. 1 GG. ______ 4 Die Aussetzung erfolgt „bis zur Beseitigung des Hindernisses“. Da das Gericht über ______den Aussetzungsgrund entscheidet, erfordert auch die Beendigung der Aussetzung ______grundsätzlich einen Gerichtsbeschluss.4 Dieser muss nach § 329 Abs. 2 Satz 2 förmlich ______zugestellt werden, wenn er eine Frist in Lauf setzen soll (§ 249 Abs.1).5 ______ ______ ______ § 248 ______ Verfahren bei Aussetzung ______ § 248 Gerken ______ (1) Das Gesuch um Aussetzung des Verfahrens ist bei dem Prozessgericht an______zubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. ______ (2) Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. ______ ______ § 248 regelt das Aussetzungsverfahren in den Fällen der §§ 246, 247. § 248 Abs.2 ist 1 ______auf Aussetzungen nach §§ 148, 149 entsprechend anwendbar.1 Wird das Aussetzungsge______such in der mündlichen Verhandlung gestellt, unterliegt es dem Anwaltszwang gemäß ______§ 78. Außerhalb der mündlichen Verhandlung kann es zu Protokoll der Geschäftsstelle ______(§§ 78 Abs. 3, 129 a) erklärt werden (Abs. 1). ______ 2 Anzubringen ist das Gesuch bei dem Prozessgericht, also dem Gericht, bei dem der ______Rechtsstreit schwebt. Die Zuständigkeit des unteren Gerichts endet nicht schon mit Ver______kündung und Zustellung des Urteils, sondern erst mit Einlegung eines Rechtsmittels.2 ______Hiermit geht die Entscheidungsbefugnis auf das Rechtsmittelgericht über. Ein Ausset______zungsbeschluss der unteren Instanz, der nach der Rechtsmitteleinlegung zugestellt wird, ______bleibt wirkungslos.3 Das Rechtsmittelgericht muss in diesem Fall über den vorliegenden ______Antrag neu entscheiden. Einer Wiederholung des Gesuchs bedarf es nicht. Ein nach Ab______ ______ ______2 Zur Frage, ob bei einem Friedenseinsatz der Bundeswehr in einem Krisengebiet eine Verhinderung ______vorliegt, s. OLG Zweibrücken NJW 1999, 2907. ______3 OLG Celle Nds.Rpfl 1949, 88; KG NJW 1962, 542; a.A. Darkow NJW 1962, 1287; anders auch OLG ______Braunschweig Nds.Rpfl 1953, 200 im Fall einer in Lettland ansässigen Partei, wo seinerzeit keine Aussicht auf Wegfall des Hindernisses bestand. ______4 Vgl. OLG Breslau JW 1915, 1075. ______5 A.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. ______ ______1 RGZ 29, 383 zu § 140 CP.(§ 49 ZPO); OLG München NJW 1968, 2150; Stier JZ 1960, 354; v. Maltzahn GRUR 1985, 163, 171 f. m.w.N.; a.A. RGZ 40, 373 zu § 139 CPO (§ 148 ZPO). ______2 RGZ VZS 68, 247; BGH NJW 1977, 718. ______3 RGZ 130, 337, 339; a.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 3, wonach auch der fehlerhafte Beschluss der unteren ______Instanz die Wirkung des § 249 hat; ebenso MünchKomm-ZPO/Feiber Rdn. 3.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 249

_____lauf der Rechtsmittelfrist gestellter Antrag ist unzulässig, da ihm die Rechtskraft der er_____gangenen Entscheidung entgegensteht.4 In einer solchen Lage kann nur ein Wiederein_____setzungsverfahren weiterhelfen. _____ Der Beschluss des Prozessgerichts kann nach Abs. 2 ohne mündliche Verhandlung 3 _____ergehen. In der Begründung muss der Aussetzungsgrund angegeben werden, damit die _____Parteien wissen, wie das Verfahren aufgenommen werden kann.5 Ergeht der Beschluss _____aufgrund mündlicher Verhandlung, ist er zu verkünden, § 329 Abs. 1 Satz 1. Ein im _____schriftlichen Verfahren erlassener Beschluss wird mit Bekanntgabe wirksam.6 Der Be_____schluss muss zwar förmlich zugestellt werden, §§ 329 Abs. 3, 252. Die Wirkung der Aus_____setzung tritt aber schon mit der formlosen Bekanntgabe ein, weil hierdurch für die Par_____teien ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird. 7 Sie dürfen durch die fehlerhafte _____Bekanntgabe der Entscheidung keinen Nachteil erleiden. Die Ablehnung der Aussetzung _____kann auch in den Entscheidungsgründen des Urteils ausgesprochen werden.8 _____ Der Beschluss, mit dem die Aussetzung angeordnet oder abgelehnt wird, kann mit 4 _____der sofortigen Beschwerde angefochten werden (§ 252). Das Urteil muss mit dem entspre_____chenden Rechtsmittel angegriffen werden. Zur Wirksamkeit eines fehlerhaften Ausset_____zungsbeschlusses s. Erl. zu § 246 Rdn. 8. _____ _____ _____ § 249 _____ Wirkung von Unterbrechung und Aussetzung _____ § 249 Gerken _____ (1) Die Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens hat die Wirkung, dass _____der Lauf einer jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Unterbrechung oder _____Aussetzung die volle Frist von neuem zu laufen beginnt. _____ (2) Die während der Unterbrechung oder Aussetzung von einer Partei in Anse_____hung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen sind der anderen Par_____tei gegenüber ohne rechtliche Wirkung. _____ (3) Durch die nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung eintretende _____Unterbrechung wird die Verkündung der auf Grund dieser Verhandlung zu erlas_____senden Entscheidung nicht gehindert. _____ Übersicht _____ ____ 1 3. Prozesshandlungen _____I. Anwendungsbereich und Unterbrechung der Parteien ____ 15 _____II. Wirkung der Aussetzung ____ 3 1. Allgemeines 4. Handlungen des Gerichts _____ 2. Fristen a) Unzulässige Verfahrens_____ a) Fristen im eigentlichen Sinne ____ 6 akte ____ 20 _____ b) Uneigentliche Fristen, außerprozesb) Rechtsfolgen, Rechtsbehelfe ____ 21 _____ suale Fristen ____ 8 c) Heilungsmöglichkeiten ____ 23 _____ c) Fristlauf nach Beendigung des Verd) Verkündung einer Entscheidung, _____ fahrensstillstands ____ 10 § 249 Abs. 3 ____ 24 ____ _____ d) Rechtsmittelfristen 12 III. Anfang und Ende des Stillstands ____ 31 _____ _____ _____ _____ _____4 KG OLGRspr Bd. 23 (1911), 142. 5 OLG Köln VersR 1989, 518. _____6 BGHZ 69, 395, 397 = MDR 1978, 309; BGH NJW 1987, 2379. _____7 BGH NJW-RR 2011, 1282, 1283 = MDR 2011, 1134 (Ls). _____8 BGH LM § 252 ZPO Nr. 1.

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§ 249

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ I. Anwendungsbereich ______ ______ § 249 Abs. 1 regelt die Wirkung von Unterbrechung und Aussetzung auf die Fristen, 1 ______Abs. 2 die Wirkung auf die Prozesshandlungen der Parteien. Die Folgen der Unterbre______chung für Handlungen des Gerichts ergeben sich mittelbar aus Abs. 3. ______ § 249 gilt für alle Fälle der Unterbrechung und Aussetzung, also auch für die §§ 148 ff. 2 ______Die Vorschrift kommt nicht zur Anwendung, soweit einzelne Verfahren oder Verfahrensab______schnitte nicht der Unterbrechung bzw. Aussetzung unterliegen. So wird das Prozesskos______tenhilfeverfahren nicht durch einen Anwaltsverlust (§ 244) unterbrochen, weil in ihm kein ______Anwaltszwang herrscht und ein anderer Anwalt beigeordnet werden kann.1 Ein selbstän______diges Beweisverfahren wird fortgesetzt, auch wenn das bereits anhängige Erkennt______nisverfahren zum Stillstand kommt. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß ______§ 36 Nr. 3 ist auch dann möglich, wenn das Verfahren durch Insolvenz unterbrochen ist.2 ______Die Streitwertfestsetzung3 ist trotz Unterbrechung und Aussetzung zulässig, soweit sie ______für die Festsetzung der Kosten erforderlich ist. Dient sie dagegen der Vorbereitung einer ______Entscheidung gemäß § 522 Abs. 1, mit der die Berufung wegen Nichterreichens der Beru______fungssumme verworfen werden soll, ist sie dagegen nicht gestattet.4 Eine Tatbestandsbe______richtigung ist unter Umständen möglich.5 Auf die Zwangsvollstreckung6 finden die ______§§ 239 ff. keine Anwendung. Trotz einer Unterbrechung kann die Vollstreckung aus ei______nem bereits ergangenen Urteil weiterbetrieben werden. Daher kann der Schuldner auch ______während der Unterbrechung die Schutzanträge nach §§ 707, 719 wirksam stellen.7 Das ______Kostenfestsetzungsverfahren kommt mit dem Erkenntnisverfahren grundsätzlich zum ______Stillstand,8 es sei denn, dass dieses bereits in der nächsten Instanz anhängig ist und sich ______der Anlass zum Stillstand nur dort ergibt.9 Liegt schon eine rechtskräftige Kostengrund______entscheidung vor, kann das Kostenfestsetzungsverfahren selbständig unterbrochen oder ______ausgesetzt werden (zur Wirksamkeit eines trotz des Stillstands erlassenen Kostenfestset______zungsbeschlusses s. Rdn. 21 f.). ______ ______ II. Wirkung der Aussetzung und Unterbrechung ______ ______ 3 1. Allgemeines. Unterbrechung und Aussetzung haben – abgesehen von § 249 ______Abs. 3 – dieselben Wirkungen. Das Verfahren kommt zum Stillstand. Der Fristlauf hört ______auf. „In Ansehung der Hauptsache“ vorgenommene Prozesshandlungen der Parteien ______ ______ ______1 BGH NJW 1966, 1126 = MDR 1966, 573; OLG Oldenburg JW 1936, 1309. ______2 BayObLG NJW 1986, 389. ______3 OLG Neustadt NJW 1965, 591; OLG Hamm MDR 1971, 495. 4 BGH NJW 2000, 1199 = MDR 2000, 168. ______5 OLG Schleswig SchlHA 1971, 18, 19, das wegen des Beschleunigungsbedürfnisses (§ 320 Abs. 2 Satz 3) ______§ 249 Abs. 3 entsprechend anwendet. ______6 OLG Neustadt NJW 1965, 591; OLG Frankfurt Rpfl. 1975, 441; OLG Bamberg NJW-RR 1989, 576; zur ______Klauselumschreibung s. OLG Stuttgart Rpfl. 1990, 312; OLG Hamburg JW 1915, 1075: die Aussetzung des ______Streitverfahrens hindert nicht die Vollstreckung aus einem bereits erlassenen Urteil. 7 OLG Bamberg NJW-RR 1989, 576. ______8 RG JW 1891, 198; KG MDR 1970, 429; JurBüro 1976, 377; OLG München JurBüro 1975, 520; OLG Stuttgart, ______Die Justiz 1977, 61; Rpfl. 1990, 312; OLG Hamm MDR 1988, 870; OLG Koblenz NJW-RR 2005, 512; ______einschränkend OLG München MDR 1990, 252; OLG Naumburg MDR 1994, 514; zur selbständigen ______Aussetzung oder Unterbrechung des Kostenfestsetzungsverfahrens vgl. OLG Köln JurBüro 1974, 374 und OLG München Rpfl. 1974, 368; zum Verfahren gemäß § 19 BRAGO OLG Hamm Rpfl. 1975, 446. ______9 KG JW 1939, 648; OLG Koblenz KTS 1988, 368. Nach OLG München MDR 1990, 252 wirkt sich die ______Aussetzung des Rechtsstreits nach Erlass eines vorläufig vollstreckbaren Urteils auf das ______Kostenfestsetzungsverfahren nicht aus.

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_____(zum Begriff s. Rdn. 15) sind der anderen Partei gegenüber unwirksam. Auch das Gericht _____darf nach außen hin grundsätzlich keine Handlungen mehr vornehmen (zu den Aus_____nahmen s. Rdn. 24 ff.). _____ Die Wirkung tritt für die Instanz ein, in der sich der Unterbrechungsgrund ergibt _____bzw. in der die Aussetzung ausgesprochen wird.10 Stirbt eine Partei, die sich in einem _____Prozess vor dem Amtsgericht selbst vertreten hat (§ 79), wird das Verfahren nur dort un_____terbrochen (§ 239 Abs. 1). Die Unterbrechung erstreckt sich nicht auf den Teil des Prozes_____ses, der in der Berufungsinstanz schwebt, in der die Partei anwaltlich vertreten ist (§ 246 _____Abs. 1). _____ Hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt und tritt dann ein Unterbrechungsgrund _____ein, wirken Aussetzung und Unterbrechung nebeneinander. Ist aber das Verfahren _____schon unterbrochen, kommt eine Aussetzung nicht mehr in Betracht. _____ _____ 2. Fristen _____ _____ a) Fristen im eigentlichen Sinne. § 249 Abs. 1 setzt dem Lauf einer jeden Frist ein _____Ende. Er verhindert auch, dass eine Frist überhaupt zu laufen beginnt.11 Dies ist in jeder _____Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten.12 _____ § 249 Abs. 1 gilt für alle Fristen im eigentlichen Sinn (zum Begriff vgl. Vor § 214 _____Rdn. 20), also auch für die Notfristen (s. Vor § 214 Rdn. 26), die Fristen für die Begrün_____dung der Berufung, der Revision,13 der Rechtsbeschwerde und die richterlichen Fristen _____(vgl. Vor § 214 Rdn. 32).14 Analog § 249 wird die Frist des § 234 Abs. 1 nach Ablauf der _____Rechtsmittelfrist durch die in §§ 239 ff. genannten Ereignisse unterbrochen,15 ebenso die _____Monatsfrist des § 586 Abs. 1. Die §§ 239 ff., 249 müssen auch angewendet werden, wenn _____ein Prozessvergleich unter Widerrufsvorbehalt16 abgeschlossen und für den Widerruf _____eine Frist vereinbart wird.17 _____ _____ b) Uneigentliche Fristen, außerprozessuale Fristen. Die Bestimmung findet keine _____Anwendung auf die uneigentlichen Fristen18 (vgl. Vor § 214 Rdn. 20). Hierzu gehören _____auch der Zeitraum von 3 Monaten gemäß § 320, der von 5 Monaten gemäß §§ 517, 548 und _____der Jahreszeitraum gemäß § 234 Abs. 3.19 Wird ein nach Urteilsverkündung unterbroche_____nes Verfahren fortgesetzt, beginnt daher nur die Notfrist von einem Monat neu zu laufen, _____nicht aber der Zeitraum von 5 Monaten; dieser läuft ohne Rücksicht auf den Stillstand _____weiter.20 _____ § 249 Abs. 1 gilt ferner nicht für die in der ZPO genannten außerprozessualen Fris_____ten (s. Vor § 214 Rdn. 19) und alle übrigen materiellrechtlichen Fristen.21 Die durch Kla_____ _____ 10 RGZ 16, 352, 355. _____11 BGHZ 9, 308, 309 = NJW 1953, 1144; BGHZ 111, 104, 108 = NJW 1990, 1854, 1855. _____12 OLG Köln NJW-RR 1988, 701 = MDR 1988, 589; OLG München NJW-RR 1989, 255. _____13 BGH JurBüro 1997, 151. _____14 BGH NJW 1967, 1420 = MDR 1967, 985. _____15 BGHZ 9, 308 = NJW 1958, 1144 betr. § 240; BAG AP Nr. 1 zu § 241 ZPO m. Anm. Rimmelspacher; s. auch § 240, 5; § 234, 3, 14. _____16 BGHZ 88, 364 = NJW 1984, 312. _____17 A.A. Voigt Der Einfluss des Konkurses auf die schwebenden Prozesse des Gemeinschuldners (1903) _____S. 14, 74. _____18 RGZ 122, 51, 54; OLG Celle Rpfl. 1957, 85. 19 A.A. Hellwig System des deutschen Zivilprozessrechts I § 185 V. _____20 RGZ 122, 51, 54. _____21 RGZ 145, 239, 240 (anders ist dies, wenn das Verfahren aufgrund §§ 251, 251 a ruht); BGH NJW 1963, _____2019 = MDR 1963, 752; BGH VersR 1982, 651; BAG NJW 1990, 2578.

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______geerhebung herbeigeführte Hemmung der Verjährungsfrist (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) ______dauert während des Verfahrensstillstands fort. Unterbrechung oder Aussetzung setzen ______keine neue Frist in Lauf. Denn darin liegt kein grundloses „Nichtbetreiben“ im Sinne von ______§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB.22 Eine neue Verjährungsfrist beginnt aber zu laufen, wenn das ______Verfahren nach dem Wegfall des Unterbrechungs- oder Aussetzungsgrundes nicht ______weiterbetrieben wird.23 ______ ______ c) Fristlauf nach Beendigung des Verfahrensstillstands. Nach Beendigung des 10 ______Stillstands (durch Wegfall des Grundes, durch Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses, ______durch Aufnahme gemäß § 250, im Fall des § 136 Abs. 3 FamFG (§ 614 Abs. 4 a.F.) mit Ab______lauf des festgesetzten Zeitraums)24 beginnt – im Gegensatz zur Fristhemmung – die volle ______Frist von neuem zu laufen.25 ______ 11 Eine richterlich bestimmte Datumsfrist, deren Ende in den Zeitraum der Unterbre______chung bzw. Aussetzung fällt, verliert ihre Wirkung; sie ist neu festzusetzen26 (zur Rechts______mittelbegründungsfrist s. Rdn. 14). Der noch nicht verstrichene Teil kann nicht etwa in ______eine Tagesfrist umgedeutet werden. ______ ______ d) Rechtsmittelfristen. Neu beginnt auch die Rechtsmittelfrist. Ist sie nicht in Lauf 12 ______gesetzt, weil das Verfahren vor Urteilszustellung zum Stillstand gekommen ist, beginnt ______der Fristlauf mit der Zustellung, es sei denn, der Zeitraum von 5 Monaten der §§ 517, 548 ______ist bereits verstrichen (vgl. Rdn. 8). In diesem Fall setzt der Fristlauf auch ohne Zustel______lung unmittelbar nach dem Ende des Stillstands ein.27 ______ Im Fall der Rechtsnachfolge beginnt der Lauf der Rechtsmittelfrist mit der Aufnahme 13 ______durch den Rechtsnachfolger28 (§ 250), die auch durch rügelose Einlassung geschehen ______kann.29 Der Fristbeginn hängt nicht davon ab, dass der Gegner die Rechtsnachfolge aner______kennt. Soll die Aufnahme nach § 239 Abs. 2–4 gegen den Rechtsnachfolger durchgesetzt ______werden, muss zunächst in einem Zwischenverfahren ein Zusatzurteil erstritten werden ______(vgl. § 239 Rdn. 20 f.), das die Wirksamkeit des ergangenen Urteils gegen den Rechts______nachfolger ausspricht. Erst durch das Zusatzurteil wird festgestellt, dass das in der ______Hauptsache ergangene Urteil gegen den Rechtsnachfolger wirkt. Dieses Urteil stellt nur ______einen Nachtrag ohne selbständigen Charakter dar.30 Mit seinem Erlass liegt eine einheit______liche Entscheidung gegen den Rechtsnachfolger vor, gegen die er das zulässige Rechts______mittel einlegen kann. Die Rechtsmittelfrist beginnt daher mit Zustellung des Zusatzur______teils, nicht erst mit seiner Rechtskraft.31 § 518 kann nicht analog herangezogen werden.32 ______Bei Unterbrechung durch Verlust der Prozessfähigkeit oder Wegfall des Vertreters ______ ______ ______ 22 Zur Unterbrechung der Verjährung gemäß § 211 BGB a.F. s. RGZ 145, 239, 240; BGHZ 15, 80, 82 = NJW ______1954, 1883; BGH NJW 1987, 371 = MDR 1987, 42. ______23 RGZ 72, 185, 187. ______24 BGH LM § 249 ZPO Nr. 2. ______25 BGHZ 98, 325, 327 = NJW 1987, 327, 328 = MDR 1987, 230; zum Neubeginn der Rechtsmittelfrist bei ______Einstellung des Insolvenzverfahrens vgl. BGH NJW 1990, 1239. 26 RGZ 118, 158; RGZ VZS 120, 1, 3; RGZ 151, 279, 282. ______27 RGZ 122, 51, 55. ______28 Jonas JW 1931, 1764. ______29 RGZ 140, 348, 352; BGHZ 50, 397, 399 = NJW 1969, 48. ______30 RGZ VZS 68, 247, 256. 31 Stein/Jonas/Roth Rdn. 11; Jonas JW 1931, 1764, 1765; a.A. RG JW 1931, 2564, 2565 (ohne Begründung); ______offen gelassen in BGH ______NJW 1972, 258 = MDR 1972, 225 = JR 1972, 156 m. Anm. Haase, der auf die Rechtskraft abstellen will. ______32 RGZ 140, 348, 352 (z. § 517 a.F.).

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_____muss eine wirksame Anzeige gemäß § 241 Abs. 1 vorliegen, damit die Unterbrechung _____aufhört (s. hierzu § 241 Rdn. 11). _____ Ist eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zu einem Endtermin verlängert worden _____und fällt dieser Tag in den Zeitraum der Aussetzung oder Unterbrechung, beginnt mit _____Ende des Stillstands die gesetzliche Begründungsfrist von Neuem zu laufen.33 Hört der _____Stillstand vor dem Endtermin auf, wirkt die Fristverlängerung fort. Die bis zum Endter_____min eingereichte Begründung ist daher auch dann rechtzeitig, wenn die nach der Been_____digung des Stillstands berechnete gesetzliche Begründungsfrist bereits vor diesem Ter_____min ablaufen würde.34 Ist die gesetzliche Frist wirksam um einen bestimmten Zeitraum _____verlängert worden, so bildet sie zusammen mit diesem Zeitraum eine Einheit. Diese Ge_____samtfrist beginnt nach dem Ende der Unterbrechung oder Aussetzung von neuem zu _____laufen. _____ _____ 3. Prozesshandlungen der Parteien. Während des Verfahrensstillstands bleiben _____die in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Par_____tei gegenüber ohne rechtliche Wirkung. Im Gegensatz hierzu stehen die Handlungen, die _____der Geltendmachung oder Beseitigung des Stillstands dienen.35 Unter Hauptsache ist _____daher nicht allein der sachliche Anspruch zu verstehen. Wirkungslos bleiben alle Prozess_____handlungen, die im Laufe eines Prozesses vorgenommen werden können, auch wenn sie _____Nebenansprüche (z.B. Kosten), die vorläufige Vollstreckbarkeit oder ein Nebenverfahren _____betreffen, auf das sich der Stillstand erstreckt36 (vgl. Rdn. 2). _____ Die Unwirksamkeit ist relativ, d.h. sie gilt nur gegenüber dem Gegner.37 Die erklä_____rende Partei ist an ihre Prozesshandlung gebunden. Der Gegner kann sie durch aus_____drückliche oder stillschweigende Genehmigung gemäß § 295 sofort oder später gegen _____sich wirksam werden lassen, selbst wenn eine Notfrist gewahrt werden soll.38 Eine Prü_____fung von Amts wegen erfolgt nicht. _____ Trotz Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens kann eine Partei ein Rechts_____mittel wirksam einlegen39 oder begründen,40 sofern ihr Prozessführungsrecht unberührt _____geblieben ist.41 Die Rechtsmittelinstanz wird eröffnet, jedoch wirken die Prozesshand_____lungen (noch) nicht gegenüber der anderen Partei und es ergeht keine Entscheidung _____(vgl. Rdn. 20). Die Zustellung der Rechtsmittelschrift gemäß §§ 521 Abs. 1, 550 Abs. 2 ist _____nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, aber nach Beendigung des Stillstands nachzuholen. _____Dem Gericht gegenüber wirksam sind ferner der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil _____sowie der Widerspruch gegen einen Mahnbescheid. _____ Auf der Grundlage der in der vorstehenden Rdn. dargestellten h.M. sind die Rück_____nahme der Klage, soweit sie ohne die Zustimmung des Gegners erfolgen kann (§§ 269 _____Abs. 1), eines Rechtsmittels (§§ 516 Abs. 1, 565) und der Rechtsmittelverzicht (§§ 515, _____ _____ _____33 BGHZ 64, 1 = NJW 1975, 692. _____34 BGH NJW 1967, 1420 = MDR 1967, 985. _____35 RGZ 141, 306, 308; Hahn Mat. II, 1, S. 252. _____36 Z.B. Verfahren auf Rückgabe der Sicherheit gemäß § 109: KG KGBl. 1914, 143. 37 BGHZ 4, 314, 320 = NJW 1952, 705; BGHZ 92, 251, 257 = NJW 1985, 328, 330 (Streitverkündung während _____der Unterbrechung); BayObLGZ 1973, 282, 286. _____38 RGZ 51, 95, 97 (§ 249 enthält nicht öffentliches Prozessrecht); RGZ 66, 399, 401; BGHZ 4, 314, 320 = _____NJW 1952, 705; BGH NJW 1969, 48, 49; BAG AP Nr. 1 zu § 241 ZPO m. Anm. Rimmelspacher. _____39 RGZ 170, 1, 6; BGHZ 50, 397, 400 = NJW 1969, 48 = JZ 1969, 235 mit Anm. Grunsky, der auf den Schutzzweck von § 249 Abs. 2 abstellt; BayObLGZ 1973, 283, 286. _____40 RGZ 170, 1, 6. _____41 S. BGHZ 36, 258 = NJW 1962, 589 (auch zur Aufnahmeerklärung als neue Einlegung des _____Rechtsmittels).

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______565) sogleich voll wirksam.42 Der vertragsmäßige, nur dem Gegner gegenüber erklärte ______Rechtsmittelverzicht ist während des Stillstands schon deswegen möglich, weil er keine ______Prozesshandlung, sondern nur die Erklärung darstellt, eine Prozesshandlung nicht vor______zunehmen.43 Ein Aufnahmeverfahren ist überflüssig. ______ Ebenfalls wirksam sind Handlungen, die Dritten gegenüber vorgenommen werden 19 ______(Erteilung der Prozessvollmacht, Klageerweiterung gegenüber einem bisher nicht am ______Prozess beteiligten Streitgenossen).44 ______ ______ 4. Handlungen des Gerichts ______ ______ a) Unzulässige Verfahrensakte. § 249 Abs. 2 gilt über seinen Wortlaut hinaus auch 20 ______für Prozesshandlungen des Gerichts.45 Solange die Unterbrechung oder Aussetzung währt, ______darf das Gericht in Ansehung der Hauptsache keine nach außen wirkenden Prozess______handlungen vornehmen (zum Begriff der Hauptsache im Sinne von § 249 Abs. 2 s. Rdn. 15, ______zur Anwendung von § 249 auf Nebenverfahren s. Rdn. 2). Dies ergibt sich mittelbar aus ______Abs. 3, der nur für den Fall eine Ausnahme macht, dass eine Entscheidung verkündet wer______den soll, die aufgrund einer vor der Unterbrechung durchgeführten mündlichen Ver______handlung zu erlassen ist. Unzulässig sind z.B. die Terminsbestimmung,46 Ladung, Zu______stellung des Urteils47 und die Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist.48 Eine ______bereits beschlossene Beweisaufnahme darf nicht mehr durchgeführt werden.49 Erscheint ______die Partei trotz des Stillstands im Termin, braucht sie sich auf das Verfahren nicht einzu______lassen (zum Rügeverzicht s. aber Rdn. 23). Ein Versäumnisurteil oder eine Entscheidung ______nach Lage der Akten darf nicht ergehen.50 ______ ______ 21 b) Rechtsfolgen, Rechtsbehelfe. Die trotz des Verfahrensstillstands vorgenomme______nen Gerichtshandlungen bleiben grundsätzlich wirkungslos, und zwar beiden Parteien ______gegenüber,51 also auch gegenüber der Partei, die von dem Unterbrechungs- oder Ausset______zungsgrund nicht betroffen ist. Ein bereits verkündetes Urteil kann daher nicht mehr ______wirksam zugestellt werden. Ein Urteil, das trotz eines bereits eingetretenen Verfahrens______stillstands erlassen worden ist, ist allerdings nicht nichtig. Der Verfahrensfehler muss ______mit dem jeweils statthaften Rechtsbehelf geltend gemacht werden.52 Die Entscheidung ______kann daher Grundlage für das Kostenfestsetzungsverfahren sein (zum Stillstand des Kos______tenfestsetzungsverfahren s. aber Rdn. 2). Aus ihr kann auch vollstreckt werden, sofern ______ ______ ______ ______ ______42 BGHZ 4, 314, 320 = NJW 1952, 705; BGHR ZPO § 249 Abs. 2, Prozesshandlung 1. 43 Vgl. RGZ 45, 323, 329; BGHZ 4, 314, 320 = NJW 1952, 705 lässt die Frage offen und gelangt über § 295 ______zur Wirksamkeit. ______44 BGH NJW 1961, 1066, 1067. ______45 RGZ 141, 306, 308; BGHZ 43, 135, 136 = NJW 1965, 1019; BGH NJW 1984, 2829, 2830; BGHZ 111, 104, 107 ______= NJW 1990, 1854, 1855; BGH NJW-RR 1990, 342. ______46 BGH NJW-RR 1990, 342 = WM 1990, 771. 47 BGHZ 111, 104, 107. ______48 RG HRR 1935, 1074. ______49 OLG Stuttgart OLGZ 1969, 188. ______50 BGHZ 66, 59, 61 = MDR 1976, 487; BGH LM §249 ZPO Nr. 9. ______51 BGHZ 111, 104, 107 = NJW 1990, 1854, 1855. 52 RGZ 45, 323, 327; 64, 361, 362; 88, 206, 207; 141, 306, 308; BGHZ 66, 59, 61; BGH VersR 1981, 679; BGH ______WM 1984, 1170; BGH NJW 1995, 2563; BGH ZIP 1988, 446; BGHReport 2004, 973 = MDR 2004, 1077; BAGE 1, ______22; AP Nr. 2 zu § 249 ZPO m. Anm. Leipold; ZIP 1988, 446. BGHReport 2004, 973 = MDR 2004, 1077; OLG ______Köln NJW-RR 1988, 701 = MDR 1988, 589; OLG Stuttgart Rpfl. 1990, 312.

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_____die Zustellung wieder möglich ist. Wirkungslos bleibt aber ein (nicht zustellbares) Urteil, _____das trotz Unterbrechung (§ 239) noch gegenüber einem Verstorbenen ergeht.53 _____ Da das während des Verfahrensstillstands ergangene Urteil grundsätzlich nur im _____Rechtsmittelweg aufgehoben werden kann und es nicht um die Fortsetzung des Rechts_____streits in der Hauptsache geht, bedarf es keiner Aufnahme (§ 250). Mit dem (statthaften) _____Rechtsmittel kann allein der noch fortdauernde Stillstand zur Geltung gebracht werden _____(§§ 547 Nr. 5, 579 Abs. 1 Nr. 4).54 Ist z.B. trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 240) _____ein Urteil gegen den Gemeinschuldner ergangen, kann dieser es selbst anfechten und _____damit die Unwirksamkeit geltend machen.55 Legt der Insolvenzverwalter das Rechts_____mittel ein, muss er nicht zugleich die Unterbrechung des Verfahrens durch Aufnahme _____beenden. 56 Unterbleibt die Anfechtung des entgegen § 249 ergangenen Urteils, tritt _____Rechtskraftwirkung ein. In dem Fall, dass die Partei unvertreten war, wird der Verfah_____rensmangel mit Ablauf der Klagefrist nach § 586 Abs. 3 endgültig geheilt.57 _____ _____ c) Heilungsmöglichkeiten. Die durch den Verfahrensverstoß belastete Partei kann _____die entgegen § 249 Abs. 2 vorgenommenen Prozesshandlungen ausdrücklich oder still_____schweigend58 genehmigen.59 Dies ergibt sich für die unvertretene Partei aus §§ 547 Nr. 4, _____579 Nr. 4. Für die Prozesshandlungen des Gerichts, die nicht in Entscheidungen beste_____hen, gilt § 295. Der Verzicht der betroffenen Partei liegt nicht schon in der Aufnahme des _____Verfahrens, sondern erst in der rügelosen Einlassung in der mündlichen Verhandlung. _____Ist eine Heilung nicht erfolgt, müssen die Gerichtshandlungen nach Ende des Stillstands _____wiederholt werden. _____ _____ d) Verkündung einer Entscheidung, § 249 Abs. 3. § 249 Abs. 3 gestattet nur die _____Verkündung der Entscheidung, wobei diese auch im Falle der Rechtsnachfolge auf den _____Namen der bisherigen Partei gestellt wird. Dies muss die behinderte Partei hinnehmen, _____weil Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht _____mehr vorgebracht werden können (§ 296 a). Nach beiderseitiger Erledigungserklärung _____(§ 91 a) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird regelmäßig die Kostenentscheidung _____noch ergehen können.60 Nur wenn der Partei eine Frist zur Nachreichung einer Erklärung _____bestimmt worden ist (§§ 139 Abs. 5, 283 S.1), die im Unterbrechungszeitpunkt noch nicht _____verstrichen war, darf nicht mehr verkündet werden (§ 249 Abs. 1). Allerdings gilt dies nur _____für Erklärungen zu Tat- und nicht zu Rechtsfragen.61 _____ In den Fällen der §§ 251 a Abs. 1, 331 a Satz 1 ist die Verkündung unzulässig, wenn der _____Stillstand vor Ablauf der Siebentagefrist gemäß § 251 a Abs. 2 Satz 4 eintritt. _____ _____ _____ 53 BFH BB 1987, 673; Stein/Jonas/Bork § 50, 43. _____54 RGZ 88, 206, 208; BGHZ 66, 59, 61 = MDR 1976, 487 m.w.N. _____55 RGZ 64, 361, 363; BGH WM 1984, 1170; BGH NJW 1995, 2563; OLG Köln ZIP 1994, 958; Nach OLG Köln _____NJW-RR 1988, 701 = MDR 1988, 589 soll der Insolvenzverwalter kein Rechtsschutzinteresse für eine _____Anfechtung des trotz des Stillstands gegen den Schuldner ergangenen Versäumnisurteils haben; a.A. _____Leipold AP Anm. zu § 249 ZPO Nr. 2 Bl. 96. 56 BGH NJW 1997, 1445. _____57 Stein/Jonas/Roth Rdn. 28 a.E. _____58 BGH MDR 1967, 565 (die stillschweigende Genehmigung kann in der Aufnahme des Rechtsstreits _____liegen). _____59 RGZ 10, 66, 69; 126, 261, 263; BGH LM § 249 ZPO Nr. 9; BSG NJW 1967, 2226. 60 Dazu und zu den schwierigen Aufnahmefragen (Aufnahme des Kostenfestsetzungsverfahrens oder _____auch des Kostengrundstreits?) eingehend Wosgien Konkurs und Erledigung in der Hauptsache (1984) _____S. 6 ff. _____61 OLG München MDR 2011, 506.

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§ 249

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ 26 Im schriftlichen Verfahren (§ 128) tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen ______Verhandlung der gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 bestimmte Zeitpunkt, bis zu ______dem Schriftsätze eingereicht werden können.62 Tritt vorher ein Fall der Unterbrechung ______ein, muss der Rechtsstreit zunächst aufgenommen werden, bevor die Entscheidung ver______kündet werden kann. ______ Wird die Verkündung vom Gericht abgelehnt, obwohl die Voraussetzungen des 27 ______§ 249 Abs. 3 vorliegen, ist die sofortige Beschwerde gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 gegeben.63 ______ Die gemäß § 317 zu bewirkende Zustellung der Entscheidung darf erst nach dem 28 ______Ende des Stillstands erfolgen. Soweit die Zustellung die Verkündung ersetzt, § 310 Abs. 3, ______ist sie zwar zur Bekanntmachung geboten, setzt aber nicht die Rechtsmittelsfrist in Lauf ______und muss nach Beendigung der Unterbrechung wiederholt werden. ______ § 249 Abs. 3 ist analog anzuwenden auf die Entscheidung über ein Rechtsmittel, 29 ______das bereits vor der Unterbrechung des Verfahrens unzulässig war. Es ist zu verwerfen ______(§§ 522 Abs. 1 Satz 2, 552 Abs. 1 Satz 2), ohne dass das Ende des Stillstands abgewartet ______werden muss.64 Dies ist aber nur dann unbedenklich, wenn der Formmangel unzweifel______haft besteht und auch kein rechtliches Gehör mehr gewährt werden muss.65 ______ Auf die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens (§ 251) ist Abs. 3 dagegen nicht 30 ______entsprechend anzuwenden.66 Das Gericht entscheidet in diesen Fällen selbst über den ______Beginn des Stillstands und hat es in der Hand, zunächst oder gleichzeitig die Entschei______dung zur Hauptsache zu verkünden.67 Nach der Aussetzung bleibt kein Raum für eine ______weitere Entscheidung in der Sache. ______ ______ III. Anfang und Ende des Stillstands ______ ______ 31 Unterbrechung und Aussetzung setzen begrifflich voraus, dass das Verfahren rechts______hängig und noch nicht endgültig abgeschlossen ist (s. aber Rdn. 7). Die Unterbrechung ______tritt unabhängig vom Willen und von der Kenntnis der Parteien oder des Gerichts kraft ______Gesetzes ein. Sie beginnt mit dem Eintritt der in den §§ 239, 240, 241, 242, 244 und 245 ______genannten Ereignisse von selbst. Die Aussetzung erfordert dagegen eine richterliche ______Entscheidung und ihre Bekanntgabe (s. § 248 Rdn. 3). ______ 32 Entsteht Streit darüber, ob das Verfahren unterbrochen ist, muss die Unterbre______chung durch Zwischenurteil (§ 303) festgestellt werden. Verneint das Gericht die Unter______brechung, wird hierüber im Endurteil entschieden (s. zu allem § 239 Rdn. 10). Wird der ______Zwischenstreit mit einem vermeintlichen Rechtsnachfolger geführt, bleibt dies ohne ______Wirkung für die wahre Partei. Sie kann den Rechtsstreit an der Stelle aufnehmen, an der ______er unterbrochen worden ist.68 ______ ______ ______ ______62 Die Entscheidung BayObLGZ 59, 241 = NJW 1959, 2120, die auf die Einverständniserklärung der ______Parteien abstellt und außerdem die Zustellung trotz Anwaltsverlust (§ 244) für zulässig erklärt, ist durch ______die Neufassung von § 128 überholt; zum finanzgerichtlichen Verfahren s. BFH NJW 1991, 2792. Zur ______schriftlichen Entscheidung gemäß § 124 SGG vgl. BSG NJW 1991, 1909; s. auch BVerwG DVBl. 1991, 1316 (keine Entscheidung nach Unterbrechung durch Tod des Rechtsmittelführers trotz Erklärung des ______Einverständnisses mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung). ______63 OLG Nürnberg JW 1931, 3571; Stein/Jonas/Roth Rdn. 25. ______64 BGH NJW 1959, 532 = MDR 1959, 277; Stein/Jonas/Roth Rdn. 25; Bedenken dagegen bei MünchKomm______ZPO/Feiber Rdn. 28. 65 Vgl. hierzu BGH VersR 1975, 899, 900. ______66 RGZ 30, 374, 375. ______67 BGHZ 43, 135, 136 = NJW 1965, 1019. ______68 RGZ 45, 359, 362.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 250

_____ Wegen des Endes des Stillstands wird auf die Erläuterungen zu den einzelnen Vor_____schriften verwiesen: § 239, 15 ff.; § 240, 17 ff.; § 241, 11 ff., § 243, 3; § 244, 14 ff.; § 245, 4; _____§ 246, 9; § 247, 4; § 250. Wird der Aussetzungsbeschluss durch das Beschwerdegericht _____aufgehoben, endet der Stillstand mit Verkündung bzw. Zustellung der Beschwerdeent_____scheidung. _____ _____ _____ § 250 _____ Form von Aufnahme und Anzeige _____ § 250 Gerken _____ Die Aufnahme eines unterbrochenen oder ausgesetzten Verfahrens und die in _____diesem Titel erwähnten Anzeigen erfolgen durch Zustellung eines bei Gericht ein_____zureichenden Schriftsatzes. _____ Übersicht _____ ____ 1 III. Aufnahmeverfahren _____I. Allgemeines II. Aufnahmeerklärung 1. Verfahrensgrundsätze ____ 6 _____ ____ 1. Form 3 2. Entscheidung ____ 7 _____ 2. Inhalt ____ 4 3. Säumnisverfahren ____ 8 _____ ____ 3. Zustellung 5 IV. Aufnahme „zwischen den Instanzen“ ____ 9 _____ _____ I. Allgemeines _____ _____ Die Aufnahmen nach §§ 239, 240, 242, 243 (bezogen auf § 240), 246 Abs. 2, 251 Abs. 2 _____und die Anzeigen nach §§ 241, 243 (bezogen auf § 241), 244, 246 Abs. 2 werden durch _____Zustellung eines bestimmenden Schriftsatzes bewirkt. _____ Sind an dem Prozess mehrere einfache Streitgenossen beteiligt, kann das Verfah_____ren auch „geteilt“ aufgenommen werden, etwa wenn mehrere Erben vorhanden sind und _____der Streit nur von einem oder gegen einen aufgenommen wird.1 Nicht möglich ist dies, _____soweit die Rechtsnachfolger notwendige Streitgenossen sind.2 _____ _____ II. Aufnahmeerklärung _____ _____ 1. Form. Die Aufnahme muss grundsätzlich durch Schriftsatz (§ 129) erklärt werden. _____Dem steht die in der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Gegners erklärte Auf_____nahme gleich.3 Ein Formmangel wird durch Nichtrüge gemäß § 295 geheilt.4 Im Amtsge_____richtsprozess kann die Erklärung auch zum Protokoll der Geschäftsstelle angebracht _____werden, § 496. Eine außergerichtliche Vereinbarung über die Aufnahmepflicht reicht _____nicht aus.5 _____ _____ 2. Inhalt. Die Aufnahmeerklärung ist eine einseitige, unwiderrufliche prozessuale _____Willenserklärung. Die aufnehmende Partei muss bestimmt und unzweideutig erklären, _____dass sie den Prozess fortsetzt.6 Wenigstens die entsprechende Absicht muss sie deutlich _____erkennbar machen, damit ein fester Zeitpunkt für die Beendigung der Unterbrechung _____ _____ _____1 BGHZ 14, 251, 254 = NJW 1954, 1523; NJW 1957, 906; RG JW 1904, 410 Nr. 19. _____2 Vgl. § 239, 3. 3 RGZ 109, 47, 48; RGZ 140, 348, 352; BAG KTS 1986, 691. _____4 RGZ 66, 399, 401; BGHZ 23, 172, 175 = NJW 1957, 713; BGHZ 50, 397 = NJW 1969, 49. _____5 RGZ 66, 399, 400. _____6 RGZ 51, 94, 97; BGH NJW 1970, 1790; WM 1983, 401 = ZIP 1983, 592; BGH NJW 1995, 2171.

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§ 250

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______(Aussetzung) gewonnen wird.7 Der Aufnahmewille kann erklärt werden mit einer Rechts______mitteleinlegung oder -begründung oder mit einem Wiedereinsetzungsantrag.8 Dagegen ______genügen der Antrag auf Prozesskostenhilfe9 oder die Anzeige über einen (außergerichtli______chen) Vergleichsschluss nicht.10 ______ ______ 3. Zustellung. Das Gericht hat den Aufnahmeschriftsatz von Amts wegen nach § 270 5 ______zuzustellen. Soll eine andere Person Partei werden (§ 239), stellt schon die Aufnahmeer______klärung einen Sachantrag dar, so dass der Schriftsatz nach § 270 Abs. 2 Satz 1 förmlich ______zugestellt werden muss. Andernfalls genügt die formlose Mitteilung.11 ______ ______ III. Aufnahmeverfahren ______ ______ 1. Verfahrensgrundsätze. Für das Aufnahmeverfahren gelten die Grundsätze, die 6 ______auch für das Hauptsacheverfahren maßgeblich sind. In der Regel wird daher aufgrund ______mündlicher Verhandlung entschieden. Die Verhandlung kann nach § 146 zunächst auf ______die Nachfolgefrage beschränkt werden. Bleiben Rechtsnachfolge bzw. Aufnahmerecht ______unstreitig, bedarf es keiner besonderen Entscheidung darüber. Werden die hierfür maß______geblichen Tatsachen bestritten, geht das Risiko der Beweislosigkeit hinsichtlich der ______Prozessvoraussetzungen (vgl. § 241) zu Lasten des Klägers. Soweit es um materielle An______spruchsvoraussetzungen geht, trägt das Risiko der Anspruchsteller. Wer den Prozess ______aufnimmt, ist dabei gleichgültig. Der Beweis ist wie üblich zu führen. Bei der Erbfolge ______kann ein Erbschein (§ 2353 BGB) oder auch ein privatschriftliches Testament vorgelegt ______werden. Das gesetzliche Vertretungsrecht kann durch die Bestallungsurkunde nachge______wiesen werden. ______ ______ 2. Entscheidung. Misslingt der Beweis der Rechtsnachfolge (§§ 239, 242), ergeht 7 ______sachentscheidendes Endurteil im Verhältnis zu dem vermeintlichen Rechtsnachfolger; ______der Aufnahmeantrag wird also zurückgewiesen12 (näher hierzu § 239 Rdn. 17). Wird die ______Rechtsnachfolge als erwiesen erachtet, kann das Gericht nach § 146 verfahren und auch ______ein Zwischenurteil (§ 303) erlassen.13 Regelmäßig wird es in diesem Fall aber in den ______Gründen des Endurteils über die Aufnahmefrage befinden. Bezüglich der Kosten ist un______ter Umständen § 94 entsprechend anwenden. Wird die Prozessfähigkeit oder die richtige ______gesetzliche Vertretung der Partei (§ 241) bejaht, darf der Aufnahmestreit ebenfalls durch ______Zwischenurteil oder zugleich mit dem Sachurteil entschieden werden. Ergeht Zwischen______urteil, so ist dieses nach § 280 Abs. 2 wie ein Endurteil angreifbar. Wird die Prozessfähig______keit verneint, ist der Aufnehmende durch Prozessurteil aus dem Streit zu verweisen. Die______ses Urteil ist Endurteil; erst wenn es rechtskräftig wird, steht fest, dass der Streit nicht ______wirksam aufgenommen worden ist. Dieser Aspekt ist wichtig in den Fällen, in denen ______Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen können. Der Gegner des Auf______nehmenden muss gegebenenfalls (vorsorglich) ein Rechtsmittel gegen ein Sachurteil ______rechtzeitig einlegen und begründen. Im Falle des § 244 Abs. 1 kann sich der Streit um die ______Aufnahme nur auf Nichtbevollmächtigung (§§ 88, 89) oder auf mangelnde Postulations______ ______ ______7 RGZ 14, 334; 41, 403, 405 f.; BGH MDR 1960, 396; VersR 1977, 835. ______8 OLG Köln OLGZ 1973, 41 = VersR 1973, 161. ______9 BGH NJW 1970, 1790. 10 RG JW 1891, 468 Nr. 11. ______11 Stein/Jonas/Roth Rdn. 4. ______12 Vgl. RGZ 45, 359, 362. ______13 RGZ 54, 120.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 251

_____fähigkeit (§ 78) beziehen. In diesen Fällen ist die Aufnahmehandlung unwirksam; im _____ersten ist nach § 89 zu verfahren, im letzten ist der nicht Postulationsfähige auf seine _____Kosten aus dem Verfahren zu weisen. _____ _____ 3. Säumnisverfahren. In den Verfahren mit notwendiger mündlicher Verhandlung 8 _____kann es zu Versäumnisentscheidungen kommen. Zum Säumnisverfahren in den Fäl_____len des § 239 s. dort Rdn. 18. In den Fällen der §§ 240,14 241 ist die Legitimation des Auf_____nehmenden von Amts wegen (§ 56) zu prüfen. Für diesen Teil des Verfahrens gibt es kei_____ne Versäumnisentscheidung. Der Unbefugte ist durch Prozessurteil kostenpflichtig aus _____dem Streit zu weisen. Ist die Legitimation zu bejahen und der Gegner nicht erschienen, _____kann auf Antrag Versäumnisurteil zur Sache ergehen. Erscheint im Fall des § 244 Abs. 1 _____ein postulationsunfähiger Anwalt für die Partei, so besteht Anlass zur Prüfung, ob die _____Aufnahmeschrift wirksam ist. Eventuell muss die Aufnahmeerklärung erneuert werden. _____Falls wirksam aufgenommen worden ist, kann ggfs. Versäumnisentscheidung zur Sache _____erlassen werden. _____ _____ IV. Aufnahme zwischen den Instanzen _____ _____ Ist ein nach Urteilsverkündung und vor Rechtsmitteleinlegung unterbrochenes Ver- 9 _____fahren aufzunehmen, ist zu unterscheiden, ob eine Beschwer beseitigt oder die Aufnah_____me betrieben werden soll, um die ergangene Entscheidung rechtskräftig werden zu las_____sen. Im ersten Fall darf die Aufnahme, obwohl sie erst mit Zustellung an den Gegner _____wirksam wird, nach h.M. aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit in der Rechtsmit_____telschrift erklärt werden, wodurch der Aufnahmestreit sogleich in die Rechtsmittel_____instanz gelangt15 (s. auch § 239 Rdn. 22). Im letztgenannten Fall findet das Aufnahmever_____fahren in der unteren Instanz statt. Es endet mit dem Erlass eines Zusatzurteils, in dem _____feststellt wird, ob die ergangene Sachentscheidung für und gegen den Nachfolger wirkt _____(näher dazu § 239 Rdn. 20). _____ _____ _____ § 251 _____ Ruhen des Verfahrens _____ § 251 Gerken _____ Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien _____dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsver_____handlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig _____ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Ein_____fluss. _____ _____ § 251 Abs. 1 Satz 2 geändert durch VereinfNov. 1976 BGBl. I 3281; früherer Abs. 2 auf_____gehoben durch Art. 2 ZustellungsreformG vom 25.6.2001 BGBl. I 1206. _____ _____ _____ _____ _____ _____ 14 S. auch Erl. zu § 240 Rdn. 20. _____15 BGHZ 36, 258 = NJW 1962, 589 = LM § 250 ZPO Nr. 4 m. Anm. Rietschel; NJW 1970, 1790; BGHZ 111, 104, _____109 f. = NJW 1990, 1854; Stein/Jonas/Roth § 250, 5; s.a. BGHZ 50, 397 = NJW 1969, 48; a.A. Henckel, ZZP 75 _____(1962), 359; Jauernig JZ 1965, 694.

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§ 251

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ Übersicht ____ 1 2. Materiell-rechtliche Wir______I. Allgemeines kung ____ 13 ______II. Anordnung des Ruhens 1. Voraussetzungen IV. Aufnahme des Verfahrens ______ a) Antrag beider Parteien ____ 2 1. Voraussetzungen ____ 14 ______ b) Zweckmäßigkeit ____ 5 2. Entscheidung des Gerichts ____ 15 ______ 2. Form der Entscheidung ____ 10 3. Rechtsbehelfe ____ 16 ______III. Wirkungen des Ruhens V. Kosten/Gebühren ____ 17 ______ 1. Verfahrensrechtliche Wirkung ____ 12 ______ ______ I. Allgemeines ______ ______ Das Ruhen des Verfahrens stellt einen besonderen Fall der Verfahrensaussetzung 1 ______(§§ 246 ff.) dar. Die Parteien sind grundsätzlich nicht befugt, über den Stillstand zu dis______ponieren. Das Ruhen bedarf zur Verhinderung von Missbräuchen und zum Zwecke der ______Prozessförderung seit der Verordnung von 1924 einer ausdrücklichen Anordnung des ______Gerichts,1 die einen Antrag beider Parteien und das Vorliegen eines wichtigen Grundes ______voraussetzt. Die Vorschrift gilt für alle Erkenntnisverfahren, nicht aber in der Zwangs______vollstreckung.2 ______ ______ II. Anordnung des Ruhens ______ ______ 1. Voraussetzungen ______ ______ a) Antrag beider Parteien. Die Anordnung des Ruhens setzt einen Antrag voraus, 2 ______der von beiden Parteien gestellt werden muss. Es genügt, dass eine Partei dem Gesuch ______der anderen Partei zustimmt. Ein Streithelfer kann den Antrag nur stellen, wenn er sich ______damit nicht mit einer Erklärung der Hauptpartei in Widerspruch setzt, § 67.3 Soll das Ver______fahren im Verhältnis zu allen Streitgenossen ruhen, so müssen auch alle Streitgenossen ______den Antrag stellen. Bei notwendiger Streitgenossenschaft (§ 62) genügt in der mündli______chen Verhandlung der Antrag der erschienenen Streitgenossen. Ein Ruhen des Verfahrens ______im Verhältnis zu einigen Streitgenossen ist prozessrechtlich zwar möglich, allerdings sel______ten zweckmäßig. In solchen Fällen wird zu prüfen sein, ob nicht eine Prozesstrennung ______gemäß § 145 angebracht ist.4 Die gleiche Stellung wie der Streitgenosse hat der streitge______nössische Streitgehilfe (§ 69). ______ 3 Der Antrag auf Anordnung des Ruhens ist Prozesshandlung, d.h. er unterliegt im ______Anwaltsprozess dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1). Im normalen amtsgerichtlichen Ver______fahren reicht die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle aus (§ 496). Der Antrag kann ______schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung gestellt werden. § 248 Abs. 1 2. Hs ist ______nicht anwendbar.5 Bis zur Wirksamkeit des Anordnungsbeschlusses ist der Antrag frei ______widerruflich. Wird der Antrag im Berufungsverfahren gestellt, beinhaltet er nicht zu______ ______ ______ 1 Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13.2.1924 (RGBl. I, S. 135). ______Vgl. zur Einschränkung des Parteibeliebens RGZ 136, 193, 194; 145, 239, 242. ______2 LG Kassel MDR 1956, 686; AG Köln MDR 1964, 680, 681; zum Kostenfestsetzungsverfahren s. OLG ______Naumburg MDR 1994, 514; keine Geltung im Verfahren über die Abgabe der eidesstattlichen ______Versicherung, LG Hamburg MDR 1964, 681; zur analogen Anwendung im WEG-Verfahren vgl. BayObLG NJW-RR 1988, 16. ______3 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. ______4 Vgl. nur Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. ______5 Stein/Jonas/Roth Rdn. 2.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 251

_____gleich einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung gemäß _____§ 520 Abs. 2 Satz 2.6 _____ Das Ruhen des Verfahrens kann unter den Voraussetzungen des § 251 a Abs. 3 auch _____ohne Antrag von Amts wegen angeordnet werden, wenn beide Parteien nicht verhandeln _____oder erscheinen. _____ _____ b) Zweckmäßigkeit. Weitere Voraussetzung für die Anordnung ist die Zweckmä_____ßigkeit der Verfahrensruhe. Das Gesetz nennt als besonderen Fall das Schweben von _____Vergleichsverhandlungen. Damit wird mit Rücksicht auf die Dispositionsbefugnis der _____Parteien selbst bei schon bestehender Spruchreife das Ruhen des Verfahrens anzuord_____nen sein. _____ Die Anordnung kommt ferner in Betracht aus anderen wichtigen Gründen, die es _____auch im Hinblick auf die Prozessförderungspflicht zweckmäßig erscheinen lassen, das _____Verfahren vorerst nicht weiter zu betreiben. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten _____ist, dass das Verfahren durch andere laufende Maßnahmen gefördert wird, z.B. durch die _____Klärung anderer Rechtsstreitigkeiten, etwa durch eine in einem anderen Verfahren an_____stehende Beweisaufnahme.7 _____ Die Zweckmäßigkeit ist in solchen Verfahren zu verneinen, die ihrer Natur nach eil_____bedürftig sind. Daher kommt eine Anordnung des Ruhens im Verfahren des Arrestes und _____der einstweiligen Verfügung, im Urkunden- und Wechselprozess und im selbständigen _____Beweisverfahren (§§ 485 ff.) grundsätzlich nicht in Betracht.8 _____ Die Gründe für die Zweckmäßigkeit einer Verfahrensruhe müssen im Hinblick dar_____auf, dass der übereinstimmende Antrag der Parteien als solcher nicht ausreicht,9 sub_____stanziiert dargelegt werden, es sei denn, die Tatsachen sind offenkundig. Eine Glaub_____haftmachung i.S.d. § 294 fordert das Gesetz nicht.10 Ist noch nicht mündlich verhandelt _____worden, kann der übereinstimmende Antrag der Parteien allerdings ausreichen, weil _____diese dann ohnehin die Möglichkeit haben, über § 251 a Abs. 2 Satz 1, 3 durch Ausbleiben _____im Termin die Verfahrensruhe herbeizuführen. _____ § 251 sieht keine echte (nicht überprüfbare) Ermessensentscheidung vor. Wenn das _____Gericht einen „wichtigen Grund“ annimmt und das Ruhen als zweckmäßig erscheint, _____muss es die Anordnung treffen.11 _____ _____ 2. Form der Entscheidung. Die Entscheidung über die Verfahrensruhe ergeht _____durch Beschluss. Eine Verfügung des Vorsitzenden reicht nicht aus. Der Beschluss kann _____im schriftlichen Verfahren und noch bis zur Endentscheidung in der Instanz ergehen. _____Der Beschluss wird mit Verkündung wirksam, wenn er aufgrund einer mündlichen Ver_____handlung ergangen ist (§ 329 Abs. 1 Satz 1), anderenfalls mit Mitteilung an die Parteien _____(§ 329 Abs. 2 Satz 1). Er muss nach § 329 Abs. 3 zugestellt werden, da die Entscheidung _____der sofortigen Beschwerde unterliegt (§ 252; s. auch Rdn. 16). _____ Der Beschluss kann die Verfahrensruhe zeitlich begrenzen. War bereits ein Termin _____zur mündlichen Verhandlung angesetzt, so ist dieser zugleich mit dem Beschluss gemäß _____§ 227 Abs. 1 Satz 1 aufzuheben. _____ _____6 BGH NJW-RR 2001, 572; BGH NJW-RR 2010, 275, 276 m.w.N. _____7 RGZ 145, 239, 242; RG JW 1909, 45, 46; OVG Münster NJW 1962, 1931; siehe für das Scheidungsverfahren _____KG FamRZ 1978, 34; OLG Frankfurt FamRZ 1978, 919; OLG Karlsruhe NJW 1978, 1388. _____8 MünchKomm-ZPO/Gehrlein m.w.N. Rdn. 4. 9 Vgl. oben Fn. 1. _____10 Stein/Jonas/Roth Rdn. 3. _____11 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1978, 919, 920; Stein/Jonas/Roth Rdn. 3 gestehen dem Gericht „freies _____Ermessen“ zu.

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§ 251

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ III. Wirkungen des Ruhens ______ ______ 1. Verfahrensrechtliche Wirkung. Die Anordnung des Ruhens hat grundsätzlich 12 ______dieselben Wirkungen wie die Aussetzung des Verfahrens nach § 249. Sie hat zur Folge, ______dass das Gericht nicht tätig wird, insbesondere keine Termine ansetzt. Die während des ______Ruhens in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen sind gemäß ______§ 249 Abs. 2 unwirksam.12 Die Verkündung einer Entscheidung während der Dauer des ______Ruhens ist – anders als in den Fällen der Unterbrechung – unzulässig; § 249 Abs. 3 ist ______nicht entsprechend anwendbar.13 Die laufenden Fristen werden grundsätzlich unterbro______chen, d.h. sie beginnen ihren Lauf nach Ablauf des Unterbrechungszeitraums von Neuem. ______Dies gilt allerdings nicht für die in § 233 genannten Fristen, also die Notfristen, Rechts______mittelbegründungsfristen- und die Wiedereinsetzungsfrist. Diese werden nach Abs. 1 ______Satz 2 nicht unterbrochen. Eine Verlängerung dieser Fristen lässt sich somit durch die ______Verfahrensruhe nicht erreichen. Eine trotz Ruhens verkündete Entscheidung kann daher ______rechtskräftig werden. ______ ______ 2. Materiell-rechtliche Wirkung. Eine Verjährungsfrist wird durch Klageerhebung 13 ______gehemmt (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass ______es die Parteien nicht mehr betreiben, endet die Hemmung sechs Monate nach der letz______ten Verfahrenshandlung der Parteien bzw. des Gerichts (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB).14 Das ______gilt selbst dann, wenn das Ruhen des Verfahrens nicht ausdrücklich angeordnet worden ______ist. ______ ______ IV. Aufnahme des Verfahrens ______ ______ 1. Voraussetzungen. War in dem Anordnungsbeschluss ausdrücklich eine Dauer 14 ______der Ruhe bestimmt, ist diese mit Ablauf des Termins automatisch beendet. Ansonsten ______erfolgt die Aufnahme gemäß § 250 durch Einreichung eines Schriftsatzes einer Partei ______zwecks Zustellung an den Gegner (§ 270) bzw. im amtsgerichtlichen Verfahren auch ______durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 496). Unterbleibt die Zustellung, ______kann u.U. kein Versäumnisurteil ergehen (§ 335 Abs. 1 Nr. 1). ______ ______ 2. Entscheidung des Gerichts. Der Stillstand des Verfahrens wird dadurch beendet, 15 ______dass die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet wird. Ist die Sache beim Kollegialgericht ______anhängig, ist ein förmlicher Beschluss erforderlich. Bei der Ladung sind §§ 250, 270 zu ______beachten. Die Entscheidung ist grundsätzlich davon abhängig, dass die Parteien die Auf______nahme erklären. Von Amts wegen kann die Entscheidung nur dann ergehen, wenn die ______Anordnung des Ruhens fehlerhaft war. Wird dies erwogen, muss zuvor rechtliches Gehör ______gewährt werden. ______ ______ 3. Rechtsbehelfe. Die Entscheidung über das Ruhen des Verfahrens ist gleich zu 16 ______behandeln mit der über die Aussetzung. Es gilt daher § 252.15 Die Entscheidung, mit der ______das Gericht einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zurückweist oder die Anord______ ______ ______12 Vgl. auch die Kommentierung zu § 249 Rdn. 15 ff. ______13 BGHZ 43, 135, 136 = NJW 1965, 1019 m.w.N.; Stein/Jonas/Roth Rdn. 11; AK/Ankermann Rdn. 3; s.a. § 249, 30. ______14 Zur Beendigung der Verjährungsunterbrechung gemäß § 211 Abs. 2 BGB a.F. s. BGH MDR 1988, 214; ______BGH NJW 1998, 1101, 1102; BGH NJW 1999, 1101; BGH NJW 1999, 3774; BGH NJW 2001, 218. ______15 KG JW 1925, 496; OLG Celle Nds.Rpfl 1975, 199, 200 m.w.N.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 251a

_____nung des Ruhens ablehnt, ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.16 Das gleiche _____gilt, wenn das Gericht die Beendigung des Ruhens beschließt (s. § 252 Rdn. 6). Bei An_____ordnung des Ruhens kommt die sofortige Beschwerde nur dann in Betracht, wenn das _____Gericht zu Unrecht angenommen hat, dass ein Antrag vorliegt oder es könne ohne An_____trag entscheiden. In den übrigen Fällen wird es an einer Beschwer fehlen, weil die Ent_____scheidung nur bei übereinstimmendem Antrag beider Parteien ergehen kann. _____ _____ V. Kosten/Gebühren _____ _____ Gerichtsgebühren werden durch die Entscheidung über das Ruhen nicht ausgelöst. 17 _____Die Fortsetzung des Rechtsstreits nach dem Ruhen gehört zu dem bereits begonnenen _____Prozessverfahren. Die Tätigkeit des Anwalts ist mit der Verfahrensgebühr abgegolten. _____Beim Beschwerdeverfahren handelt es sich um eine besondere Angelegenheit (§ 18 Nr. 5 _____RVG). _____ _____ _____ § 251 a _____ Säumnis beider Parteien; Entscheidung nach Lage der Akten _____ § 251a Gerken _____ (1) Erscheinen oder verhandeln in einem Termin beide Parteien nicht, so kann _____das Gericht nach Lage der Akten entscheiden. _____ (2) Ein Urteil nach Lage der Akten darf nur ergehen, wenn in einem früheren _____Termin mündlich verhandelt worden ist. Es darf frühestens in zwei Wochen ver_____kündet werden. Das Gericht hat der nicht erschienenen Partei den Verkündungs_____termin formlos mitzuteilen. Es bestimmt neuen Termin zur mündlichen Verhand_____lung, wenn die Partei dies spätestens am siebenten Tag vor dem zur Verkündung _____bestimmten Termin beantragt und glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden _____ausgeblieben ist und die Verlegung des Termins nicht rechtzeitig beantragen _____konnte. _____ (3) Wenn das Gericht nicht nach Lage der Akten entscheidet und nicht nach _____§ 227 vertagt, ordnet es das Ruhen des Verfahrens an. _____ _____ § 251 a geändert durch Vereinf Nov. 1976 BGBl. I 3281. _____ _____ Schrifttum _____ De Boor Die Entscheidung nach Lage der Akten (1924). _____ _____ Übersicht _____I. Normzweck ____ 1 1. Frühere mündliche Verhandlung ____ 17 _____II. Allgemeine Entscheidungsvoraus2. Gegenstand der Verhandlung ____ 22 _____ setzungen ____ 6 3. Verkündung des Urteils ____ 23 _____III. Entscheidungsgrundlage 4. Abwendung der Verkündung, Abs. 2 1. Der zu berücksichtigende StreitSatz 4 ____ 24 _____ ____ 10 stoff V. Vertagung oder Ruhen des Verfahrens, _____ ____ 27 2. Fortwirkung des eingeführten ProzessAbs. 3 _____ stoffs ____ 16 VI. Rechtsmittel ____ 30 _____ IV. Urteil nach Aktenlage, § 251 a Abs. 2 VII. Kosten/Gebühren ____ 31 _____ _____ _____16 RG JW 1901, 327; OLG Rostock OLG Rspr. 35 (1917), 168 (wenn eine in erster Instanz angeordnete _____Aussetzung im Beschwerdewege aufgehoben wird); Stein/Jonas/Roth § 252, 3.

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§ 251a

Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______ I. Normzweck ______ ______ § 251 a gibt dem Prozessgericht die Möglichkeit, das Verfahren auch dann zu fördern, 1 ______wenn beide Parteien einem Termin fernbleiben oder nicht verhandeln. Trotz ihrer Säum______nis kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen eine Entscheidung treffen, ob______wohl das Einverständnis für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht vor______liegt. ______ Die Vorschrift ist zusammen mit § 331 a durch die Novelle vom 13.2.19241 in die ZPO 2 ______eingefügt worden. Das Ziel der Novelle war die Verfahrensbeschleunigung. Nach frü______herem Recht konnten die Parteien durch Vereinbarung Fristen verlängern, einen Termin ______aufheben oder das Verfahren zum Ruhen bringen. Mit der Neuregelung der §§ 224 Abs. 1, ______227 Abs. 1, § 251 ist die Parteiherrschaft über Fristen und Termine weggefallen (Ausnah______me: § 224 Abs. 1). Diese Rechtslage sollen die Parteien nicht dadurch unterlaufen, dass ______sie einverständlich dem Termin fernbleiben. § 251 a übt daher einen Zwang zum Erschei______nen aus2 und macht für den Fall der beiderseitigen Säumnis eine Ausnahme vom Münd______lichkeitsprinzip. Wesentliche praktische Bedeutung hat allerdings nur Abs. 2. Andere ______Entscheidungen als Urteile (Beweisbeschluss, prozessleitende Anordnungen etc.) kann ______das Gericht bei Untätigkeit der Parteien auch im schriftlichen Verfahren treffen (§§ 273, ______358 a). Die Anordnung der Verfahrensruhe gemäß Abs. 3, die zum Teil als Prozessstrafe3 ______bezeichnet wird, behindert nur den Fortgang des Verfahrens (§ 251 Abs. 2; zur Frage, ______wann das Ruhen anzuordnen ist, s. Rdn. 29). ______ 3 Zuständig ist das Prozessgericht, gemäß § 349 Abs. 2 Nr. 5 auch der Vorsitzende der ______Kammer für Handelssachen. Die Entscheidung nach Lage der Akten kann auch in der ______Berufungs- und Revisionsinstanz ergehen4 (§§ 525, 555 Abs. 1). In der Berufungsinstanz ______kann auch der vorbereitende Einzelrichter entscheiden, § 527 Abs. 3 Nr. 3. ______ Ob das Gericht nach Lage der Akten entscheidet, steht grundsätzlich in seinem 4 ______freien Ermessen. Bei einseitiger Säumnis muss allerdings eine Entscheidung ergehen, ______wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen und ein entsprechender Antrag gestellt ______wird (§ 331 a). ______ Gestattet sind alle Entscheidungen, die aufgrund einer mündlichen Verhandlung 5 ______getroffen werden können. Der Rechtsstreit kann an ein anderes Gericht verwiesen wer______den, es kann ein Beweis-, Auflagen- oder Verweisungsbeschluss ergehen. Der Erlass ______eines Urteils ist nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 zulässig (im Einzelnen hierzu ______Rdn. 17 ff.). Es kann als Prozess- oder als Sachurteil ergehen. Ist der Prozess teilweise zur ______Entscheidung reif oder verhandeln die Parteien nur über einen Teil des Streitstoffs, kann ______durch Teilurteil entschieden und im Übrigen ein Auflagenbeschluss erlassen, die Verta______gung oder das Ruhen des Verfahrens angeordnet werden.5 Die Vertagung (§ 227) und die ______Anordnung der Verfahrensruhe sind dagegen keine Entscheidungen nach Aktenlage ______(§ 251 a Abs. 3). ______ ______ II. Allgemeine Entscheidungsvoraussetzungen ______ ______ 6 Jede Entscheidung gemäß § 251 a setzt voraus, dass beide Parteien in einem Termin ______zu einer notwendigen mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht nicht erschei______ ______ ______1 RGBl. I, S. 135 ff. 2 RG JW 1925, 811 Nr. 14. ______3 KG JW 1925, 811 = DJZ 1925, 192, 193; OLG Köln NJW 1954, 1411; a.A. KG FamRZ 1981, 583, 584. ______4 RG DR 1944, 811; BGHZ 37, 79 = NJW 1962, 1149; BAG FamRZ 1963, 292; LG Hamburg NJW 1953, 750. ______5 Schneider JurBüro 1977, 1343.

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3. Abschnitt. Verfahren

§ 251a

_____nen oder keine Anträge zur Sache stellen. Verhandlungstermin im Sinne von § 251 a _____Abs. 1 ist auch der Termin, auf den die mündliche Verhandlung vertagt worden ist _____(§ 332),6 und der Termin zur Durchführung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessge_____richt (§ 370 Abs. 1). Für beide Parteien müssen die formellen Voraussetzungen für den _____Erlass eines Versäumnisurteils (§ 335) vorliegen. Beide müssen trotz ordnungsgemä_____ßer, insbesondere fristgerechter (§ 217) Ladung oder trotz Verkündung des Termins _____(§ 218) säumig sein (zu den Voraussetzungen der Säumnis s. im Einzelnen § 220 Rdn. 12). _____Ist nur für eine Partei ein Vertagungsgrund gemäß §§ 335 Abs. 1, 337 gegeben, darf nicht _____nach Lage der Akten entschieden werden.7 Auch das Ruhen des Verfahrens darf dann _____nicht angeordnet werden. Es ist neuer Termin zu bestimmen, §§ 216, 227. Der Vertagungs_____beschluss ist zu begründen, § 227 Abs. 4 Satz 2. Zur Bekanntmachung der Entscheidung _____s. § 227, 38. Im Falle notwendiger Streitgenossenschaft genügt es, wenn ein Streitge_____nosse verhandelt (§ 62). Der Nebenintervenient kann für die Hauptpartei verhandeln _____(§ 67). _____ Das Nichtverhandeln steht dem Nichterscheinen gleich (Abs. 1, § 333). Erscheint nur _____der Beklagte und stellt er Klagabweisungsantrag, ist eine Entscheidung nach Aktenlage _____nicht statthaft.8 In diesem Fall kommt nur die Aktenlageentscheidung auf Antrag nach _____§ 331 a in Betracht. Wird dagegen (aus Standesrücksicht) nur ein Vertagungsantrag ge_____stellt, kann u.U. nach § 251 a entschieden werden. _____ Die Sache muss außerdem für eine Entscheidung reif, also hinreichend geklärt _____sein.9 § 331 a Satz 1 2. Hs. gilt auch hier. An der Entscheidungsreife in diesem Sinne fehlt _____es insbesondere, wenn erhebliches Vorbringen nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist _____und eine Gegenerklärung aussteht (§ 335 Abs. 1 Nr. 3). _____ Die Bekanntmachung eines Beschlusses nach Lage der Akten kann sofort oder in _____einem besonderen Verkündungstermin geschehen. Die Verkündung des Urteils muss da_____gegen zwei Wochen hinausgeschoben werden, § 251 a Abs. 2 Satz 2 (zum Rechtsmittel _____beim Verstoß hiergegen s. Rdn. 30). _____ _____ III. Entscheidungsgrundlage _____ _____ 1. Der zu berücksichtigende Streitstoff. Entscheidungsgrundlage ist der zum _____Zeitpunkt des versäumten Termins vorliegende Streitstoff, also grundsätzlich alle _____bis zu diesem Zeitpunkt eingereichten Schriftsätze einschließlich der Urkunden und Bei_____akten, auf die sich die Parteien bezogen haben. Für den Erlass der Entscheidung wird _____fingiert, dass der gesamte Akteninhalt vorgetragen worden ist (zur Fortwirkung der Fik_____tion für den weiteren Prozess s. Rdn. 16). Daraus ergibt sich die Eigenart des Urteils nach _____Lage der Akten, das im Übrigen ein gewöhnliches kontradiktorisches Urteil darstellt. _____Schriftsätze, die nach dem Termin eingereicht werden, sind nicht zu berücksichtigen. _____Der versäumte Termin entspricht dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Sinne _____von § 296 a. Allerdings bleibt § 156 zu beachten. _____ Mündliche Parteierklärungen aus einem früheren Termin können nur insoweit be_____rücksichtigt werden, als sie sich aus der Sitzungsniederschrift ergeben oder noch allen _____Richtern, die an der Entscheidung mitwirken, erinnerlich sind (zum Richterwechsel zwi_____schen einem früheren und dem versäumten Termin s. Rdn. 20). Ferner gehört hierzu das _____Ergebnis einer Beweisaufnahme, auch wenn sie im Wege der Rechtshilfe durchgeführt _____ _____ 6 Vgl. hierzu BGH NJW 1964, 658, 659 = MDR 1964, 501. _____7 KG DJZ 1925, 193; OLG Schleswig NJW 1969, 936. _____8 OLG Schleswig NJW 1969, 936. _____9 BVerfGE 69, 248, 255 = NJW 1985, 3006.

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______worden ist, sowie eine im Wege einer prozessleitenden Verfügung eingeholte amtliche ______Auskunft (§ 273 Abs. 2 Nr. 2). § 285 Abs. 2 gilt nicht. ______ Schriftsätze, die Sachanträge enthalten, müssen zugestellt worden sein (§ 270 Abs. 2 12 ______Satz 1).10 Die Fristen für vorbereitende Schriftsätze (§ 132) sind zu beachten. Ist die Frist ______nicht eingehalten, ist zu unterstellen, dass der Vortrag vom Gegner bestritten worden ______ist. In diesem Fall fehlt dann möglicherweise die Entscheidungsreife. Das Gleiche gilt, ______wenn neue Gesichtspunkte aufgetaucht sind, die eine Erörterung nötig machen (§§ 139 ______Abs. 1, 3); hierzu muss vertagt werden. ______ Ob eine Tatsache zugestanden ist, ist nach dem gesamten Inhalt der Schriftsätze 13 ______sowie der Sitzungsniederschriften zu beurteilen. Bei Widersprüchen wird es regelmäßig ______auf die spätere Erklärung ankommen. Eine Behauptung oder eine Gegenerklärung ist nur ______dann zugrundezulegen, wenn sie bis zuletzt aufrechterhalten worden ist. Das Gleiche ______gilt für ein Geständnis im Sinne von § 288, es sei denn, es ist bei einer mündlichen Ver______handlung oder zum Protokoll eines ersuchten oder beauftragten Richters erklärt worden ______und kann nicht mehr widerrufen werden (§ 290).11 ______ 14 Ob § 138 Abs. 3 im Verfahren nach § 251 a gilt, ist umstritten.12 Die ablehnende An______sicht führt an, dass die an das Schweigen geknüpfte Zugeständnisfiktion eine mündliche ______Verhandlung voraussetze.13 Dies überzeugt nicht. § 251 a stellt gerade eine Durchbre______chung des Mündlichkeitsprinzips dar. Es kommt daher auf die konkrete Prozesssituation ______an. Hat sich der Gegner zu einem Schriftsatz erklärt und bleibt unklar, ob er eine Be______hauptung bestreiten will, muss eine Erörterung nach § 139 stattfinden und die Aktenent______scheidung ohnehin unterbleiben. In den übrigen Fällen kann die Regel des § 138 Abs. 3 ______bei der Auslegung des Prozessvortrags herangezogen werden. ______ Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist unstatthaft.14 § 531 Abs. 1 bleibt 15 ______jedoch anwendbar. ______ ______ 2. Fortwirkung des eingeführten Prozessstoffs. Mit der Einführung des schriftli16 ______chen Prozessstoffs bleiben die Parteien an ihren Vortrag in gleicher Weise gebunden, als ______hätte eine mündliche Verhandlung stattgefunden. So kann ein bisher nur schriftsätzlich ______erklärtes Geständnis, das Grundlage eines Urteils nach Aktenlage war, später nur unter ______den Voraussetzungen des § 290 widerrufen werden. Die Wirkung, dass der gesamte Ak______teninhalt Entscheidungsgrundlage wird, tritt nur dann und nur insoweit ein, als auf die______ser Grundlage tatsächlich nach Aktenlage entschieden wird. Ergeht z.B. ein Teilurteil, ______gilt der Streitstoff nur in dem Umfang als eingeführt, als er für die Entscheidung bedeut______sam ist. Eine Beweisanordnung bindet die Partei noch nicht endgültig an ihren schrift______sätzlichen Prozessvortrag, da ihr Wirkungsbereich beschränkt ist; das Gericht kann den ______Beweisbeschluss jederzeit ändern.15 ______ ______ ______ ______10 Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 III 2 b. ______11 Zur Frage, ob die Protokollierung des Geständnisses gem. § 160 Abs. 3 Nr. 3 ______Wirksamkeitsvoraussetzung ist, s. OLG Braunschweig MDR 1976, 673. 12 Die Anwendung bejahen: MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 13; AK/Ankermann Rdn. 6; Zöller/Greger ______Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach/Hartmann Rdn. 10; ablehnend: de Boor S. 71 ff.; Blomeyer I § 55 III 2 a; ______Stein/Jonas/Roth Rdn. 12. ______13 So Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 III 2 b. ______14 RGZ 132, 330, 338; MünchKomm-ZPO/Gehrlein Rdn. 12; AK/Ankermann Rdn. 6; einschränkend Stein/ Jonas/Roth Rdn. 19: Zurückzuweisen ist das Vorbringen, das bereits zum Zeitpunkt der früheren ______Verhandlung verspätet war. Hier wird es allerdings regelmäßig an der Verzögerung fehlen, weil der ______frühere Termin nicht zur Entscheidung geführt hat. ______15 Vgl. Blomeyer I § 55 III 2 c; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 III 2 c.

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3. Abschnitt. Verfahren

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_____ IV. Urteil nach Aktenlage, § 251 a Abs. 2 _____ _____ 1. Frühere mündliche Verhandlung. Das Urteil nach Abs. 2 darf nur ergehen, _____wenn bereits in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist.16 Da es – im Ge_____gensatz zum Versäumnisurteil – die Instanz beendet, sollen die Parteien wenigstens ein_____mal Gelegenheit gehabt haben, ihren Rechtsstandpunkt mündlich darzulegen.17 Dane_____ben soll die mündliche Verhandlung dem Gericht die Grundlage für die Beurteilung der _____Frage verschaffen, ob sich der Streitstoff für eine abschließende Entscheidung tatsäch_____lich eignet.18 Einer früheren mündlichen Verhandlung bedarf es ausnahmsweise nicht, _____wenn eine Berufung oder Revision nach § 522 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 552 Abs. 1 Satz 2 als _____unzulässig verworfen werden soll und die Sache für eine solche Entscheidung hinrei_____chend geklärt ist.19 _____ Die mündliche Verhandlung muss in Anwesenheit beider Parteien stattgefunden _____haben. Es reicht nicht, wenn in mehreren Terminen jeweils nur eine Partei verhandelt _____hat.20 Andererseits ist es unerheblich, inwieweit die Parteien die ihnen eingeräumte Mög_____lichkeit zur Erörterung der Streitsache wahrgenommen haben. Ein Parteiwechsel nach _____§§ 239 ff., 265, 266 steht einer Entscheidung nach Aktenlage nicht im Wege.21 _____ Die in einem früheren Abschnitt des Rechtsstreits erklärte Zustimmung der Parteien _____zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2) macht die Verhandlung _____nicht entbehrlich.22 _____ Ein Richterwechsel zwischen der früheren Verhandlung und dem Termin, auf den _____das Urteil ergeht, steht der Aktenlageentscheidung nach h.M. nicht entgegen.23 § 309 gilt _____insoweit nicht. Das Prinzip der Unmittelbarkeit wird hierdurch nicht verletzt. Denn die _____Entscheidung beruht nicht auf der früheren mündlichen Verhandlung, sondern auf der _____Aktenlage zum Zeitpunkt des versäumten Termins. Bestehen Unklarheiten im Parteivor_____trag, die sich auch anhand des Protokolls über die stattgefundene Verhandlung nicht _____klären lassen, fehlt die Entscheidungsreife. Es muss vertagt werden bzw. ein Auflagen_____beschluss ergehen. _____ Die Verhandlung muss in derselben Instanz stattgefunden haben; die Bezugnahme _____auf die Verhandlung in einem früheren Rechtszug reicht nicht aus.24 Hebt das Rechts_____mittelgericht das Urteil auf und verweist es die Sache zur anderweitigen Verhandlung _____und Entscheidung zurück (§§ 538 Abs. 2, 563), genügt grundsätzlich die frühere Verhand_____lung in der unteren Instanz, auch wenn die Zurückverweisung nach § 563 Abs. 1 Satz 2 an _____ _____ _____16 Wird gemäß § 227 Abs. 2 BauGB nach Lage der Akten entschieden, ist eine vorherige mündliche _____Verhandlung nicht erforderlich – vgl. zum früheren § 167 BBauG BGHZ 31, 229 = NJW 1960, 483 und NJW _____1973, 1502 = MDR 1973, 838. 17 RG JW 1930, 141; HRR 1936, 291; RGZ 149, 157, 159. _____18 RGZ 132, 330, 336. _____19 RGZ 159, 357, 361 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 109 II 4 b; zweifelnd MünchKomm-ZPO/Gehrlein _____Rdn. 20. _____20 Stein/Jonas/Roth Rdn. 23; AK/Ankermann Rdn. 4; wohl auch BGHZ 37, 79 = NJW 1962, 1149 _____(zweiseitige Verhandlung erforderlich); s. auch KG ZZP 50 (1926), 51, 52; a.A. LG Stuttgart ZZP 69 (1956), 408. _____21 Stein/Jonas/Roth Rdn. 24. _____22 Offen gelassen in BGH LM § 128 ZPO Nr. 8. Nach Stein/Jonas/Roth Rdn. 24 a.E. steht das Verfahren _____nach § 128 Abs. 2, 3 einer mündlichen Verhandlung gleich. _____23 RGZ 132, 331, 336; 149, 157, 161; RG HRR 1936, 292; OLG Jena ZZP 51 (1926), 83 mit Anm. Püschel; Fraeb Gruchot Bd. 67 (1925), 412, 417; Stein/Jonas/Roth Rdn. 24; a.A. Blomeyer § 55 III 1; offen gelassen in BGHZ _____11, 27, 30 f. _____24 RGZ 149, 157, 159; BGHZ 37, 79 = NJW 1962, 1149; a.A. LG Berlin NJW 1953, 750 mit ablehnender Anm. _____Schönke; Voraufl. B IV b 1.

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______einen anderen Senat erfolgt.25 Ist die Sache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertra______gen, § 348, genügt eine vorherige Verhandlung vor dem Kollegium; die Verhandlung vor ______dem Einzelrichter genügt für eine Entscheidung des Kollegiums.26 Wird der Rechtsstreit ______an ein anderes Gericht27 oder zwischen Zivil- und Kammer für Handelssachen verwiesen ______(§§ 281 ZPO, 97–99 GVG), muss zunächst dort verhandelt werden, bevor eine Entschei______dung nach § 251 a ergehen kann. ______ ______ 2. Gegenstand der Verhandlung. Der frühere Termin muss zur Verhandlung über 22 ______den Gegenstand bestimmt gewesen sein, über den jetzt entschieden werden soll. Hatte ______das Gericht die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeord______net (§ 280), darf erst in der Sache entschieden werden, wenn über sie verhandelt worden ______ist. Das Gleiche gilt bei der abgetrennten Verhandlung über den Grund des Anspruchs, ______bei der Widerklage oder in Hinsicht auf eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ______(§ 145 Abs. 2, 3). Wird ein Vorbehaltsurteil (§ 302) erlassen, kommt es darauf an, ob die ______Verhandlung über die Klage zugleich zur Verhandlung über die Aufrechnungsforderung ______bestimmt war. Eine streitige Verhandlung im Urkunden- und Wechselprozess reicht ______für ein Urteil nach § 251 a im Nachverfahren (§ 600) nicht aus.28 Im Falle einer Klageän______derung muss über den geänderten Antrag verhandelt worden sein.29 Bei einer Erweite______rung des Klageantrags (§ 264 Nr. 2) kann die frühere Verhandlung nur genügen, wenn ______sie den später erweiterten Anspruch bereits nach allen Richtungen umfasste und die ______Erweiterung keine inhaltliche Veränderung des Anspruchs darstellt.30 ______ ______ 3. Verkündung des Urteils. Das Urteil gemäß § 251 a Abs. 2 ergeht „nach Lage der 23 ______Akten am …“ (Datum des Verkündungstermins, nicht des versäumten Termins). Es muss ______in einem besonderen Termin verkündet werden, der – abweichend von § 310 Abs. 1 ______Satz 1 – mindestens zwei Wochen hinauszuschieben ist, Abs. 2 Satz 2. Dadurch sollen die ______Parteien in die Lage versetzt werden, den Erlass des Urteils noch zu verhindern, indem ______sie ihre Säumnis entschuldigen und die Anberaumung eines neuen Termins nach Abs. 2 ______Satz 4 beantragen. Der Verkündungstermin ist den Parteien, im Anwaltsprozess den Pro______zessbevollmächtigten, § 172,31 formlos mitzuteilen (Ausnahme von § 218). Gegenüber der ______anwesenden (nicht verhandelnden Partei) geschieht dies mündlich.32 Die stärkere Form ______der Zustellung kann sich empfehlen, um aktenkundig zu machen, dass die Partei die ______Mitteilung rechtzeitig vor Beginn der Siebentagefrist gemäß Abs. 2 Satz 3 erhalten hat. ______Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht macht das Urteil anfechtbar. Der Termin muss ______verlegt werden, wenn bekannt wird, dass die Mitteilung den Empfänger nicht erreicht ______hat, es sei denn, dieser hat den Zugang bewusst verhindert.33 ______ ______ 4. Abwendung der Verkündung, Abs. 2 Satz 4. Die Verkündung hat zu unter24 ______bleiben, wenn eine der Parteien dies nachträglich beantragt und glaubhaft macht ______(§ 294), dass die Säumnis unverschuldet und sie nicht in der Lage war, rechtzeitig einen ______Antrag auf Terminsverlegung (§ 227 Abs. 1) zu stellen. Die Partei, die im Termin anwesend ______ ______ 25 RGZ 149, 157, 161; RG HRR 1936, 292. ______26 De Boor S. 42; Stein/Jonas/Roth Rdn. 24; OLG Jena ZZP 51 (1926), 83; OLG Frankfurt FamRZ 1979, 290. ______27 KG ZZP 50 (1926), 51, 52 (mit weitergehender Begründung). ______28 RGZ 149, 157, 160. ______29 KG ZZP 56 (1931), 194, 197. 30 RG JW 1930, 141 (zum Fall der Klagabweisung) mit Anm. Jonas. ______31 RGZ 149, 157, 162. ______32 LG Stuttgart ZZP 68 (1955), 473, 477. ______33 Vgl. BAG NJW 1963, 554 = MDR 1963, 251.

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_____war und keine Anträge gestellt hat, hat dieses Recht nicht. Abs. 2 Satz 4 bestimmt den Ver_____schuldensmaßstab nicht. Es sollten keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden.34 _____Das Verschulden fehlt zumindest dann, wenn Gründe vorliegen, die eine Wiedereinset_____zung in den vorigen Stand rechtfertigen (§ 233). Der Antrag muss bis zum siebenten Tag _____vor dem Verkündungstermin eingehen. Die Berechnung der Frist richtet sich nach _____§§ 222 ZPO, 187 Abs. 2 Satz 1, 188 Abs. 2 2. Alt. BGB. Maßgeblich ist also der Wochentag, _____auf den die Verkündung fällt. Zur Ausschöpfung der Frist vgl. Erl. Vor § 214 Rdn. 39. _____ Gibt das Gericht dem Antrag statt, beschließt es den Wiedereintritt in die mündli_____che Verhandlung. Die Parteien sind zum neuen Termin zu laden. Ist das Abwendungs_____gesuch nicht begründet, weil es z.B. an der Glaubhaftmachung fehlt, wird hierüber im _____Urteil entschieden. Ein ablehnender Beschluss ist nicht gesondert anfechtbar.35 Zur An_____fechtung der Entscheidung der Entscheidung nach Aktenlage s. Rdn. 30. _____ Stellt das Gericht von Amts wegen fest, dass die formellen Voraussetzungen für _____eine Entscheidung nach Aktenlage nicht vorliegen, z.B. weil einer der Vertagungsgründe _____gemäß §§ 335 Abs. 1, 337 vorliegt, muss es den Verkündungstermin aufheben und wieder _____in die mündliche Verhandlung eintreten (§ 156). _____ _____ V. Vertagung oder Ruhen des Verfahrens, Abs. 3 _____ _____ Entscheidet das Gericht nicht nach Lage der Akten, kann es nach § 227 vertagen oder _____das Ruhen des Verfahrens anordnen. Das Verfahren darf nicht schriftlich fortgeführt _____werden; die Möglichkeit für eine Entscheidung nach Aktenlage ist verbraucht. Die Aus_____wahl zwischen Ruhen und Vertagung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Ge_____richts.36 Den Zweck des § 251 a, eine Förderung des Verfahrens zu bewirken, muss das _____Gericht dabei im Auge behalten. _____ Die Vertagung kommt in Betracht, wenn die Sache noch nicht entscheidungsreif ist _____oder eine frist- und formgerechte Ladung der Parteien nicht festgestellt werden kann. _____Dies ist ein erheblicher Grund im Sinne von § 227. Der neue Termin ist möglichst kurzfris_____tig anzuberaumen (§ 278 Abs. 4). Wird der die Vertagung aussprechende Beschluss sofort _____verkündet, ist eine Ladung zum neuen Termin entbehrlich, § 218. Die Ladungsfrist muss _____in jedem Fall eingehalten werden (vgl. § 218 Rdn. 4).37 _____ Das Ruhen des Verfahrens ist nur zu beschließen, wenn dies aus wichtigen Gründen _____zweckmäßig erscheint (§ 251 Abs. 1 Satz 1). Ein solcher Grund liegt vor, wenn anzuneh_____men ist, dass die Parteien derzeit an der Fortführung des Rechtsstreits kein Interesse _____haben,38 z.B. weil Vergleichsverhandlungen schweben. Allein das Ausbleiben der Partei_____en lässt diesen Schluss nicht zu. Die Anordnung des Ruhens führt zum Stillstand des _____Prozesses. Die durch die Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) herbeigeführte Hem_____mung der Verjährung entfällt gemäß § 204 Abs. 2 BGB39 sechs Monate nach der letzten _____Verfahrenshandlung. Wird das Verfahren wieder betrieben, beginnt die Hemmung er_____neut. _____ _____ _____ _____34 Stein/Jonas/Roth Rdn. 27; vgl. auch RG HRR 1933, 537; BAG AP Nr. 1 zu § 251 a ZPO betr. Verhinderung _____eines Anwalts. _____35 KG JW 1926, 267. _____36 KG DJZ 1925, 193; JW 1927, 1324; OLG Köln MDR 1991, 896. 37 S. auch § 217, 11, § 218, 4; a.A. Stein/Jonas/Roth Rdn. 38. _____38 KG JW 1926, 1596; KG FamRZ 1981, 582, 583; a.A. LG Düsseldorf MDR 1967, 220. _____39 Zur Beendigung der Unterbrechung gemäß 209 Abs. 1, 211 Abs. 2 BGB a.F. s. RGZ 157, 379, 382; BGH _____NJW-RR 1988, 279 = MDR 1988, 214.

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______ VI. Rechtsmittel ______ ______ Beschlüsse nach Aktenlage sind grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar, weil 30 ______kein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wird, § 567 Abs. 1 Nr. 2. Das ______Urteil ist als kontradiktorische Entscheidung mit den ordentlichen Rechtsmitteln (Be______rufung und Revision) anfechtbar. Verstöße gegen die formellen Voraussetzungen nach ______Abs. 2 lassen sich nur auf dem Rechtsmittelwege verfolgen.40 Wird das Urteil verkündet, ______obwohl die Frist nach Abs. 2 Satz 2 nicht gewahrt ist oder eine Partei ihr Ausbleiben ge______nügend entschuldigt hat, ist das rechtliche Gehör verletzt. Dass die Entscheidung auf ______diesem Verfahrensfehler beruht, kann in der Regel nicht ausgeschlossen werden.41 In der ______Revisionsbegründung muss ggf. die Glaubhaftmachung nach § 251 a Abs. 2 Satz 4 nach______gebracht werden. Gegen die Anordnung des Ruhens findet die sofortige Beschwerde ______nach § 252 statt.42 ______ ______ VII. Kosten/Gebühren ______ ______ Bei Abschluss des Verfahrens durch Urteil nach Aktenlage entstehen die gleichen 31 ______Gerichtsgebühren wie bei einer Entscheidung aufgrund streitiger Verhandlung (GKG KV ______Nr. 1210 ff.). Die Anordnung des Ruhens (§ 251 a Abs. 3) löst keine Gebühr aus. ______ ______ ______ § 252 ______ Rechtsmittel bei Aussetzung ______ § 252 Gerken ______ Gegen die Entscheidung, durch die auf Grund der Vorschriften dieses Titels ______oder auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfah______rens angeordnet oder abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde statt. ______ ______ Übersicht ____ 1 III. Umfang der Nachprüfung ____ 6 ______I. Anwendungsbereich ____ 5 IV. Kosten/Gebühren ____ 7 ______II. Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ______ ______ I. Anwendungsbereich ______ 1 Die Vorschrift findet auf alle Fälle Anwendung, in denen durch eine gerichtliche ______ ______Entscheidung die Aussetzung des Verfahrens nach den Vorschriften der ZPO oder nach ______anderen gesetzlichen Bestimmungen angeordnet, aufrechterhalten oder abgelehnt ______wird. Entscheidend für die Anwendbarkeit des § 252 ist, dass die angegriffene gerichtli______che Entscheidung inhaltlich einen Verfahrensstillstand oder einen Fortgang des Verfah______rens bewirkt.1 Aus diesem Grund ist auch die Anordnung der Verfahrensruhe (§§ 251, ______251 a) nach dieser Vorschrift anfechtbar,2 da es sich hierbei nur um einen Sonderfall der ______ ______ ______ ______40 RG HRR 1933, 537. ______41 RG HRR 1933, 537; BAG BB 1986, 1232 (LS). ______42 S. § 252, 1; a.A. KG JW 1926, 267. ______1 Vgl. nur RGZ 32, 428, 430; RG JW 1897, 107; 1897, 562; 1899, 431, 432; KG JW 1925, 496; OLG Celle ______Nds.Rpfl 1975, 199, 200 m.w.N. ______2 HM, vgl. nur Stein/Jonas/Roth Rdn. 3 m.w.N.; a.A. KG JW 1926, 267.

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3. Abschnitt. Verfahren

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_____Aussetzung handelt.3 Angreifbar nach § 252 sind namentlich die Anordnungen aufgrund _____des 5. Titels (§§ 239 ff.) und aufgrund der §§ 65, 148 ff., 578 Abs. 2. Auf die Bezeichnung _____der Entscheidung kommt es nicht an.4 _____ Die sofortige Beschwerde kann sich sowohl gegen den Stillstand als auch gegen die 2 _____Fortsetzung des Verfahrens richten. Entscheidungen, die einen Verfahrensstillstand be_____wirken oder ihn aufrechterhalten, sind die Anordnung der Aussetzung oder des Ruhens, _____die Zurückweisung eines Aufnahmeantrags und die Ablehnung, einen Aussetzungsbe_____schluss nach § 150 aufzuheben.5 Daneben ist die sofortige Beschwerde in den Fällen _____statthaft, in denen die Aussetzung oder Verfahrensruhe abgelehnt oder aufgehoben _____wird oder eine Entscheidung ergeht, die den Fortgang des Verfahrens bewirkt oder auf_____rechterhält.6 Hier kommen insbesondere die Zurückweisung des Aussetzungsantrags, die _____Zulassung der Aufnahme, ein Beschluss über die Beendigung des Ruhens oder auch eine _____Terminsanberaumung in Betracht. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der _____Aussetzung wird gegenstandslos, wenn in den Fällen der Aussetzung nach den §§ 148, _____149 ein Endurteil – auch ein Versäumnisurteil7 – ergeht, da in diesem Fall nur „die Ver_____handlung“ ausgesetzt wird.8 Die gegen die Aussetzung gerichtete Beschwerde wird ge_____genstandslos, wenn ein Endurteil ergeht, da dieses die Aussetzung faktisch beseitigt.9 _____Der Erlass eines Versäumnisurteils reicht hier nicht aus, da es die Instanz nicht beendet. _____Eine bei Urteilserlass noch nicht beschiedene Beschwerde kann unter Umständen in ei_____nen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens vor dem Rechtsmittelgericht umzudeuten _____sein. _____ Folgende Entscheidungen sind, wenn sie in ihrer Wirkung einer Anordnung oder 3 _____Ablehnung der Aussetzung gleichkommen, entsprechend § 252 anfechtbar: _____– Ablehnung einer Terminsbestimmung (§ 216)10 bzw. die Aufhebung eines Termins; _____– die (faktische) Ablehnung der Terminsbestimmung durch unangemessen weite, _____ „greifbar gesetzeswidrige“ Hinauszögerung des Termins;11 _____– ein Beschluss, der den Fortgang des Verfahrens bewirkt und damit konkludent ei_____ nen Aussetzungsantrag ablehnt;12 _____– eine Terminsbestimmung zur Verhandlung über einen Teil der Sache trotz Ausset_____ zung gemäß Art. 100 GG für einen anderen Teil;13 _____– die Verneinung oder Anerkennung der Unterbrechung;14 _____– eine Entscheidung über die unzulässige Aufnahme des Verfahrens; _____ _____ _____ _____ _____3 Vgl. § 251 Rdn. 1. _____4 Vgl. nur OLG Braunschweig JZ 1952, 530, 531; OLG Schleswig NJW 1981, 691; 1982, 246; OLG Zweibrücken FamRZ 1984, 74; Stein/Jonas/Roth Rdn. 2. _____5 AK/Ankermann Rdn. 2. _____6 OLG München NJW-RR 1989, 64 (Terminsbestimmung entgegen einem Ruhensgesuch). _____7 RGZ 29, 340. _____8 RGZ 36, 401, 403. _____9 Stein/Jonas/Roth Rdn. 9. 10 OLG Schleswig NJW 1981, 691; 1982, 246; für den Fall des § 280 Abs. 2 S. 2 auch OLG Karlsruhe NJW _____1971, 662; hiergegen MünchKomm-ZPO/Prütting § 280, 12 m.w.N. _____11 OLG Karlsruhe NJW 1984, 985 (Beschwerde bei tatsächlichem Verfahrensstillstand); OLG Köln NJW _____1981, 2263; OLG Hamburg NJW-RR 1989, 1022; LG Aachen NJW-RR 1993, 1407 (faktischer _____Verfahrensstillstand wegen Zeugenvernehmung im Ausland); zweifelnd OLG Celle NJW 1975, 1230, 1231; zur Vertagung vgl. RG JW 1897, 146; RG JW 1897, 237. _____12 OLG München NJW-RR 1989, 64; OLG Schleswig Rpfl. 1950, 185. _____13 OLG Frankfurt FamRZ 1980, 178, 179. _____14 OLG München NJW-RR 1996, 228.

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Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften

______– die Ablehnung der Fortführung eines Betragsverfahrens vor Rechtskraft des Grund______ urteils.15 ______ Ebenfalls mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist eine Entscheidung, die eine ______Beweisaufnahme in der Weise hinausschiebt, dass sie einer Aussetzung gleichkommt.16 ______ Gegen Entscheidungen, die als Urteile ergehen, ist die sofortige Beschwerde nach 4 ______§ 252 grundsätzlich nicht statthaft.17 Eine Überprüfung der Maßnahme ist nur innerhalb ______des Rechtsmittelverfahrens gegen das Urteil möglich. Die Revision kann nicht darauf ______gestützt werden, dass das Berufungsgericht die Aussetzung in den Gründen seines Ur______teils zu Unrecht abgelehnt hat. Denn ein entsprechender Beschluss wäre nach § 567 ______Abs. 4 Satz 1 unanfechtbar.18 Ebenfalls nicht nach § 252 anfechtbar ist ein auf Art. 100 ______Abs. 1 GG gestützter Aussetzungsbeschluss,19 da jede Instanz selbständig über die Vorla______gepflicht zu entscheiden hat und das Beschwerdegericht die Vorlage an das BVerfG nicht ______verhindern könnte. Das Gleiche gilt für eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV ______(früher Art. 177 EWGV bzw. 234 EGV).20 Anders ist es aber, wenn die Vorlage in einem ______anderen Verfahren erfolgt und ausgesetzt wird, um die dortige Entscheidung abzuwar______ten.21 ______ ______ II. Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ______ ______ Statthaft ist die sofortige Beschwerde nur gegen erstinstanzliche Entscheidungen 5 ______der Amts- und Landgerichte. Aussetzungsbeschlüsse der Landgerichte in Berufungsver______fahren und die der Oberlandesgerichte sind nicht anfechtbar, es sei denn, die Rechtsbe______schwerde ist zugelassen worden. Die sofortige Beschwerde ist nicht deswegen ausge______schlossen, weil die Berufungssumme nicht erreicht und in der Hauptsache deswegen ein ______Rechtsmittel nicht gegeben wäre. Allerdings ist in diesem Fall die Prüfungskompetenz ______des Beschwerdegerichts eingeschränkt. ______ ______ III. Umfang der Nachprüfung ______ ______ Das Beschwerdegericht darf nur die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für 6 ______den angefochtenen Beschluss nachprüfen, nicht aber die materiellrechtliche Beurtei______lung durch das untere Gericht.22 Dies ist erst im Verfahren über ein Rechtsmittel ge______gen die Entscheidung in der Hauptsache möglich.23 Eine Ermessensentscheidung, z.B. ______nach § 148, kann das Beschwerdegericht nur daraufhin überprüfen, ob die Vorausset______zungen verkannt sind oder sonstige Ermessensfehler vorliegen (z.B. Fehlen einer Be______ ______ ______15 KG MDR 1971, 588; OLG Köln NJW 1956, 555. 16 Zurückstellung der Einholung eines Abstammungsgutachtens: OLG Bamberg FamRZ 1955, 217; OLG ______Braunschweig JZ 1952, 530, 531; OLG Bremen NJW 1969, 1908, 1909; OLG Hamm FamRZ 1958, 379 m. Anm. ______Schiedermair/Gaul; OLG Köln FamRZ 1960, 409, 410; LG Bonn NJW 1962, 1626, 1627; Beschluss gem. § 364: ______OLG Köln NJW 1975, 2349; anders: OLG Frankfurt NJW 1963, 912, 913; LG Berlin JR 1964, 185; LG Stuttgart ______ZZP 69 (1956), 46, die darauf abstellen, dass der Beweisbeschluss unanfechtbar ist. ______17 RG HRR 1937, 1553; Stein/Jonas/Roth Rdn. 7, § 148, 46. 18 BGH LM Nr. 1 zu § 252. ______19 HM, OLG Köln MDR 1970, 852 (zu Art. 100 GG); OLG Köln WRP 1977, 734 zu Art. 177 EWGV); vgl. dazu ______auch BVerfG NJW 1973, 1319, 1320; Henrichs MDR 1952, 528, 529; a.A. Schulte MDR 1952, 520, 521. ______20 OLG Köln WRP 1977, 734; LAG Hamburg BB 1983, 1859; zur Ablehnung der Vorlage s. OLG Naumburg ______AgrarR 1995, 36; a.A. Pfeiffer NJW 1994, 1996. 21 Zöller/Greger Rdn. 1 b; a.A. OLG Celle MDR 2009, 218. ______22 OLG Celle NJW 1975, 2208. ______23 Vgl. BGH FamRZ 1983, 890, 892; OLG Celle Nds.Rpfl 1970, 115 und NJW 1975, 2208; OLG Frankfurt ______FamRZ 1985, 409; OLG Düsseldorf OLGR 1998, 83.

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_____gründung).24 Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, sein Ermessen an Stelle des unte_____ren Gerichts zu setzen.25 _____ _____ IV. Kosten/Gebühren _____ _____ Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens ist nicht gleich dem Wert des Hauptverfah- 7 _____rens. Er ist vielmehr nach dem Interesse der Parteien an der Entscheidung über die Aus_____setzung gemäß § 3 ZPO zu schätzen.26 Anzusetzen ist ein Bruchteil des Hauptsachewer_____tes.27 Die Gerichtsgebühr richtet sich nach Nr. 1811 KV GKG, die Anwaltsvergütung nach _____Nr. 3500, 3513 VergV RVG. Das Beschwerdegericht braucht über die Kosten des Beschwer_____deverfahrens nicht zu entscheiden, da die Kostenverteilung bei der Entscheidung über die _____Hauptsache vorzunehmen ist.28 Anders ist es nur dann, wenn die Aussetzung nach Erlass _____der erstinstanzlichen Entscheidung angeordnet wird. In diesem Fall ist ungewiss, ob im _____Rahmen der Hauptsache noch eine zweitinstanzliche Entscheidung ergehen wird.29 _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____ _____24 BGH MDR 2006, 704. _____25 KG MDR 2007, 736. 26 BGHZ 22, 283 = NJW 1957, 424. _____27 OLG Köln MDR 1973, 683; OLG Düsseldorf FamRZ 1974, 311; E. Schneider MDR 1973, 542. _____28 BGH MDR 2006, 704; OLG Köln NJW-RR 1999, 140. _____29 KG NJW-RR 2006, 1145.

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