»Zero Tolerance« gegen soziale Randgruppen?: Hoheitliche Maßnahmen gegen Mitglieder der Drogenszene, Wohnungslose, Trinker und Bettler in New York City und Deutschland [1 ed.] 9783428521708, 9783428121700

Die Autorin behandelt die aktuellen Polizeistrategien gegenüber Personengruppen, deren Lebensmittelpunkt auf öffentliche

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»Zero Tolerance« gegen soziale Randgruppen?: Hoheitliche Maßnahmen gegen Mitglieder der Drogenszene, Wohnungslose, Trinker und Bettler in New York City und Deutschland [1 ed.]
 9783428521708, 9783428121700

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Schriften zum Internationalen Recht Band 168

„Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen? Hoheitliche Maßnahmen gegen Mitglieder der Drogenszene, Wohnungslose, Trinker und Bettler in New York City und Deutschland

Von

Susanne Paula Leiterer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SUSANNE PAULA LEITERER

„Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?

Schriften zum Internationalen Recht Band 168

„Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen? Hoheitliche Maßnahmen gegen Mitglieder der Drogenszene, Wohnungslose, Trinker und Bettler in New York City und Deutschland

Von

Susanne Paula Leiterer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 / 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-12170-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner kleinen Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Oktober 2005 berücksichtigt werden. Zuerst möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bernhard Schlink, für die umfassende Unterstützung bei der Erstellung dieser Arbeit danken. Sein großes Interesse und die Bereitschaft zur Diskussion waren immer eine wertvolle Hilfe. Während der Zeit an seinem Lehrstuhl habe ich nicht nur den Zugang zum wissenschaftlichen Arbeiten gefunden, sondern eine unschätzbare Förderung sowohl in fachlicher als auch menschlicher Hinsicht erfahren, für die ich sehr dankbar bin. Das Zweitgutachten hat Privatdozent Dr. Jens Kersten geschrieben. Ihm danke ich für die zügige Erstellung und die nützlichen Hinweise zur Veröffentlichung. Dr. Jakob Nolte danke ich für die unermessliche Einsatzbereitschaft, die vielen unverzichtbaren klugen Anregungen und Ratschläge und die Geduld während der gesamten Zeit, die ich an dieser Arbeit geschrieben habe. Ullrich Bruchhold möchte ich für die gewissenhafte und ausdauernde Korrektur des Manuskripts und die Formatierung danken. Für die finanzielle Unterstützung danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mir durch die unkomplizierte und persönliche Betreuung die Möglichkeit gegeben hat, die Arbeit unbeschwert zu schreiben. Ganz besonders herzlich danke ich Michael Koch, Dr. Kate P. Leiterer, Ernst Herrmann und den Familien Peters und Bruchhold dafür, dass sie mich immer mit all ihren Möglichkeiten unterstützt haben. Berlin, Winter 2006

Susanne Paula Leiterer

Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................................... 17 A.

Begriffsklärung .................................................................................................... 21 I. Die Begriffe „Broken Windows“-Theorie, „Zero Tolerance“, „Community Policing“, „Quality of Life“-Initiative...................................................... 21 1. „Broken Windows“-Theorie....................................................................... 21 2. „Order Maintenance“, „Community Policing“, „Zero Tolerance“ ............. 24 3. „Quality of Life“-Initiative und „Police Strategy No. 5“ ........................... 27 II. Die Begriffe „öffentlicher Raum“ und „soziale Randgruppen“ ....................... 28 1. Öffentlicher Raum...................................................................................... 28 2. Soziale Randgruppen.................................................................................. 28

B.

Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City ................. 32 I. Einleitung......................................................................................................... 32 II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA................................ 33 1. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA, insbesondere New York City ...................................................................................... 33 2. Rechtliche Entwicklung ............................................................................. 34 III. Aufbau der Polizei ........................................................................................... 36 1. Aufbau der Polizei in den USA .................................................................. 36 2. Aufbau des New York City Police Department ......................................... 36 IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in New York City ........... 38 1. Die „Quality of Life“-Initiative und die „Police Strategy No. 5“............... 38 2. Umstrukturierung der Polizei ..................................................................... 41 3. „Quality of Life Legislative Agenda“ ........................................................ 42 V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen.................... 43 1. Verhaftungen, „stop and frisk“ und deren Begleiterscheinungen............... 45 a) Verhaftungen aufgrund geringfügiger Vergehen und „stop and frisk“..................................................................................................... 45

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Inhaltsverzeichnis b) Diskriminierung und andere negative Begleiterscheinungen bei Verhaftungen und „stop and frisk“....................................................... 46 c) Fehlverhalten und Brutalität der New Yorker Polizei ........................... 49 d) Verfahren bei Verhaftungen.................................................................. 50 2. Verstärktes Vorgehen gegen Drogendealer ................................................ 51 3. Verstärktes Vorgehen gegen Wohnungslose .............................................. 52 VI. Rechtliche Beurteilung der im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie durchgeführten Maßnahmen............................................................................ 53 1. Überblick über das Rechtssystem der USA und New Yorks...................... 53 a) Überblick über die Struktur des Rechts in den USA ............................. 53 aa) Common Law, Equity und Case Law............................................. 54 bb) Statutory Law................................................................................. 55 cc) Constitution of the United States of America................................. 55 b) Das Polizeirecht in den USA, insbesondere New York City ................ 57 aa) Die Polizeigewalt ........................................................................... 58 bb) Rechtliche Grundlagen................................................................... 58 (1) Errichtung der Polizeibehörden / Aufgaben der Polizeibehörden ............................................................................ 58 (2) Rechtliche Grenzen der Polizeigewalt / Polizeitätigkeit ......... 60 2. Rechtliche Beurteilung der New Yorker Maßnahmen Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“ ....................................................................... 62 a) Klassifizierung der Straftaten nach New Yorker Recht ........................ 63 b) „Disorderly conduct“, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Betteln und Lagern im öffentlichen Raum................................................. 64 aa) „Disorderly Conduct“..................................................................... 64 bb) Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ............................................ 65 cc) Lagern und Betteln ......................................................................... 66 c) Gewahrsam............................................................................................ 69 aa) Anwendbarkeit des 4. Zusatzartikels.............................................. 69 bb) „Warrant“....................................................................................... 69 cc) „Probable Cause“ ........................................................................... 72 dd) „Reasonableness“........................................................................... 73 ee) Weitere Voraussetzungen nach New Yorker Gesetzesrecht........... 73

Inhaltsverzeichnis

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d) „Stop and frisk“..................................................................................... 74 aa) Anwendbarkeit des 4. Zusatzartikels.............................................. 75 bb) „Warrant“ und „Probable Cause“................................................... 75 cc) Weitere Voraussetzungen aus der New Yorker Verfassung und nach New Yorker Gesetzesrecht ............................................. 77 dd) Durchsuchung ................................................................................ 79 ee) „Reasonableness“ ........................................................................... 80 e) Rechtsfolgen verfassungswidriger Ingewahrsamnahmen und „stop and frisk“ – „Exclusionary Rule“ ......................................................... 81 f) Ermessen................................................................................................ 82 3. Verfassungsrechtliche Probleme bei Polizeimaßnahmen nach dem New Yorker Modell .................................................................................. 83 a) Gleichheitssatz (14. Zusatzartikel) ........................................................ 84 b) Das Recht auf freie Rede (1. Zusatzartikel) .......................................... 85 c) „Due process clause“ (14. Zusatzartikel) .............................................. 89 d) Das Recht der „Bench Squatter“ – Sichniederlassen, nächtliches Lagern .................................................................................................. 91 C.

Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland........................................................................................ 94 I. Einleitung......................................................................................................... 94 II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in Deutschland........................... 94 III. Aufbau der Polizei ........................................................................................... 98 IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland.............. 100 1. Die „Aktion Sicherheitsnetz“ ................................................................... 100 2. Die Polizeistrategien der Länder .............................................................. 102 V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen.................. 105 1. Aufenthaltsverbot ..................................................................................... 108 2. Verbringungsgewahrsam.......................................................................... 116 3. Das Verbot des Bettelns, Niederlassens zum Alkoholkonsum und Nächtigens auf straßenrechtlicher Grundlage und durch Gefahrenabwehrverordnungen ............................................................................... 119 a) Gefahrenabwehrverordnungen ............................................................ 120 b) Sondernutzungssatzungen auf straßenrechtlicher Grundlage.............. 123

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Inhaltsverzeichnis c) Straßenrecht ........................................................................................ 127 VI. Rechtliche Beurteilung der in der deutschen Polizeistrategie durchgeführten Maßnahmen....................................................................................... 128 1. Maßnahmen nach Polizei- und Ordnungsrecht......................................... 128 2. Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit sowie Ordnung und polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit ........................ 128 a) Polizeirechtliche relevante Verhaltensweisen von Mitgliedern der Drogenszene, Wohnungslosen und Trinkern...................................... 130 b) Der Begriff der Gefahr........................................................................ 134 aa) Konkrete und abstrakte Gefahr..................................................... 134 bb) Abgrenzung zur bloßen Belästigung ............................................ 137 c) Verantwortlichkeit............................................................................... 139 d) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit......................... 143 aa) Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit.......................... 143 bb) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit ............................................................. 144 (1) Gefahren im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene ..................................................................................... 144 (2) Betteln ................................................................................... 147 (3) Verhalten bei Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern....................................................................................... 155 (a) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ............................ 156 (b) Niederlassen zum Konsum von Alkohol........................ 161 (c) Nächtigen, Lagern.......................................................... 164 e) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung ........................... 166 aa) Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung............................ 166 bb) Diskussion zur öffentlichen Ordnung als polizeiliches Schutzgut ..................................................................................... 166 cc) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Gefahr für die öffentliche Ordnung ............................................................... 172 (1) Gefahren im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene ..................................................................................... 172 (2) Betteln ................................................................................... 173

Inhaltsverzeichnis

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(3) Verhalten bei Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern...................................................................................... 175 (a) Niederlassen zum Konsum von Alkohol........................ 177 (b) Nächtigen, Lagern.......................................................... 179 f) Das Sicherheitsgefühl der Bürger als polizeiliches Schutzgut............. 180 g) Die „Broken Windows“-Theorie als Begründung einer abstrakten Gefahr................................................................................................. 182 h) Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird................................................................... 187 aa) Begriff der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird.......................................................... 187 bb) Verantwortlichkeit ....................................................................... 191 cc) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird .............................................................................................. 191 (1) Im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene................. 192 (2) Betteln ................................................................................... 193 (3) Verhalten von Wohnungslosen und Trinkern........................ 193 3. Aufenthaltsverbot ..................................................................................... 194 a) Rechtsgrundlage.................................................................................. 194 aa) Abgrenzung zum Platzverweis ..................................................... 194 (1) In zeitlicher Hinsicht ............................................................. 194 (2) In räumlicher Hinsicht........................................................... 195 bb) Generalklausel als Rechtsgrundlage für Aufenthaltsverbote........ 197 (1) Verdrängung durch die speziell geregelte Standardmaßnahme Platzverweis .............................................................. 198 (2) Kein Rückgriff auf die Generalklausel wegen der Eingriffsintensität ................................................................. 202 b) Betroffene Grundrechte....................................................................... 204 aa) Artikel 2 Absatz 2 GG.................................................................. 204 bb) Artikel 11 Absatz 1 GG ............................................................... 207 cc) Verhältnis von Artikel 11 Absatz 1 zu Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG ........................................................................................... 213 dd) Qualifizierter Gesetzesvorbehalt Artikel 11 Absatz 2 GG ........... 215

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Inhaltsverzeichnis ee) Zitiergebot .................................................................................... 222 ff) Gesetzgebungskompetenz der Länder, Artikel 73 Nr. 3 GG ......... 223 c) Verhältnismäßigkeit ............................................................................ 226 aa) Geeignetheit ................................................................................. 227 bb) Erforderlichkeit ............................................................................ 232 cc) Angemessenheit............................................................................ 236 d) Bestimmtheit ....................................................................................... 242 aa) Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltsverbote........ 242 bb) Bestimmtheit der Aufenthaltsverbotsverfügungen....................... 245 4. Verbringungsgewahrsam.......................................................................... 247 a) Rechtsgrundlage.................................................................................. 247 aa) Befugnisse zum Platzverweis ....................................................... 249 bb) Befugnisse zur Ingewahrsamnahme............................................. 249 (1) Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts................................. 250 (a) Ort des Gewahrsams........................................................ 250 (b) Festhalten in einem eng umgrenzten Raum .................... 252 (c) Zweck, Dauer und Intensität der Maßnahme................... 252 (2) Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises ............. 256 (3) Minusmaßnahme zum Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises ............................................................. 257 cc) Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung einer Maßnahme aufgrund der polizeilichen Generalklausel................................... 262 b) Verletzung des Grundrechtes auf Freizügigkeit aus Artikel 11 GG.... 264 c) Spezielle Eingriffsvoraussetzungen für den Gewahrsam .................... 265 5. Gefahrenabwehrverordnungen / Straßenrechtliche Sondernutzungssatzungen................................................................................................. 267 a) Gefahrenabwehrverordnungen ............................................................ 267 aa) Rechtsgrundlage ........................................................................... 267 bb) Tatbestandsvoraussetzung: Vorliegen einer abstrakten Gefahr.... 268 cc) Bestimmtheitsgebot ...................................................................... 270 dd) Verhältnismäßigkeit – Verbot der bloßen Erleichterung polizeilichen Handelns...................................................................... 276 b) Sondernutzungssatzungen ................................................................... 277

Inhaltsverzeichnis

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aa) Rechtsgrundlage ........................................................................... 277 (1) Umfang der Satzungskompetenz der Gemeinden................... 277 (2) Regelung ordnungsrechtlicher Tatbestände durch straßenrechtliche Instrumentarien ..................................................... 279 bb) Sondernutzung oder Gemeingebrauch........................................... 283 (1) Betteln als Sondernutzung ...................................................... 289 (2) Das Niederlassen zum Alkoholgenuss als Sondernutzung ..... 294 (3) Nächtigen und Lagern als Sondernutzung .............................. 297 cc) Bestimmtheitsgebot ....................................................................... 299 6. Verbot auf straßenrechtlicher Grundlage................................................... 301 D.

Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland.............. 306 I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht................... 306 1. Rechtsvergleich ........................................................................................ 306 a) Allgemeine rechtliche Voraussetzungen und Grenzen für Maßnahmen der Polizei gegen soziale Randgruppen ................................ 306 aa) Rechtliche Grenzen polizeilicher Tätigkeit .................................. 306 bb) Unterscheidung präventiver und repressiver Tätigkeit der Polizei ............................................................................................. 307 cc) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .............................................. 308 dd) Ermessen...................................................................................... 309 b) Vorliegen einer Gefahr als Voraussetzung polizeilichen Handelns .... 310 c) Gewahrsam beziehungsweise Verbringungsgewahrsam und „stop and frisk“............................................................................................ 317 aa) Einschlägigkeit des 4. Zusatzartikels der US-amerikanischen Verfassung und des Artikels 104 GG........................................... 317 bb) Folgen von Verstößen gegen verfassungs- und einfachrechtliche Vorschriften......................................................................... 319 cc) „Stop and frisk“ ............................................................................ 320 dd) Gewahrsam .................................................................................. 322 d) Verbringungsgewahrsam und Aufenthaltsverbot ................................ 324 e) Verfassungsrechtliche Probleme bei Polizeimaßnahmen nach dem New Yorker Modell ........................................................................... 324 aa) Gleichheitssatz 14. Zusatzartikel – Artikel 3 GG ......................... 324

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Inhaltsverzeichnis bb) Das Recht auf freie Rede 1. Zusatzartikel – Meinungsfreiheit Artikel 5 GG ................................................................................ 325 cc) „Due process clause“ 14. Zusatzartikel – Bestimmtheitsgrundsatz ...................................................................................... 327 dd) Das Recht der „Bench Squatter“ – Freizügigkeit Artikel 11 GG................................................................................................ 329 2. Ergebnis und Schlussfolgerung zur Übertragbarkeit der „Zero Tolerance“-Strategie und der „Broken Windows“-Theorie ...................... 331 II. Kritik an der „Broken Windows“-Theorie und der New Yorker „Quality of Life“-Initiative .......................................................................................... 334 1. Andere Ursachen für das Absinken der Kriminalität in New York .......... 335 2. Erfolge der „Quality of Life“-Initiative nicht aufgrund der Ursachenzusammenhänge der „Broken Windows“-Theorie .................................. 336 3. Rechtspolitische Diskussion..................................................................... 336 III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft............................................. 339 1. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als Zweck staatlichen Handelns gegen die öffentliche Unordnung .................................................... 342 a) Der Begriff „Sicherheitsgefühl“.......................................................... 343 b) Staatliche Verpflichtung zur Wahrung der Sicherheit?....................... 345 2. Wandel des Polizeirechts – zurück zur Wohlfahrtspflege? ...................... 348 3. Andere Lösungen, „Community Policing“............................................... 350 4. Fazit.......................................................................................................... 351

Zusammenfassung ...................................................................................................... 354 Teil A: Begriffsklärung ...................................................................................... 354 Teil B: Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City......... 354 Teil C: Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland ................................................................. 356 Teil D: Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland...... 365 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 367 Sachwortverzeichnis................................................................................................... 382

Einleitung Seit Mitte der neunziger Jahre lässt sich ein neuer Trend in der Polizeipolitik beobachten. Vermehrt wurde die zunehmende Unsicherheit im öffentlichen Raum deutscher Städte beklagt, die durch Verwahrlosung und Verfall verursacht würde. Die innere Sicherheit in den Städten rückte in den Mittelpunkt politischer Bestrebungen, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sollte zentrales Schutzziel staatlicher Maßnahmen werden1. Als Ursache für die Unsicherheit der Bevölkerung wurden die Personengruppen benannt, deren Lebensmittelpunkt auf öffentlichen Straßen und Plätzen liegt, die so genannten sozialen Randgruppen. Die Anwesenheit sozialer Randgruppen und die damit in Verbindung stehende „soziale und optische Verwahrlosung“ des öffentlichen Raums2 führe zur Entstehung von „Angsträumen“, die durch die Allgemeinheit nicht mehr genutzt würden3. „Rüpelszenen“4, „Dealer, Bettler, Penner“ beziehungsweise „Gelichter“ ergäben ein „Elendsbild“5, gegen das anzugehen sei, damit die Bürger nicht vor der Nutzung des öffentlichen Raums zurückschreckten. Der öffentlichen Raum sollte „zurückerobert“6 werden. Zur Verbesserung des aufgrund alltäglicher negativer Erfahrungen verschlechterten Sicherheitsgefühls der Bürger wurde ein Einschreiten gegen „nicht mehr gemeinverträgliche Verhaltensweisen“ im öffentlichen Raum, wie „Drogenhandel und Drogenkonsum, Straßenkriminalität, Randalieren, Trunkenheit, Vandalismus, Verunreinigungen, aggressives Betteln und Belästigungen“7 gefordert. „Bürger, die sozial unangepasstes Verhalten ___________ 1 Vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff.; Der Spiegel, 24.1997, 48 ff.; Der Tagesspiegel, 25.10.1997, 2; Götz, NVwZ 1998, 679; Dolderer, NVwZ 2001, 130; Volkmann, NVwZ 2000, 361. 2 Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268; vgl. auch Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231. 3 Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums Baden-Württemberg – Landespolizeipräsidium – Öffentlichkeitsarbeit. 4 Vgl. im Zusammenhang mit der „Aktion Sicherheitsnetz“ Tagesspiegel, 25.10. 1997, 2. 5 Vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff.; Spiegel-Gespräch mit Petra Roth, Der Spiegel, 25.1997, 56 ff.; Der Spiegel 24.1997, 48 ff. 6 Vgl. Wohlfahrt unter dem vielsagenden Titel „Die Inbesitznahme der Straße durch Randgruppen“, BayVBl. 1997, 420; Volkmann, „Die Rückeroberung der Allmende“, NVwZ 2000, 361. 7 Vgl. Götz, NVwZ 1998, 679.

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zeigten, wie zum Beispiel Bettler und Trinker“, sollten aus den Innenstädten verdrängt werden8. Vor diesem Hintergrund wurden neue Polizeistrategien entwickelt, die ein härteres Vorgehen gegen soziale Randgruppen beinhalten und als Schutzziel das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen9. Gegen auch nur geringfügige Ordnungsstörungen durch Verhaltensweisen, „die die subjektive Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Sicherheit des Alltagslebens negativ prägen“10, sollte konsequent vorgegangen werden11. Die Orientierung der Polizeiarbeit auf die Bekämpfung von Verwahrlosungstendenzen im öffentlichen Raum leitete einen Paradigmenwechsel im Polizeirecht ein. Die Trennung von polizeilicher Gefahrenabwehr und sonstiger Sozialgestaltung wird aufgehoben, indem die Polizei wieder für die Erhaltung der sozialen Ordnung zuständig sein soll12. Vorbild für diese neuen Polizeistrategien und einen entsprechenden Paradigmenwechsel in der Kriminal- und Sicherheitspolitik waren die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie und die „Broken Windows“-Theorie13. Im Zuge der Begeisterung für „Broken Windows“ und „Zero Tolerance“ wurden die Schranken, die deutsches Polizei- und Ordnungsrecht sowie die Verfassung einem der „Broken Windows“-Theorie entsprechenden Vorgehen gegen soziale ___________ 8 So der Hamburger Innensenator Wrocklage, Der Spiegel, 24.1997, 48; vgl. auch die Aussage des Berliner CDU Vorsitzenden Landowski: „Es ist nun einmal so, dass dort, wo Müll ist, Ratten sind, und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muss aus der Stadt beseitigt werden.“ ebenfalls Der Spiegel, 24.1997, 48. 9 Vgl. dazu Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/153; Dolderer, NVwZ 2001, 130; Volkmann, NVwZ 2000, 361/362. 10 Zur „Aktion Sicherheitsnetz“, Der Tagesspiegel, 25.10.1997, 2. 11 Vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff.; zur „Aktion Sicherheitsnetz“: Pressestelle des IMK-Vorsitzenden, Die Polizei 1998, 110 f.; Tagesspiegel, 25.10.1997, 2; zur Fortführung: Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, Nr. 3 [15.08.2002], zu den Strategien der Länder: [21. Mai 2002]; Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998, S. 1268); Zum „Berliner Modell“ mit Kritik Voß, Kriminalistik 2002, 153. 12 Vgl. dazu Dolderer, NVwZ 2001, 130; Kutscha in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 67/74; Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 23 u. 228; Volkmann, NVwZ 1999, 225/227. 13 Zur Orientierung der Aktion Sicherheitsnetz an den amerikanischen Vorbildern: Hecker, Die Zeit, 26.02.1998, 13; zu den Strategien der Länder: [21. Mai 2002]; Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998, S. 1268). Die Gewerkschaft der Polizei hielt einen Kongress ab, zu dem der ehemalige New Yorker Polizeichef William Bratton eingeladen wurde; s. dazu: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York; vgl. dazu auch Dolderer, NVwZ 2001, 361; Volkmann, NVwZ 2000, 361/362.

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Randgruppen setzt, teilweise massiv kritisiert. Schnell wurden Rufe nach einer Änderung des deutschen Polizeirechts laut, dass mit der Anforderung der „berühmten unmittelbaren Gefahr“ die vorbeugende Verbrechensbekämpfung behindere und die „so genannten Freiheitsrechte der Bürger“ höher bewerte als den Schutz vor Kriminalität14. Die neue Entwicklung im Polizeirecht und deren Orientierung an den USamerikanischen Vorbildern wirft mehrere Fragen auf, die in dieser Arbeit geklärt werden sollen. Zunächst ist zu fragen, wie die tatsächliche Praxis der viel zitierten New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie aussah und inwieweit die entsprechenden Vorgehensweisen vor dem US-amerikanischen Recht bestehen können. Daneben ist zu untersuchen, wie sich die den neuen Strategien folgende deutsche Polizeipraxis darstellt und ob diese von deutschem Polizei- und Verfassungsrecht gedeckt ist. Letztlich stellt sich die Frage, ob die New Yorker beziehungsweise eine der „Broken Windows“-Theorie entsprechende Polizeistrategie nach deutschem Recht umsetzbar wäre. Neben der rechtlichen Umsetzbarkeit ist weiterhin die kriminalpolitische Rechtfertigung von „Broken Windows“ und „Zero Tolerance“ zu diskutieren. Sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Polizeistrategien gegen Verwahrlosungstendenzen im öffentlichen Raum beziehen sich ausdrücklich oder konkludent auf die „Broken Windows“-Theorie. Um die entsprechenden Folgerungen in der Polizeiarbeit aufzeigen zu können, wird zunächst diese Theorie erläutert. Daneben werden weitere Begriffe geklärt, die für das Verständnis der Arbeit maßgeblich sind15. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City. Es werden die dortige Polizeistrategie und die dem folgende Polizeipraxis dargestellt. Dabei wird schwerpunktmäßig auf die Maßnahmen eingegangen, die der Verdrängung sozialer Randgruppen beziehungsweise Unterbindung von Ordnungsstörungen durch diese im sozialen Raum dienen. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen und Probleme dieser Praxis untersucht. Im dritten Teil werden demgegenüber die deutschen Polizeistrategien und die Polizeipraxis gegenüber sozialen Randgruppen untersucht. Dabei wird insbesondere auf die in jüngster Zeit zu diesem Zwecke verstärkt angewendeten Maßnahmen Aufenthaltsverbot und Verbringungsgewahrsam sowie die eigens zur Schaffung einer Eingriffsermächtigung gegen Wohnungslose und Trinker erlassenen Gefahrenabwehrverordnungen beziehungsweise Sondernutzungs___________ 14 Schöneberg, Landesbezirksvorsitzender der GdP in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 3. 15 s. A.

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satzungen eingegangen. Diese Maßnahmen werden sodann auf ihre Recht- und Verfassungsmäßigkeit nach deutschem Recht überprüft. Dazu wird insbesondere die Frage geklärt, ob die als Ursache von Unordnung und Kriminalitätsentwicklung angesehenen Personengruppen und entsprechenden Verhaltensweisen eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne darstellen. Im vierten Teil wird zunächst die Übertragbarkeit des New Yorker Modells in das deutsche Rechtssystem untersucht. Danach wird die kriminalpolitische Diskussion zur „Broken Windows“-Theorie und „Zero Tolerance“-Strategie dargestellt. Schließlich wird die Diskussion, die sich sowohl aus den kriminalpolitischen als auch rechtlichen Bedenken gegenüber einer Umsetzung der USamerikanischen Strategien in der deutschen Wissenschaft ergibt, erläutert und bewertet. Im Laufe der Untersuchung wird zum einen deutlich, dass sich die New Yorker Polizeistrategie in der Praxis auf ganz andere Maßnahmen stützt als die auf ihr aufbauenden deutschen Polizeistrategien. Zum anderen scheitert die Umsetzung der „Zero Tolerance“ Strategie an den Grenzen des deutschen Verfassungs- und Polizeirechts. Ihr stehen außerdem gravierende Unterschiede in der tatsächlichen Kriminalitätssituation entgegen.

A. Begriffsklärung I. Die Begriffe „Broken Windows“-Theorie, „Zero Tolerance“, „Community Policing“, „Quality of Life“-Initiative Innerhalb der politischen Diskussion in den Vereinigten Staaten ist „Broken Windows“ in kürzester Zeit zu einem Schlagwort geworden. Im Zusammenhang mit der neuen Polizeipraxis in New York werden neben der „Broken Windows“-Theorie verschiedene Polizeistrategien und soziologische Theorien genannt, wie „Order Maintenance“ (Aufrechterhaltung der Ordnung), „Community Policing“ (gemeinschaftsorientierte Polizeiarbeit), „Zero Tolerance“ (Null Toleranz) und die „Quality of Life“-Initiative1.

1. „Broken Windows“-Theorie Die Diskussion über die „Broken Windows“-Theorie begann mit dem Artikel von James Q. Wilson und George L. Kelling „The Police and Neighborhood Safety“, der 1982 im Atlantic Monthly2 erschien. In diesem stellen Wilson und Kelling die These auf, dass Unordnung und Kriminalität normalerweise in einer Art ursächlicher Abfolge unentwirrbar miteinander verknüpft seien3. Auch kleinere Anzeichen von Unordnung, wie Müll auf den Straßen, Herumlungern, Trinken in der Öffentlichkeit, Betteln und die Prostitution könnten, wenn sie toleriert würden, die Situation in einer Nachbarschaft so verändern, dass Kriminalität angezogen werde. Von ihnen gehe das Signal an potentielle Straftäter, dass in dieser Nachbarschaft ein Fehlverhalten nicht gemeldet oder geahndet würde und dass niemand verantwortlich für die Kontrolle oder Ahndung sei. Als Beleg für diese Theorie führen Wilson und Kelling zunächst ein Experiment des Psychologen Philip Zimbardo aus dem Jahre 1969 an. Zimbardo stellte jeweils ein Auto ohne Nummernschild in der Bronx in New York City und in Palo Alto/ Kalifornien ab. Das Auto in der Bronx wurde innerhalb von zehn Minuten von Vandalen heimgesucht. Das Auto in Palo Alto hingegen ___________ 1

Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 23. Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29-39. 3 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/31. 2

A. Begriffsklärung

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wurde über eine Woche nicht angerührt. Daraufhin zertrümmerte Zimbardo ein Fenster des Autos mit einem Vorschlaghammer. Schon bald beteiligten sich Passanten, wenig später lag das Auto völlig zerstört auf dem Dach. Wilson und Kelling schließen aus diesem Experiment, dass unbehüteter Besitz Menschen einlade, die aus Spaß plündern und randalieren wollten. Auch Menschen, die normalerweise keine gesetzeswidrigen Dinge tun würden, ließen sich davon anziehen. In der Bronx sei der Prozess der Zerstörung schneller gegangen als in Palo Alto, weil hier die Einstellung der Gemeinschaft anders gewesen sei. In der Bronx hätte bereits die Erfahrung vorgelegen, dass gegenüber verlassenen Autos und deren Zerstörung Gleichgültigkeit herrsche. In Palo Alto hingegen seien die Menschen davon überzeugt, dass Eigentum schützenswert sei und ungesetzliches Verhalten negative Konsequenzen habe. Aber auch hier seien die Grenzen der Gemeinschaft insoweit verschoben, als durch die Zerstörung eines Teils des Autos signalisiert würde, dass niemand für dieses verantwortlich sei4. Nach der daraus entwickelten „Broken Windows“-Theorie ist Ordnung der vorzugswürdige Zustand der Gesellschaft. Unordnung ziehe Kriminalität an, wohingegen Ordnung kriminelle Aktivitäten vermindere5. Die Erhaltung der Ordnung stehe in einem engen Zusammenhang zur Verhütung von Verbrechen, so wie auf das erste zerbrochene Fenster Vandalismus folge. Wenn die Bürger sich vor Betrunkenen, Bettlern und aufdringlichen Jugendlichen fürchteten, dann spiegele sich darin der Ursachenzusammenhang zwischen Unordnung und Kriminalität wieder. Straßenkriminalität floriere grundsätzlich in Gegenden, in denen auch Unordnung herrsche. Der ungehinderte Bettler sei dabei das erste zerbrochene Fenster. Diebe und andere Kriminelle dürften glauben, dass in Gegenden, in denen die Bürger schon vor den herrschenden unordentlichen Bedingungen Angst hätten, die Chance, einer Tat überführt zu werden, geringer sei. Wenn die Bürger schon nicht gegen Bettler vorgingen, könnten Kriminelle annehmen, dass sie dann erst recht nicht die Polizei rufen, um einen potentiellen Straßenräuber zu identifizieren oder gar selbst bei einem Überfall eingreifen würden6. Durch den gesamten Aufsatz von Wilson und Kelling zieht sich der Grundsatz, dass Ordnung über Unordnung stehe. Die Menschen werden dementsprechend in zwei Gruppen aufgeteilt. Die „Bürger“ oder das „anständige Volk“ auf der einen Seite gegenüber den „Ruhestörern“ (disorderly people) auf der anderen. Zu den „Ruhestörern“ werden „zwielichtige, randalierende oder unbe___________ 4

Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/31. Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 24. 6 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/32 f. Über die Veränderung der Rolle der Polizei als Ordnungshüter hin zur Kriminalitätsbekämpfung hat Wilson schon 1968 geschrieben: Wilson, Varieties of police behavior: The management of law and order in eight communities, 16-34. 5

I. Die Begriffe „Broken Windows“-Theorie, „Zero Tolerance“

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rechenbare Menschen“, also Bettler, Trinker, Drogenabhängige, randalierende Teenager, Prostituierte, Herumtreiber und die psychisch Kranken gezählt7. Diese werden durch abwertende Bezeichnungen, wie „schlecht riechende Trinker“ oder „lästige Bettler“, negativ gegenüber den „ordentlichen Bürgern“ abgegrenzt8. Wilson und Kelling kommen zu dem Schluss, dass sich die Polizeiarbeit stärker auf die Funktion der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung („order maintenance“) konzentrieren solle, die seit den Sechziger Jahren durch die Schwerpunktlegung auf die Kriminalitätsbekämpfung verdrängt wurde. Durch die verstärkte Konzentration auf die Verbrechensbekämpfung sei der Zusammenhang zwischen öffentlicher Ordnung und Verbrechensverhütung aus den Augen verloren worden9. Nach der „Broken Windows“-Theorie soll bereits die Bekämpfung kleinerer Unregelmäßigkeiten und minderschwerer Unordnung zur Reduzierung schwerer Kriminalität führen10. Schon das Aufsammeln von Müll, die Beseitigung von Graffiti, das Verschwinden von Bettlern und Betrunkenen aus dem Stadtbild und die Reparatur von zerschlagenen Fenstern soll genügen. Daher sollen auch bestimmte Verhaltensweisen, wie Landstreicherei oder öffentliche Trunkenheit nicht legalisiert werden. Entscheidend sei nicht die ohnehin geringe rechtliche Bedeutung der Vergehen. Diese Tatbestände bestünden nicht, weil die Gesellschaft Landstreicher und Betrunkene bestrafen wolle, sondern damit die Polizei rechtliche Mittel habe, um unliebsame Personen aus einer Gegend zu entfernen, in der die informellen Bemühungen um die Erhaltung der Ordnung fehlgeschlagen seien. Mit der Entkriminalisierung werde der Polizei das letzte Sanktionsmittel zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung entzogen. Zwar sei die Bestrafung eines einzelnen Betrunkenen oder Landstreichers ungerecht, wenn dieser keine Gefahr für andere darstelle. Sie sei jedoch durch die Tatsache gerechtfertigt, dass eine große Anzahl von Betrunkenen und Landstreichern eine ganze Gemeinde zerstören könne. Soweit nicht gegen den Einzelnen vorgegangen werde, werde der Zusammenhang zwischen dem unbeachteten zerbrochenen Fenster und den tausenden folgenden missachtet. Es bestehe zwar auch die Möglichkeit, gegen diese Probleme nicht durch die Polizei, sondern durch andere Institutionen vorzugehen. Von den alternativen Möglichkeiten werde jedoch gerade in gefährdeten Gebieten kein Gebrauch gemacht11.

___________ 7

Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/30. Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/32. 9 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/33. 10 Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 26 f. 11 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/35. 8

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A. Begriffsklärung

In den Aufsätzen zur „Broken Windows“-Theorie wird nicht darauf eingegangen, mit welchen spezifischen Maßnahmen die geforderte Politik durchzusetzen wäre. Die meisten Beobachter, so auch einer der Urheber der „Broken Windows“-Theorie, sind aber der Ansicht, dass genau das, was die New Yorker Polizei unternommen hat, auch durch die Theorie vorgegeben war12. 2. „Order Maintenance“, „Community Policing“, „Zero Tolerance“ Zur „Broken Windows“-Theorie gehören die Begriffe „Order Maintenance“, „Community Policing“ und „Zero Tolerance“. „Order Maintenance Policing“ (Polizeiarbeit zur Erhaltung der Ordnung) ist eine Polizeistrategie, die seit den neunziger Jahren in den Vereinigten Staaten sehr populär ist. Als Grundlage führen die Vertreter die „Broken Windows“-Theorie mit ihrer zentralen Aussage an, dass Toleranz gegenüber minderschweren Ordnungsverstößen das Auftreten schwerer Kriminalität fördere13. Deshalb soll die Polizei geringere Ordnungsverstöße bekämpfen, um Verhaltensstandards wiederherzustellen, die dann wiederum schwerere Straftaten unmöglich machen14. Dieser Ansatz wurde in einer Reihe von amerikanischen Großstädten, wie New York, Chicago und Boston, aber auch in kleineren Städten und ländlichen Gegenden in die Praxis umgesetzt15. Auch in Lehrbüchern für die Polizei, wird „Order Maintenance“ als wichtige Funktion der Polizei beschrieben16. Der Begriff „Community Policing“ wird für eine Vielzahl von Polizeistrategien genutzt und ist sehr unscharf17. Zum Teil wird „Community Policing“ als ein Unterfall von „Order Maintenance“ angesehen, der die Erhaltung der Ordnung durch bedingungslose Verhaftung von Personen, die minderschwere Verstöße begangen haben, umfasst18. Richtig verstanden bezeichnet „Community ___________ 12 Vgl. die Aussage Wilsons bei Harcourt, Illusion of Order, 252/4: „Das in New York derzeit stattfindende Experiment mit aggressiven Verhaftungen aufgrund minderschwerer Delikte ist das beste Beispiel für die Art von Polizeiarbeit, die ich beim Schreiben des „Broken Windows“-Aufsatzes im Auge hatte.“ 13 Harcourt, Boston Review 2002, 1. 14 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 50. 15 Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 46. 16 s. dazu: Langworthy/Travis, Policing in America, 11 f. und unten B. VI. 1. b) aa) (2) (b). 17 Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 158; Harcourt, Illusion of Order, 46. 18 Vgl. Bratton zitiert bei Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 109, 145, 161 ff.

I. Die Begriffe „Broken Windows“-Theorie, „Zero Tolerance“

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Policing“ aber eine Strategie zur Kriminalprävention, deren Schwerpunkt auf der Integration der Polizei in die Gemeinschaft liegt. Maßnahmen im Sinne dieser Strategie sind die Dezentralisierung der Polizei, der Einsatz von Fußstreifen und die Organisation der Gemeinschaft19. „Community Policing“ wird als Gegensatz zu früheren Polizeireformen gesehen, deren Schwerpunkt in der Verbesserung der polizeilichen Reaktion auf Notrufe lag; es geht um Prävention im Gegensatz zur Reaktion20. Die zentrale Aussage von „Community Policing“ ist, dass eine effektive Bekämpfung von Kriminalität nur durch eine Partnerschaft zwischen Mitgliedern der jeweiligen Gemeinde und der Polizei erreicht werden kann21. Es geht demnach eher um alternative Maßnahmen im Gegensatz zu den klassischen polizeilichen Mitteln zur Durchsetzung von Recht und Ordnung, wie sie im Rahmen von „Order Maintenance“ im Vordergrund stehen22. „Zero Tolerance“ (Null Toleranz) ist ein Begriff, der für die New Yorker Polizeistrategie der neunziger Jahre bis heute geprägt wurde23. Diese zeichnet sich insbesondere durch die massiven Verhaftungswellen für minderschwere Delikte aus. „Zero Tolerance“ steht für die fehlende Ermessensausübung der Polizei im Rahmen dieser Strategie24. Umstritten ist, wie die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie in Bezug auf „Community Policing“ und die „Broken Windows“-Theorie einzuordnen ist. Einige sehen in dem New Yorker Ansatz ein Beispiel für eine der „Broken Windows“-Theorie folgende, aber im Gegensatz zum „Community Policing“

___________ 19

Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/270. Harcourt, Illusion of Order, 46; Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/422; Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/270. 21 Eck/Maguire in: Blumstein/Wallmann (Hrsg.), The Crime Drop in America, 207/217 f.; Sherman in: Sherman u.a., What Works, What Doesn’t, What’s Promising. A Report to the United States Congress, 8-5; Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 47 f.; Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1254. 22 Eck/Maguire in: Blumstein/Wallmann (Hrsg.), The Crime Drop in America, 207/224; Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/271. 23 Harcourt, Illusion of Order, 50; Waldeck, Georgia Law Review, 1253/1282; McArdle in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 1/5 (Hier wird Zero Tolerance als das weniger euphemistische Alter ego des „Quality of Life“-Programms bezeichnet.); der Begriff wurde also nicht, wie von Hess, KJ 1999, 32/47 behauptet, von deutschen Kritikern der New Yorker Initiative geprägt. 24 Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 252/3: Beispielsweise wurden alle Personen, die bestimmte Delikte an einem bestimmten Ort, an dem die Polizei tätig war, verwirklicht haben, festgenommen. 20

A. Begriffsklärung

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stehende Politik25. Während die New Yorker Polizeistrategie zwar gegen öffentliche Unordnung vorgehe, weiche sie weitestgehend von den theoretischen Grundlagen des „Community Policing“ ab. „Community Policing“ setze gerade auf Alternativen zur strafrechtlichen Verfolgung, während die New Yorker Strategie im Wesentlichen auf Verhaftungen und traditionelle Maßnahmen zur Durchsetzung der Gesetze baue26. Auch Kriminologen in Deutschland sehen die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie als ein von den Grundsätzen des „Community Policing“ abweichendes Konzept27. In Bezug auf die „Broken Windows“-Theorie sind einige der Ansicht, dass die New Yorker Polizeistrategie diese umsetze28. Andere sehen die bedingungslose Verfolgung von Gesetzesverstößen im Rahmen der „Zero Tolerance“-Strategie als eine Form der „Broken Windows“-Theorie an. Das vermehrte Anhalten zum Befragen und Durchsuchen nach Waffen sei davon jedoch abzugrenzen und falle nicht unter „Broken Windows“, weil es dabei nicht um die Abschreckung gegenüber Straftaten, sondern das Auffinden von Straftätern und illegal getragenen Waffen an sich gehe29. Zumindest in den späteren Jahren der „Zero Tolerance“-Strategie sind sich selbst die Autoren des „Broken Windows“-Aufsatzes nicht mehr einig, inwieweit „Zero Tolerance“ eine Umsetzung der „Broken Windows“-Theorie ist. Kelling bezeichnete die „Zero Tolerance“-Politik der New Yorker Polizei als das „uneheliche Kind“ (bastard child) der „Broken Windows“-Theorie. Insbesondere kritisiert er die Gleichsetzung beider, weil dabei missachtet würde, dass die Autoren der „Broken Win___________ 25

Eck/Maguire in: Blumstein/Wallmann (Hrsg.), The Crime Drop in America, 207/224; Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1273 f. 26 Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1273 f.; Wynn in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 107/116. Auch der Begründer der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie, der damalige Polizeichef New Yorks William Bratton, schreibt, dass ihm das Konzept von „Community Policing“ insoweit unrealistisch vorkam, als es auf die Integration von Polizei in die Gemeinschaft setzte: Bratton, Journal of Law and Policy 1995, 447/464. Kelling und Coles sehen in der New Yorker „Quality of Life“-Initiative eine Form des „Community Policing“, sie stellen aber auch einige signifikante Unterschiede zum Konzept von „Community Policing“, wie es bisher von führenden Polizisten verstanden wurde, fest. Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 109, 145, 161 ff. 27 Vgl. Binninger/Dreher, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 16/32; Gramckow in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 64; Legge in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 102/104. 28 Harcourt, Illusion of Order, 51; Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1273 f. (Waldeck sieht aber, wie oben erwähnt, einen Widerspruch zum Konzept des „Community Policing“). 29 Harcourt, Illusion of Order, 252/3; Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/277; Rosen, New Republic, 10. April 2000, 26.

I. Die Begriffe „Broken Windows“-Theorie, „Zero Tolerance“

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dows“-Theorie durchaus die rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Probleme und auch die moralischen Fragen diskutiert hätten, die durch die „Zero Tolerance“-Strategie größtenteils missachtet würden30. Dagegen meinte Wilson, dass die Strategie der New Yorker Polizei, gerade auch die massiven Verhaftungen wegen minderschwerer Delikte, das beste Beispiel für die Art der Politik seien, die bei der Erstellung des „Broken Windows“-Aufsatzes gemeint war31. Die genaue Klärung, unter welchen Begriff die New Yorker Strategie fällt, ist schon aufgrund der äußerst unterschiedlichen Auffassungen zu dem, was diese Begriffe genau umfassen, nicht möglich. Wegen der Besonderheiten der New Yorker Polizeistrategie ist es aber angebracht, diese mit einem eigenen Begriff zu bezeichnen und so abzugrenzen. Dieser Begriff wurde mit „Zero Tolerance“ gefunden.

3. „Quality of Life“-Initiative und „Police Strategy No. 5“ Im Jahre 1993 wurde Rudolf W. Giuliani zum Bürgermeister der Stadt New York gewählt. Er ernannte 1994 William J. Bratton zum Polizeichef der New Yorker Polizei. Beide gemeinsam führten die so genannte „Quality of Life“Initiative ein, ein politisches Programm, bei dem es vor allem um die Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Raum ging. Für die New Yorker Polizei wurde diese in der von ihnen erlassenen „Police Strategy No. 5“ beschrieben32. In dieser haben sich die Autoren ausdrücklich auf die „Broken Windows“-Theorie berufen33. Auch später bezeichnete Bratton den „Broken Windows“-Aufsatz als die Hauptquelle der „Quality of Life“-Initiative34. Die Polizeistrategie, die aus dieser „Quality of Life“-Initiative und der „Police Strategy No. 5“ entstand, wird allgemein als „Zero Tolerance“-Strategie bezeichnet.

___________ 30 Simonetti/Rosen, Law Enforcement News, John Jay College of Criminal Justice/CUNY, 15./31. Mai 1996, 6 31 Harcourt, Illusion of Order, 252/4 zu einem persönlichen Gespräch zwischen Bernard Harcourt und James Q. Wilson. 32 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York (1994); s. dazu unten B. IV. 1. 33 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 6. 34 Bratton, Fordham Urban Law Journal, 1996, 781/785 ff.; ders., Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 138 f.; ders., Journal of Law and Policy, 447.

A. Begriffsklärung

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II. Die Begriffe „öffentlicher Raum“ und „soziale Randgruppen“ 1. Öffentlicher Raum Die rechtliche Analyse der Polizeistrategien bleibt auf die Maßnahmen zur Verdrängung sozialer Randgruppen aus dem öffentlichen Raum beschränkt. Der Begriff des öffentlichen Raums eröffnet eine Vielzahl von Definitionsmöglichkeiten. Soweit er in dieser Arbeit verwendet wird, soll er öffentliche Wege, Straßen und Plätze umfassen, die nach deutschem Rechtsverständnis unter das öffentliche Sachenrecht, insbesondere das Recht der öffentlichen Straßen, fallen würden. Erfasst sind also Wege, Straßen und Plätze, denen eine öffentliche Zweckbestimmung beziehungsweise Gemeinwohlfunktion zukommt und die der öffentlichen Sachherrschaft unterliegen35. Nicht erfasst von dem in der Arbeit verwendeten Begriff des öffentlichen Raums sind solche Wege, Straßen und Plätze, die der alleinigen Rechts- und Sachherrschaft eines privaten Eigentümers unterstehen und nur tatsächlich öffentlich zugänglich sind36, beispielsweise Einkaufszentren oder privatisierte Bahnhofsvorplätze. Außerdem soll es nur um Bereiche gehen, die einer unbeschränkten Öffentlichkeit unmittelbar und ohne besondere Zulassung zur bestimmungsgemäßen Nutzung zur Verfügung stehen37 und die tatsächlich für das Gemeinwohl, also durch die Allgemeinheit, genutzt werden38.

2. Soziale Randgruppen Die in dieser Arbeit zu untersuchenden polizeilichen Maßnahmen sind auf die Verdrängung bestimmter Personengruppen aus dem öffentlichen Raum ge___________ 35

Vgl. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 16; Pappermann/Löhr/Andriske, Das Recht der öffentlichen Sachen, 1 ff. 36 Vgl. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 16; Pappermann/Löhr/Andriske, Das Recht der öffentlichen Sachen, 1 ff.: Im deutschen Recht werden diese „tatsächlich öffentliche Sachen“ genannt. Straßen, Wege und Plätze unterstehen nach deutschem Recht nur dann der öffentlichen Rechtsherrschaft, wenn sie durch Widmung dem öffentlichen Recht unterstellt worden sind. Außer in Hamburg, besteht an öffentlichen Straßen im Sinne der Straßengesetze bürgerliches Eigentum im Sinne des § 903 BGB. Soweit jedoch der durch Widmung bestimmte öffentliche Zweck der Straße reicht, werden die bürgerrechtlichen Befugnisse durch die öffentlichrechtliche Sachherrschaft verdrängt („Theorie des modifizierten Privateigentums“). Vgl. Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 25. 37 Die also nach deutschem Recht im Gemeingebrauch stehen. Pappermann/Löhr/ Andriske, Das Recht der öffentlichen Sachen, 6 f. 38 In Abgrenzung zu bloßen Gegenständen des Finanzvermögens und zu Sachen, die den eigenen Bedürfnissen der Verwaltung dienen („Verwaltungsgebrauch“), vgl. Pappermann/Löhr/Andriske, Das Recht der öffentlichen Sachen, 3,6; Danwitz in: SchmidtAßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 16.

II. Die Begriffe „öffentlicher Raum“ und „soziale Randgruppen“

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richtet, die in der Literatur verbreitet als „soziale Randgruppen“ bezeichnet werden39. Dieser Begriff ist insoweit missverständlich, als er abwertend gegenüber den erfassten Personengruppen verstanden werden kann. Der Begriff sollte daher nicht auf den Wert, den diese Personen für die Gesellschaft haben, bezogen werden. Vielmehr ist er so zu verstehen, dass es gerade um die Stellung geht, die diesen Personen durch die Gesellschaft gegeben wird. Dadurch dass bestimmte Personengruppen als von der Gesellschaft unerwünscht angesehen werden, werden sie an deren Rand gedrängt und zu sozialen Randgruppen. Welche Gruppe aufgrund ihres Aussehens oder ihres Verhaltens zur Randgruppe wird, hängt von den aktuellen politischen Schwerpunktsetzungen und Initiativen ab. Personen, deren Verhaltensweisen im Rahmen dieser politisch oder auch rechtlich für deviant erklärt werden, werden zwangsläufig zu Randgruppen der Gesellschaft. Ziel der Polizeistrategien, die in dieser Arbeit behandelt werden, sind vor allem solche Personen, die sich überwiegend im öffentlichen Raum aufhalten und deren Anwesenheit als Zeichen für Unordnung, Unsicherheit und Verwahrlosung angesehen wird. In Rahmen der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie geht es dabei teilweise um Personen, die in der deutschen Polizeipraxis keine Rolle spielen. Sowohl in der New Yorker als auch den deutschen Polizeistrategien geht es jedoch schwerpunktmäßig um Mitglieder der Drogenszene, Obdachlose beziehungsweise Nichtsesshafte, Stadt- oder Landstreicher, Bettler, Trinker und Punker. Der Begriff soziale Randgruppen, so wie er in dieser Arbeit verwandt wird, erfasst daher diese Personengruppen. Eine genaue Definition und Abgrenzung der einzelnen Personengruppen untereinander ist weder sinnvoll noch möglich40. Trotzdem soll kurz geklärt werden, was in dieser Arbeit unter den einzelnen Begriffen zu verstehen ist. Mitglieder der Drogenszene sind entweder Personen, die mit Drogen handeln, oder solche, die diese konsumieren beziehungsweise beides tun. Obdachlose und Nichtsesshafte fallen unter den Oberbegriff Wohnungslose. Dabei wird der Begriff „obdachlos“ für unfreiwillig Wohnungslose, „nichtsesshaft“ für freiwillig Wohnungslose verwendet41. Der Begriff „Nichtsesshafter“ wird in der deutschen Literatur teilweise mit Landstreichern beziehungsweise Stadtstreichern gleichgesetzt42. Der VGH Mannheim43 definiert den Begriff des Landstreichers in Anlehnung an die Rechtsprechung zum früheren ___________ 39 Vgl. nur Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen; Schwind, Kriminologie, § 17 Rn. 2. 40 Vgl. unter anderem zur Überschneidung der Personenkreise Drogenkonsumenten und Wohnungslose, Simon, Wem gehört der öffentliche Raum?, 24. 41 Schwind, Kriminologie, § 17 Rn. 3. 42 Vgl. u.a. Maaß, NVwZ 1998, 151/152. 43 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508.

A. Begriffsklärung

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Übertretungstatbestand in § 361 Nr. 3 StGB: Danach ist Landstreicher, wer „aus eingewurzeltem Hang ohne die Absicht redlichen Erwerbs unter ständigem Wechsel des Nachtquartiers von Ort zu Ort umherstreift und dabei anderen zur Last fällt, indem er seinen Lebensunterhalt durch fremde Mildtätigkeit, Bettelei oder geringfügige Straftaten bestreitet“44. Der Begriff des Stadtstreichers bezeichne dahingegen üblicherweise Personen, die wie Landstreicher keinen festen Wohnsitz und keine feste Beschäftigung haben, die aber nicht ständig den Ort wechseln, sondern ihren Bewegungsraum in der Stadt haben. Sowohl die Definitionen für Landstreicher als auch Stadtstreicher addieren zur bloßen Wohnungslosigkeit und dem damit verbundenen zwangsweisen Aufenthalt im öffentlichen Raum weitere Verhaltensweisen, wie den „eingewurzelten Hang“ zum Herumtreiben und die Bettelei beziehungsweise Begehung geringfügiger Straftaten. Dass sich alle Nichtsesshaften zwingend dementsprechend verhalten, ist insbesondere in Bezug auf die Begehung von Straftaten eine bloße Unterstellung. Diese mag im Zusammenhang mit der Definition zur Strafnorm des § 361 Nr. 3 StGB gerechtfertig sein, weil sie in diesem Zusammenhang zu einer Einschränkung der strafbaren Verhaltensweisen führt. Wenn es jedoch um Maßnahmen gegen Gruppen Wohnungsloser im öffentlichen Raum geht, sollten diese nicht mit Personen im Sinne der Definition von Landbeziehungsweise Stadtstreichern gleichgestellt werden. Soweit es also nicht um Normen geht, die explizit gegen Land- oder Stadtstreicherei gerichtet sind, wird vom Begriff der Wohnungslosen die Rede sein. Trinker sind häufig alkoholabhängige Menschen, die einen beträchtlichen Zeitraum mit anderen Alkohol trinkend auf der Straße verbringen. Obwohl sie häufig eine Wohnung haben, liegt ihr soziales Umfeld im öffentlichen Raum45. Natürlich gibt es auch Wohnungslose, die alkoholabhängig sind und somit ebenso unter die Gruppe der Trinker fallen. Außerdem werden häufig Punker als störende Personen genannt46. Diese werden jedoch wegen der zur Wohnungslosen und Trinkern sehr ähnlichen Problemlage im Zusammenhang mit diesen Gruppen und nicht gesondert behandelt. Das Betteln wird durch die deutsche Rechtsprechung definiert als „die Bitte um Gewährung eines geldwerten Geschenks, die sich auf wirtschaftliche oder angebliche eigene Hilfsbedürftigkeit oder solche einer dem Täter nahe stehenden Person stützt und die Mildtätigkeit einer Person in Anspruch nimmt, zu der ___________ 44

BGHSt 4, 52 = NJW 1953, 795. Aussage eines Sozialarbeiters im „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002. 46 Unter anderem im Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin: „Die mit sechzehn Hunden, unangeleint, sehr sauber ästhetisch in Anführungsstrichelchen“; vgl. zur „Punk-Szene“ VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115 f. 45

II. Die Begriffe „öffentlicher Raum“ und „soziale Randgruppen“

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keine entsprechenden persönlichen Beziehungen bestehen“47. In der amerikanischen Rechtsprechung wird es ganz ähnlich als „das Bitten um Geld oder andere Werte ohne eine Gegenleistung“ verstanden48. Bettler sind Personen, die dieser Tätigkeit nachgehen.

___________ 47

OLG Köln, NJW 1961, 2172. Vgl. State ex rel. Williams v. City Court of Tucson (1974) 21 Ariz App 489/520 P2d 1166. 48

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City I. Einleitung In den Vereinigten Staaten von Amerika stiegen die Kriminalitätszahlen Mitte der achtziger bis in die frühen neunziger Jahre stark an. Ab 1992 verkehrte sich diese Entwicklung ins Gegenteil und in den meisten großen Städten sank die Kriminalität. Besonders deutlich wurde der Rückgang der Kriminalität in New York City, wo die Zahlen der jährlich verübten Straftaten seit 1994 stetig sanken1. Diese Entwicklung wurde von New Yorker Politikern mit den Änderungen in der Polizeiarbeit, insbesondere mit der Einführung der „Zero Tolerance“-Strategie, begründet. Das New Yorker Beispiel eignet sich aus zwei Gründen für einen Vergleich mit den deutschen Polizeistrategien und der entsprechenden Praxis. Zum einen wurde die New Yorker Strategie zum Beispiel für Polizeistrategien, die bei der Herstellung der öffentlichen Ordnung ansetzen, und das New York City Police Department, das sich den Erfolg zuschreibt, wurde weltweit zum Vorbild für eine solche Polizeiarbeit. Allein 1998 besuchten Vertreter von über 150 ausländischen Polizeibehörden das New York City Police Department, um sich dort über die Polizeiarbeit zu informieren2. Auch in Deutschland hat die New Yorker Strategie besonders bei Politikern, die im Wahlkampf auf das Thema „innere Sicherheit“ setzen, großen Anklang gefunden3. Zum anderen wurde die Rolle, die das New York City Police Department bei der Kriminalitätsbekämpfung gespielt hat, sowohl in der US-amerikanischen als auch in der deutschen Wissenschaft intensiv diskutiert. Im Folgenden wird zunächst die Lage sozialer Randgruppen in den USA, speziell in New York City dargestellt. Im weiteren wird das US-amerikanische Polizeisystem erläutert. Anschließend wird auf die New Yorker Polizeistrategie gegenüber sozialen Randgruppen und die dem folgende Praxis eingegangen. Letztlich erfolgt eine rechtliche Beurteilung der polizeilichen Maßnahmen. ___________ 1

Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 24. Harcourt, Boston Review 2002, 1. William Bratton war am 27. August 1997 auch Gast einer Veranstaltung der Gewerkschaft der Polizei in Berlin, auf der er eine Rede zu seinen Erfahrungen aus New York hielt: Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York 1997, 7 ff. 3 s. dazu Ortner/Pilgram (Hrsg.), Die Null-Lösung, 10 f.; Brüchert/Steinert in: Ortner/Pilgram (Hrsg.), Die Null-Lösung, 17/27 f. 2

II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA

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II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA 1. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA, insbesondere New York City In den achtziger Jahren wurde in den Städten der Vereinigten Staaten ein Anstieg der Zahl von so genannten „down-and-out“-Personen, also Angehörigen sozialer Randgruppen, wie Wohnungslose, Bettler und Trinker, festgestellt. Gleichzeitig verschwanden aber auch die typischen Obdachlosensiedlungen (Skid Rows) aus dem Stadtbild. In den frühen neunziger Jahren reagierte die Politik auf die „erhöhte Unordnung“ (increased disorderliness) auf den Straßen. Auch in den liberaleren Städten der Vereinigten Staaten konzentrierten die Kandidaten für den Posten des Bürgermeisters ihren Wahlkampf auf die Bekämpfung von Fehlverhalten im öffentlichen Raum, und es wurden entsprechende gesetzliche Verbote erlassen. Neben diesen politischen Maßnahmen stieg die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Verwahrlosungserscheinungen im öffentlichen Raum4. Die sozialen Ursachen für die Zunahme der Probleme im öffentlichen Raum waren vielfältig. Neben anderen Faktoren in der Bevölkerungsentwicklung in den Vereinigten Staaten waren in den achtziger Jahren zwei Erscheinungen Mitursache für die Verstärkung der Probleme. Zum einen ist ein Großteil der Menschen, die auf der Straße leben und daher häufig die typischen Delikte gegen die öffentliche Ordnung begehen, zwischen 25 und 44 Jahre alt5. In den Jahren 1975 bis 1985, als es zu einer Zunahme der Probleme mit sozialen Randgruppen kam, waren die geburtenstarken Jahrgänge der so genannten „Baby-Boom“-Generation in diesem Alter6. Außerdem verstärkte sich der Drogenmissbrauch und führte insbesondere zu einer starken Verbreitung der Abhängigkeit von Crack Mitte der achtziger Jahre7. In New York war die Situation auf den Straßen Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre besonders kritisch. Im Jahr 1990 erreichte die Zahl der Verbrechen ihren Höhepunkt8. In der Bevölkerung herrschte beträchtliche Angst vor Gewaltverbrechen und sonstiger Kriminalität. Die U-Bahnen galten als unsicher, auf den Straßen fühlten sich Passanten durch Drogendealer, Wohnungslose und Bettler belästigt. In den ärmeren Gegenden war die Situation besonders besorgniserregend. Es gab Gebiete, die als „no-go-areas“ galten, in de___________ 4

Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167. Rossi, Down and Out in America: the origin of homelessness, 121. 6 Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1205. 7 Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1205. 8 Bratton in: Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York 1997, 8. 5

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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nen es zu zahlreichen Konflikten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und häufigem Schusswaffengebrauch im öffentlichen Raum kam9. Aber auch in Stadtvierteln, die heute als sicher gelten und auch stark frequentiert werden, wie dem East Village oder SoHo, galten die Straßen als unsicher10.

2. Rechtliche Entwicklung Der Zunahme der Probleme im öffentlichen Raum Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre ging eine verfassungsrechtliche Umgestaltung des Rechts des öffentlichen Raums durch den Supreme Court voraus. Dieser erließ mehrere Entscheidungen, die das bis dahin auf den Straßen geltende Recht faktisch auflösten11. Durch diese Rechtsprechung wurden insbesondere Bestimmungen unwirksam, die abweichende Verhaltensweisen im öffentlichen Raum unter Strafe stellten und bis dahin die Grundlage für über die Hälfte aller Verhaftungen in großen amerikanischen Städten bildeten12. In den fünfziger Jahren gab es in jedem Staat ein Gesetz gegen Landstreicherei. In der grundlegenden Entscheidung Papachristou v. City of Jacksonville13 erklärte der Supreme Court eine zu weit gefasste Bestimmung der Stadt Jacksonville gegen die Landstreicherei für verfassungswidrig, weil sie gegen die „due process clause“14 der amerikanischen Verfassung verstoße und klärte damit die Verfassungswidrigkeit von ähnlichen Gesetzen gegen die Landstreicherei. Daneben bestanden in allen Staaten Gesetze, die die öffentliche Trunkenheit unter Strafe stellten. In Powell v. Texas entschied der Supreme Court, dass die Bestrafung von chronisch Alkoholabhängigen aufgrund von Trunkenheit in der Öffentlichkeit gegen den 8. Zusatzartikel der Verfassung, der eine grausame und außergewöhnliche Bestrafung verbietet, verstoße15. Ein weiterer Grund für die Zunahme von Obdachlosen war die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der zwangsweisen Unterbringung von psychisch Kranken. 1971 wurde in Lessard v. Schmidt16 entschieden, dass eine unfreiwillig in einer Klinik untergebrachte Person dieselben verfassungsrechtli___________ 9

Vgl. dazu Hess, KJ 1999, 34; Legge in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 102/107. 10 Vgl. u.a. Brett, New York, 1. 11 Vgl. Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1209. 12 Monkkonen, Police in urban America 1860-1920, 103. 13 405 U.S. 156 (1972). 14 s. dazu unten B. VI. 3. c). 15 392 U.S. 514 (1968). 16 349 F. Supp. 1078 (E.D. Wis. 1972), 414 U.S, 379 F. Supp. 1376 (E.D. Wis. 1974), 421 U.S. 957 (1975), 413 F. Supp. 1318 (E.D. Wis. 1976).

II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in den USA

35

chen Ansprüche hat wie ein einer Straftat Angeklagter. Demnach muss sie rechtzeitig angehört und ihr muss ein Rechtsbeistand gewährt werden, das Verfahren muss vor Geschworenen stattfinden, und es müssen hinreichende Beweise vorliegen. 1975 entschied der Supreme Court in O’Connor v. Donaldson17, dass ein Patient, der keinerlei Gefahr für sich oder andere darstellt, bei klinischer Unterbringung gegen seinen Willen einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Verantwortlichen hat, die ihn nicht entlassen haben. Als Folge dieser Entscheidungen sank die Zahl der in Krankenhäuser eingewiesenen psychisch Kranken unter 65 Jahren im Staat New York von 24.800 im Jahr 1973 auf 11.300 im Jahr 1990. Theoretisch hätten viele dieser nunmehr freien psychisch kranken Menschen medikamentös behandelt werden müssen. In der Praxis endeten aber gerade die schwerer Kranken als Obdachlose auf der Straße18. Es wird angenommen, dass ca. ein Drittel aller Obdachlosen in den Vereinigten Staaten psychisch krank und behandlungsbedürftig ist. Unter obdachlosen Frauen steigt diese Zahl auf teilweise 90 Prozent19. Grund dafür ist aber nicht nur die Rechtsprechung, sondern sind auch ökonomische Erwägungen, die zur Schließung vieler Krankenhäuser für psychisch Kranke führten und dazu, dass die Versorgung für mittellose psychisch Kranke nicht von den öffentlichen Stellen übernommen wird20. Die Liberalisierung des Rechts des öffentlichen Raums durch die Gerichte stieß in der Zeit von 1965 bis 1975 kaum auf Kritik. Das lag unter anderem daran, dass die entsprechenden Gesetze über lange Zeit in unverhältnismäßiger Weise gegenüber armen Menschen und Angehörigen von Minderheiten angewandt wurden. Mitte der sechziger Jahre waren die meisten Polizisten Weiße und verhielten sich verständnislos und manchmal auch brutal gegenüber nicht weißen Verhafteten und Landstreichern oder Vagabunden. Daher war das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei gering21. Dahingegen nahm die Kritik an der Liberalisierung in Politik und Öffentlichkeit Mitte der achtziger Jahre parallel zum Ansteigen der Probleme im öffentlichen Raum zu. Auch in der aktuellen Diskussion wird teilweise in der Veränderung des Rechts eine negative Ursache für die verstärkte „Unordnung“ auf den Straßen gesehen. Die Richter wären bei ihren Entscheidungen blind gegenüber den Folgen gewesen, die diese auf die Lebensqualität in Städten und die Nutzung von Stadtzentren hätten. Es sei eine Sache, unbeliebte Personen vor ungerechtfertigten Einsperrungen zu schützen, es sei aber eine andere zu meinen, diese Personen hätten keine ___________ 17

422 U.S. 563 (1975). Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1212. 19 Hodulik, Journal of Criminal Law and Criminology 2001, 1073/1081 m.w.N. 20 Hodulik, Journal of Criminal Law and Criminology 2001, 1073/1082. 21 Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1209 f. 18

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Pflicht, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen22. Dem kann so nicht gefolgt werden. Die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte müssen gerade für soziale Randgruppen gelten. Soweit Regelungen zur Ordnung im öffentlichen Raum gegen diese verstoßen, müssen sie für ungültig erklärt werden, auch wenn dies eventuell belastende Wirkung für andere haben kann. Das erscheint vor dem Hintergrund, dass zur Zeit dieser Rechtsprechung die Polizei offensichtlich die Rechte sozialer Minderheiten in massiver Art und Weise missachtet hat, um so dringender.

III. Aufbau der Polizei 1. Aufbau der Polizei in den USA In den USA existiert kein einheitliches Polizeisystem23. Vielmehr werden die Aufgaben einer Polizei von Angestellten einer Vielzahl verschiedener Behörden ausgeführt. Entsprechend wird Polizei nicht einheitlich definiert, sondern es werden unter diesen Begriff sowohl staatliche als auch private Polizeien, Polizeien mit generellen und mit Spezialbefugnissen gefasst. Aus der Kompetenzverteilung, die die Polizeigewalt grundsätzlich den einzelnen Gliedstaaten zuordnet, folgt, dass es keine einheitliche nationale Polizei, sondern Polizeien auf Bundesebene, Gliedstaatenebene und lokaler Ebene gibt24. Eine Polizei auf Bundesebene ist zum Beispiel das FBI. Auch andere Behörden, die mit der Durchsetzung des Rechtes betraut sind, wie zum Beispiel das „Bureau of Alcohol, Tabacco and Firearms“ gehören zur Bundespolizei. Die bekanntesten Polizeien auf Gliedstaatenebene sind die „highway patrol“, eine Straßenverkehrspolizei. Diese Polizei erfüllt in vielen Staaten auch die allgemeineren Polizeiaufgaben in Bereichen, die nicht in die Kompetenz einer Gemeinde fallen und keiner lokalen Polizeibehörde unterliegen25. Die lokalen Polizeien bestehen aus Dorf, Stadt- oder Bezirkspolizeibehörden und einer Reihe von speziellen Behörden, wie die „transit authority“, die Transportbehörde.

2. Aufbau des New York City Police Department Das New York City Police Department (NYPD), um das es in dieser Arbeit hauptsächlich geht, ist die Polizeibehörde der Stadt New York und als solche für die gesamte Stadt zuständig. Aktuell sind etwa 39.100 Personen bei der ___________ 22

Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1213. Gehring, Innere Sicherheit – USA, 42. 24 Langworthy/Travis, Policing in America, 8. 25 Langworthy/Travis, Policing in America, 9. 23

III. Aufbau der Polizei

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New Yorker Polizei beschäftigt26. An der Spitze der New Yorker Polizei steht der Police Commissioner, zur Zeit Raymond W. Kelly. Das New York City Police Department ist in verschiedene Dienststellen (bureau) aufgeteilt; die Streifenpolizei (patrol services), die Kriminalpolizei (detective), die Verkehrspolizei (transportation), eine Dienststelle für Strafprozess und Strafgerichtsbarkeit (criminal justice), die die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und ähnliches regelt, eine Dienststelle für organisierte Kriminalität (organized crime), für Innere Angelegenheiten (internal affairs), für Wohnungsangelegenheiten (housing) sowie Dienststellen für Ausbildung (training), Personal (personnel) und unterstützende Dienste (support services). Die Streifenpolizei ist in acht Verwaltungsbezirke (boroughs) aufgeteilt. Diese unterteilen sich wiederum in 76 Abschnitte (precinct), die jeweils vom Precinct Commander geleitet werden27. Neben den verschiedenen Dienststellen gibt es Sondereinheiten, die keiner Dienststelle zugeordnet sind. Diese unterstehen dann direkt dem Chief of Department, der im Übrigen die Arbeit der Streifen-, Kriminal- und Verkehrspolizei und der Dienststellen für organisierte Kriminalität und für Wohnungsangelegenheiten überwacht. Zu den Sondereinheiten gehören unter anderem die CompStat Unit und die Disorder Control Unit. „Compstat“ steht für Computerized Statistics, also computergestützte Statistiken. Die Compstat Unit ist zum einen für die Bereitstellung von statistischem Material zur Unterstützung der Arbeit der Polizei zuständig, wie Daten zu Planung und Einsatz der Ressourcen, vorbereitende Statistiken, elektronische Karten von Kriminalitätsschwerpunkten und ähnlichem. Zum anderen ist diese Einheit dafür zuständig, die Effektivität der Kriminalitätsbekämpfung zu messen, indem sie unter anderem Daten zu Verhaftungen und zu Reaktionen auf bestimmte Straftaten erstellt und auswertet28. Diese Aufgabe ist ein wesentlicher Teil der New Yorker Polizeistrategie, der so genannte „Compstat Process“29. Die Disorder Control Unit (Einheit zur Kontrolle von Unordnung) erstellt umfassende Übersichten über die Maßnahmen des New York City Police Departments gegen zivile Unordnung. Die Einheit entwickelt Trainingsprogramme und koordiniert den Einsatz der Polizeikräfte. Außerdem entwickelt sie neue Taktiken für künftige Einsätze30. In den neunziger Jahren wurde die Personalstärke des New York City Police Departments massiv erhöht. So wurden bereits 1992 im Rahmen des „Safe ___________ 26

[7. Juli 2002]. [31. Juli 2003]. 28 [11. Juli 2003]. 29 s. dazu unten B. II. 3. b). 30 [11. Juli 2003]. 27

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Streets, Safe City“-Programms 2.000 neue Polizisten aufgenommen. Bis 1998 wurden weitere 4.000 Polizisten eingestellt. Außerdem wurden ungefähr 6.000 Angestellte der Verkehrs- und Wohnungsbaubehörde in den Rang eines Polizisten des New York City Police Departments befördert. Schließt man also die beförderten Polizisten mit ein, hat sich die Stärke des New York City Police Departments um ca. 12.300 Polizisten von 26.856 Polizisten im Jahre 1991 auf eine Stärke von 39.149 Polizisten im Jahre 1998 erhöht. Damit stand New York an der Spitze aller US-amerikanischen Städte mit der zahlenmäßig größten Polizeibehörde und auch der höchsten Zahl von Polizisten pro Einwohner31. Außerdem stieg das Budget des New York City Police Departments um ca. ein Drittel an, von 2,5 Milliarden US$ im Jahr 1990 auf 3,3 Milliarden US$ in Jahr 199732. Trotz finanzieller Probleme der Stadt sind auch für das Jahr 2003 wieder 39.110 Stellen bei der New Yorker Polizei im Haushalt der Stadt festgelegt33.

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in New York City 1. Die „Quality of Life“-Initiative und die „Police Strategy No. 5“ Rudolf W. Giuliani wurde 1993 zum Bürgermeister der Stadt New York gewählt. Sein Wahlkampf konzentrierte sich damals hauptsächlich auf die Bekämpfung von Kriminalität und öffentlicher Unordnung, insbesondere der „squeegee men“ beziehungsweise „squeegee cleaner“. Letztere Begriffe beschreiben Personen, die an Kreuzungen oder Tunneleingängen den Fahrern in wartenden Autos das Putzen der Fensterscheiben gegen eine erzwungene Bezahlung aufdrängen. In der Kampagne zur Bürgermeisterwahl stand „squeegeeing“ jedoch als Metapher für die Probleme auf den Straßen New Yorks im Allgemeinen34. 1994 ernannte Giuliani William J. Bratton zum Polizeichef der New Yorker Polizei (Police Commissioner). Bald darauf begannen beide mit der Umsetzung der so genannten „Quality of Life“-Initiative35. Die dazugehörige Polizeistrategie ist unter dem Begriff „Zero Tolerance“-Strategie bekannt geworden. ___________ 31

Harcourt, Illusion of Order, 94 f. m.w.N. Wynn in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 107/111. 33 [7. Juli 2002]. 34 Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 143. 35 s. dazu oben A. I. 3. 32

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

39

Die „Zero Tolerance“-Strategie wurde nicht durch ein Gesetzespaket eingeführt. Sie war vielmehr Folge der Politik des New York City Police Departments, also der Leitfäden, die unter anderem zur Steuerung der Ermessensausübung der Polizisten, aber auch zur Schwerpunktlegung in der Polizeiarbeit erlassen wurden36. Es gab zwar einige Gesetzesänderungen, im Wesentlichen wurde jedoch der Schwerpunkt der Polizeiarbeit verändert und der Spielraum bei den Ermessensentscheidungen entsprechend gesenkt. Die grundlegende Politik für die Einführung der „Zero Tolerance“-Strategie im New Yorker Polizeirecht war die „Police Strategy No. 5“, die 1994 von Giuliani und Bratton erlassen wurde und den bezeichnenden Titel „Reclaiming the Public Spaces of New York“, also „Zurückerlangen des öffentlichen Raums von New York“, trägt37. In dieser wurden unter anderem die Delikte definiert, gegen die verstärkt vorgegangen werden sollte, die so genannten „Quality of Life“-Delikte. Dazu wurden die Erscheinungen von Unordnung im öffentlichen Raum gezählt, die nach Ansicht Giulianis und Brattons neben den Gewaltverbrechen ursächlich für das Absinken der Lebensqualität in New York seien38. Solche Anzeichen von Unordnung, seien unter anderem die „squeegee cleaner“, Straßenprostitution, so genannte „boombox cars“39, öffentliche Trunkenheit, rücksichtloses Fahrradfahren und Graffiti40. Diese Verhaltensweisen sollten als so genannte „Quality of Life“-Delikte verfolgt werden. Für das Vorgehen gegen diese wurde eine Art Katalog für die Polizisten erstellt, der die verschiedenen strafrechtlich geregelten Delikte enthält, die als Anlass zum Vorgehen gegen öffentliche Unordnung dienen können41. Dabei handelt es sich überwiegend um minderschwere Delikte (misdemeanor)42. Entsprechend sollte zur Bekämpfung der Unordnung der Schwerpunkt der Polizeiarbeit auf die Durchsetzung der bestehenden Gesetze gegen Belästigungen, wie tätliche Bedrohung und Beleidigung, Drohung, unordentliches Verhalten (disorderly conduct) und Beschädigung von Eigentum gegenüber Bettlern, aber auch gegenüber allen anderen Personen, die gegen diese Gesetze verstoßen, ge___________ 36

s. dazu später B. VI. 2. f). Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 1994. 38 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 1994, 5. 39 Autos, die mit sehr lauten Stereoanlagen nachts durch die Straßen fahren. 40 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 5. 41 Quality of Life Enforcement Options. A Reference Guide bei: Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/35 ff. 42 s. dazu unten B. VI. 2. a). 37

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

legt werden.43. Daneben wurde ein verstärktes Vorgehen gegen Personen gefordert, die in der Öffentlichkeit urinierten, leere Flaschen auf die Straße würfen oder diese anderweitig verunreinigten. Gegenüber diesen Personen sollte der Vollzug, insbesondere durch Ingewahrsamnahmen und Vorladungen, forciert werden44. Ziel war also ein gezieltes Vorgehen gegen typische Verhaltensweisen sozialer Randgruppen, wie Wohnungsloser, Bettler und Trinker. Zur Begründung des Vorgehens gegen solche geringfügigen Vergehen beriefen sich die Autoren der Police Strategy No. 5 ausdrücklich auf die „Broken Windows“-Theorie45. Unordnung setze, wenn sie unbeachtet bliebe, ein Zeichen dafür, dass sich niemand darum kümmere. Daraus folge neue Unordnung und schwerere Kriminalität. Diese Kausalkette sei in New York City eingetreten. Die Angst, die durch die Unordnung hervorgerufen würde, bringe die Leute dazu, die Parks und öffentlichen Transportmittel zu meiden, und sich hinter abgeschlossenen Türen zu verbergen oder gar die Stadt ganz zu verlassen46. Durch die systematische Reduzierung der Unordnung in der Stadt sollte die Grundlage für schwerere Kriminalität beseitigt werden47. Daneben wurden weitere Polizeistrategien beschlossen, beispielsweise die „Police Strategy No. 3“ speziell gegen Drogendealer48. Die „Police Strategy No. 5“ stellte jedoch das Kernstück der künftigen Bemühungen des New York City Police Departments um die Verringerung von Kriminalität und Angst in der Stadt dar49.

2. Umstrukturierung der Polizei In der „Police Strategy No. 5“ wurde als Ursache für die Verwahrlosung des öffentlichen Raums unter anderem die Organisation der Polizei genannt. So seien die Kompetenzen zwischen diversen Behörden des Staates New York und der Stadt verteilt gewesen. Außerdem wurde kritisiert, dass die Polizeifüh___________ 43 Giuliani/Bratton, Police York, 9; 39. 44 Giuliani/Bratton, Police York, 40. 45 s. dazu oben A. I. 1. 46 Giuliani/Bratton, Police York, 6 f. 47 Giuliani/Bratton, Police York, 7. 48 Giuliani/Bratton, Police 1994. 49 Giuliani/Bratton, Police York, 7.

Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New

Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New Strategy No.3: Driving Drug Dealers out of New York, Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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rung bis dahin fälschlich davon ausgegangen sei, dass die Öffentlichkeit Maßnahmen gegen schwerere Probleme als die öffentliche Unordnung verlange50. Die daraus folgende starke Spezialisierung innerhalb der Polizeibehörde, unzureichende Mittel in den einzelnen „precincts“ und die Auslagerung vieler Aufgaben an behördenexterne Agenturen habe dazu geführt, dass die Precinct Commander weder über Mittel noch über ausreichende Befugnisse verfügten, die notwendig seien, um viele der „Quality of Life“-Delikte zu bekämpfen51. Ein wesentlicher Punkt der New Yorker Polizeistrategie lag folglich in der Umorganisation des New York City Police Departments. Es wurden bürokratische Hierarchien abgebaut, junge und engagierte Beamte in Spitzenpositionen gehoben und das Department nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten strukturiert52. Ein wesentlicher Faktor war außerdem die massive Erhöhung der Personalstärke des New York City Police Departments in den neunziger Jahren53. Eine zentrale Neuerung war die Einrichtung wöchentlicher Treffen der Precinct Commander, die „Compstat“-Treffen (Crime Control Strategy Meetings). Auf diesen Treffen wurden die einzelnen Precinct Commander nach der Kriminalitätsentwicklung in ihren Abschnitten befragt und auch dementsprechend bewertet54. Dabei wurde die Leistung der Polizisten in den jeweiligen Abschnitten nach der Anzahl der Verhaftungen und Vorladungen, die wegen „Quality of Life“-Delikten ausgestellt werden, bemessen. Dadurch wurde die Polizei wiederum angehalten, möglichst viele solcher Verhaftungen und Vorladungen durchzuführen55. Den „Precinct Commandern“ wurde außerdem die Kompetenz für die oben genannten „Quality of Life“-Delikte übertragen. Die einzelnen Polizeiabschnitte sollten mit entsprechenden Mitteln und Fachpersonal ausgestattet werden56.

___________ 50

Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 12 f. 51 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 13. 52 Harcourt, Illusion of Order, 49; Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 143 f. 53 s. dazu oben B. III. 2. 54 [11. Juli 2003]. 55 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/24. 56 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 9; 38 f.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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3. „Quality of Life Legislative Agenda“ Neben diesen mehr politischen Schwerpunktverschiebungen und Regelungen zur Änderung der Verwaltungspraxis sollte außerdem eine „Quality of Life Legislative Agenda“, also eine Gesetzgebungsinitiative zur Lebensqualität, eingebracht werden. Diese sollte es der New Yorker Polizei ermöglichen, effektiver gegen öffentliche Unordnung und Kriminalität vorzugehen57. Ein entsprechendes umfassendes Gesetzgebungspaket ist in den Gesetzgebungsinitiativen und -verfahren des New York City Councils nicht zu finden58. Bei der Durchsuchung des zum Teil sehr verworrenen und umfangreichen Gesetzesrechts des Staates und der Stadt New York konnten aber einige Gesetzesänderungen gefunden werden. Nach der „Police Strategy No. 5“ sollten unter anderem die Gesetze gegen aggressives Betteln so geändert werden, dass sie einen effektiveren Vollzug ermöglichten59. 1996 wurde dann auch der § 10-136 New York City Code eingeführt, der das aggressive Betteln als Vergehen unter Strafe stellt60. Diese Vorschrift wurde in Zusammenarbeit der New York Civil Liberties Union, des New York City Police Departments und des New York City Council erarbeitet, nachdem die vorherige Bestimmung gegen das „einfache“ Betteln in Loper v. New York City61 für unwirksam erklärt wurde62. In der Gesetzesbegründung heißt es unter anderem, dass der Anstieg von aggressivem Betteln in der Stadt eine starke Belästigung für Bewohner und Gewerbe darstelle. Dadurch würde nicht nur die Nutzung des öffentlichen Raums begrenzt und in ihrem Wert geschmälert, sondern auch das Gefühl der Angst, Bedrohung und Unordnung bei der Bevölkerung verstärkt. Die bestehenden Gesetze und Regeln wären nicht ausreichend, um dieses Problem zu lösen. In Abs. 3 des § 10-136 New York City Code wurden außerdem die Handlungen der „squeegee cleaner“ verboten63. ___________ 57

Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 10. 58 Auch die Gespräche mit mehreren Professoren an juristischen Fakultäten in New York selbst ergaben, dass es keine umfangreichen Gesetzesänderungen gab. 59 Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 42. 60 s. dazu unter B. VI. 2. b) cc). 61 Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993); s. dazu unten B. V. 3. b). 62 Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 149. 63 New York City Code § 10-136 (3): No person shall approach an operator or other occupant of a motor vehicle while such vehicle is located on any street, for the purpose

V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen

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V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen Die „Quality of Life“-Initiative baute auf die vorhergehende Arbeit Brattons in der New Yorker U-Bahn auf. Bratton sollte als damaliger Leiter der New York Transit Police, eine auf der „Broken Windows“-Theorie beruhende „Order Maintenance“-Strategie einführen64. Daraufhin ließ Bratton in der New Yorker U-Bahn massive Verhaftungen wegen minderschwerer Delikte durchführen. Bezüglich der „Broken Windows“-Theorie meint Bratton, dass das Schwarzfahren das größte „zerbrochene Fenster“ im öffentlichen Nahverkehrssystem gewesen sei65. Daher habe die Konzentration der Maßnahmen auf der Verhinderung des Schwarzfahrens gelegen. Unter Brattons Leitung wurden Personen, die über die Absperrungen der New Yorker U-Bahnen sprangen, um die Bezahlung zu umgehen (turnstile jumpers), durch Razzien auf den Bahnsteigen verfolgt. Außerdem wurde die Verfahrensweise für Verhaftungen geändert. Vor Bratton wurden den Straftätern „Desk Appearance Tickets“, eine Art Vorladung, ausgehändigt. Diese wurde jedoch in der Regel missachtet. Nunmehr wurden Verhaftungen an Ort und Stelle in speziell dafür eingerichteten Razziabussen bearbeitet66. Diese Maßnahmen und erhöhte Kontrollen wurden insbesondere auch durch eine 40-Millionen-Dollar-Finanzspritze für die Transit-Polizei ermöglicht67. Infolge dieser Strategie verdreifachten sich die Verhaftungen und Verweise aus der U-Bahn aufgrund minderschwerer Delikte68. Außerdem wurde hier schon ein Zusammenhang deutlich, der sich später in der auf die gesamte Polizeipraxis ausgedehnten Strategie wieder zeigen sollte. Unter den wegen minderschwerer Delikte Verhafteten befand sich ein großer Anteil von Personen, die bereits vorher als Straftäter aufgefallen waren und gegen die nicht vollzogene Haftbefehle vorlagen. Durch die vermehrten Verhaftungen konnten diese gesuchten Straftäter gefasst werden69. Ein Ergebnis

___________ of either performing or offering to perform a service in connection with such vehicle […], if such approaching, performing, offering or soliciting is done in an aggressive manner as defined in paragraph one of subdivision a of this section.[…]. 64 Bratton, Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 140. 65 Bratton, Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 140. 66 Bratton, Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 152 ff. 67 Bratton, Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 172 ff. 68 Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 132 f. 69 Kaplan, Boston Globe, 19.01.1997, E1.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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der Umsetzung dieser Strategie war das Sinken der Kriminalitätsrate in den New Yorker U-Bahnen um 50 Prozent70. Auch die „Quality of Life“-Initiative beziehungsweise die „Zero Tolerance“-Strategie zielte auf die Herstellung der öffentlichen Ordnung durch die unnachgiebige Durchsetzung von Gesetzen gegen die so genannten „Quality of Life“-Delikte. Im Wesentlichen beruhte sie auf massiven Verhaftungen aufgrund solcher geringfügiger Vergehen und diesen vorausgehenden „stop and frisks“71. Unter „stop and frisk“ ist das kurze Anhalten einer Person zur Befragung zu verstehen, bei der diese auch oberflächlich nach Waffen durchsucht werden kann72. Mit dieser Strategie wurden ebenfalls große Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung wieder dadurch erreicht, dass bei den Verhaftungen für minderschwere Delikte oft Täter schwerer Straftaten gefasst wurden, die bisher der Strafverfolgung entgangen waren73. Die Maßnahmen der Polizei zur Umsetzung der „Quality of Life“-Initiative bestanden jedoch nicht ausschließlich in der Festnahme von Personen, die diese Delikte begangen hatten. Daneben wurde beispielsweise zur Bekämpfung des Alkoholkonsums durch Minderjährige auf die Kooperation mit anderen Behörden aber auch mit Händlern und Kneipenbesitzern gesetzt. Bestimmte Etablissements, in denen es unter anderem zu Drogenhandel kam, wurden aufgrund von Lärmschutzbestimmungen geschlossen. Gegen das verkehrswidrige Überqueren von Straßen wurden Barrieren errichtet74. Der Schwerpunkt der Strategie lag jedoch auf den Verhaftungen und „stop and frisks“. Die Maßnahmen des Verbringungsgewahrsams und Aufenthaltsverbotes, wie sie in deutschen Städten vermehrt Anwendung finden, werden weder in der New Yorker Öffentlichkeit noch Rechtswissenschaft diskutiert75. Daher ist davon auszugehen, dass sie in dieser Form kein zentraler Bestandteil der „Zero Tolerance“Strategie waren. Auch unter der jetzigen Administration von Bürgermeister Michael R. Bloomberg und Police Commissioner Raymond W. Kelly wird die „Zero Tole-

___________ 70

Lardner, New Yorker, 06.02.1995, 45/56. Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1253/1275; Harcourt, Boston Review 2000, 6 f.: „The broken windows theory, it turns out, is not so much about public order, as it is about arresting people for misdemeanor and public disorder offenses.“ 72 s. zu „stop and frisk“ unten B. VI. 2. d). 73 s. dazu unten B. V. 1. d). 74 Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1253/1275 m.w.N. 75 Gespräch mit Prof. Miriam Gilles, Cardozo Law School, Prof. Dennis Jay Kenney und Prof. Evan Mandery, John Jay College of Criminal Justice. Die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams wird in New York aufgrund der Größe der Stadt grundsätzlich nicht für sinnvoll erachtet. 71

V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen

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rance“-Strategie weitergeführt76. Allerdings kam es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu einer Verschiebung der Prioritäten, indem die Möglichkeiten zur Terrorismusbekämpfung verstärkt wurden. Unter anderem wurde im Jahre 2002 die Operation „Spotlight“ eingeführt. Ziel dieser Initiative war, die strafgerichtliche Verfolgung von Wiederholungstätern minderschwerer Delikte zu verstärken. Dafür wurden Spezialgerichte in allen fünf Stadtbezirken eingerichtet, die nur Fälle, die unter die Operation „Spotlight“ fallen, also minderschwere Delikte, behandeln. Außerdem wurden Laboruntersuchungen wegen Drogenkonsums und die Überprüfung der Aufhebung von Bewährungen und bedingten Straferlässen beschleunigt sowie direkte Verbindungen zu Beratungsstellen für Drogenabhängige und geistig Kranke hergestellt. Als positives Ergebnis dieser Aktion wird der Anstieg der nach Anklage zu Gefängnisstrafen Verurteilten von 45 Prozent im Vorjahr auf 65 Prozent genannt77. Im Januar 2002 wurde speziell zur Verbesserung der Lebensqualität die Operation „Clean Sweep“ eingeführt. In den Wochen nach dem 11. September 2001 wurde ein Anstieg von „Quality of Life“-Delikten vermerkt. Darauf sollte diese Aktion reagieren. Innerhalb der Operation „Clean Sweep“ wurden mehr als 10.600 Verhaftungen durchgeführt und 105.000 Vorladungen erteilt78.

1. Verhaftungen, „stop and frisk“ und deren Begleiterscheinungen a) Verhaftungen aufgrund geringfügiger Vergehen und „stop and frisk“ Die Zahl der Verhaftungen aufgrund minderschwerer Delikte stieg in New York im Laufe der neunziger Jahre stark an. Im Jahr 1993, ein Jahr bevor Giuliani und Bratton mit der Durchsetzung der „Zero Tolerance“-Strategie begannen, gab es 129.404 Inhaftierungen, im Jahr 2000 waren es 224.663, also fast 75 Prozent mehr. Die Zahl der Verhaftungen aufgrund minderschwerer Drogendelikte stieg sogar um fast 275 Prozent von 27.447 im Jahr 1993 auf 102.712 im Jahr 200079. Im Jahr 2001 war hingegen ein Rückgang der Zahlen ___________ 76 Mayor Michael R. Bloomberg Outlines Public Safety and Quality of Life Accomplishments in 2002, PR 333-02, 17. Dezember 2002, www.nyc.gov [7. Juli 2003]. 77 Mayor Michael R. Bloomberg Outlines Public Safety and Quality of Life Accomplishments in 2002, PR 333-02, 17. Dezember 2002, www.nyc.gov [7. Juli 2003]. 78 Mayor Michael R. Bloomberg Outlines Public Safety and Quality of Life Accomplishments in 2002, PR 333-02, 17. Dezember 2002, www.nyc.gov [7. Juli 2003]. 79 New York State Division of Criminal Justice Services, Criminal Justice Indicators New York City: 1992-2000 [12. März 2002].

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

zu verzeichnen, es gab nur noch 194.485 Inhaftierungen wegen minderschwerer Delikte, davon 79.900 aufgrund von Drogendelikten80. Neben den Verhaftungen hat die New Yorker Polizei in dieser Zeit eine massive „stop and frisk“-Politik verfolgt. So wurden zwischen 1997 und 1998 allein von der „Street Crime Unit“, die ungefähr 435 Polizisten umfasst, 45.000 Personen angehalten und kurz befragt bzw. nach Waffen durchsucht81.

b) Diskriminierung und andere negative Begleiterscheinungen bei Verhaftungen und „stop and frisk“ Seit dem massiven Einsatz von „stop and frisk“ durch die New Yorker Polizei wuchsen in der Öffentlichkeit Bedenken wegen der möglichen Benachteiligungen Angehöriger von Bevölkerungsminderheiten durch diese Praxis. Daraufhin ordnete der Generalstaatsanwalt des Staates New York, Eliot Spitzer, eine Untersuchung der „stop and frisk“-Praxis der New Yorker Polizei an, aus der der Report „The New York City Police Department’s ‚Stop & Frisk‘ Practices“ hervorging82. In diesem Report wurde festgestellt, dass die „stop and frisk“-Politik des New York City Police Departments tatsächlich nach Rassen diskriminierend umgesetzt wurde83. Der Anteil angehaltener Angehöriger von Minderheiten (Afroamerikaner und Hispanoamerikaner) war im Vergleich zu deren Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung höher als der angehaltener Weißer. Dieses Missverhältnis bestand auch, wenn die Zahlen ins Verhältnis zu den begangenen Straftaten in den jeweiligen Bevölkerungsgruppen gesetzt wurden. Auch dann wurden die Angehörigen von Minderheiten überproportional oft im Verhältnis zu den Straftaten, die von diesen Gruppen begangen wurden, angehalten84. ___________ 80 New York State Division of Criminal Justice Services, Criminal Justice Indicators New York City: 1997-2001 [6. Juni 2003]. 81 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 59. 82 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General. Diese Untersuchung war die erste ihrer Art und eine der umfangreichsten Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen, die der New Yorker Generalstaatsanwalt je durchgeführt hat. (s. S. 1 des Reports). 83 Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/382. 84 Dies ergab die Auswertung von 174.919 Formularen, die von der New Yorker Polizei im Falle von „stop and frisk“ ausgefüllt werden müssen. Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, vii ff.

V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen

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Die diskriminierende Wirkung trat nicht nur gegenüber Angehörigen von aufgrund der Herkunft oder auch Rasse zu unterscheidenden Minderheiten in der Bevölkerung auf. Die Verhaftungen wegen geringfügiger Delikte erfolgten meist aufgrund von Verstößen gegen das Verbot des „Herumlungerns“ (loitering) oder Trinkens in der Öffentlichkeit. Diese Delikte wurden typischerweise durch wohnungslose Personen, die auf der Straße lebten, verwirklicht. Daher bedeutete die Strategie der verstärkten Verfolgung und Inhaftierung aufgrund minderschwerer Delikte zwangsläufig eine überdurchschnittliche Belastung für diese Personen85. Auch wenn diese nicht ausdrücklich genannt wurden, waren die Wohnungslosen doch das offensichtliche Ziel der „Quality of Life“Initiative. Nach Angaben einer Organisation, die sich für die Rechte der Wohnungslosen einsetzt, wurden Wohnungslose regelmäßig wegen der genannten Delikte mit Bußgeldern belegt. Außerdem wurden wöchentliche Aktionen zur Vertreibung der Wohnungslosen aus Parks in Chelsea und dem West Village durchgeführt, bei denen deren Besitz meist zerstört wurde86. Obdachlose und andere arme Gruppen der Bevölkerung haben oft keinen Zugang zu rechtlicher Beratung. Dadurch dass die Maßnahmen der „Quality of Life“-Initiative überproportional oft diese Personengruppen trafen, blieben viele Fälle von Belästigung und Gewalt in der Öffentlichkeit unbemerkt87. Die Realisierung der „Zero Tolerance“-Strategie durch verstärkte Verhaftungen und massive „stop and frisks“ hatte auch sonst nachteilige Wirkungen. Viele Personen wurden illegal durchsucht und die Polizei häufig für Fehlverhalten haftbar gemacht. Aus dem Report des Generalstaatsanwalts ergibt sich, dass in 15,4 Prozent aller „stop and frisk“-Fälle die Fakten nicht genügten, um einen hinreichenden Verdacht und damit ein Anhalten vor der Verfassung zu rechtfertigen. In mehr als 40 Prozent aller Fälle waren die Angaben der Polizei so ungenau, dass eine rechtliche Beurteilung nicht möglich war88. Außerdem waren die Gerichte aufgrund der vielen Anzeigen wegen minderschwerer Delikte überfordert89. Auch die teilweise traumatischen Erfahrungen, die einzelne Bürger bei unbegründeten „stop and frisks“ und Inhaftierungen machen muss___________ 85 Hodulik, Journal of Criminal Law and Criminology 2001, 1073/1076; Wynn in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 107/114; s. dazu auch Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/383 mit Nachweisen zu einer Studie aus Texas in Fn. 366. 86 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/28 f. 87 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/31. 88 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 160 ff. 89 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/34.

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

ten, hinterließen einen nachhaltigen negativen Eindruck nicht nur bei den Betroffenen, sondern in der Bevölkerung allgemein90. Die betroffenen Personen hätten meist bis zu einem ganzen Tag im Gefängnis verbringen müssen, bevor sie einem Richter vorgeführt worden wären. Dieser hätte das dann meist ohnehin als ausreichende Strafe angesehen91. Insbesondere Afroamerikaner hätten sich in der Öffentlichkeit entsprechend bewegt, weil sie ständig hätten damit rechnen müssen, verdächtigt zu werden, ohne irgendeinen Verstoß begangen zu haben92. Nachdem die Schüler einer Katholischen Oberschule in Upper Manhattan vermehrt Opfer von ungerechtfertigten „stop and frisks“ wurden, zumeist weil sie Afroamerikaner waren, führte der Direktor der Schule speziellen Unterricht durch, in dem die Schüler lernen sollten, wie sie am besten reagierten, wenn sie von einem Polizisten angehalten werden93. Ein weiteres Beispiel für die unverhältnismäßige Vorgehensweise der Polizei ist das Schicksal dreier Bürger, die für so geringfügige Delikte wie das Fahren ohne Fahrschein, Schlafen auf Parkbänken und Trinken von Bier in der Öffentlichkeit mehr als sechzig Stunden in ihren Zellen festgehalten wurden, bevor sie einem Richter vorgeführt wurden. Aber auch allein der Transport zur Dienststelle im Polizeiwagen konnte mehr als vier Stunden dauern94. Daneben gibt es noch zahlreiche Berichte über erstaunlich unverhältnismäßige Festnahmen. Ein junger Mann, der an den Briefkästen eines Gebäudes im East Village nach dem Namen eines Freundes suchte, wurde des Hausfriedensbruchs beschuldigt, in Handschellen abgeführt, einer Leibesvisitation unterzogen und für neunzehn Stunden in Haft gehalten95. Ein Student wurde wegen des Trinkens von Bier in der Öffentlichkeit auf der Upper West Side festgenommen und verbrachte einen ganzen Tag in Haft96. Diese Zustände haben dazu geführt, dass die „New York Times“ eine Selbsthilfeanleitung herausgab, in der beschrieben wird, wie man sich im Falle einer Verhaftung verhalten soll97. ___________ 90 Davis, University of Miami Law Review 1997, 425/438. Vgl. zu den Folgen von „stop and frisk“ für die Betroffenen: Stuntz, Saint John’s Law Review 1998, 1213/1218 ff.; s. auch die Berichte von Betroffenen bei: Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 76 ff. 91 Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1. 92 Davis, University of Miami Law Review 1997, 425/438 f.; Harris, Journal of Law and Criminology 1997, 544/570 f. 93 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 82 ff. 94 Cooper, The New York Times, 1.12.1996, A1. 95 Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1. 96 Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1. 97 Cooper, The New York Times, 1.12.1996, A1.

V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen

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c) Fehlverhalten und Brutalität der New Yorker Polizei Mit der Durchsetzung der öffentlichen Ordnung durch die „Zero Tolerance“-Strategie in New York ging ein massiver Anstieg von Fehlverhalten und Brutalität durch die Polizei einher98. Von 1994 bis 1996 gab es 8.316 Gerichtsverfahren wegen des Fehlverhaltens von Polizisten im Gegensatz zu nur 5.983 in den vorangegangenen Jahren99. In der „New York Times“ wurde von einem Dialog zwischen einem Polizisten, der in der Bronx arbeitete, und einem Mitglied einer polizeilichen Untersuchungskommission berichtet. In diesem antwortete der Polizist auf die Frage, ob Personen, die inhaftiert wurden, auch zusammengeschlagen würden: „Nein. Wir haben Personen grundsätzlich geschlagen, wenn sie auf der Straße, in der Nähe von Drogenumschlagplätzen herumhingen. Es war eine Demonstration von Stärke.“100 In der Zeit der „Quality of Life“-Initiative kam es zu mehreren besonders brutalen Fällen polizeilichen Fehlverhaltens. Am 22. Dezember 1994 starb ein Neunundzwanzigjähriger an Erstickung. Ein Streifenpolizist hatte ihn und seine Brüder wegen „disorderly conduct“ (ungebührliches Verhalten) festgenommen, nachdem deren Fußball an sein Auto geflogen war. Dabei hatte er ihm Verletzungen zugefügt, die zur Erstickung führten101. Im August 1997 wurde ein Einwanderer aus Haiti in Brooklyn von Polizisten schwer misshandelt. Im Februar 1999 wurde ein unschuldiger farbiger Jugendlicher vor seinem Wohnhaus von vier Polizisten der Street Crime Unit niedergeschossen. Die Polizisten glaubten, der Jugendliche habe eine Pistole gezogen, in Wirklichkeit handelte es sich aber nur um ein Portemonnaie, dass dieser aus der Tasche gezogen hatte102. Diese Fälle erregten großen Unmut in der Bevölkerung, während sie von der Polizei und Giuliani nur als Abweichung angesehen wurden. Der Polizist, der den Jungen erstickt hatte, und auch die vier Polizisten, die den Jugendlichen erschossen hatten, wurden freigesprochen103. ___________ 98 Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/377; Amnesty International, United States of America: Police Brutality and Excessive Force in the New York City Police Department (Amnesty International Index: AMR 51/36/96), [25.Juli2003]. 99 Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1. 100 Herbert, The New York Times, 24.8.1997, 13. 101 McArdle in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 1/2 f. 102 Lardner/Reppetto, NYPD. A City and Its Police, 330 f.; McArdle in: McArdle/ Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 1/2. 103 Lardner/Reppetto, NYPD. A City and Its Police, 330 f.; McArdle in: McArdle/ Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 1/3.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Neben diesen besonders schweren Fällen von Missbrauch der polizeilichen Kompetenzen kam es vor allem im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen Wohnungslose zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei. Diese wurden immer wieder von öffentlichen Plätzen vertrieben und Ziel sonstiger harter Polizeimaßnahmen. Die verstärkte Durchsetzung von Strafvorschriften, die minderschwere Ordnungsverstöße regeln, wurde von der New Yorker Polizei zur Kontrolle des öffentlichen Raums und zur Vertreibung von ungewollten Personengruppen genutzt104. Die zunehmenden Fälle von Brutalität und Fehlverhalten wurden durch die New Yorker Polizei einerseits damit begründet, dass auch die Zahl der Festnahmen während der „Quality of Life“-Initiative anstieg105. Der Polizeichef Bratton sah außerdem einen Grund in der hohen Anzahl neu eingestellter Polizisten, weil die Beschwerden immer zunähmen, wenn die Zahl neuer Polizisten anstiege106. In der Tat wurden unerfahrene Polizisten in der Street Crime Unit auf die Straße geschickt, um gegen Straßenkriminalität vorzugehen. Diese haben 45.000 Menschen angehalten und durchsucht, meistens aus keinem anderen Grund, als dass es sich um Farbige handelte. Auch die vier Polizisten, die den jungen Farbigen vor seinem Haus erschossen haben, waren sehr unerfahren107.

d) Verfahren bei Verhaftungen Bezüglich des Anstiegs der Verhaftungen wegen minderschwerer Delikte ist außerdem zu beachten, dass sich nicht nur die Anzahl, sondern auch die Art und Weise verschärft hat. Die Voraussetzungen für die Entlassung festgenommener Personen unter Ausstellung so genannter „Desk Appearance Tickets“108 ___________ 104

McArdle in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 1/4,7 f. 105 Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/379. 106 Bratton, The New York Times, 19.8.1997, A27. 107 Lardner/Reppetto, NYPD. A City and Its Police, 332; McArdle in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 147. 108 Nach NY Crim. Proc. Law §§ 150.10; 150.20 ist die New Yorker Polizei ermächtigt, vermeintliche Täter, denen das Begehen eines Vergehens (misdemeanor) und einiger Verbrechen (felony) zur Last gelegt wird, unter Ausstellung eines so genannten „Desk Appearance Tickets“ zu entlassen, wenn die Anklageerhebung innerhalb der nächsten drei Wochen erfolgen soll. Die Rate des Nichterscheinens von Straftätern, die mit einer solchen Verfügung ausgestattet entlassen wurden, lag zwischen 40 und 45 Prozent. Dabei lag der Anteil der nicht Erscheinenden bei den notorischen Straftätern bei 77 Prozent. 25 Prozent derjenigen, denen eine solche Verfügung erteilt wurde, gaben ungültige Adressen an. (Vgl. Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 35 f.).

V. Praxis der New Yorker Polizei gegenüber sozialen Randgruppen

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wurden für die „Quality of Life“-Delikte erheblich verschärft. Sie war nur noch zulässig, wenn sich die betroffene Person ausweisen konnte. Ganz ausgeschlossen wurde sie für Personen, die wiederholt bei der Begehung dieser Delikte angetroffen wurden109. Zur Überprüfung wurde eine Datenbank über rückfällige Täter angelegt110. Folglich wurden Personen, sogar wenn sie wegen geringfügiger Delikte festgenommen worden waren, in Haft gehalten, bis ihre Identität überprüft und geklärt war, ob andere Haftbefehle gegen sie vorlagen111. Später wurde die Identität der Betroffenen durch Fingerabdrücke und deren Vergleich per Computer geprüft und sie mussten solange in Haft bleiben. Diese Verfahrensweise wurde gegenüber allen Verhafteten angewandt, auch wenn es um so geringfügige Delikte wie das Fahren ohne Fahrschein oder Trinken in der Öffentlichkeit ging112. Durch diese massive Aufnahme und den Vergleich der Daten verhafteter Personen kam es zu Erfolgen bei der Bekämpfung von schwerer Kriminalität, die in der Öffentlichkeit teilweise große Aufmerksamkeit erregten und für Zustimmung zum gesamten Konzept von „Zero Tolerance“ sorgten. Es stellte sich heraus, dass viele der wegen kleinerer Delikte Festgenommenen schwerere Straftaten begangen haben. So wurde durch die vermehrten Festnahmen wegen minderschwerer Delikte und die folgende Überprüfung von Fingerabdrücken eine 39-prozentige Steigerung bei Inhaftierungen für noch ausstehende Haftbefehle erreicht113.

2. Verstärktes Vorgehen gegen Drogendealer Aus der zum Kampf gegen Drogendealer erlassenen „Police Strategy No. 3“114 entstand die „Operation Juggernaut“ (Operation Moloch). Im Rahmen dieser wurde eine große Zahl von Polizisten in Stadtgebieten eingesetzt, in

___________ 109

Vgl. Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 9. 110 Vgl. Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 41. 111 Cooper, The New York Times 1.12.1996, A1; Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1. 112 Kocieniewski/Cooper, The New York Times, 28.5.1998, A1. 113 Purdy, The New York Times, 24.8.1997, A1: Der bekannteste Fall war der von John Royster. Dieser wurde wegen des Überspringens der Absperrungen in der U-Bahn festgenommen. Seine Fingerabdrücke wurden per Computer verglichen. Dadurch konnte er überführt werden, mehrere brutale Überfälle begangen zu haben. 114 Bratton/Giuliani, Police Strategy No. 3: Driving Drug Dealers out of New York, 1994.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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denen sich der Drogenhandel besonders stark ausgebreitet hatte115. Die Polizisten führten Razzien durch, sorgten für den Vollzug von „Quality of Life“Gesetzen und führten auch wieder verstärkt „stop and frisks“ durch116. Das New York City Police Department berichtete daraufhin von einem Anstieg der Durchsuchungen nach Drogen um 51 Prozent und nach „Drogengeldern“ um 116 Prozent117. Gesonderte Aufmerksamkeit galt dem Washington Square in Manhattan, der zur drogenfreien Zone werden sollte. Zwar wurden keine Aufenthaltsverbote wie in Deutschland durchgeführt. Die New Yorker Behörden versuchten aber die Richter dazu zu drängen, bei Verurteilungen auf Bewährung das Nichtbetreten des Platzes als Bewährungsauflage zu verhängen. Soweit eine solche vorlag, war eine sofortige Inhaftierung möglich, wenn der Verurteilte den Platz betrat118.

3. Verstärktes Vorgehen gegen Wohnungslose Im Jahre 1999 wies Bürgermeister Giuliani die New Yorker Polizei an, verstärkt gegen Wohnungslose vorzugehen. Anlass war ein Vorfall, der sich am 16. November 1999 ereignete. Ein Mann hatte eine Frau, die an einer Kreuzung wartete, mit einem schweren Pflasterstein in den Rücken geschlagen. Aus Zeugenberichten wurde bald geschlossen, dass es sich um einen Wohnungslosen handele, der oft in der Gegend gesehen wurde. Daraufhin versprach Giuliani, die Wohnungslosen von den Straßen zu vertreiben. Die Polizei sollte Wohnungslose anweisen, sich in eine Obdachlosenunterkunft oder ein Krankenhaus zu begeben. Würden die Wohnungslosen dem nicht Folge leisten, seien sie wegen „disorderly conduct“ (unordentliches Verhalten) festzunehmen119. In der Zeit vom 20. November bis 21. Dezember des Jahres wurden daraufhin 269 Wohnungslose verhaftet und 776 in Obdachlosenunterkünfte verbracht120. Dabei ist zu beachten, dass die Obdachlosenunterkünfte in New York oft nicht ___________ 115

In Nord-Brooklyn wurden über 500, in Nord-Manhattan über 350 Polizisten einer Sonderinitiative zur Bekämpfung der Drogenkriminalität eingesetzt. 116 Bratton, Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, 272 ff. 117 Giuliani, Removing Drugs From Our Neighborhoods and Schools, Archives of Rudolph W. Giuliani, 1.10.1997, , 2 [11. Juli 2003]. 118 Giuliani, Removing Drugs From Our Neighborhoods and Schools, Archives of Rudolph W. Giuliani, 1.10.1997, 3 [11. Juli 2003]. 119 Harcourt, Illusion of Order 165. 120 Bernstein, The New York Times, 5.12.1999, sec. 1, 53; Polner, Newsday, 21.12.1999, A4; Topousis, New York Post, 21.12.1999, 18.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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benutzt werden, weil die Wohnungslosen dort der Gefahr ausgesetzt sind, ausgeraubt oder Opfer anderer Straftaten zu werden. Im Jahr 2002 wurde unter Bürgermeister Bloomberg erneut eine Kampagne gegen die Wohnungslosen gestartet. Die Polizei sollte erneut dafür sorgen, dass die Wohnungslosen von den Straßen verschwinden. Die Anzahl der Wohnungslosen, die auf der Straße nächtigten, war wieder gestiegen. Nachdem Bloomberg erstmals das Ansteigen der Wohnungslosenzahlen auf den Straßen New Yorks zugab, wurde die New Yorker Polizei angewiesen, die in der Öffentlichkeit schlafenden Personen zu wecken und in Unterkünfte zu verbringen, damit sich die Passanten nicht belästigt fühlten. Polizisten in Zivil kontrollierten, inwieweit ihre Kollegen dieser Anweisung Folge leisten121.

VI. Rechtliche Beurteilung der im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie durchgeführten Maßnahmen Im folgenden Abschnitt werden die rechtlichen Grenzen der Maßnahmen dargestellt, die von der Polizei im Rahmen von „Zero Tolerance“ durchgeführt wurden. Dafür wird zunächst ein Überblick über das Rechtssystem und das Polizeirecht in den USA, insbesondere New York City, gegeben. Danach werden die rechtlichen Voraussetzungen der Verhaftungen und „stop and frisks“, als zentrale Maßnahmen der „Zero Tolerance“-Strategie, geklärt.

1. Überblick über das Rechtssystem der USA und New Yorks a) Überblick über die Struktur des Rechts in den USA Das US-amerikanische Rechtssystem ist historisch durch das englische „Common Law“-System geprägt122. Aber schon seit der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges (1861-65) wurde das Common Law in den USA auch durch Gesetze verändert und fortgebildet. Daher besteht heute ein gemischtes System, das sowohl aus Fallrecht als auch aus Gesetzen oder anderen Kodifikationen besteht123. Damit sind die wichtigsten Rechtsquellen in den USA das „Common Law beziehungsweise Case Law (Fallrecht)“, „Equity“ (Billigkeitsrecht), und Bundes- bzw. Landesverfassungen und -gesetze.

___________ 121

Tagesspiegel 31.10.2002, 36. Hay, US-Amerikanisches Recht, 5 f.; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 21. 123 Hay, US-Amerikanisches Recht, 6. 122

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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aa) Common Law, Equity und Case Law „Common Law“ in seiner ursprünglichen Bedeutung meint das Recht, welches von reisenden Richtern des königlichen Gerichts zu Westminster gesprochen wurde124. Daneben gab es Ausnahmen, die durch Billigkeitsrechtsprechung im Einzelfall gebildet wurden und „Equity“, also Billigkeitsrecht, bilden125. Dieses englische Rechtssystem galt zunächst auch in den englischen Kolonien und hat sich auch nach der Unabhängigkeit als Rechtstradition in den USA durchgesetzt126. Heute herrscht in den USA grundsätzlich ein Fallrechtssystem. Dabei wird das gesamte Richterrecht, einschließlich des „Common Law“- und „Equity“-Präjudizienrechts, „Case Law“ genannt. Zum Teil wird auch der Begriff „Common Law“ in diesem Sinne verwandt und damit dem „Statutory Law“ (Gesetzesrecht) gegenüber gestellt127. „Case Law“ beziehungsweise das Fallrechtssystem bedeutet, dass das Recht zunächst nicht durch Gesetze oder Kodifikationen, sondern durch Rechtsschöpfung der Richter gebildet wird. Dabei sind die Untergerichte an die vorausgegangenen Entscheidungen der oberen Gerichte, die so genannten Präjudizien, gebunden (so genannte „Stare-Decisis“-Doktrin)128. Dieses Prinzip wird in den USA wiederum durch die föderale Struktur geprägt. Demnach sind die Gerichte der einzelnen Gliedstaaten grundsätzlich nur an die Entscheidung der höheren Gerichte der jeweiligen Gliedstaaten gebunden, nicht aber an die Entscheidungen der Gerichte anderer Gliedstaaten oder der Bundesgerichte. Die Bundesgerichte sind grundsätzlich nur an die Entscheidungen höherer Bundesgerichte gebunden. Soweit die Bundesgerichte jedoch über das Recht einzelner Staaten zu entscheiden haben, sind sie an die verbindlichen Entscheidungen der entsprechenden einzelstaatlichen Gerichte gebunden. Der Supreme Court als Bundesgericht kann die Verfassungswidrigkeit von Gliedstaatenrecht für die Gerichte der betreffenden Staaten verbindlich feststellen und auch über die Vereinbarkeit von Gliedstaaten- und Bundesrecht im konkreten Fall entscheiden129.

___________ 124

Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 8. Hay, US-Amerikanisches Recht, 2; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 8. 126 Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 20. 127 Hay, US-Amerikanisches Recht, 6. 128 Dazu: Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 25 ff. 129 Hay, US-Amerikanisches Recht, 9; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 29. 125

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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bb) Statutory Law Neben dem Richterrecht bildet das „Statutory Law“ (Gesetzesrecht) einen Teil des Rechtssystems der USA. Dabei ist aber zu beachten, dass auch Gesetze wiederum der richterlichen Rechtsfortbildung unterliegen. Die Auslegung der Gesetze ist Sache der Gerichte. Deren Entscheidungen zu den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften binden wieder die Untergerichte130. Das Fallrecht überlagert also das Gesetzesrecht. Soweit bestimmte Rechtsgebiete durch Gesetze geregelt sind, unterliegen diese Gesetze wieder der bindenden Auslegung durch die Rechtsprechung131. Die Gesetze gelten in der konkreten Form, die sie durch die Auslegung der Rechtsprechung erhalten haben. Das Gesetzesrecht setzt sich aus Bundes- und Landesrecht zusammen. Das Bundesrecht umfasst die „federal statutes“, die Bundesgesetze, und die „Constitution of the United States of America“, die Bundesverfassung mit 25 „amendments“, Zusatzartikeln, Verfassungsnovellen oder Ergänzungen132. Das Landesrecht umfasst wiederum die „state statutes“, die Landesgesetze, und die „state constitution“, die Landesverfassung. Daneben gibt es „state administrative rules and regulations“, das Verordnungsrecht, und „municipal ordinances, rules and regulations“, das örtliche oder regionale Selbstverwaltungsrecht133.

cc) Constitution of the United States of America Die wesentlichen Unterschiede zum englischen Rechtssystem bestehen im amerikanischen Verfassungsrecht134. Die amerikanische Verfassung wurde 1789 angenommen und in der Zeit seit ihrer Entstehung siebenundzwanzigmal abgeändert beziehungsweise ergänzt. Nach der „supremacy clause“ (Vorherrschafts-Klausel) des Art. 6 ist die „Constitution of the United States“ das oberste Recht des Landes. Auch die Gerichte der einzelnen Staaten sind an die Bundesverfassung gebunden. Wenn die Landesverfassung oder einzelne Landesgesetze gegen die Bundesverfassung verstoßen, müssen sie für verfassungswidrig erklärt werden135. Die Verfassung selbst regelt aber nicht, welcher Institution das Recht der Überprüfung von Gesetzen oder Maßnahmen der Exekutive auf ___________ 130

Hay, US-Amerikanisches Recht, 11. Hay, US-Amerikanisches Recht, 8; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 45. 132 Im Folgenden wird in Anlehnung an die Übersetzung in Hay, US-amerikanisches Recht, von Zusatzartikeln die Rede sein. 133 Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 47 ff. 134 Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, 23. 135 La Grange, Policing American Society, 185. 131

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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ihre Verfassungsmäßigkeit zukommt (judicial review). Art. 3 der Verfassung136 bestimmt lediglich die Errichtung des obersten Gerichtshofes des Bundes, des Supreme Court, sagt aber nichts über dessen Kompetenz zur Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit137. Diese Kontrollkompetenz hat der Supreme Court für sich im Wesentlichen in der Entscheidung Marbury v. Madison geschaffen. Seitdem kann der Supreme Court Maßnahmen der Legislative und Exekutive für verfassungswidrig erklären138. Die Bundesverfassung bestimmt unter anderem die Gesetzgebungskompetenzen. Dabei liegt die Gesetzgebungszuständigkeit wie in der Bundesrepublik grundsätzlich bei den Gliedstaaten. Der Kongress und damit der Bund hat nur dann Gesetzgebungskompetenz, wenn ihm diese durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesen ist139. Die Kompetenzen im Zusammenhang mit der Polizeigewalt liegen dabei wie in Deutschland grundsätzlich bei den einzelnen Gliedstaaten140. Die ersten zehn Zusatzartikel wurden bereits 1791 erlassen. Sie gewähren mit der „Bill of Rights“, die Freiheit der Religion, der Rede, der Person und des Eigentums sowie die wichtigsten prozessualen Garantien. Ursprünglich war die „Bill of Rights“ nur für die Bundesgewalt (Bundesgesetzgeber, Bundesgerichte und Bundesbehörden) bindend. Sie begrenzte hingegen nicht die einzelnen Gliedstaaten oder lokale Hoheitsträger in ihrer Machtausübung. Diese waren lediglich durch die Staatsverfassung und darin eventuell enthaltene „Bill of Rights“ gebunden141. Erst mit der Einführung des 14. Zusatzartikels im Jahre 1868 und der zugehörigen Rechtsprechung des Supreme Court aus dem Jahre 1925142 wurden die wesentlichen Vorschriften der ersten zehn Zusatzartikel auch für die Hoheitsträger der einzelnen Staaten und lokalen Hoheitsträger bindend143. ___________ 136

Artikel 3 Abs. 1 S. 1: „The Judicial Power of the United States, shall be vested in one supreme Court, and in such inferior Courts as the Congress may from time to time ordain and establish.“ 137 Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 28. 138 La Grange, Policing American Society, 185. 139 Artikel 1 Section 1 und 8 regelt die besonderen Zuständigkeiten des Bundes; der 10. Zusatzartikel sagt ausdrücklich, dass alle dem Bund nicht durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenzen bei den Gliedstaaten verbleiben: „The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people.“ 140 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 324. 141 La Grange, Policing American Society, 186; Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/117 f. 142 Vgl. Gitlow v. New York, 268 U.S. 652 (1925). 143 Der Supreme Court leitet die Bindung der Gliedstaaten aus der im 14. Zusatzartikel enthaltenen „due process clause“ her. In dieser Gewährleistung eines gehörigen Rechtsverfahrens gegenüber den einzelnen Staaten sieht der Supreme Court die einzel-

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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Der 14. Zusatzartikel wurde zusammen mit dem 13. und 15. Zusatzartikel, der so genannten „second Bill of Rights“144, nach dem Ende des Bürgerkrieges eingeführt. Abs. 1 des 14. Zusatzartikels enthält die „due process clause“, die Garantie eines rechtsstaatlichen Verfahrens145 und „equal protection of the laws clause“, die Gleichheitsgarantie146, deren Fehlen einen wesentlichen Mangel der „Bill of Rights“ darstellte. Neben der „due process clause“ und der Gleichheitsgarantie des 14. Zusatzartikels sind insbesondere die Bestimmungen des 4. Zusatzartikels für das Polizeirecht bedeutend147. Dieser enthält die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu „search and seizure“ also zu Durchsuchung, Haft und Gewahrsam. Die Voraussetzungen, die für diese polizeilichen Maßnahmen direkt aus der Verfassung folgen, wurden durch eine verzweigte Rechtsprechung detailliert entwickelt.

b) Das Polizeirecht in den USA, insbesondere New York City Das Rechtsgebiet „Polizeirecht“ als solches existiert nicht im amerikanischen Rechtssystem. Vielmehr wird ein Großteil der rechtlichen Vorgaben vom

___________ nen Rechte der „Bill of Rights“ als im wesentlichen enthalten und damit auch gegenüber den einzelnen Staaten bindend an. So hat er beispielsweise entschieden, dass die Freiheit der Rede ein so wesentliches Element jedes demokratischen Rechtsstaates sei, dass eine Einschränkung einer Entziehung der Freiheit an sich gleichkomme. Daraus wird dann gefolgert, dass dies unter der Generalklausel des 14. Zusatzartikels auch auf Gliedstaatenebene unzulässig sei (Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 34; De Jonge v. Oregon, 229 U.S. 353, 57 S.Ct. 255, 81 L.Ed. 278 (1937). Es ist umstritten, ob die „due process clause“ des 14. Zusatzartikels nur die wichtigsten Garantien der „Bill of Rights“ beinhaltet, oder aber alle Rechte, die in der „Bill of Rights“ enthalten sind, auch vom 14. Zusatzartikel gedeckt werden sollen. Damit wäre dann die gesamte „Bill of Rights“ auch für die Staaten bindend. Der Supreme Court hat bisher immer nur eine selektive Inkorporierung der Rechte der „Bill of Rights“ angenommen. Faktisch wurden aber nach und nach fast alle Vorschriften der „Bill of Rights“ im 14. Zusatzartikel aufgenommen und sind daher auch gegenüber Maßnahmen der Gliedstaaten und lokalen Hoheitsträger anwendbar (La Grange, Policing American Society, 186; Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/119). 144 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83. 145 „[…] nor shall any state deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law.“ Diese Generalklausel ist im gleich lautenden 5. Zusatzartikel enthalten, der aber nur Hoheitsträger des Bundes bindet. 146 „[…] nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.“ 147 „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized.“

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

Strafrecht beziehungsweise Strafprozessrecht abgedeckt148. Trotzdem gibt es sowohl verfassungs- als auch richterrechtliche Vorgaben, die die Polizeigewalt in ihrem Umfang sowie Begrenzungen für konkrete polizeiliche Maßnahmen regeln.

aa) Die Polizeigewalt Die Polizeigewalt wird als die „Ausübung des Souveränitätsrechtes eines Staates (Hoheitsträgers) auf Erhaltung der Ordnung, Sicherheit, Gesundheit, Moral und allgemeinen Wohlfahrt innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen149“ definiert. Die Polizeigewalt ist ein wesentlicher Teil der Exekutive der Bundesstaaten. Sie ergibt sich aus deren verfassungsrechtlicher Pflicht, ihre Bürger zu schützen und für die Sicherheit und gute Ordnung der Gesellschaft zu sorgen150. Die Polizeigewalt liegt grundsätzlich bei der gesetzgebenden Gewalt der Staaten151. Sie kann an Gemeinden (municipalities), die Bezirke (counties) oder Verwaltungsbehörden und Kommissionen delegiert werden. Sie kann aber grundsätzlich nicht auf Privatpersonen übertragen werden152. Der Gesetzgeber hat bezüglich der Ausübung der Polizeigewalt einen sehr weiten Entscheidungsspielraum. Dieser ist jedoch durch den Grundsatz der Angemessenheit und durch die Bundesverfassung und Verfassung der einzelnen Staaten begrenzt153.

bb) Rechtliche Grundlagen (1) Errichtung der Polizeibehörden / Aufgaben der Polizeibehörden Die Polizeigewalt der Staaten beinhaltet die Kompetenz, Gesetze zu erlassen, die die Ordnung, Sicherheit, Gesundheit, Moral und generelle Wohlfahrt ___________ 148 Das wurde mir wiederholt in Gesprächen mit Professoren an New Yorker Juristischen Fakultäten bestätigt. 149 Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 432: „Police Power is the exercise of the sovereign right of a government to promote order, safety, health, morals, and the general welfare of society, within the constitutional limits.“ 150 Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 433. 151 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 324; Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 434. 152 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 324; Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 435. 153 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 325.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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der Gesellschaft fördern154. Daraus ergibt sich auch die Kompetenz der Staaten, Gesetze zu schaffen, durch die Polizeibehörden eingerichtet werden und der Polizei Aufgaben und Befugnisse übertragen werden155. Für die Stadt New York werden in Chapter 18 der New York City Charter die Einrichtung, Organisation und Befugnisse (power) des New York City Police Departments geregelt. Chapter 18, § 435 a) beschreibt die Pflichten des Police Departments. Danach soll das New York City Police Department „die Befugnis (power) haben, und es soll seine Pflicht sein, den öffentlichen Frieden zu bewahren, Straftaten zu verhindern, Straftäter zu finden und zu verhaften, Krawalle, Randalierereien und Aufruhr zu unterdrücken, unrechtmäßige und gefährliche Ansammlungen, die den freien Durchgang auf öffentlichen Straßen behindern, zu zerstreuen; die Rechte von Personen und das Eigentum zu schützen, die öffentliche Gesundheit zu bewahren, die Ordnung bei Wahlen und allen öffentlichen Versammlungen und Ansammlungen zu schützen, vorbehaltlich der Rechtsvorschriften und Regeln des ‚Commissioner‘ für Verkehr, den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr zum Zwecke des Verkehrsflusses und der Erfüllung der öffentlichen Bedürfnisse als auch um das Leben und die Gesundheit der Menschen ordnungsgemäß zu schützen, zu regulieren, dirigieren, kontrollieren und zu beschränken; alle Störungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen und in öffentlichen Parks zu beseitigen; alle Bettler zu verhaften; für ausreichende Anwesenheit von Polizei bei öffentlichen Feuern zu sorgen; alle Plätze öffentlichen Vergnügens und Gewerbebetriebe (places of business having excise or other licenses to carry on any business) zu überwachen und zu kontrollieren; alle Gesetze, Recht und Verordnungen, die in der Stadt in Kraft sind, durchzusetzen und Verstößen dagegen vorzubeugen und zu diesem Zwecke alle Personen die sich der Verletzung von bestehenden Gesetzen und Verordnungen schuldig gemacht haben, zu verhaften, um Straftaten und Verstöße zu verhindern oder zu bestrafen.“156

___________ 154

Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 433. Vgl. Gehring, Innere Sicherheit – USA, 77; Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 433. 156 § 435 Department; duties. a. „The police department and force shall have the power and it shall be their duty to preserve the public peace, prevent crime, detect and arrest offenders, suppress riots, mobs and insurrections, disperse unlawful or dangerous assemblages and assemblages which obstruct the free passage of public streets, sidewalks, parks and places; protect the rights of persons and property, guard the public health, preserve order at elections and all public meetings and assemblages; subject to the provisions of law and the rules and regulations of the commissioner of traffic, regulate, direct, control and restrict the movement of vehicular and pedestrian traffic for the facilitation of traffic and the convenience of the public as well as the proper protection of human life and health; remove all nuisances in the public streets, parks and places; arrest all street mendicants and beggars; provide proper police attendance at fires; inspect and observe all places of public amusement, all places of business having excise or other licenses to carry on any business; enforce and prevent the violation of all laws and ordinances in force in the city; and for these purposes to arrest all persons guilty of violating any law or ordinance for the suppression or punishment of crimes or offenses.“ 155

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Beachtlich ist im Zusammenhang mit den in dieser Arbeit zu behandelnden Problemfeldern, dass die Verhaftung von Bettlern explizit als Pflicht der Polizei geregelt ist. Diese in der New York City Charter speziell für die New Yorker Polizei geregelten Pflichten decken sich auch mit der Rechtsprechung, die es als Pflicht des Staates ansieht, seine Bürger zu schützen und für die Sicherheit und die gute Ordnung in der Gesellschaft zu sorgen. Diese Pflicht stellt die Grundlage für die Polizeigewalt der Staaten dar157. Aus dieser leitet die Rechtsprechung sowohl präventive als auch repressive Aufgaben der Polizei her. Die Polizeigewalt der Staaten soll präventive Maßnahmen gegen Rechtsverstöße und die Bestrafung von bereits begangenen Verstößen umfassen. Außerdem soll sie zur Verhütung bevorstehender als auch zur Beseitigung bereits bestehender Gefahren dienen158. Systematisch wird jedoch kaum zwischen repressiver und präventiver Tätigkeit der Polizei unterschieden159.

(2) Rechtliche Grenzen der Polizeigewalt / Polizeitätigkeit § 435 der New York City Charter beschreibt lediglich die Pflichten der Polizei160. Genauso beschäftigen sich die Entscheidungen der Gerichte zur Polizeigewalt nur mit den Aufgaben, die sich aus dieser ergeben. Es ist also zu klären, inwieweit Befugnisse der Polizei geregelt sind oder woraus sich diese ergeben. Dem Rechtssystem entsprechend gibt es im US-amerikanischen Recht keinen Gesetzesvorbehalt. Demzufolge bedarf es auch keiner gesetzlich geregelten Befugnis, um Maßnahmen der Polizei zu rechtfertigen, die in die Rechte der Bürger eingreifen161. Vielmehr ist die Polizei im Rahmen ihrer Aufgaben zu allen Maßnahmen befugt, solange sie dabei nicht gegen verfassungsrechtlich verbürgte Garantien verstößt162. Das Polizeirecht in den USA ergibt sich demnach fast ausschließlich aus der Verfassung und der hierzu erfolgten Rechtsprechung, also aus Verfassungs- und Richterrecht. Die Verfassung und die gerichtlichen Entscheidungen begründen dabei keine konkreten Befugnisse der Polizei, sondern bestimmen deren Grenzen. ___________ 157

Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 433. Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 433. 159 Vgl. Gehring, Innere Sicherheit – USA, 79, 85 und 137. 160 Auch wenn von „power“-Befugnissen die Rede ist, handelt es sich nur um eine allgemeine Aufzählung von Aufgaben, ohne dass konkrete Befugnisse genannt würden. 161 Vgl. auch Gehring, Innere Sicherheit – USA, 84/86 162 Dies hat sich unter anderem im Gespräch mit mehreren Rechtsprofessoren in New York ergeben. 158

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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Das ergibt sich schon aus der Rechtsprechung zur Polizeigewalt, die diese nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen anerkennt163. Aber auch für die Ausübung der Polizeigewalt, also für die konkreten Maßnahmen der Polizei hat die Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt, dass diese durch das Verfassungsrecht begrenzt wird und unter unbedingter Beachtung der in der Verfassung garantierten Rechte zu erfolgen hat. Die Polizei der einzelnen Staaten ist also in ihren Befugnissen durch die Bundesverfassung, insbesondere durch die in der „Bill of Rights“ geregelten Grundrechte164, begrenzt, soweit diese durch den 14. Zusatzartikel auch für die einzelnen Staaten gilt165. Außerdem ist sie natürlich an die Verfassung des jeweiligen Gliedstaates gebunden166. Die Rechte aus der „Bill of Rights“ sind aber nicht uneingeschränkt gewährleistet. Vielmehr sind auch sie Begrenzungen ausgesetzt, soweit diese nötig sind, um die Gesundheit, Sicherheit, Moral oder generelle Wohlfahrt der Gesellschaft als Ganzes zu fördern. Die Aufgaben im Rahmen der Polizeigewalt können also ihrerseits einen Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Garantien rechtfertigen167. Durch die Rechtsprechung wurden insbesondere aus dem 4. Zusatzartikel, der Durchsuchung, Haft und Gewahrsam regelt, detaillierte Grenzen der Polizeitätigkeit hergeleitet. Diese verfassungsrechtlichen Grenzen sind teilweise in einfachen Gesetzen geregelt. Daneben sind die „due process clause“, die Gleichheitsgarantie (beide im 14. Zusatzartikel geregelt) und das Recht der freien Rede, Presse, Religion und Ansammlung (1. Zusatzartikel) als Beschränkung der polizeilichen Tätigkeit maßgeblich. Als wesentliche Grenze ergibt sich aus der „due process clause“, dass die Freiheit einer Person nicht ohne ordentliches Rechtsverfahren entzogen werden darf168. Die Gleichheitsgarantie gebietet nicht, dass Regelungen im Rahmen der Polizeigewalt auf alle gleichermaßen und in gleicher Weise angewendet werden müssen. Vielmehr genügt es, dass die geschaffenen Unterscheidungen angemessen und zweckmäßig sind und in angemessenem Verhältnis zum befolgten Zweck stehen169. Die Rechte des 1. Zusatzartikels sind grundsätzlich durch Regelungen einschränkbar, die angemessen und notwendig sind, um das öffentliche Wohl zu fördern und zu bewahren170. ___________ 163

Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 432. Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 440. 165 s. dazu oben B. VI. 1. a) cc). 166 Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 440. 167 Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 440. 168 American Jurisprudence, 2nd, Constitutional Law, § 353. 169 American Jurisprudence, 2nd, Constitutional Law, § 354. 170 American Jurisprudence, 2nd, Constitutional Law, § 359. 164

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

Eine wichtige Aufgabe der Polizei ist die Erhaltung der öffentlichen Ordnung („Order Maintenance“)171. Sie umfasst im Wesentlichen die Erhaltung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung. Darunter fallen Maßnahmen der Polizei, die die öffentliche Ordnung nach Gesetzesverstößen wieder herstellen, aber vor allem auch präventive Maßnahmen, bevor überhaupt gegen ein Gesetz verstoßen wurde. Es geht bei „Order Maintenance“ weniger um die Durchsetzung des Rechts als vielmehr um die Lösung bestimmter störender Situationen172. Gerade für diese präventiven Maßnahmen gibt es aber kaum gesetzliche Regelungen. Außerdem wird es in der amerikanischen Rechtswissenschaft als problematisch angesehen, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung nirgends definiert ist und auch nie unzweideutig geklärt werden kann. Das Verständnis von Ordnung hänge immer von der bestehenden Meinung oder Konvention ab173. Die rechtlichen Grenzen für das Tätigwerden der Polizei sind in diesem Bereich unklar. Die Polizei sei sich häufig selbst nicht im klaren darüber, wie sie zu handeln habe. „Order Maintenance“ sei daher ein Bereich, in dem die Polizei ohne Rückgriff auf das Recht und mit weitem Ermessen handele174.

2. Rechtliche Beurteilung der New Yorker Maßnahmen

Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“ Die zwei zentralen Maßnahmen im Rahmen der „Zero Tolerance“-Strategie waren Verhaftungen, also Ingewahrsamnahmen, und „stop and frisk“. In diesem Abschnitt werden die rechtlichen Grenzen dieser beiden Maßnahmen erläutert. Diese ergeben sich vor allem aus dem 4. Zusatzartikel und der dazu erfolgten Rechtsprechung und teilweise aus dem New Yorker Verfassungs- und Gesetzesrecht. Die Anforderungen an die Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“ richten sich unter anderem nach der Art der Straftat, die verhindert werden soll. Daher werden vorab die Klassifizierung der Straftaten nach New Yorker Recht und die Straftatbestände dargestellt, die typische Verhaltensweisen von Wohnungslosen, Bettlern und Trinkern untersagen und demzufolge unter die durch die New Yorker Strategie bekämpften „Quality of Life“-Delikte fallen. ___________ 171 Wilson, Varieties of police behavior: The management of law and order in eight communities, 16: Die wichtigste, aber auch problematischste Funktion der Polizei. 172 Wilson, Varieties of police behavior: The management of law and order in eight communities, 31. 173 Wilson, Varieties of police behavior: The management of law and order in eight communities, 21 f. 174 s. dazu: Langworthy/Travis, Policing in America, 11 f.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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a) Klassifizierung der Straftaten nach New Yorker Recht Im Strafrecht des Staates New York werden die Straftaten der Schwere nach eingeteilt und definiert175. Nach § 10.00 NY Penal Law gibt es fünf Kategorien von Straftaten: die Störung oder der Verstoß (offense), Verstöße gegen die Verkehrsregeln (traffic infraction), die Rechtsverletzung (violation), Vergehen (misdemeanor) und Verbrechen (felony176). Dabei wird „offense“ als ein Verhalten definiert, dass bei einer Verurteilung zu Inhaftierung oder Geldstrafe führt, die in Gesetzen des Staates, lokalem Recht, Verordnungen einer politischen Untergliederung des Staates oder in Regelungen der Exekutive, soweit diese durch Gesetz dazu ermächtigt ist, festgelegt sind177. „Traffic Infraction“ ist ein Verstoß gegen § 155 des Fahrzeug- und Verkehrsrechts178. „Violation“ ist ein Verstoß, der nicht unter „traffic infraction“ fällt und mit Gefängnisstrafe von höchstens fünfzehn Tagen sanktioniert ist179. „Misdemeanor“ ist ein Verstoß, der nicht unter „traffic infraction“ fällt und auf den eine Gefängnisstrafe von über 15 Tagen, nicht aber länger als ein Jahr folgt180. „Felony“ sind Verstöße, die mit Gefängnisstrafen über einem Jahr bestraft werden181. Die Unterscheidung zwischen „misdemeanor“ und „felony“ ähnelt der Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen im deutschen Recht. Gesetzesverstöße, die entweder unter die Definition von „misdemeanor“ oder „felony“ fallen, werden im New Yorker Gesetz als „crime“, also Straftat bezeichnet182.

___________ 175

Das Strafrecht ist in den USA bis auf wenige Ausnahmen Angelegenheit der einzelnen Staaten. 176 „Felony“ bedeutet eigentlich „Kapitalverbrechen“. Die rechtliche Einordnung entspricht aber eher dem deutschen Begriff „Verbrechen“. Daher wird felony in dieser Arbeit als „Verbrechen“ übersetzt. 177 § 10.00 (1) NY Penal Law: „‚Offense‘ means conduct for which a sentence to a term of imprisonment or to a fine is provided by any law of this state or by any law, local law or ordinance of a political subdivision of this state, or by any order, rule or regulation of any governmental instrumentality authorized by law to adopt the same.“ 178 § 10.00 (2) NY Penal Law: „‚Traffic infraction‘ means any offense defined as ‚traffic infraction‘ by section one hundred fifty-five of the vehicle and traffic law.“ 179 § 10.00 (3) NY Penal Law: ‚Violation‘ means an offense, other than a ‚traffic infraction‘, for which a sentence to a term of imprisonment in excess of fifteen days cannot be imposed. 180 § 10.00 (4) NY Penal Law: ‚Misdemeanor‘ means an offense, other than a ‚traffic infraction‘, for which a sentence to a term of imprisonment in excess of fifteen days may be imposed, but for which a sentence to a term of imprisonment in excess of one year cannot be imposed. 181 § 10.00 (5) NY Penal Law: ‚Felony‘ means an offense for which a sentence to a term of imprisonment in excess of one year may be imposed. 182 § 10.00 (6) NY Penal Law: ‚Crime‘ means a misdemeanor or a felony.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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b) „Disorderly conduct“, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Betteln und Lagern im öffentlichen Raum Im Zusammenhang mit der „Zero Tolerance“-Strategie und den oben erläuterten Maßnahmen gegen soziale Randgruppen sind einige Vorschriften des New Yorker Strafrechts besonders bedeutsam, die typische Verhaltensweisen von Wohnungslosen, Bettlern und Trinkern unter Strafe stellen. Diese stellen eine wesentliche Grundlage für das durch die New Yorker Strategie geforderte Vorgehen gegen „Quality of Life“-Delikte dar. Dass diese Verhaltensweisen als Delikte geregelt sind, ermöglicht insbesondere auch Ingewahrsamnahmen und „stop and frisk“183.

aa) „Disorderly Conduct“ Die zentrale Norm des Strafrechts zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Ordnung, ist § 240.20 NY Penal Law, die „disorderly conduct“, also „ordnungswidriges Verhalten“, unter Strafe stellt. Nach § 240.20 NY Penal Law „macht sich eine Person des ‚ordnungswidrigen Verhaltens‘ dann schuldig, wenn sie mit der Absicht, öffentliche Unannehmlichkeit, Ärgernis oder Unruhe zu verursachen oder unter der rücksichtlosen Inkaufnahme dieser 1. sich an einer Schlägerei beteiligt oder sich gewalttätig, aufrührerisch oder bedrohlich verhält; oder 2. unverhältnismäßigen Lärm macht; oder 3. im öffentlichen Raum beleidigende oder obszöne Sprache verwendet oder eine obszöne Geste macht; oder 4. ohne rechtliche Befugnis eine rechtmäßige Ansammlung oder Treffen von Personen stört; oder 5. den Fahrzeugoder Fußgängerverkehr stört; 6. sich mit anderen Personen an einem öffentlichen Platz versammelt und sich weigert, einer rechtmäßigen Anordnung der Polizei, sich zu zerstreuen, zu folgen; oder 7. einen gefährlichen oder körperlich anstößigen Zustand durch ein Verhalten schafft, das keinen legitimen Zweck verfolgt“184.

„Ordnungswidriges Verhalten“ wird als „violation“ eingestuft. ___________ 183

s. dazu sogleich B. VI. 2. c) und d). § 240.20 Disorderly conduct: „A person is guilty of disorderly conduct when, with intent to cause public inconvenience, annoyance or alarm, or recklessly creating a risk thereof: 1. He engages in fighting or in violent, tumultuous or threatening behavior; or 2. He makes unreasonable noise; or 3. In a public place, he uses abusive or obscene language, or makes an obscene gesture; or 4. Without lawful authority, he disturbs any lawful assembly or meeting of persons; or 5. He obstructs vehicular or pedestrian traffic; or 6. He congregates with other persons in a public place and refuses to comply with a lawful order of the police to disperse; or 184

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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bb) Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit Nach § 240. 40 NY Penal Law macht sich eine Person strafbar, wenn sie in der Öffentlichkeit unter Einfluss nicht-alkoholischer Drogen erscheint, wenn dieser Einfluss so stark ist, dass die Person sich selbst, andere oder fremdes Eigentum gefährden oder andere in ihrer Nähe belästigen könnte185. Die Norm wurde 1974 dahingehend geändert, dass das Erscheinen in der Öffentlichkeit im alkoholisierten Zustand nicht mehr strafbar ist, sondern nur die Folgen anderer Drogen. Damit sollte der Tatsache entsprochen werden, dass Alkoholsüchtige krank seien und keine Kriminellen186. Nach § 10-125 1 b) New York City Code ist „das Trinken oder Konsumieren von Getränken oder der Besitz von offenen Behältern, die alkoholische Getränke enthalten, in der Absicht, diese zu trinken oder zu konsumieren, auf allen öffentlichen Plätzen, mit der Ausnahme von Blockfesten, religiösen Festen oder ähnlichen Veranstaltungen, für die eine Erlaubnis eingeholt wurde“, verboten187. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kann nach Abs. 1 e) mit einer Strafe bis zu 100 US$ bestraft werden. Die Geldstrafe wurde 1996 von 25 US$ auf nunmehr 100 US$ erhöht, dafür ist die vorher vorgesehen Gefängnisstrafe von bis zu fünf Tagen entfallen. Damit ist ein Verstoß hiergegen auch als „violation“ anzusehen. § 1-05 (f) Parks Department Regulations stellt das Trinken und den Besitz von alkoholischen Getränken in Parks, auf Spielplätzen, an Stränden und in

___________ 7. He creates a hazardous or physically offensive condition by any act which serves no legitimate purpose. Disorderly conduct is a violation.“ 185 NY Penal Law § 240.40 Appearance in public under the influence of narcotics or a drug other than alcohol: „A person is guilty of appearance in public under the influence of narcotics or a drug other than alcohol when he appears in a public place under the influence of narcotics or a drug other than alcohol to the degree that he may endanger himself or other persons or property, or annoy persons in his vicinity. Appearance in public under the influence of narcotics or a drug other than alcohol is a violation.“ 186 NY Penal Law § 240.40, Practice Commentary, Main Volume 1999, West Group, 2003. Der Unterschied zu Suchtkranken die von anderen Drogen abhängig sind, wurde dabei aber nicht benannt. 187 § NYC Code § 10-125 1 Consumption of alcohol on streets prohibited: […] b) „No person shall drink or consume an alcoholic beverage, or possess, with intent to drink or consume, an open container containing an alcoholic beverage in any public place except at a block party, feast or similar function for which a permit has been obtained.“

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Schwimmbädern unter Strafe, soweit dies nicht durch die Parks Commission gesondert erlaubt ist188. Nach § 1-04 (m) (2) Parks Department Regulations ist es verboten, in einem Park mit einer anderen oder mehreren Personen herumzulungern oder sich aufzuhalten, um illegal Alkohol zu trinken, zu besitzen, zu kaufen, zu verteilen oder zu verkaufen189. Es handelt sich jeweils um Vergehen (misdemeanor).

cc) Lagern und Betteln Nach § 240.35 Nummer 1 NY Penal Law macht sich derjenige des Tatbestandes des „loitering“, also Lagerns oder Herumlungerns, schuldig, der zum Zwecke des Bettelns auf einem öffentlichen Platz „herumlungert“, bleibt oder sich herumtreibt190. Diese Vorschrift wurde jedoch 1993 durch den New York Court of Appeals wegen Verstoßes gegen den 1. Zusatzartikel für unwirksam erklärt191. Im 1996 eingeführten § 10-136 New York City Code sind bestimmte Formen des aggressiven Ansprechens unter Strafe gestellt. Nach § 10-136 b) (1) ist das Ansprechen, Bitten oder Betteln in aggressiver Art und Weise im öffentlichen Raum verboten192. § 10-136 a) (1) definiert aggressive Art und Weise als „(a) das Sichnähern oder Ansprechen oder Verfolgen einer Person, bevor, während oder nachdem diese um etwas gebeten wird, wenn dieses Verhalten in der Absicht durchgeführt wird oder wahrscheinlich dazu führen kann, dass eine vernünftige Person (i) körperliche Angst, den Verlust von Eigentum oder die Begehung (einer näher bestimmten) Straftat für sich selbst oder jemanden anderen befürchtet; (ii) auf sonsti-

___________ 188

Parks Department Regulations § 1-05. Regulated Uses: (f) Alcoholic beverages. (1) „Except where specifically permitted by the Commissioner, no person shall consume any alcoholic beverage in any park, playground, beach, swimming pool or other park property or facility, nor shall any person possess any alcoholic beverage with intent to consume or facilitate consumption by others of same in any park, playground, beach, swimming pool, or other park property or facility.“ 189 § 1-04. Prohibited Uses: (m) Loitering for illegal purposes: „It shall be a violation of these rules to engage in loitering for illegal purposes in a park. Any person in any park shall be guilty of loitering for illegal purposes who: […] (2) loiters or remains in any park with one or more persons for the purpose of unlawfully using, possessing, purchasing, distributing, selling or soliciting […] alcohol […].“ 190 NY Penal Law § 240.35 Loitering: „A person is guilty of loitering when he: 1. Loiters, remains or wanders about in a public place for the purpose of begging; […].“ 191 Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993); s. B VI. 3. b). 192 NYC Code § 10-136: „Prohibition against certain forms of aggressive solicitation: b) (1) No person shall solicit, ask or beg in an aggressive manner in any public place.“

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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ge Weise dadurch so unter Druck gesetzt wird, dass sie Geld oder andere Wertgegenstände gibt; oder (iii) unverhältnismäßige Unannehmlichkeiten, Ärgernisse oder Unruhe erfährt; (b) das absichtliche Berühren oder Verursachen von körperlichem Kontakt mit einer anderen Person oder einem besetzten Fahrzeug, ohne dass ein Einverständnis der Person vorliegt; (c) das absichtliche Blockieren oder die Beeinträchtigung des sicheren und freien Durchgangs des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich der Mittel, die einen Fußgänger oder ein Fahrzeug dazu zwingen auszuweichen, um physischen Kontakt zu vermeiden; oder (d) die Anwendung von Gewalt oder drohenden Gesten gegen die angesprochene Person.“193

Nach § 10-136 b) (2) ist das Ansprechen, Bitten und Betteln vor Eingängen von Banken oder Geldautomaten ohne Beschränkung auf die aggressive Art und Weise verboten194. Bei Verletzung dieser Vorschriften ist ein Vergehen (misdemeanor) verwirklicht195. Nach Nr. 1050.6 (b) der Transit Authority Rules ist das Betteln im gesamten Bereich der Transit Authority, also in U-Bahnen und im gesamten U-BahnSystem, in Bussen und Busstationen verboten. Es handelt sich um einen Rechtsverstoß (violation). Diese Vorschrift wurde im Gegensatz zu NY Penal Law § 240.35 Nummer 1 für verfassungsgemäß erklärt196. Daneben ist es nach § 16-122 b) New York City Administrative Code auch strafbar, Kisten, Fässer, Bündel oder anderes bewegliches Eigentum auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu lagern oder dort Schuppen, Gebäude oder andere ___________ 193 NYC Code § 10-136: „Prohibition against certain forms of aggressive solicitation: a) a. Definitions. For purposes of this section: (1) ‚Aggressive manner‘ shall mean: (a) Approaching or speaking to a person, or following a person before, during or after soliciting, asking or begging, if that conduct is intended or is likely to cause a reasonable person to (i) fear bodily harm to oneself or to another, damage to or loss of property, or the commission of any offense as defined in section ten of the penal law upon oneself or another, or (ii) otherwise be intimidated into giving money or other thing of value, or (iii) suffer unreasonable inconvenience, annoyance or alarm; (b) Intentionally touching or causing physical contact with another person or an occupied vehicle without that person's consent in the course of soliciting, asking or begging; (c) Intentionally blocking or interfering with the safe or free passage of a pedestrian or vehicle by any means, including unreasonably causing a pedestrian or vehicle operator to take evasive action to avoid physical contact; or (d) Using violent or threatening gestures toward a person solicited.“ 194 NYC Code § 10-136 b) (2): „No person shall solicit, ask or beg within ten feet of any entrance or exit of any bank or check cashing business during its business hours or within ten feet of any automated teller machine during the time it is available for customers’ use. […].“ 195 NYC Code § 10-136 d) Penalties. „Any violation of the provisions of this section shall constitute a misdemeanor punishable by imprisonment for not more than sixteen days or by a fine not to exceed one hundred dollars, or by both.“ 196 Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146 (2d Cir.) 498 U.S. 984, 111 S.Ct. 516, 112 L.Ed.2d 528 (1990); s. dazu unten B. VI. 3. b).

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

Hindernisse zu errichten197. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist ein Rechtsverstoß (violation). Diese Vorschrift wurde nach dem in Abs. a) beschriebenen Gesetzeszweck ursprünglich wegen des anwachsenden Problems von verlassenen Autos auf New Yorks Straßen erlassen198. In einer Art Handbuch des New York City Police Departments für Möglichkeiten, gegen „Quality of Life“Delikte vorzugehen, wird sie hingegen Deliktstatbestand gegen das Nächtigen und Lagern von Wohnungslosen auf den Straßen und das damit verbundene Aufbauen von Matratzen oder Hütten angeführt199. Das Nächtigen oder Lagern auf Bänken und Kampieren im Park ist in §§ 1-04 (m) und (o) Parks Department Regulations untersagt. Nach § 1-04 (m) ist das Herumlungern für illegale Zwecke verboten200. Nach § 1-04 (o) ist es untersagt, eine Bank oder andere Sitzgelegenheit so zu nutzen, dass die Nutzung durch andere Personen gestört wird, einschließlich des Lagerns von Materialien darauf201. Es handelt sich um ein Vergehen (misdemeanor).

___________ 197 New York City Administrative Code § 16-122. Vehicles and other movable property: „b. It shall be unlawful for any person, such person's agent or employee to leave, or to suffer or permit to be left, any box, barrel, bale of merchandise or other movable property whether or not owned by such person, upon any marginal or public street or any public place, or to erect or cause to be erected thereon any shed, building or other obstruction.“ 198 New York City Administrative Code § 16-122. Vehicles and other movable property: „a. Legislative intent. The need for this legislation is indicated by the ever increasing number of abandoned cars in the city of New York. The purpose of this section is to punish those per-sons who abandon and/or remove component parts of motor vehicles in public streets. It is not the intent to prohibit or preclude any person in lawful possession of a vehicle from making lawful repairs or removing any component part for the purpose of making such lawful repairs to a motor vehicle on a public street.“ 199 Quality of Life Enforcement Options. A Reference Guide bei: Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/35, 37. 200 Parks Department Regulations § 1-04. Prohibited Uses: (m) Loitering for illegal purposes: „It shall be a violation of these rules to engage in loitering for illegal purposes in a park. Any person in any park shall be guilty of loitering for illegal purposes who:

(1) loiters or remains in a park for the purpose of engaging, or soliciting another person to engage, in sexual activity for money; or (2) loiters or remains in any park with one or more persons for the purpose of unlawfully using, possessing, purchasing, distributing, selling or soliciting marijuana, alcohol or any controlled substance, as defined in § 220.00 of the New York State Penal Law.“ 201 Parks Department Regulations § 1-04. Prohibited Uses: (o) Obstruction of sitting areas. „No person shall use a bench or other sitting area so as to interfere with its use by other persons, including storing any materials thereon.“

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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c) Gewahrsam Die rechtlichen Grenzen der Maßnahme Gewahrsam, also von Verhaftungen, ergeben sich aus dem 4. Zusatzartikel der Verfassung, der dazu erfolgten Rechtsprechung und den speziellen gesetzlichen Bestimmungen des Staates New York.

aa) Anwendbarkeit des 4. Zusatzartikels Der 4. Zusatzartikel besagt, dass „das Recht auf Sicherheit der Person, des Hauses, der Papiere, der Vermögenswerte gegen unangemessene Durchsuchungen und Beschlagnahmen beziehungsweise Verhaftungen nicht verletzt werden soll und dass keine Haft- oder Durchsuchungsbefehle (warrant) ohne das Vorliegen eines hinreichenden Grundes (probable cause) ausgestellt werden sollen […]“202. Der Gewahrsam (arrest) wird nicht ausdrücklich im 4. Zusatzartikel genannt. Dieser spricht aber vom Recht auf Sicherheit der Person („right of the people to be secure in their persons“). Daraus wird unstrittig geschlossen, dass auch ein unverhältnismäßiges Festhalten der Person („unreasonable seizure of the person“) und damit der Gewahrsam unter den Schutz des 4. Zusatzartikels fällt203. Der 4. Zusatzartikel ist einschlägig, wenn die Privatsphäre einer Person betroffen ist, indem ihre Bewegungsfreiheit beschränkt wird204. Erfasst ist jede Form der Gefangennahme der Person, auch ein nur kurzes Festhalten, das keinen traditionellen Arrest darstellt205.

bb) „Warrant“ Grundsätzlich ist für Maßnahmen die unter den 4. Zusatzartikel fallen ein schriftlicher Haftbefehl beziehungsweise eine richterliche Anordnung notwendig (warrant). Ein „warrant“ im Sinne des 4. Zusatzartikels ist eine schriftliche ___________ 202 „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no warrants shall issue, but upon probable cause […].“ Zur Bindung der Bundesstaaten durch den 14. Zusatzartikel: Corpus Juris Secundum, Constitutional Law, § 1003; Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/104 f.; s. oben B. VI. 1. a) cc). 203 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1, 88 S.Ct. 1868, 20 L.Ed.2d 889 (1968); Henry v. United States, 361 U.S. 98, 80 S.Ct. 168, 4 L.Ed.2d 134 (1959); USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 745. 204 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 205 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 746.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Anordnung, die von einem hierfür qualifizierten Gerichtsbeamten ausgestellt und von einem Richter oder Magistrat bewilligt wird und der Polizei die Befugnis gibt, eine der Anordnung entsprechende Durchsuchung oder Festnahme durchzuführen206. Ob eine Ingewahrsamnahme ohne schriftliche Anordnung möglich ist, wird anhand verschiedener Auslegungsmöglichkeiten des 4. Zusatzartikels diskutiert. Dabei geht es um das Verhältnis des ersten Teils, der unverhältnismäßige Maßnahmen verbietet (reasonableness clause)207, zum zweiten Teil, der das Vorliegen einer schriftlichen Anordnung regelt (warrant clause)208. Die herrschende Anschauung liest den ersten Satz als zusätzliche Befugnis, sodass es auch Maßnahmen geben kann, die ohne vorherige schriftliche Anordnung ergehen, aber trotzdem verhältnismäßig im Sinne des 4. Zusatzartikels sind. In welchen Fällen eine vorherige schriftliche Anordnung entfallen kann, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Supreme Court, der zahlreiche Ausnahmen aufgrund des öffentlichen Interesses anerkannt hat209. Die Maßnahmen sind aber nie zulässig, wenn nicht ein hinreichender Verdacht (probable cause) vorliegt210. Eine Ausnahme zum Erfordernis der vorherigen schriftlichen Anordnung besteht nach der Rechtsprechung des Supreme Court, wenn die Polizei berechtigte Gründe hatte, anzunehmen (reasonable grounds to believe), dass ein Verbrechen (felony) begangen wurde. Dabei ist der Standard für die Bewertung der berechtigten Gründe derselbe, wie für den hinreichenden Verdacht (probable cause)211. Bei minderschweren Delikten (misdemeanor) hingegen ist eine Verhaftung ohne „warrant“ nur möglich, wenn das Delikt in Anwesenheit eines Polizisten begangen wurde oder noch begangen wird212. Nach der „Common Law“-Regel war das nicht bei jedem minderschweren Delikt, sondern nur bei Delikten, die unter den Begriff „Breach of the Peace“ fallen zulässig. „Breach of the Peace“ (Störung des Friedens, von Ruhe und Ordnung) ist kein bestimmter Straftatbestand. Vielmehr sind hierunter alle Straftatbestände zu ___________ 206

La Grange, Policing American Society, 194. „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated […].“ 208 „[…] and no Warrants shall issue, but upon probable cause […].“ 209 La Fave, Search and Seizure, Chapter 4, § 4.1, 1; Gerstein v. Pugh, 420 U.S. 103, 113, 95 S.Ct. 854, 43 L.Ed. 2d 54 (1975); US. v. Watson, 423 U.S. 411, 96 S.Ct. 820, 46 L.Ed. 2d 598 (1976). 210 La Fave, Search and Seizure, Chapter 3, § 3.1, 2. 211 La Grange, Policing American Society, 199; La Fave, Search and Seizure, Chapter 5, 3 5.1, 5. 212 La Grange, Policing American Society, 199; La Fave, Search and Seizure, Chapter 5, § 5.1, 5. 207

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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fassen, die zu einer Störung des öffentlichen Friedens führen213. In den meisten Staaten sind mittlerweile weitere gesetzliche Regelungen in Kraft, die eine Verhaftung ohne vorherige schriftliche Anordnung bei jedem minderschweren Delikt zulassen, dass in Anwesenheit des handelnden Polizisten begangen wurde214. In den Gesetzen einiger weniger Staaten wird das Erfordernis der Anwesenheit des Polizisten vollständig ausgelassen215. Hier sind Verhaftungen ohne vorherige schriftliche Anordnung für Verbrechen ebenso wie für minderschwere Delikte möglich, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die verhaftete Person eine Straftat begangen hat. Auch im Staat New York ist die Verhaftung ohne vorherige schriftliche Anordnung nach § 140.10 1 (b) N.Y. Crim. Proc. Law möglich, „wenn der Polizist einen begründeten Grund hat, anzunehmen, dass die betroffene Person eine Straftat (crime) begangen hat, unabhängig davon, ob dies in seiner Anwesenheit oder nicht geschehen ist“216. Bei einer Verhaftung wegen einer bloßen Störung beziehungsweise Gesetzesverstoßes (offense), somit also auch bei einer Rechtsverletzung (violation), ist es hingegen nach § 140.10 1 (a) N.Y. Crim. Proc. Law notwendig, dass der Polizist Grund zur Annahme hatte, dass diese gerade in seiner Anwesenheit begangen wurde217. Von den oben aufgeführten „Quality of Life“-Delikten218 sind der Alkoholkonsum in Parks und auf Spielplätzen219, das aggressive Betteln220 und das Nächtigen und Lagern auf Bänken beziehungsweise Kampieren im Park221 als Vergehen (misdemeanor) strafbar. Eine Ingewahrsamnahme ist in diesen Fällen ohne vorherige schriftliche Anordnung unabhängig davon zulässig, ob die vermutete Tat in Anwesenheit des Polizisten begangen wurde. Die übrigen De___________ 213

Gehring, Innere Sicherheit – USA, 136. La Fave, Search and Seizure, Chapter 5, § 5.1, 5. 215 Zusammenfassung zu den Gesetzen der einzelnen Staaten: Schroeder, Warrantless Misdemeanor Arrests and the Fourth Amendment, Missouri Law Review 1993, 783. 216 N.Y. Crim. Proc. Law S 140.10: 1. Subject to the provisions of subdivision two, a police officer may arrest a person for: […] „(b) A crime when he has reasonable cause to believe that such person has committed such crime, whether in his presence or otherwise […].“ 214

217 N.Y. Crim. Proc. Law S 140.10: 1. Subject to the provisions of subdivision two, a police officer may arrest a person for: „(a) Any offense when he has reasonable cause to believe that such person has committed such offense in his presence; and […].“ Zur Klassifizierung der Straftaten im New Yorker Recht s. B. V. 4. b) cc) (3). 218 s. B. VI. 2. b). 219 § 1-05 (f) Parks Department Regulations. 220 § 10-136 New York City Code. 221 §§ 1-04 (m) und (o) Parks Department Regulations.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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likte „disorderly conduct“222, der Alkoholkonsum im übrigen öffentlichen Raum223, das Betteln in der U-Bahn224 und das Abstellen von Hindernissen im öffentlichen Raum225 sind als Rechtsverletzung (violation) strafbar. In diesen Fällen kommt es für die Entbehrlichkeit der vorherigen Anordnung also drauf an, ob die Tat vermutlich in Anwesenheit des Polizisten begangen wurde. Wurde eine Maßnahme, die unter den 4. Zusatzartikel fällt, ohne „warrant“ durchgeführt, muss sofort eine schriftliche und beeidigte Anzeige oder eine eidesstattliche Erklärung erstattet werden. Außerdem ist der Verhaftete unverzüglich einem Magistraten vorzuführen, der entscheidet, ob die Voraussetzung des „probable cause“ vorlagen226.

cc) „Probable Cause“ Der Haftbefehl darf nicht ohne „probable cause“ ergehen, also nicht ohne hinreichenden Grund beziehungsweise hinreichenden Verdacht227. Der hinreichende Verdacht muss dahingehend bestehen, dass die betroffene Person eine Straftat begangen hat oder begehen wird. Unter Straftat in diesem Sinne sind alle nach der oben dargestellten Klassifizierung genannten Delikte zu verstehen, also auch bereits eine bloße Störung oder Verstoß (offense)228. Eine konkrete Definition für den hinreichenden Verdacht ist schwer zu fassen. Zumindest muss eine begründete Überzeugung vorliegen, die mehr als ein bloßer Verdacht sein muss, aber weniger als sicheres Wissen sein kann229. Nach der Rechtsprechung des Supreme Court ist „probable cause“ dann gegeben ist, wenn eine „vernünftige, taktvolle und besonnene Person annehmen würde“230, dass eine andere Person eine Straftat begangen hat oder begehen wird231. Dabei ist von der Sichtweise eines Polizisten unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und Erfahrung am Ort und zum Zeitpunkt der durchgeführten Maßnahme auszugehen232. ___________ 222

§ 240.20 NY Penal Law. § 10-125 1 b) New York City Code. 224 Nr. 1050.6 (b) der Transit Authority Rules. 225 § 16-122 b) New York City Administrative Code. 226 Hay, US-Amerikanisches Recht, 291; La Fave, Search and Seizure, Chapter 5, § 5.1, 15. 227 Vgl. Gehring, Innere Sicherheit – USA; 91; Hay, US-Amerikanisches Recht, 291. 228 La Fave, Search and Seizure, Chapter 3, § 3.2, 1. 229 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 230 Dumbra v. United States, 268 U.S. 435, 69 LEd 1032, 45 SCt 546 (1925): „a reasonable, discreet and prudent man would be led to believe.“ 231 La Fave, Search and Seizure, Chapter 3, § 3.2, 1. 232 La Fave, Search and Seizure, Chapter 3, § 3.2, 1. 223

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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Die oben genannten „Quality of Life“-Delikte stellen entweder ein Vergehen (misdemeanor) oder eine Rechtsverletzung (violation) dar233. Sie fallen daher unter den Begriff der Straftat im Sinne der Definition für den hinreichenden Verdacht. Es genügt demnach der hinreichende Verdacht für die Begehung einer solchen Straftat, um eine Ingewahrsamnahme zu rechtfertigen.

dd) „Reasonableness“ Der 4. Zusatzartikel schützt außerdem vor unverhältnismäßigen Maßnahmen (unreasonable search and seizure). Die Ingewahrsamnahme muss also auch verhältnismäßig sein. Dabei sollen das öffentliche Interesse, dass durch die Verhaftung verfolgt wird, die Geeignetheit der Maßnahme, dieses Interesse zu fördern, und die Stärke des Eingriffs in die individuelle Freiheit miteinander abgewogen werden234. Diese Abwägung hat wiederum aus der Sicht eines vernünftigen Polizisten in der konkreten Einsatzsituation, also der Ex-ante-Perspektive im Gegensatz zu der mit mehr Wissen angefüllten Ex-post-Perspektive zu erfolgen235.

ee) Weitere Voraussetzungen nach New Yorker Gesetzesrecht § 140.15 NY Crim. Proc. regelt die weiteren Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 140.10. Danach kann die Ingewahrsamnahme zu jeder Tages- und Nachtzeit erfolgen. Der Polizist muss die betroffene Person über seine Befugnis und den Grund der Festnahme informieren, wenn nicht physischer Widerstand oder Fluchtgefahr bestehen, die diese vorherigen Informationen praktisch unmöglich machen. Der Polizist kann auch Gewalt zur Durchsetzung der Ingewahrsamnahme anwenden und Gebäude betreten, wenn er annimmt, die Person befinde sich in diesen. Die Rechtmäßigkeit der angewendeten Gewalt und des Betretens von Gebäuden ist wiederum in New Yorker Gesetzen geregelt236. ___________ 233

s. dazu oben B. VI. 2. b). USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 776. 235 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 776. 236 NY Crim. Proc. Law § 140.15 Arrest without a warrant; when and how made by police officer: „1. A police officer may arrest a person for an offense, pursuant to section 140.10, at any hour of any day or night. 234

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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d) „Stop and frisk“ Nachdem die „stop and frisk“-Praxis der Polizei in der amerikanischen Rechtswissenschaft zunächst unbeachtet blieb, wurde sie in den frühen sechziger Jahren zu einem viel diskutierten Thema in juristischen Artikeln und Gegenstand einiger Gerichtsentscheidungen. Diese Diskussion erreichte ihren Höhepunkt, als der Supreme Court das erste Mal direkt mit dem Problem von „stops and frisks“ in der Entscheidung Terry v. Ohio237 konfrontiert wurde. Die Praxis der „stops and frisks“ ist eine althergebrachte Maßnahme der Polizei. Sie wird als von der Verhaftung oder Ingewahrsamnahme im Sinne des 4. Zusatzartikel zu unterscheidendes Mittel zur Durchsetzung des Rechts angesehen, weil sie einen geringeren Eingriff darstellt, aber noch einen Verdacht voraussetzt238. Die lange Nichtbeachtung der Relevanz dieser Praxis vor dem 4. Zusatzartikel durch die amerikanische Rechtswissenschaft wird auch damit begründet, dass es sich um eine wenig auffällige Polizeimaßnahme handelt239. Die Voraussetzungen, unter denen die Polizei eine Person anhalten und befragen oder durchsuchen darf, wurden durch den Supreme Court in Terry v. Ohio240 entwickelt. In diesem Fall wurde sowohl festgestellt, wann ein Anhalten und die oberflächliche Durchsuchung unter den 4. Zusatzartikel fällt als auch welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit die Maßnahme vor der Verfassung besteht. Die zentrale Frage war, ob immer eine unangemessene Maßnahme und damit ein Verstoß gegen den 4. Zusatzartikel vorliegt, wenn eine Person angehalten und nach Waffen durchsucht wird und kein hinreichender Verdacht (probable cause) vorliegt.

___________ 2. The arresting police officer must inform such person of his authority and purpose and of the reason for such arrest unless he encounters physical resistance, flight or other factors rendering such procedure impractical. 3. In order to effect such an arrest, such police officer may use such physical force as is justifiable pursuant to section 35.30 of the penal law. 4. In order to effect such an arrest, a police officer may enter premises in which he reasonably believes such person to be present, under the same circumstances and in the same manner as would be authorized, by the provisions of subdivisions four and five of section 120.80, if he were attempting to make such arrest pursuant to a warrant of arrest.“ 237

Terry v. Ohio, 392 U.S. 1 (1968). Terry v. Ohio, 392 U.S. 1/27 (1968). 239 La Fave, Search and Seizure, Chapter 9, § 9.1, 1 f. 240 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1 (1968). 238

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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aa) Anwendbarkeit des 4. Zusatzartikels Zunächst war also zu klären, ob „stop and frisk“-Maßnahmen sind, die in den Schutzbereich des 4. Zusatzartikels fallen. Das Anhalten einer Person und ihre Befragung fällt nicht immer unter den Schutz des 4. Zusatzartikels. Erst wenn die Befragung zum Festhalten oder einer Festnahme wird, unabhängig davon, wie kurz diese ist, muss sie den Anforderungen des 4. Zusatzartikels entsprechen. Ein Festhalten oder eine Festnahme in diesem Sinne liegt dann vor, wenn die angehaltene Person sich verpflichtet fühlt, stehen zu bleiben und auf die Fragen des Polizisten zu antworten. Das ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die Person durch physische Gewalt aufgehalten wird oder aber der Polizist in Anspruchnahme seiner Hoheitsgewalt handelt, um sie anzuhalten241. Der Betroffene muss sich gerade der Hoheitsgewalt ergeben, sonst liegt kein Festhalten im Sinne des 4. Zusatzartikels vor242. Die Wirkung der physischen Gewalt oder auch der Demonstration von Autorität durch die Polizei müssen derart sein, dass eine vernünftige Person nicht das Gefühl hätte, frei gehen zu dürfen243. Für eine solche Situation spricht unter anderem, wenn die Anwesenheit eines Polizisten bedrohlich wirkt, Waffen gezeigt werden, körperlicher Kontakt durch einen Polizisten hergestellt wird, die Sprache impliziert, dass eine Verpflichtung besteht, der Aufforderung der Polizei nachzukommen, oder aber der Betroffene aufgefordert wird, dem Polizisten zur Polizeistation zu folgen244. Danach fallen „stop and frisk“ unter den 4. Zusatzartikel.

bb) „Warrant“ und „Probable Cause“ Nachdem festgestellt wurde, dass „stop and frisk“ unter den 4. Zusatzartikel fallen, waren die Voraussetzungen, die sich daraus an ihre Verfassungsmäßigkeit ergeben, zu klären. Ein Anhalten kann, wie oben erwähnt, auch ohne vorherige schriftliche Anordnung verfassungsmäßig sein. Das lässt aber nicht die Anforderung des hinreichenden Verdachts (probable cause) entfallen245. Die konkreten Anforderungen an das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts (probable cause) wurden vom Supreme Court je nach Reichweite der jeweiligen Maßnahme abgestuft, im Wesentlichen werden drei Fallgruppen un___________ 241 La Fave, Search and Seizure; Chapter 5, § 5.1, 2; Chapter 9, § 9.1, S. 4; United States v. Mendenhall, 446 U.S. 544, 100 S.Ct. 1870, 64 L.Ed.2d 497 (1980). 242 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 748. 243 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 748. 244 United States v. Mendenhall, 446 U.S. 544/545 (1980). 245 s. oben B. VI. 2. c) cc).

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

terschieden246. Die erste Stufe umfasst „arrests“, also tatsächliche Haft oder Gewahrsam. Für einen solchen wird, wie oben erläutert, verlangt, dass die Polizei einen hinreichenden Grund zur Annahme hat (probable cause to believe), dass die betroffene Person eine Straftat begangen hat oder noch begehen wird. Die zweite Stufe umfasst so genanntes untersuchendes Anhalten (investigatory stops), das auf ein kurzes, nicht aggressives Festhalten beschränkt ist. Diese stops werden auch „Terry stops“ genannt, weil die Anforderungen dazu in Terry v. Ohio247 entwickelt wurden. Die dritte Stufe umfasst das Anhalten von Personen ohne Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Darunter versteht man Befragungen ohne Zwang, bei denen die Polizei um die freiwillige Kooperation des Bürgers ersucht. Diese „stops“ sind ohne jeden Verdacht möglich, weil sie mit Einverständnis des Betroffenen ergehen und daher schon nicht unter den Schutz des 4. Zusatzartikels fallen248. Solche Befragungen können auch Fragen nach der Identität des Betroffenen beinhalten, solange keinerlei Zwangsmittel eingesetzt werden, der Betroffene also nicht das Gefühl hat, verpflichtet zu sein, auf die Fragen zu antworten249. „Stop and frisk“ fallen unter die Kategorie der Terry stops. Für diese wurden die Voraussetzungen an das Vorliegen des probable cause abgeschwächt, weil das Anhalten zur Befragung nicht als schwerer Eingriff gewertet wird250. Die Voraussetzung des hinreichenden Verdachts solle gerade einen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verhütung und Aufklärung von Straftaten und dem Recht auf Privatsphäre und Sicherheit des Einzelnen sein. Daher könne der hinreichende Verdacht nicht nur als unflexibler Maßstab verstanden werden, sondern es müsse beachtet werden, inwieweit diese Interessen betroffen seien251. Demnach soll es in den Fällen von „stop and frisk“ genügen, wenn ein begründeter Verdacht (reasonable suspicion) oder artikulierbare Gründe (articulable reasons) vorliegen. Darunter versteht der Supreme Court weniger als den hinreichenden Verdacht (probable cause), aber mehr als ein bloßes Gefühl252. Ein begründeter Verdacht liegt vor, wenn der Polizist, aufgrund von Erfahrungen, Beobachtungen oder Informationen, annimmt, dass eine kriminelle Tat im Gange ist, die ein polizeiliches Eingreifen rechtfertigt253. ___________ 246 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 741. 247 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1 (1968). 248 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 741. 249 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, XI. Seizure or Persons Generally, Nr. 764. 250 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1/27 (1968). 251 La Fave, Search and Seizure, Chapter 9, § 9.1, 5. 252 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 253 Terry v. Ohio, 392 U.S. 1/30.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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Das Anhalten der Person darf für das Vorliegen eines „stop and frisk“ jedoch nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falls erforderlich ist. Ebenso darf die Befragung der Person nicht weiter gehen, als zur Aufklärung des Verdachts notwendig254, ansonsten liegt ein Gewahrsam vor, für den die oben beschriebenen strengeren Voraussetzungen gelten.

cc) Weitere Voraussetzungen aus der New Yorker Verfassung und nach New Yorker Gesetzesrecht Die Gerichte und Gesetzgeber der einzelnen Staaten können entweder aufgrund von Vorgaben der Staatsverfassung oder aus politischen Gründen gegenüber der Bundesverfassung strengere Anforderungen stellen. Das ist für „stop and frisk“ im Staat New York geschehen. Die Verfassung des Staates New York gewährt in Art. 1 Abs. 12 ebenso wie der 4. Zusatzartikel das Recht, gegen unverhältnismäßige Durchsuchungen und Beschlagnahmen beziehungsweise Verhaftungen sicher geschützt zu sein, solange kein hinreichender Verdacht vorliegt255. In Bezug darauf hat der New York Court of Appeals in People v. De Bour256 eine im Vergleich zu den Entscheidungen des Supreme Courts differenziertere Abstufung vorgenommen und unterteilt nach vier Fallgruppen. Danach gilt der Schutz des Art. 1 Abs. 12 New Yorker Verfassung auch schon für Maßnahmen, die noch keinen Eingriff in den 4. Zusatzartikel der Bundesverfassung darstellen würden. Die erste Stufe stellt den geringsten Eingriff dar. Sie ermächtigt den Polizisten, nach der Identität, dem Grund der Anwesenheit an einem bestimmten Ort und den weiteren Plänen der Fortbewegung zu fragen, wenn dafür ein „objektiver, glaubwürdiger Grund, der nicht unbedingt auf eine Straftat schließen lassen muss“, vorliegt257. Die zweite Stufe des de Bour Standards umfasst das Ansprechen und eine genauere Befragung, die über die Identität und die Pläne zur Fortbewegung hinaus gehen kann. Es ist aber unzulässig, die betroffene Person festzuhalten. Es muss dem Betroffenen immer frei stehen, sich zu entfernen. Auch diese zweite Stufe ist noch kein „Terry Stop“ nach dem 4. Zusatzartikel, trotzdem wird wie bei diesem das Vorliegen eines begründeten Verdachts, dass eine Straftat begangen wird, gefordert. Der Begriff Straftat meint hier jede „kriminelle Aktivität“258. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten ___________ 254

La Grange, Policing American Society, 200. New York Constitution Artikel 1 Abs. 12: „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated […] but on probable cause.“ 256 People v. De Bour, 40 N.Y. 2d 210, 386 N.Y.S. 2d 375 (1976). 257 People v. De Bour, 40 N.Y. 2d 210, 386 N.Y.S. 2d 375/384 (1976). 258 People v. De Bour, 40 N.Y. 2d 210, 386 N.Y.S. 2d 375/385 (1976). 255

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Stufe ist sehr subtil. Er wird vom Inhalt und der Zahl der Fragen abhängig gemacht und davon, inwieweit die Sprache und die Art der Fragen das Zusammentreffen von einem bloß störenden Vorfall, der unter die erste Stufe fällt, zu einem einschüchternden der zweiten Stufe werden lässt259. Die dritte Stufe nach People v. De Bour ist gegeben, wenn der Polizist die Person gegen deren Willen anhält, also nach Terry v. Ohio ein „stop“ vorliegt260. Für Maßnahmen dieser Stufe erweitert der New York Court of Appeals die Anforderungen gegenüber denen aus Terry v. Ohio; er fordert, dass ein begründeter Verdacht besteht, dass gerade eine bestimmte Person ein Vergehen (misdemeanor) oder Verbrechen (felony) verübt hat oder dass solche begangen werden sollen261. Das ist auch in § 140.50 (1) N.Y. Crime Proc. Law so geregelt. Dieser bestimmt gesondert die Voraussetzungen für vorübergehende Befragungen auf öffentlichen Plätzen und die Durchsuchung nach Waffen. In Abs. 1 regelt er, dass ein Polizist neben der Befugnis, eine Person ohne Haftbefehl festzunehmen, eine Person, die sich in seinem Zuständigkeitsbereich befindet, anhalten darf, wenn er den begründeten Verdacht hat, dass diese Person ein Verbrechen oder Vergehen nach New York Penal Law begangen hat oder begehen wird. Er darf die Person nach dem Namen, der Adresse und einer Erklärung des Verhaltens fragen. Abs. 3 besagt, dass ein Polizist, wenn er eine Person nach Abs. 1 angehalten und den begründeten Verdacht hat, dass die Gefahr einer körperlichen Verletzung besteht, diese Person nach tödlichen Waffen, Werkzeugen, Artikeln oder Substanzen, die geeignet sind, schwere körperliche Verletzungen hervorzurufen und normalerweise nicht von gesetzestreuen Bürgern in der Öffentlichkeit mitgeführt werden, zu durchsuchen262. ___________ 259

People v. Hollmann, 79 N.Y. 2d 181, 185, 581 N.Y.S. 2d 619/625 (1992). People v. De Bour, 40 N.Y. 2d 210, 386 N.Y.S. 2d 375/380 (1976). 261 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 29. 262 NY Crim.Proc.Law § 140.50 Temporary questioning of persons in public places; search for weapons: „1. In addition to the authority provided by this article for making an arrest without a warrant, a police officer may stop a person in a public place located within the geographical area of such officer's employment when he reasonably suspects that such person is committing, has committed or is about to commit either (a) a felony or (b) a misdemeanor defined in the penal law, and may demand of him his name, address and an explanation of his conduct. 3. When upon stopping a person under circumstances prescribed in subdivisions one and two a police officer or court officer, as the case may be, reasonably suspects that he is in danger of physical injury, he may search such person for a deadly weapon or any instrument, article or substance readily capable of causing serious physical injury and of a sort not ordinarily carried in public places by law-abiding persons. If he finds such a weapon or instrument, or any other property possession of which he reasonably believes may constitute the commission of a crime, he may take it and keep it until the completion of the question260

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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Von den oben aufgeführten „Quality of Life“-Delikten263 sind nur der Alkoholkonsum in Parks und auf Spielplätzen264, das aggressive Betteln265 und das Nächtigen und Lagern auf Bänken beziehungsweise Kampieren im Park266 als Vergehen (misdemeanor) strafbar. Nur diese rechtfertigen also das Vorliegen eines begründeten Verdachtes, der den durch die De Bour-Entscheidung entwickelten Anforderungen für Terry stops, also „stop and frisk“ entspricht. Die übrigen Delikte, disorderly conduct267, der Alkoholkonsum im übrigen öffentlichen Raum268, das Betteln in der U-Bahn269 und das Abstellen von Hindernissen im öffentlichen Raum270 sind nur als Rechtsverletzung (violation) strafbar. Soweit in Bezug auf diese nur ein begründeter und kein hinreichender Verdacht vorliegt, ermächtigen sie allenfalls zu einem Anhalten entsprechend der zweiten Stufe der De Bour-Entscheidung. Auf der vierten Stufe des De Bour-Tests stehen Verhaftungen und Ingewahrsamnahmen, für die wie nach Bundesrecht ein hinreichender Verdacht bestehen muss, dass die Person eine Straftat oder einen Ordnungsverstoß in Anwesenheit des Polizisten begangen hat271.

dd) Durchsuchung Neben dem Anhalten der Personen werden diese bei „stop and frisk“ auch nach Waffen durchsucht. Durchsuchungen fallen schon nach dem Wortlaut unter den Schutz des 4. Zusatzartikels. Dieser greift ein, sobald die Privatsphäre einer Person betroffen ist, weil ihr Eigentum durchsucht wird272. Daher ist grundsätzlich auch eine vorherige schriftliche Anordnung (warrant) und das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts (probable cause) notwendig, damit die Durchsuchung rechtmäßig ist. Das Vorliegen der vorherigen schriftlichen Anordnung ist jedoch auch für Durchsuchungen entbehrlich, und zwar in Eilfällen und im Rahmen einer legalen Verhaftung. Ein Eilfall besteht, ___________ ing, at which time he shall either return it, if lawfully possessed, or arrest such person.“ 263

s. oben B. VI. 2. b). § 1-05 (f) Parks Department Regulations. 265 § 10-136 New York City Code. 266 §§ 1-04 (m) und (o) Parks Department Regulations. 267 § 240.20 NY Penal Law. 268 § 10-125 1 b) New York City Code. 269 Nr. 1050.6 (b) der Transit Authority Rules. 270 § 16-122 b) New York City Administrative Code. 271 People v. Hollmann, 79 N.Y. 2d 181, 185, 581 N.Y.S. 2d 619/620 (1992). 272 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 264

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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wenn die Zerstörung des Beweises bevorsteht oder bei Rückkehr der Polizei zu erwarten ist273. Soweit die Durchsuchung anlässlich einer Verhaftung stattfindet, ist sie auf den unmittelbar den Betroffenen umgebenden Bereich beschränkt274. Die Anforderungen an das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts sind für Durchsuchungen grundsätzlich dieselben wie für Ingewahrsamnahmen275. Der hinreichende Verdacht muss dahin gehen, dass ein Beweis bezüglich einer Straftat gefunden werden wird276. Für die als „frisk search“ beim Anhalten einer Person durchgeführte Durchsuchung gelten jedoch dieselben eingeschränkten Voraussetzungen wie für das Anhalten an sich. Eine oberflächliche Durchsuchung ist zulässig, wenn der Polizist den begründeten Verdacht (reasonable suspicion) hat, dass der Befragte bewaffnet ist und ihn verletzen könnte277. Sie ist daher streng begrenzt, erfasst ist nur ein oberflächliches Abtasten der Person, um festzustellen, ob sie bewaffnet ist. Werden andere Beweise als Waffen bei dieser oberflächlichen Durchsuchung gefunden, sind diese vor Gericht nicht verwertbar278. Es geht also nicht um die Feststellung der Identität, sondern nur um die Sicherheit des Polizisten279. Soweit die Durchsuchung darüber hinaus geht, sind die grundsätzlichen Voraussetzungen des 4. Zusatzartikels einzuhalten280.

ee) „Reasonableness“ Auch für „stop and frisk“ gilt der sich aus dem 4. Zusatzartikel ergebende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das durch die Maßnahme verfolgte Interesse muss also wieder in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Eingriffs stehen281.

___________ 273

La Grange, Policing American Society, 198. La Grange, Policing American Society, 199; La Fave, Search and Seizure, Chapter 5, § 5.1, 46. 275 USCA CONST Amend. IV – Search and Seizure, I. Generally, Nr. 4. 276 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 277 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 29. 278 La Grange, Policing American Society, 200 f. 279 Neuborne in: Morrison, Fundamentals of American Law, 83/105. 280 La Grange, Policing American Society, 200. 281 s. oben B. VI. 2. c) dd). 274

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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e) Rechtsfolgen verfassungswidriger Ingewahrsamnahmen und „stop and frisk“ – „Exclusionary Rule“ Im 4. Zusatzartikel sind die Folgen eines Verstoßes gegen die Voraussetzungen bei Durchsuchungen und Verhaftungen nicht genannt. Daher war der 4. Zusatzartikel zunächst relativ wirkungslos und wurde von der Polizei regelmäßig missachtet282. Diese Situation hat sich nach zwei Entscheidungen des Supreme Court geändert, in denen dieser die „exclusionary rule“, also ein Beweisverwertungsverbot, entwickelt hat283. Nach der „exclusionary rule“ ist ein Beweis, der von der Polizei mittels Durchsuchung oder Verhaftung erlangt worden ist, die nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen, vor Gericht nicht verwendbar. Das Beweisverwertungsverbot wurde in einer Folgeentscheidung auch auf die Beweise ausgedehnt, die nur aufgrund eines zunächst illegal erlangten Beweises entdeckt werden konnten (fruits of the poisonous tree doctrine)284. Diese Entscheidungen hatten wesentlichen Einfluss auf eine verfassungsmäßige Polizeipraxis. Das ist unter anderem daran zu erkennen, dass die New York City Police im Jahr vor der zweiten Entscheidung des Supreme Court285 keinen einzigen Antrag auf Ausstellung eines schriftlichen Haft- oder Durchsuchungsbefehls gestellt hat, während sie im darauf folgenden Jahr 800 Anträge stellte286. Im Zusammenhang mit Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen ist zu beachten, dass das Beweisverwertungsverbot nur dann Schutz bietet, wenn es zu einem Strafverfahren kommt, in dem dann die auf illegale Weise erlangten Beweise nicht anerkannt werden. Hat die Polizei bei den Maßnahmen jedoch keinerlei Interesse an einer späteren Anklage, bleibt das Beweisverwertungsverbot wirkungslos287. Demnach hat die Polizei es in der Hand, sich über die ___________ 282 La Grange, Policing American Society, 191. Die einzige Möglichkeit gegen eine Verletzung des 4. Zusatzartikels vorzugehen, war direkt gegen den verantwortlichen Beamten gerichtet. Das war aber regelmäßig uneffektiv, weil Behörden und Gerichte kaum gegen die Beamten entschieden bzw. eine Verurteilung oder Disziplinierung des Beamten oft nicht mehr als Genugtuung brachte. (Vgl. Gehring, Innerer Sicherheit – USA, 95). 283 Weeks v. United States, 232 U.S. 383, 58 LEd 652, 34 SCt 341 (1914): Anerkennung des Beweisverwertungsverbots für die Bundespolizei. Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 6 LEd (2d) 1081, 81 SCt 1684 (1961): Ausdehnung des Beweisverwertungsverbots auf Maßnahmen der Polizeien der Bundesstaaten. 284 Silverthon Lumber Co. v. United States, 251 U.S. 385, 64 Led (2d) 319, 40 SCt 182 (1920). 285 Erst in Mapp v. Ohio wurde das Beweisverwertungsverbot auf Maßnahmen der Polizeien der Bundesstaaten ausgedehnt. 286 La Grange, Policing American Society, 192. 287 Vgl. dazu auch der vorsitzende Richter in Terry v. Ohio, 392 U.S. 1/8 (1968). Dieser zog daraus jedoch den Schluss, dass die Herabsetzungen der Anforderungen aus dem 4. Zusatzartikel für die „Terry stops“ demzufolge hinzunehmen sei, weil es wegen

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

Anforderungen des vierten Zusatzartikels hinwegzusetzen, indem sie diese in den Fällen ignoriert, in denen das Beweisverwertungsverbot ihren Zielen nicht entgegen steht288. Das ist gerade im Rahmen von Maßnahmen gegenüber Randgruppen häufig der Fall. In diesen Fällen geht es der Polizei um die Einschüchterung durch Maßnahmen, die die Betroffenen in ihrem täglichen Leben belasten, nicht um die strafrechtliche Verfolgung289. Insbesondere „stop and frisk“ werden oft zur bloßen Schikane angewandt290.

f) Ermessen Im US-amerikanischen Recht war das Vorliegen eines Ermessensspielraums der Polizei zunächst umstritten. Zunächst ging man in der amerikanischen Rechtswissenschaft davon aus, dass für die Arbeit der Polizei das Legalitätsprinzip uneingeschränkt gelte. Es wurde also angenommen, dass die Polizei das Recht ohne Ausnahme durchsetzen müsste. Diese Ansicht wurde aber verworfen, weil sie vor allem die tatsächliche Praxis unbeachtet ließ, in der an eine Verfolgung aller Gesetzesverstöße nicht zu denken war291. Die Einräumung eines Ermessensspielraums erfolgte ohne dogmatische Grundlage292. Für die polizeiinterne Kontrolle der Ausübung des Ermessens gibt es kaum Maßstäbe. Polizeiliches Ermessen wird als „Entscheidungen der Polizei in Verbindung mit ihrer Tätigkeit und im Rahmen der gegebenen Befugnisse“ definiert293. Das Ermessen der Polizei soll sich dabei darauf beziehen, in welchen Situationen die Polizei eingreift und wie sie ein Problem löst, wenn sie eingreift, es bezieht sich also auf das ‚ob‘ und ‚wie‘ des Eingreifens. Bei der Entscheidung muss der einzelne Polizist verschiedene Faktoren in Betracht ziehen, wie die Schwere des Verstoßes, die durch die Bürger gestellten Anforderungen und die Politik (policy) des Police Departments294. Zunächst gab es kaum Richtlinien der Polizeidepartments, an denen sich das Ermessen des einzelnen Polizisten orientieren konnte. Dies hat sich in letzter Zeit insbesondere aufgrund der steigenden Verantwortung und zivilrechtlichen Haftbar___________ der Wirkungslosigkeit der exclusionary rule in diese Fällen ohnehin grundsätzlich zu keiner Überprüfung käme. 288 La Fave, Search and Seizure, Chapter 9, § 9.1, 7 f. 289 Vgl. zur so genannten „aggressive preventive patrol“ (aggressiv vorbeugende Streife): La Fave, Search and Seizure, Chapter 9, § 9.1, 7 f. 290 Vgl. dazu La Fave, Search and Seizure, Chapter 9, § 9.1, 7 f. m.w.N. 291 La Grange, Policing American Society, 160. 292 Gehring, Innere Sicherheit – USA, 176. 293 La Grange, Policing American Society, 161. 294 La Grange, Policing American Society, 161.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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keit der Polizisten geändert295. Wichtigstes Instrument zur Leitung des polizeilichen Ermessens sind verwaltungsinterne Richtlinien, also „written policies“ oder auch „written guidelines“. Diese werden von den Polizeidepartments und den Lokalregierungen oder auch staatlichen Kommissionen erlassen und enthalten Regeln, wie in bestimmten Standardsituationen zu entscheiden ist296. Die zu Beginn der „Zero Tolerance“-Strategie ergangene „Police Strategy No. 5“ enthält unter anderem auch solche Richtlinien297. Tatsächlich erfolgt eine polizeiinterne Kontrolle der Ermessensausübung in den seltensten Fällen. Das liegt daran, dass insbesondere die am Anfang der Hierarchie stehenden Streifenpolizisten im täglichen Dienst die meisten Ermessensentscheidungen zu treffen haben. Diese können aufgrund des über die Stadt verteilten Einsatzes kaum überwacht werden298. Ebenfalls unter das Problem des Ermessens werden im US-amerikanischen Recht unbestimmte Straftatbestände, also unbestimmte Rechtsbegriffe, gefasst299. Als Standardbeispiel dafür gilt der Tatbestand des „disorderly conduct“300. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird festgestellt, dass das Vorliegen eines Ermessensspielraums zu Unterschieden zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen und der Umsetzung dieser in der Praxis durch einzelne Beamte führt. So sei das Trinken im Park zwar formell eine Straftat, in der Realität würde aber ein Polizist nicht eingreifen, wenn eine Familie bei einem Picknick Alkohol trinkt, ohne andere zu stören301.

3. Verfassungsrechtliche Probleme bei Polizeimaßnahmen nach dem New Yorker Modell Im Folgenden soll ein Überblick über die verfassungsrechtlichen Probleme gegeben werden, die im Zusammenhang mit den oben erläuterten Maßnahmen im Rahmen der New Yorker „Quality of Life“-Initiative, aber auch sonst mit Maßnahmen, die unter den Begriff „Order Maintenance Policing“ fallen und im Rahmen von „Zero Tolerance“ bedeutsam werden, entstehen. Auf den 4. Zusatzartikel wird hier nicht nochmals eingegangen302. ___________ 295

La Grange, Policing American Society, 161 f. Gehring, Innere Sicherheit - USA, 179. 297 s. oben B. IV. 1. 298 La Grange, Policing American Society, 161 f. 299 La Grange, Policing American Society, 168. 300 s. oben B. VI. 2. b) aa). 301 Davis, Police Discretion, 73; Langworthy/Travis, Policing in America, 297. 302 s. dazu oben B. VI. 2. c) aa)-dd) sowie d) aa)-bb). 296

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

a) Gleichheitssatz (14. Zusatzartikel) Im 14. Zusatzartikel ist der Gleichheitssatz der amerikanischen Verfassung enthalten. Nach Abs. 1 Satz 2 des 14. Zusatzartikels soll kein Staat innerhalb seiner Gerichtsbarkeit den gleichen Schutz der Gesetze gegenüber den Bürgern versagen303. Der Gleichheitssatz verbietet es, Maßnahmen zur Durchsetzung von Gesetzen gezielt gegen Personen zu richten, wenn der einzige Grund dafür deren Rasse ist304. Die Polizei darf demnach niemanden nur aus diesem Grund anhalten305. Ist aber die Rasse Teil der Beschreibung eines Verdächtigen, darf die Polizei bei der Auswahl der Personen, die sie zur Überprüfung stoppt, die Rasse beachten306. Abgesehen vom Fall, in dem eine Beschreibung des Verdächtigten die Rasse einschließt, darf die Polizei das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts aber nicht auf die Rasse stützen307. Wie oben beschrieben, kommt es bei den „stop and frisks“ durch die New Yorker Polizei häufig zu einer verstärkten Kontrolle rassischer Minderheiten. Diese wirkt diskriminierend, weil die Angehörigen der Minderheiten überproportional oft im Verhältnis zum Anteil an der Bevölkerung, aber auch im Verhältnis zum Anteil an den verübten Straftaten angehalten werden308. Das stellt an sich einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar. Die Beweislast für das Vorliegen einer diskriminierenden Maßnahme liegt jedoch bei den Betroffenen309. Diese müssen beweisen, dass andere Personen, die Angehörige einer anderen Rasse sind, in der selben Lage nicht bestraft wurden, obwohl dies möglich gewesen wäre310. Durch diese strengen Vorgaben ist es kaum möglich, eine Klage wegen diskriminierender Maßnahmen der Polizei zu gewinnen311.

___________ 303 „No State shall […] deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.“ 304 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 41. 305 United States v. Armstrong, 517 U.S. 456 (1996). 306 Brown v. Oneonta, 1999 WL 973532, 1 (2d Cir. Oct. 26,1999). 307 Spitzer, The New York City Police Department’s ‚Stop and Frisk‘ Practices: A Report to the People of the State of New York from the Office of the Attorney General, 44. 308 s. oben B. V. 1. b). 309 Vgl. Washington v. Davis, 426 U.S. 229, 239 (1976). 310 United States v. Armstrong, 517 U.S. 1996 456/469; 116 S. Ct. 1480/1487 ff. (1996). 311 Davis, University of Miami Law Review 1997, 425/437 f.; Waldeck, Georgia Law Review 2000, Fn. 139.

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b) Das Recht auf freie Rede (1. Zusatzartikel) Der 1. Zusatzartikel garantiert das Recht auf freie Rede und bestimmt, dass „der Kongress kein Gesetz erlassen darf, welches das Recht auf freie Rede einschränkt“312. Der 1. Zusatzartikel schützt nicht nur die freie Rede, sondern auch das ausdrucksvolle Verhalten, wenn Handlung und Ausdruck untrennbar verknüpft sind. Das ist der Fall, wenn die Handlung mit der Absicht vorgenommen wird, eine Aussage zu vermitteln und wenn diese durch Beobachter verstanden werden kann313. Das Recht auf freie Rede umfasst nach der Rechtsprechung des New York Court of Appeals auch das Recht zu Betteln. So hat das Gericht 1993 in Loper v. New York City314 entschieden. In diesem Fall ging es um § 240.35 Nr. 1 NY Penal Law, der das „Herumlungern, Sichaufhalten oder Sichherumtreiben im öffentlichen Raum zum Zwecke des Bettelns“ unter Strafe stellte315. Das Gericht entschied, dass die Norm gegen den 1. Zusatzartikel verstoße und deshalb unwirksam sei. Zunächst stellte das Gericht fest, dass das Betteln als freie Rede geschützt sei316. Betteln sei zumindest eine Form der Rede. Beim Betteln werde zwar nicht zwingend eine politische oder gesellschaftliche Meinung verbreitet, es beinhalte aber normaler Weise eine vergleichbare Kommunikation. Beim Betteln werde oft die Bedürftigkeit für Essen, Unterkunft, Kleidung, medizinische Versorgung oder Fahrgeld geäußert. Auch wenn das nicht ausdrücklich geschehe, vermittele die bloße Anwesenheit einer ungepflegten Person, die ihre Hand nach einer Spende ausstrecke, dass ein Bedürfnis nach Unterstützung bestehe. Außerdem bestehe bezüglich der Vermittlung einer Nachricht kaum ein Unterschied zwischen Personen, die für Organisationen um Spenden bitten und solchen, die nur für sich selbst betteln. Für organisierte Spendensammler hat der Supreme Court anerkannt, dass sie mehr vermitteln als nur die Bitte um eine Spende317. Daher ist es auch wahrscheinlich, dass der Supreme Court in einem Fall zum Betteln ebenso entscheiden würde318.

___________ 312

„Congress shall make no law […] abridging the freedom of speech […].“ Dieses Recht gilt über den 14. Zusatzartikel auch für die Gesetzgebung der einzelnen Staaten; s. dazu oben B. VI. 1. a) cc). 313 Spence v. Washington, 418 U.S. 405/410 f. (1974). 314 Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993). 315 NY Penal Law § 240.35 Loitering: „A person is guilty of loitering when he: 1. Loiters, remains or wanders about in a public place for the purpose of begging.“ 316 Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993). 317 Village of Schaumburg, 444 U.S. 632, 100 S.Ct., 834. 318 Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1229.

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Wenn das Betteln unter den Schutz der freien Rede aus dem 1. Zusatzartikel fällt, ist eine begrenzende Maßnahme nur gerechtfertigt, wenn sie den von der Rechtsprechung für das Recht der freien Rede entwickelten Standards entspricht. Für das Recht der freien Rede gibt es sowohl den so genannten „O’Brien“-Test als auch einen auf die Einordnung verschiedener Foren der Meinungsäußerung basierenden Test (forum based approach). Nach dem „O’Brien“-Test sind „unbeabsichtigte Begrenzungen des ersten Zusatzartikels“ zulässig, wenn sie einem „ausreichend bedeutenden staatlichen Interesse“ dienen, das „nicht im Zusammenhang mit der Unterdrückung der freien Rede steht“. Außerdem darf die Einschränkung nicht weiter gehen, als für die Förderung des staatlichen Zwecks nötig319. In dem Loper v. New York City vorausgehenden Fall Young v. New York City Transit Authority320 hatte das Gericht über das Bettelverbot in der New Yorker U-Bahn zu entscheiden. In diesem Fall hielt das Gericht die Regelung jedoch für verfassungsgemäß und stellte fest, dass sie den Anforderungen des „O’Brien“-Tests entspräche. Zur Rechtfertigung des staatlichen Interesses beruft sich das Gericht vor allem auf den begrenzten Raum in der U-Bahn, in der es oft überfüllt und hektisch zuginge. In dieser Umgebung stellten durch das Betteln gestörte oder erschreckte Passagiere eine potentielle Gefahr dar, die zu schweren Unfällen führen könne. Wegen der Folgen, die das Betteln in der U-Bahn habe, sei auch das absolute Verbot gerechtfertigt. Die Einschränkungen des Rechtes aus dem 1. Zusatzartikel seien nicht größer als das geförderte staatliche Interesse. Das Betteln sei lediglich in der U-Bahn verboten, sodass alternative Möglichkeiten und damit alternative Kommunikationskanäle in ganz New York vorhanden seien321. Die Entscheidung Loper v. New York City beruht nicht primär auf dem „O’Brien“-Test. Das Gericht stellt aber klar, dass es auch bei Anwendung dieses Testes entschieden hätte, dass das Bettelverbot gegen den 1. Zusatzartikel verstoße. Zunächst sei das absolute Bettelverbot auf allen Straßen New Yorks keine bloß beiläufige Beschränkung, weil es sowohl die Rede als auch das ausdrucksvolle Verhalten wegen des damit vermittelten Inhaltes verbiete. Außerdem werde mit der Regelung kein wesentliches staatliches Interesse verfolgt. Wenn dem nämlich so wäre, dann könnte auch nicht das Bitten um Spenden durch wohltätige Organisationen erlaubt sein, was aber nach § 172 NY Exec. Law der Fall sei. Überdies sei das Verbot des Herumlungerns zum Zwecke des Bettelns weitreichender als für die Erreichung des Zwecke notwendig wäre. Nach der Argumentation der Regierung sei Zweck der Regelung, die Begleiterscheinungen des Bettelns, wie Betrug, Einschüchterung, Zwang, Belästigung ___________ 319

United States v. O'Brien, 391 U.S. 367/376 f., 88 S.Ct., 1673/1679 (1968). Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146 (2d Cir.) 498 U.S. 984, 111 S.Ct. 516, 112 L.Ed.2d 528 (1990). 321 Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146/157 ff (1990). 320

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und körperliche Übergriffe zu verhindern. Gegen diese Verhaltensweisen gäbe es aber bereits Strafvorschriften, sodass das Bettelverbot zur Erreichung des Zweckes nicht notwendig sei322. Im Wesentlichen beruft sich das Gericht in Loper v. New York City aber auf die an den verschiedenen Foren der Meinungsäußerung orientierten Anforderungen (forum based approach). Danach wird der öffentliche Raum in verschiedene Bereiche eingeteilt, in denen die freie Rede in unterschiedlicher Intensität eingeschränkt werden kann. Die strengsten Anforderungen bestehen gegenüber Einschränkungen in „traditionell öffentlichen Foren“. Darunter wird ein Bereich staatlichen Eigentums verstanden, der traditioneller Weise für öffentliche Äußerungen frei steht323. Solche traditionellen öffentlichen Foren sind Straßen und Parks, die nach langer Tradition dem sich Versammeln und Debattieren gewidmet sind. In diesen Bereichen des öffentlichen Raumes sind inhaltsbezogene Beschränkungen nur zulässig, wenn sie einem zwingenden staatlichen Interesse dienen und so eng gefasst sind, wie zur Erreichung dieses Zweckes möglich. Eine dem Inhalt der Äußerung gegenüber neutrale Beschränkung der Zeit, des Ortes oder der Art und Weise ist aber zulässig, wenn sie einem signifikanten staatlichen Interesse dient, dementsprechend eng gefasst ist und eine Vielzahl alternativer Kommunikationskanäle offen lässt324. Auf zweiter Stufe stehen die „designierten oder beschränkt öffentlichen“ Foren. Darunter fallen Plätze, die vom Staat per Gesetz für die öffentliche Ansammlung und Rede, für die Nutzung durch bestimmte Sprecher oder die Diskussion bestimmter Themen geschaffen wurden. Für diese gelten dann dieselben Regeln wie für die traditionell öffentlichen Foren325. Auf dritter Stufe stehen nicht öffentliche Foren, das ist staatliches Eigentum, das weder durch die Tradition noch durch Gesetz der öffentlichen Kommunikation gewidmet ist. Die freie Rede einschränkende Regelungen unterliegen für diese Bereiche nur einer beschränkten Überprüfung; sie müssen angemessen sein und dürfen eine Meinung nicht nur deshalb verbieten, weil diese der der offiziellen Stellen widerspricht326. So wurden zum Beispiel Verbote des Bettelns auf Flughäfen nur auf ihre Angemessenheit hin überprüft, die auch bejaht wurde327. Für die Regelung des Bettelverbotes in der U-Bahn hat das Gericht in Young v. New York City Transit Authority festgestellt, dass die U-Bahn kein offenes ___________ 322

Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993). American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 519; International Society for Krishna Consciousness, Inc. v. Lee, 505 U.S. 672, 112 S.Ct. 2701/2705. 324 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 519. 325 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 519. 326 American Jurisprudence 2nd, Constitutional Law, § 519. 327 International Society, 505 U.S., 112 S.Ct., 2706 ff. 323

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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Forum, weder nach Tradition noch nach Bestimmung darstelle328. Angewendet auf das Bettelverbot in Loper v. New York City stellt das Gericht fest, dass die Bürgersteige der Stadt New York in die Kategorie der traditionellen öffentlichen Foren fielen329. Daher prüft es zunächst, ob das Bettelverbot auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen einem zwingenden staatlichen Interesse dient. Das Vorliegen eines solchen bezweifelt es für friedliche Bettler. Soweit es um die zum Teil negativen Folgen bestimmter Formen des Bettelns gehe, sei ein Gesetz, welches das Betteln absolut auf allen öffentlichen Plätzen und Straßen verbiete, nicht „eng zur Erreichung des Zweckes gefasst“. Daneben sei es auch zweifelhaft, ob es sich um eine Regulierung von Ort, Zeit oder Art und Weise handele. In jedem Fall sei die Regelung aber nicht neutral gegenüber dem Inhalt, weil jegliche im Zusammenhang mit dem Betteln stehende Rede verboten werde. Außerdem fehle es bei dem stadtweiten Verbot an alternativen Kommunikationskanälen330. Ob das Betteln vom 1. Zusatzartikel erfasst wird, ist in der übrigen Rechtsprechung umstritten. So stellte der New York Court of Appeals selbst im Fall Young v. New York City Transit Authority fest, dass das Betteln an sich weder unter die durch den 1. Zusatzartikel geschützte Rede noch das ausdrucksvolle Verhalten falle. Eine Definition als freie Rede sei abzulehnen, weil die Verbreitung von Information, Diskussion und das Eintreten für öffentliche Probleme, welches durch Wohltätigkeitsorganisationen gefördert wird, nicht mit dem Akt des Bettelns verflochten sei331. Das Betteln sei außerdem kein geschütztes ausdrucksvolles Verhalten, weil es meistens nur der Bitte um Geld diene. Soweit es aber einigen Bettlern auch um die Vermittlung einer Aussage über die Missstände in der Gesellschaft ginge, sei es unwahrscheinlich, dass die Passagiere diese Aussage wahrnehmen würden332. Auch andere meinen, dass das Betteln, wenn überhaupt, als kommerzielle Rede gewertet werden könne. Diese wird nach der Rechtsprechung des Supreme Courts weniger geschützt als die politische Rede, die den weitesten Schutz genießt333. Als politische Rede wird das Betteln von der schon dargestellten Auffassung eingestuft, die im Betteln auch eine Aussage über gesellschaftliche Missstände sieht. Dagegen wird argumentiert, dass die von einem Bettler beabsichtigte Aussage rein geschäftlicher Natur sei und nur die Bitte um Geld umfasse. Die Wahrnehmung einer eventuell politischen Aussage sei von den bettelnden Personen nicht beabsichtigt, son___________ 328

Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146/161 (1990). Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993). 330 Loper v. New York City Police Dep't, 999 F.2d 699, 700/705 (2d Cir. 1993). 331 Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146/155 (1990). 332 Young v. New York City Transit Authority, 903 F.2d 146/153 f. (1990). 333 Central Hudson Gas & Electric Corp. v. Public Service Commission, 447 U.S. 557/562 f. (1980). 329

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dern werde allenfalls von einigen Passanten neben der Bitte um Geld gesehen334.

c) „Due process clause“ (14. Zusatzartikel) Der 14. Zusatzartikel enthält in seinem ersten Absatz unter anderem die „due process clause“, die besagt, dass kein Staat einer Person Leben, Freiheit oder Eigentum ohne ein gehöriges Rechtsverfahren entziehen darf335. Daraus wird das Bestimmtheitsgebot abgeleitet. Hiernach sind Gesetze dann zu unbestimmt, wenn sie keine Maßstäbe für die Polizei und die Bürger festlegen, die gegen eine willkürliche Anwendung und damit willkürliche Entziehung von Freiheiten schützen336. Bei strafrechtlichen Bestimmungen liegt eine verfassungswidrige Unbestimmtheit insbesondere in zwei Fällen vor. Zum einen ist ein Strafgesetz verfassungswidrig, wenn für den Bürger nicht erkennbar ist, welches Verhalten verboten ist. Zum anderen ist es zu unbestimmt, wenn es zu willkürlicher oder diskriminierender Vollziehung ermächtigt337. Mit der Unbestimmtheit eines Gesetzes im Rahmen von „Order Maintenance Policing“ hatte sich der Supreme Court in City of Chicago v. Morales338 zu beschäftigen. In dem Fall ging es um eine Verordnung, die der Chicago City Council gegen Ansammlungen von Straßenbanden erlassen hat. Die Verordnung bestimmte, dass „ein Polizist, der an einem öffentlichen Ort eine Person mit einer oder mehreren anderen herumlungern (loitering) sieht und annimmt, dass diese Person Mitglied einer Straßenbande ist, diese Personen auffordern soll, auseinander zu gehen und sich von diesem Ort zu entfernen. Jede Person, die nicht sofort der Aufforderung folgt, begeht einen Verstoß gegen diese Vorschrift“339. Im Folgenden wird das Wort Herumlungern (loiter) legal definiert als: „Verbleiben an irgendeinem Ort ohne einen offensichtlichen Grund“340. Kriminelle Straßenbanden werden als „bestehende faktische Organisationen ___________ 334

Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1229 f. „[…] nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law […].“

335

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City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1857 (1999). City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1850 (1999). 338 City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849, 527 U.S. 41 (1999). 339 Chicago Municipal Code § 8-4-015: (a) „Whenever a police officer observes a person whom he reasonably believes to be a criminal street gang member loitering in any public place with one or more other persons, he shall order all such persons to disperse and remove themselves from the area. Any person who does not promptly obey such an order is in violation of this section.“ 340 Chicago Municipal Code § 8-4-015: (c) (1) „‚Loiter‘ means to remain in any one place with no apparent purpose.“ 337

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B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

oder Vereinigungen oder eine Gruppe von drei oder mehr Personen“ beschrieben, „deren wesentliche Tätigkeit es ist, eine der in Paragraph drei aufgezählten Straftaten zu begehen, und deren Mitglieder einzeln oder gemeinsam in Handlungen nach dem Muster einer kriminellen Straßenbande verwickelt sind.“341 Auf einen Verstoß gegen die Verordnung stand eine Geldstrafe von mindestens 100 US$ bis zu 500 US$ oder eine Haftstrafe bis zu sechs Monaten. Außerdem war auch eine Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit möglich342. In der Gesetzesbegründung wurde darauf hingewiesen, dass die sich verstärkende Anwesenheit von Straßenbanden an vielen Orten einschüchternd auf viele gesetzestreue Bürger wirke. Die Mitglieder dieser Straßenbanden vermieden eine Verhaftung, indem sie in der Anwesenheit der Polizei keinerlei Straftaten verübten. Die kriminellen Straßenbanden würden jedoch bei der Bevölkerung eine begründete Angst um ihre persönliche Sicherheit und die ihres Eigentums erzeugen. Daher seien massive Maßnahmen notwendig, um eine angstfreie Nutzung von Straßen der Stadt und anderer öffentlicher Plätze zu ermöglichen343. Diese Verordnung wurde vom Supreme Court für verfassungswidrig erklärt, weil sie gegen das Bestimmtheitsgebot aus der „due process clause“ des 14. Zusatzartikels verstoße. Die Verordnung lege keine Maßstäbe fest, die gegen eine willkürliche Anwendung und damit willkürliche Entziehung von Freiheiten schützen. Das Herumlungern fiele unter die geschützten Freiheiten. Für eine Regelung dieser Freiheit sei die Verordnung aber zu unbestimmt344. Außerdem muss das Gesetz auch den Anforderungen an Strafvorschriften entsprechen, also dem Bürger zu erkennen geben, was verboten und was erlaubt ist. Auch diese Voraussetzung sei nicht gegeben. Während der Begriff „Herumlungern“ eine allgemein anerkannte Bedeutung habe, sei das für die in der Verordnung gebrauchte Definition nicht der Fall. Es sei schwer vorstellbar, dass ein Bürger, der an einem öffentlichen Ort in einer Gruppe stehe, wissen könne, ob ein „offensichtlicher Grund“ vorliege oder nicht. Auch die durch die Verordnung vorgesehene Anordnung, sich zu zerstreuen, ändere daran nichts. Die___________ 341 Chicago Municipal Code § 8-4-015: (c) (2) „‚Criminal street gang‘ means any ongoing organization, association in fact or group of three or more persons, whether formal or informal, having as one of its substantial activities the commission of one or more of the criminal acts enumerated in paragraph (3), and whose members individually or collectively engage in or have engaged in a pattern of criminal gang activity.“ 342 Chicago Municipal Code § 8-4-015: (e) „Any person who violates this Section is subject to a fine of not less than $100 and not more than $500 for each offense, or imprisonment for not more than six months, or both. In addition to or instead of the above penalties, any person who violates this section may be required to perform up to 120 hours of community service pursuant to section 1-4-120 of this Code.“ 343 City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1854 527 U.S. 41/47 (1999). 344 City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1858, 527 U.S. 41/42 (1999).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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se ergehe erst nach dem verbotenen Verhalten und könne daher nicht als adäquate Mitteilung an den Bürger darüber verstanden werden, was verboten und was erlaubt sei. Außerdem lägen auch für die Polizei keine Maßstäbe vor, nach denen sie entscheiden könne, wann ein offensichtlicher Grund vorliege345. Daneben wurde die Bestimmung über den Inhalt der polizeilichen Anordnung selbst, dass sich die betroffenen Personen „zerstreuen und aus dem Gebiet entfernen sollen“, als zu vage angesehen. Sie lasse eine Vielzahl von Fragen darüber offen, wie die Dauer und die Art und Weise der Zerstreuung der Gruppe aussehen solle346. Gesetze, die das Herumlungern zum Zwecke des Bettelns verbieten, wurden ebenfalls unter Hinweis auf einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot der „due process clause“ angegriffen. Ein Gericht in Arizona entschied, dass das Wort „Betteln“ von einer Person durchschnittlicher Intelligenz unzweifelhaft als das Bitten um Geld oder andere Werte ohne eine Gegenleistung verstanden werde. Daher könne eine vernünftige Person aus einem Gesetz, dass das Herumlungern zum Zwecke des Bettelns verbiete, genau erkennen, welches Verhalten verboten sei347. Daraus kann geschlossen werden, dass auch § 240.35 Nr. 1 NY Penal Law, der in Loper v. New York City wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Rede für unwirksam erklärt wurde348, dem Bestimmtheitsgrundsatz entspricht. Auch gegen Gesetze, die das aggressive Betteln verbieten, gab es Klagen, die sich auf die Unbestimmtheit der Gesetze beriefen. Für ein Gesetz des Staates Washington wurde entschieden, dass das Verbot des aggressiven Bettelns nicht zu unbestimmt sei, weil es eine Definition für aggressives Betteln enthalte, die dem Bestimmtheitsgebot entspräche349. So wäre demnach auch für die Bestimmung des New York City Code § 10-136 zu entscheiden, in dem das aggressive Betteln verboten und auch näher definiert ist350.

d) Das Recht der „Bench Squatter“ – Sichniederlassen, nächtliches Lagern In den frühen neunziger Jahren haben einige Rechtsanwälte Klagen angestrengt, um das Recht der Obdachlosen, über Nacht an bestimmten öffentlichen Orten in der Innenstadt zu kampieren, gerichtlich zu klären. Dabei beriefen sie ___________ 345

City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1852, 527 U.S. 41/43 (1999). City of Chicago v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1852, 527 U.S. 41/42 (1999). 347 State ex rel. Williams v. City Court of Tucson, (1974) 21 Ariz App 489/520 P2d 1166. 348 s. oben B. VI. 3. b). 349 Gresham v. Peterson, 225 F.3d 899 (7th Cir. 2000). 350 s. oben B. VI. 2. b) cc). 346

B. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City

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sich auf das Recht zu Reisen beziehungsweise sich fortzubewegen (Right to Travel). Dass die Verfassung ein Recht zu Reisen enthält, wurde durch den Supreme Court unter anderem in Shapiro v. Thompson351 festgestellt. Danach haben alle Bürger das Recht, durch die Vereinigten Staaten zu reisen, ungehindert von Gesetzen und Regeln, die die Fortbewegung unverhältnismäßig einschränken. Das Recht zu Reisen wird nicht aus einer speziellen Verfassungsnorm hergeleitet352. Zum Teil wird es an der „privileges and immunities-“ (Privilegien- und Immunitäts-)Klausel des 4. Artikels oder 14. Zusatzartikels festgemacht. Diese bestimmt, dass „kein Staat die Privilegien oder Immunität eines Bürgers der Vereinigten Staaten einschränken soll“353. In den zwei grundlegenden Fällen354 zum Lagern und Nächtigen von Obdachlosen haben Gerichte entschieden, dass sich aus der amerikanischen Verfassung eine Pflicht von Städten und Gemeinden ergibt, den so genannten „bench squattern“ den Aufenthalt auf einigen öffentlichen Plätzen zu erlauben. In Pottinger v. City of Miami hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob es eine rechtmäßige Maßnahme der Polizei war, Obdachlose festzunehmen, die in Parks und unter Unterführungen nächtigten. Das Gericht sah hierin einen Verstoß gegen das Recht zu Reisen, weil den Betroffenen kein Ort blieb, an dem sie sich aufhalten konnten, ohne die Gefahr einer Verhaftung einzugehen. Als Folge ordnete das Gericht an, dass die Stadt das Nächtigen an einigen Orten, die sich in der Nähe von Obdachlosenhilfeeinrichtungen befinden, erlauben müsse355. In Tobe v. City of Santa Ana entschied der California Court of Appeals zunächst ähnlich. Er stellte fest, dass eine Verordnung der Stadt Santa Ana, die das Kampieren und Lagern von Eigentum im öffentlichen Raum verbot, gegen das Recht zu Reisen verstoße, weil den Betroffenen auf diese Weise kein Aufenthalt in der Stadt möglich sei356. Zwar wäre ein Verbot des Kampierens an bestimmten Orten zulässig, das absolute Verbot schließe aber alle Menschen, die keine Bleibe haben, vom Leben in der Stadt aus357. Diese Entschei___________ 351

Dhapir v. Thompson, 394 U.S. 618 (1969). Farber/Eskridge/Frickey, Constitutional Law, 478. 353 Artikel 4 Abs. 2 S. 1: „The Citizens of each State shall be entitled to all Privileges and Immunities of Citizens in several States.“; Zusatzartikel 14 Abs. 1 S. 2: „No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States[…].“ 354 Pottinger v. City of Miami, 810 F. Supp. 1551 (S.D. Fla. 1992), 40 F.3d 1155 (11th Cir. 1994); Tobe v. City of Santa Ana, 27 Cal. Rptr. 2d 386 (Ct. App. 1994), 892 P.2d 1145 (Cal. 1995). 355 Pottinger v. City of Miami, 810 F. Supp. 1551/1578 ff (S.D. Fla. 1992). 356 Ähnliche Vorschriften bestehen in New York mit New York Administrative Code § 16-122; s. dazu oben E IV 2 c) (3) (c) und §§ 1-04 Parks Department Regulations. 357 Tobe v. City of Santa Ana, 27 Cal. Rptr. 2d 386/395 (Ct. App. 1994). 352

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie

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dung wurde vom Supreme Court des Staates Kalifornien aufgehoben. Dieser stellte fest, dass das Recht zu Reisen nicht gebiete, dass öffentliches Eigentum für das Kampieren zugänglich gemacht wird, um obdachlose Personen aufzunehmen358. Das Recht zu Reisen erfordert nach der Rechtsprechung also nicht, dass der Aufenthalt, insbesondere das Lagern und Nächtigen in der ganzen Stadt zulässig ist. Die rechtswissenschaftliche Literatur legt diese Gerichtsentscheidungen dahingehend aus, dass Städte das Niederlassen in stark frequentierten Gegenden aus vielerlei Gründen verbieten könnten. So sei anzunehmen, dass es rechtmäßig ist, das Niederlassen und Nächtigen im Kinderzoo des Central Parks oder auf belebten Bürgersteigen in Manhattan zu untersagen359. Städte müssen nach der Rechtsprechung aber mittellosen Menschen den Zutritt zu allen öffentlich zugänglichen Bereichen der Stadt erlauben, solange diese wach sind. Dabei bedeutet Zutritt jedoch nicht Sichniederlassen, nicht einmal Sichhinsetzen360. Das Kampieren beziehungsweise Sichniederlassen ist an einigen Orten zuzulassen, die durch die Stadt ausgewählt werden361.

___________ 358

Tobe v. City of Santa Ana, 892 P.2d 1145/1165 (Cal. 1995). Ellickson, Yale Law Journal 1996, 1167/1239. 360 Roulette v. City of Seattle, 850 F. Supp. 1442, 1447-48 (W.D. Wash. 1994). 361 Tobe v. City of Santa Ana, 27 Cal. Rptr. 2d 386/392 (Ct. App. 1994). 359

C. Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland I. Einleitung Auch in der deutschen Politik der späten neunziger Jahre wurde man auf die wachsenden Probleme mit sozialen Randgruppen in den Innenstädten aufmerksam. Es folgten Polizeistrategien, die sich gegen Verwahrlosungstendenzen, insbesondere aber gegen Drogenszenen, Gruppen von Wohnungslosen, Bettlern und Trinkern in den Innenstädten richteten. In der Polizeipraxis wurden neue Maßnahmen eingeführt, die speziell der Verdrängung dieser Personengruppen galten. Bei der Entwicklung der neuen Polizeistrategien orientierten sich Politiker und Praktiker an der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie und der „Broken Windows“-Theorie1. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Überblick über die Lage sozialer Randgruppen in Deutschland gegeben. Danach wird der Aufbau des deutschen Polizeisystems, soweit er für diese Arbeit relevant ist, erläutert. Nach der folgenden Darstellung der Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen wird die Polizeipraxis beschrieben, insbesondere die speziell im Zusammenhang mit sozialen Randgruppen erfolgten Maßnahmen. Dem folgt die rechtliche Bewertung dieser Maßnahmen.

II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in Deutschland Der 1871 eingeführte § 361 des Reichsstrafgesetzbuchs regelte die Bestrafung von Landstreichern, Bettlern, so genannten Arbeitsscheuen und Obdachlosen, die ihre Situation selbst verschuldet hatten2. In § 362 Abs. 1 RStGB war ___________ 1 Dies geschieht teilweise ausdrücklich, teilweise wird es an den Begründungen ersichtlich. Vgl. dazu: Hecker, Die Zeit, 26.02.1998, 13; zu den Strategien der Länder: [21. Mai 2002]; Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998, S. 1268). Die Gewerkschaft der Polizei hielt einen Kongress ab, zu dem der ehemalige New Yorker Polizeichef William Bratton eingeladen wurde, s. dazu: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York; vgl. dazu auch Dolderer, NVwZ 2001, 361; Volkmann, NVwZ 2000, 361/362. 2 § 361 Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (Fassung vom 6. Februar 1924): „Mit Haft wird bestraft: […] 3. wer als Landstreicher umherzieht; 4. wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschickt, oder Personen, welche seiner Gewalt

II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in Deutschland

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zusätzlich zur Haftstrafe die Möglichkeit der Anordnung von Arbeitszwang vorgesehen3. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten seit 1933 wurde die Verfolgung der genannten Personengruppen verstärkt, insbesondere konnten die Verurteilten in Arbeitshäuser mit Arbeitszwang eingewiesen werden. Seit 1937 wurden die Maßnahmen gegen so genannte „Arbeitsscheue“ weiter verschärft. Die betroffenen Personen wurden in Konzentrationslager verbracht, wo sie zwangsweise arbeiten mussten und viele von ihnen umkamen4. Die gesetzliche Regelung des § 361 RStGB blieb in der Bundesrepublik als vorkonstitutionelles Recht in Kraft5, gleichermaßen blieb die unter den Nationalsozialisten eingeführte Unterbringung in Arbeitshäusern bestehen. Die Anzahl der Strafen und die Dauer der Haft verringerten sich jedoch erheblich6. In den Entwürfen zum Strafgesetzbuch aus den Jahren 1960 und 1962 war eine Liberalisierung der Strafvorschriften geplant. Die Strafbarkeit von Bettlern, Landstreichern und Obdachlosen sollte so definiert werden, dass deren Verhalten nur strafbar wäre, wenn sie konkrete Rechtsgüter beeinträchtigten. Gleichzeitig sollte aber der Begriff des Landstreichers, der zuvor nur das Herumziehen zwischen verschiedenen Orten umfasste, so verändert werden, dass auch Stadtstreicher, also Personen, die sich nur innerhalb eines Ortes bewegen, erfasst werden. Diese sollten von der Vorschrift mit umfasst sein, um den in den Großstädten neu aufkommenden Problemen begegnen zu können7. Trotz der geplanten Liberalisierung des Strafrechts wurden neue Befugnisse in §§ 72 ff. Bundessozialhilfegesetz eingeführt, wie die zwangsweise Einweisung bei Ge-

___________ und Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, vom Bettel abzuhalten unterlässt; […] 8. wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, dass er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe […].“ 3

§ 362 Abs. 1 Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (Fassung vom 6. Februar 1924): „Die nach Vorschrift des § 361 Nr. 3 Verurteilten können zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessen sind, innerhalb und, sofern sie von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten werden, auch außerhalb der Strafanstalt angehalten werden.“

Vgl. dazu auch: Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/485; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 16. 4 Vgl. zu den einzelnen Regelungen unter den Nationalsozialisten: Schmitz, Straßenund polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 20 ff. 5 Als § 361 StGB. 6 Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/485; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 23. 7 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 24; Kohl, NVwZ 1991, 620/622.

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

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fahr der Verwahrlosung oder wenn die Hilfe, ein geordnetes Leben in der Gemeinschaft zu führen, nur in der Anstalt gewährleistet werden konnte8. Seit 1967 begann die Liberalisierung des Rechts gegen soziale Randgruppen. Eingeleitet wurde sie durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der dieses die §§ 72 ff. des Bundssozialhilfegesetzes für verfassungswidrig erklärte, weil sie den Wesensgehalt des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzten9. Das wurde insbesondere damit begründet, dass die Unterbringung nach § 73 Abs. 2 und 3 BSHG nicht dem Schutz der Allgemeinheit oder des Betroffenen, sondern nur der Änderung seines Verhaltens dienten10. In dieser Entscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht außerdem fest, dass es nicht die Aufgabe des Staates sei, „seine Bürger zu bessern“, und dieser deshalb auch nicht das Recht habe, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu „bessern“, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährdeten, wenn sie in Freiheit blieben11. Insoweit gleicht die Entscheidung der des Supreme Court in O’Connor v. Donaldson12, die in den Vereinigten Staaten zu einem starken Rückgang der zwangsweisen Unterbringung psychisch Kranker führte13. Nach dieser Entscheidung blieben aber die Strafrechtsnormen mit der Unterbringung im Arbeitshaus bestehen, weil diese nicht nur der „Besserung“ des Betroffenen, sondern auch der Sicherung diene14. Mit der Strafrechtsreform im Jahr 196915 wurde das Strafmaß des § 361 StGB verringert, im Jahr 1974 wur-

___________ 8

§ 73 Bundessozialhilfegesetz: „(1) Dem Gefährdeten soll geraten werden, sich in die Obhut einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung zu begeben, wenn andere Arten der Hilfe nicht ausreichen. (2) Lehnt ein Gefährdeter die nach Absatz 1 angebotene Hilfe ab, kann das Gericht ihn anweisen, sich in einer geeigneten Anstalt, in einem geeigneten Heim oder in einer geeigneten gleichartigen Einrichtung aufzuhalten, wenn 1. der Gefährdete besonders willensschwach oder in seinem Triebleben besonders hemmungslos ist und 2. der Gefährdete verwahrlost oder der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt ist und 3. die Hilfe nur in einer Anstalt, in einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung wirksam gewährt werden kann.“ (BGBl. 1961 I S. 815).

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BVerfGE 22, 180. BVerfGE 22, 180/219. 11 BVerfGE 22, 180/219 f. 12 422 U.S. 563 (1975). 13 s. dazu oben B. II. 2. 14 Jescheck, Strafrecht AT, 2. Auflage, S. 61 f. bei Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 24. 15 Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969, Art. 2 Nr. 98 (BGBl. 1969 I, 645/657). 10

II. Soziale Randgruppen im öffentlichen Raum in Deutschland

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de er aufgehoben16. Der Gesetzgeber sah die allgemeinen Strafvorschriften zur Nötigung, Beleidigung und Hausfriedensbruch als ausreichend an17. Die Liberalisierung des Rechts war auch eine Folge der in der Praxis und Wissenschaft immer lauter werdenden Kritik an der Bestrafung von Bettlern, Wohnungslosen und Landstreichern. Jene wurde als rechtsstaatlich bedenklich angesehen, weil von diesen Personen keine ernsthaften Gefahren für die Allgemeinheit ausginge und sie von Sozialhilfeeinrichtungen betreut werden sollten18. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre kehrte sich ähnlich wie in den Vereinigten Staaten19 in Deutschland der Trend der Liberalisierung des staatlichen Vorgehens gegenüber sozialen Randgruppen um. Dieser wurde durch neue gesellschaftliche Entwicklungen bedingt. Der Drogenmissbrauch nahm zu und führte bei den Abhängigen zu neuen Formen des aggressiven Bettelns und zum Entstehen offener Drogenszenen in den Innenstädten20. Auch in der deutschen Drogenszene begann Mitte der neunziger Jahre die Droge Crack eine wesentliche Rolle zu spielen. In der Frankfurter Drogenszene ist der Konsum dieser Droge von 41 Prozent der gesamten Drogen im Jahre 1998 auf 70 Prozent im Jahre 2001 angestiegen. Das führte zu einer nochmaligen Verschärfung der Situation. Die Crackabhängigen zeigten ein hohes Maß an Aggressivität. Außerdem „beruhigte“ sich die Szene nicht mehr wie in der Vergangenheit am Abend, wenn die „Abhängigen ihren Schuss für den nächsten Morgen in der Hosentasche“ hatten und „zufrieden und entspannt“ waren. Crackabhängige seien rund um die Uhr auf den Beinen und ihr Verhalten dabei deutlich auffälliger als das anderer Drogenabhängiger21. Im Zusammenhang mit den Problemen mit der offenen Drogenszene wurden in westdeutschen Großstädten erstmals Konzepte zur Vertreibung dieser Personengruppen aus den Innenstädten diskutiert und praktiziert22. In den achtziger Jahren kam es außerdem zu einer Zunahme der Obdachlosigkeit aufgrund sozialer Änderungen23. Seit Mitte der neunziger Jahre sind in deutschen Städten die Probleme mit Wohnungslosen, Trinkern, Bettlern und ___________ 16

Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969, Art. 2 Nr. 30 (BGBl. 1969 I, 717/741) und Gesetz über das Inkraftreten des Gesetzes über die 2. Reform des Strafrechts vom 30. Juli 1973 , § 1 (BGBl. 1973 I, 909). 17 BT-Drucksache, 5. Wahlperiode 1969 V/4095, S. 48. 18 Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/485. 19 s. oben B. II. 2. 20 Vgl. Hallstein, Strategien zwischen Vertreibung, Kriminalisierung und effektiver Ausstiegshilfe im nationalen und internationalen Vergleich, 3. 21 Hallstein, Strategien zwischen Vertreibung, Kriminalisierung und effektiver Ausstiegshilfe im nationalen und internationalen Vergleich, 7 ff. 22 Simon, Wem gehört der öffentliche Raum?, 24. 23 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 29; Simon, Wem gehört der öffentliche Raum?, 24.

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

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Mitgliedern der offenen Drogenszene auf den Straßen immer stärker angewachsen. Es hat sich eine Art Lobby gegen diese Personen gebildet. In der Bevölkerung wuchs der Unmut über die sinkende öffentliche Sicherheit und Ordnung. Als Ursache für diese Entwicklung wurden häufig sozialen Randgruppen gesehen24. Das New Yorker Beispiel der „Zero Tolerance“-Strategie fand auch in der deutschen Politik großes Interesse und Zustimmung. Vor diesem Hintergrund forderten viele Politiker in großen deutschen Städten ebenfalls, eine härtere Polizeipraxis gegen soziale Randgruppen einzuführen. Es sollten spezielle Polizeieinheiten zum Vorgehen gegen Drogenszene, Bettler und herumlungernde Wohnungslose gebildet werden. In Berlin forderte der damalige Innensenator Schönbohm ein absolutes Bettelverbot25. In Hamburg forderte der Innensenator Wrocklage in einem Papier über Maßnahmen gegen die „drohende Unwirtlichkeit der Stadt“, dass „Bürger die sozial unangepasstes Verhalten zeigten, wie zum Beispiel Bettler und Trinker“, unter anderem per Verbringungsgewahrsam aus der Stadt entfernt werden sollten26. Besonders fällt ein Zitat des damaligen Berliner CDU-Vorsitzenden Landowsky auf, der die Mechanismen der „Broken Windows“-Theorie in einer stark vereinfachten und gegenüber sozialen Randgruppen herabsetzenden Form darstellt: „Es ist nun einmal so, dass dort, wo Müll ist, Ratten sind, und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muss in der Stadt beseitigt werden.“27 Mit der Verdrängung sozialer Randgruppen aus den Innenstädten sollte auf die Ängste der Bevölkerung eingegangen werden. Umfragen ergaben jedoch, dass sich nur 17 Prozent der Deutschen durch Bettler und Wohnungslose tatsächlich belästigt fühlten. 82 Prozent waren sogar dagegen, dass Bettler und Wohnungslose aus Innenstädten vertrieben werden28.

III. Aufbau der Polizei In Deutschland liegen die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen für die Gefahrenabwehr grundsätzlich bei den Ländern, dem Bund stehen diese nur für speziell geregelte Bereiche zu. Dementsprechend gibt es keine einheitliche Bundespolizei, sondern spezielle Bundespolizeien, wie den Bundesgrenzschutz29. Den wesentlichen Teil der Gefahrenabwehr nehmen jedoch die Län-

___________ 24

Vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff.; Der Spiegel, 24.1997, 48 ff. Vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff. 26 Der Spiegel, 24.1997, 48. 27 Der Spiegel, 24.1997, 48/49. 28 Der Spiegel, 24.1997, 48 ff. 29 Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 35 ff. 25

III. Aufbau der Polizei

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derpolizeien wahr. Diese sind wiederum unterteilt in die Ordnungsbehörden30 und die Polizei beziehungsweise Polizeibehörden31. Zur Abwehr von Gefahren sind primär die allgemeinen beziehungsweise unter Umständen speziellen Ordnungsbehörden zuständig. Die Polizei ist nach den Vorschriften über die Zuständigkeit in den Polizeigesetzen grundsätzlich nur subsidiär zuständig, also nur wenn die Ordnungsbehörden die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig abwehren können32. In der Praxis wird diese Zuständigkeitsverteilung jedoch meist umgekehrt, weil die Ordnungsbehörden kaum über Exekutivkräfte verfügen33, die im Gefahrenfall eingreifen könnten. Im Zusammenhang mit Gefahren, die durch soziale Randgruppen verursacht werden, führen die Zuständigkeitsnormen zu massiven Problemen, weil sich die Beamten der Polizei oft nicht zuständig fühlen beziehungsweise durch die dieser Zuständigkeitsverteilung folgenden Verfahrensweisen demotiviert werden. Die von ihnen aufgrund von Ordnungswidrigkeiten eingeleiteten Bußgeldverfahren werden häufig von den zuständigen Ordnungsbehörden aus Mangel an Kapazitäten eingestellt oder nicht bearbeitet, so dass die Beamten auf der Straße ihre Bemühungen für vergebens halten34. Als Reaktion auf das Problem haben die zuständigen Ordnungsbehörden in Berlin35 und Hamburg36 Exekutivkräfte eingesetzt, die an bestimmten Gefahrenschwerpunkten auf Streife gehen. Da die Polizei in der Praxis eher vor Ort ist und auch die Ausübung von unmittelba-

___________ 30 In Ländern mit Einheitssystem, also Baden-Württemberg, Bremen, dem Saarland und Sachsen die Polizeiverwaltungsbehörden. 31 In den Ländern mit Einheitssystem, also Baden-Württemberg, Bremen, dem Saarland und Sachsen der Polizeivollzugsdienst. Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizeiund Ordnungsrecht, § 2 Rn. 23 ff. 32 Für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist die Polizei jedoch primär zuständig. Vgl. zur Zuständigkeit: Art. 3 BayPAG, § 2 S. 1 BbgPolG, § 4 S. 1 BerlASOG, § 64 BremPolG, § 60 Abs. 2, 3 BWPolG, § 3 Abs. 2 S. 1 a HbgSOG, § 2 Abs. 1S. 1 HessSOG, § 7 Abs. 1 Nr. 3, 4 MVSOG, § 1 Abs. 2 S. 1 NdsSOG, § 1 Abs. 1 S. 3 NWPolG, § 1 Abs. 6 1 RhPfPOG, § 85 Abs. 2 S. 1 SaarlPolG, § 2 Abs. 1 S. 1, 60 Abs. 2, 3 SächsPolG, § 2 Abs. 2 Sachs-AnhSOG, § 168 Abs. 1 Nr. 3 SchlHLVwG, § 3 S. 1 ThürPAG. 33 Vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E 206. 34 Interview mit Vertretern der Berliner Polizei; Aussage eines Kontaktbereichsbeamten in „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002. 35 So genannte „Green Cops“; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 36 Städtischer Ordnungsdienst; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, 1.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

rem Zwang nur ihr obliegt, müssen Polizei und Ordnungsbehörden meist zusammenarbeiten37.

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland 1. Die „Aktion Sicherheitsnetz“ Im Oktober 1997 initiierte der damalige Bundesinnenminister Kanther (CDU) die „Aktion Sicherheitsnetz“, die er im Februar 1998 auf einer Sonderkonferenz der Innenminister und -senatoren vorstellte. Mit dieser Aktion sollte massiv gegen so genannte „Bagatellkriminalität“ vorgegangen und „Milieus der Unordnung“ im Keim erstickt werden. Auf der Innenministerkonferenz wurde das zentrale Ziel der neuen Strategien benannt, die Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. In bestimmten Bereichen, die das Sicherheitsgefühl der Bürger besonders beeinflussten, gebe die Kriminalität Anlass zur Sorge38. Die Konferenz beschloss demzufolge, eine Partnerschaft zur Verstärkung der Kriminalitätsbekämpfung in Bund und Ländern und für mehr Sicherheit in den Städten und Gemeinden zu bilden. Der Beschluss enthielt eine Reihe von Maßnahmen, unter anderem die Reduzierung der Kriminalitätsfurcht durch Eindämmung belästigenden Verhaltens. Die öffentliche Ordnung sei ein schützenswertes Gut. Im Rahmen des partnerschaftlichen Zusammenwirkens sei durch alle Beteiligten darauf zu achten, dass alltägliche, stark belästigende Verhaltensweisen differenziert und angemessen unterbunden sowie konsequent verfolgt würden. Das Überhandnehmen solcher Verhaltensweisen würde die subjektive Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Sicherheit des Alltagslebens negativ prägen. Dem sei durch eine niedrige Eingriffsschwelle entgegenzuwirken39. Als belästigende Verhaltensweisen wurden unter anderem „Rüpelszenen“, öffentlicher Alkoholgenuss, aggressives Betteln, öffentliche

___________ 37 So werden bei Aufenthaltsverboten die Verfügungen durch die in einigen Ländern zuständige Ordnungsbehörde erlassen, während die Polizei die Überwachung und Vollstreckung übernimmt. Beispielsweise für München Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; für Hessen Korrespondenz mit einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport. Das gilt aber nur für Aufenthaltsverbote, die aufgrund der Generalklausel ergehen. Die in einigen Bundesländern geregelten Standardmaßnahmen fallen unter die Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, für die ohnehin die Polizei (also Polizeivollzugsdienst bzw. Polizeivollzugsbehörden) zuständig sind. 38 Tagesspiegel, 25.10.1997, 2. 39 Pressestelle des IMK-Vorsitzenden, Die Polizei 1998, 110.

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

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Rauschgiftszenen, Rücksichtslosigkeit in Fußgängerzonen und Lärmbelästigung benannt40. Insgesamt stellte die „Aktion Sicherheitsnetz“ ein umfangreiches Maßnahmepaket dar, in dem die verschiedensten gesellschaftlichen Akteure mitwirken sollten. So war unter anderem geplant, die Präsenz von Sicherheits- und Ordnungsbehörden zu erhöhen, um den Bürgern ein verstärktes Gefühl von Sicherheit vermitteln zu können. Dabei sollten Ordnungs-, Ausländer-, Jugendund Sozialbehörden mit Polizei und Justiz kooperieren. Im Bereich gefährdeter Bahnhöfe und im öffentlichen Nahverkehr sollte die Zusammenarbeit von Landespolizei und Bundesgrenzschutz intensiviert werden41. Die Umorganisation der Polizei sollte zu mehr Bürgernähe führen, insbesondere durch schnelle Erreichbarkeit und verstärkte Präsenz in Form von Kontaktbeamten und Fußstreifen. Außerdem wurde die Förderung der Kooperation zwischen staatlichen und privaten Institutionen beschlossen. Insbesondere der Erziehungsauftrag der Familien, Schulen und Kirchen bei der Wertevermittlung sollte wieder in den Vordergrund rücken. Im Aufgabenbereich der Justiz sollten die Verfahren beschleunigt, von der Hauptverhandlungshaft verstärkt Gebrauch gemacht und in ausreichender Zahl Haftplätze geschaffen werden42. Im Rahmen der „Aktion Sicherheitsnetz“ rief Kanther die SPD-regierten Länder auf, den „Schutz der öffentlichen Ordnung“ wieder in die Polizeigesetze aufzunehmen43. Die „Aktion Sicherheitsnetz“ lässt die Orientierung der deutschen Politik an der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie deutlich werden44. Das Programm zeigt einige Parallelen zur New Yorker „Quality of Life“-Initiative. Es soll ebenso gegen geringfügige Vergehen und Verwahrlosungstendenzen vorgegangen werden. Ziel sind auch wieder Drogenszene, Wohnungslose, Bettler und Trinker. Auch die vorgesehene Beschleunigung der Verfahren und Erhöhung der Verhaftungen sind sowohl Bestandteile der New Yorker als auch der deutschen Strategie45. ___________ 40

Tagesspiegel, 25.10.1997, 2. Für die „Aktion Sicherheitsnetz“ hat der Bundesinnenminister in den einzelnen Ländern persönlich geworben. Unter anderem verschaffte er sich am 22. Januar 1998 einen Eindruck von der Sicherheit der Berliner U- und S-Bahnen, wobei bezweifelt werden kann, inwieweit das bei der entsprechenden Anzahl an Begleitpersonen sinnvoll war. Am selben Tag führten 430 Berliner Polizisten gemeinsam mit 340 BGS-Beamten Razzien an U- und S-Bahn Stationen und Kriminalitätsschwerpunkten durch. Dabei überprüften sie 150 Personen und nahmen 51 fest (Tagesspiegel, 23.1.1998). Bei einer ähnlichen Aktion am 27. Februar 1998 wurden 1.500 Personen überprüft (Tagesspiegel, 28.2.1998). 42 Pressestelle des IMK-Vorsitzenden, Die Polizei 1998, 110 f. 43 Tagesspiegel, 28.1.1998; s. zum Begriff der öffentlichen Ordnung unten: C. VI. 2. 44 So auch Hecker, Die Zeit, 26.02.1998, 13. 45 s. zur „Quality of Life“-Initiative, B. IV. 1. 41

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Dieses Modell der Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesländern wurde unter der folgenden SPD-Regierung unter dem Namen „Sicherheitspartnerschaften“ fortgesetzt46. Insbesondere wurde die Zusammenarbeit zwischen Bundesgrenzschutz und Länderpolizeien weiter verstärkt47.

2. Die Polizeistrategien der Länder In mehreren deutschen Städten wurden von Landespolizei und Bundesgrenzschutz im Rahmen von Modellprojekten der Bundesregierung gemeinsame Aktionen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bürger durchgeführt, bei denen unter anderem konsequent gegen Kleinstkriminalität und Ordnungsverstöße vorgegangen werden sollte. Ziel war unter anderem die „Verhinderung von Sicherheits- und Ordnungsstörungen durch soziale Randgruppen“48. Die Länder folgten der „Aktion Sicherheitsnetz“ mit eigenen Maßnahmepaketen. In den entsprechenden Mitteilungen einiger Innenministerien und Senate wurde festgestellt, dass das „Sicherheitsgefühl der Bürger und Bürgerinnen“ in Ballungsräumen durch Alltagskriminalität sowie durch „soziale und optische Verwahrlosung“ im öffentlichen Raum beeinträchtigt werde49. Diese Formulierungen zeigen wiederum den neuen und durchaus problematischen Fokus der Polizeistrategien auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als zu schützendes Gut. Zu den vorgesehenen Maßnahmen gehörte unter anderem ein gezieltes Vorgehen gegen Ordnungsstörungen und die Verhinderung von Verwahrlosungstendenzen50. Außerdem sollte der „charakteristischen Neigung zur Szenebildung und -verfestigung“ durch soziale Randgruppen entgegengewirkt wer___________ 46

Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, Nr. 3 [15.08.2002]. 47 Der Spiegel, 41.2000, 50. Auf die verfassungsrechtlichen Probleme der Kompetenzen, die in diesem Zusammenhang entstehen, wird hier nicht weiter eingegangen werden. 48 Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, Nr. 5 [15.08.2002]. 49 Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268; vgl. auch Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231. 50 Acht-Punkte-Programm „Baden-Württemberg – mit Sicherheit und Ordnung“ [21. Mai 2002]; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, 1: „Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist nachdrücklich das Ziel zu verfolgen, die Sicherheit und Sauberkeit in Hamburg umgehend und sichtbar zu verbessern.“

IV. Polizeistrategien gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

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den51. Zum Teil wurde für die Polizei ausdrücklich eine niedrigere Einschreitschwelle gegenüber Ordnungsverstößen angeordnet, um die Verwahrlosung des öffentlichen Raums zu verhindern52. Gegen Ordnungsstörungen sollte sowohl mit präventiven Maßnahmen, wie Platzverweis beziehungsweise Aufenthaltsverbot und Ingewahrsamnahme, als auch mit repressiven Mitteln, das heißt mit konsequenter Verfolgung festgestellter Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, vorgegangen werden. Zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bürger bauten die Länder daneben auf verstärkte polizeiliche Präsenz in Form von Fußstreifen53. In einigen Ländern wurden für den Problembereich sozialer Randgruppen spezielle Polizeikräfte eingesetzt. Beispielsweise wurden in Bremen Randgruppen, das heißt „in der Regel lagernde und zechende Personengruppen“, durch erfahrene Kontaktpolizisten betreut54. In München wurde der Bildung von Szenen durch Personen der Rauschgiftszene oder Wohnungslosen mit einem anhaltend hohen polizeilichen Kontroll- und Verfolgungsdruck entgegengewirkt. Dabei kam es ähnlich der New Yorker „stop and frisk“-Politik zu vermehrten Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen und Ingewahrsamnahmen, aber auch zu Platzverweisen55. Auch in Saarbrücken wurde gegenüber Drogenszene, Wohnungslosen und Punkern verstärkt vorgegangen, um die Entstehung einer offenen Szene zu vermeiden. Ein Verdrängungseffekt durch präventive Maßnahmen wie Platzverweis und Ingewahrsamnahmen war dabei durchaus gewollt56. ___________ 51

Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 52 Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269. 53 Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, Nr. 6 [15.08.2002]. 54 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Bremen – Pressestelle. 55 Auskunft des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz – E 3 vom 29.04.2002. 2001 wurden im Zusammenhang mit polizeilichen Schwerpunktmaßnahmen an Brennpunkten der Rauschgiftkriminalität bei 13.700 Personen die Identität festgestellt und 4.500 Platzverweise ausgesprochen, die in 75 Fällen mit Ingewahrsamnahmen durchgesetzt wurden. Über 500 Personen wurden wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorläufig festgenommen. 56 Korrespondenz mit einem Vertreter der GdP Saarland. Zusätzlich werden aber verstärkt Hilfsangebote gemacht, wie zum Beispiel auch ein Drogenkonsum-Raum und die Ausgabe von Spritzen. Außerdem werden die eingesetzten Beamten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Drogensucht eine Krankheit sei, dass bei der Durchführung der Maßnahmen die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Personen zu beachten seien, dass die Menschenwürde zu achten sei und dass sowohl höflich und mit entsprechenden Erklärungen vorgegangen als auch auf Hilfsangebote hingewiesen werden soll.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Neben den Konzepten, die auf die Verdrängung der Randgruppen aus den Innstädten mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts abzielen, gab und gibt es in den meisten deutschen Städten Konzepte bürgernaher Polizeiarbeit, die sich an „Community Policing“57 orientieren. Diese Konzepte bauen auf Präventionsräte, in denen verschiedene gesellschaftliche Gruppen zusammenarbeiten, und auf Sicherheitspartnerschaften zwischen der Polizei und den Bürgern58. Auch die Polizeistrategien der Länder lassen eine starke Orientierung an dem amerikanischen Vorbildern erkennen. In Baden-Württemberg wurde 1997 ein Acht-Punkte-Programm „Baden-Württemberg – mit Sicherheit und Ordnung“ eingeführt59. Ein Punkt dieses Programms fordert ein „gezieltes Vorgehen gegen Ordnungsstörungen“ durch die „Beseitigung von Verwahrlosungstendenzen im Ansatz“. Begründet wurde das Vorgehen gegen Verwahrlosungstendenzen ausdrücklich in Anlehnung an die „Broken Windows“-Theorie. Verwahrlosung wirke als Magnet für Problemgruppen. Damit gehe eine zwangsläufige „Entwidmung“ solcher Orte für die Allgemeinheit einher. Deshalb solle bereits die Entstehung solcher „Angsträume“ verhindert werden, zum Beispiel durch entsprechende Bebauung, Beleuchtung, Sauberkeit, aber auch durch Maßnahmen des Polizeivollzugsdienstes, wie erhöhte Präsens und Platzverweise60. Vertreter der Polizei Niedersachsens wiesen darauf hin, dass die Bevölkerung von der Polizei auch die Verhinderung der Verwahrlosung des öffentlichen Raums verlange. Aus der „Broken Windows“-Theorie und den entsprechenden Untersuchungen in den USA ergebe sich, dass dafür ein frühzeitiges und konsequentes Einschreiten notwendig sei61. Auch unabhängig von ausdrücklichen Bezügen wird deutlich, dass ebenso wie in New York der neue Schwerpunkt der Polizeiarbeit auf der Bekämpfung öffentlicher Unordnung liegen soll. Dabei soll wie in New York bereits auf niedrigster Stufe eingeschritten werden. Wie in den Vereinigten Staaten wurde auch in Deutschland kritisiert, dass der Schwerpunkt der Polizeiarbeit auf der Bekämpfung schwerer Kriminalität lag und dabei die Bedürfnisse der Bürger aus den Augen verloren worden wären. Daher wurde eine Umstrukturierung ___________ 57

Zum Konzept des „Community Policing“ s. A. I. 2. Vgl. zu den „Präventionsräten“ Darnstädt, Spiegel 28.1997, 48 ff.; Sack in: Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 21/40; Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, [15.08.2002]; Die Berliner Polizei arbeitet unter anderem mit Sozialarbeitern im Arbeitskreis „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei zusammen. 59 [21. Mai 2002]. 60 Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums Baden-Württemberg – Landespolizeipräsidium – Öffentlichkeitsarbeit. 61 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover. 58

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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der Polizei gefordert, die wie im New Yorker Polizei-Department zur Dezentralisierung und dadurch zu mehr Bürgernähe führen soll62. Die Programme der Bundesländer bestehen ebenso wie die New Yorker „Quality of Life“-Initiative aus Maßnahmebündeln, die jeweils auch auf die Struktur der Polizeibehörden, die Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden, eine erhöhte Präsenz der Polizei und die Zusammenarbeit mit den Bürgern abstellen. Im Rahmen dieser Arbeit wird das präventive Vorgehen gegen soziale Randgruppen behandelt. Unter rechtlichen Gesichtspunkten sind in Deutschland insbesondere das Aufenthaltsverbot, Verbringungsgewahrsam und Sondernutzungssatzungen beziehungsweise Gefahrenabwehrverordnungen problematisch.

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen Im folgenden Abschnitt wird die Praxis der deutschen Länder gegenüber sozialen Randgruppen dargestellt. Um ein möglichst umfassendes Bild über die Vorgehensweise der Ordnungs- und Polizeibehörden gegenüber sozialen Randgruppen zu bekommen, wurden die Innenministerien und zum Teil auch Polizeipräsidien in den einzelnen Ländern befragt. Die Antworten waren von sehr unterschiedlichem Umfang und Auskunftswert63. Gleichzeitig wurde Kontakt mit sozialen Einrichtungen aufgenommen, deren Hilfsangebote an Mitglieder der betroffenen Personengruppen gerichtet sind und die dadurch auch mit den Problemen, die diese mit der Polizei haben, vertraut sind. Die Auskünfte dieser Einrichtungen widersprachen zum Teil eklatant denen der Polizei. So wurde beispielsweise in Gesprächen mit Vertretern der Berliner Polizei versichert, dass in Berlin die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams praktisch nicht angewendet würde64. Nach Angaben der Vertreter sozialer Einrichtung und auch der Presse war der Verbringungsgewahrsam jedoch eine durchaus übliche Maßnahme gegenüber Trinkern, Wohnungslosen und Drogensüchtigen65. ___________ 62

Vgl. Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl Nr. 39/1998, S. 1268); Zum „Berliner Modell“ mit Kritik Voß, Kriminalistik 2002, 153 ff.; zur Umstrukturierung des New York City Police Departments s. B. IV. 2. 63 Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt hat sich aus „polizeitaktischen und -praktischen Gründen“ auf die Übersendung des Polizeigesetzes, der Ausführungsbestimmungen und eines Plenarprotokolls beschränkt. Aus anderen Ländern kamen hingegen sehr ausführliche und aufschlussreiche Berichte. 64 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Interview mit dem Justitiar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin. 65 Korrespondenz mit Vertretern von KuB (Kontakt und Beratung Berlin); Treberhilfe Berlin e.V; Sub/Way Berlin e.V.; Der Spiegel 24/1997, 48/50.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Selbst eine Veröffentlichung der Landespolizeischule Berlin lässt darauf schließen, dass der Verbringungsgewahrsam in Berlin angewendet wurde und noch wird, weil sie ihn als Maßnahme zur Durchsetzung von Platzverweisen nennt66. Die Anfragen an die Innenministerien und Polizei zum Vorgehen gegenüber sozialen Randgruppen wurde sehr unterschiedlich beantwortet. Aus den Ländern Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern wurde mitgeteilt, dass die Probleme mit der offenen Drogenszene und Wohnungslosen nicht so stark seien, dass es spezifischer polizeilicher Maßnahmen bedürfe67. Trotzdem wurde in Mecklenburg-Vorpommern das Aufenthaltsverbot als Standardmaßnahme68 eingeführt, unter anderem zur Bekämpfung der offenen Drogenszene69. Teilweise wurde bestätigt, dass es Maßnahmen gegen soziale Randgruppen gebe70. Dabei wurde aber immer betont, dass die Polizei erst einschreite, wenn die entsprechenden Personen eine konkrete Gefahr verursachten71. Vertreter der Innenministerien von Berlin und Hamburg betonten, dass nicht spezifisch gegen Mitglieder sozialer Randgruppen vorgegangen werde, sondern unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Personengruppe beim Vorliegen einer konkreten Gefahr72. Sowohl in Berlin als auch in Hamburg wird jedoch verstärkt gegen bestimmte Verhaltensweisen, wie das Niederlassen zum Alkoholkonsum, die Entsorgung von Müll auf der Straße und das Freilaufenlassen von Hunden eingeschritten73. Diese Verhaltensweisen werden überwiegend durch Personen ___________ 66 Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 17. 67 Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums MecklenburgVorpommern und einem Vertreter des Thüringer Innenministeriums. 68 § 52 Abs. 3 MVSOG. 69 Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38. 70 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Bremen – Pressestelle; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern; einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Brandenburg; einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern. 71 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Bremen – Pressestelle; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministerium des Innern; einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Brandenburg; einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern. 72 Interview mit dem Justitiar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes im Stab des Polizeipräsidenten in Berlin; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Korrespondenz mit einem Vertreter der Behörde für Inneres in Hamburg. 73 Vgl. Berliner Zeitung vom 04.07.2001, Lokales; Mitteilung des Hamburger Senats an die Bürgerschaft, Drucksache 17/2231, 1.

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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verwirklicht, die auf der Straße leben, also Wohnungslose, Trinker und Mitglieder der Drogenszene. Dass bei Einschreiten der Polizei grundsätzlich eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegen muss, ergibt sich aus den jeweiligen Polizeigesetzen. In der Praxis wird diese Voraussetzung jedoch nicht immer beachtet. Für die Berliner Praxis wurde bestätigt, dass Platzverweise an bestimmten Orten gegen bestimmte Personen eine „Standardmaßnahme“ darstellen. In diesen Fällen würde keine Gefahrenprognose erstellt, sondern die Polizei handele mit „Tunnelblick“. Sollte es zu einer gerichtlichen Überprüfung kommen, würde die Polizei eine Gefahrenprognose erstellen können. Dazu gehöre nicht viel Fachwissen74. Durch Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, die Obdachlose, Drogensüchtige und Trinker betreuen, wurde bestätigt, dass spezifische polizeilichen Maßnahmen gegen diese Personengruppen durchgeführt werden, vor allem Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Verbringungsgewahrsam. Anlass für diese Maßnahmen sind meist das Konsumieren von Alkohol und Urinieren in der Öffentlichkeit, die Entsorgung von Müll (meist leere Flaschen und Büchsen) auf der Straße sowie aggressives Betteln75. Gegenüber den jeweiligen Betroffenen werden die Gründe für eine konkrete Maßnahme jedoch häufig nicht deutlich gemacht76. Ein Beispiel für das Vorgehen gegen soziale Randgruppen sind die verstärkten Kontrollen an sozialen Brennpunkten in Berlin im Frühjahr und Sommer 2003, insbesondere am Bahnhof Zoologischer Garten, Alexanderplatz, rund um den S-Bahnhof Friedrichstraße und den Ostbahnhof77. Für den Bahnhof Friedrichstraße wurden die Polizeibeamten angewiesen, die dort lagernde Gruppe von Punkern täglich zu überprüfen78. Am Alexanderplatz wurden teilweise Platzverweise gegen alle Angehörigen einer Gruppe von Punkern erteilt. Als Begründung dafür wurden Verstöße gegen das Verbot des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit oder auffällige Verhaltensweisen angegeben. Tatsächlicher Hintergrund der massiven Kontrollen und Platzverweise war aber

___________ 74

Aussage eines Berliner Polizisten. Korrespondenz mit Vertretern der Treberhilfe e.V. und Kontakt und Beratung (KuB). Vgl. auch: Permien/Zink, in: Ludwig-Mayerhofer (Hrsg.), Soziale Ungleichheit, Kriminalität und Kriminalisierung, 149/162. 76 Korrespondenz mit einem Vertreter der Treberhilfe e.V. 77 Protokolle des Arbeitskreises „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 29. Januar 2003, 28. Mai 2003; 2. Juli 2003; 6. August 2003; 27. August 2003. An den Bahnhöfen werden diese Kontrollen durch den BGS durchgeführt. Soweit es sich um gefährliche Orte handelt, ist die Identitätsfeststellung verdachtsunabhängig nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 ASOG Bln bzw. § 23 Abs. 2 Nr. 1 BGSG möglich. 78 Protokolle des Arbeitskreises „City-Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 2. Juli 2003; 27. August 2003. 75

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

der Anstieg der Raubtaten in diesem Bereich79. Die Maßnahmen der Polizei zielen dabei häufig auf Verdrängung der an diesen Orten auf der Straße lagernden Personengruppen. In jüngster Zeit wurden daher am Bahnhof Friedrichstraße nicht nur Platzverweise für diesen Bereich, sondern „prophylaktisch“ mit für den Alexanderplatz erteilt80. Am Ostbahnhof weckte ein Beamter regelmäßig die dort auf der Straße schlafenden Personen und erteilte ihnen Platzverweise. Später wurden alle Papierkörbe vor dem Bahnhof entfernt. Dadurch entsorgten dort anwesende Obdachlose ihren Müll auf der Straße, was wiederum zu Platzverweisen führte81. Ein Problem bei Maßnahmen gegen Trinker, Wohnungslose und Drogensüchtige ist, dass die Betroffenen oft keine gerichtlichen Schritte einlegen wollen. Deshalb kommen die Fälle, in denen Maßnahmen gegen Randgruppen durchgeführt wurden, häufig nicht in die (Fach-)Presse82. Ein zentraler Aspekt für die Verdrängung von Wohnungslosen durch Aufenthaltsverbote, aber auch Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen wird öffentlich kaum diskutiert. Diese haben einen Anspruch auf Sozialhilfe gegen die Gemeinde, in der die Personen behördlich gemeldet sind. Daraus ergibt sich ein Interesse der Gemeinden, die betroffenen Personen in andere Gemeinden beziehungsweise größere Städte zu verdrängen, anstatt sie im Gemeindegebiet behördlich zu melden83.

1. Aufenthaltsverbot Ein Aufenthaltsverbot ist die Anordnung an eine Person, sich von einem bestimmten Ort oder Gebiet zu entfernen und dieses auch für einen längeren Zeitraum nicht mehr zu betreten. Bei dem Gebiet handelt es sich meist um größere Bereiche der Innenstadt, der Zeitraum erstreckt sich in der Regel auf drei bis sechs Monate84. Die Bezeichnungen für diese Maßnahme differieren zwischen „Platzverweisung“85, „Platzverweisungsverfahren mit Betretungsverbot“86 und ___________ 79

Protokoll des Arbeitskreises „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 6. August 2003. 80 Protokoll des Arbeitskreises „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 27. August 2003. 81 Protokolle des Arbeitskreises „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 2. Juli 2003; 6. August 2003. 82 Korrespondenz mit Vertretern der Treberhilfe e.V. und Kontakt und Beratung (KuB). 83 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen. 84 In der Musterverfügung der Polizeidirektion Hannover ist sogar von 9 Monaten die Rede. 85 So die Gesetzesformulierung in § 14 Abs. 2 BremPolG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 34 Abs. 2 NWPolG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG.

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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„Aufenthaltsverbot“87. In dieser Arbeit wird der Begriff Aufenthaltsverbot verwandt, weil dieser den Unterschied zum Platzverweis am deutlichsten werden lässt. Das Aufenthaltsverbot wurde in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen88, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen als Standardmaßnahme in die Polizeigesetze eingeführt89. Die bundesweit erste gesetzliche Regelung war die des § 17 Abs. 2 NdsGefAbwG, der 1996 anlässlich der „Chaostage“, die 1995 in Hannover stattfanden, in das niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz aufgenommen wurde90. In einigen größeren Städten wurde das Aufenthaltsverbot bereits Anfang der neunziger Jahre eingesetzt, um offene Szenen, insbesondere die Drogenszene, zu zerstören91. In der heutigen Praxis werden Aufenthaltsverbote im Bezug auf soziale Randgruppen nach Angaben von Polizei und Innenministerien der Länder vor allem gegen Mitglieder der Drogenszene92, aber auch gegen andere ___________ 86

Vgl. für Baden Württemberg Deger, VBlBW 1996,90/91. So die Gesetzesformulierung in § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG. 88 In Bremen und Hessen wurden bis dahin auf die Generalklausel gestützte Aufenthaltsverbote nicht mehr angewendet, nachdem die häufig dagegen eingelegten Rechtsmittel erfolgreich waren und sich die Aufenthaltsverbote daher in der Praxis als uneffektiv erwiesen haben (Korrespondenz mit der Polizei Bremen – Pressestelle; einem Vertreter des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport). Das dürfte sich nach Einführung der Standardmaßnahmen in die entsprechenden Landespolizeigesetze geändert haben. 89 § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 34 Abs. 2 NWPolG; § 13 Abs. 3 RhPfPolG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 90 s. dazu: Gössner in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 8. Seit der Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vom 11. Dezember 2003 ist das Aufenthaltsverbot in § 17 Abs. 4 NdsSOG geregelt. 91 So für Baden-Württemberg und Bayern: Deger, VBlBW 1996, 90; Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern. 92 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.3. ; Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Bremischen Polizeigesetzes vom 04. September 2001, 3; Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentli87

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Personen an Kriminalitätsschwerpunkten erlassen93. Teilweise werden Aufenthaltsverbote eingesetzt, um auswärtige Drogendealer fernzuhalten und dadurch eine Verfestigung der Strukturen zu verhindern94. Nach Angaben von Vertretern sozialer Einrichtungen werden Aufenthaltsverbote auch wegen aggressiven Bettelns erlassen95. Ziel der Aufenthaltsverbote ist die Verdrängung der betroffenen Personen von Kriminalitätsschwerpunkten, die Verhinderung einer festen Szene an diesen Orten und im Bereich der Drogenkriminalität die Verhinderung einer offenen Drogenszene96. Aufenthaltsverbote werden im Verbund mit anderen Maßnahmen als geeignete und unverzichtbare Mittel zur Reduzierung der Drogenkriminalität und anderer Kriminalitätsschwerpunkte im öffentlichen Raum gesehen97. Die Drogendealer würden dadurch in erheblichem Maße in ihrer kriminellen Betätigung eingeschränkt98. Nach Angaben der Polizei in Berlin wur___________ che Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (AB SOG LSA), Runderlass des Ministeriums des Innern vom 24.08.2000 MBl. LSA Nr. 28/2000 vom 9.10.2000, 864. 93 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 94 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover. 95 Korrespondenz mit Vertretern von KuB (Kontakt und Beratung Berlin) und Treberhilfe Berlin e.V. 96 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 97 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. So auch: Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.3. ; Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Bremischen Polizeigesetzes vom 04. September 2001, 3; Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheitsund Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38; Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (AB SOG LSA), Runderlass des Ministeriums des Innern vom 24.08.2000 MBl. LSA Nr. 28/2000 vom 9.10.2000, 864. 98 Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38.

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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de unter anderem durch Aufenthaltsverbote die sich bildende offene Drogenszene im Thälmannpark erfolgreich zerschlagen. Eine Verdrängung der Szenen in andere Stadtgebiete sei nicht zu befürchten, weil die Suchtkranken immer wieder zurück kämen. Die Dealer seien vorsichtiger, bei ca. zwei Dritteln von ihnen sei die Androhung eines Zwangsgeldes wirksam99. Teilweise wird betont, dass Aufenthaltsverbote nur als Teil eines Maßnahmekonzepts geeignet seien, offene Drogenszenen zu bekämpfen. Gegenüber Dealern sei die Strafverfolgung vorrangig, das Aufenthaltsverbot könne hier nur ergänzende Wirkung haben. Gegenüber Konsumenten böten sich Aufenthaltsverbote nur an, wenn jene in den Drogenhandel involviert seien oder durch aggressives Verhalten Probleme in Drogenhilfeeinrichtungen verursachten100. Teilweise wird mittlerweile ganz von Aufenthaltsverboten abgesehen und der Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität auf repressive Maßnahmen der Strafverfolgung gelegt101. Gegenüber Wohnungslosen und Trinkern wird die Verdrängung durch Verweisungen von bestimmten Orten als ungeeignete Maßnahme angesehen. Durch die dann dezentralen Aufenthaltsorte würden sich die Beschwerden in der Bevölkerung nur vermehren. Sinnvoller sei es bestimmte Plätze für diese Personen festzulegen, an denen dann auch eine bessere polizeiliche Überwachung in Bezug auf mögliche Straftaten möglich wäre102. Vertreter sozialer Einrichtungen sehen auch in der Verdrängung von Drogensüchtigen ebenso wie in der von Wohnungslosen und Trinkern eine kontraproduktive Maßnahme. Dadurch, dass die Betroffenen sich nicht mehr im üblichen Gebiet aufhalten, werde die Sozialarbeit erheblich erschwert und der Kontakt zwischen Bedürftigen und Beratungs- beziehungsweise Hilfseinrichtungen zerstört103. Bei Wohnungslosen oder Trinkern kommt hinzu, dass häufig ihr einziger sozialer Kontakt gerade in der Gruppe besteht, die an einem bestimmten Ort lagert.

___________ 99 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 100 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main. 101 So für Hamburg: Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Hamburg. Als weiterer Grund wurde die fehlende Rechtsgrundlage angegeben. 102 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen; Permien/Zink, in: LudwigMayerhofer (Hrsg.), Soziale Ungleichheit, Kriminalität und Kriminalisierung, 149/163. 103 Korrespondenz mit Vertretern von KuB (Kontakt und Beratung Berlin) und Treberhilfe Berlin e.V.; Permien/Zink, in: Ludwig-Mayerhofer (Hrsg.), Soziale Ungleichheit, Kriminalität und Kriminalisierung, 149/163.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Vertreibt man sie von diesem Ort, wird dadurch die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft noch verschärft104. Aufenthaltsverbote werden sowohl als Allgemeinverfügung als auch als Einzelbescheide erlassen. Eine Münchner Allgemeinverfügung vom 19. April 1994 enthält für den Englischen Garten ein Betretungsverbot für alle Personen, die diesen betreten, um Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG abzugeben, zu erwerben, zu konsumieren oder zu lagern, beziehungsweise die derartige Betäubungsmittel besitzen105. Für Zuwiderhandlungen wird ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro angedroht, in den Jahren 1994 bis 2001 wurden 2.319 Zwangsgeldbescheide erlassen106. Aufenthaltsverbote als Einzelbescheide ergehen in der Regel schriftlich. In den Bescheiden wird der Grund für das Aufenthaltsverbot angegeben, meist wiederholte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Außerdem wird der betroffene Bereich bezeichnet und in einem angefügten Lageplan kenntlich gemacht. Für Zuwiderhandlungen wird ein Zwangsgeld angedroht107. In München umfassen die im Bereich der Rauschgiftkriminalität als Einzelbescheide ergehenden Aufenthaltsverbote alle Brennpunkte der Drogenkriminalität, unabhängig davon, in welchem Bereich der Betroffene konkret auffällig wurde. Dadurch soll verhindert werden, dass das Aufenthaltsverbot nur zu einer Verdrängung in andere Problembereiche der Stadt führt108. Auch in Hannover werden Aufenthaltsverbote gegenüber Personen, die innerhalb der Stadt oder der Region wohnen beziehungsweise ohne festen Wohnsitz sind, für alle Bereiche, in denen sich eine offene Drogenszene entwickelt hat, die so genannte „Verbotszone 1“ erlassen. Gegenüber Personen, die ihren Wohnsitz außerhalb von Hannover haben, werden Aufenthaltsverbote für die gesamte Stadt Hannover, die so genannte „Verbotszone 2“ erteilt109. ___________ 104

„Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002. 105 Bekanntmachung im Amtsblatt der Landeshauptstadt München – Nr.12/1994 S. 90). 106 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 107 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Musterbescheid für die Polizeipräsidien des Landes Brandenburg. 108 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 109 Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover.

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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In allen Ländern werden Ausnahmen zu den, in Aufenthaltsverboten enthaltenen, Betretungsverboten gewährt. Wenn der Betroffene im Verbotsgebiet wohnt, darf der Zugang zur Wohnung nicht beeinträchtigt werden110. Teilweise wird daneben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in diesem Fall, neben dem Zugang zur Wohnung auch sonst die Bewegungsfreiheit in zumutbarer Weise zu ermöglichen ist111. Meist muss auch die Wahrnehmung „berechtigter Interessen“ innerhalb des Verbotsgebietes gewährleistet sein112. Was unter berechtigten Interessen zu verstehen ist, hängt vom konkreten Fall ab. Genannt werden hier der Besuch eines Arztes, Rechtsanwaltes, einer Drogenberatungsstelle113, teilweise auch Schulbesuch und Religionsausübung114. Die weiteste Formulierung erfasst „alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens“ wie das Einkaufen, der Besuch von Verwandten, Behörden und anderer Dienststellen115. Teilweise gelten nur die „zwingenden Verrichtungen des täglichen Lebens“116 beziehungsweise „unabweisbare Angelegenheiten“117 als Ausnahmen. ___________ 110 So die spezialgesetzlichen Regelungen: § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 111 Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.3. ; Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, Runderlass des Ministerium des Innern vom 16.07.1998 (Nds. MBl. S. 1078) zu § 17; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 112 s. die gesetzlichen Regelungen in: § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 113 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15; Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.3. ; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 114 Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16. 3. ; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 115 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995. 116 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Musterbescheid für die Polizeipräsidien des Landes Brandenburg.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Dazu zählen neben dem Besuch eines Arztes, Rechtsanwalts oder einer Drogenberatungsstelle auch „bestimmte persönliche Beziehungen“, beispielsweise zum Lebenspartner oder den Eltern. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass nicht jeder Besuch der genannten Stellen, sondern nur ein unvermeidlicher ausnahmefähig ist. In Berlin gilt nach Angaben einiger Vertreter der Polizei die Benutzung der S- und U-Bahn, soweit diese durch das Verbotsgebiet führen, als Ausnahme118, andere Vertreter gaben an, dass die Benutzung des gesamten im Bereich befindlichen öffentlichen Nahverkehrs vom Verbot mit umfasst sei119. Die praktische Gewährung der anerkannten Ausnahmen zu Aufenthaltsverboten erfolgt unterschiedlich120. In München werden die Ausnahmen direkt in der Begründung der Verfügung angegeben121, so dass davon ausgegangen werden kann, dass diese ohne weitere Beantragung gelten. Der Betroffene wird auch sonst grundsätzlich im Rahmen der Verfügung ausdrücklich auf die Möglichkeit von Ausnahmen hingewiesen122. Meist muss er jedoch für den Fall, dass er das Verbotsgebiet aus einem der Ausnahmegründe betreten will, diese grundsätzlich vorher schriftlich oder durch persönliches Erscheinen bei der anordnenden Stelle anzeigen123. In besonderen Fällen kann die Anzeige telefo___________ 117

Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 118 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 119 Interview mit dem Justitiar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin, so auch Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 120 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995. 121 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995: „Zwar wird Ihnen in Bereichen der Landeshauptstadt München der Aufenthalt untersagt, unbenommen bleiben Ihnen aber alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens wie etwa das Einkaufen, der Besuch von Verwandten, Behörden, anderer Dienststellen, Arztpraxen, Beratungsstellen etc.“. Dabei handelt es sich um so genannte beschränkte Aufenthaltsverbote, vgl. dazu: VG München v. 12.10.1998, M 17 S 98.1236, unveröffentlichte Entscheidung, durch VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben. 122 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15; Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.7. ; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 123 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover; Korrespondenz mit einer Vertreterin des Mi-

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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nisch erfolgen124. Teilweise trägt der Betroffene die Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes125. In anderen Ländern hingegen muss er die Tatsachen, die die Ausnahme begründen, nicht beweisen, sondern nur glaubhaft machen. An die Glaubhaftmachung werden dabei nicht besonders hohe Anforderungen gestellt126. In manchen Ländern wird die Ausnahme in einem gesonderten Bescheid erlassen, den der Betroffene in der Verbotszone mitführen und unter Umständen vorlegen muss127. Grundsätzlich wird die Einhaltung der Aufenthaltsverbote durch die Polizei systematisch kontrolliert. Dies geschieht entweder durch tägliche Kontrollen in bestimmten Gebieten oder durch Sondereinsätze, bei denen die Identität der Betroffenen festgestellt wird128. Dabei ist das Antreffen von mit Aufenthaltsverbot belegten Personen im Verbotsgebiet zu dokumentieren, insbesondere, ob der Aufenthalt zu Wahrnehmung berechtigter Interessen oder aber ohne Ausnahmegrund stattfand129. Zum Teil genügt es jedoch zur Feststellung von Verstößen gegen Aufenthaltsverbote, dass der Betroffene von einem Polizeibeamten im Verbotsgebiet gesehen wird, ohne dass eine Identitätsfeststellung durchgeführt werden muss130.

___________ nisteriums des Innern Land Brandenburg; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 124 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15: in Berlin sind für die Beantragung sowohl Adresse als auch Telefonnummer angegeben, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die telefonische Beantragung immer möglich ist. 125 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 126 Korrespondenz mit einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Land Brandenburg: Die Polizei müsse jedoch gemäß § 26 VwVfG, soweit dies geboten scheint, die Angaben des Betroffenen durch „angemessene und maßvolle“ Ermittlungen überprüfen. Dabei stehe es ihr nicht zu, bei einem Rechtsanwalt oder Arzt nachzufragen, ob eine Person dort gerade berechtigt vorspricht. In diesem Falle wäre „diskrete Nachschau“ angemessen. 127 Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover. 128 Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover. 129 Korrespondenz mit einer Vertreterin des Ministeriums des Inneren des Landes Brandenburg. 130 So für die Berliner Polizeipraxis: Korrespondenz mit Vertretern von KuB (Kontakt und Beratung Berlin) und Treberhilfe Berlin e.V.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

2. Verbringungsgewahrsam Die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams ist gegeben, wenn eine Person von der Polizei im Dienstwagen aus einem bestimmten Gebiet an einen davon entfernten Ort verbracht wird. Dabei geht es meist um die Verbringung aus der Innenstadt an den Stadtrand. Dadurch sollen Störungen, die durch diese Personen in der Innenstadt aufgetreten sind, für die Zeit, die diese hinaus verbracht werden und die sie für den Weg zurück in die Stadt brauchen, verhindert werden. Außerdem geht es um die Zerstreuung von Ansammlungen Wohnungsloser oder Angehöriger der Drogenszene, indem einzelne Personen aus der Innenstadt verbracht werden131. Beim Verbringungsgewahrsam gehen, wie oben bereits erwähnt, die Aussagen der Vertreter von Polizei und Innenministerien und die tatsächliche Praxis besonders auffallend auseinander. Das mag daran liegen, dass es in keinem Bundesland eine Standardbefugnis für den Verbringungsgewahrsam gibt, dessen Rechtmäßigkeit stark umstritten ist und vom Landgericht Hamburg in einem Strafverfahren verneint wurde132. Aus der Tatsache, dass keine Rechtsgrundlage für den Verbringungsgewahrsam existiert, wird teilweise geschlossen, dass dieser nicht zulässig sei und damit auch nicht angewendet werde133. Andere sehen den Verbringungsgewahrsam als zulässig an, einige als zulässige Vollstreckungsmaßnahme, zum Beispiel zur Durchsetzung eines Platzverweises134, wieder andere als Minusmaßnahme zum Gewahrsam135. Dabei wird betont, dass der Verbringungsgewahrsam nur in bestimmten Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Ausschreitungen im Zusammenhang mit Massenveranstaltungen wie Fußballspielen oder Versammlungen, angewendet werde. Eine Anwendung des Verbringungsgewahrsams ___________ 131 Zur Praxis des Verbringungsgewahrsams insbesondere in Baden-Württemberg: Greiner, Die Polizei 1979, 92 f.; Maaß, NVwZ 1985, 51 ff. 132 s. dazu unten C. VI. 4. a). 133 Korrespondenz mit einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Brandenburg; einem Vertreter des Bayrischen Staatsministerium des Innern; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeibezirksinspektion Saarbrücken, St. Johann. 134 Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums des Landes BadenWürttemberg (Vollstreckungsmaßnahme nach § 50 Abs. 1 PolG); Korrespondenz mit einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern: Diese sieht den Verbringungsgewahrsam wegen der kurzen Dauer nicht als Gewahrsam an, es handele sich daher nur um Verbringung, die nach den Vorschriften des unmittelbaren Zwangs zulässig sei. 135 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Korrespondenz mit einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport und Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (VVHSOG) des Ministeriums des Innern und für Sport, Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 15. Januar 2001, zu § 32 Abs. 1 Nr. 3 1.2., 198/206.

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gegenüber Personen, die nur eine polizeiliche Gefahr darstellen, nicht aber Straftaten verwirklichen, wie zum Beispiel Wohnungslose und angetrunkene Personen im Innenstadtbereich, wird hingegen als unzulässig angesehen136. Vertreter der Berliner Polizei sehen den Verbringungsgewahrsam zwar als zulässig an, bestreiten aber dessen Anwendung gegenüber Mitgliedern der Drogenszene, Wohnungslosen und Trinkern137. Die Maßnahme sei ungeeignet, weil diese Personen um jeden Preis versuchen würden zurückzukommen138. Außerdem sei in Berlin das Netz des öffentlichen Nahverkehrs so dicht, dass die Betroffenen schneller zurück in der Innenstadt seien, als der Polizeiwagen. Weiterhin sei der Gewahrsam vorzuziehen, weil hier die Beweislage klarer sei, wenn der Betroffene Verletzungen davon trage, und die Polizei ihrer Garantenstellung bei betrunkenen oder sonst hilflosen Personen gerecht werden könne139. Entgegen dieser Aussagen ergibt sich aus einer Veröffentlichung der Landespolizeischule, dass auch in Berlin der Verbringungsgewahrsam zur Durchsetzung von Platzverweisen gegenüber Mitgliedern der Drogenszene angewendet wird140. Auch in Hessen ist die Lage nicht eindeutig. Das Innenministerium sieht den Verbringungsgewahrsam als zulässig an, eine Befugnis sei im HessSOG enthalten141. Dementsprechend besagt die Verwaltungsvorschrift zu § 32 Nr. 3 HessSOG, der die Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises regelt, dass es auch zulässig sein kann, „während der Ingewahrsamnahme nach Nr. 3 die betroffene Person an einen anderen Ort zu verbringen (Verbringungsgewahrsam)“142. Dahingegen meinten Vertreter der Polizei, dass der Verbringungsgewahrsam oft politisch gewollt, aber aufgrund der fehlenden ___________ 136 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; ähnlich auch die Korrespondenz mit einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern: Anwendung nur in wenigen Einzelfällen. 137 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Interview mit dem Justitiar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin. 138 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 139 Interview mit dem Justiziar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin. 140 Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 17. 141 Korrespondenz mit einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport. 142 Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (VVHSOG) des Ministeriums des Innern und für Sport, Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 15. Januar 2001, zu § 32 Abs. 1 Nr. 3 1.2., 198/206.

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Rechtsgrundlage und unter Berücksichtigung des Urteils des LG Hamburg rechtlich bedenklich sei. Polizeibeamte könnten sich aber gegebenenfalls auf einen Rechtsirrtum berufen, weil der Verbringungsgewahrsam in der Verwaltungsvorschrift als zulässig erachtet werde143. Aus dem Sachverhalt zum Urteil des LG Hamburg144 über die Strafbarkeit der Anordnung eines Verbringungsgewahrsams geht hervor, dass auch in Hamburg der Verbringungsgewahrsam genutzt wurde, um Angehörige der Drogenszene in abgelegene Stadtgebiete zu bringen. Von Vertretern der Sozialhilfeeinrichtungen und aus der Presse, aber auch von einzelnen Polizisten, ist entgegen dieser „offiziellen Aussagen“ zu erfahren, dass die Maßnahme Verbringungsgewahrsam durchaus übliche Praxis ist. Und das nicht nur in den genannten Fällen besonderer Straftaten, sondern vor allem gegenüber Trinkern, Wohnungslosen und Drogensüchtigen. Beispielsweise in Berlin wurde der Verbringungsgewahrsam gegenüber diesen Personengruppen häufig in den Jahren 2000 und 2001 sowie eingeschränkt noch im Jahr 2002 angewandt145. Für den Zeitraum 1994 bis 1997 berichtet der Spiegel von fast 2.000 Fällen, in denen Personen von der Berliner Polizei an den Stadtrand verbracht wurden. Darunter auch eine 62-jährige Frau, die betrunken am Bahnhof Zoologischer Garten aufgegriffen und in den Grunewald verbracht wurde146. Grundsätzlich sollen die betroffenen Personen nicht unter Alkoholoder Drogeneinfluss stehen, Fahrgeld haben und in der Nähe des öffentlichen Nahverkehrs ausgesetzt werden, dies würde aber nicht immer eingehalten147. Auch aus dem Bereich der Polizeidirektion Halle wurde berichtet, dass der Verbringungsgewahrsam gegen Drogenabhängige, aber auch gegen Personengruppen, die „immer wieder anfallen“, angewendet wird. Wenn eine solche Personengruppe oder einzelne Person während einer Nachtschicht mehrfach auffalle oder störe, komme es durchaus vor, dass sie an den Stadtrand oder eine entlegene Stelle verbracht werde, auch wenn diese Maßnahme offiziell nicht existiere148. ___________ 143 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen: Rechtlich zulässig sei nur der Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises und dabei die Unterbringung in Verwahrungsräumen der Polizei. Da es sich bei den Betroffenen aber häufig um stark Suchtkranke handele, wäre hierfür eine Haftfähigkeitsbescheinigung notwendig, die sehr zeitaufwendig und mit ca. 100,- Euro auch teuer ist. Deshalb würde auch der Gewahrsam nur in gravierenden Fällen durchgeführt. 144 LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537. 145 Korrespondenz mit Vertretern von KuB (Kontakt und Beratung Berlin); Treberhilfe Berlin e.V.; Sub/Way Berlin e.V. 146 Der Spiegel 24/1997, 48/50. 147 Korrespondenz mit Vertretern von KuB. 148 Korrespondenz mit einem Studenten der Fachhochschule der Polizei SachsenAnhalt.

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3. Das Verbot des Bettelns, Niederlassens zum Alkoholkonsum und Nächtigens auf straßenrechtlicher Grundlage und durch Gefahrenabwehrverordnungen In letzter Zeit haben viele Städte und Gemeinden Sondernutzungssatzungen beziehungsweise Gefahrenabwehrverordnungen erlassen, in denen das Betteln, Niederlassen zum Alkoholkonsum und Nächtigen auf öffentlichen Straßen als nicht genehmigungsfähige Sondernutzung eingestuft beziehungsweise verboten wird149. In Berlin sind diese Verhaltensweisen nach Straßengesetz Sondernutzung. Zweck der Gefahrenabwehrverordnungen, die das Betteln, Niederlassen zum Alkoholkonsum und Nächtigen in der Öffentlichkeit verbieten, ist es, eine Eingriffsgrundlage für die Polizei zu schaffen150. Dasselbe gilt für Satzungen, die diese Verhaltensweise als Sondernutzung einstufen. Wenn diese Verhaltensweisen Sondernutzungen sind und der Betroffene dafür keine Genehmigung hat, liegt ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und damit eine Gefahr als Grundlage für den Eingriff der Polizei vor. Dieses Ziel der Satzungsgeber ergibt sich unter anderem aus einer Studie des Innenministeriums Schleswig-Holstein, in der Erfahrungen der örtlichen Polizeidienststellen mit entsprechenden kommunalen Ortssatzungen in den Städten Kiel und Elmshorn mit denen in Städten ohne Ortssatzungsrecht, wie zum Beispiel Lübeck, verglichen wurden. Der Vergleich bestätigte, dass das Satzungsrecht ein polizeiliches Einschreiten gegen aggressives Betteln und erheblichen Alkoholkonsum für die Fälle ermöglicht, in denen durch diese Verhaltensweisen noch keine Straf- oder Ordnungswidrigkeitsnorm verletzt wurde oder drohte, verletzt zu werden. Lag eine Normverletzung vor oder drohte sie, war auch eine Gefahr nach Polizeirecht gegeben. In den Fällen, in denen dieses nicht gegeben ist, konnte die Polizei nur einschreiten, wenn ein Verstoß gegen entsprechendes Satzungsrecht vorlag151. Nur dann besteht also ein Unterschied in der Rechtslage und sind demnach die Satzungen sinnvoll. Zum Erlass der Elmshorner Satzung wurde auch angegeben, dass diese von der Polizei gewünscht gewesen wäre, um „eine Verbotsnorm für das Niederlassen zum exzessiven Verzehr von größeren Mengen Alkohols als Ursache aller Ordnungsverstöße“ zu schaffen152. Auch zur Altstadt-Fußgänger-Bereiche-Satzung von München wurde bestätigt, dass buß-

___________ 149 Eine Aufzählung aller Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, deshalb sollen einige Beispiele genannt werden. 150 Vgl. auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, 64. 151 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeiinspektion Pinneberg. 152 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeiinspektion Pinneberg.

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geldbewehrte Satzungen erlassen wurden, „um Sicherheitsstörungen durch Angehörige sozialer Randgruppen entgegenzuwirken“153.

a) Gefahrenabwehrverordnungen Einige Städte und Gemeinden verbieten das Betteln, den Alkoholkonsum oder das Nächtigen und Lagern im öffentlichen Raum durch Gefahrenabwehrverordnungen. Diese gelten meist nicht nur für die öffentlichen Straßen, sondern auch für Park- und Grünanlagen. In Bremen ist der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ nicht mehr als Schutzgut in der Generalklausel des Polizeigesetzes enthalten. Deshalb wurde ein „Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung“154 geschaffen, das die Bestimmungen zur öffentlichen Ordnung enthält, während eine künftige Polizeiverordnung die Tatbestände der öffentlichen Sicherheit regeln soll155. Bezüglich des Bettelns wird meist das „aggressive Betteln“ verboten156, das zum Teil näher definiert wird als „besonders aufdringliches Betteln […], zum Beispiel, wenn der Bettler dem Passanten den Weg zu verstellen versucht ___________ 153 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; vgl. auch Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269: „Häufig festzustellende Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens und Unregelmäßigkeiten (zum Beispiel Alkoholgelage in der Öffentlichkeit, aggressives Betteln) sind durch Gesetz oder Verordnung, ggf. auch durch kommunale Satzung, verboten und werden somit polizeirechtlich vom Begriff der öffentlichen Sicherheit erfasst.“ 154 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 155 Begründung zum Entwurf des Ortsgesetzes über die öffentliche Ordnung (Korrespondenz mit einem Vertreter des Senats für Inneres, Kultur und Sport der Freien Hansestadt Bremen); vgl. auch Götz, NVwZ 1998, 679/686. 156 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002; § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 ; § 19 a) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main vom 12. Juli 1999, .

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und/oder ihn durch Zupfen oder Festhalten an der Kleidung körperlich berührt, ferner, wenn der Passant beschimpft wird, weil er nichts geben will“157 oder als „unmittelbares Einwirken auf Passanten durch In-den-Weg-Stellen, Einsatz von Hunden als Druckmittel, Verfolgung oder Anfassen“158, „soweit Personen bedrängt, festgehalten oder berührt werden“159. Teilweise wird auch „die Bettelei in Begleitung von Kindern oder durch Kinder“ untersagt160. Der Konsum von Alkohol wird zum Teil nur verboten, wenn dem belastende Verhaltensweisen folgen. Beispielsweise wird verboten, „Alkohol oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn als Folge andere Personen oder die Allgemeinheit durch Anpöbeln, lautes Singen, Johlen, Schreien oder anderes Lärmen, Liegenlassen von Flaschen oder anderen Behältnissen, Notdurftverrichtungen oder Erbrechen gefährdet werden können“161. Teilweise wird der Genuss von Alkohol auf Kinderspielplätzen verboten162. Im übrigen öffentlichen Raum sind dann nur die Folgen des Alkoholkonsums verboten, zum Beispiel „das rauschbedingte Verhalten in der Öffentlichkeit“163 beziehungsweise ___________ 157 § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/ Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 . 158 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002; ähnlicher Wortlaut § 6 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25) „unmittelbares Einwirken von Person zu Person, insbesondere unter Mitführung eines Hundes, durch in den Weg stellen, ansprechen oder anfassen[…]“. 159 § 1 Satz 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 160 § 1 Satz 1 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277); § 7 Abs. 2 Sondernutzungssatzung der Stadt Dessau/SachsenAnhalt vom 13. November 2002 (Amtliches Verkündungsblatt 12/02 S.6). 161 § 9 Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen der Stadt Kassel in der Fassung vom 27.01.1997 . 162 § 12 Nr. 1 Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 163 §19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

„aggressives Verhalten, welches durch Alkohol- bzw. Rauschmittelgenuss hervorgerufen ist, zum Beispiel besondere Aufdringlichkeit in Form von wiederholtem Anfassen oder in den Weg stellen, andere mehr als unvermeidbar zu beeinträchtigen“164 oder „Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss (zum Beispiel Grölen, Anpöbeln von Passanten, Gefährdung anderer durch Herumliegen lassen von Flaschen und Gläsern)“165. Einige Gefahrenabwehrverordnungen verbieten auch das „Lagern und Nächtigen“ 166 beziehungsweise das Übernachten167 oder „Nächtigen, insbesondere auf Bänken und Stühlen sowie das Umstellen von Bänken und Stühlen zu diesem Zweck“168. Beachtenswert sind die Düsseldorfer und Dortmunder Straßenordnungen, die das „Lagern in Personengruppen (wenn sich diese an denselben Orten regelmäßig ansammeln und dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraums im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern)“169 beziehungsweise „ständig wiederkehrende ortsfeste Ansammlungen ___________ Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 164 § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 . 165 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002. 166 § 19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 167 § 13 Abs. 1 c) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 6 Abs. 1 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25). 168 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002. 169 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düs-

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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von Personen, von denen regelmäßig Störungen ausgehen, wie zum Beispiel Verunreinigungen, Belästigungen von Passanten bei übermäßigem Alkoholgenuss und aggressives Betteln“170 untersagen. Diese Formulierungen machen deutlich, dass es darum geht, bestimmte Personengruppen, die durch Trinken von Alkohol, die Vermüllung der Straße oder aber Betteln auffallen, aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Dabei handelt es sich meist um Gruppen von Trinkern oder Wohnungslosen. Das Bremer Ortsgesetz verbietet „das Lagern sowie das dauerhafte Verweilen von Personen auf öffentlichen Flächen in einer für Dritte beeinträchtigenden Art zum Zwecke des Konsums von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz“171. Die erste Gefahrenabwehrverordnung dieser Art war die Polizeiverordnung der Stadt Baden-Baden von 1978, die in § 3 untersagte, sich auf öffentlichen Straßen „nach Art eines Landund Stadtstreichers herumzutreiben“. Sie wurde 1983 vom VGH Mannheim für nichtig erklärt172.

b) Sondernutzungssatzungen auf straßenrechtlicher Grundlage Die Satzungen der Kommunen stufen in der Regel das Betteln, das Niederlassen zum Alkoholkonsum und das Nächtigen beziehungsweise Lagern auf öffentlichen Straßen und Plätzen als Sondernutzung ein. Einige Satzungen regeln diese oder einige dieser Verhaltensweisen als nicht erlaubnisfähige Sondernutzung, mit der Feststellung, dass eine Sondernutzungserlaubnis für diese nicht erteilt wird173. Andere Satzungen enthalten die ___________ seldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002. 170 § 6 Abs. 2 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25). 171 § 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 172 VGH Mannheim, NJW 1984, 507; s. C. VI. 5. a) cc). 173 § 2a Sondernutzungssatzung der Stadt Ingolstadt/Bayern vom 10. März 1983 (AM Nr. 12 vom 24.03.1983) zuletzt geändert am 21.06.2001 (AM Nr. 28 vom 12.07.2001): „Die Sondernutzung wird nicht erteilt[…]“; § 3 Abs. 4 und 5 der Satzung über die Sondernutzung an öffentlichen Straßen in der Stadt Elmshorn/SchleswigHolstein vom 27. Februar 1991, zuletzt geändert am 19.02.1999: „Eine Sondernutzungserlaubnis wird nicht erteilt für[…]“ § 3 Abs. 4 der Satzung wurde vom OVG Schleswig im September (OVG Schleswig v. 16.6.1997, NordÖR 1999, 381) 1999 für nichtig erklärt; § 3 Abs. 4 Sondernutzungssatzung der Landeshauptstadt Kiel/SchleswigHolstein vom 2.5.1989 zuletzt geändert am 20. Februar 2003 „Eine Sondernutzungserlaubnis wird nicht erteilt für […]“; § 6 Münchner AltstadtFußgängerbereiche-Satzung vom 21. Juli 1971 (GVBl. 1971 S. 13) zuletzt geändert am 29.11.2000 (MüABl. S. 501): „die Sondernutzung wird insbesondere nicht erteilt

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

gebundene Entscheidung, dass eine Sondernutzungserlaubnis zu versagen ist174. Wieder andere bezeichnen sie als „verbotene Sondernutzung“175. In einigen Satzungen werden die Verhaltensweisen zwar als Sondernutzung geregelt, sie können aber unter Umständen erlaubt werden176. Bezüglich des Bettelns regeln die Satzungen unterschiedliche Abstufungen als Sondernutzung. Nach einigen Satzungen ist das „Betteln in jeglicher Form“ eine nicht erlaubnisfähige Sondernutzung177, so sind auch die Satzungen zu ___________ […]“;§ 9 Sondernutzungssatzung der Stadt Rosenheim/Bayern vom 15.April 1996 (Abl.S.102) zuletzt geändert am 21.12.1993 (Abl. S. 222) „Eine Sondernutzungserlaubnis wird nicht erteilt […]“; § 5 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Stadt Saarbrücken vom 10.Juli 1986 in der Fassung vom 30.10.2001 (Ortsrecht der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stand 17.10.2003 IIIC2) „Nachfolgende Sondernutzungen werden nicht genehmigt […]“. 174 „Die Erlaubnis ist zu versagen […]“: § 9 Satzung über die Erlaubnis für Sondernutzung an öffentlichem Verkehrsraum der Stadt Bad Aibling/Bayern vom 11.09.1996 ; § 8 Satzung über die Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen der Stadt Bad Orb/Hessen vom 22. August 2000 ; § 9 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Sadt Forst (Lausitz)/Brandenburg vom 30.06.2000 ; § 9 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Stadt Kötzting/Bayern 1.März 2003 . 175 § 7 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Stadt Dessau/Sachsen-Anhalt vom 13. November 2002 (Amtliches Verkündungsblatt 12/02 S.6): „Verbotene Sondernutzung“ „[…] ist verboten“; § 3 Sondernutzungssatzung der Stadt Hof/Bayern vom 18. November 1997 zuletzt geändert am 23.07.2001 (Ortsrechtssammlung der Stadt Hof, Stand Juni 2003-634/2): „[…] ist verboten.“ 176 § 2 Abs. 2 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389): „Jede nach Abs.1 über die Zweckbestimmung hinausgehende Benützung der Wegeflächen ist Sondernutzung nach öffentlichem Recht und unbeschadet des Abs. 3 unzulässig. Dies gilt insbesondere für […]“, Abs. 3: „In Einzelfällen kann eine über die Zweckbestimmung nach § 1 hinausgehende Benützung der Wegeflächen schriftlich […] erlaubt werden.“; § 3 Abs. 6 Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg/Bayern vom 18.12.2000 : „Die Erlaubnis wird in der Regel nicht erteilt für […]“. 177 § 9 f) Satzung über die Erlaubnis für Sondernutzung an öffentlichem Verkehrsraum der Stadt Bad Aibling/Bayern vom 11.09.1996 ; § 8 Nr. 4 Satzung über die Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen der Stadt Bad Orb/Hessen vom 22. August 2000 ; § 9 Abs. 1 Nr. 4 Sondernutzungssatzung der Sadt Forst (Lausitz)/ Brandenburg vom 30.06.2000 ; § 9 Abs. 1 g) Sondernutzungssatzung der Stadt Kötzting/Bayern 1.März 2003 ; § 6 b) Münchner Altstadt-Fußgängerbereiche-Satzung vom 21. Juli 1971 (GVBl. 1971 S. 13) zuletzt geändert am 29.11.2000 (MüABl. S. 501); § 3 Abs. 6 b) Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg/Bayern vom 18.12.2000 ; § 9 a) Sondernutzungssatzung der Stadt Rosenheim/Bayern vom 15.April 1996 (Abl.S.102) zuletzt geändert am 21.12.1993 (Abl. S. 222). 178 § 3 Abs. 3 Sondernutzungssatzung der Stadt Hof/Bayern vom 18.November 1997 zuletzt geändert am 23.07.2001 (Ortsrechtssammlung der Stadt Hof, Stand Juni 2003634/2); § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389). 179 § 7 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Stadt Dessau/Sachsen-Anhalt vom 13. November 2002 (Amtliches Verkündungsblatt 12/02 S.6). 180 § 2a Buchst. b) Sondernutzungssatzung der Stadt Ingolstadt/Bayern vom 10. März 1983 (AM Nr. 12 vom 24.03.1983) zuletzt geändert am 21.06.2001 (AM Nr. 28 vom 12.07.2001). 181 § 5 Abs. 1 Nr. 5 Sondernutzungssatzung der Stadt Saarbrücken vom 10.Juli 1986 in der Fassung vom 30.10.2001 (Ortsrecht der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stand 17.10.2003 IIIC2). 182 § 3 Abs. 5 Satz 2,3 der Satzung über die Sondernutzung an öffentlichen Straßen in der Stadt Elmshorn, eingeführt durch Satzung zur 2. Änderung am 16. September 1997 (Sammlung des Ortsrechts Stadt Elmshorn, Nr. 47); § 3 Abs. 4 Sondernutzungssatzung der Landeshauptstadt Kiel/Schleswig Holstein vom 2.5.1989 zuletzt geändert am 20. Februar 2003 . 183 § 6 c) Münchner Altstadt-Fußgängerbereiche-Satzung vom 21. Juli 1971 (GVBl. 1971 S. 13) zuletzt geändert am 29.11.2000 (MüABl. S. 501); § 3 Abs. 5 Sondernutzungssatzung der Stadt Hof/Bayern vom 18.November 1997 zuletzt geändert am 23.07.2001 (Ortsrechtssammlung der Stadt Hof, Stand Juni 2003-634/2); § 9 b) Sondernutzungssatzung der Stadt Rosenheim/Bayern vom 15.April 1996 (Abl.S.102) zuletzt geändert am 21.12.1993 (Abl. S. 222); § 9 e) Satzung über die Erlaubnis für Sondernutzung an öffentlichem Verkehrsraum der Stadt Bad Aibling/Bayern vom 11.09.1996 : nur „in der Fußgängerzone und in den Fußgängerunterführungen“; ebenso: § 9 Abs. 1 Buchst. f Son-

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

oder „Verweilen bei gleichzeitigem Alkoholgenuss außerhalb der bestimmungsgemäßen Nutzung der zugelassenen Freischankflächen“184. Zum Teil wird nur das „den Gemeingebrauch anderer unzumutbar beeinträchtigende Niederlassen zum Genuss von Alkohol außerhalb der genehmigten Außenausschankflächen“ als Sondernutzung geregelt185. In anderen Satzungen wird wiederum differenziert zwischen nicht erlaubnisfähigem und geduldetem Verhalten „Eine Sondernutzungserlaubnis wird nicht erteilt für das Niederlassen zum Alkoholgenuss außerhalb zugelassener Freisitzanlagen von Gaststätten und außerhalb von Freisitzanlagen im Zusammenhang mit zugelassenen Festen oder ähnlichen Veranstaltungen. Geduldet wird das vorübergehende Niederlassen zum Genuss geringer Mengen Alkohols.“186 Die Formulierungen des Lagerns als Sondernutzung umfassen entweder das „Nächtigen und Lagern“ 187, das „Nächtigen“188 zum Teil nur in den Fußgängerbereichen189 oder allgemeiner „das Sitzen und Liegen“190.

___________ dernutzungssatzung der Stadt Kötzting/Bayern 1. März 2003 . 184 § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389). 185 § 5 Abs. 1 Nr. 6 Sondernutzungssatzung der Stadt Saarbrücken vom 10.Juli 1986 in der Fassung vom 30.10.2001 (Ortsrecht der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stand 17.10.2003 IIIC2). 186 § 3 Abs. 4 der Satzung über die Sondernutzung an öffentlichen Straßen in der Stadt Elmshorn, eingeführt durch Satzung zur 2. Änderung am 16. September 1997 (Sammlung des Ortsrechts Stadt Elmshorn, Nr. 47). 187 § 2a Buchst. a) Sondernutzungssatzung der Stadt Ingolstadt/Bayern vom 10. März 1983 (AM Nr. 12 vom 24.03.1983) zuletzt geändert am 21.06.2001 (AM Nr. 28 vom 12.07.2001); § 3 Abs. 6 a) Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg/Bayern vom 18.12.2000 . 188 § 5 Abs. 1 Nr. 5 Sondernutzungssatzung der Stadt Saarbrücken vom 10.7.1986 in der Fassung vom 30.10.2001 (Ortsrecht der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stand 17.10.2003 IIIC2). 189 § 6 a) Münchner Altstadt-Fußgängerbereiche-Satzung vom 21. Juli 1971 (GVBl. 1971 S. 13) zuletzt geändert am 29.11.2000 (MüABl. S. 501); § 9 d) Satzung über die Erlaubnis für Sondernutzung an öffentlichem Verkehrsraum der Stadt Bad Aibling/Bayern vom 11.09.1996 : „[…] in der Fußgängerzone und in den Fußgängerunterführungen“; ebenso § 9 Abs. 1 e) Sondernutzungssatzung der Stadt Kötzting/Bayern 1. März 2003 . 190 § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389).

V. Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen

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c) Straßenrecht In Berlin besteht insoweit eine besondere Situation, als der Alkoholkonsum im Straßengesetz selbst geregelt ist. § 11 Abs. 2 Nr. 3 Berliner Straßengesetz besagt, dass die Sondernutzungserlaubnis zu versagen ist, „wenn öffentliche Interessen der Sondernutzung entgegen stehen und diesen nicht durch Nebenbestimmungen Genüge getan werden kann. Ein öffentliches Interesse ist insbesondere dann gegeben, wenn […] Nr. 3 städtebauliche oder sonstige öffentliche Belange beeinträchtigt würden; dies ist auch anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen“. Nach Aussagen eines Vertreters der Berliner Polizei ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass noch neben der Verwirklichung des Tatbestandes „Niederlassen zum Alkoholverzehr“ öffentliche Interessen verletzt sein müssen. Daher sei das Verbot des Alkoholkonsums sehr restriktiv auszulegen, es genüge nicht, dass sich eine Gruppe von Menschen niederlässt und trinkt, dies würde im damaligen Abschnitt 7 auch so gehandhabt191. Dagegen sprechen jedoch zahlreiche Zeitungsberichte aus dem Sommer 2001 über massives Einschreiten gegen Trinker auf dem Berliner Helmholtzplatz, der im Abschnitt 7 liegt. Die Polizei führte in dieser Zeit nahezu stündliche Kontrollen in der Trinkerszene durch und erteilte Platzverweise, unter anderem wegen Trinkens von Alkohol192. Aus den Berichten ist nicht zu entnehmen, dass bei diesen Platzverweisen auf die zusätzliche Beeinträchtigung öffentlicher Interessen geachtet wurde, es ging vielmehr um die Verdrängung der Trinkerszene, deren Anwesenheit insbesondere in den Sommermonaten zu massiven Beschwerden der Anwohner führt. In diesem Fall war es außerdem problematisch, dass auf dem Platz selbst das Berliner Straßengesetz nicht gilt, sondern das Grünanlagengesetz, nach dem das Niederlassen zum Genuss von Alkohol nicht untersagt ist193. Nach Aussagen von Vertretern sozialer Einrichtungen werden auch gegen die Punkerszenen an den Bahnhöfen Friedrichstraße und Alexanderplatz und gegen Obdachlose am Ostbahnhof regelmäßig Platzverweise wegen des Verstoßes gegen das Verbot des Niederlassens zum Alkoholkonsum erlassen194. Außerdem werden Verwarnungen ausgesprochen und Bußgelder entsprechend der Ordnungswidrigkeitsregelung des § 17 BerlStrG angedroht. Die Betroffenen hätten teilweise nur eine Flasche Bier in der Hand gehabt, ohne dass weitere Auffälligkeiten hinzu kämen195. ___________ 191

Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin. Berliner Zeitung vom 4. Juli 2001, Lokales; 7. Juli 2001, Lokales. 193 Grünanlagengesetz Berlin vom 24. November 1997 (GVBl. Berlin 1997 S. 612). 194 Protokolle des Arbeitskreises „City-Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei vom 28. Mai 2003; 2. Juli 2003; 6. August 2003. 195 Korrespondenz mit einem Vertreter von Treberhilfe Berlin e.V. 192

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

VI. Rechtliche Beurteilung der in der deutschen Polizeistrategie durchgeführten Maßnahmen 1. Maßnahmen nach Polizei- und Ordnungsrecht Soweit die Polizei handelt, kann sie ihre Maßnahmen nur dann auf die Sicherheits- und Ordnungsgesetze stützen, wenn jene präventiver Natur sind. Für repressives Handeln der Polizei ist hingegen die Strafprozessordnung einschlägig. Die Abgrenzung zwischen repressivem und präventivem Handeln der Polizei ist Voraussetzung für die Ermittlung der einschlägigen Befugnisnorm196. Insbesondere, wenn die Gefahr dadurch begründet wird, dass eine Person eine Straftat begangen hat und eventuell weitere begehen wird, ist die Abgrenzung schwierig. Oft handelt es sich um so genannte „doppelfunktionale Maßnahmen“, die sowohl der Vorbeugung weiterer Straftaten als auch der Verfolgung der begangenen Straftat dienen197. Die Abgrenzung erfolgt in diesen Situationen grundsätzlich nach dem Schwerpunkt der Maßnahme198, wobei im Zweifel die Gefahrenabwehr Vorrang vor der Strafverfolgung hat199. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den polizeirechtlichen Konzepten zur Verbesserung der Sicherheit und Ordnung in den Städten, die vorrangig präventiver Natur sind. Demzufolge sind es auch präventive Maßnahmen der Polizei, die in der Rechtsprechung und Literatur in diesem Zusammenhang diskutiert werden und auf die sich die rechtlichen Ausführungen beschränken werden.

2. Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit sowie Ordnung und polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit Schon die Aufgabenzuweisung beschränkt die Zuständigkeit von Ordnungsbehörden und Polizei auf den Bereich der Gefahrenabwehr200. Dazu gehört auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten201 und die Vorbereitung auf ___________ 196

Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 8. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 11. 198 Gusy, Polizeirecht, Rn. 448 ff.; Lisken in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, K 110; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 15. 199 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 15. 200 Art. 2 Abs. 1 BayPAG; Art. 6 BayLStVG; § 1 Abs. 1 S. 1 BbgPolG; § 1 Abs. 1 BbgOBG; § 1 Abs. 1 S. 1 BerlASOG; § 1 Abs. 1 BremPolG; § 1 Abs. 1 S. 1 BW PolG; §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 HbgSOG; § 1 Abs. 1 S. 1 HessSOG; § 1 Abs. 1 MVSOG; § 1 Abs. 1 S. 1 NdsSOG; § 1 Abs. 1 S. 1 NWPolG; § 1 Abs. 1 NWOBG; § 1 Abs. 1 S. 1 RhPfPOG; § 1 Abs. 2 SaarlPolG; § 1 Abs. 1 S. 1 SächsPolG; § 1 Abs. 1 S. 1 SachsAnhSOG; §§ 162 Abs. 1, 163 Abs. 1 SchlHLVwG; § 2 Abs. 1 S. 1 ThürPAG; § 2 Abs. 1 ThürOBG. 201 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 BbgPolG; § 1 Abs. 3 BerlASOG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HbgGDatPol; § 1 Abs. 4 HessSOG; § 7 Abs. 1 Nr. 4 MVSOG; § 1 Abs. 1 S. 3 NdsSOG; 197

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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künftige Gefahrenabwehr202. Außerdem können Ordnungsbehörden und Polizei aufgrund des Gesetzesvorbehaltes203 Eingriffe nur dann vornehmen, wenn dafür eine Ermächtigungsgrundlage besteht204. Im präventiven Bereich handeln sie vorbehaltlich spezieller Ermächtigungsgrundlagen aufgrund der Polizeiund Ordnungsgesetze. Diese sehen das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zum Teil auch Ordnung als Tatbestandsvoraussetzung im Rahmen der Generalklausel205, der Ermächtigung zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen206 und in teilweise qualifizierter Form im Rahmen der Standardbefugnisse207 vor. Außerdem kann die Polizei grundsätzlich nur gegen den Verantwortlichen vorgehen208. Die Verantwortlichkeit richtet sich ebenfalls nach den Vorschriften der Polizeigesetze. Auch bei Vorliegen einer Gefahr dürfen Polizei und Ordnungsbehörden grundsätzlich nur gegen den dafür Verantwortlichen beziehungsweise Störer vorgehen. Daher ist zunächst zu klären, welche Probleme üblicherweise im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von sozialen Randgruppen im öffentlichen Raum auftreten beziehungsweise welche Tatsachen von Vertretern der Polizei als Eingriffsgrund angegeben werden. Im Weiteren wird untersucht, ob diese den ___________ § 1 Abs. 1 S. 2 NWPolG; § 1 Abs. 1 S. 3 RhPfPOG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SächsPolG; § 2 Abs. 1 Sachs-AnhSOG; § 2 Abs. 1 S. 2 ThürPAG. 202 § 1 Abs. 1 S. 2 BbgPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 BerlASOG; § 1 Abs. 1 S. 2 BremPolG; BW PolG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HbgGDatPol; § 1 Abs. 1 S. 2 HessSOG; § 7 Abs. 1 Nr. 4 MVSOG; § 1 Abs. 1 S. 2 NdsSOG; § 1 Abs. 1 S. 2 NWPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 RhPfPOG; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SächsPolG; § 1 Abs. 1 S. 2 Sachs-AnhSOG; § 2 Abs. 1 S. 2 ThürPAG. In Ländern, in denen diese nicht besonders normiert ist, wird sie als Teil der klassischen Gefahrenabwehr angesehen (Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 5 Rn. 1). 203 Vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 113 ff.; Schultze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 95 ff. 204 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 56. 205 Art. 11 Abs. 1 BayPAG; Art. 7 Abs. 2, 3 BayLStVG; § 10 Abs. 1 BbgPolG; § 13 Abs. 1 BbgOBG; § 17 Abs. 1 BerlASOG; § 10 Abs. 1 BremPolG; § 3 BWPolG; § 3 HbgSOG; § 11 HessSOG; § 13 MVSOG; § 11 NdsSOG; § 8 Abs. 1 NWPolG; § 14 Abs. 1 NWOBG; § 9 Abs. 1 RhPfPOG; § 8 Abs. 1 SaarlPolG; § 3 Abs. 1 SächsPolG; § 13 Sachs-AnhSOG; § 174 SchlHLVwG; § 12 Abs. 1 ThürPAG; § 5 Abs. 1 ThürOBG. 206 §§ 25 Abs. 1; 26 Abs. 1 BbgPolG; § 55 BerlASOG; § 48 BremPolG; § 10 Abs. 1 BWPolG; § 1 Abs. 1 HbgSOG; § 71 HessSOG; § 17 Abs. 1 MVSOG; § 55 Abs. 1 NdsSOG; §§ 26 Abs. 1, 27 Abs. 1 NWOBG; § 26 RhPfPOG; § 59 Abs. 1 SaarlPolG; § 9 Abs. 1 SächsPolG; § 94 Abs. 1 Sachs-AnhSOG; § 175 Abs. 1 SchlHLVwG; § 27 Abs. 1 ThürOBG. 207 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 42 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 19 ff. 208 Ausnahmen sind die unter besonderen Voraussetzungen möglichen Eingriffe gegen Nichtstörer und die zum Teil in Spezialbefugnissen geregelten Eingriffsmöglichkeiten, insbesondere der verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen. Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 126 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 1 ff.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Tatbestand der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erfüllen und die jeweils Betroffenen auch Störer sind. Die Spezialermächtigungen für Aufenthaltsverbote setzen voraus, dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass eine Person an einem bestimmten Ort Straftaten begehen wird209. Daher wird auf dieses Tatbestandsmerkmal und sein Verhältnis zum Gefahrentatbestand eingegangen.

a) Polizeirechtliche relevante Verhaltensweisen von Mitgliedern der Drogenszene, Wohnungslosen und Trinkern In der Praxis werden bestimmte Verhaltensweisen und Rechtsverstöße genannt, die im Zusammenhang mit der Drogen-, Wohnungslosen-, Trinkeroder auch Punkerszene auftreten. Dabei werden meist die Gruppen solcher Personen an bestimmten Orten als Ganzes betrachtet und nicht das Individuum an sich. Im Rahmen der Drogenszene kommen insbesondere der Verkauf und der Konsum sowie Besitz von verbotenen Substanzen, also Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz, vor210. Dabei führt das Bestehen der Szene zu einer Erleichterung dieser Straftaten, weil die Süchtigen leichter an die Drogen herankommen211. Die Drogenszene wirkt aber nicht nur als Anziehungspunkt für bereits Süchtige, sondern auch für Einsteiger, die durch die offene Drogenszene entweder animiert werden oder aber bei bereits bestehendem Interesse leichter Zugang zu illegalen Drogen finden212. Daneben werden häufig benutzte Spritzen weggeworfen, die eine hohe Verletzungs- und Infektionsgefahr für spielende Kinder darstellen. Außerdem werden auf Spielplätzen in der Nähe von Treffpunkten der Drogenszene teilweise Drogen im Buddelsand versteckt213. Bezüglich der Gefährlichkeit von offenen Drogenszenen wird darauf hingewiesen, dass die Abhängigen heute, anders als früher die Alkoholkranken, nach ___________ 209

§ 29 Abs. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 34 Abs. 2 NWPolG; § 13 Abs. 3 RhPfPolG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 210 Unter anderem: Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen, Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeibezirksinspektion Saarbrücken, St. Johann. 211 OVG Münster, NVwZ 2001, 459 f.; VGH München, NVwZ 2000, 454/456; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 76 ff. 212 OVG Münster, NVwZ 2001, 459 f.; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995 131/133 ff.; gegen die Annahme, dass die Drogenszene als Anziehungspunkt für Einsteiger diene aber Lesting, KJ 1997, 214/216. 213 Unter anderem: „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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verschiedenen Rauschmitteln süchtig (polytoxikoman) sind und auch viel stärker zu gewalttätiger Hyperaktivität neigen, die dann im Rahmen der Beschaffungskriminalität zum Ausdruck kommt214. Allgemein werden bei Ansammlungen von Drogenszene, Wohnungslosen und Trinkern Pöbeleien215, aggressives Betteln216, Verschmutzung der Straße217, Urinieren in der Öffentlichkeit218 und der Konsum von Alkohol219 als Verhaltensweisen genannt, die ein Eingreifen erfordern. Diese werden auch als „häufig festzustellende Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens und Unregelmäßigkeiten“220 oder „charakteristische Verhaltensweisen der Angehörigen sozialer Randgruppen“221 bezeichnet, die in Sondernutzungssatzungen mit Bußgeldern bewehrt werden, um Sicherheitsstörungen entgegenzuwirken222.

___________ 214

Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen; vgl. auch Michael Hallstein, Strategien zwischen Vertreibung, Kriminalisierung und effektiver Ausstiegshilfe im nationalen und internationalen Vergleich, 9. 215 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002: Beschwerden der Anwohner. 216 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeibezirksinspektion Saarbrücken, St. Johann. 217 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002: Beschwerden der Anwohner; Saarland; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, 1. 218 Berlin; „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002: Beschwerden der Anwohner. 219 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, 1: „Niederlassen zum Alkoholverzehr auf öffentlichen Wegen unter störenden Begleitumständen wie Pöbeln und Urinieren, aggressives Betteln, […].“ Hier wird darauf hingewiesen, dass dies von der Bevölkerung als störende Verhaltensweise empfunden wird. 220 Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269. 221 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 222 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. Hier ist fraglich, warum eine Sondernutzungssatzung überhaupt nötig erscheint, wenn die Verhaltensweisen ohnehin schon als Störung der öffentlichen Sicherheit und damit Gefahr angesehen werden.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Teilweise wird die Begehung von Straftaten, wie zum Beispiel Raub oder der Diebstahl von Alkohol in Supermärkten genannt223. Neben der pauschalen Nennung von Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Szenen kann auch nach den typischen Verhaltensweisen der Mitglieder dieser und den damit zusammenhängenden Problemen beziehungsweise Rechtsverstößen differenziert werden. Die Verhaltensweisen, die am häufigsten genannt beziehungsweise in Form von Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen untersagt werden, sind das Betteln, das Niederlassen zum Alkoholgenuss und das Lagern beziehungsweise Nächtigen. Zum Teil wird differenziert festgestellt, dass das passive Betteln grundsätzlich keine Normverletzung darstelle, daher seien die Handlungsspielräume für Polizei beziehungsweise Ordnungsämter in diesem Fall sehr gering. Das aggressive Betteln werde hingegen konsequent als Belästigung der Allgemeinheit gemäß § 118 OWiG verfolgt. In Einzelfällen komme es außerdem zu Straftaten, wie Nötigung (§ 240 StGB), Erpressung (§ 253 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB) und Beleidigung (§ 185 StGB)224. Ebenso wird das „Alkoholgelage“ an sich nicht als Verstoß gegen Normen gewertet. Es könne aber bei einem bestimmten Ausmaß wiederum zu Verstößen gegen § 118 OWiG oder auch gegen § 113 OWiG (unerlaubte Ansammlung) und § 117 OWiG (unzulässiger Lärm) kommen225. Die Verursachung von Müll auf öffentlichen Wegen und Plätzen wird als Ordnungswidrigkeit nach § 27 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 61 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG geahndet226. Allgemein wird betont, dass das Betteln, der Konsum von Alkohol und das Nächtigen beziehungsweise Lagern nur dann verfolgt würden, wenn weitere störende Handlungen hinzutreten, wie aggressives Betteln und Anpöbeln von Passanten unter Alkoholeinfluss227. Tatsächlich wird aber durchaus schon ge___________ 223 Interview mit dem Justitiar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin. 224 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; ähnlich: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, Anlage 1 S. 9. 225 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, Anlage 1 S. 9. 226 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums¸ Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, Anlage 1 S. 9: § 118 OWiG einschlägig bei Alkoholkonsum in Verbindung mit grob ungehöriger Handlung. 227 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeibezirksinspektion

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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gen Personen vorgegangen, wenn diese lediglich Alkohol konsumieren228 oder auch auf der Straße schlafen229, ohne dass es zu weiteren Belästigungen kommt. Ebenso untersagen einige Sondernutzungssatzungen beziehungsweise Gefahrenabwehrverordnungen das „Betteln in jeglicher Form“230 oder auch das „Betteln“ schlechthin231 und das bloße „Nächtigen und Lagern“232 teilweise auch das „Sitzen und Liegen“233.

___________ Saarbrücken, St. Johann; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums. 228 s. dazu oben C. V. 3. Die Tatsache, dass der Alkoholismus unter Nichtsesshaften auf 60 bis 90 Prozent geschätzt wird (Schwind, Kriminologie Rn. 21), zeigt auch, dass das Vorgehen gegen den Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit vor allem gegen diese Gruppen gerichtet sein dürfte. 229 s. dazu oben C. V. 230 § 9 f) Satzung über die Erlaubnis für Sondernutzung an öffentlichem Verkehrsraum der Stadt Bad Aibling/Bayern vom 11.09.1996 ; § 8 Nr. 4 Satzung über die Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen der Stadt Bad Orb/Hessen vom 22. August 2000 ; § 9 Abs. 1 Nr. 4 Sondernutzungssatzung der Stadt Forst (Lausitz)/Brandenburg vom 30.06.2000 ; § 9 Abs. 1 g) Sondernutzungssatzung der Stadt Kötzting/Bayern 1.3.2003 ; § 6 b) Münchner Altstadt-Fußgängerbereiche-Satzung vom 21. Juli 1971 (GVBl. 1971 S. 13) zuletzt geändert am 29.11.2000 (MüABl. S. 501); § 3 Abs. 6 b) Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg/Bayern vom 18.12.2000 ; § 9 a) Sondernutzungssatzung der Stadt Rosenheim/Bayern vom 15.April 1996 (Abl.S.102) zuletzt geändert am 21.12.1993 (Abl. S. 222). 231 § 3 Abs. 3 Sondernutzungssatzung der Stadt Hof/Bayern vom 18.November 1997 zuletzt geändert am 23.07.2001 (Ortsrechtssammlung der Stadt Hof, Stand Juni 2003634/2); § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389). 232 § 2a Buchst. a) Sondernutzungssatzung der Stadt Ingolstadt/Bayern vom 10. März 1983 (AM Nr. 12 vom 24.03.1983) zuletzt geändert am 21.06.2001 (AM Nr. 28 vom 12.07.2001); § 3 Abs. 6 a) Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg/Bayern vom 18.12.2000 ; 19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 233 § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389).

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

b) Der Begriff der Gefahr aa) Konkrete und abstrakte Gefahr Eine Gefahr im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinn liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird234. Besteht dabei die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes aufgrund einer Sachlage oder eines Verhaltens in einem einzelnen Fall, liegt eine konkrete Gefahr vor235. Dahingegen liegt eine abstrakte Gefahr vor, wenn es sich um eine Sachlage oder ein Verhalten allgemein handelt, das nach der Lebenserfahrung, den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Statistik oder aus polizeilicher Erfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt236. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit sind bei konkreter und abstrakter Gefahr dieselben237. Der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad hängt sowohl vom Wert des zu schützenden Rechtsguts als auch vom Rang des Rechtsguts, in das eingegriffen werden soll, ab238. Er muss je geringer sein, umso höher der Wert des gefährdeten Rechtsguts und das Ausmaß des möglichen Schadens ist, aber auch je höher, umso geringer die Bedeutung der drohenden Schädigung ist239. Die Bestimmung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit grenzt die Gefahrenabwehr von der Gefahrenvorsorge ab. In der Realität gibt es für kaum ein Rechtsgut vollkommene Sicherheit vor zukünftigen Beeinträchtigungen, ohne dass in allen Fällen eine Gefahr, die zum polizeilichen Einschreiten berechtigt, zu bejahen wäre. Zu fragen ist also, wann das Risiko als so intensiv angesehen werden kann, dass es hinreichend das Vorliegen einer ___________ 234 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 2; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 29; BVerwGE 45, 51/57. Denninger und das BVerwG sprechen vom „objektiv zu erwartenden Geschehen“. Vgl. auch die Legaldefinitionen in § 2 Nr. 3a) BremPolG; § 2 Nr. 1a) NdsSOG; § 3 Nr. 3a) SASOG; § 54 Nr. 3a) ThürOBG. 235 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 32; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 9. Vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 a) NdsSOG; § 3 Nr. 3 a) SASOG; § 54 Nr. 3 a) ThürOBG. 236 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 32; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 9; Vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 2 NdsSOG; § 3 Nr. 3 f) SASOG; § 54 Nr. 3 e) ThürOBG. 237 BVerwG, DÖV 1970, 713. 238 BVerwG, DÖV 1970, 713; VGH Mannheim, VBlBW 2002, 292/293; VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1299; VGHRhPf, NVwZ 2001, 1273; VGHBln, NVwZ 2001, 1266. 239 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 7; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 42.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Gefahr begründet. Das ist immer dann anzunehmen, wenn ein besonderes, nicht mehr sozialadäquates Risiko besteht240. Die Definition der abstrakten Gefahr wird dahingehend ergänzt, dass die Sachlage oder das Verhalten generell241, typischer Weise242 beziehungsweise regelmäßig243 zu einer konkreten Gefahr führt. Diese Ergänzung ist als Konkretisierung der Anforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Bei der konkreten Gefahr kommt es darauf an, dass in einem zeitlich und örtlich begrenzten Einzelfall die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Dahingegen genügt es bei der abstrakten Gefahr, dass für alle entsprechenden Lebenssachverhalte diese Wahrscheinlichkeit besteht. Es kommt nicht darauf an, ob in einem bestimmten Fall die Wahrscheinlichkeit durch hinzukommende Umstände ausgeschlossen ist244. Dann soll es aber nicht genügen, dass die Wahrscheinlichkeit nur in wenigen besonders gestalteten Situationen besteht, die einem allgemeinen Lebenssachverhalt zuzuordnen sind. Die Wahrscheinlichkeit soll für einen typischen, durch Beschreibung des Lebenssachverhalts verallgemeinerten Fall angenommen werden können245. Wann jedoch davon auszugehen ist, dass ein Lebenssachverhalt generell, regelmäßig, typischer Weise zu einer konkreten Gefahr führt, bleibt unklar. Sollte es darauf ankommen, dass eine konkrete Gefahr in der überwiegenden Zahl der Fälle eintritt, würde im Fall der Fahrstühle ohne Fahrkorbtüren246 oder gefährlicher Hunde247 aufgrund der wenigen tatsächlich auftretenden Schadensfälle keine abstrakte Gefahr bestehen. Ob es um generelle, regelmäßige oder typische Fälle geht, ist daher richtig unter dem Punkt der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu prüfen. Soweit nur in wenigen Ausnahmefällen eines Lebenssachverhalts eine konkrete Gefahr gegeben ist, ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass dieser Lebenssachverhalt zu einem Schaden führt, grundsätzlich nicht gegeben. Der Maßstab der Wahrscheinlichkeit hängt jedoch, wie erwähnt, vom zu schützenden Rechtsgut und vom Ausmaß des zu erwartenden Schadens ab. Soweit ___________ 240

Gusy, Polizeirecht, Rn. 108 ff. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 91. 242 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E 32; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 91; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 275. 243 BVerwG, DÖV 1970, 713; VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1299; NVwZ 1999, 560/561; NJW 1984, 507/509; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 275. 244 Vgl. zum Beispiel des Fahrstuhls ohne Fahrkorbtür Gusy, Polizeirecht, Rn. 110 ff. 245 Vgl. BVerwG, DÖV 1970, 713. 246 In diesen Fällen bestand die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls für 0,3 Prozent der Fälle. Vgl. dazu BVerwG, DVBl. 1973, 857; Gusy, Polizeirecht, Rn. 112; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 12. 247 Vgl. VGH Mannheim, VBlBW 2002, 292/293; VGHBln, NVwZ 2001, 1266; VGHRHPf, NVwZ 2001, 1273. 241

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

es um den Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen geht, genügt für die Annahme einer abstrakten Gefahr bereits ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit beziehungsweise die entferntere Möglichkeit des Schadenseintritts. Der Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers ist entsprechend größer248. Daher ist bei einer möglichen Schädigung von Leben oder Gesundheit von Menschen auch dann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, wenn es nur in wenigen Ausnahmefällen tatsächlich zu Schäden kommt. Umgekehrt muss die ursächliche Verknüpfung zwischen dem verbotenen Tun und dem befürchteten Schaden je wahrscheinlicher sein, umso geringer dieser Schaden und umso bedeutender das eingeschränkte Rechtsgut ist249. Die Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Gefahr ist für die Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizei- und Ordnungsbehörden entscheidend. Grundsätzlich ist für polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen im Einzelfall eine konkrete Gefahr Rechtmäßigkeitsvoraussetzung250. Das ist auch für die später zu diskutierenden Maßnahmen des Gewahrsams und Aufenthaltsverbots der Fall, wobei nach den Spezialregelungen in einigen Ländern bei letzterem der Verdacht einer konkreten Gefahr genügt251. Dahingegen können Gefahrenabwehrverordnungen erlassen werden, wenn eine abstrakte Gefahr vorliegt252. Bei einem Verstoß gegen eine solche Gefahrenabwehrverordnung liegt dann eine konkrete Gefahr vor, die ein Einschreiten im Einzelfall ermöglicht253. Nach dem objektiven Gefahrbegriff liegt eine Gefahr vor, wenn objektiv eine Sachlage oder ein Verhalten vorliegt, das bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt führt254. Die herrschende Ansicht vertritt eine Subjektivierung des Gefahrbegriffs insoweit, als auch dann vom Vorliegen einer Ge___________ 248

VGH Mannheim, VBlBW 2002, 292/293; VGH Berlin, NVwZ 2001, 1266/1268; VGHRHPf, NVwZ 2001, 1273/1274; BVerwG, DÖV 1970, 713/715. 249 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1299 f. 250 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 34; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 13. 251 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 16; § 16 Rn. 25; Zur Frage, ob auch bei aufgrund der Generalklausel erteilten Aufenthaltsverboten ein Gefahrenverdacht genügt, s. unten C. VI. 2. h) aa); zu der Voraussetzung „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen…“ bei den als Standardmaßnahme geregelten Aufenthaltsverboten s. unten C. VI. 2. h). 252 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 33; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 13; zu Gefahrenabwehrverordnungen gegen soziale Randgruppen s. unten C. VI. 2. d) bb) (3) und VI. 5. b). 253 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 33. 254 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 29; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 31; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 69.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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fahr ausgegangen wird, wenn der handelnde Beamte vertretbar von einer entsprechenden Sachlage oder Verhalten und Ablauf des Geschehens ausgeht255. Auch wenn man dem subjektiven Gefahrbegriff folgt, muss die Wahrscheinlichkeitsprognose vertretbar sein. Es muss also auch bei einer objektivierenden Betrachtungsweise ein Schaden bevorstehen256. Daher kommt es nicht auf die Empfindungen besonders ängstlicher Bürger an, die sich unter Umständen durch Gruppen von Trinkern oder Drogensüchtigen verunsichert fühlen, ohne dass tatsächlich eine Gefahr bestünde. Im Rahmen des subjektiven Gefahrbegriffs ist anerkannt, dass bereits bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts Gefahrerforschungseingriffe zulässig sind. Ein Gefahrenverdacht besteht, wenn der Beamte vertretbar davon ausgeht, dass eine Gefahr im Sinne des objektiven Gefahrbegriffs vorliegen könnte, diesbezüglich aber nicht sicher ist257. Bei der abstrakten Gefahr reicht im Gegensatz zur konkreten Gefahr das Vorliegen eines Gefahrenverdachts nicht aus258.

bb) Abgrenzung zur bloßen Belästigung Der Eintritt der Schädigung ist von bloßen Belästigungen zu unterscheiden. Ein Schaden beziehungsweise eine Störung im Sinne der Gefahrdefinition liegt vor, wenn ein polizeiliches Schutzgut tatsächlich verletzt wird. Es muss eine objektive Minderung der geschützten Güter vorliegen oder bei dem einzelnen Schutzgut eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung drohen. Eine bloße Belästigung, also ein lediglich nachteiliges, abträgliches, unangenehmes, unerfreuliches oder lästiges Verhalten genügen nicht259. Diese Abgrenzung wird besonders beim Einschreiten von Polizei- und Ordnungsbehörden gegen soziale Randgruppen relevant, weil einerseits die Maßnahmepakete oft mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung begründet werden und andererseits die im einzelnen beschriebenen störenden Umstände nicht immer eine tatsächliche Störung, sondern oft nur Belästigungen beinhalten. Daher ist zu untersuchen, ___________ 255

Vgl. zur Diskussion: Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 36 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 31 ff./47 ff.; Poscher, Gefahrenabwehr; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 80 ff. 256 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 36 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 47. 257 Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 50 ff. 258 Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/213; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 217. Dieser ist auch sonst nur im Rahmen des subjektiven Gefahrbegriffs anerkannt und berechtigt generell nur zu Gefahrenabwehrmaßnahmen. Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 50 ff. 259 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 30; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 3.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

inwieweit diese Tatbestände tatsächlich eine Beeinträchtigung polizeilicher Schutzgüter und damit eine Gefahr darstellen. Das Vorliegen einer Gefahr ist neben der Rechtmäßigkeitsvoraussetzung auch Voraussetzung für die Eröffnung des Aufgabenbereichs der Polizei. Dessen Beschränkung auf die Gefahrenabwehr bedeutet260, dass sie für den Schutz vor Schädigungen der geschützten Rechtsgüter zuständig ist, bei bloßen Belästigungen hingegen ist ihr Aufgabenbereich nicht eröffnet. In dieser Einschränkung wird auch die Abgrenzung zur „Wohlfahrtspflege“ deutlich, für die die Polizei nach dem modernen Polizeibegriff nicht zuständig ist261. Schon im 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen, die Aufgabe der Polizei auf die Gefahrenabwehr zu beschränken, während spezielle Behörden für die allgemeine Fürsorgeverwaltung zuständig sein sollten262. Das Preußische Oberverwaltungsgericht stellte in seinem bekannten „Kreuzbergurteil“263 fest, dass eine Polizeiverordnung, die ästhetische Gesichtspunkte des Städtebaus regelt, Wohlfahrtspflege und nicht Gefahrenabwehr sei und damit nicht in die Zuständigkeit der Polizei falle, die auf die Abwehr konkreter Gefahren begrenzt sei. Auch wenn der Begriff der Wohlfahrtspflege nicht mehr so absolut der Gefahrenabwehr gegenüberzustellen ist, so ist die Abgrenzung doch auch heute noch sinnvoll, weil sich Befugnisse und grundrechtliche Voraussetzungen für Gefahrenabwehr und Sozialgestaltung unterscheiden264. Die Polizei hat demnach auch in Bezug auf soziale Probleme nur zeitlich und örtlich eingrenzbare Schadenssituationen zu bekämpfen, während andere Behörden für die Lösung dieser Probleme allgemein, also die Wohlfahrtspflege beziehungsweise Sozialgestaltung, zuständig sind265. Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders problematisch, dass sich die Polizei im Rahmen der neuen an der „Broken Windows“-Theorie ausgerichteten Konzepte immer stärker auch um die Verhinderung von Verwahrlosungstendenzen im Ansatz und die Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bürger bemüht266.

___________ 260

s. oben C. VI. 2. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 31 262 Boldt in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 36 ff.; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 Rn. 5 ff.; allgemein zur Entwicklung Brugger, VVDStRL (63) 2004, 101/121 ff. 263 PrOVGE 9, 353. 264 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 Rn. 28. 265 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 31: Mit dem Beispiel, dass die Polizei bei akuter Obdachlosigkeit einschreiten muss, aber nicht für die Wohnungsbaupolitik zuständig ist. Vgl. auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 146. 266 s. dazu oben C. IV. 2.; vgl. Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48. 261

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c) Verantwortlichkeit Die Polizei- und Ordnungsbehörden dürfen grundsätzlich nur gegen den Verantwortlichen beziehungsweise Störer vorgehen267. Es wird zwischen Verhaltens- und Zustandsstörer unterschieden. Der Verhaltensstörer erzeugt durch ein Handeln oder Unterlassen die Gefahr, der Zustandsstörer ist für eine Sache verantwortlich, von der eine Gefahr ausgeht268. Ausnahmsweise kann auch gegen Nichtstörer vorgegangen werden. Dafür sind aber qualifizierte Voraussetzungen erforderlich269, die in Fällen des Vorgehens gegen soziale Randgruppen im öffentlichen Raum, wie es in dieser Arbeit untersucht wird, nicht in Betracht kommen. Bei den Maßnahmen zur Verdrängung von Randgruppen aus dem öffentlichen Raum geht es meist um eine Inanspruchnahme als Verhaltensstörer. Eine Person ist dann Verhaltensstörer, wenn sie durch ihr Verhalten die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verursacht270. Im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Ansammlungen von Randgruppen ist insbesondere fraglich, ob eine Verursachung vorliegt, die die Betroffenen zu Verhaltensstörern werden lässt. Im Polizeirecht gilt dabei ein anderer Zurechnungsmaßstab als für die Kausalität im Straf- und Zivilrecht, weil die in diesen Rechtsgebieten angewandten Kriterien insoweit nicht ausreichend sind. Das liegt insbesondere daran, dass es im Polizeirecht neben der Verursachung nicht auf die Schuld ankommt271. Die herrschende Ansicht geht davon aus, dass eine unmittelbare Verursachung vorliegen muss, damit eine Person als Störer in Anspruch genommen werden kann272. Unmittelbare Verursachung durch eine Person wird dann angenommen, wenn diese die Gefahrengrenze oder -schwelle durch ihr Verhalten übertritt273, ___________ 267 Art. 7, 8 BayPAG; Art. 9 Abs. 1, 2 BayLStVG; §§ 5, 6 BbgPolG; §§ 16, 17 BbgOBG; §§ 13, 14 BerlASOG; §§ 5, 6 BremPolG; §§ 6, 7 BWPolG; §§ 8, 9 HbgSOG; §3 6, 7 HessSOG; §§ 68, 69, 70 MVSOG; §§ 6, 7 NdsSOG; §§ 4, 5 NWPolG; §§ 17, 18 NWOBG; §§ 4, 5 RhPfPOG; §§ 4, 5 SaarlPolG; §§ 4, 5 SächsPolG; §§ 7, 8 SachsAnhSOG; §§ 217, 218, 219 SchlHLVwG; §3 7, 8 ThürPAG; §§ 10, 11 ThürOBG. 268 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 65; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 2. 269 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 74. 270 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 63; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 5. 271 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 64; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 9 f. 272 OVG Koblenz, NVwZ 1992, 499/500; OVG Münster, NVwZ 1997, 507/508; vgl. dazu: Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 65; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 11. 273 VGH Kassel, NJW 1986, 1829; OVG Münster, NVwZ 1997, 507/508; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 65; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 15.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

also wenn sie „bei wertender Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Gefahrengrenze überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt hat“274. Worauf es genau ankommen soll, um zu bestimmen, ob die Gefahrengrenze überschritten wurde, ist weitgehend ungeklärt275. Zumindest wird angenommen, dass die Zumessung der Verhaltensverantwortlichkeit, abgesehen von der im Polizeirecht nicht zu beachtenden Schuldfrage, mit den Maßstäben der Verantwortung in der übrigen Rechtsordnung nicht in Konflikt geraten darf276. Die Gefahrengrenze kann demnach nicht überschritten werden, und es liegt demnach auch keine unmittelbare Verursachung vor, wenn der Betroffene von einem ihm nach der Rechtsordnung zustehenden Recht legalen Gebrauch macht277. Bei polizeilichen Maßnahmen gegen Personen sozialer Randgruppen, die sich in Gruppen beziehungsweise Szenen an bestimmten Orten aufhalten, ist schon das Vorliegen einer konkreten Gefahr problematisch, soweit diese in der Szene an sich und nicht in den jeweiligen Verhaltensweisen gesehen wird278. Bejaht man diese, muss im Weiteren nach der Verantwortlichkeit der jeweiligen Person gefragt werden, gegen die vorgegangen wird. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass insbesondere im Falle der Drogenszene bereits das längere Verweilen an einem einschlägigen Treffpunkt die Gefahrenschwelle überschreite, weil es die durch die Szene hervorgerufenen Gefahren mit herbeiführe. Maßnahmen könnten sich demnach gegen jeden richten, der an einem einschlägigen Ort anwesend ist, damit die Personenansammlung im Sinne der Szene mittrage und die abzuwehrende Gefahr zumindest mit verursache279. Das wird von einigen scheinbar dahingehend eingeschränkt, dass der Betroffene nach polizeilichen Erkenntnissen der Szene zuzurechnen sein muss280. So sollen die angetroffenen Mitglieder der Szene richtige Adressaten sein, weil ihr Verhalten mitursächlich für die genannten Gefahren sei, es müsse aber ein konkreter Bezug zur Szene bestehen281. Worin dieser konkrete Bezug zu sehen ___________ 274

OVG Münster, NVwZ 1985, 355/356. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 65; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 15. 276 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 15. 277 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 65; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 17. 278 s. dazu am Beispiel der Drogenszenen unten C. VI. 2. d) bb) (1). 279 VG Hamburg vom 7.12.1994, 14 VG 3235/92, unveröffentlichte Entscheidung, S. 15; Scheithauer, VBlBW 1997, 447. 280 VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226: Die Offene Drogenszene sei eine Gefahr, die die Polizei ermächtigt, gegen die „an der Drogenszene Beteiligten“ Verfügungen zu erlassen. 281 Deger, VBlBW 1996, 90/93. 275

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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sein soll, wird nicht ausgeführt. Das OVG Münster lässt für die Feststellung, dass eine Person „fester Bestandteil“ der Drogenszene sei, regelmäßige und häufige Kontakte zur Szene ausreichen, auch wenn diese Person weder Drogenhändler noch -konsument ist. Durch intensive Kontakte werde die Drogenszene personell verstärkt und zur Etablierung und Verfestigung derselben beigetragen. Damit verursache der Betroffene die abzuwehrende Gefahr mit282. Geht man davon aus, dass eine Zugehörigkeit zur Szene auch gegeben ist, wenn nur Kontakte bestehen, ohne dass der Betroffene an Drogengeschäften beteiligt ist beziehungsweise war, also ohne dass die Wahrscheinlichkeit einer Störung der öffentlichen Sicherheit konkret bevorstünde, ergibt sich keine Einschränkung gegenüber der Ansicht, dass alle Anwesenden Störer seien, soweit sie die Szene mittrügen283. Diesen Ansichten ist entgegenzuhalten, dass die bloße Anwesenheit an einem Treffpunkt der Szene nicht die Gefahrenschwelle überschreitet. Zum einen stellt sie, soweit der Treffpunkt im öffentlichen Raum liegt, die Ausübung des jedermann zustehenden Rechts auf kommunikativen Gemeingebrauch dar. Wenn der Betroffene nur anwesend ist und keine sonstigen konkreten Störungen der öffentlichen Sicherheit zu befürchten sind, handelt es sich um den legalen Gebrauch von Rechten, weshalb die Gefahrenschwelle nicht überschritten

___________ 282 OVG Münster, NVwZ 2001, 459/460: Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit fordert das Gericht aber die Begrenzung der Maßnahmen auf „solche Personen, die in besonderer Weise an der Bildung und Aufrechterhaltung der Szene beteiligt sind. Dies können Drogenhändler oder Drogenkonsumenten sein, im Einzelfall aber auch Personen, die auf sonstige Weise nachhaltig zur Verfestigung der Drogenszene beitragen.“; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/317: Die Gefahr wird im Bestehen der Szene an sich gesehen, die Maßnahmen müssten sich aber gegen die Verantwortlichen richten: „Hierzu zählen bei einer offenen Drogenszene an erster Stelle Personen, die Handel mit Drogen betreiben. Verursacher der Störung sind aber auch die Drogenabhängigen, die sich mit Erwerbsabsichten zum Treffpunkt der Drogenszene begeben. Ihre Anwesenheit schafft erst die Bedingung, die den Händlern das Geschäft erleichtern. Das befreit die Behörde allerdings nicht davon, bei der Entscheidung über die im Einzelfall zu treffende Maßnahme nach Art und Ausmaß der Verstrickung in die Szene zu differenzieren.“ 283 Zu beachten ist aber, dass diese Entscheidung ein Aufenthaltsverbot aufgrund der Generalklausel zum Inhalt hat. Soweit in einigen Bundesländern Spezialermächtigungen vorliegen, setzen diese voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die in Anspruch genommene Person eine Straftat begehen wird. In diesen Fällen wird auch die Störereigenschaft detaillierter begründet: Vgl. OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454: „Nachdem der […] Ast. bereits dreimal im Bereich der Stadt O. bei der „Kontaktsuche zu Konsumenten von Betäubungsmitteln“ angetroffen worden war, ist die Annahme gerechtfertigt […]. Aufenthaltsverbote sind außerdem aufgrund des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes des Art. 11 Abs. 2 GG nur gegen Personen zulässig, die auch potentielle Straftäter sind.“ Vgl. Rachor F 467 und unten C. VI. 3. b) dd).

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

wäre284. Zum anderen müssten für die Bejahung einer Überschreitung der Gefahrenschwelle durch bloße Anwesenheit dem Einzelnen die durch die gesamte Szene verursachten Gefahren zurechenbar sein. Diese Gefahren ergeben sich aus einer komplexen Anzahl verschiedener Störungen, die an sozialen Brennpunkten durch die Anwesenheit bestimmter Szenen entstehen, wie zum Beispiel die Verwahrlosung des Gebietes und erhöhte Begehung von Straftaten im Umfeld der Szenen285. Diese komplexen Zusammenhänge können aber nicht einem Einzelnen zugerechnet werden, weil er sich an dem Brennpunkt aufhält, auch dann nicht, wenn er grundsätzlich der Szene zuzurechnen ist. Durch die Zurechnung der komplexen Gefahrenlage werden im Einzelnen nicht nachvollziehbare und auch nicht belegbare Kausalitäten aufgestellt und damit das Merkmal des Verursachungszusammenhangs unzulässig aufgeweicht286. Vielmehr muss es darauf ankommen, dass die in Anspruch genommene Person selbst solche Gefahren verursacht. Das ist zum Beispiel gegeben, wenn sie zuvor mehrmals am entsprechenden Ort bei einschlägigen Delikten angetroffen wurde oder aber gerade dazu ansetzt, eines zu begehen287. Dann wäre die Person verantwortlich, weil sie die Schwelle zu einer konkreten Gefahr, nämlich der bevorstehenden Begehung einer Straftat überschreitet, und nicht weil sie allgemein der Szene angehört, von der noch andere Gefahren ausgehen mögen288. Eine Ausweitung der Störereigenschaft auf die bloße Zugehörigkeit zur Szene, unabhängig von der bevorstehenden Gefahr der Begehung konkreter Störungen in Person des Betroffenen (seien dies Drogendelikte oder Ord___________ 284

Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 195; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 18. 285 s. dazu C. VI. 2. a). 286 So auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 195. 287 Vgl. auch Heeger/Wien, Die Polizei 1994, 190/192. So dürfte auch der VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225 f. zu verstehen sein. Dieser bejaht zwar zunächst die Bestimmtheit des Personenkreises bei einer Allgemeinverfügung, wenn alle Personen, die sich an einem bestimmten Ort aufhalten und der Drogenszene „offensichtlich“ zuzurechnen sind, umfasst seien. Zuzurechnen sei eine Person, wenn sie gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoße oder Kontakte zur Drogeszene suche. Er sieht das als Allgemeinverfügung erlassene Aufenthaltsverbot dann aber als unverhältnismäßig an, weil von ihm auch Personen betroffen seien, die zwar offensichtlich der Drogenszene zuzurechnen sind, den von einem Aufenthaltsverbot umfassten Bereich aber zu anderen Zwecken, als Drogenerwerb oder -verkauf betreten wollen. 288 Entsprechend formuliert die Münchner Allgemeinverfügung ein Aufenthaltsverbot für das Gebiet des Englischen Gartens für alle Personen, „die diesen Bereich betreten, um Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG abzugeben, zu erwerben, zu konsumieren oder zu lagern bzw. die derartige Betäubungsmittel besitzen“ (Bekanntmachung im Amtsblatt der Landeshauptstadt München – Nr.12/1994 S. 90) im Gegensatz zu der für unwirksam erklärten Stuttgarter Allgemeinverfügung, gegen „alle Personen, die sich in dem in der Anlage bezeichneten Bereich aufhalten und offensichtlich der Drogenszene zuzurechnen sind oder zu ihr Kontakt suchen.“ Vgl. dazu VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225 f.

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nungswidrigkeiten durch das Anpöbeln von Passanten et cetera), birgt außerdem die Gefahr, dass Maßnahmen aufgrund von Äußerlichkeiten vorgenommen werden, aufgrund derer jemand als zur Szene zugehörig angesehen wird289. Anders ist es, wenn für die polizeiliche Maßnahme eine abstrakte Gefahr ausreicht, wie das bei Gefahrenabwehrverordnungen der Fall ist. Dann ist auch derjenige Verantwortlicher, der zwar keine konkrete aber eine abstrakte Gefahr verursacht290. Wenn ein abstrakter Lebenssachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, ist die unmittelbare Verursachung eben dieses Lebenssachverhalts ausschlaggebend. Unerheblich ist es, ob weitere Verhaltensweisen hinzutreten müssen, bevor das polizeiliche Schutzgut geschädigt wird, solange der verbotene Lebenssachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führt. Dann ist die Person verantwortlich, die sich entsprechend dem verbotenen Lebenssachverhalt verhält, auch ohne dass sie die hinzukommenden Verhaltensweisen ausführt. So kommt es für das Beispiel der so genannten Hundeverordnungen nicht darauf an, ob der konkrete Hund oder eher sein Halter gefährlich ist. Es genügt, dass von Hunden bestimmter Rassen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Gesundheitsschädigungen zu erwarten sind. Dann ist jeder verantwortlich, der einen Hund dieser Rasse hält, unabhängig davon, ob er diesen schlecht erzieht oder ohne Maulkorb auf einem Kinderspielplatz spazieren führt291. Soweit im Aufenthalt einer Personengruppe an einem bestimmten Ort eine abstrakte Gefahr gesehen und dieser durch eine entsprechende Verordnung verboten wird, kann demnach gegen alle Mitglieder dieser Personengruppe vorgegangen werden, ohne dass es auf deren individuelle Verursachensbeiträge ankäme.

d) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit aa) Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit Die Gefahr muss für ein polizeiliches Schutzgut, also für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die ___________ 289

So auch Lesting, KJ 1997, 214/216. Im Falle der Drogenszene könnte man eventuell annehmen, dass das Erkennen der Zugehörigkeit zur Szene und damit unbedenklich auch die Bejahung der Störereigenschaft durchaus möglich ist, weil die für den Bereich zuständigen Polizisten die Angehörigen der Szene oft in der Tat aus Erfahrung bereits persönlich kennen. (So Michael Hallstein, Strategien zwischen Vertreibung, Kriminalisierung und effektiver Ausstiegshilfe im nationalen und internationalen Vergleich, 8, für eine Drogenszene von immerhin 1600 Personen in Frankfurt am Main.). 290 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 11 Rn. 17. 291 Vgl. dazu Gusy, Polizeirecht, Rn. 409.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der staatlichen Hoheitsgewalt292. Für das Einschreiten gegenüber sozialen Randgruppen wird insbesondere eine Verletzung der Rechtsordnung durch Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder Verstöße gegen straßenrechtliche Bestimmungen beziehungsweise Polizeiverordnungen293 diskutiert.

bb) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit (1) Gefahren im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene Im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene wird die Gefahr oft im Bestehen der Drogenszene an sich gesehen. Von der Drogenszene als solcher gingen Gefahren „für den Einzelnen, aber auch für Neugierige und für das Gemeinwesen aus, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung akut bedroht wird“. Die offene Drogenszene sei durch ein „kollektives Geschehen“ gekennzeichnet, in dem „komplexe Verhaltensweisen einer Vielzahl von Personen kumulieren“, gerade von dieser Kumulation seien polizeiliche Rechtsgüter bedroht294. Die Drogenszene sei Anlaufstelle und Treffpunkt zum Erwerb von Rauschgift. Sie ziehe stets neue Drogenhändler und –konsumenten an. In ihrem Schutze würden Drogengeschäfte begünstigt und polizeiliche Maßnahmen behindert. Die offene Drogenszene stelle „daher nicht nur in ihren Einzelhandlungen, sondern auch als kollektives Geschehen eine Störung der öffentlichen Sicherheit“ und damit eine konkrete Gefahr dar295. Teilweise wird auch von einer „Dauergefährlichkeit der Szene“, auf die es im Gegensatz zum konkreten Drogengeschäft ankomme, gesprochen296. Dass die Drogenszene an sich eine ___________ 292 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 56; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 3. 293 s. dazu unten unter C. VI. 5. 294 VG Hamburg vom 7.12.1994, 14 VG 3235/92, unveröffentlichte Entscheidung, S. 10 ff.; Scheithauer, VBlBW 1997, 447. 295 OVG Münster, NVwZ 2001, 459 f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; so auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 76 ff.: Kappeler sieht die Gefahr im Bestehen der Drogenszene an sich unzweifelhaft gegeben, aber Probleme bei der Begründung der Störereigenschaft, soweit gegen Einzelne eingeschritten wird. S. dazu oben C. VI. 2. c). Zu beachten ist, dass es sich bei den Gerichtsentscheidungen, die die Drogenszene pauschal als Gefahr ansehen, um solche handelt, in denen ein Aufenthaltsverbot aufgrund der Generalklausel ergangen ist. Soweit Spezialregelungen bestehen, die fordern, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person Straftaten begehen wird, begründen die Gerichte das Bestehen der Gefahr im konkreten Fall. S. OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454; vgl. Rachor F 467. 296 Cremer, NordÖR 2001, 324/329f; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/132.

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Gefahr darstellt, wird auch mit Gefährdungslagen begründet, die im Grunde durch einzelne Personen und Verhaltensweisen in konkreten Situationen hervorgerufen werden und nicht durch die Anwesenheit der Szene als solche. So stelle die Existenz der Drogenszene eine konkrete Gefahr dar, weil dort Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen beziehungsweise vorbereitet297 und eine Anziehungswirkung auf noch nicht drogenabhängige „Einsteiger“ ausgeübt würden298. Außerdem bestehe aufgrund weggeworfener Spritzen die konkrete Gefahr der fahrlässigen Begehung von Körperverletzungsdelikten299, und Diebstähle im Umfeld würden zunehmen300. Teile der Literatur wenden sich gegen die Ansicht, dass die offene Drogenszene als solche eine Gefahr darstellt. Der Begriff diene nur der Umschreibung eines sozialen Phänomens, ohne konkrete räumliche und zeitliche Bezugspunkte. Als solches Phänomen sei die Drogenszene kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Gefahr. Die Gefahren würden vielmehr durch die einzelnen Beteiligten und die von ihnen mitgeführten Spritzen beziehungsweise das Rauschgift verursacht301. Die Tendenz, pauschal die Drogenszene in Anspruch zu nehmen, führe zu einer neuen Entwicklung im Polizeirecht, die sehr fragwürdig sei302. Aufgrund der Größe der damit angenommenen Gefahr, sinke die Eingriffschwelle und die Begründung der Geeignetheit polizeilicher Maßnahmen würde faktisch obsolet303. Außerdem würde die gemeingebräuchliche Nutzung des öffentlichen Raums durch die Szenen generell ausgeschlossen, weil eine Verträglichkeit von Angehörigen der Drogenszene mit anderen Nutzungen bei dieser Betrachtung praktisch undenkbar sei304. Durch die Begründung der Gefahr mit der Gefährlichkeit der kollektiven Szene und nicht mit einem konkreten Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit wird insbesondere auf ___________ 297 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/317; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327/328; Deger, VBlBW 1996, 90/93; Scheithauer, VBlBW 1997, 447. 298 OVG Münster, NVwZ 2001, 459 f.; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995 131/133 ff.: Diese sehen sehr weitreichende Gefahrenzusammenhänge, indem sie behaupten, dass fast jeder Erstkonsum zwangsläufig zur Abhängigkeit und die Abhängigkeit wiederum „nahezu unausweichlich zum Tode“ führe. 299 OVG Münster, NVwZ 2001, 459; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327/328; Deger, VBlBW 1996, 90/93. 300 Deger, VBlBW 1996, 90/93; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995 131/133; Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 37 f.: Dieser stellt sehr pauschal die Beschaffungskriminalität und dabei vorkommende Aggressivität einzelner Drogensüchtiger gegenüber potenziellen Opfern als Folge der Drogenszene allgemein dar. 301 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 467. 302 Hecker, JuS 1998, 575/576. 303 Lesting, KJ 1997, 214/216; s. dazu unten C. VI. 3. c) aa). 304 Hecker, JuS 1998, 575/576; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 195.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

eine Gemengelage von Problemen abgestellt, die empirisch teilweise nicht belegbar sind. So konnte zum Beispiel die These, dass die Szene als Anziehungspunkt für Einsteiger dient, nicht bewiesen werden305. Unzweifelhaft zu bejahen ist, dass im Zusammenhang mit der Drogenszene Störungen der öffentlichen Sicherheit durch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Straftaten im Rahmen der Beschaffungskriminalität vorkommen. Durch die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Strafgesetzbuch ist die Rechtsordnung verletzt306. Die mögliche Verletzung Dritter durch liegen gelassene Spritzen stellt eine Gefahr für deren Gesundheit und unter Umständen eine fahrlässige Körperverletzung und somit ebenfalls einen Verstoß gegen die Rechtsordnung dar307. Abgesehen von eventuellen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz stellt die Gefährdung der eigenen Gesundheit keine Störung der öffentlichen Sicherheit dar, weil es sich um zulässige eigenverantwortliche Selbstgefährdung handelt308. Daher stellt auch die Tatsache, dass Dritte durch die Drogenszene selbst zu Konsumenten werden, an sich keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar309. Soweit die Rechtsordnung als Bestandteil des polizeilichen Schutzgutes öffentliche Sicherheit verletzt ist, besteht eine konkrete Gefahr, wenn ein Verhalten die Wahrscheinlichkeit der Begehung dieser Delikte im einzelnen Fall begründet310. Dann ist auch ein polizeiliches Einschreiten durch Maßnahmen gegen Einzelne unzweifelhaft möglich. Das Bestehen der Drogenszene an sich müsste ebenfalls die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts aufgrund einer Sachlage oder eines Verhaltens im einzelnen Fall beinhalten, um eine konkrete Gefahr darzustellen. Davon kann nicht ausgegangen werden, soweit die Gefahr aus der möglichen Begehung von Verstößen gegen die Rechtsordnung aus der Szene hergeleitet wird. Es geht dann nämlich nicht um die bevorstehenden Verstöße aufgrund eines Verhaltens im einzelnen Fall, sondern nur um die ___________ 305

s. dazu Lesting, KJ 1997, 214/216. Vgl. zu den Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz: OVG Münster, NVwZ 2001, 459; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/317; zu den Straftaten im Rahmen der Beschaffungskriminalität: Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/133. 307 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, 459; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327/328; Deger, VBlBW 1996, 90/93. 308 Zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E 21 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 27 f. Aus demselben Grund ist keine Gefahr gegeben, wenn man annimmt, dass drogenabhängige Prostituierte häufig HIV infiziert seien und ohne Präservative arbeiteten und daher Freier anstecken könnten. So aber Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, S. 38. 309 In diesen Fällen könnte aber eine Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hergeleitet werden, die wiederum Bestandteil der Rechtsordnung wäre. Vgl. zu Schutzpflichten des Staates Murswieck in: Sachs in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 24 ff. 310 s. oben C. VI. 2. b) aa). 306

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Wahrscheinlichkeit solcher aufgrund der Erfahrungen im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene. Diese erfüllt allenfalls den Tatbestand der abstrakten Gefahr311. Auch die Annahme, dass innerhalb der Drogenszene die Drogengeschäfte begünstigt und polizeiliche Maßnahmen behindert würden312, führt nicht zum Vorliegen einer konkreten Gefahr. Die zu begünstigenden Geschäfte und auch die Behinderungen polizeilicher Maßnahmen drohen nicht in einem konkreten Fall, sondern es besteht nur die abstrakte Möglichkeit, dass diese innerhalb der Drogenszene vorkommen. Eine konkrete Gefahr kann also nur angenommen werden, wenn zur Anwesenheit der Drogenszene an einem Ort weitere Tatsachen hinzu kommen, die die Wahrscheinlichkeit eines konkret bevorstehenden Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit begründen. Das bloße Bestehen der Drogenszene begründet lediglich eine abstrakte Gefahr, gegen die nur generelle Regelungen, nicht aber einzelfallbezogene polizeiliche Maßnahmen möglich sind313.

(2) Betteln Die Rechtsprechung definiert das einfache Betteln als „die Bitte um Gewährung eines geldwerten Geschenks, die sich auf wirtschaftliche oder angebliche eigene Hilfsbedürftigkeit oder solche einer dem Täter nahe stehenden Person stützt und die Mildtätigkeit einer Person in Anspruch nimmt, zu der keine entsprechenden persönlichen Beziehungen bestehen“314. Von dieser auch „stilles Betteln“315 genannten Form wird das so genannte „aggressive Betteln“ abgegrenzt. Aggressiv wird das Betteln, wenn bestimmte Verhaltensformen hinzukommen, die nicht einheitlich definiert werden. Einige lassen das „nachdrückliche oder hartnäckige Ansprechen von Personen“ genügen316. Meist wird aber stärkeres Einwirken auf die Passanten verlangt, wie „besonders aufdringliches Betteln […], zum Beispiel wenn der Bettler dem Passanten den Weg zu verstellen versucht und/oder ihn durch Zupfen oder Festhalten an der Kleidung körperlich berührt, ferner wenn der Passant beschimpft wird, weil er nichts geben will“317; „unmittelbares Einwirken auf Passanten durch In-den-Weg-Stellen, ___________ 311

s. oben C. VI. 2. b) aa). OVG Münster, NVwZ 2001, 459. 313 s. oben C. VI. 2. b) aa); so auch Volkmann, NVwZ 2000, 361/363. 314 OLG Köln, NJW 1961, 2172. 315 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560. 316 Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/486; Fahl, DÖV 1996, 955/956; Holzkämpfer, NVwZ 1994, 146; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423. 317 § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 312

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Einsatz von Hunden als Druckmittel, Verfolgung oder Anfassen“318 oder dass „Personen bedrängt, festgehalten oder berührt werden“319. Das Betteln könnte gegen die Rechtsordnung als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit verstoßen, wenn es Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllt320. In Bezug auf Straftatbestände ist festzustellen, dass § 361 Nr. 4 StGB, der das Betteln unter Strafe stellte, im Zuge der Strafrechtsreform im Jahre 1974 abgeschafft wurde321. Demnach ist das Betteln an sich nicht mehr strafbar. In Frage kommt nur eine Verletzung anderer Straftatbestände durch die Handlungen, die das Betteln nach den oben genannten Definitionen ausmachen. Für das stille wie das aggressive Betteln könnte der „Bettelbetrug“322 nach § 263 StGB einschlägig sein. Die Voraussetzung der Täuschungshandlung würde dann vorliegen, wenn eine Bedürftigkeit nur vorgespielt wäre. Die Ansicht, dass eine wirkliche Notlage in der Regel zu verneinen sei, weil Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch genommen werden könn___________ ; Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 ; Zupfen an der Kleidung auch: Fahl, DÖV 1996, 955/956; Holzkämpfer, NVwZ 1994, 146; auch gelegentliche Beleidigungen Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423. 318 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002; ähnlicher Wortlaut § 6 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25) „unmittelbares Einwirken von Person zu Person, insbesondere unter Mitführung eines Hundes, durch in den Weg stellen, ansprechen oder anfassen […]“; Verfolgung des Passanten auch: Fahl, DÖV 1996, 955/956; Holzkämpfer, NVwZ 1994, 146; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423. 319 § 1 Satz 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 320 Ob das Betteln eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellt und daher schon ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit bei Nichtvorliegen der entsprechenden Erlaubnis gegeben ist, wird später gesondert geprüft; s. unten C. VI. 5. b) bb) (1). 321 Art 326 Abs. 3 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 469); § 361 Nr. 4 ordnete eine Bestrafung für denjenigen an, der „bettelt oder Kinder zum Betteln ausschickt, oder Personen, welche seiner Gewalt und Aufsicht untergeben sind und zu einer Hausgenossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterläßt […]“; zur historischen Entwicklung s. auch oben C. II. 322 Dies wird auch in der Praxis angenommen: Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; vgl. zum Bettelbetrug: Cramer in Schönke/Schröder, StGB § 263 Rn. 101 ff.

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ten, verkennt die Realität323. In den meisten Fällen sind die Angaben des Bettlers für den Gebenden auch nicht wesentlich, so dass es an der Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum fehlt324. Andere lehnen bei tatsächlicher Vortäuschung der Notlage das Vorliegen eines Vermögensschadens ab, wenn der Passant sein Ziel durch Hingabe des Geldes erreicht und dieses Ziel nicht in der Unterstützung des Bedürftigen, sondern darin besteht, den Bettler loszuwerden325. Nur bei den Formen des aggressiven Bettelns könnten die Straftatbestände der Erpressung (§§ 253, 255 StGB), der Nötigung (§ 240 StGB), der Beleidigung (§ 185 StGB) und der Körperverletzung (§ 223 StGB) erfüllt sein326. Sowohl für die Erpressung als auch Nötigung muss der Bettler dem Passanten gegenüber Gewalt anwenden oder ihm mit einem empfindlichen Übel drohen. Gewalt ist der (zumindest auch) physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines vermuteten Widerstandes327. Das ist gegeben, wenn ein Bettler den Passanten mehr als nur unerheblich festhält328, das bloße Zupfen an der Kleidung genügt jedoch nicht329. Auch das Verfolgen eines Passanten wäre nur dann Gewalt, wenn dieser sich dadurch mehr als nur unerheblich bedrängt fühlen und die Verfolgung daher als körperlichen Zwang empfinden würde330. Wenn Bettler einem Passanten kurze Zeit hinterherlaufen, ist dieser Tatbestand nicht erfüllt. Das Verstellen des Weges ist nicht als Gewalt im Sinne des Strafrechts anzusehen, solange es lediglich eine psychische Zwangswirkung beim Passanten auslöst, dieser sich also an sich noch einen Weg an dem Bettler vorbei bah___________ 323 So der Antragsgegner in VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560. Dagegen aber auch das Gericht mit der Begründung, dass Sozialhilfe nicht in jedem Fall in Anspruch genommen wird und außerdem die Betroffenen diese auch bereits ausgegeben haben könnten. Vgl. auch Schwind, Kriminologie, § 17 Rn. 27: oft werden Ansprüche auf Sozialhilfe aus Scham oder Furcht vor der Bürokratie nicht geltend gemacht. 324 Tröndle/Fischer, StGB, § 263 Rn. 36. 325 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 172. 326 So auch Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums. 327 Tröndle/Fischer § 240 Rn. 8; Eser in: Schönke/Schröder Vorbem. §§ 234 ff. Rn. 7 ff. 328 Eser in: Schönke/Schröder Vorbem. §§ 234 ff. Rn. 13; so auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 90; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 183. 329 Vgl. Terwische, VR 1997,410/411. 330 Eser in: Schönke/Schröder Vorbem. §§ 234ff Rn. 17; so auch Schmitz, Straßenund polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 183: Schmitz bringt als Beispiel, in dem dies gegeben sein könnte, eine Situation, in der „mehrere Bettler ein körperlich unterlegenes Opfer körpernah in einer einsamen Gegend, so dass dieses unmittelbar mit einem Angriff rechnen muss“ verfolgen. Diese Situation dürfte aber nicht die des typischen Bettelns beschreiben, da sich Bettler eher selten in einsamen Gegenden, in denen keine Passanten vorbeikommen, aufhalten werden.

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nen kann331. Neben der Gewaltanwendung kommt die Drohung mit einem empfindlichen Übel als Nötigungshandlung in Betracht332. Diese ist gegeben, wenn Hunde als Druckmittel eingesetzt werden, die geeignet wären, einer Person Schaden zuzufügen333. Ob in dem Verfolgen eine konkludente Drohung enthalten ist334, bleibt zu bezweifeln. In der Regel dürfte das Verfolgen nicht dazu dienen, dem Passanten einen Nachteil in Aussicht zu stellen, falls er nichts gebe, sondern lediglich der Verstärkung der Bitte um Geld. Eine Körperverletzung nach § 223 StGB ist nur gegeben, wenn ein Bettler einen Passanten körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt335. Das dürfte nur in den seltensten Fällen vorkommen und ist dann auch nicht mehr unter die Handlung des Bettelns zu subsumieren. Soweit die Definitionen des aggressiven Bettelns das Beschimpfen von Passanten beinhalten, ist an eine Beleidigung nach § 185 StGB zu denken336. In der Praxis wird das aggressive Betteln konsequent als Verstoß gegen § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit) verfolgt337. Für eine Einschlägigkeit des Tatbestandes müsste eine grob ungehörige Handlung vorliegen, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Eine Handlung ist grob ungehörig im Sinne des § 118 OWiG, wenn sie im deutlichen Widerspruch zur Gemeinschaftsord___________ 331 Strittig: vgl. dazu Eser in: Schönke/Schröder Vorbem. §§ 234 ff. Rn. 10 ff.; Tröndle/Fischer § 240 Rn. 20 (zur Sitzblockadeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts BverfGE 92, 1) Terwische, VR 1997, 410/411: Bewusstes Versperren eines Weges durch Schaffung eines Hindernisses kann äußeren Zwang und damit ein Hindernis darstellen, wenn sich dem Betroffenen keine Möglichkeit bietet, auszuweichen. 332 Drohung ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. (Tröndle/Fischer § 240 Rn. 31) Ein empfindliches Übels ist jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung in der Außenwelt. Empfindlich ist ein Übel dann, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von einer Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Dabei kommt es auf die subjektive Empfindung und Motivierbarkeit des konkrete Betroffenen an. (Tröndle/Fischer § 240 Rn. 32). 333 Die Ankündigung eine Verhaltens, das würde es verwirklicht Gewalt wäre, ist stets ausreichend für die Annahme eines empfindlichen Übels. (Fischer/Tröndle § 240 Rn. 33). 334 So Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 183. 335 Körperliche Misshandlung ist dabei die üble, unangemessene Behandlung, die entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt (Fischer/Tröndle § 223 Rn. 3). Das Beispiel bei Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 184, dass dies gegeben sei, wenn der Bettler einen Passanten schlägt, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, ist wiederum mit der Realität des Bettelns kaum vereinbar. 336 s. dazu Tröndle/Fischer, StGB, § 185 Rn. 4 ff. 337 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; gegen die Anwendbarkeit für das „stille Betteln“ u.a. VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561.

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nung steht. Sie muss objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzen, ohne deren Beachtung auch eine für Entwicklungen offene Gesellschaft nicht auskommt und eine Missachtung der Menschenwürde oder sonst durch die Gemeinschaftsordnung geschützten Interessen darstellen338. Das Betteln, auch wenn es mit hartnäckigem Ansprechen, Zupfen an der Kleidung oder kurzem Verfolgen des Betroffenen verbunden ist, stellt keinen derartig groben Verstoß gegen die Gemeinschaftsordnung dar339. Im Gegenteil, insbesondere in Städten an belebten Plätzen, gehören Bettler zum alltäglichen Straßenbild und sind damit Bestandteil der Gemeinschaft. Der Ansicht, dass das aggressive Betteln schon deshalb keine grob ungehörige Handlung im Sinne des § 118 OWiG sei, weil § 361 Nr. 4 StGB im Zuge der Strafrechtsreform im Jahre 1974 gestrichen wurde, ohne dass sein Tatbestand wie andere in das Ordnungswidrigkeitengesetz übernommen wurde340, ist jedoch nicht zu folgen. Die Tatsache, dass das einfache Betteln nicht mehr strafbar und auch keine Ordnungswidrigkeit ist, bedeutet nicht, dass alle Formen des Bettelns, auch die besonders aggressiven, den anerkannten Regeln der Gesellschaft entsprechen. Auch wenn man das Vorliegen einer grob ungehörigen Handlung noch bejahen wollte, müsste das aggressive Betteln als Handlung geeignet sein, die Allgemeinheit unmittelbar zu belästigen, unabhängig davon, dass die Handlung an sich gegenüber Einzelnen stattfindet341. Belästigung ist dabei die Zufügung nicht nur geringfügigen körperlichen oder seelischen Unbehagens. Ob eine Belästigung vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben und nicht nach denen besonders empfindlicher Menschen zu beurteilen342. Eine Belästigung der Allgemeinheit liegt nicht schon vor, weil sich viele Bürger über Verhaltensweisen von Bettlern beschweren. Daran zeigt sich nur, dass es in mehreren Einzelfällen zu Belästigungen konkret angesprochener Personen kommt343. Der konkrete Bettelvorgang müsste als solcher geeignet sein, bei anderen Passanten mehr als nur unerhebliche Beunruhigung oder Angst hervorzurufen. Betrachtet man nur die Verhaltensweisen im Zusammenhang mit aggressivem Betteln, die nicht strafbar sind, ist bereits zu bezweifeln, ob andere Passanten dadurch mehr als nur unerheblich verängstigt werden können344. Außerdem ist fraglich, ob ___________ 338 Göhler, OWiG, § 118 Rn 4; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 118 Rn. 55. Zur Problematik des Begriffs der Ordnung an sich s. unten C. VI. 2. e) aa). 339 So auch Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 16; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/210; Holzkämper, NVwZ 1994, 146; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 93. 340 Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 53. 341 Göhler, OWiG, § 118 Rn. 6; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 118 Rn. 6. 342 Göhler, OWiG, § 118 Rn. 7; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 118 Rn. 6a. 343 Holzkämper, NVwZ 1994, 146. 344 So auch Holzkämper, NVwZ 1994, 146.

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Passanten im Umkreis solche Verhaltensweisen überhaupt als Belästigung wahrnehmen und nicht einfach vorbeieilen345. Eine mehr als nur unerhebliche Verängstigung oder Belästigung von Dritten könnte allenfalls durch große Gruppen auftreten, die unter anderem auch betteln. Dann ist die Belästigung aber nicht im konkreten Bettelvorgang, sondern in der Anwesenheit der Gruppe an sich gegeben. Das Betteln verstößt somit nicht gegen § 118 OWiG. Die Anwesenheit der Gruppe an einem Ort ist wiederum keine grob ungehörige Handlung im Sinne des OWiG, die einer Person zurechenbar wäre. Neben Verletzungen der Rechtsordnung könnte das Betteln eine Verletzung subjektiver Rechte beziehungsweise von Rechtsgütern des Einzelnen darstellen. Soweit Individualrechtsgüter aber in der allgemeinen Rechtsordnung bereits geschützt sind, ist eine Verletzung dieser vorrangig zu prüfen346. Die möglicherweise betroffenen Grundrechte der Passanten, wie die körperliche Unversehrtheit und Fortbewegungsfreiheit347 sind bereits durch die geprüften Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts geschützt348. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG ist nicht betroffen. Das Betteln findet im öffentlichen Raum statt und damit in einer Sphäre, in der der Einzelne nicht vor Kontakt und Ansprache durch andere geschützt wird349. Soweit weitergehende Handlungen im Zusammenhang mit dem Betteln stehen, wie das Festhalten oder Beleidigungen, sind wiederum Strafvorschriften einschlägig350. Auch eine eventuelle Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit351 in der Form, dass die Passanten nicht mehr frei entscheiden könnten, ob sie etwas geben, wäre wiederum als Nötigung nach § 240 StGB strafbar. Soweit es um private Rechte als Individualrechtsgut geht, ist zu beachten, dass für deren Schutz die Zivilgerichte vorrangig zuständig sind352. ___________ 345 Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 94, meint, dass allenfalls „ein Kopfschütteln“ bei beobachtenden Dritten ausgelöst wird; dagegen Schmitz, Straßenund polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 187. 346 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 38. 347 Prüfung bei Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 11 f. 348 Vgl. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 194. 349 Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 12; Holzkämper; NVwZ 1994, 146/148 für die Rechtsprechung zum zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht. 350 Vgl. auch den 2. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrs. V/4095, 48. Hier wird festgestellt, dass für Formen des Bettelns, die Rechtsgüter anderer gefährden oder verletzen, allgemeine Tatbestände des StGB, wie Nötigung, Beleidigung, Hausfriedensbruch einschlägig sind. In den sonstigen Fällen der Bettelei sei aber kein Rechtsgut betroffen, dass durch eine Strafvorschrift geschützt werden könne. 351 Diese fasst Holzkämper, NVwZ 1994, 146/148 unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht. 352 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 18; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 42.

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Die Polizei ist nur zu vorläufigen Maßnahmen zur Sicherung befugt353. Die einzig denkbare Maßnahme wäre die Identitätsfeststellung, damit der Betroffene eventuell Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche gegen den Bettler richten könnte. Dass ein Passant tatsächlich solche Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg gegen einen Bettler durchsetzen wollte, ist aber eine vollkommen praxisferne Annahme. Daher erübrigt sich auch eine Prüfung privater Rechte354. Die Fälle, in denen das Betteln, auch in seiner aggressiven Form, gegen Strafgesetze oder auch Ordnungswidrigkeitenrecht verstößt, sind in der Praxis die Ausnahme355. Soweit keine Verstöße gegen diese Normen vorliegen, das Betteln also lediglich mit einem unter Umständen hartnäckigen Ansprechen oder Zupfen an der Kleidung verbunden ist, handelt es sich nur um Belästigungen der Passanten, zum Beispiel durch Verängstigung oder Konfrontation mit Armut und verwahrlosten Menschen, die aber unterhalb der Schwelle der Störung liegen356. Daher liegt in diesen Fällen auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor. Die Definitionen für das aggressive Betteln umfassen teilweise den Bereich, der unter der Strafbarkeitsschwelle liegt, indem sie das „nachdrückliche“ und „körpernahe Ansprechen“, das „In-den-Weg-Stellen“, „das besonders aufdringliche Betteln“ und das „Anfassen“ beziehungsweise „Zupfen an der Kleidung“ ausreichen lassen. Daneben nennen sie zwar auch strafrechtlich relevante Steigerungen. Die Definition des aggressiven Bettelns ist jedoch auch ohne diese erfüllt. Gefahrenabwehrverordnungen bezwecken gerade, diesen strafrechtlich nicht relevanten Bereich zu regeln357. Soweit Strafvorschriften bestehen, ist die Rechtsordnung als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ohnehin betroffen, für die außerhalb liegenden Verhaltensweisen schaffen die Verordnungen erst den entsprechenden Teil der Rechtsord___________ 353

Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 18; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 48. 354 Anders aber Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, S. 191, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus §§ 1004, 823 BGB prüft. Schon die Feststellung, dass diese Norm aufgrund des vorrangigen § 118 OWiG nur einschlägig wäre, wenn ein Bettler auf menschenleerer Straße einen Passanten belästigt, zeigt dass ein solcher Fall vollkommen realitätsfern ist. Dass jemand auf menschenleerer Straße bettelt, dürfte so gut wie nie vorkommen. Sollte derjenige dann einen doch vorbeikommenden Passanten belästigen, handelt es sich im Zweifel um einen Straftäter, nicht aber um einen Bettler. Schmitz und Holzkämper, NVwZ 1994, 146/148 führen beide die Möglichkeit der Identitätsfeststellung durch die Polizei zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen gegen den Bettler an. 355 So auch Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 11 ff.; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/210. 356 s. oben C. VI. 2. b) bb). 357 s. oben C. V. 3. Das gilt auch für die entsprechenden Sondernutzungssatzungen, deren Tatbestand aber keine abstrakte Gefahr im polizeirechtlichen Sinne regeln muss.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

nung, der dann auch verletzt ist358. Es geht demnach insbesondere um die Verdrängung der übrigen mit der Anwesenheit von Bettlern verbundenen negativen Auswirkungen für Innenstädte, die keine Gefahr für ein polizeilich geschütztes Rechtsgut darstellen359. Für die Regelung eines Bettelverbotes durch Gefahrenabwehrverordnungen müsste das Betteln beziehungsweise aggressive Betteln eine abstrakte Gefahr darstellen. Das Betteln oder die geregelten Formen des aggressiven Bettelns müssten also nach der Lebenserfahrung, den Erkenntnissen der Wissenschaft und Statistik oder aus polizeilicher Erfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit hängt dabei vom zu schützenden Rechtsgut und der zu erwartenden Schädigung ab. Je geringer diese sind, desto wahrscheinlicher muss die ursächliche Verknüpfung zwischen dem verbotenen Betteln und dem befürchteten Schaden sein360. Wie gezeigt, verstößt das stille Betteln an sich nicht gegen Rechtsnormen. Daher ist auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass im Zuge des stillen Bettelns solche Verstöße auftreten. Anders könnte das beim aggressiven Betteln sein. Zwar umfassen die Definitionen der Gefahrenabwehrverordnungen Handlungen, die unter der Strafbarkeitsschwelle liegen. Im Rahmen der abstrakten Gefahr ist jedoch danach zu fragen, ob das insoweit geregelte aggressive Betteln als allgemeiner Lebenssachverhalt unabhängig vom konkreten Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch zu Verhaltensweisen führt, die eine Strafnorm verletzen. Dabei ist eine hohe Wahrscheinlichkeit zu fordern. Denn durch die im Falle des Bettelns eventuell betroffenen Strafnormen wird nicht das Leben anderer Menschen geschützt. Soweit die körperliche Unversehrtheit betroffen ist, ist auch bei geringen Anforderungen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben. Im Rahmen des aggressiven Bettelns kommt es nur in seltenen Ausnahmefällen zu Körperverletzungen. Das zur Verwirklichung des § 223 StGB genannte Beispiel, dass ein Bettler einen Passanten schlägt361, ist nicht mit der Realität des Bettelns zu vereinen. Daher ist das Risiko, von einem aggressiven Bettler verletzt zu werden, nicht höher als das „allgemeine Lebensrisiko“362. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist abzulehnen. Auch die übrigen Verstöße gegen Straf- und Ordnungswidrigkeiten stellen in der Praxis eine Ausnahme dar363. Dabei ist auch kein so gewichtiges ___________ 358 s. dazu unten C. V. 3.; vgl. Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/486; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 11; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 90. 359 Vgl. Fahl, DÖV 1996, 955/956; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207. 360 s. dazu oben C. VI. 2. a). 361 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 184. 362 Vgl. oben B. VI. 2. b) aa). 363 Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 11 ff.; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/210.

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Rechtsgut betroffen, dass bereits die entferntere Möglichkeit des Schadenseintritts genügen würde364. Das aggressive Betteln als allgemeiner Lebenssachverhalt führt daher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens an einem polizeilichen Rechtsgut, eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nicht gegeben365. Soweit jedoch die Gefahrenabwehrverordnungen das aggressive Betteln so eng definieren, dass darunter nur die Verhaltensweisen fallen366, die gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeiten verstoßen, ist eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben.

(3) Verhalten bei Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern In der Praxis wird im Zusammenhang mit Ansammlungen sozialer Randgruppen wie Wohnungslosen, Trinkern und auch der Drogenszene beklagt, dass es neben dem Betteln zu Pöbeleien, Verschmutzung der Straße, Urinieren in der Öffentlichkeit, dem Konsum von Alkohol und vermehrten Straftaten kommt367. Durch Polizei und Ordnungsbehörden wird gegen den Alkoholkonsum auf öffentlichen Straßen an sich vorgegangen368. Gefahrenabwehrverordnungen verbieten das „Lagern“, „Nächtigen“ 369, „Übernachten“ 370. Fraglich ist, inwieweit das Niederlassen zum Konsum von Alkohol und das

___________ 364 Das ist anders, wenn Leben und Gesundheit von Menschen bedroht sind. Vgl. dazu oben B. VI. 2. b) aa). 365 Vgl. auch Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 275; Auf die Voraussetzung, dass die Verhaltensweise typischer Weise zu einer konkreten Gefahr führen müsse, abstellend: Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/212; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561 für das „stille Betteln“; Kube, JuS 1999, 176/181 für das „stille Betteln“. 366 s. oben: Wenn der Bettler einen Passanten mehr als unerheblich festhält, Hunde als Druckmittel einsetzt oder die Passanten beschimpft. 367 s. oben C. VI. 2. a). 368 s. oben C. VI. 2. a). 369 § 19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 370 § 13 Abs. 1 c) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 6 Abs. 1 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25).

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Nächtigen und Lagern überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen371.

(a) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten Soweit durch Wohnungslose oder Trinker Straftaten beziehungsweise Ordnungswidrigkeiten begangen werden, ist eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit unproblematisch gegeben. Die Stadtstreicherei beziehungsweise Wohnungslosigkeit an sich stellt keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit mehr dar. Der Tatbestand des § 361 Nr. 3 und Nr. 8 StGB, der die Landstreicherei und die Obdachlosigkeit unter Strafe stellte372, wurde im Rahmen der Strafrechtsreform des Jahres 1974 gestrichen. Die unfreiwillige Obdachlosigkeit kann zwar eine Gefahr für die Gesundheit des Obdachlosen und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen373, das berechtigt aber nur zu Maßnahmen zum Schutz des Obdachlosen und nicht gegen ihn. Die Wohnungslosigkeit an sich stellt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar374. Teilweise wird angenommen, dass Wohnungslose häufiger Straftaten, wie Diebstähle von Alkohol, Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln und im Rahmen der Beschaffungskriminalität (§ 242 StGB), Leistungserschleichungen durch Schwarzfahren (§ 265a StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) oder auch alkoholbedingte Straftaten begehen375. Unabhängig davon, ob diese Aussagen ___________ 371

Ob diese Verhaltensweisen eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellen und daher schon ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit bei Nichtvorliegen der entsprechenden Erlaubnis gegeben ist, wird später gesondert geprüft, s. C. VI. 5. b) bb) (3). 372 Art 326 Abs. 3 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 469); § 361 Nr. 8 lautete: „Mit Haft wird bestraft: […] Wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde gesetzten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, dass er solches der von im angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe“. 373 s. dazu Kohl, NVwZ 1991, 620/621; Ruder, NVwZ 2001, 1223/1225; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 198 f. 374 Kohl, NVwZ 1991, 620/621; Ruder, NVwZ 2001, 1223/1224; Schloer, DVBl. 1989, 739/745; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 426: Dieser weist darauf hin, dass nach einigen alten Landespolizeigesetzen und dem BGSG die erkennungsdienstliche Behandlung von Nichtsesshaften zulässig war. Weil die Nichtsesshaftigkeit an sich aber keine Gefahr darstellt, waren die Gesetze damals schon dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass auch bei diesen Personen die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen mussten. 375 Interview mit dem Justiziar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 199; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423; Schwind, Kriminologie, § 17 Rn. 19 f. bzgl. Nichtsesshafter; Rn. 23 bzgl. Obdachloser. Zu beachten ist aber,

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zutreffend sind, ist wieder festzustellen, dass nur gegen die konkrete Gefahr der Begehung solcher Straftaten vorgegangen werden kann. Allein das „Lagern“ oder „Nächtigen“ von Wohnungslosen im öffentlichen Raum begründet noch nicht die konkrete Gefahr der Begehung von Straftaten. Vielmehr muss im einzelnen Fall die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass Straftaten begangen werden376. In der Praxis wird außerdem aufgrund des Ordnungswidrigkeitenrechts gegen bestimmte Verhaltensweisen von Wohnungslosen und Trinkern vorgegangen. Für einige Fälle werden Verstöße gegen § 113 OWiG , § 117 OWiG und § 118 OWiG angenommen377. Die Verursachung von Müll wird als Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 61 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG geahndet378. Der objektive Tatbestand von § 113 OWiG (Unerlaubte Ansammlung) ist nur erfüllt, wenn sich eine Person einer öffentlichen Ansammlung anschließt oder nicht aus ihr entfernt, obwohl diese durch einen Träger von Hoheitsbefugnissen dreimal rechtmäßig aufgefordert wurde, auseinander zu gehen. Die Auflösung einer solchen Ansammlung stellt zumindest einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG der Betroffenen dar, daher bedarf sie einer Rechtsgrundlage. Eine solche kann allein aus dem Polizeirecht folgen, also muss die Ansammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen379. Mithin wäre § 113 OWiG wiederum nur einschlägig, wenn eine Gruppe von Wohnungslosen und Trinkern eine solche Gefahr darstellen würde. ___________ dass Wohnungslose auch verstärkt zu Opfern von Straftaten werden. Sie werden häufig bestohlen, wenn sie im öffentlichen Raum oder Notunterkünften übernachten, wohnungslose Frauen werden häufig Opfer von gewalttätigen Männern. Aber auch Rechtsradikale und Jugendliche attackieren Wohnungslose und Passanten beleidigen sie durch Beschimpfungen (Schwind, Kriminologie, § 17 Rn. 24 f.). Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 123 f. wendet sich sehr pauschal gegen die „humanitären Erwägungen“, die die Störereigenschaft Wohnungsloser ablehnen. Er nimmt an, dass der „ständigen Ansammlung von Obdachlosen“ im öffentlichen Raum Einhalt geboten werden müsse, wenn von diesen Gefahren ausgingen. Diese Gefahren bestünden in den genannten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Die Störereigenschaft sei bei entsprechendem Verhalten zu bejahen. 376 So auch Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 426: Die Nichtsesshaftigkeit an sich bietet keine Anhaltspunkte für eine künftige Straftatbegehung; Schloer, DVBl. 1989, 739/745; VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508. 377 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, Anlage 1 S. 9: § 118 OWiG einschlägig bei Alkoholkonsum in Verbindung mit grob ungehöriger Handlung. 378 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover; einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums; Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg v. 11.02.2003, Drucksache 17/2231, Anlage 1 S. 9. 379 Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 113 Rn. 20.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

§ 117 OWiG könnte verletzt sein, wenn von solchen Gruppen unzulässiger Lärm ausginge, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder Nachbarschaft erheblich zu belästigen. Eine erhebliche Belästigung liegt vor, wenn das übliche und zumutbare Maß an Lärm überschritten ist380. Das ist anhand objektiver Maßstäbe festzustellen, es kommt nicht auf besondere subjektive Geräuschempfindlichkeiten an381. Dass eine solche Lärmbelästigung von einzelnen Personen ausgeht, kommt in der Praxis eher selten vor382. Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern treffen sich meist an belebten Orten, so dass grundsätzlich das übliche Maß an Lärm kaum überschritten sein dürfte. In einigen Fällen kommt es aber zu erheblichen Belästigungen, insbesondere in den späten Abendstunden und Nächten bei Anwohnern von entsprechenden Plätzen oder Parks383. Für eine Verletzung des § 118 OWiG müsste wiederum eine grob ungehörige Handlung vorliegen, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen384. Das kann bei bestimmten Verhaltensweisen, wie dem Urinieren in der Öffentlichkeit oder obszönen Äußerungen Betrunkener gegeben sein385. Sehr zweifelhaft ist aber, ob der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit und das Nächtigen und Lagern im öffentlichen Raum den Tatbestand des § 118 OWiG erfüllen386. Festzuhalten bleibt wie für die Begehung der Straftaten, dass nur dann eine konkrete Gefahr gegeben ist, wenn im einzelnen Fall die Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen werden wird. Die Ordnungswidrigkeitentatbestände sind aber nicht durch die bloße Anwesenheit sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum erfüllt, sondern nur, wenn diese entsprechende Handlungen begehen, die aber die Ausnahme und nicht der Regelfall sind387. Die konkrete Gefahr der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ist auch nicht gegeben, wenn sich eine Gruppe Wohnungsloser oder Trinker an einem bestimmten Ort aufhält388. Zumindest aber ist einzelnen Personen, die sich in dieser Gruppe aufhalten, die Möglichkeit der Begehung von Straftaten aus dieser Gruppe heraus nicht zurechenbar. Sie sind also nicht Störer im Sinne ___________ 380

Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 117 Rn. 33. Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 117 Rn. 31; Göhler, OwiG, § 117 Rn. 11; Rebmann/Roth/Herrmann, OwiG, § 117 Rn. 8. 382 So aber auch ein Einzelfall am Helmholtzplatz in Berlin: Gespräche zum Helmholtzplatz. 383 Gespräche zum Helmholtzplatz, massive Beschwerden der Anwohner über Störungen der Nachtruhe. 384 Zur Auslegung des Tatbestandes s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 385 So auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 93. 386 s. dazu unter C. VI. 2. d) bb) und cc). 387 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509. 388 s. dazu oben zur konkreten Gefahr der Drogenszene: C. VI. 2. d) bb) (1). 381

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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des Polizei- und Ordnungsrechts. Es kann gegen sie wiederum nur vorgegangen werden, wenn sie selbst die Gefahr der Begehung einer Straftat verursachen389. Das übersieht der VGH Mannheim in einer Entscheidung zu einer Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart, nach der sich „Personen, die der so genannten ‚Punk-Szene‘390 zuzuordnen sind“, für einen mehrmonatigen Zeitraum nicht auf dem Kronenplatz aufhalten durften391. Das Gericht nimmt in dieser Entscheidung an, dass eine Gefahr unproblematisch gegeben sei und gegen die Störer daher aufgrund der Generalklausel vorgegangen werden könne, weil es in der Vergangenheit zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Angehörigen der „Punk-Szene“ gekommen sei. Erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit wird gerügt, dass durch die Verfügung auch Personen betroffen sind, die zwar der „Punk-Szene“ zuzurechnen sind, von denen diese Störungen aber nicht ausgehen, die also keine Störer sind. Außerdem bemerkt das Gericht in diesem Zusammenhang, dass es keinen polizeilichen Erfahrungssatz gebe, der besagt, dass eine nach ihrem äußeren Erscheinungsbild der „Punk-Szene“ zugehörige Person mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verhaltensstörer sei. Diese Fragen berühren aber nicht erst die Verhältnismäßigkeit, sondern die Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart ist bereits rechtswidrig, weil nicht von allen Personen des betroffenen Personenkreises eine konkrete Gefahr ausgeht392. Bei der Frage, ob eine abstrakte Gefahr durch die Anwesenheit einer Gruppe von Wohnungslosen und Trinkern im öffentlichen Raum gegeben ist, kommt es hingegen nicht auf die Zurechenbarkeit eines konkret gefährlichen Verhaltens an393. Das Vorliegen einer abstrakten Gefahr der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch die Anwesenheit solcher Gruppen wird überwiegend abgelehnt, weil die Anwesenheit nur mittelbar Gefahren verursache. Auch wenn angenommen werde, dass es im Umkreis solcher Gruppen häufiger zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten komme, würden diese Verstöße gegen ___________ 389

s. oben C. VI. 2. c). Punker werden wegen der gleichen Problemlagen in dieser Arbeit nicht gesondert, sondern im Zusammenhang mit den Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern behandelt. (s. dazu oben A. II. 2.). 391 VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115. Vgl. zu einer ebenso falschen Entscheidung zur Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart gegenüber Mitgliedern der Drogenszene; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225. Auch hier wird nicht die Störereigenschaft der „der Drogenszene zuzurechnenden Personen“ problematisiert, sondern erst die Verhältnismäßigkeit deshalb verneint. 392 Aus dem Fehlen eines polizeilichen Erfahrungssatzes, dass solche Mitglieder der „Punk-Szene“ mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Verhaltensstörern würden, ist außerdem zu schließen, dass auch keine abstrakte Gefahr vorliegt, die zum Erlass einer entsprechenden Gefahrenabwehrverordnung berechtigen würde. 393 s. dazu oben C. VI. 2. c). 390

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

die Rechtsordnung nur bei Gelegenheit des Aufenthalts begangen. Der Aufenthalt an sich führe nicht unmittelbar zu den Gefahren, sondern eventuell hinzukommende Verhaltensweisen394. Es wird also die unmittelbare Verursachung durch Personen, die sich in entsprechenden Gruppen in der Öffentlichkeit aufhalten, verneint395. Die unmittelbare Ursächlichkeit ist aber nur abzulehnen, wenn nicht bereits der Aufenthalt der Gruppen an sich die Gefahrenschwelle überschreitet, also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Verstoß gegen die Rechtsordnung führt. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, dass bis zum Schadenseintritt noch weitere Verhaltensweisen ursächlich werden396. Im Rahmen der abstrakten Gefahr genügt es dann, dass sich eine Person in solchen Gruppen aufhält, ohne dass es konkret darauf ankäme, dass sie tatsächlich Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begeht397. Der Aufenthalt von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker im öffentlichen Raum müsste also nach der Lebenserfahrung, den Erkenntnissen der Wissenschaft und Statistik oder aus polizeilicher Erfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten führen. Es wird zwar zum Teil davon ausgegangen, dass von Wohnungslosen und Trinkern vermehrt Straftaten, wie Diebstähle, Leistungserschleichung oder auch alkoholbedingte Straftaten begangen werden398. An die Wahrscheinlichkeit, dass der Aufenthalt von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker als allgemeiner Lebenssachverhalt zu solchen Straftaten führt, sind jedoch wiederum hohe Anforderungen zu stellen. Das zu schützende Rechtsgut überwiegt den Eingriff in das Recht dieser Menschen, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, nicht so wesentlich, dass von einer Herabsetzung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ausgegangen werden kann399. Verstöße gegen Normen des StGB oder OWiG gehen jedoch nur von einer Minderheit dieser Personengruppen aus400, sodass von einer hinreichend wahrscheinlichen Verursachung durch die Anwesenheit der Gruppen an sich nicht die Rede sein kann401. Insbesondere bezüglich der Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch die Verursachung von Müll, Lärm, dem Urinieren in der Öffentlichkeit und obszönen Äußerungen können die zunehmenden sozialen ___________ 394 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 89; Kohl, NVwZ 1991, 620/623. 395 Vgl. zur Verursachung oben C. VI. 2. c). 396 Auch im Fall eines gefährlichen Hundes, müssen weitere Ursachen hinzukommen, wie das Antreffen eines Menschen, auf den der Hund reagiert, bevor es zu einer Gesundheitsschädigung kommt. Beim Fahrstuhl ohne Fahrkorbtüren muss hinzukommen, dass er durch eine Person unachtsam genutzt wird, bevor es zum Schaden kommt. 397 s. dazu oben C. VI. 2. c). 398 s. dazu oben zur Frage der konkreten Gefahr. 399 s. dazu oben C. VI. 2. b) aa). 400 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509 m.w.N.; Kohl, NVwZ 1991, 620/623. 401 So auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 89.

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Probleme in deutschen Innenstädten402 jedoch dazu führen, dass die Lebenserfahrung oder auch polizeiliche Erkenntnisse einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zum Aufenthalt solcher Gruppen begründen. Das Ausmaß des zu erwartenden Schadens ist in diesen Fällen aber so gering, dass eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit gefordert werden muss. Sollte diese bestehen, kann der Aufenthalt Wohnungsloser und Trinker in der Öffentlichkeit als abstrakte Gefahr den Tatbestand von Gefahrenabwehrverordnungen bilden. Dann ist aber fraglich, wie der Aufenthalt dieser Gruppen definiert werden kann, ohne dass das Bestimmtheitsgebot verletzt würde403. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfte im Falle des generellen Aufenthaltsverbotes verletzt sein404.

(b) Niederlassen zum Konsum von Alkohol Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit verstößt nicht gegen „jenes Minimum an Regeln, ohne deren Beachtung auch eine für Entwicklungen offene Gesellschaft nicht auskommt“ und stellt damit keine grob ungehörige Handlung im Sinne des § 118 OWiG dar405. Im Gegenteil, es gehört zum alltäglichen Bild deutscher Städte, dass auf öffentlichen Plätzen und in Parks Alkohol konsumiert wird406. Auch im Übrigen verletzt der Tatbestand des Alkoholkonsums keine Rechtsnormen. Die gewerbe- und jugendschutzrechtlichen Vorschriften regeln nur den Verkauf beziehungsweise die Abgabe alkoholischer Getränke, die strafrechtlichen Vorschriften nur das Verhalten im Verkehr nach dem Konsum, nicht aber den Konsum selbst407. Neben der Rechtsordnung sind auch keine weiteren Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit durch den Konsum von Alkohol verletzt, somit ist keine Gefahr für diese gegeben408. Die entsprechenden Gefahrenabwehrverordnungen verbieten dann auch nicht den Konsum von Alkohol schlechthin, sondern das Trinken von Alkohol, wenn als Folge andere Personen oder die Allgemeinheit durch Anpöbeln, lautes Singen, Johlen, Schreien oder anderes Lärmen, Liegenlassen von Flaschen oder anderen Be___________ 402

Vgl. dazu oben C. II. s. dazu unten C. VI. 5. a) cc). 404 s. dazu unten C. VI. 5. a) dd). 405 Zum Tatbestand des § 118 OWiG s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a); Senge in: Boujong, OWiG, § 118 Rn. 20a; VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101/103. 406 Das wird besonders im Sommer deutlich, zum Beispiel, wenn man durch Berliner Straßen und Parks geht. Im Gegensatz dazu wird man in New York kaum jemanden sehen, der alkoholische Getränke im öffentlichen Raum zu sich nimmt. 407 Vgl. die Genehmigungsvorbehalte des GastG und § 20 Nr. 2 GastG, § 9 JuSchG und § 316 StGB. 408 VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115/116. 403

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

hältnissen, Notdurftverrichtungen oder Erbrechen gefährdet werden können409; oder es werden nur die Folgen des Alkoholkonsums, wie „aggressives Verhalten, welches durch Alkoholkonsum beziehungsweise Rauschgiftmittelgenuss hervorgerufen ist“410 oder „Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss (zum Beispiel Grölen, Anpöbeln von Passanten, Gefährdung anderer durch Herumliegen lassen von Flaschen und Gläsern)“411 verboten. Die Folgen des Alkoholkonsums können zum Teil die oben bereits erläuterten Straftat- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllen und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen412. Dadurch wird aber der Alkoholkonsum an sich nicht zu einer konkreten Gefahr413. Gegen Personen, die Alkohol trinken, kann wiederum nur vorgegangen werden, soweit sie durch ihr Verhalten die konkrete Gefahr eines Verstoßes gegen Rechtsnormen begründen414. Dem entspricht die Praxis, dass in einigen Ländern der Konsum von Alkohol nicht als solcher, sondern nur wenn weitere Normverstöße hinzukommen, verfolgt wird415. Erst recht erfüllt das Niederlassen keinen der diskutierten Ordnungswidrigkeitstatbestände416 und stellt daher auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Für ein Verbot des Konsums von Alkohol im Rahmen von Gefahrenabwehrverordnungen müsste dieser eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Si___________ 409 § 9 Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen der Stadt Kassel in der Fassung vom 27.01.1997 . 410 § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/ Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 . 411 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002. 412 Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 95; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 201. 413 Soweit der Konsum von Alkohol die Gesundheit des Konsumenten schädigt handelt es sich wiederum um eigenverantwortliche Selbstgefährdung. S. dazu oben Kohl, NVwZ 1991, 620/623; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 444; s. oben C. VI. 2. d) bb) (1). 414 s. oben C. VI. 2. c). 415 s. oben C. VI. 2. a). 416 Zur Frage einer Ordnungswidrigkeit, wenn es sich um eine nicht genehmigte Sondernutzung handeln würde s. unten C. VI. 5. b) bb) (2).

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cherheit darstellen. Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit müsste mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Schädigung von Rechtsgütern führen, die unter die öffentliche Sicherheit fallen417. Wie erläutert, können Folgeerscheinungen des Alkoholkonsums eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Allgemein anerkannt ist auch, dass die Hemmschwelle sinken kann. Dadurch kann eventuelle Gewaltbereitschaft steigen beziehungsweise kann es verstärkt zu Verstößen gegen die Rechtsordnung durch Verunreinigungen, Urinieren in der Öffentlichkeit, Lärm und Sachbeschädigungen kommen418. Insoweit wird die abstrakte Gefährlichkeit des Konsums von Alkohol abgelehnt, weil dieser nur eine mittelbare Ursache sei. Es müssten erst weitere Handlungen der Normadressaten zum Konsum selbst hinzukommen, bevor es zu einer Schädigung durch die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten komme. Daher liege die abstrakte Gefahr auch erst in diesen hinzukommenden Verhaltensweisen, die durch den Alkoholgenuss lediglich begünstigt würden. Durch den Konsum von Alkohol selbst sei die Gefahrenschwelle nicht überschritten419. Dieser Argumentation ist, ebenso wie der zum Aufenthalt von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker, so nicht zu folgen420. Der Konsum von Alkohol kann auch dann eine abstrakte Gefahr darstellen, wenn die Schädigung des Rechtsguts erst durch weitere hinzukommende Verhaltensweisen eintritt. Entscheidend ist, dass bereits durch den Konsum von Alkohol die Gefahrenschwelle überschritten wird. Das ist dann der Fall, wenn dieser mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Schädigung führt. Im Rahmen der Verursachung kommt es dann nicht darauf an, dass eine Person, die Alkohol konsumiert, aufgrund ihrer Handlungen konkret eine Gefahr darstellt. Es genügt, dass diese Person, die aufgrund ihrer abstrakten Gefährlichkeit verbotene Verhaltensweise ausübt421. Die Verstöße gegen die Rechtsordnung, die als Folge des Konsums von Alkohol genannt werden, rechtfertigen jedoch wiederum keine Herabsetzung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Der Konsum von Alkohol muss also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu diesen Folgeerscheinungen führen. Das wäre nur dann anzunehmen, wenn der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit überwiegend dazu führen würde, dass die Personen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen. Die Reaktionen auf den Konsum von Alkohol sind jedoch sehr unterschiedlich. Es gibt viele Menschen, die Alkohol in der Öffentlichkeit konsumieren, ohne dass es anschließend zu gefährlichen Verhaltensweisen kä___________ 417

s. oben C. VI. 2. b) aa). VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101/104; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 89; Kohl, NVwZ 1991, 620/623; Terwiesche, VR 1997, 419/414. 419 VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101/104; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 89; Kohl, NVwZ 1991, 620/623. 420 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 421 s. dazu oben C. VI. 2. b) aa) und c). 418

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

me422. Der Alkoholkonsum selbst führt also nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens und ist daher nicht als Verhaltensweise anzusehen, die die Gefahrenschwelle überschreitet. Diese wird in der Tat erst durch die in einigen Gefahrenabwehrverordnungen genannten Verhaltensweisen überschritten. Die Tatbestände der Verordnungen enthalten zum Teil den Zusatz, dass diese Verhaltensweisen durch „Alkoholkonsum hervorgerufen wurden“ oder „in Verbindung mit Alkoholgenuss stehen“ enthalten. Dieser Hinweis ist für das Vorliegen der abstrakten Gefährlichkeit der Verhaltensweisen selbst jedoch irrelevant.

(c) Nächtigen, Lagern Der bloße Aufenthalt von Wohnungslosen im öffentlichen Raum stellt keine Verletzung von Rechtsnormen dar, sodass auch keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu bejahen ist423. Das gilt auch für das „Sichherumtreiben nach Art von Stadt- und Landstreichern“. Dadurch werden weder Straftatbestände noch andere im Rahmen der öffentlichen Sicherheit geschützte Rechtsgüter verletzt424. Das Nächtigen und Lagern im öffentlichen Raum ist aber eine qualifizierte Form des Aufenthaltes und könnte als solche gegen § 118 OWiG verstoßen. Dann müssten diese Verhaltensweisen in deutlichem Widerspruch zu den wesentlichen Regeln der Gemeinschaftsordnung stehen425. Das ist insbesondere in Großstädten nicht der Fall. Soweit durch die lagernden Personen besonderer Lärm oder auch Müll verursacht wird, sind § 117 OWiG und die Vorschriften des KrWAbfG einschlägig426. Dazu ist aber wieder zu sagen, dass diese Verstöße nicht durch das Lagern selbst, sondern hinzukommende Handlungen verursacht werden. Das Vorgehen gegen eine Gruppe von Personen, die im öffentlichen Raum lagert, ist nur möglich, wenn von den einzelnen Personen eine konkrete Gefahr ausgeht427. Im Rahmen von Gefahrenabwehrverordnungen könnte das Lagern von Gruppen verboten werden, unabhängig davon, ob die einzelnen Personen je___________ 422

Gusy, Polizeirecht, Rn. 410; VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101/104; vgl. im Ergebnis auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 89; Schoch in: SchmidtAßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 275. 423 Kohl, NVwZ 1991, 620/621; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 444; Pieroth/Schlink/Kniesel § 4 Rn. 4. 424 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508. 425 Zum Tatbestand des § 118 OWiG s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a); Göhler, OWiG, § 118 Rn 4; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 118 Rn. 55. 426 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 427 s. oben C. VI. 2. c).

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weils eine konkrete Gefahr verursachen428. Dann müsste aber das Lagern von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, die Anwesenheit solcher Gruppen also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schädigungen der Rechtsordnung führen429. Das ist bei der bloßen Anwesenheit solcher Gruppen im öffentlichen Raum grundsätzlich nicht anzunehmen430. Die Gefahrenabwehrverordnungen, die das Lagern von Personengruppen im öffentlichen Raum regeln, benennen daher auch zusätzlich Verhaltensweisen, wie die Behinderung anderer Passanten bei der Nutzung der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs, deren Belästigung bei übermäßigem Alkoholgenuss, aggressives Betteln und Verunreinigungen431. Eine bloße Belästigung von Passanten genügt nicht zur Begründung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wenn damit nicht die Schwelle zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 118 OWiG oder Beleidigung nach § 185 StGB beziehungsweise anderen Straftaten überschritten wird432. Dabei kommt es wiederum nicht darauf an, ob diese Belästigung durch den Genuss von Alkohol hervorgerufen wird433. Auch die Behinderung anderer Passanten ist, soweit deren Nutzung der Straße nicht verhindert wird oder es zu Straftaten kommt, eine bloße Belästigung, die in Städten auch durchaus üblich und hinzunehmen ist434. Ebenso erfüllt das aggressive Betteln, wie oben erläutert, nur in bestimmten Fällen die Anforderungen an eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit435. Die Verunreinigung des öffentlichen Raums stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 27 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 61 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG und somit eine Gefahr beziehungsweise Störung dar. Dann bleibt wieder zu klären, wie der Tatbestand, ___________ 428

s. oben C. VI. 2. c). Anders Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, S. 205, der davon ausgeht, dass ein Vorgehen gegen eine Gruppe nur möglich ist, wenn diese in enger organisatorischer Verbindung steht und erkennbar ist, dass die gesamte Gruppe gewalttätig werden wird. 429 s. oben C. VI. 2. b) aa). 430 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 431 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002: „Lagern in Personengruppen (wenn sich diese an denselben Orten regelmäßig ansammeln und dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraums im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern)“; § 6 Abs. 2 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25): „ständig wiederkehrende ortsfeste Ansammlungen von Personen, von denen regelmäßig Störungen ausgehen, wie zum Beispiel Verunreinigungen, Belästigungen von Passanten bei übermäßigem Alkoholgenuss und aggressives Betteln“. 432 s. oben C. VI. 2. b) bb) und d) bb) (3) (a). 433 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (b). 434 Terwiesche, VR 1997, 410/412. 435 s. oben C. VI. 2. d) bb) (2).

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dass von einer „ortsfesten Ansammlung von Personen“ regelmäßig Verunreinigungen ausgehen, in der Praxis zu bestimmen ist und ob ein Verbot aufgrund der Vermüllung verhältnismäßig sein kann436.

e) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung aa) Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung Neben der öffentlichen Sicherheit wird in den meisten Ländern auch die öffentliche Ordnung als polizeiliches Schutzgut genannt437. In den Polizeigesetzen der Länder Bremen, Nordrhein-Westfalen438 und Schleswig-Holstein ist die öffentliche Ordnung nicht mehr enthalten. Die öffentliche Ordnung wird definiert als „die Gesamtheit der im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung liegenden ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens ist“439. Mit diesem Begriff könnten Verhaltensweisen sozialer Randgruppen erfasst werden, die nicht unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit fallen, weil sie keine Gefahr für die darunter gefassten Rechtsgüter verursachen. Das wäre insbesondere dann relevant, wenn diese Verhaltensweisen noch nicht die Schwelle zur Verletzung einer Rechtsnorm überschritten haben, weil die öffentliche Ordnung gerade die ungeschriebenen Verhaltensregeln erfasst.

bb) Diskussion zur öffentlichen Ordnung als polizeiliches Schutzgut Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird von der Literatur aus mehreren Gründen kritisiert. Zunächst ist fraglich, wie die „herrschenden Anschauungen“ zu bestimmen sind. Wollte man vermeiden, dass der jeweils handelnde Hoheitsträger seine eigenen Anschauungen als Maßstab ansetzt, müsste die ge___________ 436

s. dazu unten C. VI. 5. a) cc) und d). Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 BayPAG; Art. 6 BayLStVG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 10 Abs. 1 BbgPolG; §§ 1 Abs. 1, 13 Abs. 1 BbgOBG; §§ 1 Abs. 1 1, 17 Abs. 1 BerlASOG; § 1 Abs. 1 S. 1 BWPolG; § 3 Abs. 1 HbgSOG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 11 HessSOG; §§ 1 Abs. 1, 13 MVSOG; § 2 Nr. 1 a) NdsSOG; NWPolG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 9 Abs. 1 S. 1 RhPfPOG; §§ 1 Abs. 2 , 8 Abs. 1 SaarlPolG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 SächsPolG; § 3 Nr. 3 a) Sachs-AnhSOG; §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 ThürPAG; §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Thür OBG. 438 In Nordrhein-Westfalen ist der Begriff nur aus dem Polizeigesetz genommen worden, in § 1 OBG (Aufgabenzuweisung für die Ordnungsbehörden) ist er noch enthalten. 439 § 3 Nr. 2 a Sachs-AnhSOG; § 54 Nr. 2 ThürOBG; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 25; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 46. 437

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rade herrschende Ansicht über Verhaltensregeln in der Öffentlichkeit durch empirische Sozialforschung ermittelt werden. Solche Untersuchungen werden in der Praxis aber nicht durchgeführt440. Von einer Mehrheit getragene Verhaltensanforderungen unterliegen daneben in besonderem Maße dem Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen, die schwer konkret gefasst werden können. Da die dem Begriff der öffentlichen Ordnung zugrunde liegenden herrschenden Anschauungen objektiv kaum feststellbar sind, wird dieser als zu unbestimmt angesehen441. Auch ist fraglich, ob diese Anschauungen innerhalb einer örtlichen Gemeinschaft, einer Region oder der gesamten Bundesrepublik gelten sollen442. Beispielsweise würde eine Gruppe trinkender Wohnungsloser im Zentrum eines kleinen Kurortes eher gegen die dort herrschenden Ordnungsvorstellungen verstoßen, als dies in einer Großstadt der Fall wäre, wo solche Gruppen zum alltäglichen Stadtbild gehören. Geht man von einer lokalen Begrenzung aus, ist jedoch schon zweifelhaft, ob diese tatsächlich aufgrund der herrschenden Anschauungen in einem bestimmten Gebiet oder nicht vielmehr aufgrund lokaler wirtschaftlicher Interessen443 erfolgt. Letztere sind aber für die Definition der öffentlichen Ordnung unerheblich444. Außerdem ist der Auffassung zu folgen, dass örtliche Ordnungsnormen heute nicht mehr nachweisbar sind, weil durch die erhöhte Mobilität und starke Verbreitung der Massenmedien keine örtliche Abgrenzung der sozialen Anschauungen existiert445. Daneben wird ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitstheorie angenommen, weil die Definition der öffentlichen Ordnung sich gerade nur auf solche gesellschaftlichen Regeln bezieht, die nicht durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber normiert worden sind446, bei Verstößen gegen Gesetze ist die öffentliche Sicherheit als Schutzgut einschlägig. Abgesehen von den rechtlichen Bedenken wird auch die Erforderlichkeit des ___________ 440 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 48; vgl. dazu Störmer, Die Verwaltung 1997, 233/253; für die Ermittlung des Tatbestandes der öffentlichen Ordnung durch empirische Sozialforschung: Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 82; kritisch zur Einbeziehung empirischer Werte in Bezug auf das Demokratieprinzip und den Gesetzesvorbehalt: Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung 130 f. 441 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 26ff, Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 127. 442 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 26. 443 Etwa wenn es darum geht, soziale Randgruppen zu verdrängen, weil durch diese Kunden oder Gäste verschreckt werden könnten. 444 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509; Kohl, NVwZ 1991, 620/622. 445 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 249; Kohl, NVwZ 1991, 620/622. 446 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 26; Dolderer, NVwZ 2001, 130/133 f.; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 127; Kese, Die Polizei 1994, 12/17; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 4; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 50.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Begriffs der öffentlichen Ordnung neben den zahlreichen gesetzlichen Regelungen, insbesondere neben § 118 OWiG, bezweifelt447. In der Rechtsprechung und teilweise in der Literatur wird der Begriff der öffentlichen Ordnung hingegen als verfassungsgemäß angesehen448. Außerdem sei das Schutzgut der öffentlichen Ordnung neben den existierenden gesetzlichen Normen notwendig, um auf neue Gefahren schnell reagieren zu können449. Der Begriff der öffentlichen Ordnung könne trotz rechtsstaatlicher Bedenken nicht abgeschafft werden, solange der Gesetzgeber keine ordnungsrechtlichen Regelungen für bestimmte Problembereiche erlässt. Dazu gehöre auch die nicht gemeinverträgliche Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze durch Bettler und Trinker. Würde die öffentliche Ordnung als Schutzgut entfallen, ohne dass der Gesetzgeber spezielle Ermächtigungen erließe, so würde der Spielraum für lokale Regelungen in diesem Bereich zu weit eingeengt450. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der herrschenden Anschauungen über die Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens wird jedoch eine restriktive Auslegung gefordert451. Insbesondere soll die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Norm, zum Beispiel aus dem Strafgesetzbuch, zurückgenommen hat, einem Rückgriff auf den Begriff der öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ansonsten würde die Entscheidung des Gesetzgebers umgangen452. Nach dieser Ansicht würden das Umherziehen nach Art eines Landstreichers, das Betteln und die Obdachlosigkeit keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellen. § 361 Nr. 3, 4 und 8 StGB, der diese Verhaltensweisen unter Strafe stellte, wurde im Zuge der Strafrechtsreform im Jahre 1974 aufgehoben453, oh___________ 447

Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 25; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 4; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 51. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 65 sieht es jedoch als Widerspruch an, § 118 OWiG anzuerkennen, der sich ebenfalls auf die öffentliche Ordnung bezieht, wenn der Begriff in der Generalklausel abgelehnt wird. Dabei übersieht er jedoch, dass der Tatbestand des § 118 OWiG enger ist, als dies im Rahmen der Generalklausel der Fall ist (s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (2) und (3) (a). 448 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 65; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 81 f.; Schoch, JuS 1994; 575; BVerfGE 54, 143/144 f.; BVerwGE 64, 274. 449 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 104; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 81. 450 Götz, NVwZ 1994, 652/656. 451 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 65; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 83; Schoch, JuS 1994, 575. 452 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 104; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 137; Kohl, NVwZ 1991, 620/622; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 196. 453 Art 326 Abs. 3 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 469).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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ne dass die Tatbestände als Ordnungswidrigkeit geregelt wurden454. Aus der Tatsache, dass diese Verhaltensweisen nicht strafbar sind und auch keine Ordnungswidrigkeiten darstellen, folgt jedoch nicht, dass sie den herrschenden Anschauungen der Gesellschaft entsprechen455. Auch die Entscheidung des Gesetzgebers ist nicht dahingehend zu interpretieren. Die fehlende Strafbarkeit schließt nicht zwingend eine Verfolgung durch das minder schwere Polizeiund Ordnungsrecht aus. Dass die Strafbarkeit aufgehoben wurde, dient aber als Anhaltspunkt für eine Änderung des Wertebewusstseins in der Gesellschaft und damit auch der nach herrschender Anschauung notwendigen Regeln des Zusammenlebens456. Teilweise wird für eine restriktive Auslegung gefordert, dass ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nur dann angenommen wird, wenn mit diesem die durch die Grundrechte geprägte Werteordnung des Grundgesetzes missachtet wird457. Voraussetzung für das polizeiliche Einschreiten soll ein sozial abträgliches Verhalten sein, welches das menschliche Miteinander nicht unerheblich beeinträchtigt und Gegenmaßnahmen geradezu herausfordert458. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung soll außerdem nur Eingriffsmaßnahmen geringer Intensität und nicht in alle Grundrechte rechtfertigen können459. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung hat in der polizeilichen Praxis mit der Zunahme detaillierter Regelungen zunächst an Bedeutung verloren460. 1983 wurde der Begriff aus der Gefahrenabwehraufgabe und Generalklausel in Bremen und dann später auch aus den Gesetzen im Saarland, NordrheinWestfalen461, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gestrichen. Im Rahmen der Diskussion um die Sicherheit und Sauberkeit in den Städten und die Forderungen nach einem Einschreiten gegen „allgemein nicht mehr gemeinverträgliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum der Straßen, Plätze und öffentli___________ 454 Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 53. 455 So schon oben C. VI. 2. d) bb) (2). 456 Vgl. auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 66 f. 457 OVG Münster, NJW 1994, 2909/2910; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561; VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509; Kube, JuS 1999, 176/182; Diese Einschränkung übersieht aber, dass die Grundrechte bereits als geschriebenes Recht unter die öffentliche Sicherheit fallen; während die öffentliche Ordnung nur ungeschriebene Sozialnormen umfasst; vgl. Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/210. 458 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561. 459 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 65: keine Eingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 83: Grundrechtlich erlaubtes Verhalten, das insbesondere Minderheiten schützt, darf nicht über die Generalklausel verboten werden. 460 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 125; Gusy, Polizeirecht, Rn. 97; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 82. 461 Nur aus dem Polizeigesetz.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

chen Verkehrsmittel“ erhält der Begriff der öffentlichen Ordnung neues Gewicht462. So forderte Bundesinnenminister Kanther im Rahmen der „Aktion Sicherheitsnetz“ die SPD-regierten Länder ausdrücklich auf, die öffentliche Ordnung als Schutzzweck wieder in die Polizeigesetze aufzunehmen463. Im Saarland wurde der Begriff der öffentlichen Ordnung im Jahre 2001 wieder in die Generalklausel eingefügt464, in Niedersachsen mit Gesetzesänderung vom 11. Dezember 2003465. Die Wiederbelebung des Begriffes der öffentlichen Ordnung ist als eine konsequente Folge der Forderungen nach einer Übernahme der New Yorker Polizeistrategie und einer Verwirklichung der „Broken Windows“-Theorie anzusehen. Diese setzen gerade auf ein Vorgehen gegen geringe Ordnungsverstöße, bei denen nicht zwingend Rechtsnormen verletzt sind466. Die Begründung, dass das Schutzgut der öffentlichen Ordnung notwendig wäre, um auf nicht vorhersehbare Verstöße gegen herrschende gesellschaftliche Regeln schnell reagieren zu können, ist aus zwei Gründen unhaltbar. Zum einen sind die in der Diskussion stehenden Verhaltensweisen sozialer Randgruppen keine neuartigen sozialen Phänomene, auf die der Gesetzgeber zuvor nicht hätte reagieren können467. Zwar mag die Bildung offener Drogenszenen eine neue Erscheinung sein. Die damit verbundenen Verhaltensweisen stellen aber bereits eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar468, sodass ein Rückgriff auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung nicht notwendig ist. Dieses Schutzgut soll gerade für solche Verhaltensweisen Bedeutung erlangen, die keine Verletzung bestehender Normen darstellen, wie das Betteln, den Konsum von Alkohol und das Lagern beziehungsweise Nächtigen in der Öffentlichkeit. ___________ 462

Dolderer, NVwZ 2001, 130/133; Götz, NVwZ 1994, 652/656 sieht die öffentliche Ordnung als wichtiges ordnungsrechtliches Instrument zur „Eliminierung nicht mehr gemeinverträglicher Nutzungen von Straßen und Plätzen“ an; Götz, NVwZ 1998, 679. 463 Tagesspiegel vom 28.01.1998; s. dazu oben C. IV. 1. 464 Amtsbl. 2001 S. 1074; Mandelartz/Sauer/Strube, SaarlPolG § 8 Rn. 20. 465 Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (Nds.GVBl. Nr. 30/2003 S. 414). Eine Wiedereinführung des Schutzgutes wurde zuvor vom Innenministerium insbesondere in Bezug auf „abweichendes Verhalten und Unregelmäßigkeiten (zum Beispiel Alkoholgelage in der Öffentlichkeit, aggressives Betteln)“ für entbehrlich gehalten, weil ausreichende Regelungen in Gesetzen, Verordnungen und Sondernutzungssatzungen bestünden (Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269). 466 s. dazu oben A. I. 1. Das zeigt wiederum deutlich, dass Hintergrund zur juristischen Diskussion über den Begriff der öffentlichen Ordnung die Frage ist, inwieweit es überhaupt Aufgabe einer sich liberalisierenden, auf Toleranz setzenden Gesellschaft sein kann, Verhaltensregeln festzulegen und deren Einhaltung mit den Mitteln des Polizeirechts zu überwachen. (Vgl. Boldt in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, A Rn. 94). 467 Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 124. 468 s. oben C. VI. 2. d) bb) (1).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Diese Probleme bestehen aber schon seit längerer Zeit in der Gesellschaft, auch wenn ihnen in der aktuellen Diskussion neues Gewicht beigemessen wird. Das zeigt sich insbesondere in der zunächst bestehenden und im Jahre 1974 aufgehobenen Strafbarkeit der Landstreicherei, Bettelei und Obdachlosigkeit469. Zum anderen gebietet das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Bestimmtheitsgebot, dass die Tatbestände gesetzlicher Eingriffsermächtigungen so sorgfältig zu formulieren sind, dass die Folgen der Regelung für den Normadressaten voraussehbar sind470. Der Begriff der öffentlichen Ordnung entspricht diesem Grundsatz nicht. Für den Normanwender stehen keine praktikablen Methoden zur objektivierten Feststellung dessen, was nach herrschender Anschauung unerlässlich für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben ist, zur Verfügung471. Daher ist es für die Adressaten erst recht kaum möglich festzustellen, ob ihr Verhalten, das nicht gegen normierte Vorschriften verstößt, den ständig wechselnden und nicht ermittelbaren herrschenden Anschauungen widerspricht. Die mangelnde Bestimmtheit des Begriffs der öffentlichen Ordnung kann auch nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein Spielraum zum Einschreiten gegenüber Verhaltensweisen sozialer Randgruppen notwendig wäre472. Wenn der Gesetzgeber in diesem gesellschaftlichen Bereich keine bestimmten Regelungen schafft, kann auch nicht in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen werden. Im Gegenteil, die gesetzgeberische Entscheidung ist hier gerade zu beachten. Der Begriff der öffentlichen Ordnung widerspricht neben dem Bestimmtheitsgebot dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie, weil er auf Regeln abstellt, die nicht durch den Gesetzgeber normiert wurden. Das wird insbesondere im Hinblick auf den im Falle von Randgruppen in besonderem Maße relevanten Schutz von Minderheiten deutlich. Lässt man Eingriffe in Rechte von Minderheiten außerhalb der verfassungsmäßigen Gesetze zu, weil deren Verhalten gegen die Anschauungen der Mehrheit verstoßen, werden die Chancen einer Minderheit auf gleichberechtigtes Miteinander und erst recht auf eine Stärkung ihrer sozialethischen Vorstellungen vereitelt473. Gerade in Bezug auf die Verfolgung sozialer Randgruppen kommt die ___________ 469 s. dazu oben C. II.; C. VI. 2. d) bb) (2) und (3). Dass die Strafbarkeit dieser Verhaltensweisen entfallen ist, spricht (wie oben bereits erläutert) dafür, dass ein polizeiliches Eingreifen nun nicht über das Schutzgut der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden kann. 470 Schultze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 117; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 126. 471 s. dazu Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 132 ff. 472 So aber Götz, NVwZ 1994, 652/656. 473 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 26. So auch Kohl, der das als weiteres Argument gegen eine lokal begrenzte Ermittlung der herrschenden Anschauungen sieht; vgl. dazu auch Dolderer, NVwZ 2001, 130/134.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Verfassungswidrigkeit des Begriffes der öffentlichen Ordnung zum Tragen. Er ermöglicht Eingriffe aufgrund nicht durch den Gesetzgeber legitimierter herrschender Anschauungen. Diese sind so unbestimmt, dass viele, insbesondere auch wirtschaftliche Interessen, darunter gefasst werden können, wenn dies gewollt ist. Trotz der Verfassungswidrigkeit wird die öffentliche Ordnung als Schutzweck im Polizei- und Ordnungsrecht durch die Rechtsprechung anerkannt und zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen gegen bestimmte Verhaltensweisen sozialer Randgruppen herangezogen. Deshalb soll untersucht werden, ob die öffentliche Ordnung tatsächlich durch diese verletzt ist.

cc) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Gefahr für die öffentliche Ordnung (1) Gefahren im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene Im Zusammenhang mit der Drogenszene bestehen konkrete Gefahren durch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder auch andere Strafvorschriften, die aber bereits einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit darstellen und daher einen Rückgriff auf die öffentliche Ordnung entbehrlich machen. Daneben werden teilweise die Probleme, die durch das Bestehen einer offenen Drogenszene an einem bestimmten Ort entstehen, als Gefahren für die öffentliche Ordnung gesehen. So komme es in diesen Bereichen vermehrt zum aggressiven Betteln und unter Umständen sonstigen grob belästigenden Verhaltensweisen durch Wohnungslose474. Dazu ist wiederum festzustellen, dass nicht die Präsenz der Drogenszene an sich unmittelbar zu diesen Gefahren führt und auch der Einzelne für diese nur verantwortlich gemacht werden kann, wenn er durch sein Verhalten die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Rechtsnormen begründet475. Diese Anforderungen an die Gefahr kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Drogenszene an sich als Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen wird, wenn der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung lediglich in den möglicher Weise im Zusammenhang mit der Drogenszene bestehenden Verhaltensweisen, wie der groben Belästigung von Passanten, gesehen wird. Eine Subsumtion dieser Verhaltensweisen unter die öffentliche Ordnung ist für die jeweils einzelne Handlung schon nicht erforderlich, wenn diese gegen die öffentliche Sicherheit verstößt. Sieht man einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darin, dass allgemein im Zusammenhang mit offenen Drogenszenen solche Störungen der öffentlichen Sicherheit auftreten, umginge

___________ 474 475

Deger, VBlBW 1996, 90/93. s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (1).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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man sowohl die Anforderungen an das Vorliegen einer konkreten Gefahr als auch an die Unmittelbarkeit der Verursachung476. Die Drogenszene könnte jedoch eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen. Dass es im Umkreis der Drogenszene zu grob belästigenden Verhaltensweisen477 kommt, stellt einen Verstoß gegen nach der herrschenden Anschauung notwendige Regeln des Zusammenlebens dar. Es ist auch hinreichend wahrscheinlich, dass es zu solchen Verhaltensweisen kommt, wenn an einem Ort eine Drogenszene besteht. Die abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung ist aber subsidiär gegenüber der abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die durch die Drogenszene verwirklicht ist478.

(2) Betteln Die Strafbarkeit des Bettelns ist 1974 durch die Aufhebung des § 361 Nr. 4 StGB entfallen479. Der Gesetzgeber hat die in § 361 StGB geregelten Verhaltensweisen von staatlichen Sanktionen ausgenommen. Er hat sie auch nicht wie andere Vorschriften des 29. Abschnittes des Strafgesetzbuches als Vergehen oder Ordnungswidrigkeiten neu geregelt480. Diese Entscheidung des Gesetzgebers zwingt zwar nicht dazu, das Betteln nicht mehr als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts anzusehen481. Sie zeigt aber, dass sich die herrschenden Anschauungen gegenüber dem Betteln gewandelt haben. Auch abgesehen davon, wird das „stille Betteln“ nicht als Verstoß gegen die herrschenden Anschauungen angesehen, weil die Anwesenheit von Bettlern im öffentlichen Raum durch die Allgemeinheit hinzunehmen sei482. Dahingegen wird vertreten, dass das aggressive Betteln gegen die öffentliche Ordnung verstoße483. Dann müssten die Verhaltensweisen, die unter dem Begriff des aggressiven Bettelns zusammengefasst werden484, den nach herrschender Anschauung für das Zusammenleben unerlässlichen Regeln wider___________ 476

s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (1). Auf das Betteln als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung wird sogleich unter C. VI. 2. e) cc) (2) eingegangen. 478 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (1). 479 s. oben C. II. 480 Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 137 m.w.N. 481 s. oben C. VI. 2. e) bb). 482 VGH Mannheim NVwZ 1999, 560/561; Kube, JuS 1999, 176/182. 483 Holzkämper, NVwZ 1994, 146/149; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/424; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 66. 484 s. zur Definition des aggressiven Bettelns oben C. VI. 2. d) bb) (2). 477

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

sprechen. Im Rahmen der öffentlichen Ordnung sind die Handlungen relevant, die nicht bereits einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit darstellen. Das sind das Verfolgen von Personen, das Verstellen des Weges, das (hartnäckige) Ansprechen und Zupfen an der Kleidung der Passanten485. Besonders in Großstädten und an belebten Orten, an denen es viele Bettler gibt, gehört es zu den alltäglichen Erscheinungen, dass Passanten von anderen Personen angesprochen werden, sei es durch Personen, die Spenden sammeln, für bestimmte Organisationen werben oder eben Bettler. Im Ansprechen liegt kein Verstoß gegen die herrschenden Regeln des Zusammenlebens486. Das hartnäckige Ansprechen und Zupfen an der Kleidung kann jedoch als Verstoß gegen allgemein anerkannte Verhaltensweisen gesehen werden. Insoweit ist ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gegeben. Auch das Verfolgen von Passanten und das Verstellen des Weges sind Verhaltensweisen, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen und damit eine konkrete Gefahr darstellen. Soweit der Tatbestand des aggressiven Bettelns in seiner Definition auf diese störenden Verhaltensweisen beschränkt ist, ist eine abstrakte Gefahr unproblematisch gegeben. Es besteht auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es im Rahmen des aggressiven Bettelns zu solchen Verhaltensweisen kommt. Anders als der Verstoß gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsvorschriften, der nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Folge des aggressiven Bettelns ist487, werden Verstöße gegen die öffentliche Ordnung in der Regel eine Begleiterscheinung des aggressiven Bettelns sein. Daher stellt das aggressive Betteln eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.

___________ 485 s. oben C. VI. 2. d) bb) (2). Das übersieht Holzkämper, NVwZ 1994, 146/149, wenn er die öffentliche Ordnung dahingehend restriktiv auslegt, dass die Verhaltensweise Rechte, Rechtsgüter oder ausgeübte Freiheiten verletzen oder beeinträchtigen. 486 So auch Terwiesche, VR 1997, 410/412. 487 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (2).

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(3) Verhalten bei Gruppen von Wohnungslosen und Trinkern Die herrschende Anschauung zu Wohnungslosen im öffentlichen Raum hat sich stark gewandelt. Bis Ende der sechziger Jahre wurde die Obdachlosigkeit als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung angesehen488. Das wird heute weder in der herrschenden Literatur489 noch in der Rechtsprechung490 so vertreten. Die Änderung dieser Ansicht wurde unter anderem durch die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu §§ 72 ff Bundessozialhifegesetz aus dem Jahr 1967 eingeleitet491. In dieser stellte das Gericht fest, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, seine Bürger zu „bessern“ und dieser deshalb auch nicht das Recht habe, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu „bessern“, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährdeten, wenn sie in Freiheit blieben492. Dieses geänderte Verständnis wurde nicht zuletzt in der Strafrechtsreform des Jahres 1974 deutlich, mit der auch die Strafbarkeit der Landstreicherei und Obdachlosigkeit nach § 361 Nr. 3 und 8 StGB abgeschafft wurde493. Daneben ist festzustellen, dass nach der herrschenden Anschauung in der Gesellschaft nicht angenommen werden kann, dass die Land- oder Stadtstreicherei, beziehungsweise der Aufenthalt Wohnungsloser im öffentlichen Raum, die Regeln des Zusammenlebens verletzen494. Eine Mindermeinung in der Literatur vertritt die Ansicht, dass Wohnungslosigkeit dann einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstelle, wenn es sich um „verwaltungsmäßig nicht mehr erfasste Dauerobdachlosigkeit“ handele. Das wird damit begründet, dass in diesen Fällen jeglicher Anknüpfungspunkt für verwaltungs- und sozialrechtliche Maßnahmen von Seiten des Staates fehle495. Diese Ansicht beachtet aber we___________ 488 BVerwGE 17, 83/86; VGH München, BayVBl. 1963, 122: Den Entscheidungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob ein Unterschied zwischen freiwilliger (also Nichtsesshaftigkeit) und unfreiwilliger Obdachlosigkeit zu machen ist. 489 Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 444; Kohl, NVwZ 1991, 620/622; Schloer, DVBl. 1989, 739/745; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 200. 490 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509 f. 491 BVerfGE 22, 180; s. dazu oben C. II. 492 BVerfGE 22, 180/219 f. 493 Art. 326 Abs. 3 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 469); s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 494 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509; Kohl, NVwZ 1991, 620/622; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 200. Der Ansicht, dass die herrschenden Anschauungen lokal begrenzt zu ermitteln sind, mit der Folge, dass zum Beispiel in kleinen Kurorten von einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ausgegangen werden könnte, ist nicht zu folgen; s. dazu oben C. VI. 2. e) bb). 495 Wolf, Das Recht des Lebens auf der Straße, 35: Wolf sieht zwar die Obdachlosigkeit für sich und auch den ständigen Aufenthalt in der Öffentlichkeit nicht als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung an, weil es sich um unverschuldetes wirtschaftliches Unvermögen, sich eine Wohnung zu leisten, handele. Wen jedoch eine Person all ihre Habseligkeiten ständig mit sich führe, ließe dies auf dauerhafte Nichtsesshaftigkeit schlie-

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

der, dass es beim Begriff der öffentlichen Ordnung auf die herrschenden Anschauungen zu den unerlässlichen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens ankommt, noch dass der Begriff restriktiv auszulegen ist496. Dass der Staat seine Aufgaben durch Regelungen der individuellen Lebensführung erleichtern könnte, führt nicht dazu, dass die herrschende Ansicht in der Gesellschaft ebenfalls eine Einschränkung der Möglichkeiten individueller Lebensführung verlangt. Soweit der Gesetzgeber solche Einschränkungen nicht regelt, können staatliche Eingriffe nicht entgegen der gesellschaftlichen Meinung über den Begriff der öffentlichen Ordnung legitimiert werden. Dass Wohnungslose sich häufig in größeren Gruppen im öffentlichen Raum aufhalten, stellt an sich keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar, weil es sich um eine sozial anerkannte Form der Kontaktaufnahme handelt497. Fraglich ist, ob in dem Aufenthalt größerer Gruppen Wohnungsloser und Trinker deshalb ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gesehen werden kann, weil dadurch „Brennpunkte des städtischen Lebens“ so eingenommen werden, dass sich andere an der Nutzung dieser Flächen gehindert fühlen498. Wenn der Aufenthalt dieser Gruppen so wirkt, dass eine Nutzung von öffentlichen Plätzen für andere unmöglich wird, stellt das einen Verstoß gegen die Verhaltensregeln dar, deren Beachtung unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens ist. Dies ist aber nur so, wenn durch die Anwesenheit der Gruppe der Platz, die Straße oder der Park tatsächlich nicht mehr durch andere nutzbar sind. Dass sich einige Bürger durch diese Personen belästigt oder verängstigt fühlen, genügt nicht für das Vorliegen einer Gefahr499. Ebenso darf nicht auf das subjektive Empfinden besonders empfindlicher oder ängstlicher Personen abgestellt werden500. Es ist eher die Ausnahme, dass eine Gruppe Wohnungsloser einen Ort in der Innenstadt in einer Weise belagert, die andere Personen tatsächlich an dessen Nutzung hindert. Wenn dies jedoch doch der Fall ist, liegt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung vor. Der Aufenthalt beziehungsweise das Lagern von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker in der Öffentlichkeit könnte daneben eine abstrakte Gefahr für die ___________ ßen. Diese verstoße wegen der mangelnden verwaltungsrechtlichen Erfassbarkeit gegen die öffentliche Ordnung. Diese Ansicht ist in sich widersprüchlich. Erkennt man an, dass es Menschen gibt, die sich keine Wohnung, in der sie ihre Habe unterbringen könnten, leisten können, muss auch in dem Mitführen der Habseligkeiten eine zwingende Folge davon gesehen werden. 496 So auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 200. 497 Vgl. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 204. 498 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1984, 507/510: Das Gericht hatte über diese Frage nicht zu entscheiden, weil die angegriffene Verordnung darüber hinaus ging. 499 s. oben C. VI. 2. b) bb). 500 s. oben C. VI. 2. b) aa).

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öffentliche Ordnung darstellen. Dann müsste dieser mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schädigungen der öffentlichen Ordnung führen501. Die erläuterten Ordnungsstörungen durch die Einnahme der „Brennpunkte städtischen Lebens“ kommen nach bisheriger Erfahrung nur in Einzelfällen vor, so dass keine die abstrakte Gefahr begründende hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht502. Im Zusammenhang mit dem Aufenthalt kommt es jedoch zu Verhaltensweisen, die einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellen, wie dem groben Anpöbeln von Passanten. Dass diese lediglich bei Gelegenheit des Aufenthalts stattfinden, schließt die Möglichkeit einer abstrakten Gefahr nicht aus503, solange der Aufenthalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führt504. Diese ist jedoch nicht gegeben, weil es zu Ordnungsstörungen durch hinzukommende Verhaltensweisen nur in Einzelfällen kommt und die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit angesichts des nur geringfügigen Schadens hoch sind505.

(a) Niederlassen zum Konsum von Alkohol Bei der Annahme, dass das Niederlassen zum Konsum von Alkohol ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist, geht es vor allem um die Frage, ob das Trinken von Alkohol im öffentlichen Raum den ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens ist, widerspricht. Das Niederlassen an sich verstößt ebenso wenig wie die Anwesenheit Wohnungsloser und Trinker im öffentlichen Raum gegen die öffentliche Ordnung. Teilweise wird angenommen, dass gerade der Konsum von Alkohol durch Wohnungslose gegen das „gute Benehmen“ und damit die öffentliche Ordnung verstoße, weil es im Gegensatz zum üblichen Alkoholkonsum an einem Anlass hierfür fehle. Es finde weder in gastronomischen Betrieben noch aus Anlass öffentlicher Feiern oder Ähnlichem statt506. Wenn man aber die in Deutschland „üblichen“ Formen des Trinkens in der Öffentlichkeit betrachtet, kann ebenso wenig wie bei Wohnungslosen davon die Rede sein, dass immer ein besonderer Grund dafür besteht. In der Bundesrepublik ist es durchaus üblich, dass Personen in der Öffentlichkeit Alkohol konsumieren, ohne dass dafür ein über den Durst oder Genuss hinaus gehender Anlass bestünde. Dabei besteht kein Unterschied in den ___________ 501

s. oben C. VI. 2. b) aa). s. oben C. VI. 2. b) aa). 503 So aber VGH Mannheim, NJW 1984, 507/509; Kohl, NVwZ 1991, 620/623. 504 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 505 Vgl. dazu oben C. VI. 2. b) aa). 506 Wolf, Das Recht des Lebens auf der Straße, 35 f. 502

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Beweggründen einer Gruppe, die beim Picknick im Park trinkt, zu denen der oft unweit sitzenden Gruppe Wohnungsloser507. Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist im Gegensatz zu Betäubungsmitteln nach dem BtMG rechtlich nicht sanktioniert508 und in der Bevölkerung der Bundesrepublik im Gegensatz zu anderen Ländern auch anerkannt509. Daher kann von einem Verstoß gegen herrschende Anschauungen nicht die Rede sein510. Das ist anders, wenn von betrunkenen Personen weitere Störungen, wie das Urinieren in der Öffentlichkeit, das Erzeugen von Müll und Pöbeleien gegenüber Passanten ausgehen. Diese Verhaltensweisen stellen überwiegend bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar511. Außerdem handelt es sich um zum Alkoholkonsum hinzukommende Verhaltensweisen, so dass eine konkrete Gefahr allein durch den Konsum nicht besteht. Soweit eine abstrakte Gefahr genügt, kommt es darauf an, ob der Alkoholkonsum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu den störenden Handlungen führt. Das ist aber angesichts der sehr unterschiedlichen Reaktion auf Alkohol nicht der Fall512.

___________ 507 Die von Wolf, Das Recht des Lebens auf der Straße, 36, angesprochene „empirisch nachprüfbare Regel für das Verhalten“, dass man auf offener Straße keinen Alkohol trinke, entbehrt jeder Grundlage und wird auch von ihm selbst nicht belegt. Wolf schränkt im Weiteren seine Regel, dass Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit „ohne besonderen Anlass“ gegen die öffentliche Ordnung verstoße, selbst ein. Er meint es sei zum Beispiel auf Bahnhöfen durchaus üblich, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken, daher bedürfe es hier keines besonderen Anlasses. Woher aber diese Unterscheidungen in der angeblichen herrschenden Anschauung kommen sollen, benennt er nicht. 508 Abgesehen von Jugendschutzgesetzen und straßenrechtlichen Normen. Zum Verbot nach Straßenrecht s. unten s. oben C. VI. 5. b) bb) (2) und 6. 509 So auch Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 24 f.; Kohl, NVwZ 1991, 620/623; Terwiesche, VR 1997, 410/414. Auch in Berlin, wo ein rechtlich zweifelhaftes Verbot des Konsums von Alkohol auf öffentlichen Straßen besteht (s. dazu unten C. VI. 6.) gehört es besonders im Sommer zum alltäglichen Bild, dass Menschen auf der Straße oder in Parks außerhalb zugelassener Freischankflächen Alkohol zu sich nehmen. Das Vorgehen der Polizei richtete sich hier auch nur gegen die Trinker und Wohnungslosen, die wegen ihrer verwahrlosten Erscheinung auffielen. (Vgl. dazu Berliner Zeitung vom 24.07.2001; 14.07.2001; 11.07.2001; 7.07.2001; 04.07.2001; jeweils Lokales). Dahingegen ist das Trinken in der Öffentlichkeit in New York und auch anderen US-amerikanischen Großstädten nicht akzeptiert und wird strafrechtlich verfolgt; s. dazu oben B. VI. 2. b) bb). Dabei werden bei der Verfolgung aber ebenfalls diskriminierende Unterschiede zwischen Familien, die bei einem Picknick Alkohol trinken, und Wohnungslosen und Trinkern gemacht; s. dazu oben B. VI. 2. c). 510 Ablehnung eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung ohne weitere Begründung: VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115/116. 511 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (b). 512 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (b).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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(b) Nächtigen, Lagern Wie oben festgestellt513, verstößt der bloße Aufenthalt Wohnungsloser in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht gegen die öffentliche Ordnung. Das Lagern und Nächtigen Wohnungsloser stellt jedoch eine qualifizierte Form des Aufenthaltes dar. Es könnte daher gegen die nach herrschender Anschauung bestehenden Sozialnormen verstoßen514. Dagegen spricht zwar, dass die Wohnungslosigkeit anerkannt ist und nicht gegen Rechtsnormen verstößt. Dann müsste an sich auch der Aufenthalt Wohnungsloser in der Öffentlichkeit, der aus der Natur der Sache in ein Lagern und Nächtigen umschlägt, geduldet werden. Gerade in diesen Widersprüchen zeigt sich jedoch die Problematik des Begriffs der öffentlichen Ordnung, der sich auf außerrechtliche Normen bezieht. Erkennt man die Möglichkeit der Sanktion von Verstößen gegen solche außerrechtlichen, durch eine nicht näher bestimmte Mehrheit vorausgesetzten Normen an, kann das Lagern und Nächtigen in der Öffentlichkeit gegen diese verstoßen. Diejenigen, die ein Einschreiten gegen das Lagern und Nächtigen Wohnungsloser und Trinker fordern, scheinen darin allein jedoch noch keinen Verstoß gegen die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu sehen. Gefahrenabwehrverordnungen, die das Lagern und Nächtigen im öffentlichen Raum regeln, verbieten dieses nur, wenn weitere Verhaltensweisen hinzukommen, wie die Behinderung anderer Passanten bei der Nutzung der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs, deren Belästigung bei übermäßigem Alkoholgenuss, aggressives Betteln und Verunreinigungen515. Die Behinderung anderer Passanten ist eine alltägliche Erscheinung in Großstädten und verstößt an sich nicht gegen die zwingenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Durch das Lagern und Nächtigen ausgelöste Behinderungen sind jedoch nicht nur von vorübergehender Natur, wie die sonst üblichen Einschränkungen durch Personen, die im Weg stehen. Daher kann durchaus ein Verstoß gegen die herrschenden Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens angenommen ___________ 513

C. VI. 2. e) cc) (3). So Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 66. 515 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002: „Lagern in Personengruppen (wenn sich diese an denselben Orten regelmäßig ansammeln und dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraums im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern)“; § 6 Abs. 2 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25): „ständig wiederkehrende ortsfeste Ansammlungen von Personen, von denen regelmäßig Störungen ausgehen, wie zum Beispiel Verunreinigungen, Belästigungen von Passanten bei übermäßigem Alkoholgenuss und aggressives Betteln“. 514

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

werden516. Das Belästigen anderer umfasst schon vom Wortlaut her Verhaltensweisen, die unterhalb der Gefahrenschwelle liegen517, unabhängig davon, ob es durch den Konsum von Alkohol bedingt ist. Zwar können hiervon auch grobe Pöbeleien oder obszöne Äußerungen erfasst sein, die einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellen, der Begriff geht aber darüber hinaus. Das aggressive Betteln stellt, wie oben erläutert, einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar518. Auch Verunreinigungen widersprechen den Regeln des Zusammenlebens also der öffentlichen Ordnung. Die durch die Verordnungen geregelten Tatbestände beschreiben, abgesehen von der Belästigung, eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung.

f) Das Sicherheitsgefühl der Bürger als polizeiliches Schutzgut Die neueren Polizeistrategien gegen die Erscheinungen öffentlicher Unordnung sind überwiegend auf die Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bürger gerichtet519. Teilweise folgen daraus konkrete Anweisungen an die Polizei, die Eingriffschwelle abzusenken520 oder es wird ausdrücklich als Zweck einzelner polizeilicher Maßnahmen genannt521. Daher ist zu fragen, ob das Sicherheitsgefühl der Bürger ein polizeiliches Schutzgut darstellt, dessen Verletzung ein Eingreifen rechtfertigt. Das Sicherheitsgefühl der Bürger würde ein so genanntes Kollektivrechtsgut darstellen. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass Kollektivrechtsgüter wie die Wasserversorgung als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in Frage kommen522. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst nur den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die freiheitliche demokratische Grund___________ 516

A.A. Terwiesche, VR 1997, 410/412. s. oben C. VI. 2. b) aa). 518 s. oben C. VI. 2. e) cc) (2). 519 s. dazu oben C. IV. 520 Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269: „Die objektive Kriminalitätslage und die vielfach artikulierte Angst der Bevölkerung vor Kriminalität erfordern Veränderungen in der Schwerpunktsetzung polizeilicher Aufgabenwahrnehmung […]. Unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung hat die Polizei nicht nur Straftaten zu verfolgen, sondern zur Verhinderung der Verwahrlosung des öffentlichen Raums künftig auch bei Ordnungswidrigkeiten frühzeitig und konsequent einzuschreiten. Dabei haben sich alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten eine deutlich geringere Einschreitschwelle zu setzen.“ 521 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 135: Zur Begründung der Geeignetheit von Maßnahmen gegen die Drogenszene wird die Wiederherstellung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung als Zweck genannt. 522 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 115; BVerwG, DVBl. 1974, 297. 517

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ordnung, nicht aber Kollektivrechtsgüter im Allgemeinen oder Besonderen523. Eine Anerkennung dieser ist auch abzulehnen, weil die gesellschaftlich als schützenswert anerkannten Rechtsgüter durch die Rechtsordnung abgesichert werden, die ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit darstellt. Eine darüber hinausgehende Anerkennung als Schutzgut ist nicht erforderlich524. Sie würde auch dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes widersprechen, weil dann Eingriffe außerhalb der Verletzung von Individualrechtsgütern oder von Vorschriften, die zum Schutz der Kollektivrechtsgüter erlassen wurden, möglich würden525. Außerdem handelt es sich beim Sicherheitsgefühl der Bürger um einen objektiv nicht bestimmbaren Begriff. Das Sicherheitsgefühl des Einzelnen kann in derselben Stadt und Situation sehr unterschiedlich sein und ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, wie der tatsächlichen Situation, der individuellen Information und der individuellen Bewertung von Informationen. Es muss nicht notwendig der tatsächlichen Sicherheitslage entsprechen526 und entspricht dieser in der Regel auch nicht527. Für das Vorliegen einer Gefahr bedarf es aber der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Schadens an einem Rechtsgut. Der polizeilichen Prognose muss eine objektivierende Betrachtungsweise zugrunde liegen, sodass es nicht auf die Empfindungen besonders ängstlicher Bürger ankommt528. Dem genügen bloße Vermutungen oder Gefühle, die sich nicht an objektivierbaren Anhaltspunkten nachweisen lassen, nicht. Daher kann das bloße Unsicherheitsgefühl nicht die Prognose einer Ge-

___________ 523

Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 8. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 8. 525 So Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 8 gegen die Anerkennung des Kollektivrechtsguts Volksgesundheit bei Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 115, die dazu führen würde, dass polizeilich gegen Drogenkonsum, Rauchen und Trinken eingeschritten werden könnte, ohne dass eine Norm oder ein Individualrechtsgut verletzt wäre. 526 Dolderer, NVwZ 2001, 130; Dörmann/Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, 1; Gusy, Verwaltungsarchiv 2001, 344/360 f.; Hecker, KJ 1997, 395/ 408; Zum Zusammenhang zwischen Kriminalität und Kriminalitätsangst: Diederichs, CILIP (57) 1997, 18 ff; Sack in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 21/55 ff.: „[…] die subjektiven Dimensionen der Kriminalität und der Inneren Sicherheit führen eher ein Eigenleben, sind nicht rückgekoppelt an die Bewegung der Kriminalität und folgen offensichtlich eigenen Gesetz- und Regelmäßigkeiten.“; vgl. auch Waechter, JZ 2002, 854/855: „mitunter irrationelles Sicherheitsbedürfnis bestimmter Bevölkerungsgruppen“. 527 Diederichs, CILIP (57) 1997, 18 ff.; Sack in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 21/55 ff.; vgl. die Nachweise bei Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/159 Fn. 29. 528 s. oben C. VI. 2. b) aa). 524

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

fahr begründen529. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist auch kein eigenständiges Rechtsgut, weil es aufgrund der Innerlichkeit der Gedankenwelt nicht bestimmbar ist. Aber auch wenn man annehmen wollte, dass es sich um ein Rechtsgut handelte, wäre es der Polizei unmöglich dieses zu schützen, weil es sich vornehmlich aus dem nicht beeinflussbaren Informationsverhalten des einzelnen Bürgers ergibt530.

g) Die „Broken Windows“-Theorie als Begründung einer abstrakten Gefahr Die durch die „Broken Windows“-Theorie531 beschriebenen Entwicklungen könnten dafür stehen, dass in der Anwesenheit der Drogenszene, von Bettlern und Gruppen Wohnungsloser oder Trinker eine abstrakte Gefahr zu sehen ist. Die Theorie ist nur dann eine Begründung für die Annahme einer abstrakten Gefahr, wenn die durch sie beschriebenen Folgen eine Schädigung polizeilicher Schutzgüter darstellen und wenn die Anwesenheit sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu dieser Schädigung führt532. Die „Broken Windows“-Theorie begründet die These, dass Unordnung im öffentlichen Raum zwingend zu einem Anstieg von Kriminalität führt. Als Zwischenschritt in der Ursachenabfolge steht die soziale Veränderung, die Verwahrlosung eines Stadtviertels, die wiederum auf dem sinkenden Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beruht. Die Ursache Unordnung wird unter anderem in herumlungernden Personen, Trinkern und Bettlern gesehen. Deren Anwesenheit führe zur Veränderung der Situation des betroffenen Viertels, die den Nährboden für Kriminalität liefere. Als Grund dafür wird die Angst der Bürger gesehen. Wenn diese sich vor Betrunkenen, Bettlern und aufdringlichen Jugendlichen fürchteten, dürften Diebe und andere Kriminelle glauben, dass in dieser Gegend auch Straftaten nicht an der sozialen Kontrolle scheiterten533. Die soziale Kontrolle sinke tatsächlich aufgrund des geringen Sicherheitsgefühls der Bürger. Diese würden sich weniger auf der Straße aufhalten und diese wenn überhaupt „mit schnellen Schritten und von ihren Mitbürgern abgewen___________ 529 So auch: Gusy, Verwaltungsarchiv 1992, 344/360 f.; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 95; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, S. 211. 530 Gusy, Verwaltungsarchiv 1992, 344/362; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 118: Bei der Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung handele es sich allenfalls um Begleiteffekte und Nebenerscheinungen der polizeilichen Aufgabenerfüllung und nicht um Bestandteile ihrer Aufgabenstellung. 531 Vgl. dazu oben A. I. 1. 532 s. zur Definition der abstrakten Gefahr oben C. VI. 2. b) aa). 533 s. dazu oben A. I. 1.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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deten Augen begehen“534. Die so durch Wilson und Kelling beschriebenen Zusammenhänge entsprechen den Erfahrungen, die man in vielen Großstädten machen kann. Wenn bestimmte Plätze vermehrt von verwahrlost aussehenden Gruppen genutzt werden, ziehen sich andere Bürger zurück, und es kann in der Tat zu einer negativen sozialen Entwicklung des Gebietes kommen535. Für das Polizeirecht bleibt aber die Frage entscheidend, ob dadurch bereits eine abstrakte Gefahr in der Anwesenheit solcher Gruppen schlechthin zu begründen ist. Als Schutzgut kommt im Rahmen der beschriebenen Ursachenkette zunächst das verringerte Sicherheitsgefühl der Bürger in Betracht. Dieses ist aber, wie oben gezeigt, als Kollektivrechtsgut kein polizeiliches Schutzgut536. Ebenso wenig kann die Kriminalitätsentwicklung allgemein ein polizeiliches Schutzgut darstellen. Kriminalität, also die Begehung von Straftaten, fällt jedoch als Verletzung der Rechtsordnung unter das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Die Anwesenheit sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum müsste in einem die Annahme der Gefahr begründenden Ursachenzusammenhang zur Begehung von Straftaten stehen, also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führen537. Die Anforderung an die Wahrscheinlichkeit hängen wiederum vom zu schützenden Rechtsgut und dem zu erwartenden Schaden ab. Zwar können Straftaten auch das Leben und die Gesundheit von Menschen betreffen. Der bloße Verweis auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straften umfasst jedoch einen viel weiteren Bereich auch geringfügiger Delikte. Daher kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Wahrscheinlichkeitsmaßstab so gering ist, dass auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts genügen würde538. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Anwesenheit einer Gruppe Drogensüchtiger, Wohnungsloser oder Trinker an einem bestimmten Ort zur Erhöhung der Kriminalität führt, stellt jedoch nur eine solche entferntere Möglichkeit dar. Es muss eine große Anzahl anderer Faktoren hinzukommen, bevor es tatsächlich zur Begehung von Straftaten kommt. Diese sind kaum berechenbar und unterliegen keinen naturwissenschaftlich nachvollziehbaren Regeln. Schon die Größe der Gruppen ist entscheidend. Kleinere Ansammlungen Woh___________ 534

Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/31 f. Vgl. VGH München, NVwZ 2000, 454/456 zu den Auswirkungen der Drogenszene. Die Existenz dieser Szene führe dazu, dass sich abhängige, verwahrloste junge Menschen in deren Umfeld aufhalten, dadurch komme es zur Verwahrlosung des Stadtviertels und letztlich zur Veränderung der sozialen Struktur. 536 s. oben C. VI. 2. f). 537 s. dazu oben C. VI. 2. b) aa). 538 Eine solche geringe Wahrscheinlichkeit wird beispielsweise im Fall des Verbots bestimmter Hunderassen angenommen: vgl. VGH Mannheim, VBlBW 2002, 292/293; VGH Berlin, NVwZ 2001, 1266/1268; VGHRHPf, NVwZ 2001, 1273/1274; allgemein BVerwG, DÖV 1970, 713/715. 535

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

nungsloser werden oft als zum „Kiez“ zugehörig akzeptiert. Auch die bauliche Gestaltung und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sind zu beachten. Damit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vorläge, müsste die Anwesenheit sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum das allgemeine Lebensrisiko überschreiten539. Die Zusammenhänge, die die „Broken Windows“-Theorie beschreibt, sind gerade ein Beispiel für das sozialadäquate Risiko der gesellschaftlichen Entwicklung, das in großen Städten besteht. Dieses rechtfertigt das Einschreiten des Staates, der natürlich gegen diese Entwicklungen vorgehen kann und auch sollte. Es überschreitet jedoch nicht die Gefahrenschwelle, die ein Einschreiten nach dem Polizeirecht ermöglicht. Dass die durch die „Broken Windows“-Theorie beschriebenen Ursachenzusammenhänge nicht hinreichend wahrscheinlich sind, wird auch an der Kritik zu dieser Theorie deutlich. Zunächst ist das Bestehen empirischer Beweise umstritten. Die Befürworter540 der Theorie berufen sich auf eine Studie von Skogan541, die den Nachweis dafür erbringe, dass es einen Zusammenhang zwischen Unordnung in der Nachbarschaft und der Zahl der Opfer von Raubtaten gebe542. Schon der Anknüpfungspunkt der Studie ist zur Begründung der abstrakten Gefahr nicht geeignet. Soweit es um das Maß an Unordnung in den Gebieten geht, beruht die Studie auf Umfragen. In diesen wurden die Bewohner eines Gebietes gefragt, ob sie bestimmte Anzeichen von Unordnung, wie Müll auf den Straßen, als problematisch empfanden543. Es wird also wieder vom Sicherheitsgefühl ausgegangen. Dieses kann ebenso wenig, wie es polizeiliches Schutzgut ist, als ein die abstrakte Gefahr begründender Lebenssachverhalt dienen, dessen Beschreibung dem Bestimmtheitsgebot genügen muss544. Auch gegen die Nutzbarkeit der Studie als empirischer Beweis an sich bestehen Bedenken. Die Daten der Studie werden als ungeeignet kritisiert545. Es handele sich nicht um zuverlässige Werte, weil die Studie aus verschiedenen Untersuchungen und Umfragen, die nicht zusammen passten, zusammengestellt ___________ 539

Vgl. oben C. VI. 2. b) aa); Gusy, Polizeirecht, Rn. 108; 408. Giuliani/Bratton, Police Strategy No. 5: Reclaiming the Public Spaces of New York, 8; Kelling/Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 24; Kahan, Virginia Law Review 1997, 349/369. 541 Skogan, Disorder and Decline: Crime and the Spiral of Decay in American Neighborhoods. 542 Skogan, Disorder and Decline: Crime and the Spiral of Decay in American Neighborhoods, 73 ff. 543 Skogan, Disorder and Decline: Crime and the Spiral of Decay in American Neighborhoods, 73 ff. 544 s. dazu unten C. VI. 5. a) cc). 545 Harcourt, Illusion of Order, 60 in Bezug auf Skogan, Disorder and Community Decline in Forty Neighborhoods of the United States, 1977-1983, Data and Codebook. Inter-University Consortium for Political and Social Research (ICPSR no. 8944). 540

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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wurde. Dadurch fehlten jeweils Informationen, die die Vergleichbarkeit einschränkten546. Außerdem unterschlägt die Studie Daten im Bezug auf Straftaten, bei denen kein Zusammenhang zwischen Unordnung und ihrer Begehung festgestellt werden konnte. Skogan konnte diesen Zusammenhang zur Begehung von Raub nachweisen und hat diese Daten in seiner Studie veröffentlicht. Dahingegen war im Bezug auf Einbruchsdiebstahl, Vergewaltigung, Körperverletzung und Taschendiebstahl kein Zusammenhang zur Unordnung in einem Gebiet festzustellen547. Diese Daten sind in der Studie nicht mehr enthalten. Sie belegen jedoch, dass in vier von fünf untersuchten Fällen kein Zusammenhang zwischen Unordnung und der Begehung von Straftaten festzustellen war. Aber auch die Daten, die den Zusammenhang zwischen Unordnung und Raub begründen, beruhen im Wesentlichen auf fünf (von vierzig) Stadtvierteln. Ließe man die dort gefundenen Daten weg, würde sich der Einfluss von Unordnung auf die Begehung von Raub nicht mehr nachweisen lassen548. Die Daten einer aktuelleren Studie stehen den durch die „Broken Windows“-Theorie angenommenen Zusammenhängen ebenfalls entgegen. Daraus folgt, dass die Strategien zur Beseitigung von Unordnung durch verstärkte Durchsetzung des Rechts nicht geeignet waren, die Begehung von Straftaten zu verhindern549. Auch andere Vertreter in der Literatur lehnen das Vorliegen eines empirischen Beweises dafür ab, dass Personen, die Alkohol in der Öffentlichkeit trinken oder betteln, zur Verwahrlosung und diese wiederum zu einem Anstieg der Kriminalität führt550. Die Zusammenhänge der „Broken Windows“-Theorie können demnach empirisch nicht belegt werden. Die Schwierigkeit des Findens solcher Beweise liegt sicher auch in der Komplexität, die den der Theorie zugrunde liegenden Entwicklungen immanent ist. Gerade diese Komplexität führt dazu, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Lebenssachverhalt „Unordnung“ bei ungehindertem Ablauf des Geschehens zur erhöhten Begehung von Straftaten führt, nicht besteht. Einige der verschiedenen Faktoren, die auf die durch die „Broken Windows“-Theorie vorausgesetzte Entwicklung Einfluss haben, werden im Rah-

___________ 546 Harcourt, Illusion of Order, 59 ff.; ders., Michigan Law Review 1998, 292/ 309 ff. 547 Harcourt, Illusion of Order, 60 in Bezug auf Skogan, Disorder and Community Decline in Forty Neighborhoods of the United States, 1977-1983, Data and Codebook. Inter-University Consortium for Political and Social Research (ICPSR no. 8944). 548 Harcourt, Illusion of Order, 60 in Bezug auf Skogan, Disorder and Community Decline in Forty Neighborhoods of the United States, 1977-1983, Data and Codebook. Inter-University Consortium for Political and Social Research (ICPSR no. 8944). 549 Sampson/Raudenbush, American Journal of Sociology, (105) (3) 1999, 603/638. 550 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/23; Hecker, KJ 1997, 395/400.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

men der Diskussion551 über die tatsächlichen Ursachen für das Absinken der Kriminalität in New York genannt. Kritiker der New Yorker Polizeipraxis, die sich auf die „Broken Windows“-Theorie bezog552, nennen eine Reihe anderer Umstände, die für das Absinken der Kriminalität verantwortlich waren. So stieg Ende der achtziger und in den frühen neunziger Jahren die Zahl der Morde stark an. Das korrespondierte mit dem Auftauchen von Crack auf dem Drogenmarkt. Crack wurde von Gangs vertrieben, die Konflikte untereinander durch Schießereien lösten, und auch im Übrigen wurde im Zusammenhang mit der Ausweitung des Konsums von Crack ein Anstieg von Gewalt und Straftaten in den Innenstädten verzeichnet. Das lag unter anderem daran, dass diese Droge zu Hyperaktivität, zeitweiligen schweren Depressionen, Aggressivität und Schlaflosigkeit führt553. Als Mitte der neunziger Jahre der Konsum und Handel mit Crack abnahm und durch den mit Heroin ersetzt wurde, gingen auch die Mordraten wieder zurück554. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die Mordraten in allen größeren Städten in den USA, nicht nur in New York, sanken, obwohl in vielen dieser Städte keine „Order Maintenance“-Politik eingeführt wurde555. Daneben wird der Anstieg der Zahl der Strafgefangenen genannt, der dazu geführt hätte, dass viele Gewalttäter hinter Gittern säßen556. Außerdem wird das in den frühen neunziger Jahren steigende Wirtschaftswachstum als Ursache gesehen557. Manche nennen auch demographische Gesichtspunkte als Mitursache für das Absinken der Kriminalität. Zwischen 1990 ___________ 551

Vgl. für die Diskussion in der amerikanischen Wissenschaft zusammenfassend: Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 64 f.; für die Diskussion in der deutschen Wissenschaft zusammenfassend: Binninger/Dreher in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 16/36 ff.; Hecker, KJ 1997, 395/401 f., Hess, KJ 1999, 32/51 ff.; Volkmann, NVwZ 1999, 225/227. 552 s. dazu oben A. I. 2.; B. IV. 553 s. dazu Johnson/Golub/Dunlap in: Blumstein/Wallmann (Hrsg.), The Crime Drop in America, 164/176 ff. 554 Vgl. Blumstein/Rosenfeld, Journal of Criminal Law and Criminology, (88) 1998, 1175/1208 ff. 555 Harcourt, Illusion of Order, 9; Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/411; Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/267; Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 65. 556 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/411; Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 64 f. 557 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/411; Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 64 f. Dagegen Binninger/Dreher in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 16/38; Hess, KJ 1999, 32/52. Gegen die Ursächlichkeit des Wirtschaftswachstums soll sprechen, dass die Arbeitslosenquote in New York fast doppelt so hoch war, wie die im übrigen Land und erst im Jahre 1998 wieder den Stand von 1991 erreichte.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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und 1997 soll die geringere Zahl an jungen Menschen, die eher zu Straftaten neigten, zehn Prozent der sinkenden Kriminalitätszahlen verursacht haben558. Unabhängig davon, ob die genannten Umstände jegliche Wirkung der der „Broken Windows“-Theorie folgenden New Yorker Polizeistrategie auf den Rückgang der Kriminalität widerlegen, waren sie doch mitursächlich. Daran ist zu erkennen, dass es auf ein Zusammenspiel verschiedenster sozialer und wirtschaftlicher Faktoren ankommt, die nicht vorhersehbar sind. Deshalb ist ein hinreichend wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang zwischen Unordnung, insbesondere in Form des Aufenthalts sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum, und dem Anstieg von Kriminalität zu verneinen. Der Aufenthalt sozialer Randgruppen kann zwar, wie bereits dargelegt559, eine abstrakte Gefahr für bestimmte Schutzgüter darstellen. Für die aus der „Broken Windows“-Theorie folgende Annahme, dass Unordnung, also auch die Anwesenheit von Drogensüchtigen, Bettlern, Wohnungslosen und Trinkern im öffentlichen Raum, zu erhöhter Kriminalität führe, besteht hingegen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Die Anwesenheit an sich überschreitet insoweit nicht die Gefahrenschwelle.

h) Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird aa) Begriff der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird Soweit es spezialgesetzliche Regelungen zu Aufenthaltsverboten gibt, nennen diese als Eingriffsvoraussetzung nicht das Vorliegen einer Gefahr, sondern Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Person eine Straftat begehen wird560. Diese Normen sind der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten

___________ 558 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/411; Wynn in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 107/113. Dagegen Binninger/Dreher in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 16/37; Hess, KJ 1999, 32/52: Dagegen spreche, dass der Anteil der Jugendlichen an der New Yorker Gesamtbevölkerung bereits zwischen 1972 und 1990 stark gesunken sei, während in dieser Zeit die Mordraten noch stark gestiegen seien. 559 s. dazu oben B. VI. 2. d) bb). 560 § 16 Abs. 2 BbgPolG, § 29 Abs. 2 BerlASOG, § 14 Abs. 1 BremPolG; § 51 Abs. 1 MVSOG, § 17 Abs. 4 NdsSOG, § 21 Abs. 2 SächsPolG, § 18 Abs. 2 ThürPAG.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

zuzuordnen, die neben der Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei und Ordnungsbehörden ist561. Die Tatbestandsvoraussetzung des Vorliegens von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird, wird dahingehend ausgelegt, dass im Gegensatz zum Vorliegen einer Gefahr bereits das Vorliegen des Verdachts einer konkreten Gefahr, dass eine bestimmte Person an einem bestimmten Ort eine Straftat begehen werde, ausreiche562. Dieser ermächtige ausnahmsweise zu einer Gefahrenabwehrmaßnahme, dem Aufenthaltsverbot563. Der Verdacht einer Gefahr besteht bereits dann, wenn zwar vernünftige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Schaden an polizeilichen Schutzgütern eintreten wird, der Beamte sich dessen aber nicht sicher ist und daher nur von der Möglichkeit einer Gefahr ausgeht564. Insoweit kommt der Gefahrenverdacht der Voraussetzung der Tatsachen, die die Annahme einer Straftatbegehung rechtfertigen, gleich. Es muss nicht wie bei der Gefahr ein Sachverhalt bestehen, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Schadenseintritt führt, sondern es genügen Anhaltspunkte für einen solchen Geschehensablauf, ohne dass tatsächlich ein entsprechender Sachverhalt vorliegt. Rachor ist der Ansicht, dass der Tatbestand „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird“ sogar einen weitaus größeren Grad an Ungewissheit zuließe, als dies bereits im Rahmen des Gefahrenverdachts der Fall sei565. Die Formulierung „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“ bringe zum Ausdruck, dass bestimmte Tatsachen eine Indizwirkung für die Annahme der Straftatbegehung haben müssen, die sich aber nicht zur Gewissheit verdichten müsse. Es genüge, dass die Begehung von Straftaten nach den polizeilichen Erfahrungen aufgrund der Indizien als möglich erscheine566. Die Annahme der Begehung einer Straftat muss durch Tatsachen hervorgerufen werden. Der Beamte muss also aufgrund objektiver Erwägungen zum Schluss kommen, dass dies zumindest möglich ist. Daher kann zunächst nicht von einer größeren Unsicherheit als der beim Gefahrenverdacht ausgegangen werden, bei ___________ 561

Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 173, zur Kritik am Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten: Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 164 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 5 Rn. 4 ff.; zum Vorrang der Gefahrenabwehr als eigentliche Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden: Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 5 Rn. 11. 562 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 25; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 163. 563 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 60. 564 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 50; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 38. 565 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 172. 566 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 178.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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der der Beamte ebenfalls aufgrund vernünftiger Erwägungen die Gefahr für möglich hält. Richtig ist aber, dass für den Tatbestand Indizien genügen, die darauf hinweisen, dass eine Straftat begangen wird. Es genügen also Tatsachen, die zwar selbst nicht bei Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens zum Eintritt der Schädigung des Rechtsguts (in diesem Fall der Rechtsordnung) führen, aber Hinweise darauf geben, dass ein Sachverhalt vorliegt, der zu dieser Schädigung führt. Die Wahrscheinlichkeitsprognose kann also bei der Voraussetzung der Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen, auf Tatbestände gestützt werden, die selbst in keinerlei kausalem Zusammenhang zum Schadenseintritt stehen. Dahingegen muss für das Vorliegen der Gefahr ein Verhalten oder eine Sache mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei objektivem Ablauf des Geschehens zur Schädigung führen, demnach in einem, wenn auch nicht direkten, kausalen Zusammenhang zum Schaden stehen. Die Wahrscheinlichkeitsprognose kann nicht auf Hinweise auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts, sondern nur auf den Sachverhalt selbst gestützt werden. Insoweit ist das Tatbestandsmerkmal der Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen, durchaus als Vorverlegung der Eingriffschwelle in das Vorfeld der tatsächlich bestehenden Gefahr zu werten567. So genügt beispielsweise die Straffälligkeit in der Vergangenheit als Hinweis auf die künftige Begehung ähnlicher Straftaten. Sie erfüllt aber nicht die Voraussetzung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Allein weil eine Person in der Vergangenheit Straftaten begangen hat, besteht kein Verhalten der Person, das bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt in Form der wiederholten Begehung einer Straftat führen wird568. Der geforderte Wahrscheinlichkeitsgrad der künftigen Straftatbegehung wird auch bezüglich der zeitlichen Komponente geringer, als bei der Gefahrenprognose eingeschätzt569. Aus der Formulierung „eine Straftat begehen wird“ ergebe sich, dass der Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinsichtlich des Eintritts des künftigen Ereignisses niedriger sei, als dies für das Vorliegen einer Gefahr der ___________ 567

Vgl. dazu Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E 198, 200; Wächter, NdsVBl. 1996, 197; dem folgend Hetzer, JR 2000, 8. 568 Das wäre anders, wenn die Person an einem bestimmten Ort bereits mehrmals bei der Begehung von Delikten angetroffen wurde. Dann besteht in ihrer erneuten Anwesenheit an diesem Ort ein Sachverhalt, der bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Schädigung der Rechtsordnung führt. Deshalb ist in diesem Fall auch von der Verantwortlichkeit der Person auszugehen. s. dazu oben C. VI. 2. c). Zu den Unterschieden im Rahmen der Verursachung beim Tatbestandsmerkmal des Vorliegens von Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen, s. unten C. VI. 2. h) bb). 569 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 172; so auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 und ihm folgend Hetzer, JR 2000, 1/8.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Fall wäre570. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Bezüglich des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei Vorliegen einer Tatsachengrundlage ist auf den „Kern der allgemeinen polizeilichen Gefahrendefinition“ zurückzugreifen. Die Begehung einer Straftat muss hinreichend wahrscheinlich sein571. Dabei wird wie bei der Definition des Gefahrbegriffs keine zeitliche Begrenzung gegeben; eine besondere zeitliche Nähe ist erst bei Qualifikationstatbeständen der konkreten Gefahr vorausgesetzt572. Beim Tatbestandsmerkmal des Vorliegens von Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen, kommt es nur insoweit zu einem größeren zeitlichen Abstand zum prognostizierten Schadenseintritt, als die Einschreitschwelle wie erläutert in das Vorfeld der Gefahr verlegt wird. Der Tatbestand ist nur beim Vorliegen äußerer Tatsachen erfüllt573. Daher genügt der innere Wille, eine Straftat begehen zu wollen, nur, wenn dieser sich in der äußeren Geschehenswelt widerspiegelt. Solche Tatsachen können unter anderem bereits begangene Delikte sein, wenn zusätzlich weitere Indizien bestehen, dass der Täter den Ort gerade zum Zweck der Begehung einer Straftat betritt574. Das äußere Erscheinungsbild einer Person soll eine Tatsache mit hinreichender Indizwirkung darstellen, wenn es einen erkennbaren Bezug zur befürchteten Straftat zeigt beziehungsweise dadurch die soziale Zugehörigkeit zu einer potentiellen Gruppe von Straftätern deutlich wird575. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass auch bei Aufenthaltsverboten nach der Generalklausel nur ein Gefahrenverdacht vorliegen müsse. Dieser ermächtige dann aber ausnahmsweise nicht nur zu einem Gefahrerforschungseingriff, sondern zu einer Gefahrenabwehrmaßnahme576. Das wird damit begründet, dass in den Fällen, in denen die Straftat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begangen würde, das Aufenthaltsverbot nicht notwendig wäre, weil dann auch die Gewahrsamnahme genügen würde. Dem ist nicht zu folgen, weil Aufenthaltsverbote gegenüber der Ingewahrsamnahme langfristiger wirken. Gerade im Bereich der Drogenszene werden Aufenthaltverbote gegenüber Wiederho___________ 570

Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 181, 462. VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169. 572 Wie zum Beispiel unmittelbare und gegenwärtige Gefahr. Vgl. Denninger in: Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 42 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 19; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn. 78. 573 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 176. 574 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 462; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch öffentliche Ordnung, 196; vgl. auch VG Göttingen, NVwZ 1999, 169, s. dazu unten C. VI. 2. h) cc). 575 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 462 zum Beispiel für die Zugehörigkeit zu Fangruppen verschiedener Mannschaften bei aufgeladener Atmosphäre. 576 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 25. 571

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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lungstätern eingesetzt, um diese für einen langen Zeitraum vom entsprechenden Ort fernzuhalten577. Das würde durch eine Ingewahrsamnahme nicht gewährleistet. Außerdem wäre bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts nach der Generalklausel eine über den Gefahrerforschungseingriff hinausgehende Gefahrenabwehrmaßnahme nur zulässig, wenn die Gefahr anders nicht mehr abgewehrt werden könnte578. Dass die Begehung der Straftat aber nur durch ein langfristiges Aufenthaltsverbot abgewehrt werden könnte, ist nicht anzunehmen.

bb) Verantwortlichkeit Während die Notwendigkeit der Störereigenschaft bei Platzverweisen umstritten ist579, ergibt sie sich unzweifelhaft aus der Formulierung der Standardmaßnahmen zum Aufenthaltsverbot. Aufenthaltsverbote können nur gegen solche Personen ergehen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie eine Straftat begehen werden. Die Maßnahme kann daher nur gegenüber Störern ergehen580. Aus dieser Formulierung ergibt sich aber auch, dass entgegen der Theorie von der unmittelbaren Verursachung581 der Adressat der Maßnahme die Gefahrenschwelle noch nicht durch eine rechts- oder pflichtwidrige Handlung überschritten haben muss. Es genügt vielmehr, dass Tatsachen als Indiz dafür dienen, dass er diese in Zukunft überschreiten, also in Zukunft eine Straftat begehen wird.

cc) Die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird Die landesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für den Erlass von Aufenthaltsverboten setzen nicht lediglich das Vorliegen von Tatsachen voraus, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen. Die Annahme muss auch dahin gehen, dass diese Straftat an dem Ort oder in dem Gebiet, auf den ___________ 577

s. oben C. V. 1. Zum Gefahrenverdacht und der auf Gefahrerforschungseingriffe begrenzten Eingriffsbefugnis der Polizei: Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn.38; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 59 f.; zur Frage, ob die Generalklausel überhaupt zulässige Rechtsgrundlage für Aufenthaltsverbote sein kann s. unten C. VI. 3. a) bb). 579 s. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 15 f.; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 195. 580 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 26. 581 s. dazu oben C. VI. 2. c). 578

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

sich das Aufenthaltsverbot bezieht, begangen wird582. Das ist bezüglich der Prüfung, ob die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen dieses Tatbestandsmerkmal erfüllen, mit zu beachten.

(1) Im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene Dass das bloße äußere Erscheinungsbild einer Person als Indiz dafür genügen soll583, dass eine Person eine Straftat begehen wird, ist im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene als problematisch anzusehen. Allein der Umstand, dass eine Person verwahrlost oder nachlässig gekleidet ist, kann noch nicht die Annahme rechtfertigen, sie wolle Drogen erwerben, wenn sie einen bestimmten Ort betritt, der für den Drogenhandel bekannt ist584. Daher kann allein dadurch auch kein Aufenthaltsverbot gerechtfertigt werden. Soweit man für Aufenthaltsverbote einen Eingriff in Art. 11 GG bejaht585, gebietet außerdem der Kriminalvorbehalt aus Art. 11 Abs. 2 GG das Vorliegen einer großen Wahrscheinlichkeit der Straftatbegehung586, die nicht aus bloßen Äußerlichkeiten geschlossen werden kann. Da allein die innere Gesinnung noch keine ausreichende Tatsache darstellt587, genügt es nicht, wenn ein Drogensüchtiger oder auch Drogendealer einen für den Drogenhandel bekannten Ort betritt, ohne dass sich der Wille, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zu begehen, auch manifestiert. Zuvor ergangene Verurteilungen wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz können eine solche nach außen tretende Tatsache sein588. Das allein reicht jedoch nicht aus, wenn sich nicht aus weiteren Tatsachen ergibt, dass der Betroffene den Ort gerade betritt, um gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen und nicht zu anderen Zwecken589. Dafür, dass eine Person an einem Ort der offenen Drogenszene auch entsprechende Straftaten begehen wird, bestehen ausreichende Indizien, wenn die Person an diesem Ort bereits mehrmals bei solchen Delikten oder auch der Kontaktsuche zu Konsumenten angetroffen wur___________ 582 Vgl. § 16 Abs. 2 BbgPolG, § 29 Abs. 2 BerlASOG, § 14 Abs. 1 BremPolG; § 51 Abs. 1 MVSOG, § 17 Abs. 4 NdsSOG, § 21 Abs. 2 SächsPolG, § 18 Abs. 2 ThürPAG. 583 s. oben C. VI. 2. h) aa). 584 So auch Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 462. 585 s. dazu unten C. VI. 3. b) bb). 586 Strittig s. dazu unten C. VI. 3. b) dd). 587 s. oben C. VI. 2. h) aa). 588 VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169/170. 589 So ist wohl auch das VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169/170 zu verstehen, das jedoch auf die weiterhin vorliegenden Tatsachen nicht näher eingeht; VGH Mannheim NVwZ-RR 1997, 225 f.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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de590. Dementsprechend werden auch in der Praxis Aufenthaltsverbote gegen solche Personen erteilt, die bereits mehrmals am selben Ort wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen sind und bei einer Wiederholung der Verstöße angetroffen werden591.

(2) Betteln Bei bettelnden Personen ist es schwer vorstellbar, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten an einem bestimmten Ort begehen wird. Das Betteln selbst ist nicht mehr strafbar, und es kommt im Rahmen auch des aggressiven Bettelns nur in Ausnahmefällen zur Erfüllung von Straftatbeständen592. Außerdem müssten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Bettler solche Straftaten begehen wird. Er müsste also bereits mehrmals durch strafbare Handlungen aufgefallen sein und im Moment des Antreffens wieder dazu ansetzen.

(3) Verhalten von Wohnungslosen und Trinkern Ebenso stellen weder Wohnungslosigkeit noch der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit eine Straftat dar593. Auch wenn es zuträfe, dass von Wohnungslosen oder Trinkern häufiger Straftaten begangen werden würden594, genügt dies nicht, um im konkreten Fall die Annahme zu rechtfertigen, dass ein Wohnungsloser oder Trinker an einem bestimmten Ort eine Straftat begehen wird. Dazu wären vielmehr wiederum weitere Anhaltspunkte, wie die wiederholte Begehung von Delikten an einem Ort, notwendig.

___________ 590

OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454. Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995. 592 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (2). 593 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 594 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 591

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

3. Aufenthaltsverbot a) Rechtsgrundlage Das Aufenthaltsverbot ist mittlerweile in den meisten Ländergesetzen als Standardmaßnahme geregelt595. In diesen Ländern stellt sich also das Problem der zulässigen Rechtsgrundlage nicht mehr. Für die Länder, in denen eine solche Spezialregelung nicht vorliegt, ist nach der richtigen Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot zu fragen596.

aa) Abgrenzung zum Platzverweis (1) In zeitlicher Hinsicht Zunächst käme als Rechtsgrundlage der in allen Landespolizeigesetzen597 außer in Baden-Württemberg als Standardmaßnahme geregelte Platzverweis in Betracht. Die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen rechtfertigen aber nur kurzfristige Wegweisungen beziehungsweise Betretungsverbote, weil von „vorübergehenden“ Maßnahmen die Rede ist. Es ist ungeklärt, welcher Zeitraum noch als „vorübergehend“ gelten kann. Häufig wird lediglich zwischen dem Platzverweis als „kurzfristige“ im Gegensatz zum Aufenthaltsverbot als „langfristige“ Maßnahme unterschieden598. Zum Teil wird dann aber auch richtiger Weise darauf hingewiesen, dass Aufenthaltsverbote, soweit sie zur Abwendung von Gefahren auf Großveranstaltungen und Ähnlichem angewandt werden, auch nur über den Zeitraum der Veranstaltung, also einige Tage, andauern599. Andere befürworten eine konkretere zeitliche Einschränkung. Dabei wird ein ___________ 595 § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 34 Abs. 2 NWPolG; § 13 Abs. 3 RhPfPolG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 596 Die Frage der Anwendbarkeit der Generalklausel bleibt auch in Ländern mit Standardermächtigung bestehen, wenn diese nur für den Polizeivollzugsdienst, nicht aber für die Ordnungsbehörden gilt und vertreten wird, dass letztere weiterhin Aufenthaltsverbote aufgrund der Generalklausel erlassen können. (So für § 14 Abs. 1 NWOBG Dr. Gretzinger, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen). 597 Art. 16 BayPAG; § 29 Abs. 1 BerlASOG; § 16 Abs. 1 BbgPolG; § 14 Abs. 1 BremPolG; § 12 a HbgSOG; § 31 HessSOG; § 52 Abs. 1 MVSOG; § 17 Abs. 1 NdsSOG; § 34 NWPolG; § 13 RhPfPOG; § 12 SaarlPolG; § 21 Abs. 1 SächsPolG; § 36 Abs. 1 SachsAnhSOG; § 201 SchlHLVwG; § 18 Abs. 1 ThürPAG. 598 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, § 20 Rn. 213; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 442/448; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 1; Belz/Mussmann, PolGBW, § 3 Rn. 10a f.; Meixner, SOGSA, § 36 Rn. 6/12. 599 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 448.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Zeitraum von zwei Wochen600 bis zu wenigen601 oder maximal 24 Stunden602 als zulässig erachtet. Dabei ist die Annahme durch Latzel/ Lustina603, dass ein zweiwöchiger Platzverweis unproblematisch als „vorübergehende“ Maßnahme qualifiziert werden kann, nicht nachvollziehbar. Latzel/ Lustina begründen die Zwei-Wochen-Frist unter Bezugnahme auf die Regelungen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen in den jeweiligen Polizeigesetzen, wie zum Beispiel Ersatzzwangshaft und Unterbindungsgewahrsam. Warum daraus aber die grundsätzliche Möglichkeit zweiwöchiger Platzverweise hergeleitet werden soll, bleibt unklar604. Jedenfalls soweit in den Landesgesetzen Aufenthaltsverbote als langfristige Maßnahmen geregelt sind, dürfte es schwer vertretbar sein, ein zweiwöchiges Betretungsverbot als vorübergehend im Sinne der Regelungen zum Platzverweis zu verstehen. Bei den in der Praxis gegen Mitglieder der Drogenszene und andere soziale Randgruppen angewandten Aufenthaltsverboten handelt es sich um mehrmonatige Maßnahme, die selbst diesen Zwei-Wochen-Zeitraum deutlich überschreiten. Daher scheidet schon aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Platzverweis als Rechtsgrundlage für ein mehrmonatiges Aufenthaltsverbot aus605.

(2) In räumlicher Hinsicht Daneben könnte die Rechtsgrundlage für den Platzverweis auch aufgrund räumlicher Begrenzung ausscheiden. Die Regelungen über den Platzverweis rechtfertigen jeweils nur die Verweisung und das Betretungsverbot von „einem Ort“. Ob in dieser Formulierung tatsächlich eine räumliche Begrenzung für Platzverweise und somit ein weiteres Abgrenzungskriterium zu Aufenthaltsverboten gesehen werden kann, ist fraglich. In der Literatur wird vertreten, dass der Platzverweis typischerweise auf eng umgrenzte Orte beschränkt sei, wohingegen das Aufenthaltsverbot ganze Teile der Innenstadt oder sogar ein gan-

___________ 600

Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/135. Berner/Köhler, PAG, Art. 16 Rn. 1 602 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 132. 603 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/134. 604 Siehe dazu: Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 43; Berg/Knape/Kiworr, ASOG, S. 369. 605 Unstrittig, vgl.: Cremer, NVwZ 2001, 1218/1220; Götz, NVwZ 1998, 679/683; Kutscha, LKV 2000, 134/136; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, § 20 Rn. 213; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 1; Rachor in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 453; OVG Bremen, NVwZ 1220, 314/315. Zur Abgrenzung anhand der Konkurrenz von Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 11 Abs. 1 GG s. unten C. VI. 3. b) cc). 601

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

zes Gemeindegebiet umfassen könne606. Dabei wird aber teilweise auch ein Gemeindeteil als noch begrenzter Ort im Sinne der Vorschriften zum Platzverweis angesehen607. Jedoch solle ein Platzverweis nicht für ein gesamtes Gemeindegebiet möglich sein608. Für eine räumliche Abgrenzung zwischen Platzverweis und Aufenthaltsverbot könnten auch die entsprechenden Formulierungen in den Neuregelungen zum Aufenthaltsverbot sprechen. Diese nennen für das Aufenthaltsverbot, im Gegensatz zum „Ort“ in den Regelungen zum Platzverweis, „bestimmte Gebiete“609, einen „bestimmten örtlichen Bereich“, der als „Gemeindegebiet oder Gebietsteil“ definiert wird610 oder direkt „Gemeindegebiet oder -gebietsteil“611. Besonders deutlich wird die gesetzliche Differenzierung in räumlicher Hinsicht, wenn die Regelung zum Aufenthaltsverbot eindeutig neben dem bestimmten Ort auch das Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder ein gesamtes Gemeindegebiet nennt612. Aus dieser Formulierung lässt sich schließen, dass der Platzverweis nur bezüglich eines Ortes möglich sein soll, während sich das Aufenthaltsverbot auch auf ein Gemeindegebiet beziehungsweise -gebietsteile erstrecken kann.

___________ 606 Belz, PolGSa, § 21 Rn 2; Gusy, Polizeirecht, Rn. 254; Meixner, HSOG, § 31 Rn. 2; ders. SOGSA, § 36 Rn 2/12; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 448; auch: Belz/Mussmann, PolGBW, § 3 Rn. 10a/10b allerdings für Baden-Württemberg, hier werden beide Maßnahmen mangels Spezialregelung für den Platzverweis auf die Generalklausel gestützt, so dass die Abgrenzung nicht normativer Natur ist. 607 Meixner, HSOG, § 31 Rn. 2; ders. SOGSA, § 36 Rn 2/12; dagegen: Belz, PolGSa, § 21 Rn 2, der weder einen Stadtteil noch ein sonstiges größeres Gebiet als zulässig erachtet. 608 Meixner, HSOG, § 31 Rn. 2; ders. SOGSA, § 36 Rn 2/12: dabei ist aber zu beachten, dass Meixner als Beleg für die mögliche Ausdehnung des Platzverweises auf ein Gemeindegebietsteil eine Entscheidung des VGH München, NVwZ 2000, 454 zitiert, die sich mit einem Aufenthaltsverbot beschäftigt. Dieses wurde nicht auf die spezielle Rechtsgrundlage für den Platzverweis in Art. 16 BayPAG, sondern auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1,3 BayLStG gestützt. Gegen die Annahme, dass ein Platzverweis sich auf ein gesamtes Gemeindegebiet erstrecken könne, führt er wiederum die Entscheidung des OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454 an. Diese beschäftigt sich aber ebenfalls mit einem Aufenthaltsverbot, welches auf die spezielle Ermächtigungsgrundlage in § 17 Abs. 2 (nunmehr § 17 Abs. 4) NdsGefAbwG gestützt wurde. 609 § 29 Abs. 2 BerlASOG. 610 § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 13 Abs. 3 RhPfPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG; § 26 Abs. 2 SachsAnhSOG. 611 § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 16 Abs. 2 BbgPolG. 612 § 16 Abs. 2 BbgPolG; §13 Abs. 3 RhPfPolG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Andere sehen die örtliche Begrenzung nicht als normativ, sondern als rein tatsächlich an. So könne auch ein Platzverweis sich ausnahmsweise auf das gesamte Gebiet einer Gemeinde beziehen, solange er vorübergehend sei613. Für diese Ansicht spricht, dass es zum Beispiel bei einer Bombendrohung, die häufig als Beispiel für die Anwendbarkeit eines Platzverweises genannt wird614, durchaus denkbar wäre, dass der Platzverweis sich auf ein weiträumiges Gebiet der Innenstadt oder sogar ein gesamtes Gemeindegebiet erstrecken kann. Dieser ergeht dann aber im Gegensatz zum Aufenthaltsverbot nur für einen kurzen Zeitraum und kann deshalb auf die Grundlage des Platzverweises gestützt werden. Auch lässt sich aus der Formulierung „Ort“ allein nicht ableiten, dass nur ein sehr eng umgrenzter Bereich und nicht ein ganzes Stadtviertel gemeint sein kann. Diese begrenzte Bedeutung des „Ortes“ wird erst durch den Vergleich zu den Formulierungen in den Neuregelungen zum Aufenthaltsverbot verständlich. Hier wäre dann ein Platzverweis nicht mehr für einen größeren Bereich möglich, sondern nur ein Aufenthaltsverbot. Die Regelungen zum Aufenthaltsverbot setzen aber nicht die Abwehr einer Gefahr voraus, sondern Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Person eine Straftat begehen (oder dazu beitragen) würde. Als Folge wäre ein Platzverweis gegenüber Nichtstörern im Falle von Bombendrohungen und bei ähnlichen Gefahren nicht mehr möglich, sobald ein größeres Gebiet betroffen ist. Es ist zu bezweifeln, dass das Sinn der Gesetzgebung war. Demnach ist die unterschiedliche Formulierung bezüglich der räumlichen Abgrenzung zwischen Platzverweis und Aufenthaltsverbot nicht dahingehend auszulegen, dass Platzverweise nur noch auf eng begrenztem Raum stattfinden können.

bb) Generalklausel als Rechtsgrundlage für Aufenthaltsverbote In den Bundesländern, in denen das Aufenthaltsverbot noch nicht speziell geregelt ist, wird es auf die Generalklausel als Rechtsgrundlage gestützt. Das war auch in den anderen Bundesländern vor den Neuregelungen die Praxis615. Teilweise wird auch vertreten, dass die Ordnungsbehörden, für die die Standardermächtigungen zum Erlass von Aufenthaltsverboten meist nicht gelten, ___________ 613

Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 1. Ipsen, Niedersächsisches Gefahrenabwehrrecht, Rn. 360; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 1. 615 In Bremen und Hessen wurden bis dahin auf die Generalklausel gestützte Aufenthaltsverbote nicht mehr angewendet, nachdem die häufig dagegen eingelegten Rechtsmittel erfolgreich waren und sich die Aufenthaltsverbote daher in der Praxis als uneffektiv erwiesen haben. (Korrespondenz mit der Polizei Bremen – Pressestelle; einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport.) 614

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

diese weiterhin auf die Generalklausel stützen können616. Die Anwendbarkeit der Generalklausel als Rechtsgrundlage für mehrmonatige Aufenthaltsverbote stellt sich aber unter mehreren Gesichtspunkten als problematisch dar.

(1) Verdrängung durch die speziell geregelte Standardmaßnahme Platzverweis In allen Bundesländern, außer Baden-Württemberg, ist der Platzverweis als Wegweisung und vorübergehendes Betretungsverbot geregelt. Das Aufenthaltsverbot stellt eine Wegweisung mit längerfristigem Betretungsverbot dar. Aufgrund der Gesetzessystematik ließe sich annehmen, dass für Wegweisungsgebote und Betretungsverbote die Generalklausel als allgemeinere Norm prinzipiell durch die spezielleren Regelungen zum Platzverweis verdrängt wird. Die Landespolizeigesetze folgen alle der Systematik von General- und Standardbefugnis. Die Generalklausel ist nur einschlägig, wenn die Maßnahme in den jeweiligen Landespolizeigesetzen nicht besonders geregelt wurde617. Sind also Aufenthaltsbeschränkungen jeglicher Art speziell als Platzverweis geregelt618, wäre ein Rückgriff auf die Generalklausel nicht möglich. Die zeitliche Begrenzung der Befugnis zum Platzverweis wäre durch die längerfristigen Aufenthaltsverbote überschritten619, sodass diese rechtwidrig wären. Einige Vertreter der Literatur und überwiegend die Rechtsprechung sehen die Generalklausel als zulässige Ermächtigungsgrundlage für Aufenthaltsverbote auch neben der speziellen Regelung zum Platzverweis an620. Es handele sich bei Aufenthaltsverboten um eine qualitativ vom Platzverweis zu unterscheidende Maßnahme. Der Unterschied besteht nach Ansicht des OVG Bre___________ 616 So für § 14 Abs. 1 NWOBG ein Vertreter des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen. 617 Gusy, Polizeirecht, Rn.255; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 7 Rn. 11; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 701. 618 Soweit dieser speziell geregelt ist, also nicht in Baden-Württemberg. 619 s. oben F III 1 a) (1). 620 Deger, VBlBW 1996, 90/91; Friauf in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 131; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, § 20 Rn. 213; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/135; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/315; Götz, NVwZ 1998, 679/683; dagegen: VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6; VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400. Vgl. auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 241 f. mit der fragwürdigen Begründung, dass wegen der unterschiedlichen Grundrechtsrelevanz von Platzverweis und Aufenthaltsverbot durch letzteres keine „grundrechtsspezifischen Voraussetzungen“ des Platzverweises umgangen werden. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Eine Maßnahme, die an sich als Spezialbefugnis geregelt ist, kann nicht nur deshalb auf die Generalklausel gestützt werden, weil sie die einschränkenden Voraussetzungen der Spezialnorm überschreitet und deshalb einen weitergehenden Grundrechtseingriff darstellt.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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men in den Gefahrenlagen, aufgrund derer die beiden Maßnahmen angewandt werden. Die Platzverweisung erfasse nur Gefahrenlagen, die sich mit kurzfristigen Eingriffsmaßnahmen bewältigen ließen. Auf diese typischen Gefahrenlagen sei die Ermächtigungsgrundlage zugeschnitten. Insbesondere sei die Platzverweisung als polizeiliche Sofortmaßnahme auf den polizeilichen Alltagsbetrieb bezogen. Die Generalklausel regele hingegen komplexe und atypische, also nach Art und Ausmaß nicht bekannte Gefahrenlagen. Dabei könnten komplexere Gefahrenlagen oder bestimmte Formen der Kriminalität über den Platzverweis hinausgehende Beschränkungen verlangen. Eine solche neue atypische Gefahr sieht das OVG Bremen in der offenen Drogenszene621. Andere verneinen die Möglichkeit, Aufenthaltsverbote auf die Generalklausel stützen zu können, soweit eine Spezialbefugnis für den Platzverweis vorliegt622. Dies wird damit begründet, dass mit den Regelungen zum Platzverweis abschließende Regelungen für alle Betretungsverbote beziehungsweise Aufenthaltsbeschränkungen kurz- oder langfristiger Natur, vorlägen623. Der qualitative Unterschied ergäbe sich allein aus der unterschiedlichen Grundrechtsrelevanz624. Daneben aber unterschieden sich Platzverweis und Aufenthaltsverbot nur quantitativ hinsichtlich der Dauer und der Ausdehnung des Betretungsverbotes625. Sie hätten aber beide dasselbe Ziel, nämlich das Verbot, einen bestimmten Ort zu betreten.626 Für diese Auslegung spreche neben der Gesetzessystematik auch die Genese der Landespolizeigesetze, soweit sich diese bei der Formulierung der Regelungen zum Platzverweis am Musterentwurf zu einem einheitlichen Polizeigesetz orientiert haben. In diesem wurde der Platzverweis absichtlich als nur vorübergehende Maßnahme geregelt, um die angenommene ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Freizügigkeit gemäß ___________ 621

So auch: Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/135. VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400 f.; Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483/485; Cremer, NVwZ 2001, 1218/1220 f.; ders. NordÖR 2001, 324/329; Hecker, NVwZ 1999, 261/262; ders. NVwZ 2003, 1334; Lesting, KJ 1997, 214/221; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 453; Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 202 f.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 134; Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 152. 623 VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400 f.; Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Lesting, KJ 1997, 214/221; Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 203. 624 Hecker, NVwZ 1999, 261/262 625 Aus den oben unter VI. 3. a) aa) (1) genannten Gründen ist jedoch ein quantitative Unterschied nur in zeitlicher Hinsicht gegeben. 626 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 453. So auch der VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400/1401, der auf Tatbestandseite einen vergleichbaren Lebenssachverhalt, die Beschränkung des Aufenthalts für gegeben sieht. Nur auf der Rechtsfolgenseite sei die zeitliche Begrenzung des Platzverweises gegeben, so dass ein längeres Aufenthaltsverbot nicht mehr davon gedeckt sei. 622

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Art. 73 Nr. 3 GG nicht zu verletzen. Hierin könne ein bewusster Verzicht auf eine Regelung des Aufenthaltsverbotes gesehen werden627. Der Gesetzgeber kann nicht alle künftigen Gefahren und demzufolge auch nicht alle zukünftig erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr voraussehen. Daher kommt der Generalklausel eine entscheidende Auffangfunktion bezüglich solcher neuer atypischer Gefahrenlagen zu628. In der Literatur wird aber zum Teil dahingehend differenziert, dass immer dann, wenn eine zunächst atypische Maßnahme zu einer typischen wird, der Gesetzgeber in der Pflicht sei, diese als Standardmaßnahme zu regeln. Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn es sich um eine Maßnahme handele, die schwerwiegende Grundrechtseingriffe mit sich bringe629. Daher sei ein Rückgriff auf die Generalklausel zumindest nicht mehr möglich, wenn die Maßnahme nicht mehr atypisch sei630. Nach dieser Ansicht wird die Abgrenzung zwischen Generalklausel und Standardmaßnahem aufgrund der Atypik beziehungsweise Typik einer Maßnahme vorgenommen. Das Verhältnis zwischen Generalklausel und Spezialermächtigung wird hierbei unabhängig von der Eingriffsintensität behandelt. Die Generalklausel soll im Gegensatz zu den Standardmaßnahmen eingreifen, wenn es um die Abwehr von atypischen Gefahren mit atypischen Maßnahmen geht. Solche Situationen könne der Gesetzgeber nicht vorhersehen und daher auch nicht vorher regeln. Es ergeben sich aber immer wieder unbekannte Gefahrsituationen, auf die mit neuen Maßnahmen reagiert werden müsse. Eine effiziente Gefahrenabwehr sei also nur gewährleistet, wenn man in solchen Situationen auf die Generalklausel zurückgreifen könne631. Bei der Abgrenzung nach Atypik beziehungsweise Typik ist aber zu beachten, dass es nur auf die Maßnahme632 ankommen kann. Die Generalklausel hat also Auffangfunktion, wenn in einer neuen Gefahrensituation eine neue oder nicht speziell geregelte Maßnahme zur effektiven Gefahrenabwehr nötig wird. Ist die Maßnahme aber bereits als Standardmaßnahme geregelt, also der An___________ 627 Vgl. Hecker, NVwZ 1999, 261/262; ders. NVwZ 2003, 1334/1335; so auch Cremer, NVwZ 2001, 1218/1220. 628 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn 18; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 700. 629 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn 19. 630 Kutscha, LKV 2000, 134/136 631 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 18; Schoch, Jus 1994, 479/485; vgl. Friauf in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 131; Schmidbauer, PAG, Art 11 Rn. 3. 632 In diesem Sinne nunmehr auch VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400/1401. Dieser ist jedoch nicht ganz konsequent. Zwar sei entscheidend, ob auf Tatbestandseite ein vergleichbarer Lebenssachverhalt (das Verbot des Aufenthalts an einem bestimmten Ort) geregelt sei. Dies sei jedoch dafür ausschlaggebend, ob unterschiedliche Gefahrenlagen vorlägen.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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wendungsbereich der spezielleren Norm eröffnet, so ist ein Rückgriff auf die Generalklausel eine Umgehung der Voraussetzungen der spezielleren Norm und ein Verstoß gegen die Systematik der Polizeigesetze, die der Generalermächtigung die Spezialermächtigungen gegenüberstellt. Dass mit einem Aufenthaltsverbot neue atypische Gefahren bekämpft werden, kann daher nicht dazu führen, dass dieses nicht den Voraussetzungen der Regelungen zum Platzverweis folgen müsste, sondern auf die Generalklausel gestützt werden könnte. Auch andere Standardmaßnahmen werden zur Abwehr qualitativ unterschiedlicher Gefahren angewandt, ohne dass sich daraus ergäbe, dass sie auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu stützen wären. Dass es auf die Qualität der Maßnahme ankommt, ergibt sich auch daraus, dass als Tatbestandsvoraussetzung für den Platzverweis nur die „Gefahr“ genannt wird633. Es wird eben gerade nicht eine bestimmte Gefahr genannt, weil die Maßnahme zur Abwehr verschiedener Gefahren geregelt wurde. So unterliegt der Platzverweis anlässlich einer Bombendrohung denselben Voraussetzungen wie der Platzverweis gegenüber Mitgliedern der offenen Drogenszene. Es kommt also darauf an, ob sich die Maßnahmen Platzverweis und Aufenthaltsverbot, unabhängig von den zu bekämpfenden Gefahren, qualitativ voneinander unterscheiden. Es ist aber entgegen der Ansicht des OVG Bremen unerheblich, ob es sich bei der bekämpften Gefahrenlage um eine atypische handelt. Sowohl Platzverweis als auch Aufenthaltsverbot zielen auf ein Betretungsverbot gegenüber Personen für bestimmte Orte ab. Sie unterscheiden sich lediglich in der zeitlichen Ausdehnung des Verbotes. Es handelt sich also nicht um qualitativ unterschiedliche Maßnahmen. Der Gesetzgeber hat die Maßnahme eines Betretungsverbotes geregelt. Dabei hat er diese auf einen kurzfristigen Zeitraum beschränkt. Das Aufenthaltsverbot stellt wegen seiner lediglich zeitlichen Überschreitung dieser Regelung noch keine unterschiedliche Maßnahme dar, die auf die Generalklausel gestützt werden könnte. Auch wenn man dem nicht folgen würde, sondern die atypische Gefahrenlage als entscheidendes Kriterium ansähe, ist nicht anzunehmen, dass Erscheinungen, wie die offene Drogenszene, gegen die die Aufenthaltsverbote zum großen Teil eingesetzt werden, noch eine atypische Gefahrenlage darstellen634. Die Probleme mit Drogenszenen sind seit den achtziger Jahren635 in verschie___________ 633

So auch Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 205. Vgl. auch VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400/1401: „Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem Gesetzgeber die Lebenssachverhalte, die auf der Tatbestandsseite durch die Platzverweisung zu erfassen wären, wie insbesondere die Notwendigkeit von Aufenthaltsbeschränkungen zur Bekämpfung des Drogenhandels u. ä., nicht bekannt gewesen wären und deshalb im Hinblick auf die Regelung dieses Lebensverhaltes eine Gesetzeslücke bestände, die durch Maßnahmen aufgrund der polizeilichen Generalklausel nach § 11 HSOG geschlossen werden müsste.“ 635 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/135. 634

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

denen deutschen Städten existent. Daher können sie kaum mehr als atypische Gefahr bezeichnet werden. Außerdem werden Aufenthaltsverbote nicht nur gegen Mitglieder der offenen Drogenszene, sondern auch gegen Wohnungslose, Trinker und Punker eingesetzt636. Auch die von diesen Personen ausgehenden Gefahren, wenn solche denn tatsächlich vorliegen, sind für die polizeiliche Praxis nicht mehr atypisch.

(2) Kein Rückgriff auf die Generalklausel wegen der Eingriffsintensität Außerdem wird der Rückgriff auf die Generalklausel aufgrund des schwerwiegenden Grundrechtseingriffes bei mehrmonatigen Aufenthaltsverboten abgelehnt637. Das wird mit dem verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz begründet638. Die Eingriffsintensität von Aufenthaltsverboten gebiete, dass die Voraussetzungen und Grenzen für Aufenthaltsverbote vom Gesetzgeber speziell geregelt werden. Es wäre widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber zwar die Voraussetzungen für einen Platzerweis speziell geregelt hätte, nicht aber die für das weiterreichende Aufenthaltsverbot639. Daher wäre die Generalklausel nur taugliche Rechtsgrundlage für Aufenthaltsverbote, wenn sie bezüglich ihrer Voraussetzungen enger als die Vorschriften zum Platzverweis ausgelegt würde. An entsprechenden ausdrücklichen Begrenzungen fehle es aber in der Generalklausel. Auch wenn man nicht davon ausgeht, dass der Rückgriff auf die Generalklausel durch die speziellen Regelungen zum Platzverweis ausgeschlossen ist, wird aufgrund der starken Grundrechtsbeeinträchtigung bei Aufenthaltsverboten die Notwendigkeit einer speziellen gesetzlichen Regelung angenommen640.

___________ 636

s. oben C. V. 1. Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483/485; Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 454. 638 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 454; Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 152; so auch die Entscheidung des VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6. 639 Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483/485; Lesting, KJ 1997, 214/221; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 454; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 134; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 245; dem folgend VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400/1401. 640 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1221 f. (nur bei Aufenthaltsverboten gegenüber Drogenabhängigen); Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 454; vgl. auch VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6, diese Entscheidung wurde vom OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 aufgehoben. 637

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Diese Argumentation leitet die Grenzen eines Rückgriffes auf die Generalklausel aus der Eingriffintensität (nicht aus der Atypik) der Maßnahme her. Danach soll die Generalklausel nicht als Rechtsgrundlage für solche Maßnahmen einschlägig sein, die zwar nicht ausdrücklich normiert, ihrer Art nach aber durch eine Spezialnorm abschließend geregelt sind und die gleiche oder höhere Eingriffsintensität als die vergleichbare Standardmaßnahme innehaben641. Begründet wird diese Einschränkung mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes beziehungsweise der Wesentlichkeitstheorie; die besagen, dass die Regelungsdichte einer Norm je höher sein müsse desto stärker der Eingriff in Rechte des Betroffenen sei. Daraus ergebe sich, dass dann, wenn der Gesetzgeber bestimmte Maßnahmen speziell geregelt habe, eine Erweiterung dieser Kompetenzen durch Rückgriff der Verwaltung auf die Generalklausel unzulässig sei642. Wie oben gezeigt, sind Betretungsverbote durch die Regelungen zum Platzverweis in den meisten Bundesländern abschließend geregelt643. In welche Grundrechte durch Aufenthaltsverbote im Einzelnen eingegriffen wird, ist im Folgenden zu klären. In jedem Fall handelt es sich aber schon aufgrund des längeren Zeitraumes um grundrechtsintensivere oder zumindest genauso grundrechtsintensive Maßnahmen wie den Platzverweis. Daher ist nach dieser Ansicht ein Rückgriff auf die Generalklausel ausgeschlossen. Daneben wird aus der Wesentlichkeitstheorie hergeleitet, dass ein so massiver Grundrechtseingriff wie ein Aufenthaltsverbot grundsätzlich durch den Gesetzgeber geregelt werden muss. Unabhängig vom Vorliegen einer speziellen Regelung wird die Generalklausel nicht als im Sinne der Wesentlichkeitstheorie ausreichende Regelung für Aufenthaltsverbote gesehen644. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie ist unter anderem eine inhaltliche Ausformung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes645. Hiernach ist der Gesetzgeber aufgrund des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Rege___________ 641 Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483/485; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 703. 642 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 703. 643 s. oben C. VI. 3. a) bb) (1). 644 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1221 f. (nur bei Aufenthaltsverboten gegenüber Drogenabhängigen); Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 454; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 244; vgl. auch VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6, diese Entscheidung wurde vom OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 aufgehoben. 645 Dazu: BVerfGE 49, 89/126 f. Auf den Unterschied zwischen Parlaments- und Gesetzesvorbehalt kommt es hier nicht an. Deshalb wird diese Differenzierung nicht dargestellt.

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lungen im Wesentlichen selbst zu treffen und sie nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen646. Dabei bestimmt das Bundesverfassungsgericht, dass im grundrechtsrelevanten Bereich unabhängig vom Eingriff in der Regel das wesentlich ist, was „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte ist“647. In welche Grundrechte durch Aufenthaltsverbote eingegriffen wird, ist umstritten. Insbesondere, wenn ein Eingriff in Art. 11 GG bejaht wird, ergeben sich auch noch zusätzliche Anforderungen an eine taugliche Ermächtigungsgrundlage aus dem Gesetzesvorbehalt in Art. 11 Abs. 2 GG. In jedem Fall handelt es sich beim Aufenthaltsverbot um eine so grundrechtsintensive Maßnahme, dass sie nach der Wesentlichkeitstheorie durch den Gesetzgeber zu regeln ist648.

b) Betroffene Grundrechte aa) Artikel 2 Absatz 2 GG In Literatur und Rechtsprechung wird die Grundrechtsrelevanz von Aufenthaltsverboten sehr ausführlich in Bezug auf einen möglichen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG diskutiert649. Daneben findet die Auseinandersetzung mit dem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 (104) GG oft nicht oder nur wenig differenziert statt650.

___________ 646 BverfGE 83, 130/142. So auch: BVerfGE 49, 89/127; 47, 46/ 78ff; konkret zu Aufenthaltsverboten gegenüber der Drogenszene: vgl. auch VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6, diese Entscheidung wurde vom OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 aufgehoben. 647 BVerfGE 98, 218/251; BVerfGE 83, 130/142; BVerfGE 47, 46/79. 648 Eine an Art. 11 Abs. 2 ausgerichtete verfassungskonforme Auslegung genügt diesen Anforderungen nicht. So auch VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6. 649 s. dazu unten C. VI. 3. b) bb). 650 Lediglich das VG München und nachfolgend der VGH München mussten sich aufgrund landespezifischer Besonderheiten näher mit dieser Problematik auseinandersetzen. In diesen Entscheidungen ging es um ein Aufenthaltsverbot, das von der Stadt München als Sicherheitsbehörde aufgrund des Auffangtatbestandes des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 3 BayLStVG erlassen wurde. Gemäß Art. 7 Abs. 4 BayLStVG darf die Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht durch Maßnahmen, die aufgrund von Art. 7 Abs. 2 BayLStVG ergehen, eingeschränkt werden. Das VG München bejahte einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, wohingegen der VGH München dies für Aufenthaltsverbote ablehnte. (VG München v. 12.10.1998, M 17 S 98.1236, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 2f, durch VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben; nachfolgend aber ebenso VG München v. 9.11.1998, M 17 S 98.3362, unveröffentlichte Entscheidung, Juris, Seite 2 f.)

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Teilweise wird für Aufenthaltsverbote ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ohne nähere Begründung bejaht651. Nach ganz überwiegender Auffassung umfasst die Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ausschließlich die körperliche Bewegungsfreiheit, also das Recht, jeden Ort aufzusuchen oder zu verlassen652. Dabei wird der Begriff des Ortes teilweise insoweit begrenzt, als er tatsächlich und rechtlich zugänglich sein müsse.653. Umstritten ist, wann ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG vorliegt654. Nach einer stark vertretenen Ansicht ist Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eng auszulegen. Das Ge- oder Verbot, einen bestimmten Ort zu verlassen beziehungsweise zu betreten, soll danach nur dann in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG fallen, wenn es von unmittelbarem oder faktischen Zwang begleitet wird655. Diese Einschränkung wird insbesondere in Bezug auf eine Überschneidung der Schutzbereiche von Art. 11 Abs. 1 GG und 2 Abs. 2 S. 2 GG vorgenommen. Ein Ortswechsel, der unter Art. 11 Abs. 1 GG falle, soll nur dann durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützt sein, wenn er mit zwanghaften Maßnahmen erwirkt wird656. Nach dieser Ansicht würden Aufenthaltsverbote nicht von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erfasst sein, weil sie lediglich das Gebot, einen Ort zu verlassen, und Betretungsverbote enthalten, jedoch nicht mit

___________ 651

Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131; Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483/484. Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 73 f.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 49f; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 413; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art 2 II Rn. 60; Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 II Rn. 180. 653 BVerfGE 94, 166/198; VGH München, NVwZ 2000, 454/455; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art 2 II Rn. 60; a.A. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 413. 654 Es wird nicht ganz deutlich, ob es in der Diskussion um eine Begrenzung des Schutzbereiches oder des Eingriffsbegriffs geht. Teilweise wird bereits in der Beschränkung des Schutzbereiches auf die körperliche Bewegungsfreiheit eine Einschränkung des Schutzes auf nur körperliche beziehungsweise zwanghafte Eingriffe gesehen. Im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 1 GG schütze Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht vor jedem staatlichen Zwang, sondern nur vor physischer Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Vgl. VGH München, NVwZ 2000, 454/455 f.; Kappeler, BayVBl. 2001, 336/338 Fn. 13; ähnlich Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 60. 655 Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 II Rn. 74/76; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 65; Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 128 ff.; bezüglich des Gebotes, einen bestimmten Ort zu betreten, wird weiterhin danach differenziert, ob der Zeitpunkt des Betretens im Entscheidungsspielraum des Betroffenen liegt oder nicht. Darauf kommt es für Aufenthaltsverbote, die nur das Gebot zum Verlassen und Verbot des Betretens enthalten, jedoch nicht an. (Vgl. dazu: Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 II Rn. 76; SchulzeFielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 65; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 415). 656 Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 II Rn. 74. 652

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unmittelbarem physischem Zwang verbunden sind657. Begründet wird diese enge Auslegung des Schutzbereiches mit dessen historischer Herkunft, dem Gedanken des „habeas corpus“658. Auch aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 104 GG, der wie Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Freiheit der Person schützt, diesen aber bezüglich des Gesetzesvorbehaltes konkretisiert, soll sich die einschränkende Auslegung ergeben, weil in diesem von „festgehaltenen Personen“, „Ergreifen“ und „Gewahrsam“, „Festgenommenem“ und „Festnahme“ sowie „Freilassung“ die Rede sei659. Dieses Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG regelt allein, ebenso wie Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, allgemein Freiheitsbeschränkungen und enthält entsprechend nur das Wort „beschränken“. Art. 104 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3, 4 regeln Freiheitsentziehungen als Spezialfall zur Freiheitsbeschränkung, was den einschränkenden Wortlaut erklärt. Teilweise wird zusätzlich vertreten, dass nur die Einengung der körperlichen Bewegungsfreiheit auf beschränkte Räume umfasst sei. Demnach soll nur dass Festhalten an einem Ort, nicht aber das Verbot, einen Ort zu betreten, erfasst sein660. Diese Ansicht würde jedoch dazu führen, dass nur Freiheitsentziehungen im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG als Freiheitsbeschränkungen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 104 Abs. 1 GG erfasst wären, sodass die Unterscheidung zwischen Art. 104 Abs. 1 GG und 104 Abs. 2 GG ihren Sinn verlöre. Nach der weiteren Ansicht ist ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gegeben, wenn der Betroffene gehindert wird, einen beliebigen Aufenthaltsort zu wählen, ihm also verwehrt wird, einen Ort aufzusuchen, oder er an einem Ort festgehalten wird, unabhängig von hinzukommendem Zwang661. Nach dieser Ansicht wäre ein Aufenthaltsverbot als ein Eingriff in den Schutzbereich des ___________ 657 VGH München, NVwZ 2000, 454/455; Kappeler, BayVBl. 2001, 336/338; Schreier, Drogenszene, Bettelei und Stadtstreichertum im deutschen Rechtsstaat aus präventiver Sicht, 155. 658 Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art 2 II Rn. 60; Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 II 2 Rn. 180. 659 Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art 2 II Rn. 60; Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 II 2 Rn. 180; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 46. 660 VGH München, NVwZ 2000, 454/455; Kappeler, BayVBl. 2001, 236/238; dies. Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 146; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 45; Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 II Rn. 180; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 60: Mit der Schlussfolgerung, dass zwar das Recht jeden Ort aufzusuchen oder zu verlassen, nicht aber der Zwang, sich in bestimmten Räumen nicht aufzuhalten, umfasst sei. Wenn jedoch das Recht einen Ort aufzusuchen geschützt ist, ist es nicht verständlich, warum dann das Verbot sich dort aufzuhalten nicht umfasst sein soll. 661 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 II Rn. 49 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 414.

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Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu bewerten, weil es dem Betroffenen verbietet, bestimmte allgemein zugängliche Gebiete zu betreten662. Kappeler sieht auch nach dieser weiten Auslegung keinen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gegeben, wenn es dem Betroffenen möglich ist, den entsprechenden Ort zum Zwecke erlaubter Handlungen aufzusuchen, und lediglich der Aufenthalt zu unerwünschten Zwecken untersagt ist663. Das kann aber allenfalls für den besonderen Fall des „beschränkten Aufenthaltsverbotes“ angenommen werden664. Dabei wird dem Betroffenen der Aufenthalt, nicht aber das Betreten und Durchqueren für die Verrichtungen des täglichen Lebens verboten. Die Ausnahmen werden direkt in der Verfügung genannt, sodass ein Betreten für die Verrichtungen des täglichen Lebens ohne Weiteres möglich ist665. Üblicherweise gehen die Ausnahmen im Rahmen von Aufenthaltsverbotsverfügungen jedoch nicht so weit. Außerdem müssen die Betroffenen in der Praxis die Gewährung der Ausnahme zunächst beantragen, die Fortbewegungsfreiheit ist also nur unter Vorbehalt einer behördlichen Entscheidung gewährt666. Die weite Auslegung wird damit begründet, dass eventuell hinzukommender unmittelbarer Zwang oder seine Androhung den Ge- beziehungsweise Verboten keine besondere Qualität gäben. Aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols seien alle staatlichen Ge- beziehungsweise Verbote durch die Androhung von Zwang belegt667. Dem ist zuzustimmen. Auch Aufenthaltsverbotsverfügungen ergehen zwar zunächst ohne unmittelbaren Zwang, sie können jedoch entsprechend der jeweiligen landesgesetzlichen Regelung durch Gewahrsam oder nach Vollstreckungsrecht durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden. Daher ist der weiten Auslegung zu folgen und Aufenthaltsverbote als Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG zu werten.

bb) Artikel 11 Absatz 1 GG Ob das Aufenthaltsverbot einen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG darstellt, ist umstritten. Bezüglich der Auslegung des Schutzbereiches des Art. 11 Abs. 1 GG bestehen noch viele Unklarheiten und ___________ 662

So auch: VG München v. 12.10.1998, M 17 S 98.1236, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 2f, durch VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben; nachfolgend aber ebenso VG München v. 9.11.1998, M 17 S 98.3362, unveröffentlichte Entscheidung, Juris, Seite 2 f. 663 Kappeler, BayVBl. 2001, 336/337. 664 Um ein solches beschränktes Aufenthaltsverbot ging es im Fall vor dem VGH München, NVwZ 2000, 454, auf den sich Kappeler bezieht. 665 Das ist die Praxis in München, s. oben C. V. 1. 666 s. oben C. V. 1. 667 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 414.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Widersprüche668. Es wurden verschiedene Kriterien zur Eingrenzung des Schutzbereiches auch im Hinblick auf die Abgrenzung von der durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützten Fortbewegungsfreiheit entwickelt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Freizügigkeit, als das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Wohnsitz und Aufenthalt zu nehmen, definiert669. Davon wird die interkommunale, also der Wechsel von einem Ort zum anderen, aber auch die innerkommunale Freizügigkeit, also der Aufenthalt und Ortswechsel innerhalb einer Gemeinde, umfasst670. Außerdem ist auch die negative Freizügigkeit geschützt. Daraus ergibt sich unter anderem das Recht am bisherigen Ort zu verbleiben, ein „Recht auf Heimat“671. Das Recht auf Freizügigkeit umfasst demnach sowohl das Verbleiben an einem Ort als auch den Ortswechsel. Umstritten ist im Rahmen der innerkommunalen Freizügigkeit insbesondere, was genau die Freiheit des Aufenthaltes bedeutet; welcher Qualität also ein Verweilen an einem Ort sein muss, um als Aufenthalt in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG zu fallen. Alberts stellt zum Schutz des statischen Elements der Freizügigkeit, des Verweilens, zutreffend fest, dass der Sinn des Schutzes der Freizügigkeit heute nicht mehr in der Verteilung Deutscher auf das gesamte Bundesgebiet, sondern im Schutz vor gesellschaftlicher Ausgrenzung zu sehen ist672. Gerade die neuere Entwicklung zu Aufenthaltsverboten macht deutlich, dass Mitgliedern bestimmter gesellschaftlicher Gruppen die Ausgrenzung droht, wenn sie nicht frei wählen können, wo sie verweilen möchten. Im Rahmen der Diskussion zu den Anforderungen an den Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG werden verschiedene Kriterien genannt, die ein Verweilen zu einem Aufenthalt im Sinne von Art. 11 Abs. 1 GG qualifizieren673. Teilweise wird auf die Dauer des Aufenthaltes abgestellt. Einige verlangen zumindest eine Übernachtung674. Andere gehen davon aus, dass bereits ein kurzzeitiges Verweilen von gewisser Dauer einen durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützten Aufenthalt darstellt675. Was genau eine gewisse Dauer dabei bedeu___________ 668

Siehe dazu mit weiteren Nachweisen: Alberts, NVwZ 1997, 45/46. BVerfGE 2, 226/ 273; 43, 203/211. 670 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 11 Rn. 26; Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 25, 27; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art 11, Rn. 12; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/315. 671 Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 28; Randelzhofer, BK, GG, Art 11 Rn. 4. 672 Alberts, NVwZ 1997, 45/46. 673 Demgegenüber ablehnend und für eine weite Auslegung des Art. 11 Abs. 1 GG, so dass jeder Ortswechsel, die Reisefreiheit ebenso wie die allgemeine räumliche Bewegungsfreiheit erfasst sei: Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 13. 674 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rn. 2; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts. Art. 11 des Grundgesetzes, 52. 675 Rittstieg, AK, GG, Art. 11 Rn. 32; Randelzhofer, BK, GG, Art. 11 Rn. 28. 669

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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tet, ist wiederum nicht geklärt. Teilweise werden schon wenige Minuten als ausreichend angesehen, andere verlangen einen „mehr als flüchtigen“ Zeitraum676. Wiederum andere lehnen das Element der Dauer als willkürlich ab677. Zum Teil wird nach der objektiven Bedeutung des Verweilens für den Einzelnen gefragt678, weil der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG nur im Zusammenhang mit der Würde und persönlichen Entfaltung des Menschen gesehen werden könne. Der Mensch sei kein isoliertes Individuum, sondern in die Gemeinschaft eingebunden. In diesem Sinne sei auch der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG zu sehen. Es gehe heute nicht mehr darum, dass ein Landesoder Gutsherr den Ortswechsel verhindere. Vielmehr komme es darauf an, dass jeder selbst über seine persönliche Entfaltung bestimmen könne. Dazu gehöre auch die Entscheidung über das Milieu, in dem jemand leben wolle679. Teilweise wird für eine ausreichende Bedeutung des Verweilens verlangt, dass die betroffene Person ihren maßgeblichen „Lebenskreis“ im jeweiligen Gemeindeoder Stadtbereich hat680. Das Grundrecht auf Freizügigkeit sei nur dann einschlägig, wenn jemand seinen „Lebenskreis“ verlasse. Die Fortbewegung innerhalb des „Lebenskreises“ sei hingegen allein durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützt681. Dabei ist zu beachten, dass für Mitglieder der Drogenszene zum Teil grundsätzlich eine ausreichende Bedeutung des Aufenthaltes im öffentlichen Raum und damit die Einschlägigkeit des Art. 11 GG verneint wird. Mitglieder der offenen Drogenszene richteten gerade nicht ihren Lebensmittelpunkt am betroffenen Ort ein, sondern handelten dort nur mit Drogen beziehungsweise konsumierten diese. Ansonsten hielten sich die betroffenen Personen nicht an diesen Orten auf682. Götz meint sogar, dass für Mitglieder der offenen Drogenszene der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG an sich nicht eröffnet sei, weil es „schwerlich naheliegend und zutreffend […sei], dass die Inbesitznahme der Straße für die offene Drogenszene vom Schutzbereich des Freizügigkeitsgrundrechts erfasst sei“683. Andere wiederum sehen in der Beschränkung auf den „Lebenskreis“ beziehungsweise Lebensmittelpunkt eine zu starke Begrenzung des Schutzbereiches. Dadurch unterfielen gerade solche ___________ 676

Rittstieg, AK, GG, Art. 11 Rn. 32. Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 13. 678 Alberts, NVwZ 1997, 45/47; dem folgend: Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Öffentliche Ordnung, 150f Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 48; Pieroth, JuS 1985, 81/83; Randelzhofer, BK, GG, Art. 11 I GG, Rn. 28. 679 Alberts, NVwZ 1997, 45/47. 680 Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 48; Randelzhofer, BK, GG, Art. 11 I GG, Rn. 28. 681 Randelzhofer, BK, GG, Art. 11 Rn. 28; s. dazu sogleich unter C. VI. 3. b) cc). 682 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/132. 683 Götz, NVwZ 1998, 679/683. 677

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Personen nicht dem Schutzbereich des Art. 11 GG, die keinen räumlichen Lebensmittelpunkt haben684, also insbesondere Nichtsesshafte. Dabei wird betont, dass auch ein nur kurzer Kontakt für den Einzelnen von so erheblicher Bedeutung sein könne, dass er von Art. 11 Abs. 1 GG umfasst würde685. Die Beschränkung auf den Aufenthalt am Lebensmittelpunkt beachte nicht, dass auch alltägliche kleine Entscheidungen, wie zum Beispiel die Beichte oder Therapiestunde, identitätsstiftend und damit durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützt seien686. Als drittes Kriterium für die Qualifizierung des Aufenthaltes im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG wird der subjektive Zweck des Aufenthaltes herangezogen. Dazu wurde in der Vergangenheit von Dürig vertreten, dass Art. 11 Abs. 1 GG kein Grundrecht der „Landstreicher, Stromer und Vaganten“ sei687. Auch das Bundesverwaltungsgericht folgte dieser Ansicht, wenn es feststellte, „dass es sich bei dem Recht des freien Zuges um ein ‚finales Grundrecht‘ handelt, dessen immanenter Zweck nicht das Umherziehen als solches, sondern das Bestreben ist, zu einem neuen dauernden Lebensmittelpunkt zu gelangen. Einem Landstreicher könnte daher unter Umständen die Berufung auf Art. 11 GG verwehrt sein“688. Zu dieser Interpretation kam es unter anderem auch aufgrund des Straftatbestandes des § 361 Nr. 3 StGB, der es unter Strafe stellte, als „Landstreicher umherzuziehen“. Die Norm wurde erst 1974 im Rahmen der Strafrechtsreform gestrichen689. Später hat Dürig seine Auffassung dahingehend korrigiert, dass zwar ein grundsätzlicher Ausschluss aus dem Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG nicht vertretbar sei. Jedoch entfalle der Schutz für den genannten Personenkreis in der Regel im Ergebnis weiterhin aufgrund der „staatlichen Gegenrechte“ und des Kriminalvorbehalts in Art. 11 Abs. 2 GG690. Die heute überwiegende Ansicht fasst auch das Vagabundieren unter Schutz des Art. 11 Abs. 1 GG691. Auf den subjektiven Zweck des Ortswechsels komme es nicht an, auch wenn dieser „unvernünftig oder sozial schädlich“ sei. So___________ 684

Alberts, NVwZ 1997, 45/47; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 13; gänzlich ablehnend: Pernice in: Dreier, GG, Art 11 Rn. 13. 685 Alberts, NVwZ 1997, 45/47; so auch: Pieroth, JuS 1985, 81/83. 686 Alberts, NVwZ 1997, 45/47. 687 s. dazu: Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 38 zu der in einer früheren Auflage vertretenen Ansicht; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 44 ff. 688 BVerwGE 3, 308/312. 689 Art. 326 III EGStGB (BGBl. I 1974, 648). 690 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 38. 691 Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 29; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 46; Hetzer, Kriminalistik 1998, 133/134; Pieroth, JuS 1985, 81/83; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 14; Rittstieg, AK, GG, Art. 11 Rn. 34; ablehnend gegenüber dem Kriterium des subjektiven Zwecks schlechthin: Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 27; Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 13.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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weit durch den Zweck des Ortswechsels wesentliche Belange der Allgemeinheit verletzt würden, könne allenfalls eine Einschränkung aufgrund des Gesetzesvorbehaltes in Art. 11 Abs. 2 GG in Betracht kommen692. Es wird dem Schutz des Art. 11 GG vielmehr eine besondere Bedeutung im Hinblick auf Personengruppen wie Nichtsesshafte zugeschrieben693. Eine vermittelnde Ansicht spricht sich für eine kombinierte Betrachtung der drei genannten Kriterien Dauer, Bedeutung und Zweck aus694. Diese sollen als Indizien dafür gelten, ob der Fortbewegungsvorgang solche Bedeutung aufweist, dass auch unter „dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsrelevanz“ der besondere Schutzgehalt des Art. 11 GG einschlägig ist695. Dieser Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als es auf die Bedeutung des Aufenthalts ankommt, die sich aus verschiedenen Kriterien ergibt. Die Bedeutung muss auch der eines „Lebensmittelpunkts“ oder „Lebenskreises“ gleichkommen, wobei diese Begriffe nicht zu eng gesehen werden dürfen696. Dass ein Ort zu einem solchen für das Leben des Betroffenen maßgeblichen Bereich wird, kann auch dadurch bedingt sein, dass an diesem alltägliche Verrichtungen vorgenommen werden, die für den Betroffenen bedeutsam sind. Insoweit ist sowohl die Beichte als auch die Therapiestunde, aber auch das Treffen von Freunden erfasst. Dementsprechend wird sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung überwiegend vertreten, dass durch Aufenthaltsverbote der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG betroffen ist697. Durch Aufenthaltsverbote werden alle in der Literatur genannten Qualifizierungskriterien für das Verweilen erfüllt, weil dem Betroffenen der Zugang zu allen öffentlichen und privaten Einrichtungen, die für die individuelle Lebensführung notwendig, nützlich oder angenehm ___________ 692 Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 29; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 46; Pieroth, JuS 1985, 81/83. 693 Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 46. 694 Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 25; Kunig in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 11 Rn. 13: „[…] bei objektiver Betrachtung unter zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten […]“; ähnlich auch Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 28. 695 Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 13; Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 25. 696 A.A. Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 13: Das Kriterium „Wechsel des alltäglichen Lebenskreises“ könne allenfalls indizielle Bedeutung gewinnen, ohne aber „für sich genommen die Weiche endgültig zu stellen.“ 697 Cremer, NVwZ 2001, 1218, 1221 f., Gusy, Polizeirecht, Rn. 254; Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Hetzer, JR 2000, 1, 10; ders. Kriminalistik 1998, 133 f.; Lesting, KJ 1997, 214/ 221; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 4; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 449; Schmitz, Straßenund polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 55; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/315.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

sind und deren Nutzung auch identitätsstiftend ist, im entsprechenden Gebiet verwehrt wird698. Die in der Definition des Bundesverfassungsgerichtes getroffene Differenzierung zwischen Wohnsitznahme und Aufenthalt zeigt außerdem, dass gerade auch der Aufenthalt von Personen, die nicht im vom Verbot betroffenen Bereich wohnen, von Art. 11 Abs. 1 GG geschützt sein muss. Daher ist die Gegenmeinung, die Art. 11 Abs. 1 GG nicht für aus dem Umland kommende Drogenabhängige gelten lässt699, abzulehnen. Es kommt gerade nicht darauf an, dass die betroffenen Personen in diesen Fällen nur kurzfristig in der räumlich begrenzten Drogenszene verweilen wollen, sondern darauf, dass durch das Aufenthaltsverbot mehr als nur dieses kurzfristige Verweilen an begrenztem Ort verhindert wird700. Auch die Ansicht, dass der Schutz des Art. 11 Abs. 1 GG nicht für denjenigen gelte, der in der Absicht verweilt, Straftaten zu begehen701, wird richtiger Weise abgelehnt. Zum einen fehlt es an einem entsprechenden Vorbehalt im Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG, wie er zum Beispiel in Art. 8 GG für unfriedliche Versammlungen getroffen wurde. Außerdem ergibt sich aus dem Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, der die Einschränkung der Freizügigkeit zur Vorbeugung von Straftaten erlaubt, dass die Absicht, solche zu begehen, noch nicht den Schutzbereich verschließt702. Diese Begründung ist auch gegen die früheren Ansichten, dass das „Vagabundieren“ nicht in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG fiele, anzuführen. Denn allein die bis 1974 bestehende Strafbarkeit nach § 361 Nr. 3 StGB konnte ebenfalls nicht rechtfertigen, dass der Schutz von vornherein versagt wurde. Außerdem wird richtiger Weise darauf hingewiesen, dass der Aufenthalt in der Drogenszene nicht ausschließlich dem Erwerb und Konsum von Drogen dient. Vielmehr ist insbesondere bei obdachlosen Drogenabhängigen der Ort, an dem sich die offene Drogenszene trifft, gleichzeitig der Ort für die Pflege sozialer Kontakte. Auch die niedrigschwellige Sozialarbeit, das heißt elementare medizinische, hygienische Betreuung und Versorgung mit Lebensmitteln sowie Beratung, findet an diesen Orten verstärkt statt703. Daher muss der Treffpunkt der offenen Drogenszene für viele auch als hauptsächlicher Lebensraum verstanden werden704. Das Verbot, sich an diesem Ort aufzuhalten, betrifft also den Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG. Soweit es um Wohnungslose oder Trinker geht, die sich an bestimmten Orten in Gruppen aufhalten, ist erst recht ein Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG zu beja___________ 698

So Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 450. Deger, VBlBW 1996, 92 f. 700 So Götz, NVWZ 1998, 679/683; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 451. 701 Götz, NVwZ 1998, 679/683. 702 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 452. 703 s. oben C. V. 1. 704 So auch Lesting, KJ 1997, 214/220. 699

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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hen. Diese Personen treffen sich gerade an bestimmten Orten, weil dort ihr soziales Umfeld liegt. Insofern ist der Treffpunkt ein für ihr Leben wesentlicher Bereich. Aufenthaltsverbote stellen aber nur dann einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG dar, wenn sie von entsprechender Eingriffsqualität sind. Die überwiegende Ansicht sieht nur unmittelbare Eingriffe und keine mittelbaren Beeinträchtigungen als ausreichend an. Die Abgrenzung auf der Eingriffsebene richtet sich nach dem Ziel der staatlichen Maßnahme, die freizügigkeitsregelnde Tendenz haben muss705. Freizügigkeitsregelnde Tendenz meint, dass die staatliche Maßnahme nicht irgendeinen Zweck, den Weg oder das Mittel der Fortbewegung regelt, sondern gerade die aufenthalts- oder wohnsitzspezifische Fortbewegung. Teilweise wird diese Abgrenzung schon auf Schutzbereichsebene vorgenommen. Danach ist nicht das Ziel der staatlichen Maßnahme entscheidend, sondern das der Fortbewegung, die durch diese geregelt wird. Der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG soll nur eröffnet sein, wenn es um die Fortbewegung zur Aufenthaltsnahme geht706. Soweit man nach dem oben Dargestellten die geregelten Verhaltensweisen sozialer Randgruppen als Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG ansieht, zielen Aufenthaltsverbote für bestimmte Orte gerade auf die Regelung dieses Aufenthaltes ab. Daher ist die freizügigkeitsregelnde Tendenz beziehungsweise Eingrenzung auf Schutzbereichsebene gegeben707.

cc) Verhältnis von Artikel 11 Absatz 1 zu Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG Folgt man jeweils der weiten Auslegung der Schutzbereiche von Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 11 Abs. 1 GG, berühren Aufenthaltsverbote die Schutzbereiche beider Grundrechte. Daher ist die Abgrenzung zwischen beiden Grundrechten zu klären. Die Kriterien für die Abgrenzung werden wiederum entweder auf Schutzbereichs- oder auf Eingriffsebene entwickelt. Findet die Abgrenzung auf der Eingriffsebene statt, ist die freizügigkeitsregelnde Tendenz der staatlichen Maßnahme entscheidend708. Diese ist nur gegeben, wenn es gerade um die Re___________ 705 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 49; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 19; a.A. Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 20; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 47; Kappeler, DÖV 2000, 227/232. 706 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 793, 801; ähnlich auch Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25, 26, 32. In Rn. 49 fordert Gusy jedoch zusätzlich freizügigkeitsregelnde Tendenz der Maßnahmen. 707 So auch Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 4. 708 s. dazu oben C. VI. 3. b) bb).

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

gelung des Aufenthalts und nicht der Fortbewegung schlechthin geht709. Soweit diese Abgrenzung schon auf Schutzbereichsebene vorgenommen wird, geht es nicht um das Ziel der Maßnahme, sondern das der Fortbewegung, die durch diese geregelt wird. Geht es um die Bewegung als solche, soll Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einschlägiges Grundrecht sein, geht es hingegen um die Fortbewegung zur Aufenthaltsnahme, ist Art. 11 Abs. 1 GG anzuwenden710. Auch bei Anwendung dieser Abgrenzungskriterien kommt es noch zu Überschneidungen der beiden Grundrechte711. Soweit bezüglich Art. 2 Abs. 2 GG eine enge Auslegung vertreten, also ein Eingriff nur bei Hinzukommen staatlichen Zwangs bejaht wird, wird für Fälle, in denen sowohl Art. 11 Abs. 1 GG als auch 2 Abs. 2 S. 2 GG betroffen sind, Idealkonkurrenz der beiden Grundrechte712 oder aber Spezialität des Art. 2 Abs. 2 S. 2 angenommen713. Soweit kein staatlicher Zwang hinzukommt, jedoch der Ortswechsel bezüglich der Wahl des Aufenthalts oder Wohnsitzes betroffen ist, soll Art. 11 Abs. 1 GG einschlägig sein714. Legt man beide Tatbestände der Grundrechte weit aus, muss das Konkurrenzverhältnis über ein Spezialitätsverhältnis gelöst werden. Dabei ist jedoch nicht grundsätzlich ein Grundrecht spezieller als das andere, sondern es kommt ___________ 709 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 49; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 19; a.A. Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 20; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 47; Kappeler, DÖV 2000, 227/232. 710 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 793, 801; ähnlich auch Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25, 26, 32. In Rn. 49 fordert Gusy jedoch zusätzlich freizügigkeitsregelnde Tendenz der Maßnahmen. 711 Vgl. Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 74; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 24 jeweils für den Fall von Freiheitsentziehungen. 712 Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 74; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 76. 713 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25, 65: „Freizügigkeit setzt körperliche Bewegungsfreiheit voraus.“ So auch Starck in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 233: Nach dessen Ansicht (Rn. 180) besteht ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG aber erst, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit so aufgehoben ist, dass nicht die Möglichkeit bleibt, „sich im Übrigen frei zu bewegen“. Freizügigkeitsregelnde Maßnahmen gingen nicht so weit. Allenfalls freiheitsbeschränkende Maßnahmen könnten auch einen Eingriff in die Freizügigkeit darstellen. Dann verdränge jedoch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Art. 11 GG. Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 14/30: Vorrang des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG jedoch nur soweit es sich um physische Freiheitsbeschränkungen handele. Ansonsten gälte für jede Form der Bewegungsfreiheit der Vorrang des Art. 11 GG. 714 Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 II Rn. 76. Für die Fälle, dass eine Freiheitsentziehung, zum Beispiel polizeilicher Gewahrsam gerade zum Zwecke der Freizügigkeitsbeschränkung angewendet wird so auch: Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25. So wohl auch Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 II Rn. 3; Art. 11 Rn. 24, der jedoch die weite Auslegung des Schutzbereiches von Art. 2 II 2 GG vertritt.

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auf die jeweilige Sachnähe des zu beurteilenden Tatbestandes an715. Insoweit wird die Eingrenzung, die im Rahmen von Art. 11 Abs. 1 GG entweder auf Ebene des Schutzbereichs oder auf Eingriffsebene erfolgt, relevant. Es kommt jeweils auf die stärkere Sachnähe des Sachverhalts beziehungsweise den Schwerpunkt der Maßnahme an. Handelt es sich bei dem geregelten Sachverhalt vorrangig um einen Ortswechsel zum Zwecke des Aufenthalts oder der Wohnsitznahme beziehungsweise zielt die Maßnahme schwerpunktmäßig auf die Regelung eines solchen ab, so ist Art. 11 Abs. 1 GG als spezielleres Grundrecht einschlägig. Geht es hingegen vorrangig um die Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit als solche, ist Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG spezieller716. Aufenthaltsverbote besitzen wie gezeigt diese freizügigkeitsregelnde Tendenz. Es handelt sich um die Regelung des Ortswechsels mit Bezug zur Wahl des ständigen Lebenskreises und nicht lediglich um die Bewegung innerhalb desselben. Die Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit als solcher tritt dahinter zurück. Daher ist Art. 11 Abs. 1 GG einschlägig und verdrängt insoweit Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG.

dd) Qualifizierter Gesetzesvorbehalt Artikel 11 Absatz 2 GG Weil Aufenthaltsverbote einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG darstellen, sind die besonderen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts gemäß Art. 11 Abs. 2 GG zu beachten. Einschlägig ist der so genannte Kriminalvorbehalt, nachdem das Recht auf Freizügigkeit nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf, wenn dies zur Vorbeugung strafbarer Handlungen erforderlich ist. Aus dem Gesetzesvorbehalt ergeben sich zum einen Einschränkungen bezüglich des Gesetzes, aufgrund dessen die Freizügigkeit eingeschränkt werden kann, und zum anderen Anforderungen an Ziel und Geeignetheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bezüglich der spezifischen Anforderungen an die gesetzliche Grundlage für Aufenthaltsverbote ist zunächst zu prüfen, ob die in einigen Landesgesetzen vorhandenen Standardermächtigungen den Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG entsprechen. Daneben ist zu fragen, ob die ___________ 715

Vgl. dazu Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 339. Vgl. so auch für Aufenthaltsverbote: VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 5, mit Hinweis auf die unterschiedlichen Gesetzesvorbehalte, wobei der des Art. 11 Abs. 2 GG als qualifizierter angesehen wird. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 4; Randelzhofer, BK, GG, Art. 11 Rn. 28 f.: Das Grundrecht auf Freizügigkeit sei nur einschlägig, wenn es um das Verlassen des „Lebenskreises“ geht, während die Fortbewegung innerhalb des Lebenskreises durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützt sei. Für den Gewahrsam, der gerade zur Beschränkung von Freizügigkeit dient: Blankenagel, DÖV 1989, 689/697; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25. 716

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Generalklausel den Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG entspricht und damit bei Fehlen von Spezialermächtigungen taugliche Rechtsgrundlage sein kann. Die Standardermächtigungen der Länder enthalten unterschiedliche Formulierungen, die der Einschränkung im Sinne des Kriminalvorbehaltes des Art. 11 Abs. 2 GG dienen. Am häufigsten wird formuliert, dass Aufenthaltsverbote gegenüber einer Person bezüglich eines örtlichen Bereiches ergehen dürfen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese „dort eine Straftat begehen wird“717. Zum Teil kann das Aufenthaltsverbot aber auch einer Person gegenüber erteilt werden, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie dort zur Begehung von Straftaten „beitragen wird“718. Im Sicherheits- und Ordnungsgesetz von Sachsen-Anhalt vom 7. Dezember 2001 waren die Straftaten, deren mögliche Begehung ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen, auf solche „von erheblicher Bedeutung, nach dem Betäubungsmittelgesetz, nach §§ 86a, 124, 125 oder 130 des Strafgesetzbuches oder nach § 27 des Versammlungsgesetzes“ beschränkt719. Diese Regelung wurde geändert, die neue Formulierung enthält die übliche Formel „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person […] eine Straftat begehen wird […]“720. Die Beschränkung auf Personen, die im betroffenen örtlichen Bereich eine Straftat zu begehen drohen, werden zum Teil von Literatur und Rechtsprechung als ausreichende Begrenzung im Sinne des Kriminalvorbehaltes angesehen721. Teilweise wird jedoch eine der alten sachsen-anhaltinischen Regelung entsprechende Begrenzung der in Betracht kommenden Straftaten verlangt722. Diese Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung wird mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Notaufnahmegesetz begründet. In jenem hat das Gericht entschieden, dass es zur Beschränkung der Freizügigkeit nicht genüge, wenn eine beliebige Straftat verhütet werden soll. Es sei vielmehr auf „das Recht der Gemeinschaft auf Schutz ihrer lebenswichtigen Belange“

___________ 717 § 16 Abs. 2 BbgPolG, § 29 Abs. 2 BerlASOG, § 14 Abs. 1 BremPolG; § 51 Abs. 1 MVSOG, § 17 Abs. 4 NdsSOG, § 21 Abs. 2 SächsPolG, § 18 Abs. 2 ThürPAG. 718 § 16 Abs. 2 BbgPolG, § 21 Abs. 2 SächsPolG. 719 § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG vom 7. Dezember 2001 (GVBl. LSA S.540). 720 § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG vom 23. September 2003 (GVBl. LSA S. 214) In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dazu ausgeführt, dass „die Beschränkung aus die bislang in § 36 Abs. 2 aufgeführten Katalogstraftaten […] den Erfordernissen einer wirksamen Gefahrenabwehr nicht gerecht wird.“ (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drucksache 4/400, 20). 721 Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch öffentliche Ordnung, 179 f.; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16 Rn. 22. 722 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn.465; Lesting, KJ 1997, 214/222 zur Neuregelung des § 17 Abs. 2 NdsGefAbwG.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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abzustellen723. Daher seien auch die Landesgesetze, die nicht eine ausdrückliche Begrenzung auf bestimmte bedeutende Straftaten enthielten, verfassungskonform einzuschränken. Soweit die Regelungen nicht auf bedeutende Straftaten eingeengt werden, werde der Gesetzesvorbehalt zu „einer allgemeinen Verdachtsklausel“ ausgeweitet. Gerade das sollte aber durch die abschließende Aufzählung der Gesetzesvorbehalte verhindert werden724. Dagegen wird angeführt, dass sich eine Beschränkung auf bedeutende Straftaten gerade nicht aus Art. 11 Abs. 2 GG herleiten ließe. Würde der Schutzbereich des Freizügigkeitsgrundrechts weit ausgelegt, müssten seine Schranken dementsprechend weiter verstanden werden. Außerdem sei Anknüpfungspunkt des Strafrechts ohnehin nicht jedes sozialschädliche Verhalten, sondern nur solches mit einem besonderen Unwertgehalt. Der Gefahr, doch zu einer generalklauselartigen Einschränkung des Grundrechts zu gelangen, sei durch erhöhte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose zu begegnen725. Dem ist zuzustimmen, wenn wie in den landesgesetzlichen Regelungen nur Straftaten erfasst werden. Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen Verwaltungsunrecht sind jedoch nicht ausreichend im Sinne des Kriminalvorbehalts726. Das ist insbesondere in Bezug auf Aufenthaltsverbote gegenüber Wohnungslosen, Trinkern und Bettlern zu beachten. Ein Verstoß gegen Satzungsrecht oder Gefahrenabwehrverordnungen reicht nicht, um einen Eingriff in Art. 11 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Im parlamentarischen Rat wurde gerade der weitere Einschränkungstatbestand der „Überwachung […] anderer asozialer Elemente“ gestrichen727. Auch ein Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit wurde ausdrücklich nicht aufgenommen728. Daher ist eine Beschränkung auf Straftaten durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG geboten. Soweit aber Straftaten nur Delikte minderer Bedeutung sind, muss eine erhöhte Wahrscheinlichkeitsprognose verlangt werden, um eine Ausweitung des Kriminalvorbehalts zu einem allgemeinen Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit zu verhindern729. Die Meinungen zu den aus Art. 11 Abs. 2 GG folgenden Anforderungen an die Gefahr und hiermit verbundene Wahrscheinlichkeitsprognose bezüglich der ___________ 723 BVerwGE 6, 173/176; so auch: Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 58. 724 Lesting, KJ 1997, 214/222 zur Neuregelung des § 17 Abs. 2 NdsGefAbwG. 725 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/235. 726 So auch Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 62; Wächter, NdSVBl. 1996, 197/199,201. 727 JöR 1, 132; Wächter, NdSVBl. 1996, 197/199, 201. 728 JöR 1, 132; Wächter, NdSVBl. 1996, 197/198 f. 729 A.a. Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 62. Dieser lässt minderschwere Delikte nicht genügen.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Begehung einer Straftat gehen ebenfalls auseinander. Überwiegende Einigkeit besteht darüber, dass es nicht erforderlich sei, dass die betreffende Person in der Vergangenheit bereits eine Straftat begangen hat730. Bei den Formulierungen zur Wahrscheinlichkeitsprognose ist die Literatur jedoch uneinheitlich. Zum Teil soll eine konkrete Gefahr der Begehung einer Straftat731 dementsprechend die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichen732. Wieder andere verlangen eine große oder hochgradige Wahrscheinlichkeit733. Ausreichend sei nicht der Verdacht einer Straftatbegehung. Mithin genüge auch eine Gefahr, also die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht. Diesen Anforderungen genügten die gesetzlichen Regelungen zum Aufenthaltsverbot nicht734. In dem Begriff der „Tatsachen“ wird zwar noch eine den grundrechtlichen Anforderungen entsprechende Regelung gesehen735, weil dadurch die polizeiliche Prognose auf sichtbare oder beweisbare Handlungen begrenzt wird736. Jedoch würde durch die Formulierung „die Annahme rechtfertigen“ ein zu weiter Spielraum eröffnet. Dabei enthalte der Gesetzeswortlaut aber keine Aussage über das Maß der Wahrscheinlichkeit als Tatbestandsvoraussetzung. Daher würde die Wortwahl dem Kriminalvorbehalt nicht gerecht737. Den Forderungen nach einer erhöhten Wahrscheinlichkeit ist zuzustimmen. Der ausdifferenzierte Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG sollte eine Einschränkung des Grundrechts durch eine allgemeine Verdachtsklausel verhindern738. Wenn die Rechtsgrundlagen keine Begrenzung bezüglich der wahrscheinlich begangenen Straftaten treffen, genügen auch Verstöße gegen Delikte minderer Bedeutung. Damit ist eine sehr weite Eingriffsmöglichkeit gegeben. Dieser ist durch erhöhte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zu begeg___________ 730 BVerwGE 6, 173/176; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 11 Rn. 62; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art 11 Rn. 27; Randelzhofer, BK, GG, Art 11 Rn. 168; Pernic in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 27; a.A. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rn. 78/81. 731 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG Art 11 Rn. 62. 732 Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 27. 733 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rn. 10 (große Wahrscheinlichkeit); Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 462 (große Wahrscheinlichkeit); Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 27 (hochgradige Wahrscheinlichkeit); Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/235. 734 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/235, Robrecht geht hier zwar nur auf die sächsische Regelung ein. Bezüglich der relevanten Formulierung „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass…..eine Straftat begehen wird“ sind aber alle Landespolizeigesetze zum Aufenthaltsverbot gleich formuliert. 735 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/235. So meint auch Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 174: Die Formulierung „Tatsachen“ ließe im Gegensatz zu „tatsächliche Anhaltspunkte“ keinen Spielraum für eine Bewertung. 736 s. dazu oben C. VI. 2. h) aa). 737 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/235. 738 Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 27.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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nen. Daneben ist auch dann, wenn die für eine konkrete Gefahr vorausgesetzte hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten als ausreichend angesehen wird, der Rang des Grundrechts, in das eingegriffen wird, zu beachten739. Je höher der Wert des Rechtsguts in das eingegriffen wird und je geringer das Ausmaß des zu erwartenden Schadens ist, desto höher müssen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit sein740. Soweit die Rechtsgrundlagen auch Eingriffe in Art. 11 Abs. 1 GG aufgrund der wahrscheinlichen Begehung geringfügiger Taten zulassen, ist schon deshalb eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zu fordern. Die Formulierungen in den Landespolizeigesetzen genügen daher nicht den Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG. Die Voraussetzung „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“ eröffnet den Raum für eine weite polizeiliche Prognose und verlegt die Schwelle des Einschreitens in den Bereich des Gefahrenverdachts. Es genügt, wenn bestimmte Tatsachen eine Indizwirkung haben, die auf eine bestimmte Entwicklung, wie zum Beispiel das Begehen einer Straftat, schließen lassen. Diese müssen aber nicht zur Gewissheit führen, dass diese Straftat tatsächlich begangen werden wird. Aus der Formulierung „die Annahme rechtfertigen“ lassen sich auch unter Hinzuziehung der Konkretisierungen durch die rechtswissenschaftliche Literatur keine bestimmten Anforderungen an die Höhe der Wahrscheinlichkeit herleiten741. Die Wahrscheinlichkeitsprognose knüpft jedoch an Tatsachen im Vorfeld der Gefahr an. Dadurch ist der Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch gegenüber der konkreten Gefahr herabgesetzt. Es sind also nicht einmal die Anforderungen der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt. Auch eine verfassungskonforme Auslegung kommt angesichts des eindeutigen Wortlautes nicht in Betracht. Für die Länder, in denen noch keine spezielle Regelung besteht, stellt sich die Frage, ob die Generalklausel eine dem Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG genügende Rechtsgrundlage ist. Zum Teil wird die Generalklausel nicht als ausreichende Rechtsgrundlage im Sinne des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes des Art. 11 Abs. 2 GG angesehen742. Die polizeiliche Generalklausel setzt eine konkrete Gefahr und damit auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Die Anforderung an die Wahrscheinlich___________ 739

Vgl. auch Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 27: Dieser lässt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügen. Jedoch sei der Kriminalvorbehalt eng auszulegen und verlange eine Differenzierung nach dem Gewicht der Straftat und eine abwägende Gegenüberstellung der Erfordernisse des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes mit dem grundrechtlich geschützten Anliegen. 740 s. dazu oben C. VI. 2. b) aa). 741 s. dazu oben C. VI. 2. h) aa). 742 Alberts, NVwZ 1997, 45/47; Hecker, NVwZ 1999, 261/262; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 170 f.; VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 6.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

keit wären nach den zur Anwendung der Generalklausel im Polizeirecht entwickelten Grundsätzen auch erhöht, wenn der zu erwartende Schaden in der Begehung geringfügiger Delikte läge743. Die Generalklausel würde also den erhöhten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit entsprechen. Ihre Anwendung wird aber abgelehnt, weil Art. 11 Abs. 2 GG gerade keinen Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit enthalte. Mit der Ausdifferenzierung des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes habe gerade vermieden werden sollen, dass eine generalklauselartige Ermächtigung zur Beschränkung der Freizügigkeit erfolge744. Dass der Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit nicht in Art. 11 Abs. 2 GG enthalten ist, wird auch durch die Entstehungsgeschichte des Art. 11 GG bestätigt. Gegen den Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit wurden bereits im Ausschuss für Grundsatzfragen Bedenken geäußert, weil dieser auch Grundlage für rechtsstaatswidrige Willkürmaßnahmen sein könne und zu unbestimmt sei745. Ein Teil von Literatur und Rechtsprechung befürwortet zwar, dass nur Straftaten von einer im Verhältnis zur möglichen Beschränkung der Feizügigkeit angemessenen Bedeutung einen Eingriff in die Freizügigkeit rechtfertigen können. Jedoch wird die Generalklausel als verfassungsmäßige Rechtsgrundlage für eine solche Beschränkung der Freizügigkeit angesehen, solange deren Tatbestandsvoraussetzungen und die Voraussetzungen des Kriminalvorbehaltes erfüllt sind746. Demnach soll eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel genügen. Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen, die auf die Generalklausel gestützt werden, sollen nur bei der Gefährdung bestimmter Schutzgüter möglich sein. Damit sei eine hinreichende Begrenzung gegenüber einer faktischen Einführung des Vorbehalts der öffentlichen Sicherheit gegeben747. Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG zwinge nicht dazu, spezielle und detaillierte Ermächtigungsgrundlagen als Eingriffsgrundlagen zu schaffen748. Dem ist nicht zuzustimmen. Ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt knüpft zwar die Rechtfertigung des Eingriffes in das Grundrecht durch oder aufgrund eines Gesetzes nur an zusätzliche Voraussetzungen bezüglich der Situation, des ___________ 743 744

s. dazu oben C. VI. 2. b) aa). VG Bremen v. 29.5.1997, 2 A 149/96, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Sei-

te 6. 745 s. dazu: Blankenagel, DÖV 1989, 689/697; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG Art. 11 Rn. 62; Wächter NdsVBl. 1996, 198.; JöR 1, 131 f. Für das Erfordernis einer Sonderregelung Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 22. 746 Cremer, NordÖR 2001, 324/328; ders. NVwZ 2001, 1218/1219; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG Art 11 Rn. 53, 62; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art 11 Rn. 20/21; so auch OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/316. 747 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/316; so auch Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 53; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 20. 748 Cremer, NordÖR 2001, 324/328.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Zwecks oder der Mittel749. Im Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG wird die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs an die weitere Voraussetzung geknüpft, dass der Eingriff zum Zweck der Vorbeugung strafbarer Handlungen erfolgen muss. Das heißt nicht unbedingt, dass das Gesetz, aufgrund dessen eine solcher Eingriff erfolgt, bereits diese Einschränkung enthalten muss. Grundsätzlich würde auch eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel in Frage kommen. Durch die Formulierung des Kriminalvorbehalts sollte aber gerade verhindert werden, dass in das Grundrecht auf Freizügigkeit aufgrund der als zu weit angesehenen polizeilichen Generalklausel eingegriffen werden könnte750. Die Anwendung der Generalklausel unter verfassungskonformer Einschränkung würde diesem historischen Hintergrund widersprechen. In Bezug auf Aufenthaltsverbote gegenüber Wohnungslosen, Trinkern oder Bettlern ist außerdem zu beachten, dass, wie erwähnt, eine Ordnungswidrigkeit oder einen Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Pflichten nicht den Anforderungen des Kriminalvorbehalts enstpricht751. Erst recht ist es nicht zulässig, gegen die genannten Gruppen Aufenthaltsverbote zu erlassen, weil sich Passanten, Anwohner oder Geschäftsinhaber belästigt oder beeinträchtigt fühlen. Vielmehr muss konkret die Gefahr und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat durch den Adressaten des Aufenthaltsverbotes bestehen752. Das allgemeine Risiko, dass jemand eine Straftat in einem bestimmten örtlichen Bereich begehen könnte, reicht ebenso wenig wie allgemeine Anhaltspunkte milieuspezifischer Art. Daher genügt es nicht, dass eine Person verwahrlost aussieht, um ihr den Aufenthalt in einem bestimmten Bereich zu versagen753. Bezüglich der in einigen Landesgesetzen enthaltenen Regelung, dass Aufenthaltsverbote auch gegen Personen erteilt werden können, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie „zur Begehung einer Straftat beitragen werden“, bestehen auch vor Art. 11 Abs. 2 GG Bedenken. Diese Formulierung eröffnet der Polizei die Möglichkeit, Personen, die aufgrund ihres Aussehens vermeintlich der Drogenszene zugehören, oder allein aufgrund ihrer Anwesenheit an bestimmten sozialen Brennpunkten den Aufenthalt zu versa___________ 749

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 255. s. dazu Blankenagel, DÖV 1989, 689/697 m.w.N. 751 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 62; Wächter, NdsVBl. 1996, 197/199, 201. 752 Vgl. zu den Meinungsunterschieden, wie schon oben erläutert: Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 11 Rn. 62 (konkrete Gefahr)¸ Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rn. 10 (große Wahrscheinlichkeit); Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 27 (hinreichende Wahrscheinlichkeit), Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 27 (hochgradige Wahrscheinlichkeit); Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 462 (große Wahrscheinlichkeit). 753 s. dazu oben C. VI. 8. c). 750

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

gen754. Das widerspricht den oben dargelegten Anforderungen des Kriminalvorbehaltes755.

ee) Zitiergebot Vor dem Hintergrund eines Eingriffs in Art. 11 GG durch Aufenthaltsverbote ist die Anwendbarkeit des Zitiergebots gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zu diskutieren. Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG müssten die Landespolizeigesetze, unabhängig davon, ob eine Spezialregelung für das Aufenthaltsverbot vorliegt oder die Generalklausel als Rechtsgrundlage dient, Art. 11 GG als eingeschränktes Grundrecht nennen. Das ist bisher nur in einigen Bundesländern der Fall756. Zum Teil wird aber angenommen, dass das Zitiergebot nicht einschlägig sei, weil eine Ausnahme kraft Tradition vorliege757. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Zitiergebot eng auszulegen. Insbesondere auf sondergesetzliche Vorschriften, die lediglich bereits früher geltende Grundrechtsschranken unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen, soll es nicht anwendbar sein758. Die polizeiliche Generalklausel eröffne in Bezug auf Art. 11 GG nur solche Eingriffsmöglichkeiten, die auch schon nach vorkonstitutionellem Recht zulässig waren, sodass diese Ausnahme einschlägig sei. Andere halten diesen Ausnahmetatbestand im Falle der polizeilichen Generalklausel nicht für anwendbar. Durch die Neufassung der Landespolizeigesetze in den siebziger Jahren seien sowohl die rechtlichen Voraussetzungen der Polizeibefugnisse, einschließlich der Generalklausel, als auch die Zitierklauseln neu gefasst worden. Daher sei die Ausnahme vom Zitiergebot kraft Tradition nicht mehr einschlägig759. Außerdem sei das Aufenthaltsverbot eine ganz neue Grundrechtsbeschränkung760. Aufenthaltsverbote in Ländern, in ___________ 754 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 465; Zur Problematik der Verantwortlichkeit bei bloßer Anwesenheit an einschlägigen Szenetreffpunkten s. oben: C. VI. 2. c). 755 Die Formulierung „zu einer Straftat beitragen“ ist außerdem vor dem Bestimmtheitsgrundsatz problematisch; s. dazu unten C. VI. 3. d) aa). 756 Art. 74 BayPAG; § 8 BbgPolG; § 66 BerlASOG; § 9 BremPolG, § 4 BWPolG, § 10 HessSOG; § 10 NdsSOG; § 8 Nr. 4 RhPfPOG; § 7 SaarlPolG; § 79 SächsPolG; § 11 SachsAnhSOG. 757 Hailbronner in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 Rn. 48; Kunig in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 11 Rn. 20. 758 BVerfGE 35, 185/189; BVerfGE 61, 82/113. 759 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 11 Rn. 54; Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 22; Rittstieg, AK, GG, Art. 11 Rn. 53. 760 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 8; vgl. auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 238.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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deren Polizeigesetzen Art. 11 GG nicht zitiert sei, seien daher verfassungswidrig761. Der letztgenannten Ansicht ist auch zu folgen. Seine Entscheidung zur restriktiven Auslegung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem damit begründet, dass das Zitiergebot insbesondere verhindern soll, dass „[…] neue, dem bisherigen Recht fremde Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte geschaffen werden, ohne dass der Gesetzgeber sich darüber Rechenschaft legt und diese ausdrücklich zu erkennen gibt762“. Demzufolge ist das Zitiergebot also nicht anzuwenden, wenn das Gesetz eine herkömmliche Einschränkung ändert, ohne grundsätzlich neue Eingriffsmöglichkeiten zu eröffnen763. Aufenthaltsverbote sind, was ihre Grundrechtsintensität angeht, neue, dem bisherigen Polizeirecht fremde Möglichkeiten der Grundrechtseinschränkung. Die bislang vorgesehenen Platzverweise eröffneten keine Möglichkeit eines Eingriffes in Art. 11 GG. Aufenthaltsverbote stellen dahingegen einen Eingriff in Art. 11 GG dar, unabhängig davon, ob sie aufgrund der Generalklausel oder spezieller landesgesetzlicher Regelungen ergehen764. Daher ist hier auch das Zitiergebot einschlägig. Soweit Art. 11 GG nicht in den jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetzen zitiert ist, ist ein aufgrund dieser ergehendes Aufenthaltsverbot verfassungswidrig.

ff) Gesetzgebungskompetenz der Länder, Artikel 73 Nr. 3 GG Aufenthaltsverbote aufgrund von Landespolizeigesetzen sind weiterhin vor Art. 73 Nr. 3 GG problematisch. Nach dieser Vorschrift steht dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz bezüglich der Freizügigkeit zu. Aufenthaltsverbote greifen in das Grundrecht auf Freizügigkeit ein765. Daher könnten landesgesetzliche Regelungen über Aufenthaltsverbote schon aufgrund der fehlenden Kompetenz verfassungswidrig sein beziehungsweise im Falle der Generalklausel nicht als Rechtsgrundlage für Aufenthaltsverbote dienen. Ein großer Teil der Literatur und auch die Rechtsprechung gehen jedoch davon aus, dass die Landesgesetzgebungskompetenz für Aufenthaltsverbote besteht und nicht durch Art. 73 Nr. 3 GG ausgeschlossen ist766. Das wird mit ver___________ 761

Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 8. 762 BVerfGE 35, 185/189. 763 VGH München, NVwZ 1991, 664/669. 764 s. oben C. VI. 3. b) bb). 765 s. oben C. VI. 3. b) bb). 766 Baller/Eiffler/Tschisch, ASOG Bln, § 29 Rn. 2; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 11 Rn. 52; Götz, NVwZ 1998, 679/683; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 21; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 455, Randelz-

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

schiedenen Argumenten begründet. Zum einen wird darauf abgestellt, dass der Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG eine Regelungskompetenz zur Abwehr bestimmter Gefahren, nämlich der Verhütung von Straftaten, und somit einen Teil des Gefahrenabwehrrechts umfasse. Die Gesetzgebungskompetenz für die Gefahrenabwehr liegt ausschließlich bei den Ländern. Daraus sei zu schließen, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Nr. 3 GG nicht auf Teile der Gefahrenabwehr beziehen könne. Dementsprechend sei der Begriff der Freizügigkeit in Art. 73 Nr. 3 GG nicht derselbe, wie der in Art. 11 GG. Ansonsten wäre es dem Landesgesetzgeber nicht möglich, Regelungen im Sinn des Art. 11 Abs. 2 GG zu erlassen und der Kriminalvorbehalt würde insoweit leer laufen. Daher liege die Gesetzgebungskompetenz, soweit es sich um Regelungen im Rahmen der Gefahrenabwehr handele, auch für Freizügigkeitsregelungen bei den Ländern. Blankenagel767 grenzt im Rahmen der Vorbeugung von Straftaten ab zwischen Gefahrenabwehr, die trotz der Regelung der Art. 11 Abs. 2 und 73 Nr. 3 GG Länderkompetenz und solcher, die aufgrund der Regelungen Bundeskompetenz sein soll. Dabei geht er davon aus, dass auch dem Parlamentarischen Rat die Kompetenz der Länder für das Polizeirecht und die Tatsache, dass hiervon auch die Verhinderung von Straftaten umfasst sei, bekannt war. Daher müsse die Bundeskompetenz zur Regelung der Freizügigkeit im Rahmen der Vorbeugung von Straftaten im Lichte der herkömmlichen polizeirechtlichen Möglichkeiten ausgelegt werden. Da die polizeirechtliche Gefahrenabwehr die konkrete Gefahr beliebiger Straftaten betreffe, könne Art. 11 Abs. 2 GG und damit auch die Bundeskompetenz aus Art. 73 Nr. 3 GG mit der Vorbeugung von Straftaten nur nicht konkrete Gefahren spezifischer Straftaten meinen. Spezifische Straftaten sollen dabei solche sein, die gerade durch Freizügigkeit und Mobilität entstehen, die nicht konkrete Gefahr sei im Vorfeld der unmittelbar bevorstehenden Begehung einer strafbaren Handlung zu sehen und somit eine abstrakte Gefahr. Aufenthaltsverbote betreffen nicht immer Straftaten, die gerade durch den freien Zug möglich sind768. Soweit es sich um Maßnahmen im Vorfeld einer Gefahr handelt, geht es außerdem um die Abwehr ei-

___________ hofer, BK, GG, Art. 11 Rn. 142; BayVerfGH, NVwZ 1991, 664/666; Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/236; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 136; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 235; Stephan in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 52; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/316. 767 Blankenagel, DÖV 1989, 689/698. 768 s. dazu oben C. V. 1. Soweit sie jedoch zur Verhütung von Gewalttaten im Zusammenhang mit Großdemonstrationen und Sportveranstaltungen eingesetzt werden, würde es sich wiederum um spezifische Straftaten handeln. (Blankenagel, DÖV 1989, 689/698).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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ner konkreten Gefahr769, sodass die Landeskompetenz auch bei Anwendung dieser Abgrenzungskriterien gegeben wäre770. Andere begründen die Landesgesetzgebungskompetenz damit, dass die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur einschlägig sei, wenn es sich um interterritoriale Freizügigkeit handelt, weil es nur für diese sinnvoll sei, bundesweite Regelungen zu treffen771. Diese Auslegung wird aus dem Zusammenhang der Vorschrift des Art. 73 Nr. 3 GG selbst hergeleitet. Die in dieser Vorschrift genannten übrigen Materien (Passwesen, Ein- und Auswanderung und die Auslieferung) sind interterritorialer Natur, betreffen also länderübergreifende Regelungen. Deshalb seien sie dem Bundesgesetzgeber vorbehalten. Eine entsprechende Auslegung des Freizügigkeitsbegriffes des Art. 73 Nr. 3 GG müsse folglich zur Begrenzung auf die interterritoriale Freizügigkeit führen772. Gegen diese Ansichten wird der Wortlaut des Art. 73 Nr. 3 GG und Art. 11 GG angeführt, die beide von „Freizügigkeit“ sprechen773. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass sich die Landesgesetzgeber bei der Regelung des Platzverweises in den Landespolizeigesetzen gerade auf vorübergehende Maßnahmen beschränkt haben, um einen Eingriff in Art. 11 GG und damit auch in die Bundesgesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Nr. 3 zu vermeiden774. Andere meinen, dass die Freizügigkeit ein selbstständiges Regelungsgebiet darstelle und daher die Gesetzgebungskompetenz nicht der jeweiligen Sachmaterie folge, in der die Regelung der Freizügigkeit ergehe. Daher wird die herrschende Meinung insoweit abgelehnt, als sie die Freizügigkeitsregelungen im Rahmen der Gefahrenabwehr auf die Kompetenz zur Sachmaterie Gefahrenabwehr stützt. Die Kompetenz zur Regelung der Sachmaterie Gefahrenabwehr sei durch die Bundeskompetenz zur Regelung der Freizügigkeit verdrängt. Ginge man davon aus, dass Freizügigkeitseingriffe, die im Rahmen einer anderen Sachmaterie stattfinden, aufgrund einer dieser entsprechenden Kompetenz___________ 769

s. dazu oben C. VI. 2. h) aa). Aber wohl anders Blankenagel, der im Falle von Aufenthaltsverboten zur Vermeidung von Gewaltaten bei Großdemonstrationen und Sportveranstaltungen die Bundeskompetenz für gegeben hält. (Blankenagel, DÖV 1989, 689/698 Fn. 57). 771 Alberts, NVwZ 1997, 45/47; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 176 f. 772 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232/236; vgl. auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 136. 773 Hecker, NVwZ 1999, 261/263; Kutscha, LKV 2000, 134/136, ders. in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 40. 774 Hecker, NVwZ 1999, 261/262; ders. Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 50; ders. NVwZ 2003, 1334/1335; vgl. auch VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400/1401. 770

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

norm ergehen könnten, würde sich im Kompetenzkatalog des Grundgesetzes für jede der in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Einschränkungsmöglichkeiten eine von Art. 73 Nr. 3 GG verschiedene Kompetenznorm finden. Dadurch würde Art. 73 Nr. 3 GG an Bedeutung verlieren. Die geltungserhaltende Auslegung fordere daher, dass alle gezielten Eingriffe in die Freizügigkeit auf Bundesgesetz beruhen müssten. Einschränkungen im Sinne des Präventionsvorbehaltes seien daher im Sinne des Kompetenzkataloges nicht als Polizeirecht, sondern als Freizügigkeitsrecht zu behandeln775. Diese Argumentation übersieht jedoch, dass die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr nur insoweit zu landesrechtlichen Regelungen der Freizügigkeit berechtigt, als es um die Gefahrenabwehr geht. Daneben bleibt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestehen, sodass Art. 73 Nr. 3 GG entsprechende Bedeutung zukommt776. Für eine restriktive Auslegung des Art. 73 Nr. 3 GG spricht außerdem die historische Auslegung. Ein Bruch mit der Tradition, dass die Befugnis für die Gesetzgebung zur Gefahrenabwehr bei den Ländern liegt, hätte unmissverständlich im Grundgesetz Ausdruck finden müssen777. Da dies für Eingriffe in die Freizügigkeit zum Zwecke der Gefahrenabwehr nicht erfolgt ist, ist auch nach der historischen Auslegung davon auszugehen, dass insoweit die Gesetzgebungskompetenz der Länder gegeben ist778. Aus den genannten Gründen ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder auch für freizügigkeitsregelnde Maßnahmen auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr gegeben.

c) Verhältnismäßigkeit Sowohl die speziellen Rechtsgrundlagen für den Erlass von Aufenthaltsverboten als auch die aufgrund dieser oder der Generalklausel erlassenen Aufenthaltsverbote müssen dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Das heißt, dass sie zu Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und im Verhältnis zu den betroffenen Rechtsgütern angemessen sein müssen779.

___________ 775

Wächter, NdsVBl. 1996, 197/199ff, zustimmend: Lesting, KJ 1996, 214/222. Beispielweise existieren Regelungen im Bereich des Sozialhilferechts, die auch die Freizügigkeit betreffen. 777 s. dazu: Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, S. 394 ff. 778 So auch: Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, S. 561; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 455. 779 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 279 ff. 776

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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aa) Geeignetheit Bezüglich der Geeignetheit ist zunächst zu klären, was konkret der Zweck der Regelungen beziehungsweise Maßnahme Aufenthaltsverbot ist. In Bezug auf die Drogenszene sollen Aufenthaltsverbote der Bekämpfung780 beziehungsweise der Kontrolle der Szene schlechthin dienen781. Teilweise wird die „Auflösung der offenen Drogenszene und die Bekämpfung der damit verbundenen negativen Begleiterscheinungen“ als das polizeiliche Ziel von Aufenthaltsverboten782 genannt. Daneben wird der Zweck in Bezug auf die betroffenen Personen auch konkretisiert. Aufenthaltsverbote dienten dazu, „mehrfach aufgefallene Drogenhändler von Umschlagplätzen fernzuhalten783“ oder der „Verhinderung von Sicherheits- und Ordnungsstörungen durch den betroffenen Personenkreis an anerkannten Brennpunkten“784. Durch die Erteilung von Aufenthaltsverboten gegen einzelne Personen soll die Bildung einer offenen Drogenszene verhindert werden785. Unabhängig davon, dass die Drogenszene an sich keine konkrete Gefahr darstellt786 und sowohl das Bestehen der Szene als auch die damit verbundenen Begleiterscheinungen nicht zum Vorgehen gegen konkrete Personen berechtigen787, entstehen durch die weite Zweckbestimmung auch Probleme im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Geeignetheitsprüfung. Durch die geringeren Anforderungen an die Gefahr in Form der gesamten Szene, werden mögliche Zweifel an der Geeignetheit zerstreut. In Anbetracht der verschiedenen Gefahren, die im Rahmen der Drogenszene als solche auftreten können, ergibt sich immer ein positiver Effekt, der die Geeignetheit einer Maßnahme begründen kann788. Insoweit ist schon zweifelhaft, ob eine so weite Zweckbestimmung legitim im Sinne des Grundsatzes der Geeignetheit ist. Die landesgesetzlichen Standardermächtigungen setzen jedoch sämtlich das Vorliegen von Tatsachen voraus, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten ___________ 780 Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38. 781 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main. 782 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/135. 783 Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Bremischen Polizeigesetzes vom 04. September 2001, 3. 784 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 785 Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 6. 786 s. oben C. VI. 2. d) bb) (1). 787 s. oben C. VI. 2. c). 788 Lesting, KJ 1997, 214/216, so auch Volkmann, NVwZ 2000, 361/365.

228

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

an einem bestimmten Ort begehen wird. Daraus lässt sich schließen, dass der Zweck dieser Ermächtigungen wie die entsprechenden Angaben in der Praxis bezüglich der Personen konkretisiert ist. Es geht darum, die betroffene Person von der Begehung weiterer Straftaten an einem bestimmten Ort abzuhalten. Dies soll als Fernziel dann zu einer Verhinderung einer offenen Drogenszene führen, stellt in Bezug auf die Prüfung der Normen jedoch einen konkreteren Zweck dar. Zweifel an der Geeignetheit ergeben sich daneben aus der Tatsache, dass Aufenthaltsverbote im Bereich der Bekämpfung offener Drogenszenen häufig lediglich zur Verdrängung der Szene in andere Stadteile führen, so dass der Drogenhandel bzw. -konsum dadurch nicht unterbunden wird, sondern an anderen Orten stattfindet789. Vertreter der Berliner Polizei meinten, eine solche Verdrängung finde nicht statt, weil die Süchtigen immer wieder an den gewohnten Ort zurück kämen, während die Dealer durchaus abgeschreckt würden790. An dieser Aussage könnte man zweifeln, weil unklar ist, ob die Süchtigen noch an die alten Drogenumschlagsorte kommen, wenn die Drogenhändler sich dort nicht mehr so häufig zeigen. Nimmt man an, dass sie zurück kommen, ist fraglich, wie dann die Aufenthaltsverbote überhaupt zur Zerschlagung einer Drogenszene beitragen sollen. Vertreter der Münchner Polizei gaben hingegen die „Verdrängung relevanter Personen von Kriminalitätsschwerpunkten“791 ausdrücklich als ein Ziel von Aufenthaltsverboten an. Die Verdrängung allein ist jedoch hinsichtlich des einschlägigen Kriminalvorbehalts aus Art. 11 Abs. 2 GG kein legitimer Zweck. Aufgrund des Verdrängungseffekts wird von einer stark vertretenen Ansicht die Geeignetheit von Aufenthaltsverboten und somit auch der gesetzlichen Grundlagen abgelehnt792. Dem ist jedoch bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Ermächtigungsgrundlagen entgegenzuhalten, dass es für die Geeignetheit genügt, wenn das vom Staat gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks förderlich ist793. Bezüglich ___________ 789

Vgl. dazu auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch öffentliche Ordnung,

184 f. 790

Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; s. auch oben C. V. 1. 791 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 792 Gusy, Polizeirecht, Rn. 254; Lesting, KJ 1997, 214/220; Kniesel in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 37; VG München v. 12.10.1998, M 17 S.98.126, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 3 f., diese Entscheidung wurde aber durch den VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben; aber nachfolgend ebenso VG München v. 9.11.1998, M 17 S 98.3362, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 3 f. 793 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 84; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20, Rn. 170; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 283.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

229

der Beurteilung der Geeignetheit kommt dem Gesetzgeber eine weite Entscheidungsprärogative zu794, die erst überschritten ist, wenn die Regelung zur Erreichung des Zwecks offensichtlich ungeeignet ist795. Auch wenn der Entscheidungsspielraum der Verwaltung bezüglich der konkret erlassenen Aufenthaltsverbote geringer ist, müssen diese vor dem Grundsatz der Geeignetheit die Gefahr nicht verhindern. Vielmehr genügt es auch hier, wenn sie zur Beseitigung der Gefahr beitragen, also den Zweck der Maßnahme fördern796. Daher wird in Literatur und Rechtsprechung angenommen, dass Aufenthaltsverbote in Bezug auf die Bekämpfung der offenen Drogenszene geeignet sind, weil sie den Drogenhandel und -konsum jedenfalls erschweren beziehungsweise einer fortschreitenden Verfestigung der Drogenszene entgegen wirken797. Wenn sie neben der Verdrängung zu einer Abschwächung der Kriminalität am anderen Ort führen, wäre auch der Grundsatz der Effektivität polizeilichen Handelns zur Gefahrenabwehr gewahrt798. Aufenthaltsverbote können unter mehreren Gesichtspunkten dazu beitragen, dass sich die Drogenszene nicht verfestigt und weniger Drogendelikte begangen werden. Zum einen bilden sich offene Drogenszene zumeist an Orten, wie Bahnhöfen oder Fußgängerzonen, die gut erreichbar und stark frequentiert sind und andere begünstigende Umstände, wie zum Beispiel öffentliche Toiletten, aufweisen. Da es in jeder Stadt nur eine begrenzte Anzahl solcher Orte gibt, wird angenommen, dass eine Verlagerung der Szene immer mit Qualitätseinbußen einhergeht. Daneben dauere die Verlagerung der Szene einige Tage oder Wochen, sodass sie am neuen Ort nicht mehr in derselben Stärke entstehe799. Außerdem wird angeführt, dass das Interesse neugieriger Einsteiger und Erstkonsumenten sinke, wenn die Szenen von stark frequentierten Orten verdrängt ___________ 794

Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20, Rn. 178 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 287. 795 BVerGE 47, 109/117; 65, 116/126; Schultze-Fielitz, Dreier in: GG, Art. 20 Rn. 170. 796 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 222; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 17. 797 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/317; VGH München, NVwZ 2000, 454/456; Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Deger, VBlBW 1996, 90/93, Hecker, Infoblatt Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei, Nr. 2, Mai 1998, 6; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 186/203; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136. 798 Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 23; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 225. Dieser Grundsatz wird im Rahmen der Geeignetheit aus der Voraussetzung, dass eine Maßnahme den Zweck fördern muss, hergeleitet. Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr könnten den Eintritt des Schadens nur verhindern, wenn sie schnell und wirksam, also effektiv seien. 799 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136; zur Zerstörung der Logistik der Dealer auch Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 6.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

würden und dadurch der Zugang nicht so einfach möglich sei800. Letztlich wird auch die indirekte Wirkung auf die Anzahl der Mitglieder der Drogenszene die abschreckende Wirkung der Aufenthaltsverbote und angedrohten Zwangsgelder genannt801. Gegenüber auswärtigen Drogenhändlern werden Aufenthaltsverbote erlassen, um sie fernzuhalten und somit eine Verfestigung der Szene zu verhindern802. Angesichts dieser Auswirkungen von Aufenthaltsverboten und auch vor dem Hintergrund, dass in der Praxis teilweise als erwiesen gilt, dass diese Maßnahmen zur Zerstörung zumindest aber zur Verringerung der Drogenszene führen803, ist ihre Geeignetheit zu bejahen. Gegen diese großzügige Auslegung des Zweckes und damit auch der Geeignetheit von Aufenthaltsverboten werden wiederum die Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG angeführt. Dieser lässt Eingriffe in das Grundrecht der Freizügigkeit nur zur Vorbeugung strafbarer Handlungen zu. Daher müsse auch das Ziel der eingreifenden Maßnahme die Verhinderung von Straftaten sein. Rachor804 bemisst die Geeignetheit des Mittels zur Verhinderung von Straftaten danach, ob der Aufenthalt eines Täters an einem bestimmten Ort „notwendige Voraussetzung“ für die Begehung der Tat oder nur „austauschbares Element der Tatgelegenheit“ ist. Im ersteren Fall sei ein Aufenthaltsverbot geeignet, die Straftat zu verhindern. Daher seien Aufenthaltsverbote zur Vorbeugung von Taten geeignet, die nur in bestimmten Gebieten verboten sind, wie zum Beispiel die Straßenprostitution im Sperrbezirk. Außerdem seien Aufenthaltsverbote geeignetes Mittel, wenn es sich um Straftaten handelt, die bei besonderen Ereignissen auftreten, wie zum Beispiel die Krawalle während der Chaostage in Hannover. Hingegen sieht Rachor für den Drogenhandel keine Orstgebundenheit. Vielmehr könne der Drogenhandel an jedem Ort stattfinden. Dass er häufig an Bahnhöfen oder in Parks stattfinde, liege an der dort für die offene Drogenszene günstigen Infrastruktur. Diese sei aber nicht notwendige Voraussetzung für die Begehung der Rauschgiftdelikte, die ohne weiteres auch an anderen Orten ___________ 800 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136; vgl. auch VGH München, NVwZ 2000, 454/456; Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 6. 801 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 802 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover. Gegenüber auswärtigen Drogendealern werden daher auch weitreichendere Aufenthaltsverbote erlassen, als gegen solche, die aus der entsprechenden Gemeinde oder Stadt stammen: vgl. dazu die Praxis der Polizeidirektion Hannover, oben C. V. 1. 803 s. dazu oben C. V. 1. Teilweise wird zwar nur eine Geeignetheit im Rahmen von Maßnahmekonzepten angenommen, dies spricht jedoch nicht gegen die Geeignetheit im einzelnen Fall. 804 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 469 f.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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begangen werden könnten. Durch die Aufenthaltsverbote werde lediglich verhindert, dass die Betroffenen die Straftat im entsprechenden Gebiet begingen, aber nicht deren Begehung in einem anderen Gebiet oder in anderer Art und Weise, also nicht mehr in Form einer offenen Szene805. Das sei kein Zweck, der vom Kriminalitätsvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG gedeckt sei. Es handele sich um die Bekämpfung unliebsamer Begleiterscheinungen offener Drogenszenen in bestimmten, ansonsten attraktiven Gebieten, die nicht mehr von Art. 11 Abs. 2 GG gedeckt sein könne, wolle man diesen nicht in seiner Bedeutung gänzlich herabsetzen806. Für den Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG genügt es jedoch, wenn Straftaten vorgebeugt wird. Dafür ist es ausreichend, dass eine Straftat an einem bestimmten Ort verhindert wird, ohne dass gesichert sein müsste, dass diese nicht an einem anderen Ort begangen wird. Freilich reicht die bloße Verschiebung des Ortes nicht aus. Die reine Verdrängung der Szene von einem Gebiet in ein anderes Stadtgebiet dient nicht der Verhütung von Straftaten und ist daher auch untauglicher Zweck vor Art. 11 Abs. 2 GG. Wie gezeigt, geht mit der Verdrängung jedoch meist eine Erschwerung der Begehung von Drogendelikten in anderen Gegenden einher, so dass Straftaten zumindest in einem bestimmten Umfang verhindert werden. Soweit es bei der Verdrängung auch um die Entfernung der unerwünschten Begleiterscheinungen der Drogenszene aus einem bestimmten Stadtgebiet geht, wäre dies in der Tat kein legitimer Zweck. Das verhindert jedoch nicht, dass daneben durch die Aufenthaltsverbote ein legitimer Zweck verfolgt wird. Als weitere Argumente gegen die Geeignetheit werden die erheblichen Probleme und die neuen Gefahren genannt, die durch die Verdrängung der Drogenszene in andere Stadteile oder auch in öffentliche Verkehrsmittel entstehen. Dadurch wird in der Tat die Kontrolle und Überwachung durch die Polizei erschwert807. Insbesondere wenn die Drogengeschäfte nunmehr verdeckt ablaufen, sind sie schwerer zu entdecken808. Außerdem werden die Arbeit der sozialen Einrichtungen, wie Beratungsstellen und andere Hilfsangebote, in der Drogenszene massiv beeinträchtigt. Die Mitglieder der Szene halten sich nicht mehr in den üblichen Gebieten auf. Dadurch sind sie für die Sozialarbeiter schwerer zu erreichen, bereits bestehende Kontakte werden wieder aufgelöst809. Diese negativen Begleiterscheinungen sind jedoch im Rahmen der Geeignetheitsprüfung irrelevant, solange sie nicht die Förderung des Ziels gänzlich ver___________ 805

So auch: Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 202. So auch: Waechter, NdsVBl. 1996, 196. 807 Zur Situation in Bremen: Lesting, KJ 1997, 214/220. 808 Vgl. Permien/Zink, in: Ludwig-Mayerhofer (Hrsg.), Soziale Ungleichheit, Kriminalität und Kriminalisierung, 149/163. 809 s. oben C. V. 1. 806

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

hindern. Insoweit handelt es sich um rechtspolitische Erwägungen ohne verfassungsrechtliche Beachtlichkeit810. Noch stärkere Bedenken hinsichtlich der Geeignetheit ergeben sich, wenn es um Aufenthaltsverbote gegenüber Wohnungslosen und Trinkern geht. Unabhängig davon, dass hier das Vorliegen einer Gefahr der Begehung von Straftaten im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG noch größeren Zweifeln unterliegt811, ist eine Behebung dieser durch Aufenthaltsverbote zu verneinen. Es ist im Gegenteil sogar von einer Verschärfung der Probleme auszugehen. Das soziale Umfeld dieser Personengruppen liegt im öffentlichen Raum an den jeweiligen Szenetreffpunkten. Ein Aufenthaltsverbot beinhaltet daher immer auch einen Ausschluss aus diesem812. Daneben wird ihnen der Zugang zu Angeboten der Sozialarbeit erschwert. Die Ausgrenzung der Betroffenen aus der sozialen Gemeinschaft wird vertieft, die damit zusammenhängenden Probleme noch erheblich verstärkt813. Daher wird auch von Vertretern der Polizei die Geeignetheit von Aufenthaltsverbote in diesen Fällen verneint814. Es ist anzunehmen, dass es im Gegensatz zur Verdrängung von Mitgliedern der Drogenszene aus dieser angestammten Bereichen, bei der Verdrängung von Wohnungslosen und Trinkern nicht zu einer Abschwächung eventuell vorhandener Kriminalität, sondern durch die weitere soziale Ausgrenzung allenfalls zu einer Verstärkung derselben kommt. Neben der Abwehr von Gefahren wird ein weiteres Ziel mit der Verdrängung von Obdachlosen aus dem Gemeindegebiet durch Aufenthaltsverbote verfolgt, dass in der Öffentlichkeit so nicht oft genannt wird. Da Wohnungslose einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe in der Gemeinde haben, in der sie gemeldet sind, liegt es oft im Interesse der Gemeinden, diese Personen in andere Gemeinden zu drängen815. Das ist jedoch kein legitimer Zweck im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG.

bb) Erforderlichkeit Aufenthaltsverbote müssen sich, soweit man die Geeignetheit bejaht, am Grundsatz der Erforderlichkeit messen lassen, also das zur Bekämpfung der ___________ 810

So auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 185. s. oben C. VI. 2. d) bb) (3); e) cc) (3); g) cc) (2), (3). 812 So auch: Hecker, Infoblatt Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei, Nr. 2, Mai 1998, 6. 813 s. dazu oben C. V. 1., vgl. auch Hecker, NVwZ 2003, 1334/1335. 814 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen; einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen. 815 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen; einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei-Landesbezirk Hessen. 811

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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jeweiligen Gefahr wirksame, den Einzelnen oder die Allgemeinheit am wenigsten belastende Mittel sein816. Im Zusammenhang mit Aufenthaltsverboten gegen Mitglieder der offenen Drogenszene sind daher zunächst sonstige präventive Maßnahmen zur Einschränkung der von dieser ausgehenden Gefahren817 auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Hier kommen insbesondere Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen, Sicherstellungen und kurzfristige Platzverweise in Betracht. Deren Wirksamkeit ist jedoch geringer als die von langfristigen Aufenthaltsverboten, weil es sich um Maßnahmen lediglich vorübergehender Natur handelt. Die Betroffenen erscheinen nach kurzer Zeit wieder am selben Ort und begehen dort auch in der Regel wieder Straftaten818. Aufenthaltsverbote ergehen in der Praxis außerdem nur gegen solche Personen, gegen die bereits mehrfach Platzverweise oder andere Maßnahmen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ergangen sind und die trotzdem wieder am entsprechenden Ort bei einem Verstoß angetroffen werden819. Gegenüber dem in den meisten Polizeigesetzen geregelten Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises, stellt das Aufenthaltsverbot außerdem die geringere Grundrechtsbeeinträchtigung dar820. Daher ergeben sich bezüglich der grundsätzlichen Erforderlichkeit von Aufenthaltsverboten keine Bedenken821. ___________ 816 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 7; so auch die Regelungen in den einzelnen Landespolizeigesetzen. 817 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (1), e) cc) (1). 818 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 473. 819 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. S. u.a. Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 6 und 13; Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.4. ; Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Bremischen Polizeigesetzes vom 04.September 2001, 3; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (AB SOG LSA), Runderlass des Ministeriums des Innern vom 24.08.2000 MBl. LSA Nr. 28/2000 vom 9.10.2000, 864. 820 Vgl. so auch: Begründung im Gesetzesentwurf der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. April 2001, 38; Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (AB SOG LSA); Runderlass des Ministeriums des Innern vom 24.08.2000 MBl. LSA Nr. 28/2000 vom 9.10.2000, 864. 821 So auch Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Deger, VBlBW 1996, 90/93 (Deger nennt lediglich Personenkontrollen als alternative Maßnahmen); Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 189; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136 (Lat-

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Der Grundsatz der Erforderlichkeit führt jedoch in jedem Fall zu einer Begrenzung der zeitlichen und räumlichen Ausdehnung von Aufenthaltsverboten. Das wird auch in den teilweise vorhandenen landesgesetzlichen Spezialregelungen ausdrücklich festgestellt durch die Voraussetzung, dass das „Verbot zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftaten erforderlichen Umfang zu begrenzen ist“822. Was genau aber unter zeitlicher und örtlicher Erforderlichkeit zu verstehen ist, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Bezüglich der zeitlichen Begrenzung wurden in den neuen Spezialregelungen zu Aufenthaltsverboten in den Ländern nur teilweise spezifische und sehr unterschiedliche Regelungen getroffen. Soweit eine zeitliche Höchstgrenze gesetzlich geregelt ist, liegt diese zwischen zehn Wochen823 und drei Monaten824. Das sachsenanhaltinische Sicherheits- und Ordnungsgesetz vom 7. Dezember 2001 unterschied zwischen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, in deren Fall das Aufenthaltsverbot bis zu vierzehn Tagen reichen durfte, und den anderen genannten Straftaten, in deren Fall das Aufenthaltsverbot vier Tage nicht überschreiten durfte825. Die neue Regelung vom 23. September 2003 enthält nunmehr eine einheitliche und deutlich weitere Zeitgrenze von zwölf Monaten826. In Berlin ergehen in der Regel Aufenthaltsverbote von drei bis sechs Monaten827, in Hannover können sie bis zu neun Monaten gelten828. Der VGH München hat sogar ein Aufenthaltsverbot von zwölf Monaten gegen ein aktives Mitglied der offenen Drogenszene für erforderlich und damit zulässig erachtet829. In der Literatur wird zum Teil für Aufenthaltsverbote gegen Mitglieder einer Drogenszene verlangt, diese auf bestimmte Tageszeiten zu begrenzen, ___________ zel/Lustina verlangen aber eine Begrenzung auf „tatrelevante Tageszeiten“); OVG Bremen, NVwZ 1999, 314, 317 f. 822 § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG („zeitlich auf längstens drei Monate“); § 14 Abs. 2 BremPolG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG („für die zur Verhütung der Straftat erforderliche Zeit“); § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 823 § 52 Abs. 3 MVSOG. 824 § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 31 Abs. 3 S. 3 HessSOG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 825 § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG vom 7. Dezember 2001 (GVBl. LSA S.540). 826 § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG vom 23. September 2003 (GVBl. LSA S. 214) In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dazu ausgeführt, dass „[…] die Befristung […] auf vier Tage (im Falle einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz auf 14 Tage) den Erfordernissen einer wirksamen Gefahrenabwehr nicht gerecht wird.“ (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drucksache 4/400, 20). 827 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. 828 Musterverfügung der Polizeidirektion Hannover. 829 VGH München, NVwZ 2000, 454.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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weil die Drogenszene auch nur zu bestimmten Tageszeiten auftrete830. Welche genaue zeitliche Höchstgrenze dem Grundsatz der Erforderlichkeit entspricht, hängt vom Einzelfall ab. Auch soweit Zeiträume in den gesetzlichen Grundlagen festgelegt sind, handelt es sich um Höchstgrenzen, deren Ausschöpfung im jeweiligen Anwendungsfall erforderlich zur Erreichung des Zwecks sein muss. Je länger ein Aufenthaltsverbot jedoch dauert, umso höher wird die Rechtfertigungslast im Rahmen der Angemessenheit. Der örtliche Bereich wird in den gesetzlichen Grundlagen nicht besonders konkretisiert, sondern als „ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet“831, „bestimmtes Gebiet innerhalb von Berlin“832, „Gemeindegebiet oder -gebietsteil“833 beschrieben. Die konkreten Aufenthaltsverbotsverfügen betreffen meist ein bestimmtes Stadtviertel834, in München und Hannover werden bei Aufenthaltsverboten gegen Mitglieder der Drogenszene alle vom Drogenhandel betroffenen Stadtviertel erfasst, unabhängig davon, in welchem Gebiet der Betroffene auffällig geworden ist835. Gegenüber Personen, die ihren Wohnsitz außerhalb Hannovers haben, ist die gesamte Stadt Hannover vom Aufenthaltsverbot umfasst836. Die Ausdehnung auf alle bezüglich des Drogenhandels betroffenen Stadtgebiete, stellt zwar zunächst eine stärker belastende Maßnahme dar. Sie führt jedoch dazu, dass die betroffene Person nicht lediglich in diese Gebiete ausweicht und dort weitere Straftaten begeht837. Ein solches Ausweichen würde im Gegensatz zur Verdrängung der gesamten Drogenszene in andere Stadtgebiete auch nicht zu einer Erschwerung der Begehung von Drogendelikten führen838, weil die anderen Problembereiche derselben Stadt durch die dort ebenfalls vorhandenen Drogenszenen dieselben ___________ 830

Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 206; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/136. 831 § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 13 Abs. 3 RhPfPOG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG. 832 § 29 Abs. 2 BerlASOG. 833 § 31 Abs. 3 HessSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 834 Zum Beispiel in Berlin: weiträumig das Gebiet um den Helmholtzplatz, Begrenzungen: Norden: S-Bahn-Trasse zwischen Schönhauser Allee und Prenzlauer Allee, Osten: Prenzlauer Allee, Süden: Danziger Straße, Westen: Schönhauser Allee; in München: nähere Umgebung des Hauptbahnhofes, die Gebiete um die Bereiche der UBahnhöfe Universität und Giselastraße einschließlich Leopoldpark, Münchner Freiheit mit angrenzendem nördlichen Bereich sowie Orleansplatz einschließlich Orleansstraße und Postwiese. 835 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3; Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover; s. auch oben C. V. 1. 836 Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover. 837 Korrespondenz mit einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, Polizeipräsidium München – Abteilung Einsatz E 3. 838 s. dazu oben C. VI. 3. c) aa).

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

begünstigenden Bedingungen geben. Daher sind Aufenthaltsverbote, die alle durch Drogenszenen betroffenen Stadtgebiete umfassen, effektivere und somit erforderliche Mittel. Die Ausdehnung von Aufenthaltsverboten auf ein gesamtes Stadtgebiet wird insbesondere gegenüber auswärts wohnenden Mitgliedern der Drogenszene praktiziert839, um eine Verstärkung der vorhandenen örtlichen Drogenszene zu verhindern840. Eine Begrenzung der Aufenthaltsverbote nur auf Teile eines Stadtgebietes wäre wiederum keine gleich geeignete Maßnahme. In einigen Bundesländern wird im Zusammenhang mit der Drogenszene verstärkt auf repressive Maßnahmen, insbesondere die strafrechtliche Verfolgung von Drogendealern gesetzt841. Die repressiven Maßnahmen werden jedoch zum einen als Teil eines Maßnahmekonzepts gesehen, in dem auch Aufenthaltsverbote eine Rolle spielen842, beziehungsweise sie werden bevorzugt, soweit es für Aufenthaltsverbote keine Ermächtigungsgrundlage gibt843. Außerdem handelt es sich im Zweifel nicht um weniger belastende Maßnahmen als Aufenthaltsverbote und bezüglich der Vorbeugung von Straftaten auch nicht um ebenso effektive844.

cc) Angemessenheit Soweit man die Geeignetheit und Erforderlichkeit bejaht, müssen Aufenthaltsverbote letztlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne beziehungsweise ___________ 839

Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover; vgl. zum verstärkten Vorgehen gegenüber auswärtigen Szenemitgliedern auch Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 186. Das OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454 hat diese Vorgehensweise aufgrund des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes für verhältnismäßig gehalten. 840 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeidirektion Hannover. 841 s. dazu oben C. V. 1.; Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Hamburg. 842 Korrespondenz mit dem Leiter der Direktion Sonderdienste beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main. 843 Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizei Hamburg. 844 A.A. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 476: Aufenthaltsverbote seien unverhältnismäßig, weil sie nur substitutiven Charakter gegenüber den eigentlich einschlägigen repressiven Maßnahmen hätten. Dass in der Praxis Aufenthaltsverbote vorgezogen würden, läge daran, dass die strafrechtlichen Bestimmungen häufig nur geringe Strafen vorsehen. Darin zeige sich aber auch, dass die im Zusammenhang mit der Drogenszene entstehenden Gefahren nicht schwer genug wögen, um die stark belastenden Aufenthaltsverbote zu rechtfertigen.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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angemessen sein. Das bedeutet, dass die Maßnahme nicht zu einem Nachteil führen darf, der außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht845. Voraussetzung dafür ist, dass in jedem Fall der Erteilung eines Aufenthaltsverbotes eine Einzelfallentscheidung bezüglich zeitlicher und räumlicher Ausdehnung getroffen wird, die die persönliche Situation des Betroffenen beachtet und in die auch die Häufigkeit des Antreffens bei kriminellen Handlungen einfließen muss846. Dies ist problematisch, wenn Aufenthaltsverbote in Form von pauschalisierenden Allgemeinverfügungen ergehen847. Die Stadt Stuttgart hat sowohl gegen Personen, die der Drogenszene, als auch der „Punk-Szene“ zuzurechnen sind, Allgemeinverfügungen erlassen, die Aufenthaltsverbote enthielten. Diese wurden von der Rechtsprechung aufgehoben, weil sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht würden848. Im Rahmen der Allgemeinverfügungen sei keine Beurteilung des Einzelfalls und demnach Beachtung der jeweils betroffenen Rechtsgüter möglich849. Die fehlende Beurteilung des Einzelfalls wirkt sich jedoch nicht erst auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit, sondern bereits dahingehend aus, dass nicht alle Personen, die der Szene zuzurechnen sind und sich an einem Treffpunkt dieser befinden, unproblematisch als Verantwortliche im Sinne des Polizeirechts herangezogen werden können850. Im Rahmen der Angemessenheit von Aufenthaltsverboten gegenüber Mitgliedern der Drogenszene wird von Literatur und Rechtsprechung verlangt, dass Ausnahmen bezüglich des Betretungsverbotes eines Gebietes gemacht werden, die es dem Betroffenen erlauben, den notwendigen persönlichen Bedürfnissen innerhalb des betroffenen Gebietes nachzugehen851. Dabei wird immer eine Ausnahme befürwortet, wenn sich die Wohnung des Betroffenen im ___________ 845 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 30; so auch die Regelungen in den einzelnen Landespolizeigesetzen. 846 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Hecker, NVwZ 1999, 261/263; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 204. 847 Auf das damit zusammenhängende Zuständigkeitsproblem soll hier nicht näher eingegangen werden. In Sachsen hat sich das Problem durch die Einführung der Neuregelung erledigt, nach § 60 Abs. 3 SächsPolG ist eine Parallelzuständigkeit von Polizeibehörden und Polizeivollzugsdienst gegeben. Zu Rechtslage in Baden-Württemberg s. Hufeld, VBlBW 1999, 130 ff. 848 Zur Drogenszene VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225; zur Punk-Szene VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115. 849 VG Stuttgart, NVwZ-RR 1998, 103/104 f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115. 850 s. dazu oben C. VI. 2. c) und d) bb) (3) (a). 851 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Deger, VBlBW 1996, 90/93; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 205 f.; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 477; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; VGH München, NVwZ 2000, 454; OVGBremen, NVwZ 1999, 314/317f; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

entsprechenden Gebiet befindet852. Ansonsten werden unterschiedliche Bedürfnisse als ausnahmefähig angesehen. So werden häufig Besuche des Arztes, Rechtsanwaltes, sozialer Einrichtungen, wie Drogenberatungsstellen, oder von Behörden853, der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln854 und teilweise auch die Pflege sozialer Kontakte, also der Besuch von Freunden, die im betroffenen Gebiet wohnen, sowie die Teilnahme am kulturellen Leben855 genannt. Die spezialgesetzlichen Regelungen enthalten alle eine Ausnahmeregelung bezüglich des Zugangs zur Wohnung, soweit diese im Verbotsgebiet liegt856. Zum Teil wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem Betroffenen in diesem Fall auch sonst die Bewegungsfreiheit in zumutbarer Weise ermöglicht werden muss857. Daneben erwähnen die Gesetze teilweise, dass das Aufenthaltsverbot die Wahrnehmung der „berechtigten“ Interessen durch den Betroffenen nicht verhindern darf und diesbezüglich Ausnahmen zu gewähren sind858. Die Ansichten in der Praxis dazu, wann eine Ausnahme vom Aufenthaltsverbot zu gestatten ist, sind ebenso wie die in Literatur und Rechtspre___________ 852

Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Deger, VBlBW 1996, 90/93; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 477; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454. 853 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Deger, VBlBW 1996, 90/93; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 477; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 Rn 135; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; VGH München, NVwZ 2000, 454; OVGBremen, NVwZ 1999, 314/318. 854 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 477; VGH München, NVwZ 2000, 454; den Ausschluss des Zugangs zu öffentlichen Verkehrsmitteln sieht das OVG Bremen als gerechtfertigt an, weil im konkreten Fall der Drogenhandel auch in den betroffenen Straßenbahnlinien erfolgte und die Hindernisse, die sich hieraus für das Erreichen anderer Stadteile ergeben, überwindbar sind: OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/317f; vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, 231. 855 Cremer, NVwZ 2001, 1218/1219; Hecker, NVwZ 1999, 261/263; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318. 856 § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 29 Abs. 2 BerlASOG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 17 Abs. 4 NdsSOG; § 13 Abs. 3 RhPfPOG; § 12 Abs. 3 SaarlPolG; § 36 Abs. 2 SachsAnhSOG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 857 Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz Brandenburg, 16.3. ; Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, Runderlass des Ministerium des Innern vom 16.07.1998 (Nds. MBl. S. 1078) zu § 17; Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 858 § 18 Abs. 2 ThürPAG: „[…] die Wahrnehmung seiner [des Betroffenen] berechtigten Interessen im bestimmten örtlichen Bereich nicht beschränken […]“;§ 16 Abs. 2 BbgPolG: „die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Betroffenen und anderer Personen nicht verhindern“. Ähnlich: § 14 Abs. 2 BremPolG; § 31 Abs. 3 HessSOG: „aus einem [der Wohnung] vergleichbar wichtigem Grund“; § 12 Abs. 3 SaarlPolG: „in begründeten Fällen“.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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chung uneinheitlich859. Die weiteste Spanne wird mit „allen persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens“ gewährt860; die engste lediglich mit den „zwingenden Verrichtungen des täglichen Lebens“ beziehungsweise „unabweisbaren Angelegenheiten“ 861. Für die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist vor allem entscheidend, wie diese Ausnahmeregelungen gewährt werden, weil davon die tatsächliche Praktikabilität und somit auch Belastung für den Betroffenen im Einzelfall abhängt. Soweit der Betroffene die Ausnahmegründe vor oder bei Erlass der Verfügung substantiiert vorträgt, verlangen die Gerichte, dass die Ausnahme konkret in die Verfügung aufgenommen wird862. Werden solche Gründe nicht vorgetragen, soll es genügen, dass der Betroffene in der Verfügung auf die Möglichkeit der Ausnahmeregelung hingewiesen wird863 oder ein solcher Hinweis entbehrlich sei864. Dagegen wird richtig angeführt, dass die Behörde im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Anhörung verpflichtetet ist, auf die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen hinzuweisen865. Entsprechend wird in den schriftlichen Aufenthaltsverbotsverfügungen auch regelmäßig die Möglichkeit von Ausnahmeregelugen genannt. Die Handhabung bei tatsächlichem Vorliegen von Ausnahmegründen erfolgt hingegen aus Sicht der Betroffenen in einer erschwerenden Art und Weise866. Nur in München werden die Ausnahmen direkt in den Verfügungen genannt867, sodass davon auszugehen ist, dass sie bei Vorliegen der Gründe ohne weiteres gelten. Im Übrigen muss der Betroffene das Betreten aufgrund einer Ausnahme schriftlich oder durch persönliches Erscheinen868, teilweise telefonisch869 bei ___________ 859

s. zur Praxis oben C. V. 1. Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995. 861 Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 862 Vgl. OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318; OVG Münster NVwZ 2001, 231/232. 863 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318. 864 OVG Münster NVwZ 2001, 231/232. 865 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 460. 866 s. dazu oben C. V. 1. 867 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995: „Zwar wird Ihnen in Bereichen der Landeshauptstadt München der Aufenthalt untersagt, unbenommen bleiben Ihnen aber alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens wie etwa das Einkaufen, der Besuch von Verwandten, Behörden, anderer Dienststellen, Arztpraxen, Beratungsstellen etc.“ So genanntes beschränktes Aufenthaltsverbot, vgl. dazu VG München v. 12.10.1998, M 17 S 98.1236, unveröffentlichte Entscheidung, durch VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben. 868 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Korrespondenz mit einer 860

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

der Behörde anzeigen und das Vorliegen der Gründe glaubhaft machen, wobei ihm in einigen Ländern die Beweislast auferlegt ist870. In manchen Ländern wird die Genehmigung der Ausnahme in einem gesonderten Bescheid erlassen, den der Betroffenen in der Verbotszone mitführen und bei Bedarf vorlegen muss871. Beachtet man diese Umstände in der Praxis, erscheint der Ausnahmegrund der „Verrichtungen des täglichen Lebens“ praktisch nicht ausführbar. Wenn der Betroffene für jeden Besuch von Freunden, Bekannten, die Pflege sozialer Kontakte schlechthin oder aber den Besuch kultureller Einrichtungen jeweils das Bestehen der Ausnahmegründe erst schriftlich oder durch persönliches Erscheinen anzeigen (beziehungsweise die Ausnahmegenehmigung beantragen) muss, werden diese alltäglichen Verrichtungen faktisch schwer zugänglich und wohl kaum in der Art und Weise wahrgenommen werden, die durch den Begriff „alltäglich“ zum Ausdruck kommen soll. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nicht dadurch als gewahrt angesehen werden, dass solche weitreichenden Ausnahmen grundsätzlich anerkannt werden, wenn sie in der praktischen Umsetzung durch die genannten Mechanismen nicht zum tragen kommen872. Die bloße Anerkennung des Bestehens von Ausnahmegründen stellt die Verhältnismäßigkeit einer Verfügung nicht her, wenn jene im Einzelfall von der Gewährung von Ausnahmen für die „Pflege persönlicher Beziehungen873“ oder aber anderer täglicher Verrichtungen abhängt. Aber auch der Besuch eines Arztes, Rechtsanwaltes oder einer Drogenberatungsstelle dürfte sich durch die vorherige Beantragung unzumutbar erschweren. Es genügt nicht, ___________ Vertreterin der Polizeidirektion Hannover; Korrespondenz mit einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Land Brandenburg; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15. 869 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau; Musterbescheid in: Landespolizeischule Berlin Mediendienst (Hrsg.), Aufenthaltsverbotsverfügung, 15: in Berlin sind für die Beantragung sowohl Adresse als auch Telefonnummer angegeben, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die telefonische Beantragung immer möglich ist. 870 Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 871 Korrespondenz mit einer Vertreterin der Polizeidirektion Hannover. 872 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226, der noch die Ausnahme der Geschäfte des täglichen Lebens, „wie das Einkaufen, soziale Kontakte zu Freunden, Bekannten und Verwandten […] sowie die Teilnahme am kulturellen Leben“ verlangte. Dahingegen stellt VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115/116 f. fest, dass eine Allgemeinverfügung nicht dadurch verhältnismäßig würde, dass die zuständige Behörde bei einem begründeten nachgewiesenen Interesse am Betreten des gesperrten Bereichs für den Einzelfall eine Ausnahmegenehmigung erteilen kann. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass es für den Betroffenen unzumutbar und nicht praktikabel sei, für jeden Einzelfall eine Ausnahmegenehmigung zum Betreten des Platzes zu beantragen. 873 So OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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dass immer wieder die Möglichkeit dieser Ausnahmegründe zur Wahrung der Angemessenheit herangezogen wird874, wenn die praktische Handhabung der tatsächlichen Wahrnehmung dieser Interessen entgegensteht. In der Literatur wird die Gewährung von Ausnahmeregelungen außerdem für praktisch unmöglich gehalten, weil die Möglichkeit der Überwachung fehle und auch unklar sei, wer nach welchen Kriterien bestimmt, wann eine Ausnahme zu gewähren ist875. Dieser Einwand ist angesichts der Liste theoretisch möglicher Ausnahmen berechtigt. Die praktische Handhabung erfolgt jedoch wie gezeigt so, dass überhaupt nur solche Ausnahmegründe umgesetzt werden können, die eine vorherige Beantragung erlauben. Die Überwachung ist bei dieser Praxis auch möglich, weil die jeweilige Behörde vor Betreten über die Gewährung entscheidet, so dass der an Ort und Stelle überprüfende Beamte sich entweder auf die mitgeführten Ausnahmegenehmigungen oder aber die Dokumentation der Behörde beziehen kann876. Soweit jedoch für die Kontrolle der Einhaltung von Aufenthaltsverboten und damit auch des Bestehens von Ausnahmegründen das bloße Gesehenwerden im Verbotsbereich ausreichen soll877, ist diese Praxis neben anderen rechtlichen Bedenken unverhältnismäßig. Von Aufenthaltverboten sind meist Mitglieder sozialer Randgruppen betroffen, die selten die Möglichkeit haben oder wahrnehmen, Rechtsschutz gegen entsprechende Maßnahmen einzulegen878. Daher führt eine solche Vorgehensweise, die gerichtlicher Überprüfung unter Beweisgesichtspunkten sicher nicht standhalten würde, in der Praxis dazu, dass diese Personen unrechtmäßig in Anspruch genommen werden. Die Angemessenheit von Aufenthaltsverboten bleibt eine Frage des konkreten Einzelfalls. Je länger die Verbote gelten und je größer das Verbotsgebiet ist, desto höher ist die Belastung des Betroffenen und desto eher ist die Gewährung von Ausnahmen vom Betretungsverbot zu verlangen. Diese werden jedoch wie gezeigt in der Praxis in einer Art und Weise gehandhabt, die in der Regel das Bestehen des Ausnahmegrundes rein theoretisch werden lässt und damit zur Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme führt. ___________ 874

Vgl. zum Beispiel OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 206. Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131/137 verlangen sogar, dass nur unter „polizeilicher Aufsicht“ von den Ausnahmen zum Betretungsverbot Gebrauch gemacht werden könne. Das würde soweit es um persönliche Beziehungen oder Drogenberatungsstellen geht, erst recht zu einer faktischen Unmöglichkeit der Ausübung führen. 875 Denninger in: in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 200. 876 s. dazu oben C. V. 1. 877 s. zur Berliner Praxis oben C. V. 1. 878 Korrespondenz mit Vertretern der Treberhilfe e.V. und Kontakt und Beratung (KuB). So auch Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 476, der von einer „geringen Beschwerdemacht“ spricht.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

d) Bestimmtheit aa) Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltsverbote Der aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleitende879 Grundsatz der Bestimmtheit von Gesetzen gebietet für eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten, dass diese „nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt“ sein muss, „so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird“880. An die tatbestandliche Fixierung sind jedoch keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen zu stellen881. Der Grad der jeweils zu fordernden Bestimmtheit ist von den sachlichen Besonderheiten des Regelungsgegenstandes abhängig. Das heißt, dass Rechtsvorschriften so genau zu fassen sind, „wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“882. Außerdem spielen bei den Anforderungen an die Bestimmtheit von Gesetzen auch die unter den Vorbehalt des Gesetzes beziehungsweise die Wesentlichkeitslehre fallenden Grundsätze eine Rolle. Demnach müssen bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte eines Individuums die Voraussetzungen vom Gesetzgeber auch genauer formuliert werden883. Bezüglich der spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für Aufenthaltsverbote bestehen Zweifel an der Bestimmtheit. Teilweise wird schon die Formulierung, dass ein „Aufenthaltsverbot zur Verhütung von Straftaten“ ergehen kann, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass eine Person im betreffenden Gebiet „Straftaten begehen wird“, als zu unbestimmt angesehen. Diese Formulierung enthalte eine „rechtstaatswidrige Scheintatbestandlichkeit“ durch die Schaffung uferloser Tatbestände mit vielen Worten, die nichts bedeuten und nichts begründen884. Im Falle solcher Tatbestände zur Vorbeugung von Straftaten sei bei Erlass der Maßnahme nicht geklärt, „welche Straftat von wem wann wo begangen“ würde. Die entsprechenden Tatbestände würden einen subjektiven Schluss aus Indizien, die nicht genannt seien, zur Eingriffsvoraus-

___________ 879 BVerfGE 49, 168/181; BVerfGE 80, 103/107 f.; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 60; Schulze-Fielitz in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 117. 880 BVerfGE 56, 1/12; BVerfG 84, 133/149; BVerwGE 100, 230/236. 881 BVerfGE 56, 1/13. 882 BVerfGE 49, 168/181; 84, 133/149; 93, 213/238. 883 BVerfGE 49, 168/181 f.; BVerfGE 93, 213/238; s. dazu oben: C. VI. 3. a) bb (2). 884 Denninger in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 36; vgl. ders. in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 194 f.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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setzung machen885. Damit sei eine wertende Betrachtung Tatbestand, bei der auch die Wahl der Wertungskriterien im Ermessensbereich des Eingreifenden liegen. Ein solcher Tatbestand entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot. Es dürfe nicht auf eine wertende Annahme, sondern nur auf beweisbare und sichtbare Tatsachen ankommen. Dies könnten nur Worte und Taten sein, die im Vorfeld der Gefahr eben gerade noch nicht gegeben seien. Für die Erfüllung der Tatbestände genüge es, dass die Tatsachen eine Indizwirkung haben, ohne dass sich die daraus gezogenen Schlüsse bereits zur Gewissheit verfestigt haben müssten886. Wie oben887 festgestellt wurde, wird durch die Formulierung „Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen“ der Eingriffsbereich in der Tat in das Vorfeld des Bestehens einer konkreten Gefahr verlegt. Der Grad der Wahrscheinlichkeit entspricht jedoch dem des allgemein anerkannten Gefahrenverdachts. Die Prognose muss sich außerdem auf Tatsachen, also objektiv nach außen tretende Tatbestände, stützen. Insoweit ist auch keine stärkere Subjektivierung gegeben, als sie ohnehin schon im Rahmen des subjektiven Gefahrenbegriffs vertreten wird. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes sind nicht zu hoch anzusetzen. Es genügt, wenn die äußeren Grenzen des Spielraums abgesteckt sind und damit die Möglichkeit richterlicher Überprüfung dieser Grenzen gegeben ist888. Dann ist das Handeln der Verwaltung für den Bürger vorhersehbar und berechenbar889. Das ist bei den Tatbeständen der Fall, weil Tatsachen, also beweisbare oder sichtbare Handlungen, vorliegen müssen, die zumindest eine Indizwirkung bezüglich der Begehung von Straftaten haben müssen. Daneben wird die Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen verneint, soweit die Formulierung „zur Begehung einer Straftat beitragen“890 enthalten ist891. Es sei nicht klar, was der Begriff „beitragen“ bedeute. Wenn damit die Teilnahme im strafrechtlichen Sinne gemeint sei, wäre dies so zu formulieren gewesen und würde ohnehin unter den Tatbestand „eine Straftat begehen“ fallen. Ansonsten ließe diese Regelung aber weiten Raum für Interpretationen. So könnten hierunter auch Personen fallen, die gar nicht Straftäter seien, wie zum Beispiel Bekannte, Freunde und andere „Umfeld-Personen“. In der Tat ist durch die begriffliche Abkoppelung von den durch das Strafrecht hinreichend bestimmten ___________ 885 Lisken in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 46. 886 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 178; Meixner, HSOG, § 13 Rn. 9. 887 C. VI. 2. h) aa). 888 BVerfGE 6, 32/42; 20, 150/158; 21, 72/78 ff. 889 BVerfGE 56, 1/12; BVerfG 84, 133/149; BVerwGE 100, 230/236. 890 § 16 Abs. 2 BbgPolG, § 21 Abs. 2 SächsPolG. 891 Denninger in: Stockar/Gössner (Hrsg.) LT-Frakion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Vom Missbrauch des Polizeirechts, Hannover 1996, 36.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Begriffen die genügende Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltsverbote unnötigerweise aufgegeben worden. Wenn „beitragen“ nicht Teilnahme bedeutet, dann können hierunter auch Personen fallen, die dem Drogensüchtigen zum Beispiel durch Sozialarbeit den Aufenthalt in der Innenstadt erleichtern, etwa warme Räume und Nahrung anbieten. Dass das zu weit ginge, dürfte klar sein, ergibt sich aber nicht aus der gesetzlichen Regelung, die nicht mehr dem Bestimmtheitsgrundsatz entspricht. Soweit die gesetzlichen Grundlagen für Aufenthaltsverbote Ausnahmetatbestände für das Betretungsverbot nennen892, ergeben sich Zweifel an der Bestimmtheit. In der Literatur wird die Bestimmtheit der „berechtigten Interessen“ und die Möglichkeit der Kontrolle der Ausnahmen angezweifelt893. Wie dargelegt894, werden die Ausnahmen in der Praxis jedoch grundsätzlich nur nach gesonderter Anzeige und Glaubhaftmachung der Gründe gewährt. Insoweit ergehen teilweise gesonderte Genehmigungsbescheide beziehungsweise mündliche Bestätigungen, aus denen sich dann zweifelsfrei ergibt, wann und zu welchem Zweck der Betroffene sich im Gebiet aufhalten darf. Dadurch wäre der Grundsatz der Bestimmtheit bezüglich der gesetzlichen Regelungen nur gewahrt, wenn die Entscheidung über die Ausnahme für den Betroffenen bereits aufgrund der Rechtsgrundlage vorhersehbar wäre895. Das ist zweifelhaft, wenn die gesetzlichen Regelungen nur „berechtigte Interessen“ ohne weitere Konkretisierungen nennen. Die Unbestimmtheit betrifft jedoch die Ausnahmen, die einen Grundrechtseingriff im konkreten Fall abschwächen und gerade nicht verstärken. Insoweit dürfen die Maßstäbe nicht zu hoch angesetzt werden. Das ergibt sich auch daraus, dass andere Landespolizeigesetze, die neben dem Betreten der Wohnung bestehenden Ausnahmen nicht nennen, sondern diese sich allein aus dem anzuwendenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben. Aus diesem Grundsatz kann also hergeleitet werden, was unter den „berechtigten Interessen“ zu verstehen ist. Die gesetzlichen Bestimmungen entsprechen insoweit dem Bestimmtheitsgrundsatz.

___________ 892

Vgl: Das Aufenthaltsverbot darf „die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Betroffenen und anderer Personen nicht verhindern“ (§ 16 Abs. 2 BbgPolG); „die Wahrnehmung seiner [des Betroffnen] berechtigten Interessen im bestimmten örtlichen Bereich nicht beschränken“ (§ 18 Abs. 2 ThürPAG) oder ist unzulässig, wenn die betroffene Person „aus einem [der Wohnung] vergleichbar wichtigem Grund auf das Betreten des Bereichs angewiesen [ist].“ (§ 14 Abs. 2 BremPolG). 893 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 200. 894 s. dazu oben C. V. 1. 895 Abgesehen davon, dass diese Praxis zur Unverhältnismäßigkeit der Regelungen führt (s. oben C. VI. 3. c) cc).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

245

bb) Bestimmtheit der Aufenthaltsverbotsverfügungen Der Bestimmtheitsgrundsatz aus § 37 Abs. 1 VwVfG beziehungsweise den entsprechenden landesgesetzlichen Normen verlangt, dass für den Adressaten des Verwaltungsaktes die Regelung, die den Zweck, Sinn und Inhalt des Verwaltungsaktes ausmacht, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann896, ohne dass die Anordnung einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist897. Der Adressat eines Aufenthaltsverbotes muss also zweifelsfrei erkennen können, welches Handeln oder Unterlassen von ihm verlangt wird. Außerdem muss das Aufenthaltsverbot eine hinreichend klare Grundlage für eine Vollstreckung sein, also ohne weitere Konkretisierung als Grundverfügung beziehungsweise Vollstreckungstitel einer Verwaltungsvollstreckung zugrunde liegen können898. Die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes ist gewahrt, wenn etwaige Zweifel durch Auslegung entsprechend § 133 BGB ausgeräumt werden können. Es kommt demnach auf den erklärten Willen der Behörde an, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte899. Dabei kann die Gesamtheit der Umstände, die den Erlass des Verwaltungsaktes kennzeichnen, zur Auslegung hinzugezogen werden900. So können zum Beispiel durch die Beifügung von Plänen und Erläuterungen Zweifel beseitigt werden. In der Praxis werden eventuelle Unklarheiten bezüglich des von einem Aufenthaltsverbot betroffenen Gebietes daher durch beigefügte Karten, auf denen das Gebiet genau eingezeichnet ist, vermieden901. In sich widersprüchliche Angaben, die erst durch ein Werturteil des Adressaten ausgefüllt werden müssen, entsprechen jedoch nicht dem Bestimmtheitsgebot902. Die Bestimmtheit der Aufenthaltsverbotsverfügungen ist wie die der jeweiligen Rechtsgrundlagen dann problematisch, wenn diese aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Ausnahmen vom Verbot gleich beinhalten oder auch die ___________ 896 BVerwG, NVwZ 1986, 919/921; BVerwG, NVwZ 1990, 855 f.; VGH München, NVwZ 2000, 454/457; Obermayer, § 37 Rn. 5; Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rn. 11. 897 BVerwG, NVwZ 1986, 919/921; Obermayer, § 37 Rn. 5; Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rn. 11. 898 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 459; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 11 Rn. 47. 899 Obermayer, § 37 Rn. 9; Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rn. 11; BVerwGE 60, 223/ 228 f. 900 Obermayer, § 37 Rn. 9. 901 Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau. 902 Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rn. 11.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Möglichkeit bieten, solche zu beantragen903. Teilweise wird für die Wahrung des Bestimmtheitsgebots verlangt, dass das Aufenthaltsverbot diejenigen Verhaltensweisen und Tätigkeiten, die eine Ausnahme zum Aufenthaltsverbot darstellen, konkret bezeichnet904. In der Rechtsprechung wird hingegen angenommen, dass die im konkreten Fall zu gewährenden Ausnahmen in der Verfügung nur genannt werden müssen, wenn der Betroffene auf dafür unter Umständen vorliegende Gründe hingewiesen hat905. Ansonsten genüge es, wenn die Verfügung einen Hinweis enthält, dass Ausnahmen gestattet werden können906. In der Praxis wird auf das Bestehen von Ausnahmemöglichkeiten nur allgemein hingewiesen907, die Ausnahme vom Betretungsverbot ist dann jedoch gesondert zu beantragen908. Dadurch werden die gestatteten Verhaltensweisen im Verfahren und der folgenden Genehmigung der Ausnahme konkret bestimmt. Insoweit bestehen keine Zweifel an der Einhaltung des Bestimmtheitsgebots. Die Bestimmtheit ist hingegen bei so genannten beschränkten Aufenthaltsverbotsverfügungen problematisch909. Bei diesen wird dem Betroffenen der „Aufenthalt“ in bestimmten Stadtgebieten untersagt, „unbenommen bleiben“ aber alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens, wie etwa das Einkaufen, der Besuch von Verwandten, Behörden, anderer Dienststellen, Arztpraxen, Beratungsstellen und dergleichen910. Diese Verfügung wurde vom VG München911 als zu unbestimmt angesehen, weil schon unklar sei, wie der Begriff „Aufenthalt“ genau zu definieren und insbesondere von dem dann wohl erlaubten Betreten und Befahren des betroffenen Gebietes abzugrenzen sei. Es sei unter anderem unklar, wann das Betreten zur Benutzung eines Verkehrsmit___________ 903

s. oben C. V. 1. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 459. 905 OVG Münster NVwZ 2001, 231/232; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318. 906 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314/318. 907 Beispielsweise durch die Formulierung: „Ausnahmen von Platzverweisverfahren sind nur möglich, wenn ein berechtigtes Interesse daran besteht, sich in einem der Bereiche aufzuhalten“ (Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart s. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225/226.) oder „Die Verbotsverfügung betrifft nicht den Zugang zur Wohnung. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen wird von der Verbotsverfügung nicht berührt.“ (Anwendungshinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Erlass von Aufenthaltsverboten gemäß § 21 Abs. 2 SächsPolG vom 19.01.2000; Musterbescheid zum Aufenthaltsverbot der Polizeidirektion Torgau). 908 s. oben C. V. 1. 909 s. zur Münchner Praxis oben C. V. 1. 910 Vgl. auch Kopie eines Bescheides des Polizeipräsidiums München – Abteilung Einsatz E 33 – vom 11. Dezember 1995: „Zwar wird Ihnen in Bereichen der Landeshauptstadt München der Aufenthalt untersagt, unbenommen bleiben Ihnen aber alle persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens wie etwa das Einkaufen, der Besuch von Verwandten, Behörden, anderer Dienststellen, Arztpraxen, Beratungsstellen etc.“ 911 VG München v. 12.10.1998, M 17 S 98.1236, unveröffentlichte Entscheidung, Juris Seite 2f (Entscheidung durch VGH München, NVwZ 2000, 454 aufgehoben). 904

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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tels zum Aufenthalt würde, wenn der Betroffene sich eine gewisse Zeit zum Kauf einer Fahrkarte oder zum Warten auf ein Verkehrsmittel im entsprechenden Gebiet befinde. Der VGH München912 sieht hingegen in der Verfügung eine klare Bestimmung, dass der „bloße Aufenthalt im Sinne des „Herumlungerns“, um die Drogenszene zu beobachten und mögliche Kundschaft auszumachen und Geschäfte anzubahnen,“ untersagt sei. Außerdem seien an die Bestimmtheit einer Maßnahme keine überspitzten Anforderungen zu stellen. Dass es hinsichtlich der Verweildauer beim Betreten des Gebietes zur Verrichtung der ausnahmefähigen Angelegenheiten zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen kann, sei eine Frage des Vollzugs, nicht aber der Bestimmtheit und damit Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Dabei übersieht das Gericht, dass das Aufenthaltsverbot im Falle eines Verwaltungsvollzuges als Grundverfügung dient und demnach auch schon für den Vollzug bestimmt genug sein muss. Der Auslegung des VGH München ist außerdem nicht zu folgen, weil ein Verbot des Aufenthaltes in einem bestimmten Gebiet, auch unter dem Vorbehalt der Ausnahmen für die Verrichtungen des täglichen Lebens, bei objektiver Würdigung aus Sicht des Empfängers nicht nur das Verbot zum Aufenthalt zum Zwecke der Vorbereitung oder Begehung von Straftaten gegen das BtMG bedeutet913. Die Bedeutung des Begriffs „Aufenthalt“ ist, soweit damit Ausnahmen verbunden sind, die ein Betreten und Durchqueren des Gebietes zu bestimmten Zwecken erlauben, nicht so klar und unzweideutig bestimmbar, dass der Adressat sein Verhalten danach ausrichten könnte. Die Unklarheiten werden auch nicht bei objektiver Würdigung aus Sicht des Empfängers beseitigt. Daher verstoßen entsprechend formulierte beschränkte Aufenthaltsverbotsverfügungen gegen den Grundsatz der Bestimmtheit914.

4. Verbringungsgewahrsam a) Rechtsgrundlage In keinem Bundesland ist der Verbringungsgewahrsam als Standardmaßnahme geregelt. Daraus wird von Vertretern der Praxis zum Teil geschlossen, ___________ 912

VGH München, NVwZ 2000, 454/457. Vgl. so auch OVG Münster, NWVBl. 2000, 435/436: Ein „Aufenthaltsverbot“ bedeutet bei objektiver Würdigung aus Sicht des Empfängers, ein Verbot gegenüber dem Adressaten, sich innerhalb des bestimmten Gebietes aufzuhalten, „ohne dass es auf Art, Dauer und Zweck des Aufenthalts ankäme“. Außerdem stellt Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 459 richtig fest, dass ein solches Verbot lediglich eine Konkretisierung des ohnehin bestehenden Verbotes, Straftaten zu begehen, sei. 914 So auch: Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 461; Kappeler, BayVBl. 2001, 336/338. 913

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

dass die Maßnahme unzulässig ist915. In einigen Ländern wird der Verbringungsgewahrsam als zulässige Vollstreckungsmaßnahme916, unter anderem zur Durchsetzung eines Platzverweises oder auch als Minusmaßnahme zum Gewahrsam angesehen917. Unabhängig davon, ob die Vertreter der Praxis den Verbringungsgewahrsam für zulässig erachten beziehungsweise seine Anwendung bejahen, handelt es sich um eine durchaus übliche polizeiliche Maßnahme gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen918. In der Literatur wird der Verbringungsgewahrsam zum Teil als Gewahrsam im Sinne der Polizeigesetze angesehen919. Auch wenn der Verbringungsgewahrsam als Gewahrsam eingestuft wird, wird er aber von einigen als gesetzlich nicht vorgesehene und deswegen unzulässige Form dessen abgelehnt920. Dagegen rechtfertigen andere den Verbringungsgewahrsam als Minusmaßnahme, die aufgrund der Vorschriften zum Gewahrsam ergehen kann921 oder als Vollstreckung einer aufgrund der Generalklausel ergangenen Anordnung922. Einhellig abgelehnt wird die Anwendbarkeit der Rechtsgrundlage für den Platzverweis.

___________ 915

Korrespondenz mit einer Vertreterin des Ministeriums des Innern Brandenburg; einem Vertreter des Bayrischen Staatsministeriums des Innern; Korrespondenz mit einem Vertreter der Polizeibezirksinspektion Saarbrücken, St. Johann. 916 Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums des Landes BadenWürttemberg (Vollstreckungsmaßnahme nach § 50 Abs. 1 PolG); Korrespondenz mit einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern: Diese sieht den Verbringungsgewahrsam wegen der kurzen Dauer nicht als Gewahrsam an, es handele sich daher nur um Verbringung, die nach den Vorschriften des unmittelbaren Zwangs nach §§ 30. 32 PolG zulässig sei. 917 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Korrespondenz mit einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport und Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (VVHSOG) des Ministeriums des Innern und für Sport, Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 15. Januar 2001, 198/206. 918 s. oben C. V. 2. 919 Hasse/Mordas, ThürVBl. 2002, 130/132; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 4; Kniesel in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H 566; ders. NJW 1992, 857/866. 920 LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 ff.; Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 11. Auflage Rn. 134; Kappeler, DÖV 2000, 227/234; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 493. 921 Leggereit, NVwZ 1999, 263 ff. 922 Götz, NVwZ 1998, 679, 682f; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 140.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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aa) Befugnisse zum Platzverweis Die Befugnisse zum Platzverweis können nicht als Rechtsgrundlage für den Verbringungsgewahrsam gelten. Nach diesen Vorschriften kann eine Person nur verpflichtet werden, einen bestimmten Ort zu verlassen beziehungsweise nicht zu betreten. Die Verpflichtung, sich an einen bestimmten Ort zu begeben, ist eindeutig nicht von diesen Vorschriften erfasst923. Weil eine Vollstreckungsmaßnahme nicht länger andauern darf als bis zum Erreichen der zu erzwingenden Handlung, wäre der Verbringungsgewahrsam auch nicht als Vollstreckung eines Platzverweises im Wege des unmittelbaren Zwangs gerechtfertigt924.

bb) Befugnisse zur Ingewahrsamnahme Die Befugnisse zur Ingewahrsamnahme kommen in dreierlei Hinsicht als Rechtsgrundlage für den Verbringungsgewahrsam in Betracht. Sie wären einschlägig, wenn es sich beim Verbringungsgewahrsam um einen Gewahrsam im Sinne der Polizeigesetze925 handeln würde. Insbesondere könnte es sich bei entsprechenden vorher ergangenen Maßnahmen um die Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises oder Aufenthaltsverbotes926 handeln. Sollte der Verbringungsgewahrsam keine Ingewahrsamnahme im Sinne des Polizeirechts darstellen, könnte er als Minusmaßnahme auf die Gewahrsamsvorschriften gestützt werden.

___________ 923 Gusy, Polizeirecht, Rn. 297; Maaß, NVwZ 1985, 154; Mußmann, VBlBW 1986, 52/53; Kappeler DÖV 2000, 227/230; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 444; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, S. 129 f. 924 LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/540; VG Bremen, NVwZ 1986, 862/864; Hasse/Mordas, ThürVBl. 2002, 130/131; Maaß, NVwZ 1985, 151/157; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 266. 925 Art. 17 BayPAG; § 17 BbgPolG; § 30 BerlASOG; § 15 BremPolG; § 28 BWPolG; § 13 HbgSOG; § 32 HessSOG; § 55 MVSOG; § 18 NdsSOG; § 35 NWPolG; § 14 RhPfPOG; § 13 SaarlPolG; § 22 SächsPolG; § 37 Sachs-AnhSOG; § 204 SchlHLVwG; § 19 ThürPAG. 926 Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG; § 17 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG; § 30 Abs. 1 Nr. 3 BerlASOG; § 15 Abs. 1 Nr. 3 BremPolG; § 13 Abs. 1 Nr. 3 HbgSOG; § 32 Abs. 1 Nr. 3 HessSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 5 MVSOG; § 18 Abs. 1 Nr. 3 NdsSOG; § 35 Abs. 1 Nr. 3 NWPolG; § 14 Abs. 1 Nr. 3 RhPfPOG; §§ 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG; § 37 Abs. 1 Nr. 3 Sachs-AnhSOG; § 204 Abs. 1 Nr. 4 SchlHLVwG; § 19 Abs. 1 Nr. 3 ThürPAG.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

(1) Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts Einige definieren Gewahrsam als ein mit hoheitlicher Gewalt hergestelltes Rechtsverhältnis, kraft dessen einer Person die Freiheit entzogen wird, indem sie von der Polizei in einer dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise verwahrt und daran gehindert wird, sich fortzubewegen927. Andere lassen es genügen, dass eine Person daran gehindert wird, sich aus einem eng umgrenzten Raum zu entfernen928 beziehungsweise nicht nur ganz kurzfristig verwahrt wird929. Der polizeiliche Gewahrsam fällt unter den verfassungsrechtlichen Begriff der Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG930. Daher ist die Frage, ob es sich beim Verbringungsgewahrsam um eine Freiheitsentziehung als besondere Form der Freiheitsbeschränkung nach Art. 2 Abs. 2 GG handelt, für die Einstufung als Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts entscheidend. Wenn es sich um eine Freiheitsentziehung handelt, gelten entsprechend die besonderen Anforderungen aus Art. 104 Abs. 2 GG, insbesondere der Richtervorbehalt, die auch in den jeweiligen Polizeigesetzen geregelt sind. Die Kriterien, nach denen die Abgrenzung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung und damit auch die Einschätzung erfolgen soll, ob Ingewahrsamnahme vorliegt oder nicht, sind umstritten. Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine Freiheitsentziehung und damit auch Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts nur vorliegt, wenn der Betroffene in einer bestimmten Gewahrsamseinrichtung festgehalten wird. Andere stellen auf die Wirkung einer Maßnahme ab und nehmen Gewahrsam immer dann an, wenn der Betroffene in einem eng umgrenzten Raum festgehalten wird. Ein großer Teil der Literatur und Rechtsprechung grenzt nach dem Zweck der Maßnahme und deren Dauer beziehungsweise Intensität ab.

(a) Ort des Gewahrsams Maaß sieht eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG nur als gegeben an, wenn der Betroffene in einem dafür bestimmten, eng umgrenzten Raum festgehalten wird. Für die nähere Bestimmung sei § 2 Freiheitsentziehungsgesetz heranzuziehen, der Freiheitsentziehung als die „Unterbringung ___________ 927

Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 483; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 25. 928 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 1; LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/539. 929 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 142. 930 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 1; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 142; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 26; vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 486.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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einer Person gegen ihren Willen oder im Zustande der Willenlosigkeit in einer Justizvollzugsanstalt, einem Haftraum, einer Fürsorge, einer abgeschlossenen Krankenanstalt oder einem abgeschlossenen Teil einer Krankenanstalt“ definiert. Entsprechend läge ein Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts nur dann vor, wenn der Betroffene in eine dafür vorgesehene Gewahrsamseinrichtung verbracht wird931. Beim Verbringungsgewahrsam wird die jeweilige Person für die Zeit der Fahrt an den Stadtrand oder einen anderen Ort in einem Polizeifahrzeug festgehalten. Daher würde nach dieser engen Auslegung kein Gewahrsam beziehungsweise keine Freiheitsentziehung vorliegen. Nach dem weiten Gewahrsamsbegriff genügt hingegen die Verwahrung an einem beliebigen eng umgrenzten Ort, wie zum Beispiel in einem Streifenwagen932. Maaß begründet die enge Auslegung außerdem mit der Benachrichtigungspflicht nach Art. 104 Abs. 4 GG. Die Benachrichtigungspflicht sei nur dann sinnvoll, wenn die Gewahrsamseinrichtung für die Vertrauensperson auch erreichbar sei. Das wäre zum Beispiel bei einem fahrenden Polizeifahrzeug nicht der Fall933. Daneben ließe sich auch aus Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG, der Misshandlungen körperlicher und seelischer Art verbietet, herleiten, dass die Freiheitsentziehung in dafür vorgesehenen Räumen erfolgen müsse, weil sich sonst eine angemessene Behandlung nicht sicherstellen ließe934. Abgesehen davon, dass das Freiheitsentziehungsgesetz nur für aufgrund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehungen gilt935, kann es als einfaches Gesetz nicht den verfassungsrechtlichen Begriff der Freiheitsentziehung begrenzen. Außerdem wäre bei einer Begrenzung auf das Festhalten an einem bestimmten Ort der spezielle Schutz des Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG leicht zu umgehen, indem der Betroffene nicht in einer speziellen Gewahrsamseinrichtung untergebracht wird936. Die verfassungsrechtlichen Verfahrensvorschriften müssen bei Nichtbeachtung zwar dazu führen, dass die Maßnahme verfassungswidrig ist. Sie können aber nicht schon das Vorliegen eines Gewahrsams beziehungsweise einer Freiheitsentziehung, deren Folge gerade die Einschlägigkeit dieser Vorschriften ist, verhindern. Darin zeigt sich auch die Schwäche des en___________ 931 Maaß, NVwZ 1985, 151/155 f.; Maaß, VBlBW 1987, 287 f. Dabei wird nicht klar, ob Maaß den verfassungsrechtlichen Begriff der Freiheitsentziehung oder nur den des polizeirechtlichen Gewahrsams an diese enge Voraussetzung knüpfen möchte. 932 OVG Münster, NJW 1980, 138/139 für Gewahrsam im Polizeipräsidium; LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/539; OVG Bremen, NVwZ 1987, 235/236 f. für Gewahrsam im Streifenwagen; Mußmann, VBlBW 1986, 52/53; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 483; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 1; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 128. 933 Maaß, NVwZ 1985, 151/155. 934 Maaß, VBlBW 1987, 287. 935 § 1 Freiheitsentziehungsgesetz. 936 So auch Mußmann, VBlBW 1986, 52/53.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

gen Gewahrsamsbegriffs. Es werden die verfassungsrechtlichen Verfahrensvorschriften einer Freiheitsentziehung für die Begriffsbestimmung derselben herangezogen. Ob eine Freiheitsentziehung vorliegt und die Verfahrensvorschriften anzuwenden sind, kann aber nicht davon abhängen, ob im konkreten Fall das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verfahren durchgeführt wird, unabhängig davon, wie eng die verfahrensrechtlichen Vorgaben der Verfassung ausgelegt werden937.

(b) Festhalten in einem eng umgrenzten Raum Andere stellen auf die Auswirkungen der Maßnahme ab. Danach soll eine Freiheitsentziehung immer dann vorliegen, wenn die Person in einem eng umgrenzten Raum festgehalten wird, unabhängig von Dauer und Zweck der Maßnahme. Eine Ausnahme dazu wird für ein nur flüchtiges Festhalten angenommen, das keine Freiheitsentziehung darstellen soll. Lediglich eine Freiheitsbeschränkung liegt danach vor, wenn die Bewegungsfreiheit nur teilweise eingeschränkt ist, beispielsweise bei einem Betretungsverbot bezüglich eines bestimmten Ortes938. Da der Adressat des Verbringungsgewahrsams für einen längeren Zeitraum in einem Polizeifahrzeug als eng umgrenzten Raum festgehalten wird, wäre nach dieser Definition der Verbringungsgewahrsam als Freiheitsentziehung und Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts anzusehen939.

(c) Zweck, Dauer und Intensität der Maßnahme Die überwiegende Ansicht nimmt die Abgrenzung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung anhand der Intensität der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit vor, die sie anhand des Zwecks und der Dauer der Maßnahme bemisst. Danach soll lediglich eine Freiheitsbeschränkung vorliegen, wenn die polizeiliche Maßnahme primär einen von der Beschränkung der ___________ 937

Maaß, NVwZ 1985, 151/155, ist in seiner Begründung selbst uneindeutig. Als Schlussfolgerung der Abgrenzung von Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung anhand des engen Gewahrsamsbegriffs stellt er auch nur fest, dass „die Freiheitsentziehung in einer dafür eigens vorgesehenen Einrichtung vorzunehmen ist“, nimmt aber später (Maaß, VBlBW 1987, 287) aus demselben Grund an, dass kein polizeilicher Gewahrsam vorläge. In NVwZ 1985, 151/156 stellt er entgegen seiner vorherigen Aussagen fest, dass der Verbringungsgewahrsam zwar eine Freiheitsentziehung darstelle, nicht aber unter die polizeilichen Gewahrsamsvorschriften falle. 938 Mußmann, VBlBW 1986, 52/53; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 104 Rn. 19; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 6. 939 OVG Bremen, NVwZ 1987, 235/237; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 4

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Zweck verfolgt und nur kurzfristig ist940. Sei jedoch die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gerade der polizeiliche Zweck, sei auch eine nur kurzfristige Maßnahme eine Freiheitsentziehung. Ebenso sei eine Maßnahme, die zwar einem anderen Zweck dient, zum Beispiel der Identitätsfeststellung, aber länger andauert, eine Freiheitsentziehung941. Das Kriterium der Dauer bleibt sehr unbestimmt, so dass unklar ist, ab wann eine Maßnahme nicht mehr kurzfristig ist. Teilweise wird ein Zeitraum von zwei Stunden angegeben, der aber auch nur einen Richtwert darstellen kann942. Dieser Abgrenzung folgend wird für den Verbringungsgewahrsam teilweise das Vorliegen einer Freiheitsentziehung im verfassungsrechtlichen Sinne und damit die Einordnung als polizeirechtlicher Gewahrsam abgelehnt. Dabei wird zunächst darauf abgestellt, dass der Zweck nicht die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit im Polizeifahrzeug, sondern die Verbringung an einen anderen Ort sei. Das Festhalten im Polizeifahrzeug sei dabei nur ein untergeordnetes Mittel, dass die Polizei anwende, um den primären Zweck, den Ortswechsel, zu erreichen943. Außerdem dauere die hoheitliche Verwahrung im Polizeifahrzeug nur kurze Zeit, zumindest aber nicht länger als zwei Stunden. Daher könne auch nicht aufgrund der Dauer von einer Freiheitsentziehung, sondern lediglich von einer Freiheitsbeschränkung ausgegangen werden944. Teilweise wird die Einstufung des Verbringungsgewahrsams als bloße Freiheitsbeschränkung auch damit begründet, dass in der kurzen Zeit des Festhaltens im Polizeifahrzeug kein dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG entsprechender präventiver Rechtsschutz zu erreichen sei945. Die entscheidende Frage für die Abgrenzung nach der Intensität der Maßnahme sei die, ob der nach Art. 104 Abs. 2 GG garantierte präventive Rechtsschutz zur Sicherung der betroffenen Grundrechtsposition geeignet und erforderlich sei oder ob nachträglicher Rechtsschutz genüge. Würde man dieser Ansicht folgen, wäre im Falle des Verbringungsgewahrsams eine Freiheitsentziehung grundsätzlich ___________ 940 BVerwGE 62, 325/327 f.; BVerwG, DVBl. 2002, 1263/1265; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 486 f.; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 27. 941 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 486 f.; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 27; BVerwGE 62, 325/327 f. 942 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 142; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 487. 943 VG Bremen, NVwZ 1986, 862 f.; Leggereit, NVwZ 1999, 263/264; Mußmann, VBlBW 1986, 54 f.; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 270; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 128. 944 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 142, Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 129; so auch Korrespondenz mit einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern; vgl. Greiner, Die Polizei 1979, 92/93: In der Regel werden die Betroffenen 20 bis 30 Minuten in den Polizeifahrzeugen festgehalten. 945 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 270.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

zu verneinen, weil die Entscheidung des Richters immer erst nach Beendigung der Maßnahme käme und daher unter die Ausnahmeregelungen zum Richtervorbehalt fiele946. Die Entscheidung, ob eine Freiheitsentziehung tatsächlich vorliegt, kann jedoch wie bereits dargestellt nicht davon abhängen, ob im Einzelfall die vorgeschriebenen Verfahrensregeln tatsächlich eingehalten werden können. Der Grundrechtseingriff besteht auch ohne diese, und gerade dann, wenn die Schutzvorschriften nicht greifen. Teilweise wird dem Verbringungsgewahrsam die Intensität einer Freiheitsentziehung abgesprochen, weil es um die Durchsetzung von Verpflichtungen gehe, denen der Betroffene zunächst freiwillig nachkommen könne. Dahingegen gehe es in den klassischen Fällen der Freiheitsentziehung, wie Straf- oder Untersuchungshaft, um Maßnahmen, die der Betroffene dulden müsse, denen er aber nicht selbst nachkommen könne947. Dieser Ansicht kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Der polizeiliche Gewahrsam ist nach den meisten Polizeigesetzen auch zur Durchsetzung eines Platzverweises zulässig. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Maßnahme, die die Person zuvor freiwillig erfüllen könnte. Einige sehen gerade, wenn auf den Zweck der Maßnahme abgestellt wird, im Verbringungsgewahrsam eine Freiheitsentziehung und damit Ingewahrsamnahme. Der Zweck sei bereits mit dem Aufgreifen der Betroffenen und dem Festhalten im Polizeifahrzeug auf der Fahrt an einen anderen Ort erfüllt. Der Betroffene werde durch die Beschränkung der Bewegungsfreiheit im Polizeifahrzeug zusammen mit der durch die Fahrt folgenden Ortsveränderung vom Gefahrenort entfernt. Daher wäre der Hauptzweck der Maßnahme die Behinderung der Fortbewegungsmöglichkeit, und es würde sich um eine Ingewahrsamnahme handeln, unabhängig davon, wie lange diese dauerte948. Das Abstellen auf die Dauer allein ist aufgrund der vagen Abgrenzungskriterien nicht sinnvoll. Es kann ebenso wenig auf den Zweck einer Maßnahme ankommen, wenn es um die Abgrenzung der Freiheitsbeschränkung von der Freiheitsentziehung geht949. Eine Maßnahme, die an sich einen vollständigen Entzug der Fortbewegungsfreiheit darstellt, ist nicht deshalb kein Eingriff in die Rechte des Betroffenen, die durch Art. 104 Abs. 2 GG gesondert geschützt ___________ 946 Vgl. Art. 18 Abs. 1 S. 2 BayPAG; § 18 Abs. 1 S. 2 BbgPolG; § 31 Abs. 1 S. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BremPolG; § 13 a Abs. 1 S. 2 HbgSOG; § 33 Abs. 1 S. 2 HessSOG; § 56 Abs. 5 S. 2 MVSOG; § 19 Abs. 1 S. 2 NdsSOG; § 36 Abs. 1 S. 2 NWPolG; § 15 Abs. 1 S. 2 RhPfPOG; § 14 Abs. 1 S. 2 SaarlPolG; § 22 Abs. 7 S. 2 SächsPolG; § 38 Abs. 1 S. 2 Sachs-AnhSOG; § 204 Abs. 6 i.V.m. 181 Abs. 4 S. 2 SchlHLVwG; § 20 Abs. 1 S. 2 ThürPAG; beziehungsweise in Baden-Württemberg aufgrund systematischer Erwägungen. 947 Hantel, Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 GG, 179 f. 948 LG Hamburg, NVwZ-RR 1999, 537/540; Kappeler, DÖV 2000, 227/230 f. 949 Kritisch dazu auch Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 104 Rn. 19; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht § 17 Rn. 4.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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werden sollen, weil sie einem anderen Zweck als der Freiheitsentziehung dient. Die Tatsache, dass der Betroffene während der Fahrt im Polizeiauto seines Rechtes auf Fortbewegungsfreiheit vollständig beraubt ist, wird nicht dadurch aufgehoben, dass dafür ein anderer Zweck besteht. Wollte man dieser Ansicht aber folgen und die Einordnung des Verbringungsgewahrsams von dessen Zweck abhängig machen, ist dieser in der Tat als mit dem Aufgreifen und Festhalten im Polizeifahrzeug während der Fahrt erfüllt. Bei der Verbringung von Wohnungslosen und Angehörigen der Drogenszene geht es der Polizei hauptsächlich darum, die betroffenen Personen von einem bestimmten Ort in der Innenstadt zu entfernen und daran zu hindern, schnell wieder an diesen zurückzukehren. Durch das Festhalten im Polizeiauto während der Fahrt an einen anderen Ort, wird der Betroffene vom Ausgangsort entfernt und zu einem weit entlegenen Ort gebracht, von dem ihm die Rückkehr nur schwer möglich ist. Entgegen der ansonsten im Rahmen dieser Abgrenzung genannten Maßnahmen, wie beispielsweise der Identitätsfeststellung oder Vorführung für erkennungsdienstliche Maßnahmen950, kommen keine weiteren davon gesonderten Handlungen zur Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit hinzu, die erst zum tatsächlichen Ziel der Maßnahme führen. Die Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit ist keine zu einer zusätzlichen Maßnahme hinzukommende sekundäre Nebenfolge, sondern gerade die den Hauptzweck der Maßnahme erfüllende Handlung. Demnach wäre, auch wenn die Abgrenzung anhand der Intensität der Maßnahme, also Zweck und Dauer, vorgenommen würde, das Vorliegen einer Freiheitsentziehung und damit auch Gewahrsams im Sinne der polizeirechtlichen Vorschriften gegeben. Beim Verbringungsgewahrsam gegenüber Angehörigen sozialer Randgruppen werden die Betroffenen an einem eng umgrenzten Ort festgehalten. Es handelt sich also um einen Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts. Als solcher ist er aber nicht von den Befugnissen zur Ingewahrsamnahme, wie sie als Standardmaßnahme in den Landspolizeigesetzen geregelt sind, gedeckt. Die Regelungen über den Gewahrsam rechtfertigen das Festhalten des Betroffenen. Von den Ermächtigungsgrundlagen ist auch die Ingewahrsamnahme umfasst, also das Verbringen des Betroffenen an einen Ort, an dem die Person in der dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise verwahrt werden kann951. Dies wird in der Regel eine Gewahrsamseinrichtung der Polizei sein952. Nicht mehr von den Ermächtigungsgrundlagen zur Gewahrsamnahme umfasst ist hingegen der Abtransport des Betroffenen an einen weit entfernten Ort, der nicht der polizei___________ 950

Vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 486. Vgl. Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 12. Auflage, Rn. 218; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 1. 952 Welche Einrichtung ausgewählt wird, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. 951

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

lichen Verwahrung dient, wie das beim Verbringungsgewahrsam der Fall ist953. Einige lösen dieses Problem, indem sie die Umsetzung als eine von der Ingewahrsamnahme getrennte Maßnahme ansehen. Daher soll die Umsetzung nicht auf die Vorschriften zum Gewahrsam gestützt werden, sondern die Vollziehung einer Anordnung aufgrund der Generalklausel darstellen. Dass diese an die Ingewahrsamnahme gekoppelt ist, lasse deren Rechtmäßigkeit nicht entfallen954. Die Ingewahrsamnahme im Polizeiauto erfolgt jedoch gerade zum Zwecke und für die Dauer der Verbringung. Sie als von dieser getrennte Maßnahme zu betrachten, die auf eine gesonderte Rechtsgrundlage gestützt werden könnte, widerspricht daher der Lebenswirklichkeit. Außerdem ist zu fragen, welchen Inhalt die Grundverfügung haben sollte. Würde sie dem Betroffenen aufgeben, den entsprechenden Ort zu verlassen, würde ihm dies durch die Gewahrsamnahme unmöglich gemacht. Die von dieser Gewahrsamnahme getrennt zu betrachtende Vollstreckungsmaßnahme der Grundverfügung, die Verbringung, würde an der tatsächlichen Unmöglichkeit scheitern. Der Verbringungsgewahrsam stellt also einen Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts dar, der jedoch nicht von den Vorschriften der Polizeigesetze gedeckt ist.

(2) Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises Für den Fall, dass der Verbringungsgewahrsam als Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts zu sehen ist, werden die Vorschriften zum Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises955 als Rechtsgrundlage diskutiert. Teilweise wird eine Rechtfertigung durch diese Vorschriften abgelehnt, weil schon die Rechtsgrundlage für einen Platzverweis nur die Befugnis enthielte, einer Person aufzugeben, sich von einem bestimmten Ort zu entfernen, nicht aber sich an einen bestimmten Ort zu begeben956. Daher könne der Platzverweis auch nur eine vorübergehende Entfernung von einem Ort und nicht den Transport in ein ___________ 953

Gusy, Polizeirecht, Rn. 297; Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 11. Auflage, Rn. 134; Kappeler, DÖV 2000, 229/234; LG Hamburg, NVwZRR 1997, 537/538; so wohl auch zu verstehen Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 12. Auflage, Rn. 222. 954 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 140; Vgl. auch Götz, NVwZ 1998, 679/683; s. zur Vollstreckung aufgrund einer Anordnung nach der Generalklausel unten C. VI. 4. a) cc). 955 Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG; § 17 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG; § 30 Abs. 1 Nr. 3 BerlASOG; § 15 Abs. 1 Nr. 3 BremPolG; § 13 Abs. 1 Nr. 3 HbgSOG ; § 32 Abs. 1 Nr. 3 HessSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 5 MVSOG; § 18 Abs. 1 Nr. 3 NdsSOG; § 35 Abs. 1 Nr. 3 NWPolG; § 14 Abs. 1 Nr. 3 RhPfPOG; §§ 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG; § 37 Abs. 1 Nr. 3 Sachs-AnhSOG; § 204 Abs. 1 Nr. 4 SchlHLVwG; § 19 Abs. 1 Nr. 3 ThürPAG. 956 s. oben C. VI. 4. a) aa).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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anderes, weit entferntes Gebiet rechtfertigen957. Diese Ansicht verkennt aber, dass die Vorschrift des Gewahrsams zur Durchsetzung eines Platzverweises und nicht die des Platzverweises an sich Grundlage der Maßnahme wäre958. Der Gewahrsam beinhaltet immer auch das Verbringen des Betroffenen an einen bestimmten Ort; entweder in die Gewahrsamsräume oder an andere Orte, an denen die Person in der dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise an der Fortbewegung gehindert werden kann. Die Vorschrift kann aber nicht als Rechtsgrundlage des Verbringungsgewahrsams herangezogen werden, weil, wie oben bereits erläutert, die Vorschriften des Gewahrsams die Maßnahme nicht decken.

(3) Minusmaßnahme zum Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises Auch wenn die direkte Anwendbarkeit der Gewahrsamsvorschriften für den Verbringungsgewahrsam abgelehnt wird, könnte dieser als so genannte Minusmaßnahme von ihnen gedeckt sein, wenn es sich um einen geringeren Eingriff in die Rechte des Betroffenen handelt. In der Praxis wird die Zulässigkeit des Verbringungsgewahrsams teilweise auf diesem Wege begründet959. In Hessen wird in der Verwaltungsvorschrift zu § 32 Abs. 1 Nr. 3 HessSOG, der den Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises nennt, ausdrücklich festgestellt, dass es bei Vorliegen der Voraussetzungen für den Gewahrsam auch zulässig sei, die betroffene Person während der Ingewahrsamnahme an einen anderen Ort zu verbringen960.

___________ 957 Maaß, NVwZ 1985, 151/154; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 530. 958 Das ist auch der Unterschied zur Durchsetzung eines Platzverweises im Wege des unmittelbaren Zwangs, s. oben: C. VI. 4. a) aa). In diesen Fällen ist der Platzverweis der Grundverwaltungsakt, der vollstreckt wird. Dann dürfen die Zwangsmittel nicht weiter gehen, als die durch die Grundverfügung geforderte Handlung, den Ort zu verlassen. So auch Hasse/Mordas, ThürVBl 2002, 130/131; vgl. zur Kritik an der Subsumtion unter die Vorschrift des Platzverweises Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 139 Fn. 254. 959 Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Korrespondenz mit einem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport und Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (VVHSOG) des Ministeriums des Innern und für Sport, Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 15. Januar 2001, zu § 32 Abs. 1 Nr. 3 1.2., 198/206. 960 Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (VVHSOG) des Ministeriums des Innern und für Sport, Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 15. Januar 2001, 198/206.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Auch in Literatur961 und Rechtsprechung962 wird teilweise vertreten, dass der Verbringungsgewahrsam als milderes Mittel auf die Rechtsgrundlage der Ingewahrsamnahme gestützt werden könne, wenn deren Voraussetzungen gegeben seien. Der Verbringungsgewahrsam sei ein milderes, gleich geeignetes Mittel. Der Eingriff sei kürzer, weil sich die betroffene Person an dem Ort, an den sie verbracht wird, wieder frei bewegen könne. Daher sei es aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sogar geboten, den Verbringungsgewahrsam dem Gewahrsam vorzuziehen963. Andere sehen auch den Zeitraum nach der Freisetzung am entfernten Ort bis zur Rückkehr an den Ursprungsort als fortgesetzte Freiheitsentziehung an. Trotzdem sei der Verbringungsgewahrsam kürzer, weil bei vergleichbarer Fahrtdauer zum Verbringungsort beziehungsweise zur Gewahrsamseinrichtung und vergleichbarer Dauer des Rückweges im Falle des Verbringungsgewahrsams die oft mehrstündige Verwahrung in der Gewahrsamseinrichtung der Polizei entfiele964. Sowohl in der Praxis965 als auch in Rechtsprechung966 und Literatur967 wird diese Rechtfertigung des Verbringungsgewahrsams bezweifelt. Die Vorschriften über die Ingewahrsamnahme würden nur einen Transport bis zum Gewahrsamsraum gestatten. Jeder darüber hinaus gehende Transport, zum Beispiel an den Stadtrand, sei nicht mehr gedeckt. Es handele sich nicht um ein Minus gegenüber der Ingewahrsamnahme, sondern um ein Aliud. Dieses könne nicht mehr auf die Gewahrsamsvorschriften als Rechtsgrundlage gestützt werden968. Eine Rechtfertigung als Minusmaßnahme wird weiterhin abgelehnt, weil eine entsprechende Anwendung der Befugnis zur Ingewahrsamnahme nicht dem besonderen Gesetzesvorbehalt aus Art. 2 Abs. 2 iVm Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG gerecht würde. Dieser verlange ein förmliches Gesetz als Rechtsgrundlage für Freiheitsbeschränkungen. Damit solle sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit, die er bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als notwendig erachtet, in seinen Willen aufge___________ 961 Hasse/Mordas, ThürVBl 2002, 130/132; Leggereit, NVwZ 1999, 263/264 ff.; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 126. 962 BayObLG, NVwZ 1990, 194/197. 963 Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 126: Anders sei dies nur, wenn der Betroffene hilflos wäre. 964 Hasse/Mordas, ThürVBl 2002, 130/132. 965 Korrespondenz mit einem Vertreter des Polizeipräsidiums Westhessen und einem Vertreter der Gewerkschaft der Polizei/Landesbezirk Hessen; s. dazu oben C. V. 2. 966 LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537. 967 Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 11. Auflage Rn. 134; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 494; Kappeler, DÖV 2000, 227/233 f. 968 Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 11. Auflage Rn. 134; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 493.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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nommen und in berechenbarer Weise geregelt hat. Beim Verbringungsgewahrsam kämen zur Ingewahrsamnahme zusätzliche Elemente hinzu, wie die Fremdbestimmung des Aufenthaltsortes. Diese seien nicht vom Willen des Gesetzgebers umfasst gewesen969. Für eine so schwerwiegende Maßnahme wie den Verbringungsgewahrsam bedürfe es einer grundgesetzkonformen Gesetzesgrundlage, die Schutzvorschriften gegen die speziellen Belastungen enthielte, die sich gerade aus der Aussetzung am entfernten Ort ergeben970. Eine analoge Anwendung der Gewahrsamsvorschriften sei auch abzulehnen, weil dadurch die in Übereinstimmung mit Art. 104 GG ergangenen Regelungen des Gesetzgebers umgangen würden. Insbesondere würden beim Verbringungsgewahrsam die den Betroffenen schützenden Verfahrensregeln, wie der Richtervorbehalt und die Benachrichtigung einer Vertrauensperson in der Regel leer laufen971. Dass der Verbringungsgewahrsam nicht als Minusmaßnahme auf die Gewahrsamsvorschriften gestützt werden könne, weil es sich um ein Aliud handele972, überzeugt nicht. In den Fällen des Versammlungsrechts, in denen Minusmaßnahmen durch die Rechtsprechung anerkannt wurden, geht es meist um von der ursprünglichen Rechtsfolge Auflösung verschiedene Maßnahmen, wie zum Beispiel die Sicherstellung973. Es kommt nicht darauf an, dass es sich um eine gleichartige Maßnahme handelt, sondern darauf, dass sie ein milderes Mittel zum Erreichen des Zieles darstellt. Dass der Verbringungsgewahrsam wegen des Elementes des Transportes nicht von den Gewahrsamsvorschriften gedeckt ist, führt zwar dazu, dass diese nicht direkt anwendbar sind. Gerade dadurch eröffnet sich aber erst die Möglichkeit, dass er als mildere Maßnahme und somit als Minusmaßnahme auf diese gestützt werden könnte. Eine analoge Anwendung der Gewahrsamsvorschriften wird jedoch in der Tat nicht den Anforderungen des besonderen Gesetzesvorbehalts aus Art. 2 Abs. 2 iVm 104 Abs. 1 S. 1 GG gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aus der Verschärfung des Gesetzesvorbehaltes aus Art. 2 Abs. 2 GG durch die Vorschrift des Art. 104 Abs. 1 GG zu schließen, dass es für die Rechtfertigung von Freiheitsentziehungen auf eine „besonders rechtsstaatliche, förmliche Regelung“ ankommt. Der Gesetzgeber hat Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln. Daher soll auch die analoge Anwendbarkeit von Normen ausscheiden974. ___________ 969

So auch Kappeler, DÖV 2000, 227/234. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/538. 971 LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/538. 972 So ohne weitere Begründung auch Hasse/Mordas, ThürVBl. 2002, 130/132. 973 Vgl. zu Minusmaßnahmen im Versammlungsrecht Kniesel in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H 561 f. 974 BVerfGE 29, 183/195 f.; vgl. auch BVerfGE 83, 24/31. 970

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Die Landesgesetzgeber haben entsprechend die Gewahrsamsvorschriften geschaffen, die gerade nicht den Transport zu irgendeinem Ort umfassen. Daher kann dieses Element nicht vom Willen des Gesetzgebers umfasst sein. Dafür spricht auch, dass in den Fällen des Verbringungsgewahrsams die verfassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrensvorschriften des Richtervorbehalts und der Benachrichtigung einer Vertrauensperson nicht nur ausnahmsweise, sondern in der Regel umgangen würden975. Das kann zwar, wie oben erläutert, nicht dazu führen, dass der Verbringungsgewahrsam nicht als Gewahrsam im Sinne der Vorschriften angesehen wird976. Soweit die Maßnahme aber nicht von diesen Vorschriften gedeckt ist, kann sie auch nicht als Minusmaßnahme unter analoger Anwendung derselben gerechtfertig sein, weil damit der Wille des Gesetzgebers überschritten und der förmliche Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 GG umgangen würde. Sollte man dem nicht folgen, wäre der Verbringungsgewahrsam nur dann als Minusmaßnahme unter die Vorschriften des Gewahrsams zur Durchsetzung eines Platzverweise zu subsumieren, wenn es sich tatsächlich um ein gleich geeignetes Mittel handelt, das den Betroffenen nach Art und Dauer weniger belastet977. Wenn man den Zeitraum des gewöhnlichen Polizeigewahrsams978 mit dem des Gewahrsams im Polizeiauto während der Verbringung979 vergleicht, ist der Verbringungsgewahrsam in der Regel die kürzere und damit weniger belastende Maßnahme. Für den Vergleich des Zeitraums ist aber nicht nur der Transport zu betrachten, sondern auch die Zeit, die der Betroffene benötigt, um an einen Ort seiner Wahl oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu gelangen980. In dieser Zeit liegt zwar keine Freiheitsentziehung mehr vor, weil der Betroffene sich nach Absetzen am Zielort frei bewegen kann. Solange er sich aber an einem Ort befindet, an den er gegen seinen Willen gebracht wurde, wirkt der Eingriff in seine Rechte fort981. Soweit der Verbringungsgewahrsam inklusive Rückweg wesentlich kürzer dauert als ein Gewahrsam, der zur Abwehr derselben Gefahren durchgeführt

___________ 975

s. dazu unten C. VI. 4. c). s. oben C. VI. 4. a) bb) (1) (a). 977 Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537; BayObLG, NVwZ 1990, 194/197. 978 Vgl. LG Hamburg NVwZ-RR 1997, 537/539 für das dortige Drogenbekämpfungskonzept in der Regel vier Stunden. 979 Vgl. Greiner, Die Polizei 1979, 92/93 in der Regel 20 bis 30 Minuten; wenn man die Strecken in der Praxis betrachtet, dürfte es sich nie um mehr als eine Stunde handeln. 980 Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/539. 981 Hasse/Mordas, ThürVBl 2002, 101/102 sehen darin einen Eingriff in die negative Fortbewegungsfreiheit des Betroffenen. 976

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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worden wäre, ist jedoch an seiner Geeignetheit zu zweifeln982. Schon der Gewahrsam darf nur solange andauern, wie das zur Durchsetzung der Platzverweisung unerlässlich ist. Ein wesentlich kürzer andauernder Verbringungsgewahrsam wäre dann nicht mehr zweckdienlich. Das ist anders, wenn es darum geht, eine gefährliche Menschenmenge aufzulösen983. In diesen Fällen kann es ein weniger belastendes Mittel sein, die Betroffenen an andere Orte zu verbringen, als sie für einen längeren Zeitraum in Gewahrsam zu nehmen. In den hier zu betrachtenden Fällen, geht es aber darum, Wohnungslose oder Mitglieder der Drogenszene, die eine Gefahr verursachen, vom Ort, an dem sie diese verursachen, fernzuhalten. Damit die Verbringung gleich wirksam wäre wie eine Ingewahrsamnahme, müsste sie die Betroffenen für denselben oder einen nicht viel kürzeren Zeitraum vom entsprechenden Ort fernhalten. Eine kürzer andauernde Maßnahme wäre nur dann gleich effektiv, wenn sie weitere Belastungen enthielte, die den Betroffenen davon abschrecken können, zurückzukehren beziehungsweise zukünftigen Platzverweisen nicht zu folgen. Darum dürfte es beim Verbringungsgewahrsam in den hier behandelten Fällen in der Regel gehen. Solche zusätzlichen Belastungen sind bereits dadurch gegeben, dass der Verbrachte sich am fremden Ort orientieren, nach öffentlichen Verkehrsmitteln und einer Möglichkeit der Rückkehr suchen muss984. Die in der Praxis üblichen Verbringungen an den Stadtrand, an dem sich Wohnungslose oder Mitglieder der Drogenszene in der Regel nicht aufhalten, bezwecken gerade, dass diese in einer ihnen vollkommen fremden Gegend, ausgesetzt werden. Dass es der Polizei um eine zusätzlich belastende Wirkung geht, wird insbesondere daran deutlich, dass der Verbringungsgewahrsam gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen in der Regel erfolgt, wenn sich die Personen von vorhergegangenen Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen unbeeindruckt zeigten985.

___________ 982

Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/539. Dagegen meint Leggereit, NVwZ 1999, 263/264, dass das Gericht hier von der falschen Prämisse ausgegangen wäre, dass der Verbringungsgewahrsam im konkreten Fall des Hamburger Drogenkonzepts immer vier Stunden dauern müsse. Es sei aber zu prüfen, was im konkreten Fall unerlässlich im Sinne der Vorschrift wäre. Demnach könne dann auch ein kürzerer Verbringungsgewahrsam geeignet sein. Dabei übersieht Leggereit aber, dass der Verbringungsgewahrsam, um als Minusmaßnahme die analoge Anwendung der Vorschriften zum Gewahrsam zu rechtfertigen, im konkreten Fall die mildere Maßnahme darstellen muss. Soweit also im konkreten Fall ein kürzerer Gewahrsam ausreichend zur Abwehr der Gefahr gewesen wäre, müsste der Verbringungsgewahrsam wiederum noch kürzer sein, was dann dazu führt, dass er ungeeignet ist. 983 Vgl. OVG Bremen, NVwZ 1987, 235; BayObLG, NVwZ 1990, 194/196 f. 984 Leggereit, NVwZ 1999, 263/265 sieht darin keine zusätzliche Belastung, weil sich auch die Gewahrsamseinrichtungen der Polizei an Orten befänden, die dem Betroffenen fremd seien. 985 So der Fall, der dem LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 zugrunde lag; s. auch die Angaben eines Studenten der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt oben unter

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Für den Vergleich der Belastung ist außerdem zu beachten, zu welcher Tageszeit der Verbringungsgewahrsam stattfindet, welche Witterung herrscht, wie der Betroffene gekleidet ist und in welchem gesundheitlichen Zustand er sich befindet. Soweit die Maßnahme gegenüber Drogensüchtigen, betrunkenen Personen oder auch mitten in der Nacht durchgeführt wird986, dürfte sie immer belastender sein als der Gewahrsam in einer entsprechenden Einrichtung. Auch die Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs am Ort, an dem der Betroffene freigelassen wird, ist entscheidend. Darauf wird in der Praxis aber nicht immer geachtet987. Weil beim Verbringungsgewahrsam gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen in der Regel eine zusätzliche Belastung gegenüber der gewöhnlichen Ingewahrsamnahme bezweckt wird, ist der Verbringungsgewahrsam kein gleich geeignetes milderes Mittel. Demnach kann er auch nicht durch eine analoge Anwendung der Vorschriften zum Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises gerechtfertigt werden.

cc) Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung einer Maßnahme aufgrund der polizeilichen Generalklausel Wenn man der Ansicht folgt, dass es sich beim Verbringungsgewahrsam nicht um Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts handelt, ist es konsequent, die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen988. Die Verbringung selbst wäre dann eine Vollstreckung der aufgrund der Generalklausel ergangenen Anordnung im Wege des unmittelbaren Zwangs989. Der unmittelbare Zwang darf als ultima ratio der Zwangsvollstreckungsmittel nur dann eingesetzt, wenn kein milderes gleich geeignetes Mittel in Betracht kommt990. Eine Ersatzvornahme scheidet schon wegen der fehlenden Vertretbarkeit aus991. ___________ C. V. 2.: „Wenn Personen mehrmals während einer Nachtschicht auffallen oder stören, werden sie an den Stadtrand oder eine entlegene Stelle verbracht.“ 986 Siehe oben C. V. 2. 987 Siehe oben C. V. 2. 988 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 5; Stoermer. Der polizeirechtliche Gewahrsam, 130 f.; Mußmann, VBlBW 1986, 52/55 f. Dieser lehnt aber die Verfassungsmäßigkeit einer durch den Verbringungsgewahrsam vollstreckbaren Grundverfügung ab. 989 So auch Korrespondenz mit einem Vertreter des Innenministeriums des Landes Baden-Württemberg (Vollstreckungsmaßnahme nach § 50 Abs. 1 PolG); Korrespondenz mit einer Vertreterin des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (Vollstreckungsmaßnahme nach §§ 30-32 SächsPolG). 990 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 20 Rn. 14; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 131 Fn. 308. 991 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 20 Rn. 10.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Die Anordnung eines Zwangsgeldes dürfte in den Fällen, in denen es um die Verbringung von Mitgliedern sozialer Randgruppen geht, wegen deren Mittellosigkeit meist aussichtslos sein. Daher käme die Anwendung des unmittelbaren Zwangs durchaus in Betracht. Bezüglich der Anordnung, einen Ort zu verlassen, werden aber Bedenken wegen mangelnder Bestimmtheit geäußert, weil die Betroffenen nicht wissen, wohin, wie lange und wie weit weg sie sich bewegen sollen992. Dem Betroffenen müsse neben der Anordnung, einen bestimmten Ort zu verlassen, gesagt werden, wohin er sich begeben solle, im Falle des Verbringungsgewahrsams zum Beispiel an den Stadtrand993. Es dürfte in der Praxis aber unüblich sein, dem Betroffenen aufzugeben, an einen bestimmten Ort außerhalb der Innenstadt zu gehen. Soweit in der Grundverfügung angegeben wird, dass die Betroffenen einen bestimmten Platz verlassen sollen, handelt es sich um eine Platzverweisung. Insoweit wäre die Generalklausel durch die speziellen Regelungen verdrängt. Diese ermächtigen, wie oben erläutert, nur zu Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs, die notwendig sind, den Betroffenen vom Platz zu entfernen, nicht aber dazu, ihn an einen entfernten Ort zu bringen994. Die Anwendbarkeit der Generalklausel ist außerdem abzulehnen, weil die Gewahrsamsregeln als spezielle Normen die Freiheitsentziehung abschließend regeln995. Beim Verbringungsgewahrsam handelt es sich um Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts und um eine Freiheitsentziehung im verfassungsrechtlichen Sinne996. Die Maßnahme ist zwar nicht von diesen gedeckt, soweit es um die Verbringung an einen anderen Ort geht. Die Gewahrsamsregeln stellen aber eine abschließende Regelung für Gewahrsam im Sinne des Polizeirechts dar, ein Rückgriff auf die Generalklausel ist unzulässig997. ___________ 992

Vgl. Mußmann, VBlBW 1986, 52/55. Mußmann, VBlBW 1986, 52/55; Stoermer, Der polizeiliche Gewahrsam, 130. 994 s. oben C. VI. 4. a) aa). 995 Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 11. Auflage, Rn. 134; Kappeler, DÖV 2000, 227/234 (VG Bremen, NVwZ 1986, 862/864; LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537/539; Leggereit, NVwZ 1999, 263/264); so wohl auch zu verstehen Gusy, Polizeirecht, Rn. 297; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 493; Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht 12. Auflage, Rn. 222, der dies aber damit begründet, dass Art. 104 Abs. 2 GG eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Befugnisnorm verlangt. 996 s. oben C. VI. 4. a) bb) (1). 997 Zur Subsidiarität der Generalklausel: Gusy, Polizeirecht, Rn.255; Pieroth/ Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 7 Rn. 11; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 701. Neben der Tatsache, dass die Generalklausel durch die speziellen Tatbestände verdrängt wird, wird dies auch mit den besonderen Verfahrensregeln der polizeirechtlichen Gewahrsamsvorschriften begründet. Diese würden unter anderem gewährleisten, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 104 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG eingehalten würden. Würde der 993

264

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

b) Verletzung des Grundrechtes auf Freizügigkeit aus Artikel 11 GG Der Verbringungsgewahrsam könnte außerdem einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG darstellen, der auch das Verbleiben an einem bestimmten Ort umfasst998. Die Eröffnung des Schutzbereiches des Art. 11 Abs. 1 GG wird teilweise abgelehnt, weil die Orte wie Parks, Fußgängerzonen, Kaufhäuser und Spielplätze, an denen sich die Betroffenen aufhalten, wegen kollidierender Eigentumsrechte und Überschreitungen der Grenzen des Gemeingebrauchs nicht deren Lebenskreis bilden könnten999. Wie oben erläutert, kann der öffentliche Raum, insbesondere bestimmte Treffpunkte in der Innenstadt, in einigen Fällen durchaus den Lebenskreis von Wohnungslosen oder auch Drogensüchtigen darstellen, sodass der Aufenthalt an diesen Orten unter den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG fällt1000. Soweit es sich dabei um öffentliche Straßen und Plätze handelt, kommt grundsätzlich auch keine Kollision mit Eigentumsrechten in Betracht. Die Grenzen des Gemeingebrauchs werden unter Umständen in Einzelfällen überschritten1001. Davon, dass die Anwesenheit eines Nichtsesshaften oder Drogensüchtigen im öffentlichen Raum grundsätzlich nicht vom Gemeingebrauch gedeckt sei, kann aber nicht ausgegangen werden. Außerdem kann eine Übertretung des Gemeingebrauchs den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG ebenso wenig von vornherein beschränken wie eine Straftat1002. Ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG wird außerdem abgelehnt, weil sich der Verbringungsgewahrsam nicht gegen das Herumziehen durch Obdachlose beziehungsweise die Obdachlosigkeit an sich richte1003. Damit ist die Eingriffsqualität des Verbringungsgewahrsams gemeint. Wie oben erläutert1004, können nur hoheitliche Maßnahmen mit freizügigkeitsregelnder Tendenz einen Eingriff ___________ Verbringungsgewahrsam auf die polizeiliche Generalklausel gestützt, sei nicht mehr gewährleistet, dass die Beamten ihren speziellen Fürsorgepflichten in Hinblick auf die körperliche und seelische Integrität nachkämen (Kappeler, DÖV 2000, 227/234). Soweit sich diese Pflichten aus der Verfassung ergeben, gelten sie aber auch bei Maßnahmen aufgrund der Generalklausel. Diese ist jedoch nicht anwendbar, weil Freiheitsentziehungen in den jeweiligen Landespolizeigesetzen besonders geregelt wurden. 998 Zum Schutzbereich des Art. 11 GG s. oben C. VI. 3. b) bb); zur Konkurrenz zwischen Art. 2 Abs. 2 und Art. 11 GG s. oben C. VI. 3. b) cc). 999 Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 134 f.; a.A. Mußmann, VBlBW 1986, 52/57. 1000 s. dazu oben C. VI. 3. b) bb). 1001 Auf die Grenzen des Gemeingebrauchs wird unter C. VI. 5. b) bb) eingegangen. 1002 s. oben C. VI. 3. b) bb). 1003 Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 133 f.; a.A. Mußmann, VBlBW 1986, 52/57. 1004 s. oben C. VI. 3. b) bb).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

265

in Art. 11 Abs. 1 GG begründen1005. Die Maßnahme muss sich also gerade gegen den Aufenthalt an einem bestimmten Ort richten und angesichts ihrer Dauer das verhindern, was das bloße Verweilen zum Aufenthalt macht. Diese Kriterien sind auch für die Abgrenzung zwischen einem beim Verbringungsgewahrsam unstreitig gegebenen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 1 GG maßgeblich1006. Man könnte zwar annehmen, dass es der Polizei mit der Maßnahme des Verbringungsgewahrsams gegenüber Wohnungslosen oder Mitgliedern der Drogenszene gerade darum geht, diese am Aufenthalt an einem bestimmten Ort zu hindern1007. Dabei ist aber zu beachten, dass es um die Verhinderung des Aufenthaltes im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG gehen muss. Dass es der Polizei darum ginge, den Betroffenen dazu zu zwingen, seinen am entsprechenden Ort befindlichen Lebenskreis zu verlassen, ist aufgrund der regelmäßigen Dauer von weniger als zwei Stunden nicht anzunehmen. Der Betroffene kann, nachdem er an den Stadtrand verbracht wurde, sofort wieder an den entsprechenden Ort in der Innenstadt zurückkehren. Daher kann es der Polizei mit der Maßnahme nicht darum gehen, einer Person den Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG an diesem Ort zu verwehren. Ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG ist demnach beim Verbringungsgewahrsam im Gegensatz zum Aufenthaltsverbot nicht gegeben1008.

c) Spezielle Eingriffsvoraussetzungen für den Gewahrsam Nimmt man an, dass der Verbringungsgewahrsam auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden kann, sind deren Voraussetzungen zu beachten. Dass heißt, der Betroffene muss eine Gefahr verursacht haben1009. Geht man jedoch davon aus, dass es sich beim Verbringungsgewahrsam um eine Freiheitsentziehung handelt und stützt man ihn auf die Rechtsgrundlagen zum Gewahrsam, müssen für die formelle Richtigkeit die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 104 GG, wie sie in den Polizeigesetzen geregelt sind, und für die materielle Richtigkeit die besonderen Anforderungen der Polizeigesetze und des Art. 5 Abs. 1 S. 2 c) EMRK erfüllt sein. ___________ 1005 Teilweise wird die Abgrenzung bereits auf der Ebene des Schutzbereiches vorgenommen, danach ob der betroffene Lebenssachverhalt gerade den Ortswechsel zum Zwecke des Aufenthalts betrifft. s. dazu oben: C. VI. 3. b) bb). 1006 s. dazu oben C. VI. 3. b) bb). 1007 s. zur Praxis des Verbringungsgewahrsams oben B. V. 2. 1008 Ähnlich Kappeler, DÖV 2000, 227/232. Dagegen Mußmann, VBlBW 1986, 52/56 f., der aber nicht auf die Eingriffsqualität der Maßnahme eingeht. Ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG ist hingegen anzunehmen, wenn der Gewahrsam gerade zum Zwecke der Einschränkung der Freizügigkeit ergeht. So für den Unterbindungsgewahrsam: Blankenagel, DÖV 1989, 689/697; Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 25. 1009 s. oben C. VI. 2.

266

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Der aus Art. 104 Abs. 2 GG folgende Richtervorbehalt1010 dürfte in Fällen des Verbringungsgewahrsams aufgrund der Ausnahmeregelungen der Polizeigesetze1011 regelmäßig entfallen. Nach diesen Ausnahmeregelungen bedarf es einer richterlichen Entscheidungen dann nicht, wenn anzunehmen ist, dass diese erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. Die Verbringung im Polizeifahrzeug an den Stadtrand wird in der Regel nicht soviel Zeit in Anspruch nehmen, wie für die Einholung einer richterlichen Entscheidung benötigt würde1012. An das Vorliegen der Gefahr stellen die meisten Landesgesetze erhöhte Anforderungen. In Baden-Württemberg und Sachsen ist der Sicherheitsgewahrsam zur Abwehr einer Gefahr zulässig, wobei das baden-württembergische Polizeigesetz noch das Schutzgut der öffentlichen Ordnung nennt. Die Gefahr muss jedoch erheblich sein und unmittelbar bevorstehen1013. Die anderen Landespolizeigesetze nennen als Voraussetzung für den Sicherheitsgewahrsam die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit1014. Die Befugnis zur Ingewahrsamnahme zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 c) EMRK und ist daher nichtig. Art. 5 Abs. 1 S. 2 c) EMRK bestimmt, dass die Freiheit einer Person nur zur Verhinderung strafbarer Handlungen entzogen werden darf. Die EMRK steht gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auf der Ebene eines Bundesgesetzes. Daher sind entgegenstehende landesrechtliche Vorschriften nach Art. 31 GG nichtig1015. Außerdem besteht auch Einigkeit darüber, dass unabhängig von der Anerkennung der öffentlichen Ordnung als polizeiliches ___________ 1010

Der in den entsprechenden Normen der Polizeigesetze wiederholt wird. Art. 18 Abs. 1 S. 2 BayPAG; § 18 Abs. 1 S. 2 BbgPolG; § 31 Abs. 1 S. 2 BerlASOG; § 16 Abs. 2 BremPolG; § 13 a Abs. 1 S. 2 HbgSOG; § 33 Abs. 1 S. 2 HessSOG; § 56 Abs. 5 S. 2 MVSOG; § 19 Abs. 1 S. 2 NdsSOG; § 36 Abs. 1 S. 2 NWPolG; § 15 Abs. 1 S. 2 RhPfPOG; § 14 Abs. 1 S. 2 SaarlPolG; § 22 Abs. 7 S. 2 SächsPolG; § 38 Abs. 1 S. 2 Sachs-AnhSOG; § 204 Abs. 6 iVm 181 Abs. 4 S. 2 SchlHLVwG; § 20 Abs. 1 S. 2 ThürPAG; beziehungsweise in Baden-Württemberg aufgrund systematischer Erwägungen. Vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 536; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 9. 1012 So auch Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam, 135. 1013 § 28 Abs. 1 Nr. 1 BWPolG; § 22 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG. 1014 Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG; § 17 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG; § 30 Abs. 1 Nr. 2 BerlASOG; § 15 Abs. 1 Nr. 2 BremPolG; § 13 Abs. 1 Nr. 2 HbgSOG; § 32 Abs. 1 Nr. 2 HessSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 2 MVSOG; § 18 Abs. 1 Nr. 2 NdsSOG; § 35 Abs. 1 Nr. 2 NWPolG; § 14 Abs. 1 Nr. 2 RhPfPOG; § 13 Abs. 1 Nr. 2 SaarlPolG; § 37 Abs. 1 Nr. 2 Sachs-AnhSOG; § 204 Abs. 1 Nr. 2 SchlHLVwG; § 19 Abs. 1 Nr. 2 ThürPAG. 1015 Etwas anderes gilt für jüngeres Bundesrecht wie das BGSG. Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17 Rn. 17; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 501, str. a.A.: BayVerfGH, NVwZ 1990, 664/665 f.; SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1424 f. 1011

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Schutzgut1016 eine Gefahr für dieses Schutzgut in keinem Fall eine Ingewahrsamnahme rechtfertigen kann1017. Die in Verbringungsgewahrsam genommenen Personen müssten also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit eine Straftat begehen. Dafür müssen wegen der Intensität des Eingriffs nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zur Gewissheit führen, dass die Tat sofort oder in allernächster Zeit begangen wird1018. Die Stadtstreicherei beziehungsweise Wohnungslosigkeit an sich erfüllen keine Straftatbestände. Auch das Lagern von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker an bestimmten öffentlichen Plätzen begründet noch nicht die konkrete Gefahr, dass ein Mitglied dieser Gruppen eine Straftat begehen wird1019. Ebenso muss bei Mitgliedern der Drogenszene die Gefahr der Begehung einer Straftat gerade von der konkreten Person unmittelbar verursacht werden1020. Die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr ist dann aber auch gegeben, wenn sich ein Drogenhändler die zu verkaufende Ware erst noch kurzfristig beschaffen müsste1021. Soweit es jedoch um Maßnahmen gegenüber Wohnungslosen oder Trinkern geht, die nicht Mitglieder der Drogenszene sind, dürfte es sehr zweifelhaft sein, dass in der Praxis Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die verbrachten Personen in nächster Zeit eine Straftat begehen1022.

5. Gefahrenabwehrverordnungen / Straßenrechtliche Sondernutzungssatzungen a) Gefahrenabwehrverordnungen aa) Rechtsgrundlage Gefahrenabwehrverordnungen sind abstrakt-generelle Regelungen aufgrund der Polizei- beziehungsweise Ordnungsgesetze, die Ge- oder Verbote für eine unbestimmte Anzahl von Fällen enthalten und an eine unbestimmte Anzahl von ___________ 1016

s. zur Diskussion oben C. VI. 2. e) bb). Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 496; Würtemberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 358 Fn. 235. 1018 Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 508; VG Freiburg, VBlBW 1986, 229. 1019 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 1020 s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) (1). 1021 OLG Hamburg, NJW 1998, 2231/2232. 1022 s. oben C. V. 2.: Das ist nicht anzunehmen, wenn jemand wegen Trunkenheit oder Personen, nachdem sie mehrmals „auffällig“ wurden, verbracht werden. 1017

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Personen gerichtet sind1023. In allen Ländern bestehen Rechtsgrundlagen für den Erlass solcher Verordnungen, wobei die Bezeichnung zwischen Polizeiverordnung1024, Gefahrenabwehrverordnung1025, Verordnung zur Gefahrenabwehr1026, Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung1027, ordnungsbehördliche Verordnung1028 und Verordnung1029 variieren. Aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlagen wurden in zahlreichen Städten und Gemeinden Verordnungen erlassen, die typische Verhaltensweisen sozialer Randgruppen verbieten1030. Die meisten Landesgesetze enthalten außerdem Ermächtigungen, die Verstöße gegen eine Verordnung als Ordnungswidrigkeit zu regeln1031. In Bayern besteht keine Generalermächtigung zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen. Die Art. 12 ff. BayLStVG enthalten Spezialermächtigungen für bestimmte Regelungsbereiche. Diese sind für das Verhalten sozialer Randgruppen nicht einschlägig, so dass es in Bayern bereits an einer Ermächtigungsgrundlage für den Erlass entsprechender Gefahrenabwehrverordnungen fehlt1032.

bb) Tatbestandsvoraussetzung: Vorliegen einer abstrakten Gefahr Die Rechtsgrundlagen zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen setzen das Vorliegen einer abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung voraus1033. Die durch die einschlägigen Gefahrenabwehrverordnungen geregelten Verhaltensweisen, also das Betteln, insbesondere das aggressive Betteln, der Konsum von Alkohol, soweit ihm belastende Verhaltensweisen ___________ 1023

In einigen Polizeigesetzen ist der Begriff definiert: § 24 BbgOBG; § 48 BremPolG; § 10 Abs. 1 BWPolG; § 71 HSOG; § 25 NWOBG; § 26 RP POG; § 59 Abs. 2 SaarlPolG; § 9 Abs. 1 SächsPolG; § 27 ThürOBG. 1024 In den Ländern mit Einheitssystem: §§ 48 ff. BremPolG; §§ 10 ff. BW PolG; §§ 59 ff. SaarlPolG; §§ 9 ff. SächsPolG. 1025 §§ 71 ff. HessSOG; §§ 26 ff. RP POG; §§ 93 ff. Sachs-AnhSOG. 1026 §§ 55 ff. BerlASOG; § 1 HbgSOG. 1027 §§ 17 ff. MVSOG. 1028 §§ 24 ff. BbgOBG; §§ 25 ff. NWOBG; §§ 27 ff. ThürOBG. 1029 Art. 12 ff. BayLStVG; §§ 54 ff. NdsSOG. Im Bayrischen LStVG besteht keine Generalermächtigung, sondern es gilt das Prinzip der Spezialermächtigungen. 1030 s. oben C. V. 3. a). Das Bremer Ortsgesetz stützt sich auf § 3 a Nr. 6 des Gesetzes über die Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinden; vgl. dazu Götz, NVwZ 1998, 679. 1031 Art. 12-38 BayPAG; § 30 Abs. 1 BbgPolG; § 57 BerlASOG; § 54 BremPolG; § 18 BWPolG; §§ 1 Abs. 2, 1a) Abs. 4 HbgSOG; § 77 HessSOG; § 19 MVSOG; § 59 NdsSOG; § 37 RhPfPOG; § 63 SaarlPolG; § 17 SächsPolG; § 98 Sachs-AnhSOG; § 50 ThürOBG. 1032 Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 60. 1033 s. dazu oben s. dazu oben C. VI. 2. b) aa).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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folgen, und das Lagern und Nächtigen oder auch Lagern in Personengruppen1034 müssten demnach den Tatbestand einer abstrakten Gefahr erfüllen. Das Betteln an sich stellt keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar1035. Das aggressive Betteln kann nicht ohne Weiteres unter den Tatbestand der abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit gefasst werden. Der Tatbestand einer Gefahrenabwehrverordnung erfüllt diese Voraussetzung nur, wenn er das aggressive Betteln so eng definiert, dass darunter nur die Verhaltensweisen fallen, die gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsvorschriften verstoßen. Das aggressive Betteln schlechthin führt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten1036. Es stellt jedoch eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar1037. Der Alkoholkonsum selbst führt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens an einem Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit. Die Gefahrenschwelle wird erst durch die in einigen Gefahrenabwehrverordnungen genannten hinzukommenden Verhaltensweisen überschritten. Zwischen dem Konsum von Alkohol und diesen Verhaltensweisen besteht jedoch kein hinreichend wahrscheinlicher Kausalzusammenhang. Daher erfüllt der Alkoholkonsum nicht den Tatbestand der abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit1038. Die Tatbestände der Verordnungen enthalten zum Teil den Zusatz, dass verbotene Verhaltensweisen durch „Alkoholkonsum hervorgerufen wurden“ oder „in Verbindung mit Alkoholgenuss stehen“. Wodurch die Verhaltensweisen hervorgerufen werden, spielt für die Beurteilung ihrer abstrakten Gefährlichkeit jedoch keine Rolle. Der Alkoholkonsum wäre wiederum nur eine abstrakte Gefahr, wenn er nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu diesen Verhaltensweisen führen würde. Das ist nicht der Fall. Eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung durch den Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist angesichts der Trinkgewohnheiten in der Bundesrepublik Deutschland ebenso nicht gegeben. Der Aufenthalt von Gruppen Drogensüchtiger, Wohnungsloser oder Trinker in der Öffentlichkeit begründet nur dann eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wenn die Lebenserfahrung oder auch polizeiliche Erkenntnisse eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten im Umkreis dieser Gruppen belegen1039. Das gilt auch für das Lagern und Nächtigen, die daher wie der Aufenthalt grundsätzlich keine abstrakte Gefahr für die ___________ 1034

s. oben C. V. 3. a). s. oben C. V. 2. d) bb) (2) und e) cc) (2). 1036 s. oben C. V. 2. d) bb) (2). 1037 s. oben C. V. 2. e) cc) (2). 1038 s. oben C. V. 2. d) bb) (3) (b). 1039 s. oben C. V. 2. d) bb) (3) (a). 1035

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

öffentliche Sicherheit darstellen1040. Von den in Gefahrenabwehrverordnungen als Ergänzung des Lagerns und Nächtigens genannten Verhaltensweisen stellt nur die Verunreinigung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Die Belästigung oder Behinderung anderer Passanten und das aggressive Betteln führen jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Störungen der öffentlichen Sicherheit, so dass insoweit keine abstrakte Gefahr gegeben ist1041. Eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung durch die Anwesenheit sozialer Randgruppen an sich ist nicht gegeben. Der Aufenthalt selbst führt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der als Ordnungsstörung einzustufenden „Besetzung“ von Plätzen oder Verhaltensweisen, wie dem Anpöbeln von Passanten1042. Das Lagern und Nächtigen stellen jedoch eine gesteigerte Form des Aufenthalts und als solche eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Ebenso erfüllen die in den Gefahrenabwehrverordnungen genannten hinzukommenden Tatbestände, die Behinderung durch das Nächtigen oder Lagern, das aggressive Betteln und Verunreinigungen die Anforderungen an die abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung1043.

cc) Bestimmtheitsgebot Aus dem Rechtsstaatsprinzip und daraus hergeleiteten Gebot der Normenklarheit folgt, dass abstrakt-generelle Verbote, also auch Gefahrenabwehrverordnungen, so klar und bestimmt gefasst sein müssen, dass der Betroffene Inhalt und Grenzen des Verbotes erkennen und sein Verhalten danach einrichten kann1044. In den meisten Polizeigesetzten ist das Bestimmtheitsgebot für Gefahrenabwehrverordnungen ausdrücklich geregelt1045. Der Bestimmtheit steht es nicht entgegen, wenn der Normgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Dadurch darf die Erkennbarkeit der Rechtslage durch den Betroffenen aber nicht wesentlich eingeschränkt werden, und die Gerichte müssen in der Lage sein, den Regelungsinhalt mit anerkannten Auslegungsregeln zu konkretisieren1046. Die meisten Gefahrenabwehrverordnungen regeln die Verbotstatbestände als Ordnungswidrigkeiten. Größtenteils wird angenommen, dass die er___________ 1040

s. oben C. V. 2. d) bb) (3) (c). s. oben C. V. 2. d) bb) (3) (c). 1042 s. oben C. V. 2. e) bb) (3). 1043 s. oben C. V. 2. e) bb) (3) (b). 1044 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508; VGH Mannheim, VBlBW. 1999, 101/102; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560. 1045 § 28 Abs. 1 S. 1 BbgPolG; § 56 Abs. 2 S. 1 BerlASOG; § 52 Abs. 2 BremPolG; § 76 Abs. 1 S. 1 HessSOG; § 18 Abs. 1 MVSOG; § 57 Abs. 1 NdsSOG; § 29 Abs. 1 S. 1 NWOBG; § 35 Abs. 2 S. 1 RhPfPOG; § 61 Abs. 1 SaarlPolG; § 96 Abs. 1 SachsAnhSOG; § 58 Abs. 1 SchlHLVwG; § 31 Abs. 1 S. 1 ThürOBG. 1046 Schultze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 121; vgl. BVerfGE 21, 73/79. 1041

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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höhten Anforderungen an die Bestimmtheit aus Art. 103 Abs. 2 GG auch für bußgeldbewehrte Verhaltensverbote anzuwenden sind1047. Soweit die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG verneint wird, werden aufgrund der Intensität der Auswirkungen für die Betroffenen entsprechend hohe Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit gestellt1048. Der Begriff des Bettelns an sich wurde durch die Rechtsprechung als „die an einen beliebigen Fremden gerichtete Bitte um Zuwendung“ definiert1049 und erfüllt die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots1050. Problematisch ist dahingegen der Begriff des aggressiven Bettelns. Für diesen existiert keine allgemein anerkannte Definition. Das Wort „aggressiv“ lässt darauf schließen, dass es sich um ein gewalttätiges, auf Angriff gerichtetes Verhalten handelt1051. Teilweise werden unter den Begriff des aggressiven Bettelns auch weniger schwere Formen des Bettelns gefasst, wie das „nachdrückliche oder hartnäckige Ansprechen von Personen“1052. Diese Formulierungen entsprechen nicht der sprachgebräuchlichen Bedeutung des Wortes „aggressiv“. Sie können auch nicht nach Auslegung unter den Begriff „aggressiv“ subsumiert werden1053. Das ist auch insoweit problematisch, als in den Verordnungen das Verbot des aggressiven Bettelns durch Beispiele konkretisiert wird1054. Wenn die in den Verordnungen genannten konkretisierenden Beispiele nicht mit dem alltäglichen Verständnis des Begriffes „aggressiv“ übereinstimmen, führt dies zu einem Widerspruch zwischen der durch die Beispiele indizierten Anwendungs___________ 1047 Höfling, Die Verwaltung 2000, 507/509; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 41; Pieroth/Schlink/Kniesel § 11 Rn. 22; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 226; Terwiesche, VR 1997, 410/413. 1048 Kube, JuS 1999, 176/179; VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508. 1049 OLG Köln, NJW 1961, 2172; s. oben s. oben C. V. 2. d) bb) (2). 1050 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 20; Höfling, Die Verwaltung, 207/208 f.; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 226. 1051 Duden, Das Fremdwörterbuch; vgl. auch Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 20; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 227. 1052 Bindzus/Lange, JuS 1996, 482/486; Fahl, DÖV 1996; 955/956; Holzkämpfer, NVwZ 1994, 146; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423; vgl. auch die Formulierungen in einigen Sondernutzungssatzungen: § 7 Abs. 1 Sondernutzungssatzung der Stadt Dessau/Sachsen-Anhalt vom 13. November 2002 (Amtliches Verkündungsblatt 12/02 S.6); § 5 Abs. 1 Nr. 5 Sondernutzungssatzung der Stadt Saarbrücken vom 10.Juli 1986 in der Fassung vom 30.10.2001 (Ortsrecht der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stand 17.10.2003 IIIC2). 1053 Vgl. so auch Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 20, für das „gezielte körpernahe Ansprechen“. 1054 So Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 22.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

breite der Verbotsnorm und dem Wortlaut „aggressiv“1055. In den Verordnungen wird das aggressive Betteln beispielsweise durch Formulierungen wie „wenn der Bettler dem Passanten den Weg zu verstellen versucht und/oder ihn durch Zupfen oder Festhalten an der Kleidung körperlich berührt“1056, „Verfolgung oder Anfassen“1057, „soweit Personen bedrängt […] oder berührt werden“1058 näher beschrieben. Diese Verhaltensweisen entsprechen nicht dem allgemeinen Wortlautverständnis des Wortes „aggressiv“, sondern liegen deutlich unter der Schwelle einer gewalttätigen Handlung. Daher lassen sie darauf schließen, dass der Normgeber mit dem aggressiven Betteln auch Verhaltensweisen meint, die eine geringere Einwirkung auf Dritte haben, als das Wort „aggressiv“ impliziert. Der konkret Betroffene weiß also gerade nicht, welche Verhaltensweisen, die nicht als Beispiel genannt sind, noch unter das Verbot fallen. Demnach entsprechen diese Satzungen nicht dem Bestimmtheitsgebot. Soweit der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie das „Sichniederlassen“ zum Zwecke des Alkoholgenusses verboten wird1059, bestehen keine Zweifel an der Bestimmtheit der Verbotsnorm. Die Bestimmtheit ist auch gegeben, wenn verboten wird, „Alkohol oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn als Folge andere Personen oder die Allgemeinheit durch Anpöbeln, lautes Singen, Johlen, Schreien oder anderes Lär___________ 1055 So auch Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/209; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 227. Es handelt sich bei den Beispielen gerade nicht um eine Legaldefinition, die inhaltlich widersprüchlich sein könnte, aber dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen würde. Die genannten Verhaltensweisen sollen nur Beispiele darstellen, daneben aber auch noch andere Verhaltensweisen, die unter den Begriff „aggressives Betteln“ fallen, verboten sein. 1056 § 13 Abs. 1 a) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 1 a) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 . 1057 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002; ähnlicher Wortlaut § 6 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25) „unmittelbares Einwirken von Person zu Person, insbesondere unter Mitführung eines Hundes, durch in den Weg stellen, ansprechen oder anfassen[…]“. 1058 § 1 Satz 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 1059 s. dazu VGH Mannhein, VBlBW. 1999, 101.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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men, Liegenlassen von Flaschen oder anderen Behältnissen, Notdurftverrichtungen oder Erbrechen gefährdet werden können“1060. Zweifel ergeben sich aber beim Verbot „grob störenden Verhaltens […], das geeignet ist, andere mehr als nach den Umständen vermeidbar zu behindern oder zu belästigen, zum Beispiel: […] rauschbedingtes Verhalten in der Öffentlichkeit“1061 beziehungsweise dem Verbot von „Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss (zum Beispiel Grölen, Anpöbeln von Passanten, Gefährdung anderer durch Herumliegen lassen von Flaschen und Gläsern)“1062. Die jeweils verbotenen Verhaltensweisen sind hier zwar nicht dadurch hinreichend klar definiert, dass sie durch den Konsum von Alkohol hervorgerufen werden könne. Die Konkretisierungen durch die Bezeichnung „grob störendes Verhalten“ beziehungsweise die Beispiele für Störungen lassen aber erkennen, welche Verhaltensweisen verboten sein sollen. Das Verbot „aggressive[n] Verhalten[s], welches durch Alkohol- bzw. Rauschmittelgenuss hervorgerufen ist, zum Beispiel besondere Aufdringlichkeit in Form von wiederholtem Anfassen oder in den Weg stellen, andere mehr als unvermeidbar zu beeinträchtigen“1063, wirft denen im Zusammenhang mit dem Verbot des aggressiven Bettelns vergleichbare Probleme auf. Soweit das „Lagern und Nächtigen“ 1064 beziehungsweise das Übernachten1065 oder „Nächtigen, insbesondere auf Bänken und Stühlen sowie das Um___________ 1060 § 9 Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen der Stadt Kassel in der Fassung vom 27.01.1997 . 1061 §19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, . 1062 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002. 1063 § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 13 Abs. 1 b) Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern Großpostwitz/ Obergurig/Sachsen vom 25.06.2002 . 1064 § 19 c) Gefahrenabwehrverordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, in den Anlagen und im Stadion „Bieberer Berg“ der Stadt Offenbach am Main/Hessen vom 12. Juli 1999, .

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

stellen von Bänken und Stühlen zu diesem Zweck“1066 untersagt werden, ist für den Betroffenen eindeutig erkennbar, welche Verhaltensweisen verboten sind. Problematischer sind die Formulierungen der Düsseldorfer und Dortmunder Straßenordnung, die „Lagern in Personengruppen (wenn sich diese an denselben Orten regelmäßig ansammeln und dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraums im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern)“1067 beziehungsweise „ständig wiederkehrende ortsfeste Ansammlungen von Personen, von denen regelmäßig Störungen ausgehen, wie zum Beispiel Verunreinigungen, Belästigungen von Passanten bei übermäßigem Alkoholgenuss und aggressives Betteln“1068 untersagen und die des Bremer Ortsgesetzes, das „das Lagern sowie das dauerhafte Verweilen von Personen auf öffentlichen Flächen in einer für Dritte beeinträchtigenden Art zum Zwecke des Konsums von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz“1069 verbietet. Bei diesen Tatbeständen bleibt unklar, wann eine hinreichende Behinderung beziehungsweise Belästigung von anderen Passanten eintritt1070. Würde eine polizeiwidrige Behinderung schon darin gesehen, dass sich Personen schlechthin in Gruppen im öffentlichen Raum aufhalten, wären die näheren Beschreibungen weiterer Störungen nicht notwendig. Soweit aber die Anforderungen über das bloße Bestehen einer Personenansammlung hinaus geht, sind die Tatbestände sehr vage.

___________ 1065 § 13 Abs. 1 c) Polizeiverordnung der Verwaltungsgemeinschaft Königsbrück – Laußnitz/Sachsen und ihrer Ortsteile gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das Anbringen von Hausnummern vom 01.06.1999 zuletzt geändert am 25. Oktober 2001 ; § 6 Abs. 1 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25). 1066 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24.Februar 2002. 1067 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002. 1068 § 6 Abs. 2 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25). 1069 § 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 1070 Vgl. auch Terwiesche, VR 1997, 410/413.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Der VGH Mannheim hat die Vorschrift der Polizeiverordnung der Stadt Baden-Baden aus dem Jahr 19781071, nach der es verboten war, sich auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Anlagen und Einrichtungen „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“, für zu unbestimmt gehalten, weil zwar der Kernbereich des verbotenen Verhaltens erkennbar, nicht aber eindeutig abgrenzbar sei, welches Verhalten verboten beziehungsweise erlaubt sei1072. Die nähere Begründung dieser Entscheidung ist sehr fragwürdig. So ziele die Umschreibung des verbotenen Verhaltens „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers“ auf Merkmale des äußeren Erscheinungsbildes und Verhaltens wie Unsauberkeit, äußere Verwahrlosung, Alkoholisierung und Aggressivität ab. Darin sei der wesentliche Kern der verbotenen Verhaltensweisen erkennbar. Nicht eindeutig sei hingegen, von welcher Dauer und Häufigkeit der Aufenthalt im öffentlichen Raum sein müsse, damit von einem Sichherumtreiben im Sinne der Vorschrift gesprochen werden könne und welcher Grad äußerer Ungepflegtheit oder unangepassten Verhaltens Sanktionen nach sich ziehe. Entgegen dieser Begründung ist aber schon unklar, welche Verhaltensweisen ihrem Kern nach verboten sein sollen. Die Beschreibung „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers“ bedeutet nämlich nicht automatisch, dass derjenige ungepflegt, alkoholisiert oder gar aggressiv ist1073. Selbst die vom VGH Mannheim für die Begriffe des Land- beziehungsweise Stadtstreichers gegebenen Definitionen beziehen sich nur auf das Fehlen eines festen Wohnsitzes und einer Beschäftigung1074. Eine Pauschalisierung der Verhaltensweisen von Land- und Stadtstreichern beziehungsweise ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit in der Weise wie sie vom VGH Mannheim vorgenommen wird, ist daher schon vom Wortlaut der Vorschriften nicht gedeckt; sie ist aber auch herabsetzend gegenüber diesen Personengruppen. Davon abgesehen sind Begriffe wie die Unsauberkeit oder äußere Verwahrlosung einer Person nicht geeignet, den Inhalt einer Ver___________ 1071

§ 3 Nr. 2 Polizeiverordnung der Stadt Baden-Baden zur Bekämpfung der Bettelei und zur Sicherung der öffentlichen Ordnung im Stadtkreis Baden-Baden vom 19.1.1978. 1072 VGH Mannheim, NJW 1984, 507/508. 1073 Ganz abgesehen davon, dass Ungepflegtheit nicht einmal ansatzweise den Tatbestand einer Gefahr im Sinne des Polizeirechts verwirklicht. 1074 VGH Mannheim NJW 1984, 507/508: „Für den Begriff des Landstreichers wird auf die in der Rechtsprechung zu dem früheren Übertretungstatbestand in § 361 Nr. 3 StGB entwickelte Umschreibung zurückgegriffen werden können. Danach ist Landstreicher, wer aus eingewurzeltem Hang ohne die Absicht redlichen Erwerbs unter ständigem Wechsel des Nachtquartiers von Ort zu Ort umherstreift und dabei anderen zur Last fällt, indem er seinen Lebensunterhalt durch fremde Mildtätigkeit, Bettelei oder geringfügige Straftaten bestreitet (BGHSt 4, 52 = NJW 1953, 795). Mit dem Begriff des Stadtstreichers werden dagegen üblicherweise Personen bezeichnet, die wie Landstreicher keinen festen Wohnsitz und keine feste Beschäftigung haben, die aber nicht ständig den Ort wechseln, sondern ihren Bewegungsraum in der Stadt haben.“

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

botsnorm in einer Art und Weise näher zu definieren, dass Betroffene klar erkennen können, was ihnen erlaubt und was untersagt ist.

dd) Verhältnismäßigkeit – Verbot der bloßen Erleichterung polizeilichen Handelns Gefahrenabwehrverordnungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen1075. Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässigen Zwecke einer Regelung werden in den meisten Polizeigesetzen insoweit beschränkt, als Verordnungen nicht lediglich ergehen dürfen, um den zuständigen Behörden die Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere der polizeilichen Aufsicht, zu erleichtern1076. Gefahrenabwehrverordnungen dürfen demnach nicht Sachverhalte allgemein verbieten, um eine Prüfung beim Vorgehen im konkreten Einzelfall zu vermeiden1077. Aus diesem Grundsatz hat der VGH Mannheim geschlossen, dass es nicht zulässig sei, Handlungen, die noch nicht die Gefahrenschwelle überschreiten, grundsätzlich zu verbieten, weil es bei der Ermittlung der Störer im Einzelfall faktische Probleme gebe1078. Die hier behandelten Gefahrenabwehrverordnungen ergehen, um der Polizei eine Eingriffsgrundlage zum Einschreiten gegen Mitglieder sozialer Randgruppen zu liefern, auch wenn im konkreten Fall noch keine Gefahr vorliegt1079. Es geht also hauptsächlich darum, eine Eingriffsgrundlage zu schaffen, um eine Prüfung im konkreten Fall entbehrlich werden zu lassen1080. Das wird besonders in den Fällen deutlich, in denen bestimmte Verhaltensweisen in der Verbindung mit dem Konsum von Alkohol oder als Folge dessen verboten werden. Soweit diese Verhaltensweisen in der Tat eine Störung der öffentlichen Sicherheit darstellen, muss im konkreten Einzelfall gegen sie vorgegangen werden. Das Verbot des für sich ungefährlichen Alkoholkonsums als Ursache erscheint nur unter dem Gesichtspunkt sinnvoll, dass eine generelle Befugnis zum Einschreiten ohne genauere Prüfung des einzelnen Falles geschaffen werden soll. Damit geht es um die ___________ 1075

Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 11 Rn. 19. 28 Abs. 1 S. 2 BbgOBG; 56 Abs. 1 S. 1 BerlASOG; 52 Abs. 1 BremPolG; 29 Abs. 1 S. 2 NWOBG, 35 Abs. 1 RhPfPOG; 60 S. 2 SaarlPolG, 58 Abs. 4 SchlHLVwG. 1077 Vgl. BVerwG, DVBl. 1963, 149/150. 1078 VGH Mannheim, NVwZ 2003, 115/117. In der Entscheidung ging es nicht um eine Gefahrenabwehrverordnung, sondern um eine Allgemeinverfügung, die es Personen der „Punk-Szene“ untersagte, für einen mehrmonatigen Zeitraum einen Platz in Stuttgart aufzusuchen. Diese Verfügung ist im Gegensatz zur Ansicht des VGH Mannheim schon unzulässig, weil es am Vorliegen einer konkreten Gefahr und der Störereigenschaft der Adressaten der Verfügung fehlt; s. dazu oben C. V. 2. d) bb) (3) (a). 1079 s. oben C. V. 3. 1080 Vgl. auch Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/213. 1076

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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bloße Erleichterung der polizeilichen Aufsicht, die kein zulässiger Zweck für Gefahrenabwehrverordnungen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist außerdem zu beachten, dass die Verbote bestimmter Verhaltensweisen im angemessenen Verhältnis zum erstrebten Zweck stehen müssen. Soweit in der Ansammlung von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker eine abstrakte Gefahr allein wegen der möglichen Begehung von Ordnungswidrigkeiten oder Verstößen gegen die öffentliche Ordnung gesehen werden kann1081, ist ein Verbot des Lagerns von Personengruppen schlechthin unverhältnismäßig.

b) Sondernutzungssatzungen aa) Rechtsgrundlage Rechtsgrundlage für den Erlass der Sondernutzungssatzungen sind die jeweiligen Vorschriften in den Landesstraßengesetzen, die entsprechend § 8 Abs. 1 S. 4 FStrG die Kommunen ermächtigen, die Sondernutzungen an Ortsdurchfahrten und Gemeindestraßen durch Satzung näher zu regeln1082. Die Regelung bestimmter Verhaltensweisen sozialer Randgruppen, wie sie durch Sondernutzungssatzungen häufig erfolgt ist1083, muss sich im Rahmen dieser straßenrechtlichen Ermächtigungen halten.

(1) Umfang der Satzungskompetenz der Gemeinden Die jeweiligen Rechtsgrundlagen der Landsstraßengesetze ermächtigen die Gemeinden lediglich dazu, Sondernutzungen abweichend von den allgemeinen Bestimmungen über die Sondernutzung näher zu regeln oder von der Erlaubnispflicht zu befreien. Die Gemeinden dürfen also nur die praktische Handhabung von Gemeingebrauch und Sondernutzung bestimmen, nicht aber die landesgesetzlich vorgegebene und auch grundrechtlich bestimmte Grenze zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung verschieben. Die Abgrenzung zwi___________ 1081

s. dazu oben C. V. 2. d) bb) (3) (a). Art. 22 a BayStrWG; § 18 Abs. 4 BbgStrG; § 16 Abs. 7 BW StrG; § 37 HessStrG; § 24 MVStrG; § 18 Abs. 1 S. 4 NdsStrG; § 19 NW StrWG; § 42 Abs. 2 S. 1 RhPf StrG; § 19 Abs. 3, 52 SaarlStrG; § 50 Abs. 1 Nr. 1 Sachs-AnhStrG; § 18 Abs. 1 SächsStrG; § 23 Abs. 1 SchlStrWG; § 18 Abs. 1 S. 4 ThürStrG. Die Landesgesetze der Stadtstaaten enthalten davon abweichende Regelungen, die eine Regelung durch Ortsgesetz: § 18 Abs. 9 BremStrG oder durch Rechtsverordnung: § 25 Abs. 1 BerlStrG; § 19 Abs. 7 S. 1 HambgWG zulassen. 1083 s. oben C. V. 3. b). 1082

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

schen Gemeingebrauch und Sondernutzung ist durch die jeweiligen Landesgesetze abschließend geregelt. Nicht mehr von der Ermächtigung umfasst sind daher Regelungen, die ein Verhalten, das unter den Gemeingebrauch fällt, als Sondernutzung einstufen1084. Die allgemeine Satzungskompetenz der Gemeinden ist insoweit durch die besonderen spezialgesetzlichen Regelungen der Landesgesetze verdrängt, wäre aber ohnehin für die grundrechtsrelevanten Regelungen nicht ausreichend1085. In vielen Sondernutzungssatzungen wird die Erlaubnisfähigkeit der Sondernutzungen Betteln, Konsum von Alkohol und Nächtigen und Lagern gänzlich ausgeschlossen. Die Ermächtigungsgrundlagen in den jeweiligen Landesstraßengesetzen müssten die Gemeinden also auch dazu berechtigen, bestimmte Sondernutzungen von der Erlaubnisfähigkeit ganz auszunehmen. Einige lehnen dies ab, soweit Fälle denkbar wären, in denen die Versagung dieser Sondernutzungssatzungen ermessensfehlerhaft wäre. Dann wäre durch den generellen Ausschluss der Erlaubnisfähigkeit das eingeräumte Ermessen entwertet1086. Außerdem ermächtigten die Vorschriften über den Erlass von Sondernutzungssatzungen nur zur Befreiung von der Erteilung einer Erlaubnis oder zur Regelung der Ausübung der Sondernutzung. Sie ließen aber nicht den vollständigen Ausschluss der Genehmigungsfähigkeit zu1087. Die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen ermächtigen jedoch zu einem vollständigen Ausschluss der Genehmigungsfähigkeit. Wenn die Gemeinden ___________ 1084

VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560; OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381; OLG Saarbrücken, NVwZ 1998, 251; Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 58; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/214; Kube, JuS 1999, 176/179; Kohl, NVwZ 1991, 620/624; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 74; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 116; speziell für Art. 22a BayStrWG: Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 103. 1085 OLG Saarbrücken, NVwZ 1998, 251; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 27; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 92. 1086 Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/701; Fahl, DÖV 1996, 956; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 129 f. Dieser sieht aber nach dem Wortlaut des Bremer Straßengesetzes einen vollständigen Genehmigungsausschluss als zulässig an. Die von Schmitz genannten Grundsätze zur Determinierung der Ermessensausübung durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften betreffen nur den Fall, dass der gesetzlich vorgegebene Ermessenspielraum der Behörde direkt durch nur intern wirkende Verwaltungsvorschriften eingeschränkt wird. Hier geht es aber darum, inwieweit die Gemeinde aufgrund der Ermächtigungsgrundlage durch untergesetzliche Rechtsnorm dieses Ermessen von vornherein begrenzen kann. Daher kommt es nicht darauf an, ob der gesetzlich vorgegebene Ermessensspielraum der Behörde beschränkt werden darf. Sondern es geht darum, inwieweit der durch Landesgesetz gegebene Ermessensspielraum durch untergesetzliche Norm ausgeschlossen werden kann, so dass der Behörde dann kraft Gesetzes bereits kein Ermessen mehr zusteht. 1087 Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 8 Rn. 29.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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einzelne Sondernutzungen aus dem Genehmigungsvorbehalt ausnehmen können, müssen sie ebenso dazu ermächtigt sein, einzelne Nutzungsarten auszuschließen1088. Auch das Argument der unzulässigen Einschränkung des Ermessensspielraums vermag nicht zu überzeugen. Durch den Erlass der entsprechenden Sondernutzungssatzung übt die Gemeinde das in der gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass solcher Satzungen vorgegebene Ermessen aus. Auch bei der ausdrücklich zulässigen Freistellung von der Genehmigungsfähigkeit entfällt die Ermessensausübung durch die Behörde, daher muss dies ebenso beim Ausschluss der Genehmigungsfähigkeit zulässig sein.

(2) Regelung ordnungsrechtlicher Tatbestände durch straßenrechtliche Instrumentarien Die Sondernutzungssatzungen der Gemeinden regeln das Betteln, den Alkoholgenuss und das Nächtigen und Lagern auf der Straße. Es ist zu fragen, ob diese Verhaltensweisen überhaupt aufgrund des Straßenrechts geregelt werden können oder das Polizei- und Ordnungsrecht vorrangig ist1089. Die Kompetenz der Gemeinden beim Erlass der Sondernutzungssatzungen ist durch die landesrechtliche Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung vorgegeben1090. Die Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung kann sich also auch im Rahmen von Sondernutzungssatzungen nur nach straßenrechtlichen Kriterien richten1091. Das Straßenrecht umfasst als ___________ 1088 Das gilt nicht soweit die Straßengesetze nur zu Erleichterungen ermächtigen, wie in § 19 Abs. 7 HbgWG, § 42 Abs. 2 S. 1 RhPfStrG und §§ 19 Abs. 3, 53 SaarlStrG: vgl. Kohl, NVwZ 1991, 620/624; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 62/96 für § 22a BayStrWG; Wohlfahrt, BayVBl 1997, 420/426. 1089 Umgekehrt wären die entsprechenden Gefahrenabwehrverordnungen durch straßenrechtliche Regelungen über Sondernutzung und Gemeingebrauch verdrängt, wenn die Regelungen dieser Verhaltensweisen ausschließlich der Verhinderung einer möglichen Beeinträchtigung des Verkehrs dienen würden. Das wurde für das Verbot des Konsums von Alkohol durch den VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101/102 abgelehnt. Für das Betteln hat der VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560 festgestellt, dass es sich hierbei nicht um eine Sondernutzung handele. Daher müsse auf die Frage, ob das gemeindliche Satzungsrecht über Sondernutzungen eine Sperrwirkung gegenüber polizeigesetzlichen Regelungen entfalte, nicht eingegangen werden. 1090 s. oben C. VI. 5. b) aa) (1). 1091 Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 113; vgl. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), VIII Rn. 55; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap, 24 Rn. 10 ff. Insoweit ist entgegen der Ansicht von Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 118 f. nicht der Streit über die zulässigen Erwägungen im Rahmen des Ermessens beim Erlass von Sondernutzungsgenehmigungen entscheidend. Dieses Ermessen kann überhaupt erst dann ausgeübt werden, wenn eine Sondernutzungserlaubnis notwendig ist. Das ist nur der Fall, wenn es sich bei dem

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

öffentliches Sachenrecht im Gegensatz zum Ordnungsrecht Regelungen zur Entstehung, Nutzung und Unterhaltung der Straßen1092. Straßenspezifische und damit zulässige Erwägungen zur Einschätzung, ob eine Sondernutzung oder Gemeingebrauch vorliegt, können daher auch nur diesen sachenrechtlichen Bereich umfassen. Um straßenspezifische Erwägungen handelt es sich unter anderem, wenn es um verkehrsbezogene Belange, also Auswirkungen auf den Gemeingebrauch und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs geht1093. Das ergibt sich auch daraus, dass der Begriff des Gemeingebrauchs zwar durch den Verkehrszweck definiert wird, ansonsten aber zweckneutral ist. Daher können Verhaltensweisen überhaupt nur dann straßenrechtlich relevant sein, wenn sie verkehrsbezogen sind1094. Die straßenrechtliche Bewertung, ob Gemeingebrauch oder Sondernutzung vorliegt, richtet sich dabei nur nach den Inhaltsschranken, die den sachenrechtlich zulässigen Gebrauch bestimmen. Dahingegen unterliegt die jeweilige individuelle Ausübung dieses Gemeingebrauchs dem Ordnungsrecht1095. Allgemeine ordnungsrechtliche Belange fallen daher nicht in den Regelungsbereich des Straßenrechts. Es ist demnach auch unzulässig, diese durch den Erlass von Sondernutzungssatzungen zu regeln1096. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die ohne Verkehrsbezug nur bei Gelegenheit des Aufenthaltes auf der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs auftreten, sind nicht aufgrund straßenrechtlicher, sondern aufgrund gefahrenabwehrrechtlicher Grundlagen zu regeln1097. Aufgrund straßenrechtlicher Grundlagen ist eine Regelung von Verhaltensweisen nur dann möglich, wenn sie den Gemein-

___________ in Frage stehenden Verhalten nicht um Gemeingebrauch, sondern um eine Sondernutzung handelt; vgl. auch VGH München, NVwZ 1994, 187/188. 1092 Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), VIII Rn. 2. 1093 Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/215; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 115. Dabei ist aber auch der Vorrang des bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrechts zu beachten. 1094 Kohl, NVwZ 1991, 620/626, vgl. Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.41. Aber auch verkehrsbezogene Verhaltensweisen können unter Umständen nicht die Inhalts- sondern die Ausübungsschranken des Gemeingebrauchs betreffen, die nach Ordnungsrecht, in dem Falle Straßenverkehrsrecht, zu beurteilen sind. 1095 Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap 24 Rn. 10 ff. zur Abgrenzung zwischen Inhalts und Ausübungsschranken. 1096 Speziell für die „nicht mehr gemeinverträglichen“ Nutzungen durch soziale Randgruppen: Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 132; ders. NVwZ 1994, 652/656; vgl. auch Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 12. 1097 Vgl. OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381/382; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 29/31; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/215 f.; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 105; Kohl, NVwZ 1991, 620/626.

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gebrauch überschreiten, weil sie gegen die abstrakte Zweckbestimmung der Straße verstoßen1098. Die Regelung ordnungsrechtlicher Tatbestände mit straßenrechtlichen Instrumentarien würde zu einer unzulässigen Umgehung der speziell im Ordnungsrecht geregelten Eingriffsvoraussetzungen führen1099. Gerade im Falle der Regelung von Verhaltensweisen sozialer Randgruppen wird deutlich, dass durch die Anwendung der Vorschriften des Straßenrechts den Behörden ein Eingriff möglich wäre, obwohl die Voraussetzungen für diesen nach den Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts nicht gegeben sind. Wie oben dargestellt, erfüllen die in den Sondernutzungssatzungen geregelten Tatbestände des Bettelns, Niederlassens zum Konsum von Alkohol und des Nächtigens und Lagerns grundsätzlich nicht den Gefahrentatbestand1100. Ein Einschreiten gegen sie ist also weder durch Einzelverfügungen nach Polizei- und Ordnungsrecht noch aufgrund von Gefahrenabwehrverordnungen möglich. Wären diese Verhaltensweisen aber, wie in den Satzungen vorgesehen, nicht genehmigungsfähige Sondernutzungen, wäre eine Verletzung der Rechtsordnung und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben und ein Eingriff möglich. Gerade deshalb sind die entsprechenden Satzungen auch erlassen worden1101. Daher ist eine Regelung aufgrund straßenrechtlicher Sondernutzungssatzungen nur zulässig, wenn es um straßenspezifische Belange geht. Handelt es sich um allgemein gefahrenabwehrrechtliche Belange, sind diese aufgrund des Polizeiund Ordnungsrechts unter Beachtung der speziellen Voraussetzungen zu regeln1102. Zu fragen ist also, ob die Tatbestände Betteln, Konsum von Alkohol, Lagern und Nächtigen dem Straßenrecht zuzuordnende Belange regeln oder vorwie___________ 1098

Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 96. Vgl. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 117ff: Schmitz untersucht die Zulässigkeit der Regelung ordnungsrechtlicher Tatbestände in Sondernutzungssatzungen anhand der Grundsätze zum Formmissbrauch. Er kommt dabei ebenfalls zu dem Schluss, dass das gemeindliche Satzungsermessen durch die Grundsätze vom Formmissbrauch eingeschränkt ist, wenn Sondernutzungssatzungen zur Regelung ordnungsrechtlicher Tatbestände genutzt und dadurch die speziellen ordnungsrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen umgangen werden. Wegen der Formstrenge des Polizei- und Ordnungsrechts könnten die Satzungen auch nicht in adäquate Handlungsformen umgedeutet werden. Zur Nichtanwendbarkeit des Straßenrechts auf Verhaltensweisen sozialer Randgruppen: Kohl, NVwZ 1991, 626; Volkmann, NVwZ 2000, 361/364. 1100 s. oben C. VI. 2. 1101 s. oben C. V. 3. 1102 Vgl. auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehrrecht, 500; Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 8 Rn. 29: Ansonsten handele es sich um „verkappte Polizeiverordnungen“. Ebensowenig kann durch eine Polizeiverordnung die sich nach Widmung bestimmende Nutzung des öffentlichen Raums erweitert werden: VGH Mannheim, NVwZ 2000, 457. 1099

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gend ordnungsrechtliche Interessen verfolgt werden. Diese Verhaltensweisen fallen nur dann unter das Straßenrecht, wenn sie Verkehrsbezug aufweisen. Auch wenn ein solcher gegeben ist, müssen die Verhaltensweisen im Regelungsbereich des Straßenrechts liegen, in Abgrenzung zum in Bundeskompetenz liegenden Straßenverkehrsrecht als besonderem Ordnungsrecht. Zur Abgrenzung zwischen Straßen- und Ordnungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht1103 bestimmte Kriterien entwickelt. Danach wird durch die straßenrechtliche Widmung bestimmt, welche Verkehrsarten als solche auf der jeweiligen Straße zulässig sein sollen. Probleme die sich im Rahmen der Ausübung der danach zugelassenen Verkehrsarten ergeben, sind straßenrechtlich irrelevant. „Der Gemeingebrauch deckt alle verkehrsbezogenen Verhaltensweisen, zu denen die jeweilige Verkehrsart Gelegenheit bietet oder zwingt“1104. Daher ist zu prüfen, ob sich die Sondernutzungssatzungen auf bestimmte Verkehrsarten beziehen, die eventuell nicht im Rahmen der Widmung und damit des Gemeingebrauchs liegen. Soweit die Verhaltensweisen aber keine Verkehrsart darstellen, sondern nur im Rahmen des Gemeingebrauchs ausgeübt werden, fallen sie nicht in den straßenrechtlichen Regelungsbereich. Das Bundesverfassungsgericht sieht alle verkehrsbezogenen Verhaltensweisen, zu denen die jeweilige Verkehrsart Gelegenheit bietet, als vom Gemeingebrauch gedeckt an. Dies muss dann aber erst recht für nicht verkehrsbezogene Verhaltensweisen gelten, die nur bei Gelegenheit des Gemeingebrauchs ausgeübt werden. Auch diese sind nicht nach Straßenrecht, sondern nach Ordnungsrecht (jedoch nicht Straßenverkehrsrecht) zu beurteilen1105. Die Frage des Verkehrsbezuges ist entscheidend, da entsprechend der bundesverfassungsgerichtlichen Abgrenzung zwischen Ordnungs- und Straßenrecht das Straßenrecht nur einschlägig ist, wenn es um die Verkehrsart geht, nicht aber, wenn es um die Ausübung dieser Verkehrsart geht. Regelungsbereich des Straßenrechts ist nicht das „gute oder sinnvolle Leben“ auf der Straße, sondern die Koordination verschiedener Nutzungen im Rahmen des Widmungszwecks1106. Demnach ist zu klären, ob die entsprechenden Verhaltensweisen den sachenrechtlich zulässigen Gebrauch überschreiten und deshalb Sondernutzung sind oder ob es sich nur um Handlungen bei Gelegenheit des

___________ 1103

BVerfGE 67, 299. BVerfGE 67, 299/321 f. 1105 So auch Kohl, NVwZ 1991, 620/621. 1106 Vgl. Volkmann, NVwZ 2000, 361/364. Dieser lehnt eine straßenrechtliche Regelung des Bettelns und Konsums von Alkohol ab und weist zutreffend darauf hin, dass wohl jeder Sachbearbeiter, bei dem ein Antrag auf Sondernutzung für diese Verhaltensweisen einginge, überfordert wäre. 1104

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Gemeingebrauchs handelt, die nicht nach Straßenrecht, sondern nach Ordnungsrecht zu regeln sind1107.

bb) Sondernutzung oder Gemeingebrauch Gemeingebrauch ist das jedermann gewährte Recht, die öffentlichen Wege und Plätze im Rahmen der Widmung ohne besondere Zulassung zu nutzen. Die Nutzung ist dabei auf den Zweck des Verkehrs beschränkt1108. Kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken genutzt wird1109. Zentrale Frage ist also, ob es sich bei den als Sondernutzung geregelten Verhaltensweisen um eine Nutzung zum Verkehr und damit noch um Gemeingebrauch handelt. Der enge Verkehrsbegriff erfasst nur den Verkehr an sich, der durch Ortsveränderungen, also das Überwinden von Entfernungen, gekennzeichnet ist. Darunter fallen die Fortbewegung, Ortsveränderung und der Transport von Gütern1110. Auch der „ruhende Verkehr“ ist als eine widmungskonforme Unterbrechung der Ortsveränderung noch vom engen Verkehrsbegriff umfasst1111. Deshalb ist das Stehenbleiben, Verharren oder auch längere Verweilen von Fußgängern an einem Ort Gemeingebrauch, wenn es noch mit der Ortsveränderung in Zusammenhang steht. Die Grenze zur Sondernutzung ist erst dann überschritten, wenn dieser Zusammenhang aufgegeben wird, es sich also nicht mehr nur um eine Unterbrechung der Fortbewegung handelt1112. ___________ 1107

Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 132, der eine Regelung aufgrund Straßenrechts ablehnt. 1108 Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 54; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 9/18; Kohl, NVwZ 1991, 620/624; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 110. 1109 Vgl. Art. 14 Abs. 1 S. 2 BayStrWG; § 10 Abs. 2 S. 3 BerlStrG; § 15 Abs. 1 S. 2 BW StrG; § 16 Abs. 1 S. 2 HambgWG; § 14 Abs. 1 S. 3 NdsStrG; § 21 Abs. 1 S. 2 NWStrWG; § 34 Abs. 3 RhPfStrG; § 14 Abs. 1 S. 2 SaarlStrG; § 20 Abs. 1 S. 2 SchlHStrWG. 1110 Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.1; Kohl, NVwZ 1991, 620/624; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 110. 1111 BVerwGE 34, 320; Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 54; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 98; Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 10. 1112 Insoweit sind Fußgänger nicht anders zu beurteilen, als das Parken von Fahrzeugen, welches als Unterbrechung eines Verkehrsvorganges zum Verkehr im engeren Sinne gehört: BVerwGE 34, 320; Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/699; für das „sich Einrichten“: Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 32; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 98; Kohl, NVwZ 1991, 620/624; Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 10; Terwiesche, VR 1997, 410/413.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

Der enge Verkehrsbegriff entspricht nicht mehr dem heutigen Verständnis von der Funktion öffentlicher Straßen, insbesondere innerhalb von Ortschaften und dort in Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen. Daher hat sich in Rechtsprechung und Literatur eine Ansicht durchgesetzt, die auch den kommunikativen Verkehr, also die Nutzung der Straße zur Kontaktaufnahme, Begegnung und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern umfasst1113. Diese Erweiterung des Verkehrsbegriffs wurde für notwendig erachtet, weil nach dem engen Verkehrsbegriff eine Vielzahl von sich auf der Straße abspielenden Lebenssachverhalten erlaubnispflichtig gewesen wäre, die durch die grundrechtlichen Freiheitsgarantien geschützt ist. Zwar ist die Ausübung der betroffenen Grundrechte auch nach dem engen Verkehrsbegriff nicht gänzlich unmöglich, aber doch erheblich erschwert. Daher wird eine verfassungskonforme Auslegung verlangt, die auch kommunikative Nutzungsformen der Straße mit unter den Verkehrsbegriff im Sinne des Gemeingebrauchs fasst. Die präventive Durchführung eines Erlaubnisverfahrens ist zwar grundsätzlich eine verhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung, weil dadurch gerade die gegensätzlichen grundrechtlich geschützten Interessen bei der Nutzung der Straße ausgeglichen werden1114. Die Verhältnismäßigkeit ist aber nicht mehr gegeben, wenn es sich um spontane Grundrechtsausübungen handelt, die bei Vorliegen eines Erlaubnisvorbehaltes faktisch unmöglich werden. Es ist anerkannt, dass öffentliche Straßen und Plätze innerhalb von Ortschaften eine wichtiges Forum für den Meinungs- und Informationsaustausch und die Pflege menschlicher Kontakte sind1115. Damit kommt der Teilnahme am Gemeingebrauch eine grundrechtliche Bedeutung in Bezug auf die Meinungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu, die bei der Auslegung des Begriffs zu beachten ist1116. Gerade für Mitglieder sozialer Randgruppen ist die Nutzung der Straße zur Ausübung ihrer Grundrechte unerlässliche Voraussetzung. Untersagt man ihnen die Nutzung der Straße zu kommunikativen Zwecken, bleibt aufgrund der oft fehlenden oder aber doch sehr begrenzten privaten Wohnräume kein Raum, um von ihren Grundrechten tatsächlich Gebrauch zu machen. Unter dem weiten Verkehrsbegriff ist die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung schwierig. Die Rechtsprechung dazu gleicht einer ___________ 1113 Vgl. zum weiten Verkehrsbegriff: Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60 f.; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 22 ff.; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 130 ff. 1114 Vgl. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60. 1115 Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 99; Kohl, NVwZ 1991, 620/624. 1116 OLG Saarbrücken, NVwZ 1998, 251; für die Meinungsfreiheit: Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, Kap. 24 Rn. 12.

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Kasuistik, der jedoch einige einheitlichen Kriterien zu entnehmen sind1117. Die Nutzung der Straße zu kommunikativen Zwecken muss danach verkehrsüblich sein und ohne Hilfsmittel und Vorrichtungen auskommen, die den Gemeingebrauch durch andere in einer Art und Weise negativ beeinflussen, die nur durch eine Koordination der Nutzungsinteressen im Wege des Erlaubnisverfahrens zu bewältigen ist1118. Entscheidend ist, ob die Nutzung geeignet ist, den Gemeingebrauch anderer unzumutbar zu beeinträchtigen1119. Grundsätzlich als Gemeingebrauch anerkannt ist auch nach diesen Gesichtspunkten, wenn Personen allein oder in der Gruppe auf dem Gehweg oder öffentlichen Plätzen länger verweilen beziehungsweise sich aufhalten1120. Zur Unterscheidung zwischen Sondernutzung und Gemeingebrauch stellt ein Teil der Literatur und Rechtsprechung auf den subjektiven Zweck des zu beurteilenden Verhaltens ab. Ein Verhalten sei dann nicht mehr dem Verkehr und damit auch nicht dem Gemeingebrauch zuzuordnen, wenn die Straße dabei zu kommerziellen Zwecken genutzt werde. Wenn die fragliche Tätigkeit nur in den Schutzbereich des Art. 12 GG falle, sei eine Erweiterung des Begriffes des Gemeingebrauchs durch verfassungskonforme Interpretation nicht notwendig. Das Erfordernis der Sondernutzungserlaubnis bilde insofern eine gesetzliche Schranke der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG1121. Die Gegenansicht stellt allein auf das objektive Erscheinungsbild ab. Solange objektiv ein Verkehrsverhalten vorliege, sei der subjektive Zweck der Nut-

___________ 1117 Vgl. Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 22.7 ff.; Kohl, NVwZ 1991, 620/625; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 130 ff. 1118 Vgl. OLG Köln, NVwZ 1992, 100; OLG Frankfurt, NJW 1976, 203/204; Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 61; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Rn. 22.7; Kohl, NVwZ 1991, 620/625; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 133; BVerwGE 56, 63/65: Für das Aufstellen von Gestellen, Tischen oder Ständen, jedoch ablehnend gegenüber dem Kriterium der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs anderer. 1119 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561; OLG Hamm, NVwZ 1991, 205; OLG Stuttgart, NJW 1976, 201/203; Holzkämper, NVwZ 1994, 146/148; Kohl, NVwZ 1991, 620/625. 1120 OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381/382; OLG Saarbrücken, NVwZ 1998, 251/252; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 99; Kohl, NVwZ 1991, 620/625. 1121 BVerwGE 35, 326/329; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 91; für das Ansprechen von Passanten im Rahmen erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit: OVG Hamburg NJW 1986, 209; soweit das gewerbliche Interesse im Vordergrund steht: OLG Stuttgart, NJW 1976, 201/202; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 131; dagegen überzeugend Grote in Kodal/Krämer, Straßenrecht, § 24 Rn. 113: Für die rechtliche Beurteilung als Gemeingebrauch ist es unerheblich, ob die Zettelverteilung der politischen oder geschäftlichen Werbung dient.

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

zung unbeachtlich. Die Motivation könne nur dann maßgeblich sein, wenn sie in den konkreten Umständen der Straßenbenutzung hervortrete1122. Gegen die objektive Betrachtungsweise wird angeführt, dass der Gemeingebrauch die Nutzung der Straße im Rahmen der Widmung umfasse, sich also nach dem Widmungszweck richte. Dieser sei vorwiegend auf Verkehrszwecke beschränkt. Zwar gehöre dazu im Rahmen des kommunikativen Verkehrsbegriffs auch die Begegnung und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern. Kommunikative Aktivitäten seien aber auch nur erfasst, wenn sie einen Nebenzweck der Nutzung, nicht aber den isolierten Hauptzweck bildeten. Ebenso seien wirtschaftliche oder gewerbliche Betätigungen bei denen eine Verkehrsinteresse allenfalls nebensächlich sei und die auch nicht auf individuelle Begegnungen gerichtet seien, sondern sich an die Allgemeinheit richten, nicht mehr Gemeingebrauch1123. Diese Ansicht stellt also auch bei objektiv gegebenem Verkehrsverhalten auf den subjektiv verfolgten Zweck ab und entscheidet danach, ob es sich um Gemeingebrauch oder Sondernutzung handelt1124. Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass Gemeingebrauch im Sinne des engen Verkehrsbegriffs zunächst jedes Verhalten umfasst, das nach seinem äußeren Erscheinungsbild Verkehr ist. Erfasst sind demnach die Fortbewegung, aber auch das Verweilen, solange noch ein Bezug zur Ortsveränderung gegeben ist1125. Erst wenn ein Verhalten objektiv nicht mehr unter diesen engen Verkehrsbegriff zu fassen ist, kommt es auf die Erweiterungen durch den kommunikativen Verkehrsbegriff an, in dessen Rahmen der Zweck des Aufenthaltes insoweit entscheidend wird, als es um die Bestimmung des Grundrechtsbezugs geht. Dabei geht es jedoch um die Einbeziehung von Verhaltensweisen, die objektiv kein Verkehrsverhalten darstellen, aber aufgrund ihrer subjektiven Zielrichtung in den Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG oder anderer Freiheitsrechte fallen, der zur Erweiterung des Verkehrsbegriffes führt. Bei dieser Einbeziehung kommt es nicht darauf an, dass die Kommunikation nur Nebenzweck wäre, sie kann auch der Hauptgrund für die Straßennutzung ___________ 1122 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561; OVG Hamburg, NJW 1996, 2051; OLG Düsseldorf, NJW 1998, 2375/2376; OLG Köln, NVwZ 1992, 100/101; OLG Frankfurt, NJW 1976, 203/204; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.41/100/113; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 31; Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147 f. 1123 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 91; ders. VBlBW 1987, 137. 1124 Vgl. auch BVerwGE 35, 326/329; OLG Stuttgart, NJW 1976, 201/202; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 81 ff. 1125 s. oben C. VI. 5. b) bb); objektives Verkehrsverhalten entscheidend: OVG Hamburg, NJW 1996, 2051; OLG Köln, NVwZ 1992, 100/101; OLG Frankfurt, NJW 1976, 203/204; Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, § 24 Rn. 100/113.

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sein1126. Daraus kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass objektives Verkehrsverhalten dann nicht mehr unter den Verkehrsbegriff fällt, wenn es subjektiv anderen Zwecken dient, die nicht oder durch weniger starke Grundrechte geschützt werden. Freilich ist es richtig, dass die straßenrechtlichen Regelungen über die Sondernutzung Schranken für Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt bilden können. Das heißt aber nicht, dass deshalb jeder Gemeingebrauch, der auch einem anderen grundrechtlich geschützten Zweck dient, Sondernutzung ist. Wollte man der Rechtsprechung zur gewerblichen Nutzung von Straßen insoweit folgen, als ein objektives Verkehrsverhalten dann nicht mehr Gemeingebrauch ist, wenn der subjektive Hauptzweck ein anderer ist, würde man für die alltäglichsten Verhaltensweisen, wie das Hundespazierenführen, Dauerlaufen oder auch Sonnenbaden1127 eine genehmigungsbedürftige Sondernutzung annehmen müssen. Der Wortlaut einiger Straßengesetze besagt zwar, dass Gemeingebrauch nicht mehr vorliegt, „wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt“1128. Daraus wird geschlossen, dass der Zweck generell zur Begrenzung des Gemeingebrauchs heranzuziehen sei1129. Diese Begrenzung kann aber nur dahingehend ausgelegt werden, dass es auf objektive Verhaltensweisen ankommt, die die Form der Straßenbenutzung kennzeichnen. Das ergibt sich schon aus dem Regelungsbereich des Straßenrechts1130. Die Unterscheidung zwischen Sondernutzung und Gemeingebrauch sichert die Funktion der Straße für eine bestimmte Verkehrsart. Für das Funktionieren des Verkehrs kann nur das objektive Verkehrsverhalten eines Einzelnen ausschlaggebend sein1131. Auch die Rechtsprechung, die die kommerzielle Nutzung als Überschreitung des Gemeingebrauchs ansieht, stellt teilweise erst auf den subjektiven Zweck ab, wenn er sich in den konkreten Umständen der Straßennutzung niederschlägt. Erst wenn die wirtschaftliche Nutzung zu einer straßenrechtlich relevanten Störung für den Gemeingebrauch anderer führe, sei

___________ 1126

Bei der Rechtsprechung zum kommunikativen Gemeingebrauch geht es um die Einbeziehung von Verhaltensweisen, deren Hauptzweck die Meinungsäußerung ist und nicht der Verkehr. Vgl. zur Verteilung von Flugblättern zum Beispiel: BVerfG, NVwZ 1992, 53; BVerwGE 56, 63/66 f. 1127 Vgl. Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.41: Teilnahme am Straßenverkehr zum Vergnügen, zur Befriedigung der Neugierde. 1128 Vgl. u.a. § 7 Abs. 1 Satz 2 FStrG. 1129 Vgl. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 82. 1130 s. oben C. VI. 5. b) aa) (2); BVerwGE 34, 320/323; Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147; Kube, JuS 1999, 176/179; Volkmann, NVwZ 2000, 161/164. 1131 s. oben C. VI. 5. b) aa) (2); vgl. auch Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147; Kube, JuS 1999, 176/180; Volkmann, NVwZ 2000, 161/164.

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sie als Sondernutzung anzusehen1132. Eine straßenrechtlich relevante Störung in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn es sich um eine verkehrsbezogene Verhaltensweise handelt1133. Dementsprechend wird auch das Verteilen von Faltblättern, der Handverkauf von Straßenzeitungen oder der Verkauf aus einem Bauchladen trotz des dahinter stehenden kommerziellen Zwecks nicht als Sondernutzung beurteilt1134. Entscheidend ist, dass die betreffenden Personen die Straße in der Regel nicht anders benutzen, als die Verkehrsteilnehmer, „die einen Schaufensterbummel“ machen oder sonst durch die Straßen schlendern1135. Auf den subjektiven Zweck der Nutzung der Straße kann es also nur dann ankommen, wenn er sich in einem Verhalten verwirklicht, dass die räumliche Straßenbenutzung durch andere beeinträchtigen kann, also verkehrsbezogen ist1136, und wenn dieses Verhalten nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff fällt. Denn nur dann ist zu klären, ob das Verhalten im Rahmen des kommunikativen Gemeingebrauchs vom weiten Verkehrsbegriff erfasst ist. Dafür ist entscheidend, ob es dem Zweck des Meinungsaustauschs beziehungsweise der Kontaktaufnahme, Begegnung und Kommunikation dient und daher eine erlaubnisfreie Nutzung der Straße erfordert. Zur Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung ist demnach in einem ersten Schritt zu prüfen, ob ein Verhalten überhaupt straßenrechtlich relevant ist. Das ist es nur, wenn es Verkehrsbezug, also Auswirkungen auf den Gemeingebrauch anderer und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ha___________ 1132

Vgl. BVerwG, NJW 1997, 406/407: „Ohne Einfluß auf diese Beurteilung sind freilich […] bloße erwerbswirtschaftliche Motive, die in den konkreten Umständen der Straßenbenutzung gar nicht hervortreten.“; so auch Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.41; vgl. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 58: „Während die bloße Verfolgung von erwerbswirtschaftlichen Motiven grundsätzlich irrelevant ist, kann ein mit der Grundrechtsausübung einhergehender Verkauf von Waren und Dienstleistungen eine straßenrechtlich veränderte Beurteilung der Störungswirkung für den Gemeingebrauch rechtfertigen.“; vgl. auch die Rechtsprechung zum Parken von Fahrzeugen im Straßenraum: Das Parken ist auch dann noch dem Verkehr zuzurechnen, wenn in dem Fahrzeug eine Verkaufsofferte angebracht ist (OVG Münster, NVwBl. 2001, 358), die Fahrzeuge zur Vermietung aufgestellt werden (BVerwG, NJW 1982, 2332) oder eine Firma ihre Reiseomnibusse abstellt (BVerwG, DÖV 1978, 886). Die Fahrzeuge sollen nach dieser Rechtsprechung nur dann nicht mehr zum Verkehr zugehörig sein, wenn der Verkehrsbezug offensichtlich aufgegeben ist, weil sie nicht betriebsbereit sind. A.A. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 82. 1133 s. oben C. VI. 5. b) aa) (2). 1134 Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 98; OLG Köln, NVwZ 1992, 100; OVG Hamburg, NJW 1996, 2051; a.A. BVerwGE 35, 326/ 329 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 91; VG Karlsruhe, NJW 2002, 160; VGH München, BayVBl. 2000, 408. 1135 OLG Köln, NVwZ 1992, 100; vgl. OVG Hamburg, NJW 1996, 2051. 1136 Vgl. auch Kube, JuS 1999, 176/180.

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ben kann1137. Eine Verhaltensweise, die keinerlei Verkehrsbezug hat, hat auch keinen Einfluss auf die Einordnung in die straßenrechtlichen Kategorien Sondernutzung oder Gemeingebrauch. Fällt ein Verhalten unter den engen Verkehrsbegriff, ist es Gemeingebrauch, ohne dass es auf weitere Kriterien ankäme. Eine Verhaltensweise, die nicht unter den engen Verkehrsbegriff zu subsumieren ist, kann dennoch Gemeingebrauch sein, wenn sie vom weiten Verkehrsbegriff erfasst ist. Entscheidend für die Einbeziehung in den weiten Verkehrsbegriff ist der subjektive Zweck einer Verhaltensweise. Dieser muss gerade der Meinungsaustausch beziehungsweise die Kontaktaufnahme, Begegnung und Kommunikation sein. Wenn eine Verhaltensweise diesem subjektiven Zweck dient, muss sie sich weiterhin in den objektiven Grenzen des weiten Verkehrsbegriffs halten, um Gemeingebrauch zu sein. Sie muss also verkehrsüblich sein, ohne Hilfsmittel und Vorrichtungen auskommen, die den Gemeingebrauch so stören, dass ein Erlaubnisverfahren zum Ausgleich der Interessen notwendig wird, und darf den Gemeingebrauch anderer nicht unzumutbar beeinträchtigen.

(1) Betteln als Sondernutzung Das Verhalten der Bettler enthält als ein Element die Bitte um Geld. Dieses „Um-Geld-Bitten“ hat keine Auswirkungen auf den Gemeingebrauch anderer oder die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Er schlägt sich also nicht in einem verkehrsbezogenen Verhalten nieder und ist daher nicht straßenrechtlich relevant1138. Straßenrechtlich relevant ist jedoch, dass sich Bettler auf der Straße fortbewegen, anhalten, sich hinsetzen oder auch für einen längeren Zeitraum niederlassen. Bettler lassen sich nicht zwingend an einem bestimmten Ort nieder, sondern bewegen sich auch fort und bleiben nur für eine bestimmte Zeit stehen oder sitzen. Solange beim Hinsetzen beziehungsweise Stehen der Zusammenhang zur Fortbewegung noch gegeben ist, fällt dieses Verhalten bereits unter den engen Verkehrsbegriff. Dieser umfasst auch das auf der Straße Stehenbleiben, Verharren und längeres Verweilen, solange es lediglich eine Unterbrechung der

___________ 1137

s. oben C. VI. 5. b) aa) (2). s. oben C. VI. 5. b) bb) und zum Verkehrsbezug s. oben C. VI. 5. b) aa) (2); VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561; OVG Hamburg, NJW 1996, 2051; OLG Düsseldorf, NJW 1998, 2375/2376; OLG Köln, NVwZ 1992, 100/101; OLG Frankfurt, NJW 1976, 203/204; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 21.41/ 100/113; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 31; Holzkämper, NVwZ 1994, 146/147 f. 1138

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Fortbewegung ist1139. Soweit der Bezug zur Fortbewegung gegeben ist, kommt es auf den dahinter stehenden Zweck nicht mehr an1140. Sowie dieser Bezug zur Fortbewegung nicht mehr gegeben ist, fällt das Verhalten jedoch nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff. Ein solches über den engen Verkehrsbegriff hinausgehendes Verweilen ist anzunehmen, wenn sich ein Bettler für einen so langen Zeitraum im öffentlichen Straßenraum niederlässt, dass ein Bezug zur Ortsveränderung nicht mehr gegeben ist1141. In diesen Fällen, in denen das Verhalten eines Bettlers nicht mehr vom engen Verkehrsbegriff erfasst ist, kommt es auf den subjektiven Zweck des Verhaltens an. Denn nur wenn dieser einen Grundrechtsbezug aufweist, der im Rahmen des weiten Verkehrsbegriffs anerkannt ist, kann das Verhalten in den erlaubnisfreien Gemeingebrauch einbezogen werden. Das wäre jedenfalls gegeben, wenn das Betteln in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Alt. GG fiele und schon deshalb vom kommunikativen Gemeingebrauch erfasst wäre. Zum Teil wird die Einschlägigkeit des Schutzbereiches bereits verneint, weil die Bitte um Geld beim Betteln kein Element der Stellungnahme als Teil einer geistigen Auseinandersetzung enthalte und daher keine Meinung sei1142. In der Tat ist durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Alt GG gerade die Meinungsäußerung geschützt, also die Äußerung von Werturteilen. Demgegenüber stehen Tatsachenbehauptungen, die durch die Kriterien wahr oder falsch bestimmbar sind1143. Tatsachenbehauptungen sind jedoch häufig mit einem Werturteil verbunden1144. Nach der weiten Auslegung des Bundesverfassungsgerichts ist vom Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit jede Äußerung umfasst, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Das soll auch dann der Fall sein, wenn sich diese Elemente mit Elementen einer Tatsachenbehauptung verbinden oder vermischen1145. Eine ___________ 1139 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560/561: Bettler bewegen sich auf der Straße fort und verweilen sitzend oder stehend. Insoweit nutzen Bettler die Straße ihrem rein äußeren Verhalten nach „wie andere Verkehrsteilnehmer auch“. Gewöhnlich bedienen sich Bettler auch keiner weiteren Hilfsmittel oder Vorrichtungen. Eventuell auf die Straße gestellte Sammelbehältnisse, wie Becher oder Hüte, sind nicht so groß, dass sie straßenrechtlich relevant werden könnten. 1140 A.A. Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/427, der das Betteln grundsätzlich wegen seines kommerziellen Zweckes als Sondernutzung einstuft. 1141 Vgl. zum Abstellen von KfZ mit Verkaufsofferte OVG NRW, NVWBl. 2001, 358/359: „Wenn das KfZ über einen längeren Zeitraum an einem einzigen Standort abgestellt bleibt, ohne bewegt zu werden.“ 1142 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 57; ohne nähere Begründung Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/700. 1143 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 552; Wendt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 8. 1144 Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 55a; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 553; Wendt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 9. 1145 BVerfGE 61, 1/8.

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solche Verbindung oder Vermischung ist insbesondere anzunehmen, wenn eine Tatsachenbehauptung Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist1146. Wenn man davon ausgeht, dass durch das Betteln auch auf die Bedürftigkeit aufmerksam gemacht wird, könnte hierin eine reine Tatsachenbehauptung zu sehen sein. Aber die Mitteilung der eigenen Bedürftigkeit gegenüber Passanten im öffentlichen Raum enthält auch ein Werturteil über die gesellschaftliche Situation oder setzt zumindest die Voraussetzung dafür, dass sich Passanten eine Meinung über diese bilden können. Sie kann auch die Meinung zum Ausdruck bringen, dass die Passanten dem Betroffenen in seiner Notlage helfen sollten, um dessen Bedürftigkeit abzuhelfen und damit eine gewisse gesellschaftliche Solidarität auszuüben. Insoweit könnte es sich beim Betteln um die Äußerung einer Meinung handeln. Dafür, dass das Betteln unter den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fallen könnte, spricht auch die teilweise vertretene Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG als „Recht der freien Rede“1147, das das Recht der Mitteilung oder Weitergabe von Nachrichten beziehungsweise das Recht der freien Mitteilung an andere umfasse1148. Dieser Auslegung folgend wird angenommen, dass die Bitte um eine Spende auch eine Element der Kontaktaufnahme enthalte, indem den anderen Verkehrsteilnehmern die eigene Bedürftigkeit mitgeteilt wird. Dieser kommunikative Aspekt sei aber sekundär, weil der einzige Zweck der Äußerung die Bitte um eine Spende selbst sei1149. Der weite Verkehrsbegriff ist nicht auf subjektive Zwecke begrenzt, die unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fallen. Er umfasst vielmehr den Meinungs- und Informationsaustausch und die Pflege menschlicher Kontakte, also Verhaltensweisen mit Grundrechtsbezug zur Meinungsfreiheit, aber auch zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Insoweit kann zur Einordnung eines Verhaltens unter den weiten Verkehrsbegriff auf die weite Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden. Für den Regelfall des Bettelns ist der kommunikative Aspekt jedoch sekundär. Gewöhnlich geht es dem Bettler nicht um die Mitteilung seiner Bedürftigkeit und die entsprechende soziale Situation. Die Passanten werden sich regelmäßig auch keine Meinung über den sozialen Hintergrund und die Bedürftigkeit bilden. Schwerpunkt der Handlung ist in der Tat die Bitte um eine Spende und die Antwort auf diese einfache Bitte. Darin ist kein Element des Dafürhaltens oder der Stellungnahme enthalten, sodass es sich nicht um die Äußerung einer Meinung im eigentlichen Sinne handelt. Die in dieser Bitte unter Umständen noch enthaltene Mitteilung an andere tritt hin___________ 1146

BVerfGE 85, 1/15. Diese wäre zumindest vom Wortlaut eher mit dem Recht der freien Rede aus dem 1. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung vergleichbar. 1148 Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 54 ff.: Herzog beruft sich dabei auf historische Argumente und die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 MRK, zustimmend auch Wendt in: Kunig, GG, Art. 5 Rn. 9. 1149 Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 109 f. 1147

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

ter der Geldforderung zurück. Bei der Bestimmung des einschlägigen Grundrechts ist auch der spezifische Sinngehalt und die sachliche Nähe des zu beurteilenden Sachverhalts zu einer Norm entscheidend. Es kommt also auf den Schwerpunkt der jeweiligen Handlung an1150. Beim Betteln liegt der Schwerpunkt nicht auf dem Element der Mitteilung, sondern auf dem der Bitte um Geld. Soweit also das straßenrechtlich relevante Verhalten eines Bettlers nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff fällt, ist es auch nicht vom weiten Verkehrsbegriff erfasst. Denn der subjektive Zweck ist nicht Kommunikation, sondern die Bitte um Geld. Festzuhalten bleibt, dass das Verhalten von Bettlern, soweit es um die Bitte um Geld geht, straßenrechtlich nicht relevant ist. Das Verhalten im Übrigen, die Fortbewegung auf der Straße, die durch zeitlich begrenztes Verweilen unterbrochen wird, ist vom engen Verkehrsbegriff erfasst. Nur soweit der Zusammenhang zur Fortbewegung unterbrochen ist, kommt es auf den subjektiven Zweck an, der nicht unter die vom weiten Verkehrsbegriff geschützte Kommunikation fällt. Da der Begriff Betteln jedoch auch Verhaltensweisen erfasst, die unter den engen Verkehrsbegriff fallen, regelt er insoweit Gemeingebrauch. Satzungen, die das Betteln schlechthin als Sondernutzung regeln, überschreiten daher die Satzungskompetenz. Die Sondernutzungssatzungen verbieten aber nur teilweise das einfache Betteln. In einigen Satzungen wird lediglich das aggressive Betteln als Sondernutzung eingestuft, das insbesondere durch das „ausdrückliche und hartnäckige“ oder auch „körpernahe“ Ansprechen definiert wird, teilweise aber auch durch das „Verengen von Zugängen mit Kindern und Tieren“1151. Wie erläutert, können diese zum schlichten Betteln hinzukommenden Verhaltensweisen nur dann zu einer anderen Einschätzung bezüglich der Gemeingebräuchlichkeit des Bettelns führen, wenn sie von straßenrechtlicher Relevanz sind. Es muss sich um Verhaltensweisen mit Verkehrsbezug handeln, die anders als das Betteln nicht mehr dem engen Verkehrsbegriff zuzuordnen sind1152. Das Ansprechen von Passanten schlechthin führt allenfalls zu einem kurzen, dann auch freiwilligen Stehenbleiben oder zu einem Ausweichen. Auf belebten Plätzen und Straßen in der Innenstadt ist es durchaus üblich, dass man kurz anhalten oder anderen Passanten ausweichen muss. Das Ansprechen hat daher keine Auswirkungen auf den Gemeingebrauch anderer beziehungsweise die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, es ist keine verkehrsbezogene Verhal___________ 1150 Vgl. zur Abgrenzung von Art. 6 Abs. 1 GG und 3 Abs. 1 GG BVerfGE 13, 290/296; zur Abgrenzung bei Grundrechten, die im Spezialitätsverhältnis zueinander stehen Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 339. 1151 s. oben C. V. 3. b). 1152 s. oben C. VI. 5. b) bb).

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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tensweise1153. Daher kann es nicht dazu führen, dass das Verhalten des Bettlers nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff fällt. Eventuelle Störungen anderer Passanten, die sich belästigt fühlen, oder auch eine fehlende „Gemeinverträglichkeit“ sind für die straßenrechtliche Unterscheidung von Gemeingebrauch und Sondernutzung irrelevant und allenfalls durch allgemeine ordnungsrechtliche Regelungen zu erfassen. Es handelt sich um eine Frage der Ausübungsschranken, nicht der Inhaltsschranken gemeingebräuchlicher Nutzung. Das Ansprechen findet lediglich bei Gelegenheit des Gemeingebrauchs statt, ohne dass der sachenrechtliche zulässige Gebrauch der Straße überschritten wäre1154. Allein das Verengen von Zugängen hat straßenrechtliche Relevanz. Es schlägt sich in den konkreten Umständen der Straßennutzung nieder und hat Auswirkungen auf den Gemeingebrauch anderer. Die Formulierung „mit Kindern und Tieren“ ist jedoch rechtlich sehr fragwürdig. Solange die Kinder nämlich auch nur auf der Straße verweilen, nehmen sie ebenso wie die Bettler am Gemeingebrauch teil. Wenn Tiere bei der Teilnahme am Verkehr mitgeführt werden, sind die Grenzen des Gemeingebrauchs grundsätzlich auch nicht überschritten, wollte man nicht jedes Hundeausführen als Sondernutzung einstufen. Gefahren, die von den Hunden ausgehen, sind vielmehr wieder ordnungsrechtlicher und nicht straßenrechtlicher Natur. Das Verengen von Zugängen ist daher die einzige in den Definitionen enthaltende Verhaltensweise mit Verkehrsbezug. Nur das Verengen von Zugängen ist demnach relevant für die Einordnung in Gemeingebrauch oder Sondernutzung. Es fällt nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff, weil jeder Bezug zur Fortbewegung fehlt. Unter den weiten Verkehrsbegriff fällt es auch nicht, weil schon der Zweck der Kommunikation, der zur Eröffnung des kommunikativen Gemeingebrauchs führen würde, nicht gegeben ist. Demnach stellt das aggressive Betteln nur dann eine Sondernutzung dar, wenn es durch den Zusatz des Versperrens von Wegen definiert wird. Die übrigen Definitionen sind straßenrechtlich nicht relevant und führen deshalb nicht dazu, dass aus dem Betteln eine Sondernutzung wird, sodass es den Gemeinden insoweit an einer Ermächtigung zur Regelung in Form einer Satzung fehlt. ___________ 1153

s. oben C. VI. 5. b) aa) (2). s. oben C. VI. 5. b) aa) (2); Hasse/Mordas, ThürVBl. 2002, 130/133; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 34; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 22.8; vgl. auch Holzkämper, NVwZ 1994, 146/148; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/217; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, S. 111 f.; a.A. Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60; Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/700 die das Anpöbeln als mögliche Überschreitung des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs im Einzelfall einstufen, dann aber eine abstrakt-generelle Regelung ablehnen, weil auch gemeingebräuchliche Verhaltensweisen erfasst wären. 1154

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

(2) Das Niederlassen zum Alkoholgenuss als Sondernutzung Der Konsum von Alkohol wird nur im Zusammenhang mit einem „Sichniederlassen außerhalb zugelassener Freischankflächen“ als Sondernutzung geregelt. Teilweise wird anstelle des Niederlassens von einem „Verweilen“ gesprochen1155. Die Elmshorner Satzung duldete das „vorübergehende Niederlassen zum Genuss geringer Mengen Alkohols“1156. Der Konsum von Alkohol als ein Element des „Niederlassens zum Konsum von Alkohol“ wäre nur dann eine straßenrechtlich relevante Verhaltensweise, wenn von ihm Einwirkungen auf die Verkehrsfunktion der Straße ausgehen würden, er also Verkehrsbezug hätte1157. Das Trinken von Alkohol anlässlich des gemeingebräuchlichen Aufenthalts auf der Straße hat jedoch keinerlei Einfluss auf den Verkehr oder die Nutzung der Straße durch andere Verkehrsteilnehmer. Insoweit besteht kein Unterschied zum Konsum anderer Lebensmittel oder Getränke, während man sich auf der Straße befindet1158. Für die Einordnung des Verhaltens einer Person als Gemeingebrauch oder Sondernutzung spielt der Konsum von Alkohol daher keine Rolle. Eventuell störende Verhaltensweisen alkoholisierter Personen, die bei Gelegenheit des Gemeingebrauchs auftreten, sind nach Ordnungsrecht und nicht nach Straßenrecht zu verfolgen1159. Das Niederlassen auf der Straße ist eine verkehrsbezogene Verhaltensweise. Der Begriff Niederlassen erfasst keine nur zeitweilige Unterbrechung zur Fort___________ 1155

s. oben C. V. 3. b). Satzung über die Sondernutzung an öffentlichen Straßen in der Stadt Elmshorn/Schleswig-Holstein vom 27. Februar 1991, zuletzt geändert am 19.02.1999. 1157 Vgl. dazu oben s. oben C. VI. 5. b) aa) (2) und bb). 1158 So auch OVG Schleswig, NordÖR 1999 381/382; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 101/103; Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/699; Grupp in: Marschall/Schroeter/ Kastner, FStrG, § 7 Rn. 10; Kohl, NVwZ 1991, 620/625; Volkmann, NVwZ 2000, 161/164. 1159 OVG Schleswig-Holstein, NordÖR 1999, 281/282; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 29/31; Höfling, Die Verwaltung 2000, 207/215; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 105; Kohl, NVwZ 1991, 620/626. Sie resultieren zudem zwar aus dem Alkoholgenuss, sind der Handlung „Konsum von Alkohol“ aber nicht immanent. Daher kann es, auch wenn man die Gemeinverträglichkeit als Voraussetzung des Gemeingebrauchs anerkennen würde (so OVG Schleswig, NordÖR 1999, 281/282; OLG Saarbrücken, NVwZ 1998, 251; Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/699; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 104; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 107; a.A. Höfling, Die Vewaltung 2000, 207/217; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 132), nicht auf eventuelle Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten ankommen, die als Folge des Alkoholkonsums stattfinden, sondern allein auf die andere nicht beeinträchtigende Verhaltensweise des Trinkens von Alkohol. 1156

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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bewegung, sondern meint ein „Es-sich-bequem-machen“ 1160 beziehungsweise eine qualifizierte Form des „Sich-setzen“ oder „Hinlegen“1161, dem gerade der Bezug zur Ortsveränderung fehlt. Daher fällt es nicht unter den engen Verkehrsbegriff. Es könnte jedoch unter den weiten Verkehrsbegriff fallen. Für die Einordnung unter den weiten Verkehrsbegriff ist zunächst der subjektive Zweck des Niederlassens entscheidend. Die Erweiterung zum kommunikativen Gemeingebrauch erfasst den Informations- und Meinungsaustausch sowie die Pflege zwischenmenschlicher Kontakte1162. Sie ist nicht auf die durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Äußerungen des Dafürhaltens oder Meinens begrenzt1163. Wenn sich Personen in Gruppen zum Konsum von Alkohol niederlassen, spielt nicht dieser die wesentliche Rolle, sondern vor allem die zwischenmenschliche Kontaktaufnahme und Kommunikation1164. Deshalb ist die Erweiterung des engen Verkehrsbegriffs über den kommunikativen Gemeingebrauch einschlägig. Aus diesem Grund ist es auch nicht zutreffend, dass Straßen und Plätze durch die Anwesenheit Alkohol trinkender Gruppen ihre Eignung als Kommunikationszentren verlören1165. Es ist durchaus sozial üblich, dass gerade an Plätzen Kommunikation entsteht, an denen Menschen sich treffen und gemeinsam Alkohol konsumieren können. Der Tatbestand, der durch die Satzungen unterbunden werden soll, nämlich die Ansammlung von Menschen, die gemeinsam trinken, führt also in der Regel gerade zur Entstehung und Ausweitung der Kommunikationsfunktion der Straße. Dabei kann und darf es nicht darauf ankommen, wer sich zur Kommunikation trifft und wie diese inhaltlich gestaltet ist. Die Tatsache, dass manche Bürger die Kommunikation ___________ 1160

So VGH München, Beschluss vom 27.10.1982, Az: 8 N 82 A. 277, S. 11 f. Fahl, DÖV 1996, 954/957; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 106. 1162 OVG Hamburg, NJW 1996, 2051; VGH Mannheim, VBlBW 1997, 64/66; OLG Stuttgart, NJW 1976, 201/202; Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.) Besonderes Verwaltungsrecht, VIII Rn. 60 f.; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 22 ff.; Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 12; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 130 ff. 1163 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb) (1). Teilweise wird auch bereits der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erweitert auf die Kontaktaufnahme und Mitteilung: Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 54 ff.: Herzog beruft sich dabei auf historische Argumente und die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 MRK, zustimmend auch Wendt in: Kunig, GG, Art. 5 Rn. 9. 1164 OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381/382; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 100; Kohl, NVwZ 1991, 620/625. 1165 So der VGH München, Beschluss vom 27.10.1982, Az: 8 N 82 A. 277, S. 11 f.; vgl. auch Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/425. Dieser geht davon aus, dass der Konsum von Alkohol im Zusammenhang mit dem Niederlassen auf der Straße nach den Erfahrungen mit erheblichen Belästigungen für andere Nutzer verbunden sei, sodass es zu einer „Inbesitznahme“ der Straße durch Randgruppen „mit einem hohen Maß an Stör-, Aggressions-, Verschmutzungs-, und Nachahmungspotenzial zum Nachteil anderer Straßennutzer“ komme. 1161

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

von Mitgliedern sozialer Randgruppen als unangenehm empfinden und deshalb diese Plätze meiden, führt nicht dazu, dass es sich nicht um Kommunikation und damit um Nutzung der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs handelt1166. Auf die Sympathie in der Bevölkerung kommt es bei der Einschätzung, ob eine Verhaltensweise Gemeingebrauch oder Sondernutzung ist, nicht an. Das Niederlassen könnte dennoch Sondernutzung sein, wenn es die objektiven Grenzen des weiten Verkehrsbegriffs überschritte, wenn es also nicht mehr verkehrsüblich wäre und den Gemeingebrauch anderer unzumutbar beeinträchtigen würde1167. Das ist der Fall, wenn aus dem Verweilen ein dauerhafter Aufenthalt in Form des „Sich-auf-der-Straße-Einrichtens“ wird1168. Es kommt nicht darauf an, ob die entsprechenden, Alkohol trinkenden Personengruppen an bestimmten Plätzen der Innenstadt ihren Lebensmittelpunkt errichten oder nicht1169. Vielmehr ist entscheidend, dass das Tatbestandsmerkmal „Niederlassen“ auch Verhaltensweisen umfasst, die kein so dauerhaftes „Sicheinrichten“ an einem Ort darstellen, dass die Gemeingebräuchlichkeit verloren ginge1170. Vorübergehende physische Beeinträchtigungen durch Personen, die sich an einem Ort niedergelassen haben, sind zumindest in Innenstädten und auf Gehwegen verkehrsüblich und beeinträchtigen den Gemeingebrauch anderer nicht unzumutbar1171. Rein psychische Selbstbeschränkungen, die dadurch zustande kommen, dass sich manche Bürger nicht mehr auf den Platz oder die Straße begeben möchten, wo sich soziale Randgruppen versammeln, sind hingegen unbeachtlich. Dass mit dem Begriff „Niederlassen“ nur ein zeitlich begrenztes Verweilen gemeint sein kann, wird daraus ersichtlich, dass die Satzungen zu___________ 1166

Die Einstufung einer straßenrechtlich neutralen Verhaltensweise als Sondernutzung wird hier eindeutig angewandt, um ungewollte Personengruppen aus der Innenstadt zu vertreiben. Das wird besonders deutlich, wenn die Gegenansicht argumentiert, dass man den „Obdachlosen“ nicht gegen einen „freundlichen Erdnussesser“ austauschen dürfe, weil „die Sympathie für Obdachlose in der Bevölkerung arg begrenzt“ sei. (Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 425). 1167 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb). 1168 Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 100; Kohl, NVwZ 1991, 620/625. 1169 A.A. Kohl, der annimmt, dass dies gerade nicht der Fall wäre. 1170 Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 10. Auch bei der Entscheidung, inwieweit parkende Autos noch zum ruhenden Verkehr gehören, kommt es nicht darauf an wie lange diese parken, sondern darauf, ob sie noch zur erneuten Inbetriebnahme geeignet sind. Vgl. Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 9; BVerwGE 34, 320; a.A.: OLG Köln, NVwZ 1992, 100; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 24 Rn. 99. 1171 BVerwGE 4, 342/344; OLG Saarbrücken, NJW 1998, 251/252; Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht Kapitel 24 Rn. 30; Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im innerstädtischen Raum, 32.; Höfling, Die Verwaltung, 207/214; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 104; a.A. VGH München, Beschluss vom 27.10.1982, Az: 8 N 82 A. 277, S 11 f.

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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sätzlich zum Niederlassen zum Konsum von Alkohol meist das „Lagern und Nächtigen“ im öffentlichen Raum regeln, die eine Steigerung neben dem Niederlassen darstellen1172. Demnach ist das Niederlassen vom kommunikativen Gemeingebrauch erfasst. Das gilt erst recht, wenn die Satzungen das „Verweilen“ regeln1173. Das Niederlassen ist demnach Gemeingebrauch, eine Regelung als Sondernutzung überschreitet die Satzungskompetenz der Gemeinden. Der Alkoholkonsum ist keine straßenrechtlich relevante Verhaltensweise und kann daher zum einen nicht durch straßenrechtliche Satzung geregelt werden, zum anderen kann er die Gemeingebräuchlichkeit des Niederlassens nicht beeinflussen.

(3) Nächtigen und Lagern als Sondernutzung Einige Satzungen verbieten das „Sitzen und Liegen“1174. Sitzen und Liegen sind verkehrsbezogene Verhaltensweisen auf die straßenrechtlichen Kategorien Gemeingebrauch und Sondernutzung anzuwenden sind. Beim Hinsetzen geht grundsätzlich der Bezug zur Fortbewegung nicht verloren, sodass es als dem ruhenden Verkehr vergleichbare Verhaltensweise schon vom engen Verkehrsbegriff umfasst ist1175. Dahingegen wird angenommen, dass das Liegen nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff falle, weil es offensichtlich nicht darauf ___________ 1172

s. oben C. V. 3. b). Als weiteres Argument dafür, dass der Alkoholkonsum als Sondernutzung einzustufen sei, wird die starke öffentlich-rechtliche Reglementierung angeführt. „Unkontrollierte Trinkgelage“ im öffentlichen Straßenraum stünden im Widerspruch zu diesem Regelungsgeflecht. Außerdem wäre darin eine Besserstellung der „niedergelassenen potentiell störenden Straßentrinker“ gegenüber den Besuchern genehmigungsbedürftiger Freischankanlagen gegeben (Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 425 f.). Eine solche Reglementierung würde nach den genannten Abgrenzungskriterien ohnehin keinen Einfluss auf die Einstufung einer Verhaltensweise als Gemeingebrauch oder Sondernutzung haben. Außerdem verkennt die Argumentation die rechtliche Realität. Durch gewerbe- und jugendschutzrechtliche Vorschriften wird nur der Verkauf beziehungsweise die Abgabe der alkoholischen Getränke reglementiert und nicht der Konsum von Alkohol selbst (vgl. die Genehmigungsvorbehalte des GastG und § 20 Nr. 2 GastG, § 9 JuSchG). Ebenso sind Sondernutzungsgenehmigungen für Freischankanlagen erforderlich, deren Besucher, die trinkenden Personen, bedürfen aber keiner Genehmigung. Auch die Straßenverkehrsgesetze knüpfen nicht an den Konsum, sondern nur an das Verhalten im alkoholisierten Zustand an (vgl. §§ 24 a StVG; 2 Abs. 1 FeV; §§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, 316 StGB). Das bestehende Recht regelt nicht den Konsum von Alkohol (so auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 110 ff.). Darin liegt gerade der Grund für den Erlass von Sondernutzungssatzungen. Außerdem zeigt die Regelung der durch den Konsum von Alkohol entstehenden Gefahren im Ordnungsrecht, dass es sich nicht um eine straßenrechtlich relevante Problematik handelt. 1174 s. oben C. V. 3. b): § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 Münchner Stachusbauwerk-Satzung vom 16. April 1992 (MüABl. S. 116) zuletzt geändert am 7.12.1992 (MüABl. S. 389). 1175 s. oben C. VI. 5. b) bb). 1173

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

gerichtet sei, Entfernungen zu überwinden1176. Dem ist zuzustimmen, weil der Bezug zur Fortbewegung beim Liegen nicht mehr gegeben ist. Jedoch könnte das Liegen noch vom kommunikativen Verkehrsbegriff umfasst sein, weil auch im Liegen noch Kontaktaufnahme und Unterhaltung möglich ist. Der kommunikative Gemeingebrauch findet seine Grenzen jedoch dann, wenn die Nutzung der Straße nicht mehr als verkehrsüblich angesehen werden kann und der Gemeingebrauch anderer unzumutbar beeinträchtigt ist1177. Das ist beim Liegen auf der Straße gegeben. Daher ist das Liegen nicht mehr vom kommunikativen Gemeingebrauch erfasst, sondern Sondernutzung. „Nächtigen“ und „Lagern“1178 sind ebenso wie das Sitzen und Liegen verkehrsbezogene und damit straßenrechtlich relevante Verhaltensweisen. Dem Nächtigen und Lagern kommt gegenüber dem Sitzen und Liegen gesteigerte Qualität zu. „Lagern“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch „rasten“, „übernachten“ oder „sich zur Ruhe legen“ und bildet damit den Oberbegriff zum „Nächtigen“, also dem Verbringen der Nacht an einem bestimmten Ort1179. Damit handelt es sich bei beiden Verhaltensweisen um ein dauerhaftes „Sicheinrichten“ auf der Straße, das nicht mehr als bloße Unterbrechung der Fortbewegung vom engen Verkehrsbegriff umfasst ist1180. Nächtigen und Lagern könnten aber unter den weiten Verkehrsbegriff fallen1181. Die Einbeziehung in den weiten Verkehrsbegriff erfordert zunächst, dass diese Verhaltensweisen einem Zweck dienen, der den grundrechtlichen Bezug zur Meinungsäußerungsfreiheit oder der freien Entfaltung der Persönlichkeit herstellt und somit die Erweiterung des Begriffs des Gemeingebrauchs rechtfertigt. Sie müssten also dem Meinungsaustausch oder der Kontaktaufnahme, Begegnung und Kommunikation dienen1182. Wenn man unter dem Nächtigen vor allem ein Schlafen im öffentlichen Raum versteht, entfällt dieser grundrechtliche Aspekt vollends. Daher kann das Nächtigen von vornherein nicht unter den Begriff des kommunikativen Gemeingebrauchs fallen. Außerdem findet dieser seine Grenzen dann, wenn Nutzungen nicht mehr verkehrsüblich und zudem geeignet sind, den Gemeingebrauch anderer unzumutbar zu ___________ 1176

Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 113. s. oben C. VI. 5. b) bb). 1178 s. oben C. V. 3. b). 1179 Vgl. Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 113. 1180 s. oben C. VI. 5. b) bb). So auch: Bindzus/Lange, JuS 1998, 696/701; Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, 98; Kohl, NVwZ 1991, 620/625 für das „Sich Einrichten“; Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, S. 113; ohne nähere Begründung: Fahl, DÖV 1996, 954/957; Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/424. 1181 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb). 1182 s. oben C. VI. 5. b) bb). 1177

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beeinträchtigen. Da das Nächtigen auch meist mit einem Liegen verbunden sein dürfte und einen längeren Zeitraum umfasst, ist eine unzumutbare Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs anderer gegeben. Bezüglich des Lagerns ist das anders zu sehen. Das Lagern kann zumindest auch Verhaltensweisen umfassen, die kommunikativen Zwecken dienen, wenn es in Gruppen geschieht, und daher zunächst vom weiten Verkehrsbegriff erfasst sein. Gerade dann könnte es aber auch eine unzumutbar starke Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs anderer bedeuten und somit die objektiven Grenzen des weiten Verkehrsbegriffs überschreiten. Eine solche Beeinträchtigung ist dem Lagern jedoch nicht zwingend immanent. In der Praxis richten sich die Mitglieder sozialer Randgruppen selten an Orten ein, die von einem starken Durchgangsverkehr betroffen sind und an denen lagernde Personen behindernd wirken würden, sondern auf Plätzen, die großräumig sind, oder aber in ruhigeren „Ecken“. Soweit ein solches Lagern erfasst ist, tritt der den Gemeingebrauch anderer beeinträchtigende Aspekt hinter dem kommunikativen zurück, sodass das Verhalten noch gemeingebräuchlich ist. Die inhaltlichen Grenzen des sachenrechtlich zulässigen Gemeingebrauchs sind aber dann überschritten, wenn beim Lagern Gegenstände im öffentlichen Straßenraum aufgestellt werden, wie zum Beispiel Matratzen, Einkaufswagen oder große Kartons1183. Das Liegen und Nächtigen ist demnach Sondernutzung, insoweit sind die Satzungen rechtmäßig. Das Sitzen und Lagern umfasst aber auch gemeingebräuchliche Verhaltensweisen, sodass die Satzungskompetenz durch die Regelung als Sondernutzung überschritten ist.

cc) Bestimmtheitsgebot Auch die Sondernutzungssatzungen müssen dem Bestimmtheitsgebot entsprechen, also so klar formuliert sein, dass der Adressat Inhalt und Grenzen des Verbots erkennen und sich dementsprechend verhalten kann1184. Teilweise wird angenommen, dass bei den Sondernutzungssatzungen nicht die gesteigerten Anforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG anwendbar wären. Dieser sei nicht einschlägig, weil die Verstöße gegen das Erfordernis der Sondernutzungserlaubnis und deren Ahndung als Ordnungswidrigkeiten in den Straßengesetzen geregelt seien1185. Einige Sondernutzungssatzungen regeln jedoch den Ordnungswidrigkeitstatbestand für einen Verstoß gegen die entsprechenden Sondernutzungs___________ 1183

s. oben C. VI. 5. b) bb). s. dazu oben C. VI. 5. a) cc). 1185 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 123 ff. 1184

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

tatbestände selbst1186. Gegen die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG wird außerdem angeführt, dass in den Straßengesetzen selbst bereits entsprechende Ordnungswidrigkeitentatbestände für den Verstoß gegen das Erfordernis einer Sondernutzungserlaubnis geregelt sein. Die Straßengesetze definierten unmittelbar, wann Gemeingebrauch und wann eine erlaubnispflichtige Sondernutzung gegeben sei und damit auch die Einschlägigkeit der Ordnungswidrigkeitentatbestände. Die Definitionen der Satzungen hätten nur ergänzende Funktion. Der Normadressat könne unabhängig von diesen durch Auslegung der straßenrechtlichen Norm ermitteln, ob der Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllt sei1187. Diese Ansicht widerspricht dem Schutzzweck des Art. 103 Abs. 2 GG, der die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm dann besonders hoch ansetzt, wenn deren Tatbestand strafbewehrt ist1188. Soweit in einer Satzung der Tatbestand der Sondernutzung näher definiert wird und dieser einen Ordnungswidrigkeitstatbestand eröffnet, muss sie daher an diesen Anforderungen gemessen werden. Es trifft zwar zu, dass durch die Sondernutzungssatzungen nicht die Grenzen zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung verschoben werden dürfen und insoweit die Definitionen der Landesstraßengesetze abschließend sind. Ginge man jedoch davon aus, dass nur die landesgesetzlichen Definitionen den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegen, nicht aber die näheren Ausgestaltungen durch die Sondernutzungssatzungen, müsste der Normadressat selbst einschätzen, ob letztere die Grenzen der gesetzlichen Unterscheidung überschreiten. Der Bürger kann nur dann wissen, was erlaubt und was in Form einer Ordnungswidrigkeit verboten ist, wenn er richtig einschätzt, ob die Definition der jeweiligen Satzung tatsächlich eine Sondernutzung regelt oder aber eine gemeingebräuchliche Verhaltensweise fälschlicherweise als solche einstuft. Das ist ihm nicht zuzumuten und widerspricht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG. Daher sind in Bezug auf die Bestimmtheit der Sondernutzungssatzungen dieselben Maßstäbe wie bei den entsprechenden Gefahrenabwehrverordnungen anzusetzen1189. Da sich die in den Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen verwendeten Begriffe „Betteln“, „aggressives Betteln“, „Niederlassen zum Konsum von Alkohol“ und „Nächtigen und Lagern“ im Wesentlichen gleichen, kann auf die Ausführungen zur Bestimmtheit der Gefahrenabwehrverordnungen1190 verwiesen werden. Daneben ist nur die Bestimmtheit der Re___________ 1186 Vgl. nur § 21 Satzung über Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen der Stadt Bad Orb/Hessen vom 22.08.2000; § 14 der Satzung der Stadt Forst (Lausitz) über die Sondernutzung an Ortsstraßen und Ortsdurchfahrten vom 30.06.2000. 1187 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 123. 1188 s. oben C. VI. 5. a) cc). 1189 s. oben C. VI. 5. a) cc). 1190 s. oben C. VI. 5. a) cc).

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gelung der Elmshorner Satzung problematisch, die das „vorübergehende Niederlassen zum Genuss geringer Mengen Alkohols“ duldete. Das OVG Schleswig hat sowohl den Begriff „vorübergehend“ als auch „geringe Mengen Alkohol“ als zu unbestimmt angesehen, weil sie die Grenzen zur Sondernutzung nicht so klar bestimmten, dass der Normadressat wissen könnte, welches Verhalten verboten wäre1191. Der Begriff „vorübergehend“ wird auch im Rahmen der Vorschriften zum Platzverweis genutzt und ist insoweit ebenfalls hinsichtlich seiner zeitlichen Dimension umstritten, ohne dass aber die Bestimmtheit des Begriffes angezweifelt würde1192. Im Rahmen der bußgeldbewehrten Sondernutzungssatzungen gelten jedoch schon aufgrund des Art. 103 Abs. 2 GG strengere Anforderungen. Während ein Platzverweis bei Erlass durch die Behörde konkretisiert wird, sodass dann sichergestellt ist, dass der Adressat weiß, wie lange er den Ort nicht betreten darf, gilt die Sondernutzungssatzung unmittelbar und führt bei Verstoß zur Verwirklichung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes. Soweit das Wort „vorübergehend“ den Tatbestand begrenzt, kann der Adressat nicht wissen, was genau verboten sein wird. Das Niederlassen ist schon vom Wortlaut eine zeitlich begrenzte Verhaltensweise1193, sodass allein die Bedeutung des Wortes „vorübergehend“ nicht näher definierend wirkt. Ebenso ist dem Gericht zuzustimmen, dass „geringe Mengen“ keine dem Gebot der Normklarheit entsprechende Definition der noch erlaubten Verhaltensweisen darstellen. Es dürfte von Person zu Person sehr unterschiedlich empfunden werden, was unter einer geringen Menge Alkohol zu verstehen wäre.

6. Verbot auf straßenrechtlicher Grundlage Gemäß § 11 Abs. 2 BerlStrG ist eine Sondernutzungserlaubnis zu versagen, wenn öffentliche Interessen entgegenstehen. Nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 BerlStrG ist ein solches öffentliches Interesse insbesondere dann gegeben, „wenn städtebauliche oder sonstige Belange beeinträchtigt würden; dies ist auch anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und beim Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen“1194. Das Gesetz bestimmt unmittelbar, dass es sich beim Nächtigen, Lagern und Niederlassen zum Verzehr von Alko___________ 1191

OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381/382. s. oben C. V. 3. a) aa) (1). 1193 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb) (2). 1194 § 11 Abs. BerlStrG: „Die Erlaubnis nach Absatz ist zu versagen, wenn öffentliche Interessen entgegenstehen und diesen nicht durch Nebenbestimmungen Genüge getan werden kann. Ein öffentliches Interesse ist insbesondere dann gegeben, wenn […] 3. städtebauliche oder sonstige öffentliche Belange beeinträchtigt würden; dies ist auch anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und beim Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen […]“. 1192

302

C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

hol um Sondernutzungen handelt, deren Genehmigung öffentliche Interessen entgegenstehen. Das Nächtigen ist auch aufgrund der anderen landesgesetzlichen Regelungen kein Gemeingebrauch mehr1195. Das Lagern und Niederlassen zum Konsum von Alkohol sind aber nach den allgemeinen landesgesetzlichen Regelungen vom Gemeingebrauch erfasste Verhaltensweisen1196. Fraglich ist daher, ob die Regelung im Berliner Straßengesetz kompetenzgemäß ist und somit den Gemeingebrauch für das Land Berlin abweichend definieren kann. Den Ländern steht grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Straßenrechts zu1197. Der Bund hat aufgrund von Art. 72 Abs. 1, 77 Nr. 22 GG nur die Gesetzgebungskomptenz im Bereich des Straßenverkehrsrechts. Insoweit wird eine Abgrenzung zwischen Inhalts- und Ausübungsschranken des Gemeingebrauchs relevant. Den Ländern steht die Gesetzgebungskompetenz für den Inhalt des Gemeingebrauchs zu, während der Bund auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts die Gesetzgebungskompetenz für die Ausübung des Gemeingebrauchs hat1198. Eine entsprechende landesgesetzliche Regelung der Ausübung des Gemeingebrauchs durch den Landesgesetzgeber ist nur dann kompetenzwidrig, wenn es sich um eine straßenverkehrsrechtliche Regelung handelt. Die straßenrechtliche Regelung kann also nur dann gegen Bundeskompetenzen verstoßen, wenn das geregelte Verhalten Verkehrsbezug hat1199. Einen solchen Verkehrsbezug könnte man allenfalls für das Lagern annehmen, nicht aber für den Konsum von Alkohol1200. Daher ist für den Konsum von Alkohol die Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers eröffnet. Bezüglich des Lagerns wäre sie nur eröffnet, wenn das Straßenverkehrsrecht nicht insoweit abschließende Regelungen getroffen hat1201. Die bundesgesetzliche Regelung gemäß § 6 StVG iVm § 25 StVO regelt jedoch nur die grundsätzliche Benutzung des Gehweges durch Fußgänger und die ausnahmsweise Nutzung der Straße. In Abs. 2 ist die Pflicht zur Nutzung der Straße geregelt, wenn Fußgänger Fahrzeuge oder sperrige Gegenstände mit sich führen. Daneben sind keine Regelungen zur Nutzung des Gehweges durch Fußgänger getroffen, sodass für die Nutzung dessen nicht von einer abschließenden Regelung auszugehen ist. Das Lagern ist eine Nutzung des Gehweges durch Fußgänger, für die die Gesetzgebungskompetenz der Länder bestehen bleibt. ___________ 1195

s. oben C. VI. 5. b) bb) (3). s. oben C. VI. 5. b) bb) (2) und (3). 1197 Grote in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kapitel 24 Rn. 5. 1198 Vgl. BVerfGE 67, 299/321 f. 1199 Vgl. BVerfGE 67, 299/321 f. 1200 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2). 1201 Vgl. Art. 72 Abs. 1 GG; BVerfGE 67, 299/324 f. 1196

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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Sowohl der Konsum von Alkohol als auch das Lagern sind aber Verhaltensweisen, die die Ausübung des Gemeingebrauchs betreffen. Insoweit ist grundsätzlich das Ordnungsrecht einschlägig und nicht das öffentliche Sachenrecht1202. Jedoch hat der Landesgesetzgeber, abgesehen vom Straßenverkehrsrecht, die Gesetzgebungskompetenz für das Polizei- und Ordnungsrecht wie auch für das Straßenrecht als öffentliches Sachenrecht. Er kann demnach auch ordnungsrechtliche Regelungen im Rahmen des öffentlichen Sachenrechts treffen, ohne dass diesen Verfassungsrecht entgegenstehen würde. Die Straßenaufsichtsbehörde handelt auch nicht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, wenn sie diese allgemein ordnungsrechtlichen Belange, die keinen straßenrechtlichen Bezug haben, bei der Versagung der Sondernutzungserlaubnis entsprechend dem Gesetz beachtet. Insoweit unterscheidet sich das Berliner Straßengesetz von anderen Landesstraßengesetzen, in deren Rahmen nur straßenrechtliche Belange beachtlich sind1203. § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BerlStrG nennt mit dem Niederlassen zum Konsum von Alkohol ausdrücklich auch andere öffentliche Belange. Daraus folgert das VG Berlin, dass der Straßenaufsichtsbehörde bei der Erteilung der Sondernutzungserlaubnis nach Berliner Recht der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schlechthin anvertraut sei1204. Ob dem so allgemein gefolgt werden kann, ist zweifelhaft. Zumindest aber für die ausdrücklich genannten ordnungsrechtlichen Belange ist das Ermessen durch Gesetz erweitert, sodass das Niederlassen zum Konsum von Alkohol nach dem Berliner Straßengesetz zu beachten ist. Die Regelung des Berliner Straßengesetzes muss sich aber am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Sie stellt einen Eingriff in den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Gemeingebrauch1205 dar, der nur aufgrund einer verhältnismäßigen gesetzlichen Regelung gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist zu fragen, ob das Erfordernis einer Sondernutzungserlaubnis für die Fälle des Lagerns und des Konsums von Alkohol einen angemessenen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Nutzungen des öffentlichen Straßenraums darstellt. Entscheidend ist dafür, wie § 11 Abs. 2 Nr. 3 BerlStrG zu verstehen ist. Vertreter der Berliner Polizei legen die Vorschrift dahingehend restriktiv aus, dass neben der Verwirklichung des Tatbestandes „Niederlassen zum Alkoholverzehr“ zusätzlich öffentliche Belange im Sinne des Abs. 2 Nr. 3 beeinträchtigt ___________ 1202

s. oben C. VI. 5. b) aa) (2). Strittig: So wie hier Danwitz in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), VIII Rn. 58; Steiner in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V Rn. 113; a.A. Grote in: Kodal/ Krämer, Straßenrecht, Kapitel 26 Rn. 14. 1204 VG Berlin, NJW 1989, 2559. 1205 Grupp in: Marschall/Schroter/Kastner, FStrG, § 7 Rn. 12 m.w.N. 1203

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C. Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland

sein müssten, um eine nicht erlaubnisfähige Sondernutzung anzunehmen1206. Abgesehen davon, dass die Anwendung der Vorschrift in der Praxis offensichtlich nicht dieser restriktiven Auslegung folgt1207, entspricht sie auch nicht dem Wortlaut der Norm. Nach § 11 Abs. 2 S. 1 BerlStrG ist eine Erlaubnis zu versagen, wenn öffentliche Interessen der Sondernutzung entgegenstehen. Gemäß Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ist ein solches öffentliches Interesse gegeben, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt sind. Dies ist anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und Niederlassen zum Alkoholverzehr. Die Formulierung „ist zu versagen wenn“ beziehungsweise „ist gegeben“, „ist auch anzunehmen“ lässt keinen Ermessensspielraum. Demnach ist die Voraussetzung der Beeinträchtigung öffentlicher Belange als gegeben anzusehen, wenn eine Person auf der Straße lagert oder sich zum Konsum von Alkohol niederlässt, es kommt nicht auf eine noch zu diesen Verhaltensweisen hinzukommende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen an1208. Das Nächtigen, Lagern und das Niederlassen zum Konsum von Alkohol werden demnach generell als nicht erlaubnisfähige Sondernutzungen eingestuft. Das Nächtigen auf der Straße beeinträchtigt die Nutzungsinteressen anderer an der Straße so stark, dass eine Einstufung als Sondernutzung verhältnismäßig ist1209. Anders verhält es sich aber mit dem Lagern und Niederlassen zum Alkoholkonsum. Der Wortlaut des Lagerns umfasst auch kommunikative Verhaltensweisen, die unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fallen. Außerdem beeinträchtigt ein entsprechendes Verhalten nicht zwingend die Nutzung der Straße durch andere erheblich1210. Daher ist schon der Erlaubnisvorbehalt unverhältnismäßig, zumindest aber der Ausschluss der Genehmigungsfähigkeit. Das Niederlassen zum Konsum von Alkohol umfasst ebenfalls eine Reihe von Verhaltensweisen, die die Nutzung der Straße durch andere nicht oder nicht erheblich stören. Dabei ist auch zu beachten, dass der Konsum von Alkohol in keiner Weise auf die Nutzung der Straße einwirkt1211. Aber auch unabhängig vom fehlenden straßenrechtlichen Bezug, der aufgrund der Gesetzgebungsbefugnis des Landesgesetzgebers unbeachtlich bleibt, ist der Konsum von Alkohol an sich keine störende Verhaltensweise. Anders als beispielsweise beim Rauchen werden Interessen anderer Personen dadurch nicht berührt. Erst ___________ 1206

Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin; s. dazu oben C. V.

3. c). 1207 1208

s. oben C. V. 3. c). So auch Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen,

115. 1209

s. oben C. VI. 5. b) bb) (3). s. oben C. VI. 5. b) bb) (3). 1211 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2). 1210

VI. Rechtliche Beurteilung der Maßnahmen der deutschen Polizeistrategie

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die Folgen des Konsums von Alkohol können in Form rauschbedingter unangemessener Verhaltensweisen auch andere Personen beeinträchtigen. Diese sind aber nicht Gegenstand der Regelung des Berliner Straßengesetzes. Daher ist auch die generelle Erlaubnispflicht sowie der Ausschluss der Erlaubnisfähigkeit für den Konsum von Alkohol eine unverhältnismäßige Regelung. Eine verfassungskonforme Auslegung würde bedeuten, dass man sowohl das Lagern als auch das Niederlassen als ein Sicheinrichten von der Qualität des Nächtigens versteht1212. Das Lagern würde dann aber seine Bedeutung neben dem geregelten Nächtigen verlieren. Das Nächtigen ist außerdem nur verhältnismäßig als Sondernutzung anzusehen, weil ihm jeder kommunikative Charakter fehlt1213. Dem Niederlassen zum Konsum von Alkohol kann dieser gerade nicht grundsätzlich abgesprochen werden1214. Daher kann die Regelung auch nicht verfassungskonform ausgelegt werden und ist unverhältnismäßig also verfassungswidrig.

___________ 1212

So für das Niederlassen Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 116. 1213 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2). 1214 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2).

D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland Im Folgenden wird geklärt, ob die New Yorker Maßnahmen nach deutschem Recht umsetzbar wären und inwieweit Unterschiede zwischen dem New Yorker und dem deutschen Polizei- und Ordnungsrecht bestehen, die einer solchen Umsetzung entgegenstehen. Danach wird ein Überblick über die kriminologische und politische Diskussion zur „Zero Tolerance“-Strategie und „Broken Windows“-Theorie gegeben. Schließlich wird die Diskussion in der deutschen Wissenschaft dargestellt.

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht 1. Rechtsvergleich a) Allgemeine rechtliche Voraussetzungen und Grenzen für Maßnahmen der Polizei gegen soziale Randgruppen aa) Rechtliche Grenzen polizeilicher Tätigkeit Der wesentliche Unterschied für die die rechtliche Umsetzbarkeit der „Zero Tolerance“-Strategie besteht in den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilicher Tätigkeit. Im deutschen Recht gilt nach Art. 20 Abs. 3 GG für das Handeln der Polizei- und Ordnungsbehörden, soweit dieses Grundrechtseingriffe zur Folge hat, der Vorbehalt des Gesetzes1. Daher können Polizei- und Ordnungsbehörden im Bereich der Grundrechtseingriffe nur dann handeln, wenn ihr Handeln durch eine Ermächtigungsgrundlage legitimiert ist2. Als Ermächtigungsgrundlagen sind im Bereich von Grundrechtseingriffen nicht die Aufgabenzuweisungen der Polizeigesetze ausreichend. Es bedarf einer Befugnisnorm, die zum konkreten eingreifenden Handeln ermächtigt3. Im präventiven Bereich ergeben sich die Ermächtigungsgrundlagen, soweit keine speziellen Gesetze eingreifen, aus den allgemeinen Polizeigesetzen und setzen grundsätz___________ 1

Vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 113 ff.; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 95 ff. 2 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 56. 3 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 47.

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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lich das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder teilweise auch Ordnung und die Verantwortlichkeit des Betroffenen voraus4. Gerade diese Voraussetzungen sind im Bereich so genannter öffentlicher Unordnung aber meist nicht erfüllt5. Im US-amerikanischen Recht existiert kein entsprechender Vorbehalt des Gesetzes. Die Polizei ist befugt, alle Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben durchzuführen, soweit sie dadurch nicht gegen verfassungsrechtlich verbürgte Garantien verstößt. Daher ergibt sich das Polizeirecht in den USA fast ausschließlich aus der Verfassung und der einschlägigen Rechtsprechung. Die gerichtlichen Entscheidungen begründen keine konkreten Befugnisse der Polizei, sondern setzen deren grundsätzlich zulässigem Handeln Grenzen6. Die durch die Verfassung und Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen polizeilichen Handelns sind teilweise in gesetzlichen Vorschriften festgeschrieben beziehungsweise verengt7. Auch das Recht von New York City enthält mit § 435 Chapter 18 New York City Charter nur eine Aufgabenzuweisungsnorm. Es ist zwar neben den Pflichten auch von den Befugnissen (power) der Polizei die Rede8. Setzt man aber die Maßstäbe des Gesetzesvorbehaltes nach deutschem Recht an, entspricht die folgende allgemeine Aufzählung nicht den Anforderungen an eine Befugnisnorm, die die Voraussetzungen und die als Rechtsfolge zulässige Maßnahme regelt.

bb) Unterscheidung präventiver und repressiver Tätigkeit der Polizei Die Aufgaben der Polizei im US-amerikanischen Recht umfassen wie die der deutschen Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als auch repressive Maßnahmen, also die Verfolgung von Straftaten9. Im Gegensatz zum US-amerikanischen Recht10, wird im deutschen Recht jedoch unterschieden, ob es sich um präventive oder repressive Maßnahmen handelt11. Die Zuordnung einer polizeilichen Maßnahme ist hier unter anderem erforderlich, um die richtige Ermächtigungsgrundla___________ 4

s. dazu C. VI. 2. s. oben C. VI. 2. 6 s. oben B. VI. 1. b) bb) (2). 7 s. zu den entsprechenden Gesetzen von New York City oben B. VI. 2. 8 s. dazu oben B. VI. 1. b) bb) (1). 9 s. dazu oben B. VI. 1. b) bb) (1) und die dort genannte Aufgabenzuweisungsnorm für die New Yorker Polizei. 10 s. dazu oben B. VI. 1. b) bb) (1). 11 s. dazu oben B. VI. 1. 5

308

D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

ge für das Handeln der Polizei zu ermitteln. Die Ermächtigungsgrundlagen für präventives Handeln der Polizei sind grundsätzlich in den allgemeinen Polizeiund Ordnungsgesetzen der Länder enthalten, die für repressives Handeln in der StPO als Bundesrecht. Im US-amerikanischen Recht hingegen fehlt es grundsätzlich an Befugnisnormen für das Handeln der Polizei. Es gibt größtenteils nur Gesetze, die die Grenzen des polizeilichen Handelns regeln. Daher ist die Unterscheidung zwischen repressivem und präventivem Handeln der Polizei entbehrlich12. Soweit Normen existieren, die das Handeln der Polizei begrenzen, unterscheiden diese zum Teil zwischen repressivem und präventivem Einsatzbereich. Daraus folgt aber keine Unterscheidung bezüglich der einschlägigen Rechtsmaterie. § 140.50 NY Crime Proc. Law nennt als Voraussetzung für das Anhalten einer Person den Verdacht, dass diese eine Straftat begangen hat oder begehen wird13. In dieser Norm sind ganz offensichtlich sowohl präventive Elemente der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als auch repressive enthalten. Andere Normen, wie § 140.10ff. NY Crime Proc. Law, setzen den Verdacht eines bereits begangenen Gesetzesverstoßes voraus14. Insoweit ist nicht eindeutig, ob die daraufhin zulässige Ingewahrsamnahme nur zu Zwecken der Verfolgung und Aufklärung der Straftat oder auch zur vorbeugenden Bekämpfung weiterer Straftaten zulässig sein soll.

cc) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Im 4. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung ist unter anderem geregelt, dass die entsprechenden Maßnahmen der Polizei verhältnismäßig sein müssen15. Im deutschen Recht wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip beziehungsweise den Grundrechten, also auch aus der Verfassung, hergeleitet16. Nach der zum 4. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung entwickelten Rechtsprechung ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gegeben, wenn mit ihr ein öffentliches Interesse verfolgt wird, die Maßnahme zur Förderung dieses Interesses geeignet ist und der Eingriff in angemessenem Verhältnis zu diesem Interesse steht17. Insoweit ähnelt die Prüfung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im deutschen Recht. Dieser ist erfüllt, wenn die Maßnahme einen le___________ 12

Vgl. Gehring, Innere Sicherheit – USA, 79. s. dazu oben B. VI. 2. d) cc). 14 s. dazu oben B. VI. 2. c) bb). 15 s. dazu oben B. VI. 2. c) dd). 16 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 269 ff. 17 s. dazu oben B. VI. 2. c) dd). 13

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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gitimen Zweck verfolgt, dazu geeignet, erforderlich und angemessen ist18. Die Erforderlichkeit der Maßnahme, also das Fehlen eines gleich geeigneten milderen Mittels wird im amerikanischen Recht so ausdrücklich jedoch nicht geprüft.

dd) Ermessen Für das US-amerikanische Polizeirecht war es zunächst umstritten, ob ein Ermessenspielraum besteht. Ursprünglich wurde in der amerikanischen Rechtswissenschaft vertreten, dass die Polizei das Recht ohne Ausnahme durchsetzen müsse, also das Legalitätsprinzip gelte und der Polizei kein Ermessen zustehe19. Diese Ansicht kann unter anderem damit erklärt werden, dass im USamerikanischen Polizeirecht nicht zwischen den Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr unterschieden wird. Damit entfällt auch die differenzierte Behandlung, wie sie im deutschen Recht vorgenommen wird, also die grundsätzliche Geltung des Legalitätsprinzips im Bereich des Strafrechts im Gegensatz zum Opportunitätsprinzip im Bereich der Gefahrenabwehr20. Diese Ansicht wurde aber angesichts der schwierigen Umsetzbarkeit in der Praxis verworfen. Mittlerweile ist im US-amerikanischen Polizeirecht anerkannt, dass der Polizei ein Ermessensspielraum zusteht, auch wenn dieser auf keiner dogmatischen Grundlage basiert. Das Ermessen bezieht sich dabei sowohl auf die Entscheidung zum Eingriff als auch auf die Mittel, mit denen dieser erfolgen soll. Zur Leitung der Ermessensausübung werden für verschiedene Sachbereiche verwaltungsinterne Richtlinien erlassen. Die verwaltungsinterne Kontrolle der Ermessensausübung durch einzelne Polizisten erfolgt jedoch aus praktischen Gründen kaum21. Unter den Begriff des Ermessens fallen auch unbestimmte Rechtsbegriffe und ihre Auslegung22. Im deutschen Polizeirecht gilt im Bereich der Gefahrenabwehr das Opportunitätsprinzip23. Demnach steht den Polizei- und Ordnungsbehörden wie den US-amerikanischen sowohl für das „ob“ des Einschreitens als auch bezüglich

___________ 18 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 80 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 15 ff.; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 170 ff. 19 s. dazu oben B. VI. 2. f). 20 Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 8. 21 s. dazu oben B. VI. 2. f). 22 s. dazu oben B. VI. 2. f). 23 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 2 Rn. 8; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 112; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 93.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

des „wie“ ein Ermessen zu24. Auch werden wie im amerikanischen Recht verwaltungsinterne Vorschriften zur Leitung des Ermessens erlassen25. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wird jedoch nicht im Rahmen des Ermessens auf der Rechtsfolgenseite, sondern bereits auf der Ebene des Tatbestandes behandelt26. Zwar gibt es im deutschen Recht Vorgaben zur Kontrolle des Ermessens27, in der Praxis dürften diese aber auf ähnliche Grenzen stoßen wie im amerikanischen Recht. Die in der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur beschriebenen Unterschiede zwischen geschriebenem Recht und Rechtspraxis28 treffen auch auf das deutsche Polizeirecht zu. Das Beispiel des Eingreifens beim Konsum von Alkohol ist dafür bezeichnend. In der amerikanischen Literatur wird festgestellt, das obwohl das Trinken in der Öffentlichkeit eine Straftat sei, ein Polizist wohl nicht eingreifen würde, wenn es sich um eine Familie beim Picknick im Park handele29. Obwohl ein solches Vorgehen nach deutschem Recht grundsätzlich ermessensfehlerhaft wäre, wird in der Rechtspraxis ebenso hauptsächlich gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen eingeschritten, während andere Bürger, die im Park Alkohol trinken, unbehelligt bleiben30.

b) Vorliegen einer Gefahr als Voraussetzung polizeilichen Handelns Im deutschen Polizeirecht fordern die meisten Befugnisnormen das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beziehungsweise von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird. Außerdem kann nur gegen den für diese Gefahr Verantwortlichen vorgegangen werden31. Sowohl das Vorliegen einer Gefahr als auch die Verantwort___________ 24

Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 33; Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F 113; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 94. 25 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 10; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 56. Vgl. auch die Verwaltungsvorschriften beziehungsweise Ausführungsbestimmungen zu den jeweiligen Polizeigesetzen. 26 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 26; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 72. 27 Unter anderem in § 40 VwVfG, der vorgibt, dass das Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung und innerhalb der gesetzlichen Grenzen auszuüben ist. § 114 S. 1 VwGO regelt die gerichtliche Kontrolle des Ermessens. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 19 ff. 28 s. oben B. VI. 2. f). 29 s. oben B. VI. 2. f). 30 s. oben C. VI. 3. c). 31 s. oben C. VI. 2.

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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lichkeit stellen die wesentlichen rechtlichen Grenzen für ein Handeln der Polizei nach der „Broken Windows“-Theorie beziehungsweise im Sinne der „Zero Tolerance“-Strategie dar. Auch wenn die Einschreitschwelle gesenkt wird32, muss doch eine Gefahr vorliegen und der Betroffene für diese verantwortlich sein. Die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie und die dieser folgenden deutschen Polizeistrategien zur Herstellung der öffentlichen Ordnung sind vor allem auf die Vermeidung geringfügiger Ordnungsstörungen und Delikte gerichtet33. Dabei kann eine Konzentration auf das Vorgehen gegen die Drogenszene, gegen das Betteln, den Konsum von Alkohol und das Lagern und Nächtigen auf der Straße festgestellt werden. Diese Sachverhalte erfüllen nicht den Tatbestand der Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen und der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Nur unter Umständen erfüllen sie den Tatbestand der abstrakten Gefahr, der zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen ermächtigt34. Der Tatbestand der Gefahr für die öffentliche Ordnung ist zwar teilweise erfüllt35. Dieser verstößt jedoch gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und das Bestimmtheitsgebot36. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Regeln des Zusammenlebens, die unter den Begriff der öffentlichen Ordnung fallen sollen, können die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen darunter subsumiert werden. Gerade hierin zeigt sich aber auch die Problematik des Begriffs, der die Möglichkeit eröffnet, gegen Minderheiten vorzugehen, ohne zuvor auf demokratischem Weg einen entsprechenden Mehrheitswillen zu ermitteln. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist ungeeignet, die verfassungsrechtlich bestehenden Rechte aller Bürger, auch der sozialen Randgruppen, im Rahmen der Polizeistrategien zu wahren. Die Anwesenheit von Gruppen Wohnungsloser und Trinker im öffentlichen Raum könnte eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, wenn Erkenntnisse vorlägen, die die hinreichende Wahrscheinlichkeit begründen, dass von solchen Gruppen Ordnungswidrigkeiten ausgehen37. Die durch die „Broken Windows“-Theorie vorausgesetzten Zusammenhänge zwischen der Anwesenheit solcher Gruppen und der Erhöhung von Kriminalität in einem bestimmten Stadtviertel sind jedoch nicht mit der für die polizeirechtliche Gefahr notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit gegeben38. Daher kann die „Broken Windows“-Theorie ___________ 32 So zum Beispiel Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24. 7. 1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269. 33 s. oben B. VI. 4. a) und C. IV. 34 s. dazu oben C. VI. 2. b) bb) (2) und (3). 35 s. dazu oben C. VI. 2. e) cc) (2) und (3). 36 s. oben C. VI. 2. e) bb). 37 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 38 s. oben C. VI. 2. g).

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

nicht zur Begründung einer abstrakten Gefahr bezüglich des Aufenthalts sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum herangezogen werden. Für das US-amerikanische Polizeirecht findet sich eine vergleichbare Regelung nur in den Grenzen, die der 4. Zusatzartikel für bestimmte Maßnahmen setzt. Maßnahmen, die unter den 4. Zusatzartikel der Verfassung fallen, dürfen nur ergehen, wenn „probable cause“, also der Verdacht der Begehung einer Straftat besteht39. Dieser Verdacht ist gegeben, wenn eine „vernünftige, taktvolle und besonnene Person annehmen würde“40, dass ein Beweis für eine Straftat vorliegt oder eine Person eine solche begangen hat. Entscheidend ist die Sichtweise eines vernünftigen, besonnenen und umsichtigen Polizisten unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und Erfahrung am Ort und zum Zeitpunkt der durchgeführten Maßnahme41. Wie im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht ist für die Beurteilung die Ex-ante Perspektive entscheidend42. Das Vorliegen einer Gefahr richtet sich nach dem zum Zeitpunkt des Handelns vorliegenden Tatbestand. Das Abstellen auf die Sicht eines vernünftigen, besonnenen und umsichtigen Polizisten am Ort der Handlung entspricht aber nur dem subjektiven Gefahrbegriff des deutschen Polizeirechts43. Soweit im amerikanischen Recht jedoch auf die Ausbildung und Erfahrung des konkreten Beamten abgestellt wird, geht diese subjektive Betrachtung auch über den subjektiven Gefahrbegriff des deutschen Rechts hinaus. Nach dem subjektiven Gefahrbegriff kommt es darauf an, dass der Beamte vertretbar vom Vorliegen einer Gefahr ausgeht44. Vertretbar bedeutet, dass er mit der „Sorgfalt, Klugheit und Besonnenheit eines typischen Beamten“ handelt45. Die Subjektivierung im deutschen Recht geht also nur soweit, dass auf den durchschnittlichen Beamten abgestellt wird, während es nach amerikanischem Recht auf den konkreten Beamten und dessen Ausbildung und Erfahrung ankommt. Das deutsche Polizeirecht steht bereits aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen der Gefahr beziehungsweise des Vorliegens von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird, einer uneingeschränkten Übernahme der New Yorker Polizeistrategie entgegen. Dahingegen ___________ 39

s. oben B. VI. 2. c) cc). Dumbra v. United States, 268 U.S. 435, 69 LEd 1032, 45 SCt 546 (1925): „a reasonable, discreet and prudent man would be led to believe“. 41 s. oben B. VI. 2. c) cc). 42 s. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 42. 43 Dieser wird von der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung vertreten. s. dazu oben C. VI. 2. b) aa); vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 36 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, § 4 Rn. 47; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 80 ff. 44 Vgl. Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 36 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, § 4 Rn. 47; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 80 ff. 45 Pieroth/Schlink/Kniesel, § 4 Rn. 47. 40

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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finden sich im New Yorker Polizeirecht einige Vorschriften, die für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen sprechen. § 425 a) der New York City Charter benennt unter anderem die Verhaftung von Bettlern ausdrücklich als Aufgabe der Polizei46. Außerdem sind „ordnungswidriges Verhalten“, der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit und das Lagern auf der Straße in Strafnormen geregelt. Die Norm, die das Betteln im öffentlichen Raum untersagte, wurde wegen Verstoßes gegen das Recht der Redefreiheit für verfassungswidrig erklärt47. § 240.20 NY Penal Law stellt „ordnungswidriges Verhalten“ (disorderly conduct) unter Strafe. Damit ist § 240.20 NY Penal Law die zentrale Strafnorm, wenn es um die Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Ordnung im Rahmen der „Zero Tolerance“-Strategie geht48. Nach § 240.20 Nr. 2 NY Penal Law macht sich strafbar, wer unverhältnismäßigen Lärm macht. Dieser Norm ist im deutschen Recht § 117 OWiG vergleichbar. Danach begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer unzulässigen Lärm verursacht, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder Nachbarschaft erheblich zu belästigen. Die Auslegung dieser Norm hat aber an objektiven Maßstäben zu erfolgen, sodass eine Verletzung durch Mitglieder sozialer Randgruppen nur in Ausnahmefällen zu bejahen ist49. Gemäß § 240.20 Nr. 6 NY Penal Law macht sich außerdem strafbar, wer sich mit anderen Personen an einem öffentlichen Platz versammelt und sich weigert, einer rechtmäßigen Anordnung, sich zu zerstreuen, zu folgen. Einen dieser Norm nahezu entsprechenden Tatbestand enthält § 113 OWiG. Der Ordnungswidrigkeitstatbestand ist aber erst erfüllt, wenn ein Träger von Hoheitsbefugnissen dreimal rechtmäßig zum Auseinandergehen aufgefordert hat. Die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung ist aufgrund des im deutschen Recht geltenden Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes nur gegeben, wenn sie sich auf eine Rechtsgrundlage stützen kann. Soweit diese aus dem Polizei- und Ordnungsrecht folgt, muss also wieder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen, bevor der Tatbestand des § 113 OWiG erfüllt ist50. Im US-amerikanischen Recht gilt hingegen der Vorbehalt des Gesetzes nicht, sodass die Rechtmäßigkeit gegeben ist, soweit die Anordnung nicht gegen verfassungsrechtliche Grenzen verstößt51. § 240.20 Nr. 3 NY Penal Law stellt es unter Strafe, im öffentlichen Raum beleidigend oder obszön zu sprechen. Soweit eine Beleidigung vorliegt, sind ___________ 46

s. oben B. VI. 1. b) bb) (1). s. oben B. VI. 2. b). 48 s. oben B. VI. 2. b) aa). 49 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 50 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 51 s. dazu schon oben unter D. I. 1. a) aa). 47

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

im deutschen Recht die §§ 185 ff. StGB einschlägig. Obszöne Äußerungen fallen nach deutschem Recht unter § 118 OWiG52. Dieser untersagt grob ungehörige Handlungen, die geeignet sind, die Allgemeinheit zu belästigen53. § 118 OWiG ist allgemein die Norm, die am ehesten § 240.20 NY Penal Law entspricht, weil beide die Erregung öffentlichen Ärgernisses verbieten. § 118 OWiG ist aber eng auszulegen. Eine Handlung erfüllt nur dann den Tatbestand des § 118 OWiG, wenn sie im deutlichen Widerspruch zur Gemeinschaftsordnung steht. Sie muss objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzen, ohne deren Beachtung eine für Entwicklungen offene Gesellschaft nicht auskommt und eine Missachtung der Menschenwürde oder sonst durch die Gemeinschaftsordnung geschützten Interessen darstellen54. Das Trinken und Konsumieren von alkoholischen Getränken und der Besitz offener Behälter mit diesen ist in der Öffentlichkeit grundsätzlich nach § 10125 1 b) New York City Code verboten55. Eine entsprechende Norm, die den Konsum von Alkohol regelt, fehlt im deutschen Recht. Die Gefahrenabwehrverordnungen56, die den Konsum von Alkohol untersagen sind wegen des Fehlens einer abstrakten Gefahr rechtswidrig57. Die entsprechenden Sondernutzungssatzungen58 wegen der Überschreitung der Satzungskompetenz der Gemeinden59. Es gibt nur Normen, die an das Verhalten im alkoholisierten Zustand in der Öffentlichkeit anknüpfen60. Eine dem vergleichbare Norm des New Yorker Rechts wurde durch die Änderung des § 240.40 NY Penal Law im Jahre 1974 aufgehoben. Dieser verbietet nunmehr nur den Aufenthalt in der Öffentlichkeit im Rauschzustand, soweit dieser durch andere Drogen als Alkohol hervorgerufen wurde61. Das Lagern beziehungsweise Herumlungern (loitering) zum Zwecke des Bettelns war zunächst in § 240.35 Nr. 1 NY Penal Law als Straftat geregelt. Diese Vorschrift wurde jedoch wegen Verstoß gegen die Redefreiheit für unwirksam erklärt62. Die entsprechende deutsche Norm des § 361 Nr. 4 StGB ___________ 52

s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). s. dazu oben C. VI. 2. d) bb) und (3) (a). 54 Göhler, OWiG, § 118 Rn 4; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 118 Rn. 55. 55 s. oben B. VI. 2. b) bb). 56 s. oben C. V. 3. a). 57 s. oben C. VI. 5. a) bb). 58 s. oben C. V. 3. b). 59 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2). 60 s. oben C. VI. 5. b) bb) (2). Einzig im Berliner Straßengesetz ist der Konsum von Alkohol verboten, s. dazu oben C. VI. 6. 61 s. oben B. VI. 2. b) bb). 62 s. oben B. VI. 2. b) cc); 3. c). Ob das Betteln auch nach deutschem Recht unter das Recht auf Meinungsfreiheit fällt, wird im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Problemen erörtert; s. unten D. I. 1. e) bb). 53

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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wurde 1974 abgeschafft, sodass das Betteln nach deutschem Recht ebenfalls nicht mehr unter Strafe steht63. Im Zuge der Konzentration auf die Herstellung der „Ordnung“ in deutschen Innenstädten wurden jedoch Gefahrenabwehrverordnungen64 und Sondernutzungssatzungen65 erlassen, die das Betteln verbieten oder als nicht genehmigungsfähige Sondernutzung regeln. Soweit sie das Betteln untersagen, sind die Gefahrenabwehrverordnung aufgrund des Fehlens einer abstrakten Gefahr rechtswidrig und nichtig66. Die Sondernutzungssatzungen überschreiten insoweit die Satzungskompetenz der Gemeinden und sind deshalb rechtswidrig und nichtig67. § 10-136 New York City Code verbietet das Betteln in aggressiver Weise und definiert die aggressive Art und Weise auch näher68. Gefahrenabwehrverordnungen, die das aggressive Betteln regeln, sind nur dann rechtmäßig, wenn sie dieses so eng definieren, dass nur abstrakt gefährliche Verhaltensweisen darunter fallen69. Ebenso sind die Sondernutzungssatzungen nur dann rechtmäßig, wenn sie das aggressive Betteln durch straßenrechtlich relevante Verhaltensweisen definieren, die den Gemeingebrauch überschreiten70. § 16-122 b) New York City Administrative Code untersagt es, größere Gegenstände auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu lagern oder dort Schuppen, Gebäude oder andere Hindernisse zu errichten. Diese Vorschrift wird zum Einschreiten gegen das Nächtigen und Lagern von Obdachlosen in New York City und das damit verbundene Aufbauen von Matratzen oder Hütten herangezogen71. Im deutschen Recht richtet sich die Zulässigkeit dieser Handlungen nach dem Straßenrecht. Nicht mehr Gemeingebrauch, sondern eine Sondernutzung liegt danach vor, wenn dauernde physische Hindernisse geschaffen werden, die zum Ausschluss des Mitgebrauchs anderer Verkehrsteilnehmer führen72. Eine solche Überschreitung des Gemeingebrauchs ist aber nur gegeben, wenn es sich um größere behindernde Gegenstände handelt. Das Abstellen einer Tasche mit Habseligkeiten kann ebenso wenig wie das Aufstellen eines Sammelbehältnisses bei einem Bettler zur Sondernutzung führen73. Demnach wären die in § 16-122 b) New York City Administrative Code genannten Verhaltensweisen, ___________ 63

s. oben C. VI. 2. d) bb) (2). s. oben C. V. 3. a). 65 s. oben C. V. 3 b). 66 s. oben C. VI. 5. a) bb). 67 s. oben C. VI. 5. b) bb) (1). 68 s. oben B. VI. 2. b) cc). 69 s. oben C. VI. 5. a) bb). 70 s. oben C. VI. 5. b) bb) (1). 71 s. oben B. VI. 2. b) cc). 72 s. oben C. VI. 5. b) bb). 73 s. oben C. VI. 5. b) bb) (1). 64

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

soweit es sich um größere Gegenstände handelt, nach deutschem Straßenrecht als Sondernutzung einzustufen und würden den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, wenn keine Genehmigung vorliegt. Der Konsum illegaler Drogen ist sowohl nach deutschem als auch nach New Yorker Recht strafbar. Trotzdem ist beim Vorgehen gegen die offene Drogenszene nicht immer eine konkrete Gefahr gegeben74. Auch soweit Vorschriften das Vorliegen von Tatsachen fordern, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird, ist die Voraussetzung nicht bei allen Maßnahmen gegenüber Mitgliedern der offenen Drogenszene erfüllt75. Die „Zero Tolerance“-Strategie setzt im Wesentlichen auf den polizeilichen Aufgabenbereich der Erhaltung der öffentlichen Ordnung (Order Maintenance). In der US-amerikanischen Polizeirechtsliteratur werden zur deutschen Diskussion parallele Bedenken im Zusammenhang mit der Aufgabe der Polizei zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung geäußert. Wie in der deutschen Rechtswissenschaft wird es als problematisch angesehen, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung nicht definiert und auch nicht eindeutig zu klären ist, weil es immer auf eine Meinung oder Konvention ankommt76. Es wird also ebenso wie in der deutschen Literatur bezweifelt77, dass sich die „herrschenden Anschauungen“ rechtlich fassbar definieren lassen. Für den Aufgabenbereich „Order Maintenance“ bestehen kaum rechtliche Regelungen. Dies führt zwar zu einer gewissen Unsicherheit bei den Verantwortlichen. Rechtlich kann die Polizei aber ohne Ermächtigungsgrundlagen einschreiten78. Aufgrund des fehlenden verfassungsrechtlichen Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes kommt es anders als im deutschen Recht nicht darauf an, ob der Begriff der öffentlichen Ordnung bestimmt genug ist, um eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das polizeiliche Handeln bilden zu können. In den meisten Fällen so genannter öffentlicher Unordnung liegt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des deutschen Polizeirechts vor79. Daher kommt es auf die Einschlägigkeit des in vielen Polizeigesetzen enthaltenen Tatbestands der öffentlichen Ordnung an80. Insoweit kommt dem Begriff der öffentlichen Ordnung im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen Mitglieder sozialer Randgruppen im Zuge der aktuellen Polizeistrategien eine neue Bedeutung zu. Der Begriff ist jedoch nach einer starken, zu befürwortenden ___________ 74

s. oben C. VI. 2. d) bb) (1). s. oben C. VI. 2. h). 76 s. oben C. VI. 1. b) bb) (2). 77 s. zur Diskussion oben C. VI. 2. e) bb). 78 s. oben B. VI. 2. b) bb) (2). 79 s. oben C. VI. 2. d). 80 s. oben C. VI. 2. e). 75

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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Ansicht verfassungswidrig81. Die Kritik entspricht, wie erwähnt, teilweise der amerikanischen Diskussion, hat aber aufgrund des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes weitreichendere Folgen. Die Normen, die den Begriff der öffentlichen Ordnung enthalten, sind verfassungswidrig und können daher nicht als Rechtsgrundlage dienen. Diese ist jedoch für Eingriffe notwendig.

c) Gewahrsam beziehungsweise Verbringungsgewahrsam und „stop and frisk“ aa) Einschlägigkeit des 4. Zusatzartikels der US-amerikanischen Verfassung und des Artikels 104 GG Im US-amerikanischen Verfassungsrecht statuiert der 4. Zusatzartikel Voraussetzungen und Grenzen für Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit wie das Festhalten und Festnahmen82. Die im deutschen Recht vergleichbaren Vorschriften sind Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG83. Der 4. Zusatzartikel ist einschlägig, wenn sich die angehaltene Person verpflichtet fühlt, stehen zu bleiben und auf die Fragen des anhaltenden Polizisten zu antworten. Das ist gegeben, wenn der Betroffene durch physische Gewalt aufgehalten wird, aber auch schon, wenn er sich aufgrund der geltend gemachten hoheitlichen Autorität gezwungen sieht, der Aufforderung zum Anhalten zu folgen84. Für den Staat New York hat der New York Court of Appeals die Anwendbarkeit des dem 4. Zusatzartikel entsprechenden Art. 1 Abs. 12 der Verfassung des Staates New York gegenüber dem Bundesrecht noch erweitert. Demnach fallen auch Befragungen darunter, bei denen es dem Betroffenen immer frei steht, sich zu entfernen85. Im deutschen Recht ist umstritten, ob lediglich psychische Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit als Freiheitsbeschränkungen im Sinne der Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 1 GG anzusehen sind. Eine verbreitete Ansicht geht davon aus, dass nur körperliche Beeinträchtigungen genügen, versteht darunter aber auch Aufforderungen die durch unmittelbaren Zwang oder nur dessen Androhung begleitet werden86. Insoweit kommt diese Betrachtungsweise zu ähnlichen Ergebnissen wie die US-amerikanische Rechtsprechung zum 4. Zusatzartikel. Dahingegen ist die Definition für eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 2 GG enger. Für eine Freiheitsentziehung wird zumindest die Aufhebung ___________ 81

s. oben C. VI. 2. e) bb). s. oben C. VI. 2. c) aa) und d) aa). 83 s. oben C. VI. 4. a) bb) (1). 84 s. oben C. VI. 2. d) aa). 85 s. oben C. VI. 2. d) cc). 86 Vgl. dazu Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 414. 82

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

der körperlichen Bewegungsfreiheit nach allen Richtungen, also an einem eng umgrenzten Raum verlangt. Ob daneben zusätzlich das Festhalten an einem bestimmten Ort oder aber eine gewisse Intensität der Maßnahme erforderlich ist, ist sehr umstritten87. Diese Definition erfasst weniger Maßnahmen als unter den 4. Zusatzartikel fallen würden. Eine so weitreichende Interpretation der Freiheitsbeschränkung wie die des New York Court of Appeals, findet sich im deutschen Verfassungsrecht nicht. Sowohl der 4. Zusatzartikel als auch Art. 104 Abs. 2 GG begründen einen Richtervorbehalt88. Im US-amerikanischen Recht kann die Anordnung neben dem Richter aber auch durch einen Magistrat erfolgen. Im deutschen Recht gilt der Richtervorbehalt nicht für jede Freiheitsbeschränkung nach Art. 104 Abs. 1 GG, sondern nur für die Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 2 GG. Im USamerikanischen Recht sind die Anforderungen an das Vorliegen einer vorherigen richterlichen Anordnung (warrant) vergleichbar nach Eingriffstärke abgestuft. Die Anordnung kann ganz entfallen, wenn der Verdacht eines Kapitalverbrechens besteht oder bei minderschweren Delikten, wenn diese in Anwesenheit des Polizisten begangen wurden. Dieses Anwesenheitskriterium entfällt jedoch nach § 140.10 1 (b) NY. Crim. Proc. Law, wenn es sich um die Begehung einer Straftat handelt89. Gemäß Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG kann die vorherige Anordnung in Eilfällen unterbleiben, muss dann aber unverzüglich nachgeholt werden. Der 4. Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung setzt außerdem voraus, dass ein hinreichender Verdacht dahingehend besteht, dass die von der Freiheitsbeschränkung betroffene Person eine Straftat begangen hat90. Eine entsprechende Regelung enthalten die Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG zwar nicht. Aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 c) EMRK ergibt sich jedoch, dass die Freiheit einer Person nur zur Verhinderung strafbarer Handlungen entzogen werden darf91. Sowohl nach der US-amerikanischen als auch nach der deutschen Verfassung muss die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gegeben sein92. Der 4. Zusatzartikel entspricht nach seinen Anforderungen dem Art. 104 Abs. 2 GG, setzt diesem gegenüber aber noch engere rechtliche Grenzen. Außerdem erfasst er ein weiteres Spektrum an Maßnahmen als unter die enge Definition der Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG fallen. Dies erscheint durchaus sinnvoll angesichts der Tatsache, dass neben den durch den ___________ 87

s. dazu oben C. VI. 4. a) bb) (1). s. oben B. VI. 2. c) bb); vgl. Art. 104 Abs. 2 1 GG. 89 s. oben B. VI. 2. c) bb). 90 s. oben B. VI. 2. c) cc). 91 s. dazu oben C. VI. 4. c). 92 s. oben B. VI. 2. c) dd); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 425. 88

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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4. Zusatzartikel aufgestellten Rechtmäßigkeitsanforderungen kaum rechtliche Grenzen für polizeiliche Maßnahmen gelten93. Dahingegen greift im deutschen Polizeirecht für alle Maßnahmen der Beschränkung der Freiheit der Gesetzesvorbehalt. Daher bestehen weitere Rechtmäßigkeitsanforderungen, die sich aus den jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen ergeben94.

bb) Folgen von Verstößen gegen verfassungs- und einfachrechtliche Vorschriften Verstöße gegen den 4. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung hatten zunächst kaum Folgen. Sie ermöglichten allenfalls ein Vorgehen gegen den handelnden Beamten selbst, das aufgrund der Entscheidungspraxis von Behörden und Gerichten uneffektiv war oder nur Genugtuung schaffte. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten führten aber nicht dazu, dass sich die Polizei an die Vorgaben aus dem 4. Zusatzartikel gehalten hätte. Der Supreme Court entwickelte in zwei Entscheidungen ein Beweisverwertungsverbot. Erst durch dieses wurde die Beachtung des 4. Zusatzartikels in der Praxis durchgesetzt95. Dieses Beweisverwertungsverbot ist jedoch nur dann wirksam, wenn es der Polizei um die Schaffung von Beweisen und Verurteilung des Betroffenen geht, also nur im repressiven Bereich polizeilicher Tätigkeit. Im Rahmen der „Zero Tolerance“-Strategie, deren Maßnahmen eher auf die Abschreckung als auf die tatsächliche spätere Verurteilung, demnach präventiv, ausgerichtet sind, ist sie jedoch wirkungslos96. Eine dem deutschen Art. 19 Abs. 4 GG vergleichbare Rechtsschutzgarantie existiert im amerikanischen Verfassungsrecht nicht. Insbesondere gegenüber schlichtem Verwaltungshandeln sind die Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes ungeklärt97. Gegen rechts- oder verfassungswidrige Maßnahmen der deutschen Polizei existiert umfassender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz. Dessen Wirksamkeit ist bei Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen jedoch auch gering einzuschätzen. Die meisten der Maßnahmen sind mit ihrer Durchführung erledigt, sodass allenfalls die nachträgliche Feststellung der Rechts- oder Verfassungswidrigkeit durch Feststellungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage möglich ist. Nur Aufenthaltsverbote sind Maßnahmen, die über einen so langen Zeitraum ergehen, dass auch eine Anfechtungsklage, die dann zur Aufhebung der Aufenthaltsverbotsverfügung führt, in Frage kommt. Im Falle der Rechts___________ 93

s. oben B. VI. 1. b) bb) (2). s. dazu oben D. I. 1. a) aa). 95 s. oben B. VI. 2. e). 96 s. oben B. VI. 2. e). 97 Gehring, Innere Sicherheit – USA, 204. 94

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

oder Verfassungswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme sind die entsprechenden Schadensersatzvorschriften der Polizei- und Ordnungsgesetze und das Amtshaftungsrecht einschlägig98. Bei Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen dürfte es jedoch meist an einem Schaden fehlen, der geltend gemacht werden kann. Auch ist es in der Praxis sehr selten der Fall, dass Betroffene aus dem entsprechenden Milieu Rechtsschutz suchen.

cc) „Stop and frisk“ Im Rahmen der deutschen Polizeistrategien spielen Maßnahmen des Anhaltens zur Befragung und Durchsuchung nach Waffen („stop and frisk“) keine entsprechend zentrale Rolle wie in der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie. Die Rechtmäßigkeit von „stop and frisk“ im US-amerikanischen Recht richtet sich nach den Anforderungen des 4. Zusatzartikels. Diese wurden durch die Rechtsprechung für „stop and frisk“ als Maßnahmen mit geringerer Eingriffsintensität gegenüber der Ingewahrsamnahme abgeschwächt99. In den Fällen des „stop and frisk“ entfällt die Anforderung der vorherigen Anordnung durch den Richter. Außerdem sind die Anforderungen an den hinreichenden Verdacht insoweit abgesenkt, als ein gegenüber diesem geringerer begründeter Verdacht beziehungsweise artikulierbare Gründe genügen. Ein begründeter Verdacht liegt vor, wenn der Polizist, aufgrund von Erfahrungen, Beobachtungen oder Informationen annimmt, dass eine kriminelle Tat im Gange ist, die ein polizeiliches Eingreifen rechtfertigt. Eine Durchsuchung ist im Zusammenhang mit dem Anhalten zur Befragung auf das oberflächliche Abtasten nach Waffen begrenzt100. Für den Staat New York hat der New York Court of Appeals die Anforderungen an „stop and frisk“ gegenüber dem Bundesrecht eingeengt. Er fordert das Bestehen eines begründeten Verdachts, dass eine bestimmte Person eine Straftat begangen hat oder ein Vergehen oder Verbrechen begehen wird. Eine oberflächliche Durchsuchung ist nur zulässig, wenn der Polizist den begründeten Verdacht hat, dass der Befragte bewaffnet ist und ihn verletzen könnte101. In den deutschen Polizei- und Ordnungsgesetzen gibt es vergleichbare Ermächtigungsgrundlagen zur Durchsuchung als Begleitmaßnahme zur Identitäts___________ 98

Vgl. Gehring, Innere Sicherheit – USA, 215; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 22 Rn. 20 ff. 99 s. dazu oben B. VI. 2. d) bb). 100 s. dazu oben B. VI. 2. d) bb). 101 s. oben B. VI. 2. d) bb).

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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feststellung, die auch der Eigensicherung des Beamten dienen kann102. Die Polizei- und Ordnungsbehörden können eine Person zur Feststellung der Identität anhalten und befragen103. Sie können die Person auch festhalten und zur Dienststelle bringen, wenn die Feststellung der Identität ansonsten nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist104. In diesem Fall greift dann aber wieder der Richtervorbehalt ein105. Voraussetzung für die Feststellung der Identität ist wiederum grundsätzlich das Vorliegen einer Gefahr106. Die Voraussetzung der Gefahr ist mit der des begründeten Verdachts vergleichbar. Soweit der Verdacht der Begehung einer Straftat durch die Erfahrungen, Beobachtungen und Informationen des Polizisten begründet werden kann, entspricht er nur dem subjektiven Gefahrbegriff107 und insoweit lediglich dem Gefahrenverdacht. Dieser rechtfertigt Gefahrerforschungseingriffe108. Darunter fällt die Befragung zur Feststellung der Identität. Der wesentliche Unterschied zur deutschen Rechtslage besteht darin, dass nach dieser die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen, die durch die Polizeistrategien zur öffentlichen Ordnung in den Städten bekämpft werden sollen, in den meisten Fällen den Tatbestand der Gefahr nicht erfüllen109. Dahingegen sind diese Ordnungsstörungen nach New Yorker Strafrecht teilweise als Straftaten oder Ordnungsverstöße geregelt, die den Verdacht nach dem 4. Zusatzartikel begründen können110. Die Voraussetzung des Vorliegens einer Gefahr entfällt nach deutschem Recht nur, soweit verdachtsunabhängige Kontrollen an so genannten gefährlichen Orten in den Polizeigesetzen geregelt sind111. Die zulässigen Fragen im Rahmen von „stop and frisk“ gehen jedoch über Fragen zur Feststellung der Identität hinaus. Dementsprechend wurde in der De Bour-Entscheidung festgestellt, dass an eine Befragung, die über die Identitätsfeststellung und die schon auf erster Stufe zusätzlich zulässigen Fragen nach dem Ziel der Fortbewegung hinaus geht, gesteigerte Anforderungen zu stellen sind112. In den deutschen Polizei- und Ordnungsgesetzen ist die Befragung neben der Generalklausel nur insoweit speziell geregelt, als eine Auskunftspflicht ___________ 102

Vgl. u.a. § 34 Abs. 3 S. 1 BerlASOG; vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizeiund Ordnungsrecht, Rn. 6. 103 Vgl. u.a. § 21 Abs. 3 S. 2 BerlASOG. 104 Vgl. u.a. § 21 Abs. 3 S. 3 BerlASOG. 105 Vgl. u.a. § 31 Abs. 1 BerlASOG. 106 Vgl. u.a. § 21 Abs. 1 BerlASOG. 107 s. oben D. I. 1. b). 108 Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 59 ff. 109 s. oben C. VI. 2. 110 s. oben B. VI. 2. b). 111 Vgl. u.a. § 21 Abs. 2 Nr. 1 BerlASOG. 112 s. dazu oben B. VI. 2. d) cc).

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

besteht113. Soweit eine solche Auskunftspflicht besteht, darf der Pflichtige für die Dauer der Befragung auch angehalten werden114. Die Auskunftspflicht geht aber immer nur soweit, wie sie sachdienlichen Angaben, die für die Erfüllung einer bestimmten polizei- oder ordnungsbehördlichen Aufgabe erforderlich sind, betrifft115. Außerdem ist die Auskunftspflicht auf die Angabe der Personalien beschränkt. Darüber hinaus besteht nach den meisten Polizei- und Ordnungsgesetzen nur dann eine Pflicht zur Auskunft, wenn entsprechende gesetzliche Handlungspflichten bestehen116. Daneben sind beim Vorliegen einer Gefahr die nach dem Polizeirecht Pflichtigen nach der polizeirechtlichen Generalklausel insoweit zur Auskunft verpflichtet, als dies zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist117. Nach einigen Polizeigesetzen ist jedermann zur Auskunft verpflichtet, soweit dies zur Abwehr einer konkreten Gefahr oder zum Schutz wichtiger Rechtsgüter erforderlich ist118. Die Voraussetzung zum Anhalten zur Befragung sind zwar denen des 4. Zusatzartikels vergleichbar. Sie sind aber enger, weil sie grundsätzlich auf die Angaben zur Person beschränkt sind. Soweit sie, abgesehen von speziellen gesetzlichen Handlungspflichten, weiter gehen, setzen sie das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus. Diese Voraussetzung ist, wie oben erläutert, im Gegensatz zur Voraussetzung des begründeten Verdachts in den meisten Fällen der so genannten öffentlichen Unordnung nicht gegeben.

dd) Gewahrsam Die Ingewahrsamnahme durch die New Yorker Polizei richtet sich wie bereits erwähnt nach den Anforderungen aus dem 4. Zusatzartikel der USamerikanischen Verfassung und Art. 1 Abs. 12 der Verfassung des Staates New York. Danach ist grundsätzlich eine vorherige Anordnung durch einen Richter oder Magistrat erforderlich. Diese kann aber in den §§ 140.05 ff. NY Crim. Proc. Law geregelten Fällen entfallen. Dabei findet die Abstufung anhand der Schwere des begangenen oder zu begehenden Delikts statt. Für die Ingewahrsamnahme muss außerdem der hinreichende Verdacht bestehen, dass ___________ 113

Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 14 Rn. 1. Vgl. u.a. § 18 Abs. 3 S. 2 BerlASOG. 115 Vgl. u.a. § 18 Abs. 3 S. 1 BerlASOG, Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 14 Rn. 1. 116 Vg. u.a. § 18 Abs. 3 S. 3 und 4 BerlASOG; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 14 Rn. 6 f. 117 Götz, Polizeirecht, Rn. 284, Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 14 Rn. 9; a.A. Rachor, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 169. 118 § 27 Abs. 4 S. 1 BWPolG; § 28 Abs. 2 S. 1 MVSOG; § 25a Abs. 3 S. 1 RhPfPOG; § 11 Abs. 1 S. 2 SaarlPolG; § 180 Abs. 2 S. 1 SchlHLVwG. 114

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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eine Straftat begangen wurde oder wird. Letztlich ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten119. Im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht richtet sich die Ingewahrsamnahme nach den in den einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen ausgeprägten Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. Demnach ist auch hier die vorherige Anordnung durch einen Richter erforderlich. Sie kann aber in Eilfällen entfallen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen würde. Voraussetzung für die Ingewahrsamnahme ist nach den Ermächtigungsgrundlagen das Vorliegen einer Gefahr, wobei an diese erhöhte Anforderungen gestellt werden120. Diese Voraussetzung ist entsprechend dem oben Gesagten mit der Anforderung des hinreichenden Verdachts vergleichbar, der entscheidende Unterschied ist aber wiederum das Fehlen einer Gefahr nach deutschem Polizei- und Ordnungsrecht121. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch im deutschen Recht zu beachten. Ein weiterer Unterschied besteht in der Schwere der Delikte aufgrund derer präventive Ingewahrsamnahmen zulässig sind. In der deutschen Rechtswissenschaft wird von einer weit verbreiteten Ansicht vertreten, dass die Befugnis zur Ingewahrsamnahme zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 c) EMRK verstoße und daher nichtig sei122. Im New Yorker Polizeirecht ist dahingegen die Ingewahrsamnahme, wenn auch unter strengeren Voraussetzungen, bei bloßen Gesetzesverstößen (offense) zulässig123. Die im New Yorker Recht als Straftat geregelten Handlungsweisen sozialer Randgruppen „ordnungswidriges Verhalten“, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Lagern und Betteln fallen im deutschen Recht, wenn auch teilweise nur durch die entstehenden Folgebelastungen, allenfalls unter Ordnungswidrigkeitstatbestände124. Daher genügen sie nach deutschem Recht nicht den Anforderungen an Ingewahrsamnahmen. Im New Yorker Recht sind diese Verhaltensweisen jedoch als Verletzung des Rechts (violation) beziehungsweise Vergehen (misdemeanour), also als Straftaten, geregelt125, die unter abgestuften Voraussetzungen zur Ingewahrsamnahme berechtigen126.

___________ 119

s. oben B. VI. 2. c). s. oben C. VI. 4. c). 121 s. oben D. I. 1. c) cc). 122 s. oben C. VI. 4. c). 123 s. oben B. VI. 2. c). 124 s. oben C. VI. 2. d) bb) (3) (a). 125 s. oben B. VI. 2. b). 126 s. oben B. VI. 2. c). 120

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

d) Verbringungsgewahrsam und Aufenthaltsverbot Im Rahmen der deutschen Polizeistrategien spielt der Verbringungsgewahrsam eine wichtige Rolle127. Die New Yorker Polizei wendete hingegen keine solche oder vergleichbare Maßnahme an.128. Ebenso sind Aufenthaltsverbote eine zentrale Maßnahme deutscher Polizeistrategien, wohingegen sie der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie fremd sind. Ihre Rechtmäßigkeit wäre im Gegensatz zu Ingewahrsamnahmen aber auch nicht durch den 4. Zusatzartikel begrenzt129.

e) Verfassungsrechtliche Probleme bei Polizeimaßnahmen nach dem New Yorker Modell aa) Gleichheitssatz 14. Zusatzartikel – Artikel 3 GG Der 14. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung enthält den Gleichheitssatz. Dieser verbietet es, Maßnahmen gegen bestimmte Personen nur aufgrund deren Rasse vorzunehmen und schützt damit auch grundsätzlich vor der diskriminierenden Kontrolle von Minderheiten. Soweit die Rasse jedoch Bestandteil der Beschreibung eines Verdächtigen ist, darf die Polizei dies bei ihren Maßnahmen beachten130. Im Rahmen der „Zero Tolerance“-Strategie waren Maßnahmen besonders häufig gegen Angehörige bestimmter Rassen und Bevölkerungsminderheiten gerichtet131. Die US-amerikanische Rechtsprechung hat jedoch Beweislastregeln entwickelt, die es fast unmöglich machen, gegen eine entsprechende diskriminierende Maßnahme der Polizei vorzugehen. Demnach muss der Betroffene beweisen, dass eine Maßnahme auf diskriminierende Wirkung abgezielt hat und dass Angehörige einer anderen Rasse in der selben Lage nicht in Anspruch genommen wurden, obwohl dies ebenso möglich war132. ___________ 127

s. zu dessen Recht- und Verfassungsmäßigkeit, insbesondere zur Frage, ob es sich um Gewahrsam handelt, oben C. VI. 4. 128 Gespräch mit Prof. Miriam Gilles, Cardozo, Prof. Dennis Jay Kenney und Prof. Evan Mandery, John Jay College of Criminal Justice. Die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams wird in New York aufgrund der Größe der Stadt grundsätzlich nicht für sinnvoll erachtet. 129 Gespräch mit Prof. Dennis Jay Kenney und Prof. Evan Mandery, John Jay College of Criminal Justice. Aufenthaltsverbote und auch Platzverweise werden in der amerikanischen Rechtswissenschaft nicht diskutiert. Vgl. auch Gehring, Innere Sicherheit – USA, 127. 130 s. oben B. VI. 3. a). 131 s. oben B. V. 1. b). 132 s. oben B. VI. 3. a).

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

325

Im deutschen Recht ist ein entsprechendes Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG enthalten, der es verbietet, jemanden wegen seiner Rasse zu bevorzugen oder zu benachteiligen. In der deutschen Polizeipraxis ist eine Diskriminierung aufgrund der Rasse eher selten problematisch. Im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen soziale Randgruppen konnte eine nach der Rasse differenzierende Vorgehensweise nur für polizeiliche Kontrollen an Drogenschwerpunkten festgestellt werden. Weil die Drogenszene am Berliner Helmholtzplatz durch libanesische Händler beherrscht wird, kommt es hier teilweise zu einer verstärkten Kontrolle südländisch aussehender Menschen133. Darin wäre nur dann ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu sehen, wenn der Zweck der Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG die Benachteiligung aufgrund der Rasse ist134. Das ist nicht der Fall, wenn die verstärkte Kontrolle aufgrund von Tatsachen stattfindet, die die Annahme rechtfertigen, dass eine bestimmte Person Drogendelikte begehen wird und zu diesen Tatsachen aufgrund polizeilicher Erkenntnisse die Rasse gehört. Dann besteht der Zweck der Kontrolle nicht in der Benachteiligung aufgrund der Rasse, sondern in der Kontrolle potentieller Täter. Eine Diskriminierung läge vor, wenn die verstärkte Kontrolle Angehöriger einer bestimmten Rasse nicht auf sachlich begründeten Erkenntnissen beruhen und aus reiner Schikane erfolgen würde. Insoweit entspricht die deutsche Rechtslage der amerikanischen Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot. Gemäß § 26 Abs. 1 BVerfGG gilt im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der Untersuchungsgrundsatz135. Die zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweise und Tatsachenermittlungen sind vom Gericht vorzunehmen. Eine Beweislast im subjektiven Sinne, wie sie von der amerikanischen Rechtsprechung entwickelt worden ist, existiert daher im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht136.

bb) Das Recht auf freie Rede 1. Zusatzartikel – Meinungsfreiheit Artikel 5 GG Der 1. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung garantiert das Recht auf freie Rede. Dieser Schutz umfasst auch ein Verhalten, wenn dieses einen bestimmten Inhalt zum Ausdruck bringt. Im Fall Loper v. New York City ent___________ 133

Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde wohl am Helmholtzplatz ein vom Bezirksamt als so genannter „Green Cop“ entsandter Außendienstmitarbeiter türkischer Herkunft mehrfach von Polizisten kontrolliert. 134 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 447 f.; Heun in: Dreier, GG, Art 3 Rn. 110. 135 Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 2 Rn 49; Rinken in AK, GG, Art. 94 Rn. 39. 136 Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 2 Rn 49; Rinken in AK, GG, Art. 94 Rn. 39.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

schied der New York Court of Appeals, dass das Betteln als eine Form der freien Rede unter diesen Schutz fällt. Das Betteln beinhalte in der Regel eine Kommunikation politischer oder gesellschaftlicher Art, weil der Bettler meist seine Bedürftigkeit zu erkennen gebe, auch wenn dies nur durch seine ungepflegtes Äußeres zum Ausdruck komme. Eingriffe in die Freiheit der Rede sind nach dem „O’Brien Test“ nur zulässig, wenn sie substantielle und bedeutende staatliche Interessen verfolgen, die nicht im Zusammenhang mit der Beschränkung des freien Ausdruckes stehen137. In der US-amerikanischen Rechtsprechung und Literatur ist die Entscheidung, dass das Betteln unter den Schutz der Redefreiheit fällt, sehr umstritten. Sie wird im Wesentlichen abgelehnt, weil die Kommunikation gesellschaftlicher und politischer Missstände nur ein Nebeneffekt der vordergründigen Bitte um Geld sei. Wenn überhaupt sei das Betteln allenfalls als kommerzielle Rede geschützt, der politische Aspekt trete dahinter zurück138. Im deutschen Verfassungsrecht ist die Redefreiheit als Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Alt. GG geschützt. Umfasst ist nicht nur das Äußern und Verbreiten einer Meinung in Wort, Schrift und Bild, sondern auch andere Kundgabemodalitäten139. Insoweit ist also wie im amerikanischen Recht auch ein Verhalten umfasst, durch dass eine bestimmte Meinung zum Ausdruck kommt. Die Meinungsäußerungsfreiheit darf aufgrund des Gesetzesvorbehaltes des Art. 5 Abs. 2 GG nur durch allgemeine Gesetze beschränkt werden, die als Regelungszweck nicht den Inhalt der Meinung haben140, was den Anforderungen an Beschränkungen nach dem „O’Brien“-Test vergleichbar ist. Dass das Betteln unter die Meinungsäußerungsfreiheit fällt, wird im Zuge der Diskussion, inwieweit das Betteln als kommunikativer Gemeingebrauch anzusehen ist, abgelehnt141. Im Unterschied zur Redefreiheit der Verfassung der USA schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Alt GG nur die Meinungsäußerung, also die Äußerung von Werturteilen. Wenn man wie die New Yorker Rechtsprechung davon ausgeht, dass durch das Betteln auch auf die Bedürftigkeit aufmerksam gemacht wird, könnte hierin eine Tatsachenbehauptung zu sehen sein, die aber mit einem Werturteil verknüpft und insoweit von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sein könnte. Auch wenn dem gefolgt wird, ist der Schutz des Bettelns als Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG abzulehnen, weil der

___________ 137

s. oben B. VI. 3. b). s. oben B. VI. 3. b). 139 Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 70 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 556; Wendt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 15 ff. 140 BVerfGE 7, 198/209 f.; 95, 220/235 f. 141 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb) (1). 138

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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kommunikative Aspekt hinter der Bitte um Geld zurücktritt142. Insoweit gleicht die Diskussion der in der amerikanischen Rechtswissenschaft.

cc) „Due process clause“ 14. Zusatzartikel – Bestimmtheitsgrundsatz Der Bestimmtheitsgrundsatz leitet sich in der US-amerikanischen Verfassung aus dem 14. Zusatzartikel her. Nach diesem müssen Gesetze die Handlungsmaßstäbe der Polizei so genau festlegen, dass eine willkürliche Anwendung nicht möglich ist. Bei strafrechtlichen Bestimmungen muss daneben für den Bürger erkennbar sein, welches Verhalten verboten ist143. Der Begriff „Herumlungern“ wurde vom Gericht in City of Chicago v. Morales für bestimmt genug angesehen. Die nähere Definition in der geprüften Chicagoer Regelung, die das Herumlungern „ohne offensichtlichen Grund“ untersagen, ließe jedoch nicht erkennen, wann ein solcher gegeben ist144. Auch für das Betteln wurde entschieden, dass eine Person durchschnittlicher Intelligenz erkennen könne, dass es sich um die Bitte um Geld oder andere Werte ohne eine Gegenleistung handele145. In einer Entscheidung über ein Washingtoner Gesetz wurde der Begriff des „aggressiven Bettelns“ wegen der im Gesetz enthaltenen näheren Definition für bestimmt genug erachtet146. Nach der Definition des Gesetzes ist das Betteln aggressiv, wenn eine Person verfolgt wird, die sich, nachdem sie um Geld gebeten wurde, vom Bettler entfernt; wenn es während des Bettelns oder als Folge der Ablehnung einer Spende zu respektlosen oder beleidigenden Äußerungen kommt oder wenn der Bettler so handelt, dass eine vernünftige Person verängstigt wird oder sich gezwungen fühlt147. Im deutschen Verfassungsrecht ergibt sich der Bestimmtheitsgrundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip; für Strafgesetze sind die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm gemäß Art. 103 Abs. 2 GG besonders hoch. Wie im amerikanischen Recht ist eine Gesetz nur dann bestimmt genug, wenn der Adressat Inhalt und Grenzen eines Verbotes erkennen und sein Verhalten danach einrichten kann148. Die Düsseldorfer und Dortmunder Straßenordnung sowie das Bremer Straßengesetz enthalten der Chicagoer Regelung aus City of Chicago v. Morales ___________ 142

s. dazu oben C. VI. 5. b) bb) (1). s. oben B. VI. 3. c). 144 s. oben B. VI. 3. c); City v. Morales, 119 S.Ct. 1849/1852, 527 U.S. 41/42 (1999). 145 s. oben B. VI. 3. c), State ex rel. Williams v City Court of Tucson, (1974) 21 Ariz App. 489/520 P2d 1166. 146 s. oben B. VI. 3. c); Gresham v. Peterson, 225 F 3.d 899 (7th Cir. 2000). 147 Gresham v. Peterson, 225 F.3d 899 (7th Cir. 2000). 148 s. oben B. VI. 5. a) cc) und b) cc). 143

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

vergleichbare Bestimmungen, die das Lagern in Personengruppen untersagen, wenn sich „diese an denselben Orten regelmäßig ansammeln“149, „ständig wiederkehren“ und von ihnen „regelmäßig Störungen ausgehen“150 oder „das Lagern in einer für Dritte beeinträchtigenden Art und Weise“151 erfolgt. Diese Tatbestände stellen zwar nicht wie die Chicagoer Regelung auf den Zweck des Aufenthalts ab. Die näheren Beschreibungen der Anwesenheit von Gruppen ist aber ebenso vage und lässt nicht unbedingt erkennen, welches Verhalten noch erlaubt und welches schon untersagt sein soll. Eine zum Begriff des „Herumlungerns“ vergleichbare Entscheidung hat der VGH Mannheim zu einer Verordnung der Stadt Baden-Baden getroffen, nach der es verboten war, sich auf öffentlichen Straßen „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“. Dieses Verbot wurde als zu unbestimmt angesehen. Der Begriff des „Herumtreibens“ lasse nicht erkennen, wie lange und wie oft sich der Betreffende im öffentlichen Raum aufhalten müsse, damit er die Verbotsnorm erfüllt152. Diese Entscheidung steht im Gegensatz zur Entscheidung des Gerichts in City of Chicago v. Morales, in der das „Herumlungern“ als bestimmt genug angesehen wurde. Der Begriff „Herumlungern“ lässt aber ebenso wenig auf die geforderte Dauer des Aufenthalts schließen wie das „Herumtreiben“. Daher widerspräche die Vorschrift, soweit man der Rechtsprechung des VGH Mannheim folgen wollte, dem Bestimmtheitsgrundsatz. Der Begriff des Bettelns ist auch nach der deutschen Rechtsprechung und Literatur eindeutig als die Bitte um eine Zuwendung zu verstehen und entspricht damit dem Bestimmtheitsgrundsatz153. Der Terminus des aggressiven Bettelns widerspricht jedoch dem Bestimmtheitsgrundsatz, wenn er durch Verhaltensweisen näher definiert wird, die deutlich unterhalb der Grenze liegen, die nach dem Wortlaut „aggressiv“ für ein verbotenes Verhalten gezogen wird154. Nach dieser Ansicht wäre auch die nach US-amerikanischer Rechtsprechung für bestimmt gehaltene Norm zum aggressiven Betteln nicht verfassungsgemäß. Das Verfolgen einer Person und auch die respektlose Ansprache liegen noch deutlich unter der Schwelle, die der Wortlaut aggressiv setzt. ___________ 149 § 6 Düsseldorfer Straßenordnung (Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf/Nordrhein-Westfalen) vom 7.6.1997 (Ddf.ABl. Nr. 23) zuletzt geändert am 24. Februar 2002. 150 § 6 Abs. 2 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund/Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1994 (Dortm.ABl 1994 Nr. 25). 151 § 2 Ortsgesetz über die öffentliche Ordnung (Bremen) vom 27. September 1994 (BremGBl. S. 277). 152 s. dazu oben C. VI. 5. a) cc). 153 s. oben C. VI. 5. a) cc). 154 s. dazu oben C. VI. 5. a) cc).

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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dd) Das Recht der „Bench Squatter“ – Freizügigkeit Artikel 11 GG In der US-amerikanischen Rechtsprechung sind in den frühen neunziger Jahren einige Entscheidungen ergangen, die sich mit dem verfassungsrechtlich garantierten Recht zu Reisen und dessen Auswirkung auf das Recht Obdachloser an bestimmten Orten zu nächtigen befassten. Mit dem Recht zu Reisen garantiert die US-amerikanische Verfassung allen Bürgern das Recht, sich innerhalb der Vereinigten Staaten fortzubewegen. Dieses Recht darf nur durch verhältnismäßige Gesetze oder Regeln beschränkt werden155. Die Gerichte haben aus diesem Recht eine Pflicht der Städte hergeleitet, Obdachlosen den Aufenthalt auf einigen öffentlichen Plätzen zu erlauben156. Es stelle einen Verstoß gegen das Recht zu Reisen dar, wenn aufgrund eines generellen Verbots im öffentlichen Raum zu Lagern, Obdachlosen keine Möglichkeit bliebe, sich in einer bestimmten Stadt aufzuhalten157. Dahingegen stellte der Supreme Court fest, dass aus dem Recht zu Reisen keine Pflicht entnommen werden könne, obdachlosen Personen öffentliches Eigentum zum Nächtigen und Lagern zur Verfügung zu stellen158. Dem Recht zu Reisen steht im deutschen Verfassungsrecht als vergleichbares Grundrecht das Recht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG gegenüber159. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Freizügigkeit, als das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Wohnsitz und Aufenthalt zu nehmen, definiert160. Das Recht, an einem Ort Aufenthalt nehmen zu dürfen, umfasst aber nur das Ob des Aufenthalts an einem bestimmten Ort. Das Wie des Aufenthalts, also ob sich eine Person an einem Ort liegend und schlafend aufhalten darf, ist nicht umfasst. Die Art und Weise des Aufenthalts bestimmt nicht dessen grundsätzliche Möglichkeit; sie kann die Freizügigkeit weder negativ noch positiv beeinflussen. Die Eröffnung des Schutzbereiches der Freizügigkeit entfällt nicht, weil der Aufenthalt in einer bestimmten Art und Weise erfolgt, die betreffende Person beispielsweise ein Mitglied der Drogenszene ist oder als „Vagabund“ beziehungsweise Landstreicher unterwegs ist161. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Schutzbereich der Freizügigkeit nicht die Art und Weise des Aufenthalts umfasst. Teilweise wird diese Einschränkung erst auf der Eingriffsebene vorgenommen. Staatliche Maßnahmen sollen nur dann ___________ 155

s. oben B. VI. 3. d). Pottinger v. City of Miami, 810 F. Supp. 1551/1578 ff. (S.D. Fla. 1992). 157 Ähnliche Vorschriften bestehen in New York mit New York Administrative Code § 16-122 und §§ 1-04 Parks Department Regulations. 158 Tobe v. City of Santa Ana, 892 P.2d 1145/1165 (Cal. 1995). 159 s. dazu ausführlich unter C. VI. 3. c) bb), außerdem C. VI. 4. b). 160 BVerfGE 2, 226/ 273; 43, 203/211. 161 s. zur Diskussion oben C. VI. 3. b) bb). 156

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG darstellen, wenn sie die Fortbewegung zum Aufenthalt, nicht aber, wenn sie sonst die Fortbewegung regeln162. Fraglich ist, ob das Nächtigen im öffentlichen Raum vom Schutzbereich des Art. 11 GG erfasst wäre, wenn der Betreffende sich mangels Schlafmöglichkeit gar nicht innerhalb eines bestimmten Ortsgebietes aufhalten kann, wie es von der US-amerikanischen Rechtsprechung angenommen wird. Durch das Verbot, im öffentlichen Raum zu schlafen, ist es den Betroffenen aber nicht grundsätzlich verwehrt, sich innerhalb der entsprechenden Ortschaften einen Schlafplatz zu suchen, solange dieser nicht im öffentlichen Raum liegt. Dass dafür unter Umständen die finanziellen Mittel fehlen, führt noch nicht dazu, dass das grundsätzliche Recht Aufenthalt zu nehmen, durch das Verbot des Nächtigens im öffentlichen Raum betroffen wäre163. Dass das Grundrecht auf Freizügigkeit nicht zur Schaffung von Wohnraum durch den Staat verpflichtet, lässt sich auch aus dem Sozialvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG ersehen. Dieser rechtfertigt Grundrechtseingriffe in Fällen, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden. Bezüglich der Bestimmung der ausreichenden Lebensgrundlage soll es vor allem darauf ankommen, ob der Einzelne in der Lage ist, sich im entsprechenden Gebiet Unterkunft zu verschaffen164. Demzufolge betrifft die fehlende Möglichkeit, sich einen Schlafplatz außerhalb des öffentlichen Raums zu beschaffen, selbst nicht das Recht auf Aufenthalt. Sie ist vielmehr Rechtfertigung für staatliche Eingriffe in dieses Recht. Das Problem des Nächtigens im öffentlichen Raum wird im deutschen Recht daher auch eher im Rahmen des ebenfalls grundrechtlich geschützten Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen und Plätzen diskutiert, der das Nächtigen nicht mehr umfasst165. Der Schutz des Art. 11 Abs. 1 GG umfasst nur den Zug von Ort zu Ort, nicht aber die Wahl der Route. Dementsprechend ist der Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen ohnehin nicht vom Recht auf Freizügig-

___________ 162

Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 801; s. dazu oben C. VI. 3. b) bb); zur Abgrenzung zur Fortbewegungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG siehe oben C. VI. 3. b) cc). 163 Vgl. auch Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 20: „[…] gibt Art. 11 GG keinen Anspruch auf Bereitstellung von Wohnraum und Sachleistung dort, wo eine Grundrechtsträger seinen Wohnsitz zu nehmen wünscht.“; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 19: Aufgrund der geforderten Finalität der Eingriffsmaßnahmen fehle dem Grundrecht die Leistungsdimension, so dass es keinen Anspruch auf Unterbringung an einem bestimmten Ort gewähre. Ebenso Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 49. 164 Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 56; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rn. 22; Pernice in: Dreier, GG, Art. 11 Rn. 23. 165 s. dazu oben C. VI. 5. b) bb) (3).

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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keit, sondern allenfalls vom Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG erfasst166. Das Verbot des Nächtigens im öffentlichen Raum stellt demnach keinen Eingriff in die Freizügigkeit dar. Ihm kommt kein der amerikanischen Rechtsprechung zum Recht auf Reisen vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz zu.

2. Ergebnis und Schlussfolgerung zur Übertragbarkeit der „Zero Tolerance“-Strategie und der „Broken Windows“-Theorie Obwohl sich die Vertreter aus Politik und Polizeibehörden zur Rechtfertigung von Polizeistrategien zur Herstellung der öffentlichen Ordnung in deutschen Innenstädten häufig und gern auf die New Yorker „Zero Tolerance“Strategie berufen, ist festzustellen, dass sich beide bezüglich der angewandten Maßnahmen stark unterscheiden. Während in New York „stop and frisk“ und auch Ingewahrsamnahmen von zentraler Bedeutung sind und auch in der Rechtswissenschaft bezüglich ihrer Zulässigkeit geprüft werden, werden in Deutschland vorrangig Aufenthaltsverbote und der Verbringungsgewahrsam diskutiert. Diese Maßnahmen werden in der amerikanischen Rechtswissenschaft nicht erwähnt und finden auch nicht in erwähnenswertem Maße statt. Das US-amerikanische Polizeirecht unterscheidet sich vom deutschen im Wesentlichen dadurch, dass es aufgrund des fehlenden Gesetzesvorbehalts grundsätzlich keine Ermächtigungsgrundlagen für das Handeln der Polizei gibt und diese auch nicht erforderlich sind. Die Grenzen polizeilichen Handelns bestimmen sich nach der Verfassung, insbesondere nach dem 4. Zusatzartikel, und der dazu ergangenen Rechtsprechung. Dieser setzt für die Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit ähnliche Grenzen, wie sie sich aus deutschen Polizeigesetzen und dem Verfassungsrecht ergeben. Die deutschen Ermächtigungsgrundlagen der Polizei- und Ordnungsgesetze erfordern jedoch das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beziehungsweise das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird. Diese Voraussetzung ist oft nicht erfüllt, wenn es um das Einschreiten gegen als störend angesehene Verhaltensweisen von Mitgliedern sozialer Randgruppen geht; insbesondere weil einige der Verhaltensweisen, gegen die vorgegangen wird, nach deutschem Recht weder Straftat- noch Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllen. Im New Yorker beziehungsweise US-amerikanischen Polizeirecht besteht eine vergleichbare Voraussetzung nur für Maßnahmen, die unter den 4. Zusatzartikel ___________ 166

Gusy in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 11 Rn. 32.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

fallen. Die Anforderungen des hinreichenden Verdachts („probable cause“) bleiben jedoch selbst hinter dem subjektiven Gefahrbegriff des deutschen Polizeirechts zurück. Sie sind bei den entsprechenden Verhaltensweisen außerdem oft erfüllt, weil diese Straftatbestände des New Yorker Rechts erfüllen. Daher ist ein Vorgehen gegen den Konsum von Alkohol und das Lagern und Nächtigen im öffentlichen Raum nach New Yorker Polizeirecht durchaus zulässig, während die Voraussetzungen des deutschen Polizeirechts nur für das Liegen und Nächtigen, die eine Sondernutzung darstellen, erfüllt sind. Das Betteln ist auch nach New Yorker Recht nicht strafbar, weil die entsprechende Vorschrift wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit für nichtig erklärt wurde. Der Konsum illegaler Drogen ist zwar in beiden Rechtssystemen strafbar. Da die Anforderungen an das Vorliegen einer Gefahr beziehungsweise entsprechender Anhaltspunkte im deutschen Recht und die Störereigenschaft des Betroffenen jedoch strenger sind als die Anforderungen an den hinreichenden Verdacht nach dem 4. Zusatzartikel, bestehen auch bei Maßnahmen gegenüber der Drogenszene im deutschen Recht erhöhte Zulässigkeitsvoraussetzungen. Der polizeirechtliche Gefahrentatbestand setzt die entscheidende rechtliche Grenze gegenüber Polizeistrategien, die sich an der „Broken Windows“Theorie167 ausrichten. Die Gefahr muss durch die Verhaltensweisen der Adressaten der Maßnahme unmittelbar verursacht werden168. Daher genügt es nicht, dass als entfernte Folge der Verhaltensweisen eventuell Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen. Ein polizeiliches Einschreiten ist erst bei Überschreiten der Gefahrenschwelle zulässig. Die in der „Broken Windows“-Theorie beschriebenen Zusammenhänge und sozialen Entwicklungen genügen jedoch nicht, um die dafür notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit zu begründen169. Sowohl die deutschen Polizeistrategien als auch die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie richten sich im Wesentlichen auf den Bereich der öffentlichen Ordnung beziehungsweise „Order Maintenance“. Dieser Begriff ist in der deutschen und der amerikanischen Rechtswissenschaft wegen der problematischen rechtlichen Konkretisierbarkeit stark umstritten. Weitreichende rechtliche Auswirkungen hat die Bestimmbarkeit des Begriffes aber nur im deutschen Polizeirecht. Hier genügen die Ermächtigungsgrundlagen wegen der Unbestimmtheit nach einer weit verbreiteten Ansicht nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz. Sie können daher auch keine tauglichen gesetzlichen Grundlagen im Sinne des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes bilden.

___________ 167

s. oben A. I. 1. s. oben C. VI. 2. c). 169 s. oben C. VI. 2. g). 168

I. Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht

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Der Rückgriff auf den Begriff der öffentlichen Ordnung ist aber auch neben diesen verfassungsrechtlichen Bedenken problematisch. Die „Zero Tolerance“Strategie in New York konzentriert sich zwar auf das Einschreiten gegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung. Diese sind aber wie gezeigt teilweise als Straftatbestände geregelt, sodass das Vorgehen nicht hauptsächlich auf außerrechtliche Normen gestützt werden muss. Im deutschen Polizeirecht ist hingegen der Begriff der öffentlichen Ordnung bisher als sekundärer Auffangtatbestand gegenüber der öffentlichen Sicherheit angesehen worden170. Dieses Verhältnis würde durch die Einführung einer Polizeistrategie im Sinne von „Zero Tolerance“ und auch der „Broken Windows“-Theorie umgekehrt171. Die neue Schwerpunktlegung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung ergibt sich notwendig aus dem verstärkten Vorgehen gegen sozial unangepasstes Verhalten sozialer Randgruppen. Gerade in Bezug auf diese ist eine Aktivierung des Begriffs aber abzulehnen. „Zero Tolerance“ steht vor allem für ein Einschreiten der Polizei ohne Ausübung des Ermessens im Einzelfall172. Der Polizei steht zwar auch im USamerikanischen Recht ein Ermessensspielraum zu. Dessen Ausübung ist jedoch nicht an bestimmte dogmatische Vorgaben gebunden. Daher wird die Reduzierung des Ermessens durch die einer Verwaltungsvorschrift gleichkommende „Police Strategy No. 5“ auch nicht rechtlich diskutiert. Auch die Tatsache, dass das Bestehen eines Ermessensspielraums zunächst im US-amerikanischen Polizeirecht nicht anerkannt war, mithin von einer grundsätzlichen Pflicht zum Einschreiten ausgegangen wurde, spricht dafür, dass eine Ermessensreduzierung durch die Polizeistrategie zulässig ist. Im deutschen Polizeirecht besteht ebenfalls grundsätzlich ein Ermessensspielraum bezüglich des Ob des Einschreitens. Dieser muss auch ausgeübt werden, sonst ist die Entscheidung wegen Ermessensausfalls rechtswidrig, es sei denn das Ermessen ist auf Null reduziert173. Daher wird die Realisierbarkeit der „Zero Tolerance“-Strategie im deutschen Recht abgelehnt174. Diese Ansicht verkennt aber die tatsächliche Umsetzung der „Zero Tolerance“-Strategie. Das Ermessen der Polizisten ist im Einzelfall nicht auch Null reduziert. Vielmehr gibt die „Police Strategy No. 5“ ermessensleitende Vorgaben, nach denen vor allem die Eingriffschwelle abgesenkt und der Schwerpunkt der polizeilichen ___________ 170

s. oben C. VI. 2. e) bb). Vgl. dazu auch Volkmann, NVwZ 1999, 225/228. 172 s. oben A. I. 2. 173 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 21 u. 24; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 70 u. 71; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 36 f. 174 Schmitz, Straßen- und polizeirechtliches Vorgehen gegen Randgruppen, 161. 171

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

Tätigkeit festgelegt wird175. Entsprechende Vorgaben zur Ausübung des Ermessens sind auch nach deutschem Recht zulässig176 und im Rahmen der Polizeistrategien ergangen177. Die Absenkung der Eingriffschwelle polizeilichen Handelns ist denn auch weniger ein Problem der Ermessensausübung als des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Bei der Ermessensentscheidung können nur verfassungsmäßige und damit auch verhältnismäßige Maßnahmen berücksichtigt werden178. Dieser Grundsatz gilt sowohl im US-amerikanischen als auch im deutschen Recht. Dass einige der maßgeblichen Verhaltensweisen nach dem New Yorker Recht strafbar sind, dürfte für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sprechen. Nach deutschem Recht sind diese Verhaltensweisen jedoch größtenteils weder strafbar noch ordnungswidrig. Daher dürfte ein Einschreiten auch unverhältnismäßig sein.

II. Kritik an der „Broken Windows“-Theorie und der New Yorker „Quality of Life“-Initiative Kurze Zeit nachdem Giuliani und Bratton die „Zero Tolerance“-Strategie in New York einführten, fielen die Kriminalitätszahlen ab. Seit 1993 sank die Anzahl der Morde um fast 40, die Anzahl der Raubtaten um 30 und die der Diebstähle um 35 Prozent179. In der Öffentlichkeit und teilweise auch Wissenschaft wurde die New Yorker „Quality of Life“-Initiative als Ursache für diese Entwicklung gesehen180. Die Regierung der Stadt sah die Entwicklung als Beweis für die Wirksamkeit ihrer neuen Strategie und ihr Erfolg fand öffentliche Anerkennung181. Die New Yorker Polizeistrategie stieß in der Presse auf eine ___________ 175

s. oben B. IV. 1. Im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung haben sie außerdem faktische Außenwirkung gegenüber dem Bürger. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 56. Zu den unterschiedlichen Begründungen, vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 20 ff. 177 Vgl. C. IV.; Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums v. 24.7.1998 (Nds. MBl. Nr. 39/1998) 1268/1269. 178 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 3. 179 Kahan, Virginia Law Review 1997, 349/367. 180 Kahan, Virginia Law Review 1997, 349/369 ff.; vgl. Eck/Maguire in: Blumstein/Wallmann (Hrsg.), The Crime Drop in America, 207/225 m.w.N. 181 Bratton, The New York Times, 19. August 1997, A27; Giuliani, The Next Phase of Quality of Life: Creating a More Civil City, Archives of Rudolph Giuliani, 24.2.1998 1 f. [11. Juli 2003]; Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292; Joanes, Columbia Journal of Law and Social Problems 2000, 265/266. 176

II. Kritik an der „Broken Windows“-Theorie

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überwältigend positive Reaktion. So wurde der „Broken Windows“-Aufsatz182 als die „Bibel der Polizeiarbeit“183 bezeichnet, „Order Maintenance Policing“ gar als der „Heilige Gral“184 der Neunziger. In der Wissenschaft ist die „Broken Windows“-Theorie jedoch umstritten. Auch bezüglich der Wirksamkeit der New Yorker „Quality of Life“-Initiative bestehen erhebliche Bedenken.

1. Andere Ursachen für das Absinken der Kriminalität in New York In der amerikanischen185 und deutschen186 Wissenschaft wird bezweifelt, dass die Änderungen in der Polizeipraxis die wesentliche Ursache für den Kriminalitätsrückgang waren. In der Diskussion werden eine Reihe anderer Ursachen genannt187. Daneben bestehen erhebliche Zweifel an den empirischen Beweisen für die „Broken Windows“-Theorie188. Einige Maßnahmen innerhalb der „Quality of Life“-Strategie in New York werden aber durchaus als Ursache für den Rückgang von Gewalt und vor allem auch der Angst in der Bevölkerung gesehen. Zu diesen Maßnahmen gehört die Erhöhung der Polizeistärke189, das neue Computer gestützte System zur Aufklärung von Straftaten und die Zerschlagung einiger größerer Banden von Drogenhändlern190. Durch die New Yorker Strategie wurde auch das illegale Tragen einer Waffe immer gefährlicher, weil aufgrund der hohen Zahl an „stop and frisks“ die Gefahr der Aufdeckung immens anstieg. Darauf wird der starke Rückgang von mit Schusswaffen verübten Morden zurückgeführt191. Außerdem wurde durch die erhöhte polizeiliche Kontrolle in den Straßen New Yorks die Macht der Straßenbanden eingeengt, von denen ein Großteil der Gewaltstraftaten ausging192. ___________ 182 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29-39; Übersetzung dieses Aufsatzes: Wilson/Kelling, Kriminologisches Journal 1996, 121-137. 183 Cullen, Boston Globe, 25. Mai 1997, 12. 184 Jones, L.A. Times, 10.08.1997, B1. 185 Vgl. zusammenfassend: Maxfield/Babbie, Research Methods for Criminal Justice and Criminology, 64 f. 186 Vgl. zusammenfassend: Binninger/Dreher in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 16/36 ff.; Hecker, KJ 1997, 395/401 f., Hess, KJ 1999, 32/51 ff.; Volkmann, NVwZ 1999, 225/227. 187 s. dazu oben C. VI. 2. g). 188 s. dazu oben C. VI. 2. g). 189 Sherman in: Sherman u.a., What Works, What Doesn’t, What’s Promising. A Report to the United States Congress, 8-1. 190 Harcourt, Illusion of Order, 91 ff. 191 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/414. 192 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/414.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

2. Erfolge der „Quality of Life“-Initiative nicht aufgrund der Ursachenzusammenhänge der „Broken Windows“-Theorie Neben den empirischen Grundlagen der „Broken Windows“-Theorie wird bezweifelt, dass diese eine Erklärung für einen eventuellen Zusammenhang zwischen der „Quality of Life“-Initiative und dem Absinken der Kriminalität in New York bieten kann. Auch wenn anerkannt würde, dass die „Broken Windows“-Theorie eine Grundlage der New Yorker Strategie sei, so sei doch zu verneinen, dass sie die Ursache für den Rückgang der Kriminalität sei. Diese liege vielmehr in der „Macht der Überwachung“, die durch „stop and frisks“ und aggressive Verhaftungen erreicht worden wäre193. Giuliani selbst verkennt, dass die „Broken Windows“-Theorie auf die Verfolgung kleiner Straftaten zur Vermeidung schwerer Kriminalität abstellt. Er belegt die Wirksamkeit der „Broken Windows“-Theorie mit einem Beispiel, in dem eine den Polizisten verdächtig vorkommende Person wegen des falschen Überquerens der Straße festgenommen wurde. Auf dem Polizeirevier stellte sich heraus, dass die Person bereits wegen einer Anzahl von Raubtaten gesucht wurde. Giuliani stellt fest, dass „diese gefährliche Person eventuell nie von der Straße geholt worden wäre, wenn sie nicht wegen eines kleineren Vergehens festgenommen worden wäre“194. Diese Aussage beachtet nicht, dass das nur ein Nebeneffekt, nicht aber der von der „Broken Windows“-Theorie angestrebte Wirkmechanismus ist.

3. Rechtspolitische Diskussion Die „Order Maintenance“-Politik ist neben der auch populären Strategie einer verstärkten Zunahme von Verhaftungen und Gefängnisstrafen zu sehen, die zu einem starken Anstieg Gefangener führte195. Die hohe Zahl von Gefängnisstrafen hat zu vermehrter Kritik in der amerikanischen Wissenschaft geführt196. Daher wurde besonders unter liberalen und fortschrittlichen Politikern und Wissenschaftlern der neue „Order Maintenance“-Ansatz als die einzig machba-

___________ 193 Harcourt, Illusion of Order, 11, 101; Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/349 ff.; vgl. Kelling/ Coles, Fixing Broken Windows: Restoring Order and Reducing Crime in Our Communities, 137, 243 ff.; Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1253/1282. 194 Giuliani, The Next Phase of Quality of Life: Creating a More Civil City, Archives of Rudolph Giuliani, 24.2.1998 2 [11. Juli 2003]. 195 Harcourt, Illusion of Order, 4; Harcourt, Boston Review 2002, 1. 196 Vgl. Harcourt, Illusion of Order, 4 m.w.N.

II. Kritik an der „Broken Windows“-Theorie

337

re Alternative zu den massiven Gefängnisstrafen gesehen197. Das ist der Grund dafür, dass „Order Maintenance“-Politik als progressiv angesehen wird. Dabei werden in der Betrachtung aber oft die drastischen Maßnahmen gegenüber „unordentlichem Verhalten“ (disorderly conduct) und die bedingungslose Durchsetzung von Gesetzen gegen minderschwere Ordnungsverstöße vergessen. Der Erfolg dieser Politik liegt unter anderem auch wieder an einem starken Anstieg von Verhaftungen und Gefängnisstrafen198. Ein weiterer Grund für den Erfolg der „Broken Windows“-Theorie wird in der Rhetorik der grundlegenden Schriften gesehen. Die Personen, um die es geht, werden als unordentlich beschrieben, als abnormal und als solche, die kontrolliert werden müssten. Früher wären die entsprechenden Personen als „Verlierer“ der Gesellschaft gesehen worden, die zwar für viele ein Ärgernis darstellten, aber nicht als bedrohlich oder gar gefährlich angesehen wurden. Dasselbe galt für das Betteln und Herumlungern. Heute würden diese Personen in den Schriften zur „Broken Windows“-Theorie und „Order Maintenance Policing“ dagegen als Verursacher von Kriminalität und Verwahrlosung von Stadtgebieten gesehen. Das Betteln und Herumlungern würde als Ursache schwerer Kriminalität dargestellt. Als Ergebnis dieser Darstellungen sei Unordnung ein Schaden, der strafrechtliche Sanktionen rechtfertige199. In dieser Rhetorik kommt auch ein weiterer problematischer Punkt zutage, nämlich die Vorstellung, die als Grundlage der „Broken Windows“-Theorie über „disorderly“, also gegen die Ordnung verstoßende Personen, vorliegt. Auch in den wissenschaftlichen Schriften werden diese Personen oft nach Äußerlichkeiten beschrieben. Es geht um die „zwielichtigen, randalierenden oder unberechenbaren Menschen“200, um die „ungebundenen Männer, die Obdachlosen und die Ziellosen, die in vernagelten Gebäuden, schäbigen Wohnhäusern und Absteigen leben“201. Es wird davon ausgegangen, dass man die „disorderly“ erkennt, wenn man sie sieht. Weil eine Definition für „Unordnung“ fehle, handele es sich bei den polizeilichen Maßnahmen dagegen um „rein kosmetische Veränderungen“202 beziehungsweise die Durchsetzung „ästhetischer Präferenzen“ 203. ___________ 197 Kahan/Meares, Law and Society Review (32) 1998, 805/806. (Kahan und Meares sind Vertreter der „New Chicago School“ die eine „social norm“-Theorie vertreten und sich dabei auch auf die „Broken Windows“-Theorie stützen.); vgl. auch Kahan, Virginia Law Review 1997, 349/369. 198 Harcourt, Illusion of Order 5; ders., Boston Review 2002, 2. 199 Harcourt, Illusion of Order, 20 f. 200 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/30. 201 Skogan, Disorder and Decline: Final Report to the National Institute of Justice, 86. 202 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/21 f.: So habe die Giuliani-Regierung den Slogan

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

Eine Folge dieser Definition von Ordnung durch die Mehrheit ist, dass unter „Order Maintenance“-Politik fallende Maßnahmen oft in gegenüber Bevölkerungsminderheiten diskriminierender Weise ausgeübt werden204. Die „Quality of Life“-Initiative in New York richtete sich vor allem gegen Vergehen, die vorwiegend von den Armen der Gesellschaft begangen werden, die zum großen Teil den Bevölkerungsminderheiten angehören205. Es ging um die Repression gegenüber sozialen Randgruppen206. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an der „Order Maintenance“-Politik sind die resultierenden Erscheinungen von besonders schwerem Fehlverhalten der Polizei, wie im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie207. Außerdem führt die Unklarheit über den Begriff „Unordnung“ zu einem weiten Ermessensspielraum der einzelnen Polizisten. Das habe zur Folge, dass diese ermächtigt würden, gegen Außenseiter der Gesellschaft vorzugehen208. Voraussetzung für die Polizeistrategien, die sich auf die Bekämpfung kleinerer Vergehen konzentrieren, sei daher ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Polizisten beziehungsweise die gesellschaftliche Kontrolle derselben209. Die Geschichte habe aber bewiesen, dass ein weiter Ermessensspielraum zur Verletzung von Rechten der Bürger und zur Benachteiligung von Minderheiten führe210. Außerdem würde eine verstärkte Verfolgung von armen Minderheiten nur wieder dazu führen, dass diese auch weiter am Rand der Gesellschaft blieben, weil ihre Mitglieder durch die Kriminalisierung daran gehindert wären, in der Gesellschaft aufzusteigen211. Schließlich wird von Kritikern auf die negativen Langzeitwirkungen von Polizeistrategien nach dem „Broken Windows“-Konzept hingewiesen. Auch wenn man annimmt, dass diese Strategie einen positiven Effekt bezüglich der aktuellen Kriminalitätszahlen hat, werde dieser durch die späteren Folgen aufgehoben. So haben Studien ergeben, dass die Rückfallrate bei Jugendlichen ___________ „Sauberer, Sicherer, Heller“ unter anderem genutzt, um Obdachlose von der Straße zu vertreiben und das Ansehen von Bettlern in der U-Bahn durch herabsetzende Schilder zu mindern. Die Schilder in der New Yorker U-Bahn beschrieben die Gedanken eines Passagiers, der sich von einem Bettler, der in seinen Wagen steigt, gestört fühlt. 203 Harcourt, Boston Review 2002, 10. 204 s. dazu oben B. V. 1. b). 205 Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/384. 206 Erzen in: McArdle/Erzen (Hrsg.), Zero Tolerance. Quality of Life and the New Police Brutality in New York City, 19/27 f. 207 s. dazu oben B. V. 1. c). 208 Livingston, Columbia Law Review 1997, 551/593. 209 Harcourt, Michigan Law Review 1998, 292/383; Livingston, Columbia Law Review 1997, 551/588; Waldeck, Georgia Law Review 2000, 1253/1257. 210 Stewart, Yale Law Journal 1998, 2249/2251. 211 Stewart, Yale Law Journal 1998, 2249/2254 ff.

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

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und auch anderen Kriminellen steigt, wenn sie verhaftet wurden212. Überhaupt müsse man bei Strafverfahren wegen kleinerer Delikte immer beachten, dass diese durch den negativen Effekt auf die Zukunft und auch Psyche des Verhafteten, die Kriminalität eher erhöhen als verringern könnten213. In der Tat baut die „Broken Windows“-Theorie auf eine Ausgrenzung von Minderheiten zugunsten einer verbesserten „Lebensqualität“ der Mehrheit. Wilson und Kelling fordern in ihrem Aufsatz ausdrücklich, dass Eingriffe in die bürgerlichen Rechte unerwünschter Personengruppen zu tolerieren seien, auch wenn diese im Einzelfall ungerecht seien. Auch sei es durchaus unfair, der Polizei die Möglichkeit zu geben, gegen unliebsame Personen vorzugehen. Dies sei jedoch notwendig, um dem Wunsch der Mehrheit der Bürger auf Erhaltung der Ordnung nachzukommen214. Diese Ansicht geht also davon aus, dass einer Minderheit ein Teil der bürgerlichen Recht abgesprochen werden kann, weil dies dem Bedürfnis der Mehrheit nach Ordnung entspricht. Das Bedürfnis nach Ordnung ist jedoch so ungenau definiert, dass eine tatsächliche Mehrheitsmeinung darüber nicht zu finden ist und sich größtenteils an bloßen Äußerlichkeiten orientieren muss. Daher ist auch die Einschränkung von Rechten der Minderheiten zu Gunsten dieser Ordnung abzulehnen.

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft Die uneingeschränkte Umsetzung einer dem New Yorker „Zero Tolerance“Modell entsprechenden Strategie findet ihre Grenzen in den verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Vorgaben, die das Polizei- und Ordnungsrecht mit dem Gefahrentatbestand setzt215. Dieser Umstand wurde auch in der rechtspolitischen Diskussion erkannt und führte zu teilweise erschreckend klaren Absagen an das deutsche Rechtssystem. Anlässlich eines Kongresses der Gewerkschaft der Polizei in Berlin zu dem William Bratton eingeladen war, um über seine Erfolge in New York zu sprechen, äußerte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei scharfe Kritik sowohl am Polizeirecht als auch an den grundrechtlichen Gewährleistungen der Verfassung: „Deutsche Polizeigesetze behindern die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Immer muss erst die be___________ 212 Sherman in: Sherman u.a., What Works, What Doesn’t, What’s Promising. A Report to the United States Congress, 8-25 f. 213 Heymann, Fordham Urban Law Journal 2000, 407/418. 214 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29/35. So sei zwar die Verhaftung eines einzelnen Betrunkenen oder Landstreichers eventuell ungerecht. Aber nichts gegen zwanzig oder hundert Landstreicher zu unternehmen, könne eine ganze Gemeinschaft zerstören. 215 s. oben D. I. 2.; so auch Dolderer, NVwZ 2001, 130/134; Volkmann, NVwZ 1999, 225/228 f.

340

D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

rühmte unmittelbare Gefahr bevorstehen oder eingetreten sein, bevor die Polizei tätig werden kann. […] Die so genannten ‚Freiheitsrechte‘ der Bürger werden höher bewertet, als der Schutz vor Kriminalität. Individualrechte einzelner und soziale Bedürfnisse kleiner Gruppen finden mehr Beachtung, als die Sorgen und Nöte der Mehrheit der Bevölkerung“216. Die so genannten Sorgen und Nöte der Bevölkerung, zu deren Schutz eine so rigorose Änderung des Rechts verlangt werden, lassen sich jedoch allein an so unbestimmten Begriffen wie dem Sicherheitsgefühl der Bürger festmachen, dem aufgrund der nicht unumstrittenen und in rechtlichen Verursachungszusammenhängen kaum noch fassbaren „Broken Windows“-Theorie eine zentrale Bedeutung zukommen soll. Die Kritik am deutschen Rechtssystem missachtet außerdem, dass auch das US-amerikanische Recht den polizeilichen Maßnahmen verfassungsrechtliche Grenzen setzt, die dem deutschen Recht vergleichbar, wenn nicht sogar strenger sind217. Der Grund für die hohe Wirksamkeit der Polizeitätigkeit unter Bratton liegt daher auch eher in der Überschreitung dieser Grenzen durch die New Yorker Polizei218. Eine im Umfang zwar geringere, sonst aber vergleichbar problematische Abweichung besteht zwischen deutschem Recht und der tatsächlichen Polizeipraxis219. Der Umsetzbarkeit der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie stehen neben den rechtlichen auch beträchtliche gesellschaftliche Unterschiede entgegen220. Die Situation, die Bratton in New York vorfand, war in keiner Weise

___________ 216

Schöneberg, Landesbezirksvorsitzender der GdP, in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 3. Eine ähnliche Anmerkung findet sich auch bei Wohlfahrt, BayVBl. 1997, 420/423: Unter dem schon tendenziösen Titel: „Die Inbesitznahme der Straße durch Randgruppen“ stellt er fest, dass die Inanspruchnahme durch öffentliche Randgruppen mit dem Gemeingebrauch der Passanten kollidiere. Diese Menschen hätten einen Anspruch auf ungehinderte Fortbewegung und konfliktfreie Kommunikation. Dass den Mitglieder sozialer Randgruppen ein ebensolcher Anspruch zukommt, wird aber nicht erwähnt. 217 s. oben D. I. 1. Insoweit auch nicht einleuchtend Hecker, KJ 1997, 395/403, der feststellt, dass die New Yorker Polizei sich ihr eigenes Rechtssystem geschaffen habe und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer Kraft gesetzt worden sei. Dabei gibt er aber weder an, welche Normen ein Handeln der New Yorker Polizei gerechtfertigt haben, noch geht er darauf ein, dass auch nach US-amerikanischem Recht ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig ist. 218 s. dazu oben B. V. 1. b), c). 219 s. dazu oben C. V. 220 s. dazu der Berliner stellvertretende Polizeipräsident Schenk, Spiegel 40.1997, 48 ff. und der Polizeipräsident von Berlin Saberschinsky in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 22 f.; Behr in: in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 148/159; Schwind, Kriminologie, § 15 Rn. 35.

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

341

mit der deutscher Städte vergleichbar221. 1990, also vor Brattons Amtsantritt und auf dem Höhepunkt der Kriminalität, wurden in New York 2.245 Morde und 100.000 Raubüberfälle begangen. Auch nachdem die Kriminalität in New York drastisch gesunken ist, liegen die Zahlen in Bereichen, die deutsche Städte, auch wenn man die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen beachtet, längst nicht erreichen. Beispielsweise ereignen sich in New York immer noch ca. 1.000 Morde und 50.000 Raubüberfälle im Jahr, während es in Stuttgart lediglich 49 Morde und 700 Raubüberfälle222 und in Berlin 98 Morde und 9.908 Raubüberfälle sind223. In der angespannten Kriminalitätssituation in New York wird auch der Grund für die zunächst gegebene Akzeptanz der dortigen Bevölkerung gegenüber der „Zero Tolerance“-Strategie gesehen224. Dahingehend ergeben Kriminalitätszahlen in deutschen Städten ein „ernüchternd undramatisches“ Bild225, das gegen die grundsätzliche Übertragbarkeit New Yorker Verhältnisse auf die Situation in Deutschland spricht. Gegen eine mangelnde Übertragbarkeit aufgrund der unterschiedlichen objektiven Sicherheitslage wird wiederum von Vertretern der Polizei eingewandt, dass das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ausschlaggebend sei. Die in Deutschland niedrigeren Kriminalitätszahlen nützten nichts, wenn die Bevölkerung sich genauso unsicher wie in New York fühle. Daher sei die New Yorker Strategie insoweit übertragbar, als es um eine Senkung der Kriminalität in vergleichbaren Raten ginge226. Entsprechend wird trotz der rechtlichen Grenzen im deutschen Recht und der sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Ausgangslage vertreten, dass die New Yorker Polizeistrategie und die ihr zugrunde liegende „Broken Windows“-Theorie der richtige Ansatz seien. Sie würden der

___________ 221

So auch Interview mit dem Justiziar für Rechtsangelegenheiten des Vollzugsdienstes beim Stab des Polizeipräsidenten in Berlin; vgl. Hess, KJ 1999, 32/48; Behr Ortner/Pilgram (Hrsg.), Die Null-Lösung. New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik – das Ende der urbanen Toleranz?, 177 f. 222 Schuster in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 164; 1996 gab es in New York sechsmal so viele Morde und mehr als fünfmal so viele Raubüberfälle je 100.000 Einwohner als in Stuttgart: Hetger, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 176/177 f. 223 Saberschinsky in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 22/23. 224 Vgl. Saberschinsky in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 22/23.; Schwind, Kriminologie, § 15 Rn. 35. 225 Ortner/Pilgram in: Ortner/Pilgram (Hrsg.), Die Null-Lösung. New Yorker „ZeroTolerance“-Politik – das Ende der urbanen Toleranz?, 7/11. 226 Saberschinsky in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 22/23.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

Bevölkerung das Gefühl vermitteln, dass Gewalt sich nicht auszahlt und das System noch funktioniere227. Entsprechend dem in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückten Sicherheitsgefühl der Bürger bleibt das Ziel der geänderten Sicherheitspolitik diffus. Volkmann228 spricht von einem Verlust der „Allmende“, den es zu bekämpfen gelte. Diese beschreibt er einerseits als Bereich, auf dessen Nutzung jeder Anspruch hat, womit der öffentliche Raum rechtlich fassbar definiert ist. Andererseits soll es sich aber auch um ein „symbolisches Gebilde“ handeln, „einen Raum, in dem eine bestimmte Einstellung zu Recht und Ordnung herrscht und man sich darauf verlässt, dass diese Einstellung von anderen geteilt wird.“ Diese Beschreibung enthält ebenso wie der Begriff der öffentlichen Ordnung Voraussetzungen, die einer dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entsprechenden rechtlichen Auslegung nicht zugänglich sind, indem er sich auf Anschauungen in der Gesellschaft stützt, die einerseits kaum ermittelbar sind, andererseits einem stetigen Wandel der Zeit unterliegen229. Ebenso schwer zu definieren ist das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, bei dem es sich schon begrifflich um eine rein subjektive Größe handelt.

1. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als Zweck staatlichen Handelns gegen die öffentliche Unordnung Mit den neuen Polizeistrategien zur inneren Sicherheit in den Städten wurde insbesondere das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als Schutzziel staatlicher Maßnahmen in den Mittelpunkt gestellt230. In der Rechtswissenschaft ist umstritten, inwieweit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung staatliche Eingriffsmaßnahmen rechtfertigen kann und ob eine Pflicht des Staates zur Herstellung von Sicherheit besteht.

___________ 227

Schwind, Kriminologie, § 15 Rn. 39. Volkmann, NVwZ 2000, 361/362. 229 Zur Problematik des Begriffs der öffentlichen Ordnung s. oben C. VI. 2. e) bb). 230 s. dazu oben B. II. 1.; Götz, NVwZ 1998, 679; Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/153; Dolderer, NVwZ 2001, 130; Volkmann, NVwZ 2000, 361. Die Aufmerksamkeit richtete sich zunächst im Zusammenhang mit der zunehmenden Unordnung in den Innenstädten auf die innere Sicherheit und das Sicherheitsgefühl, bevor seit dem 11. September 2001 die Problematik des Terrorismus hinzukam. Zur Entwicklung im Zusammenhang mit der Angst vor Terroranschlägen Kötter, Der Staat 2004, 371. 228

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

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a) Der Begriff „Sicherheitsgefühl“ Was konkret unter diesem Begriff „Sicherheitsgefühl“ zu verstehen und inwieweit hierin ein rechtlich fassbarer Terminus zu sehen ist, bleibt in der Diskussion um die innere Sicherheit offen. Demzufolge ist zweifelhaft, inwieweit dem Sicherheitsgefühl die Eigenschaft eines durch den Staat zu schützenden Rechtsgutes zukommen kann. Dahingehend ist zunächst nach einer Konkretisierung oder Definition des Begriffs „Sicherheitsgefühl“ zu fragen. In der Literatur finden sich eher vage Definitionen dessen, was durch staatliches Handeln wiederhergestellt werden soll. Es ist beispielsweise die Rede vom „Urvertrauen in die eigene Umgebung, das Sich-Verlassen auf die Welt, der Glaube an die Integrität öffentlicher Räume“, das im „Schwinden begriffen“ sei. An ihre Stelle sei ein „allgemeines Unbehagen, ein Gefühl der Unsicherheit und Angst“ getreten231. Problematisch ist insbesondere, dass das Sicherheitsgefühl eine rein subjektive, innere Größe ist, die nicht allein von objektiven Faktoren abhängt. Anstelle der tatsächlichen Sicherheitslage sind vor allem individuelle Erfahrungen und Informationsverhalten entscheidend232. In einer Erhebung des BKA zum Sicherheitsgefühl wird dieses als ein „Gemenge aus teilweise irrationalen Stimmungen und Ängsten, teils aber durchaus rationaler Erfahrungs- und Informationsverarbeitung“ beschrieben, „das zwar nicht mit der tatsächlichen Sicherheitslage gleichgesetzt werden darf, aber gleichwohl sehr ernst genommen werden muss“233. Entsprechend unbestimmt bleibt dann auch das Problem, das durch staatliches Handeln bekämpft werden soll. Gerade die Konkretisierung des Gutes, zu dessen Gunsten in Rechtsgüter eingegriffen werden soll, ist aber Voraussetzung rechtlicher Steuerung234. Dieser Umstand spiegelt sich im Polizeirecht in der Voraussetzung der Gefahr für ein polizeirechtlich geschütztes Rechtsgut wider. Wie gezeigt verwirklichen die wenigsten der Verhaltensweisen, die mit der Minderung des Sicherheitsgefühls in Zusammenhang gebracht werden, den Tatbestand der Gefahr235. Das Sicherheitsgefühl ist unabhängig von seiner Rechtsguteigenschaft kein polizeiliches Schutzgut. Es handelt sich um eine rein ___________ 231

Volkmann, NVwZ 2000, 361. Dolderer, NVwZ 2001, 130; Gusy, Verwaltungsarchiv 2001, 344/360 f.; Hecker, KJ 1997, 395/408; zum Zusammenhang zwischen Kriminalität und Kriminalitätsangst: Diederichs, CILIP (57) 1997, 18 ff.; Sack in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 21/55 ff.: „[…] die subjektiven Dimensionen der Kriminalität und der Inneren Sicherheit führen eher ein Eigenleben, sind nicht rückgekoppelt an die Bewegung der Kriminalität und folgen offensichtlich eigenen Gesetz- und Regelmäßigkeiten.“; s. auch oben C. VI. 2. f). 233 Dörmann/Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, 1. 234 Volkmann, NVwZ 2000, 361/362; ders. NVwZ 1999, 225/230; vgl. auch Hecker, KJ 1997, 395/408. 235 s. oben C. VI. 2.; Volkmann, NVwZ 2000, 361/362. 232

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

subjektive Größe, die sich nicht an der objektiven Sicherheitslage orientiert und damit dem an einer tatsächlich bestehenden Schädigungswahrscheinlichkeit ausgerichtetem Gefahrbegriff nicht gerecht wird. Außerdem stellt es als so genanntes Kollektivrechtsgut kein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im polizeilichrechtlichen Sinne dar236. Ebenso wenig kann ein so allgemeiner Umstand wie die Angst in der Bevölkerung einer Person als Störer zugerechnet werden237. Um die Zurechnung solcher diffusen Ängste geht es aber im Rahmen der „Broken Windows“-Theorie. Ziel dieser ist nicht die Abwehr konkreter Gefahren oder die tatsächliche Verbesserung der Sicherheitslage, sondern die Bekämpfung von Ängsten238. Entsprechend stellen Wilson und Kelling fest, dass sich das angestrebte Sicherheitsgefühl nicht aus realen Kriminalitätszahlen, sondern aus dem Eindruck des Einzelnen von der Ordnung oder Unordnung seiner Umgebung ergebe239. Eine Loslösung vom Begriff der konkreten Gefahr, die sich an der wissenschaftlich oder empirisch belegbaren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts orientiert, ist demnach nur konsequent. Der Sachverhalt der Störung liegt jenseits äußerlich wahrnehmbarer Faktoren und damit jenseits der bisher für polizeiliches Handeln relevanten Maßstäbe240. Auch im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werden grundsätzlich objektivierbare Rechtsgüter und Interessen bewertet, während es sich bei den Zielen einer bestimmten Ordnung im öffentlichen Raum und daraus resultierenden Sicherheitsgefühls der Bevölkerung um eher symbolische Wirkungen handelt241. Solche Erwägungen waren dem Polizeirecht bisher grundsätzlich fremd242. Die Stärkung des Sicherheitsgefühls ist nicht Teil der eigentlichen Aufgabenstellung der Polizei, sondern allenfalls eine Nebenerscheinung der polizeilichen Aufgabenerfüllung. Deshalb handelt es sich auch um kein zu___________ 236

s. oben C. VI. 2. f). s. oben C. VI. 2. c); Volkmann, NVwZ 2000, 361/362. Entsprechend der von den Autoren der „Broken Windows“-Theorie als Ursache für die Unsicherheit in der Bevölkerung gesehene Unordnung in den Städten, wurden in der BKA Befragung unter anderem auch Faktoren wie die Reaktion auf Betrunkene und „Penner“ (Dörmann/ Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, 34), herumlungernde Personen und aufdringliches Betteln (Dörmann/Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, 35) bewertet. Gefragt wurde danach, ob die Betroffenen diese „lästig“ finden; beunruhigt seien oder richtig Angst hätten. All diese Fragen zielen auf ein Betroffensein weit unter der Gefahrenschwelle. 238 s. dazu oben A. I. 1. 239 Wilson/Kelling, The Atlantic Monthly, März 1982, 29 f. 240 Vgl. auch Volkmann, NVwZ 1999, 225/228. 241 Hecker, KJ 1997, 395/408; Volkmann, NVwZ 1999, 225/231; zur Problematik unbestimmter Zwecke im Rahmen der Abwägung: Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 204 f. 242 Sie wurden allenfalls im Rahmen der Generalprävention angestellt, vgl. dazu BVerwG, DVBl. 1983, 1066/1067: Abschleppen eines falsch geparkten Autos, um die Vorbildwirkung für andere Parker zu unterbinden. 237

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

345

lässiges Entscheidungskriterium im Rahmen polizeilicher Ermessensentscheidungen243.

b) Staatliche Verpflichtung zur Wahrung der Sicherheit? Die Erkenntnis, dass eine „Zero Tolerance“-Strategie nach New Yorker Vorbild nicht mit dem deutschen Ordnungsrecht vereinbar ist, führt zur Forderung nach der Schaffung entsprechender Befugnisse, der Vorprägung des Ermessens und der Absenkung der Eingriffsschwellen. Den diesbezüglich geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken wird das Grundrecht auf Sicherheit entgegengehalten, das den Staat zu einer härteren Sicherheitspolitik verpflichte244. Teilweise wird vertreten, dass sich ein Grundrecht auf Sicherheit aus den Staatszwecken und den Grundrechten als Schutzpflichten herleiten lasse245. Auch aus dem Gewaltmonopol des Staates ergebe sich eine Verpflichtung zum Schutz gegen Gewalt durch Dritte oder gegen Dritte246. Andere lehnen das Bestehen eines Grundrechts auf Sicherheit oder auch entsprechenden Staatsziels zwar ab, bejahen aber eine grundsätzliche Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit247. Aber auch bei Annahme eines Grundrechts auf Sicherheit werden keine konkreten normativen Verpflichtungen daraus hergeleitet248. Soweit das Grundrecht auf Sicherheit aus den Grundrechten in ihrer Funktion als Schutzpflichten hergeleitet wird, gibt es allenfalls einen Anspruch auf gesetzgeberisches Handeln. Zu dessen Erfüllung steht dem Staat ein weiter Entscheidungsspielraum zu, der erst überschritten ist, wenn das Untermaßverbot verletzt ist249. Das ist nur der Fall, wenn der Staat keinerlei effektive Maßnahmen getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen offensichtlich unzureichend sind, also keinen angemessenen und tatsächlich wirksamen Schutz bieten250. Ein dem entsprechend eklatantes Unterlassen des Staates wäre eventuell ___________ 243

Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F Rn. 118. Vgl. Volkmann, NVwZ 1999, 225/228 f. 245 Volkmann, NVwZ 1999, 225/229; zu Begriff und Herleitung: Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 21 ff. 246 Volkmann, NVwZ 1999, 225/229; dagegen Gusy, VVStRL (63) 2004, 151/170. 247 Hansen, KJ 1999, 231/240 f.; Kötter, Der Staat 2004, 371/376; so wohl auch Brugger, VVDStRL (63) 2004, 101/129 ff.; Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/168 ff. lehnt ein über die grundrechtlichen Schutzpflichten hinaus gehendes Recht ab. 248 Volkmann, NVwZ 1999, 225/229; s. zur Herleitung der „Staatsaufgabe Sicherheit“ in der Literatur: Gusy, VVDStRL (63) 2004, 168. 249 BVerfGE 88, 203/254; vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 51; Brugger, VVDStRL (63) 2004, 101/ 132; Hansen, KJ 1999, 231/241; Kötter, Der Staat 2004, 371/376 f.; Volkmann, NVwZ 1999, 225/229. 250 BVerfG, NJW 1996, 651 m.w.N. 244

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

anzunehmen, wenn die tatsächlichen Zustände in deutschen Städten denen in New York City Ende der achziger und Anfang der neunziger vergleichbar wären251. In New York City gab es die so genannten „no-go areas“, die auch durch die Polizei nur ungern betreten wurden und in denen es häufig zu bewaffneten Ausschreitungen kam252. Einer vergleichbaren Situation dürften deutsche Städte trotz steigender Kriminalitätszahlen noch sehr fern sein253. Insoweit werden die polizeirechtlich geregelten Gefahrenschwellen wieder relevant254. Im Rahmen der Diskussion über staatliche Pflichten zur Wahrung der Sicherheit ist letztlich zu bemerken, dass das Sicherheitsgefühl etwas anderes ist als die objektiv bestehende Sicherheit. Das Sicherheitsgefühl stellt nicht nur eine weitere Entwicklung des Schutzguts Sicherheit dar, sondern ist als rein subjektiv empfundene Sicherheit davon zu unterscheiden255. Wie schon gezeigt, ist das Sicherheitsgefühl gerade kein Korrelat der objektiven Sicherheitslage, sondern davon unabhängig durch die jeweils individuell zugänglichen Informationen steuerbar256. Trotzdem wird das Sicherheitsgefühl als ein legitimes Ziel staatlicher Sicherheitspolitik angesehen, das auch im Rahmen der Entscheidung des Gesetzgebers beachtet werden kann257. Aber auch dann muss das Ziel ein angemessenes Gegengewicht zu den vom staatlichen Eingriff betroffenen Freiheitsrechten darstellen. Das dürfte angesichts der Tatsche, dass es sich beim Sicherheitsgefühl um eine sehr diffuse, durch rational nicht zu erfassende Faktoren beeinflusste innere Einstellung handelt, sehr zweifelhaft sein. Richtig ist zwar, dass die Angemessenheit gegeben ist, wenn es um die Verwirklichung grundrechtlicher Schutzpflichten geht258. Dann ist der Zweck staatlichen Handelns aber nicht allein die Abwehr von Kriminalitätsangst, sondern vor allem die Gewährleistung eines konkreten, durch die Verfassung gewährleisteten Rechts. Ent___________ 251

Volkmann, NVwZ 1999, 225/229. s. oben B. II. 1. 253 s. dazu schon oben unter D. III. Außerdem gilt auch bei Annahme einer grundrechtlichen Schutzpflicht der Vorbehalt des Gesetzes. Die Polizei darf nur handeln, wenn eine gesetzliche Befugnis besteht. (Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 43). 254 Mit ähnlichem Ergebnis Kötter, Der Staat 2004, 371/376: Die staatliche Sicherheitsgewährleistungspflicht sei aus den Regeln des positiven Rechts herzuleiten und auf diese zu beschränken. Demnach falle der Polizei nach den Polizeigesetzen die Aufgabe der Gefahrenabwehr zu. 255 Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/159, ähnlich Hecker, KJ 1997, 395/408. 256 Vgl. auch die Nachweise bei Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/159 Fn. 29. 257 Vgl. Kötter, Der Staat 2004, 371/378; ähnlich Gusy, VVDStRL (63) 2004, 151/160: Solche Gefühle können dem demokratischen Staat nicht völlig gleichgültig sein. 258 Kötter, Der Staat 2004, 371/378. 252

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

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sprechend verlangt das Polizeirecht das Vorliegen einer konkreten Gefahr zur Rechtfertigung eines Eingriffes, auch wenn dieser der Prävention von Unsicherheit und Furcht dient. Über das Bestehen einer konkreten Gefahr hinausgehende Bedrohtheitsgefühle in der Bevölkerung sind durch Information auszuräumen. Eingriffsmaßnahmen, die nur der Abwehr solcher irrationalen Ängste dienen, sind grundsätzlich unverhältnismäßig259. Demzufolge kann das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung kein Schutzgut darstellen, das die Verdrängung (auch eben dieser Bevölkerung angehörender) Randgruppen aus den Innenstädten rechtfertigen könnte. Dies umso weniger als das Sicherheitsgefühl aufgrund seiner Innerlichkeit nicht tatsächlich objektiv feststellbar und somit offen für die vielfältigen Manipulationen der modernen Mediengesellschaft ist, folglich leicht für die Rechtfertigung bestimmter Sicherheitspolitiken genutzt werden kann. Als Folge der Anerkennung eines neben der objektiven Sicherheit staatlich zu schützenden subjektiven Sicherheitsgefühls entwickelt Volkmann die Idee der „Ordnung als Staatsaufgabe“260. Dabei kann er sich auf die „Broken Windows“-Theorie stützen, die die Unordnung im öffentlichen Raum als Ursache von Kriminalitätsängsten ermittelt. Der Versuch zu definieren, was darunter fällt, stößt an dieselben Grenzen, die auch bei der Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Ordnung auftreten261. Die Ordnung des öffentlichen Raums soll „das Wissen um die Notwendigkeit elementarer Grundregeln des Zusammenlebens, einen Grundbestand gegenseitigen Normvertrauens, zivile Tugenden wie den Respekt vor der Integrität von Personen und Sachen, vielleicht auch wieder mehr Sinn für das Allgemeine und ein Gespür für die Folgen eigenen Verhaltens“ umfassen262. Diese Beschreibung knüpft an vage Begrifflichkeiten an. Es stellt sich wiederum die Frage, wer die Grundregeln des Zusammenlebens im Einzelnen zu bestimmen befugt ist und was das „Allgemeine“ ist, für das ein Sinn entwickelt werden soll. Folgerichtig erkennt Volkmann, dass eine solche Staatsaufgabe der Schaffung von Ordnung „himmelweit von der Bindungskraft eines Grundrechts oder auch nur eines abstrakteren Staatsziels entfernt ist“ und allenfalls Handlungsimpulse geben kann263. Ebenso wenig kann ein so vage umfasstes Ziel staatliche Eingriffe rechtfertigen, sondern muss auf sozialpolitischer und städtebaulicher Ebene verfolgt werden264.

___________ 259

Kötter, Der Staat 2004, 371/378. Volkmann, NVwZ 1999, 225/230. 261 s. dazu oben B. VI. 2. e) bb). 262 Volkmann, NVwZ 1999, 225/230. 263 Volkmann, NVwZ 1999, 225/231. 264 s. dazu unten D. III. 3. 260

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

2. Wandel des Polizeirechts – zurück zur Wohlfahrtspflege? Die Forderungen nach Polizeistrategien, die der „Broken Windows“-Theorie folgend nicht nur bestehende Gefahren abwehren, sondern auch für eine gewisses Maß an sozialer Ordnung im öffentlichen Raum sorgen, widerspricht der immer noch bestehenden Trennung von Gefahrenabwehr und Wohlfahrtspflege265. Im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung wurde der Aufgabenbereich der Polizei auf die Gefahrenabwehr beschränkt, die allgemeine Wohlfahrtspflege ist davon abzugrenzen266. Diese Aufgabe des „Verbesserns von Menschen, sie auf den richtigen Weg bringen“267 war in der Bundesrepublik bisher Aufgabe sozialer Einrichtungen mit speziell dafür ausgebildetem Personal. Die Polizei hatte in Bezug auf soziale Probleme nur zeitlich und örtlich eingrenzbare Schadenssituationen zu bekämpfen, während die Spezialbehörden für die Lösung dieser Probleme allgemein, also die Wohlfahrtspflege beziehungsweise Sozialgestaltung, zuständig waren268. In der Grundforderung der „Broken Windows“-Theorie, gegen den sozialen Verfall einzuschreiten und das mit Mitteln der Polizei, ist eine Wandel dieser Aufgabenverteilung zu sehen. Die Polizei soll nunmehr auch für die soziale Ordnung sorgen, bevor es zu Gefahren kommt269. Teilweise wird ausdrücklich eine Wiederbelebung des Begriffs der öffentlichen Ordnung und eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Polizeirechts in seiner wohlfahrtsstaatlichen Tradition gefordert270. Abgesehen von den bereits diskutierten Problemen im Zusammenhang mit dem Begriff der öffentlichen Ordnung271 ist zweifelhaft, ob die Aufhebung der Trennung von Gefahrenabwehr und Wohlfahrtspflege beziehungsweise Sozialgestaltung sinnvoll wäre. Die Zweckmäßigkeit einer solchen Trennung ergibt sich schon aus den unterschiedlichen rechtlichen Befugnissen und grundrechtlichen Voraussetzungen272. Die im Rahmen der „Broken Windows“-Theorie geforderte Erhaltung einer bestimmten Ordnung und das damit verfolgte Ziel „Sicherheitsgefühl“ sind nur vage Ideen, die keine polizeilichen Schutzgüter im Rahmen der Gefahrenabwehr darstellen. Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit können sie nicht als objektivierbare Rechtsgüter einen Eingriff der Polizei gegenüber Drit___________ 265

s. dazu oben B. VI. 2. b) bb). s. dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, § 1 Rn. 2 ff. 267 Darnstädt, Spiegel 28.1997, 48 ff. 268 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, E Rn. 31; zur rechtlichen Entwicklung in diese Richtung s. oben C. II. 269 So auch Darnstädt, Der Spiegel 28.1997, 48 ff.; Dolderer, NVwZ 2001, 130. 270 Vgl. dazu Volkmann, NVwZ 1999, 225/227; Volkmann sieht aber S. 230 ebenfalls die verfassungsrechtlichen Probleme einer solchen Forderung. 271 s. oben C. VI. 2. e) bb). 272 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 Rn. 28; s.o. C. VI. 2. b) bb). 266

III. Die Diskussion in der deutschen Wissenschaft

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ten rechtfertigen273. Gegen die Rückkehr der polizeilichen Wohlfahrtspflege wird mithin auch argumentiert, dass diese letztendlich eine Rückkehr zum Polizeistaat als Gegensatz zum Rechtsstaat bedeute274. Dabei zeichne sich der „moderne Polizeistaat“275 „dadurch aus, dass er soziale Absicherung bzw. sozialstaatliche Wohlfahrt im Sinne einer Leistungsverwaltung (zumindest) weitgehend durch staatliche Eingriffsverwaltung ersetzt“276. Aber auch praktisch sind die Kräfte der Polizei aufgrund ihrer Ausbildung nicht in der Lage, den vielfältigen Problemen, die mit dem sozialen Verfall im Zusammenhang stehen, Herr zu werden. Für den Umgang mit Suchtkranken, Straßenkindern und anderen Personen, die „durch das soziale Netz gefallen sind“, bedarf es einer ganz anderen Ausbildung, als für die klassische Gefahrenabwehr277. Bisher war dann auch in der kriminologischen und kriminalpolischen Tradition der Bundesrepublik anerkannt, dass es deutliche Grenzen polizeilichen Handelns zur Herstellung von Sicherheit gibt. Soweit polizeiliches Handeln zur Prävention angebracht ist, kann dies außerdem nur Teil eines gesamtgesellschaftlichen Konzepts sein278. Daher arbeitet die Polizei mit Sozialarbeitern vor Ort zusammen, um die Gefahrenabwehr mit den fürsorgenden Maßnahmen im Vorfeld von Gefahren abzustimmen279.

___________ 273

s. oben D. IV. 1. Kutscha in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 67/74; Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 228. 275 Kutscha in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.), Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 67/74. 276 Roggan, Auf legalem Weg in den Polizeistaat, 23. 277 So auch Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin: „Sonst ist es nicht Aufgabe der Polizei in Wohlfahrtspflegerischer Hinsicht zur Stadtbildpflege beizutragen. Da weigern wir uns und da wehren wir uns auch ganz energisch. Das ist auch 1882 durch das preußische OVG im Kreuzbergurteil so entschieden worden.“ 278 s. dazu Hecker, KJ 1997, 395/401. 279 Z.B: „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002; Arbeitskreis „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei: Im Rahmen solcher regelmäßig stattfindenden Arbeitskreise, treffen sich Vertreter sozialer Einrichtungen mit Vertretern der Polizei. Im Rahmen der Sitzungen wurde unter anderem deutlich, dass die Maßnahmen der Polizei, wie Identitätsfeststellung, Aufenthaltsverbot, Platzverweis und Ingewahrsamnahme nicht geeignet sind, die tatsächlich bestehenden sozialen Probleme zu lösen. 274

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

3. Andere Lösungen, „Community Policing“ Der Lösung der sozialen Probleme in den Innenstädten allein durch die Polizei stehen wie gezeigt sowohl rechtliche als auch praktische Gründe entgegen. Demnach wird wie in der amerikanischen Diskussion im Rahmen von „Community Policing“280 eine umfassende Zusammenarbeit verschiedener öffentlicher Stellen verlangt281. In vielen deutschen Städten arbeitet die Polizei bereits mit sozialen Einrichtungen und Vertretern der Bürger zusammen, um die Probleme zu analysieren sowie zu bewältigen282. Auch die „Aktion Sicherheitsnetz“ forderte neben dem rigorosen Vorgehen gegen „belästigendes Verhalten“ die Zusammenarbeit verschiedenster gesellschaftlicher Akteure sowie bürgernahe Polizeiarbeit und folgte damit nicht nur der „Zero Tolerance“-Strategie, sondern auch dem Konzept des „Community Policing“283. Daneben wird aber auch eine neue Schwerpunktsetzung der Polizeiarbeit gefordert. Wie im Zusammenhang mit „Community Policing“ wird auch hierzulande die Konzentration der Polizeiarbeit auf die Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität kritisiert und eine Rückbesinnung auf die Sicherheitsbedürfnisse der Bürger in ihrem engen Umfeld verlangt. Dafür soll die Polizei unter anderem bürgernah organisiert werden. Im Rahmen der Polizeireform der siebziger Jahre wurde die Polizeiarbeit zentralisiert, wurden zentrale Führungsebenen aufgebaut und fand eine immer stärkere Spezialisierung statt284. Diese Strategie ist vor allem am mangelnden Kontakt zum Bürger und der verzögerten Einsatzfähigkeit gescheitert. Durch die Umorganisation sollen nun wieder qualifizierte Beamte mit hoher Handlungs- und Entscheidungskompetenz vor Ort sein285. Außerdem wird gefordert, die Polizei besser auszustatten und das Personal aufzustocken286. Insoweit wird wiederum auf die mate___________ 280

s. dazu oben A. I. 2. Vgl. Hecker, KJ 1997, 395/405 f.; Volkmann, NVwZ 1999, 225/232. 282 Vgl. zu den „Präventionsräten“ Darnstädt, Spiegel 28.1997, 48 ff.; Sack in: Verpolizeilichung der Bundesrepublik Deutschland, 21/40; Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, [15.08.2002]. Die Berliner Polizei arbeitet unter anderem mit Sozialarbeitern im Arbeitskreis „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei zusammen. 283 s. dazu oben A. I. 2. 284 s. dazu Diederichs, CILIP (57) 1997, 38 f. 285 s. dazu Diederichs, CILIP (57) 1997, 39; Zur entsprechenden Umorganisation der Landespolizeien: Posiege/Steinschulte-Leidig, Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen, Nr. 5, 6 [15.08.2002]; kritisch zum Abbau fachspezifischer Aufgabenverteilung, Voss, Kriminalistik 2002, 153/54; s. auch oben A. I. 2. 286 Volkmann, NVwZ 1999, 225/231. 281

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rielle Verbesserung der Polizei von New York City verwiesen287. Aber auch dem „milderen“ Weg des „Community Policing“, der unter anderem ein differenziertes Einschreiten vorsieht, steht deutsches Recht in einigen Fällen entgegen. Soweit es sich um Straftaten handelt, insbesondere also im Bereich der Drogenszene, ist die Polizei aufgrund des Legalitätsprinzips grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet und kann nicht im Interesse einer sozialverträglichen Lösung „ein Auge zudrücken“288. Gerade für den Bereich öffentlicher Unordnung, in dem größtenteils keine Straftaten verwirklicht werden, ist das Konzept von „Community Policing“ jedoch der richtige Weg289.

4. Fazit Das verstärkte Auftreten sozialer Randgruppen im öffentlichen Raum kann dazu führen, dass das Sicherheitsgefühl der Anwohner des betroffenen Stadtgebietes sinkt, es zur Verwahrlosung und auch einem Anstieg der Kriminalität kommt. Die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Drogensüchtigen, Trinkern und Wohnungslosen auftretenden Verhaltensweisen können auch mitursächlich für diese Entwicklung sein. Die „Broken Windows“-Theorie setzt bei diesen so genannten Erscheinungen von Unordnung an, die sie als Ursache für die Verunsicherung der Bevölkerung und der dieser folgenden erhöhten Begehung von Straftaten ansieht. Polizeistrategien, wie die New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie, die auf dieser Theorie basieren, konzentrieren sich auf die Bekämpfung der Unordnung und Verwahrlosung. Das bedeutet vor allem ein Vorgehen gegen Mitglieder sozialer Randgruppen und deren typische Verhaltensweisen. Nach deutschem Polizei- und Ordnungsrecht ist ein solches Vorgehen grundsätzlich nicht möglich. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist weder ein polizeiliches Schutzgut, noch kann es im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ___________ 287

s. dazu oben B. III. 2.; Interview mit dem Direktionsleiter Abschnitt 7 in Berlin, dem stellvertretenden Abschnittsleiter Abschnitt 76 in Berlin, dem Dienstgruppenleiter, Dienstgruppe Helmholtzplatz in Berlin; Saberschinsky in: Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Berlin (Hrsg.), Innere Sicherheit in Ballungsräumen am Beispiel New York, 22/24. 288 s. dazu Behr in: Ortner/Pilgram (Hrsg.), Die Null-Lösung. New Yorker „ZeroTolerance“-Politik – das Ende der urbanen Toleranz?, 177/193 ff. 289 Z.B: „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002; Arbeitskreis „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei: Im Rahmen solcher regelmäßig stattfindenden Arbeitskreise, treffen sich Vertreter sozialer Einrichtungen mit Vertretern der Polizei. Im Rahmen der Sitzungen wurde unter anderem deutlich, dass die Maßnahmen der Polizei, wie Identitätsfeststellung, Aufenthaltsverbot, Platzverweis und Ingewahrsamnahme nicht geeignet sind, die tatsächlich bestehenden sozialen Probleme zu lösen.

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D. Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland

Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen rechtfertigen. Die verstärkte Kriminalität wird durch die Anwesenheit sozialer Randgruppen in bestimmten Stadtgebieten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht, es fehlt also an der für das Einschreiten der Polizei notwendigen konkreten oder abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Auch der Tatbestand der Sondernutzung wird nur in wenigen Fällen verwirklicht. In dem Bemühen, die zum großen Teil unter der bisherigen rechtlichen Eingriffsschwelle liegenden Verhaltensweisen sozialer Randgruppen unter diese Tatbestände zu fassen, werden diese unzulässig überdehnt. Der Rückgriff auf den Tatbestand der öffentlichen Ordnung ist aufgrund dessen Verfassungswidrigkeit abzulehnen und widerspricht der bisherigen Systematik des Polizeirechts, in der die öffentliche Ordnung nur als Auffangtatbestand diente. Der angestrebte Zustand einer öffentlichen Ordnung, in dem sich die Bürger sicher fühlen, ist ein vages, nicht objektivierbares Ziel, das weder zur Rechtfertigung von Freiheitseingriffen genutzt werden kann noch sollte. Die Definition von Unordnung und Ordnung hängt stark davon ab, wem diese Definitionsmacht gegeben wird. Diese Begriffe enthalten immer das Risiko, dass gerade das Verhalten von sozialen Randgruppen als nicht der Norm entsprechend angesehen wird. Soweit diese Definition durch Vertreter der „Broken Windows“-Theorie und ihre Befürworter erfolgt, geht es vor allem um eine rein äußerliche, „ästhetische“ Ordnung der Gesellschaft. Eingriffe in die Rechte Dritter, in diesem Fall sozialer Randgruppen, können jedoch nicht allein durch Äußerlichkeiten gerechtfertigt werden. Trotzdem bestehen aufgrund der zunehmenden sozialen Probleme auch zunehmende Ängste in der Bevölkerung. Die Lösung der sozialen Probleme ist aber nicht die Aufgabe der Polizei. Diese ist an die Voraussetzung der Gefahr290 gebunden. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist jedoch ein Sachverhalt, der jenseits äußerlich wahrnehmbarer Faktoren und damit jenseits des für das polizeiliche Handeln relevanten Maßstabes wissenschaftlich oder empirisch belegbarer Wahrscheinlichkeit liegt. Der parlamentarische Gesetzgeber ist nicht an die Kategorien von Gefahr und Sondernutzung gebunden und daher frei, Eingriffstatbestände gegen Erscheinungen der öffentlichen Unordnung zu schaffen. Deren Verfassungsmäßigkeit steht jedoch entgegen, dass allein das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung einen Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen kann. Die Lösung der sozialen Probleme in deutschen Städten ist keine Aufgabe, die aufgrund von Eingriffen gegenüber sozial Schwachen und allein durch die Polizei erfüllt werden kann. Die Polizei ist, wie gezeigt, aus traditionellen, aber auch ganz praktischen Gründen nicht in der Lage, die Ursachen der zunehmenden Schwierigkeiten im öffentlichen Raum zu beseitigen. Notwendig ___________ 290 Beziehungsweise der Tatsachen, die die Annahme der Begehung einer Straftat rechtfertigen.

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sind gesamtgesellschaftliche Konzepte291, bei denen städtebauliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Maßnahmen im Vorfeld der Gefahr angreifen, und die Zusammenarbeit mit der Polizei deren Eingreifen im Falle von Gefahren sichert292. Erst wenn es um die Abwehr tatsächlich bestehender Gefahren geht, kann die Polizei effektiv und rechtmäßig vorgehen.

___________ 291

s. zum Programm „Soziale Stadtentwicklung“ in Hamburg seit 1998: Nahr in: Walter-Harmann (Hrsg.), Lebens(t)räume zurückgewinnen und mitgestalten!, 15; zur sozialen Stadtentwicklung allgemein: Puschmann in: Walter-Harmann (Hrsg.), Lebens(t)räume zurückgewinnen, mitgestalten!, 80. Dass städtebauliche und soziale Handlungsinstrumentarien zur Abwendung einer Verwahrlosung und Kriminalisierung im Sinne der „Broken Windows“-Theorie effektiv sind, ist am Berliner Helmholtzplatz deutlich geworden. Die hier langsam voranschreitende Entstehung einer offenen Drogenszene wurde nicht allein durch polizeiliche Maßnahmen abgewendet, sondern auch durch eine Umgestaltung des Platzes, die es der Drogenszene unmöglich machte, ungestört zu sein, und die Anwohner für Nutzung des Platzes zurück gewann. 292 s. dazu oben D. III. 3. und 4.; Beispiele für die bereits bestehende Zusammenarbeit von Polizei und Sozialarbeitern: „Gespräch zum Helmholtzplatz“ unter Leitung des Bezirksamtes Pankow von Berlin am 16. Mai 2002; Arbeitskreis „City Bahnhöfe“ bei der Stiftung SPI, Clearingstelle Jugendhilfe/Polizei: Im Rahmen solcher regelmäßig stattfindenden Arbeitskreise, treffen sich Vertreter sozialer Einrichtungen mit Vertretern der Polizei. In den Sitzungen wurde unter anderem deutlich, dass die Maßnahmen der Polizei, wie Identitätsfeststellung, Aufenthaltsverbot, Platzverweis und Ingewahrsamnahme nicht geeignet sind, die tatsächlich bestehenden sozialen Probleme zu lösen.

Zusammenfassung Teil A: Begriffsklärung Im ersten Teil der Arbeit werden die wesentlichen Begriffe geklärt. Die „Broken-Windows“-Theorie besagt, dass Unordnung in einem Stadtteil zur Zunahme schwerer Kriminalität führe. Daher sei die Bekämpfung bereits kleinerer Unregelmäßigkeiten notwendig, um Kriminalität zu verhindern. „Order Maintenance Policing“, „Community Policing“ und „Zero Tolerance“ bezeichnen verschiedene Polizeistrategien, die in den Vereinigten Staaten populär sind. Die „Zero Tolerance“-Strategie benennt die New Yorker Polizeistrategie, die durch die „Quality-of-Life“-Initiative eingeführt und durch die „PoliceStrategy No. 5“ für die New Yorker Polizei rechtlich verbindlich wurde. Der Begriff des öffentlichen Raums wird in dieser Arbeit so gebraucht, dass er nur solche Wege, Straßen und Plätze umfasst, denen eine öffentliche Zweckbestimmung beziehungsweise Gemeinwohlfunktion zukommt und die der öffentlichen Sachherrschaft unterliegen. Der Begriff „soziale Randgruppen“ umfasst Mitglieder der Drogenszene, Wohnungslose, Trinker und Bettler.

Teil B: Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in New York City Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den Maßnahmen gegen soziale Randgruppen in New York City. In den ersten Abschnitten wird die Situation in New York City und die darauf folgenden Polizeistrategien und Maßnahmen dargestellt. Seit den achtziger Jahren kam es zu einer zunehmenden Präsenz von Mitgliedern sozialer Randgruppen und zu einem Anstieg von Kriminalität im öffentlichen Raum der Stadt New York, Anfang der neunziger Jahre war die Situation besonders kritisch. Diese Entwicklung hatte mehrere Ursachen, wie die Liberalisierung der Gesetzgebung und Verwaltung bezüglich des Rechts des öffentlichen Raums und der Unterbringung psychisch kranker Personen, die Stärke der entsprechenden Geburtenjahrgänge und die Verbreitung der Droge Crack. Als Reaktion auf diese Entwicklung starteten der New Yorker Bürgermeister Guiliani und der von ihm im Jahre 1994 ernannte New Yorker Polizeichef Bratton die „Quality of Life“-Initiative, die unter anderem in der „Police Strategy No. 5“ umgesetzt wurde, die die „Broken Windows“Theorie ausdrücklich als Grundlage benennt. Die New Yorker Polizei wurde mit mehr personellen und finanziellen Mitteln ausgestattet und neu strukturiert.

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Mit deren Hilfe ging sie verstärkt gegen soziale Randgruppen vor. Verstöße gegen so genannte „Quality of Life“-Delikte wurden konsequent verfolgt, insbesondere durch vermehrte Verhaftungen und „stop and frisks“ (kurzes Anhalten und Befragen einer Person). Die Maßnahmen der Polizei waren wiederholt durch Diskriminierung, Brutalität und Unverhältnismäßigkeit geprägt. Die Kriminalität in New York sank, außerdem kam es durch die verstärkte Kontrolle von Personen, die aufgrund kleinerer Delikte aufgegriffen wurden, zu vielen Festnahmen aufgrund noch ausstehender Haftbefehle gegen Schwerkriminelle. In den weiteren Abschnitten des zweiten Teils werden die im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie durchgeführten Maßnahmen rechtlich beurteilt. Zunächst wird ein einleitender Überblick über das Rechtssystem der USA und New Yorks gegeben. In diesem gibt es kein Polizeirecht als eigenes Rechtsgebiet. Anerkannt ist jedoch die Polizeigewalt der Staaten, aus der ihre Kompetenz hergeleitet wird, auf dem Gebiet der Ordnung, Sicherheit, Gesundheit, Moral und Wohlfahrt der Gesellschaft Gesetze zu erlassen sowie Behörden einzurichten und diesen die entsprechenden Aufgaben und Befugnisse zu übertragen. Aus dieser Polizeigewalt werden durch die Rechtsprechung sowohl repressive als auch präventive Aufgaben der Polizei hergeleitet, die jedoch systematisch kaum unterschieden werden. Weil es im amerikanischen Recht keinen Gesetzesvorbehalt gibt, ist die Polizei zu allen Maßnahmen im Rahmen dieser Aufgaben befugt, solange sie dabei nicht gegen die Verfassung verstößt. Diese setzt polizeilicher Tätigkeit insbesondere mit dem 4. Zusatzartikel Grenzen, der aufgrund des 14. Zusatzartikels auch die einzelnen Staaten bindet und Durchsuchung, Haft sowie Gewahrsam regelt. Die Erhaltung der öffentlichen Ordnung als eine wichtige Aufgabe der Polizei ist kaum gesetzlich geregelt, sodass sie nahezu gänzlich in das Ermessen der Polizei fällt. Im Folgenden werden die rechtlichen Grenzen der beiden zentralen Maßnahmen der New Yorker Polizeistrategie, Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“, dargestellt. Diese ergeben sich vor allem aus dem 4. Zusatzartikel und der dazu erfolgten Rechtsprechung. Die Anforderungen an Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“ richten sich unter anderem nach der Art der Straftat, die verhindert werden soll. Deshalb wird zunächst auf die Klassifizierung der Straftaten nach New Yorker Recht eingegangen. Beachtlich ist, dass typische Verhaltensweisen von Wohnungslosen, Bettlern und Trinkern, wie ordnungswidriges Verhalten (disorderly conduct), Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, das aggressive Betteln und das Lagern und Nächtigen auf Bänken in öffentlichen Parks nach New Yorker Recht strafbar sind. Bei Bestehen eines hinreichenden Verdachts, dass eine solche Straftat begangen wird oder wurde, ist die Ingewahrsamnahme zulässig. Zusätzliche Voraussetzung ist jedoch die schriftliche Anordnung, die in Ausnahmefällen entbehrlich ist. Nach New Yorker Recht ist die Ingewahrsamnahme ohne vorherige schriftliche Anordnung bei Verdacht des Verstoßes gegen die Delikte möglich, die typisches Verhalten sozialer Randgruppen erfassen. Außerdem muss die Ingewahrsamnahme verhält-

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nismäßig sein. Für „stop and frisk“ wurde die Voraussetzung des Bestehens eines begründeten Verdachts beziehungsweise artikulierbarer Gründe erst seit den sechziger Jahren durch die Rechtsprechung aus dem 4. Zusatzartikel hergeleitet. Für diese ergeben sich aus der New Yorker Verfassung und dem Gesetzesrecht weitergehende Voraussetzungen. Sie müssen außerdem verhältnismäßig sein. Verstoßen Ingewahrsamnahmen oder „stop and frisk“ gegen diese rechtlichen Voraussetzungen führt dies lediglich zu Beweisverwertungsverboten. Diese sind insbesondere im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie kaum wirksam, weil es der Polizei nur um die Einschüchterung und folgende Vertreibung der Personen geht, nicht aber darum, sie strafrechtlich zu verfolgen. Neben dem 4. Zusatzartikel existieren weitere verfassungsrechtliche Grenzen für die Maßnahmen der New Yorker Polizei. Der Gleichheitssatz des 14. Zusatzartikels verbietet zwar das überproportional häufige Anhalten von Angehörigen rassischer Minderheiten, wie es im Rahmen der New Yorker Polizeistrategie vermehrt vorkam. Die Durchsetzung dieses Diskriminierungsverbotes ist jedoch kaum möglich, weil die Rechtsprechung die Beweislast für einen Verstoß dem Betroffenen auferlegt. Das Recht auf freie Rede des 1. Zusatzartikels umfasst nach der Rechtsprechung des New York Court of Appeals auch das Recht zu Betteln. Dieses ist jedoch, je nachdem, wo im öffentlichen Raum es stattfindet, unterschiedlich einschränkbar. Andere Gerichte sehen das Recht zu Betteln schon nicht als vom 1. Zusatzartikel geschützt an. Die „Due process clause“ im 14. Zusatzartikel enthält ein Bestimmtheitsgebot für gesetzliche Regelungen. Unter dieser wurde das Verbot des Herumlungerns an öffentlichen Orten vom Supreme Court als unbestimmt verworfen. Verschiedene Verbote des Herumlungerns zum Zwecke des Bettelns und des aggressiven Bettelns wurden von anderen Gerichten für bestimmt genug angesehen. Auch das Recht Wohnungsloser, in der Stadt zu lagern und zu nächtigen, wird von der Verfassung unter dem Recht zu Reisen erfasst. Es kann jedoch beschränkt werden, solange das Niederlassen an einigen bestimmten Orten einer Stadt möglich bleibt.

Teil C: Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland Der dritte Teil der Arbeit untersucht die polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegenüber sozialen Randgruppen in Deutschland. In den ersten Abschnitten wird ein Überblick zur Situation sozialer Randgruppen in Deutschland und zu den diesbezüglichen Polizeistrategien gegeben. Nachdem Mitglieder sozialer Randgruppen im Dritten Reich rigoros verfolgt wurden, liberalisierte sich der Umgang mit ihnen seit Ende der sechziger Jahre. Seit den achtziger Jahren nahm der Drogenmissbrauch zu und entstanden offene Drogenszenen in den Innenstädten. Auch in Deutschland stieg der Konsum von Crack an. Seit Mitte der neunziger Jahre kam es verstärkt zu Problemen mit Mitglie-

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dern sozialer Randgruppen. Diese Entwicklung führte bei Bürgern wie in der Politik zu Forderungen nach einer Abkehr von der liberalen Vorgehensweise hin zu härteren polizeilichen Maßnahmen gegen soziale Randgruppen. Dem folgend wurde auf Bundesebene die „Aktion Sicherheitsnetz“ eingeführt, die sich an der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie und der dieser zugrunde liegenden „Broken Windows“-Theorie orientierte. Ziel dieser Strategie war die Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Dafür sollte die Polizeiarbeit auf die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung konzentriert, gegen „Bagatellkriminalität“ vorgegangen und „Milieus der Unordnung“ im Keim erstickt werden. Zu diesem Zweck wurde eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizeien von Bund und Ländern, aber auch die Verstärkung der Kooperation mit anderen Behörden, wie Ausländer-, Jugend- und Sozialbehörden beschlossen. Die Polizei sollte mehr Präsenz und Bürgernähe zeigen und wurde in einigen Ländern entsprechend neu organisiert. Die „Aktion Sicherheitsnetz“ wurde als „Sicherheitspartnerschaft“ durch die SPD-Regierung fortgeführt. Die Länder folgten der „Aktion Sicherheitsnetz“ mit eigenen Maßnahmepaketen. Auch diese zielten auf ein konzentriertes Vorgehen der Polizei gegen Ordnungsstörungen und Verwahrlosungstendenzen durch erhöhte Präsenz der Polizei und durch Maßnahmen wie Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Verbringungsgewahrsam. Im Folgenden wird die Praxis der deutschen Polizeien gegenüber sozialen Randgruppen dargestellt, die sowohl durch Befragung von Innenministerien und Polizeibehörden als auch von Vertretern sozialer Einrichtungen und durch Auswertung der Presse ermittelt wurde. Die Aussagen der verschiedenen Institutionen gingen dabei teilweise stark auseinander. Aufenthaltsverbote werden seit Anfang der neunziger Jahre eingesetzt, um offene Drogenszenen zu zerstören, aber teilweise auch zur Verhinderung anderer Kriminalitätsschwerpunkte und gegen aggressive Bettler. Sie werden von der Polizei als geeignete Maßnahme zur Zerschlagung und Verhinderung offener Drogenszenen angesehen. Vertreter sozialer Einrichtungen lehnen die Maßnahme hingegen ab, weil dadurch der Kontakt zwischen Bedürftigen und sozialen Beratungs- und Hilfseinrichtungen zerstört wird. Die Größe der Gebiete, für die Aufenthaltsverbote erteilt werden, variiert zwischen ausgewählten Brennpunkten der Drogenkriminalität, wobei teilweise Aufenthaltsverbote für alle Brennpunkte innerhalb einer Stadt erteilt werden, und dem gesamten Stadtgebiet. Auch die Zeiträume schwanken zwischen drei Monaten und einem Jahr. Hinsichtlich des Verbringungsgewahrsams weichen die Aussagen der Polizei besonders auffallend von denen anderer Einrichtungen ab. Während von Seiten der Polizei die Anwendung dieser Maßnahme bestritten wird, bestätigten Vertreter sozialer Einrichtungen den Einsatz gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen. Zuletzt wird auf die Praxis des Erlasses von Gefahrenabwehrverordnungen und Sondernutzungssatzungen durch einige Städte und Gemeinden eingegangen, die damit eine rechtliche Grundlage für das Vorgehen der Polizei gegen das Betteln, Niederlassen zum Alkoholkonsum und Nächtigen schaffen wollen. In Berlin ist

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das Niederlassen zum Konsum von Alkohol als nicht genehmigungsfähige Sondernutzung im Straßenrecht geregelt. Entgegen der Angaben der Polizei wird diese Vorschrift gezielt gegenüber Mitgliedern sozialer Randgruppen angewandt, unabhängig davon, ob zum bloßen Konsum weitere störende Verhaltensweisen hinzutreten oder nicht. Im Hauptabschnitt des dritten Teils werden die im Rahmen der deutschen Polizeistrategien durchgeführten Maßnahmen rechtlich bewertet. Vorangestellt wird die Untersuchung, ob die für das deutsche Polizeirecht zentrale Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und Verantwortlichkeit gegeben ist. Dabei wird aufgrund der Erkenntnisse über die in der Praxis durchgeführten Maßnahmen, jeweils nach Gefahren im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene, dem Betteln und dem typischen Verhalten Wohnungsloser und Trinker, insbesondere dem Niederlassen zum Konsum von Alkohol sowie Nächtigen und Lagern gefragt. Abzugrenzen ist die Schädigung von der bloßen Belästigung. Die im Zusammenhang mit dem Verhalten sozialer Randgruppen auftretenden störenden Umstände sind oft nur Belästigungen, die die Schwelle zur polizeirechtlich relevanten Störung nicht überschreiten. Die Voraussetzung der Verantwortlichkeit wird beim Vorgehen gegen Ansammlungen sozialer Randgruppen häufig übergangen. Die jeweils in Anspruch genommene Person muss die Gefahr unmittelbar verursacht, dass heißt durch ihr Verhalten die Gefahrengrenze überschritten haben. Daher genügt es nicht, dass sie sich in einer Gruppe aufhält, aus der auch Gefahren hervorgehen, wenn sie diese nicht durch eigenes Verhalten unmittelbar verursacht. Das ist nur anders, wenn die Annahme einer abstrakten Gefahr genügt. Stellt der Aufenthalt einer Personengruppe im öffentlichen Raum eine abstrakte Gefahr dar, kann gegen alle Mitglieder dieser Personengruppe vorgegangen werden, ohne dass es auf die individuellen Verursachensbeiträge ankäme. Zunächst wird untersucht, ob die jeweiligen Verhaltensweisen sozialer Randgruppen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Das Bestehen einer offenen Drogenszene stellt lediglich eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Die Gefahr möglicher Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wird nicht aufgrund eines Verhaltens im einzelnen Fall, sondern aufgrund der Erfahrungen im Zusammenhang mit der Drogenszene begründet. Eine konkrete Gefahr, die auch einzelfallbezogene Maßnahmen rechtfertigen würde, besteht nur, wenn zur Anwesenheit in der Drogenszene weitere Tatsachen hinzukommen, die die Wahrscheinlichkeit eines konkret bevorstehenden Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit begründen. Das Betteln stellt nur dann eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, wenn es mit Verstößen gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsgesetze verbunden ist. Das ist beim einfachen Betteln ohnehin nicht der Fall, beim aggressiven Betteln auch nur in wenigen Ausnahmefällen. Daher begründet auch das aggressive Betteln keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die angesichts der geschützten Rechtsgüter und des zu erwartenden Schadens

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zu fordernde hohe Wahrscheinlichkeit einer Schädigung der Rechtsordnung ist nicht gegeben. Für das Verhalten von Gruppen Wohnungsloser und Trinker ist aus demselben Grund eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzulehnen. Zwar ist für die abstrakte Gefahr nicht notwendig, dass die Anwesenheit dieser Gruppen ohne weitere Zwischenschritte zur Schädigung der Rechtsordnung führt. Es können weitere Verhaltensweisen hinzukommen, solange die Anwesenheit ein Überschreiten der Gefahrenschwelle darstellt. Es genügt, dass der Aufenthalt solcher Gruppen nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder polizeilichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Folgeerscheinungen führt, die Verstöße gegen die Rechtsordnung darstellen. Die Wahrscheinlichkeit müsste aber angesichts der zu schützenden Rechtsgüter und des zu erwartenden Schadens sehr hoch sein. Dies ist nach bisherigen Erkenntnissen nicht der Fall. Die Anwesenheit Einzelner in solchen Gruppen führt nur dann zu einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wenn im einzelnen Fall die Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen werden wird. Das Niederlassen zum Konsum von Alkohol ist keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Weder das Niederlassen noch der Konsum von Alkohol an sich verletzen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsvorschriften. Zwar kann der Alkoholkonsum als Folge zu Verhaltensweisen führen, die die Rechtsordnung verletzen. Deshalb wird der Konsum selbst aber noch nicht zur Gefahr. Eine abstrakte Gefahr wäre wieder nur zu bejahen, wenn der Konsum von Alkohol nach allgemeinen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verhaltensweisen bedingt, die einen Verstoß gegen die Rechtsordnung darstellen. Auch beim Konsum von Alkohol ist angesichts der zu erwartenden Schäden eine hohe Wahrscheinlichkeit zu fordern, die angesichts der sehr unterschiedlichen Reaktionen der Menschen nicht gegeben ist. Das Nächtigen und Lagern stellt ebenso wie die Anwesenheit von Gruppen Wohnungsloser oder Trinker keine abstrakte Gefahr dar. Konkrete Gefahren im Zusammenhang mit dem Nächtigen und Lagern sind nur gegeben, wenn weitere Tatsachen hinzukommen, die die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Verstoßes gegen die Rechtsordnung begründen. Anschließend wird das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung geprüft. Zunächst ist festzuhalten, dass die Verfassungsmäßigkeit dieses Tatbestandsmerkmals zweifelhaft ist, weil er gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, die Wesentlichkeitstheorie und den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt. Gerade in Hinblick auf den im Falle sozialer Randgruppen in besonderem Maße relevanten Schutz von Minderheiten kommt die Verfassungswidrigkeit des Abstellens auf nicht in verfassungsmäßigen Gesetzen niedergeschriebene und auch kaum bestimmbare Anschauungen der Mehrheit zum Tragen. Weil die Rechtsprechung die öffentliche Ordnung als Schutzgut des Polizei-

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rechts entgegen der in der Arbeit vertretenen Ansicht anerkennt, wird geprüft, ob die Verhaltensweisen sozialer Randgruppen gegen diese verstoßen. Im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene bestehen keine über die Gefahren für die öffentliche Sicherheit hinausgehende Gefahren für die öffentliche Ordnung. Das Betteln stellt sowohl eine konkrete als auch eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, wenn es über das stille oder mit dem Ansprechen von Passanten verbundene Betteln hinausgeht. Die Wohnungslosigkeit und der mit ihr verbundene Aufenthalt Wohnungsloser im öffentlichen Raum verstößt, anders als noch in den sechziger Jahren, nicht gegen die heute herrschende Anschauung von einem geordneten gesellschaftlichen Zusammenleben. Der Aufenthalt von Gruppen Wohnungsloser und Trinker an bestimmten Orten verstößt nur dann gegen die öffentliche Ordnung, wenn diese Bereiche durch andere nicht mehr nutzbar sind. Da dies nur selten der Fall ist, ist eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit abzulehnen. Das Niederlassen zum Konsum von Alkohol erfüllt den Tatbestand nicht. Es ist in Deutschland durchaus üblich, Alkohol im öffentlichen Raum auch außerhalb zugelassener Freischankflächen zu konsumieren. Das Lagern und Nächtigen im öffentlichen Raum verstößt gegen die herrschenden Anschauungen eines geordneten Zusammenlebens und stellt daher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Das von der Politik zur Rechtfertigung der Polizeistrategien gegen soziale Randgruppen im öffentlichen Raum angeführte Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist kein taugliches polizeiliches Schutzgut, sodass es auch keine Gefahr begründet. Es würde ein so genanntes Kollektivrechtsgut darstellen, das aber von den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit nicht erfasst ist. Die gesellschaftlich als schützenswert angesehenen Rechtsgüter sind durch die Rechtsordnung abgesichert, die unter die öffentliche Sicherheit fällt. Außerdem ist das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht objektiv bestimmbar, sondern hängt von verschiedensten Faktoren ab, wie der individuellen Information und Bewertung der Information. Die den Polizeistrategien zugrunde liegende „Broken Windows“-Theorie kann ebenfalls keine abstrakte Gefahr begründen. Sie geht davon aus, dass die Anwesenheit herumlungernder Personen, Trinker und Bettler in einem Stadtgebiet zu dessen Veränderung und Verwahrlosung führe. Als dessen Folge sinke das Sicherheitsgefühl der Bürger, die soziale Kontrolle nähme ab, und es komme vermehrt zu Straftaten. In dieser Ursachenkette ist erst die Begehung von Straftaten eine Verletzung eines polizeilichen Schutzgutes. Dass aber die durch die Anwesenheit sozialer Randgruppen entstehende Unordnung zur Begehung von Straftaten führt, ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Diese Konsequenz stellt nur eine entfernte Möglichkeit dar, und es müssen eine Vielzahl anderer Faktoren hinzutreten, die keinen wissenschaftlich nachvollziehbaren Regeln unterliegen. Die in der „Broken Windows“-Theorie dargestellten Zusammenhänge stellen das sozialadäquate Risiko der gesellschaftlichen Ent-

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wicklung in großen Städten dar. Dieses allgemeine Lebensrisiko liegt unter der polizeirechtlich relevanten Gefahrenschwelle. Die in der Theorie beschriebenen Zusammenhänge sind außerdem höchst umstritten und nicht durch empirische Beweise belegt. Die spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für Aufenthaltsverbote setzen keine konkrete Gefahr voraus, sondern das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird. Diese Voraussetzung erweitert die Eingriffsmöglichkeiten, indem sie die Eingriffsschwelle in das Vorfeld der Gefahr legt. Es muss nicht, wie bei der Gefahr, ein Sachverhalt bestehen, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Schadenseintritt führt, sondern es genügen Anhaltspunkte für einen solchen Geschehensablauf, ohne dass ein entsprechender Sachverhalt vorliegt. Insoweit gleicht der Tatbestand dem des im Rahmen des subjektiven Gefahrbegriffs anerkannten Gefahrenverdachts. Durch die Voraussetzung der zukünftigen Begehung von Straftaten werden die Eingriffsvoraussetzungen jedoch gegenüber der Gefahr verengt. Die Voraussetzung ist nur im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene erfüllt, insbesondere wenn Personen am entsprechenden Ort bereits mehrfach durch Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen sind. Im Anschluss an die Prüfung des Vorliegens einer polizeirechtlichen Gefahr werden das Aufenthaltsverbot, der Verbringungsgewahrsam und die Gefahrenabwehrverordnungen, Sondernutzungssatzungen beziehungsweise straßenrechtlichen Regelungen auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht. Aufenthaltsverbote bedürfen einer speziellen Ermächtigungsgrundlage in den Polizeigesetzen, die auch in vielen Ländern eingeführt wurde. Sie können weder auf die vorhandenen Ermächtigungen zum Platzverweis noch auf die Generalklausel gestützt werden. Die Ermächtigungen zum Platzverweis rechtfertigen nur kurzfristige Verweisungen. Die Generalklausel wird durch die speziellen Vorschriften zum Platzverweis verdrängt, weil es sich beim Aufenthaltsverbot nicht um eine qualitativ unterschiedliche und atypische Maßnahme handelt, für die die Generalklausel als Auffangtatbestand einschlägig wäre. Außerdem ist ein Rückgriff auf die Generalklausel aufgrund der Eingriffsintensität abzulehnen. Vom Aufenthaltsverbot betroffene Grundrechte sind sowohl Art. 2 Abs. 2 als auch Art. 11 Abs. 1 GG. Art. 11 Abs. 1 GG ist jedoch das sachnähere Grundrecht und verdrängt deshalb Art. 2 Abs. 2 GG. Die Regelungen zum Aufenthaltsverbot müssen daher dem Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG entsprechen. Dieser erfordert, soweit es um Straftaten und Delikte minderer Bedeutung geht, eine Wahrscheinlichkeit, die über die bei der konkreten Gefahr geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit hinausgeht. Insofern entsprechen die spezialgesetzlichen Regelungen nicht Art. 11 Abs. 2 GG. Weiterhin muss das Zitiergebot in den jeweiligen Polizeigesetzen beachtet werden. Letztlich ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Rege-

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lung von Aufenthaltsverboten umstritten, weil der Bund gemäß Art. 73 Nr. 3 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der Freizügigkeit hat. Diese schließt jedoch die Gesetzgebungskompetenz der Länder bezüglich der Aufenthaltsverbote nicht aus, weil der Begriff der Freizügigkeit in Art. 73 Nr. 3 GG von dem in Art. 11 Abs. 2 GG zu unterscheiden ist. Letzterer umfasst die Regelungen zur Freizügigkeit im Rahmen der Gefahrenabwehr, die Ländersache ist. In Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Aufenthaltsverboten ist die Geeignetheit nur in Bezug auf Maßnahmen gegenüber Mitgliedern der Drogenszene zu bejahen. Die Aufenthaltsverbote führen, auch wenn die Drogenszene in andere Stadteile verdrängt wird, zumindest zu einer Erschwerung der Begehung von Drogendelikten. Gegenüber Wohnungslosen und Trinkern ist die Erteilung von Aufenthaltsverboten ungeeignet, weil zum einen schon die Gefahr der Begehung von Straftaten im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG zweifelhaft ist, zum anderen die Probleme im Zusammenhang mit diesen Szenen durch eine Verdrängung in andere Gebiete sogar noch verschärft werden können. Die Erforderlichkeit und Angemessenheit von Aufenthaltsverboten gegenüber Mitgliedern der Drogenszene ist insbesondere hinsichtlich des zeitlichen und räumlichen Ausmaßes jeweils im Einzelfall zu bewerten. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass das Betreten bestimmter Stadtgebiete für wichtige Erledigungen oder zur Wahrung persönlicher Beziehungen möglich bleibt. Insbesondere die eigene Wohnung muss vom Aufenthaltsverbot ausgenommen bleiben. Bezüglich der anderen Ausnahmegründe führt die praktische Handhabung dazu, dass die einzelnen Maßnahmen trotz der Nennung der Ausnahmen in den Ermächtigungsgrundlagen unverhältnismäßig werden. Die Betroffenen müssen das Bestehen der Ausnahmegründe meist schriftlich anzeigen und glaubhaft machen, was insbesondere Ausnahmen wie „die Verrichtungen des täglichen Lebens“, aber auch Besuche bei Ärzten oder Rechtsanwälten faktisch unmöglich macht beziehungsweise stark erschwert. Letztlich ist die Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltsverbote und der einzelnen Verfügungen umstritten. Die jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen sind bestimmt. Lediglich in den Fällen, in denen Aufenthaltsverbote auch gegen Personen zulässig sind, die „zur Begehung von Straftaten beitragen“, ist durch die Abkoppelung vom strafrechtlichen Begriff der Teilnahme und der dadurch bedingten ausufernden Erweiterung des betroffenen Personenkreises die Bestimmtheit nicht mehr gegeben. Die Aufenthaltsverbotsverfügungen sind dann nicht bestimmt genug, wenn wie in München der Zugang für „die persönlichen Verrichtungen des täglichen Lebens“ ausgenommen ist. Der Verbringungsgewahrsam kann auf keine in den Polizeigesetzen enthaltene Rechtsgrundlage gestützt werden. Die Befugnisse zum Platzverweis ermächtigen nicht dazu, eine Person zu verpflichten, sich an einen bestimmten Ort zu begeben. Der Verbringungsgewahrsam lässt sich aber auch nicht auf die Befugnisse zur Ingewahrsamnahme stützen. Er stellt einen Gewahrsam und

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damit eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG dar, weil der Betroffene gehindert wird, sich aus einem eng umgrenzten Ort zu entfernen. Es kommt weder auf den Ort an, an dem der Betroffene festgehalten wird, noch auf Zweck oder Dauer der Maßnahme. Die Befugnisse zur Ingewahrsamnahme umfassen jedoch nicht das Verbringen an einen anderen weit entfernten Ort. Weil der Verbringungsgewahrsam kein Gewahrsam ist, kann er auch nicht aufgrund der Vorschriften der Gewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises gerechtfertigt werden. Er ist auch nicht als Minusmaßnahme dazu rechtmäßig. Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG verlangen ein förmliches Gesetz als Rechtsgrundlage für Freiheitsbeschränkungen. Diesem speziellen Gesetzesvorbehalt wird die Annahme einer Minusmaßnahme nicht gerecht. Der Verbringungsgewahrsam findet auch keine Rechtsgrundlage als Vollstreckungsmaßnahme zur Generalklausel, weil die Gewahrsamsvorschriften die Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG abschließend regeln. Unabhängig von der fehlenden Rechtsgrundlage berührt der Verbringungsgewahrsam jedoch nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG. Es fehlt an der freizügigkeitsregelnden Tendenz der Maßnahme, weil es aufgrund der Dauer nicht darum gehen kann, den Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG zu verhindern. Auch wenn man annehmen wollte, dass der Verbringungsgewahrsam auf die Vorschriften zur Ingewahrsamnahme gestützt werden kann, wäre er nur gegenüber Mitgliedern der Drogenszene gerechtfertigt. Bei Wohnungslosen und Trinkern ist die Voraussetzung, dass eine Straftat unmittelbar bevorsteht, nicht gegeben. Gefahrenabwehrverordnungen, die das Betteln, das Niederlassen zum Konsum von Alkohol oder das Nächtigen und Lagern verbieten, sind nur dann rechtmäßig, wenn die geregelten Tatbestände eine abstrakte Gefahr darstellen. Insoweit kann auf den Abschnitt der Arbeit zur Gefahr verwiesen werden. Das einfache Betteln begründet keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit, dass aggressive Betteln nur dann, wenn die Tatbestände entsprechend eng gefasst werden. Das aggressive Betteln stellt jedoch eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Der Konsum von Alkohol stellt ebenso wie der Aufenthalt Wohnungsloser und Trinker weder eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit noch für die öffentliche Ordnung dar. Das Lagern und Nächtigen ist eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Daneben bestehen Probleme hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes, soweit die Gefahrenabwehrverordnungen das aggressive Betteln regeln und durch nicht unter den Begriff fallende Verhaltensweisen näher definieren, und wenn Gefahrenabwehrverordnungen das Lagern in Personengruppen für den Fall verbieten, dass dadurch Passanten belästigt oder beeinträchtigt werden. Die Satzungskompetenz der Gemeinden zum Erlass von Sondernutzungssatzungen ist durch die landesrechtliche Regelung von Gemeingebrauch und Sondernutzung begrenzt. Was nach Landesrecht Gemeingebrauch ist, kann in einer Satzung nicht als Sondernutzung geregelt werden. Außerdem können straßen-

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rechtliche Satzungen keine ordnungsrechtlichen Tatbestände regeln. Das geregelte Verhalten muss also Verkehrsbezug, das heißt Auswirkungen auf den Gemeingebrauch und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, haben. Bezüglich der Unterscheidung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung ist dem weiten Verkehrsbegriff zu folgen. Für diese Unterscheidung sind nur verkehrsbezogene Verhaltensweisen relevant. Wenn diese nicht mehr unter den engen Verkehrsbegriff fallen, der die Fortbewegung, Ortsveränderung und den Transport von Gütern umfasst, können sie vom weiten Verkehrsbegriff erfasst sein. Das ist dann der Fall, wenn sie der Kontaktaufnahme, Begegnung oder Kommunikation dienen und sich innerhalb der objektiven Grenzen des weiten Verkehrsbegriffs halten, also verkehrsüblich sind, ohne den Gemeingebrauch anderer störende Hilfsmittel und Vorrichtungen auskommen und den Gemeingebrauch anderer nicht unzumutbar beeinträchtigen. Das Betteln ist nicht von Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Es fällt also nicht schon deshalb unter den kommunikativen Gemeingebrauch. Das einfache Betteln fällt unter den engen Verkehrsbegriff und damit den Gemeingebrauch, solange es nicht mit einem längeren Verweilen verbunden ist. Dann fällt es aber auch nicht unter den weiten Verkehrsbegriff, weil der Zweck nicht die Kommunikation beziehungsweise Pflege menschlicher Kontakte ist. Das aggressive Betteln wird überwiegend durch Verhaltensweisen näher definiert, die zwar ordnungsrechtlich, mangels Verkehrsbezuges aber nicht straßenrechtlich relevant sind. Allein das Versperren von Zugängen im Zusammenhang mit dem aggressiven Betteln ist eine straßenrechtlich relevante Verhaltensweise, die es auch aus dem Bereich des Gemeingebrauchs herausfallen lässt. Das Niederlassen zum Konsum von Alkohol wird vom Gemeingebrauch erfasst. Der Konsum von Alkohol hat keinen Verkehrsbezug, das Niederlassen fällt unter den weiten Verkehrsbegriff. Während das Liegen und Nächtigen nicht mehr vom kommunikativen Gemeingebrauch erfasst werden, gehören das Sitzen und Lagern durchaus noch dazu, solange keine sperrigen Gegenstände auf der Straße abgestellt werden. Zur Bestimmtheit der Sondernutzungssatzungen ergeben sich die bereits im Rahmen der Gefahrenabwehrverordnungen genannten Probleme. Anders als bei Sondernutzungssatzungen geht die Kompetenz des Landsgesetzgebers so weit, dass er selbst definieren kann, welche Verhaltensweisen noch unter den Gemeingebrauch fallen sollen und welche nicht. Auch kann er ordnungsrechtliche Tatbestände innerhalb des Straßenrechts regeln, solange er nicht in die Kompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts eingreift. Deshalb ist die Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 3 BerlStrG, die das Niederlassen zum Konsum von Alkohol und das Nächtigen sowie Lagern als nicht genehmigungsfähige Sondernutzung regelt, grundsätzlich rechtmäßig. Sie ist jedoch insoweit unverhältnismäßig, als sie das Niederlassen zum Konsum von Alkohol und das Lagern als nicht genehmigungsfähige Sondernutzung verbietet, ohne dass ein Ermessen bezüglich hinzukommender Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen eröffnet ist.

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Teil D: Diskussion zu den Polizeistrategien in New York und Deutschland Im vierten Teil werden die Polizeistrategien in New York und Deutschland diskutiert. Zunächst wird die Umsetzbarkeit des New Yorker Modells nach deutschem Recht hinterfragt. Der Vergleich zeigt, dass die Maßnahmen der Polizeistrategien stark voneinander abweichen, obwohl sich sowohl die New Yorker als auch die deutschen Strategien auf dieselben Grundlagen stützen, insbesondere die deutschen Strategien sich an der New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie orientieren. In New York wurden vor allem Ingewahrsamnahme und „stop and frisk“ praktiziert, während in Deutschland Aufenthaltsverbote und Verbringungsgewahrsam durchgeführt wurden. Der Rechtsvergleich zeigt schon bei den allgemeinen Grundlagen polizeilicher Tätigkeit deutliche Unterschiede zwischen dem der New Yorker Strategie zugrunde liegenden Recht und dem deutschen Polizeirecht. Letzteres setzt Maßnahmen der Polizei engere Grenzen. So fordert der nur im deutschen Recht geltende Gesetzesvorbehalt, dass die in die Rechte der Betroffenen eingreifenden polizeilichen Maßnahmen auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden können. Die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen setzen grundsätzlich das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die Verantwortlichkeit des Maßnahmeadressaten voraus. Gerade an diesen Voraussetzungen scheitern aber viele Maßnahmen gegen Mitglieder sozialer Randgruppen. Gefahrbegriff und Verantwortlichkeit nach deutschem Polizeirecht setzen die wesentlichen Grenzen für ein Handeln der Polizei im Sinne der „Broken Windows“-Theorie beziehungsweise der „Zero Tolerance“-Strategie. Eine vergleichbare Voraussetzung im New Yorker Recht ergibt sich aus dem 4. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung, der den Verdacht fordert, dass eine Straftat begangen wurde oder werden wird. Dieser Tatbestand ist jedoch nach New Yorker Recht auch bei einem Vorgehen gegen soziale Randgruppen erfüllt, weil deren Verhaltensweisen zu einem großen Teil als Straftatbestände geregelt sind. Nach deutschem Polizeirecht ist mangels entsprechender Verbotstatbestände der Rückgriff auf den Begriff der öffentlichen Ordnung notwendig. Durch die Einführung von Polizeistrategien im Sinne der „Zero Tolerance“-Strategie beziehungsweise der „Broken Windows“-Theorie käme dem verfassungsrechtlich bedenklichen Begriff eine zentrale Bedeutung zu. Für die Diskussion ist die Kritik an der „Broken Windows“-Theorie und der New Yorker „Quality of Life“-Initiative grundlegend. Es gab eine Vielzahl anderer Ursachen für das Absinken der Kriminalität in New York, sodass fraglich ist, inwieweit das rigorose Vorgehen der New Yorker Polizei gegen soziale Randgruppen dazu beigetragen hat. Die Erfolge, die die „Quality of Life“Initiative unstrittig gebracht hat, nämlich die vermehrte Festnahme gesuchter Täter schwerer Straftaten, sind nicht auf den Mechanismus der „Broken Windows“-Theorie zurückzuführen, sondern eine unbeabsichtigte Nebenfolge der

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erhöhten Kontrollen. In der rechtspolitischen Diskussion wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass die Ausgrenzung sozialer Minderheiten zugunsten einer verbesserten Lebensqualität der Mehrheit höchst problematisch ist. Insbesondere der durch die Vertreter der „Broken Windows“-Theorie geforderte auch ungerechte Eingriff in die Rechte unerwünschter Personengruppen zugunsten eines Bedürfnisses der Mehrheit nach Ordnung ist abzulehnen, solange diese Ordnung ungenau definiert ist, sich zum großen Teil auf das äußere Erscheinungsbild der Personen konzentriert und nicht als tatsächliche Mehrheitsmeinung ermittelt wurde. In der deutschen Wissenschaft wird zur Begründung von Polizeistrategien gegen soziale Randgruppen das zu schützende Sicherheitsgefühl der Bevölkerung angeführt. Dieses soll als Schutzgut herhalten, weil die tatsächliche Sicherheitslage nicht annähernd so dramatisch ist, wie in New York zu Beginn der „Zero Tolerance“-Strategie. Jedoch ist das Sicherheitsgefühl kein polizeiliches Schutzgut. Es ist auch kein objektiv konkretisierbares Rechtsgut, das zur Begründung von Grundrechtseingriffen herangezogen werden könnte. Das Polizeirecht ist nicht das richtige Instrumentarium, die zunehmenden sozialen Probleme in deutschen Innenstädten zu lösen. Nicht umsonst wurde schon im 19. Jahrhundert eine Abkehr des Polizeirechts von der Wohlfahrtspflege gefordert. Infolge dieser Tradition fehlt es der Polizei an Mitteln und Ausbildung, den komplexen Problemen entgegenzutreten. Diese müssen, solange sie unterhalb der für das Polizeirecht maßgeblichen Gefahrenschwelle bleiben, durch soziale und städtebauliche Instrumentarien angegangen werden.

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Sachwortverzeichnis

Abstrakte Gefahr, s. Gefahr Aggressives Betteln, s. Betteln

Beweisverwertungsverbot, s. exclusionary rule

Aktion Sicherheitsnetz 100

Bill of Rights 55, 60

Alkoholkonsum

Billigkeitsrecht, s. Equity law

– in Deutschland 119, 161, 268, 293

Broken Windows-Theorie 21, 334

– in New York City 64 Articulable reasons 76 Artikulierbare Gründe, s. articulable reasons Aufenthaltsverbot 108, 324 Begründeter Verdacht, s. reasonable suspicion Bench Squatter 91, 319 Bestimmtheitsgrundsatz – Bestimmtheit der Aufenthaltsverbotsverfügungen 245

Case Law 54 Common Law 54 Common Law-System 54 Community Policing 24, 350 Constitution of the United States of America 55 Desk Appearance Ticket 43, 50 Disorderly conduct 64 Drogendealer – in New York City 33, 51

– Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltsverbote 242

Drogenszene

– Bestimmtheit des Begriffs der öffentlichen Ordnung 166

– in New York City 33, 51

– Bestimmtheit von Gefahrenabwehrverordnungen 273

Durchsuchung 79, 320

– in Deutschland 97, 130, 144, 172, 192 Due process clause 89, 327 – s. auch stop and frisk

– Bestimmtheit von Sondernutzungssatzungen 299

Equity law 54

– s. auch Due Process Clause

Ermessen 82, 309

Betteln

Exclusionary Rule 81

– aggressives Betteln 148 – in Deutschland 148, 173, 270

Fallrecht s. Case Law

– in New York City 66, 89

Felony 63 Freiheit der Person 204, 213, 250

Sachwortverzeichnis Freizügigkeit 208, 213, 215, 264, 329

383

Öffentliche Sicherheit 143 Öffentlicher Raum 28, 33, 94

Gefahr 128, 310 – Abgrenzung zur Belästigung 137 – abstrakte Gefahr 134, 268

Operation Juggernaut 51 Order Maintenance 24, 336

– konkrete Gefahr 134

Ordnungswidriges Verhalten, s. disorderly Conduct

– objektive Gefahr 134

Ordnungswidrigkeit 132, 156

– subjektive Gefahr 134 Gefahrenabwehrverordnung 120, 267

Platzverweis 194, 198, 232, 249

Gefahrenvorsorge 134

Police Strategy No. 3 51

Gemeingebrauch 282

Police Strategy No. 5 27, 38

Generalklausel 262

Polizei

Gesetzesrecht, s. statutory law

– Aufbau in Deutschland 98

Gesetzesvorbehalt 306, 319

– in den USA 36, 22, 40, 57

Gesetzgebungskompetenz 224

Polizeigewalt 58

Gewahrsam 69, 250, 256, 257, 317

Polizeirecht in den USA 57

Gleichheitssatz 84, 324

Präventive Polizeimaßnahme 128

Gründe, artikulierbare, s. articulable reasons

Probable cause 69, 72, 75 Quality of Life-Initiative 29, 40, 338

Kapitalverbrechen, s. felony

Quality of Life Legislative Agenda 44

Konkrete Gefahr, s. Gefahr Reasonable suspicion 76 Lagern

Reasonableness 73, 61

– in Deutschland 119, 164, 179, 399, 304

Recht auf freie Rede 85, 325

– in New York City 48, 71

Recht zu Reisen 91, 329 Rechtsverletzung, s. violation

Misdemeanor 63

Reichsstrafgesetzbuch 94

Nächtigen

Repressive Polizeimaßnahme 128

– in Deutschland 119, 164, 179, 399, 304

Richterliche Anordnung, s. warrant

– in New York City 91 New York City Police Department 36, 40

Search and seizure 57, 73 Sicherheitsgefühl 100, 180, 345

Obdachlose, s. Wohnungslose

Sichniederlassen

O’Brien-Test 86

– in Deutschland 125, 161, 177, 295, 301

Offense 63

– in New York City 91

Öffentliche Ordnung 166

Sondernutzung 282

384

Sachwortverzeichnis

Sondernutzungssatzung 123, 277 Soziale Randgruppen 28

Verdacht, hinreichender, s. probable cause

– in Deutschland 94, 105

Vergehen, s. misdemeanor

– in New York City 33, 38, 43

Verhaftung 51

Statutory Law 55

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 226, 277, 308

Stop and frisk 44, 74, 320 Störer, s. Verantwortlichkeit Straftat 63 Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat begangen wird 187

– s. auch reasonableness Verstoß, s. offence Verstoß gegen die Verkehrsregeln, s. traffic infraction Violation 63

Terry stops 76

Wahrscheinlichkeit 134, 189

Traffic infraction 63

Warrant 69, 75

Trinker 28, 119, 155, 177, 193

Wohlfahrtspflege 138, 348 Wohnungslose 28

Verantwortlichkeit 139, 191

– in Deutschland 130, 155, 175, 174

Verbringungsgewahrsam 115, 245, 324

– in New York City 52

Verdacht, begründeter, s. reasonable suspicion

Zero Tolerance 25 Zitiergebot 222