Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [48]

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Zeitschrift des Historischen Vereins f. Schwaben u. Neuburg 48. Band * 1928/29

Augsburg J. A. Schlossersche Buchhandlung (F. Schott)

Buch- und Kunstdruckerei J. P. Himmer, Augsburg.

Vorwort. Der vorliegende Band der Zeitschrift faßt die Jahrgänge 1928 und 1929 zusammen, weil die beiden darin zum Abdruck gebrachten größeren Arbeiten im Interesse einer besseren Rundung des neuen Bandes nicht getrennt werden wollten. Dieser liegt bereits seit drei Viertel Jahren druckfertig vor, konnte jedoch nicht abgeschlossen werden, da die Arbeit über die Reichspflege Donauwörth unvorher­ gesehene langwierige Korrekturen brachte, an deren Verzögerung die Schriftleitung keine Schuld trifft. Gleich dem vorausgehen­ den ist auch diesem Bande wieder eine familiengeschichtliche Bei­ lage angeschlossen. Über die im letzten Jahrzehnt im Verein ge­ haltenen Vorträge gibt eine weitere Beilage einen Überblick. Der Jahresbeitrag beträgt wie bisher 5 Mark. Auf die nächste Zeitschrift bezügliche literarische Zusendungen wollen an die nachstehende Anschrift des Schriftleiters gerichtet werden. Dr. H. Wiedenmann. Augsburg, Fuggerstraße 121/2.

Inhalts-Verzeichnis. Seite

Augsburg im Urteil der Vergangenheit. Von Stadt­ oberbibliothekar Dr. E. Geb eie-Augsburg . . . 1—165 Die Reichspflege Donauwörth. Von Studienprofessor Dr. Jos. Wöhrl-München..................................... 166—284 Das sterbende Volkslied............................................... 285/6

Mitteilungen aus der Literatur: Das Schrifttum über schwäbische Ortsnamen- und Be­ siedelungskunde in der Zeit von 1919—1927. Von Oberstudienrat Jul. Miede 1-Memmingen . . . 286—311 Giuseppe Antonio Paganeili und Anton Maria Peruzzi in Augsburg. Von Dr. Max Herre-Augsburg . . 312—319 Die Entstehung und mittelalterliche Entwicklung der Stadt Nürnberg in geographischer Betrachtung von Dr. J. v. Strampf. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. Jos. Hirsch-Augsburg.......................................... 319/20 Das Eßlinger Kaufhaus, 1388—1749, von Dr. Erwin Haffner. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. G. KeßlerAugsburg . . . .•............................................... 320/1 Die „Fürlegung“ in den Handelsgesellschaften desMittelalters und des Frühkapitalismus von Dr. Valentin Mayer-München. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. Jos. Hirsch-Augsburg.......................................... 321 Trift und Flößerei auf Lech und Wertach in der Zeit von 1500—1900 von Dr. Jos. Deiser. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. G. Keßler-Augsburg .... 322/3 Kardinal Otto Truchseß von Waldburg, Fürstbischof von Augsburg von Bernhard Schwarz. Besprochen von Stud.-Prof. J. Meyer-Augsburg............................ 324

Seite

Bozener Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst. Herausgegeben von Dr. Rud. Marsoner und Dr. Karl M. Mayr. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. G. Keßler-Augsburg.................................................... Das Asylrecht bei dem Hoch- und Reichsstift St. Ulrich und Afra zu Augsburg von Dr. Kurt Reich. Be­ sprochen von Stud.-Prof. J. Meyer-Augsburg . . Geschichtsbilder vom ehemal. Reichgotteshaus Wetten­ hausen von Franz Mayer. Besprochen von Stud.Prof. Dr. O. Feiler-Augsburg................................. Untersuchungen über die Prämonstratenser- Gewohn­ heiten von Dr. H. Th. Heijman. Besprochen von Stud.-Prof. Dr. O. Feiler-Augsburg.................... Geschichte des Bischöfl. Priesterseminars Dillingen a/D. von Dr. Th. Specht und Dr. A. Bigelmair. Be­ sprochen von Stud.-Prof. Dr. O. Feiler-Augsburg . Der Bayerische Vorgeschichtsfreund, herausgegeben von Dr. Fr. Wagner. Besprochen von Stud.-Prof. J. Meyer-Augsburg...................................................

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Augsburg im Urteil der Vergangenheit. Von Stadtoberbibliothekar Dr. E. Ge bei e-Augsburg. Es gewährt einen hohen Reiz, aus erster Quelle zu erfahren, wie eine Stadt von der historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung Augsburgs im Laufe der Jahrhunderte von außenste­ hender Seite beurteilt wurde. Zuerst sind Kultur- und Kunsthisto­ riker, die ja weniger auf archivalisches Material zurückgreifen, auf die Bedeutung dieser Quellen aufmerksam geworden. Zuletzt hat auch, wie Beispiele aus neuester Zeit beweisen,1 die Historie diese Quelle beachtet. Pius Dirr2 hat Vorjahren in seiner anregenden Weise verschiedene Äusserungen, welche die Aufklärung über Augsburg gebracht hat, zusammengestellt. Wenn wir heute den Versuch unternehmen, all diese Berichte, Aufzeichnungen und Schilderungen über Augsburg aus der ganzen historischen Zeit zu sammeln, so steht uns dabei ein überreicher Stoff zurVerfügung. Kein Reisender von Bedeutung, kein Geograph von Ruf, kein Historiker von Format konnte und kann an einer Stadt von der Bedeutung Augsburgs vorübergehen, ohne zu ihr Stellung zu nehmen. Mögen auch all diese Urteile und Äußerungen, die im Laufe der langen Jahrhunderte über unsere Stadt gefaßt wurden, je nach der subjektiven Einstellung und dem Temperament des je­ weiligen Verfassers ebenso wie nach der politischen oder religiösen 1 z. B. Felix Stieve: Urteile und Berichte über München aus dem 15., 16. und 17. Jahrh. = Jahrbuch für Münchener Geschichte. Jg. 1. S. 313 ff., München 1887. K. v. Reinhardstöttner; Bayern und seine Hauptstadt im Lichte von Reise­ schilderungen und fremden Kundgebungen = Forschungen zur Kultur-und Landes­ geschichte Bayerns. Jg. 1894—1902. G. Steinhausen: Die Deutschen im Urteile des Auslandes = Deutsche Rundschau. Jg. 36. H. 3/4, Berlin 1910. G. Rümelin: Altwürttemberg im Spiegel fremder Beobachter = Württembergische Jahrbücher. 1864. 1. S. 262—355. 2 Augsburg in der Publizistik und Satire des 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift des Historischen Vereins von Schwaben und Neuburg, Jahrg. 40 (1914). S. 177* P. P. Auer: Freiburg im Urteil der Jahrhunderte. Freiburg 1924. 1

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Richtung differieren, das eine können wir vorwegnehmen: Augsburg wird fast ausnahmslos seiner welthistorischen Bedeutung nach ein­ geschätzt. Fast lückenlos reicht die Kette dieser Berichte vom späten Mit­ telalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, das wir uns als Grenze gesetzt haben. >Jeid und Voreingenommenheit begegnet uns ebenso wie hohes Lob und freundliche Anerkennung. Eine große An­ zahl hauptsächlich deutscher Historiker, die allerdings unsere Stadt nur im Verfolg der historischen Ereignisse berühren, hat schon Paul von Stetten1 aufgezählt. Was die Bedeutung solcher Ausführungen für den Historiker be­ trifft, so ist es klar, daß sie mehr auf der kulturhistorischen Seite steht. Selbstverständlich muß eine richtende Hand Ursprüngliches vom Überlieferten noch scheiden. Aber trotzdem gewährt es dem Leser einen eigenartigen Reiz, all die alten Stimmen zu hören, die manchmal so verschieden aus der vergangenen Zeit heraufklingen. Für den Historiker jedoch erhebt sich, wie schon angedeutet, die Frage: sind all diese Urteile und Berichte auch unmittelbar und untrüglich als Geschichtsquelle anzusehen, sind sie wahr, sind sie beeinflußt und von wem? Im Voraus wollen wir gleich vorwegneh­ men, daß eine große Anzahl dieser Meinungen heute nur mehr über­ wiegend literarischen Wert hat. Daneben läuft aber eine bestimmte Reihe von Mitteilungen, die bei näherem Vergleich recht deutlich die Zeitmeinung verkörpern. Wenn sie auch nicht durchwegs ori­ ginell sind, so ist ihre Bedeutung doch umschrieben durch die Gel­ tung, die sie in Literatur und Wissenschaft sich erworben, eine Gel­ tung, die auch von der heutigen Geschichtsschreibung nicht außer Acht gelassen werden kann. Wenn zudem noch vielfach eine konven­ tionelle Meinung über die Stadt im einzelnen oder in ihrer Gesamtheit jahrhundertelang verfolgt werden kann, so erscheint das Urteil der Zeitgenossen durch diese Konstante sehr berechtigt. Selbst da, wo die einzelnen Meinungsäußerungen keinerlei Originalität verraten und nur rein sachlich auf die Materie eingehen, gewähren sie uns doch einen überraschenden Einblick in die mannigfachen Beziehungen des betreffenden Zeitraumes. Abgesehen davon werden uns dabei manche kunst- und kulturhistorische Einzelheiten bekannt gegeben, die wir sonst vermissen müßten. 1 In der Vorrede zu seiner Geschichte der Reichs- und Freien Stadt Augspurg. Franckfurt 1743. Bd. I.

3 Im folgenden sollen nun in chronologischer Reihe die Stimmen laut werden, welche bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sich mit unse­ rer Stadt beschäftigt haben. Allerdings ließen sie sich noch vermeh­ ren. Aber von den bedeutenden haben wir wohl keine übersehen. Und wenn doch manchmal recht unbedeutende und harmlose Stimmen zu Worte kommen, so hat es nur den Zweck, dadurch den Zeitcha­ rakter vollständig zu Worte kommen zu lassen. Völlig scheiden aus alle Augsburger, die sich über unsere Stadt geäußert haben — das wäre eine Aufgabe für sich —, ebenso ist mit einigen Ausnahmen unberücksichtigt geblieben: Augsburg im Liede und der Dichtung überhaupt. Wenn wir die Fülle der Berichte über unsere Stadt überschauen, so ergibt sich von selbst eine gewisse Einteilung :Reisebeschreibungen, die auf Grund eigenen Erlebens erzählen, Reisehand­ bücher zum Nutzen und Frommen der Unerfahrenen: diese Führer, Vorgänger der modernen Baedeker, unterscheiden sich ebenfalls in solche, bei denen der Verfasser seine eigenen Erfahrungen mit­ teilt, oder in solche, die er vom Schreibtisch aus auf Grund mehr oder weniger eingehenden Quellenstudiums in die Welt hinaus ge­ schickt hat. Mit der zunehmenden Bedeutung des Geographiestu­ diums wächst ins Ungeheuerliche fast die Zahl der geographi­ schen Lehr- und Handbücher mit mehr oder weniger histori­ schem Beigeschmack. Mag es sich hier um alphabetisch abgefasste Kompendien zum Gebrauch für den Zeitungsleser oder um historisch­ geographische Handbücher, um Universalgeographien, ja sogar um Schulbücher handeln, sie alle sind bedeutend, weil ihr Urteil, ihre Auffassung maßgebend war für Millionen von Lesern, die daraus ihre Meinung über die Bedeutung unserer Stadt sich bildeten. Einige damals noch seltene Äußerungen aus der Presse sind ebenfalls nicht vergessen. Während das Mittelalter noch rein annalistisch sich auf historische Ereignisse beschränkt und selten oder gar nicht sich ein Urteil über eine bestimmte Stadt bildet, wird dies anders mit dem Einfluß der Renaissance. Die mächtige Bürgerstadt des Handwerks und des Ge­ werbes, des Handels und der Kunst findet in deutschen Kreisen all­ überall wachsende Beachtung. „Die Augsburger Pracht“ wird zum Weltsprichwort. Aber nicht nur das Urteil der eigenen Landsleute erweckt das Interesse, nein in noch höherem Maße lauschen wir der Meinung l*

4 des Auslandes. Und hier ist es seltsam zu sehen, wie namentlich am Ausgange des Mittelalters die Renaissance zwei Richtungen pflegte, eine anerkennende und eine mehr oder weniger haßerfüllte» ablehnende. Um es gleich vorwegzunehmen, unser Augsburg, die Stadt der Renaissance, von der so viele Beziehungen in aller Herren Ländern ausgingen, hat unter dem harten Urteil, das über Deutsch­ land so oft gefällt wurde, fast gar nicht zu leiden gehabt. Unfreundliche Urteile der Nationen gegen einander sind eigent­ lich nichts Ungewöhnliches. Diese gegenseitige Verspottung, bei der nach Schopenhauer „alle Recht habenÄ, erstreckt sich ja sogar auf die einzelnen deutschen Stämme. Die Romanen, von derenSeite unser Vaterland oft ungünstig beurteilt und eingeschätzt wurde, haben als Nachkommen der Römer deren Einschätzung des deut­ schen Volkes übernommen. Die stolzen Römer ertrugen das Schick­ sal, das ihnen in der Völkerwanderung germanische Herren auf­ gezwungen hatte, nur ingrimmig und rächten sich dadurch, daß sie diesen „Barbaren“ alle schlimmen Eigenschaften beilegten. Und dies Urteil haben die Romanen vielfach auch heute noch bewahrt. Trotzdem die Renaissance auch ihren Abglanz in Deutschland fand, das nicht mehr wie bisher von Frankreich seine Minnekultur bezog, sondern freudige, wissensdurstige Jünglinge nach Italien sandte, denen Künstler und Kaufleute folgten, wurde das Urteil gerade am Ausgang des Mittelalters über das barbarische Deutsch­ land immer härter. Gewerbe und Technik blühten, der Bürger wurde reich und trat an die Stelle des verarmten Ritters. Mit seiner mate­ riell angehauchten Kultur schlug er die gelehrte „Verbildung8. Eine gewisse derbe Lebensfreudigkeit und ungebundener Genuß verbunden mit einem schlagfertigen, gröblichen Humor brachte eine Blütezeit des Saufens und Schiemmens und Singens, eine Derb­ heit — ich erinnere nur an die Sprache der Flugschriften Luthers und der Reformationszeit —, die auch in der Literatur vielfach Ein­ gang fand. Dieser Abstand von der hohen und überverfeinerten Kultur Italiens hat das Dogma von der deutschen Barbarei nament­ lich auch bei den Italienern stark befestigt. Trotz dieser Einstellung, die uns immer wieder begegnet, hat der imponierende Fortschritt Deutschlands auf wirtschaftlichem Ge­ biete, der Reichtum und die Macht insbesondere der Städte, auch den Italienern und den anderen Völkern gewaltigen Respekt abge­ rungen. Überschwenglich, wie sie den Charakter des Volkes viel-

5 — fach tadeln, rühmen sie auf der andern Seite diese Tatsache. Wir werden im folgenden sehen, wie übereinstimmend hier die Schilde­ rungen lauten. 1438 macht der Kastilianer Peter Tafur eine Reise durch Deutschland und findet über die deutschen Städte nicht ge­ nügend Lobesworte. Um die gleiche Zeit bewundert der russische Metropolit Isidor deutsches Bürgertum. Entzückt zeigt sich Aeneas Sylvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II., 1458 über Deutsch­ lands Städte. „Aufrichtig zu reden, kein Land in Europa hat bessere und freundlichere Städte als Deutschland“. Seinem Urteil schließen sich verschiedene seiner Landsleute an. 1497 preist der Franzose Pierre de Froissard den Reichtum der deutschen Kaufleute, von dem „die Blüte der Städte, die Pracht der öffentlichen Gebäude und der Privathäuser, wie die kostbaren Schätze im Innern der Wohnungen sprechende Zeugnisse ablegen.“ Selbst der kritische Macchiavelli nennt im Jahre 1507 die deutschen Städte den „Kern des Reiches“ und bewundert gebührend ihren mächtigen Reichtum. All diese Beispiele ließen sich noch genügend vermehren. Aber trotz der Bewunderung über die materielle und äußerliche Seite dringt stärker oder schwächer der Unterton der Verachtung über die kulturelle Rückständigkeit der Deutschen vielfach durch. Das hat, wie wir im folgenden sehen werden, manche deutsche Humanisten zu einer energischen Verteidigung ihres Vaterlandes und zu einer berechtigten Kritik veranlaßt. Es sei nur erinnert an Erasmus von Rotterdam, Konrad Celtes usw. Einen Wandel hat bei den Romanen die Erfindung der Buchdruckerkunst durch einen Deutschen hervorgebracht. Deutsche Kunst hat der römischen Wissenschaft den Weg in die Welt dadurch gebahnt. Einzelne, doch nicht alle, Italiener werden dem deutschen Lande jetzt wieder eini­ germaßen gerecht. Antonio de Beatis, Giordano Bruno und andere gingen hier mit gutem Beispiele voran. Auch von Seite der stammverwandten Engländer ist manch hartes Urteil über den deutschen Volkscharakter gefallen, übernommen aus den gebräuchlichen Wendungen in der Literatur und verstärkt durch den Konkurrenzneid, den ihr damals erwachender Welt­ handel auslöste. Doch sind im allgemeinen die Äußerungen reisen­ der Engländer und ihrer Geographen nicht so scharf zugeschnitten und etwas gedämpft durch die Tatsache, daß Deutschland das Va­ terland der Reformation ist. Mit Spott und Hohn betrachten fast ausnahmslos die Franzosen

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unser Vaterland. Das Land der Kultur findet alles außerhalb seiner Grenze schon damals als lächerliche Rückständigkeit. Allerdings müssen wir diesem Urteil dasjenige vieler Reisenden und Geographen gegenüberstellen, welches der Bedeutung Deutschlands und seiner Städte doch einigermaßen gerecht wird. Namentlich über Augs­ burg, trotz gelegentlicher Seitenhiebe auf die Confessio Augustana, hören wir viele freundliche Worte. Mit der Zeit, da das Reisen immer allgemeiner wurde, hören diese einseitigen Nachrichten fast vollständig auf. Die Landes­ grenzen werden näher gerückt, man findet auch beim Nachbar manches Schöne, Beziehungen zu einheimischen Familien klären viele Voreingenommenheiten auf, die politische Verbundenheit mit Frankreich namentlich übertüncht auchunsereKultur, so daß schließ­ lich Westeuropa fast eine kulturelle Einheit bildet. Herbe Kritik aus dem eigenen Lager stört diese lange Jahre ge­ pflegte, fast uniformierte Berichterstattung über Deutschland, na­ mentlich aber die über unsere Städte. Es geschieht dies in der Zeit der sogenannten Aufklärung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahr­ hunderts empfinden wir einen niegesehenen Aufschwung des Gei­ steslebens, der eine Revolution im ganzen Denken der Zeit bewerk­ stelligte. Nicht mehr an einen engen und beschränkten Kreis der Gebildeten richtete man fernerhin das Wort, nein jedem Menschen sollten die Fortschritte des menschlichen Geistes in reichstem und freiestem Maße zuteil werden. Um die wirklichen oder eingebilde­ ten Mißstände der damaligen Zeit zu geißeln, bediente man sich gerne der Reisebeschreibung, wobei man bequem alles, was einem nicht paßte, der Öffentlichkeit gegenüber dem Spott und Hohn aus­ setzen konnte. Ein beliebtesThema waren natürlich die Reichsstädte und darunter besonders Augsburg, das in dieser Zeit des freien Den­ kens durch seine verzopfte Parität gleicherweise katholischen wie protestantischen Autoren einen starken Angriffspunkt bot. PiusDirr hat ja diese Seite in der Literatur erschöpfend behandelt,1 weswegen wir im folgenden unter Hinweis auf seine Ausführungen die von ihm angeführten Stimmen übergehen werden. Trotzdem hat sich eine breite Richtung von Reisenden und Geographen, nicht nur aus dem Augsburger Lager, von der aufklärerischen Einstellung nicht beirren lassen und die allerdings geschwächte Bedeutung unserer Stadt und 1 Zeitschrift des Historischen Vereins von Schwaben und Neuburg: Jg. 40. S. 177 ff.

7 besonders ihren historischen und künstlerischen Einfluß redlich an­ erkannt. Doch wir sind noch nicht so weit. In spezieller Beurteilung der Berichte über unsere Stadt wollen wir einige einführende Bemer­ kungen über die Entwicklung der betreffenden Literaturgattungen, der Reisebeschreibung und der geographischen Handbücher im fol­ genden geben, welche den kulturellen und historischen Wert dieser Art von Quellen unterstreichen sollen. Die deutsche Reisebeschreibung beginnt am Ende des Mittel­ alters mit dem Übergang zur Neuzeit. Schon früher wurden solche Berichte gern gelesen, da es ja dazumal nur verhältnismäßig wenigen im Leben gegeben war, eine Reise zu unternehmen. Für ihre Be­ liebtheit zeugt auch die verhältnismäßig große Zahl solcher uns erhaltener Reiseschilderungen. Für uns sind sie eine außerordent­ lichwichtige und reiche Quelle kulturgeschichtlicher Entdeckungen. Sie gewähren uns nicht bloß einen intimen Einblick in die kul­ turellen Verhältnisse der damaligen Zeit, nein durch ihr Schweigen zeigen sie uns auch, was man damals übersah und nicht für wichtig hielt. Natürlich sind die einzelnen Beschreibungen sehr von einander abweichend je nach Stellung, Bildung und Begabung des betreffen­ den Reisenden, je nach dem Zweck, den er mit seiner Reise verfolgte. All diese verschiedenartigen Reisebeschreibungen boten dem seit der Mitte des 15. Jahrhunderts frisch erwachten Wandertrieb des Volkes immer neue Nahrung. Besonders die religiöse Richtung, auf Wallfahrten eingestellt, war hier entscheidend. Diese frühen Reisen kann man in zwei Klassen aufteilen, in Pilgerund weltliche Reisen. Die ersteren überwiegen in der Zeit bis un­ gefähr 1600; allerdings bringen sie im allgemeinen nur unbedeutende Nachrichten über die engere Heimat. Das Herz des Pilgers weilt schon in der Ferne bei den heiligen Stätten und in den fremden, seltsamen Landen. Neben die große Zahl der Pilgerreisen treten seit dem 14. Jahrhundert verhältnismäßig wenig weltliche Reisen. Es sind dies meist Kriegs- und Ritterfährten. Erst im 16. Jahrhun­ dert werden Reisen in modernem Sinne häufiger. Das erwachende wirtschaftliche Leben, die Entdeckung fremder Länder und Erd­ teile lassen Handel und Verkehr zu ungeahnter Blüte gelangen. Die Reisen dieser Zeit zerfallen wieder in Kriegs- und Eroberungs­ fahrten, besonders in die neue Welt, in Ritterfahrten durch die Höfe und großen Städte Europas; daneben finden wir viele Geschäfts-

8 reisen der Kaufleute oder diplomatische Reisen fremder Gesandten. Forschungsreisen, die gelehrten Zwecken dienen, werden unternom­ men ; reiche Adelige suchen, um ihre Gesundheit wieder zu erlangen^ berühmte Badeorte auf und versäumen dabei nicht Land und Leute kennen zu lernen. Auch reine Vergnügungsfahrten sind nicht selten, daneben fehlt auch schon damals nicht der mittellose Abenteurer aus vornehmer Familie, der seine Finanzen durch das Glückspiel aufzubessern hofft. Der Zweck, zu welchem diese Reisebeschreibungen abgefaßt wurden, ist entweder ein rein persönlicher, um die Freude an dem Erlebten für sich zu bewahren oder aber es waren diese Aufzeich­ nungen literarisch gedacht und für die Öffentlichkeit bestimmt. Der letztere Gedanke entstand aus dem Wunsch, auch anderen die Er­ fahrungen einer weiten Fahrt zugänglich zu machen. Wir sehen hier die Quelle und allmähliche Entstehung der später so aufblühenden Führerliteratur. Daneben wurde vielfach das belehrende Moment nicht vergessen, das dem Leser, dem der Besuch fremder Lande versagt blieb, ein Bild davon geben sollte. Im allgemeinen sind die Berichte namentlich der Palästina- und Rompilger ziemlich uniform, was auf Benützung von gemeinschaftlichen Quellen schließen läßt. Natürlicher und freier sind die Berichte über die engere Heimat. Hier tritt uns im allgemeinen nur das entgegen, was der Reisende selbst gesehen und erlebt hat. Der Ballast der überlieferten Märchen fällt hier fast immer weg. Neben dem Augenschein wirkt hier münd­ liche Belehrung und Erkundigung an Ort und Stelle. Die endgül­ tigen Berichte sind an Ort und Stelle, oft nach kurzen Aufzeich­ nungen zu Hause nach Beendigung der Reise gemacht worden; daneben erscheint schon früh fiktiv oder wirklich die Briefform. Über Form und Inhalt der früheren Reisebeschreibungen ist zu erwähnen, daß dieselben je nach dem Zwecke differieren. Wohl verrät sich manchmal eine auffallende Übereinstimmung. Besonders der Standpunkt des Pilgers läßt es erklärlich erscheinen, wenn er den Weg durch Deutschland nach Venedig kurz ab tut. Er erwähnt nur die größeren Orte und die Übernachtungsstationen. Vielleicht zeichnet er die Wirtschaften auf, wo er eingekehrt ist, oder dieses oder jenes Kloster und Heiligtum, das er besucht hat. Alles in allem vermi ßt man die persönliche Behandlung des Stoffes, welche den Leser an die Person des Verfassers knüpfen und ihn instand setzen soll, das Gesehene mitzuerleben. So ist diese Form noch weit entfernt

9 von der literarischen Reisebeschreibung. All die Schilderungen bis zum 15. Jahrhundert ähneln mit verschwindenden Ausnahmen unsern unpersönlichen Reiseführern. Nur wenige weisen durch Auf­ nahme eigener Erinnerungen auf den Wandel hin, der im 16. Jahr­ hundert eine persönliche Darstellung geschaffen hat. Bevor wir darauf eingehen, ist es von Interesse zu hören, was eigentlich in dieser Zeit das Interesse des Reisenden erweckt. Das ist fast immmer das äußere Bild der Stadt mit ihren Toren, Wällen und Gebäuden. Daneben werden ungewohnte Wahrnehmungen und besonders gerneFabeln und Historien mit einer gewissen Leichtgläu­ bigkeit aufgenommen. Seit dem 16. Jahrhundert tritt vielfach die Zeitgeschichte, besonders die Reformation, in den Vordergrund. Ein allgemeiner Umschwung ist jedoch seit dem 16. Jahrhundert zu beobachten. Eine Reiselust, wie noch nie, hat die Welt erfaßt, er­ möglicht durch den gewaltigen Aufschwung,den Handel undGe werbe gefunden haben, ermöglicht auch durch die größere Sicherheit und Bequemlichkeit des Reisens, bestärkt durch den zunehmenden Wis­ sensdurst. Nur wenig mehr sind es Pilger, die hinausziehen; und gerade dadurch, daß die Reisen ihres religiösen Charakters beraubt sind, wird der Beschreibung der Sehenswürdigkeiten in weltlichem Sinne ein größerer Raum eingeräumt. So lernt der Mensch des 16. Jahrhundert auf Grund seiner eigenen Beobachtungen, die Einzelheiten seiner Reise mit einer persönlichen Note zu umgeben und in der Form der Kleinmalerei darzustellen. Der Anteil, der dem Leser dadurch zufällt, ist außerordentlich reiz­ voll und erweckt allüberall ein beachtenswertes sachliches Interesse. Während bisher die Reisebeschreibungen im allgemeinen nur dem wissenschaftlich eingestellten Spezialgelehrten geographische oder schwache kulturgeschichtliche Andeutungen brachten, wird jetzt durch das Moment der Spannung jeder Leser aufmerksam gehalten: die Reisebeschreibung hat literarischen Wert erhalten. Trotzdem gibt es noch recht wenig zu beschreiben. Wenig an­ schaulich wird das Gesehene und Erlebte dargestellt, aber die eigene Person des Erzählenden tritt immer mehr in den Vordergrund. Der Eindruck desXjesehenen, die Reflexion, fehlt anfänglich vollständig. Der Leser erlebt sachlich mit. Nur wenn der Vergleich mit Ähn­ lichem in der Heimat gegeben ist, kommt dies zum Ausdruck. Sonst sehen wir nur ein allgemeines Empfinden, das sich in den Wört­ chen „schön“, „lustig“ usw. wiederspiegelt, ohne daß dem Schreiber

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die Gabe wird, es deutlich und klar darzustellen. Die Kunst, das Schöne zu sehen und den Eindruck auch ästhetisch zu würdigen und wiederzugeben, war noch nicht erfunden. Das hat erst im mo­ dernen Sinne Rousseau und das 18. Jahrhundert fertig gebracht. Trotz dieser Mängel, die im Zeitgeiste begründet sind, hat doch die Reisebeschreibung bis zum 30 jährigen Kriege sich zu einer Höhe entwickelt, die ihr einen Platz in der Literatur verschafft. Statt mit den Fabeln und Märchen des Mittelalters, die allerdings nie vollständig verschwinden, wird nur selbst Erlebtes geschildert. Zwangsläufig wird so die Reisebeschreibung eine Summe von selbst gesammelten Eindrücken und auch Erfahrungen, die um so wert­ voller werden, je bedeutender die Person des Verfassers ist. Damit ist die Form erreicht, in der die Reisebeschreibung in die Literatur eingetreten ist und in der sie sich bis auf unsere Zeit zu einer eige­ nen Literaturgattung entwickelt hat. Und wie sieht der Mensch dieser Zeit Land und Volk und Stadt? Eine große Bedeutung hat hier die Menschenbeobachtung, die wir allerdings sehr konventionell gehandhabt finden. Das böse Urteil über die Schwaben werden wir öfters im folgenden hören. Aller­ dings bei selbständiger Beobachtung finden wir wahrheitsgetreue Bemerkungen über Lebensweise, Sitten und Gebräuche. Von Augs­ burg werden stets gerühmt seine prächtigen Trachten und allgemein ist fast bei allen Reisenden das Lob der schönen Frauen, das wohl sprichwörtlich geworden ist durch einige hervorragende Vertre­ terinnen wie Agnes Bernauer, Philippine Welser usw. Ebenso knüpft sich an diese Beispiele die Hervorhebung der tugendhaften Unnah­ barkeit der Augsburger Frauen. Geradeso uniform aus den gleichen Gründen sind die stets erwähnten reichen Augsburger Kaufherren. Daneben wird die Beschäftigung und Tätigkeit der fleißigen Bürger nicht außer Acht gelassen. Bezeichnend ist es für die Romanen, daß sie die Sauberkeit und Reinlichkeit, welche sie bei uns vorfinden, erstaunlich, ja überhaupt erwähnenswert finden. Für eine hohe Kul­ tur, namentlich in Augsburg, zeugt die Aufzählung der Bequemlich­ keiten, gute Betten, gutes Essen, Fenster aus Glas usw. Unter dem Einfluß der Renaissance hat die Betrachtiyig der Kunst­ gegenstände in dieser Zeit das tiefste Verständnis gefunden. Bau­ werke, Kirchen und öffentliche Gebäude, Gemälde usw., auch Ge­ genstände der Technik stehen im Mittelpunkte des Interesses. Wenn auch im allgemeinen kein höherer Ausdruck als „schönprächtig“

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gefunden wird, so ist doch die Weise und das Ausmaß, mit dem das Gesehene dieser Art dargestellt wird, ziemlich ausführlich. Einen tiefen Eindruck erweckt natürlich das Gewaltige im Maße: Kirchen, Tore, Wälle. Daneben staunt man über Bauwerke, die aus Steinen erbaut sind, über große Räume, über die Höhe der Häuser, die Breite der Straßen, die Schönheit der Brunnen. Es ist dies die erste und wirkungsvolle Art, ein Kunstwerk in seinen Ein­ zelheiten zu betrachten und ästhetisch zu würdigen, eine Kunst, die überraschend schnell eingedrungen und in Goethe, Winckelmann und Lessing während des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt er­ reicht hat. Diese Andeutungen mögen genügen, die Entwicklungsgeschichte dieser Art von Literaturgattung darzustellen. Sie haben gezeigt, wie das ursprünglich enge Gesichtsfeld wenig oder selbst gebildeter Rei­ sender seit dem 16. Jahrhundert sich geweitet hat. In dem Maße, wie die Kenntnis fremder und eigener Länder fortschreitet, wie die gei­ stigen Bewegungen neue Beobachtungsmethoden geschaffen haben, entwickelt sich die Reisebeschreibung. Allerdings nicht bloß der Zeitgeist ist hier wirksam, noch bedeutender ist die Gestaltungs­ kraft der einzelnen Persönlichkeit. Anfänglich vermissen wir diese vollständig. Man hatte das Gefühl, aber keinen Ausdruck dafür. Wie dieser gefunden wurde und sich entwickelt hat, haben wir eben gesehen. Eine eingehendere Beobachtung hat damit erreicht, das Gesehene anschaulich wiederzugeben und den Eindruck der Reise wiederzugeben; die Entwicklung schreitet fort, das Erlebnis wird in eine neue Form gefaßt, es wird zur Erzählung. Die Persönlichkeit steht jetzt im Mittelpunkt, das Interesse wird konzentriert; denn jede Einzelheit ordnet sich als Erlebnis in den Rahmen der Erzählung.1 Als dann mit der Wende zum 18. Jahrhundert eine noch stärkere Reiselust sich bemerkbar machte, die gefördert wird durch die größere Sicherheit auf den Straßen und einen guten Postverkehr, wächst die Reiseliteratur in einem ungeahnten Maße. Reisehand­ bücher, Reiseschilderungen, Reiseerinnerungen erscheinen immer zahlreicher auf dem Büchermarkt. Gleichlaufend wird dem Studium der Geographie ebenfalls erhöhtes Interesse entgegengebracht. Die geographischen und auch historischen Darstellungen der älteren Zeit bewegen sich im allgemeinen auf der Grundlage der 1 Zu den vorhergehenden Ausführungen vergleiche: Jakob Berg, Ältere deut­ sche Reisebeschreibungen. Dissertation der Universität Gießen. Alsfeld 1912.

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römischen und griechischen Vorgänger. Sie bringen nur oberfläch­ lich und ergänzend Mitteilungen, die einigermaßen zeitgemäß zu nennen sind. Das zeigt sich schon rein äußerlich in dem schweren historischen Ballast von allerlei Fabeln und dann auch Zitaten aus den klassischen Schriftstellern, an der Beibehaltung der politischen Einteilung des alten römischen Reiches, der lateinischen Städte­ namen usw. Etwas Erfrischung bringen in diese „geographischen® Darstellungen die Erzählungen aus der Zeit der Christenverfolgung. Sonst findet sich bei den älteren Geographen aber auch kein selb­ ständiger Zug. Das wurde erst anders, und zwar auch im heimatlichen Deutsch­ land, als die verschiedenen Länder sich durch einen regeren Ver­ kehr der Ideen und Bestrebungen einander näherten, ein Verkehr, der die Leute aller Stände von Land zu Land entgegenführte. Reisen in fremde Länder waren mit einem Male ein unentbehrliches Bildungsmittel für Hoch und Nieder. In Deutschland hatte sich der Verkehr seit dem 16. Jahrhundert mächtig entwickelt. In der Voll­ kraft stand das Bürgertum der Städte. Dem Raubrittertum, das die Straßen beunruhigte, war das Handwerk gelegt. Die Straßen wur­ den verbessert, die Wälder als Schlupfwinkel eines räuberischen Gesindels mehr und mehr gelichtet. Die Transportverhältnisse wuchsen automatisch durch den sich täglich steigernden Verkehr. Während früher nur im Notfälle Reisen, hauptsächlich aus geschäft­ lichen Gründen, unternommen wurden, wuchs jetzt das Bedürfnis, sich zu unterrichten und die Welt zu sehen. Dies alles kam der Kenntnis fremden und eigenen Landes zu Nutzen, die Wissenschaft der Geographie hatte ihren Vorteil davon. Der gesteigerte Reiseverkehr des 16. Jahrhunderts erweckte eine ganz neue Literaturgattung, die Apodemik. Man verstand da­ runter eine Anleitung, wie man auf Reisen das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden konnte. Joh. Gottfr. Lüdde zählt in seiner „Geschichte der Methodologie der Erdkunde® (Leipzig 1849) bis zum Jahre 1785 allein über 120 apodemische Schriften auf. Die ersten Bücher dieser Art sind die des Italieners Gradarolus „De regimine iter agentium® (Basel 1561) und namentlich des Theodor Zwinger „Methodus apodemica® (Basel 1577). Auf deutschen Universitäten war man bereits im 18. Jahrhundert soweit fortgeschritten, daß man eigene Reisekollegien las wie z. B. August Ludwig Schlözer in Göttingen.

13 Die Bearbeitung der Geographie beruhte anfänglich, wie er­ wähnt, nur auf Kommentierung und Ergänzung der alten griechi­ schen und römischen Geographen. In Deutschland wie in anderen Ländern tritt mit der Renaissance eine entschiedene Wendung ein. Sebastian Frank und Sebastian Münster sind die bemerkenswer­ testen Darsteller einer neuen Geographie, die sich bewußt vom Alten abkehrt und den Fortschritt der Zeit gelten läßt. Auf ihren Forschungen, die natürlich nicht ganz frei sind von manchen Feh­ lern, beruht die geographische Wissenschaft eines Jahrhunderts. Auf bauend haben die Geographen des 17. Jahrhunderts, vielfach aus eigener Anschauung und durch kritisches Studium, die Wissen­ schaft der Geographie mächtig gefördert. Gegen Ende des 17. Jahr­ hunderts bemerken wir ein bedeutendes Anwachsen des Stoffes, der üppig mit vielen recht wissenswerten Einzelnheiten die rein geographischen Elemente überwuchert. Bombastischer Schwulst in der Diktion trägt ebenfalls nicht zum Verständnis bei. Der Fortschritt der Zeit verscheucht zu Beginn des 18. Jahrhun­ derts die Fabeln und Märchen und den Schwulst der Sprache. Eine ernüchternde Prosa erinnert an Gottsched und seine Wasserpoeten. Die Wirklichkeit bringt aber Fortschritt, Mit wachsender Genauig­ keit werden die Zahlen über Einwohner, die Entfernungs- und Größenangaben häufiger. Dagegen vermissen wir die subjektive Anschaulichkeit, die durch eine langweilige Aneinanderreihung eines trockenen und systematisch geordneten Stoffes ersetzt wird. Also gerade die entgegengesetzte Entwicklung wie bei der Reise­ beschreibung. Eine überaus reiche Literatur bringt die allgemeine Erdbeschreibung. Wir erinnern nur an Büsching, dessen politisch­ statistische Methode lange beherrschend blieb. Als Lehrgegenstand in den Schulen tritt die Geographie erst spät auf. Sie war ursprünglich nur ein Zweig der Universitätswissen­ schaft und drang langsam in die Mittelschulen und erst im 18. Jahr­ hundert in die Volksschulen ein. Seitdem stieg die Flut der geogra­ phischen Schulbücher ins Ungemessene. Wie groß das Interesse an der Schulgeographie damals war, beweisen die „Kurzen Fragen über die Geographie“ von Johann Hübner, das erste Lehrbuch für „geho­ bene“ Volksschulen; in der Zeit von 1693—1731 erlebten sie 36deutsche Auflagen mit über 100000 Exemplaren. Eine vollständige Umwälzung auf dem Gebiete der Geographie brachte die Aufklärungszeit. Die beiden letzten Jahrzehnte des

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18. Jahrhunderts waren eine der großartigsten Epochen in der Ge­ schichte der geistigen Kultur. In allen Wissenszweigen verschwan­ den die bisherigen Methoden und überlieferten Grundsätze; der Weg zur Entwicklung ins 19. Jahrhundert war frei. Verschiedentlich schon hat sich das Altertum mit unserer Stadt beschäftigt; eine Reihe von römischen und griechischen Schrift­ stellern hat sich mit Augsburg — allerdings nur kurz — beschäf­ tigt. Wenn es auch meist nur eine historische Erinnerung oder eine geographische Erwähnung ist, so zeugt doch der öftere Hinweis auf Augusta Vindelicorum für die Wichtigkeit der Stadt. Kulturhi­ storisch von Wert ist die bekannte, sprichwörtlich gewordene Stelle bei Tacitus,1 wo er Augsburg die „splendidissima Rhaetiae provinciae colonia® nennt. Der berühmteste Geograph des Altertums. Claudius Ptolemaeus2 erwähnt die alte Augusta nur kurz als rein geographischen Begriff. Die wirtschaftliche Bedeutung Augs­ burgs, durch seine geographische Lage bedingt, lassen auch für die Folgezeit vorausahnen dieltinerarien, die Kursbücher des Altertums. Außer der Tabula Peutingeriana ist das Itinerarium Anto­ nin i die einzige große Sammlung von Wegeverzeichnissen, welche auf uns gekommen ist. Diese kurze Beschreibung verschiedener günstiger Reiserouten stammt aus der Zeit des Kaisers Antoninus Caracalla.3 Dort finden wir Augsburg als wichtige Reisestation und Hauptverkehrspunkt des römischen Reiches mehrfach erwähnt und zwar auf der Route Pannonien—Gallien, dann Wien—Bregenz; als Hauptweg nach Italien ist aufgeführt dieStraße Augsburg—Verona; jedesmal ist die Entfernung in römischen Meilen beigesetzt. Eine kurze Geschichte des römischen Reiches nach Provinzen, dem Kaiser Valens gewidmet, schrieb um das Jahr 370 Ruf us Festus.4 Er berichtet: „Marcomanni et Quadi de locis Valeriae, quae sunt inter Danuvium et Drauum, pulsi sunt et limes inter Romanos ac barbaros ab Atagusta Vindelicum per Noricum, Pannonias ac Moesiam est constitutus.® Bekannt und schon dem Namen nach mit unserer Stadt verbun­ den ist die Tabula Peutingeriana. Es ist dies eine Straßenkarte des römischen Reiches, die Castorius im 4. Jahrhundert abgefasst 1 2 8 4

Germania. Cap. 41. Geographia, II, 12, 3 und VIII, 7, 4. Text bei K. Miller, Itineraria Romana. Stuttgart 1916 S. LV ff. Breviarium. Recensuit W. Förster. Wien 1874. Cap. 8. p. 10.

15 hat. Allerdings ist das Original nicht mehr erhalten, sondern nur eine Abschrift aus dem 12. Jahrhundert. Diese wurde von dem be­ kannten Humanisten Konrad Celtes aufgefunden und 1507 an Konrad Peutinger zur Veröffentlichung übergeben. Nach dessem Tode war die Handschrift zweimal verschollen. Später kam das Original in den Besitz des Prinzen Eugen (1720) und nach dessen Tode in die Wiener Hofbibliothek. 1598 wurde sie von dem Augsburger Gelehrten und Bürgermeister Marx Welser zum erstenmale heraus­ gegeben und erschien in der Folgezeit noch öfters im Drucke.1 Die prächtige Karte, die durch ihr Schicksal eine Zeitlang mit Augsburg verknüpft war, zeigt auf Segment IV, 1 unsere Stadt als wichtigsten Verkehrsmittelpunkt des römischen Reiches in Deutschland. Obwohl durch die Stürme der Völkerwanderung verwüstet und verödet, erinnert sich der berühmte Hymnendichter Venantius Fortunatus, Bischof von Poitiers, der einst mächtigen Römer­ stadt. Sein „Leben des hl. Martinus“, das er um 565 gedichtet, sendet er nach seiner Vollendung nach Italien; im Geiste begleitet er das Manuskript auf dem Wege und kommt mit ihm auch nach Augsburg:2 Pergis ad Augustam quam Vindo Lycusque fluentant, Illic ossa sacrae venerabere martyris Afrae. In den Wirren der Völkerwanderung verschwindet auch unsere Stadt fast Jahrhundertelang aus Geschichte und Überlieferung. Mit dem Wiederaufbau der Stadt leben auch die Nachrichten über Augsburg, zuerst in Urkunden, dann auch in zeitgenössischen An­ nalen und Chroniken wieder auf. Die frühmittelalterliche Geschichtsschreibung beschäftigt sich oft und gerne mit Augsburg. Zwar sind es meist nur Ereignisse, welche sich in und um Augsburg abspielen und die auf die Reichsge­ schichte Bezug haben, welche hier kurzgeschildert werden; daneben fehlen aber nicht zum Teil ganz ausführliche Abhandlungen über unsere Stadt, allerdings meist kirchengeschichtlicher Natur. Unter Karl dem Großen erscheint z. B. durch Erwähnung des heiligen Simpert, Bischofs von Augsburg, unsere Stadt nach langer Unter­ brechung wieder in der Überlieferung. Die aus der Karolinger Zeit stammenden Annales Alemannici enthalten nur schlagwortartige Aufzeichnungen über die Jahre 708—926, darunter über 1 Eine farbige Ausgabe besitzen wir von Konrad Miller, Ravensburg 1888. 2 Lib. IV, 642.

16 Augsburg, daß 787 König Pippin hier weilte.1 Die im 11. Jahr­ hundert geschriebenen Augsburger Annalen2 bringeri objektiv einige recht schätzenswerte lokalhistorische Notizen. Außer bio­ graphischem Material zur Lebensgeschichte des hl. Ulrich enthält die Vita St. Udairici des Augsburger Propstes Gerhard (ca. 980)3 reiche Beiträge zur Kirchen- und Zeitgeschichte des betreffenden Jahrhunderts mit einigen Streiflichtern auf das damalige Augsburg, die auch kulturhistorische Merkwürdigkeiten enthalten. Die in Band 11 —14 der Scriptores-Reihe der Monumenta Germaniae veröffent­ lichten Klosterannalen und Biographien verschiedener Bischöfe und Äbte von St. Ulrich nehmen nur selten direkten Bezug auf Augs­ burg, und wenn, dann beschränken sie sich ebenfalls auf das kirch­ liche oder klostergeschichtliche Gebiet. Den ersten Bericht eines Reisenden aus dem Mittelalter, der aller­ dings nur wenig über Augsburg enthält, bringt uns der Geistliche Thietmar von Merseburg.4 Zweimal weilte er in Augsburg. Das erstemal war dies im März 1004, wovon er aber nichts weiter erzählt. Das zweitemal kam er am 19. April 1009 hieher, um zum Bischof geweiht zu werden. Wenn er auch kein Urteil über unsere Stadt abgibt, so sind doch seine Ausführungen nicht minder interes­ sant. „Am folgenden Tage wurde ich zum Erzbischof von Trier beru­ fen und von ihm auf Befehl des Königs befragt, ob ich geneigt sei, die Bischofswürde zu Merseburg zu übernehmen. “Thietmar bejahte. „Der Erzbischof führte mich darauf in die Kapelle des Bischofs Bruno (von Augsburg), wo der König ihn erwartete und übergab, indem er selbst zur Messe angetan war, mich des Königs Hände. Als diese mir darauf unter Mitwahl der Anwesenden unverdienter Weise das bischöfliche Amt mittelst des Krummstabes verliehen . . . da stimmte der Sangmeister den Eingang an: „Kommet, ihr Ge­ segneten meines Vaters.“ Und in der größeren Kirche (Dom) läu­ teten inzwischen alle Glocken zur Messe und obwohl dies nur durch Zufall und nicht auf jemandes Geheiß oder meiner Würde wegen geschah, so erklärte es doch der König für eine gute Vorbedeutung. Nachdem darauf Bischof Bruno ein großes Gastmahl veranstaltet hatte, kamen wir am nächsten Sonnabende nach Neuburg“. 1 Monumenta Germaniae historica. Scriptores. Bd. I. S. 172. 2 Ebenda. Scriptores. Bd. III, S. 123ff. 8 Ebenda. Scriptores. Bd. IV. S. 379 f. 4 Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. 2. Ges.-Ausg. Bd. 39. S. 183 u. 214 f.

17 Zu Beginn des 11. Jahrhunderts lebte in Mailand Anselm, ge­ nannt der Peripatetiker. Aus vornehmer lombardischer Familie stammend, widmete er sich, nachdem er seine Studien bei dem be­ rühmten Parmenser Philosophen Drogo vollendet hatte, dem geist­ lichen Berufe. In stiller Klause vollendete er sein Werk,1 das allein seinen Namen uns erhalten hat. Mit diesem Buche zog er nun hi­ naus in die Welt, um überall sich und seine Leistungen zur Gel­ tung zu bringen. Über Basel, Augsburg und Bamberg kommt er um 1050 nach Mainz, wo er eine philosophische Disputation mit deutschen Gelehrten bestand. In der Vorrede zu seiner „ Redner­ schlacht8 gedenkt er (Vers 19) der Stadt Augsburg, die ihm schon sein Lehrer Drogo rühmend empfohlen hatte: „Urbs Augusta probat, quod Drogo laude coronat.“ Schon dem frühen Mittelalter standen über Augsburg nur die kurzen Berichte der römischen und griechischen Schriftsteller zur Verfügung. Für eine Stadt von der Bedeutung, die Augsburg da­ mals schon erreicht hatte, war das herzlich wenig. Es genügte dem allmählich erwachenden historischen Sinn nicht mehr. Nach dama­ liger Sitte verlegte man sich auf das Fabulieren und erdichtete so die fehlende Vorgeschichte der Stadt. Das hohe Alter der Stadt, ihre durch Inschriften und Tradition belegten Beziehungen zum alten römischen Reich lassen es erklär­ lich erscheinen, daß die Gelehrten der damaligen Zeit ihre Auf­ merksamkeit der Urzeit der Stadt zuwandten. Und da ist uns in mehreren Handschriften ein Bruchstück überliefert, das Jahrhun­ dertelang den Grundstock der Augsburger Geschichte bildete, wie­ wohl es eine aus lokalpatriotischen Gründen entstandene Fälschung darstellt. In der historischen Literatur ist es bekannt unter dem Namen „Excerptum ex Gallica historia“, eines Überbleibsels aus einer fränkischen Chronik, die aber nie existiert hat. Positive historische Tatsachen erfahren wir leider aus dieser Fälschung nicht. Aber sie zeigt, wie man in Ermanglung von Quellen sich die Vor­ zeit dachte und dichtete. Und beachtlich ist es für die Folgezeit, wie gerade dieses Fragment von nun ab als das Fundament zur Urgeschichte der Stadt Augsburg auch ernsthaften und kritischen Historikern galt und wie sie freudig damit die Lücke zwischen rö­ mischer Zeit und Mittelalter ausfüllten. 1 Rhetorimachia Hrsg. v. E. Dümmler. Halle 1872. 2

18 Den kritischen Beobachter muten die Erzählungen dieses Excerptum recht sagenhaft an. Es versucht die bekannte Niederlage des Varus in die Gegend von Augsburg zu verlegen. Schon Marx Welser hat darin eine Fälschung zum Lobe der Stadt Augsburg gesehen, die zur Zeit Karls des Großen oder der Ottonen entstan­ den sei.1 Auch Justus Lipsius2 *und andere, darunter der Rektor von St. Anna und Stadtbibliothekar G. C. Mezger8 haben diesen Standpunkt eingenommen. In den Monumenta Germaniae4 *wird dies Urteil abschließend zusammengefaßt: „Excerptum a viro medii aevi eoque tarnen omnibus veterum literis instructissimo ad glorificandam urbem Augustanam et declaranda locorum eius nomina dolose confectum esse.“ Über den Zeitpunkt der Entstehung dieses Märchens wird ebendort festgestellt, daß es vor 1064 entstanden ist. Denn die Erwähnung der Erbauung des Kollegiatstiftes St. Peter, welche in dies Jahr zu setzen ist, fehlt noch in diesem Excerptum, das wir im folgenden im Wortlaut geben wollen:6 „Dum haec circa Rhenum geruntur, in Noricorum finibus grave vulnus Romanus populus accepit. Quippe Germanorum gentes, qui Retias occupaverunt, non longe ab Alpibus tractu pari patentibus campis, ubi duo rapidissimi amnes inter se confluunt, in ipsis Noricis finibus civitatem nonquidem muro sedvallofossaquecinxerant, quam appellabant Cizarim ex nomine deae Cizae, quam religiosissime colebant. Cuius templum quoque ex lignis barbarico ritu constructum, postquam eo colonia Romana deducta est, inviolatum permansit ac vetustate collapsum nomen colli servavit. Hane urbem Titus Annius praetor ad arcendas barbarorum excursionibus Kalendis Sextilibus exercitu circumvenit. Ad meridianam oppidi partem, quae sola a continenti erat, praetor ipse cum legione Martia castra operosissime communnivit. Ad occidentern vero, qua barbarorum adventus erat, Avar, Bogudis regis filius, cum equitatu omni et auxiliaribus Macedonum copiis inter Humen et vallum, loco castris parum amplo, infelici temeritate extra Humen consedit; pulchra indoles non minus Romanis quam Graecis disciplinis instructa. Igitur quinquagesimo nono die quam eo ventum est, cum is dies deae 1 M. Welser, Opera historica et philologica. Norimbergae 1682. p. 816 ff. 2 Welseri opera p, 350. 8 Über die Sage von einer Schlacht zwischen den Römern und Sueven bei Augsburg. 1838. 4 Scriptores. Bd. 23. p. 388. 6 Monumenta Germaniae historica. Scriptores Bd. 23 p. 388 ff.

19 Cizae apud barbaros celeberrimus ludum et lasciviam magis quam formidinem ostentaret, immanis barbarorum muititudo e proximis silvis repente erumpens ex improviso castra irrupit, equitatum omnem et quod miserius erat auxilia sociorum delevit. Avar cum in hostium potestatem regio habitu vivus venisset more pecudis mactatur. Oppidani vero non minori fortuna sed maiori virtute praetorem in auxilium sociis properantem adoriuntur, Romani haud sequiter resistunt. Duo principes oppidanorum Habino et Caccus in primis pugnantes cadunt. Et inclinata iam oppidanorum res esset, ni maturassent auxilium ferre socii, in altera ripa iam victoria potiti. Denique coadunatis viribus castra irrumpunt, praetorem, qui paulo altiorem tumulum (Perlach) frustra ceperat,1 Romana vi resi­ stentem obtruncant, legionem divinam,ut ne nuntiuscladissuperesset, funditus delent. Verres solus tribunus militum, amne transmisso in proximis paludibus se occultans, honestam mortem subterfugit.“ Als nächster nahm Bischof Otto von Freising (f 1158) aller­ dings sehr zurückhaltend die Erzählung des „Excerptum* in seine Chronik auf.2 „Tradunt Augustenses hanc caedem ibi factam ostenduntque in argumentum collem ex ossibus mortuorum compactum, quam in vulgari Perleich, eo quod legio ibi perierit, usque hodie vocant, vicumque ex nomine Vari appellatum monstrant.“ Bald darauf finden wir ausführlicher weiter gesponnen bei dem Abte Burkard von Ursberg3 die ganze Geschichte wieder. Er hat sich mannigfach an die Chronik Ottos von Freising ge­ halten, wenn er sie auch nicht so stark benützt hat, als sich bei seiner Kenntnis derselben erwarten ließe. Nur gelegentlich flicht er einige Angaben aus ihm ein oder wird durch ihn aufmerksam auf ein besonderes Ereignis. Ob und inwieweit dies bei seiner „Interpositio de civitate Augusta“ der Fall war, kann heute nicht mehr untersucht werden. Wahrscheinlich hat Burkard seine Erzählung direkt aus dem Excerptum übernommen oder eine heute verlorene 1 Am Rande der Handschrift stehen die berühmten Verse: „Indicat hic collis Romanam nomine cladem, Martia quo legio tota simul periit. Subdidit hunc Romae prepes victoria Petri Hoc sibimet templum qui modo constituit. 2 Chronica. Lib. III. Cap. 3 in: Monumenta Germaniaehistorica. Scriptores. Bd. 20. S. 173. 8 Gestorben 1230; über ihn vgl. W. Wattenbach, Deutschlands Geschichts­ quellen. Berlin 1894. Bd. II. S. 448 ff. 2*

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Zwischenquelle benützt, so daß diese Interpositio nichts anderes ist, als eine durch unwichtige Zusätze, namentlich Verse, interpolierte Abschrift des Excerptum. Durch Burkard ist diese Erzählung immer weiter entwickelt auch in die ernsthafte Literatur eingedrungen. Jahrhundertelang hat seine Fassung den andern Historikern als Grundlage gedient. Kas­ par Hedio, der Humanist der Reformationszeit, hat sie wieder auf­ gewärmt und ins Deutsche übersetzt, wie wir später sehen werden. Noch im 18. Jahrhundert spüren wir die Wirkung von Burkards Worten auf die damalige Geschichtsschreibung. Auch Wilhelm Grimm hat seine Erzählung für würdig befunden, um sie in seine „Deutsche Mythologie“1 aufzunehmen. Der Bedeutung, die Bur­ kards Worten entspricht, gehorchend bringen wir seinen Text wörtlich:2

Interpositio de civitate Augusta. Sicut ex scriptis veterum colligitur, haec civitas tria nomina accepit. Germanorum quippe gentes primum considentes in partibus Rhetiae, quae nunc est pars Sueviae, non longe ab Alpibus in planitie, loco tarnen munito propter concursum duorum rapidorum fluminum, hanc urbem construxerunt, et non muris, sed fossatis eam firmaverunt, et ex nomine deae Zizae, quam religiosissime colebant, Zizerim eam nominabant. Huius quoque deae templum, ex lignis barbarico ritu constructum, etiam postquam Romani eam incolere ceperunt inviolatum permansit; ac vetustate collapsum nomen colli servavit, in quo postmodum in lapide exsculpti hi versus sunt reperti: Quem male polluerat cultura nefaria dudum, Gallus monticulum hunc tibi Ziza tulit. Unde usque in presens ab incolis idem monticulus Zizenberg3 nominatur. Apud hanc urbem Romani deleti sunt magna caede. Nam Titus Annius pretor ad arcendas barbarorum excursiones cum exercitu in Kal. Augusti eam circumdedit, ipseque ad meridianam oppidi partem, quae sola patebat, castra sua cum legione Martia operosissime communivit. Ad occidentem vero ultra fluvium, ubi Suevis aut barbaris aditus patebat, Avar, Bogudis regis filius, cum omni equitatu et auxilio Macedonico consedit. Igitur quinquagesimo nono die» quam eo ventum est, cum is dies deae Zizae4 apud barbaros celeberri1 2 3 4

Bd. I. S.269. Monumenta Germania« hlstorica. Scriptores. Bd, 23. S. 356 ff. Der heutige Eisenberg. Der Tag St Michaels (29. September).

21 mus esset, ludum et lasciviam magis quam formidinem cives ostentarunt. Tune etiam immanis barbarorum multitudo, quae de partibus Sueviae illuc con venerat, de proximis silvis repente erumpens eximproviso castra irrupit et Avaris exercitum delevit. Ipsum quoque Avar, regio habitu indutum, vivum comprehendentes crudeliter in modum pecoris mactaverunt. A quo in loco, ubi mactatus est, vicus usque hodie appellatus est Criechesaveron (== Kriegshaber), in quo hi ver­ sus reperti sunt: His nomen terris Bogudis dat regia proles, Grecus Avar, pecudis de Suevis more litatus. Oppidani vero non minori fortuna, sed maiori virtute pretorem in auxilium sociis properantem invadunt, quibus Romani haud segniter resistunt. In quo conflictu duo principes oppidanorum, Habino et Caccus, in primis pugnantes cadunt, et inclinata iam res esset oppi­ danorum, ni maturassent auxilium ferre Suevi in altera ripa victoria iam potiti. De nominibus autem illorum principum interfectorum extant adhuc loca denominata: nam rustici de Habinone vocant monticulum Habinberg, in quo hi versus reperti sunt: Prefectus Habino, se victum atque sepultum, Perpetuo montis nomine notificat. A Cacco vero dicunt Geggingen denominari. Denique, coadunatis Suevis et opidanis, castra irrumpunt et pretorem, qui paulo altiorem tumulum frustra ceperat, Romana vi resistentem obtruncant, legionemque divinam, ut nec nuntius cladis superesset, funditus delent. De hac perdita legione adhuc Perlaich, quasi perdita legio, nominatur; ubi postmodum hi versus sunt reperti: Indicat hic collis Romanam nomine cladem, Martia quo legio tota simul periit. Solus Verres tribunus militum amne transmisso in proximis paludibus se occultans honestam mortem subterfugit, lacui Vemse hucusque nomen dedit, unde versus: Das nomen lacui, Verres, quo tu latuisti. Hic tarnen non multo post Siciliae proconsul effectus, turpem mortem promeruit, nam cum se magistratui abdicaret, iudicio civium damnatus est. Propter hunc Verrem tradunt Augustenses, hanc caedem fuisse eandem, quam sub Augusto factam quldam describunt. Sed Varum illum nominant his verbis: Ea tempestate cum tribus legionibus Varus, Romano more superbe et avare erga subditos se gerens, a

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Germanis deletus est. Quam militis Romani cladem in tantum aegre tulisse fertur Augustus, ut saepissime caput parieti collideret ac per vim doloris diceret: Quintili Vare, redde legiones. Gravissimum et atrocissimum hoc Romanorum et Germanorum bellum et post Africanum maximum tribus annis cum quindecim legionibus gestum scribit Suetonius. Unde notari potest, quanti roboris praedicta gens Germanorum fuerit, quae in summa auctoritate Romani imperii tantam stragem Romani militis dederit. Urbs eadem postmodum Vindelica a fluvio est nominata. Tandem ex nomine Augusti per Claudium Drusum, qui eam reparavit seu munivit, Augusta est dicta. Idem enim Drusus apud Renum, ut supra dictum est, quartus augustus imperator Mogonciam construxit, ubi adhuc monumentum eius monstratur in modum pirae. Sed iamredeamus ad propositum, ut ulterius annos describamus. Anno Domini 1169. Anno Domini 1170. Terrae motus maximi*facti sunt et ingens inundatio aquarum mense Sepembri. Anno Domini 1171. Anno Domini 1172. Anno Domini 1173. Anno Domini 1174. Civitas inter amne destructa est mense Martio. Noch mehr als Burkard hat der Prior Adilbert von St. Ulrich die Sage ausgeschmückt und sie seiner Bekehrungsgeschichte der hl. Afra1 als Einleitung vorgesetzt. Aus all diesen Vorgängern hat der Augsburger Geistliche Küchlin2 den ganzen Sagenkomplex in seine Reimchronik3 aufgenommen und ebenfalls erweitert. Er verfolgt die Geschichte der Stadt bis zur sagenhaftesten Urzeit. Dabei findet er, natürlich nicht originell, als Ausgangspunkt das alte Troja, ein beliebtes Motiv. Das erinnert an die bekannte Behandlung dieses Stoffes, die aus den „Gesta Francorum“ in eine große Zahl mittelalterlicher Chroniken überging. Küchlin blieb auch in der Folgezeit eine vielbenützte Quelle für alle Historiker, die über Augs­ burg berichten, n amentlich für SigmundMeisterlinundAchilles Gasser, die beide von der gleichzeitigen und späteren deutschen Geschichtsschreibung recht ausgiebig benützt wurden. Auf diese beide wieder stützen sich lange Jahrhunderte hindurch hauptsäch­ lich all die historischen Notizen, die wir bei der Erwähnung Augs­ burgs in der Literatur so zahlreich finden. Abermals verhüllt widriges Geschick lange Jahre hindurch die 1 Gloriosorum Christi confessorum Udalrici et Symperti necnon beatiss. martyri8 Afrae .. . historiae. Augustae Vind. 1516. 2 ca. 1440. 8 Chroniken der deutschen Städte. Bd. 4. S. 335 ff.

23 Augsburger Geschichte. Als im Jahre 1132 der „fromme“ König Lothar das blühende Augsburg durch seine Böhmen kaltblütig fast gänzlich zerstören ließ, — übrigens eine der größten Schandtaten der deutschen Geschichte — war für lange Zeit von Augsburg keine Rede mehr. Der eindringlich geschriebene Brief des Augsburger Bischofs Herimann an Bischof Otto von Bamberg schildert uns wir­ kungsvoll die entsetzlichen Greuel.1 Allmählich erst begegnet uns die Stadt wieder, zuerst in zahl­ reichen urkundlichen Erwähnungen, dann in den Chroniken. Mit der wachsenden Bedeutung der Stadt fließen diese Quellen fleißiger. Die zahlreichen lokalen Darstellungen, die dena wachsenden Selbst­ bewußtsein der Bürger ihr Entstehen verdanken, müssen wir nach der Gestaltung des Themas außer Acht lassen. Aber auch ohne dies finden sich in stets ansteigender Zahl Quellen übergenug, die immer interessierter über unsere Stadt berichten. Daneben erwacht die Reiselust; ferne Lande, besonders Italien und Palästina, werden auf­ gesucht. Daraus entsteht allmählich eine eigene Literatur, die Reise­ beschreibung. Wenn man die Schilderungen deutscher Reisender am Ausgang des Mittelalters liest, so ist man erstaunt, wie wenig Einzelheiten sie von ihrer Reise durch die eigene Heimat zu erzählen wissen, ganz im Gegensatz zu den vielfach ausgezeichneten Mitteilungen, die z. B. italienische Reisende uns hinterlassen haben. Allerdings sind es meist Palästinapilger, deren Blick von Anfang an mit äußerster Sehnsucht auf Rom und das heilige Land gerichtet ist und denen auch gar nicht der Gedanke kam, daß die Schilderung ihrer Reise durch das Heimatland für irgendwen Interesse haben könnte. Im folgenden wollen wir einige dieser Reisebeschreibungen anführen, die allerdings ihrer Natur nach nur kurz Augsburg berühren. Im Jahre 1436 machte der bekannte Nürnberger Patrizier Georg Pfinzing2 eine Fahrt ins heilige Land. Von Augsburg berichtet er nichts als daß er „am Eritag (= Dienstag 28. August) gen Augspurg“ kam. Die ausführliche Beschreibung,3 welche Sebald Riet er der Jün1 Abgedruckt bei PI. Braun, Geschichte der Bischöfe von Augsburg. Augs­ burg 1814. Bd. II. S. 76 ff. 2 Über ihn vgl. R. Röhricht und H, Meisner: Deutsche Pilgerreisen nach dem heiligen Lande. Berlin 1880. S. 67. 3 Das Reisebuch der Familie Rieter. Hrsg. v. R. Röhricht und H. Meisner in der Bibliothek des Liter. Vereins in Stuttgart. 1884. Bd. 168. S. 37.

24 gere von Nürnberg über seine Reise ins heilige Land gibt, bringt ebenfalls nur eine kurze Erwähnung unserer Stadt. Am 6. Mai zog er mit etlichen Knechten aus. „Zu Auchspurg schickten wir unsere Knechte wider zuruck heim und behielten bei uns allein einen reiten­ den Boten“. Auch sein Reisegenosse Hans Tücher1 erwähnt nur den Namen unserer Stadt. Die Fahrt, welche LandgrafWilhelm der Ältere von Hessen2 mit großem Gefolge im Jahre 1491 nach Jerusalem unternahm, hat sein Begleiter Dietrich von Schachten3 beschrieben.4 *Über Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart und Ulm kamen die Hessen nach Augsburg: „Von Ulm nach Augspurgk: lag S. G. auch zwo Nächt, ward gleichfalls vom Rate viel Wein und Fisch geschenkt“. Etwas ausführlicher äuß ert sich Ottheinrich, Pfalzgrafbei Rhein, der bekannte Erbauer des Heidelberger Schlosses in seinem Tage­ buch, das er eigenhändig über seine Reiseerlebnisse, geführt hat, über Augsburg.6 Von Lauingen traf er am 15. April 1521 in Augs­ burg ein: ,,Bin ich Ott Heinrich ausgeritten zu Laugingen am Montag nach Misericordiae Domini bis gen Augspurg, dahin sind 6 Meilen, ist ein Reichsstadt, liegt im Schwabenland und der Weg ist bergicht da und bin über Nacht gelegen da. Die Stadt liegt zwischen zwei Wassern, die heißen der Lech und das ander die Wertach. Item am Eritag nach Misericordiae (16. April) bin ich zu Augspurg aus­ geritten bis gen Fürstenfeld“. ‘ Am 28. April 1551 zieht Sigmund Thunger, Chorherr zu St. Johann im Neumünster zu Würzburg, mit zwei Würzburger Dom­ herren aus, um das heilige Land zu besuchen. In Augsburg wechselt er einen Teil seines Geldes bei Hieronymus Kraffter um, der ihm auch Empfehlungen nach Venedig mitgibt. Die Pilger steigen in der Her­ berge zum Herzlein ab und sind am Abend bei dem Dompropste Marquard von Stein zu Gaste.6 Sonst erzählt er nichts von Augsburg. Die Gießener Universitätsbibliothek besitzt die handschriftliche Reisebeschreibung des schwäbischen Ritters Johannes vonHirn1 Gründlicher und eigentlicher Bericht der Meerfahrt. Frankfurt 1561. S. 2. 2 Vgl. über ihn: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 43. S, 27. 8 Ebenda. Bd. 30. S. 486. 4 Röhricht; Deutsche Pilgerreisen. S. 162ff. 6 Röhricht a. a. O. S. 351. Vgl. über ihn: Allg. Deutsche Biographie. Bd. 24. S. 713. 6 Röhricht a. a. O. S. 415.

25 heim aus Hochaltingen im Ries, welche der Schulmeister Bichler schön ins Reine geschrieben hat.1 Am 17. März 1569 bricht er von Hochaltingen auf und trifft mit seinen Gefährten am 22. März in Augs­ burg ein. Sie nehmen bei Hans Schneck Herberge und treffen dort auch Konrad von Riedheim. Sie besorgen sich auch Kreditbriefe; reisen aber am nächsten Tage ab. Am 3. Januar 1570 ziehen sie auf der Rückreise wieder in Augsburg gesund und zufrieden ein. Es verdient für die Wende zum 16. Jahrhundert hervorgehoben zu werden, daß es für die meisten europäischen Länder bereits ge­ druckte Reisekarten Vorlagen. Als solche können genannt werden die Karte von Deutschland des Kardinals Nikolaus Cusanus.2 Andere Reisekarten waren erschienen unter dem Titel „Das ist der Rom Weg von meylen zu meylen**, und ,,Das sind die Lantstraßen durch dasRemisch Reich*4 (Nürnberg, gedruckt von Georg Glockendon 1501), beides Holzschnitte auf einem Folio-* blatt. Endlich kommt noch in Betracht die große vierblättrige „Carta itineraria Europae“ von Martin Waldseemüller (1511).3 Gerade die beiden letzten Karten waren damals in mehrfachen Ausgaben und verschiedenen Bearbeitungen rasch und weit verbreitet. Auf diesen Karten war natürlich Augsburg seiner Lage nach als ein Mittelpunkt des Reiseverkehrs eingezeichnet. Dadurch daß wir die Gruppe der Palästinapilger zusammen be­ sprochen haben, sind wir der Zeit etwas vorausgeeilt. Wir stehen der chronologischen Reihenfolge gemäß noch am Anfang des 15. Jahr­ hunderts. Mehrmals hatten russische Gesandtschaften aus dynastischen oder politischen Gründen Deutschland besucht. Allerdings haben wir keine Nachricht, daß sie auch unsere Stadt berührt haben. Erst von der Gesandtschaft, die im Jahre 1438 unter Führung des russi­ schen Metropoliten Isidor von Moskau über Lübeck, Erfurt, Nürnberg, Augsburg, Tirol zum Konzil nach Florenz reiste, besitzen wir dürftige Notizen.4 Wohl wird Augsburg nicht näher beschrieben, aber überrascht sind die Russen von allem, was sie in Deutschland 1 Ebenda S. 420. * 2 Vgl. den Aufsatz von Sophus Rüge im „Globus“. Leipzig 1891. 8 Vgl. F. v. Wiese: Die Carta itineraria Europae von M. Waldseemüller. Mün­ chen 1893. 4 Vgl. Strahl: Russlands älteste Gesandtschaften in Deutschland, ln: Archivder Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. Bd. 6 (1831). S. 523 ff.

26 sehen und das Gesamturteil gilt auch für unsere Stadt. „Gleich groß war das Staunen von beiden Seiten. Die blühenden Städte mit ihren großen, geräumigen Häusern, die herrlichen Gärten und künstlichen Kanäle und die Pracht der Klöster und Kirchen, die lebhafte Indu­ strie und die vielen Werke edler Kunst, die Würde der Magistrate, der Stolz der Bürgerschaft . . . erweckten in den Russen nicht ge­ ahnte Empfindungen und rissen sie im blinden Staunen hin.“ 1 Eine kurze, aber rühmende Schilderung2 unserer Stadt besitzen wir aus dem Jahre 1458 von Aeneas Sylvius Piccolomini,3 der bekanntlich später unter dem Namen Pius II. Papst wurde. „Transimus Campidonam et Memmingam, illustria oppida, Augustam Vindelicam, S. Udalricus huic possidet, qui papam arguit de concubinis, ad Licum fluvium iacentem. Haud facile invenies, qua civitas altera superet, sive nitorem urbis sive populi et cleri divitias et reipublicae formam contempleris.“ Grundsätzlich ist zu dem Werke des Piccolomini verschiedenes zu sagen. Im Gegensatz zu den gleichzeitigen deutschen Schilderungen dieser Art, die meist trocken in Katalogform die Sehenswürdigkeiten aufzählen und historisches aneinander reihen, geben die italienischen Humanisten ein anderes Bild. Ihr Verdienst um die Darstellung des Gesehenen ist unbestritten ein bleibendes. Wir werden noch ver­ schiedene italienische Äußerungen erwähnen. Sie alle aber überragt Piccolomini, „der als Reisender eine Verbindung historischen und geographischen Interesses an den Tag gelegt hat wie kein Zweiter seiner Zeit und als Schilderer landschaftlicher Schönheit ein Auge hat, wie es keinem anderen Schriftsteller zur Verfügung steht“. Namentlich zeigt Piccolomini einen bewunderswerten Sinn für kul­ turgeschichtliche Details. So ist es begreiflich, wenn seine Germania die Jahrhunderte hindurch eine beliebte Lektüre bildete bis herauf in unsere Zeit. Seine Schilderung der deutschen Städte des 15. Jahr­ hunderts umfängt uns heute noch mit ihrem Zauber. Wenn auch der Inhalt nicht so bedeutend ist, als manche haben wollen, so ist das Buch doch ein Meisterwerk humanistischer Diktion. Im Jahre 1473 schickte die Republik Venedig einen Gesandten, Ambrosius Contarini,4 an den König Ussumcassan von Per1 Ebenda S. 526. 2 Germania. Straßburg 1515. Bl. E.1 8 1405—64. Vgl. über ihn: Allg. Deutsche Biogr. Bd. 26. S. 206 ff, 4 Vgl, Joh. Beckmann: Literatur der älteren Reisebeschreibungen. Göttingen 1808. Bd. l.S. 193 ff.

27 sien. Dieser kam bei seiner Reise durch Deutschland, Polen und die Krim mit einem stattlichen Gefolge auch über Augsburg. Allerdings ist seine hinterlassene Reisebeschreibung1 ziemlich dürftig und nur ein mageres Tagebuch. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn er von „Auspurch“ nur als von einer „terra bellissima“ spricht. Die erste gedruckte Beschreibung unserer Stadt finden wir in der bekannten ersten deutschen Weltchronik2 des Humanisten Hartmann Schedel3 aus Nürnberg. Seine Schilderung ist uns um so wertvoller, als er selbst im Jahre 1463 einige Zeit bei seinem Onkel Hermann Schedel in Augsburg zu Besuch weilte. Auch dem großen Holzschnitt, der unsere Stadt im Bilde zeigt, dürfen wir aus diesem Grunde ziemliche Naturtreue zusprechen. Gerade wegen der von allen Kunsthistorikern geschätzten, in 'trefflichen Holzschnitten ausgeführten Städtebilder, denen eine Auf­ nahme nach der Natur zu Grunde Hegt, ist seine Chronik höchst be­ achtenswert.4 In den zu den einzelnen Städten beigefügten Text­ abschnitten werden die hauptsächlichsten Merkwürdigkeiten, vor allem die Reliquien kurz und trocken aufgezählt. Die historischen Notizen sind aus den verschiedensten Quellen zusammengetragen. Kulturgeschichtliches von selbständigem Wert findet man nur wenig. All dies darf uns aber nicht verleiten, die Bedeutung seiner Arbeit gering zu schätzen, ganz im Gegenteil: Schedel ist es zu verdanken, daß geschichtliche Kenntnisse einem weiten und großen Leserkreis zugänglich gemacht wurden. Für Augsburg ist er besonders wert­ voll dadurch, daß er zum erstenmal in einem gedruckten Buche sich mit unserer Stadt beschäftigt und so ihren Ruhm in die Welt hinaus­ verbreitet hat. Die Hauptquelle scheint ihm das Chronicon Urspergense des Abtes Burkard gewesen zu sein, von dem er all die sagenhaften Berichte, die in der Folgezeit bei der Schilderung Augs­ burgs eine so große Rolle spielen, übernommen hat: „ Augspurg ein löbliche hochberümbte, vnd obrer teutscher land 1 II viagio del clarissimo Messer Ambrosio Contarini al Signor Uxuncassan Re di Persia. Venetia 1543. S. 3. 2 Liber chronicarum Nürnberg 1493. Deutsche Ausgabe: Buch der Chroniken. Nürnberg 1493. Bl. 92. Beide Ausgaben stammen aus der berühmten Presse Anton Kobergers. 3 1440—1514. Vgl. Allg. Deutsche Biographie Bd. 30. S. 661. 4 Uber die Ansichten vgl. Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen. IX. S. 3 ff u. 184 ff. Die Holzschnitte stammen vonWolgemut und Pleydenwurff, den Lehrern Dürers.

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gar alte statt, dafi ettlich die diser statt fast alten vrsprung anzaigen wollen: sagen, das das schwäbisch volck vonn Japhet dem sun Noe herkom, der erstlich diss land bewonet, vnd alda dise stat erpawen hab, da man vberflussigkeit der wasser, gesunden luft vfi andere bequemliche vnd notturftige ding leichtlich haben mocht. dafi als die Schwaben in das rieß körnen vnnd daselbst von wege dess zusamanlawfs zwayer schneller fluss, der Synckelt vnd des Lechs, ein schicklichs vnd zu beschirmung auß natur befestigts ort vermerckten, haben sie erstlich dise statt daselbst gepawen vnd die nach den­ selben zwayen wassern Vindelicam genent. wafi dieselb gegent hieß davor bis an das gepirg hinauff Vindelica. vnnd alles gepirg gein dem aufgang vnd mittemtag wardt von den Riessem vnndLechfeldem beseßen, als Strabo setzt. Dieselben statt vmbfiengen sie (nach altem sitten) mit einer anschütt oder graben. Nach dem nun die streypam weyber, Amazones genant, Europam verfolgten, haben sie vnder irer konigin Marsepia die Schwaben mit vngewonlichen waffen vnd scharpffen helmparten auß diser statt bis an das gepirg zu weichen gezwungen vnnd die statt wüst gelassen, wo dise ding vor der Zerstörung Troye geschehen sind, so maynt man das dise statt vor Troya gewesen, vnd zu den Zeiten des außgangs der kinder israhel von Egypto vor Kom. vc* vfi 1. iar gezimmert sey. Ettlich sagen die sey von den Troyanerfi gepawen. Nun erwelten sie ine die göttin Zizam, die maynen sie Cererem gewesen sein. Von derselben göttin wardt die stat Zizaria genambt, vnd ist ir tempel bis an die zeit der Römer unverletzt bliben, vnd darnach auß veraltung eingefaln. vnd hat behabt den namen eins bergs den die inwoner zu Augspurg noch hewt den Eysenberg heyßen. als nun dise statt dar­ nach durch die Lechfelder vnnd Riesser mit mawrnn, ergkemn vnnd schirmwer bewaret wardt hat sie vonn den Römemn vil krieg erlidden. Dann die begerrten alweg der freyheit. darumb empfrendeten sie sich vonn'den Römerrn. Dem nach schicket Augustus Octavianus Titum Ennium den Römer mit der Marcianischen schar vnnd andemn heerfiiremn wider die Ausgspurger. in derselben schar warf! die hohachtperfi man Auar, Bogudis des königs sun ein iungling, in der wer vnd waffen bey den kriechyschen vnd latei­ nischen geübt, vnd Varro ein hawbtman der ritterschafft. Dieselben belegerten dise statt in dem ende des sumers mit großer menig der Römer, vnd bekümerten sie mit mächerlay vnfug vnd beschwerdem in derselben stürmung wardt Auar, der kriech, erslagen, vfi bey

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dem dorffkriechsawm begraben, vnd bey im ein lateinische schrifft, seinen vrsprung vnd‘ ende anzaigen gefunden. Diser vorgenät Titus vergieng auch mitsampt d’Marcianischen schar, also das in der­ selben niderlage wenig vberbliben, die gehandelte ding ansagten, vnnd die verlom schar, zu latein perdita legio gab dem ort do die niderlag beschah den namen von den ersten zwayen silben yedes lateinischen Worts,1 als per vnd leg, das yetzo enmitten in der statt, vnd der perlech genant ist, aber Varro (den sie Verrem nennen) empflohe vber das wasser verbärge sich in den hülen vnd starb nach­ folgend vnselligclig. vnd Swetonius schreibet das Octauianus alle schwere vnd schentlich niderlag vnd zwu geferlichkeit, eine Loliana. die ander Varriana genant, vnnd doch nyndert dafi in teutsche land empfangen hab, also das die Varrianischen mit dreyen scharn irem heerfürer vnd gemaynen senndbotten vnnd gehilffen schier gar erschlagen warden. Darnach hat Augustus. durch Tiberium Neronem (dieweil sich Drusus sein bruder an die Reinischen gegent richtet) nach der Varrianischen niderlag vber drey iar die Lechfeld’ emider gelegt vnd ir statt verwüstet. Vnd als die wort Strabonis anzaigen so hat keyser Augustus dreytausenten daselbsthin’ ge­ sandten römem die stat zebesitzen eingeantwurtet, da dafi Varro sein heergeleger gehabt het. Aber Claudius Drusus hat dise statt darnach baß geauffent vnd mit mawm vnd thurmen erweitert, vnd nach dem sie dafi auß den anfengen Augusti vberwunden vnnd gemeret was, so ist dise statt Augusto Octauiano zu eren Augusta ge­ nant worden. Als aber nun die Schwaben (die dafi an machtigkeit vnd volck andere fürtreften) inen dise stat als für ein allersichersts ort erwelt hetten, do ist von dannenher dieselb statt an dem rö­ mische reich bestendig vnd getrew bliben vnd,hat groß zugenomen, vnd sind vil anzeigung irs alters darifi bliben. Aber do in dem. IXc* liiij. iar der gepurt Cristi die Hungern vber teutsche land vnd Schwoben gezogen sind haben sie dise statt belegert vnnd die Norgkewer, Rießer vnd Schwaben mit mancherlay beschwerden bekümert. Keyser Ott d’ erst krieget vil tag wider sie. vnd zu letst tilget er sie bey Augspurg gar ab. In deseiben streit ist todt bliben grafFDiepolt, sant Vilichs bruder, vnd Regnibaldus, seiner Schwester sun. Darnach machet sant Vlrich der bischoff dise statt erleuchter vnd richtet sant Affrakirchen widerauf, die dafi dauor von Attila vnd yetzo von den Hungern verletzter wardt. Dise kayserliche statt 1 Perlach.

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ist auch gezieret mit einem weiten bischöflichen thumstift vnd kirchcn in der eren der seligen iunkfrawen Marie geweihet. Auch mit sant Vlrichs closter, sant Benedicten Ordens, darin die leichnam desselben sant Vlrichs vnd sant Simprechts, Auch sant Affre der martrerin, vnd sunst vil andere heiligen in sunderer ere gehalten werden, die dann der statt Augspurg mit irer marter gegen got vil verdient haben.“ Unsere deutsche Art zeigt sich selten so eigentümlich und wohl­ tuend, als in der Art und Weise, mit welcher der Humanismus vom deutschen Geiste aufgenommen und in das wirkliche Leben über­ tragen wurde. Im Gegensatz zur romanischen Auffassung, die mehr archäologisch und nach rückwärts gekehrt eingestellt war, wandte sich der deutsche Humanismus mit ernster Begeisterung auf die höchsten Gedanken, Religion und Vaterland. Nicht bloß aber um den Nationalsinn zu wecken und zu stärken, ist diese Einstellung ent­ standen, nein sie wollte eine bewußte Abwehr gegen die Herab­ setzungen von welscher Seite sein, von der aus unser Vaterland da­ mals viel Spott und Hohn erdulden mußte. In diesem Sinne sind die im patriotischen Geiste geschriebenen Arbeiten des Johann Cochlaeus, des Franz Irenicus, des Johannes Boemus zu verstehen; darum findet man auch neben der historischen Grundtendenz so viele und heute so wertvolle kulturgeschichtliche Notizen. Schmerzlich in seinem tief patriotischen Herzen empfand der Humanist Johann Cochlaeus1 das Fehlen eines für seine Schüler geeigneten geographischen Handbuches. Er wählte dafür die Cosmographia des Pomponius Mela,2 die in seinen Augen durch ihre gedrängte Kürze wie durch ihren eleganten Stil als Lehr- und Handbuch den Vorzug verdiente. Cochlaeus verbesserte den Text3 und fügte zum besseren Verständnis die Elemente der Erdbeschrei­ bung, nämlich was wir mathematische Geographie nennen, hiezu. Um den Mangel des Pomponius Mela und der anderen alten Geo­ graphen, die von Deutschland fast nichts wußten, auszugleichen, gab er zum Schluß eine Beschreibung Deutschlands. Mit voller Liebe zu seinem deutschen Vaterlande hat er sich dieser schweren Aufgabe beim Fehlen fast jeglicher Vorarbeiten erledigt. Im näm1 1479—1552. Vgl. Allg. Deutsche Biographie Bd. 4. S. 381. Er war um diese Zeit Leiter der Poetenschule zu Nürnberg. 2 Römischer Geograph, der um 40 n. Chr. einen sorgfältigen Abriß der Erd­ kunde verfaßte. Vgl. die Ausgabe von C. Frick. Leipzig 1880. 3 Cosmographie Pomponii Melae . . . compendio Joannis Coclei adaucta. Norimbergae 1512. Bl. J. 3 ff.

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liehen patriotischen Geiste wie die Arbeiten des Franciscus Irenicus und namentlich des Johannes Boemus ist seine „Brevis Germaniae Descriptio“ abgefaßt. Sie enthält besonders wertvolle kulturgeschicht­ liche Notizen. Von unserm Schwabenlande erfahren wir folgendes: „Restat Suevia, pars quoque meridionalis Germaniae. Terra non tarn fertilitjite glebae quam industria gentis famigera, quippeque et armis et toga egregie uti noverit. Ad bella sane quam plurimos emittit milites, animo quidem ac corpore praestantes. Ad literas quoque ac negotiationes opificiaque gens peridonea et admodum ingeniosa. Terra profecto antiqua vetustis celebrata autoribus et quidem latissima, quando quidem maiorum (ut ait Cor. Tacitus) Germaniae partem obtinet: centum olim pagis, centum nunc urbibus inelyta.a Eine geographische Beschreibung, in der die altgermanischen Gaunameh erscheinen, folgt darauf; dann heißt es weiter: „Vindelicia est clarioribus urbibus exornata, at minus laeta segete: disterminatur a Norico per Lycum amnem. Urbes in ea sunt praecipue quidem Augusta et Ulma. Augusta ad Lycum sita, urbs sane magna et vetusta, ditissimisque habitata mercatoribus, imperialis simul et episcopalis. In qua divus Udalricus olim pontificatum rexit, cui reliquiis adhuc ipsa civitas gaudet.“ Je mehr man die Werke des Konrad Celtes,1 eines der be­ rühmtesten Humanisten, liest, desto tiefer muß man es bedauern, daß er seinen Lieblingsgedanken, eine geographisch-historische Be­ schreibung Deutschlands, eine „ Germania illustrata“, herauszugeben, nicht ausgeführt hat. Seine vielfachen Beziehungen zu Augsburg, das er ja durch eigenen Augenschein kannte, haben ihm manche bewundernde Äußerung über unsere Stadt abgelockt, so daß sein Urteil in der Germania illustrata sicher auch in diesem Sinne aus­ gefallen wäre. Obwohl wir von einer Wiedergabe von Lobgedichten über unsere Stadt im allgemeinen absehen wollen, — mehren sie sich doch von Jahr zu Jahr als Widmungen, in Vorreden und in ver­ schiedenen Sammlungen — wollen wir doch einen Vers des Celtes zum Ruhme unserer Stadt anführen,2 den er dem Augsburger Her­ warth gewidmet hat: „Augusta Lyci condita margine Claris abundans inelyta civibus.“ J 1459—1508 Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 4. S. 82. 2 Libri Odarum quattuor. Argentorati 1513. Lib. III, 20.

32 Die Nationalbibliothek zu Neapel bewahrt ein wertvolles Manus­ kript, das bis vor wenigen Jahren unbekannt dort schlummerte. Es enthält eine ausführliche Beschreibung der großen Reise, welche Kardinal Luigi d’ Aragona in den Jahren 1517—18durch Deutsch­ land, Frankreich und Oberitalien unternahm. Die Beschreibung stammt von dem Sekretär des Kardinals, Antonio de Beatis. Ludwig von Pastor hat sie wieder entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.1 Dieses Tagebuch erweist sich als eine hoch­ wichtige Quelle zur Landes- und Volkskunde und zur Kulturge­ schichte überhaupt. Ein deutliches Bild der Kulturgeschichte Europas am Ausgang des Mittelalters entrollt sich hier vor un­ seren Augen. Von Augsburg, wo die Reisenden von Landsberg her eintrafen, gibt de Beatis folgende Schilderung2: „Die Stadt ist groß, bevölkert, ganz in einer Ebene gelegen, heiter, reich an schönen Plätzen, Straßen, Häusern und Brunnen, welche von einem am Ende der Stadt befindlichen Wasserwerke gespeist werden; der Kardinal besichtigt dies Wasserwerk und bezeichnet es als sehr kunstvoll und kostspielig.® Den Italienern gefielen vor allem das Fuggerhaus, das Beatis „zu den schönsten Gebäuden Deutschlands rechnet; es ist mit buntfarbigen Marmorsteinen verziert, die Fassade an der Straße zeigt Geschichtsbilder mit vielem Gold und vortrefflichen Farben. Das Dach ist ganz von Kupfer. Außer den Behausungen, die nach deutscher Art eingerichtet sind, erblickt man auch einige Räume nach italienischem Geschmack, sehr schön und mit gutem Verständnis hergestellt.“ Der Kardinal verkehrte während seines Aufenthaltes viel mit Jakob Fugger dem Reichen; dieser führte die Reisenden auch zur prächtigen Grabkapelle seiner Familie bei St. Anna: „Im Karmelitenkloster bemerkt man am Ende des Schiffes der Kirche eine von den Fuggern gestiftete Kapelle; sie hat Mar­ mor- und Mosaikfußboden, ist reich mit Gold, blauen und andern höchst feinen Farben und mit Gemälden verziert. Der Altar, welcher beinahe die Breite der Fassade hat, ist mit den vollendetsten Mar­ morstatuen geschmückt, die sehr den antiken gleichen. Längs der Wände stehen eichene Chorstühle, die mit kunstvollen Relieffiguren von Propheten und Sibyllen versehen sind. Die Orgel ist dem Ver­ hältnis nach groß und schön. Die genannte Kapelle mit ihren Kunst1 In: Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssen’s Geschichte des deutschen Volkes. Bd. 4. Heft 4. Freiburg i. B. 1905. 2 Deutsch nach der Übersetzung von L. v. Pastor, a. o. O. S. 34 ff.

33 schätzen kostete nach der Angabe ihres Erbauers, des Jakob Fugger, welcher das Haupt der Familie ist, 23000 fl.“ Anschließend daran erfahren wir einiges über den Reichtum und die Bedeutung der Fugger und Welser: „Die Fugger besitzen einen Garten, der in einer Vorstadt nahe an der Ringmauer liegt. Hier befinden sich Brunnen, aus welchen vermittelst eines Räderwerkes das Wasser bis in die Zimmer hinaufbefördert wird. An diesem Orte veranstal­ teten die Fugger zu Ehren des Kardinals einen Ball von schönen Frauen.“ Am 27. Mai reisten die Italiener von Augsburg in Rich­ tung Donauwörth ab. Eine für die damalige Zeit einzigartige zusammenfassende, kultur­ historische Schilderung gibt uns de Beatis über seine Eindrücke in Oberdeutschland. Selbst die spätere Zeit schenkte diesen uns jetzt interessanten Dingen fast keine oder keine genügende Aufmerk­ samkeit. Den Italiener interessiert alles, aber auch jede Kleinigkeit. Nach der Beschreibung von Köln hat er dies eindrucksvolle Bild eingeschaltet. Da werden die Betten und ihre Größe beschrieben, die Matratzen, Kopfkissen, Öfen, Bier und Kalbfleisch, Würste und Wein werden kritisiert. Er spricht über den Kirchenbesuch ebenso wie über die Reinlichkeit der Frauen in ihrem Haushalt. Wer dies Bild ganz in sich aufnehmen will, der lese es bei Pastor1 nach. Zum Ruhme und Nutzen Deutschlands hat Franz Friedlieb,2 genannt Franziscus Irenicus, sein Hauptwerk3geschrieben,das seinem Namen bei uns Deutschen Dank und hohe Ehre eingebracht hat. Bei manchen Unvollkommenheiten hat der Verfasser doch der Sinnesart seiner Zeit trefflich zu entsprechen gewußt und so war der literarische Erfolg seines begeisterten Buches überaus groß und nachhaltig. „Augusta civitas Vindelicorum . . . a Vindelicis originem habet. Fuit et dicta Ciphroim. Hane urbem Drusus instauravit et de nomine Augusti Augustam dixit, ut placet Ottoni Frisingensi Lib. III. cap. 4, qui et Rhaetiae urbem illam nominavit. . . . Augustam alii, ut altius insurgamus, a Japhet primo habitatam dicunt. . . Alii Zisam, a qua Zisaria dicta est, civitatis illius fundamenta jecisse asserunt. Alii deam videlicet Zisam, cuius templum vestigium retulit, et hodie colles vident, ubi versiculi istius modi, repti sunt apud Urspergensem.“ In 1 o. a. O. S. 48 ff. 2 1495—1559. Über ihn vgl. Historische Zeitschrift. Bd. 25 (1871) S. 90 ff. 3 Germaniae exegesis. Nürnberg 1518. Bl. 200. 3

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diesem Tone gibt er die Geschichte der Stadt wieder, ohne sich von den sagenhaften Zusätzen femzuhalten, die zugleich seine Quelle verraten, nämlich Burkard von Ursperg und Otto von Freising, die er selbst zitiert. Daneben hat er, wie seine verschiedenen Zitate beweisen, fleißig auch andere Vorbilder benützt. Kurz berührt er noch die Ungamschlacht, einige Klostergründungen und schließt, ohne auf die spätere Geschichte der Stadt einzugehen, mit einem Lobe auf die zeitgenössische Stadt: „Maxima sui incrementa urbs illa sumit, aliamque Nurembergam nobis refert, clarorum virorum prudentia adiuta, in primis Cunradi Peutingeri, in omnes disciplinarum genere instructissimi.“ Lediglich mit den sittlichen und kulturellen Erscheinungen im Schwabenlande, die natürlich auch für Augsburg gelten, beschäftigt sich der gelehrte Ulmer Kaplan Johann B. Boemus.1 Sein Werk2 bildete für ein Jahrhundert die Lieblingslektüre von fast ganz Eu­ ropa; es hat diese Verbreitung auch verdient, da es heute noch hohen kulturgeschichtlichen Wert hat. Sein Urteil blieb auf lange Zeit maßgebend, so daß es auch hier erwähnt werden muß. Nach einer kurzen* geographischen Beschreibung berichtet er über das Schwabenland folgendes: „Terra partim plana, partim montosa. Ager fertilis cuius nulla pars inculta iacet, praeter quam aut lacus aut montes vel sylvae occupant. Nemora in ea multa et ob id genti venatio frequens, aucupium peculiare, frumentorum abundantia, pecorum magna vis . . . Tota insuper provincia salubritate gaudens, celebratissimis urbibus, vicis et castellis referta. Arces excelsae na­ tura et arte munitae, et quod ad christianam religionem pertinet pulcherrimis atque ditissimis templis, collegiis, monasteriis variorum ordinum sexus utriusque, basilicis parochialibusque ecclesiis est exornata . . . Gens populosa, fortis audax et bellicosa, procera cor­ pore, flavo crine, venusta facie et decora, ingenio singulari praedita: praestantissima Germanorum a Plutarcho dicta.“ Anschließend ver­ breitet er sich über die frühere Geschichte des Schwabenlandes und kommt dann auf die Eigenschaften Schwabens £u seiner Zeit zu sprechen. „Hodie potentiores Suevorum fere omnes mercaturae vacant, societatem sive confoederationem unam multi ineunt ac certam pecuniae summam quisque ponit, qua non solum aromata serica 1 Über ihn vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. III. S. 30. Boemus lebte um die Wende des 15. Jahrhunderts. 2 Omnium gentium mores, leges et ritus. Augusta Vind. 1520. fol. 60 f.

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atque alias preciosas merces, quae ad nos a transmarinis et remotissimis regionibus transvehunt, emunt, sed vilia etiam ut coclearia sunt acus, specilla, pupae et huiusmodi: praeemunt etiam vina et frumenta, quod ego tarnen non laudo, quum id non minus opificibus et agricolis grave damnosumque sit, qui sua ante tempus gryphonibus istis ne potius dicam vel mercatoribus vendunt quae postmodum necessitate cogent, duplo aere redimere ab ipsis debent . . . Privati Suevorum nulla alia re, nullo artificio magis occupant quam lini operatione, cui adeo incumbunt, adeo dediti sunt, ut in quibusdam Sueviae locis nedum mulieres et puellae, sed adolescentes et viri hiemis tempore colo admovent.“ Zum Schluß bringt er eine Cha­ rakterisierung der Schwaben, die wenig schmeichelhaft in der Li­ teratur weiterlebt und uns öfters noch begegnet: „Sunt Suevi in venerem supramodum proni: foemineus sexus virili ad malum facile consentiens: immature uterque praevaricatur. sero resipiscit . . . Proverbium ortum, unam Sueviam latae Germaniae satis meretricum transfundere.“ Trotz seiner sonst ziemlich unabhängigen Gesinnung läßt es der „Vater der bayerischen Geschichtsschreibung“ Johannes Aventinus1 manchmal etwas an der historischen Kritik fehlen. Dieser M angel begegnet uns jedesmal bei den wenigen Stellen, wo er über Augsburg sprechen muß. In seiner Abneigung gegen unsere Stadt geht er Hand in Hand mit den meisten seiner wittelsbachischen Landesherren. In der deutschen Ausgabe seiner Annalen2 behaup­ tet er z. B.: „Wiewoll etliche . . ., was auch daselbst (d. h. in Vindelicien, wozu er auch einen großen Teil Bayerns rechnet) geschehen ist, wöllen der Stadt Augspurgk zuschreiben und allein den Schwa­ ben, so doch alle Ding, davon sie schreiben nicht zu Augsburgk noch in Schwaben, sondern unter (= über) dem Lech (also in Oberbayem) und an dem Rhein geschehen sein.“ Der Augsburger Ge­ schichtsschreiber Marx Welser ist dieser Einstellung Aventins, der ganz offenbar auf die römische und germanische Bedeutung Augs­ burgs eifersüchtig ist und so der Stadt ihre frühere Existenz ab­ spricht, ganz energisch in seinen Werken entgegen getreten. Aus dem nämlichen Grunde ist es erklärlich, wenn Aventin das Märlein ausführlich bringt, daß einst das Bistum Augsburg seinen Sitz auf bayerischem Boden (Staffelsee oder Neuburg a. D.) gehabt habe. 1 1477—1534. Vgl. über ihn Allg. Deutsche Biogr. Bd. 1. S. 700 f, 2 Chronica. Frankfurt 1566. Bl. 42. 3*

36 Interessant für Augsburg ist seine mythologische Erzählung über die Frau Göttin Eisen (= Zisa) Bl. 37/38. Auch in der lateinischen Ausgabe1 behauptet Aventin ähnliches, um als Hof historiograph seine Erzählungen von dem hohen Alter Bayerns und seiner Fürsten glaubhafter erscheinen zu lassen. Als Quelle hat ihm das Excerptum, Burkard von Ursbergu. a. gedient. „Augusta Vindelicorum proxima Wolfratshusium. Condita fuit Augusta Vindelicorum ad pontes Scaphonios (= Schäftlarn), ubi duo rapidissimi amnes, Lusa et Isara (Loisach u. Isar), ex Alpibus confluunt. Proximus est Verres, lacus Vindelicorum maximus (=Würm­ see), et campus Perlacha,2 in quo Theodo Magnus legiones Romanas secundo proelio fudit.“ Noch mehrfach kommt Aventin zu diesen absurdenBehauptungen.3 Konsequent nennt er dagegen unser Augsburg stets Augusta Rhaetorum4 *allerdings ohne den nötigen Beweis für seine Lage oder überhaupt für seine Existenz beizubringen. Diese gehässige Einstellung gegenüber Augsburg begegnet uns auf bayerischer Seite noch mehrmals. Vielfach maßgebend für diese Einstellung war auch der Neid auf die reiche und mächtige Handelsstadt. Aventin wurde durch seine sonderbare Geschichtsschreibung schon zum Gespötte seiner Zeitgenossen. So tadelt z. B. Michael Hummelberg in einem Briefe6 an Beatus Rhenanus Aventin's unerwiesene Behauptungen: „Timeo ne aliquando fallatur suis coniecturis quibusdam. Certe et constanter describit loca admodum incerta et profecto, quae de Vindelicorum Augusta arbitror, quam quae hodie hoc nomine censetur, quodsi iratus cum illo fueris hanc Rhaetorum fuisse, illam vero fuisse Vindelicorum a quibusdam tribuitur, eadem et Rhaetis ascribi poterit.4* Der bekannte Humanist Urbanus Rhegius6 hat in den Jahren 1520—21 hier als Domprediger gewirkt. Nach damaliger Art hatte 1 Joh. Turmeir’s genannt Aventinus: Sämtliche Werke. München 1908. Bd. 2. S. 156. 2 Nach bekannten Vorbildern leitet er den Namen der Perlacher Haide von per dita legio ab. 3 z. B. in seiner „Kurzen Unterweisung der baierischen Mappa. 1523.“ = Werke. München 1908. Bd. 6. S. 55. 4 Vgl. Werke Bd. [. S. 118. Bd. VI. S. 15 u. ö. ö Datiert Ravensburg 20. Mai 1526. Text bei: A. Horawitz u. K. Hartfelder: Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Leipzig 1886. S. 366. 6 1489—1541 vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 28. S. 3/4.

37 er sich auch mit der Poesie versucht und wurde 1517 von Kaiser Maximilian in Anerkennung seiner zwar formvollendeten, inhaltlich aber ziemlich unbedeutenden Poemata1 zum Poeta laureatus ge­ krönt. Das Schwabenland erscheint ihm in herbstlicher Fülle: „Suevia dulcifluas Bacchi dum colligit uvas, Imbuit et musto grandia prelo suo, Pomaque pendenti dispersa sub arbore carpit, Et sua multiplici cum horrea fruge replet, Fructifer autumnus gremio sua munere pleno Helvetico et fundit uberiora solo, Laetaque confertis spumans vindemia labris Arridet, laetos et iubet ire dies.“ Noch begeisterter äußert er sich in einem Briefe vom 11 Januar 1522 über Augsburg: „Nihil unquam vidi candidius atque amabilius Augusta.“ Kurz nur, aber doch gegenüber anderen Städten ehrend, erwähnt der Humanist Heinrich Glareanus2 unsere Stadt.3 Im Kapitel27 seines Werkes handelt er über Rhaetien undVindelicien: ,,Vindelicia ab occasu Lyco et Rhaetia, a septentrione Danubio et Germania, ab ortu Oeno et Norico, a meridie item Alpibus clauditur. In ea praeclarissima urbs Augusta Vindelicorum ad Lycum amnem.“ In begeisterten Worten äußert sich über den Reichtum Augs­ burgs der bekannte Humanist Beatus Rhenanus.4 Sein Brief­ wechsel, der einen lebhaften Einblick in den ausgedehnten Kreis gewährt, mit dem er als Freund und Gelehrter verkehrte, bringt manches ehrende Wort über Augsburg. In längeren, kulturhistorisch interessanten Ausführungen ergeht er sich in einem Briefe an Phi­ lipp Puchaimer, Schlettstatt 3. März 1531:5 „Niemals werde ich Deine Freundlichkeit vergessen, mit der Du mir in Augsburg behilf­ lich warst, indem Du mich durch Christoph Wirsungs Vermittlung in das Haus der Fugger einführtest.6 Was gibt es prächtiges, das 1 Poemata iuvenilia. Wittembergae 1712. S. 45. 2 1488—1563. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 9. S. 210. 3 De Geographia Liber untis. Basel 1527 Bl. 27. 4 1485—1547 Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 28. S. 383 ff. 6 Vgl. A. Horawitz u. K. Hartfelder. Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Leip­ zig 1886. S. 393 f. Wir geben hier die deutsche Übersetzung nach K. KaulfußDiesch; Das Buch der Reformation Leipzig 1917. S. 80 f. 6 Rhenanus weilte 1530 auf dem Reichstage zu Augsburg.

38 in Anton Fuggers Hause nicht zu finden wäre? Fast überall ist es gewölbt und von Marmorsäulen gestützt, deren Kapitäle nach dem Muster des Altertums gemeisselt sind. Was soll ich sagen über die geräumigen und wohlgeschmückten Zimmer, über die Kamine, die Verbindungsgänge, über das Schlafgemach des Hausherrn selbst mit seiner goldverzierten, getäfelten Decke, seinem sonstigen Schmuck und der ganz ungewöhnlichen Pracht des Bettes? Neben diesem Zimmer befindet sich eine kleine Kapelle des heiligen Sebastian mit Gestühl aus kostbarem Holz meisterlich geschnitzt. Alles ist innen und außen mit Malereien geschmückt; und obgleich alles höchst wertvoll ist, trägt es doch selten überflüssigen Aufwand zur Schau, wohl aber einen gefälligen Geschmack und maßvolle Pracht­ entfaltung. Das Haus Raimund Fuggers, das von jenem etwas entfernt liegt, aber ganz ebenso fürstlich eingerichtet ist, gewährt einen sehr an­ mutigen Ausblick auf die Gärten, deren einer unmittelbar am Hause liegt, der andere durch die Straße,1 die aber nur eng ist, davon ge­ trennt ist. Alles, was Italien an Pflanzen hervorbringt, weist der Hausgarten auf. Da sieht man ferner Blumenbeete, Gartenhäuschen, Baumgruppen, Springbrunnen mit gegossenen Götterbildern. Auch ein Bad befindet sich dort am Hause. Die Gärten des Königs Lud­ wig von Frankreich, die wir einst in Tours und Blois sahen, haben mir nicht so gefallen. Als wir in das Haus eintraten, sahen wir um­ fangreiche Kamine, weitläufige Höfe und heizbare Gemächer, aufs prächtigste ausgeschmückt. Hier erblickten wir die ausgesuchtesten Gemälde aus Italien, auch viele Bilder von Lukas Cranach in höchster Vollendung. Noch mehr erregten unser Erstaunen, als wir in das obere Geschoß hinaufgeführt wurden, die vielen Denkmäler des Altertums, wie sie wohl selbst in Italien kaum irgendwo bei einem einzelnen Manne in größerer Anzahl zu finden sind. Zunächst betrachteten wir die ehernen und gegossenen Standbilder. Welcher von den alten Göttern ist uns hier nicht mehrmals begegnet... In einem andern Gemach, das nur Steinbilder enthielt, sahen wir Diana mit dem Mond ... Es wurde uns erzählt, daß diese Denkmäler des Altertums fast aus der ganzen Welt zusammengetragen seien, meist jedoch aus Griechenland und Sizilien. Herrn Raimund reut bei der Vorliebe, die er als genauer Kenner der Wissenschaften für das Altertum hegt, keine Ausgabe, wenn er sich in den Besitz dieser Dinge setzen 1 Armenhausgasse, damals Klebsattlergasse genannt.

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kann. Daran erkennt man den wahrhaft edlen und hochsinnigen Geist dieses Mannes.u Der gelehrte und streitbare Donauwörther Sebastian Franck1 berührt nur kurz unsere Stadt und beschäftigt sich mehr mit dem Schwabenland im allgemeinen.2 Nach einer historischen und topo­ graphischen Einleitung heißt es: „Ihr (= der Schwaben) Hantierung ist nit wie vor altem das Ackerwerk, sondern Gesellschaft, Kauf­ mannschaft und Handwerk allerlei. Die Gesellschaft seind, daß ihrer viele ein Summe Geld Zusammenlegen und alles aufkaufen, was sie ankommen . .. Die einsamen Schwaben arbeiten vor andern Hand­ werken alle am meisten mit Flachs, Wolle, Eisen, Leinwand, deren sie eine große Menge machen und allein zu Ulm ein Jahr 100 mal Tausend Barchenttücher gemacht werden sollen und wie etlich meinen noch viel mehr zu Augspurg.“ Wenig schmeichelhaft fährt Franck dann fort: „Wie nun einem jeden Volk sein eigen Tadel und Nachteil anhangt, also sind die Schwaben so ein unkeusch Volk, daß es selten zum rechten mann baren Alter kommt und bei andern Völkem ein Sprichwort drauß worden: Schwaben Land gibt Huren gnug ... Das Saufen hat dies Volk mit allen säuischen Teutschen gemein, dazu ein scheltend, übel fluchend Volk, das auch in Teutscher Nation so überhand genommen, daß nit mehr Sünd noch Schand, sondern eine ehrliche Gewohnheit daraus worden ist.“ Francks Werk war gedacht als Lesebuch für die gebildeten Kreise des Volkes. Desto peinlicher ist das harte Urteil über den Volks­ charakter, ein Urteil, das leider weite Verbreitung gefunden hat. Wenn auch sein Weltbuch-Spiegel ohne selbständige und gründliche Quellenstudien abgefaßt und nur kompiliert ist, so ist er doch aus­ gezeichnet durch die Weite seines kulturgeschichtlichen Blickes und die scharfe Beobachtung des Volkslebens. Als Schwabe muß er demnach auch die Schwaben wohl richtig beurteilt haben. Trotz seiner vielfachen Tätigkeit im Dienste der Kirche fand der bekannte Straßburger Reformator Kaspar Hedio3 noch Zeit, sich historischen Studien zu widmen. Die Frucht derselben war unter an­ dern! die Übersetzung der von uns schon erwähnten Weltchronik des Abtes Burkard von Ursberg. Er versah sie mit Anmerkungen und 1 2 3 und

1499—1542. Vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 7. S. 214 ff. Weltbuch-Spiegel. Tübingen 1534. Bl. 52 ff. 1494—1552. Vgl. über ihn: Realencyklopädie für protestantische Theologie Kirche. 3. Aufl. Leipzig 1899. Bd. 7. S. 515 ff.

40 Verbesserungen und führte sie bis auf seine Zeit fort, hauptsächlich mit einem gewissen apologetischen Bestreben, die Reformation hi­ storisch zu rechtfertigen. Die genannte Weltchronik1 wurde bald ein vielgelesenes Volksbuch und öfters aufgelegt. Nicht mit Unrecht ist Hedio als erster protestantischer Kirchenhistoriker bezeichnet worden. Seine Übersetzung schließt sich fast wörtlich dem Chronicon Urspergense an, so daß wir sie hier entbehren können. Wenig bekannt ist, daß Sebastian Brant sich auch als Histo­ riker betätigt hat; im allgemeinen ist er berühmt als Dichter und Jurist. Wir besitzen aber von ihm einen Entwurf zu einer Chronik über Deutschland, welche Kaspar Hedio in einem Anhang zu seiner Weltchronik veröffentlichte. Trotz der vielfachen regen Beziehungen, die Brant mit Augsburg und namentlich mit Konrad Peutinger ver­ banden, erwähnt er Augsburg nur dem Namen nach. Die erste durchgreifende Verbindung zwischen Volks-und Landes­ kunde hat uns Sebastian Franck in seinem Weltbuche geschenkt* Sebastian Münster2 *aus 4 Ingelheim bescherte uns in seiner „Cosmographia, Beschreibung aller Länder**8 die erste allgemeine Erd­ kunde in deutscher Sprache. Mit großer Gelehrsamkeit, unterstützt durch eine Reihe Mitarbeiter, hat er ein Werk geschaffen, das ihm den Namen „deutscher Strabo** eingetragen hat. Als Haus- und Handbuch für alle Gebildeten erlebte es viele Auflagen und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Durch seinen treuherzigen, manchmal sogar gemütlichen Ton, der auf eine warme, vaterlän­ dische Gesinnung abgestimmt erscheint, ist das Buch heute noch eine anziehende Lektüre. Wenn es auch viele landläufige Unrich­ tigkeiten enthält, so finden wir doch höchst schätzenswertes Material namentlich über Deutschland. Während die erste Auflage neben einem verhältnismäßig kurzen Artikel nur das Wappen Augsburgs bringt, finden wir in den spä­ teren Auflagen immer längere Beschreibungen unserer Stadt, ge­ schmückt mit einer Stadtansicht. Die Ausgabe „Basel 1548*t4 bringt neben der Zirbelnuß eine kleine Ansicht der wehrhaften, mittelalter­ lichen Stadt, die sich vorzüglich ausnimmt. Die Beschreibung der 1 Eine auserlesene Chronik von Anfang der Welt bis auf das Jahr nach Christi 1539. Straßburg 1539. S. 510. 2 1489—23527 Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 23. S. 30 ff. 8 Basel 1544. p. 442. 4 S. 440.

41 Stadt ist vermehrt durch eine wirkungsvolle Schilderung der da­ maligen V erhältnisse. „Wie diese Stadt in kurzen Jahren zugenommen hat in Reichtum, prächtlichem Leben, weiß männiglich wohl, der Augspurg gesehen hat. Dann ihre gleichen wird zu unsern Zeiten in Teutschland nit gefunden, etlicher besonderer Personen halb, die an sich zogen haben die höchsten Kaufmannshändel, so in Europa getrieben werden, ja als ich höre sagen, in der Barbarei überm Meer ihre Hantierung und Gewerbe führen, so durch sie ein überschwäng­ lich groß Gut erobern und für die reichsten Kaufherren geschätzt werden, so nit allein Germania sondern das ganz Europa zu unsern Zeiten hat. Es ist durch sie die Stadt dermaßen mit herrlichen Häu­ sern und Palästen geziert worden, daß einer, so vorhin nie dagewesen, meint er gang in ein Paradies, so er da hinkommt.“ Eine bewun­ dernde Beschreibung der prachtvollen Gärten illustriert durch einen Holzschnitt mit exotischen Blumen ergänzt seihe Ausführungen die er voll des Lobes abschließt: „Die Bürger bei ihrem prächtlichen Wesen sind nicht unfreundlich gegen den Fremden und besonders gegen den Gelehrten, dann sie auch gelehrte Männer im Rat und in Ämtern haben und befleißen sich, daß ihre Kinder in guten Künsten erzogen werden.“ Noch ausführlicher ist die Beschreibung der Stadt in der Aus­ gabe „Basel 1550“.1 Sie bringt die Schilderung des bekannten Augsburger Chronisten Achilles Gasser; daneben eine Geschichte der Augsburger Bischöfe und eine eingehende Beschreibung des Lechtales und etlicher Täler um Augsburg. Zugleich finden wir dort „Augspurg die hochberühmte Stadt artlich in Grund gelegt“, d. h. eine klare Planansicht der Stadt mit ihren Mauern, Türmen, vornehmen Gebäuden, Basteien, Wassern usw. Auch die späteren Ausgaben bringen, wie die lateinische von 1552, die nämliche Be­ schreibung und die nämliche Ansicht. Kehren wir zurück zur Erstausgabe und vernehmen wir die ty­ pische Darstellung Münster’s, die auch für seine späteren Neu­ auflagen und für seine Nachfolger als Grundlage gedient hat, aller­ dings vermehrt durch mancherlei Zutaten: „Die Landschaft um Augsburg hat vor Zeiten geheißen Vindelicia und das von zweien Wässern, wie man sagt Vinda und Lico . . . Und demnach ist diese Stadt genannt worden Augusta Vindelicorum, denn es sind sonst mehrere Städt gewesen, die auch Au1 S. 876 ff.

42 gusta haben geheißen. Es war damals der Brauch bei den Römern, so ein Fürst oder ein Volk wollt dem Kaiser sonderlich hofieren, bauet er ihm eine Stadt zu Ehren oder erneuert eine alte und nennt sie nach des Kaisers Namen . . . Augusta hat vorhin Zizaria ge­ heißen, wie etliche schreiben und das von der Göttin Ziza, die sie geehret haben. Und ist noch ein Berg da, den man den Zisenberg (= Eisenberg) nennt, auf dem diese Göttin einen Tempel hat. Die Stadt hat viel von den Römern gelitten, bis sie sich ihnen wollt er­ geben, doch hat sie zuletzt Claudius Drusus erobert und erneuert und Kaiser Augusto zu Ehren Augustam genennet.“ Kurz berichtet er noch von der bekannten, sagenhaften Römerschlacht bei Augs­ burg, von der Christenverfolgung unter Diokletian und von der Ungamschlacht auf dem Lechfelde. Von den Verhältnissen zu seiner Zeit berichtet er, wie erwähnt, erst in den späteren Auflagen. Wolrad II. Graf von Waldeck1 gehört unzweifelhaft zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts. Hervorragend durch wissenschaftliche Bildung war er einer der am ernstesten zu nehmenden Anhänger der Reformation. Als solcher wurde er we­ gen seiner Teilnahme am Schmalkaldischen Kriege vom Kaiser zur Verantwortung auf den Reichstag nach Augsburg 1548 geladen. Wie er es gewohnt war, führt er während der Hin- und Rückreise und während seines Aufenthaltes in Augsburg ein genaues Tage­ buch,2 worin er, sich selbst mit Eubulus, einer Übersetzung des Namens Wolrad, bezeichnend, alles wichtige, was ihm begegnete, ausführlich und sorgfältig verzeichnete. Allerdings begegnen wir in seinem Tagebuch fast nur innerpolitischen und religiösen Fragen; daneben erzählt er von bedeutenden Persönlichkeiten, die ihm zu Augsburg begegnen. Ausführlich berichtet er von seinen täglichen Kirchenbesuchen bei St. Moritz und bei den Barfüßern. Leider äußert er sich trotz seines langen Aufenthaltes dahier (14. April bis 22. Juni) nur selten über unsere Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten. Am 14. April nachmittags 2 Uhr erreicht Wolrad mit seinem Gefolge Augsburg.3 Lobend erwähnt er den schneidigen Sebastian Schertlin. Einen Einblick in die Geschäftstüchtigkeit der Augs­ burger Kaufherrn, welche mit Geschick die politische Lage auszu1 Vgl. über ihn: Victor Schultze: Waldeckische Reformationsgeschichte. Leip­ zig 1903. 2 Hrsg. v. C. L. P. Troß in der Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart. Bd. 59. Stuttgart 1861. 3 Tagebuch S. 11.

43 nutzen verstanden, gewährt uns eine bittere Äußerung (S. 34): „Fuggeri, Baumgarteri, Herbroteri, Goslei et quidquid harum harpiarum est, suos proventus in his comitiis adaugere dicuntur.“ Vom Augsburger Dom findet er nur das Epitaph des Bischofs Bruno er­ wähnenswert. Einen alten, heute vergessenen Brauch erzählt er:: ,, Augustae singulis diebus sub nonam horam postmeridianam campana signum datur, quod fit ad refricandum tempus memoriae proditionis Christi per Judam factae, quod hoc fere sub id diei temporis acciderit.“ Ebenso berichtet er ziemlich ausführlich über den Be­ such des Bey von Tunis in Augsburg. Auch das Kirchlein von St. Markus hat er besucht; er führt einige Inschriften an, die ihm bemerkenswert erscheinen. Großen Eindruck macht auf Wolrad das Münster von St. Ulrich. „Vidimus magnificasstructurascoenobii d. Udalrici . . ., quod non pauci castrum Caesaris vel civitatulam futuram existimant.“ Bewunderung ergreift ihn auch über die Fuggerei „Vidimus ... in suburbiis Augustanis versus portas D. Jacobi viculum et muro et tribus portis clausum aedificiis oblongis quatuor in mansionibus centum et sex divisas . . . non quidem in Fuggerorum proventus, sed ut, si forte Fuggeri non supersint, domus si qua opus refici ex hac pecunia (d. h. dem geringen Mietzins) queant.“ Auch den hohen Stand des Augsburger Kunstgewerbes hat er erkannt und mit eigenen Augen gesehen: „Fuimus ... in officina cujusdam, qui in caelando aurichalco et in arte fusoria haud facile parem in Ger­ mania habere dicitur.“ Selbst dasTennisspiel, an dem erteilgenommen, erwähnt Graf Wolrad: „ . . . Theatrum illud Hispanis, quo pilae se in hoc exercent, sumptibus urbis Augustae pavimentum lapide coctili stratum vidimus.“ Auch sonst führt er mannigfach die „splendidas aedes“ der reichen Augsburger an. Von den Toren gefällt ihm am besten die Porta rubra (das rote Tor), die er gewissenhaft be­ schreibt. Von den prachtvollen. Renaissancegärten hebt er beson­ ders die der Fugger hervor. Leider vermissen wir bei Wolrad, wie bereits erwähnt, ein abschließendes Urteil über unsere Stadt. Das Angeführte jedoch genügt, um zu zeigen, daß ihm die Stadt einen guten Eindruck hinterlassen hat, der allerdings durch die persön­ lichen Verärgerungen und die Behandlung auf dem Reichstage ziemlich abgeschwächt erscheint. v Valentin Müntzer, Bürger aus Fulda, faßt sich in seiner annalistischen Weltgeschichte,1 wie auch über die anderen Städte und 1 Chronographia oder Beschreibung der Jahren von Anfang der Welt bis auf unsere Zeit. 1549. S. 50 f.

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geschichtlichen Ereignisse, ziemlich kurz über Augsburg unter Benüt­ zung bekannter Quellen: „ Augspurg die Statt in Schwabenland gele­ gen, ist von Druso erweitert (und nicht wie etliche sagen erbaut) wor­ den. Denn Augspurg ist 1200 Jahr vor Druso gestanden und hat geheißen Zisaria von der Göttin Zisa oder Isis, Ceres genannt, die zu Augspurg geehret ward. Drusus aber hat die Stadt nach Augustus „ Augusta“ genannt, sie wird Vindeliciazugenannt von den zweiWassern so vor Augspurg fließen, als nämlich Vind'a, die Wertach, und Licus, der Lech.“ Während des 17. und 18. Jahrhunderts galt es als feststehender Gebrauch, daß junge Edelleute und Söhne wohlhabender Bürger­ familien im Anschluß an ihre akademischen Studien „die herkömm­ liche Kreisfahrt durch das gesittete Europa“1 antraten, um ihrer Bildung den letzten Schliff zu geben. Aber auch im 16. Jahrhundert taucht schon vereinzelt diese Gepflogenheit auf. So können wir den jungen Bartholomäus Khevenhüller2 aus 3 dem bekannten öster­ reichischen Grafengeschlechte auf einer Reise nach Frankreich be­ gleiten, die er im Anschluß an seine Universitätsjahre unternimmt. Am 15. Juni 1557 reiste er von Villach ab und kommt über Salz­ burg und München nach Augsburg. Die prächtige Stadt und ihr blühender Handel erfüllt ihn mit Erstaunen. Er besuchte Anton Fugger, der ihn mit Ratschlägen und Empfehlungsbriefen für die Weiterreise versah. So hatte es der Familienrat bestimmt; denn die Khevenhüller waren alte Geschäftsfreunde der Fugger, mit denen sie schon manches Geschäft abgeschlossen hatten.8 Wie bereits erwähnt brach Bartholomäus am 15. Juni 1557 mit Fabian Stosser nach dem Mittagstisch zur Reise nach Frankreich auf. Am 23. treffen wir ihn bereits in München, wo er die Löwen Herzog Albrechts besah. „Und da er weiter nichts zu sehen wußte, reitet er am 24. nach Augsburg. -Diese Stadt dünkte ihm „schön lustig“, die Häuser „köstlich“; die gewaltigen Ringmauern, die tiefen und weiten Gräben erregten seine Aufmerksamkeit und er berichtet, daß „der äußere Cirkel“ der Stadt bei 9000 Schritte begreife. Er er­ wähnt der „großen“ Kaufmannschaft und des trefflichen und viel­ fältigen „handwerckischen“ Handels. Die Bürger und Geschlechter bauen in und außerhalb der Stadt schöne Lusthäuser, die mit Gärten 1 W. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre I. S. 11. 2 1539—1613. Überihn vgl. B.Czerwenka. Die Khevenhüller. Wien 1867. S. 116 ff. 3 Einen Auszug aus dem Tagebuch dieser Reise bringt Czerwenka a. a. O. S. 128.

45 und Wasserkünsten geziert sind; besonders rühmt er diese Dinge alle bei den Fuggern. Ein Turm zu einer Wasserkunst bestimmt, war noch nicht ganz vollendet. Khevenhüller ging mit Stosser zu Herrn Antoni Fugger, über­ reichte ihm das Schreiben seiner Verwandten und bat selbst um Ratschläge für seine Reise nach Frankreich. ,,Den nächsten Tag nahm er bei Fugger das Frühmahl ein. Als man sich zu Tische setzte, erhielt Fugger die Nachricht, daß den Abend vorher ein junger Phillinger aus Frankreich zurückgekehrt sei; nach ihm ward allsogleich geschickt. Phillinger berichtete, daß die Scholaren, welche sich fein stille hielten, gar sicher und ohn alle Irrung im Lande bleiben könnten. Erfreut über diese Meldung richtete sich Khevenhüller auf Fuggers Rat zur Reise; der Reitknecht, der von Villach aus mitgezogen war, wurde zurückgeschickt und ihm ein Schreiben mit­ gegeben, in welchem Khevenhüller anzeigt, daß er „in Gottes Na­ men“ seine Reise nach Frankreich antreten wolle. In Augsburg nahm er einen Wegweiser bis nach Konstanz mit. Am 28. Juni brach er auf.“ Der Venetianer Dominicus Marius Niger erwähnt in seinem geographischen Nachschlagewerke1 Augsburg nur kurz. „Incolebant Vindeliciae . . . iuxta Ly cum fluvium Lycatii prae ceteris ferocissimi, 'in quibus civitas Augusta Vindelicorum cognomine, quae nunc quoque Augusta dicitur, barbari Augspurg,in angulo ubi Verta amnisin Lycuminfunditur: sub qua ad amnem usque planities ingens praetenditur.“ Nach den alten, sagenhaften Erzählungen wird die Geschichte der Stadt Augsburg von Wolfgang Jobst erzählt.2 „Augspurg erstlich ein Dorf am Wasser des Lech gelegen, jetzund ein Reichs­ stadt in Schwaben, von Claudius Drusus erweitert und Kaiser Augustus zu Ehren Augusta genannt, hat vorhin Sisaria, von der Göt­ tin Sisa oder Isis, Ceres, geheißen, die allda geehret worden, welche von Japhet des Sohnes Noe Kindern bewohnet und ängefangen. Etliche wollen, sie sei vor Troia und der Kinder Israel Auszug aus Ägypten und vor Rom 550 Jahre gestanden, ist mit Mauern be­ festigt und von den streitbaren Weibern, Amazonen genannt, oder wie andere wollen geplündert und erobert von Marthesia der Köni­ gin der Amazonen, 600 Jahre vor Erbauung der Stadt Rom. Von 1 Geographiae Commentariorum libri XI. Basileae 1557. S. 85. 2 Chronologia. Von Erbauung und Ankunft etlicher namhaftiger Stadt. Leipzig 1563. S. 7 f.

46 den Inwohnern wurde sie von Holz und Kot (= Lehm) wieder auf­ gebaut und von gegeben fort und fort sehr zugenommen. Andere setzen ihren Anfang Anno vor Christi Geburt 1129.“ Kritiklos hat der Verfasser die alten Chroniken kompiliert und ein recht sagen­ haftes Gebilde von Augsburg uns hinterlassen. Eine interessante Beschreibung seiner Reisen,1 die er als Kauf­ mann „mehrerteils was zu erfahren, als einigen Reichtum zu er­ werben“ im Dienste Augsburger Kaufherren unternommen hat, hinterließ uns der Ulmer Hans Ulrich Krafft von Delmensingen.2 Zuerst im Dienste des Augsburger Kaufmanns Hierony­ mus Imhof trat er 1573 in den Dienst des Augsburger Hauses Mel­ chior Manlich und Compagnie über, welches in Marseille ein Kon­ tor und sieben eigene Schiffe hatte. Mit dieser Flotte unternahm Krafft eine Reihe von Reisen, die er ausführlich beschreibt. Am 1. Mai 1573 kommt er nach Augsburg. Viel erzählt er nicht von der engeren Heimat, sein Sinn ist auf Abenteuer in fremden Ländern gerichtet. „In der Zeit, weil ich mich zu Augspurg aufge­ halten, ist mir von meinem, sonderlich dem alten Herrn M. Manlich große Ehr erzaigt worden, also daß ich etlich Mahlzeiten bei ihm an seinem Tisch eingenommen, auch mir durch Conversation zu geheimen Sachen mehr erzählt, als nicht bald gegen andere ihrer Diener geschehen, ich auch nicht vermeint, sie eine solche Vertrau­ lichkeit zu mir setzen und tragen sollen . . . Hierauf haben sie mich den 16. des laufenden Monats mit wohl gespeistem Seckel, um auf der Post nach Marsillia zu Reisen ganz freundlich abgefertiget.“ Der bekannte Geograph Abraham Ortelius3 hat ein öfter auf­ gelegtes schönes Kartenwerk,4 dessen Tafeln fast alle von Franz Hogenberg stammen, herausgegeben. Hochinteressant ist die Karte von Schwaben (Bl. 55); der Text auf der Rückseite berichtet nach dem Wortlaute bei Johannes Boemus „Augusta Vindelicorum et Ulma hodie in ea maxime celebratae sunt urbes“. Wir besitzen von ihm noch ein anderes geographisches Werk5 in Form eines alpha­ betischen Nachschlagebuches,in welchem eraber weniger freundlich 1 Reisen und Gefangenschaft Hans Ulrich Kraffts. Aus der Originalhandschrift hrsg. v. K. D. Hassler. Stuttgart 1861. Bibliothek des literarischen Vereins. Bd. 61. S. 5. 2 1550—1621. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 17 S. 11 ff. 3 1527—1598. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 24. S. 428 ff. 4 Theatrum orbis terrarum. Antwerpen 1573. 5 Synonymia geographica. Antwerpen 1578, S. 48.

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über Augsburg urteilt, zwar nicht selbständig, sondern indem er Aventin als Quelle benützt, der bekanntlich das römische Augusta Vindelicorum zum höheren Ruhme Bayerns in die Gegend von Wolf­ ratshausen verlegt. „Aventinus vero dicit (Augustam Vindelicorum) hodie non extare. Fuisse autem proxime Wolfartzhausen vicum et arcem; ad pontem Schäftlarn dictum.“ Sehr wenig von Augsburg zu berichten weiß der kgl. französische Geograph Andre Thevet.1 Fälschlich nennt er schon Regensburg unter den Städten Vindeliziens. Von Augsburg erzählt er nur fol­ gendes: „Les villes principales sont, celle de Vindelicie, qui est de l’empire: Ratisbonae . . . puis est Auguste, ä present Ausbourg, oü se sont tenues tant de Dietes (= Reichstage) de nostre temps, pour le fait de la religion et d’ou la confession d’Ausbourg a prise son nom.“ Eigentümlich verworren und nur wenig historisch ist das, was Jo­ hann Lorenz d’Anania2 in seiner Weltbeschreibung3 von Augs­ burg berichtet. „Augusta dove anticamente si adorava Erto, cioe il fuoco e la terra e poi Zisa in forma d’un pino con un grappo d’uva: ma ridotta dal beato Lucio airEvangelo, stette sempre salda nel lume della fede insin ä questi infelici tempi, quando per cagion di Lutero e suoi seguaci se n’e gran parte dimenticata e rimossa.“ Eine eingehende Beschreibung in echt humanistischem Sinne brachte der Kölner Dechant G e o r g B r a u n4 in seinem großen Städte­ buch.5 Das Buch erschien in mehreren Bänden und Auflagen. Es war ein Unternehmen,das der deutschen Nation zu hoher Ehre gereicht und unter den älteren topographischen Werken die erste Stelle einnimmt. Matthäus Merian hat eine Anzahl Abbildungen daraus für seine Topographie kopiert. Meisterhaft aufgefaßte, nach der Natur ge­ zeichnete und überwiegend von den holländischen Künstlern Franz Hogenberg und Georg Hoefnagel gestochene Ansichten der wich­ tigsten der damals bekannten Städte, mit kurzen Schilderungen und geschichtlichen Nachrichten vereinigen sich in diesem Werke zu einem einzigartigen Bilde des damaligen Späthumanismus. Die wundervolle bis ins kleinste Detail gehende Planansicht Augsburgs wird auf der Vorderseite erläutert durch eine ziemlich eingehende, 1 1502—1590in: La Cosmographieuniverselle.Paris 1575.Fol. 917.Vgl.Nouvelle Biogr. generale. Vol. 45 p. 127. 2 Gest. ca. 1582. Vgl. Nouvelle Biagr. generale Bd. II. p. 472. 3 L’universale fabrica del mondo overo cosmografia. Venetia 1576. p. 52. 4 Vgl. Ch. G. Jöcher, Allg. .Gelehrtenlexikon. Leipzig 1750. Theil 1. Sp. 1344. 6 Civitates orbis terrarum. Köln 1576. Lib. I. Bl. 39.

48 historische und topographische Schilderung, welche durch weitere Ausführungen auf Blatt 2 des Index ergänzt wird. Das schöne Bild der mittelalterlichen Stadt mit ihren Toren, Türmen und Wällen, dem alten Rathaus und den vielgiebeligen Straßen ist so exakt und reizend ausgeführt, daß es wohl als eine der schönsten Darstellungen unserer Stadt aus allen Zeiten anzu­ sprechen ist. Glänzend in Diktion und erhebend für unsere Stadt zugleich ist der Text: „Augusta . . . vero Imperii Romani, ut hodie cultu et divitiis clarissimum, ita origine quoque vetustissimum municipium existit. Quae inter pisculentissimorum fluminum Vindae et Lechi confluentiam sita, ex vetustissima Suevorum gente, quae a Japhet descendisse, et hanc primum inhabitasse provinciam fertur, originem sumpsisse, constanti annalium testimonio perhibetur.“ Es folgt dann nach Achilles Gasser die Schilderung des Regiments, die Aufzählung der Wohltätigkeitsanstalten, darunter der Fuggerei, die Erzählung von dem ungeheuren Reichtum der Kaufherrn, welche „integrum regnum apud Indos possident.“ Unter den Gelehrten wird besonders Konrad Peutinger gepriesen. Ausführlich ergänzt werden diese Ausführungen im Index, die auf uns bekannte Quellen zurück­ gehen und keine neuen Ergebnisse bringen. Braun schließt seinen Exkurs über Augsburg: „Ornaturque haec imperialis civitas publicis et privatis aedificiis pulcherrimis et praesertim Basilica Episcopali ampla, beatae Mariae virgini dicata.“ Der Verfasser der Frankfurter Cosmographia1 schildert unter Anlehnung an verschiedene seiner Vorgänger, besonders an Jo­ hannes Boemus, das „herrliche“ Schwabenland. „Augspurgund Ulm sein jetzt die fürnehmsten Städte darin.“ Nicolaus Reusner2 sammelte in einem Buche,3 indem uns die Namen zahlreicher Humanisten begegnen, Reisegedichte verschie­ dener Autoren. Dort liest man in dem Gedichte des Kaspar Ru­ dolph, in welchem er die Reise Kaiser Maximilians II. aus Spanien über Frankreich und Italien nach Deutschland beschreibt: „Rhetia prima petita, Quae parte aetherias intra se porrigit Alpes: Parte Licus flavus perfundit Lydius amnis, Urbs Augusta triplex ubi moenia nubibus aequat.“ 1 Cosmographia. Das ist warhaffte eigentliche und kurtze Beschreibung des gantzen Erdbodens. Frankfurt 1576. Bl. 37. 2 1545—1602. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 28. S. 299. 8 Hodoepicorum sive itinerum totius fere Orbis Libri VII. Basileae 1580.

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Sehr ausführlich kommt in diesem Werke (Liber IV) Georg Sabinus zu Worte: „Vindeliciae portas et celsa subiuvimus urbis, Quae vetus Augusti moenia nomen habent. Hic nitidas auro, pictasque coloribus aedes, Ac solido tectas vidimus aere domos.“ Von acht verschiedenen Dichtern hören wir das Lob und den Preis der alten Römerstadt besungen, ihre Herrlichkeit gepriesen und ihre Bedeutung in der Jetztzeit hervorgehoben. Mit gleicher Liebe behandelt derselbe Nie. Reusner die alte Augusta in einem Werke über die deutschen Reichsstädte:1 „ Augusta urbs Imperii Romani Ion ge pulcherrima atque florentissima: ocellus et sidus Germaniae“ (der Augenstern Deutschlands). Er beschreibt dann die Lage der Stadt, ihre Geschichte, die er mehr nach der sagenhaften Seite kennt, kommt dann auf die Römerzeit zu sprechen und berührt kurz die Zeit der Christianisierung. Zum Schlüsse stellt er eine Reihe von lateinischen Humanisten-Gedichten verschiedenster Dichter, die zum Lobe Augsburgs gesungen haben, zusammen. Wir hören da Lieder von ihm selbst, von Georg Fabricius, Joachim Camerarius, Kaspar Bruschius, Ieremias Reusner, seinem Bruder, Paul Melissus Schedius, Peter Lindeberg, Salomon Frenzei, Chri­ stoph Colerus, Johannes Pinicianus. Eine Fundgrube kulturgeschichtlicher Merkwürdigkeiten bildet die Reisebeschreibung2 des französischen Philosophen Michel Eyquem de Montaigne.3 Zwei Jahre bereiste er Deutschland und Italien. Ein schmerzhaftes Blasenleiden, das ihn von einem Kur­ ort zum andern trieb, war die äußere Veranlassung dazu; zugleich war stark ausschlaggebend der Wunsch, sein Studienobjekt, den Menschen, immer wieder in neuen Verhältnissen und in andern Län­ dern zu beobachten. Daneben hat er aber auch ein offenes Auge für Kunst und Kultur. Neben der bereits erwähnten Reisebeschrei­ bung des Antonio de Beatis wird es kaum eine so eingehende kul­ turgeschichtliche Schilderung aus dieser Zeit geben. Sein Werk enthält eine fast erdrückende Fülle kulturgeschichtlicher Einzel­ heiten, die man sonst nirgends findet; sie zeugen von einer selten 1 De urbibus Germaniae liberis sive imperialibus Libri II. Ursellis 1602 S. 108—122. 2 Reisetagebuch. Übersetzt von Otto Flake, München 1908. S. 99—113. 3 1533—1592. Vgl. über ihn: N. Weigand, Montaigne. Leipzig 1910.

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scharfen Beobachtungsgabeund einem für alles Wissenswerte höchst empfänglichen Sinn. Aus der Schweiz kommt er über das Lechfeld nach Augsburg, das auf den Franzosen einen imponierenden und unvergesslichen Eindruck macht: „Wir kamen durch eine weite Ebene . . . nach Augsburg . . ., das als die schönste Stadt Deutsch­ lands gilt, wie Straßburg als die stärkste. Die erste seltsame Zu­ rüstung, die wir bei unserer Ankunft sahen, die aber die Reinlich­ keit dieser Stadt beweist, war, daß die Stufen der Wendeltreppe unseres Gasthauses ganz mit Leinenzeug belegt waren, über das wir schreiten mußten, um die eben wie jeden Samstag gewaschene und geputzte Treppe nicht schmutzig zu machen. Wir bemerkten nie­ mals Spinngewebe noch Schmutzspuren in all diesen Gasthäusern. In einigen gibt es Vorhänge, die man nach Gefallen vor die Scheiben ziehen kann.“ Des weiteren interessieren ihn die Bettstatten, das Kopfkissen, Tische, Stühle und Teller. Darauf spricht er über das Essen. „Die Speisefolge ist im Land sehr verschieden; hier wurden zuerst Krebse aufgetragen, die überall sonst gegen Ende kommen, sie waren von einer außerordentlichen Größe. In verschiedenen Gasthäusern, wenigstens den großen, wird alles zugedeckt aufge­ tragen. Was die Glasscheiben so leuchtend macht, ist das Fehlen unserer festen Fenster; vielmehr sind hier die Rahmen beweglich gemacht und die Scheiben werden oft geputzt. Der Herr von Montaigne besah sich am nächsten Morgen, einem Sonntag, mehrere Kirchen, und fand in den sehr zahlreichen katho­ lischen überall den Gottesdienst sehr gut eingerichtet. Sechs Kir­ chen mit sechzehn Geistlichen gehören den Protestanten, zwei davon sind den Katholiken weggenommen, die vier übrigen für sie erbaut. Am gleichen Morgen besuchte er eine davon, die einem großen Kollegsaal glich, und weder Bilder, noch Orgeln, noch Kreuze hatte. An den Wänden ziehen sich viele Inschriften in deutscher Sprache hin: es sind Bibelstellen; ferner sind zwei Kanzeln da, die eine für den Geistlichen bei der Predigt, die andere, die etwas tiefer liegt, für den, der den zu singenden Psalm anstimmt: nach jeder Strophe wartet die Gemeinde, bis dieser die nächste beginnt; es wird durcheinander gesungen, wer gerade will, und auch mit be­ decktem Haupt, wer will. Darauf schritt ein Prediger, der in der Menge stand, zum Altar, las ein langes Gebet aus einem Buch und die Gemeinde erhob sich, faltete die Hände und erwies dem Namen Jesu Christi ihre große Ehrfurcht.

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Nachdem der Prediger, der unbedeckt geblieben war, mit dem Vorlesen aufgehört hatte, kamen auf den Altar ein weißes Tuch, eine Kanne und ein Napf mit Wasser; eine Frau reichte ihm, in Gesellschaft von zehn bis zwölf anderen Frauen, ein Wickelkind mit unbedecktem Gesicht. Der Prediger tauchte dreimal alle Finger in den Napf, berührte das Gesicht des Kindes und sprach bestimmte Worte. Darauf traten zwei Männer heran und legten jeder zwei Fin­ ger der rechten Hand auf dies Kind: der Prediger sprach zu ihnen und die Handlung war zu Ende. Beim Hinausgehen unterhielt sich der Herr von Montaigne mit dem Prediger. Sie rühren an keine Ein­ künfte der Kirche, sondern werden öffentlich vom Staat besoldet. In dieser Kirche allein war eine größere Gemeinde und mehr Arbeit als in zwei oder drei katholischen zusammengenommen. Wir sahen kein einziges schönes Frauenzimmer. Deren Kleidung ist sehr verschieden; bei den Männern dagegen ist es schwer, die Adeligen zu erkennen, um so mehr, als jedermann seine verbrämte Mütze und einen Degen an der Seite trägt. Das Gasthaus, in dem wir wohnten, hatte auf dem Wirtsschild einen Baum, der dort zu Lande „Linde* heißt; es war neben dem Palast der Fugger. Einer aus dieser Familie war vor ein paar Jahren gestorben und hatte seinen Erben zwei Millionen guter französischer Taler hinterlassen, und jene gaben, um für seine Seele bitten zu lassen, den dort ansäßigen Jesuiten bare dreißigtausend Gulden, womit die Väter sich eine hübsche Niederlassung bauten. Das Fug­ gerhaus ist mit Kupfer gedeckt. Im allgemeinen sind hier die Häuser schöner, größer und höher als in irgendeiner französischen Stadt, die Straßen breiter. Der Herr von Montaigne schätzt, daß Augsburg die Größe von Orleans besitzt. Nach Tisch besuchten wir ein Schaufechten in einem öffentlichen Saal. Es wohnte eine große Menge bei; man bezahlt den Eintritt wie bei Taschenspielern und außerdem den Platz auf der Bank. Es wurde mit dem Dolch, dem Zweihänder, einem an beiden Enden mit Eisen beschlagenen Stab und dem kurzen Breitschwert gefochten; hernach wohnten wir einem Preisschießen mit Armbrust und Bogen bei, an einer noch prächtigeren Örtlichkeit als in Schaffhausen. An dem Stadttor1, durch das wir eingezogen waren, bemerkten wir unter der Brücke eine große Wasserleitung, die von außen kommt, und auf eine hölzerne Brücke unter der Verkehrsbrücke und über den 1 Rotes Tor. 4*

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Fluß, der durch den Stadtgraben zieht, hinweggeleitet ist. Diese Lei­ tung dient dazu, eine bestimmte Anzahl Räder zu treiben, die meh­ rere Pumpen in Bewegung setzen und durch zwei Bleiröhren das Wasser eines Brunnens, der dort sehr tief liegt, auf die Höhe eines mindestens fünfzig Fuß hohen Turmes heben. Hier ergießt sich das Wasser in einen großen steinernen Behälter, sinkt in verschiedenen Röhren wieder hinunter und verteilt sich von da in die Stadt, die durch dieses eine Kunstmittel mit Brunnen reich versehen ist. Die Eigentümer, die eine Abzweigung davon für eigenen Gebrauch wol­ len, haben der Stadt bloß zehn Gulden Rente oder zweihundert Gul­ den einmalig zu zahlen. Es sind vierzig Jahre her, seit die Stadt mit diesem ansehnlichen Werk verschönert worden ist. Heiraten zwischen Katholiken und Protestanten finden täglich statt und der Teil, der am meisten Verlangen hat, nimmt den Glauben des anderen an; solche Ehen bestehen zu Tausenden; unser Wirt z. B. war Katholik, seine Frau Protestantin. Die Gläser werden hier mit einer am Ende eines Griffs befestig­ ten Haarbürste gereinigt. Nach der Aussage der Einheimischen gibt es sehr schöne Pferde im Preis von vierzig bis fünfzig Talern. Die Stadt ließ den Herrn von Estissac und Montaigne, um sie zu ehren, für ihr Souper vierzehn große Krüge mit einheimischem Wein von sieben livrierten Stadtsoldaten und einem ehrenwerten Offizier überbringen. Den Offizier luden wir zum Souper ein, denn so ist es Sitte, ebenso wie wir den Trägern etwas schenkten; wir gaben ihnen einen Taler. . . . Wie die Augsburger erzählen, haben sie zwar Mäuse, dagegen keine der großen Ratten, von denen das übrige Deutschland heim­ gesucht wird; sie erzählen darüber eine Menge Wundergeschichten und schreiben ihre Bevorzugung einem ihrer dort begrabenen Bi­ schöfe zu; von diesem Grab wird Erde in kleinen nußgroßen Stück­ chen verkauft und sie soll das Gezücht überall verjagen. Am Montag wohnten wir in der Kirche unserer lieben Frau der pomphaften Hochzeit eines reichen und häßlichen Bürgermädchens mit einem Geschäftsführer der Fugger, einem Venezianer, bei : wir sahen dabei kein einziges hübsches Frauenzimmer. Die verschiedenen Fugger, die alle sehr reich sind, nehmen die erste Stelle in der Stadt ein. Wir sahen auch zwei Säle in ihrem Haus; der eine war groß, hoch und mit Marmor aüsgelegt; der andere ist niedrig, reich an alten und modernen Medaillons und besitzt am Ende

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ein kleines Zimmer. Es sind die reichsten Zimmer, die ich je ge­ sehen habe. Wir sahen uns auch den Tanz der Hochzeitsgesellschaft an: man tanzte bloß Allemanden, die jeden Augenblick abgebrochen wurden, worauf die Herren die Damen zu ihren Plätzen zurückführten: es waren zwei Reihen mit rotem Tuch ausgeschlagene Bänke an den Seiten des Saales. Nach einer kleinen Erholungspause holten sie sie wieder ab, dabei küssen die Herren ihre eigene Hand, während die Damen dies nicht tun, dann legen sie ihre Hand unter die Achsel der Damen, pressen sie an sich und die seitwärts gewendeten Ge­ sichter nähern sich einander, wobei die rechte Hand der Dame auf der Schulter des Tänzers ruht. So tanzen sie und unterhalten sich ganz ohne Kopfbedeckung und nicht besonders reich gekleidet. Wir sahen noch andere Häuser der Fugger in anderen Gegenden deren Stadt, die ihnen durch so viel Aufwendungen zur Verschö­ nerung verbunden ist: es sind Lusthäuser für den Sommer. In einem sahen wir eine Uhr, die durch die Bewegung von Wasser, das als Uhrgewicht dient, in Gang gehalten wird, ferner zwei große ge­ deckte Fischbehälter, zv/anzig Schritt im Geviert und voll von Fischen. An den vier Ecken jeden Behälters waren verschiedene kleine Röhren angebracht, die einen gerade, die anderen nach oben gerichtet; daraus läuft das Wasser sehr gefällig in die Behälter, teils in geradem Strahl, teils bis zur Höhe einer Lanze empor­ springend. Zwischen den beiden Behältern liegt ein zehn Schritt breiter mit Dielen belegter Raum, und durch die Dielen dringen zahlreiche kleine unsichtbare Bronzespitzen: wenn die Damen sich damit er­ götzen, dem Haschen der Fische zuzusehen, wird irgendeine Hemm­ ung frei und all die Spitzen sprudeln dünne, flinke Strahlen bis zur Manneshöhe und netzen die Unterröcke und Schenkel der Damen. Anderswo wieder kann es beim Betrachten eines hübschen Spring­ brunnens passieren, daß man vor unsichtbare Röhrchen tritt, die einem das Wasser hundertfach in feinsten Strahlen ins Gesicht spritzen; dabei steht die lateinische Inschrift: Quaesisti nugas, nugis gaudeto repertis. Auch ein Vogelhaus ist da, zwanzig Schritt im Geviert, zwölf bis fünfzehn Fuß hoch, überall mit gut geknüpftem und verfloch­ tenem Eisendraht geschlossen; innen sieht man zehn bis zwölf Tannen und einen Springbrunnen: das alles ist voll von Vögeln.

54 Wir fanden da polnische Tauben, die bei ihnen indische heißen und die ich schon kannte: sie sind fett und haben einen Schnabel wie ein Rebhuhn. Wir sahen auch den Betrieb eines Gärtners, der in Voraussicht der schädlichen Fröste in eine kleine gedeckte Hütte eine Menge Artischocken, Kraut, Lattich, Spinat, Zichorie und an­ dere Pflanzen zusammengebracht hatte; sie waren alle gepflückt, als sollten sie auf der Stelle gebraucht werden, aber indem er sie in einen besonderen Boden brachte, hoffte er sie zwei bis drei Monate gut und frisch zu erhalten; und in der Tat hatte er damals hundert gar nicht welke Artischocken, die doch schon vor mehr als sechs Wochen auf genommen worden waren. Weiter sahen wir eine Vorrichtung, die aus einer gekrümmten, oben und unten offenen und hohlen Bleiröhre besteht. Zuerst wird sie derart mit Wasser gefüllt, daß die beiden Öffnungen nach oben kommen, dann stürzt man sie ganz schnell und geschickt um, und nun tropft das Wasser an dem einen Ende nach außen, während das andere in einem gefüllten Gefäß steht; um die Leere zu ver­ meiden, wird das Wasser nun fortwährend die Röhren füllen und ablaufen . . . Am Dienstag konnten wir durch eine ganz besondere Gefällig­ keit der Herren vom Stadtrat eine Schlupfpforte in der Stadtmauer besichtigen, durch die zu allen Stunden der Nacht jedermann ein­ gelassen wird, sei er zu Fuß, sei er zu Pferd, vorausgesetzt, daß er seinen Namen nennt und zu wem er in die Stadt will, oder den Na­ men des Gasthauses, das er sucht . . . Von da gingen wir nach der sehr schönen Heiligkreuzkirche. Hier spielt ein Wunder, das vor nahe hundert Jahren sich zutrug, eine große Rolle ... In unserem Gasthaus sahen wir eine aus Eisenstücken zusammen­ gesetzte Winde, die bis auf den Boden eines tiefen Brunnens reichte; wenn dann oben ein Bursche eine gewisse Vorrichtung in Bewegung setzte und die Eisenteile zwei bis drei Fuß hob und senkte, so ver­ drängten sie nacheinander das auf dem Boden stehende Wasser, trieben es aus den Pumpen und zwangen es dergestalt, sich in einer Bleiröhre zu stauen, aus der es dann in die Küchen und jeden an­ deren Ort nach Bedarf abgeleitet werden konnte. Ein Weisser ist dazu angestellt, sofort schmutzig gewordene Stellen an den Wänden auszubessern. Es wurden uns Pasteten, große und kleine, in irdenen Gefäßen

55 von der Farbe und genau der Form der Pastete selbst, serviert. Es vergehen wenig Mahlzeiten, ohne daß einem nicht Zuckerwerk und Büchsen mit Eingemachtem angeboten würden. Das Brot ist das denkbar ausgezeichnetste, die Weine sind gut und wie überhaupt in Deutschland meist weiß; um Augsburg wächst keiner und er kommt fünf bis sechs Tage weit her. Auf hundert Gulden, welche die Wirte für Wein bezahlen, verlangt die Stadt sechzig, die Hälfte weniger von einem Privatmann, der bloß für seinen eigenen Bedarf kauft. An verschiedenen Orten besteht schließlich die Sitte, in den Zim­ mern und auf den Öfen Räucherwerk zu verbrennen. Die Stadt war zuerst ganz Zwingli ergeben; als später die Katho­ liken zurückgerufen wurden, nahmen die Lutheraner die zweite Stelle ein; bis zur Stunde spielen noch die Katholiken die erste Rolle, trotzdem sie weit in der Minderzahl sind. Der Herr von Mon­ taigne machte auch den Jesuiten seinen Besuch und fand bei ihnen einige recht gelehrte Leute. Mittwoch, den 19. Oktober nahmen wir zum letztenmal dort unser Frühstück ein. Der Herr von Montaigne beklagte sehr, daß er abreisen mußte, ohne die Donau zu sehen . . . Der Winter rückte jedoch zu nahe heran und außerdem hätte uns die Reise dorthin in eine unserm Ziel ganz entgegengesetzte Richtung geführt, auch hätten wir auf dem Rückweg wieder durch Augs­ burg kommen müssen: und der Herr von Montaigne vermied es so viel wie möglich, denselben Weg zweimal zu machen. Ich hinter­ ließ ein Schild mit dem Wappen des Herrn von Montaigne, das vorn auf der Tür unseres Zimmers angebracht wurde; es war sehr gut gemalt und kostete mich zwei Taler an den Maler und zwanzig Sous an den Schreiner. Die Stadt liegt am Lechfluß, Lycus.“ Ohne weiteren Beisatz erwähnt Franz Hildensaemus1 Augs­ burg; die Beschreibung, die er von Vindelicien gibt — er teilt Deutschland noch in die alten römischen Provinzen auf —, lautet:2 „Hi Rhaeti sunt inferiores.. . Urbes: Augusta Vindelicorum, populi olim Lucatii...“ Bei der Charakterisierung der Schwaben (p. 98 f.) hält er sich fern von den Beschimpfungen, welche seine Zeitge­ nossen und Vorgänger für angebracht halten, und schildert sach1 1551—1614. Vgl. Adelung-Jöcher, Gelehrten-Lexicon, Bd. II. Sp. 1603. 2 In seiner Weltgeographie: Mundi Catholica sive cosmographiae praecepta universalia. Argentorati 1581. p. 105.

56 lieh: „Suevi, gens potentia et antiquitate clara, olim proprie Alemanni. Hi nunc relicto Rheno, ubi prius habitabant, Rhaetorum fines occuparunt et bonam Vindeliciae partem.“ Der berühmte Pädagoge Michael Neander (= Neumann)1 be­ richtet in einem seiner zahlreichen Schulwerke2 *kurz über Augs­ burg und berührt eigentlich nur die Gelehrtengeschichte: „Viri in ea olim celebres fuerunt Xystus Betuleius immensi laboris, studii atque lectionis vir, de quo testari possunt commentarii eius eruditi et luculenti in Lactantii opera. Ac nuper pie defunctus Hieronymus Wolfius Bibliothecarius Fuggerorum et professor celebris linguarum et philosophiae in schola Augustana, cuius Studio debemus Demosthenem etc.“ Nur den Namen Augsburgs neben Ulm als schwä­ bische Stadt nennt er in dem Buche „Orbis terrae divisio compendiaria“ Wittenberg 1594. S. 13. Eine ganz eigenartige Stellung in der Reiseiiteratur nehmen um diese Zeit die sogenannten Wegweiser ein. Sie sind kurz und ein­ fach gehalten und geben nur die Routen und Entfernungen zwischen den einzelnen Orten an. In „einem kleinen Formätlein“ gedruckt sind sie auch „dem gemeinen Mann nicht zu groß und zu teuer.“ Da ist z. B. 1585 zu Leipzig solch ein Büchlein erschienen, das nach dem Titelblatt „alle fürnehmen Straßen“ anzeigt und „allen Wan­ derern, als Handwerksgesellen und Boten“ dienen soll. Ein solch „wohlgefällig und angenehmes Werk“ für „Kaufleute, Boten, Hand­ werks- und Wandergesellen“ erschien auch 1598 zu Köln; ein wei­ teres hat der Augsburger Schulhalter an der lateinischen Schule, Georg Mayr,8 herausgegeben, das bereits 1612 in 2. Auflage er­ schien. Daß es sich bei diesen Wegweisern um ein Bedürfnis für die auf allen Landstraßen wandernden Gesellen handelte, zeigt die ziemliche Verbreitung dieser Art von Büchern. Für Augsburgs Bedeutung spricht, daß wir in allen unsere Stadt im Mittelpunkt eines großen und wichtigen Straßennetzes finden. Abermals ein wagemutiger Ulmer ist es, der auf vierjähriger Reise Europa und den Orient durchwanderte. Samuel Kiechel von Kiechelsberg,4 beherrscht von einem unwiderstehlichen Wan­ dertrieb, ging, 22 Jahre alt, hinaus in die Welt, zuerst nach Paris, 1 2 * 4

1525—1595. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 23. S. 341. Chronicon sive synopsis historiarum. Eisleben 1583. Vgl. über ihn Allg. Deutsche Biogr. Bd. 21. S. 136. 1563—1619. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 15. S. 711.

57 dann über Venedig in den Orient. Auf seiner Rückreise kommt er über Augsburg. Fieberkrank hält es ihn nicht lange und so weiß er fast nichts zu berichten.1 Am 27. Juni 1589 trifft er auf dem Wege von Venedig nach Ulm von Landsberg her in Augsburg ein. „Von da (Landsberg) ritten wir über das Lechfeld, welches eine schöne, ebene Landschaft ist und kamen um die Vesperzeit gen Augspurg. Gemeldte Stadt Augspurg ist eine von den vier Städt im Reich, daselbst ich den 28. verblieb und meines Fiebers halber still lag. Am 29., welches war ein Sonntag, ritt ich mit dem Stoffl Beyer, Ulmer Boten, neben Jakob Bollinger von Ulm und des Johann Kratzer’s Diener von Augsburg hinweg und kamen auf den Abend gen Zusmarshausen . . ., allda wir über Nacht blieben.“ Der Johanniter Johannes Myritius2 schildert Land und Leute von Schwaben ausführlich3 und lehnt sich dabei wörtlich an seine Vorgänger, besonders an Joh. Boemus an, den er gleich seitenweise zitiert. So brauchen wir ihn nicht weiter zu Rate ziehen und nur sein Urteil über Augsburg anführen, das er „ Vindeliciae civitas insignis“ nennt. Zu den Reisenden, welche als die Bädeker des 16. Jahrhunderts die Ergebnisse ihrer Wanderungen in Form von Reiseführern ver­ öffentlichten, gehört Matthias Qu ad.4 Nach großen Reisen, die ihn durch die meisten Länder Europas führten, ließ er sich in Köln als Schriftsteller nieder und gab außer mehreren Büchern eine Reihe (ca. 12) oft aufgelegter, geographischer Werke heraus, welche er als tüchtiger Kupferstecher selbst mit trefflichen Karten aus­ schmückte und von denen einige als Wegweiser für Reisende dienen sollten. Darunter ist besonders das „Liber aliquot itinerum“ hervorzuheben, das die wichtigsten Verkehrsstraßen von Augsburg aus beschreibt. Der Hauptwert dieses Werkes beruht auf den bei­ gegebenen Karten und Städtebildern. Lange Zeit maßgebend für seine Nachfolger war das Urteil, das er über Schwaben und Augsburg gefällt hat. In mehreren seiner geographischen Werke hat er sich mit unserer Stadt beschäftigt, z. B. in seinem „Enchiridion Cosmographicum“ (Köln 1599 1 Die Reisen des Samuel Kieehel. Hrsg. v. K. D. Häßler. Stuttgart 1866. = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart. Bd. 86. S. 466. 2 Jöcher-Adelung: Gelehrtenlexikon Bd. V. S. 326 (geb. 1534). 8 Opusculum geographicum. Ingolstadt 1590. S. 70 f. 4 Geb. 1557 zu Deventer. Vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 27. S. 1 ff.

58 S. 81). Hier beschreibt er zuerst die Ausdehnung und Lage des Schwabenlandes. „Dies Land ist zum Teil eben und zum Teil ber­ gig, hat einen fruchtbaren Acker, unter welchem nichts ungebaut liegt, es sei denn, daß es See, Berg oder Hölzer wären. Es sind da­ rin viel Wälder und hat das Volk derhalben ein groß Weidwerk, sonderlich aber Federspiel, Überfluß des Getreides und eine große Menge Vieh. Die ganze Provinz hat eine gesunde und fröhliche Luft und ist mit herrlichen Städten, Flecken und Dörfern wohl er­ baut. Die Schlösser darin sind hoch, von Natur und Kunst gar stark und fest . . . Augspurg und Ulm sind jetzt die fürnembsten Städte darin.“ Mit ebenso warmen Lobe spricht er sich in seinen anderen Reisewerken über Augsburg aus. So zuerst lateinisch in seinen „Deliciae Germaniae“ (Köln 1600) und dann 9 Jahre später in seinem Buch „Teutscher Nation Herrlichkeit.“ In einem zweibändigen, großangelegten Reiseführer1 gibt er der Stadt Augsburg die Ehre, alle Routen von ihr ausgehen zu lassen, und dokumentiert so die hohe, verkehrspolitische Bedeutung der Stadt aufs deutlichste. Vor­ aus geht eine kurze Beschreibung Augsburgs, die sich an die von Braun in seinem Städtebuch gegebene anschließt und die mit einer reizenden, kleinen Planansicht der Stadt geschmückt ist.2 Darauf beschreibt er die Lage der Stadt und betont ihre historische Be­ deutung und Entwicklung. Im übrigen kann er sich nicht versagen, die alten Sagen von der Göttin Zisa und der Gründung der Stadt zur Zeit Trojas aufzuzählen. Bewundernd gibt er Kunde von dem gewal­ tigen Handel und Reichtum der Stadt, die durch eine vorbildliche soziale Fürsorge und Wohltätigkeit sich auszeichnete. Sein Urteil über die Bevölkerung faßt er in die schmeichelhaften Worte zu­ sammen : „Sunt plerumque hic homines forma pulchri, vestitu splendidi, victu voluptuarii, congressu et verbis ceremoniosi, actionibus astuti, moribus exociti.® Matthäus Quad begegnet uns noch einmal; diesmal hat er auf Bitten des Kölner Verlegers Johannes Bussemecker die Vorrede und den Text zu einem sehr hübschen Kartenwerke3 geschrieben. Blatt 13 bringt uns eine übersichtliche und fein gestochene Karte 1 Liber aliquot itinerum ex AugustaVindelicorum egredientium.Frankfurt 1602/3. 2 Vom nämlichen Bildstock wie beim Werke Johann Rau’s. 3 Europae . , . universalis et particularis descriptio. Coloniae 1594. Bl. 13. Vgl. dazu F. J. Hildebrand: Matthias Quad und dessen Europae universalis et particu­ laris descriptio. P. 1.2. Frankenthal 1890/92.

59 des Schwabenlandes; der Text auf der Rückseite schließt sich fast wörtlich an Boemus an und will wenig neues bringen. ‘ Als Reisebegleiter und Erzieher adeliger Herren kam Hans Georg Ernstinger zweimal nach Augsburg. Über seine Lebens­ verhältnisse unterrichtet uns nur sein eigenes Tagebuch. 1570 wurde er als Sohn eines kaiserlichen Sekretärs zu Innsbruck geboren, be­ sucht seit 1579 die Lateinschule zu Linz, kehrt 1583 wieder nach Innsbruck zurück, lernt italienisch in Trient und findet 1589 in der Kanzlei der oberösterreichischen Landschaft zu Linz Anstellung. 1593 weilt er abermals in Italien, im folgenden Jahre zieht er mit Markgraf Karl von Burgau gegen die Türken, 1595 besucht er wie­ der Italien, nachdem er vorher durch Augsburg gekommen ist. 1608 unternahm er eine große Reise nach Frankreich, bei welcher Ge­ legenheit er sich unsere Stadt genau besieht. Seine handschriftlich überlieferten Reiseerinnerungen enthalten eine Menge Mitteilungen von sonst seltener Ausführlichkeit, wes­ halb sie auch im Druck erschienen sind.1 *Ernstinger * gibt sich da­ rin als Mann von Bildung zu erkennen, der ein lebhaftes Interesse für alles hat, was sehenswert ist. Dabei vergißt er nicht, die Gast­ häuser zu nennen, in denen er abgestiegen ist. Sehr genau ist er in der Aufzählung der Kirchen und Klöster. Das erstemal kommt er im Februar 1595 von Innsbruck über Ulm nach Augsburg. „Beim Lindemayr am Weinmarkt ist er 6 Tag still gelegen. Die weit­ läufige Beschreibung dieser Stadt8 gibt er bei seinem zweiten Aufenthalt, als er mit zwei adeligen jungen Herrn im Jahre 1608 „in Frankreich per Kutsche gezogen ist.8 „Von Friedberg kommt man zum Lech, einem schiffreichen Wasser, darüber eine hölzerne Brucken, allda scheidet sich Bayern und fangt Schwaben an. Augspurg, die weitberümbte, fürnehme, große, lustige und wohlerbaute schöne Reichsstadt in Schwaben auf einer Ebene zwischen zwei Wassern, dem Lech und Wertach, welche bei dem Turm Lueginsland Zusammenkommen, gelegen, mit guten Mauern, Wällen, Gräben und Basteien umgeben und verwahrt . . . Und ist die Stadt mit schönen langen Gassen, Plätzen, Gebäuden,Röhrbrunnen und Kirchen geziert.8 An „denkwürdigen Sachen8 hat er in dieser Stadt gesehen „die weite Kirche St. Ul1 Die Originalhandschrift ist in der Landesbibliothek zu Darmstadt. Das „Reis­ buch“ hat hrsg. Ph. A. F. Walther, Stuttgart 1877. Bibliothek des literarischen Vereins .Bd. 135. Die Notizen über Augsburg s. S. 64 u. 118.

60 rieh“, die er ausführlich beschreibt, die „Wasserkunst der drei Wassertürme . . . zurVersehung der Stadt mit gutem Trinkwasser.“ Und dann ein „künstlich Uhrwerk“. Es handelt sich hier um die verlorene Monumentaluhr im Augsburger Dom, welche der Augs­ burger Bischof Johann Otto von Gemmingen errichten ließ als Pen­ dant zu der kunstreichen Straßburger Münsteruhr. Da sie sonst nur einmal in der Literatur beschrieben ist, wollen wir Ernstingers Worte anführen:1 „Das künstlich Uhrwerk, welches außer des Räderwerks undBildwerks alles von Ebenholz schwärzlich von Farbe gemacht ist und mit mancherlei kleinen Bildern geziert, die noch nicht vergoldet sind, wie auch die messingene und kupferne Tafeln und Scheiben, darinnen der Planeten und himmlischen 48 Zeichen Lauf, die ganzen und Viertelstunden zu sehen und ist sonderlich wunderlich zu hören, daß das Räderwerk ein Positiv schlägt von zwei unterschiedlichen Registern nacheinander, so löblicher Konkordanz, als ob es von einem Menschen geschlagen würde, in welchem es das Straßburgisch Uhrwerk übertrifft, wie auch in dem, daß der Kaiser und Kurfürsten herfürgehen und wird ein artliches, künstliches Trompeten gehört; alles das verrichtet das Uhrwerk, die Zimbeln schlagen Psalm wie zu Straßburg. In der Stund, zu welcher das Ave Maria sonst ge­ litten wird, gehet der Engel Gabriel herfür, als ob erMariam grüßen wollte und läutet sich selbst ein Glöcklein. Hat auch sonst sehr viel Bilder, so umgehen und sich bewegen, darunter die Flucht Josephs und Maria mit Jesu in Ägypten, die Opferung der drei Weisen aus dem Morgenland usw. Dies Uhrwerk bekommt auch einen krähen­ den Hahn, so aber damals noch nicht fertig war und hat 36000 fl. gekostet und kann unter 3000 fl. nicht fertig gemacht werden.“ Auch die weitere Beschreibung der vornehmsten Merkwürdig­ keiten ist so originell, daß wir sie nicht vermissen können, zumal wir in dieser Ausführlichkeit nicht leicht über heute verschwundene Gebäude usw. unterrichtet werden. „Das Zeughaus, deren zwei: das eine hat 6 unterschiedliche Ge­ mächer; in dem einen sind viel großer Stück Geschütz und gar schön 1 Eine ebenfalls handschriftliche Beschreibung dieser Uhr besitzt die Münchner Staatsbibliothek. Cgm. 4189. Vgl. dazu den Aufsatz E. v. Basser­ mann - Jordan’s: Die verlorene Monumentaluhr im Dome zu Augsburg = Kultur des Handwerks. Amtliche Zeitschrift der Ausstellung München 1927. S. 416 ff. Ferner die Abhandlung desselben Verfassers darüber in: Uhrmacherkunst. Halle 1929.

61 und sauber gegossen. In dem andern aber der 5 Gemächer werden allerlei Rüstungen und Wehren von Harnisch, Musqueten und andere Rohre, Hellebarden, lange Spieße, Schlachtschwerter und dergleichen Kriegsmunition verwahrt, in solcher Anzahl, daß die Stadt Augsburg bei 18000 Mann bewehrt machen und ausrüsten kann. In dem andern Zeughaus aber, welches in drei unterschiedliche Gemächer abgeteilt, haben wir viel grob und klein Geschütz von Kartaunen, Schlangen, Halbschlangen, Falkonen und Falkonetten gesehen, ohne die auf den Wällen und Basteien der Stadt herum sind, daß also in grob und kleinem Geschütz bei 300 haben in schöner Ordnung und Sauberkeit, samt darzu gehörigen Notdurften.® An­ schließend folgt die Beschreibung der Brunnen und der Fugger­ häuser, der Fuggerei und des alten: jetzt abgebrochenen Rathauses, „Das Rathaus, darauf ein weiter Saal, auf welchen der Fürtag in den Reichstagen beschieht, auf welchem Saal ist eine rötliche marmelsteinene Säule ziemlich hoch, daran zwei Zeichen überaus großer, langer Mannspersonen und dann eines gar kleinen Zwerges Zusehen. Und dann schier mitten in der Säule wird gezeigt ein weißer Löwe, so in dem Marmelstein von Natur also eingewachsen und hernach etwas besser formiert worden, welcher für das Wahrzeichen der Stadt gehalten wird.“ Ferner wird noch erwähnt die „schöne Biblio­ thek44 bei St. Anna und von den zahlreichen Gärten, derjenige der Österreicher, welcher ihm durch seine Wasserkünste gar sehr impo­ niert. „Als wir etlich Tag zu Augsburg bei dem Lindemair am Weinmarkt still gelegen, haben wir unseren Weg hach Ulm ge­ nommen.“ Der Italiener Johannes Boterus,1 dessen Werk2 mehrfach ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt kurz und gut von Augsburg und Schwaben: „Wenn wir aus Bayern etwas hinter sich fahren gegen Nieder­ gang, so kommen wir in das Schwabenland. Diese Landschaft hat überaus gute und gesunde Luft. Der Boden ist unterschieden und abgeteilt in Ebenfelde und in Berge. Hat in vielen Orten Wälder, etliche See, bringet Überfluß an Getreide und nährt überaus viel Vieh. Silber und Eisenerz sind auch da zu finden . . . Die vor­ nehmste Städte so darinnen gelegen sind Ulm und Augspurg, die führen ein freies Regiment... Augspurg liegt zwischen den Wassern 1 1530—1617. Vgl. Nouvelle Biographie generale. Vol. VI. p. 834. 2 Allgemeine Weltbeschreibung. Köln 1596. S. 106.

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Wertach und dem Lech: eine sehr große und überaus schöne Stadt, mächtig und reich, ob sie schon keine eigene Landschaft hat. Es hat Bürger in Augspurg, die durch Kaufmannschaften und Gewerbe mächtige Herrschaften an sich gebracht und solchen Reichtum er­ worben haben, daß desgleichen in ganz Europa nicht zu finden. Das gemeine Volk ist auch gemeinlich sehr reich. Es soll diese Stadt billig gelobt werden wegen der reichen Hilf, Steuer und Trostes, so den Armen daselbst gereicht wird.“ Wie so viele andere stützt sich auch Johann Anton Magini,1 Professor zu Bologna, bei seiner Schilderung2 Schwabens auf Johann Boemus, ohne dabei jedoch andere Quellen zu vernachlässigen. Demgemäß ist auch seine Darstellung: „Praecipuae in ea(= Suevia) urbes sunt Augspurgum, vulgo Augspurg, praeclarissima urbs ad Licum amnem, vulgo Lechum vel Lech, ac splendidissima olim Populi Romani colonia, Augustaque Vindelicorum vel Rhaetorum dicta, tametsi Aventinus Augustam Vindelicorum hodie non extare affirmet, quem egregie vir Marcus Velserus confutat, qui de Rebus Augustae Vindelicorum octo peramplos conscripsit libros . .. Hodie etiam ampla et opulenta est, quae licet territorio careat; civibus tarnen insignibus ornatur, qui ob mercaturam ad Optimum statum pervenerunt atque dominia nonnulla obtinuerunt, qui opibus etiam nullis Europae cedunt.“ In einem heute selten gewordenen, umfangreichen Folianten3 be­ schäftigt sich der „Ehrwürdige und Wohlgelehrte“ Pfarrherr zu Wetter in Hessen, Johann Rau,4 auch mit unserer Stadt. Seine Ausführungen werden illustriert durch eine hübsche, kleine Planan­ sicht der Stadt, die wir öfters in anderen Werken wieder finden. Seine Worte schildern die Stadt, wie sie noch auf dem Höhepunkt ihrer Macht steht und sind mit einer liebevollen, persönlichen Note unterstrichen: „Aber noch eine vornehme weitberühmte Reichsstadt liegt in Oberschwaben, etwan bei vier Meilen von der Donau, heißt Augusta Rhaetiae, etliche nennen sie Augusta Vindelicorum, auf teutsch Augspurg. Wann du es begehrst, will ich dir von dieser Stadt 1 1555—1617. Vgl. Nouvelle Biographie generale. Vol. 32. p 701. 2 Geographia universa. P. II (auch mit dem Titel: Geographia Ptolemaei.) Venetiis 1596. Bl. 80. 3 Cosmographia, das ist: Ein schöne richtige und vollkommliche Beschreibung des göttlichen Geschöpfs, Himmels und der Erden. Frankfurt 1597. S. 629 f. 4 Gest. 1600. Vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 27. S. 461.

63 etwas sagen.“ Der fingierte Zuhörer oder angesprochene Leser er­ widert: „Die Stadt Augspurg ist ja ein berühmte Stadt des Reichs, darumb mag ich wohl leiden, daß du mir von derselbigen Stadt in Sonderheit etwas meldest.“ Rau gibt nun in bekannter Form einen historischen Rückblick auf die Geschichte Augsburgs. Auch die klimatische und sonstige Beschreibung mutet uns bekannt an: „Sie hat eine feine heilsame Luft und ist der Boden um sie nach ihrer Art ziemlich fruchtbar, duldet keine Ratten, hat weitschweifige Weite, lustige Felder, fein fließende Bäche und gut Brunnenwässer.“ Nach diesen etwas poetischen Worten fährt er in seiner sympathischen Art fort: „Dazu ist diese Stadt sehr volkreich und an allen Gewerben sehr berühmt und vortrefflich. Es ist in dieser Stadt ein großer Kauf­ handel und wohnen solche weidlich reiche Kaufleut darinnen, daß auch derselbigen etliche zu Edlen und Freiherrn, ja zu Grafen ge­ schlagen sind. “ Besonders hebt er dieFuggerei, den Dom, St. Stephan usw. als Sehenswürdigkeiten hervor. Als Protestant interessiert er sich für den Reichstag 1530, bei dem die Confessio Augustana über­ reicht wurde. Die soziale Fürsorge der Augsburger nennt er muster­ haft. „Es wird auch diese Stadt sonderlich gerühmt, daß sie große Sorge für die Armen trage. Denn zum ersten hat sie für die Kran­ ken und armen Waislein besondere Spitale und Findelhäuser ver­ ordnet. Darnach haben sie auch ihre besondere freie Behausung für diejenigen, so mit der Pestilenz vergiftet oder mit den Fran­ zosen (== Syphilis) angegriffen sein und haben dieselbige Leut da­ selbst ihre notdürftige Wartung. Man nennt’s das Blatterhaus; in­ maßen auch die armen abgesonderten Leut ihre besondere Häuser und Versorgung haben und wird auch sonsten ingemein armen Bürgern große Hülf und Beförderunggethan. Item viel feiner Knaben werden innerhalb und außerhalb der Stadt zu den Studiis reichlich gezogen und erhalten.“ Mit einem frommen Segenswunsch be­ schließt er seine Ausführungen: „Gott wolle diese Stadt und Ge­ meine fortan segnen und sie bei reiner und gesunder Lehr erhalten und dem Teufel, dem Vater aller Lügen, steuern, daß er in dieser Stadt, nach welcher unsere christliche Confession ihren Namen hat, nicht etwan einen schädlichen und ärgerlichen Inbruche tue. Amen.“ Bezüglich der sonstigen Sehenswürdigkeiten Augsburgs verweist er auf andere Autoren: „Und so viel sei dir nun auch kürzlich ge­ sagt von der Stadt Augspurg. Was sie sonst weiter für Kirchen und Klöster hat, desgleichen was für Thäler, Klöster und Schlösser

64 außerhalb der Stadt in ihrer Nachbarschaft gelegen sein, magst du bei Müqstero lesen, würde zu weitläufig hier alles zu erzählen.“ Als Begleiter des schlesischen Junkers Christoph Rehdiger hat Paul Hentzner1 seit 1596 fast ganz Europa bereist. Nach Schle­ sien zurückgekehrt, gab er eine recht schätzbare Beschreibung der von ihm gesehenen Länder in Form eines Reisehandbuches heraus. Die zahlreichen Auflagen,2 welche sein Werk erlebte, sprechen für seinen Wert, aber auch für seine Beliebtheit. Die Beschreibung der einzelnen Orte ist kurz, aber außerordentlich treffend. Am 27. Mai 1598 kam Hentzner auf der Rückreise von Italien auch nach Augsburg, wo er bis zum 31. blieb. In der Beschreibung seiner Reisen3 erzählt er ausführlich von seinem Aufenthalt. „Augusta Vindelicorum, vulgo Augspurg, Civitas Imperii celeberrima et pervetusta in Germania superiore“ nennt er die Stadt. Er gibt dann frei von allen sagenhaften Zutaten einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung und geographische Lage der Stadt und fährt dann fort: „Politiam quam optime constitutam habet, de qua Achilles Gassarus Medicus hunc in modum scribit: Civitas nostra, celeberrima habet omnis generis Panoplia (= Zeughaus), praecipue aeneorum tormentorum, quae bombardas vocamus, aliquot domos, elegantissima copia refertissimas, simul et publicas aliorum artificum, tum tabernas, tum officinas operosissimas, quibus non tarn toti orbi usitatissima quam mercatorum suorum nummosissimis monopoliis notissima, paucis retro amnis evasit: Adhaec pauperum curam unice gerit.“ Er preist dann die vorbildliche Fürsorge für Arme und Kranke, für welche öffentliche und private Wohltätigkeit durch Spitale, Ho­ spize usw. gesorgt hat. Rühmend erwähnt er die Fuggerei als einzig in der Welt dastehende Siedlung für arme Bürger. Als besuchenswerte Sehenswürdigkeiten werden dann aufgezählt: Der Dom, St. Ulrich, das Rathaus und Zeughaus, die vollgefüllten Kornkammern^ das Fuggerhaus und andere Patrizierhäuser, der starke Befestigungs­ gürtel nebst Toren, der Einlaß mit seinem kunstvollen Mechanismus, eine kostbare Kunstuhr, die Brunnen und Wasserwerke usw. Be­ sonders unterstreicht er die Liebenswürdigkeit und Munifizenz, mit 1 Herzogi. Öls’scher Rat, geb. 1558 zu Crossen, gest. 1623 zu Öls. 2 Im ganzen erschienen in den Jahren 1610—1661 acht verschiedene Auflagen Die Beschreibung der Reise durch England wurde nicht weniger als sechsmal, zuletzt noch 1807, ins Englische übersetzt. 8 ltinerarium Germaniae, Galliae, Angliae, Italiae. Nürnberg 1612. S. 398ff.

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welcher der Rat Fremde von Rang und Distinction aufnimmt und be­ schenkt. Seinem Entzücken über Augsburg kann er keinen besseren Ausdruck geben als durch ein Lobgedicht des Georg Sabinus aus der schon erwähnten Sammlung poetischer Reisebeschreibungen des Nicolaus Reusner, das er im Wortlaute zitiert. Befriedigt ver­ läßt er die Stadt, um nach München weiterzureisen, dem er lange nicht so viel Worte widmet wie unserer Stadt. Aus der Reiseführerliteratur, die in dieser Zeit immer mehr zur Entwicklung gelangt ist, nennen wir ein typisches Handbuch.1 Mit Karten, Routenverzeichnis, Entfernungsangaben ausgerüstet gibt es auch eine kurze Beschreibung der wichtigsten Unterwegs­ stationen. Mit einer gewissen Berechtigung kann daher der Ver­ fasser von seinem Buche sagen, „daß dieser Wegweiser mit Recht und Fug eine Krön und Ausbund sei, denn er nicht gestellt auf die Weise wie alle andern Reisebücher und Wegweiser . . . Sondern in diesem Wegweiser... wird angezeigt, wer den Städten ihren Namen gegeben und warumb: Wer sie gegründet und zu welcher Zeit: Ob dieselbigen groß, schön, fest und volkreich seind oder nicht: Was in denselbigen für Antiquitäten, künstliche Gebäude und andere Ding zu sehen. Darnach wird angezeigt die Landtafel . . . von der Landschaft dadurch der Weg gehet auf andere Städte.“ Eine Reihe von Routen, die von Augsburg ausgehen, finden wir in diesem Buche beschrieben. Von der Stadt selbst heißt es: „ Augspurg . . . hat ihren Anfang von den uralten Völkern der Schwaben, welche man meinet, ihre Anfang von Japhet gehabt und erstlich in Vindelicia gewöhnet haben. Ist ein weitberühmte Stadt der Kauf­ mannschaft halben, welche die große überaus reiche Kaufherrn, so allda wohnen, weit und breit treiben. In der Stadt ist ein großer Vorrat von allerlei Waffen, sonderlich von Geschütz derer etliche schöne Häuser voll seind.“ Der Leipziger Professor der Geschichte und Geographie, MatthäusDresser,2 äußert sich in mehreren Werken 3 über Augsburg, allerdings etwas kühler als seine Vorgänger. Der Professor zeigt sich sofort, indem er kritisch und kurz die Geschichte der Stadt darstellt 1 Allgemeines oder General Reißbuch und Wegweiser. Ursell 1604. S. 3. 2 1536—1607. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 5. S. 398. 3 De praecipuis Germaniae urbibus. Lipsiae 1606. Auch in deutscher Über­ setzung: Von den fürnembsten Städten des Deutschlandes. Leipzig 1607. Beide Werke sind in verschiedenen Auflagen überliefert. 5

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und sich dabei von allen erfundenen Zutaten der früheren Chro­ nisten fernhält. Sein Wissen zeigt er durch verschiedene Zitate, so läßt er den Dichter Ricardus die Entstehung des Wortes Vindelizien erklären: Respicit et late fluvios, Vindamque Lycumque Miscentes undas et nomine litoris, unde Antiquam gentem populumque urbemque vocarunt Vindeliciam. Erzeigt damit, daß er die poetische Reisebeschreibungen, die Nie. Reusner gesammelt hat, kennt und auch benützt hat. Wir hören weiter: „Sonst ist Augsburg sowohl von Kirchen und öffentlichen Gebäuden als gemeinen Bürgerhäusern mit sonderlicher Eile ge­ ziert und gar herrlich gebaut worden. Und weil sie auch zur Einund Ausführung der Waren an einem sehr gelegenen Ort liegt und zum Handel bequem ist, so hat sie demnach an Reichtum und Herr­ lichkeit so sehr zugenommen, daß sie nunmehr keiner Stadt in Deutschland an Gewalt und großem Ruf etwas zuvor gibt.“ Im fol­ genden kommt er noch auf die wichtigsten historischen Ereignisse: die Ungarnschlacht auf dem Lechfeld und die Übergabe der Con­ fessio Augustana 1530, die Beendigung des Zunftregiments und die Belagerung der Stadt 1552 durch Moritz von Sachsen zu sprechen. Als Sachse führt er auch das Augsburg seines Landes, das Schloß Augustusburg, an. Den bereits erwähnten Quad schrieb mit einigen Flüchtigkeiten ab der zu Köln lebende Vielschreiber KasparEnsin seinemW erke,1 das eine Reihe von Reiserouten gibt, deren Ausgangspunkt Augs­ burg ist. Da Ens sich in bereits bekannten Bahnen bewegt, brau­ chen wir seine Worte hier nicht zu wiederholen. Interessant für die Bedeutung Augsburgs in damaliger Zeit ist, daß alle die Reisen, die sich bis Kleinasien, Polen und Rußland erstrecken, sämtlich von Augsburg als Ausgangspunkt beschrieben sind. Als Begleiter des Kardinallegaten Ludovico Madruzzo kam im Jahre 1613 der italienische Priester Vincenzo Laurefici auf den Reichstag nach Regensburg und machte anschließend daran eine Reise nach England. Auf dem Rückwege besucht er auch Augs­ burg. Von dessen Größe und Bedeutung empfängt er den günstig­ sten Eindruck: er stellt die Stadt sogar noch über Nürnberg. Seine Reisebeschreibung ist handschriftlich in der Vatikanischen Bibliö1 Deliciarum Germaniae tarn superioris quam inferioris. Coloniae 1609.

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thek überliefert; wegen ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung ist sie von Walter Friedensburg im Druck herausgegeben worden.1 Das Urteil des Italieners, der aus der Pracht des Südens kommt, ist sehr interessant und wiegt natürlich mehr auf als das eines deut­ schen Landsmannes. „Augusta fra le Germaniche contende di bellezza con Norimberga, ma senga dubio che li fonti e l’arsenale delli Augustani avanza di magnificenza di gran longa quelli di Norimberga, oltre che per esser questa ornata di molte chiese cattoliche con buon numero di religiosi lascia molto indietro la perversa Norimberga.“ Des weiteren bewundert er die Örunnenwerke, die Monumentalbrunnen und den Einlaß. „Dal bibliotecario Heschelio, il quäle benche Luterano, e come dotto cosi humano, mi fer mostrata la publica bibliotheca. Ma tutte queste cose mi parsero nulla rispetto al favore, che io hebbi di vedere e conversare col signor Marco Welsero, singolar Ornamente di quella cittä.“ Für den italienischen Gelehrten bedeutete der Besuch bei dem gleichge­ stimmten Marcus Welser, der in Augsburg eine zweite Blüte des Humanismus gefördert hat, den Höhepunkt seines Augsburger Aufenthaltes. Ein ganz eigenartiges Werk,2 eine Sammlung von poetischen Beschreibungen der Städte und Länder hat der Gymnasialrektor von Korbach Stephan Ritter3 verfaßt. An eine kurze Beschrei­ bung der Stadt schließt sich eine Auswahl von Gedichten verschie­ dener Verfasser, die Augsburg lobend besingen. „ Est urbs praeclarissima . . . suis commerciis, ingeniosis inventis, prudenti senatu, aedificiis publicis . : . Inter aedificia publica praecipuam laudem merentur armamentarium (Zeughaus) . . ., Curia egregia turri educta, vulgo der Börler (= Perlach): Turres aequaticae (= Was­ sertürme) ... Non parum etiam hanc urbem ornant fontes publici..., ut nulla sit urbs Germaniae, quae de ejusmodi fontium artificiosorum elegantia gloriari possit... Inter aedificia privata Fuggerorum aedes, cupro tectae, principum superent aut saltem adaequant palatia. Vix ulla est urbs Germaniae (si Argentinam (Straßburg) excipias), quae plus pauperum antiquitus ad haec usque tempora 1 Archiv für Kulturgeschichte. Bd. II. 1904. S. 35 ff. 2 Cosmographia prosometrica: hoc est, Universi terrarum orbis regionum, populorum . . urbium . . . tum . .. oratione soluta, tum . . . ligata descriptio. Marpurgi 1619. p. 577 ff. 3 Jöcher, Gelehrtenlexikon. Bd. III. Sp. 2117. 5*

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curam gesserit... Templahic videre licet multa eleganter exstructa, inter quae S. Udalrici... et D. Mauricii, caeteris magnificentia antecellunt.“ Weiter erwähnt Ritter als Sehenswürdigkeiten die Fugger ei und den Einlaß. Seine Belesenheit zeigt er damit, daß er verschie­ dene gleichzeitige Augsburger Gelehrte und ihre Hauptwerke zi­ tiert. Eine chronologische Übersicht über die wichtigsten Ereignisse und eine Liste der Augsburger Bischöfe beendet die Darstellung. Der Arzt Sebastian Schröter1 hat es unternommen eine hi­ storische Beschreibung der Welt in alphabetischer Form heraus­ zugeben.2 Darin hören wir kurz und bündig von Augsburg: „Augusta Vindelicorum, Auspurgk, ab Augusto Caesare, qui anno post conditam Romam739 Coloniammilitarem deduxit,nomen suum habens, templorum aliorumve publicorum et privatorum aedificiorum copia atque splendore satis ornata, inter Lechi et Vertae fluviorum confluxum in loco admodum opportuno sita, ut mercibus importandisetexportandis contrahendisque negotiis opes et honores in dies magis augere queat. Inprimis vero eius fama toti fere terrarum orbi magis innotuit per confessionem verae fidei in magnis illis comitiis anno 1530 D. Carolo V. a primatibus Evangelicorum sacri Imperii ordinum intrepide exhibitam.“ Im ganzen das konventionelle Urteil über unsere Stadt auf eine kurze Formel gebracht. Im Jahre 1621 unternahm im Aufträge des französischen Königs Louis Baron Deshayes de Courmenin3 eine Orientreise,4 die ihn längs der Donau hinabführte. Er berührte dabei allerdings Augs­ burg nicht, sondern erwähnt es nur kurz: „Continuant le cours du Danube nous vismes l’entree de la riviere de Lech qui vient d’ Ausbourg et quoy qu’elle soit presque aussi grande que le Danube, eile perd neantmoins son nom.“ Ein merkwürdiges Büchlein5 hat uns Daniel Meißner6 ge­ schenkt, das damals großes Interesse in weitesten Kreisen erweckt 1 ge st. 1650. Vgl. Zedier, Universallexikon. Bd. XXXV. S. 1268. 2 Historica totius terrarum orbis inprimis v. nova Germaniae juxta X. circulos matriculae S. Rom. Imp. descriptio. Erfurt 1620. Bd. I. S. 104. 8 Vgl. über ihn Nouvelle Biogr. generale. Vol. 23. p. 661. Er mußte auf Befehl der französischen Regierung in Jerusalem ein Konsulat einrichten. 4 Voiage de Levant. Fait par le Commandement du Roy. Paris 1624. S. 10. 6 Thesaurus philo-politicus . . . oder Politisches Schatzkästlein. Frankfurt 1623. 6 Über ihn vergleiche die Vorrede in der Neuausgabe des Thesaurus: Heidel­ berg 1927.

69 hat,1 allerdings aus andern Gründen, als der Verfasser beabsichtigt hatte. Für ihn waren die Embleme, d. h. Sprichwörter, Verse und die dazu gehörigen bildlichen Allegorien die Hauptsache, die Städte­ abbildungen hat er nur als malerisches Beiwerk gedacht. Schon das damalige und erst recht das heutige Interesse geht umgekehrt auf die Stadtbilder. Auch unser Augsburg ist darin in einer Perspektiv­ ansicht, von Osten her aufgenommen, zu sehen. Der Stich ist nicht ursprünglich sondern unter Benützung gleichzeitiger Motive her­ gestellt. Die zweite Darstellung, die sich auf Augsburg bezieht, ein Stich des Klosters St. Ulrich und Afra, ist aus Karl Stengels Monasteriologia (Augsburg 1619) entnommen. Unter Benützung französischer Quellen, wie er selbst auf dem Titelblatt vermeldet, schrieb Ludwig Gottfried2 ein großes hi­ storisch-geographisches Werk3, das manchmal ganz interessante kulturhistorische Details bringt. Wie alle andern bedeutenderen Städte erwähnt er nur kurz Augsburg: „Praecipua Suevorum urbs est Augusta Vindelicorum, ad Lycum amnem sita, quae splendore et divitiis vix ulli cedit Germanicarum civitatum.“ Michael Anton Baudrand aus Paris4 5hat ein umfangreiches geographisches Nachschlagewerk6 verfaßt und zwar in alphabeti­ scher Reihenfolge, das damals bei den verschiedenen Kriegsereig­ nissen und auch noch späterhin viel gebraucht wurde. Er kann natür­ lich im Rahmen seines Werkes nur einen kurzen Überblick über die Geschichte der Stadt geben, die er „urbs Germaniae celebris et emporium ingens“ nennt. Wiederholt und wohl am ausführlichsten in dieser Zeit hat sich der bekannte Reiseschriftsteller und Geograph Martin Zeiller* über Augsburg geäußert. In seinem im Jahre 1632 zu Straßburg er­ schienenen „Itinerarium Germaniae ... Teutsches Reyssbuch durch Hoch und Nider Teutschland“ erzählt er S. 154—156 über Augs­ burg. Fleissig hat er die vorhandene Literatur durchgesehen und spart auch nicht mit Zitaten. Kritisch steht er den alten Sagen 1 Das beweisen die verschiedenen Neuauflagen, deren letzte im Jahre 1700 statt­ fand s. darüber in der Neuausgabe S. XIV f. 2 Vgl. über ihn Zedier1 s Universallexikon Bd. XI. Sp. 410. 3 Archontologia cosmica sive Imperiorum . . . per totum orbem terrarum comentarii. Frankfurt 1628. P. I. S. 113. 4 1633—1700. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 4. p. 701. 5 Geographia ordine literarum disposita. Paris 1632. T. 1. p. 124. 6 1589—1661. Vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 44. S. 782.

70 gegenüber: „So ist es auch ungewiß, daß die Augspurger die Göttin Cisa für ihre Patronin gehalten.“ Das Wappen mit der Zirbelnuß erklärt er damit, »weil diese Landesart viel spitzige Nußbäume, als Tannen, Fichten, Fohren . . . hat, daß dessen zu Gedenken eine dergleichen Frucht . . . in der Stadt Wappen kommen sei.“ Im fol­ genden wird dann unter reichlichen Zitaten kurz die Entwicklungs­ geschichte der Stadt, ihre Christianisierung und religiöse Geschichte erzählt. Mit der Erwähnung der Fugger schließt sein Bericht ab. Über die Geschichte der letzten Jahre verbreitet sich Zeiller in einem änderen mehrfach aufgelegten Werke.1 Er erzählt von der furchtbaren Hungersnot während der Belagerung durch die Bayern 1634/35: daß „man eine lebendige Kuh um 120 fl., ein Kalb um 30 fl., ein Scheffel Roggen um 100 fl., ein U Kuhfleisch um 30 Kr., ein Ei um 8 Kr. usw. verkauft habe.“ Ausführlich berichtet er von der Königswahl und - krönung im Jahre 1653; nach der Art seiner Er­ zählung muß der vielgereiste Mann wohl selbst daran teilgenommen haben. Den Ort der Wahl beschreibt er: „ Was St.Ulrichs Kloster und Kirchen anbelangt, darin die Wahl verrichtet worden, so ist solcher Ort gar schön erbauet, auch wohl gelegen.“ Kurz berührt er noch die vielen Heiligtümer und Reliquien, die dort verehrt werden. Nur im Vorübergehen erwähnt er in einem Routenverzeichnis2 mit Ent­ fernungsangaben, mit Recht der erste Bädeker in deutscher Sprache genannt, unsere Stadt als wichtigen Zentralpunkt des damaligen Straßennetzes und der damaligen Postrouten. Wohl hat Zeiller als Reiseschriftsteller einen die Grenzen Deutsch­ lands weit überschreitenden Ruf genossen; indes baute sich seine Darstellung auf die Werke seiner Vorgänger auf. Selbst bei Ländern, die er selbst bereist hat, läßt er sich von fremdem Urteil leiten, ohne seine eigene Anschauung vorzutragen. So beweisen seine zahlreich aufgelegten Werke durch ihre Existenz den damals merklich ge­ steigerten Reiseverkehr. Vorteilhafter sticht davon der Text ab, den er zu der bekannten monumentalenMerian’schenTopographie3 geschrieben hat. Hier bringt Zeiller auf 17 Folioseiten eine aus1 Tractatus de X. Circulis Imperii Romano - Germanici Oder von den Zehen des H. Röm. Teutschen Reichs Kraissen. Ulm 1660. S. 524 ff. 2 Fidus Achates oder getreuer Reisgefert. Ulm 1661. 8 Matth. Merian, TopograpKia Sueviae. Frankfurt 1643. Zeiller’s Schilderung diente noch dem berühmten Kunsthistoriker Alfred Woltmann zur wörtlichen Vorlage. Vgl. A. Woltmann, Holbein und seine Zeit. Leipzig 1866. Bd. I. S. 33.

71 führliche historische, geographische und topographische Beschrei­ bung der Stadt, die sich allerdings oft wörtlich an seine Vorgänger anlehnt: „Es liegt diese Stadt auf einem lustigen Bühel . . . , hat eine freie heilsame Luft und ist der Boden herum gar eben . . . , hat um und um eine weitschweifende Weyd, ein feist lettig Erd­ reich, lustige Felder . . . mit den schönsten Forsten umgeben.tt Ziemlich breit werden die Sehenswürdigkeiten beschrieben, kirch­ liche und weltliche Behörden aufgezählt. Der Grundton jedoch ist historisch; Eine übersichtliche Planansicht, welche durch öftere Re­ produktion allgemein bekannt sein dürfte, illustriert seineDarstellung. Daneben wurden in Kupfern das Rathaus samt dem Perlach, der Augustus- und Herkulesbrunnen vorgezeigt. Der königliche Professor der Geographie, Peter de Bert,1 gibt uns eine ausführliche historische und kirchenhistorische Be­ schreibung 2 von Augsburg. Er stellt zuerst die verschiedenen Na­ mensbezeichnungen der Stadt zusammen, führt dann die bekannte Stelle aus Venantius Fortunatus an: Pergis ad Augustam, quam Vindo Lycusque fluentat, Illic ossa sacrae venerabilis virginis Afrae. Im folgenden verbreitet er sich über Augsburgs Geschichte zur Römerzeit und Völkerwanderung, berührt kurz die Ungarneinfälle und bringt die wichtigsten Ereignisse aus der Stadtgeschichte mit Angabe der Jahreszahlen. Ebenso schließt sich eine Übersicht der kirchlichen Geschichte an. Das Werk des Bertius soll eben nichts anderes sein, als was sein Titel besagt, ein gedrängtes Kompendium der Weltgeschichte und deshalb erfahren wir von den Sehens­ würdigkeiten und sonstigem nicht das Geringste. Auch in einem anderen Werke 3 erwähnt Bertius Augsburg nur kurz. Interessant ist aber auf S. 93 ff dieses Buches die Einreihung der verschiedenen Städte und Länder in die Zeichen des Tier­ kreises. Augsburg finden wir hier dem Zeichen desWidders zugeteilt. Der Begründer der wissenschaftlichen Geographie Philipp Cluverius4 erwähnt in seinem, viele Auflagen erlebenden W erke5 1 Geb. 1565, gest. zu Paris 1629. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 2. S. 509. 2 In seinem mehrfach aufgelegtem Werke: Commentariorum rerum Germanicorum libri III. Amsterdami 1634. Pars III. p. 55 ff. 3 Breviarhim totius Orbis. Lipsiae 1664. S. 43. 4 Klüwer (1580—1623). Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 4. S. 352. 5 Introductionis in Universam Geographiam Libri VI. Lugd. Batavorum 1641. S. 110 u. 133.

72 Augsburg kurz, aber rühmend: „Vindelicorum caputfuit Damasia, quae postea colonia Augusti Caesaris auspiciis deducta, Augusta Vindelicorum dicta est.8 Und später heißt es: „Urbium Sueviae prima est Augusta Vindelicorum, Augsburg, opulentissimum emporium, urbs splendida inprimis et magnifica, munitione tuta, libera Imperii civitas.8 Des Interesses halber wollen wir ein kleines Büchlein anführen, das Zapf1 nach dem Vorbilde Paul von Stettens ein „ elendes Ge­ schmier 8 genannt hat. Es hat zum V erfasser AndreasGoldmeyer2 aus Gunzenhausen, der meist zu Nürnberg lebend und dem astro­ logischen Zeitgeist Rechnung tragend sich kümmerlich vom Kalen­ dermachen und Horoskopstellen nährte. Sein Elaborat hat er den beiden Bürgermeistern wohl in der Hoffnung auf ein Douceur ge­ widmet. Der umfangreiche Titel lautet stark gekürzt: „Historische, Astronomische und Astrologische Beschreibung vom ersten Ur­ sprung der Teutschen Völker; Darinnen zu finden, Welcher gestalt nach klärlicher Anzeigung des Gestirns die hochberühmte, volk­ reiche, weitbekannte und urälteste Stadt Augspurg . . . der König­ liche Sitz der ersten Teutschen Regenten anfangs erbauet8 . . . (Nürnberg 1644). Der gelehrte Verfasser versucht unter Aufbietung eines erklecklichen astrologischen Apparates sein Thema zu lösen. „Damit man vom ersten Ursprung der Teutschen Völker auch wahrer Erbauung der urältesten Stadt Augsburg in Hochteutschland (als welche der einheimischen Teutschen Nation rechte Brunnen­ quell und Ursprung ist) etwas mehrere Nachrichtung haben und von dero vergangenen und noch künftigen Fällen aus dem Lauf der Natur soweit zulässig urteilen können, also habe ich hier solches im Werk praestiren und astrologischer Weis klärlich an Tag geben wollen." Schließlich kommt der Verfasser zu folgendem Ergebnis, das er durch ein Horoskop stützt: „Demnach ich alle denkwürdige Veränderungen, die von der Sündflut an bis auf heutigen Tage in ganzTeutschland sich begeben und aufgezeichnet worden, mit Fleiß zusammengetragen und mit meiner neu erfundenen Astrologie ver­ glichen: Habe ich gefunden, daß die Stadt, so jetzo Augspurg heisset . • ., vor allen andern Städten am allerersten gegründet worden und daß diese Gründung geschehen im Jahr der Welt 1727 (also 2273 vor Christi Geburt) den 6. November um 7 Uhr 18 Mi1 Augpurgische Bibliothek. Augsburg 1795. Bd. I. S. 17. 2 1603—1664. Vgl. über ihn Allg. Deutsche Biographie. Bd. 9. S. 338.

73 nuten Vormittag.“ Das ist allerdings eine hohe, lobenswerte Ehre für unsere Stadt. Schade, daß sie auf Bezahlung geliefert und daß von andern Astrologen auch andern Städten eine ähnliche Ehrung öfters zugedacht wurde. Als eine hervorragende Stadt schildert Augsburg ein kleines hand­ liches Reisebüchlein1: „Augusta Vindelicorum, item Augusta Rhaetiae, inter Lechi et Windonis, quem vulgo Wertham vocant, confluxunt, Augspurg. Urbs non uno de nomine toto terrarum orbe celeberrima. Auxerunt famam diversa comitia: inprimis famosa illa, quae anno super secul. 30 ibi habita fuerunt: quibus principes et ordines Germaniae, quos vulgo Protestantes vocant, formulam Confessionis suae exhibuerunt 25. Junij quae hinc Confessio Augustana dicta est.“ Wortwörtlich die nämliche Schilderung unserer Stadt bringt der Görlitzer Pastor David Vechner2 in einem, für seine Gymnasia­ sten bestimmten, handlichen Lehrbuch.3 Ein vielgebrauchtes geographisches Handbuch4 5besitzen wir von dem französischen Jesuitenpater Philipp Briet.6 Eine sehr genau gestochene Karte von Schwaben geht seinen Ausführungen, die kurz und trefflich gehalten sind, voraus. Es heißt da zuerst von Schwaben: „Regio in plerisque locis fertilis, viros alit fortissimos, feminas pulcherrimas, sed hinc multae famosae in varias germaniae partes commigrant et sparguntur.“ Augsburg nennt er eine „urbs pulcherrima et palatiis potius quam domibus plena, ubi domus illa excitata a Fuggeris instar urbis addicta inopibus artificibus et inopibus. Celebratur quoque ex confessione Lutheranorum quae dicitur Augustana.“ Den Amsterdamer Verlegern Wilhelm und Janson Blaeu6 verdanken wir einen außerordentlich genau und prächtig gestoche­ nen Atlas.7 Auf Blatt 52 ist das Schwabenland abgebildet; der Text 1 Ulysses Germanicus id est totius Germaniae regionum, civitatum . . . brevis et accurata descriptio. Coloniae 1645. p. 34. 2 1594—1669. Vgl. Jöcher, Gelehrtenlexikon, ßd. IV. Sp. 1486. 3 Universae Germaniae Breviarium. Gorlici 1645. p. 30 f. 4 Parallela geographiae veteris et novae. Parisiis 1645 f. T. II. p. 83. 5 1601—1668. Vgl. A. de Bäcker: Bibliotheque de la Compagnie de Jesus. Nouv. edition par C. Sommerrogel. Paris 1890 ff. P. II. p. 156. 6 Vgl. über sie: Allg. Deutsche Biographie. Bd. 2. S. 686. 7 Novus Atlas: Das ist WTeltbeschreibung. Mit schönen Landtafeln. Amster­ dam 1649.

74 auf der Rückseite beschäftigt sich zur Hälfte mit der Stadt Augs­ burg. Eine weitschweifige historische Erörterung, fußend auf frühe­ ren Quellen, leitet die dagegen unverhältnismäßige kurze Beschrei­ bung der Stadt ein. „In dieser Stadt seynd Zusehen zwei fürtreffliche und über die massen wohl versehene Zeughäuser, die köstlichen Fuggerischen Paläste, das gemeine Wasserwerk, das Rathaus, so vorzeiten, wie man dafür hält, der Cybeles-Tempel gewesen, eine reiche Bibliothek, sehr viel schöne und ansehnliche Kirchen. Sie liegt in einer lustigen und fruchtbaren Ebene an dem Lech, ist sehr volkreich und mit aller Notwendigkeit zum menschlichen Leben reichlich versehen und wegen der allda gehaltenen Reichstage sehr berühmt.“ Trotz seiner Jugend ist der Leipziger Student Gottfried Erich Berlichius1 ein weitgereister Mensch, der in seinem handschrift­ lich erhaltenen Tagebuch2 ganz interessant von seinen Erlebnissen zu erzählen weiß. Seit seinem 18. Jahre (1647) ist er auf Reisen und durchwandert Frankreich, Deutschland und Italien. Auf der Rück­ kehr von Italien nach Leipzig kommt er über Innsbruck und Mün­ chen auch nach Augsburg, wo er im November 1652 eintrifft. Allerdings weilt er nur einen halben Tag dahier, trotzdem hat er gar manches gesehen. Er erzählt: „Bin Mittags gar zeitlich Donners­ tag nach Augspurg kommen . . . Dieses ist eine schöne, sehr große Stadt, von außen ziemlich befestigt, hat schöne, breite und lange Gassen, in der Welt draußen wegen der Confession, so ungefähr vor 120 Jahren Carolo V. und dem ganzen Römischen Reich von Chur­ sachsen und andern evangelischen Ständen allda übergeben worden. Hat sonst schöne Häuser, herrliche Kirchen ..., unter welchen eine, da ein Glöcklein von Silber, zu Unser Frauen ... Was das schönste allhier zu sehen ist, ist das überaus schöne Rathaus, soll das schönste in Europa sein, einem königlichen Palaste gleich.“ Eine eingehende Schilderung der Sehenswürdigkeiten des Rathauses bezeugt, daß er wenigstens dieses eingehend besichtigt hat. Er fährt dann fort: „Weiter ist wohl allhier zu sehen die schöne Wasserkunst . . ., das Zeughaus, etliche Klöster und Gärten, deren es eine gute Anzahl allhier hat. Eben diesen Tag ist gleich der Ordinari Bot nach Nürnberg geritten, mit dem ich accordiert und eben diesen Tag aufn 1 geboren 1629, studierte 1647 zu Wittenberg, 1650 zu Basel und Straßburg, 1652 weilte er in Italien. 2 Cgm. 1282 (fol. 269 f.) in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München.

75 Abend sehr spät von dieser schönen, großen Stadt wieder weg­ geritten.“ Eingehend beschäftigt sich in einem Reisehandbuch1 der Fran­ zose Coulon mit unserer Stadt. Wohl sah er die Stadt im Jahre 1644 unter den Bedrängnissen des dreißigjährigen Krieges, aber trotzdem ist er voll des Staunens über ihre Bedeutung, Größe und Schönheit. Er beginnt mit der Römerzeit: „Les Villes, que l’Empereur Auguste voulut honorer de son nom, estoint sans doutes les premieres dans les Provinces et les plus considerees du peuple Ro­ main, qui les consideroit, ou comme des allies ou comme des filles de Rome. D’un grand nombre qui porterent ce titre, les unes sont ensevelies dans leurs ruines et ne sont connuös que dans les histoires des anciens, les autres sont perdu leur liberte et presque toutes ont change de place et de nom. II ny a que la ville d’Ausbourg en Souabe, nommee Augusta Vindelicorum, assise entre les rivieres de Lech et de Wartach, ou l’Empereur Auguste transporta une Colonie de citoyens, y mis trois mille hommes en garnison et qu’il augmenta de beaucoup par ses faveurs, laquelle ait conservue durant plusiers siecles, le nom, la gloire et la liberte qu’elle avoit acquise des bonnes graces de TEmpereur. Son tour est de 8682 pas; ses murailles et boulevards quoy que d’une forme ancienne, capable de defense, ses fosses pleins d’eau, ses maisons particulieres esgalent et mesme surpassent en beaute celles de T Italie, ses citoyens riches et somptueux, les femmes belles, braves et castes, comme de Lucreces; ses ruös fort larges, les campagnes voisines, dont la terre ne peut souffrir un rat,2 merveilleusement fertiles et les fontaines, qui coulent presque par tout la rendent extremement agreable, entre lesquelles il y en trois de marbre blanc, dont Tune est enrichie d’une figure de bronze d’ Auguste, l’autre de celle d’ Hercule et la troisieme de celle de Mercure. Adjoustez ä toutes ces beautez la Majeste de son Senat, qui est comme une image de celuy de l’ancienne Rome, ses deux Arsenaux garnis des toutes sortes d’armes et des munitions de guerres, ses greniers publics remplis de grains, ses beaux Hospitaux, tant pour les vieillards, que pour les malades et les autres ouvrages publics, qui la rendent presque esgale ä la 1 Le fidele Conducteur pour le voyage d’AUemagne. Paris 1654. S. 8—11. 2 Das Fehlen der Ratten erscheint auch bei andern Schriftstellern als besondere Merkwürdigkeit und ist zurückzuführen auf die vom Volke angenommene Heil­ wirksamkeit der Erde vom Grabe des hl. Ulrich gegen Ratten.

76 magnificeuse de la premiere de l’Univers.“ Weiter bewundert er das mächtige Rathaus, die Wasserversorgung, den alten Einlaß und die außerordentlich reichhaltige Stadtbibliothek. Von den Kirchen hebt er hervor den Dom, St. Salvator und St. Ulrich, wo ihm ein hl. Grab gefällt, das dem in Jerusalem nachgemacht ist. Von den Fuggern weiß er ebenfalls zu erzählen: „Les mesmes possedent dans la ville plusieurs beaux Palais, oü Ton voit des bois de Cerf d’unc grandeur prodigieuse, avec des jardins accompagnes de belles fontaines d’un merveilleux artifice, des volleres, des reservoirs et toute sorte d’herbes et de plantes exquisites. Bref Ausbourg est le terme du depart, que notre Voyageur a choisy pour son voyage.a Und wirk­ lich hat Coulon unser Augsburg zum Ausgangspunkt seiner Reisen nach Ungarn, Italien, der Schweiz, nach Norddeutschland und Frank­ reich gemacht. Eine ganz eigentümliche, fast modern anmutende geographische Beschreibung1 verdanken wir dem Danziger Lucas de Linda.2 S. 774 handelt er von Augsburg. Seine Ausführungen kleidet er in folgende Disposition: Mores veteres, Mores huius temporis, Religio, Regimen, Divitae et reditus, Vires. Wie bei früheren und späteren Reisebeschreibungen finden wir ein Lob der Augsburger Frauen­ welt, sowohl was Schönheit als Sitte und Anstand betrifft: „Incolae Augustae Vindelicorum forma sunt eleganti, praesertim illorum feminae, quae sibi nomine castitatis valde placent, delicias, decorumque corporis amant habitum. Ore et re affabilitatis humanitatisque studiosissimi sunt, in sermonibus graves et placidi.“ Als weitere Charaktereigenschaften hebt er hervor den Handelsgeist, den Fleiß der Bürger und Handwerker, welche Tugenden glücklich ergänzt werden durch einen selten wohltätigen Sinn. Die Verfassung der Stadt ist auf paritätischer Grundlage republikanisch; die Reichs­ freiheit erhielt sie durch Kaiser Rudolf (1276), „quae cum aliis legi­ bus et consuetudinibus in peculiari libro, dicto „Stattbuch?, notata sunt.“ Im folgenden führt er die städtische Verwaltung und ihre Organe uns ausführlich vor Augen. Über den damals noch bedeu­ tenden Reichtum in Augsburg berichtet er in einem historischen Rückblick: „Huius divitiae vel ex hoc judicari possunt, quod ibi quidam incolarum titulos Baronum et Comitum teneant. Publicus 1 Descriptio orbis et omnium eius rerum publicarum. Lugduni Batavorum 1655 und noch öfters aufgelegt. 2 (1625—60). Vgl. Nouvelle Biographie generale. T. 31. p. 251.

77 ipsis amplissimus est thesaurus, ex quo quondam pro obtenta pace Imperatori Carolo V. 300.000 fl. data sunt, nulla tarnen subditis propterea imposito tributo. In ipsis etiam bellifuroribus incolae magnis sumptibus aedes extruxerunt magnificas. Mercatura huius reipublicae per totum propemodum Orbem exercetur, omnesque divitiae in mercatura consistunt et opificiis.“ Diese Stadt hat nach seinem Berichte auch eine sehr beachtliche Macht: „stationem militum 5000. semper ibi reperies.“ Der Italiener Philipp Ferrari1 hat ein sehr übersichtliches geographisches Nachschlagewerk2 in alphabetischer Folge verfaßt. Darin heißt es von Augsburg: „Augusta Vindelicorum, Augsburg vel Augspurg, urbs Vindeliciae in Rhaetiae conf. ad Vindonis et Lici fluminum confluentiam. Urbs inter Germaniae clariores, libera, episcopalis sub archiepiscopo Salisburgensi (!), emporium ingens: quae olim colonia Julia Augusta, teste M. Welsero ejus civis, dicta est ex veteribus inscriptionibus media fere inter Monachium et Ulmam ... Moenia alta habet, ipsaque triplex est, ut quidam poeta ait: Urbs Augusta triplex, ubi moenia nubibus aequat.“ Der bekannte Vers aus Venantius Fortunatus beschließt den kur­ zen Artikel. Das Städtebuch des Abraham Saur erschien zu Frankfurt a. M. 1658 in erweiterter Ausgabe durch Hermann AdolfAuthes.3Es enthält S. 88 ff. eine ausführliche Schilderung Augsburgs mit einer Planansicht der Stadt. Auch hier ninynt wie bei ähnlichen Werken die historische Beschreibung den Hauptplatz ein; Saur hat sie zum größten Teil wörtlich aus Schedel entlehnt und dann bis auf seine Zeit weitergeführt. Nur kurz erwähnt er einige Sehenswürdigkeiten: „Unter andern weltlichen Gebäuden ist sonderlich das gewaltige Rathaus zu besichtigen, . . . der künstliche Perlachturm oder Berlach, von den Bären so allda vor Zeiten erzogen worden genannt; der dabei springende Brunn, auf welchem Keyser Augustus ... steht, desgleichen der Brunn auf dem Weinmarkt . . . item vor dem Korn- und Weberhaus; bei dem Roten Tor der doppelte Wasser­ turm . . . u Das ist alles, was er in Augsburg sehenswürdig ge­ funden. 1 Gest. 1626. Nouv. Biogr. generale. Vol. XVII. p. 509. 2 Lexicon geographicum. Editio nova. Londini 1657 S. 45. Wurde öfters auf­ gelegt. 3 Vermehrtes Stätte-Buch. Frankfurt 1658. S. 88—93.

78 Der württembergische Rentkammerrat Hieronymus Welsch1 kehrte von seiner elfjährigen Reise über Augsburg nach Stuttgart heim.2 Während des dreißigjährigen Krieges (1630—41) war er teils auf Reisen, teils in Kriegsdiensten. Die Muße, die ihm sein Amt gewährte, benutzte er zur Abfassung eines Reisewerkes, in dem er sich als scharfsinniger und zuverlässiger Beobachter zeigt. Er erzählt: „Von Augspurg, des heiligen Römischen ReichsStadt, nächst am Lech gelegen, wäre gleichwohl wegen ihrer Fürtrefflich­ keit und prächtigen Gebäuden etwas sonders zu melden; jedoch solle hier angezeigter Kürze willen allein dreier kunstreichen In­ ventionen gedacht werden: 1. Daß daselbsten ein über alle Maßen hübsch und wohlgeziertes, künstlich erbautes Rathaus mit einem unglaublich großen und schönen Saal und Gemächern zu sehen. 2. Daß bei dem Wasserturm durch kunstreiches Rad- und Pump­ werk das Wasser in große Kessel bis oben auf unter das Dach ge­ führt und also von da aus fast die ganze Stadt mit reinem Wasser versehen wird. 3. So hat es allda den Einlaß von einer sonderlichen Invention, also daß man bei nächtlicher Weil, wenn man will, (je­ doch wird nicht leichtlich jemand heraus, aber fast alle Nacht wer­ den etliche hineingelassen) die Leut ein- und auslassen kann; und ist zu verwundern, daß die Fallbrücken und Tor von selbsten vor den Passierenden sich niederlassen und wieder aufziehen, auch also die starke Tor mit Gewalt sich eröffnen und wieder zu schlagen, da man doch keinen Menschen hinter oder vor sich siehet bis bei dem letzten innern Tor; daselbsten wird ein brennendes Licht in einer Lucernen herabgelassen dabei die Passierenden ihre Namen und Gebühr an Geld von sich geben müssen, darauf eröffnet sich das letzte Tor, also daß man in die Stadt kommt.“ Der Verfasser des umfangreichen „Nouveau Theätre du monde“3 äußert sich im Zusammenhang mit Schwaben ganz kurz über Augsburg: „La Sueve ou Souabe est la plus haute partie de toute l’Allemagne. Ses principales villes sont Auspurg ou Ausbourg, assise sur riviere du Lech, et aussi riche qu’ aucune autre qui soit en Allemagne."* Eines der wenigen handschriftlich erhaltenen Reisetagebücher besitzt die Bayerische Staatsbibliothek in München.4 Über den Rei1 1612—1665. 2 Warhafftige Reiß-Beschreibung aus eigner Erfahrung. Stuttgait 1658. S. 425 3 Paris 1661. T. 1. p. 656. 4 8° Cod. gall. 264. Bl. 67 ff.

79 senden, dessen Feder wir diese Aufzeichnungen verdanken, sind Nachrichten nicht aufzufinden. Wir wissen nur, daß er im Jahre 1661 Italien, Deutschland und die Niederlande durchwanderte und auf dieser Reise auch Augsburg berührte. Von München kommend trifft er am 27. Juli in Augsburg ein, das er am 31. wieder verläßt. Die in französischer Sprache abgefaßten Notizen klingen stark an französische Vorgänger an; deshalb wollen wir nur einige Stellen anführen, wo eine persönliche Stellungnahme des Verfassers zu er­ kennen ist. Den Dom findet er „ne pas fort considerable“. Dage­ gen imponiert ihm das Rathaus, „qui est belle et considerable“ und der goldene Saal „d’une hauteur et grandeur prodigieuse, fort peint et dore.“ Anschließend interessiert er sich für das Stadtregiment und dessen Verfassung, die Zahl der Bewohner und ihre Religions­ zugehörigkeit, ohne aber etwas neues zu bringen. Den zweiten Tag bewundert er „plusieurs belles fontaines.“ Der darauffolgende Frei­ tag ist der Besichtigung des Einlasses, des Zeughauses, das er „beaux et curieux“ nennt und der Wasserwerke gewidmet. Die fol­ genden zwei Tage besieht er sich verschiedene Kirchen, ohne je­ doch darüber bemerkenswerteWorte zu finden. Am Sonntag (31 .Juli) besucht der katholische Reisende aus Interesse den Gottesdienst der Protestanten, fügt aber gleich bei, daß er darauf am Feste des hl. Ignatius in der Jesuitenkirche die Messe bei einer „bonne musique“ gehört hat. Am Morgen des 1. August verläßt unser Unbe­ kannter Augsburg, ohne ein Werturteil über unsere Stadt und über den Eindruck, den sie ihm hinterlassen hat, auszusprechen. Exzentrisch wie sein Leben ist die Reisebeschreibung, die uns Ludwig Heinrich de Lomenie,1 Graf von Brienne, hinterlassen hat. In klassischem Latein, aber sehr gedrängt und deshalb oft er­ müdend und unverständlich schildert er seine Erlebnisse2. Von Finn­ land über Polen kommend berührt er auf seiner eiligen Reise nach Italien (ca. 1655) nur kurz unsere Stadt. „Magnis itineribus tendimus in Italiam. Ratispona, quae prius visa, Augustam Vindelicorum iter fuit: cui non se aequiparent magnificentia et splendore aliae Germaniae urbes, excepta una Norimberga, quae nitore non cedit.“ Der Frankfurter Ingenieur und Architekt Georg Andreas Böckler3 gab für Kunstfreunde und als Vorlage für Architekten 1 1636 — 1698. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 31. S. 529 u. J. Beckmann. Lite­ ratur der älteren Reisebeschreibungen. 1808. Bd. I. S. 143. 2 Itinerarium. Ed. 2. Parisiis 1662. p. 63. 3 Vergl. über ihn Allg. Deutsche Biographie. Bd. 2. S. 787.

80 ein großes Werk1 heraus, das die herrlichsten und vornehmsten Bauten Europas im Bilde mit kurzem Text darstellt. Darunter fin­ den wir im dritten Teil auch die „aus Messing und Marmor zierlich und schön erbauten“ Herkules- und Augustusbrunnen. Vielfach beeinflußt hat gleichzeitige und spätere Reiseschrift­ steller der Fransose Balthasar de Monconys2 mit seinem Reisetagebuch.3 Von Ulm her trifft er am 15. Februar 1664 in Augsburg ein, das er sehr kritisch betrachtet: „Nous arrivämes ä midi au commencement de la plaine et dans laquelle il y a une in­ finite de belles maisons, oü Ausbourg est situe: nous arrivämes environ une heure ä la Ville, qui nous parut de loin asses grande; et quand nous fümes dedans tres belle pour la largeur des ses rues et la beaute des maisons peints pour la plüpart . . . Nous fümes loger dans la plus belle rue, dans laquelle est ä un bout I’Hotel de Ville, et ä l’autre la Douanne du vin, qui est un asses beau bätiment ä Tltalienne. Et pour plus grand ornement de cete rue ä un bout il y a une fontaine d’un grand Mercure de bronze.“ Auch die andern Brunnen (Augustus und Herkules) bewundert er mit entzücktem Auge. Monconys wohnte in der Nähe des Fuggerhauses, das sein stetiges Erstaunen erregt, „ä la Couronne, oü l’Hote parle Italien et un peu Francois.“ Er machte bei Baron Rehlingen seine Aufwar­ tung, der aber auswärts weilte. „Pendant le diner s’appretoit, je fus chez Monsieur Stetten, qui me fit grande civilite; il est un des plus riches dans la ville et est bien löge.“ Er bewundert auch dessen reiche Kunstsammlung. Am folgenden Tage besucht er Herrn von Angel, den Agenten des Herzogs von Braunschweig. Anschließend daran unternimmt er einen Spaziergang durch die Stadt. „Nous fümes ä l’Eglise du Dome . .. devant laquelle il y a une asses grande place, oü se fit la Confession d’Ausbourg. L’Eglise n’a rien de considerable, que sa proprete . . . en suite nous fümes aux Jesuites, dont l’Eglise est toute semblable . . . Nous retournämes par un autre chemin et par tout les rues y etoient belles, larges, toutes les mai­ sons peintes ou crepies; mais il n’y a pasune belle porte, etant tou­ tes simples sans ornement, comme celles d’un magasin, et pas une boutique d’Artisan en vüe dans la rue, ce qui empeche qu’il n’y ait 1 Architectura curiosa nova. Das ist Neue Ergötzliche, Sinn- und Kunstreiche, auch Nützliche Bau- und Wasserkunst Nürnberg 1664. Teil III. S. 105 u. 106. 2 1611 —1665. Nouv, Biogr. generale. Vol. 35. p. 952. 8 Les Voyages en Allemagne. Paris 1695. T. 3 p. 244.

81 aucun embarras, mais qui les fait parvitre aussi plus desertes, et moins marchandes. Nous passämes le long de la riviere de Lech, qui traverse presque toute la ville, et cet endroit est un peu plus bas que le reste et les rues, ni les maisons oü logent les Artisans, n’y sont pas si belles, mais fort petites ... Je fus aussi chez un Tourneur.“ Besonderes Interesse erregt ihm das gewaltige Rathaus, das er voll ehrlicher Bewunderung beschreibt. Im übrigen widmet er seine Zeit weiteren Besuchen, um seine Empfehlungen auszunützen. Bei einer solchen Gelegenheit hört er abends arme Studenten vor den Fenstern singen, die sich auf diese Weise ein Almosen erbitten, „qu ’on leur jette dans un papier, qu ’on allume un peu.“ Den üb­ rigen Abend benützt er, um vortreffliche Rezepte, die er in Augs­ burg erhalten, niederzuschreiben, gegen Hämorrhagie, Asthma, Lungenleiden, Zahnweh usw. Er muß sehr fleißig gewesen sein, denn sie füllen über 30 Druckseiten. Am 17. Februar besucht er die Messe bei den Dominikanern, wo er zugleich die wundervollen Gemälde, namentlich die Himmelfahrt von Lanfranchi, bewundert. Anschließend besichtigt er beide Heilig-Kreuzkirchen. Am 18. finden wir Monconys bei St. Ulrich; wo­ rauf er dem eben eingetroffenen Bischof von Metz, Graf Fürsten­ berg, und dessem Gefolge seine Aufwartung macht. Nach dem Mit­ tagessen besucht man gemeinschaftlich das Zeughaus, „dont le portail est fort beau de pierre de taille avec um belle architecture et au dessus cinq grandes figures de bronze.“ Er ist erstaunt über die große Anzahl von Geschützen und Waffen aller Art. Die übrige Zeit benützt Monconys zu verschiedenen Besuchen von Kunst­ werkstätten, wobei er verschiedenes einkauft, darunter auch ein Gemälde. Am 22. verläßt er hochbefriedigt Augsburg, um nach München weiterzureisen. Es entspricht ganz der Art jener Zeit, daß verschiedene frühere Schilderungen immer wieder und sogar von solchen, welche sich durch eigenen Aufenthalt in Augsburg über alles unterrichten konn­ ten, benützt wurden. Solchen Anklängen, besonders aus Braun, be­ gegnen wir bei Galeazzo Conte Gualdo-Prioreto,1 obwohl ein Teil seiner Erzählung2 selbständig erscheint, da er auf seinen 1 1606—1678. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 22. p. 305 f. 2 Relatione del Governo e Stato delle Citta Imperiali di Norimberg, Augusta, Ulm e Francfort. Colonia 1668. p. 33—68. 6

82 verschiedenen Kriegszügen und Reisen tatsächlich auch in Augs­ burg weilte. Unter den vier bedeutendsten Städten, die er schildert, ist er für Augsburg fast am meisten eingenommen: „Giace questa bellissima e veramente Augusta Patria nel piü commodo, nel piü vago, e nel piü opportuno sito d’Alemagna . . . e costeggiata d’ogni intorno da popolate terre e borghi, da nobilissimi castelli e da quantita prande de villagi e casali, e d’intorno gli scorrono i fiumi Vindo e Leco, Verda e Vinkel.“1 Im Anschluß daran bringt er die alten Märchen von der Amazonenkönigin Marpisia, welche 600 Jahre vor Gründung Roms dort geherrscht habe, kommt dann auf die Römer­ zeit und ziemlich ausführlich auf die historische Weiterentwicklung der Stadt zu sprechen. Dann berichtet er über die Verfassung und das Regiment, und über die Zahl und Namen der Patrizier. Darauf wendet er sich den Sehenswürdigkeiten der Stadt zu: „Vi sono 28 chiese Catholiche trä quali sono sontuose e belle la Catredale dedicata alla B. V. e santo Mauritio, Santi Udalrico e Afra . . . San Giorgio . . . Santa Croce . . . San Salvatore . . .“ Er plaudert dann kurz über die Klöster, die herrliche Kirche zu St. Anna, die „Biblioteca assai rinomata“, die verschiedenen Hospitäler und Wohlfahrts­ einrichtungen „e la loro liberalitä.“ „I casamenti in questa cittä sono grandi alti e di bellissimo prospetto veramente magnifichi, tutti costrutti di pietra e con infiniti compartimenti, che li rendono pieni d’ogni commoditä. La maggior parte di questo hanno porte ample per carozze, cortili e giardini assai vaghi e bene compartiti, con passegi e prospetive. Le contrade sono larghe, dritte e notte, allegre, ornate di deverse fontane ... II pavimento delle strade non puo esser meglio contestato e pulito. La commoditä d’un gran condetto d’acqua, che scorre per il mezzo della cittä e de molti altri ancora, che servono per uso de cittadini . . , e molto lodato.“ Des wei­ teren gefällt ihm besonders der „Palazzo publico della Republica“ (= das Rathaus), das Zeughaus und die „palazzi sontuosi“ der Fugger, die Metzg, die Kornhäuser und „altri luoghi publici.“ Dem Italiener imponieren die „torri maravigliose“, welche die Stadt mit Wasser versorgen. Auch sonst hat er die Stadt und ihr Leben sorgsam beobachtet und sogar die Wochenmärkte besucht. „E memorabile ancora l’ampiezza di molte piazze, nelle quali il Lunedi e Venerdi d’ogni settimana si fä mercato con gran concorso di po1 Ein kleiner Irrtum. Vindo e Verda ist das gleiche, Vinkel natürlich Sinkel. Singold.

83 pulo, che viene da paesi circonvicini.“ Die Bevölkerungszahl der Stadt berechnet er auf ca. 20000 Seelen. Daneben gibt er noch mehr­ fach statistisches Material. „L’entrate della republica, non havendo in se dominio . . ., si cavano dalle impositioni sopra la birra, ö sia cervosa, il vino, le farine, il sale, le carni, Pentrate delle mercantie e cose simili.“ Über das Augsburger Klima weiß er ebenfalls Bescheid: „L’aria vi e salubre e soavissima e con danari si trova in essa di tutto. E in essa fioriscono molte arti ä maraviglia perfettamente e e verissimo, che l’ingegno de gli Augustani supera quello de tutti gli altri, si potrebbe dire quasi dell Europa, e quando non vi fusse altro, che la maravigliosa inventione degli horologi col moto de cieli e de pianetti, questa sola basterebbe e far vergogna alli piü memorabil ingegni delP antichita.“ Auch das übrige Kunstgewerbe erfährt von Gualdo uneingeschränktes Lob, ebenso wie die wissenschaftlichen Bestrebungen, die in Augsburg heimisch sind. In den höchsten Tönen preist er „La civiltä de Signori Augustani, Phumanitä e la splendidezza loro e grandissima, sono ingenui ne loro trattati, amorevoli e caritatevoli verso il prossimo, di parola e di fede. Vivono nelle case loro illustremente e la qualitä e quantitä degli adobbi particolarmente di pitture e di scrittorii e pretiosa. In summa si puo dire, che Augusta sia l’occhio destro delP imperio e la scala d’Italia, perche per questa passano quasi tutti, che vengono dell Italia in Fiandria . . .Ä Das gleiche Lob spricht er auch den Augsburger Kaufleuten aus. Anschließend daran betont er nochmals die Bedeutung Augsburgs auf verkehrspolitischem Gebiet: von hier aus gehen die Posten durch ganz Deutschland. Er kommt dann auf die traurigen Verhältnisse zu sprechen, in welche Augsburg durch den dreißigjährigen Krieg geraten ist. Krieg, Hungersnot und beängstigende Himmelzeichen werden ausführlich geschildert; hat ja Gualdo selbst davon einiges, vielleicht sogar in Augsburg, miterlebt. Zum Schluß berichtet er ziemlich ausführlich über das Hochstift, sein Gebiet und die Diözesen­ einteilung. Wenn Gualdo, wie bereits erwähnt, auch manches von seinenVorgängern übernommen hat, so ist doch das freundlich ge­ spendete Lob dieses vielgereisten Mannes für unsere Stadt ehrend und bezeichnend zugleich, ein Lob, das namentlich für italienische Kreise lange Zeit maßgebend war. Der kaiserliche Salzgegenschreiber Blasius Vitalis Sey6*

84 waldxzu Korneuburg erwähnt nursummarisch diegroßendeutschen Städte: „Im römischen Reich sind fast alle großen Städte befestiget, als da ist Regensburg, Nürnberg, Augspurg etc.a Der wachsenden Reiselust verdankt ein handliches Büchlein12 sein Erscheinen, das der Frankfurter Verleger Johann David Zunner „aus den besten und neuesten Autoren, so hiervon geschrieben, zusammenziehen“ ließ, allerdings ziemlich oberflächlich. Über Augs­ burg berichtet er: „Die Hauptstadt darinnen (sc. im Schwabenland) ist Augspurg, eine vortreffliche, schöne . . . Reichsstadt, welche 1220 Jahr vor Christi Geburt gebauet worden. Sie ist wegen ihres Gewerbs, sinnreichen Erfindungen, hochverständigen Rats, Mitley­ dens gegen die Armen, gemeiner Gebäuen, und sonderlich wegen des Reichs-Tages . . . 1530 ... vor andern Städten berühmt. Unter den gemeinen (= öffentlichen) Gebäuen haben vor andern den Vor­ zug : Die Bischoffliche Hauptkirch zu unserLieben Frauen,in welcher Kaysers Caroli V. Wappen, Fahnen, Schwert, Szepter und güldene Krön gezeiget werden. Die Kirch zu St. Moritz, zu St. Anna, zu St. Steffan, zum H. Creutz und zu St. Ulrich, in welcher eine Gruft gewiesen wird, darein dieser Heilige alle Ratten und Mäuse der gantzen Stadt gebannet, dahero man insgemein sagt, daß bis auf den heutigen Tag kein solches Ungeziefer mehr daselbst gefunden werde: ingleichen die Clöster und die Jesuiter Kirch und Collegium. Das prächtige Rathaus mit dem Turm der Börler (= Perlach) ge­ nannt, die Wassertürme, die gemein Brunnen, die Spitäler, das Siechenhaus, das Waisenhaus, das Franzosenhaus, die künstliche Brücke um das Rathaus: In diesem sind etliche Stuben so gebaut, daß man sie zur Winterzeit mit geringem Feuer und gar wenig Holz wärmen kann: das Zeughaus, der Einlaß, durch welchen man bei der Nacht aus und ein kann und die vortrefflich schöne Häuser der Herrn Grafen Fugger.“ Das ist alles, was dieser Reiseführer in Kürze über Augsburg zu berichten weiß. Außerordentlich freundlich urteilt, allerdings nicht aus eigener Anschauung, der gelehrte Jesuit Philipp Labbe3 in einem dem 1 Vgl. über ihn Zedier, Universallexikon. Bd. 37. S. 781, Sein umfangreiches Werk betitelt sich: Welt-Spiegel. Darinnen man schon sehen kann, wie groß die gantze Welt. Wien 1671. S. 245. 2 Viatorium Germaniae, Galliae ac ltaliae. Oder nützliche Anweisung durch Teutschland ... zu reisen. Frankfurt 1671. S. 67* 3 1607—1667. Backer-Sommervogel a. a. O. P. IV. p. 1295.Nouv.Biogr. generale Vol. 28. p. 338.

85 König Ludwig XIV. gewidmeten Werke1 über Augsburg: „La premiere des villes de Duche de Suabe est Ausbourg, Augspurgk ou Augspurg, Augusta Vindelicorum, grandement marchande, belle, forte et une des citez libres de l’Empire.“ Sehr eingehend schildert der Pariser Arzt und Numismatiker Charles Patin2 unsere Stadt. Seine Berichte3 sind in die Form von Briefen eingekleidet, welche an die Herzoge Friedrich August und Eberhard von Württemberg gerichtet sind. Patin wurde seiner­ zeit vielgelesen, sein Werk öfters aufgelegt und auch ins Lateinische übersetzt. Auszugsweise geben wir seinen Bericht über Augsbur g „D’Ulme je passay ä Augsbourg; l’Allemagne n’a gueres de villes plus belles ny plus riches. L’accord que Charles V. y passa avec les Protestans sur le point de reformation de Luther et l’establissement de leur liberte, qui y fut autorisee dans les termes de cette profession de foy conue par tout le monde sous le titre de Confession d’Augsbourg, la rendra fameux dans tous les siecles. Les avenues, les fontaines, les places publiques, Thostel de ville, tout y est magnifique. L’Empereur qui a les lumieres les plus justes sur toutes choses, dit aux Magistrats en admirant ces grandes despences, que ceux d’Ulme avoient mieux dispose du bien public, quand ils l’avoyent employe aux fortifications, parce que la beaute d’une ville n’asseuroit ny son repos, ny sa liberte, comme l’espaisseur de ses murailles et le nombre de ses bastions. II ny a rien de plus su­ perbe que le palais des Fouleres (= Fugger), ny de plus acheve que les peintures qui l’embellissent au dehors.“ An diese begeisterte Schilderung schließt sich — für den Numismatiker ist dies erklär­ lich — eine Aufzählung römischer Funde namentlich von Medaillen. Des weiteren hat er einige Kunstfreunde besucht und ihre Münzund Kunstsammlungen eingehend besichtigt. Wenige Worte findet Ludovico Passerone in seinem geogra­ phischen Abriß:4 5„La Suevia: E il paese piü alto dell’Alemagna .. . in essa sono molte citta libere, cioe Ausburg.“ Nicht viel weiß der französische Geistliche Gideon Pontier6 von Augsburg zu erzählen. Allerdings muß man bedenken, daß sein 1 2 3 4 5

La geographie royale. Lyon 1673. S. 274. 1633—1693 Nouv. Biogr, generale. Vol. 39. p. 331. Quatre relations historiques. Basle 1673. p. 72 ff. Guida geografica. Venetia 1674. p. 114. gest. 1709. Vgl. Jöcher, Gelehrtenlexikon. Bd. 3. Sp. 1694.

86 Werk1 hauptsächlich die einzelnen Höfe und Dynastien schildern will. Er berichtet: „Ausbourg capitale de la Suabe a aussi beaucoup d’antiquite, puisque Cesar Auguste luy donna son nom. Lesmurailles sont flanquees de plusieurs tours, son arsenal est fort considerable.® Frankreich hat unter Ludwig XIV. eine Anzahl bedeutender Geographen hervorgebracht. Unter ihnen ragt der kgl. Geograph Pierre Duval,2 ein Schüler des bekannten Nicolas Sanson, her­ vor. Sein Hauptwerk erschien bald auch — allerdings herzlich schlecht übersetzt — in deutscher Sprache.3 Darin berichtet er: „Schwaben hat soviel Oberherrschaften dergleichen sonsten nirgend­ wo zu finden; die zwo vornehmsten Städte dieses Landes sind Augspurg und Ulm. Deren erste um daß im Jahr 1530 die Protestirende dero Glaubensbekenntnis auf damaligem Reichstag öffentlich über­ geben, und dann daß einige dero Bürger vormals mit dem König in Spanien sich interessiret als auch endlich wegen der vielerlei künstlichen Goldschmiedarbeit überall berufen. Das Rathaus ist eines der schönsten Gebäue in Teutschland; so haben die Fugger, dieser Stadt Bürger, auch ein Gebäu daselbst vollführet, so man beinahe einer kleinen Stadt vergleichen möchte. Der Rat allhier bestehet aus Catholisch und Lutherischen, jeder Teil zur Hälfte.“ Zur Abwechslung wollen wir einmal das Urteil eines 14 jährigen Knaben vernehmen, der zweimal unser Augsburg besucht hat. Es ist dies der Bildhauergeselle Franz Ferdinand Ertinger aus Immenstadt. Geboren 1669, hat er zwei Reisen unternommen, über die uns ein handschriftliches Tagebuch4 erhalten blieb. Die erste Reise 1682/83 führte ihn über Tirol, Salzburg und Augsburg zurück in die Lehre nach Kempten. Nachdem er dort weitere sieben Jahre die Bildhauerei erlernt hatte, begab er sich über Augsburg auf die Wanderfahrt, deren Beschreibung in seinem Tagebuch mit dem Jahre 1697 abschließt. Wohl ist er nicht durch selbständige Arbeiten bekannt; er hat nur als wandernder Geselle bei verschiedenen Mei­ stern praktiziert.5 1 Le Cabinet ou la Bibliotheque des Grands. Paris 1677. T. I. p. 260. 2 1618—1683. Nouv. Biogr. generale. Vol. 15. p. 516. 3 Geographiae universalis Pars posterior. Das ist Der allgemeinen Erdbeschrei­ bung anderer Theil. Nürnberg 1679. p. 314. 4 Dasselbe befindet sich in der Münchner Staatsbibliothek (Cgm. 3312) und wurde herausgegeben 1907 von E. Tietze-Conrad. 5 Vgl. dazu Thieme-Becker, Künstlerlexikon. Bd. 11. S. 15.

87 Besondere Bedeutung erhält diese Reisebeschreibung dadurch, daß wir in ihr die Reiseeindrücke eines Künstlers empfinden, der ein lebendiges Urteil über zeitgenössische Werke abgibt. Um so wert­ voller ist das Tagebuch, weil nur wenige in diesem Sinne geschrieben wurden. Interessant wirkt die Darstellung seiner ersten Reise, da er sie als lernender Knabe abgefaßt hat. Wohl sind die Eindrücke sehr oberflächlich, wie es ja bei einem 14 jährigen Knaben nicht anders zu erwarten ist. Aber immerhin sind sie so eingehend ge­ schildert, daß sie einen überraschend hohen Bildungsgang für die damalige Zeit beweisen. Schon auf seiner ersten Reise zeigt er ein reges kunsthistorisches Interesse für Kirchen und Bauten. Dies In­ teresse verstärkt sich, etwas gereifter in künstlerischem Sinne, auf seiner zweiten Reise. Trotz des verhältnismäßig kurzen Aufenthaltes in Augsburg, bringt er über das Rathaus so viele, allerdings nicht lauter originelle Details, daß sie doch eine ziemliche Beherrschung seiner Kunst voraussetzen. Auch über zeitgenössische Künstler wie über frühere bringt er verschiedene Nachrichten, die über die ge­ wöhnliche Belesenheit herausragen. So ergänzt uns Ertinger, der bürgerliche Wandergeselie, in ganz wertvoller Weise das Zeitbild unserer Stadt, das uns damals hauptsächlich durch Gebildete ge­ schildert wird. Das Urteil des einfachen Mannes, das natürlich auch durch die Zeitstimmung beeinflußt ist, ist uns darum doppelt interessant. Am 25. August 1682 hat der jugendliche Ertinger seine erste Reise angetreten, die ihn über Tirol, Salzburg, München, wo er nicht eingelassen wurde, dann über Augsburg nach Kempten führte. Im März 1683 weilte er in Augsburg, worüber der Knabe berichtet, wie folgt:1 „Augspurg ist vor uralten Zeiten die Hauptstadt der Vindelizier gewesen, dazumal soll sie Damasca (!) geheißen haben. Nachmals hat sie Kaiser Augustus nach seinem Namen benambset, weil er da seine Burg hatte. Ist eine schöne, herrliche, große und berühmte Stadt an einem lustigen Bichel gelegen. Allda ist sonder­ lich zu sehen die bischöfliche Hauptkirche zu U. Lieben Frauen, in welcher an den Seiten die Bischcffe alle abgemalet sind. Es ist auch zu sehen St. Ulrich, St. Moritz, St. Anna, St. Jakob und St. Georg, St. Stephan und des hl. Kreuz Kirchen und Klöster, der Jesuiten 1 S. d. Ausgabe von Tietze-Conrad S. 5. Übrigens läßt der Dialekt seiner hier hochdeutsch wiedergegebenen Aufzeichnungen sofort den Allgäuer Schwaben erkennen.

88 Kollegium und Kirchen. Ist auch würdig zu sehen der doppelte Wasserturm, allwo das Wasser in der ganzen Stadt geleit wird; die Fuggerischen Grafen als Bürger dieser Stadt haben auch ein schönes und großes Gebäu. Von dannen nach etlicher Tag Rastung habe mich über Kaufbeuren nach Kempten begeben.“ Diese an einen fleißigen Schulaufsatz erinnernden Zeilen dürfen wir nicht mißachten, da uns derartige Äußerungen aus dieser Zeit sonst fehlen. Im Juli 1690 kam der junge Gesell auf seiner Wander­ fahrt, die ihn nach Österreich und Böhmen führte, abermals nach Augsburg. Jetzt sieht er die Stadt mit anderen Augen, wie uns seine tief künstlerisch empfundene Schilderung des Augsburger Rat­ hauses beweist. Wohl lehnt er sich dabei an das Schrifttum seiner Zeit; aber seine Gedanken sind so originell und kritisch, daß seine Beschreibung des Augsburger Rathauses, die fast fünf Druck­ seiten einnimmt, ein einzigartiger Lobeshymnus für Augsburg und sein Kunstleben bedeutet. Diesmal kommt Ertinger auf einemFloß „mit großer Gefahr“ von Landsberg den Lech nach Augsburg herabgefahren. „Allda bin ich das andere Mal in das vornehme und weitberühmte, anno 1620 neuer­ baute Rathaus gekommen.“ Der Eindruck, den ihm unsere Stadt diesesmal gewährt, hat er nur in die lesenswerte Beschreibung des Rathauses zusammengefaßt.1 Nachdem er von dem First des Rat­ hauses „die Größe der Stadt Augsburg übersehen“ hatte, schließt er mit den Worten: „Habe mich in dieser Stadt anderthalb Tag auf­ gehalten und nachgehens meinen Weg ferners fortgesetzt über den Lechfluß, welcher eine halbe Stund außerhalb der Stadt vorbei­ fließt. Ist bedeckt mit einer Brucken, allwo eine bayerische Wacht draufsteht. Bin also von dannen aus dem Schwäbischen in das Chur­ fürstlich Herzogtum Bayern.“ Der Hallenser Professor Christoph Cellarius,2 dem wir es zu verdanken haben, daß das Studium der Geographie in Deutschland mehr beachtet wurde, führt Augsburg in einem seiner geographischen Werke 3 nur kurz an: „Ad Lici fluvium et terminum Algoiae tarn amplitudine quam opibus et splendore insignis urbs sita est . . . Augspurg, tum aliis dotibus suis, tum maxime propter comitia 1530 . . . clarissima. Urbs libera est, habet tarnen episcopum, qui Dillingae . . . 1 a. a. O. S. 6—10. 2 1638—1707. Vgl. über ihn; Allg. Deutsche Biogr. Bd. 4. S. 80 f. 3 Geographia antiqua iuxta et nova. Cizae 1687. Vol. 2. p. 159,

89 habitat . . . Senatorum Augustanorum familiae nobilissimae sunt interque eas eminent Fuggeri . . .“ Fast ebensowenig weiß er in einem andern seiner geographischen Werke1 über unsere Stadt, ob­ wohl er mit Selbstgefühl betont, „daß der Gebrauch dieses geogra­ phischen Buches niemand leicht gereuen werde.“ Aber beim Auf­ schlagen des Artikels „Augsburg“ ist man recht enttäuscht, wenn man liest: „ Augspurg... eine Reichsstadt inSchwaben: derBischoff darinnen ist dessen von Mainz Suffraganeus. “ Sonst erwähnt er nur die Confessio Augustana und die Krönung König Josefs im Jahre 1690. Mehr wegen seiner Merkwürdigkeit als wegen seiner Beziehung zu Augsburg erwähnen wir das umfangreiche Tagebuch eines wan­ dernden Memminger Bäckergesellen Martin Wintergerst, der die ganze Welt bereist hat. Bombastisch wie der Titel seines Buches2 ist auch der Inhalt. Von Memmingen kommt Wintergerst auf seiner 22 jährigen Wanderfahrt 1688 nach Augsburg. Aber was soll er viel über die engere Heimat berichten, die doch jedermann kennt. Also „reiste ich Anno 1688 im Februar im Namen Gottes von hier weg, willens als ein Bäckenknecht meinem Handwerk nachzuziehen und marschierte auf Augspurg: weilen es aber nicht alsobald Arbeit gab, so hielt ich mich 8 Tag lang allda feiernd auf, da sich dann eine Gelegenheit bei einer Wittfrau in der Jacober-Vorstadt ereig­ nete, bei welcher ich in die 18 Wochen, nämlich bis auf Johanni in Arbeit blieb, bis sich eine Gelegenheit zeigte, daß ich einen Karneden, nämlich einen hiesigen Bürgerssohn, ein Gerber, zum Reisen bekam.“ Im Jahre 1683 bereiste im Auftrag des französischen Ministers Colbert der berühmte Benediktiner JeanMabillon3 Deutschland, um alle Orte zu besuchen, „in quibus supererant bibliothecae insigniores.“ Wenn sein Bericht4 auch in der Hauptsache auf literarische Seltenheiten und Merkwürdigkeiten beschränkt bleibt, gibt er doch 1 Geographisch-historisches Lexikon. Leipzig 1705. S. 101. 2 Der durch Europam lauffende, durch Asiam fahrende, an Americam und Africam anländende und in Ost-Indien lange Zeit gebliebene Schwabe oder Reiß­ beschreibung, welche in 22 Jahren an bemeldte Örter verrichtet. Memmingen 1712. S. lf. 3 1632—1701. Vgl. Beckmann, Literatur der älteren Reisebeschreibungen. 1808. Bd. I. S. 239. 4 Abgedruckt in: Vetera analecta. Paris 1723. S. 8f. Dies Werk erschien bereits im Jahre 1685 zum erstenmal im Druck.

90 über die einzelnen der besuchten Orte ein kurzes Stimmungsbild. Am 14. August 1683 trifft von Irsee her Mabillon n Augsburg ein. Entzückt ist er schon von der gottesweiten Ebenie des Lech­ feldes, wo er die Marienwallfahrt besuchte. „Augustam Vindelicorum tendimus per eundem campum Lycium, a Lyco fluvio ita dictum, qua nulla jucundior aut amoenior planities videri potest, aequabili solo, saluberrimo caelo, ad decem horarum intervallum porrecta.“ Er steigt bei seinen Ordensbrüdern bei St. Ulrich ab; über den gastlichen Empfang sowie über das prächtige Kloster kann er sich nicht genug wundern, ebenso über die Stadt selbst. „Sicut nullam urbem Augustana praeclariorem videri memini, . . . Multae in urbe sunt Catholicorum ecclesiae multique conventus. Cathedralis beatae Mariae sacra est: S. Udalrici basilica eximia, thesaurus insignis . . ., bibliotheca Capitulo proxima itidem ornatissima et libris . . . referta. Dormitorium commodum, aedis Abbatis et hospitum amplissimae, omnia praeter basilicam nova et a Gregorio abbate, . . . elegantissime constructa. In ecclesia tune appendebat imago beatae Mariae assumptae in serico panno depicta. Causam sciscitanti responsum est, hunc esse morem in totos triginta a festo dies . . .“ Im folgenden bewundert er einige der namhafteren Bib­ liothek- und Kunstschätze. Natürlich sucht er auch die Stadtbiblio­ thek mit ihren reichen Schätzen auf, wo besonders die kostbaren Codices sein Lob herausfordern. Am 19. August verließ Mabillon wieder Augsburg, um die altbayerischen Klöster und dann München aufzusuchen. Der Pfalz-Sulzbachische Hofkammerrat Joh. Heinrich Sey­ fried beschreibt1 unter Anlehnung an bekannte Vorbilder Augsburg, ohne neue Gesichtspunkte hervortreten zu lassen. Er nennt es: „Eine vornehme wohlbekannte Reichs-Stadt in Schwaben, am Lech gelegen. Von denen Römern ward sie genannt Augusta, da nachmalen das teutsche Wörtlein Burg hinzugethan worden, daraus der Namen August-Burg entstanden ist.“ Kurz berührt er die Ge­ schichte der Stadt, aber nur vom Jahre 1360 bis 1648; auf die Vorund Römerzeit läßt er sich nicht ein. In der anderen Hälfte seiner Darstellung erfahren wir: „Es sind sonsten in dieser schönen, wohl­ gebauten Stadt viel denkwürdiger Sachen zu sehen.“ Er nennt als solche die bekannten Sehenswürdigkeiten: Rathaus, Perlach, die 1 Poliologia, das ist Beschreibung Aller berühmten Städte in der gantzen Welt. Sulzbach 1683. S. 39 f.

91 Kirchen, Brunnen, Fuggerei etc. Besondere Beachtung schenkte er zum Schluß der starken Befestigung Augsburgs. Der königliche Hofgeograph JacquesRobbe1 erwähnt in seinem allerdings weit über den Rahmen eines Lehrbuches hinausgehenden Werk2 ebenfalls unsere Stadt. Zuerst spricht er von Schwaben: „La temperature et ä peu pres semblable ä celle de la Baviere, excepte qu’elle est plus fertile en vin.® Dann erzählt er die verschie­ denen Herrschaftsgebiete auf und schließt wenig eindrucksvoll: „Ausbourg sur le Leck en est la capitale. Elle a un Eveque qui reside ä Dillingen. Elle est celebre par la profession de Foi des Lutheriens qui y sont en grand nombre.® Sonst findet er an Augs­ burg nichts bemerkenswertes. Übrigens ist er auch bei andern Städ­ ten nicht wortreicher. Sehr freundlich gehalten ist die Beschreibung des Johannes Limb erg von Rhoden.3 Bald als Soldat, bald als Geistlicher und Lehrer durchreiste er fast ganz Europa. Sein Werk4 ragt unter den gleichzeitigen ähnlichen ganz merkwürdig hervor. Er knüpft in seine Reiseerzählung viele autobiographische Momente hinein, so daß wir sein Leben unter der Fülle der oft trockenen Itinerarien, Länder- und Stadtbeschreibungen usw. genau verfolgen können. Erwähnenswert ist sein stark hervortretender vaterländischer Geist, der in einem Jahrhundert, wo deutscher Patriotismus etwas unbe­ kanntes war, um so wohltuender wirkt. Nicht minder wertvoll er­ scheint Limbergs Werk durch die große Zahl kulturgeschichtlich nteressanter Notizen und Verzeichnisse über Kunstsammlungen. Er nennt Augsburg „eine Kayserl. freye Reichs-Stadt und die fürnehmste aus den vier Haupt-Reichs-Städten . . . Das Wappen ist eine gelbe Zirn-Nuß im roten und weißen Feld. Die Stadt ist mit Bollwerken, starken Mauern, Graben und Schanzen wohl befestiget. Beim Roten Tor ist ein doppelter Wasserturm, so ein kunstreiches Werk, dadurch das Wasser in die ganze Stadt getrieben wird. Die Domkirch ist auch ein sehr groß Gebäu, in welcher an der Seite die Bischöfe abgemalet. Der Knopf auf dem Turm samt dem Kreuz 1 1643—1721. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 42. p. 350. 2 Methode pour apprendre facilement la Geographie. 3. ed. Paris 1689. p. 239. 3 geb. ca. 1650. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 18. S. 654. Beckmann a. a. O. Bd. I. S. 363. 4 Denckwürdige Reisebeschreibung durch Teutschland, Italien, Spanien etc. Leipzig 1690. S. 76—127.

92 wiegt 309 Zentner. Kirchen und Klöster sind nicht allein prächtig gebauet, sondern auch mit reichem Einkommen versehen. Die Fuggerische Grafen als Bürger dieser Stadt haben ein Gebäu hier aufgeführt, so man schier eine kleine Stadt vergleichen möchte. Das Erdreich hat allhier die Eigenschaft, daß es keine Ratzen leidet. Ferner ist die Stadt berühmt durch ganz Europa wegen der vieler­ lei künstlichen Goldschmiedarbeit . . . Das Rathaus ist eines aus den prächtigsten Gebäuen von ganz Europa.“ Auf 48 Seiten folgt eine in das kleinste Detail gehende Beschreibung des Rathauses; kein Bild und kein Kunstgegenstand wird dabei vergessen. Natür­ lich ist dieselbe nicht originell, sondern ist auf die verschiedenen gleichzeitigen Augsburger Beschreibungen des Rathauses zurück­ zuführen. Anschließend erhalten wir noch eine kurze Schilderung des Zeughauses. Nach etlichen Tagen des Aufenthaltes in Augs­ burg setzt Limberg seine Reise nach Italien fort. Wenig geographisches Verständnis wenigstens für Deutschland zeigt der Spanier Don Sebastian F er nandez deMedrano, ob­ wohl er Direktor der kgl. Militär-Akademie zu Brüssel ist.1 S. 103 zählt er die wichtigsten Städte Deutschlands nach Kreisen auf. Es heißt da von Schwaben: „En el de Suevia: Ulm, Eising (Eß­ lingen), Baden Burgau y Kempten.8 Augsburg kennt er nicht. Mit München geht es übrigens genau so. Dafür bringt er beide Städte auf dem beiliegenden Kärtchen, wobei er übrigens sehr großzügig die Orte verlegt, so z. B. Friedberg an die Donau in die Nähe von Neuburg. Auch sonst zeigt er sich nicht sehr unterrichtet: dem Elsaß gibt er den Beinamen Vindelicien usw. Als Sonderling in seinen Schriften und auch in seiner Lebens­ führung war weit bekannt der holländische Philosophieprofessor Johannes Luyts.2 Er war unter anderm ein eifriger Anhänger der aristotelischen Lehre und ein heftiger Gegner des Cartesius. Trotz­ dem er auch in seinem geographischen Handbuch3 manchmal abwegig erscheint, fällt das Lob, das er der Stadt Ulm spendet in ver­ stärktem Maße auf unser Augsburg zurück: „Ulm, magnifica, ampla, valida post Augustam Vindelicorum Sueviae prima urbs.“ Den 3. Band seines umfangreichen geographischen Werkes4 wid1 2 van 3 4

Nueva Descripcion del Mundo y sus partes. Bruselas 1690. 1655—1721. Vgl. über ihn: Jöcher, Gelehrtenlexikon. Bd. 2. Sp. 2617 u. A. J. der Aa, Biogr, Wordenboek. Vol. XI. p. 751. Introductio ad Geographiam novam etveterem.Trajecti ad Rhenum 1692. p.297. La Geographie ancienne, moderne et historique. Paris 1694. T. III. p. 167 s.

93 met Jean Baptiste d’Audif fret,1 ein vielgereister französischer Diplomat und Geograph, Deutschland. In eigenartiger Weise ver­ bindet er dabei Historie und Geographie. Die Stadt Augsburg be­ handelt er am Schlüsse des Kapitels Bistum Augsburg, von welchem er eine ausführliche Geschichte gibt. „ Augsbourg est situee au conflans du Lech et du Wertach dans une grande plaine: c’est une des plus grandes et des plus riches villes d’Allemagne, ses fortifications sont antiques et consistent en des bastions plats avec un fosse piein d’eau.“ Das ist alles, was er von dem äußeren Eindruck der Stadt erwähnenswert hält. Eine kurze Entwicklungsgeschichte von Augs­ burg folgt darauf; auffallend ist dem Franzosen das paritätische Regiment und den Schluß macht die unvermeidliche Erwähnung der Confessio Augustana: „Augsbourg est celebre pour la confession du foi.a Eine besondere Aufmerksamkeit widmet der italienische Minoritenpater Marco Vincenzio Coronelli2 unserer Stadt. Er ist berühmt als großer Kartograph und Geograph, dem seine Zeit viel zu verdanken hat. Interessant ist darum auch sein Urteil über Augs­ burg.3 Auf leidlich guten Wegen kam er auf einer „vettura assai commoda per dieci persone, tirata da quattro grossi cavalli“ von München nach Augsburg. Er gibt zuerst eine genaue geographische und klimatische Beschreibung der Stadt: „il suo clima e salubre e produce tutto il suo necessario.“ Im folgenden läßt er die innere und äußere Geschichte der Stadt und des Bistums bis auf seine Zeit ziemlich ausführlich vor unserem Auge entstehen und fährt dann fort: „Pretendono gli habitanti, che Augusta sia la piü bella cittä di tutta la Germania e piü grande di Norimberga ma non tanto populata. Hä strade larghe, lunghe e dritte, case in buona parte di­ pinte, anche da celebre pennello e con istorie erudite, ben addobate e fornite di deliciosi giardini. Le muraglie della cittä sono antiche, fran molte forti, fosse profonde e larghe, riempite d’acqua e in qualche luogo bastioni e mezze lune, che la rendono forte . . . Hä tredici porte“ — davon bewundert er den Einlaß besonders — „Ventisette si contano chiese cattoliche in questo cittä, officiate con molta esemplaritä e quando conviene par la processione col sacramento. Non potendosi evitare l’incontro de Protestanti, si cavano 1 1657—1733. -Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. III. p. 603. 2 1650—1718. Vgl. über ihn Nouv. Biogr. generale. Vol. XI. p. 906. 3 Viaggi. Venetia 1697. P. I. p. 156—164.

94 alla di lui vista il cappello.“ Er zählt dann die Hauptkirchen auf, dabei findet er auch die sieben protestantischen Kirchen „assai belle e piü di tutte quella de St. Anna.“ Uneingeschränkt bewun­ dert er auch den wohltätigen Sinn der Augsburger. Die Einwohner­ zahl, die vor dem 30 jährigen Krieg 80000 betragen habe, schätzt er nach Angaben auf ca. 20000. Weiterhin erzählt er: „Sono questi ingenui di parole e di fede, professano tutta la civiltä e cortesia. Vivono nelle case loro con lustro, sono di raffinato ingegno e nelle arti si liberali che mecaniche. La delicatezza e la patienza, colla quäle torniscono Pavorio e marovigliosa, basta dire, che incatenano insino i pulici per collo. Nelle manifatture d’argento non vi e stato, ne vi sarä chi possa imitarli: sono excellenti nel lavoro degli orologi, e non e, che un opinione il lasciar quelli per provedersene in Inghilterra.“ In seiner Begeisterung für das Kunsthandwerk findet er fast kein Ende. Auch die Tracht gefällt ihm, namentlich die der Damen, welche er für sehr sittig und anständig hält. An Sehenswürdigkeiten erwähnt er die Kunstbrunnen „di mirabile struttura“, das berühmte Wasserwerk „con artificio stupendo“, das wunderschöne Rathaus „d’architettura moderna e riccamente ornato“, das Zeughaus mit seiner „porta maestosa“, das Fugger­ haus. Auch sonsten hat er sich in der Stadt umgesehen, sogar auf ihren Märkten. „Meritano ancora d’essere vedute le Piazze assai ample, nelle quali ogni lunede e venerdi si fa mercato di gran concorso, la casa de’panatieri, il macello, i granai publici, la zecca usw.“ Ganz begeistert ist er vollends von der Bibliothek „assai spatiosa ornata di quantitä di libri e manoscritti rari.“ Den großen Verkehr, der durch und von Augsburg geht, und seine Bedeutung hebt er am Schlüsse hervor: „Ogni settimana da questa cittä e sono pronte per ogni luogo dell’Europa carrozze, calessi ed altre commoditä di cavalli; e per la condotta delle mercantie carri ed altre vetture, essendo il centro della Germania e della corrispondenza di tutti i negotianti per quäl si sia paese. In somma si puo dire, che Augusta sia Pocchio destro delP Imperio e la scala dell’ Italia.44 (Augsburg, das Auge des Reichs und der Zugang zu Italien.) Zu­ letzt gibt er auch empfehlenswerte Gasthäuser an: Grappo d’Uva (Traube), il Cavalletto (Goldenes Roß) e la Corona (drei Kronen) und fügt bei „molte altre ancora se ne trovano sparse per la cittä di manco spesa.“ Einer der vielen königlichen Geographen Frankreichs, De La

95 Croix, hat ein umfangreiches Werk verfaßt, das Hieronymus Dicelius verdeutschte.1 Nachdem er die geographische Lage Augs­ burgs bestimmt hat, gibt er ein ruhiges, aber sympathisches Urteil über die Stadt ab: „Die Stadt Augsburg liegt an einem Arme des Flußes Lech und dem Wasser Werd, mit dem nach Mainz gehörigen Bistume. Die Luft ist da rein und gesund, das Erdreich fruchtbar an allen Sachen. Es gibt breite Gassen darinnen, schöne Brunnen, große Märkte, zierlich gebaute Häuser, reiche Inwohner wegen ihrer Handlung und Einkünfte und eine überaus große Menge Gold­ schmiede und Handwerksleute, die sehr rare Sachen verfertigen, welche man zu uns in Teutschland bringet. Ihre zwei Zeughäuser sind mit allerhand Kriegsmunitionen, die gemeinen Kornhäuser mit Getreidig versehen und die Hospitäler reich und wohl versorget. Die Katholiken und Lutheraner haben ihr frei Religionsexercitium, so diesen letztem anno 1648 durch den Osnabrückischen Friedens­ schluß bewilliget worden.“ Unter dem Pseudonym Talander gibt August Bohse2 eine freie Uebertragung der Reisen des Claude Jordan.3 Allerdings ist das Werk nicht als praktisches Reisehandbuch gedacht, da seine systematische Einteilung eher zum Nachschlagen oder gar zum ein­ gehenden Studium drängt. Er zählt die Reichsstädte und zwar die der schwäbischen Bank eigens auf. Von Augsburg erzählt er: „Augspurg ist durch Kaiser Augustus also genennet worden . . . Sie ist eine von den größten und prächtigsten Städten in Teutschland: alle ihre public-Gebäude seynd vortrefflich und die Anzahl der schönen Springbrunnen... machetihre Gassen über die Massennett.“ Das ist kurz und summarisch alles, was von Augsburg zu sagen ist. Einige historische Notizen vom Reichstag 1530 etc. machen den Beschluß. Unter dem Pseudonym Ferdinand Neoburgus hat der Rektor J oh. Keilhacker4 zum „Ergötzen und Nutzen“ der Leser ein geo1 Geographia universalis. Das ist allgemeine Welt-Beschreibung. Leipzig 1697. Th. 2. S. 170. 2 1661—1704, vgl. K. Goedeke, Grundriß der deutschen Dichtung, 2. Aufl. Dresden 1886. Bd. 2. S. 510 Nr. 317. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 3. S. 84. Beck­ mann Bd. I. S. 284 ff. 3 Curieuse und Historische Reisen durch Europa. Leipzig 1698. S. 977* 4 Jöcher, Gelehrtenlexikon. Bd. 2. Sp. 2056. E. Weller, Lexicon Pseudonymarum. Regensburg 1886. S. 382.

96 graphisches Handbuch1 verfaßt. Er bringt nur einen konven­ tionellen Bericht: „Augspurg, die vom Kayser Augusto also genennet wird, als welcher Colonien hieher geschicket, die den vormahl rauhen Ort befestigen und wider den Feind bewahren müssen. Die Stadt ist groß und wegen der vielen Künstler berühmt.“ Auch hier beschließt die Erinnerung an den Reichstag von 1530 die Darstellung. Ein Reisender, der mit außerordentlich kritischen Augen die Welt betrachtet, ist Maximilian Misson.2 Seine Reiseeindrücke schil­ dert er in Briefen,3 die öftere Auflagen im Druck erlebten. Seiner Schilderung Augsburgs gibt er eine Ansicht des Rathauses mit dem Perlach und einige Trachtenbilder Augsburger Frauen bei. Der Bericht über unsere Stadt ist von Augsburg, den 2. Dezember 1687 datiert. Von Neuburg her nähert er sich unserer Stadt: „Tout le pais es fort agreable et fort bon entre Neubourg et Ausbourg, excepte dans les aproches de cette derniere ville, oü les terres sont marecageuses et steriles. Ceux d’Ausbourg pretendent que leur ville est la plus belle de toute l’Allemagne: ils disent aussi qu’elle est plus grande que Nuremberg, mais ils avouent quelle est beaucoup moins peuplee. Elle l’estoit beaucoup dans le temps que le commerce etoit florissant, et avant que la guerre et la peste Teussent ravagee.“ Er nennt dann einige Zahlen über die Opfer, welche Pest und Krieg dahinrafften und fährt fort, allerdings nicht mit un­ eingeschränktem Lobe: „Si les rues en sont plus larges et plus droites, il est certain que les maisons n’en sont pas generalement si belles. Elles sont communement plastrees et blanchies par dehors, ou chargees de peintures: je n’en ay vü que fort peu de pierre de taille. Presque tout le pave des chambres, est d’un certain marbre jaunastre, qui vient du Tirol, et les plafonds sont ou de menuiserie ä compartimens, ou d’un certain ciment qui prend un beau poli et qui dure beauconp. Mais il y a une fort grande irreguralite dans toute leur maniere de bastir: la pluspart des chambres biaisent en figures qui n’ont point de nom; et elles sont encore gastees par la mauvaise disposition des escalieres, qui en emportent un grand coin.“ Im fol­ genden gibt er eine kurze Geschichte der Stadt, erwähnt einzelne Römerfunde, verwundert sich über die streng paritätisch geglie1 Curieuser Hoffmeister geographisch - historisch- und politischer Wissen­ schaften. Leipzig 1698. S. 1182. 2 f 1722. vgl. Nouvelle Biogr. generale. Vol. 35. p. 674. 3 Nouveau Voyage d’Italie. 3. edition. La Haye 1698. T. 1 p. 96 ff.

97 derte Verfassung der Reichsstadt und ist erstaunt über den wohl­ tätigen Sinn der Bürger, der so viele Hospitäler hat erstehen lassen. „La Maison de ville est un grand bastiment quarre de fort belle pierre de taille. Le portail est de marbre . . . La grande salle est tout a-fait magnifique . . . Mais le plafond est ce qu’il y a de plus beau . . . Tout cela est si bien ordonne et si bien execute, qu’on ne se peut lasser de le considerer. L’Arsenal est fort grand. Les deux sales d’enbas sont pleines de canon . . . Le Commerce d’Ausbourg a diminue; en mesme temps que celuy de Hollande s’est augmentee. Presque toutes les marchandises qui venoient de la mediterranee, abordoient autrefois ä Venise et passoient de Venise ä Ausbourg, d’oü elles se repandoient par toute l’Allemagne. Mais la Holiande enleve tout et distribue tout: et Ausbourg en pätit aussi bien que Venise, Milan, Anvers et une infinite d’autres villes qui sont presentement aussi pauvres, qu’elles out ete riches.“ Er kommt dann rein berichtend auf die Ereignisse des dreißigjährigen Krieges zu spre­ chen, besucht den Saal in der bischöflichen Residenz, wo die Con­ fessio Augustana überreicht wurde; am Dom findet er nur das Bron­ zetor beachtenswert. Und fährt dann fort: „On n’est pas moins ingenieux ä Ausbourg, qu’ ä Nuremberg.“ Besonders bewundert er die köstlichen Uhren, die Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten, welche von kunstvollen Meistern in Augsburg verfertigt werden. Erstaunt ist er über die wechselvollen Trachten, die vom Magistrat für jeden Stand vorgeschrieben sind; sie gefallen ihm so gut, daß er sie für den Leser im Bilde wiedergibt und ausführlich beschreibt. Zum Schlüsse lobt er das gute Trinkwasser, das durch kunstvolle Wasserwerke über die ganze Stadt verteilt wird und vergißt nicht die Brunnen zu erwähnen, die ihm besser gefallen als die Nürnberger. Misson wollte den allgemeinen Eindruck, den er über Augsburg gewonnen hat, seinen Lesern mitteilen; deshalb vermissen wir im Gegensatz zu andern Reisebeschreibungen ein ausführliches Ein­ gehen auf die Sehenswürdigkeiten. Sein Urteil ist eben deshalb kulturhistorisch recht interessant. „Es ist männiglich bekannt und gibt die tägliche Erfahrung ge­ nugsam zu erkennen, was das Reisen für ein nützliches Ding sei und einem Menschen in vielen Sachen dienen könne.“ Also leitet der weitgereiste Ulmer GymnasialrektorEberhardRudolfRoth1 1 1646—1715. Vgl. Jöcher, Gelehrtenlexikon. Bd. 3. Sp. 2248.

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98 sein vielfach aufgelegtes Buch1 zum Nutzen und Frommen der Reisenden ein. „Diejenigen, die aber daheim wider Willen bleiben müssen, können sich dessen auch bedienen, und was Notables fast von allen Städten . . . Europae vorkommet, einige Wissenschaft machen und erlangen, daß sie von allerhand denkwürdigen Sachen also discurieren mögen, als wann sie die Örter selber gesehen hätten. “ Mit viel Gelehrsamkeit hat Roth überall den Stoff zusammenge­ tragen und mit gar hübschen Karten sein Werk schmücken lassen. Sein Text über Augsburg erinnert uns an verschiedene Vorgänger. Die Nachbarstadt Augsburg ist „ihm eine große und überaus schöne Reichsstadt auf einem lustigen Bühel am Lech gelegen . . . hat... eine gesunde Luft und ist der Boden herum gar eben und fruchtbar und wird mit anmutigen Bächen von lauterem und klaren Brunnen­ wasser begossen und ist mit den schönsten Gärten und Lusthäusern gezieret. Die Erde allhierhat diese Eigenschaft, daß sie keine Ratze leidet.“ Als erste Sehenswürdigkeit wird genannt „die bischöfliche Hauptkirche zu unser Frauen“, bei welcher „zu besichtigen ist der Turmknopf . . . samt dem Kreuz und dem Hahnen, so 309 Pfund wieget.“ Des weiteren wird eine Zahl anderer Kirchen erwähnt und das „prächtige Rathaus“ beschrieben.“ Bei dem Rathaus steht der „köstliche Perlachturm . . . nicht weit davon . . . ein zierlicher Brun­ nen. “ Sonst wird noch genannt das Zeughaus, der Einlaß, ein „schönes und wohlgeordnetes Werk“, Zwinger und Wälle, „das künstliche Werk“ des Wasserturmes, die Fuggerei „schier einer kleinen Stadt vergleichbar“ und zum Schluß erfahren die beiden Bürgermeister, die er wohl persönlich kennen gelernt hat, sein Lob: „alle beide sind hochverständige, gelehrte und kluge Männer, daneben sehr human, freundlich und gesprächig.“ Eine Übersicht der bekannten Reiserouten, darunter sind mehrere über Augsburgführende, schließt sich seinen Ausführungen an, die beschlossen werden durch einen Anhang: „Reisender Pferdecur, allen zu Pferde Reisenden sehr nützlich bei sich zu führen“, welcher vom veterinär-medizinischen Standpunkt manches Interessante bieten dürfte, besonders durch Anführung einer Anzahl von Hausmitteln, „deren die Reysende im Notfälle und Mangel eines Medici sich selber bedienen können.“ Aus dem Jahre 1699 besitzen wir ein kleines, aber ganz vortreff1 Memorabilia Europae Oder Denckwürdigste Sachen, Welche ein Curioser Reysender in den fürnehmsten Städten ... zu observieren hat. Ulm 1698. S. 32 ff.

99 liches Nachschlagewerk1 über die europäischen Staaten, das natürlich seiner Bestimmung gemäß nur wenig selbst über die größ­ ten Städte berichten kann. Es heißt da über Augsburg: „Augspurg in Schwaben, eine der allerschönsten und reichsten (Städte) . . .; sietreibt starkeHandlungen mit allerhand Silbermanufakturen nach Italien und sonst inTeutschland. Hat aber einen gefährlichen Nach­ barn an Chur-Bayern.“ DerGeographD.Martineau du Plessis äußert2 sichsehrfreundlich über Augsburg: „Augsbourg sur le Werdach qui un peu au dessous se jette dans le Leck est une des plus grandes et des plus belles villes d’Allemagne.“ Dem Katholiken fällt besonders die gegenseitige Achtung der beiden Konfessionen auf: „Les catholiques y font leurs processions et portent mesme l’hostle en public, ala quelle les Lutheriens ostent ordinairement leur chapeau . . . Celle ville a este fort marchande . . . mais aujourd’hui ce commerce est peu de chose . . . En un mot la plus grande richesse de cette ville consiste en ouvrages d’orfevrerie, d’horologerie et d’ivoire qu’on y travaille bien. Les principales choses qu’on remarque dans Augsbourg sont 1’ Hostel de ville, qui est tout äfait magnifique: 1’ Arsenal qui est tres bien f ourni et le Palais de l’Evesque qui est fort beau.“ Die Erinnerung an den Reichstag von 1530 beschließt die Darstellung. In einem eigenen Werk 3 beschäftigt sich mit Deutschland der später in England lebende Holländer Hermann Moll.4 Er gibt eine von der gewohnten etwas abweichende, aber rühmende Schil­ derung von Augsburg. „Ausburg is a famous city of great trade and the Capital city of Schwaben . . . The city is a Hanse town and has been honoured with many German Dyets.“ Erwähnung findet der Reichstag von 1530 und die Erteilung der Privilegien durch verschiedene Kaiser. Mit einer ausführlichen Einleitung „Von Nothwendig- und Nutz­ barkeit der Reise“ beginnt der Hamburger Verleger Benjamin Schiller sein praktisches Reisehandbuch,5 das allerdings wenig 1 Idea statuum Europae oder der Europäischen Reiche . . . Beschaffenheit. Cöln 1699. S. 85.

2 Nouvelle Geographie. Amsterdam 1700. T. I. p. 379. 3 The antient and present State of the empire of Germany. London 1702. S. 128. 4 gest. 1732. Dictionary of National Biogr. Vol. 38. p. 128. 5 Die vornehmsten Europäischen Reisen. Hamburg 1703. Der Verfasser ist nach dem Anonymen-Lexikon von Holzmann-Bohatta Bd. 3. Nr. 11756; Peter Ambros Lehmann (1663—1729). Über ihn vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 3 S. 147.

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100 selbständig, oft ungenau berichtet, aber in kurzen Sätzen doch das wichtigste bringt und gleich modernen Handbüchern Entfernungen, Poststationen und Hotels angibt. „ Augsburg eine schöne und uralte Reichsstadt an dem Lech® nennt er unsere Stadt; von histo­ rischen Ereignissen erwähnt er nur den Reichstag 1530, den die Protestanten immer gerne bei Augsburg anführen. „Hier fallen zu besehen vor . . . das prächtige Rathaus.® Ansonst führt er die ge­ wöhnlichen Sehenswürdigkeiten auf, darunter die „Jägerey in St. Jacobs-Vorstadt® statt Fuggerei. Als besondere Spezialität scheint der Verfasser die Numismatik zu betreiben, denn er erwähnt, „die Münz-Cabinetten“ der Fugger, Adolf Occo’s, Dr. Thomman’s und Dr. Welsch’s. Als weitere Merkwürdigkeit kommt auch hier die ver­ zerrte Ulrichssage : „ln dieser Stadt sollen dem Vorgeben nach keine Ratzen gefunden werden, zu welchem Ende man eine Gruft in der St. Ulrichs-Kirche daselbst weiset, wohin sie von diesem Heili­ gen verbannet sind.® Zum Schluß heißt es kategorisch: „Logiret in 3 Morianen.“ Wörtlich den nämlichen Text, mit Ausnahme der Ratten des hl. Ulrich, hat schon eine frühere Auflage dieses Werkes, das aller­ dings unter anderem Titel1 erschien, gebracht. Einer der vielen französischen Geographen dieser Zeit, Pherotee de la Croix,2 äußert3 sich wortwörtlich ganz im konventionellen Ton, den wir schon öfters vernommen haben. „C’est une ville tres ancienne. L’air y est pur et sain; le terroir fertile en toutes choses; les rues y sont larges, les fontaines belles, les places grandes, les maisons bien bäties, les habitans riches par leur commerce etc.® Der mit dem Titel eines*. Geographen des Dauphins ausgezeich­ nete A. D. Fer4 5gibt im Rahmen eines seiner Werke6 auch eine kurze Beschreibung unserer Stadt: „Ausbourg est une des plus belles villes d’Allemagne: eile est grande et bien batie; on y fait quantite d’ouvrages d’orfevrerie, d’horologerie et d’yvoire, qu’on y travaille fort bien.® Sonst weiß er nichts von der Stadt, außer der 1 Das geöfnete Teutschland, worinnen durch 10 Haupt-Reisen . . . die Post­ wege . . . gezeiget werden. Hamburg. 1700 S. 65. 2 Gest. ca. 1715. 3 Nouvelle Metode pour apprendre la Geographie universele. 2. ed. Lyon 1705. T. 4. p. 53.

4 Jöcher-Adelung, Gelehrtenlexikon Bd. 2 Sp. 1050. Dort heißt er Nicolas. 5 Methode abregee et facile pour apprendre la Geographie. La Haye 1706. p. 194.

101 immer wiederkehrenden Erinnerung an die Confessio Augustana und den Reichstag 1530. In seinem monumentalen Werke,1 an dem er 15 Jahre arbeitete und das in gewissem Sinne ein Vorläufer der großen Enzyklopädie genannt werden darf, hat der französische Akademiker Thomas Corneille,2 ein Bruder des Dichters Pierre, sich auch ziemlich ausführlich über Augsburg geäußert. Wir wollen jedoch nur die markantesten Stellen anführen. Nach einer kurzen geographischen Beschreibung der Stadt beginnt er: „Toutes les rues sout larges et droites, remplies de grands edifices, de belles eglises et de riches magasins de toutes sortes de marchandises, ce qui rend Ausbourg une ville d’un tres grand trafic et oü il y a le plus d’artisans qui font ses petites curiositez, qui nous viennent d’ Allemagne.“ Aus­ führlich betont er dann die Bedeutung Augsburgs als Handels- und Stapelplatz und nennt dann verschiedene Sehenswürdigkeiten und zwar so originell, daß man fast annehmen muß, er habe sie selbst gesehen. So den Dom: „L’eglise episcopale de Nötre-Dame, grande danstout ce qu’elle contient, et ornee de deux hauts clochers et de deux choeurs . , . est presque ä l’un de bouts de la ville au bien le plus eleve.“ Ein historischer Rückblick rundet das Bild, das wir von Augsburg erhalten, ab. Zum Schlüsse nennt er noch einige ihm be­ kannte Augsburger Gelehrte: Wilhelm Xylander und den Jesuiten­ pater Jeremias Drexel. Unter dem Pseudonym Melissantes gibt Joh. Gottfr. Gre­ gor ii3 ein kurzes Urteil über Augsburg4: „Augspurg in deren Gegend die Vindelici gewöhnet haben, eine große, reiche, schöne und feste Stadt am Fluß Lech . . . Man kann eben dasjenige von Augspurg sagen, wie von Nürnberg, daß sie sei Regina urbium, eine Königin unter den Städten dieses Kreises“. Obwohl Gregorii schon von seinen Zeitgenossen vielfach der Oberflächlichkeit be­ schuldigt wurde, fanden seine Werke doch einen großen, weitver­ zweigten Leserkreis. Aus kleinen Anfängen hat sich unter Erdmann Uhse’s Re­ daktion ein beliebtes, geographisches Nachschlagewerk zu einem 1 Dictionnaire universel, geographique et historique. Paris 1708. T. I. p. 244. 2 1625—1709. Vgl. La grande Encyclopedie. Vol. 12. p. 997. s 1685—1770. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 9. S. 630. 4 Geographia novissima specialis. Das ist neue Welt-, Land- und Städtbeschreibung. Frankfurt 1708. Th. II, S. 1219.

102 mächtigen Folianten entwickelt.1 Das Hauptgewicht hat Uhse auf die historische Darstellung gelegt, der gegenüber die Schilderung der einzelnen Sehenswürdigkeiten stark zurücktreten muß. So auch bei Augsburg, wo wir nach einer langatmigen historischen Einfüh­ rung, welche bis auf die Zeit des Verfassers geht, endlich zum Rat­ haus kommen, das „ein sehr schönes, viereckigtes, von Steinen aus­ geführtes Gebäude“ ist, in welchem „der große Saal über alle Massen prächtig ist“. Als weitere Sehenswürdigkeit wird das Zeug­ haus genannt, wo „sonst eine lederne Feldschlange zu sehen war, welche 26 Schuh lang, und sechs Pfund schwere Kugeln schoß. Auf derselben waren die Worte zu lesen: Mein Kugel sechs Pfund Aisen schwer, Fünf viertele Pfund ich treibe vor Zweihundert Schritt; an Gewicht halt ich Sieben Zentner, ain Pferd zeucht mich; Bin lang zwanzig Schuhe, ungegossen, ungeschmidt Maines gleichen findet man nit.“ Außer dem Einlaß werden noch einige Kirchen genannt; zum Schluß heißt es: „In Augspurg sollen keine Ratzen gefunden wer­ den, und weiset man in der St. Ulrichs-Kirche eine Gruft, wohin selbige von dem H. Ulrico verbannet sein“. Kurz aber mit einigen treffenden Schlagworten charakterisiert der Jesuit Joseph Perbegg2 in einer Festschrift,3 seinen jungen Grazer Doktoranden gewidmet, unsere Stadt. „Augusta Vindelicorum emporio nobilis, bibliotheca percelebris, et quae pauperum cura unice gerit. Ab hac urbe nomen fert Augustana confessio seu, quod idem est, fidei quidam articuli, quos protestantes Carolo V. Caesari tradidere.“ In den Jahren 1717/18 machte der bekannte Hallenser Philan­ throp August Hermann Francke4 eine Reise ins „Reich“. Zweck derselben war seine Erholung und die Anknüpfung und Pflege persönlicher Bekanntschaften. Erholung aber suchte er nicht in landläufigem, modernen Sinne dadurch, daß er .eine schöne Ge­ gend aufsuchte und sich dort in die Stille zurückzog, sondern in 1 Universal-, Geographisch-historisches Lexikon. Leipzig 1/10. S. 86—89. 2 1677—1728. cf. Backer-Sommervogel a. a. O. Vol. VI. p. 484. 3 Geographicum Europae compendium. Graecii 1712. S. 93. 4 1663—1727. Vgl. über ihn: August Hermann Francke. Ein Lebensbild darge­ stellt von G. Kramer. 2 Bände. Halle 1880.

103 der Befreiung und Fernhaltung von seiner täglichen Arbeitslast. Der zweite Gesichtspunkt war wohl für ihn von Anfang an der maß­ gebendere. Seine Tour durch das südliche Deutschland war wirk­ lich eine ausgesprochene Missionsreise, die seinen Lebensgedanken, Begründung und Förderung eines lebendigen Christentums, propa­ gieren sollte. Am 29. August 1717 warFrancke von Halle abgereist. InWürttemberg, namentlich in Stuttgart, hatte er sich längere Zeit aufgehalten; von Ulm her traf er am 21. Januar in Augsburg ein.1 Gleich am Tage nach seiner Ankunft trat so strenge Kälte ein, daß er gegen seine Absicht bis zum 8. Februar in Augsburg bleiben mußte. Er stieg im Hause des ihm bekannten Johann Gullmann ab. „Wird folgenden Tags durch zwei Deputierte vom evangelischen Magi­ strat bewillkommnet und um eine Gastpredigt ersucht, welche auf Mittwoch zu verrichten . . . Am 23. Januar kommen beide Herrn Seniores und ersuchen ihn obenmäßig um die Predigt.“2 In einem Briefe an seine Frau vom 30. Januar erzählt er davon weiteres3: 4 „Es ist, als ob es den Augsburgern ins Herz gegeben wäre, mich nach der Ulmischen Adversität zu trösten, und ist vom 22. an kein Tag vergangen, da nicht jetzt der Magistrat, jetzt die Ministeriales, jetzt andere sich bemühet, mir alle ersinnliche Liebe zu beweisen, welches mir alle Liebe versüßet hat.“ Die Gastpredigt war außer­ ordentlich zahlreich besucht trotz der strengen Kälte und der langen Zeit, über zwei Stunden, die Francke predigte. Darüber er­ zählt er seiner Frau in dem erwähnten Briefe: „Es zeigt sich auch immer mehr, was die am Mittwoch gehaltene Predigt für einen Eingang gefunden. Gestern hat mich’s recht afficiert, daß ein Prediger1 so große Freude hatte, daß ich, da seine Frau ihm einen Sohn ge­ bracht, noch hier war und er mich zum Taufzeugen nehmen könnte. Das Kind ward August Hermann Jakob genannt ... Weil eine Predigt vorher gehalten wurde, blieb die ganze Gemeine da und sah dem Taufakt zu und schien eine große Bewegung zu sein, weil ich ihnen schon von der Predigt bekannt war.“ Den Eindruck, den 1 Vgl. über den Aufenthalt Franckes in Augsburg: „Franckiana“ 4C Cod. 137. Landesbibliothek Stuttgart u. G. Kramer a. a. O. Bd. II. S. 254 ff. 2 4° Cod. 137 Blatt 25. 3 Kramer a. a. O. S. 255. 4 4° Cod. 137 p. 25: „Dem Diaconus Degmair hat er nebst der Residentin von Garben einen Sohn aus der Tauf gehoben.“

104 Franckes Auftreten in Augsburg machte, war groß und nachhaltend. So äußerte sich die Volksstimme, wie Kramer1 berichtet: „Wenn man ihrer 14 Predigen zusammenschmelze, so käme nicht ein solcher Mann heraus.“ Übrigens benützte er, wie Kramer berichtet, seine Zeit trotz der großen Kälte, die mannigfachen Anstalten etc. der „merkwürdigen“ Stadt zu besichtigen, so das Gymnasium St. Anna, die protestantischen Schulen, das Waisenhaus, die Armenhäuser, das Zuchthaus und die Hospitäler, wo er überall Ansprachen hielt. Dabei fand er „am 5. Februar im Zuchthause einen Menschen, der vor 15 Jahren bei den Anstalten (in Halle) im Kupferstechen ge­ braucht. Der arme Mensch freute sich dieses Zuspruchs.“ .. .Francke „zeigte diesem Menschen mit Nachdruck doch mit großer Liebe an, daß ihm nicht sowohl seine Schuld, als die Verachtung des gehörten Wortes Gottes hieher gebracht.“2 „Auch um seinen Rat wurde Francke angegangen, den er bereitwilligst erteilte, wie er gerne an­ genommen wurde. Auch fehlte es nicht an Einladungen sowohl von Seiten einzelner Personen als auch auf Veranlassung verschiedener Behörden zu Gastmählern, die Francke stets zu geistlicher Wirk­ samkeit benutzte. Zu einer zweiten Predigt . . . kam es . . . nicht.“3 Auch berichtet er in seinem Tagebuche, daß er „auf vieles Bitten und Flehen derer, die um ihn waren“, sich von einem Maler Vogel4 portraitieren ließ.5 Allein die Zeit in Augsburg war um. „Nunmehr langten von Halle Briefe an, die ein großes Verlangen nach der Heimkunft bezeugten. Den 8. Februar reisen sie von Augspurg nach Höchstädt. Den 9. besehen sie unterwegs bei heftiger Kälte den Platz, da 1704 die Schlacht geschehen.“6 Ein schönes englischesWerk7 in Riesenformat bringt eben­ falls eine Schilderung Augsburgs, die sich allerdings auf frühere Quellen stützt. Getreu dem Titel enthält es zuerst eine ausführliche historische Darstellung über die wichtigsten Ereignisse, die haupt1 a. a. O. S. 255. 2 4° Cod. 137 Bl. 25 v. 3 Kramer a. a. O. S. 256. 4 Bernhard Vogel (1683—1737), bekannter Kupferstecher. Vgl. Nagler, Künstler­ lexikon. Bd. 20. S. 478. Wir besitzen von ihm einen Kupferstich mit dem Porträt Franckes. 5 Kramer S. 256. 6 4° Cod. 137 Bl. 25 v. 7 A new General Atlas containing a geographical and historical . . . account of all the Empires. London 1721. p. 100 f.

105 sächlich beim Reichstag 1530 verweilt. Die Beschreibung der Stadt ist zum Teil wörtlich französischen Vorgängern entnommen. Wir hören da, daß „the Streets very large, the Houses are beautiful and many of ’ern painted on the Outside“ sind. „The Cathedral, Churches,Townhall, Conduits and other public Buildings are magnificent.“ Weiter wird erwähnt die Fuggerei und das Rathaus, dem eine ausführliche Beschreibung gewidmet ist. „The Townhall is reckon’d the second to that of Amsterdam.“ Das Zeughaus wird „the best Magazine in Germany“ genannt, was allerdings zu dieser Zeit, als es bereits durch die Bayern ausgeplündert war, nicht mehr stimmte. Des weiteren werden noch lobend geschildert der Dom und die reichen Wohltätigkeitsanstalten. Rühmend wird hervorge­ hoben die Liberalität des Rates gegen die Juden. Dazwischen erfahren wir von dem Wasserreichtum, den Wasser­ werken und schönen Brunnen der Stadt, von der Bedeutung ihres Handels und Gewerbes, wobei die Mechaniker, Uhrmacher und Goldschmiede besonders hervorgehoben werden. Sein antiquarisches Interesse bekundet der Verfasser durch Anführung von Münzen und römischen Denkmälern. Die Bibliothek nennt er: „A Library famous for a good Collection of Manuscripts, which Conringius equals to that of Vienna.“ Einen ausführlichen Bericht über Augsburg bringt das große, sechs Folianten umfassende „Allgemeine historischeLexicon“ (Leipzig bei Thomas Fritsch 1722) Bd, I. S. 267. Wörtlich druckt Jabob Christoph Iselinin seinem „Neu vermehrten Historisch und geographischen Allgemeinen Lexicon (Basel 1745) diese Aus­ führungen nach. Der Bericht ist rein historisch und gibt einen ganz guten Ueberblick über das geschichtliche Werden der Stadt. Nur der Anfang des Artikels beschäftigt sich nach bekannten Quellen mit der geographischen Lage Augsburgs. „Augspurg eine freie Reichsstadt in Schwaben, an dieses Landes äußerster Grenze . . . Sie liegt auf einem angenehmen Hügel ... sie ist mit einer gesun­ den Luft, lustiger Gegend und fruchtbarem Boden versehen und hat an allem, was zu einem bequemen Leben gehörig, Überfluß.“ In lebhaftem Frag- und Antwortspiel bewegt sich das Lehrbuch1 des Franzosen Le Coq. Hören wir, was seine Schüler über Augs­ burg wissen müssen. „Quelle est la Capitale de l’evesche d’ Aus1 Le parfait Geographe ou methode pour apprendre aisement la geographie. Paris 1723. T. 2. p. 22.

106 bourg?“ „Ausbourg . . . ville tres florissant sur le Leck, Lycus, dans les confins du duche de Baviere . . . Elle est aussi la capitale de toute la Soüabe et a ete rendue celebre par la confession de foi des Prote­ stant 1’an 1530.“ Auf einige andere historische Erinnerungen aus dem spanischen Erbfolgekrieg folgt die bereits bekannte Schilderung der Stadt selbst: „Elle est magnifique, bien bätie et assez bien fortifie. L’air y est pur et san, les rues sont larges et belles et on y trouve divers magasins remplis de toute sortes de marchandises. La Maison de Ville passe pour un chef-d’oeuvre. On voit au-devant une tres belle fontaine, qui a milieu de son bassin la statue de Tempereur Auguste de bronze avec autres figures de metal. L’Arsenal merite d’ etre vü.“ Einen sonderbaren Titel hat das zehnbändige, geographische Werk1 des bayerischen Hofrates Johann Joseph Pockh.2 3Kurz und gut im Sinne seiner Vorgänger berichtet er über Augsburg als „eine große und schöne Stadt, die vor Zeiten einer der vornehmsten Handelsplätze in Europa war, ehe die Portugiesen die Schiffart um Afrika herum erfunden haben, weilen damalen alle Ost-Indische Waren durch das Adriatische Meer nach Venedig und von da über Augspurg durch ganz Teutschland verführet worden; deswegen es dann in alten Zeiten allhier Bürger gegeben, welche nicht nur allein ein, sondern vielmal 100000 fl. im Vermögen gehabt. Sie ist zwar noch jetziger Zeit eine vornehme Handelsstadt, doch nicht mehr in solchem Flor wie vor alten Zeiten. Inzwischen findet man allda ein ansehnlich gebautes Rathaus von neuer Manier/4 Als besondere Merkwürdigkeiten werden dann noch aufgezählt: „die schönen wei­ ten Gassen und vornehmen Plätze“, die „kostbaren4* Brunnen, die Tore, das „vortrefflich wohlgebaute Zeughaus“, die Hauptkirchen, der Perlach und der Einlaß. Bemerkenswert findet er auch die strenge Parität. Ein für die damalige Zeit recht praktisches und handliches Reisebüchlein „aus den bewährtesten Scribenten hervorgesucht*43 1 Der politische Catholische Passagier durchreisend alle hohe Höfe, Republiquen, Herrschaften und Länder der gantzen Welt. 2. Auflage. Augspurg 1724. Teil 1. S. 1100 f. 2 1675—1735. Vgl. K. Baader, Lexikon verstorbener baierischer Schriftsteller. Augsburg 1824. Bd. I, 2. S. 148. 3 Der Curieuse Passagier, welcher in Compagnie getreuer Reissgefährten gantz Ober- und Niederdeutschland durchreiset. Leipzig 1725. S. 61. Als Anhang bringt das Buch eine Anzahl der wichtigsten Reiserouten durch Deutschland, von denen allein 30 von Augsburg ihren Ausgangspunkt nehmen.

107 bringt eine anschauliche Schilderung Augsburgs, die durch eine kleine Stadtansicht illustriert wird. Nach einem historischen Über­ blick heißt es da: „Augsburg ... ist heutiges Tags eine trefflich wehrhafte Stadt an Mauern, Türmen, Basteien, Gräben und allerlei Handgeschütz, dazu auch volkreich und an allen Gewerben sonder­ lich des Barchents und Bombesins sehr berühmt und vortrefflich. Die Polizei ist allda dermaßen wohl bestellt, daß man schwerlich etwas tadeln kann.“ An Sehenswürdigkeiten werden genannt: der Dom mit seiner Kunstuhr, St. Ulrich mit der Gruft des Heiligen, „dessen Erde alle Ratzen vertreiben soll“, die Anna- und Stephans­ kirche und eine Zahl weiterer Kirchen, das „schöne“ Rathaus, der „künstliche“ Perlachturm, der „seinen Namen von den Bären hat, die vor Zeiten allda in einer Gruben sind aufgehalten worden.“ Die Brunnen werden bewundert, die Wasserkunst, das Zeughaus. Als besondere Merkwürdigkeit wird angeführt, daß „anno 1415 die Gassen und Straßen erstlich zu Augsburg gepflastert worden sind.“ Einigejahre, die besonders billige Lebensmittelpreise zu verzeichnen haben, werden aufgezählt. Und den Beschluß macht die Schilderung der Pestjahre und der Belagerung durch die Schweden. Um die Verbreitung historischer und geographischer Kenntnisse hat sehr große Verdienste der bekannte Hamburger Schulmann Johann Hübner.1 Besonders seine Fragemethode fand so große Anerkennung in pädagogischen Kreisen, daß sie bald vielfach und gerne überall angewandt wurde. Deshalb kann es uns auch nicht gleichgültig sein, wie er in seinem Schulbuche unsere Stadt beur­ teilt.2 „Augspurg . .. liegt am Flusse Leck, hart an den Bayerischen Grenzen und ist groß, schön, feste und reich als eine Stadt in Deutsch­ land. Anno 1530 übergaben die Lutheraner an diesem Orte dem Kayser Carolo V. ihr Glaubensbekenntnis, welches dahero die Augspurgische Confession ist genannt worden. Die Stadt hat sonst großen Streit mit dem Bischof wegen der Religion, der doch im Westphälischen Frieden so beigelegt worden, daß alle Ämter in der Stadt zwischen den Evangelischen und Römisch-Katholischen sollen geteilet sein. Anno 1703 ward Augspurg von den Franzosen einge­ nommen und hart tractieret, aber anno 1704 wieder verlassen. Anno 1714 ward wegen der Contagion der Reichstag von Regenspurg nach Augspurg eine kurtze Zeit verleget.“ 1 1688—1731. Vgl, Allg. deutsche Biogr. Bd. 13. S. 267. 2 Kurtze Fragen aus der neuen und alten Geographie. Leipzig 1726. S. 413.

108 Auf die Schilderung von Museen und Kunstsammlungen be­ schränkt sich ein Werk,1 das ein gewisser Kaspar Friedrich Neickelius verfaßte, „dessen wahrer Name aber sodann offenbar wird, wenn man die erste Silbe zurückliest“, also Jenckelius und das der gelehrte Arzt Joh. Kanold-2 herausgab. Er zählt neben der „schönen publiquenBibliothek auch unterschiedlicheKunstkammem“ auf, nämlich die der Fugger, des Dr. Adolf Occo, des Dr. Thomann und Dr. Welsch, „deren Cabinetter bei Pri vat-Künstl em zu gesch weigen.“Im zweiten Teil nennt erAugsburg„eine Stadt,deren Einwohner fast lauter Künstler sind, dahero man in derselben bei sehr vielen berühmten Meistern sonderlich in subtiler Drechsler-Arbeit oftmals viele wundernswürdige Dinge zu sehen bekommt.“ Er erzählt dann von den mikroskopischen Spielereien, die wir schon von Misson her kennen. Im dritten Teil, der von den Bibliotheken handelt, erwähnt er auch die hiesige „herrliche Bibliothek, welche mit uralten Manuscriptis und gedruckten Büchern in guter Anzahl versehen ist.“ Be­ sonders hebt er hervor die griechischen Handschriften, welche die Stadt von Antonius Eparchus erworben hat. In seinem mit schönen Karten geschmückten Werke3 schildert der Geograph Abraham Dubois mit freundlichen Worten kurz auch Augsburg. „Augsbourg est une grande et belle ville . . . c’est une ville episcopale, forte, riche et fort marchande. Les deux Religions, la Lutherienne et la Catholique, y ont une egalite autorite et eiles partagent les emploies et les offices publics.“ Die Erinnerung an die Belagerung im spanischen Erbfolgekriege und an den Reichs­ tag von 1530 beschließt die Darstellung. Einen umfangreichen Artikel, der sich allerdings an frühere Dar­ stellungen anlehnt, widmet unserer Stadt das gewaltige Konver­ sationslexikon des 18. Jahrhunderts4, das der preußische Kommer­ zienrat J o h a n n Heinrich Zedier5 herausgab. „Augsburg ist auf einem angenehmen Hügel erbaut und hat gegen Morgen über dem Lech das Städtchen Friedberg, gegefn Mittag die Allgäuischen 1 Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff. . . der Museorum. Leip­ zig und Breslau 1727. S. 24, 184, 248. 2 1673—1729. Vgl. Allg. deutsche Biogr. Bd. 15. S. 80. 3 La Geographie moderne, naturelle, historique et politique. Leide 1729. T. 1. p. 254. 4 Großes, Vollständiges Universallexikon Aller Wissenschaften und Künste. Halle und Leipzig 1732. 2. Bd. Sp. 2172 ff. 5 1706—63. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 44. S. 741.

109 Alpen und das Städtchen Landsberg, gegen Mitternacht die Donau und gegen Abend stoßet sie an die Markgrafschaft Burgau. Die Luft daherum ist gesund, die Gegend lustig, das Erdreich fruchtbar, so daß sie an allem, was zu einem bequemen Leben gehört einen Überfluß hat.“ Wir sehen, dies Urteil ist nicht gerade originell, son­ dern uns längst bekannt. Auch im folgenden bringt Zedier nichts neues. Das Ganze ist eine mit zahlreichen Quellenzitaten belegte, kurze Geschichte der Stadt. Über ihre Sehenswürdigkeiten etc. kein Wort. Gleich einem zweiten Casanova hat Karl Ludwig Freiherr von Pöllnitz1 die Welt durchreist. In seinen Erinnerungen 2 er­ zählt er aus seinen bewegten Wanderjahren ein solches Durch­ einander, daß es ziemlich schwer ist, Wahrheit und Dichtung zu er­ kennen. Überall treffen wir ihn, gewöhnlich um eine Anstellung zu erhaschen oder sein Glück am Spieltisch oder in Liebeshändeln zu erproben; heute borgt er großzügig diesen, morgen jenen an, um schließlich zu verschwinden und als echter Kavalier noch den Wirt um die Zeche zu prellen. Daneben verstand er es, aus der Schrift­ stellerei Kapital zu schlagen. Den größten Erfolg hatte er dabei mit seinen Reiseerinnerungen, welche eine Rundreise durch Europa, die er in die Jahre 1729 bis 1733 verlegt, schildern. Außerordentlich geschickt aufgemacht bringt er Notizen über die hohe Gesellschaft und über die Sehenswürdigkeiten der besuchten Städte und mischt darein allerhand Klatsch. Sein Werk war „für die Kavaliere seiner Zeit, das was der Baedeker heute für die Touristen ist.“ Am 6. Januar 1730 kommt Poellnitz auf seiner Reise von Wien nach Straßburg auch nach Augsburg. Hören wir, was der Vielgereiste erzählt: „Das Land zwischen München und Augspurg ist ganz eben und wechselt immer ein wohlgebautes Feld mit einem Gehölz ab. Augspurg aber ist die Residenz eines Bischofs, doch dabei eine Reichsstadt und zugleich die vornehmste Stadt in Schwaben, auch eine der größten und schönsten in Deutschland. Ein kleiner Arm von dem Lechstrom fliesset mitten durch die Stadt und versiehet dieselbe im Überfluß mit Wasser. Die Straßen sind breit, gerade und sehr artig eingeteilet, die Häuser wohl gebauet und sehr viel davon gemalt.“ Dann folgen einige historische Notizen, die sich hauptsächlich auf die 1 1692—1775. Vgl. über ihn: Allg. Deutsche Biogr. Bd. 26. S. 397. 2 Nachrichten enthaltend was derselbe auf seinen Reisen besonderes angemerket Frankfurt 1755. 1. Theil. S. 369—374.

110 neueste Zeit beschränken. Den Baron interessiert besonders das hochadelige Domkapitel — war er doch selbst in der Hoffnung auf ein Kanonikat katholisch geworden, allerdings umsonst. Er fährt dann in der Beschreibung der Stadt fort: „Die Domkirche ist ein nach gotischer Art erbautes, dunkles und nichts weniger als schönes Werk, obgleich die Zierraten daran reich und kostbar sind. Das ansehnlichste Gebäude in der Stadt ist das Rathaus ... Vor dem Rathaus ist ein prächtiger Springbrunnen . . .“ Das ist alles, was der oberflächliche Reisende scheinbar von Augsburg gesehen hat. „Sonsten scheinet die Stadt Augspurg einige Gleichheit mit Ant­ werpen zu haben, sonderlich in Ansehung der breiten Gassen, dauer­ hafter Bauart, ja sie gleichte ehemalen und zu der Zeit, da die Venetianer noch Herren und Meister von den Comerciis waren, auch in Handel und Wandel derselben und war zu Augspurg recht die Niederlage von Waren, so man von dannen in einen großen Teil von Europa führet. Seitdem aber London und Amsterdam sozu­ sagen die Kaufhäuser von der ganzen Welt und der Handel zu Ve­ nedig in ziemliche Abnahme dadurch gebracht worden, so bestehet das mehreste Gewerbe von Augspurg in Gold- und Silberschmieds­ arbeiten, womit diese Stadt nicht allein ganz Teutschland, sondern auch Polen und fast überhaupt alle nordischen Länder versieht und bekommt man dieselbe auch wirklich besseren Preises als an an­ deren Orten, wird auch einem jeden, wann er nur das Maß dazu gibt, alles nach Wunsch gemacht. Immittelst und obgleich ge­ dachter massen der Handel zu Augspurg in ziemliche Abnahme gekommen, gibt es doch noch bis diese Stunde über die Massen reiche Häuser allda.“ Es folgt nun das Märlein vom Schuldschein Kaiser Karls V., den Fugger großherzig verbrannt hat. Zum Schlüsse finden wir den Baron in seinem Element: „Der Adel kommet ordinaire alle Abend im Gasthaus zu den drei Königen, woselbst ich logiert war, zusammen und geschiehet dies in einem großen mit Lichtern auf das schönste erhellten Saale, woselbst man spielet, nachhero zu Abend speiset und nach der Tafel sich mit Tanzen erlustiget. Ärgert euch nicht, daß der Adel in einem Gasthof zu­ sammenkommt. Dieser ist eines der schönsten Häuser in Teutsch­ land und das herrlichste Gasthaus in Europa,1 darinnen man über die Maßen propre bedienet wird und habe ich zweimal allda zu 1 Er meint damit wohl das Hotel Drei Mohren.

111 Abend gespeiset, mithin versichere ich euch, daß man nirgends wo in einem Hause besser tractieret werden kann.“ Wie sein Vater beschäftigte sich auch der gleichnamige Johann Hübner1 mit der Geographie. Von Augsburg berichtet er: „Eine schöne große, feste und reiche Stadt am Fluße Lech an den bayer­ ischen Grenzen. Es wohnen vortreffliche Künstler daselbst sonder­ lich von Silberarbeit und Kupferstichen. Das allersehenswürdigste in dieser Stadt ist das weltberühmte Rathaus . . . Inwendig ist der sogenannte goldene Saal verwunderungswürdig . . . Darnach ge­ höret unter die Raritäten auch der künstliche Einlaß/ Eine Be­ schreibung dieses technischen Wunderwerkes, das damals immer noch angestaunt wurde, gibt er in Form eines alten Augsburger Gedichtes. Sonst berührt Hübner nur noch den Reichstag von 1530, die Parität und als letzte Sehenswürdigkeit die Fuggerei. Ziemlich ausführlich beklagt er das Geschick der Stadt im spanischen Erb­ folgekrieg. Den Patrioten belustigt es, wie die großmäuligen Fran­ zosen nach der Niederlage bei Höchstädt klein und häßlich wurden: „Es hat mir ein guter Freund erzählt, wie ein Schwabe den Tag nach ihrem Abzüge mit acht solchen Eisenfressern und zwar zu Pferde, die er in der Flucht gefangen und mit Stricken zusammen­ gebunden, zum Stadttor hineingezogen ist.“ Vollständig auf Corneille’s Urteil beruht der lange Artikel über Augsburg, den das 10 Folianten umfassende Werk2 des kgl. spa­ nischen Geographen Antoine Bruzen La Martiniere3 bringt. Die aus den uns bereits bekannten Mitteilungen von Misson, Monconys, Patin, Audifret und Zeiller zusammengesetzte Abhandlung enthält gar nichts charakteristisches, was ihren Abdruck recht­ fertigte. Zu den umfangreichsten und gründlichsten Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts gehört die des Johann Georg Keyßler.4 Sie fanden starke Verbreitung in ganz Deutschland und wurden auch in verschiedene fremde Sprachen übersetzt. Seine Schilderungen sind in Form von weitläufigen Briefen abgefaßt. Sie verbreiten sich hauptsächlich über gelehrte und kunsthistorische Themen, verweilen 1 Vollständige Geographie. 3. Aufl. Hamburg 1736. Theil III. S. 323. 2 Le grand dictionnaire geographique et critique. Venise 1738. T. I. 683—686. 3 1662—1746. Vgl. La Grande Encyclopedie Vol. 8. p. 276. 4 1689—1743. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 15. S. 702. Sein Werk ist betitelt Neueste Reisen durch Deutschland. Hannover 1740. S. 81—87.



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gerne bei Kuriositäten und Spielereien, wie sie die damalige Zeit liebte, lassen im Sinne der beginnenden Aufklärung manchen Spott mit einfließen, ohne jedoch auf Klatsch zu verzichten. Wohltuend gegenüber der oft plauderhaft sich aufdrängenden Aufgeklärtheit, wirkt der offene Freimut und die patriotische Einstellung, die sonst in damaliger Zeit bei solchen polyhistorischen Köpfen recht selten anzutreffen ist. Beachtlich ist bei Keyßler, wie schon bei einigen früheren, die Betonung, daß Augsburg jetzt an Schönheit hinter München zurücksteht, Hören wir ihn selbst: „Als ich noch in Tirol war, wunderte ich mich zwar, daß in dem schönen Inntal kein Wein­ wachs anzutreffen war, hoffte aber dennoch solchen zu finden, so­ bald ich nur aus den bergigen Gegenden heraus sein würde. An Ebenen hat es nach solcher Zeit von Salzburg bis Augspurg nicht gemangelt und habe ich sonderlich von München her viel Holzung und Kornland ohne Berge angetroffen, allein der Mangel von Wein­ bergen hält noch immer an. Augspurg ist eine schöne Stadt, ob sie gleich München nicht gleich kommt. Ihre Handlung war sonst die stärkste in ganz Teutschland, mit dem Verfalle der venetianischen Handlung aber hat auch Augspurg viel abgenommen . . . Die An­ zahl der Catholischen nimmt übrigens in der Stadt immer zu und muß man ihnen auch dieses zum Lobe nachsagen, daß sie häuslicher leben und ihr Vermögen besser zu Rate halten. Beyderley Reli­ gionsverwandten kann man leicht an der Tracht unterscheiden. Das Rathaus wird vor das schönste in ganz Teutschland ge­ halten.“ Im folgenden gibt er dann eine eingehende Beschreibung des Rathauses, des Perlachturmes und der Brunnen und fährt dann fort: „In dem Bischofshofe (jetzt Regierung), der übrigens ein schlechtes Gebäude ist, zeiget man den Saal, worin das Augspurgische Bekenntnis dem Kaiser Carolo V. anno 1530 übergeben worden ist. Jetziger Zeit stehen nur alte Tische und Bänke darin. An der metallenen Thür der Domkirche ist unter anderen biblischen Historien vorgestellet wie die hl. Maria aus der Hüfte Adams die Eva erschaffet.“ Von St. Ulrich weiß er nur zu erzählen, daß die Erde vom Grabe des hl. Ulrich gegen Ratten als Abhilfe gebraucht wird. Als echter Aufklärer bezweifelt er die Sache, bzw. sucht sie «auf natürliche Wirkungen zurückzuführen. Von den sonstigen Gebäuden führt er als sehenswert an: „die hochgewölbte auf Art der Römisch-Katholischen bemalte Bar­ füßerkirche“, die „gute Bibliothek“, das Zeughaus, das Fuggerhaus

113 und die „löbliche Stiftung44 der Fuggerei. Er wendet sich dann aus­ führlich den spielerischen Kuriositäten, wie man sie damals liebte, zu: „Bei dem Herrn Cosmo Conrad Cuno habe ich nicht wenig Merkwürdigkeiten gefunden unter anderm vielerlei Stücke Holz, in deren innersten Teile man Kreuze, den Namen Mariä und an­ dere Wörter und Zeichnungen findet. Die Sache geht ganz natür­ lich zu und kommt von einem tiefen Einschnitt in die Rinde, so­ lange der Baum noch jung ist . . . Cuno besitzt ein kleines Stück von Barchent, den noch die Fugger 1461 gemacht haben. Ein größeres Stück wird auf dem Weberhause gezeigt. Er hat auch eine Sammlung von mehr als 70 Arten Vogelnester . . . Zarte Ar­ beit von Ketten, an deren etliche man Flöhe hängen kann, habe ich ebenfalls bei Cuno gesehen, nebst elfenbeinernen Kelchen, die einen frei umlaufenden Ring in der Mitte haben und so klein sind, daß man sie mit Mikroscopiis besehen muß und hundert derselben in ein hohles Pfefferkorn gebracht werden können.“ Solche und ähnliche Raritäten zählt er noch mehr auf. „Augspurg ist sowohl als Nürnberg wegen seiner sonderbaren Künstler jederzeit in großem Ruhm gewesen und fehlt es hier noch nicht an geschickten Leuten. Die Augspurgische Landkarten und Kupferstische . . . werden durch die ganze Welt verkauft. Der Raunerische Silberladen hat seines gleichen nirgends als zu London bei S. Paulikirche . . . Das so genannte Türkische und andere verguldete Papiere werden in unglaublicher Menge und zwar um so wohlfeilen Preis allein verfertiget, daß eine Person mit solcher Ar­ beit kaum einen halben Gulden verdienen kann.“ Von dem damals berühmten Augsburger Kunsthandwerk nennt er noch bewundernd die Erzeugnisse des Silbertischlers Mann, die Porzellanmalereien Seuters, die feinen Zinnarbeiten Obrechts usw. Unter den übrigen Einrichtungen der Stadt gefallen ihm die tech­ nischen sehr gut, der wundervolle und doch so einfache Mechanis­ mus des Einlasses, die Wasserwerke mit der Fülle guten Trink­ wassers. „Es mangelt der Stadt auch nicht an schönen Gärten, wo­ runter der Raunerische einen großen Umfang und viele Gebäude hat. Des von Rad Garten ist wegen der Aussicht wohl gelegen und mit einem Irrgarten versehen. In dem Gullmannischen Garten sind einige Wasserkünste und schöne schattige Galerien. Die Wasser­ werke sind noch besser in dem Scbauerischen Garten, in welchem auch ein artiges Vogelhaus angelegt ist. Der Herr dieses Gartens 8

114 ist wegen seines Balsams berühmt, welchen der Prinz Eugenius zu Anfang eines jeden Feldzuges in großer Menge verfertigen ließ.“ Hochbefriedigt verläßt Keyßler am 3. Juli nach fast einwöchent­ lichem Aufenthalt unsere Stadt, um nach Ulm weiterzureisen. „Der Weg von Augspurg nach Ulm ist meist sandig und die zweite Post wegen der Hohl- und Knüppelwege beschwerlich“, so klagt er zum Schlüße jämmerlich in der Postkutsche umhergeworfen. Das große neunzehnbändige Werk1 des englischen Gelehrten Thomas Salmon2 berichtet sehr ausführlich über Augsburg. (Wir zitieren nach einer italienischen Ausgabe.) Er illustriert seine Ausführungen durch zwei Kupferstiche, deren einer uns Augs­ burg von Osten zeigt, der andere Augsburger Frauentrachten. Nach einer ausführlichen historischen Einleitung, die sich an bekannte Vorbilder hält, geht er zur Schilderung der Stadt über: „Benche a dir il vero se le sia scemato qualche cosa di quella vaghezza e di quel lustro, che la faceva comparire per l’addietro e tutto che sia meno popolata che per lo passato, non lascia perö di essere una delle maggiori e delle piü ben fabbricate della Germania, essendo tenuta generalmente per la Capitale della Suevia.‘‘ Anschließend folgt die weitere Erzählung nach Gasser von der guten Luft, den breiten Straßen, den bemalten Häusern und von den sonstigen Sehens­ würdigkeiten. Auch die übrigen Ausführungen über die Kirchen, das Rathaus, den Einlaß, das Stadtregiment sind nicht originell und seinen Vorgängern zum Teil wörtlich entnommen. Eine ausführliche Beschreibung der Trachten beschließt seine Darstellung. Im Verlage von Joh. Friedrich Gleditsch zu Leipzig, dem wir eine Reihe von geographischen und Reisewerken verdanken, hat der Bayreuthische Hofrat Karl Christian Schramm3 ein Reise­ lexikon 4 erscheinen lassen, das sorgfältig und gewissenhaft, belegt durch Quellenangaben, dem Reisenden über Augsburg berichtet. Interessant ist es, wie er den Namen der Stadt gar künstlich erklärt. Sie „hat ihren Namen Augusta Vindelicorum durch Versetzung der Buchstaben: Orta Dei vul gum vincas, vom Kaiser Augusto erlanget. Sie ist an den bayerischen Grenzen auf einem kleinen 1 Lo stato di tutti i paesi e popoli del mondo. Edizione 2. Venezia 1740. Vol. 10. p. 25—35. 2 gest. 1743. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 43. p. 201. 3 geb. 1703. Vgl. Zedler’s Universallexikon. Bd. 35. S. 1081. 4 Neues Europäisches Historisches Reiselexikon. Leipzig 1744. Sp. 74—87.



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Hügel, der Rosenauberg genennet, . . . gelegen, daß sie von unter­ schiedenen Ländern Reichtum an sich ziehen kann und jedoch mit ihrem Nachbarn in guter Ruhe lebet. Wiewohl dieser Ort mit dem Verfall der Venetianischen Handlung und da London und Amster­ dam die Kaufhäuser von der ganzen Welt worden, auch in etwas abgenommen. Welches daraus abzunehmen, daß noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts man darinnen 30000 Bürger und darunter et­ liche, deren Reichtum in Millionen bestanden, andere — über 60 — die zu Tonnen Goldes reich gewesen, und von den Handwerkern 6000 Meister, Barchent- und andere Weber, gezählet. In dem Weber­ hause sind damals jährlich 350000 Stück allerhand Barchent geschauet und hiervon über 70000 Stück abgebleicht worden. Da­ gegen jetzo nicht über 6000 Bürger und von den Barchent- und Leinenwebern kaum so viel 100, als ehedem 1000 Meister sein sollen, welche kaum 30 000 Stück verfertigen, von welchen höch­ stens 10000 Stück abgebleichet werden. Daß diese Stadt feste und mit ziemlichen Außenwerken versehen sei, auch noch mehr Be­ festigungen haben würde, wenn die Kosten des prächtigen Rat­ hauses auf die Ringmauern wären verwendet worden, solches hat sich in dem Spanischen Successions-Kriege a. 1703 und 1704 gezeiget. Die mehresten Gebäude affilier sind von Stein erbauet und mit bib­ lischen Sprüchen zum Teil bemalet; doch wollen einige dafür halten, daß Augspurg ... an der Menge der Einwohner von Nürnberg übertroffen werde. Die Märkte sind groß, die Brunnen schön . . ., die Straßen reinlich, breit und wohl eingeteilet, welches zu der Pracht der Gebäude und ansehnlichen Fontainen vieles beiträgt.“ Von den Kirchen zählt er den Dom, die Bartüßer- und Ulrichs­ kirche auf, wo „die Mönche eine Asche oder Pulver ausgeben, wel­ ches die Erde St. Ulrichs genennt wird und wider die Ratten ein bewährtes Mittel sein soll... Das Rathaus ... ist? das allersehens­ würdigste und kostbarste Gebäude der Stadt“. Ferner gefällt ihm der Perlachturm, der „künstliche“ Einlaß, das Fuggerhaus. Von historischen Ereignissen führt er die Übergabe der Confessio Au­ gustana und den Augsburger Religionsfrieden an. „Sonst gibt es affilier, wie bekannt, die besten Silberarbeiter, Uhr­ macher und Kunstdrechsler . . ., das sogenannte türkische und andere vergoldete Papier wird zu Augspurg in sehr wohlfeilem Preise und gleichwohl in sehr großer Menge verfertiget, wie denn auch die Augspurgischen Landkarten und Kupferstiche.......... 8*

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durch die ganze Welt verkaufet werden... Der Schauerische Garten ... ist wegen des Balsams, so der Besitzer fertiget, nicht unbekannt . . . Die alte deutsche Tracht der Einwohner ist sehr kostbar . . . Das Wahrzeichen der Stadt soll in der Domkirche an der metallenen Pforte anzutreffen sein, woselbst man unter anderen biblischen Geschichten auch die Jungfrau Maria siehet, wie solche aus Adams Rippe die Evam verfertiget. Man rechnet hiezu auch die Statue eines Frauenzimmers auf dem Rathause, deren Orificium vaginae Uteri als mit Spinneweben überzogen, künstlich abgebildet worden. Die Handlung ist in dieser volkreichen Stadt in solchem Flor, daß nach Italien und anderen Ländern ihr Barchent, Leinwand, Wachslichter, welche man allhier bleichet, künstliche Uhren und Silberarbeit versendet . . .“ Der Begründer der neueren politisch-statistischen Methode der Geographie, AntonFriedrichBüsching1, behandelt in seinem großen, 1754 zum erstenmal erschienenen Werke2 auch ausführlich Augsburg. Sein Urteil frei von aller Gehäßigkeit und Spottsucht seiner aufklärerischen Zeitgenossen ist in seiner freundlichen und sachlichen Knappheit besonders wertvoll für uns; seine Erdbe­ schreibung war ja bahnbrechend für die neuere Geographie. Mit prägnanten Worten gibt er Lage, Umfang und Einteilung der Stadt dem Leser bekannt. Das Gesamturteil lautet: „Sie ist überhaupt ge­ nommen eine schöneStadt“; gerade das, was vieleZeitgenossen verur­ teilen, gefällt ihm: „An und in vielen Häusern zeigen sich noch alte und neuere vortreffliche Malereien auf nassem Kalk“. Er zählt dann ohne weitere Bemerkung die Hauptkirchen auf. „Das Rathaus, das für das schönste in Deutschland gehalten wird*4, „der hohe und zier­ liche Perlachturm“, die „vortrefflichen öffentlichen Springbrunnen“, das Zeughaus haben es ihm angetan. Bei Erwähnung der Fugger kommt er auch auf die vorbildliche Stiftung der Fuggerei zu sprechen. Im 18. Jahrhundert findet man immer noch die jahrhundertealte Trinkwasserversorgung der Stadt staunenswert: „An den schönen, wohleingerichteten Wasserleitungen, die aus dem Lech Wasserzu­ führen, sind viel Mehl-, Säg-, Hammer- und Schmelzmühlen, in­ sonderheit aber ist die Wasserkunst merkwürdig, die von drei Wassertürmen also durch die Stadt geleitet wird, daß nicht nur fünf große und schöne Springbrunnen und andere öffentliche Brunnen, 1 1724—1793. Vgl. über ihn: Allg. Deutsche Biogr. Bd. 3. S. 744. 2 Erdbeschreibung. 7. Aufl. 1790. 7. Theil S. 640—45.

117 sondern auch fast alle Häuser lebendiges Wasser dadurch bekom­ men.“ Im folgenden erfahren wir in kurzen Zügen die Geschichte des Regiments, daran anschließend erhalten wir einen Einblick in die Handels- und Gewerbegeschichte der Stadt. Da Büsching’s Ur­ teil von dem mancher seiner Zeitgenossen übernommen wurde, wollen wir es anführen: „Die Stadt ist wegen ihrer vielen geschick­ ten Künstler von langer Zeit her berühmt, insonderheit aber ist die hiesige Silber- und Zinnarbeit sehr beliebt. Der Handel, den sie treibet, ist beträchtlich, ob er gleich ehedessen weit stärker ge­ wesen; denn im 15. und 16. Jahrhundert war sie (nebst Nürnberg) der Niederlagsort und Mittelpunkt der Waren, die von Venedig nach Antwerpen und von Antwerpen nach Venedig gingen. Es wurden hier auch Wolle und Baumwolle, Flachs und Hanf, Gold und Silber, Zinn und andere Materialien in Menge verarbeitet. In dem 17. Jahrhundert brachten zwar die Holländer eine große Ver­ änderung im Handel vor, bei welcher der hiesige Handel sehr fiel, es ist aber der italienische und helvetische doch noch beträchtlich und der Wechselhandel ansehnlich. Es sind hier auch noch ansehn­ liche Zitz- und Cattun-Manufakturen und die hiesige Silberarbeit ist noch in ganz Deutschland berühmt. Es gibt hier auch noch ge­ schickte Kupferstecher und Verfertiger mechanischer Werkzeuge nebst anderen Künstlern. Die Gelehrsamkeit hat hier auch zeitig unterschiedene Beförderer gehabt und der große Konrad Peutinger ist in Europa der erste gewesen, der römische Steine mit Inschriften gesammelt und durch den Druck bekannt gemacht hat, und nach ihm haben David Höschel und Marcus Welser sich in Altertümern und Wissenschaften überhaupt sehr hervorgetan.“ Eine gedrängte Übersicht über die Geschichte der Stadt, die alles Wissenswerte enthält, schließt sich daran an. Die ökonomische Einstellung Büschings verrät am Schluß folgender Satz: „Die Gärten bei der Stadt sind mehr zum Vergnügen als zu den Gartengewächsen angelegt, und da auf dem Felde kein Gemüse gebaut wird, so ist es hier selten. Eben dies gilt auch vom Obst, das aus anderen Gegenden, selbst aus Tirol, gebracht wird.“ Der berühmte Archäologe Johann Winckeimann 1 weilte aut seiner Reise nach Italien einige Zeit in Augsburg. Leider berichtet er über seinen Aufenthalt fast nichts, wahrscheinlich aus einer ge­ wissen Verärgerung heraus. Wir wissen nur, daß er den Philosophen 1 1711—1768. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 43. S. 343.

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Jakob Brücker,1 damals Pfarrer bei St. Ulrich, besuchte.2 In einem Briefe,3 datiert Rom den 20. Dezember 1755, an seinen Freund Hieronymus Dietrich Berends4 5erzählt er: „Zu Neuburg ließ ich meine Sachen liegen und ging zu Fuß bis Augsburg 7 Meilen. Hier suchte ich Gelegenheit nach Italien, fand aber keine, weil die Jesuiten, die zur Wahl ihres Generals durch Augsburg um diese Zeit gingen, alle Vetturini Wegnahmen und bestellt hatten. Nach acht Tagen, um nicht länger im Wirtshause zu liegen, sah ich mich genötigt, mit einem Castraten, mit einem Mann und seiner Frau nebst zwei kleinen Kindern in einer hinten und vorne sehr beladenen Kutsche von Augsburg über Innsbruck, Hall, Brixen, Bozen, Trident, Salumo und Maestro nach Venedig abzugehen/4 Und an den Bibliothekar Joh. Michael Franke berichtet er ergänzend:6 „Meine angenehmste Reise ist in Tirol gewesen und in demjenigen Strich von Baiem, welchen man von Augsburg ab zu passieren hat.“ Wenig erbaut ist der Ästhet Winckelmann von der Richtung des damaligen, doch reich gegliederten Kunstlebens in Augsburg, das natürlich bei der kolossalen Massenproduktion manches min­ derwertige hervorbrachte. Trotzdem lehnt er die Mitgliedschaft bei der Kaiserlich Franziscischen Akademie der freien Künste nicht ab6 und lieferte sogar an die Zeitschrift der banausen Augs­ burger Akademie einen Aufsatz.7 Der französische Abbe Nie olle de la Croix8 hält sich bei seiner Darstellung9 an meist französische Vorbilder: „C’est une belle et grande ville, riche et bien fortifie: eile est sur tout renomee par ses ouvrages d’orfevrerie, d’horologerie et d’yvoire. Son commerce etoit autrefois bien plus considerable q’uil n’est aujourd’hui. Ce qu’on y voit de plus remarquable, est son Hotel-de-Ville qui n*a pas son semblable dans tout TEmpire, et ses portes (gemeint ist der Einlaß) qui s’ouvrent et se ferment d’elles memes.“ Erwähnung findet dann 1 1696—1770. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 3. S. 397. 2 L. Werner, Geschichte der Stadt Augsburg. 1900. S. 355. 3 Joh. Winckelmann, Sämtliche Werke. Donaueschingen 1825. Bd. 10. S. 128. 4 Über ihn siehe Allg. Deutsche Biogr. Bd. 10. S. 5. Über diese Fußtour Winckelmanns vgl. auch Goethe’s Werke,Weimarer Ausgabe. Abt. 1. Bd. 40. S. 290. 5 Winckelmann, Werke. Bd. 10. S. 123. 6 Vgl. Goethes Werke. Weimarer Ausgabe. Abt. I. Bd. 40. S. 291. 7 Ebenda S. 292. 8 1704—1760. Nouv. Biogr. generale. Vol. 28 p. 589. 9 Geographie moderne. Paris 1756. T. 1. p. 553 s.

119 noch die „Confession d’Ausbourg“ und der Religionsfriede von 1555. Von bedeutenden Männern zählt er auf: Konrad Peutinger, „si connu par ses cartes anciennes de TEmpire Romain“, und die Fugger, „les plus riches negocians d’Allemagne“. Eigentlich ist dies herzlich wenig für ein geographisches Handbuch. Der Kopenhagener Professor Gottfried Schütze hat die Reise­ berichte1 des dänischen Justizrates Johann Peter Willebrandt,2 die viele praktische Hinweise enthalten, herausgegeben. Diese Be­ richte beruhen auf mehrjährigen Reisen im In- und Auslande. Morgens um 8 Uhr bereits trifft er in Augsburg ein, das er etwas nüchtern, aber originell beschreibt: „Die Häuser allhier sind schön bemalet. Breite Gassen findet man auch hier; es ist aber in Betracht der Größe das Gewühl der Menschen sehr gering. Das Rathaus, welches in der äußerlichen Pracht von dem Stadthause zu Rostock übertroffen wird, an der innerlichen Schönheit aber es jenem weit zuvor tut, der künstlich erfundene Einlaß, das Zeughaus und die Wasserkunst haben mir die Zeit allda nicht so angenehm gemacht als die Bescheidenheit der Künstler . . . Besonders von Ridinger und Haid, beide die ersten unter den deutschen Künstlern, habe ich etwas erhandelt und meine Kutsche ist jetzo mit Kupferstichen und vielen andern Historien bepacket. Die Lebensart zu Augspurg und Dresden ist die höflichste und liebreichste, welche ich auf meinen Reisen gefunden ... Von Augspurg bis Stummerhausen (= Zusmarshausen) ist ein Mordweg. Ich bin um 7 Uhr mit vier guten Gaullen . . . abgereiset und Nachmittags um 6 Uhr an letz­ terem Orte angelanget.“ Viel über Augsburg bringt das monumentale Werk,3 das D. F e n n i n g,4 Joseph Collyer and others herausgegeben haben. Zuerst wird das Bistum Augsburg beschrieben. Dann folgt die Stadt: „But the principal city in this bishoprie is the imperial city of Augs­ burg ... The city is environed with ramparts, walls, and deep ditches and has four large and six small gates and between some of them a wicket of curious contrivance for admitting persons in the night time.. Some of its streets arc steep; but below these, it has others that are 1 Historische Berichte und Practische Anmerkungen auf Reisen. Frankfurt 1758. S. 337. 2 1719—1786. Allg. Deutsche Biogr. 43. S. 261. 3 A new System of Geography: or a General Description of the World. London 1765. Vol. II. p. 263 f. 4 Dictonnary of National Biography. Vol. 9. p. 385.

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broad, and well paved, whence it may in general be termed a fine city. Besides the cathedral it has six popish parish churches, five monasteries, among which is a Jesuits College, the abbies of St. Ulrich and Afra, thre enunneries and six Lutheran parish churches, tho which belong fourteen ministers, and a Lutheran gymnasium, in which is a good library. In the year 1755 the imperial Franciscan academy for arts and Sciences was founded here. It has also several hospitals for the poor, for orphans and sick people, with other charitable foundations.a Das „town-house“ nennt der Engländer „the finest in all Germanya. Eine ausführliche Beschreibung des Rathauses bestätigt auch diese seine Meinung. Sonst bewundert er noch die Brunnen, den Perlach, die Ratten des hl. Ulrich und das blühende Kunstge­ werbe der Stadt. Besondere Beachtung schenkt er, wie viele Aus­ länder überhaupt, der mannigfaltigen und wechselreichen Tracht der Augsburger. In der damalig beliebten Form von Frag und Antwort hat der Philosophieprofessor Francis Robert1 von Chalons „ä l’usage des Colleges*1 ein mehrbändiges geographisches Werk2 verfaßt. Seinen Schülern erzählt er von Augsburg allerdings nicht sehr viel: „Cette ville, situee sur le Lech, est belle, grande, riche et renomee pour ses ouvrages d’orfevrerie. Son commerce cependant bien plus considerable autrefois, semble avoir grandement souffert de celui des Hollandois. Ses edifices publics et sur-tout son Hotel-de-Ville sont d’une grande beaute.“ Darauf folgt kurz die unvermeidliche Erinnerung an den Reichstag von 1530. In dieser Zeit, die durch ihre wachsende Reiselust gekennzeichnet ist, erhalten wir durch Gottlob Friedrich Krebel ein ganz modernes Reisehandbuch,3 das nicht nur eine Schilderung der auf den Hauptrouten gelegenen Städte enthält, sondern die „gewöhn­ lichsten Post-und Reiserouten, die besten Logis, gangbarsten Münz­ sorten, Reisekosten, Posttaxen“ usw. angibt, ganz wie das modernste Reisehandbuch. Für seine Beliebtheit zeugt, daß die hier besprochene Ausgabe bereits in 12. Auflage erscheint; die früheren sind von ver­ schiedenen Bearbeitern herausgegeben worden, so z. B. von Peter Ambrosius Lehmann. Eine Reihe von Quellen, die wir zum Teil 1 1/37—1819. No'uv. Biogr. generale. Vol. 42. p. 382. 2 Geographie universelle. Paris 1767. T. I. p. 431. 3 Die vornehmsten europäischen Reisen. Hamburg 1767. S. 200 ff.

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schon besprochen haben, sind vom Vertasser zu Rate gezogen wor­ den; zum Teil hat er dankenswerte Notizen von Freunden benützt,. Die große Verbreitung, welche vorliegendes Handbuch gefunden hat, läßt auch einen kurzen Auszug als ganz interessant erscheinen, da natürlich das Urteil des Verfassers für viele Reisende und Be­ sucher der Stadt maßgebend gewesen sein wird. „Augsburg ist eine schöne und uralte freie Reichsstadt. . . Unter den Gassen gibt es verschiedene von ansehnlicher Breite, die Häuser sind meist von Gips überzogen, geweisset oder bemalet. . . Ein Reisender besiehet unter den 28 Kirchen . . . vornehmlich die Domkirche ... Von den Klöstern ist das vornehmste das zu St. Udalrici und Afra; in demselben zeigt man . . . das Loch, dahinein dieser Heilige alle Ratzen ... verbannet hat.“ Sonst erwähnt er noch das „weltberühmte Rathaus, welches in Deutschland wenig seinesgleichen hat“, das Fuggerische Haus, den „berühmten Einlaß“, die Fuggerei, ferner die „liebreiche Lebensart“, die man an den Einwohnern lobt, und besonders das unübertreffliche Kunstgewerbe. Am Schlüsse werden empfehlenswerte Gasthäuser angegeben: „Man logirt in den drey Mohren, in der Krone, im weißen Rosse, der Weintraube, dem gol­ denen Engel, den drey Königen“. Aus der großen Schar der Reisenden, welche im 18. Jahrhundert unsere Stadt besucht, fällt besonders durch seine liebevolle Sym­ pathie FürstabtMartinGerbert1 von St. Blasien auf. Wohl diente seine Reise2 mehr der Anknüpfung literarischer Beziehungen und dem Besuche gelehrter Anstalten und Bibliotheken; daneben gibt aber sein ruhiges und gesundes Urteil, das er gerecht und frei von aller Gehässigkeit ausspricht, einen wertvollen Einblick in die da­ maligen Verhältnisse. Namentlich erhalten wir auch ein lebhaftes Bild der literarisch-wissenschaftlichen Zustände Augsburgs. Am Vor­ abend des hl. Ulrichsfestes (3. Juli) kommt Gerbert nach Augsburg. Das gibt ihm Gelegenheit, „Augspurg, das mit Recht unter die schönsten Städte gezählet® wird, und dessen Beziehungen zur Früh­ geschichte des Christentums zu betrachten. Namentlich das Mar­ tyrium der hl. Afra wird dabei quellenmäßig untersucht und kritisch beleuchtet. Einen breiten Raum der Darstellungen nehmen auch weiterhin literarische Untersuchungen ein. Im Buchladen der Ge1 1720—83. Vgl. über ihn Allg. Deutsche Biogr. Bd. 8. S. 725 ff. 2 Reisen durch Alemannien, Welschland und Frankreich. Ulm 1767. S. 160—173 Früher (1765) auch lateinisch erschienen

122 brüder Veith findet er wertvolle Handschriften, die ihn lebhaft in­ teressieren. Der nächste Gang ist in die Stadtbibliothek. „Der öffentliche Büchervorrath der Stadt ist sehr zahlreich und einmal über das andere mit neuen Büchern bereichert.“ Eingehend bespricht er die bedeutendsten Handschriften und Druckwerke, welche ihm selten und wertvoll Vorkommen. Anknüpfend an ein römisches Mo­ nument in der Bibliothek gibt er eine eingehende gelehrte Unter­ suchung über die Herkunft des Namens der Cisa. Am 6. Juli verläßt Gerbert schon wieder Augsburg, von dem wir im übrigen nichts mehr erfahren, als daß er vollbefriedigt davon Abschied nimmt. Nochmals1, auf der Rückreise kommt Gerbert nach Augsburg, um die Bibliothek des Domkapitels zu sehen, die ihm das erstemal ver­ schlossen geblieben war. Über ihren Reichtum, besonders an Hand­ schriften ist er entzückt: „Ich habe über 200 handschriftliche Bände gefunden, welche auch königliche Büchersäle diesem Augspurgischen mißgönnen würden.“ Eine ziemlich selbständige Schilderung einer Reihe deutscher und niederländischer Städte in alphabetischer Reihenfolge und mit je einem Kupfer geschmückt bringt „Derneugierige Passagier auf Reisen“ (Frankfurt und Leipzig 1767) S. 16—21: „Diese Kaiserliche freye Reichsstadt nimmt mit Recht den Rang vor den übrigen Städten ein, welche wir zu beschreiben gedenken, da sie uns wegen der wichtigen Begebenheiten daselbst vor allen beson­ ders merkwürdig geworden ist... Sie ist eine der schönsten, größten und reichsten Städte in Deutschland und nähret unstreitig nebst Nürnberg die größten Künstler im römischen Reiche. Die Stadt wird in die obere, untere und mittlere Stadt abgeteilt. Sie hat sehr viele Seltenheiten, unter welche wir vor allen andern folgende zählen. Das erste ist der künstliche Einlaß, welcher ein Meisterstück unter allen Raritäten ist.“ Eine ausführliche Beschreibung dieses Weltwunders mit einem Gedichte schließt sich an. Als weitere Sehenswürdigkeit wird die bischöfliche Residenz genannt und das Rathaus, das „wohl das prächtigste ist, welches man in Deutschland antrifft“, und das der Verfasser eingehend beschreibt. Er fährt dann fort: „Die Einwohner sind vermischter Religion und schätzt man die Bürger auf 6000. Die Domkirche mit ihren 14 Kapellen ... ist sehenswürdig . . . Die Stadt hat ein vortreffliches Zeughaus und noch sehr viele schöne und öffentliche Gebäude und Paläste. Man 1 vgl. Reisen. S. 373 f.

123 bemerke unter andern den hohen Perlach türm ..die Wasserkunst, . . . die sogenannte Fuggeren(= Fuggerei).“ Kurz berührt der Ver­ fasser das unglückselige Schicksal der Stadt im spanischen Erbfolge­ kriege und erwähnt zum Schlüsse noch das Bistum Augsburg: „Das Bistum Augspurg und die Stadt Augspurg muß nicht mit einander vermengt werden. Der Bischof hat in der Stadt nichts zu befehlen, obgleich er in derselben einen Hof hat und es hat nur den Namen von der Stadt, weil es in selbiger im Jahre 590 gestiftet worden ist. Zu dem Bistum gehören sehr viele Städte, Grafschaften und Ämter, welche aber hin und wieder zerstreut liegen, und schätzet man die Einkünfte jährlich auf 100000 Taler.“ Ganz interessant ist es, einmal zwischenhinein eine italienische Quelle zu vernehmen und zwar ein damals viel benütztes Buch:1 „Augusta, Augusta Vindelicorum, cittä grande, famosa e antica d’Allmagna, capitale del Circolo di Suevia, con un vescovo suffraganeo di Magonza, attorniata da grandi pascoli, da pianure amene e fertili e da grande selve ripiene di uccelli e di cacciagione. Questa cittä e cosi bene regolata, ch’ella potrebbe dare esempio ä tutte altre del Mondo ... Le chiese, il Palazzo della cittä e gli altri edifizi sono superbi.“ Nach diesen uns nicht unbekannten Worten gibt der Ver­ fasser einen Überblick über die Geschicke der Stadt besonders über den Reichstag von 1530. Auf Grund eigener langjähriger Erfahrungen hat der französische Gelehrte Louis Dutens2 ein äußerst praktisches Reisehandbuch3 zusammengestellt, in dem die Postrouten, Entfernungen usw. genau ängegeben sind, verbunden mit kurzen Notizen über die bedeuten­ deren Städte. Von Augsburg, das er 1770 selbst besucht hat, weiß er: „ Augsbourg, belle et fameuse ville, environnee de bellespleines. Elle est tres-bien policee. L’hotel-de-ville est magnifique, la fa9ade sur-tout. Au second etage est une sale fort spacieuse, dont le plafond n’est ni voüte, ni soütenu de piliers. Les habitants sont moitie Lutheriens et moitie Catholiques Romains. C’est la patrie ducelebre Brücker que j’y ai ou en 1770.“ Leider sind uns handschriftliche Reisetagebücher ziemlich selten überliefert. Um so interessanter und der damaligen Wirklich­ keit auch entsprechender sind diese wenigen Tagebücher. Wir 1 Dizionario geografico portatile. Milano 1768. T. I. p. 60. 2 1730—1812. Vgl. Nouv. Biogr. generale. Vol. 15. S. 497. 3ltineraire des roütes les plus frequentees. Paris 1775. S. 91.

124 führen da eines an, das uns Graf Nik olaus Gal 1 er in franzö­ sischer Sprache handschriftlich hinterlassen hat. Besagter Kavalier reiste im November 1782 in Begleitung des Grafen Franz von Aichold von Salzburg nach Straßburg und nahm dabei seinen Weg über Augsburg. Was ihm allhier sonderlich bemerkenswert erschien, hat er in seiner „Relation du voyage, qui j’ai fait avec le Comte Francis d’Aichold de Salzbourg au Straßbourg ä mois de Novembre 1782“ verzeichnet.1 Am 16. November trifft Graf Galler nachmittags 3 Uhr von München her in Augsburg ein. „Nous descendimes ä l’agneau blanc (Weißes Lamm), auberge qui le Comte Kuenbourg grand Ecujar de Salzbourg nous avoit reccommande comme une des meilleures; mais nous y fumes assez mal servis.“ Nach dieser Einleitung folgt eine 5 Seiten lange „Description d’Augsbourg“, das er „fort agreablement situee“ findet. Die weitere Beschreibung bewegt sich in den uns schon bekannten Bahnen hauptsächlich nach französi­ schen Vorbildern und sogar in deren Wortlaut. Graf Galler hatte Empfehlungen an einen Herrn von Meyer, der ihn bei dem berühm­ ten Orgelbauer Stein einführte. Dort hörte er dessen Tochter Nanette auf einem doppelten Fortepiano spielen, dessen „resonnance est magnifique“ und das 300 fl. kostete. Ferner war er im Theater, das er nicht besonders groß, aber schöner als das Münchner findet; es wurden „Die Rivalen“ gegeben. Nachher war er zum Souper bei Madame von Meyer, wo der Generalvikar von Konstanz und ein Zollinspektor anwesend waren. Am 18. November machte er in Be­ gleitung des Herrn von Meyer einen Spaziergangum die Stadt und be­ sucht dann den Dom und St. Ulrich. An weiteren Sehenswürdigkeiten besieht er sich das Haus des Bankiers Liebert und das Rathaus. Da­ rauf wurde der „fameux peintre Mr. Mettenleither“ besucht und der Physiker Brander, ebenso wie das Naturalienkabinett des Herrn Cobres und der Wasserturm am Roten Tore. Überdies machte er an diesem Tage seine Aufwartung bei einer Reihe hoher Persön­ lichkeiten, so bei der Gräfin Fugger-Kirchheim, bei Graf Waller­ stein, bei Herrn von Imhof usw. Nachdem Galler und sein Begleiter noch das Diner bei Herrn von Meyer eingenommen hatten, setzten sie mit der Post am 20. November nachmittags 1 Uhr ihre Reise fort. Zum Schlüße beschreibt er noch ausführlich seine Reisegesell­ schaft, von der ihm eine Wiener Sängerin besonders gefällt. 1 Bayer. Staatsbibliothek München. Cod. gall 875.

125 Was das Tagebuch Graf Gallers besonders interessant macht, ist das Verzeichnis seiner Ausgaben. Im Lamm bezahlt er.......................... 5 fl. Dem Friseur.........................................2 fl. Dem Bedienten....................................3 fl. . Der Köchin bei H. v. Meyer Trinkgeld 1 fl. 12 Kr. Dem Hausknecht............................. 36 Kr. Sonstige Trinkgelder......................... 48 Kr. Theater............................................ 30 Kr. Also, wie wir sehen, hat der Herr Graf nicht gerade üppig gelebt. Auf einem eigenen Zettel liegt die Kostenberechnung für die Fahrt von Augsburg nach Straßburg bei, die sich auf 54 fl. 3 Kr. beziffert, dabei sind aber die Fahrtkosten, welche allein für 2 Plätze sich auf 36 fl. 24 Kr. ausmachen, das Essen und die Trinkgelder inbegriffen. Sehr weit verbreitet waren seinerzeit die vielgelesenen Staatsanzeigen des bekannten Publizisten und Göttinger Professors AugustLudwigSchlözer.1 Die guten V erbindungen, über welche der Herausgeber verfügte, führten ihm die wertvollsten Beiträge zu. Der Inhalt der Hefte ist sehr mannigfaltig, doch herrscht das Aktuelle, auf die unmittelbaren Vorgänge und Erscheinungen in Staat und Gesellschaft bezügliche vor. Die Ereignisse und Refor­ men der Zeit werden in referierenden, aber auch raisonierenden Artikeln berichtet. Einen breiten Raum beanspruchen die Odiosa, alte Mißbräuche und sonstige vom Standpunkte der Aufklärung beklagenswerte Gebräuche, namentlich in den Reichsstädten und geistlichen Herrschaftsgebieten. Schlözers Staatsanzeigen sind die erste politische Zeitschrift Deutschlands, die in Staat und Wirt­ schaft trotz aller Zensur öffentlich führende Persönlichkeiten und Zustände kritisierte und einen bis dahin nie erreichten Einfluß in ganz Europa gewann. So war sie das erste Beispiel mächtig wir­ kender Publizistik in Deutschland und hatte eine Unzahl Leser in allen Kreisen, bei Hofe, wie in Bürger- und Bauernhäusern. Kein geringerer als ein deutscher Fürst hat als ihren Zweck bezeichnet: „Aufklärung und Duldungsgeist zu befördern, Bosheit und Dumm­ heit zu entlarven und zu unterdrücken.“ In ganz Deutschland fand man das Blatt, das von 1782—1793 die öffentliche Meinung in einem 1 Vgl. Allg. deutsche Biogr. Bd. 31. S. 567 ff. K. Schottenloher. Flugblatt und Zeitung. Berlin 1922.S. 327. L. Salomon, Geschichte des deutschen Zeitungswesens. Oldenburg 1900. Bd. 1. S. 224.

126 ungewöhnlichen Grade beherrschte. Natürlich beschäftigt es sich auch einigemale mit Augsburg, an dem sich die Aufklärung ja des öfteren gerieben hatte. Einmal wird Augsburg oder vielmehr das Hochstift sogar lobend erwähnt.1 Es handelt sichumdasSponsaliengesetz vom 12.April 1783, das in damals unerhörter Weise das Eheversprechen auch vor welt­ lichen Behörden abgelegt für giltig erklärte. Weniger ehrenvoll für Augsburg ist die zweite Gelegenheit,2 bei der Augsburg erwähnt wird. Es handelt sich um die schlechten finanziellen Verhältnisse des Reichsstiftes St. Ulrich und Afra, die damals von Reichs und Kaisers wegen untersucht wurden. Rein referierend allerdings bringt Schlözer nur den Wortlaut des amtlichen Schriftwechsels, mit dem er illustrieren will, daß der toten Hand keine Vermögensverwaltung und auch kein Besitz zustehen solle. Wohltuend durch seine Ruhe und Objektivität zeichnet sich ein Bericht3 aus dem „geheimnis­ vollen Augspurg“ aus, der den Besuch des Papstes Pius VI. dortselbst schildert. Während sonst von evangelischer Seite die bekannte Rede des protestantischen Rektors Mertens, die er in der Stadt­ bibliothek vor S. Heiligkeit knieend gehalten hatte, aufs schärfste verurteilt wurde, stößt sich Schlözer bez. sein Berichterstatter gar nicht daran. Hämisch kritisiert er dagegen im nämlichen Jahrgange4 5 ein angebliches Beispiel von Toleranz aus dem streng nach Kon­ fessionen geschiedenen Augsburg, der Stadt der katholischen und protestantischen Schweineställe. Schlözer bringt eine Annonce aus der Augsburgischen Staats- und Gelehrten-Zeitung, worin der Stadt­ koch J, M. Feinle seine Dienste anpreist und sich bereit erklärt, jungen Frauenzimmern „ohne Rücksicht der Religion“ die Koch­ kunst zu lernen. Allerdings für das damalige Augsburg ein seltener Fall von „Toleranz.“ Verhältnismäßig gimpflich kommt also unsere Stadt weg, trotzdem sie gerade in der Aufklärungszeit böse herunter­ gezogen wurde. Leichtfertig mit dem Urteil der Jugend versucht J oha nnKaspar Riesbeck6 uns seine Erfahrungen aufzudrängen.6 Nach ruhelosen 1 Bd. V (1783). S. 115f. 2 Bd. VI (1784). S. 48 ff. 3 Bd. 1 (1782). S. 101 ff. 4 S. 242 f. 5 1754—1786. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 28. S. 575. 6 Briefe eines Reisenden Franzosen über Deutschland. 2. Aufl. 1784. Bd. I. S. 51—67.

127 Jahren, die er zum Teil am Mainzer Hofe zugebracht hatte, ver­ faßte er die erwähnte Reisebeschreibung im Jahre 1783 in Zürich. Das Werk erregte großes Aufsehen. Es zeichnet sich wohl durch eine gewandte Darstellung aus; was man aber vermißt, ist der Ernst der Forschung und der reifen Beobachtung. Ebenso nimmt es unser Riesbeck mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. Wollen wir hören, was er über Augsburg berichtet. Vom Bodensee kommt er über Memmingen im Jahre 1780 nach Augsburg. Er beklagt die Zerstückelung des schwäbischen Landes in unendlich viele und zum Teil winzige Herrschaftsgebiete. „Während daß der Herr am Hofe mit der Beute seiner Untertanen glänzt, sind diese den Bedrückun­ gen der raubgierigen Beamten unterworfen . . . Das berühmte Augsburg ist das lange nicht mehr, was es war. Es gibt hier keine Fugger und Welser mehr, die den Kaysern Millionen vorschießen können. In dieser großen und schönen Stadt, die unter den deutschen Handelsstädten in der ersten Reihe steht, sind nicht über 6 Häuser zu finden, die über 200000 und keine 15, die 100000 fl. Vermögen hätten. Der große Schwarm der hiesigen Kaufleute, wovon ein guter Teil Karossen haben muß, schleppt sich mit einem Kapitälchen von 30—40 000 fl. herum, macht den Krämer, Makler und Kommissär . . Einige wenige Häuser thun etwas in Wechselgeschäften und der Weg durch Tirol und Graubünden veranlaßt hier einigen Gegen­ handel zwischen Italien und Deutschland.“ Ebenso abfällig ist sein Urteil über den damals bedeutenden Augsburger Kunsthandel: „Nach diesen Krämern und Maklern sind die Kupferstecher, Bild­ schnitzer und Maler der ansehnlichste Teil der Bevölkerung ... Es gab immer einige Leute von Talent unter ihnen . . . Sie versehen fast das ganze katholische Deutschland mit Bilderchen für die Ge­ betbücher und zur Auszierung der Bürgerhäuser. Für die Kunst ist der hiesige Himmel sehr ungünstig. Der Baron füttert lieberPf erde und Hunde und einen Schwarm Bedienten, deren Narr er gemeinig­ lich ist, als Künstler ... Es hat sich zwar unter dem Schutz des Magistrates hier eine Künstlerakademie zusammengethan, die aber so wie ihre Patrone keinen höheren Zweck zu haben scheint, als unter dem Namen von Künstlern gute Handwerksleute zu bilden.“ Im folgenden behauptet er, daß der Neid der zum Teil nicht sehr begüterten Patrizier „es nicht verdauen könne, daß der Plebeier durch die Mittel, die er sich durch seinen Fleiß erwirbt, das Haupt über sie erheben soll.“ Deshalb verfolgen sie Handwerk und Ge-

128 werbe, wo sie nur können. Aber auch das übrige Volk kommt nicht gut weg. „Neun Zehntheile der Einwohner sind das imfamste Ka­ naille, das man sich denken kann, das immer bereit ist, sich selbst auf das erste Signal aus Religionshaß zu erwürgen, das denArbeitslohn einer Woche richtig auf den Sonntag in die Bierschänke trägt.“ Anschließend kommt er auf die Parität zu sprechen, über die er die ganze Schale seines Spottes gießt. Dann werden abermals die Patrizier durchgehechelt: „Unter den Patriziern herrscht aber zu viel dumme Verschwendung, welcher auch der Klügere nicht ganz entsagen darf, weil sie allgemeine Sitte ist, und zuviel Privateifer­ sucht, als daß wahre, wirksame Vaterlandsliebe unter ihnenWurzel fassen könnte.“ Das Gesamturteil über die Stadt lautet ebenfalls wenig freundlich; wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, als daß Riesbeck kritiklos, aber doch mit einer gewissen negativen Einstellung alles Ungünstige, das er über Augsburg gelesen hat, in sein Werk aufgenommen hat. Denn bei seinem kurzen Aufenthalt kann er sich unmöglich aus eigener Anschauung dieses Urteil ge­ bildet haben. Gar zu schwarz sieht er besonders, wenn er behauptet: „Augsburgs Abnahme wird von Jahr zu Jahr merklicher und wenn ihr nicht sehr günstige Umstände zu Hülfe eilen, so enthält sie im künftigen Jahrhundert nichts als einen Haufen Bettler, deren Re­ genten in den geraubten und mit Flittergold verbrämten Lumpen ihrer Untertanen paradieren.“ Dagegen findet er uneingeschränktes Lob für das äußere Bild der Stadt, deren Schönheit er anerkennen muß. „Die Stadt ist wirk­ lich schön und das Rathaus eines der schönsten Gebäude, die ich auf der ganzen Reise hieher gesehen.“ Dieser Ausklang versöhnt uns etwas mit dem unreifen Urteil des jungen Mannes. Das Zeit­ alter der literarischen Kraftgenies, in dem er lebte, erklärt jedoch «eine Einstellung dem Adel, dem konservativen Althergebrachten sowie der ganzen bürgerlichen Ordnung gegenüber. Wir kommen zu einer Beschreibung von Augsburg, die ebenso merkwürdig ist, als ihr Verfasser, Johann Pezzl.1 Alle seine zahl­ reichen Schriften sind im Tone des Aufklärungszeitalters geschrie­ ben, dem nichts heilig und verehrungswürdig erschien. In seinem Werke „Reise durch den Beierischen Kreis“2 schildert er auch die 1 Allg. D. Biogr. Bd. 25 S. 5/8 u. C. von Wurzbach, Biogr. Lexicon v. Öster­ reich. Bd. 22. S. 160. Wien 1856 ff. 2 Salzburg u. Leipzig 1784. S. 92—109. Erschien tatsächlich anonym bei Orell in ^Zürich. Vgl. E. Weller, Falsche und fingierte Druckorte. Leipzig 1864. Bd. 1. S. 126.

129 Augsburger Zustände, die Bewohner, ihre sozialen Verhältnisse, ihre Gebrechen und Lächerlichkeiten. In vortrefflicher Weise mit seinem satyrischen Unterton, der mehrmals in blutigen Ernst um­ schlägt, gibt er uns ein Bild von dem äußeren und inneren Ansehen der Stadt. Diese Spiegelbilder des damaligen Lebens sind so in­ teressant und haben einen kulturgeschichtlich so hohen Wert, daß wir sie im folgenden bringen. Nicht mit Unrecht hat man ihn den deutschen Voltaire genannt. Und dies Urteil bestätigt sich, wenn wir seinen Ausführungen folgen: „Daß Augsburg groß und schön sey, daß es aber von seinem ehemaligen Reichthum und Ansehen sehr heruntergekommen sey, dieß wissen wir von allen Geographen und Reisebeschreibern. Über diese Materie also nichts weiter. Die Augsburger, deren Erbteil ein so vielen großen und kleinen Repu­ blikanern gemeinsamer, lächerlicher Stolz und Eigenliebe ist, werfen auf jeden einen unversöhnlichen Haß, der ihnen ihre Abderitismen aufdeckt . . . Die Patrizier herrschen ziemlich unumschränkt, aber auch, zu ihrer Ehre sey’s gesagt, ziemlich sanft und gelinde. Da sie außer ihren Stadtmauern nichts besitzen, so erräth man leicht den Umfang ihrer Staatsgeschäfte, zu deren Verwaltung sie theils zu Fuß, theils zu Wagen in schwarz tafftenen Mäntelchen und großen Staatsperücken aufs Rathhaus kommen. Um desto schwerer ist es zu errathen, warum sie während ihrer Sitzungen zu beiden Enden des Rathauses die Gasse mit zwo schweren quer darüber gezogenen Ketten sperren . . . Nach den Patriziern folgen im Rang die Kauf­ leute und Fabrikanten. Sie gebehrden sich sehr hoch, weil einige unter ihnen noch ein artiges Kapital besitzen. Unter den letztem ist der Herr Schülin (Schüle) bekannt: Er hat ein großes Vermögen; aber er soll auch manchen nicht sehr ehrenvollen Kniff praktiziert haben, um sich seine Kenntnisse und sein Geld zu verschaffen.“ Nach diesen satirischen Bemerkungen, die einige zum Teil ver­ alteten und verzopften Gebräuche geißeln, erhalten wir einen ganz interessanten kulturhistorischen Einblick in das Leben des Volkes: „Der gemeine Haufe in Augsburg ist in der Atmosphäre eines Bier­ fasses allemal guter Laune : und in diesem einzigen Punkte kommen sich die Religionsverwandten beider Partheien etwas nahe. An je­ dem Sonntag und Feiertag stecken alle Gärten in der Jakober-Vorstadt, in der Rosenau, auf dem Schießgraben etc. voll Volks. Alles füllt sich dort den Bauch mit dem ziemlich schlechten Biere und vergißt während dem sein häusliches Elend. Die Mädchen gehen 9

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schwarmweise ohne Chapeau in die öffentlichen Wirtshäuser und Gärten.“ Etwas feiner ist das Vergnügen der höheren Stände: »Die Patrizier und Kaufleute fahren an diesen Tagen nach Oberhausen, auf die sieben Tische und nach Göggingen; die mittleren Bürger schießen nach der Scheibe ... Zu gewissen Zeiten hält sich der Herrenstand Konzerte, worin auch manchmal einige von den är­ meren Bürgerstöchter singen.“ Dem Aufklärer ist dies natürlich alles ein Greuel; er wünscht Leben und Geist in den alten Zopf der Stadt mit ihrem Phäakendasein. Im folgenden wendet er sich einem beliebten Thema seiner Zeit zu, der Intoleranz der Augsburger, welche durch die Parität nur schlecht verhüllt erscheint. Obwohl diese Streitereien mehr akademischer Natur waren, finden sie doch seine Mißbilligung. »Der Religionshaß ist in der That sehr sichtbar, was auch immer die Augsburger dagegen sagen und schreiben mögen.“ Ganz stimmt das Urteil Pezzls nicht. Im großen und ganzen kamen Katholiken und Protestanten sehr gut aus. Wenn er die Kontro­ verspredigten, welche gegenseitig im Dom und bei den Barfüßern gehalten wurden, als Hauptzeugnis anführt, so geht er doch falsch; sie sind zwar von unserm modernen Standpunkt etwas unannehm­ bares und fremdes; damals nahm man es nicht so genau und sah in ihnen ein mehr akademisches Instrument. Als Aufklärer speit Pezzl Gift und Galle gegen die Jesuiten. Trotz der Ordensaufhe­ bung »pochen sie in Augsburg dreist auf ihre Macht, weil sie noch so ruhig im Schoße ihres Ordens dort ruhen.“ Die Säkulargeistlich­ keitfindet etwas mehr Gnade vor seinen Augen, da er sie für toleran­ ter hält. Aber auch die Protestanten bekommen einen Seitenhieb. Er findet sie »wegen ihrer Erziehungsart weniger hitzig als die Katho­ liken; aber auch sie haben ihre abgeschmackten Ideen und Grund­ sätze über das Religionswesen.“ Am unwilligsten ist er über ein Vor­ recht, an dem sie starr festhalten, durch den Dom gehen zu dürfen, weil beim Bau des Ostchores die alte Reichsstrasse überbaut und verlegt wurde. »Man wird unwillig, von was immer für Religion man sein mag, wenn man früh und spät, Morgens und Abends, während dem Gottesdienst die Weber mit ihren Leinwandstücken, die Mägde mit ihren Fleisch- und Gemüsekörben und allem dem Gezeuge, das sie auf dem Markte gekauft haben, ganz ungeniert und unter vertraulichem Geplauder unaufhörlich quer durch die katholische Kathedralkirche dicht vor den Altären vorbei ganz in

131 der Mitte des Tempels passieren sieht, gleich als ob das eine offene Gemeindestrasse wäre.“ Auch sonst findet sein kritischer Geist gar manches auszusetzen: die Schulen taugen nichts, die Buchhand­ lungen verkaufen nur fromme Literatur, die Heranbildung des ka­ tholischen Klerus sei veraltet usw. Zum Schlüsse läßt er sich doch einschränkend zu einem Lobe der Stadt herbei: „Die Lage der Stadt ist nicht unangenehm. Sie steht auf einer kleinen Erhöhung und hat ringsherum einige Alleen aber nur von Weidenbäumen. In den ober­ sten Gemächern des Rathauses hat man eine große Aussicht über das berüchtigte Lechfeld.“ Beissend kritisiert er die Sage von der Hexe, die Attila Halt geboten, und verwechselt die Sache mit der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld, „wo die Herren Weber ihren Heldenmut zeigten.“ Seiner aufklärerischen Einstellung fehlt jede romantische und künstlerische Note. Nur die reale Gegenwart und die Natur findet Beachtung. Kein Wort von der Geschichte der Stadt, ihren Bauwerken und Kunstarbeiten. Befriedigt ist er nur vom Lueginsland, »von wo aus man einen der schönsten Prospekte gegen den Ausfluß des Lechs hin hat.“ Zum Schlüsse verabschiedet er sich von den Augsburgern mit den Worten: „O daß ein heiliger Durst nach Ehre weiter um sich greifen und mir bei einer zweiten Reise Gelegenheit verschaffen möchte, um rühmliches sagen zu können.“ Trösten wir uns über die böse Zunge Pezzl’s; er hat es anderen Städten noch schlimmer gemacht! Der bekannte Berliner Astronom und Mathematiker Johann Bernoulli1 hat in seinem „Archiv zur neueren Geschichte, Geo­ graphie, Naturkunde und Menschenkenntnis“2 eine Anzahl gleich­ zeitiger und auch früherer Original-Reiseberichte veröffentlicht, z. B. eine Reise, die der ungarische Baron Gottfried von Roten­ stein im Jahre 1781 durch Bayern machte. Bernoulli rühmt ihn in der Vorrede3 als einen „sehr aufmerksamen Beobachter, . . der er­ zählt, was er selbst gesehen hat.“ Auf 5 Seiten gibt Rotenstein4 seine Eindrücke über Augsburg wieder. Von München kommt er über Friedberg nach Augsburg. Sein kundiges Auge bewundert die Silhouette der Stadt: „Von hier aus (Friedberg) siehet man schon die schöne Stadt Augsburg liegen, welches einen vortreff1 2 3 4

1744—1807. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 2. S. 482. Leipzig. Th. 1—8. 1785—88. Ebenda. T. 2. S. 186. Ebenda. T. 3. S. 283 ff. Q*

132 liehen Prospekt abgibt. Augsburg hat an 5 Viertelstunden im Um­ fange und ist wegen seines Rathauses berühmt, das seines gleichen nicht haben soll.“ Die ausführliche Beschreibung wollen wir über­ gehen und ihm auf seinem Gang durch die Stadt folgen: „Die Dom­ kirche ist ein sehr großes, altes Gebäude mit schönen Altären und Grabmalen der gewesenen Bischöfe von Augsburg. Gegen dem Dom über ist der Palast des Baron Welkens, dortigen Domherrn, mit einem Portal von zwei marmornen rosafarbenen, weißgespren­ kelten Säulen (jetzt Bischofspalais). Der Bischofshof (Regierung) ist ziemlich groß, hat hinten einen schönen Garten aber wenig Prospekt.“ Weiter erwähnt er das „alte Fuggerische Palais“ und das „berühmte Wirtshaus zu den Mohren, das ein schönes Gebäude ... ist. “Wie seine Zeitgenossen bewundert er das Palais des Bankier Liebert, „desgleichen er weder in Wien noch München gesehen hat.“ Ausführlich beschreibt er das Haus, namentlich den Saal, wo ja Maria-Antoinette getanzt hat. „Von hier fuhr ich nach dem Zeughause . . . und den folgenden Tag um die ganze Stadt spazie­ ren und besah die vornehmsten Gärten, die von Schülesche Zitzund Kottonfabrik.“ Von den Gärten erwähnt er besonders den Schnurbein’schen, den von Stettenschen und den Schauerischen, „der mir besonders gefiel“, und den er auch hübsch beschreibt. „Es gibt in Augsburg viele Kunst- und Naturaliencabinette, weil ich aber nur 2 Tage da war, so sah ich in der Eile nur zwei“: beim Apotheker Michel und beim Kupferstecher Kilian, dessen Samm­ lungen er so wundervoll findet, daß „selbst ein Fürst dürfte sich dieses Vorrates nicht schämen.“ Noch eine zweite Reise, die über Augsburg führt, wird in Bernoullis Archiv1 geschildert und dabei unsere Stadt eingehend be­ handelt: der Verfasser, C. L. Junker, der im Sommer 1786 einige Zeit in Augsburg weilte, steht allerdings so ziemlich unter dem Einfluß der Aufklärung. Äußerlich ist er von der Stadt nicht gerade erbaut, desto schöner findet er sie aber im Innern: „Augspurg prä­ sentiert sich bei zwei Stunden weit,2 aber sie hat nicht die Wirkung, welche z. B. Nürnberg in der Ferne hat. Sie ist mehr in einander geschoben, hat nicht so viel Thürme und dazu sind diese Thürme für das Auge noch scheinbar kleiner als sie wirklich sind, da sie nach bayrischem Geschmack oben nicht allmählich zugespitzt, sondern 1 Theil 6. S. 288 ff. 2 Junker kommt von Donauwörth her.

133 gedrückt in Form eines Epheublattes gebaut sind . . . Inwendig hat freilich die Stadt ein ganz anderes Aussehen; sie überrascht durch hohe, schön gemalte Häuser, durch große breite Straßen und ich zweifle, ob sich viele Gassen in Teutschland finden werden, die sich mit der Weingasse vergleichen ließen. Manche Häuser sind un­ schätzbar durch die vortrefflichen Holzerischen Freskomalereien, die wert wären Altarblätter zu sein .... Man kann keine schöneren Werke neuerer Kunst sehen, als die Brunnen, das Rathaus usw. Auch für den reisenden Liebhaber der Kunst und des Schönen bietet sich noch so manche Gelegenheit dar, ihm seinen Aufenthalt in Augsburg angenehm zu machen. Obgleich diese Stadt die Pe­ riode ihrer Kunst überlebt zu haben scheint, so gibt es doch hie und da noch einen Künstler, der ihr Ehre macht.“ Dazu rechnet er Mettenleiter, Zell und Haid. An Gemäldesammlungen erwähnt er die von Stetten und Reischach, von den Bibliotheken die städtische, die von St. Ulrich und von Geheimrat Zapf. Auf die Kunst folgt das Vergnügen. „Einen Nachmittag muß man auch dazu anwende n um die sieben Tische, eine Stunde von der Stadt, dem Lieblings­ aufenthalte der Augsburger, wo Herr von Lütgendorf auch seinen Ballon wird steigen lassen,1 zu besuchen. Die ganze Gegend ist völlig ländlich und allerliebst. Die Szene ist mitten in einem Walde. Sieben Tische, die ehemals hier unter ungeheuer hohen Tannen standen, ganz eingeschattet, ganz in Dunkel gehüllt, haben dieser Gegend den Namen gegeben. Jetzt stehen vier bis fünfmal so viel Tische hie und da im Wakle zerstreut da. Ganz nahe dabei ist ein Wirtshaus, durch welches diese Tische mit Speis und Trank ver­ sehen werden. Das Vergnügen ist ganz ländlich und man kann sich keinen Augenblick unter irgend einer der feierlich rauschenden, heilig dunklen Tannen befinden, ohne Chaisen ankommen oder ab­ fahren zu sehen. Es ist unbegreiflich, daß die Augsburger, da sie so viel Gefühl für diese reine Freude zu haben scheinen, auf der andern Seite zu fühllos sind für jeden damit verwandten edleren Genuß des Lebens. Ihre Schauspiele, ihre Konzerte sind immer leer, dagegen ihre Tanz- und Schmausgesellschaften immer voll.“ Dies Urteil wird auch heute oft noch geteilt. Als echter Aufklärer ver­ mißt er bei beiden Religionsteilen die nötige Toleranz. Eine neue, damals erwachendeWissenschaft pflegte der Göttinger Professor für Statistik und Kameralwissenschaft August Fried1 Um dies zu sehen, scheint Junker von Hohenlohe nach Augsburg gereist zu sein*

134 rieh Wilhelm Crome.1 In seinem Hauptwerke2 bringt ergänz in­ teressante statistische Nachrichten über Augsburg: „Die Reichs­ stadt Augsburg mit ihrem kleinen Gebiet nährt auf 40000 Seelen. Die letztere Zahl kommt mir etwas groß vor, zumal wenn des Herrn Gercken Bericht sicher ist, nach welchem jährlich im Durchschnitt nur 1000 Menschen in Augsburg sterben. In dem Fall würden wohl nicht mehr als 30000 Seelen in der Stadt selbst anzutreffen sein. Im Jahre 1500 starben 1723 Menschen in Augsburg und man rech­ nete damals über 50000 Seelen in der Stadt. Im Jahre 1640 hin­ gegen war die Anzahl der jährlichen Toten schon auf 674 herab­ gesunken und die Zahl der Einwohner bestand nur in 19600 Köpfen. Im Jahre 1750 stieg die erstere Zahl wieder auf 1300 Menschen und die Bevölkerung auf 36400. Sollten die Einwohner nach der Zeit wieder abgenommen haben? Man sollte vielmehr das Gegen­ teil erwarten. Und sonach erhielte die Summe von 40000 Einwohner doch viel Wahrscheinlichkeit.a Zu den prominentesten Besuchern unserer Stadt gehörte im 18. Jahrhundert der Dichter Wolfgang von Goethe. Er weilte im ganzen dreimal in Augsburg; das erstemal, was bisher nicht beachet worden ist, auf der Rückkehr von seiner ersten italienischen Reise im Jahre 1788. Von Rom aus hatte Goethe am 17. März 1788 dem Herzog Karl August von Weimar mitgeteilt,3 „er werde auf der Rückreise eilen, Mailand zu sehen und durchzugehen und wünschte sodann über Chiavenna und Chur, über Lindau, Augsburg und Nürnberg den Weg nach Hause zu nehmen.8 Von der Ausführung dieses Planes wissen wir nichts weiter, als daß Goethe in Konstanz mit seiner Freundin Bäbe Schultheß aus Zürich zusammen kam und sodann in der Tat über Augsburg und Nürnberg am 18. Juni 1788 in Weimar wieder eintraf. Aufzeichnungen über Augsburg liegen aber nicht vor. Genauer sind wir über den zweiten Aufenthalt Goethes in un­ serer Stadt im Jahre 1790 unterrichtet. Im März 1790 reiste er in Begleitung seines getreuen Faktotums Paul Götze abermals nach Italien, um in Venedig die heimkehrende Herzogin-Mutter Anna Amalie abzuholen. Er unternahm diese Reise nicht gerne, sondern 1 1753—1833. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. 4. S. 606. 2 Über die Größe und Bevölkerung der sämtlichen europäischen Staaten Leipzig 1785. S. 370. 3 W. v. Goethe, Werke. Weimarer Ausgabe. Abt. IV. Bd. 8. S. 356.

135 nur auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs, das merkt man aus manchen verdrießlichen Äußerungen. Italien, das Land seiner frü­ hesten Sehnsucht, hatte für ihn allen Zauber verloren. Aus Briefen und flüchtigen Tagebuchnotizen von seiner Hand und Aufzeich­ nungen, die er seinem Diener diktiert hat, erfahren wir, daß sich Goethe während seines zweitägigen Aufenthaltes in Augsburg wakker umgesehen hat. Schon auf der Herfahrt von Nürnberg gewinnt er ein günstiges Urteil über unser Schwabenland.1 Um Augsburg bemerkt er die »alte Wirkung der Flüsse, einen fruchtbaren schon gemischten Boden. Von Donauwörth sind die Chausseen schlecht, weil der Kies, den sie darauf führen, zu sehr mit Erde vermengt ist. Von Augsburg gegen das Gebirge ist eine große Plaine von ge­ mischten Boden, doch meist etwas kiesig, die Wiesen nach dem Fluß scheinen feucht zu sein. Es war die Saat und alles noch sehr zurück, die Dörfer sind schön gebaut und die Leute reinlich und rechtlich.8 Weiter erzählt er näheres über Augsburg inseinen Tagebüchern.1 „Von Nürnberg ist die Reise nach Augsburg ganz ruhig. Augsburg selbst ist wohl eine der prächtigsten Reichsstädte wegen den präch­ tigen und reichen Kirchen und Palästen. Von den Kirchen ist be­ sonders der Dom oder die sog. Kreuzkirche (!) die größte, aber in der Pracht, glaube ich, übertraf sie die von St. Ulrich. Den 18. März wurde das Leichenbegängnis (für Kaiser Joseph II.) mit einer Pre­ digt und Trauermusik feierlich begangen.8 Auch an anderer Stelle 2 *schildert Goethe das letztgenannte Er­ eignis, an dem er scheinbar teilgenommen hat. Kaiser Joseph II. war bekanntlich am 20. Februar gestorben. Ein feierlicher Gedächt­ nisgottesdienst fand am 18. März im Augsburger Dom statt. Goethe schreibt darüber: „Aber die Krone mit Flor behängen, auf Samt­ kissen, die Wappen der Reiche und Provinzen auf Pappe gemalt, die vielen Lichter, Leuchter, Silber haben mir in einem Augenblick ein tieferes Gefühl gegeben seiner Würde, seines Standes, seines Schicksals . . ., als mirs durch keine Worte hätte können eingeprägt werden . . . Ich werde noch einige Tage in Augsburg bleiben, denn es kommt mir hier der Wohlgeruch der Freiheit, das heißt der größ­ ten konstitutionellen Eingeschränktheit entgegen. Nur eine Prome­ nade durch ihre Fleischbänke!“ 1 Werke. Weimarer Ausgabe. III. Abt. Bd. 2. S. 13. 2 In einem Konzept zu einem Briefe. Werke. Weim. Ausgabe. Abt. IV. Bd. 13. S. 491.

136 Es ist möglich, daß Goethe im Weißen Lamm wohnte, das ihm Herder, der auf einer Romreise vor zwei Jahren dort gewohnt, emp­ fohlen hatte. Sonst erhalten wir wenig Nachrichten über Augsburg. Viel beachtet hat Goethe scheinbar die freskenbemalten Häuser; denn er schreibt in den Ergänzungen zu seinen „Maximen und Re­ flexionen“1: „Holzer’s Freiheit durch den frohen Begriff an Häuser außen zu malen, erweckt“. Ebendort erwähnt er auch den Besuch der berühmten Gemäldegalerie des Domdekans Freiherrn v. Reischach. In einem Briefe an Knebel2 3beklagt er sich über die Kälte und die bösen Wege und fügt bei: „Hier werde ich mich einige Tage auf­ halten.“ Daß Goethe unseren Paul von Stetten besucht hat, ist vielleicht wahrscheinlich, aber nirgends nachweisbar. Uber seine sonstige Be­ schäftigung während des Augsburger Aufenthaltes unterrichtet uns die genaue Rechnungsaufstellung seines Dieners Götze : P. v. Stetten’s Beschreibung von Augsburg 1 fl. 8 Kr. Eine evangelische Kirche (wohl St. Anna) Trinkgeld, Mesmer...................................... 8 Kr. Katalog eines Gemäldekabinetts .... 36Kr. Perlachturm...................................................... 24 Kr. Wir sehen, die Nachrichten sind sehr dürftig. Auf der Rückreise von Venedig kam Goethe mit der Herzogin abermals durch Augs­ burg. Ob sie hier längeren Aufenthalt genommen haben, ist nicht bekannt. Ein Brief8 an Herder, datiert Augsburg den 9. Juni, läßt auf wenigstens eine Übernachtung schließen. Auch sonst erinnert sich Goethe gerne der schönen Reichsstadt. Selbst in seinen dramatischen Werken spielt sie mehrmals eine Rolle. So läßt er in einem der Entwürfe zu Faust auch eine Szene in Augsburg spielen.4 5Mephistopheles macht eine lustige und auf­ regende Beschreibung des Reichstages und überredet dadurchFaust zu einem Besuche desselben. Eine Szene des „Götz von Berlichingen“ spielt ebenfalls iu Augsburg in einem der Fugger’schen Gärten. Bei der Beschreibung der Dresdener Galerie6 erinnert sich Goethe ebenfalls seiner Augsburger Eindrücke, wenn er zwei Gemälde 1 Weimarer Ausgabe. I. Abt. Bd. 49,2. S. 277. 2 Ebenda. IV. Abt. Bd. 13. S. 490. 3 Ebenda. Abt. IV. Bd. 9. S. 208 4 Ebenda. Abt. I. Bd. 15. II. S. 174. 5 Ebenda. I. Abt. Bd. 47. S. 382.

137 Seybold’s folgendermaßen schildert: „Zwei Gemälde von Seybold mit dem Prädikat: nicht gut und vom Augsburger Stil, aber fleißig“. Goethe kam nie wieder nach Augsburg; daß ihm aber die Stadt gefallen, beweist eine sehnsuchtsvolle Äußerung an J. H. Meyer, den „Kunstmeyer“, in einem Briefe vom Jahre 1795 1: „Nürnberg hoffe ich dereinst mit Ihnen zu sehen und glaube selbst, daß man da und von Augsburg aus den alten deutschen Kunsthorizont recht gut werde überschauen können“. In der beliebten Form von Briefen hat der Kanonikus und später Landesschulrat KlemensAloisBaader2 seine Reiseerinnerungen3 herausgegeben. Er kennt unsere Stadt schon von früher, als er nach Vollendung seiner theologischen Studien am fürstbischöflichen Generalvikariate zu Augsburg praktizierte.4 Dort und in Salzburg hat er an den aufgeklärten Höfen den josephinischen Geist, der ihn allerdings etwas gemäßigt beherrscht, eingesogen. Im Jahre 1789 hat er eine Reise durch Bayern und Schwaben unternommen, deren Schilderung einen treffenden Ausschnitt aus jener unruhigen Geistes­ welt gibt. Im Gegensatz zu den „meisten Reisebeschreibern, die nur für eine Gattung Leser sorgen und alle die übrigen vergessen... sorgte er, so viel ihm möglich war, für das Interesse der meisten Leser.“ Von Friedberg her kommend fällt ihm beim Überschreiten derLechbrücke gleich etwas auf, was andereReisende verschweigen : „Die Augsburger sind zwar Schwaben, liegen aber so nahe an Baiern, daß man denken sollte, sie würden diesen mehr als jenen gleichen. Darum ist’s auffallend, wie man auf einmal jenseits der Brücke andere Provinzialwörter und eine ganz andere Aussprache hört. Der Übergang von einer Mundart zur andern besteht hier in der Lechbrücke.“ Nach dieserVorbemerkunggeht Baader zur Schilderung des dama­ ligen Augsburg über. „Augsburg ist eine der schönsten und größten Städte unseres deutschen Vaterlandes; sie ist größer als Wien und München (Vorstädte ungerechnet) und macht schon in der Ferne ein schönes Ansehen.“ Gerne erinnert er sich des Freundeskreises, in dem er hier gelebt. Besonders nahe stand ihm der protestantische 1 Weimarer Ausgabe. IV. Abt. Bd. 10. S. 327. 2 1762—1838. Vgl. Allg. Deutsche Biogr. Bd. I. S. 712. 3 Reisen durch verschiedeneGegenden Deutschlandes in Briefen. Augsburg 1801. Bd. I. S. 73—93. 4 1785—1787 s. Reisen. Bd. 1. S. 73.

138 Pfarrer J. A. Steiner von St. Ulrich, bei dem er als Gast Wohnung findet. Augsburg kennt er „wie seine eigene Vaterstadt.“ Ais Grund­ übel der damaligen schlechten Lage sieht er an „die Theuerung des Holzes und der Lebensmittel in Augsburg und den Luxus unter dem Handelsstande; und beide Übel sind zum Verderben dieser ansehnlichen Reichsstadt noch immer im Wachstume.“ Den Übergang zur Schilderung der Sehenswürdigkeiten der Stadt bildet eine bissige Bemerkung des Aufklärers. „So viele hell­ denkende und geschickte Männer Augsburg von beiden Konfessi­ onen enthält, so wenig sind hier im Ganzen Aufklärung und Tole­ ranz zu Hause; es ist hier wahrlich noch sehr finster und also ist es kein Wunder, daß es hier noch so viele Nachteulen und Fleder­ mäuse gibt. Indessen ist Augsburg in der älteren politischen so­ wohl als literarischen Geschichte, dann in Hinsicht auf Denkmäler und Künste eine der ersten und berühmtesten Städte in Deutschland. Das Rathaus ist unstreitig das erste und merkwürdigste Gebäude in Augsburg und vielleicht auch ... in ganz Deutschland das schönste und regulärste unter allen Gebäuden dieser Art.“ Eine kurze Schilderung des Rathauses mit reicher Literaturangabe, die auch sonst überall des Verfassers Gründlichkeit beweist, leitet über zur Betrachtung der übrigen Sehenswürdigkeiten. „Nächst dem Rat­ hause steht der Perlachturm . . . , der eine künstliche Uhr hat. Das Zeughaus hat eine schöne Facciade mit meisterhaft gegossenen Figuren . . . Die Garnison besteht aus ungefähr 500 Mann . . . Die Stadt ist nachts nicht erleuchtet. Die vornehmsten Plätze sind: der Perlach, der Weinmarkt, der Brodmarkt, der Domplatz und der St. Ulrichsplatz, die prächtigste Straße geht vom Siegelhaus bis an den Dom.“ Kurz geht Baader auf die „großen und schönen Spring­ brunnen“ ein. Sein antiquarisches Interesse bezeugt folgende Be­ merkung: „Eine Hauptmerkwürdigkeit von Augsburg sind die noch vorhandenen römischen Monumente und Steinschriften, die dem Altertumsliebhaber um so schätzbarer sein müssen als man hier so viele und so manche noch so gut konserviert antrifft. Maynz aus­ genommen hat sicher kein Ort in Deutschland so viele römische Monumente aufzuweisen als Augsburg.“ Die Schilderung des geistlichen und weltlichen Regiments glauben wir, übergehen zu dürfen. Bewundernd steht Baader vor dem leb­ haften Bild, das die vielen bemalten Häuser gewähren. „Außen an mehreren Privathäusern sind ganz herrliche aber meist von der

139 Witterung ziemlich beschädigte Gemälde zu sehen.“ Eine Reihe der schönsten und wichtigsten, wie den Bauerntanz usw. führt er auf. Bei der Aufzählung der merkwürdigsten Kirchen zeigt Baader ein ganz auffallendes kunsthistorisches Interesse, das mit einem ge­ wissen ästhetischen Behagen namentlich Gemälde beschreibt. Die Domkirche ist ihm „ein altes gotisches und teils an sich, teils durch die angebauten Kapellen und Kreuzgänge weitläufiges, keineswegs aber ein prächtiges Gebäude.“ Den toleranten Aufklärer kennzeich­ net die Bemerkung: „In der Domkirche werden die sogenannten Kontroverspredigten gehalten, von deren Nutzen ich mich wahr­ lich nicht überzeugen kann. Die Dombibliothek ist nicht beträcht­ lich . . . Unweit dem Dom ist die schöne bischöfliche Residenz.“ Auch bei der Beschreibung der übrigen katholischen und protestan­ tischen Kirchen beschränkt sich Baader auf kurze kunsthistorische Bemerkungen. „Nahe an der St. Annakirche ist die schöne Stadtbibliothek, die Sie, wenn Sie nach Augsburg kommen, zu sehen nicht versäumen dürfen . . . Unter den übrigen sehenswerten Sachen . . . gehört der prächtige Saal des Freiherrn von Lieberts, . . . das prächtige Ge­ bäude des Herrn von Schüle, außer dem Roten Tore . . . Das hie­ sige Schauspielhaus in der Jakobervorstadt ward ganz neu ... auf­ geführt. Den Herbst und Winter ist hier gewöhnlich die Woche dreimal Theater; aber die Orthodoxie geht in Augsburg soweit, daß es kein geringer Skandal ist, wenn ein katholischer oder prote­ stantischer Geistlicher das Theater besucht.“ Des weiteren bewundert Baader gebührend das Fuggerhaus, Drei Mohren, die Fuggerei usw. „An Örtern zur öffentlichen Belustigung ist in Augsburg kein Mangel; um die Stadt stehen viele Land­ häuser, in der Rosenau, zu den sieben Tischen und zu Göggingen, wo englische Gärten angelegt sind, findet man immer Gesellschaften. An wohltätigen Anstalten für die leidende Menschheit fehlt es in Augsburg nicht.“ Zum Schluß erwähnt er noch die reichen naturund kunsthistorischen Sammlungen seines Freundes Steiner, die verschiedene Fürsten und Gelehrte besucht haben und beendet dann seinen langen Brief: „Da haben Sie nun, mein Freund, von Augsburg das wichtigste . . .“ Anonym hat der Italiener Alexandre Collini,1 der Freund und Sekretär Voltaires, hauptsächlich kulturgeschichtlich recht in^ 1 1727—1800. Vgl. Nouvelle Biographie generale. Vol. 12. p. 189.

140 teressante Reisebriefe1 über Deutschland herausgegeben. Er spricht zwar seiner Aufgabe gemäß über die deutschen Zustände nur all­ gemein, unterläßt es aber dennoch nicht gegebenenfalls Augsburg zu erwähnen. So spricht er S. 116 von den „beaux edifices ä Augsbourga. S. 139 erwähnt er von Schwaben, daß dort „les pays sont de contrees heureuses et d’abondance, tres-bien cultivees“. S. 146 ff. berichtet er von dem blühenden Gewerbe, den Manufakturen und Goldschmieden zu Augsburg, kritisiert dann S. 188 die Volksfeste und -sitten an den Vergnügungsstätten vor der Stadt, lobtS. 213 das Festhalten an der alten nationalen Tracht in Schwaben und amüsiert sich S. 302 über die gegenseitige Hänselei unter den deutschen Stämmen. „En Allemagne lorsqu’on dit, c’est un Suabe, on entend par lä un imbecille, un grossier, un benet. Cette opinion injurieuse est tres-repandue dans les pays. Rien n’est plus injuste . . . Ils disent que les Suabes ne commencement ä avoir le sens commune, qu’ä Tage de 40 ans. Un Bavarois croit qu’on lui dit une injure lorsqu’on l’appelle le Suabe . . . Prenez-y garde tout cela est faux, tout cala est prejuge.“ Außerordentlich erfreulich ist dies namhafte Eintreten eines Ausländers für uns Schwaben. Ein äußerst schätzbares Material hat jin seinen geographischen Werken zusammengetragen der Jenenser Professor JohannErnst Fabri2. 3Wenn man auch in seiner Zeit zu einer viel entwickelteren Auffassung der Geographie gelangt war, so findet man in seinem fleißigen Werke doch eine solche Unsumme von überallher zu­ sammengetragenen, meist auch geschickt ausgewählten Material, daß bei der großen Verbreitung seiner Bücher sein Urteil nicht zu verachten ist. In seiner „Geographie für alle Stände0 3 behandelt er auch Augsburg. Unsere Stadt ist ihm „eine der ältesten, größten, schönsten Städte und einer der wichtigsten Handels- und Wechsel­ plätze Deutschlands ... Die solide Bauart ihrer großen und ansehn­ lichen Häuser, die Regelmäßigkeit ihrer schönen und breiten Straßen, ihre prächtigen öffentlichen Gebäude, so auch ihre metallenen Spring­ brunnen geben Augsburg einen Rang unter den vorzüglichen Städten in Deutschland . . . Von allen öffentlichen Gebäuden ist ohnstreitig das Rathaus das vornehmste und vielleicht in ganz Deutschland das schönste und regulairste dieser Art . . . Das Zeug1 Lettres sur les Allemands. Hambourg 1790. 2 1755—1825. Vgl. über ihn: Allg. Deutsche Biogr. Bd. 6. S. 499. 3 Theil I. Bd. 2. Leipzig 1790. S. 455—488.

141 haus . . . ist . . . ein Zierrat für die Stadt . . . Die Häuser sind größ­ tenteils ansehnlich. . . Das beste bürgerliche, modern gebaute Haus ist das Haus des Freiherrn von Liebert . . . Viele Häuser, die . . . alte, vortreffliche Malereien auf nassem Kalk hatten, sind nun leider seit etlichen Jahren heruntergekrazt und nachher in schlechtem Geschmack mehr überschmiert als gemalt.“ Es folgt dann eine ausführliche Beschreibung der Stadt, ihrer Sehenswürdigkeiten, Einwohner usw., es werden sämtliche Gewerbe aufgezählt und die Verfassung eingehend besprochen. Zu weitgehend ist die Dar­ stellung bei Fabri, als daß wir sie überhaupt nur im Auszuge wieder­ geben könnten. Zum Schlüsse führt er noch einen Mangel an: „Die benachbarte Gegend ist bis jetzt noch nicht hinlänglich benutzt. Noch ist ein Teil Heideland, das zwar zur Viehweide dient, aber weit besser angebaut werden könnte. Auch selbst an Obste hat man hier einen so starken Mangel, daß man es sogar aus Tirol hieher bringt und teuer verkauft.“ Ganz im Fahrwasser der Aufkläung bewegen sich die „kritischen Bemerkungen über Augsburg“, welche unser engerer Landsmann FranzKratter1 aus Oberndorf gibt.2 „Vor inniger Freude bebte mir das Herz, als ich von dem bayerischen Grenzstädtchen Fried­ berg aus wieder einmal die zierlichen Türme von Augsburg, eine der schönsten Städte des teutschen Reichs sah. Das Ganze bildet hier durch die mannigfaltigen, kühn und bunt sich ineinander ver­ laufenden Objekte von dieser Seite einen eben so angenehmen als überraschenden Prospekt. Ich brachte in dieser Stadt die Jahre meiner ersten Jugend zu, genoß von guten Menschen viel Gutes und erinnere mich dessen noch immer mit gerührtem Herzen.“ Diese lobende Einleitung, die sich auf den äußeren Eindruck der Stadt bezieht, findet im Folgenden eine ziemliche Abschwächung. Als echtem Aufklärer ist unserem Kratter das Regierungssystem unserer Stadt suspekt, das sich an „althergebrachte Konstitutionen“ hält; dazu kommt noch der „fatale Umstand, daß sich die Stadt in zwei nicht allzu verträgliche Religionen trennt“. Trotzdem findet er „die Regierung hier sehr gelinde, die selten zur Unzufriedenheit 1 1758—1830. Bekannt sonst als Dichter, lebte in Lemberg und Wien. Vgl. K. Goedeke, Grundriß der deutschen Dichtung. 2. Aufl. Dresden 1916. Bd. IV, 1. S. 620. 2 Bemerkungen, Reflexionen, Phantasien und Skizzen von Gemälden und Schilderungen auf meiner Reise durch einige Provinzen Oberteutschlands. Brünn 1791. S. 91 — 124.

142 des Volkes Anlaß gibt. Auch scheint hier die Prozeßsucht nicht so ansteckend und überhandnehmend zu sein.“ Die Ursache davon findet er in dem „ebenso armen als unwissenden Advokatenvölklein“. Kratter war selbst Zögling der Augsburger Jesuiten, deshalb ist er über diesen Orden, seine Tätigkeit und seine Erziehungs­ maximen sehr gut unterrichtet. Doch zeigt er hier die bekannte Ein­ stellung der Aufklärung und des Josefinismus. Mit Bewunderung er­ zählt er von dem mächtigen Einfluß der Jesuiten, den sie auf die Jugend und auf das ganzeVolk ausüben. Allerdings ist er so ehrlich, „ dies all­ gemeine Zutrauen“ begründet zu sehen in dem „Erbaulichen ihres öffentlichen Wandels. Man wird nicht leicht ein geistliches Kolle­ gium finden, in welchem Eintracht und Friede, Ordnung und Nüch­ ternheit, Unverdrossenheit und strenge Ausübung der Ordens- und Amtspflichten so sehr ins Auge fallen als hier. Sie stehen sehr frühe auf und sind vom Morgen bis zum späten Abend beschäftigt; ihre Tafel ist mäßig . . ., sie verrichten die Zeremonien der Kirche mit dem ehrwürdigsten Anstande. Im Umgänge sind sie bescheiden, gefällig, gesprächig mit Behutsamkeit und haben die sanfte Ge­ bärde der Demut und Selbstverleugnung bis zum unmerklichsten Naturspiel in ihrer Gewalt.“ All diese Vorzüge, die ihm doch recht äußerlich Vorkommen, halten ihn doch nicht von einer Verurteilung des Ordens ab, dessen Schädlichkeit er eben in seiner Haupttätigkeit, starke Kämpfer für den Glauben auszubilden, sieht. Allerdings ist sein Urteil trotz des aufklärerischen Mäntelchens nicht ganz einwandfrei, wie er selbst erzählt. Infolge eines Studentenstreiches, den der auch sonst recht eitle Kratter ausführlich auf 8 Seiten erzählt, mußte er das Augs­ burger Jesuitengymnasium (1773) verlassen. So gewinnen seine Aus­ führungen über unsere Stadt, die sich fast ausschließlich mit denjesuiten beschäftigen und nach einer lobendenEinleitung nur versteckten, gehässigen Tadel bringen, wenig Sympathie, die allerdings durch eine zweite Abhandlung über unsere Stadt und deren Armeninstitut wieder etwas geweckt wird.1 Ein Werturteil über Augsburg, nicht ganz unrichtig gegeben, bildet die Einleitung dazu: „Die Augspurger sind noch das gute, redliche Volk, bei denen wahre Men­ schenliebe und ungeheuchelte Wohltätigkeit zu Hause sind. So tief auch die Stadt von ihrem vorigen Wohlstände herabgesunken ist, so wenig Aussichten sie hat, sich jemals wieder auf einen Grad der1 S. 115—124.

143 selben zu erschwingende mehr Erarmungen nahrungsloser Familien bei ihr von Zeit zu Zeit unausbleiblich sind, desto mehr gereicht es ihr zur Ehre, daß sie das vollkommenste Armeninstitut in ganz Teutschland hat.“ Im folgenden schildert er unter Anlehnung an die philanthropinistischen Anschauungen das wirklich vorbildliche Armeninstitut der Stadt, das bereits eine modern anmutende Ar­ beitslosenversicherungbesaß und für Arme,Waisen und Handwerks­ burschen sorgte. Aus eigener Erfahrung weiß er die Wohltätigkeit der Bürger zu rühmen, die bedürftigen Studenten Kostplätze in Fülle gewährt und schließt mit dem Wunsche, daß in ganz Deutschland solche soziale Großzügigkeit Platz greifen möchte. Der gelehrte Wiener Buchhändler J. J. von Reilly1 erwähnt in seinem großen, allerdings nicht selbständigen Geographiewerke2 auch unsere Stadt: „sie ist überhaupt genommen eine schöne Stadt und wegen ihrer Silber- und Zinnarbeiten berühmt.“ Der Helmstädter Theologieprofessor und Bibliothekar Paul Ja­ kob Bruns3 hat neben zahlreichen exegetischen Werken auch eine Handelsgeographie4 5verfaßt. Diese Wissenschaft war damals im Zeitalter des kommerziellen Fortschrittes im Aufblühen begriffen. Er berichtet: „Augspurg eine freie Reichsstadt (Einwohner 37000) hat außerordentlich wichtige Cattunmanufakturen und Druckereien, worunter die von Schüle sich auszeichnet, außerdem Barchent-, Leinwand- und andere Weber, viele Goldschmiede, die geschickte Arbeit in Gold und Silber liefern. Goldschläger, die in anderen Pro­ vinzen selten sind, Bortenmacher und viele andere geschickte Künst­ ler und Handwerker, auch viele Groß- und Klein-Uhrmacher. Da die Kunst, welche Augspurg vom 14. Jahrhundert an berühmt machte, noch nicht untergegangen ist, wird auch die Handlung mit den Fabrikaten über ganz Deutschland, Schweiz, Italien, Frankreich, Holland usw. beträchtlich.“ Im „Neuen Handbuch“ 6 gibt Bruns einige Berichtigungen dazu: „Die Barchentweber zu Augsburg sind fast alle nach Kaufbeuren gezogen. In dem benachbarten Grieshaber (— Kriegshaber) sind Genfer Uhr- und Uhrgehäusenmacher.“ 1 K. v. Wurzbach, Biogr. Lexikon. Bd. 24. S. 198. 2 Allgemeine Erdbeschreibung geschöpft aus Büsching etc. Wien 1792. II. Theil. S, 243. 3 1743—1814. Vgl. Allg. Deutsche Biographie. Bd. 3. S. 450. 4 Geographisches Handbuch in Hinsicht auf Industrie und Handlung. Nürn­ berg 1793. Teil I. S. 178. 5 Nürnberg 1793. S. 199.

144 Wohlwollender als verschiedene andere seiner norddeutschen Landsleute urteilt der herzoglich kurländische Regierungsrat Karl Martin Plümicke1 über Augsburg. Der Inhalt seiner Äußerungen2 beschränkt sich, wie der Titel schon andeutet, hauptsächlich auf industrielle, technische und ökonomische Gebiete, die ja damals an­ fingen, große Beachtung zu finden. Am 29. Juni 1791 langte Plü­ micke von München her in Augsburg an. „Meine Absicht war eigent­ lich nur, auf einen kurzen Abstich hieher zu reisen und dann nach München zurückzugehen. ... Es war noch nicht 8 Uhr Abends, als ich in Augsburg eintraf, woselbst ich in der goldenen Traube einkehrte/ Mit guten Empfehlungen ausgerüstet nützte Plümicke seinen kurzen Aufenthalt vortrefflich aus. Mit einer Reihe bekannter Persönlichkeiten traf er zusammen, so mit Paul und David von Stet­ ten, Oberpostsekretär Clairemont, Magister May, Konsulent Beck und Herrn von Schadow, dem Fabrikanten und Mechanikus Joh. Friedr. Heinle, Jos. Paul Cobres, Rektor Mertens. Als erstes besucht er den Dom; daran anschließend seinem Reisezwecke folgend das Domkapitelsche Kornhaus, „um die unter einer musterhaften Auf­ sicht daselbst vorhandene erstaunliche Getreidevorräte zu sehen.“ Mit Herrn Beck, der ihn führte, besichtigte er dessen Kunstsamm­ lung, bewundert eine in seinem Garten angelegte Plantage von syr­ ischen Seidenpflanzen, die damals zu Manufakturversuchen vielfach kultiviert wurden. Bei einem Herrn von Stahl findet er eine Farm von Seidenhasen, die er ausführlich beschreibt. Unter Führung von Joh. Friedr. Heinle besucht er dessen Spinnerei, wo die vom Besitzer erfundenen Spinnmaschinen besichtigt werden, die Plümicke vor­ teilhafter als die englischen findet. Ausführlich erzählt er dann von den andern mechanischen Versuchen und Erfindungen Heinle’s: von einer umwälzenden Erfindung auf dem Gebiete der Schiffahrt, einem neuen Gewehrmodell, einer Schiffshebemaschine etc. An­ schließend daran besucht er die Munk’sche Fabrik, „woselbst die so berühmten hiesigen Gold-, Silber- und gefärbte Papiere verfertigt werden.“ Er brachte auch Aufträge aus Berlin und Schlesien mit und darf dafür den Gang der Fabrikation verfolgen. Sogar einen Preiskourant der verschiedenen Sorten bringt er im AnhangS. 135. 1 J. G. Meusel, Gelehrtenlexikon. Bd. 6 (1798). S. 132 f. 2 Briefe auf einer Reise durch Deutschland im Jahre 1791 zur Beförderung der National-Industrie und des Nahrungsstandes.Vornehmlich in Beziehung auf Manu­ faktur-, Kunst- und Ökonomie-Gegenstände. Liegnitz 1793. Teil II. S. 351—382.

145 Als Freund der exakten Wissenschaften bedauert er, daß er die Naturalien- und Konchyliensammlung des Bankiers Cobres sowie seine naturhistorische Bibliothek wegen Zeitmangel nicht besuchen konnte. Aus eben diesem Grunde entging ihm auch die „gerühmte und herrliche Bibliothek besonders von gedruckten Bibelwerken und schönen Manuskripten von Luther und Melanchthon, und die Samm­ lung von Vogelnestern und Eyern“ des protestantischen Pfarrers Steiner. „Wiewohl indeß heute Abend meine Abreise angesetzt ist, so unterließ ich nicht, diesen Nachmittag noch die durch den Reich­ tum ihrer Manuskripte berühmte Stadtbibliothek zu sehen, wozu Herr M. May die Güte hatte, mir behülflich zu sein. Die Grundlage dazu waren die Bücher, die man nach der Reformation in den von den Mönchen verlassenen Klöstern auf Befehl des Magistrats zu­ sammenbrachte. Die Aufsicht darüber führt eigentlich der Herr Rektor Mertens am hiesigen St. Annen-Kloster.“ Im folgenden be­ rührt er eine Affäre, welche in protestantischen Kreisen damals großes Aufsehen erregt hatte. Beim Besuch des Papstes Pius VI. in der Stadtbibliothek hatte Mertens, hingerissen vor der majestä­ tischen Würde des Papstes, diesen kniend mit einer begeisterten Anrede begrüßt. Deshalb wurde Mertens vielfach angegriffen. „Einer seiner vornehmsten Antagonisten war der sonst verdienstvolle ge­ heime Rat von Zapf, dessen persönliche Bekanntschaft ich bei der Besichtigung der Bibliothek gemacht habe.“ Zum Schlüsse kommt Plümicke noch zu einem allgemeinen abschließenden Urteil über unsere Stadt: „Augsburg, das in einer reizenden Gegend zwischen den Flüssen Lech undWertach auf einer kleinen Anhöhe liegt, ist sonst groß und schön. Aber eben seine Weitläufigkeit wird bei dem schlechten Steinpflaster ungemein lästig... Ihr Umfang ist ongefähr 9000 gemeine Schritte. Die Häuserzahl soll in allem kaum 3600 be­ tragen. Die gegen ehedem sehr abgenommene Volksmenge dürfte 36 bis 38000 Seelen betragen. Rings um die Stadt sind anmuthige Alleen angelegt. Es hat viel schöne und öffentliche Gärten, von denen ich keinen als den Benzischen gesehen habe, wo sich zur Abendzeit eine auserlesene Gesellschaft versammlet. Bei der Beschränktheit des Stadtgebiets, hat man sich angelegen seyn lassen, ihr durch Aufnahme der Manufakturen, Fabriken und (verfallenen) Handlung zu Hülfe zu kommen und den Nahrungsstand der Einwohner zu vergrößern. Die ersten beiden bezeichnen die Stadt von einer sehr vorteilhaften Seite, wenn auch der Handlungszustand nie wieder 10

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zum Flor jener Zeiten gelangen kann, in denen der neue Weg nach Ostindien noch nicht gefunden war. Immer sind indeß noch Wech­ sel- und Speditionsgeschäfte beträchtlich genug. Die Kattun- und Zeugfabriken, besonders die des Edlen von Schüle, . . . sind überall bekannt. Die hiesigen Silberarbeiten stehen immer noch in Ruf und unter den Künsten befinden sich auch noch jetzt die Malerei und Kupferstecherkunst obenan.“ An Gebäuden findet Plümicke das Rathaus, die mit Fresken bemalten Häuser, den Einlaß usw. be­ merkenswert. So lautet sein Urteil über Augsburg im allgemeinen sehr günstig; gründlich hat er sich während seines kurzen Aufent­ haltes hier umgesehen und mit offenen, allerdings hauptsächlich volkswirtschaftlich eingestelltem Auge alles wesentliche besichtigt. Zum Schlüsse bricht er ritterlich für die von Seite der Aufklärung viel verlästerte Stadt noch eine Lanze : „Immer schon hat man an dieser Stadt zum Ritter zu werden versucht. Anselmus Rabiosus griff sie von seiten ihrer Abderitismen an; worauf ihm . . . mehrere gefolgt sind. Letzterem wird soeben, da ich hier bin, in einer Ge­ genschrift, betitelt: „Über Augsburg®, tapferer Bescheid getan.® Von einer scharfen Kritik, aber doch mild in der Darstellung, ist das Urteil, das Philipp Ludwig Hermann Röder1 über Augs­ burg fällt; auch er steht unter dem bekannten Banne der Aufklä­ rung. Von München her nähert er sich unserer Stadt, die sich „von der Bayerischen Seite am besten zeigt®. Aber der gute Eindruck verschwindet bald wieder; allerdings ist die Ursache lächerlich. „Am Rothen Thor zeigt sich einer der Augsburger Stadtsoldaten. Da das Tragen der Flinte sonst seine Sache nicht sein muß, so hatte er sie ruhig an die Mauer gelehnt und spazierte auf und ab. Als er uns kommen sah, nahm er sie ganz gravitätisch auf die Schulter und fragte nach unserm Namen. Während dies geschah, hatte ich Zeit die schönen Verse zu lesen, die über dem Thor stehen . . . Sie fangen also an: Augustae proceus haec propugnacula civi Et sibi fecerunt, pro pietate sua. Dieser Vorgeschmack gibt schon keine gute Idee von dieser Pflanz­ stadt des Augustus und diese wird auch bei näherer Beleuchtung gerechtfertigt.® 1 geb. 1755, seit 1811 Pfarrer zu Wahlheim. Vgl. über ihn Meusel a. a. O. Bd. 6. S. 397 und Band 19. S. 394. Sein Werk, mehrfach aufgelegt, ist betitelt: Reisen durch das südliche Teutschland. Frankfurt und Leipzig 1795. Bd. 4. S. 59—84.

147 Ausführlich behandelt er im Sinne seiner Zeit die Bevölkerungs­ bewegung und beweist daraus, was ja niemand bestreitet, den Niedergang der Stadt seit dem Ende des Mittelalters. Er fährt dann fort, seinen Eindruck, den er von der Stadt erhält, zu schildern: „Die meisten Häuser sind groß und fast alle von Stein gebaut. Die Bauart aber ist ekelhaft und das Illuminieren der Häuser ab­ scheulich und demjenigen der aus Italien herkommt und dort die edle Simplizität der Gebäude gewohnt worden ist, unerträglich. .. Aus den verschwundenen Zeiten des Wohlstandes dieser Stadt sind noch schöne Gebäude übrig . . ., die zween schönen Brunnen . . . und das schöne Rathaus. Das Pflaster der Stadt ist noch schlechter als das zu München . . . Die Straßen sind nicht gerade, auch meist eng und zum Theil bergigt. Der Weinmarkt und der Holzmarkt.. . bilden durch ihre Länge die schönste Straße der Stadt, sind breit und mit schönen Häusern besetzt. Auf denselben steht das schöne Liebertsche Haus und das Wirtshaus zu den drei Mohren, welches das beste der Stadt ist. Man speist hier aber nicht so gut und viel teurer als in München. . . . Außerdem hat die Stadt noch einige, wenig ansehnliche Plätze. Das schönste und vorzüglichste Gebäude ist das Rathaus“, das er ausführlich beschreibt. Des weiteren be­ sucht Röder das Zeughaus, dessen Front er schön findet, das Innere aber leer, die bischöfliche Residenz und die Stadtbibliothek, die er als literarisch gebildeter Mann unter der Führung des Rektor Mer­ tens eingehend besichtigt. Er beklagt, daß die Stadtväter seit dem dreißigjährigen Krieg kaum für die Bibliothek sorgen, daß fast keine Neuanschaffungen den ansehnlichen Grundstock erweitern und daß der Bibliothekar jämmerlich bezahlt ist. „Nun hat also der Biblio­ thekar der des heiligen römischen Reichs freien Stadt Augsburg täglich 4 Kreuzer Besoldung und dafür soll er jedem, dem es ein­ fällt, die Masse von Büchern oder vielmehr ihre Deckel zu sehen und etwa, wie einige Reisende taten, die Titel abzuschreiben, zu Gebote stehen und seine anderen Geschäfte im Stich lassen.“ Als Aufklärer sind ihm die vielen Kirchen und Klöster ein Greuel. „Mit Kirchen und Klöstern ist Augsburg. . . reichlich angefüllt... Die Domkirche ist ein altes, großes, gotisches Gebäude . . Sie hat . . . einige Altarblätter, alte bemalte Fenster . . . und Thüren von Metall, an welchen Figuren aber von schlechter Arbeit sind. “ Großes Kunstverständnis verrät dies Urteil z. B. über das Bronzetor nicht! Von den übrigen Kirchen erwähnt er nur St. Ulrich und die Bar10*

148 füßer. Im übrigen schließt er sich dem Urteil der Aufklärung an: „Von der Aufklärung der Augsburger überhaupt ist schon vieles geschrieben worden und Herr Nicolai hat fast alles gesagt, was davon gesagt werden konnte.“ Er fährt dann fort: „Die ehemalige gute Nahrung1 der Einwohner undihrWohlstand, dessen sie genossen, sind mit der ehemaligen großen Einwohner­ zahl dahin geschwunden . . . Das vorzüglichste Gewerbe der Stadt ist die Weberei und Kottonmanufakturen, deren hier [8 sind . . . Außer diesen Manufakturwaren handeln die Einwohner mit Silber und Messingwaren, verfertigten Instrumenten, gefärbtem Papier, geschlagenen Metallen, Uhren, Kupferstichen, Büchern, goldenen und silbernen Borten, Papiertapeten, Leinwand, Landkarten, Uhr­ federn, Tabak etc. Die Landkarten, welche Augsburg liefert, sind selten brauchbar. Jedermann kennt die fehlerhaften und ekelhaft gestochenen Lotterschen Karten. Die Kupferstiche der Augsburger sind mehPfür den Verkauf als für die Kunst gemacht . . . Für den Buchhandel sind zehn Buchhandlungen . . . Schwerlich wird wohl solcher abscheu­ licher Unsinn von Büchern zur Welt gebracht als die hiesigen Buch­ handlungen ... Was je der finstere Aberglaube... verlangen kann, wird hier verlegt und verkauft.“ Als größte Künstler des 18. Jahr­ hunderts in Augsburg nennt er den Mechaniker Brander und den Orgel- und Klavierbauer Stein. „Mit diesen und ähnlichen Fabrikaten führen die Augsburger noch einen schwachen Handel, der seinen schleichenden Gang fort­ geht und immer schwächer wird. Augsburg hat mit Nürnberg gleiche Schicksale gehabt nur mit dem Unterschied, daß Augsburg ohne seine Schuld durch äußere Umstände gefallen ist, Nürnberg aber durch seine eigenen Patrizier zu Grunde gerichtet worden ist. Augsburg ist viel kleiner als Nürnberg, hat kein Gebiet, nicht ein­ mal ein ganzes Dorf und hat sich bei seinem Herabsinken doch schuldenfrei erhalten. Nürnberg besitzt ein kleines Fürstentum und ist voller Schulden.8 Also doch zum Schlüsse noch eine kleine Ehren­ rettung für Augsburg. Von Vergnügungsstätten hat Röder das Theater besucht. „Ein vorzüglicher Tummelplatz des Vergnügens ist das Dorf Oberhau­ sen, in welchem ein großes Wirtshaus ist, das Schlößchen genannt, wo sich vorzüglich der Pöbel belustigt und seine Biergelage hält... 1 im Sinn der damaligen Volkswirtschaftslehre = Einkommen, Verdienst.

149 Die Kaffeehäuser, obgleich acht hier sind, sind nicht mit den Wie­ nerischen und italienischen, nicht einmal mit den Salzburgischen zu vergleichen. Wenn man in ein Kaffeehaus tritt, so muß man sich öfters durch eine Dampfwolke von Tobakrauch durcharbeiten, bis man zu einem Sitz kommt; dann trifft man erst Gesellschaft von Bürgern, Fuhrleuten, politischen Kannengießern und dergleichen Personen an, welche Bier und Branntwein verzehren. Von feinerer Welt findet mamjhier wenig oder gar nichts; auch vermißt man den Vorrat von Zeitungen, den man sonst auf den Kaffeehäusern zu finden gewohnt ist.a Zum Schlüsse werden wir noch durch einen großangelegtenSchildbürgerstreich erfreut; mit Behagen erzählt Röder, wie der bekannte Baron Lütgendorf mit seinem verunglückten Ballonaufstieg die Augsburger geprellt hat. Ein ganz modern anmutendes Reisebuch, fast in Form unseres Baedekers, haben zwei Franzosen verfaßt.1 Wir finden da die Reise­ routen, die Geldverhältnisse und knapp und schlagwortartig die wichtigsten Reiserouten aufgezeichnet und zwar aus eigener An­ schauung. „Augsbourg, grande ville, assez belle: environ 36000 habitans. L?hotel-de-ville merite d’etre vu, quoiqu’ audessous de l’eloge qu’en font quelques voyageurs: le vestibule est fort beau: la salle du seconde etage superbe: le plancher en est peint ä compartimens . . . L’eglise des jesuites et celle de Ste.-Croix sont decorees avec richesse. On verra la maison de M. Liebert: enfilade de trente-deux croisees et de plus de trois eens pieds: belle galerie de 64 pieds sur 32. — La port de nuit (= Einlaß) taxee a 2 fl.: c’est la seule chose taxee, quoiqu’en disent les laquais de louage.— La machine hydraulique. En partant d’Augsbourg pour Munich on trouve une superbe fabrique d’indiennes ou toiles peintes,2 dont il se fait des envois tres considerables. Le bätiment ä 23 croisees de facade sur 42 de profondeur. Cette ville manque d’eaux, elles lui arrivent par des canaux tires du Leck que la Baviere peut fermer ä volonte: ils sont fort bien entretenues. A une lieue d’Augsbourg, on passe le Leck sur un pont, au bout duquel on entre en Baviere: on y plombe les malles, ce qui evite d’etre fouille, jusqu’ä la sortie de cet etat; il en coüte 1 fl. pour malle ou vache. Les chemins d’Augsbourg ä Munich sont beaux.“ 1 Voyage deux Fran$ais en Allemagne, Danemarck, Suede . . . fait 1790—92. Paris 1796. T. 1. p. 10. 2 Schüle’sche Fabrik vor dem Roten Tor.

150 Einen besonders kulturhistorisch interessanten Einblick in das „sterbende“ Augsburg des ausgehenden 18. Jahrhunderts gewähren uns die Aufzeichnungen des Grafen Johann Ulrich vonSalisSeewis.1 Durch die politischen Verhältnisse der Napoleonischen Zeit wurden auch die Salis aus ihrem Vaterlande Graubünden ver­ trieben. Französische Heere standen bereits vor Bern; das Schwei­ zer Landvolk erhob sich in begeistertem Freiheitsrausch gegen seine adeligen Grundherrn. Diesem Unheil auszuweichen, zog Johann Ulrich mit seinem Vater ins Exil und zwar nach Augsburg, wo unter Führung des Generals Hotze Schweizer Emigranten die Be­ freiung ihres Vaterlandes vom französischen Joche betrieben. Uber Schaffhausen, Singen, Ulm trafen die beiden am 16. März 1798 in Augsburg ein. Der Bericht des jungen Grafen Salis über seinen Augsburger Aufenthalt ist durch sein kluges, maßvolles Urteil, ge­ schärft durch langen Aufenthalt im Auslande, so einzigartig aus dieser Zeit, daß wir ihn im folgenden wörtlich nach der Wieder­ gabe seines Nachkommen Guido bringen wollen.2 „Am 15. Mai fuhren die Reisenden noch bis Kriegshaber, einem hübschen neuen Vororte Augsburgs, vornehmlich von Juden be­ wohnt, welche „christliche Habsucht“ nicht in der Stadt geduldet hatte! Den 16. März brachte der Bediente Lohnpferde aus Augsburg, mit welchem die Emigranten 11 Uhr vormittags durch die Tore der ansehnlichen Reichsstadt einfuhren; bei der sogenannten „Bettel­ brücke“ wurden sie von mehreren Bettlern gleichzeitig angesprochen; an einem Pfahl war dort zu lesen: „hier ist das Betteln bei Strafe ver­ boten 1“ Im Lamm stiegen sie ab und besuchten noch am selben Abend die Comödie; gleich in der ersten Woche wohnten sie fünf Auffüh­ rungen bei, doch war schon am 24. März die diesjährige Spielzeit zu Ende. Einer der ersten Gänge galt einem Besuche bei General Hotze in den drei Mohren, auf dessen Person viele Schweizer und Bündner voller Hoffnung blicken. Während der nun folgenden zwei Wochen vor Ostern besuchte Johann Ulrich fast täglich mehrere Kirchen, hörte hier die Predigt eines evangelischen Pfarrers, dort diejenige eines Jesuiten-Paters, 1 1777—1817. Vgl. über ihn: Guido von Salis-Seewis: Ein bündnerischer Ge­ schichtsforscher vor 100 Jahren: Johann Ulrich v. Salis-Seewis. Aarau 1926. 2 Ebenda S. 20—29.

151 freute sich namentlich der guten Kirchenmusik und verglich mit In­ teresse die kirchlichen Bauten der Stadt untereinander. Dann folgten 14 Tage anregenden Studiums der Stadt, ihrer Se­ henswürdigkeiten, Sitten und Verfassung. Ein zweistündiger Rund­ gang um die Befestigungen gibt ihm vorerst einen Begriif über die recht beträchtliche Ausdehnung der Stadt, welche mit ihren unzäh­ ligen Kirchtürmen ein abwechslungsreiches Bild bietet, reizvoller als ihre trostlose Umgebung; dieser Weg um die übelriechenden Stadt­ gräben ist die einzige wirkliche „Promenade “, freilich eine so beschei­ dene, daß stellenweise nicht für vier Personen nebeneinander Platz ist! Die Stadtmauern sind erbärmliche Backsteinwerke, in welchen neun Tore Eingang zur Stadt gewähren. In dieser sind wohl meh­ rere Straßen breit und schön, aber abends völlig unbeleuchtet, außer durch einige von Privatpersonen ausgehängte Laternen; eigentliche Plätze fehlen dem Stadtbild vollkommen, ja selbst das Rathaus steht in so enger Umgebung, daß seine zwei Türme nur in großer Entfer­ nung zur Wirkung kommen. Die meisten Häuser sind bemalt mit Darstellungen aus der biblischen Geschichte, manche von oben bis unten mit Bildern bedeckt; am wenigsten gefällt aber Johann Ulrich die St. Jakober Vorstadt, die alt und winkelig gebaut ist und deren Häuser die hohen Giebel gegen die Straße kehren. Die ansehnlich­ sten Privatbauten sind diejenigen der Fugger und der Domherren; aber auch das schloßartige Haus des Stadtpflegers von Imhol fällt vorteilhaft auf; dagegen wirkt die bischöfliche Residenz wie eine gewöhnliche Kaserne, und widrig berührt die Unreinlichkeit auf Treppen und Fußböden. Mit ganz besonderen Interesse besichtigt Johann Ulrich den Einlaß, ein 1514 erbautes Tor mit höchst über­ raschender Mechanik: durch eine Türe, welche sich selbsttätig öff­ net, betritt man eine Halle; sowie nun die erste Türe hinter dem Eingetretenen laut zuschlägt, springt vor ihm eine zweite auf und er kommt in eine andere Halle, wo sich das nämliche wiederholt; in der dritten Halle senkt sich allmählich eine Fallbrücke herab, wo­ durch hinwiederum ein eisernes Gatter zu einer bedeckten Brücke aufspringt — usw. Nicht minder sehenswert ist der Ablaß, eine Ein­ richtung zur Regelung der städtischen Wasserversorgung, die jedoch vor kurzem abgebrannt war, sodaß Johann Ulrich erst bei einem späteren Besuche die ganze Großartigkeit dieser städtischen Wasser­ versorgung kennen lernte ; für diesmal erfuhr er nur, daß Augsburg, was Wasser und Holz anbelangt, völlig vom Kurfürsten von Bayern

152 abhing, der sich daher die Stadt jederzeit tributpflichtig machen konnte, so oft er in Geldverlegenheit kam. In ähnlicher Not befand sich die Stadt mit ihrem leeren Arsenal: beim Vorrücken der Fran­ zosen hatten S. K. K. Majestät das Haus „allergnädigst“ räumen und die alten Harnische einschmelzen lassen! Waren die Augsburger nun auch ohne Waffen, so fehlte es ihnen doch nicht an Soldaten: die ganze Bürgerschaft ist in 9 verschiedene Corps oder Compagnien eingeteilt — Grenadiere, Musketiere, Jäger, Dragoner — jedes mit verschiedener Uniform, sodaß die Franzosen bei ihrer ersten Invasion staunten, daß eine Stadt so zahlreiche „Regimenter“ aufzubringen vermochte; den braven Spießbürgern ihrerseits sei es dafür „unend­ lich schmeichelhaft“ gewesen, mit den regulären französischen Trup­ pen auf die Wache ziehen zu dürfen! Daneben liegen noch weiß-rote Dillinger von einem bischöflichen Regiment in der Stadt, sowie ein weiß-blaues Veteranen - Corps, das lauter kleine Häuser hinter der Ringmauer bewohnt und dessen Leute lebenslänglich versorgt sind und eigene Freiheiten genießen. Diese ganze Miliz muß beinahe noch bunter als die Fassaden der Häuser gewirkt haben, besonders wenn man noch des einen oder anderen der 24 Stadtdiener ansichtig wurde, die den Namen „Stieglitze“ trugen: in einem Mantel, auf der einen Seite rot, in der Mitte grün, auf der andern Seite weiß, dazu ein drei­ eckiger weißer Hut mit grünen Cordons an den Ecken, ferner grüne Strümpfe und ein weißer Stock — „ein vollendeter Hanswurst“ meint Johann Ulrich dazu! Vor den Häusern der beiden Stadtpfleger stehen auch zwei bunte Schild wachen, während es für die drei katholischen und die drei evangelischen Bürgermeister, von welchen je zwei vier Monate lang im Amt stehen, nur zu leeren Schilderhäuschen langt. — Neben so vielen Soldaten kann die Stadt natürlich keine Polizeidiener halten, sodaß die Armenplage gewaltig ist. Über die Verfassung erfährt Johann Ulrich, daß außer den zwei Stadtpflegem und den sechs Bürgermeistern ein kleiner und ein großer Rat gewählt werden, und zwar in folgendem Verhältnis zu den vier Ständen der 35000 Einwohner: Patrizische Geschlechter: 31 in den kleinen, 44 in den großen Rat. Gesellschaft zur Mehrern : 3 in den kleinen, 36 in den großen Rat. Kaufmannschaft: ? in den kleinen, 80 in den großen Rat. Gemeinen: 7 in den kleinen, 140 in den großen Rat. Die zwei ersten Stände sind aber kaum in der Lage die Hälfte ihrer Plätze im großen Rate zu besetzen.

153 Den zu großen Vorrechten der Patrizier, der Verarmung vieler Geschlechter, und dem Mangel an fähigen Individuen unter ihnen, schreibt es Johann Ulrich großenteils zu, daß die öffentlichen Stif­ tungen der Stadt von ihnen so schlecht verwaltet sind — nament­ lich das Findelhaus und das Pilgerhaus, ein Asyl für kranke Dienst­ boten und Gesellen. Aber auch die Parität, die konfessionelle Eng­ herzigkeit, lassen manche gute Stiftung lieber zu Grunde gehen, als eine Verschmelzung zu gemeinsamem Nutzen vorzunehmen. Der sehr schlechte Stand der städtischen Finanzen dagegen ist teil­ weise den großen Vorrechten des Bischofs zuzuschreiben, dem unter anderem das Privileg der Wage und mehrere Zölle zustehen. Die Steuern scheinen Johann Ulrich eher hoch: für Häuser 5°/0, für Kapitalien 2 %; wer aber jährlich 100 Louisdors gibt, braucht seine Kapitalien nicht zu deklarieren; auch den Handwerkszwang findet er hart und dessen Auflagen groß, muß doch jeder Bierbrauer jähr­ lich 3000 Gulden zahlen. Von den „Vornehmen“ der Stadt findet Johann Ulrich, daß sie über ihre Verhältnisse leben und alles auf schöne Equipagen wen­ den ; da nur wenige unter ihnen im Auslande waren, so sind sie sel­ ten in ihren Manieren und im Umgangstone angenehm; dafür be­ weisen sie aber bei näherer Bekanntschaft viel Entgegenkommen und Freundlichkeit; in ihrer Kleidung kommt die französische Tracht immer mehr in Mode und sie zeichnen sich darin durch gediegene Einfachheit aus. Der „gemeine Mann“ und die Bürgerweiber kleiden sich dagegen grell und geschmacklos und machen großen Aufwand für Essen und Trinken; diese Eßgier zeige sich namentlich in den „Tänzelwochen“, die ganz dem Vergnügen gewidmet sind: man fährt mit den Schönen von einem Dorf zum nächsten, ißt und trinkt in einem fort, tanzt und dehnt diese Feste oft über eine Woche aus; viele Handwerker verderben denn auch in Schulden. Den Mangel an Geschmack, der sich in allem Tun und Lassen der Einwohner zeige, nennt Johann Ulrich das typisch „reichsstädtische“. Wenn er ausdrücklich erwähnt, daß er bei seinen Wanderungen durch die Stadt keinen einzigen Garten gesehen, der auch nur im geringsten bemerkenswert gewesen wäre, so ist es nicht erstaunlich, wenn schon zeitig das Frühjahr die Bewohner nach Göggingen lockte, wo die Wohlhabenden ihr ländliches Heim besaßen. Auch unsereEmigranten mieteten für fünfMonate eine kleineLandwohnung, die sie bereits am 25. April bezogen; die Einrichtung be-

154 schränkte sich auf dreiZimmer, Kammer, Bedientenstube und Küche, das ganze klein genug, aber auf einem Stockwerk gelegen. Der Auf­ enthalt in Göggingen gestaltete sich recht angenehm; sowohl die Anmut der Gegend als der ungezwungene gesellschaftliche Ver­ kehr mit den benachbarten „Gartenhäusern0 boten viel Unterhal­ tung. Eine schöne Pappelallee führt zur Stadt; diese zeigt sich in weiter Ausdehnung dem Blicke, der in entgegengesetzter Richtung bis an die Salzburger Gebirge schweift; zerstreute Tannenwäldchen, halbversteckte Dörflein und zwei idyllische Wasserläufe be­ leben die weiten Getreidefelder, welche vom roten Mohn förmlich überwuchert werden! Ausgedehnte Gemüsegärten versehen die Stadt stets mit frischen Gewächsen und ebenso reichlich liefert ihr das Land zahmes Geflügel; auch Schnepfen und Lerchen gehören auf die gutgedeckte Tafel; die Gewässer sind reich an außerordentlich großen Krebsen, während die Forelle zu den begehrtesten Selten­ heiten gehört. Bei den häufigen Fahrten über Land — meistens „auf einer Wurst“ und in vergnügter Gesellschaft — wurde ihnen die Gegend bald vertraut; besonders genußreich war die Aussicht vom Guggenbergund von Schloß Wellenburg, das den Grafen Fugger gehörte, aber nur von einem Verwalter bewohnt und schlecht in Stand ge­ halten war. Die im gesucht künstlichen Geschmacke der Zeit angelegten Gärten bildeten den eigentlichen Hintergrund des gesellschaftlichen Lebens; Obst- und Blumengärten waren von untergeordneter Be­ deutung neben dem „ englischen Boskett“, dessen phantasie volle Spie­ lereien noch ganz aus dem galanten Zeitalter stammten; da waren „Einsiedler“ und Waldbruder“, „Schaukel und Wage“, „Zimmerim Scheiterhaufen“ und „Abtritt im Eichbaum“, und dergleichen mehr; die neueste Mode im Blumengarten war, statt des zugeschnittenen Buchses niedrige Rosenhecken und eine andere kleine rötliche Blüte als Einfassung zu verwenden und die Blumen statt in Beeten, in Körben zusammengestellt zu pflanzen; eine aus Venedig mitge­ brachte Gondel auf dem Teiche vervollständigte das Bild eines solchen naiv-unnatürlichen Gartens. Namentlich im Landhaus des Herrn von Haider traf sich die er­ lesenste Gesellschaft Augsburgs, die Mitglieder vom „Club®, die beiden Stadtpfleger, die Bürgermeister und andere mehr; sowohl der liebenswürdige Kreis der fünf verheirateten Töchter des Haus-

155 herrn, als die gute Tafel, sicherten diesem Hause seine Vorzugs­ stellung. Besondere Ereignisse in der Stadt unterbrachen angenehm das ländliche Leben und zogen die ganze Gesellschaft in ihren Fest­ wirbel; so der große „Wahltag“, dann der „Schwörtag“, — die Ver­ eidigung von Regierung und Truppen; ferner die 150ste Jahresfeier des westphälischen Friedens. Als schließlich Mitte September das Theater seine Tore wieder öffnete, wurden in Göggingen in kurzer Zeit alle Zelte abgebrochen und am 19. bezogen auch Graf Johann Ulrich und sein Sohn ihr altes Winterquartier im „weißen Lamm“. Es lohnt sich wohl hier einiges über das damalige Augsburger Theater zu berichten, in welchem Graf Johann Ulrich für den Win­ ter 1798/99 eine Loge nahm und das namentlich dem Sohne unge­ mein viel Unterhaltung und Freude bereiten sollte. Das Schauspielhaus, Komödi-Stadel genannt, lag in der Jakober­ vorstadt, dem abgelegensten und schlechtesten Stadtviertel; der Bau war klein und niedrig, die Logen schlecht gebaut. Ein Truppe, die während des Sommers in Nürnberg spielte, wurde vom Grafen Fugger-Kirchheim jeweils für den Winter nach Augsburg verpflich­ tet ; bei den äußerst geringen Eintrittspreisen — im ersten Parterre z. B. 30 Kreuzer der Platz — arbeitete das Unternehmen mit Ver­ lust und Graf Fugger hatte seinen Schaden dabei. Die Aufführungen begannen meist um 6 Uhr, auch schon um halbsechs; auf dem Pro­ gramm berührt uns recht erheiternd das originelle: „N. B. Man er­ sucht dringendst, um die Aufmerksamkeit des Publikums nicht zu stöhren, keine Hunde in das Schauspielhaus zu nehmen.“ Der Spielplan war eher einseitig; wenn auch Schauspiel, Oper, Lustspiel und Operette sich abwechslungsreich folgten, so behaup­ tete doch August Friedrich von Kotzebue unbestritten das Feld, und das Publikum sah durchschnittlich jeden vierten Abend eines seiner Werke auf der Bühne; neben ihm hatte noch der Berliner August Wilhelm Iffland einen bescheidenen Erfolg, und im Lust­ spiel namentlich Friedrich Wilhelm Ziegler, einMitglied des Wiener Burgtheaters. In der Oper tritt vorzüglich Mozart mit der „Zauber­ flöte“ und der „Entführung aus dem Serail“ hervor; neben ihm noch Winter, die italienische Oper ist nur einmal durch Paisiello vertreten. Die Operette ist ganz von Wien beherrscht, hauptsäch­ lich von Wenzel Müller, auch Mozarts Schüler Süßmayer und der erste Papageno Schikaneder lassen ihre tändelnde Musik ertönen.

156 Noch zweier Melodramen von Benda sei Erwähnung getan: „Ari­ adne auf Naxos“ und „Medea“. Johann Ulrich war ein eifriger Theater-Besucher; drei bis vier­ mal wöchentlich verfolgte er mit Interesse die Aufführungen und übte im Tagebuch kurze Kritik am Stücke, an der Musik, den Schauspielern und Sängern, gelegentlich auch an der Inszenierung. Daneben wurden auch in Konzerten musikalische Genüsse ge­ boten, wobei Johann Ulrichs Interesse sich stets auch noch beson­ ders speziellen Instrumenten zuwandte: sei es einem Harmonium, einer Harfe, einem Flügel oder der Orgel in der St. Anna-Kirche. Sehr rege blieb der Verkehr mit den bisherigen Bekannten und noch manche Vergnügungsfahrt nach Göggingen wurde in Gesell­ schaft der Familie von Haider unternommen; dazu traten neue Menschen in den Kreis; unter diesen namentlich ein Herr von Schüle, ein munterer und vielseitiger Siebenundsiebziger; er war der Sohn eines kleinen Band-Krämers, hatte sich zu einem der größten Industriellen emporgearbeitet und eine ausgedehnte, vor­ trefflich eingerichtete Zitzenfabrik gegründet; die Zimmer seines geschmackvoll ausgestatteten Hauses waren entweder mit ostindi­ schen Seidenstoffen oder mit der feinsten Indienne aus seiner eige­ nen Fabrik bespannt. Eine ausgezeichnete Dame lernten sie in der Gräfin Stauffenberg kennen : eine äußerst feine und gebildete Frau, welche so viel Belesenheit, Kenntnis und politisches Urteil bewies, daß sie mancher Mann darum hätte beneiden dürfen; ihr jüngerer Sohn war Domherr, liebenswürdig und von gefälligem Äußern, der ältere eher still und einfach, damals mit der jungen Gräfin Schenk verlobt. In der „Gesellschaft auf der Kaufleutenstube“ wurde gerne ge­ spielt oder bei guter Küche getäfelt, mit Schnepfenpastete, Fasanen und dergleichen Delikatessen. Eine ähnliche, aber ausschließliche Herrengesellschaft, verkehrte im „Club bei der Traube“; auch hier wird Karten gespielt und Billard, Zeitungen liegen auf und die Mitglieder erhalten frei Tabak und Tee nach Belieben, dies alles für einen Jahresbeitrag von 2 Laubthalern. Die Weihnachtsfeiertage werden rein kirchlich gefeiert, zum neuen Jahre an alle Bekannte „Visitenbillets“ gesandt und Neujahrs­ gelder ausgeteilt an Tambouren und Pfeiffer der Stadt-Miliz, an Nachtwächter und sogar an die Gassenkehrer. Der 15. Januar brachte das Schauspiel einer klingenden Schlittenfahrt der Studentenschaft

157 und abends eine große Redoute im Saal der „drei Mohren“, wo man sich im Gedränge kaum rühren konnte, stundenlange Lang­ aus-Walzer im wildesten Durcheinander und Wirrwarr tanzte, und Johann Ulrich, trotz seiner herablassenden Kritik des Festes bis 3 Uhr früh mitmachte. Gelegentlich erhielten die Emigranten auch von durchreisenden Landsleuten Besuch; so sahen sie kurz Jakob Ulrich Rascher, der mit seiner Schwester auf der Fahrt nach Stuttgart über Augsburg kam; besonders angenehm aber wurde Johann Ulrich die Bekannt­ schaft mit dem nur um ein Jahr älteren Grafen Johann Salis-Soglio, einem Sohne des Grafen Peter in England; dem jungen Manne waren die Füße so bösartig erfroren, daß er ungefähr einen Monat lang in seiner Wohnung liegen mußte; er verließ Augsburg am 10. Mai. Während sich aber der Winter zu Ende neigte und noch Musik und Theater im Vordergründe des Interesses standen, waren die kriegerischen Geister wieder erwacht. Schon der 3. März 1799 hatte die allgemein beängstigende Nachricht vom abermaligenVordringen der Franzosen über den Rhein gebracht, und gleich tagsdarauf bot sich den Augsburgern das schöne Schauspiel großer Truppen­ durchmärsche; erst ein Regiment Ulanen in abgetragenen Unifor­ men; ihnen folgten die Husaren, dunkelblau mit schwarzem Pelz und gelben Schnüren; dann zwei ungarische Regimenter zu Fuß. Am zweiten Tage zogen die „Rotmäntel“ durch, ein leichtes Korps ohne Feldstücke, die meisten Leute von der türkischen Grenze, im Gürtel zwei Pistolen und ein großes Messer, dazu einen kurzen Säbel; in den nächsten Tagen die prächtigen Kürassiere, weiß und karmin, auf'großen schwarzen Pferden. Bald erzählte man sich, daß General Vandamme, kurz vor der Schlacht bei Ostrach, von Baron Späth in Gammertingen bewirtet worden war und sich nach der Wohnung von dessen Gemahlin in Augsburg erkundigt hatte, da er mit seinen Truppen in kurzem dort einziehen werde! Bei Ostrach und Stockach1 von Erzherzog Karl glänzend geschlagen, sahen sich aber die Franzosen noch im nämlichen Monat genötigt, den Rückzug über den Rhein anzu­ treten. In Augsburg hatten sich im Laufe dieses einen Monats alle Lazarette in Klöstern und Schulen gefüllt, am kurfürstlichen Hofe x25. März 1799.

158 wurde von den Damen Charpie gezupft, reichliche Liebesgaben flössen den Spitälern zu: Leinwand, Hunderte von Hemden, Geld und Speise; Hoch und Niedrig wetteiferten in der Wohltätigkeit. Viel schlimmere Nachricht kam unseren Emigranten aus Grau­ bünden; dort waren die Franzosen am 6. März mit vier Armeen unter Massena, Demont, Loison und Lecourbe eingefallen; innert zehn Tagen hatten sie alle österreichischen Truppen vertrieben und Lecourbe stand diesen im äußersten Osten des Landes, bei Finstermünz, gegenüber. Massena gab Graubünden kurzerhand eine neue „Verfassung“, setzte einefranzosenfreundliche Regierung ein und verschleppte 61 franzosenfeindliche Bündner in Gefangen­ schaft. Völlig hoffnungslos muß Graf Johann Ulrich die Lage er­ schienen sein, als ihm der 6. Mai gar noch Briefe aus Aarburg brachte, wonach zwei seiner Söhne und zwei seiner Schwieger­ söhne seit dem 18. April sich dort unter diesen Geiseln befanden. Welch bittere Gefühle müssen das Herz des Vaters erfüllt haben, der mit gleicher Liebe an allen seinen Kindern hing; hatten doch gegensätzliche politische Ansichten, trotz aller Zuneigung, seine Söhne in die einander feindlichen Lager getrieben und die Familie völlig auseinander gesprengt; während er selber mit dem Jüngsten ins Ausland geflüchtet war, während nun zwei andere Söhne in französischer Haft auf Aarburg saßen, arbeitete der Erstgeborene eifrig an der Organisation der helvetischen Wehrmacht, die Schulter an Schulter mit den Franzosen gegen die Alliierten die „Freiheit® verteidigen sollte. Am 17. April war Johann Gaudenz zum General­ stabschef der helvetischen Armee ernannt worden und stand gleich­ zeitig als Truppenkommandant dem General Hotze gegenüber. Nachdem die Franzosen, wie erwähnt, seit Anfang März sich siegreich in Bünden behauptet hatten, wandte sich auch dort ihr Kriegsglück: erst wurde Lecourbe im Inntal am 30. April voll­ ständig geschlagen; am 14. Mai — nachdem die Franzosen noch das Kloster Disentis gebrandschatzt hatten — wurden sie durch General Hotzes Einbruch über die Luziensteig gezwungen, das ganze Land zu räumen ; schließlich kam für sie auch noch eine Zeit der Mißerfolge in der ganzen Ostschweiz, als nämlich Erzherzog Karl am 20. Mai den Rhein überschritt und sich mit Hotze ver­ einigte. Graf Johann Ulrich war scheinbar, wie schon seine früheren Be­ suche bei General Hotze vermuten lassen, über die Absichten der

159 Österreicher gut unterrichtet; auffallend ist es sicher, daß er am 13, Mai seine ersten Abschiedsbesuche in Augsburg macht, einen Tag vor Beginn des großen Rückzugs der Franzosen, die dem sieg­ reichen Vordringen des Generals Hotze weichen mußten. Die Not­ wendigkeit nach seinen herrenlosen Gütern und den vernachlässig­ ten Geschäften seiner verstreuten Familie zu sehen war freilich äußerst dringend. So wurde denn für die Reise ein neuer Wagen angeschafft, die nötigen Anordnungen für Johann Ulrichs Flügel getroffen, Spiel­ zeug für die Kinder daheim eingekauft und gepackt; am 18. Mai waren alle Vorbereitungen beendet. Diesen letzten Tag benutzte Johann Ulrich noch zur Besichtigung der Wasserversorgungs-An­ lagen, die, in ihrer technischen Vollendung, auf ihn großen Ein­ druck machten; darüber notierte er noch in sein Tagebuch: „Nachmittags besah ich den Brunnenthurm am rothen Thor. Die Stadt hat zwei solche Hauptthürme, den obern und untern; der am rothen Thor ist der schönste; er besteht aus drei Thürmen. Das Brunnenwasser, oder der sogenannte Brunnen-Lech, sammelt sich in den bayrischen Waldungen, bei den sieben Tischen. Bei dem Ablaß fließt es vorbei und wird in einer Leitung unter der sehr schönen Brücke des rothen Thors über den Stadtgraben geführt. Hier wird es nun von 6 Rädern durch ebensoviele Druckwerke in die Höhe getrieben; in jeden Thurm steigen zwei Röhren. Auf der Höhe jedes Thurms gießen sie sich in einen Behälter aus, und indem hierauf das Wasser von dieser Höhe (in dem einen 217 Fuß, im andern 300 Fuß) herunterfällt, so kommt es in den Stand durch die ganze Stadt geleitet zu werden und einen großen Teil der Häuser zu speisen; für ein ganzes Rohr, das stündlich 3 Eimer zu 64 Maß liefert, bezahlt der Eigentümer jährlich 13 Gulden 18 Kreuzer, eine Einnahme (resp. Abgabe) die kaum hinreicht diese kostbaren, so­ liden Werke zu unterhalten. Im Winter muß alles durch beständiges Kohlfeuer erwärmt werden. Diese Einrichtung, die Augsburg vor allen Städten auszeichnet und gewiß das Sehenswürdigste der Stadt ist, besteht seit dem 15. Jahrhundert, ist aber stets verbessert worden.“ Am Morgen des 19. Mai fuhr Johann Ulrich mit seinem Vater bei heiterem Frühlingswetter aus der Stadt; er verließ sie gerne^ war sie ihm doch während der verflossenen 14 Monate nie mehr gewesen als ein unliebsames Exil, das er nun mit dem heimatlichen Boden zu vertauschen hoffte.“

160 Fast 18 Jahrhunderte sind wir den Spuren nachgegangen, die unser Augsburg in der Literatur hinterlassen hat. Man könnte diese Äußerungen noch ziemlich vermehren, ohne jedoch den Eindruck, den unsere Stadt geschaffen, erheblich anders zu gestalten. Trotz der manchmal zuTage tretendenDivergenz all dieserUrteile stimmen sie darin überein: daß Augsburg unter die ersten Städte des Reiches, ja von ganz Europa zu zählen ist, sowohl durch seine Schönheit wie durch seine wirtschaftliche und historische Bedeutung. Nach dem dreißigjährigen Krieg mehren sich immer zahlreicher die Stimmen, welche mit mehr oder weniger Bedauern feststellen, daß dieser Brennpunkt einer alten und hohen Kultur, diese einzigartige Kunst­ stätte und wichtige Handelsmetropole ihre Bedeutung verloren habe. Einen schwachen Anlauf, die alte Position wieder zu erobern, be­ merken wir in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, als das Kunst­ gewerbe und die Textilindustrie wirtschaftliches Leben in der Stadt erweckte. Wenn auch das „goldene Augsburg“ nicht mehr existiert, so erkennen die Stimmen des 18. Jahrhunderts doch noch die Wich­ tigkeit der Stadt als Wirtschaftskörper an. Ebenso übereinstimmend — mit wenigen Ausnahmen — sind die Urteile, die wir über die günstige Lage und historische Bedeutung Augsburgs zu hören bekommen. Lange Jahrhunderte lang dienen die alten Sagen von der märchenhaften Gründung der Stadt, ihr hohes Alter, ihre glanzvolle Stellung als Römerstadt und die vielerlei Beziehungen zur Reichs- und Weltgeschichte zur Verbrämung des Urteiles über Augsburg. Uniform fast klingt die Aufzählung der Sehenswürdigkeiten, unter denen das Rathaus, das technische Wun­ der des Einlasses und die Wasserkunst stets an erster Stelle figurieren. Die Ratten des hl. Ulrich, die Confessio Augustana, die vorbild­ lichen Wohlfahrtseinrichtungen werden fast nie vergessen. Ver­ wunderung erregt stets die strenge Parität. Die Frauen erscheinen in tugendhafter, unnahbarer Schönheit, die Bürger fleißig, der Kauf­ mann großzügig; die eigenartige Tracht findet verschiedene Be­ urteilung. Typisch ist die Erzählung über das äußere Bild der Stadt mit ihren wehrhaften Toren und Wällen, breiten Straßen und schönen Plätzen,Türmen und Palästen. Seltener, jedoch mit dem Fortschrei­ ten der Zeit zahlreicher, sind die Bemerkungen kulturhistorischer Art: Essen und Trinken, Kleidung und häusliches Leben, Wohn­ kultur und Trinkwasserversorgung, Musik und Theater, Wissen-

161 schaft und Kunst finden bei den einzelnen Besuchern wechselnde Beachtung. Für uns ist es zum Schlüsse wichtig und interessant zugleich, daß das Urteil aller Zeit fast ausnahmslos lobend und ehrend für unsere Stadt abgestimmt ist.

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Verzeichnis der zitierten Werke Adilbert von Augsburg: Vita S. Afrae. 22. Anania, Joh. Lorenz d’: L’universale fabrica del mondo 1576. 46. Annalen, Augsburger. 16. Annales Alemannici. 15. Anselm der Peripatetiker: Rhetorimachia. 17. Atlas, A new general 1721. 104. Audiffret, J. B. d’: Geographie 1694. 93. Aventinus, Joh.: Chronica 1566. 35. Baader, Kl. A.: Reisen 1801. 137. Baudrand, Michel Ant.: Geographia 1632. 69. Beatis, Antonio de: Beschreibung der Reise des Kardinals Luigi d’Aragona 1517« 32. Berlichius, Gott fr. Erich: Reisetage­ buch 1652. 74. Bernoulli,J.: Archiv zur neueren Ge­ schichte 1785. 131. Bert, Peter de*. Breviarium totius orbis 1664. 71. Bert, Peter de; Commentaria Ger­ manica 1634. 71. Blaeu, Wilhelm u. Janson; Novus atlas 1649. 73. Böckler,G.A.: Architectura 1664.79. Boemus, Joh.: Omnium gentium mores 1520. 34. Bohse, A.: Reisen 1698. 95. Boterus, Joh.: Allgemeine Weltbe­ schreibung 1596. 61. Br ant, Sebastian: Entwurf zu einer Chronik 1539. 40. Braun, Georg: Civitates orbis terrarum 1576. 47.

Briet, Philipp: Parallela Geographiae 1645. 73. Bruns, P. J.: Geographisches Hand­ buch 1793. 143. Büsching, A. F.: Erdbeschreibung 1790. 116. Burkard v. Ursberg: Chronicon. 19. C e 11 a r i u s, Chr.: Geographia 1687. 88. Cellarius, Chr.: Geogr. hist. Lexikon 1705. 89. Celtes, Konrad; Liber odarum 1513. 31. Cluverius, Philipp: Introductio in Universam Geographiam 1641. 71* Cochlaeus, Johannes: Cosmographia 1512. 30. Collini, A.: Lettres 1790. 139. C o n t a r i n i, Ambrosius: Gesandt­ schaftsreise 1473. 25. Corneille, Th.: Dictionnaire univer« sei 1708. 101. Coronelli, M. V. : Viaggi 1697. 93. Cosmographia 1576. 48. C o u 1 o n: Le fidele conducteur 1654.75. Courmenin, Louis Baron Deshayes de: Voyage 1624. 68. Crome, A. F. W.: Über Größe und Bevölkerung der europ. Staaten 1785. 134. Delacroix: Geographie 1697. 95. Delacroix, Nicolle: Geographie 1756. 118. Delacroix, Pherotee: Nouvelle Metode pour apprendre la Geographie 1705. 100. Delmensingen, Hans Ulrich Krafft von: Reisen 1573. 46. Dizionario geografico 1768. 123,

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Q

Dress er, Matth.: De praecipuis Ger­ maniae urbibus 1606. 65. ubois, A.: Geographie 1729. 108. u P1 e s s i s, D. Martineau: Geographie 1700. 99. Dutens, L.: Itineraire 1775. 123. Duval, Pierre: Geographia 1679. 86. Ens, Kasper: Deliciae Germaniae 1609. 66. Ernstinger, Hans Georg: Tagebuch 1608. 59. E r t i n g e r, F.F.: Reisetagebuch 1682.86. Excerptum ex Gallica historia. 17. Fabri, J. E.: Geographie 1790. 140. Fenning, D.: A new System of geography 1765. 119. Fer, A. D.: Methode 1706. 100. Ferrari, Philipp: Lexicon geographicum 1657. 77. Franck, Sebastian: Weltbuch-Spiegel 1534. 39. F r a n c k e, Aug. Herrn.: Reisetagebuch

0

1718. 102. Friedlieb, Franz: Germaniae exege-’ sis 1518. 33. Gail er, Graf Nikolaus : Reisetagebuch 1782. 124. General-Reißbuch 1604. 65. G erbert, Martin: Reisen 1767. 121 Gerhard v. Augsburg: Vita S. Udalrici. 16. Goethe, Wolfg. von: Werke (Tage­ bücher und Briefe). 134. G o 1 d m e y r, Andreas : Historische, astronomische und astrologische Be­ schreibung 1644. 72. Gottfried, Ludwig: Archontologia 1628. 69. Glareanus, Henricus : Degeographiae Über 1527. 37. Gregorii, J. G.: Geographia 1708. 101. Gualdo-Priorato, G. Conte: Relatione 1668. 81. Hedio, Caspar: Chronik 1539. 39. Hentzner, Paul: Itinerarium 1612. 64. Hildensaemus, Franz: Mundi Catholica 1581. 55.

Hirn heim, Johannes von: Pilgerreise. 24. Hübner, Joh.: Kurze Fragen 1726. 107. Hübner, Joh. d. J.: Geographie 1736. 111. Hummelberg, Michael: Brief an Beatus Rhenanus 1526. 36. ldea statuum Europae 1699. 99. Jobst, Wolfg.: Chronologia 1563* 45. Iienicus, Franciscus s. Friedlieb, Franz. Iselin, Jakob Chr.: Neu vermehrtes Historisch und geogr. Lexikon 1745. 105. Isidor, Patriarch von Moskau: Ge­ sandtschaftsreise 1438. 25. Itinerarium Antonini. 14. Junker, C.L.: Reisetagebuch 1786.132-, Keilhacker, Joh.; Curieuser Hof­ meister 1698. 95. Keyssler,J. G.: Neueste Reisen 1740. 111.

K hevenhüller, Barthol. von : Tage­ buch 1557. 44. Kiechel von Kiechelsberg, Samuel Reisen 1589. 56. K1 ü w e r, Philipp s.Cluverius Philipp. Kratter, F.: Bemerkungen 1791. 141. Krebel, G. J.: Die vornehmsten euro­ päischen Reisen 1767. 120. Küchlin, Reimchronik. 22. Labbe, Philipp: Geographie 1673. 84. La Martiniere,A.B: Le grand dictionnaire 1738. 111. Landstraßen, Das sind die — durch das Remisch Reich 1501. 25. Laurefici, Vincenzo: Reisebeschrei­ bung 1613. 66. Le Coq: Le parfait geographe 1723. 105. Lehmann, P. A.: Europäische Rei­ sen 1703. 99. Lexicon, Allg. historisches 1722. 105 Limburg, Joh.: Reisebeschreibung 1690. 91. Lin da, Lucas de: Descriptio orbis 1655. 76. 11*

164 Lomenie, L. H. de: Itinerarium 1662. 79. Luyts, J.: Introductio ad geographiam 1692. 92. Mabillon, Jean; Iter germanicum 1683. 89. Magini, Joh. Anton: Geographia. 1596. 62. Mayr, Georg: Wegweiser 1612. 56. Medr anoS.F.de: Descripcion 1690.92. Meiß ner, Daniel: Thesaurus philopoliticus 1623. 68. Melissantes s. Gregorii, J. G. Merian, Matth.: Topographia Sueviae 1643. 70. Misson, M.: Voyage 1698. 96. Moll, Hermann: The antient and pre­ sent State of the empire of Germany 1702. 99. Monconys, Balthasar: Voyages 1695 80. Montaigne, Michel E. de: Reise­ tagebuch 1582. 49. Münster, Sebastian: Cosmographia 1544. 40. Müntzer, Valentin: Chronographia 1549. 43. Myritius, Joh.: Opusculum geographicum 1590. 57. Ne and er, Michael: Chronicon 1583.56. Neickelius, K. F.: Museographie 1727. 108. Neoburgus, Ferdinand s. Keilhacker, Joh. Neumann, Michael s. Neander, Mich. Niger, Dominicus Marius: Geographia 1557. 45. Nikolaus Cusanus: Reisekarte. 25. Ortelius, Abraham: Theatrum orbis terrarum 1573. 46. Ortelius, Abraham: Synonymia geo­ graphica 1578. 46. Ottheinrich, Pfalzgraf bei Rhein* Pilgerreise 1521. 24. Otto v. Freising: Chronik. 19. Passagier, Der Curieuse 1725. 106.

Passagier, Der neugierige 1767. 122. Passerone, L.: Guida. 1674. 85. Patin, Charles: Quatre relations historiques 1673. 85. P erb egg, J.; Geographicum Europae compendium 1712. 102. Pezzl, J.: Reise durch den baierischen Kreis 1784. 128. Pfinzing, Georg: Pilgerreise 1436.23. Piccolomini, Aeneas Sylvius: Ger. mania 1515. 25. Plümicke, K. M.: Briefe 1793. 144. Pockh, J. J.: Der politische kath. Passagier 1724. 106. Pöllnitz, K. L. Freih. von: Nach­ richten 1735. 109. Pontier, G.: Le Cabinet 1677* 85. Ptolemaeus, Claudius: Geographia. 14. Quad, Matthias; Deiiciae Germaniae 1600. 58. Quad, Matthias: Europae descriptio 1594. 58. Quad, Matthias: Enchiridion cosmographicum 1599. 57. Quad, Matthias: Liber aliquot itinerum 1602. 58. Rau, Johann: Cosmographia 1597. 62. Reil ly, J. J. v.: Erdbeschreibung 1792. 143. Reise n,Die vornehmsten europäischen. 1703. 99. Reusner, Nicolaus: Hodoepicorum libri 1580. 48. Reusner, Nie.: De urbibus Germa­ niae 1602. 49. Rhegius, Urbanus: Poemata juvenilia 1721. 36. Rhenanus, Beatus: Briefe 1531. 37. Riesbeck, J. K : Briefe 1784. 126. Riet er, Sebald: Reisebuch. 23. Ritter, Stephan: Cosmographia 1619. 67. Robbe, Jacques: Methode pourapprendre la geographie 1689. 91. Robert, Fr..- Geographie 1767. 120. Röder, Ph. L. H.: Reisen 1795. 146.

165 Rom-Weg, Das ist der —. 1501.25. Rotenstein, Gottfried von*. Reise­ tagebuch 1781. 131. Roth, E. R.: Memorabilia Europae 1698. 97. Rufus Festus, Breviarium. 14. Salis-Seewis, J. U. von: Tagebuch 1798. 150. Salmon, Th.: Lo stato di tutti i paesi 1740. 114. Saur, Abraham: Stättebuch 1658. 77. Sch edel, Hartmann: Liber chronicarum 1493. 27. Schlözer, A. _L.: Staatsanzeigen 1782—84. 125. Schramm,K.Chr.: Reiselexikon 1744. 114. Schröter, Sebastian : Historica totius terrarum orbis descriptio 1620. 68. Seyfried, Joh. H.: Poliologia 1683.90. S e y w a 1 d, Bl. V.: Weltspiegel 1671.83. Tabula Peutingeriana. 14. Tacjtus: Germania. 14. Talander s. Bohse, Aug. T eutschland, Dasgeöfnete. 1700.100. Th^ätre, Nouveau — dumonde 1661. 78. Thevet, Andreas: La cosmographie universelle 1575. 47. Thietmar von Merseburg: Deutsche Geschichte. 16. Thunger, Sigmund: Pilgerreise 1551. 24.

Tücher, Hans: Meerfahrt 1561. 24. Uhse, E.: Universal - geographischhistor. Lexicon 1710. 101. Ulysses Germanicus 1645. 73. Vechner, David: Universale Germaniae Breviarium 1645. 73. Venantius Fortunatus; Vita S. Martini. 15. Viatorium Germaniae 1671. 84. Voyage de deux Fran^ais 1796. 149. Waldseemül 1 er, Martin: Carta itineraria Europae 1511. 25. Wegweiser 1585 u. 1598. 56. Welsch, Hier.: Warhafftige Reiß­ beschreibung 1658. 78. Wilhelm d. Ä., Landgraf von Hessen; Pilgerreise 1491. 24. Willebrandt, J. P.: Historische Be­ richte 1758. 119. Win ekel mann, Joh.: Briefe 1785. 117 Wintergerst, Martin: Der durch Europamlauffende Schwabe 1712. 89. Wo Ir ad II. Graf von Waldeck: Tage­ buch 1530. 42. Zedier, J. : Universallexikon 1732. 108. Z e i 11 e r, Martin: Fidus Achates 1661.70. Zei 11 er, Martin: Tractatus de X. circulis 1660. 70. Zeiller,Martin: Topographia Sueviae 1643. 70. Zeill er, Martin: Itinerarium Germa­ niae 1652. 69.

Berichtigung: Das auf S. 1 Anm. 2 zitierte Werk: P. P. Auer, Freiburg im Urteil der Jahrhunderte, gehört zur Anm. 1 auf derselben Seite.

Die Reichspflege Donauwörth. Von Studienprofessor Dr. Joseph Wohrl-München.

Vorbericht* i. Ziel der Arbeit, Vorarbeiten und Arbeitsmethode. Aus der staufischen Vogtei Donauwörth sind im Laufe der Zeiten zwei staatsrechtlich getrennte Gebiete hervorgegangen, nämlich die Reichsstadt und die Reichspflege. Die Stadt löste sich immer mehr aus der alten Vogtei los, so daß schließlich der Landbezirk (Vogtei auf dem Lande) allein als Reichsvogtei oder -pflege übrig blieb. Die bisherigen Arbeiten über Donauwörth beschäftigen sich fast nur mit der Stadt. Durch meine Arbeit will ich versuchen, diesem Mangel abzuhelfen. Es soll dabei der Entwicklung der gesamten Reichsvogtei (Stadt und Landbezirk) nachgegangen werden, von ihrer Entstehung bis zur allmählichen Trennung von Stadt und Land und weiter bis zur Auflösung des alten Reiches. Das Hauptaugen­ merk wird auf die staatsrechtliche und wirtschaftliche Entwicklung der Vogtei gerichtet sein. Die Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Vogtei auf dem Lande bzw. der späteren Reichspflege werden dabei von Wichtigkeit sein. Als Vorarbeiten für eine Geschichte der ganzen Reichspflege sind folgende Werke über Donauwörth anzusprechen: 1. Josef v. Sartori, Geschichte der Stadt Donauwörth, Frank­ furt a. M. 1779 und 80. Das Werk ist mit den damaligen Hilfsmitteln bearbeitet. Daher ist ein sehr großer Teil seiner Behauptungen heute widerlegt. Von der Reichspflege bringt es zweimal nur den Namen, ohne gleich­ zeitig einen Inhalt dafür anzugeben, und hält ein anderesmal die * Die Arbeit wurde im März 1921 abgeschlossen und geht fast unverändert in Druck. Es wurden nur einige Ergebnisse der neueren Fugger-Literatur nachge­ tragen. — Besonderen Dank schulde ich dem am 6. Februar 1927 verstorbenen Herrn Johannes Traber, Bibliothekar am Cassianeum und Stadtarchivar in Do­ nauwörth, der die Entstehung der Arbeit seinerzeit mit großem Interesse verfolgte.

167 wenigen Rechte des Pflegers in der Stadt für den ganzen Inhalt seines Amtes. 2. Cölestin Königsdorf er, Geschichte des Klosters zum Hl. Kreuz in Donauwörth, Donauwörth, 4 Bde. 1819—27. Er arbeitet für jene Zeit außerordentlich gründlich. Die meisten seiner Behauptungen finden auch durch die modernen Quellenwerke noch ihre Bestätigung. Er macht den ersten Versuch einer Geschichte der Reichspflege. (I 345—350, 314—316; II 58—61, 262ff.; IIIb 215—221). Für die vorstauflsche Zeit sind seine Angaben (I 345—350) fast durchwegs stichhaltig. Für die Folgezeit gibt er nur mehr eine kurze Übersicht mit wenigen äußeren Daten. Er weiß jedoch noch nichts von der staatsrechtlichen Entwicklung der Pflege, nicht einmal im 15. Jhr. oder in den wichtigen Jahren 1566 und 1607. Doch sieht er bereits, daß die Pflege im Jahre 1723 etwas ganz anderes war als noch 1536. 3. Anton Steichele, Das Bistum Augsburg. III. Augsburg 1872. Auf Grund von Königsdorfer und unter breiter Ausnützung von einigen selbstentdeckten Urkunden gibt er eine kurze Skizze (III 756—762), die nur ein äußeres Gerippe von mitunter falschen Jahres­ zahlen darstellt. Er weiß auch noch nichts von der inneren Ent­ wicklung der Pflege. 4. Felix Stieve, Beiträge zur Verfassung und Geschichte der Reichsstadt Donauwörth, Zeitschrift des Hist. Vereins f. Schwa­ ben und Neuburg, III. 1876. Er behandelt eine Eingabe der Reichsstadt Donauwörth im Jahre 1559 an den Kaiser um Bestätigung und Erweiterung ihrer Freihei­ ten und muß nach der subjektiven städtischen Darstellung ein ganz falsches Bild von der Entwicklung der reichsstädtischen Freiheiten, von der Stellung der Reichspflege und des Pflegers gewinnen. Er glaubt gemäß seiner Vorlage an die (inzwischen gründlich widerlegte) Behauptung von der Erhebung des Ortes zur Reichsstadt im Jahre 1193 samt Verleihung des Blutbannes, hält Stadtpflegamt und Reichspflegamt für zwei getrennte Dinge, da er von der allmäh­ lichen Absonderung der Stadt aus der Reichspflege nichts weiß und die ihm vorliegende städtische Eingabe natürlich gar keinen Anlaß hat, an die frühere Abhängigkeit der Stadt von der Reichsvogtei zu erinnern. Er erkennt daher noch ebensowenig wie seine Vorgänger die staatsrechtliche Stellung, Entwicklung und Wandelung der Pflege.

168 5. Theod. Weiß, Die Beziehungen der Reichsstadt Donauwörth zu Bayern von 1266—1459. Jahrbuch des Hist.Vereins Dillingen, XIII. 1900. Er bringt erst von 1348 ab Neues, behandelt die Zeit der baye­ rischen Pfandherrschaft von 1376—1422 sehr ausführlich, insbeson­ dere die Befreiung der Stadt aus derselben. Wenn er kaiserliche Vögte oder Pfleger, sowie die Vogtei nennt, so denkt er immer nur an einen kaiserlichen Beamten in der Stadt und weiß nichts von der Vogtei auf dem Lande. Ja, er läßt sogar von Urkunden Stellen unbenützt, die ihn darauf hätten führen müssen. 6. Hermann Stenger, Verfassung und Verwaltung der Reichs­ stadt Donauwörth. 1909. Die Arbeit ist vorwiegend juristischer Natur und behandelt nur die Verhältnisse in der Stadt; die hierin enthaltenen größeren hi­ storischen Mängel sind durch die zwei nachgenannten Arbeiten be­ hoben worden. Ihre gelegentlichen Bemerkungen über die Reichs­ pflege bringen absolut nichts Neues, sondern geben nur die Ausfüh­ rungen der genannten Vorarbeiten samt allen Mängeln wieder. 7. Otto Rieder, Donauwörth, angebl. Donauwörther Stadt­ privileg. Kaiser Heinr. VI. A. Z., N. F. XVI1909 u. XVII1910. Er zerstört in schlagender Weise den durch eine mittelalterliche Fälschung hervorgerufenen Glauben an die Erhebung des Ortes zur Reichsstadt im Jahre 1193 und verweist dafür auf die Zeit nach 1301. 8. Johann Lahusen, Ein angebl. Diplom. Kaiser Heinrichs VI. für Donauwörth. MIÖG. 31. Innsbruck 1919. Ganz unabhängig von Rieder kommt er zum gleichen Ergebnis» Für meine Arbeit waren umfangreicheQuellenstudien nötig imAllg. Reichsarchiv München, Kreisarchiv Neuburg a. D., Fuggerarchiv Augsburg und in den Archiven zu Donauwörth. Da die Pflege keine selbständige Tradition mit eigenem Archiv hinterließ, sind die Nach­ richten über sie in allen möglichen anderen Schriften verstreut, in der Hauptsache in verschiedenen Salbüchern sowie in einer Un­ masse von Streitschriften von 1417—1723, welche zwischen der Stadt, ihren verschiedenen Pfandherrn, der kaiserlichen Kanzlei, den kaiserlichen Kommissären und den Fuggern gewechselt wurden. Stieve hat nur eine einzige davon benützt. Es galt nun, aus den verschiedenen subjektiven Auffassungen sowie aus den Originalen und zahlreichen Copien von Urkunden allmählich eine objektive

169 Linie herauszufinden, wodurch sich bereits ein ziemlich anschau­ liches Bild von dem Wesen der Reichspflege im Laufe der Jahr­ hunderte bot. Die Literatur über Reichsgüter und Reichsvogteien leistete alsdann wertvolle Dienste. Um endlich, insbesonders für die ältere Zeit, unbedingt stichhaltige Nachrichten zu gewinnen, sah ich sämtliche in Betracht kommenden wichtigeren Quellen­ werke durch: MG., Leges u. Dipl.; Reg. Imp. (Friedr. III. jedoch nicht, weil ein Register fehlt); Mon. Boic.; Qu. u. Er.; Reg. Boic. (Register war mir handschriftlich zugängig gemacht durch Herrn Prof. Widmann); Wittelsb. Reg.; Pfalzgr. Reg. Diese Durchsicht erforderte eine immerhin erkleckliche Zeit, da mir die Archivalien eine Menge von Personen-, Orts- und Sachnamen boten; zu meiner Freude konnte ich nicht nur verschiedene Daten sicherstellen, son­ dern auch einige neue, wertvolle Angaben gewinnen. Wohl leidet der Wert der Arbeit unter der geringen territori­ alen und politischen Bedeutung der Pflege. Dem gegenüber läßt sich jedoch sagen, daß auch dieses kleine Reichsterritorium einen interessanten Einblick gewährt in die Geschicke des Reichsgutes und dessen allmähliche Entfremdung, in das wandelbare und immer schwächere Gefüge des alten Reiches, in die wechselnde und un­ sichere Stellung des Königtums, dessen Bedeutung und Einfluß oft nur von der Tüchtigkeit des jeweiligen Herrschers abhing, schließ­ lich in das Getriebe am Hofe. Endlich lassen sich auch in diesem kleinen Gebiete die Organisation von Verwaltung, Rechtsprechung und Steuerwesen, letztere auf dem Hintergründe der fortschreiten­ den Loslösung der Pflege vom Einfluß des Reiches, genau so an­ schaulich darstellen wie in einem größeren Gebiete.

2. Quellen und Literatur. A. Ungedruckte: RA. = Allg. Reichs-Archiv München, Gerichtsliteralien, Donau­ wörth. Im ganzen wurden davon 26 Nummern benützt, fast durchweg dicke Copialbände, die auch verschiedene Originale enthalten. Neub. Akt. == Kreis-Archiv Neuburg a. D., Akten der Herrschaften und Pfleggerichte im Kreise Schwaben und Neuburg und Reichspflege Wörth. Im ganzen 24 Akten, von meist geringem Umfange.

170 Neub. Lit. = Ebd., Literalienbände. Kurbayerische Herrschaften und Gerichte. C. Reichspflege Wörth. Im ganzen 15 Nummern, davon 7 Copialbände (darunter auch Salbücher). FA. — Fürstliches und gräfl. Fugger’sches Familien- und Stif­ tungsarchiv Augsburg. Im ganzen wurden mir seinerzeit 14 Faszikel zur Verfügung gestellt, die meist wieder in mehrere Akten von mittlerem Um­ fange geteilt sind. Darin finden sich besonders Salbücher aus der Zeit, da die Fugger die Pflege inne hatten (1536—1723) und Quellen über die Fugger’schen Allodien und Lehen, welche mit der Pflege verbunden waren. — Bei der Drucklegung wur­ den mir in liebenswürdiger Weise noch weitere Nachrichten aus dem FA. übergeben durch den Assistenten des Archivs, Herrn Dr. Deininger. D., R. Pr. == Rats-Protokolle im Stadtarchiv Donauwörth. Donauwörth, Stadtarchiv. Für die Reichspflege kommen 3 Bände in Betracht. Copialbuch = Urkundenbuch II. Enthält Quellenschriften von 1384 bis ins 18. Jhrh. R e c hb c h. (— Rechnung) über der Stadt Donauwörth Reichs­ pfleg de Anno 1726, Orig. Zeigt die Mittellosigkeit der Stadt und Unrentabilität der Pflege. S. u. 6. Kapitel. Vormbch. = Vormerkungsbuch der Churfürstl. ReichsPfleg Wörth i. Schwaben, Anno 1763 — .... Es ist ein Aufzeichnungsbuch (Vermerke) über die Pflegs­ einrichtungen jener Zeit. Traberjoh., Die Urkunden des Stadtarchivs Donau wörth in Regesten bearbeitet. Das Werk ist noch Manuskript und wird beim Histor. Verein in Donauwörth in 3 Bänden erscheinen. Es behandelt die 454 Urkunden des Stadtarchivs, welche meist in Originalen erhalten sind (die ältesten Originale 1030 und 1266). — Das Stadt­ archiv erfuhr durch Herrn Archivar Traber eine mustergültige Ordnung und ist an einem sehr passenden Platze untergebracht, nämlich in dem einzigen noch stehenden Stadttor. Die vortreff­ liche Anordnung des Archivs wurde von ersten Fachleuten lobend anerkannt.

171 Traber, Härpfer == Die Urkunden der Fischerfamilie Härpfer von Harpfenburg, in Regesten bearbeitet. Manuskript. Anhang zum vorhergehenden Werk. Die Familie hat jetzt die Urkunden zum größten Teil dem Stadtarchiv zur Aufbewahrung übergeben. Das Werk ist noch nicht ganz abgeschlossen. Plaß Jos., Chronologische Geschichte der Stadt Donauwörth und der Burg Mangoldstein, des Benediktinerklosters Hl. Kreuz und der Deutschordens-Chomturei. 2 Bde. Manuskript in der Bibliothek des Cassianeums in Donauwörth. Plaß (gestorben 1898) war ehemals Volksschullehrer und ar­ beitete sich durch gründliche Autodidaktik zu einem anerken­ nenswerten Historiker empor. Er stand im Dienste der Päda­ gogischen Stiftung Cassianeum und bearbeitete im Aufträge des Direktors L. Auer die Geschichte von Donauwörth in 2 Bänden und für den Histor. Verein der Oberpfalz eine Ge­ schichte der Oberpfalz; von den beabsichtigten 30 Foliobänden stellte er 27 Bände fertig, die heute einen Stolz der Bibliothek des Cassianeums bilden. Er verwendet sämtliche in Betracht kommenden Quellen, wobei er allerdings oft Wahrscheinliches und Mögliches neben Sicherem bringen muß. In meiner Arbeit habe ich den Unterschied zwischen Wahrscheinlichem und Sicherem bei Plaß zu machen versucht; wenn er sich auf mo­ derne Quellenwerke stützt, habe ich es mir erspart, dieselben eigens aufzuführen und dafür den Vermerk „mit sicheren Be­ legen“ angefügt. B. Gedruckte: Über die als Vorarbeiten in Betracht kommenden Werke s. o. Genaueres. Ak. Wiss. = Denkschriften der bayerischen Akademie der Wissen­ schaften, Jahrg. Baumann F.L., Zur Geschichte des Lechrains und derStadt München. Arch. Zeitschr., N. F. X., besonders S. 88—92. München 1902. Beyerle K., Ergebnisse einer alamannischen Urbarforschung in „Festgabe für Felix Dahn, zu seinem 50. Doktor-Jubiläum.. .* 1. Teil. Deutsche Rechtsgeschichte. Berlin 1905. Böhmer J. Fr., Fontes rerum Germanicarum. I. Bd. Stuttg. 1843. Enthält Johannes Victoriensis und andere Geschichtsquellen Deutschlands im 14. Jahrhundert.

172

Böhmer J. Fr., Regesta imperii. 2. Aufl. Innsbruck 1881 usw. Böhmer J, Fr., Reg.Ludw.= Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern und s. Z. Frankf. a. M. 1839. Chmel Jos., Regesten des römischen Königs Friedrich IV., I. Teil v. 1440 — März 1452. Wien 1838. Deininger H., Die Gütererwerbungen unter Anton Fugger (1526 bis 1560), seine Privilegien und Standeserhöhung, sowie Fideikommißursprung. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte. Diss. 1924. Manuskript in München, Universität. Deutsche Gaue, Sonderheft zu den ... 78. Kaufbeuren 1909. Ditterich Frdr., Geographische Lage von Donauwörth, Diss. München 1914. Doeberl M., Entwicklungsgeschichte Bayerns. 1. Bd. 3. Aufl. M. 1916, 2. Bd. 1. u. 2. Aufl. M. 1912. Donauwertisches Blutbad oder der mit Blut vermischte Donaustrom. Leipzig 1704. Düvel Thea, Die Gütererwerbungen Jacob Fuggers des Reichen (1494—1525) und seine Standeserhöhung. Ein Beitrag zur Wirtschafts- und Rechtsgeschichte. 4. Heft der Studien zur Fugger-Geschichte. München und Leipzig 1913. Ehrenberg R., Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverkehr im 16. Jahrhundert. 2 Bde. Jena 1896. — Seitdem mehrere unveränderte Auflagen. Euringer Gustav, Auf nahen Pfaden. Ein AugsburgerWanderbuch für Freunde der Natur und Vorzeit. 2. Bd. Augsb. 1903. Soweit ich feststellen konnte, sind die historischen Angaben verlässig. Gebhart, Die Münzen u.Medaillen der Stadt Donau wörth. Halle 1924. Gengier H. Gottfr., Codex Juris Municipalis Germaniae Medii Aevi. Regesten und Urkunden zurVerfassungs- und Rechtsgeschichte der deutschen Städte des Mittelalters. 1. Bd. Erlangen 1863 CCLXIII. Donauwörth S. 806—23. Histor. polit. Blätter für das kathol. Deutschland, redigiert von Edm. Jörg und Frz. Binder. 64. Bd. München 1869. Hörnecke Wilh., Albrecht I. und die Kurfürsten. Diss. Halle 1908. Hoops Joh., Reallexikon der germanischen Altertumskunde^ 4 Bde., Straßburg i. E. 1911 —18. Inama-Sternegg K. Th. v., Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 3 T. in 4 Bdn. Leipzig 1879—1901.

173 Jaffe Ph., Regesta Pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum p. Chr. n. 1198. Berlin 1851. Jansen Max, Jakob Fugger der Reiche. Studien und Quellen I. 3. Heft der Studien zur Fugger-Geschichte. Leipzig 1910. Kirch Herrn. Jos., Die Fugger und der Schmalkaldische Krieg. 5. Heft der Studien zur Fugger-Geschichte. München und Leipzig 1915. Knöpfler J., Die Reichsstädtesteuern in Schwaben, Elsaß und am Oberrhein z. Zt. Kaiser Ludwigs des Bayern, Württ. Vierteljahresschr. 11. S. 287—351. Stuttg. 1902. Königsdorfer, S. o. Koch A.u.Wille J., Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214—1508. Herausgegeben von der Bad. Histor. Kommission. Bd. 1. Inns­ bruck 1887—94. Kreittmayr W. X. Al. Freih. v., Grundriß des allgem. dtsch. und bayer. Staatsrechtes. München u. Leipz. 1769. I. Teil. Küster W., Beiträge zur Finanzgeschichte des deutschen Reiches. I. Das Reichsgut in den Jahren 1273—1313 nebst einer Aus­ gabe und Kritik des Nürnbg. Salbüchleins. Diss. Leipz. 1883. Lahusen, s. o. Lang Jak. Paul, Materialien zur Öttingischen ält. und neueren Geschichte. 5 Bde. nebst Reg.-Bd, Wallerstein 1771—75. Lang K. H. v., Bayerns Gauen nach den 3 Volksstämmen der Ala­ mannen, Franken und Bojoaren, Nürnberg 1830. Lossen Max, Die Reichsstadt Donauwörth und Herzog Maximilian. München 1866. Lünig I. C., Teutsches Reichs-Arch. XIII. Bd. Leipz. 1714.10. Abs. Donauwörth S. 403—40. — Er bringt eine Reihe von Donauwörther Urkunden in Abdruck. Maurer G. L. v., Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hof Verfassung in Deutschland. 4 Bde. Erlangen 1862 f. MJÖG. = Mitteil, des Institutes für Österr. Geschichtsforschung. MB. = Monumenta Boica. MG. = Monumenta Germaniae. OBB. Archiv 26 (1865/66) S. 272—344. Rechnungsbuch des ober­ bayerischen Vitztumamtes Herzog Ludwigs des Strengen 1291—94, herausgegeben von Freih. Edmund von Öfele. Obb. Arch. 53. Bd. I. u. II. (Herausg. v. d. Histor. Verein v. Ober'bayern). Enthält: Bayerische Behörden und Beamte von

174 1550—1804, von Georg Ferchl, k. b. Oberstlt. a. D. München 1908. Öfele = Obb. Arch. 26. Öfele [2] And. Fel., Rerum Boicarum Scriptores . . . Tomus I—II. Augsb. 1763. Pfister I. C., Geschichte von Schwaben. III. Bd. Heilbronn 1810. Qu. u. Er. = Quellen und Erörterungen zur Bayer, u, dtsch. Ge­ schichte. 9 Bde. München 1856—64. Qu. u. Er., Neue Folge, Bd. 1 ff. München 1903 ff. RB. = (Regesta Boica) Regesta sive Rerum Boicarum Autographa ad annum usque MCCC . . . cura Caroli Henrici de Lang. Volumen I—XIII. Monaci 1822—54. Rieder, S# o. Rosenthal E., Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungs­ organisation Bayerns. 1. Bd. Würzburg 1889. Sartori, S. o. Sattler Chr. Fr., Geschichte des Herzogtums Würtenberg unter der Regierung der Graven. I. u. II. Teil, 2. Aufl. Tüb. 1773—77Schicksal, Das veränderliche — der Stadt Donauwörth 1780. Schön Th., Die Landvogtei des Reiches in Ober- u. Niederschwa­ ben bis 1486. MIÖG., VI. Ergbd. S. 280—92. Innsbr. 1901. Schröder R., Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. 6. Aufl. I. Teil Leipzig 1919. Wo die 5. Aufl. benützt ist, ist es eigens angegeben. Schulte A., Zu dem neu gefundenen Verzeichnis der Steuern des Reichsgutes vom Jahre 1241. Zeitschr. f. d. Gesch. d. Ober­ rheins, N. F. 13 (der ganzen Reihe 52), S. 425—40. Karlsruhe 1898. Schwalm J., Ein unbekanntes Eingangsverzeichnis von Steuern der kgl. Städte aus der Zeit Kaiser Friedrichs II. Neues Arch. d. Gesellschaft für ält. dtsch. Geschichtskunde. 23. Bd. S.517—553. Hannover und Leipzig 1898. Seydel M. v., Bayer. Staatsrecht. I. Bd. 2. Aufl. 1896. Freiburg u. Leipzig. Stammtafel des mediatisierten Hauses Fugger. 1904. Augsburg, Fuggerarchiv. Stegmann Aug., Bayerns Conradinische Erbschaft. I. Teil. Pro­ gramm Kempten 1864. II. Teil Blätter für Gymnasialschulwesen Bamberg 1866 S. 199—204, 240—51.

175 Er behandelt die Einkünfte nach dem bayerischen Salbuch von ca. 1280 und bringt eine fast durchweg noch geltende Erklärung der Ortsnamen. Steichele, Archiv f. d. Geschichte des Bistums Augsburg, II. und III. Bd. Augsburg 1872. — S. o. Stenger, s. o. Stieve, Beiträge, s. o. Strieder Jakob, Jacob Fugger der Reiche. Leipzig 1926. Traber (Vortrag): Die Schweden in Donauwörth. Vortrag, gehalten am 23. V. 1901 im Histor. Verein für Donauwörth und Um­ gebung. Separatdruck. Weller K., Zur Organisation des Reichsgutes in der späterenStaufenzeit. In „Forschungen und Versuche zur Geschichte des Mittel­ alters und der Neuzeit, Festschrift f. Dietr. Schäfer zum 70. Geburtstag.“ Jena 1915. S. 211—21. Weiß, s. o. Wolf Peter Philipp, Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit. II. Bd. München 1807Zeumer K., Zur Geschichte der Reichssteuern im früheren Mittelalter. Histor. Zeitschr.N. F. 45 (der ganzen Reihe 81) S. 24—45 München u. Leipz. 1898. Zinkernagel K. F. B., Histor. Untersuchungen der Grenzen des Riesgaues. Wallerstein 1802.

3. Inhaltsübersicht. 1. Kapitel: Vorgeschichte von Donauwörth; die Freiherrn von Werd; erste Nachricht über Mertingen. (Seite 179—185). Germanischer Ursprung des Ortes; im 10. Jahrh. Erbauung von Brücke und Burg, sowie Verleihung des Marktrechtes; die Frei­ herren von Werd und ihre Grundherrschaft. — Übergang ihres Erbes an Friedrich Barbarossa ca. 1179. — Die Grundherrschaft Mertingen und ihre Hoheitsrechte über den ganzen Ort; Erwerbung der Grundherrschaft durch Heinrich VI. 1193. 2. Kapitel: Donauwörth und Mertingen im Besitz der Hohen­ staufen; Errichtung einer staufischen Vogtei (Seite 185—193). Organisation der Krön- und Hausgüter unter den Hohenstaufen; Aufnahme von Donauwörth unter dieselben als Vogtei mit eigener hoher Gerichtsbarkeit unter Loslösung aus den Grafschaftsverbän-

176 den. — Vogteigebiet und Beamte; Rechtsprechung, Verwaltung und Abgaben. — Erste (finanzielle) Selbstverwaltungsrechte der staufischen „Stadt“ Donauwörth. — Donauwörther Ministerialien. Verpfändung der Vogtei durch Konradin an Bayern. 3. Kapitel: Die ehemals staufische Vogtei, umstritten von Bayern und dem Reiche, 1268—1348. (Seite 193—210). V om Reiche alsWittelsbachischesHausgut anerkannt (1268-1301). Die bayerische Verwaltungsorganisation in der „Pflege“; wachsende Autonomie der Stadt (Ammannamt); Abgaben in Stadt und Land­ bezirk, Gliederung des letzteren im AmtSchwäbischwerd und Mertingen; Rückschlüsse auf die Entstehung des ersteren. —König Albrecht I. erklärt Donauwörth als altes Reichsgut (S. 204), gewinnt es zurück und errichtet daraus eine Reichsvogtei im Rahmen der Reichslandvogteien (1301 bis ca. 27). Reichsunmittelbarkeit der Stadt im Rahmen der Vogtei Donauwörth; Stellung des kgl. Vogtes in Stadt und Landbezirk; erster Höhepunkt der Reichs­ vogtei. — König Ludwig der Bayer schlägt Donauwörth wieder zu seinem Herzogtum (ca. 1327—48; S. 208) unter Überlassung des Ammannamtes an den Stadtrat; Stadt und Vogtei auf dem Lande. 4. Kapitel: Dauernde Anerkennung der Reichsun­ mittelbarkeit von Donauwörth; allmähliche Auf­ lösung derReichsvogtei in Stadt und Vogtei auf dem Land?, 1348—1536. (S. 211—239). Rückkehr der Stadt zum Reiche; ihre Wiederangliederung an die Reichslandvogteien (1348—76); wieder ein kgl. Vogt in Donau­ wörth; dessen Stellung in Stadt- und Landbezirk; die Stadt erhält bereits einen Teil der hohen Gerichtsbarkeit in ihrem Burgfrieden in die Hand und erwirkt die Verwendung der Einnahmen aus der Vogtei auf dem Lande zur Sorge für die Sicherheit von Stadt und Vogtei. — Verpfändung von Stadt und Vogtei (S. 214) an Bayern (1376—1422) unter Wahrung des Reichs-Charakters. Bayerische Pfandherrschaft; Afterpfandherrschaften; Herzog Ludwig der Ge­ bartete als Pfandherr; dessen Änderungen in der Verwaltungs­ organisation, Einführung ungewohnter Steuern in Vogtei und Stadt; Verlust der Reichspfandschaft. — Donauwörth wird keiner Reichs­ landvogtei mehr angegliedert (S. 224); es erhält den ganzen Blutbann und darf in Zukunft den kgl. Vogt (Pfleger) vorschlagen bzw. selbst wählen (1422—82). Dieser kann von der Stadt nach Belieben ab­ gesetzt werden, hat in der Stadt zwar Pflichten, aber nur mehr ein

177 finanzielles Ehrenrecht („Wergeid“) bei Totschlag und übt die Hoheitsrechtein „seiner“ Vogtei auf dem Lande unter Einflußnahme der Stadt; wirtschaftliche Herrschaft der Stadt über die Vogtei; zeitweise wird überhaupt kein Pfleger aufgestellt und die Vogtei von der Stadt selbst verwaltet. — Kaiser Friedrich III. verwirft 1481 das Präsentationsrecht (S. 232); Ernennung der Pfleger durch die Kaiser (1482—1530); volle politische Unabhängigkeit der Pflege gegenüber der Stadt; ihr zweiter Höhepunkt unter Balthasar Wolf. — Kaiser Karl V. bewilligt 1530 unter Einschränkungen die Aufstellung eines Pflegers durch die Stadt, verschreibt ihr selbst die Pflege auf 15 Jahre, veranlaßt sie aber schon 1536, dieselbe den Fuggern ab­ zutreten. 5.Kapitel: Die Reichspflege Donauwörth im Pfand­ besitz der Fugger, 1536—1723; endgültige Trennung von Stadt und Vogtei (Reichspflege). (S. 239ff.). Aufstieg der Fugger und ihr Streben, liegende Güter zu erwerben; Übernahme der Pflege durch das Gesamthaus. (Graf) Anton Fugger Reichspfleger 1536—60. Im Jahre 1548 die große Vermögensteilung der Fugger; die Reichspflege fällt an Anton Fugger und nach dem Recht der Erstgeburt an die Linie Oberndorf-Nordendorf. Die Fugger als Reichspfleger, verglichen mit den früheren Pflegern. An­ kauf von Allodien, Verwaltung der Pflege, das „Wergeid“ in der Stadt. — Marcus Fugger 1560—97. Verzicht auf das „Wergeid“ 1566 und damit Preisgabe der letzten Pflegsrechte in der Stadt; aber Fortbestand des wirtschaftlichen Einflusses der Stadt auf die Pflege und die Beschränkung des Pflegers in seinen Hoheitsrechten; Fortdauer des Allodienkaufes. — Georg Fugger (d. Ä.) 1597— 1621/34. Reichsacht über die Stadt von 1607; die Reichspflege ent­ zieht sich dem städtischen Einfluß infolge angeblicher Verwirkung aller städtischen Privilegien; die Fugger üben von jetzt ab unum­ schränkte Hoheitsrechte, machen die Pflege wirtschaftlich selb­ ständig und bauen ihre Steuerhoheit aus: Anbahnung einer tatsäch­ lichen Territorialität unter der Form einer Reichspfandherrschaft. Bayerische Kaufabsichten. Familienstreitigkeiten; Nikolaus Fugger wird 1621 Verwalter der Güter seines Vaters. Verwüstung durch den 30 jährigen Krieg. - Nikolaus Fugger 1621/34—76. Die Schäden des großen Krieges; Wiederaufbau durch den tüchtigen Pflegv°gt Johann Werscher mit geringen Mitteln (Mittellosigkeit des Grafen); Arrondierung des Pflegsgebietes durch Vertausch von Ried12

178 lingen 1664; weiterer Ausbau der Steuerhoheit, Steigen der Einküafte. — Nach dem Aussterben der Linie Nordendorf fällt die Reichspflege an die Linie Kirchheim-Glött; Graf Bonaventura Fugger von Kirchheim (jüng. L.), Erbe der Pflege 1676 — ca. 87; er tritt sie an Graf Marquard Fugger von Nordendorf (j. L.) ab, ca. 1687—1723. Glücklicher Fortgang des Wiederaufbaues und der Erweiterung der Steuerhoheit, weiter steigende Einkünfte. Rück­ blick über den Niedergang des Hauses Fugger. Graf Marquard verkauft Pflege mit Allodien an Donauwörth. 6. Kapitel: DieReichspflege DonauwörthimBesitze der kurbayerischen Stadt Donauwörth und des Kurfür­ stentums Bayern, 1723—1803. Die Stadt kann die Reichspflege nicht halten wegen Unrentabi­ lität (1723—34/49) und verkauft sie an Bayern unter Verzicht auf allerletzte geringfügige Rechte in der Pflege. Untätige bayerische Verwaltung, Stillstand in der wirtschaftlichen Entwicklung der Pflege; Reichsdeputationshauptschluß, Landgericht Donauwörth. 7. Kapitel: Ergänzungen. 1. Das Reichsfronfischlehen auf der Donau; die Fischerfamilie der Härpfer. 2. Die Hofmark Heissesheim. 3. Das Pfleghaus in Donauwörth. 4. Fugger’sche Lehen und Allodien, welche mit der Pflege ver­ bunden waren. 5. Die Fugger’schen Pflegvögte 1536—1723.

i. Kapitel.

Vorgeschichte von Donauwörth; die Freiherren vonWerd; erste Nachrichten über Mertingen. Donauwörth liegt am Kreuzungspunkt von zwei natürlichen Ver­ kehrswegen. Der eine führt vom Lechtal ins Wörnitztal aus dem Alpenvorlande nach Franken, der andere ist der Flußlauf der Donau. Gerade hier war seit alters die weit und breit geeignetste Stelle zu einem Flußübergang, indem die nördlich gelagerten Höhen ganz nahe an die Donau herantraten und diese selbst sich auffallend ver­ schmälerte, etwa bis zur Hälfte der sonstigen Breite.1 Tatsächlich erbauten dort bereits die Römer eine Brücke für ihre von Augsburg nach Nördlingen und Weißenburg i. B. an den Limes führende Straße.2 Der Zug derselben ist heute noch von Druisheim her zwischen der Bahnlinie und dem Egelseebach mitten durch Asbach bis Nordheim hin zu verfolgen; dort bricht sie ab, weil sie im Laufe der Zeiten vom Hochwasser zerstört wurde.3 Die Römer­ straße führte bei der Schmuttermündung unweit von Nordheim über die Donau;4 für die Bewachung der Brücke ist ein militärischer Stützpunkt anzunehmen. Der heutige Namen Donauwörth, anfangs nur Wörth oderWerd, deutet auf germanischen Ursprung. Eine Insel (— werd) am Zu­ sammenfluß von Donau und Wörnitz bot wohl den ersten Ansied­ lern Schutz und ihrer Niederlassung den Namen. Vielleicht war es die Insel, welche heute noch von zwei Wörnitzarmen vor ihrer Mündung in die Donau gebildet wird; dort steht jetzt die Vorstadt Ried, die demnach der älteste Teil der ganzen Stadt sein kann. Die Ueberlieferung5 führt ihre Entstehung zurück auf die Zeit nach Abschluß der Völkerwanderung. Es ist nicht anzunehmen, daß die Römerbrücke die Völkerwanderung überdauerte. Wenn das ganze Mittelalter hindurch der heute noch stehende Urfahrhof mit dem 1 Ditterich 5, 33. 2 Sonderheft zu „Deutsche Gaue“ 78, 22 ff. 3 Ebenda. 33—37. 4 Ebenda. 5 Königsdorfer I 23. 12*

— . 180 Fergenlehen an der Mündung des Egelseebaches in die Donau be­ zeugt ist,1 so ist anzunehmen, daß die Donau in der ersten Zeit des Mittelalters mittels Fähre überschritten wurde. Die erste historische Nachricht über den Ort stammt aus dem Ende des 10. Jhr. Damals war aus dem Dörflein bereits ein Markt­ platz mit Münz- und Zollrecht unter einem eigenen Marktherrn2 geworden. Eine Brücke war wieder erstanden und reges Leben hatte sich in Anlehnung an eine Ritterburg entwickelt. Der neue Ort wuchs jedoch nicht organisch aus der ältesten Ansiedlung auf der Insel hervor, sondern wurde auf der Bodenerhebung zwischen Wörnitz und Kaibach ganz neu und in verhältnismäßig kurzer Zeit angelegt. Dafür spricht das regelmäßige Straßennetz der Stadt mit senkrechten Querstraßen. Am felsigen Nordrande des Platzes er­ hob sich die Burg Mangoldstein,3 an die sich die neue Siedlung anlehnte. Ein besonderer Grund muß den Anlaß zu der planmäßigen Neuanlage eines Marktes gegeben haben. In dieser Frage können wir keinen sicheren historischen Anhaltspunkt finden, sondern müssen uns mit den Vermutungen der Lokalhistoriker begnügen.4 Diese weisen auf die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde (955) hin. Bei jener Gelegenheit konnte Otto der Große am besten die Notwendig­ keit einer besseren Verbindung zwischen dem Norden und dem Süden erkennen und die Erbauung einer Brücke veranlassen.5 Die Frage nach dem ersten Burgherrn läßt sich auch nicht be­ stimmtbeantworten. Der Gebietsstreifen zwischenWörnitz und Kai­ bach lag damals noch im Riesgau;6 es wäre daher anzunehmen, daß dessen Grafen die Aufsicht über die Brücke anvertraut wurde. Da jedoch der dort amtierende Graf im Jahre 954 am Aufstande gegen den König beteiligt war, war es nur natürlich, wenn ihm diese Auf­ gabe nicht übertragen wurde.7 Manche meinen, daß der treu geblie1 In allen Salbüchern der Stadt und der Pflege ständig seit 1413 bezeugt. S. u. S. 218, A. 1 und 2. 2 Manegold I. von Werd erhielt von Kaiser Konrad II. die bereits von Otto III. seinemVater Aribo verliehenen Wochenmarktsrechte mit Zoll und Münze im Jahre 1030 bestätigt. Traber I (Orig.); Druck MG., DD. IV 195. 3 Benannt nach dem Edelgeschlecht der „Manegolde“ von Werd, von dem vier Vertreter den Namen Manegold trugen. 4 Plaß 34 ff. 5 Plaß 34 ff. 6 Wenigstens im Jahre 1030: “in loco Ueride, in Pago Rieze”. S. o. A. 2. 7 Plaß 34 f.

181 bene DillingerGraf den Befehl zum Bau derBurg erhalten habe; er sei jedoch vom Augsburger Bischof Heinrich II. um 974 wieder daraus verdrängt worden zu Gunsten eines neuen, nicht gräflichen Adels­ geschlechtes.1 2Tatsächlich erscheint seit Kaiser Otto III. ein eigenes Geschlecht der Herren von Werd. Es begegnen uns fünf Vertreter desselben, als erster Aribounter Kaiser OttoIII., dann vierManegolde (bis 1148)2 und als Nachfolger des letzteren sein Schwiegersohn Pfalzgraf Friedrich von Wittelsbach,3 ein Bruder des späteren bay­ erischen Herzogs Otto I. Die Herkunft des Werder Geschlechtes steht nicht fest. Eine Abzweigung vom Dillinger Grafengeschlechte wird nicht mehr vertreten.4 Plaß denkt zunächst infolge Namens­ gleichheit an ein Grafengeschlecht im östlichen Augstgau,5 gibt je­ doch der Abstammung vom Traungaugrafen Aribo II. den Vorzug wegen der später nachgewiesenen Besitzungen der Werder Herren im Traungau und in Niederösterreich.6 Wie dem auch sei, in Werd begegnet uns seit dem 10. Jahrhun­ dertein angesehenes Geschlecht, das, wenn es auch nicht von Grafen abstammte, so doch als ein Edel- und Freiherrengeschlecht (viri nobiles) im Range unmittelbar nach den Grafen stand.7 Es schuf sich um Dowauwörth eine eigene kleine Grundherrschaft, am Schnitt­ punkte von vier Gauen.8 Ihre ersten und wichtigsten Güter lagen 1 Plaß 36—42. 2 Jaffe R. p. Rom, Nr. 5507. 3 „successori Manegoldi de Guerde* R. B. I 223; auch Plaß mit Belegen. 4 Steichele III 694. Plaß 42 f. u. 184 sucht jedoch eine Verschwägerung durch die Tatsache zu beweisen, daß früher unstreitig Dillinger Güter später im Besitze der Herren von Werd Vorkommen. 5 Plaß 40 f.; Gau- und Grafschaftsgrenzen müssen nicht Zusammentreffen (Hoops II 125.). 6 Plaß 40 f. mit Belegen. 7 Nach der Zeugenreihe in den Urkunden und nach der wiederholten Bezeich­ nung als viri nobiles (Steichele III 694). Diese Edlen oder Freiherrn bildeten nach dem alten Hochadel die zweite Adelsklasse. Sie waren aus dem gemeinfreien Stand hervorgegangen; sie oblagen aber der Landwirtschaft nicht mehr persönlich, son­ dern lebten von den Erträgnissen einer oder mehrerer Grundherrschaften. Sie übten den Kriegsdienst berufsmäßig aus: sie waren also freie Grundherren und Berufs­ krieger. Aus ihnen ergänzte sich regelmäßig der Hochadel, indem zur Grundherr­ schaft und zum berufsmäßigen Kriegsdienst noch ein hohes Amt hinzutrat (Doeberl 3I 148f.). Diese allgemeinen Angaben passen in auffallender Weise auch für die Herren von Werd. 8 Im Süden Augstgau (Steichele II 129), im Westen zwischen Donau und Wörnitz Dillinger Gau (ebd. III 558), im Norden zwischen Wörnitz und Kaibach Ries-

182 wohl in der Nähe der Burg, andere nördlich der Donau verstreut von der heutigen württembergischen Grenze bis zur Altmühl;*1 endlich waren noch solche im Traungau und in Niederösterreich.2 Für ihre Grundherrschaft hatten sie unter Kaiser Otto III. sich einen wirt­ schaftlichen Mittelpunkt geschaffen durch Anlage eines Marktes neben ihrer Burg.3 Damit war für die landwirtschaftlichen Produkte eine bessere Absatzmöglichkeit gegeben; am Orte konnte sich ein selbständiger Handwerker- und Gewerbestand entwickeln.4 Die ganze Grundherrschaft gewann dadurch an Bedeutung und erfuhr eine wesentliche Wertsteigerung. Wochenmarkt, Zoll und Münze brachten der Herrschaft neue Einnahmen. Auch erlangten die Markt­ herren mindestens jetzt niedere Gerichtsbarkeit über ihren Ort, welche mit der Verleihung eines Marktrechtes verbunden war. Manegold I. konnte im Jahre 1030 mit kaiserlicher Bewilligung noch einen dreitägigen Jahrmarkt in den ersten Maitagen hinzufügen und er­ langte für diese Zeit die hohe Gerichtsbarkeit, nämlich den Königs­ bann zum Schutze der zureisenden fremden Kaufleute, wie er in den großen Städten Regensburg und Augsburg gehandhabt wurde.5 Zur Erhöhung der Bedeutung des Ortes trug auch die Gründung des Klosters zum Hl. Kreuz bei.6 Dieses entstand in der Zeit der Cluniacenzer Reformbewegung unter Kaiser Heinrich III. Es wurde von Manegold I. als Frauenklösterlein für adelige Damen in der Nähe der Burg erbaut und zu Anfang Dezember 1049 von Papst Leo IX. eingeweiht,7 um 1070 aber an die Stelle verlegt, wo später des Klosters Gutshof war und heute die Buchdruckerei des Cassianeums steht.8 Zwischen 1100 und 1110 zogen dort Benediktiner aus St. Blasien gau (s. o. S. 180, A. 2; Steichele 558), im Osten Walfeldgau (Zinkernagel; Lang K. 106—110). 1 Plaß 39 f. 2 s. S. 181, A. 6; MB. 31 I 406 f.; Plaß 125, 138. 3 s. S. 180, A. 2. 4 Inama-Sternegg 1 II 320, 370 f. 388. B s. o. A. 3; Schröder 680 f.; Inama-St. 1 II 376 f. 6 Benannt nach einer Kreuzpartikel, die Manegold I. um 1028 nach der Überliefe­ rung aus Konstantinopel heimbrachte (Steichele III 828). Damals wollte jedes bedeutende Adelsgeschlecht sein eigenes Hauskloster besitzen, das war Mode­ richtung gewordeu (Doeberl 3I 214). 7 Steichele III 828 f. 8 Plaß 99.

183 ein.1 Zwischen 1125 und 1128 wurde ein neues Klostergebäude er­ baut an der Stelle, wo es jetzt steht.2 Der ganze Ort hatte bereits eine solche Bedeutung erlangt, daß ihn seine Herren mit einer Befestigung schützten. Diese ist uns im Jahre 1081 bezeugt. Damals wurde Donauwörth von den bayerischen Truppen Kaiser Heinrichs IV. im Kampfe gegen Hermann von Salm genommen;3 über die Art und Stärke der Befestigung erfahren wir allerdings nichts. Mit dem Aussterben der Manegolde von Werd4 um 1148 ging Donauwörth an den Pfalzgrafen Friedrich von Wittelsbach über, der seitdem den Beinamen „von Werd“ führt.5 Da Manegold IV. Kin­ der hatte, darunter aber keinen Sohn, so wird der Wittelsbacher sein Schwiegersohn gewesen sein.6 In welchem Umfange mit den Hausgütern auch die Lehen Manegolds auf den Nachfolger übergingen, ist nicht berichtet. Dieser war jedenfalls Herr von Werd bis zu seinem vor 1179 erfolgten Verzicht auf die Ritterwürde.7 Er behielt seit diesem Jahre noch Güterbesitz bei, gab aber wahrscheinlich seine Donauwörther Besitzungen seiner Gemahlin, bzw. die dortigen Lehen dem Kaiser zurück.8 Gerade seit 1178 weilte Kaiser Friedrich I. Barbarossa wiederholt in Werd.9 In Verbindung mit dem staufisch gewordenen Donauwörth stehen von jetzt ab von den ehemals Manegoldischen Lehen nur mehr die unmittelbar angrenzenden Güter. Die weiter entfernten kamen 1 Steichele III 832 f.; Jaffe R. p. R. 5507. 2 Plaß 123, 126. 3 MG., SS. XX 647. 4 Plaß 139; für 1148 ist Rieder 253; ca. 1144 gibt Manegold IV. seine österr. Lehen zurück (MB. 31 1 406 f.) und vertauscht Güter nördl. d. Donau (Qu. u. Er. 1300 ff.). 8 Ebd. Plaß I mit Belegen. 6 Steichele III 700, A. 17 ; s. o. S. 181, A. 3. 7 Er legte 1179 seine weltlichen Ämter nieder, verzichtete auf seine Ritterwürde und führte, meistens im Kloster Ensdorf i. Opf., ein geistiges Leben. Er behielt Grundbesitz und sogar Dienstmannen bei und lebte in sehr auskömmlichen Ver­ hältnissen. Mönch wurde er also nicht, er trug wahrscheinlich das Gewand eines Laien. Näh. bei Baumann, Z. Geschichte d. Lechrains und der Stadt München. A. Z., N. F. X. 88—92. 8 Verschiedene vorher unstreitig Werdische Besitzungen, d. h. Allodien, befanden sich seitdem in anderen Händen. Berg z. B. war wahrscheinlich durch Heirat aus dem Besitz derLechsgemünde in den der Manegolde gekommen und fiel nach deren Aussterben wieder an die Lechsgemünde zurück. Im einzelnen Plaß 174, 186 ff. 9 Plaß 174 ff. mit sicheren Quellenbelegen aus Böhmer MG., MB. u. a.

184 entweder überhaupt nicht an den Kaiser, oder wurden, soweit dies der Fall war, anderweitig eingegliedert. Dafür gelang es den Hohenstaufen alsbald, einen anderen benach­ barten Besitz zu erwerben, nämlich die Grundherrschaft Mertingen. Der Ort ist schon seit dem 11. Jahrhundert nachgewiesen. Er lag noch im Augstgau,1 der südlich der Donau war. Dort waren um diese Zeit die Grafen von Dillingen, die Manegolde von Werd, die Bistümer Augsburg und Passau begütert.2 Der Besitz des letzteren war Familienerbgut des Bischofs Ulrich. Er war wohl als Sohn des Grafen Ulrich von Hefr und Bozen, der vermutlich eine Tochter ManegoldsII. zur Gemahlin hatte, in den Besitz der Mertinger Güter gelangt. Diese machten anscheinend die Hauptmasse des Ortes aus.3 Er schenkte ihn um 1111 seinem Hochstift Passau4, von dem er an den Herzog Welf kam;5 im Jahre 1157 gab ihn jedoch Kaiser Friedrich I. dem Bistum wieder zurück.6 Wenn Kaiser Heinrich VI. im Jahre 1193 das „Allod mit allem Zubehör und allen Rechten“ gegen die Reichsvogtei über das Kloster Niedernburg bei Passau ein­ tauschte,7 so half der neue Besitz das Werder Erbe abrunden. Mit dieser Grundherrschaft waren wahrscheinlich schon seit etwa 1111 Niedergerichtsrechte über den ganzen Ort verbunden. Das bay­ erische Salbuch von ca. 1280 8 sagt nämlich, daß der Herzog in Mer­ tingen auch das „Straßengericht“ habe, eigentlich eine überflüssige Angabe, da er die gesamte Gerichtsbarkeit inne hatte. Diese Angabe weist aber auf eine frühere Teilung der hohen Gerichtsbarkeit; ein solches Straßengericht umfaßt nämlich die peinliche Gerichtsbarkeit auf den Straßen, welche sich der hohe Gerichtsherr oft vorbehielt, wenn er an das Niedergericht den Blutbann gab.9 Diese Entwick­ lung muß bereits vor dem Übergänge Mertingens an die Hohen1 „In pago Ugesgowe“ (s. u. A. 4); RB. 1113. 2 Plaß 102 mit Belegen. 3 Er wird in den Urkunden bald Besitztum (praedium) in (!) Mertingen, bald „rilla Merdingen“ genannt. 4 Bestätigung des Kaisers am 24. VI. 1111 (RB. I 113; Jaffe, Konrad III 177). 5 RB. I 227; nach Königsdorfer I 346 durch Vermittlung König Konrads III* m Jahre 1111. 6 RB. I 227. 7 MB. 29 I 269 ff. 8 S. u. S. 194, A. 6. 9 Schröder 659.

185 Staufen (1193) vor sich gegangen sein, da sie auf ihren Krongütern ohne weiteres die hohe Gerichtsbarkeit hatten.1 Die Überlassung des Blutbannes an das Dorfgericht wird also wohl erfolgt sein, als Mertingen noch im Grafschaftsverbande stand, also vor 1193. Es ist nur eine Vermutung, auf Herzog Welf VI. hinzuweisen, in dessen Be­ sitz Mertingen zwischen 1151 und 57 war, da er in seinen schwäb­ ischen Besitzungen fast durchweg die hohe Gerichtsbarkeit hatte.

2. Kapitel.

Donauwörth und Mertingen im Besitz der Hohenstaufen; Errichtung einer staufischen Vogtei. Die Hohenstaufen waren ständig darauf bedacht, ihre Hausmacht zu vermehren und dadurch die Stellung ihres deutschen Königtums zu stärken. Die Möglichkeit dazu bot ihnen ihre Stellung als Könige und Herzoge.2 Auf Grund dieser zweifachen Berechtigung konnten sie insbesonders in Schwaben zahlreiche erledigte Lehen einziehen oder kaufen.3 Es ist eine feststehende Tatsache, daß sie dabei den Unterschied zwischen Haus- und Krongut zu Gunsten des ersteren verwischten.4 Dies gelang ihnen auch bei Donauwörth und Mertingen. Unter den Mangoldischen Gütern waren Reichslehen; für die ganze Grund­ herrschaft Donauwörth ist uns weder königliche noch herzogliche Lehenshoheit bezeugt. Mertingen aber war unbestrittenes Reichs­ gut, da es von Heinrich VI. gegen königl. Rechte eingetauscht wor­ den war5und doch betrachteten die Hohenstaufen beide Erwerbungen als Hausbesitzungen und behaupteten sie als solche auch nach ihrem Sturz vom deutschen Königsthron. Gleichzeitig mit dem Anwachsen der staufischen Hausmacht ist auch eine umfassende Neuorganisation derselben zu verfolgen.6 Be­ sonders seit im Jahre 1180 durch den Sturz Heinrichs des Löwen die alten Stammesherzogtümer zerschlagen waren, ging Friedrich I. daran, die verstreut liegenden Krön- und Hausgüter einheitlich zu 1 S. u. S. 186, A. 3. 2 Weller 211—221. 3 Ottonis Frisingensis, Continuatio Sanblasiana MG., SS. XX 314. 4 Weller 211—221 ; Küster 106. 5 Auch war Kaiser Heinrich VI. nicht Herog von Schwaben, sondern sein Bru­ der Konrad (Lahusen 119, A, 2; Rieder 238, A. 1). 6 Darüber handeln anschaulich Weller und Schröder 214, 427, 550, 613,

186 organisieren und zu einem besonderen Territorium zusammenzu­ fassen. In den einzelnen Landschaften wurden königliche Statthal­ ter aufgestellt, welchen alle dort liegenden Krongüter unterstanden. Unter diesen wurden an Stellen, wo größere Krongutbestände bei­ sammen lagen, Reichsvogteien unter königlichen Vögten gebildet.1 Das waren jederzeit absetzbare Beamte, die meist aus dem Reichs­ ministerialenstande genommen wurden. In diese Organisation wurden auch die neugewonnenen Orte Donauwörth und Mertingen einbezogen. Bei der Wichtigkeit des Ortes 2 ist nicht daran zu zweifeln, daß von Anfang an staufische Vögte dort saßen; seit Kaiser Friedrich II. sind sie uns mit Namen nachgewiesen. Für die alten Grundherrschaften Donauwörth und Mertingen trat mit dem Übergang an das Königshaus eine wichtige staatsrecht­ liche Änderung ein. Krongüter waren nämlich von jeder Grafen­ gewalt befreit;3 somit schieden jetzt Donauwörth und Mertingen aus den Grafschaften im Dillinger, Ries- und westlichen Augstgau aus und wurden zu einer königlichen Grafschaft oder zu einer Reichs­ vogtei. Ob beide getrennt oder zusammen verwaltet wurden, ist nicht nachzuweisen; für das letztere spricht aber die geringe Entfer­ nung Mertingens vom Hauptort. Seit der Herrschaf t der Hohen­ staufen über Donauwörth kann man also von einer könig­ lichen Vogtei Donauwörth sprechen.1 Ihr Gebiet4 läßt sich aus dem bayerischen Salbuch von ca. 12805 erschließen, da sie kurz vorher an die Wittelsbacher übergegangen war. Sie umfaßte den Markt Werd, das Dorf Riedlingen und einige Einzelhöfe, das Vogteirecht über Tüngen,6 südlich der Donau die 1 In ähnlicher Weise bildeten die Hohenstaufen auch aus dem von Herzog Welf VI. ererbten Kaufbeuren ein Amt oder eine Vogtei (officium), das von einem kgl. Beamten (officiatus, minister) verwaltet wurde (Steichele VI 283 f.). Im kgl. Steuerverzeichnis von 1241 werden Weißenburg i. E. und Kempten „Vogteien“, Kaiserslautern und Trifels „Ämter“ genannt; vermutlich entsprechen alle dort auf­ geführten Orte und Bezirke einem eigenen Verwaltungsbezirk mit einem kgl. Beamten (darüber Schulte 437 f.). 2 Er lag ja am Donauübergang der einzigen großen Nordsüdstraße im östl. Schwaben, die von Franken nach Augsburg und Italien führte (Weller 215). 8 Schröder 214. 4 Vgl. u. S. 198 ff. 5 s. u. S. 194, A. 6. 6 Konradin belehnte die Vetter, ein Donauwörther Patriziergeschlecht (vgl. u. S. 192, A. 9), in männl. und weibl. Erbfolge mit dem Vogt eil echt (jus advocale),

187 Dörfer Nordheim, Moringen*1 und Auchsesheim; weiter südlich noch Mertingen, Bäumenheim und wahrscheinlich einige Einzelhöfe in der Nachbarschaft, sowie Asbach, Lauterbach und Pfaffenhofen. Alle diese Orte gehörten zur königlichen Vogtei, entweder nach allge­ meiner Landeshoheit2 oder wenigstens nach Grundherrschaft oder Vogteirecht oder Gerichtshoheit. Diese drei Grundrechte erstreckten sich nämlich nicht geschlossen über die ganze Vogtei. Wahrschein­ lich übten schon die staufischen Vögte in Lauterbach 3 und Pfaffen­ hofen 4 nur die Gerichtsbarkeit und keine grundherrlichen oder vogteilichen Rechte. Die zwei zuletzt genannten Orte gehörten offenbar nicht zu den alten Grundherrschaften Donauwörth und Mertingen, da auch das bayerische Salbuch von ca. 1280 dort fast keine grundherr­ lichen oder vogteilichen Abgaben aufweist. Solche Gerichtsrechte wurden den Reichsherrschaften oft zugeteilt als herrenlose Stücke aufgelöster Grafschaften.5 Da sich im Jahre 1212 die Grafengewalt im westlichen Augstgau vom letzten Markgrafen von Ronsberg auf die Markgrafen von Burgau6 vererbte, benützten die Staufer ver­ mutlich diese Gelegenheit, um die gräfl. Gerichtsbarkeit in den ge­ nannten Dörfern ihrer Vogtei Donauwörth anzugliedern. Denn mit den vorstaufischen Grundherrschaften Donauwörth und Mertingen konnte diese Gerichtshoheit jedenfalls nicht verbunden sein, da sich deren Gerichtsrechte nur auf ihre grundherrlichen Güter erstreckten. Endlich oblag derVogteiDonauwörth auch derSchutzdesimMarkte gelegenen Klosters Hl. Kreuz.7 Der erste königliche Beamte, der Vogt, trägt unter Kaiser Fried­ rich II. noch unterschiedslos die Amtsbezeichnungen: procurator, welches ihren Meierhof zu Tüngen samt Zubehör (cum suis attinentiis) und eine Hube dort umfaßte (Böhmer R. 1.4804; Druck Öfele II 610). Türgen oder Tingen war ein Weiler an der Wörnitz oberhalb Donauwörth. 1 s. u. S. 197, A. 5. 2 Zu ihr gehören hier Grundherrlichkeit, Vogteilichkeit (Schutzherrlichkeit) und Gerichtsherrlichkeit (Küster 55); Genaueres darüber siehe u. S. 201, A. 2. 3 Dort setzte sich seit dem 13. Jahrh. der Deutschherrenorden fest; 1254 schenkte ihm König Konrad IV. die Pfarrkirche, 1325 gab ihm Ludwig der Bayer das Dorfgeiicht mit Ausnahme des Blutbannes (Euringer 539 f.). 4 Um 1400 hatte das Kloster St. Stefan in Augsburg das Dorfgericht (RA. 16 IV 148). 5 Schröder 551. 6 Steichele VI 127. 7 s. u. S. 190, A. 3.

188 ammanus, minister, wahrscheinlich auch advocatus.1 Wir wissen, daß schon unter Kaiser Friedrich II. mehrere Amtsleute am Orte 2 waren. So gab es einen königlichen Münzmeister, da seit 1193 stän­ dig Donauwörther Münzen bezeugt sind.3 Im Jahre 1228 ist uns auch ein eigener Kastellan oder Burghüter4 genannt, seit 1261 ein eigener Richter des städtischen Niedergerichtes, er heißt jetzt aus­ schließlich minister5 und seit 1294 ammanus.6 Dieser unterstand dem Landgerichte des königlichen Vogtes;7 aus seinem Amte ging später das Stadtammann-Amt hervor. Der daneben von 1258— 1267 bezeugte Arnold von Massenhausen8 war entweder Konradins Vogt oder Burghüter oder beides. Eine Hauptaufgabe der Vogteiverwaltung war die Sorge für die Rechtsprechung. Es wurde bereits ausgeführt, daß Donauwörth und Mertingen als königliche Besitzungen aus den Grafschaftssprengeln losgelöst wurden und eigene hohe Gerichtsbarkeit erhielten. Da Do­ nauwörth schon vor Mertingen an die Hohenstaufen kam, mußte es auch eine hohe Dingstätte bekommen. Mit der Grundherrschaft Mer­ tingen war aber bei ihrem Übergang an die Hohenstaufen bereits eine Blutgerichtsbarkeit verbunden und sie brachte daher auch eine hohe Dingstätte mit. Ob nun die beiden Dingstätten getrennt beibehalten oder zusammengelegt wurden, können wir für damals noch nicht feststellen. Seit etwa 1400 liegt sie für beide Bezirke zusammen in Mertingen.9 Wann die Verlegung dahin erfolgte, wissen wir nicht. Möglicherweise steht damit die allmähliche Über1 Die Steuererhebung besorgte 1218 der procurator, 1232 der Amman (MB. 30 I 62; Böhmer R. 1. 4234; von 1234—45 erscheint ein Friedrich mit der wech­ selnden Amtsbezeichnung Ammanus (i. J. 1234 Steichele III 597), 1239 minister (RB. II 294), 1240 procurator (RB. II 312), 1245 minister (RB. II 357)? daneben 1237 ein Berwicus advocatus (RB. II 270). 2 S. u. S. 190, A. 3. 3 S. u. S. 190, A. I ; Gebhart 6. 4 Unmittelbar neben den Brüdern Ulrich und Konrad „von Werd“ ist ein Sifridus castellin genannt (Böhmer Reg. I 4109). 5 MB. 27, 61 ; RB. III 189, 405 ; IV 29—561. 6 RB. IV 553 u. s. w. 7 Vergl. Schröder 685, 687 f. 8 MB. 27, 61 ; Böhmer R. I. 4773, 4779, 4791, 4811, 4825; er schenkt sein Erb­ gut Neuweiler bei Mertingen an Kaisheim (Öfele II 610). 9 S. u. S. 220, A. 3..

189 lassung der hohen Gerichtsbarkeit in der Stadt an dieselbe im Zu­ sammenhang. In Bezug auf die Niedergerichte werden wir nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß sie von Anfang an für Donauwörth und Mertingen getrennt beibehalten wurden. Da Donauwörth selbst be­ reits ein Markt war, waren vermutlich Marktbezirk und Landbezirk Donauwörth auch zwei getrennte Niedergerichtsbezirke. Ob bzw. wie lange die Niedergerichte Lauterbach und Pfaffenhofen1 in den Händen der königlichen Vögte waren, läßt sich nach dem früher Angeführten nicht genau feststellen. Die Niedergerichts­ barkeit der königlichen Vogtei umfaßte also nicht die ganze Reichs­ vogtei einheitlich. In der Ausübung der Niedergerichtsbarkeit machte es sich auch praktisch fühlbar, ob die betroffenen Vogtei­ insassen Grundholden bzw. Vogteileute (Schutzbefohlene) der könig­ lichen Vogtei waren oder ob sie in diesen Beziehungen einen anderen Herrn bzw. Vertreter hatten. Als weitere Aufgabe der Vogtei Verwaltung kam die eigentliche Verwaltung in Betracht. Die Hohenstaufen schufen nicht nur eine planmäßige äußere Organisation für ihre Krongüter, sondern wandten auch deren innerem Ausbau alle Sorgfalt zu. So bauten sie eine große Anzahl neuer Straßen,2 um die einzelnen Güter­ komplexe besser zu verbinden und Handel und Verkehr zu be­ leben. Sie gründeten eine Reihe von neuen Städten, um dem Han­ del bessere Stützen zu verschaffen.3 Eine bedeutende Straße führte bereits aus Franken über Donauwörth nach Augsburg; sie wurde alsHeer- und Pilgerstraße, sowie alsHandelsstraße nach Italien besser ausgebaut und viel benützt.4 Um den Verkehr über die Donaubrücke zu erleichtern, hob Kaiser Friedrich II. den dortigen Brückenzoll auf5 und plante die Errichtung einer steinernen Brücke,6 In großzügiger Weise begünstigten auch die Hohenstaufen die zwei Münz­ stätten Nürnberg und Schwäbisch-Hall, um sie gegenüber den fürstlichen Münzstätten konkurrenzfähig zu machen.7 Dabei ver1 s. o. S. 187, A. 3 und 4. 2 Weller 216. 3 Ebd., Schulte 436. 4 Weller 215, A. 3. 6 Böhmer R. I. 1146. 6 Böhmer R. 1. 1149. Der Bischof von Augsburg schrieb einen Ablaß aus zur Aufbringung freiwilliger Gaben. Es kam jedoch nicht zum Bau der Brücke. 7 Siehe Weller 218.

190 nachlässigten sie mit Absicht eine Reihe von kleinen königlichen Münzen, darunter auch Donauwörth.1 Aus der allgemeinen wirtschaftlichen Fürsorge der Hohenstaufen für ihre Hausgüter konnte aber Donauwörth nur Nutzen ziehen, da es an einer der größten Verkehrsstraßen lag. Die Reichsvogtei gewann an Bedeutung und, was die Hauptsache war, ihr wirtschaft­ licher Wert und ihr Steuerertrag stieg. Über die damaligen Abgaben in der Vogtei sind wir nur teilweise unterrichtet. Auf dem flachen Lande wurden sie einzeln und in Na­ turalien eingehoben.2 Die Ausübung der Schutzherrschaft über das Kloster I Ü. Kreuz trug eine Haferlieferung ein.3 Daher sind auch in dem königlichen Steuerverzeichnis von 1241, das nur Geldein­ künfte verzeichnet, die Landbezirke so schwach vertreten, das Land­ gebiet von Donauwörth überhaupt nicht.4 Aber alle diese Naturalabgaben waren für das universale Staats­ wesen der Hohenstaufen sehr schwer verwendbar; nur das Geld konnte leicht nach Italien wandern.5 Darum hatten sie ja in der oben ausgeführten Weise so sehr darnach gestrebt, ihr städteioses Hausgut mit einem Netz von Städten zu überziehen, um in den­ selben Geldeinnahmen erheben zu können. Solche gingen im Markte Donauwörth bereits seit alters ein, so aus Brücken-6 und Marktzoll, Münze 7 und Gerichtsbarkeit.8 1 Im Jahre 1219 bestimmte Friedrich II., daß die Nürnberger Kaufleute auf den Märkten zu Donauwqrth und Nördlingen mit ihren Münzen bezahlen, ja sogar ihre Münzmeister zur Ergänzung ihres Geldvorrates mitbringen durften (ebd.); seit 1228 wurden in Schwäbisch-Hall die später berühmten Haller oder Heller ge­ prägt (Rieder 246); daneben sind allerdings Werder Münzen unter der staufischen Herrschaft ständig bezeugt von 1194—1253 (RB. I 363; 11228, 280, 390; III 29; Gebhart 5). 2 Man darf dies wohl annehmen, weil auch ca. 1280 (1. bayer. Salbuch) aus den Dörfern des Donauwörther Landbezirkes noch kein Geld einging. 3 Böhmer, Reg. Friedr. II. 4234 (i. J. 1232); das Kloster konnte aus den königl. Amtsleuten des Ortes einen beliebigen als Vogt wählen und gab eine „vogetmuet“ d. i. eine Haferlieferung (Vogteihafer). 4 Das Verhältnis der städt. zu den ländlichen Geldsteuern dieses Verzeichnisses beträgt 84,4:15,6°/0,weil eben die letzteren meistens Naturalien gaben (Schulte 435). 5 Darüber Schulte 436. 6 Er wurde im Jahre 1220 aufgehoben, obwohl er jährlich 100 Pfund eingetragen hatte; die Verkehrssteigerung sollte den Ausfall decken (Vgl. o. S. 189, A. 5). 7 Aus dem Überschuß zwischen Feingehalt und Prägungswert. 8 Wovon 1IB dem Vogt zustand (Schröder 578), ein Brauch, der sich in der Pflege ständig erhielt.

191 Die Erhebung der Steuern von den einzelnen Marktinsassen ge­ schah noch 1218 direkt durch den königlichen Vogt.1 Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß damals bereits Geld ge­ steuert wurde. Wenn jedoch Donauwörth im königlichen Steuer­ verzeichnis von 12412 unter den Städten (civitates) mit 60 Mark Jahressteuer3 aufgeführt ist, so beweist das einerseits die Wohl­ habenheit des Ortes, weil das mächtige Ulm auch nur 80 Mark zahlte. Andererseits erfahren wir dadurch aber auch etwas Neues für die Entwicklungsgeschichte des Marktes. Da die Städtesteuern der späteren Staufenzeit auf der Gesamtbesteuerung der einzelnen Städte beruhen,4 die Steuern in Donauwörth aber 1218 noch von der königlichen Verwaltung direkt und einzeln erhoben waren, so muß der Ort zwischen 1218—41 das Recht der Selbstverwaltung in der Steuererhebung erhalten haben. Damit zeigt sich uns der erste Ansatz zur Ausbildung der späteren Selbstverwaltung, die zur reichsstädtischen Freiheit und Loslösung von der Reichsvogtei führen sollte. Ob und wieweit allerdings damals die Selbstverwaltung über die eigene Steuererhebung hinausging, können wir nicht fest­ stellen. Wurde auch Donauwörth in dem erwähnten Verzeichnis eine „Stadt“ genannt, so war es deswegen noch lange keine Reichs­ stadt,5 da die Stauferzeit diesen Begriff noch gar nicht kennt.6 Die königliche Vogtei mit ihrer aufstrebenden Stadt war wohl in der Lage, den Hohenstaufen im Kriegsfälle Dienste zu leisten. So schickte Donauwörth Ende 1240 mit anderen schwäbischen Städten Friedrich II. Truppen nach Italien; es wurde dafür mit dem Kirchen­ banne belegt.7 Auch einzelne Männer aus Donauwörth sind uns be1 Friedrich II. gebot seinem procurator in Werd, von den Häusern, welche das Kloster Kaisheim dort besaß, keine Steuern mehr zu erheben (MB. 30a, 62). 2 Die Juden zu Bopfingen und Donauwörth zahlten zusammen noch eigens zwei Mark (Schwalm 526), so daß auf jene von Donauwörth wohl eine Mark traf (Schulte 433). Das ganze Verzeichnis ist gedruckt bei Schwalm 517—553; vergl. Schulte 425—440. 3 In diesem Verzeichnis sind nur die ordentlichen oder gewöhnlichen Jahressteuern berücksichtigt (Zeumer 42). 4 Ebd. 41 f. 5 Reichsstädtischer Eigennutz und Lokalpatriotismus führten Jahrhunderte lang die Erhebung zur Reichsstadt auf Heinrich VI. i. J. 1193 zurück. Diese zuletzt noch von Stenger vertretene Ansicht wurde durch Rieder und Lahusen gründ­ lich erledigt (s. o. S. 168). 6 Lahusen 116. 7 Histor. polit. Blatter 64, 345 f, 581 f.

192 zeugt, die im kaiserlichen Heere und am Hofe Dienst taten. Da er­ scheinen von 1225—1232 zwei Brüder Ulrich und Konrad von Werd.1 Der erste hatte seinen Sitz in Donauwörth und erscheint am königlichen Hofe nur, wenn der König in Donauwörth selbst oder in der Nähe weilte.2 Der zweite war seit 12193 ständig in der Umgebung Friedrichs II. und bereits 1217 dessen Hofkäm­ merer.4 Er verließ erst 1223 den kaiserlichen Hof in Unteritalien,5 wo sich zuletzt auch sein Bruder Ulrich eingefunden hatte,6 und ist 1228—1233 am Hofe Heinrichs (VII.), des Sohnes Friedrichs II., in Deutschland bezeugt.7 Die Brüder sind nach der Zeugenreihe Ministerialen; Reichsministerialen wurde damals der tägliche Dienst der altenHofämter übertragen.8 Gleichzeitig erscheint bereits die vor­ nehmste und reichste Donauwörther Patrizierfamilie der „Vetter“,9 1227 ein Konrad der alte Vetter10 und 1236 Ulrich der Vetter.11 In­ folge der Namensgleichheit kann man sie in Verbindung bringen mit den obengenannten Brüdern, den königlichen Ministerialen; ein weiterer Anhaltspunkt liegt jedoch nicht vor. In den Kämpfen der Hohenstaufen um Italien brachen ihre deut­ schen Hausgüter zusammen. Waren die Reichsvogteien für Fried­ rich II. die sichersten Quellen gewesen für Truppennachschübe nach Italien, so waren sie auch seine letzten. Als auch sie keine Mannschaften mehr stellen konnten, mußte er zu Verpfändungen greifen. Es ist bekannt, wie weit die Verschleuderung des Reichs1 Böhmer R. 1. 14654; 791—4164 sind sie einzeln oder zusammen 37 mal erwähnt. 2 Böhmer R. I.; 791, 839, 1146, 1151 (am Hofe Friedrichs II.), 4109 (i.J. 1228 zu Donauwörth bei Heinrich (VII.). 3 Ebd. 14654, 791 usw. 4 Ebd. 905, 909, 1008 („königl. Kämmerer*) 1084, 1115, („der Kämmerer des kgl. Hofes“) usw.; er ist wiederholt zusammen mit den Inhabern der übrigen Hof­ ämter genannt. 5 Zuletzt ebd. 1458. 6 Dez. 1222 und Januar 1223 dort bezeugt (ebd. 1425, 1433, 1435). Vielleicht wollten beide Brüder am geplanten Kreuzzuge teilnehmen. 7 s. o. A. 1. 8 Schröder 529. 9 s. o. S. 186, A. 6. Die Familie spaltete sich im späteren Mittelalter in die zwei Linien „Vetter von Panterthier“ und „Vetter von der Lilie“. Beide wanderten um 1500 aus; die erste nach Ulm, wo sie ausstarb; die zweite existiert heute noch als österreichisches Grafengeschlecht (Mitteilung v. H. Bibliothekar Traber). 10 Königsdorf er I 79. Wenn auch seine Quelle nicht sicher sein sollte, so ändert das doch wenig am nachgewiesenen Alter des Geschlechtes. 11 Ak. Wiss. 1823, 426.

193 gutes besonders seit 1245 ging. Als Konrad IV. das Erbe seines Vaters übernahm, mußte er die gleichen Mittel an wenden, um seine Truppenbestände zu ergänzen; er griff bereits auf staufische Hausgüter über, welche bis dahin noch sorgsam gehütet worden waren, nämlich u. a. auf das welfische Erbe am Lech und auf Donau­ wörth. Er verpfändete Donauwörth, Mering, Peiting und andere Güter um 2000 Mark Silber;1 die Pfandinhaber wissen wir nicht. Herzog Ludwig II. „der Strenge“ von Bayern löste sie für seinen Mündel Konradin wieder ein.2 Als Vormund hielt er schon vor dem Tode Konradins in Donauwörth Hof.3 Als nun der letzte Hohenstaufe nach Italien zog, um sein sizilisches Erbe zu erobern, da mußte er sämtliche Hausgüter versetzen, darunter auch seine Stammburg, um noch ein Heer ausrüsten zu können. Donauwörth mit den bereits genannten welfischen Gütern am Lech verpfändete er am 24. Oktober 1266 seinem Oheim Herzog Ludwig II. von Bayern um 2000 Mark Silber4 5und schenkte gleichzeitig für den Fall seines Todes an seine bayerischen Oheime Ludwig II. und Heinrich I. alle seine Besitzungen und Lehen.6 Am 29. Oktober 1268 starb der letzte Hohenstaufe auf dem Blutgerüst zu Neapel.

3. Kapitel. Die ehemals staufische Vogtei, umstritten von Bayern und dem Reiche (1268—1348). Beim Untergang der Hohenstaufen winkte den Wittelsbachern ein reiches Erbe, das sich über ganz Süddeutschland erstreckte und im Zusammenhang mit dem bayerischen Herzogtum wohl die Beherr­ schung Süddeutschlands und schließlich des ganzen Reiches ermög­ licht hätte. Doch konnten sie die angefallenen Güter und Lehen nur soweit an sich bringen als die Spitze ihres Schwertes reichte. So 1 Böhmer R. I. 4813. Nach einem städt. Bericht von 1559 (1) soll Konrad IV. die Verpfändung 1252 vorgenommen haben (Stieve, Beiträge 135). 2 Böhmer R. I. 4813. 3 Am 28. Januar 1256 wurde dort Maria von Brabant hingerichtet. (Q11. u. Er. N. F. II 1, 112, A. 6). 4 Orig, im Stadtarchiv Donauwörth; Druck MB. 31 a, 592f. Es heißt Swaebiswerde „cum omnibus suis attinentiis“, d. h. die Landbezirke Schwäbischwerd und Mertingen. 5 Böhmer R. I. 4811. Konradin hatte seinen Oheim und Vormund bereits 1266. zum Erben aller Güter und Lehen im Falle seines Todes eingesetzt (Qu. u. Er. V 193). 13

194 gelangten nur die staufischen Güter, welche am westlichen und nord­ westlichen Rande des bayerischen Herzogtums lagen, also vom Lech über Donauwörth bis in den Nordgau in den Besitz der Wittelsbachischen Brüder Ludwigs II. (des Strengen) und Heinrichs I. Bei der Teilung des Konradinischen Erbes am 26. Sept. 1269 fiel Donauwörth an das oberbayerische Herzogtum Ludwigs II.,1 der sich bereits am l.März 1274 von König Rudolf I. das gesamte Konradische Erbe bestätigen ließ.2 Der König erkannte dabei Donau­ wörth als staufisches Hausgut an und erhob demgemäß von Reichs wegen keinen Anspruch darauf. Die Auffassung der Hohenstau­ fen über ihr Besitzverhältnis zu Donauwörth erhielt damit durch den erstenKönig nach dem Interregnum die Sanktion. Herzog Lud­ wig II. konnte daher ungestört die bisherige „Vogtei“ Donauwörth als Pflege seinem Herzogtum angliedern. Seitdem kommt die baye­ rische Bezeichnung „Pflege“ bzw. später „Reichspflege“ in Ge­ brauch. Auch König Adolf von Nassau machte den Wittelsbachern den Besitz von Donauwörth nicht streitig, wenn er auch andere Güter aus dem staufischen Erbe für das Reich einforderte.3 Als aber Her­ zog Rudolf der Stammler sein Schwiegersohn wurde, gab er jeden Anspruch auf diese Güter auf, indem er sie ihm am 17. Juli 1297 als Mitgift seiner Tochter verschrieb.4 Der Herzog kämpfte mit ihm sogar bei Göllheim gegen Albrecht I. von Österreich. Der neue König versöhnte sich zunächst mit dem Herzog5 und beließ ihn bis 1301 im Besitz des Konradinischen Erbes. Diese Zeit der bayerischen Herrschaft über Donauwörth von 1268—1301 bietet für uns zwei ergiebige Quellen über die inneren Verhältnisse der Pflege, nämlich das bayerische Salbuch von ca. 12806 und das oberbayerische Rechnungsbuch von 1291—94.7 Beide erlauben auch auf die vorausgehende Zeit sichere Rück­ schlüsse. 1 Qu. u. Er. V. 234 ff. 2 Ebd. V 269 ff. Dabei wurde scharf unterschieden zwischen staufischen Patrimonialgütern und Bamberger Lehen; Donauwörth wurde zu den ersteren gerechnet. 3 Küster 111. Der Herzog hatte den König nur ungern gewählt. 4 Heiratsvertrag vom 17. Juli 1297 mit Verschreibung der umstrittenen Güter als Mitgift (Böhmer R. Ad. 359). 5 Hörnecke 33. 6 MB. 36 I 314 ff. 7 Obb, Archiv 26, 272, 344 (= Öfele).

1()5 Als erster herzoglicher Beamter in der Pflege waltete jetzt ein bayerischer Pfleger, der mit der gesamten Verwaltung des Bezirkes betraut war. Ihm unterstanden sämtliche Beamte der Pflege.1 Seine Hauptaufgabe war jedoch die Bewachung der Burg, zu welchem Zwecke er Söldner unterhielt.2 Die bayerischen Pfleger gehörten gewöhnlich dem Ritterstande an. In Donauwörthist uns von 1291-93 der bayerische Ministeriale Seifried Marschalk von Oberndorf bei Donauwörth als Burghüterbezeugt.3 Wir werden nicht fehlgehen, in ihm den Pfleger zu sehen. Bei dem wachsenden Umfange der staat­ lichen Funktionen beschränkten sich die bayerischen Pfleger meist auf die eigentliche Verwaltung und stellten zunächst für die Ge­ richtsbarkeit einen eigenen Unterbeamten als Richter auf.4 Ein sol­ cher ist uns seit 1261 in Donauwörth ständig bezeugt, nämlich der bereits genannte Ammann für das städtische Niedergericht.5 Ein besonderer Richter für das Landgebiet ist uns nicht bezeugt; die Pflege war auch sehr klein. Oft gaben die Pfleger die finanzielle Verwaltung ihres Bezirkes an einen eigenen Kästner ab;6 einen sol­ chen dürfen wir in dem 1293 bezeugten Mudrigel von Donauwörth vermuten.7 Als Münzmeister ist uns in den Jahren 1277 und 1294 ein Friedrich bezeugt.8 In den beiden genannten Steuerbüchern erscheinen Donauwörth und Mertingen als zwei gesonderte Ämter, wenigstens in Bezug auf die Steuererhebung. Da aber in den Konradinischen Urkunden von 1268, im Nürnberger Salbüchlein9 von ca. 1300 und im Bensheimer Frieden von 130110 unter dem Ausdruck „Schwebischwerd und was dazu gehört“ immer Donauwörth mit Einschluß von Mertingen 1 Rosenthal 54, 323. 2 Ebd. 324 ff.; für Donauwörth speziell nachgewiesen bei Öfele 306. 3 Öfele 289 u. 292, 296 u. 304, 309 u. 315 ; er erhält 50 Pfund Jahresgehalt, dazu noch eine besondere Beihilfe (ebd. 313) und hält nach allgemeinem bayerischem Brauch (Rosenthal 325) Burgmannen (Öfele 306). 4 Rosenthal 54 f., 324. 5 s. o. S. 188, A. 5f. Über die Stellung eines solchen Stadtrichters zum Pfleger s. Schröder 685 ff. und Rosenthal 157* 6 Rosenthal 324. 7 Öfele 286. 8 RB. IV 553; VI 41. 9 s. u. S. 204, A. 6. 10 s. u. S. 205, A. 4. 13*

1% gemeint ist,1 so läßt sich annehmen, daß sie doch nicht völlig getrennt verwaltet, sondern nur ihre Einkünfte getrennt verrechnet wurden. Beide Gebiete zusammen bildeten die Pflege bzw. die spätere Reichspflege Donauwörth. Für das ganze Gebiet der Pflege ist aber die Zweiteilung Donauwörth und Mertingen beizubehalten. Im Gebiet von Donauwörth selbst hob sich unter der bayerischen Herrschaft die Stadt wieder um eine Schattierung deutlicher ab. Hatte ihr die Hohenstaufenzeit die finanzielle Selbstverwaltung ge­ bracht, so brachte jedenfalls die bayerische Herrschaft bzw. vor­ mundschaftliche Regierung Ludwigs II. das für bayerische Städte übliche Stadtammann-Amt.2 Der Herzog ernannte zwar den Am­ mann, doch wurde dadurch die spätere Selbständigkeit des Stadt­ gerichtes angebahnt und ein neuer Fortschritt in der städtischen Autonomie erzielt. Die ordentliche Jahressteuer der Stadt hatte seit 1241 eine wesent­ liche Erhöhung erfahren. Betrug sie damals 60 Mark oder 150 Pfund Heller,3 so erscheint in den Jahren 1291—93 die Summe von 400 Pfund als ordentliche Jahressteuer oder Bede.4 Damit hatte die ordentliche Staatssteuer bereits damals jene Höhe erreicht, welche sie für alle Jahrhunderte unverändert beibehalten sollte. Im 13. Jahr­ hundert waren diese Beden bereits in den meisten königlichen und fürstlichen Städten fixiert.5 Da nun die Stadtherren in ihren Steuer1 Als nämlich Donauwörth von 1301 bis ca. 1327 von Bayern getrennt war, war auch Mertingen immer davon getrennt. Sobald Donauwörth wieder an Bayern kam, wurde auch Mertingen in den bayer. Urkunden und Steuerbüchern aufgeführt. In den Quellen über die damalige staatsrechtliche Änderung ist Mertingen niemals eigens genannt, teilt aber ständig das Schicksal von Donauwörth. Wir dürfen wohl eine Verwaltungsgemeinschaft mit Donauwörth annehmen (s. u. S. 205, A. 6). 2 S. o. S. 195, A. 5, besonders Rosenthal. Wenigstens ist das Stadtammann-Amt für die Stauferzeit noch nicht bestimmt nachzuweisen (S. o. S. 188, A. 5 f.). 3 Rieder 246. 4 Am 15. April 1291 streckte die Stadt dem Herzog eine außerordentliche Mai­ steuer von 100 Pfund vor anläßlich seiner Reise zu König Rudolf in Germersheim; diese Summe wurde nicht mehr zurückbezahlt. Am 6. Januar 1292 gab sie eine Wintersteuer von 400 Pfund (für 1291), am 29. Juni 1292 eine Herbststeuer und zu­ gleich eine Notbede für die Kosten der Hochzeit der Prinzessin (Agnes mit dem Landgrafen Heinrich I. von Hessen) (Öfele 324) von 500 Pfund (400—^— 100 Mark?), am 28. Oktober 1293 endlich 400 Pfund (Öfele 288, 294 f, 298, 312). Daraus er­ gibt sich obige Ausscheidung in ordentliche und außerordentliche Steuern. Bei Rieder 246 f. sind diese Angaben nicht berücksichtigt. 5 Darüber Schröder 589 f.

197 forderungen doch immer weiter gingen und die alten ordentlichen Steuern nicht mehr erhöht werden konnten, so wurden außer­ ordentliche Steuern eingeführt. Eine solche ist uns auch für Do­ nauwörth in den Jahren 1291 und 92 bezeugt im Betrage von je 100 Pfund.1 Wurden die Abgaben der Stadt als Gemeindelast erhoben in­ folge ihres finanziellen Selbstverwaltungsrechtes, so wurden die Abgaben im übrigen Pflegbezirke direkt bei den einzelnen Pflegs­ insassen erhoben. Dabei können wir ganz genau die Gattungen der verschiedenen Abgaben unterscheiden und beobachten, wie sie einerseits noch auf der alten Grundherrschaft beruhten, wie sie wahrscheinlich auch auf der Gerichtshoheit begründet waren, und andererseits, wie auch auf dem flachen Lande bereits die ersten Staatssteuern als ordentliche Beden auf Grund der allgemeinen Landeshoheit eingezogen wurden. Außerdem erlaubt uns die Steuer­ veranlagung des Landbezirkes auch Rückschlüsse auf die Ent­ stehung der Vogtei Donauwörth, welche verschiedene oben ausge­ sprochene Vermutungen bestätigen. Das in den bayerischen Steuerbüchern von ca. 1280 und von 1291—942 3genannte Amt Donauwörth umfaßt nur diesen Land­ bezirk ohne die Stadt. Nach der Veranlagung der Steuern können wir in diesem Bezirke vier Gruppen unterscheiden. Die erste ist das Dorf Riedlingen mit dem Weiler Dittelspoint. Von den 15 abgabepflichtigenHuben in Riedlingen geben 14 gleich­ mäßig je 51/2 Viertel Weizen und 11 Viertel Haber, die 2 Huben in Dittelspoint je 4 Viertel Weizen und 11 Viertel Haber. Die zweite Gruppe4 umfaßt Binsberg, Walbach, Schellenberg­ hof, Nordheim, Moringen5 und Auchsesheim. Dort geben die 24 1 S. o. S. 196, A. 4. 2 S. o. S. 194. 3 Die an erster Stelle genannte Hube gibt nur 2*/2 Viertel Weizen und 5 Viertel Haber. Sie war wohl eine Halbhube; da sie jedoch an erster Stelle steht, ist es auch denkbar, daß ihr Inhaber für gewisse Amtstätigkeiten entschädigt wurde (vergl. Botenlehen des Amtshofes in Mertingen. S. u. S. 199, A. 9). 4 MB. 36 I 321 f. 5 Oder „Ginsberg“ um 1600 genannt; zuletzt noch ein Hof, wurde aber vor 1602 abgebrochen und zu den Schwaiggütern in der Zusam geschlagen (Neub. Lit. 1104, 3). Es lag zwischen Nordheim, Auchsesheim und Schwadermühle; die Flur heißt heute noch „Möringer Feld“ (Plaß 227).

198 Huben1 je 2 Viertel Weizen und 4 Viertel Haber, die 3 Höfe2 das Doppelte. Man kann zunächst an verschiedene Hubengrößen denken, je­ doch auch an einen verschiedenen Grad der Abhängigkeit. Wenn aber beide Gruppen von Anfang an unter dem gleichen Herrn standen, so wäre ein so starkes Mißverhältnis von 1 : 3 kaum mög­ lich gewesen. Einfacher ist die Annahme, daß sie ursprünglich zwei verschiedene Herren gehabt haben. Wenn wir infolge der geo­ graphischen Lage3 annehmen dürfen, daß die ältesten Besitzungen der Freiherren von Werd unmittelbar nördlich und südlich der Do­ naubrücke lagen, so würden sie mit der hier besprochenen Nordheimer Gruppe zusammenfallen. Da jedoch die Gruppe um Ried­ lingen in der Abgabenerhebung ganz anders veranlagt ist, so kam sie wohl erst später zu den Gütern um Donauwörth-Nordheim; ob unter den Manegolden oder unter den Staufern, läßt sich freilich nicht mehr feststellen. Die mittelalterlichen Salbücher lehren, daß Neuer­ werbungen geschlossen mit den alten Steuersätzen in die Rechriungsbücher aufgenommen wurden. Die Angleichung an das Stamm­ gebiet wurde auch in diesem Falle nicht durchgeführt. Es steht fest, daß das Amt Schwäbischwerd nicht aus einem Guß war, son­ dern aus sachlich oder persönlich getrennten Besitzungen zusammen­ geschweißt wurde. Die zweite Stelle unter den Naturalabgaben nimmt eine Geflügel­ lieferung ein.4 Sie betrifft einheitlich beide Gruppen und noch eine dritte,5 6welche aber nur Sölden und Gärten in Tulgen,0 Möckers­ reut7 und Seibersweiler8 umfaßt. Alle Höfe und Huben geben je zwei Hühner, alle Sölden und Gärten je ein Huhn. In Riedlingen werden von (24?) Hofstätten und Sölden 24 Hühner erhoben, was zusammen mit den 15 Huben eine Zahl von 39 Rauch­ stätten ergibt, eine Häuserzahl, die im Vergleich zu Mertingen 1 Binsberg mit 5 Huben, Walbach 3, Nordheim 5, Moringen 4. 2 Der Meierhof (curia villicalis) und ein zweiter Hof in Nordheim, sowie die „Hube“ Schellenberg mit gleicher Leistung. 3 S. o. S. 181 f. 4 Über allgemeine Viehlieferungen siehe Küster 44. 5 Tulgen mit 6 Gärten und Sölden, Möckersreut 2, Siebertsweder 2 (MB. 36 I 322). 6 Später Neudeckhof (Stegmann). 7 Später Weickersreut, dann Galgenhof, jetzt Kreuzhof (Plaß, Stenger 93). 8 oder Siebers weder, heute Faulhof bei Riedlingen.

199 stimmen dürfte.1 Da nun in diesem Orte neben der Pflege auch fremde Grundherren begütert waren,2 so ist anzunehmen, daß unter den Hofstätten und Sölden fremde Grundholden und (etwaige fremde oder eigene) Sölden gemeint sind. Für alle drei Gruppen ist diese Hühnerabgabe einheitlich veranlagt; sie wurde wohl erst eingeführt zu einer Zeit, da sie bereits in einer Hand waren. Ver­ mutlich gründen sie sich auf ein alle Gruppen gleichheitlich um­ fassendes Hoheitsrecht, etwa die Gerichtsherrlichkeit.3 Eine vierte Sonderstellung endlich nehmen Besitzungen ein, welche in der Stadt liegen,4 jedoch nicht in deren Pauschalsteuer inbegriffen sind. Diese Güter sind wohl aus Allodien des Marktbzw. Stadtherrn hervorgegangen und blieben immer aus der Ge­ meinde eximiert. Schließlich bezieht die Herrschaft aus der städt. Wiesenmark eine Kornfruchtabgabe,5 welche sich auf Obermärker­ schaft (Markvogtei)6 gründet. Im Gegensatz zu dem Amt Schwäbischwerd bildet jenes von Mertingen7 ein harmonisches Ganze. Die alte Grundherrschaft8 umfaßt im Hauptdorf einen Amtshof mit Botenlehen,9 sowie 5 wei­ tere Lehen. An Getreide gibt der Hof 10 Malter Weizen, die 5 Lehen geben die Hälfte; ebenso sind die Lehen in Königsmühle, Stadeln (Stadelhöfe bei Lauterbach) und Lauterbach10 veranlagt. Die Lehen von Wilaer11 und Illemad11 stehen jedoch gesondert und geben je 4 Malter. 1 Steichele III 1101 ff. 2 S. u. S. 200, A. 1. 3 S. u. S. 200, A. 2. 4 Eine Ziegelei mit 18 Augsburger Denaren, ein Hof einer „Sophia“ mit 12 De­ naren, ebenso ein Hof des F. patrui (von der Patrizierfamilie „Vetter“; s. o. S. 192, A. 9) 2 Fischwasser (s. u. 7. Kapitel, 1) mit.12 Denaren in der Karwoche, ebenso an allen Fasttagen, eine obere und eine untere Schwaige mit 200 bzw. 500 Käsen. 5 2 Malter Korn. 6 Darüber Inama-Sternegg II 121, 125 f. 7 MB. 36 I, 314 ff. 8 S. o. S. 184 f. 9 Curia officialis; feodum colitur in ipsam curiam, de quo debet nuncios dni ducis . . . (Lücke). Vergl. Waibelamt um 1413 und später Amt des Untervogtes in Mertingen; s. u. S. 221, A. 5. 10 In den Orten je 2 Lehen. Dazu in Königsmühle noch eine Mühle mit 6 Malter Weizen; das Gewerbe hat sich erst später selbständig gemacht (Inama-Sternegg II 290 f., 319 ; vgl. u. S. 231, A. 3). Zu Lauterbach vergl. S. 219, A. 2. 11 ln Wilaer 2 Lehen, Illemad 8, davon das letzte mit 3*/2 Malter. Wilaer = 2 Burghöfe bei Druisheim (Stegmann). Dieser alte Name ist ein Haupterkennungs-

200 Neben Getreide werden in diesem Bezirke auch Schweine ab­ geliefert. Der Amtshof und die Königsmühle geben je 2 Stück, alle Lehen je einheitlich 1 Stück. Diese Schweinelieferung kann bereits in Geld abgelöst werden, das Stück zu 8 kurzen Augsburger Solidi. Im Dorf Mertingen mit 49 Rauchstätten wird eine Kopfsteuer von je einem Rauchhuhn erhoben. Da jedoch nicht soviele Rauch­ stätten zur herzoglichen Grundherrlichkeit gehörten,*1 so muß diese Abgabe auf einem anderen Hoheitsrecht beruhen. Es kommt als rechtliche Grundlage wohl nur ein Hoheitsrecht in Betracht, welches der Herzog über den ganzen Ort ausübte, nämlich die Gerichts­ barkeit. Möglicherweise kann diese Abgabe bereits auf die alte lokale Blutgerichtsbarkeit der vorstaufischen Zeit zurückgehen, weil diese nur das Dorf selbst umfasste und diese Steuer nur im Dorfe selbst erhoben wurde. Auch ist es bemerkenswert, daß un­ mittelbar neben dieser Steuerangabe im Salbuch das alte Straßen­ gericht eigens erwähnt wird,2 obwohl es doch selbstverständlich dem Herzog zustand. In Mertingen und Lauterbach wird auch eine eigene Viehsteuer erhoben, hier in Geld und dort in Käseliefe­ rungen;3 ebenso vom Zusamried4 *eine Geld- und Haberabgabe für die Obermärkerschaft (Markvogtei). Wieder auf einem anderen Rechtstitel, auf der Vogteigewalt, beruht der Vogtei- oder Schirmhaber von den Höfen Hofstetten, Neuweiler und Bäumenheim.6 Über den Inhalt und das Wesen der Vogteigewalt gehen die Ansichten im einzelnen weit auseinander. Küster6 kann jedoch in seiner Untersuchung über das Reichsgut Zeichen grundherrschaftlicher Siedelung, ebenso jener von Neuweiler (Beyerle91, s. u. S. 218, A. 7). Die bisherigen Lehen werden mit Feodum bezeichnet. — In Mertingen noch 3 „Lehen“ ; davon geben 2 zusammen 10 Malter und 2 Schweine, das dritte allein 3 Malter. Sie sind an die Brüder Ch. (?) Heinrich und Ludwig von Asbach vertauscht gegen Güter in Oberbächingen (Stegmann). 1 Einige gehörten in andere herzogl. Ämter und viele zu anderen Grundherr­ schaften (bayer. Salbuch). 2 s. o. S. 184 f.; cf. S. 199 mit A. 3. 3 Genannt „vihrecht“ (MB. 36 I 323); in Mertingen rund 1 Pfund, in Lauter­ bach das eine Jahr 12 Käse, das nächste Jahr 20. Vgl. u. S. 223 mit A. 2. 4 Eine Wiesenmark nordwestl. Mertingen. Ein Pfund Denare und 20 Sack (ä 8 Augsburger Malter) Haber. 6 Ein Hof je in Hofstetten, Neuweiler und Bäumenheim. Hofstetten liegt nach einer Angabe von 1602 in der Markgrafschaft Burgau (Neub. Lit. 1104), Neu­ weiler gehörte ca. 1280 zum Amte Donnersberg (Oberndorf) (MB. 36 I 319). 6 Küster S. 49, bonders Abs. 4, 5. Inama-Sternegg II 43 ff.

201 von 1273—1313 als feststehende und fast allgemein anerkannte Sätze folgende Behauptungen aufstellen: „Die Vogtei ist eine Schutz­ gewalt, die sowohl über Hörige als Freie ausgeübt wird. Sie steht dem Grundherrn ohne weiteres über seine Grundholden zu, kann aber auch über Freie ausgeübt werden, welche sich gezwungen oder freiwillig unter den Schutz eines mächtigen Herrn, besonders vor Gericht, gestellt haben und ihm für seine Müheleistung eine kleine Vogteiabgabe zahlen.“ Als eine solche Leistung ist auch der hier erwähnte Vogteihaber anzusehen. Die bisher besprochenen Einnahmen aus der Pflege sind regel­ mäßige, meist auf Grund und Boden beruhende Einkünfte; sie gründen sich auf Grundherrlichkeit, Vogteilichkeit und Gerichtsherrlichkeit.1 Wir konnten in der Entwicklung der Pflege Donau­ wörth deutlich sehen, wie sie ihren Ausgang nahm von zwei Grund­ herrschaften, die dann aus Grafschaften ausgebrochen wurden, sich volle Gerichtshoheit erwarben und noch verschiedene Schutz­ oder Vogteirechte hinzugewannen. Diese drei Gewalten zusammen bilden die Grundsäulen der Landeshoheit,2 die sich seit dem 13. Jahrhundert allmählich in den deutschen Territorien ausbildete. Da die Landesherren aber in steigendem Umfange Geldsteuern brauchten, die alten regelmäßigen, meist grundherrlichen Abgaben jedoch nicht mehr erhöht werden konnten, so suchten sie nach neuen Einnahmen, die zunächst nachdem jeweiligen Bedürfnis eingehoben wurden. Sie waren zunächst schwankend und wurden erst allmäh­ lich fixiert, von Anfang an aber in Geld erhoben. Sie sind die Anfänge der späteren Staatssteuern und hießen damals Beden3, die in der neuen Landeshoheit ihre rechtliche Grundlage haben. Die Entwicklung dieser neuen Steuer zu einer ordentlichen Ab­ gabe haben wir oben bei der Stadt Donauwörth bereits verfolgt.4 Jetzt kommt aber auch das Landgebiet dieser Entwicklung nach. So begegnet uns in den Jahren 1292—935 eine solche damals noch außerordentliche Bede. Sie ist noch nicht für das ganze Her1 Solche Einnahmen wurden in den sogenannten Salbüchern oder Urbaren aufgezeichnet, wie unsere Quelle zeigt (Öfele 342). 2 Küster 55. 3 Schröder 589 f. 667 f. 4 S. o. S. 196 mit A. 3—5. 5 Als außerordentliche Steuer verzeichnete man sie nicht in den Salbüchern, sondern in eigenen Büchern. Öfele nennt die ihm vorliegende Quelle zum Unter­ schied „Rechnungsbuch“ (Öfele 342).

202 zogtum einheitlich veranlagt und wird auch noch nicht regelmäßig eingezogen. So gibt das Amt Mertingen im Jahre 1291 keine Bede, es wird auch kein Grund für ihr Fehlen angeführt. Im Jahre 1292 gibt es in den drei Jahreszeiten Frühjahr, Sommer und Herbst eine solche,1 im Jahre 1293 nur im Frühjahr, in den beiden anderen Jahreszeiten nicht.2 Sie wurde auf dem flachen Lande von der herzoglichen Verwaltung auf die einzelnen zinsbaren Leute umge­ legt 3 und zwar zeigt das Salbuch Herzog Ludwigs des Gebarteten von 1413—16, daß Grundholden und Vogteileute davon in gleicher Weise betroffen wurden.4 5 Für das Amt Schwäbischwerd ist uns diese Landessteuer in den Jahren 1291—93 noch nicht direkt bezeugt. Entweder waren die dortigen Zinsleute durch andere ungeschriebene Verpflichtungen6 genügend betroffen und wurde die „Maisteuer“ erst später dort ein­ geführt oder ihr Anfang ist in einer anderen Abgabe zu suchen. Unter den Abgaben und Gefällen (beständige und unbeständige Einnahmen) des Jahres 1293 liefern eine Reihe von Richtern, Vögten, Meiern, Münzmeistern und Kastnefn an die herzogliche Zentralver­ waltung Geldsummen ab, darunter auch ein Muodrigel von Werd eine Summe von 50 Pfund.6 Da er weder Richter7 noch Münz­ meister8 in Donauwörth, auch wahrscheinlich nicht Pfleger war9 1 8 Pfund -f- 4 Pfund -f- 8 Pfund Münchner Pfennige (Öfele 295, 301, 303). Wechsel werte : 3 Hallische Pfund == 2 Münchner Pfund = 2 Ingolstädter Pfund = 2 Pfund alte Augsburger Denare (Öfele 293). 2 Frühjahr 8 Pfund Münchner Pfennige. Sommer . . . propter Dominam ducissam remittur illa stiura; es mußten wohl für die Herzogin, vielleicht gelegentlich einer Reise, Aufwendungen gemacht werden. Herbst: nichil (ohne Angabe des Grundes; die Steuer war auf dem Lande noch nicht regelmäßig). 3 Im Gegensatz zu den Städten, in denen Matrikularbeiträge erhoben wurden (Schröder 692); s. o. S. 196, A. 5. 4 s. u. S. 221 f. Über die allmähliche Gleichstellung von Grundholden und Vogtei­ leuten s. Inama - Sternegg II 45. — Über die Maisteuer s. u. S. 221. 5 Aus den ursprünglich ungemessenen Dienstverpflichtungen der Grundholden ist ja diese Steuer in erster Linie abzuleiten (Maurer, Fronhöfe uud Hofverfassung III 331 f.). 6 Öfele 286. Im J. 1222 ging auch eine Ablösungssumme von 20 Pfund Heller von einem Schwaiger in Werd ein, der sich in die Hintersassenschaft des Deutsch­ herrenordens begab (cum transtulisset se . . .) (Öfele 283). 7 Das war 1272—94 Reinward (s. o. S. 195, A. 5). 8

1277—94

ist ein Friedrich bezeugt (S. 195, A. 8).

o. S. 195, A. 3.

203 und die Stadt ihre Steuern eigens zahlte,1 so kann er nur Kästner oder, was hier eigentlich dasselbe bedeutet, Meier des Landbezirkes gewesen sein. Das von ihm abgelieferte Geld mag von verkauften Naturalien herrühren, es kann aber darin auch eine außerordentliche Steuer des engeren Bezirks Donauwörth oder wenigstens der Ansatz zu einer Bede ähnlich jener des Mertinger Bezirkes vermutet werden., Selbst wenn hierin der Anfang der späteren Maisteuer noch nicht zu sehen wäre, so erfolgte ihre Einführung wenigstens im 14. Jahr­ hundert, da sie Ludwig der Gebartete um 1413 sowohl in Mertingen als im Bezirk Schwäbischwerd bereits als ordentliche Steuer erhob.2 Vergleichen wir die Ämter Schwäbischwerd und Mertingen, so sehen wir einen wesentlichen Unterschied in ihrer Steuerbelastung. Das Amt Schwäbischwerd erhebt sehr mäßige grundherrliche Ab­ gaben, im Gegensatz zu dem Mertinger Amte. Einen Fortschritt bedeutet im letzteren die beginnende Ablösung in Geld. In Mertin­ gen wird auch bereits die Bede erhoben, während sie in Schwäbisch­ werd noch nicht bezeugt ist und höchstens vermutet werden kann. Und selbst als sie dort um 1413 eingeführt war, erschienen die Mer­ tinger Bauern immernoch durch ihre hohen Getreidegülten schwerer belastet als jene des Bezirkes Schwäbischwerd. Diese Tatsache er­ kannte selbst das Salbuch Ludwigs des Gebarteten an.3 Sonst bestehen noch kleinere Unterschiede zwischen den beiden Bezirken. So wird in Schwäbischwerd nach (Donauwörther ?) Maß, in Mertingen nach Augsburger Maß gemessen.4 Die Stadt Donau­ wörth zahlt in Hellern, der Landbezirk in alten Augsburger Denaren, der Bezirk Mertingen in kurzen Augsburger Solidi.5 Alle diese Ver­ schiedenheiten erklären sich eben daraus, daß die ganze Vogtei Donauwörth aus ursprünglich völlig getrennten Besitzungen und Rechten zusammengefügt wurde. Die Wittelsbachische Herrschaft über die Pflege schien gesichert. Es hatte sie bisher jeder König nach dem Interregnum anerkannt; sogar Albrecht I. hatte sich nach der Schlacht bei Göllheim mit den Wittelsbachern ausgesöhnt. 1 2 3 4 5

s. o. S. 191 und 196 f. s. u. S. 221. s. u. S. 223 mit A. 1. MB. 36 I 316. Ebd. 323 f.; ihrer 20 gehen auf 1 Pfund.

204 Doch strebten die Könige nach dem Interregnum danach, ver­ loren gegangene Reichsgüter zurück zu holen. Schon Rudolf von Habsburg gewann zahlreiche wieder.1 Für dieselben schuf er ähn­ lich der staufischen Krongüterorganisation landsmannschaftliche Gruppen, Reichslandvogteien. Er mußte indes noch auf verschiedene ehemalige Reichsgüter zu Gunsten der Fürsten verzichten; so be­ stätigte er auch die Wittelsbacher eigens im Besitz des ganzen Konradinischen Erbes. Sehr erfolgreich arbeitete aber sein energischer Sohn Albrechtl. Er führte die Revindikationen in weitestem Maße durch;2 so kam es schließlich zur Errichtung der Reichslandvogteien Ober- und Nord­ schwaben, Ober- und Niederelsaß, Ortenau, Speyergau, Wetterau, Nürnberg, Rothenburg o. T. und (seit Kaiser Heinrich VII.) in den Waldstätten3. DieReichslandvögte waren jederzeit absetzbare könig­ liche Beamte, die häufig gewechselt wurden.4 Ihnen oblag aber nicht nur die Verwaltung ihres Bezirkes, sondern auch die Sorge fürWiedergewinnung benachbarter verlorener Reichsgüter.5 Darum sind in dem Salbüchlein der Nürnberger Reichslandvogtei6 auch solche Reichsgüter verzeichnet, welche in ihrem Bezirke lagen und zur Zeit der Abfassung des Büchleins in fremden Händen waren, darunter Donauwörth.7 Als König Albrecht I. im Frühjahr 1301 zum Kampfe gegen die rheinischen Kurfürsten rüstete, beauftragte er am 5. März seinen rührigen Nürnberger Reichslandvogt Dietegen von Kastei, ein Augenmerk zu haben auf die Konradinischen Güter und die Rechte des Bischofs von Bamberg in jenen Konradinischen Gütern zu schützen, welche als bambergische Lehen dazu gehörten,8 d. h. der Reichslandvogt sollte im Kriegsfälle für Rückeroberung jener Gü­ ter und Rechte sorgen. Der König hatte also die Absicht, das 1 Über „das Reichsgut in den Jahren 1273—1313U handelt gründlich Küster. 2 Küster 15, 74—79, 111—114, 116 f. 3 Schröder 551. 4 Küster 79. 5 Küster 40 mit Anm. 4. 6 Text des Nürnberger Salbüchleins bei Küster 100—105 mit folgenden Er­ klärungen. 7 Küster 103, 111 f. 8 Böhmer, Reg. Albr. I. 326, RB. V 3; damit war die Vogtei über diese Güter dem Reiche zugesprochen.

205 staufische Erbe soweit als möglich wieder ans Reich zu bringen. Darum wurden in jenen Jahren in das Nürnberger Salbüchlein die Angaben über die staufischen Güter Hersbruck, Velden, Amberg, Fronberg (bei Schwandorf), Donauwörth aufgenommen.1 Damit bekundete König Albrecht I. eine ganz neue Auffassung über die staatsrechtliche Stellung von Donauwörth. Er betrachtete es nämlich nicht mehr gleich seinen Vorgängern als staufischesund wittelsbachisches Hausgut, sondern als ehemaliges Reichsgut. Diese neue königliche Rechtsauffassung bezeichnet eine sehr wichtige Stufe in der Entwicklungsgeschichte der Reichspflege Donauwörth. Es handelte sich nur mehr darum, ob der König auch die Macht besaß, seine Auffassung im gegebenen Augenblicke praktisch durch­ zusetzen. Tatsächlich hatte er sie. Von Mai bis Juli 1301 warf er als ersten seiner rheinischen Gegner den Pfalzgrafen nieder.2 Seine schwäbischen Truppen eroberten die ehemals staufischen Güter am Lech und an der oberen Donau, darunter Burg und Stadt Donau­ wörth.3 i\m 20. Juli 1301 schloß Pfalzgraf Rudolf mit dem König den Frieden von Bensheim4(an der Bergstraße in Hessen) und verzichtete zu Gunsten des Reiches auf einen Teil des Konradinischen Erbes, darunter auch Donauwörth. Nun kam die Pflege Donauwörh in ein neues staatsrechtliches Verhältnis, in dem sie noch nie gestanden war. Sie wurde reines Reichsgut und eine wirkliche Reichsvogtei (1301 bis ca. 1327) mit einem eigenen Reichsvogt.5 Ihr Gebiet umfaßte wieder Donau­ wörth ^und Mertingen.6 Die neue Reichsvogtei wurde der großen Reichslandvogtei Nürnberg angegliedert,1 welche sich damals ge1 Küster 111. 2 Hörnecke 65 f. 3 Böhmer, Fontes I 25, 342. 4 MG., SS. 24, 57 (Herrn. Altah. Cont. III). 5 Er wurde vom Reichslandvogt in Nürnberg ernannt (Küster 80); 1311 ist als Donauwörther Reichsvogt bezeugt Ruppert gen. Schefmann (M. B. 16, 323); 1320 Konrad von Pfahlheim (Steichele III 754). 6 Donauwörth und Mertingen fehlen in dem Teilungsvertrag vom 1. Okt, 1310 zwischen Pfalzgraf Rudolf und Herzog Ludwig dem Bayern, während die an­ grenzenden Gebiete von Druisheim, Donnersberg usw. genannt sind (Qu. u. Er. VI 160); sie fehlen auch im oberbayerischen Salbuch von 1326 (MB. 36 II 499 ff.), während sie im Appendix dazu vom Jahre 1330 (MB. 36 II 568) und im Hausver­ trag von Pavia vom 24. August 1329 (Qu. u. Er. VI 302) wieder genannt sind. Das Nürnberger Salbüchlein sagt „ Schwäbisch werd und zwas dozue gehört“ (s. o. S. 204, A. 7.

206 schlossen von Donauwörth bis zum Egerland erstreckte. König Albrecht I. ließ sich die Förderung dieser Vogtei besonders angelegen sein und baute von Ulm über Donauwörth nach Nürnberg eine große Reichsstraße,1 welche dazu bestimmt war, den Interessen des Reiches und des Königs (seinen thüringisch -bömischen Hausmachtplänen) zu dienen sowie den Handel zu heben. An der Kreuzung dieser neuen Straße mit der alten Nordsüdstraße konnte sich Donauwörth nur günstig entwickeln. Damals wurden auch in der Stadt eine Reihe neuer Bauten aufgeführt, so das Rat­ haus.2 Dafür wurde ein anderer Bau abgetragen, nämlich die Burg,3 welche im Kriege von 1301 zerstört worden war.4 Es war nicht ohne sinngemäße Bedeutung, daß deren Steine zum Bau des Rathauses verwendet wurden; denn von jetzt ab erfuhr die städtische Auto­ nomie eine wesentliche Stärkung. Die Stadt war seit 1301 reichsfrei und strebte naturgemäß darnach, ähnliche Privilegien zu erhalten wie ältere reichsfreie Städte. Aber ein königlicher Akt, der die Stadt zur „Reichsstadt“ erhoben hätte, ist uns nicht bekannt. Wahrscheinlich erfolgte er überhaupt nicht; eine so wichtige Urkunde hätte die Stadt, wenigstens in Ab­ schrift, sicher der Nachwelt überliefert; auch war König Albrecht I. gar nicht der Mann, der Geschenke freigebig austeilte. Die städtische Autonomie hatte sich ohnedies bereits in hohem Maße entwickelt. Seit der Stauferzeit hatte die Stadt eigene Finanz­ verwaltung, seit 1292 etwa ist ihre Jahressteuer fixiert; die erste baye­ rische Herrschaft (1268—1301) brachte sicher das städtische Am­ mannamt. Daswar immerhin ein nennenswertes Maß von Selbstver­ waltung, deren sich eine Reichsstadt auch ohne spezielle königliche Verfassungsurkunde freuen konnte. Ein königliches Landfriedens­ gebot von 1307 zählt Donauwörth bereits unter den schwäbischen Reichsstädten auf.5 Als Stadtregiment tritt uns im Jahre 1308 der Ammann mit einem 5 köpfigen Rat entgegen.6 Die Burg der bisheri­ gen Stadtherren wurde mit königlicher Erlaubnis abgetragen.7 So konnte keine Zwingburg mehr entstehen. Das Entscheidende aber 1 2 3 4 5 6 7

Weiß 104 f. Ebenda. Ebenda. Böhmer, Fontes I 25. MG., Const. IV 191. Rieder 244 nach einem Orig. i. RA. Weiß 104 f.

207 war, daß die Stadt unter dem Reiche stand; und die Herrschaft dieses Reiches nach dem Interregnun war nicht drückend, sein Vogt wurde nicht mehr so mächtig wie der staufische Vogt oder der bayerische Pfleger. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Beginn der Reichsun­ mittelbarkeit der Stadt Donauwörth auf das Jahr 1301 festzusetzen, aber kein formeller Akt der Erhebung zur Reichsstadt nachzuweisen ist.1 Die Rechte des neuen Reichsvogtes in der Stadt umfassen die Ernennung des Stadtammannes, die Ausübung der hohen Gerichts­ barkeit, die Einziehung der Reichssteuer und im Kriegsfälle das Kommando über das städtische Aufgebot. Unumschränkt waltete er dagegen im Landgebiet seiner Vogtei, in den Landbezirken Schwäbischwerd und Mertingen. Über die inneren Verhältnisse dieser Gebiete fehlen uns aber aus derZeit von 1301—26 einzelne Nachrichten. Aus der damaligen Organisation der Reichslandvogteien können wir nur entnehmen, daß alle Ab­ gaben, Steuern und Gerichtsgefälle an die Kasse der Reichsland­ vogtei Nürnberg abgeliefert werden mußten.2 Die Reichsunmittelbarkeit von Donauwörth festigte sich unter König Albrecht I. und Heinrich VII. soweit, daß auch König Lud­ wig IV. der Bayer zunächst nichts daran ändern konnte. Die Stadt erkannte ihn als deutschen König an. Im Verlaufe des Thronstreites wurde sie 1319 auf 20 vorübergehend von der Partei Friedrichs des Schönen besetzt. Damals war ein Lehensmann des habsburgisch gesinnten Grafen von Ottingen, Konrad von Pfahlheim, Vogt in Donauwörth.3 Hatten die Wittelsbacher auch nach 1301 noch Allodialgüter in Donauwörth und Umgebung behalten,4 so konnte dies nur dazu bei1 Auch Rieder kommt in seiner hauptsächlich siegeltechnischen Untersuchung über die Erhebung Donauwörths zur Reichsstadt zu dem Ergebnis, daß die Reichs­ freiheit der Stadt aus der Zeit nach 1301 zu datieren ist. 2 Küster 80. 3 s. o. S. 205, A. 5. 4 Den Wördhof versetzten die beiden Herzoge am 15. Okt, 1313 um 60 Pfund an Heinrich Holzheimer (Koch und Wille, Reg. Pfgr. 1719; R. A. 14 I 39). 1323 gab Ludwig der Bayer seine Erbgüter zu Tulgen (2 Höfe, eine Schmiede, 2 arbeitende Mühlen und eine öde Mühle und alle Hofstätten), welche 7 Schilling Münchn. Pfen­ nige steuerten, samt Zubehör an das Kloster Niederschönfeld bei Rain (MB. 16, 344) 1324 schenkte er ihm auch sein Haus in Donauwörth zwischen der Donau und dem Lederertor (ebd. 349).

208 tragen, daß sie den Verlust der Stadt nicht verschmerzten. Ludwig der Bayer war im Kampfe von 1301 aufSeiten des Königs gestan­ den es geschah ihm durch die Wegnahme von Donauwörth Un­ recht, weil er ein Mitbesitzrecht darauf hatte. So konnte er immerhin einen rechtlichen Anspruch auf Donauwörth vertreten. Als er 1322 den entscheidenden Sieg bei Mühldorf über Friedrich den Schönen errungen und sich das Königtum gesichert hatte, weilte er in den Jahren 1323—24 wiederholt in Donauwörth.2 Endlich erreichte es Ludwig der Bayer, die Reichsvogtei Do­ nauwörth zwischen 1326—29 aus dem Reichsverbande zu lösen und seinem oberbayerischen Herzogtum anzugliedern. Das oberbayeri­ sche Salbuch von 1326 nennt Donauwörth noch nicht, während es im Hausvertrag von Pavia vom 24. August 1329 bereits aufgeführt ist.3 Vermutlich erledigte er die Angelegenheit 1326 oder 1327, da er in letzterem Jahre zu seinem Römerzuge aufbrach. Auch scheint es nicht zufällig, daß er am 13. Dez. 1326 der Stadt Donauwörth das Stadtammannamt für immer überließ,4 so daß also der Ammann nicht mehr vom Stadtherrn, sondern von der Stadt selbst ernannt wurde. Die kleine Reichsstadt konnte kaum den König ohne beson­ dere Gegenleistung zu einer solchen Vergünstigung bewegen. Da sie aber um diese Zeit ihre Reichsunmittelbarkeit verlor, mag ihr diese Vergünstigung die Rückkehr zum Herzogtum erleichtert haben. Damit besaß Donauwörth als herzogliche Stadt gegenüber den anderen bayerischen Städten einen bedeutenden Vorsprung, da diese damals nur ein Vorschlagsrecht hatten bei Ernennung eines Stadtammannes.6 Über den Übergang von Donauwörth an Bayern ist uns keine Urkunde erhalten, vielleicht wurde auch keine ausge­ stellt. Einerseits hatte die Stadt kaum Lust, sich ihre Degradierung schriftlich geben zu lassen; andererseits hatte der König ein Inter­ esse daran, die Verschiebung möglichst geräuschlos zu machen und die Sache so darzustellen, als ob nur ein widerrechtlicher Zustand aufgehoben worden wäre. 1 Doeberl 3 1 2/3. 2 MG., Const. V 611, 629, 633 f., 635 f., 843 f. 3 S. o. S. 205, A. 6. 4 Böhmer, Reg. Ludw. d. B. 917; Oefele I 754 ; eine Angabe über die jährliche Ammannsteuer fehlt hier. 6 Rosenthal 155 f. Dieses Vorschlagsrecht kam allerdings einem Emennungsrecht fast gleich.

209 Von ca. 1327—1348 erscheint die bisherige Reichsvogtei wieder als bayerische Pflege. Die alte bayerische Verwaltung mit Pfleger und Kästner1 wurde erneuert. Die Landbezirke von Schwäbischwerd und Mertingen heißen hier zum ersten Male „Vogtei“ (auf dem Lande).2 In den Landbezirken gebot der bayerische Pfleger unumschränkt. Es fehlen uns jedoch für diese Zeit genauere Angaben über die inneren Verhältnisse der Vogtei auf dem Lande. Eine Gesamtsumme der Einkünfte aus den Ämtern Druisheim, Mertingen, Nordendorf und Donauwörth von ca. 13303 zeigt Natural- und Geldeinkünfte nebeneinander, läßt aber keine Einzelschlüsse zu. Der Pfleger hatte aber nicht mehr die alten Rechte in der Stadt. Diese erfreute sich seit der Überlassung des Ammannamtes einer größeren Autonomie als sämtliche übrigen herzoglichen Städte. Die Rechte des Herzogs bzw. seines Pflegers beschränkten sich jetzt auf die hohe Gerichtsbarkeit, die Einziehung der jährlichen Stadt­ steuer und das Kommando über das städtische Aufgebot. Die or­ dentliche Stadtsteuer betrug auch jetzt (1331) 400 Pfund Heller,4 * als Ammann- und Judensteuer wurden ca. 1330 je 50 Pfund ge­ geben.6 Bei seiner großen Geldnot sah sich der Kaiser veranlaßt, im Ok­ tober 1331 einen Teil und schließlich die ganze Stadtsteuer dem Grafen Ludwig dem Alten von Öttingen zu versetzen, unter Ein­ rechnung einer Schuld von 2200 Pfund.6 Der Kaiser hatte sich in­ zwischen mit dem ehemals habsburgischen Parteigänger versöhnt. Da gleichzeitig zwischen der Stadt und dem Grafen ein Friede zu­ stande kam,7 so läßt sich annehmen, daß damit ein Zwist beige­ legt wurde, an dem die drei Parteien beteiligt waren. Möglicher­ weise war der Öttinger im Jahre 1320 beim Verluste der ihm von Friedrich dem Schönen verliehenen Vogtei finanziell geschädigt worden, ein Nachteil, der jetzt wohl wieder gut gemacht wurde.8 1 Im Jahre 1335 ist ein Konrad der Kämmerer in Word bezeugt (RB.VII 108'. 2 Sattler I Beil. 80 f. 3 Appendix zum oberbayerischen Salbuch von 1326 (MB. 36 II 568). 4 Knöpfler 292; Pfister III 235. 6 MB. 36 II 572. Die dabei angegebene Jahressteuer von 200 Pfund ist nur der halbe Betrag, wie ein Vergleich mit den Steuern der anderen bayer, Städte in den Jahren 1291—93 und 1330 ergibt. 6 Lang Jak. II 25 f; Pfister III 235; Öfele I 764 b. 7 Orig, der Urkunde im Fürstl. Öttingischen Archiv zu Wallerstein. 8 So Plaß 286 f. 14

210 Im Jahre 1336 war die Verpfändung der Stadtsteuer an den Öttinger bereits abgelaufen.1 Damals waren aber dieVogtei (auf dem Lande) und die Ammannsteuer bereits anderweitig verpfändet;2 3denPfandinhaber wissen wir nicht. Vom 16. August bis 1. Oktober 1336 wies der Kaiser vorübergehend dem Landvogt von Niederschwaben,* Graf Ulrich von Württemberg, die Stadtsteuer von Donauwörth an als Pfand für eine Schuld von 6000 Pfund, um ihm alsdann die Steuer der Reichsstadt Weil der Stadt zu verschreiben.4 Solche Verschrei­ bungen berührten aber die staatsrechtliche Stellung der herzog­ lichen Stadt Donauwörth nicht und sie schien dem Herzogtum sicher. Da brach imjahre 1340 in Donauwörth ein Aufstand aus; er wurde niedergeworfen. Die Rädelsführer wurden aus der Stadt verbannt.5 Keine Quelle berichtet uns über den Grund zu dieser Erhebung. Manche vermuten, daß sie sich gegen die bayerische Herrschaft wandte, die man damals allerdings nicht abschütteln konnte. Wenn auch die Frage nicht geklärt werden kann, so ist doch Tatsache, daß Donauwörth nur auf die Gelegenheit wartete, von Bayern loszu­ kommen und wieder die Reichsunmittelbarkeit zu erlangen. Denn sobald der Kaiser am 11. Oktober 1347 die Augen schloß, wandte sich die Stadt hinter dem Rücken der bayerischen Herzoge an den neuen König Karl IV. Die Verhandlungen müssen alsbald aufgenommen worden sein, da bereits am 26. Mai 1348 der König Donauwörth zur Reichsstadt wieder erhob;6 die Stadt hatte sich bereits mit schwäbischen Reichsstädten verbündet. Die Verhand­ lungen wurden geheim gehalten, die bayerische Verwaltung be­ stand bis mindestens Juli 1348 noch fort.7 Erst am 16. Oktober wurde die Reichsstadt durch Graf Ulrich von Württemberg in die ReichslandvogteiNiederschwaben aufgenommen, nachdem sie vom Grafen offenbar erst kurz vorher für das Reich „gehaimt und einge­ nommen“ worden war.8 1 In 6 Jahren wurde durch die Stadtsteuer die Gesamtschuld von 2600 Pfund abbezahlt. 2 Sattler I. Beil. 80 f. 3 Schön 287. 4 RB. VII 157. 5 Traber 8, Orig. 6 Traber 9, Orig. Druck: MG., LL., Sectio IV, VIII 591. 7 Am 16. Juli 1348 siegelte Seitz Marschalk von Oberndorf noch als herzoglicher Pfleger (RB. VIII 138). 8 Verschreibung des Grafen Ulrich gegenüber der Stadt (RA. 14 II 1, Copie). Diese sowie die zwei folgenden Verschreibungen (s. u. S. 212, A. 1 u. 6) bilden die

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4. Kapitel. Dauernde Anerkennung der Reichsunmittelbarkeit von Donauwörth. Allmähliche Auflösung der Reichsvogtei in Stadt und Vogtei auf dem Lande (1348—1536). Mit Hilfe Karls IV. erlangte Donauwörth wieder die Reichsun­ mittelbarkeit, welche es schon zu Beginn des Jahrhunderts vorüber­ gehend besessen hatte. Von jetzt ab sollte dieselbe für die Stadt bis zum Jahre 1607, für die Vogtei auf dem Lande (Reichspflege), wenigstens formell, bis zur Auflösung des alten Reiches dauern. Damit war für immer die alte staatsrechtliche Anschauung der Hohen­ staufen und Wittelsbacher erledigt, daß die Vogtei staufisches bzw. wittelsbachisches Hausgut sei. Die Rechtsauffassung König Albrechts I. aus dem Jahre 1301 über ihren Reichscharakter war damit wieder verwirklicht und blieb dank der Macht des luxemburgischen Hauses in Geltung. Es änderte nichts mehr am reichsunmittelbaren Charakter der Vogtei, wenn sie später vorübergehend verpfändet wurde. Bis zum Beginn dieser Pfand zeit unterstand die Vogtei direkt dem Reiche und wurde in die alte Organisation der Reichsgüter einge­ fügt (1348—76). Es wurde wieder im Rahmen der Reichslandvogteien von königlichen Reichslandvögten verwaltet, die in Donau­ wörth durch einen (Orts-) Reichsvogt vertreten waren. War es 1301 bis ca. 1327 der Reichslandvogtei Nürnberg zugeteilt, so wurde es jetzt abwechselnd den großen Vogteien Ober- bzw. Niederschwaben unterstellt, an deren Grenze es lag.*1 Kurze Zeit hatte es auch eine Sonderstellung inne. Beim Tode Kaiser Ludwigs des Bayern waren die Brüder Eber­ hard und Ulrich, Grafen von Württemberg, Landvögte in Nieder­ schwaben.2 Dem letzteren gab Karl IV. den Auftrag, Donauwörth in ihre Vogtei aufzunehmen. Als die beiden Brüder am 31. August 1360 ihr Amt verloren,3 wurde die Stadt von der Reichslandvogtei Nieder­ schwaben getrennt und dem Landvogte von Oberschwaben,4 Graf Hauptquellen für die Zeit von 1348—76, ohne daß darauf immer eigens hinge• wiesen wird. 1 Die Grenze bildete etwa die Rauhe Alb (Schön 281). 2 Schön 288. 3 Ebenda. 4 Ebenda 291. 14*

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Ulrich dem Älteren von Helfenstein unterstellt.1 Wenn auch 1367 die Landvogtei Oberschwaben dem Burggrafen Friedrich von Nürn­ berg übertragen wurde,2 so blieb dem Helfensteiner doch die Reichs­ vogtei Donauwörth ausdrücklich Vorbehalten.3 Er war im Jahre 1370 oder 71 Hauptmann des neugeschaffenen Landfriedens in Schwaben geworden.4 Als er am 1. Mai 1372 eines gewaltsamen Todes starb, wurde die Vogtei Donauwörth seinen Söhnen auch weiterhin über­ lassen.5 Zu Beginn des Jahres 1373 wurde sie wieder einer großen Reichslandvogtei angegliedert und dem Landvogt von Nieder­ schwaben, Grafen Eberhard von Württemberg, unterstellt,6 bis sie am 24. Juni 1376 den bayerischen Wittelsbachern als Reichspfand­ schaft versetzt wurde.7 So waltete denn von 1348—1376 inDonauwörth wieder ein könig­ licher Vogt,8 der von den jeweiligen Reichsland Vögten bestellt war. Nach der Beamtenordnung der Reichslandvogteien gehörten die Reichslandvögte dem Herrenstande (Grafen, auch Ministerialen) an;9 dies konnten wir auch bei den Reichslandvogteien beobachten, wel­ chen Donauwörth angegliedert war. Ihre Schultheißen, d. h. Orts­ vögte, sollten ebenfalls Adelige sein. So wurde es auch in Donau­ wörth gehalten, wie um 1413 eigens bezeugt ist.10 Der Amtsbezirk des königlichen (Orts)vogtes umfaßte die Stadt und die dazu ge1 Seine Verschreibung gegenüber der Stadt: RA. 14 13, Orig. Mit diesem Origi­ nal stimmen die Verschreibungen der anderen Reichslandvögte, die nur in Copien erhalten sind, fast wörtlich überein. 2 Schön 291. 3 Traber, Härpfer, Jahr 1370, Orig. Damals verlieh der Helfensteiner „derzeit Landvogt zu Wördu das Fronfischlehen in Donauwörth, welches Reichslehen war. Über dieses Reichslehen siehe unten im Zusammenhang 7« Kapitel, 1. 4 Plaß 336 f. 5 Ebd. RB. IX 278. Daraus ersieht man, daß es sich bei der Sonderstellung von Donauwörth nicht um die Bildung einer neuen Reichslandvogtei, sondern nur um eine Art Dienstlehen handelte. Vergl. über das Diensteinkommen der Landvögte MIÖG. 17, 258. 6 Er hatte es 1370—71 dem Kaiser verübelt, daß er nicht Landfriedenshaupt­ mann geworden war (Plaß 336 f.). Die Überweisung Donauwörths von den Söhnen des Helfensteiners an den Württemberger mag also ein Zugeständnis an den letz­ teren gewesen sein. Seine Verschreibung gegenüber der Stadt: RA. 14 II 3. Copie. 7 Näheres darüber siehe unten S. 215 ff. 8 Im Jahre 1366 ist Jakob von Scharensteten als solcher bezeugt (RB. IX 141) 9 Schröder 613. 10 S. u. S. 220, A. 5.

213 hörige Vogtei auf dem Lande, d. h. die Landbezirke Schwäbischwerd und Mertingen. Die Stadt besaß, dank ihrer gesicherten Reichsunmittelbarkeit, einen so hohen Grad von Selbständigkeit, daß der Vogt in ihrem Gebiete nicht mehr viel zu sagen hatte. Sie gewann jetzt zu ihren alten Privilegien auch die hohe Gerichtsbarkeit fast vollständig. Denn nach 1348 übertrug das Reich dieselbe an den jeweiligen Stadtammann als Lehen und behielt sich, d. h. dem königlichen Vogt, nur die Aburteilung des Totschlages mit direkter Todesfolge vor.1 Im Jahre 1363 erlangte die Stadt auch das privilegium de non evocando2 und damit die Befreiung von den kaiserlichen Gerichten. Das Appellationsrecht an den Kaiser blieb erhalten. So beschränkten sich denn die Rechte des königlichen Vogtes von 1348—76 in der Stadt auf die Einziehung der Reichssteuer von 400 Pfund Heller und der Ammannsteuer von 60 Pfund Heller,3 so­ wie auf das Kommando über das städtische Aufgebot und die Sorge für den Schutz der Stadt. Zu letzterem Zwecke4 legte Graf Ulrich von Württemberg 1348 eine kleine Besatzung in die Stadt;3 die folgenden Reichsland Vögte werden sie wohl beibehalten haben. Unumschränkt waltete dagegen der Vogt in der Vogtei auf dem Lande, wo sich keine Gemeinden mit Selbstverwaltungsrechten entwickelt hatten. Dort erhob er alle Abgaben in der hergebrachten Weise. Sie sollten entsprechend der alten Organisation der Reichs­ güter an die Kasse der Reichslandvögte abgeliefert werden.5 Doch 1 Die bayer. Herzoge fanden 1376 diese Einrichtung bereits als so feststehende Tatsache vor, daß selbst Ludwig der Gebartete nichts mehr daran ändern konnte (RA. 16 IV 150); vergl. u. S. 223 f. 2 RA. 9 II 12 ; Druck: Lünig 13, 406. 3 S. o. S. 210, A. 8. 4 Ulrich und Kraft die Waler von Druisheim, bay. Ministerialen, belästigten nämlich die Stadt und brandschatzten die Vogtei auf dem Lande (RA. 14 II 1). Druisheim war unter den Konradinischen Gütern gewesen, rührte aber von den Pappenheim zu Lehen (Stegmann 5; RB. III 211). Dieses Verhältnis wurde von Bayern bald gelöst; am 25. Sept. 1276 ist es bereits unter Burgen des Sohnes Herzog Ludwigs II. genannt (RB. IV 20). Am 10. Okt, 1311 verlieh Ludwig der Bayer die Burg seinem Ritter Heinrich von Wal auf ewige Zeiten (RB. 5 202; Koch u. Wille 1857). 1419/20 verloren Franz u. Kaspar Waler das Lehen, weil der letztere am Überfall auf Herzog Ludwig den Gebarteten zu Konstanz teilge­ nommen hatte (RB. XII 332, 346). Das Lehen erhielt Ulrich vom Haymenhof (ebd. 353). 5 S. o. S. 207, A. 2.

214 wird in der Zeit nach 1348 kaum mehr etwas dorthin gelangt sein. Denn, wenn die Stadt auf ihren Wunsch eine kleine Besatzung er­ hielt, so waren zu deren Unterhalt Geld und Naturalien notwendig, wobei doch in erster Linie die Reichseinnahmen aus der Vogtei auf dem Lande Verwendung fanden. Damit hatte die Stadt etwas erreicht, das für die spätere Entwicklung von großer Bedeutung werden sollte. Die Einkünfte aus dem Landbezirke wurden nämlich von jetzt ab in erster Linie zum Vorteile der Stadt verwendet. Da­ mit begann die Stadt die Vogtei in ihren Machtbereich zu ziehen.1 So schien denn in der Reichsvogtei alles wohl bestellt im Sinne des Reiches und der Stadt. Die Loslösung von Bayern war ge­ glückt, wenn sich auch die bayerischen Herzoge noch Jahre lang dagegen wehrten und alle Mittel anwendeten, sie rückgängig zu machen.2 Kaiser Karl IV. war der Stärkere und behauptete seinen Standpunkt. Er behauptete ihn jedoch nicht um des Reiches oder der Stadt Donauwörth willen, sondern nur in seinem eigenen Inter­ esse, um Bayern zu schwächen. Unbedenklich opferte er daher die Stadt, als es später der Vorteil seines Hauses anders forderte. Am 18. August 13/3 gelang es ihm, den Wittelsbachern die Mark 1 Weiteres siehe u. S. 220 f und 224 ff. 2 Am 28. Dezember 1348 verlieh Herzog Stephan dem Donauwörther Münz­ meister Friedrich, der den Herzog bei jedem Besuch in der Stadt zu beherbergen versprach, wöchentlich 2 Fuhren Holz aus dem Forst Haidwank (RB. VIII 149); der Herzog handelte ganz, als ob er noch Herr von Donauwörth wäre. Bei der zweiten bayerischen Landesteilung vom 13. September 1349 wurde auch Donau­ wörth aufgeführt (Qu. u. Er. VI 408). Als sich im Jahre 1351 die Söhne Ludwigs des Bayern, Ludwig der Römer und Otto von Brandenburg, auf die Mark be­ schränkten und Oberbayern ihrem ältesten Bruder Ludwig dem Brandenburger überließen, entbanden sie am 24. Dez. auch die Stadt Donauwörth der ihnen geleisteten Eide (RB. VII 228), obwohl sich die Stadt längst nicht mehr um die Wittelsbacher kümmerte. Sie wollten eben ihr Besitzrecht auf die Stadt formell damit wahren. Ludwig der Brandenburger drängte stets den König, ihm die Stadt wieder herauszugeben. Dieser hatte ihm i. J. 1350 gelegentlich ihrer Versöhnung versprochen, sich einem Urteil zu fügen, das der Pfalzgraf Rupprecht im Streite um Donauwörth fällen sollte (RB. VIII184). Aber er fügte sich weder dem Richter­ spruche des Pfalzgrafen, welcher am 17. April 1350 sich für die bayerischen An­ sprüche aussprach (Koch u. Wille 2655), noch dem gleichlautenden Urteile des Herzogs Albrecht von Österreich vom 17. Juli 1353 (RB. VIII 273). Um die Wittels­ bacher zu beruhigen, versprach er ihnen i. J. 1354 sogar, sich einem neuerlichen Urteile des Österreichers, das innerhalb von 2 Jahren gefällt werden sollte, zu fügen (RB. VIII 300). Damit blieb die Sache ad calendas graecas aufgeschoben.

215 Brandenburg abzunötigen.1 Er gab ihnen dafür einige Besitzungen in der Oberpfalz und Geldentschädigungen. Für einen nicht ausbe­ zahlten Teil der Abfindungssumme stellte er ihnen die Verpfändung der Reichsstädte Nördlingen, Bopfingen und Donauwörth in Aus­ sicht. Tatsächlich versetzte er ihnen am 24. Juni 1376 für eine nicht bezahlte Restsumme von 60000 Gulden die Reichsstadt Donau­ wörth.2 Was kümmerte sich der Kaiser darum, daß er am 26. Mai 1348 der Stadt versprochen hatte, sie nie zu verpfänden!3 Die Wittelsbacher legten Wert darauf, die 1348 verlorene Stadt wieder zu bekommen, in der stillen Hoffnung, sie dauernd behalten zu können; denn eine so große Pfandsumme würde wohl kein Kaiser für die kleine Stadt auszahlen. Doch geschah die Übergabe der Stadt unter der Form einer Reichspfandschaft. Karl IV. wollte eben das wittelsbachische Hausgut nicht stärken und wahrte die Rechtsauf­ fassung von der Reichszugehörigkeit der Stadt. Darum blieb auch die Stadt trotz ihrer Verpfändung eine Reichsstadt4 und wurde keine bayerische Landstadt. Freilich lehrt die Geschichte des alten deutschen Reiches, daß viele Reichspfandschaften in den Besitz ihrer Pfandherrn übergingen und schließlich ihrem Territorium angegliedert wurden. Doch gelang dies nicht immer. Dies mußten auch die bayerischen Herzoge erfah­ ren. An den bestehenden inneren Einrichtungen eines verpfändeten Reichsgutes durfte durch den Pfandherrn nichts geändert werden. Als es jedoch Herzog Ludwig der Gebartete von Ingolstadt in Donauwörth tun wollte und sich den kaiserlichen Mahnungen nicht fügte,5 verlor er seine Reichspfandschaft. So dauerte die bayerische Pfandherrschaft über Donauwörth nur 1376—1422. Durfte an den bestehenden Einrichtungen in Donauwörth auch nichts geändert werden, so konnten die bayerischen Herzoge Stadt und Pflege doch weiter verpfänden.6 Sie sahen sich bei ihrer stän­ digen Geldnot wiederholt gezwungen, die kaum gewonnene Vogtei oder wenigstens ihre Einkünfte an mehrere Gläubiger nacheinander 1 Vertrag von Fürstenwalde: Böhmer, Reg. Karl IV. 5219 a, 5224. 2 Ebd. 5614. 3 s. o. S. 210, A. 6. 4 Verpfändungen von Reichsgut lassen den Reichscharakter unberührt (Schrö­ der 613). Die Stadt hatte auch während ihrer Verpfändung jedem neuen Könige zu huldigen. 5 s. u. S. 223 f. 6 Schröder.

216 zu versetzen und sie von 1385—1406 in fremden Händen zu lassen. Solche Verhältnisse konnten allerdings nicht dazu beitragen, die bayerische Herrschaft in Donauwörth wieder heimisch zu machen. Am 28. Januar 1385 versetzten die bayerischen Herzoge die Stadt und die Vogtei auf dem Lande an den Ritter Seitz Marschalk von Wemding,1 im Jahre 1387 an Ulrich von Treuchtlingen, gesessen zu Graisbach ;2 im Jahre 1390 gaben sie an Ulrich Marschalk von Obern­ dorf das Pflegamt in der Stadt und verpfändeten ihm die Einkünfte aus der Vogtei auf dem Lande;3 von 1393 bis 1407 waren Stadt und Vogtei auf dem Lande dem Bischof von Augsburg verpfändet,4 bis sie der Sohn des Herzogs Stephan III. von Bayern-Ingolstadt, der berüchtigte Herzog Ludwig der Gebartete, mit seinem aus Frank­ reich heimgebrachten Gelde einlöste.5 Mit den übernommenen Einrichtungen verwalteten die bayerischen Herzoge bis 1385 und nachher die Afterpfandherrn die Reichsvogtei Donauwörth. In den Urkunden findet sich seit 1376 wieder die bayer­ ische Bezeichnung „Pflege“ für die bisherige Reichsvogtei; auch werden beide Bezeichnungen nebeneinander gebraucht oder gar die Mischbezeichnungen „Pflegvogtei“ oder „Reichspflege“ verwendet. Die Stadt erscheint selbständig neben der Vogtei auf dem Lande.6 1 Um die Pfandsumme von 2100 Gulden (Traber 27, Orig.). 2 Um 6000 Gulden, nachdem die Pflege vom vorigen Inhaber gelöst worden war (RA. 14 I 40). 3 Seine Verschreibung gegenüber der Stadt: RA. 14 II4, Copie. Ein Oberndorfer war schon unter Herzog Ludwig II. „dem Strengen“ Burgkommandant und unter Ludwig d. Bayern Pfleger gewesen (s. o. S. 195, A. 3 u. S. 210, A. 7). Die drei bisher genannten Afterpfandherrn waren Adelige aus der Umgebung, welche die Vogtei selbst verwalteten. 4 Bei der dritten bayer. Landesteilung vom 19. Nov. 1392 kam die Reichs­ pflege zum Ingolstädter Herzogtum (Qu.u. Er. VI533). Dessen Inhaber, Stephan III., versetzte am 9. V. 1393 an Bischof Burkhard von Augsburg 200 Gulden aus der Stadtsteuer (RB. X 328), am 17. XII. weitere 50 Gulden (ebd. 342), nachdem er ihm bereits am 26. VI. für 4250 Gulden Schulden die ganze Stadt zum Pfand angesetzt hatte (ebd. 331). Dazu wurde noch die Ablösungssumme für Ulrich v. Oberndorf geschlagen, so daß schließlich der Bischof die ganze Pflege um 5600 Gulden in die Hand bekam (Weiß 112; RA. 14 I 40; RB. XI 47, 167). Der Bischof mußte aber im Kriegsfälle dem Herzog die Stadt öffnen (RB. X 331). 5 Um 3190 Gulden am 12. VII. 1407 (Traber 36 (34) Orig.; RB. XI. 388, 394, 412, 414). 6 Das zweite Salbuch Ludwigs des Gebarteten von 1413—16 unterscheidet deut­ lich die beiden Bestandteile der Vogtei, nämlich die Rechte in der Stadt und „die Vogtei auf dem Lande“ (s. u. S. 218, A. 2; vergl. o. S. 209, A. 2).

Dort wahrte der Pfandherr die wenigen Rechte des königlichen Vogtes,1 während er in der Vogtei auf dem Lande alle Hoheitsrechte ausübte. Aus der Zeit bis 1407 wird uns nichts berichtet über Ände­ rungen im Wesen der Vogtei; die Herrschaft der verschiedenen Pfandherrn hielt sich wohl innerhalb der ihr gezogenen Grenzen.2 Als aber Stadt und Vogtei auf dem Lande im Jahre 1407 von Lud­ wig dem Gebarteten, dem Sohne des Herzogs Stephan III. von Bayern-Ingolstadt, eingelöst wurden, da änderten sich die Verhält­ nisse. Dieser Herr hatte seine Jugendjahre bei seiner Schwester Isabeau am französischen Hofe verbracht. Dort war er einer der größten Intriganten gewesen und war mit großen Reichtümern in seine bay­ erische Heimat zurückgekehrt. Hier wollte er sich nicht mehr in die kleinen Verhältnisse finden. Ruhmbegierde und Landhunger ließen ihn nie zu Ruhe kommen. Als er im Jahre 1413 das Herzogtum Ingol­ stadt antrat, fing er mit aller Welt Händel an; zuerst mit seinen bayerischen Vettern, da ihm als Haupt der Ludwigischen Linie ein größerer Anteil an den bayerischen Landen gebühre; dann mit dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg, da er als Wittelsbacher ein Vor­ kaufsrecht auf die Mark Brandenburg gehabt hätte. Überall zeigte er eine seltene Findigkeit in der Entdeckung angeblicher Rechts­ titel, stets rücksichtslos entschlossen, seine Forderungen durchzu­ setzen. Recht und Gesetz galten für ihn nicht.3 Diese Unersättlichkeit, Spitzfindigkeit und Rücksichtslosigkeit zeigte der Herzog in auffallender Weise auch in der Verwaltung der Reichspfandherrschaft Donauwörth. Er ließ die Pflege mit ihren Ein­ künften genau beschreiben, eifrig darauf bedacht, seine Rechte zu wahren und im kleinen und großen zu erweitern. So kommt es, daß wir über die Zeit der bayerischen Pfandherrschaft zwei Salbücher besit1 s. o. S. 213. Um z. B. für die Sicherheit der Stadt zu sorgen, erlaubte Ulrich von Treuchtlingen i. J. 1388, die Vorstadt vor dem Lederertor und bei Berg abzu­ brechen (Traber 28, Orig.). Es war damals die unruhige Zeit der Städtekriege. 2 I. J. 1383 nahmen die bayerischen Herzoge die Juden wieder in die Stadt auf, welche wahrscheinlich bei der Judenverfolgung von 1350/51 daraus vertrieben worden waren. Jeder Jude mußte an den Stadtherrn jährlich 10 ungar. Gulden oder nach gütlicher Vereinbarung auch weniger bezahlen (RB. X 108; Druck: Stenger 156 ff.; RA. 16 IV 150). Am 5. Nov. 1517 wurden sie mit Erlaubnis Kaiser Maxi­ milians I. wieder aus der Stadt vertrieben. Der Kaiser ließ ihre Häuser und die Synagoge um 500 Gulden verkaufen; außerdem erhielt er von der Stadt eine Ab­ findungssumme von 400 Gulden für die ausfallende Judensteuer, die ihm jährlich 32 Gulden eingebracht hatte (Traber 202, Orig.). — Vgl. S. 191, A. 2 und S. 209. 3 Doeberl 31 309 ff.

218 zen, welche uns einen guten Einblick gewähren in die inneren Ver­ hältnisse der Pflege. Das eine führt nur die Einkünfte auf in der Weise, wie sie vor 1413, dem Regierungsantritt des Herzogs, erho­ ben wurden.1 Das andere ist zwischen 1413 und 16 unter dem Ein­ fluß des Herzogs verfaßt worden.2 Es bringt uns die älteste ausführliche Beschreibung des Pflegsge­ bietes und der dem Pflegsinhaber zustehenden Hoheitsrechte.3 Dem­ nach lief die Grenze der Vogtei auf dem Lande nördlich der Donau vom städtischen Burgfrieden gegen Berg und im nordwestlichen Bogen zur Furth bei Dittelspoint über das Pflegsgebiet hinaus (mit dem Geleitsrecht bis zum Ellerbach),4 dann zum Bild über dem Holzenloch5 und zu der Stelle, wo der Kesselbach die Straße nach Dillingen berührt. Südlich der Donau begann die Grenze auch am städtischen Burgfrieden, lief die Zusam aufwärts bis Pfaffenhofen einschließlich und berührte bei Lauterbach die Eschachfurt und eine Säule, genannt der Öll.6 Von dieser Säule lief sie nach späteren Nachrichten die Süd grenze des Mertinger Forstes entlang, über den Kühberg7 8in die „Diupfurtu 8 südlich von Druisheim und von hier wahrscheinlich die Schmutter bzw. den Egelseebach abwärts bis zur 1 RA. 16 IV 152—182, Copie. Die Datierung auf die Zeit der bayer. Pfandherr­ schaft ergibt sich aus dem Gebrauch des bayer. Münzfußes; das Salbuch muß vor dem Regierungsantritt des Herzogs (1413) geschrieben worden sein, weil es die vom Herzog angeordnete Umrechnung der Geldeinkünfte in Donau wörther lange Pfennige und die Ablösung des Scharwerkes noch nicht enthält. 2 RA. 16 IV 130—151, Copie. Die Datierung ergibt sich aus dem Regierungs­ antritt des Herzogs (1413), der als Pfandherr genannt ist und der Ablösung des Scharwerks (1416), welches hier noch nicht in Geld veranschlagt ist. Es ist aller­ dings auch möglich, daß Ludwig der Gebartete die Pflege schon seit 1407 ver­ waltete, da er selbst sie eingelöst hatte. Dann wäre in dieser und der vorausgehen­ den Anmerkung anstatt des Jahres 1413 das Jahr 1407 zu setzen. 3 Für die frühere Zeit konnten diese Verhältnisse nur aus verstreuten Nachrich­ ten festgestellt werden, die hier ihre Bestätigung erfahren. Einige Zeugenaussagen aus dem Jahre 1427 u. 47 helfen die Angaben noch vervollständigen und präzisieren (Neub. Lit. 1101, 69 ff., ebd. 1102, 33 ff.). 4 Damals „Marbach“ genannt. (Urkunde Kaiser Sigmunds v. 7. Aug. 1419 über die Öttingischen Landgerichtsgrenzen: Lang Jak. IV 286). Später wird auch des Karners Brücklein bei Marbach als Grenze genannt. 5 Heute Holzerlohefeld mit dem Holzerloheberg, nordöstlich von Erlingshofen. 6 Ende des 18. Jahrh. noch beide genannt; ich konnte sie jedoch mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nicht feststellen. 7 Heute Kühholz zwischen Greggenhof und Neuweiler; letzteres lag bereits außerhalb der Pflege (Neub. Lit. 1104). 8 Heute Dufertwiesen.

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Mündung in die Donau.1 Das Reichsfischlehen auf der Donau, wel­ ches auch zur Reichspflege gehörte, erstreckte sich soweit, als auf dem einen oder anderen Ufer das Pflegsgebiet reichte. Im vollen Umfang der (weiteren) Reichsvogtei, wie sie hier dar­ gestellt ist, stand ihrem Inhaber die hohe Gerichtsbarkeit zu. Sie war aber auch das einzige Band, welches diese ganze weitere Pflege zusammenhielt; denn die Niedergerichtsbarkeit in Lauterbach, Pfaf­ fenhofen, Druisheim und Heissesheim war in anderen Händen. In Lauterbach gehörte das Dorfgericht dem Deutschherrenorden,2 in Pfaffenhofen dem Kloster St. Stephan3 in Augsburg, in Druisheim dem dortigen Adelsgeschlecht4 und in Heissesheim einer Ulmer bzw. Augsburger Bürgerfamilie.5 Es wurde bereits oben gesagt, daß die Reichsvogtei in diesen Orten sogut wie keine weiteren Rechte als die hohe Gerichtsbarkeit hatte.6 1 Wenn i. J. 1447 berichtet wird (Neub. Lit. 1101, 73 u. 77 ff.; 1102, 36), daß der Ingolstädter Pfleger Seitz Marschalk von Oberndorf auch im Gebiete von Obern­ dorf gerichtet und daraus Verbrecher nach Mertingen abgeführt habe, bis er das dortige Gericht für seine Familie erwarb, so muß der Ort deswegen nicht der reichspfleglichen Gerichtsbarkeit unterstanden sein; wahrscheinlicher besteht nur eine Personalunion für die Gerichtshoheit in der Pflege und in Oberndorf. Außer dieser einzigen Nachricht liegt niemals weder früher noch später ein Anhaltspunkt vor für die Annahme, daß Oberndorf der reichspfleglichen Gerichtshoheit unter­ standen wäre. Auch dürfte es dem Herzog kaum gelungen sein, eine etwa vorhan­ dene Verbindung zwischen Oberndorf und der Pflege zu lösen, da er 1422 die Pflege sogar ohne jede Entschädigung herausgeben mußte und eine vernichtende Nieder­ lage erlitt. 2 RA. 16 IV 148. Das Straßengericht gehörte jedoch der Pflege (Neub. Lit. 1101, 78). Über die Entstehung des Dorfgerichtes (= Niedergerichtsbarkeit, Schrö­ der 658 f.) in Lauterbach s. o. S. 187, A. 3. Die Reichsvogtei erhob jedoch im Orte seit alters eine Viehsteuer, „Kühpfennig“ (s. o. S. 200, A. 3). 3 RA. 16 IV 148. Im Jahre 1346 vertauschte Bischof Heinrich von Augsburg den Neubruchzehent in Pfaffenhofen gegen die dortige Pfarrkirche an St. Stephan (RB. VIII 75); i. J. 1365 überließ Bischof Marquard auch die Pfarrkirche an das Kloster (RB. IX 130). Wann das Dorfgericht an das Kloster überging, konnte ich nicht finden. Vgl. o. S. 187, A. 4 und S. 200. 4 Nach obiger Grenzbeschreibung und Neub. Lit. 1101, 98 u. FA. VI, l, 6,94 („zwing u. bann“). Es ist vor der bayr. Pfandherrschaft in Donauwörth eine hohe Gerichtsbarkeit der Reichspflege in Druisheim nicht nachzuweisen. Sie behaup­ tete sich seitdem darin (spätere Salbücher; auch Plaß 620). Im Jahre 1447 er­ scheinen Marschälle von Druisheim (FA. 6, 1, 6); nach Euringer 537 waren sie aus dem Hause Pappenheim. Über die weiteren Schicksale des Ortess. Euringer 537 ff. 5 s. u. 7. Kapitel, 2. 6 s. o. S. 187.

220 Das wirkliche Territorium der (engeren) Reichsvogtei, wo der Reichsvogtbzw. Vogteiinhaber volle Landeshoheit übte, beschränkte sich auf die beiden Bezirke Schwäbischwerd und Mertingen, welche zugleich zwei Niedergerichtsbezirke waren. Die Jahreseinkünfte aus der gesamten Gerichtsbarkeit betrugen, wenn kein Totschlag vor­ kam, damals etwa 40 rheinische Gulden.1 In den beiden Dorfge­ richten Riedlingen und Mertingen führte der Pflegvogt den Vor­ sitz.2 Die hohe Dingstätte (Landschranne) für die ganze Vogtei tagte auf dem „Preutelsberge“3 bei Mertingen unter dem Vorsitz des Pfle­ gers, der Galgen („Halsgericht“) war in der Rankhweide4 oder im Mertinger Forst. Zur Verwaltung der Reichspflege sollte der Herzog nach altem Herkommen einen „geborn man“ d. h. einen adeligen Mann als Pfleger bestellen und ihm einen „fruomen vogtte“ d. h. einen tüch­ tigen Vogt an die Seite geben.5 Unter dem Einfluß der bayerischen Amtsbezeichnungen nannte damals die Stadt selbst den ersten Be­ amten in der Reichsvogtei Pfleger, welcher eben der Nachfolger des bisherigen Reichsvogtes war. Er behielt von jetzt ab für alle Zeiten die bayerische Bezeichnung Pfleger, auch als Donauwörth im Jahre 1422 wieder von der bayerischen Pfandherrschaft befreit wurde. Er mußte entsprechend der Beamtenordnung des Reiches wie Bayerns von Adel sein.6 Der daneben von jetzt ab immer genannte zweite Beamte „Pflegvogt“ war wohl der Nachfolger des Kästners bzw. Kämmerers, der schon 1293 und 1332 genannt wurde.7 Dieser ist der eigentliche arbeitende Beamte für die innere Verwaltung und brauchte nicht von Adel zu sein. Bis zum Regierungsantritt Ludwigs des Gebarteten unterhielten die verschiedenen Pfandherm nach alter Gewohnheit die zwei Beamten.8 Der Herzog aber bestellte nur mehr einen einzigen und ersparte sich die Ausgabe für einen zweiten. Die Stadt hatte jedoch nach 1348 erreicht, daß die Einnahmen 1 RA. 16 IV 149. 2 RA. 16 IV 148 f. Ihm standen Schöffen zur Seite, in Mertingen deren 12; die Strafsätze waren genau festgelegt. 3 Neub. Lit. 1101, 78; RA. 16 IV 149; den Namen des Berges konnte ich nicht feststellen. Vgl. S. 188 und S. 230, A. 3. 4 Neub. Lit. 1102, 29 f. Die Weide ist auch nicht mehr feststellbar. 5 RA. 9, III, 6; ebd. 95 ff. Traber 45, Orig, des kaiserl. Urteilsspruches; Böhmer RI. XI 4192. r> s. o. S. 195 und 212. 7 s. o. S. 195, S, 209 mit A. 1 ; s. u. S. 229, A. 6. 8 RA. 14 II 4; Neub. Lit. 1101, 78.

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aus der Vogtei auf dem Lande an Ort und Stelle wieder aufgebracht wurden zum Unterhalte für die Verwaltung und Besatzung.1 Darum beklagte sie sich über die eingetretene Änderung und bedauerte, daß der Herzog keinen Pfleger von der Gült unterhalte, „die vom Reich dazu gewidmet“ war.2 An weiteren Amtsleuten3 in der Pflege lassen sich noch nach weisen ein Dorfvogt in Mertingen 4 und ebendort ein Waibel oder Gerichtsdiener,5 der Vorgänger des späteren Unter­ vogtes. Der Herzog sparte aber nicht nur in den Ausgaben, sondern ging auch mit der ihm eigenen Findigkeit daran, die Einnahmen auf jede Weise zu vermehren und neue zu suchen. Das erste Salbuch aus der Zeit vor 14136 zeigt noch geringe Veränderungen in der Er­ hebung der Abgaben gegenüber der früheren Zeit. An Getreide wird neben Weizen und Haber jetzt auch Korn (Roggen) erhoben. Die um 1291 eingeführte Landessteuer war bereits regelmäßig geworden und wurden als Umlage von allen zinsbaren Leuten, d. h. den Grundholden und Vogteileuten, erhoben. Im Bezirk Mertingen heißt sie „Wiesgeld“, im Bezirk Schwäbischwerd „Maisteuer“. Die Bezirke Mertingen und Schwäbischwerd werden von jetzt ab nicht mehr als zwei getrennte Verwaltungsbezirke in den Salbüchern auf­ geführt. Sie können nur mehr unterschieden werden durch eine neu eingeführte Bezeichnung ihrer Gesamtabgaben; die Einnahmen aus dem Bezirk Schwäbischwerd heißen nämlich von jetzt ab „Vogt­ gülten“, während jene des Mertinger Bezirkes „Kastengülten“ ge­ nannt werden. Diese Unterscheidung erhält sich bis zum Ende der Reichspflege. Es läßt sich nirgends ein sicherer Grund für diese ver­ schiedene Benennung finden. Möglicherweise kommt der erste Name daher, daß der Bezirk Schwäbischwerd der Grundstock der Reichs„Vogtei“ war, während Mertingen erst im Jahre 1193 in den Besitz 1 s. o. S. 220, A. 5 und S. 214. 2 RA. 14 I 41. 3 RA. 9 III 53 nennt neben Pfleger und Vogt noch „andere Amtsleute“. 4 Ein Hof „dient dem Pfleger“ (RA. 16 IV 144); s. o. S. 199, A. 9: „curia officialis“. 5 Der Inhaber des Waibelamtes hat 3 Lehen inne (RA. 16 IV 147). Vergl. das frühere Botenlehen (s. o. S. 199, A. 9) und das spätere Untervogtsamt (s. u. S. 235). 6 S. o. S. 218, A. 1. Der Anbau des Kornes wurde offenbar wie anderwärts auch, hier im 14. Jahrh. eingeführt (vergl. S. 222). Die Hühnerlieferung der beiden Bezirke der ganzen Pflegewarum 1413 einheitlich und sachlich geordnet, indem die Huben, Lehen und Höfe 1—4 Stück gaben, die Sölden nur 1—2 Stück.

222 der Hohenstaufen überging. Auch verschwindet von jetzt ab jede Bezeichnung Amt oder Bezirk „Schwäbischwerd“; die Verbindung des Landesbezirkes mit der Stadt war schon zu sehr gelockert. In den Quellen ist der Bezirk von jetzt ab nach seinem Hauptdorf Riedlingen benannt, wo auch seine Niedergerichtsstätte war.1 Wir gebrauchen daher von jetzt ab die Bezeichnung Riedlinger Bezirk. Im zweiten Salbuch aus der Zeit von 1413—16 2 sieht man bereits den Einfluß Ludwigs des Gebarteten. Er durfte eigentlich die Ab­ gaben nicht erhöhen, änderte aber daran so lange, bis schließlich doch eine Erhöhung herauskam. Er senkte die Weizenabgabe von 69 Metzen auf 491/2, um die Korngült von 65 auf 132 zu erhöhen; die Haberlieferung blieb ziemlich gleich (von 246 auf 250). Bei Ver­ rechnung der Jahressteuer änderte er den bayerischen Münzfuß in Donauwörther lange Pfennige 3 und brachte schließlich auch eine kleine Erhöhung zustande. Die Riedlinger Maisteuer steigerte er von 9 Gulden 7 Schillinge auf 13 Gulden 2 Donauwörther lange Pfennige; die Mertinger Wiessteuer blieb fast gleich (von 13 Gulden 4 Schil­ linge auf 14 Gulden).4 Er begnügte sich aber nicht damit, die alten Abgaben zu steigern, sondern erfand auch ganz neue. Die Bauern des Riedlinger Bezirkes mußten sich jährlich mit 1 oder 1/2 Wagen stellen, um das Brenn­ holz für den Pfleger und seinen Vogt aus dem Stadtforst zu holen, die Söldner dabei mitarbeiten; die Mertinger Bauern brauchten wegen ihrer hohen Getreidegülten nur den Vogtanger in Mertingen zu heuen. Da dieses Scharwerk als sehr drückend empfunden wurde, verwandelte es der Herzog in eine Geldabgabe, „Wagengeld“ ge­ nannt, im Jahre 1416.5 Er forderte für den ganzen und halben Wagen 3 bzw. 11j2 Gulden, für die Arbeit der Mertinger Bauern je 1/2 Gulden, für jeden der Söldner zu Tüngen 60 Denare. Die neue Steuer brachte im ganzen 60 rheinische Gulden 4 Schillinge ein, das erste Mal zahl­ bar zu Michaeli 1416. Die Ablösung erfolgte auf Widerruf; die Untertanen blieben aber dem Herzog und seinen Amtsleuten zu Hand- und Spanndiensten im Krieg und bei Jagden auch weiterhin 1 S. o. S. 220, A. 2; „zwing und bann“ (RA. 9 III 161). 2 S. o. S. 218, A. 2. 3 Ein Donauwörther langer Pfennig galt 2 Heller des Haller Münzfußes (Stenger 133). 4 Vergl. u. S. 223 mit A. 1. 5 RA. 9 III 53, Copie aus dem 15. Jahrh.

22 3 verpflichtet. Diese neue Steuer betraf in der Hauptsache nur den bisher leichter besteuerten Riedlinger Bezirk; die höhere Belastung des Mertinger Bezirkes wurde ausdrücklich anerkannt.1 Im übrigen fehlen sonderbarerweise in beiden Salbüchern die Viehsteuern in Mertingen und Lauterbach, sowie die Abgabe aus der städtischen Wiesenmark.2 Beide sind vorher und nachher ständig bezeugt. Der Huthaber aus dem Zusamried ist in der alten Höhe angeführt.3 Neu erscheint eine Abgabe der Gemeinde Mertingen für ihren Forst mit 32 Gulden und eine Einnahme aus dem das erste Mal genannten Vogtanger Von 8 Gulden; der Herzog hatte den Gemeindewald sogar auf 20 Jahre verpachten wollen.4 Auch er­ scheint zum ersten Male eine grundherrliche Abgabe, welche später von großer Bedeutung werden sollte, der „Handlohn“. Er wurde damals nur von zwei Höfen,5 aber im ausgehenden 16. Jahrhundert6 schon allgemeiner eingehoben. Ähnlich wie in der Vogtei auf dem Lande wollte der Herzog auch in der Stadt verfahren. Dort standen ihm nur die Rechte des bis­ herigen Reichsvogtes zu, in der Hauptsache Einziehung der Stadt­ steuer von 400 Gulden, der Ammannsteuer von 60 Gulden und die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit bei Totschlag mit direkter Todesfolge. Nun begann aber der Herzog, nicht nur in der Vogtei außer­ ordentliche Steuern zu erheben, sondern auch der Stadt allmählich alle Privilegien und Einnahmequellen streitig zu machen, so das Ammannamt, das Ungeld, die Marktzölle, die Fleischbänke; ja er nahm ihr sogar Besitzungen, weg wie den großen Stadtforst und die städtische Wiesenmark zwischen Donau und Wörnitz. Im Forste hatte er eigentlich nur das Recht, für seine Beamten Brennholz holen zu lassen und in der Wiesenmark besaß er nur die Ober­ märkerschaft mit einer Anerkennungsabgabe; daraus hatte der spitz­ findige Herzog ein Besitzrecht gemacht. Doch sollte bei der Stadt seine Unersättlichkeit auf Widerstand 1 RA. 16 IV 147 ; auch die Wiessteuer im Mertinger Bezirke wurde nicht erhöht. 2 Wenn die Abgabe aus der städt. Wiesenmark hier nicht erwähnt ist, so rührt dies wohl daher, daß der Herzog letztere unmittelbar in Anspruch nahm (s. S. 223). 3 21 Scheffel 3 Metzen; vergl. o. S. 200, A. 4. — Vgl. S. 200, A. 3. 4 RA. 9 III 52. 5 Spindelhof und Wördhof (RA. 16 IV 14/); er war eine Abgabe an den Grundherrn für die Investitur des Hoferben (Maurer III 21). 6 S. u. 5. Kapitel, kurz vor Marcus Fugger.

224 stoßen; denn sie wußte sich zu helfen und wandte sich an König Sigismund. Bei diesem sowie bei den meisten Reichsfürsten war der Herzog übel angeschrieben; so war es der Stadt nicht schwer, ihr Recht zu finden. In zwei Gerichtsverhandlungen in Konstanz(Konzil) am 26. IX. 1417 *1 und am 3. II. 14182 wurde der Herzog verur­ teilt und angewiesen, von seinen ungerechten Forderungen abzu­ stehen und die Stadt bei ihren alten Rechten zu belassen. Der König erlaubte ihr sogar, bei weiteren Bedrückungen durch den Herzog wieder zur Reichsunmittelbarkeit zurückzukehren.3 Da der Herzog sich nicht fügte, kam es wirklich dazu. Als er im Jahr 1422 wiedereinmal mit sämtlichen Nachbarnim Kriege lag und einen aussichtslosen Kampf führte, kündigte ihm Donauwörth am 19. März den Gehorsam 1 und huldigte am 6. September dem Ver­ treter des Kaisers, Graf Ludwig von Öttingen.2 Der unruhige Herzog machte noch bis zum Jahre 1434 Ansprüche auf die Stadt. Erst als der Kaiser mit Heeresmacht gegen ihn Vor­ gehen wollte, gab er die kaiserlichen Pfandbriefe über Donauwörth heraus.3 Eine Rückzahlung der im Jahre 1376 vereinbarten Pfand­ summe erfolgte nicht. So hatte er seinen Lohn für seine Streitsucht und Unersättlichkeit, freilich zum Schaden des Hauses Wittelsbach. Die bayerische Pfandherrschaft war glücklich beseitigt und die Reichsvogtei Donauwörth unterstand wieder direkt dem Reiche. Was war aber jetzt diese Vogtei? Sie war ein zweiteiliges Gebilde mit Reichsstadt und Vogtei auf dem Lande; in der Sadt gehörte zur Reichsvogtei die Wahrung der wenigen königlichen Rechte und in der Vogtei auf dem Lande die Ausübung sämtlicher Hoheitsrechte. Die Reichsvogtei bestand wohl weiter, aber in ihr herrschte jetzt ein Teil, die Stadt, überdas Ganze. Es wurde nämlich nicht, wie nach 1301 und 1348, wieder vom König ein Reichsvogt bestellt, sondern sein Nachfolger, der Pfleger, wurde jetzt von der Stadt gewählt. Sie 1 RA. V2, Jahr 1417. 2 Ebd., Jahr 1418. — Um Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich auf die sehr ausführliche Darstellung bei Weiß 113—130. 3 Weiß 120. 1 Weiß 124. 2 Ebd. 126. 3 Qu. und Er., N. F. I 580.

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erlangte von König Sigismund im Jahre 1422 dieses Recht.1 Auch andere Reichsstädte, wie Aachen, Schweinfurt und Augsburg, wählten ihre Reichsvögte selbst2. Wir hören bei Donauwörth später nur mehr von einem formellen Bestätigungsrecht des Königs. Damit hatte aber die Stadt nicht nur sich selbst über den königlichen Vogt gestellt, sondern auch — und das ist für die Entwicklung der Reichs­ pflege noch wichtiger — selbst Hand auf die Vogtei auf dem Lande gelegt. Denn der neue Pfleger, welcher in der Vogtei auf dem Lande herrschte, war städtischer Beamter und konnte vom Stadtrat jeder­ zeit abgesetzt werden.3 Er führte nur mehr den leeren Titel „könig­ licher“ Pfleger. Er unterstand auch keinem Reichslandvogt mehr, da um 1400 die Reichslandvogteien bereits verfallen4 5waren und Donauwörth keiner solchen mehr angegliedert wurde. Beschränkten sich die königlichen Rechte in der Stadt schon zwischen 1348 und 7 6 fast aufErhebung der Stadt- und Ammannsteuer, so fiel im Jahre 1422 auch dies weg, da sie vom König an Haupt von Pappenheim um 4495 Gulden verpfändet wurden.6 Der König verzichtete auch auf das Befestigungsrecht in der Stadt und ihren Gebieten im Jahre 1418.6 Weiter überließ er im Jahre 1434 den ge­ samten Blutbann endgültig an den Stadtrat, der jeweils einen Le­ hensträger zu benennen hatte.7 Dem „königlichen“ Pfleger blieb überhaupt kein Jurisdiktionsrecht mehr, sondern bei Totschlag mit direkter Todesfolge nur eine Art Wergeid, nämlich eine Abfindungs­ summe aus dem Gute des Täters. Der Pfleger mußte sich sogar in 1 Interimistische Berechtigung v. 1. V. 1422 (Traber 77, Orig.), endgültiges Recht v. 6. IX. 1422 (Böhmer RI. XI 5153). 2 Schröder 6 885. 3 Laut Dienstvertrag s. u. S. 226, A. 6. 4 Schröder 551; Schön 287 ff. 5 Böhmer, RI. XI 5086. Donauwörth erhielt von Karl V. am 22. XI. 1530 die Erlaubnis, sie wieder einzulösen (Traber 239, Orig.), tat es aber erst am 28. Dez. 1698, indem es an die Pappenheim die Pfandsumme von 4500 Gulden sowie einen zehn­ jährigen Rückstand der Steuer im Betrage von 1000 Gulden bezahlte, gegen Rück­ gabe der Verpfändungsurkunde von 1422 (Lünig 439). 6 Ebd. 3605. 7 Ebd. 10744; im Jahre 1420 hatte er ihn bereits an Ulrich Kneppel (Stadt­ ammann?) gegeben (ebd. 4226), unter Übergehung der Rechte des bayerischen Pfandherrn. Im Jahre 1505 gab ihn Kaiser Maximilian I. an den Stadtrat in der Weise, daß dieser für ewige Zeiten Lehensträger war, keinen Lehensträger mehr eigens zu benennen brauchte und den Richter jeweils selbst bestimmen konnte (RA. 9 III 177; Druck Lünig XIII 428). 15

226 Bezug auf die Höhe dieses Wergeides der Entscheidung des Stadt­ rates fügen.1 So hatte Donauwörth allen direkten königlichen Ein­ fluß in seinem Burgfrieden beseitigt und war eine wirklich freie, selb­ ständige Reichsstadt, deren Rechte denen einer großen Reichsstadt in nichts nachstanden.2 Wohl wurde dem Reichspfleger die Vogtei auf dem Lande samt allen Hoheitsrechten überlassen; aber sie stand indirekt auch unter städtischem Einfluß.3 Ja zeitweise bestellte die Stadt überhaupt keinen Pfleger und verwaltete die Vogtei selbst. Diese Herrschaft der Stadt über Pfleger und Vogtei dauerte jedoch nur von 1422—1481. Die verschiedenen „königlichen“ Pfleger in dieser Zeit waren fol­ gende : Im Jahre 1423 bestellte die Stadt den Ritter Georg von Secken­ dorf (1423—33)4 zum Pfleger, besoldete ihn zunächst wie einen städti­ schen Beamten aus der Stadtkasse und zog die Vogteieinkünfte selbst ein.5 Im Jahre 1427 überließ sie ihm die Vogtei auf dem Lande samt allen Rechten und Einkünften,6 um seiner Dienste desto sicherer zu sein.7 Hierauf folgte Walter von Hürnheim (1434—41) mit demselben Dienst vertrag.8 Er nahm seinen Abschied, weil er sich in seinen Rechten von der Stadt beeinträchtigt glaubte.9 Dann bestellte die Stadt von 1441 bis 55 überhaupt keinen Pfleger, ließ die Vogtei auf dem Lande (ebenso wie 1422—27) durch verschiedene städtische Beamte verwalten.10 Die Einkünfte wurden für die Stadtkasse ein1 Laut Dienstvertrag s. u. A. 6. 2 Freilich nicht ohne Gegenleistung; Donauwörth bezahltei. J. 1422: 13000 Gul­ den Schulden des Königs in Ulm uud Basel. Der Kanzler Schlick erhielt auch 1200 Gulden (RA. 14 I 45; Weiß 126). 3 s. o. S. 214 und 221. 4 RA. 14 II 5; 34, 143. 5 RA. 14 II 5. 6 Beglaubigte Kopie des Dienstvertrages: RA. 14 I 6. Die Hauptquelle für die Zeit von 1422—82 bilden die Dienstverträge der Pfleger, ohne daß immer darauf eigens hingewiesen wäre. Sie lauten alle gleich und sind uns in zeitgenössischen Copien erhalten. Vgl. u.; A. 8; S. 227, A. 5; S. 228, A. 1. 7 S. u. S. 228, A. 7. 8 RA. 9 III 121. 9 RA. 9 III 16. 10 In den Jahren 1443—44, 52 ist Ulrich von Winckenthal, der schon unter Walther von Hürnheim 5 Jahre Vogt gewesen war, bezeugt (Plaß 455 nach einer Orig.-Urk. Nr. 4846 im Archiv Wallerstein; RA. 14 II 7, Copie des Dienstvertrages v. 1444; RA. 27 I 281). Im ganzen war er 5 Jahre lang städt. Pflegvogt (Neub. Lit. 1101,89, Selbstzeugnis). 1446 war Bürgermeister Michael Imhoff zugleich Landvogt (ebd.

227 gezogen, wie wenn es sich um ein städtisches Territorium handelte. Damals war die Stadt nahe daran, in der Vogtei auf dem Lande ein eigenes Landterritorium zu gewinnen, wie z. B. Nürnberg, Rothen­ burg o. T. und Ulm bereits solche hatten. Als aber Herzog Ludwig der Reiche von Niederbayern die Ansprüche seiner Ingolstädter Erblasser auf Donauwörth immer dringender erhob,*1 entstand für Donauwörth große Gefahr. Dieser bedeutende Wittelsbacher war damals daran, sein Herzogtum auf das Gebiet zwischen Lech und Iller auszudehnen und im Jahre 1457 die habsburgische Markgrafschaft Burgau zu erwerben.2 Im Zu­ sammenhang damit plante er den Wiedergewinn von Donauwörth, das seinem Rechtsvorgänger Ludwig dem Gebarteten im Jahre 1422 abgenommen worden war. Die daraus entstehenden Kämpfe zogen sich bis zum Siege Ludwigs bei Giengen im Jahre 1462 hin, endigten aber mit seinem Verzicht auf Donauwörth.3 In diesen gefährlichen Zeiten bestellte die Stadt zur Erhöhung ihrer Sicherheit wieder einen Pfleger. Sie wählte in der Folge drei Mitglieder der Marschalke von Pappenheim, welche für dieses Amt geradezu prädestiniert erschienen.4 Heinrich von Pappenheim war Pfleger von 1455—585und 1460—7L6 Seine erste Tätigkeit fand ein rasches Ende, als Ludwig der Reiche vom 19. IX. 1458— 17. VII. 1459 die niederbayerische Herrschaft in Donauwörth aufrichtete.7 Christof von Pappenheim, der Sohn des Obigen, verwaltete 1459—60 das Pflegsamt.8 Nach seinem unerwarteten Tode9 wurde es wieder seinem 98); 1452 war es Georg Regl (Neub. Lit. 1102, 12); 1453 Georg Rinkhammer (RA 27 I 281; Neub. Lit. 1102, 5). 1 Darüber ausführlich Weiß 132 ff. 2 Düvel 30 ff. 3 Doeberl 11 301—5. 4 Ihnen war seit 1422 die Stadtsteuer verpfändet (s. o. S. 225, A. 5). Heinrich von Pappenheim verlieh i. J. 1444 im Aufträge des Kaisers das Donauwörther Fronfisch­ lehen an die Härpfer (Traber, Härpfer), eine Aufgabe, die früher den Reichsvögten zugestanden war (s. o. S. 212, A. 3). Er stiftete auch i. J. 1454 Frieden zwischen den Härpfern und der Ortschaft Zirgesheim (Traber, Härpfer), eine Aufgabe, die sonst auch dem Landvogt zustand. 5 RA. 9 III 124. 6 RA. 27 III 148; 9 III 127. 7 Darüber ausführl. Weiß 132—165. Niederbayer. Pfleger war damals Veit von Rechberg. 8 RA. 27 III 148; Weiß 165. 9 Er wurde auf der Landstraße zwischen Mertingen und Lauterbach infolge eines Mißverständnisses von Ulmer Knechten erstochen (Königsdorfer I 239). 15*

228 Vater übertragen. Ihm folgte noch 1471—82 Rudolf von Pappen­ heim,1 womit die Reihe der von der Stadt bestellten „königlichen“ Pfleger ihr Ende erreichte, da Kaiser Friedrich III. im Jahre 1481 das städtische Nominationsrecht des Pflegers verwarf.2 3 Diese Pfleger hatten außer dem geringfügigen Wergeid bei Tot­ schlag in der Stadt keine Rechte mehr, sondern nur noch Pflichten. Sie sollten nämlich die Stadt „von Reichs wegen“ schützen.2 Zu die­ sem Zwecke waren sie verpflichtet, Mannschaft in die Stadt zu legen; Seckendorf z. B. unterhielt 10—12 Pferde.4 Da jetzt die Pfleger nicht mehr vom König, sondern von der Stadt bestellt wurden, mußte sie ihnen auch eine Wohnung zur Verfügung stellen und räumte ihnen seit 1427 ein eigenes Pfleghaus ein.5 Auch das nötige Brenn­ holz aus dem Stadtforst blieb ihnen gesichert. Im Kriegsfälle wa­ ren sie die gegebenen Anführer des städtischen Aufgebotes, aber nicht mehr als Beauftragte des Königs sondern der Stadt.6 Gele­ genheit zur Verteidigung von Stadt- und Vogteiinteressen hatte besonders Georg von Seckendorf, als umwohnende Ritter die Pflege belästigten, unter stiller Teilnahme Ludwigs des Gebarteten;7 auch Heinrich von Pappenheim im Jahre 1458, als Herzog Ludwig der Reiche anmarschierte. Der Pfleger konnte auch zu sonstiger Vertre­ tung der Stadt, allein oder zusammen mit anderen Beauftragten, ver­ wendet werden.8 Seine Einküufte bezog er aus der Vogtei auf dem Lande; sie wird von jetzt ab auch zeitweise „Pflege“ genannt. Sie wurde ihm von 1 RA. 9 III 128; 27 1 337. 2 RA. 27 I 337; vergl. u. S. 232. 3 s. o. S. 225, A. 1 und S. 226, A. 6 (Dienstverträge). 4 RA. 27 HI 15. 5 Über das Pfleghaus im Zusammenhang s. u. 7* Kapitel, 3. 6 Für Kriegsschäden im Dienste der Stadt leistete sie ihnen Ersatz, aber nicht im Falle selbständiger Kriegsführung. 7 Neuerliche Friedensstörung durch den Herzog i. J. 1426 (Böhmer RI. XI 6785); Erklärung der Reichsacht über die Ritter Götz Grieß und Hertnid d. Jüng. von Ramung i. J. 1431 (ebd. 8557) und Hans von Blindheim 1434 (ebd. 10575). Der letzte wollte 1432 kraft einer alten Verpfändung Stadeln und lllemad einziehen (RA. 34, 137). Kaiserl. Verbot 1431 an die Ingolstädter Herzoge, mit den Geächteten noch Gemeinschaft zu pflegen (Böhmer RI. XI 8557). 8 Der Pfleger und ein zweiter Vertreter der Stadt stellten 1431 den Antrag auf Reichsacht (ebd.). Wenn die Stadt 1475 eine Gesandtschaft von 8 Pferden zur Landshuter Hochzeit schickte (Qu. u. Er., N. F. III 628), so war vermutlich der Pfleger deren Führer.

229 der Stadt samt allen Hoheitsrechten überlassen. Er vertrat sie insbesonders nach außen und schützte sie im eigenen Interesse gegen habgierige Nachbarn.1 Ja er besaß sogar unabhängig von der Stadt das Recht der eigenen Kriegführung.2 Doch mußte er sich gewisse Einschränkungen seitens der Stadt gefallen lassen. So stellte sie ihm sogar städtische Vertreter zur Seite, wenn es sich um die Wahrung von Pflegsinteressen handelte, welche auch direkte Vorteile der Stadt betrafen.3 Sie verstand es, die Vog­ tei unter ihren wirtschaftlichen Einfluß zu bringen. Damals hatte sie die beste Gelegenheit, ihrem Gewerbe den ausschließlichen Ab­ satz im Vogteigebiete zu sichern.4 Die Stadt ließ sich auch vom Kö­ nig unter Umgehung des Reichspflegers Aufträge erteilen, deren Ausführung eigentlich diesem zugestanden wäre.5 Auch mußte er seinen Pflegvogt nach dem Willen des Stadtrates wählen und ihn dem Rate schwören lassen. Die innere Verwaltung der Vogtei überließ er in der Hauptsache seinem Vogte.6 Dieser war der arbeitende Beamte, welcher die Herr­ schaftsrechte direkt wahrte und mit den Pflegsinsassen unmittelbar verkehrte. Er war ihr Vermittler in Fällen freiwilliger Gerichtsbar­ keit7 und wahrte die Polizeihoheit.8 Neben ihm wird noch der Dorf1 s. o. S. 228, A. 7. Gegenüber dem Herzog von Ingolstadt mußte er 1423 be­ sonders sein Geleitsrecht bis zum Marbach schützen (RA. 34, 137). 2 So kämpfte er z. B. im Reichskrieg gegen Ludwig den Reichen mit, während die Stadt mit Bewilligung des Kaisers still lag (RA. 34, 140). 3 Bei Verteidigung der Mühlwehren in der Schmutter (1424, 35) gegenüber den Herren von Donnersberg und Druisheim. In der gleichen Angelegenheit ist 1445 kein Pfleger erwähnt, weil es damals keinen gab (Traber 101, Orig.; FA. 6, 1 6, 61 ff.). 4 I. J. 1536 besaß die Stadt ausdrücklich das unbeschränkte Recht in der Pflege Mühlen zu bauen und das ausschließliche Absatzrecht von Gewerbeartikeln (RA 34, 140 f.>. Erst als Donauwörth 1607 seine Reichsunmittelbarkeit verlor, machte sich die Pflege wirtschaftlich selbständig. S. u. 5. Kapitel, Georg Fugger. 5 I. J. 1431 erhielt die Stadt unter Umgehung des Pflegers von Kaiser Sigismund die Erlaubnis, die durch Hochwasser weggerissene Landstraße nach Höchstädt auf den angrenzenden Grundstücken neu anzulegen (RA. 9 III 31). Vergl. das kgl. Recht über das Überschwemmungsgebiet bei Schröder 581. 6 RA. 14 II 7; Neub. Lit. 1102, 1 — 12. 7 Als öffentlicher Notar oder Vermittler bei Erbschaftsstreitigkeiten; er war auch bei solchen Fällen beteiligt, wo Pflegsangehörige mit Pflegsfremden verhan­ delten, was sich aus seiner Schutzgewalt über die zinsbaren Leute erklärt (Bei­ spiele bei Traber, Härpfer). 8 Aufsicht über Maß und Gewicht und Sorge für den Flurschutz in Mertingen,

230 vogt in Mertingen genannt; ehedem saß er auf einem Hofe und ver­ sah das Amt nur nebenbei; jetzt aber ist das Amt seine Hauptauf­ gabe. *1 Die Rechtspflege oblag in der Hauptsache ebenfalls dem Vogt. Nach früheren und späteren Nachrichten behielt sich der Pfleger nur besonders wichtige Fälle vor.2 Dingstätte und Galgen3 waren bei Mertingen, das Gefängnis in diesem Dorfe.4 Die niedere Gerichts­ barkeit war in den zwei Niedergerichten Mertingen und Riedlingen organisiert,5 welche aus den beiden Dorfgerichten hervorgegangen waren. In Druisheim, Pfaffenhofen, Lauterbach und Heißesheim war sie anderweitig vergeben.6 Hatte die Stadt Donauwörth im Zusam­ menhang mit dem Privilegium de non evocando vom Jahre 1363 die Vergünstigung erlangt, daß ihre Bürger vor keinem fremden Ge­ richt mehr zu erscheinen brauchten, so hatten die Vogteiinsassen um 1454 dieses Recht noch nicht.7 In der Steuererhebung wurden die Verhältnisse so belassen, wie sie sich unter Herzog Ludwig dem Gebarteten entwickelt hatten. Darüber unterrichtet uns ein Salbuch aus dem Jahre 1453,8 als die Stadt die Vogteieinkünfte selbst einzog. Hatte sie sich seinerzeit so sehr über die neuen Steuerforderungen Ludwigs des Gebarteten beklagt, so fand sie es ganz in der Ordnung, die vom Herzog in der Vogtei neu eingeführten Steuern ruhig weiter zu erheben! Sie legte ihr auferlegte Reichssteuern auch auf die Vogtei um.9 Das Salbuch unterscheidet wieder die „Vogteigülten“ des Riedbesonders in Zusamried (Neub. Lit. 1102, 1 f.; vergl. o. S. 200 mit A. 4, S. 223 mit A. 3). 1 I. J. 1452 saß er auf einer Sölde (Neub. Lit. 1102, 4). 2 s. o. S. 220 und S. u. 235 f. 3 Vergl. o. S. 200 mit A. 3f. Den Galgen setzte 1427 die Stadt in die Flur süd­ lich von Mertingen, wo er um 1500 noch war (RA. 34, 138). Dort blieb er west­ lich der Straße von Mertingen nach Druisheim auf einer sanft ansteigenden Höhe bis zum Ende der Reichspflege stehen. Drei mächtige Eichen bezeichnen heute noch den Platz. 4 RA. 34, 155 ff. Doch wurde mit Bewilligung der Stadt der größeren Sicherheit halber auch das städt. Gefängnis im Rathaus benützt. 5 s. o. S. 220 mit A. 2; RA. 9 III 161. 6 s. o. S. 219. 7 Neub. Lit. 1102, 39; FA. 6, 1, 6, 75 u. 79; vergl. u. S. 236. 8 Neub. Lit. 1102, 1 —12. Die Datierung ergibt sich aus den Namen der darin genannten Pflegvögte von 1452 u. 53. 9 1418 eine Hussitensteuer, 1434 ebenfalls eine Steuer (RA. 34, 141).

231 linger Bezirkes von den „Kastengülten“ des Mertinger Bezirkes. Die Getreide- und Hühnerlieferungen, sowie das Wiesgeld der Mertin­ ger Bauern und Söldner erscheinen in gleicher Höhe wie um 1416.1 Im Riedlinger Bezirk sind in Nordesheim und Auchsesheim die alten Sätze geblieben, während sie in Riedlingen etwas erniedrigt und vereinheitlicht wurden.2 Hühnerlieferungen, Maisteuer und Wagen­ geld werden auch hier unverändert erhoben. Alle Getreidegülten zeigen eine weitere Verminderung der Weizenlieterung zu Gunsten der Roggenlieferung. Auch die übrigen kleineren Einnahmen finden sich wieder. Das Jahr 1453 bringt eine Ergänzung zu dem 1416 eingeführten Wagengeld der Bauern, indem nämlich jetzt fast alle Söldner durchschnittlich ein „Holzgeld“ von 10 oder 20 Pfennig zah­ len müssen. Dazu findet sich ausdrücklich wieder die 1416 aufgeho­ bene Verpflichtung mit 1 oder 1j2 Wagen bzw. mit der Axt im Forste zu dienen wie unter Herzog Ludwig dem Gebarteten. Da die Stadt ihren Pflegern ständig verbot, Neuerungen in der Pflege einzuführen, sind diese wohl auf die Zeit der unmittelbaren städtischen Pflegsver­ waltung (1422—27, 1441—55) zurückzuführen. Auch begegnet in den Jahren 1460 und 65 der erste Versuch, das „Ungeld“ zu Gunsten der Stadtkasse in der Pflege einzuführen.3 Bei der Zusammenrechnung der Getreidegülten erscheinen andere Ziffern als ca. 1416, auch wird nicht in Metzen, sondern in Scheffeln gerechnet, obwohl die Sätze der einzelnen Gehöfte sich nicht geändert haben. Es wird wohl ein anderes Getreidemaß der Verrech­ nung zu Grunde gelegt sein. Die Getreidegülten des Jahres 1453 haben fast einen Stand erreicht, der von da ab wenig mehr geän­ dert wurde, solange die Pflege bestand.4 Die Gesamteinnahmen aus der Vogtei im Jahre 1453 betrugen: 68 Schaff 6 Metzen Roggen, 17 Schaff Weizen, 51 Schaff Haber, 5 */2 Metzen, 163 Hennen, 250 Goldgulden, 2 Pfund 5 Schillinge und 2 Pfennige Geld, 100 Heringe, 2 Metzen Öl, 2 Eimer Bier, 1 Fuder Heu.5 1 Abgesehen von kleinen Schwankungen in den Einzelumlagen und Auflösung oder Zusammenlegung einiger Güter. 2 Durchschnittlich 4*/2 Metzen Korn und 9 Metzen Haber oder gleichmäßig erhöht. 3 Von dem in der Mühle zu Nordheim vermahlenen Getreide (RA. 9 III 162; 34, 141). Vgl. S. 199, A. 10 und 5. Kapitel, Georg und Nikolaus Fugger. 4 s. u. S. 5. Kapitel, Georg Fugger. 6 Für das Jahr 1452 sind dieselben Angaben vermerkt, abgesehen von Hennen mit 158 Stück zu 6 Pfg., Gold mit 190 Gulden, Geld mit 234 Pfund 2 Pf., Haber ohne Angabe.

232 Es wurde oben gesagt, daß Donauwörth zeitweise die Vogtei auf dem Lande selbst verwaltete und keinen Pfleger bestellte. Dazu war es eigentlich nicht berechtigt, es war ihm aber möglich, weil sich die Regierung Friedrichs III. wenig um Reichsangelegenheiten küm­ merte. Als sich jedoch später Kaiser Friedrich III. unter dem Einfluß seines Sohnes Maximilian häufiger im Reiche zeigte und besonders den schwäbischen Städtebund begünstigte, um dessen Hilfe für seine Hausmachtpläne zu gewinnen, da widmete erauch den Verhältnissen in Schwaben wieder seine Aufmerksamkeit. Damals wollte er Donau­ wörth veranlassen dem Städtebund beizutreten. Als sich aber die Stadt im Jahre 1481 weigerte, traf sie der kaiserliche Zorn. Friedrich III. beseitigte ihre Herrschaft über Pfleger und Vogtei, indem er das bisher geübte Präsentationsrecht verwarf.1 Die im Jahre 1483 er­ folgte Versöhnung mit dem Kaiser brachte ihr dieses Recht nicht mehr zurück.2 So wurde denn die Pflege wieder für den Kaiser nutzbar; sie wurde von jetzt ab gleich anderen kleinen Reichsgütern als Entschädigung für geleistete Dienste weitergegeben. Nach dem Tode Rudolfs von Pappenheim walteten von 1482— 1530 wieder Reichspfleger, die von Friedrich III. und Maximilian I. ernannt wurden. Sie erneuerten dort, wenigstens in der Vogtei auf dem Lande, die Stellung der Reichsvogtei vor 1376. Insbesonders Kaiser Maximilian I. wandte der Kleinarbeit in der Regierung des Reiches seine Aufmerksamkeit zu und wahrte auch in der Reichspflege Donauwörth mit Energie und Erfolg die Rechte des Reiches in einem Maße, wie es seit König Albrecht I. dort nicht mehr üblich gewesen war. Von 1482—90 erhielt der kaiserliche Kammerprokuratorfiskal Johann Keller die Pflege als eine Art Pfründe. Er wohnte gar nicht dort und ließ sie durch einen Vogt verwalten.3 Dann wurde sie dem kaiserlichen Protonotar Johann Waldner 1490—1502 versetzt, der auch nicht an den Ort gebunden war.4 Nach dessen Selbstmord zog 1 RA. 27 1 337; 27 III 89. 2 Als die Stadt die geforderte „Hilfe“ geleistet hatte (Traber 154, Orig.); noch­ malige Aussöhnung am 3. VI. 1488 (RA. 9 I 69). 3 RA. 16 IV 152/153 ist das Orig, eines Briefes von ihm an die Stadt eingelegt. 4 RA. 1/2, Vidimus von 1583, 17. Von Kaiser Maximilian I. auf Lebenszeit über­ tragen am 22. VI. 1495 (Traber 176, Orig.).

233 der Kaiser seine Güter ein.1 Nun erhielt die Pflege Donauwörth samt der kleinen Reichspflege Weißenburg i. B. der kaiserliche Kammer­ meister Balthasar Wolf von Wolfsthal (1502—29) gegen eine Pfandsumme von 6000 Gulden auf Lebenszeit versetzt.2 Dieser führte die Verwaltung in eigener Person und erzielte außerordent­ liche Erfolge. Keiner der drei Pfleger stellte der Stadt eine Verschreibung aus;3 jeder stand ihr in vollständiger Unabhängigkeit gegenüber. Sie waren wieder wirklich „königliche“ Pfleger und nur der Krone ver­ antwortlich. Die Begriffe Vogtei und Pflege decken sich fast völlig und werden daher in den Quellen seitdem unterschiedslos gebraucht. In der Stadt war den Pflegern nur mehr jenes Wergeid bei Tot­ schlag mit direkter Todesfolge geblieben, ferner das Wohnrecht im Pfleghaus mit dem nötigen Brennholz aus dem Stadtforste.4 Balthasar Wolf ging aber mit kaiserlicher Unterstützung alsbald daran, seine Stellung in der Stadt zu befestigen und soviel als mög­ lich von den Rechten der alten Reichsvogtei zu erneuern.5 Da Kaiser Maximilian I. häufig in Schwaben und auch in Donauwörth wohnte, konnte der Pfleger seine Aufmerksamkeit auf die Interessen des Reiches in Donauwörth leicht lenken. Zunächst verlangte er, daß die Wohnung des bisherigen Pflegers auf Kosten der Stadt vergrößert wurde.6 Als er im Landshuter Erb­ folgekriege zahlreiches Kriegsvolk hatte unterbringen müssen,7 er­ baute ihm die Stadt im Jahre 1506 ein neues Pfleghaus und stellte ihm alsdann beide zur Verfügung.8 Im neuen Gebäude richtete er die hohe Dingstätte der Pflege9 und ihr Gefängnis ein.10 Aber der energische Mann begnügte sich nicht mit äußeren Erfolgen. Er ging geradezu daran, alte Pflegsrechte, die längst verfallen waren, in der Stadt wieder zu erneuern. Sein Bestreben erinnert fast an die Rührigkeit Lud­ wigs des Gebarteten. Er forderte mit Erfolg von der Stadt, daß als 1 RA. 27 III 16. 2 RA. 27 I 337; s. u. S. 238, A. 9. 3 s. o. S. 232, A. 3; RA. 16 IV 7. 4 s. o. S. 210, A. 5 und S. 226, A. 6. 5 Darüber RA. 16 IV 2—11. 6 RA. 16 IV 3. 7 RA. 34, 152. 8 RA. 16 IV 3ff. 9s. u. S. 236, A. 1. 10 RA. 27 IIJ 196; 34, 157.

234 Inhaber des städtischen Geleites neben dem Kaiser und der Stadt auch der Reichspfleger anerkannt wurde, ein äußeres Zeichen der früheren Stellung des Pflegers oder Reichsvogtes über der Stadt.1 Er wollte auch die Polizeiaufsicht über Maß und Gewicht üben. End­ lich ging er 1507 daran, eine Reihe von alten städtischen Freiheiten anzuzweifeln, wie Ammannamt, Wage und Zölle, da die Stadt durch die kaiserliche Ungnade von 1481 alle Privilegien verloren habe.2 Damit wäre sie auf den Stand von etwa 1322 zurückgedrängt worden und die alte Reichspflege König Albrechts I. wieder erstanden. Die offene Absicht des Kaisers, seinen Pfleger wieder über die Stadt zu stellen, zeigte sich in seinem Befehle an die Stadt, ihre Privilegien erst seinem Pfleger zur Prüfung vorzulegen.3 4Als 5 sie dann auch am kaiserlichen Hofe geprüft wurden, bekam die Stadt allerdings recht und behielt ihre gewohnten Freiheiten. Aber eine gefestigte und gehobene Stellung des Reichspflegers in der Stadt blieb bestehen. Die Stadt fühlte sich durch Kaiser und Pfleger so sehr beeinträch­ tigt, daß sie sich sogar an den schwäbischen Bund um Hilfe wandte. Ebenso wie in der Stadt arbeitete Balthasar Wolf auch in der Vog­ tei auf dem Lande daran, die Rechte des Reiches mit Energie zu wTahren und wenn möglich zn mehren. Ihm gelang es, was wir bis­ her niemals feststellen konnten, das Pflegsgebiet zu vergrößern. Seit 1422 war von Bayern-Ingolstadt und -Landshut das nördlich der Donau und Wörnitz gelegene Gebiet bestritten und zeitweise besetzt worden.6 Beim Abschluß des Landshuter Erbfolgekrieges (1505) sicherte der Kaiser der Reichspflege diese Gebiete und Rechte wieder. Ja, sie gewann sogar neu das Geleitsrecht bis Buchdorf, nordöstlich von Kaisheim; sie sollte alle Hoheitsrechte bis zum Ellerbach und bis Buchdorf zusammen mit dem Kloster Kaisheim üben. Ausdrücklich wurde gesagt, daß die Vergrößerung der Reichs­ pflege geschah, damit Kaisheim „unmittelbar uns und dem Reiche unterworfen ist, in denselben Bezirken gelegen ist und bei uns und dem Reich desto besser gehandhabt werden kann“.6 Gleichzeitig 1 RA. 16 IV 3 u. 7; vergl. RA. 9 111 99. 2 Vergl. o. S. 226 und S. 232. 3 RA. 9 III 192. 4 RA. 16 IV 11. — Über die Verteibung der Juden i. J. 1517 s. o. S. 217, A. 2. 5 Ludwig der Gebartete (s. o. S. 229, A. 1), ebenso wieder Georg der Reiche von Landshut (RA. 14 I 49). 6 RA. 14 1 10 f., Copie der kaiserl. Urkunde, Donauwörth 1504. Vgl. die Grenz­ beschreibung von ca. 1413, s. o. S. 218 f.

235 kam die Stadt wieder in den Besitz ihres Forstes; der Wildbann darin wurde dem Kaiser und seinem Pfleger zugesprochen. Alles dies war ein bereits selten gewordener Fall, wenn auch von territo­ rial geringer Bedeutung, daß nämlich ein Kaiser des ausgehenden Mittelalters direktes Reichsgut mehrte und gleichzeitig die könig­ liche Schutzherrschaft über ein Reichskloster wieder festigte. Damals erreichte die Pflege ihre größte Ausdehnung und seit dem Ausscheiden der Stadt ihren Höhepunkt als selbständige Reichsvogtei. In voller Unabhängigkeit ge­ genüber der Stadt war sie fest in der Hand eines tatkräftigen Kaisers bzw. dessen energischen Pflegers und verwirklichte teilweise wieder Bestrebungen, welche den Reichsvogteien nach dem Interregnum Leben verliehen hatten.1 Damals gingder Pfleger auch mit Erfolg daran, in dem zur Pflege gehörigen Niedergerichtsbezirk Heißesheim Anteil an der Niedergerichtsbarkeit und Polizeihoheit zu for­ dern.2 Die tüchtige Verwaltung der Pflege zeigte sich aber nicht nur in ihrer Förderung nach außen, sondern auch in dem geordneten inne­ ren Ausbau. Die Oberaufsicht führte der tatkräftige Balthasar Wolf selbst. Entsprechend der alten Zweiteilung der Vogtei amtierte unter ihm ein (Ober-)Vogt zu Donauwörth und ein (Dorf-)Vogt zu Mertingen; jeder hatte einen Untervogt neben sich, welcher die oft un­ angenehme Arbeit des Polizisten verrichtete. Der Donauwörther Vogt übte auch Funktionen aus, welche sich über die ganze Pflege erstreckten.3 Das Gerichtswesen erfuhr in dieser Zeit seine endgültige und ur­ kundliche Regelung. Der Donauwörther Vogt leitete im Pfleghaus das Riedlinger Niedergericht mit Unterstützung von 8 Schöffen, der Mertinger Vogt das dortige mit Unterstützung von 12 Schöffen.4 Der Pfleger selbst übte die hohe Gerichtsbarkeit; während früher die Stadt in eifersüchtiger Wahrung ihrer eigenen hohen Gerichtsherr­ lichkeit darauf gesehen hatte, daß die hohe Dingstätte der Pflege bei Mertingen aufgeschlagen wurde, kümmerte er sich nicht darum, sondern saß im Pfleghause zu Gericht. Unter dem Einflüsse des römischen Rechtes erhielt er 1507 das Recht, statt der bisher erfor1 2 3 4

s. o. S. 204 ff. Darüber im Zusammenhang s. u. 7. Kapitel, 2. RA. 16 IV 2—10. RA. 34, 163 f.

236 derlichen 7 Zeugen die Folter in einem geschlossenen Raum zu ver­ wenden.1 Mit dem Gerichtsort war auch das Gefängnis von Menin­ gen in das Donauwörther Pfleghaus verlegt worden.2 Über eine Verlegung der Richtstätte (Galgen) ist nichts bekannt. Das Instanzenwesen erfuhr 1517 durch Kaiser Maximilian I. seine endgültige Regelung,3 nachdem schon vorher bei besonderen Strei­ tigkeiten eigene Gerichte in Gebrauch gekommen waren.4 Wer gegen Pflegsinsassen klagte, wandte sich in erster Instanz an die ordentlichen Niedergerichte; war er mit deren Urteil nicht zufrieden, so wandte er sich jetzt in zweiter Instanz an ein Gericht, das zusam­ mengesetzt war aus dem Pfleger, den zwei Äbten von Hl. Kreuz und Kaisheim, zwei Bürgermeistern von Donauwörth und vier Män­ nern aus der Pflege; als drittelnstanz blieb endlich das kaiserliche Kammergericht. Wer gegen Amtsleute (Vögte, Untervögte u. s. w.) klagen wollte, wandte sich in erster Instanz an den Pfleger und konnte an das kaiserliche Kammergericht appellieren. Alle Pflegsinsassen mit Einschluß der Beamten wurden damals auch von der Forderung vor ein fremdes Gericht, einschließlich der kaiserlichen Gerichte be­ freit. Damit war für die Vogtei das Privilegium de non evocando in vollem Umfange errungen, welches ihr 1450 und 54 noch nicht zuer­ kannt worden war.5 Über die Handhabung des Abgabenwesens durch Balthasar Wolf besitzen wir keine Einzelangaben. Eine Nachricht aus dem Jahre 1531 besagt nur, daß er die Steuern wieder straffer einzog,6 was bei der Energie dieses Mannes selbstverständlich ist. Auch die übrigen Hoheitsrechte wahrte er mit Erfolg. So behaup­ tete er mit Hilfe des Kaisers die durch den Landshuter Erbfolgekrieg 1 RA. 27 II 65, Copie; Neub. Lit. 1101,12(1522. V. 1, Brüssel; Bestätigung durch Karl V.). 2 s. o. S. 233, A. 10. 3 RA. 9 III 181 ; Traber 200 (Transsumpt). 4 Es war ohnedies allgemeiner Brauch zur Beilegung größerer Streitigkeiten,

benachbarte Reichsstände beizuziehen. So schlichtete i. J. 1497 der Pflegvogt zu­ sammen mit zwei Donauwörther Bürgermeistern einen Streit zwischen der Dorfge­ meinde Mertingen und dem Königsmüller um das Fischereirecht in der Schmutter (Neub. Lit. 1101, 21 ff.). Streitigkeiten unter den Härpfem oder zwischen ihnen und anderen wurden wiederholt von einem ähnlichen Richterkollegium geschlich­ tet (Traber, Härpfer). 6 s. o. S. 230, A. 7. 6 Neub. Lit. 1101, 122.

23 7 erweiterten Pflegsrechte im Norden der Stadt, insbesondere den Zoll bei Berg.1 Ein kaiserliches Mandat schärfte den Pflegsinsassen die Beachtung des kaiserlichen Wildbannes im Mertinger Forst und der Haiternau, einer Waldung bei Pfaffenhofen, ein.2 Endlich beseitigte er in Asbach das Donauwörther Schankmaß und ersetzte es durch das Mertinger (=alte Augsburger) Maß,3 auch ein kleiner Beitrag zur verstärkten Selbständigkeit der Vogtei gegenüber der Stadt

Kraftvoll und erfolgreich hatte Balthasar Wolf seine kleine Reichs­ herrschaft verwaltet. Aber er war eigentlich nur das ausführende Organ eines stärkeren Hintermannes, des Kaisers Maximilian I. Da­ her hielt sich die gehobene Stellung der Reichspflege nur, solange der Kaiser lebte. Sobald dieser 1519 die Augen schloß, nahm PfalzNeuburg die nördlich der Stadt verlorenen Rechte mit Gewalt wie­ der in Besitz und legte dabei seine Hand auf den Stadtforst.4 Die Stadt verlor einen angestrengten Prozeß beim Reichskammergericht und mußte froh sein, daß der Pfalzgraf gegen eine Abfindung von 6000 Gulden auf den Forst v erzichtete und sich mit dem Wildbanne begnügte.5 Der Reichspfleger allein konnte den überlegenen Nach­ barn nicht verdrängen und der neue Kaiser Karl V. war weit entfernt, zudem war seine Politik universal und auf das Große gerichtet. Sie kümmerte sich zunächst nicht so sehr um die Kleinarbeit wie die Regierung Maximilians und mußte sich erst in Deutschland ein­ führen. In den Jahren 1529 auf 30 bestätigten König Ferdinand I. und Kaiser Karl V. Pfalz- Neuburg sogar im Genüsse des Wildbannes im Stadtforst6 und verzichteten damit auf Wiedererwerbung der 1519 verlorenen Rechte der Reichspflege im Norden der Stadt. Mit dem Tode Maximilians I. hatte diese ihren zweiten Höhepunkt überschritten. Als Balthasar Wolf am 13. März 1529 starb,7 verwaltete sein Sohn 1 Der Kaiser .nahm i. J. 1516 einen diesbezügl. Prozeß zwischen dem Reichs­ pfleger und Pfalz-Neuburg vom Kammergericht an sein Hofgericht (RA. l/2, 1516; 16 IV 28). 2 RA. 49. 3 RA. 361/2, 47. 4 RA. 14 I 50. 5 RA. 34, 139; Plaß 595. 6 RA. l/, 1529 auf 30. 7 Neub. Lit. 1101, 32 u. RA. 16 V 332; Plaß 595.

238 Maximilian die Pflegen Donauwörth und Weißenburg i. B. bis zu ihrer Neubesetzung im Jahre 1530.1 Kaiser K a r 1V. dachte bereits bei Lebzeiten Balthasar Wolfs daran, nach dessen Tode die Pflegen Donau wörth und Weißenburg als Dienstentschädigung an seinen Vizekanzler Nikolaus Ziegler zu geben. Er verschrieb sie ihm und seinen Söhnen in den Jahren 1521, 22 und 23 (anstelle der versetzten Reichssteuer von Heilbronn) um 5000 Gulden.2 Doch starb der Vizekanzler schon vorzeitig und seine Söhne mußten 1530 mit 3000 Gulden Entschädigung zufrieden sein.3 Nach der tatsächlichen Erledigung der beiden Pflegen sagte sie der Kaiser dem Grafen Martin von Oettingen zu.4 Da erschien auf dem Reichstag 1530 eine Donauwörther Gesandtschaft und bemühte sich um die Wiederanerkennung des alten städtischen Präsentations­ rechtes. Während ihres 23wöchigen Aufenthaltes auf dem Reichs­ tag gelang es ihr wirklich, das 1481 verlorene Privileg wieder zu erlangen5 und der Stadt damit die alte Herrschaft über Pfleger und Vogtei auf dem Lande zu sichern, eine Herrlichkeit, die allerdings nur 1530—36 dauerte. Die Stadt bestellte am 1. August den Ritter Hans Schenk von Schenkenstein als Pfleger und zwar in derselben Art, wie sie es 1427—82 getan hatte.6 Der Kaiser war aber mit dieser starken Ab­ hängigkeit des Pflegers nicht einverstanden und bestellte ihn auf Lebenszeit,7 womit sich die Stadt abfand.8 Als sie dem Kaiser auch die Entschädigungssumme für Nikolaus Zieglers Söhne auszahlte gewährte er ihr eine besondere Vergünstigung und verschrieb ihr die Pflegen Donauwörth und Weißenburg im voraus auf 15 Jahre nach dem Tode des neuen Pflegers.9 So hatte die Stadt doch noch 1 RA. 16 V 332. Er war unter den Bewerbern um die Reichspflege i. J. 1530 (RA. 16 IV 49). 2 Die 5000 Gulden galten als Ersatz für den nichtbezahlten Gehalt und die verschriebene Reichssteuer von Heilbronn, auf welche Ziegler verzichtete (Neub Lit. 1102, 51). 3 RA. 14 II 61 ff. 4 Neub. Lit. 1102, 21. 6 Neub. Lit. 1102, 21. Die Reisekosten von 500 Gulden wurden offenbar gut angewendet. 6 RA. 14 I 24, Orig. 7 Traber 235, Orig. 8 RA. 14 II 58 ff. 9 RA. 14 II 61 ff. Der neue Pfleger löste die Pflege um 6000 Gulden von Balth. Wolfs Erben ein, die Stadt gab an den Kaiser 3000 Gulden (RA. 14 I 25, Quittung), womit dieser Nikolaus Zieglers Erben abfand.

239 Aussicht, ihre ehemalige unmittelbare Herrschaft über die Vogtei auf dem Lande wieder aufzurichten. Dazu sollte sie alsbald Gelegenheit haben. Denn Schenk von Schen­ kenstein hatte die Pflege nur 1530—31 inne, da er wider Erwarten bereits am 27. VII. 1531 starb.1 Die Stadt nahm die Pflege in Verwal­ tung und überließ 1533j34 an die Stadt Weißenburg die dortige Pflege um 2400 Gulden.2 Vielleicht konnte es ihr während der 15jährigen Inhaberschaft doch noch gelingen, das nachzuholen, was sie früher (1422—27, 1441—55)3 nicht erreicht hatte, nämlich die Schaffung eines ländlichen Territoriums. Doch sollte es nicht dazu kommen.. Hatte der Kaiser schon 1530 das Präsentationsrecht nicht in seinem vollen Umfange wiederher­ gestellt, so griff er jetzt sogar in das der Stadt bereits gewährte 15jährige Inhaberrecht ein und veranlaßte sie, im Jahre 1536 die Reichspflege aus der Hand zu geben und zwar an das Haus Fugger. Dieser Zustand sollte ein dauernder werden. Damit war aber die Pflege nicht nur dem Einfluß der Stadt, sondern auch des Kaisers ent­ zogen. Ihre Entwicklung nimmt nunmehr einen ganz neuen Cha­ rakter an; sie bildet von jetzt ab einen Teil der Geschichte des Hauses Fugger.

5. Kapitel. Die Reichspflege Donauwörth im Pfandbesitz der Fugger (1536—1723); endgültige Trennung der Reichsstadt und der Vogtei auf dem Lande (Reichspflege). Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts stiegen die Fugger4 von vermöglichen Webern und Kaufleuten in Augsburg zur größten Geldmacht in Deutschland empor. Mit dem Geldgeschäft kamen sie in den Erzhandel und gewannen schließlich die Herrschaft über 1 Seinen Erben löste die Stadt alsbald die Pflegen um 6000 Gulden ab und zahlte ihnen die am 16. Okt. noch anfallenden Herbstgülten aus (Neub. Lit. 1102, 22; Traber 242, Orig. ds. Verzichtbriefes des Bruders Kaspar Schenk vom 30. 8. 1531). 2 Traber 250, 256 f.; RA. V2, 1536. VIII. 26. 3 s. o. S. 226 f. 4 Außer den auf S. 172—175 aufgeführten Arbeiten von Deininger. Düvel, Ehrenberg, Jansen, Kirch, Strieder und der Stammtafel ist zu nennen der orien­ tierende Aufsatz von Strieder über die Fugger im Handwörterbuch des Kauf­ manns, Lexikon für Handel und Industrie. Herausgegeben von Karl Bott. 2. Band. Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg und Berlin. 1927.

240 die Montanindustrie in den österreichisch-ungarischen Ländern. Ja über ganz Europa zogen sie schließlich ihre Kreise. Gleichzeitig wurden sie immer mehr die großen Geldgeber für die Habsburger und finanzierten in entscheidender Weise besonders die Politik Kaiser Maximilians I. und Karls V. Bekannt ist der Ein­ fluß des Fugger’schen Geldes bei der Königswahl Karls V. im Jahre 15191 und Ferdinands I. im Jahre 15302 sowie bei Eröffnung und Durchführung des Schmalkaldischen Krieges 1546/47.3 Der glän­ zende Aufstieg der Fugger erfolgte besonders unter Jacob dem Reichen, gestorben 1525; unter Anton Fugger, gestorben 1560, blieben sie auf der Höhe ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht. Frühzeitig gingen sie daran, liegende Güter zu erwerben um ge­ sicherten Besitz für die Zukunft zu haben und die soziale Erhöhung ihrer Familie zu erreichen. Mit dem Kauf der habsburgischen Graf­ schaft Kirchberg an der Iller im Jahre 15074 5begann die Erwerbung von zahlreichen Herrschaften in Schwaben. Nur über den Groß­ grundbesitz führte damals der Weg zu Standeserhöhung und an­ deren Privilegien. Alsbald folgte denn auch für die treuen Helfer der Habsburger im Jahre 1511 die Erhebung in den Adelsstand.6 Das Jahr 1514 brachte für die bedeutendsten Vertreter ihres Hauses und das Jahr 1526 auch für deren männliche Nachkommen die Er­ hebung in den Grafenstand, das Jahr 1530 endlich für das Gesamt­ haus die Erhebung in den Reichsgrafenstand mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag und der schwäbischen Grafenbank. Wenn die führenden Fugger im Jahre 1535 noch den ungarischen Adel er­ hielten, so diente dieser Gewinn der Befestigung ihrer dortigen Besitzrechte. Die Fugger konnten Herrschaften und Standeserhöhungen ziem­ lich leicht bekommen, da sie den Kaisern ungeheuer wertvolle Dienste geleistet hatten. Als sie im Zuge ihrer Gütererwerbungen im Jahre 1533 die nördlich ihrer Herrschaft Biberbach gelegene Herr­ schaft Oberndorf erworben hatten, wollten sie auch die angrenzende Reichspflege Donauwörth in ihre Hand bringen. Der Kaiser gab 1 Jansen 237ff.; Ehrenberg I 100ff. 2 Ehrenberg I 126 ff. 3 Darüber ausführlich Kirch. 4 Düvel 16 ff. 5 Zu allen Standeserhöhungen: Düvel 100ff.; Deininger, Kapitel über Standes­ erhöhung und andere Privilegien ; Ehrenberg I 131 f.

241 ihrem Wunsche nach und veranlaßte die Stadt Donauwörth, ob­ wohl er ihr die Pflege auf 15 Jahre verpfändet hatte, mit den Fug­ gern in Verkaufsverhandlungen zu treten.1 Die Stadt konnte es nicht wagen, dem Kaiser Widerstand zu leisten, der damals auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Im Frühjahr 1536 verbreitete sich in Augsburg das Gerücht, daß Donauwörth die Pflege „einigen besonderen Personen zu Gefallen“ abtreten wolle.2 Das waren die Fugger, vertreten durch Anton Fugger.3 Sie hatten die Unterstützung des Kaisers; dieser war ihnen finanziell verpflichtet und wollte zugleich Stadt und Pflege Donau­ wörth vor dem Eindringen des Protestantismus besser schützen.4 Sogleich arbeiteten die protestantischen Reichsstädte Augsburg, Nürnberg und Ulm den Verhandlungen entgegen.5 Der Kaiser war aber mächtiger und Ende Juli war die Sache entschieden.6 Am 24. August 1536 stellte Anton Fugger der Stadt zunächst die von 1422—82 übliche Verschreibung der Pfleger aus;7 am 26. August wurde jedoch der Vertrag zwischen beiden Parteien mit wesentlichen Änderungen zu Gunsten der Fugger endgültig abgeschlossen.8 Die Pflege wurde der Gesamtfamilie9 überlassen,solange ihr Mannes­ stamm bestünde; es sollte je weils der Älteste des Geschlechtes Pflegs­ inhaber sein. Auch sollte die Stadt bei Aussterben des Mannes­ stammes oder bei freiwilliger Aufgabe der Pflege das Wiederein­ standsrecht haben (Regreß, Heimfallsrecht). Außer der übernom­ menen Pfandsumme von 6600 Gulden gewährten die Fugger der Stadt noch einige besondere finanzielle Vergünstigungen.10 Der Kai1 RA. 14 II 67. 2 RA. 16 IV 84. 3 Der erste Beleg stammt vom 3. April (RA. 16 IV 56 f.). 4 Kopie eines kaiserlichen Schreibens an Donauwörth vom 29. V. 1536 (RA. 14 II 67). 5 RA. 16 IV 55—73. Augsburg wies bereits auf die voraussichtliche Entwick­ lung der Pflege in der Hand so hoher Herren hin, wie sie dann später wirklich ein­ trat; es war sogar bereit, der Stadt Donauwörth die etwa unrentable Pflege selbst abzunehmen (ebd. 65). 6 Ebd. 73, 83—89. 7 RA. V2, 1536. VIII. 24; s. o. S. 226, A. 6 und S. 238, A. 6. 8 RA. */2, 1536. VIII. 26. Dieser Vertrag bildet die Hauptquelle für die nächste Zeit, ohne daß immer eigens darauf hingewiesen ist. 9 s. u. S. 242 über das Fideikommiß. 10 Nach Abgabe der Pflege Weißenburg um 2400 Gulden an die dortige Stadt (s. o. S. 238, A. 9 und S. 239 mit A. 2) hatte Donauwörth seine eigene Pflege noch 16

242 ser stimmte dem Handel zu unter Vorbehalt des üblichen Wieder­ einlösungsrechtes ;*1 doch wurde davon niemals Gebrauch gemacht.2 Der erste Lehensträger der Reichspflege war Anton Fugger (1536—60). Unter ihm erreichte das Fugger’sche Geschlecht seinen Höhe­ punkt. Das Jahr 1546 brachte die glänzendste Bilanz; das angelegte Aktivvermögen war auf 5 Millionen Gulden gestiegen und erreichte damit den höchsten Stand, den es je besessen.3 Damals rollte das Fugger’sche Geld unaufhörlich, um liegende Güter zu erwerben und gesicherten Besitz für die Zukunft zu hinterlassen; Anton Fugger war gesonnen, keine Güter mehr aus der Hand zu geben. Sie wurden dem anwachsenden Fideikommiß einverleibt, der unter Jacob Fug­ ger im Jahre 1502 begründet4 5und unter Anton im Jahre 1548 end­ gültig festgelegt wurde.6 Mit Besorgnis sah Anton Fugger, daß seine Neffen wenig Inter­ esse für kaufmännische Betätigung hatten und die Blüte des Hauses nicht dauernd sein könne. Deshalb wollte er damals beginnen, das Handelsgeschäft aufzulösen und nahm am 31. Juli 1548 eine nam­ hafte Gewinnausschüttung vor.6 Gleichzeitig erfolgte die Vertei­ lung der liegenden Güter unter die verschiedenen Zweige der Fugger, die sich seitdem meistens nach den zugefallenen Herrschaften benannten. Anton selbst erhielt eine Reihe von Besitzungen, deren wichtigste zu ersehen sind aus den Linien, die von seinen Söhnen begründet wurden: Oberndorf-(Nordendorf) Biberbach, KirchheimGlött, Babenhausen-Wellenburg-Boos.7 um 6600 Gulden in der Hand. Es überließ sie um diese Pfandsumme an die Fugger, brauchte aber das Geld bei 5 °/0 Zins 9 Jahre lang nicht anzunehmen. Außerdem erhielt es von ihnen von 1538—46 ein zinsloses Darlehen von 3000 Gulden für soziale Zwecke („Zu Gunsten der hantierenden und arbeitenden Bürgerschaft“). Endlich lieferten die Fugger 4 Jahre lang jährlich je 4000 Mark Silber zum üb­ lichen Preise (RA. % 1536. VIII. 26, 1536. VIII. 28; ebd. 14 II 80). 1 Ebd. 1/8, 1536. XI. 2. Das Wiedereinlösungsrecht sollte ab 1546 in Kraft treten 2 Vgl. u. S. 253, A. 8. 3 Ehrenberg I 144 ff. 4 Jansen 35 ff. 5 Über Anton Fugger, Gütererwerbungen und Fideikommiß, siehe besonders Deininger; auch Ehrenberg 144 ff. und 167. 6 Ehrenberg I 144ff. und 167 ; Deininger, Kapitel über Fideikommißbildung und Teilung 1548. 7 Über Güterteilung: Deininger und Stammtafel.

243 Die Reichspflege Donauwörth wurde Anton Fugger zugeteilt und nach dem Recht der Erstgeburt in der ersten, von ihm ab­ stammenden Linie Oberndorf - (Nordendorf) vererbt.1 Sie grenzte unmittelbar an deren Besitzungen. Donauwörth und der Kaiser stimmten dieser Vereinbarung über die Pflege zu.2 Es war da­ mals die Zeit nach Abschluß des Schmalkaldischen Krieges (1546/47), als Karl V. den Fuggern wieder besonders verpflichtet war3 und die Stadt dem siegreichen Kaiser keinen Wunsch abschlagen konnte. Anton Fugger war wohl^Reichspfleger“, aber in ganz anderer Art als seine Vorgänger. Denn er wohnte nicht in Donauwörth, um die Stadt wirklich zu „schützen*1, und war daher jedem direkten Ein­ fluß seitens des Stadtrates entzogen. Zudem war es der kleinen Stadt ganz unmöglich, eine Macht, wie das Haus Fugger, in Abhängigkeit zu bringen. Die übernommene alte Vertragsbestimmung, daß der Pfleger die Stadt mit Waffengewalt schützen sollte, war bei den Fuggern von Anfang an illusorisch. Es ist leicht verständlich, daß Anton Fugger nach Erwerbung der Reichspflege Donauwörth von Anfang an die feste Absicht kundgab, dieselbe bei seinem Hause zu behalten. Noch vor 1539 erbaute er unter großem Aufwand ein prächtiges Pfleghaus in Do­ nauwörth..4 Da in der Vogtei auf dem Lande die fremden Grund­ herrschaften 5 überwogen, begann er sofort, dieselben aufzukaufen und dadurch seine eigene Stellung zu stärken. Diese Neuerwerbungen wurden jedoch nicht der pfandherrlichen Pflege einverleibt, sondern •als Allodialgüter getrennt verwaltet. Ihr Wert erreichte noch unter Anton Fugger fast jenen der Pflege selbst.6 Die Pflegsverwaltungführte ein Pfleg vogt. Dieser mußte bei Amts­ antritt der Stadt einen Eid leisten auf Einhaltung der abg eschlossenen Verträge und sollte im Pfleghaus wohnen, wo ihm 50 Haufen Brenn­ material aus dem Stadtforst und sonstige kleinere Vergünstigungen 1 RA. a/2, 1549. IX. 2. 2 RA. 14 II 85; Neub. Lit. 1102, 143 f. 3 Vergl. oben S. 240 mit A. 3. 4 Darüber ausführlich s. u. S. 277 ff. 5 Donauwörth selbst, städt. Ämter, Wohlfahrtseinrichtungen und Patrizier­ geschlechter, die Klöster Hl. Kreuz und Kaisheim, die Deutschordenskommende in der Stadt und endlich Pfalz-Neuburg (RA. 16 IV 216—23; Neub. Lit. 1104,68 ff.; FA. 19,1, 3). DieFugger hatten 1536 nur 144 reichspfl. Hintersassen, das war nicht die Hälfte der Pflegsinsassen (Neub. Lit. 1102, 116). Vgl. u. S. 279 ff., bes. 282. 6 s. u. S. 279 ff. 16*

244 gewährt wurden. Dieses Festhalten des Vogtes am Orte bot der Stadt eine gewisse Sicherung für Einhaltung der Verträge. Seit 1546 je­ doch wohnte er wiederholt im Fugger’schen Oberndorf und ver­ waltete von dort aus die Pflege.1 Unter ihm gab es 1558 einen Untervogt und Kastenknecht (für die Abgabenerhebung) in Donau­ wörth, einige Forstknechte und einen Dorf- und einen Untervogt in Mertingen.2 Ihre Obliegenheiten waren seit Balthasar Wolf so be­ stimmt festgelegt,3 daß sie seitdem unverändert blieben. Es wurde ihnen auch die Verwaltung der Allodial^üter übertragen. Der Blutbann war gesondertes Reichslehen.4 Das Hochgericht wurde wieder nach Mertingen verlegt und tagte unter dem Vorsitz des Pflegvogtes; der Stadtrat entsandte dazu 4 Gerichtsschöffen.5 Die Niedergerichte in Donauwörth und Mertingen gewannen mit dem Anwachsen der Fugger’schen Allodien an Bedeutung. Die Ge­ fängnisse zu Mertingen und im Donauwörther Pfleghaus wurden beibehalten.6 Die letzten Rechte des Pflegers in der städtischen Jurisdiktion („Wergeid“)7 führten zu Streitigkeiten und Schikanen,8 die erst unter Marcus Fugger 1566 endgültig beigelegt wurden. Am hergebrachten Abgabenwesen wurde infolge der vertrag­ lichen Bindung „keine Neuerungen einzuführen“, fast nichts geän­ dert.9 Die Abgaben erhob der Kastenknecht in der übernommenen Weise unter neuen Namen. Die „besetzte Pfenniggült“ umfaßte die regelmäßigen Geldsteuern, Mai- bzw. Wiesgülten, und die Küchen­ gefälle (Hühner, Eier u. s. w.); die „unbesetzte Nutzung“ enthielt unregelmäßige Einnahmen, wie Auf- und Abfahrten, später (1593) ist der Handlohn bezeugt; endlich gingen noch Gerichtsgefälle und 1 RA. 27 III 181. Über den Ankauf von Oberndorf durch die Fugger s. o. S.240; über die Fugger’schen Pflegvögte siehe u. S. 282 ff. 2 FA. 19, 1,7; Neub. Lit. 1102, 59. 3 Siehe o. S. 235. 4 Er wurde bei Wechsel im Kaisertum oder in der Pflegsinhaberschaft immer erneuert (FA. 19, 1, 1, fol. 57; Neub. Lit. 1102, 147 f.; FA. 19, 1, 4). 5 RA. 27 I 782 ; 34, 155, 198. Diese Beteiligung des Stadtrates ist hier zum ersten Mal bezeugt. Wann sie sich einführte, ist nicht festzustellen; vielleicht nach 1422. 6 s. o. S. 233. 7 s. o. S. 225 f. und S. 233. 8 RA. 27 I; 27 II; 27 III. Dabei verwehrte die Stadt wiederholt die Überführung von Gefangenen aus der Vogtei in das Pfleghausgefängnis, was sie nicht hätte tun dürfen. Vgl. u. S. 246. 9 RA. 34, 180 f., s. o. S. 241, A. 8.

245 die Getreidegülten in gewohnter Höhe ein.1 Abgaben und Steuern wurden im Pfleghaus ein geliefert.2 Im übrigen übte Anton Fugger gleich den früheren Pflegern alle anderen Hoheitsrechte in der Pflege. Gegenüber dem Reiche hatte die Pflege keine regelmäßigen Verpflichtungen;3 nur außerordentliche Reichssteuern mußte sie zahlen, die unter Beiziehung eines städtischen Vertreters als Um­ lage erhoben wurden.4 Die Stadt erreichte zwar, daß von ihrem Reichsheerkontingent von 9 Reitern und 30 Fußgängern auf die Fugger’sche Pflege 3 Reiter und 2 Fußsoldaten übertragen wurden; doch verweigerten die Fugger ständig deren Stellung.5 6 Als Anton Fugger den Tod herannahen fühlte, empfahl er seinen Erben eindringlich die Abwicklung des Handelsgeschäftes, dessen Grundlagen er erschüttert sah, und verbot ihnen nochmal für alle Zukunft die Veräußerung irgendwelcher liegender Güter.0 Am 15. September 1560 starb er. Die Reichspflege ging nach dem 1548 geschaffenen Hausgesetze an seinen ältesten Sohn Marcus Fugger (1560—97) über,7 Herr auf Oberndorf und später auch Nordendorf. Er besaß u. a. bereits Oberndorf und Möhren (in Pfalz-Neuburg) und erwarb im Jahre 1580 Nordendorf. Damit hatteereinen zusammenhängenden Herrschaftskomplex, dessen Mittelpunkt Schloß Nordendorf wurde. Er begründete die nach dieser Hauptburg benannte Linie Fugger1 Salbuch von 1558 (FA. 19, 1, 7). Damals brachte die besetzte Pfenniggült mit Einschluß der Küchengefälle 263 Gulden 28 Kreuzer 2 Heller, was der im Jahre 1453 bezeugten Steuer ohne Küchengefälle von 250 Gulden 2 Pfund 5 Schillinge entspricht. Die Getreidegülten betrugen an Weizen 9 Schaff 3 Malter 3 Metzen; an Roggen 84 Schaff 1 Metzen, an Haber 54 Schaff 4 Malter, an Gerste 3 Schaff 2 Metzen. Salbuch von 1593 im FA. 19, 1, 7. «Auf- und Abfahrt“ ist der Hand­ lohn der Sölden (Neub. Lit. 1104, 22; vergl. o. S. 223, A. 5). 2 RA. 34, 161. 3 RA. 27 I 485; 27 II 344; 34, 140 (beigebundener Zettel), 180; FA. 19, 1, 5. Die ordentl. Reichssteuer der Pflege war in der Stadtsteuer enthalten. Die di­ rekte Nutzung des Reiches aus der Pflege war die Nutzung der gegebenen Pfand­ summe. 4 RA. V2, 1566. V. 4, Abs. 13. 5 RA. 34, 180. Im Jahre 1724 wissen auch die Vertreter der schwäb. Grafen­ bank nichts von einer solchen Verpflichtung der Fugger’schen Reichspflege (FA. 19, 1, 3, toi.'3, 115). 6 Ehrenberg I 167. Vgl. o. S. 242, A. 5. 7 Er nannte sich auch Marx oder Max.

246 Nordendorf. Privatvermögen und einige Handelsgewinne ermög­ lichten noch den Ankauf von weiteren Gütern. Doch nahte damals für die Geldmacht des Hauses Fugger bereits die Zeit des Zu­ sammenbruches.1 In der Reichspflege Donauwörth ging die Verwaltung unter Mar­ cus Fugger den gewohnten Weg. Im Jahre 1560 wollte er der Stadt nicht mehr dieselbe Verschreibung ausstellen wie sein Vater im Jahre 1536, sondern nur summarisch versprechen „die alten Ver­ träge zu halten“. Der Kaiser sprach sich für ihn aus. Die Stadt er­ kannte ihn aber formell als Pfleger nicht an.2 Am 24. Mai 1566 endlich wurden die Streitigkeiten beigelegt,3 indem man gegenseitige Rechte preisgab. Um ein besseres Einvernehmen zu sichern, löste man eben weitere Bande, welche Stadt und Pflege noch lose verknüpften. Der Fug­ ger verzichtete auf die letzten Rechte des Pflegers in der Stadt, nämlich auf jenes Wergeid,4 welches ihm bei Totschlag in der Stadt zustand. Andererseits versprach die Stadt, in Zukunft die Überführung von Gefangenen aus der Vogtei in das Pfleghaus­ gefängnis nicht mehr zu hindern und verzichtete teilweise auf die Niedergerichtsbarkeit im Bereiche des Pfleghauses; es sollten näm­ lich Vergehen, welche reichspflegliche Beamte und Untertanen dort begangen hätten, vom Pfleger abgeurteilt werden; ebenso sollten dort Niedergerichtssitzungen und Baudinge ungestört statt­ finden. Hochgerichtsstätte und Galgen mußten aber in Mertingen sein. Damit war eine klare territoriale Scheidung zwischen Stadt und Pflege (mit Einschluß des Pfleghauses in Donau wörth) durchgeführt. Es gilt demnach nur bis zum Jahre 1566, was Seydel5 über die Reichs­ pflege Donauwörth sagt: Sie „bestand aus den Rechten, welche die früheren Reichspfleger in der Stadt gehabt hatten, und einem Di­ strikt in der Nähe der Stadt“. Nunmehr aber war die Stadt voll­ ständig aus dem Verbände der alten Reichsvogtei oder Reichs­ pflege ausgeschieden und jeder Einfluß des Pflegers in der Stadt 1 Ehrenberg I 170 —186; s. u. S. 266. 2 Uber diese Zwistigkeiten RA. 34, 1—115. Die Stadt wollte dabei den Fugger als „ihren Pfleger und Diener“ ansprechen, worauf jener spöttisch auf die 1481 eingetretene Änderung hinwies (s. o. S. 232). 3 RA. V2, 1566. V. 24, Copie. 4 s. o. S. 244, A. 8 und 9. 5 Bayer. Staatsrecht 2 I 7. Er fußt auf Kreittmayr § 109, S. 199 ff.

247 beseitigt! Seitdem decken sich die Begriffe „Reichspflege“ und „Vogtei auf dem Lande“ vollständig. Es ist bezeichnend, daß bei diesem Verzicht auf letzte Reichsrechte von keiner Partei dem Kaiser eine Mitteilung gemacht wurde. Aber der Einfluß der Stadt auf die Pflege blieb bestehen. Hier war Marcus Fugger noch an die alten Verträge gebunden.1 Neue­ rungen, besonders im Abgabenwesen, waren darum auch weiterhin fast2 unmöglich. Umso eifriger setzte er den Aufkauf von Allodien und Lehen im Pfleggebiete fort. Sie erreichten unter ihm nahezu den späteren Um­ fang und waren bereits wertvoller als die Pflege selbst.3 Damals blieben nur mehr wenige fremde Grundherrschaften in der Pflege übrig. Mit den bedeutenderen derselben vereinbarte er eine schriftliche Fixierung der hergebrachten Rechte. Es handelte sich um die Stadt Donauwörth,4 5die Klöster Hl. Kreuz6 und Kaisheim,6 die Deutschordenskommende7 in Donau wörth und die Schwe­ stern Stebenhaber von Werdernau.8 Sie hatten alle innerhalb der Umzäunung („Etter“) ihrer Güter die niedere Gerichtsbarkeit,9 Do­ nauwörth auch in der ganzen Hofmark Heissesheim. Waren die Güter ihren Herren Steuer- und vogtbar, so bezog die Pflege nur 1 s. o. S. 241, A. 8 und S. 246, A. 3. An die alte Abhängigkeit der Vogtei von der Stadt erinnert insbesonders die Verpflichtung, bei Anlage von außerordentlichen Reichssteuern in der Vogtei einen städtischen Beamten beizuziehen. 2 In den Jahren 1594 und 96 wurden die Königsmühle und die Nordheimer Mühle als leibfällige Güter (= auf Lebenszeit des Inhabers) vergeben und trugen seitdem weniger ein (Neub. Lit. 1104, 115 und 126). 3 Darüber s. u. S. 279 ff. 4 1581 u. 1590 (RA. */2, 1581. IV. 8, 1590. X. I). Die Stadt hatte Hintersassen in Heissesheim (s. u. S. 276), Auchsesheim und Riedlingen. Sie versprach die Zahl des Gesindes und der Söldner nur mit Zustimmung des Pflegers zu vermehren und jedesmal zwei vermögliche Bürger als Bürgen dafür zu stellen, daß sie der vogteilichen Armenfürsorge nicht zur Last fallen würden. 5 1583. VIII. 21 (Neub. Lit. 1102, 1180 f.). Es hatte besonders in Heissesheim Hintersassen. 6 1578. II. 19 (Neub. Lit. 1102, 168). 7 1580. II. 27 (Neub. Lit. 1102, 174 f.). Das Straßengericht in Lauterbach wird hier ausdrücklich der Pflege zugeschrieben. Vergl. o. S. 219, A. 2). 8 1568. IV. 19 (FA. 201, 4). Die eine, Magdalena, war Witwe des Gabriel Neidhard, die andere, Maria, Ehefrau des David Weiß. Es handelte sich nur um 1 Hof und 5 Sölden zu Asbach. Dieser Vertrag war für den Fugger besonders günstig. 9 Auf den Stebenhaber sehen Gütern jedoch der reichspflegliche und grundherr­ liche Vogt zusammen.

248 soviele Abgaben daraus wie von den Eigengütern dieser Herren; waren sie ihnen jedoch nur steuerbar, so erhielt die Pflege die Vogtei­ abgaben.1 Inventur und Vormundschaftsbestellung, sowie Prüfung von Maß und Gewicht („Mertinger“ = Augsburger Maß)2 konnte die Pflege überall vornehmen. Das kleine Waidwerk stand den ge­ nannten Grundherren in der ganzen Pflege frei.3 Trotz der langen Herrschaft des Marcus Fugger über die Pflege wurde dort, mit Ausnahme des fortschreitenden Allodienkaufes und der 1566 vereinbarten Regelung, infolge der vertraglichen Bin­ dungen von 1536 und 66 nichts geändert. Er starb am 8. Juni 1597. Im Jahre 1592 hatte er testamentarisch bestimmt, daß die liegenden Güter nach seinem Tode 25 Jahre lang ungeteilt bleiben sollten. Doch schon am 9. Juli 1601 nahmen die Söhne eine Teilung vor, wobei die Reichspflege Donauwörth samt Allodien, die Herrschaft Nordendorf und andere Güter an den Ältesten Georg Fugger (1597—1621)4 allein übergingen, im Gesamtanschlag von 227 649 Gulden und einer Jahresrente von 6721 Gulden. Er führte den Titel Herr auf Norden­ dorf. Im Jahre 1583 hatte er sich in Trient mit einer Freiin von Madruzz verheiratet,5 war 1593 aus „etlichen Ursachen“ von Augs­ burg nach Trient übergesiedelt und kehrte nach dem Tode seines Bruders Philipp 1601 auf einige Jahre in die Heimat zurück, wobei er auch in dem fürstlich eingerichteten Pfleghaus in Donauwörth Wohnung nahm. Gleichzeitig setzte er eifrig den Ankauf von lie­ genden Gütern in Südtirol bis zum Gardasee fort,6 während er 1 Bei den deutschherrlichen Gütern nicht eigens erwähnt, aber anscheinend ebenso gehandhabt. Die Stebenhaberschen Güter wurden auch bei außerordentl. Reichssteuern veranlagt. 2 s. o. S. 237 mit A. 3. 3 Den Donauwörther Bürgern stand es allgemein zu (s. o. S. 246, A. 3). In den Verträgen mit den beiden Äbten und den Stebenhaberschen Schwestern ist davon nicht die Rede; vielleicht übten erstere das Waidwerk überhaupt nicht. 4 Über ihn besonders: FA. 254, 11; 20, 6; 34, 4—7; 1,2,58; 150, 4; 242, 3. Diese Quellen sind im Nachfolgenden nicht immer eigens angegeben. — Für ihn ist auch der Beiname „der Ältere“ bezeugt (RA. 27 V 31), wohl zum Unterschied von seinem jüngeren Vetter, Graf Georg Fugger von Babenhausen, gestorben 1643. 5 Seine Frau Helene war eine Tochter des Südtiroler Freiherrn Fortunat von Madruzz und der Gräfin Margarete von Hohenembs, einer Nichte des Papstes Pius IV. 6 ln Trient kaufte er 1596—1607 Grundstücke und Häuser um 40000 Gulden und 8100 Scudi und erbaute sich in der Via lunga einen Palast, der noch heute an

249 in der Reichspflege anscheinend alsbald eine stärkere Einhebung der Steuern betrieb.*1 Auch kam seit etwa 1600 kein Geld mehr nach Donauwörth zum Ankauf von Allodien.2 Hatte Marcus Fugger 1560 der Stadt Donauwörth nur eine sum­ marische Verschreibung ausstellen wollen und schließlich doch die übliche gegeben, so erhielt sie nach seinem Tode von Georg Fugger überhaupt keine.3 Ungestört konnte er dabei im Pfleghause wohnen; Stadt und Pflege lebten eben ziemlich unabhängig neben einander. Nur ein Einfluß der Stadt auf die Pflegsverwaltung war geblieben. Doch sollte es alsbald gelingen, auch diesen zu beseitigen. Da­ mals war in Donauwörth die Zeit, in der die Spannung zwischen Katholiken und Protestanten ihren Höhepunkt erreichte. Sie entlud sich in dem Kreuz- und Fahnengefecht vom 25. April 1606 gelegent­ lich einer Prozession nach Auchsesheim. Diese war geführt von dem energischen Prior Georg Beck von Hl. Kreuz und begleitet neben wenigen Katholiken von dem Reichspfleger Georg Fugger mit Ge­ mahlin.4 Infolge der dabei erlittenen Beschimpfung durch den Pöbel verließ Georg Fugger mit seiner Familie die Stadt; er siedelte im Jahre 1608 wieder nach Trient über.5 Die Verhängung der Reichsacht über die Stadt im Jah­ re 1607 benützte er zu einer öffentlichen Erklärung, daß die Stadt mit der Aberkennung ihrer Privilegien auch ihre alten Rechte in der Pflege verloren habe.6 Die Reichspflege sei jetzt eine von der Stadt völlig unabhängige Herrschaft, deren Hoheitsrechte der Pfleger ohne jede Einmischung ungehindert ausüben könne. Der Fugger erstrebte eine uneingeschränkte Landeshoheit für seine Reichspfaudherrschaft. den Torflügeln die Fugger’schen Lilien trägt. Das Volk gab ihm alsbald den Na­ men Palazzo di diavolo, weil er angeblich vom Teufel in einer Nacht erbaut wurde; diese Meinung entstand wohl, weil der Bau anscheinend schnell vor sich ging und weil der Besitzer dort alchimistische Studien betrieb (Vgl. u. S. 254). Auch er­ warb er die Villa Bogliaco bei Gargnano am Gardasee und im Jahre 1606 vom Grafen Anton Trautson die zwischen Bozen und Trient gelegene Pfandherrschaft Enn (bei Montan) und Kaldiff (heute Ruine, östlich von Neumarkt). 1 s. u. S. 251 f. und 253 mit A. 1. 2 Vgl. u. S. 279. 3 Infolge des gespannten Verhältnisses zu dem protestantischen Stadtrat (RA. 27 IV 118). 4 Steichele III 733 ff. 5 RA. 27 IV 106—115, 118 f.; vgl. u. S. 254. 6 RA. 27 IV 106—115, 118f.

250 Tatsächlich gelang es ihm, dieser Anschauung dauernde Geltung zu verschaffen und für die Zukunft jeden Einfluß der Stadt auf die PflegsVerwaltung zu beseitigen. Nach Aufhebung der Reichsacht verweigerte er auch dem neuen Stadtrat den Revers. Herzog Maxi­ milian von Bayern war ihm als einem katholischen Parteigänger günstig gesinnt, wollte ihn auch aus anderen Gründen12 bei guter Laune erhalten und drängte daher nicht. So behielt der Fugger recht. Die Pflegvögte verweigerten bis 1620 die übliche Eidesleistung,3 Wenn sie es nachher wieder taten,4 5so vermochte das die Ent­ wicklung nicht zu hindern.6 Verwaltung und Gerichtsbarkeit bestan­ den in der hergebrachten Weise fort, da die Pflegsverwaltung an ihrer Änderung kein Interesse hatte. Seit etwa 1603 erscheint der bisherige Donauwörther Untervogt als Vogt zu Riedlingen;6 er hat damit seinen Sitz in den Hauptort seines Bezirkes verlegt. Gleich­ zeitig wurden wohl auch die Niedergerichtssitzungen aus dem Pfleg­ haus dorthin verlegt.7 Eine große Neuerung bestand jedoch seit 1607 därin, daß mit dem Revers das wichtige Einlösungs- und Heimfallsrecht wegfiel. Hätte doch trotz des gesteigerten Wertes der Pflege und trotz des gesun­ kenen Geldwertes immer noch die alte Pfandsumme von 6600 Gul­ den gegolten.8 Besonders aber waren jetzt alle Fesseln beseitigt, welche die Ho­ heitsrechte der Fugger, insbesondere in der Steuererhebung9 ein­ schränkten. Ein Einspruch des Reiches war nicht zu erwarten und erfolgte auch niemals.10 So konnten die Fugger beginnen, in dieser 1 RA. 2 7 V 77 ff. — Donauwörth wurde 1609 dem Herzogtum Bayern einverleibt. 2 s. u. S. 253. 3 RA. 27 V 77ff.; ebd. IV 120. 4 RA. 27 IV 179. 5 Sie sollten aber nur mehr „für Dinge außerhalb der Herrschaft (= Pflegsver­ waltung) der Stadt treu und nützlich sein“, da die Einhaltung des anderen Teiles des Schwures „keine Neuerungen einzuführen“ seitens der Fugger’schen Pflegs­ verwaltung seit 1607 offen zurückgewiesen wurde (RA. 1/2 1536. VIII. 26). 6 Traber 348. Im Jahre 1602 wird er noch Untervogt genannt (FA. 19, 1, 7). Seine Versetzung nach Riedlingen erkennt man an den gleichbleibenden Gehalts­ sätzen (FA. 19, 1, 7; Neub. Akt. 1274). 7 Wenigstens wird im Jahre 1641 wieder das Gericht „zu Riedlingen“ genannt (FA. 19, 1, 6, fol. 32). 8 RA. 27 IV 266; vgl. o. S. 241, A. 10. 9 s. o. S. 244. 10 s. u. S. 265, A. 5.

251 Reichspfandschaft Hoheitsrechte auszubilden, wie es die Landes­ herren längst taten. Man kann daher von jetzt ab praktisch von einer Territorialität der Fugger sprechen, wenn auch die äußere Form einer Reichspfandherrschaft gewahrt blieb. In erster Linie wurde die wirtschaftliche Herrschaft der Stadt über die Pflege beseitigt. Es war ihr im Laufe des 15. Jahrhunderts ge­ lungen, eine Art Gewerbemonopol in der Pflege aufzurichten, das sie auch gegenüber den ersten Fuggern wahrte.1 Seit dem Jahre 1607 aber ging die Pflegsverwaltung daran, in der Pflege Gewerbetrei­ bende anzusiedeln. Schmiede, Bäcker, Sattler ließen sich nieder.2 Vor 1624 kam es zur Errichtung eines Bräuhauses in Nordheim,3 weitere folgten. Die Bauern besuchten nicht mehr die Donauwörther Getreideschranne, sondern verhandelten ihr Getreide bei den Mühlen in der Pflege, besonders zu Asbach.4 Im Jahre 1628 war die Entwicklung bereits soweit gediehen, daß sich die Stadt über diese Neuerungen bitter beklagte. Sie konnte aber nichts mehr daran ändern.5 Mit Energie arbeitete jetzt die Pflegsverwaltung auch daran, den Steuerertrag der Pflege zu erhöhen. Hier galt es, jahrhundertelange Hemmungen aufzuheben und alte Versäumnisse nachzuholen. Im Jahre 1558 gingen an reinen Geldeinnahmen, ähnlich wie im Jahre 1453 294 Gulden ein,6 im Jahre 1593: 383 Gulden.7 Die reinen Geldein­ nahmen des Jahres 1602 stiegen bereits auf 703 Gulden,8 jene aus 1 Es gelang den Fuggern nur, 1559 eine Badestube zu Riedlingen und vor 1602 eine solche zu Mertingen unter Protest der Stadt zu errichten (RA. 27 I 485 ; Neub. Lit. 1104). Sonst konnten sie nur durch Allodienkauf etwas erreichen; sie kauften nämlich die Schwadermühle und Königsmühle in den Jahren 1540 und 44 (Neub. Lit. 1104, 115, 117 ; FA. 19, 1,1, fol. 155 und 160). 2 FA. 19, 1, 5. 3 FA. 19, 1, 6. 4 RA. 16 V 105 f. 5 Nikolaus Fugger erklärte 1624 der Stadt, daß er kraft Hoheitsrechtes Gewerbe­ rechte verleihen könne (FA. 19, 1, 6). Vor 1607 begegnen uns keine solchen Er­ klärungen. 6Salbuch: FA. 19, 1, 7. E)ie Geldeinnahmen umfassen: a) regelmäßige Ein­ nahmen, nämlich besetzte Pfenniggült und Küchengefälle, b) unregelmäßige Ein­ nahmen, nämlich Handlohn, Auf- und Abfahrten, Gerichtsfälle (s. o. S. 231 u. 244 f. u. S. 247, A. 2). 7 Salbuch: FA. 19, 1, 7. 8 Salbuch: FA. 19, 1, 7.

252 der Zeit von 1619—27 auf jährlich über 1000 Gulden.1 Dabei ist zu betonen, daß die darin enthaltene „besetzte Pfenniggült“ auf dem alten Stande von 260 Gulden blieb; es wurden daher nur die un­ regelmäßigen, jüngeren Einnahmen, besonders der Handlohn, „ge­ meine Einnahmen“ und Gerichtsgefälle gesteigert.2 Die Getreide­ gülten blieben in der alten Höhe bestehen.3 Die Gesamteinnahmen aus der Pflege, Geld und Getreide zusam­ mengerechnet, betrugen im Jahre 1593: 2406 Gulden (darunter mög­ licherweise noch Getreide aus dem Vorjahre), im Jahre 1602:1886 Gul­ den, in derZeit von 1619—27 aus Pflege und Allodien zusammen durchschnittlich 4833 Gulden, wovon auf die Pflege etwa 2000 Gulden treffen, auf die Allodien samt dem Zehent zu Asbach und Hamlar 2800 Gulden.4 Der Unterschied zwischen Pflege und Allodien wurde bereits so gering geachtet, daß von 1619—27 beide teils nebenein­ ander, teils unterschiedslos verrechnet wurden. Endlich ging man daran, nicht nur die alten Abgaben zu erhöhen, sondern auf Grund der seit 1607 uneingeschränkten Landeshoheit eine neue „Steuer“ einzuführen. Die Stadt protestierte 1624 erfolg­ los dagegen.5 Es läßt sich nicht sagen, welche Art von Steuer da­ mals beabsichtigt war. Gleichzeitig erscheint seit diesem Jahre das erstemal eine „Nachsteuer“,6 welche bei Auswanderung von Pflegs­ insassen, sowie bei Umsatz von Grundstücken erhoben wurde.7 Sie betrug 1624 noch 136 Gulden, 1627 bereits 672 Gulden. Da gleich­ zeitig seit dem Jahre 1624 die „gemeinen Einnahmen“ verschwin1 Eine Übersichtstabelle: FA. 19, 1, 3, fol. 39ff. Die alten Steuern sind noch getrennt verbucht: die Gerichtsgefälle aber und die neu eingeführte „Nachsteuer“ sind unterschiedslos für Pflege und Allodien zusammengerechnet. 2 s. o. S. 245 mit A. 1. 3 Seit 1593: Korn (= Weizen)9 Scheffel; Roggen 90 Scheffel; Haber 55 Scheffel 7 Malter 2 Viertel (s. die drei vorausgehenden Anmerkungen; vergl. o. S. 245 A. 1). — Die Änderung in den Getreidegülten zeigt, daß der Anbau des Roggens im 14. und 15. Jahrhundert den Weizen fast restlos verdrängte. Vgl. die Salbücher von ca. 1280 und 1291—94 (s. o. S. 197ff.), 1413—16 (S. 221 mit A. 6 und S. 222), 1453 (S. 231), 1558 (S. 245, A. 1) und 1593. 4 s. o. S. 251, A. 7 und 8, und o. A. 1. 5 Nikolaus Fugger erklärte auf den städt. Protest ganz offen, daß er eine neue Steuer wirklich einführen wolle un4 sich dazu berechtigt halte, nachdem sich die Verhältnisse (seit 1607) geändert und die alten Verträge auch von seiten der Stadt nicht mehr eingehalten würden (FA. 19, 1, 5, fol. 9—12). 6 Dazu s. o. A. 1. 7 FA. 19, 1, 7.

253 den, ging die Nachsteuer vermutlich aus diesen hervor. Seit dem Jahre 1602 erscheinen bei den Allodien neu die „Beisitzgelder“,1 eine Art Handlohn, welche nunmehr in der ganzen Pflege eingeführt wurden. Eine dritte neue Steuer ergab sich aus der Gewerbepolitik der Pflegsverwaltung. Im Salbuch von 16322 gibt die neue Brauerei von Nordheim ein „Zapfengeld“ von 30 Gulden. Damit beginnt end­ gültig die Entwicklung der verschiedenen, später so ertragreichen Gewerbesteuern, auch ,,Ungeld“ genannt.3 Es liegt auf der Hand, daß mit dieser Entwicklung der Wert der Pflege wuchs und die Aufmerksamkeit manches Liebhabers erwecken konnte. Da war es besonders Herzog Maximilian von Bayern, der seit 1607 Donauwörth besetzt hielt und über Oberndorf4 und die Reichspflege die territoriale Verbindung zwischen seinem Herzog­ tum und der neugewonnenen Stadt herstellen 5 und zugleich die katholische Konfession in der Stadt und in Kaisheim decken wollte. Im Jahre 1609 ließ er sich ausführlich über die Rentabilität der Pflege berichten.6 Aber die liegenden Güter der Fugger waren nach Hausgesetz unveräußerlich.7 Dies mag der Hauptgrund gewesen sein, warum damals Bayern sein Ziel nicht erreichte, obwohl es seine Bemühungen bis 1644 fortsetzte.8 1 Von Witwen zu zahlen, welche nach dem Tode des Mannes das Anwesen weiter führten oder es dem Sohne übergaben, also eine Art Handlohn oder Aufund Abfahrt (FA. 19, 1, 7, fol. 38 ff.). Später wurde es in der Pflege und in den Allodien zu einem Beisitz- oder Schutzgeld für */2 Sölden, während ganze Sölden oder Höfe davon freiblieben (D. Vormb. 31). — Vgl. S. 245, A. 1. 2 Neub. Akt. 1274. Vgl. o. S. 251, A. 3. 3 Zum „Ungeld“ vgl. S. 199, A. 10; S. 231 mit A.3; S. 229 mit A. 4; S.260 mit A. 4. 4 Oberndorf und Egelstetten waren damals im Besitze eines Bruders des (Grafen) Georg Fugger von Nordendorf, des Grafen Anton, welcher Oberstallmeister des bayerischen Herzogs war (Stammtafel; RA. 16 V 289ff.). Über die Führung des Grafentitels s. u. S. 262. 5 Auch das isolierte bayer. Wemding wäre durch solchen Landerwerb besser gedeckt worden (ebd. RA.). 6 Der bayer. Stadtkommandant Konrad v. Bemelberg fragte in froher Plauder­ stunde dem Fugger’schen Pflegvogt darüber aus ; dieser schätzte Pflege und Allo­ dien zusammen auf 180 000 Gulden (RA. 16 V 301 ff.). 7 s. o. S. 245, A. 6. Die Söhne Anton Fuggers dehnten das Fideikommiß im Jahre 1575 auch auf alle noch zu erwerbenden Güter aus.! 8 RA. 16 V 289—292; im Jahre 1638 gab Kaiser Ferdinand III. sogar die Zusage, er wolle die Pflege einlösen (vergl. o. S. 242 A. 1) und an Bayern überlassen (Kreittmayr § 109, S. 199 ff.). 1641 bestärkte der Pflegvogt seinen Herrn, die Pflege nicht zu verkaufen mit dem Hinweis auf den kommenden Frieden (FA. 19, 1, 6, fol. 34). 1644 wurde ein letztes bayerisches Angebot von 100000 Gulden abgelehnt (ebd. 102).

254 Die Reichspflege war in guter Entwicklung, aber weniger gut stand es um den Pflegsinhaber und seine Familie. Georg Fugger war 1601 wohl nur ungern in die Heimat zurückgekehrt und be­ gann sich dort alsbald ganz loszulösen. 1604 trat er wegen Diffe­ renzen gegen eine Abfindung von 194750 Gulden aus dem Fugger’schen Handelsgeschäft aus, von dem er bisher eine jährliche Rente von 15000 Gulden bezogen hatte. 1607 kam ohnehin für das Geschäft die große Katastrophe. 1608 übersiedelte er endgültig nach Süd­ tirol und übernahm als Ehrenamt den schwierigen Posten eines kaiserlichen Gesandten bei der Republik Venedig.1 Sein beweg­ liches Vermögen nahm er mit sich, um die schwäbischen Besitzungen kümmerte er sich nicht mehr unmittelbar. Seine Verhältnisse verschlechterten sich jedoch alsbald. Aus der alten Heimat bezog er noch Renten und alchimistische Instrumente, in der neuen kam er in Geldnot. Dort verklagte ihn sein Schwieger­ sohn Franz Caretto, Marchese von Grana und Millesimo, kaiser­ licher Oberst und Kämmerer, beim fürstbischöflichen Gericht in Trient wegen Nichtausbezahlung des zugesagten Heiratsgutes der Tochter. Ja dieser legte sogar Hand auf die Einkünfte in der Mark­ grafschaft Burgau und Reichspflege Donauwörth.2 Als die Fugger’schen Agnaten den Verlust von Gütern befürch­ teten, bestellte auf ihr Ersuchen Kaiser Ferdinand II. im Jahre 1621 den Sohn Nikolaus zum Verwalter der väterlichen Güter, der am 26. Oktober 1622 in Donauwörth dem drängenden Schwager eine Abfindung von 26 500 Reichstalern zusagte und nach einigen Tagen in Augsburg auszahlen ließ. So erscheint Nikolaus Fjugger (1621—76) als tatsächlicher Herr auf Nordendorf und Inhaber der Reichs­ pflege Donauwörth, wenn auch sein Vater erst am 16. Januar 1634 in Riva am Gardasee starb. Der Wechsel in der Reichspflege ging anstandslos vor sich; wir erfahren nichts von Verschreibung oder Revers. Nikolaus wurde auch bald Herr auf Oberndorf. Er war der zweite Sohn; der älteste war Kapuziner geworden. Seinen Sitz hatte er in Nordendorf. War auch die Fugger’sche Finanzmacht bereits zusammengebrochen, so lebte er doch noch auf 1 s. o. S. 248, A. 4; auch RA. 2 7 V 77 ff.; 16 V 304. 2 Am 31. XI. 1621 eröffnete ihm Erzherzog Leopold sechs Dörfer des Georg Fugger in der Markgrafschaft Burgau. Trotz des Protestes der Fugger wurde ihm auch die Reichspflege Donauwörth zugänglich gemacht.

255 großem Fuße. Er mußte deshalb schon vor dem Kriege Schulden machen.1 Die steigenden Einnahmen aus seinen Gütern konnten nicht verhindern, daß sein Leben eine ununterbrochene Kette von Geldverlegenheiten wurde. Dazu stand ihm die Not des dreißig­ jährigen Krieges bevor. Inzwischen war auf den kleinen Donauwörther Fahnenstreit von 1606/07 ein großes nationales Unglück gefolgt. Die religiöse Span­ nung in Deutschland entlud sich im ganzen Reiche und führte zu dem furchtbaren dreißigjährigen Krieg. Die Schwedennot mit all ihren Leiden suchte auch Stadt und Pflege Donauwörth heim. Dies war vom 7. April 1632 bis 16. August 1634, vom 4. September 1646 bis 1. Mai 1647 und von etwa 17. Mai 1648 bis 10. Oktober 1649 der Fall.2 Im Jahre 1632 sammelte Gustav Adolf seine Truppen bei Donauwörth zum Angriff auf Bayern. Im April erfolgte der Auf­ marsch des Heeres bei Nordheim zum Lechübergang bei Rain. Die beiden Salbücher von 1632—34 geben uns ein ergreifendes Bild von der Ausbeutung der Gegend.3 Im ersten Jahre gingen von den regel­ mäßigen Steuern (besetzte Nutzung) noch ein Drittel, 108 Gulden 22 Kreuzer 1 Heller, im zweiten Jahre nur 16 Gulden ein. An unregelmäßigen Einnahmen (unbesetzte Nutzung) kam überhaupt nichts in die Kasse; an Getreidegülten nur im ersten Jahre noch Kleinigkeiten. Der Pflegvogt hätte auch gar kein Interesse daran gehabt, die Abgaben einzutreiben und dem Feinde den Hasen in die Küche zu jagen. Der Vogt wurde auch persönlich mit Kontri­ butionen gequält4 und beinahe aus seiner Wohnung5 und Stelle verdrängt. Die Regierung des am 29. November 1632 verstorbenen Winter­ königs6 Friedrich V. von der Pfalz hatte nämlich für die besetzten Neuburgischen Gebiete einen Administrator in Höchstädt aufge1 So z. B. im Jahre 1624 (RA. 16 V 307). — Als er 1632 vor den Schweden floh, nahm er bei seinem Pflegvogt 4000 Gulden zu leihen (Neub. Akten 1274,8). 2 Traber, Vortrag. Die kurze Unterbrechung vom 1. V. 1647 bis etwa 17. V. 48 erfolgte durch den bayer.-französischen Waffenstillstand. 3 Neub. Akt. 1274. 4 Für das schwed. Regiment Wurmbrandt 750 Gulden, für die Quartierkosten des Winterkönigs 1739 Gulden (Neub. Akt. 1274; dort auch Weiteres). 5 Sein Quartiergast, Oberst Wurmbrandt, wollte ihn aus dem Hause jagen. Die wertvollen Möbel beanspruchte er zuerst nach Kriegsrecht für sich allein, überließ jedoch endlich einen Teil, besonders Wäsche, an die mittellose Winterkönigin (Neub. Akt. 1273). 6 Seine Regierung war damals in Nürnberg (Neub. Akt. 1273).

256 stellt, dem auch Kaisheim und die Reichspflege zugeteilt waren. Von 1634 an sollte in der letzteren ein protestantischer Pflegvogt aufgestellt werden. Da jedoch, wie im übrigen Administrations­ gebiet, auch in der Pflege1 nichts einging, so scheiterte die Ab­ sicht am Kostenpunkt. Der kaiserliche Sieg bei Nördlingen am 6. September 1634 brachte die Erlösung aus der ersten Schwedennot. Aber die Drangsale des Krieges dauerten fort. Raubte nicht der Feind im Lande, so saug­ ten es Einquartierungen der kaiserlichen Partei aus.2 In ruhigeren Jahren fehlte es nicht an Versuchen des Wiederaufbaues;3 aber vergebens war alle Mühe, solange der Krieg währte, der in seinen letzten Jahren noch fürchterliche Feindesnot mit sich brachte. Als er endlich zu Ende ging, war der Anblick des Ländchens ein trauriger.4 5Von 246x/2 Anwesen aus der Vorkriegszeit stand ein Sechstel (schätzungsweise 41).6 Einige Ortschaften waren völlig niedergebrannt,6 andere besaßen noch ein paar Häuser,7 die glück­ lichsten ein Drittel ihres alten Bestandes.8 War schon während des Krieges eine geordnete Verwaltung zeitweise unmöglich, so be­ gnügte man sich auch bis 1659 und 62 noch mit Aushilfen.9 Erst mit der Bestellung des Pflegvogtes Johann Werscher am 1. Oktober 166210 kam Ordnung und neues Leben in das Ganze. Er widmete sich mit voller Hingabe seinem Amte, wohnte im Pfleg­ hause zu Donauwörth und richtete dort auf Grund der Vorarbeiten seines Vorgängers wieder eine ausführliche Registratur über die Einzelrechte und -abgaben ein. Er führte mit geringen Mitteln, aber mit Geschick und Ausdauer den Wiederaufbau der Pflege 1 Vom Pflegvogt hatte man die letzten beiden Salbücher eingefordert (ebd.; s. o. S. 255, A. 3). 2 Belegt für 1639, 40, 44 (FA. 19, 1, 6, fol. 20; 19, 1,5, fol. 51 ; 19, 1, 6, fol. 104). 3 Im Frühjahr 1641 z. B. meldeten sich Käufer für die abgebrannten Anwesen in Nordheim, darunter einer für die abgebrannte Mühle (FA. 19, 1, 6, fol. 22 u. 38). 4 Am besten ersichtlich aus dem Salbuch von 1672 (RA. 7 b) und einer Zusam­ menstellung des bis dahin erfolgten Wiederaufbaues (FA. 19, 1, 3, fol. 47 ff.). 5 Von 471/2 Höfen standen noch 5 (bei schätzungsweiser Richtigstellung eines Schreibfehlers), von 23 Lehen 9, von 176 Sölden 27. 6 Heissesheim (RA. 36), Bäumenheim, Asbach, Dittelspoint, die Höfe Schellen­ berg, Galgenberg, Spindelhöfe, Walbach, Neuweiler (außerhalb des Pfleggebietes; RA. 2/ IV 245) und Hofstetten (ebs., ebd.). 7 Nordheim, Riedlingen und Tüngen. 8 Auchsesheim und Mertingen. 9 u. 10 s. u. S. 283 f.

257 nahezu durch, was um so höher einzuschätzen ist, als ihm sein Herr keine Geldmittel zur Verfügung stellen konnte.1 Daneben erzielte er gleich zu Anfang seiner Tätigkeit einen wei­ teren Erfolg, der allein schon der Pflege zum größten Nutzen ge­ reichte, nämlich eine durchgreifende Abrundung. Hatten die Fugger von jeher nach Beseitigung der fremden Grundherrschaften gestrebt, so gelang ihnen hier ein großer Schlag. Im Jahre 1664 vertauschte Nikolaus Fugger2 das nördlich der Donau gelegene Dorf Riedlingen samt mehreren reichspfleglichen und allodialen Gütern3 nördlich der Donau oder außerhalb des Pflegsgebietes gegen grundherrliche Güter des Klosters Kaisheim, welche sämtlich innerhalb des Pflegsgebietes südlich der Donau lagen. Die ver­ tauschten Fugger’schen Güter und Rechte trugen zusammen jähr­ lich nur 350 Gulden, die Kaisheimischen hingegen 530 Gulden. Das Kloster nahm diesen Nachteil in Kauf, weil es durch die Anglie­ derung von Riedlingen den Katholizismus in Wörnitzstein gegen­ über dem protestantischen Grafen von Öttingen besser schützen4 und auch die Steuern in Riedlingen leichter erhöhen konnte als der Reichspfleger, welcher die alten Versäumnisse seit 1607 immer noch nicht ganz eingeholt hatte.5 Von einem kaiserlichen Konsens wurde im Laufe der Verhandlungen wohl gesprochen; er wurde jedoch ebensowenig eingeholt wie bei dem Vertrage zwischen Marcus Fugger und der Stadt im Jahre 1566. Die „Reichspfandpflege“ wurde eben wie ein Hausgut der Fugger behandelt, genau so wie die Allodien, und gegen Güter und Besitzungen eines Territoriums 1 Nikolaus Fugger wartete vielmehr selbst sehnsüchtig auf die jeweiligen Ein­ nahmen (s. u. S. 261, A. 3). Zum Wiederaufbau wurde Geld geborgt von einer Reihe von Einzelpersonen und besonders vom Kloster Kaisheim (Salbücher 1659—1722; FA. 19, 1, 7, fol. 4—10; 19, 1, 8, fol. 1—4). — Die Klöster hatten dank ihrer besseren Finanzverwaltung bald wieder Kapital (Doeberl 2 II 10). 2 FA. 19, 1, 3; 201, 1,2; RA. 27 IV 243—245. 3 Reichspflegliche Güter waren Riedlingen, die zwei Spindelhöfe und der W^ördhof; allodiale waren Unterwalbach, Schellenberghof, Galgenhof, Hertlisweiler, Dittelspoint, Binsberg, Oppertshofen, Schaffhausen, 2 Höfe in Neuweiler und Hof­ stetten, sowie verschiedene Grundstücke. 4 FA. 19, 1, 3, fol. 51; RA. 27 V 238 ff.; ausführlich über die Entwicklung der dortigen Religionsverhältnisse: Steichele III 1103. 5 Die Riedlinger zahlten bis 1664 weniger Steuern als die Kaisheimischen Unter­ tanen, welche damals an die Pflege übergingen (RA. 27 V 224 u. 247). Reichsherr­ schaften besteuerten ihre Untertanen im allgemeinen nicht so stark wie Terri­ torialherrschaften. Vgl. auch S. 203 und S. 223 mit A. 1. 17

258 teilweise vertauscht. Darin zeigt sich wieder die selbständige Terri­ torialität, mit der die Fugger seit 1607 über ihre Reichspfandschaft walteten.1 Umsonst rührte sich eine Hüterin der alten Ordnung, die bayerische Stadt Donauwörth.2 Der Kurfürst von Bayern gab seinen anfänglichen Protest auf angesichts der offenkundigen Ver­ besserung der Pflege.3 Für Nikolaus Fugger bedeutete dieserTausch die Konzentrierung der Reichspflege auf dem südlichen Donauufer und ihren engeren territorialen Anschluß an seine Hausgüter Oberndorf und Norden­ dorf. Für die Reichspflege selbst brachte sie neben ihrer Verbesse­ rung die Vereinfachung und Verbilligung ihrer Verwaltung. Der Vogteibezirk Riedlingen wurde aufgehoben und sein Rest­ gebiet4 zum alten Bezirk Mertingen geschlagen. Statt der früheren Mehrzahl von Vögten und Untervögten gab es seit 1664 nur mehr einen Vogt und einen Untervogt in Mertingen, welche von jetzt an bessere Bezahlung erhielten. Im ganzen aber wurde an Gehältern etwas eingespart.5 In einem abgerundeten Staatsgebiete konnte man eben den Grundsatz durchführen: Wenige Beamte, aber gute Be­ zahlung. Auch in der Niedergerichtsbarkeit gab es jetzt nur mehr das Mertinger Niedergericht. Sein Vogt wurde bei erhöhter Arbeit jetzt mehr zum eigentlichen Beamten; infolge seiner richterlichen Tätigkeit ist für ihn seit 1674 auch der Name Gerichtsvogt be­ zeugt.6 Der Pflegvogt urteilte die ihm besonders vorbehaltenen Fälle der Niedergerichtsbarkeit nach wie vor im Pfleghause ab.7 1 Vergl. o. S. 250 f. 2 RA. 27 V 196—276. 3 Ebd., besonders 267 ff., 275; 27 IV 247. Selbst einige Donauwörther Hinter­ sassen in Riedlingen mußten sich dem Übergang an den neuen Landesherrn fügen. 4 Dieses erkennt man noch bis zum Ende der Reichspflege an den „Vogteigül­ ten“ gegenüber den „Kastengülten“ des Mertinger Bezirkes (s. o. S. 221). 5 Neub. Lit. 1105; FA. 19, 1, 7. Das Einkommen des Mertinger Vogtes wurde von 16 Gulden auf 40 Gulden, jenes des Untervogtes von 15 Gulden auf 16 Gulden erhöht. 6 FA. 19, 1, 7, fol. 10, 35. 7 Der Pflegvogt Johann Werscher wurde entsprechend dem Vertrage von 1566 wieder eigens dazu verpflichtet (RA. 27 V 178), nachdem nur für seinen Vorgänger, Narz. Klosterbauer, eine Ausnahme gemacht worden war, da er Obervogt des Klosters Holzen war und auf seinem Hofe dort saß, wo er für die Reichspflege Gericht halten durfte.

259 Blutgerichtsort aber und Galgen mußten nach hergebrachter Weise bei Mertingen sein.1 Der Wiederaufbau nach dem großen Krieg machte jetzt merk­ liche Fortschritte. Bis zum Jahre 1672 standen von den 2461/2 An­ wesen aus der Vorkriegszeit wieder 951/2,2 also mehr als ein Drittel. Die Pflegseinnahmen (ohne Allodien) betrugen vor dem ersten Schwedeneinbruch (1632) 2430 Gulden, im Jahre 1672 aus den grundherrlichen Abgaben 764 Gulden, also ein Drittel. Neben den bäuerlichen Anwesen richtete man noch schneller nach dem Kriege Mühlen und Brauereien wieder auf;3 das brachte nämlich Ge­ werbesteuern, Ungeld und Zapfengelder. Die Ansiedler kamen bis aus Österreich und Tirol. Durch Wiederaufbau und neue Steuern wurde eine Steigerung der Einnahmen erzielt. Unter denselben finden sich für die alten Abgaben vielfach neue Namen: „Bauding“4 für die besetzte Pfennig­ gült und „Wies- oder Grasgelder“5 für die Wiesgült; die „Nachziehlen“6 sind Fristenzahlungen für vorgestreckte Gelder;7 der Posten „Verkauftes Holz“ ist auf die allodialen Waldbesitzungen zurückzuführen. Das Salbuch von 16728 zeigt neben den Erfolgen des Wieder­ aufbaues eine energische Hand in der Steuererhebung, welche jeden­ falls jene des seit 1662 tätigen Pflegvogtes Johann Werscher war. Denn seit diesem Jahre wurden wieder einige Beträge eingezogen, welche längere Zeit gefehlt hatten; so die Auf- und Abfahrten, der Küh- und Kälberpfennig9 in Mertingen und Lauterbach, das Mertinger Forstgeld10 und das „Härpfergeld“.11 1 FA. 19, 1, 5, fol. 62. Die Fronfischerfamilie Härpfer wäre lieber der reichs­ pfleglichen als der städt. bzw. bayer. Gerichtshoheit unterstanden (FA. 19, 1, 6, fol. 53), konnte aber an den Verhältnissen (letzter Vertrag 1580: Stenger 158) nichts mehr ändern (s. u. S. 273). 2 RA. 7 b, 68. Die Sölden wurden etwas rascher aufgebaut, die Höfe langsamer. 3 FA. 19, 1, 3, fol. 47f. und 52; 19, 1, 7, fol. 74; RA. 7b, 68. 4 FA. 19, 1, 7; 19, 1,8. 1672 ist das von 1416 herstammende Wagengeld noch eigens genannt (RA. 7 a, 41 u. 58). 5 FA. 19, 1,7. 6 Ebd. 10 u. 26. 7 s. o. S. 257, A. 1. 8 Ebd. 19, 1, 3, fol. 53—56 ; RA. 7 a. 9 Inden vergangenen 4 Jahren war es dem Vogt von Mertingen überlassen worden. 10 1673 wieder bezahlt, nachdem es seit Menschengedenken nicht mehr ge­ schehen war (D. Ukdbch. II 122ff.; RA. 7a, 4). 11 Seit 1640 verweigert (FA. 19, 1, 5, fol. 35; Neub. Lit. 1105; RA. 7 a, 2). 17*

260 An ganz neuen Abgaben, welche die rasche Erholung des Steuer­ ertrages nach dem Kriege beschleunigten, erschienen seit 1660 „Steuergelder“,1 eine reine Geldsteuer, deren Anfänge möglicher­ weise auf das Jahr 1624 zurückreichen,2 die aber vor dem Kriege noch nicht eingezogen wurde; seit 1672 das „Bürgerrecht“,3 seit 1660 die „Zapfengelder“.4 Diese neuen Steuern sind der beste Be­ weis für die wachsende Landeshoheit, welche die Fugger seit 1607 übten. Vor dem Kriege waren sie nur in geringem Maße eingeführt worden, gewannen aber nach demselben schnell so große Bedeu­ tung, daß sie die alten, meist grundherrlichen Einnahmen bald weit übertrafen. Ohne jede Hinderung seitens der Stadt oder des Kaisers konnten die Pfleger ihre Steuerhoheit auch weiterhin entwickeln. Auf solche Weise wurden die Gesamteinnahmen aus der Pflege nach dem Krieg fortschreitend erhöht. Betrugen sie vor dem Kriege aus Pflege und Allodien zusammen 4833 Gulden,5 im Jahre 1660 erst 715 Gulden,6 so beliefen sie sich beim Tode von Nikolaus Fugger im Jahre 1676 bereits auf 2635 Gulden.7 Diesen Einnahmen standen aber auch finanzielle Verpflichtungen gegenüber, nämlich die außerordentlichen Reichssteuern.8 Als solche erschienen damals die „Türkenhilfen“.9 Nach 1607 ließen die Fugger bei Erhebung derselben keinen städtischen Beamten mehr mitwirken.10 — Als eine Reichssteuer wollten sie auch die seit dem 17. Jahrhundert aufkommenden Einquartierungen erklären und, im Bewußtsein ihrer wachsenden Landeshoheit, damit auch die fremden Grundholden belegen. Dies gelang ihnen bis zum Tode von Nikolaus Fugger (1676).11 Sein Nachfolger aber konnte bereits 1 FA. 19, 1, 7. 2 Ebd. 19, 1, 5. Vgl. o. S. 252. 3 Eine Abgabe für Aufnahme unter die Pflegsangehörigen (FA. 19, 1, 3, fol.56). 4 Das Ungeld (Verbrauchsabgabe) der Wirte, das später mit „Zapfengeld“ der Brauer zusammengerechnet wurde (FA. 19, 1, 7). Vgl. o. S. 253 mit A. 3. 5 s. o. S. 252. 6 Zusammengerechnet aus den Geldeinnahmen und Getreidegülten; für letztere ist der Preis angegeben (FA. 19, 1, 7)* 7 Ebd. 19, 1, 3, fol. 51—56. 8 s. o. S. 245. 9 RA. 16, 303; 27 IV 16 u. 215 ff.; 27 V 188. 10 s. o. S. 245 und 250 mit A. 9. 11 RA. 27 IV 154, Kaiserl. Verwarnungen oder bayer. Beschwerden kamen ge­ wöhnlich post festum (FA. 19, 1, 6, fol. 22 u. 104).

261 im Jahre 1677 die fremden Grundholden nicht mehr mit Quartier belegen.1 Es bekam jede Grundherrschaft ihr Kontingent an Quar­ tiergästen zur Verteilung an ihre Hintersassen selbst zugewiesen. Der Pflegsinhaber Nikolaus Fugger wohnte nach dem Kriege meist wieder in Nordendorf. Waren seine finanziellen Verhältnisse schon vor dem Kriege schwierig, so waren sie nach demselben zer­ rüttet. Zum Wiederaufbau der Pflege mußte er allerorts in kleinen Beträgen Geld zu leihen nehmen und dafür die neugeschaffenen Werte meistens verpfänden.2 Doch zahlten sich diese Schulden von selbst ab und die Pflege konnte sich unter einem tüchtigen Vogt aus eigenen Kräften erholen. Nikolaus wartete in Nordendorf sehn­ süchtig auf die geringen Überschüsse, welche die Pflegskasse ab­ warf, und ließ sie sich, besonders in der ersten Zeit nach dem Krieg, in kleinen und kleinsten Beträgen sofort nach dem Eingang zu­ schicken.3 Vor wie nach dem Krieg war er kein Finanzmann. Er erbte wiederholt, aber trotzdem wurden seine zerrütteten Verhältnisse nicht besser. Als er am 12. Mai 1676 im Alter von 80 Jahren starb, hinterließ er mit den Gütern eine Schuldenlast von 73279 Gulden.4 Er starb5 ohne männliche Nachkommen, so daß mit ihm die von Marcus Fugger begründete Linie Nordendorf erlosch. Seine Güter fielen je zur Hälfte an die beiden übrigen von Anton Fugger abstammenden Linien Kirchheim-Glött und BabenhausenWellenburg-Boos.6 Die Reichspflege Donauwörth, die Herrschaften Oberndorf, Nordendorf mit Ehingen sowie Duttenstein in Württem­ berg kamen an die erstere Linie und zwar an deren jüngsten Zweig Mickhausen, der von dem 1644 verstorbenen Generalfeldzeugmeister Graf Otto Heinrich begründet wurde. Dessen Söhne Bonaventura, Johann Otto, Sebastian und Paul teilten die genannten, ihnen zu­ gefallenen Güter unter sich.7 Die Reichspflege erhielt Bonaventura 1 RA. 27 IV 85, 139; 27 V 394ff.; FA. 19, 1, 5, fol. 8—20 u. 35 u. 47. Vom kaiserl. Hofrat wurden sogar Fälle aus dem Jahre 1641, deren Behandlung 1650 liegen gelassen wurde, i. J. 1679 wieder aufgenommen und zu Ungunsten des Fuggers entschieden. 2 s. o. S. 257, A. 1. 3 So wurden 1659/60: 405 Gulden in sieben Teilbeträgen an ihn abgeliefert (FA. 19, 1, 4, fol. 21). 4 FA. 22, 6; 1,2, 63—65. 5 Auf seinem Schloß Gablingen {RA. 27 IV 50). 6 FA. 201, 1, 1—5; s. o. S. 242 mit A.7. 7 RA. 27 IV 241 ; FA. 201, 1, 1—5.

262 als Familienältester, im übrigen sollte das Los entscheiden. Die Pflege wurde auf 77 225 Gulden geschätzt, wovon Bonaventura an seinen Bruder Otto, dem Oberndorf zufiel, 10422 Gulden hinaus­ zahlen mußte. So wurde Graf Bonaventura Fugger (1676 bis ca. 87) Reichspfleger. Da in seiner Hauptlinie Kirchheim-Glött im Jahre 1672 der erste Zweig Kirchheim ausgestorben war, nannte sich Bonaventura nach dem ihm ebenfalls zugefallenen Kirchheim Herr auf Kirchheim (jüngere Linie). Die Stadt Dönauwörth erhob gegen den Übergang der Reichs­ pflege an ihn keine Erinnerung. Es war ihr nur um die Erlangung einer Verschreibung zu tun. Graf Bonaventura verweigerte sie aber genau so wie seine Vorfahren in der Pflege. Er wies dabei auf die Reichsacht von 1607 und die sachliche Unmöglichkeit hin, die alte Verschreibung von 1427 bis 1531 auszustellen, wonach er die Stadt „schützen und schirmen“ sollte.1 Er selbst war bayerischer Hof­ beamter2 und konnte die kurfürstliche Regierung beschwichtigen durch den Hinweis auf die großen Geldleistungen des Marcus Fugger für die katholische Sache.3 Mit Graf Bonaventura Fugger trat eine wesentliche Änderung in der sozialen Stellung des Pflegsinhabers ein. Er stand in höfi­ schen Diensten; lebte er zwar nicht mehr als freier Herr, so führte er andrerseits den Grafentitel. Als die Fugger im 16. Jahrhundert in den Grafenstand erhoben wurden, erhielten sie das besondere Recht ihren neuen Titel zu führen oder nicht.4 5Sie unterließen es gewöhnlich, solange sie im Geschäftsleben standen oder als freie Herren auf ihren Gütern lebten, wie z. B. die bisherigen Inhaber der Reichspflege. Sie machten aber davon Gebrauch, seit sie in höfische Dienste traten.6 Schließlich taten es auch jene, welche auf ihren Gütern verblieben. Graf Bonaventura konnte von Bayern aus die Reichspflege Do­ nauwörth nicht unmittelbar verwalten, sondern bezog nur die Renten. Er ließ die übernommene Verwaltung unter dem tüchtigen Pfleg1 RA. 27 IV 103, 267; FA. 19, 1, 5, fol. 71. 2 Er ist 1680 als Obersthofmeister des kurfürstlichen Vormundes in Bayern^ des Herzogs Maximilian bezeugt und wurde nachher bayer. Pfleger in Landsberg (FA. 19, 1,5, fol. 20 ff.). 3 RA. 27 IV 148, 276; 27 V 334; FA. 19, 1, 5, fol. 75. 4 s. o. S. 240, A. 5. 5 Vgl. auch S. 253, A. 4 und S. 265, A. 5.

263 vogt Werscher unverändert bestehen. Doch hatte er die Pflege nur etwa 10 Jahre inne. Wollte oder mußte ein Fugger Hausgut ab­ geben, so konnte er es nach der Fideikommißordnung von 1548 nur seinen Verwandten in absteigender Linie zu einem angemessenen Preise anbieten.1 So geschah es auch hier. Am 2. November 1682 verkaufte Graf Bonaventura an die Witwe seines verstorbenen Bruders Sebastian, dem aus dem Erbe von 1676 die Herrschaft Nordendorf (jüngere Linie) zugefallen war, den Bi­ schöflich Augsburgischen Kirchenzehent zu Asbach und Hamlar, der seit 1580 mit der Reichspflege verbunden war.2 Bald darauf, zwi­ schen 1684 3 und 87, muß er ihr auch die Reichspflege Donauwörth überlassen haben. Denn im Jahre 1687 erscheint ihr ältester Sohn Graf Marquard Eustach Fugger (ca. 1687—1723) von Nordendorf (jüngerer Linie) als Reichspfleger.4 Die Stadt Donauwörth erhob dagegen keinen Einspruch, hätte indes gerne eine Verschreibung des neuen Pflegers gehabt; doch stellte er ihr keine solche aus.5 Die Pflegvögte aber leisteten bei Amtsan­ tritt der Stadt ihren herkömmlichen Eid.6 Während des Spani­ schen Erbfolgekrieges wurde Donauwörth vorübergehend wieder freie Reichsstadt, was aber ohne weitere Wirkung für Stadt und Pflege blieb. Die beiden Grafen Bonaventura und Marquard Eustach wandten ihrer Pflege nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit zu wie ihre Vor­ fahren. Äußerlich ging die Verwaltung der Pflege in der gewohnten Weise weiter, auch als um 1687 der bewährte Pflegvogt Werscher durch Johann Abraham Jehle abgelöst wurde. Innerlich aber setzte unter Graf Marquard Eustach ein schneller Niedergang der Fugger’schen Herrschaft in der Reichspflege ein, der schließlich zu ihrem Verkaufe führte. In der Organisation von Verwaltung und Justiz brauchte seit der umfassenden Neuordnung von 1664 nichts geändert zu werden. Die Hauptaufgabe der Verwaltung bildete auch weiterhin die Sorge 1 Deininger, Kapitel über Fideikommißbildung und Teilung 1548 ; vgl. o. S. 242. 2 FA. 201, 4; s. u. S. 281. 3 Damals noch Pfleger (RA. 27 V 330ff.). Er starb erst 1693 (Stammtafel; FA. 19, 1, 4). 4 RA. 27 IV 417, 429. 5 RA. 27 IV 429 ff., 262—271. Der Fugger forderte die Stadt auf, sich ruhig beim Kaiser zu beschweren. 6 Donauwörth, Urkbch. II 132.

264 für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Ausbildung der Steuerhoheit. Freilich störten häufige Einquartierungen in den Kriegen gegen Ludwig XIV., besonders im Spanischen Erbfolge­ krieg immer wieder das friedliche Gedeihen.1 Besondere Aufmerk­ samkeit wandte man der weiteren Entwicklung eines eigenen Ge­ werbes zu, um die Pflege im Sinne des Merkantilismus möglichst selbständig und ertragreich zu machen. Neben Mühlen und Brau­ ereien förderte man besonders Metzgereien, Tabak- und Salzläden.2 Die Gewerbe der Bierbrauer, Bäcker, Metzger, Bader und Wund­ ärzte bürgerten sich so fest ein, daß ihnen Graf Marquard Eustach nach dem Vorbild der Zunftverfassungen in anderen Gebieten in den Jahren 1708 und 15 gesetzliche „Handwerksordnungen“ ver­ leihen konnte.3 Für die Mühlen ist uns eine solche Ordnung erst aus dem Jahre 1763 bezeugt.4 Durch sie wurden die Interessen der einzelnen Familien in ihren Dörfern und der ganzen Zunft in der Pflege gesichert. Die Zünfte gaben dafür eine kleine korporative Steuer, die „Handwerksgelder“.5 Der Wiederaufbau der bäuerlichen Anwesen nach dem dreißig­ jährigen Krieg war indes um das Jahr 1700 immer noch nicht ganz vollendet, die Zahl der alten Feuerstätten vor dem Kriege war noch nicht erreicht. So verheerend war die Wirkung des großen Krieges gewesen! Die alten regelmäßigen Einnahmen, Pfenniggülten und Getreidegülten, hatten jedoch unter einem gelinden Druck der Pflegsverwaltung ihren alten Stand bereits erreicht oder überschrit­ ten.6 Die Gesamteinnahme der Pflege war sogar ganz bedeutend über den Stand vor dem Kriege hinausgewachsen. Denn auf Grund ihrer seit 1607 unbeschränkten Landeshoheit hatten die Fugger ihre Pflege wirtschaftlich heben und eine ganze Reihe neuer Steuern ein1 RA. 27 IV 388 ; 27 V 316 ff., 394—409 ; kurbayer. und französ. Einquartierung vor der Schlacht am Schellenberge (1704), welche einen vom Pflegvogt auf 122000 Gulden angeschlagenen Schaden in der Pflege anrichtete (FA. 19, 1, 6, fol. 42—100; Datierung ergibt sich aus den Namen der dabei genannten Generäle). 2 Salbuch von 1722 (FA. 19, 1, 8). 3 Den Badern und Wundärzten im Jahre 1715; sie bildeten zusammen eine Zunft (Neub. Akt. 1371, a, b, c). 4 Donauwörth, Vormbuch 12 ff. 5 Zusammen 12 Gulden 30 Kreuzer (FA. 19, 1, 8). 6 Pfenniggülten vor dem Kriege etwa 300 Gulden (s. o. S. 252 A. 1); im Jahre 1722: 640 Gulden, Getreide etwa 400 Schaff, davon an Weizen vor dem Krieg 49 (jetzt 14), Roggen 177 (183), Gerste 2 (2), Haber 180(178 und 35 Schaff 5 Malter Jagd­ haber) (RA. 7 b 69; FFA 19, 1, 8).

265 führen können. So kam es, daß trotz des verheerenden großen Krie­ ges eine Verdoppelung der alten Pflegseinnahmen erzielt wurde. Betrugen diese um 1607 durchschnittlich 1500 Gulden (ohne Getreide, das jährlich um etwa 500 Gulden verkauft wurde),1 so erreichten sie im Jahre 1722 die Summe von 4084 Gulden (ohne Getreide).2 Von den neuen Steuern 3 sollen hier nur die wichtigsten genannt werden. So betrug die „Nachsteuer“4 im Jahre 1660:19 Gulden, 1676 5 Gulden, 1693: 57 Gulden, 1722: 208 Gulden; das Ungeld („Zap­ fengelder“), unter dem schließlich sämtliche Gewerbesteuern zu­ sammengefaßt wurden,5 im Jahre 1660: 16 Gulden, 1677: 365 Gul­ den, 1722: 356 Gulden (dazu noch 12 Gulden 30 Kreuzer „Hand­ werksgelder“); die bedeutendste Steuer aber, die „Steuergelder“,6 im Jahre 1660: 184 Gulden, 1676: 470 Gulden, 1722 sogar 1597 Gulden. Im Jahre 1722 erscheinen nochmals neue Steuern: die „Dienstgelder“ mit 358 Gulden, welche an Stelle der Frondienste eingeführt wurden,7 die „Schutzgelder“ mit 68 Gulden, welche von den Beisitzern der Pflege, also den Nichtbürgern, erhoben wurden;8 endlich eine neue Naturalabgabe, der „Jagdhaber“ mit 35 Schaff 5 Malter statt der Dienste bei herrschaftlichen Jagden.9 Mit der Ausgestaltung der modernen Steuererhebung war denn auch der Schlußstein in der Entwicklung der Pflege unter den Fug­ gern gesetzt. Sie war nicht mehr eine durch strenge Vorschriften eingeengte Reichspfandschaft, sondern tatsächlich ihr Besitztum, über das sie ebenso frei walten konnten wie über ihre Hausgüter, 1 RA. 7b 69; s. o. S. 252. 2 FA. 19, 1, 8. 3 Vgl. o. S. 260. 4 1660 (FA. 19, 1, 7), 1676 (ebd. 19, 1, 3, fol. 55; Datierung ergibt sich aus fol. 53), 1693 (ebd. 19, 1, 8), 1722 (ebd. 4). 5 Ebd.; 1677 (FA. 19, 1, 8). Sie wurden 1675/76 von 85 Gulden auf 365 Gulden erhöht! Als vor 1719 die Steuern der beiden Mertinger Wirte etwas erhöht wurden, wandten sie sich an das kaiserl. Landgericht in Schwaben, das 1721 eine Kommis­ sion nach Mertingen schickte. Diese ließ aber auf Vermittlung des Feldmarschalleutnants Graf Eustach Maria Fugger, des Bruders von Marquard, die Sache un­ behelligt und erlaubte dem Reichspfleger Graf Marquard Fugger die Steuerer­ höhung vorzunehmen. Dies war der einzige Fall, daß die Reichsgewalt jemals in die Verwaltung der Fugger’schen Pflege eingriff; aus ihrem Eingreifen wurde aber ein Nichteingreifen (FA 19, 1, 9). 6 s. o. S. 260 7 FA. 19, 1, 3, fol. 113; 19, 1, 8; vgl. S. 222 f. und S. 231. 8 FA. 19, 1, 8, fol. 54. 9 Vgl. o. S. 222 f. und S. 264, A. 6.

266 Dank ihrer Allodienkäufe hatten sie auch die fremden Grundherr­ schaften größtenteils beseitigt; im Jahre 1704 gab es unter 211 Pflegs­ untertanen 162 reichspflegliche-fuggerische und nur mehr 49 fremde Hintersassen.1 Die ganze Pflege schloß sich trefflich an ihre Herr­ schaften Oberndorf und Nordendorf an. So schien jetzt nach 200 Jahren das erstrebte Ziel erreicht und alles schön und gut geordnet. Da fehlte es an dem Herrn der Pflege. Für das Haus Fugger war nach den Zeiten des Glanzes längst die Zeit des Niederganges gekommen. Hatten Jacob und Anton Fugger die Größe ihres Hauses begründet und durch den Erwerb von liegenden Gütern für die Zukunft gesorgt,2 so hielt sich Marcus Fugger noch auf einer standesgemäßen Höhe.3 Aber mit dem Zusammenbruch des Fugger’schen Handelsgeschäftes seit dem Jahre 16074 beginnen die persönlichen Geldverlegenheiten der nachfolgenden Fugger. Die einen hielten sich dabei auf ihren Gütern, wie die Inhaber der Reichspflege Donauwörth Georg und Nikolaus Fugger,5 viele such­ ten damals und schon vorher Stellungen bei Hofe, besonders beim Kaiser und in Bayern.6 Durch den dreißigjährigen Krieg endlich wurden auch ihre liegenden Güter weitgehend verwüstet und ver­ schuldet. Aber trotz solcher Verarmung litt damals der deutsche Adel an einer überspannten Neigung zur äußeren Repräsentation.7 Von dieser Art scheint auch Graf Marquard Eustach Fugger ge­ wesen zu sein. Als er um das Jahr 1687 in jungen Jahren8 die Reichs­ pflege Donauwörth übernahm, begnügte er sich nicht mehr mit den Einnahmen, welche ihm die Pflege in steigendem Maße einbrachte, sondern griff sie selbst an. Im Jahre 1690 begann er mit dem Ver­ kaufe von Allodialgütern im Pflegsgebiet;9 seit 1693 ließ er aus den Pflegseinnahmen nicht mehr die Schulden der Pflege abzahlen, son­ dern nur mehr die Zinsen dafür aufbringen; alles verfügbare Geld 1 FA. 19, 1, 6, fol. 48 ff. 2 s. o. S. 240 mit A. 4 und S. 242 mit A. 5. 3 s. o. S. 245 ff.; Ehrenberg I 182 f. 4 Durch den dritten spanischen Staatsbankrott 1607 (Ehrenberg I 184 ff.). 5 Die Reichsacht gegen Donauwörth im Jahre 1607 bot ihnen willkommenen Anlaß, den Steuerertrag in der Reichspflege zu erhöhen und damit ihrer eigenen Finanznot etwas abzuhelfen (s. o. S. 249 ff.). 6 Vgl. o. S. 253, A. 4; S. 261; S. 262; S. 265, A. 5. 7 Vgl. Doeberl II 8f. 8 Geboren 1661. 9 Die Waldung „Riedschlag“ für 5800 Gulden (Neub. Akt. 1375). — Vgl. S. 280 mit A. 7.

26 7 mußte „an die Herrschaft abgeliefertwerden.1 Er war anscheinend ein Herr, welcher viel Geld benötigte. Im Jahre 1696 endlich nahm er auf die ganze Pflege eine drückende Hypothek von 30000 Gulden auf gegen 8 Prozent Zins, Wenn es ihm auch im Jahre 1700 gelang, diese Schuld zunächst in eine andere mit 5 prozentiger Verzinsung zu konvertieren, so war er doch gezwungen, bis 1722 immer wieder einen neuen Gläubiger anstelle des alten zu suchen.2 Zuletzt setzte er die ganze Pflege zum Pfand. Wohl riet ein treuer Diener seines Herrn, der Fugger’sche Kanzler und Stiftungsdirektor Dr. Closterbauer, zum einzig möglichen Ausweg aus den wachsenden Schul­ den, nämlich zur Einschränkung der luxuriösen Ausgaben.3 Doch wurde seinem Rate nicht stattgegeben. So mußte schließlich die Reichspflege Donauwörth abgegeben werden, welche schon so lange beim Hause Fugger war. Graf Marquard Eustach verkaufte sie mit Zustimmung seiner Agnaten4 5am 13. Oktober 1723 um 80300 Gulden an die bayerische Stadt Donau­ wörth6 und am 30. Dezember 1724 in gleicher Weise die bisher da­ mit verbundenen Allodien und Lehen um 102894 Gulden.6

6. Kapitel.

Die Reichspflege Donauwörth im Besitze der kurbayeri­ schen Stadt Donauwörth und des Kurfürstentums Bayern (1723—1803). Als Donauwörth im Jahre 1723 wieder in den Pfandbesitz der Reichspflege kam, die es zuletzt im Jahre 1536 inne gehabt, hatten sich freilich alle Verhältnisse seit 1536 grundlegend geändert. Die Stadt war im Jahre 1609 zur bayerischen Landstadt herabgesunken, die ehemalige Reichsherrschaft längst zu einem Territorium ge­ worden. In den Verkaufsurkunden verlautet nichts mehr von den alten Privilegien der Stadt in der Pflege oder gar von dem 1536 1 FA. 19, 1, 8, fol. 113; 19, 1, 8, fol. 66. 2 FA 201, 1 und 4. 3 In einem Schreiben vom 12. März 1723 an das Haupt der Linie Glött-Kirchheim-Mickhausen, Graf Johann Max Josef (FA. 19, 1, 3, fol. 22—24; RA. 1/s, 228; Stammtafel). 4 RA. 1, 38. 5 FA. 201, 1 und 5. 6 RA. 1, 46—51, Copie; darüber ausführlich s. u. S. 279 ff. — Graf Marquard Eustach führte verschiedene Ein- und Verkäufe durch und starb im Jahre 1732.

268 ausbedufigenen Einstandsrecht um 6600 Gulden. Die Pflege wurde damit von seiten der Stadt als wirkliches Besitztum der Fugger anerkannt; es ist nur einmal davon die Rede, daß dieselben sie einst von der Stadt „überkommen“ hätten. Der kaiserliche Konsens war jedoch nötig und brachte der Reichsregierung aus der Pflege eine letzte, unerwartete Einnahme von 7655 Gulden.1 Die Stadt hatte nun ihr im 15. und 16. Jahrhundert so sehnlich erstrebtes Ziel erreicht; sie verfügte über ein eigenes Landgebiet (1723—34/49). Es fehlten aber jetzt zwei Dinge, der kleinen Stadt das Betriebskapital und der Pflege die erforderliche Rentabilität. Das zum Ankauf notwendige Kapital von 183 194 Gulden mußte die Stadt vollständig zu leihen nehmen und dafür ihren neuen Er­ werb zu drückenden Bedingungen als Pfand setzen.2 Die Gläubiger forderten durchschnittlich 6 Prozent Zins, die Pflege warf aber nur 2,28 Prozent ab.3 Die Pflegsverwaltung wurde in der übernomme­ nen Weise unverändert fortgeführt. So erklärt es sich, daß schon Ende 1725 die Rede davon war, dem Kurfürsten die Reichspflege zu überlassen. Statt der im Jahre 1726 noch geforderten 348181 Gulden 45 Kreuzer mußte sich die Stadt mit einem im Jahre 1732 bewilligten Angebot von 212000 Gulden begnügen; dazu versprach der Kurfürst die nach 1607 in der Stadt eingerichtete Salzniederlage ihr weiterhin zu überlassen. Die Stadt stimmte am 23. Februar 1734 zu.4 Am 1. Januar 1735 übernahm der bayerische Stadtpfleger (Pflegs­ kommissär) Josef Hayder die Aufsicht über die Pflege samt Ein­ nahmen und Ausgaben unter Fortbestand der bisherigen Verwal1 „Laudemien- und Taxgelder“ (RA. 1, 54—68; Donauwörth, Rechbch). Von Bayern wird die kaiserl. Kanzlei bei späteren Lebenserneuerungen kaum mehr Taxen eingefordert haben. — Der Jude Heinrich Davidt aus Buttenwiesen erhielt für die Vermittlung des Kaufes 1600 Gulden. 2 Donauwörth, Rechbch, Traber 423. 3 Das Donauwörther Rechnungsbuch vom 27. Oktober 1725 bis l6.Dezember 1726 weist 296 851 Gulden 58 Kreuzer Aktiva und 296952 Gulden 58 Kreuzer Passiva auf, also eigentlich nur ein Defizit von 101 Gulden. Die hohen Zahlen erklären sich gegenüber dem ursprünglichen Einkaufspreis von 183194 Gulden daraus, daß der Stadt zahlreiche Spesen, Zinsen und Strafen für verspätete Rückzahlungen er­ wachsen waren. Die Aktiva konnte sie nur dadurch gegenüber den Passiva ausgleichen, daß sie die Pflegseinnahmen (5547 Gulden 30 Kreuzer) und Kapital aus dem städt. Salzamte (46093 Gulden 58 Kreuzer) immer hineinsteckte. Demnach betrug das damalige Jahresdefizit in Wirklichkeit 46 194 Gulden 58 Kreuzer! 4 Plaß II 77 f., 84.

269 tung.1 Am 24. September 1749 endlich erfolgte die Ausstellung der Verkaufsurkunde und die endgültige Übernahme,2 am 25. Sep­ tember die Vereidigung der Untertanen3 und am 24. November die Ratifikation.4 5Von der Einholung eines kaiserlichen Konsenses erfahren wir nichts. Mit dem Übergang der Reichspflege an Bayern (1735/49—1803) hörten endlich die Streitigkeiten auf, welche Jahrhunderte lang zwischen Stadt und Pflege angedauert hatten. Beide unterstanden jetzt wieder demgleichen Herrn, wenn auch die verschiedene Rechts­ form der Inhaberschaft äußerlich gewahrt blieb. Ein gemeinsamer oberster Beamter beaufsichtigte die beiderseitige Verwaltung. Die bayerischen Beamten in der Stadt hießen „kurbayerische“, jene der Pflege „reichspflegliche“. Beim Verkauf der Pflege6 verzichtete die Stadt auf jede Eid­ leistung der künftigen Pflegvögte und deren Verpflichtung, im Pfleghaus zu wohnen; sie versprach trotzdem das Brennholz für das Pfleghaus weiter zu liefern. Sie verzichtete auch auf die Teil­ nahme am Mertinger Blutgericht und überließ in ihrer Hofmark Heissesheim die ganze Polizeiaufsicht an Bayern. Man sieht daraus, wie lange noch letzte, wenn auch geringfügige Rechte sich erhalten hatten, die sich aus der alten Verbindung zwischen Stadt undVogtei auf dem Lande erklären, und wie sie erst ganz verschwanden, als der eigene, absolute Stadtherr die Pflege in die Hand bekam. Dieser gab für alle Zugeständnisse der Stadt keine Gegenleistung, hatte jetzt völlig freie Hand in der Pflege und wurde auch vom Kaiser niemals darin behindert. Denn das Heilige Römische Reich war da­ mals größeren Reichsständen gegenüber völlig machtlos und ging bereits seiner Auflösung entgegen. In der Reichspflege begann die bayerische Regierung alsbald, die Verwaltung von Stadt und Pflege zusammenzulegen, wie wenn es sich beiderseits um ein bayerisches Territorium handelte. Es wurde kein neuer Pflegvogt mehr bestellt,6 sondern seine Obliegen­ heiten wurden dem bayerischen Stadtpfleger übertragen, der seitdem unterschiedslos die reichspfleglichen Amtsbezeichnungen 1 Neub. Akt. 1372. 2 RA. 35 XI, Copie der Urkd. 3 Plaß II 127 f. 4 Plaß 11 85, 94. 5 s. o. Anmerkung 3. 6 s. u. S. 284.

270 „Pflegskommissär“ und „Obervogt8 führte neben seinen baye­ rischen Titeln „(wirklicher) Hofrat, Hof kammerrat8.1 Ihm unter­ stand direkt der Dorf- oder Gerichtsvogt in Mertingen, welcher im Jahre 1763 nach Donauwörth versetzt wurde. Seine neue Amtsbe­ zeichnung „Gerichtsschreiber8 charakterisiert zur Genüge die Ent­ wicklung seines Amtes. Am 24. Oktober 1783 endlich wurde die reichspflegliche Gerichtsschreiberei mit der Stadtschreiberei ver­ einigt.2 In Mertingen war nur der Untervogt zurückgeblieben, der auch „Amtmann8 hieß und zu den Gerichtsdienern gezählt wurde.3 Es ist anzunehmen, daß mit der Versetzung desMertinger Gerichts­ vogtes auch sein Niedergericht nach Donauwörth verlegt wurde. Seine Versetzung erfolgte ja ausdrücklich wegen der notwendigen häufigen Amtsreisen. Der Pflegvogtskommissär hielt wohl auch die Hochgerichtssitzungen in der Stadt ab und bemühte sich kaum mehr nach Mertingen. Im übrigen sehen wir nichts von einem tieferen Eingreifen der bayerischen Verwaltung. Das bayerische Beamtentum des aus­ gehenden 17. und des 18. Jahrhunderts stand ohnedies nicht auf der Höhe der Zeit. Fehlte es an der Spitze an schöpferischen und lei­ tenden Persönlichkeiten, so fehlte es in den Außenämtern an pflicht­ bewußten und arbeitenden Beamten. Die Ämter galten mehr als Nutzung denn als staatliche Funktion. Immer noch bestand das In­ stitut der Gnadenpflegen. Höheren Beamten, Günstlingen des Hofes (Männern und Frauen) wurden zur Aufbesserung ihres Einkommens Pflegen verliehen, oft sogar erblich. Diese „Pfleger8 kümmerten sich nicht um ihr Amt, sondern nur um dessen Erträgnisse. Die eigent­ liche Verwaltung überließen sie meist schlecht bezahlten Pflegs­ kommissären.4 Die gleiche Erscheinung findet sich auch in Donauwörth. Dort gab es seit der Zeit des Kurfürsten Max Emanuel eine Reihe von adeligen Gnadenpflegern, nimmer zu sättigende Drohnen der Stadt­ kasse; sie fielen wenigstens nicht der Pflegskasse zur Last. Die eigentlichen Pfleger für Stadt und Reichspflege waren demnach die seit 1735 erscheinenden Pflegskommissäre. 1 Neub. Akt. 1372, 1340, 1343a; Neub. Lit. 1106. Für seine Funktionen alsPflegvogt erhielt er nur 100 Gulden, wodurch 100 Gulden eingespart wurden. 2 Donauwörth, Vormbch. 54, 154, 324. 3 Ebd. 60. Er erhielt 1762 in Mertingen ein eigenes Wohnhaus (ebd. 107), das heutige Untervogthaus. 4 Doeberl II 203 ff.

271 Eine solche Behördenorganisation war nicht in der Verfassung, das lebendige Werk der Fugger’schen Pflegsverwaltung weiterzu­ führen. Unter ihr gelangte die Aufwärtsentwicklung der Pflege zum Stillstand.1 War es schon der Fugger’schen Verwaltung bei ihren geringen Mitteln nicht gelungen, die Schäden des dreißig­ jährigen Krieges innerhalb zweier Menschenalter ganz zu heilen, so vermochte es die bayerische Verwaltung auch im dritten noch nicht. Überdies waren der Spanische2 und Österreichische Erbfolge­ krieg nich spurlos an der Pflege vorbeigegangen. So kam es, daß sogar 100 Jahre nach dem dreißigjährigen Kriege die Zahl der Haushaltungen immer noch nicht den Stand von 1536 erreichte. Im Jahre 1536 gab es schätzungsweise 300 Feuerstätten, im Jahre 1757 deren 269.3 So furchtbar zeigten sich auch auf diesem kleinen Fleck deutscher Erde die Folgen des großen Krieges, genau so wie im altbayerischen Kurfürstentum. Unter der ganzen bayerischen Verwaltung in der Reichspflege nach 1735 begegnet uns nur ein schüchterner Versuch, die wirt­ schaftliche Entwicklung weiter zu fördern. Der Obervogt (Pflegs­ kommissär) Josef Hayder bemühte sich nämlich in den Jahren 1762/63 um einen Ersatz für die längst eingegangene Getreide­ schranne in Donauwörth. Er wollte in Mertingen jährlich zwei Viehmärkte einführen.4 Aus dieser Zeit stammt wohl die lang er­ haltene, irrtümliche Bezeichnung „Markt“ Mertingen. Die Regie­ rung gab jedoch dem Gesuche nicht statt mit Rücksicht auf die benachbarten bayerischen Städte Wertingen, Rain und Wemding. So hatte das selbständige und lebendig pulsierende Leben der kleinen Reichspflege unter der bayerischen Verwaltung aufgehört. Die Pflege war längst im kurfürstlichen Territorium aufgegangen, als sie sich ihrem formellen Ende näherte. Der Reichsdeputations­ hauptschluß des Jahres 1803 beseitigte bis auf wenige große Reichs­ städte die letzten Reichsgüter, die sich noch unter irgendwelchen 1 Eine kleine Verbesserung bedeutete nur die am 7. April 1759 angeordnete Verrechnung der Getreidegülten im Münchener Maß anstatt in dem unbedeu­ tenden Donauwörther Maß; aber auch damit hatte man erst 10 Jahre lang zuge­ wartet (Donauwörth Vormbch. 439). Vgl. S. 237 mit A. 3. 2 Uber die bayerisch-französischen Quartierschäden s. o. S. 264, A. 1. 3 Donauwörth, Vormbch. 5. 4 Neub. Akt. 1340. Die Meinung Hayders, daß früher dort eine Schranne statt­ gefunden habe, wurde bereits von seinen Zeitgenossen als falsch erkannt (ebd., XI. Prod.). Es gab nur „ Winkelschrannen“ zu Asbach um 1623 (s. o. S. 251, A. 4).

272 Rechtstiteln die Jahrhunderte hindurch erhalten hatten. Damit hörte auch die „Reichspflege“ Donauwörth auf zu sein. Im Sep­ tember 18031 erfolgte die Errichtung eines Landgerichtes Donau­ wörth, das in der Hauptsache aus der Stadt, der Reichspflege und den neugewonnenen Gebieten des Klosters Kaisheim gebildet wurde. Das neue Landgericht unterstand nicht mehr unmittelbar der Zentralregierung in München, sondern der neugeschaffenen Kreisregierung Schwaben und Neuburg. Am 1. August 1806 erklärte das Königreich Bayern seinen Aus­ tritt aus dem Deutschen Reiche, am 8. August legte Kaiser Franz II. die deutsche Kaiserwürde nieder.

7. Kapitel. Ergänzungen. i. Das Reichsfronfischlehen auf der Donau. Die Fischerfamilie Härpfer von Harpfenburg. Eines der wenigen Hoheitsrechte, welche sich das mittelalterliche Königtum mit Erfolg wahrte, war das Stromregal.2 Das zeigte sich auch im Gebiete der Reichspflege Donauwörth, wo die unum­ schränkte königliche Hoheit über die Donau und ihr Überschwemmungsgebiet samt Grundruhr und Fischrecht noch im 15. Jahrhun­ dert eigens bezeugt ist.3 Letzteres bildete sich sogar allmählich zu einem gesonderten Reichslehen heraus. Im ersten bayerischen Salbuch von ca. 1280 erscheinen in Donau­ wörth zwei Fischwasser, welche vor 1416 bereits „das freie Fronfischlehen“ heißen.4 5Seine Verleihung als direktes Reichslehen ist uns im Jahre 1370 das erstemal bezeugt; damals gab es Graf Ulrich der Ältere von Helfen stein als königlicher Landvogt von Donau­ wörth an den Donauwörther Bürger Konrad den Ganger.6 In der Zeit der bayerischen Pfandherrschaft von 1376 bis 1422 wurde das Lehen durch die bayerischen Herzoge vergeben.6 1 2 3 4 5 6

Oberb. Archiv 53 1 184f. Schröder 580 f.; vgl. o. S. 229, A. 5. Neub. Lit. 1101, 87; Traber 154 ff. s. o. S. 199, A. 4 und S. 218, A. 2. s. o. S. 212, A. 3. RA. 16 IV 150.

273 Als im Jahre 1423 die Reichspflege unter den Einfluß der Stadt kam, wurde das Fronfischlehen dieser Entwicklung entzogen. Es blieb als gesondertes direktes Reichslehen erhalten1 und zahlte nur einem aufgestellten Donauwörther Reichspfleger die inzwischen fixierte Jahresabgabe von 24 Goldgulden.2 In dieser Zeit, vor 1436, ging das Lehen durch Erbschaft (wahr* scheinlich von der Familie der Ganger) an die Donauwörther Fa­ milie der Härpfer über.3 Das Lehen umfaßte das Fischereirecht in der Donau und ihrem Überschwemmungsgebiete sowie in der Wörnitz, soweit auf einem der Flußufer das Pflegsgebiet reichte.4 Inner­ halb des städtischen Burgfriedens unterstand es der Justizhoheit der Stadt, außerhalb desselben jener der Reichspflege.5 Das Lehen war ein Mannlehen,6 mußte also innerhalb der männlichen Nachkommen vererbt werden; es durfte unter diesen in höchstens vier Teile ge­ teilt werden.7 Eine Minderung desselben war leider möglich, indem mit Familienzustimmung Flußauen verkauft werden konnten.8 Mit der fortschreitenden Korrektion der Donau und dem Schwinden der Altwasser ging der Fischreichtum zurück. Ein Viertel des Lehens wurde noch 1559 auf 600 Gulden geschätzt.9 Was auf der anderen Seite den Wert des Lehens hätte steigern können, die Kultivierung der Wiesen, wurde von den Lehensinhabern nicht betrieben, Grund und Boden vielmehr stückweise verkauft. Im übrigen erschien die Fischerfamilie der Härpfer, welche nicht zu den reichsten Bürgersfamilien gehörte, durch ihr Reichslehen in einer gehobenen, einem Reichsstande ähnlichen Stellung neben Stadt 1 1445 durch Heinrich von Pappenheim verliehen, seit 1483 gegen einige Gold­ gulden Gebühren ständig durch direkte kaiserliche Urkunde (Traber, Härpfer 462 f., 485 ff.). 2 Traber, Härpfer 1445 f., 1450. Wenn kein Pfleger vorhanden war, zahlten sie mit königlicher Zustimmung überhaupt keine Abgabe (vergl. RA. 7 a, 2). Von 1640—72 verweigerten sie, wohl infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Not vorübergehend den Fuggern diese Steuer (s. o. S. 259, A. 11). 3 Traber, Härpfer 1436, 1444. 4 s. o. S. 218, A. 2; RA. 16, 450; vgl. o. S. 272, A. 3. 5 RA. ^2, 1590 X 1, Abs. 8. Im Jahre 1641 erklärten sie zwar, das sie für ihr ganzes Fischereigebiet lieber der reichspflegl. Gerichtshoheit unterstehen wollten, doch blieb es bei diesem Wunsche (FA. 19, 1, 6, fol. 53). Vgl. S. 259, A. 1. 6 Traber, Härpfer 1488. 7 Ebd. 1445 ff. 8 Ebd. 1458 ff. 9 Traber, Härpfer. 18

274 und Pfleger.1 Darum erhielt sie von Kaiser Maximilian I. am 4. Mai 1505 „Wappen und Kleinod“ und am 16. August 1613 von Kaiser Mathias die Adelung als turnierfähiges Geschlecht der Härpfer von Harpfenburg.2 Bis zum Untergang des alten Reiches wurde ihr Adel vom Kaiser ständig anerkannt. Als das Königreich Bayern in Donauwörth das Erbe des alten Reiches übernahm, erschien der neuen Verwaltung das Lehen zu gering, um Adel und Allodifikation zu übernehmen. Die Familie ist heute noch im Besitz ihres alten Fischereirechtes3 und lebt jetzt in ganz einfachen Verhältnissen.

2. Die Hofmark Heissesheim. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß im Pflegsgebiete durch­ aus nicht alle Hoheitsrechte dem Reichspfleger zustanden. Wir konnten daher von einer weiteren und einer engeren Vogtei auf dem Lande sprechen.4 Zur weiteren Vogtei, in welcher der Pfleger wenigstens die hohe Gerichtsbarkeit überall übte, gehörte neben Druisheim,5 Lauter­ bach6 und Pfaffenhofen7 auch die Hofmark Heissesheim.8 Über den Beginn dieser Rechtsverhältnisse im letzteren Orte sind wir nicht unterrichtet. Möglicherweise wurde er einmal in Be­ zug auf die Niedergerichtsbarkeit aus der Reichsvogtei ausgebro­ chen, wie z. B. Lauterbach.9 Die erste Nachricht, welche auf die Niedergerichtsverhältnisse im Ort deutet, stammt aus dem Jahre 1401. Damals gab König Ruprecht vier Güter des Ortes als direktes 1 Ihre Streitigkeiten untereinander oder mit anderen, besonders der Stadt, wur­ den gewöhnlich von einem Richterkollegium entschieden, welches der zweiten Instanz in der reichspflegl. Gerichtsbarkeit (s. o. S. 236, A. 4) glich (Traber, Här­ pfer 1502, 1580). 2 Ebd. 1613, Kopie aus dem 18. Jahrhundert; ebd. existiert eine vom kgl, Landgericht Donauwörth im Jahre 1819 ausgestellte Kopie. Das Original wurde von der Familie vor 50 Jahren an Verwandte in Augsburg verliehen, kam aber nicht mehr zurück. 3 Ein Teil ging im 19. Jahrhundert durch Verkauf verloren; der ganze Besitz ist heute bei der durchgeführten Donauregulierung nicht mehr viel wert. 4 s. o. S. 212 ff. und 219 f,; vgl. beiliegende Karte. 5 Darüber s. o. S. 213, A. 4 und S. 219, A, 4. 6 s. o. S. 187, A. 3. 7 s. o. S. 219,A. 3 und S. 187, A. 4. 8 Hauptquelle RA. 36*/2. 9 s, o. A. 6.

275 Reichslehen an den Ulmer Bürger Rudolf Krowel.1 Es ist nicht gesagt, ob damit die Neubildung eines Reichslehens oder nur die Weiterverleihung eines bereits bestehenden erfolgte. Krowel ver­ kaufte im Jahre 1434 das Lehen unter Zustimmung des Kaisers Sigismund an seinen Schwiegersohn, Wilhelm Dietenheimer von Augsburg,2 dessen Nachkommen es bis zum Jahre 1530inne hatten.3 Das Lehen des Krowel und der Dietenheimer umfaßte nicht die Grundherrlichkeit im ganzen Orte. Schon im 13. Jahrhundert bezog das Kloster HL Kreuz Gülten aus einigen Gütern des Ortes.4 5Im 15. Jahrhundert sind die Dietenheimer und das Kloster die einzigen Grundherrn des Ortes.6 Die Rechte des Klosters beruhten einzig und allein auf der Grundherrschaft, während jene der Dietenheimer als direktes Reichslehen höher standen. Mit ihnen scheinen früh­ zeitig Hoheitsrechte über den ganzen Ort verbunden gewesen zu sein, nämlich die Niedergerichtsherrlichkeit. Seit wann dies der Fall war, können wir allerdings nicht feststellen. Im 15. Jahrhundert übten die Dietenheimer im ganzen Orte die Polizeihoheit und Nie­ dergerichtsbarkeit, soweit nicht Hl. Kreuz dieselbe als Grundherr innerhalb der Umzäunung seiner Güter selbst handhabte. Seit 1492 begann die Reichspflege sich in die Hoheitsrechte der Dietenheimer einzudrängen. Besonders der energische Balthasar Wolf griff systematisch und rücksichtslos ein.6 Mit Mühe konnte sich der letzte Dietenheimer des mächtigen Mannes erwehren, bis er in1 Traber 33. 2 Römer, Reg. Imp. XI 10299. Der Name „Tuktenheimer“ enthält wohl einen Schreib- oder Lesefehler. 3 Auf Wilhelm Dietenheimer folgte Christoph, der das Lehen 1476 aufgab worauf es an seine Brüder (?) Bernhard und Wolfgang (RA. 361/2, 8; Traber 143) und nach dem Tode des letzteren 1506 an seinen Sohn Karl (Traber 190; RA. 3(yll2, 28) überging, der es bereits 1507 an seinen Vetter Quirin verkaufte (Traber 192), welcher es bis 1530 besaß. 4 Steichele, Arch. II 429 (ein Meierhof et cetera . . .). 5 Hl. Kreuz hatte 4 Hintersassen, die Dietenheimer deren 7» darunter eine kleine Ziegelei und eine Pfisterei. Um 1495 bauten sie sich ein „Schlößlein“, in dem sie selbst wohnten (RA. 3672) 20, 22, 25, 28; Traber 152). 6 Seit Erbauung einer Kapelle im Jahre 1491 gab es Kirchweihfeiern mit Tanz im Schlößlein. Die Kegelbahnen und Verkaufsstände mußten Abgaben zahlen. Als die Reichspflege störend eingriff, verbot der Dietenheimer die Feiern oder ver­ legte sie aufs freie Feld. — Die Grashut im Altheu besorgte der Dietenheimer und jene in der Zeit des Grummets besorgte der Reichspfleger. Bathasar Wolf griff in der Weise ein, daß er Uebeltäter, welche von den Dietenheimern bereits abge­ straft waren, nochmals strafte (RA. 36*/2, 17—34; Traber 152; s. o. S. 235).

276 folge finanzieller Not das Lehen aufsandte und am 31. Oktober 1531 mit Zustimmung des Kaisers der Stadt Donauwörth zustellte.1 Es war von Bedeutung, daß damals die Stadt und nicht schon die Fugger die Pflege inne hatten; denn letztere hätten wohl jedes städt­ ische Angebot überboten und die Hofmark für sich als direktes Reichslehen erworben. Die Stadt behauptete ihren Erwerb auch gegenüber den Fuggern, behielt Niedergerichtsbarkeit, Inventur und Vormundschaftsbestellung und brauchte den Fuggern als Reichs­ pflegern nur die Teilnahme an der Verkündigung polizeilicher Vor­ schriften sowie die Prüfung von Maß und Gewicht zu überlassen.2 Trotz der Achterklärung von 1607 behauptete die Stadt mit bayerischer Hilfe ihr Reichslehen.3 Im dreißigjährigen Krieg wurde das Dörfchen vollständig zerstört4 und erst seit 1653 langsam wieder aufgebaut.5 Der erste Ansiedler verließ entmutigt nochmal den Ort. Als der bisherige Helfer der Stadt Donauwörth, das Kurfürstentum Bayern, durch Karl VII. das Kaisertum erlangte, gab er den Ort seinem eigenen Lande zu Lehen, so daß er seitdem ein bayerisches Reichsafterlehen der Stadt Donauwörth war.6 Seitdem kam die Be­ lehnung durch das Reich in Wegfall.7 Am 10. Mai 1828 setzte die königliche Regierung der Stadt einen jährlichen Bodenzins von 26 Kreuzer 3 Pfennig für ihr Afterlehen fest.8 So führte das Dörflein durch Jahrhunderte ein gesondertes Dasein, dessen letzte Spuren erst im 19. Jahrhundert verschwanden. Da wollte es der Zufall, daß sich dort in der Mitte des 19. Jahr­ hunderts Mennoniten niederließen, die schließlich den ganzen Ort aufkauften. Sie sind tüchtige Landwirte, halten mit Eifer an ihrer Sekte fest und schließen sich in religiöser Beziehung gegen die ka­ tholische Umgebung streng ab, nehmen auch keinen Bewerber aus der Umgebung in ihre Religionsgemeinschaft auf. So wird das alte Sonderleben des Dörfleins in anderer Weise weitergeführt. 1 Traber 237. 2 s. o. S. 247, A. 4. 3 Traber 237, 279, 297, 300 usw. Die Belehnung wurde 1607—1707 unterlassen und im letzten Jahre wieder aufgenommen (ebd. 406), wohl infolge der Niederlage Bayerns im Spanischen Erbfolgekrieg und der vorübergehenden Reichsfreiheit von Donauwörth (s. o. S 263). 4 s. o. S. 256, A. 6. 6 RA. 36. 6 Traber 431. 7 Ebd. 445. 8 Ebd. 454. Über die Ablösung dieses Bodenzinses fehlen an der zuständigen Stelle (Kreisarch. Neuburg) die Akten.

2 77 3. Das Pfleghaus in Donauwörth. Die Burg Mangoldstein war der Sitz der Freiherren von Werd und eine Pfalz der Hohenstaufen und der Herzoge von Bayern. Dort wohnte vermutlich auch der staufische Vogt und nachweislich der bayerische Burghüter (Pfleger).1 Im Jahre 1301 ging die Burg in Flammen auf.2 Seitdem brachen die Bürger daraus Steine und Fel­ sen und verwendeten sie besonders zum Baue ihres neuen Rathauses.3 Es wurde bereits weiter oben gesagt, daß dieser Vorgang nicht ohne sinngemäße Bedeutung war; denn damals ging die Macht des Stadtherrn im Orte zurück, während jene der Stadt ständig zunahm, um zur vollen Reichfreiheit zu führen.4 Ludwig der Bayer hatte im Jahre 1324 den Gedanken an einen Wiederaufbau der Burg noch nicht aufgegeben.5 Karl IV. ließ jedoch aus ihren Felsen weiterhin Steine brechen.6 König Sigismund endlich verzichtete im Jahre 1418 auf das Befestigungsrecht in und um Donauwörth.7 Von 1301 —1427 bezogen die Vögte bzw. Pfleger in der Stadt eine Wohnung wie sie ihnen der jeweilige Vogtei- bzw. Pflegs­ inhaber gerade besorgte. Im Jahre 1353 ist in der Gegend des späteren Pfleghauses ein „Pfleghof“ bezeugt.8 Die bayerischen Herzoge hatten im Laufe des 14. Jahrhunderts noch Allodialbesitzungen in Donauwörth, so den Wördhof und ein Haus an der Wörnitz.9 Es läßt sich jedoch nicht feststellen, wo ihre Pfleger wohnten. Als die Stadt im Jahre 1422 die Reichspflege in die Hand bekam, erwuchs ihr auch die Aufgabe für eine standesgemäße Wohnung des Pflegers zu sorgen. Daher ist in den Bestellungsbriefen der Pfleger seit 1427 immer davon die Rede.10 Bereits 1423 wurde zu diesem Zwecke ein Bürgerhaus angekauft und, da die Pfleger noch anderweitigWohnung fanden, zunächst in ein Zeughaus verwandelt. 1 s. o. S. 195, A. 3.

2 s. o. 3 s o. 4 s. o. 6 RB. 3 s. o. 7 s. o. 8 RA. 9 s. o. 10 s. o.

S. 205, A. S. 206, A. S. 206. 16, 349. S. 210, A. S. 225, A. l/2 1353. S. 207, A. S. 226, A.

3 und S. 206. 3 und S. 210, A. 6.

6. 6. 4; RA. 34, 151. 6.

278 Als jedoch die Beschaffung einer Dienstwohnung Schwierigkeiten bereitete, zog Rudolf Marschalk von Pappenheim, Pfleger 1471 —81 als erster dort ein.1 Balthasar Wolf2 brachte weitere Bewegung in die Sache. Er ließ sich zunächst die Wohnung vergrößern und, als er gelegentlich des Landshuter Erbfolgekrieges zahlreiches Kriegsvolk beherbergen mußte, mit dem Hinweis auf neue Möglichkeiten dieser Art nach Beendigung des Krieges ein neues Pfleghaus mit Pflegsgefängnis erbauen. So standen ihm zwei Pfleghäuser, das alte und das neue, zur Verfügung. Anton Fugger übernahm 1536 beide Häuser und zwar samt der Unterhaltungspflicht,3 während Balthasar Wolf diese auf die Stadt abgeschoben hatte. Bereits im nächsten Jahre kaufte Anton Fugger vier angrenzende Häuser auf,4 ließ sie samt den beiden Pfleghäusern niederbrechen und erbaute bis zum Jahre 1539 auf dem gewonnenen Platze das mächtige, heute noch stehende Fugger’sche Pfleghaus, angeblich mit einem Kostenaufwand von 35000 Gulden.5 Das hohe Gebäude mit seinen mächtigen Zinnengiebeln schließt die nach We­ sten ansteigende breite Hauptstraße der Stadt imposant ab und über­ ragt neben dem Kloster Hl. Kreuz und der Pfarrkirche weithin sichtbar alle Gebäude der Stadt. Die Innenausstattung war so präch­ tig, daß Graf Wolrad II. von Waldeck im Jahre 1548 meinte, das Pfleghaus könne eine Königswohnung sein.6 Um 1601—07 wohnte dort zeitweise Georg Fugger mit seiner Gemahlin.7 Während des dreißigjährigen Krieges nahmen dort wirklich Könige Wohnung, nämlich der Winterkönig und Gustav Adolf in den Jahren 1632—34.8 Durch die lange andauernden Einquartierungen in jenem Krieg litt die Einrichtung des Hauses; Möbel und Akten wurden vernichtet.9 Äußerlich aber ging das Pfleghaus unversehrt aus dem großen Kriege hervor.10 1

1 RA. 34, 151. 2 s. o. S. 233. 3 s. o. S. 241, A. 8. 4 RA. V*, 1537, 1545. 5 RA. 27 II 277. 6 Er gibt eine Schilderung der feenhaften Innenausstattung (Stäuber, Das Haus Fugger. Augsburg 1900. Seite 87 f.) 7 s. o. S. 249. 8 s. o. S. 255; Traber, Vortrag. 9 s. o. S. 255 f. 10 Teile der Innenausstattung sind heute in der Bayer. Reichsratskammer (Pia-

279 Später kam es mit den Fugger’schen Allodien in den Besitz der Stadt und des bayerischen Staates. Es blieb der Sitz der Pflegvögte und in folgerichtiger Weise auch der späteren Landrichter. Heute ist darin das Bezirksamt untergebracht.

4. Fugger’sche Lehen und Allodien, welche mit der Pflege verbunden waren. Es wurde bereits ausgeführt, daß die Fugger sofort nach dem Erwerb der Reichspflege im Jahre 1536 darnach strebten, ihre Stellung dort zu stärken durch Ankauf von Lehen und Allodien, welche in oder nahe dem Pflegsgebiet lagen.*1 Gleichzeitig fanden sie darin eine willkommene Gelegenheit, ihre Handelsgewinne in sicheren Immobilien anzulegen. Bereits 1558 übertrafen die Ein­ nahmen aus den Allodien jene aus der Reichspflege um ein Drittel.2 1593 waren sie an Geld fünf Mal, an Getreide zwei Mal so hoch.3 Um 1600 hört jedoch der Ankauf von Allodien auf.4 Mit der Beseitigung des städtischen Einflusses auf die Pflege im Jahre 1607 fühlte sich der Fugger in so ungestörtem Besitze der Pflege, daß von jetzt ab die Einnahmen aus Pflege sowie aus Al­ lodien und sonstigen Lehen unterschiedslos zusammengerechnet wurden.5 Da er seitdem in der Pflege unumschränkte Finanzhoheit übte, konnte er nunmehr deren Einnahmen steigern und das im Jahre 1593 noch bestehende starke Mißverhältnis zwischen Pflegs­ und Allodialeinnahmen allmählich ausgleichen. So kommt es, daß in der Zeit von 1619—27, weil in der Reichspflege bereits Steuer­ erhöhungen durchgeführt waren, das Verhältnis der Pflegsein­ nahmen zu den Allodialeinnahmen etwa 2000 Gulden : 2800 Gulden betrug.6 Im Jahre 1723 endlich waren die Einkünfte aus Pflege und Allodien gleich hoch, da inzwischen in der Pflege die volle Steuer­ hoheit durchgeführt worden war. Wenn im Jahre 1723 der aus den fond) und im Bayer. Nationalmuseum. Über das Pfleghaus, besonders seine pracht­ volle Innenausstattung, soll eine eigene fachmännische Abhandlung von Architekt Professor Franz Zell erscheinen. 1 s. o. S. 243 und 246; auch Deininger, 2. Kap. 2 FA. 19, 1, 7, fol. 9 ff. 3 Ebd. 19, 1,7, fol. 25. — Vgl. S. 251 f. 4 s. o. S. 249. 5 s. o. S. 252; S. 255, A. 3 (spätere Salbücher S. 257, A. 1). 6 s. o. S. 252, A. 1 und 4.

280 Einkünften berechnete Verkaufspreis der Pflege 80 300 Gulden, jener der Allodien und sonstigen Lehen aber 102894 Gulden betrug, so erklärt sich der Unterschied daraus, daß zu den Allodien auch das auf 20700 Gulden veranschlagte Pfleghaus in Donauwörth zählte.1 Einzelne wertvolle Stücke derselben waren bereits verkauft. Die Lehen und Allodien lassen sich in folgender Weise gruppieren: 1. Reichslehen: Zwei Höfe und sechs Lehen in Mertingen, dar­ unter ein Pfarrlehen. Marcus Fugger erwarb sie 1577 vom Augs­ burger Bürger Hans Hofmaier.2 2. Österreichische Lehen der Markgrafschaft Burgau: Die großen Waldungen Haiternau bei Türheim, mit den Nebenwal­ dungen Tiergarten, Brandau und Riedschlag mit einer Schwaige kaufte Marcus Fugger 1570 von der Augsburger Bürgerfamilie der Langenmantel.3 Die Haiternau wurde 1601—09 an die Gemeinde Druisheim um jährlich 125 Gulden verpachtet.4 Zwei Höfe in Ober­ türheim mit der Bäldleschweige kaufte Marcus Fugger 1584 von dem Augsburger Quirin Rehlinger von Radau.5 Die Rehling’schen Gü­ ter waren 1676 bereits an Kaisheim um 3000 Gulden versetzt6 und wurden 1683 endlich von Bonaventura Fugger an Kaisheim um 6000 Gulden als Afterlehen verkauft.7 Sein Nachfolger Marquard Eustach veräußerte 1690 den Riedschlag um 5800 Gulden.8 So er­ klärt es sich, daß bei dem allgemeinen Allodien- und Lehensver­ kauf von 1724 an österreichischen Lehen nur mehr die Haiternau vorhanden war.9 3. Bischöflich Augsburgische Lehen: Ein Hof in Norden­ dorf und ein Hauszins von 3 Gulden in Augsburg, über deren An1 RA. 1, 23—25; vgl. S. 243 und 282. 2 Neub. Lit. 1104, 141 ; RA. 7a, 28 ff. 3 Neub. Lit. 1104, 138; RA. 1/8, 103, 156, 159, 197 ff. Eine weiter dazu gehörige Schwaige (des Andreas Heusler) wurde nach 1584 von der Donau weggerissen (FA. 19,1,4). 4 Neub. Lit. 1104, 138. 6 FA. 19, 1,4; 201, 5. 6 FA. 19, 1, 3, fol. 1, 49. 7 FA. 201, 5. Der vorderösterreichische Lehenshof sah streng darauf, daß das Lehen seitens der Fugger immer „gemutet“ wurde, zog jedesmal 8 Gulden 42 Kreu­ zer Gebühren ein und verhängte im Jahre 1695 für eine übersehene Mutung 62 Gulden Strafe (Fa. 19, 1,4, fol. 66, 79). Über die Auswanderung eines Zweiges der Donauwörther Vetter nach Ulm s. o. S. 192, A. 9. 8 s. o. S. 266, A. 9. 9 RA. 1, 23 ff. und 46 ff

281 kauf nichts berichtet ist.1 Ein Hof in Riedlingen, 1552 vom Frei­ herrn Leonhard Vetter in Ulm an die Fugger gekommen.2 Der Hochhof bei Huttenbach an der Wörnitz, 1538 den Vormündern der Kinder des verstorbenen Donauwörther Bürgermeisters Sixt Marb abgekauft.3 Die Bauernhansenschwaige mit Fischlehen und Sölde, 1549 durch das Gesamthaus Fugger vom Augsburger Bürger Georg Hörwart erworben;4 5sie wurde bei der Fugger’schen Güter­ teilung dem jeweiligen Inhaber der Reichspflege zugewiesen.6 End­ lich erwarb Marcus Fugger 1580 von der bereits genannten Augs­ burger Familie der Rehlinger den Kirchenzehent zu Asbach und Hamlar mit Wittumhof, Schmiede, Badestube und sieben Sölden.6 Es war damit das Besetzungsrecht der Pfarrei Asbach samt der Un­ terhaltungspflicht des Pfarrers verbunden. Der Zehent war eigent­ lich Lehen der gesamten älteren Linie Nordendorf (Marcus Fugger)7 und mußte daher von der Reichspflege getrennt verrechnet wer­ den.8 Vor dem dreißigjährigen Kriege brachte er jährlich 540 Gul­ den 9 Kreuzer 5 Heller ein, im Jahre 1653 nach dem Wiederaufbau des Wittumhofes erst 86 Gulden 22 Kreuzer.9 Die Einkünfte stiegen aber wieder so rasch, daß der Bischof 1677 für die Lehenserneue­ rung bereits 1000 Gulden Gebühren verlangen konnte. 10Im Jahre 1682 verkaufte Bonaventura Fugger den Zehent an die Witwe seines Bru­ ders Sebastian,11 deren älterer Sohn Marquard bald darauf Reichs­ pfleger wurde und ihn im Jahre 1724 samt den übrigen Lehen und Allodien an Donauwörth veräußerte. 1 FA. 19, 1, 4. 2 Ebd.; ebd., fol. 56; RA. 27 IV 246; vgl. o. S. 192, A. 9. 3 FA. 19, 1, 4; 19, 1, 1. 4 FA. 140, 4; vergl. Traber 423. 5 Salbuch von 1664 (Neub.Lit, 1105,121 ff.) und alle übrigen Salbücher nach 1575. 6 FA. 19, 1, 4, fol. 42 f.; ebd. 201, 4. 7 FA. 19, 1, 3, fol. 49. 8 Da das Haupt der (alt.) Linie Nordendorf Träger dieses Lehens war (FA. 19, 1, 4) und infolge der im Jahre 1548 durchgeführten Vermögensteilung auch die Reichspflege inne hatte, waren Pflege und Asbacher Zehent äußerlich in einer Hand vereinigt. Es wurde aber immer darauf gesehen, daß der Zehent eigens verrechnet wurde (s. o. A. 7» im Jahre 1675 jedoch nicht laut FA. 19, 1, 7> fol. 10 und 56; später wieder getrennt). 9 FA. 19, 1, 4. 10 Ebd., fol. 45 ff. Das Geld mußte aufgenommen werden; aber die steigenden Einnahmen zahlten die Zinsen leicht ab und ermöglichten innerhalb von 10 Jahren auch den Bau eines Zehentstadels. 11 s. o. S. 263 mit A. 2.

282 4. Allo dien: Sie bestanden aus einer nicht mehr übersehbaren Menge von Gütern und Waldungen in und außerhalb der Pflege Die Fugger erwarben sie größtenteils von der Donauwörther Patri­ zierfamilie der Vetter, welche, wie oben S. 192, A. 9 gesagt, im 16. Jahrhundert nach Österreich und Ulm auswanderten; weitere von den Kindern des verstorbenen Bürgermeisters Sixt Marb in Donau­ wörth, von den Augsburger Familien der Rehlinger und Hofmaier, von den Marschalken von Lauterbrunnen, den Pfalzgrafen von Neu­ burg (von letzteren auch das Jagdrecht im Stadtforst) usw.1 Im Jahre 1664 wurden Güter des Klosters Kaisheim im Pflegsgebiete südlich der Donau gegen Allodien nördlich der Donau und außer­ halb des Pflegsgebietes eingetauscht.2 Durch solche Allodienkäufe und Tausche ging die Zahl der frem­ den Grundholden ständig zurück, sodaß im Jahre 1704 unter 211 Pflegsinsassen nur mehr 49 fremde Hintersassen waren.3 Beim Verkaufe der Lehen und Allodien im Jahre 1724 wurde der Wert der Allodien auf etwa 51000 Gulden, jener der verschiedenen Lehen auf 30000 Gulden (einzelne waren durch Bonaventura und Marquard bereits vorher verkauft worden), jener des Pfleghauses in Donauwörth auf 20700 Gulden berechnet.4 5

5. Die Fugger’sehen Pflegvögte (1536—1723). 1. Kaspar Mans er war seit 1531 städtischer Pflegvogt und wurde von Anton Fugger bis 1537 beibehalten.6 2. Matthäus W an n e r sen. (15. Juni 1537—1572) stammte aus Nördlingen. Er hatte anfangs nur 70 Gulden Gehalt, etwa die Hälfte der nachgenannten Naturalien und brauchte nur 1 Pferd zu halten. Alsbald erhielt er jährlich 100 Gulden, ein Drittel der Gerichtsgefälle, zwei neue Kleider, 10 Schaff Roggen, 2 Schaff Weizen, 2 Schaff Gerste und 40 Schaff Haber zum 1 Im einzelnen aufgezählt in einer Übersichtstabelle von 1602—8 (Neub. Lit. 1104, 68 ff.) und im Salbuch von 1672 (RA. 7 a und b.); die von den Vettern er­ kauften Gülten in der Pflege und Hauszinse in Donauwörth sind zusammengestellt: FA. 19, 1, 3. 2 s. o. S. 257 mit A. 3. 3 s. o. S. 266 mit A. 1. 4 RA, 1,23—25. 5 Neub. Lit. 1102, 59; Traber 264.

283 Unterhalt von 2 Pferden. Er mußte ständig zum Dienste mit 2 Pferden in- und außerhalb der Pflege bereit sein.1 3. Matthäus Wanner jun. (1. Mai 1572—1597) war ein Sohn des Vorigen und wurde mit demselben Dienstvertrag angestellt. Im Pfleghaus lag eine zweite Rüstung für den Kastenknecht und eine dritte für den Donauwörther (=-— Riedlinger) Vogt. Der Mertinger Dorfvogt besaß auch eine Eisenrüstung.2 4. Andreas Wanner (1597—1620) lebte in der Zeit, da Georg Fugger im Jahre 1607 die Reichspflege dem Einflüsse der Stadt entzog, und begann den Ausbau einer unbehinderten Steuerhoheit.3 5. Bartholomäus Braun (1620—ca. 22).4 6. Hans Eberhard Ayblinger (ca. 1622—24) wohnte nicht im Pfleghause wegen der Streitigkeiten mit der Stadt; daher blieb die Holzlieferung aus dem Stadtforste aus.5 7. Tobias Soyer (1624—ca. 28), „Pflegverwalter“, war vorher bayerischer Pflegvogt in Rain gewesen. (Vergl. die Absichten Herzog Maximilians I., die Pflege zu kaufen ; möglicherweise hatte er seinen Pflegvogt in die Fugger’sche Pflege hinein­ geschoben).6 8. Ferdinand Braun (1628—37?) war zugleich Bischöflich Augsburgischer Rat und litt unter der schwedischen Einquartierung in den Jahren 1632—34.7 9. Leopold Rieht er (ca. 1639—40), „Pfleg Verwalter“, war schon 1631 Dorfvogt in Mertingen und wurde vorübergehend mit der Verwaltung der gesamten Pflege betraut; beim Antritt des nächsten Pflegvogtes zeigte er sich widerspenstig und wurde abgesetzt.8 10. Andreas Gerstmayer (1640—ca. 47) floh vor den Schweden im September 1646 und starb in Ingolstadt.9 1 FA. 19,1, 1, fol. 68; 201, 3, I. 2 RA. V2, 1597; FA. 19,1, 9, fol. 9. 3 s. o. S. 249ff.; Traber 344; bis zum 10. Oktober 1620 erscheint seine Schrift in den Protokollbüchern der Reichspflege, seitdem eine andere (Neub. Lit. 1109) 4 Ebd. RA. 27 IV 179. 5 FA. 201, 4; RA. 16 V 323. 6 RA. 16 V 323, 325; vergl. o. S. 253. 7 FA. 19, 1, 5, fol. 13 und 16; 201, 5; vergl. o. S. 255 f. 8 Neub. Lit. 1103, 216; FA. 19, 1, 6, fol. 17; 19, 1, 6, fol. 26. 9 RA. 27 IV 179; FA. 19, 1, 6, fol. 20; Neub. Lit. 1110.

284 11. Dr. Michael Scherer (ca. 1647—59) war Kanzler des Klosters Kaisheim und führte zusammen mit dem Mertinger Vogt Mat­ thäus Weihenmeier die Gerichts- und Amtshandlungen.1 12. Narciß Klosterbauer (1. Januar 1659 bis 1. September 1662), Pflegverwalter und Pflegvogt genannt. Er war Obervogt des Klosters Holzen, besaß dort einen Hof und verwaltete von dort aus die Reichspflege. Als Gehalt bezog er 80 Gulden neben einigen Naturalien; seine Amtsführung wurde zuletzt beanstandet.2 13. Johann Werscher (1. Oktober 1661—1687) war der bedeu­ tendste von allen Fugger’schen Pflegvögten. Er führte ohne Geldunterstützung seitens des Pflegsinhabers Nikolaus Fugger den Wiederaufbau der Pflege zum größten Teile durch und baute die volle Steuerhoheit seines Herrn aus. Er bezog 100 Gulden Gehalt und einige wenige Naturalien.3 Seit etwa 1687 ist er nicht mehr bezeugt, vielleicht wurde er von Graf Marquard Eustach abgesetzt, 14. Johann Abraham Jehle (1687—1713) erscheint seit Graf Marquard Eustach; er bezog neben den übernommenen Natu­ ralien sogleich 200 Gulden Gehalt.4 15. Ignaz Frank (1713—1723) faßte die letzten Salbücher der Fugger’schen Pflege ab und stellte die Berechnungen des Ver­ kaufspreises von Pflege und Allodien aus ihren Einkünften auf.5 Unter der städtischen Pflegsherrschaft (1723—35/49) ist er noch 1726 als Pflegvogt genannt und untersteht der Aufsicht des Donauwörther Bürgermeisters Johann Wolfgang Baumhardter.6 Letzterer blieb zunächst im Amte, als die Pflege am 1. Januar 1735 unter die Aufsicht des bayerischen Stadtpflegskommissärs Josef Hayder gestellt wurde. Uber die bayerische Behördenorganisation in Donauwörth seit 1735/49 s. o. S. 120 ff. und Obb. Archiv 53 I 183 ff. 1 Donauwörth, R. Pr. 1650. VII. 15; FA. 19, 1, 6, fol. 65. 2 RA. 27 V 178; FA. 19, 1, 7. 3 FA. 19,1, 7; s. o. S. 256 ff.; rgl. nachfolgende Anmerkung. 4 RA. 27 IV 269, 417; Donauwörth, Vormbch. 126 ff., 132. 5 Ebd.; RA. 1. * Traber 420, 423; Donauwörth, Rechbch.

Das sterbende Volkslied. Vergangene Jahrhunderte hinterließen uns einen köstlichen Schatz an Volksliedern und instrumentaler Volksmusik, deren Gemütstiefe und Bodenständigkeit unsere bedeutendsten Musiker begeisterte und anregte. Vieles wurde schon gesammelt, um dieses Kulturgut kom­ menden Generationen zu erhalten, aber noch manche Schöpfung heimatlicher Kunst ruht in der Erinnerung unserer Alten und droht in Vergessenheit zu geraten. Denn das schlichte Volkslied pflanzte sich von Mund zu Mund weiter innerhalb bestimmter Lebensgemein­ schaften, die sich heute im Großstadtleben größtenteils gewandelt haben. Die Neuorientierung unseres Weltgefühls verursachte eine Umstellung unserer Gesellschaftsordnung. Ehedem gemeinsame Sitten und Gebräuche, Feste, Arbeitsgemeinschaften waren Heim­ stätten des Volksliedes und der Volksmusik, die bodenständige Ge­ brauchsmusik war. Gerade im Leben der Großstadt prägt sich dies am stärksten aus; hier sind die Quellen des Volksliedes fast versiegt; denn der Städter hat die Verbindung mit dem Leben und Weben der Natur verloren, sein Gemüt ist im heutigen Erholungsbetrieb verarmt. Die Arbeit läßt ihn oft unbefriedigt und gibt ihm nur hastende Sorge und verbitterte Isolierung. Statt die Ruhe des Abends durch Singen und Musizieren zu genießen, werden die Erholungsstunden durch Kino, Wirtshaus und Radio ausgefüllt. Der Sinn für die schlich­ ten Schönheiten des Volksliedes ist stark geschwunden und an seine Stelle traten schmeichelnde Walzerlieder und süßlich sentimentale Opperettenschlager. Darum ist zu befürchten, daß mit dem Ausster­ ben unserer alten Generation auch die mündliche Überlieferung zu Ende geht und manches Volkslied unwiederbringlich verloren ist. Die Arbeitsgemeinschaft zur Sammlung der Volkslieder hat es sich zur Aufgabe gemacht, das vorhandene Gut zu sammeln, um neben einem großen wissenschaftlichen Werke eine Auswahl des Besten aus dem Volksliedschatze in kleinen Bändchen herauszugeben, da­ mit die Lieder der Väter und Großväter nicht von den Lippen der Nachfahren verschwinden. Iedes Lied, auch kurze Versehen, soweit diese nicht aus gedruckten Büchern stammen, sollen darum aufge­ schrieben werden; auch Teile von Liedern sind willkommen. Hand­ schriftliche Liederbücher und Notenbücher von Volksmusikanten

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sind für uns von Wert, ebenso Hinweise auf besonders liederkundige Personen. Der Leiter der Arbeitsgemeinschaft zur Sammlung der Volkslieder in Augsburg, W. Schlumberger, Mittelerer Weg 6, ist gerne bereit Auskünfte zu erteilen und sendet auf Verlangen jedem, wie und was gesammelt werden soll. Möge diese Bitte nicht ungehört verhallen. So mancher alte Augsburger und Augsburgerin ken­ nen aus früheren Tagen Lieder. Vielleicht finden sich unter Ange­ hörigen und Bekannten Mitarbeiter, die sich die Lieder und Verse Vorsingen lassen, um sie aufzuzeichnen. Sollte eine Aufzeichnung nicht möglich sein, dann bitten wir um Mitteilung der Adresse, da­ mit wir die Niederschrift vornehmen können.

Mitteilungen aus der Literatur,

Das Schrifttum über schwäbische Ortsnamen- und Besiedelungskunde 1919—1927. Von Oberstudienrat Dr. Julius Mi edel, Memmingen. In den 8 Jahren von 1919—27 ist auf dem Gebiet der Ortsnamenund Besiedelungskunde rege Tätigkeit und manch erfreulicher Fort­ schritt zu verzeichnen. Den besten Überblick über das Schrifttum dieses Zeitraums wie der einschlägigen Schriften überhaupt bietet Dr. Georg Büchner in seiner 1919 erstmals erschienenen Bibliographie zur Orts­ namenkunde der Ostalpenländer,1 die nach 4 Jahren trotz mancher Kürzungen eine von 258 auf 286 erhöhte Zahl von Ver­ fassernamen bringt.2 Die Einteilung ist nach den namengebenden Völkern getroffen, die Schriften und Aufsätze selbst sind wieder­ holt mit willkommener knapper Wertbeurteilung versehen. Die ortnamenkundliehe Literatur von Südbayern3 des gleichen Verfassers greift sodann über das Alpengebiet hinaus und bezieht sogar Arbeiten von 44 Verfassern aus Nordbayern mit ein. Über Siedelungsforschung im allgemeinen als „Weg zur geistigen und materiellen Wiederaufrichtung des deutschen Volkes66 schrieb Dr. A. Helbok ein anregendes Büchlein.4 Er ist selbst in Vorarlberg auf diesem Gebiet tätig und bedauert mit Recht, daß wir auf den Hochschulen keine Lehrkanzel für germanische Alter­ tums- und Siedelungskunde besitzen und daß nur da und dort ein Germanist oder Historiker solche Studien mit seinem sonstigen Lehrfach nebenbei verbinde. 1 Progr. des Maxgymn. München. 2 Ersch. im Alpenfreund 1923/24. München. 3 Progr. des Maxgymn. 1920. München bei Piloty und Löhle. Eine noch um­ fänglichere Zusammenstellung in den Bayer. Heften für Volkskunde Nr. 9 u. 10, sowie im Heimatschutz (München) 1926 S. 122 ff. 4 Berlin 1921.

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Weiter ausgreifende Arbeiten, aus denen auch Gewinn für schwäbischen Boden zu ziehen ist, sind in größerer Anzahl zu ver­ zeichnen. Für die 1920 angeregte Sammlung der bayerischen Flur­ namen hat Remig.Vollm ann eine vortreffliche Anleitung geschrie­ ben unter dem Titel Flurnamensammlung (in Bayern).1 Er führt ein in Zweck und Art der Sammlung und bietet dann in umfassender Auslese die wichtigsten Geländebezeichnungen mit besonnenen, wissenschaftlich gut begründeten Ausdeutungen. Seine Ergebnisse goß er dann noch 1924 für weiteste Kreise in eine mehr unterhaltliche Form durch die Bilder aus der bayer. Ortsnamenwelt.2 Eine kleinere, aber sehr gründliche Sonderstudie Vollmanns sei gleich hier erwähnt über Spiel in Ortsnamen.3 Erörtert wird die Verwendung für Volks- und Ritterspiele, Kampf, Los, Liebesspiel der Tiere, Kirchspiel, am meisten spel-spil == Sprache im Sinn von Dingstätte. Dagegen ist Spiel aus specula weder sprachlich noch sachlich zu begründen. Die uns hier beschäftigenden Fragen behandeln einige größere Werke zum Teil in umfassender Weise. Vor allem Alf. Dopsch in seinen tiefgründigen wirtschaftlichen und sozialen Grund­ lagen der europäischen Kulturentwicklung (bis auf Karl den Gr.)4 Dopsch kommt es vor allem darauf an die „Kontinuität“ der wirtschaftlichen Zusammenhänge des frühen Mittelalters mit der römischen, ja sogar der vorhergehenden Zeit aufzuzeigen. Hiebei muß natürlich vieles, was bisher als unanfechtbar feststehend galt, umgestürzt werden. Ob seine Ansicht freilich sich durchsetzen wird, ist eine andere Frage; zuerst hat sie ob ihrer Großzügigkeit sehr bestochen, nun aber regen sich schon da und dort starke Zweifel. Ich vermisse vor allem eine genaue Begriffsbestimmung dieser „Kon­ tinuität“. Ich weiß nicht, wo und wann ich eine solche als vorhanden annehmen darf. Es gibt doch zweifellos viele vorgermanische Siede­ lungsstellen, an denen später, soweit wir wissen, nie eine Wohnstätte 1 Erstmals in den „Heimatstudien“. 1. Sonderbeigabe z. d. bayer. Heften f. Volkskunde 1920. In 2. Aufl. 1922 ebenda. Die 3. und 4. Aufl. 1924 und 1926 bei Pössenbacher in München. 2 Im „Sammler“, Beil. z. Münch.-Augsb. Abendzeitung. — Für die Flurnamen­ forschung sehr wichtig ist die Zusammenstellung des gesamten Schrifttums durch Beschorner im Korr.-Bl. des Ges.-Ver. d. dtsch. Gesch.- u. Altert.-V. (zuletzt 1919 S. 2 ff., 1923 S. 55 ff., 1925 Nr. 1—6 u. 1926 S. 181 ff. 3 Zeitschr. f. deutsch. Altertum 1924. 4 Wien 1918. 2 Bde. 2. Aufl. 1923/24.

289 war, und umgekehrt viele in ältester Zeit entstandene germanische Orte, bei denen in weitestem Umkreis keine vorgeschichtliche Spur zu finden ist. Der Satz (S. 260): „Die Weiler stehen, wie wir heute wissen, mit römischen Ansiedelungen in näherem Zusammenhang“ steht trotz Behaghel und trotz der nachfolgenden Einschränkung auf sehr wackeligen Füßen und stimmt höchstens für das RheinMoselgebiet. Die Ingen-Orte werden als Zeugnisse für Sippensiedelung abgelehnt. Man dürfe sie nicht als „Patronymika in der Form des Gen. Plur.“ (?) auffassen. Das Suffix ing werde nicht nur an Geschlechtsnamen, sondern auch an Eigennamen einzelner Männer angefügt. So wie es hier gefaßt ist, ist das m. E. kaum zu verstehen. Kluge hat seinen s. Z. erhobenen Widerspruch privatim zurück­ gezogen, fällt also als Stütze weg. Ich meine, man müsse bei den Ing-Namen zeitlich scheiden, darf nicht alle in einen Topf werfen, sondern muß fragen: welches ist wohl die Bedeutungsentwickelung des ing-Suffixes? Und da scheint es mir zunächst zur Bezeichnung einer Personengruppe mit gewissen gleichartigen Eigenschaften gedient zu haben und dann auf die Geschlechtszugehörigkeit über­ tragen und in den Zeiten der Wanderungen vorwiegend von dieser gebraucht worden zu sein; vgl. edilinc und Grutungi (um 300). In der gleichen Zeit heißt schon das vandalische Königsgeschlecht Hasdingi: die Leute mit den langen Haaren. Also vom Volksnamen weiter zur Einschränkung auf eine kleinere Verwandtschaftsgruppe (Sippe) in einer Zeit, da man einer Benennung der einzelnen krie­ gerischen Verbände am meisten bedurfte. Daneben Übertragung auf die Anwohner eines Flusses (Lurungun 8. Jh. = Lauringen an der Lauer), auf die Hörigen eines Grundherrn (Gislingin, quod alii Gravingin vocant, im Eberb. Kart. Hsgg. v. Hundt S. 142) und schließlich auf persönlich gedachte Dinge z. B. Keisuring. So sehr der Sinn der Endung nach und nach verblaßt ist (im Niederdeut­ schen zur Verkleinerungssilbe: Minning), Reste des patronymischen Gebrauchs sind heute noch lebendig: die Lüneburger Sülzhäuser tragen den Namen des Besitzers mit ing und in der Inner-Schweiz benannt man die Verwandtschaft eines Schmid „die Schmiedi(n)g“ u. ä. (S. darüb. A. Bachmann, Eine alte schweizerdeutsche Patronymikalendung in der Festschr. f. Käpi 1919 S. 218ff.)1 Übrigens ist die Entwickelung der bekannten griechischen patronymischen Endung ganz ähnlich: Alaxldrjg ist zunächst Peleus, des Äakus Sohn, 1 Ao 1257: von dem Geschlecht, daz man heizzet Izelinge, hat geschworen Izeli. 19

290 dann auch der Enkel Achill, zuletzt sogar Pyrrhus und Perseus; Aeneades Cäsar und sogar ein Römer wie die Römer insgesamt; Iliades, Marmarides, Taenarides sind von Ortsnamen gebildet; dXiddrjg ist der Seeanwohner und Aristophanes wagt sogar schon ein GaXmyyoloy%vnY)vadai = Trompeten-Lanzen-Knebelbart-Leute. Der Satz ist nicht mehr neu : Die (alten und echten) Ingen-Namen sind die ON. des wandernden Volkes. Darum finden sie sich am zahlreichsten bei den Schwaben und Baiern; die Franken sitzen großenteils noch auf altem Boden ; wo sie zugewandert sind, fehlen auch die Ingen nicht. Übrigens erkennt Dopsch an, daß sie die äl­ testen sind und meist in fruchtbaren Ebenen liegen. Wenn er aber hinzusetzt, „da, wo römisches Wesen sich am längsten gehalten hata und „es werden vielfach nicht neue Gründungen sein,sondern es wird ein Anschluß an schon Bestehendes anzunehmen sein,“ so trifft das im einzelnen kaum, im allgemeinen selbstverständlich zu; die ein­ wandernden Baiern und Schwaben hatten doch keinen Grund von der Isar- oder Lech-Mündung an z. B. den ihnen vom Flußlauf ge­ zeigten und von den Römern gebahnten Weg südwärts zu meiden, zumal wenn auch noch guter Ackerboden daneben war. Aber röm­ ische Siedlungsspuren kennen wir nur von wenigen der anliegenden Ingen-Orte,1 In noch viel weiterem Umfang als Dopsch verwendet K. Schu­ macher die Bodenfunde für die Besiedelung.2 Gleich das 1. Kapitel bringt die Landnahme der Alamannen. Dabei läßt er sie allerdings schon 454 nach der Ermordung des Aetius den Lech erreichen, also wohl das bayer. Schwaben besetzen, während doch Theoderich erst nach der sog. Zülpicher Schlacht schreibt, daß sie sich in seinen Schutz geflüchtet und sich von Schrecken gepackt in seinem Ge­ biet bergen. Dagegen hebt er ganz in meinem Sinn hervor, früher habe man bei den Ingen-Orten die Gründung durch Sippen zu all­ gemein betont, jetzt werde sie zu sehr auf die Seite geschoben. „Da bei den swebisch-alamanischen Stämmen, auch bei den lango1 S. Zeiß, Besiedelung der Gegend von Regensburg (Verh. d. Hist.V. Obpf. 1927) S. 13: Ein unmittelbarer Zusammenhang der ländlichen Siedlungen ist in unserer Gegend im allgemeinen nicht nachzuweisen. Desgl. S. 16: . . . wohl aber eine Kontinuität der (Benützung der) Fluren des Lößgebiets, welche seit der jüngeren Steinzeit begehrte Ackerbaugründe waren. Ähnlich noch S. 17* 2 Dr. K. Schuhmacher, Siedelungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande von der Urzeit bis in das Mittelalter. III. Merowing. und karoling. Zeit, 1. Siedelungs­ geschichte. Mainz 1925.

29 i bardischen, die Gliederung nach Sippen sich teilweise über die Völkerwanderung hinaus erhielt, muß sie auch in deren Siedelungs­ system zum Ausdruck kommen“ (S. 94). „Im altalamannischen Sie­ delungsgebiet darf man die nachweislich ältesten Ingen-Orte in der Mehrzahl als Sippenorte auffassen.“ „Die früheren I.-O. sind zwi­ schen Main und Oberrhein im allgemeinen die ältesten germanischen Siedelungsnamen, können also nur den Alamannen zukommen“ (S. 97). Rheinhessen hat 140 Heim und und nur 2 Ingen, die Schweiz viele Ingen und fast kein Heim. Hier ist fränkische und alamannische Vorliebe in der Benennung wohl klar. Auch in Unter- und Mittel­ franken gehören die Heim wohl ausschließlich der Zeit der fränkischenKolonisation an (6.—8.Jh.). Von den 449ReihengräbernWürttembergs finden sich 159 bei Ingen, 70 bei Heim, bei allen anderen stets weniger als 25; in Baden 60 bei Ingen, 31 bei Heim. In einer Abhandlung über „die Landnahme der Bajuwaren“ hat Sigm. Riezler1 noch einmal das Wort ergriffen, um verschie­ dene Angriffe gegen seine früheren Aufstellungen zurückzuweisen. Er holt dabei aber etwas weiter aus als früher und will die verschie­ denen Typen der bairischen Siedelung und der Wirtschaft im Stammland feststellen. Als Beweis für eine erhebliche Menge vor­ germanischer Siedlerreste betrachtet er 1. die vielen latein. Pers.-N. 2. die große Zahl romanischer O.-N. Dabei findet er „bei Miede? eine systematische, vielfach zu weit gehende Ablehnung römischer Namendeutungen.“ Grubers vordeutsche Deutungen seien nicht „höchst zweifelhaft“, sondern in den weitaus meisten Fällen anspre­ chend, oft überzeugend. Miedel selbst habe die Arbeit s. Zt. als sehr nützlich und willkommen begrüßt. Das ist richtig; ich setzte aber als Grund hinzu, weil in ihr gesammelt sei, was irgend romanisch verdächtig sein könnte, nicht weil ich den teilweise sogar recht er­ zwungenen Erklärungen beistimmte.2 R. scheidet jetzt schärfer alte Ing-Sippendörfer, dann kleinere, die nur die Nachkommen eines einzelnen Siedlers oder einer andern Art Zugehörigkeit bezeichnent und unechte. Mit Recht wird gezweifelt, daß „vielfach“ ein An­ schluß an einen schon bestehenden Ort, also eine Kontinuität zu erreichen ist. Wenn dafür Vollmer als Helfer geholt wird, so möchte 1 Sitzungsb. d. bayer. Akad. d. Wiss. Phil.-Hist. Kl. München 1920 Nr. 16. 2 Für die Einschätzung des Ergebnisses von Grubers Arbeit s. z. B. Reinecke im Bayer. Vorgesch.-Freund H. IV. S. 17: „leider durch antiquierte archäolog.historische Ansichten entstellt.“ 19*

292 ich feststellen, daß es bei dessen Lageangaben römischer Orte viel öfter „bei . . als „in . . heißt. Und die Lage muß doch natür­ lich stets nach einem in der Nähe liegenden größeren Ort bestimmt werden. Wenn aber R. S. 38 soweit geht zu sagen: „Die Dorf-, Heim-, Stetten-, Hofen-, Feld-, Hausen-Orte sind zum Teil wohl ebenso alt als die Ing“, so widerspricht das den anderweit ziehbaren Folgerungen. Woher sollten vor allem für eine so dichte Siedelung die Leute gekommen sein? Ober- und Niederbayern haben — das zeigt schon eine Betrachtung der heutigen Waldverteilung — auf ihren Terrassen sehr viel Wald gehabt; man sieht förmlich auf Kar­ ten mit Waldeintragung die Löcher, die dahinein geschlagen wor­ den sind. Und wenn wir die Einwanderer in den 2 Kreisen sehr hoch auf etwa 1/3 des Jahres 1820 anschlagen, also rund 400000, so kom­ men bei 27000 qkm auf den qkm 14 Einwohner, das sind kaum 3 Familien. Und die konnten in und an den Flußniederungen, wo die meisten Sippenorte sind, leicht Platz finden. Also mußten große Strecken selbst gut brauchbaren Bodens zunächst frei bleiben, zu­ mal wenn die Sippendörfer, wie S. 58 bemerkt ist, bis zu 20 und 30 Höfe (wohl selten!) hatten. Was über die Ing des oberen Inntals gesagt ist, erscheint zutreffend; nur möchte ich eher glauben, daß die Einwanderer talaufwärts kamen und nicht durch die Scharnitz. Im ganzen hält R. seine Meinung gegen Dopsch aufrecht. Ein anderer beachtenswerter Gegner entstand letzterem in Viktor Ernst. Schon 1919 legte er die Grundlagen seiner Maierhoftheorie in einem Aufsatz dar.1 Die Maierhöfe weisen ihn zurück in die Zeit, da noch die ganze Sippe in gemeinsamer Wirtschaft eine ungeteilte Fläche bebaute. Der Maier ist ursprünglich das Haupt der Sippe; dessen Rechte ergeben sich aus denen des Hausvaters; das Schutz­ recht des gemeinsamen Herdes lebt fort im Asylrecht, die priesterliche Würde des Familienhaupts im Kirchenpatronat. In zwei wei­ teren Schriften2 wurde die Untersuchung in einzelnen Erscheinun­ gen fortgeführt und in einer dritten3 die Folgerungen im ganzen dargelegt. In den ältesten schwäbischen Dörfern findet sich meist ein Fron- oder Maierhof mit einem Inhaber von besonderen Vor­ rechten, vor allem Zwing und Bann. Auch der Hof selbst zeigt be­ vorzugte Lage, zu ihm gehört ein ausnehmend großer Bestand an 1 Blatt, d. Schwab. Albv. Bd. 31. S. 103 ff. 2 Die Entstehung des niederen Adels (1916) und die Mittelfreien (1920). 3 Die Entstehung des deutschen Grundeigentums. Stuttgart 1926.

293 Feldern (meist Breiten, Brühl o. ä. genannt). Diese Verhältnisse sind zumeist gleichgeartet und lassen sich bis in eine Zeit zurück­ verfolgen, da die Dreifelderwirtschaft noch nicht üblich war, also in die Zeit der Entstehung der Gemeinden. Privates Grundeigen­ tum fehlt ursprünglich ganz. Nach der Landnahme Aufteilung von Grund und Boden in Gemeindemarkungen, die durch Banngewalt von einander geschieden sind. Markung grenzt an Markung. Jede gehört einer Sippe. Den Markgenossen werden von der Bannge­ walt Teile der Mark zur Sondernutzung zugewiesen; dafür muß an die Gemeinde ein Zins abgeführt werden. Eine Allmende bleibt. Wenn nun die Ingen-Orte als die ältesten Dörfer erwiesen sind, so müssen sie Sippensiedlungen sein. Die Art der Benennung wechselt: der Ingen-Name ist üblich in der Zeit der Wanderung und unmittel­ bar darnach. Später tritt der Name des Sippenhauptes in Verbin­ dung mit Heim, Stetten u. a. an die Stelle. Dies nur eine kurze An­ deutung der sehr klar und schlüssig angelegten Forschungen Ernsts, die für mich fast durchweg überzeugend sind und recht umstürzlerisch wirken dürften. Auch anderwärts liest man von dem „starken Eindruck, den die vielfach geradezu zwingende Beweisführung macht“, deren „Ergebnisse eine dauernde Bereicherung und Be­ richtigung des Standes unserer rechtshistorischen Kenntnis bedeu­ ten“. So urteilt in einem längeren Aufsatz in der Besonderen Bei­ lage des Staatsanzeigers fürWürttemberg (Nr. 11 v.30. 11.1926) Pro­ fessor Dr. v. Pistorius, der nur über einige untergeordnete Punkte noch Aufklärung wünscht. Einen anderen siedlungsgeschichtlich bedeutsamen Fingerzeig hat Ernst schon 1915 in der Beschreibung des Oberamts T e 11n a n g gegeben, wenn er die Namen der den ON. enthaltenen Per­ sonen den in der Frühzeit des 8./9. Jh. in der gleichen Gegend be­ urkundeten PN. gegenüberstellt und zeigt, daß in 55 Orten (aller­ dings meist jüngeren Ursprungs) eben diese PN. vertreten sind, und zwar nicht selten gerade der PN. in dem damit benannten Ort, und daß ausgerechnet bei diesen markgenossenschaftliche Anhalts­ punkte fehlen, auch bei den unechten Ingen im Gegensatz zu den echten. Diesen Gedanken hat nun Jos. Sturm weiterverfolgt in einem lehrreichen Aufsatz über Genealogie und Ortsnamen­ kunde.1 Daraus sei nur hervorgehoben, daß bei der Beliebtheit des Weiterlebens des gleichen PN. in einer Familie der Grün1 Zeitschr. f. ON.-Forsch. II. 85 ff.

294 der eines Ortes nicht wohl mit Sicherheit bestimmt werden kann. Andrerseits zeigt sich die auffallende Erscheinung, daß bei großen Pfarrdörfern auf ing die darin enthaltenen PN. nur ganz selten fort­ leben ; das kann als neues Merkmal gelten für ihr hohes Alter, weil die Gründernamen beim Einsetzen der Urkunden schon häufiger verschwunden waren als bei später angelegten und kleineren. Ein ungemein wichtiges, unentbehrliches Werk, das über alle Fragen der vor- und frühgeschichtlichen Verhältnisse des gesamten Deutschtums trefflichste Auskunft gibt, ist Friedrich K auf f man ns Deutsche Altertumskunde.1 Besonders wertvoll sind die reichlichen Quellenhinweise und -anführungen. Hier kann natürlich nur ein­ zelnes wenige herausgehoben werden, soweit es unsere schwäbi­ schen Siedelungsfragen berührt. Zur Markgenossenschaft bemerkt Kauffmann I. 454: Die Dorfgenossen waren eine Bauerschaft; so­ fern sie an dem Grundeigentum des Dorfes nutzungsberechtigt waren, heißt ihr Verband Markgenossenschaft. Grundherrschaft in nennenswertem Umfang gab es in ältester Zeit nicht. Unter Mark ist dabei zu verstehen die gesamte Feldflur samt dem äußersten Grenzgebiet. Die Anteile an der Feldflur sind ursprünglich gleich, ausgenommen die größeren „adeligen“ Sippen. Aber Eigentümerin blieb stets die Gemeinde. Der Name der Alamannen ist eine Ver­ bandsbezeichnung, für die auch Sweben eintreten konnte, weil der Verband aus swebischen Völkerschaften bestand (II, 89 u. 91). Wenn S. 911 von ihrem Wohnsitz im 4. Jahrhundert gesagt ist, die Ostgrenze sei bei den Flüssen Argen, Iller und Günz gelegen und sei auch als Sprachgrenze von geschichtlicher Bedeutung geblieben, so ist das im ersten Teil mindestens unklar (gedacht ist anscheinend an die Donaulinie bis Günzburg), im zweiten unrichtig, da weder Iller noch Donau je sprachscheidend wirkten oder wirken. Die villa ist ein Herrschaftsgehöft, das villare das, was zu einer villa gehörte, das Bauerndorf (S. 289). Bald freilich werden die Begriffe nicht mehr geschieden. Für die Heim- und Ingen-Orte einen wirtschaft­ lichen, siedelungstechnischen oder stammheitlichenUnterschiedfest­ zulegen, ist nicht möglich. Das soll wohl nicht besagen, daß keiner war: denn ,>die ersteren haben einen romanisierendenBeigeschmack, weil sieUbersetzungen von villa sind [auch in Schwaben und Baiern ?], die letzteren sind mehr volkstümlich. Darum bevorzugen die der Romanisierung geneigteren Franken das Heim“ (S. 291). Die für 1 München I. Teil 1913. II. 1923.

295 die Umwandlung der vordeutschen Endung anum und acum zu ing ebenda gewählten Beispiele sind unglücklich, da es ein Femiana (angeblich = Faimingen, statt Ponione; s. darüber Schröder weiter unten) gar nicht gab und Iciniacum = Theilenhofen, keinesfalls aber Itzing ist. Die Sindolfinge werden erklärt als die Insassen einer nach Sindolf benannten villa, die darin beheimateten Leute; doch „häufig“ zeigt ing als patronymisches Suffix die Herkunft eines Mannes, seine Familien- und Hausgemeinschaft oder die Abstam­ mung und Abhängigkeit an ; daher sind die Ingen solche Siedlungen, deren Insaßen, von einem Herrenhaus abhängige Leute, zur Herr­ schaft eines Oberhaupts (hier des Sindolf) gehörten, aber nicht Sippensiedlungen. Die incheim gingen von der curtis eines villare aus und legten den Namen eines Gutsherrn zugrunde. Dabei aber wird gewarnt vor der Ansicht in Namen wie Ascolteswilare stecke der Name des Gründers oder ersten Besitzers (S. 294; s. dagegen V. Ernst in der Beschreibung des Oberamts Tettnang). Unbestritten dürfte sein, daß es in der Namengebung auch Moden gab: „man könnte einen Völkerwanderungs- (5./6. Jh.) und einen romanischen Stil (7-/8. Jh. Mission) unterscheiden“. Für Siedlungen an vordeut­ schen Wohnstätten wurde neben bürg besonders statt beliebt und zwar jenes für das befestigte Lagerdorf (castra), dieses für das Kastell (castellum): Augs-, Regens-, Ladenburg — Alten-, KesselStorkstatt. Das kann aber natürlich nur für jene früheste Zeit gelten; in Madalrichesstat u. v. a. war nie irgend eine Burg. Die Alamannen ließen die villae zerfallen und bauten sich in der Nähe an, über­ nahmen also nicht das Haus, wohl aber die Wirtschaft (307). Ist das nun „Kontinuität“ oder nicht? Die Heim-Endung ist auch den Alamannen vertraut, hat aber in der Zeit der Franken gewuchert (Ansteckung durch sie?); Geländenamen wie Aih-, Berg-, Tala-5 Mulin-, Chirichhaim sind „Belege für fränkischen Zeitstil“. Räto­ romanen haben sich jenseits (d. h. östl.) von Argen und Iller gut behauptet und so hatRätien eine Mischfarbe (?) bekommen; nament­ lich im Allgäu machten sich die Walchen bemerkbar; Beweis: ro­ manische Fluß-, Berg- (kein einziger!) und ON. z. B. Fauces = Füssen, Ad frontes = Pfronten. Diese Stützen müssen brechen. Denn wenn etwas sicher ist, so das, daß Füssen und Pfronten nicht so abzuleiten sind. Und was sonstige Reste sprachlicher und anderer Art sind, so sind sie denkbar spärlich. Die bis ins 5. Jahrhundert dauernde Römerherrschaft hat freilich die Namen

296 Kempten, Günz- und Augsburg, Keilmünz und Epfach bewahrt (wie so sollen das übrigens „typische deutsch-romanische Misch­ formen“ sein ?), die Namen der größeren Flüsse sind s. der Donau allenthalben schon vorrömisch — was bleibt noch? Ich selbst habe mir schon alle Mühe gegeben, sprachliche u. a. Spuren aufzufinden, habe auch wiederholt schon geglaubt solche entdeckt zu haben, mußte aber stets wieder erkennen, daß ich mich getäuscht. Es gab selbstverständlich in frühalemannischer Zeit noch da und dort Ro­ manen ; die müssen aber so dünn und bedeutungslos gewesen sein, daß sie in kürzesterZeit völlig aufgesogen waren. „Von deutschen Bil­ dungen überwiegen die hofen, deren 1. Glied selbständig geworden ist“ stimmt auch nicht (s. Ztschr. f. dtsch. Mda. XIV. 1919 S. 54 ff. und zu dem angeblich romanischen Gund ebdt. VI. 1911 S. 367 ff-)* Den Heim-Orten widmet Adolf Bach eine wertvolle Sonder­ untersuchung 1 *mit guten Einzelbeobachtungen, aber auch recht an­ fechtbaren Behauptungen. Heim setzt Seßhaftigkeit voraus. Im Ge­ gensatz zu Hausen, Hofen, Weiler kommt es nie ohne Bestimmungs­ wort vor. Die Alt-, Hoch-, Aufheim usw. haben stets Beziehung zu einem andern Ort. Rund 3/4 haben PN. im 1. Teil: es sind die äl­ teren. Wechsel des bestimmenden PN., wie etwa bei den Weiler, ist sehr unwahrscheinlich. Der Zahl nach kommen die Heim- den Ingen-Orten ungefähr gleich (gegen 1300). Sie sind nur selten Fort­ setzung römischer Kastelle oder Städte, wohl aber lehnen sie sich an villae an, ohne darum Einzelsiedlungen zu sein. Doch waren sie auch von Anfang an keine grundherrlichen Anlagen. Der PN. ist wohl der des bäuerlichen Führers der Siedler, des Lokators (Maiers inErnstsSinn), vielleicht desSippenhaupts, jedenfalls eines Mannes, der eine hervorragende Rolle spielte, die sich kaum unterschied von der der Person in den Ingen-Namen. Diese sind Wanderbezeich­ nungen, die Heim stellten sich erst bei der Niederlassung ein: . . . inge hieß die Personengruppe, . . . incheim die Wohnstätte. Vielleicht war anfangs beides neben einander im Gebrauch. Die Doppelheit tritt aber in den viel jüngeren Urkunden nicht mehr in die Erscheinung: schon vorher hatte sich eine Form durchgesetzt, und zwar je nach Verkehrsverhältnissen in größeren Haufen (ob dafür Elsaß allein als Beweis dienen kann?). Nun aber sollen die Hofen, Hausen, Dorf „zweifellos44 ein ebenso hohes Alter haben 1 Die ON. auf Heim im Südwesten des deutschen Sprachgebiets. Wörter und und Sachen Bd. VIII. (1923) S. 142 ff. Heidelberg.

297 wie jene beiden Gruppen. Dann jedoch: „Ich glaube, man darf sie weiter zurückrücken.“ Und neben einem Sigmaringen soll auch die Bezeichnung Sigmarsweiler üblich oder möglich gewesen sein; das sei zunächst als eine Art Bildungssilbe für den Namen einer Siedelung übernommen worden. Dagegen spricht m. E. alle sonstige Erfahrung und einen schlüssigen Beweis kann ich in den Darle­ gungen nicht erkennen. Darum wird wohl auch der Schluß fallen müssen, daß es sich bei den verschiedenen Ortsbezeichnungen nur um einen Reichtum an verschiedenen Namen, nicht um einen sach­ lichen Gegensatz oder Unterschied handle. Einen ganz eigenen Weg zur Aufdeckung „Römisch-german­ ischer Zusammenhänge in der Besiedelung und den Verkehrswegen Altbaierns“ beschreitet Hans Dachs.1 Um ein Stück von Dopsch’ Kontinuitätslehre zu festigen verfolgt er, ausgehend von der Forterbung römischen Staatsguts als späteres Krongut, eine lange Reihe von erweislichen Fiskalorten nach besonders aufgestellten Kenn­ zeichen und kommt zu dem Satz: Römerort = agilolfingisches Herzogsgut = Deutsches Königsgut. Viele Orte reihen sich zudem an Römerstraßen an einander, so daß sie sogar ein Behelf werden kön­ nen zur Erforschung von Altstraßen. Auf alle Fälle bergen Dachs’ Aufstellungen sehr beachtenswerte Gesichtspunkte und sollten, selbst wenn nicht überall gleich alte Quellen verfügbar sind wie in Altbaiern, zu genauerer Nachprüfung in Schwaben anregen. Von Barthol. Eberls wertvollem Werk über Die bayerischen Ortsnamen als Grundlage der Siedlungsgeschichte sind bisher die ersten zwei Teile herausgekommen: I. ON.-Bildung und siedelungsgeschichtliche Zusammenhänge. II. Grund- und Bestim­ mungswörter.2 Es ist natürlich auch für uns von Wichtigkeit, weil es sehr viel auf Schwaben Bezug nimmt. Am besten gelungen scheint mir davon die Darlegung der Schichtung der Ortsnamen, worin manche guten Beobachtungen enthalten sind. Sein Urteil verrät allenthalben eine genaue Kenntnis der bayerischen Verhältnisse und sorgfältige Abwägung der Gegebenheiten. Nicht so ganz ebenbür­ tig dem 1. Teil ist der 2., der in dem Bestreben, den Namenwort­ schatz möglichst vollständig zu erfassen, viele Elemente hereinnimmt, 1 Altbair. Grenzmarken (Passaii) 1924 Heft 5—8. Bericht über s. diesbezügl. Vortrag in Regensburg i. d. Ber. üb. d. Hauptvers. d. Ges.-Ver. d. dtsch, Gesch.Ver. 1925 S. 122 ff. 2 München bei Knorr & Hirth. 1925 u. 26. 8°.

298 die sicherlich in Bayern nicht heimisch sind und aus denen auszu­ wählen zumal bei der großenVerschiedenheit der bayerischen Mund­ arten große Vorsicht erheischt und manche große Verlegenheit be­ reiten dürfte, Der Herausgeber Josef Schnetz der Zeitschrift für Orts­ namenforschung, die ein Sammel- und Mittelpunkt aller wissen­ schaftlichen Tätigkeit in Ortsnamenkunde auf deutschem Boden werden kann und soll, hat in der Berichtszeit verschiedenes ver­ öffentlicht, das für unser Schwabenland von Belang ist. Am um­ fangreichsten ist die im Arch. für Unterfranken 1 gedruckte Ab­ handlung über die rechtsrheinischen Alamannenorte des Geographen von Ravenna. Sie wendet sich gegen einen Auf­ satz des Berichterstatters,2 der 3 schonim Bericht Höchst. Augsb. (Bd.5. S. 637) erwähnt ist. Es handelt sich um die Lagebestimmung einer Reihe alamannischer civitates, die Sch., wie schon der Titel vor­ greifend sagt, rechts des Rheins sucht, während ich sie auf Schweizer Seite gelegen annehme. Daran hat sich eine unschöne Fehde ge­ knüpft, über die ich lieber hinweggehe, mich beschränkend den Leser auf die Stellen zu verweisen, wo er etwas darüber finden kann: Sch. „Zur Beschreibung des Alamannenlandes beim Geogr. v. R.“ (Ztschr. f. Gesch. d. Oberrheins 1921). Miedel „Die Alam.-O. d. Geogr. v. R.“ (Zeitschr. f. Schweiz. Gesch. II. 1922 S. 273 ff.) Sch.: „Zu den rechtsrh. Alam.-O. d. G. v. R. in den Bl. f. d. Gymn.W. Bd. 60 (1924) S. 35 ff. Schließlich noch ebd. S. 351 u. 353.* An Stelle des im Schwabenland gelegenen Rottenburg war einst ein Ort, der den Namen Sumelocenna führte. Er ist wohl keltisch und von diesem Gesichtspunkt aus sucht ihn Schnetz zu erklären4 als „Ort am schönen Talende oder in der schönen Talbucht.“ Ab­ gesehen von den gewagten sprachlichen Konstruktionen setzt m. E. eine solche Deutung bei einem schlichten Naturvolk ein landschaft­ liches Empfinden voraus, wie es erst der Neuzeit eigen ist. Nicht besser dünken mich die feinen Unterscheidungen, wie sie bei Deu­ tungsversuchen vorgermanischer Flußnamen auf antia vorausge­ setzt werden,5 die wegen der Wörnitz, Elsenz usw. auch für uns 1 2 3 4 5

Bisher 2 Jahrgänge 1926 f. München bei R. Oldenbourg. Würzburg 1918. Bl. f. d. Gymnas.-Wes. Bd. 52 (1916) S. 253 ff. Ztschr. f. kelt. Philol. 1920 S. 93 ff: Rottenburgs alter Name. Ebdt. 1923 S. 35 ff: Beitr. z. Kenntn. nichtgerm. Flußn. Süddeutschl.

299 hier einschlagen. Benennungen wie grau, etwas rot = gelb, „bei Hochwasser gelb“ (welcher Fluß ist das nicht?), ziemlich od. an­ nähernd grau („mit einem Stich ins Bläuliche“) sind so farblos, daß sie fast auf jedes Wasser angewendet werden können. Die Zusam als die „recht ruhige“ zu fassen (ebdt. S. 277) ließe sich eher ver­ teidigen (wieder abgesehen von sprachlichen Bedenken), wenn­ gleich auch die andern benachbarten Donau-Neben- und Zuflüsse recht ruhig fließen. In seinem Büchlein „Zur Siedelungsgeschichte der Mindelheimer Landschaft“ hat Wilh. Eberle1 die Siedelungen der ehemaligen Herrschaft Mindelheim untersucht. Seine Einteilung der Orte in „Ursiedlungen“ (auf vordeutscher Grundlage und deutschen Ur­ sprungs) und „jüngere Rodungssiedlungen“ erscheint nicht glück­ lich. Sie zwingt eine große Anzahl zweifellos junger Orte (Groß­ ried, Hattenthal, Rieden, Schönegg u. a.) der ersten Gruppe ein­ zureihen und bewirkt so ein falsches Bild. Auch die Erklärungen sind nicht einwandfrei. Den Hauptfluß des Tals (Mindel) als den „kleinen“ zu bezeichnen, geht nicht an; eine deutsche Ableitung ist auch nicht möglich; und Deutungen wie Günz = Bach sind be­ quem. Hier wäre ein non ignoramus besser. Römischer Einfluß ist zu weitgehend angenommen. Pforzen gehört zu portus = Über­ gang, Zollstätte, aber weder zu porta noch zu „welsch fford“. Die dürftigen Reste von Dirlewang (nebenbei durnin = dornig, nicht „dürr“) berechtigen noch zu nichts; auch nicht die bloße Flurbe­ zeichnung „Alte Stadt“ an jener Stelle. Gleichwohl erachte ich Eberles Schriftchen als wohlverdienstlich. Vom Berichterstatter selbst ist eine Anzahl Abhandlungen er­ schienen, bei denen im allgemeinen eine Aufzählung genügen mag. Im Jahre 1919 „Eine unbeachtete elliptische Ortsnamen­ gattung“2 (Schrumpfnamen wie Mooshausen Moosbrugghausen). Der ON. Ungerhausen (ausHungerbachhausen, Schwäb. Erzähler 1920, 6). Ferner Die bayer. ON.-Forschung 1910—20 (Bayer. Hefte f.VolkskundeVII. 1920 S. 21 ff.).DieErschließung und Ur­ barmachung des Eschacher Berglands (Memminger Gesch.Bl. 1920, 1). Dazu als Ergänzung die ON. des Kürnachwaldes und ihre Bedeutung (Allgäuer Gesch.-Fr. 1925 Nr. 24). Die Memmingerberger Flurmarkung(Memm. Gesch. Bl. 1921, 1), 1 Mindelheim b. J. B. Zick. 1922. 2 Zeitschr. f. deutsch. Mda. Bd. XIV. (1919) S. 54 ff.

300 Sammlung der Flurnamen einer Dorfgemeinde mit Karte; des­ gleichen die Woringer Hausnamen (ebdt. Nr. 3). Der verbrei­ tete Flur-N. Erget und Egert ist zu deuten versucht (Memm. Gesch.-Bl. 1921, 8 und Deutsche Gaue 1923, 39), der ON. Legau in dem Legauer Heimatbl. 1924 Nr. 1 (Beziehung zum nahen Lehbühl). Der Name von Gestratz im Allgäu (Ton auf e!) wird auf die „gähe“ Straße zurückgeführt im Gegensatz zur bisherigen Er­ klärung als romanischer Überrest: castra. (Deutsche Gaue 1921 S. 65). Wenn es freilich zutrifft, was Vollmann Ztschr. f. ON.Forsch. 2, 31 zu erweisen sucht, daß das häufige Gasteig als S.-N. zu Steig den Ton auf der Vorsilbe bewahrt hat, könnte auch Ge­ stratz das „Gesträße“ sein. Über den Pfahl als ältesten deut­ schen Namen des Limes ist gehandelt in d. Bl. f. d. Gymn.Schulw. 58. (1922) S. 190 ff. und darnach in Dtsch. Gauen 1924, 121; über die Wohnsiedlungen an der mittleren Westgünz in der Frankfestschrift S. 117 ff. (München 1927). Für die Gleichsetzung der Keltenstadt Damasia mit Ur-Augs­ burg tritt erneut ein Joh. Linder unter Hinweis auf die sonstige Bedeutung von äxgÖTzohg bei Strabo (Memm. Gesch.-Bl. 1923, 46). Die von dem neugegründeten Verband für bayer. Flurnamen­ sammlung gegebene Anregung hat natürlich auch verschiedene Ar­ beiten gezeitigt, die sich mit Deutungen befassen; so bespricht Karl Grünbauer die Fl.-N. von Kellmünz (Beibl. z. Memm. Volks­ blatt 1924, Nr. 7). In seinem verdienstlichen Werk „Auf schwäbi­ schem Boden“ behandelt Eug. Ganzenmüller S. 101 ff. auch die Orts- und Flurnamen des sog. Ulmer Winkels bis gen Günzburg hinab trotz verschiedener Mißverständnisse in recht brauchbarer Weise. Gründlich und von hoher Warte aus hat sich mit den wichtigsten Fragen der ON.- und Besiedelungskunde neuerdings wieder einer ihrer Veteranen beschäftigt, Karl Bohnenberger. Drei längere Abhandlungen zeugen von seinem tiefen Eindringen in den Stoff wie seiner genauen Kenntnis und scharfen Erwägung aller ein­ schlägigen Verhältnisse auch außerhalb des Schwabenlandes: „Die ON. Württembergs in ihrer Bedeutung für die Siedlungs­ geschichte“,1 dann „Die Heim- und Weiler-Namen AlemanniensmiteinemAnhang über die ingen-Namen“2 sowie 1 Gedr. in den Blatt, d. Schwab. Albver. 1920. 2 Württ. Viertelj.-H. f. Landesgesch. XXXI. 1925.

301 „Zu den Ortsnamen“.1 Die letzteren beiden bringen eine ein­ gehende Begründung der wesentlichsten Teile der ersten, die selbst wieder ein Vorläufer einer umfassenden Untersuchung der ON. des ganzen deutschen Stammesgebiets sein soll. Selbstverständlich geht Bohnenberger von seiner schwäbischen Heimat aus; denn „kaum irgendwo in deutschen Landen tritt die Bedeutung und die geschicht­ liche Stellung der ON. so deutlich hervor wie in Alemannien“. Es ist, wie wenn auch hierin die Zielbewußtheit des Schwabenstammes sich scharf ausgeprägt zeigte. Willkommen ist schon die Dreiteilung, die Bohnenberger für alle ON. vorschlägt, in Siedlernamen (die Ingen, München u. ä.)., Siedlungs- (heim, dorf usw.) und Stellen­ namen (-berg, -bach u. dgl.), weil sie eine möglichst strenge Schei­ dung der Hauptgattungen gestattet. Die Ingen-Orte auf schwäbi­ schem Boden haben alle die Eigenschaften, die man von Erstsied­ lungen erwarten darf: Höchstes erweisliches Alter, günstigste Boden­ verhältnisse, Lage an alten Verkehrswegen, nächst römischen Wohnplätzen, häufigstes Vorkommen altalamannischer Friedhöfe, frühe­ stes Auftreten als Verwaltungsmittelpunkte und Urpfarreien, um­ fangreiche Markung usf. Alles spricht für Entstehung in der Land­ nahmezeit. Ableitung der Namen von PN. fast durchweg möglich, Unterschied zwischen Voll- und Kurznamen spielt keine Rolle. Die ing-Endung an sich bedeutet Zugehörigkeit im allgemeinen. Aber anderweitige sachliche wie sprachliche Erwägungen drängen zu der Annahme von Sippensiedlungen bodenbesitzender Bauern, die nach ihrem Oberhaupt benannt sind. Die Siedlungsform ist die in Grup­ pen, also haben wir es von Anfang an mit Volldörfern zu tun. Ihnen zunächst stehen die Ingheim- und Inghofen-Orte, denn diese ent­ halten nur eine zusammenfassende Bezeichnung für eine Mehrheit einheitlich benennbarer Siedler. Zeitlich müssen folgen die Heim-Orte ; sie haben mit jenen man­ ches gemein: günstige Lage in dem bei und nach der Landnahme besetzten Gelände, frühzeitiges Auftreten und Wachstum zu bedeut­ samer Größe. Sie sind zahlreich im fränkischen Württemberg, sel­ tener im Süden, wo sie die Ingen teilweise im Streifen begleiten. Auch Baiern ist reich an solchen, besonders im Südosten. So zähle ich im Bezirksamt Traunstein neben 72 Ingen 119 Heim, Rosenheim neben 61 gar 100, Wasserburg 64 + 61, Laufen 68 + 101, Mühl­ dorf 59 + 118, Pfarrkirchen 64 + 146, Erding 30 + 110. Das ist ein 1 In der Sievers-Festschrift 1926, S. 129—202.

302 Überwuchern ; der Altbaier muß sich wie bei seinen ing so später bei den heim ganz von der „Mode“ haben beherrschen lassen. DasWort Heim besagt „heimatlicher Wohnsitz“ (vgl. Boiohaim); es steht bis auf ganz vereinzelte Fälle stets in der Einzahl und benennt in Schwa­ ben sicher stets eine Gruppensiedlung. Eigenartig einförmig ist die Zusammensetzung: das Bestimmungswort ist entwederKirch-,Berg-, Tal-, Hoch-, Weil- und dgl. oder ein PN. im Genitiv, dessen Sinn Namen wie Königs-, Bischofsheim erkennen lassen. Alle Anzeichen sprechen — im Schwäbischen sicher — für fränkischen Einfluß, wenn auch die Bauern Alamannen waren; vielleicht weist der PN. auf den Grundherrn, jedenfalls auf eine maßgebende Persönlichkeit. Die Stetten-Orte sind nach Bohnenberger zu einem bäuerlichen Sonderzweck schon ziemlich früh angelegte Orte, ursprünglich meinte er Wasserstellen, später bringt er sie in Gegensatz zur Burg; sie sind aber m. E. zu früh angesetzt. Wichtig und richtig scheint mir besonders die Auffassnng der Weiler-Orte. Sie liegen — auf schwäbischem Boden — in wenig, ja wenigst ergiebigem Gelände mit klar erkennbarer junger Flurform, waren und sind noch unbe­ deutende Orte, weshalb Weiler bei den Alamannen Gattungswort für kleine Gruppensiedlungen geworden ist. Eine Nachprüfung der Anschauung, daß die so benannten Orte mit Resten römischer An­ lagen Zusammentreffen, ergibt keinerlei engere Beziehungen als für die anderen Orte, von einem Fortbestand, womöglich gar noch vorgermanischer Siedler, ist keinerlei Nachweis zu liefern. Also so, wie auch ich schon vor einer Reihe von Jahren es ausgedrückt: Bei den Weilern ist nur die Möglichkeit der Nähe römischer Reste ge­ geben — wenn andere Anzeichen unterstützend hinzukommen — bei den Weil dagegen fast Sicherheit. Mit Recht hebt Bohnenberger darum hervor, daß die von mir s. Z. (Alam. 1907, 305) gemachte Andeutung von einem entfernten (nicht „nahen“!) Zusammenhang der Weiler mit den Walchen-Orten nicht so gedeutet werden dürfe, wie es Dopsch a. a. O. I, 123 tut. Bohnenberger kommt zu dem Schluß: Behaghels Deutungsversuch ist für Württemberg mißlungen. Und weiter: Ebenda ist kein sicherer vordeutscher ON., somit starke Umgestaltung des Siedlungswesens durch die Alamannen; zwar ein Fortbestand vordeutscher Volksreste, nicht aber vordeutscher Siedelungen; nirgends vordeutsche ON. Den Heim-Orten schließen sich zeitlich die mit hofen an und dann folgen die mit hausen; das stimmt sicher auch für bayerisch Schwaben. Zuletzt kommen die

30 3 Stellennamen. Die „Dorf“ gehören erst dem späteren Ausbau an. Die „Beuren“ müssen in ihrem Äußeren etwas kenntlich Verschie­ denes von gewöhnlichen bäuerlichen Gebäulichkeiten gehabt haben, sonst hätte man sie nicht zumeist ursprünglich schlankweg Beuren nennen können. Bohnenberger meint Einräumigkeit; kann sein; daß aber einige spätere Klosterorte so heißen, halte ich für Zufall. Praktisch angewendet auf die Besiedlung zweier Gebiete Nord­ schwabens haben die Namenkunde Alfr. Schröder (Die ON. des Amtsbezirks Dillingen)1 und Rieh. Dertsch (Die deutsche Besie­ delung des östl. bayer. Mittelschwaben).2 Zwei vorbildliche Arbeiten, denen man recht viele Nachfolger wünschen möchte. Schröder baut seine Erklärungen auf allen erreichbaren urkundlichen Formen vor 1300 auf, und bespricht außer den jetzigen Orten auch die auf­ fallend vielen Wüstungen (98!). In dem verhältnismäßig kleinen Raum des Bezirks, soweit er ursprünglich zur Besiedlung brauch­ bar war — etwa ein Drittel, das Donaumoos und -ried, gingen ab — finden sich 24 Ingen- und 20 Heim-Orte, so daß man wirklich den Eindruck gewinnt, die etwa von NW anrückenden Alamannen müßten sich an der römischen Donaugrenze förmlich gestaut haben. Sehr zu begrüßen ist das übersichtliche farbige Kärtchen. Ein sol­ ches (in doppelt so großem Maßstab) hat auch Dertsch seiner Ab­ handlung beigegeben; sie verleiht erst seinen Ausführungen die Anschaulichkeit, ohne die sie kaum verständlich wären. Dertsch nimmt für diesen Lech-Donau-Winkel gewissermaßen eine doppelte alamannische Besitznahme an, eine Art „Einsickerung44 noch wäh­ rend der Dauer der festen Römerherrschaft und eine geschlossene Landnahme unter Theoderich nach der Alamannenschlacht. Die Altdörfer sind zum Teil erweislich freie Bauernsiedlungen, bei einigen scheint auch die Maierhofverfassung noch durch. Außer den 23 In­ gen, unter denen etliche recht unbedeutend geblieben sind, waren auch die Heim Gruppensiedlungen, wenn auch klein und jenen „an Bedeutung etwas nachstehend44, aber meist mit erkenntlicher Be­ ziehung zu einem nahen Ingen-Ort. Die Herausschälung der Urmarken ist gut gestützt durch umfangreiche Erhebungen mannig­ fachster Art und dürfte im allgemeinen das Richtige treffen. Auf S. 92 wird einerseits eine auffallende rassische Durchmischung der Bevölkerung auf eine Vermengung mit Romanenresten zurück1 SA. aus dem Jahrb. des Hist. Ver. Dillingen 33. u. 34. (1920/21). 2 SA. aus Arch. f. Gesch. d. Hochstifts Augsburg Bd. VI. Dillingen 1925.

304 geführt, andrerseits soll wieder der Rücklaß so gering gewesen sein, daß er „keine erheblichen Spuren hinterließ“. Ich möchte glau­ ben, daß die beobachtete Mischung unmöglich nach l1^ Tausend Jahren noch bemerkbar sein kann und meine, sie könnte eher, wie anderwärts in Schwaben, mit starker Zuwanderung in die durch den 30 jährigen Krieg stark mitgenommene Gegend in Zusammen­ hang stehen. Auch der fränkische Einfluß scheint mir etwas über­ schätzt. Wenn er z. B. die Umnennung eines alamannischen Urdorf es in Westendorf veranlaßt haben soll, so kann ich mir dafür keinen Anlaß — wie etwa bei (Zusam-) Altheim und Pfaffenhofen — denken. Warum hätte das Mutterdorf von Osten- und Nordendorf seinen Namen ändern sollen? Ellgau Eilingen, das, wie auch sonst gern (z. B. auch Peiching), an den Lechrain vorgeschoben war, dürfte m. E. vielmehr zunächst 2 Ausbauten (erst jüngere „Dorf“-Orte!) im Süden gegründet haben, die die Mutter ob ihrer gegenseitigen Lage Westen- und Ostendorf benannte, und das über die Größe der Mutter hinausgewachsene Westendorf gab seinem Kind später entsprechend den Namen Nordendorf. So dünkt michs viel einfacher. Schröder hat der neuerdings versuchten Gleichsetzung der Rö­ merorte Ponione (Peut.-Taf.) und Pinianis(Itin. Ant.) mitFaimingen durch P. Reinecke eine Abhandlung gewidmet.1 Das Ergebnis ist ein berechtigter Zweifel nicht an der örtlichen, wohl aber an der sprachlichen Gleichheit der Orte, für die eine — wohl mögliche — verderbte Überlieferung der Namenformen Voraussetzung wäre. „Auf neuer Grundlage“ baut J. Bitzer seine Siedlungsgeschichte auf in seinem Aufsatz über „Die Entstehung unserer württembergischen Ortschaften.2 Ihm sind die Heime in der Hauptsache planmäßige fränkische Gründungen, zwischen 500 und 600 um eine Grafenburg angelegt zur strategischen Beherrschung des Landes und zur Erfüllung kultureller Staatsaufgaben. Auch die einfachen Hausen gehören nach ihm zu diesem Sicherungssystem: Jeder Gau im Ingen-Gebiet hatte einen solchen Ort, dessen Bewohner auf Königsgut saßen und Königsleute waren. Sie sollen kleinere, dem Grafen unterstehende Siedelungsposten sein mit Kriegern, die W eidewirtschaft trieben; daher die Zubenennung mit Schaf-, Ochsen-, Schweig-, Mühlhausen und dgl. PN. geben den an, dem die Bewirt1 Jahrb. d. Hist. Ver. Dillingen 38 (1925) S. 121—29. 2 Blatt, d. Schwab. Albv. 35. (1923) Nr. 6. Dazu auch noch 38. (1926) Nr. 1 u. 2 (mit wichtigen Karten).

305 schaftung übertragen war. Selbst die Dorf-Orte liegen auf Königsgut und gehören ins 7. Jahrh., wie die Stetten, die Au, Hart, Feld,Wangen u. a., die also gleichfalls fränkische Schöpfungen sind, soweit sie im nördlichen Ingen-Bereich liegen. Anders das ingenlose Gebiet des württembergischen Oberlandes mit seinen vielen Hofen- und WeilerOrten. Hier war zahlreiche rätisch-keltische Urbevölkerung sitzen geblieben: über sie setzten im Argen-, Schüssen-, Nibelgau usw. die Franken im 8. Jahrhundert, besonders unter Karl dem Großen, sie in kleine Gruppen zusammenfassend, alamannische Grundbesitzer (wa­ rum nicht lieber gleich fränkische ?). So auch um Backnang, im Welzheimer Wald, an den ö. Schwarzwaldausläufern. Die „Beuren“ sollen Block-, vor allem Falkenhütten gewesen sein. — Die alamannische Besitznahme ging von der Riesgegend aus. Sie ist gekennzeichnet durch die Ingen und läßt 4 Gruppen unterscheiden: eine ö. und w. Baar, einen ö. (Neckar-) und w. (Wester-)Gau. In ihnen wiederholen sich großenteils die Namen aus dem Ries, eine allerdings sehr auf­ fallende Erscheinung. So spiegelt sich also die Landnahme des 3. Jahrhunderts wieder in den Ingen-Orten, bis mit dem Jahr 536 der fränkische Einfluß zur Geltung kommt. — So viel ich mir von dem ersten Versuch Bitzers versprochen hatte, zu einer so weiten Durch­ dringung mit fränkischen Elementen noch in der Zeit des schwä­ bischen Stammesherzogtums kann ich mich nicht verstehen. Was soll denn aus dem wohl nicht geringen schwäbischen Bevölkerungs­ zuwachs geworden sein, wenn im Oberland fast keine Schwaben sitzen? Es wäre in Württemberg nur ein recht schmaler Streifen echt alamannischen Landes übrig zwischen der Linie Ellwangen— Hornisgrinde und „Oberschwaben“, das man wirklich nur mehr in Anführungszeichen setzen dürfte. Übrigens hat die fränkische Ko­ lonisationsarbeit nachweislich erst im 8. Jahrhundert eingesetzt. Doch ist Bitzer ein ernst zu nehmender Forscher, weshalb ich auch seinen Erklärungsversuch eingehender glaubte darlegen zu sollen. Von seinem archäologischen Standpunkt aus äußerte sich Peter Gößler „Zur ältesten alamannischen Siedelung“1 um bei­ zutragen zur Aufhellung des Dunkels der Zertrümmerung des Limes um 260 und der einsetzenden merowingischen Kultur um 500 jn Württemberg. Die „Kontinuität“ durch das 4-/5. Jahrhundert hindurch scheint ihm nicht so ganz fest. Die römischen und die aus den großen Reihenfriedhöfen zu erschließenden altalamannischen 1 Bericht über die Tagung des Südwestdeutsch.Verb. f. Altert.-Forsch. 1921 S.20. 20

306 Siedlungen decken sich topographisch nicht. Die heutigen Dörfer sitzen fast nie auf römischen Trümmern. Selbst da, wo an mili­ tärischen Mittelpunkten ausgedehnte römische Niederlassungen nachgewiesen werden können, liegen die großen hochalamannischen Siedelungen abseits davon. Nur bei Walheim ist es anders; aber da erzählt ja ausdrücklich der Name von zurückgebliebenen Volks­ teilen. Freilich steht eine ganz genaue Untersuchung noch aus. Ein andermal1 erkennt er die Ingen-Orte an vorwiegend als die ON. der Wanderzeit. Nur wo am jeweiligen Aufenthaltsort einer Sippe charakteristische Erscheinungen sind, wird die Siedelungnach diesen benannt. An der gleichen Stelle wird das Verhältnis der 3 teilweise in Ulm aufgegangenen Vororte Söflingen, Westerlingen und Pf äff lingen zu der Donaustadt erörtert und die ersten beiden mit Recht als altalamannisch angesprochen. Westerlingen ist dabei zu einem PN. zu stellen, wie ihn der Alamannenkönig Vestaralp oder der Gote Wistrila führte. Im gleichen Heft (S. 23ff.) versucht Ludw. Traub „Die Ent­ stehungsgeschichte (?) des ON. Ulm“ in hochgelehrter, aber m. E. erzwungener Weise zu erklären und den Namen von einem keltischen lima = Fluß abzuleiten, das die Alamannen übernommen und zu ulma umgewandelt haben sollen, beansprucht freilich selbst nur „einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit.“ An einer Stelle, wo 2 oder gar 3 Flüsse Zusammenkommen, ist eine Ortsbezeich­ nung „am Fluß“ am wenigsten angebracht. Ich halte es lieber mit holm = Insel. Dauerwohnsitze im Ulmer Becken finden sich erst, seit Germanen dort sitzen. Deren erste Niederlassung erfolgte an der Blau-Insel. Die älteste Beurkundung von 854 heißt Hulma. Das jetzt nur mehr im Norden heimische Wort kann recht wohl durch semnonischeVolksteile von der untern Elbe her mitgebracht worden sein. DerVokal findet an andern Wandlungen wie ndd.-fries.Worm— Wurm u. a. eine Stütze. Ein anderer Bodenforscher, Walter Veeck, der wesentlich zur Herbeiführung der Möglichkeit einer Scheidung fränkischer und schwäbischer Bodenfunde beigetragen, stellt2 die Frage: Sind die Heim-Orte im Württ. typisch fränkische Grün­ dungen? Er bestreitet — wohl mit Recht — daß es in Ala1 Zeitschrift Ulm und Oberschwaben 1925 S. 18. 2 Im 15. Bericht des Hist. Ver. Heilbronn (1925) S. 5 ff. Dazu s. noch 15. Be­ richt der Röm.-germ. Kommiss. 1923/24 S. 41 ff.

307 mannien vor 748 überhaupt fränkisches Königsgut in erheblichem Maße gab. Das entstand erst mit der Einziehung des alamannischen Herzogsguts. Trotz mißlicher, in der Art der früheren Ausgra­ bungen gelegener Erschwerungen sind wir bis zu einem gewissen Grade imstande die bei den Ingen und Heim liegenden Reihen­ gräber — auch bei den Stetten finden sich solche — nach ihrer stammheitlichen Zugehörigkeit zu scheiden. Und da zeigt sich, daß es Heim-Orte gibt (z. B. Heidenheim, Kornwestheim (!), auch Schretzheim), deren Friedhöfe Funde aus derZeit vor 500 bergen, die also nicht wohl fränkisch sein können. Es werden also nur die nördlich der neuen Grenze von 496 gelegenen Heim sicher auf Franken zurückgehen. Über unsere schwäbischen Nachbargebiete sprechen noch einige Arbeiten, die Fragen behandeln, von denen auch für uns mancherlei Licht abfällt.1 Jos. Zösmairs Schriftchen über die ON. Vorarl­ bergs und Lichtensteins, soweit sie aus PN. stammen, bietet verschiedenes Lehrreiche; nicht minder die Vorarlberger Na­ menkunde, die unter der Sammelfirma A. Drexel—Dr.A.Gau — P. A.Gächter 1926erschien.2 Leider erkennt man von der letzteren nicht recht, wer eigentlich verantwortlich ist. Der Verfasser hat ernsten Willen, die Fragen zu lösen — es sind vorwiegend nicht­ deutsche Namen — tritt aber vielleicht doch etwas zu selbstbewußt auf, ohne selbst immer ganz verlässig zu sein. Bemerkungen unter Bongart, Fagöls, Birket, Haslet verraten allerlei Unsicherheit, wie denn überhaupt die wiederholte Berufung auf R. Kleinpaul ver­ dächtig ist. Eine altbairische Landschaft in den Namen ihrer Siedlungen,Berge, Flüsse und Seen führt Konrad Schiffmann 3 durch sein umfang­ reiches Buch Das Land ob der Enns vor Augen. Es ist eine sehr fleißige, wertvolle Arbeit, die eine empfindliche Lücke ausfüllt. Daß man mit allen seinen Ausführungen einig geht, wird der Verfasser selbst nicht beanspruchen; aber wegen einzelner abweichender Auf­ fassungen über das Ganze abzuurteilen, wie es geschehen, ist un­ gerecht. Für uns hier tritt in den Vordergrund die Darstellung der baiwarischen Landnahme und das Urteil über die verschiedenen ON.-Gattungen, unter denen natürlich wieder die Ingen und Heim 1 S.-A. aus dem Vorarlb. Tagbl. Bregenz 1921. 2 Veröffentlichungen d. öst, Leoges. Sekt. Vorarlberg I, 1. Bregenz a. B. 3 München bei R. Oldenburg 1922. 20*

308 eine bedeutsame Rolle spielen ; der letzteren gibt es über 300, erstere sind so zahlreich, daß die etwa 560 betragenden „echten“ etwa die doppelte Anzahl meist analogisch gebildeter „unechter“ erzeugte. Für jene verficht Schiffmann Riezlers Auffassung. Auf den gleichen Boden stellt sich Eduard Wallner1 mit wohl erwogener, eingehender Begründung und strenger Ausscheidung der echten, in der Schrift Altbairische Siedelung in den ON. der Ämter Bruck, Dachau, Freising, Friedberg, Landsberg, Moos­ burg und Pfaffenhofen, also gerade den Bezirken, die an Schwaben angrenzen. Das Siedlungsbild wäre noch abgerundeter, wenn auch die nördlichen Amtsbezirke Aichach und Schrobenhausen noch mit hereingenommen wären. Das Buch fußt auf sorgfältigen Sammlun­ gen, gediegener Kenntnis der Forschungsergebnisse und — liest sich sehr angenehm. Weil das Gebiet des Bistums Eichstätt in unser bayerisches Schwaben noch hineinreicht bei den Amtsbezirken Neuburg a. D., Donauwörth, Nördlingen und Dinkelsbühl darf auch Michael Bacherlers Abhandlung über Die Siedelungsnamen des Bis­ tums E.2 nicht unerwähnt bleiben. Es sind etwa 2000 in Abc-Folge geordnete Namen, eine von großem Fleiß zeugende Sammlung reichen Stoffs mit meist guten Erklärungen auf Grund der urkund­ lichen Formen ; Hinweis auf die siedelungsgeschichtliche Bedeutung der Namen oder Orte ist Ausnahme. Zu guterletzt noch ein längst vielseitig ersehnter Beitrag zur vor­ geschichtlichen Besiedelung: Die örtliche Bestimmung der antiken geographischen Namen für das rechtsreinische Bayern von Paul Reinecke.3 Eine von dem berufensten Kenner derbayer.VorgeschichteherausgegebeneZusammenstellungdervordeutschen, überlieferten oder erschließbaren Namen der Orte,Flüsse, Seen, Länder und Völker, soweit sie mit bayerischen Landen (in weitest gedachtem Sinne) in Beziehung stehen, mit Angabe der Quellen, einschlägigen Schriften und Aufsätze, knapper und scharf gefaßter Bestimmung der örtlichen Lage. Sollten noch — was sehr zu begrüßen wäre — die 3 Teile als Sonderbroschüre er­ scheinen, so wäre die Beigabe eines Gesamt-Namenverzeichnisses sehr zu wünschen. 1 Ebenda 1924. 2 Sammelblatt des Hist. Ver. Eichstätt 38 (1923). Nachträge 39. (1924). S. 80. 3 Bayer. Vorgeschichtsfreund Hft. IV.—VI. (1924—26). München.

309 Als Anhang soll noch kurz A. Dopsch’ Vortrag auf der Speyerer Tagung des Verbands der Deutschen Geschichts- und Alter­ tumsvereine am 30. Aug. 1927 erwähnt werden über den Kulturzusammenhangderrömischen und früh germanischen Zeit in Süddeutschland. Auch hier vermißte ich wiederum eine Be­ griffsbestimmung der „Kontinuität“. Ist sie rein örtlich zu fassen oder sind die wirtschaftlichen Zusammenhänge maßgebend oder beides? Und welche zeitliche und räumliche Ausdehnung ist zu­ lässig, wenn sie noch als vorhanden gelten soll? Auch andere emp­ finden den Mangel. Erst allerneustens wagt W. Veeck in den Ulmer Schriften zur Kunstgeschichte III. (Ulm 1927) S. 11 eine Erklärung; es sei das Gesetz, daß günstige natürliche Bedingungen immer wieder zu Siedlungen am selben Platze (im gleichen Gelände oder an gleicher Stelle?) führen und daß die aufeinander folgenden Völker immer wieder dieselben Plätze aufsuchen oder meiden. Aber er fügt gleich selbst die „bedeutsame Einschränkung“ hinzu: es handelt sich nicht um Ununterbrochenheit der Besiedlung im topographischen, son­ dern nurim allgemein geographischen Sinn. Diese Auffassung scheint mir wesentlich von der Dopsch’ abzuweichen, der das Topo­ graphische zu stark betont. Dopsch sagt, die Nachrückenden übernahmen die Hinterlassen­ schaft der Vorausgehenden und machten sie sich zu nutze. Der Mensch meidet schwere Rodearbeit und knüpft daher an das schon Bestehende an. Ist das eigentlich je bestritten worden? Jeder über­ legte Erstsiedler wird sich den ihm geeignetst erscheinenden Boden aussuchen und dieser wird dann auch den Eroberer zur Nutzung anlocken. Darum auch vollzieht sich die Besetzung eines Landes meist längs der Flüsse, da diese wegweisend und — weil meist am fruchtbarsten — schon besiedelt sind und Verkehrswege wenn ir­ gend möglich ihnen folgen. Aber die Vernichtungstheorie! Es wird gefragt: „Soli bei den Alamannenkämpfen des 3./4. Jahrhunderts alles verwüstet worden sein, waren die Eindringenden Räuber“ ? „Namengebungen von Gauen wie Lobden-, Augstgau usw. wären unmöglich, wenn die Alamannen alles völlig ausgerottet hätten.“ Wo ist solches ernstlich behauptet? Wenn z. B. A. Hundt (Zeitschr. f. Gesch. d. Ober-Rh. XVII 1922 S. 46) sagt: Die Kastelle wurden 213 teilweise zerstört und nicht wieder aufgebaut. 260 wurden alle zerstört. 276/77 fallen die Alamannen mit Franken in Gallien ein und zerstören 60 Städte — so ist das doch nicht so zu nehmen, als

310 wenn kein Stein auf dem andern geblieben und selbst die Trümmer beseitigt worden wären. Biricianis beispielsweise ist gewiß gründ­ lich vernichtet worden. Die Siedler mieden den Trümmerhaufen und bauten sich etwa 500 m abseits ihre Wohnstätten; die aber bekamen ihren Namen von den nochherumliegenden Jurablöcken, der „weißen Burg“. Als diese später, soweit sie über der Erde lagen, zu Bau­ steinen verwendet waren und eine starke Humusdecke sich über die zu schwer zu beseitigenden Grundmauern gelegt hatte, blieb noch eine Zeit lang die Benennung „Weiße Burg“ an der Flur haften, bis schließlich auch diese vergessen war. Und als ich in den 80 er Jahren die Stelle glaubte erkannt zu haben und dort grub, kamen nach den ersten Spatenstichen die Reste zum Vorschein. Und so wird es in vielen, vielen Fällen gegangen sein. Ist das nun aber als Unterbrechung oder als Kontinuität zu werten? „Neben den Ala­ mannen lebten auch noch Romanen“. Wohl, sie werden nicht immer alle totgeschlagen haben; aber in welchem Verhältnis? Als Arbeiter mochten sie den Germanen manche nützliche Kunst vermitteln. Aber sie blieben doch nur eine schwache Unterschicht. Daß in ab­ seits gelegenen Tälern, z. B. besonders der Voralpen, Romanen in Gruppen sitzen blieben, ja eine Zeit lang sogar ihre Kultur behauptet haben, ist ja längst bekannt. Hier scheinen sie sogar die Zeit des Abschlusses der Lautverschiebung unangefochten überdauert zu haben, bis schließlich auch die entlegeneren Teile des Oberlandes von der vermehrten Bevölkerung beansprucht wurden und so die geringen Splitter der Walchen verschwanden. Bezüglich der WeilerOrte ist ein starkes Zurückweichen gegen früher zu vermerken: » Zahl­ reiche sind jüngeren Ursprungs, im Elsaß, Baden und Württemberg gehören sie sogar vielfach zu den spät entstandenen Orten; die weil knüpfen gerne an villae an“. »Die Ingen und Heim zeigen weder ver­ schiedene Zeiten noch Stämme. Weil erstere sich angeblich nicht mit vordeutschen Siedlungen decken, erklärte man sie als die älteren und nahm sie als Beweis gegen den Zusammenhang.“ Das stimmt insofern nicht, als es außer den Bodenfunden noch eine ganze Reihe anderer Gründe für ihr höheres Alter gibt, vor allem die Art des Namens selbst. »Die heutigen Dörfer geben überhaupt kein Abbild der ersten Landnahme, sondern sind erst jünger.“ In der Verteilung der Siedler müssen sie doch wohl ein Abbild geben; denn es ist kaum anzunehmen und auch keinerlei Anzeichen dafür vorhanden, daß je eine Umsiedlung vor sich gegangen. Daß sie freilich viel

311 kleiner waren, ist klar; das weiß jeder, der einmal sich mit ein­ zelnen Dörfern beschäftigt und die geringe Zahl der Urhöfe darin herausgesiebt hat. „Gewanndörfer sind erst durch Zusammensiedelung entstanden; sie sind der Endpunkt einer langen Entwickelung/4 Vor Annahme einer Gliederung in Sippen wird gewarnt — gegen Kluge: „Die Sippe war in der Völkerwanderungszeit sehr bedeut­ sam.“ So ist auch für fara die Bedeutung Sippe abgelehnt; grund­ los, denn um der Neufahrn-Orte willen ist das gar nicht nötig. Die könnten ja nichts beweisen. Die Erklärung dieser Orte (nach Dachs) als Weggabelungen ist m. E. überholt durch Vollmanns einfache gut begründete Deutung: bei den Neunfahren = neuen Siedlern. Der Satz „Grundherrschaft gabs schon zu Tacitus’ Zeit, erst recht bei den Alamannen in der Frühzeit“ zeigt den stärksten Ge­ gensatz des Historikers gegenüber dem Germanisten (bes. Kauffmann s. ob.). Diese beiden Fachgruppen werden sich hier noch über vieles Unsichere auseinanderzusetzen haben.

Giuseppe Antonio Paganelli und Anton Maria Peruzzi in Augsburg. Eine Buchbesprechung von Dr. Max Her re. Erich Schenk aus Salzburg legte der Münchner Universität eine Dissertation über G. A. Paganelli, sein Leben und seine Werke, nebst Beiträgen zur Musikgeschichte Bayreuths (gedruckt Wien 1928, Waldheim -Eberle) vor, die zugleich einen wertvollen Bei­ trag zur Augsburger Musik- und Stadtgeschichte bietet, der dankenswert als Forschungsergebnis diesen Blättern zuge­ wiesen werden soll. Exakte Arbeit, bei dem Referenten Geh.-Rat Prof. Dr. A. Sandberger und in dessen Schule verbürgt, stellt ur­ kundlich einwandfreie Tatsachen fest, zieht mit äußerster Vorsicht Schlüsse, wo archivalisches und Quellenmaterial ganz oder teil­ weise versagt und bekennt Unsicherheit, wo der Nachweis für literarische Behauptungen nicht erbracht werden konnte. So er­ wächst aus Positivem und Negativem jenes Gefühl für absolute Sicherheit des Dargelegten, das jeder wissenschaftlichen Arbeit selbstverständlich zueigen sein soll und Nachprüfen erspart. Das Buch greift jedoch inhaltlich über eine Biographie und Werkbe­ sprechung insofern hinaus, als es mit gleicher Gewissenhaftigkeit und Ausführlichkeit die Umwelt durchforscht, in die Paganelli ört­ lich und geistgeschichtlich gestellt ist. Mancherlei Korrekturen konnte der Verfasser in der Fachliteratur vollziehen, manchen fest eingenisteten Irrtum aufklären und Urteile, die tastend von der Wahrscheinlichkeit zur Wahrheit vorfühlten, stützen und erhärten. So leistete Schenk jene unentbehrliche und notwendige Kleinarbeit, die wie ein Minierstollen in das vielfach noch nicht gelichtete Dun­ kel der Musikgeschichte hineintreibt und vom Kleinen her läuternd und erklärend die Struktur der großen Geschehnisse und der mit ihr verbundenen Persönlichkeiten aufhellt und dem entwicklungs­ geschichtlichen Verstehen nahebringt. Von selbst ergibt sich da­ raus, daß Paganelli, obwohl die Hauptperson, nicht allein die Haupt­ sache ist; denn wie er in seiner Zeit steht, wird er in der Dar-

313 Stellung Schenks ein Beispiel für den Geist seiner Zeit, für ihr Weltund Lebensgefühl oder wenigstens für einen Teil davon, und sein Wirken und Werken zeigt sich eingegliedert in die kulturellen Not­ wendigkeiten seines Jahrhunderts, die es an seiner Künstlerper­ sönlichkeit, gleichsam in den besonderen Spiegelungen seines Lebensschicksales und seines Schaffens enthüllt. Da nun der Lebensweg Paganellis vorübergehend nach Augs­ burg führt, mußte nach der Anlage seiner Arbeit und gemäß der exakten Methodik seines Forschens Schenk die x\ugsburger Ver­ hältnisse in dieser Zeit untersuchen und kam dabei zu bemerkens­ werten Ergebnissen, die im folgenden nach seinem Buche wieder­ gegeben werden. Giuseppe Antonio Paganellis äußerer Lebenslauf, soweit er durch Forschungen erschlossen ist, läßt sich mit wenigen Sätzen umreißen. Er wurde am 6. März 1710 in Padua geboren und war mit höchster Wahrscheinlichkeit Schüler des 1770 in Padua verstorbenen Geigen­ meisters Tartini. 1733 kommt er als Clavecinist der Operngesell­ schaft Anton Maria Peruzzis nach Augsburg. Sodann wirkt er vorübergehend in Rheinsberg und Braunschweig und ist ab 1737 in Bayreuth. Im Jahre drauf unternimmt er eine Reise in seine ita­ lienische Heimat, kehrt im Juni spätestens nach Bayreuth zurück wo es zum Bruche mit dem Hofe kommt, und sucht darnach wieder Braunschweig auf. 1742 hält er sich in Venedig auf. Darauf lassen sich Beziehungen zum Gothaer Hofe und zu Baden-Durlach nachweisen, über die auch Schenk nichts Näheres mitteilen kann. Um 1756 erfolgt seine Berufung nach Madrid. Das Todesjahr ist unge­ wiß. Schenk nimmt 1765 an. Von Paganelli und seiner Tätigkeit in Augsburg war außer der Bezeichnung seiner Stellung im Ensemble der italienischen Opern­ gesellschaft nichts zu ermitteln (Schenk, S. 19). Hingegen hat Schenk im Texte und im Anhänge seines Buches über den Prinzipal Peruzzi, den Direktor dieser Gesellschaft, und über Augsburger Theater und Musikverhältnisse aufschlußreiche Mitteilungen auf Grund archivalischer Untersuchungen gegeben. Anton Maria Peruzzi ist in der italienischen Operngeschichte Deutschlands eine bekannte Persönlichkeit. 1724 weilte er in Prag bei dem kunstfreundlichen Grafen Anton von Sporck. 1725 führte er die Oper in Breslau unter dem Protektorate des schlesischen Adels und 1728 wirkte er in Brüssel, darauf in Frankfurt am Main

314 und später wohl auch in Wien. Von 1733 datiert seine Tätigkeit in Augsburg (Schenk, S. 17)* Über die Augsburger Oper berichtete ich s. Zt. in der Festschrift zum Theaterjubiläum unter bevor­ zugender Betonung des Eindringens der deutschen Oper und ließ nähere Angaben über italienische Operngesellschaften aus. Schenk gibt nun dazu wertvolle Ergänzungen, gestützt auf die noch unge­ druckte Dissertation „Johann Jakob Schriffelhut“ von Ludwig Gerhäuser, die ich ebenfalls lesen konnte. Gerhäuser berichtet, wie Schenk, nach dem bei Koppmeyer in Augsburg 1690 erschienenen Buche „Dashoch beehrte Augsburg“, daß 1690 Opern und Ballette in der freien Reichsstadt aufgeführt wurden, während die gesamte kaiserliche Hofkapelle hier sich aufhielt. Zwischen 1690 und dem Auftreten Peruzzis 1733 fallen die in der Festschrift S. 101 fg. er­ wähnten Opernvorstellungen. Eine genaue Zusammenstellung des vorhandenen Quellenma­ terials (bei Schenk S. 170 fg.) zeichnet ein lebensvolles Kulturbild Augsburger Verhältnisse und schildert die oft abenteuerlichen, aber doch im Grunde wagemutigen Unternehmungen der italieni­ schen Theaterprinzipale, die ihr heimatliches Operngut mit willens­ starkem Geschäftssinn in fremdem Lande von Ort zu Ort trugen. Am 15. Januar 1733 suchte Peruzzi in Augsburg um Spielerlaubnis für drei Monate nach. Er sei mit einer „Bande“ von 18 Personen, „Weib, Kindern, Sängern und Sängerinnen, Componisten, Schreiber und Compagnie“ von Venedig, der glanzumstrahlten Metropole der Oper jener Zeit, „zu hiesiger berühmterStatt“ gekommen, um „vergnügsam aufzuwarten.“ Die Mitglieder waren noch nicht voll­ zählig, dreizehn von ihnen befanden sich noch auf der Reise. Un­ term 22. Januar wird ihm bereits Spielerlaubnis erteilt. Auch Pe­ ruzzi muß sich, wie alle seine Leidensgenossen, mit den Augs­ burger Meistersingern auseinandersetzen, die als Vertreter ein­ heimischer Kunst auf ihr privilegiertes Recht pochten und eifernd über ihre ortsgebundene Vormachtstellung herrschten. Der Mon­ tag war der privilegierte Spieltag. Jede andere Vereinigung mußte die Lizenz mit drei Gulden zur meistersingerlichen Kasse auslösen. Der „Prinzipal der hiesigen Stadt-Kommödianten“ jenes Jahres war Heinrich Kasimir Purmann (auch Burmann geschrieben). Er führte die Geschäfte der katholischen Abteilung der Meistersingerspieler und veranstaltete seit 1724 Aufführungen geistlicher Spiele im Bau­ garten. Purmann muß einige Bedeutung besessen haben. Er läßt

315 sich außerhalb Augsburg noch in Salzburg nachweisen, wo er 1738 vom Erzbischöfe Lizenz für geistliche Komödien erhielt (vgl. Schenk, S. 171, Anmerkung 8 und A. Kutscher, das Salzburger Barocktheater, S. 96). In Augsburg wurde damals bereits abends gespielt, während die Frühzeit der Oper häufig die Nachmittagsbeleuchtung ausnutzte. In einem Ratsprotokolle (7. Februar 1735) wird Purmann aufge­ fordert, zeitiger zu beginnen, damit man nicht bis in die späte Nacht aufgehalten werde, und Peruzzi klagt darüber, daß er bei einem Konzerte nicht einmal die Beleuchtungskosten eingebracht habe. Peruzzis Theater erwirkte anfangs einen außerordentlichen Er­ folg. Der Zulauf sei so stark gewesen, daß „täglich der Platz zu klein für die Zuschauer war, die solche Oper (nämlich die italieni­ sche !) mit allem Beifall hörten, obgleich die wenigsten die Sprache verstanden“, wie die Hainlinsche Chronik, Bd. VII, S. 39 berichtet, die Schenk übrigens sinnvoll korrigiert hat (S. 172). Der Zauber, der allmächtige, der auch die Augsburger berauschte, war der neue Sologesang zur Begleitung des Orchesters, die sinnbetörende Ge­ walt italienischer Melodik und Gesangsbravour, die, wenn auch nur in bescheidenem Abglanze, doch wohl auch von Peruzzis Sän­ gern und Sängerinnen geboten wurde. Handlung und Spiel wird demgegenüber an Interesse verloren haben und aus diesem Grunde störte auch nicht, daß man die fremde Sprache nicht verstand. Man sollte meinen, daß Peruzzi goldenen Boden in Augsburg gewonnen hätte. Jedoch der Ertrag war nicht groß genug, um den Ansprüchen zu genügen, die ein leichtlebiges und leichtsinniges Theatervölkchen für sich stellte. Vagantenblut und Theaterblut hat sich nie recht in bürgerliche Besonnenheit und wirtschaftliche Spar­ samkeit gefügt. Die „operisten Peruzzi und Madone“ lebten über ihre Verhältnisse und gerieten mit unabwendbarer Folgerichtigkeit in Schulden. Der Gläubiger drang auf Arrest (12. März 1733). Es war der Dreikönigswirt Franz Xaver Schuster, der am 16. Mai 1733 bereits 500 Gulden zu bekommen hatte. Die Theaterherrlichkeit Peruzzis war in nicht ganz drei Monaten (Januar bis März) zu­ sammengebrochen unter der Belastung durch die Schulden. Der oben erwähnte Madone ist vielleicht mit dem Konzertmeister An­ tonio Madonis identisch, „den Peruzzi schon 1725 nach Breslau und 1728 nach Brüssel und Frankfurt mitgebracht hatte“, der Onkel des berühmten Geigers Jean Madonis (Schenk, S. 171, Anm. 6).

316 Peruzzi mußte sehen, wie er seine Schulden abtrug. So kehrte er nach etwa viermonatlicher Abwesenheit nach Augsburg zurück und reichte im Oktober 1733 neuerlich ein Gesuch um Spielerlaubnis ein. Er kam von München, wo er in der Zwischenzeit erfolgreich gespielt hatte. In Augsburg war inzwischen ein neuer Gläubiger noch neben dem Dreikönigswirte aufgetreten: Johann Heinrich Bühl, seines Zeichens Leinwandhändler. Er forderte ein Drittel des Reingewinnes für sich. Peruzzi hatte Glück. In kurzer Zeit wirt­ schaftete er aus seinem Theaterunternehmen 3000 Gulden Rein­ gewinn heraus, wovon der Dreikönigswirt allein 1300 Gulden erhielt. Jedenfalls gelang es dem Theater- und Lebenskünstler, alle Schul­ den abzudecken. Da wurde das Unternehmen von neuem gefährdet und dies mal entwickelte sich die Katastrophe mit explosiver Hef­ tigkeit in der Gesellschaft selbst. Peruzzi und Madonis gerieten in Streit. Ami. Dezember 1733 reichte Peruzzi Klage ein und ersuchte gegen Madonis auf „ Verarrettierung dessen und seiner effetti“. Die Ursache des Zwistes ist nicht geklärt. Schenk (S. 173) vermutet, daß Madonis sich hatte selbständig machen wollen. Mit diesem Streite ging die zweite Opernperiode Peruzzis in Augsburg zu Ende. Sie hatte also von Oktober bis Dezember gedauert und in dieser Zeit das hübsche Sümmchen von 3000 fl. Gewinn abgeworfen. Peruzzi ist daraufhin, Anfang 1734, nach Venedig gegangen, um eine neue Bande zu verpflichten. Madonis blieb in Augsburg und verlangte, doch stets erfolglos, im März und April die Herausgabe der „Operisten-Kleider“, in der bestimmten Absicht, während Pe­ ruzzis Fernsein auf eigene Faust das Theater zu führen. Joh. Hein­ rich Bühl und ein neuer Gläubiger Julius Barbieri gaben aber die Kleider und den Fundus nicht heraus, den ihnen höchstwahrschein­ lich Peruzzi verpfändet hatte, ehe er nach Venedig abreiste. So stand Madonis, zu dem vermutlich die alte Bande Peruzzis übergegangen war, ohne Mittel da, das Theater zu eröffnen. Er muß sich in beklagenswerter Verlegenheit befunden haben, denn nach den öffentlichen Ratsprotokollen (1734, S. 285) wurden ihm weitere Kleider abverlangt, die als unrechtmäßiges Eigentum von ihm zu­ rückgehalten worden waren. Wie entrollt sich doch aus den nüch­ ternen Protokollen und aus den trockenen Akten der Meistersinger ein Bild bewegten Lebens, wie steigt aus dem vergilbten Papiere ein Schicksal auf, das den harten Kämpf ums Dasein mit zäher Er­ bitterung führt und die Leidenschaft der beiden Gegner, Peruzzi

317 und Madonis, im Wettstreite um die Existenz gegenwartsnah nach­ fühlen läßt! Der Kampf steigert sich zu dramatischer Form, als Peruzzi von Venedig zurückkehrt und um Spielerlaubnis nachsucht. Seine Rück­ kehr muß auf Madonis peinlich gewirkt haben. Denn er hatte mit allen Mitteln gegen den früheren Kompagnon intriguiert und falsche Gerüchte ausgesprengt, Peruzzi könne von Venedig nicht abreisen u. dgl. m. Auf Grund dieser Gerüchte hatte er vom Magistrate der Stadt die Bewilligung zu einem Collegium musicum, zu einem Kon­ zerte, in einem Privathause erhalten, da der Rat „bei dermahlig gefährlichen Kriegszeiten“ keinerlei „theatralische Aufführung und Verkleidung“ duldete. Es war die Zeit des sogenannten polnischen Erbfolgekrieges 1733—1735. Aus einem Konzerte wurde eine Kon­ zertfolge, die bis in die Adventszeit dauerte. Diese Vergünstigung erwirkte ihm der kaiserliche General Baron Jakob Emanuel von Garben (1679—1744), ein Wiener, der „kaiserlicher Resident bei den Reichsstädten Augsburg und Ulm“ war. Dem Augsburger Stadtrate riß schließlich die Geduld. Auf dringendes Anraten eines „ gastfreundlichen “ Augsburger Senats verließ Madonis um die Weih­ nachtszeit 1734 die Stadt. Seine Zähigkeit entbehrt nicht einer ge­ wissen Komik. Peruzzi hatte in dieser Zeit einen schweren Stand. Er erhielt auf sein Gesuch keine Spielerlaubnis. Seine Gläubiger unterstützten aus begreiflichen Gründen seinen Antrag. Er versicherte ausdrück­ lich, daß „durchaus anständig in moral und sittenlehre bestehende opera“ gegeben werden sollten. Es war alles vergeblich. Madonis Intrigen hatten gewirkt, der Augsburger Rat war mißtrauisch ge­ worden, was ihm gewiß nicht nach den bisherigen Erfahrungen verdacht werden konnte. Unbeirrbarer Wille führte schließlich doch zum Ziele. Mit nachdrücklicher Unterstützung seiner Gläubiger er­ hielt er unterm 9. September 1734 die Genehmigung für eine Akademia pastorella, für ein Collegium musicum also. Der Erfolg war zu gering, als daß der Wunsch, Opern aufzuführen nicht um so dringlicher hervortreten sollte. Seine Anträge wurden abgelehnt (23. Dezember 1734). Auch als der kaiserliche General Bino sich für ihn einsetzte, blieb sein Bemühen erfolglos. Erst am 22. Januar 1735 gestattete der Rat zwei Aufführungen „honetter Operen“ in der Woche, bestimmte aber zugleich, daß das Almosenamt pro Auf­ führung drei Gulden zu erhalten hätte, die sofort zu zahlen wären.

318 Es ist eigentümlich, wieder hat Peruzzi Erfolg, denn die Almosen­ amtsrechnungen buchen Gewinn. Übrigens war man Peruzzi entgegengekommen, denn noch im Vorjahre hatte das Almosenamt vier Gulden erhalten. Schenk entwickelt die Gründe für die zögernde Bewilligung des Augsburger Stadtrats, der „stets etwas überängstlich um das Seelen­ heilseiner Untertanen besorgt“ war (nach Lorenz Werner, Geschichte der Stadt Augsburg, S. 338 fg. und Schenk S. 174), und sieht sie in folgenden Tatsachen: Augsburg litt unter Bettelei und Bettelwesen, das einerseits durch leichtfertige Eheschließungen und andererseits durch Spiel- und Vergnügungssucht verursacht wurde (nach Max Bisle, die öffentliche Armenpflege der Reichsstadt Augsburg, Pa­ derborn 1904, S. 15 fg., Schenk S. 174). Im Theaterbesuche glaubte der Stadtrat eine Förderung dieses Übels zu erkennen. Daher stand er dem Theater im vollen Gefühle der Verantwortung mißtrauisch und unfreundlich gegenüber. Es wurden bezeichnenderweise alle theatralischen Veranstaltungen verboten. Als Begründung dienten die „dermaligen Kriegskonjunkturen“, womit sich der Rat leicht tat. So sehr er sich gegen das Theater sträubte, so willfährig zeigte er sich, wenn es sich um ein Collegium musicum handelte. Die Augs­ burger Bürgerschaft liebte zweifellos Musik. Freilich die großen Zeiten eines Leo Häßler, eines Gumpeltzhaimer, eines Aichinger waren vorüber. Das Mäzenatentum der Fugger, das einst Lasso nach München empfahl, hatte bescheidenere Formen genügsam angenommen und beschränkte sich, wie die Bürgerschaft auch, auf Hausmusik. Die Laute war das bevorzugte Instrument, „doch auch schon Klavier und Flügel“, wurden von Dilettanten gespielt, „mei­ stens für sich und selten mit anderen Instrumenten begleitet. Von öffentlichen und vollstimmigen Konzerten wußte man noch nichts“, berichtet Stetten in seiner Kunst-, Gewerbe- und Handelsgeschichte der Reichsstadt Augsburg, S. 543/544. Nach dieser Abschweifung zurück zu Peruzzis Schicksale. Er kam aus seinen Schulden nicht heraus und sah keine andere Mög­ lichkeit, seine Gläubiger zu befriedigen, als daß er sich für seine Person und für seine Frau Ende 1736 um den Augsburger Beisitz bewarb. Über diesen Beisitz schreibt Paul von Stetten, Beschrei­ bung der Reichsstadt Augsburg S. 33. Peruzzi war nach dem Be­ richte der Steuermeister (2. März 1741) nicht in Augsburg und konnte deshalb nicht vorgeladen werden. Doch wird mitgeteilt, daß

319 sich „des Peruzzi Eheweib“ in einem Bürgerhause aufhalte. Sie er­ hielt daraufhin die Aufforderung, die Stadt zu verlassen, aber auch in ihren Ausflüchten tritt jene Zähigkeit zutage, die sich an den Ort wie im unbewußten Willen zur Seßhaftigkeit klammert. Sie schützte Geschäfte bei der Gräfin von Öttingen vor, Maria Agnes Magda­ lena, geb. Gräfin von Fugger, Gemahlin des Grafen Carolus Anto­ nius von Öttingen-Wallerstein, und gab Prozeßsachen, Geldmangel und Winterszeit an, um sich der peinlichen Aufforderung zu ent­ ziehen. Das gelang ihr bis Ostern 1742, dann erhielt sie Befehl, die Peruzzische „Ehewirtin“ habe sich „unfehlbar auf Ostern von hier weg und in ihr Vaterland zu begeben“. Mit dieser Ausweisung endete das Gastspiel Peruzzis in Augsburg. Wie schon gesagt, über Paganelli hatte Schenk in Augsburg nichts ermitteln können. Paganelli ist nur noch mit einer Komposition, die in Augsburg erschien, an die Stadt gebunden : „*** Ariae pro Organo et Cembalo. Non solum in Templis, sed etiem in Musaeis Musicis puplicis et privatis speciatim sub Elevatione producendae, Styloque tarn gravi quam suavi elaboratae Authore D. Josepho Antonio Pa­ ganelli. Regis Hispaniorum ac Indiarum Camerae Musices Directore. Augustae-Vindelicorum Sumptibus Joannis Jacobi Lotterie Haeredum MDCCLVI“, so lautet der volle Titel des Werkes. Zum Schlüsse sei noch auf einen Druckfehler auf S. 29 aufmerk­ sam gemacht: Der Ort in der Nähe Leipzigs heißt nicht Knauthahn, sondern Knauthain.

Dr. phil. Ilse von Strampf. Die Entstehung und mittelalterliche Entwicklung der Stadt Nürnberg in geographischer Betrach­ tung. Erlangen 1929. Verlag von Palm und Enke. Die mit großem Fleiß und Geschick durchgeführte geographische Arbeit liefert wieder einen schlagenden Beweis dafür, daß sich geo­ graphische und historische Forschung ergänzen müssen. Die Verfas­ serin weist nach, daß Nürnberg nicht so sehr durch seine natürliche Verkehrslage an der Regnitzrinne und im unteren Pegnitztal die Städte Augsburg, Regensburg, Passau und Würzburg überflügelte, sondern daß verschiedene historische Tatsachen wie die Burg als Mittelpunkt der königlichen Macht, die Gunst der Kaiser (Markt­ recht, Marktfreiheit, Handelsprivilegien, Zollfreiheit, Geleitwesen

320 und Straßenzwang), die Verehrung des heiligen Sebaldus sowie ein intelligentes und weitblickendes Bürgertum von besonderer Bedeu­ tung für die schnelle, glanzvolle Entwicklung des mittelalterlichen Nürnberg waren. Interessant sind für unsere Zeit auch verschiedene Teilergebnisse wie die Begründung der überragenden Stellung des Nürnberger Metallgewerbes und der abnehmenden Bedeutung Fürths. Das Büchlein, das viele Anregungen zu tiefgehender heimat­ kundlicher Forschung gibt, kann wärmstens empfohlen werden. Stadienprofessor Dr. Josef Hirsch, Augsburg.

Das Esslinger Kaufhaus 1388—1749. Ein Beitrag zur Wirtschafts­ geschichte der Reichsstadt Eßlingen a. Neckar. Dargestellt nach archivalischen Quellen von Dr. Erwin Haffner. Verlag von J. F. Schreiber, Eßlingen a. N 1927. 93undIV Seiten. Oktav, kart. RM 3,80. In einer wirtschaftlich so stark interessierten Zeit wie der unsrigen finden Untersuchungen über Wirtschaftsformen der Vergangenheit nicht nur beim Historiker, sondern auch bei einem weiteren Kreis Beachtung. Eine Untersuchung dieser Art stellt die Arbeit von Dr. Haffner dar. Die Bedeutung des städtischen Kaufhauses in der mittelalterlichen Wirtschaft ist in den Grundzügen durch die Forschung der letzten Jahrzehnte klargestellt worden, so daß der vorliegenden Arbeit in erster Linie lokalgeschichtliche Wichtigkeit zukommt. Und doch auch wieder ein Wert darüber hinaus. Der Aufgabenkreis des Eßlin ger Kaufhauses — das ist das Ergebnis der Untersuchung — war nicht weniger umfangreich als der des Kaufhauses manch eines grö­ ßeren Gemeinwesens. Aus dem Umfang dieses Aufgabenkreises fällt ein Licht auf Technik und Ethos mittelalterlichen Handelsle­ bens überhaupt, wenn der Verfasser auch auf die Betonung dieses Umstandes verzichtet. Ferner halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Arbeit bei der Fülle des verwerteten Materials Mittel an die Hand gibt, in der Lückenhaftigkeit der Quellen begründete Unklar­ heiten in Einzelheiten der Organisation anderer Kaufhäuser aufzu­ hellen. Es ist nicht möglich in einer kurzen Anzeige eine genauere Vor­ stellung vom Inhalt zu geben. Der Hinweis auf die Ausführungen

321 über Lage und Beamte des Kaufhauses, Kaufhausordnung und -zwang, kaufhauspflichtige Waren, Zweck und Verwaltung des K.H., Regiehandel betrifft nur die äußere Gliederung der Arbeit. Wer einen Einblick in die Fülle des Stoffes indem verhältnismäßig engen Rahmen gewinnen will, muß die Schrift selbst zur Hand nehmen. Neben dieser sachlichen Reichhaltigkeit ist ein Vorzug die ausge­ zeichnete Beherrschung des umfangreichen und nicht immer eindeu­ tigen archivalischen Quellenmaterials, das vorsichtige Verfahren des Verfassers bei dessen Auswertung für die wissenschaftliche Schluß­ folgerung. Die wissenschaftliche Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit wird dadurch erhöht, daß in einem Anhang zahlreiche Anmerkungen und Hinweise auf Quellen die Darlegung begleiten. Studienprofessor Dr. Keßler, Augsburg.

Valentin Mayer, München. Die „Fürlegung“ in den Handelsge­ sellschaften des Mittelalters und des Frühkapitalismus. Mün­ chen 1925. Druck von Valentin Höfling, Lämmerstraße 1. Die Arbeit liefert interessante Erkenntnisse über das deutsche Handelsgesellschaftsrecht aus dem Zeitalter des Frühkapitalismus, über Finanzierungsprobleme von Unternehmungen, wie sie heute in der Zeit des Hochkapitalismus und der internationalen Verflechtung der Wirtschaft, wenn auch in wesentlich anderer Form wiederkehren. Wer die heutigen Rechtsformen der Kommanditgesellschaft, der stillen Gesellschaft, der Gelegenheitsgesellschaft und der offenen Handelsgesellschaft in ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Grund­ lagen verstehen will, der wird das vorliegende Werk über die „Für­ legung“ eingehend studieren müssen. Die Arbeit mit der umfang­ reichen Literatur zeigt von großem Fleiße und kritischem Blicke. Bei anderem Aufbau hätten jedoch die einzelnen Untersuchungs­ formen aus dem umfangreichen Stoffe besser herausgehoben, klarer von einander abgegrenzt und jeweils gleich mit den einschlägigen Beispielen erläutert werden können, die bei dem vorliegenden Auf­ bau leider erst als Schlußteil angefügt sind. Auf grund des reichen und sorgfältig gesichteten Materials kann das Büchlein bestens empfohlen werden. Studienprofessor Dr. Josef Hirsch, Augsburg. 21

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Dr. Josef Deisser, Trift und Flößerei auf Lech und Wertach von 1500—1900. 52 Seiten. Erschienen als Sonderdruck aus „Altfüssen“, historische Beilage zum „Füssener Blatt“, 1927—1928. Für die älteren Augsburger, die noch Flöße den Lech hinab­ gleiten sahen, bereits zu einem Stück Romantik geworden, ist die Flößerei mit der jüngeren Generation überhaupt durch keine le­ bendige Erinnerung mehr verknüpft. Die moderne Industrie hat die Kraft unserer Heimatflüsse zwar nicht entbehrlich gemacht; aber sie in anderer Form benützt und ist dadurch in Verbindung mit günstigeren Transportmitteln zum Todfeind der Flößerei geworden, der die letztere schließlich wie so manche andere Wirtschaftsform der alten Zeit erliegen mußte. Mit dem „Ablaß“ ist heute nur mehr die Vorstellung eines Ausflugsortes verbunden und doch war durch ihn Augsburg einst der Brennpunkt eines Jahrhunderte hindurch blühenden, ausgdehnten Gewerbes. Was heute Automobil und Eisen­ bahn für den Handelsverkehr bedeuten, das war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch neben der Landstraße der Wasserweg, auf den bayerischen Gebirgsflüssen die Flößerei. Ihre Bedeutung er­ schöpfte sich nicht mit dem Warenverkehr innerhalb eines Terri­ toriums, sondern Erzeugnisse des Südens wurden auf dem Wasser des Lech und der Wertach nach dem Norden verfrachtet über die Flußmündungen hinaus bis hinunter auf den Balkan. Kein Wunder, daß bei der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Flößerei deren finanzpolitische und rechtliche, vor allem wasserrechtliche Auswir­ kungen keine geringen gewesen sind. Das Material für die Geschichte der Flößerei ist in zahlreichen Akten in verschiedenen Stadtarchiven zerstreut, aber eine zusammen­ fassende Darstellung der Flößerei auf Lech und Wertach hat bis­ her gefehlt. Sie ist in der vorliegenden Abhandlung gegeben und wird vor allem bei den Freunden der Geschichte Augsburg großem Interesse begegnen. Der erste Teil behandelt die Floßbarkeit von Lech und Wertach, die Ländestellen, die Floßtechnik und den wichtigen Unterschied zwischen Holztrift, Holzflößerei und Floß Warenverkehr. Der zweite Teil gibt Aufschluß über die Holztriften, die Menge der geschwämmten Hölzer, die Triftspesen und zeigt, daß, was auf den ersten Blick unverständlich erscheint, nur in Zeiten der Not zu

323 ihnen gegriffen wurde. Ausführlich behandelt ist die Tätigkeit des bürokratischen Apparates, der schon vor Beginn der Trift in Tätig­ keit trat, und der Schwarm von Entschädigungsklagen der Flußangrenzer, Umstände, die zusammen mit anderen Maßnamen die Trift aufs äußerste erschwerten und das Holz so verteuerten, daß nur in dringenden Fällen, im 16. und 18. Jahrhundert, zu ihr gegriffen wurde. Der dritte Teil gibt einen Überblick über die Geschichte der Lechund Wertachflößerei, die weit vor 1500 zurückreicht — 1346 z. B. fallen die ersten großen Wasserbauten an Stelle des heutigen Hoch­ ablasses — um dann überzugehen zu einer ausführlichen Darstellung der Bedeutung, die die wichtigsten Lechorte, Füssen, Lechbruck, Schongau, Augsburg, in der Geschichte der Flößerei haben. Wir bekommen einen Einblick in die zunftgemäße Organisation der Füssener Flößer, die sog. Rottordnung, die Rottgelder, die Tran­ sitzölle, die Füssener Flößerfamilien und in die lebenswichtige Be­ deutung des Gewerbes gerade für diesen Ausgangspunkt der Lechflößerei. Die Ausführungen über die Lechbrucker Flößer, die vor allem für Rechnung Augsburgs fuhren, gewähren Einblick in die wirtschaftliche Lage des Standes. Spielte Lechbruck eine Rolle vor allem in der Holzflößerei, so lag die Bedeutung Schongaus in der Güterrott, die neben Landesprodukten Welthandelsgüter aller Art, besonders Wein, Öl, Wolle, Spezereiwaren verfrachtete. Ein beson­ derer Abschnitt ist der Bedeutung der Flößerei für Militärtransporte und deren Organisation gewidmet. Der Schluß der Abhandlung bringt zahlenmäßige Angaben über den Umfang der Lech- und Wertachflößerei, soweit Augsburg als Entladestelle in Betracht kommt, Angaben über die Organisation des Flößereibetriebs in Augsburg, wo neben Privatunternehmungen ein kommunaler Betrieb durch das städtische Proviantamt bestand, entsprechend der einschneidenden Bedeutung, die die Flößerei für das Gewerbe und die Kaufmannschaft der Stadt besaß. Der besondere Wert der Schrift liegt in der anschaulichen Ver­ wertung des aktenmäßigen Materials. Sie gibt dadurch ein Bild nicht nur vom Leben und langsamen Sterben der Lech- und Wertach­ flößerei, sondern auch — und das ist der entschiedenste Eindruck — von der hohen wirtschaftlichen Bedeutung, die das Flößereigewerbe einst besessen hat. Studienprofessor Dr. Keßler, Augsburg.

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Bernhard Schwarz, Kardinal Otto Truchseß von Waldburg, Fürstbischof von Augsburg. Sein Leben und Wirken bis zur Wahl als Fürstbischof von Augsburg (1514—1543). Geschichtl. Darstellungen und Quellen, herausgg. von Schmitz-Kallenberg. 5. Heft. Hildesheim 1923 Borgmeyer. 109 S. Unter reichlicher Verwendung ungedruckten Materials der Ar­ chive zu Innsbruck, Karlsruhe, Krakau, München, Rom, Trient u. a. wird hier der Versuch einer Monographie über den Augsburger Kardinal unternommen, die die ersten 30 Jahre seines Lebens, die vor seiner Bischofswahl liegen, umspannt. Der am 25. II. 1514 zu Scheer bei Sigmaringen geborene nachmalige Kirchenfürst stu­ dierte von 1524—1536 zu Tübingen, Dole in der Franche Comte, Padua, Bologna und Pavia und erhielt schon im Alter von 12 Jahren eine Kanonikatsstelle in Augsburg, drei Jahre später auch eine solche in Speyer. Seine reichen in Italien erworbenen Beziehungen zu einflußreichen Persönlichkeiten brachten ihn an die Kurie; 1537 wird er päpstlicher Geheimer Kammerherr und in den folgenden Jahren zu allerlei Missionen nach Deutschland und Polen verwendet. 1540 erhielt er ein Kanonikat in Trient zu seinen beiden anderen Domstellen. Wir finden ihn 1541 auf dem Reichstage in Regens­ burg, 1542 und 1543 auf den Reichstagen in Nürnberg als päpst­ lichen Nuntius damit beauftragt Fürsten und Reichsstände zur Teil­ nahme an dem vom Papste geplanten Kirchenkonzil zur Regelung der Glaubensfragen zu bewegen. In diese Missionen spielt natürlich die ganze bewegte, von verschiedensten Interessen zerspaltene Poli­ tik der Zeit herein. Mit dem Tode des Fürstbischofs von Stadion bricht die Abhandlung ab, die einen interessanten Einblick ge­ währt in die große kirchliche Politik, wie auch in die Bräuche und Mißbräuche der Stellenbesetzung der großen Domkapitel. Studienprofessor J. Meyer, Augsburg.

Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst. Heraus­ geber Dr. RudolfMarsoner, Dr. KarlM. Mayr. Bolzano 1928. 48 Seiten. Verlagsanstalt Vogelweider, Bolzano. Das Heft enthält zwei größere Aufsätze, von denen der eine einen Bericht über in letzter Zeit gemachte vorgeschichtliche Funde in Südtirol gibt. (Verfasser Dr. Karl M. Mayr). Der Grund jedoch, wes­ halb das Heft hier angezeigt wird, ist eine Abhandlung von Dr. Josef

325 Garber: DieFresken im Turm der Traminer Grafenhäuser. Ein berühmtes Augsburger Geschlecht, die Langenmantel, sind mit dem später „Grafenhäuser“ benannten Gebäudekomplex in Tramin als dessen Gründer verbunden, eine Zeit taucht auf, in der Tirol, und vor allem Südtirol, Wirtschaftsobjekt Augsburger Kaufleute und Klöster, aber auch darüber hinaus in seiner glückseligen Natur eine Insel war, auf der der nordische Mensch, für eine kurze Spanne alle Bindungen der Zeit vergessend, dem unbekümmerten, heiteren Le­ bensgenuß sich hingab. Das Geschlecht der Langenmantel war schon im 15. Jahrhundert in Termeno (Tramin) ansässig, im 16. wurde der Besitz von Hans Langenmantel weiter ausgebaut. Auf ihn als den Besteller gehen die elf Fresken im sogenannten Turm der Trami­ ner Grafenhäuser zurück, die der Gegenstand des Aufsatzes von Dr. Garber sind. Dieser Turm ist nichts anderes als ein um ein Stockwerk überhöh­ tes Häuschen, das oberste Stockwerk ist in den Längsseiten durch je vier Lucken durchbrochen, so daß ein Art kleiner, aber erhöht ge­ legener Gartensaal entstand, von dem aus der Blick ungehindert nach allen Seiten in die herrliche Landschaft schweifen konnte. Ein reizender Baugedanke. Die entstandenen sechs Mauerpfeiler und die vier Ecken des kleinen Saales sind mit im ganzen elf Gemälden in Freskotechnik bedeckt, deren Vorwurf durchweg der antiken My­ thologie entnommen ist. (Die Verteilung der elf Gemälde über die zehn Flächen ist etwas im Unklaren gelassen). Dargestellt ist Janus, Phebus (Apollo), Cythare (Aphrodite), dann die Musen Herato (Erato), Kalliope und Terpsichore, Pan, eine als Urnia bezeichnete Gestalt, eine Cires und dann zwei merkwürdige doppelfigurige Bilder, Virgillius und Madina, Midas und GrilJus. Welchem Zweck hat nun das lustige und luftige Turmgemach gedient? Welchen Sinn haben die elf Gemälde? Es kann gar kein Zweifel sein, daß hier der Hausherr an sonnenfrohen Tagen die Ge­ sellschaft gleichgestimmter Freunde und Freundinnen versammelte, um bei frohem Schmaus, goldenem Wein und heiterem Gesang die Freude des Lebens zu kosten. Es war das Jahr 1547, in dem die Fresken entstanden, in einer Zeit, in der auch im nordischen Menschen schon das mittelalterliche Weltgefühl gelockert war, daß er in antiken Bildungen fühlte und dachte. Und so ergab es sich von selbst, daß der Raum, der der Freude diente, mit Motiven aus der Antike ge­ schmückt wurde, die zu diesem Zweck in innerer Beziehung standen.

326 Der Verfasser des Aufsatzes ist selbstverständlich von vornherein der gleichen Auffassung, nur glaube ich, daß hier und dort die Bezie­ hung zwischen dem Zweck des Raumes und dem Sinn des Bildes noch tiefer gefaßt werden kann, als es in der Abhandlung geschehen ist. Ganz klar ist die Bedeutung des Phöbus und der drei Musen, wers nicht glaubt, sieht es an der reichen Ausstattung mit Musikinstru­ menten, (Phöbus hat gleich zwei und singt dazu noch aus einem Kommersbuch), daß Musik und Gesang im Programm der Gesell­ schaft reichlich vertreten waren. Der Gott Janus (der übrigens auf dem Gemälde eine äußerst orginelle Winkelstellung der beiden Köpfe und seltenen Altersausdruck zeigt) ist selbstverständlich hier in er­ ster Linie als der Gott der Jahreszeiten gedacht, der die Früchte rei­ fen läßt und den Traminer Wein spendend; aber hier kann nach mei­ ner Ansicht die Beziehung vertieft werden. Er hat bei den Alten den Beinamen Cenulus, er ist der Gott der evcoxla, des Trinkgelages und der Schmauserei. Aber „was wäre das Leben, was wäre die Freude ohne die goldene Aphrodite?“ singt schon der alte Sänger. Manch schöne Frau mag die Treppe zum luftigen Bau hinaufgestiegen sein. Daher durfte neben den Musen die Cythare nicht fehlen. Der Hellene kennt die Liebesgöttin in doppelter Erscheinung als Aphrodite Pandemos und Aphrodite Urania. Sollte der gelehrte Auftraggeber und sein Künstler nicht an die letztere gedacht haben, so daß bei dem Namen Urnia nicht an die Muse der Astronomie mit dem Himmel­ globus und dem Zirkel zu denken gewesen wäre, sondern an die Lie­ besgöttin in ihrer zweiten Gestalt? Ob die Gestalt der Circe (nach den Attributen ist unter Cires sicher sie gemeint) einen Platz im Saal gefunden hat, weil sie eine Zauberin ist, scheint mir nicht recht über­ zeugend. Ich denke vielmehr daran, daß schon die Antike, die Gestal­ ten Homers ethisch deutend, unter Beziehung auf das Odysseusaben­ teuer in Circe das verführerische Weib sah, das mit ihren Reizen die Männer anzieht. Neben Lied, Schmaus, Becherfreuden wollte man, so scheint es mir, das Motiv der Liebe besonders betonen, dar­ um Aphrodite in doppelter Gestalt, darum die Verführerin Circe. Zu diesem Motiv paßt auch m. E. Pan, wenn man bedenkt, daß er in seiner vieldeutigen Gestalt nicht nur der Gott der Hirten und Her­ den war, sondern daß er auch gedacht wurde als Teilnehmer an bakchischen Gelagen, die Gäste mit seiner Syrinx (im Fresko hat er den Dudelsack) unterhaltend. So zahlreiche Darstellungen, bes. auf römischen Sarkophagen.

327 Es bleiben noch die zwei rätzelhaften Eckbilder, Vjrgillius und Madina sowie Midas Grillus. Die Ausführungen des Verfassers be­ deuten hier keine Erklärung. Sicher besitzen auch diese Gestalten eine tiefere Beziehung zum Zweck des Raumes, nur vermutungsweise will ich andeuten, daß madina aus maina(s) entstanden sein könnte nach der lautlichen Entwicklung, nach der im Vulgärlatein das hochlatei­ nische i zur Silbe di geworden ist. (cf. madias aus maias.) Vieleicht erzählte man sich im Mittelalter eine uns nicht mehr bekannte Af­ färe zwischen Vergil und einer Mänade, einer Bakchantin, was in den Rahmen der Deutung passen würde. Für das Bild mit Midas und Grillus habe auch ich keine Erklärung. Am Schluß streift Dr. Garber noch die Frage von dem Künstler und glaubt an der Hand von Vergleichen ihn in der Reihe der sog. „deutschen Kleinmeister“ suchen zu dürfen. Er denkt an Jörg Breu, den Jüngeren. Die Lektüre des mit 1/ guten Photographien ausgestatteten Auf­ satzes ist sehr zu empfehlen. Der Turm in Termeno ist trotz seines ruinösen Zustandes ein kleines Denkmal Altaugsburger Geschichte. Jeder kann ihn wenigstens im Geiste besteigen und träumen von Augsburgs einstigen Beziehungen zum heute verlorenen Südtirol, darüber hinaus hat jeder nach seinem Vermögen das Recht zu träu­ men von der Lebenskraft und Lebensfreude längst erloschener Ge­ schlechter. Für das Denkmal und für den Traum ist man dem Ver­ fasser zu Dank verpflichtet. Studienprofessor Dr, Keßler, Augsburg.

Kurt Reich. Das Asylrecht bei dem Hoch- und Reichsstifte St. Ulrich und Afra zu Augsburg unter Berücksichtigung der all­ gemeinen Asylrechtsentwicklung. Dissertation der jurist. Fakul­ tät Erlangen. 1927. 40 S. Nach einem kurzen Überblick über den Asylrechtsgedanken im alten Testament, bei den Griechen und Römern, im Mittelalter und sein allmähliches Verschwinden in der neueren Zeit wird die Be­ deutung des Asylrechtes für die Fortentwicklung des gesamten Strafrechtes erörtert; es zwang zu sorgfältiger Prüfung des krimi­ nellen Tatbestandes und trieb die ganze Rechtsentwicklung in rascherem Tempo vorwärts. Der Hauptteil ist der Darstellung des

328 Asylrechtes des Hochstiftes St. Ulrich gewidmet, das auf ein von Kaiser Heinrich II. 1023 verliehenes Privileg zurückgeht und im Augsburger Stadtrechtsbuch von 1276 Art. XII festgelegt ist. Mit der Erhebung des 1012 gegründeten Benediktinerklosters zum monasterium imperiale war die Verleihung aller der Rechte ver­ bunden, die den übrigen Reichsstiften zukommen, d. h. unter an­ derem auch des Immunitätsprivilegiums, auf Grund dessen das Kloster und alle seine Güter von der öffentlichen Gerichtsbarkeit befreit wurden. Darin ist ein geschlossen das Recht „ze behalten einen jeglichen schaedlichen man“, der „uf die grede kumet“ d. h. zur Kirchentreppe flieht, ausgenommen nur der Ächter, d. h. der mit der Acht belegte. Nach genauerer Untersuchung dieser Be­ stimmung und Vergleichung mit ähnlichen Privilegien anderer Orte sowie den Asylbestimmungen mittelalterlicher Gesetze (lex Baiuvariorum, Alamannorum, Saxonum, Schwabenspiegel) werden diejeni­ gen Prozeßfälle erörtert, aus denen Einblick in die Handhabung des Ulrizianischen Asylrechtes gewonnen werden kann. Die Zuständig­ keitsstreitigkeiten zwischen dem Abte und der Stadt gaben mehr­ fach Gelegenheit zu prinzipiellen Erörterungen, die Umfang und Grundlegung des Rechtes besser erkennen lassen als die knappen gesetzlichen Bestimmungen selbst. Die juristische Dissertation ist eine interessante Bereicherung der Augsburger Lokalgeschichte. . T . « ° ° ° Studienprofessor J. Meyer, Augsburg.

Mayer Franz. Geschichtsbilder vom ehemaligen Reichsgottes­ haus Wettenhausen. 1928. Illertissen. Martinusbuchhandlung. Immer ist es reizvoll zu sehen, wie sich die schweren Wogen der Weltgeschichte hineinwälzen in die engen, abgelegenen Buchten kleiner Staaten, wie sie dort branden, verebben, wie sie dort auf­ bauen, zerstören . . . Ein solcher Winkel ist das Reichsgotteshaus Wettenhausen an der Kamel. Franz M a y e r berichtet uns nun über Verkehrslage, älteste Besiedlung und Germanisierung dieses Ge­ bietes. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts wird dort vom Augs­ burger Domherrenkapitel ein Klösterlein regulierter AugustinerChorherren gegründet, das sich trotz der Wirren des kommenden Investiturstreites gedeihlich weiterentwickelt. Von den Hohen­ staufen zeigt besonders Barbarossa seine freundliche Gesinnung

329 durch reiche Schenkungen. Das Kloster gerät unter die Vogtherr­ schaft der Markgrafen von Burgau, damit später an die Habsburger und wird so in viele Händel hineingezerrt. Immer undimmer wieder zeichnet sich das Kloster aus durch seine Gastfreundschaft (Lage an der Heerstraße Augsburg-Ulm!) und strenge Zucht. Schwierig­ keiten beginnen mit dem Ende des 15. Jahrhunderts: Bauernun­ ruhen zeigen sich da und dorten, Luthers Lehre dringt vom Norden her ein, die ersten Kämpfe evangelischer Fürsten und Städte werden wegen der Nachbarschaft Schertlins von Burtenbach besonders ge­ fährlich, die Klosterzucht verweichlicht Die Augsburgerin Philip­ pine Welser herrscht als Markgräfin in Burgau. Die Frage der Reichsunmittelbarkeit des Klosters kostet viel Klagen und Geld. Eine Schuldenlast entsteht und wächst an, besonders durch eine Bürgschaft für Kardinal Otto von Augsburg bei der Gründung der Universität Dillingen. Propst Hieronymus von Roth (1575—1605) der zweite Gründer des Klosters, hat schweren Stand: Schulden abtragen, ’Klosterzucht erneuern, katholische Gegenreformation schützen und stützen, das alles geht fast über seine Kraft. Sein Nachfolger Jakob Flexle führt das Kloster in den dreißigjährigen Krieg: Teuerung, unerhörte Drangsale durch die Schweden und teil­ weise auch durch Kaiserliche, Pest, Hungersnot, Brandschatzung und grenzenlose Verarmung trägt er in Konvent und Land. Die Zahl der Untertanen ist 1641 von 800 auf 55 gesunken, der Propst teilt sich mit einem Mitbruder, einem siechen Greis, in die weiten Klosterräume; 280 Sölden, 118 Lehen, 43 Höfe und 3 Mühlen sind verloren gegangen. Die ersten Friedensjahre bringen weitere Not durch die vielen abgedankten kaiserlichen, schwedischen und fran­ zösischen Söldner, Wolfsplage, überschwere Verschuldung. Kaum hat sich unter Dionys von Rehlingen wirtschaftliches (Einwande­ rung aus Franken, Tirol und Schweiz!) und religiöses Leben einigermaßen erholt, da bringen Türken- und französische Raub­ kriege neue drückende Lasten: Melac weilt 1711 mit seinem Stab im Kloster, während die Gegend unter dem giftigen Hauch der Pest erzittert. Der Türkensieger Karl von Lothringen spendet das Maria-Königin-Bild, zu dem bald viele Gläubige pilgern, bis die Wallfahrt von dem Enkel des Stifters, dem Kaiser Josef II., aufgehoben wird: Aufklärung und Verweltlichung künden sich an. Im spanischen Erbfolgekrieg wird Wettenhausen von bayer­ ischen, kaiserlichen und französischen Truppen gleichermaßen heim-

330 gesucht. Mehr komisch wirkt die Bestürzung, die sich allenthalben zeigt, als von Kaisheim her eine Hiobspost den Anmarsch der Preußen meldet. 1771 stellt sich wieder eine Hungersnot ein. Maria Theresia läßt auf der Donau 8000 Scheffel ungarischen Getreides anfahren und steuert so der schlimmsten Not. Ihre unglückliche Tochter Marie Antoinette weilt auf ihrem Brautzuge nach Frank­ reich im Gotteshaus; 10 Jahre später spricht Schillers Tyrann Karl Eugen hier vor. Und nun beginnt das Todesleiden des Klosters: Aufklärung, französischer Umsturz, Napoleonische Kriege. Man singt das Spottlied: „O, daß doch die Franzosen kämen, uns von den österreichischen Tyrannen zu befrein!“, ist aber bald von dem französischen Heere (besonders von den Freiwilligen) bitter ent­ täuscht. Kosaken tränken im Klosterhof ihre Pferde. Der Frieden von Luneville bringt den Reichsdeputationhauptschluß, dieser den Übergang des Klostergebietes an Kurbayern. Man sieht hier das bei der Säkularisierung übliche Bild: sinnlose Verschleuderung von Kunstschätzen, unnötige Härten, ja Grausamkeiten gegen alte Klosterinsassen. 1811 wird der letzte Propst von Wettenhausen durch sechs arme Schneider in aller Stille zu Grabe getragen. Geld oder Geldeswert hinterläßt er nicht. — Seit 1864 unterhalten Domini­ kanerinnen hier eine Waisen- und Erziehungsanstalt. Auf diesen ersten Teil des Buches folgen noch ansehnliche Ab­ schnitte über hohe und niedere Gerichtsbarkeit,Polizei Verordnungen, Stiftungen, Gebäude und Juden. Ein Verzeichnis der Konventualen schließt das Buch. Schon sein Titel sagt, daß Mayer nicht eine planmäßig aufge­ baute Geschichte des Gotteshauses geben, sondern Geschichts­ bilder aneinanderreihen will. Auch diese hätten sich im einzelnen noch mehr durcharbeiten und abrunden lassen. Der Verfasser, der anscheinend mehr volkstümliche als wissenschaftliche Ziele verfolgt, hat viel Stoff zusammen getragen, uns den Inhalt wichtigster Ur­ kunden, die jedoch nicht genannt werden, in einer Sprache wieder­ gegeben, die sich der dargestellten Zeit nicht immer ganz glücklich anpaßt. Quellenangaben und Verzeichnisse fehlen, was dem Wert des Bandes für wissenschaftliche Verarbeitung Eintrag tut. Im ganzen stellt das Buch eine für die schwäbische Geschichte recht wertvolle Stoffsammlung dar für eine Geschichte Wettenhausens, dieser Pflegestätte der Kultur in schwäbischen Landen. Studienprofessor Dr. Otto Feiler, Augsburg.

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Heijman Dr. Hugo Th. Untersuchungen über die Prämonstratenser-Gewohnheiten. 1928. Tongerloo (Belgien) Abtei. Ge wohnheiten(consuetudines; heute fast allgemein„constitutiones“ genannt) sind schriftliche Aufzeichnungen, die in den Klöstern der monastischen Orden über die jeweils herrschenden Gebräuche nieder­ geschrieben wurden. Sie sollten Liturgie und klösterliches Leben im Anschluß an die Ordensregel näher bestimmen und regeln. Der Stifts­ archivar der Abtei von Bern erforscht nun die Gewohnheiten des Prämonstratenser-Ordens um Antwort auf zwei Fragen zu bekom­ men: Woher stammen die Satzungen der Prämonstratenser? Was bedeuten sie für sich und für den Aufbau, die Organisation dieses Ordens? Die Untersuchung geht aus von einem Vergleich des Prä­ monstratenser-Ordens mit denen der Kluniazenser und Zisterzienser behandelt dann Anfänge und Entstehung der Prämonstratenser-Gewohnheiten und arbeitet schließlich durch Gegenüberstellung mit den Kongregationen von St. Viktor und Arrouaise die besondere Prä­ gung der Prämonstratenser heraus. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Söhne des hl. Norbert in ihren Gewohnheiten viel von Cluny und Premontre übernommen haben, daß sich aber ihr Orden, weil er zu dem monastischen Zweck der Selbstheiligung noch die Seelsorge als zweite Aufgabe hinzubekam, anders entwickeln, organisieren, mit den Diözesangewalten enger verbinden mußte. Diese Erkenntnis er­ gibt sich aus einem mit dem sprichwörtlichen Mönchsfleiß aus allen einschlägigen Werken und Sigeln zusammengetragenen,sachkundig verglichenen und verwertetem Wissenstoff. Durch Beifügung eines Personen- und Sachregisters wird die für eine Geschichte des Prämonstratenserordens künftig unentbehrliche Arbeit noch besonders brauchbar. Studienprofessor Dr. Otto Feiler, Augsburg.

Specht Dr. theol. Thomas undBigelmair Dr.theol. Andreas. Geschichte des Bischöflichen Priesterseminars Dillingen a, D. 1928. Augsburg. B. Schmidsche Buchhandlung. Kardinal Otto Truchseß von Waldburg bestieg 1543 den bischöf­ lichen Stuhl zu Augsburg. Vom ersten Tag seiner Regierung an betrachtete er es als seine vornehmste Aufgabe, das ihm anvertraute Gebiet gegen die Lehre Luthers zu schützen, überall wieder katho-

332 lisch-religiöses Leben zu wecken. Dies konnte nur durch einen für seinen Beruf begeisterten, wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit stehenden Klerus geschehen. Zur Heranbildung eines solchen grün­ dete Kardinal Otto 1549 die Universität Dillingen, die 1551 die päpstliche, 1553 die kaiserliche Bestätigung erhielt, somit auch aka­ demische Grade verleihen konnte. So erfreute sich das „Collegium Sancti Hieronymi“ bald eines starken Besuches aus ganz Ober­ deutschland, obwohl die einzelnen Lehrer einander allzu oft ablösten. Diesem Übelstand zu steuern wurde die Anstalt 1569 der Gesell­ schaft Jesu übertragen. Der Universität war von Anfang an ein Konvikt für die studierenden Alumnen angegliedert; aus diesem entwickelte sich das heutige Priesterseminar. Nach der Authebung des Jesuitenordens gingen 1773 Akademie und Konvikt unmittelbar an den Augsburger Bischof über. Die Säkularisierung des Seminars führte dann von 1802 an zu schwierigen Verhandlungen und Strei­ tigkeiten zwischen der kurbayerischen ,,Landesdirektion“ und dem Augsburger Ordinariat, in deren Verlauf auch wiederholt der Plan einer Verlegung des Seminars nach Augsburg (St. Stefan oder St. Max) auftauchte. Besonders schwer erschien die Abgrenzung der kirchlichen und staatlichen Belange bei der Vermögensausscheidung und der Verfassung des Seminars. Nach der Auseinandersetzung mit dem Staate konnte man sich in Ruhe der geistigen „Innenein­ richtung“ widmen, der Fürsorge für religiöses und aszetisches Leben der zukünftigen Priester, für Studien und praktische Übungen, Dis­ ziplin, Ausbau der Bücherei u. a. Über die Einzelheiten dieser Arbeit wird in dem Buch ebenso ausführlich berichtet wie über den Ver­ mögensstand des Seminars und dessen Verwaltung. Auch die ein­ zelnen Gebäude (Seminar, Kapelle, Emeritenhaus, Brauhaus, Bartholomäer-Institut) werden in ihrem geschichtlichen Werden eingehend geschildert. Genaueres erfahren wir zudem über die Wirtschaft des großen Betriebes (Verpflegung der Alumnen, Stipendien und Stif­ tungen) sowie über das Leben der Seminaristen (Aufnahme, Auf­ enthaltsdauer, Frequenzverhältnisse). In dem nun folgenden Ver­ zeichnis derRegentes, Subregentesund Präfekten finden wir Namen» deren Ruf auch über das Schwabenland hinausgedrungen ist. Seit 1919 wirkt hier auch ein Spiritual, der Jesuitenpater Stiglmayr. In den 90 er Jahren des vorigen Jahrhunderts ließen sich Stimmen vernehmen, die eine Vertiefung der theologischen Ausbildung in einem vierten Studienjahr verlangten; diese Bestrebungen wurden

333 besonders von Bischof Petrus Hötzl unterstützt. Sollte nun für einen solchen 4. Kurs Raum geschaffen werden in einem Neubau oder durch Erweiterung der alten Baulichkeiten ? Wegen der Mängel des alten (Nähe der Brauerei, Störungen des Gottesdienstes, Schwie­ rigkeit der Absonderung von Schwerkranken, ungesunde, veraltete Abortanlagen u. a.) entschied man sich für einen Neubau, der, auf neuzeitliche Bedürfnisse und Forderungen eingestellt, mit Räumen für musikalische Übungen und Einzelzimmern (für Exerzitien not­ wendig) versehen werden konnte. Wieder tauchte der Gedanke einer Verlegung nach Augsburg auf, wieder entschied man sich für Dillingen. Der Plan zu dem neuen Seminar wurde entworfen von dem Bau­ meister und Architekten Otto Mayer aus Wertingen, beraten und begutachtet von Max v. Seidl. Im Februar 1910 begann der Ab­ bruch des alten, am 7. Mai erfolgte die Grundsteinlegung des neuen Baues, der im November 1911 bezugfertig dastand. Im Jahre 1923 wurde ein (im Buch abgebildetes) Denkmal für die im Weltkrieg gefal­ lenen Alumnen eingeweiht. Das Werk, das auch die Einzelheiten des Baues genauestens schil­ dert, wurde begonnen von dem bekannten Dogmatiker Prof. Dr. Specht und nach seinem Tode (17. 11. 1918) fortgeführt und vollen­ det von dem Kirchenhistoriker Prof. Dr. Bigelmair. Der Einheit­ lichkeit des Ganzen und der Lebendigkeit der Darstellung hat das nicht geschadet. Das Buch, das sehr viele, meist unbekannte Ur­ kunden ganz oder teilweise wiedergibt, besitzt Quellenwert und wird in der Geschichte der theologischen Bildung des Schwaben­ landes immer einen hervorragenden Platz behaupten. Der Verlag hat tadellose, gediegene Ausstattung gegeben. — Besonders emp­ fohlen sei der stattliche Band den Vielen, die jahrelang in den Räumen des alten und neuen Seminars weilten. Wenn sie die Geschichte der einzelnen Bauwerke lesen, wenn sie eines der 14 schönen, vortreff­ lich wiedergegebenenBilderbetrachten,dann werden Erinnerungen auftauchen an die Studentenzeit mit ihren manchmal frohen, manch­ mal bangen, manchmal weihevollen Stunden. Studienprofessor Dr. Otto Feiler, Augsburg.

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Der Bayerische Vorgeschichtsfreund, Blätter zur Förderung der Vor- und Frühgeschichtsforschung, herausgg. von Dr. Fr. Wagner, Heft VII 1927/28 München, Lehmann. 80 S. Mit 6 Tafeln und 1 Karte. 3.— Mk. Prof. Dr. Paul Reinecke gibt im ersten seiner fünf in diesem Heft enthaltenen Aufsätze „Vor- und frühgeschichtliche Flach­ gräber in Süddeutschland“ eine allgemeine Kennzeichnung der süddeutschen Flachgräber nebst geschichtlichem Abriß ihres Vorkommens zwischen Alpen und Mittelgebirge, insbesondere im rechtsrheinischen Bayern. Die verschiedenen Arten der Flachgräber (Skelett-, Brand-, Platten-, Ziegelgräber) sowie ihre Anlage (ver­ einzelt oder in Reihen, außerhalb oder innerhalb der Wohnstätten) und ihre zeitliche Stellung werden erörtert. Endlich wird auf die möglichen Irrtümer aufmerksam gemacht, bei denen späte Grab­ anlagen oder Bauopfer und ähnliches frühzeitliche Bestattung Vor­ täuschen. In der Abhandlung „Der Münchshofer Typus im rechts­ rheinischen Bayern“ behandelt der gleiche Verfasser die Funde in der 1870 von Pfarrer Dahlem beim Dorfe Münchshofen (Bezirks­ amt Straubing) entdeckten großen Wohngrube, die man von jeher der jüngeren Steinzeit zugewiesen hat. Nach Reinecke gehören diese Funde zu einem großen Kulturkreis, der das ganze Donau­ land bis zum Schwarzen Meere und ausgedehnte Gebiete nördlich und südlich davon umfaßte. Genaue Vergleichung mit anderen Funden führen zu der Überzeugung, daß Zusammenhänge mit der Ägäischen Kultur bestehen. Hinsichtlich der absoluten Zeitbestim­ mung kommt der Verfasser erheblich vor 2000 v. Chr. zurück, etwa nach 2500. Im dritten Aufsatz behandelt Reinecke „Die Slaven in Nord­ ostbayern“ und zwar im Anschluß an eine Erlanger Dissertation von Margarete Bachmann „Die Verbreitung der slavischen Siede­ lungen in Nordbayern“ 1926. Er unterscheidet dabei zwei grund­ verschiedene Gebiete slavischer Besiedelung, nämlich altslavischen Siedelungsbesitz, der nach der Mitte des 6. Jahrhunderts ein genommen und mehrere Jahrhunderte hindurch beibehalten wurde und Siede­ lungen, die von deutschen Grundherren in deutschen Landen durch Verpflanzung von Slaven entstanden; zu den letzteren sind die mit Winden, Windisch und ähnlichen zusammengesetzten Ortsnamen

335 zu rechnen. Von diesem Standpunkt aus wird die Frage erörtert, was von den frühmittelalterlichen Bodenzeugnissen, die bisher als slavisch galten, germanisches, was slavisches Gut sein kann. Die Zahl der im 6. und 7. Jhrh. nach Nordostbayern vorgedrungenen Slaven kann nach Meinung des Verfassers nicht allzugroß gewesen sein. Beilage 1 bringt eine Zusammenstellung der vermeintlich oder wirklich slavischen Funde aus Nordostbayern und dem angrenzen­ den süddeutschen Gebiet, Beilage 2 bestimmt die Ostgrenze der bajuvarisch-alamannisch-fränkischen Reihengräberfelder reinmerovingischer Zeit zwischen Donau und Mittelgebirge nach der der­ zeitigen Fundstatistik. Dr. Hans Zeiß bietet eine noch nicht abgeschlossene Quellen­ sammlung für die Geschichte des bayerischen Stammes­ herzogtums bis 750. Sie bezweckt die Vereinigung der in einer großen Anzahl von Geschichtswerken verstreuten Nachrichten. Die Texte sind mit Anmerkungen versehen und ins Deutsche übertragen. Prof. Reinecke fügt sodann Berichte über neue Funde und For­ schungen an. Die Ausgrabungen auf dem Moosberg bei Hechendorf, Murnauer Moos, haben ergeben, daß der Berg in vor­ römischer Zeit unbesiedelt war, später aber eine Station der Römer­ straße über den Brenner nach Augsburg trug, an deren Stelle nach 260 eine kleine Siedelung innerhalb der schwachen Ummauerung des Berges trat. Militärischen Charakter trugen die Anlagen nie. Nach der spätrömischen Zeit blieb der Ort verödet, bis er im 10. Jahrh. ein Refugium zum Schutze gegen plötzliche Ungarneinfälle wurde. — Ein kurzer Bericht informiert über die Grabungendesjahresl927 auf dem Lindenberger Oesch bei Kempten, bei denen ein Teil des alten Cambodunum aufgedeckt wurde. Am Schlüsse des Heftes schildert der Herausgeber eine Wan­ derung entlang der römischen Donausüdstraße vonNeuburga.D.bisStraß-Moos, durch ein an Bodendenkmalen reiches Gebiet. Eine besondere Zierde des reichhaltigen Heftes sind die schönen Photographien des Moosberges und der Fundgegenstände von dort und von Münchshofen. Studienprofessor J. Meyer, Augsburg.

Reichspflege Donauwörth. Nach den Katasterblättern im Reichsarchiv; allg. Blatt (Bezirksamt Donauwörth) und Spezialblätter. a) Hl. Kreuz u Cassianeum

g) Stadt-Archiv

b) Fugger-Haus = Pfleghaus h) Härpferhaus c) Mangoldstein

i) Insel Ried

d) Pfarrkirche

k) Brücke im Mittelalter

e) Münze

1) Brücke heute

f) Rathaus

m) Progymnasium

Eisenbahn Straßen Wasser Engere Vogtei mit voller Landeshoheit — Weitere Vogtei (= nur Blutbann) Ständig Geleitsrecht Vorübergehend Ge­ leitsrecht (nur 1505—19) (Tüngen, Wördhof, Moringen, Stadeln u. Schl. Donners­ berg bestehen nicht mehr). Donaubrücke, Mündung der Zusam und des Egel­ seebaches lagen im Mittelalter weiter oben als heute.