Wissensorientierte Unternehmensführung: Wissensmanagement im digitalen Wandel [7 ed.] 3658327707, 9783658327705

Anhand einer Vielzahl von Praxisbeispielen macht Klaus North in diesem Lehrbuch deutlich, wie Wissensmanagement in Organ

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Wissensorientierte Unternehmensführung: Wissensmanagement im digitalen Wandel [7 ed.]
 3658327707, 9783658327705

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Fallbeispiel
1: Einführende Zusammenfassung
2: Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft
2.1 Eine neue Qualität des Wettbewerbs
2.2 Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära
2.2.1 Drei Triebkräfte
2.2.2 Struktureller Wandel zur Wissensgesellschaft 4.0
2.2.3 Weltweite Wissensnetzwerke
2.3 Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose
2.3.1 Dimensionen der Wissensintensität
2.3.2 Kennzeichen von Wissensunternehmen
2.3.3 Kurzdiagnose: Unternehmen im Wissenswettbewerb
Literatur
3: Die Wissenstreppe
3.1 Wissen in Organisationen
3.2 Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe
3.2.1 Wissenstreppe 4.0 – Kollege Algorithmus wird flügge
3.2.2 Handlungsfelder des Wissensmanagements
3.2.3 Reifegrade wissensorientierter Unternehmensführung
3.2.3.1 Unternehmen des ersten Reifegrads
3.2.3.2 Unternehmen des zweiten Reifegrads
3.2.3.3 Unternehmen dritten Reifegrads
3.2.3.4 Unternehmen des vierten Reifegrads
3.3 Dimensionen des Wissens
3.3.1 Wissensdimension: Natur
3.3.2 Wissensdimension: Verfügbarkeit
3.3.2.1 Sozialisation: Von Implizit zu Implizit
3.3.2.2 Externalisierung: Von Implizit zu Explizit
3.3.2.3 Internalisierung: Von Explizit zu Implizit
3.3.2.4 Kombination: Von Explizit zu Explizit
3.3.3 Wissensdimension: Wert
3.4 Wissen als Wettbewerbsfaktor
3.4.1 Wissen als Produktionsfaktor
3.4.2 Wissen als strategischer Wettbewerbsfaktor
3.4.3 Transaktionskostentheorie
3.4.4 Wissens- und kompetenzorientierte Theorie des Unternehmens
Zusammenfassung
Literatur
4: Organisieren rund ums Wissen
4.1 Die Balanceakte der Unternehmensführung
4.1.1 Stabilität versus Erneuerung
4.1.2 Konkurrenz versus Kooperation
4.1.3 Wissensorganisation – die vierte Dimension
4.2 Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“
4.2.1 Die unendlich flache Organisation
4.2.2 Die invertierte Organisation
4.2.3 Die Sternexplosion -Organisation
4.2.4 Die Spinnennetz-Organisation
4.3 Überwindung der multidivisionalen Organisation
4.3.1 Die Entrepreneurial Corporation
4.4 Plattformen für Wissen
4.4.1 Die Hypertext-Organisation
4.4.2 Die Plattformorganisation
4.5 Wissensallianzen
4.5.1 Formen der Zusammenarbeit
4.5.2 Gruppen als wissensfördernde Organisationsformen
Zusammenfassung
Literatur
5: Wissen ist menschlich
5.1 Wissensarbeit 4.0
5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens
5.2.1 Führung von Wissensarbeitern
5.2.1.1 Führung heißt Sinn stiften
5.2.1.2 Führung heißt, gemeinsam lernen
5.2.1.3 Führung heißt (Spiel-)Raum für Veränderung schaffen
5.2.1.4 Führung ist Dienstleistung
5.2.2 Mittlere Führungskräfte: Die Renaissance einer totgeglaubten Spezies
5.2.3 Obere Führungskräfte: Visionäre Kontextgestalter
5.2.4 Fachliche Mitarbeiter: Die Wissenspraktiker
5.2.4.1 Rekrutierung fachlicher Mitarbeiter
5.2.4.2 Motivation fachlicher Mitarbeiter
5.2.4.3 Karriere fachlicher Mitarbeiter
5.2.5 Informations- und Kommunikationsmitarbeiter: Die Informationsbroker und Infrastrukturmanager
5.2.6 Supportmitarbeiter
5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG
5.3.1 Kurzdiagnose: Kompetenzmuffel oder Kompetenzorganisation
5.3.2 Der Kompetenzbegriff
5.3.3 Die Kompetenzmatrix
5.3.4 Kompetenzprofile erstellen
5.4 Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung
5.5 Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)
5.5.1 Idealtypische Wissensgemeinschaften
5.5.2 Gestaltungsdimensionen von Wissensgemeinschaften
5.5.2.1 Gestaltungsdimension „Mitglieder“
5.5.2.2 Gestaltungsdimension „interaktive Gemeinschaft“
5.5.2.3 Gestaltungsdimension „Ergebnis“
5.5.2.4 Gestaltungsdimension „organisatorische Unterstützung“
Zusammenfassung
Literatur
6: Wissen aufbauen und teilen
6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln
6.1.1 Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung
6.1.2 Wissenskreislauf: Anforderungen der DIN ISO 9001:2015 und DIN ISO 30401:2020 erfüllen
6.1.3 Technokratisches Wissensmanagement versus Wissensökologie
6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements
6.2.1 Modell der Bausteine des Wissensmanagements
6.2.2 Das Münchener Modell
6.2.3 Das Wissensmarktmodell
6.2.4 Modell des systemischen Wissensmanagements
6.2.5 Das APQC/Andersen-Rahmenkonzept
6.2.6 Die Spirale des Wissens
6.2.7 Vergleichende Beurteilung der Wissensmanagementkonzepte
6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten
6.3.1 Von der Projektion zur Orchestrierung
6.3.1.1 Projektion
6.3.1.2 Integration
6.3.1.3 Orchestrierung
6.3.2 Wissensorientierte Projektplanung am Beispiel der Automobilindustrie
6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen
6.4.1 Typen von kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Wissensprobleme
6.4.1.1 Goldgräber-Typus
6.4.1.2 Boundary-Spanning-Typus
6.4.1.3 Traditioneller Typus
6.4.1.4 Familientradition und konservatives Umfeld
6.4.1.5 Technisches Spezialwissen und Erfahrung
6.4.1.6 Fertigung nach Kundenvorgaben
6.4.1.7 Projektwissen und Innovationsfähigkeit
6.4.1.8 Kundenbetreuung als entscheidender Wettbewerbsfaktor
6.5 Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung
6.5.1 Herausforderungen und Ziele
6.5.2 Wissensmanagementpraktiken in der öffentlichen Verwaltung
Zusammenfassung
Literatur
7: Wissen messen und absichern
7.1 Maßstäbe finden
7.2 Verankerung immaterieller Werte in Bilanzierungsstandards
7.3 Wissensbilanzierung
7.3.1 Deduktiv summarische Ansätze
7.3.1.1 Marktwert-Buchwert-Relationen
7.3.1.2 Tobin’s q
7.3.1.3 Calculated Intangible Value
7.3.2 Induktiv-analytische Ansätze
7.3.2.1 Intangible Assets Monitor
7.3.2.2 Intellectual Capital Navigator
7.3.2.3 Die Balanced Scorecard
7.3.2.4 Wissensbilanz – Made in Germany
7.3.2.5 The Danish Guideline for Intellectual Capital Statements
7.3.2.6 Das mehrstufige Indikatorenmodell
7.4 Beurteilung der Verfahren zur Wissensbilanzierung
7.5 Schutz vor Wissensverlust
7.5.1 Wissensverluste – Die Organisation vergisst
7.5.2 Möglichkeiten der Absicherung
Zusammenfassung
Literatur
8: Wissensmanagement implementieren
8.1 Eine wissensorientierte Strategie entwickeln
8.2 Das Wissensmarktkonzept
8.2.1 Fünf Lehren für die Gestaltung eines Wissensmanagements
8.3 Rahmenbedingungen gestalten und steuern
8.3.1 Verankerung der Werte und der Bedeutung des Wissens im Unternehmensleitbild und Verhalten
8.3.2 Erwünschtes Führungskräfte- und Mitarbeiterverhalten beschreiben und Ist-Verhalten daran messen
8.3.3 Im Beurteilungs- und Vergütungssystem Kooperation und Gesamterfolg des Unternehmens honorieren
8.4 Spieler und Spielregeln des Wissensmarkts
8.4.1 Wissensmarkt schaffen: Anspruchsvolle Ziele setzen
8.4.2 Akteure des Wissensmarkts etablieren
8.4.2.1 Rollen, Aufgaben und organisatorische Anbindung von Wissensmanagern
8.4.3 Spielregeln des Wissensmarkts definieren
8.4.3.1 Das Interessen-Cluster-Prinzip
8.4.3.2 Das Leuchtturmprinzip
8.4.3.3 Das Push-und-Pull-Prinzip
8.5 Instrumente und Prozesse der Wissensorganisation
8.5.1 Wissensorganisation aus der Prozessperspektive
8.5.2 Der Best-Practice-Prozess
8.5.3 Wissensorganisation aus der Projektperspektive
8.5.4 Lessons Learned und Debriefing
8.5.5 Medien der Wissensorganisation
8.5.5.1 Kompetenznetzwerke
8.5.5.2 Kompetente Problemlösungsgruppen
8.5.5.3 Kooperative Programme und Projekte
8.6 Informations- und Kommunikationssysteme für das Unternehmen 4.0
8.6.1 Dienste und Struktur der Systeme
8.6.2 Enterprise Social Software
8.6.3 Die physische Infrastruktur
8.7 Einführungspfade des Wissensmanagements
8.7.1 Die Wissenstreppe schrittweise aufbauen
8.7.2 Das Zwölf-Punkte-Programm zur wissensorientierten Unternehmensführung
Zusammenfassung
Literatur
9: Anhang: Wissensmarkt
9.1 Was ist ein Wissensmarkt und wozu dient er?
9.2 Was brauche ich für einen Wissensmarkt?
9.3 Was sollte ich zur Vorbereitung klären?
9.4 Wie läuft ein Wissensmarkt ab?
Online Ressourcen
Zeitschriften zum Wissensmanagement
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Klaus North

Wissensorientierte Unternehmensführung Wissensmanagement im digitalen Wandel 7. Auflage

Wissensorientierte Unternehmensführung

Klaus North

Wissensorientierte Unternehmensführung Wissensmanagement im digitalen Wandel 7., vollständig überarbeitete Auflage

Klaus North Wiesbaden Business School Wiesbaden, Deutschland

ISBN 978-3-658-32770-5    ISBN 978-3-658-32771-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 1998, 1999, 2002, 2005, 2011, 2016, 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

L’entreprise est le lieu où s’organisent les savoirs et intelligences individuelles en intelligence collective créatrice capable d’entreprendre. (Das Unternehmen ist der Ort, an dem sich individuelles Wissen und Intelligenz zu kollektiver, kreativer Intelligenz zusammenfinden, fähig, unternehmerisch tätig zu werden.) Jaques Morin

Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft haben sich Unternehmen, öffentliche Institutionen, Vereine und Netzwerke zunehmend einem neuen Intelligenztest zu stellen: „Wertschöpfung durch Wissen“ heißt die Devise. Die mit der Anwendung digitaler Technologien in allen Aspekten der menschlichen Gesellschaft verbundenen Veränderungen gehen zudem einher mit einem tiefgreifenden Wandel, wie Menschen und Organisationen Daten, Informationen und Wissen generieren, teilen und nutzen. Ziel des vorliegenden Buchs ist es daher, sowohl Studierenden der Betriebswirtschaft als auch Praktikern aus Unternehmen und Institutionen einen Überblick über das Gebiet der wissensorientierten Unternehmensführung im digitalen Wandel zu verschaffen und Hilfestellung bei der Implementierung von Ansätzen des Wissensmanagements zu geben. Das nun in der 7. Auflage vorliegende Buch ist entstanden aus Projekten der Aktionsforschung sowie vielfältigen Beratungsprojekten der letzten 25 Jahre. Zum Überblick, was Sie als Leser erwartet, haben wir als Kurzkapitel 1 eine „Einführende Zusammenfassung“ an den Anfang gestellt. Kapitel 2 geht auf das veränderte Wettbewerbsumfeld in der sich entwickelnden Wissensgesellschaft  4.0 ein. Am Ende des Kapitels steht eine Kurzdiagnose des Wissensunternehmens, die insbesondere Unternehmenspraktiker zur Selbsteinstufung nutzen können. Kapitel  3 klärt unterschiedliche Dimensionen des Wissensbegriffs und verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen Informationen, Wissen und Wettbewerbsfähigkeit. Es wird dort weiter gezeigt, wie digitale Technologien Wertschöpfungsprozesse in einer Wissenstreppe 4.0 ermöglichen und verändern. In Kap. 4 wird dann „das Haus des Wissens“ aufgebaut: Organisationsformen werden unter den Gesichtspunkten des Wissensaufbaus und -transfers mit einer Vielzahl von Fallbeispielen dargestellt. Kapitel 5 macht deutlich, dass es ohne Menschen kein Wissen in Unternehmen gibt. Zukünftige Arbeitsformen im digitalisierten Wissensunternehmen und Wissensgesellschaft sowie neue V

VI

Vorwort

­Rollenverständnisse bilden den Schwerpunkt dieses Kapitels. Kapitel 6 konzentriert sich auf das Wissensmanagement im engeren Sinn, d. h. das Gestalten, Lenken und Entwickeln der organisationalen Wissensbasis. Kapitel  7 analysiert, wie die Ergebnisse des Managementprozesses gemessen werden können. Möglichkeiten zur Absicherung der Wissensbasis werden aufgeführt. Kapitel 8 behandelt ausführlich die Implementierung des Wissensmanagements auf der Grundlage des vom Autor entwickelten Wissensmarktkonzepts. Alle Kapitel beinhalten Praxisbeispiele. Für den eiligen Leser wird die Lektüre der einführenden Zusammenfassung, des Kap. 1 und des Kap. 8 als Implementierungskapitel – empfohlen. Die vorliegende 7. Auflage bringt das Buch auf den aktuellen Stand der akademischen Diskussion und praktischen Anwendung im digitalen Wandel. Weitere bei Springer Gabler erschienene Werke des Autors ergänzen und vertiefen die Perspektive des Managements von Wissensarbeit (North und Güldenberg: Produktive Wissensarbeit[er]) und des Kompetenzmanagements (North, Reinhardt und Sieber-Suter: Kompetenzmanagement in der Praxis). Die Wissensmanagementanforderungen der Qualitätsnorm ISO 9001:2015 und die Möglichkeiten ihrer Erfüllung behandelt ausführlicher das Gabler-Essential von North, Brandner und Steininger Wissensmanagement für Qualitätsmanager. Eine Anleitung „Erfolgreicher Wissenstransfer in agilen Organisationen“ findet sich im gleichnamigen Springer-Gabler-Buch von Ackermann et al. Englischsprachige bei Springer erschienene Herausgeberbände fokussieren auf das Wissensmanagement im digitalen Wandel (North, Maier und Haas: Knowledge Management in Digital Change) und diskutieren die Entwicklungen der zukünftigen Arbeitswelt (Güldenberg, Ernst und North: Managing Work in the Digital Economy). Des Weiteren gibt es ein auf der wissensorientierten Unternehmensführung aufbauendes englisches Springer-Textbook (North und Kumta: Knowledge Management). Möge das Buch dazu beitragen, Wissen für eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Gesellschaft einzusetzen. Ich wünsche eine anregende Lektüre und freue mich auf Leserpost unter [email protected]. Wiesbaden, Deutschland März 2021

Klaus North

Inhaltsverzeichnis

1 Einführende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 2 Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7 2.1 Eine neue Qualität des Wettbewerbs������������������������������������������������������������   7 2.2 Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära��������������������������������������������  13 2.2.1 Drei Triebkräfte��������������������������������������������������������������������������������  13 2.2.2 Struktureller Wandel zur Wissensgesellschaft 4.0����������������������������   15 2.2.3 Weltweite Wissensnetzwerke������������������������������������������������������������  19 2.3 Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose��������������������������������������������  21 2.3.1 Dimensionen der Wissensintensität��������������������������������������������������  22 2.3.2 Kennzeichen von Wissensunternehmen��������������������������������������������  23 2.3.3 Kurzdiagnose: Unternehmen im Wissenswettbewerb����������������������  29 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  29 3 Die Wissenstreppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  33 3.1 Wissen in Organisationen ����������������������������������������������������������������������������  33 3.2 Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe������������  35 3.2.1 Wissenstreppe 4.0 – Kollege Algorithmus wird flügge��������������������  39 3.2.2 Handlungsfelder des Wissensmanagements ������������������������������������  41 3.2.3 Reifegrade wissensorientierter Unternehmensführung��������������������  42 3.3 Dimensionen des Wissens����������������������������������������������������������������������������  44 3.3.1 Wissensdimension: Natur ����������������������������������������������������������������  46 3.3.2 Wissensdimension: Verfügbarkeit����������������������������������������������������  48 3.3.3 Wissensdimension: Wert ������������������������������������������������������������������  56 3.4 Wissen als Wettbewerbsfaktor����������������������������������������������������������������������  62 3.4.1 Wissen als Produktionsfaktor������������������������������������������������������������  62 3.4.2 Wissen als strategischer Wettbewerbsfaktor ������������������������������������  62 3.4.3 Transaktionskostentheorie����������������������������������������������������������������  64 3.4.4 Wissens- und kompetenzorientierte Theorie des Unternehmens������  64 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  67

VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

4 Organisieren rund ums Wissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  71 4.1 Die Balanceakte der Unternehmensführung ������������������������������������������������  71 4.1.1 Stabilität versus Erneuerung ������������������������������������������������������������  72 4.1.2 Konkurrenz versus Kooperation�������������������������������������������������������  75 4.1.3 Wissensorganisation – die vierte Dimension������������������������������������  79 4.2 Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“������������������������������������������������  84 4.2.1 Die unendlich flache Organisation����������������������������������������������������  85 4.2.2 Die invertierte Organisation ������������������������������������������������������������  87 4.2.3 Die Sternexplosion -Organisation����������������������������������������������������  89 4.2.4 Die Spinnennetz-Organisation����������������������������������������������������������  91 4.3 Überwindung der multidivisionalen Organisation����������������������������������������  94 4.3.1 Die Entrepreneurial Corporation������������������������������������������������������  96 4.4 Plattformen für Wissen ��������������������������������������������������������������������������������  99 4.4.1 Die Hypertext-Organisation��������������������������������������������������������������  99 4.4.2 Die Plattformorganisation���������������������������������������������������������������� 102 4.5 Wissensallianzen������������������������������������������������������������������������������������������ 103 4.5.1 Formen der Zusammenarbeit������������������������������������������������������������ 106 4.5.2 Gruppen als wissensfördernde Organisationsformen ���������������������� 107 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 111 5 Wissen ist menschlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.1 Wissensarbeit 4.0 ���������������������������������������������������������������������������������������� 113 5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens���������������������������������������������������� 122 5.2.1 Führung von Wissensarbeitern���������������������������������������������������������� 124 5.2.2 Mittlere Führungskräfte: Die Renaissance einer totgeglaubten Spezies���������������������������������������������������������������������������������������������� 126 5.2.3 Obere Führungskräfte: Visionäre Kontextgestalter�������������������������� 127 5.2.4 Fachliche Mitarbeiter: Die Wissenspraktiker������������������������������������ 129 5.2.5 Informations- und Kommunikationsmitarbeiter: Die Informationsbroker und Infrastrukturmanager �������������������������������� 135 5.2.6 Supportmitarbeiter���������������������������������������������������������������������������� 136 5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG������������������������������������������������������������ 137 5.3.1 Kurzdiagnose: Kompetenzmuffel oder Kompetenzorganisation������ 138 5.3.2 Der Kompetenzbegriff���������������������������������������������������������������������� 139 5.3.3 Die Kompetenzmatrix ���������������������������������������������������������������������� 143 5.3.4 Kompetenzprofile erstellen �������������������������������������������������������������� 144 5.4 Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung ���������������������������� 145 5.5 Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)������������������������������������ 150 5.5.1 Idealtypische Wissensgemeinschaften���������������������������������������������� 151 5.5.2 Gestaltungsdimensionen von Wissensgemeinschaften �������������������� 154 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 159

Inhaltsverzeichnis

IX

6 Wissen aufbauen und teilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln������������ 163 6.1.1 Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung ���������������� 165 6.1.2 Wissenskreislauf: Anforderungen der DIN ISO 9001:2015 und DIN ISO 30401:2020 erfüllen �������������������������������������������������� 168 6.1.3 Technokratisches Wissensmanagement versus Wissensökologie ������ 172 6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements �������������������������������������� 174 6.2.1 Modell der Bausteine des Wissensmanagements������������������������������ 174 6.2.2 Das Münchener Modell�������������������������������������������������������������������� 175 6.2.3 Das Wissensmarktmodell������������������������������������������������������������������ 177 6.2.4 Modell des systemischen Wissensmanagements������������������������������ 178 6.2.5 Das APQC/Andersen-Rahmenkonzept �������������������������������������������� 179 6.2.6 Die Spirale des Wissens ������������������������������������������������������������������ 179 6.2.7 Vergleichende Beurteilung der Wissensmanagementkonzepte�������� 181 6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten�������������������������������������� 183 6.3.1 Von der Projektion zur Orchestrierung �������������������������������������������� 183 6.3.2 Wissensorientierte Projektplanung am Beispiel der Automobilindustrie �������������������������������������������������������������������������� 188 6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen���������������������� 190 6.4.1 Typen von kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Wissensprobleme������������������������������������������������������������������������������ 191 6.5 Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung ���������������������������������� 200 6.5.1 Herausforderungen und Ziele ���������������������������������������������������������� 200 6.5.2 Wissensmanagementpraktiken in der öffentlichen Verwaltung�������� 201 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 207 7 Wissen messen und absichern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 7.1 Maßstäbe finden�������������������������������������������������������������������������������������������� 211 7.2 Verankerung immaterieller Werte in Bilanzierungsstandards���������������������� 213 7.3 Wissensbilanzierung ������������������������������������������������������������������������������������ 216 7.3.1 Deduktiv summarische Ansätze�������������������������������������������������������� 218 7.3.2 Induktiv-analytische Ansätze������������������������������������������������������������ 219 7.4 Beurteilung der Verfahren zur Wissensbilanzierung������������������������������������ 231 7.5 Schutz vor Wissensverlust���������������������������������������������������������������������������� 233 7.5.1 Wissensverluste – Die Organisation vergisst������������������������������������ 233 7.5.2 Möglichkeiten der Absicherung�������������������������������������������������������� 233 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 239 8 Wissensmanagement implementieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 8.1 Eine wissensorientierte Strategie entwickeln������������������������������������������������ 243 8.2 Das Wissensmarktkonzept���������������������������������������������������������������������������� 251 8.2.1 Fünf Lehren für die Gestaltung eines Wissensmanagements ���������� 251

X

Inhaltsverzeichnis

8.3 Rahmenbedingungen gestalten und steuern�������������������������������������������������� 255 8.3.1 Verankerung der Werte und der Bedeutung des Wissens im Unternehmensleitbild und Verhalten������������������������������������������������ 256 8.3.2 Erwünschtes Führungskräfte- und Mitarbeiterverhalten beschreiben und Ist-Verhalten daran messen������������������������������������ 258 8.3.3 Im Beurteilungs- und Vergütungssystem Kooperation und Gesamterfolg des Unternehmens honorieren������������������������������������ 261 8.4 Spieler und Spielregeln des Wissensmarkts�������������������������������������������������� 262 8.4.1 Wissensmarkt schaffen: Anspruchsvolle Ziele setzen���������������������� 262 8.4.2 Akteure des Wissensmarkts etablieren���������������������������������������������� 263 8.4.3 Spielregeln des Wissensmarkts definieren���������������������������������������� 270 8.5 Instrumente und Prozesse der Wissensorganisation�������������������������������������� 273 8.5.1 Wissensorganisation aus der Prozessperspektive������������������������������ 274 8.5.2 Der Best-Practice-Prozess���������������������������������������������������������������� 276 8.5.3 Wissensorganisation aus der Projektperspektive������������������������������ 280 8.5.4 Lessons Learned und Debriefing������������������������������������������������������ 281 8.5.5 Medien der Wissensorganisation������������������������������������������������������ 286 8.6 Informations- und Kommunikationssysteme für das Unternehmen 4.0�������� 294 8.6.1 Dienste und Struktur der Systeme���������������������������������������������������� 294 8.6.2 Enterprise Social Software���������������������������������������������������������������� 299 8.6.3 Die physische Infrastruktur�������������������������������������������������������������� 302 8.7 Einführungspfade des Wissensmanagements������������������������������������������������ 305 8.7.1 Die Wissenstreppe schrittweise aufbauen���������������������������������������� 305 8.7.2 Das Zwölf-Punkte-Programm zur wissensorientierten Unternehmensführung���������������������������������������������������������������������� 308 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 314 9 Anhang: Wissensmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 9.1 Was ist ein Wissensmarkt und wozu dient er?���������������������������������������������� 317 9.2 Was brauche ich für einen Wissensmarkt?���������������������������������������������������� 318 9.3 Was sollte ich zur Vorbereitung klären?�������������������������������������������������������� 318 9.4 Wie läuft ein Wissensmarkt ab?�������������������������������������������������������������������� 319 Online Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Verzeichnis der Fallbeispiel

Fallbeispiel 1: Ingenieurbüro K&P: Schnell lernen Fallbeispiel 2: Produktionsimpresarios : Virtuell und Virtuos Fallbeispiel 3: Best-Practice-Transfer (Elektronikfertigung) Fallbeispiel 4: Boeings 737 Max – Künstliche Intelligenz als Killer Fallbeispiel 5:  Wissensintegration: Übernahme eines ausländischen Unternehmens (vgl. [34]) Fallbeispiel 6: Das beste Brot in ganz Osaka Fallbeispiel 7: Transfer Stories bei Leaving Experts transportieren implizites Wissen Fallbeispiel 8: Der Wert des Wissens Fallbeispiel 9: Oticon – Die Spaghetti -Organisation (vgl. [16, S. 15 ff.]) Fallbeispiel 10: Best-Practice-Austausch in der Otto Group: mehr als nur ein Prozess Fallbeispiel 11: Franchising von Finanzdienstleistungen Fallbeispiel 12: NovaCare – Die Rehabilitationsdienstleister Fallbeispiel 13: 3M – Der Produktgenerator Fallbeispiel 14: MLP-Finanzdienstleistungen als Wissensnetzwerk Fallbeispiel 15: KAO – Kreativ in Japan Fallbeispiel 16: Sharp – Hypertext in Forschung und Entwicklung Fallbeispiel 17: Die „Workforce 21“ – Initiative von AT&T (vgl. [6]) Fallbeispiel 18: Eine fiktive Stellenanzeige der Intelligenz AG Fallbeispiel 19: CSC Ploenzke – Personalentwicklung mit Perspektive: Querdenker statt Aufsteiger [4] Fallbeispiel 20: Karriere in der CSC-Welt: Wertvoller werden Fallbeispiel 21: Das Unternehmensfrühstück Fallbeispiel 22: „Wissen teilen gewinnt Meilen“ – Initiative in einer Unternehmensberatung Fallbeispiel 23: Wissensgemeinschaften: Zwei Beispiele Fallbeispiel 24: Wissensarbeit weltweit Fallbeispiel 25: GIZ: Aus weltweiten Projekterfahrungen zu Dienstleistungsprodukten Fallbeispiel 26: Gemeinsam lernen im Handwerk: Die bad & heizung concept AG Fallbeispiel 27: Ein Modellprojekt in Hessen XI

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Verzeichnis der Fallbeispiel

Fallbeispiel 28: Zukunftsorientiertes Personal- und Wissensmanagement im Land Berlin Fallbeispiel 29: Wissensbilanz des Forschungszentrum Austrian Research Centers Seibersdorf (ARCS) Fallbeispiel 30: Wissensbilanz einer Bausparkasse Fallbeispiel 31: Die Wissensstafette von Volkswagen Fallbeispiel 32: Bessere Nutzung von Patenten bei Dow-Chemical Fallbeispiel 33: SMA Kickbox – erfolgreiches, agiles Innovationsmanagement bei SMA Solar Technology AG Fallbeispiel 34: Mit Sinn Wissen managen Fallbeispiel 35: Die A1 Leadership Ambitions für die agile Organisation Fallbeispiel 36: Working Out Loud Fallbeispiel 37: Leuchtturmprinzip: Das Programm Klassenbester Fallbeispiel 38: Lernen und kontinuierliche Verbesserung mit dem Daimler Produktions-Lern-System PLS Fallbeispiel 39: „Wachstumsstrategie formulieren“ als Lernprojekt Fallbeispiel 40: Festo SE & Co. KG: Kontinuierliche Verbesserung der Projektarbeit durch Lessons Learned Fallbeispiel 41:  Bosch Experts Organization (BEO) fördert Synergien und Wissensaustausch Fallbeispiel 42: General Electric – Work-out Fallbeispiel 43: Bereichsübergreifendes Projekt „Komplexitätsreduktion von Baugruppen“ Fallbeispiel 44: Kompetenzagenda und Semantic-Web-Werkzeuge bei der HMS Analytical Software GmbH

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Einführende Zusammenfassung

Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden zehn Fragen zum Wissensmanagement beantwortet und damit der Inhalt des Buchs einführend zusammengefasst.

Zehn Fragen und Antworten zur wissensorientierten Unternehmensführung

1.  Warum wird derzeit über den Produktionsfaktor Wissen und Wissensmanagement 4.0 diskutiert? 2. Wie relevant ist Wissen als Wettbewerbsfaktor? 3. Was ist eigentlich das Wissen eines Unternehmens? 4. Kann man Wissen messen? 5. Was ist Wissensmanagement? 6. Welche Hindernisse stehen Wissensaufbau und Wissensnutzung entgegen? 7. Wie können Wissensaufbau und -nutzung gefördert werden? 8. Wie können wissensfördernde Rahmenbedingungen geschaffen werden? 9. Wie können wir Prozesse und Strukturen zur Unterstützung eines Wissensmarkts im Unternehmen gestalten? 10. Wie sollte ein Unternehmen mit der Einführung des Wissensmanagements beginnen?

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_1

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1  Einführende Zusammenfassung

1. Warum wird derzeit über den Produktionsfaktor Wissen und Wissensmanagement 4.0 diskutiert? (Kap. 2) Mit Digitalisierung, demografischem Wandel, globalem Wettbewerb und unerwarteten Krisen wird vielen Institutionen klar, dass das Erreichen ihrer Ziele ein ­bewusstes Managen des Produktionsfaktors Wissen in einer agilen Organisation erfordert. Es vollzieht sich ein struktureller Wandel von arbeitsintensiven zu wissensintensiven Geschäftsfeldern und gesellschaftlichen Fragestellungen. Nicht nur Unternehmen verkaufen zunehmend Wissen oder intelligente Produkte, sondern auch öffentliche Institutionen und Non-Profit-Organisationen werden zunehmend wissensintensiver. Rasche Veränderungen von Märkten, Individualisierung von Kundenbedürfnissen und die Lösung drängender gesellschaftlicher Fragen können nur mit der Mobilisierung von Wissensressourcen bewältigt werden. Traditionelle Rationalisierungs- und Differenzierungspotenziale sind weitgehend ausgereizt. Der Produktionsfaktor Wissen birgt jedoch noch ungeahnte Effizienz- und Innovationspotenziale. Innovationen beruhen auf immer neuen Kombinationen von Wissen, die einen Wert für die Nutzer schaffen. Die Entwicklungen digitaler Medien bieten die Möglichkeit, große Mengen von Daten und Informationen zu verarbeiten und Personen miteinander interaktiv auch über große Distanzen arbeiten und Wissen austauschen zu lassen. Systeme der künstlichen Intelligenz entlasten, erweitern und ergänzen menschliche kognitive Fähigkeiten, müssen aber verantwortungsvoll eingesetzt werden. 2. Wie relevant ist Wissen als Wettbewerbsfaktor? (Abschn. 3.3) Wissen und Kompetenzen von Organisationen unterstützen ihre Fähigkeit, einzigartige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, und ermöglichen eine effiziente Schaffung von Kundennutzen. Wissen über Kunden bindet Kunden und ermöglicht, ihre jetzigen und zukünftigen Bedürfnisse (besser als Wettbewerber) zu erkennen. Wissen über Wettbewerber und innovative Unternehmen ermöglicht, von ihnen zu lernen und unser Unternehmen zu positionieren. Prozess-Know-how und der unternehmensinterne sowie unternehmensübergreifende Transfer von Best Practices steigern Produktivität und Qualität. Durch die Kombination von Wissen werden Prozesse, Produkte und Geschäftsfelder neu geschaffen. Der Commodity-Wettbewerb mit Standardprodukten wird ersetzt durch das Angebot differenzierter Komplettdienstleistungen, die einzigartig sind. Eine transparente Darstellung des Wissenskapitals steigert die Attraktivität des Unternehmens bei Investoren. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch Wissen werden insbesondere dann erreicht, wenn das Wissen eines Unternehmens nicht oder schwierig imitierbar oder transferierbar ist. Dies gilt z.  B. für das Know-how von Mitarbeiterteams, Patente, persönliche und organisatorische Netzwerke sowie für eine Organisationskultur, die Kooperation und Wissensaustausch fördert. Die Lernfähigkeit einer Organisation und ihre Fähigkeit, nicht mehr relevantes Wissen über Bord zu werfen – zu lernen und zu verlernen –, sind von großer Bedeutung im Zeitalter wissensintensiver Unternehmen.

1  Einführende Zusammenfassung

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3. Was ist eigentlich das Wissen einer Organisation? (Abschn. 3.1 und 3.2) Wissen ist in unterschiedlichen Formen in der Organisation gebunden. Es findet sich in Prozessen, Technologien, Patenten und vor allem in den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter. Organisationen haben Wissen u.  a. über Kunden, Märkte und Lieferanten. Wissen entsteht in einem spezifischen Kontext und kann davon nicht losgelöst betrachtet werden, es ist an Personen gebunden und vielfach unbewusst. Wenn uns z. B. ein Maler genau erklärt, wie er ein Bild gemalt hat, so werden wir nicht in der Lage sein, das gleiche Bild zu reproduzieren. Diese Komplexität von Wissen hat zur Folge, dass es nicht vollständig in einem Manual gespeichert und losgelöst von Personen transferiert werden kann. Wissen ist keine „Tiefkühlkost“, die nach Belieben gelagert, zerteilt und transportiert werden kann. 4. Kann man Wissen messen? (Abschn. 7.1, 7.2, 7.3 und 7.4) Die Erfahrung lehrt, dass all das, was nicht gemessen werden kann, im unternehmerischen Alltag wenig Beachtung findet. Einige Unternehmen bezeichnen daher ihr Wissen als intellektuelles Kapital oder Wissenskapital und haben begonnen, mit Wissensbilanzen zu experimentieren und Indikatoren zu entwickeln, die sich auf Kunden, Mitarbeiter, Prozesse, Innovationen und Finanzkapital beziehen. Die Balanced Scorecard von Kaplan und Norton geht einen ähnlichen Weg. Wir sind derzeit jedoch noch weit davon entfernt, Wissen einer Organisation umfassend messen zu können. 5. Was ist Wissensmanagement? (Abschn. 2.1, 2.3 und Kap. 8) Um klar zu machen, dass Wissensmanagement kein Selbstzweck ist, verwenden wir hier im Buch überwiegend den Begriff wissensorientierte Unternehmensführung. Wissensorientierte Unternehmensführung stellt sicher, dass das für die Erreichung der strategischen und operativen Ziele notwendige Wissen und die Kompetenz zur Verfügung stehen, genutzt, entwickelt und abgesichert werden. Wissensorientierte Unternehmensführung bedeutet, die Ressource Wissen einzusetzen, um einerseits die Effizienz zu steigern, andererseits die Qualität des Wettbewerbs zu verändern. Ziel wissensorientierter Unternehmensführung ist es, aus Informationen Wissen zu generieren und dieses Wissen in nachhaltige Wettbewerbsvorteile umzusetzen, die als Geschäftserfolge messbar werden. Wissensmanagement macht nicht an den Unternehmensgrenzen halt, sondern bezieht Kunden, Lieferanten, Allianzpartner (Wissensallianzen) und weitere externe Know-how-Träger mit ein. Wissensmanagement bedeutet daher zugleich eine Öffnung nach außen und nach innen. Auch in der Qualitätsnorm ISO 9001:2015 werden Anforderungen an das Wissensmanagement gestellt. Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement beginnen zusammenzuwachsen. In dieser Sichtweise umfasst Wissensmanagement folgende Aufgaben und Ziele: • Wissensbeschaffung: Sicherstellen, dass für Geschäftsentwicklung und -prozesse benötigtes Wissen zur Verfügung steht. • Wissensentwicklung: Sicherstellen, dass Wissen an der bestgeeigneten Stelle in oder außerhalb des Unternehmens entwickelt wird. • Wissenstransfer: Sicherstellen, dass Wissen optimal nutzbar gemacht wird.

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1  Einführende Zusammenfassung

• Wissensaneignung: Sicherstellen, dass die Organisation und jeder ihrer Mitarbeiter lernfähig sind. • Wissensweiterentwicklung: Sicherstellen, dass Wissen anwendungsbezogen aktualisiert, fortentwickelt und obsoletes Wissen verlernt wird. • Wissensabsicherung: Sicherstellen, dass wichtiges Wissen der Organisation nicht verloren geht und vor Nachahmung (z. B. durch Patente) geschützt wird. Es wird oft darüber diskutiert, ob man Wissen überhaupt managen kann. Der Ansatz einer Wissensökologie betont, dass Unternehmen vielmehr die richtigen Wachstumsbedingungen für die „Wissenspflanzen“ schaffen sollten. 6. Welche Hindernisse stehen Wissensaufbau und Wissensnutzung entgegen? (Abschn. 2.1, 6.1) In vielen Unternehmen können wir Hindernisse ausmachen, die unter eine oder mehrere der folgenden Punkte fallen: • Organisationsstruktur (z. B. Geschäftsgebiete, Niederlassungen, Profitcenter) und gelebte Werte bauen Grenzen auf. Wissen ist Macht und wird unter Verschluss gehalten. Das Not-invented-here-Syndrom verhindert Wissenstransfer. • Vergütungs- und Beurteilungssysteme bieten nur geringe Anreize, Wissen zu teilen. • Es fehlen effiziente Prozesse zum Wissensaufbau und -transfer. Die informationstechnische Unterstützung ist lückenhaft und nicht nutzerfreundlich. • Wissen wird mit Informationen verwechselt und daher als Sache  – „Tiefkühlkost“ – behandelt. 7. Wie können Wissensaufbau und -nutzung gefördert werden? (Abschn. 8.1) Unternehmensführung unter Wissensgesichtspunkten heißt, unternehmerisches Handeln und Kooperation orientiert an Zielen und Wertvorstellungen des Gesamtunternehmens zu fördern, sodass kurzfristiger Erfolg der Geschäftseinheiten und langfristiger Kompetenzaufbau des Gesamtunternehmens sichergestellt werden. In einem Unternehmen sind drei Bedingungen für einen effektiven Wissensaufbau und -transfer zu erfüllen: • Rahmenbedingungen: Unternehmensleitbild, Führungsgrundsätze und Anreizsysteme müssen Erfolg der Geschäftseinheiten und Beitrag zur Entwicklung des Gesamtunternehmens koppeln. • Spielregeln: Es ist ein Wissensmarkt mit Angebot und Nachfrage im Unternehmen zu schaffen. • Prozesse/Strukturen: Effiziente Träger und Medien des Wissensaufbaus und -transfers sind zu entwickeln. 8. Wie können wissensfördernde Rahmenbedingungen geschaffen werden? (Abschn. 8.3 und 8.4) Wissensfördernde Rahmenbedingungen, die Wissensökologie, beinhalten zunächst ein Wertesystem, das durch die Begriffe Vertrauen, Zusammenarbeit und Offenheit für ständigen Wandel gekennzeichnet ist. In den meisten Unternehmen sind derzeit noch Ziele und Anreizsysteme auf Geschäftseinheiten bezogen. Individuelle Leistung wird mehr honoriert als Zusammen-

1  Einführende Zusammenfassung

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arbeit. Unter der Optik des Wissensmanagements beginnen Unternehmen, in ihren Beurteilungssystemen messbare Beiträge zum Wissensaufbau und -transfer zu berücksichtigen. Bei der Entlohnung von Führungskräften wird der Gesamtunternehmenserfolg stärker gewichtet (z. B. durch Aktienoptionen), um Wissenstransfer und geschäftseinheitsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Durch Einführung einer Balanced Scorecard können die traditionellen finanziellen Indikatoren durch kompetenzbezogene Kriterien (bezogen auf Kunden, Mitarbeiter, Prozesse, Innovationen) ergänzt werden. Die Balanced Scorecard wird dann zum Kriterium des Erfolgs der Geschäftseinheit. Für die Nutzung und Vermehrung des Wissenskapitals benennen Unternehmen zunehmend Wissensmanager und Verantwortliche auf Geschäftsleitungsebene. Erfolg wird diesen Bemühungen aber nur beschieden sein, wenn sich die Geschäftsleitung eindeutig zum Wissensmanagement bekennt. 9. Wie können wir Prozesse und Strukturen zur Unterstützung eines Wissensmarkts im Unternehmen gestalten? (Abschn. 8.5 und 8.6) Durch Schaffen eines Wissensmarkts im Unternehmen werden Wissensangebot und -nachfrage artikuliert, Anbieter und Nachfrager werden in Kontakt gebracht, Wissen wird ausgetauscht und die Austauschbedingungen werden festgelegt. Was heißt dies konkret? Zunächst ist Transparenz zu schaffen: Wer weiß was im Unternehmen (Angebotsseite). Hierzu haben Unternehmen analog zum Telefonbuch Gelbe Seiten oder Wissenslandkarten geschaffen. Vermehrt können einzelne Mitarbeiter(-gruppen) ihre Kompetenz im Informationssystem darstellen. Durch unternehmensöffentliches Benchmarking, freundschaftlichen Wettbewerb etc. werden Best Practices identifiziert. Kompetenzzentren bündeln Know-how. Unternehmensinterne Dienstleistungsanbieter konkurrieren untereinander und mit externen Anbietern. Best Practices und hohe Fachkompetenz werden herausgestellt. Nachdem das Wissensangebot transparent dargestellt ist, sind Anbieter und Nachfrager in Kontakt zu bringen. Hierzu gewinnen informelle und formelle Netzwerke zunehmend an Bedeutung, die durch soziale Medien unterstützt werden. Sogenannte Communities of Practice organisieren den Erfahrungsaustausch in Unternehmen und über deren Grenzen hinaus. Kontaktmessen, Vortragsveranstaltungen, Erfahrungsaustausch etc. stellen weitere Möglichkeiten dar, wie Wissensanbieter und -nachfrager miteinander lernen. Für den Erfolg des Wissensaustauschs oder der Wissensentwicklung ist ein gemeinsames Interesse von Anbieter und Nachfrager ausschlaggebend. Wissensaustausch und -entwicklung können durch Kompetenznetzwerke, kooperative Projekte, Personalrotation, Austausch von guten Praktiken etc. geschehen. 10. Wie sollte ein Unternehmen mit der Einführung des Wissensmanagements beginnen? (Abschn. 8.7) Die Erfahrung lehrt, dass ein kombinierter Veränderungsprozess von oben nach unten (top-down) und von unten nach oben (bottom-up) unterstützt durch eine entspre-

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1  Einführende Zusammenfassung

chende Informationstechnik erfolgversprechend ist, wobei jedoch unterschiedliche Einführungspfade denkbar sind. Folgende Maßnahmen sind vorzusehen: Die Unternehmensleitung muss sich eindeutig zum Wissensmanagement bekennen: Wissensaufbau und -transfer sind von großer Bedeutung für die Sicherung einer anhaltenden Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens. Führungskräfte und Mitarbeiter werden daran gemessen. Führungs- und Anreizsysteme sind unter Wissensgesichtspunkten zu reformieren. Insbesondere sind entsprechende Indikatoren zu entwickeln, um den Geschäftserfolg unter Wissensgesichtspunkten messen zu können. Kompetenznetzwerke und „Communities of Practice“ zum Wissenstransfer im Unternehmen, in das Unternehmen und aus dem Unternehmen hinaus (z. B. zu Zulieferern) sind zu strukturieren. Eine effiziente und nutzerorientierte Informations- und Kommunikationsinfrastruktur ist aufzubauen und die Möglichkeiten der sozialen Medien sind für das Wissensmanagement zu gestalten. Mit dieser Einführungsstrategie von Wissensmanagement werden kurzfristige Erfolge sichtbar, die eine längerfristige Strategie des Wissensmanagements unterstützen. Das an der Wissenstreppe orientierte Gesamtkonzept und das Zwölf-Punkte-Programm am Ende des Buchs hilft Ihnen bei der Umsetzung.

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Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie, welche Veränderungen der strukturelle Wandel zur digitalen Wissensgesellschaft für Organisationen bedeutet. Ziele und Aufgaben wissensorientierter Unternehmensführung werden definiert und Kennzeichen von Wissensunternehmen beschrieben. Das Kapitel schließt ab mit einer Kurzdiagnose zur wissensorientierten Unternehmensführung.

2.1

Eine neue Qualität des Wettbewerbs

Wissen ist die Grundlage für Handlungsfähigkeit, Wertschöpfung und Entwicklung von Personen, Organisationen und Gesellschaften. (vgl.  [1, 2, 3]). Wissensgesellschaften bauen nach UNESCO [4] auf vier Pfeilern auf: Meinungsfreiheit, universellen Zugang zu Informationen und Wissen, Achtung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt und eine hochwertige Bildung für alle. Auch eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung ist ohne eine breite geteilte Wissensbasis der Menschen undenkbar (vgl. [3, 5]). Daher beschäftigen sich nicht nur Unternehmen, sondern zunehmend auch Institutionen aus dem öffentlichen Sektor und Non-Profit-Organisationen mit der Thematik. Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildungswesen, Sicherheit, Ministerien und Parlamente sind prädestiniert für die Gedanken des Wissensmanagements: Jedem Bürger sollte Zugang zu Informationen, Beratungsangeboten und kompetenten Ansprechpartnern gegeben werden [6]. Der „digitale Staat“ [7] eröffnet hierzu neue Möglichkeiten.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_2

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Die Ergebnisse des internationalen Schulvergleichs (Pisa-Studie) zeigen, wie nötig dies auch im Bildungsbereich ist: Schulübergreifender Austausch über erfolgreiche pädagogische Konzepte, didaktische Aufbereitung spezifischer Inhalte, Supervision und Tutorien zu neuen fachlichen Entwicklungen werden allenthalben gefordert [8]. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Leistungsträger, die Weiterbildung von Ärzten und Fachkräften des Gesundheitswesens, ein Überblick über die Wirksamkeit von Medikamenten, Online-Beratung von Patienten sind nur einige Themen, die die Bedeu­ tung des systematischen Umgangs mit Wissen im Gesundheitssektor beleuchten [9]. Auch Vereine, bürgerschaftliche Initiativen und Non-Profit-Institutionen insbesondere der Sozialwirtschaft [6] beschäftigen sich zunehmend mit dem Wissensmanagement. So sind die SOS-Kinderdörfer als Fallbeispiel gut dokumentiert [10]. Bereits die bessere Nutzung des in Organisationen an vielen Stellen vorhandenen Wissens (bzw. des Wissens von Kunden und Lieferanten) kann zu sehr bedeutenden Produktivitäts- und Qualitätssteigerungen führen. Von uns interviewte Führungskräfte haben dies wie folgt formuliert: Wenn wir wüssten, was unser Unternehmen weiß, dann könnten wir Kundenwünsche besser erfüllen, innovative Produkte früher anbieten, schneller auf Marktveränderungen reagieren und unsere Produktivität steigern. Kurz gesagt, wir könnten schneller besser werden. (s. auch Abschn. 6.1)

Während der Wunsch, schneller besser zu werden, auf eine Steigerung der Effizienz und Agilität im oft turbulenten Umfeld abzielt, werden dadurch die grundlegenden Wettbewerbsparameter nicht oder nur unwesentlich verändert. So kompensiert ein führendes Elektronikunternehmen durch verbesserten Wissenstransfer zwischen den Werken einen jährlichen Preisverlust von etwa 15 %. Durch den Transfer von Best Practice steigt zwar die Produktivität, der Preisverfall selbst wird jedoch nicht gestoppt. Um einem solchen Preisverfall zu entgehen, müssten durch Innovationen die Wettbewerbsparameter geändert werden. Es müssten einzigartige, schwer imitierbare Produkte im Markt platziert werden. Nicht nur operativ sollte eine Organisation agil sein, sondern auch in ihrer Strategie (vgl. [11]). Die folgenden Leitfragen regen an, darüber nachzudenken [11, S. 10]. Fragen zur Agilität

Agiert Ihre Organisation in einem rasch veränderlichen, turbulenten Umfeld? Was sind die dominierenden Treiber der Veränderung? Strategische Agilität: Sind Sie in der Lage, Marktchancen frühzeitig zu erkennen und rasch umzusetzen? Spezialisierungsfalle: Wie vermeiden Sie, dass die speziellen Kompetenzen, die Sie heute stark machen, morgen zur Spezialisierungsfalle werden? Operative Agilität: Sind Sie in der Lage, im täglichen Geschäft Informationen, Wissen und Kompetenz rasch zu mobilisieren, um z.  B.  Kundenanfragen schnell zu be-

2.1  Eine neue Qualität des Wettbewerbs

9

antworten oder Umsatzsteigerungs- und Kostensenkungsmöglichkeiten rasch zu erkennen und zu realisieren? Veränderungs- und Lernkompetenz: Wie entwickeln Sie die Fähigkeit, als Organisation effizient zu lernen und Veränderungen rasch umzusetzen? Kompetenzmanagement: Ist Ihr Kompetenzmanagement dem raschen Wandel gewachsen? Wissensorientierte Unternehmensführung bedeutet daher nicht nur schneller besser, sondern auch tiefgreifend anders zu werden. Tiefgreifend deswegen, weil Grundannahmen unseres Handelns und vermeintlich gesichertes Wissen der Vergangenheit ihre Gültigkeit verlieren. Die Transformation erfordert vielfach einen Wandel hin zu einer neuen Unternehmens- und Innovationskultur, die Ergebnis eines höchst komplexen Prozesses sind, der initiiert, gestaltet und mit langem Atem durchgestanden werden muss (Hass und North). Anders deswegen, weil als Ergebnis des Kulturwandels das Unternehmen durch die neue Konfiguration seiner Ressourcen nicht oder nur schwer imitierbar wird. Produkte lassen sich je nach Komplexität kurz- oder mittelfristig nachahmen. Die organisierte, im Unternehmen verankerte Fähigkeit, Wissen aufzubauen, neu zu kombinieren, zu transferieren, zu sichern, um daraus Lösungen für heutige und zukünftige Kundenbedürfnisse zu generieren, ist nur schwer imitierbar und daher Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile. Im Wissenswettbewerb wird die Fähigkeit prämiert, mit einer scheinbar endlosen Zahl von Möglichkeiten zu spielen, um neue, immer bessere Wege zu finden, Dinge zu tun und etablierte Muster zu brechen (vgl. [12]). Unternehmen sind immer weniger physisch abgrenzbare Einheiten, die mit physischen Ressourcen physische Produkte erstellen. Unternehmen werden zunehmend als virtuelle Gebilde verstanden, die betriebswirtschaftliche Auffassungen revidieren (vgl. [13], S. 19): Vom kompetitiv-rivalisierenden zum partnerschaftlich-kooperativen Wettbewerbsverständnis, vom institutionalen zum prozessualen, an der Wertschöpfung orientierten Organi­ sationsbegriff, vom misstrauens- zum vertrauensorientierten Allianzmanagement.

Fallbeispiel 1

Ingenieurbüro K&P: Schnell lernen An drei Standorten werden statische Berechnungen für komplexe Bauten (u. a. Brücken) mit etwa 30 Mitarbeitern, zumeist Ingenieuren, durchgeführt. Erfolgreich sind in dieser Branche nur Ingenieure, die Projekte effizient abwickeln, schnell aus Fehlern lernen und sich als Spezialisten für spezifische Themen profilieren. In den Köpfen der Mitarbeiter entsteht hoch spezialisiertes Wissen über Lösungen und über häufig wiederkehrende Konstruktionsfehler. Wie kann dieses Wissen gespeichert, allgemein zugänglich und zur Aus- und Weiterbildung jüngerer Mitarbeiter genutzt werden?

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Bei K&P werden über eine Collaboration-Plattform objekt- und themenbezogen sowohl die häufig vorkommenden Konstruktionsfehler als auch gute Lösungen dokumentiert. Hat ein Mitarbeiter eine statische Berechnung für ein neues Objekt durchzuführen, kann er sich über häufig vorkommende Konstruktionsmängel informieren, diese schnell erkennen, eventuell bei eigenen Konstruktionsarbeiten vermeiden und Elemente einer „guten Lösung“ kennenlernen. Es entsteht ein allgemein zugängliches kollektives Wissen des Ingenieurbüros. Obwohl der Nutzen der Lösungs­ datenbank auf der Hand liegt, ist es nicht immer einfach, die Mitarbeiter zum ­Einspeisen der Informationen zu gewinnen: Sie arbeiten unter hohem Zeitdruck, die dokumentierten Fehler haben sie zum Teil selbst gemacht und wünschen nicht, damit in Verbindung gebracht zu werden. Ihre eigene Expertise wird unter Umständen weniger wert, wenn andere auch Zugang zu den Erfahrungen haben. Bei K&P wurde bisher der Weg gegangen, durch Kommunizieren und Überzeugen Mitarbeiter zum Einspeisen von Informationen zu gewinnen. Mit zunehmender Füllung der Datenbank nimmt auch ihr Nutzen für die Mitarbeiter zu. Eine Kultur des Lernens aus den Fehlern beginnt sich zu etablieren. cc Wissensorientierte Unternehmensführung stellt sicher, dass das für die Erreichung der strategischen und operativen Ziele notwendige Wissen und die Kompetenz zur Verfügung stehen, genutzt, entwickelt und abgesichert werden. Wissensorientierte Unternehmensführung bedeutet, die Ressource Wissen einzusetzen, um einerseits die Effizienz zu steigern, andererseits die Qualität des Wettbewerbs zu verändern. Ziel wissensori­ entierter Unternehmensführung ist es, aus Informationen Wissen zu generieren und die­ ses Wissen in nachhaltige Wettbewerbsvorteile umzusetzen, die als Geschäftserfolge messbar werden. Die Vision für Unternehmen der Wissensgesellschaft zielt nach Bleicher auf die Entstehung einer intelligenten Unternehmung als Ort systemischer Kompetenz mit hoher Flexibilität. Intelligenz bedeutet dabei weniger, den Wandel zu fördern, als zu wissen, wann er notwendig ist, und die Fähigkeit, Routinen zu hinterfragen und zu brechen. Die intelligente Unternehmung hat eine Unternehmenskultur zur Voraussetzung, die nicht nur durch ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen geprägt ist, sondern sich weiter durch große Offenheit und Nonkonformität auszeichnet. In einem Klima der Zusammenarbeit sind „Zonen der Erprobung“ bei fehlertoleranter, vertrauensvoller Zusammenarbeit als Stätten organisationalen Lernens zu gestalten [15, S. 78]. Inzwischen gibt es eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Investitionen in eine bewusste wissensorientierte Unternehmensführung lohnend sind (vgl. [16]). In ihrer Überblicksstudie zu „Knowledge Management and Organisational Performance“ belegen Zack et  al. [14], dass es durchaus nachweisbare Zusammenhänge zwischen Aktivitäten des Wissensmanagements und Kennzahlen der Organisation gibt. Während Zusammenhänge

2.1  Eine neue Qualität des Wettbewerbs

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zwischen finanziellen Größen und Wissensmanagementaktivitäten eher schwach nachweisbar sind, gibt es eine Reihe von Untersuchungen (vgl.  u.  a. [17]), die zeigen, dass Wissensmanagement Zwischengrößen beeinflusst, z. B. Produktivität, Qualität und Mitarbeitermotivation, die dann zusammen mit anderen Faktoren Auswirkungen auf finanzielle Indikatoren haben. Mit der repräsentativen Studie „Wettbewerbsfaktor Wissensmanagement 2010“ zeigten Pawlowsky et al. [18], dass Wissensmanagement besonders in den Unternehmen stark ausgeprägt ist, die vorwiegend eine Kunden-, Innovations- und Human-­Ressource-­Managementstrategie verfolgen. Im Gegensatz dazu sind Wissensmanagementaktivitäten in Unternehmen, bei denen eine kostenorientierte Wettbewerbsstrategie vorherrscht, in einem geringen Umfang anzutreffen. Weiterhin geht aus der Studie hervor, dass sich insbesondere Unternehmen mit einem ausgeprägten Bewusstsein für Marktdynamik und Personal durch ein umfangreiches Wissensmanagement auszeichnen. Es ist ein positiver Zusammenhang zwischen dem Ausbaustand von Wissensmanagement (WM) bzw. Intellectual Capital Management (ICM) und der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Mitarbeitermotivation festzustellen. Ein einfacher Ursache-Wirkung-Zusammenhang kann aber nicht hergestellt werden: Sind wettbewerbsstarke Unternehmen eher geneigt, in das Wissensmanagement zu investieren oder führen Wissensmanagementinitiativen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit? Dem erkannten Potenzial wissensorientierter Unternehmensführung stehen in vielen Unternehmen jedoch erhebliche Realisierungsprobleme gegenüber. Trotz anspruchsvoller Informationstechnologie, Datenbanken, ­Erfahrungsaustausch, Arbeitsgruppen, Lenkungsausschüssen usw. gelingt es vielen Un­ ternehmen nicht, nur unzulänglich oder mit erhöhtem Aufwand, Wissen transparent zu machen, Synergien zu nutzen und somit das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden. Die zunehmende Arbeit von Zuhause, macht den Wissenstransfer nicht einfacher. Vielfach ist es einfacher, insbesondere in Großunternehmen, herauszufinden, was die Konkurrenz realisiert oder plant, als in Erfahrung zu bringen, welche Entwicklungen in einem anderen Geschäftsbereich des eigenen Unternehmens laufen. Wenn es schon eine Herausforderung ist, innerhalb eines Geschäftssegments zusammenzuarbeiten, so ist es umso schwieriger, segmentübergreifend zu kooperieren, mit dem Ziel, das gesamte verfügbare Wissen schnell und effizient in Problemlösungen für Kunden umzusetzen. Die Organisationsform vieler Großunternehmen steht häufig einem ungehinderten Wissensfluss über Segmentgrenzen hinweg im Weg. Neben der Organisationsstruktur bauen gelebte Werte Grenzen auf. Wissen ist Macht und wird unter Verschluss gehalten. Das Not-invented-here-Syndrom behindert Wissenstransfer. Oft bieten die individualistisch ausgerichteten Vergütungs- und Beurteilungssysteme nur geringe Anreize, Wissen gezielt aufzubauen und zu teilen (Abb. 2.1). Diesen Hemmnissen steht jedoch ein steigendes Bewusstsein bei Mitarbeitern und Führungskräften vieler Unternehmen gegenüber, dass „Wissensaufbau und -austausch für unser Geschäft lebenswichtig ist und uns vorwärts bringt.“ In Befragungen des Autors zur Thematik wird dies deutlich: Von etwa 150 befragten Mitarbeitern einer Unternehmens-

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Abb. 2.1  Was behindert Wissensaufbau und -transfer?

beratung stuften 83 % gezielten Wissensaufbau und -transfer als unverzichtbar bzw. wichtig (17 %) ein; 60 % der Berater sagten von sich selbst, sie sollten mehr dazu beitragen. Die Digitalisierung aller Lebensbereiche und die Konzepte der Industrie 4.0 stellen zudem neue Anforderungen an den Umgang mit Daten, Informationen und Wissen [19, 20]: Echtzeitinteraktionen erfordern eine rasche Verfügbarkeit von aktuellem und handlungsrelevantem Wissen. Die digitale Vernetzung generiert eine große Menge von Informationen, die zu interpretieren und zu beurteilen sind. Hier stellt sich die Frage, wie die Beurteilungsfähigkeit der Mitarbeiter mit der wachsenden Verfügbarkeit von Informationen mithalten kann. Vielfältige Assistenzsysteme führen weiterhin zu einer veränderten Kompetenzverteilung zwischen Mensch und Maschine. Wie sind solche hybriden Systeme zu gestalten, damit sie Wissensarbeiter beraten und gemeinschaftlich Aufgaben übernehmen, ohne dass der Mensch entmündigt wird? Die Vernetzung entlang von Wertschöpfungsketten erfordert weiterhin einen intensivierten Wissensaustausch über Organisationsgrenzen hinweg. Welches Wissen ist für das Funktionieren der Lieferkette kritisch und wie lernen die Partner gemeinsam? Dies sind nur einige Beispiele für Fragestellungen, auf die ein Wissens- und Kompetenzmanagement 4.0 Antworten finden muss (Abb. 2.2). Der Weg zum wissensorientierten Unternehmen beginnt mit fünf grundsätzli­ chen Fragen:

2.2  Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära

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Interaktionen in Echtzeit

Schnelle und allgegenwärtige Verfügbarkeit von aktuellem und handlungsrelevantem Wissen

Big Daten & große Informationsmengen

Wie können wir diese integrieren, interpretieren und einen Sinn erkennen

Neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine

• Wie lernen Menschen und Maschinen zusammen? • Welche Fähigkeiten werden für Arbeit 4.0 benötigt?

Algorithmen "wissen" & handeln/entscheiden

• • •

Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungsketten

• Intensivierter Wissensaustausch über Organisationsgrenzen hinweg • Wie lernen die Partner gemeinsam?

Verstehen wir, wie Maschinen handeln? Wie werden Maschinenentscheidungen erklärt? Wie kann sichergestellt werden, dass Algorithmen innerhalb sozialer und rechtlicher Normen handeln?

Abb. 2.2  Herausforderungen des Wissensmanagements im digitalen Wandel

1 . Wie wichtig ist Wissen für unseren Geschäftserfolg? 2. Welche strategischen Ziele wollen wir durch Wissensmanagement prioritär un­ terstützen? 3. Welches Wissen haben wir heute und welches Wissen benötigen wir in der Zukunft zur Sicherung unserer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit? 4. Wie gehen wir mit der Ressource Wissen im Unternehmen um? 5. Wie sollten wir unser Unternehmen gestalten und entwickeln, damit wir heute und zukünftig dem Wissenswettbewerb gewachsen sind? Bevor wir jedoch Antworten auf diese Fragen finden können, müssen wir verstehen, warum gerade jetzt die Ressource Wissen so stark an Bedeutung gewinnt und wie Wissen wettbewerbswirksam werden kann. Diesen Fragen werden wir im Folgenden nachgehen (Abb. 2.3).

2.2

Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära

2.2.1 Drei Triebkräfte Die steigende Bedeutung der Ressource Wissen kann auf drei sich gegenseitig bedingende Triebkräfte zurückgeführt werden, die in Abb. 2.4 dargestellt sind.

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Abb. 2.3  Grundfragen wissensorientierter Unternehmensführung

• Der strukturelle Wandel von arbeits- und kapitalintensiven zu daten-, informations- und wissensintensiven Aktivitäten bedeutet, dass Unternehmen zunehmend Informationen, Wissen oder intelligente Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Arbeit und Kapital werden von Wissen als knappe Ressource abgelöst. Dieser strukturelle Wandel führt zu veränderten Formen der Organisation und der Transaktionen in und zwischen Unternehmen sowie zu einem neuen Rollenverständnis von Führungskräften und Mitarbeitern. • Die Globalisierung der Wirtschaft verändert die internationale Arbeitsteilung. Die heute als Industrienationen bezeichneten Länder werden Wissensnationen. Die physische Produktion findet zunehmend in Schwellen- und Entwicklungsländern statt. Internationale Lernprozesse beschleunigen sich, sodass neue Wettbewerber in kürzer werdenden Zeitabschnitten auf den Weltmarkt drängen. • Die Digitalisierung ermöglicht, beschleunigt und automatisiert Transaktionen; ein Beispiel hierzu ist die Veränderung der Finanzwirtschaft. Informationstransparenz in „realtime“ wird möglich. Wir kommen damit einem idealisierten Wettbewerb bei perfekter Information ein Stück näher. Diese Entwicklungen wirken sich aus auf rasche Marktveränderungen und höhere Innovationsgeschwindigkeiten, die sich u.  a. in Preisverfall, kürzeren Produktlebenszyklen, Individualisierung von Kundenbedürfnissen und dem Entstehen neuer Geschäftsfelder äußern. Ein neuer globaler Informationsmarktplatz wird geschaffen. Informationsund Kommunikationstechnologien stellen sozusagen die Energie dar; den „Wind“, der Strukturwandel und Globalisierung anfacht. Anhand von Abb. 2.4 lassen sich diese Entwicklungen im Einzelnen betrachten.

2.2  Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära

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Struktureller Wandel zur Informations- und Wissensgesellschaft • Wissen wird knappe Ressource • Informations- und Wissensmärkte entstehen

Digitalisierung

Bedeutung der Ressource Wissen steigt

• Beschleunigt Transaktionen • Reduziert Transaktionskosten

Globalisierung • Lokaler u. globaler Wettbewerb • Beschleunigte internationale Lernprozesse

• Weltweite Informationstransparenz • Weltweite Steuerung von Geschäftsprozessen

Abb. 2.4  Drei Triebkräfte steigern die Bedeutung der Ressource Wissen

2.2.2 Struktureller Wandel zur Wissensgesellschaft 4.0 In seiner Analyse der postkapitalistischen Gesellschaft stellt Peter Drucker bereits 1993 fest, dass die Wissensproduktivität in zunehmendem Maß bestimmender Faktor für die Wettbewerbsposition eines Landes, einer Branche oder eines Unternehmens sein wird (vgl. [21]). Der Wandel zur globalen Informations- und Wissensgesellschaft wird auch mit dem Begriff des fünften Kondratieff-Zyklus belegt (vgl. [2, 22]). Der russische Volkswirt Kondratieff hat festgestellt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Industrienationen in 40- bis 60-jährigen Perioden beschrieben werden kann, deren Auslöser jeweils Schlüsselinnovationen sind. In dieser wellenförmigen Wirtschaftsentwicklung folgen jeweils Prosperität, Rezession, Depression und Erholung aufeinander (Abb. 2.5). Während die erste Welle vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Wissen über die Nutzung der stationären Dampfkraft beruhte und dadurch die industrielle Revolution eröffnete, nutzte die zweite Welle von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Wissen über die Dampfkraft und den Stahl für den Bau von Eisenbahnen sowie für die Schifffahrt und veränderte damit die gesamte europäische Infrastruktur. Der dritte Kondratieff-Zyklus setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein und war durch das Wissen über Chemie und die Elektrizität gekennzeichnet. In diese Phase fällt auch das Vordringen der Basisinnovation Auto. Die Massenproduktion setzte sich durch und erhöhte die Massenkaufkraft. Die vierte Welle, die nach 1945 begann und Anfang der 1970er-Jahre kulminierte, brachte das Fernsehen und den Massenverkehr auf der Straße und in der Luft. Mit diesem Kondratieff-Zyklus begann der breite Einstieg in die

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Abb. 2.5  Charakteristika wirtschaftlicher Entwicklungsphasen (Kondratieff-Zyklen; [22], S. 63)

­ eltwirtschaft. Die führenden Volkswirtschaften des Westens richteten ihren ProduktionsW sektor auf hohe Stückzahlen und hohe Zuwächse an Arbeitsproduktivität bei hohem Energie- und Rohstoffeinsatz aus. Mittlerweile sind wir im fünften Kondratieff-Zyklus angelangt, in dem nicht mehr Arbeit und Kapital, sondern Daten, Informationen und daraus generiertes Wissen die Wertschöpfung dominieren. Daten und Informationen sind der Rohstoff, aus dem Wissen entsteht, und Informationen bilden das Medium, mit dem Wissen transportiert und kommuniziert wird. Der Wert des Sozialprodukts wird immer we­ niger von der rein physischen Produktion bestimmt. Der Rohstoffgehalt und die Ener­ gieintensität des Sozialprodukts gehen zurück. Materielle Güter verlieren gegenüber immateriellen Gütern an Gewicht. Die aktuelle Diskussion des Konzepts Industrie  4.0 zeigt, wie „intelligente“ Maschinen selbstständig Fertigungsprozesse koordinieren oder Serviceroboter in der Montage auf intelligente Weise mit Menschen kooperieren [23]. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungsbereichen 41 % der Gesamtbeschäftigung [24].

2.2  Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära

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cc Wissensgesellschaft Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten ­Gesellschaft lässt sich nach Willke sprechen, wenn die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Ope­ rationen durchdrungen sind, dass Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden (vgl. [25], S. 6). Die Wissensgesellschaft  4.0, deren Anfang wir aktuell erleben, ist durch allgegenwärtige (ubiquitäre) Anwendungen digitaler Technologien und einen Datenkapitalismus gekennzeichnet, in dem die Wertschöpfung vorrangig von der unternehmerischen Kompetenz zur Aneignung und Auswertung von Daten abhängt. Daraus resultiert eine Vielzahl neuer, datenbasierter Geschäftsmodelle [19]. Professionelles Wissen, z. B. von Ärzten und Ingenieuren, wird zunehmend durch kognitive und vernetzte Systeme ergänzt, verstärkt oder erweitert („augmentation“, [26]). Der strukturelle Wandel zur Wissensgesellschaft 4.0 geht mit einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsbeziehungen einher: „Der Status der Erwerbstätigkeit ist immer seltener jener eines Angestellten und immer häufiger jener eines Auftragnehmers, Mitunternehmers oder Kleinstunternehmers. Dementsprechend gibt es in aller Regel weder staatliche und kollektivvertraglich untermauerte Arbeitsplatzsicherheit, noch Berufe, die man wie Fertigprodukte erlernt und anschließend ein Leben lang ausübt. Dafür gibt es eine fast unbegrenzte individuelle Gestaltungsfreiheit und lebenslange Flexibilität im Arbeitsleben. Die Arbeitsbedingungen – wie Pflichten, Zeiten, Orte, organisatorischer Rahmen etc. – werden in aller Regel Gegenstand eigenständiger Entscheidungen oder individueller Aushandlung mit Auftraggebern sowie Berufs- und Lebenspartnern. Nach Präsenzzeit honoriert werden nur Tätigkeiten, für die diese wirklich entscheidend ist; in der Regel aber zählen Leistungsund Erfolgskriterien oder einfach die Verfügbarkeit gewisser Fähigkeiten und Beziehungspotenziale“ ([27, S. 131]. Wenn Daten, Informationen und das daraus generierte Wissen begehrte Güter werden, dann sollten sich Märkte für diese Güter herausbilden, indem Angebot und Nachfrage über Marktausgleichsmechanismen ausgeglichen werden. Derzeit erleben wir, wie das Internet zum weltweit dominierenden Informationsmarktplatz mit einer Vielfalt von Geschäftsmodellen wird, in denen z. B. Nutzer Daten preisgeben, um Gratisdienstleistungen zu erhalten. Das Internet trägt dazu bei, Transaktionskosten dramatisch zu senken. Die Bedingungen verschieben sich dadurch zugunsten von Marktlösungen: „Mit passender Software wird es möglich, komplexe Aufgaben in viele Teilaufgaben zu zerlegen und die Lösungen hinterher zusammenzuführen. Dieser Trend zu neuen Formen der Arbeitsteilung stellt die traditionelle Gestalt der Institution Unternehmen infrage. Das verändert die Ethik der Wissensarbeiter – und ihre Qualifikationen. Künftig zählt das, was Menschen von Maschinen unterscheidet: Kreativität, Emotionen und die Fähigkeit, intelligent mit Unvorhersehbarem umzugehen“ [28]. Das „Mitmach-Internet“ Web 2.0 ermöglicht neue Interaktionen und die Nutzung von Ideen und Wissen vieler. Für Netzwerke, in denen Menschen in großer Zahl zusam­

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

menwirken, hat sich inzwischen der Begriff Crowd-Sourcing eingebürgert. Ein Beispiel für Crowd-Sourcing lieferte der Autobauer Fiat: Für die Konzeption des neuen Cin­ quecento (Fiat 500) boten die Italiener auf einer Webseite mit dem Concept Lab jedem Internetnutzer die Möglichkeit, am Design mitzuarbeiten. Nach vielen Millionen Klicks und mehr als 250.000 Entwürfen hatte Fiat eine Vorstellung, wie sich potenzielle Käufer den neuen Cinquecento vorstellen [28]. cc Wertschöpfungsnetzwerke sind sich selbst organisierende Informationsverar­ beitungssysteme, die den zentralen strategischen Anforderungen der Zukunft genügen, d. h. der raschen und vollständigen Umsetzung des vorhandenen und neu erschlossenen Wissens in zusätzlichen Kundennutzen. Dafür sorgen sie nicht nur durch optimale Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik, sondern auch durch eine bewusste Pflege des Vertrauens, der Qualität der menschlichen Beziehungen und der informellen Netze; alles Voraussetzungen organisatorischer Intelligenz (vgl. [27], S. 131). Da ist es doch nur konsequent, dass zukunftsorientierte Investoren in solche Unternehmen investieren, die informations- oder wissensintensiv sind. Der Wert eines Unternehmens wird daher zunehmend vom Wissenskapital und weniger vom Buchwert, dem physischen Vermögen eines Unternehmens, bestimmt (Abb. 2.6). So können wir seit Beginn der 1980er-Jahre eine kontinuierliche Auseinanderentwicklung von Buchwert und Börsenwert von Unternehmen erkennen. Unternehmen wie SAP oder Microsoft werden an der Börse mit dem Vielfachen ihres Buchwerts taxiert. Im englischen Sprachraum hat man zur Erklärung des Unterschieds beider Werte den Begriff der sogenannten „intangible assets“ geprägt. Elemente dieser immateriellen Vermögenswerte, die traditionell im Verkauf eines Unternehmens als „goodwill“ bezeichnet werden, sind neben Markennamen, Kunden- und Zuliefererbasis das zugehörige Marktwissen, die individuelle Kompetenz der Mitarbeiter sowie die kollektive Problemlösungskompetenz, die in der Organisation, in den Mitarbeitern, in Technologien, Software, Produktionsprozessen, Patenten usw. gespeichert ist (vgl. [29]). Es ist daher nicht überraschend, dass neben Softwareunternehmen

Abb. 2.6  Der Unternehmenswert wird zunehmend vom immateriellen Vermögen bestimmt

2.2  Wissen – Schlüsselressource der digitalen Ära

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gerade ­Markenartikler und Hersteller von wissensintensiven Produkten, wie beispielsweise Medikamenten, besonders hohe immaterielle Vermögensbestandteile aufweisen. Im fünften Kondratieff-Zyklus bewerten Investoren immer weniger, wie aus physischen Ressourcen physische Produkte entstehen, sondern immer mehr, wie aus Daten und Informationen Wissen entsteht und wie dieses Wissen in Geschäftserfolge umgesetzt wird. Das intelligent e Unternehmen ist gefragt und zwar im globalen Kontext.

2.2.3 Weltweite Wissensnetzwerke Die weltweite Verfügbarkeit von Informationen sowie preiswerte und effiziente Kommuni­ kationsmöglichkeiten haben zu einem explosionsartigen Anstieg des Welthandels und der ausländischen Direktinvestitionen unter Beteiligung von immer mehr Ländern geführt. Instantane Finanztransfers über Blockchain-Technologie abgesichert, globale Handelsund Warenketten, weltweit präsente Marken, aber auch globale Erwärmung sind die ­Zeichen der Globalisierung (vgl. [30, 31]). In einem Menschenalter ist der Anteil des US-Bruttoinlandsprodukts am Weltbruttosozialprodukt von etwa 50 % auf etwa 15 % gesunken. Neue Wettbewerber drängen in die Weltmärkte und lernen schnell: ein Beispiel ist das chinesische Unternehmen Huawei, das sich seit seiner Gründung 1987 von einem kleinen Anbieter von Telefonanlagen im ländlichen China zum weltweit größten Hersteller von Telekommunikationsequipment und zum zweitgrößten Smartphoneproduzenten der Welt entwickelt hat. Die Fähigkeit, Wissen in einem weltweiten Netzwerk mit Partnern aufzubauen, zu sichern und zu transferieren, wird die Grundlage für die Wettbewerbsstärke vieler Unternehmen in der Zukunft sein. In der neuen internationalen Arbeitsteilung gewinnt die Vermarktung von Daten, Informationen und Wissen, verpackt in Produkten und Dienstleistungen, steigende Bedeutung gegenüber der Ausnutzung von Kostenunterschieden und reinen „economies of scale“, die die internationale Arbeitsteilung im vierten Kondratieff-Zyklus charakterisierten. Die bisherigen Industrienationen werden zunehmend Wissensnationen, deren Unternehmen über weltweites Marktwissen verfügen, Produktkonzepte entwickeln, Produktionsprozesse international organisieren sowie die internationale Logistik der Versorgungskette Supply Chain steuern. Die physische Produktion und zum Teil auch Entwicklung von Produktkomponenten finden in den neuen Industrieländern, die wir bisher als Schwellenländer bezeichneten, statt. Dieses Impresariokonzept der internationalen Arbeitsteilung ist im folgenden Fallbeispiel beschrieben (vgl. [32]). Die Ressource Wissen ist zunehmend auch Kriterium für Standortentscheidungen. Hierbei geht es ebenso um den Aufbau von lokalem Marktwissen wie um die Verfügbarkeit von entsprechend qualifizierten Mitarbeitern und Zuliefererunternehmen. Es gilt, dort zu forschen und zu entwickeln bzw. zu produzieren, wo man am meisten lernen kann. Unter diesem Gesichtspunkt hat z. B. Honda ein europäisches Entwicklungszentrum in Deutschland angesiedelt, deutsche Unternehmen forschen und entwickeln auf dem Gebiet der Gentechnik in den USA und es fällt nicht schwer vorauszusagen, dass in Zukunft bei

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

der internationalen Standortwahl weniger die Nutzung komparativer Kostenvorteile als die Nutzung komparativer Wissensvorteile von Bedeutung sein wird. Auch im operativen Management internationaler Unternehmen spielen Wissensaufbau und -transfer eine zunehmende Rolle. Hier sind Entscheidungen darüber zu treffen, wo welches Wissen aufgebaut wird und wie Wissen effizient im internationalen Unterneh­ mensverbund transferiert werden kann. Multinationale Unternehmen werden mit ihren Kunden und Lieferanten zu weltweiten Wissensnetzwerken. Aufgrund der Bedeutung von Wissen in internationalen Unternehmen haben wir Abschn. 6.3 diesem Thema gewidmet. Fallbeispiel 2

Produktionsimpresarios : Virtuell und Virtuos Die Forderung nach globaler Präsenz bei geringem Kapitaleinsatz führt zu einem Wandel vom Produzenten mit großer Fertigungstiefe hin zu einem weltweit agierenden Produktionsimpresario, der Produktkonzepte entwickelt, bei Systemlieferanten Produktmodule in Auftrag gibt, Teilefertigung und Montage in einem internationalen Fertigungsverbund koordiniert und den Vertrieb der Produkte übernimmt. Die Macht der Produktionsimpresarios liegt in ihrem weltweiten Wissen über Märkte, Technik und Innovationen. Um Produktentwicklung, Produktion und Verkauf weltweit zu organisieren, muss der Impresario in der Lage sein, relevantes Wissen entlang der Wertschöpfungskette zu transferieren, d.  h. einen internationalen Lernprozess zu steuern und logistisch zu unterstützen. Das Produktionsimpresariokonzept hat sich vor allem in den globalen Branchen der Automobil-, Textil- und Elektronikindustrie durchgesetzt. So basiert z. B. das Multi-Domestic-Konzept für Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge auf der Erkenntnis, dass Märkte, vor allem in Entwicklungsländern, nicht mit Hightechfahrzeugen gewonnen werden können, die zu deutschen Kosten produziert, aber auf Dollarbasis verkauft werden müssen. Für diese Wachstumsmärkte sind nur Lkw geeignet, die der dortigen Kaufkraft und den Nutzungsbedingungen angepasst sind und möglichst viele Teile aus lokaler Produktion enthalten. Die Grundidee: Mercedes löst sich immer mehr von den Risiken der Investition und Risiken der Eigenproduktion, um mehr und mehr in die Rolle des Know-how-Lieferanten, Entwicklers und weltweiten Logistikers zu schlüpfen. Diese Schlankheitskur macht beweglich und halst die Probleme großer Fixkostenblöcke anderen auf. In dem VW-Werk im brasilianischen Resende wird das Produktionsimpresariokonzept lokal umgesetzt. Mit dem modularen Konsortium sind die Zulieferer für die Produktion der Kleinlastwagen und Busse zuständig. Acht Firmen setzen mit eigenen Arbeitskräften die Fahrzeuge zusammen. Volkswagen beschränkt sich auf logistischen Support, Kontrolle, Marketing und Verkauf. In der 37.000 qm großen Fabrikhalle trennen Streifen auf dem Boden die Zuliefererfirmen voneinander. Bei vollem Ausbau der Produktion sollen täglich 100  Lkw und Busse gefertigt werden von

2.3  Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose

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1500  Mitarbeitern, von denen nur 200 auf der VW-Gehaltsliste stehen. Von den 300 Mio. US$ Investitionskosten übernimmt VW 250 Mio. US$, den Rest teilen sich Zulieferer, die sich für mindestens fünf Jahre am Projekt beteiligen müssen. Auch Benetton agiert als Produktionsimpresario. Nur 20 % der gesamten Produktion stammen von Benetton selbst. Die übrigen 80 % kommen von Fremdfirmen, die auf arbeitsintensive Tätigkeiten spezialisiert sind. Hochqualitative und technisierte Aktivitäten sind im Gegensatz dazu weitgehend zentralisiert. Die Subunternehmen sind unabhängig, aber sie nutzen das Design und folgen den technischen Anweisungen, die von Benetton vorgegeben sind. In den meisten Fällen beliefern sie ausschließlich Benetton. Die Familie Benetton ist am Kapital einiger der größten Subunternehmer beteiligt. Das Verkaufsnetz ist über ein mehrstufiges Franchisingsystem organisiert. Etwa 70 unabhängige Firmen arbeiten als Gebietsverkäufer für die Gruppe. Die über 3000  Verkaufsstellen weltweit werden von unabhängigen Unternehmern als Franchisingpartner von Benetton geführt. Benetton ist weltweit verantwortlich für das Marketing, verfügt über die Gebietsverkäufer, damit über relevante Verkaufs- und Marktdaten und ist in der Lage, durch das Franchisingkonzept mit geringem Eigenkapital schnell zu wachsen (in Anlehnung an [33], S. 223 f.; zum Produktionsimpresariokonzept vgl. auch [32] sowie [35]).

2.3

Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose

Daten und Informationen als Produktionsfaktor haben allein keinen Wert. Der Wert entsteht erst durch die Transformation in Wissen und die Anwendung dieses Wissens im Unternehmen. Die Fähigkeit, Wissen marktorientiert aufzubauen, abzusichern und optimal zur Generierung von Geschäftserfolgen zu nutzen, zeichnet Wissensunternehmen aus. Der ökonomische Erfolg dieser Unternehmen ist in besonderem Maß auf ihren Umgang mit Wissen zurückzuführen. Die Bedeutung der Ressource Wissen kann dabei durchaus variieren. Für sogenannte wissensintensive Unternehmen, z. B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Unternehmensberatungen, Ingenieurbüros und Forschungslaboratorien, ist der Verkauf von „verpacktem Wissen“ hochqualifizierter Experten entscheidend für den Geschäftserfolg. Dagegen bedeutet Wissensaufbau und -transfer für ein Franchiseunternehmen, wie beispielsweise McDonalds, effizient Mitarbeiter mit geringem Ausbildungsstand in weltweiter, standardisierter Form auf das für den Geschäftserfolg notwendige Kompetenzniveau zu heben und durch die standardisierte und replizierbare Aufbereitung des organisationalen Wissens mit hoher Geschwindigkeit zu expandieren.

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

2.3.1 Dimensionen der Wissensintensität Durch Einordnung dieser Beispiele wollen wir die Wissensintensität eines Unternehmens in die zwei Dimensionen Wissensintensität der Wertschöpfungskette und Wissensintensität in der Leistung unterscheiden. In Abb.  2.7 unterscheiden wir im Wissensintensitätsportfolio vier Felder: • Produktintelligenz: Hohe Wissensintensität in der Leistung bezeichnen wir als Produktintelligenz. Die Produktintelligenz ist hoch z. B. bei dem Ergebnis einer statischen Berechnung, bei Softwareprodukten der Implementierung eines Softwareprodukts, bei einem Assistenz-System im Kraftfahrzeug, bei Werkzeugmaschinen, die ihre Fehler selbst diagnostizieren usw. • Prozessintelligenz: Eine hohe Prozessintelligenz finden wir vielfach bei den Lösungen der „mass personalization“ und Industrie 4.0 (vgl. [36]), in denen Produkte mit zum Teil über eine Million Variationsmöglichkeiten kundenspezifisch gefertigt werden können. Das resultierende Produkt, wie z. B. ein Fahrrad oder ein maßgeschneiderter Anzug, ist nicht sonderlich intelligent. Die Intelligenz steckt in der Konzeption und der Durchführung des Prozesses.

Abb. 2.7  Die Wissensintensitätsmatrix (in Anlehnung an [34])

2.3  Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose

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• Produkt- und Prozessintelligenz kombinieren beide dargestellten Phänomene. Ein praktisches Beispiel ist die Firma Mettler Toledo in Albstadt, die hochpräzise Wagen in einer kundenorientierten Fertigung herstellt. • Wertschöpfung durch physische Arbeit: Geringe Wissensintensität in der Wertschöp­ fungskette und in der Leistung finden wir bei der Vermarktung physischer Arbeit (aber auch durch Boxkämpfe lässt sich Geld verdienen!).

cc Wissensintensität Die Wissensintensität in der Wertschöpfungskette spiegelt den Wissensanteil im Wertschöpfungsprozess wider. Ein hoher Wissensanteil in den vermarkteten Dienstleistungen und Produkten schlägt sich in einer hohen Wissensintensität in der Dimension Leistung nieder (vgl. [37]). Welche Charakteristiken hat nun ein solches Unternehmen, das Wissen in Geschäftserfolge umsetzt? Das wissensorientierte Unternehmen unterscheidet sich von den derzeit noch dominierenden Unternehmen durch eine ganze Reihe von Merkmalen, die wir nachstehend kurz beschreiben wollen. Am Ende dieses Kapitels hat dann der Leser Gelegenheit, sein Unternehmen zwischen den Polen des wissensmäßig unsensibilisierten Unternehmens und des wissensorientierten Unternehmens einzuordnen. Diese Kurzdiagnose ermöglicht es, eine unternehmensinterne Sensibilisierung zur Thematik einzuleiten und darauf aufbauend das Wissensunternehmen zu gestalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich jedes Unternehmen zum Wissensunternehmen entwickeln muss. Auch ein wissensmäßig unsensibilisiertes Unternehmen kann (noch?) erfolgreich sein. Wir empfehlen dem Leser an dieser Stelle, einen Blick auf die Kurzdiagnose am Ende dieses Kapitels zu werfen. Der folgende Text erläutert die einzelnen Abschnitte der Kurzdiagnose.

2.3.2 Kennzeichen von Wissensunternehmen Unternehmen werden sich insbesondere dann zum Wissensunternehmen entwickeln, wenn Kundenanforderungen sehr differenziert sind und „Maßanzüge“ erfordern. Das Wissensunternehmen wird einen Preisverfall für Standardprodukte bzw. ‑dienstleistungen durch das Angebot komplexer Komplettlösungen ausgleichen. Dies gilt z. B. in der Zuliefererindustrie für das Angebot von Modulen und Systemen, im Gegensatz zum Fertigen von einzelnen Teilen oder Komponenten. Auch in der Unternehmensberatung geraten Standardprodukte unter Preisdruck, während Generalunternehmerprojekte mit strategischen Komponenten wesentlich mehr Wissen erfordern und daher auch besser honoriert werden. Märkte mit hohen Innovationsgeschwindigkeiten und kurzen Produktlebenszyklen erfordern schnellen Wissensaufbau und -transfer. Das Wissensunternehmen bietet Lösungen für Kundenprobleme an, die immer weniger arbeits- und kapitalintensiv und immer mehr wissensintensiv sind, die schwer imitierbar bzw. derzeit oder mittelfristig nicht substituierbar sind. Auch die Fähigkeit, effizient zu

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

imitieren unter dem Motto „wir sind im Imitieren unschlagbar“, kann eine erfolgreiche Wettbewerbsstrategie sein. Die Fähigkeit, Wissen unterschiedlicher Geschäftsfelder zu neuen Lösungen zu kombinieren, gewinnt ebenso an Bedeutung wie die Schnelligkeit, neue Geschäftsfelder zu generieren und Produkte effektiver als die Konkurrenz zu entwickeln. Die Kapitalgeber des Wissensunternehmens sind an einer nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswerts, insbesondere des immateriellen Vermögens, interessiert. Während traditionelle Unternehmen Wissen häufig wie eine Sache, wie Informationen behandeln, die beliebig teilbar und lagerbar sind („Tiefkühlkost“), ist für das Wissensunternehmen der Aufbau und Transfer von Wissen ein individueller und kollektiver Lernprozess, der nicht vollständig beherrscht und gesteuert werden kann. Mitarbeiter eines solchen Unternehmens können von sich mit Recht sagen, wir lernen schnell von anderen Unternehmen, wir transferieren Wissen effektiv im Unternehmen und zu bzw. von unseren Kunden, Lieferanten, Allianzpartnern und Wettbewerbern. Das Wissensunternehmen ist vor allem gekennzeichnet durch Rahmenbedingungen, die die Pflanze Wissen im Unternehmen wachsen und gedeihen lassen. In dieser Hinsicht sprechen wir auch von einer Wissensökologie. Grundlegende und gelebte Werte einer solchen Organisation sind Vertrauen, Offenheit für Neuerungen und Authentizität. cc Authentizität Der Begriff Authentizität steht dafür, dass Mitarbeiter in unkonventionellen Lösungen unterstützt werden, in der Art ihres Auftretens und ihrer Arbeitsorganisation viel Freiheit genießen und sich so geben können, wie sie sind. Ein Beispiel hierfür sind hochbezahlte Softwarespezialisten, die häufig in unkonventionellen Büroumgebungen hausen und sich ihre Ticks leisten können, deswegen, weil sie kreativ sind und die Freiheiten ihre Kreativität fördern. Das Unternehmensleitbild betont die Bedeutung des Wissens für den Geschäftserfolg. Führungsgrundsätze und Anreizsysteme sind so zu gestalten, dass sie die individuelle Leistung und den Beitrag zum Gesamterfolg des Unternehmens honorieren. Daraus entsteht ein Interesse, nicht nur für die eigene Einheit eine gute Leistung zu erbringen, sondern auch anderen Unternehmenseinheiten, Kunden und Lieferanten dabei zu helfen, besser zu werden. Während im traditionellen Unternehmen keine Kennzahlen für Wissensaufbau und -transfer existieren, misst das Wissensunternehmen beides, bezogen auf die Geschäftsziele. Wissensaufbau losgelöst von den Geschäftszielen macht keinen Sinn. Diese Kennzahlen werden im Berichtswesen dargestellt und demonstrieren, wie Wissen in Geschäftserfolge umgesetzt wird. Nichtfinanzielle Indikatoren bezogen auf Kunden, Mitarbeiter und Prozesse gewinnen an Bedeutung gegenüber den traditionellen finanziellen Kennzahlen des Unternehmenserfolgs. Eine wesentliche Änderung gegenüber dem traditionellen hierarchischen Unternehmen ist die Tatsache, dass im Wissensunternehmen Managementpositionen und Wissensträger-

2.3  Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose

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positionen gleichwertig honoriert werden. Während man im traditionellen Unternehmen eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern oder die Verantwortung für ein gewisses Budget benötigt, um eine Abteilungsleiter- oder Hauptabteilungsleiterposition zu erklimmen, ­erreicht man im Wissensunternehmen seine Stellung im Unternehmen durch die Kenntnisse, über die man verfügt, die Kenntnisse, die man an andere weitergibt, die Fähigkeit, andere Mitarbeiter zum Lernen und zur Wissensaneignung heranzuführen, und die Fähigkeit, selbstständig neu zu lernen und die externe Expertise zu demonstrieren. Eine Wissensträgerposition muss ständig neu erarbeitet werden. Was für das Unternehmen gilt, gilt auch für unsere Gesellschaft. Wie wir bereits in Abschn. 2.2 gesehen haben, werden in der Wissensgesellschaft der Zukunft zunehmend Machtpositionen und Wissenspositionen zusammenwachsen. Diese Rahmenbedingungen werden operativ durch einen Wissensmarkt im Unternehmen umgesetzt, in dem Angebot und Nachfrage über Aufbau und Austausch von Wissen entscheiden. Das Wissensunternehmen schafft Transparenz: Wer weiß was – in und außerhalb des Unternehmens? Wissenstransfer und -entwicklung orientieren sich an gleichen Interessen. Best Practices und Expertise werden im Unternehmen herausgestellt und bieten so eine permanente Anregung zur Nachahmung bzw. zum Treffen in einem freundschaftlichen Wettbewerb. In unserer Vision eines Wissensunternehmens unterstützen vielfältige Träger und Medien die operativen Aufgaben. Ein Wissenstransferprozess ist in einem solchen Unternehmen ebenso definiert wie die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, Produkte und Prozesse strukturiert sind. Ein hochrangiger Coach fördert Wissensaufbau und -transfer als Customer Focus Coordinator oder Director of Knowledge Management. Diese Coaches managen jedoch nicht Wissen, wie man finanzielle Ressourcen managt, sondern sie wachen darüber, dass die Wissensökologie stimmt, dass die Spielregeln des Wissensmarkts eingehalten werden und fördern Mitarbeiter, in diese neue Art des Unternehmens hineinzuwachsen. Das Wissen der Organisation wird in Kompetenznetzwerken gebündelt, die auch für die Verteilung und Sicherung des Wissens zuständig sind. Die Loyalität der Mitarbeiter wird vielfach größer zu diesen Kompetenznetzwerken oder „communities of practice“ sein als zu einer spezifischen Geschäftseinheit des Unternehmens. Im Wissensunternehmen fördert eine Vielzahl kooperativer Projekte funktions- bzw. geschäftsbereichsübergreifend die Zusammenarbeit. Das Wissensunternehmen betreibt ein intensives Benchmarking  – sowohl intern als auch extern –, arbeitet Best Practices heraus, verteilt sie und fragt auch dezidiert nach, ob sie in den einzelnen Einheiten angewandt werden bzw. warum nicht. Eine Vielzahl von Problemlösungsgruppen bringt alles verfügbare Wissen ihrer Mitarbeiter ein. Das Not-­ invented-­here-Syndrom ist durch das bei Motorola propagierte Steal-ideas-shamelessly(SIS)-Prinzip ersetzt.

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Der Aus- und Weiterbildung kommt in einem solchen Unternehmen eine sehr große Bedeutung zu. Dort werden individuelle und kollektive Lernprozesse nachfrageorientiert gesteuert, die Zusammenarbeit und der Wissenstransfer über Geschäftseinheiten hinweg werden geübt. Mitarbeiter werden nicht mehr zur Fortbildung geschickt, sondern steuern aktiv ihre eigenen Lernprozesse. Während im traditionellen hierarchischen Unternehmen häufig informelle Kontakte nicht gern gesehen werden – „mit dem Kollegen der Niederlassung in Düsseldorf reden wir lieber nicht, denn die könnten uns ja das Geschäft wegschnappen“ – werden im Wis­ sensunternehmen informelle Kontakte und Zusammenarbeit gefördert, u. a. durch Wissensmessen, Informationsbörsen, Gestaltung von Kantine, Lounges und andere Möglichkeiten des informellen Zusammentreffens. Nicht alle Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation werden implementiert, um auch noch ein Treffen und persönliches Kennenlernen der Mitarbeiter zu ermöglichen. In einem solchen Unternehmen unterstützen das Bürolayout und die Gesamtgestaltung der Arbeits- und Sozialräume die Kommunikation der Mitarbeiter. Wichtiger Baustein des Wissensunternehmens ist die Informations- und Kommunika­ tionstechnologie. Sie verbindet alle Mitglieder der Organisation sowie relevante Kunden, Lieferanten und andere externe Wissensträger. Elektronische Medien werden intensiv zu Diskussionen und Transfer von Wissen genutzt. Datenbanken und andere Träger stehen für einen aktualisierten, vollständigen und integrierten Zugriff zur relevanten Information, über Funktions- und Geschäftseinheitsgrenzen hinweg, zur Verfügung und bilden das kollektive Gedächtnis der Organisation. Die Medien sind benutzerfreundlich, lassen sich leicht erlernen bzw. an die individuellen Arbeitsweisen anpassen. Der geneigte Leser wird einwenden, dass ein so beschriebenes Unternehmen in der Realität nicht existiert bzw. diese Utopien auch in der Zukunft nicht in die Praxis Eingang finden werden. Dem kann entgegengehalten werden, dass bereits eine Reihe von Unternehmen den hier beschriebenen Kriterien annähernd entspricht oder Maßnahmen ergriffen hat, um sich dieser Vision anzunähern. Viele deutsche mittelständische Weltmarktführer gehören dazu. Der Wandel zum Wissensunternehmen bedeutet für die Mitarbeiter und Führungskräfte veränderte Arbeitsweisen und Rollen, wie sie u. a. von den führenden Vertretern des organisationalen Lernens beschrieben wurden (vgl. u. a. [38, 39, 40]). Mitarbeiter in diesem neuen unternehmerischen Kontext müssen in der Lage sein, das Lernen zu lernen, sie müssen als Basiskompetenzen neben ihrer fachlichen Kompetenz die Fähigkeit haben, mit neuen Techniken der Informationsverarbeitung umzugehen, um in der Lage zu sein, Informationen schnell zu beschaffen sowie in Wissen umzusetzen. Es wird von ihnen eine ausgeprägte Kommunikationskompetenz und eine Fähigkeit zum Selbstmanagement erwartet sowie die Fähigkeit, kreativ zu denken und Probleme selbst zu lösen. Soziale Kompetenz bzw. Teamfähigkeiten beinhalten, in der Gruppe zu verhandeln, Konflikte zu lösen, mit Stress und unerwartetem Verhalten anderer umzugehen und sich die Aufgabenerfüllung zu

2.3  Das Wissensunternehmen – eine Kurzdiagnose

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Tab. 2.1  Kurzdiagnose Unternehmen im Wissenswettbewerb Das wissensmäßig unsensibilisierte Unternehmen Unsere Märkte Sind wenig differenziert

1 2 3 4 5 Das wissensorientierte Unternehmen

Erfordern Standardprodukte Geringere Innovationsgeschwindigkeit und lange Lebenszyklen Unsere Lösungen für Kundenprobleme Arbeits- bzw. kapitalintensiv Sind leicht imitierbar Substituierbar Wir haben Schwierigkeiten bei der Generierung neuer Geschäftsfelder Unsere Kapitalgeber An kurzfristiger Rendite interessiert Wissen und Lernen Information wird mit Wissen gleichgesetzt Wir lernen langsam von anderen Unternehmen Wir transferieren Wissen ineffektiv in unserer Organisation Keine Wissenstransparenz vorhanden

Wir tun nur wenig zur Absicherung unseres Wissens Man scheut sich, Best Practice und Expertise herauszustellen Aus- und Weiterbildung ist auf individuelle und nicht auf kollektive Lernprozesse ausgerichtet Die Mitarbeiter werden zur Fortbildung geschickt Es gibt keine Ansprechpartner für Wissensaufbau und -transfer Ineffiziente Erfahrungsaustauschgruppen Wir haben keine kooperativen Projekte

Kundenanforderungen sind sehr differenziert, erfordern „Maßanzüge“ Sind durch Preisverfall gekennzeichnet; der Markt honoriert Komplettlösungen Hohe Innovationsgeschwindigkeit und kurze Lebenszyklen Wissensintensiv Sind schwer imitierbar Derzeit nicht substituierbar Wir generieren neue Geschäftsfelder und Produkte effektiver als die Konkurrenz An nachhaltiger Steigerung des Unternehmenswerts interessiert Wissen wird aus Informationen entwickelt Wir lernen schnell von anderen Unternehmen Wir haben einen effektiven Wissenstransfer innerhalb der Organisation Wir schaffen Transparenz durch z. B. Gelbe Seiten, Wissenslandkarten etc. Wir schützen uns systematisch vor Wissensverlusten Bei uns werden Best Practices und Expertise herausgestellt Aus- und Weiterbildung übt Zusammenarbeit und Wissenstransfer über Geschäftseinheiten hinweg Die Mitarbeiter steuern aktiv ihre eigenen Lernprozesse Transfer wird durch Verantwortliche aktiv begleitet Kompetenznetzwerke bündeln und transferieren Know-how Kooperative Projekte fördern bei uns die Zusammenarbeit (Fortsetzung)

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

Tab. 2.1 (Fortsetzung) Das wissensmäßig unsensibilisierte Unternehmen 1 2 3 4 5 Das wissensorientierte Unternehmen Wir haben kein systematisches und Durch Benchmarking (intern und extern) offenes Benchmarking arbeiten wir Best Practices heraus Bei uns sind Büros und Sozialräume Unsere Büros und Sozialräume fördern abgegrenzt die Zusammenarbeit Organisationale Rahmenbedingungen Die gelebten Werte unserer Organisation Die gelebten Werte unserer fördern Vertrauen, Offenheit für Organisation fördern Misstrauen, Neuerungen, Authentizität und informelle Skepsis gegenüber Neuerungen, Kontakte Angepasstheit und Formalismus Die Unternehmensziele enthalten Das Unternehmensleitbild betont die keinen Bezug zu Wissenszielen Bedeutung des Wissens für den Geschäftserfolg Die Führungsgrundsätze und Die Führungsgrundsätze und Anreizsysteme koppeln Einzelleistungen Anreizsysteme sind auf Leistungen des und Beitrag zum Gesamterfolg des Einzelnen bzw. einzelner Einheiten Unternehmens ausgerichtet Es existieren keine Kennzahlen für Mit Kennzahlen messen wir Wissensaufbau und -transfer Wissensaufbau und -transfer bezogen auf Geschäftsziele Das Berichtswesen enthält nur Im Berichtswesen gewinnen finanzielle Indikatoren nichtfinanzielle Indikatoren (Mitarbeiter, Prozesse) an Bedeutung Managementpositionen werden höher Managementpositionen und bewertet als Expertenpositionen Expertenpositionen werden gleichwertig honoriert Informations- und Kommunikationstechnologie Unsere Systeme sind wenig effizient Unsere Systeme ermöglichen effiziente und stehen nicht allen Mitarbeitern zur Kollaboration aller Mitglieder der Verfügung Organisation Unsere Systeme sind ausschließlich Die Anbindung an relevante Kunden, nach innen orientiert Lieferanten und externe Wissensträger ist gegeben Die gespeicherten Informationen sind Wir haben jederzeit Zugriff auf aktuelle unvollständig und nicht aktuell und vollständige Informationen Es existieren verschiedene Wir verfügen über eine integrierte Insellösungen; die Verbindung der Plattform, die den Zugriff auf relevante Systeme gestaltet sich schwierig Informationen über Funktions- und Geschäftseinheiten hinweg ermöglicht Netzwerkunterstützende Diskussionsforen im Intranet werden zur Diskussionsforen gibt es nicht Diskussion und zum Transfer von Wissen genutzt Die vorhandenen Systeme sind eher Die Systeme sind benutzerfreundlich und benutzerunfreundlich bzw. werden werden von den Mitarbeitern intensiv nicht akzeptiert genutzt

Literatur

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teilen. Führungskräfte sind vor allem für die Gestaltung der oben genannten Rahmenbedingungen und auch für die Festlegung der Ziele und die Messung der Zielerreichung nach den erweiterten Kriterien eines Wissensunternehmens zuständig. Sie sind selbst Wissensträger, Experten, sei es für ein spezifisches Thema, sei es darin, andere beim Lernen anzuleiten, sei es darin, Werte und Ziele zu vermitteln.

2.3.3 Kurzdiagnose: Unternehmen im Wissenswettbewerb Stufen Sie bitte ein, wie Sie die Position Ihres Unternehmens im Wissenswettbewerb zwischen den beiden Polen Wissensunternehmen und wissensmäßig unsensibilisiertes Unternehmens beurteilen (Tab.  2.1). Nach dieser Übersicht empfehlen wir dem Leser, einmal seine Organisation in dieser Kurzdiagnose einzustufen. Für Studierende können dies die Hochschule, der Fachbereich und die Zusammenarbeit mit den Kommilitonen sein. Ein guter Ansatz zur Sensibilisierung ist auch das Kopieren und Verteilen dieses Fragebogens im Kollegenkreis, um dann die resultierenden Ergebnisse zu diskutieren: Wie unterschiedlich sind die Einstufungen ausgefallen? Wo differieren die Beurteilungen am meisten? Wo sehen wir die größten Hindernisse auf dem Weg zum Wissensunternehmen und welche Maßnahmen können uns mit geringem Aufwand bereits ein erhebliches Stück weiterbringen? Was kann jeder von uns dazu beitragen, dass Wissen im Unternehmen geteilt und von denen aufgebaut und entwickelt wird, die dazu am besten geeignet sind?

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2  Auf dem Weg zur digitalen Wissensgesellschaft

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3

Die Wissenstreppe

Zusammenfassung

In diesem Kapitel lesen Sie, über welches Wissen Organisationen verfügen. Mit der Wissenstreppe lernen Sie die Begriffe Daten, Informationen, Wissen und Kompetenz abzugrenzen sowie Bezüge zur Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Am Ende des Kapitels wissen Sie außerdem, wie implizites in explizites Wissen überführt werden kann, was den Wert von Wissen ausmacht und wie intellektuelles Kapital strukturiert werden kann.

3.1

Wissen in Organisationen

Organisationen verfügen mit ihren Mitgliedern über vielfältiges Wissen unterschiedlicher Breite, Tiefe und Aktualität. „Welches Wissen ist erforderlich für die Erfüllung der Kundenanforderungen, um heute und in der Zukunft den Markterfordernissen gerecht zu werden?“ ist eine der Grundfragen wissensorientierter Unternehmensführung und wird auch in der Qualitätsnorm ISO 9001:2015 gestellt. Hierzu müssen wir uns zunächst klar werden, über welches Wissen wir reden. In Tab. 3.1 finden Sie ausgehend von den grundlegenden Fragestellungen zur Positionierung einer Organisation die relevanten Wissenskategorien [37]. Ausgangspunkte für die Bestimmung des benötigten Wissens sind die Vision und Strategie der Organisation mit Blick auf die Möglichkeiten und Risiken im Geschäftsumfeld. Aus strategischer Sicht geht es darum, die Alleinstellungsmerkmale der Organisation durch spezifisches Wissen zu erhalten und zu stärken. Hier sind die entscheidenden Fragen: Welches Wissen und welche (Kern-)Kompetenzen ermöglichen es uns, in den nächsten Jahren einen überlegenen Mehrwert für die Kunden zu erzielen? Welches Wissen

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_3

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34

3  Die Wissenstreppe

Tab. 3.1  Zentrale Wissensbereiche einer Organisation Strategie- und Zielklärung Kontext: Welche Veränderungen im Organisationskontext bieten Potenziale oder schaffen Bedrohungen? Markt: Was wollen wir auf welchen Märkten erreichen?

Kunden: Wie können wir die aktuellen und zukünftigen Kundenanforderungen optimal erfüllen? Produkte: Wie können wir durch einzigartige Produkte und Dienstleistungen unsere Wettbewerbsposition stärken? Prozesse: Wie können wir Produktivität, Qualität und kontinuierliche Verbesserung unserer Prozesse sicherstellen? Technologien: Welche Technologien und Verfahren wollen wir beherrschen und entwickeln? Organisation: Wie wollen wir uns organisieren und unsere Ressourcen managen, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Welches Wissen benötigen wir dafür? Kontextwissen: gesetzliche Regelungen, sozial- und wirtschaftspolitische Entwicklungen, Branchenentwicklung, länderspezifische/regionale Eigenheiten, Anforderungen der Stakeholder, Beziehungen zu externen Wissensquellen etc. Marktwissen: Marktentwicklung, spezifische Trends, Marktpotenzial, Marktvolumen und Marktanteile, Konkurrenz, dominierende und innovative Geschäftsmodelle, Branding etc. Kundenwissen: aktuelle und zukünftige Kundenanforderungen und -präferenzen, Kaufverhalten, Kundenfeedback, Art der Kundenbeziehungen, Kundenhistorie etc. Produktwissen: Produktentwicklung und -gestaltung, Wissen über Produktinnovationen, Wissen über Konkurrenzprodukte, Servicewissen etc. Prozesswissen: kritisches Wissen bezogen auf einzelne Prozesse, Prozessmanagement, Prozessanalyse, Methodenwissen zum kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) etc. Technologie-, Verfahrens- und Methodenwissen: Grundlagen- und Anwendungswissen, Methoden in Forschung und Entwicklung, Absicherung geistigen Eigentums (Patente, Lizenzen usw.) etc. Organisations- und Managementwissen: normatives Wissen (Werte und Organisationskultur), Wissen über Organisationsentwicklung und -formen, Managementwissen etc.

und welche Kompetenz benötigen wir, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder auszubauen? Aus operativer Sicht gilt es insbesondere, für einzelne Prozesse, Methoden und Verfahren das erfolgskritische Wissen zu ermitteln. • Welche der Prozessschritte sind (besonders) kritisch für die Qualität und Zielerreichung des Prozesses? Welches Wissen, welche Qualifikationen oder Kompetenzen werden für diese Schritte benötigt? Dies ist vielleicht schon in Ihren Qualifikationsmatrizen dokumentiert. • Wie hoch sind die Risiken, wenn uns spezifisches Wissen fehlt? • Welche Prozesse, Methoden, Verfahren machen unsere Organisation einzigartig oder prägen unser Bild bei den Kunden und interessierten Parteien, z. B. die Art des Vertriebs oder Service, die didaktischen Methoden einer Bildungseinrichtung, der Beratungsansatz eines Consulting-Unternehmens?

3.2  Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe

35

• Welche Leistungen oder Teilprozesse sind „leicht“ am Markt zu beschaffen (Outsourcing) und bedingen keinen Verlust relevanten Wissens? Die Schwierigkeit, das Wissen einer Organisation zu betrachten, resultiert aus den unterschiedlichen Aggregationsformen von Wissen: So konkretisiert sich z. B. ein Beschaffungsprozess im Wissen der Mitarbeiter des Einkaufs über Märkte, in der Fähigkeit, Verhandlungen mit Zulieferern zu führen, in der Strukturierung des Prozessablaufs von Einkaufsanforderungen bis zum Finden und unter Vertragnehmen von Lieferanten. Auch das Wissen eines wichtigen Lieferanten kann relevant sein. Wissen ist gebunden in ­Datenbanken, Beschaffungssoftware, Werten und Zielsetzungen der Mitarbeiter der Beschaffungsabteilung und in externen Wissensquellen. Welches Wissen ein einzelner Mitarbeiter, eine einzelne Mitarbeiterin oder eine externe Wissensquelle hat und wie relevant es ist, weiß man oft erst dann, wenn es für die Organisation verloren geht und eine Wissenslücke hinterlässt [37]. Bei der Betrachtung der vielfältigen Wissensflüsse wird klar, dass der Anspruch, die Informations- und Wissensflut beherrschbar und umfassend verfügbar zu machen (Beherrschungsansatz), nicht einzulösen ist. Im Dialog mit Romhardt über Totes und Lebendiges gibt Roehl [49] zu bedenken: „eine unterschätzte Gefahr des Wissensmanagements scheint vor allem im Versprechen zu liegen, zu einem Ende zu kommen und endlich Ordnung in das Chaos aus privaten Ansichten, selbst gebastelten Karteikästen und unstrukturierten Gesprächsfetzen zu bringen, in denen sich die Wissensbasis der Organisation nun mal manifestiert“. In anderen Worten: Die Unsteuerbarkeit sozialer Realität wird auch durch Wissensmanagement nicht beherrschbar. Wir benötigen daher einen klugen Umgang mit der Unbeherrschbarkeit dieser Ressource.

3.2

 on Informationen zu Wissen und Kompetenz: V Die Wissenstreppe

Wir wollen im Folgenden keine philosophische Diskussion über Wissen und Erkenntnis führen, sondern einige Grundbegriffe herausarbeiten, die für die unternehmerischen Aufgaben des Wissensaufbaus und -transfers von Bedeutung sind. Ziel wissensorientierter Unternehmensführung ist es, aus Informationen Wissen zu generieren und dieses Wissen in nachhaltige Wettbewerbsvorteile umzusetzen, die als Geschäftserfolge messbar werden. Die Bayer AG hat den Bezug von Wissen und Geschäft wie folgt formuliert: „Forschung ist die Umwandlung von Geld in Wissen. Innovation ist die Umwandlung von Wissen in Geld“. Um die Zusammenhänge zwischen Information, Wissen, Kompetenz und Wettbewerbsfähigkeit zu klären, beginnen wir zunächst mit einem Praxisbeispiel aus einem internationalen Elektronikunternehmen.

36

3  Die Wissenstreppe

Fallbeispiel 3

Best-Practice-Transfer (Elektronikfertigung) Werksleiterin Andrea Müller klickt am Morgen zuerst auf dem Bildschirm in den Posteingang. Ein Newsflash zeigt ihr an, dass die Ergebnisse der periodischen Benchmarking-Runde der 50  Elektronikfertigungen des Konzerns gerade in die Best-Practice-Datenbank eingestellt wurden. Sie klickt die News an und verschafft sich einen Überblick über die grafisch aufbereiteten Informationen. Ihr Werk ist im Benchmarking-Vergleich im oberen Mittelfeld platziert. Über Voice-Mail bittet sie das werksinterne Best-Practice-Team, die Informationen zu analysieren und möglichst kurzfristig die Best Practices anderer Werke zu übernehmen, um so den stetigen Preisverfall wenigstens etwas durch Produktivitätssteigerungen zu kompensieren. Am Nachmittag trifft sich das Best-Practice-Team auf der Collaboration-Plattform und verifiziert zunächst noch einmal die an die Best-Practice-Datenbank gemeldeten Daten des eigenen Werks. O.k. Dann setzt das Werk die aufbereiteten Benchmarking-­ Informationen des eigenen Werks zu den vergleichbaren Werken in Bezug. Durch eine kurzfristig anberaumte Videokonferenz mit Mitgliedern des Best-Practice-­ Teams zweier Schwesterwerke wird es möglich, die Unterschiede in den Kennzahlen in ihrem Kontext zu sehen und die unterschiedlichen Informationen zu vernetzen. Die Arbeitsgruppe weiß nun, was die Kollegen in den anderen Werken besser machen, hat Tipps erhalten wie (beispielsweise durch eine veränderte Bestückungsgeschwindigkeit von Leiterplatten) auch im eigenen Werk die Produktivität gesteigert werden kann. Man könnte die Dinge sofort umsetzen, wenn da nicht einige Widerstände auf Ebene der Linienverantwortlichen wären. Sie werden in die Diskussion des Best-Practice-Teams einbezogen und sind motiviert zu handeln. Bereits nach drei Tagen sind die Ergebnisse aus der Benchmarking-Studie in messbare Verbesserungen umgesetzt. Das Best-Practice-Team Elektronikfertigung hat seine kollektive Problemlösungskompetenz demonstriert. Werksleiterin Müller ist zufrieden und betont, dass ihrer Ansicht nach die Fähigkeit, schneller zu lernen als die Konkurrenz, der einzige nachhaltige Wettbewerbsvorteil ist.

Sehen wir uns nun einige der im Kontext erwähnten Grundbegriffe einmal näher an, die die Stufen der Wissenstreppe bilden (Abb. 3.1 oder suchen Sie bei YouTube nach „Wissenstreppe“). Zeichen, Daten, Informationen Zeichen (Buchstaben, Ziffern, Sonderzeichen) werden durch Ordnungsregeln (einen Code oder eine Syntax) zu Daten. Daten sind Symbole, die noch nicht interpretiert sind, d. h. beliebige Zeichen bzw. Zeichenfolgen; dies können Zahlen, wie z. B. 2, 7, 25, 13 oder auch ein rotes Licht einer Ampel sein. Zu Informationen werden diese Daten erst, wenn ein Bezug hergestellt ist, z. B. 2,7 % Produktivitätssteigerung der Elektronikfertigung pro

3.2  Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe

37

Abb. 3.1  Die Wissenstreppe

Quartal aus unserem Benchmarking-Fallbeispiel, Außentemperatur 13 °C, Preis eines Taschenrechners 20,00 €. Informationen sind also Daten, die in einem Bedeutungskontext stehen und aus betriebswirtschaftlicher Sicht zur Vorbereitung von Entscheidungen und Handlungen dienen.1 Diese Informationen sind für Betrachter wertlos, die sie nicht mit anderen aktuellen oder in der Vergangenheit gespeicherten Informationen vernetzen können. Wissen Aus dieser Sicht ist Wissen der Prozess der zweckdienlichen Vernetzung von Informationen. Wissen entsteht als Ergebnis der Verarbeitung von Informationen durch das Bewusstsein (vgl. [1]). Informationen sind sozusagen der Rohstoff, aus dem Wissen generiert wird, und die Form, in der Wissen kommuniziert und gespeichert wird. In unserer Benchmarking-­ Studie entsteht Wissen dadurch, dass verschiedene Informationen vernetzt werden. Ein Bezug wird hergestellt, warum im Kontext des einen Werks bessere Ergebnisse erzielt werden als im Vergleichswerk. Die Interpretation von Informationen kann insbesondere in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sehr unterschiedlich ausfallen. Kopfnicken wird bei uns als Zustimmung interpretiert, in Griechenland wird Kopfnicken – in etwas anderer Form – jedoch als Nein 1

 Zur Diskussion des Informationsbegriffs in der Betriebswirtschaftslehre vgl. [4].

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3  Die Wissenstreppe

interpretiert. Wissen ist daher geprägt von individuellen Erfahrungen, ist kontextspezifisch und an Personen gebunden. Eine Wissensdatenbank kann es nicht geben. Es gibt aber sehr wohl Datenbanken, die Teilbereiche von Wissen als Informationen ablegen. Technisch geschieht dies durch entsprechende Zeichenfolgen. cc Wissen Mit Probst et al. [44] definieren wir Wissen als die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Personen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden. Wissen entsteht als individueller Prozess in einem spezifischen Kontext und manifestiert sich in Handlungen. Das amerikanische Carnegie-Bosch-Institut definiert Wissen im Unternehmenskontext folgendermaßen (vgl. [7]): „Knowledge refers to the tacit or explicit understanding in a firm about relationships among phenomena, structured in a more or less scientific manner. It is embodied in routines for the performance of business operations, in organizational structures and processes and in embedded beliefs and behavior. Knowledge implies an ability to relate inputs to outputs to observe regularities in information, to codify, explain and ultimately to predict.“ Handeln Der Wert des Wissens wird für ein Unternehmen nur dann sichtbar, wenn das Wissen (Wissen WAS) in ein Können (Wissen WIE) umgesetzt wird, das sich in entsprechenden Handlungen manifestiert. Diese Feststellung ist insbesondere relevant für die Konzeption von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Es genügt nicht, dass Mitarbeiter in Seminaren Wissen erwerben, sondern das Umsetzen von Wissen in Fertigkeiten (Können) muss geübt werden. Das duale System der beruflichen Ausbildung basiert auf diesem Dualismus zwischen Wissen was und Gewusst wie. Das Können wird jedoch nur konkret unter Beweis gestellt, d. h. in Handlungen umgesetzt, wenn eine Motivation, ein Antrieb dafür besteht (Wollen) und Mitarbeitende den Freiraum haben, ihr Wissen anzuwenden (Dürfen). Können, Wollen und Dürfen sind entscheidend für das Ergebnis und führen zusammen zur Wertschöpfung. Das Handeln liefert messbare Ergebnisse (die sogenannte Performanz) wie eine Person, eine Gruppe, eine Organisation aus Informationen Wissen generiert und dieses Wissen für Problemlösungen anwendet. Kompetenz Diese Fähigkeit oder Kapazität wird auch als Kompetenz einer Person oder Organisation bezeichnet. Kompetenzen konkretisieren sich im Moment der Wissensanwendung. In diesem Sinn ist Kompetenz die Fähigkeit zu situationsadäquatem Handeln (zur Diskussion des Kompetenzbegriffs vgl. [17]). Von Krogh und Roos haben dies wie folgt formuliert ([27, S. 425]: … we view competence as an event, rather than an asset. This simply means that competencies do not exist in the way a car does; they exist only when the knowledge (and skill) meet the task.

3.2  Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe

39

Die Kompetenz, Wissen zweckorientiert in Handlungen umzusetzen, unterscheidet den Lehrling vom Meister, den Geigenschüler vom Virtuosen, die erfolgreiche Sportmannschaft vom brillanten Einzelspieler. Wettbewerbsfähigkeit Als besonders wettbewerbsrelevant werden Kernkompetenzen einer Organisation angesehen (vgl. [21, 51]). cc Kernkompetenzen sind ein Verbund von Fähigkeiten und Technologien, der auf explizitem und implizitem Wissen beruht und durch zeitliche Stabilität und produktübergreifenden Einfluss gekennzeichnet ist. Zusätzlich generieren Kernkompetenzen einen Wert beim Kunden, sind einzigartig unter Wettbewerbern, verschaffen Zugang zu neuen Märkten und sind nicht leicht imitierbar und transferierbar, sie sind synergetisch mit anderen Kompetenzen verbunden und machen das Unternehmen einzigartig bzw. besser als andere (vgl. [28], S. 423). In dieser Sichtweise repräsentieren Kernkompetenzen die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Wir werden diesen Aspekt der Wettbewerbswirksamkeit von Wissen in Abschn. 3.3 näher beleuchten.

3.2.1 Wissenstreppe 4.0 – Kollege Algorithmus wird flügge Die mit der Anwendung digitaler Technologien verbundenen Veränderungen gehen einher mit einem tiefgreifenden Wandel, wie Menschen und Organisationen Daten, Informationen und Wissen generieren, teilen und nutzen. Wie ermöglichen und verändern digitale Technologien Wertschöpfungsprozesse in einer Wissenstreppe 4.0? Auf allen Stufen der Wissenstreppe beobachten wir eine Veränderung der Arbeitsteilung zwischen Mensch und intelligenten Systemen. Hierzu einige Beispiele von North und Maier [62, 63]). Die immer leistungsfähigere Datenanalyse („high-performance data analytics“, HPDA) ermöglicht, große Datenmengen zu erfassen und zu analysieren sowie anschließend in Informationen zu transformieren, die als Grundlage für verwertbare Erkenntnisse dienen. Algorithmen wie neuronale Netze sind in der Lage, sensorische Daten und Muster zu erkennen, zu interpretieren und zu klassifizieren (z. B. Gesichtserkennung von Tausenden von Personen). Solche Systeme bereiten Daten zu Informationen auf, erfordern jedoch Menschen mit dem Wissen, auf der Grundlage dieser Informationen handeln zu können. Intelligente Systeme sind in der Lage, skaliert zu lernen, mit einer Absicht zu argumentieren und natürlich-sprachlich mit Menschen zu interagieren. Dies wird oft als Augmented Intelligence bezeichnet [60]. Die lernenden Algorithmen interagieren partnerschaftlich mit Menschen und avancieren in der Wahrnehmung von einem Unterstützungssystem zu einem Kollegen. Algorithmen haben aber kein Bewusstsein und sind meist nur für ein enges Anwendungsgebiet kompetent. Hierbei unterscheidet man zwei Arten, wie diese Künstliche-Intelligenz(KI)-Systeme Wissen aufbauen: Klassische Expertensysteme werden mit großem Aufwand von menschlichen Experten mit Wissen gefüttert, wenden

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3  Die Wissenstreppe

dieses Wissen an, erhalten Feedback und verbessern damit ihre Kompetenz (überwachtes oder nicht überwachtes „symbolic reasoning“). Neuere Ansätze der KI wie das Deep Learning sind in der Lage, auf Basis großer Datenmengen eigene Hypothesen zu entwickeln, zu testen und damit unabhängig vom Menschen zu lernen. Dazu werden die Daten in neuronalen Netzen mit mehreren Schichten gefiltert. Dies geschieht z. B. bei der Gesichtserkennung und wird z. B. bei der Krebsvorsorge angewandt. Die hohe Leistungsfähigkeit der Methoden des Deep Learning geht auf Kosten der hohen Modellkomplexität und der geringen Interpretierbarkeit. Die Komplexität künstlicher neuronaler Netze verbietet es in der Regel zu bestimmen, warum ein auf solchen Modellen basierendes System eine bestimmte Lösung erreicht hat. Die meisten aktuellen KI-Systeme sind jedoch „Fachidioten“ auf schmalem Gebiet  – speziell entwickelt, um ein gut spezifiziertes Problem in einer Domäne, wie z. B. einem bestimmten Spiel, anzugehen. Solche Ansätze können sich nicht ohne erhebliche Umgestaltung an neue oder breitere Herausforderungen anpassen. Während sie in einer Domäne der menschlichen Leistung weit überlegen sein mögen, sind sie in anderen Domänen nicht überlegen. Ein weiteres Problem ist, sicherzustellen, dass die KI-Systeme das machen, was von ihnen erwartet wird. Um Fehlanpassungen zwischen menschlichen und maschinellen Zielen zu vermeiden, müssen Algorithmen trainiert und ihr Verhalten muss genau beobachtet werden. Dies ist eine mühsame Aufgabe, da menschliches Verhalten in Werten und Normen verwurzelt ist, die meist implizites Wissen sind. Die veränderte Zusammenarbeit zwischen Mensch und intelligentem System erfordert auch eine Neudefinition von Expertise. Bleibt der Mensch, z. B. der Arzt, handlungsfähig, wenn die Assistenzsysteme versagen? Wie lernen Menschen und Maschinen gemeinsam? Aus diesen Veränderungen entstehen auch neue Aufgaben für das Wissensmanagement. Daugherty und Wilson [59] beschreiben drei Rollen: Maschinentrainer füttern intelligente Systeme mit menschlicher Expertise und coachen die Systeme, damit sie das tun, was sie tun sollen. Erklärer verstehen, wie intelligente Systeme ticken und erklären die Logiken und Verhaltensweisen der Systeme den Nutzern, damit sie von den Betroffenen nachvollzogen werden können. Systemerhalter sorgen dafür, dass Systeme mit KI nachhaltig sicher, verantwortlich und im Rahmen gesetzlicher Normen agieren. Welche Folgen es haben kann, wenn Nutzer das System nicht verstehen und unter wirtschaftlichem Druck sicherheitskritische Assistenzsysteme entwickelt werden, zeigt das folgende Fallbeispiel.

Fallbeispiel 4

Boeings 737 Max – Künstliche Intelligenz als Killer Boeings 737  Max war Mitte März 2019 nach zwei Abstürzen mit insgesamt 346 Toten weltweit mit Flugverboten belegt worden. „Boeing hat im Design und der Entwicklung der Max versagt und die FAA hat in der Aufsicht von Boeing und der Zertifizierung des Flugzeugs versagt“ ist das vernichtende Urteil des Abschlussberichts des amerikanischen Kongresses. Kern des Versagens ist das speziell für die

3.2  Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe

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737 Max entwickelte Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS). Diese Software war dazu gedacht, das Flugzeug zu stabilisieren, brachte aber offenbar die Piloten in eine Situation, in der sie die Kontrolle über die Maschinen verloren. Ein Sensor misst während des Starts den Anstellwinkel. Ist er zu steil, droht ein Strömungsabriss. Jetzt greift das MCAS ein und steuert automatisch dagegen, indem es die Nase herunterdrückt und den Sinkflug einleitet. Der Pilot versucht dagegen zu steuern, wird aber vom System immer wieder korrigiert. Piloten waren nicht ausreichend über das neue System informiert und Boeing wusste seit mehr als einem Jahr von Problemen mit dem Anstellwinkelalarm des MCAS, informierte aber nicht die US-Luftfahrtbehörde FAA. Ausführliche Interviews mit Insidern und geheime gehaltene Dokumente zeigen die Probleme auf: Boeing hat MCAS ursprünglich als eine einfache Lösung mit einem engen Anwendungsbereich konzipiert. Als Boeing und die FAA die 737 MAX zur Serienreife brachten, schränkten sie die Prüfung und das Testen des MCAS-­ Designs ein. Dann einigte man sich darauf, die Piloten nicht in Handbüchern über MCAS zu informieren, obwohl die Sicherheitsanalyse von Boeing erwartete, dass die Piloten der primäre Backstop sein würden, falls das System durchdrehen sollte. Boeing versprach Southwest Airlines die Rückerstattung von 1 Mio. US$ pro gekaufter 737 Max, falls die FAA eine Simulatorausbildung der Piloten für das neue Flugzeug verlangt. Bei der Umstrukturierung von Boeing hatten erfahrene Ingenieure das Unternehmen verlassen. Kritisches Wissen und Erfahrungen wurden nicht an jüngere Ingenieure weitergegeben. Die Geschichte des Max ist letztlich die Geschichte eines Darwinschen Wirtschaftszyklus, in dem reife Unternehmen wie Boeing ständig durch neue Produkte, neue Wettbewerber und die Suche nach neuem Wachstum bedroht sind. Quelle: Seattle Times (2019) https://www.seattletimes.com/seattle-­news/times-­ watchdog/the-­inside-­story-­of-­mcas-­how-­boeings-­737-­max-­system-­gained-­power-­ and-­lost-­safeguards/undweiterePresseberichte

3.2.2 Handlungsfelder des Wissensmanagements Wissensorientierte Unternehmensführung bedeutet, alle Stufen der Wissenstreppe zu gestalten. Ist eine Stufe der Treppe nicht ausgebildet (z.  B. fehlende Datenkompatibilität, unvollständige Informationsverfügbarkeit, fehlende Handlungsmotivation), so stolpert man beim Begehen der Wissenstreppe. Die Umsetzung von Geschäftsstrategien oder das ­operative Geschäft werden behindert. Aus der Wissenstreppe lassen sich drei Handlungsfelder des Informations- und Wissensmanagements ableiten: Das strategische Wissensmanagement durchläuft die Wissenstreppe von oben nach unten, um die Frage zu beantworten, welche Kompetenzen und, daraus abgeleitet, welches

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3  Die Wissenstreppe

Wissen und Können benötigt wird, um wettbewerbsfähig zu sein. Wissensziele sind aus Unternehmenszielen abzuleiten. Das strategische Wissensmanagement hat daneben ein Unternehmensmodell zu entwickeln, in dem die motivationalen und organisatorischen Strukturen und Prozesse konzipiert werden, die das Unternehmen fit für den wissensbasierten Wettbewerb machen. Das operative Wissensmanagement beinhaltet insbesondere die Vernetzung von Informationen zu Wissen, Handeln und Kompetenz. Für den Erfolg wissensorientierter Unternehmensführung ist entscheidend, wie der Prozess, individuelles in kollektives Wissen und kollektives in individuelles Wissen zu transferieren, gestaltet wird. Hierbei kommt der Überführung von implizitem in explizites Wissen und umgekehrt große Bedeutung zu. Ohne wirksame Anreize findet dieser Prozess jedoch nicht statt. Operatives Wissensmanagement hat daher auch die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Motive und Anreize für Wissensaufbau, -teilung und -nutzung bieten. Informations- und Datenmanagement ist eine Grundlage des Wissensmanagements. Wenn wir uns die Wissenstreppe ansehen, dann sind die Bereitstellung, Speicherung und Verteilung von Informationen Voraussetzungen für Wissensaufbau und -transfer. Wie wir in Untersuchungen feststellten, beginnen viele Unternehmen Initiativen unter dem Namen Wissensmanagement mit Maßnahmen des Informations- und Datenmanagement, stellen aber dann fest, dass Informations- und Kommunikationstechnologie ohne entsprechende organisatorische und motivationale Rahmenbedingungen nur ungenügend genutzt werden.

3.2.3 Reifegrade wissensorientierter Unternehmensführung Je nachdem, auf welcher Stufe der Wissenstreppe sich ein Unternehmen befindet, re­ präsentiert es einen bestimmten Reifegrad wissensorientierter Unternehmensführung (Abb. 3.2). Auf jeder Stufe können Unternehmen mit einem spezifischen Nutzen des Wissensmanagements rechnen, wie North und Schmidt [36]) aufgrund der Bewerbungen um den Preis Wissensmanager des Jahres (www.wissensmanager-­des-­jahres.de) zeigten. Beurteilen Sie, welchen Reifegrad Sie Ihrem Unternehmen zubilligen (s. auch [35]).

3.2.3.1 Unternehmen des ersten Reifegrads Unternehmen, die sich im ersten Reifegrad befinden, konzentrieren sich auf Informationsund Datenmanagement. Sie implementieren eine Informations- und Kommunikationsin­ frastruktur und fördern die Informationstransparenz, indem ein gezielter Zugriff auf Datenbanken und Dokumente möglich ist. Inhalte werden zum Teil gezielt ausgewählt redaktionell aufbereitet (kuratiert). Collaboration-Plattformen ermöglichen virtuelle Zusammenarbeit und Wissensaustausch. Begleitende organisatorische Maßnahmen zur Förderung des Wissensaustauschs sind auf dieser Stufe noch nicht oder erst ansatzweise etabliert. Dem ersten Reifegrad können somit die Unternehmen zugerechnet werden, die Wissensmanagement auf einem weitgehend technischen Ansatz begründen. In diesem Reifegrad erreichen sie eine Steigerung der Prozesstransparenz und -beschleunigung, Ver-

3.2  Von Informationen zu Wissen und Kompetenz: Die Wissenstreppe

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Abb. 3.2  Reifegrade wissensorientierter Unternehmensführung

meidung von Redundanzen, kürzere Einarbeitungszeiten sowie daraus folgend Qualitätssteigerungen der Produkte und Dienstleistungen.

3.2.3.2 Unternehmen des zweiten Reifegrads Unternehmen, die Wissensmanagementinitiativen gezielt in einzelnen Unternehmensbereichen oder Geschäftseinheiten einführen, repräsentieren den zweiten Reifegrad. Sie haben erkannt, dass für eine wissensorientierte Unternehmensführung der technische Aspekt nicht ausreichend ist, sondern dass auch bestimmte Rahmenbedingungen und Spielregeln geschaffen werden müssen. Es werden dementsprechend spezifische Einzellösungen entwickelt, die Wissen in einzelnen Problembereichen verfügbar machen. Hier können beispielhaft Service-, Personal- und Kundenwissen genannt werden. Durch persönlichen Wissensaustausch wird das vorhandene Wissen weiterentwickelt. Hilfestellungen werden anhand von Help-Desks oder Expertensystemen gegeben. Als Nutzen identifizieren die Unternehmen Prozessbeschleunigungen (schnelle Reaktionsfähigkeit z. B. auf Kundenanfragen), eine erhöhte Wiederverwendung von internem Wissen (das Rad wird nicht immer wieder neu erfunden) sowie verbessertes Teamwork und Qualitätssteigerungen. 3.2.3.3 Unternehmen dritten Reifegrads Unternehmen, die sich im dritten Reifegrad befinden, haben eine professionelle Wissensorganisation abteilungs- und geschäftseinheitenübergreifend implementiert und weisen folgende charakteristische Merkmale auf: • Durchgängige Informations- und Kommunikationsinfrastruktur mit Redaktionsprozessen und einer organisationalen Verantwortung für die Inhalte

44

3  Die Wissenstreppe

• Rahmenbedingungen fördern Wissensteilung • Integration des Wissensmanagements in die Geschäftsprozesse bzw. Projektorganisation • Unterstützung des Wissensaustauschs durch Communities of Practice (CoP) und Kompetenzcenter • Nutzenmessung des Wissensmanagements Charakteristisch für die professionelle Wissensorganisation ist eine ausgewogene Verteilung der Nutzenargumente auf die Prozess-, Mitarbeiter- und Kundenperspektive. Die am häufigsten genannten Auswirkungen in der Prozessperspektive sind hierbei zum einen die Vermeidung von Redundanzen und die Prozessbeschleunigung, zum anderen eine gesteigerte Prozesstransparenz sowie Wiederverwertung von internem Wissen. Innerhalb der Mitarbeiterperspektive werden vor allem Motivationssteigerungen der Mitarbeiter, verbessertes Teamwork und kürzere Einarbeitungszeiten registriert. Der Nutzen für Kunden wird hauptsächlich anhand von Qualitätssteigerungen und einer verbesserten Kommunikation deutlich.

3.2.3.4 Unternehmen des vierten Reifegrads Der vierte Reifegrad stellt einen Idealzustand dar, den bisher nur wenige Unternehmen annäherungsweise erreichen. Zusammenarbeit, Wissensaustausch über abteilungs- und Unternehmensgrenzen, aktive Suche nach Innovationen sowie ein offene, vertrauensvolle Unternehmenskultur, die von Führungskräften und Mitarbeitern vorgelebt und konsequent eingefordert wird, kennzeichnen diesen Reifegrad. Ein wichtiger Bestandteil dieser Unternehmenskultur ist das Lernen von außen (z. B. Märkte, Technologien, Mitbewerber, Lieferanten, Kunden etc.) und von innen. Unterstützt wird die Unternehmenskultur durch eine ausgereifte Informations- und Kommunikationsinfrastruktur und Medien wie CoP, Kompetenzcenter und Work-outs. Erst ab dieser Stufe gilt die wissensorientierte Unternehmensführung als realisiert. Eine praxisorientierte Selbstanalyse der Wissensorganisation mit fünf Reifestufen wurde von Collison und Parcell [8] entwickelt. Schätzen Sie anhand des Analyserasters Ihre Wissensorganisation ein (Abb. 3.3).

3.3

Dimensionen des Wissens

Im Folgenden wollen wir den Wissensbegriff weiter vertiefen, indem wir drei Dimensionen beleuchten. • Die Dimension Natur des Wissens: Hier wollen wir der Frage nachgehen: Als was wird Wissen angesehen? Als ein Objekt, ein Ergebnis, das beliebig teilbar, duplizierbar und transportierbar ist, oder als ein individueller, wenig steuerbarer Prozess, um die beiden Extrempositionen zu nennen.

Abb. 3.3  Selbstanalyse der Wissensorganisation (modifiziert nach [8])

3.3  Dimensionen des Wissens 45

46

3  Die Wissenstreppe

• Die Dimension Verfügbarkeit des Wissens: Hier werden wir uns insbesondere mit der Unterscheidung zwischen individuellem und kollektivem Wissen, implizitem und explizitem Wissen auseinandersetzen. • Die Dimension Wert des Wissens: Wissen wird oft auch als Bestandteil des immateriellen Vermögens eines Unternehmens oder als „intellectual capital“ bezeichnet: Wissen ist Kapital. Die Frage ist, wie Wissen ein Wert zugemessen werden kann.

3.3.1 Wissensdimension: Natur Von Krogh und Roos (vgl. [27], S. 334) stellen drei Sichtweisen des Wissens in Unternehmen, drei Epistemologien, einander gegenüber: • Die Informationsverarbeitungsepistemologie geht davon aus, dass Wissen und Informationen ungefähr das Gleiche sind. In diesem Fall ist es nur natürlich, in die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung zu investieren. Aus dieser Sicht führt eine Steigerung der Informationsverarbeitungskapazität auch zu einer Steigerung der Wissensentwicklung im Unternehmen. • Die Netzwerkepistemologie geht davon aus, dass Wissen das Ergebnis der Interaktion von Menschen in Netzwerken ist. Daraus folgt, dass ein Unternehmen investieren sollte, Mitarbeiter in der gesamten Organisation zusammenzubringen sowie die Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologie zu fördern. Dieser Sichtweise folgend wird umso mehr Wissen entwickelt, je mehr Menschen im Unternehmen Gelegenheit haben, sich zu treffen. • Die selbstbezogene Epistemologie („self-referential“) geht davon aus, dass Wissen ein privater, erfahrungsabhängiger („history dependent“) Prozess in jedem Einzelnen von uns ist. Was Wissen für eine Person bedeutet, das sind für einen anderen nur Rohdaten. Jeder hat organisatorisches Wissen mit jemandem zusammen. Es ist daher notwendig, einen Kontext zu schaffen, der fortgesetzte Dialoge in der Organisation stimuliert. Von Krogh und Roos bevorzugen diese letzte Sichtweise von Wissensaufbau, betonen jedoch, dass jede Organisation nach allen drei Epistemologien zu verschiedenen Zeitpunkten und für verschiedene Aufgaben arbeitet. Der Wissensbegriff ist daher situativ zwischen den beiden extremen Positionen, Wissen ist gleich Objekt und Wissen ist gleich Prozess, einzuordnen. Wenn z. B. Verkaufsmitarbeiter wissen, wie viele A-Kunden das Unternehmen hat, dann kommt diesem Wissen eher die Qualität einer Information zu, Wissen ist also mehr Objekt. Wenn es jedoch darum geht, wie wir die verfügbaren Informationen über unsere A-Kunden besser für den Abschluss von Geschäften nutzen können, dann trägt Wissen mehr die Charakteristiken eines Prozesses. Im Englischen werden diese unterschiedlichen Aspekte mit den Begriffen Wissen was, Wissen wie, Wissen warum, Wissen wo und Wissen wann beschrieben. Polanyi betont die Prozesssichtweise mit der Aussage [42]:

3.3  Dimensionen des Wissens

47

Abb. 3.4  Unterschiede zwischen Kapital und Wissen (nach [54]) Knowledge is an activity best described as a process of knowing.

Die Extrempositionen „Wissen ist gleich Objekt“ und „Wissen ist gleich Prozess“ werden vielleicht am besten deutlich, wenn wir das neue Wort Wissenskapital einmal in seine zwei Bestandteile Wissen und Kapital zerlegen und die Unterschiede beider Begriffe he­ rausarbeiten (Abb. 3.4). Sveiby [54]) argumentiert, dass die Analogie zwischen Wissen und Kapital nicht hilfreich für Wissensaufbau und -transfer ist, da sie zu einem falschen Verständnis von Wissen führt. Für die Gestaltung des wissensorientierten Unternehmens sehen wir die Prozessdimension des Wissens als dominierend an. Konsequenterweise sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die Wissensaufbau und -transfer fördern. Die Natur des Wissens wird neben diesen unterschiedlichen Sichtweisen  – Wissen gleich Objekt und Wissen gleich Prozess – durch zwei weitere Charakteristiken bestimmt. Wissen kann zum einen privat und individuell, zum anderen öffentlich und kollektiv sein. Wissen kann weiterhin in impliziter und expliziter Form vorliegen. Diese Aspekte bestimmen die Verfügbarkeit von Wissen (vgl. auch [30]).

Fallbeispiel 5

Wissensintegration: Übernahme eines ausländischen Unternehmens (vgl. [34]) Ein deutsches Großunternehmen der Verkehrstechnik kauft ein französisches Unternehmen mit etwa 500 Mitarbeitern, um kurzfristig zusätzliches Know-how zu gewinnen. Auf deutscher Seite werden die Übernahmeverhandlungen von der Mergers-­and-acquisitions(M&A)-Abteilung geführt. Nach Vertragsabschluss übernimmt eine operative Geschäftseinheit die Aufgabe, das neue französische Tochterunternehmen in den Konzern zu integrieren, ohne jedoch Erfahrung mit der Integrationsproblematik zu haben. M&A kennt zwar das französische Unternehmen, ist

48

3  Die Wissenstreppe

jedoch nur informell nach dem Vertragsabschluss an der weiteren Integration beteiligt. Die französischen Experten stehen dem Merger skeptisch gegenüber. Ein Weggang von Mitarbeitern und Mitarbeiterteams würde den Wert der Akquisition erheblich schmälern; das Wissen ist nur rudimentär dokumentiert. Der deutsche Käufer verfügt nur über wenige französischsprachige Mitarbeiter, die die Brücke zur neuen Tochter schlagen bzw. sich in Teams integrieren könnten. Die Unternehmenskulturen des deutschen Großunternehmens und des zugekauften französischen Mittelunternehmens sind sehr unterschiedlich. Die neue deutsche Mutter entsendet eine Führungskraft zur Übernahme der Geschäftsführung bei der französischen Tochter. Die Probleme beginnen. Wie lässt sich eine Integration effektiver gestalten? Der Wert der Akquisition ist durch das Know-how der Mitarbeiter gegeben. Daher ist es sinnvoll, bereits in einem frühen Stadium nicht nur M&A tätig werden zu lassen, sondern auch vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen, die z. B. das Kennenlernen der Mitarbeiter beider Unternehmen fördern, wichtige Wissensträger bzw. Teams identifizieren und ihre Haltung zum Merger positiv beeinflussen. Nach Abschluss der Verhandlungen sollte ein Coaching des Integrationsprozesses von erfahrenen Fachleuten der M&A-­ Abteilung stattfinden. Die Strukturierung eines durchgängigen M&A- und Integrationsprozesses ist weiterhin hilfreich. Grundlegend für den Erfolg ist, dass Wissen und Wissensträger nicht als Objekte angesehen werden, über die durch einen Kaufvertrag frei verfügt werden kann.

3.3.2 Wissensdimension: Verfügbarkeit Die Dimension Verfügbarkeit des Wissens wird durch Form, Zeit und Ort geprägt. Unter Form verstehen wir sowohl die Aspekte individuelles versus kollektives Wissen als auch implizites versus explizites Wissen. Diese beiden Aspekte sind eng miteinander verzahnt (vgl. [22, 33]). Für den Erfolg wissensorientierter Unternehmensführung ist entscheidend, wie der Prozess, individuelles in kollektives Wissen und kollektives Wissen in individuelles Wissen zu überführen, gestaltet wird. Die neue Sicht charakterisiert Morin in einer persönlichen Kommunikation an den Autor: „Das Unternehmen ist der Ort, an dem sich individuelles Wissen und Intelligenz zu kollektiver, kreativer Intelligenz zusammenfügen, fähig, unternehmerisch tätig zu werden“. Um diesen Prozess zu beschreiben, werden zwei Arten von Wissen unterschieden: explizites Wissen („explicit knowledge“) und implizites Wissen („tacit knowledge“). Implizites Wissen stellt das persönliche Wissen eines Individuums dar, das auf Idealen, Werten und Gefühlen der einzelnen Person beruht. Subjektive Einsichten und Intuition

3.3  Dimensionen des Wissens

49

verkörpern implizites Wissen, das tief in den Handlungen und Erfahrungen des Einzelnen verankert ist. Diese Form von Wissen ist sehr schwer zu formulieren und weiterzugeben, da sie in den Köpfen einzelner Personen gespeichert ist („embodied knowledge“). Implizites Wissen wird u. a. in der Erziehung vermittelt, indem wir das Verhalten der Eltern übernehmen, ohne uns dessen bewusst zu werden (zum Begriff des „tacit knowledge“ vgl. [50]). Explizites Wissen ist dagegen methodisch, systematisch und liegt in artikulierter Form vor. Es ist außerhalb der Köpfe einzelner Personen in Medien gespeichert („disembodied knowledge“) und kann u. a. mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie aufgenommen, übertragen und gespeichert werden. Dies trifft z. B. auf detaillierte Prozessbeschreibungen, Patente, Organigramme, Qualitätsdokumente usw. zu. Nonaka und Takeuchi haben als Grundproblem des Wissensmanagements die Überführung von implizitem in explizites Wissen formuliert. Denn erst wenn Wissen in expliziter Form vorliegt, ist es für die Organisation verfügbar und somit über einzelne Personen oder Personengruppen hinaus nutzbar. Aufgabe des Wissensmanagements ist es, aus dieser Sicht einen Prozess der organisationalen Wissenserzeugung zu gestalten und zu lenken. Nonaka und Takeuchi formulieren dies so: „By organisational knowledge creation we mean the capability of a company as a whole to create new knowledge, distributed throughout the organisation and embodied in products, services and systems“ (Unter organisationaler Wissenserzeugung verstehen wir die Fähigkeit eines Unternehmens als Ganzes, neues Wissen zu erzeugen, dieses innerhalb der Organisation zu verteilen und es in Produkte, Dienstleistungen und Systeme zu inkorporieren; vgl. [29, 33, S. VIII]). Hierzu dienen vier Grundmuster der organisationalen Wissenserzeugung und -transformation (Abb. 3.5).

Abb. 3.5  Vier Arten der Wissenserzeugung und -transformation (SEICI-Modell; [33], S. 72)

50

3  Die Wissenstreppe

3.3.2.1 Sozialisation: Von Implizit zu Implizit Dieser Fall tritt ein, wenn zwei Personen implizites Wissen direkt austauschen. Ein Beispiel ist das Beobachten einer Person bei der Arbeit, um auf diese Art zu lernen (Lernen durch Sozialisation). Dies gilt auch für die traditionelle Lehrling-Meister-Beziehung, in der über Lehrlingsgenerationen implizites Wissen des Handwerks sowie einzelne Fertigkeiten weitergegeben wurden. So haben sich die großen Malschulen der Renaissance und des Barocks immer wieder erneuert und dabei Wissen bewahrt und über Generationen weitergegeben. Das in einem solchen Prozess Gelernte erweitert das eigene implizite Wissen. Bei diesem Grundmuster handelt es sich um eine begrenzte Wissenserzeugung, da das Wissen nicht expliziert wird und somit nicht der gesamten Organisation zur Verfügung steht. Andererseits bietet diese Übertragung auch einen Schutz vor Nachahmung. 3.3.2.2 Externalisierung: Von Implizit zu Explizit Erst in diesem Grundmuster wird neues und für die Organisation verwertbares Wissen geschaffen, da implizites Wissen durch sogenannte Externalisierung für alle dokumentiert wird. Dieses Grundmuster der Wissenstransformation nimmt eine Schlüsselstellung bei der Wissenserzeugung ein, da es implizites Wissen in explizite Wissensbausteine überführt. Die Explikation wird durch den Dialog der Mitarbeiter, kollektives Nachdenken und Bewusstmachen von Wissen ausgelöst. Mit der Methode des Storytelling kann implizites Erfahrungswissen der Mitarbeiter erfasst und unternehmensweit weitergeben werden (vgl. [16], s. auch [10, 46]). Diese Narrative – die erlebten Geschichten – sind oft aussagefähiger als abstrahierte Prozessdokumentationen (s. auch Fallbeispiel 7). 3.3.2.3 Internalisierung: Von Explizit zu Implizit Das dokumentierte explizite Wissen muss nun von den Mitarbeitern durch Aufnahme, Ergänzung und Neuordnung ihres Wissens internalisiert werden. Dieser Prozess ist eng verwandt mit dem „learning by doing“, mit der Schaffung von Handlungsroutinen bzw. dem Erwerb von Fertigkeiten. 3.3.2.4 Kombination: Von Explizit zu Explizit Neues explizites Wissen wird durch Kombination bereits bekannten expliziten Wissens erzeugt. Das Gesamtwissen eines Unternehmens wird dadurch aber nicht vermehrt, da bereits Bekanntes nur zusammengefasst oder in einer anderen Form dargestellt wird. Dies kann jedoch sehr nützlich sein, z. B. indem Berater aus bereits bestehenden Projektpräsentationen eine neue Projektpräsentation für einen Kunden generieren und Wissen über Kunden, das an vielen verschiedenen Stellen verteilt ist, zusammengetragen und ausgetauscht wird und damit besser für die zukünftige Marktbearbeitung zur Verfügung steht. Zur Transformation des Wissens implizit/explizit und zur Übertragung vom Einzelnen auf die Gruppe bzw. die Organisation haben Nonaka und Takeuchi das Modell der „Spirale des Wissens“ postuliert . Ausgangspunkt der Spirale ist der einzelne Mitarbeiter und seine Fähigkeit, Wissen zu erzeugen. Durch die Kommunikation der Mitarbeiter im Kollektiv gibt der Einzelne sein eigenes Wissen preis (Externalisierung) und überträgt es da-

3.3  Dimensionen des Wissens

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Abb. 3.6  Die Spirale der organisationalen Wissenserzeugung/-transformation [33], S. 73

durch auf andere. Andererseits internalisiert der Einzelne den Erfahrungshintergrund des gesamten Kollektivs (Internalisierung). Durch den ständigen Wechsel von Wissensexternalisierung und Wissensinternalisierung entlang der Wissensträger Mitarbeiter, Gruppe, Organisation und über die Organisationsgrenzen hinaus wird einerseits Wissen auf diesen unterschiedlichen Ebenen verfügbar gemacht, andererseits entsteht ein Wissenszuwachs für das Unternehmen. Voraussetzung hierfür ist sowohl die persönliche Kommunikation zwischen den Mitarbeitern als auch der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Spirale des Wissens wird in vier Phasen durchlaufen (Abb. 3.6). • In der Phase der Sozialisation (Austausch von implizitem Wissen) wird erlebtes Wissen, z. B. mentale Modelle oder technische Fähigkeiten, erzeugt. • In der Phase der Externalisierung von Wissen (von implizit zu explizit), wird sogenanntes konzeptuelles, neues Wissen produziert. • In der Phase der Kombination (von explizitem Wissen) wird systematisches Wissen hervorgebracht, das sich in Prototypen, neuen Methoden oder neuen Geschäftsideen manifestiert. • In der Phase der Internalisierung (von explizit zu implizit) wird operatives Wissen generiert. Wie dies im Einzelnen geschieht, verdeutlicht die Fallstudie „Das beste Brot in ganz Osaka“ (Fallstudie folgt der Darstellung bei Nonaka [32]).

52

3  Die Wissenstreppe

Fallbeispiel 6

Das beste Brot in ganz Osaka Im Jahr 1985 brüteten die Produktentwickler der Matsushita Electric Company in Osaka über der Konstruktion einer Brotbackmaschine für private Haushalte. Aber dem Prototypen wollte es nicht gelingen, den Teig richtig zu kneten und durchzubacken. Trotz aller Mühen verbrannte die äußere Kruste, während das Innere roh blieb. Da kam der Softwareentwicklerin Ikuko Tanaka eine zündende Idee. Sonnte sich das Osaka International Hotel nicht in dem Ruf, das beste Brot in ganz Osaka zu backen? Warum davon nicht profitieren? Also ging Tanaka zum Chefbäcker des Hotels, um ihm seine Knettechnik abzuschauen, und dabei sah sie, wie der Bäcker den Teig auf bestimmte Weise in die Länge zog. Nach einem Jahr des Experimentierens hatte Tanaka in enger Zusammenarbeit mit den Projektingenieuren schließlich die Konstruktionsmerkmale der Maschine (einige zusätzliche Spezialrippen im Innern eingeschlossen) so verändert, dass das Gerät die Strecktechnik des Bäckers wirkungsvoll imitierte und das Brot in einer Qualität backte, wie Tanaka das im Hotel gelernt hatte. Das Ergebnis war Matsushitas einzigartiges Drehteigverfahren und ein Erzeugnis, das bereits im ersten Jahr alle Verkaufsrekorde für neue Küchengeräte überbot. Tanaka hatte also implizites Wissen des Chefbäckers in eine ex­ plizite Wissensform überführt, in Form klarer Spezifikation für das Produkt Brotbackmaschine. Ikuko Tanaka eignete sich zunächst die stillen Geheimnisse des Hotelbäckers an (Sozialisation). Dann übersetzte sie diese Geheimnisse in explizites Wissen, das sie ihren Teammitgliedern und anderen bei Matsushita mitteilen konnte (Externalisierung). Anschließend normierte das Team dieses Wissen, fasste es in einem Hand- und Arbeitsbuch zusammen und ließ es in einem Produkt Gestalt annehmen (Kombination). Zum Schluss führten die Erfahrungen mit der Konstruktion des Neuprodukts bei Tanaka und den Teamangehörigen zu einer Vertiefung ihrer eigenen impliziten Wissensbasis (Internalisierung).

Im eben beschriebenen Modell der Wissensumwandlung von privat zu kollektiv und implizit zu explizit wird jedoch nicht berücksichtigt, dass durch strukturelle bzw. motivationale Barrieren in der Organisation Wissen im Unternehmen ungleich verteilt ist (lokale Wissensbasen), andererseits vorhandenes Wissen zum benötigten Zeitpunkt am gewünschten Ort nicht zur Verfügung steht (vgl. [25]; Schichtenmodell der organisationalen Wissensbasis). Vor dem Hintergrund, dass prinzipiell zugängliches Wissen in einer konkreten Entscheidungssituation wegen struktureller Barrieren nicht verfügbar ist, ist individuelles Lernen zwar die Voraussetzung für organisationales Lernen, kann jedoch nicht hierauf reduziert werden. Wissensmanagement kann sich daher nicht nur auf den individuellen

3.3  Dimensionen des Wissens

53

und organisationalen Lernprozess als solchen beschränken, sondern muss die in einer Organisation vorzufindenden Informations- und Kommunikationspathologien beseitigen oder, positiv formuliert, wissensfördernde Rahmenbedingungen gestalten, die sowohl die Lernprozesse als auch die Verfügbarkeit des Wissens garantieren. Das heißt, die Verfügbarkeit von Wissen wird bedingt durch die Art des zu transferierenden oder umzuwandelnden Wissens, durch die Wissensgeber, durch die Wissensempfänger und durch den Kontext, in dem das Lernen bzw. der Transfer geschieht. In der englischsprachigen Literatur (vgl. [23, 55]) wird die Tatsache, dass Wissen nur bedingt in einer Organisation frei verfügbar ist, mit dem Begriff „stickiness“ belegt. Wissen klebt, steckt fest und ist durch entsprechende organisatorische Gestaltungsmaßnahmen flott zu machen. Wir werden ­dieser Thematik in den Abschnitten über Wissenstransfer und den Wissensmarkt noch näher nachgehen (Kap. 8). Die Verfügbarkeit von Wissen wird weiterhin durch die Faktoren Zeit und Ort bedingt. Insbesondere in global operierenden Unternehmen sind Wissensträger nicht rund um die Uhr weltweit verfügbar. Ein Softwareproblem, das in einem Tochterunternehmen in Asien auftritt, kann unter Umständen deswegen nicht gelöst werden, weil der Spezialist in den USA noch nicht am Arbeitsplatz erreichbar ist oder weil sich ein Wissensträger gerade im Urlaub befindet. In einer Branche, die auf sehr schnelle Antworten („rapid response“) angewiesen ist, wie in der Unternehmensberatung, hat McKinsey z. B. im Rahmen seiner Practice Center ein „rapid response network“ eingerichtet, in dem sogenannte On-call Consultants eine qualifizierte Antwort innerhalb von 24 h auf die fachspezifischen Fragen von einem der etwa  60 Büros in 28  Ländern garantieren (vgl. [40], S. 169ff.). Der Faktor Zeit steht auch dafür, dass Wissen im Unternehmen vorliegt, aber noch nicht im Informationssystem kodifiziert und daher auch noch nicht zugänglich ist. Eine schnelle, unternehmensweite Verfügbarkeit von Wissen bzw. Informationen ist besonders für Unternehmen von Bedeutung, die sich in einem schnell verändernden Marktumfeld befinden. Heute dauert es in vielen Unternehmen noch viel zu lange, bis Informationen aktualisiert sind, sodass Entscheidungen für morgen mit den Informationen und dem daraus generierten Wissen von vorgestern getroffen werden. Die Verfügbarkeit von Wissen wird weiterhin durch den Ort geprägt, an dem Wissen entsteht bzw. an dem sich ein Nachfrager nach Wissen befindet. Trotz elektronischer Medien sind für den Wissensaustausch das persönliche Kennen und das daraus entwickelte Vertrauen notwendig, das über eine große geografische Distanz ohne regelmäßige persönliche Treffen nur schwer aufgebaut werden kann. Gemeinsame Erfahrungen und Geschichten (Storytelling) transportieren Wissen auch über Mitarbeitergenerationen, wie das Fallbeispiel 7 zeigt. Narrative prägen das Selbstverständnis der Organisation und motivieren zur Wissensteilung (vgl.  [61]). Neben diesen mehr motivationalen Aspekten ist der Aufbau von lokalen und globalen Wissenszentren und deren Vernetzung eine bedeutende strategische Aufgabe internationaler Unternehmen (vgl. [3, 11]), auf die wir in Abschn. 6.3 näher eingehen werden.

54

3  Die Wissenstreppe

Fallbeispiel 7

Transfer Stories bei Leaving Experts transportieren implizites Wissen Wenn Expertinnen das Unternehmen verlassen, nehmen sie wertvolles Erfahrungswissen mit. Besonders die impliziten Anteile ihres Expertenwissens sind nur schwer in Worte zu fassen und in aller Regel nicht im Unternehmen dokumentiert. Doch dieses im Handeln manifestierte, oft selbst dem/der WissensträgerIn selbst nicht mehr bewusste implizite Wissen ist schwer zu erfassen. Die Herausforderung ist, sowohl implizites Erfahrungswissen als auch explizites Fach-, Projekt-, Prozessund Netzwerkwissen zu erheben und diese Wissensdokumentation für die zukünftigen Nutzer möglichst reichhaltig zu gestalten und somit auch den Kontext, die Erlebnisse und kritischen Momente, in denen das schwer fassbare implizite Erfahrungswissen der ExpertInnen entstand, begreifbar zu machen. Für den Wissenstransfer bei Leaving Experts hat sich in der Praxis eine Kombination aus strukturierter Erhebung und narrativ offen gestalteten Erzählräumen bewährt. Die einzelnen Prozessschritte des narrativ-strukturierten Wissenstransferprozesses „Transfer Stories“ sind: 1. Wissensbedarfsanalyse (WBA): Festlegung der relevanten Wissensthemen und Erstellung der Wissenslandkarte Im ersten Prozessschritt gilt es aus der Fülle an Wissensschätzen des/der WissensträgerIn jene Wissensthemen zu selektieren, die für den Wissenstransferprozess relevant sind (WBA), und diese zu priorisieren, alle Beteiligten über das methodische Vorgehen im Wissenstransferprozess zu informieren und den Wissenstransferprozess mit den Beteiligten mit konkreten Terminen und zu erreichenden Zielen zu projektieren. Bei der WBA sollten neben dem/der WissensträgerIn, dem/der WissensnehmerIn (sofern bereits im Haus) und den Vorgesetzten weitere Personen anwesend sein, die für die Einschätzung der relevanten Wissensthemen eine eigene Per­ spektive beitragen (z. B. MitarbeiterInnen aus Projektteams des Wissensträgers, KollegInnen etc.). Das Ergebnis der WBA ist eine Wissenslandkarte in Form einer MindMap. 2. Wissenstransfergespräche: Heben von explizitem und implizitem Experten- und Erfahrungswissen, Erstellen eines Transferplans Nun geht es darum, möglichst viele Wissensschätze zu heben. Da dies mit großem Abstand zu anderen Erhebungsmethoden am besten in einer dialogischen Situation funktioniert, sind die Rollen eines Erzählers und eines Zuhörers von enormer Bedeutung. Der/die WissensträgerIn als ErzählerIn ist gesetzt, ZuhörerIn sind der/die WissensnehmerIn (sofern vorhanden) und der/die Prozessverantwortliche, der/die zugleich auch die Rolle des naiv Nachfragenden einnimmt.

3.3  Dimensionen des Wissens

In mehreren Wissenstransfergesprächen wird eine Erzähl- bzw. Zuhörsituation gestaltet, die den/die WissensträgerIn dabei unterstützt, relevantes Erfahrungswissen zu den identifizierten Wissensthemen in Worte zu fassen. Das erste Wissenstransfergespräch ist dabei rein narrativ, alle weiteren Gesprächstermine orientieren sich an der Wissenslandkarte und setzen daher halbstrukturierte Interviewtechniken ein. Die Themenhoheit im narrativen Wissenstransfergespräch kann mithilfe der sogenannten Ereigniskurve an den/die Erzählende übergeben werden. In der Ereigniskurve werden positiv und negativ wahrgenommene, bedeutsame, kritische Ereignisse visualisiert. Parallel dazu wird in den Gesprächen ein Transferplan erstellt und laufend aktualisiert, der dem/der WissensträgerIn und weiteren Personen (WissensnehmerIn, FK) eine Übersicht darüber erlaubt, welche zusätzlichen Maßnahmen zwischen den Wissenstransfergesprächen erledigt werden müssen, um einen gelungenen Wissenstransfer zu ermöglichen. 3. Erstellung einer Wissensdokumentation des gehobenen Wissens Das in den Gesprächen erhobene implizite und explizite Erfahrungswissen des/der ExpertIn muss nun in eine Struktur überführt werden, die weder zu umfangreich und unübersichtlich noch zu abstrakt und oberflächlich ist. Denn je konkreter und angereicherter die Wissensdokumentation ist und zugleich aber handhabbar und übersichtlich bleibt, desto eher wird sie von Wissensnehmern angenommen und zurate gezogen. Daher empfiehlt sich die Kombination aus einer strukturgebenden Oberfläche (MindMap) mit konkreten Erzählungen von Erlebnissen/Erfahrungen in der Notizenebene (z. B. mithilfe von transkribierten Audioaufnahmen). Das Ergebnis ist eine um Kontextinformationen und O-Ton des/der ExpertIn angereicherte Wissenslandkarte, die sowohl explizites als auch implizites Wissen bewahren kann. Ebenso werden Dokumente und Hyperlinks eingepflegt. Die so erstellte Wissensdokumentation kann nun in die IT-­Landschaft des Unternehmens eingespeist oder alternativ auch mit anderen Softwarelösungen erstellt werden. Immer aber sollte bei der Wahl der Software darauf geachtet werden, dass die Kombination aus Strukturgebung und Kontextreichtum ermöglicht wird. Variante in der Wissensdokumentation: die unter Prozessschritt 2 genannten Wissenstransfergespräche können so gestaltet werden, dass die Wissenslandkarte nicht mit dem O-Ton des/der ExpertIn angereichert wird, sondern direkt im G ­ espräch mit Gesprächsnotizen (durch den Prozessverantwortlichen) und zusätzlich aus dem Gedächtnis nach dem Wissenstransfergespräch (durch den/die WissensträgerIn). Jedoch wird die Gesprächsqualität und die Güte der Wissensdokumentation unter diesem Vorgehen abnehmen, da die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf der Technik (MindMap per Beamer an der Wand) und dem Tippen liegen wird, statt sich mit dem Erfahrungswissen tiefer zu beschäftigen.

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3  Die Wissenstreppe

4. Sicherung der Anwendung des gehobenen Wissens und Evaluation der Transfermaßnahmen Oft enden Wissenstransferprozesse mit der Wissensdokumentation. Doch es fehlt die Überführung des gehobenen und dokumentierten Wissens in die berufliche Praxis des/der WissensnehmerIn bzw. anderer Personen (z.  B.  Projektteams, mit denen der Experte zusammengearbeitet hatte). Der letzte Prozessschritt stellt also die Frage, wie das gehobene und dokumentierte Wissen verbreitet und genutzt werden kann. Dazu bietet sich neben den konkreten Maßnahmen aus dem Transferplan zusätzlich ein sogenannter Transfer-Workshop an, der der Vorstellung der Wissensdokumentation für Personen dient, die am Erfahrungswissen des Experten interessiert sind. Es finden Frage- und Antwortrunden zu einzelnen besonders relevanten Themen aus der Wissensdokumentation statt, bei denen der/die WissensträgerIn direkt sein/ihr Erfahrungswissen beitragen kann. Wissensbeauftragte werden ernannt, die sich für die Verbreitung, Nutzung und Aktualität einzelner Wissensbereiche verantwortlich zeichnen. Die Sicherung der Anwendung des gehobenen Wissens wird auch durch die Evaluation der einzelnen Transfermaßnahmen unterstützt – ganz abgesehen davon, dass eine Evaluation des Wissenstransferprozesses der letzte Prozessschritt ist und der Verbesserung und Anpassung des Vorgehens an die konkreten Rahmenbedingungen des Unternehmens dient: Einsatz eines Evaluationsfragebogens zur subjektiven Einschätzung der einzelnen Transfermaßnahmen und des Wissenstransferprozesses „Transfer Stories“ durch den/die WissensnehmerIn und den/die WissensträgerIn. Qualitatives Interview von etwa 30 Minuten Dauer mit dem/der WissensnehmerIn nach etwa fünf Monaten: Empfundene Souveränität im beruflichen Alltag, Einschätzung der Rolle der Transfermaßnahmen im Rückblick, Ausmaß der Nutzung der Wissensdokumentation. Autorin: Christine Erlach, NARRATA Consult

3.3.3 Wissensdimension: Wert Ausgehend von der Beobachtung, dass der Buchwert eines Unternehmens immer weniger aussagefähig für den Marktwert ist, begannen insbesondere in Schweden und in Nordamerika Ende der 1980er-Jahre Überlegungen, wie der Wert eines Unternehmens besser erklärt und wie die nicht greifbaren bzw. immateriellen Vermögenswerte („intangible assets“) besser dargestellt werden können. Die schwedische Versicherungsgesellschaft Skandia und die Canadian Imperial Bank of Commerce waren Pionierunternehmen, die eine neue Struktur des Unternehmenskapitals entwickelten. In ihrem Ansatz wird das Finanzkapital durch das sogenannte intellektuelle Kapital ergänzt. Intellektuelles Kapital ist

3.3  Dimensionen des Wissens

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Wissen, das in Wert umgewandelt werden kann (vgl. [14, 15, S. 358, 38]). Wissensmanagement integriert die Betrachtung des Wissens als Kapital und Teil des immateriellen Vermögens, dem ein Wert zugewiesen werden kann, in die bestehende Logik des Managements finanzieller und physischer Ressourcen und hilft, den schwer greifbaren Begriff des Wissens zu strukturieren und in einigen Aspekten messbar zu machen (s. Kap. 7). Wissen wird jedoch in dieser wertmäßigen Betrachtung vielfach zum Objekt, das mit bilanzkosmetischen Mitteln möglichst gut aufbereitet und dargestellt wird, um Investoren zu interessieren bzw. das Unternehmen als fortschrittliches Unternehmen des neuen Wissenszeitalters zu platzieren. Die Analogie „Wissen ist Kapital“ lässt sich gut kommunizieren, vernachlässigt jedoch den Prozesscharakter des Wissens und verführt dazu, Wissen wie Informationen zu behandeln, wie wir bereits im Abschn. 3.3.1 gesehen haben. Weiterhin wird immaterielles Vermögen bzw. das begrifflich zum Teil synonym verwandte intellektuelle Kapital nur teilweise durch das Wissen bestimmt. So sind z. B. das Image eines Unternehmens bzw. der Wert von Marken nicht oder nur bedingt „knowledge converted into value“, können aber den immateriellen Vermögenswerten zugerechnet werden. Eine ausführliche Begriffsdiskussion findet sich bei Matzler et al. ([31]; Abb. 3.7). Ebenso wenig ist die Anzahl der Kunden eine Messgröße für das Wissen einer Organisation; Kunden tragen erst zum Wissensaufbau eines Unternehmens bei, wenn mit ihnen gemeinsam Wissen entsteht. Das Wissen der Kunden, das dem Unternehmen zugänglich ist, und das Wissen der Mitarbeiter (über Kunden, Prozesse, Technologien etc.) sind Teil des intellektuellen Kapitals. Mitarbeiter und Kunden gehören einem Unternehmen jedoch nicht wie materielles Vermögen; die Verfügungsgewalt ist begrenzt. Wie kann Wissen unter diesen Gesichtspunkten des „intellectual capital“ strukturiert werden und welche Faktoren bestimmen den Wert des Wissens?

Abb. 3.7  Die organisationale Wissensbasis ist Teil des immateriellen Vermögens

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3  Die Wissenstreppe

In der gängigen Strukturierung des Unternehmenskapitals wird der Marktwert eines Unternehmens durch das Finanzkapital und das intellektuelle Kapital beschrieben (vgl. [52]). Das intellektuelle Kapital wiederum gliedert sich in Humankapital, Organisations- oder Strukturkapital und Kundenkapital, das in erweiterter Form auch als Beziehungskapital bezeichnet wird. Das Humankapital besteht aus den Kompetenzen der Mitarbeiter, Beziehungen, Wertvorstellungen und Motivation. Das Beziehungs- und Kundenkapital repräsentiert den Wert der Kundenbeziehungen sowie der Beziehungen zu Lieferanten, Zulieferern und anderen Anspruchsgruppen eines Unternehmens. Saint-Onge definiert Kundenkapital als die Tiefe, Breite und Loyalität der Kundenbasis (vgl. [5, 54]). Kundenkapital sind z. B. die Patienten eines Arztes, die Kundenbasis eines Versandhauses oder das Filialnetz einer Bank mit seinen Kundenbeziehungen. Das Strukturkapital umfasst alle jene Strukturen und Prozesse, die zur Wertschöpfung und Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit benötigt werden. Skandia gliedert das Organisationskapital in Innovations-, Prozesskapital und Kultur. Der kombinierte Wert der wertschöpfenden Prozesse wird unter Prozesskapital zusammengefasst; dies beinhaltet z. B. den Wert eines Auftragsabwicklungsprozesses im Unternehmen oder den Wert des Beschaffungsprozesses. Der Wert eines Beschaffungsprozesses konkretisiert sich im Wissen der Mitarbeiter des Einkaufs über Märkte, in der Fähigkeit, Verhandlungen mit Zulieferern zu führen, in der Strukturierung des Prozessablaufs von Einkaufsanforderungen bis zum Finden und Unter-Vertrag-nehmen von Lieferanten. Auch hier zeigt sich wieder klar, dass nicht allein Wissen in Form eines Softwarepakts gefragt ist, sondern dass die Fähigkeit, dieses in Geschäftserfolge umzusetzen, honoriert wird. Auch wenn gesagt wird, Organisationskapital sei das Kapital, das übrig bleibt, wenn die Mitarbeiter nach Hause gehen, so hat dieses Kapital nur einen Wert im Zusammenhang mit den Mitarbeitern, denn sie sind es, die das Wissen kodifizieren und vernetzt umsetzen. Die in Datenbanken, Software und Prozessbeschreibungen kodifizierten Informationen können zwar helfen, die Abwanderung einzelner Mitarbeiter auszugleichen, sind jedoch weitgehend wertlos, wenn Mitarbeiter massiv abgeworben werden oder anderweitig das Unternehmen verlassen. Innovationskapital, die zweite Säule des Organisationskapitals, wird von Skandia als die Erneuerungsstärke eines Unternehmens („renewal strengths“) definiert und manifestiert sich in geschütztem geistigem Eigentum, wie Patenten, Lizenzen oder Markennamen und nicht greifbaren Werten, die zukünftige Cashflows ermöglichen. Dies beinhaltet z. B. die Bewertung von Kreativität. In Abb. 3.8 ist die Struktur von Skandias Unternehmenskapital schematisch dargestellt. Wie aufgrund solcher Strukturierungen Kennzahlen entwickelt werden können und welche Problematik damit verbunden ist, werden wir im Kap. 7 näher diskutieren. Diese Ansätze ermöglichen es, Wissen analytisch zu betrachten und in Bestandteile zu zerlegen, denen dann unter bestimmten Umständen ein Wert zugemessen werden kann. Wir wollen uns im Folgenden mit der Frage beschäftigen, wie dem intellektuellen Kapital ein Wert zugemessen werden kann und welche Kriterien diesen Wert beeinflussen.

3.3  Dimensionen des Wissens

59

Abb. 3.8  Skandias Strukturierung des Unternehmenskapitals (nach [52])

Der Wert von Wissen bemisst sich grundsätzlich nach der Knappheit und dem Wertschöpfungspotenzial dieser Ressource. Unsere Erfahrungen aus einer physisch dominierten Wirtschaft helfen wenig bei der Preisbildung für nichtphysische Ressourcen. Das Wertschöpfungspotenzial des eingekauften Wissens ist häufig weder für Wissensgeber noch für Wissensnehmer eindeutig abzuschätzen. Da Wissen personen- und kontextgebunden ist, ist ein direkter Vergleich von Wissensangeboten schwierig. In der Bewertung des Wissens wird ein Wissensgeber sich zunächst am Aufwand orientieren, den der Erwerb des Wissens gekostet hat: „Ich habe so viel Zeit und Geld in den Erwerb dieses Wissens gelegt, ich möchte es jetzt möglichst teuer verkaufen“. Zur Bewertung einer Wissensressource ist der interne Erstellungsaufwand („sunk costs“), den wir z. B. aufgewendet haben, um Mitarbeiter auszubilden oder ein funktionsfähiges Team in der Softwareentwicklung aufzubauen, jedoch nur bedingt aussagefähig. Der einem Unternehmen entstandene Aufwand ist erstens nicht immer kostenmäßig er-

60

3  Die Wissenstreppe

fassbar und zweitens kann der Aufwand z. B. aufgrund ineffizienter Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erhöht gewesen bzw. das erworbene Wissen aufgrund schneller Veränderungen im Markt schon nichts mehr wert sein. Aus dieser Sicht ist die aufwandsorientierte Bewertung von Wissensressourcen vielfach inadäquat. Andererseits besteht für den Wissensnutzer die Unsicherheit, welches Wertschöpfungspotenzial mit dem übertragenen Wissen verbunden ist. Dies ist z. B. ein grundsätzliches Problem der Unternehmensberatung, da der Mandant, insbesondere bei der prozessorientierten Beratung, einen gemeinsamen Lernprozess ohne ein gesichertes Ergebnis einkauft.

Fallbeispiel 8

Der Wert des Wissens Der Traktor eines Bauern lief nicht mehr. Alle Versuche des Bauern und seiner Freunde, das Fahrzeug zu reparieren, misslangen. Schließlich rang sich der Bauer durch, einen Fachmann herbeiholen zu lassen. Dieser schaute sich den Traktor an, betätigte den Anlasser, hob die Motorhaube an und beobachtete alles ganz genau. Schließlich nahm er seinen Hammer. Mit einem einzigen Hammerschlag an einer bestimmten Stelle des Motors machte er ihn wieder funktionsfähig. Der Motor tuckerte, als wäre er nie kaputt gewesen. Als der Fachmann dem Bauern die Rechnung gab, war dieser erstaunt und ärgerlich: „Was, du willst fünfzig Tuman, wo du nur einen Hammerschlag getan hast?“ „Lieber Freund“, sagte da der Fachmann: „Für den Hammerschlag berechne ich nur einen Tuman. Neunundvierzig Tuman aber muss ich für mein Wissen verlangen, wo dieser Schlag zu erfolgen hatte.“

Folgende Leitfragen zur Bewertung von Wissen sind für Wissensabnehmer, Wissensnutzer und Investor eine erste Orientierung. • Wissensnutzer: Wozu nutze ich das Wissen und welches Wertschöpfungspotenzial ist damit verbunden? • Wissensanbieter: Wie hoch war mein Aufwand, um dieses Wissen zu erwerben, und wie kann ich mein Wissen am Markt möglichst wertvoll machen? Wie viel ist unser Entwicklungsteam oder unser Auftragsabwicklungsprozess bei externer Leistungserstellung wert? • Investor: Wird das Wissen dieses Unternehmens zum Markterfolg beitragen? Alle drei, Wissensanbieter, Wissensnutzer und Investor, werden implizit das Wissen anhand einer Reihe von Kriterien beurteilen. Solche Kriterien sind: • • • •

Spezifizität versus Allgemeingültigkeit Inhaltliche Validität des Wissens (subjektiv, objektiv) Zeitliche Gültigkeit (Halbwertzeit des Wissens) Einzigartigkeit versus allgemeine Verfügbarkeit

3.3  Dimensionen des Wissens

61

Wir gehen davon aus, dass Wissen umso höher bewertet wird, je spezifischer es ist. So nannten die Vertreter von Elektronikfertigungen als Ziel des Wissenstransfers die Verfügbarkeit von Best Practices, schnell, preiswert, applikationsnah, weltweit und als vollständiger Prozess, während auf Ebene des Gesamtunternehmens eher allgemeingültiges Wissen zu Technologien und Geschäftsprozessen gefragt ist. Die Validität von Wissen hat sowohl eine inhaltliche als auch eine zeitliche Dimension. Die inhaltliche Dimension bezieht sich auf die Art der Wissensentstehung, wobei wir drei Ebenen unterscheiden können: • wissenschaftlich akzeptiertes Wissen, das eine allgemeine Gültigkeit unter genau definierten Bedingungen hat, • Urteile bzw. Beurteilungen, die objektiv nachvollziehbar sind, z. B. Begutachtung eines Kraftfahrzeugs, Verhaltensregeln und • individuelle bzw. kollektive Erfahrungen und ein daraus abgeleitetes Handlungspotenzial. Es wird argumentiert, dass die Akquisitionskosten von Wissen und damit in bestimmten Relationen auch der Wert, am geringsten für akzeptiertes Wissen und am höchsten für erfahrungsbezogenes Wissen („potential knowledge“) sind (vgl.  [13]). Können z.  B. Forscher in der Pharmazie akzeptiertes Wissen relativ preiswert in Form von Informations­ datenbanken einkaufen, so sind die Kosten molekularer Modellbildung, von Beurtei­ lungen und Vorhersagen relativ höher. Der Wert eines Forscherteams bzw. der einer ­strategischen Allianz mit einem Laboratorium ist daher wesentlich höher einzuschätzen als eine Ansammlung von akzeptiertem Wissen. Die zeitliche Validität von Wissen bezieht sich auf dessen „Verfallsdatum“. Allgemeines technologisches Grundlagenwissen hat eine längere Gültigkeit als Marktwissen, dessen Wert bereits nach Tagen oder Wochen auf null gesunken sein kann. Ein weiteres Kriterium zur Bewertung von Wissen ist seine Einzigartigkeit bzw. sein Seltenheitswert. Zur Bewertung muss jedoch eine entsprechende Nachfrage kommen. So mag ein Experte einzigartige Kenntnisse über eine spezifische Orchideenart in der Welt haben, ohne dass dieses Wissen nachgefragt wird. Bedeutsam ist auch, wie schnell dieses Wissen imitierbar ist bzw. ob das Wissen über eine Technologie dadurch an Wert verliert, dass diese Technologie durch eine andere substituiert wird. All diese Überlegungen gehen in die Beurteilung des Werts von Wissen ein. Wie könnte z. B. unter diesem Gesichtspunkt die Geschäftseinheit der ersten Bundesligamannschaft von Bayern München beschrieben und bewertet werden? Mitarbeiter sind zunächst die Spieler der Mannschaft, denen durch ihre jeweiligen Ablösesummen und Spielerfolge in der laufenden Saison ein Marktwert zugeordnet wird. Die Spieler haben einen Einzelwert als Experte, sie haben aber auch einen Teamwert. Weiter kann dem Trainer als Mitarbeiter ein Wert zugeordnet werden sowie den Betreuungsmitarbeitern etc., die jedoch auch als Strukturkapital unter Prozesse (Betreuungsprozesse, Mannschaftsentwicklungsprozesse) beschrieben und zugegebenermaßen mit etwas größeren Schwierigkeiten quantifiziert werden könnten. Beim Beziehungskapital schlagen die Kundenbezie-

62

3  Die Wissenstreppe

hungen (Loyalität der Bayern-Fans) nicht unerheblich zu Buche. Die finanzielle Bewertung der einzelnen Elemente der Wissensbilanz steckt noch in ihren Anfängen, wird aber bei M&A bereits in Ansätzen praktiziert. So haben sich bei der Übernahme von Arztpraxen Standardsätze für den Wert eines Patienten herausgebildet. Ähnliches gilt für den Wert eines Versicherungskunden bei der Übernahme einer Versicherung. Kriterium für die Bewertung ist hier insbesondere das Wertschöpfungspotenzial. Durch wissensorientierte Unternehmensführung wird die organisationale Wissensbasis gezielt verändert (Kap. 6) und Auswirkungen dieser Intervention als Geschäftsergebnisse werden messbar (Kap. 7). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass wir uns Klarheit über die Wettbewerbswirksamkeit von Wissen verschaffen.

3.4

Wissen als Wettbewerbsfaktor

3.4.1 Wissen als Produktionsfaktor Neben den klassischen Produktionsfaktoren wird zunehmend Wissen als weiterer Produktionsfaktor bezeichnet. Nicht die Arbeit, das Kapital, das Land und die Rohstoffe sind die Produktionsfaktoren, die heute in unserer Gesellschaft zählen. Sondern das Wissen der Mitarbeiter in den Unternehmen. Peter Drucker [12]

Nach Corsten [9] sind Produktionsfaktoren Güter, die der Produktion anderer Güter dienen und somit das quantitative und qualitative Potenzial eines Unternehmens zur Leistungserstellung darstellen. Wissen wird somit notwendiger Faktor zur Leistungserstellung, da das Fehlen des Guts Wissen die geplante Output-Erzeugung eines Produktionssystems verhindern kann. Auch die Knappheit der Ressource Wissen macht sie im Sinn der klassischen Betriebswirtschaftslehre zu einem Produktionsfaktor (vgl. [1], S. 61). In seinem Produktionsfaktorsystem unterscheidet Wittmann (vgl.  [58]) Potenzialfaktoren und Materialfaktoren und ordnet Wissen als Potenzialfaktor neben Humanfaktoren, Anlagen, Grundstücken, Rechten sowie sonstigen Potenzialfaktoren ein. Es wird jedoch da­ rauf hingewiesen, dass Wissen bzw. Information als Produktionsfaktoren wesentlich andere Merkmale als die materiellen Produktionsfaktoren aufweisen, die sich auf Kriterien wie Besitz, Gebrauch, Teilung, Vervielfältigung, Verbreitung, Identifikation und Schutz, Preisbildung, Kostenermittlung sowie Bestandsbewertung beziehen (vgl. [45], S. 11ff.). Mit der Industrie 4.0 werden insbesondere Daten zu wichtigen Produktionsfaktoren, die ausgetauscht und Grundlage für die Generierung von Wissen sind.

3.4.2 Wissen als strategischer Wettbewerbsfaktor Die Betrachtung des Wissens als Produktionsfaktor kann zwar erklären, dass bei fehlendem Wissen eine Leistungserstellung nicht möglich ist, die Erklärung von ausgeprägten

3.4  Wissen als Wettbewerbsfaktor

63

Wettbewerbsvorteilen durch Wissen ist jedoch nur begrenzt möglich. Wissen wird daher zunehmend als strategischer Wettbewerbsfaktor betrachtet. Hierbei haben sich zwei komplementäre Sichtweisen herausgebildet: der umweltbezogene Ansatz (vgl. [43]) und der ressourcenbezogene Ansatz (vgl. [20, 28, 39]). Der umwelt- oder marktbezogene Ansatz („market-based view“) geht davon aus, dass sich Wettbewerbsvorteile aus der Ungleichverteilung von Information und Wissen zwischen Unternehmen ergeben können. Einzelne Unternehmen haben Informations- und Wissensvorsprünge, mit deren Hilfe sie am Markt Chancen früher als die Konkurrenz erkennen und  – weil sie über die entsprechenden Kompetenzen verfügen  – in Geschäfte umsetzen können. Aus dieser Sicht besteht Unternehmertum „im Erkennen von wirtschaftlich relevanten Informations- bzw. Wissensunterschieden sowie in der wirtschaftlichen Umsetzung derartiger Differenzen“ (vgl. [41], S. 6ff., zitiert nach [45]). Ein dynamischer Wettbewerb bringt es aber mit sich, dass das Verhalten von erfolgreichen Unternehmen imitiert und daher die Wettbewerbsvorteile ständig verloren gehen und neue Informationsund Wissensvorsprünge erkannt sowie in entsprechende unternehmerische Handlungen umgesetzt werden müssen. Diese Art des Wettbewerbs fordert daher, schneller als die Konkurrenz zu sein. Der ressourcenbezogene Ansatz („resource based view“) geht davon aus, dass Wettbewerbsvorteile dadurch erzielt werden, dass Unternehmen anders als die Konkurrenz sind bzw. agieren. Im Gegensatz zum umweltorientierten Ansatz sind im ressourcenbezogenen Ansatz anhaltende Differenzierungen zwischen Unternehmen möglich, die sich aus Ressourcen ergeben, die nicht uneingeschränkt mobil oder imitierbar sind (vgl. [2]; die Darstellung folgt weitgehend von [28]). Barney [2] bewertet Ressourcen bezüglich ihres Potenzials zur Schaffung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile nach vier Kriterien: • • • •

Wertgenerierung bei den Kunden Seltenheit im Vergleich zu den Wettbewerbern Imitierbarkeit Substituierbarkeit

Die letzten beiden Kriterien werden als maßgeblich für die Erzielung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile angesehen. Imitationshindernisse sind einerseits dadurch gegeben, dass Wissen kodifiziert, aber rechtlich geschützt ist, wie dies z. B. bei Marken oder Patenten der Fall ist, zum anderen dadurch, dass Wissen in impliziter Form vorliegt, sowie durch die Tatsache, dass auch explizites Wissen an Personen bzw. Personengruppen gebunden ist. Das heißt, Imitationshindernisse sind direkt oder indirekt mit Wissen oder der Entwicklung von Wissen verbunden. Weiterhin werden immaterielle Vermögenswerte vermehrt zur Erklärung von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen herangezogen. Es wird argumentiert, dass diese Vermögenswerte aus drei Gründen die wirkliche Quelle der Wettbewerbsstärke und der Schlüsselfaktor in der unternehmerischen Anpassungsfähigkeit sind: Immaterielle Vermögenswerte sind schwierig zu akkumulieren, sie können gleichzeitig mehrfach genutzt werden und sie sind sowohl Inputs als auch Outputs von Geschäftsaktivitäten (vgl. [24], S. 13f.). Wissen ist mehr als andere Ressourcen des Unternehmens als

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3  Die Wissenstreppe

schwer imitierbare, substituierbare und seltene Ressource zu betrachten, die ein großes Potenzial zur Wertgenerierung bietet. Wenn dies so ist, dann stellt sich die Frage, ob nicht überhaupt Unternehmen neu zu definieren sind. Wissen wird zunehmend als „raison d’être“, als Bestimmungsfaktor für die Existenz und Größe von Unternehmen angesehen. The analysis of what organisations are should be grounded in the understanding of what they know how to do. (Die Analyse, was Organisationen sind, sollte in dem Verständnis begründet sein, was sie wissen, wie es zu tun ist; vgl. [26, S. 383, 47])

3.4.3 Transaktionskostentheorie In der Vergangenheit wurde die Frage, warum es Unternehmen gibt und wie groß sie sein sollten, häufig mit der Optimierung von Transaktionskosten erklärt. Im Transaktionskostenansatz herrscht eine vertragstheoretische Sichtweise der Unternehmung vor, in der die Abgrenzung des Unternehmens nach außen und die Strukturierung der internen Organisation durch Entscheidungen unter Berücksichtigung von Transaktions- und Produktionskosten erfolgen. Die Entstehung von Unternehmen wird dadurch erklärt, dass durch eine Bündelung von Verträgen in der Unternehmung Transaktionskosten eingespart werden können, weil die Zahl der Vertragsbeziehungen erheblich reduziert wird gegenüber der vertraglichen Zusammenarbeit von unabhängigen Einzelpersonen. Allerdings treten auch interne Transaktionskosten für Koordination und Kontrolle auf, sodass eine Unternehmung ihre optimale Größe erreicht, wenn die Grenzkosten der Koordination und der Aktivitäten innerhalb der Unternehmung den Grenzkosten entsprechen, die durch ein Preissystem determiniert sind (vgl. [18], S. 3277). Wissen spielt im Transaktionskostenansatz eine untergeordnete Rolle. Der Transaktionskostenansatz ist weitgehend eine statische Analyse des Unternehmens und gibt wenig Hilfestellung für das Agieren von Unternehmen in einer sich schnell verändernden Umwelt. Wie kann aber die Existenz von Unternehmen unter Wissensgesichtspunkten erklärt werden?

3.4.4 Wissens- und kompetenzorientierte Theorie des Unternehmens Morin begreift das Unternehmen als den Ort, an dem sich individuelles Wissen und Intelligenz zu kollektiver, kreativer Intelligenz zusammenfinden, fähig, unternehmerisch tätig zu werden. Aus dieser Sicht existieren Unternehmen, weil sie in der Lage sind, individuelles Wissen in kollektives Wissen zu überführen und unternehmerisch einzusetzen. Der Erfolg von Unternehmen ist demnach begründet • dadurch, dass individuelles Wissen auf einem gewissen Niveau, mit einer gewissen Spezialisierung und relevant für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens vorhanden ist;

3.4  Wissen als Wettbewerbsfaktor

65

Tab. 3.2  Transformation von Produktionsfaktoren in organisationale Fähigkeiten ([48], S.  37; nach [56]) Kategorie (Produktions-) Faktoren Ressourcen

Organisationale Routinen/ Kompetenzen

Kernkompetenzen Dynamische Fähigkeiten

Beschreibung Handelbar, auf Faktormärkten erwerbbar (z. B. Grundstücke, finanzielle Mittel, Informationen, Lizenzen, Arbeitskräfte) Firmenspezifische Ressourcen, die kaum oder schwer zu übertragen oder zu imitieren sind (z. B. Erfahrungswissen von Experten) und deshalb ein strategisches Vermögen für ein Unternehmen darstellen Ressourcen, die in organisationalen Routinen bzw. Prozessen zusammengeführt werden (z. B. Programme zur Qualitätssicherung) und die nicht auf Märkten beschaffbar oder in Kontrakten beschreibbar sind, sodass ihre Replikation Zeit und Investitionen in Prozessaktivitäten in verschiedenen Bereichen voraussetzen Zentrale, auf Produkte oder Dienstleistungen bezogene Fähigkeiten eines Unternehmens Fähigkeiten, durch die im Wettbewerb neue und innovative Formen organisationaler Routinen zu erreichen sind

• durch die Güte des Wissenstransformationsprozesses von individuell zu kollektiv und • in der Qualität der Umsetzung dieses kollektiven Wissens in Geschäftserfolge. Diese Beschreibung eines Unternehmens unter Wissensgesichtspunkten erklärt jedoch noch nicht die Existenz von Unternehmen. Individuen könnten sich zusammenfinden, um ihr Wissen zu teilen, kollektives Wissen aufzubauen und damit Geschäfte abzuwickeln (zu einer wissensorientierten Erklärung von Unternehmen vgl. [19, 26, 53, 57]). Nach Grant [19, S. 112] ist die Existenz von Unternehmen bedingt durch die begrenzte Kapazität des menschlichen Gehirns, Wissen zu beschaffen, zu speichern und zu verarbeiten. Daraus resultiert eine individuelle Spezialisierung auf einzelne Wissensgebiete. Das Angebot komplexer Problemlösungen erfordert jedoch koordinierte Anstrengungen ­unterschiedlicher Spezialisten. Märkte allein sind jedoch unfähig, diese Koordinationsrolle zu übernehmen, da sie implizites Wissen nicht mobilisieren können und keine Antwort auf das Risiko des Diebstahls geistigen Eigentums (im Fall expliziten Wissens) durch einen potenziellen Käufer von Wissen geben. Unternehmen existieren daher, weil sie in der Lage sind, Bedingungen für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu schaffen, unter denen Individuen ihr spezialisiertes Wissen integrieren können. Eine wichtige Aufgabe wissensorientierter Unternehmensführung ist es daher, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Mitarbeiter mit ihrem spezifischen Wissen in der Lage sind, kollektives Wissen aufzubauen und dies in Geschäftserfolge umzusetzen. Dieser Integrationsprozess führt über mehrere Stufen der Differenzierung und dynamischen Anpassung, die nach Teece et al. [56] in Tab. 3.2 beschrieben sind.2 Organisationen

 Gute Übersichten zu kompetenzorientierten Theorien der Wettbewerbsfähigkeit finden sich bei [6, 39].

2

66

3  Die Wissenstreppe

kaufen auf Faktormärkten die benötigten Produktionsfaktoren, entwickeln daraus Ressourcen, die in Prozessen und Routinen zusammengeführt werden und zu Kompetenzen der Organisation führen, Leistungen am Markt zu erbringen. Einige dieser Kompetenzen werden so weit ausdifferenziert und entwickelt, dass sie als Kernkompetenzen die Wettbewerbsfähigkeit prägen, die eine ständige Anpassung an veränderte Bedingungen erfordert. Hierzu postulieren Teece et al. [56] die Notwendigkeit der Entwicklung dynamischer Fähigkeiten, zur Rekonfiguration, Neuausrichtung und Integration von Kernkompetenzen mit externen Ressourcen („Dynamic capabilities are the ability to reconfigure, redirect, transform, and appropriately shape and integrate existing core competences with external resources and strategic and complementary assets to meet the challenges of a time-­ pressured, rapidly changing Schumpeterian world of competition and imitation“; [56], S. 339). Dies lässt sich gut an einer Entwicklungsabteilung deutlich machen: Hochschulabsolventen (Produktionsfaktor) werden auf dem Arbeitsmarkt rekrutiert und in ein Team mit erfahrenen Entwicklern integriert, um eine innovative, spezialisierte Entwicklergruppe zu schaffen (Ressource), die durch Prozesse des Technologie- und Projektmanagements schwer imitierbare Entwicklungsleistungen erbringt (Routinen bzw. Kompetenzen). Inhalt und Art der Entwicklungsarbeit werden in Reflexionen, strategischem Dialog mit führenden Forschungsinstitutionen und Kunden kontinuierlich hinterfragt und in neue Wissensgebiete und Vorgehensweisen integriert (dynamische Fähigkeiten) und somit wird die Wettbewerbsfähigkeit gesichert.

Zusammenfassung In diesem Kapitel haben wir gesehen, dass Wissen in Organisationen sehr unterschiedlich klassifiziert und beurteilt werden kann. Der Umgang mit Wissen ist durch die Sichtweisen „was ist Wissen und welche Bedeutung hat es für unsere Organisation“ geprägt. • Das Bild der Wissenstreppe verdeutlicht die Zusammenhänge der Begriffe der Daten bis zur Wettbewerbsfähigkeit. In der Weiterentwicklung zur Wissenstreppe  4.0 wird aufgezeigt wie Menschen und intelligente System auf den einzelnen Stufen zusammenwirken können. • Wissen kann situativ als Objekt oder als Prozess angesehen werden. In diesem Buch wird die Prozesssichtweise des Wissens vertieft. • Die Verfügbarkeit von Wissen wird durch die wechselweise Überführung von individuellem in kollektives Wissen und implizitem in explizites Wissen bestimmt. • Wissen wird als Bestandteil immaterieller Vermögenswerte bzw. des „intellectual capital“ angesehen. Der Wert des Wissens beruht auf Knappheit und Wertschöpfungspotenzial. • Wissen kann als Produktionsfaktor, strategischer Wettbewerbsfaktor bzw. als Existenzgrundlage von Unternehmen betrachtet werden. Imitierbarkeit und Substituierbarkeit von Wissen sind maßgebliche Kriterien für nachhaltige Wettbewerbsvorteile.

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4

Organisieren rund ums Wissen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel lernen Sie unterschiedliche Organisationsformen kennen, die Stabilität und Erneuerung sowie Kooperation und Konkurrenz ausbalancieren. Sie erfahren, wie Organisationen dynamische Fähigkeiten entwickeln und wann sich Kooperation lohnt. Ausgewählte Organisationsformen werden mit Fallbeispielen vorgestellt und aus Sicht der wissensorientierten Unternehmensführung vergleichend beurteilt.

4.1

Die Balanceakte der Unternehmensführung

Unternehmen, die im Wissenswettbewerb erfolgreich sein wollen, müssen zwei Balanceakte virtuos beherrschen: Sie müssen Stabilität und Erneuerung sowie Kooperation und Konkurrenz beherrschen lernen. Ein Zuviel an Stabilität kann Erneuerung hemmen. Ein Zuviel an Erneuerung kann bedeuten, dass kein geregelter Geschäftsablauf mehr möglich ist. Wir sehen dies in Unternehmen, die mit dem Fluch zu hoher Wachstumsraten zu kämpfen haben. Ähnliches gilt für das Ausbalancieren von Kooperation und Konkurrenz in und zwischen Unternehmen. Ein Zuviel an Konkurrenz, z. B. bei der Auswahl von Zulieferunternehmen, kann zwar kurzfristig hohe Renditen bringen, mittelfristig aber zu extremen Preiskämpfen, Qualitätsproblemen und dem Abschneiden von Wissensquellen führen. Eine überzogene interne Konkurrenz im Unternehmen verhindert den Austausch von Best Practices und führt dazu, dass Wissen unter Verschluss gehalten wird. Ein Zuviel an Kooperation macht den Konkurrenten wettbewerbswirksames Wissen zugänglich oder es verhindert kostengünstige Lösungen, da nach Gemeinsamkeiten und Zusammenarbeit um jeden Preis gesucht wird (vgl. [1, 2] zu Synergien). Stabilität und Erneuerung, Koopera-

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_4

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4  Organisieren rund ums Wissen

tion und Konkurrenz sind die Leitmotive wissensorientierter Unternehmensführung, wie wir im Folgenden sehen werden.

4.1.1 Stabilität versus Erneuerung

Wie gelingt es Unternehmen, diese zwiespältigen Kräfte der Stabilität und Erneuerung auszutarieren? Wie fördern Unternehmen Ordnung und Kontrolle, während sie auf die Herausforderungen reagieren, sich erneuern und lernen? Wie können Unternehmen relativ stabile Rahmenbedingungen schaffen, in denen Mitarbeiter und Ressourcen flexibel gestaltet und kombiniert werden können (vgl. [3, S. 113])? Einerseits müssen Organisationen in der Lage sein, anders zu werden, indem sie ihre Ressourcen neu kombinieren. Wissen stellt ein Portfolio von Optionen, eine Plattform für zukünftige Entwicklungen dar. Das unten diskutierte Konzept der Plattformorganisation (vgl. [3, 4]) trägt dieser Sichtweise Rechnung. Andererseits müssen Unternehmen in der Lage sein, ihr operatives Geschäft effizient abzuwickeln, d. h. in kurzfristigen Wettbewerbssituationen ihre Kompe­ tenzen und Fähigkeiten möglichst optimal zu nutzen. Wie kann ein Unternehmen diese Spannungen ausbalancieren? Aus evolutionärer Sicht (vgl. zur evolutorischen Theorie der Unternehmung u. a. [5, 6]) akkumuliert ein Unternehmen Wissen im Lauf seiner Existenz. Dieses Wissen ist sowohl Quelle der Unbeweglichkeit als auch spezifische Kompetenz. Die Festlegung und Spezialisierung auf Tätigkeitsfelder und Handlungsmuster resultiert aus „sunk costs“, indem das Unternehmen durch vergangene Investitionen in Maschinen, Anlagen, Personal, Entwicklungsprogramme usw. seine Handlungsfähigkeit fokussiert hat. Des Weiteren haben Mitarbeiter des Unternehmens gewisse Denkmuster übernommen, im Unternehmen wird ein gewisses Verhalten erwartet und praktiziert, bestimmte Entscheidungsabläufe sind in Organisationsanweisungen und in den Köpfen der Mitarbeiter verankert. Dieses akkumulierte Wissen ermöglicht im positiven Fall eine effektive Abwicklung des operativen Geschäfts, ermöglicht eine weitere Stärkung der einzigartigen Vorteile eines Unternehmens und trägt dazu bei, das Wissen kontinuierlich inkremental weiterzuentwickeln. Das Total Quality Management baut auf dieser Art von Stabilität auf. Ähnlich wie die evolutionäre Perspektive geht die ressourcenbezogene Sichtweise des Unternehmens (vgl. [7]) davon aus, dass Unternehmen eine Ansammlung von materiellen („tangible“) und immateriellen („intangible“) Ressourcen darstellen, die identifiziert,

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

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ausgewählt, entwickelt und messbar gemacht werden müssen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Diese knappen unternehmensspezifischen Ressourcen können zu Kompetenzen führen, die jedoch nicht beliebig veränderbar sind. In diesem Sinn können diese Kompetenzen von „core competencies“ zu „core rigidities“ werden: „Firms are stuck with what they have and have to live with what they lack“ (vgl. [8, 9, 10]). Die ­Organisationsforschung konzentriert sich zunehmend auf die Frage, wie Organisationen Stabilität und Erneuerung kombinieren können. Das Konzept der „ambidexterity“ oder Beidhändigkeit (vgl. [11, 12, 13, 14]) geht davon aus, dass Organisationen die Fähigkeit zu Exploration und Exploitation simultan verfolgen können. Einerseits können Organisationen Strukturen schaffen, die gleichzeitig eine Spezialisierung auf entweder Exploration oder Exploitation begünstigen. Andererseits kann eine Kultur – bzw. ein Kontext – geschaffen werden, in der einzelne Bereiche oder Personen gleichzeitig an der Schaffung neuen Wissens und an der Ausbeutung bestehenden Wissens arbeiten. Durch die Entwicklung dynamischer Fähigkeiten (s. Abschn. 3.4.4) können Organisationen sich durch Rekonfiguration, Neuausrichtung und Integration von Kernkompetenzen mit externen Ressourcen erneuern. Hierzu müssen sie, wie in Abb. 4.1 dargestellt, Wertvorstellungen, Strukturen und Prozesse zur Wahrnehmung, zum Ergreifen und zur Bewältigung von neuen Chancen gestalten [15]. Dies ist oft ein schmerzhafter Prozess des Verlassens von ausgetretenen Pfaden und des Infragestellens von Erfahrungen und bisherigen Kompetenzen, um Freiraum für Neues zu schaffen.

Abb. 4.1  Erneuerung durch Entwicklung dynamischer Fähigkeiten [15, S. 1342]

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4  Organisieren rund ums Wissen

Andererseits wird ein Unternehmen, das seine Innovationsfähigkeit zu weit treibt und dabei die Stabilität, d.  h. das effiziente Produzieren der Produkte, vernachlässigt, nicht wettbewerbsfähig sein.

Fallbeispiel 9

Oticon – Die Spaghetti -Organisation (vgl. [16, S. 15 ff.]) Um Punkt 8:00 Uhr am Morgen des 8. August begann, was die Oticoner noch heute als Revolution bezeichnen: der Umbau eines traditionellen, hierarchischen Hörgeräteherstellers zu einem Unternehmen, das sechs Monate später zum weltersten Anbieter von volldigitalen Hörgeräten wurde. Oticon ist überzeugt, dass es seine heutige Marktposition seiner auf ständige Erneuerung angelegten Spaghetti-­Or­ ganisation verdankt. Mit dem Bild der Spaghetti hat Oticon die Unterschiede zwischen einer hierarchisch-linearen und einer kreativ-non-linearen Organisationsform einprägsam dargestellt: Man schichte rohe, ungekochte Spaghetti auf einen Teller auf und man erhält ein starres, mikadoähnliches Gebilde. Man überlege nun, wie Spaghetto 77 und Spa­ ghetto 23 miteinander reden sollen. Weil sich diese zwei Einzelspaghetti nicht direkt berühren, muss Spaghetto 77 den Kollegen 23 via Spaghetti Nummer 92, 98 und 95 erreichen. So fließen Informationen über Umwege und über Mittelsmänner in einem hierarchischen System; Wissen wird nicht direkt ausgetauscht. Man wiederhole das Experiment mit gekochten Spaghetti: Spaghetto  77 berührt irgendwie im wirren Spaghettiknäuel Spaghetto 23 und viele andere können gleich mithören und mitdiskutieren, wenn die beiden Spaghetti miteinander kommunizieren. Die Anzahl von Berührungspunkten und Ansprechpartnern im Spaghettiknäuel sind um ein Vielfaches höher als bei ungekochten Spaghetti. Man wechselt nun die Spaghetti durch menschliche Mitarbeiter aus. Anstelle eines Pastatellers erhält man eine Spaghetti-Organisation: ein engmaschiges Beziehungs- und Kommunikationsgeflecht, wie es von Oticon gelebt wird. Von jedem Oticoner wird erwartet, dass er gleichzeitig mehrere und verschiedene Funktionen innehat. Er oder sie soll tun, was er oder sie am besten tun kann. Sämtliche Tätigkeiten finden im Rahmen von Projekten statt, bewältigt durch Teams von gleichgestellten Mitarbeitern mit der Freiheit, Initiativen zu ergreifen und diese selbstständig zu verwirklichen. Der persönliche Arbeitsplatz wurde abgeschafft. Das Unternehmen ist ein einziger offener Raum mit drei verfügbaren Arbeitsstationen. Die Kommunikation ist weitgehend papierlos und informell, ein kurzes Gespräch ist besser als ein langes schriftliches Memo. Elektronische Hilfsmittel unterstützen Routineaufgaben. So wie im menschlichen Gehirn die vielen Gehirnzellen scheinbar wirr und zufällig miteinander kommunizieren und aus diesem Geflecht von neuronalen Impulsen und synaptischen Reaktionen ein klarer Gedanke entsteht, so sollte bei

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

Oticon die chaotische und uneingeschränkte Kommunikation das Wissen über das volldigitale intelligente Hörgerät hervorbringen, was sechs Monate nach Einführung der Kulturrevolution gelang. Wie fand die Kulturrevolution statt? Die ungekochten hierarchiegewohnten „Spaghetti-Mitarbeiter“ wurden sprichwörtlich ins heiße Wasser geworfen. Der Beginn der neuen Organisation wurde mit dem Umzug des gesamten Hauptquartiers in eigens für die Spaghetti-Organisation geschaffene Räume terminiert: „Am 8. August um 8:00 Uhr sind wir eine Spaghetti-Organisation“. Die Vorbereitung der Revolution, die Planung und die Bauarbeiten dauerten etwa 15 Monate, die Schocktherapie des Umzugs wenige Tage. Widerstände und Ängste konnten durch geduldige Überzeugungsarbeit und offene Kommunikation im Vorfeld der Umorganisation zum Teil überwunden werden. Einzige Motivationshilfe war die Aussicht auf bessere, interessantere und zufriedenstellendere Arbeit. Das Ergebnis der Reorganisation reduzierte weiterhin die Zahl der Zweifler. Kurz nach der Reorganisation bemerkte man bei Oticon, dass das vollautomatische intelligente Hörgerät, das sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt hatte, schon längst im Unternehmen erfunden worden war. Wegen technischer Probleme, mangelnder Kommunikation zwischen den damaligen Abteilungen Forschung, Entwicklung und Verkaufsförderung und wegen mangelnder Vorstellungskraft hatte niemand das Projekt als aussichtsreich eingestuft. In der Spaghetti-Organisation wurde das Potenzial dieser Erfindung sofort erkannt und in Rekordzeit ausgenutzt. Ein neues Marketingkonzept wurde entwickelt, die Entwicklungszeit für neue Produkte wurde halbiert. Im Folgejahr erzielten neu entwickelte Produkte der letzten zwei Jahre bereits 50 % von Oticons Umsatz. Zuvor lag der Anteil der Neuentwicklungen am Umsatz nur bei 20 %. Finanzielle Resultate ließen lange auf sich warten. Auf den Umbruch folgten eindreiviertel Jahre lang Verluste. Erst danach schrieb Oticon wieder schwarze Zahlen. Die Umwandlung zu einer wissensorientierten Organisation hat Oticon fundamental verwandelt, von einem Hersteller von Hörgeräten zu einem Unternehmen der integralen Gehörpflege (weitere Informationen: www.oticon.dk)

4.1.2 Konkurrenz versus Kooperation

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4  Organisieren rund ums Wissen

Tab. 4.1  Kooperation zahlt sich aus (nach [17, S. 32]) Kooperationsgebiet und -ergebnis Innovation Produkt- und Prozessinnovation durch Kombination Schaffung neuer Geschäftsfelder Verbesserter Verkauf Cross-Selling, Bündelung Koordinierter Kundenservice Verbesserte Prozesse Best-Practice-­ Transfer Bessere Entscheidungen durch Konsultation

Umsatzwachstum Schnellere Produktentwicklung Entwicklung höherwertiger Produkte bzw. Leistungen Mehr Umsatz pro Kunde durch koordinierte Kundenbearbeitung

Kostenreduktion Effizienz des Gewinnsteigerung Kapitaleinsatzes Höhere Forschungs- und Entwicklungsproduktivität Steigerung der Deckungsbeiträge

Reduktion der Vertriebskosten

Effektiverer Verkauf Produktivitätssteigerung durch Austausch von Vertriebspraktiken

Reduktion des Kapitalbedarfs, höherer Kapitalumschlagsgrad

Die Zusammenarbeit von Automobilunternehmen mit ihren Zulieferern ist ein weiteres Beispiel für Konkurrenz und Kooperation unter Wissensgesichtspunkten (Tab. 4.1). Die Abnehmer nutzen bei der Auswahl von Zulieferern sehr wohl die Konkurrenzsituation aus, binden sich jedoch dann längerfristig an Zulieferer und bauen gemeinsam mit ihnen Kompetenzen auf (vgl. [18, 19]). Konkurrenz findet zunehmend auf der Ebene von deutlich unterscheidbaren Endprodukten statt und nicht auf der Ebene von Komponenten oder Modulen. Wenn BMW mit seinen Produkten „Freude am Fahren“ vermitteln möchte, so wird man kein Wissen daran verschwenden, eine eigene Lichtmaschine zu entwickeln, die sich von der der Konkurrenten unterscheidet. Das wird das Unternehmen getrost Zulieferern überlassen, die auf diesem Gebiet Spezialisten sind. BMW wird sich stattdessen auf solche Gebiete konzentrieren, die eine vom Kunden wahrnehmbare und gewünschte Differenzierung ermöglichen. Auch innerhalb eines Unternehmens ist die Balance zwischen Konkurrenz und Kooperation kennzeichnend für das Wissensunternehmen. Unterschiedliche Niederlassungen einer Unternehmensberatung oder einer Versicherung mögen zwar um gleiche Kunden konkurrieren, diese Konkurrenz wird jedoch nicht dazu führen, dass der Kunde verloren wird, weil man sich untereinander nicht einigen kann, wer „den Bären erlegt“. Konkurrenz darf nicht dazu führen, dass der bestgeeignete Mitarbeiter deswegen nicht eingesetzt wird, weil eine Niederlassung den Auftrag akquiriert hat und auch den gesamten Umsatz halten will und die dafür auf den Einsatz der bestgeeigneten Spezialisten, die in einer anderen Niederlassung tätig sind, verzichtet.

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

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In und zwischen Unternehmen entsteht vermehrt eine „competitive collaboration“, eine konkurrierende Zusammenarbeit (vgl. [20, S. 86]). In dieser „competitive collaboration“ kooperieren Unternehmen, um Zugang zu Wissen zu erhalten bzw. gemeinsam Wissen zu erarbeiten. Sie konkurrieren bei der Ausbeutung dieses Wissens. Benchmarking zwischen Konkurrenten ist ein gutes Beispiel für diese Strategie der Konkurrenz und Kooperation. In größeren Unternehmen können einzelne Geschäftsbereiche durch strategische Allianzen kooperieren, während andere Geschäftsbereiche starke Konkurrenten sind. Bei richtiger Konzeption wird die konkurrierende Zusammenarbeit zu einem Plussummenspiel, das die Wettbewerbsfähigkeit beider Partner nachhaltig stärkt. Wann ist Kooperation und wann ist Konkurrenz angesagt? Nalebuff und Brandenburger haben dies aus Sicht der Spieltheorie untersucht und den Begriff „co-opetition“ geprägt (vgl. [21]). Spieler im Markt sind entweder Konkurrenten oder Komplementäre, die die Art der Beziehungen zu Kunden und Lieferanten prägen. Zur Entscheidung, ob Kooperation oder Konkurrenz vorteilhafter ist, sollte ein Unternehmen die in Abb. 4.2 dargestellten vier Konstellationen prüfen und daraus seine Strategie der „co-opetition“ ableiten. Hansen [17, S. 14] nennt dieses Abwägen „disziplinierte Kooperation“. Ein Kooperationsprojekt lohnt sich nur, wenn gilt: Kooperationsgewinn = Projekterlös – Opportunitätskosten – Kooperationskosten. Opportunitätskosten lassen sich ermitteln durch die Beantwortung der Frage: Was könnten wir sonst mit Zeit, Aufwand und Ressourcen erreichen, die durch die Kooperation in Anspruch genommen werden? Kooperationskosten entstehen durch Reise- und Sitzungsaufwand, Verzögerungen etc.

Abb. 4.2  Entscheidungssituation zwischen Konkurrenz und Komplementarität [21, S. 15 ff.]

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4  Organisieren rund ums Wissen

Kooperation muss nicht immer auf Managementebene formal geplant und vereinbart werden, sondern findet vielfach auch informell statt. So wiesen Stadler und von Hipple [22, 23] am Beispiel von konkurrierenden Stahlunternehmen in den USA nach, dass Mitarbeiter informell auf der Basis von Gegenseitigkeit mit Informationen handelten, nach dem GIGI-Prinzip: Give information, get information. Um die Bedeutung von Kooperation und Konkurrenz für Wissensaufbau und -transfer eines Unternehmens herauszuarbeiten, wollen wir drei Thesen für unterschiedliche Handlungsmaximen darstellen: • Segmenterfolg geht vor Unternehmenserfolg: Diese Sichtweise betont die Konkurrenz als Triebkraft des Erfolgs. Sie geht davon aus, dass Unternehmer (im Unternehmen z. B. ein Profit-Center) nach ihren Gewinninteressen handeln und daher an einem optimalen Einsatz der Ressourcen ihrer Einheit interessiert sind. Eine Globalsteuerung kann diese Optimierung nicht sicherstellen. In einem so geführten Unternehmen müssen sich alle Einheiten einem internen und externen Wettbewerb stellen. Fertigungsstätten konkurrieren miteinander. Wird das Gewinnziel nicht erreicht, wird die Unternehmenseinheit dicht gemacht. Es herrschen klare Gewinnanreize. Wissenstransfer findet selektiv unter Kosten-Nutzen-Abwägungen statt. In einer solchen Denkweise wird das Gesamtunternehmen häufig zur inhaltsleeren Finanzholding, deren einzelne Teile nicht kooperieren – Wissen ist Macht und wird unter Verschluss gehalten. Da die Einheiten nicht oder nur punktuell zusammenarbeiten, sind Kundennutzen und Gesamtauslastung suboptimal. Der Kunde erhält keine Komplettdienstleistung bzw. Beratung aus einer Hand, sondern wird gegebenenfalls sogar an die Konkurrenz verwiesen, um konkurrierenden internen Geschäftseinheiten keinen Einfluss bzw. Einsicht in Projekte zu geben. • Suche nach Gemeinsamkeiten ist Erfolgsgrundlage: Die Synergie- oder Kooperationsthese geht davon aus, dass die mögliche Gesamtleistung des Unternehmens höher ist als die Summe der Teilleistungsfähigkeit. Eine Globalsteuerung richtet daher individuelles Handeln an mittel- und langfristigen Zielen des Gesamtunternehmens aus. Durch die Suche nach Synergien und Zusammenarbeit wird Doppelarbeit vermieden; ein vollständiger Kundenservice über das gesamte Leistungsspektrum eines Unternehmens wird möglich. Wettbewerbsvorteile durch Unternehmensgröße und Vielfalt der Aktivitäten können realisiert werden. Negativ schlägt zu Buche, dass ein übergeordnetes ­Synergiemanagement zum Selbstzweck werden kann. Arbeitskreise, Erfahrungsaustauschgruppen usw. setzen das transferierte Wissen nicht genügend in Geschäftserfolge um. Die Suche nach Synergien kann zu langfristigen strategischen Fehlorientierungen führen. • Segmentierung mit Synergie bringt nachhaltigen Erfolg: Beispiele erfolgreicher Unternehmen (z. B. General Electric) zeigen, dass weder die reine Unternehmerthese noch die reine Synergiethese zum Erfolg führen, sondern dass eine Synthese zwischen beiden gefunden werden muss, die als „Segmentierung mit Synergie“ beschrieben werden kann (vgl.  [24]). Unternehmerisches Handeln (Konkurrenz) und Kooperation, orien-

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

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tiert an Zielen und Wertvorstellungen des Gesamtunternehmens, kombinieren kurzfristigen Erfolg der Einheiten mit langfristigem Kompetenzaufbau des Gesamtunternehmens. Durch diese Konzeption werden sowohl die kurz- als auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beachtet. Die Flexibilität eines Kleinunternehmens wird mit den Ressourcen, insbesondere dem Wissen eines Großunternehmens, kombiniert. Ein solches Unternehmen kann komplexe vollständige Problemlösungen anbieten, die schwer imitierbar sind und für die entsprechende Preise erlöst werden können. Die Restrukturierung von General Electric orientierte sich an einer solchen Segmentierung mit Synergie. Jack Welsh, damaliger Chief Executive Officer von General Electric, hat das so formuliert [25, S. 5]: What we wanted to build was a hybrid, an enterprise with the reach and resources of a big company – the body – but the thirst to learn, the compulsion to share and the bias for action – the soul – of a small company.

Welche Organisationsformen können dieses Zusammenspiel von Stabilität und Erneuerung, Konkurrenz und Kooperation, kurzfristigem Geldverdienen und langfristigem Kompetenzaufbau, individuellem Wissen und Motivation sowie kollektivem Handeln in einem lokalen und zugleich globalen Kontext gestalten?

4.1.3 Wissensorganisation – die vierte Dimension Im Allgemeinen konkurrieren und ergänzen sich verschiedene Dimensionen der Aufbauund Ablauforganisation. Wissen ist in Fachabteilungen, Projekten und Geschäftsprozessen gebunden und wird dort meist nicht systematisch aufbereitet, geteilt und über Grenzen von Organisationseinheiten transferiert. Aus vielen Gesprächen in Unternehmen scheint mir ein tieferliegender Grund für die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer wissensorientierten Unternehmensführung ausschlaggebend: das Organisationsverständnis. Meine These lautet: Unternehmen fehlt eine vierte organisatorische Dimension – die Wissensorganisation – komplementär zu • hierarchischer/funktionaler Organisation, • Prozessorganisation und • Projektorganisation. Alle drei genannten Dimensionen sind schlecht gerüstet, Wissen mit einer über die kurzfristigen Geschäftsbedürfnisse hinausgehenden Perspektive systematisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisationseinheiten zu überschreiten. Die hierarchische Organisation stellt im Allgemeinen funktionale Organisationseinheiten nebeneinander (auch wenn Produkt oder Region weitere Strukturierungselemente sind), die jeweils eigene Identitäten, eigene Fachsprachen und Problemlösungsverhalten haben.

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4  Organisieren rund ums Wissen

Marketingmenschen denken anders als Forscher und Entwickler bzw. Produktions- und Logistikmitarbeiter. Die Lösung von Kundenproblemen wird zu einem komplexen Verständigungs- und Übersetzungsprozess. Wissen wird in den Funktionsbereichen gehortet. Zur Überwindung dieser Barrieren mit dem Ziel, Bedürfnisse interner und externer Kunden kreativ und effektiv zu befriedigen, wurde daher eine zweite Dimension geschaffen: Die Prozessorganisation bündelt Wissen orientiert am Kunden. So gut Wissen entlang der Prozesskette transportiert und weiterentwickelt wird, so schlecht gelingt der Wissenstransfer zwischen Prozessen. Sind Prozesse die Kettfäden eines Gewebes, so fallen sie auseinander, wenn sie nicht durch den Schussfaden des Wissenstransfers und Lernens verwoben werden. Prozesse stehen weiterhin für Stabilität bzw. inkrementale Verbesserung. Die Fähigkeit zur Infragestellung des Handelns und zur Erneuerung fehlt der Prozessorganisation weitgehend. Daher haben Unternehmen eine dritte Dimension zur Bündelung von Wissen hinzugefügt: Die Projektorganisation hat zum Ziel, Wissen orientiert an einem Projektziel auf Zeit zusammenzubringen, um neue Problemlösungen zu erarbeiten. Projekte haben jedoch keine Kontinuität und sind nur bedingt in der Lage, Erfahrungen systematisch aufzuarbeiten, projektübergreifend zu reflektieren und über Projektgenerationen nutzbar zu machen. Wir sehen: Alle drei Dimensionen sind schlecht gerüstet, Wissen über die kurzfristigen lokalen Verwertungsinteressen einzelner Organisationseinheiten hinweg zu reflektieren, zu nutzen und zu generieren. Wir benötigen daher eine vierte Dimension – die Wissensorganisation. Diese Sichtweise entspricht dem Konzept der Hypertextorganisation, die in Abschn. 4.4.1 dargestellt ist. Das Fallbeispiel des Best-Practice-Austauschs in der Otto Group zeigt, wie eine Wissensorganisation in der Praxis umgesetzt werden kann. cc Wissensorganisation  Die Wissensorganisation schafft gemeinsame Kontexte, ermöglicht fachübergreifend Verständigung durch Bildung gemeinsamer Sprache, fördert die kompatible Problemlösungsfähigkeit, gestaltet Raum für Interaktionen von Menschen, fördert eine physische und IT-Infrastruktur sowie Medien zur Repräsentation und Kommunikation von Wissen und übergreifende Lernprozesse. North und Maier [26] haben zusammenfassend dargestellt, wie sich die Wissensorganisation entwickelt hat: Konzentrierte sich die Wissensorganisation der vergangenen Jahre in weitgehend stabilem Umfeld auf das Bewirtschaften vorhandenen Wissens mit starkem Fokus auf dessen Dokumentation, so liegt der Fokus derzeit auf der Unterstützung der Handlungsfähigkeit von agilen Organisationen in einer hyperkompetitiven Volatile-uncertain-complex-ambiguous(VUCA)-Umwelt. Dem Konzept der Beidhändigkeit („ambidexterity; [12]) folgend, muss die Wissensorganisation aus operativer Perspektive die optimale Nutzung von Wissen für das aktuelle Geschäft sicherstellen (Exploitation) und gleichzeitig aus strategischer Perspektive das Wissen und die Lernfähigkeit für das zukünftige Geschäft entwickeln (Exploration). Die Praktiken des Wissensmanagements stabilisieren damit einerseits das tägliche Geschäft und unterstützen andererseits die Erneuerung der Organisation und stellen damit aktuelles Wissen und Können infrage.

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

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Im Folgenden werden wir ausgewählte Organisationsformen unter dem Gesichtspunkt des Wissensaufbaus und -transfers betrachten. Beurteilen Sie selbst, inwiefern diese Organisationsformen Raum für eine vierte Dimension lassen.

Fallbeispiel 10

Best-Practice-Austausch in der Otto Group: mehr als nur ein Prozess Die Otto Group ist eine weltweit agierende Handels- und Dienstleistungsgruppe mit rund 52.000  Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von 14,3 Mrd. €. Mit 30 wesentlichen Unternehmensgruppen ist sie in mehr als 30 Ländern präsent. Mit einem Online-Umsatz von 8,1 Mrd. € gehört die Otto Group zu den weltweit größten Online-Händlern. Globale Konzernaktivitäten und eine Vielzahl von strategischen Partnerschaften sowie Joint Ventures bieten der Otto Group ausgezeichnete Voraussetzungen für Know-how-Transfer und die Nutzung von Synergiepotenzialen. Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch sind wesentliche Bestandteile einer jeden Organisation. Eine Organisation besteht jedoch aus vielen Individuen, die sich untereinander nicht persönlich kennen und vielleicht sogar im Wettbewerb zueinanderstehen. Das Teilen von Erfahrungen und Wissen gelingt jedoch nur, wenn alle Beteiligten voneinander profitieren und gegenseitiges Vertrauen zuei­ nander aufbauen können. Wie dies in einer e-driven Company wie der Otto Group funktioniert, die aus vielen weitgehend autark agierenden Einzelunternehmen unterschiedlichster Größe und Marktstärke besteht, soll im Folgenden am Beispiel der Best-Practice-­Veranstaltungen unter der Verantwortung des Otto Group Knowledge Management aufgezeigt werden. Der Bereich Otto Group Knowledge Management (im Folgenden als KM bezeichnet) ist ein zwölfköpfiges Team, das u.  a. für die Initiierung, Organisation, Durchführung inklusive Moderation und Wissensaufbereitung im Nachgang der Veranstaltungen im Konzern verantwortlich ist. Best Practice Clubs in der Otto Group (im Folgenden als BPC bezeichnet) waren ursprünglich reine Präsenzveranstaltungen, auf denen Expertinnen und Experten, Fachbereichsverantwortliche und/oder Führungskräfte aus dem Konzern zusammenkommen und sich über aktuell relevante Themen und Fragestellungen austauschen. Im Zuge der digitalen Transformation und insbesondere durch die monatelange Homeofficephase aufgrund der Coronapandemie, hat sich das Angebot von etwa 35  Präsenzveranstaltungen pro Jahr um die doppelte Anzahl an digitalen Video-­Calls erhöht mit insgesamt rund 2000 Teilnehmern pro Jahr – Tendenz steigend! Dabei spannt sich der Bogen, egal, ob bei einer Präsenzveranstaltung oder einer Videokonferenz, über rein operative Inhalte bis hin zu strategischen Fragestellungen aus dem Topmanagement.

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4  Organisieren rund ums Wissen

Zielgruppe und Teilnehmer und Teilnehmerinnen: Generell können BPC von Expertinnen und Experten aller Konzerngesellschaften besucht werden. Zu den wenigen Ausnahmen zählen allerdings die Topmanagementveranstaltungen, die aus einem festen Teilnehmerkreis bestehen. Das Knowledge-Managementteam sorgt dafür, dass sich der Teilnehmerkreis idealerweise fachlich ergänzt und gegebenenfalls Kollegen und Kolleginnen mit wichtigen Schnittstellenwissen zusätzlich eingeladen werden. Für die Vorbereitung wird daher viel Zeit in Einzelinterviews, Nachfragen im Kollegennetzwerk, internen Kommunikationskanälen und bei Führungskräften investiert. Voraussetzung für einen gelungenen BPC ist jedoch eine hohe Eigenmotivation der potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihr manifestiertes Wissen und ihre aktuellen Insights mit anderen Experten und Expertinnen zu teilen, Synergien aus ihrem Thema zu heben und sich firmenübergreifend vernetzen zu wollen. Diese Haltung, auf Augenhöhe aktiv mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Interaktion und den Diskurs zu gehen, ist Bestandteil der Unternehmenskultur der Otto Group und wird auch im Knowledge Management gelebt und in den BPC weitergetragen, deren Teilnahme natürlich freiwillig sind. Themenfindung und Agenda-Erstellung: Das BPC-Programm umfasst Key-­ Themen aus den geschäftsrelevanten Bereichen. Wichtige Trendthemen wie z. B. Blockchain, Circularity etc. werden dabei ebenso berücksichtigt wie langfristig interessante Dauerbrenner im Onlinehandel. Darüber hinaus haben sich einige themenübergreifende Austauschformate etabliert, die bereits seit Jahrzehnten zu einem kontinuierlichen Wissenstransfer und stabilen Netzwerk im Konzern beitragen, wie z. B. das Treffen der Marketing-und-Sales-Geschäftsführungen oder der Head of E-Commerce im DACH-Raum. Das jährliche BPC-Programm wird vom Knowledge Management verantwortet und während des Geschäftsjahres permanent um neue Themen aktualisiert. Die Vorschläge für einen BPC werden entweder vom KM-­Team oder direkt von den Kollegen und Kolleginnen aus dem Konzern gemeldet. Im seltensten Fall wird ein BPC top-down vom Vorstand gesetzt. Das Angebot richtet sich daher überwiegend nach der direkten Nachfrage und den Wünschen der potenziellen Teilnehmenden, was die Akzeptanz im Kollegenkreis dementsprechend erhöht. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen werden über automatisierte Abfragen bei der Anmeldung zum BPC oder Einzelgespräche bei der Identifizierung und Auswahl der Inhalte stark involviert. Interessierte melden dabei eigene Vorträge und Präsentationen an, empfehlen kompetente Key-Note-Speaker oder äußern konkrete Fragestellungen, auf die sie Antworten und Know-how aus dem Kollegenkreis e­ rhoffen. Das so entstandene Themenportfolio zu clustern, zu strukturieren und letztendlich eine abwechslungsreiche und interessante Agenda zusammenzustellen, liegt in der Verantwortung des KM-Teams. Dabei wird Wert auf eine gute Mischung aus

4.1  Die Balanceakte der Unternehmensführung

Frontalvorträgen, Plenumsdiskussionen, Working Sessions und BarCamp-­Ele­ menten gelegt, um den Spannungsbogen während der Veranstaltung aufrechtzuhalten. Als mittlerweile bekanntes Markenzeichen haben sich im Konzern die sogenannten WeShares durchgesetzt. WeShares sind aktuelle High- oder Lowlights der Firmen, die in Form eines fünf- bis maximal siebenminütigen Kurzbeitrags von dem jeweiligen Experten vorgestellt werden. Dieses Format ermöglicht, dass sowohl von allen Firmen Erfahrungen präsentiert werden, als auch Kolleginnen und Kollegen zu Wort kommen, die sich in großer Runde eher zurückhalten würden. Durchführung des Best-Practice-Clubs: Neben einer sehr guten Vorbereitung und einer attraktiven Agenda ist eine offene und kollegiale Atmosphäre während des BPC eine weitere wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Austausch. Bei jeder Präsenzveranstaltung – meist eintägig – wird daher am vorabendlichen Anreisetag ein gemeinsames Abendessen organisiert, auf dem sich die Kollegen und Kolleginnen in lockerer Runde vorabkennenlernen bzw. wiedersehen und bereits Ansatzpunkte für später folgende Gespräche knüpfen. Bei den digitalen Formaten, die zwischen – zwei bis fünf Stunden dauern können, fällt diese beliebte Form des Socializing and Networking bedauerlicherweise komplett weg. Hier hingegen wird besonders Zeit für eine persönliche Vorstellung (bei angeschalteter Kamera) der Teilnehmer investiert, um Anonymität vorzubeugen und einen gewisses Maß an Vertrautheit zu schaffen. Die Moderatoren sind sowohl in der analogen als auch digitalen Welt die Gastgeber, die dafür Sorge tragen, dass sich jeder Teilnehmende in den Diskussionen offen beteiligen kann und sich wohlfühlt. Wichtig ist jedoch, dass auch während der Veranstaltung flexibel auf die Wünsche des Teilnehmendenkreises eingegangen wird und dementsprechend auch die Agenda ad hoc umgestellt wird, wenn unerwartet relevante Themen mehr Zeit benötigen, als vorgesehen war. Kommunikation und Nachhalten des Wissensschatzes: Das BPC-Programm wird auf einer Veranstaltungsseite in den konzernübergreifenden Kommunikationskanälen veröffentlicht. Dort sind alle relevanten Informationen zur Veranstaltung selbst, erste Infos zum Content, die Teilnehmerliste sowie die Ansprechpartner aus dem Knowledge Management zu finden. Im Nachgang des BPC stehen alle Präsentationen, zusammengefasste Key-Learnings sowie Bild- und Videomaterial nicht nur für die Teilnehmenden des BPC, sondern für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Otto Group zur Verfügung. Zusätzlich versendet KM quartalsweise einen Newsletter, in dem über alle BPC im Nachgang berichtet wird und über kommende Veranstaltungen und Calls informiert wird. Unsere Learnings: BPC sollten den Teilnehmenden das Gefühl geben, in entspannter Atmosphäre mit Gleichgesinnten und Gleichqualifizierten ins Gespräch zu gehen. Das persönliche Kennenlernen ist dabei eine notwendige Vorausset-

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4  Organisieren rund ums Wissen

zung, um gegenseitiges Vertrauen und eine gesunde Basis aufzubauen, um in der Geschäftswelt – besonders in der digitalen Welt – gut zusammenzuarbeiten. Erst wenn eine persönliche Verbindung besteht, fließt Wissen barrierefrei. Dabei ist es wichtig, dass jeder einzelne seinen Mehrwert freiwillig beisteuert, das bedeutet: Weg von einer Konsumhaltung, hin zu einem aktiven Einbringen. Die derzeitige Erfahrung zeigt, dass in den Remote Events noch nicht der Grad an Interaktion und konstruktiver Diskussion entstanden ist, wie es bei den Präsenzveranstaltungen der Fall ist. Es wird aber intensiv an kreativen Formaten und technischen Lösungen gearbeitet. Unser Fazit: Best-Practice-Austausch ist mehr als ein Wissensprozess, sondern vielmehr eine gemeinsame Haltung der Mitarbeiter, freiwillig Wissen zu teilen und offen aufeinanderzuzugehen, wovon letztendlich alle profitieren! Auch wenn eine monetäre Mehrwertmessung der BPC nur schwer abzubilden ist, zeigt die seit Jahren anhaltende große Nachfrage an BPC, wie relevant sie für die einzelnen Mitarbeitenden und das Unternehmen sind. Autorin: Juliane Dieckmann, Otto GmbH &Co KG, Otto Group Knowledge Management

4.2

Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

Zur Steigerung von Effektivität und Effizienz haben in der Vergangenheit Unternehmen ihre Organisationen nach Produktgruppen, Prozessinvestitionen, geografischen Notwendigkeiten oder Funktion aufgebaut (vgl. u.  a. [27, 28, 29]). Diese Organisationsformen tragen den Kriterien der Stabilität Rechnung – insbesondere dem der Kontrolle. Forderungen nach Erneuerung, das Verlangen vieler Mitarbeiter nach mehr Freiraum und Kreativität sowie die Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichen die Realisierung einer ganzen Reihe von neuen Organisationsformen, von denen vier Idealtypen im Folgenden vorgestellt werden sollen (vgl. [30]). Diese Organisationsformen Unendlich flach, Invertiert, Sternexplosion und Spinnennetz unterscheiden sich unter Wissensgesichtspunkten durch: • Lokalisierung des Wissens: Wo ist das Wissen, das die Kernkompetenzen eines Unternehmens präsentiert, in erster Linie zu finden? • Lokalisierung der „customisation“: Wo wird Wissen in neue Lösungen für Kunden umgesetzt? • Richtung des Wissensflusses: In welche Richtung fließt wertschöpfendes Wissen? • Methode des Wissensaufbaus: Wie transformiert eine Organisation Wissen von individueller zu kollektiver Wissensbasis?

4.2  Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

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Alle genannten Organisationsformen tendieren dazu, Verantwortung dorthin zu delegieren, wo die Kontakte zwischen Unternehmen und Kunden stattfinden. Alle Formen gestalten die Organisation flacher und bauen Hierarchien ab. Alle suchen nach Wegen zu schneller, adäquater und individueller Kundenkommunikation. Alle diese Formen erfordern ein Verlassen traditioneller Denkweisen über Befehlslinien, Ein-­Mitarbeiter-ein-­Chef-Strukturen, über das Zentrum als führende Kraft und das Management von physischem Vermögen als Schlüssel des Erfolgs. Aber jede dieser Organisationsformen unterscheidet sich substanziell in ihren Zielen und ihrem Management. Sehen wir uns diese unterschiedlichen Organisationsformen unter Wissensgesichtspunkten einmal näher an. Eine vergleichende Beurteilung von Organisationsformen findet sich am Ende dieses Kapitels. Im Folgenden wird jeder Organisationstyp sowohl theoretisch als auch mit einem Fallbeispiel dargestellt.

4.2.1 Die unendlich flache Organisation Hier steht ein Zentrum mit theoretisch unendlich vielen Knoten, z. B. individuellen Außendienstmitarbeitern, Niederlassungen oder Franchisingpartnern, in Kontakt (vgl. [31]). Die führende Kompetenz bzw. das Wissen, wie z. B. eine Fast-Food-Kette aufzubauen und zu führen oder wie Tupperware oder Avon-Kosmetik zu vermarkten ist, liegt im Zentrum, das Kundenwissen bei den parallel mit wenig direkter Kommunikation arbeitenden Mitarbeitern der Niederlassungen etc. Das Zentrum ist Informationsquelle, Koordinator, Transferstelle für Best Practices bzw. Problemlöser. Das Zentrum ist Motor für einen Wachstumsprozess, in dem immer neue Knoten, sprich Niederlassungen, Franchisepartner, in den Markt eingeführt werden. Weiterhin werden vom Zentrum kontinuierlich neue Produkte und Dienstleistungsideen generiert, die dann zunehmend auf elektronischem Wege, z. B. durch entsprechende Softwarepakete, den Knoten zur Verfügung gestellt werden. Solche sehr flachen Organisationsstrukturen sind dann besonders effektiv, wenn die Aktivitäten der Knoten in Einzelabschnitte zerlegt und optimiert werden können. Dies ist z. B. der Fall bei Rezepten und Betriebsrichtlinien einer Fast-Food-Kette oder den Grundkomponenten finanzieller Transaktionen von Finanzbrokern und Banken. Im besten Fall wird über unternehmensweite Informationssysteme die Lernkurve beschleunigt, sodass Mitarbeiter mit relativ geringem Ausbildungsniveau relativ schnell eine hohe Leistungsfähigkeit erhalten (Abb. 4.3). Dies erinnert an eine tayloristische Arbeitsteilung, in der hohe Effizienz mit schnellem Wachstum und einem kontinuierlichen Innovationsprozess gekoppelt wird. In solchen unendlich flachen Organisationen gibt es jedoch keine traditionellen Karrierepfade mehr.

Abb. 4.3  Die unendlich flache Organisation

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4  Organisieren rund ums Wissen

Lohn-Anreiz-Systeme müssen eine große Anzahl von qualitativen und quantitativen Leistungsmerkmalen beinhalten. Diese Art von unendlich flacher Organisation stellt eine Möglichkeit dar, mit Mitarbeitern von relativ geringem Ausbildungs- und Kenntnisstand eine hochintelligente Organisation aufzubauen und mit effizienten Marktantennen ausgerüstet sehr schnell auf Marktveränderungen einzugehen.

Fallbeispiel 11

Franchising von Finanzdienstleistungen Bei einem Finanzdienstleister wird das operative Geschäft von etwa 18.000 Maklern in über 500 räumlich weit zerstreuten Geschäftsstellen abgewickelt, die ihren Kunden maßgeschneiderte Lösungen anbieten. Die lokalen Makler agieren als selbstständige Unternehmer und sind im Allgemeinen keine ausgefuchsten Anlagefachleute mit langjähriger Ausbildung. Dennoch sind sie durch einen Informationstransfer über ein weit entwickeltes Informationssystem in der Lage, differenzierte Anlageempfehlungen und ebenso detaillierte und präzise Informationen über eine große Menge komplizierter Finanzinstrumente zu geben. Unterstützt werden diese Makler durch eine Zentrale, in der wenige Finanzexperten mit herausragenden Analysefähigkeiten arbeiten. Sie kooperieren eng mit anderen externen Spezialisten sowie den Erfindern von Anlagemodellen, werten bereits abgeschlossene Geschäftsvorgänge aus und bringen ihren Sachverstand in firmeneigene Softwaremodelle und Datenbanken ein. Die Makler vor Ort haben Zugang zu detaillierten Analysen von Finanzmärkten, ökonomischen Trends etc. Die Zentrale zerlegt somit den Prozess der Anlageberatung in einzelne replizierbare Schritte und stellt sie den Maklern vor Ort zur Verfügung. Die elektronische Vernetzung des Unternehmens gewährleistet, dass Makler jederzeit auf dem aktuellen Stand des Wissens sind. Sie werden von der Zentrale umfassend über Geschäftsabschlüsse, geschäftliche Richtlinien, Erträge, Wertpapierkonditionen, Anlagealternativen, steuerliche Überlegungen und neue Wertpapierangebote informiert. Die Software der Firma ist online verfügbar und dient auch als Medium für eine Schnellausbildung. Damit wird sichergestellt, dass alle Makler nach dem geltenden Reglement arbeiten, Rechen- und Schreibfehler weitgehend ausgeschlossen werden, Kunden mit den neuesten Marketinginformationen versorgt werden, kurz gesagt, dass der gesamte Wissensstand des Unternehmens jedem einzelnen Makler zur Verfügung steht. Bei großen komplexen Projekten werden ad hoc Teams gebildet, um die weit verstreuten Talente für kurze Zeit mit dem Ziel zu bündeln, ein bestimmtes Kundenproblem zu lösen. So arbeiten die Makler im Lauf des Jahres an vielen unterschiedlichen Projekten mit verschiedenen Kollegen zusammen. Das heißt, zur Geschäftsentwicklung wird die unendlich flache Organisation durch Netzwerkstrukturen ergänzt, in denen die Vergütung an die Mitarbeit in Entwicklungs- und Kundenprojekten geknüpft ist. Sanktioniert werden diejenigen, die nicht teamorientiert agieren oder die Kunden nicht zufriedenstellen (vgl. Darstellung nach [30], S. 99 ff.).

4.2  Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

87

4.2.2 Die invertierte Organisation In dieser Organisationsform (Abb. 4.4) ist die traditionelle hierarchische Pyramide auf den Kopf gestellt. Sowohl die Kernkompetenzen des Unternehmens als auch das Kundenwissen befinden sich an den Knoten und nicht im Zentrum. Beispiele für solche Organisationen sind Krankenhäuser, Beratungsfirmen oder Ingenieurbüros (Knoten: die Ärzte, die Partner einer Unternehmensberatung). In der invertierten Organisation wird Wissen im Allgemeinen zwischen den einzelnen Knoten informell ausgetauscht sowie in einem formellen Prozess vom Knoten zum Zen­ trum und zurück. Derartige Wissensverteilung ist distributiv, d. h. die Organisation bietet logistische oder administrative Unterstützung der Fachleute, aber sie gibt keine Befehle und steuert deren operatives Geschäft nicht. Die Funktion der Linienmanager beschränkt sich auf Überwindung von Engpässen, die Entwicklung einer Unternehmenskultur, in einer Beratung auf Anfrage, das Anleiten und Fördern von Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit sowie die Bereitstellung eines Dienstleistungsangebots für die Fachleute. Eine gewisse Hierarchie kann existieren, um die Konsistenz der Aufgabenabwicklung nach entsprechenden Regeln, z. B. gesetzlichen Regularien, sicherzustellen. Das Linienmanagement übernimmt sozusagen Stabsfunktionen. Invertierte Organisationen funktionieren dann gut, wenn Dienstleistung beim Kunden bzw. im Moment des Kundenkontakts (Arzt) die wichtigsten Aktivitäten des Unternehmens sind und wenn der Kundenmitarbeiter mehr Information und Wissen über die Kundenprobleme und mögliche Lösungen hat als jeder andere im Unternehmen. Eine besondere Herausforderung für solche invertierte Organisationen ist die Sicherstellung eines effektiven Wissenstransfers und eines Kompetenzaufbaus der Gesamtorganisation (kollektives Gedächtnis), sodass zum einen Wissen gesichert wird, wenn ein Spezialist oder ein Team das Unternehmen verlässt, und zum anderen neue Geschäftsfelder aufgebaut werden können. Darüber hinaus kann der Verlust formaler Autorität für Führungskräfte klassischer Art traumatisch sein. Spezialisten ignorieren gern Regeln und Normen des Unternehmens, sodass für das Funktionieren einer invertierten Organisation ein starkes gemeinsames Abb. 4.4  Die invertierte Organisation

88

4  Organisieren rund ums Wissen

Wertesystem und Anreizsysteme ausschlaggebend sind, die sowohl die individuelle Leistung als auch den Beitrag zur Entwicklung des Gesamtunternehmens honorieren. Wenn dies nicht geschieht, wird die allgemein sehr hohe individuelle Kompetenz nicht in eine hohe Kompetenz des Gesamtunternehmens umgesetzt. Universitäten sind ein gutes Beispiel für diesen Fall. Bei einzelnen Hochschullehrern bzw. in Instituten ist im Allgemeinen eine hohe fachspezifische Kompetenz vorhanden, die jedoch nur in seltenen Fällen durch effektive Zusammenarbeit zur Erhöhung der Kompetenz und Erneuerungsfähigkeit der gesamten Hochschule genutzt wird.

Fallbeispiel 12

NovaCare – Die Rehabilitationsdienstleister Mit der Reform des Gesundheitswesens wird auch in Deutschland nach neuen Strukturen gesucht. Ein interessantes Benchmark der Organisation paramedizinischer Berufe ist der US-amerikanische Dienstleister NovaCare (www.novacare. com), in dem über 5000 Beschäftigungs-, Sprach- und Physiotherapeuten in einem Art Franchising-System agieren. Diese Spezialisten bieten ihr Wissen in über 1700 Centers-Orten in 37 Bundesstaaten der USA an. Die Zentrale nimmt den Therapeuten administrative und geschäftliche Aufgaben ab, indem sie z. B. die Verträge mit Rehabilitationseinrichtungen, Altenheimen usw. abschließt, die Abrechnung übernimmt sowie bei Terminplanung und Berichterstattung über den Behandlungsverlauf unterstützt. Außerdem wird die berufliche Weiterbildung organisiert sowie die Leistung der Therapeuten vermarktet, um eine Stabilisierung und Steigerung der Einkommen zu erreichen. Ein Großteil des Wissens seiner Therapeuten hat NovaCare in seinem Softwaresystem NovaNet gespeichert und durch administrative Prozeduren, z.  B.  Richtlinien, die Therapeuten einhalten müssen, Angaben bezüglich der Patienten, Terminplanung, Rechnungsstellung, ergänzt. Die Unternehmensleitung kann aus NovaNet Hinweise auf Trends oder Problemfälle gewinnen, die es in nächster Zukunft zu beachten gilt. NovaNet sammelt von allen Therapeuten Informationen, z. B. über Kosten- und Serviceleistungen, besonders wirksame Behandlungsmethoden sowie über sich ändernde medizinische Pflegemodelle in verschiedenen Gebieten. Diese Informationen sind von entscheidender Bedeutung für die Anwerbung, Ausbildung, Motivation und Weiterbildung der Therapeuten. Damit alles Wissen leichter erfasst und analysiert werden kann, protokolliert NovaCare die Arbeit seiner Therapeuten in Zehn-Minuten-Blöcken. Diese detaillierten Informationen werden in einer Datenbank gespeichert, die von einer ganzen Reihe von Interessenten genutzt werden kann, z. B. Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Rehakliniken, Krankenkassen usw. NovaCare nutzt ausführliche Berichte von Kollegen und Patienten, um die Leistungen seiner Therapeuten zu beurteilen und sie nach Qualität und Umfang ihrer Leistung zu entlohnen.

4.2  Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

89

Die Therapeuten sind weitgehend unabhängig, insbesondere hinsichtlich der Fragen, die die Behandlung eines Patienten betreffen. Die regionalen Verwaltungsstellen des Unternehmens, zuständig für Buchführung, Marketing und Logistik, sind in erster Linie dazu da, die Therapeuten zu unterstützen. In dieser Sicht ist die Organisationsstruktur distributiv: Logistik, Analyse und administrative Unterstützung sind Aufgabe der Struktur, die von qualifizierten Therapeuten getragen wird (vgl. Darstellung nach [30], S. 191 ff.). (Siehe auch: www.novacare.com)

4.2.3 Die Sternexplosion -Organisation Organisationen, die sich in Form einer Sternexplosion („starburst“) darstellen lassen, verfügen über spezialisiertes und wertschöpfendes Wissen sowohl an den Knoten als auch im Zentrum. Diese Unternehmen generieren ständig neue Geschäftsfelder bzw. Unternehmen, die wiederum neue Unternehmen aufbauen. Die Ableger agieren weitgehend selbstständig am Markt und beschaffen sich ihr Kapital am Markt. Die Starburst-Organisation (Abb.  4.5) ist in Analogie zur finanziellen Holding eine Wissensholding, in der aufgrund spezialisierter Kompetenz ständig neue Unternehmen gegründet werden. Beispiele solcher Unternehmen sind Filmstudios, Versicherungen oder auch Softwareunternehmen, die mithilfe von gewisser Basissoftware unterschiedliche Märkte und Marktnischen mit eigenen Firmen erschließen. Diesen Unternehmen sind die ständige Erneuerung und die Rekombination von Wissen durch Kooperation bedeutender als die Komponente der Stabilisierung.

Abb. 4.5  Die Starburst-Organisation

90

4  Organisieren rund ums Wissen

Starburst-Organisationen sind besonders dann erfolgreich, wenn sie über teures bzw. komplexes Know-how verfügen und andererseits in einer Geschäftsumgebung agieren, die sich schnell verändert, sodass Unternehmertum (Entrepreneurship ) gefragt ist. Dadurch kann das teure und spezialisierte Wissen kurzfristig in unterschiedlichen Märkten amortisiert werden. Mit einem Minimum von Eigenkapital, aber hoher Kompetenz, werden schnell differenzierte Märkte durchdrungen. Das Zentrum gestaltet eine Unternehmenskultur, die Innovation und Risiko kultiviert, setzt Prioritäten, wählt Schlüsselpersonen – die Unternehmer im Unternehmen bzw. wichtige Know-how-Träger – aus und beschafft Ressourcen effizienter als die Ableger. Die eigentliche unternehmerische Aktivität findet jedoch in den Ablegern statt, die, solange sie wirtschaftlich erfolgreich sind, weitgehende Freiheit in der Gestaltung ihrer Geschäftsfelder haben. Ein klassisches Problem in dieser Organisationsform ist, dass das zentrale Management häufig zu schnell den Glauben an seine Ableger verliert, wenn sich der erwünschte Markterfolg nicht schnell genug einstellt. Es wird versucht, diese Ableger zu konsolidieren und damit ihre Dynamik zu stören. Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Ableger einen zu hohen Kapitalbedarf entwickeln, der vom Zentrum nicht gedeckt wird, aber eine Kapitalisierung über den Markt unerwünscht ist.

Fallbeispiel 13

3M – Der Produktgenerator Die Minnesota Mining and Manufacturing Company (3M) ist weniger bekannt für einen langfristig strategisch geplanten Produktentwicklungsprozess als für ihre Fähigkeit, Erfindergeist und unternehmerisches Handeln bottom-up zu mobilisieren. Die Obsession, neue Produkte zu generieren, wird bei 3M durch das sogenannte Elfte Gebot verkörpert: „Du sollst keine neuen Produktideen töten“. Im Gegensatz zur traditionellen Entscheidungsprozedur muss bei 3M nicht derjenige, der eine Idee hat, detailliert nachweisen, dass die Idee gut ist, sondern derjenige, der meint, dass die Idee nicht gut ist, hat die Beweislast. 3M-Forscher und -Entwickler erhalten einen Freiraum: Bis zu 15 % ihrer Arbeitszeit, um ihre eigenen Träume und Ideen zu verfolgen (15-Prozent-Regel). Jede Geschäftseinheit wird daran gemessen, ob sie mindestens 25 % ihres Umsatzes mit Produkten erzielt, die jünger als fünf Jahre sind. In der Praxis hat sich ein Umsatzanteil von über 30 % solcher Produkte im Unternehmen etabliert. 3M schafft die Rahmenbedingungen, dass individuelle Erfinder und Unternehmer ihre Ideen entwickeln und unter der Devise „Wachstum und Abspalten“ ständig neue Geschäftseinheiten gründen können. Unterstützt wird dieses Wachstum durch eine Kategorisierung von Kerntechnologien, eine Reihe von technischen Foren, funktionsübergreifenden Teams und eine Fehlertoleranz. Wenn eine Geschäftsidee erfolglos ist, hat der Erfinder bzw. Unternehmer die Garantie, wieder in seine alte Position übernommen zu werden. Die Legendenbildung erfolgreicher Erfinder bzw.

4.2  Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

91

Unternehmer wird im Unternehmen gefördert und motiviert zum Nachahmen. So wird immer wieder erzählt, wie Art Fry im Kirchenchor sang und seine Notizzettel aus den Noten herausfielen. Er kam auf die Idee, die Post-it-Zettel zu entwickeln, diese Idee technisch zu realisieren, Widerstände zu überwinden („so was brauchen wir doch gar nicht“) und zu einem erfolgreichen Geschäft zu machen (vgl. Darstellungen von [32]).

4.2.4 Die Spinnennetz-Organisation Das Spinnennetz ist die Metapher für ein idealtypisches Netzwerk (Abb. 4.6). Unternehmensnetzwerke sind eine Organisationsform ökonomischer Aktivitäten, die die Koordinationspotenziale von Markt und Hierarchie (Organisation) in intelligenter Weise miteinander verknüpft und die sich eher durch kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen mehr als zwei rechtlich selbstständigen, wirtschaftlich jedoch mehr oder weniger abhängigen Unternehmen bzw. Unternehmenseinheiten auszeichnet (vgl. [33, S. 197]). Knoten können zum einen Kompetenzzentren für spezifische Technologien, Produkte oder Dienstleistungen sein; Knoten können regionale Verantwortung tragen, langfristig existieren oder sie können als Projekte nur temporär installiert sein. Die reinste Form eines Spinnennetzes ist das Internet, das von niemandem gemanagt wird und in dem ein freier Austausch von Informationen möglich ist. Bei gegebenen Projekt- oder Auftragssituationen wird im Spinnennetz Wissen mobilisiert: „die Spinne läuft los, um die Beute zu erlegen“. Wissen fließt von vielen Knoten zu vielen anderen. Typischerweise arbeiten die einzelnen Knoten nur temporär zusammen, um spezifische Kundenlösungen zu entwickeln. Die Wissensentwicklung ist exponentiell. Selbst mit einer sehr geringen Anzahl von Knoten ergibt sich ein Vielfaches von Kombinationsmöglichkeiten. Solche projekt – oder auftragsbezogenen Netzwerke gibt es schon seit Jahrhunderten, z. B. in Hochschulen oder

Abb. 4.6  Die Spinnennetz-Organisation

92

4  Organisieren rund ums Wissen

von Handelsgruppen wie der Hanse. Der Vorteil von Netzwerken ist, dass sie simultan sowohl hohe Spezialisierung, die Bedienung verschiedener geografischer Regionen als auch eine Fokussierung auf ein spezifisches Problem oder spezifische Kunden erfolgreich lösen können. Deswegen findet auch das Netzwerkmodell Anwendung im Management internationaler Unternehmen, z. B. in der Form des Modells der transnationalen Unternehmung (vgl. [34]; s. auch Abschn. 5.3). So gut das reine Netzwerk für eine schnelle Response und Ad-hoc-Problemlösungen ist, so schwer tut es sich mit der Entwicklung längerfristiger Geschäftsstrategien. Konkurrenz zwischen einzelnen Knoten kann das Teilen von Wissen verhindern. Netzwerke funktionieren nur in einer Kultur der Offenheit und Kooperationswilligkeit. Beurteilungssysteme müssen Netzwerke nach ihrem individuellen Erfolg und nach ihrem Beitrag zum Gesamterfolg bzw. zum Erfolg anderer Netzwerkknoten beurteilen. Gemeinsames Inte­ resse der Netzwerkmitglieder, ein gemeinsames Wertesystem oder sich überschneidende Wertesysteme und ein Gewinn aller durch Zusammenarbeit sind essenziell für das Funktionieren jedes Netzwerks. Nach Quinn (vgl. [30, S. 22]) ist bei einem effektiven Netzwerkmanagement folgendes zu beachten: • • • •

Netzwerke sollen sich überlappen, um Informationsaustausch und Lernen zu steigern. Hierarchische Strukturen sollten bewusst undefiniert bleiben. Netzwerkziele (Projektziele) sind laufend neu auszurichten und zu verstärken. Zu elaborierte Regeln für die Mittelzuweisung bzw. Profitverteilung an individuelle Knoten sind zu vermeiden. • Kontinuierliche Mechanismen sind zu entwickeln, um den Knoten aktuelle Information über die externe Geschäftsumgebung zuzuführen. • Sowohl Kunden als auch Kollegen sollten die Leistungen der Knoten evaluieren. • Mitglieder der Knoten sind mit individuellen und Gruppenanreizen für ihre Mitarbeit zu be- oder entlohnen.

Fallbeispiel 14

MLP-Finanzdienstleistungen als Wissensnetzwerk MLP ist ein wirtschaftlich außerordentlich erfolgreiches Netzwerk von Finanzdienstleistern. Im Netzwerk arbeiten etwa 2000 rechtlich selbstständige, wirtschaftlich jedoch weitgehend abhängige Vermittler in lokalen Geschäftsstellen unter strategischer Führung durch die MLP-Finanzdienstleistungen zusammen. Das MLP-­ Netzwerk unterscheidet sich in einer Reihe von Markt- und Organisationsstrategien von seinen Wettbewerbern. MLP konzentriert sich mit seiner Zielgruppenstrategie auf lukrative Privatkunden, in deren Rahmen jeder Berater bis zu etwa 400 Kunden möglichst lebenslang betreut. Kunden werden bereits vor dem Berufsstart an der Hochschule (Mediziner, Juristen, Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure) akquiriert und mit einem Dienstleistungsprogramm, das vom Berufsstart über Existenz-

4.2  Von „unendlich flach“ zur „Sternexplosion“

93

gründung und Hausbau bis zur Altersversorgung reicht, maßgeschneidert betreut. Während traditionelle Wettbewerber Produkte entwickeln, die dann von Vermittlern an Kunden vertrieben werden, tätigen MLP-Berater mittlerweile etwa 80 % ihres Neugeschäfts mit den im Netzwerk entwickelten Produkten, die aufeinander und auf die jeweiligen Kundenprofile abgestimmt sind. MLP-Berater sind fast ausnahmslos Akademiker, die ein aufwendiges Schulungssystem durchlaufen und die in mehreren Stufen an der Entwicklung neuer Beratungsund Produktkonzepte beteiligt werden. Diese Beteiligung der Berater und ihre Bereitschaft, Wissen gemeinsam zu entwickeln und zu teilen, werden durch eine differenzierte und über die geldwerte Provision hinausgehende Gratifikation gefördert. Wichtiges Selektionskriterium für Berater ist die Kooperationsfähigkeit. Die Berater lernen, dass opportunistisches Verhalten im Netzwerk negativ, kooperatives Verhalten aber positiv sanktioniert wird. Durchgängig kooperatives Verhalten wird beispielsweise mit der Möglichkeit zur Teilnahme an attraktiven Arbeitskreisen und Gremien belohnt. Durch die Organisation von MLP-Beratern in Geschäftsstellen, in denen maximal 20 Berater zusammenarbeiten, wird nicht nur ein sozialer Raum zur Interaktion mit Kollegen und zur entsprechenden Generierung von Wissen geschaffen, sondern auch die Möglichkeit der strategischen Steuerung durch die Unternehmung verstärkt (Abb.  4.7). Die Zentrale fungiert als zentraler Wissensspeicher und steuert Wissensaufbau und -transfer durch eine Anzahl von Arbeitskreisen. Daneben besteht eine Vielzahl von horizontalen Beziehungen zwischen einzelnen Beratern einer Geschäftsstelle und auch zwischen verschiedenen Geschäftsstellen. Erfolgreiche Geschäftsstellen unterstützen neue Geschäftsstellen beim Aufbau und ermöglichen so die rasche Expansion des Netzwerks, indem neuen Geschäftsstellen Wissen zugänglich gemacht und das Netzwerk insgesamt vom Wissen Einzelner unabhängiger wird. Durch Wissenstransfer wird gleichzeitig erreicht, dass keine Wissensmonopole im Netzwerk entstehen, die zu einem Machtzentrum in Konkurrenz zur Zentrale werden. Berater erzielen mit den Produkten und Dienstleistungen, an deren Entwicklung sie in den Arbeitskreisen mitwirken, besonders hohe Erträge. Diese Honorierung von Kooperation, Wissensentwicklung und -transfer als Kriterium für den Aufstieg ermöglicht, dass die MLP-Finanzdienstleistung sich dauerhaft als wissensintensives, strategisch geführtes Netzwerk reproduzieren kann (vgl. [33, S. 198 ff.]).

In der Regel finden wir in realen Organisationen mehrere dieser idealtypischen Organisationsformen nebeneinander vor. So z. B. bei einer Fluggesellschaft: Der Reservierungsservice ist ein Spinnennetz, die Flug-Operations sind unendlich flach, die Finanzadmi­ nistration ist konservativ hierarchisch, die Instandhaltung und der Bodenservice sind dezentralisiert hierarchisch, die Aus- und Weiterbildung sind funktionell organisiert. Das heißt, in einem Unternehmen können unterschiedliche Organisationsstrukturen und Kontexte koexistieren, wenn das für die jeweilig zu erfüllenden Aufgaben sinnvoll ist.

94

4  Organisieren rund ums Wissen

Abb. 4.7  Grundstruktur des MLP-Netzwerks

4.3

Überwindung der multidivisionalen Organisation

In den letzten 50 Jahren haben sich Großunternehmen weltweit nach weitgehend vonei­ nander unabhängigen, meistens produktbezogenen Divisionen oder Segmenten ausgerichtet und waren oder sind noch erfolgreich in Märkten und Unternehmensumwelten, die relativ stabil sind (zur multidivisionalen Organisation, vgl. [27, 29]). In der Dialektik von Stabilität und Erneuerung (vgl. [35]) stehen die multidivisionalen Unternehmen für Stabilität und sind bestens ausgerüstet, auf lineare und inkrementale Veränderungen im Unternehmensumfeld zu reagieren. Eine perfektionierte Organisation mit ständig verbesserten Organisationsabläufen und Verhaltensanweisungen, in denen im Prinzip alles geregelt ist, wird jedoch zur Achillesferse eines Unternehmens in einem veränderten Wettbewerbsumfeld, in dem ein Agieren unter turbulenten, oft nicht voraussagbaren Veränderungen diskontinuierlicher Art gefragt ist (vgl. [36]). Das multidivisionale Unternehmen ist schlecht gerüstet für strategische Erneuerung und vielfach unfähig, neue Geschäftsfelder intern zu entwickeln. Wachstum beschränkt sich weitgehend auf bestehende Geschäftsfelder durch „economies of scale“, „economies of scope“ bzw. durch große Finanzkraft. Neue Aktivitäten werden durch Akquisition hinzugekauft. Im Wissenswettbewerb, in dem Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens die unterschiedlichen Kompetenzen eines Unternehmens bündeln und als integrierte Pakete

4.3  Überwindung der multidivisionalen Organisation

95

Kundenprobleme lösen müssen, wird die Unabhängigkeit einzelner Geschäftseinhei­ ten zum Erfolgshindernis. Die Prämisse der Unabhängigkeit hindert Unternehmen, ihre ­diversen Forschungs-, Entwicklungs-, Produktions-, Marketingressourcen als kohärentes System zur Wertgenerierung beim Kunden („value delivery“ ) zu strukturieren. Das multidivisionale Unternehmen ist auf der Grundlage horizontaler Unabhängigkeit und vertikaler Abhängigkeit aufgebaut und hat keinen wirksamen Mechanismus zum Management der Interdependenzen. Horizontale Interdependenz ist nicht Teil des Mindset dieser Unternehmensform. Ghoshal und Bartlett (vgl. [36, S. 143 f.]) argumentieren, dass die Stärke des multidi­ visionalen Unternehmens in einem linearen und sich inkremental verändernden Wettbewerbsumfeld durch die effiziente Art der Informationsverarbeitung und der daraus ab­ geleiteten Wissensentwicklung resultiert. Bei hohen Informationskosten und stabiler Unternehmensumwelt ist das hierarchische, multidivisionale Unternehmen gut gerüstet (vgl. [37, S. 70 ff.]), wie Abb. 4.8 zeigt. Inkremental wird organisatorisches Wissen generiert und zur Verbesserung operativer Prozesse existierender Aktivitäten genutzt. Was diesen Unternehmen fehlt, ist jedoch die Antithese dieses sequenziellen und inkrementalen Wissensaufbaus, der notwendig für die strategische Erneuerung ist. Es gibt in multidivisionalen Unternehmen in der Regel keinen Prozess, in dem die institutionalisierten Weisheiten („institutionalized wisdoms“) herausgefordert werden können, gegen

Abb. 4.8  Beurteilung von Organisationsformen nach Stabilität der Unternehmensumwelt und Informationskosten [37, S. 73]

96

4  Organisieren rund ums Wissen

d­ ominierende Erfahrungen gehandelt werden kann und die Quellen der Daten neu konfiguriert werden können. Fehlen diese Herausforderungen, werden diese Unternehmen unbeweglich, zu viele „heilige Kühe“ verhindern ein Agieren und Antizipieren über Divisionsgrenzen hinweg. Diese Kritik von Ghoshal und Bartlett wird durch andere Managementforscher, insbesondere aus der Sicht multinationaler Unternehmen geteilt. Anstatt Informationen zu einem gegebenen Entscheidungspunkt zu bringen, sollten Entscheidungen dorthin verlegt werden, wo das Wissen vorhanden ist. Sehen wir uns im Folgenden zwei Entwürfe für Unternehmen an, die besser zur Erneuerung fähig sind als die traditionellen multidivisionalen Organisationen.

4.3.1 Die Entrepreneurial Corporation Ghoshal und Bartlett (vgl.  [36]) haben einen Unternehmensentwurf unter dem Namen Entrepreneurial Corporation (das Unternehmer-Unternehmen) entwickelt, in dem die Rahmenbedingungen für marktorientierten Wissensaufbau und -transfer geschaffen. Daher wird dieses Unternehmensmodell im Folgenden detailliert beschrieben. Die Entrepreneurial Corporation besteht aus drei Prozessen, die durch die Unternehmer an der Front („front line entrepreneurs“), die Unternehmensleitung („corporate leaders“) und sogenannte Senior Level Coaches (Abb. 4.9). umgesetzt werden:

Abb. 4.9  Die Prozesse und Akteure der Entrepreneurial Corporation [36, S. 153]

4.3  Überwindung der multidivisionalen Organisation

97

• Der unternehmerische Prozess verkörpert die Suche nach Geschäftschancen und die nach außen orientierte Fähigkeit der Organisation, neue Geschäftsfelder zu generieren. Organisationen werden um relativ kleine Einheiten herum aufgebaut. Erfolgreiche Entrepreneurial Corporations haben ein klar artikuliertes und allgemein geteiltes Verständnis, welche Aktivitäten im Sinn des Unternehmens sind und in welchem Zeithorizont welche Ergebnisse zu erwarten sind. Die Grenzen, die vom Unternehmer nicht überschritten werden sollen, können z. B. technologisch sein oder bezüglich bestimmter Kundengruppen formuliert sein und geben den Unternehmern Sicherheit, ihre kreative Energie zu fokussieren. • Der Integrationsprozess erlaubt es die verteilten Ressourcen und Kompetenzen zu verbinden und zu verstärken („link and leverage“) und so ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Fehlt ein effektiver Integrationsprozess, so kann dezentralisiertes unternehmerisches Handeln im Unternehmen kurzfristig zwar zur Leistungssteigerung führen, die langfristige Kompetenzentwicklung des Unternehmens wird jedoch ver­ nachlässigt. Der Integrationsprozess im Unternehmen hat drei Komponenten: Die wertmäßige Integration, die von der Unternehmensführung gemeinsam mit den Coaches zu leisten ist. Es gilt, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, in der Zusammenarbeit, Offenheit für Probleme und Lösungen anderer, Unterstützung und Hilfestellung als Werte des Handelns akzeptiert sind (s. Fallstudie von Kao). Die wissensmäßige Integration des Unternehmens beinhaltet sowohl den effektiven Transfer von Wissen, sei es Kundenwissen, seien es Best Practices, als auch den mittel- und langfristigen Aufbau von Kompetenzen des Unternehmens. Die operative Integration hat zum Gegenstand, wechselseitige Abhängigkeit und Potenziale des operativen Geschäfts zu managen. Eine Aufgabe ist es, Schlüsselkunden aus einer Hand Problemlösungen anzubieten, eine andere, Geschäfte, z. B. Großprojekte, von mehreren Entrepreneurs gemeinsam abwickeln zu lassen. Die Coaches spielen im Integrationsprozess eine bedeutende Rolle als Litfasssäulen des Wissenstransfers. Sie fordern die Zusammenarbeit ein, weisen darauf hin, wer was im Unternehmen weiß und bündeln Initiativen von Unter­ nehmern, um den Kunden Komplettlösungen anbieten zu können. Übergeordnete ­Programme des Gesamtunternehmens, wie z. B. kooperative Projekte oder Total-Quality-Management-Programme, können dazu beitragen, einen Coaching-­Prozess zielorientiert im Unternehmen am Leben zu erhalten, • Der Erneuerungsprozess bedeutet die Fähigkeit, das eigene Tun und Wissen kritisch zu hinterfragen und kontinuierlich zu revitalisieren, um so eine langlebige Institution zu schaffen. Während der Integrationsprozess bestehende Kompetenzen der Organisation verbindet und vergrößert („link and leverage“), hinterfragt der Erneuerungsprozess kontinuierlich Strategien sowie ihre zugrunde liegenden Annahmen und inspiriert die Schaffung neuer Kompetenzen, um sich für den Wettbewerb der Zukunft zu rüsten. Ein Erneuerungsprozess besteht aus zwei symbiotischen Komponenten: Der Rationalisierung und Restrukturierung bestehender Geschäftseinheiten zur kontinuierlichen Verbesserung der operativen Effizienz sowie des Schaffens neuer Kompetenzen und neuer Geschäftsfelder, das Überprüfen und Verändern bestehender Spielregeln und das Überspringen der Konkurrenz durch Quantensprünge.

98

4  Organisieren rund ums Wissen

Für den Erfolg der Entrepreneurial Corporation ist die simultane und gleichwertige Entwicklung aller drei Prozesse ausschlaggebend. Ein unternehmerischer Prozess ohne Integration wird genauso wenig zum Erfolg führen wie ein Integrationsprozess, der nicht von klaren Geschäftszielen des unternehmerischen Prozesses geleitet wird. Wir haben dieses Modell der Entrepreneurial Corporation hier erläutert, da es eine Grundlage unserer konkreten Empfehlungen zur Implementierung des Wissensmanagements bilden wird (Kap. 8).

Fallbeispiel 15

KAO – Kreativ in Japan KAO gilt als eines der kreativsten Unternehmen Japans. Der traditionelle Seifenhersteller expandierte in den 1980er-Jahren erfolgreich auf den Gebieten von Hygiene- und Kosmetikprodukten. Herzstück der Innovationsfähigkeit ist ein unternehmerischer Prozess mit kleinen, funktionellen, unvollständigen Einheiten, aggressiven Zielen, rigoroser finanzieller Disziplin und einem strukturierten Produktentwicklungsprozess, unterstützt durch ein flexibles und mehrstufiges System der Ressourcenallokation. Hinzu kommt eine klare Definition der strategischen Zielsetzung, die Basistechnologien zur Entwicklung von Produkten mit erhöhtem Kundennutzen einzusetzen. Eingebettet ist dieser unternehmerische Prozess in ein Wertesystem, das auf den Werten des Buddhismus aufbaut, und in einen offenen Informationsaustausch, der durch persönliche Begegnungen und Zusammenarbeit sowie durch ein hoch entwickeltes Informationssystem unterstützt wird. Der Chairman von KAO, beschreibt die Steuerung des Unternehmens als „biologische Selbstkontrolle“. Das Wertesystem von KAO zielt auf Harmonie und soziale Integration im Geist der Gleichheit aller ab. Dies bedeutet auch freien Zugang eines jeden zu allen Informationen des Unternehmens. Diese Werte der Gleichheit und des freien Informationsaustauschs werden durch Dr. Maruta und die anderen Mitglieder des Topmanagements ständig vorgelebt und sind in Organisationsroutinen verankert. Ein großer Teil der Arbeit der oberen Führungskräfte findet in so genannten Decision Spaces statt, wo jeder an Diskussionen und an der Entscheidungsfindung teilnehmen kann. Des Weiteren hat das Unternehmen ein extensives System von funktionsbezogenen und geschäftsübergreifenden Treffen, um den Austausch von Ideen und die gemeinsame Entwicklung neuer Initiativen und Projekte zu fördern. Sogenannte Open Space Meetings, an denen jeder teilnehmen kann, finden jede Woche in unterschiedlichen Geschäftseinheiten statt. Das Total Creative Revolution Project ist ein institutionalisierter Coaching-Prozess, in dem ständig Teams und Taskforces von unterschiedlichen Teilen des Unternehmens für spezifische Aufgaben zusam­ mengezogen werden, um kreative Lösungen für Probleme zu finden oder neue

4.4  Plattformen für Wissen

99

­ eschäftspotenziale zu erkennen. Ziel dieser Total Creative Revolution ist die ErG reichung von Innovationen durch gemeinsames Lernen. Von oberen Führungskräften wird erwartet, dass sie die Priester sind, die den Prozess des gemeinsamen Lernens anleiten. KAO gilt als Beispiel einer erfolgreichen Entrepreneurial Corporation, die sich von einem traditionellen Seifenhersteller sehr schnell zum führenden Anbieter auf einem weiten Bereich von Hygiene- und Kosmetikprodukten entwickelt hat [36, S. 148 ff., 38, S. 342].

4.4

Plattformen für Wissen

Neben der Reformulierung der gesamten Unternehmensorganisation, um die Dialektik zwischen Erneuerung und Stabilität, Kooperation und Konkurrenz besser in kurz- und langfristige Geschäftserfolge umzusetzen, gibt es Ansätze, die bestehende Organisationsform weitgehend unangetastet zu lassen und dazu ergänzende bzw. parallele Ad-hoc-­Orga­ nisationsformen, z. B. Projektorganisationen, zu institutionalisieren. Während die traditionelle Organisation Stabilität und kurzfristige Geschäftserfolge garantiert, schaffen die Adhoc-Formen Kontexte für die Erneuerung, die dann je nach Stadium an die bestehende Organisation angedockt werden. In einer etwas anderen Sicht wird die bestehende Organisation zur Plattform, die einen gewissen Rahmen, eine Infrastruktur, eine Grundausstattung bietet, von der neue Entwicklungen starten und entsprechend auch wieder landen können. Zwei dieser Ansätze, die Hypertext-Organisation nach Nonaka und Takeuchi und die Plattform-Organisation nach Ciborra, wollen wir im Folgenden näher betrachten.

4.4.1 Die Hypertext-Organisation Das Modell der Hypertext-Organisation geht davon aus, dass ein Unternehmen eine nichthie­ rarchische selbstorganisierende Struktur haben kann, die mit der hierarchischen Formalstruktur zusammenarbeitet. Während die Letztere Stabilität sichert, stattet eine Hypertext-­Organisation das Unternehmen mit der strategischen Fähigkeit aus, neues Wissen kontinuierlich wiederholt in einem zyklischen Prozess zu erwerben, neu zu schaffen und zu nutzen. Wie ein Hypertext-Dokument besteht diese Organisationsform aus mehreren miteinander verbunden Ebenen oder Kontexten, und zwar den Ebenen des Geschäftssystems, des Projektteams und der Wissensbasis (Abb. 4.10; vgl. [32, S. 169 ff.], der deutsche Text folgt [39]). • Auf der zentralen Ebene des Geschäftssystems wird das operative Geschäft ausgeführt. Dies kann durch eine traditionell bürokratische Struktur, aber auch durch unternehmerische Prozesse im Sinn der Entrepreneurial Corporation geschehen.

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4  Organisieren rund ums Wissen

Abb. 4.10  Die Hypertext-Organisation [32, S. 169]

• Auf der Projektteamebene engagieren sich mehrere Projektteams in der Entwicklung neuen Wissens, wie z. B. der Neuproduktentwicklung. Die Teammitglieder werden aus den verschiedenen Einheiten des Geschäftssystems rekrutiert und sind bis zum Projektende ausschließlich dem Projektteam zugeordnet. • Auf der untersten Ebene, der Wissensbasisebene, wird das in den darüber liegenden Ebene erzeugte Wissen rekategorisiert und in einen neuen Kontext gestellt, um dann allgemein im Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Die Wissensbasisebene besteht nicht als selbstständig organisatorische Einheit, sondern konkretisiert sich durch die Wissensträger eines Unternehmens und die entsprechenden Systeme zur Speicherung von Informationen bzw. zur Absicherung des Wissens. Bemerkenswert an der Hypertext-Organisation ist, dass drei verschiedene Ebenen oder Kontexte innerhalb der gleichen Organisation koexistieren. Der Prozess der Wissenserzeugung ist ein dynamischer Kreislauf, der sich durch die drei Ebenen ungezwungen bewegt. Mitglieder der Projektteams, die aus verschiedenen Funktionen und Abteilungen der Geschäftssystemebene ausgewählt wurden, treten in wissenserzeugende Aktivitäten ein. Sobald die Projektteamaufgaben abgeschlossen sind, begeben sich die Mitglieder auf die Wissensbasisebene. Sie geben ihr Wissen z. B. durch interne Seminare oder Workshops weiter, sie verfassen Projektberichte oder geben Informationen in das unternehmensinterne Informationssystem ein. Nach der Rekategorisierung und Rekontextualisierung begeben sich die Projektteammitglieder auf die Geschäftssystemebene, wo sie sich wieder dem operativen Ge-

4.4  Plattformen für Wissen

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schäft widmen, bis sie erneut einem Projektteam zugeteilt werden. Die Möglichkeit, zwi­schen den verschiedenen Wissenskontexten schnell und flexibel hin und her zu wechseln und damit einen dynamischen Kreislauf der Wissenserzeugung zu bilden, determiniert nach Nonaka und Takeuchi die organisatorische Fähigkeit, Wissen zu erzeugen.

Fallbeispiel 16

Sharp – Hypertext in Forschung und Entwicklung Seit seiner Gründung im Jahr 1912 hat Sharp eine Reputation als Neuproduktunternehmen. Die konstante Suche nach Kreativität und Originalität wird vom Slogan „imitiere nicht“ verkörpert. In der Sharp-Forschung und -Entwicklung finden wir alle drei Ebenen der Hypertext-Organisation. • Geschäftssystemebene: Das Tagesgeschäft der Forschung und Entwicklung ist in traditioneller hierarchischer Form organisiert. Die Zentrale Forschung und Entwicklung ist für grundlegende Entwicklungen mit einem Zeithorizont von drei und mehr Jahren zuständig; geschäftsübergreifende Laboratorien decken spezifische Themen mit einem Zeithorizont von etwa eineinhalb bis drei Jahren ab, während Forschung und Entwicklung in den Geschäftsbereichen produkt- und prozessbezogen auf einem Horizont von weniger als eineinhalb Jahren arbeitet. Die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen kommunizieren hierarchisch von der Zentrale bis zu den Geschäftsbereichen. Konferenzen, Treffen und Arbeitskreise koordinieren den Austausch expliziten Wissens aller Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. • Projektteamebene: Neue Produkte werden von Taskforces entwickelt, die völlig unabhängig parallel zur Forschungs-und-Entwicklungs-Struktur auf Geschäftssystemebene agieren. Während normalerweise Neuprodukte in Projekten der Geschäftsbereiche entwickelt werden, sind strategisch bedeutsame Entwicklungsprojekte dem Urgent Project System zugeordnet. Mitarbeiter dieser Projekte verlassen ihre Position in den Geschäftsbereichen und arbeiten, versehen mit den Privilegien von Direktoren, exklusiv für das strategische Projekt für ein bis zwei Jahre ohne Budgetbegrenzungen. • Wissensbasisebene: Sharps Wissensbasis kann durch explizites Wissen auf dem Gebiet der Optoelektronik und implizites Wissen, symbolisiert durch das Motto „imitiere nicht“, beschrieben werden. Das auf den Ebenen des Geschäftssystems und der Projektteams generierte Wissen wird rekategorisiert und in neue Kontexte gestellt, mit der Vision, die Optoelektronik systematisch weiterzuentwickeln. Der ständige Austausch innerhalb des Geschäftssystems sowie mit den Projektteams, die Speicherung und der Transfer expliziten Wissens erneuern die Wissensbasis. Das implizite Wissen „imitiere nicht“, wird durch vielfachen Austausch verstärkt und zur gelebten Forschungs-und-Entwicklungs-Kultur [32, S. 181–190].

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4.4.2 Die Plattformorganisation Ciborra (vgl. [3]) hat eine Metaorganisation vorgeschlagen, um in unsicheren Umgebungen adäquat auf Überraschungen reagieren zu können. Die Managementforschung geht weitgehend davon aus, dass Manager ihre Entscheidungen an klaren Zielen und Strategien orientieren und dass ein rationaler Problemlösungsprozess strukturiert zu neuen Lösungen führt. Ciborra setzt diesem Modell, dieser Fiktion eines systematischen Managementprozesses, seine Sicht von Management entgegen, die eher durch den französischen Be­ griff der „bricolage“ (des Reparierens, des Bastelns oder die Improvisation eines Jazz-­ Ensembles) gekennzeichnet wird. Wie im Jazz-Ensemble haben Mitarbeiter im Unternehmen gelernt, zusammen zu spielen und gemeinsam zu improvisieren, um auftretende Probleme schnell zu lösen bzw. auf unerwartete Kundenwünsche einzugehen oder neue Produktideen ohne lange Begründungs- und Genehmigungsprozesse umzusetzen und auszuprobieren. Ciborra zitiert Mary C. Bateson (vgl. [40]): Men and women confronting change are never fully prepared for the demand of the moment but they are strengthened to meet uncertainty if they can claim a history of improvisation and a habit of reflection […].

In einem sich schnell verändernden Umfeld, argumentiert Ciborra, ist keine der bekannten Organisationsformen in der Lage, die Nutzung der Ressourcen zu optimieren. Am besten wäre hier eine formlose Organisation geeignet, die neue Formen durch häufige Rekombinationen chamäleonartig generiert. Aus struktureller Sicht ist die Plattform ein Ergebnis der Vereinigung existierender organisationaler Mechanismen und Formen, ausgewählt und zusammengestellt vom Management gemäß subjektiver und situativer Pläne und Interpretationen (vgl. [41]). Die Plattformorganisation ist bestimmt durch ihre Flexibilität, Beweglichkeit und ständige Transformation, die aus der Überschneidung, dem Durchdringen und Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Organisationsarrangements wie dem Netzwerk, der Matrix oder sogar der Hierarchie resultieren. Eine Plattformorganisation erscheint fragmentiert und zugleich verwoben. Sie könnte jedoch die einzige Form sein, die in einer Hightechindustrie überlebt, wo eine monolithische, feste Unternehmensidentität nicht in der Lage wäre, mit den schnellen technologischen Veränderungen Schritt zu halten. Im Gegensatz zu jeder traditionellen Organisationsform finden wir in der Plattformorganisation eine ­Ansammlung all der Qualitäten der offensichtlichen Zufälligkeit und des anscheinend Gegensätzlichen sowie des Überraschenden. Die Plattform entsteht als eine aufregende Mischung von vorfabrizierten Arrangements und Interpretationen und halb fertiggestellten, noch nicht realisierten bzw. gefundenen Lösungen und Visionen. Es ist ein Modell, das unsere Glaubenssätze über strukturell und permanent bzw. subjektiv bis hin zu informell und kurzlebig auf den Kopf stellt. Aufgabe einer Plattformorganisation ist es nicht nur, häufigen plötzlichen und radikalen Änderungen in Produkten, Märkten und Techno-

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logien gerecht zu werden, sondern auch der Identität des Geschäftsfelds oder Industriesegments, dem sie sich auf Zeit zugehörig fühlt. Als Schlüssel dieser schnellen Folge von unvorhergesehenen und ungeplanten Transformationsprozessen wird von Ciborra die Fähigkeit angesehen, alte Identitäten zu verlassen und eine jeweils neue Identität zu entwickeln, die dem jeweiligen technologischen Stadium angepasst ist. Die Plattformorganisation ist inspiriert durch die Computerplattformen. Einzelne Komponenten der organisationalen Plattform können die bekannten Organisationseinheiten, Abteilungen, Funktionen und Divisionen, repräsentieren. Jede dieser definierten Einheiten hat eine Mission und erleichtert Kontrolle zumindest auf lokaler Ebene. Die Integration der unterschiedlichen Komponenten ist flexibel und nicht in einem Organigramm repräsentiert. Integriert werden auch Einheiten und Organisationen außerhalb der Grenzen des Unternehmens. Gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte und globale Allianzen werden je nach Bedarf aufgebaut und aufgelöst. Dank der Existenz von Plattformstandards werden Technologien unabhängig von Produkten entwickelt. So können Technologien in letzter Minute kombiniert und zu spezifischen Produkten gebündelt werden, für die ein Marktbedarf erkannt wird oder die auf Aktivitäten von Wettbewerbern reagieren. Forschung und Entwicklung müssen in einer solchen Organisation eng mit der Marketingfunktion zusammenarbeiten, um Marktchancen schnell nutzen zu können. Wie unterscheidet sich die Plattformorganisation nun von einem Netzwerk? Die Plattformorganisation agiert auf zwei Ebenen: der strukturellen Ebene, in der Routinen und Transaktionen ähnlich wie in einem Netzwerk funktionieren, und einer zweiten höheren Ebene, in der die häufige Strukturveränderung gestaltet wird. Auf dieser Ebene ist die dynamische Rekombination von Routinen und Transaktionen von Bedeutung, und nicht die Eigenschaft eines spezifischen organisationalen Arrangements wie des Netzwerks. Die bedeutende Frage für Hightechunternehmen, wie eine relativ stabile Umgebung geschaffen werden kann, in der Mitarbeiter und Ressourcen flexibel eingesetzt werden können, wird von Olivetti auf eigene Art beantwortet: Die formelle Struktur ändert sich häufig und abrupt, während die informellen Netzwerke relativ stabil bleiben.

4.5

Wissensallianzen

Unternehmen gehen vielfältige Formen der längerfristigen Zusammenarbeit ein, um Kartelle zu bilden, Risiken zu teilen, komplementäre Ressourcen zusammenzubringen bzw. Marktbarrieren gemeinsam zu überwinden. cc Strategische Wissensallianz  Eine strategische Wissensallianz ist eine längerfristig orientierte Zusammenarbeit mehrerer Organisationen oder unabhängiger Geschäftseinheiten eines Unternehmens zur gemeinsamen Nutzung und Entwicklung von Wissen und Innovation.

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So arbeiteten Siemens und Matsushita bei der Entwicklung von Halbleitern zusammen. General Motors und Toyota gründeten den Joint Venture NUMMI, mit dem General Motors die Beherrschung japanischer Produktionstechniken (Lean Production) erlernte. Längerfristige Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Automobilunternehmen und ihren Zulieferern sowie das Eingehen von Verbindungen mit lokalen Unternehmen, um deren Marktwissen zu nutzen bzw. den Partner für die lokale Fertigung von Produkten fit zu machen, sind weitere Aufgaben von Wissensallianzen (vgl. [18, 34]). Wissensallianzen können wechselseitige Kapitalbeteiligungen (Joint Ventures) beinhalten; sie können quasi permanent sein oder als Projekt auf Zeit konzipiert sein. Wissensträger (Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter) können in eine neue unabhängige Organisationseinheit zusammengebracht werden oder von ihrer jeweiligen organisatorischen Basis aus für die Aufgaben und Ziele der Allianz arbeiten. Vielfach werden solche Wissensallianzen auch als Netzwerke von Unternehmen bezeichnet, die über mehrere Knoten kooperieren. Auch der Ansatz der Open Innovation verfolgt die Nutzung externer Innovationspotenziale (zur Open Innovation s. [42, 43]). Wissensaufbau und -transfer in Allianzen wird durch drei Kriterien beeinflusst: die Organisationsebene, Positionierung der Allianz in der Wertschöpfungskette und ihre ­(organisatorische) Form (Abb. 4.11). Im Gegensatz zur engen Definition von Allianzen als

Abb. 4.11  Wissensorientierte Allianzen

4.5 Wissensallianzen

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grundsätzliche Vereinbarung mehrerer Unternehmen sind nach unserem Verständnis auch Allianzen innerhalb von Unternehmen möglich. In einem Unternehmen wie z. B. ABB, in dem Geschäftseinheiten weitgehend unabhängig agieren, haben Allianzen von Geschäftseinheiten eine ähnliche Bedeutung wie unternehmensübergreifende Allianzen. Im grenzenlosen Unternehmen (vgl. [44]) vermischen sich intraorganisatorische und interorganisatorische strategische Überlegungen zunehmend. Für Wissensaufbau und -transfer gibt es jedoch sehr wohl Unterschiede. Während intraorganisatorische Allianzen in einem Umfeld agieren, das durch ein gemeinsames Unternehmensleitbild, eine Unternehmenskultur und ein im positiven Fall konsistentes Anreizsystem geprägt ist, das Erfolg der Einheiten und des Gesamtunternehmens kombiniert, müssen bei interorganisatorischen Allianzen unterschiedliche Organisationsidentitäten, Leitbilder und Anreizsysteme verdaut werden. Haben die Mitarbeiter in einem Unternehmen ein gewisses implizites Wissen, ein Verständnis, wie Entwicklungsarbeit abläuft oder wie neue Geschäftsfelder generiert werden bzw. welches ­Verhalten erwünscht ist, so kann dieses implizite Wissen der Mitarbeiter eines Unternehmens im Konflikt mit dem impliziten Wissen der Mitarbeiter eines anderen Unternehmens stehen. Der Prozess, implizites Wissen in explizites Wissen unternehmensübergreifend zu überführen, ist daher bedeutsam für das Funktionieren von Wissensallianzen. Andererseits können Geschäftseinheiten, die in ähnlichen Märkten agieren, aber unterschiedlichen Unternehmen angehören, ähnliche Identitäten aufgebaut haben und sich der Geschäftseinheit des Allianzpartners näher fühlen als anderen Geschäftseinheiten des eigenen Unternehmens. Dies gilt insbesondere dann, wenn Unternehmen als Finanzholding strukturiert sind, deren einzelne Geschäftseinheiten keine gemeinsamen technologie-, produkt- oder marktbezogenen Interessen haben. Ein zweiter Einflussfaktor auf Wissensaufbau und -transfer ist die Positionierung der Allianz bezogen auf die Wertschöpfungskette. Wir unterscheiden horizontale und vertikale Allianzen. Vertikale Allianzen ergänzen sich in der Realisierung der Wertschöpfungskette. Dies gilt z. B. für Zulieferketten, in denen Teilefertiger und Produktionsspezialisten für Systemlieferanten arbeiten, die dann ein System oder Modul (z.  B.  Cockpit eines Fahrzeugs) entwickeln, die Produktion organisieren und das gelieferte Teil gegebenenfalls auch noch in der Montagefabrik des Automobilherstellers in die Fahrzeuge montieren (vgl.  [19]). Ähnliches gilt für Logistikallianzen, in denen Fertigungs- oder Handelsunternehmen längerfristig mit Spediteuren zusammenarbeiten, die Distribution und Teile der Auftragsabwicklung übernehmen (vgl. [45]). In einer solchen Beziehung behalten die Partner das für die Gestaltung ihres Wertkettenabschnitts notwendige Wissen weitgehend für sich. Das gemeinsam aufgebaute Wissen bezieht sich auf die Standardisierung und die Dokumentierung von Prozessen im Sinn eines übergreifenden Qualitätsmanagements und auf einen ständigen Wissensaustausch zur Implementierung von Best Practices, die wiederum in einer Effizienzsteigerung der gesamten Wertkette resultieren.

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Am Konzept der Produktionsimpresarios in Kap. 2 haben wir das Funktionieren einer solchen vertikalen Allianz dargestellt. Beim Ausfall eines Partners in der Allianz besteht die Gefahr, dass die gesamte Wertkette zusammenbricht. Das Wissen des ausscheidenden Allianzpartners geht für die Allianz verloren, da es im Allgemeinen nicht von einem allianzübergreifenden Wissensdokumentationssystem erfasst wird. So können beim ­ Ausscheiden eines Logistikpartners z.  B. wichtige Kundeninformationen verloren gehen. Automobilunternehmen fragen sich zunehmend, ob eine Reduktion der Wertschöpfung auf etwa 20 % des Fahrzeugwerts zu einem Verlust kritischen Wissens im Unternehmen führt. Horizontale Allianzen zeichnen sich durch eine Kooperation von Partnern auf gleicher Stufe der Wertschöpfungskette aus. Prominente Vertreter einer horizontalen Allianz sind Entwicklungspartnerschaften zwischen Unternehmen, die ansonsten nicht verbunden bzw. sogar Konkurrenten sein können. Aus dem Automobilbereich sind solche Entwicklungspartnerschaften zwischen Renault und Volvo bzw. Daimler Benz und Mitsubishi bei der Motorenentwicklung bekannt. Hohe Kosten zur Entwicklung neuer Speicherchips lassen sich fast nur noch mit Allianzen mehrerer Unternehmen finanzieren. Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg einer solchen Allianz sind die Fähigkeit zur Integration im Allgemeinen hochqualifizierter Spezialisten beider Unternehmen in ein funktionsfähiges Team sowie der Aufbau einer offenen Kooperation im Rahmen der Allianz zwischen Unternehmen, die auf anderen Feldern unter Umständen harte Konkurrenten sind. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit innerhalb der Allianz nicht zu einem Wissensabfluss an Dritte führt.

4.5.1 Formen der Zusammenarbeit Für Wissensaufbau und -transfer ist weiterhin die Form der Zusammenarbeit der Allianzpartner von Bedeutung. In Anlehnung an die Klassifikation von Netzwerken (vgl. [46]) unterscheiden wir zwischen offenen, permeablen und geschlossenen Allianzen. • Offene Allianzen streben eine kurzfristige opportunistische Zusammenarbeit mit wechselnden Partnerkonstellationen an, um z. B. Projekte größeren Umfangs zu akquirieren. In solchen Allianzen finden Wissenstransfer und -aufbau opportunistisch ad hoc statt. Es findet nur ein geringes gemeinsames Lernen statt. Die Allianzpartner öffnen sich nur so weit, wie es für die augenblickliche Situation notwendig erscheint. Durch die Offenheit solcher Ad-hoc-Allianzen bringen unterschiedliche Partner jedoch neues Wissen ein, das zu einer Wissenstransparenz über Märkte, Konkurrenten und mögliche Partner beiträgt. • Im Gegensatz zu offenen Allianzen zeichnen sich geschlossene Allianzen durch stabile Partnerkonstellationen aus. Partner verpflichten sich, nur innerhalb der Allianz zu kooperieren und sind gegebenenfalls gegenseitig am Unternehmenskapital beteiligt. Eine

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typische geschlossene Allianz ist die japanische Keiretsu mit klarer Rollenverteilung, langzeitiger Ausrichtung, einer Keiretsu-Kultur und -Identität und gemeinsamem implizitem Wissen. Diese Stabilität führt jedoch auch dazu, dass Know-how, das außerhalb des Erfahrungshorizonts und der Kompetenzen der Partner liegt, nicht genutzt wird. • Eine Kombination von offener und geschlossener Allianzform stellt die permeable Allianz dar, in der eine relativ stabile Partnerkonstellation besteht, deren Partner jedoch mehreren Allianzen angehören können und daher über Allianzgrenzen hinweg Wissen transferieren. Ein Beispiel hierfür sind Zulieferunternehmen, die gemeinsam mit konkurrierenden Abnehmern Produktkomponenten entwickeln, die dann in Endprodukten ihren Platz finden, die am Markt konkurrieren. Permeable Netzwerke kombinieren idealerweise die Stabilität einer Allianz, die zum mittelfristigen Wissensaufbau notwendig ist, mit der Möglichkeit, neues Know-how in die Allianz hineinzutransferieren. Unter dem Gesichtspunkt des Wissensaufbaus und -transfers sind daher permeable Allianzen die günstigsten Strukturen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Wissen über Allianzgrenzen unerwünscht migriert, da eine Wissensabsicherung in permeablen Allianzen nur bedingt zu leisten ist.

4.5.2 Gruppen als wissensfördernde Organisationsformen1 Bei Wissensaufbau und -transfer, insbesondere bei der Umsetzung von individuellem in kollektives Wissen, kommt Gruppenstrukturen eine besondere Bedeutung zu. Gruppen bilden vielfach die kleinsten organisatorischen Einheiten, die dann in den oben beschriebenen Strukturmodellen auf Ebene der Abteilung der Geschäftseinheit oder des Gesamtunternehmens agieren. Wir können Gruppen als formelle oder informelle Allianzen von Mitarbeitern ansehen. Die Bedeutung von Gruppen zur Lösung von Problemen und zum dezentralen Wissensaufbau ist u. a. im Rahmen des Total Quality Management populär geworden. Auch für Konzepte der Lean Production wird die Gruppenarbeit als zentral angesehen (vgl.  [47]). Für den Erfolg einer gruppenbezogenen Organisationsstruktur ist letztlich nicht nur die Problemlösefähigkeit der einzelnen Gruppen und ihrer Mitglieder, sondern auch der Wissenstransfer zwischen den einzelnen Gruppen ausschlaggebend. Während Arbeitsgruppen einerseits auf Dauer das operative Geschäft, z. B. die Endmontage eines Fahrzeugs oder die Betreuung spezifischer Kundengruppen, übernehmen, haben sie zunehmend die Aufgabe, über ihre Tätigkeit zu reflektieren und ihre eigene Tätigkeit kontinuierlich zu verbessern. So sind Qualitätszirkel längerfristig angelegte Kleingruppen, deren Mitglieder eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage haben, in regelmäßigen Abständen auf freiwilliger Basis zusammenkommen, um Pro­ bleme des eigenen Arbeitsbereichs zu analysieren und gegebenenfalls unter Anleitung eines geschulten Moderators und mithilfe spezieller erlernter Problemlösungs- und  Die Darstellung dieses Abschnitts folgt weitgehend [39].

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Kreativitätstechniken Lösungsvorschläge zu erarbeiten, zu präsentieren sowie Vorschläge so weit wie möglich selbstständig umzusetzen und eine Ergebniskontrolle vorzunehmen (vgl. [48, 49]).

Die emotionale Intelligenz von Gruppen

Gruppen von Personen besitzen einen IQ, der aus den Talenten und Fähigkeiten aller Beteiligten resultiert, und es wird von der Höhe dieses IQ abhängig sein, wie gut sie ihre Aufgabe erledigen. Als das wichtigste Element der Gruppenintelligenz erweist sich nicht der durchschnittliche IQ im Sinn der akademischen Leistung, sondern im Sinn der emotionalen Intelligenz: Entscheidend für einen hohen Gruppen-­IQ ist die soziale Harmonie. Es liegt an dieser Fähigkeit zur Harmonie, wenn eine Gruppe unter sonst gleichen Bedingungen besonders talentiert, produktiv und erfolgreich ist, eine andere Gruppe dagegen, deren Mitglieder in sonstiger Hinsicht genauso talentiert und befähigt sind, schlecht abschneidet. Es trägt zur Gesamtleistung harmonischer Gruppen bei, wenn ein besonders talentiertes Mitglied dabei ist; Gruppen, in denen es zu größeren Reibungen kommt, können aus sehr fähigen Mitgliedern weit weniger Gewinn ziehen. In Gruppen, in denen – aus Angst oder Wut, aufgrund von Rivalitäten oder Ressentiments – die emotionalen und sozialen Spannungen groß sind, können die Leute nicht ihr Bestes geben. Herrscht dagegen Harmonie, kann eine Gruppe aus den Fähigkeiten ihrer kreativsten und talentiertesten Mitglieder den größtmöglichen Nutzen ziehen. Wissen hat daher nicht nur eine kognitive Komponente, sondern die kollektive Problemlösungsfähigkeit wird entscheidend von der emotionalen Intelligenz beeinflusst (nach [50, S. 205 f.]).

Eine gruppenbezogene Tätigkeit kann auch zeitlich begrenzt sein, wie dies bei der Lernstadt geschieht, in der sich Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen in einem der jeweiligen Produktionsstätte nahe gelegenen Raum zum Zweck des Erfahrungsaustauschs, zur Erweiterung des Grundwissens und zur Verbesserung und Vertiefung der Kommunikation oder Zusammenarbeit unter Anleitung von Moderatoren treffen. Wichtig ist jedoch genauso wie beim Qualitätszirkel, dass die Ergebnisse der einzelnen Gruppen auch anderen Gruppen bekannt gemacht und zur Verfügung gestellt werden, sodass nicht jede Gruppe wieder das Rad von Neuem erfinden muss. Ad-hoc-Problemlösungsgruppen werden auch im Rahmen des Work-out-Ansatzes von General Electric immer wieder zusammengestellt, wobei hier das Einbringen unterschiedlicher Sichtweisen und Interessen in einen Problemlösungsprozess im Vordergrund steht. Externe Akteure wie Kunden, Zulieferer bzw. die Administration werden in interne Pro­ blemlösungsprozesse genauso eingebunden wie unterschiedliche Geschäftsbereiche und Unternehmensebenen (zum Work-out s. Abschn. 8.4).

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Eine andere, mehr strategisch orientierte Art von Gruppen sind sogenannte Technology Groups, die sich mit neu aufkommenden Technologien befassen und deren Einsatzmöglichkeiten im Unternehmen untersuchen. Solche Gruppen sind sozusagen ein Fernrohr bzw. eine Antenne des Unternehmens nach außen, um neu aufkommende Technologien kennenzulernen und zu überprüfen, wie diese im Unternehmen eingeführt und umgesetzt werden könnten. Neben diesen formalen Gruppen gibt es in Unternehmen eine Vielzahl informeller Gruppen, die sich durch gemeinsame Freizeitaktivitäten, Aus- und Weiterbildungszeiten, frühere Zusammenarbeit etc. ergeben. Diese informellen Gruppen überdauern vielfach eine formale Gruppenbildung und sind ergiebig für den Wissenstransfer. Communities of Practice (Wissensgemeinschaften) sind solche Gruppen, auf die in Abschn. 5.5 näher eingegangen wird.

Zusammenfassung In Abb. 4.12 haben wir die oben dargestellten Organisationsformen unter den Kriterien Stabilität versus Erneuerung, Konkurrenz versus Kooperation sowie Wissensaufbau und -transfer einander gegenübergestellt. • Die Entrepreneurial Corporation ist aus Sicht des Verfassers diejenige, die sowohl Stabilität als auch Erneuerung, Konkurrenz und Kooperation besonders gut erfüllen kann. • Schnelles Wachstum in neuen Geschäftseinheiten wird besonders gut von der Sternexplosion-­Organisation geleistet. • Die unendlich flache Organisation ist gut für den Fall des Wachstums durch Replikation (Steigerung der Anzahl der Franchisepartner oder Geschäftsstellen) geeignet. • Das Konzept der Plattformorganisation wird turbulenten chaotischen Umweltbedingungen, wie wir sie insbesondere in Hightechbranchen finden, gerecht. • Netzwerke werden zunehmend genutzt, um sowohl unabhängige Organisationen als auch Einheiten eines Unternehmens vielfältig miteinander in Kontakt zu bringen. • Die invertierte Organisationsform ist besonders dann von Interesse, wenn hochqualifizierte Experten weitgehend unabhängig voneinander Leistungen erbringen, aber eine logistische Unterstützung bzw. Bündelung ihrer Leistung im Sinn einer Komplettdienstleistung erwünscht ist.

Abb. 4.12  Organisationsformen aus Sicht der wissensorientierten Unternehmensführung

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Literatur

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• Generell werden Wissensaufbau und -transfer durch Organisationsformen, die Kooperation und Erneuerung akzentuieren, am besten unterstützt.

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel erfahren Sie, wie sich die Wissensarbeit 4.0 entwickelt. Die veränderten Rollen oberer Führungskräfte, mittlerer Führungskräfte und fachlicher Mitarbeiter werden mit einer Selbstbeurteilung herausgearbeitet. Sie lernen weiterhin, wie Wissensarbeiter zu motivieren sind, wie sie ihre Kompetenzen entwickeln und was die Erfolgsfaktoren von Wissensgemeinschaften (Communities of Practice) sind, die Raum bieten, Erfahrungen auszutauschen und Ideen zu entwickeln.

5.1

Wissensarbeit 4.0

Auch wenn sich mit der Digitalisierung die Arbeitsteilung von Mensch und Maschine verändert, steht der Mensch mit seiner Kreativität, Improvisationsfähigkeit, Empathie und der Bewältigung von nicht standardisierbaren Aufgaben weiterhin im Mittelpunkt der Wertschöpfung (vgl. [47]). Wissensorientierte Unternehmensführung bedeutet daher zuallererst, sich über den Umgang mit Wissensträgern Gedanken zu machen: Wissenspotenziale der Mitarbeiter optimal zu nutzen, zu entwickeln und zu erhalten sowie Zugang zu geeigneten Wissensträgern zu ermöglichen. In Weiterentwicklung der Definition von North und Güldenberg [25] definieren wir Wissensarbeit 4.0 wie folgt: cc Wissensarbeit 4.0  Wissensarbeit 4.0 ist eine auf kognitiven Fähigkeiten basierende und durch Applikationen künstlicher Intelligenz unterstützte Tätigkeit mit immateriellem Arbeitsergebnis, deren Wertschöpfung in der Verarbeitung von Daten und Informationen, der Kreativität und daraus folgend der Generierung und Kommunikation von Wissen begründet ist. 

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_5

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Florida [7] beschreibt die Entstehung einer neuen sozialen Schicht, der „creative class“, deren Werte Kreativität, Individualität, Anderssein und Leistungsorientierung sind. Die „creative class“ umfasst in den USA und den OECD-­Staaten etwa ein Drittel der Beschäftigten und verdient etwa die Hälfte der Lohn- und Gehaltsumme [8]. Wissensintensive Berufe, wie z. B. Ingenieur, Softwareentwickler, Wissenschaftler, Lehrer, Berater, Banker, Manager, Journalist, Arzt, Jurist, Künstler, soziale Berufe oder informations- und kommunikationstechnische Berufe werden sich in den nächsten Jahren mit den Entwicklungen der künstlichen Intelligenz (KI) stark verändern. Jüngere Generationen, oft als Generation Y und Z bezeichnet, unterscheiden sich in ihren Qualifikationen, ihren Arbeitsweisen, ihren Ansprüchen an den Arbeitgeber und nicht zuletzt in ihren Wünschen hinsichtlich einer Work-Life-Balance von früheren Generationen [52]. Diese Ansprüche spiegeln sich auch in den Prinzipien der New-Work-Bewegung wider [50]: • Befähigen Sie die Mitarbeiter, Aufgaben zu erledigen, die sie wirklich wollen. • Arbeit sollte inspirierend sein. • Technologie sollte zum menschlichen Nutzen eingesetzt werden und nicht, um sich von ihr benutzen zu lassen. • Der Gemeinschaft Priorität einräumen: Das Gefühl, für eine Gemeinschaft und ein Ziel zu arbeiten, gibt den Menschen einen Sinn und hilft ihnen dabei, eine bessere Welt zu schaffen. • Setzen Sie sich für die Freiheit ein, Ihre Aufgaben, Ihre Projekte, Ihren Standort, Ihre Arbeitszeiten und das, was Sie lernen möchten, frei zu wählen. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Trends zusammen, die Wissensarbeit in Zukunft beeinflussen werden (vgl. [43, 44, 46, 48, 51, 55]): Vielfältige Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine: Laut einer Studie von McKinsey (22) haben 60 % der Berufe 30 % an Aktivitäten, die automatisiert werden könnten. Ob diese dann automatisiert werden, hängt aber von den technischen Entwicklungen und deren Wirtschaftlichkeit ab. Davenport und Kirby [45] plä­dieren für einen Mentalitätswandel weg von reiner Automatisierung – Ersatz des Menschen – hin zur Förderung der Augmentation, indem Wissensarbeiter intelligente Maschinen als Partner und Mitarbeiter bei der kreativen Problemlösung sehen. cc Augmentation oder Augmented Intelligence (erweiterte Intelligenz) bezeichnet die Unterstützung menschlicher Fähigkeiten durch intelligente Systeme. Anwendungen der künstlichen Intelligenz ermöglichen, ergänzen und erweitern das menschliche Handlungsrepertoire. Für die betroffenen Wissensarbeiter beschreiben Davenport und Kirby [45] fünf Entwicklungsstrategien, die durch entsprechende Maßnahmen der Personalentwicklung unterstützt werden sollten (vgl. [56]). Die Abb. 5.1 zeigt beispielhaft, was diese Strategien für einzelne Berufsgruppen bedeuten:

5.1 Wissensarbeit 4.0

115

Abb. 5.1  Augmentation: Beispiele der fünf Entwicklungsstrategien für Wissensarbeiter (nach [45], übersetzt durch SCIL [53])

„Step forward“  – Schritt voran: Wissensarbeiter entwickeln smarte Systeme weiter. Hier braucht es nicht nur Softwareentwickler oder Spezialisten für KI.  Darüber hinaus müssen auch Nutzeranforderungen erarbeitet und verdichtet, Projekte geleitet und Produkte bzw. Services vermarktet werden. „Step up“ – Steige auf: Intelligente Systeme übernehmen Routineaufgaben, z. B. die Analyse und Auswertung großer Datenmengen und leisten Vorarbeiten. Wissensarbeiter werden so von Aufgaben befreit, die „unter ihrer Würde sind“ und nutzen die Gelegenheit, sich mit übergeordneten Anliegen auseinanderzusetzen. Wissensarbeiter nutzen ihr Beurteilungsvermögen, ihre Kreativität und ihr Verständnis für Zusammenhänge. „Step in“ – Steige ein: Bei dieser Strategie überwachen die Wissensarbeiter Assistenzsysteme, Roboter und Algorithmen und stellen sicher, dass sie das tun, was sie tun sollen. Dazu gehört auch, die Grenzen („Was kann die Maschine – noch – nicht?“) zu kennen und die intelligenten Systeme zu trainieren und den Nutzern zu erklären, wie die Systeme „denken“ (s. auch Abschn. 3.2.1). „Step aside“ – Trete zur Seite: Zur Seite treten bedeutet, mentale Stärken zu nutzen, bei denen es nicht um rein rationale Kognition geht, sondern die sich auf die multiplen Intelligenzen stützen. Dies beinhaltet z. B. die emotionale Intelligenz, zu anderen Menschen Beziehungen aufzubauen, ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie nicht nur als Pflegeroboter zu unterstützen. Senioranwälte z. B. sind zwar gründlich mit dem Recht vertraut, sind aber nur selten die Experten ihrer Kanzlei, die sich mit allen Feinheiten des Rechts auseinandersetzen; das können Algorithmen besser. Die Anwälte können sich daher auf die Gewinnung neuer Aufträge und die individualisierte Beratung ihrer Mandanten konzen­ trieren. Dasselbe gilt für viele andere Berufsgruppen, wie z. B. Architekten, Investmentbanker und Berater. „Step narrowly“ – spezialisiere Dich: Bei diesem Ansatz geht es darum, ein Spezialgebiet zu finden, dessen Automatisierung nicht wirtschaftlich wäre. Spezialisten in einer

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5  Wissen ist menschlich

Nische verfügen über viel impliziertes Wissen, haben ein intuitives Verständnis, sind vernetzt mit anderen Spezialisten. Sie wissen z. B. alles über eine seltene Krankheit, kennen sich in komplexen Ökosystemen aus oder konzentrieren sich auf spezielle Kundengruppen. Verteilte Wertschöpfung: Die neue Arbeitswelt ist von Netzwerken geprägt. Standardisierte Back-end-Prozesse werden zwischen Unternehmen geteilt, ohne für Kunden oder Mitarbeiter sichtbar zu sein. Grenzen innerhalb und zwischen Organisationen verblassen, da die Arbeit in zeitlich befristeten Projekten organisiert wird, die von Personen mit vorübergehender Zugehörigkeit durchgeführt werden. Die klassischen Grenzen zwischen angestellten und freien Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten verschwimmen. So können Kunden an der Entwicklung neuer Produkte mitarbeiten und dafür honoriert werden, genauso wie dies bereits Zulieferer tun. Mitarbeiter entwickeln und steuern ihr eigenes ­Kompetenzportfolio, das sich dann in einem sich immer wieder neu konstituierenden ­Tätigkeitenportfolio bewähren muss und gestalten ihre eigenen Arbeitsumgebungen und -bedingungen soweit dies der Markt zulässt [38]. Mit Meetup-Gruppen, LinkedIn-­Netzwerken, BarCamps und Co-Working Spaces wird Austausch und Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg organisiert. Bei der Co-Creation verwischten sich die Grenzen zwischen Experten und Nichtexperten. Je nach Rolle und Umfeld ist jeder einmal ein Experte und dann wieder ein Nichtexperte [54]). Gig Economy und Crowdworking: Selbstständigkeit und Formen der freiberuflichen Arbeit sind zunehmend verbreitet und werfen Fragen der sozialen Absicherung und der Selbstausbeutung auf [42]). Insbesondere die Gig Economy wächst: So wie Musiker von einem bezahlten Auftritt (Gig) zum nächsten leben, verdingen sich neben Delivery-Boten und Uber-Fahrer auch Wissensarbeiter zunehmend über Vermittlungsplattformen. So vergeben z. B. über Twago oder Upwork Firmen einzelne Aufträge oder Projekte an Designer, Übersetzer oder Texter [49]. Das Ziel von Unternehmen, möglichst nur noch eine Kernbelegschaft längerfristig zu binden und ansonsten sich möglichst flexibel Arbeitskräfte oder Problemlösungen einzukaufen, führt zu einer Veränderung des Sozialkontrakts. Da­ rauf wird weiter unten eingegangen (s. hierzu auch das Fallbeispiel 17 „Workforce 21“. Arbeit ohne Grenzen: Hochqualifizierte Spezialisten arbeiten weltweit im Rahmen von Projektarbeit. Qualifikationen sind weltweit transparent und vergleichbar. Der räumliche Standort des Dienstleisters spielt keine Rolle mehr. Erstmals erhält Arbeit damit die gleiche Mobilität wie Kapital. Die traditionellen Orte und Zeiten der Arbeit lösen sich auf. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergeben sich daraus neue Möglichkeiten, z. B. zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch neue Belastungen („always on“). Büros dienen als temporäre Ankerpunkte für menschliche Interaktion und nicht mehr als tägliche Reiseziele. Office as a Service (OaaS) wird zu einem strategischen In­ strument, um Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu verfügbar zu haben. Diese Veränderungen der Wortschöpfung und Leistungserbringung haben Konsequenzen für Wissensarbeiter und Führung: Selbstmanagement wird Kernkompetenz: Da traditionelle Arbeitsbeziehungen und -prozesse aufgelöst sind, müssen Wissensarbeiter Selbstmanagement einschließlich Selbstor-

5.1 Wissensarbeit 4.0

117

ganisation und Selbstkontrolle lernen. Selbstmanagement bedeutet unter anderem, Arbeit zu organisieren, Arbeitsziele zu definieren oder neu zu definieren, adäquate Mittel und Methoden zu wählen, die eigene Kompetenzentwicklung sowie die Work-Life-Balance zu organisieren. Wissensarbeiter sind zunehmend selbst verantwortlich für die Erhaltung ihres Marktwerts. Digitale Führung: Die Verteilung der Arbeit auf verschiedene Standorte geht einher mit einem Wandel von einer Präsenz- zu einer Ergebniskultur (Mach deine Arbeit, wo immer du bist). Führungskräfte müssen lernen, diese verteilten Belegschaften mehr zu motivieren als sie zu kontrollieren. Die Kunst besteht darin, über unpersönliche Kanäle, die durch die Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglicht werden, persönliche Bindungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Fallbeispiel 17

Die „Workforce 21“ – Initiative von AT&T (vgl. [6]) „A corporation flexible in its allocation of resources and competencies stands a better chance of being successful. Workforce 21 is meant to be a tool for securing flexibility in resource allocation throughout AT&T and also supporting an efficient diffusion and proliferation of organizational and individual competences.“ Im Projekt Workforce 21 denkt AT&T insbesondere darüber nach, wie das Unternehmen einerseits den Zugang zu Wissensressourcen sichern, andererseits genügend Flexibilität für ein Agieren in sich schnell verändernden Märkten gewinnen kann. Kern der Überlegungen bilden die Gestaltung der zukünftigen Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Mitarbeitergruppen und eine neue Definition der Zugehörigkeit zum Unternehmen. Im AT&T-Modell wird die Workforce 21 aus Kernmitarbeitern bestehen, deren Anzahl sehr viel geringer sein wird als heute und die den operativen Geschäftseinheiten zugeordnet werden. Unterstützt werden diese Mitarbeiter von sogenannten internen Knowledge Centers, die hochspezialisiertes Wissen entwickeln, aufbereiten und gemeinsam mit den operativen Mitarbeitern in Kundenlösungen umsetzen. Hinzu kommen externe Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten, die zusätzliches Wissen der Organisation auf vertraglicher Basis zur Verfügung stellen. Die Grenzen zwischen intern und extern verschwimmen. Die Organisation wird zu einem Vertragsnetzwerk, das unter dem Kriterium des Wissensaufbaus und der Wissensumsetzung in Kundenlösungen entsteht. Kernmitarbeiter und Kernarbeit werden durch das benötigte bzw. zur Verfügung gestellte Wissen und die Kohäsion der Kernarbeit bestimmt. So erfordern z. B. Kundenauftragsprozesse eine enge Zusammenarbeit von Mitarbeitern, haben also eine hohe Kohäsion. Die Überlegungen zur Strukturierung von Workforce 21 sind in Abb. 5.2 visualisiert.

118

5  Wissen ist menschlich

Abb. 5.2  Mögliche Strukturierung von Arbeit [6]

Die Flexibilisierung von Arbeit bedeutet auch eine Veränderung des Sozialkontrakts. Die Wissensträger stellen ihre Intelligenz, ihre Lernfähigkeit und ihr Wissen dem Unternehmen zur Verfügung. Im Gegenzug verpflichtet sich das Unternehmen für einen gewisse Zeit, diese individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu nutzen, zu entwickeln und zu sichern, mit dem Ziel, sie in eine organisationale Wissensbasis (kollektive Intelligenz) zu überführen und daraus Werte zu schöpfen. In den Springer-Gabler Büchern von North und Güldenberg Produktive Wissensarbeit [25] und North, Reinhardt und Sieber-Suter Kompetenzmanagement in der Praxis [27] wird auf diese Veränderungen detaillierter eingegangen und Hilfestellung für das Managen von Wissensarbeit gegeben. Das Individuum wird gemäß seinem Beitrag zur unternehmerischen Wertschöpfung entlohnt; einerseits in Form von Geld, andererseits dadurch, dass das Unternehmen ihm die Chance bietet, Fähigkeiten und Fertigkeiten ständig weiterzuentwickeln und in anspruchsvollen Aufgaben einzusetzen. Bevor wir veränderte Rollen und Qualifikationsprofile einzelner Mitarbeitergruppen diskutieren, wollen wir in Form einer fiktiven Stellenanzeige Qualitäten herausarbeiten, die unter dem Gesichtspunkt wissensorientierter Unternehmensführung von Bedeutung sind. Viele dieser Qualitäten sind nicht neu, sondern entsprechen denjenigen, die schon seit über 30 Jahren im Sinn einer Humanisierung des Arbeitslebens gefordert und zum Teil auch schon realisiert sind (vgl. [31, S. 433 ff.]). Sehen wir uns nun die fiktive Stellenanzeige an:

5.1 Wissensarbeit 4.0

119

Fallbeispiel 18

Eine fiktive Stellenanzeige der Intelligenz AG Wir sind ein Unternehmen, das Wissen in Kundennutzen umsetzt. Wir leben von unserer organisatorischen Intelligenz, die auf der optimalen Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie, einer bewussten Pflege des Vertrauens, der Qualität der menschlichen Beziehungen sowie unserer formalen und informellen Netzwerke mit Lieferanten, Kollegen und Kunden aufbaut. Wir erwarten • eine solide fachliche Ausbildung; • die Fähigkeit, Informationen schnell zu beschaffen, zu interpretieren und in Handeln umzusetzen; • digitale Schlüsselqualifikationen (digitale Wissenserschließung, informierter Um­ gang mit Daten im Netz, kollaboratives Arbeiten); • Kreativität; • die Fähigkeit zum Selbstmanagement; • Kommunikationskompetenz; • Bereitschaft, sich eigeninitiativ weiterzubilden; • soziale Kompetenz und Ausgeglichenheit; • Mitarbeit in unseren Netzwerken sowie • die Bereitschaft, Wissen zu teilen und • Loyalität gegenüber dem Gesamtunternehmen. Wir bieten • Freiräume für unternehmerische Initiative und Kreativität; • ein Wertesystem, das Zusammenarbeit, Lernen von anderen, Authentizität und Offenheit für neue Ideen beinhaltet; • eine Tätigkeit in weitgehend selbstbestimmten Teams; • eine horizontale Mobilität (anstelle einer Karriere klassischer Art); • selbst gestaltbare Aus- und Weiterbildung sowie Coaching und • eine Vergütung, die sich an Ihrem Beitrag zur Wertschöpfung orientiert. Ist damit eine ideale Arbeitswelt der Zukunft beschrieben? Mit der Schaffung von Rahmenbedingungen, die Eigeninitiative, Kreativität und Wissenstransfer fördern, wird jedoch auch eine Erwartung seitens der Unternehmen an die Mitarbeiter geknüpft: ihr Wissen extensiv zu nutzen und in Geschäftserfolge umzusetzen. Dies bedeutet vielfach eine Intensivierung der Arbeit, insbesondere für Fachleute. So wird z. B. Software rund um die Uhr und rund um den Globus entwickelt. Ein Betriebsrat berichtet: „Früher haben wir ein Projekt abgeschlossen und hatten dann Zeit zum Nachar-

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5  Wissen ist menschlich

beiten. Heute folgt Projekt auf Projekt: Früher hatten wir Zeit für Lernphasen, heute müssen ein paar Stunden integriert ins Tagesgeschäft reichen“. Mit der vernetzten Industrie 4.0 steigt auch auf Ebene der Arbeitnehmer in der Fertigung der Erwartungsdruck, mehr zu leisten als in der klassischen arbeitsteiligen Organisation. Wenn Mitarbeiter ihre Arbeitsabläufe selbst festlegen, dann wird auch erwartet, dass sie ständig ihre eigene Arbeit unter die Lupe nehmen, sie verbessern und dass sie ihr Wissen über Prozess- oder Produktverbesserungen weitergeben, und zwar als Teil ihrer normalen Arbeitstätigkeit und nicht als eine extra zu honorierende Verbesserungsleistung. Nicht alle Mitarbeiter werden sich ständig diesem Druck aussetzen wollen. Einige werden sich entscheiden, z. B. als externe Entwickler an spezifischen Projekten mitzuarbeiten, als Unternehmensberater in größeren Beratungsunternehmen nur noch für X  Tage zur Verfügung zu stehen, sie werden fremd vergebene Instandhaltungs- und Wartungsaufgaben übernehmen oder sich als Sublieferanten in Produktionsnetzwerke

Das Konzept der Lebensunternehmerin (vgl. [19, S. 129–135])

Der veränderte Status der Erwerbstätigkeit und die darauf folgenden Veränderungen von Arbeitsmarkt- und Sozialsystemen werden über Jahrzehnte zu neuen Rahmenbedingungen des Lebens und Wirtschaftens führen, deren neue Leitfigur die Lebensunternehmerin ist. Immer mehr Menschen werden gezwungen sein, die Fähigkeiten zu entwickeln, die Möglichkeiten zu erkennen und den Wunsch zu hegen, eine unternehmerische Grundhaltung gegenüber ihrem eigenen Leben zu entwickeln. Sie werden sich einen Lebenspfad suchen, der aus ihren biografischen Gegebenheiten herausfließt und ihren besonderen Stärken und Vorlieben entspricht. Dieser Lebenspfad wird in aller Regel nicht geradlinig verlaufen, sondern ein sich immer wieder neu konstituierendes Tätigkeitenportfolio hervorbringen, eine Kombination verschiedener Erwerbs- und Nichterwerbstätigkeiten, die immer wieder neu optimiert werden. Während das Industriezeitalter Männer prämierte, die auf genau definierten, von Fachwissen, Disziplin und Machtstreben geprägten Berufslaufbahnen in der Hierarchie nach oben rückten und auf diesem Weg alle nicht zielführenden Qualitäten wegrationalisierten, haben sich bereits heute berufstätige Frauen der Not gehorchend zu Lebensunternehmerinnen entwickelt, die mehrere soziale Funktionen miteinander zu verbinden haben. Da Frauen meist mehr Gewicht auf die soziale und kommunikative Funktion legen als Männer, mehr sachbezogen als macht- und hie­ rarchiebezogen agieren, weniger Scheu vor emotionalem Engagement zeigen und neben der rational kognitiven die intuitive und spontane Komponente mehr ins Spiel bringen, sind sie für den Erfolg in Netzwerkorganisationen des kulturellen Zeitalters besser gerüstet als Männer. Lebensunternehmerinnen lernen frühzeitig, dass Le-

5.1 Wissensarbeit 4.0

121

benserfolg nicht auf Nullsummenspielen, sondern auf Synergiespielen beruht, dass die Pflege des Beziehungskapitals die wohl wichtigste Investition im Leben ist und dass sie auf einem Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen beruht bzw. auf der Bereitschaft, die Erwartungen der Mitmenschen wahr- und ernst zu nehmen und auf sie zu antworten. In einer Gesellschaft von Lebensunternehmerinnen gilt es, Werte wie Offenheit, Toleranz, Empathie und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln. Zur Unterstützung der Lebensunternehmergesellschaft wird ein Bildungssystem benötigt, das flexibel und offen für den Wettbewerb ist und das sich einstellt auf die Erfordernisse einer lebenslangen maßgeschneiderten Entwicklung in enger Verknüpfung mit dem jeweiligen Tätigkeitenportfolio.

Abb. 5.3  Akteure eines wissensorientierten Unternehmens

eingliedern. Sie werden weniger verdienen, aber sie werden ihre Zeit unter Umständen freier gestalten können, sie werden freiwillig oder gezwungen zur Lebensunternehmerin. Nach dieser Darstellung der Wissensarbeit 4.0 wollen wir uns unterschiedliche Mitarbeitergruppen im wissensorientierten Unternehmen ansehen (Abb. 5.3).

122

5.2

5  Wissen ist menschlich

Die Mitdenker des Wissensunternehmens

Allgemeine Anforderungen an Mitarbeiter im wissensorientierten Unternehmen haben wir bereits in der fiktiven Stellenanzeige abgehandelt, sodass wir im Folgenden fünf spezifische Gruppen von Mitarbeitern betrachten wollen, die Akteure eines wissensorientierten Unternehmens sind: • Wissenspraktiker: Die fachlichen Mitarbeiter, die Wissenspraktiker, führen Aufträge professionell durch, während sie ständig fachlich lernen. • Wissensingenieure und -unternehmer: Die zweite Personengruppe besteht aus mittleren Führungskräften, den Wissensingenieuren und Wissensunternehmern, die Marktpotenziale bzw. Kundenprobleme in Lösungen umsetzen. Mittlere Führungskräfte sind Wissensingenieure, die das Wissen ihrer Wissenspraktiker bündeln und zur Erzielung von Kundennutzen verpacken und damit unternehmerisch tätig werden. • Visionäre und Kontextgestalter: Die oberen Führungskräfte sind Visionäre und Kontextgestalter, die Marktpotenziale erkennen und wissensfördernde Rahmenbedingungen schaffen sowie die Zielgerichtetheit der unternehmerischen Aktivitäten kon­ trollieren. • Informationsbroker und Infrastrukturmanager: Die vierte Mitarbeitergruppe, die ihrer Qualifikation nach den fachlichen Mitarbeitern zuzurechnen ist, sind die Informationsund Kommunikationsmitarbeiter, die Informationsbroker und Infrastrukturmanager. Ihre Aufgabe ist es, die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur eines Un­ ternehmens sowohl technisch als auch inhaltlich weiterzuentwickeln und operativ zu managen. • Support-Mitarbeiter: Die fünfte Mitarbeitergruppe sind die Support-Mitarbeiter, die in Sekretariaten, Backoffices, Call-Centers, Rezeptionen etc. einerseits die übrigen Mitarbeitergruppen gezielt unterstützen und andererseits das Image der Organisation beim Kunden entscheidend beeinflussen können. Die Aufgaben und Rollen dieser Personengruppen sind weitgehend determiniert durch die Organisationskonzepte bzw. Managementansätze, wie wir bereits im Überblick in Kap.  3 gesehen haben. Unter dem Gesichtspunkt der Wissenserzeugung haben Nonaka und Takeuchi (vgl.  [23, S.  125 ff.]) Top-down- und Bottom-up-Ansätze analysiert und kommen zu dem Schluss, dass ein dritter Weg, der Middle-up-down-Ansatz besser geeignet ist, die Wissenserzeugung im Unternehmen zu fördern. In Abb. 5.4 sind die drei Managementansätze, die im Folgenden näher beschrieben werden, in Bezug auf die Wissenserzeugung einander gegenübergestellt. • Top-down-Ansatz: Im Top-down-Ansatz erreichen vereinfachte und selektierte Informationen durch die hierarchische Pyramide die oberen Führungskräfte, die aus diesen Informationen Pläne, Aufträge und Instruktionen entwickeln, die für die mittlere Führungsebene verbindlich sind und die von den fachlichen Mitarbeitern umgesetzt werden.

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

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Abb. 5.4  Vergleich der Managementansätze bezüglich Wissenserzeugung [23, S. 130]

• Bottom-up-Ansatz: Im Gegensatz dazu zielt der Bottom-up-Ansatz auf Autonomie unternehmerisch handelnder Einzelpersonen ohne Interaktion. Implizites Wissen wird auf unteren Ebenen geschaffen, aber nicht geteilt und in explizites Wissen umgewandelt. Es gibt keine klare Zielrichtung der Wissensentwicklung. • Middle-up-down-Ansatz: Im Gegensatz dazu spielen beim Middle-up-down-Ansatz mittlere Führungskräfte eine Schlüsselrolle im Prozess der organisationalen Wissenserzeugung. Im Middle-up-down-Ansatz entwickeln obere Führungskräfte eine Vision oder einen Traum, während die mittlere Führungsebene konkretere Konzepte entwickelt, die von den Mitarbeitern an der Front, den fachlichen Mitarbeitern, verstanden und implementiert werden können. Mittlere Führungskräfte versuchen, den Widerspruch zwischen dem, was die obere Führungsebene zu erreichen hofft, und dem, was in der realen Welt derzeit existiert, zu lösen. Mittlere Führungskräfte sind sozusagen Übersetzer, die die richtigen Worte, Metaphern, Slogans finden, die von den fachlichen Mitarbeitern, aber auch von den Kunden verstanden werden und sie für eine Aufgabe bzw. ein Produktkonzept begeistern können. Zu kurz kommt jedoch in Nonaka und Takeuchis Betrachtung die Rolle mittlerer Führungskräfte als Unternehmer, die Kundenlösungen entwickeln und verkaufen. Erst die Fähigkeit der mittleren Führungsebene, das Wissen der fachlichen Mitarbeiter so zu verpacken und zu bündeln, dass Kunden darin eine Lösung für ihre Problemstellungen erkennen und gewillt sind, diese Lösungen zu kaufen, zeichnet erfolgreiche Wissensingenieure und -unternehmer aus.

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5  Wissen ist menschlich

5.2.1 Führung von Wissensarbeitern Der Middle-up-down-Ansatz erfordert auch ein neues Führungsverständnis, das in den folgenden vier Thesen zusammengefasst wird (vgl.  [25], zur Führung von Wissensarbeitern).

5.2.1.1 Führung heißt Sinn stiften Eine der wesentlichen Dimensionen der Führung ist die Beschäftigung mit Motiven und der Motivation von Mitarbeitern. Die eigentliche Führungsherausforderung besteht darin, die intrinsische Motivation der Mitarbeiter (Mitdenker) mit den Zielen der Organisation in einem dialogischen Prozess in Übereinstimmung bringen und daraus eine Identifikation mit der Organisation zu entwickeln. Nur diese echte Identifikation schafft die Grundlage für den Mut, die Vorstellungskraft, die Geduld, die Leidenschaft und die Konsequenz, die notwendig sind, um Lernprozesse in Organisationen zu fördern. Mitarbeiter, die den Sinn ihrer Tätigkeit kennen, voll dahinterstehen, sich selbst einbringen und dafür Anerkennung erhalten, sowie solche, die nicht um ihren Job fürchten müssen, werden ihre Potenziale zum Nutzen der Organisation oder ihrer eigenen freien Tätigkeit einbringen. Diese Hypothese klingt plausibel und doch erleben wir es im Arbeitsalltag häufig anders. Buckingham und Coffman ([3], S. 21) untersuchten Faktoren, die unverzichtbar sind, will das Unternehmen erstklassige Mitarbeiter gewinnen, an sich binden und produktiv beschäftigen. Die folgenden sechs Faktoren weisen eine hohe positive Korrelation mit den Parametern Produktivität, Rentabilität, Mitarbeiterbindung und Kundenzufriedenheit auf: 1 . Weiß ich, was bei der Arbeit von mir erwartet wird? 2. Habe ich die Arbeitsmittel, um meine Tätigkeit richtig durchzuführen? 3. Habe ich bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann? 4. Habe ich in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob bekommen? 5. Interessiert sich meine Vorgesetzte oder eine andere Person bei der Arbeit für mich als Mensch? 6. Gibt es bei der Arbeit jemanden, der mich in meiner Entwicklung unterstützt und fördert?

5.2.1.2 Führung heißt, gemeinsam lernen Wir können heute beobachten, dass erfolgreiche Organisationen ihren strategischen Wettbewerbsvorteil durch eine Änderung des gesamten Management- und Führungssystems erreichen. Weniger Kontrolle und mehr gemeinsames Lernen führen zu nachhaltigem Erfolg. In diesem Sinn sind Führungskräfte Gestalter und Begleiter von Lernprozessen. Strategie ist nicht mehr ein Plan, der umgesetzt werden muss, sondern eine kultivierte Art des fokussierten Denkens, Lernens und Handelns. Kultiviert im Sinn von gemeinsam geteilter und in Strukturen niedergelegter Sprache und Intelligenz. Fokussiert in dem Sinn,

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

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dass man sich auf die Dinge konzentriert, die man besonders gut kann und sie an die ökonomischen Gegebenheiten des Umfelds kontinuierlich anpasst. Mitarbeiter lernen zunehmend im Prozess der Arbeit und selbstorganisiert. Während dieses situative und soziale Lernen an Bedeutung gewinnt, wird die formelle und individuelle Aus- und Weiterbildung zurückgedrängt. Die zeitlich hochbelasteten Wissensarbeiter lernen immer weniger auf Vorrat, sondern bezogen auf einen aktuellen Anlass und dann sehr zielorientiert. Das situative bzw. soziale Lernen beruht weiterhin auf einer Vielfalt von Lehr- und Lernformen möglichst nah an der Erfahrungswelt der Lernenden und Lehrenden. Eine Vielfalt von Netzwerken, Wissensgemeinschaften, und Communities unterstützt diese Art von Wissensaustausch und Lernen. Hierbei sind die Möglichkeiten sozialer Netzwerke und von Kollaborationsplattformen hilfreich, indem die Trennung zwischen Wissensproduzenten und Wissenskonsumenten zunehmend aufgehoben wird. cc

Eine Frage, die Kultur verändert  In den Treffen Ihres Teams oder Ihrer Abteilung sollten Sie ein regelmäßiges Zeitfenster haben, um die folgende Frage zu besprechen: Was haben wir in dieser (letzten) Woche gelernt? Halten Sie diese Erkenntnisse fest, ziehen Sie Schlussfolgerungen und teilen Sie Ihre Erkenntnisse mit anderen Teams. 

5.2.1.3 Führung heißt (Spiel-)Raum für Veränderung schaffen Wenn Wissensarbeiter ihre Tätigkeit am besten selbst managen, dann sollten Führungskräfte sie dabei nicht einschränken, sondern Raum schaffen. Aufgabe eines wie auch immer gearteten Organisators in humanen, sozialen Systemen ist die Schaffung und Erneuerung von Kontexten, die die Freiheitsgrade oder Wahlmöglichkeiten erhöhen und damit das Potenzial für die Selbstregulierung und Innovation für alle Beteiligten vergrößern (vgl. [32, S. 113]). Nutzung und Entwicklung des kreativen Potenzials und die täglichen operativen Aufgaben stehen oft im Widerspruch. Der Spagat zwischen Strukturierung und Freiraum, Lernen (sozusagen Auftanken) und Leistungerbringen ist die dauernde Herausforderung produktiver Wissensarbeit. Ein Produktivitätssprung wird häufig dadurch erreicht, dass individuell agierende Experten in ein Team integriert bzw. orientiert an einem Prozess ihre Leistung erbringen. Wissensarbeiter sind oft Mitglieder mehrerer Ensembles, z.  B. in unterschiedlichen Projekten mit unterschiedlichen Ansprechpartnern, Problemstellungen und Anforderungen. Die Organisation kann hierfür jedoch nur den Rahmen vorgeben, Selbstorganisation und Selbststeuerung und das Umgehen mit Freiräumen müssen von den Wissensarbeitern geübt und gelernt werden. Weitere Produktivitätspotenziale liegen in der Entlastung von Wissensarbeitern von administrativen Aufgaben, d.  h. Zeit wird für höherwertige Wertschöpfung frei. Leider sehen wir derzeit in der Praxis eher umgekehrte Entwicklungen. So beklagen die Ärzte,

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5  Wissen ist menschlich

dass sie zunehmend mit einer von ihnen als unsinnig betrachteten Dokumentation des Behandlungsprozesses beschäftigt werden und damit weniger Zeit für die Patienten haben. Reisekostengenehmigungen und Abrechnungen sind weitere häufig verbreitete und von den Wissensarbeitern gehasste Tätigkeiten.

5.2.1.4 Führung ist Dienstleistung Wie verändert sich ein Führungsverständnis, das Führung als Dienstleistung und nicht als Machtposition versteht? In einer Wissensgesellschaft werden wir deshalb als erstes unser Weltbild von Führungskräften verändern müssen, die bis heute häufig als einsame Helden (weniger Heldinnen) eines Unternehmens gesehen werden oder sich selbst so sehen. Führungskräfte werden zukünftig ihr Dienstleistungsportfolio entwickeln und sich damit behaupten müssen. Unter der Optik eines lernorientierten und (Spiel-)Raum schaffenden Führungsverständnisses gepaart mit dem unternehmerisch orientierten Middle-up-down-Ansatz wollen wir im Folgenden die Rollen und Aufgaben der einzelnen Mitarbeitergruppen näher betrachten.

5.2.2 M  ittlere Führungskräfte: Die Renaissance einer totgeglaubten Spezies Mit der Restrukturierung hierarchischer Organisationen, dem Abbau von Führungsebenen und der Selbstorganisation teilautonomer Gruppen wurden in den Diskussionen der vergangenen Jahre mittlere Führungskräfte häufig als Hindernisse für Veränderungen gesehen. Managementgurus erklärten, dass die Unternehmen der Zukunft fast ohne mittlere Führungskräfte auskommen werden (vgl. [13, 34]). In der Tat sind mittleren Führungskräften vielfach ihre traditionellen Aufgaben als Implementierer von Strategien bzw. als angesehene Fachleute im Sinn eines traditionellen Meisters abhandengekommen, während Mitarbeitergruppen durch Konzepte teilautonomer Gruppenarbeit, des Empowerments, Statur gewannen. Wissensorientierte Unternehmensführung weist mittleren Führungskräften jedoch eine Schlüsselrolle zu. Trotz ihrer Heterogenität zeichnen sich mittlere Führungskräfte wie z. B. Manager einer Unternehmensberatung, Betriebsleiter einer Elektronikfertigung oder Leiter eines Entwicklungsprojekts durch gemeinsame biografische Elemente aus, die sie für die neue Aufgabe prädestinieren, Wissen zu bündeln und kundenspezifisch zu verpacken. Mittlere Führungskräfte sind, bis sie diese Ebenen erreichen, bereits einige Jahre im Unternehmen und haben als fachliche Mitarbeiter gelernt, Aufträge professionell durchzuführen. Sie verstehen die Spielregeln der Organisation und sind in ihre Position gekommen, weil sie kompetent sind und Vertrauen genießen; sowohl das Vertrauen ihrer Vorgesetzten als auch das ihrer Mitarbeiter. Dies ist gerade in der digitalen und flexiblen Arbeitswelt von Bedeutung, in der das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse der Mitarbeiter wichtiger wird. Teamleiter sind noch nicht zu hoch in der Organisation gestiegen,

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

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sodass sie den Kontakt mit Kunden und den Ideen neuer Mitarbeiter noch nicht verloren haben bzw. noch motiviert sind und den Biss haben, Veränderungen und Neues anzuregen und durchzusetzen. Dieser Erfahrungshintergrund unterstützt sie bei der Wahrnehmung ihrer neuen Aufgaben: „Statt Anweisungen zu erteilen, räumen sie nun Hindernisse aus dem Weg, beschleunigen die Mittelvergabe, führen Untersuchungen durch und agieren als Berater“ [35, S. 102]. Diese Aufgabenbeschreibung passt sehr gut auf einen Betriebsingenieur in der Automobilfertigung, der vom Disziplinarvorgesetzten zum Unterstützer der Arbeitsgruppen in der Fertigung geworden ist. Für den Manager in einer Unternehmensberatung kommt das unternehmerische Element hinzu, den potenziellen Beratungsbedarf bei einem Mandanten zu erkennen bzw. Akquisition durchzuführen. Lars Kolind, Geschäftsführer des innovativen dänischen Hörgeräteherstellers Otikon (s. Fallbeispiel in Abschn. 4.1), fügt eine weitere Aufgabe für Führungskräfte hinzu, die gerade für mittlere Führungskräfte höchste Bedeutung hat: die Fähigkeit, Mitarbeiter glücklich zu machen und ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, während sie in einem sehr unstrukturierten, chaotischen, schwierigen und sich ständig verändernden Umfeld arbeiten [16, S. 50]. Mittlere Führungskräfte als Wissensingenieure (vgl. [23, S. 154]) sind Vermittler zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte. Sie synthetisieren das implizite Wissen sowohl der fachlichen Mitarbeiter als auch der oberen Führungskräfte, machen es explizit und integrieren es in neue Technologien, Produkte oder Systeme. Außerdem sorgen sie dafür, dass das Wissen der Einzelnen in der Organisation transferiert wird. So wie dies Ikuko Tanaka in unserem Fallbeispiel bei der Entwicklung der Home Bakery bei Matsushita tat (s. Kap. 3). In Abb. 5.5 sind wichtige Aufgaben mittlerer Führungskräfte dargestellt, für die Sie Ihr persönliches Rollenprofil nach Ist und Soll eintragen können. Jedes Kriterium kann nach Priorität (wie wichtig es ist …) und Zeitbudget (welchen Zeitanteil meiner Arbeitszeit verbrauche ich für …) beurteilt werden. Der Logik des Middle-up-down-Ansatzes folgend sollen nun Rollen und Aufgaben oberer Führungskräfte im wissensorientierten Unternehmen beschrieben werden, um uns danach den fachlichen Mitarbeitern und den Informations- und Kommunikationsmitarbeitern zuzuwenden.

5.2.3 Obere Führungskräfte: Visionäre Kontextgestalter Für die Entrepreneurial Corporation hatten wir in Kap. 3 die Aufgaben der Unternehmensleitung und damit der oberen Führungskräfte wie folgt beschrieben: • Management der Spannungen zwischen kurzfristigem Erfolg und langfristiger Ambition, • Werte entwickeln und verankern sowie • strategische Ziele (Leitbild) und Prioritäten festlegen.

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5  Wissen ist menschlich

Abb. 5.5  Aufgaben und Rollen mittlerer Führungskräfte

Der Wandel vom hierarchischen zum unternehmerischen Handeln verlangt ein verändertes Rollenverständnis von Führungskräften: Führungskräfte sollten die meisten Entscheidungen dem Markt überlassen, eine organisatorische Infrastruktur schaffen, die Verhalten lenkt, und Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens fördern (vgl. [10, S. 69; vgl. auch 31]). Während in heutigen realen Unternehmen Führungskräfte einen großen Anteil ihrer Zeit damit verbringen, Probleme des operativen Geschäfts zu lösen sowie mit den Auswirkungen fehlgeleiteter Anreizsysteme zu kämpfen, sieht die wissensorientierte Unternehmensführung Führungskräfte als visionäre Kontextgestalter. Sie erkennen Marktpotenziale frühzeitig, wecken Begeisterung und gestalten Rahmenbedingungen, insbesondere durch Anreizsysteme, die Wissensaufbau und -transfer fördern. Sie beschreiben das erwartete Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitern und leben selbst dieses gewün­ schte Verhalten vor. Sie verkörpern als Personen die Werte der Organisation, sie sind höchste moralische Instanz im Unternehmen, ihr Handeln wird geleitet von Weisheit („wisdom“). In der US-amerikanischen Managementliteratur wird der Begriff „wisdom“ vielfach verwendet, um die von der Unternehmensleitung verkörperten Handlungsmaximen zu beschreiben, die das Verhalten der Mitarbeiter der gesamten Organisation leiten (vgl. [9]). Obere Führungskräfte bringen unterschiedliche Interessen in Einklang, coachen mittlere Führungskräfte, entdecken und entwickeln Talente, kontrollieren aber auch konse-

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

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quent, ob die Ergebnisse der unternehmerischen Tätigkeit der mittleren Ebene den Zielvorgaben entsprechen. Obere Führungskräfte, die von allen anderen im Unternehmen fordern, ständig zu lernen und sich weiterzubilden, sollten selbst ein bestimmtes Zeitbudget für ihre eigene Weiterbildung reservieren. Nonaka und Takeuchi beschreiben obere Führungskräfte als Wissensoffiziere, als Knowledge Officers (vgl. [23, S. 156]), die Aktivitäten des Wissensaufbaus eines Unternehmens dadurch eine Richtung geben, dass sie erstens Konzepte artikulieren, wie das Unternehmen sein sollte, zweitens eine wissensbezogene Vision in Form eines Leitbilds etablieren und drittens Standards setzen für den Wert des Wissens, das aufgebaut wird. Wie dies im Einzelnen konkret geschehen kann, ist in Kap. 8 beschrieben. Auch für die oberen Führungskräfte haben wir eine Reihe von Aufgaben und Rollen zusammengestellt, für die Sie Ihr persönliches Rollenprofil nach Priorität und Zeitbudget der Aufgabe eintragen und mit der derzeitigen Ist-Situation vergleichen können (Abb. 5.6).

5.2.4 Fachliche Mitarbeiter: Die Wissenspraktiker Fachliche Mitarbeiter sind die primären Wissensressourcen eines Unternehmens, die ihr fachliches Wissen unter Anleitung und Koordination mittlerer Führungskräfte im Rahmen des von der Unternehmensleitung definierten Kontexts in Kundenlösungen umsetzen. Sie

Abb. 5.6  Aufgaben und Rollen oberer Führungskräfte

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5  Wissen ist menschlich

sind es, die vielfach die Leistung des Unternehmens beim Kunden realisieren und damit das Image des Unternehmens prägen und die Kundenzufriedenheit entscheidend beeinflussen. Fachliche Mitarbeiter sind so viel wert, wie ihr Wissen wert ist. Es ist daher in ihrem ureigensten Interesse, ständig neues Wissen zu erwerben, ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert zu werden, um dadurch nicht an Wert in einer sich ständig verändernden Umgebung zu verlieren. cc

Experten – ein Kurzporträt (vgl. [37, S. 57])  

• E xperten zeichnen sich aus durch eine profunde Kenntnis ihres Fachgebiets, zu dessen Entwicklung sie aktiv beitragen. • Experten mögen komplexe Probleme, Fortschritte in ihrem Berufsfeld, Freiheit in der Suche nach neuen Lösungen, gut ausgestattete Arbeitsplätze bzw. Laboratorien und öffentliche Anerkennung für ihre Leistungen. • Experten verabscheuen Regeln, die ihre Freiheiten einengen, Routinearbeiten und Bürokratie. • Experten fehlen häufig ausgeprägte Managementfähigkeiten. • Experten bewundern Personen, die bessere Fachleute als sie selbst sind. • Experten verachten machtorientierte Personen.

Sveiby [37, S. 72] hat diese Problematik als Lebenszyklen des fachlichen Mitarbeiters dargestellt (Abb.  5.7). Mit dem Alter bzw. den Berufsjahren steigt im Allgemeinen die fachliche Kompetenz des Mitarbeiters an, im positiven Fall aus Sicht des Unternehmens stärker als die Mitarbeiterkosten. Zu Beginn der Karriere sind durch Ausbildung bzw. begrenzten Einsatz die Mitarbeiterkosten höher als der Gewinn. In der Folge steigt der Marktwert schneller als die Mitarbeiterkosten, der Mitarbeiter rentiert sich, spielt mehr als seine Kosten ein. Irgendwann wird ein Plateau erreicht, auf dem der Steigerung des Gehaltsniveaus keine entsprechende Steigerung des Werts der Mitarbeiterkompetenz gegenübersteht. Spätestens vor dem Erreichen dieses Plateaus sollten sich Unternehmen und Mitarbeiter Gedanken machen, wie durch die Übernahme neuer Aufgaben bzw. eine neue Qualifizierung die Erfahrungen des Mitarbeiters im Unternehmen weiterhin gewinnbringend genutzt werden können. Ist dies nicht der Fall, wird das Unternehmen geneigt sein, sich über kurz oder lang von diesem Mitarbeiter zu trennen. In der Realität entwickeln sich Kompetenz und Kostenentwicklung eines Mitarbeiters eher diskontinuierlich. Wissensorientierte Unternehmen werden zunehmend den kommerziellen Wert der fachlichen Kompetenz ihrer Mitarbeiter beurteilen, wie dies z. B. in Unternehmensberatungen durch die erlösten Tagessätze eines Beraters einfach möglich ist. Neben der ständigen Aktualisierung der fachlichen Kompetenz gibt es weitere Möglichkeiten für fachliche Mitarbeiter, sich im Unternehmen unentbehrlich zu machen: durch die von ihnen aufgebauten Kundenbeziehungen. Möchte ein Kunde immer wieder mit Frau X oder Herrn Y zusammenarbeiten, dann würde eine Versetzung dieser Mitarbeiter die aufgebaute Kundenbeziehung zerstören. Aus dieser Sicht ist es für fachliche Mitarbei-

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

131

Abb. 5.7  Lebenszyklusmodell des Marktwerts fachlicher Kompetenz (schematische Darstellung nach [37, S. 72])

ter bedeutsamer für die Sicherung ihrer Position, mit weniger Kunden intensiver zusammenzuarbeiten als mit vielen Kunden, was vielleicht für ein beschleunigtes Lernen sinnvoller wäre. Die dritte Möglichkeit der Positionierung fachlicher Mitarbeiter im Unternehmen ist durch die Mitarbeit in Kompetenznetzwerken gegeben, in denen Mitarbeiter ihr Wissen zur Verfügung stellen, sich als Experten für ein Thema profilieren, Beiträge im unternehmensinternen Informationssystem einstellen bzw. als Ansprechpartner für gewisse Themen zur Verfügung stellen. Auch wenn viele Fachleute dem Marketing ihrer eigenen Person gegenüber skeptisch eingestellt sind, ist dies als ein wichtiger Bestandteil im Rahmen der Karriereentwicklung in einem wissensorientierten Unternehmen anzusehen. Ein viertes Element zur Positionierung im Unternehmen und um Zugang zu Wissen zu erhalten, ist der Aufbau informeller Netzwerke mit anderen fachlichen Mitarbeitern bzw. mit Gleichgesinnten in Berufsverbänden sowie ehemaligen Studien- oder Seminarkollegen. Während einerseits fachliche Mitarbeiter daran interessiert sein werden, ihren Marktwert und ihre Position im Unternehmen zu sichern, wird andererseits ein wissensorientiertes Unternehmen alles daran setzen, fachliche Mitarbeiter zu motivieren und ihre Fähigkeiten zu entwickeln, um so möglichst viel Wert mit dieser Humaninvestition zu schaffen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Renditen von Humankapitalinvestitionen in der Regel deutlich höher sind als die Renditen von Sachkapitalinvestitionen (vgl.  [15, S. 123]). Investitionsentscheidungen in Humankapital haben jedoch ihre Tücken: Ein Investor kann die Eignung eines potenziellen Mitarbeiters zur Akkumulation von Humankapital nicht im gleichen Maß einschätzen wie die Eignung von Sachkapital. Das Risiko ­einer Fehlinvestition ist also entsprechend größer. Investitionen in Mitarbeiter bieten im

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5  Wissen ist menschlich

Gegensatz zu Sachkapitalinvestitionen aus Sicht des Investors keine Möglichkeiten zur Besicherung. Das heißt, die spezifischen Eigenschaften des Humankapitals führen aus Sicht eines Investors zu einem im Vergleich zu Sachkapitalinvestitionen erheblich erhöhten Risiko. Wie können Unternehmen dieses Risiko in der Praxis mildern? Wir wollen im Folgenden auf drei Elemente eingehen: • Rekrutierung fachlicher Mitarbeiter, • Motivation fachlicher Mitarbeiter und • Aus- und Weiterbildung fachlicher Mitarbeiter.

5.2.4.1 Rekrutierung fachlicher Mitarbeiter Gezielter Wissensaufbau und -transfer scheinen in einem Unternehmen dann am besten möglich zu sein, wenn ein relativ stabiler Pool von Mitarbeitern in sich verändernden Konstellationen über längere Zeit zusammenarbeitet (vgl. [11]). Dies bedeutet, dass Unternehmen nicht in erster Linie Mitarbeiter der Kernbelegschaft unter dem Gesichtspunkt auswählen, welches Wissen für ein aktuelles Projekt benötigt wird, sondern mit der Zielsetzung einer langfristigen Zusammenarbeit mit wechselnden Aufgaben. Bei der Rekrutierung von Mitarbeitern haben sich in den letzten Jahren aufwendige Auswahlverfahren durchgesetzt (z.  B. mehrstufige Assessment Center), in denen Mitarbeiter nicht nur ­aufgrund ihres aktuellen Wissensstands ausgewählt werden, sondern vielmehr unter dem Gesichtspunkt, ob sie in den Kontext, in die Unternehmenskultur passen und inwieweit sie lernfähig bzw. lernwillig sind und die Bereitschaft zeigen, offen mit anderen in wechselnden Teams zusammenzuarbeiten. Nach der Einstellung folgt idealerweise ein modularer Qualifizierungsprozess, der die neuen fachlichen Mitarbeiter sehr schnell mit realen Kundenproblemen konfrontiert, indem sie in Teams mit erfahreneren fachlichen Mitarbeitern eingebunden werden. Unternehmen wie Motorola sind bekannt geworden für ihre effizienten, durch die Mitarbeiter selbst gesteuerten Weiterbildungsprozesse. In der Aus- und Weiterbildung wird das Zusammenarbeiten über Funktionsgrenzen hinweg geübt, sodass sich dadurch informelle Netzwerke bilden, die dann bei Bedarf genutzt werden können. cc

Individuelles Wissensmanagement, Informationsflut und vielfältige Wissensangebote schaffen ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Fehlinformation sowie den Druck, schnell zu reagieren. Ansätze zum individuellen Wissensmanagement entwickeln daher Strategien für den persönlichen Umgang mit Informationen und Wissen. Hier einige Ratschläge (vgl. [36]):

• Sichten und wegwerfen: Fragen Sie sich, welche Informationen Sie brauchen und wie häufig. Trennen Sie beherzt die Spreu vom Weizen. • Systematisch reduzieren: Reduzieren Sie die Anzahl regelmäßig auf Sie eintreffender Informationen systematisch. Welche Verteiler, Mailing-Listen, Zeitschriften etc. sind für Sie wirklich relevant?

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

133

• Filtern statt sammeln: Sammeln Sie nicht wahllos und auf Vorrat Informationen, sondern dokumentieren Sie, wo Sie etwas bei Bedarf finden können. • Grenzen setzen: Sagen Sie auch einmal klar und deutlich Nein, wenn Sie unter Informationsüberlastung leiden. • Mut zur Lücke: Denken Sie daran, dass der Aufwand der Informationssuche und -sammlung den erreichbaren Nutzen via Informationsgewinn oft übersteigt. • Gelassenheit üben: Entwickeln Sie eine Einstellung nach dem Motto „Keiner weiß alles, aber jeder weiß etwas“. Eine persönliche solide Wissensbasis ist erfolgversprechender als ein möglichst vollständiger Informationspool. • Die Technologien nutzen, die für einen arbeiten: Sie müssen nicht jede neue Technologie anwenden, nur weil sie neu ist. Nutzen Sie die Möglichkeit der neuen Medien, den Zeitpunkt für Rückmeldungen den Anforderungen Ihrer Arbeitssituation anzupassen.

5.2.4.2 Motivation fachlicher Mitarbeiter Wie kann man solche gut ausgebildeten fachlichen Mitarbeiter motivieren? Zunächst einmal durch eine Aufgabe bzw. wechselnde Aufgaben, die ihr Fachkönnen herausfordern. Die Praxis, jüngeren Mitarbeitern zu Beginn einfache Routineaufgaben zuzuweisen, erweist sich unter Wissensgesichtspunkten als fatal. Die Bewältigung herausfordernder Aufgaben führt zur Demonstration der fachlichen Kompetenz und damit zu Anerkennung als zweitem Motivationselement. Diese Anerkennung, einerseits von Kunden und andererseits – noch viel wirksamer – von Fachleuten höherer Qualifikation, wird allgemein als ein sehr bedeutender Motivationsfaktor angesehen (vgl. [20, 30, 37]). Eine dritte Quelle der Motivation ist die Ermöglichung weiteren Lernens. Kann ein Mitarbeiter aufgrund hervorragender Leistung an einem hochkarätigen fachlichen Seminar teilnehmen oder sich für eine gewisse Zeit bei einem Topexperten seines Fachgebiets weiterbilden, so wird dies vielfach mehr geschätzt als eine Gehaltserhöhung. Der fünfte Motivationsfaktor ist eine Ausstattung mit leistungsfähigen Arbeitsmitteln. Dies kann ein leistungsfähiger Rechner sein, eine Laborausstattung, die dem fachlichen Mitarbeiter einerseits die Arbeit erleichtert, andererseits unter Kollegen einen gewissen Status verleiht, da in wissensorientierten Unternehmen die traditionellen Statussymbole keinen Platz mehr finden. Die monetäre Entlohnung bleibt natürlich weiterhin ein Motivationsfaktor. Anreizsysteme, die sich am Erfolg des Gesamtunternehmens orientieren, z. B. durch Aktienoptionen, können hier ein positives Verhalten stimulieren und Ergänzung zu rein individuell konzipierten Anreizsystemen sein. Wenn es einem Unternehmen gelingt, ein auf seine fachlichen Mitarbeiter zugeschnittenes Anreizsystem zu entwickeln, dann wird sich die Motivationsspirale fachlicher Mitarbeiter in die richtige Richtung drehen: Hohe Motivation führt zu hoher Produktivität und

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5  Wissen ist menschlich

Qualität der Arbeit, die wiederum zu Erfolg beim Kunden führt. Dieser Erfolg resultiert in wirtschaftlichem Erfolg für das Unternehmen, was sich wiederum in großzügiger Kompensation in Weiterbildungsmöglichkeiten und Karriereentwicklung niederschlägt. Auf die Motivation zur Wissensteilung und Zusammenarbeit wird im Abschn. 5.4 eingegangen.

5.2.4.3 Karriere fachlicher Mitarbeiter Die Thematik der Karriereentwicklung fachlicher Mitarbeiter in flachen Hierarchien ist eine zusätzliche Problematik wissensorientierter Unternehmen. Einerseits gibt es im wissensorientierten Unternehmen nur wenige Hierarchiestufen, andererseits sind nicht alle fachlichen Mitarbeiter interessiert bzw. geeignet, Managementfunktionen zu übernehmen. Für fachliche Mitarbeiter, die Managementpositionen übernehmen wollen und dazu fähig sind, bietet sich eine Aufstiegsmöglichkeit in die mittlere Führungsebene. Der Aufstieg wird im Allgemeinen nach hartem, aber nicht unbedingt unkollegialem internem Konkurrenzkampf, regelmäßigen Leistungsbewertungen und Feedbacks möglich. Talente werden immer feiner ausgesiebt. So haben bei einer Unternehmensberatung nur etwa 10 % der sorgfältig ausgesuchten Berater Aussicht, Partner zu werden, und das kann neun bis zwölf Jahre dauern (vgl. [35, S. 97]).

Fallbeispiel 19

CSC Ploenzke – Personalentwicklung mit Perspektive: Querdenker statt Aufsteiger [4] Karriere, was ist das eigentlich? Bei CSC Ploenzke haben Sie Karriere gemacht, • • • • • •

wenn man Sie fragt, wenn man Ihren Rat holt, wenn man Ihnen Informationen gibt, wenn man Ihnen traut und viel zutraut, wenn man Ihnen viel Spielraum (Raum zum Spielen) lässt, wenn man Ihnen Verantwortung überträgt! Kurz, wenn Sie gefragt sind, bei Kunden und Kollegen.

Ein schnellerer Aufstieg ist immer dann möglich, wenn das Unternehmen entsprechend wächst. Der Aufstieg im Wissensunternehmen ist daher sehr eng mit der Rate des Wachstums dieses Unternehmens verbunden. Hochqualifizierte Forscher oder Spezialisten, die jedoch keine Managementaufgaben anstreben bzw. deren fachliche Kompetenz dem Unternehmen zu viel wert ist, um sie in Managementpositionen zu verschleißen, können in einer getrennten Fachlaufbahn aufsteigen und in ihrer Vergütung bzw. ihren Kompetenzen dem Status oberer Führungskräfte

5.2 Die Mitdenker des Wissensunternehmens

135

angenähert werden [39]. In hierarchischen Unternehmen benötigt ein Hauptabteilungsleiter eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern oder ein gewisses Budget, um in diese Position aufsteigen zu können. In wissensorientierten Unternehmen gilt dieses Köpfezählen nicht, eine Fachkarriere ist möglich. Trotz all dieser Motivationsmechanismen werden Unternehmen weiterhin fachlich qualifizierte Mitarbeiter verlieren. Um jedoch nur die Mitarbeiter und nicht deren Wissen vollständig zu verlieren, sollten wissensorientierte Unternehmen darauf achten, dass diese Wissensträger ständig ihr Wissen dokumentieren, in den unternehmensinternen Kompetenznetzwerken ihr Wissen weitergeben sowie neue Mitarbeiter anlernen und coachen. In Abb. 5.8 haben wir Elemente der Tätigkeit fachlicher Mitarbeiter zusammengestellt, aus der nach Prioritäten und Zeitbudget ein Soll-Profil erstellt und mit einem persönlichen Ist-Profil verglichen werden kann.

5.2.5 I nformations- und Kommunikationsmitarbeiter: Die Informationsbroker und Infrastrukturmanager Mit der Entwicklung des Wissensunternehmens 4.0 entsteht eine neue Gruppe von Mitarbeitern (eine spezifische Gruppe fachlicher Mitarbeiter), die die Informations-, Kommu-

Abb. 5.8  Aufgaben und Rollen fachlicher Mitarbeiter

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5  Wissen ist menschlich

nikations- und Assistenzsysteme des Unternehmens sowohl technisch betreibt sowie sicherstellt, dass die vielfältigen verfügbaren Informationsquellen gefiltert, benutzer- und aufgabenspezifisch aufbereitet den Mitarbeitern im Unternehmen bzw. externen Kunden zur Verfügung stehen. Während der technische Betrieb des Informations- und Kommunikationssystems ganz oder teilweise an einen externen Dienstleister vergeben werden kann, ist die inhaltliche Entwicklung des Informationssystems im Unternehmen selbst zu leisten. Das Wissen von Experten muss kodifiziert und unter einheitlichen Schlagwörtern abgelegt werden. Redakteure bearbeiten Projektberichte so, dass sie für Dritte verständlich werden. Inhalte des Intranets werden kuratiert, d. h. ausgewählt und für die Nutzer aufbereitet. Das Wissen von Kompetenznetzwerken ist strukturiert abzulegen und gegebenenfalls 24 Stunden weltweit verfügbar zu halten. Expertensysteme sind zu aktualisieren. Daneben sind immer komplexere Recherchen in immer kürzeren Zeitabständen zu leisten. Der Mandant, der potenzielle Kunde oder der Vorgesetzte erwarten, kurzfristig und umfassend über einen Themenbereich informiert zu werden. Während im Internet bzw. im unternehmenseigenen Intranet mit leistungsfähigen Suchmaschinen banalere Recherchen von Endnutzern selbst übernommen werden, erfordern komplexere Recherchen bzw. die gezieltere Suche spezifischer Informationen Informationsfachleute, die Recherchen professionell abwickeln. Unternehmen haben dies noch nicht immer erkannt und scheuen sich vielfach, Informations- und Dokumentationsspezialisten einzustellen. Die Aufgaben der Informations- und Kommunikationsmanager werden im Abschn. 8.4 weiter behandelt.

5.2.6 Supportmitarbeiter Es wird vielfach argumentiert, dass durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz Sekretariate, Kommunikationszentren und mit Menschen besetzte Call-Center überflüssig ­werden, da „intelligent agents“ deren Aufgaben weitgehend übernehmen werden. Dies mag für einfache Routinetätigkeiten zutreffen. Andererseits sind die Ansprüche an die Qualität von Präsentationen, die Aktualisierung der Präsenz im Internet, die Terminabstimmung bei immer enger werdenden Terminkalendern, die Durchführung einfacherer Recherchen und die Beantwortung nicht standardisierter Kundenanfragen gestiegen. Die Supportmitarbeiter (irrigerweise häufig als nichtfachliche Mitarbeiter bezeichnet) gewinnen daher eher an Bedeutung bei steigender Aufgabenvielfalt. Die Beherrschung komplexer Kommunikationssysteme ist für diese Mitarbeiter zur allgemeinen Qualifikationsanforderung geworden. Je stärker fachliche Mitarbeiter zeitlich überlastet sind und sich ständig wechselnden Aufgaben stellen müssen, desto mehr sind sie auf eine Abwicklung von Routineaufgaben durch Supportmitarbeiter angewiesen.

5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG

5.3

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Kompetenzen für die Intelligenz AG

Mitarbeiter können die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Rollen nur ausfüllen und gestalten, wenn sie die für die Ausführung ihrer Tätigkeiten geeigneten Kompetenzen entwickeln. cc Kompetenzmanagement, häufig auch als Skill-Management bezeichnet, hat die Aufgabe, Mitarbeiterkompetenzen zu beschreiben, transparent zu machen (Wer weiß was?) sowie Nutzung und Entwicklung orientiert an den persönlichen Zielen des Mitarbeiters und den Unternehmenszielen sicherzustellen. Kompetenzmanagement geht als Kernaufgabe wissensorientierter Unternehmensführung über das traditionelle Verständnis von Aus- und Weiterbildung hinaus, indem Lernen, Selbstorganisation, Nutzung und Vermarktung der Kompetenzen integriert werden (vgl. auch Abschn. 5.5). Dies wird deutlich, wenn wir uns einmal typische Probleme ansehen, die durch Kompetenzmanagement gelöst werden können (ausführliche Informationen zum Kompetenzmanagement in der Praxis finden Sie in [27]): • Projekte kompetent besetzen: Wir besetzen Projekte vielfach mit den uns bekannten Mitarbeitern, ohne zu wissen, ob es für die Aufgabe noch besser geeignete Kollegen gibt. Kompetenzprofile, die Mitarbeiterkompetenzen beschreiben, bieten eine Möglichkeit, die geeigneten Mitarbeiter für das Projekt zu identifizieren. • Fehlende Kompetenzen identifizieren: Sie haben bisher mit der von Ihnen geleiteten Zentralabteilung interne Dienstleistungen erbracht. In Zukunft wollen Sie komplette Lösungspakte auch am freien Markt anbieten. Oder Sie kommen aus einem Strategie-­ Workshop zur Neuausrichtung Ihrer Geschäftseinheiten. In beiden Fällen stellen Sie sich die Frage: „Haben meine Mitarbeiter die für die zukünftige Ausrichtung benötigten Kompetenzen? Wie können wir Mitarbeiter gezielt weiterbilden bzw. welche Mitarbeiter mit welchen Kompetenzen müssen wir einstellen?“ Erhebung der derzeitigen Kompetenzen, Ableitung der benötigten Kompetenzen sowie ein Ist-Soll-Abgleich ermöglichen es, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. • Wissen über Mitarbeitergenerationen weitergeben: In der Entwicklung, der Fertigung, im Vertrieb und in der IT-Abteilung arbeiten hoch spezialisierte Mitarbeiter, ohne dass wir im Einzelnen wissen, wer Experte auf welchem Spezialgebiet ist. Erst nach dem Ausscheiden von Mitarbeitern wird uns klar, welches Wissen verloren gegangen ist. Eine Kundin beschwert sich, dass sie nicht mehr wie zuvor beraten wird, in einem Fertigungsprozess treten unerwartet Probleme auf, der neue Monteur kommt mit der Wartung der Anlage nicht zurecht. Durch Kompetenzbeschreibungen identifizieren wir rechtzeitig, wer verborgener Experte ist, um kritisches Wissen über Mitarbeitergenerationen weiterzugeben. • Karriere durch Kompetenzentwicklung: Mit flacheren Hierarchien ist es immer weniger möglich, Mitarbeitern eine Karriere durch ein Hochklettern der Karriereleiter oder eine Beförderung zu ermöglichen. Durch Kompetenzenterweiterung und -vertiefung

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5  Wissen ist menschlich

können wir Mitarbeitern trotzdem eine längerfristige Entwicklungsperspektive bieten und qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen halten. In Zielvereinbarungen sowie Beurteilungs- und Vergütungssystemen wird die vereinbarte Entwicklung verankert. • Kompetente Ansprechpartner finden: Wer kennt sich mit Datenbankprogrammierung aus? Wer kann mir schnell beim Angebot helfen und kennt den Kunden schon? Wer ist in unserem Haus Expertin in US-amerikanischer Rechnungslegung? Durch ­Skill-­Datenbanken können wir Expertise schnell lokalisieren und durch entsprechende Maßnahmen (z. B. zeitliche Rotation verfügbarer Ansprechpartner, hierzu gibt es Softwarelösungen des „skill based routing“) verhindern, dass immer nur ein kleiner Kreis angesprochen wird. • Weiterbildung steuern: Ein Weiterbildungsträger betreut mehrere Kleinunternehmen mit der Aufgabe, Weiterbildungsbedarf der Mitarbeiter zu ermitteln und ein Kursprogramm zu strukturieren. Eine ähnliche Aufgabe hat die Bildungsabteilung innerhalb eines Konzerns. Mitarbeiter werden oftmals zu Seminaren angemeldet, ohne dass erkennbar ist, wie das gebuchte Seminar zur gezielten Kompetenzentwicklung des Mitarbeiters oder der Arbeitsgruppe beiträgt. Wie kann systematisch Weiterbildungsbedarf erhoben werden? Wie können Mitarbeiter ihr eigenes Kompetenzportfolio managen, insbesondere wenn sie häufiger zwischen Unternehmen wechseln und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt (employability) erhöhen wollen?

5.3.1 Kurzdiagnose: Kompetenzmuffel oder Kompetenzorganisation In der Kurzdiagnose in Tab. 5.1 können Sie das Kompetenzmanagement Ihres Unternehmens anhand von acht Kriterien beurteilen. Stufen Sie bitte ein, wie Sie die Position Ihres Unternehmens zwischen den beiden Polen Kompetenzmuffel und Kompetenzorganisation einschätzen. Ein guter Ansatz zur Sensibilisierung ist auch das Kopieren und Verteilen dieses Fragebogens im Kollegenkreis, um dann die resultierenden Ergebnisse zu diskutieren: • Wie unterschiedlich sind die Einstufungen ausgefallen? • Wo differieren die Beurteilungen am meisten? • Wo sehen wir die größten Hindernisse auf dem Weg zur Kompetenzorganisation und welche Maßnahmen können uns mit geringem Aufwand bereits ein erhebliches Stück weiterbringen? • Was kann jeder von uns dazu beitragen, dass die benötigten Kompetenzen entwickelt und die vorhandenen Kompetenzen möglichst gut genutzt werden? Beurteilen Sie jeden Punkt nach dem Schulnoten-Prinzip: von 1  =  sehr gut bis 5 = mangelhaft.

5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG

139

Tab. 5.1  Kurzdiagnose: Kompetenzmuffel oder Kompetenzorganisation Kompetenzmuffel 1. Kernkompetenzen sind nicht definiert 2. Kompetenzprofile der Mitarbeiter existieren nicht

5 4 3 2 1 Kompetenzorganisation Kernkompetenzen sind definiert und werden regelmäßig aktualisiert Kompetenzprofile der Mitarbeiter existieren für Kernprozesse, -funktionen und werden regelmäßig aktualisiert 3. Kompetenzentwicklung ist nicht mit Kompetenzentwicklung wird in Personalentwicklung verzahnt Mitarbeitergesprächen und Entwicklungsplanung systematisch berücksichtigt 4. Lernen und Weiterbildung müssen Lernen und Weiterbildung haben hohe im Zweifelsfall hinter operativen Priorität (Zeit und Budget für jeden Aufgaben zurückstehen Mitarbeiter vorgesehen) 5. Informelles Lernen am Arbeitsplatz Informelles Lernen wird mit wird nicht anerkannt entsprechenden Maßnahmen unterstützt (Coaching, Mentoren etc.) 6. Es gibt keine individuellen Individuelle Weiterbildungspläne werden Weiterbildungspläne konsequent umgesetzt 7. Weiterbildung und Anwendung sind Weiterbildung ist immer mit Anwendung nicht miteinander verzahnt verbunden 8. Es existieren keine Anreize zur Kompetenzentwicklung wird durch Kompetenzentwicklung für die Anreizsysteme konsequent unterstützt Mitarbeiter

5.3.2 Der Kompetenzbegriff cc Kompetenz  Der Begriff der Kompetenz einer Person/Gruppe beschreibt grundsätzlich eine Relation zwischen den an diese Person/Gruppe herangetragenen oder selbst gestalteten Anforderungen und ihren Fähigkeiten bzw. Potenzialen, diesen Anforderungen gerecht zu werden.  Wissen, Erfahrungen, Intuition treffen auf konkrete Situationen, die ein Handeln erfordern. Kompetenz besteht daher in der Fähigkeit, situationsadäquat zu handeln. Dies beinhaltet die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Kompetenz wird wirksam im Zusammenspiel von einzelnen Menschen, Gruppen und Organisationen (zum Kompetenzbegriff und zur Kompetenzmessung vgl. [5]). Bei der Erläuterung der Wissenstreppe in Kap. 3 hatten wir betont, dass sich Kompetenzen im Moment der Wissensanwendung konkretisieren und am erzielten Ergebnis der Handlungen messbar werden. Diese Handlungen sind mehr oder weniger durch eine Handlungsanweisung oder einen Handlungsrahmen vorbestimmt. Situationsadäquat zu handeln setzt daher immer die Disposition zur Selbstorganisation voraus. Daher werden Kompetenzen auch als Dispositionen zur Selbstorganisation definiert [5]. Die Kompetenz einer Person wird als eine individuelle, nicht imitierbare Eigenschaft verstanden (vgl. [37, S. 63]). Kompetenz ist von der ausgeübten Tätigkeit, den gesammelten Erfahrungen und dem entsprechenden Umfeld abhängig.

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5  Wissen ist menschlich

Kompetenzen sind: • Kontextspezifisch: Sie sind auf die verrichtete Tätigkeit bezogen und konkretisieren sich im Moment der Problemlösung und Anwendung. • Personengebunden: Sie sind in der Erfahrungsbiografie und Persönlichkeit einer Person angelegt und bestimmen das Verhalten in Bezug auf die Aufgaben bzw. Situation (z. B. soziales Engagement). • Lernbar: Kompetenzen sind grundsätzlich lernbar. Allerdings finden viele Lernprozesse unbewusst statt. Einzelne Kompetenzen sind nicht unabhängig voneinander. • Evaluierbar: Sie lassen sich durch operationalisierte Verfahren diagnostizieren oder messen. Während sich Fachwissen und methodische Fähigkeiten vergleichsweise einfach messen lassen, sind soziale Merkmale (Motivstrukturen, Werte) nur eingeschränkt messbar. Um Kompetenz einer Person oder Gruppe zu beschreiben, wird häufig (vereinfachend) eine Klassifizierung in Fach-, Methoden und Sozialkompetenz vorgenommen, auch wenn diese Kompetenzbestandteile nur ungenügend abgrenzbar sind. Die Fachkompetenz umfasst alle zur Erfüllung einer konkreten beruflichen Aufgabe notwendigen fachspezifischen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse. Sie umfasst z. B. Berufswissen, Sprach- und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Unter Methodenkompetenz wird die Fertigkeit verstanden, erworbenes Wissen in komplexen Arbeitsprozessen zielorientiert einzusetzen. Durch Anwendung des Fachwissens, z. B. in Projekten, wird individuelle Methodenkompetenz entwickelt. Sie enthält die Fähigkeit, Informationen zu beschaffen, zu selektieren, zu verarbeiten und zu nutzen. Beispiele der Methodenkompetenz sind komplexes Denkvermögen, Kreativität, Innovations-, Abstraktions-, Problemlösungs-, Entscheidungs- und Transferfähigkeit, Dokumentation und der Umgang mit Wissensbeständen. Sozialkompetenz erwirbt der Mensch insbesondere durch Sozialisation. Sozialkompetenz ist eng mit Persönlichkeit und Erfahrung verbunden. Die Fähigkeit, mit Mitmenschen (Mitarbeitern, Kollegen, Kunden) zusammenzuarbeiten, ein gutes Organisationsklima zu erreichen und zu erhalten sowie eigenverantwortlich zu handeln, zeichnet Sozialkompetenz u. a. aus. Sie bezieht sich auf die Beherrschung der sozialen Beziehungen und Prozesse formeller und informeller Art in einer Gruppe oder Organisation. Motivations-, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie Leistungsbereitschaft bilden wesentliche Bestandteile der Sozialkompetenz. In Abb. 5.9 ist ein Kompetenzprofil dargestellt. Es wird von einem Versicherungsunternehmen genutzt, um die für die Ausfüllung einer Rolle (z. B. Projektmanager, Kundenbetreuer) als notwendig erachteten Kompetenzen zu beschreiben. Nach der Beschreibung einzelner Kompetenzen ist für jede Kompetenz der Ausprägungsgrad zu beurteilen. In der Literatur werden verschiedene Expertisemodelle vorgeschlagen [27], wobei sich in der Praxis dreistufige Beurteilungen fachlicher und methodischer Kompetenzen durchgesetzt haben. Kenner verfügen über theoretisches Wissen mit

5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG

141

Abb. 5.9  Kompetenzrad eines Versicherungsunternehmens

geringer Anwendungserfahrung und sind in der Lage, vorstrukturierte Problemlösungen aus der Theorie auf praktische Fragestellungen anzuwenden (z. B. Projektmanagementkurs wurde erfolgreich abgeschlossen sowie erste Erfahrungen im Durchführen von Projekten wurden gesammelt). Könner haben vielfache Anwendungserfahrung und können auch auf neue, unvorhergesehene Situationen adäquat reagieren (z. B. mehrere Projekte unterschiedlicher Komplexität wurden eigenverantwortlich durchgeführt). Experten sind in der Lage, weitgehend selbstorganisiert und intuitiv Probleme zu antizipieren und neue Lösungswege zu finden. Sie zeichnen sich durch eine profunde Kenntnis von Themengebieten aus (z. B. Management komplexer und neuartiger Projekte, Beiträge zur Weiterentwicklung der Projektmanagementmethodik). Weitere Abstufungen sind je nach gewünschtem Differenzierungsgrad möglich. Für soziale Kompetenzen bietet sich eine Skalierung mit den Stufen gering ausgeprägt, ausgeprägt, stark ausgeprägt an.

Fallbeispiel 20

Karriere in der CSC-Welt: Wertvoller werden In dem Dienstleistungsmodell einer Organisationseinheit wird das angebotene Dienstleistungs-Know-how durch Kreissegmente dargestellt (Abb. 5.10). Dieses Speichenrad dient gleichzeitig zur Beschreibung des Know-hows einer Mitarbeiterin bzw.

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5  Wissen ist menschlich

eines Mitarbeiters und ihrer bzw. seiner mittelfristigen Know-how-Karriere (an Fläche gewinnen, mehr vermögen). Das Dienstleistungsmodell enthält als Kreissegmente das für die jeweilige Organisationseinheit relevante Dienstleistungsspektrum mit den Branchen- bzw. Technologieschwerpunkten. Damit sind die Grundzüge der Tätigkeitsfelder dokumentiert, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen werden können. Gleichzeitig wird gezeigt, welche Themen abgedeckt werden sollen. Ein solches Blatt ist Bestandteil aller Unterlagen für das Beratungs- und Förderungsgespräch und wird benutzt, um die mittelfristige Karriereplanung zu besprechen. Dazu wird dokumentiert, in welchen Segmenten der Mitarbeiter sich zurzeit befindet und welche Segmente in den nächsten drei bis zehn Jahren durchlaufen werden sollen. Mit diesem Personalentwicklungskonzept soll nicht nur die Mehrfachqualifikation, sondern auch Kreativität, Initiative, Lernfähigkeit und der Mut zu Neuem gefördert werden (Leitfaden für Juniorberater und Juniorberaterinnen Broschüre CSC Ploenzke AG).

Abb. 5.10  Individuelles Kompetenzrad mit Ist-Profil und Entwicklungszielen orientiert am Dienstleistungsmodell der Firma

5.3 Kompetenzen für die Intelligenz AG

143

5.3.3 Die Kompetenzmatrix Eine vielfach erprobte und auch für kleine und mittlere Unternehmen geeignete Methode zur Visualisierung von Kompetenzen ist die Kompetenzmatrix ([24]; Abb. 5.11). In einer Tabelle lassen sich die Mitarbeiter und Kompetenzen gegenüberstellen. So gewinnen Sie einen Überblick über das Leistungsprofil Ihres Betriebs, können sehen, ob bestimmte Kompetenzen ausreichend abgedeckt sind und den Aufbau neuer Kompetenzen systematisch planen. Das Prinzip: In der Tabelle werden den Mitarbeitern die Fähigkeiten gegenübergestellt, die für die tägliche Arbeit im Betrieb typisch sind. Jeder Mitarbeiter beurteilt sich selbst: +++ ++ +

Hohe Kompetenz Mittlere Kompetenz Grundkenntnisse

Vertikal können Sie das Kompetenzprofil eines einzelnen Mitarbeiters ablesen. Horizontal sehen Sie, wie gut die jeweilige Kompetenz im Unternehmen abgedeckt ist. Setzen Sie Mindeststandards. Je nach Größe des Betriebs sollten in einer Kompetenz zwei oder mehr Mitarbeiter Topnoten haben. Wissenslücken bestehen, wenn für eine Kompetenzkategorie gar kein oder nur ein Mitarbeiter eine Topnote hat. Fällt diese Person aus, verringert sich die Leistungsfähigkeit des Betriebs, da kein Mitarbeiter mit vergleichbaren Fähigkeiten einspringen kann. Solche Wissenslücken sollten Sie schließen. Formulieren Sie für sich ein Ziel, etwa: In meinem Betrieb sollten in jeder Kompetenzkategorie drei Mitarbeiter „+++“ und zwei Mitarbeiter „++“ haben; das soll in XY Monaten erreicht sein.

Abb. 5.11  Die Kompetenzmatrix: Wer kann was wie gut?

144

5  Wissen ist menschlich

Sie können die Tabelle um neue Kompetenzen erweitern. Welche Fähigkeiten müssen in einem Jahr, in fünf oder in zehn Jahren im Betrieb vorhanden sein?, das ist die Leitfrage. Gliedern Sie die groben Ziele in kleinere Schritte und nötige Einzelfähigkeiten auf. In der Tabelle können Sie dazu ein Zeitziel festlegen. Sie können die Tabelle auf Papier oder im PC pflegen. Denkbar wäre, dass Sie bei den Mitarbeitern nicht nur Namen, ­sondern auch weitere Informationen vermerken: Kostenstelle, Arbeitsbereich, Tätigkeiten oder Qualifikationen (etwa Fähigkeit zum Führen bestimmter Maschinen, Erste-­Hilfe-­Kennt­ nisse). Sie können die Tabelle auch nutzen, um Anreize für Mitarbeiter zu schaffen. Beispiel: Wer in vier Disziplinen Topnoten hat, erhält eine Gratifikation.

5.3.4 Kompetenzprofile erstellen Ausgehend von den theoretischen Betrachtungen zu Kompetenzbegriff und -messung sollen im Folgenden die wichtigsten Schritte zur Erstellung von Kompetenzprofilen, vielfach auch als Wissenslandkarten oder Skill-Profile bezeichnet, erläutert werden (vgl. [27]): • Zielsetzung festlegen: Ziel ist u. a. die Beschreibung der für Rollen bzw. Tätigkeiten als notwendig erachteten Kompetenzen (Soll-Kompetenzen) bzw. die Identifizierung der vorhandenen Kompetenzen einzelner Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen. Unternehmen können sich auf strategisch wichtige Mitarbeitergruppen konzentrieren (z. B. Forschung und Entwicklung, IT-Mitarbeiter) oder Skill-Profile flächendeckend einführen. • Betriebsrat informieren und Betriebsvereinbarung abschließen, die u. a. Art der Erstellung, Nutzung der Profile sowie Datenschutz regelt • Kompetenzkatalog orientiert an Rollen, Prozessen, Technologien etc. strukturieren • In Workshops mit Mitarbeitergruppen Soll-Profile für Rollen der Ist-Profile durch Mitarbeiter individuell einstufen lassen • Entwicklung oder Kauf einer IT-Lösung zur Speicherung, Verarbeitung und Visualisierung der Kompetenzprofile • Visualisierungsform wählen: Bewährt hat sich insbesondere das Kompetenzrad, in dem die Kompetenzen (Merkmale) in den drei Stufen Kenner – Könner – Experte eingestuft werden. Eine Analogie zum Dart-Spiel drängt sich auf: Genauso schwer, wie es ist, mit den Dartpfeilen in die Mitte zu treffen, so langwierig ist es, Experte zu werden. Im Kompetenzrad können Ist-Profile und Soll-Profile sehr gut visualisiert werden (s. das Fallbeispiel CSC Ploenzke, hierbei ist jedoch die Einstufung Kenner – Könner – Experte von innen nach außen aufgetragen). • Pflege und Weiterentwicklung des Kompetenzkatalogs, periodische Aktualisierung der individuellen Profile einfordern. Wie sie beim unternehmensweiten Kompetenzmanagement vorgehen können, ist mit vielen Fallbeispielen bei North et al. [27] erläutert.

5.4 Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung

5.4

145

Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung

In vielen Veröffentlichungen zum Thema Wissensmanagement wird die mangelnde Bereitschaft der Mitarbeiter zur Wissensteilung unterstrichen. Aussagen wie „Wissen ist Macht“ oder „Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich Ihnen helfe, sondern dafür, dass mein Geschäft läuft“ zeigen, dass bestehende Zielsysteme und Mitarbeiterverhalten oft einer effizienten Wissensteilung und -entwicklung im Weg stehen. Wenn jedoch Wissensmanagement zum Unternehmenserfolg beitragen soll, müssen die Mitarbeiter zur Teilnahme und zum Wandel einer wissensbasierten Unternehmenskultur motiviert werden. Einerseits gilt es, eine Unternehmenskultur zu leben, in der das Motto „Wissen teilen ist Macht“ realisiert ist, andererseits, Instrumente zu schaffen, die Zusammenarbeit orientiert an den Zielen des Unternehmens einfordern (vgl. [26]). Ob und wie hierzu Anreizsysteme beitragen können, wird kontrovers diskutiert. Hüther argumentiert aus Sicht der Neurobiologie, dass der Versuch, andere Menschen (extrinsisch) zu motivieren, nicht zu Selbstverantwortung oder Selbstgestaltung führt, sondern nur „Dressur- und Abrichtungsleistungen, also erzwungene Anpassungen an die Wünsche des jeweiligen Dompteurs“ erreicht. Wirkungsvoller ist die Ermutigung und Inspiration zu eigener Potenzialentfaltung [12, S. 160]. Ihre Potenziale werden Mitarbeiter insbesondere dann entfalten, wenn sie sich mit ihrem Unternehmen oder Projekt identifizieren. Die Untersuchungen zur „psychological ownership“ (s. [21]) zeigen, dass Identifikation und das Gefühl, Miteigentümer zu sein, durch erlebte Autonomie, Anerkennung, wahrgenommene Unterstützung durch die Organisation und verantwortungsvolle Aufgaben  – alles Bedingungen der intrinsischen Motivation – gefördert werden.

Fallbeispiel 21

Das Unternehmensfrühstück Um einen offenen Informationsaustausch als Bestandteil der Unternehmenskultur zu etablieren, hat man bei der Optik- und Elektronikfirma Hund in Wetzlar ein etwa viermal pro Jahr stattfindendes gemeinsames Frühstück aller 150 Mitarbeiter als feste Institution eingeführt. Dies funktioniert folgendermaßen: Für jeden Mitarbeiter gibt es eine Tischkarte. Diese Namensschilder werden wie Spielkarten gemischt und nach dem Zufallsprinzip auf den Tischen verteilt. So kommt es dazu, dass Mitarbeiter unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchiestufen beieinander sitzen. Während des gemeinsamen Frühstücks informiert die Geschäftsleitung über verschiedenste Themen, wie z. B. die aktuelle Geschäftssituation, interessante neue Projekte, personelle Veränderungen oder interne und externe Probleme, und gibt einen Ausblick in die Zukunft. Die Mitarbeiter wiederum sind aufgefordert, Fragen zu stellen, Probleme vorzutragen und der Geschäftsleitung Anregungen zu geben.

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5  Wissen ist menschlich

Die Motivationsforschung unterscheidet idealtypisch extrinsische Motivation, die im Wesentlichen durch materielle Anreize zu steuern ist, von intrinsischer Motivation, für die Selbstverwirklichung und Anerkennung mehr bedeutet als eine rein finanzielle Anerkennung. In Abb. 5.12 haben wir wichtige extrinsische und intrinsische Arbeitsmotive und die diese Motive unterstützenden Anreize dargestellt. Während herkömmliche Formen der leistungsbezogenen Entlohnung vielfach auf ex­ trinsischer Motivation aufbauen, gewinnt für die Wissensteilung und Wissensentwicklung die intrinsische Motivation an Bedeutung. Bestimmte und oft gerade die wichtigsten Teile des in einer Firma vorkommenden Wissens lassen sich weder aufschreiben noch in Symbolen ausdrücken. Dieses implizite Wissen ist nicht messbar, mehrere Mitarbeiter sind an der Übertragung beteiligt, ohne dass der jeweilige Einzelbeitrag für eine Wissensweitergabeprämie ermittelt werden kann. Zur Förderung des Wissenstransfers ist eine mit den Zielen des Unternehmens kompatible intrinsische Motivation erforderlich. Bezüglich der Wissensentwicklung ist festzustellen, dass kreative Tätigkeiten weitgehend auf intrinsischer Motivation beruhen. Auch Lernprozesse werden durch intrinsische Motivation gefördert („Ich lerne, weil mich das Thema interessiert“ gegenüber der extrinsischen Motivation „Ich lerne, weil ich dafür etwas bekomme“). Bei der Ausgestaltung wissensorientierter Anreizsysteme ist zu beachten, dass jeder Mitarbeiter des Unternehmens ein Wissensträger ist, den es durch individuell gestaltbare Anreizsysteme zur Erreichung der Wissens- und der Unternehmensziele zu motivieren gilt. Des Weiteren ist die Bezugsgröße für Wissensmanagement schwer zu definieren. Die bloße Menge an Wissen, die ein Mitarbeiter erwirbt und kollektiv verfügbar macht, stellt keine geeignete Bezugsgröße dar, da sie keinen Rückschluss auf Qualität und Nutzen zu-

Abb. 5.12  Arbeitsmotive und Anreize

5.4 Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung

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lässt. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, konkrete Wissensziele mit den Mitarbeitern zu vereinbaren, die als Bezugsgröße für das Anreizsystem dienen sollen. Im Folgenden sollen einige verbreitete Formen von Anreizsystemen dargestellt werden, die Wissensteilung, -nutzung und -entwicklung fördern können. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Zusammenarbeit orientiert am Gesamtinte­ resse des Unternehmens zu fördern. Zum einen können Mitarbeiter statt individuell gruppenbezogen bezahlt werden: Der Erfolg der Arbeitsgruppe und nicht die individuelle Leistung wird honoriert. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, einen signifikanten Teil des Gehalts an den Erfolg des Gesamtunternehmens zu koppeln. Dies ist insbesondere für obere Führungskräfte von Bedeutung. Eine Unterstützung von Kollegen im eigenen oder in anderen Geschäftsbereichen trägt damit gleichzeitig zur Verbesserung der Gesamtsituation des Unternehmens bei. Eine Vielzahl von Unternehmen hat individuell orientierte Bonussysteme abgeschafft und vergibt Zulagen abhängig von Team-, Bereichs- und Unternehmensergebnissen. Auch kann das betriebliche Vorschlagswesen gruppenorientiert ausgerichtet werden. So sind Mitarbeiter motiviert, gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und zu realisieren. Bei „Management by Objectives“ werden Ziele zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern vereinbart, die Verantwortung jedes Einzelnen in Form von erwarteten Ergebnissen definiert und das Ergebnis anhand von Soll- bzw. Ist-Vergleichen gemessen. Eine Erweiterung des Zielkatalogs um individuelle Wissensziele wird als „Management by Knowledge Objectives“ bezeichnet. Dabei sind die operativen und strategischen Wissensziele Ausgangspunkt der Zielvereinbarungen. Die Ziele können sich sowohl auf die Erweiterung der persönlichen Kompetenz richten als auch auf die Weitergabe von Wissen (z. B. Einarbeiten eines Nachfolgers). Die Qualifizierungsziele werden periodisch gemessen und angepasst. Der Mitarbeiter selbst ist gefordert, sich an der Zielbildung zu beteiligen. Ein Unternehmen hat zu den Zielvereinbarungen Anreize in Form von Prämien inte­ griert. Dazu wurde in sogenannten „skill blocks“ das für bestimmte Tätigkeiten benötigte Wissen definiert. Ein erfolgreicher Abschluss eines „skill block“ führt zu einer Gehaltserhöhung. Dabei muss sich der Mitarbeiter einer Prüfung unterziehen, die Vorgesetzter und Kollegen, die diesen „skill block“ bereits beherrschen, bewerten. Durch dieses Anreizsystem wurden eine erhöhte Flexibilität und Verbesserungen der Arbeitsprozesse erreicht. Eine andere Variante der Zielvereinbarungen ist die Integration von Wissenszielen in den Arbeitsprozess, woran dann die Entlohnung anknüpft. Bei einem Beratungsunternehmen wird die Leistung der Berater nach fünf Kriterien bewertet werden, von denen eines lautet: Beitrag zum Wissensbestand der Firma sowie dessen Nutzung. Bei einem anderen Unternehmen wird ein Teil der Entlohnung des einzelnen Mitarbeiters von seinen Aktivitäten zur Wissensweitergabe (z. B. Lessons Learned) bestimmt. Die Wissensunterstützung geht in die jährliche Partnerbeurteilung mit ein. Konnte ein Partner mit seinem Wissen einen Kollegen unterstützen, kann das bis zu einem Viertel seiner Jahresvergütung ausmachen.

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5  Wissen ist menschlich

Auch in der Mitarbeiterbeurteilung bzw. im periodisch stattfindenden Mitarbeitergespräch sollten Kriterien des Wissensaufbaus und Wissenstransfers ihren Platz finden. Eine Unternehmensberatung hat für ihren sogenannten Mitarbeiter- bzw. Führungskräftedialog zusätzliche Leitfragen erarbeitet, die den Umgang mit der Ressource Wissen thematisieren. So werden Mitarbeiter gefragt: • Was haben Sie im vergangenen Jahr getan, um ihre eigene Kompetenz zu steigern? • Wie haben Sie zur Weiterentwicklung der organisationalen Wissensbasis des Unternehmens beigetragen (z. B. durch Mitarbeit in Netzwerken, durch Einstellung von Präsentationen im Informationssystem, durch Bereitstellung von Projektberichten, Projektprofilen usw.)? Führungskräfte werden zusätzlich gefragt: • Wie haben Sie den Kompetenzaufbau ihrer Mitarbeiter gefördert; ist es Ihnen gelungen, die Umsatzerlöse pro eingesetztem Mitarbeiter zu steigern? • Haben Sie neue Geschäftsfelder aufgebaut? Die Integration von Wissensmanagement in die Mitarbeiterbeurteilung stellt sicher, dass die Mitarbeiter langfristig angehalten sind, Wissen aufzubauen und zu teilen, um sich im Unternehmen zu entwickeln. Dies bedeutet jedoch auch eine Neudefinition von Karriere, die auf der Anerkennung der fachlichen und sozialen Kompetenz beruht. Anerkennung des Könnens auf einem Gebiet ist ein wichtiger Anreiz zur Verstärkung intrinsischer Motive. Mit dieser Anerkennung ist zugleich die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verbunden. Das verbreitete Engagement in Vereinen, Berufsverbänden und unentgeltlichen Ehrenämtern zeigt, wie stark Anerkennung motivierend wirkt. Die Möglichkeit, sich als Mitarbeiter mit der eigenen Homepage im Intranet zu präsentieren, oder ein Wettbewerb der am meisten von den individuellen Homepages heruntergeladenen Dokumente sind Möglichkeiten, Engagement für Wissensteilung zu honorieren. Ein Unternehmen hat z. B. ein Virtual Knowledge Center eingeführt. Die Berater, die Fallstudien in das System einstellen, werden namentlich aufgeführt. Zusätzlich werden die am meisten genutzten Dokumente des Virtual Knowledge Center veröffentlicht. Die Berater mit der höchsten Platzierung haben die Möglichkeit, an der jährlichen Veranstaltung Knowledge Center Conference teilzunehmen. Zeit ist für Wissensarbeiter ein immer knapper werdendes Gut. Wissensteilung und Wissensentwicklung können daher mit der Schenkung von Zeit und der Schaffung von Freiräumen honoriert werden: Die Möglichkeit, für ein halbes Jahr Urlaub zu nehmen, ein MBA-Programm zu besuchen oder 10 % der Arbeitszeit zur freien Verfügung können stärkere Anreize sein als Bezahlung und hierarchischer Aufstieg. Die Möglichkeit, mit führenden Experten in einem Projektteam zu arbeiten, komplexe Probleme zu lösen, Fortschritte in ihrem Berufsfeld mitzugestalten, Freiheit in der Suche nach neuen Lösungen, gut aus-

5.4 Motivieren für Wissensteilung und Wissensentwicklung

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gestattete Arbeitsplätze bzw. Laboratorien und Anerkennung für ihre Leistungen motivieren Wissensarbeiter. Zur Sensibilisierung und Motivation für Wissensmanagement sind spielerische Anreize nützlich, die formale Anreizsysteme ergänzen. So wurde in einer Unternehmensberatung die Initiative „Wissen teilen gewinnt Meilen“ ins Leben gerufen, die inzwischen von einer Reihe von Unternehmen genutzt wird. Die Bereitschaft zum Wissensaustausch und zur Wissensgenerierung wird in Zukunft immer mehr den Unternehmenserfolg bestimmen, sodass die Unternehmensleitung in besonderer Weise gefordert ist, die Mitarbeiter zu motivieren. Sie sollte in die aktive und systematische Gestaltung der Anreizsysteme für ihre Mitarbeiter mehr Engagement investieren als es bislang die meisten Unternehmen im Rahmen von Wissensmanagement tun. Insbesondere sollten intrinsische Motive durch entsprechende Anreize unterstützt werden. Fallbeispiel 22

„Wissen teilen gewinnt Meilen“ – Initiative in einer Unternehmensberatung Berater großer Unternehmensberatungen sind häufig Individualisten, stehen unter enormem Zeitdruck und sind daher vielfach nur bedingt gewillt, Zeit aufzuwenden, ihr Wissen zu dokumentieren und weiterzugeben. Neben übergreifenden Anreizsystemen des Unternehmens können zur Sensibilisierung für den Wissenstransfer spielerische Initiativen einen Beitrag leisten. In Analogie zu den Meilen-­Sam­ melaktionen von Fluggesellschaften wurde daher in einer Niederlassung einer Unternehmensberatung die Initiative „Wissen teilen gewinnt Meilen“ ins Leben gerufen. Im Motivationsflyer heißt es: Wir wollen dazu motivieren, Wissen zu teilen, den Kollegen Hilfe anzubieten, erfolgreiche Konzepte aus der Projektarbeit offensiv zur Verfügung stellen. Hierzu wollen wir die „Knowledge-Leader“ in unserer Organisation finden, d. h. die Mitarbeiter, die Wissen aktiv an andere weitergeben.

Die Spielregeln: Jeder Mitarbeiter erhält pro Quartal 50 Punkte, die er an Kollegen und Kolleginnen verteilen kann (aber nicht muss), die ihn besonders unterstützt haben. Jeder Mitarbeiter stellt sich folgende Fragen: Wer hat mich bei der Lösung eines Problems aktiv unterstützt? Wer hat mich an seinen Erfahrungen teilhaben lassen? Wer fördert Wissensaufbau und -transfer in unserem Unternehmen besonders? Sie schicken per E-Mail zum Quartalsende ihre Punkteverteilung ans Meilensekretariat. Die mit Punkten bedachten Kollegen und Kolleginnen sammeln diese Punkte auf ihrem Meilenkonto und können sich zum Ende des Geschäftsjahres nach der Meilenzahl gestaffelt ein Geschenk aus dem Geschenkrepertoire aussuchen (z. B. hochkarätige Seminare nach eigener Wahl inklusive Seminargebühr und Reisespesen). Die Einlösung der Meilen soll zum weiteren Wissensaufbau der Knowledge Leaders beitragen.

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5.5

5  Wissen ist menschlich

Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)

Wertschöpfung in wissensbasierten Organisationen und über Organisationsgrenzen hinaus wird in besonderem Maß von der Fähigkeit bestimmt, verteiltes Wissen über Märkte, Kunden, Produkte und Prozesse gezielt zu mobilisieren und daraus einen Wert für den Kunden zu generieren. Traditionelle, formalisierte Hierarchie- und Geschäftsbereichsstrukturen sind jedoch nur unzureichend für diese Aufgaben gerüstet. Daher gewinnen selbstorganisierte Gemeinschaften (Communities) an Bedeutung, die meist ohne spezifischen Auftrag Ini­ tiativen ergreifen, gemeinsam lernen, Erfahrungen austauschen oder neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und so die Grenzen von Hierarchie und Organisationseinheiten überwinden. Das Wertschöpfungspotenzial von Innovationszirkeln, Arbeitsgruppen, Expertenkreisen, Erfa-Gruppen oder Gruppen wie der Linux-Community wird zunehmend erkannt. Die vielfältigen Formen des Lernens und Wissensaustauschs werden unter den Begriffen Communities of Practice (vgl. [40]) bzw. Wissensgemeinschaften [28] diskutiert. cc Wissensgemeinschaften  Wir definieren Wissensgemeinschaften als über einen längeren Zeitraum bestehende Personengruppen, die Interesse an einem gemeinsamen Thema haben und Wissen gemeinsam aufbauen und austauschen wollen. Die Teilnahme ist freiwillig und persönlich.  Wissensgemeinschaften sind um spezifische Inhalte gruppiert. Diese können Technologien sein, wie beispielsweise Berechnungsverfahren der Versicherungsmathematik, Refinanzierungsmethoden, Informations- und Kommunikationstechnologien usw., Prozesse (z. B. Beschaffungsprozesse, Qualitätsprozesse, Kundenprozesse), Methoden (z. B. Product Management, Arbeitsgestaltung, Business Process Engineering, Lernen-Lernen), Produkte (z. B. spezifische Sachversicherungen, Lebensversicherungen, Softwareprodukte) oder auch Kunden (klassifiziert nach Branchen, Regionen usw.). Wissensgemeinschaften haben eine Reihe von Funktionen zur Schaffung, Akkumulation und Verteilung von Wissen in Organisation und über Organisationsgrenzen hinweg (vgl. [40, 41]): • Sie sind Knoten für den Austausch und die Interpretation von Informationen. Da die  Mitglieder von Wissensgemeinschaften ein gemeinsames Verständnis von einem Thema haben, wissen sie, was weitergegeben und bekannt gemacht werden sollte und wie die Informationen in nützlicher Art und Weise präsentiert werden können. In dieser Hinsicht sind Wissensgemeinschaften ideal, um auch Informationen über Organisationsgrenzen zu verbreiten. • Wissensgemeinschaften können Wissen am Leben erhalten, im Gegensatz zu Datenbänken oder Manuals. Die impliziten Elemente von Wissen werden erhalten und ­weitergegeben bzw. den lokalen Nutzungsbedingungen angepasst. Von daher sind

5.5 Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)

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­ issensgemeinschaften auch ideal, um neue Mitarbeiter einzuführen, anzulernen und W Erfahrungen weiterzugeben. • Wissensgemeinschaften entwickeln Kompetenzen weiter und tragen neueste Entwicklungen in die Organisation herein. Wissensgemeinschaften sind oft schneller und weniger schwerfällig als Geschäftseinheiten. Dieses Gefühl, ganz vorn an der Front neuester Entwicklungen mitzumischen, gibt Mitgliedern von Wissensgemeinschaften eine Identität. • Wissensgemeinschaften bilden eine Heimat für Identitäten. In Zeiten, in denen Projekte, kurzfristige Teams und Zuordnungen zu Geschäftseinheiten immer schneller wechseln, bilden Wissensgemeinschaften eine längerfristige fachliche Identität für ihre Mitglieder. In Zeiten flacherer Hierarchien bilden Wissensgemeinschaften ein Experimentier- und Lernfeld, in dem Mitarbeiter offen Ideen austauschen können. Der Ansatz des situativen bzw. sozialen Lernens wird im Kontrast zu einer traditionellen Sicht des Lernens bzw. der Aus- und Weiterbildung in Unternehmen deutlich (in Anlehnung an [40]): „Unsere Institutionen, soweit sie Fragen des Lernens explizit aufgreifen, beruhen weitgehend auf der Annahme, dass Lernen ein individueller Prozess ist, der Anfang und Ende hat und der am besten vom Rest unserer anderen Aktivitäten getrennt wird, und dass Lehren die Quelle des Lernens ist. So lehren wir in Seminarräumen, gestalten computerunterstützte Trainings-Programme mit individualisierten Sessions, wir prüfen Lernerfolg mit individuellen Tests. Ergebnis ist, dass ein großer Teil unserer institutionalisierten Aus- und Weiterbildung als langweilig und irrelevant für die praktische Anwendung angesehen wird.“ Die Grundannahmen des sozialen bzw. situativen Lernens sehen Lernen dagegen als einen Gruppenprozess, der zeitlich unbegrenzt ist und der zum Teil unbewusst abläuft. Lernen findet im Kontext des Handelns statt. Das bedeutet, Situationen wie z. B. Kundengespräche gemeinsam zu erleben und darüber zu diskutieren, wie man diese verbessern kann, oder Erfahrungen auszutauschen, statt Ausbildung und Weiterbildung primär an abstrakten Prozessbeschreibungen zu orientieren. Das situative bzw. soziale Lernen beruht weiterhin auf einer Vielfalt von Lehr- und Lernformen möglichst nah an der Erfahrungswelt der Lernenden und Lehrenden. Diese kurze Diskussion des theoretischen Fundaments von Wissensgemeinschaften bzw. Community of Practice zeigt die Relevanz dieser Gruppen auch für die Neukonzeption von Aus- und Weiterbildung im Unternehmen.

5.5.1 Idealtypische Wissensgemeinschaften Wenn wir Wissensgemeinschaften fördern wollen, brauchen wir ein Leitbild. North et al. ([28]) haben aus persönlicher Erfahrung mit einer Vielzahl von Wissensgemeinschaften die Eigenschaften einer idealtypischen Wissensgemeinschaft herausgearbeitet. In der Idealvorstellung ist eine Wissensgemeinschaft eine Gemeinschaft von Menschen,

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• • • • • • • •

die ein Thema durchdringen wollen, die sich alle als Lehrer und Schüler verstehen, die sich einem Thema ganz öffnen, die Überzeugungen und Erfahrungen äußern lassen, die offen über Fehler und Misserfolge reden, die genügend Raum und Zeit für das Teilen dieser Erfahrung zur Verfügung haben, die sich gegenseitig schützen, die nicht an bestehenden Konzepten festhalten, sondern bereit sind, alles neu zu überdenken, • die einander zuhören und versuchen, ein gegenseitiges Verständnis zu erreichen und • die nicht mit ihrem Wissen in wirtschaftlichen Wettbewerb treten wollen. Es scheint plausibel, dass derartige Wissensgemeinschaften nur schwer losgelöst von den gelebten Werten und der Kultur der Organisationen der Mitglieder wirken können. Wir postulieren daher vier Rahmenbedingungen für idealtypische Wissensgemeinschaften: • Gelebte Werte der Organisation, aus denen sich die Mitglieder der Wissensgemeinschaften zusammensetzen, sollten sein: Vertrauen, Offenheit für Neuerungen, Eigenverantwortung, Authentizität (im Sinn des Ich-selbst-sein-Dürfens) und ein sogenanntes „boundary-less behaviour“, d. h. ein Verhalten, das Zusammenarbeit über Grenzen von Organisationseinheiten fördert. In einer Befehls- und Kontrollkultur werden keine Wissensgemeinschaften florieren. • Eine Balance zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmenszielen: Wenn wir uns an den Bildern der Ökologie orientieren, dann können wir auch formulieren, eine Balance zwischen Saat und Ernte. Überwiegend kurzfristige Unternehmensziele und kurzfristige Ziele von Wissensgemeinschaften bedeuten, dass wir zu schnell ernten wollen, ohne dass wir der Saat genügend Zeit geben. Der Controller sitzt dem Forscher im Nacken. Dies scheint ein Problem im Umgang mit vielen realen Arbeitskreisen und Kompetenznetzwerken zu sein. • Anreize zum gemeinsamen Handeln: Verordnete Wissensgemeinschaften gedeihen selten. Stabilere Faktoren sind ein geteiltes Interesse für das gewählte Wissensgebiet oder geteilte Werte, die über den Inhalt der Wissensgemeinschaft transportiert oder gelebt werden können. Opportunismus und inhaltliche Indifferenz sind schlechte Startpunkte für die gemeinsame Beschäftigung mit einem Wissensgebiet. Anreize sind keineswegs nur im monetären Bereich zu suchen. Viele Unternehmen haben Anreizmechanismen eingesetzt, die hoch erfolgreich und motivierend sind und nichtmonetäre Antriebe beinhalten (vgl. Abschn. 5.4 und 8.3). • Balance zwischen Umsetzung und Experiment: Letztendlich müssen Unternehmen die Erkenntnisse von Wissensgemeinschaften in eine praktische Anwendung umsetzen und in den Wertschöpfungsprozess einbringen. Doch was ist das verwertbare Ergebnis? Ein sichtbares Produkt oder Dokument? Was ist mit den Lernerfahrungen der Teilnehmer, die sie in vielerlei andere Tätigkeiten einfließen lassen? Leonard-Barton [18] hat auf

5.5 Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)

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die Bedeutung des Experimentierens für die Generierung von Wissen hingewiesen. Dies kann bedeuten, dass Wissensgemeinschaften Ressourcen für Pilotanwendungen und Umsetzungen erhalten. In einem Unternehmen wurde daher bei der Neustrukturierung des Erfahrungsaustauschs Wert darauf gelegt, dass Mitglieder der Arbeitskreise einerseits Fachleute sind, andererseits aber auch Führungskräfte, die Entscheidungskompetenz für die Umsetzung der erzielten Resultate haben. Fallbeispiel 23

Wissensgemeinschaften: Zwei Beispiele Ein Kopiererhersteller stellte in einer Arbeitsanalyse fest, dass Kundendienstmitarbeiter beträchtliche Zeit nicht beim Kunden, sondern im Gespräch miteinander im Lagerhaus oder in der Teeküche verbrachten. Eine konventionelle Rationalisierungsmaßnahme wäre gewesen, diese Zeiten zu eliminieren, um die Mitarbeiter nur auf die Kunden zu beziehen. Der die Analyse durchführende Anthropologe fand jedoch heraus, dass gerade hier wichtiges Wissen über die Verbesserung von Wartung bzw. Tipps zu Reparaturtechniken ausgetauscht wurden. Konsequenterweise förderte das Unternehmen diesen Austausch, indem es Rahmenbedingungen für die Kommunikation der Techniker auch unterwegs schaffte. So wurde eine zweite Frequenz im Funk der Techniker eingerichtet, die zum Knowledge Channel wurde. Das französische Tochterunternehmen etablierte ein Informationssystem, in das wichtige Erfahrungen von den Servicetechnikern eingestellt werden können, sodass sie dann auch einem weiteren Personenkreis zur Verfügung stehen (vgl. [2]). Dieses Beispiel zeigt, dass selbstorganisierte informelle Gruppen sehr wohl von der Organisation unterstützt werden können. Ein Automobilhersteller operiert seit 1992 mit sogenannten Tech Clubs, die Probleme einer Fahrzeugplattformstruktur reflektieren. Sie sind informale Gruppen, rund um Disziplinen wie Elektronik oder Chassis organisiert, die Verantwortung für die Weiterentwicklung von relevantem Wissen, Innovation und neuen Fähigkeiten übernehmen. Sie haben die Grundlage und den Erfolg der s genannten Engineering Books of Knowledge geschaffen, wesentlich zur Verkürzung der Entwicklungszeiten (eine Gruppe von 60 auf 30 Monate) und zur Senkung der Entwicklungskosten beigetragen. Diese Tech Clubs haben sich durch verschiedene Phasen hindurch entwickelt: In den ersten Jahren trafen sich Supervisoren, um Probleme bezüglich bestimmter Teile, Lieferanten oder neuer Technologien zu besprechen. In einer zweiten Phase versuchten sie, die Lernprozesse weiterzutragen, indem alle Ingenieure eines bestimmten Bereichs eingeladen wurden, dazu Vertreter des Einkaufs, der wissenschaftlichen Labors etc. In einer späteren Phase übernahmen die Tech Clubs mehr Verantwortung, überprüften Pläne für Produkte und Prozesse und hielten wesentliches Wissen auf einer Lotus-Notes-Datenbasis fest. Heute soll diese Form des Wissensaustauschs und der Wissensgenerierung weltweit multipliziert und gefördert werden. Das Unternehmen sucht jedoch noch nach Möglichkeiten, diese Wissensgemeinschaften länderübergreifend zu unterstützen (vgl. [1, 14]).

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5  Wissen ist menschlich

5.5.2 Gestaltungsdimensionen von Wissensgemeinschaften Die Kontexte für lebendige Wissensgemeinschaften können bewusst geschaffen werden. Das in Abb. 5.13 dargestellte Modell zur Förderung von Wissensgemeinschaften unterscheidet vier Gestaltungsdimensionen (vgl. [29]): • • • •

Mitglieder Interaktive Gemeinschaft Ergebnis Organisatorische Unterstützung

Das Modell ist so zu verstehen, dass Personen durch ihre Interaktion in Wissensgemeinschaften zu einer Transformation des Wissens der Gesamtorganisation beitragen und somit den Wertschöpfungsprozess des Unternehmens verändern. Einige Gestaltungsdimensionen sind direkt lenkbar wie beispielsweise die Zugehörigkeitskriterien oder die Auswahl von Personen für Wissensgemeinschaften. Andere sind nur mittelbar über die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen zu beeinflussen, wie z. B. die Motivation der Mitglieder der Wissensgemeinschaft. Im Folgenden werden wir die wichtigsten Gestaltungsdimensionen besprechen.

Abb. 5.13  Gestaltungsdimensionen von Wissensgemeinschaften: Das MIEO-Modell

5.5 Wissensgemeinschaften (Communities of Practice)

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5.5.2.1 Gestaltungsdimension „Mitglieder“ Die Motivation zur Mitarbeit in Wissensgemeinschaften ist indirekt über die Gestaltung förderlicher Kontexte beeinflussbar. Die Verpflichtung auf herausfordernde quantitative oder qualitative Unternehmensziele wie Steigerungen der Produktivität aller Werke um 10 % pro Jahr oder Steigerung der Kundenzufriedenheit kann zwar eine kurzfristige Motivation für einen Erfahrungsaustausch sein. Sinnvolle Zielsetzungen, die sich Mitarbeitergruppen selbst geben, aber auch sinnstiftende Gruppen und Begegnungen motivieren ­jedoch zu hohem und längerfristigem Engagement. Wie wird die Zugehörigkeit zu Wissensgemeinschaften geregelt? Im Allgemeinen werden es die Wissensgemeinschaften selbst sein, die festlegen, wer sich zur Wissensgemeinschaft rechnen kann bzw. Mitglied wird. Wird in selbstorganisierte Selektionsverfahren von außen eingegriffen, um die Kontrolle zu behalten oder wiederzugewinnen, können vielfältige Schwierigkeiten auftreten. Mitglieder, die von der Geschäftsleitung benannt wurden, werden leicht zu Fremdkörpern, die gewachsenes Vertrauen, Hierarchielosigkeit und eine gewachsene Arbeitskultur zerstören können. Insbesondere bei großen Wissensgemeinschaften, z. B. bei der Kundenbetreuung einer Versicherung, in der potenzielle Mitglieder einer Wissensgemeinschaft einige hundert oder bis zu tausend Mitglieder sein können, wird es unter Umständen unterschiedliche Mitwirkungs- und Zugehörigkeitsniveaus geben. Es sollte jedoch vermieden werden, dass die Geschäftsleitung Mitglieder benennt, die dann von der Wissensgemeinschaft selbst eher als Fremdkörper angesehen werden. Auch Quotendenken kann sich schädlich auswirken. Gestaltbar sind weiterhin das Expertiseniveau und die Wissensdiversität der Personen. Beim Expertiseniveau kann man unterscheiden zwischen Kennern, Könnern und Experten. Kenner sind mit einer Thematik vertraut, haben gegebenenfalls erst geringere Anwendungserfahrung, z. B. jüngere Mitarbeiter. Könner haben bereits Anwendungserfahrung. Experten wird führende Kompetenz zugesprochen. Expertentum ist relativ. Der Topexperte innerhalb eines Unternehmens ist im Branchenvergleich vielleicht einer unter vielen und im Weltvergleich ein niemand. Darauf ist zu achten, wenn Experten ihren Expertenstatus ins Spiel bringen. Wissensdiversität bezieht sich auf den unterschiedlichen Erfahrungshintergrund, den Personen in die Wissensgemeinschaft einbringen, seien es funktionale Erfahrungen (z. B. Marketing, Vertrieb oder Produktentwicklung) oder kulturelle Erfahrungen (Sprachen, Studien, Hierarchieebenen). So zeigte sich z. B. bei der Restrukturierung von technischen Arbeitskreisen im Rahmen einer Fusion, dass die Ingenieurtraditionen in den betroffenen Ländern sehr unterschiedlich waren. Bevor über konkrete technologische Themen gesprochen werden konnte, war es nötig, zunächst eine Verständigung über unterschiedliche Ingenieurtraditionen hinweg zu finden. Ein Zuviel an Diversität kann jedoch auch die Arbeit von Wissensgemeinschaften blockieren.

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5.5.2.2 Gestaltungsdimension „interaktive Gemeinschaft“ Die Arbeit der Menschen in Wissensgemeinschaften ist durch ihre Interaktion gekennzeichnet, die wir durch Intensität, Kommunikationsform, Atmosphäre und Identität beschreiben (vgl. [17]). • Die Intensität ist insbesondere durch die Häufigkeit und Dauer der Treffen bzw. Kontakte der Mitglieder der Wissensgemeinschaft gekennzeichnet. In welcher Form diese Kontakte stattfinden, ob durch regelmäßige persönliche Treffen, Videokonferenzen, Chat Rooms im Internet oder durch Seminare unterschiedlicher Formate, determiniert die Art der Kontaktmöglichkeit und die Möglichkeiten und Grenzen des Wissensaustauschs. • Die Wahl der Kommunikationsform ist entscheidend für die Qualität der Interaktion. Die Autoren haben Mitglieder von Wissensgemeinschaften zur Gestaltung der Kommunikationsform befragt. Einhellige Meinung war, dass ein persönliches Kennen der Mitglieder einer Wissensgemeinschaft den weiteren Austausch über elektronische Medien sehr erleichtert. Die adäquate Kommunikationsform ist weiterhin abhängig von der Art des ausgetauschten Wissens. Je mehr implizite Wissensbestandteile ausgetauscht werden sollen, desto stärker ist auf persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht zu setzen. Je mehr explizites Wissen ausgetauscht wird, desto mehr ist eine Nutzung elektronischer Medien möglich. • Die Interaktion der Menschen in einer Wissensgemeinschaft wird weiterhin geprägt durch die Atmosphäre, in der zusammengearbeitet wird. Vertrauen und Offenheit entwickeln sich und können nur über die Rahmenbedingungen gestaltet werden. Hier kann z.  B. ein Verhaltenskodex helfen, der die oben aufgestellten Regeln einer idealtypischen Wissensgemeinschaft aufgreift und als Verhaltensregeln der Mitglieder definiert. Das Anreden mit Vornamen und Vermeiden von Titeln kann weiter dazu beitragen, eine Interaktion auf gleicher Ebene zu fördern. Zur Atmosphäre trägt natürlich auch bei, unter welchen räumlichen Voraussetzungen Wissensgemeinschaften tagen. • Neben der Corporate Identity eines Unternehmens kann man auch die Bildung einer Identität der Wissensgemeinschaft unterstützen. Wissensgemeinschaften kann im Internet ein Raum zur Darstellung gegeben werden oder sie können ihr eigenes Logo entwickeln. Mit der Zeit bildet sich eine eigene Sprache heraus, vielleicht auch eigene Methoden, Regeln und Werkzeuge, die eine eigenständige Identität in Abgrenzung zur Restorganisation markieren.

5.5.2.3 Gestaltungsdimension „Ergebnis“ In der Interaktion zwischen Personen wird nicht nur Wissen getauscht, sondern es entsteht auch neues Wissen. Wissensgemeinschaften tragen dazu bei, einerseits Wissen im Unternehmen zu transportieren und breiter zu verteilen, andererseits sind sie Keimzellen für Neues. Vieles, was in Wissensgemeinschaften entwickelt und geteilt wird, ist Dritten nicht direkt vermittelbar. Wer gewisse Prozesse nicht geteilt hat, kann ihre Erkenntnisse schwer

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verstehen, in vielen Fällen bleibt nur das Vertrauen auf die Integrität der Mitglieder der Wissensgemeinschaft. Exakte Nachprüfbarkeit entfällt. Als Ergebnis der Wissenstransformation können Teile des Wissens visualisiert, fixiert und bewertet werden. Hierbei helfen Leitfragen. Leitfragen auf individueller Ebene sind: • Was habe ich gelernt? • Was konnte ich in meiner täglichen Praxis umsetzen? Leitfragen auf Ebene der Wissensgemeinschaft sind: • Welches Wissen wurde geschaffen? • Nach welchen Teilen unserer Arbeit besteht die größte Nachfrage? • Wie haben wir unsere gemeinsamen Ressourcen (Methoden, Sprache etc.) weiterentwickelt? • Wie haben wir zum Wertschöpfungsprozess der Gesamtorganisation beigetragen? Diese Bewertung führt zwangsläufig zur Anbindung an die Gesamtorganisation bzw. zu einer Vernetzung mit anderen Wissensgemeinschaften.

5.5.2.4 Gestaltungsdimension „organisatorische Unterstützung“ Die organisatorische Verankerung ist entscheidend für die Umsetzung des Wissens in die Wertgenerierung. Wir betrachten hier die Gestaltungskriterien Formalisierungsgrad, Begrenzung und Zeithorizont. Der Formalisierungsgrad von Wissensgemeinschaften reicht von der völligen Unsichtbarkeit bis zur anerkannten strategischen Bedeutung. Wenger ([40]) unterscheidet fünf Kategorien von Beziehungen zur formalen Organisation (Formalisierungsgrade): • Unerkannt: unsichtbar für die Gesamtorganisation und zum Teil auch für die Mitglieder von Wissensgemeinschaften selbst • „Bootlagged“: nur informell sichtbar für einen Kreis von Personen im Umfeld • Legitimiert: offiziell sanktioniert als wertvolle Einheit • Strategisch: bereits weit anerkannt als zentral bedeutend für den Erfolg der Organisation • Transformierend (transformativ): fähig zur Redefinition ihrer Umgebung und der Richtung der Organisation Die organisatorische Verankerung von Wissensgemeinschaften wird weiterhin durch ihre Be- oder Abgrenzung gekennzeichnet. Hier ist zu unterscheiden zwischen Wissensgemeinschaften innerhalb von Geschäftsbereichen und Wissensgemeinschaften, die ­Geschäftsbereiche überschreiten bzw. solchen, die Organisationsgrenzen überschreiten. Hinzu kommt die geografische Verteilung ihrer Mitglieder, sodass wir in der Begrenzung

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lokale, regionale, nationale, internationale und globale Wissensgemeinschaften unterschei­ den können. Ein weiterer Aspekt der Wissensgemeinschaft ist ihre Abgrenzung gegeneinander. In der Praxis werden sich Wissensgemeinschaften überlappen, da keine klaren organisatorischen Grenzen festgelegt sind. Dies gilt beispielsweise für eine Wissensgemeinschaft, die sich mit Kundenzufriedenheit beschäftigt, und eine andere Wissensgemeinschaft, die sich mit Qualität beschäftigt, wobei die Kundenzufriedenheit natürlich einen Aspekt der Qualität ausmacht. In der Praxis sind häufig Isolationen von Wissensgemeinschaften zu beobachten. Eine bewusste Überlappung durch Doppelmitgliedschaften hilft, späteren Koordinierungskonflikten vorbeugen. Probst und Borzillo [33] schlussfolgern aus ihrer Untersuchung von 57 Communities of Practice von großen europäischen und US-amerikanischen Unternehmen, dass eine Formalisierung und klare Anbindung an Geschäftsziele für den Erfolg von Communities of Practice ausschlaggebend sind. cc

Die No-Frill-Community  Was braucht man unbedingt, damit eine Wissensge-

meinschaft oder allgemein eine Community funktioniert? Was macht eine No-Frill-Community aus, eine Gemeinschaft, die sich nur auf die wesentlichen Dimensionen konzentriert? Eine solche Gemeinschaft braucht:  • Einen ­Kümmerer: eine oder mehrere Personen, die mit Engagement und Charisma die Gruppe zusammenhalten, neue Mitglieder gewinnen und für Vertrauensbildung sorgen • Ein Thema: ein klar beschreibbares und auch abgrenzbares Thema, das für alle Mitglieder attraktiv ist und Interesse auch längerfristig aufrechterhalten kann • Eine Mailing-Liste: zur Kommunikation der Mitglieder untereinander und unkompliziertem Infoaustausch • Regelmäßige Veranstaltungen: möglichst gut merkbare und konstant eingehaltene Termine (z. B. dritter Donnerstag im Monat), Round Tables, Vorträge • Weiterentwicklung der Grundelemente • Webseite, Publikationen, Newsletter: Eine Möglichkeit, Ergebnisse, Fragen, Anregungen zu dokumentieren und als Community auch nach außen zu wirken • Jährliche Großveranstaltung: Ermöglicht, alle Mitglieder zusammenzubringen und zu zeigen: Wir sind wer

Zusammenfassung • In diesem Kapitel haben wir aufgezeigt, wie sich die Rollen von Mitarbeitern zu Mitdenkern im wissensorientierten Unternehmen entwickeln. • Der Wert der Arbeit wird zunehmend durch den Wert des darin verkörperten Wissens bestimmt.

Literatur

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• Unter Wissensgesichtspunkten bildet sich eine Mehr-Klassen-Arbeitsgesellschaft he­ raus, mit unterschiedlichen vertraglichen Bindungen an die Unternehmen. • Die Rollen oberer Führungskräfte, mittlerer Führungskräfte und fachlicher Mitarbeiter werden neu definiert. Ebenso wie die Aufgaben der Informations- und Kommunikationsmitarbeiter sowie der Supportmitarbeiter. • Bei steigender Spezialisierung gewinnt die Beschreibung der Mitarbeiterkompetenzen und deren gezielte Entwicklung an Bedeutung. • Applikationen der künstlichen Intelligenz erweitern die menschlichen Handlungsmöglichkeiten. Wissensorientierte Unternehmensführung kann aber nicht heißen, sich von Mitarbeitern zu emanzipieren, sondern bedeutet vielmehr, die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine verantwortungsvoll zu gestalten. • Zur Wissensweitergabe und Kompetenzentwicklung sollte auf die intrinsische Motivation von Mitarbeitern gesetzt werden. Wissensgemeinschaften (Communities of Practice) bieten einen Freiraum, Erfahrungen auszutauschen und Ideen zu entwickeln.

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5  Wissen ist menschlich

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6

Wissen aufbauen und teilen

Zusammenfassung

Wenn Sie dieses Kapitel gelesen haben, wissen Sie, wie Unternehmen ihre organisationale Wissensbasis gezielt verändern können, um damit die Erreichung der Unternehmensziele zu unterstützen. Auf Basis einer Vielzahl von empirischen Erhebungen wird beleuchtet, was Unternehmen von einem Management der Ressource Wissen erwarten, wodurch Wissensaufbau und -transfer gefördert bzw. behindert werden. Für die praktische Umsetzung werden sechs Konzepte des Wissensmanagements einer vergleichenden Beurteilung unterzogen und die Wissensmanagementanforderungen der ISO  9001:2015 anhand einer Checkliste erläutert. Außerdem wird auf Wissensmanagement in internationalen Kontexten, in kleinen und mittleren Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung eingegangen.

6.1

 ie organisationale Wissensbasis gestalten, lenken D und entwickeln

Nachdem wir gesehen haben, wie Wissen wettbewerbswirksam werden kann, stellt sich die Frage, wie Unternehmen ihre organisationale Wissensbasis gezielt verändern können, um damit die Erreichung der Unternehmensziele zu unterstützen. Wissensorientierte Unternehmensführung beinhaltet daher das Gestalten, Lenken und Entwickeln der organisationalen Wissensbasis zur Erreichung der Unternehmensziele. Diese Aufgabe bzw. dieser Prozess werden auch als Wissensmanagement bezeichnet. Wir verstehen Management als das Gestalten, Lenken und Entwickeln von zweckorientierten sozialen Systemen (vgl. [1]). In der Praxis hat wissensorientierte Unternehmensführung durchaus unterschiedliche Gesichter (vgl. [2, 3, 4, 5]). Für einige Unternehmen ist Wissensmanagement weitgehend © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. North, Wissensorientierte Unternehmensführung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32771-2_6

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6  Wissen aufbauen und teilen

identisch mit effektivem Wissenstransfer im und in das Unternehmen. Viele Organisationen verankern Wissenstransfer im Qualitätsmanagement. Mit der  ISO 9001:2015 ist zu erwarten, dass die Integration von Wissens- und Qualitätsmanagement weiter voranschreitet [6]. Ein Großunternehmen strukturiert Wissenstransfer u.  a. durch sein ShareNet und Best-Practice-Prozesse, fördert Knowledge Networking im Vertrieb und baut Communities of Practice auf. Ein Team auf Unternehmensebene koordiniert die vielen Initiativen der Unternehmensbereiche (vgl.  [7]). Lernen in und aus Projekten wird insbesondere in ­Beratungsunternehmen groß geschrieben. Einige Firmen verankern Wissensmanagement in den funktionalen Bereichen, insbesondere Forschung und Entwicklung, oder im Innovationsmanagement (vgl.  [8, 9]). Andere Unternehmen sehen Wissensmanagement unter dem Aspekt des Managements des intellektuellen Kapitals. Das Schweizer Hörgeräteunternehmen Phonak setzt auf offene Kommunikation über hierarchische und fachliche Grenzen hinweg; die Kantine wird zum Ideenmarktplatz. Es werden Rahmenbedingungen gestaltet, die den Austausch von Informationen und Zusammenarbeit fördern. General Electric baut auf ehrgeizige Ziele sowie ein Werte- und Anreizsystem, das Zusammenarbeit über Geschäftseinheitsgrenzen hinweg sowie Offenheit für das Lernen von außen fördert. Ein Versicherungsunternehmen setzt auf internationales Synergiemanagement, um Exper­ tenwissen gruppenweit verfügbar zu machen. Zunehmend erkennen auch Klein- und Mittel­ unternehmen die Potenziale des Wissensmanagements (s. Abschn. 6.4).

Empirische Erhebungen zum Wissensmanagement

In einer Vielzahl von empirischen Erhebungen wurden Unternehmen danach befragt, was sie von einem Management der Ressource Wissen erwarten, wodurch Wissensaufbau und -transfer gefördert bzw. behindert werden. Die Ergebnisse ausgewählter Studien sind in Tab. 6.1 zusammengefasst. Dort wird deutlich, dass Unternehmenskultur, Anreizsysteme und Unterstützung durch Führungskräfte eine größere Bedeutung als technische Systeme haben. Eine Systematisierung der Erfolgsfaktoren von Wissensmanagement auf Basis von 32 empirischen Studien haben Helm et  al. vorgelegt [19]. Die Studien sind sich einig, dass die Unternehmenskultur den Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches Wissensmanagement darstellt und gestaltet wird durch ein geeignetes Personalmanagement und geeignete strukturelle Bedingungen. Innerhalb der Kategorie Personal bestätigen in Bezug auf die Personalführung 17 Studien die Bedeutung von Faktoren, die die Grundhaltung des Topmanagements zum Wissensmanagement zum Ausdruck bringen und einem erfolgreichen Wissensmanagement förderlich sind. Einige Studien spezifizieren diese genauer und werten die Bereitstellung von Zeit und Freiräumen (18 Studien) und Budget (acht Studien) sowie das Vorleben von Wissensmanagement durch die Unternehmensführung (zehn Studien) als bedeutend. Weiterhin bestätigen jeweils sieben Studien, dass Klarheit und Konsistenz der Ziel-

6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln

165

Tab. 6.1  Empirische Erhebungen zum Wissensmanagement Erwartungen an Wissensmanagement Produktqualität steigern (2) Innovationsfähigkeit erhöhen (2, 6, 7) Kundennähe verbessern (2, 6) Effiziente Ressourcennutzung (4, 3, 6, 8) Sicherung der Wettbe­ werbsfähigkeit (4, 6, 8) Behauptung bzw. Ausbau der Marktstellung (4, 7) Leistungssteigerung (4, 7)

Behindert Wissensaufbau und - transfer Zeitmangel (2, 3, 7,9) Fehlendes Bewusstsein (2, 3, 7, 8) Inadäquate Anreizsysteme (2, 3) Lückenhafte und nicht nutzerfreundliche IT (3) Gelebte Werte bauen Grenzen auf (3, 5, 8, 9) Angst vor Veränderungen (5, 8)

Fördert Wissensaufbau und -transfer Unternehmenskultur (1, 3, 6, 8) Unterstützung durch/sowie Verantwor­ tung des oberen Managements (1, 6, 8) Push and Pull von Informationen und Wissen (1, 8) Beiträge zu Wissensmanagement bedeutsam für Karriereentwicklung (1) IT als Integrator und Katalysator zum Wissensaustausch (1, 6, 7) Organisierte Austauschmöglichkeiten (2, 8) Erhöhung des Handlungsspielraums, Autonomie der kleinsten Einheit (4, 6) Transparenz über Wissensbedürfnisse (2)

Legende: 1 [10]; 2 [11]; 3 [12]; 4 [13]; 5 [14, 15]; 6 [16]; 7 [17]; 8 [4]; 9 [18]

setzung erfolgskritisch sind. Zehn Studien heben die Bedeutung der Kommunikation über die Strategien und Ziele des Unternehmens bzw. des internen Marketings in Bezug auf Wissensmanagement und/oder dessen Ziel der Transparenz hervor und neun Studien die Einbindung der Mitarbeiter bei der Gestaltung des Wissensmanagements im Unternehmen [19, S.  231]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Cleveland und Ellis [18] nach Auswertung von 103 Wissensmanagementstudien.

Alle der genannten Unternehmen führen ihren Erfolg darauf zurück, dass sie Wissen wettbewerbswirksam werden lassen oder in anderen Worten: Nur die motivierte Umsetzung des intellektuellen Kapitals schafft gute Renditen für den Investor. Analysiert man die veröffentlichten Fallstudien zur wissensorientierten Unternehmensführung, so zeigt sich eine Konzentration auf die bessere Nutzung vorhandenen Wissens („economies of re-use“), die Generierung neuen Wissens tritt in den Hintergrund (vgl. u. a. [20]). Wissens- und Innovationsmanagement wachsen erst langsam zusammen [21].

6.1.1 Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung So unterschiedlich die Ansätze und Vorgehensweisen der genannten Unternehmen sind, so orientieren sich doch alle – bewusst oder unbewusst – an einem Grundmodell wissens-

166

6  Wissen aufbauen und teilen

orientierter Unternehmensführung. Dieses Grundmodell stellt dar, wie durch gezielte Interventionen, d. h. gestalten, lenken, entwickeln der organisationalen Wissensbasis, die Erreichung der Unternehmensziele unterstützt und die Ziele messbar gemacht werden können. Das in Abb. 6.1 dargestellte Modell geht von einer Beschreibung und Bewertung der organisationalen Wissensbasis zum Zeitpunkt T0 aus. Zur Erfüllung der Unternehmensziele wird die organisationale Wissensbasis gestaltet bzw. gezielt verändert. Solche Interventionen können eine Konzeption der Anreizsysteme zur Verbesserung des Wissenstransfers sein, die Implementierung einer IT-Infrastruktur, Ausbildungsmaßnahmen, die Allianz mit einem anderen Unternehmen, die bessere Einbeziehung von Lieferanten und Kunden in Produktentwicklungsprozesse usw. Durch diese Interventionen werden Zwischenerfolge und Übertragungseffekte erzielt, z. B. die Reduktion von Doppelarbeit, geringerer Akquisitionsaufwand, steigende Kundenzufriedenheit. Diese Zwischenerfolge und Übertragungseffekte sind häufig stark vernetzt und in ihren Ursache-Wirkung-Beziehungen nicht immer eindeutig nachvollziehbar. Sie führen zu finanziellen und nichtfinanziellen Ergebnissen der Unternehmenstätigkeit. Während die finanziellen Ergebnisse des Unternehmens in der traditionellen Bilanz dargestellt werden, wird die veränderte organisationale Wissensbasis in einer Schlussbilanz zum Zeitpunkt  T1 beschrieben und bewertet. Die Beschreibung und Bewertung der organisationalen Wissensbasis und ihres Beitrags zum Unternehmenserfolg wird uns in Kap. 7 weiter beschäftigen. Gegenstand dieses Kapitels ist die Art und Weise der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der organisationalen Wissensbasis. Strategisches Ziel von Interventionen in die organisationale Wissensbasis ist, Wissen in Wettbewerbsvorteile umzusetzen, die als Geschäftserfolge messbar werden. Daraus können u. a. folgende operative Ziele abgeleitet werden: • Sicherstellen, dass für Geschäftsentwicklung und Geschäftsprozesse benötigtes Wissen zur Verfügung steht • Sicherstellen, dass Wissen an der bestgeeigneten Stelle in oder außerhalb des Unternehmens entwickelt wird • Sicherstellen, dass Wissen optimal nutzbar gemacht und auch genutzt wird • Sicherstellen, dass die Organisation lernfähig ist Inhaltlich können wir normative, strategische und operative Wissensziele formulieren, deren Bedeutung in unterschiedlichen Phasen der Geschäftsentwicklung variieren. Know-why Normative Wissensziele beziehen sich auf die erwünschten Werte und Verhalten, die für eine langfristige, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit relevant sind.

167

Abb. 6.1  Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung

6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln

168

6  Wissen aufbauen und teilen

Know-what Strategische Wissensziele formulieren zum einen, wie wir unser bestehendes Wissen in Geschäftserfolge umsetzen können, zum anderen, welches Wissen wir zur Realisierung neuer strategischer Optionen benötigen, um das gewünschte Wachstum zu erzielen. Know-how Operative Wissensziele beziehen sich auf das tägliche Geschäft, die Beherrschung von Prozessen. Zum Überleben von Krisen ist zu allererst das operative Wissen zu mobilisieren.

6.1.2 W  issenskreislauf: Anforderungen der DIN ISO 9001:2015 und DIN ISO 30401:2020 erfüllen Anschlussfähig an dieses Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung sind die Anforderungen, die von der Qualitätsmanagementnorm DIN ISO 9001:2015 und der neuen Norm „Wissensmanagementsysteme“ DIN ISO 30401:2020 an das Wissensma­ na­gement gestellt werden. Mit der aktuellen ISO 9001 sind Organisationen angehalten, Qualitäts-, Wissens- und Risikomanagement zu integrieren. Organisationen werden für den gezielten Umgang mit Wissen sensibilisiert und Wissensmanagern gibt die Norm eine neue Legitimität. Das bereits berücksichtigte individuelle Kompetenzmanagement wird zukünftig im Gleichgewicht zum Management des organisationalen Wissens stehen. DIN  ISO  30401:2020 unterstützt bei der Umsetzung und liefert laut Einführung in die Norm „Leitlinien zum Aufbauen, Verwirklichen, Aufrechterhalten, Überprüfen und Verbessern eines wirksamen Managementsystems für das Wissensmanagement in Organisationen“ Die folgenden Ausführungen sind ein Auszug aus dem Springer-Gabler Essential „Wissensmanagement für Qualitätsmanager“, das zur Vertiefung empfohlen wird [22]. Im Abschn. 7.1.6 der DIN ISO 9001:2015 mit dem Titel „Wissen der Organisation“ sind in drei Absätzen die Anforderungen an ein Wissensmanagement zusammengefasst: 1. Die Organisation muss das Wissen bestimmen, das benötigt wird, um ihre Prozesse durchzuführen und um die Konformität von Produkten und Dienstleistungen zu erreichen. 2. Dieses Wissen muss aufrechterhalten und in ausreichendem Umfang vermittelt werden. 3. Um sich ändernde Erfordernisse und Trends zu berücksichtigen, muss die Organisation ihr momentanes Wissen betrachten und muss bestimmen, auf welche Weise das nötige Zusatzwissen erlangt wird oder wie darauf zugegriffen wird.

6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln

Wissen

Wissen aufrecht erhalten

Wissen verfügbar machen

169

n

vorhandenes Wissen betrachten

Wissen erlangen Intern extern

Abb. 6.2 Wissenskreislauf

Wenn man die einzelnen Anforderungen aus den Texten herauslöst und in eine Reihenfolge bringt, entsteht ein Wissenskreislauf (Abb.  6.2), der verdeutlicht, wie die Anforderungen der ISO 9001:2015 zu verstehen und umzusetzen sind. Schauen wir uns den Wissenskreislauf schrittweise an: Benötigtes Wissen bestimmen Die Leitfrage zur Bestimmung des benötigten Wissens lautet: Was müssen wir wissen und können, um die Markt- und Kundenanforderungen heute und zukünftig einzigartig zu erfüllen? Vorhandenes Wissen betrachten Im zweiten Schritt ist das benötigte organisationale Wissen mit dem tatsächlich vorhandenen zu vergleichen. Dazu bedarf es einer ausreichend konkreten Beschreibung, die einen Vergleich erlaubt, gegebenenfalls auch einer Quantifizierung: Was wissen und können wir, das durch einzigartige Erfüllung der Markt- und Kundenanforderungen unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichert? Wo ist die Lücke zu dem, was wir wissen oder können müssten?

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6  Wissen aufbauen und teilen

Benötigtes Wissen erlangen In einem dynamischen Umfeld wird es ständig notwendig sein, neues Wissen aufzubauen bzw. zu erlangen. Hier geht es darum, ob Organisationen eine Strategie und systematische Vorgehensweise haben, benötigtes Wissen intern und/oder extern zu erlangen. Wissen vermitteln und verfügbar machen Die Erlangung des benötigten Wissens ist oft untrennbar verbunden mit Wissensaustausch und Vermittlung innerhalb der Organisation. Ohne eine Unternehmenskultur und Anreizsysteme, die Wissensaustausch und gemeinsames Lernen fördern, wird dies jedoch nicht funktionieren. Die Betonung von Führung (Leadership) in der ISO-Revision gegenüber bisher Management setzt hierfür den richtigen Akzent. Wissen aufrechterhalten Als letzter Schritt im Wissenskreislauf und als Forderung des ISO-9001-Normentwurfs bleibt, das vorhandene organisationale Wissen aufrechtzuerhalten. Hier gilt es nachzuweisen, dass eine Strategie und eine systematische Vorgehensweise vorhanden ist und ­umgesetzt wird, die erfolgskritisches Wissen absichert, dokumentiert und aktualisiert sowie Wissensverlustrisiken systematisch identifiziert. Mit der „Checkliste Wissensmanagementanforderungen der DIN  ISO  9001:2015“ können Sie überprüfen, ob Ihre Organisation fit für die Anforderungen der Qualitätsmanagementnorm ist.

6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln

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Checkliste Wissensmanagementanforderungen der ISO 9001:2015 Benötigtes Wissen bestimmen: Aus der Unternehmensstrategie werden Wissens-und Kompetenzziele abgeleitet: Was müssen wir wissen und können, um die Markt-und Kundenanforderungen heute und zukünftig „einzigartig“ zu erfüllen? (Zukünftige) Kundenanforderungen, Markt und Technologietrends werden systematisch analysiert und daraus Anforderungen an Wissen/Kompetenz abgeleitet. Kritisches Wissen wird für einzelne Prozesse identifiziert und konkret bestimmt. Vorhandenes Wissen betrachten Die Kernkompetenzen und erfolgskritisches Wissen der Organisation werden periodisch ermittelt und reflektiert: Was wissen und können wir, das unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichert? Wichtige Qualifikationen und Kompetenzen der Mitarbeiter (Humankapital) werden bestimmt und periodisch evaluiert. Prozessrelevante Informationen, intellektuelle Rechte und Informationssysteme (Strukturkapital) werden dokumentiert und evaluiert. Externe Wissensquellen und -partnerschaften (Beziehungskapital) werden erfasst, die Qualität der Beziehung wird regelmäßig bewertet. Benötigtes Wissen erlangen Es gibt eine Strategie und systematische Vorgehensweise, benötigtes Wissen intern und/oder extern zu erlangen. Vielfältige Lernformen unterstützen die Erlangung des benötigten Wissens (z. B. Schulungen, E-Learning, arbeitsplatznahes Lernen, Lernen im Team) Gewonnene Erfahrungen (Lernen aus Fehlern/Erfolgen, Lessons Learned) werden systematisch ausgewertet und nutzbar gemacht. Die Organisation entwickelt und nutzt systematisch externe Wissensquellen (z. B. Kooperationen mit Forschungs und Bildungsdienstleistern, Beratern, Kunden, Lieferanten, Online-Services, uvm.) Wissen vermitteln und verfüg barmachen Die Unternehmenskultur und Anreizsysteme fördern Wissensaustausch und gemeinsames Lernen. Aus-und Weiterbildung sind effektiv auf strategische und operative Wissens/Kompetenzziele ausgerichtet. Einarbeitung neuer Mitarbeiter und Wissenstransfer ausscheidender Mitarbeiter werden systematisch praktiziert. Individuelles Expertenwissen wird durch Dokumentation bzw. persönlichen (internen und externen) Austausch für die Organisation verfügbar gemacht. Es gibt eine Push und Pull-Strategie für unterschiedliche Wissenskategorien Medien und Informationssysteme (z. B. Datenbasen, Intranet, Social Software) unterstützen nutzerorientiert Zugriff auf und Austausch von Informationen/Wissen intern und extern. Wissen aufrecht erhalten Es gibt eine Strategie und system atische Vorgehensweise erfolgskritisches Wissen abzusichern, zu dokumentieren und zu aktualisieren. Wissensverlustrisiken werden systematisch identifiziert, einzigartiges Wissen wird rechtzeitig vor Mitarbeiterwechsel effektiv weitergegeben. Rechtliche Möglichkeiten der Wissensabsicherung (z. B. Patente, Markenschutz) werden systematisch genutzt. Quelle: [35], Anhang I

172

6  Wissen aufbauen und teilen

6.1.3 Technokratisches Wissensmanagement versus Wissensökologie In der Praxis hat sich im letzten Jahrzehnt das Verständnis dessen, ob und wie sich die organisationale Wissensbasis verändern lässt, weiterentwickelt und differenziert. Von einer eher technokratisch geprägten Sichtweise Informationen = Wissen und deren Fortschreibung als expertenbezogenes Wissensmanagement (Wissen = individuelles Expertenwissen) finden wir zunehmend ein Verständnis, dass Wissen ein lebender Prozess der Interaktion von Personen ist. Das technokratische Wissensmanagement geht davon aus, dass aus den Unternehmenszielen deduktiv eindeutige Wissensziele abgeleitet werden können, Wissensaufbau und Wissensnutzung geplant, gesteuert und gemessen werden können. Wissen wird genauso bewirtschaftet wie Kapital, Material oder Betriebsmittel. Wissen wird weitgehend mit Informationen gleichgesetzt und als Objekt betrachtet. Das technokratische Wissensmanagement geht davon aus, dass Unternehmen zentral gesteuert werden können, dass die zunehmende Komplexität beherrschbar ist, und dass wir es mit einer rationalen Entscheidungsfindung und mit einem sequenziellen Managementprozess im Unternehmen zu tun haben. Technokratisches Wissensmanagement setzt vielfach auf den Einsatz von Expertensystemen (vgl. [23]). Die Sichtweise der Wissensökologie geht davon aus, dass Rahmenbedingungen oder Kontexte zu gestalten sind, in denen Wissen sich entwickeln kann und in denen Mitarbeiter motiviert werden, geschäftseinheits- und unternehmensübergreifend Wissen zu erwerben und zu nutzen. Die Wissensökologie betont den Prozesscharakter von Wissen und die Elemente der Selbstorganisation, um in einem sich schnell verändernden Umfeld zu agieren. Organisationen werden als dynamisch lernende Systeme begriffen, die sich durch die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und mit sich selbst in einem kontinuierlichen Prozess erneuern (sogenannte autopoietische Systeme). Sie sind nicht beliebig steuerbar. Versuche, die komplexe Dynamik der selbsterzeugenden Organisation durch rigide Vorschriften und Kontrollen in den Griff zu bekommen, scheitern angesichts der Komplexität und der Geschwindigkeit des Wandels (vgl. [24, S. 54]). Der Wissensökologie liegt ein nach außen offenes Unternehmen zugrunde, das Raum schafft und Anreize bietet für unternehmerische Initiative, aber auch zur Zusammenarbeit. Wissensentwicklung und -nutzung sind nicht immer planbar, sondern ad hoc, zum Teil dem Zufall überlassen und intuitiv. In diesem Sinn betonen Rehäuser und Krcmar als Aufgaben des Wissensmanagements, die „infrastrukturellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine lernende Organisation zu schaffen, damit die organisatorische Wissensbasis genutzt, verändert und fortentwickelt werden kann“ (vgl. [25, S. 18]). Elemente einer Wissensökologie sind • ehrgeizige Ziele, die nur durch Zusammenarbeit erreicht werden können; • ein Wertesystem, das Offenheit für Neues und für Veränderungen, Zusammenarbeit und Authentizität fördert;

6.1 Die organisationale Wissensbasis gestalten, lenken und entwickeln

173

• ein Anreizsystem, das diese Werte unterstützt; • Träger und Medien, die organisationales Lernen fördern. Ansätzen, die sich allein auf das Lernen konzentrieren, fehlt jedoch der ökonomische Bezug. Hierin kann auch die mangelnde Durchsetzung des Konzepts des organisationalen Lernens in der Praxis begründet sein. Reinhardt (vgl. [26, 27]) sieht als Grenzen des Konzepts des organisationalen Lernens, dass Messgrößen fehlen, die die Güte eines organisationalen Lernprozesses beschreiben, sowie dass der Anspruch einer zielorientierten und planbaren Gestaltung lernfähiger Organisationen unter dem Aspekt der Erzielung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ungeklärt ist. Reinhardt konstatiert weiterhin eine mangelnde Anschlussfähigkeit vorhandener Konzepte organisationalen Lernens an bislang existierende Vorstellungen strategischer Veränderungsprozesse sowie eine Distanz zum operativen Geschäft. Das heißt, das gezielte und planmäßige Gestalten, Lenken und Entwickeln der organisationalen Wissensbasis sind durch organisationales Lernen allein nicht möglich. Daher wurden von einer Reihe von Autoren Modelle entwickelt, die sowohl Komponenten des klassischen Managementprozesses (Planung, Steuerung, Ergebnismessung) als auch Elemente der Wissensökologie beinhalten. Da diese Modelle das Wissensmanagement häufig in Phasen, Module oder Einzelschritte zerlegen, werden wir sie im Folgenden als Phasenmodelle des Wissensmanagements bezeichnen. Die Abb. 6.3 stellt die unterschiedlichen Ansätze des Wissensmanagements, technokratisches Wissensmanagement, Phasenmodelle und Wissensökologie zusammenfassend gegenüber. Im Folgenden werden wir einzelne Konzepte des Wissensmanagements darstellen und sie anschließend einer vergleichenden Diskussion unterziehen.

Technokratisches Wissensmanagement

Wissen = Informati on Wissen abtanken und einfüllen “Wissensstaubsauger, -filter und Datenbanken In IT investieren

Expertenbezogenes Wissensmanagement Wissen= individuelles Expertenwisse n Identifizieren und Zugriff auf isoliertes Expertenwissen Expertenlandkarten, Expertise in Centers of Excellence isolieren, Verfügbarkeit der Experten sicherstellen

Abb. 6.3  Drei Stufen des Wissensverständnisses

Wissensökologie Wissen= lebender Prozeß der Interaktion von Personen Gemeinsames Wissen kultivieren Wissensgemeinschaften Rahmenbedingungen schaffen, in denen Wissen wächst und lebt

174

6.2

6  Wissen aufbauen und teilen

Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements

Zur Darstellung haben wir solche Konzepte ausgewählt, die anstreben, Wissensmanagement ganzheitlich abzubilden, d.  h. nicht nur einzelne Aspekte des Wissenstransfers oder der Wissensentwicklung abhandeln, und die zumindest ansatzweise empirisch in der Praxis getestet wurden. Wir werden zunächst europäische Konzepte vorstellen, beginnend mit Ansätzen aus dem deutschsprachigen Raum, gefolgt von Modellen aus den USA und Japan.

6.2.1 Modell der Bausteine des Wissensmanagements Dieses von Probst, Raub und Romhardt [28] gemeinsam mit den Unternehmen der Geneva Knowledge Group entwickelte Konzept (Abb.  6.4) lehnt sich an den klassischen Managementprozess an, in dem Wissensziele gesetzt werden, in einem Prozess die organisationale Wissensbasis transparent gemacht und verändert wird und anschließend das Ergebnis bewertet wird. Ein expliziter Bezug zu den Unternehmenszielen ist in diesem Modell nicht gegeben, obwohl diese implizit Berücksichtigung finden. Desgleichen wird explizit kein spezifischer Kontext bzw. werden keine wissensfördernden Rahmenbedingungen im Modell berücksichtigt. Dies geschieht jedoch situativ in den einzelnen Bausteinen. Sehen wir uns die einzelnen Bausteine des Modells näher an: • Wissensziele legen fest, auf welchen Ebenen welche Fähigkeiten aufgebaut werden sollen. Normative Wissensziele beziehen sich auf die Schaffung einer wissensbewussten Unternehmenskultur. Strategische Wissensziele definieren organisationales Kernwissen und beschreiben somit den zukünftigen Kompetenzbedarf eines Unternehmens. Operative Wissensziele sorgen für die Umsetzung des Wissensmanagements.

Abb. 6.4  Bausteine des Wissensmanagements [28, S. 56]

6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements

175

• Wissensidentifikation beschäftigt sich damit, wie intern und extern Transparenz über vorhandenes Wissen geschaffen werden kann. • Wissenserwerb bezieht sich auf den externen „Einkauf“ von Wissen durch Aktivierung der Beziehungen zu Kunden, zu Lieferanten, zu Konkurrenten sowie zu Partnern in Allianzen, durch Rekrutierung von Experten oder die Akquisition von besonders innovativen Unternehmen. • Wissensentwicklung wird als komplementärer Baustein zum Wissenserwerb gesehen. Im Mittelpunkt steht die Produktion neuer Fähigkeiten, neuer Produkte, besserer Ideen und leistungsfähiger Prozesse. Es geht in diesem Baustein um den allgemeinen Umgang des Unternehmens mit neuen Ideen und die Nutzung der Kreativität der Mitarbeiter. • Wissensverteilung geschieht unter der Leitfrage: Wer sollte was in welchem Umfang wissen oder können und wie kann ich die Prozesse der Wissensverteilung erleichtern? • Wissensnutzung beinhaltet den produktiven Einsatz organisationalen Wissens zum Nutzen des Unternehmens. • Wissensbewahrung beschäftigt sich damit, wie Unternehmen sich vor Wissensverlusten schützen können. • In der Wissensbewertung werden Methoden zur Messung von normativen, strategischen und operativen Wissenszielen notwendig, um den Erfolg der Anstrengungen des Wissensmanagements beurteilen zu können. Ein Prozess des Wissenscontrollings wird als essenzielle Voraussetzung für wirksame Kurskorrekturen bei der Durchführung von längerfristigen Interventionen des Wissensmanagements angesehen. Für jeden Baustein des Modells stellen Probst und Mitarbeiter eine Reihe von Instrumenten sowie Praxisbeispiele vor.

6.2.2 Das Münchener Modell Das von Reinmann-Rothmeier und Mandl entwickelte Münchener Modell steht für eine pädagogisch-psychologische Sicht auf das Managen von Wissen und akzentuiert Lernen als wettbewerbsdifferenzierenden Faktor der Zukunft (vgl. [29, 30]). Das Wissensverständnis im Münchener Modell will dem Objekt- wie auch dem Prozesscharakter des Wissens Rechnung tragen. Wissen ist ständig in einer Art Fließbewegung und kann zu „gefrorenem“ Informationswissen werden, das sich gut handhaben, strukturieren und speichern lässt; es kann aber auch zu „gasförmigem“ Handlungswissen werden, das sich dem direkten Zugriff entzieht, sich schnell verflüchtigt und Energien erzeugt. Beides gehört zu unserem Wissensalltag. Parallel zu diesem Wissensverständnis favorisiert das Münchener Modell auch eine Doppelperspektive auf das Management: Algorithmische Denkmodelle zur Steuerung von Geschäftsprozessen stehen hier neben konstruktivistischen Vorstellungen vom Ermöglichen, Fördern und Unterstützen in der Mitarbeiterführung. Bewährte Vorgehensweisen

176

6  Wissen aufbauen und teilen

sind in berechenbaren Systemen nicht zu streichen, sondern durch pädagogisch-­ psychologisches Denken und Handeln zu ergänzen – nämlich dort, wo es um Mensch und Kultur und damit um nichtberechenbare Systeme in der Organisation geht. Ziel des Wissensmanagements ist im Münchener Modell die Entwicklung hin zu einer lernenden Organisation. Eine notwendige Bedingung für das Lernen einer Organisation sind die Lernbereitschaft und -fähigkeit der beteiligten Individuen, die nach Senge (vgl. [31]) den „Ort des Wandels“ bilden, während die Organisation den „Ort des Handelns“ darstellt. Eine lernende Organisation kann dann entstehen, wenn individueller und organisationaler Lernzyklus miteinander verbunden werden. Das Herz des Münchener Modells bilden vier Phänomenbereiche (Abb.  6.5), die verschiedene Wissensprozesse bündeln und damit Zugriff auf beide Lernzyklen ermöglichen: die Repräsentation, Nutzung, Kommunikation und Generierung von Wissen. Diese Phänomenbereiche implizieren neben organisationalen und technischen Aspekten vor allem auch psychologische Voraussetzungen und pädagogische Begleitprozesse, die häufig vernachlässigt werden. Prozesse der Wissensrepräsentation machen Wissen sichtbar, zugänglich, transportierbar und besser begreifbar. Repräsentationsprozesse zielen darauf ab, Wissen einzufrieren, für bestimmte Zeit zu konservieren und zum Auftauen bereit zu halten. Somit ist Wissensrepräsentation mit einer Bewegung verbunden, in der Wissen in Richtung Information geht. Prozesse der Wissensnutzung machen Wissen anwendbar und lassen dem Wissen das Handeln folgen. Das heißt: Nutzungsprozesse zielen darauf ab, Wissen aufsteigen zu lassen, Energien zu erzeugen und an geeigneten Stellen wieder zum Kondensieren zu bringen. Somit ist Wissensnutzung mit einer Bewegung verbunden, in der Wissen in Richtung Handeln geht. Prozesse der Wissenskommunikation führen dazu, dass Wissen ausgetauscht, geteilt, vernetzt und in Bewegung gebracht wird. Kommunikationsprozesse bringen Wissen folglich zum Fließen und sorgen dafür, dass sich dieser Fluss ungehindert fortbewegen und ausbreiten kann. Somit ist Wissenskommunikation Wissensbewegung pur, die in

Abb. 6.5  Das Münchner Modell

6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements

177

jedem Wissenszustand möglich ist. Prozesse der Wissensgenerierung führen dazu, dass der Rohstoff Information zu handlungsrelevantem Wissen verarbeitet wird und neue Ideen entstehen. Generierungsprozesse sorgen also dafür, dass dem fließenden Wasser seine Quelle erhalten bleibt, dass der Fluss nicht dem Schicksal des Versiegens erliegt. In all diesen Prozessen, die in der Praxis ineinander übergehen und sich nur analytisch trennen lassen, spielen Problemlösen und Kreativität, Metawissen und kognitive Strategien, aber auch Motivation und Wille sowie Gefühle und das kulturelle Umfeld eine große Rolle – Faktoren, die gemeinsam einen weiten Lernbegriff bilden.

6.2.3 Das Wissensmarktmodell Das von North (vgl. [12]) in Projekten der Aktionsforschung mit Unternehmen gemeinsam entwickelte Wissensmarktkonzept wird in Kap. 8 des Buchs detailliert vorgestellt und ist deswegen hier vollständigkeitshalber nur kurz beschrieben. Das Modell (Abb. 6.6) basiert auf der Annahme, dass Wissen als Ressource nur unter Betrachtung von marktorientierten Mechanismen innerhalb von Unternehmen und unternehmensübergreifend wettbewerbswirksam entwickelt und genutzt werden kann. Das Modell beinhaltet die Gestaltung der Rahmenbedingungen für den Wissensmarkt, baut Marktmechanismen auf, die den Ausgleich zwischen Wissensangebot und Wissensnach-

Abb. 6.6  Das Wissensmarktmodell

178

6  Wissen aufbauen und teilen

frage ermöglichen und definiert Medien und Träger eines operativen Wissensmanagements. Im Modell wird davon ausgegangen, dass wissensorientierte Unternehmensführung nicht auf einzelnen Bausteinen des Wissensmanagements begründet werden kann, sondern eine Gesamtkonzeption, eine neue Sicht auf Unternehmen erfordert, die sich in der Gestaltung der organisatorischen Rahmenbedingungen und dem operativen Management des Unternehmens konkretisieren muss.

6.2.4 Modell des systemischen Wissensmanagements Willke (vgl. [32]) wendet die Systemtheorie (vgl. [32, 33]) auf das Wissensmanagement an. Er argumentiert, dass die Möglichkeiten der Steuerung komplexer Systeme scharf begrenzt sind auf die beiden Formen der (internen) Selbststeuerung und der (externen) Kontextsteuerung. Systemisches Wissensmanagement beschreibt eine Reihe von Komponenten eines systemischen Zusammenhangs (Abb. 6.7), die alle mit systemrelevanter und systemrelativer Expertise unterfüttert werden können. In diesem Sinn vertritt Willke eine wissensökologische Betrachtungsweise. Durch Fallstudien zeigen Willke und Mitarbeiter unterschiedliche Betrachtungsweisen und Handlungsfelder des systemischen Managements und systemischer Veränderungsprozesse auf.

Abb. 6.7  Komponenten einer organisationalen Wissensbasis [32, S. 69]

6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements

179

6.2.5 Das APQC/Andersen-Rahmenkonzept Stellvertretend für die Vielzahl der von Beratungsunternehmen propagierten Konzepte soll das vom American Productivity and Quality Center (APQC) mit Arthur Andersen entwickelte Rahmenkonzept zum Wissensmanagement vorgestellt werden, das Grundlage für die „Wissensmanagement Benchmarkingstudie“ des APQC und ein Diagnoseinstrument, das sogenannten Knowledge-Management-Assessment-Tool (KMAT) von Arthur Andersen, ist. Auch das von der Asian Productivity Organization verwendete Knowledge Management Framework lehnt sich an das APQC-Rahmenkonzept an. Das Rahmenkonzept beinhaltet ein an den Managementprozess angelehntes Phasenkonzept des Wissensmanagements, das durch sogenannte Enablers (fördernde Rahmenbedingungen) unterstützt wird. Als wissensfördernde Rahmenbedingungen werden Führung, Unternehmenskultur, Technologie, insbesondere Informations- und Kom­ munikationstechnologie, und Messung bzw. Messbarkeit der Ergebnisse des Wissensmanagements angesehen. Die Rahmenbedingungen stehen weitgehend unverbunden nebeneinander. Das KMAT macht jedoch durch Statements und Kurzbeispiele klar, wie eine erfolgreiche wissensorientierte Unternehmensführung konzipiert sein sollte. Einzelne Fragen des Assessment-Tools (Abb. 6.8) suggerieren Gestaltungsmöglichkeiten des Wissensma­ nagements. Das Rahmenkonzept ist eher eine Checkliste unter dem Motto: Was muss ich beachten, wenn ich Wissensmanagement erfolgreich betreiben will, als ein geschlossenes Implementierungskonzept (s. [10]; vgl. auch andere Beratungskonzepte u. a. [34]).

6.2.6 Die Spirale des Wissens Ausgehend von empirischen Untersuchungen in japanischen Unternehmen haben Nonaka und Takeuchi ein Modell vorgelegt, wie Unternehmen organisationales Wissen erzeugen bzw. nutzbar machen (vgl.  auch [35, 36]). Die Forscher untersuchten, wie erfolgreiche japanische Konzerne, z. B. Honda, Canon, Matsushita, NEC, Sharp und Kao, in der Lage sind, auf Kundenwünsche einzugehen, neue Märkte zu kreieren, neue Produkte schnell zu entwickeln und neu aufkommende Technologien zu beherrschen. Zentral für den Ansatz ist die Erkenntnis, dass neues Wissen nicht einfach aus der Verarbeitung objektiver Informationen entsteht. Ebenso hängt dieser Vorgang von den stillschweigenden und oft höchst subjektiven Einsichten, Eingebungen und Mutmaßungen der Einzelnen ab, neues Wissen zu prüfen und zu nutzen. Als Hebel dient dabei persönliches Engagement und die Bereitschaft aller, sich mit dem Unternehmen und seinem Auftrag zu identifizieren. Um dieses Engagement zu aktivieren und implizites Wissen über aktuelle Technologien und Produkte einzubringen, sind Führungskräfte erforderlich, die mit Bildern und Symbolen ebenso umgehen können wie mit harten Ziffern zu Marktanteil, Produktivität oder Kapitalrendite

180

6  Wissen aufbauen und teilen

Abb. 6.8  Das APQC/Andersen-Rahmenkonzept

(vgl. [35, S. 96]). Im Unternehmen sind es Einzelne, die neues Wissen schaffen. Ein brillanter Forscher findet etwas heraus, was zu einem neuen Patent führt. Ein Verkaufsingenieur hat ein Gespür für Markttrends und wird zum Katalysator für ein neues Produktkonzept oder ein Arbeiter in der Fertigung kommt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung auf die Idee, ein Verfahren zu verbessern. Individuelles Wissen wird zu wertvollem Wissen für die Organisation. Für das Gelingen muss personengebundenes Wissen auch anderen zugänglich gemacht werden. Dieser ständige Prozess des Transfers des individuellen Wissens zum Kollektiv und zurück wird mit dem Begriff der Spirale des Wissens belegt. Grundlage ist hierbei die Überführung von implizitem in explizites Wissen, wie wir bereits in Kap.  3 unter der Dimension Verfügbarkeit ausführlich dargestellt haben (vgl. auch Abb. 3.3, 3.4 und 3.5). Nach Nonaka und Takeuchi (in Anlehnung an [25, S. 25]) wird die Wissenserzeugung durch folgende Bedingungen begünstigt:

6.2 Ausgewählte Konzepte des Wissensmanagements

181

• Intention: Eine klare Vision bzw. Zielsetzung, die artikuliert, welche Art von Wissen aufgebaut werden soll, und eine Umsetzung dieser Vision in Leitlinien und Handlungsanweisungen fürs Management • Autonomie: Freiheit der Mitglieder einer Organisation, innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen kreativ zu werden und Chancen zu nutzen • Instabilität: Permanentes Infragestellen und Überdenken des bisher Dagewesenen • Redundanz: Verfügung über mehr Informationen als für die Bewältigung der unmittelbaren operativen Aufgaben benötigt werden Durch überlappende Informationen zu Geschäftsabläufen, Verantwortungsbereichen etc. haben die Organisationsmitglieder teil am impliziten Wissen anderer. Sie können andere besser verstehen und sich selbst in den Kontext des Gesamtunternehmens einordnen. Alle Organisationsmitglieder sollten den gleichen Zugang zu einer breiten Vielfalt an Informationen und Wissen erhalten, um auf Unvorhergesehenes reagieren und Informationen möglichst flexibel und schnell kombinieren zu können. Nonaka und Takeuchi unterscheiden sich mit ihrem Konzept von anderen Ansätzen, indem sie nicht ein deterministisches Modell des Wissensmanagements vorlegen, sondern Kontexte gestalten, die der Erzeugung und dem Transfer von Wissen förderlich sind.

6.2.7 Vergleichende Beurteilung der Wissensmanagementkonzepte In Tab. 6.2 sind die oben beschriebenen Konzepte des Wissensmanagements gegenübergestellt. Beurteilt werden die Orientierung am Managementprozess (Planung, Steuerung, Kontrolle, Ergebnismessung), inwieweit die Rahmenbedingungen (Kontext) im Modell berücksichtigt werden, ob ein Bezug zu den Unternehmenszielen hergestellt ist und welche Form der empirischen Validierung vorliegt. Des Weiteren wird beurteilt, ob die Konzepte durch ein Instrumentarium praktischer Methoden des operativen Wissensmanagements ergänzt werden, sodass sie auch praktisch einsetzbar sind, ob das Konzept in seiner vorliegenden Form in Unternehmen implementierbar ist und eine Anleitung zur Implementierung gegeben wird sowie als abschließende Beurteilung die Praxisrelevanz (vgl. auch [38]). Die Mehrheit der dargestellten Konzepte konzentriert sich auf einzelne Aspekte des Wissensmanagements. Ansätze, die versuchen, eine Gesamtkonzeption für die Bewirtschaftung der Ressource Wissen unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entwickeln, finden sich bei Probst et al. ([28]) und dem in diesem Buch dargestellten Wissensmarktkonzept. Willke ([32]) hat Modellvorstellungen aus systemischer Sicht skizziert.

bedingt, durch Orientierung der Lernprozesse

ja, durch Wissensmanagementprozesse Systemtheorie u. Prozessmodell

Münchner Modell [29]

Wissensmarkt-Konzept (North 1998) (in diesem Buch) Systemisches WM [32]

APQC/Andersen- ja Rahmenkonzept und Knowledge Management Assessment Tool [10] Die Spirale des nein, „ManageWissens ment des Zufalls“ (Nonaka und Takeuchi 1995) [40]

ja,(St. GatlenModell)

Bausteine des Wissensmanagements [28]

Orientierung am Managementprozess

Empirische Analyse der Produkt- und Prozessentwicklung japanischer Unternehmen

Konzeptentwick lung durch Aktionsforschung in Unternehmen Fallstudien

ja, Kontextgestaltung zur Förderung der Kreativität

Ja (Vision)

Instrumentarium praktischer Methoden zum operativen WM ja, bausteinbezogen

ja, (Kontexte, Wissenstransformation)

nein, jedoch Fallbeispiele in APOCBenchmarking-Studie

wenige Instrumente

Ja

Einbezug von Praktiken in Konzeption, (noch) keine Anwendung des Gesamtkonzepts in Teilaspekten bedingt, aus Sicht des organisationalen Lernens

empirische Validierung

als Diagnoseinstrument

ja

mittelbare Ableitung

implizit, durch Steuerung der Lernprozesse

implizit, Ableitung von Wissenszielen aus Unternehmens zielen bleibt unklar

Bezug zu Unternehmenszielen

ja, durch „enablers“ ja

ja, (systematisch)

Interventionskonzept zur Gestaltung „wissensfördernder Unternehmensbedingungen“ explizit

implizit in Bausteinen, aber nicht übergreifend

Berücksichtigung der Rahmenbedingungen

Tab. 6.2  Beurteilung ausgewählter Konzepte des Wissensmanagements

nein

nein

nein

praktischen Implementierung geeignet ja

Eher zur

nein

Implementierungsmodell

Umsetzungsmöglichkeiten nützliche Checkliste. Was muss ich beachten für eriolgreiches Wissensmanagement? sensibilisiert für Wissenserzeugung, Umsetzungsbeispiele

Ein Konzept, um Wissensmanagement in der Praxis zu leben Fallstudien zeigen

Ein Konzept, um Wissensmanagement in der Praxis zu leben, geringe Hilfestellung zur Implementierung Eine pädagogischpsychologische Sicht auf das Wissensmanagement

Praxis relevanz

182 6  Wissen aufbauen und teilen

6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten

6.3

183

Wissensmanagement in internationalen Kontexten

6.3.1 Von der Projektion zur Orchestrierung Wissensorientierte Unternehmensführung in internationalen Kontexten stellt gegenüber dem bisher gesagten zwei zusätzliche Herausforderungen dar. Die erste Herausforderung besteht in der Integration von geografisch weit verstreutem Wissen, das in unterschiedliche kulturelle Kontexte eingebunden ist und daher nur bedingt losgelöst von diesen Kontexten transferiert werden kann bzw. ohne den Kontext wertlos ist. So transferierte z. B. die amerikanische Muttergesellschaft Disney ihr Vergnügungsparkkonzept in Euro Disney, Paris, und musste feststellen, dass das Konzept nicht mit den europäischen Gewohnheiten der Freizeitgestaltung übereinstimmte. Auch hat sich gezeigt, dass der Transfer von Total-Quality-Management-Ansätzen über Ländergrenzen hinweg nur dann erfolgreich ist, wenn im Kontext eine entsprechend fördernde Unternehmenskultur vorhanden ist oder geschaffen wird (vgl. [39], s. auch [41]). Die zweite Herausforderung bezieht sich auf die Komplexität von Wissensbeschaffung, -entwicklung, -transfer, -nutzung und -absicherung im internationalen Kontext. Unternehmen muss es gelingen, mit ihrem Netz von internationalen Sensoren möglichst früh herauszufinden, wo neues Wissen entsteht, Wissensquellen gegenüber Konkurrenten abzusichern, innerhalb des Unternehmens weltweit Komplexitätsreduktion des Wissensbedarfs nutzbar zu machen und weiterzuentwickeln. Hierbei müssen Unternehmen lokale Differenzierung und globale Standardisierung miteinander kombinieren. So werden in der Informations- und Kommunikationstechnik weltweit standardisierte Produkte entwickelt, unter Nutzung lokaler Kostenvorteile produziert und über lokal differenzierte Absatzkanäle verkauft. Hier ist die Aufgabe, Forschung und Entwicklung dort anzusiedeln, wo das beste Know-how vorhanden ist, zu produzieren, wo preiswerte und qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind, sowie Best Practices weltweit schnell zu transferieren und für die Distribution leistungsfähige lokale Partner zu finden. In der Automobilindustrie werden Produkte aufgrund von gemeinsamen Plattformen und Baugruppen den lokalen Marktbedürfnissen angepasst und daher wird die Komplexität des notwendigen Wissens reduziert. Plattformen und Baugruppen werden vielfach zentralisiert entwickelt, spezifische Marktanforderungen lokal eingearbeitet. Hierbei können jedoch Erfahrungen entstehen, die auch weltweit interessant sind, z. B. Erfahrungen mit nachwachsenden Rohstoffen in Brasilien, die von einem Automobilhersteller nach Südafrika transferiert wurden. Fallbeispiel 24

Wissensarbeit weltweit Ein Automobilhersteller arbeitet am Aufbau eines weltumspannenden Entwicklungsverbunds. Beim größten Autohersteller Europas gibt es konkrete Überlegungen, Teile wie Getriebe, Motoren oder Fahrwerke nicht mehr überwiegend an den deutschen Standorten, sondern via Computer auch in anderen Kontinenten für den gesamten Konzern entwickeln zu lassen. Nach den bisherigen Überlegungen könnte

184

6  Wissen aufbauen und teilen

beispielsweise ein Entwickler in Deutschland am Morgen mit der Arbeit an einer neuen Bremse starten. Gegen Abend übergibt er via Computernetz den Konstruktionsauftrag zur weiteren Bearbeitung an einen Kollegen in Amerika, wo der Arbeitstag dann gerade beginnt. Beendet der Kollege in den USA am Abend seine Aufgaben, sendet er seine weiterentwickelten Pläne zum Betrieb nach Asien. Von dort kommt der Konstruktionsplan im Computernetz wieder nach Deutschland. Bei einer erfolgreichen Umsetzung dieser Verbundidee könnten die Entwicklungszeiten bis zu zwei Drittel reduziert werden, denn es wird ja rund um die Uhr an den Plänen gearbeitet. Wie kann der Grundsatz „being local worldwide“ unter Wissensgesichtspunkten umgesetzt werden? Doz et al. [42]. beschreiben hierzu drei Ansätze, die sie als Projektion, Integration und Orchestrierung bezeichnen (vgl. zum internationalen Management [43]).

6.3.1.1 Projektion Grundfrage der Projektion ist, wie der Wissensvorsprung aus dem Heimatland, verkörpert in Produkten, Dienstleistungspaketen sowie der zugehörigen Logistik, in fremde Märkte unter Berücksichtigung ihrer Charakteristiken transferiert werden kann. Aufgabe des Managements bei der Projektion ist es, zu lernen, eine Balance zu finden zwischen blinder Übertragung der Erfahrungen aus dem Heimatland und Überanpassung an die lokalen Bedingungen. Diese Balance kann selten im Vorhinein festgelegt werden. So hat McDonalds sein US-Konzept weltweit in standardisierter Form etabliert, variiert jedoch den lokalen Geschmack durch spezifische lokale Produkte. Coca Cola schmeckt überall auf der Welt gleich. Die Wahl der Distributionskanäle und Logistik unterscheidet sich jedoch stark. Produktwissen wird von der Zentrale international projiziert, lokale Partner übernehmen mit ihrem Marktwissen die Distribution. Projektion setzt einen effizienten Wis­ senstransfer von der Zentrale zu den weltweiten Niederlassungen, aber auch ein effizientes Feedbacksystem voraus, sodass allgemein relevante lokale Erfahrungen über die Zentrale wieder verbreitet werden können. Internationale Führungskräfte und eine Trennung der Unternehmenskultur von der Kultur des Heimatlandes erleichtern die Internationali-­sierung. 6.3.1.2 Integration Integration geht einen Schritt weiter: Nicht nur innerhalb des eigenen Unternehmens weltweit ist zu lernen, sondern auch von außen. Ähnlich wie bei der invertierten Organisation befindet sich das Wissen in den weltweiten Niederlassungen, Centers of Excellence bzw. bei Allianzpartnern. Das Zentrum integriert einen Teil dieses Wissens, ohne jedoch die führende Kompetenz darzustellen. Problematisch kann hierbei jedoch die Loslösung des Wissens aus den spezifischen Kontexten sein. Eine Reihe von weltweit agierenden Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften arbeitet nach dem Prinzip der Integration. Dezentrale Netzwerke entwickeln Standarddienstleistungen (Core Services), die lokal entsprechend umgesetzt werden. Übergreifend gelten für alle Niederlassungen Qualitätsrichtlinien und Routinen zur Abwicklung von Aufträgen. Das Zentrum selbst verfügt bei der Integration über weniger Wissen als die externen Knoten. Von daher stellt sich die Frage, ob unter Wissensgesichtspunkten nicht ganz auf das Zentrum verzichtet werden kann. Dies führt zur Orchestrierung.

6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten

185

Gestaltung internationaler Forschung und Entwicklung

Effektiver Wissensaufbau und -transfer prägen zunehmend die Gestaltung der Forschung und Entwicklung internationaler Unternehmen. Fünf Trends konnten in einer Untersuchung von 25 Großunternehmen mit Stammsitz in Europa, Japan und den USA ausgemacht werden (Abb. 6.9). Zahlreiche Unternehmen mit einem zen­tralisierten Bereich Forschung und Entwicklung orientieren sich stärker an ihrer internationalen Umwelt (Trend 1) oder bauen technologische Horchposten in den technologischen Spitzenzentren der Triade auf (Trend  2). Unternehmen mit bisher straff zentral gesteuerten ausländischen Forschung-und-Entwicklung-Standorten erweitern deren Kompetenzen (Trend  3). Durch Akquisitionen gewachsene Unternehmen mit bislang weitgehend autonomen Tochtergesellschaften erkennen die Integrationspotenziale und vernetzen ihre Forschung-und-Entwicklung-Aktivitäten stärker (Trend 4). Insgesamt ist ein starker Trend hin zum integrierten Forschung-und-­Entwicklung-­Netzwerk zu konstatieren. Jedoch ist auch innerhalb des integrierten Netzwerks ein Trend zu beobachten: verstärkte Konzentration auf wenige Spitzenforschungszentren und Rezentralisierung von Entscheidungsprozessen auf wenige Kompetenzzentren (Trend 5). Es wird wieder stärker auf Fokussierung und Kostenreduktion Wert gelegt. Ziel der Konsolidierungen ist die bessere Ausnutzung von Größenvorteilen durch eine verstärkte Koordination der weltweiten Forschung-­und-­Entwicklung-Aktivitäten und der Abbau von Doppelentwicklungen bei gleichzeitiger Intensivierung des konzerninternen länderübergreifenden Transfers [44].

Abb. 6.9  Gestaltung internationaler Forschung und Entwicklung [44]

186

6  Wissen aufbauen und teilen

6.3.1.3 Orchestrierung Orchestrierung bedeutet im Extremfall Zusammenarbeit der Einheiten eines Unternehmens, der Allianzpartner, Kunden und Lieferanten in einem globalen Netzwerk ohne Zentrale oder Hauptquartier. Unternehmenseinheiten arbeiten in unterschiedlichen Koalitionen zusammen, um neues Wissen in Marktlösungen umzuwandeln. Spezialisierte Einheiten bilden Wissensallianzen, um den Kunden Komplettlösungen anzubieten. Forschungs- und Entwicklungszentren folgen dem Know-how. Stark dezentralisierte internationale Unternehmen arbeiten bereits nach diesen Prinzipien. Andere Firmen haben ihre Ländergesellschaften aufgelöst und an deren Stelle globale Verantwortlichkeiten für Geschäftseinheiten, Produktgruppen oder Services festgelegt. Doz et al. ([42]) beschreiben drei Voraussetzungen für eine effektive Umsetzung der Orchestrierung, die sie auch als metanationale Strategie bezeichnen (vgl. auch [45] und das von ihnen entwickelte Konzept der Transnational Corporation): • Effektive Sensoren: Existenz effektiver Sensoren in wichtigen Märkten und Regionen mit kritischem Wissen. Sensoren können entstehen in gemeinsamen Entwicklungspro­ grammen mit führenden Kunden und Lieferanten in wichtigen, wissensmäßig führenden Regionen, durch Beziehungen zu führenden Forschungsinstitutionen, die Wissen auf neuen Gebieten entwickeln, durch die Verlagerung von kritischen, z. B. Forschungsfunktionen, vom Heimatland in führende Regionen, durch die Einrichtung von Niederlassungen, Entwicklungszentren und Fertigungsstätten in kritischen Standorten, durch wissensbezogene Allianzen usw. Anziehungspunkte können u. a. zentrale Funktionen im Hauptquartier sein, Kunden- oder Produktmanagementstrukturen, globale Plattformen, übergreifende Projekte, Logistiksysteme, globale Centers of Excellence. • Anziehungspunkte: Etablierung von Anziehungspunkten („attractors“): führende Kompetenzen, die das verteilte Markt-, Produkt- und technologische Wissen fokussieren, zusammenfassen und zur Verfügung stellen. • Wissensaustausch: Sicherstellen eines effektiven und effizienten Wissensaustauschs zwischen den Knoten des Netzwerks. Zur Förderung des gemeinsamen ­Wissensaufbaus und -austauschs zwischen den Knoten des orchestrierten Netzwerks gilt es, vor allem das Verhalten der Mitarbeiter zu steuern: Für Wissensaufbau und -transfer in Netzwerkstrukturen sind gemeinsame Wertvorstellungen, gemeinsame Interessen, eine gemeinsame Sprache und Terminologie von größter Bedeutung. Unternehmen mit einer stark ausgeprägten Unternehmenskultur, wie z. B. Hewlett-Packard oder Motorola, gelingt es, Wissen weitgehend unabhängig von Landeskulturen zu bewegen (vgl. [39]). Garanten einer solchen Unternehmenskultur sind internationale Führungskräfte, die sich zu allererst ihrer Unternehmenskultur und dann einer Landeskultur verpflichtet fühlen (vgl. [42]). • Lokale Mitarbeiter: Gründliche Auswahl lokaler Mitarbeiter und intensive Einführung in die Werte und Arbeitsweise der Organisation sind wichtige Maßnahmen, um gleiche Wertvorstellungen und geteiltes implizites Wissen zu schaffen.

6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten

187

• Internationale Anreizsysteme: Weitere Voraussetzungen für das orchestrierte Unternehmen sind international ausgerichtete Anreizsysteme. Diese können wie bei General Electric in Aktienoptionen für das Gesamtunternehmen bestehen oder auf weltweite Resultate von Unternehmenseinheiten ausgerichtet sein. So förderte Texas Instruments z. B. durch Festlegung einer globalen Verantwortung für alle Wafer-Fertigungen den Wissensaustausch zwischen den Werken (vgl. [10]). • Intensität der Kommunikation: Die Orchestrierung wird weiter unterstützt durch die Intensität der Kommunikation, insbesondere die Bandbreite der Information. Es ist nicht ausreichend, nur Informationen über ein Intranet zur Verfügung zu stellen, persönliches Treffen, Videokonferenzen, E-Mail-Diskussionsforen usw. sollten ergänzend eingesetzt werden (vgl. [46]). Es zeigt sich, dass auch in internationalen Kontexten Unternehmenskultur, Anreizsysteme sowie Information und Kommunikation zentrale Bestandteile für Wissensaufbau und - transfer werden. Für Unternehmen wird es immer schwieriger, globale Wettbewerbsvorteile durch Dominanz auf einem Heimatmarkt zu erzielen. Im Wissenswettbewerb werden globale Wettbewerbsvorteile zunehmend durch globale Orchestrierung erzielt. Was dies konkret heißt, wollen wir im Folgenden am Beispiel der Planung von Auslandswerken in der Automobilindustrie darstellen. Vielfach werden heute noch neue Werke nach dem Prinzip der Projektion geplant: Eine Zentralplanung legt fest, wie ein neues Werk auszusehen hat. Die Planungsvorgaben werden lokal von Planern umgesetzt. Die Betreiber müssen dann mit den realitätsfern geplanten und vielfach viel zu teuren Fertigungsstätten leben. Ein Wissensaustausch zwischen Planer und Betreiber findet nur bedingt statt.

Fallbeispiel 25

GIZ: Aus weltweiten Projekterfahrungen zu Dienstleistungsprodukten Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GIZ) ist das Unternehmen des Bundes zur Durchführung von entwicklungspolitischen Maßnahmen, ist aber als privatrechtliche GmbH organisiert. Die GIZ startet pro Jahr hunderte Projekte zur Verbesserung von Lebens- oder Arbeitsbedingungen von Menschen in aller Welt, zunehmend auch für nichtstaatliche Auftraggeber. Wie können die Erfahrungen aus einem Projekt wieder verwendbar für neue Projekte werden? Wie kann die Organisation systematisch aus den Projekten lernen? Hierzu führte die GIZ ein sogenanntes produktbasiertes Wissensmanagement ein. Kernstück der Initiative ist die Einteilung der GIZ-Kompetenzen in etwa 100 Produktgruppen wie etwa „Saubere Luft in Städten“ mit je einem verantwortlichen Produktmanager, der als eine Art Wissensbroker fungiert. Damit findet eine Systematisierung statt, da unterschiedliche wiederholbare Leistungspakete verfüg-

188

6  Wissen aufbauen und teilen

bar sind, die nur noch auf den Einzelfall angepasst werden müssen. Das jeweilige Produktteam arbeitet weltweit und tritt meist virtuell zusammen. Das entstehende Produktwissen wird allen GIZ-Mitarbeitern über eine Produktdatenbank und die virtuellen Produktteams zugänglich gemacht. Ein Wissensmanager koordiniert die Weiterentwicklung der Wissensorganisation. Dies bewirkt eine ganze Reihe von Verbesserungen: • Die Informationen sind schneller verfügbar. • Personalressourcen werden effizienter eingesetzt. • Strategisch wichtiges Wissen wird gesichert; der Wissensverlust durch Personalfluktuation wird verringert. • Durch die verschiedenen Produkte ist das Leistungsspektrum der GIZ exakt beschrieben und kann besser kommuniziert werden. Durch schnelleren Zugriff auf weltweit vorhandenes Wissen können entwicklungspolitische Ziele effizienter erreicht werden. Durch die Bündelung des vorhandenen Wissens werden Synergien aus den weltweiten Projekten optimal genutzt: Entwicklungshilfe wird so zum Nutzen der Geber und Nehmer effektiver gestaltet. Mit der Einführung des produktbasierten Wissensmanagements hat die GIZ eine Steigerung der Markt- und Kundenorientierung erreicht und hat damit ihre nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit weiter verbessert. Die GIZ erhielt hierfür den Sonderpreis „Wissensmanager des Jahres 2005“ für öffentliche Unternehmen [47].

6.3.2 W  issensorientierte Projektplanung am Beispiel der Automobilindustrie Internationale Zusammenarbeit konkretisiert sich vielfach in Projekten. Die Erschließung neuer Märkte, globale Produktentwicklung, Planung neuer Werke oder technische Zusam­ menarbeit in der Entwicklungshilfe erfordern ein wissensorientiertes Projektmanagement, das die unterschiedlichen Wertvorstellungen, Erfahrungen und Interessen in Einklang bringt. Im Folgenden soll die Thematik am Beispiel der Planung neuer Werke im Ausland erläutert werden (vgl. [48]). Traditionelle Konzepte der Projektion von Wissen sind zum Aufbau effizienter, schnell lernender und weltweit vernetzter Fertigungsstätten immer weniger geeignet. Ansätze müssen gefunden werden, die soziokulturellen Umstände eines Landes zu berücksichtigen, weltweite Best Practices in neue Fertigungsstätten zu integrieren und Know-how in einem Netz global operierender Produktionsstätten effizient zu transferieren. Hierbei übernimmt die Projektleitung während der Planungsabwicklung als Generalist mit hoher Entscheidungsfreiheit eine Schlüsselrolle. Sie koordiniert ein Team von Spezialisten der unterschiedlichsten Unternehmensbereiche. Ein wichtiges Hilfs-

6.3 Wissensmanagement in internationalen Kontexten

189

mittel bei dem Aufbau eines Werkes in einem fremden Land kann es sein, schon frühzeitig Schlüsselpersonal von anderen führenden lokalen Unternehmen anzuwerben. Ebenso wichtig ist es, die Rollenverteilung bei einer Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner zu überdenken. Neuere Konzepte sehen daher ein „twinning“ von Führungskräften beider Partner in allen wichtigen Unternehmensbereichen sowie im Planungsteam vor. Auch wenn es anfangs lange dauert, solche Doppelbesetzungen oder gemischt besetzte Teams arbeitsfähig zu machen, so wird die Planung und Implementierung insgesamt beschleunigt. Traditionell besteht bei der Werksplanung mit Fertigstellung der Fabrik eine Bruchstelle: Der spätere Betreiber löst den Planer ab und befindet sich in einem Umfeld, das er nur sehr gering oder gar nicht mitgestalten konnte. Um jedoch ein möglichst hochwertiges Planungsergebnis zu erzielen, ist es sinnvoll, den Planern eines Auslandswerkes die Perspektive des späteren Betreibers des von ihnen geplanten Umfeldes zu vermitteln. Dadurch wird die Motivation erhöht und ein eigenverantwortliches Planen gewährleistet. Das Projektteam weiß, dass es das Planungsergebnis später operativ zu verantworten hat. Ebenso ist es wichtig, sich vom Push-System des Know-how-Gebers, in der Regel der Muttergesellschaft, zu lösen, bei dem schlüsselfertige Fabriken von der Zentrale geplant werden und bei der später im Betrieb Verantwortliche wenig Einflussmöglichkeiten auf die Planung seines Wirkungsumfelds hatte. Bei dem Pull-Prinzip hingegen sind die späteren Betreiber auch diejenigen, die zu entscheiden haben, welche Technologie unter welchen Bedingungen am besten zu verwenden ist. Die wesentlichen Vorteile des Know-how-­ Pulls durch das Projektteam vor Ort liegen darin, dass das übertragene Know-how lokal akzeptiert wird und nur das Wissen angefordert wird, das wirklich notwendig ist. Die Anwendung dieses Prinzips ermöglicht Vorteile sowohl beim Wissenstransfer auf spätere Betreiber als auch bei der Zusammenführung von lokalen Mitarbeitern mit deren Führungskräften. Für den projektübergreifenden Wissenstransfer ist ein intensiver Austausch zwischen den weltweit vernetzten Planungsteams und Kompetenzen während und nach der Planungsphase zu strukturieren. Auswahl und Ausbildung von Mitarbeitern gehören zu den wichtigsten Planungsaufgaben. Die schon während des Planungsprozesses eingestellten Mitarbeiter sollen eine Vorreiterrolle übernehmen und nach eigener Schulung dazu in der Lage sein, ihr Wissen an Kollegen weiterzugeben. Zu diesem Zweck ist es unerlässlich, diese schon vor dem späteren Betrieb in das Land des Know-how-Gebers zu entsenden, um die neue Unternehmensphilosophie sehend zu begreifen. So können sie ein neues Fertigungssystem erlernen und selbst als Planer arbeiten, indem sie beispielsweise die für die Fertigung notwendige Dokumentation in ihrer Landessprache erstellen. Unterlagen können somit von denjenigen bearbeitet werden, die später im Betrieb ihre eigene Vorstellung auch umsetzen müssen. Üblich ist es auch, dass die Mitarbeiter in der Fertigung vor dem Produktionsstart an Simulatoren in Trainingszentren alle Abläufe zur Fertigung eines Fahrzeugs realitätsgetreu nachahmen können. Dadurch werden die notwendigen Handgriffe ohne Zeitdruck eingeübt.

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6  Wissen aufbauen und teilen

Unterstützen kann man den Produktionsanlauf noch durch eine gemeinsame Fertigung der ersten Fahrzeuge in Zusammenarbeit mit Expatriates des Know-how-Gebers. Dadurch ist die Entstehung eines Wir-Gefühls von Anfang an gewährleistet und eine bessere Identifikation des Arbeiters mit dem Produkt möglich. Die Arroganz des Know-how-Gebers, alles besser machen zu können als lokale Mitarbeiter, ist zu vermeiden. Eventuell auftretende Mängel an den Fahrzeugen lassen sich später eher beheben, als sich eine falsche Unternehmenskultur verändern lässt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei der Planung einer Produktionsstätte ein Prozess stattfinden muss, der wichtige Elemente des soziokulturellen Umfelds des jeweiligen Landes, in dem sich das Auslandswerk befindet, mit der Unternehmens- und Produktionsphilosophie des Know-how-Gebers verbindet.

6.4

Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind besonders stark von den Kenntnissen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter abhängig (vgl.  [49]). Spezialwissen ist oft an wenige Experten gebunden. Wie können wir Erfahrungen beim Ausscheiden von Kollegen sichern? Was können wir von der Konkurrenz lernen? Wie können wir Projekte termingerecht und ohne Kostenüberschreitung abwickeln? Was erwarten unsere Kunden von uns in den kommenden Jahren und welche Kompetenzen müssen wir hierzu aufbauen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich in den Firmen immer wieder. Standortsicherung heißt daher, das vorhandene Wissen effektiv zu nutzen und schnell zu lernen (vgl. [50, 51]). Der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung des Wissensmanagementgedankens in KMU liegt in der Regel nicht in revolutionären Veränderungsprozessen, sondern es sind häufig eher kleine Veränderungen, die den Umgang mit Wissen verbessern (vgl. [52, S. 274]). Suchen wir nach Unterschieden zwischen KMU und Großunternehmen, so werden häufig folgende Faktoren genannt: • Prekäre finanzielle Ausstattung, ungünstigere Kreditkonditionen: Wissensorientierte Unternehmensführung wird beim Rating durch Banken positiv bewertet. • Abhängigkeit vom Gründer und daher gegebenenfalls problematische Geschäftsnachfolge: Wissensmanagement kann dazu beitragen, die Firma auf den Generationenwechsel vorzubereiten. • Fehlendes Bewusstsein für erfolgskritisches Wissen: Durch gezielte Kompetenzentwicklung können KMU ihre Einzigartigkeit (Marktnische) stärken. • Fehlendes Wissen über den Zugang zu Informationen: Eine mangelnde Wissensbasis führt zu teuren Fehlentscheidungen. • Kurzfristige Handlungsorientierung statt mittelfristiger Strategie: Chancen werden verpasst, Wissen geht verloren.

6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

191

• Abhängigkeit von wenigen (fachlich spezialisierten) Mitarbeitern, wenig dokumentiertes Wissen: Eine gezielte Wissensweitergabe über Mitarbeitergenerationen hinweg lässt Kompetenzlücken erst gar nicht entstehen. Fallbeispiel 26

Gemeinsam lernen im Handwerk: Die bad & heizung concept AG Die Bürgel GmbH aus Nienburg an der Weser hat sich aus Eigeninitiative mit 30 weiteren Betrieben der Heizungs-, Sanitär- und Klimabranche aus dem gesamten Bundesgebiet im Unternehmerverbund bad & heizung concept AG zusammenge­ schlossen. Jeder bringt sein Wissen zum Nutzen aller ein. Damit können gemeinsame Marketingmaßnahmen, Trendforschung und Umsetzung, Herstellerinformationen sowie Erfahrungen mit neuen Produkten, Materialien und Techniken schnellstmöglich allen zugänglich gemacht werden. Für den schnellen und papierlosen Austausch von Wissen und Erfahrungen sorgt die Vernetzung mit einer Extranet-­IntranetLösung. Der Verbund entwickelt Vermarktungsstrategien, Qualifizierungskonzepte und Organisationshilfen  – sozusagen die komplette Hard- und Software für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Neue Arbeits- und Organisationsabläufe steigern die Zuverlässigkeit und Sicherheit im Auftragsablauf für Büro und Monteure. Durch den Wissensvorsprung bei Neuheiten oder alternativen Energien können Fehler vermieden und Kosten reduziert werden. Das Netzwerk von Bad- und Heizungsunternehmen zeigt, wie durch eine Kooperation das Wissen einzelner Betriebe zum Nutzen aller eingesetzt werden kann. Gemeinsames Lernen, schnelles Erkennen von Trends und deren Umsetzung führen dazu, dass die Betriebe höherwertige Leistungen am Markt verkaufen können. Aufgaben der Marktbeobachtung, der Systematisierung von Informationen, die jeder einzelne Betrieb im Alleingang übernehmen müsste, werden gemeinsam geschultert. Man kann sich dabei eine höhere Qualität der Informationsverfügbarkeit leisten und lernt außerdem voneinander durch einen vielfältigen Erfahrungsaustausch. Das von der Concept AG vorgestellte Kooperationsmodell ist auch gut auf andere Bereiche kleiner und mittlerer Unternehmen übertragbar, die so gemeinsam eine Wissensallianz schaffen, in der sie Erfahrungen austauschen und für diese aktiv die Positionierung am Markt nutzen. Für ihr Kooperationsmodell erhielt die Firma Bürgel stellvertretend für die bad & heizung concept AG den Preis „Wissensmanager des Jahres 2002“ [47].

6.4.1 T  ypen von kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Wissensprobleme KMU präsentieren sich in den verschiedenartigsten Erscheinungsformen: vom traditionellen Handwerksbetrieb mit weniger als zehn Beschäftigten bis zum innovativen Internet-

192

6  Wissen aufbauen und teilen

unternehmen mit 500 Beschäftigten an mehreren Standorten. Es leuchtet ein, dass diese unterschiedlichen Arten von Unternehmen mit verschiedenen Wissensproblemen zu kämpfen haben und demnach auch ganz unterschiedliche Anforderungen an ein Wissensmanagementkonzept stellen (vgl. [53]). Pawlowsky und Mitarbeiter [54] befragten 2300 Entscheider aus KMU in standardisierten Telefoninterviews und leiteten daraus drei Maßnahmentypen des Wissensma­ nagements ab.

6.4.1.1 Goldgräber-Typus Der erste Typus vereint Bemühungen, interne Wissensdefizite und Wissen bzw. Erfahrungen der Mitarbeiter sowie Bemühungen zum Lernen aus Projekterfahrungen zu erkennen. Kernziel der Aktivitäten ist es, Wissen intern weiterzuentwickeln  – womit der Schwerpunkt auf den Phasen Identifikation und Generierung von Wissen liegt. Diese Unternehmen kennen Maßnahmen, um Wissensdefizite bei ihren Mitarbeitern frühzeitig zu erkennen und Personen zu bestimmen, die besondere Erfahrungen und Kenntnisse haben sowie in der Lage sind, aus Erfolgen und Misserfolgen von Projekten zu lernen. 6.4.1.2 Boundary-Spanning-Typus Der zweite Typus ist gekennzeichnet durch Maßnahmen, die darauf abzielen, externes Wissen durch Kooperationen und Vernetzung innerhalb der Wertschöpfungskette zu akquirieren und in neue Produkte und Prozesse umzusetzen. Damit werden die Phasen der Identifikation, der Generierung, aber auch der Umsetzung von Wissen in Handeln angesprochen. Diese Unternehmen haben Maßnahmen, bei denen sie mit Forschungsinstituten und Hochschulen kooperieren, Kunden oder Lieferanten systematisch in die Entwicklung neuer Produkte einbeziehen und eine Umsetzung von Ideen in neue Produkte und Prozesse unterstützen. 6.4.1.3 Traditioneller Typus Der dritte Typus konzentriert sich auf Maßnahmen der Informationsverteilung mit intensiver Nutzung von Intra- und Internet und kontinuierlichen Weiterbildungen. Diese Unternehmen haben Maßnahmen, damit Mitarbeiter für ihre Arbeit jederzeit auf Informationen aus dem Internet zugreifen können, möglichst vielen Mitarbeitern Informationen zugänglich gemacht werden können und die kontinuierliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiter gesichert ist. Welche Maßnahmen umgesetzt werden, hängt von der Art des Unternehmens ab, wie wir im Folgenden zeigen [53]. 6.4.1.4 Familientradition und konservatives Umfeld Unternehmen dieses Typs agieren in einem konservativen Umfeld mit niedrigem Innova­ tionsgrad, wie z. B. traditionelle Handwerksbetriebe. Meist zeichnen sich diese Unterneh­ men durch die langjährige Führung durch ein Familienmitglied aus. Relevantes Wissen ist hier besonders Erfahrungswissen in Form von implizitem Handlungswissen.

6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

193

Wissensprobleme sind beim Generationswechsel oder der Unternehmernachfolge zu verzeichnen. Wie kann man diesen Problemen entgegenwirken? Modelle wie die gleitende Übergabe, das Coaching von Mitarbeitern durch erfahrene Kollegen oder die Bindung der ausgeschiedenen Mitarbeiter an den Betrieb als Berater oder Trainer können hier Abhilfe schaffen. Vielfach ist entscheidend, das Beziehungswissen des Alten weiter zu nutzen.  

6.4.1.5 Technisches Spezialwissen und Erfahrung Solche Unternehmen in reifen Märkten mit großem technischem Know-how finden wir in traditionellen Branchen wie dem Maschinenbau oder der Elektrotechnik. Kumulative Innovation, bei der kontinuierlich Prozesse und Produkte verbessert werden, kennzeichnen diese Unternehmen. Forschung und Entwicklung erlangen eine steigende Bedeutung. Neben technisch-handwerklich ausgebildeten Mitarbeitern finden sich in diesen Unternehmen auch vermehrt Akademiker, insbesondere Ingenieure. Alle Mitarbeiter verfügen über ein umfangreiches technisches Spezialwissen in verschiedenen Bereichen. Die Bedeutung dieses technischen Spezialwissens ist sehr hoch und seine schnelle und effiziente Anwendung entscheidend. Es ist in der Regel an wenige Mitarbeiter gebunden. Probleme treten auf, wenn die Spezialkenntnisse unzureichend gesichert werden. Außerdem wird die Beherrschung von komplexen Informations- und Kommunikationstechnologien, z. B. in Form von CAD (Computer Aided Design), wettbewerbsentscheidend. Hierbei kann das Problem auftreten, dass nicht genügend Mitarbeiter das nötige Know-how haben, um mit den neuen Technologien im Betriebsalltag umgehen zu können. Als Beispiel für diesen Unternehmenstyp kann ein Unternehmen der metallverarbeiten­ den Industrie genannt werden, das mit 650 Mitarbeitern Ketten, Steuertriebe und Antriebssysteme produziert [55]. Die Produktion ist sehr variantenreich und die ­Fertigungsprozesse weisen eine hohe Komplexität auf. Das Unternehmen sah sich folgenden Wissensproblemen gegenüber:

194

6  Wissen aufbauen und teilen

• Spezialwissen ist häufig an langjährige Mitarbeiter gebunden. • Produktzeichnungen und Konstruktionen sind in unterschiedlichen Medien (meist CAD-Programmen) vorhanden und dezentral abgelegt, sodass das Unternehmenswissen nur sehr lokal verfügbar ist. Doppelarbeit war die Folge. Wie wurden diese Probleme gelöst? Eine einheitliche Softwareunterstützung als Basis für die Speicherung und den Zugriff auf die Wissensinhalte wurde eingeführt. Auf diese Weise konnten die Entwicklungs- und Auftragsabwicklungsprozesse optimiert werden und wurde die Kostenstruktur transparenter. Außerdem wurden Anforderungsprofile der Mitarbeiter erstellt und eine Bildungsbedarfsanalyse als Grundlage für eine gezielte Weiterbildung vorgenommen. Zur Sicherung der Kommunikation zwischen den Verantwortlichen verschiedener Aufgabenbereiche wurden regelmäßige Besprechungsrunden eingeführt.  

6.4.1.6 Fertigung nach Kundenvorgaben Lohn- oder Teilefertiger, die vielfach als Unterlieferanten in Zuliefernetzwerke eingebunden sind, zeichnen sich durch eine Geschäftsprozessorientierung aus. Unternehmen dieser Art besitzen keine eigene Produktforschung und -entwicklung, sondern richten sich nach den Vorgaben der Kunden. Die Mitarbeiter verfügen meist über eine handwerkliche Ausbildung. Informationstechnologie wird häufig lediglich im administrativen Bereich genutzt. Die zuverlässige und termingerechte Erfüllung von Aufträgen hat höchste Priorität, es darf deshalb zu keinen Verzögerungen oder Maschinenausfällen kommen. Das relevante Wissen bezieht sich demnach fast vollständig auf Kenntnisse über Produk­ tionsanlagen und -prozesse, Wartung, Instandhaltung und Rüsten. Die Optimierung der Fertigungsprozesse ist von größter Wichtigkeit. Ist das benötigte Wissen nicht oder nur unzureichend vorhanden, kann es zu erhöhten Reparatur- und Instandhaltungskosten, Ausschussraten und Durchlaufzeiten kommen.

6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

195

Mit diesen Problemen hatte z. B. ein Maschinen- und Gerätebauunternehmen zu kämpfen, das mit 160 Mitarbeitern u. a. Baugruppen nach Kundenvorgaben fertigt. Aufgrund unsystematischer Instandhaltung der Produktionsanlagen kam es zu Maschinenausfällen und Kostenerhöhungen. Eine Lösung war hier die Dokumentation und Sicherung des entsprechenden Wissens zur Instandhaltung in einer Wartungsdatenbank. Diese beinhaltet u. a. eine Maschinendatenbank, Betriebsstoffdatenbank, Ersatzteildatenbank sowie Wartungs­ pläne. Auf diese Weise kann die Instandhaltung organisiert und bedarfsgerecht durch-­ geführt werden.



6.4.1.7 Projektwissen und Innovationsfähigkeit Eine Gruppe von KMU kann als schnell wachsende Unternehmen in einem sich rasch wandelnden Umfeld bezeichnet werden. Hier seien als Beispiele Unternehmen aus der Halbleiterindustrie, dem Automobilbereich oder der Internetbranche genannt; auch Beratungsunternehmen und Ingenieurbüros fallen in diese Kategorie. Im Vergleich zu den vorherigen Typen ist das Umfeld dieser Unternehmen durch raschen Wandel gekennzeichnet. Technisches und betriebswirtschaftliches Spezialwissen, Lernen aus Projekten, Innovationsfähigkeit sowie eine schnelle Reaktionsfähigkeit sind essenzielle Wettbewerbsfaktoren. Häufig wechseln in diesen Betrieben Phasen der Expansion und der Reorganisation. Hierdurch kommt es zu einer Intransparenz der Wissensbestände und schließlich zu Wissenslücken. Oft leiden diese KMU unter mangelnder Projektdokumentation und Nutzung von Erfahrungswissen. Die teamübergreifende Kommunikation ist oftmals nicht sehr ausgeprägt.

196

6  Wissen aufbauen und teilen



Eine Multimedia-Agentur im Rhein-Main-Gebiet kennt diese Probleme sehr genau. Als internationales Unternehmen beschäftigt sie 340 Mitarbeiter in 18 Niederlassungen in Europa und den USA. Die angebotenen Serviceleistungen umfassen die gesamte Bandbreite multimedialer Anwendungen, die der Kunde im Rahmen einer umfassenden Pro­ jektbetreuung von der strategischen Beratung über die Produktion bis hin zur Kommunikation erhält. Zu einer der größten Herausforderungen gehört, qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, um eine Wissensabwanderung zu verhindern. In diesem Zusam­ menhang mangelte es im Unternehmen an festgelegten Karrierewegen für die Mitarbeiter, auf die diese zuarbeiten konnten. Weiterhin ging es darum, das nötige Marktwissen und -verständnis bei den Mitarbeitern aufzubauen. Ein weiteres Wissensproblem waren fehlende Ansätze zum Lernen aus Projekten. Der Zugriff auf Projektinformationen war nicht einheitlich geregelt. Außerdem fand zu wenig Know-how-Transfer zwischen den Standor­ ten statt. Wie können diese Probleme durch Wissensmanagement gelöst werden? Ein Intranet war bereits vorhanden, die Einführung einer Projektdatenbank bzw. einer geeigneten Projektmanagementsoftware soll nun dem Lernen aus Projekten dienen. Lessons Learned sind aus jedem Projekt systematisch abzuleiten und zu dokumentieren. Es gilt hierbei auch, eine Teamkultur aufzubauen, die den Wissenstransfer fördert, sowie die Mitarbeiter

6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

197

in der Projektarbeit zu trainieren. Eine Klassifizierung der Projekte, beispielsweise in Cash, Imageprojekte, und Experimentierprojekte, erleichtert das gezielte Lernen aus verschiedenen Arten von Projekten und hilft, Prioritäten zu setzen. Ein weiterer Punkt ist die Rollen- und Kompetenzentwicklung in Form von Lernen in Teams, individueller Weiterbildung, Aufbau von Branchenwissen und der Einführung von Rollen- und Karrierewegdefinitionen. Durch entsprechende Anreizsysteme sollen die Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme am Wissensmanagement motiviert werden.

6.4.1.8 Kundenbetreuung als entscheidender Wettbewerbsfaktor Bei Unternehmen wie z. B. Reisebüros sowie beim Angebot von Wartungsdienstleistungen sind umfassende Kundenbetreuung, das Kennen der Kundenbedürfnisse, die Pflege der Kundenbeziehungen sowie das Lernen aus Beschwerden und Reklamationen entschei­ dende Wettbewerbsfaktoren. Kundenreklamationen müssen gezielt analysiert und anschlie-­ ßend zur Optimierung der Produkte genutzt werden.



Wissensprobleme resultieren bei dieser Art von Unternehmen aus der mangelnden Aufbereitung und Verwertung des Wissens aus Kundenreklamationen und Beschwerden. Oftmals ist der Zugriff auf diese Daten nicht systematisiert. Verbesserungsvorschläge der Kunden erreichen nicht die für Entwicklung oder Konzeption der Produkte zuständigen Abteilungen. Weiterhin ist die Neugewinnung und Aktualisierung von Kunden- und Branchenwissen ein kritischer Punkt. Ein Unternehmen des Stahl-, Maschinen- und Anlagenbaus mit weltweit 470  Mitarbeitern soll hier als Beispiel dienen. Eine wachsende Kundennachfrage nach Wartungsgewährleistung und -verträgen führte bei den Technikern, die diese Leistung zusätzlich erbringen sollten, zu erhöhter Unzufriedenheit und Zusatzarbeit, da sie auf andere Aufgaben spezialisiert waren. Die Lösung war die Einrichtung einer Wartungsabteilung mit eigens dafür bestimmten Mitarbeitern. Im Zuge der Einrichtung dieser Serviceabteilung fand eine systematische Dokumentation von Serviceleistungen, Erfahrungswissen, Wis-

198

6  Wissen aufbauen und teilen

sen aus der Konstruktion und Fertigung statt. Die Kunden erhalten nun einen qualifizierten After-­Sales-­Service, der Bereich wurde als Kernkompetenz im Unternehmen integriert.

Fallbeispiel 27

Ein Modellprojekt in Hessen Zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit durch wissensorientierte Unternehmensführung haben 13 hessische Firmen (sieben Fertigungsunternehmen in Mit­ telhessen und sechs IT- und Medienunternehmen im Rhein-Main-Gebiet) unter wis­senschaftlicher Betreuung des Autors über ein Jahr in einem Modellprojekt zusammengearbeitet, um praxiserprobte Methoden des Wissensmanagements einzuführen. Dabei ging es u. a. um die Wissensweitergabe beim Ausscheiden von Mitarbeitern, unbürokratisches Ideenmanagement, Technologiebeobachtung, effizien­ tere Angebotserstellung, Lernen aus Projekterfahrungen, offene Wissensweitergabe, einfaches Dokumentenmanagement sowie die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter. Das Projekt wurde im Rahmen der Qualifizierungsoffensive Hessen durchgeführt und durch das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Die Ergebnisse, Praxisberichte und weiterführende Informationen aus dem Projekt stehen allen Interessenten auf der Homepage der IHK Dillenburg zur Verfügung, die das Projekt in Zusammenarbeit mit der IHK Darmstadt koordinierte: http://www.wirtschaft-­ lahndill.de/wissen/. Um das Wissensmanagementprojekt an ihrer Unternehmensstrategie auszurichten, stellten sich die Firmen zu Beginn des Projekts in einer strategischen Wissensanalyse zunächst folgende Fragen: • Welche Kompetenzen erwarten unsere Kunden von uns in den nächsten drei Jahren? Was müssen wir tun, um diese Kompetenzen aufzubauen? • Was machen wir besser als unsere Konkurrenten? Wie können wir diese Stärken ausbauen? • Was machen unsere Konkurrenten besser als wir? Was können wir daraus lernen? Nach dieser ersten Analyse und vertiefenden Diskussionen in den Einführungsworkshops zeigte sich, dass die Firmen alle ganz ähnliche Probleme hatten und gemeinsam an folgenden Themen arbeiten wollten: • Wissenstransparenz: Das vorhandene Mitarbeiterwissen über Arbeitsabläufe, Verfahrensparameter etc. fachübergreifend transparent und verfügbar machen sowie beim Ausscheiden älterer Kollegen für das Unternehmen sichern.

6.4 Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen

199

• Informations- und Wissensdokumentation: Dies reicht von der eindeutigen Benennung und Strukturierung von Dokumenten bis hin zum Aufbau eines intranetgestützten Wissensmarkts. • Offene Informations- und Wissensweitergabe: Mitarbeiter umfassend informieren, Verhaltensregeln und Anreize zur Zusammenarbeit schaffen. • Organisatorische und motivationale Rahmenbedingungen: Anreize für die Wissensteilung und -weiterentwicklung schaffen und in den Arbeitsfluss integrieren. • Lernen von außen: Wissen über Märkte, Konkurrenten, Kunden, Technologien und Verfahren gezielt beschaffen, pflegen und damit die Innovations- und Reaktionsfähigkeit im Markt steigern. • Wissensorientiertes Projektmanagement: Systematisch aus laufenden Projekten lernen und das erlernte Wissen in zukünftige Projekte einfließen lassen.

Ausgehend von dieser Problemanalyse haben die Unternehmen Grobskizzen für firmeninterne Projekte entwickelt. Daneben trafen sich die Konsortiumsmitglieder etwa alle sechs Wochen zum Erfahrungsaustausch. Der wissenschaftliche Leiter des Projekts besuchte jede der Firmen vor Ort und entwickelte zum Teil in halbtägigen Workshops mit Geschäftsleitung und Mitarbeitern eine Projektplanung (Ziele, Aufgabenpakete, Termine). Durch die gemeinsamen Themenstellungen und die Offenheit, voneinander zu lernen, konnte bereits in den ersten Treffen ein starker Zusammenhalt zwischen den Projektteilnehmern aufgebaut werden, der sich auch in bilateralen Kontakten niederschlug (s. auch [12]; weitere Informationen unter http:// www.ihk-­lahndill.de/share/wissen/index.htm)

200

6.5

6  Wissen aufbauen und teilen

Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung

6.5.1 Herausforderungen und Ziele Mit dem Generationswechsel, der Digitalisierung, knappen Ressourcen und steigenden Ansprüchen der Bürger befinden sich öffentliche Institutionen und Dienstleistungen im Umbruch. Informationen und Wissen werden dabei zur Schlüsselressource. Unter den Schlagwörtern Digitaler Staat oder New Public Management finden wir vielfältige Initiativen, Managementmethoden der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Sektor zu übertragen, um Kundenorientierung und Effizienz zu steigern [56, 57]. Wissensmanagement ist ein wichtiger Baustein, mündige Bürger transparent zu informieren und kompetent zu beraten. So ist es folgerichtig, dass Wissensmanagement auch in der öffentlichen Verwaltung zunehmend an Bedeutung gewinnt (vgl. [58]). Die Vorteile von Wissensmanagement für die öffentliche Verwaltung sind vielfältig: Der Zugang zu aktuellen und integrierten Informationen führt zu fundierteren Entscheidungen, erhöht die Transparenz, mindert Risiken und beschleunigt die Problemlösung. Darüber hinaus trägt Wissensmanagement zur Bereitstellung besserer und kostengünstigerer Dienstleistungen für Bürger bei. Dabei hilft, dass Verwaltungsvorgänge und Dienstleistungen oft auf standardisierte Prozesse setzen, die den Erfahrungsaustausch und den Transfer von Best Practices erleichtern. Die Herausforderung besteht darin, kollaborative Arbeitsweisen zu erlernen und Innovationen auf allen Ebenen zu fördern. Wissensmanagement spielt auch eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der digitalen Verwaltung, die es erfordert, Informationen und Wissen besser nutzbar und zugänglich zu machen. Zunehmend agieren die Bürger nicht nur als Verbraucher, sondern auch als Produzenten wertvoller Inhalte. Die OECD [59] betont den entscheidenden Beitrag der digitalen Technologien als strategischer Treiber für die Schaffung einer offenen, partizipativen und vertrauenswürdigen öffentlichen Verwaltung und die Verbesserung der sozialen Inte-­ gration. Herausforderungen des Wissensmanagement für öffentliche Organisationen sind in der zusammengefasst [60]. Ansätze des New Public Management ermöglichen eine Flexibilisierung von Abläufen und neue Formen der Führung. Dem stehen jedoch ein Mangel an Ressourcen und ein rigides Personalmanagement gegenüber. Eine oftmals hierarchische Führung schafft wenige Anreize zum gemeinsamen Lernen. Personalengpässe oder hohe Mitarbeiterfluktuation erschweren den Wissenstransfer. Massive Pensionierungswellen erfordern Maßnahmen der Wissenssicherung, ermöglichen aber auch Erneuerung. Informations- und Kommunikationssysteme sind zum Teil veraltet und werden unzureichend genutzt. Veränderungen bringen hier neue Mitarbeiter der Facebook-Generation, die sich in ihren Lern- und Arbeitsweisen von älteren Kollegen unterscheiden (Abb. 6.10).

6.5 Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung Herausforderung

Was bedeutet das für das Wissensmanagement in öffentlichen Verwaltungen?

Hierarchische Organisation u. Führung, geringe Anreize Wissen zu teilen

Wissen ist Macht, Wissensaustausch wird in der Organisation nicht gefördert

Pensionierungswellen

Wissensverlust, aber auch Chance veraltetes Wissen zu vergessen

Digitalisierung und neue Mitarbeiter der „Facebook-Generation

Unterschiedliche Lern- und Arbeitsweisen, Chance für neue Ideen und Veränderungen

Unbesetzte Positionen, keine direkte Nachfolge

Kein direkter Wissenstransfer zwischen Vorgänger und Nachfolger

Personal- und Mittelknappheit

Keine Zeit für Dokumentation und Wissensweitergabe

Vielfältige neue Aufgabengebiete

Partielle Ignoranz zu vielen Themen

Informations- und Kommunikationssysteme veraltet und nicht effizient genutzt

Mangelhafte Verfügbarkeit aktueller und gut aufbereiteter Informationen

201

1

Abb. 6.10  Herausforderungen und Auswirkungen auf das Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung

6.5.2 Wissensmanagementpraktiken in der öffentlichen Verwaltung Integration von Wissensmanagement in das Qualitätsmanagement Ein systematischer Ansatz des Wissensmanagements ist die Integration in das gemeinsame Qualitätsbewertungsmodell der öffentlichen Verwaltungen Europas „Common ­Assessment Framework“ (CAF). CAF bietet Organisationen unterschiedlicher Größe, Struktur und fachlicher Ausrichtung eine einfache Möglichkeit, ihre Stärken und Verbesserungspoten­ ziale zu erkennen und daraus Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten [61]. Das CAF-Unterkriterium 4.4 „Informationen und Wissen verwalten“ definiert eine Reihe von Praktiken, die von den Organisationen bewertet und verbessert werden sollen: 1. Entwicklung von Systemen zur Verwaltung, Speicherung und Bewertung von Informationen und Wissen in der Organisation in Übereinstimmung mit strategischen und operativen Zielen 2. Sicherstellung, dass extern verfügbare relevante Informationen erfasst, verarbeitet, genutzt und gespeichert werden 3. Ständige Überwachung der Informationen und Kenntnisse der Organisation, um deren Relevanz, Korrektheit, Zuverlässigkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Auch die Ausrichtung an der strategischen Planung und den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen der Interessengruppen

202

6  Wissen aufbauen und teilen

4. Entwicklung interner Kanäle, die Informationen unternehmensweit weitergeben, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter Zugang zu den für ihre Aufgaben und Ziele relevanten Informationen und Kenntnissen haben (Intranet, Newsletter, Hauszeitschrift etc.) 5. Sicherstellung eines permanenten Wissenstransfers zwischen den Mitarbeitern in der Organisation (z. B. Mentorschaft, Coaching, schriftliche Handbücher). 6. Gewährleistung des Zugangs zu und des Austauschs von relevanten Informationen und Daten mit allen Beteiligten auf systematische und benutzerfreundliche Weise unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft wie ältere Menschen, Behinderte usw. 7. Sicherstellung, dass wichtige Informationen und Kenntnisse der Mitarbeiter im Fall ihres Ausscheidens aus der Organisation in der Organisation erhalten bleiben. Zudem haben öffentliche Dienstleister ihr Qualitätsmanagement nach der Norm DIN ISO 9001:2015 zertifizieren lassen, deren Anforderungen im Abschn. 6.1.2. beschrie­ ben werden. Organisationskultur und Führungspraktiken Die Verankerung des Wissensmanagements in den Institutionen funktioniert nur, wenn sie mit einem Wandel der Organisationskultur einhergeht, die eng mit den Praktiken der Führung und des Personalmanagements verbunden sind. Kooperative Führung und das Schaffen von Freiräumen fördern Wissensaustausch und Lernen voneinander. Der Föderale Personaldienst Belgiens hat in einer Handreichung wissensorientierte Führungspraktiken zusammengefasst,1 auf die in Abschn. 8.3.2 näher eingegangen wird. Prozessstandardisierung und Serviceplattformen Das Wissensmanagement steht in direktem Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage klar definierter und standardisierter Prozesse, die sich an interne oder externe Kunden richten. Viele Länder haben Aktivitäten entwickelt, um den Bürgern Informationen und Wissen zur Verfügung zu stellen. So entwickelte die kanadische Regierung das zentrale Portal „Service Canada“, um den Bürgern Zugang zu einer breiten Palette von Regierungsprogrammen und -dienstleistungen zu ermöglichen. In Europa sind Personal Service Nummern (PSN) wie die „115“ in Deutschland in weiteren EU-Ländern eingerichtet. Die Implementierung von Portalen oder PSN erfordert die Harmonisierung der für öffentliche Dienstleistungen verwendeten Begriffe und die Standardisierung der Prozesse in der öffentlichen Verwaltung. Diese Anforderungen führen zur ­Notwendigkeit, für die Verwaltungen, die Mitglied des Dienstes „115“ werden, einen Wissenspool zu schaffen.

1  Basierend auf dem Leitfaden zur Selbstbewertung des Wissensmanagements des Föderalen Personaldiensts Belgiens: http://www.fedweb.belgium.be/fr/binaries/broch_km_managers_fr_tcm119-3359.pdf.

6.5 Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung

203

Austausch und Lernen von Best Practices Aktivitäten zur Verbesserung der Dienstleistungserbringung werden oft von Aktivitäten und Netzwerken innerhalb und zwischen Organisationen und Ländern begleitet, um zu lernen, Best Practices zu identifizieren und auszutauschen. Es gibt z. B. das Netzwerk Share-PSI. Es ist das paneuropäische Netzwerk, das Beratung bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie über Informationen des öffentlichen Sektors (PSI) anbietet. Um organisationsübergreifend zu vergleichen und zu lernen, hat sich Benchmarking zu Benchlearning entwickelt. Das Netzwerk der europäischen öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) definiert Benchlearning als einen Prozess, in dem eine systematische und integrierte Verbindung von Leistungsvergleichen und Messungen des gegenseitigen Lernens geschaffen wird, um bewährte Praktiken durch indikatorbasierte, vergleichende Lernsysteme zu identifizieren. Benchlearning ist die Umsetzung eines evidenzbasierten Lernprozesses, bei dem eine systematische Verbindung zwischen Leistungsvergleichen und Messungen des gegenseitigen Lernens hergestellt wird. Das Lernen ist jedoch nicht auf die oben genannten Formate beschränkt. Initiativen wie „Kollegen lernen von Kollegen“, Austauschforen, Projektdurchsprachen und systematisches Lernen aus Erfahrungen (After-Action-Reviews) sind weitere effektive Mittel zum Wissensaustausch, Lernen und Nachdenken. Wissenstransfer über Generationen hinweg Da viele öffentliche Organisationen mit Pensionswellen erfahrener Mitarbeiter konfrontiert sind, werden auf operativer Ebene Wissensmanagemenpraktiken zum Erhalt von Erfahrungen und Wissen über das Ausscheiden von Beamten immer notwendiger. Erfolgreiche Ansätze verbinden langfristige Organisationsmaßnahmen mit individuellen Übergabemaßnahmen. Langfristige organisatorische Maßnahmen sollten damit beginnen, Schlüsselbereiche des Wissens und Schlüsselpersonen zu identifizieren. Anschließend sollte sichergestellt werden, dass das Wissen unter mehreren Personen geteilt wird. Die Einrichtung von Teams und die Rotation innerhalb und zwischen den Teams tragen dazu bei, die Abhängigkeit von individueller Expertise zu verringern. Eine systematische Strukturierung der Dokumentation erleichtert den Zugang zu Informationen unabhängig von der Verfügbarkeit eines einzelnen Mitarbeiters. Darüber hinaus muss der Wissenstransfer als regelmäßiger Prozess etabliert und in die Eingliederung und Übergabe von Mitarbeitern integriert werden. Auf der individuellen Ebene gibt es grundsätzlich vier Maßnahmen: Motivation für den Wissenstransfer, Erstellung eines (einfachen) Transferplans, Zeit für den Wissenstransfer und Begleitung des Transfers mit Mentoring oder Coaching. Während auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen das Wissensmanagement langsam Fuß fasst, sind große Städte wie Wien oder Berlin hierbei Vorreiter, wie das folgende Fallbeispiel zeigt.

204

6  Wissen aufbauen und teilen

Fallbeispiel 28

Zukunftsorientiertes Personal- und Wissensmanagement im Land Berlin Seit 2010 begann die bis dahin stagnierende Einwohnerzahl Berlins kontinuierlich anzuwachsen. Damit stand die Berliner Verwaltung vor völlig neuen Herausforderungen. Denn dem zuzugsbedingten Aufgabenzuwachs standen organisatorische und personelle Verwaltungsstrukturen gegenüber, die von einer jahrzehntelangen Phase des Personalabbaus geprägt waren. Wachsende Stadt, demografischer Wandel in Verbindung mit einem sich verengenden Bewerbermarkt und eine Überalterung des Personalbestands erforderten die schnelle Etablierung moderner und zukunftsorientierter Maßnahmen des Personalmanagements. Wichtige Handlungsfelder sind die Professionalisierung und Beschleunigung des Personalmarketings über Online-­ Kanäle, professionelle und schnelle Recruiting-Strukturen, Personalbindungsangebote für Nachwuchskräfte, die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und ein umfassendes Wissensmanagement. Dies ist mit derzeit etwa 125.000 Beschäftigten in zwölf Bezirken und zehn Senatsverwaltungen sowie weiteren nachgeordneten Behörden eine anspruchsvolle Aufgabe Damit das wertvolle Wissen der ausscheidenden Beschäftigten nicht verloren geht und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Diensts erhalten bleibt, wurde ein umfassendes Wissensmanagement aufgebaut. Hierzu wurde ein breites Spektrum von Einzelmaßnahmen für die rund 50 Einzelbehörden des Landes mit ihrer jeweiligen Personalhoheit konzeptioniert und etabliert und im Haushalt finanziell abgesichert: Einstellung von Wissensmanagern und -managerinnen, Ausbildung von Dialogbegleiterinnen und -begleitern, Möglichkeit von Stellendoppelbesetzungen, Einsatz von Senior-Coaches und Unterstützung behördenspezifischer Maßnahmen des Wissenstransfers. Alle Wissensmanagerinnen und -manager werden von der Verwaltungsakademie, der zentralen Fortbildungseinrichtung des Landes Berlin, auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. Regelmäßige Netzwerktreffen und eine digitale Kollaborationsplattform fördern den Austausch. Daneben wurden Dialogbegleitungen in den Dienststellen implementiert, die im Bedarfsfall abgerufen und von ausgewählten Beschäftigen als intermittierende Sonderaufgabe durchgeführt werden. Die Tätigkeit umfasst die Vermittlung und Moderation der Kommunikationsprozesse zwischen Wissensgeberin und Wissensnehmer, die Erfassung und Dokumentation von implizitem und explizitem Wissen und Erfahrungswerten im Rahmen strukturierter Gesprächsführung. Dialogbegleitungen müssen sensibel auf die besondere Situation des Abschieds und Neubeginns im beruflichen Lebenslauf reagieren können. Hierzu erhalten sie eine Ausbildung an der Verwaltungsakademie. Ein wichtiges Instrument des Berliner Wissensmanagements ist die Möglichkeit von zeitlich begrenzten

6.5 Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung

205

Stellendoppelbesetzungen für Aufgabengebiete mit wichtigem Expertenwissen. Neben Stellendoppelbesetzungen werden sogenannte Senior-Coach-Modelle finanziert, wobei Ruheständlerinnen und Ruheständler ihre jeweiligen Stellennachfolgerinnen und -nachfolger bei Ablauf- und Prozessfragen unterstützen. Damit Führungskräfte jederzeit schnell eine Einschätzung über drohenden Wissensverlust für die einzelnen Arbeitsgebiete ihres Bereichs erhalten können, steht ihnen ein digitales Tool zur Abschätzung des Risikos von Wissensverlusts pro Arbeitsgebiet zur Verfügung. Das Ergebnis, visualisiert mit einem Ampelsystem, bietet eine Gesamtübersicht, aus der die Führungskraft eindeutige Handlungsprioritäten ableiten kann. Damit kann das Ausscheiden und der Wechsel von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für das Neuzuschneiden von Aufgaben genutzt werden. Gleichzeitig kann überlegt werden, welches Wissen zur Erfüllung der zukünftigen Aufgaben erhalten bzw. neu aufgebaut werden sollte (Abb. 6.11). Das landesweite Wissensmanagement unterstützt auch dezentrale Projekte und Angebote der einzelnen Dienststellen vor Ort. Alle Informationen zum Wissensmanagement sind auf dem landesweiten Beschäftigtenportal jederzeit aktuell abrufbar. Drüber hinaus dokumentiert ein digitales Wissensportal zielgruppenorientiert die vielfältigen Aktivitäten des Wissensmanagements in Berlin. Das Berliner Wissensmanagement fand von Anfang an viel positive Aufmerksamkeit und Unterstützung seitens der Verwaltungsleitungen, der Beschäftigten, der Personalvertretungen sowie der Personal- und Haushaltspolitiker und -politikerinnen und hat sich als ein wichtiges Instrumentarium der Personalpolitik etabliert. Dabei ist nachhaltiges Wissensmanagement mit hohen organisatorischen Herausforderungen verbunden, die darin bestehen, die einzelnen Faktoren, wie Personalfluktuation, Personalbestand, Wissenslandkarten, Organisationsstrukturen und Personalrekruiting aufeinander abgestimmt miteinander zu verknüpfen. Das erfordert strategische, risikobereite, kreative und vor allem resiliente Personalmanagerinnen und -manager. Autorin: Martina Ruppin, Senatsverwaltung für Finanzen des Landes Berlin

Zusammenfassung • Die Ansätze der Unternehmenspraxis können durch ein Grundmodell wissensorientierter Unternehmensführung beschrieben werden. • Normative, strategische und operationale Wissensziele sind Ausgangspunkt für Interventionen in die organisationale Wissensbasis, um Wissen in Wettbewerbsvorteile umzusetzen. • Zur Fragestellung, ob und wie sich die organisationale Wissensbasis verändern lässt, unterscheiden wir drei Ansätze: technokratisches Wissensmanagement, Phasenmodelle des Wissensmanagements und die Wissensökologie.

Spezialarbeitsgebiet

Org.-bezogene Faktoren

Zeitbezogene Faktoren

aktuelle Wissensdokumentation vorhanden

BAK vorhanden nein

nein

ja

ja

ja ja

2-4 Jahre

2-4 Jahre

aktuelles Anforderungsprofil vorhanden

Fristigkeit des tatsächlichen Ausscheidens

ja 0,5-1 Jahre

nein