Wirtschaftspsychologie
 9783486576603, 3486576607, 9783486836646, 3486836641

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Edition Psychologie Herausgegeben von

Dr. Arno Mohr Bisher erschienene Werke: Güttier, Sozialpsychologie, 4. Auflage Mayer, Einfuhrung in die Wahrnehmungs-, Lern- und Werbe-Psychologie Sanns · Schuchmann, Lineare und loglineare Modelle in Psychologie und Sozialwissenschaften Schuchmann, Probabilistische Testtheorie Siegler, Das Denken von Kindern, 3. Auflage Spieß, Wirtschaftspsychologie

Wirtschaftspsychologie Rahmenmodell, Konzepte, Anwendungsfelder

Von

Prof. Dr. Erika Spieß

R.Oldenbourg Verlag München Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2005 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk außerhalb lässig und filmungen

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Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 3-486-57660-7

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1

Vorwort

3

Einleitung

5

Teil I: Ein psychologisches Rahmenmodell 1. Menschenbilder im wirtschaftspsychologischen Kontext

9

2. Theoriestränge der Wirtschaftspsychologie

13

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 2.5

14 17 19 23 27 27 29 33 35 38 41

3.

Theoretische Ansätze in der Psychologie Die Feldtheorie Ein marktpsychologischer Ansatz Kultur und kulturvergleichende Psychologie Transitions- und Stressforschung Die Transitionsforschung Ergebnisse der Stressforschung Die Rolle der sozialen Unterstützung Ein kultursoziologischer Ansatz Systemische Erklärungsansätze Resümee Das wirtschaftspsychologische Feld - ein psychologisches Modell wirtschaftlichen Handelns

42

Teil II: Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte und Methoden 4.

Wirtschaftspsychologisch relevante Konzepte

47

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7

Individuelle Ebene Werte Einstellungen Gefühle und Emotionen Motivation und Handeln Attribution Kompetenz Lernprozesse

47 48 52 56 58 62 63 65 V

4.1.8 4.1.9 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8 4.2.9 4.3

Entscheidungsprozesse Selbst und Identität Interpersonelle Ebene Prozesse in und zwischen Gruppen Diversität Kooperation und Konkurrenz Konflikt und Konfliktlösung Die Rolle des Verhandeins Kommunikation Die Rolle des Vertrauens Macht Gerechtigkeit Resümee

69 70 74 74 78 79 83 87 89 92 93 95 96

5.

Methoden der Wirtschaftspsychologie

98

Teil III: Anwendungsfelder 6.

Prozesse des Kaufens und Verkaufens

103

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Die Rolle der Werbung Die Bedeutung der Marke Der persönliche Verkauf Kaufverhalten Resümee

103 109 112 115 121

7.

Unternehmenszusammenschlüsse und ihre Folgen

123

7.1 7.2 7.3

Die Rolle der Unternehmenskultur Akkulturationsstrategien Resümee

123 124 128

8.

Die Rolle von Beratung in wirtschaftsnahen Kontexten

129

8.1 8.2 8.3 8.4

Formen der Beratung Grundsätze der Beratung Phasen eines Beratungsprozesses Resümee

129 132 133 136

9.

Arbeit und Freizeit

138

9.1 9.2 9.3

Definitionen Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit Resümee

138 140 143

10.

Arbeitslosigkeit

144

10.1 10.2

Folgen der Arbeitslosigkeit Interventionen

145 146

VI

10.3

Resümee

148

11.

Interkulturelles Handeln in wirtschaftsnahen Kontexten

149

11.1 11.2 11.3 11.4

Besonderheiten einer Tätigkeit im Ausland Der Prozess einer Entsendung Die Bedeutung interkultureller Kompetenz Resümee

149 154 158 159

12.

Psychologie des Geldes

161

13.

Unternehmerisches Handeln und Selbstständigkeit

166

13.1 13.2 13.3

Die Rolle des Unternehmers Merkmale von Selbstständigkeit Resümee

166 168 170

14.

Ausblick

171

15.

Literatur

173

Jutta Gallenmüller-Roschmann und David Maus Finanzpsychologie

191

Stichwortverzeichnis Autorenverzeichnis

207 210

VII

Danksagung

Hiermit danke ich Werner Kannheiser, der mir den Anstoß dazu gab, dieses Buch zu schreiben. Ebenso danke ich meinem langjährigen wissenschaftlichen Mentor, Lutz von Rosenstiel. Mein Dank gilt auch den Studierenden der Wirtschaftspsychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die sich für dieses Fach und seine Themen begeistern konnten. Jutta Gallenmüller-Roschmann und David Maus haben freundlicherweise das komplexe Themenfeld „Finanzpsychologie" übernommen. Für die Textformatierung danke ich Susanne Kappler, für kritische Anmerkungen Angela Lang, Ralph M. Wosch6e und Rosmarie Gasteiger, für die Gestaltung der Graphiken Ralph M. Woschde, Susanne Kappler und Monika Schinhärl. Monika Schinhärl gilt auch mein Dank für die Korrekturlesearbeiten am Text. Dieses Buch ist sowohl für Studierende des Faches Wirtschaftspsychologie, für Fachkollegen als auch für interessierte Praktiker gedacht. Es bietet einen theoretischen Rahmen für das Fach und stellt wichtige Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie vor wie z. B. die Prozesse des Kaufens und Verkaufens, Arbeitslosigkeit oder interkulturelles Handeln in wirtschaftlichen Kontexten. Ebenso werden wirtschaftspsychologisch relevante psychologische Konzepte eingeführt. Ich hoffe, dass dieses Buch das Fach weiterhin an Universitäten und Fachhochschulen etablieren hilft und sich besonders unter einer feldtheoretischen Perspektive weitere bedeutsame Forschungsfelder erschließen.

München Erika Spieß

1

Vorwort

Die Wirtschaft bedarf der Psychologie. Hier sind sich nahezu alle Praktiker und viele Wissenschaftler einig. Eine Wirtschaftspsychologie als Vertiefungsfach innerhalb deutscher universitärer Psychologie-Curricula suchte man jedoch vergebens. Anders sieht dies bei stärker praxisorientierten Fachhochschulen aus, innerhalb derer sich ganze Studiengänge unter dem Namen Wirtschaftspsychologie konstituieren. Auch im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) befindet sich eine Sektion Wirtschaftspsychologie in Gründung. Hoffen wir, dass auch die Universitäten dem gesellschaftlichen Bedarf bald Rechnung tragen werden. Wirtschaftspsychologie - das ist ja weit mehr als die an fast allen Hochschulen angebotene Arbeits- und Organisationspsychologie, die sich aus psychologischer Sicht mit der Erzeugung und Bereitstellung von Angeboten - seien dies nun Produkte, Dienstleistungen oder Ideen - auseinandersetzt. Es geht auch um die psychologische Perspektive bei der Analyse und Gestaltung des Erlebens und Verhaltens von Konsumenten und deren Beeinflussung durch Angebotsgestaltung, Marktkommunikation, Preis und Absatzweg. Und es geht - das wird in der meist am Individuum orientierten Psychologie häufig vergessen um den gesamtwirtschaftlichen Rahmen, um Fragen etwa, wie die nach der Verankerung von Leistung, Konsum, Geld, Arbeit und Freizeit in der Kultur eines Landes, nach psychologischen Bedingungen von Konjunkturen und Krisen, von Inflation und Deflation, von Vollbeschäftigung und Arbeitslosigkeit. Dahinter stehen häufig die wenig reflektierten subjektiven Bilder der Wirtschaft, des Marktes, der Organisation und des Menschen in den Köpfen jener, die für die Wirtschaft relevante Entscheidungen treffen. Die Autorin dieses Buches, Frau Prof. Dr. Erika Spieß, hat in der hier vorliegenden „Wirtschaftspsychologie" dazu beigetragen, die Basis des Faches zu vertiefen und zu verbreitern. Sie informiert über theoretische Grundlagen, relevante Begriffe, Konzepte und Methoden, über Anwendungsfelder und weiße Flecken auf der Landkarte der Forschung. So wünsche ich der Autorin, diesem Buch und somit einem relevanten und in der Wissenschaft zu lange unterschätztem Fach, der „Wirtschaftspsychologie", Erfolg. Es ist zu hoffen, - dem Vorbild der Pioniere folgend - dass sich die Wirtschaftpsychologie an allen Fachhochschulen etabliert und an den Universitäten - die Grenzen der etablierten Arbeitsund Organisationspsychologie sprengend - konsequent entwickelt. Das Buch von Erika Spieß könnte und sollte dazu beitragen.

München Lutz von Rosenstiel

3

Einleitung

Die Wirtschafitspsychologie beschäftigt sich mit Fragen, die das menschliche Verhalten und Erleben im wirtschaftlichen Kontext behandeln. Beispiele für Fragestellungen sind: Wie wirkt Werbung? Warum lässt man sich doch zum Kauf eines Produktes überreden, das man zunächst gar nicht kaufen wollte? Was zeichnet einen guten Verkäufer aus? Wie lässt sich die Beziehung zwischen Verkäufer und Kunden erfassen? Wie kommen Arbeitslose mit ihrer Situation zurecht? Was kennzeichnet einen erfolgreichen Unternehmer und wie unterscheidet sich dieser von einem Selbstständigen? Um menschliches Verhalten und Erleben zu erklären, werden Erkenntnisse aus der psychologischen Grundlagenforschung, wie ζ. B. der Sozialpsychologie herangezogen. Die Wirtschaftspsychologie versteht sich als interdisziplinäres Forschungsfeld (Lea, Tarpy & Webley, 1987; Wakenhut, 1993), das ζ. B. Erkenntnisse aus Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Sprachwissenschaften mit einbezieht. Dabei werden die Grundannahmen der Ökonomie (ζ. B. Samuelson & Nordhaus, 1998; Altmann, 2003), nach denen das Rationalitätsprinzip als Verhaltensmaxime vorherrscht und das Ziel menschlichen Verhaltens in der Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung besteht, in der Psychologie skeptisch betrachtet. So wissen Psychologen um die Begrenztheit der menschlichen Kapazität der Informationsverarbeitung oder darum, dass Urteile häufig auf der Basis von Heuristiken gefällt werden. Als ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspsychologie wird neben dem Erfassen des wirtschaftsbezogenen Erlebens und Verhaltens sowie der Gestaltung des Wirtschaftslebens auch der Anspruch formuliert, über Zusammenhänge und Abhängigkeiten wirtschaftlichen Verhaltens aufzuklären, um dadurch den Menschen ein selbstbestimmteres Verhalten zu ermöglichen (Wakenhut, 1993; von Rosenstiel & Neumann, 2002). Als Begründer der Wirtschaftspsychologie wird Hugo Münsterberg (1912) angesehen. Weitere wichtige Vertreter der Disziplin waren George Katona (University of Michigan), Günther Schmölders (Universität Köln) und Burkhard Strümpel (FU-Berlin). Gegenwärtige Vertreter der Disziplin im deutschsprachigen Raum sind Lutz von Rosenstiel (Universität München), Erich Kirchler (Universität Wien), Linda Pelzmann (Universität Klagenfurt), Günter Wiswede (Universität Köln), Georg Felser (Fachhochschule Wernigerode), Friedemann W. Nerdinger (Universität Rostock) und Klaus Moser (Universität ErlangenNürnberg). Das Erleben und Verhalten des Menschen im wirtschaftlichen Kontext lässt sich unterscheiden in die Rolle des Produzenten und in die des Konsumenten (Abb. 1). Mit der Rolle des Produzenten beschäftigt sich vor allen Dingen die Arbeits- und die Organisationspsychologie. Die Arbeitspsychologie untersucht das Verhältnis von Menschen zur Arbeit und Mensch-Maschine-Interaktionen (ζ. B. Ulich, 2001), während die Organisationspsychologie den Menschen als Teil der Organisation und sein Erleben und Verhalten in Organisationen analysiert (ζ. B. von Rosenstiel, 2003). Die Rolle des Konsumenten wird hingegen von der Markt- und der Werbepsychologie erforscht (von Rosenstiel & Neumann, 2002). Orientiert sich die Marktpsychologie am Erleben und Verhalten der Men-

5

sehen als Teil des Marktgeschehens, so hat die Werbepsychologie den Schwerpunkt im Erleben und Verhalten aufgrund der Werbung zum Gegenstand (Clemens-Ziegler, 1994).

Individuum und Arbeit: Voraussetzungen und Folgen

Mensch als Teil der Organisation, als soziales Wesen

Erleben und Verhalten als Teil des Marktes

Erleben und Verhalten aufgrund der Werbung

Abb. 1: Die Rolle des Produzenten und des Konsumenten nach Asanger & Wenninger (1992)

Die Aufgabenfelder der Wirtschaftspsychologie lassen sich unterschiedlich einteilen. Nach Graf Hoyos, Kroeber-Riel, von Rosenstiel und Strümpel (1990) wird die Psychologie gesamtwirtschaftlicher Prozesse, die Marktpsychologie, die Organisationspsychologie und die Arbeitspsychologie unterschieden. Wiswede (2000) unterscheidet in eine Psychologie der makroökonomischen und der mikroökonomischen Prozesse, wobei er unter die mikroökonomischen Prozesse die Marktund Konsumpsychologie sowie die Arbeits- und Organisationspsychologie zählt. Unter der makroökonomischen Perspektive fasst er die Themenbereiche der wirtschaftlichen Entwicklung, die Psychologie entwickelter Gesellschaften und die Psychologie des Geldes. Kirchler (1999) hingegen schließt die Arbeits- und Organisationspsychologie aus der Wirtschaftspsychologie aus. Er stellt die psychologischen Grundlagen von Marktprozessen vor, wobei er Konsumgüter- und Arbeitsmärkte in den Vordergrund stellt. Wirtschaftspsychologie wird als Teildisziplin der Angewandten Psychologie aufgefasst. Die wirtschaftspsychologische Forschung wurde besonders durch das „Journal of Economic Psychology" institutionalisiert. Im vorliegenden Buch wird die Arbeits- und Organisationspsychologie, ein Teilbereich der Wirtschaftspsychologie, ausgeklammert, denn dies würde den Rahmen sprengen. Die Arbeits- und Organisationspsychologie wird in zahlreichen profunden Lehrbüchern dargestellt, wie ζ. B.: Grundlagen der Organisationspsychologie von Lutz von Rosenstiel (2003), Organisationspsychologie - eine Einführung von Peter Winterhoff-Spurk (2002), Verhalten in Organisationen von Erika Spieß und Hans Winterstein (1999), Organisationspsychologie - ein Lehrbuch von Ansfried B. Weinert (1998), Enzyklopädie der Organisationspsychologie I und II, herausgegeben von Heinz Schuler (2004a,b), Arbeits- und Organisationspsychologie von Carl Graf Hoyos und Dieter Frey (1999), Lehrbuch Arbeitspsychologie von Ekkehart Frieling und Karlheinz Sonntag (1999), Arbeitspsychologie von Eberhard Ulich (2001) und von Winfried Hacker Arbeitspsychologie (1998). Aus 6

dem anglosächsischen Bereich seien exemplarisch Adrian Furnham (1997), The psychology of behaviour at work: The individual in the organization und Stephen P. Robbins (1998) Organizational behavior: concepts, controversies, applications, Frank. J. Landy (1989), Psychology of work behavior, Paul M. Muchinsky (1997), Psychology applied to work; Marvin D. Dunnette & Leaetta M. Hough (1992), Handbook of Industrial and Organizational Psychology; Harry C. Triandis, Marvin D. Dunnette & Leaetta M. Hough (1994), Handbook of Industrial and Organizational Psychology, erwähnt. Das Buch gliedert sich in drei große Teile: Teil I führt über die Darstellung von zentralen Menschenbildern und wichtiger Theoriestränge zu einem psychologischen Rahmenmodell, das psychologisches Handeln im wirtschaftlichen Kontext in ein Feld dynamischer Handlungen eingebettet sieht, für das bestimmte Voraussetzungen in Form verschiedener Kapitalformen existieren. Teil II stellt die wirtschaftspsychologisch relevanten Konzepte und Methoden vor. In Teil III werden Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie vorgestellt. Abbildung 2 zeigt zentrale Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie: Die Auseinandersetzung mit dem Markt und dem Marktgeschehen (Kapitel 2.1.2), ebenso wie Verkaufs- und Kaufprozesse (Kapitel 6) sind Forschungsfelder der Wirtschaftspsychologie. So zählt zum Themenfeld des Verkaufs ζ. B. die Rolle der Werbung, die Bedeutung von Marken oder die Rolle des Verkäufers, sowie zum Kauf das Verhalten der Kunden und Typologien von Konsumenten. Auch die Untersuchung der verschiedenen Facetten von Kaufentscheidungen gehört in dieses Feld. Unternehmenszusammenschlüsse und ihre Folgen haben psychologische Implikationen für die Unternehmen und ihre Belegschaften (Kapitel 7), deshalb gehören sie ebenso wie die Formen und Grundsätze der wirtschaftspsychologischen Beratung (Kapitel 8) zu den wichtigen Themen der Wirtschaftspsychologie, für die es noch wenig explizit wirtschafts-

Abb. 2: Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie

7

psychologische Forschungen gibt. Ein weiteres Feld der Wirtschaftspsychologie sind das Verhältnis von Arbeit und Freizeit (Kapitel 9) sowie die Rolle von Arbeitslosigkeit für die Menschen (Kapitel 10). Prozesse der Globalisierung geben dem interkulturellen Handeln in wirtschaftsnahen Kontexten und dem Einfluss kultureller Faktoren eine zunehmende Bedeutung (Kapitel 11). Die Rolle des Geldes (Kapitel 12), die Psychologie der Börse und die Finanzpsychologie (Gallenmüller-Roschmann & Maus, im selben Band) gehören ebenso zu Feldern der Wirtschaftspsychologie wie die zunehmende Bedeutung von Selbstständigkeit und unternehmerischem Handeln (Kapitel 13). Diese Themen werden vor dem Hintergrund eines theoretischen Rahmenmodells betrachtet, das in Kapitel 3 vorgestellt wird.

8

Teil I Ein psychologisches Rahmenmodell

In diesem Teil wird das psychologische Rahmenmodell ausgeführt, das das Erleben und Handeln in wirtschaftlichen Kontexten erklärt. Zunächst werden die zentralen Menschenbilder vorgestellt, die den Betrachtungsweisen wirtschaftlicher Zusammenhänge zugrundeliegen. Im Kapitel zu den Theoriesträngen werden wichtige Theorien aus Psychologie, Kulturwissenschaften und Soziologie vorgestellt, die dann, im Kapitel 3, in der Vorstellung des wirtschaftspsychologischen Feldes gebündelt werden.

1.

Menschenbilder im wirtschaftspsychologischen Kontext

Ein Menschenbild wird laut Brockhaus (2001, S. 365) als eine Vorstellung vom Menschen definiert, „die von bestimmten Fakten und Vorstellungen ebenso geprägt wird wie von einzelnen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Systemen". So gibt es Menschenbilder, für die religiöse Ideen leitend sind wie ζ. B. der Buddhismus, das Christentum oder der Islam, oder es gibt Menschenbilder, denen bestimmte Konzepte von Wissenschaft zugrunde liegen wie ζ. B. des Marxismus, der Psychoanalyse oder des Behaviourismus. Diese Vorstellungen über den Menschen können das Handeln der Menschen steuern. Für die Wirtschaftspsychologie in ihrer westlichen Ausprägung ist die protestantische Arbeitsethik zur Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung wichtig. McClelland (1966) knüpft an die These von Max Weber (1920; 1988) an, wonach die protestantische Ethik einem neuen Menschentyp entspricht, der wesentlich mit dazu beitrug, die Entwicklung des modernen Kapitalismus voranzutreiben. In der Religion des Protestantismus werden Werte vermittelt, die die Arbeit und die Eigeninitiative der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Der Protestantismus predigt ζ. B., dass man sich auf sich selbst verlassen soll. Dies erzeugt ein Erziehungsklima in den Familien, in dem Unabhängigkeit und Selbstständigkeit stark betont werden. Dies wiederum bietet optimale Voraussetzungen für die Entwicklung eines ausgeprägten Leistungsmotives. Nach McClelland führt dies zur Initiierung unternehmerischen Handelns, das sich in beschleunigtem Wirtschaftswachstum niederschlägt. Diese zentrale These wurde von McClelland und seinen Mitarbeitern in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt (vgl. Nerdinger, 1991).

9

McGregor (1970) ging von zwei grundlegend verschiedenen Einstellungen zum Menschen und zur Arbeit aus, die das Verhalten lenken können. Er hat sie als „Theorie X " und „Theorie Y " bezeichnet. Theorie X besagt: -

der Mensch hat eine angeborene Abscheu vor der Arbeit und versucht sie zu vermeiden. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass die meisten Menschen deshalb kontrolliert und geführt werden müssen.

Theorie Y beinhaltet: -

Arbeit ist eine wichtige Quelle der Zufriedenheit für Menschen. Bei entsprechender Anleitung sucht der Mensch eigene Verantwortung. Organisationen unterschätzen den Einfallsreichtum und die Kreativität der Menschen und aktivieren sie zu wenig.

Die Typologie der Menschenbilder von Schein (1980) hat besonders in der Psychologie und in den Wirtschaftswissenschaften große Verbreitung gefunden (Tab. 1). Er hat vier Typologien entworfen: das Menschenbild der ökonomischen Rationalität (rational-economic man), das der sozialen Orientierung (social man), das des nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen (self-actualizing man) und den des flexiblen und komplex agierenden Typus (complex man). Letzterer ist das modernste Menschenbild.

Tab. 1: Typologie von Menschenbildern und Managementstrategien nach Schein (1980) und Spieß & Winterstein (1999)

Die Typologie von Menschenbildern

Entsprechende Management- und Organisationsstrategien

Der ökonomisch Rationale ist motiviert durch Klassische Managementfunktionen wie Planen, extrinsische Anreize und ist passiv. Organisieren, Motivieren, Kontrollieren. Im Mittelpunkt steht die Effizienz. Der sozial Orientierte ist durch soziale Aufbau und Förderung von Gruppen und soziale Bedürfnisse motiviert, er entspricht den Vor- Anerkennung stellungen der Human-Relations Bewegung. Das Ziel des am Selbstverwirklichung Intrinsische Motivationsmethoden und Mitausgerichteten Typus ist Autonomie. bestimmung am Arbeitsplatz. Der flexible und komplexe Typus ist äußerst Diagnostiker von Situationen, die das Verhalten wandlungs- und lernfähig. situationsgemäß variieren.

Der ökonomisch rational handelnde Typus entspricht der „Theorie X " von McGregor, denn er wird vor allem durch externe Anreize motiviert. Wird dieses Menschenbild ζ . B. in einem Unternehmen vertreten, stehen die klassischen Managementfunktionen wie Planen und Kontrollieren im Mittelpunkt. Zugleich wird dem Einzelnen keine Eigeninitiative überlassen, ebensowenig wird ihm ein intrinsisches Interesse an der Arbeit zugetraut. Der sozial orientierte Typus ist vor allem durch soziale Bedürfnisse motiviert und entspricht den Vorstellungen der Human-Relations Bewegung.

10

-

Die Hawthorne-Studien gelten als Auslöser für die „Human Relations-Bewegung". Darunter versteht man die Entdeckung der sozialen Motivation des Menschen in Organisationen. Diese Bewegung gilt als Überwindung der im Rahmen des „scientific management" von Taylor (1911) verbreiteten Auffassung, die den Menschen als nur am ökonomischen Nutzen interessiert (homo oeconomicus) und ohne soziale Bezüge ansah. Die Hawthorne-Studien wurden von Mayo und seinen Mitarbeitern von 1927 bis 1933 in der „Western Electric Company" in Hawthorne bei Chicago durchgeführt. Ausgangsthese der Forscher war, dass die Arbeitsleistung von der Beleuchtungsstärke abhängt. In einer experimentellen Variation der Beleuchtungsstärke führte diese zwar hypothesengemäß zu einer Leistungsverbesserung, allerdings trat diese Verbesserung auch in der Kontrollgruppe auf und sogar in der Gruppe, in der die Lichtverhältnisse verschlechtert worden waren. Die Forscher nahmen von daher die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz stärker unter die Lupe, wobei sie verschiedene Methoden wie Interviews oder die teilnehmende Beobachtung verwendeten. Hierbei wurde auch die Bedeutung von informellen Normen in Arbeitsgruppen entdeckt. Obwohl es Kritik an diesen Studien gab, gelten sie als Standardwerk der Organisationspsychologie und Soziologie. Man teilte das Menschenbild des „social man" und widmete den sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz erhöhte Aufmerksamkeit (vgl. von Rosenstiel, 1991a).

Die Bedürfnisse des an Selbstverwirklichung ausgerichteten Typus sind hierarchisch geordnet, sein Ziel ist Autonomie. Als Typus entspricht er den Annahmen der „Theorie Y" von McGregor. Hier sind Manager nicht mehr Kontrolleure, sondern Förderer. Der flexible und komplexe Typus ist äußerst wandlungs- und lernfähig. Die unterschiedlichen Annahmen über die Bedürfnis- und Motivationsstruktur haben verschiedene Management- und Organisationsstrategien zur Folge: Dem ökonomisch rationalen Typus entsprechen klassische Managementfunktionen wie Planen, Organisieren, Motivieren und Kontrollieren. Im Mittelpunkt steht die Effizienz. Aufbau, Förderung von Gruppen und soziale Anerkennung entsprechen dem sozial orientierten Typus, während für den nach Selbstverwirklichung strebenden Μ mager intrinsische Motivationsmethoden und Mitbestimmung typisch sind. Der Typus d