Wirtschaftsmathematik: Methoden - Beispiele Anwendungen 9783446432567, 978-3-446-43375-5

2,138 42 37MB

German Pages 602 Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Wirtschaftsmathematik: Methoden - Beispiele  Anwendungen
 9783446432567, 978-3-446-43375-5

Citation preview

Hans-Peter Wiendahl Jürgen Reichardt Peter Nyhuis

Handbuch Fabrikplanung Konzept, Gestaltung und Umsetzung wandlungsfähiger Produktionsstätten

Handbuch Fabrikplanung Übersicht

Grundlagen

Veränderungstreiber der Fabrik

1

2 Planungsbasis Produktionsanforderungen Bekannte Produktionskonzepte Systematik der Veränderungsfähigkeit

3

4

5

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Gestaltungsfelder Fabrikebene Gestaltungsaspekt

Planungssystematik 6

Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Arbeitplatz

Arbeitsorganisatorische 7 Arbeitsplatzgestaltung

15

16 Projektmanagement

8

Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

17 Facility Management

Funktionale Arbeitsbereichsgestaltung Arbeits bereich

Synergetische Fabrikplanung

9

10

Räumliche Arbeitsbereichsgestaltung

11 Gebäude

Gebäudegestaltung

12 Generalbebauung

Standort

Standortplanung aus Raumsicht

13

Strategische Standortplanung

14 #

Kapitelnummer

Wiendahl/Reichardt/Nyhuis

Handbuch Fabrikplanung

v

Bleiben Sie einfach auf dem Laufenden: www.hanser.de/newsletter Sofort anmelden und Monat für Monat die neuesten Infos und Updates erhalten.

Hans-Peter Wiendahl Jürgen Reichardt Peter Nyhuis

Handbuch Fabrikplanung Konzept, Gestaltung und Umsetzung wandlungsfähiger Produktionsstätten

Die Autoren Prof. a. D. Dr.-Ing. Dr. h.c.mult. Hans-Peter Wiendahl, IFA Institut für Fabrikanlagen und Logistik, Leibniz Universität Hannover, An der Universität 2, 30823 Garbsen [email protected] Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA Jürgen Reichardt, Fachhochschule Münster, muenster school of architecture, Fachbereich Baukonstruktion und Industriebau. Leonardo Campus 7, 48149 Münster [email protected] RMA I Reichardt - Maas - Assoziierte Architekten GmbH & Co. KG, Kaninenberghöhe 2, 45136 Essen [email protected] Prof. Dr.-Ing. habil Peter Nyhuis, Leiter IFA Institut für Fabrikanlagen und Logistik, Leibniz Universität Hannover, An der Universität 2, 30823 Garbsen [email protected]

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN  978-3-446-22477-3

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Alle in diesem Buch enthaltenen Verfahren bzw. Daten wurden nach bestem Wissen dargestellt. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die in diesem Buch enthaltenen Darstellungen und Daten mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Art aus der Benutzung dieser Darstellungen oder Daten oder Teilen davon entsteht. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder einem anderen Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§ 53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2009 Carl Hanser Verlag München Wien www.hanser.de Lektorat: Dipl.-Ing.Volker Herzberg Gestaltung, Seitenlayout und Herstellung: Der Buchmacher, Arthur Lenner, München Coverconcept: Marc Müller-Bremer, Rebranding, München, Germany Titelillustration: Atelier Frank Wohlgemuth, Bremen Coverrealisierung: Stephan Rönigk Druck und Bindung: Firmengruppe Appl, aprinta druck, Wemding Printed in Germany

Vorwort Die Globalisierung der Wirtschaft ist seit Beginn der 1990er Jahre in weniger als zwei Jahrzehnten Realität geworden. In Folge dessen verteilt sich die Produktion eines Unternehmens häufig auf Standorte in mehreren Ländern und unterliegt meist starken Schwankungen. Dies bedingt eine hohe Reaktionsund Veränderungsfähigkeit der einzelnen Produktionsstätten. Der damit notwendige Paradigmenwechsel besteht im Wesentlichen in der Umkehrung der Sichtweise auf eine Fabrik. Wurden bis dahin Produktentwicklung, Produktion und Auftragsabwicklung als primäre Prozesse des Stammhauses betrachtet und die Beschaffung und Verteilung der Fertigprodukte an die Kunden eher als Hilfsfunktionen gesehen, steht nunmehr die zuverlässige Versorgung global verteilter Märkte aus dem jeweils günstigsten Standort im Vordergrund. Statt zentraler Fabriken mit hoher Fertigungstiefe sind daher marktnahe, wandlungsfähige und ggf. sogar temporäre Produktionsstätten erforderlich. Vor diesem Hintergrund haben die Autoren dieses Buches die Notwendigkeit gesehen, die bisherige Fabrikplanung einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Aus den Erkenntnissen mehrerer Forschungsprojekte und zahlreicher realisierter Fabrikprojekte in verschiedenen Branchen wurde deutlich, dass zu dem nach wie vor primären Ziel höchster Wirtschaftlichkeit zusätzlich folgende Fabrikeigenschaften gefordert sind: • Je nach Veränderungsimpuls kann sich eine Fabrik in angemessener Zeit auf der jeweils betroffenen Ebene sowohl produktionstechnisch als auch räumlich anpassen. • Fertigungs- und Montagesysteme berücksichtigen lokale Gesichtspunkte hinsichtlich Know-how, Lohnkostenniveau und geforderter Wertschöpfung (local content). • Produktionseinrichtungen und Gebäude sind ressourcenschonend und energieeffizient ausgelegt.

• Die Fabrik repräsentiert durch ihren äußeren Auftritt den Anspruch des Unternehmens und durch ihr inneres Erscheinungsbild den Anspruch der Produkte. • Produktionsstätten stellen durch ihre räumliche Gestaltung angenehme Arbeitsplätze zur Verfügung und bringen damit eine Wertschätzung der Mitarbeiter zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund hat sich über viele Jahre hinweg der dreigliedrige Aufbau dieses Buches entwickelt. Im ersten Hauptteil mit insgesamt fünf Kapiteln geht es um ein tieferes Verständnis der Veränderungstreiber einer Fabrik und der sich daraus ergebenden Planungsbasis sowie der zukünftigen Anforderungen. Es folgt eine Würdigung bisheriger Produktionskonzepte. Der Teil schließt mit einer ausführlichen Ableitung verschiedener Ausprägungen der Veränderungsfähigkeit eines Standortes. Der zweite Hauptteil beschreibt in neun Kapiteln die Gestaltung einer Produktionsstätte auf den Ebenen Arbeitplatz, Arbeitsbereich, Gebäude und Standort. Dabei werden je nach Ebene strategische, funktionale und arbeitsorganisatorische Gestaltungsfelder unter besonderer Berücksichtigung der Wandlungsfähigkeit behandelt. Einen hohen Stellenwert nimmt die Beschreibung der räumlichen Ausprägung dieser Ebenen ein, um den Blick des Fabrikplaners auf die Leistungsform von Gebäuden und ihre technische Ausstattung zu lenken. Im dritten Hauptteil geht es in drei Kapiteln um die Systematik der Fabrikplanung unter den neuen Anforderungen. Den Schwerpunkt bildet das Modell der Synergetischen Fabrikplanung, das in sieben Leistungsphasen das kreative Zusammenspiel von Produktionsplanung und Raumplanung auf Basis einer durchgängigen 3D-Modellierung von der Zielfestlegung bis zum Hochlauf beschreibt. Dem Projektmanagement gilt ein zweites Kapitel mit den Aspekten Projektteambildung und -aufgaben, gefolgt von einem kurzen Überblick über digitale Werkzeuge der Fabrikplanung aus Produktionsplanungs- und

V

Bausicht. Die effiziente Verwendung von Immobilien gewinnt angesichts der häufigeren Nutzungsänderung an Bedeutung. Daher ist das letzte Kapitel des Buches dem Facility Management gewidmet. Dieses Handbuch will zunächst dem Management von Produktionsunternehmen sowie den Planern und Gestaltern von Produktionsstätten eine umfassende methodische und praktische Hilfestellung bieten. Ebenso sind Industriearchitekten und Bauplaner angesprochen, welche Industriebauten gestalten und ausführen. Schließlich richtet sich das Handbuch an Studierende der Fachgebiete Produktionstechnik und Logistik aus den Ingenieur- und Betriebswissenschaften sowie Architektur und Hochbau. Unser Dank gilt Herrn Thomas Heinen und Serjosha Wulf vom IFA der Universität Hannover, die insbe-

sondere das Kapitel 15 Synergetische Fabrikplanung mitgestaltet haben und die Formatierung besorgten. Herr Ingo Pfeifer von Reichardt Maas Architekten hat die Kapitel, welche die Raumplanung betreffen, tatkräftig unterstützt. Weiterhin möchten wir Herrn Volker Herzberg vom Hanser Verlag danken, der in den nahezu 10 Jahren, die zwischen der ersten Idee des Buches und seiner Realisierung vergangen sind, nie die Geduld verlor. Schließlich gilt unser Dank Herrn Arthur Lenner, der das anmutige Layout des Besuches besorgt hat. Hannover und Essen, August 2009 Hans-Peter Wiendahl Jürgen Reichardt Peter Nyhuis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort..............................................................................................................................................................................V Inhaltsverzeichnis....................................................................................................................................................VII

Kapitel 1:  Veränderungstreiber der Fabrik. .............................................................................. 1 1.1  Wandlungsträge Fabriken. ........................................................................................................................ 5 1.2  Bisherige Ansätze der Unternehmensführung. ........................................................................... 7 1.3  Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen............................................................... 13 1.4  Literatur.............................................................................................................................................................. 15

Kapitel 2:  Planungsbasis........................................................................................................................... 19 2.1  Produktionsstrategie.................................................................................................................................. 23 2.2  Fabrikstrategie............................................................................................................................................... 25 2.3  Marktleistung.................................................................................................................................................. 26 2.4  Geschäftsprozesse. .....................................................................................................................................30 2.5  Gestaltungsfelder der Fabrik................................................................................................................ 31 2.6  Produktionsstandort und Fabrik.........................................................................................................33 2.7  Morphologie von Fabriktypen­...............................................................................................................34 2.8  Literatur..............................................................................................................................................................38

VII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3:  Produktions­anforderungen.......................................................................................... 41 3.1  Reaktionsschnelligkeit..............................................................................................................................46 3.2  Mengen- und Varianten­flexibilität......................................................................................................48 3.3  Grenzwertorientierung.............................................................................................................................. 51 3.4  Selbstorganisation und Partizipation............................................................................................... 57 3.5  Kommunikation..............................................................................................................................................60 3.6  Vernetzung und Kooperation. ............................................................................................................... 61 3.7  Demographische Entwicklung..............................................................................................................65 3.8  Unternehmenskultur. ................................................................................................................................. 67 3.8.1 Organisatorische Sicht.............................................................................................................................. 67 3.8.2 Architektonische Sicht.............................................................................................................................. 69

3.9  Nachhaltigkeit................................................................................................................................................. 71 3.10  Leitsätze Produktion................................................................................................................................... 73 3.11  Literatur.............................................................................................................................................................. 74

Kapitel 4:  Bekannte Produktionskonzepte. ............................................................................77 4.1  F. W. Taylor........................................................................................................................................................ 81 4.2  Gruppenarbeit................................................................................................................................................. 82 4.3  Fertigungsinseln............................................................................................................................................84 4.4  Flexible Fertigungssysteme...................................................................................................................86 4.5  Fertigungssegmente................................................................................................................................... 87 4.6  Die schlanke Produktion und das Toyota Produktionssystem........................................ 89 4.7  Just in Time....................................................................................................................................................... 93 4.8  Das Fraktale Unternehmen.................................................................................................................... 96

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.9  Agilitätsorientierter Wettbewerb........................................................................................................ 97 4.10  Kundenindividuelle Massenproduktion.......................................................................................... 98 4.11  Das Produktionsstufen­konzept......................................................................................................... 101 4.12  Forschungsansätze....................................................................................................................................103 4.13  Zwischenfazit................................................................................................................................................. 107 4.14  Literatur............................................................................................................................................................ 107

Kapitel 5:  Systematik der Veränderungsfähigkeit......................................................... 111 5.1  Flexibilität........................................................................................................................................................ 115 5.2  Rekonfigurierbarkeit.................................................................................................................................120 5.3  Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger........................................................................ 121 5.4  Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit.........................................................................127 5.5  Morphologie der Veränderungsfähigkeit.....................................................................................128 5.6  Klassen der Veränderungs­fähigkeit der Produktionsleistung....................................... 131 5.7  Bewertung der Veränderungsfähigkeit......................................................................................... 135 5.8  Regelkreis der Wandlungsfähigkeit................................................................................................ 141 5.9  Leitbild der wandlungs­fähigen Fabrik...........................................................................................143 5.10  Literatur............................................................................................................................................................145

Funktionale Arbeitsplatzgestaltung............................................................................................... 149 6.1  Übersicht.......................................................................................................................................................... 155 6.2  Produktionstechnologie. ........................................................................................................................ 158 6.2.1 Fertigungsverfahren................................................................................................................................ 158 6.2.2 Montageverfahren................................................................................................................................... 162 6.2.3 Logistikverfahren..................................................................................................................................... 168

IX

Inhaltsverzeichnis

6.3  Betriebsmittel. .............................................................................................................................................. 176 6.3.1 Fertigungsmittel....................................................................................................................................... 178 6.3.2 Montagemittel..........................................................................................................................................186 6.3.3 Logistikmittel........................................................................................................................................... 195

6.4  Literatur............................................................................................................................................................203

Kapitel 7:  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung. ................................207 7.1  Begriff der Humanressource............................................................................................................... 211 7.2  Humanressourcen und Produktionsleistung............................................................................ 211 7.3  Kompetenz- und Personalentwicklung......................................................................................... 212 7.3.1 Berufliche Handlungskompetenz.......................................................................................................... 212 7.3.2 Strategien der Kompetenz­entwicklung................................................................................................ 214 7.3.3 Personalentwicklung............................................................................................................................... 214

7.4  Arbeitsstrukturierung. ............................................................................................................................. 216 7.5  Motivation. ...................................................................................................................................................... 218 7.6  Entgeltgestaltung. ......................................................................................................................................221 7.7  Arbeitszeitgestaltung...............................................................................................................................225 7.8  Literatur............................................................................................................................................................230

Kapitel 8:  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung.....................................................................233 8.1  Ergonomie. ......................................................................................................................................................238 8.2  Raumausstattung. ...................................................................................................................................... 241 8.3  Farbgestaltung. ............................................................................................................................................242 8.3.1 Psychologische Farbwirkungen.............................................................................................................242 8.3.2 Sicherheitsfarben, Kennzeichnung Medienleitung............................................................................243 8.3.3 Ganzheitliches Farbkonzept...................................................................................................................243

8.4  Arbeitsschutz. ...............................................................................................................................................244 8.4.1 Übersicht...................................................................................................................................................244

X

Inhaltsverzeichnis

8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5 8.4.6 8.4.7 8.4.8

Arbeitsstättenverordnung......................................................................................................................244 Mitbestimmung........................................................................................................................................246 Tritt- und Absturzsicherheit................................................................................................................... 247 Gefahrstoffschutz.....................................................................................................................................248 Lärmschutz und Lärmminderung.........................................................................................................249 Wärme-, Kälte-, Vibrationsschutz..........................................................................................................250 Elektrosicherheit und Strahlenschutz.................................................................................................. 251

8.5  Literatur............................................................................................................................................................252

Kapitel 9:  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung ......................................................253 9.1  Übersicht über die Gestaltungsfelder...........................................................................................257 9.2  Kundenauftrags­entkopplungspunkt...............................................................................................258 9.3  Abwicklungsarten.......................................................................................................................................260 9.4  Auftragsarten................................................................................................................................................ 261 9.5  Prozessmodelle............................................................................................................................................262 9.5.1 Beschaffungsmodelle..............................................................................................................................262 9.5.2 Produktionsmodelle................................................................................................................................265 9.5.3 Liefermodelle............................................................................................................................................265

9.6  Fertigungs- und Montageprinzipien................................................................................................267 9.7  Produktionssegmente..............................................................................................................................269 9.8  Produktionsplanung und -steuerung..............................................................................................270 9.9  Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungsverfahren. ............................. 274 9.10  Literatur............................................................................................................................................................280

Kapitel 10:  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung........................................................283 10.1  Kommunikation............................................................................................................................................287 10.1.1 Wege, Treppen, Zwischenräume............................................................................................................289 10.1.2 Anordnung und Verbindung Arbeitsbereiche.....................................................................................290 10.1.3 Lage, Form und Ausstattung Gemeinschaftsräume...........................................................................292

XI

Inhaltsverzeichnis

10.2  Belichtung........................................................................................................................................................293 10.2.1 Tageslicht..................................................................................................................................................293 10.2.2 Natürliche Belichtung.............................................................................................................................294 10.2.3 Künstliche Beleuchtung..........................................................................................................................297 10.2.4 Lichtlenkung.............................................................................................................................................299

10.3  Behaglichkeit.................................................................................................................................................300 10.4  Rekreation.......................................................................................................................................................302 10.4.1 Pausenbereiche, Sozialräume................................................................................................................303 10.4.2 Kantine, Cafeteria, Teeküchen...............................................................................................................304 10.4.3 Sport, Spiel, Freizeit................................................................................................................................304

10.5  Brandschutz. ..................................................................................................................................................304 10.5.1 Brandschutzkonzept, Brandabschnittsflächen....................................................................................305 10.5.2 Abstandsflächen, Brandwände, Komplextrennwände.......................................................................306 10.5.3 Feuerwiderstandsklassen.......................................................................................................................307 10.5.4 Flucht- und Rettungswege......................................................................................................................308 10.5.5 Rauch- und Wärmeabzug, Feuerlöscheinrichtungen.........................................................................309

10.6  Literatur............................................................................................................................................................ 310

Kapitel 11:  Gebäudegestaltung. ....................................................................................................... 313 11.1  Tragwerk........................................................................................................................................................... 318 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5

Projektanforderungen und Lastannahmen.......................................................................................... 318 Strukturform als statisches System......................................................................................................320 Spannweite...............................................................................................................................................324 Werkstoffwahl und Fügeprinzip............................................................................................................325 Profilierung der Stützen, Träger und Decken......................................................................................328

11.2  Hülle....................................................................................................................................................................330 11.2.1 Schutzfunktionen.....................................................................................................................................330 11.2.2 Produktion und Logistik.........................................................................................................................331 11.2.3 Belichtung, Ausblick, Kommunikation.................................................................................................333 11.2.4 Ökologie und Energiegewinnung..........................................................................................................334

11.3  Medien...............................................................................................................................................................334 11.3.1 Ver- und Entsorgungssysteme...............................................................................................................336 11.3.2 Technikzentralen.....................................................................................................................................337 11.3.3 Haupttrassen............................................................................................................................................339 11.3.4 Leitungsnetze...........................................................................................................................................339 11.3.5 Auslässe....................................................................................................................................................340

XII

Inhaltsverzeichnis

11.4  Ausbau...............................................................................................................................................................341 11.4.1 Böden.........................................................................................................................................................342 11.4.2 Wände........................................................................................................................................................345 11.4.3 Decken.......................................................................................................................................................345 11.4.4 Kerne..........................................................................................................................................................347 11.4.5 Treppen......................................................................................................................................................348

11.5  Beispiele für wandlungs­fähige Gebäude.....................................................................................349 11.6  Anmutung und Ästhetik. ........................................................................................................................350 11.6.1 Strukturelle Ordnung..............................................................................................................................350 11.6.2 Einfachheit................................................................................................................................................351 11.6.3 Balance von Einheit und Vielfalt...........................................................................................................351 11.6.4 Unverwechselbarkeit..............................................................................................................................351 11.6.5 Emotionale Qualität, Atmosphäre.........................................................................................................352

11.7  Literatur............................................................................................................................................................352

Kapitel 12:  Generalbebauung.............................................................................................................355 12.1  Anforderungsprogramm.........................................................................................................................359 12.1.1 Flächenbedarf und Raumspiegel...........................................................................................................359 12.1.2 Prozess- und Logistikelemente..............................................................................................................362 12.1.3 Ver- und Entsorgung................................................................................................................................364 12.1.4 Besondere Anforderungen......................................................................................................................365

12.2  Bauformen.......................................................................................................................................................365 12.2.1 Schnittprofil..............................................................................................................................................366 12.2.2 Grundrissfigur..........................................................................................................................................368 12.2.3 Verknüpfungsprinzip..............................................................................................................................370

12.3  Objektschutz..................................................................................................................................................372 12.3.1 Einbruch, Diebstahl.................................................................................................................................372 12.3.2 Brandschutz, Explosionsschutz.............................................................................................................372

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan)............................................................................................372 12.4.1 Ablauf........................................................................................................................................................372 12.4.2 Zonierung und Ordnungsraster............................................................................................................. 374 12.4.3 Erschließungs-, Ver- und Entsorgungssystem.....................................................................................375 12.4.4 Bauten, Freiflächen.................................................................................................................................. 376

12.5  Literatur............................................................................................................................................................378

XIII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 13:  Standortplanung aus Raumsicht. .....................................................................379 13.1  Erschließung. .................................................................................................................................................383 13.2  Ver- und Entsorgung Medien...............................................................................................................383 13.3  Grundstück.....................................................................................................................................................385 13.3.1 Geometrische Eigenschaften..................................................................................................................385 13.3.2 Bodenbeschaffenheit...............................................................................................................................386 13.3.3 Hindernisse und Bebauungen................................................................................................................386

13.4  Gesetze und Auflagen..............................................................................................................................386 13.5  Standortbewertung. ..................................................................................................................................387 13.6  Umwelt..............................................................................................................................................................388 13.7  Literatur............................................................................................................................................................390

Kapitel 14:  Strategische Standortplanung............................................................................393 14.1  Auslöser einer Standortplanung.......................................................................................................397 14.2  Eignungsprüfung der heutigen Struktur......................................................................................399 14.3  Standortfaktoren.......................................................................................................................................402 14.4  Vorgehensmodell Standortauswahl................................................................................................407 14.5  Bildung von Produktionsstufen.........................................................................................................408 14.6  Literatur............................................................................................................................................................ 415

Kapitel 15:  Synergetische Fabrikplanung............................................................................... 417 15.1  Ansatz.................................................................................................................................................................423 15.2  Prozessmodell...............................................................................................................................................427 15.3  Zielfestlegung................................................................................................................................................436

XIV

Inhaltsverzeichnis

15.3.1 Hauptschritte............................................................................................................................................436 15.3.2 Logistikprofil Standort............................................................................................................................437 15.3.3 Umfeldanalyse..........................................................................................................................................439 15.3.4 Erfolgsfaktoren........................................................................................................................................ 440 15.3.5 Veränderungstreiber...............................................................................................................................441 15.3.6 Szenarienerstellung................................................................................................................................441 15.3.7 Visionsfindung.........................................................................................................................................445 15.3.8 GENEering................................................................................................................................................447 15.3.9 Handlungsfelder .....................................................................................................................................449

15.4  Grundlagenermittlung..............................................................................................................................450 15.4.1 Objektdaten...............................................................................................................................................451 Produktionsprogramm..............................................................................................................................451 Betriebseinrichtungen...............................................................................................................................452 15.4.2 Prozessanalyse.........................................................................................................................................454

15.5  Konzeptplanung...........................................................................................................................................460 15.5.1 Strukturentwicklung...............................................................................................................................460 15.5.2 Strukturdimensionierung.......................................................................................................................463 Eingangsgrößen........................................................................................................................................463 Bestimmung der Betriebseinrichtungen..................................................................................................465 Flächenbestimmung Betriebsmittel.........................................................................................................467 Flächenbestimmung Lager- und Transportflächen................................................................................469 Flächenmodule.......................................................................................................................................... 470 15.5.3 Groblayoutplanung.................................................................................................................................. 471 Layout-Arten.............................................................................................................................................. 471 Ideales und maßstäbliches Funktionsschema....................................................................................... 472 Ideales 2D- und 3D-Groblayout............................................................................................................... 472 Reales Groblayout..................................................................................................................................... 475 Bewertung . ................................................................................................................................................477

15.6  Detailplanung................................................................................................................................................482 15.6.1 Verkehrswegesystem..............................................................................................................................482 15.6.2 Feinlayoutplanung...................................................................................................................................482

15.7  Realisierungsvorbereitung....................................................................................................................487 15.8  Realisierungsüberwachung..................................................................................................................487 15.9  Hochlaufbetreuung....................................................................................................................................487 15.10 Literatur............................................................................................................................................................489

XV

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 16:  Projektmanagement......................................................................................................493 16.1  Aufgaben des Projektmanagements..............................................................................................497 16.1.1 Stolpersteine.............................................................................................................................................497 16.1.2 Aufgabenübersicht..................................................................................................................................498

16.2  Projektorganisation...................................................................................................................................500 16.2.1 Teambildung.............................................................................................................................................500 16.2.2 Beispiel einer Projektorganisation........................................................................................................501 16.2.3 Regeln für das Projektteam....................................................................................................................502

16.3  Projektplanerstellung...............................................................................................................................503 16.4  Kapazitätsplanung......................................................................................................................................506 16.5  Vertragsgestaltung. ...................................................................................................................................506 16.5.1 Allgemeines..............................................................................................................................................506 16.5.2 Vergabeformen.........................................................................................................................................507 16.5.3 Vor- und Nachteile Vergabe­formen.......................................................................................................508 16.5.4 Haftungsfragen.........................................................................................................................................509

16.6  Projekthandbuch......................................................................................................................................... 510 16.7  Kostenermittlung und -kontrolle. ..................................................................................................... 510 16.7.1 Voraussetzungen für Kostenermittlung............................................................................................... 511 16.7.2 Kosten im Hochbau nach DIN 276........................................................................................................ 511 16.7.3 Nutzungskosten im Hochbau nach DIN 18960................................................................................... 513 16.7.4 Kostenmanagement................................................................................................................................. 514

16.8  Digitale Fabrik............................................................................................................................................... 517 16.8.1 Konzept...................................................................................................................................................... 517 16.8.2 Digitale Werkzeuge.................................................................................................................................. 519 16.8.3 Simulationsbeispiel................................................................................................................................. 521

16.9  Building Information Modeling...........................................................................................................524 16.9.1 Einführung................................................................................................................................................524 16.9.2 Auswertung des durchgängigen Gebäude­datenmodells...................................................................526 16.9.3 Fazit............................................................................................................................................................532

16.10 Literatur . .........................................................................................................................................................532

XVI

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 17:  Facility Management.....................................................................................................535 17.1  Historie und Definition............................................................................................................................539 17.2  Aufgaben und Abgrenzung. ..................................................................................................................539 17.2.1 Ermitteln und Bereithalten aktueller Daten .......................................................................................540 17.2.2 Bewerten von Standorten, Gebäuden, Einrichtungen........................................................................540 17.2.3 Raum- und Belegungsplanung...............................................................................................................540 17.2.4 Gebäudebetrieb und Bewirtschaftung..................................................................................................540 17.2.5 Budgetierung und Bewertung................................................................................................................540

17.3  Facility Management im Lebenszyklus eines Objektes.....................................................540 17.3.1 Neuplanungsphase..................................................................................................................................541 17.3.2 Realisierungsphase.................................................................................................................................542 17.3.3 Betriebsphase...........................................................................................................................................543 17.3.4 Umplanungsphase.................................................................................................................................. 544 17.3.5 Rückbauphase......................................................................................................................................... 544

17.4  Facility Management Systeme.......................................................................................................... 544 17.4.1 Funktionen............................................................................................................................................... 544 17.4.2 Aufbau von Datenmodellen....................................................................................................................546 17.4.3 Virtueller Projektraum............................................................................................................................551 17.4.4 Navigation.................................................................................................................................................552 17.4.5 Auswahl eines CAFM-Systems .............................................................................................................554

17.5  Anwendungen des Facility Managements..................................................................................555 17.5.1 Minimierung Unterhaltskosten.............................................................................................................555 17.5.2 Vermeidung von Zuteilungs­konflikten.................................................................................................556 17.5.3 Raumplanung...........................................................................................................................................556 17.5.4 Schließmanagement und Schlüssel­verwaltung..................................................................................557 17.5.5 Kosten- und Gebäudezustandskontrolle..............................................................................................557 17.5.6 Berichtserstellung...................................................................................................................................557 17.5.7 Brandschutz..............................................................................................................................................557

17.6  Modellierung von FM-Prozessen. .....................................................................................................558 17.7  Fallbeispiele. ..................................................................................................................................................559 17.7.1 Phoenix AG Hamburg.............................................................................................................................559 17.7.2 Londa Rothenkirchen..............................................................................................................................560

17.8  Literatur . .........................................................................................................................................................562

XVII

Inhaltsverzeichnis

Anhang........................................................................................................................................................................565 Anhang A .....................................................................................................................................................................567 Wandlungspotenzialbestimmung der Fabrikobjekte. ......................................................................567 Anhang A1  Definition.........................................................................................................................................567 Anhang A2  Wandlungspotenzialmerkmale....................................................................................................569 Anhang A3  Transformationstabellen...............................................................................................................570 Anhang A4  Softwaretool....................................................................................................................................571

Anhang B......................................................................................................................................................................573 Raumspiegel.........................................................................................................................................................573

Anhang C......................................................................................................................................................................575 Anhang C1  Zielfindungsworkshop...................................................................................................................575 Anhang C2  Datenbedarfsliste........................................................................................................................... 576 Anhang C3  Nutzwertanalyse............................................................................................................................ 576 Anhang C4  Erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung....................................................................................577

Anhang D . ...................................................................................................................................................................579 Anhang D 1  Videoanimation einer Feasibility Studie ..................................................................................579 Anhang D 2  Videoanimation Aufwertung der Werksstruktur einer Backwarenfertigung.....................580

Sachregister...............................................................................................................................................................581 Die beigefügte CD enthält sämtliche Anhänge in elektronischer Form.

XVIII

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Dr. mult. h.c. Hans-Peter Wiendahl geb. 1938, studierte zunächst Maschinenbau an der Staatl. Ingenieurschule Dortmund und schloss nach einer zweijährigen Konstrukteurstätigkeit ein Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen und am MIT, Cambridge, USA an. Danach promovierte er 1970 bei Prof. Opitz am Werkzeugmaschinenlaboratorium der RWTH Aachen und habilitierte sich dort 1972. Von 1972–74 war er Leiter Planung und Qualität der Escher Wyss GmbH Ravensburg, einer Tochter des Sulzer-Konzerns und anschlie­ßend 5 Jahre Leiter Technik Papiermaschinen in dieser Firma. 1979 folgte er einem Ruf an die Universität Hannover, wo er bis 2003 als Geschäftsführender Leiter des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik im Fachbereich Maschinenbau wirkte. Die Schwerpunkte seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit liegen auf dem Gebiet der Fabrikplanung, Produktionssteuerung und Montagetechnik. Zahlreiche Bücher, Zeitschriftenaufsätze, realisierte Fabrikprojekte und einige Filme dokumentieren seine Arbeiten. In seiner aktiven Universitätszeit amtierte Prof. Wiendahl u. a. als Vizepräsident für Forschung an seiner Universität und war Fachgutachter der DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft, der AIF Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen, der Stiftung Industrieforschung und der Volkswagenstiftung. Von 1992 bis 2008 war er Geschäftsführender Gesellschafter der IPH Institut für Integrierte Produktion gemeinnützige GmbH Hannover. Zusätzlich nimmt er Mandate als Beiratsmitglied und Aufsichtsrat wahr. Prof. Wiendahl ist Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik WGP (Vorsitz 1998/99), der Internationalen Akademie für Produktionstechnik CIRP und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech. Er ist Ehrendoktor der TU Magdeburg, der ETH Zürich und der Universität Dortmund.

XIX

Die Autoren

Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA Jürgen Reichardt geb.1956, studierte Architektur an der TH Karlsruhe und der TU Braunschweig. Als Studentischer Assistent am Lehrstuhl für Industriebau der TU Braunschweig, Prof. Walter Henn, entwickelte sich sein Interesse für Fabrikarchitektur. Im Rahmen eines DAADStipendiums war er studienbegleitend als Auslandspraktikant in Chicago tätig, das Studium schloss er 1981 mit Diplom bei Prof. von Gerkan ab. Nach Mitarbeit in mehreren Braunschweiger Entwurfsbüros war Prof. Reichardt von 1983 bis 1986 wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Helmut Schulitz am Lehrstuhl für Industriebau und Baukonstruktion an der TU Braunschweig, der eine Projektpartnerschaft mit Prof. Schulitz im Büro Schulitz Partner Architekten folgte. 1986 erfolgte seine Berufung in den BDA, Bund Deutscher Architekten, 1988 die Aufnahme als Meisterschüler an die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Von 1988 bis 1995 war Prof. Reichardt Projektleiter Entwurf und Realisierung komplexer Industriebauten in der agiplan AG in Mülheim/Ruhr. 1992 gründete er sein Büro Reichardt Architekten in Essen mit dem Schwerpunkt der Planung von Industriewerken und Logistikzentren im In- und Ausland u. a. für KHD, Villeroy & Boch, Continental, Modine, Wella, Blanco, Sartorius, Sennheiser, Bahlsen. Seit 1996 ist er Professor an der msa, muenster school of architecture, im Fachbereich Baukonstruktion und Industriebau und seit 2004 Dozent im Fernstudiengang Gebäudegestaltung und Facility Management an der FH Gießen-Friedberg. 2006 erfolgte die Gründung des Büros BRAE, Bhattacharya Reichardt Architects & Engineers in Bangalore, Indien und seit 2008 firmiert sein deutsches Büro als RMA Reichardt – Maas – Assoziierte Architekten GmbH & Co. KG in Essen.

XX

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Nyhuis, geboren 1957 in Hannover, studierte von 1978 bis 1984 Maschinenbau an der Universität Hannover. Er promovierte 1991 nach seiner Assistentenzeit am Institut für Fabrikanlagen und Logistik bei Prof. Wiendahl. Im Jahr 1999 schloss er seine Habilitation für das Fachgebiet Produktionslogistik ab. Er ist Autor zahlreicher Buchbeiträge und Fachartikel zu den Themen Produktionsplanung und -steuerung, Produktionscontrolling, Logistische Kennlinien, Fabrikplanung und Beschaffungslogistik. Von 1999 bis 2003 war Prof. Nyhuis bei der Siemens AG in der SPLS Supply Chain Consulting tätig. Er war dort als Partner für die Themen Supply Chain Management und Supply Chain Design zuständig. Neben Entwicklungsprojekten wie der Definition konzernweiter Prozessstandards und der Entwicklung eines Leitfadens für das Supply Chain Design betreute Prof. Nyhuis zahlreiche interne und externe Umsetzungsprojekte zur Optimierung der Logistik in Beschaffung, Produktion, Distribution und Order Management. 2003 erhielt er den Ruf an die Universität Hannover. Als Geschäftsführender Leiter des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik an der Leibniz Universität Hannover vertritt er seitdem die Forschungs- und Lehrgebiete Fabrikplanung, Produktionslogistik, Montageplanung, Zuführtechnik und Arbeitswissenschaft. Seit dem 01. Januar 2008 ist er zudem geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Integrierte Produktion Hannover gGmbH (IPH). Prof. Nyhuis ist Mitglied der wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik e.V. (WGP), der internationalen Forschungsgemeinschaft für Produktionstechnik CIRP (Associate Member), der International Federation for Information Processing IFIP (Working Group 5.7: Production Control), der Hochschulgruppe Arbeits- und Betriebsorganisation (HAB), der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA) und der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL). Darüber hinaus ist er Vorsitzender des VDI-Fachausschusses Fabrikplanung sowie Vorsitzender des Kuratoriums des Heinz-Piest-Instituts (HPI).

XXI

Kapitel 1 Veränderungstreiber der Fabrik

1

2

1.1 

Wandlungsträge Fabriken

5

1.3 

Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen 13

1.2 

Bisherige Ansätze der Unter­ nehmensführung

7

1.4 

Literatur

15

1 Bild 1.1:

Merkmale wandlungs­träger Fabriken

5

Bild 1.2: Istzustand eines Fertigungsbereichs

6

Bild 1.3:

Marktentwicklung Nischenfahrzeuge (Polk-Studie 2006)

8

Bild 1.4:

Zusammenhang zwischen Produkt-, Prozess-, Gebäudelebens- und Flächennutzungszyklus (Wirth)

9

Bild 1.5:

Von der funktionalen Fabrik zum Standort im Produktionsnetz

11

Bild 1.6:

Verlagerungs- und Rückverlagerungsmotive in der Metall- und Elektroindustrie (FhG ISI)

12

Bild 1.7:

Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen

13

Bild 1.8:

Externe und interne Veränderungstreiber von Produktionsunternehmen

14

3

Wandlungsträge Fabriken

Seit Beginn der 1990er Jahre ist in Deutschland eine intensive Diskussion über die Rolle und Bedeutung der Produktion in Wissenschaft und Praxis zu beobachten. Der in den 1980er Jahren entwickelte Ansatz des Computer Integrated Manufacturing (CIM) hatte nicht den erhofften Erfolg gebracht, um den weltweit höchsten Arbeitskosten zu begegnen. Die Scheinkonjunktur nach der deutschen Wiedervereinigung täuschte dann über die immer deutlicher werdenden Schwächen des Produktionsstandorts Deutsch­land hinweg. Erst die vom Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) USA erstellte Studie über die japanische, USamerikanische und europäische Automobilindustrie machte schlagartig deutlich, dass insbesondere die deutschen Industrieunternehmen dabei waren, ihre Wettbewerbs­fähigkeit hinsichtlich Produktivität, Lieferzeiten und Qualität einzubüßen [Wom90]. Als Hauptursache wurde die unzureichende Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an

Führungsmängel:

die enorme Dynamisierung der Märkte und Technologien er­kannt. Diese überwiegend durch Führungsmängel verursachte Schwäche lässt sich mit dem Begriff der wandlungsträgen Fabrik bezeichnen, deren Merkmale Bild 1.1 nach vier Hauptkriterien gliedert.

nde Marktori ent ierung mangel

n

us

g

ep

o

schwache Identität und Kultur

a

fehlende Produktdifferenzierung

hohe Bestände

keine Erweiterungsmöglichkeiten

nd e En t wi ck l u n g s p l a n u n

ei t s

unangepasstes Entgeltsystem

ke

starre Arbeitszeitmodelle

de n

f ehl e

S i c he rh

wandlungsträge Fabrik

fehlende Mitarbeiterpartizipation

es

unübersichtlicher Materialfluss

lange Durchlaufzeiten

hierarchische Aufbauorganisation

gt

zentrale Lager



x e O r ga n i pl e sa m ti ko

1

In der wandlungsträgen Fabrik ist im Laufe einer langen Unternehmenstradition eine komplexe Aufbau- und Ablauforganisation ent­standen. Zahlreiche Abteilungen, streng gegliedert in fünf bis sieben Hier­archiestufen, haben genau festgelegte Aufgaben und Kompetenzen. Eine Mitarbeiter­be­tei­l­igung ist nicht erwünscht, die Entgeltsysteme sind auf Leistung, nicht auf Er­geb­nisse ausgerichtet. Betont wird die funktionale Optimierung der Abläufe in Vertrieb, Kon­struk­tion und Produktion. Lange Entscheidungswege und eine mehrfach auf­ge­ teilte Verantwortung gegenüber dem Kunden für die Auftragsab­wick­lung sind die Folge. Fehlende Kundennähe steht in einem engen Zusammenhang mit einer mangelnden Marktorientierung. Infolge der funktionalen Organisation steht nicht der

n

1.1 

g

G6181SW Wd B

Bild 1.1: Merkmale wandlungs­träger Fabriken © IFA G6181SW_Wd_B

5

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

Materialfluss

Analyseergebnisse: • stark ungerichteter Materialfluss • Fertigungswege 1300m bis 1500m • Rüstzeiten bis zu 16 Stunden

• Nacharbeitsanteil 20% • Durchlaufzeit ca. 38 Arbeitstage • Flächendefizit 1400 m

Bild 1.2: Istzustand eines Fertigungsbereichs © IFA G3207SW_Wd_B G3207SW Wd B

Kunde und die Erfüllung seiner Wünsche im Vordergrund, sondern die Betonung von Betriebs­zielen wie die hohe Auslastung des Maschinenparks oder die Fertigung in sogenannten wirtschaftlichen Losgrößen. Erfolgreiches Handeln am Markt ist aber nur möglich, wenn es nach dem Grundsatz erfolgt, dass alles, was dem Kunden nicht dient, Ver­schwen­dung ist. Wandlungsträgen Unternehmen fehlt diese Ausrichtung. Sie nehmen meist keine innerbetriebliche Differenzierung ihrer Leistungen nach Kundengruppen und Märkten vor. Lange Durchlaufzeiten, hohe Bestände und zentrale Lager sind die sichtbaren Zeichen dieser falschen Unternehmens­aus­richtung. Vielfach fehlt auch eine Unternehmensvision als Handlungsleitlinie, aus der für jeden Mitarbeiter un­mit­tel­bar verständlich wird, worin das grundlegende Unternehmensziel besteht. Eine ge­fährliche Folge ist die schwindende Unternehmensidentität und -kultur. Da sich die Mit­arbeiter nicht mit dem Unternehmen und seinen Produkten identifizieren können, sondern sich als Rädchen in einem großen Getriebe fühlen, kommt es teilweise zur „inneren Kündigung“. Man kämpft sich von Tag zu Tag durch

6

die komplizierte Organisation, Kraft für neue Ideen bleibt nicht mehr. Dies spüren auch die Kunden, die zu Recht ein mangelndes Engagement ihrer Gesprächspartner beklagen. Ohne eine solche Gesamt­ziel­setz­ung ist auch die Unternehmensentwicklung nicht zu planen. Die gewachsenen Strukturen spiegeln sich in einer unübersichtlichen Gebäudestruktur wider, die einen unübersichtlichen Materialfluss und lange Transportwege nach sich zieht. Kurzfristige Anpassungen von Betriebsbereichen z.B. aufgrund eines steigenden Produktionsbedarfs sind nur mit erheblichem Aufwand möglich, weil keine Erweiterungsmöglichkeiten vorhanden oder vorgesehen sind. Verstärkt wird der Kulturverfall noch durch unansehnliche Gebäude, ungeordnete, räumlich verstreute Lagerflächen mit Rohmaterial, angearbeiteten Teilen und Schrottansammlungen sowie schmutzige, schlecht be­leuchtete Werkhallen, die eine positive Arbeitseinstellung erschweren. Kunden mag man gar nicht mehr durch den Betrieb führen, weil die Diskrepanz zwischen dem Pro­­dukt­anspruch und dem Erscheinungsbild der Fabrik zu offensichtlich ist.

1.2  Bisherige Ansätze der Unternehmensführung

Die geschilderten Entwicklungen führen schließlich zu einem ausgeprägten Sicher­heitsdenken. Mit hohen Beständen in Rohmaterial, Zukaufteilen, Zwischenfabrikaten und Endprodukten wird eine Reaktionsfähigkeit vorgetäuscht, welche die Struktur selbst nicht mehr leisten kann. Kommt es zu Aufträgen, die nicht der Routine entsprechen, entstehen lange Lieferzeiten, Eilaufträge und Terminverzüge. Dass dabei auch öko­logische Aspekte wie Ressourcenschonung und Umweltschutz völlig in den Hinter­grund treten, ist nahezu unausweichlich. Bild 1.2 zeigt ein typisches Beispiel für Wandlungsträgheit aus der Praxis. In dem dargestellten Fertigungsbereich fällt sofort der stark ungerichtete Materialfluss auf. Die hier gefertigten Produkte legten während ihrer Bearbeitung deutlich mehr als einen Kilometer Wegstrecke zurück. Durchlaufzeiten von mehr als vier Wochen bei einer Bearbeitungszeit von zwei Tagen hatten hier eine ihrer Ursachen. Aber auch lange Rüstzeiten und ein hoher Anteil an Nacharbeit bremsten den Auftragsdurchlauf. Aktueller Anlass, diese Struktur in Frage zu stellen, war die Forderung, ein neues Produkt in die Fertigung aufzunehmen, für die ein Flächendefizit von 1.400 qm bestand. Eine Studie zeigte, dass durch konsequente Aus­­richtung auf drei Produktgruppen (Renner, Läufer, Exoten), Vereinheitlichung der Arbeitsabläufe und Einführung des Ziehprinzips für die Auftragssteuerung eine Durch­lauf­zeit- und Flächenverringerung von 50 bzw. 40% erschließbar waren.

• 

• 

• 

• 

• 

• 

1.2  Bisherige Ansätze der Unternehmensführung Die skizzierten Entwicklungen haben deutlich gemacht, dass die früher erfolgreichen Grundsätze der industriellen Unternehmensführung angesichts einer immer schlechter planbaren Umwelt nicht mehr greifen. Hierzu zählten insbesondere [Lut96, Klo98]:

• 

•  Maximale Durchplanung und Effektivierung aller

• 

betrieblichen Abläufe, vor allem in der Produktion.

Exemplarisch hierfür steht eine große Arbeitsvorbereitung und ausgeprägte Zeitwirtschaft. K lare arbeitsteilige Abgrenzung von Ressorts, fachlichen Zuständigkeiten und hierarchischen Verantwortlichkeiten. Kennzeichen hierfür sind umfangreiche Organisationshandbücher mit genauen Stellen- und Ablaufbeschreibungen. Gleichsetzung von fachlicher Kompetenz und hierarchischer Position. Dieses klassische Karrieremuster führt zwangsläufig zum Aufbau statt Abbau von Hier­archien. Eindeutige Präferenz für unternehmensinterne Lösungen. Nur ungern gab man vermeintliches oder tatsächliches unternehmensspezifisches Know-how in Form von Zulieferungen aus dem Hause mit der Folge einer steigenden Teile- und Variantenvielfalt. Maximale Nutzung des Serieneffektes. Als typische Verhaltensweise resultiert hieraus die Bildung großer Lose, das Vorziehen von Aufträgen oder die Auslösung von Vorratsaufträgen ohne kon­k rete Kunden. Marktbehauptung durch inkrementale Produktinnovationen in Form schrittweiser Verbesserungen existierender Produkte als Normalfall. Infolge eines dominanten Basisproduktes, häufig eine Erfindung des Firmeninhabers, konnte so über lange Zeit eine starke Kundenbindung erreicht werden. Entwicklung neuer Produkte, sogen. Sprunginnovationen, nur aus­nahmsweise und zur Erschließung neuer Märkte. Selten erfolgten diese Inno­ vationen aus einer Studie der Kundenbedürfnisse (market pull), als vielmehr aus dem Technologiepotenzial des Unternehmens heraus (technology push). Im günstigsten Fall traf das neue Produkt auf ein vorhandenes Kundenbedürfnis oder weckte dieses. Primat von arbeitssparenden Investitionen und Innovationen. Da die Märkte noch nicht gesättigt waren, galt es, die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sowie die immer größeren Gemeinkosten durch überproportionale Rationalisierung des Produktionsprozesses zu kompensieren. Weitestgehende Externalisierung aller hierfür geeigneten Lasten und Kosten. Hierzu zählen ins-

1

7

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

besondere die Kosten der Umweltbelastung und bestimmter Sozialkosten, z.B. bei betriebsbedingter Kündigung. Der Erfolg dieser Grundsätze war an bestimmte, relativ stabile Umfeldbedingungen geknüpft, die seit Ende der 1990er Jahre, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt Gültigkeit besitzen. So war beispielsweise die Veränderung der Absatzmärkte meist langfristig vorhersehbar. Ein Kennzeichen hierfür war eine mittelfristige Unter­ nehmens­planung von drei bis fünf Jahren. Die Zahl der Wettbewerber auf diesen Märkten war begrenzt, ihre Stärken und Schwächen bekannt. Investitionskapital war ebenso zu niedrigen Kosten zu beschaffen wie natürliche Ressourcen. Die Umwelt­lasten spielten für den Unternehmenserfolg eine untergeordnete Rolle, ebenso wie der Börsenkurs des eigenen Unternehmens. Schließlich waren hoch motivierte, gut qualifizierte Arbeitskräfte überall verfügbar [Lut96]. Diese Rahmenbedingungen haben sich seit Beginn der 1980er Jahre mit einer zuvor nicht erlebten Geschwindigkeit verändert. Als wohl bedeutendste Herausforderung gilt die Globalisierung der Waren-

und Informationsströme, vorangetrieben durch die Ent­wick­lungen der Logistik und des Internets. Dadurch drängt eine Fülle von Produkten aus jungen aggressiven Industrienationen auf den Weltmarkt. Als Folge davon werden Veränderungen der Märkte immer schlechter planbar. Ausgehend von Warnecke [War 93] und West­kämper [West 99a-c, West 00] hat sich hierfür der Begriff des turbulenten Handlungsumfeldes etabliert. Demnach können sich alle für die Produktion relevanten Para­­ meter wie Produktaufbau, Wettbewerber, Absatzzahlen und verfügbare Tech­nologien sehr schnell, kurzzyklisch und sprunghaft ändern. Damit nimmt die Vorhersehbarkeit von Veränderungen des industriellen Um­feldes stark ab. Indizien hierfür sind die anhaltende Verkürzung der Lebenszyklen eines Produktes vom Markteintritt bis zur Ablösung und die Diversifikation der Produkte mit immer mehr Varianten. Die wachsende Anzahl von Nischenfahrzeugen – ein typisches Lifestyle-Produkt –kann als exemplarisches Beispiel gelten. Bild 1.3 zeigt die Entwicklung in den letzten 5 Dekaden. Während in den 1960er

… SAV Sports Tourer Tall Wagon Coupé-Limousine Cabrio Coupé SUV

SUV

Kompakt-MPV

Kompakt-MPV

MPV

MPV

MPV

Kombi

Off-Road

Off-Road

Off-Road

Limousine

Limousine

Limousine

Limousine

Kombi

Kombi

Kombi

Fliessheck

Fliessheck

k Limousine

Off-Road

Coupé

Coupé

Coupé

Coupé

Coupé

Cabrio/Roadster

Cabrio/Roadster

Cabrio/Roadster

Cabrio/Roadster

Cabrio/Roadster

60er

70er

80er

90er

2005 - 2010

Flieheck

Bild 1.3: Marktentwicklung Nischenfahrzeuge (Polk-Studie 2006) © IFA 14.051SW_B

8

14.051SW B

1.2  Bisherige Ansätze der Unternehmensführung

Gebrauchswert

C

A

A B C D

1

D

B

Lebensdauer

Produktlebenszyklus Prozesslebenszyklus Gebäudelebenszyklus Flächennutzungszyklus

Bild 1.4: Zusammenhang zwischen Produkt-, Prozess-, Gebäudelebens- und Flächennutzungszyklus (Wirth) © IFA 9901ASW_B

9901ASW B

Jahren lediglich die drei Kategorien Limousine, Coupé und Cabrio/Roadster existierten, waren 2006 bereits 14 Segmente bekannt. Namhafte Automobilhersteller haben für das nächste Jahrzehnt eine Steigerung auf mehr als 40 bis zu 50 Modelle angekündigt. Zu der Produktvielfalt tritt das rasche Vordringen neuer tech­nologischer Entwicklungen hinzu, sei es in Form neuer Werkstoffe, Fertigungsverfahren und In­formations- und Kommunikationstechniken oder Internet, RFID (Radio Frequency Identification Device) und Virtual Reality. Sie eröffnen sowohl dem Konstrukteur als auch dem Fabrikgestalter neue Gestaltungsspielräume. Eine weitere eher strukturelle Entwicklung betrifft das Auseinanderdriften der Lebenszyklen der technischen Fabrikelemente Prozess, Gebäude und Grundstück im Vergleich zum Produkt. Wirth hat diesen Tatbestand mit Bild 1.4 anschaulich verdeutlicht ([Wir00] zitiert nach [ScWi04 S. 106]). Die Produktlebenskurve (A) wird nicht zuletzt wegen der selbst erzeugten Variantenvielfalt im-

mer kürzer. Um dieser Entwicklung zu begegnen, erfolgt häufig eine Aufteilung des Produktes in Grundmodule, die mehrere Produkte überdauern, und in variantenabhängige Komponenten, die den Neuheitsanspruch des Produktes begründen, wie z.B. eine zusätzliche Funktion oder ein neues Design. Der Prozesslebenszyklus (B) wird durch technische Neuerungen und deren Wirtschaftlichkeit bestimmt. In der Regel wird er länger als der Produktlebenszyklus sein und für mehrere Produktgenerationen genutzt, nicht zuletzt wegen der Abschreibungsdauer der Betriebsmittel. Beim Gebäudelebenszyklus (C) ist zu unterscheiden zwischen dem Tragwerk das 30 bis 50 Jahre hält, und der technischen Gebäudeausrüstung, die vielleicht 10 bis 15 Jahre nutzbar ist. Meist beträgt die Dauer beider Teilzyklen das Mehrfache der Prozess- und Produktzyklen. Der Flächennutzungs­z yklus (D) ist schließlich von der Lage des Grundstücks abhängig und dem damit verbundenen Bebauungsrecht. Er bewegt sich in der Größenordnung von Jahrzehnten und überdauert auch die Nutzungsdauer der Gebäude. Wirth folgert daraus auf die Notwendigkeit,

9

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

die Teilsysteme wandlungsfähig zu gestalten und sie im Lebenszyklus der ganzen Fabrik zeitlich zu harmonisieren [ScWi04 S.107]. Ungeachtet der daraus resultierenden, vielfach vernetzten Entscheidungs- und Ausführungs­prozes­se bei der Produktentwicklung, Markteinführung und Auftragsabwicklung nimmt die verfügbare Zeit ab, die den Unternehmen zur Reaktion auf die Umfeld­ ver­än­der­un­gen zur Verfügung steht. Als wesentliche Reaktion auf diese Entwicklungen setzte sich zunächst der Gedanke der Komplexitätsreduktion durch. Angetrieben durch Konzepte der schlanken Pro­duk­­tion [Wom90] und des Business-Reengineering [Ham93] zeigten sich hierzu drei Wege:

• 

•  Produkte

• 

• 

10

und Produktionsprogramme wurden in Komponenten, Module und Teil­systeme zerlegt und es erfolgte eine Konzentration auf Kernkompetenzen. Dies führte zu einer drastischen Reduktion der Eigenfertigungspositionen und der zu disponierenden Artikel durch entsprechende Zulieferanten, aber auch zu einem erheblichen Abbau von Arbeitskräften. Die gesamte Beschaffungslogistik erfuhr eine Neustrukturierung, Differenzierung und Beschleunigung durch Direktbelieferung an den Verbauort des Materials sowie den Auf­bau von Modul- und Systemlieferanten. Diese übernahmen die Verantwortung von der konstruktiven Gestaltung bis zum Einbau in das Endprodukt. Ein anderes Beispiel ist die Vergabe des kompletten C-Teile-Spektrums – das sind die Artikel eines Produkts, die nur 5 bis 10% des Wertes, aber 50 bis 80% der Teilepositionen ausmachen – an einen Logistikdienstleister. Schließlich erfuhr der direkte Wertschöpfungsbereich der Fertigung und Montage eine grundlegende Neuordnung durch Segmentierung und Dezentralisierung. Ausgehend von der Gruppentechnologie der 1960er Jahre [Mit60] über die Fertigungs­in­seln der 1970/80er Jahre entstanden die Konzepte der modularen Fabrik [Wild 88] und der Fraktalen Fabrik [War93]. Die Grundidee bestand darin, fertigungs- und montagetechnisch

• 

ähnliche Teilegruppen bzw. Baugruppen für ein Marktsegment mit bestimmten Anforderungen hinsichtlich Lieferzeit und Liefertreue in einer Leistungs­einheit beginnend mit dem Auftragsabruf herzustellen und 100% qualitätsgeprüft einbaufertig weiterzugeben. Sämtliche indirekten Funktionen wie Material- und Werkzeugdisposition, Terminierung, Wartung, Instandhaltung bis hin zur Kapazitäts- und Personaleinsatzplanung wurden in die Leistungseinheit integriert. Sie tritt wie ein interner Zulieferer auf. Als Alternative zur Verlagerung findet die Einbindung in Unternehmensnetzwerke immer stärkere Beachtung [Kirs96, Wild10]. Hier schließen sich Firmen zu einem virtuellen Unternehmen zusammen, welches nach außen wie ein großes Unter­ nehmen auftritt und alle Leistungen aus einer Hand anbietet. Sie erlaubt ins­be­son­­dere kleinen und mittleren Unternehmen, sich bei geringem Gemeinkosten­auf­wand erfolgreich um größere Projekte zu bewerben und diese abzuwickeln [Dan97]. Neben diesen Strukturveränderungen in der Wertschöpfungskette ist seit Ende der 1990er Jahre eine vermehrte Methodenorientierung zu beobachten. Basierend auf dem von Toyota eingeführten Toyota-Produktionssystem [0hn93], das heute als Maßstab für eine effiziente Produktion gilt (s. Abschn. 2.3), haben viele Unternehmen erkannt, dass sie ihre gesamten Prozesse auf die Vermeidung von Verschwendung ausrichten müssen. Der von Womack und Jones geprägte Begriff Lean Production wurde zunächst nur als Instrument zum Personalabbau verstanden, hat aber seit Beginn der 2000er Jahre eine Neubewertung erfahren und die Entwicklung zahlreicher sogenannter Ganzheitlicher Produktionssysteme (GPS) angestoßen [Spa03, LaZa07, Dom06]. Eine pragmatische Vorgehensweise, um in diesem Zusammenhang die Verschwendung an Zeit, Beständen, Flächen und Bewegungen rasch analysieren zu können, ist die von Rother und Shook vorgestellte Methode des Wertstromdesigns [RoSh04], die ihrerseits zu dem Begriff der Wertstromfabrik geführt hat [Erl07].

1.2  Bisherige Ansätze der Unternehmensführung

• Reaktionsschnelligkeit • Innovationsfähigkeit • Komplexitätsreduktion • Kostensenkung • Produktorientierung • Marktorientierung

1

ProduktCluster 1

• Ressourcenflexibilität • Know-How Bündelung ProduktCluster …

Strategische Zuliefernetzwerke - Supply Chain -

Produktionsnetzwerke - Supply Net -

Segmentierte Fabrik Funktionale Fabrik

Herstellung Endprodukt

Bild 1.5: Von der funktionalen Fabrik zum Standort im Produktionsnetz © IFA G8147SW_Wd_B G8147SW Wd B

Fasst man die bisherigen Evolutionsschritte der Fabrik unter den vorgenan­nten Aspekten zusammen, lassen sich stark vereinfacht vier prinzipielle Erschei­nungs­formen erkennen, Bild 1.5. Die funktionale Fabrik war bei stabilen und gut prognostizierbaren Märkten auf eine Effizienzsteigerung durch Know-how-Bündelung ausgerichtet. Das damit einher­­gehende Werkstättenprinzip mit entsprechenden Stabsabteilungen gewährleistete eine hohe Ressourcenflexibilität, allerdings um den Preis hoher Bestände und langer Durchlaufzeiten. Die Notwendigkeit, sich stärker an den Märkten und ihren zuge­hö­rigen Produkten zu orientieren, führte zu der beschriebenen modularen, fraktalen oder segmentierten Fabrik. Die Auftragsabwicklung beschleunigte sich spürbar, jedoch war eine gelegentliche Unterauslastung der Einrichtungen in Kauf zu nehmen. Das Personal konnte nur durch Mehrfachqualifizierung und flexible Arbeitszeit­modelle ausgelastet werden. Mit weiter zunehmender Produkt- und Marktdifferenzierung wuchs die Komplexität jedoch, so dass mit Hilfe der beschriebenen Maßnahmen der Fertigungstiefenreduzierung insbesondere in der Automobilindustrie strategische

Zuliefernetzwerke entstanden, auch als Lieferketten oder Supply Chains bezeichnet. Das Unternehmen, das den Endkunden beliefert, konzentriert sich auf seine Kern­kom­petenzen, im Extremfall auf das Produktdesign, die Endmontage und den Ver­trieb, und schöpft beträchtliche Kostenpotenziale durch die konsequente Fremdvergabe von Beschaffungs-, Fertigungs-, Distributions- bis hin zu Entwicklungsprozessen aus. Derartige Netze sind üblicherweise auf die Laufdauer eines Produktes beschränkt, typ­isch sind 3 bis 5 Jahre. Mit steigender Turbulenz der Märkte und der gleichzeitigen Forderung nach größerer Geschwindigkeit der Leistungserstellung und erweitertem Leistungsumfang ent­wickeln sich zusehends regionale und überregionale Produktionsnetzwerke. Sie bilden Produktionscluster, die sich mit hoher Innovationsrate und reaktionsschnell auftragsbezogen konfigurieren und ebenso wieder auflösen, wenn die Leistung erbracht wurde. Allen skizzierten Erscheinungsformen der Fabrik ist gemeinsam, dass sie von immobilen Ressourcen (Gebäude, Betriebsmittel, Infrastruktur) und Standorten ausgehen. In Kapitel 2 wird zu diskutieren sein, inwieweit sie damit den bereits existierenden und

11

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

100%

80%

Kosten der Produktionsfaktoren

60%

40%

20%

0%

20%

40%

56% 55%

24% 22% 35%

38% 42% 46%

Kapazitätsengpässe

22% 25% 28%

16%

* * * *

Steuern, Abgaben, Subventionen

0%

Nähe zu Großkunden

5% 5%

31% 38% 37%

Koordinationskosten

27%

* *

40% 49% 43%

Qualität

100%

28% 30% 41%

6% 8% 4%

Markterschließung

80%

81% 76% 87%

* *

52%

Flexibilität, Lieferfähigkeit

60%

Rückverlagerungsmotive (1997: n=48; 1999: n=74; 2003: n=41)

17% 23%

1997 1999 2003

4% 5% 4% 12% 10% 3%

* nicht vergleichbar oder nicht abgefragt

Verlagerungsmotive (1997: n=329; 1999: n=376; 2003: n=284)

Bild 1.6: Verlagerungs- und Rückverlagerungsmotive in der Metall- und Elektroindustrie (FhG ISI) © IFA 14.663SW_B

14.663SW B

absehbaren zu­künf­tigen Anforderungen genügen. Mit den geschilderten Konzepten ist es den Produk­ tions­unternehmen in einem ersten Schritt weitgehend gelungen, ihre betriebliche Effizienz und die Reaktionsfähigkeit zu steigern, um den Herausforderungen des sich internationalisierenden Marktes gewachsen zu sein. Dabei haben sich die überlegene Produktfunktionalität, hohe Qualität und pünktliche Belieferung als wesentliche Alleinstellungsmerkmale erwiesen. Als relativ neue Geschäftsfelder werden darüber hinaus seit den1990er Jahren so- genannte produktintegrierte Dienstleistungen entwickelt. Diese erstrecken sich über den gesamten Lebenszyklus des gelieferten Produktes, beginnend mit der Unterstützung des Kunden bei der Planung und Auslegung, über die Montage und Inbetriebnahme bis zum internetgestützten Teleservice und Ersatzteilgeschäft sowie der Außerbetriebnahme und dem Rückbau bzw. der Rücknahme. Weiterentwicklungen dieses Ansatzes bestehen in sogenannten Betreibermodellen, bei denen der Hersteller einer Anlage ihr Eigen­tümer bleibt und der Kunde nur für die tatsächlich erzeugten Produkte bezahlt. Betreibermodelle stellen auch einen wichtigen Beitrag zur sogenannten nachhal-

12

tigen Entwicklu­ng (sustainable development) dar. Damit wird angestrebt, den Ressourcen­verbrauch an Rohstoffen und Energie durch weitgehende Wiederverwendung und Wiederverwertung der Produkte zu minimieren und die Luft-, Wasser- und Bodenbe­ lastung möglichst gering zu halten. Viele Unternehmen sahen eine Lösung der eingangs geschilderten Probleme jedoch auch in der Verlagerung von Teilen ihrer Produktion in sogenannte Billiglohnländer, weil dort vermeintlich günstigere Produktionsbedingungen besonders hinsichtlich der Lohnkosten und Arbeitszeit vorliegen. Das Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovation führt hierzu systematische Befragungen in der deutschen Industrie durch, deren Ergebnisse für die Jahre 1997, 1999 und 2003 Bild 1.6 zeigt [ISI04]. Dominierend für eine Verlagerung waren demnach die Kosten der Produktionsfaktoren (im Wesentlichen Lohnkosten), die Markterschließung und Lieferfähigkeit, gefolgt von Kapazitätsengpässen, Abgaben und der Nähe zu Großkunden. Deutlich wurde in der Befragung weiterhin, dass vor allem kleinere Betriebe ihre Ver­lagerungs­entscheidung vornehmlich auf Basis des Personalkostenvergleichs fällen.

1.3  Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen

Jedoch sind rund 20% der Betriebe, die eine Verlagerung vorgenommen haben, nach etwa 2 Jahren zurückgekehrt, wobei die nicht erwarteten hohen Kosten, mangelnde Flexibilität, Produktqualität und unerwartet hohe Koordinationskosten ausschlaggebend waren. Als wesentliche Gründe für den Misserfolg nennt das ISI:

Wettbe­werbs­verbesserung insbesondere kleinerer Betriebe vermitteln und sie vor einer voreiligen Entscheidung bewahren.

1

1.3  Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen

•  Mangelnde •  •  •  •  •  • 

Stimmigkeit von Strategien und Bewertungskriterien Keine adäquate Berücksichtigung interner Optimierungspotenziale Keine Bewertung des Netzwerkbedarfs am jeweiligen Standort Statische statt dynamische Standortbewertung Keine Analyse des Stellenwertes einzelner Standortfaktoren für das Gesamtergebnis Unterschätzung der Anlaufzeiten zur Sicherung von Prozesssicherheit, Qualität und Produktivität Unterschätzung der Betreuungskosten des ausländischen Standortes.

Einerseits ist unstrittig, dass Direktinvestitionen im Ausland einen positiven Effekt auf die Beschäftigung in Deutschland ausüben. Andererseits kann die Studie wichtige Impulse für weitergehende Ansätze zur

Gleichwohl reichen die bisherigen Anstrengungen nicht aus, da die Strategie der Kom­plex­itätsreduzierung eher auf das Abfedern der Marktturbulenz gerichtet ist und nicht durchgängig auf die ganze Wertschöpfungskette wirkt. Insbesondere droht die Gefahr des Verlustes der Reaktionsfähigkeit. Die internen Stärken der deutschen Unter­nehmen bergen vor dem Hintergrund eines hohen Ausbildungsniveaus, eines stabilen Sozialsystems, einer hervorragenden Infrastruktur und einer robusten Wäh­rung noch ein erhebliches Potenzial zur Komplexitätsbeherrschung als Erfolg ver­sprech­ ende Zukunftsstrategie. Bieten doch gerade turbulente Märkte Chancen für eine Offensivstrategie, mit der zusätzliche Marktanteile zu erobern sind. Dies setzt jedoch die Fähigkeit der Unternehmen voraus, nicht nur auf äußere Entwicklungen zu reagieren, sondern proaktiv – also vorausschauend – im Markt aufzu-

Zeit

Lerngeschwindigkeit

Innovationskraft

Kundenzufriedenheit

Qualität

Kosten

Wandlungsfähigkeit

Bild 1.7: Wettbewerbsfaktoren überlegener Organisationen

Zielgröße

Eigenschaften

© IFA G5990SW_B G5990SW B

13

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

treten. Dazu gehört auch, selbst Turbulenz erzeugen zu können, indem beispielsweise überraschend die Lieferzeit halbiert, eine unge­wöhn­lich dichte Folge neuer Produkte für ein spezifisches Marktsegment angeboten wird oder eine Qualitätsoffensive im Sinne einer Verdoppelung der Garantiezeit erfolgt. Eine derartige Strategie setzt jedoch mehr voraus als die Beherrschung von Kosten, Qualität und Zeit zur Erreichung der Kundenzufriedenheit, Bild 1.7. Zum einen ist eine große Innovationskraft erforderlich, die es zu entwickeln und zu fördern gilt. Sie bedeutet, bestehende Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und das Verhalten sowohl im kontinuierlichen Verbesserungsprozess als auch in Sprung­in­­ novationen permanent in Frage zu stellen [Ever03]. Dies erfordert eine kommunikationsorientierte Unternehmenskultur mit einer ausgeprägten Mitarbeiterpartizipation und starker Ergebnis- statt Leistungsfokussierung.

U mw

Neues schnell nutzbar zu machen, also eine hohe organisationale Lernge­schwindig­keit zu besitzen, ist die zweite wichtige Eigenschaft turbulenznutzender Unter­neh­men. Das hervorstechende Merkmal einer solchen Organisation ist die Fähigkeit zur Entwicklung gemeinsamer Visionen und Ziele zur Bündelung der Energie und des Wissens. Dazu gehören kontinuierliche Qualifizierungsmaßnahmen mit dem pri­mä­ren Ziel der Vermittlung von Methoden- und Sozialkompetenz, ein hohes Maß an in­form­eller Kommunikation und eine ausgeprägte Selbstorganisation in flachen Hier­ar­ch­ien mit autonomen Organisationseinheiten [Gau04]. Die dritte wesentliche „neue“ Eigenschaft ist schließlich die Wandlungsfähigkeit [West99a, Rein00, Wien99]. Sie beschreibt das Vermögen einer Fabrik, ausgehend von internen oder externen Auslösern, aktiv strukturelle Veränderungen auf allen Ebenen bei geringem Aufwand durchführen zu können. Da-

el t

Poli tik Individualisierung der Produkte Integrierte Produkte und Dienstleistungen

Ge

Nutzung Neuer Technologien

wandlungsfähige Fabrik Steigerung Energie- und Ressourceneffizienz

präventive strategische Impulse

s ell sch a f t

Tec h no l o g i e

global vernetzte Leistungserstellung

reaktive Schwachstellenbeseitigung

W e l t w i r t s c ha f t

externe Impulse interne Impulse

Bild 1.8: Externe und interne Veränderungstreiber G8776SW von Produktionsunternehmen © IFA G8776SW

14

1.4  Literatur

bei erfordert der Wandlungsprozess eine durch den Markt bestimmte Geschwindigkeit der Planung und Rea­li­sierung. Diese Wandlungsfähigkeit unterscheidet sich von verwandten Begriffen wie Reaktionsschnelligkeit, Adaptionsfähigkeit, Flexibilität und Agilität und wird in Kap. 5 ausführlich erläutert. Sie soll als zentraler Begriff der Eignung gelten, die ein Unternehmen in einem turbulenten Umfeld erfolgreich sein lässt. Bevor sich im nächsten Kapitel die neuen Anforderungen, Strategien und Gestaltungsfelder der wandlungsfähigen Fabrik entfalten, soll Bild 1.8 die Veränderungs­trei­ber zusammenfassen. Weitere Hinweise finden sich im Abschlussbericht „Untersuchung zur Aktualisierung der Forschungsfelder für das Rahmenkonzept Forschung für die Produktion von morgen“, der im Auftrage des BMBF 2006 von einer Expertengruppe erarbeitet wurde [Klei07], sowie auf der homepage der Europäischen Initiative zur Entwicklung einer zukünftigen Produktion [manu07]. Weltwirtschaft, Umwelt, Politik, Gesellschaft und Technologie bilden die Rahmen­bedingungen, die mittelbar auf die Unternehmen einwirken. Sie führen zu den unmittelbar wirkenden Veränderungstreibern, die sich nach externen und internen Impulsen unterscheiden lassen. Globalisierung, Technologie und Gesellschaft haben eine wachsende Individualisierung der Produkte mit kurzen Produktlebenszyklen und eine Ausweitung der Marktleistung hin zu Dienstleistungen über den ganzen Lebens­zyk­lus zur Folge. Dabei sinken die Lieferzeiten weiterhin, der Anspruch an die Liefer­treue steigt und dies bei starken Verbrauchsschwankungen bis hin zur Turbulenz. Dem weiter anhaltenden Kosten- und Qualitätsdruck müssen sich die Unter­nehmen weiterhin stellen. Die Leistungen selbst werden immer stärker global vernetzt erbracht, sei es mit eigenen, verbundenen oder fremden Unternehmen. Starke interne Impulse kommen aus präventiven strategischen Überlegungen wie z.B. Erschließung neuer Märkte, Ausweitung des Leistungsangebotes oder eine grundlegende Reorganisation, ausgelöst durch einen Wechsel im Management oder in den

Besitzverhältnissen. Reaktive interne Impulse entstehen demgegenüber durch Beseitigung merklicher Schwächen in den technischen und logistischen Leistungen, die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle für eine alternde Belegschaft oder die Neujustierung der Produktionsvolumina zwischen inländischen und ausländischen Standorten aufgrund von Währungsrisiken. Schließlich gilt es auch, neue Herausforderungen der Energie- und Ressourceneffizienz aufzugreifen, aber auch Potenziale neuer Technologien zu nutzen.

1

1.4  Literatur  angelmaier, W.: Vision Logistik: D Logistik wandelbarer Produktionsnetze. Schriftenreihe Nr. 31, Heinz Nixdorf Institut, Paderborn 1997 [Dom06] Dombrowski, U., Hennersdorf, S., Palluk, M.: Fabrikplanung unter den Rahmenbedingungen Ganzheitlicher Produktionssysteme. wt Werkstatts­technik online 96 (2006) 4, S. 156–161 [Erl07] Erlach, K.: Wertstromdesign. Der Weg zur schlanken Fabrik. Springer, Berlin Heidelberg 2007 [Ever03] Eversheim, W. (Hrsg.): Innovationsmanagement technischer Produkte. Springer, Berlin Heidelberg 2003 [Gau04] Gausemeier, J., Hahn, A., Kespohl, H.D., Seifert, L.: Vernetzte Produktentwicklung. Der erfolgreiche Weg zum Global Engineering Networking. Hanser, München Wien 2004 [Ham93] Hammer, M., Champy, J.: Reengineering the corporation: a manifesto for business revolution. 1. ed. New York 1993. Deutsche Ausgabe: Business Reengineering: Die Radikalkur für das Unternehmen. So erneuern Sie Ihre Firma. 7. Aufl. Frankfurt/M. 2003 [Dan97]

15

1  Veränderungstreiber der Fabrik

1

16

 inkel, S., Lay, G.: ProduktionsverlageK rungen unter der Lupe – Entwicklungstrends bei Auslandsverlagerungen und Rückverlagerungen deutscher Firmen. Mitteilungen aus der Innovationserhebung, Nr. 34, Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung. Karlsruhe Oktober 2004 [Kirs96] Kirsten, U., Dangelmaier, W. (Hrsg.): Vision Logistik – Wandelbare Produktionsnetze zur Auflösung ökonomisch-ökologischer Zielkonflikte. Wiss. Berichte 181 Forschungszentrum Karlsruhe, Karlsruhe 1996 [Klei07] Kleiner, M. (Hrsg.): Untersuchung zur Aktualisierung der Forschungsfelder für das Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen“. Abschlussbericht. Institut für Umformtechnik und Leichtbau, Universität Dortmund, 2007 [Klo98] Klocke, F. (Hrsg.): Produktion 2000 plus – Visionen und Forschungsfelder für die Produktion in Deutschland. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen, Aachen 1998 [LaZa07] Lay, G., Zanker, C.: Von ganzheitlichen Produktionssystemen zu „Integrierten Modernisierungskonzepten“. Die „Beziehungslandkarte“ als Instrument zur Schaffung von Konsistenzen in Produktionssystemen. wt Werkstattstechnik online 97 (2007) 9, S. 728–734 [Lut96] Lutz, B. et al. (Hrsg.): Produzieren im 21. Jahrhundert: Herausforderungen für die deutsche Industrie. Ergebnisse des Expertenkreises Zukunftsstrategien, Bd.1, Frankfurt/M. 1996 [Manu07] w ww.manufuture.de [Mit60] Mitrofanow, S. P.: Wissenschaftliche Grundlagen der Gruppentechnologie. 2. Aufl. VEB Verlag Technik, Berlin 1960 [ISI04]

[Ohn93]

[Pol06] [Rein00]

[RoSh04]

[ScWi04]

[Spa03] [War93]

[War95]

[West99a]

[West99b]

[West99c]

[West00]

 hno, T.: Das Toyota ProduktionssysO tem. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1993 Polk, R. L.: Marktentwicklung Nischenfahrzeuge. Studie 2006, Essen Reinhart, G.: Im Denken und Handeln wandeln. In: Reinhart, G., Hoffmann, H. (Hrsg.): Nur der Wandel bleibt. Wege jenseits der Flexibilität. Utz Verlag, München 2000, S. 19-40 Rother, M., Shook, J.: Sehen lernen: mit Wertstromdesign die Wertschöpfung erhöhen und Verschwendung beseitigen. Lean Management Institut, Aachen 2004 Schenk, M., Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb. Methoden für die wandlungsfähige und vernetzte Fabrik. Springer, Berlin Heidelberg 2004 Spath, D. (Hrsg.): Ganzheitlich produzieren. Log_X Verlag, Stuttgart 2003 Warnecke, H.-J.: Revolution der Unternehmenskultur – Das Fraktale Unternehmen. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 1993 Warnecke, H.-J. (Hrsg.): Aufbruch zum Fraktalen Unternehmen – Praxisbeispiele für neues Denken und Handeln. Springer, Berlin Heidelberg 1995 Westkämper, E.: Wandlungsfähigkeit der industriellen Produktion. TCWVerlag, München 1999 Westkämper, E., Wiendahl, H.-H., März, L.: Fabrikplanung und Auftragsmanagement in wandlungsfähigen Unternehmensstrukturen. ZWF Zeitschr. f. Wirtsch. Fertigung 94 (1999) 10, S. 610–613 Westkämper, E.: Die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen. wt Werkstattstechnik 89 (1999) 4, S.131–140 Westkämper, E., Wiendahl, H.-H. u. a.: Turbulenz in der PPS – eine Analogie. wt Werkstattstechnik 90 (2000) 5, S. 203–207

1.4  Literatur

[Wien99]

[Wild10]

[Wild88]

[Wir00]

 iendahl, H.-P., Hernández, R.: W Bausteine der Wandlungsfähigkeit zur Planung wettbewerbsfähiger Fabrikstrukturen. 2. Dt. Fachkonferenz Fabrikplanung, Fabrik 2000+ am 26./27.10.1999, Stuttgart Wildemann, H. (Hrsg.): Produktionsund Zuliefernetzwerke. 15. Aufl. TCW-Verlag, München 2010 Wildemann, H.: Die modulare Fabrik – Kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentierung. 1. Aufl. 1988, 5. Aufl. TCW-Verlag, München 1998 Wirth, S., Enderlein, H., Petermann, J.: Kompetenznetze der Produktion. In:

[Wom90]

[ZhPo03]

Vortragsband IBF-Tagung „Vernetzt planen und produzieren“, TU Chemnitz, Chemnitz 2000 Womack, J.P., Jones, D.T., Roos, D.: The machine that changed the world. New York 1990. Deutsche Ausgabe: Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology. 1. Aufl. 1991, 8. Aufl. Frankfurt/M. 1994 Zheng, L., Possel-Dölken, F.: Strategic Production Networks. Cooperation Among Production Companies. Springer, Berlin Heidelberg 2003 Kapitel: 2

1

17

Kapitel 2 Planungsbasis

2

20

2.1 

Produktionsstrategie

23

2.5 

Gestaltungsfelder der Fabrik

31

2.2 

Fabrikstrategie

25

2.6 

Produktionsstandort und Fabrik

33

2.3 

Marktleistung

26

2.7 

Morphologie von Fabriktypen­

34

2.4 

Geschäftsprozesse

30

2.8 

Literatur

38

Bild 2.1:

Elemente des Wett­bewerbs in einer Branche (nach M.E. Porter)

23

Bild 2.2:

Grundkonzept der Balanced Scorecard (Kaplan und Norton, zitiert nach Horváth)

24

Bild 2.3:

Strategiebasis der Fabrikplanung und -gestaltung

25

Bild 2.4:

Logistisches Geschäftsarten-Portfolio (Siemens AG)

26

Bild 2.5:

Dimensionen der Marktleistung

28

Bild 2.6:

Zukünftige Schwerpunkte produzierender Unternehmen (Boutellier, Schuh, Seghezzi)

30

Bild 2.7:

Geschäftsprozesse eines Unternehmens

31

Bild 2.9:

Gegenüberstellung Produktionsstandort und Fabrik

32

Bild 2.8:

Gestaltungsfelder der Fabrik

32

Bild 2.10: Sichten zur Entwicklung von Fabriktypen

33

Bild 2.11: Bestandteile einer Lieferkette

34

Bild 2.12: Fabriktypen aus Kundensicht

35

Bild 2.13: Charakterisierung von Fabriktypen aus Kundensicht

36

Bild 2.14: Betreibermodell am Beispiel MCC

37

Bild 2.15

38

Morphologie der Fabriktypen

2

21

2.1 

Produktionsstrategie

Eine Fabrik wird nicht um ihrer selbst willen betrieben, sondern ist eins von mehreren Instrumenten der Produktionsunternehmen zur Durchsetzung ihrer Unternehmens­strategie. Bis in die 1970er Jahre war die Beschäftigungssicherung der vorhandenen Fabrik vordringlich; die Notwendigkeit, diese Fabrik zu betreiben, stand nicht infrage. Heute wird primär diskutiert, welche Rolle die eigene Produktion im Wettbewerb um die Märkte einerseits und die finanziellen Mittel des Unternehmens andererseits spielen soll. Die Möglichkeiten der globalen Beschaffung und Kooperation sowie technische Entwicklungen haben neue Freiheitsgrade zur Gestaltung und Positionierung der Produktion geschaffen. Diese sind vor dem Hintergrund einer durchdachten Wettbewerbsstrategie des Gesamtunternehmens zu nutzen, welche die langfristige Rentabilität sicherstellt. Nach grundlegenden Untersuchungen von M.E. Porter zählen hierzu insbesondere die Konzentration auf selektierte Marktsegmente, die Produkt- und Leistungsdifferenzierung gegenüber dem Wettbewerb sowie das Erringen einer umfassenden Kostenführerschaft [Por08]. Die Wettbewerbskräfte und Bestimmungsgrößen, die es hierbei zu analysieren und zu bewerten gilt, sind in Bild 2.1 in fünf Kategorien stichwortartig zusammengefasst.

Ausgangspunkt ist die Anzahl Wettbewerber und die Intensität der Rivalität in der eigenen Branche. Letztere wird z.B. durch Überkapazitäten, die Markenidentität und Austrittsbarrieren bestimmt. Es folgt die Untersuchung über mögliche neue Anbieter und ihre Eintrittsbarrieren in den eigenen Markt. Der dritte Komplex betrifft die Abnehmer mit ihrer Verhandlungsmacht und Preisempfindlichkeit. Im vierten Komplex werden mögliche Ersatzprodukte und die daraus resultierende Substitutionsgefahr der eigenen Produkte betrachtet. Der fünfte Komplex behandelt schließlich die Verhandlungsmacht der Lieferanten. Wie aus diesen Überlegungen konkret neue Produkte entstehen, ist u. a. von Eversheim [Eve03] und Gausemeier [Gau04] ausführlich beschrieben worden. Ein wichtiger Denkansatz ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung von Effektivität („die richtigen Dinge tun“) und Effizienz („die Dinge richtig tun“) mit Hilfe der Balanced Scorecard, auch als „ausgewogener Berichtsbogen“ bezeichnet [Hor98]. Sie dient der mehrdimensionalen strategischen Planung und Steuerung eines Unternehmens oder Geschäftsbereichs. Nach einem Vorschlag von Kaplan und Norton [Kap97] werden ausgehend von einer übergeordneten Vision und Strategie vier Sichten entwickelt, Bild 2.2. Zu jeder Sicht sind strategische Ziele zu formulieren, daraus operative Ziele und Aktivitäten abzuleiten und deren Einhaltung anhand spezifischer Kennzahlen zu überwachen [Hor07].

2

Bedrohung durch neue Anbieter

Wettbewerber in der Branche

Verhandlungsstärke der Lieferanten

Verhandlungsstärke der Abnehmer

Intensität der Rivalität

Bild 2.1: Elemente des Wett­ bewerbs in einer Branche (nach M.E. Porter)

Bedrohung durch Ersatzprodukte

© IFA D3436_Wd_B

D3436 Wd B

23

2  Planungsbasis

Finanzielle Perspektive Wie sollen wir aus Kapitalgebersicht dastehen?

2

• Strategische Ziele •Operative Ziele • Messgröße • Aktivitäten

Kundenperspektive Wie sollen wir aus Kundensicht dastehen?

Vision und Strategie

• Strategische Ziele •Operative Ziele • Messgröße • Aktivitäten

Perspektive interne Geschäftsprozesse Bei welchen Prozessen müssen wir Hervorragendes leisten? • Strategische Ziele •Operative Ziele • Messgröße • Aktivitäten

Perspektive Lernen und Entwicklung Wie können wir unsere Veränderungs- und Verbesserungsfähigkeiten aufrecht erhalten? • Strategische Ziele •Operative Ziele • Messgröße • Aktivitäten

G8889SW (Kaplan B Bild 2.2: Grundkonzept der Balanced Scorecard und Norton, zitiert nach Horváth)

© IFA G8889SW_B

Die finanzielle Perspektive untersucht, ob aus Sicht des Kapitalgebers eine ausgewählte oder umgesetzte Strategie das Unternehmensergebnis verbessert. Für die Produktion ergibt sich hieraus z.B. die Erarbeitung von Zielen, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen hinsichtlich des eigenen Produktionsanteils, der eingesetzten Betriebsmittel und des Standortes. Die Kundenperspektive stellt für den Fall der Fabrik die Frage, ob sie die vom Markt verlangten Leistungsmerkmale wie beispielsweise Lieferzeit, Liefertreue und Produktqualität erfüllt. Aber auch allgemeine Zielgrößen wie Kundenzufriedenheit und Kundenbindung finden hier als Treibergrößen für den Geschäftserfolg Berücksichtigung. Entsprechende Maßnahmen könnten z.B. fokussierte Teilfabriken in der Nähe des Kunden oder eine durchgreifende Neugestaltung des Erscheinungsbildes sein. Die Perspektive Interne Geschäftsprozesse stellt die Strukturen und Abläufe in den Vordergrund, welche

24

maßgeblich die Befriedigung der Kundenwünsche beeinflussen und deren Verbesserung vom Kunden wahrgenommen wird. Hierzu zählen aus Sicht der Fabrik z.B. interne Durchlaufzeiten, späte Entscheidungsmöglichkeiten über Varianten oder eine Produktqualität, die eine Eingangsprüfung des Kunden erübrigt. Mit der Perspektive Lernen und Entwicklung wird die Bedeutung einer ständigen Weiterentwicklung der Produkte und Verfahren unterstrichen. Es geht aus Sicht der Produktion dabei z.B. um die kontinuierliche Verbesserung der Produktionstechnik, die Einführung von Gruppenarbeit oder die Entwicklung durchgängiger Logistikketten vom Lieferanten über die eigene Produktion bis hin zum Kunden. Bemerkenswert an diesem Vorschlag ist, dass er im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen, wie dem Return-on-Investment-Kennzahlen­konzept und dem Shareholder-Value-Ansatz, nicht nur einseitig finanzielle und teilweise auch stark vergangenheitsbezogene Messgrößen zur Entscheidungsbasis heran-

2.2  Fabrikstrategie

zieht. Vielmehr richtet sich der Blick gleichermaßen auch auf die Kunden, den Wettbewerb und interne, schwer messbare Faktoren wie Innovations- und Lernfähigkeit, die in einem turbulenten Markt eine immer größere Rolle für den Geschäftserfolg spielen. Die Balanced Scorecard bietet damit einen flexiblen Rahmen zur Entwicklung der jeweils unternehmensspezifischen Strategie, wie sie gerade für die zukünftige Rolle der Fabrik unabdingbar ist [Kap01].

sein, erwächst aus dem dynamischen Umfeld, und dies gilt nicht nur für Produkte, sondern auch und gerade für die Produktion sowie administrative Abläufe. Schließlich ist nicht nur für die Fabrik, aber für diese im Besonderen, das Gebot der Wandlungsfähigkeit zwingend.

2

Den Kern der Strategiebasis für die Fabrik bilden die aus Visionen und Leitbildern entwickelten Geschäftsfelder. Sie beschreiben eine eigenständige Marktaufgabe mit klar abgegrenzten Wettbewerbern und stehen in Übereinstimmung mit der Unternehmensphilosophie, den Werthaltungen und der Kultur des Unternehmens. Jedes Geschäftsfeld ist durch eine Marktleistung und ein Marktsegment definiert, das nach Abnehmertypen, Vertriebskanälen oder geografischen Regionen beschrieben ist [Gau99]. Für die strategische Positionierung der Fabrik ist die Festlegung der Absatzregionen nach Umsatz und regionalem Marktanteil besonders wichtig. Daraus ergeben sich einerseits das Verkaufsvolumen und andererseits die lokale Wettbewerbssituation als Ausgangsbasis für die Entscheidung über den Standort und den Produktionsumfang einer Fabrik.

2.2  Fabrikstrategie Für die Fabrikplanung ist die Kenntnis desjenigen Teils der Unternehmensstrategie, der das Marktangebot und die Produktion betrifft, unerlässlich, da sonst leicht einseitig kostenorientierte Gesichtspunkte dominieren. Bild 2.3 stellt die wesentlichen strategischen Elemente der Planungsbasis einer Fabrik vor, die unter drei Prämissen steht. Sie muss nachhaltig in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht sein und damit nicht auf einen kurzfristigen Erfolg zielen. Der Anspruch, innovativ zu

Leitbilder

Visionen

Geschäftsfeld • Marktleistung • Marktsegment

Prozesse

Ressourcen

innovativ

wandlungsfähig nachhaltig: • wirtschaftlich • ökologisch • sozial

Bild 2.3: Strategiebasis der Fabrikplanung und -gestaltung © IFA G8891SW_B G8891SW B

25

2  Planungsbasis

2.3  Marktleistung

in der Auftragsabwicklung In der Entwicklung

Zeitpunkt der endgültigen Produktdefinition

2

Für jedes Geschäftsfeld sind die in den Marktsegmenten angebotenen Produkte und Dienstleistungen definiert, die zusammenfassend als Marktleistung bezeichnet werden [Gau99]. Diese Marktleistung erfordert Prozesse, die mit den Unternehmenspotenzialen erbracht werden. Unterschieden werden dabei im Allgemeinen Management-, Geschäfts- und Unterstützungsprozesse. Die Geschäftsprozesse – soweit sie die Fabrik betreffen – dienen der Wertschöpfung und umfassen im Wesentlichen fertigungstechnische Prozesse, Materialflussprozesse sowie Informationsund Kommunikationsprozesse. Sie bedürfen ihrerseits Ressourcen, die im Wesentlichen aus Menschen, Einrichtungen und Kapital bestehen. Die vom Unternehmen erbrachte Marktleistung lässt sich zum einen aus der Sicht der Logistik betrachten, zum anderen nach der Art der Marktbedienung. Un-

ter dem Logistikaspekt ist die von der Siemens AG entwickelte Gliederung ihrer Marktleistung zweckmäßig, die vier Geschäftsarten durch den Zeitpunkt der endgültigen Produktdefinition und den Ort der Wertschöpfung definiert, Bild 2.4 [Faß00]. Es handelt sich dabei um konsumorientierte Produkte, Systeme zur Industrieausrüstung, Großprojekte des Anlagenbaus und den Service nach dem Verkauf eines Produktes. Sie stellen deutlich unterschiedliche Anforderungen an die Fabrik und deren Logistik. Bei den Produkten handelt es sich um einsatzfertige, überwiegend für den Endverbraucher bestimmte Konsumgüter wie Haushaltsmaschinen, Unterhaltungselektronik, Kommunikationstechnik usw., die weitgehend selbst gefertigt werden. Ihre Entwicklung findet unabhängig von der Auftragsabwicklung statt und die Erfolgsfaktoren sind extrem kurze Lieferzeiten und eine hohe Lieferbereitschaft durch ein gutes

Systeme

Anlagen

• Kundenspezifische Konfiguration von Hard- und Software • Entwicklungs- und Logistikzyklus teilweise entkoppelt • Eigene Kernkomponenten und fremde Systemkomponenten • Direktlieferung geprüfter Komplettsysteme, Installation und Inbetriebnahme

Produkte • Eigene Fertigerzeugnisse • Entwicklungs- und Logistikzyklus entkoppelt • Überwiegend Eigenleistung • Lieferung “sofort“

• Kundenspezifische Projektierung und Engineering • Anlagenengineering und Logistikzyklus sind gekoppelt • Wenige Kernkomponenten, hoher Anteil fremder Lieferungen u. Leistungen • Montagegerechte Lieferpakete zur Baustelle

After Sales - Service • Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit • Entwicklungs- und Logistikzyklus sind entkoppelt • Leistung vor Ort mit kurzen Reaktionszeiten

im Haus

vor Ort

Ort der Wertschöpfung Bild 2.4: Logistisches Geschäftsarten-Portfolio (Siemens AG) G8908SW Wd B © IFA G8908SW_Wd_B

26

2.3  Marktleistung

Bestandsmanagement sowie ein effizientes, häufig weltweites Distributionssystem. Systeme bestehen aus einer kundenspezifischen Konfiguration von möglichst weitgehend standardisierten Komponenten aus Hard- und Software, deren funktionsbestimmende Anteile im eigenen Hause gefertigt und durch zugekaufte Systemkomponenten ergänzt werden. Die Entwicklungs- und Logistikzyklen sind daher nur teilweise entkoppelt. Hier bestehen die Erfolgsfaktoren in der Fähigkeit zur schnellen Konfiguration der Standard- und Fremdkomponenten, dem auftragsbezogenen Lieferantenmanagement mit hoher Liefertreue, der Direktlieferung geprüfter Komplettsysteme sowie der sofortigen Installation und Inbetriebnahme. Das Anlagengeschäft besteht im Kern aus dem Engineering, also der technischen Auslegung und der Projektierung kundenspezifischer großer Anlagen, wie z.B. Walzwerke, Papierfabriken oder Kraftwerke. Eine Vorratsfertigung ist wegen des Einmalcharakters nicht möglich; Engineering- und Logistikzyklus sind daher auftragsspezifisch gekoppelt. Wegen des geringen Anteils an Eigenfertigungskomponenten bestehen die Erfolgsfaktoren in einem professionellen Projektmanagement, der Steuerung und Koordinierung der zahlreichen auftragsspezifischen Lieferungen und Leistungen mit hohem Fremdanteil sowie der zeitgerechten Bereitstellung montagegerechter Lieferpakete an die Baustelle, die den Ort der überwiegenden Wertschöpfung darstellt. Die vierte Geschäftsart Service bezieht sich zunächst nur auf die Dienstleistung nach dem Verkauf eines Produktes, eines Systems oder einer Anlage. Sie dient dazu, deren Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten (z.B. durch regelmäßige Inspektion und Wartung) oder im Störfall wieder herzustellen. Die Entwicklung dieser Leistung in Form von Wartungsplänen, Reparatursets, Ersatzteilen usw. ist von ihrer Erbringung im Logistikzyklus zeitlich entkoppelt. Ihre Erfolgsfaktoren sind höchste Reaktionsfähigkeit und Informationsbereitschaft bei bestandsminimaler Ersatzteilhaltung sowie Technikereinsatz und -steuerung mit hoher Ersterledigungsquote. In der Art der Marktbedienung sind zwei Extreme der Marktleistung bekannt, die vornehmlich für Pro-

dukte gelten. Zum einen sind es Massenprogramme, mit denen im Wesentlichen eine Kostenführerschaft durch Mengensteigerung standardisierter Leistungen angestrebt wird (Economies of Scale). Demgegenüber steht zum anderen die Produktprogrammstrategie des individuellen Mischprogramms, das eine Nutzenmaximierung durch Fokussierung auf spezielle Kundengruppen zum Ziel hat (Economies of Scope). Dazwischen liegen Strategien, die aufgrund von Baukastensystemen und flexiblen Fertigungstechniken eine individualisierte Massenproduktion anstreben. Der Kunde erhält ein weitgehend auf seine Bedürfnisse abgestimmtes Produkt, das seinerseits aus standardisierten Teilen und Komponenten besteht, die in kurzer Zeit mit mengen- und variantenflexiblen Arbeitssystemen zusammengesetzt werden. Vermehrt wird darüber hinaus speziell in den hoch industrialisierten Ländern die Strategie verfolgt, die Produkte durch Dienstleistungen und den Verkauf des Produktnutzens zu ergänzen. Speziell für Deutschland hat sich gezeigt, dass gerade kundenindividuelle Produkte mit Mehrwertdiensten eine viel versprechende Möglichkeit eröffnen, im globalen Wettbewerb unter den deutschen Standortbedingungen zu bestehen. Eine solchermaßen wettbewerbsfähige Marktleistung ist aus Sicht der Marktbedienung in Bild 2.5 mit ihren wesentlichen Dimensionen anhand ihrer charakteristischen Merkmale skizziert. Als Kernidee gilt, dass sich die Marktleistung an der Wertschöpfungskette des Kunden orientiert. Ausgehend von einem Produkt mit hohem Kundennutzen überlegt man, wie durch produktintegrierte Dienstleistungen über den gesamten Lebenszyklus des Produktes hinweg eine langfristige Kundenbindung zu erreichen ist. Dies führt zu vier Kategorien von Marktleistungen, nämlich Produkt, Systeme/Anlagen, Service und Nutzen, die nun aus der Sicht der Konstruktion und Produktion betrachtet werden.

2

Bei den Produkten ist generell eine immer stärkere Integration mechanischer Teile und elektronischer Baugruppen verbunden mit einer integrierten Software zu beobachten, allgemein als mechatronische Produkte bezeichnet. Letztere reichen von der Sen-

27

2  Planungsbasis

Marktleistung

2

Lebenszyklusorientiertes Produkt- und Dienstleistungsangebot mit hohem Kundennutzen und langfristiger Kundenbindung Produkte

System / Anlagen

Vor Nutzung

Service Während Nutzung

Nach Nutzung

• Schnell konfigurierbare • Durchührbarkeits- • Fernüberwachung • Außerbetriebund rekonfigurierbare studien und -diagnose nahme Systeme • Potential• Internetgestützte • Rückbau • Modulare und stanvermittlung Wartung, Instanddardisierte Steuerungshaltung und Re• Aufarbeitung • „Intelligente“ Kompound Monitorsysteme • Produktschulung paratur nenten, Module und „Plug & Produce" • Verwertung Teilsysteme • Montage, Inbetrieb- • Logistisch optimierte nahme, Hochlauf Ersatzteillagerung, • Weiterverkauf • Variantenbeherrschung -lieferung und durch In Line - Varian• Prototypen-produktion • Beseitigung tenbildung und Plattfertigung formkonzepte • Mechatronik: Integration von Mechanik, Sensorik, Elektronik und Software

Nutzen • Einsatzoptimierung • Nutzungssteigerung durch Upgrading veralteter Komponenten • Funktionserweiterung in der Wertschöpfungskette des Kunden • Betreibermodell

Bild 2.5: Dimensionen der Marktleistung © IFA G8899SW_B

sorik zum Erkennen von Betriebszuständen über die G8899SW B Elektronik zur Produktbedienung und Steuerung bis hin zur zugehörigen Software. In vielen Maschinenbauprodukten ist mittlerweile der Anteil der Herstellkosten von Mechanik, Elektronik und Software gleich groß. Um die Produkte einerseits rasch konfigurieren und sie anderseits an die wechselnden Bedürfnisse im Lebenszyklus der Kundenprodukte anpassen zu können, bemüht man sich um die Entwicklung sogenannter intelligenter Komponenten, Module und Teilsysteme, die mit lokaler Sensorik und Steuerungstechnik ausgestattet sind. Sie reduzieren den Umfang der übergeordneten Steuerung erheblich, können sich selbst überwachen, lassen sich in der Produktion vor dem Einbau auf ihre Funktion testen und verringern damit den Aufwand für die Endmontage erheblich. Derartige Modul- und Plattformkonzepte erlauben eine extreme Variantenvielfalt, insbesondere dann, wenn es gelingt, die Variantenbildung durch Konfiguration der Software zu erreichen. Schließlich ist für viele Produkte besonders in der Investitionsgüterindustrie ein anhaltender Trend zum System- und Anlagengeschäft festzustellen. Der Kunde möchte häufig ein System (z.B. Fertigungssystem) oder eine Anlage (z.B. Verpackungsanlage) betriebsbereit zur Verfügung gestellt bekommen und erwar-

28

tet ein Leistungspaket aus Engineering, Lieferung, Inbetriebnahme und Schulung seiner Mitarbeiter bis zum Erreichen der zugesicherten Ausbringung sowie eine nutzungsbegleitende Optimierung. Das Produkt bzw. das System oder die Anlage erfordern zu ihrem Einsatz je nach Wert und Komplexität jedoch umfangreiche Zusatzleistungen, die zunehmend nicht mehr von den Nutzern erbracht werden, weil sie diese Leistungen nicht mehr zu ihren Kernkompetenzen zählen. Besaßen größere Fabriken früher eigene Planungs-, Instandhaltungs- und Reparaturabteilungen, wird deren Aufgabe heute zu einem großen Teil an spezialisierte Dienstleister übertragen, die ihren Service in die drei Phasen vor, während und nach der Nutzung des eigentlichen Produktes bzw. Systems gliedern. Der Service beginnt in der Vornutzungsphase mit Durchführbarkeitsstudien technischer und wirtschaftlicher Art, ergänzt um Angebote zur Vermittlung des Potenzials der beabsichtigten Investition. Zu Letzteren gehören etwa Musterteile bis hin zur Lieferung der sogen. Nullserien oder die Schulung von Konstrukteuren in der Nutzung einer neuen Technik. So bietet beispielsweise ein bekannter Hersteller von Blechbearbeitungsmaschinen einen Lehrgang an, in dem Konstrukteuren die technischen und wirtschaftlichen Vorteile einer Blechkonstruktion gegenüber

2.3  Marktleistung

einer Guss- und Schweißkonstruktion anhand exemplarischer Teile methodisch vermittelt werden. Die Teilnehmer erhalten danach die Gelegenheit, ein kundenspezifisches Teil selbst zu konstruieren, prototypisch zu fertigen und abschließend wirtschaftlich zu bewerten. Weitere klassische Serviceleistungen in der Vornutzungsphase betreffen die Produktschulung der späteren Nutzer, die Montage, Inbetriebnahme und den Hochlauf speziell von Systemen und Anlagen bis zur vereinbarten Nennleistung. Die zweite Serviceart bezieht sich auf die eigentliche Betriebs- oder Nutzungsphase. Sie ist geprägt durch die sich rasch entwickelnden Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik. Die erwähnten intelligenten Produktkomponenten und -systeme erlauben mittlerweile eine Fernüberwachung und -diagnose durch den Produktlieferanten, sei es in regelmäßigen Wartungszyklen oder im Störfall. Daraus lässt sich in vielen Fällen ein internetgestützter Instandhaltungs- und Reparaturservice entwickeln, der zum einen den Abruf von Leistungen des Herstellers durch den Kunden vorsieht. Das können z.B. spezielle Reparaturanleitungen, verknüpft mit speziellen Demontage- und Remontagezeichnungen sein. Zum anderen kann auch der Produktlieferant seinen Kundendienst vor Ort durch Fernzugriff seiner Servicemitarbeiter auf Produktdaten und Reparaturanweisungen des eigenen Hauses wesentlich schneller und produktiver gestalten. Für den Ersatzteildienst ergeben sich schließlich neue Möglichkeiten durch eine internetbasierte Optimierung der Lagerhaltung, Lieferung und Produktion. Mit der schnelleren Produktfolge gewinnt die letzte Phase des Produktlebens von Produkten, Systemen und Anlagen an Bedeutung. Ihre Außerbetriebnahme und Entsorgung war früher ein eher lästiges Randproblem. Ein gestiegenes Bewusstsein für den Umweltschutz und eine verschärfte Gesetzgebung verlangt im Sinne einer Kreislaufwirtschaft nach einer professionellen Betrachtung auch dieser Phase. Als Serviceleistungen entwickeln sich daher Angebote zur ordnungsgemäßen Außerbetriebnahme bis hin zum „Rückbau zur grünen Wiese“ und Aufarbeitung zum Zweck der Wiederverwendung und des Weiterverkaufs. Ist dies nicht möglich oder wirtschaftlich,

kommt es zur Verwertung und/oder gefahrlosen Beseitigung. Ein noch weiter gehender Ansatz als der Service in den geschilderten drei Nutzungsphasen besteht schließlich darin, überhaupt keine definierte materielle oder immaterielle Leistung zu erbringen, sondern den Zweck dieser Leistung zu verkaufen und damit den Nutzen eines Produktes, eines Systems oder einer Anlage selbst zum Produkt zu machen. Damit wird eine besonders enge, fast schon symbiotische Kundenbindung erreicht. Diese vierte Dimension der Marktleistung wird in der Regel vom Hersteller erbracht, allerdings häufig in Form ausgegründeter Firmen. Eine erste Möglichkeit besteht darin, Einzelleistungen zu Servicepaketen mit dem Ziel zusammenzufassen, den Nutzen, den das Produkt in der Wertschöpfung des Kunden bringt, sicherzustellen oder möglichst zu steigern. Das kann beispielsweise die Verfügbarkeit eines Rechenzentrums im Dauerbetrieb sein, die Gutstückzahl einer Produktionsmaschine pro Schicht, oder es kann die Betriebskosten einer Pumpenanlage betreffen. Diese Leistung ist in Erweiterung des Angebots einer Fernwartung durch die Optimierung der Betriebsparameter und der Ersatzteilhaltung zu erbringen. Ein weiterer Service kann in der Nutzungssteigerung des Systems durch den Austausch veralteter Komponenten bestehen, beispielsweise elektronischer Steuerungen. Schließlich ist eine Funktionserweiterung des gelieferten Produktes in der Wertschöpfungskette des Kunden denkbar, beispielsweise durch die Installation einer automatischen Beladungseinrichtung einer Produktionsanlage als Ersatz für die bisherige manuelle Lösung. Den weitestgehenden Ansatz dieser nutzenorientierten Marktleistung stellen Betreibermodelle dar. Dabei übernimmt entweder der Anlagenhersteller oder ein externer Dienstleister den Betrieb einer Produktionsanlage und liefert fertige Erzeugnisse ausschließlich an einen Verbraucher, häufig bis auf dessen Werksgelände. Ein bekanntes Beispiel ist die Fabrik zur Herstellung des Smart-Autos in Hambach, Frankreich. Dort erbringen 15 Zulieferer eine Wertschöpfung von 80% des fertigen Produktes. Einer der Zulieferer ist die Fa. Eisenmann, die

2

29

2  Planungsbasis

2

die Lackieranlage geliefert hat und dort betreibt. Sie wird für jedes lackierte Fahrzeug bezahlt [Bar98]. Betreibermodellen wird eine große Bedeutung für die Zukunft vorhergesagt, weil sie für den Nutzer die Komplexität seiner Produktion, das Investitionsrisiko und die Kosten reduzieren und dem Hersteller den Know-how-Erhalt, eine langfristige Kundenbindung und ein neues Geschäftsfeld eröffnen. Allerdings ist der Betreiber auch unmittelbar vom Markterfolg oder Misserfolg seines Kunden betroffen und geht damit entsprechende Risiken ein. Sie werden in der Regel durch Gründung einer speziellen Firma vom Kerngeschäft entkoppelt. Fasst man die Aussage zur Marktleistung zusammen, lässt sich feststellen, dass die absolute Kundenorientierung das beherrschende Leitbild sämtlicher Unternehmensaktivitäten sein muss. Es kommt darauf an, dem Kunden individuelle Problemlösungen in dessen Wertschöpfungskette anzubieten, verstärkt kalkulierbare Kundenrisiken in die eigene Wertschöpfung zu übernehmen und den Kunden in die Gestaltung und Erstellung der Problemlösung einzubeziehen [Bou97]. Damit lassen sich aus Sicht der Marktleistung einige zukünftige Schwerpunkte produzierender Unternehmen nennen, Bild 2.6.

Um aus dem Dilemma „Preisdruck versus wachsende Kundenwünsche“ herauszukommen, sind die bezahlten produktintegrierten Dienstleistungen auszuweiten und die klassischen Produktleistungen auf Kernkomponenten zu reduzieren. Das setzt eine Standardisierung einzelner Leistungen, den Ausbau wertschöpfungsintensiver Nebenleistungen und eine Fokussierung auf Kernkompetenzen voraus. Damit geht der Druck auf das Kostenmanagement zurück, weil die neuen Marktleistungen honoriert werden. Insgesamt erhöhen sich dadurch der Kundennutzen und die Kundennähe [Bou97].

2.4  Geschäftsprozesse Wie bereits erwähnt, ist die in den Geschäftsfeldern definierte Leistung durch Prozesse zu erbringen. „Ein Prozess ist eine Menge von Aktivitäten zur Erbringung eines Ergebnisses, das für den Kunden von Nutzen ist“ [Gau99]. Damit wird die Abkehr von der funktionalen Organisation zum Ausdruck gebracht, die durch die Arbeitszerlegung in immer kleinere Einheiten gekennzeichnet ist. Prozesse

Produktleistungen Kernkompetenzfokussierung

Kostenmanagement

Kundennutzen

Standardisierung

Kundennähe

Nebenleistungen Dienstleistungen

Schwerpunkte heute

Schwerpunkte morgen

Bild 2.6: Zukünftige Schwerpunk­ te produzierender Unternehmen (Boutellier, Schuh, Seghezzi) © IFA G8915SW_B

G8915SW B

30

2.5  Gestaltungsfelder der Fabrik

Marktleistungsentwicklung

Markterschließung

Auftragsgewinnung

Auftragserfüllung

Service

2 Finanzen und Kontrolle

Personal Information und Kommunikation

Hauptprozesse

Allgemeine Dienste Qualität

Supportprozesse

Prozesselemente

Bild 2.7: Geschäftsprozesse eines Unternehmens © IFA G8902SW_B G8902SW B

werden zu Prozessketten verknüpft, die sich nach Hauptgeschäftsprozessen und Unterstützungsprozessen unterscheiden lassen. Eine für Produktionsunternehmen bewährte Gliederung dieser Geschäftsprozesse zeigt Bild 2.7. Die Hauptgeschäftsprozesse folgen dem Lebenszyklus der Marktleistung. Die Markterschließung hat die Aufgabe, ausgehend von der Geschäftsfeldstrategie, die Marktleistung in Form eines Lastenheftes zu definieren. Daraus entsteht im Prozess der Marktleistungsentwicklung ein funktionsfähiges und serientaugliches Produkt. Dieses Produkt wird im Rahmen der Auftragsgewinnung an Kunden angeboten und verkauft, wobei bei Vertragsabschluss die technische, logistische und wirtschaftliche Machbarkeit sichergestellt sein muss. Die Auftragserfüllung fasst alle Prozesse von der Auftragsbestätigung bis zur Auslieferung einschließlich der notwendigen Beschaffungsvorgänge zusammen. Nach Beginn der Produktnutzung durch den Kunden beginnt der Service, wie er bereits beschrieben wurde. Wesentliches Merkmal der Hauptprozesse ist die komplette Ergebnis- und Ressourcenverantwortung unter einer Leitung.

Die Supportprozesse des Personaldienstes, der Finanzierung, Kostenrechnung und des Controllings, das Qualitätsmanagement mit Planung, Lenkung und Prüfung, die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur und ihr Betrieb sowie die allgemeinen Dienste von der Gebäudewartung bis zur Werkssicherung dienen der Unterstützung der Hauptprozesse. Sie müssen ihre Leistungen überwiegend an die Hauptprozesseigner zu vereinbarten Preisen verkaufen. Sie stehen damit im Wettbewerb zu externen Dienstleistern.

2.5  Gestaltungsfelder der Fabrik Der für die Fabrik wesentliche HauptgeschäftsProzess ist die Auftragserfüllung. Die hier zu erbringenden Teilprozesse umfassen die Auftragsklärung, Konstruktion (soweit auftragsspezifisch erforderlich), Arbeitsvorbereitung, Beschaffung der Rohmaterialien und Zukaufteile, Teilefertigung, Montage, Prüfung, Verpackung und den Versand sowie die zu-

31

2  Planungsbasis

2 Kultur

Technik

Organisation

P r o z e s s e

Standort und Gebäude

Mitarbeiter

Nachhaltigkeit

Marktleistung

Bild 2.8: Gestaltungsfelder der Fabrik © IFA G8900SW_B

gehörige Qualitätsprüfung und Auftragssteuerung. Diese Teilprozesse sind von den Fabrikressourcen zu erbringen, die in Bild 2.8 unter den Begriffen Technik, Organisation und G8900SW Mitarbeiter zusammengefasst sind. B Sie bilden gewissermaßen die Säulen der Fabrik, die ihrerseits auf einem Standort mit seinen Gebäuden stehen. Eine überzeugende Marktleistung wird aber nicht nur durch die materiellen und menschlichen Ressourcen erbracht, sondern auch durch Aspekte der Unternehmenskultur und der Nach­haltigkeit bestimmt, die einerseits aus der übergreifenden Unternehmensvision und anderseits aus lokalen Gegebenheiten resultieren.

Außensicht

Innensicht

Produktionsstandort

Fabrik

dient der Versorgung eines Marktsegmentes mit Sachgütern unter logistischen und wirtschaftlichen Aspekten.

stellt eine lokale Bündelung von Produktionsfaktoren zur Darstellung der ganzen oder eines Teils der Wertkette von Sachgütern dar.

Bild 2.9: Gegenüberstellung Produktionsstandort und Fabrik © IFA G9630SW_B G9630SW B

32

Mit Bild 2.8 sind die zentralen Gestaltungsfelder der Fabrik benannt, die in diesem Buch hinsichtlich ihrer Strukturierung und Dimensionierung unter dem besonderen Aspekt der Wandlungsfähigkeit behandelt werden. Kosten- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sind Bestandteil des Planungsprozesses und werden dort behandelt. Die übrigen in Bild 2.7 genannten Hauptprozesse haben ebenso wie die Supportprozesse keinen mit der Auftragsabwicklung vergleichbaren Einfluss auf die Fabrikauslegung. Ihre Ressourcenbeanspruchung betrifft hauptsächlich Büroflächen, Personal und Infrastruktur, deren Auslegung im Rahmen der Gesamtplanung erfolgt.

2.6  Produktionsstandort und Fabrik

Sämtliche Unternehmensprozesse und -funktionen müssen sich jedoch an den Kundenforderungen, Marktleistungen und einem spezifischen Leitbild ausrichten, dessen Entwicklung unter dem Aspekt der Wandlungsfähigkeit erfolgt.

2.6  Produktionsstandort und Fabrik Vor dem Hintergrund der bisher skizzierten Entwicklungen der Produktionskonzepte stellt sich für das einzelne Unternehmen die Frage, in welchem Umfang und mit welcher strategischen Ausrichtung es seine Produkte herstellen will. Danach ist über den Ort der Produktion zu entscheiden. Dabei ist zwischen einer Außensicht und einer Innensicht zu unterscheiden, Bild 2.9. Der Begriff Produktionsstandort stellt dabei die Außensicht dar. Im Rahmen der geschilderten Entwicklung von Geschäftsfeldern, Marktleistungen und den dazu notwendigen Prozessen gilt es zunächst, aus einer globalen Perspektive geeignete Produktions­ standorte festzulegen. Diese versorgen ein Marktsegment mit bestimmten Sachgütern und Dienstleis-

tungen eines Geschäftsfeldes unter wirtschaftlichen und logistischen Kriterien. Danach erfolgt in einem zweiten Schritt – meist auf einem zusammenhängenden Grundstück – die konkrete Gestaltung der Fabrik im Sinne einer Innensicht des Produktions­ standortes. Die Fabrik stellt sich dann als eine lokale Bündelung der primären Produktionsfaktoren Personal, Betriebsmittel, Gebäude und Material sowie den abgeleiteten Faktoren Wissen, Qualifikation und Kapital dar. Diese Faktoren realisieren in Form von Prozessen denjenigen Teil der Wertkette, der zur Darstellung der vom Produktionsstandort abgeforderten Sachgüter notwendig ist. Der Begriff Wertkette soll im Gegensatz zur Wertschöpfungskette auch Tätigkeiten wie Lagern, Transportieren, Prüfen usw. umfassen, die nicht wertschöpfend, aber aufgrund des gewählten Fertigungsprinzips nicht vermeidbar sind. Innerhalb der Fabrik können dabei durchaus mehrere Produkte für unterschiedliche Geschäftsfelder und unterschiedliche Anteile an der Wertkette hergestellt werden. Wie bereits ausgeführt, versucht man aus Gründen der eindeutigen Verantwortung für Kosten, Qualität und Lieferfähigkeit in diesem Fall möglichst räumlich und organisatorisch abgegrenzte Teilfabriken zu betreiben (häufig Minifabriken, Business Units usw. genannt), die sich lediglich einer gemeinsamen Infrastruktur für Energieversorgung, Datenverarbeitung, Sozialeinrichtungen, Versorgung usw. bedienen.

Lieferkettenposition

Kundensicht

An welcher Stelle der Lieferketten ist die Fabrik positioniert?

Wie wird die Fabrik vom Kunden wahrgenommen?

2

Geschäftsfelder Marktleistung / Prozesse Produktionsstrategie

Besitzverhältnisse

Bild 2.10: Sichten zur Entwick­ lung von Fabriktypen

Wem gehören die Produktionsmittel?

Standort

Fabriktyp

Organisation Was ist das dominierende Organisationsprinzip?

© IFA G9637SW_B

G9637SW B

33

2  Planungsbasis

2.7  Morphologie von Fabriktypen­

2

hervorstechendes strategisches Merkmal im Sinne einer Wettbewerbspositionierung ist. Dabei lassen sich sechs Formen unterscheiden, Bild 2.12.

Aus diesen Überlegungen lässt sich nun eine Morphologie der Fabriktypen entwickeln, die vier Merkmalausprägungen kombiniert. Diese entstammen ihrerseits bestimmten Sichten auf eine Fabrik und werden primär durch die Produktionsstrategie bestimmt, Bild 2.10. Die erste Sicht betrifft die Position des Unternehmens in der Lieferkette (meist Supply Chain genannt) zwischen den Rohstofflieferanten und den Endverbrauchern, Bild 2.11. Ein Extremfall ist ein Unternehmen, das die für sein Produkt notwendigen Rohstoffe und das Endprodukt mit sämtlichen Zwischenprodukten selbst herstellt und dieses direkt an den Endverbraucher liefert. Dieser Fall war in der industriellen Produktion zu Beginn des Industriezeitalters in amerikanischen Automobilfabriken anzutreffen. In Folge der immer stärkeren Differenzierung und Spezialisierung ist dies heute wirtschaftlich und logistisch nicht mehr machbar, so dass sich mittlerweile Lieferanten für Rohstoffe, Teile, Komponenten, Module, Teilsysteme und Endprodukte herausgebildet haben. Diese beziehen jeweils eine Stufe von Vorprodukten und liefern diese an einen Kunden, der ein Weiterverarbeiter, Zwischenhändler oder Endkunde sein kann. In der zweiten Sicht auf Fabriktypen geht es darum, wie der Kunde die Fabrik wahrnimmt, was also ihr

Beschaffung

Lieferanten Rohstoffe

Lieferanten 2. Stufe

Bild 2.11: Bestandteile einer Lieferkette © IFA G9638SW_B

34

Lieferanten 1. Stufe

Die Hochtechnologiefabrik ist durch Produkte mit einer technischen Spitzenstellung im Weltmarkt gekennzeichnet, z. B. hinsichtlich ihrer Funktionen, Leistungsdichte, Lebenszykluskosten, Verfügbarkeit usw. Die Fertigungs- und Montageprozesse operieren nahe an natürlichen Grenzwerten (s. Abschnitt 3.3) mit meist selbst entwickelten Technologien bei höchster Prozessqualität. Das Innere und Äußere der Fabrik spiegelt den hohen, selbst gesetzten Anspruch auf Hochtechnologie. Es werden die Preise des Innovators erzielt (Premiumpreise), so dass Kosten, Lieferzeiten und Variantenbeherrschung noch keine große Rolle spielen. Die reaktionsschnelle Fabrik stellt den Faktor Zeit in das Zentrum ihres Handelns. Sie ist gekennzeichnet durch eine Hochleistungslogistik, die sich ebenfalls an Grenzwerten – in diesem Fall der Durchlaufzeit – orientiert. Da die Produkte keine technische Führerschaft beanspruchen, liegt der Wettbewerbsvorteil in der raschen Verfügbarkeit beim Kunden. Aufträge werden hier oftmals direkt vom Kunden bzw. Vertrieb in die Produktion eingesteuert. In der atmenden Fabrik liegt der Fokus darauf, Produkte mit saisonal bedingten starken Absatzschwankungen, wie sie typisch für die Hausgeräte- und Sportartikelindustrie sind, in einem weiten Stückzahlbereich wirtschaftlich fertigen zu können. Erreicht wird dies durch einen vergleichsweise niedrigen Automatisierungsgrad, sehr flexible

Produktion

EndproduktLieferant

Distribution

Kunden 1. Stufe

Kunden 2. Stufe

EndVerbraucher

2.7  Morphologie von Fabriktypen­

High-Tech Fabrik (strategisches Merkmal: Technologie) • Innovative Produkte • Innovative Technologien • Höchste Prozeßqualität

Low-Cost Fabrik (strategisches Merkmal: Kosten)

Reaktionsschnelle Fabrik

2

(strategisches Merkmal: Zeit)

• Striktes Target-Costing • Produktfokussierung • Konsequentes Controlling

• Grenzwertorientierung • Hochleistungslogistik • Marktorientierung

Variantenflexible Fabrik

Atmende Fabrik

(strategisches Merkmal: Vielfalt)

(strategisches Merkmal: Mengenhub)

• Später Kundenentkopplungspunkt • Variantenbildende Produktionsendstufe • Modulare Produkt- und Produktionsstruktur

Kundenindividuelle Fabrik

• Integrationsfähigkeit neuer Produkte • Wirtschaftlichkeit bei schwankenden Produktionsmengen • Erweiter- und Reduzierbarkeit

(strategisches Merkmal: Individualität) • intensive Kundenintegration • partnerschaftliche Lieferantenbeziehung • ausgeprägte Variantenflexibilität • hohe Logistikkompetenz

Bild 2.12: Fabriktypen aus Kundensicht

G8629SW B

© IFA G8629SW_B

Arbeitszeitmodelle und Mehrfachqualifikation der Mitarbeiter. Als Folge dessen können neue Produkte rasch integriert und Erweiterungen oder Verringerungen des Fabrikausstoßes in kurzer Zeit realisiert werden. Ist das Produktspektrum durch eine große Variantenvielfalt im Sinne einer möglichst kundenindividuellen Marktversorgung gekennzeichnet, ist die variantenflexible Fabrik anzustreben. Sie ist durch modulare Strukturen sowie eine Fertigungstechnik gekennzeichnet, die eine möglichst späte Variantenbildung erlaubt. Die weiterentwickelte Form der variantenflexiblen Fabrik ist die kundenindividuelle Fabrik. Sie folgt dem Gedanken der kundenindividuellen Massenfertigung (mass customization), der in Abschnitt 4.10 noch erläutert wird. Hier unterscheidet sich jeder Auftrag vom nächsten hinsichtlich technischer Ausprägung, Menge und Liefertermin. Der Kunde kann im Extremfall internetgestützt sein Produkt selbst konfigurieren, direkt in der Fabrik bestellen und dessen Herstellung ebenfalls über das Internet

verfolgen. Voraussetzung ist die durchgängige Beherrschung aller Geschäftsprozesse vom Kunden (Auftragsspezifikation) bis zum Kunden (Produkt­ bereitstellung). Befinden sich Produkte in der Reifephase und stehen sie infolge zahlreicher Wettbewerber unter starkem Preisdruck, gilt es, in der Low-Cost-Fabrik durch striktes Zielkostenmanagement, Fokussierung auf wenige Produkte mit großen Stückzahlen und eine konsequente Vermeidung jeglicher Verschwendung die Selbstkosten ständig zu senken. Dies erfordert ein starkes Controlling. Die skizzierten Fabriktypen aus Kundensicht werden in der reinen Form nicht auftreten, denn natürlich müssen in einer realen Fabrik fast alle strategischen Merkmale Berücksichtigung finden, aber eben mit unterschiedlicher Betonung. Bild 2.13 zeigt für die sechs Fabriktypen qualitativ die Ausprägung der in Bild 1.7 entwickelten Wettbewerbsfaktoren. Es wird deutlich, dass die kundenindividuelle Fabrik den meisten Wettbewerbsfaktoren genügt, gefolgt von der variantenflexiblen Fabrik.

35

2  Planungsbasis

Fabriktyp

2

Merkmal

High Tech Fabrik

Reaktionsschnelle Fabrik

Technologie Geschwindigkeit

Atmende Fabrik

Variantenflexible Fabrik

Low Cost Fabrik

Kundenindividuelle Fabrik

Mengenhub

Vielfalt

Kosten

Kundenwunsch

Wettbewerbsfaktoren

Kosten Zeit Qualität Innovationsfähigkeit

Lerngeschwindigkeit

Wandlungsfähigkeit Ausprägung:

schwach

mittel

stark

Bild 2.13: Charakterisierung von Fabriktypen aus Kundensicht © IFA G9586SW_B

Als nächste Dimension zur Entwicklung einer Morphologie von Fabriktypen ist gemäß Bild 2.10 die Frage nach dem dominierenden Organisationsprinzip zu erörtern. Hier ist die funktionale, segmentierte, vernetzte und virtuelle Fabrik zu unterscheiden. Die funktionale Fabrik ist in Bereiche mit gleicher Technologie gegliedert, durch die eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte wandert, beispielsweise mechanische Bearbeitung, Elektronikfertigung, Montage. Dem Vorteil der Ressourcenflexibilität und Know-how-Bündelung stehen die bekannten Nachteile langer Durchlaufzeiten und hoher Bestände mit der Folge großer Trägheit gegenüber. Bedarf es einer hohen Flexibilität und kurzen Reaktionszeit, entsteht die segmentierte Fabrik, die aus schlagkräftigen, kleinen Produktionseinheiten mit eindeutiger Produkt- und Marktorientierung sowie voller Ergebnisverantwortung besteht. Innerhalb dieser Einheiten kommt je nach Stückzahl und Variantenzahl das Linienprinzip, Segmentprinzip oder Werkstättenprinzip zum Einsatz. Nimmt die Zahl der Produkte und ihrer Varianten immer weiter zu, ist zur Vermeidung eines Kollapses eine Komplexitätsreduktion durch eine drasti-

36

sche Reduktion der Eigenfertigungsteile und der Lieferanten unabdingbar. Es kommt zur Ausbildung der vernetzten Fabrik mit einer in mehreren Stufen gestaffelten Folge von Zulieferanten für Subsysteme, Module, Komponenten und Teile, die durch zwischengeschaltete Logistikdienstleister koordiniert werden. Um kurzfristige Chancen für ein komplexes Produkt oder System wahrzunehmen, können sich mehrere Fabriken temporär und projektbezogen zusammenfinden und ihre Prozesse und Ressourcen bündeln. Solche Kooperationen sind auch zwischen Wettbewerbern denkbar, wenn es um die Auslastung sehr teurer Einrichtungen geht. Ist das Unternehmen, das dem Kunden gegenüber in Erscheinung tritt, selbst nicht an der Produktion beteiligt, spricht man vom virtuellen Unternehmen. Dieses nimmt im Extremfall nur Marketing- und Auftragsabwicklungsfunktionen wahr. In der vierten Dimension der Fabrikmorphologie nach Bild 2.10 drücken sich die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln aus. Beginnend mit dem risikoreichsten Fall des Eigentums suchen viele Unternehmen eine Entlastung von der dauerhaften

2.7  Morphologie von Fabriktypen­

Bindung an die Produktionsanlagen durch Miete oder Leasing. Großes Interesse haben sogenannte Betreibermodelle gefunden [Sche04, S. 441ff.]. Dabei übernimmt entweder der Anlagenhersteller oder ein externer Dienstleister den Betrieb der Produktionsanlage auf dem Betriebsgelände oder in unmittelbarer räumlicher Nähe und liefert einbaufertige Systeme und Komponenten an die Endmontage. Bild 2.14 verdeutlicht das Betreibermodell am Beispiel der Automobilfabrik zur Herstellung des compact cars smart [Bar98]. In diesem Fall erbringen 15 Zulieferer auf dem Gelände der Micro Compact Car Company (MCC) im lothringischen Hambach 80% der Wertschöpfung des Smart. Disponiert werden durch geschickte Bestellbündelung an insgesamt etwa 80 Lieferanten lediglich 1.000 Positionen gegenüber 6.000 bis 8.000 in einer klassischen Automobilfertigung. In diesem Fall betreibt die Firma Magna den Rohbau und wird für jede fertige Karosserie bezahlt. Das Gleiche gilt auch für die Lackieranlage, betrieben von der Firma Eisenmann.

Bremsen (Bosch) Umschlagfläche für Kleinteile (Rhenus)

Montage Interieur/ Exterieur

2

Anbauteile (Dynamit Nobel) Türen, Klappen (Ymos)

Treffpunkt Einfahr- und „Bistro“ Prüfabschnitt

Montage Antrieb

Antrieb (KruppHoesch)

Die Anlagenbetreiber entwickeln sich damit zum Problemlöser ihrer Kunden. Sie erweitern so ihre Kompetenz als Anlagenhersteller auf die dauerhafte Beherrschung der Produktionsprozesse. Dies ist nicht ohne ihre Beteiligung an der Entwicklung des Endproduktes und der gesamten Fabrik möglich. Es entsteht eine längerfristige Kundenbindung. Für den Hersteller des Endproduktes ermöglichen Betreibermodelle die Entlastung von kapitalintensiven Investitionen und die Konzentration auf die Kernprozesse Marketing und Vertrieb, Produktentwicklung, Endmontage und Service. Im Fall von Markteinbrüchen sitzen beide Partner im selben Boot und tragen das jeweilige Risiko. Gleichwohl verlangt der Produzent vom Betreiber die Gewährleistung der vereinbarten Qualität, Liefertreue und Preise. Als weitere Eigentumsform wird schließlich die Kooperation praktiziert, bei der zwei oder mehr Unternehmen gemeinsam eine Produktionsanlage errichten und sie für unterschiedliche Produkte nutzen. Aus den genannten vier Dimensionen entsteht zusammengefasst ein morphologisches Schema der Fabriktypen, Bild 2.15.

Montage Cockpit (VDO)

Produktionsvorbereitungszentrum Förderbrücke Direktanlieferung

Bild 2.14: Betreibermodell am Beispiel MCC

Rohbau (Magna)

Lackiererei (Eisenmann)

Montageweg an Systempartner vermietete Anlagen

© IFA G5341SW_Wd_B

G5341SW Wd B

37

2  Planungsbasis

Ausprägungsformen

Sichten

2

Wahrnehmung des Marktes

kostenminimal

variantenflexibel

mengenflexibel

reaktionsschnell

Position in der Lieferkette

Teilelieferant

Komponentenlieferant

Modullieferant

Ausrichtung der Organisation

funktional

segmentiert

vernetzt

virtuell

Besitzverhältnisse der Produktionsmittel

Eigentum

Miete

Leasing

Kooperation

hoch technologisch

kundenindividuell

Subsystem- Endproduktlieferant lieferant

Betreibermodell

Bild 2.15: Morphologie der Fabriktypen © IFA G9585SW_B

Daraus lässt sich durch Kombination je einer G9585SW B Merkmalsausprägung der vier Sichten eine – immer noch idealtypische – Fabrik beschreiben. Eine solche Beschreibung eignet sich besonders als Ausgangsbasis einer Strategiediskussion beim Umbau oder Neubau einer Fabrik. Sie verhindert damit eine zu enge Betrachtung und Reduktion der Fabrikplanung auf das Thema Layout- und Material­ flussoptimierung.

[Eve03]

[Faß00]

[Gau99]

2.8  Literatur [Bar98]

[Bou97]

38

 arth, H., Gross, W.: Fabrik mit B Modellcharakter – Neue Zielhierarchien bei der Fabrikplanung. Zeitschr. f. Wirtsch. Fertigg., 93 (1998) 1–2, S. 15–17 Boutellier, R., Schuh, G., Seghezzi, H. D.: Industrielle Produktion und Kundennähe – Ein Widerspruch? In: Schuh, G., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Komplexität und Agilität: Steckt die Produktion in der Sackgasse? Springer, Berlin Heidelberg 1997

[Gau04]

[Hor98]

[Hor07]

[Kap97]

 versheim, W. (Hrsg.): InnovationsmaE nagement für technische Produkte. Springer, Berlin Heidelberg 2003 Faßnacht, W., Frühwald, Ch.: Controlling von Logistikleistung und -kosten. In: Baumgarten, H., Wiendahl, H.-P., Zentes, J. (Hrsg.): Springer Expertensystem Logistik, Beitrag 5.03.03, S. 1–16. Berlin Heidelberg 2000 Gausemeier, J., Fink, A.: Führung im Wandel. Hanser, München Wien 1999 Gausemeier, J., Hahn, A., Kespohl, H.-D., Seifert, L.: Vernetzte Produktentwicklung. Der erfolgreiche Weg zum Global Engineering Networking. Hanser, München Wien 2004 Horváth, P., Gleich, R.: Die Balanced Scorecard in der produzierenden Industrie. Konzeptidee, Anwendung und Verbereitung. Zeitschr. f. Wirtsch. Fertigg., ZWF 93 (1998) S. 562–568 Horváth & Partners (Hrsg.): Balanced Scorecard umsetzen. 4. Aufl. Schäffer Pöschel, Stuttgart 2007 Kaplan, R.S., Norton, D.P.: Balanced Scorecard, Strategien erfolgreich

2.8  Literatur

[Kap01]

umsetzen. Deutsche Übers. von Peter Horváth. Schäffer Pöschel, Stuttgart 1997 Kaplan, R.S., Norton, D.P.: Die strategiefokussierte Organisation. Führen mit der Balanced Scorecard. (Deutsche Übers. von Peter Horváth.) Stuttgart 2001

[Por08]

[Sche04]

 orter, M. E.: Wettbewerbsstrategie – P Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten. 11. Aufl., Campus, Frankfurt/M. 2008 Schenk, M., Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb. Methoden für die wandlungsfähige und vernetzte Fabrik. Springer, Berlin Heidelberg 2004

2

39

Kapitel 3 Produktions­ anforderungen

3

3.1 

Reaktionsschnelligkeit

3.2 

Mengen- und Varianten­flexibilität 48

3.3 

Grenzwertorientierung

3.4 

Selbstorganisation und Partizipation

3.5  3.6 

42

Kommunikation Vernetzung und Kooperation

46

51

3.7 

Demographische Entwicklung

65

3.8  Unternehmenskultur 3.8.1 Organisatorische Sicht 3.8.2 Architektonische Sicht

67 67 69

3.9 

Nachhaltigkeit

71

3.10 

Leitsätze Produktion

73

3.11 

Literatur

74

57 60 61

Bild 3.1:

Entwicklung der Produktionsanforderungen

45

Bild 3.2:

Auftragsstrategien mit unterschiedlichem Kundenentkopplungspunkt (Eidenmüller 1995)

46

Bild 3.3:

Produktionskonzepte bei starken Mengenschwankungen

47

Bild 3.4:

Potenziale zur Senkung der Lebenszykluskosten (Perlewitz, BMW)

49

Bild 3.5:

Chancengleichheit durch erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung

50

Bild 3.6:

Grenzwertebenen und Zielgrößen der Produktion

52

Bild 3.7:

Beispiele für Grenzwertansätze in der Produktion

53

Bild 3.8:

Zyklus der Grenzwertbetrachtung

54

Bild 3.9:

Streckengrenzleistung einer Fahrspur (Gudehus)

55

Bild 3.10: Traditionelle und grenzwertorientierte Verbesserung (Hartung, Mc Kinsey)

56

Bild 3.11: Merkmale der grenzwertorientierten Fabrik

57

Bild 3.12: Potenziale der Mitarbeiterpartizipation

58

Bild 3.13: Veränderung von Mitarbeiterrollen

59

Bild 3.14: Wahrscheinlichkeit von Kommunikation in Abhängigkeit der Entfernung zwischen Arbeitsplätzen (Allen)

61

Bild 3.15: Phasen der Dezentralisierung der Produktion (Windt)

62

Bild 3.16: Netzwerktypen (nach Pfohl)

63

Bild 3.17: Stufen der partnerschaftlichen Kooperation (Windt)

64

Bild 3.18: Altersentwicklung in Deutschland

65

Bild 3.19: Ziele und Maßnahmen einer alternsgerechten Gestaltung von Arbeit

66

3

43

Bild 3.20: Ebenen der Kulturbetrachtung

66

Bild 3.21: Ausdrucksformen einer Unternehmenskultur

67

Bild 3.22: Unternehmenskultur-Portfolio

69

Bild 3.23: Stationen der Kreislaufwirtschaft

71

Bild 3.24: Jährliches Anfallpotenzial von Elektrogeräten in Deutschland

73

Bild 3.25: Leitsätze einer zukünftigen Produktion

74

Die in Kap.1 geschilderten Veränderungstreiber stellen vielfältige Anforderungen an die zukünftige Produktion, deren wesentlichen Aspekte Bild 3.1 zunächst im Überblick zeigt. Ausgangspunkt der Betrachtung sind die Kundenanforderungen aus den turbulenten Märkten, die hier noch einmal auf drei Begriffe reduziert wurden. Funktional überlegene Produkte und Dienstleistungen mit langfristigem Kundennutzen müssen rasch verfügbar sein. Die daraus entwickelte Marktleistung umfasst die in Abschn. 2.3 erläuterten Produkte, Systeme und Anlagen, ergänzt um Serviceleistungen, die vor, während und nach der Nutzungsphase erbracht werden. Daraus resultieren Anforderungen an die Produktion, die sich aus vier Sichten entwickeln lassen. Diese sind nach den zwei Ebenen innen/außen bzw. rational/­emotio­nal gegliedert. Die rationale Außensicht reflektiert die von den Kunden wahrgenommene Verhaltensweise und wird hier mit den Begriffen reaktionsschnell und mengen-/variantenflexibel ver-

knüpft. Daraus leiten sich die inneren Forderungen nach Ausrichtung der Prozesse an sogen. Grenzwerten ab, gefolgt von der weitgehend partizipativ gestalteten Selbstorganisation und einer kooperativen Vernetzung mit externen Wertschöpfungspartnern. Die rationale Sicht wird ergänzt durch eine emotionale Sicht, die nach außen durch einen bestimmten Markenauftritt und ein bestimmtes Produktimage geprägt wird und das sich nach innen durch die Transparenz der Abläufe und ein ästhetisch angemessenes Erscheinungsbild darstellt. Übergreifend steht die Wertesicht. Hier prägt der Begriff der nachhaltigen Entwicklung und die Verpflichtung zu einer Unternehmenskultur nach außen die Produktgestaltung im Lebenszyklus und nach innen die Prozessgestaltung im Lebenszyklus der Einrichtungen. Die Anforderungen sollen nun im Einzelnen auf Basis der um­fang­rei­chen Literatur so weit erläutert werden, dass sich daraus erste Vorstellungen über Visionen, Leitbilder und Typen zukunftsrobuster Fabriken entwickeln lassen.

Kundenanforderungen

Marktleistung

• überlegene Funktionalität • langfristiger Nutzen • rasche Verfügbarkeit

• Produkt • System / Anlage • Service

Innensicht rationale Sicht

• grenzwertorientiert • selbstorganisiert • vernetzt / kooperativ

emotionale Sicht

• transparent • attraktiv

Wertesicht

• nachhaltig agieren • der Unternehmenskultur verpflichtet

3

Außensicht • reaktionsschnell • mengenflexibel • variantenflexibel • markenbezogen • produktbezogen

Produktionsanforderungen Bild 3.1: Entwicklung der Produktionsanforderungen © IFA G8903SW_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8903SW B

45

3  Produktions­anforderungen

3.1 

3

Reaktionsschnelligkeit

Als übergeordneter Ansatz der wettbewerbsfähigen Fabrik kann die marktgerechte Reaktionsschnelligkeit gelten. Sie bedeutet, dass die Fabrik in der Lage sein muss, die von den Kunden gewünschte Leistung in der gewünschten Menge und zum gewünschten Termin in der vereinbarten Qualität liefern zu können. Als Schlussfolgerung ergibt sich daraus, dass der Kundenwunsch zum Zeitpunkt der Auftragsbestätigung eindeutig definiert sein muss. Ist dies bei komplexeren Produkten nicht möglich – typisch hierfür sind Produktionsanlagen – ist die Vereinbarung von Zwischenterminen erforderlich, an denen die Detailspezifikationen festzulegen sind. Marktgerechte Reaktionszeiten bedingen, dass nur noch das produziert wird, was verkauft wurde. Dieses Konzept wird auch als Production on Demand bezeichnet [Bul97] Es bedeutet nicht nur, dass die Fertigung erst nach dem Auftragseingang beginnt, sondern dass auch das erforderliche Material auftragsspezifisch bestellt wird. Voraussetzung für diesen Ansatz ist, dass die Summe der Beschaffungszei-

ten und internen Lieferzeiten kürzer als die verlangte Lieferzeit ist. Das wird trotz großer Anstrengungen nicht immer möglich sein. Für diesen Fall bietet sich die Einführung eines Kundenentkopplungspunktes an. Er bezeichnet diejenige Stelle in der betrieblichen Logistikkette mit ihren Teilfunktionen Beschaffung, Fertigung, Montage und Versand, ab der die Aufträge bestimmten Kunden zugeordnet sind [Eid95, Wien96]. Vor dem Kundenentkopplungspunkt erfolgt eine kundenanonyme Abwicklung aufgrund von Absatzprognosen. Je nach dem Verhältnis der geforderten Lieferzeit zur internen Durchlaufzeit für die vier Abschnitte der Logistikkette ergeben sich vier Auftrags- oder Bevorratungsstrategien, Bild 3.2. Bei der Lagerfertigung erhält der Kunde das bestellte Produkt direkt aus dem Fertigwarenlager. Die Produkte werden auf Basis eines Produktionsprogramms in optimalen Losgrößen beschafft, gefertigt, montiert und eingelagert. Mit steigender Variantenzahl stößt dies auf zunehmende Probleme, weil die Kapitalbindung zu groß wird, die Vorhersagegenauigkeit für die

Strategie

Lagerfertigung

Kunde

Lieferant

Variantenmontage

Auftragsfertigung

kundenspezifische Einmalfertigung

Beschaffung

Fertigung

programmgebunden

Montage

kundenabhängig

Versand Zwischenlager

Bild 3.2: Auftragsstrategien mit unterschiedlichem Kundenentkopplungspunkt (Eidenmüller 1995) Institut für Fabrikanlagen und Logistik © ©IFA G0268SW_Wd_B

46

G0268SW Wd B

Kundenentkopplungspunkt

3.1  Reaktionsschnelligkeit

Menge

Kundenbedarf wirtschaftliche Obergrenze technische Obergrenze

Produktionsmenge

realisierte Flexibilität

wirtschaftliche Untergrenze 1 1

2

notwendige Überproduktion

2

Zeit

3

unwirtschaftliche Produktion

3

3

erzwungene Unterproduktion

a) starres Produktionskonzept technische Obergrenze Menge

wirtschaftliche Obergrenze vom Markt geforderte Flexibilität = realisierte Flexibilität

Kundenbedarf = Produktionsmenge

wirtschaftliche Untergrenze

b) mengenflexibles Produktionskonzept © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Zeit

G8913SW B

Bild 3.3: Produktionskonzepte bei starken Mengenschwankungen © IFA G8913SW_B

einzelnen Varianten stark abnimmt und damit der Servicegrad sinkt. In solchen Fällen versucht man, standardisierte Teile, Komponenten oder Teilsysteme vorzufertigen, zwischenzulagern und diese erst nach Eingang eines Auftrags kundenspezifisch in der Variantenmontage zusammenzusetzen. Zahlreiche Produkte des Maschinenbaus, der Verkehrstechnik, der Elektrotechnik und Elektronik sind auf diese Weise schnell lieferbar, zunehmend innerhalb von 24 bis 72 Stunden. Es kann jedoch technisch unmöglich oder unwirtschaftlich sein, die Komponenten für jeden denkbaren Kundenwunsch vorzufertigen, sei es, weil sie entsprechend den Kundenforderungen dimensioniert werden müssen oder weil ihre Bevorratung zu teuer ist. Dann bietet sich die Auftragsfertigung an, bei der lediglich das Ausgangsmaterial und die Fremdkomponenten für zentrale Produktbaugruppen aufgrund von Absatzprognosen bevorratet werden. Deren Fertigung erfolgt erst im Auftragsfall. Der Rest besteht

aus Standardkomponenten, die sich zusammen mit den kundenspezifisch gefertigten Komponenten in der Montage zum Kundenprodukt vereinigen. Den vierten Fall stellt die kundenspezifische Einmalfertigung dar, die eine komplette Neukonstruktion erfordert und bei der die Beschaffung erst nach dem Entwurf und der Teiledimensionierung einsetzt. Der Kundenentkopplungspunkt selbst stellt sich aus logistischer Sicht als Zwischenlager mit einem definierten Bestand für die kundenneutralen Komponenten dar, aus dem sich der in Flussrichtung nachfolgende Bereich bei Bedarf bedient, meist nach dem Warenhausprinzip. Bei Entnahme einer bestimmten Menge erfolgt automatisch eine Nachfertigung. Die übrigen im Bild 3.2 gezeigten Lagerpunkte sind meist als dynamische Zwischenpuffer häufig in Form mobiler Regale mit einem festen Speichervolumen ausgelegt. Sie gleichen die Wartezeiten zwischen den Arbeitsstationen aus, die aufgrund unterschiedlicher Bearbeitungszeiten und Losgrößen entstehen.

47

3  Produktions­anforderungen

3

Weiterhin ist zu beachten, dass Produkte in ihrem Lebenszyklus durchaus nach unterschiedlichen Auftragsstrategien hergestellt werden, je nachdem wie sich das gewünschte Verhältnis von Lieferzeit und Durchlaufzeit darstellt, wie groß das Stückzahlvolumen je Zeiteinheit und wie groß die Zahl der Varianten ist. Darüber hinaus wird ein Unternehmen i. d. R. nicht nur ein Produkt in einem Markt anbieten. Für die Fabrikplanung und -steuerung stellt die Beherrschung dieser ständigen Veränderungen die zentrale Herausforderung dar.

3.2  Mengen- und Varianten­ flexibilität Ein hervorstechendes Merkmal der Produktion in einem turbulenten Markt ist neben der kurzen zur Verfügung stehenden Reaktionszeit die starke Schwankung der Nachfrage bei gleichzeitig zunehmender Variantenanzahl der Produkte und ihrer Komponenten. Konnte man dem Variantenproblem bisher zumindest teilweise durch eine geschickte Baukastenkonstruktion begegnen, stellt die zunehmende Mengenschwankung die Unternehmen vor ein Dilemma. Einerseits ist eine Lagerhaltung sämtlicher Varianten nicht mehr möglich, anderseits stoßen automatisierte Produktionskonzepte auf zwei Grenzen, die in Bild 3.3 skizziert sind. Vorausgesetzt sei ein über der Zeit stark schwankender Kundenbedarf. Die Schwankungsbreite wird auch als Mengenhub bezeichnet und drückt aus, das Wievielfache die in einem Zeitraum von z. B. einem Jahr maximal verkaufte Menge eines Produktes bezogen auf den Minimalwert beträgt. Typisch hierfür sind saisonabhängige langlebige Konsumgüter, wie Waschmaschinen, die z. B. einem Mengenhub von 1 zu 6 im Laufe eines Jahres unterliegen. Ein starres Produktionskonzept, gekennzeichnet durch weitgehende Automatisierung der Einzelprozesse, Verkettung der Arbeitsstationen, lange Rüstzeiten und geringen Personaleinsatz, meist in 2 oder

48

3 Schichten betrieben, ist durch zwei Grenzen in der Ausbringungsmenge bestimmt (Bild 3.3a). Zum einen besteht eine technische Ober­grenze, die durch die Taktzeit und die maximale Anzahl von Schichten begrenzt ist. Diese Grenze wird aus wirtschaftlichen Gründen meist nicht auf den Maximalwert des Kundenbedarfs ausgelegt. Jedoch bedingt diese Obergrenze im Falle einer hohen Nachfrage entweder ein Vorziehen von Aufträgen in Form einer Überproduktion, die zwischengelagert werden (Situation 1), oder eine vorübergehende Erhöhung der Lieferzeit, weil der Bedarf nicht produziert werden kann (Situation 3). Die wirtschaftliche Untergrenze der Produktion wird durch die Fixkosten des Systems bestimmt. Automatisierte Systeme haben naturgemäß hohe fixe Kosten (Abschreibung, Verzinsung, Wartung, Instandhaltung usw.) und vergleichsweise geringe variable Kosten (Personal, Energie, Betriebsstoffe usw.). Bei hoch automatisierten Produktionsanlagen liegt die Wirtschaftlichkeitsgrenze bei 80 bis 90% der Nennkapazität. Liegt die geforderte Produktionsmenge unterhalb dieses Grenzwertes, entstehen Verluste (Situation 2). Ziel eines mengenflexiblen Produktionskonzeptes ist es, die Mengenschwankungen des Marktes zum einen durch Ausweitung der wirtschaftlichen Grenzen nach oben und unten möglichst vollständig abfangen zu können, Bild 3.3b. Damit gelingt es, einerseits auch bei geringen Absatzmengen aufgrund eines möglicherweise veränderlichen Automatisierungsgrades wirtschaftlich zu fertigen. Anderseits ist anzustreben, die technische Kapazitätsobergrenze z. B. mit Hilfe modularer Arbeitsstationen rasch verändern zu können. Dieser Ansatz stößt in der Praxis aufgrund des vorherrschenden Prinzips der Wirtschaftlichkeitsrechnung jedoch auf erhebliche Vorbehalte, da dort von weitgehend konstanten Produktionsmengen und von einer Lebensdauer der Produktionsanlage ausgegangen wird, die länger als die Produktlebensdauer ist, also keine nennenswerte Anlagenumstellung erfordert. Beide Voraussetzungen sind in der mengen- und variantenflexiblen Produktion aber nicht gegeben und führen daher zwangsläufig zur Betrachtung der Lebenszykluskosten. Darunter werden alle Kosten

3.2  Mengen- und Varianten­flexibilität

Kostenanteil 100 % 80 70 60 50 40

ungeplante Folgekosten (31%)

Produkt

4,6% Anlagenkonzept

Organisation

10

7,3%

3

ungeplante -85% Folgekosten (4,7%)

geplante Betriebskosten (44%)

geplante Betriebskosten (42,7%)

30 20

Kostenreduktionspotential 30,4%

18,5%

Einmalaufwand (25%)

Einmalaufwand (22%)

0

-3%

-12%

Planungsalternative I

Ist - Zustand Bild 3.4: Potenziale zur Senkung der Lebenszykluskosten (Perlewitz, BMW) © IFA G8918SW_B

zusammengefasst, die in den Systemlebensphasen Planung, Konstruktion, Herstellung, Beschaffung, Inbetriebnahme, Anlauf, Betrieb und Institut für Fabrikanlagen und Logistik G8918SW B Stilllegung in direkten oder indirekten Prozessen erzeugt werden oder vorhersehbar sind [Suz02]. Bei den Betriebskosten ist zwischen geplanten Betriebskosten und den ungeplanten Folgekosten durch Stillstände aufgrund technischer und organisatorischer Störungen, Ausschuss und Nacharbeit sowie von Umbauten zu unterscheiden. Am Beispiel einer Roboterschweißstraße für PKWKarosserien zeigte sich, dass von den 100% Kosten im Lebenszyklus der Anlage nur 25% auf die Phasen bis zum Betriebsbeginn entfielen, jedoch 44% auf die geplanten Betriebskosten und 31% auf ungeplante Kosten, Bild 3.4 [Perl98]. Damit war der letztgenannte Kostenblock größer als die gesamten Kosten für die Erstinvestition. Die Betreiberfirma schätzte, dass durch bessere Anlagenplanung und -beschaffung sowie eine fertigungsgerechte Produktentwicklung und geänderte Fertigungsorganisation eine Kostenreduzierung bei zukünftigen Anlagen von etwa 30%

insbesondere durch Verringerung der ungeplanten Folgekosten um 85% möglich ist. Diese sind hauptsächlich durch ein Anlagenkonzept zu senken, das rasche Veränderungen des Produktes, der Produktionsmenge und der Fertigungstechnik und einen schnellen Wiederanlauf der Anlage erlaubt. Vorschläge hierzu finden sich in [ElM09]. Die Ansätze zur Mengenflexibilisierung unterscheiden sich jedoch in den beiden Produktionsabschnitten Fertigung und Montage beträchtlich. Die Entwicklung der Fertigungstechnik ist seit Einführung der numerischen Steuerung in den 1950er Jahren durch die zunehmende Verknüpfung von Arbeitsstationen mit automatischem Werkstück- und Werkzeugwechsel bis hin zu flexiblen Fertigungssystemen geprägt. Allerdings erwiesen sich diese mit zunehmender Variantenbildung der Teile bei kleineren Losen und kürzeren Lieferzeiten als zu wenig flexibel. Die Abkehr von automatisierten Fertigungstechniken hin zu organisatorischen Lösungen wie die schlanke Produktion, Geschäftsprozessorientierung, Total Quality

49

3  Produktions­anforderungen

3

Management oder Einführung von Gruppenarbeit hat sich ebenso wenig bewährt. Man hat erkannt, dass erst das Zusammenwirken neuer fertigungstechnischer Konzepte zusammen mit einer flexiblen Arbeitsorganisation und erweiterten betriebswirtschaftlichen Mess- und Controllinginstrumenten weiterführt [Tön99]. Das Ziel solcher adaptiven Fertigungssysteme ist nicht der Abbau der Automatisierung, sondern die durchgängige Gestaltung der Systemkonzepte, Steuerung/Regelung, Sensorik und Mensch-Maschine-Schnitt­stellen mit dem Ziel hoher Varianten- und Prozessflexibilität. Als anzustrebende Lösung werden „intelligente“, d. h. mit eigener Sensorik, Aktorik und Steuerung ausgestattete, universelle Module gefordert, die zu mobilen Fertigungseinheiten konfigurierbar sind. Infolge ihrer weitgehenden Unabhängigkeit von einer speziellen Bearbeitungsaufgabe sind sie nachhaltig wandlungsfähig und damit investitionssicher. Ihre einfache Rekonfigurierbarkeit im Rahmen eines definierten Flex­ibilitätsbandes erlaubt zusammen mit einer intuitiven Bedienerführung auf der Basis standardisierter Mensch-Maschine-Schnittstellen

Stufe 1

kurze Lernkurven und die Entwicklung spezifischer Nutzerfähigkeiten [Abe06]. Ein weiterer Ansatz liegt darin, mehrere Fertigungsverfahren in einer Maschine zu kombinieren und damit die komplette Bearbeitung eines Teils in einer Aufspannung zu ermöglichen. Neben der offensichtlich höheren Fertigungsgenauigkeit wegen des Entfalls mehrerer Umspannungen ist der Flexibilitäts- und Zeitgewinn beträchtlich. Die Montage ist im Gegensatz zur Fertigung durch das Fügen vieler Teile mit unterschiedlichen Fügeverfahren in einzelnen Montagestationen gekennzeichnet. Neben den Fügeprozessen verursachen die Teilebereitstellung, -zuführung und -positionie­rung sowie der Transport zwischen den Montagestationen einen erheblichen Teil des Montageaufwandes. Während die Fügeprozesse aus Qualitätsgründen überwiegend automatisch ablaufen oder zumindest automatisiert überprüft werden, erfolgt die Teilehandhabung noch vielfach manuell. Lediglich bei großen Stückzahlen, wie sie in der Konsumgüter-, Elektro- und Automobilbranche üblich sind, verknüpft man die automatischen Füge- und Prüfstationen mit Transportbändern,

Stufe 2

Stufe 3

600.000

Kosten pro Jahr []

Stufe 3 Änderung

500.000

Planung

400.000

Stufe 2 Verkettung

300.000

Nacharbeit Instandhaltung

200.000

Stufe 1 100.000

Mitarbeiter Investition

0 manuell

automatisch

direkte Kosten werden erfasst

heutiger Stand

manuell

automatisch

operative Kosten

50

G6732SW B

automatisch

indirekte Kosten

müssen erfasst und bewertet werden

notwendige Erweiterung

Bild 3.5: Chancengleichheit durch erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung Institut für Fabrikanlagen und Logistik ©©IFA G6732SW_B

manuell

3.3  Grenzwertorientierung

auf denen die Fügeobjekte mit Hilfe von Werkstückträgern identifiziert, positioniert, gespeichert und transportiert werden. Die Frage der Mengen- und Variantenflexibilität stellt sich hier also primär für automatische Montageanlagen, die ähnlich wie Fertigungsanlagen bereits bei einer Auslastung unter 90% im Zweischichtbetrieb unwirtschaftlich sein können. Verstärkt wird die Problematik durch kurze Produktlebenszyklen, die bei einigen Elektronikprodukten, wie z.B. Mobiltelefonen, bei unter einem Jahr liegen. Auch hier ist zunächst der Blickwinkel der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu erweitern. Bild 3.5 zeigt als Beispiel das Ergebnis einer Untersuchung der jährlichen Betriebskosten einer Montagestation in der Endmontage von Nutzfahrzeugen. Vergleichsobjekte waren zwei Montagestationen mit einer ähnlichen Aufgabe, von denen die eine weitgehend manuell und die andere weitgehend automatisch betrieben wurde. Stufe 1 zeigt die aus den Arbeitsplatz- und Mitarbeiterkosten resultierenden Jahreskosten nach dem üblichen Stand der Kostenrechnung. Die manuelle Montagestation ist trotz deutlich niedriger Arbeitsplatzkosten der automatischen Station infolge der hohen Personalkosten eindeutig unterlegen. Die Situation kehrt sich zugunsten der manuellen Lösung um, wenn in Stufe 2 auch die Kosten für die Instandhaltung, die Nacharbeit und die so genannten Verkettungsverluste einbezogen werden. Darunter versteht man Ausfallzeiten einer Station, die nicht durch die Station selbst bedingt sind, sondern durch Störungen der vor- oder nachgelagerten Stationen. Diese Störungen führen trotz der üblichen Pufferplätze entweder zu Wartezeiten, weil keine Werkstückträger zufließen, oder zu Blockierzeiten, weil diese nicht abfließen können. Der Vergleich zwischen manueller und automatischer Montage fällt in Stufe 3 noch deutlicher zugunsten der manuellen Lösung aus, wenn bei vollständiger Berücksichtigung der Lebenszykluskosten auch noch die Kosten für die Planung und Veränderungen der Station sowie für den Produktionsausfall infolge einer Modelländerung des Fahrzeugs einbezogen werden.

Im Hinblick auf die geforderte Flexibilität der Montage wird deutlich, dass hoch automatisierte Lösungen aufgrund der verborgenen Kosten und Verluste unwirtschaftlich und träge sein können. Anderseits kann die Lösung auch nicht in einem bedingungslosen Ersatz der automatisierten durch manuelle Systeme bestehen. Vielmehr ist zu fordern, dass der Automatisierungsgrad durch Hinzufügung, Entfernen oder Ersetzen von automatisierten und manuellen Prozess- und Transportmodulen sowohl einer Mengen- als auch einer Produktänderung rasch angepasst werden kann. Solche Lösungen wurden bereits als sogenannte hybride Montagesysteme realisiert [Lot06]. Dies setzt allerdings eine aktive Mitgestaltung durch die Werker und das untere Management voraus und ist nur bei entsprechender Qualifikation und Motivation aller Mitarbeiter realisierbar [Wien99].

3

3.3  Grenzwertorientierung Die Leitbildentwicklung der Fabrik kann durch eine Grenzwertbetrachtung wertvolle Impulse insbesondere im Hinblick auf die Reaktionsschnelligkeit erhalten. Der Begriff Grenzwert stammt aus der Mathematik und bezeichnet den Wert einer Zahlenfolge, gegen den diese konvergiert. Im Umwelt- und Arbeitsschutz bezeichnen Grenzwerte zulässige Werte bestimmter Messgrößen – z. B. Schall oder Schadstoffanteile in Luft, Boden oder Wasser –, die nicht überschritten werden dürfen. Für den Bereich der Fabrik können als grenzwertoptimierte Prozesse diejenigen Wertschöpfungsschritte verstanden werden, welche die theoretisch mögliche Grenze zur Minimierung des Aufwandes für die Organisation und Durchführung der Produktion unter stabilen Bedingungen erreichen. Diese Fragestellung wurde im Rahmen eines Verbundprojektes unter fertigungstechnischen, umformtechnischen und logistischen Aspekten untersucht [Doe00]. Die dort betrachteten Wertschöpfungsschritte basieren auf den Kernprozessen der Fabrik, nämlich Beschaffen, Bearbeiten, Montieren, Transportieren und Lagern.

51

3  Produktions­anforderungen

3

Die Einsatzfaktoren in diesen Prozessen sind Material, Energie, Information, Fläche, Mitarbeiter und Kapital. Als wesentliche Grenzwertobjekte sind technische Einzelprozesse wie die Teilefertigung und Montage sowie logisch-organisato­rische Abläufe der Auftragsabwicklung relevant. Eine weitere wichtige Unterscheidung betrifft die Grenzwertebenen. Bild 3.6 führt drei Ebenen mit ihren Voraussetzungen auf. Die einzelnen Prozesse werden nach den rechts im Bild aufgeführten Zielgrößen bewertet, um einen objektiven Maßstab für die Grenzwerte zu erhalten. Als erste Zielgröße gelten unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit die Kosten. Ihr folgt die Zeit als universelle Ziel- und Bewertungsgröße, weil sich hieraus viele Folgegrößen wie z.B. der im Prozess gebundene Arbeitsvorrat oder die benötigte Fläche für die Lagerung ableiten. Die Qualität ist ebenso eine für alle Prozesse wichtige Zielgröße, hängt doch von ihr die Zuverlässigkeit der Ausbringung des Prozesses ab. Neben diesen drei klassischen Zielgrößen ist in der Produktion noch die Beherrschung der Prozess-, Teile- und Produktvielfalt von zunehmender Bedeutung. Und schließlich soll mit dem Begriff der Nachhaltigkeit die Ressourcen- und Umweltschonung durch die Produktionsprozesse betont werden. Auf der ersten Ebene der Grenzwertbetrachtung geht man von den betrieblich realisierbaren Grenzwerten

Voraussetzungen

Modelle / Theorien

Grenzwertebenen

Natürliche (physikalische) Grenzwerte

aus, die derzeit durch eine Optimierung vorhandener Einrichtungen und Abläufe erreichbar sind. Durch inner- oder überbetriebliche Vergleiche in Form von Benchmarking und mit Techniken der ständigen Verbesserung oder der Vermeidung von Verschwendung lassen sich gegenüber dem Istzustand bereits weiterreichende Ziele definieren. Die zweite Grenzwertebene setzt Idealbedingungen voraus; diese Werte lassen sich derzeit zwar technisch realisieren, praktisch aber nur unter Laborbedingungen. Wegen dieser Voraussetzungen ist daher auch noch keine wirtschaftliche Umsetzung möglich, jedoch sind damit Ziele formulierbar, die in absehbarer Zeit erreichbar sind. Die dritte Grenzwertebene orientiert sich schließlich an theoretischen Modellen des Prozesses und definiert auf dieser Basis sogenannte natürliche physikalische Grenzwerte. Diese Betrachtung erfordert einen langen Planungshorizont und eine visionäre Begeisterung. Am Beispiel des Einsatzes von Kühlschmierstoff für das Schleifen von Metall würden die drei Grenzwertebenen folgende Aussagen erlauben. Der derzeit betrieblich erreichbare Wert liegt bei 10 l/min Kühlschmierstoff pro mm Schleifscheibenbreite. Mit der sogen. Minimalmengenschmierung und -kühlung sind im Labor 0,0001 l/min pro mm Schleifscheibenbreite technisch realisierbar, und rein physikalisch gesehen erscheint als theoretischer Grenzwert das Schleifen von Stählen ganz ohne Kühlschmierstoff möglich [Doe00].

Zielgrößen

• Kosten • Zeit

Derzeit technisch realisierbare Grenzwerte

Idealbedingungen

• Qualität • Vielfalt

Derzeit betrieblich realisierbare Grenzwerte

Optimierung Best Practice

• Nachhaltigkeit Bild 3.6: Grenzwertebenen und Zielgrößen der Produktion © IFA G8904SW_B

52 © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8904SW B

3.3  Grenzwertorientierung

Prozesselemente Zielgrößen

Beschaffen

Bearbeiten

Montieren

Transportieren

Lagern

Kosten

global minimal

Komplettbearbeitung

teilbezogener Grenzwert

keine Leerfahrten

Kostenminimum

Zeit

100% Service

keine Wartezeit

1 Montagestufe

100% Service

100% Service

Qualität

0-Fehler Einbau

0-Fehler Einbau

0-Fehler Funktion

0-Beschädigung

0-Beschädigung

Vielfalt

bedarfsgerecht

variantenneutral

rüstfrei

wahlfreier Zugang chaot. Lagerung

Nachhaltigkeit

ohne Verpackung

ohne Kühlmittel

0-Emission

0-Emission

3

0-Emission

Bild 3.7: Beispiele für Grenzwertansätze in der Produktion © IFA G8901SW_B

zeigt in stark vereinfachter Darstellung, ©Bild Institut3.7 für Fabrikanlagen und Logistik G8901SW B

wie solche natürlichen Grenzwerte, isoliert betrachtet, für die Zielgrößen der genannten Prozesselemente aussehen könnten. Bei den Beschaffungskosten kann man sich beispielsweise den jeweils global minimalen Einstandspreis vorstellen, die gelieferten Artikel kommen alle pünktlich in der bestellten Menge am Verbrauchsort an, sind ohne Fehler beim Einbau, decken die geforderte Vielfalt ab und benötigen keine Verpackung, die entsorgt werden müsste. Beim Bearbeitungsprozess ist als Grenzwertansatz die Komplettbearbeitung eines Werkstücks mit mehreren Verfahren in einer Aufspannung denkbar, die Durchlaufzeit besteht nur aus wertschöpfenden Prozessen, die Teile sind beim Einbau fehlerlos, die Vielfalt wird durch verschleißfreie, programmierbare Werkzeuge beherrscht (z.B. Laserstrahl) und der Prozess erfordert keine Kühl- oder Schmiermittel. Ähnliche Überlegungen sind auch für die übrigen Prozesse angedeutet. Das Problem dieser vereinfachten Betrachtungsweise liegt darin, dass die Veränderung eines Prozessparameters fast immer Auswirkungen auf mehrere Zielgrößen hat. Daher ist ein Ansatz zu empfehlen, der von einer kombinierten Vorwärts- und Rück-

wärtsbetrachtung der Grenzwertermittlung ausgeht, Bild 3.8. Ausgangspunkt ist eine Festlegung des Untersuchungsbereichs und die Feststellung des Istzustandes. Je nach dem gewählten Betrachtungsobjekt (ganze Fabrik, Einzelprozesse, Teilprozesse) sind die zu erreichenden Ziele zu definieren. Für die Grenzwertbetrachtung ist die Konzentration auf zunächst eine Zielgröße wichtig, um einerseits die Komplexität zu reduzieren, die durch die Zielgrößenabhängigkeit gegeben ist, und anderseits eine einfache Kommunikation zu sichern. Die Identifikation der Defizite und der zunächst nicht veränderlichen Einflussparameter ist noch Bestandteil der Zieldefinition. Von zentraler Bedeutung ist die anschließende Ermittlung derjenigen Prozessparameter, welche den größten Einfluss auf die gewählte Zielgröße besitzen. In der betriebswirtschaftlichen Sicht sind es beispielsweise die Kostentreiber, in der Logistik der Systembestand, in der Zerspanungstechnik die Schnittgeschwindigkeit usw. Für die gefundenen signifikanten Parameter sind konkrete Werte festzulegen, die aber nicht trivial gesetzt, sondern logisch nachvollziehbar sein müssen. Beispielsweise ist ein Durchlaufzeitwert von Null für ein Werkstück durch eine Fertigung ein solcher trivialer Grenzwert. Ein

53

3  Produktions­anforderungen

Quantifizierung der Grenzwerte

Potenzialwertbestimmung und Zielgrößenauswirkung

Priorisierung der Parameter

Ermittlung signifikanter Parameter

3

Grenzwerte und Parameter

Zieldefinition

Identifikation der Hindernisse

Aufwand zur Beseitigung

Istzustand Bestimmung des Optimums

Optimum

Priorisierung der Hindernisse

Bild 3.8: Zyklus der Grenzwertbetrachtung © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

© IFA G8890SW_B

G8890SW B

sinnvoller Grenzwert ist demgegenüber die Summe der Prozesszeiten, was bedeuten würde, dass das Werkstück niemals wartet. Manchmal gelingt es auch, Grenzwerte rechnerisch zu bestimmen. So kann man beispielsweise die Streckengrenzleistung einer Fahrspur in Fahrzeugen pro Stunde in Abhängigkeit von der Fahrzeuglänge, der Notbremskonstante, einer Reaktionszeit und der Fahrgeschwindigkeit berechnen. Bild 3.9 zeigt das Ergebnis einer derartigen Berechnung am Beispiel von vier Fahrzeugklassen [Gud05]. Es wird deutlich, dass für jeden Typ eine (in diesem Fall erstaunlich niedrige) grenzwertoptimale Fahrgeschwindigkeit existiert, deren Unter- bzw. Überschreitung zu einem Abfall des Grenzdurchsatzes führt. Der Autor betont, dass derart bestimmte Grenzleistungswerte zwar zur Verkehrslenkung eingesetzt werden, sie aber keineswegs das Kostenminimum für die Transportleistung selbst darstellen. Der Vergleich eines gefundenen Grenzwertes mit dem Istwert offenbart den vorhandenen Stellbereich und

54

gibt einen Hinweis, wie weit der vorhandene Prozess bereits technisch oder logistisch ausgereizt ist. Im nächsten Schritt geht es um die Ermittlung des Potenzialwertes und des Einflusses verschiedener Prozessparameter auf den gewählten Zielwert. Je größer der Abstand zwischen Istwert und Grenzwert ist und je stärker die Wirkung einer Parameteränderung auf den Zielwert ist, desto größer ist das Potenzial. Allerdings werden sich Parameteränderungen aufgrund systembedingter Zusammenhänge gegensätzlich oder gleichgerichtet auswirken. Das Durchdringen dieser Wechselwirkungen stellt die zentrale Herausforderung der Grenzwertbetrachtung dar und erfordert in der Regel einen analytischen Ansatz gepaart mit Expertenwissen. Im Gegensatz zur FMEA-Methode (Failure Mode and Effects Analysis) wird also nicht nach Fehlern und ihren Auswirkungen gefragt, sondern es werden im Sinne einer Wirkanalyse die Auswirkungen der Änderung von Prozessparametern auf das zu erschließende Potenzial ermittelt. Die anhand ihres Potenzials unterscheidbaren Parameter sind nun zu priorisieren, wobei durchaus

3.3  Grenzwertorientierung

Streckengrenzleistung [Fahrzeuge/h]

2.000

Mini-PKW Normal-PKW

3

Groß-PKW

1.500

Lastzug 1.000

500

0 Bild 3.9: Streckengrenzleistung einer Fahrspur (Gudehus)

0

20

40

60

80

100

120

140

160

Fahrgeschwindigkeit [km/h]

© IFA G8917SW_B

geringe Veränderungen große Potenziale erschließen © Institut für Fabrikanlagendie und Ausbringung Logistik G8917SW können, wie beispielsweise einer automatischen Montageanlage durch die Verfügbarkeitssteigerung einer Engpassstation [Köh00]. Nach Festlegung der Parameter mit ihren Grenzwerten und Abhängigkeiten stellt sich die Frage des Umsetzungsaufwandes. In einer Art vorausschauender Rückwärtsbetrachtung sind zuerst die Hindernisse zu identifizieren, die es zu überwinden gilt. Hilfreich können hier die von Suzaki definierten sieben Arten der Verschwendung sein, nämlich hohe Bestände, Überproduktion, Wartezeit, Transport, Produktionsfehler, Bewegung und Arbeitsprozesse [Suz02]. Anschließend sind Lösungen zur Beseitigung der Hindernisse zu entwickeln und es ist der dazu notwendige Aufwand zu bestimmen. Je nach Grenzwertebene und Umfang des Objektes kommen hierfür die in den jeweiligen Fachgebieten üblichen Methoden wie z.B. Konstruktionsmethodik [Pah07] oder die Logistische Engpassanalyse [Wien99] zum Einsatz. Schließlich sind die Hindernisse nach ihrem Aufwand-Nutzen-Verhältnis zu bewerten und in eine Prioritätsfolge zu bringen. Dies garantiert aber noch kein gesamtwirtschaftliches Optimum, denn die

B

Verfolgung eines Grenzwertes hat bei der Hindernisbeseitigung fast immer Folgen für die anderen, nicht betrachteten Ziele. Falls Synergien entstehen, ist dies zu begrüßen, bei Widersprüchen zu den anderen Zielen ist eine Folgenabschätzung erforderlich. Erst in der Zusammenschau entsteht ein betriebliches Optimum. Bild 3.10 stellt abschließend den strategischen Grundgedanken der grenzwertorientierten Potenzialerschließung dem traditionellen Vorgehen gegenüber. Üblicherweise wird der durch Benchmarking oder Kundenforderungen definierte Zielzustand reaktiv mit Hilfe einzelner Verbesserungsschritte angestrebt; das weitere Potenzial bleibt mangels einer objektiven Messlatte verborgen. Demgegenüber wählt der Grenzwertansatz eine deutlich aggressivere Ausgangsposition, die durch die beschriebene Optimierung an das wirtschaftliche Optimum heranführt. Für die Fabrikplanung bietet sich die Grenzwertbetrachtung eher auf einer aggregierten Ebene an. Dazu gehören der Beschaffungsprozess, die Prozesskette zur Fertigung einer Teilegruppe oder Montage

55

3  Produktions­anforderungen

Verbesserungspotential durch Reduzieren

Verbesserungspotential durch Aufbauen maximales Potential

verborgenes Potential

3

Ist Verbesserungs- Ziel- Wirtschaftiches schritte zustand Optimum a) Traditionelles Vorgehen: „Reagieren“

Ist

Grenz- Anpassungs- Wirtschaftliches wert schritte Optimum

b) Orientierung an Grenzen: „Agieren“

Bild 3.10: Traditionelle und grenzwertorientierte Verbesserung (Hartung, Mc Kinsey) © IFA G8919SW_B

einer Produktgruppe und die Auftragsdurchführung vom Eingang der Kundenbestellung bis zur Auslieferung. Innerhalb dieser Bereiche die GrenzG8919SW kann B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik wertbetrachtung dann auf einer operativen Ebene unter technischen, logischen und organisatorischen Aspekten einsetzen. Als Beispiel soll die Frage der Variantenbildung dienen. Vielfach werden Produktvarianten durch die unterschiedlichen Ausprägungen einzelner Teile bestimmt. Dies führt zu einer sehr frühen Festlegung im Auftragsdurchlauf. Ändert der Kunde während dieser Zeit seine Meinung, ist das Teil für diesen Auftrag nicht mehr brauchbar; möglicherweise muss das Produkt demontiert oder gar verworfen werden. Als Grenzwert kann man nun definieren, dass die Teilevariante erst in der letzten Stufe der Montage fertig werden soll. Der Lösungsansatz besteht darin, die Variantenbestimmenden Teilprozesse in die Montage zu verlagern und damit die traditionelle Grenze zwischen Fertigung und Montage bis zu einem gewissen Grad aufzuheben. Das zu überwindende Hindernis besteht darin, diesen Prozess in einer industriellen Montageumgebung und ohne Beschädigung der bereits verbauten Teile zu beherrschen. Die Umsetzung erfordert die Trennung der Bearbeitung in eine variantenneutrale Vorfertigung und eine variantenspezifische Endbearbeitung, die als Station in die Montage integriert wird. Einzelheiten werden in Abschnitt

56

4.11 unter dem Begriff Produktionsstufenkonzept näher erläutert. Fasst man die Grenzwertbetrachtungen stark vereinfacht zusammen, lassen sich nach Bild 3.11 aus externer Marktsicht und interner Prozesssicht folgende Merkmale angeben. Ausgehend von einer hundertprozentigen Erfüllung der Kundenwünsche hinsichtlich der Funktionalität, des Preises und des Termins strebt das Unternehmen eine Begleitung des Kunden bei der Nutzung des gelieferten Produktes über den gesamten Lebenszyklus an. Es produziert keine Aufträge auf Vorrat. Für die Prozesse folgt daraus zunächst die Forderung, nur solche Tätigkeiten durchzuführen, die eine Wertsteigerung der zu liefernden Produkte und ihrer Bestandteile bewirken. In den Prozessen selbst sollen keine Wartezeiten auftreten, weder des Materials noch der Betriebsmittel und Menschen. Aus Qualitätssicht liefern alle Prozesse nur fehlerfreie Produkte an den internen oder externen Kunden. Die Forderung nach maximaler Variantenvielfalt soll durch die Möglichkeit erfüllt werden, die endgültige Ausführung in der letzten Stufe der Produktentstehung bestimmen zu können. Schließlich bedingt die Nachhaltigkeit eine Lebenszyklusbetrachtung unter dem Gesichtspunkt der Wiederverwendung und -verwertung sowohl der an die Kunden gelieferten Produkte als auch der

3.4  Selbstorganisation und Partizipation

im eigenen Unternehmen eingesetzten Ressourcen und Prozesse. Letztere unterliegen dem Gebot der Minimierung des Energieverbrauchs bis auf den physikalischen Grenzwert und der Umweltbelastung auf Null. Es ist unverkennbar, dass das Konzept der Grenzwertorientierung starke Ähnlichkeit mit dem Konzept der schlanken Produktion aufweist, worauf Abschnitt 4.6 noch detailliert eingeht.

3.4  Selbstorganisation und Partizipation Die Arbeitsorganisation der vergangenen Jahrzehnte war durch eine starke fachliche Aufgabendifferenzierung gekennzeichnet. Die strikte Unterteilung in Hand- und Kopfarbeit führte einerseits zu vielen spezialisierten direkten Tätigkeiten mit entsprechend aufgefächerten Berufsbildern (z.B. Dreher, Fräser, Schweißer) und ebenso spezialisierten Planungs-, Steuerungs- und Kontrolltätigkeiten, wie Arbeitsplaner, Fertigungssteuerer, Maschineneinrichter, Qualitätsprüfer usw. Das Ziel bestand in einer weitgehenden Vorausplanung unter Verwendung von Standards bei möglichst weitgehender Mechanisierung und Automatisierung. In der Folge

entstanden die bereits eingangs geschilderten hierarchischen und bürokratischen, wandlungsträgen Organisationen. Dieses Konzept ist durch drei Entwicklungen infrage gestellt worden. Zunächst hat die zunehmende Automatisierung den Anteil der standardisierbaren und direkten Fertigungsaufgaben ständig verringert. Gerade die verbleibenden, immer anspruchsvolleren Tätigkeiten entziehen sich aber der weitgehenden Vorausplanung und Kontrolle. Weiterhin hat der allgemeine gesellschaftliche Wertewandel zur Folge, dass strenge Hierarchien mit wenig Gestaltungsspielraum, Führung durch Befehl und Gehorsam gekoppelt mit starker Verhaltens- und Leistungskontrolle nicht mehr akzeptiert werden. Schließlich erfordern die geschilderten turbulenten Produktionsbedingungen neben einer aktuellen Fachkompetenz vermehrt Methodenkompetenz vorzugsweise zur Lösungssuche und -bewertung sowie Sozialkompetenz zur Konfliktlösung und Teamfähigkeit. In der Wissenschaft und betrieblichen Praxis besteht eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass neuere Organisationskonzepte, die weniger auf Disziplin und Unterordnung, als vielmehr auf Selbststeuerung, Engagement, Eigeninitiative sowie Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten beruhen, neue Chancen zur Beherr-

3

Marktleistung: • 100% Kundenwunscherfüllung (Funktion, Preis, Termin) • Begleitung über den gesamten Produktlebenszyklus • Produktion nur für Kundenaufträge

Prozesse:

Bild 3.11: Merkmale der grenzwertorientierten Fabrik

Kosten

nur wertschöpfende Tätigkeiten

Zeit

keine Wartezeiten von Material und Ressourcen

Qualität

beherrschte Prozesse und fehlerfreie Produkte

Vielfalt

Variantenbildung in der Produktionsendstufe

Nachhaltigkeit

vollständige Lebenszyklusbetrachtung der Ressourcen und Prozesse

© IFA G8898SW_B

57

3

Dezentralisierungsgrad

3  Produktions­anforderungen

hoch

mittel

niedrig

Planung

Partizipationspotenzial

Inbetriebnahme Hochlauf

Betrieb

Lebensphase Bild 3.12: Potenziale der Mitarbeiterpartizipation © IFA G8895SW_B

schung einer komplexen und turbulenten Umwelt eröffnen. Vielfach findet sich für diesen Ansatz der Fabrikanlagen undBegriff Logistik der Selbstorganisation, G8895SW B der eng mit dem Begriff der Partizipation verknüpft ist. Selbstorganisation bedeutet in diesem Zusammenhang, definierte Prozesse mit einem eindeutigen Ergebnisbezug zu verantworten [Brö00]. Voraussetzung dafür ist ein erhöhter Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter nicht nur zur Bewältigung des täglichen Arbeitsprogramms (horizontale Partizipation), sondern auch in der Gestaltung und Veränderung der Arbeitsplätze und -abläufe (vertikale Partizipation). Durch die Beteiligung der Mitarbeiter an anspruchsvollen Aufgaben wird ein gesteigertes Engagement bei Prozessinnovationen und bei der Verbesserung von Produktivität und Qualität erwartet [Grei89]. Wie stark die Beteiligten dabei eingebunden werden können, hängt einerseits vom Dezentralisierungsgrad und andererseits von der Lebenszyklusphase des Produktionssystems ab, Bild 3.12 [Menz00].

58

Unterscheidet man bei einem Produktionssystem die Phasen Planung, Inbetriebnahme einschließlich Hochlauf auf Sollstückzahl und den stabilen Dauerbetrieb, so ist auch bei niedrigem Dezentralisierungsgrad in der Betriebsphase die größte Einflussnahme des Mitarbeiters auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Prozesses möglich. Bei der Inbetriebnahme und dem Hochlauf von Produktionseinrichtungen wird das Potenzial bereits abnehmen. Sehr gute Erfahrungen liegen mit Facharbeitern als Anlagenbetreibern vor, wenn diese die Einrichtungen von Anfang an mit aufbauen, Stück für Stück testen und in Betrieb nehmen. Die Beteiligung an langfristigen, unternehmensrelevanten Entscheidungen in der Planungsphase dürfte sich demgegenüber auf die Information und Befragung der Mitarbeiter beschränken. Allerdings ist bei stark vernetzten, dezentralisierten Unternehmen auch eine kontinuierliche Beteiligung der Beschäftigten an der Planung denkbar, besonders bei Umbauten als Folge von Änderungen der Produkte und der Technologie.

3.4  Selbstorganisation und Partizipation

Diese Art von Selbstorganisation und Partizipation verändert das Verhältnis der Arbeitskräfte zu den Unternehmen grundlegend. An die Stelle umfassender Vorgaben und Kontrollen treten flexible, ergebnisorientierte Steuerungsinstrumente, wozu insbesondere das Führen mit Zielvereinbarungen zählt. Für die Mitarbeiter ergeben sich daraus neue Aufgaben und Rollen, Bild 3.13. Die früher vorherrschende Funktionsorientierung hatte für den einzelnen Mitarbeiter eine nach Berufen gegliederte hochgradig regulierte Arbeit zur Folge. Die Verantwortung für Abläufe und Ergebnisse nahm ab, je näher der Mitarbeiter am eigentlichen Produktionsprozess war. Er wurde nach Leistung und Anwesenheit bezahlt. Mit zunehmender Ergebnisorientierung entstehen neue Mitarbeiterrollen in einer nach Teams gegliederten Organisation, die jeweils zu definieren sind. Der Einzelne wird zum Gruppenmitglied, wird eventuell Gruppensprecher. Ein Prozess- oder Segmentleiter koordiniert mehrere solcher Gruppen. Die Verantwortung wird weiter nach unten verlagert, es entstehen zunehmend individuelle Fähigkeits-, Erfahrungs- und Aufgabenprofile. Inwieweit sich weitergehende Formen der

Verantwortung

Gestern

Selbstorganisation entwickeln, bleibt abzuwarten. Denkbare Rollen sind jedenfalls Auftragsmanager, die für ein bestimmtes Auftragsspektrum wie ein Unternehmer im Unternehmen agieren, unterstützt von Innovatoren, die neue Produkte und Prozesse entwickeln, sowie Konfiguratoren zur kundenindividuellen Produktzusammenstellung und Moderatoren zur Begleitung von Veränderungsprozessen [Brö00]. Ein weitergehender Vorschlag wurde von Wirth unter dem Begriff Kompetenzzellen entwickelt [Wir00]. Dabei handelt es sich um die kleinste wandlungsfähige Wertschöpfungseinheit einer Fabrik. In ihr findet eine multilaterale Zusammenarbeit von Personen statt, die mit Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet sind und ihre Leistung in einem Kompetenznetzwerk als Unternehmer anbieten (zitiert nach [ScWi04], S. 365ff). Inwieweit solche Rollen angenommen und erfolgreich umgesetzt werden, ist stark von der Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit des Unternehmens abhängig. Denn auch wenn Produktionsanlagen sowie hochproduktive und wandelbare Fabriken ohne intensive Beteiligung der Beschäftigten in Zukunft kaum erfolgreich geplant und betrieben werden dürften, sind mit steigendem Erfolgsdruck

Heute

3

Morgen

Funktionsorientiert

Ergebnisorientiert

Veränderungsorientiert

• Maschinenbediener • Vorarbeiter • Meister • Programmierer • Betriebsleiter

• Gruppenmitglied

• Auftragsmanager

• Gruppensprecher

• Innovator

• Prozessleiter

• Konfigurator

• Segmentleiter

• Moderator

Regulierung Dezentralisierung

Bild 3.13: Veränderung von Mitarbeiterrollen © IFA G8894SW_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8894SW B

59

3  Produktions­anforderungen

3

60

auch offene und versteckte Widerstände zu erwarten. Sie resultieren aus der Unsicherheit, den Ängsten sowie dem befürchteten Einkommens-, Macht- und Prestigeverlust der Betroffenen. Dem Versprechen von mehr Autonomie und Souveränität steht die Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsdauer gegenüber. Darüber hinaus werden in dezentralen selbst organisierten Organisationsstrukturen klassische Karrieremuster, etwa für Facharbeiter oder Betriebsingenieure infrage gestellt. Schließlich ist der Verlust der „fachlichen Heimat“ für den Einzelnen zu bedenken. Er ist in seinem Team oft der einzige Spezialist für ein bestimmtes Verfahren oder eine bestimmte Technik und gerät so in die Gefahr, dass sein Wissen schnell veraltet. Werden die Teams häufiger umgestellt, können sich keine Lerneffekte entfalten und es droht darüber hinaus der Verlust der „organisatorischen Heimat“. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe geht verloren, die sozialen Kontakte verkümmern. Um die unbestrittenen Vorteile der Selbstorganisation im Spannungsfeld von Dynamik und Stabilität erschließen und erhalten zu können, bedarf es zur Überwindung ihrer Hemmnisse und Gefahren Mut, Entschlossenheit und einiger Spielregeln. Hierzu zählen Transparenz der Ziele und des Vorgehens, Vereinbarungen über die Verwendung der Mitarbeiter nach der Umstellung, Beteiligung nicht nur an den operativen, sondern auch strategischen Überlegungen des Managements, intensive Kommunikation von „oben nach unten“ und „unten nach oben“ sowie Ergebnisoffenheit [Brö00]. Dies setzt vor allem eine hoch entwickelte Vertrauenskultur voraus, die sich meist erst schrittweise entwickelt und bewähren muss. Die Entwicklung des Leitbildes einer partizipativen Fabrik ist unverzichtbarer Bestandteil der wandelbaren Fabrik. Der Entwicklungsprozess hierfür wird in seiner Dauer und personalen Intensität häufig unterschätzt und ist wesentlich konfliktreicher als die Erarbeitung etwa eines neuen Fertigungskonzeptes oder einer neuen Beschaffungslogistik. Ihre frühzeitige Einbindung in den Prozess der Fabrikplanung ist daher dringend zu empfehlen.

3.5  Kommunikation Partizipation darf sich jedoch nicht auf den Planungsprozess beschränken, sondern setzt sich beim Betrieb der Fabrik fort. Routineaufgaben werden heute verstärkt von Maschinen übernommen. Der Mitarbeiter befasst sich eher mit Sonderaufgaben und ständigen Verbesserungen. Diese Aufgaben sind durch ihren offenen Ausgang und hohen Grad an Kontextgebundenheit geprägt. Dabei erzeugt die Unschärfe im Hinblick auf Input und Output einen hohen Abstimmungs- und Kommunikationsbedarf. Die interpersonelle Kommunikation ist in diesen Bereichen anderen Kommunikationsformen überlegen. Durch den gemeinsamen realen Wahrnehmungsraum der Gesprächspartner werden die Inhalte durch zusätzliche Informationen ergänzt und mit dem Know-how des Einzelnen verknüpft. Durch die körperliche Anwesenheit können Missverständnisse vermieden und Entscheidungen gezielter getroffen werden. Aus dieser Entwicklung ergibt sich eine Reihe von gestalterischen Anforderungen an die Produktion. Ausgangspunkt ist ein Kommunikationskonzept, das alle wesentlichen Kommunikationsformen in der Fabrik festlegt. Hierzu bestehen zwei Ansätze: Die Betriebsorganisation bestimmt durch die Prozessabläufe und Aufbauorganisation Partner, Form oder Ablauf der Kommunikation in der Fabrik. Beispielsweise begünstigen flache Hierarchien und die Integration indirekter Arbeitsinhalte die Kommunikation. Die Fabrikplanung bestimmt demgegenüber die bauliche Gestaltung der Kommunikation. So unterstützen und beschleunigen kurze Wege zwischen Kommunikationspartnern, die Schaffung einer angenehmen Arbeitsumgebung oder die Einrichtung von Kommunikationsorten die Kommunikationsprozesse. Die räumliche Ausbildung eines Gebäudes beeinflusst den Menschen dabei in seinem Kommunikationsverhalten. Insbesondere wurde durch Untersuchungen gezeigt, wie die räumliche Nähe mit der Kommunikationshäufigkeit korreliert. Bild 3.14 zeigt die Kommunikationswahrscheinlichkeit zwischen zwei Personen in Abhängigkeit von der räumlichen Entfernung [All07].

3.6  Vernetzung und Kooperation

Wöchentliche Kommunikation

5

Bild 3.14: Wahrscheinlichkeit von Kommunikation in Abhängigkeit der Entfernung zwischen Arbeitsplätzen (Allen)

4 3

3

2 1 0 0

20

40

60

80

[m]

100

Entfernung

© IFA 14.781_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

14.781 B

Während die Prozessgestaltung also die Grundlagen einer kommunikationsförderlichen Fabrik legt, kann die Architektur diesen Ansatz durch bauliche Einrichtungen unterstützen. So gilt beispielsweise als Stand der Technik die räumliche Integration indirekter Bereiche in die Produktionsgebäude (häufig in Form eines Galeriekonzeptes) sowie die Anordnung von Informationsständen und Besprechungsräumen in der Fabrik [Nyh05]. Diese Aspekte werden noch näher in Kap. 8 und 10 betrachtet.

3.6  Vernetzung und Kooperation Aus den vorhergehenden Abschnitten wurde bereits deutlich, dass neben der technisch-logistischen Betrachtung die eher weichen Faktoren wie die Organisation und zukünftige Mitarbeiterrollen für die moderne Fabrik von eminenter Erfolgsbedeutung sind. Dies wird dadurch verstärkt, dass sich die Organisation der Produktion seit den frühen 1990er Jahren als Reaktion auf zunehmende Vielfalt und Geschwindigkeit, in mehreren Schritten hin zu mehr Dezentralität entwickelt hat, Bild 3.15 [Win01, S.11]. Ausgehend von den stark hierarchisch geprägten Formen der Aufbauorganisation entwickelten sich

über den Ansatz der schlanken Produktion kleine, zunehmend selbständige Profit- und Costcenter, unterstützt durch Gruppenarbeit und Teambildung. Parallel hierzu fand eine Vereinfachung der Ablauforganisation statt. Ausgehend von einer Ressourcenanpassung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Gemeinkostensenkung folgte die radikale Reorganisation nach Geschäftsprozessen entlang der Wertschöpfungskette. Bei mehreren Produkt-Markt-Kombinationen entstanden daraus eigene Minifabriken in der Fabrik, die weitgehend selbständig agieren. Als weitere Konsequenz ergab sich daraus häufig auch eine modulorientierte Neugestaltung der Produkte und Prozesse. Mit dieser stufenweisen Herausbildung selbständiger Unternehmensteile bei gleichzeitiger Konzentration auf Kernkompetenzen und Verlagerungen der übrigen Aufgaben an externe Lieferanten und Dienstleister war der Schritt zu unternehmensübergreifenden Kooperationen, seien sie längerfristig oder zeitgebunden, folgerichtig. Dabei beschränkt sich die Kooperation nicht mehr auf die Produktion, vielmehr sind vermehrt auch Einkaufs-, Liefer- und Entwicklungsverbünde zu beobachten. Es bilden sich über reine Logistikketten im Sinne traditioneller Kunden-Lieferanten-Beziehung hinaus stabile Netzwerksarrangements und in einer weiteren Stufe auch wandelbare Produktionsnetze. Darunter seien Unternehmensverbunde verstanden, die sich zeitlich

61

3  Produktions­anforderungen

Starke Hierarchisierung

Verä

3

nder

Verän

Lean Production / Lean Management unge

deru

n de

r Auf

de ngen

bauo

aufo r Abl

Bildung kleiner Einheiten (Profit-/ Costcenter)

rgan

isatio

rgani

satio

Teambildung / Gruppenarbeit

n

„Networking“

n

Aufbau von wandelbaren Produktionsnetzen Produkt- und Prozessgestaltung

Segmentierung

Business-ProcessReengineering Ressourcenanpassung

Zentrale PPS

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Dezentralisierung

Selbststeuerung

D5007ASW Wd B

Bild 3.15: Phasen der Dezentralisierung der Produktion (Windt) © IFA D5007ASW_Wd_B

begrenzt dynamisch konfigurieren [Wien96]. Zulieferer und Kunden erhalten hier die Rolle von Wertschöpfungspartnern, die bereits in die Produkt- und Prozessentwicklung eingebunden sind. Dass sich nun auch die klassische Produktionsplanung und -steuerung (PPS) hin zu dezentralen Lösungen verändern muss, liegt auf der Hand und erfährt Unterstützung durch die Internettechnologie, deren Konstruktionsprinzip die Dezentralität von Rechenleistung, Datentransport und Datenspeicherung ist. Als Vision wird unter dem Begriff „Internet der Dinge“ die Möglichkeit untersucht, dass alle Gegenstände der realen Welt ein Teil des Internets sind. Dies wird realisiert, indem sie über ein Stück digitaler Logik in Form von Kleinstcomputern und RFID-Tags (sogen. Funketiketten) mit der digitalen Welt permanent in Verbindung stehen und sich mittels Agententechnologie ihren Weg suchen [Bul07]. Wesentliche Merkmale wandelbarer Produktionsnetze sind bewusst vorgehaltene Redundanzen, so dass mehrere Partner in einem derartigen Netz dieselbe

62

Leistung erbringen können. Um kapazitive Engpässe zu beseitigen oder kapitalintensive Investitionen nicht zu verdoppeln, ist eine Ressourcenteilung zwischen bestimmten Netzwerkpartnern möglich. Weiterhin ist eine Aufteilung der Funktionen charakteristisch. Sie kann in einer Konzentration einzelner Partner auf Kernkompetenzen oder in einer Funktionsbündelung bestehen, beispielsweise im Beschaffungswesen. Schließlich ist eine Mehrfachbindung in verschiedenen Netzen möglich [Win01]. Produktionsnetze bilden sich aus unterschiedlichen Gründen und lassen sich nach Pfohl in vier Typen gliedern, Bild 3.16 nach {Pfo04]. Das strategische Netzwerk wird durch ein im Fokus des Netzes stehendes Unternehmen geführt, das meistens ein Endprodukthersteller oder Handelsunternehmen mit enger Kundennähe ist. Vorreiter dieser Netze sind die Automobilunternehmen, die ihre Lieferanten vertraglich eng binden. Partnerschaft im eigentlichen Sinne findet nicht statt,

3.6  Vernetzung und Kooperation

dazu sind die einseitigen Vorteile und die Abhängigkeiten zu groß. Das regionale Netzwerk bündelt spezialisierte kleine und mittlere Firmen, die ihre Beziehungen fallweise aktivieren, durchaus aber auch in Konkurrenz zueinander agieren. Durch die Beziehungen zu örtlichen Institutionen entstehen Wettbewerbsvorteile gegenüber entfernten Wettbewerbern, der lokale Verbund tritt nach außen wie ein großes Unternehmen auf. In einem operativen Netzwerk greifen die Partner mit Hilfe eines unternehmensübergreifenden Informationssystems auf Leistungen der übrigen Partner zu, wobei Fertigungs- und Logistikkapazitäten im Vordergrund stehen. Häufig sind mehrere Partner in der Lage, die gleichen Prozesse auszuführen, ohne dass sie Konkurrenten sind; das Produktspektrum ist dabei unterschiedlich. Virtuelle Unternehmen arbeiten schließlich auf der Basis eines gemeinsamen Geschäftsverständnisses kurzfristig und projektähnlich zusammen, um eine Geschäftsgelegenheit gemeinsam zu nutzen. Sie bleiben unabhängig, treten aber dem Kunden gegenüber als Einheit auf.

Distributor Logistik-Dienstleister

Produkte mit kurzen Lebenszyklen wie Modeware und Spielzeug, aber auch Software und Elektronikprodukte gelten als Anwendungsbeispiel. Für eine Fabrik bedeutet die Einbindung in Produktionsnetze einen weiteren wichtigen Gestaltungseinfluss, kann sich doch dadurch ein noch stärkerer Wandlungsbedarf ergeben als durch eine Produktoder Prozessveränderung. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Sicht der Kooperation. Netzwerke sind ja keine formalen, mit standardisierten Prozessen und Regularien geführte Organisationen, sondern vergleichsweise lose gekoppelte Kommunikationsstrukturen. Die Sozialwissenschaft betrachtet Netzwerke als eigenständige Sozialstrukturen angesiedelt zwischen Unternehmen und Markt, die es aufgrund ihrer Flexibilität und Offenheit den beteiligten Akteuren ermöglichen, sich ein Bild von ihrer eigenen Operationsweise zu machen, und danach Erwartungen und Absichten aufeinander abstimmen können. Unsicherheiten, Risiken und Informationsdefizite sind damit besser beherrschbar als in formalen Organisationen.

Designer

3

Produzent

fokales Unternehmen (Produzent) Broker

Logistik-Dienstleister Zulieferer

Lieferant, Logistik-Dienstleister

Marketer, Distributor

Zulieferer

a) Strategisches Netzwerk

b) Virtuelle Unternehmung Zulieferer LogistikDienstleister

Distributor

Produzent 1

Produzent 2 evtl. koordinierendes Unternehmen

d) Regionales Netzwerk

c) Operatives Netzwerk

Bild 3.16: Netzwerktypen (nach Pfohl) © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

© IFA D5087SW_Wd_B

D5087SW Wd B

63

3  Produktions­anforderungen

Die Ausprägung solcher Netzwerke wird durch den Grad der Autonomiepreisgabe bestimmt. In der Industrie sind unter diesem Aspekt typische Stufen der partnerschaftlichen Kooperation zu finden, Bild 3.17, [Win01}, S. 1.

3

Ausgehend vom klassischen Zulieferer als Verkäufer von Fertig- und Halbfertigprodukten sind als Folge der Produktmodularisierung Systemlieferanten mit enger Vertragsbindung entstanden. Mit zunehmender Auslagerung und Dezentralisierung erfolgte eine Unterscheidung in Stamm- und Ausweichlieferanten. Ein grundlegend neuer Schritt ist die gemeinsame Planung und Nutzung von Ressourcen in einem Netz gleichberechtigter Partner. Mit wachsender Transparenz und intensiverer Zusammenarbeit verschwimmen die Unternehmensverbünde. Für die Mitwirkenden in solchen Netzwerken entstehen aufgrund der unterschiedlichen Organisationskulturen und etablierten Vorgehensweisen bisweilen überraschende Situationen. Sie stellen eine neue Art der Herausforderung für die Unternehmen dar, die aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Formalisierung- und Vertragsregelung nur durch den schrittweisen Aufbau einer Vertrauensbeziehung zu bewältigen ist. Vertrauen bindet, ohne im formellen Sinne zu verpflichten. Es entwickelt

sich durch Investitionen in Zeit und Personal sowie durch persönliche Kontakte. Stabile dauerhafte Kooperationsbeziehungen sind einerseits das wichtigste Fundament, andererseits muss der vertraute, langjährige Partner aber nicht in jedem Fall die innovativste und produktivste Lösung in einem auf projektförmige, kurzfristige Zusammenarbeit angelegten Produktionsnetz bringen. Es gilt also, die Spannung zwischen dem Wunsch nach verlässlichen Beziehungen und innovativen Lösungen durch neue Partner, die auch neue Risiken mit sich bringen, auszubalancieren. Generell kann man davon ausgehen, dass in den hier zur Debatte stehenden Produktionsnetzwerken als Koordinationsmittel die Gegenseitigkeit der Interessen gilt und als Koordinationsform der diskursive Aushandlungsprozess steht, die auf wechselseitigen Interessen beruhen, die Konfliktregulierung durch die Einflussstärke in einem Aushandlungsprozess geschieht und sich die Steuerung und Kontrolle des Netzes am Ergebnis orientiert, das nach vereinbarten Spielregeln geteilt wird. Für die organisatorische Gestaltung der Fabrik sind die hier nur knapp skizzierten Aspekte von großer Bedeutung für die Ausprägung der Beschaffung sowie der Kapazitätsdimensionierung, -planung und -steuerung.

Virtuelle Partner Netzwerkpartner Stamm- und Ausweichlieferanten Systemlieferanten Klassische Zulieferer

Outsourcing/ Dezentralisierung

Modularisierung

Bild 3.17: Stufen der partnerschaftlichen Kooperation (Windt) © IFA G3676ASW_Wd_B

64

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G3676ASW Wd B

Ressourcenteilung

verschwimmende Unternehmensgrenzen

3.7  Demographische Entwicklung

50

[Mio Personen]

45,5

Altersgruppe 20 bis unter 60 Jahre

46,3 44,1

38,0

Basisdaten 2006 Bevölkerungsstand 35 [Mio] 30

2000: 2050:

35,4

Altersgruppe (Jahre) < 20 20-60 >60 [%]

82,3 75,1

21,1 55,3 16,1 47,2

25

23,6 36,7

27,9

27,7

27,5

24,2

Altersgruppe 60 Jahre und älter

21,3

20

3

39,4

40

19,4

0 2000

2010

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

2020

2030

2040

2050

14.783 B

Bild 3.18: Altersentwicklung in Deutschland (Statistisches Bundesamt) © IFA 14.783_B

3.7  Demographische Entwicklung Ein für die Produktionsgestaltung wichtiger Faktor ist die Altersentwicklung der deutschen Bevölkerung. Sie wird regelmäßig vom Statistischen Bundesamt vorausberechnet. Die Zahlen aus dem Jahre 2006 für die nächsten 4 Dekaden zeigt Bild 3.18. Sie sagen zum einen den stetigen Rückgang der Bevölkerungszahl, vor allem aber eine deutliche Veränderung der Altersstruktur voraus. Die für die Produktion zur Verfügung stehende Altersgruppe von 20 bis unter 60 Jahre wird sich demnach von dem Spitzenwert 46,3 Mio. auf 35,4 Mio. Menschen verringern. Das hat auch langfristig einen Anstieg des mittleren Alters der Beschäftigten zur Folge. So stellt beispielsweise die Volkswagen AG fest, dass die Mitarbeiter, die im Jahre 1998 den Golf IV bauten, ein mittleres Lebensalter von 38,9 Jahren hatten, das 10

Jahre später auf 42,2 Jahre angestiegen war und ohne Gegenmaßnahmen im Jahre 2018 sogar 47,1 Jahre betragen würde. Eine wichtige Untersuchung stellt auch der „Zukunftsreport demographischer Wandel“ dar, in dem insbesondere die Konsequenzen für die Innovationsfähigkeit beleuchtet werden. [Pac00]. Da viele Unternehmen aufgrund dieser Altersentwicklung einen Produktivitätsverlust ihrer Mitarbeiter befürchten, sind sie gefordert, Strategien für eine alternde Belegschaft zu entwickeln, welche die Entwicklung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Kompetenz berücksichtigen. Hierzu sind drei Modelle bekannt [Ger07]. Das Defizitmodell geht von einem unvermeidlichen körperlichen und geistigen Verfall aus und reagiert mit Frühverrentung und Schonarbeitsplätzen. Das seit Anfang der 1990er Jahre entwickelte Kompetenzmodell erkennt zwar den Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit an,

65

3  Produktions­anforderungen

Ergonomische Optimierung Gesundheitsförderung

3

Prospektive Produktionsplanung

Kompetenzentwicklung

• Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit • Erhalt und Entwicklung von Kompetenz

Alternsgerechter Personaleinsatz Bild 3.19: Ziele und Maßnahmen einer alternsgerechten Gestaltung von Arbeit

Laufbahngestaltung

© IFA 14.932SW_B

betont aber die reichhaltige Erfahrung und die Fähigkeit zur Problemlösung. Das Differenzmodell trennt das kalendarische vom biologischen Alter und sieht 14.932SW B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik das biologische Alter als Ergebnis der individuellen Begabung, Bildung, gesundheitlichen Konstitution und vor allem der Erwerbsbiographie. Als Ergebnis der differenzierten Betrachtung empfiehlt eine Arbeitsgruppe die in Bild 3.19 aufgeführten Maßnahmen einer alternsgerechten Arbeitsgestaltung, die zum Erhalt von Leistungsfähigkeit und

Kompetenz aber nicht erst mit 50 Jahren einsetzen dürfen, sondern viel früher [Ger07]. Die ergonomische Optimierung konzentriert sich auf die Vermeidung körperlicher Fehlhaltungen. Mit der Kompetenzentwicklung wird eine kontinuierliche Weiterqualifizierung und eine lernförderliche Umgebung angestrebt, wie sie mit der Gruppenarbeit verwirklicht wird. Der alternsgerechte Personaleinsatz wird durch Jobrotation und Schonarbeitsplätze

Artefakte • Technologie • Kunst • Verhalten

bewusst und sichtbar, aber zu deuten

Werte und Normen Präferenzen für • Ziele und Zustände • Handlungsmaximen • Verhaltensvorschriften

höhere Stufe des Unbewussten

Grundlegende Annahmen über • Umwelt • Realität, Zeit und Raum • menschliche Wesen • menschliche Handlungen • menschliche Beziehungen

als selbstverständlich vorausgesetzt, unsichtbar, unterbewusst Bild 3.20: Ebenen der Kulturbetrachtung © IFA G8905SW_

itut für Fabrikanlagen und Logistik

66

G8905SW B

3.8  Unternehmenskultur

Aspekt

Ausprägung

Kommunikation

formell

informell

Kritikumgang

Schuldsuche

Fehler als Chance

Zusammenarbeit

Einzelkämpfer

Team

Persönlicher Umgang

hierarchie- u. titelbetont unklar

unkompliziert sachbezogen transparente Verfahren

Informationspolitik

achtungs-/ respektorientiert Gerüchteküche

Identifikation

stolz auf die Firma

herablassend / abfällig schnelle, sachliche Information hämische Witze, Distanzierung

Beförderungsverfahren Kundenwertung

Bild 3.21: Ausdrucksformen einer Unternehmenskultur

3

© IFA G8907SW_B

unterstützt. Ein ganzheitlicher Ansatz wird mit der © Institut für Fabrikanlagen und Logistik G8907SW Laufbahngestaltung angestrebt, die über das gesamte Erwerbsleben einen weit reichenden Wechsel an Belastungen und Beanspruchungen ermöglicht. Für den Fabrikplaner besonders relevant ist der Ansatz der alternsgerechten Produktionsplanung, der voraussehbaren Veränderungen der Altersstruktur durch wandlungsfähige Arbeitsplätze und Arbeitsinhalte begegnet. Und schließlich ist die präventive Gesundheitsförderung zu beachten, mit der Anreize in Form von Sportprogrammen, Rückenschulungen, Ernährungsseminaren usw. geschaffen werden, sich dem Thema Gesundheit und Altern aktiv zu stellen.

3.8  Unternehmenskultur

3.8.1 Organisatorische Sicht In den vorhergehenden Abschnitten wurde deutlich, dass die nach innen gerichtete Selbstorganisation und Partizipation sowie die nach außen gerichtete Vernetzung und Kooperation zwingende Voraussetzungen für die Bewältigung eines komplexen und dynamischen Umfeldes darstellen. Ob die Veränderung eines Unternehmens von einer eher hierarchischbürokratischen Ordnung hin zur offenen, spontanen und risikofreudigeren Verhaltensweise gelingt,

B

hängt weniger von Organisationsstrukturen und Managementsystemen, als vielmehr von der Unternehmenskultur ab. Stark vereinfacht versteht man unter der Unternehmenskultur die Gesamtheit von Werten, Zielen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Symbolen, Visionen, Leitbildern, Mythen, Denkweisen und Verhaltensweisen, die von Menschen in einem Unternehmen als gemeinsame Grundlage ihres Handelns akzeptiert werden [Blei96]. Danach bildet sich die Unternehmenskultur evolutorisch und prägt die Einstellung der Mitarbeiter zur Aufgabe, zum Produkt, zu den Kollegen, zur Führung und zum Unternehmen. Sie realisiert sich nach Schein in drei Ebenen, Bild 3.20 [Schei84] Auf der sichtbaren Ebene werden Verhaltensweisen, Darstellungsformen z.B. der Bekleidung, der Architektur, der Büros usw., Rituale und Symbole kommuniziert, die manchmal nur vor dem Hintergrund der darunterliegenden Ebenen zu deuten sind. Diese umfassen als Nächstes die zugrunde liegenden Werte und Normen, die meist unbewusst das Verhalten und die Handlungen der Menschen in der Organisation steuern. Noch tiefer liegen auf der untersten Ebene nicht hinterfragte grundlegende Annahmen über die Unternehmensumwelt und die Handlungen und Beziehungen der mit dem Unternehmen verbundenen Menschen. Wie sich die Unternehmenskultur in den Ausdrucksformen spiegelt, verdeutlicht Bild 3.21 an einigen Beispielen [Blei96].

67

3  Produktions­anforderungen

3

68

Die Kultur wird meist durch überzeugende Gründerpersönlichkeiten geprägt und wirkt nach innen und außen identitätsstiftend. Ihre weitere Entwicklung hängt von dem Vorbild und Vorleben der jeweiligen Führung ab. Die Unternehmenskultur steht aber nicht für sich, sondern ist Teil einer nationalen und branchenspezifischen Kultur, so dass sie durchaus mehrere Subkulturen enthält. Wesentlich erscheint die Übereinstimmung der Unternehmenspolitik und -strategie mit den Werten und Normen der Unternehmenskultur [Blei96]. Die Unternehmenskultur stellt also eine Art Filter für die Wahrnehmung der internen und externen Anforderungen dar und ist insofern einschränkend, weil vielleicht Umbrüche gar nicht oder zu spät erkannt werden bzw. falsch darauf reagiert wird. „Wir waren hundert Jahre erfolgreich, warum müssen wir jetzt alles grundlegend infrage stellen?“, ist die typische Aussage einer traditionalistischen Unternehmenskultur. Die Ausprägung der Unternehmenskultur ist außerordentlich vielgestaltig und hängt sehr stark von der Dauer des Zusammenseins und der Homogenität der Ausgangsbasis ab. Sie ist damit immer einzigartig. Dennoch sind in der umfangreichen Literatur zu diesem Thema mehrere Versuche einer ordnenden Typologie zu finden, die Bleicher in mehrere Dimensionen fasst [Blei96]. Diese betreffen die Offenheit (außen/innen, änderungsfeindlich/ änderungsfreundlich), die Differenziertheit (Spitze/ Basis, Einheit/Vielfalt), die Kulturprägung durch Führung (instrumentell/entwick­lungsorientiert, kosten-/nutzenorientiert) und die Kulturprägung durch Mitarbeiter (Mitglieder/Akteure, kollektiv/ individuell). Daraus leitet Bleicher die beiden Muster einer opportunistischen und einer verpflichtenden Unternehmenskultur ab. Erstere ist gekennzeichnet durch eine wenig differenzierte, traditionsbestimmte, insulare Haltung der Spitze, die durch Quantifizierung aller Vorgänge und eine verengte technokratische, kostenorientierte Haltung die Mitarbeiter in eine reglementierte Aufgabenerfüllung drängt. Es entsteht eine opportunistische Werteverfolgung durch Kollektive; sachlich und sozial Notwendiges tritt hinter

Dringliches zurück. Demgegenüber erweist sich die dem Sachlichen und Sozialen verpflichtete Unternehmenskultur als offen und veränderungsbereit, die sensibel auf den Wandel der Umwelt reagiert, vielfältige Subsysteme mit Basisorientierung zulässt und die Nutzenorientierung vor die Kostenorientierung stellt. Vor dem Hintergrund der Wandlungsfähigkeit gewinnt die Unternehmenskultur eine enorme Bedeutung. Sie ist einerseits langlebig, unterliegt aber andererseits auch einem Wandel, vor allem in krisenhaften Situationen. Den notwendigen Wandel der Unternehmenskultur bewusst anzustoßen, ihn aber nicht in allen Schritten für planbar zu halten, scheint ein pragmatischer Weg für ein kulturbewusstes Management zu sein [Blei96]. Hilfreich zur Versachlichung dieses stark emotionalen Themas ist eine Gegenüberstellung der Soll- und Ist-Unternehmenskultur, wobei die Orientierung bezüglich Kunde/Markt, Strategie und Zukunft, Produkt, Innovation, Technologie, Unternehmen, Mitarbeiter, Resultate/Leistung und Kosten abgefragt wird. Daraus leitet Gausemeier ein Portfolio ab, das stabile, alte und neue Kulturkomponenten bezüglich ihrer zukünftigen Bedeutung und gegenwärtigen Ausprägung gegenüberstellt, Bild 3.22 [Gau99]. Während die stabilen Komponenten für die Zukunft wichtig und bereits ausgeprägt sind, müssen neue Komponenten noch entwickelt werden. Alte Komponenten sind noch stark ausgeprägt, verlieren aber in Zukunft an Bedeutung. Sowohl die Entwicklung der neuen als auch der Rückbau der alten Komponenten ist ein primär durch die Führung zu leistender Prozess, häufig mit externer Moderatorenhilfe. Die Steigerung der Wandlungsfähigkeit wird umso eher gelingen, je besser die Strategie zu ihrer Formulierung, die Organisation zu ihrer Durchsetzung und die Unternehmenskultur zur inneren Zustimmung der Beteiligten aufeinander abgestimmt sind. Erst die Reflexion darüber, ob eine Organisation von ihrer inneren Befindlichkeit her in der Lage ist, Veränderungen zu wollen, zu können und durchzuhalten, schafft die Voraussetzungen, gewünschte Werthaltungen

3.8  Unternehmenskultur

7

Kunden- und Marktorientierung

Strategische Orientierung Zukunftsorientierung

Bedeutung der Ausprägung für die zukünftige Strategie

Innovationsorientierung

Mitarbeiterorientierung

6

Technologieorientierung

5

3

Stabile Kulturkomponenten

Neue Kulturkomponenten

Produktorientierung Resultats- und Leistungsorientierung

4

Unternehmensorientierung Kostenorientierung

3

2 Alte Kulturkomponenten 1 Bild 3.22: UnternehmenskulturPortfolio

1

2

3

4

5

6

7

Gegenwärtige Ausprägung

© IFA G8916SW_B

und Einstellungen auch wirklich erreichen.G8916SW Hier © Institut für Fabrikanlagen und zu Logistik ist eine lernende Auseinandersetzung mit kulturellen Fragen erforderlich, die zu einem gemeinsam akzeptierten Verständnis bestimmter Werthaltungen führt. Diese müssen gelebt werden, gestützt durch Anreiz- und Sanktionssysteme.

3.8.2 Architektonische Sicht Eine wichtige Möglichkeit, die Unternehmenskultur zum Ausdruck zu bringen, besteht in einem dieser Kultur angemessenen Auftritt einer Fabrik durch ihr architektonisches Gesamtkonzept. Schon der erste Eindruck eines Besuchers prägt unbewusst seine Einstellung und vertieft sich, wenn er in die Gebäude, die Fabrikhallen und Büros eintritt. Für den Fabrikplaner ist diese „weiche“ Seite der Planung im Sinne einer Differenzierung vom Wettbewerb zu beachten. Die folgenden Ausführungen leiten in die Themenstellung ein. Sie werden in Abschnitt 11.6 unter den Begriffen Anmutung und Ästhetik vertieft.

B

Die Gestalt eines Fabrikgebäudes kann nicht allein aus den Anforderungen der Produktion hergeleitet werden, sondern erwächst aus einem kreativen Findungsprozess im Kontext von Standort, Klima, Gesellschaft und Mensch. Über die rein funktionelle Zweckmäßigkeit hinaus setzt eine sinnvolle Gebäudestruktur positive Impulse für Motivation und Kommunikation [Rei05]. Leider prägt jedoch die Unwirtlichkeit der Industrie- und Gewerbegebiete immer mehr das Erscheinungsbild unserer Städte und Landschaften. Die Verwechslung der ökonomischen Ziele „billig“ und „wirtschaftlich“ rechtfertigt Anonymität, Banalität und Hässlichkeit. Die landauf, landab aus den Angeboten der Baumärkte schnell zusammengeschusterten ‚Auftritte‘ vieler Unternehmen verwechseln einfach mit einfältig. Der Architekturkritiker C. Hackelsberger bezeichnete diese Gebiete zutreffend als „Gewerbesteppen“. Niemand würde sich freiwillig länger als die bezahlte Arbeitszeit hier aufhalten. Die Gebäude und die dazwischen liegenden Resträume

69

3  Produktions­anforderungen

3

70

werden klaglos als gesellschaftliches Niemandsland akzeptiert. Die Gewerbetreibenden selber „verbauen“ sich ihre Zukunft durch kurzsichtige, strategisch unkluge Bauentscheidungen, denn oft bedingt bereits die nächste Produktionsumstellung die notwendige Verlagerung des Unternehmens. Zurück bleiben ökologisch abgestrafte Brachflächen, die der Stadt und Landschaft auf Dauer entzogen sind. Minimales Budget, knappe Bautermine und sequenzielle statt kooperative Fachplanungen verhindern die selbstverständlichste Art zu bauen – nämlich eine Bauaufgabe als Aufgabe gut zu lösen. Dabei ist gerade der Industriebau eine besondere Domäne der Architektur, die sich fernab von Stilmoden der klassischen Bauaufgaben eine innere Freiheit bewahrt hat. Er ist offen für neue Technologien, Konstruktionen, Materialien und stellt eine äußert spannende Aufgabe auf der Suche nach neuen Konzeptionen dar. Eine aus architektonischer Sicht wie auch der Einschätzung der Wandlungsfähigkeit zentrale Frage besteht darin, in welchem Verhältnis Form und Funktion eines Gebäudes zueinander stehen. In Anlehnung an [Ben78] entwickelte die Architekturtheorie zwei scheinbar diametrale Positionen der Formfindung. „Form follows function“ markierte, ausgehend von dem amerikanischen Architekten und Theoretiker Louis Sullivan, zum Ende des 19. Jahrhunderts die funktionale Notwendigkeit als Anlass und Ausdruck formaler Gebäudegestaltung. Die Architekten des neuen Bauens versuchten in der Blütezeit des Bauhauses mit diesem Slogan die Fesseln der eklektizistischen Stile zu überwinden. In Reaktion auf die resultierende ästhetische Banalität späterer Kistenbauten versprachen sich viele Architekten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Ausweitung der gestalterischen Vielfalt und eine formale Dominanz ihrer Entwürfe durch das Motto „function follows form“. Damit erfolgte ein „Hineinentwerfen“ von Programmen und Prozessen in vorbestimmte Baugeometrien. Beide Strategien sind zumindest für die hier verfolgte Fragestellung wandlungsfähiger Fabrikbauten wenig zielführend. Sie betrachten jeweils nur eindimensi-

onal ein Kriterium des komplexen Zusammenhangs von Umwelt, Mensch, Funktion und Form. Es stellt sich in einem Projekt oft die Frage, welche der gegenwärtigen Funktionen und Formen auf lange Sicht Bestand haben. Die Momentaufnahme eines temporären Produktionsprogramms oder die Modewelt eines kurzlebigen ästhetischen Zeitgeistes eignen sich wenig zur robusten Gestaltbestimmung. Gefragt sind daher gleichermaßen aus Prozess-Sicht (Funktion) wie aus Raum-Sicht (Form) entwickelte ganzheitliche Lösungsansätze. Es kommt darauf an, eine bewusste positive Bündelung von Wesensmerkmalen mit vielen, möglichst sich ergänzenden Teilantworten auf komplexe Fragestellungen zu finden. Das Ergebnis einer solchen Lösungsfindung soll in Anlehnung an die ganzheitliche Denkweise des amerikanischen Ingenieurs Buckminster Fuller [Kra99] mit dem Begriff „performance“ charakterisiert werden. Die hieraus abgeleitete Strategie „form follows performance“ [Rei05] strebt nach einer umfassenden Antwort der Formfindung auf eine ganzheitlich erfasste Fragestellung. Die spezifische formale Ausprägung des Gebäudes ist dabei nicht im Voraus „gesetzt“, sondern ergibt sich aus der räumlichen Lösung geforderter Leistungsmerkmale. Ausgehend von den jeweils zu Grunde liegenden Visionen sind also z.B. auch die neuen Bautechnologien zu nutzen, der Energieverbrauch zu optimieren und ökologische Belange zu beachten. Darüber hinaus ist die als notwendig erkannte Flexibilität in Form einer auf allen Gestaltungsebenen definierten Wandlungsfähigkeit zu sichern. Dabei ist die personale Kommunikation durch eine entsprechende Raumgestaltung und Ausstattung zu fördern. Insgesamt gilt es, durch den Industriebau einen erkennbaren Beitrag zur Unternehmenskultur und Identitätsstiftung zu leisten. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Bemühung können sehr wirtschaftliche Produktionsstätten, wohlproportionierte Räume, faszinierende Konstruktionen und angenehme Arbeitsplätze sein. Ein Fallbeispiel für die synergetische Planung eines Montagewerks für Automotive-Komponenten ist in [Rei03] aufgeführt.

3.9  Nachhaltigkeit

3.9  Nachhaltigkeit Infolge der mit ihrem Betrieb verbundenen großen Material- und Energieströme hat die Fabrik starke Auswirkungen auf ihr näheres und weiteres Umfeld, die nicht mehr vernachlässigt werden können. Bis in die 1970er Jahre folgten die Erzeugung und der Verbrauch der industriellen Güter noch weitgehend dem Quelle-SenkePrinzip. Rohstoffe aus der Natur werden zu Werkstoffen, aus denen Teile entstehen, die sich zu Produkten vereinigen. Die in den Verkehr gebrachten Produkte belasten die Umwelt zum einen durch ihre Nutzung, danach durch ihre Entsorgung. Eine Rückführung fand bis auf die Metallschrottverwertung kaum statt. Erst die vom Club of Rome veranlassten Studien zeigten, dass viele natürliche Rohstoffquellen bereits in absehbarer Zeit erschöpft, die Grenzen des Wachstums also erreicht sind [Mead90]. Daraufhin setzte bei weiter steigender Güterproduktion und immer knapperen Deponieflächen in den Industrienationen allmählich ein Umdenken ein. Im Abfallgesetz von 1986 wurde die Prioritätenfolge „Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung“ festgeschrieben. Weiterhin wurden als Abfall Stoffe definiert, die nicht oder nicht mehr Produkt sind und die anfallen, ohne dass der Zweck der Handlung darauf gerichtet ist.

Die mit der Weltbevölkerung und den technischen Möglichkeiten rasant steigende Produktion, Nutzung und Entsorgung von Gütern hat sowohl zu lokalen wie globalen Umweltschäden geführt, die nicht mehr ignoriert werden können. Auf der internationalen Umweltkonferenz 1972 in Stockholm wurden erste Anstrengungen unternommen, durch die Festlegung gemeinsamer Entwicklungsziele der Bedrohung entgegenzutreten. Erst 1992 konnte auf der Konferenz der Vereinigten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro in der Agenda 21 das Leitbild der nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung (sustainable development) konkretisiert werden, das die gleichrangige Behandlung ökologischer, ökonomischer und sozialer Belange fordert [Umw97]. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Ressourcenschutz, für den folgende Managementregeln gelten:

3

•  Die Nutzung erneuerbarer Naturgüter darf auf Dauer nicht größer sein als ihre Regenerationsrate. •  Die Nutzung nicht erneuerbarer Naturgüter darf auf Dauer nicht größer sein als die Substitution ihrer Funktionen. •  Die Freisetzung von Stoffen und Energie darf auf Dauer nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Umwelt.

sortenreine Werkstoffe

funktionsfähige Produkte

Produktentwicklung

Produktion

Distribution

Nutzung

verbrauchte Produkte

Rückführung

Aufbereitung

verwertbare Produkte

funktionsfähige Produkte und Komponenten

funktionsfähige Komponenten

Abfall

Remontage

Reinigen Prüfen Bearbeiten

Beseitigung

verbrauchte Komponenten

Demontage

Bild 3.23: Stationen der Kreislaufwirtschaft © IFA G8892SW_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8892SW B

71

3  Produktions­anforderungen

3

Für die Fabrik haben diese Leitlinien unmittelbare Konsequenzen für die Gestaltung der Produktionsprozesse. Es gilt durch eine anlageninterne Kreislaufführung, Ressourcen wie Rohstoffe, Energie und die natürliche Umwelt im Sinne der Leitlinien zu schonen. Anderseits sind die Produkte so zu gestalten, dass auch sie während ihrer Nutzung möglichst wenige Ressourcen verbrauchen, die Umwelt nicht belasten und dass die in ihnen enthaltenen Komponenten und Werkstoffe möglichst weitgehend wieder verwendet bzw. wiederverwertet werden können. Für diesen Ansatz hat sich auch der Begriff der Kreislaufwirtschaft eingebürgert, deren wesentliche Stationen Bild 3.23 zeigt [Sel97]. Gegenwärtig werden umfassende Zer­tifizierungssysteme im Sinne eines Green Buil-­ ding Standards für Gebäude und Anlagen ent­ wickelt. Die nach Entwicklung, Produktion und Distribution an den Endkunden genutzten Güter sollen in einem ersten Kreislauf möglichst direkt von einem weiteren Verwender bis zum Ende ihrer Nutzungsdauer verbraucht werden. Auch wenn das Produkt als Ganzes nicht mehr funktioniert, haben aber meist nicht alle seine Komponenten das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht, so dass eine Demontage, Aufarbeitung und Remontage wieder funktionsfähige Produkte oder Komponenten hervorbringt, die erneut in den Verkehr gelangen. Ist eine Wiederverwendung nicht möglich, erfolgt eine Zerlegung mit dem Ziel der Gewinnung sortenreiner Wertstoffe und ihrer Rückführung bzw. der gefahrlosen Abfallbeseitigung. Es ist nicht zu übersehen, dass mit diesem Ansatz auch neue Güterströme entstehen, die ihrerseits neue Belastungen der Umwelt bedeuten. Eine wichtige Forderung besteht daher darin, ein sogen. Stoffstrommanagement zu etablieren, dem eine ökologisch und ökonomisch ausgewogene und optimierte Logistik zugrunde liegt. Das 1994 verabschiedete und 1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz greift diesen Ansatz umfassend auf [KrW96]. Es schreibt in seinen wesentlichen Punkten fest:

72

•  Abfallvermeidung vor Verwertung vor Beseitigung •  Anlageninterne Kreislaufführung •  Erweiterte Produktverantwortung von Herstellern • 

und Vertreibern über den ganzen Lebenszyklus Produktgestaltung so, dass die Rückgewinnung von Komponenten zur Wiederverwendung, sortenreinen Werkstoffen und Separierung von Schadstoffen zur gefahrlosen Beseitigung möglich ist.

Weiterhin werden Strategien zur Langlebigkeit, Nutzungsdauerverlängerung und Nutzungsintensivierung gefordert. Mittlerweile versucht der Gesetzgeber, alle Rechtsvorschriften, die – entweder als Haupt­zweck oder als Nebenwirkung – sich mit Schutz und Pflege der Umwelt und den natürlichen Lebensgrundlagen befassen, unter dem Begriff Umweltrecht zu bündeln. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgelegt, dass der Gesundheits- und Umweltschutz als wichtiges Gemeinschaftsgut sogar Eingriffe in Grundrechte rechtfertigt, wie z.B. das Eigentum oder die Berufsfreiheit. Dennoch kann der Begriff „Umweltrecht“ auch heute noch nicht als ein klar abgrenzbares Rechtsgebiet betrachtet werden. Eine übersichtliche Zusammenfassung der Gesetzestexte haben Kröger und Klauß veröffentlicht [Krö01]. Für die Fabrikgestaltung ergeben sich aus diesem und weiteren Gesetzen, welche die Rücknahmeverpflichtung verbrauchter Produkte sowie den Arbeitsund Umweltschutz betreffen, wichtige Randbedingungen und Schlussfolgerungen. Einerseits sind alle fabrikinternen Prozesse im Hinblick auf die interne Kreislaufführung zu überdenken. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die Fertigungsabfälle wie z.B. Metallspäne und die mit ihnen verknüpften Hilfs- und Betriebsstoffe wie Emulsionen, Schmieröl, Fette, Säuren, Laugen usw. Andererseits sind Überlegungen über den Lebenszyklus der in der Fabrik eingesetzten Betriebsmittel erforderlich. Auch sie unterliegen dem Kreislaufwirtschaftsgesetz. Ihre Wartung, Instandhaltung und Nutzungsverlängerung durch Komponententausch ist durch entsprechende Aufstellung, Medienanschlüsse sowie Demontage- und Umbaumöglichkeit zu gewährleisten. Schließlich ist auch das Fabrikgebäude mit

3.10  Leitsätze Produktion

seinem Tragwerk, der Hülle, der Medienversorgung, der Belüftung oder Klimatisierung und der Beleuchtung unter dem Lebenszyklusgedanken zu gestalten. Angesichts des steigenden Aufkommens an zurückfließenden Gütern wird sich darüber hinaus die Frage zukünftiger Demontagefabriken stellen, die eine Dienstleistungsproduktion erbringen. Baumgarten hat für Elektrogeräte Beispielrechnungen durchgeführt, mit welchem Anfallpotenzial für die Produkte dieser Branche zu rechnen ist. Bild 3.24 verdeutlicht die Dimension der Massenströme allein für diese wenigen Produkte [Baum00]. Bei rund 1 Mio. to Altgeräten pro Jahr haben Haushaltsgroßgeräte (Waschmaschinen, Spülmaschinen und Kühlschränke) mit rund 600.000 to den größten Gewichtsanteil, während bei den Stückzahlen die Kleingeräte mit rund 34 Mio. Stück dominieren. Unter Berücksichtigung der Sammel-, Wiederaufbereitungs- und Rückführkosten bestimmt sich daraus eine optimale Anzahl von 20 Montagefabriken in Deutschland nur für Waschmaschinen. Ob sich in

Zukunft eine eigene Demontage- und Produktverwertungsindustrie entwickeln wird, ist noch nicht absehbar. Erste Erfahrungen deuten darauf hin, dass aus vielen Gründen eine Integration von Neuproduktion und industrieller Aufarbeitung in derselben Fabrik nicht sinnvoll ist. Dennoch wird sich der Bereich Wartung, Instandhaltung und kundenspezifische Aufarbeitung im Sinne einer Serviceleistung weiter entwickeln und muss bei der Neu- und Umplanung von Fabriken Berücksichtigung finden.

3

3.10  Leitsätze Produktion Die Schilderung der insgesamt sieben Anforderungsbündel hat deutlich gemacht, dass diese in einer realen Fabrik nicht alle gleichermaßen erfüllt werden können. Es wird im konkreten Fall darum gehen, zunächst die Gründe zu erkennen, die für einen Wandel sprechen. Solche Gründe sind zum einen marktbezogen und las-

Menge [T to/J]

Menge [Mio Stck/J] Basisdaten 1999 • Anzahl Haushalte • Spezif. Nutzungsdauer • Ausstattungsquote

700 600

35 [Mio Stück/ Jahr]

500

25

400

20

300

15

200

10

100

5

0

ltssha te u a H rä ßge gro

ltss h a te u a H rä nge klei

ngs a l t u nik h r e o U n t elektr

. te u erä tionsG IT nika mu nik m o h K tec

0

Bild 3.24: Jährliches Anfallpotenzial von Elektrogeräten in Deutschland IFA G8893SW_B ©© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8893SW B

73

3  Produktions­anforderungen

Reaktionsschnell:

Marktübliche Lieferzeiten und Liefertreue übertreffen.

Mengen- u. variantenflexibel: Mengenschwankungen und Produktvarianten wirtschaftlich beherrschen.

3

Grenzwertorientiert:

Bekannte Grenzen überwinden und natürliche physikalische und logische Grenzen zum Maßstab machen.

Selbstorganisiert:

Notwendige Struktur- und Ablaufänderungen auf allen Ebenen initiieren und partizipativ durchführen.

Vernetzt:

Kernkompetenzen unternehmensübergreifend dynamisch und temporär vernetzen.

Kulturbewusst:

Gemeinsam akzeptierte Wertvorstellungen und Verhaltensweisen entwickeln und nach außen und innen glaubwürdig vermitteln.

Nachhaltig:

Produkte, Produktionsprozesse und Produktionsmittel im gesamten Lebenszyklus unter dem Kreislaufgedanken energie-, ressourcenund umweltschonend gestalten und betreiben.

Bild 3.25: Leitsätze einer zukünftigen Produktion © IFA 15.052_B

sen sich wesentlich an Indikatoren wie nachlassender Lieferfähigkeit und sinkendem Marktan© Institut für Fabrikanlagen undLiefertreue, Logistik 15.052 B teil und unbefriedigender Eigenkapitalrendite festmachen. Die durch das Unternehmen selbst induzierten Veränderungsimpulse sind demgegenüber hauptsächlich durch Besitz- und Strategiewechsel sowie wesentliche Produkt- und Prozessänderungen bedingt. Als vorläufiges Fazit lassen sich die zukünftigen Produktionsanforderungen durch folgende Eigenschaften und Leitsätze ausdrücken, Bild 3.25. Bevor nun aus diesen Leitsätzen konkrete Gestaltungsfelder entwickelt werden, sollen einige wichtige Fabrikkonzepte vorgestellt werden, die – historisch gewachsen – in unterschiedlicher Weise versuchen, die hier diskutierten Anforderungen zu erfüllen.

3.11  Literatur [Abe06]

74

 bele, E., Versace, A., Wörn, A.: ReconfiA gurable Machining Systems (RMS) for machining of Case and Similar Parts in Machine Building. In: Dashchenko, A.I.

(Hrsg.): Reconfigurable Manufacturing Systems and Transformable Factories, S. 327–339. Springer, Berlin Heidelberg 2006 [All07] Allen, T.J., Henn, G.W.: The Organization and Architecture of Innovation. Managing the Flow of Technology. Elsevier, Amsterdam Boston Heidelberg 2007 [Baum00] Baumgarten, H.: Prozesskettenbezogene Auslegung logistischer Systeme. In: Arbeits- und Ergebnisbericht Sonderforschungsbereich 281: Demontagefabriken zur Rückgewinnung von Ressourcen in Produkt- und Materialkreisläufen, TU Berlin, S. 235–272, 2000 [Ben78] Benevolo, L.: Die Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1978 [Blei96] Bleicher, K., Müller-Stewens, G.: Unternehmenskultur. In: Eversheim, W., Schuh, G. (Hrsg.): Betriebshütte, Produktion und Management. 7. Aufl., S. 2–38 bis 2–50. Springer, Berlin Heidelberg 1996

3.11  Literatur

[Brö00]

[Bul97]

[Bul07]

[Doe00]

[Eid95]

[ElM09]

[Gau99] [Ger07]

[Grei89]

[Gud05]

 rödner, P., Kötter, W. (Hrsg.): Frischer B Wind in der Fabrik. Spielregeln und Leitbilder von Veränderungsprozessen. Springer, Berlin Heidelberg 2000 Bullinger, H.-J.: Den Wandel fordern und fördern. Dokumentation zum Materialflusskongress am 10.6.97, VDI-Berichte 1325, S. 21–39, Düsseldorf Bullinger, H.-J., ten Hompel, M. (Hrsg.): Internet der Dinge. Springer, Berlin Heidelberg 2007 Doege, E., Klocke, F., Pfeifer, T., Reinhart, G., Tönshoff, H.-K., Weck, M., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Potentiale der Grenzwertorientierung von Fertigungstechnologien und Abläufen (GreFA). Abschlußbericht zur Vordringlichen Aktion 6 des BMBF. Veröffentlicht durch: WZL, RWTH Aachen, März 2000 Eidenmüller, B.: Die Produktion als Wettbewerbsfaktor. Das Potenzial der Mitarbeiter nutzen – Herausforderungen an das Produktionsmanagement. 3. Aufl. TÜV Media, Köln 1995 ElMaraghy, H. (Hrsg.): Changeable and Reconfigurable Manufacturing Systems. Springer, Berlin Heidelberg 2009 Gausemeier, J., Fink, A.: Führung im Wandel. Hanser, München Wien 1999 Gerst, D., Hattesohl, S., Plettke, M.: Wie leistungsfähig sind ältere Arbeitnehmer? In: Unimagazin Hannover. Schwerpunktheft Demographischer Wandel. Forschung für eine zukunftsfähige Gesellschaft, Heft 3/4, S. 24–26, 2007 Greifenstein, R., Jansen, P., Kißler, L.: Sachzwang Partizipation? Mitbestimmung am Arbeitsplatz und neue Technologien. In: Aichholzer, G., Schienstock, G. (Hrsg.): Arbeitsbeziehungen im Wandel, Berlin 1989 Gudehus, T.: Logistik, Grundlagen, Strategien, Anwendungen. 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2005

 öhrmann, C.: Modellbasierte VerfügK barkeitsanalyse automatischer Montagelinien. Diss. Univ. Hannover 2000. Veröff. in: Fortschritts-Berichte VDI, Reihe 2, Nr. 538. VDI Düsseldorf, 2000 [Kra99] Krause, J., Lichtenstein, C.: Your Private Sky. R. Buckminster Fuller. Verlag Lars Müller, Baden 1999 [Krö01] Kröger, D., Klauß, I.: Umweltrecht. Schnell erfasst. Hanser, München Wien 2001 [KrW96] Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) – KrW/AbfG 12.9.1996. BGBI, S. 1354 ff. [Lot06] Lotter, E.: Hybride Montagesysteme. In: Lotter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Montage in der industriellen Produktion – Ein Handbuch für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg 2006 [Mead90] Meadows, D. et al.: Die Grenzen des Wachstums. Ein Bericht an den Club of Rome. 15. Aufl. Frankfurt/M., 1990 [Menz00] Menzel, W.: Partizipative Fabrikplanung – Grundlagen und Anwendung. Diss. Univ. Hannover. Veröff. in: Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2, Nr. 389. VDI Düsseldorf, 2000 [Nyh05] Nyhuis, P., Müller-Seegers, M.: Gestaltung kommunikationsfördernder Fabriken. wt Werkstattstechnik 95 (2005) H. 5, S. 378–382 [Pac00] Pack, J., Buck, H., Kistler, E., Mendius, H.G., Morschhäuser, M., Wolff, H.: Zukunftsreport demographischer Wandel. Innovationsfähigkeit in einer alternden Gesellschaft. Veröffentlichung aus dem Förderschwerpunkt „Demographischer Wandel“. Bonn 2000 [Pah07] Pahl, G., Beitz, W., Feldhusen, J., Grote, K.-H.: Pahl/Beitz Konstruktionslehre. Grundlagen erfolgreicher Produktentwicklung. Methoden und Anwendung. 7. Aufl., Springer, Berlin Heidelberg 2007 [Köh00]

3

75

3  Produktions­anforderungen

 erlewitz, U.: Konzept zur lebenszykluP sorientierten Verbesserung der Effektivität von Produktionseinrichtungen. Diss. TU Berlin 1998 [Pfo04] Pfohl, H.-Ch.: Logistikmanagement. Konzeption und Funktionen. 2. Aufl., Springer, Berlin Heidelberg 2004 [Rei03] Reichardt, J., Gottswinter, C.: Synergetische Fabrikplanung – Am Fallbeispiel der Neuplanung eines Automobilzulieferers. In: wt Werkstattstechnik online, 4/2003, S. 275 ff. [Rei05] Reichardt, J.: form follows performance. In: Licht Architektur Technik + Büro, 3/2005, S. 1 [Schei84] S chein, E.: Coming to a new awareness of organizational culture. Sloan management review, 24 (1984), p 3–16 {ScWi04} Schenk, M., Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb. Methoden für die wandlungsfähige und vernetzte Fabrik. Springer, Berlin Heidelberg 2004 [Sel97] Seliger, G., Müller, K., Perlewitz, H.: Nachhaltiges Wirtschaften eröffnet neue Geschäftsfelder. Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb. ZWF 92 (1997) 6, S. 299–302 [Suz02] Suzaki, K.: Modernes Management im Produktionsbetrieb. Strategien, Techniken, Fallbeispiele. Hanser, München Wien 2002 [Tön99] Tönshoff, H.-K., Machens-Killig, M., Weck, M., Wenk, Ch.: Adaptive Automatisierung von Fertigungssystemen. In: Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Beschäf[Perl98]

3

76

tigungsförderliche Rationalisierung. Ergebnisbericht der gleichnamigen vordringlichen Aktion. Schriftenreihe Forschungszentrum Karlsruhe S. 31–45, 1999 [Umw97] Umweltbundesamt (Hrsg.): Nachhaltiges Deutschland: Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. Berlin 1997 [Wien96] Wiendahl, H.-P. et al.: Optimierung und Betrieb wandelbarer Produktionsnetze. In: Kirsten, U., Dangelmaier, W. (Hrsg.): Endbericht zum BMBF-Projekt Vision Logistik – Wandelbare Produktionsnetze zur Auflösung ökonomisch-ökologischer Zielbereiche. Wiss. Berichte Nr. 181 Forschungszentrum Karlsruhe, 1996 [Wien99] Wiendahl, H.-P., Röhrig, M.: Volumenund variantenflexible Montagesysteme. In: Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Beschäftigungsförderliche Rationalisierung. Ergebnisbericht der gleichnamigen vordringlichen Aktion. S. 15–30. Schriftenreihe Forschungszentrum Karlsruhe, 1999 [Win01] Windt, K.: Engpassorientierte Fremdvergabe in Produktionsnetzwerken. Diss. Univ. Hannover 2000. Veröff. in: Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2 Nr. 579, VDI-Verlag, Düsseldorf 2001 [Wir00] Wirth, S., Enderlein, H., Peterman, J.: Kompetenznetze der Produktion. In: Vortragsband IBF-Fachtagung „Vernetzt planen und produzieren“, S. 17–27. TU Chemnitz 2000

Kapitel 4 Bekannte Produktionskonzepte

4

4.1 

F. W. Taylor

81

4.8 

Das Fraktale Unternehmen

96

4.2 

Gruppenarbeit

82

4.9 

Agilitätsorientierter Wettbewerb

97

4.3 

Fertigungsinseln

84

4.10 

Kundenindividuelle Massenproduktion

98

4.4 

Flexible Fertigungssysteme

86

4.5 

Fertigungssegmente

87

4.6 

Die schlanke Produktion und das Toyota Produktionssystem Just in Time

4.7 

78

4.11 

Das Produktionsstufen­konzept

101

4.12 

Forschungsansätze

103

89

4.13 

Zwischenfazit

107

93

4.14 

Literatur

107

Bild 4.1:

Charakteristische Merkmale einer unbeherrschten Fertigung

82

Bild 4.2:

Formen von Arbeitsstrukturen (Bullinger)

83

Bild 4.3:

Prinzip einer Fertigungsinsel

85

Bild 4.4:

Losweise Fertigung und One-Piece-Flow-Fertigung (nach Suzaki)

86

Bild 4.5:

Definitionsmerkmale von Fertigungssegmenten (Wildemann)

87

Bild 4.6:

Wirkungen der Segmentierung (Wildemann)

88

Bild 4.7:

Merkmale der Automobil-Großserienhersteller 1989 (Womack u. a.)

89

Bild 4.8:

Elemente des Toyota Produktionssystems

90

Bild 4.9:

Kontinuierliche Verbesserung mit dem PDCA-Zyklus

93

Bild 4.10: Beispiel für eine nach dem Pull-Prinzip gesteuerte Produktion

94

Bild 4.11: Merkmale agiler Unternehmen im vierdimensionalen Wettbewerb (nach Goldman u. a.)

98

Bild 4.12: Entwicklungsstufen der Produktion zur Mass Customization (Piller)

99

Bild 4.13: Konzeption der Mass Customization (Piller)

100

Bild 4.14: Verringerung der Komplexität durch späte Variantenbildung

101

Bild 4.15: Struktur und Elemente des Produktionsstufenkonzeptes

102

Bild 4.16: Holonisches System mit kooperierenden autonomen Holons

104

Bild 4.17: Lebenszyklen von Organismen und künstlichen Produkten

105

Bild 4.18: Leitprojekt Europäisches Produktionssystem (Westkämper)

106

4

79

4.1 

F. W. Taylor

Als „Vater der wissenschaftlichen Betriebsführung“ hat Frederic Winslow Taylor (1856–1915) in den USA erstmals die rationelle Gestaltung von Fabrikabläufen grundlegend untersucht und in seinem Buch „The Principles of Scientific Management“ zusammenfassend beschrieben [Tay11]. Er stellt als Hauptaufgabe des Managements heraus, den maximalen Wohlstand des Unternehmens verbunden mit dem maximalen Wohlstand der Beschäftigten zu sichern, und betont vier Prinzipien:

•  Die •  •  • 

Entwicklung einer echten Management-Wissenschaft, die wissenschaftlich begründete Auswahl des Arbeiters, dessen wissenschaftliche Ausbildung und Entwicklung und die vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit zwischen Management und Mitarbeitern.

Taylor gewann aus seinen Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen die Überzeugung, dass durch die unüberlegte Anwendung von Faustregeln und die Übernahme herkömmlicher Arbeitsweisen eine enorme Verschwendung verursacht wird. Auf Basis sorgfältiger Zeit- und Bewegungsstudien entwickelte er standardisierte Arbeitsabläufe mit starker Zerlegung in einzelne Arbeitsschritte und einer strikten Trennung der Vorausplanung einerseits und der Arbeitsdurchführung andererseits. Als wesentliche Elemente dieses neuen Ansatzes nennt Taylor:

•  •  •  •  •  • 

•  Arbeitsanweisungen für die Arbeiter •  Die Definition von Zielen verknüpft mit einem gro•  •  •  • 

Die Gedanken Taylors haben bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in der Großserien- und Massenfertigung die Vorstellungen zur Organisation der Produktionsabläufe geprägt. Der sogenannte Taylorismus erfuhr jedoch schon früh Kritik. Seine Grenzen zeigten sich insbesondere mit der zunehmenden Automatisierung, der förmlichen Explosion der Anzahl der Produkte und ihrer Varianten, dem gestiegenen Anspruch an die Qualität der Produkte und Prozesse sowie mit dem gewandelten Verständnis der Rollenverteilung zwischen Management und Arbeitern. Dennoch bleiben wesentliche Aussagen Taylors bis heute beachtenswert, die Gaugler in sechs Punkten (hier verkürzt dargestellt) zusammenfasst [Gaug96, S. 44ff.]:

4

•  Voraussetzung einer marktwirtschaftlichen Ord•  •  • 

 eitstudien mit entsprechenden Methoden und Z Geräten Funktionsmeister zur Unterweisung der Arbeiter und zur Vorausplanung der Arbeit Standardisierung aller Werkzeuge, Arbeitsabläufe und -bewegungen Einrichtung eines Planungsraums oder einer -abteilung Das Ausnahmeprinzip des Management-Eingriffs A nwendung des Rechenschiebers und anderer zeitsparender Werkzeuge

ßen Bonus bei erfolgreicher Durchführung Differentiallohn K lassifizierungssysteme für Produkte und Betriebseinrichtungen Fertigungssteuerungssysteme Modernes Kostenrechnungswesen

•  • 

nung mit dem permanenten Zwang zur Stückkostensenkung Ü bereinstimmung der unternehmensrelevanten Interessen von Arbeitgeber und Kapitalgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits Systematische Entwicklung von Bestverfahren statt Faustregeln Entscheidende Rolle der mittleren und unteren Führungskräfte Intensive Zusammenarbeit zwischen Management und Arbeitskräften Betonung der extrinsischen (von außen geförderten) Motivation, ohne die intrinsische (in der Person begründete) Motivation zu vernachlässigen.

Taylors Methoden können als erstes umfassendes System gelten, die Betriebsorganisation wissenschaftlich zu betreiben. Neben Taylor waren es Frank Bunker Gilbreth und seine Frau Lilian (Bewertungs- und

81

4  Bekannte Produktionskonzepte

Deutscher Ingenieure im Jahre1918 gegründete Ausschuss für wirtschaftliche Fertigung (AWF) und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Betriebsingenieure (ADB). 1924 entstand schließlich der Reichsausschuss für Arbeitsstudien (REFA), der sich speziell den Zeit- und Bewegungsstudien widmete und eine umfassende Methodenlehre zur Arbeitsgestaltung, Planung und Steuerung von Büro- und Produktionsarbeit veröffentlichte, die regelmäßig aktualisiert wird (http://www.REFA.de).

4.2  Gruppenarbeit Mit der rasanten Entwicklung der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg entstand zunächst ein reiner Verkäufermarkt, der vergleichsweise standardisierte Produkte anbot. Sie wurden in großen

Häufigkeit

Arbeit

4

Zeitstudien) sowie Henry Lawrence Gantt (Erfinder des Gantt-Charts, heute meist Balkenplan genannt), welche die Produktionsabläufe systematisch beobachteten, verbesserten und in neue Fabrikabläufe umsetzten. Henry Ford (1863–1947) gilt als konsequenter Anwender der Lehren Taylors. In seinen Fabriken entwickelte er die Normung, Typisierung und die Austauschbarkeit der Teile zusammen mit der Arbeitsteilung und Präzisionsarbeit zu seiner Massenfertigung, die Automobile zu einem für breite Bevölkerungskreise erschwinglichen Gut machten [Spur00]. In Deutschland wurden die Ideen Taylors durch Wissenschaftler wie Adolf Wallichs in Aachen und Georg Schlesinger in Berlin aufgegriffen und weiterentwickelt [Spur00]. Die deutsche Industrie übernahm viele der amerikanischen Produktionsmethoden unter dem Begriff der Rationalisierung und gründete 1921 das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW), heute Rationalisierungskuratorium der Wirtschaft. Vorläufer waren der im Rahmen des Vereins

Zugang

Bestand Abgang

Zeit

a) Schwankender Bestandsverlauf

Durchlaufzeit

b) Breite Durchlaufzeitverteilung Häufigkeit

Durchlaufzeit

100%

zulässige Abweichung

Bearbeitungszeit 10% Rüstzeit

2%

Transportzeit

2%

Störzeit

2%

Liegezeit

84% zu früh

c) Hoher Liegezeitanteil Bild 4.1: Charakteristische Merkmale einer unbeherrschten Fertigung © IFA G9125SW_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

82

G9125SW B

d) Schlechte Termintreue

zu spät

4.2  Gruppenarbeit

]

Montage

Einrichten

Meister/ Vorarbeiter

Kontrolle Reparatur

An-/Abtransport, Verpackung

Montage

Kontrolle Reparatur

Einrichten Meister/ Vorarbeiter

An-/Abtransport, Verpackung

Arbeitswechsel (Job Rotation)

Montage

Arbeitsteilung

4

Kontrolle Reparatur

Einrichten

Meister/ Vorarbeiter

An-/Abtransport, Verpackung

Arbeitserweiterung (Job Enlargement)

An- u. Abtransport, Verpackung, Montage Meister/ Kontrolle, Reparatur, Einrichten Vorarbeiter

Arbeitsbereicherung (Job Enrichment) Ziel: teilautonome Arbeitsgruppe

Bild 4.2: Formen von Arbeitsstrukturen (Bullinger)

© Institut für Fabrikanlagen und

© IFA G2949ASW_Wd_B

Stückzahlen weitgehend nach den von Taylor und Ford entwickelten Grundsätzen gefertigt. Mit der stärkeren Produktdifferenzierung und der Erschließung immer weiterer Märkte sanken die Losgrößen; immer mehr unterschiedliche Aufträge machten die Fabrik immer unübersichtlicher. Hohe Bestände, lange Durchlaufzeiten und sinkende Termintreue waren die Folge. Bild 4.1 zeigt das charakteristische Verhalten einer auf diese Weise außer Kontrolle geratenen Werkstatt. Im Durchlaufdiagramm, das den kumulativen Zugang und Abgang der Aufträge an einem Arbeitsplatz im Zeitablauf darstellt, wird sichtbar, dass starke Schwankungen im Auftragszugang infolge einer zu spät reagierenden Kapazitätsanpassung zu starken Schwankungen im Abgang und in der Folge zu hohen und vor allem stark schwankenden Beständen führen (Bild 4.1a). Da Bestände unmittelbar die Durchlaufzeit beeinflussen, ergeben sich breite, linksschiefe Häufigkeitsverteilungen mit wenigen

schnellen Aufträgen, einem breiten Mittelfeld an Normalaufträgen und wenigen, aber teilweise extrem langsamen Aufträgen (Bild 4.1b). Betrachtet man nun die Durchlaufzeitanteile (Bild 4.1c), wird in Werkstättenfertigungen selten mehr als 10 bis 15% Bearbeitungszeitanteil erreicht. Theoretische und praktische Untersuchungen haben gezeigt, dass in dieser Fertigungsart bei einer gewünschten Auslastung von 96–98% prinzipiell nicht weniger als 80% Liegezeit erreicht werden können [Nyh03]. Im Endergebnis entsteht eine völlig unbefriedigende Termintreue (Bild 4.1d). Einige Aufträge werden zu früh fertig, der überwiegende Teil zu spät. Lässt man eine zulässige Abweichung von z. B. ± 2 Arbeitstagen zu, sind häufig nur 30% der Aufträge pünktlich. Zur Lösung der aus der starken Produktdifferenzierung resultierenden Probleme entstanden zahlreiche strategische, organisatorische und ingenieurwissenschaftliche Lösungsansätze. Aus strategischer Sicht wurde die Bildung von Geschäftseinheiten empfohlen, die für jeden Markt eine eigenständige

83

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

Zielverfolgung vorsieht. Als Folge daraus entstehen auf je eine Produktfamilie fokussierte selbständige Fabriken in der Fabrik. Vorschläge aus der Personal- und Organisationslehre stellten den Mitarbeiter in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Rückführung planender und steuernder Tätigkeit aus den Büros in die Fabrik, der Abbau von Hierarchien und Regeln und die stärkere personale Kommunikation sollen helfen, die zunehmende Vielfalt zu beherrschen. Gleichzeitig kann damit den wachsenden Bedürfnissen nach Selbständigkeit und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter entsprochen werden. Die daraus entwickelten Arbeitsformen lassen sich unter dem Begriff der Gruppenarbeit zusammenfassen. Eine Gruppe übernimmt eine ganzheitliche Aufgabe, z.B. die Fertigung einer Teilgruppe oder die Montage eines Gerätes vollständig oder teilweise. Die Gruppenmitglieder verteilen die notwendigen Aufgaben selbständig; kontrolliert wird nur das Endergebnis. Man unterscheidet drei Formen der Gruppenarbeit, die Bild 4.2 am Beispiel einer Montageaufgabe verdeutlicht. Dabei bildet die klassische Arbeitsteilung mit strikter Aufgabentrennung den Ausgangspunkt. Beim Arbeitsplatzwechsel (Job Rotation) können die mit der eigentlichen Montage betrauten Mitarbeiter aufgrund einer entsprechenden Qualifizierung unterschiedliche Montageaufgaben übernehmen. Alle übrigen Tätigkeiten wie Einrichten der Maschinen, Qualitätsprüfung und Reparatur sowie Verpackung und Transport sind davon ausgenommen. Es findet aber bereits ein Abbau der Monotonie der meist kurzzyklischen Arbeit statt. Bei der Arbeitserweiterung (Job Enlargement) versucht man demgegenüber, mehrere verschiedene Tätigkeiten auf der gleichen Qualifikationsebene zu einer neuen, inhaltlich erweiterten Aufgabe zusammenzufassen. Die Tätigkeit der Gruppenmitglieder kann bereits vom Takt entkoppelt sein. Die nicht Wertschöpfenden Tätigkeiten erfolgen aber noch an separaten Arbeitsstationen. Zusätzlich zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit soll eine stärkere Identifikation der Werker mit „ihrem“ Produkt erreicht werden.

84

Die Arbeitsbereicherung (Job Enrichment) geht noch einen Schritt weiter in Richtung der sogenannten teilautonomen Arbeitsgruppe. Hier werden nicht nur die direkt produktiven Tätigkeiten, sondern auch alle übrigen indirekt produktiven Tätigkeiten wie Qualitätsprüfung und Maschineneinrichtung, aber auch weitere Tätigkeiten wie Materialbeschaffung, Wartung, Instandhaltung usw., einer Arbeitsgruppe übertragen. Ein Vorarbeiter oder Meister führt übergeordnete Planungs- und Steuerungsaufgaben wie Personal-, Termin- und Arbeitszeitplanung durch. Überträgt man auch noch diese indirekt produktiven Aufgaben dem Team, entstehen sogenannte autonome Arbeitsgruppen, die ihre Aufgaben selbständig organisieren und für die Ablieferung der Produkte in der verlangten Qualität und Menge zum verlangten Termin verantwortlich sind. Ansprechpartner der Gruppe nach innen und außen ist meist ein Gruppensprecher, der aber aktiv im Team mitarbeitet. Teilautonome und autonome Arbeitsgruppen kommen dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung am weitesten entgegen, stellen aber fachlich und menschlich die höchsten Anforderungen. Wichtige Punkte sind hier die Arbeitszeit- und Entgeltregelung sowie eine kontinuierliche Schulung und Verbesserung.

4.3  Fertigungsinseln Die skizzierten strategischen und organisatorisch geprägten Ansätze haben ihre Ergänzung in ingenieurwissenschaftlichen Lösungen gefunden, an deren Anfang die Untersuchung der immer größeren Teilevielfalt eines Unternehmens stand. Den Ausgangspunkt hierfür bildete in Deutschland neben den Arbeiten von Lange und Roßberg [Lan54] die von Mitrovanow begründete Gruppentechnologie [Mit60]. In weitergehenden Arbeiten konnte gezeigt werden, dass in jedem scheinbar noch so heterogenen Teilespektrum Gruppen ähnlicher Teile existieren. Sie verursachen zwar nur etwa 20 bis 30% der Herstellkosten der zugehörigen Produkte, umfassen jedoch nahezu 70% aller Teile [Opi67, Arn75]. Um

4.3  Fertigungsinseln

diese sogenannten Teilefamilien zu finden, setzte man vielfach Klassifizierungssysteme ein, von denen das Opitz-Klassifi­zie­rungs­system für Maschinenbaueinzelteile die größte Verbreitung gefunden hat [Opi66]. Es bot sich zunächst an, für diese Teilefamilien wie Wellen, Zahnräder, Hebel usw. Variantenzeichnungen und -arbeitspläne zu nutzen. Derartige Teilefamilien haben in der Regel eine ähnliche Arbeitsfolge und durchlaufen damit auch eine Reihe gleicher Maschinen. Die verschiedenen Lose benötigen lediglich kleinere Umrüstungen, womit Rüstzeiten eingespart werden. Der breite Einsatz der Teilefamilienfertigung blieb jedoch aus, weil das Grundprinzip der Werkstättenfertigung beibehalten wurde und damit der organisatorische Aufwand zur terminlichen Planung und Steuerung der Teilefamilienaufträge beträchtlich war. Die Notwendigkeit kürzerer Durchlaufzeiten und niedriger Bestände zwang zu einer Abkehr vom Primat der Vollauslastung aller Arbeitsplätze. In den 1970er Jahren entstanden – den Gedanken der Teilefamilien weiter entwickelnd – sogenannte Fertigungsinseln, die alle Betriebseinrichtungen und Mitarbeiter zur Herstellung einer Gruppe ähnlicher Teile räumlich und organisatorisch zusammenfassten. Dabei nahm man in Kauf, dass nicht alle Maschinen

ständig belegt waren. Unter Nutzung der Gruppenarbeit konnten diese Fertigungsinseln nun weitgehend selbständig betrieben werden, wozu insbesondere auch die Materialbereitstellung, Feinterminierung und Reihenfolgebildung der Aufträge zählt. Wichtige Arbeiten hierzu erfolgen durch den Ausschuss für wirtschaftliche Fertigung (AWF), der sich in Arbeitskreisen intensiv mit der Gestaltung und Einführung von Fertigungsinseln befasste [AWF84]. Bild 4.3 zeigt den prinzipiellen Aufbau einer Fertigungsinsel. Aus dem Behälter vor der Insel erfolgt die Entnahme der Rohteile. Im Gegensatz zur Werkstattfertigung wird aber der entsprechende Arbeitsgang nicht komplett für das ganze Los fertig gestellt und weitertransportiert, sondern jedes einzelne Teil des Loses wird unmittelbar nach Fertigstellung der Arbeitsoperation an den nächsten Arbeitsplatz weitergegeben, entweder durch den Werker oder auf einer Rollenbahn mittels Schwerkraft. Hierfür ist mittlerweile der Begriff „One-Piece-Flow“ oder auch „Single-Piece-Flow“ (Ein-Stück-fließt-Prinzip) gebräuchlich [Arz05].

4

Fertigungsinseln zeichnen sich durch niedrige Bestände und damit Durchlaufzeiten aus. Ein Liegen der Teile zwischen den einzelnen Arbeitsgängen wird durch die fluss­orientierte Maschinenaufstellung und

M1 M2

Eingang

Ausgang

M3 M4 Bild 4.3: Prinzip einer Fertigungsinsel

Werker

Werkstück in Bearbeitung

Werkstück wartet

M1 bis M4 Bearbeitungsmaschinen

© IFA G9121SW_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G9121SW B

85

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

das zeitlich überlappte Fertigen eines Loses vermieden. Bild 4.4 zeigt an einem einfachen Beispiel die enorme Zeit- und Bestandsverringerung einer Fertigungsinsel gegenüber der Werkstattfertigung nach [Suz94]. In diesem Fall kann statt der insgesamt 20 Minuten Durchlaufzeit eine Reduzierung auf 8 Minuten erreicht werden. In der Praxis wurden Durchlaufzeitsenkungen von mehreren Wochen auf einen Tag nachgewiesen [Grab00]. Wegen der meist unterschiedlichen Bearbeitungszeiten der einzelnen Arbeitsgänge ist es nicht möglich, alle Betriebsmittel einer Fertigungsinsel voll auszulasten. Das kann bei teuren Maschinen zu nicht vertretbaren Leerkosten führen. Auch kann mit zunehmender Anzahl der in einer Fertigungsinsel gefertigten Teilevarianten der Rüstzeitaufwand problematisch werden. Deshalb wird auch in Zukunft die klassische Werkstättenfertigung Bestand haben.

4.4  Flexible Fertigungssysteme Die skizzierte Entwicklung der Fertigungsinseln ließ die Frage des Automatisierungsgrades der Betriebseinrichtungen und ihrer Verknüpfung zunächst offen. Mit dem Durchbruch der numerischen Steuerung von Werkzeugmaschinen in den 1960er Jahren und der damit möglichen automatischen Durchführung kompletter Bearbeitungsoperationen unterschiedlicher Teile unmittelbar hintereinander eröffneten sich alternative Realisierungschancen der Teilefamilienfertigung. Ein erster wichtiger Schritt bestand in der Entwicklung von Bearbeitungszentren. Sie erlauben die Bearbeitung eines Werkstücks in einer Aufspannung von verschiedenen Seiten mit unterschiedlichen Verfahren wir Fräsen, Bohren, Gewindeschneiden usw. Voraussetzung hierfür ist der automatische Werkzeugwechsel. Verknüpft man nun mehrere Bearbeitungszentren und weitere notwendige Arbeitsstationen zum Wa-

One-Piece-Flow Fertigung mit Transportlosgröße 1

Losweise Fertigung mit Transportlosgröße 5 Zeit [min]

Bearbeitungszeit = 1min/Stück

Zeit [min]

0

0

5

1

Bearbeitungszeit = 1min/Stück

1 min

5 min 2

10

1 min

5 min 3

15

1 min

5 min 4

20 5 min

1 min 8 4 min Werkstück

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G8979SW B

Bild 4.4: Losweise Fertigung und One-Piece-Flow-Fertigung (nach Suzaki) © IFA G8979SW_B

86

verschiedene Prozesse

4.5  Fertigungssegmente

Markt- und Zielausrichtung • Bildung abgegrenzter ProduktMarkt-Produktion-Kombination • Strategische Erfolgsfaktoren

Produktorientierung • Koordinationsaufwand • Leistungsverflechtung • Fertigungstiefe

Fertigungssegment Mehrere Stufen der logistischen Kette • Integration mehrerer unternehmensinterner Wertschöpfungsstufen

Bild 4.5: Definitionsmerkmale von Fertigungssegmenten (Wildemann)

Kosten-/ Ergebnisverantwortung

Übertragung indirekter Funktionen

4

• Instandhaltung • Transport • Materialbereitstellung • Steuerung • Rüsten • Qualitätskontrolle

© IFA G9122SW_B

schen und Prüfen der Werkstücke, entsteht ein Flexibles Fertigungssystem. Das Schema eines solchen G9122SW B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik Konzeptes zeigt Bild 6.30. Zusätzlich zu den Bearbeitungs- und Hilfsstationen sind in ein solches System ein Werkstück- und ein Werkzeuglager integriert, die mit je einem Transportsystem den Werkstück- bzw. Werkzeugtransport gewährleisten. An den einzelnen Stationen befinden sich lokale Werkstück- und Werkzeugpuffer. Die Steuerung der Bausteine erfolgt in einem hierarchischen System mit Hilfe eines übergeordneten Leitrechners. Das Transportsystem für die meist auf Spannpaletten befestigten Werkstücke und die Werkzeuge besteht häufig aus schienengeführten Transportwagen mit einer Übergabeeinrichtung. Aber auch fahrerlose Transportsysteme (FTS) und programmierbare Handhabungsgeräte – z.B. Industrieroboter – finden Verwendung. Flexible Fertigungssysteme erlauben also die automatische, ungetaktete und richtungsfreie Fertigung einer definierten Gruppe ähnlicher Teile und stellen damit gewissermaßen eine automatisierte Fertigungsinsel dar. Nach einer anfänglich starken Verbreitung in den 1980er Jahren wurde ihr Einsatz wegen der nicht mehr beherrschbaren marktinduzierten Teilevielfalt,

der enormen Kosten für die Verkettungs- und Speichersysteme sowie der aufwendigen Programmierung und Steuerung unwirtschaftlich. Diese Kosten konnten durch einfachere Verkettungssysteme z. B. mithilfe von Robotern und standardisierten Speichersystemen erheblich verringert werden, so dass Fertigungssysteme heute wieder ihren Platz gefunden haben, speziell für Anlaufserien und Ersatzteile in der Automobilindustrie und deren Zulieferer.

4.5  Fertigungssegmente Sowohl Fertigungsinseln als auch flexible Fertigungssysteme sind aufgrund ihrer ursprünglichen Zielsetzung und Anwendung zunächst nicht an die Teile eines bestimmten Produktes gebunden. Erst die immer stärkere Marktausrichtung der Produktion und die damit einhergehende starke Dezentralisierung führte zu dem Gedanken, sich zum einen nicht auf die Wertschöpfung in der Fertigung zu beschränken, sondern auch die weiteren Stufen der Wertschöpfung wie Montage, Verpackung und Versand in Form or-

87

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

ganisatorischer Einheiten zusammenzufassen. Zum anderen erfolgte eine Konzentration dieser Einheiten auf je ein Produkt, um damit eine spezifische Wettbewerbsstrategie verfolgen zu können. Wildemann hat diese Einheiten Fertigungssegmente genannt und sie zum Konzept der modularen Fabrik erweitert [Wild88]. Bild 4.5 führt die Definitionsmerkmale von Fertigungssegmenten auf. Hinsichtlich der Markt- und Zielausrichtung bedienen Fertigungssegmente spezifische Markt-Produkt-Kombinationen, die jeweils unterschiedliche Strategien umsetzen, wie beispielsweise höchste Qualität oder kürzeste Durchlaufzeiten. Die Produktorientierung verringert den Koordinations- und Steuerungsaufwand, minimiert die Leistungsverflechtung zwischen den Segmenten und resultiert in einer hohen Fertigungstiefe.

Zeit

Kosten

Qualität

Die bereits angesprochene Integration mehrerer Stufen der logistischen Kette in einem Fertigungssegment führt zur räumlichen Zusammenfassung von Fertigung und Montage und hebt damit die klassische Trennung dieser Bereiche auf. Die daraus resultierenden technischen Probleme der unmittelbaren Nachbarschaft unverträglicher Technologien (z.B. emissionsintensive Fertigungsprozesse neben genauen und sauberen Montageprozessen) sind durch geeignete Maßnahmen der Arbeitsplatz- und

Bereichsplanung z.B. durch geeignete Kapselung der Maschinen) im Rahmen der Fabrikplanung zu lösen. Durch die Übertragung indirekter Funktionen auf die Mitarbeiter im Fertigungssegment wird wie in der Fertigungsinsel eine ganzheitliche Beeinflussung des Endergebnisses erreicht. Häufig schafft eine entsprechende Prämiengestaltung auch Anreize zur ständigen Verbesserung der Prozesse mit dem Ziel jeglicher Vermeidung von Verschwendung. Schließlich ist die Kosten- und Ergebnisverantwortung je nach Art des Kunden unterschiedlich. Erfolgt eine innerbetriebliche Weitergabe der Produkte des Segmentes, wird dieses als Cost- oder Servicecenter organisiert. Liefert das Segment an einen Endkunden zu Marktpreisen, gestaltet man es als Profit Center [Wild88]. Zur Planung der Segmente nennt Wildemann eine Reihe von Gestaltungsprinzipien. Diese sind die Flussoptimierung, die Bereitstellung kleiner, ggf. mehrfach vorhandener Kapazitäten, die räumliche Konzentration mit variablem Layout, selbststeuernde Regelkreise, die Komplettbearbeitung von Teilen und Gruppen, die Prüfung der Teile bzw. Baugruppen durch die Werker, die zeitliche Entkopplung der menschlichen Arbeit von der Maschinenlaufzeit und die Teamorientierung. Fertigungsinseln und -segmente können als wichtigste Weiterentwicklung der Fertigungsorganisati-

Mitarbeiterzufriedenheit

20 - 30%

Kundenzufriedenheit

15 - 20%

Fehler

15 - 50%

Ansprechpartner für Kunden

20 - 30%

Prozesskosten

20 - 40%

Bearbeitungszeiten

20 - 30%

Liegezeiten

15 - 60%

Durchlaufzeiten

20 - 70%

Lieferzeiten

15 - 30%

Anzahl Abteilungen im Prozess

20 - 50%

Bild 4.6: Wirkungen der Segmentierung (Wildemann) © IFA G9126SW_B

88

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G9126SW B

4.6  Die schlanke Produktion und das Toyota Produktionssystem

Merkmale • Leistung Produktivität (Std./ Auto) Qualität (Montagefehler/ 10 Autos) • Layout Fläche (qm/ Auto/ Jahr) Größe des Reparaturbereichs (% der Montageflächen) Lagerbestand (Tage für 8 ausgewählte Teile) • Arbeitskräfte % der Arbeitskräfte in Teams Job Rotation (0 = keine, 4 = häufig) Anzahl Vorschläge je Beschäftigtem Anzahl der Lohngruppen Ausbildung neuer ProduktionsArbeiter (Std) Abwesenheit (%) • Automation Schweißen (% der Arbeitsgänge) Lackieren (% der Arbeitsgänge) Montage (% der Arbeitsgänge)

japanische Werke in Japan

japanische Werke in Nordamerika

amerikanische Werke in Nordamerika

alle europäischen Werke

16,8 60,0

21,2 65,0

25,1 82,3

36,2 97,0

0,5

0,8

0,7

0,7

4,1

4,9

12,9

14,4

0,2

1,6

2,9

2,0

69,3 3,0 61,6 11,9

71,3 2,7 1,4 8,7

17,3 0,9 0,4 67,1

0,6 1,9 0,4 14,8

380,3 5,0

370,0 4,8

46,4 11,7

173,3 12,1

86,2 54,6 1,7

85,0 40,7 1,1

76,2 33,6 1,2

76,6 38,2 3,1

4

Bild 4.7: Merkmale der Automobil-Großserienhersteller 1989 (Womack u. a.) © IFA G9128SW_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

G9128SW B

on der 1990er Jahre gelten und haben nachweislich signifikante Verbesserungen der marktrelevanten Zielgrößen Qualität und Kosten und Zeit bewirkt, die Bild 4.6 zusammenfasst. [Wild00].

4.6  Die schlanke Produktion und das Toyota Produktions­ system

Eine Weiterentwicklung des Segmentansatzes führt zu sogenannten indirekten Segmenten, in denen auch die Geschäftsprozesse indirekter Funktionen ergebnisverantwortlich abgewickelt werden [Wild00]. Führt man in einem Unternehmen zu den so definierten direkten und indirekten Segmenten auch noch den Vertrieb und die Produktentwicklung zusammen, entstehen sogenannte Produkteinheiten, auch Geschäftseinheiten oder Business Units genannt. Diese bedienen ein Marktsegment über den ganzen Produktlebenszyklus. Der Gefahr des Know-how-Verlustes in den einzelnen Produkteinheiten ist durch die Bildung sogenannter Support- oder Funktionszentren zu begegnen, z. B. für CAD-Technik, bestimmte Fertigungsverfahren oder Beschaffungswege.

Der Begriff der schlanken Produktion (Lean Produktion) geht auf eine fünfjährige weltweite Studie der Endmontage von etwa 100 Automobilfabriken in Japan, Nordamerika und Europa zurück, die vom Massachusetts Institute of Technology durchgeführt wurde [Wom90]. Sie kam aufgrund der gravierenden Unterschiede in den vier Merkmalsgruppen Leistung, Layout, Arbeitskräfte und Automation in den drei geografischen Regio­ nen Amerika, Europa und Asien zu dem Schluss, dass die japanischen Werke in allen Kategorien im Mittel deutlich besser abschnitten als ihre amerikanischen und europäischen Wettbewerber, Bild 4.7. Gleichwohl zeigten sich aber auch beträchtliche Unterschiede innerhalb einer Untersuchungsgruppe.

89

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

Darüber hinaus traten auch in den Leistungsdaten der Produktentwicklung gravierende Unterschiede zutage. Diese betrafen sowohl den Entwicklungsaufwand und die -dauer für ein neues Modell, als auch den Anteil der Zulieferer an der Entwicklung sowie die Dauer des Erreichens der normalen Produktivität und Qualität nach dem Produktionsbeginn. Die 1990 in den USA und 1991 in deutscher Übersetzung erschienene Studie stieß in Deutschland auf großes Interesse und löste nachhaltige Debatten über die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Automobilindustrie und des Standorts Deutschland aus. Es wurde deutlich, dass die Defizite nicht mehr durch Einzelmaßnahmen wie Gemeinkostenwertanalyse, Computer Integrated Manufacturing, Rüstzeitverkürzung und neue PPS-Systeme zu beheben waren. Vielmehr war ein ganzheitlicher Ansatz mit dem „Augenmerk auf Perfektion“ erforderlich: kontinuierlich sinkende Kosten, null Fehler, keine Lagerbestände und beliebige Produktvielfalt [Wom00]. Das bedingte eine durchgängige Betrachtung der Konstruktions- und Produktionsprozesse unter

Einschluss der Lieferanten und Beachtung der Kundenwünsche. Mit einer beispiellosen Kraftanstrengung ist es der deutschen Industrie gelungen, sowohl die Produkte als auch die Prozesse deutlich zu verbessern. Dies war aber mit einem enormen Anstieg der Arbeitslosenzahlen verbunden, was auch zu einer erheblichen Kritik am Konzept der schlanken Produktion geführt hat. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Beschäftigten mit steigender Produktion nicht mehr zu. Um die Beschäftigung trotz ständiger Aufwandssenkung zu sichern, sind daher neue Produkte in neuen Märkten, der Ausbau von Dienstleistungen und Zusammenschlüsse von Unternehmen erforderlich. Die schlanke Produktion ist kein geschlossenes, theoretisch begründetes Unternehmenskonzept, sondern die Quintessenz aus der Analyse erfolgreicher Unternehmen. Sie beruht im Wesentlichen auf dem von der Toyota Motor Company kontinuierlich entwickelten Toyota Produktionssystem (TPS), das allerhöchste Produktqualität zu niedrigstmöglichen Kosten mit

TPS Toyota Produktion System Just - in - Time

Total Quality Control

Automation

Definition: Bedarfsorientierte Materialbereitstellung nach Menge, Ort und Zeit

Definition: Vollständige Fehlervermeidung 100% fehlerfreie Produkte

Definition: Prozessunterbrechungsmöglichkeit bei Problemen

Elemente: • Produktionsnivellierung • Pull Produktion • Kontinuierliche Fließfertigung • Durchgängige Taktzeit

Elemente: • Stabile, fähige Prozesse • Kontinuierliche • Internes Kunden-Lieferanten Verbesserung (Kaizen) Prinzip • Total Productive • Kleine Regelkreise Maintenance • Visual Management

Elemente: • Maschinenselbstabschaltung • Band-Stop System • Elektronische Produktionsanzeige (Andon) • Fehlervermeidung (Poka Yoke)

Flexible Produktion • Gleichmäßiger Betrieb

• Rasche Produktion

• Flexible Mitarbeiterschaft

Vermeidung von Verschwendung • Ausschluss u. Nacharbeit

• Überproduktion • Lagerbestände • Nicht wertschöpfende Bewegung •Wartezeiten •Transport und Handhabung

Bild 4.8:für Elemente des und Toyota Produktionssystems G9129SW B © Institut Fabrikanlagen Logistik © IFA G9129SW_B

90

4.6  Die schlanke Produktion und das Toyota Produktionssystem

den geringsten Lieferzeiten anstrebt [Ohn86]. Die daraus abgeleiteten Ziele der Produktion sind:

•  Produktivität durch Beseitigung jeglicher Art von •  •  • 

Verschwendung Qualität durch sichere Prozesse, die eine hohe Produktqualität ermöglichen Flexibilität durch reaktionsfähige Arbeitsplätze und Mitarbeiter Humanität durch maximale Einbeziehung des Mitarbeiterwissens

Im Kern steht ein organisations- und menschenzentriertes Gestaltungsmodell der Produktion, das auf Motivation, Kreativität und Können der Mitarbeiter setzt. Gestaltungsziele sind neben der Intensivierung der Kundenbeziehungen der Abbau von Hierarchiestufen, die Verkürzung von Entscheidungswegen, die Verlagerung von Aufgaben auf die ausführende Ebene und die verstärkte Kooperation mit Zulieferern bereits in der Entwicklungsphase des eigenen Produktes [Ohn93]. Aus diesem Ansatz heraus haben sich fünf aufeinander bezogene Elemente des Toyota Produktionssystems entwickelt, die Bild 4.8 in Anlehnung an eine Darstellung von Oeltjensbruns [Oelt00] zusammenfasst. Das Fundament des TPS bildet die Vermeidung von Verschwendung, die in einer Art Grenzwertbetrachtung die notwendige Wertschöpfung eines Produktes mit dem absolut minimal notwendigen Einsatz von Betriebsmitteln, Material, Teilen, Platz und Arbeitszeit anstrebt [Suz89]. Ausschuss und Nacharbeit ist bei konsequenter Anwendung des Kunde-Lieferanten-Verhältnisses dadurch zu vermeiden, dass nur 100% geprüfte Teile bzw. Baugruppen von einer Arbeitsstation an die nächste weitergehen. Dies gilt auch für externe Lieferanten. Überproduktion entsteht durch „optimale Losgrößen“, Rüstzeiteinsparungen, Füllaufträge zur Vermeidung von Maschinenstillständen und Materialverschnittoptimierung. Sie führt zu unnötigen Beständen in den Lägern und in der Produktion. Das Pull-Prinzip und die überlappte Fertigung nach dem

One-Piece-Flow-Prinzip vermeidet dies. Eng mit dem Thema Bestände verknüpft sind unnötige Wartezeiten von Material, Mensch und Maschinen. Sie entstehen durch Liegen der Teile nach einem Arbeitsgang, Liegen in der Warteschlange, Liegen vor dem Rüsten des Arbeitsplatzes und Liegen im Los. Wichtige Ansätze zur Vermeidung dieser Art von Verschwendung sind Fertigungssegmente mit U-förmiger Anordnung der Arbeitsstationen, extrem kurze Rüstzeiten der Maschinen und Begrenzung des Systembestandes durch eine definierte Anzahl zulässiger Teile vor bzw. in einem Arbeitssystem. Unnötiger Transport und unnötige Handhabung von Teilen entstehen durch ihre mehrfache Zwischenlagerung und Kommissionierung auf dem Weg vom Lieferanten bis zum Einbauort in der eigenen Fabrik. Ein ideales Anliefer- und Bereitstellungskonzept vermeidet dies durch eine durchgängige Lieferkette, bei der die Teile von der letzten Arbeitsstation des Lieferanten in der abgerufenen Menge ohne Verpackung auf geeigneten Werkstückträgern unmittelbar an den Verwendungsort des Verbrauchers gelangen. Das wird nicht immer gelingen. Dann ist es Aufgabe der werksübergreifenden Logistik, für die bedarfsgerechte Anlieferung zu sorgen, und Aufgabe des internen Transportwesens, die rechtzeitige Bereitstellung an den Verbrauchsort zu gewährleisten. Die Teilehandhabung innerhalb des Segments ist Aufgabe der Werker. Das zweite fundamentale Prinzip des Toyota Produktionssystems besteht in der Schaffung einer flexiblen Produktion, die auf Änderungen der Produkte, ihrer Absatzmengen und -varianten sowie der eingesetzten Verfahren und Prozesse rasch reagiert. Dies geschieht durch eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Arbeit auf Basis einer ausgewogenen Folge von Produktvarianten mit großen und kleinen Arbeitsinhalten (die sogenannte Nivellierung), die rasche Reaktion auf Fehler mit dem Ziel ihrer dauerhaften Beseitigung sowie mit Hilfe breit qualifizierter Mitarbeiter, die je nach Bedarf einen oder mehrere Arbeitstakte beherrschen. Dies setzt die bereits beschriebene Gruppenarbeit voraus. Mit seinem dritten Element Total Quality Control strebt das TPS eine vollständige Fehlervermeidung mit dem Ziel an, 100% fehlerfreie Produkte im ausgepackten

4

91

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

Zustand beim Kunden zu erreichen. Dies setzt eine durchgängige Betrachtung aller Geschäftsprozesse vom Marketing über die Produktentwicklung und den Vertrieb bis hin zur Auftragsabwicklung und den Service voraus. Stabile, nach Regeln des Qualitätsmanagements gestaltete fähige Prozesse, das bereits angesprochene interne Kunden-Lieferanten-Prinzip (nur 100% Gutteile an den nächsten Arbeitsabschnitt) und kleine Regelkreise bewirken die frühestmögliche Entdeckung von Fehlern und ihre Beseitigung durch den Verursacher ohne Einschaltung einer zusätzlichen Qualitätsprüfung. Neben der Selbstprüfung durch die ausführenden Mitarbeiter (Lieferant) unterstützt die Folgekontrolle durch den Ausführenden des nächsten Arbeitsschrittes (Kunde) das Entdecken seltener Fehler. In einem solchen Fall weist er die Annahme und Weiterverarbeitung ab und gibt das fehlerhafte Teil an den Verursacher zurück. Ein nächstes wichtiges Instrument stellt die transparente Darstellung von Informationen über den Arbeitsablauf für alle Mitarbeiter dar, wie beispielsweise Produktionszahlen, Fehlerraten, Nutzungsgrade, Materialverbrauch usw. Mit diesem sogenannten Visual Management ist es möglich, den bisherigen Verlauf wichtiger Kennzahlen im Vergleich zu den angestrebten Zielen, aber auch ungewöhnliche Zustände auf einen Blick zu erkennen. Zum Visual Management zählen deshalb auch die eindeutige Kennzeichnung von Material und Werkzeugen mit deren Lagerort sowie die detaillierte Darstellung von Arbeitsabläufen und der Betriebszustand von Maschinen und Anlagen. Eine überragende Bedeutung nimmt weiterhin der Prozess der kontinuierlichen Verbesserung (japan. kaizen: Veränderung zum Besseren) ein. Ziel ist es, durch die von den Mitarbeitern vorgeschlagenen und umgesetzten ständigen kleinen Verbesserungen der Prozesse und Abläufe eine stetige Steigerung von Produktivität und Qualität zu erreichen. Als bewährte Methode zur Systematisierung dieses Prozesses gilt der Plan-Do-Check-Action-Zyklus, Bild 4.9. Diese nach seinem Erfinder Edwards Deming auch Deming-Zyklus benannte Aktivitätsfolge beginnt als Erstes mit der Themenwahl, der Situationsanalyse,

92

der Lösungsmethode und dem Verbesserungsplan (Plan = Planen), gefolgt von der Umsetzung (Do = Tun) und der Überprüfung des Erreichten (Check = Prüfen). Bei positivem Ergebnis werden die Arbeitsmethoden standardisiert und visualisiert, um ihre sofortige Anwendung zu gewährleisten (Action = Aktion). Als wichtige Grundsätze gelten Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung am Arbeitsplatz, die durch die 5A-Kampagne erreicht werden. Die 5A umfassen [Teu96]:

•  Aussortieren •  •  •  • 

unnötiger Dinge (Material, Werkzeuge, Unterlagen) Aufräumen (jedes Ding an seinem Platz) A rbeitsplatz sauber halten (Maschinen, Betriebsmittel, Fußboden) A nordnung zur Regel machen (Standards) A lle Punkte einhalten und ständig verbessern (Selbstdisziplin).

Ständige Verbesserungen können nicht Innovationen im Sinne einer radikalen Neugestaltung ersetzen, sondern zielen eher darauf ab, die Potenziale eines Prozesses möglichst rasch zu nutzen und ein Absinken der Produktivität zu verhindern. KVP setzt eine Strukturierung und Detaillierung der Unternehmensziele bis auf die Mitarbeiterebene voraus, die in bereichsgebundenen oder -übergreifenden kontinuierlichen Qualitätszirkeln oder zeitlich befristeten Kleingruppen abgearbeitet werden. Wesentlich ist die Identifizierung der Mitarbeiter mit diesen Zielen. Die umfassende produktive Instandhaltung (Total Productive Maintenance TPM) richtet ihr Augenmerk im Rahmen der ganzheitlichen Qualitätsbetrachtung auf die Anlageneffizienz. Sie wird bestimmt durch das Produkt aus Verfügbarkeit, Leistungsfaktor und Qualitätsfaktor. Während die Verfügbarkeit durch Maschinenstörungen und Rüstzeiten bestimmt wird, ergibt sich der Leistungsfaktor durch fehlende Aufträge und Geschwindigkeitsverluste. Der Qualitätsfaktor berücksichtigt schließlich fehlerhafte Teile und Anlaufverluste. Mit Hilfe der vorbeugenden Instandhaltung über die ganze Nutzungszeit der Anlagen und die Übernahme einfacher Wartungsarbeiten durch die Werker erkennen diese eventuell drohende

4.7  Just in Time

KVP

Plan

Act

Do

Verbesserung

Check

Standards

Bild 4.9: Kontinuierliche Verbesserung mit dem PDCA-Zyklus

4

Zeit

© IFA G9130SW_B

Ausfälle frühzeitig. In Verbindung mit dem Prozess der kontinuierlichen Verbesserung und seinen Techniken sind so eine Minimierung LebenszyklusG9130SW © Institut für Fabrikanlagen der und Logistik kosten und eine Maximierung der Anlagenausbringung erreichbar, s. a. [Har07].

4.7  Just in Time Das vierte wesentliche Element des TPS-Systems zielt unter dem von Taiichi Ohno geprägten Begriff „Just in Time“ (JIT) darauf ab, sämtliche zur Produktion notwendigen Faktoren „gerade rechtzeitig“ bereitzustellen [Ohn86]. Damit werden die Ziele niedrige Bestände, kurze Durchlaufzeiten und hohe Termintreue unterstützt. Das JIT-Konzept betrachtet deshalb die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten über die eigene Produktion bis zur Auslieferung an den Kunden. Die in Bild 4.8 links genannten Elemente des JIT zielen auf einen möglichst gleichmäßigen Fluss der Aufträge durch die Produktion. Hierbei zielt die Produktionsnivellierung zunächst auf eine Glättung der Auftragsinhalte der meist unregelmäßig eintreffenden Aufträge, während das Pullprinzip das Warenhausprinzip betont. Als ideal wird eine

B

Fließfertigung mit durchgehender Taktzeit über alle Wertschöpfungsstufen hinweg angesehen. Für den Beschaffungsprozess resultiert aus dem JITAnsatz die produktionssynchrone Anlieferung der Zukaufteile möglichst ohne Wareneingangslager direkt an den Verbrauchsort. Im Fall der Bereitstellung von Varianten in der Reihenfolge ihres Einbaus – z.B. bei Ausstattungsvarianten eines PKW – spricht man von einer Just-in-Sequence-Beschaffung (JIT). Diese Art der Beschaffung eignet sich nur für Teile mit hohem bis mittlerem Verbrauchswert (A- und B-Teile) und hoher bis mittlerer Vorhersagegenauigkeit des Verbrauchs (X- und Y-Teile) [Wild 98]. Auch sind eine enge Abstimmung zwischen Lieferanten und Verbraucher, hohe Lieferzuverlässigkeit und beherrschte Prozesse sowie nicht zu starke Mengenschwankungen Voraussetzung für diese Beschaffungsart, bei der teilweise nur noch für 2 bis 4 Stunden Bestände am Verbrauchsort vorgehalten werden. Für die übrigen Teile verfolgt man andere Lieferkonzepte, wie beispielsweise die Vergabe der kompletten Bewirtschaftung der C-Teile an einen externen Dienstleister oder die Anlieferung von Artikelgruppen durch einen Lieferanten, das sogenannte C-Teile-Management. Generell strebt man die Reduzierung der Anzahl der Zulieferpositionen an, sei es durch die Bündelung von Artikeln oder durch den Aufbau von Entwicklungspartnerschaften mit der späteren Zulieferung von

93

4  Bekannte Produktionskonzepte

Ausgehend von einem Lager fertiger Erzeugnisse entnimmt der Kunde (hier der Vertrieb) beim Vorliegen

Pull-Steuerung

Schweißerei Pull-Steuerung

Mechanische Fertigung Pull-Steuerung

Externer Lieferant

Zwischenlager

Materialfluss

Produktionsbereich

Steuerung

Bild 4.10: Beispiel für eine nach dem Pull-Prinzip gesteuerte Produktion ©©IFA G1278SW_Wd_B Institut für Fabrikanlagen und Logistik

94

G1278SW Wd B

Pull-Steuerung

Kunde

Zuschnitt

Pull-Steuerung

Erzeugnislager

Pull-Steuerung

Erzeugnismontage

Beschaffung

Pull-Steuerung

eines konkreten Kundenauftrages das entsprechende Produkt und liefert die gewünschte Menge sofort aus. Ist ein bestimmter Bestandswert unterschritten, geht nach der Entnahme eine Information an die Erzeugnismontage, diese Produktvariante in einer definierten Menge und in einer vereinbarten Zeit nachzuliefern. Als Informationsträger dient eine Karte, welche die Artikelnummer, den erzeugenden Bereich, den verbrauchenden Bereich und die zu fertigende Menge festlegt. Dieser Beleg wird als Kanban bezeichnet, was japanisch so viel wie Schild oder Karte bedeutet. Die Erzeugnismontage bedient sich ihrerseits der vorgelagerten Puffer, in denen einbaufertige Schweißteile bzw. Vormontagegruppen liegen, die wiederum mit Hilfe weiterer Kanban-Karten nachgefertigt werden. Diese Regelkreise setzen sich bis zum Zuschnitt der Blechteile bzw. bis zur mechanischen Fertigung fort. In diesem konkreten Fall erfolgte die Anbindung der externen Lieferanten für das Blechmaterial und die Zukaufkomponenten (Hydraulikteile) ebenfalls über Kanbans, die über Fax oder zunehmend elektronisch übermittelt werden. Das Pullprinzip realisiert also eine weitgehend kontinuierliche Fließfertigung, ist aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Hierzu zählen eine

Vormontage

4

Komponenten und Systemen. Die wesentlichen Voraussetzungen für die JIT-Anlieferung sind eine hohe Zuverlässigkeit des Lieferanten hinsichtlich seiner Prozesse und eine sichere Anlieferung. Die erste Voraussetzung erfüllt man durch eine Lieferantenqualifizierung und regelmäßige Auditierung. Der zweiten Problematik begegnet man im Fall genügend großer Liefervolumina durch Ansiedlung der Zulieferanten in sogenannten Zulieferparks in der unmittelbaren Nähe des Verbrauchers. Weitere Anlieferkonzepte befinden sich in stetiger Entwicklung und werden später bei der Gestaltung der Beschaffungslogistik diskutiert (s. Abschn. 9.5.1). Die Anwendung des JIT-Prinzip in der Produktion läuft auf das sogenannte Pull-Prinzip hinaus. Im Gegensatz zum Push-Prinzip, bei dem einzelne Aufträge in der Reihenfolge entsprechend dem Arbeitsplan vor die Arbeitsstation geschoben werden, zieht man beim Pull-Prinzip die Aufträge nach dem Warenhausprinzip beginnend mit der letzten Arbeitsstation aus der Fertigung heraus. Bild 4.10 zeigt ein Beispiel für eine nach dem Pull-Prinzip gesteuerte Produktion.

4.7  Just in Time

100% fehlerfreie Produktion jedes Abschnitts, eine begrenzte Zahl von Varianten, eine durch die Kapazitätsflexibilität beherrschbare Mengenschwankung und die strikte Einhaltung der je Kanban vereinbarten Lieferzeit. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen wird eine einfache, dezentrale Steuerung mit kontrollierten Beständen erreicht. Sind diese nicht gegeben, greifen andere Verfahren wie die Con-Wip-Steuerung (Constant Work in Process) [Hop96] oder die BOA (Belastungsorientierte Auftragsfreigabe) [Wie97]. Das besondere Merkmal der Con-Wip-Steuerung ist der Verzicht auf variantenspezifische Pufferlager. Vielmehr erfolgt ein Impuls zur Nachfertigung statt an die vorgelagerten Stufen direkt an den Beginn der Fertigungskette. Es handelt sich demnach um eine bestandsgeregelte PullFertigung nach dem Fließprinzip. Für den Fall sehr unterschiedlicher Aufträge, die nach dem Werkstättenprinzip (Push) abgefertigt werden, bietet sich die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe (BOA) an, die mit einer kombinierten Bestands- und Durchlaufzeitregelung arbeitet. Aufträge werden erst freigegeben, wenn sichergestellt ist, dass in der Zukunft ein vorab definiertes Bestandsniveau an jeder der betreffenden Arbeitsstationen nicht überschritten wird. Das Verfahren schützt die Werkstatt vor einer Überlastung und damit vor einem unkontrollierten Bestandsaufund -abbau. Die Just-in-Time-Produktion erfordert neben den bereits erwähnten sicheren Fertigungsprozessen auch zuverlässige Transport-, Lager- und Bereitstellprozesse vom Wareneingang bis zur Auslieferung. Aus Sicht der Fabrikplanung ergeben sich daraus Anforderungen an eine einfache und gut überschaubare Positionierung der Werkstücke auf den Ladungsträgern. Ferner empfiehlt sich der Einsatz mobiler Zwischenlager möglichst mit Durchlaufregalen, die einfache Übergabemöglichkeit der Ladungsträger von den Transportfahrzeugen in Zwischenlager oder an den Verbrauchsort sowie ein sicheres Transportsystem mit hoher Anlieferfrequenz. Hinsichtlich der Distribution der in der Produktion erzeugten Güter macht das Toyota Produktionssystem keine spezifischen Aussagen, jedoch gilt auch hier das Prinzip des Fließens, möglichst niedriger

Bestände und kurzer Auslieferungszeiten. Die Verteilung der Güter an den Handel und Endverbraucher ist Aufgabe der Distributionslogistik, meist über Zwischenlager, in denen eine Bündelung von Artikeln und ihre Auslieferung an den kundennahen Entnahmeort erfolgt. Als wesentliche technische Funktionen treten hier das Umschlagen, Lagern, Kommissionieren und der Transport auf. Da die Distribution die Fabrikplanung nur bezüglich des Abgabepunktes auf dem Fabrikgelände berührt, soll dieses Thema nicht weiter vertieft werden. Hinweise zur Gestaltung der Distributionslogistik finden sich z.B. bei Wildemann [Wil10]. Mit zunehmender Verflechtung der globalen Warenströme hat sich der Gegenstand der Betrachtung vom einzelnen Unternehmen auf Logistikketten und -netzwerke ausgeweitet. Dabei wird sowohl der Güterfluss stromaufwärts zum Lieferanten des Lieferanten als auch stromabwärts bis zum Kunden des Kunden betrachtet und als Versorgungskette, Wertschöpfungskette und insbesondere als Supply Chain (engl. supply: liefern, chain: Kette) bezeichnet [Co01, Bu04, Senn07]. Als Kernaufgaben des jeweiligen Kettengliedes gelten die Prozesse Beschaffen (source), Herstellen (make) und Liefern (deliver) sowie die Retourenprozesse z.B. von Reklamationen (return). Sie sind im sogen. Supply Chain Operations Reference Model (SCOR-Model 8.0) beschrieben, das laufend weiterentwickelt wird [http://www.supplychain.org]. Das Supply Chain Management (SCM) gestaltet, plant und steuert die betroffenen Material-, Informations- und Werteflüsse in den Netzwerken mit dem Ziel einer hohen Kundenzufriedenheit (Preis, Qualität, Liefertreue) sowie der Senkung des Aufwandes (Bestände, Schnittstellen) und einer rascheren Marktanpassung. Damit konkurrieren also nicht mehr einzelne Unternehmen, sondern ganze Wertschöpfungsketten miteinander. Besonders ausgeprägt sind derartige Lieferketten in der Automobilindustrie. Das letzte Hauptelement des Toyota Produktionssystems wird mit dem Kunstwort Autonomation bezeichnet. Damit wird die Fähigkeit eines automatischen Systems umschrieben, beim Auftreten von Problemen in Form von Maschinenstörungen, Qualitätsproble-

4

95

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

96

men oder Montagefehlern entweder selbsttätig oder durch Eingriff der Werker anzuhalten. Technisch wird dieser Vorgang durch maschineninterne Sensoren bzw. durch eine sogenannte Reißleine entlang einer Fertigungs- oder Montagelinie realisiert. Die Störungsanzeige erfolgt mit Signallampen an der betreffenden Station sowie an einer gut sichtbaren elektronischen Anzeigetafel und bewirkt ein schnelles Eingreifen von Spezialisten der Qualitätssicherung und Instandhaltung [Oelt00]. Zusammenfassend ist zum Ansatz Lean Production und dem zugrunde liegenden Toyota Produktionssystem festzustellen, dass es erfolgreiche Gestaltungsprinzipien für die Gestaltung der Beschaffungs- und Produktionsabläufe umfasst. Es wurde von zahlreichen Unternehmen aufgegriffen und seit den 1990er Jahren in Form sogenannter Produktionssysteme etabliert. Spath hat den Ansatz auf den Begriff Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) erweitert, die er wie folgt definiert: „Ganzheitliche Produktionssysteme sind methodische Regelwerke und Handlungsanleitungen zur Herstellung von Produkten. Sie stellen eine Art Betriebsanleitung für die Produktion vor allem unter Berücksichtigung organisatorischer, personeller und wirtschaftlicher Aspekte dar“ [Spa03]. Dombrowski gibt wichtige Hinweise zur Implementierung derartiger Systeme und weist auf Probleme der Planung und Bewertung hin [Dom08]. Die Prinzipien der schlanken Produktion sind nicht nur für die Automobilindustrie, sondern auch für viele andere Branchen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik und des Aggregatebaus anwendbar. Die Automobilindustrie war auch hier Vorreiter, zunehmend greifen aber auch mittelständische Unternehmen den Ansatz auf. Allerdings sind die Voraussetzungen hinsichtlich der Produktgestaltung und der eingesetzten Produktionstechniken zunächst nicht immer gegeben, so dass erst mit einer neuen logistikgerecht gestal­teten Produktgeneration und den gleichzeitig dazu entwickelten varianten- und mengenflexiblen Fertigungstechniken die Potenziale eines schlanken Produktionskonzeptes erschlossen werden können. Was das Konzept der schlanken Produktion und der ganzheitlichen Produktionssysteme für die Fabrik-

planung und die wandlungsfähige Fabrik bedeutet, wird in den einschlägigen Veröffentlichungen nicht weiter ausgeführt, da der Fokus auf den eigentlichen Produktionssystemen der Fertigung und Montage liegt. Die Übertragung der Grundgedanken auf die Fabrik als System ist vielversprechend und wird in den weiteren Kapiteln stufenweise zum Konzept der wandlungsfähigen Fabrik entwickelt.

4.8  Das Fraktale Unternehmen Einen Versuch, die seit den 1970er Jahren erkennbaren Entwicklungen der Produktionsorganisation zu einem ganzheitlichen Ansatz zusammenzufassen, stellt der von Warnecke geprägte Begriff der Fraktalen Fabrik dar [War92], später ausgeweitet auf das ganze Unternehmen [War93]. Als fraktal wird in einem neueren Zweig der Mathematik – der fraktalen Geometrie – ein selbstähnliches Gebilde bezeichnet, das mit wenigen einfachen Bildungsgesetzen komplexe Strukturen aufzubauen gestattet. Im übertragenen Sinne ist ein fraktales Unternehmen demnach ein offenes System, das aus selbständig agierenden und ihrer Zielausrichtung ähnlichen Einheiten – den Fraktalen – besteht, die hinsichtlich ihrer Ziele und Leistungen eindeutig beschreibbar sind. Sie bilden durch dynamische Organisationsstrukturen einen vitalen Organismus, der auf Impulse von außen durch Veränderungen seiner Struktur und seines Verhaltens reagiert [War93]. Das Konzept hebt vier wesentliche Organisationsprinzipien hervor:

•  Selbstorganisation •  •  • 

durch Eigenverantwortung und Funktionsintegration Selbstoptimierung durch eine kontinuierliche Unternehmensentwicklung Zielorientierung durch ein ganzheitliches, am Markt ausgerichtetes Unternehmenszielsystem Dynamik gemessen am Zielerreichungsgrad der einzelnen Unternehmensfraktale.

4.9  Agilitätsorientierter Wettbewerb

Wenngleich Fraktale eine deutliche Ähnlichkeit mit Segmenten besitzen, geht der Ansatz des fraktalen Unternehmens doch über die segmentierte und modulare Fabrik hinaus. Zum einen wird die Selbstorganisation aus der gemeinsamen Zielorientierung im Sinne einer innerbetrieblichen Marktwirtschaft heraus betont. Hierdurch sind selbstinitiierte Veränderungen nicht nur innerhalb des Fraktals, sondern auch Veränderungen des Aufgabenumfangs und der Beziehung zu anderen Fraktalen gewissermaßen von unten nach oben möglich. Zum anderen sollen die Mitarbeiter der Fraktale zum Treiber von Verbesserungen und Veränderungen werden, weil sie im Gegensatz zu einer bürokratisch zentral planenden Organisation wesentlich schneller auf turbulente Marktbewegungen reagieren können. Ein solcher Ansatz erfordert die Ausweitung der klassischen Sichten auf Prozesse, Materialfluss und Information sowie Wirtschaftlichkeit und Finanzen auf eher weiche Faktoren wie sozio-informelle Beziehungen, strategische Aspekte und die Unternehmenskultur [War95]. Als wesentlich wird vor allem hervorgehoben, dass es keinen allgemeingültigen Projektplan geben kann, der zum fraktalen Unternehmen führt. Vielmehr sind die Bereitschaft zum Wandel und die Veränderungen der Unternehmenskultur die prägenden Elemente dieses pragmatischen Ansatzes eines dynamischen Unternehmens. Das Konzept hat wichtige Impulse zu einer ganzheitlichen Sicht auf die Produktion mit der Betonung auf den permanenten Wertzuwachs der fraktalen Wertschöpfungseinheiten gegeben, die in einem Netzwerk eigener und partnerschaftlicher Potenziale zusammenarbeiten.

4.9  Agilitätsorientierter Wettbewerb In den USA ist aufbauend auf einer umfangreichen Industriestudie unter dem Begriff „Agile Manufacturing“ ein Unternehmenskonzept entwickelt worden, das die nochmals gesteigerte Reaktionsfähigkeit

(eben „Agilität“) gegenüber jedem Kundenwunsch hervorhebt [Gold91]. Dabei tritt der Entwicklungsprozess eines neuen Produktes oder einer neuen Dienstleistung gegenüber dem Fertigungsprozess in den Vordergrund, um die Zeitspanne zwischen der ersten Idee und den ersten Verkaufserlösen (Concept-to-Cash-Flow-Time) möglichst kurz zu halten [Gold96]. In einem „Wettbewerbsraum“, der die vier Dimensionen Kundenmehrwert, Kooperation, Organisation und Menschen umfasst, sollen sich die Unternehmen positionieren, um neue Kundenkreise schnell zu erschließen. Damit wird der Tatsache der ständigen und unvorhersehbaren Veränderungen Rechnung getragen, denen die Unternehmen ausgesetzt sind. Um die Unternehmen für diese Herausforderung zu rüsten, empfehlen die Autoren in diesem Wettbewerbsraum deren ganzheitliche Gestaltung in sechs Ebenen, die Bild 4.11 mit den zugehörigen Ansätzen zusammenfasst.

4

Ausgehend von den artikulierten oder vorausgesehenen Kundenwünschen ist es Aufgabe des Marketings, kombinierte Produkt-Dienstleistungsangebote mit maximalem Kundennutzen zu definieren. Dabei ist es Aufgabe der Produktion, diese in beliebigen Losgrößen zum Bedarfszeitpunkt bereitzustellen. Der ganze Entwurfsprozess ist ganzheitlich auf diese Aufgabe auszurichten, wobei Lieferantenbeziehungen und Produktionsprozesse unter Beachtung der Kundenbeziehungen zu verknüpfen sind. Nach Auslieferung sind die Produktverwendung und die Produktentsorgung im Sinne eines Life-Cyle-Service zu begleiten. Bei der Organisation geht es um neue Kombinationen von technischen Einrichtungen und hochqualifiziertem Fachwissen in einem Netzwerk, das aus internen und externen Teilnehmern unter Einschluss des Wettbewerbs besteht. Dem Management fällt dann die Aufgabe zu, von einer zentralen Befehls- und Kontrollstruktur Abschied zu nehmen und statt dessen Führung im Sinne einer vorgelebten Unternehmensstruktur zu praktizieren, die auf Vertrauen setzt, die Mitarbeiter unterstützt statt bevormundet und damit motivierend wirkt. Als ultimativer Erfolgsfaktor wird

97

4  Bekannte Produktionskonzepte

Mehrwert für Kunden schaffen

Entwicklungsansatz

Marketing

Individualisierte Kombination von Produkten und Dienstleistungen mit maximiertem Kundennutzen

Produktion

Produktion von Gütern und Dienstleistungen nach Kundenanforderung in beliebigen Losgrößen

Entwurf

Ganzheitliche Methoden zur Integration der Lieferbeziehungen, Produktionsprozesse, Kundenbeziehungen, Produktverwendung und -entsorgung

Organisation

Neue produktive Möglichkeiten des Zusammenfügens von Ressourcen (Fachwissen und Anlagen) unabhängig von ihrer geographischen Ansiedlung innerhalb eines Unternehmens oder innerhalb von Gruppen miteinander kooperierender Unternehmen

Management

Verlagerung der Befehls- und Kontrollphilosophie hin zur Ebene der Führung, Motivation, Unterstützung und des Vertrauens

Mensch

Entwicklung einer erfahrenen, begabten und innovativen ganzheitlichen Mitarbeiterschaft als ultimativer Faktor zur Unterscheidung der erfolgreichen von den nicht erfolgreichen Unternehmen

Kooperieren, um Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen

4

Menschen und Informationen als Hebelkraft nutzen

Agilitätsebene

Organisieren, um den Wandel zu meistern

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

10.030SW B

Bild 4.11: Merkmale agiler Unternehmen im vierdimensionalen Wettbewerb (nach Goldman u. a.) © IFA 10.030SW_B

schließlich eine innovative, begabte und erfahrene Mitarbeiterschaft angesehen, die es zu entwickeln und zu fördern gilt. Insgesamt werden von den Autoren des agilitätsorientierten Wettbewerbs keine detaillierten Vorschläge oder Rezepte zur Ausgestaltung von Prozessen oder Fabriken angeboten, sondern der Blick auf eine lebendige Kundenbeziehung gelenkt und die Bedeutung der Mitarbeiter mit ihrem Wissen, Können und ihrer Kreativität hervorgehoben. Damit begreifen agile Unternehmen den Wandel als Chance zur offensiven Nutzung neuer Geschäftsmöglichkeiten. Für die Fabrikplanung bedeutet ein solcher Ansatz die Notwendigkeit einer schnellen Veränderungsmöglichkeit von Prozessen, Produktionseinrichtungen und Abläufen.

98

4.10  Kundenindividuelle Massen­ produktion Im Zuge der weiteren Wettbewerbsdifferenzierung sehen sich viele Unternehmen gezwungen, immer mehr Varianten zu entwickeln, welche die spezifischen Wünsche ihrer Kunden erfüllen. In den vorangegangenen Ausführungen zum agilitätsorientierten Wettbewerb klang diese Notwendigkeit bereits an und wurde auf das ganze Unternehmen bezogen. Dieser Ansatz führt jedoch zu einem immer höheren Aufwand für die Konstruktion, Produktion und Logistik, dem keine kostendeckenden Preise mehr gegenüberstehen. Einen Ausweg aus diesem auch als Komplexitäts- oder Variantenfalle bezeichneten Dilemma versucht der Ansatz der Mass Customization, im deutschen Sprachgebrauch auch als kundenindividuelle Massenproduktion bekannt.

4.10  Kundenindividuelle Massenproduktion

Ziel dieses erstmals von Davis formulierten Ansatzes ist es, die Methoden der Großserienfertigung auf die Herstellung kundenindividueller Produkte und Dienstleistungen anzuwenden [Dav87]. Nahezu 10 Jahre später erweiterte Pine von der IBM-Unternehmensberatung den Gedanken von Davis in einer Reihe von Artikeln weiter und veröffentlichte 1993 sein Buch „Mass Customization“, das als Standardwerk zu diesem Thema gelten kann [Pin93]. Er überwindet das von Porter entwickelte Wettbewerbsmodell, das von einer Aufteilung der Produktstrategien entweder nach Kostenführerschaft oder nach Differenzierung in überlegene Produktfunktionalität, Qualität und Lieferzeit ausgeht. Demgegenüber ist es das erklärte Ziel des kundenindividuellen Massenproduzenten, die klassischen Großserienhersteller durch das gezielte Besetzen von Nischenmärkten anzugreifen, die allmählich ausgeweitet werden. Als Voraussetzung gelten eine hoch flexible Produktion, die vernetzte Zusammenarbeit kleiner Produzenten und die enge informationstechnische Verknüpfung von Kunden, Lieferanten und Produzenten bei der Entwicklung neuer Produkte. Dies erfordert in den einzelnen Unternehmen flache Hierarchien mit weitgehend autonomen Teams. In Deutschland hat vor allem Piller den Begriff der kundenindividuellen Produktion bekannt gemacht [Pil06]. Gestützt auf zahlreiche Beispiele beschreibt

er Mass Customization als logische Fortentwicklung der Variantenproduktion der 1980er Jahre, Bild 4.12. Stand in der Massenfertigung der 1960er Jahre den Preisforderungen des Marktes die Leistungsanforderung nach höchster Effizienz gegenüber, erweiterten sich die Marktforderungen in den 1970er Jahren um neue Ansprüche an das Qualitätsniveau, denen die Produktion durch die Einführung eines umfassenden Qualitätskonzeptes begegnete. Mit der wachsenden Vielfalt auf der Produktseite in den 1980er Jahren wurde die Notwendigkeit einer hohen Produktionsflexibilität deutlich. Ein wichtiger Ansatz hierzu bestand in der computerintegrierten Fertigung (CIM), die infolge mangelnder Anpassung der Organisation jedoch nicht den erhofften Erfolg brachte. Erst die komplette Reorganisation aller Geschäftsprozesse und die Gliederung der Produktion in kunden- bzw. produktorientierte Segmente stellte die notwendige Flexibilität sicher. Mit der weiteren Individualisierung der Leistung entstand dann die Notwendigkeit, nicht nur den Kunden, sondern auch die Lieferanten einzubinden. Aus diesem Ansatz heraus entwickelt Piller folgende Definition: „Mass Customization ist die Produktion von Gütern und Leistungen für einen (relativ)

4

1960: Masse

1970: Qualitätsbewegung

1980: Variantenmanagement

heute: Mass Customization

Bild 4.12: Entwicklungsstufen der Produktion zur Mass Customization (Piller)

Marktanforderung Individualität

Vielfalt

© IFA 10.023SW_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Qualität

Leistungsanforderung Preis

Effizienz

Qualität Flexibilität

Kundenintegration

10.023SW B

99

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

großen Absatzmarkt, welche die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers dieser Produkte treffen. Die Produkte werden dabei zu Preisen angeboten, die der Zahlungsbereitschaft von Käufern vergleichbarer massenhafter Standardprodukte entsprechen“ [Pil06]. Mass Customization wird als wichtiges Instrument gesehen, um die Kundenbindung zu erhöhen. Die Umsetzung geschieht nach zwei Konzepten, die sich nach dem Zeitpunkt der Individualisierung des Produktes unterscheiden, Bild 4.13. Bei der sogenanten Soft Customization erfolgt die Anpassung durch den Kunden entweder selbstständig, im Handel oder im Rahmen einer Serviceleistung. Demgegenüber erfolgt bei der Hard Customization die Individualisierung in der Fabrik entweder durch entsprechende Fertigungsoperationen, Montage aus Modulen oder durch standardisierte Prozesse, die in Stückzahl eins umgestellt werden können. Das Bild enthält zu den

Für die Fabrikplanung bedeutet das Konzept der kundenindividuellen Massenfertigung nach dem Prinzip der Hard Customization eine Weiterentwicklung der Unternehmensorganisation in produkt- und marktspezifische Segmente. Hier arbeiten in räumlicher Nähe Konstruktion, Fertigung und Logistik unmittelbar auftragsbezogen zusammen. Verbunden damit ist ein hohes Maß an Informationsaustausch und personaler Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette. Darüber hinaus wird die Fertigungsplanung und -steuerung anspruchsvoller und die Lieferanten müssen bereit sein, auch kleine Mengen in kurzer Zeit zu liefern. Schließlich verlangt die rasche Auslieferung des Fertigproduktes an den Kunden, der meist der Endnutzer ist, ein hohes Maß an logistischer Kompetenz.

Soft Customization

Hard Customization

Kein Eingriff in die Fertigung, Vollzug der Individualisierung außerhalb des Unternehmens

Varietät basiert auf Aktivitäten der Fertigung Änderung der internen Funktionen notwendig

Selbstindividualisierung Konstruktion und Fertigung standardisierter Produkte mit eingebauter Flexibilität, die vom Kunden selbst angepasst werden Bosch: selbstgestaltbares Armaturenbrett im KFZ Lutron: Programmierung von Lichtsteuerungen

Individuelle End- / Vorproduktion mit standardisierter Restfertigung Entweder die ersten (Materialverarbeitung) oder die letzten Wertschöpfungsschritte (Montage, Veredelung) werden kundenindividuell durchgeführt, alle anderen standardisiert Mattel: anpassbare Barbiepuppe Dolzer: maßgeschneiderte Herrenanzüge

Individuelle Endfertigung im Handel / Vertrieb Auslieferung eines einheitlichen Rohprodukts, das im Handel nach Kundenwunsch vollendet wird.

Modularisierung nach Baukastenprinzip Erstellung kundenspezifischer Produkte aus standardisierten kompatiblen Bauteilen

Paris Miki: individuelles Brillendesign Smart: Anpassung von Interieur und Design des Kleinwagens beim Händler

Dell: modulare Computer Krone: anpassbare Nutzfahrzeuge und Aufleger

Serviceindividualisierung Ergänzung von Standardprodukten um individuelle sekundäre Dienstleistungen

Massenhafte Fertigung von Unikaten Individuelle Leistungserstellung über ganze Wertkette durch standardisierte Prozesse

ChemStation: Bestandsmanagement für Reinigungsstellen Zoots: Profilverwaltung bei chemischer Reinigung

Küche-Direkt: Einbauküchen My Twinn: Puppen nach Vorbild NBIC: Fahrräder mit individuellen Rahmen

Bild 4.13: Konzeption der Mass Customization (Piller)

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik © IFA 14.784_B

100

einzelnen Fällen Beispiele, die den jeweiligen Anwendungsschwerpunkt verdeutlichen.

14.784 B

Umfang kundenindividueller Wertschöpfungsstufen

4.11  Das Produktionsstufen­konzept

konventionelle Produktstruktur

Produktstruktur bei verlagerter Variantenbildung

Anzahl Varianten

Anzahl Varianten

Fertigungsschritte

• Varianz in der Fertigung vermeiden • wenige, standardisierte Baugruppen

äußere Varianz

• Verlagerung der Variantenbildung in die Endmontage

Fertigungsschritte

Maßnahmen:

Reduktion der inneren Varianz

4

äußere Varianz

Bild 4.14: Verringerung der Komplexität durch späte Variantenbildung © IFA 12.082SW_B

4.11  Das Produktionsstufen­ konzept 12.082SW B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik Das Konzept der kundenindividuellen Produktion fördert geradezu die Entstehung immer neuer Produktvarianten. Bisher zielt der stark marketinggeprägte Ansatz vorwiegend auf Konsumgüter ab, wie z.B. Schuhe, Bekleidung, Möbel usw., jedoch ist seine Ausbreitung auf Investitionsgüter nicht aufzuhalten. Der generelle Ansatz besteht darin, die kundenindividuellen Varianten durch die Kombination von – auf Lager gefertigten – kundenneutralen Baugruppen und kundenspezifischen Teilen zu erzeugen, wobei Letztere erst nach Auftragseingang fertig gestellt werden. Dadurch kann die Anzahl der Varianten in den frühen Fertigungsstufen reduziert werden. Bild 4.14 verdeutlicht den damit erzielbaren Effekt [Wie04, S.13]. Die für den Kunden wahrgenommene äußere Varianz hat bei früher Variantenbildung hohe Bestände an Zwischenfabrikaten, lange Durchlaufzeiten und einen großen Steuerungsaufwand zur Folge. Stellt man nun die klassische Trennung von Fertigung und Montage infrage und gelingt es damit, die variantenbildenden Fertigungsprozesse in die Montage zu ver-

lagern, wird dadurch die innere Varianz und damit die Komplexität der gesamten Produktion verringert. Möglichst wenige standardisierte Baugruppen bilden dabei die kundenneutrale Produktbasis. Die Produktion wird also nicht mehr in Fertigung und Montage gegliedert, sondern in eine so genannte Produktionsvorstufe mit variantenneutralen sowie eine sogenannte Produktionsendstufe mit variantenbildenden Prozessen. Dies wird dann als Produktionsstufenkonzept bezeichnet. Es wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundvorhabens mit Industriepartnern entwickelt und praktisch erprobt [Wie04]. Bild 4.15 zeigt das Prinzip. Die klassische Teilefertigung weicht der Produktionsvorstufe, in der sowohl variantenneutrale Teile als auch variantenneutrale Baugruppen entstehen. In der durch einen Puffer entkoppelten Produktionsendstufe erfolgt dann die Fertigstellung des kundenspezifischen Produktes, wozu die Fertigbearbeitung variantenneutraler Teile (sogenannte Restfertigung), die Fertigmontage variantenneutraler Baugruppen (sogenannte Baugruppenrestmontage), die Endmontage des kompletten Produktes und die Funktionsendprüfung des Produktes gehören. In der

101

4  Bekannte Produktionskonzepte

Fertigung

Montage

traditionelle Produktionsstruktur

Teilelager

Vorstufe: Integration variantenneutraler Montageprozesse in die Vorstufe Endstufe: Integration variantenbildender Fertigungsprozesse in die Endstufe

4

Produktionsendstufe

Produktionsvorstufe Produktionsstufenkonzept

Puffer

Teil oder Baugruppe variantenneutral

© Institut Fabrikanlagen und Logistik Bildfür 4.15: Struktur und Elemente

Teil oder Baugruppe variantenspezifisch

14.785 B des Produktionsstufenkonzeptes

© IFA 14.785_B

idealtypischen Produktionsendstufe erfolgen die variantenbildenden Restfertigungsprozesse unmittelbar, bevor das Variantenteil verbaut wird [Roe02]. Nach den bisherigen praktischen Erfahrungen haben sich folgende wesentlichen Ein­satzvoraussetzungen ergeben:

•  Das • 

•  • 

102

Produkt sollte über möglichst eindeutig definierbare technische Variantenmerkmale verfügen. Es muss fertigungstechnisch möglich sein, diese Variantenmerkmale im Rahmen der Endmontage zu erzeugen und in den Montageablauf zu integrieren. Das Produkt sollte ein Endprodukt sein oder zumindest Modulcharakter besitzen, um einen starken Kundenbezug zu gewährleisten. Die Produktionsendstufe muss hinsichtlich der eingesetzten Montage-, Fertigungs- und Prüfungsbetriebsmittel einen großen Mengenbereich

•  • 

ohne variantenbedingte Rüstzeit wirtschaftlich abdecken. Die Teilebereitstellung erfolgt in der Produktionsvorstufe verbrauchsgesteuert und in der Produktionsendstufe bedarfsgesteuert. Die Mitarbeiterqualifikation in der Montage muss sich von Tätigkeiten mit starkem Wiederholcharakter hin zu einer produktorientierten Kompetenz entwickeln, die mit dem Begriff Montagefacharbeiter beschrieben werden kann.

Das skizzierte Konzept konnte in einigen in [Wie04] dokumentierten Fällen praktisch erprobt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Produktkonstruktion in Bezug auf die klare Trennung von variantenneutralen und variantenspezifischen Merkmalen systematisch anzupassen ist. Wichtige Ansätze hierzu liefert u. a. Schuh [Schu89] und [Schu05]. Weiterhin sind modulare Betriebsmittel für weitere Fertigungsverfahren erforderlich, die eine lokale Bearbeitung von be-

4.12  Forschungsansätze

reits vorgefertigten variantenneutralen Teilen ohne Qualitätsminderung und deren Integration in den Montageprozess hinsichtlich Taktzeit und Umgebungsbedingungen erlauben. Schließlich muss sich auch die Beschaffungs- und Bereitstell-Logistik sowie die Qualitätssicherung den neuen Anforderungen stellen. Insgesamt ist das Produktionsstufenkonzept eine technologisch anspruchsvolle Aufgabe, kann jedoch einen neuen Wettbewerbsvorteil im globalen Wettbewerb bedeuten. Das Konzept konnte in einem weiteren Verbundprojekt auf eine global verteilte Produktion erweitert werden. Unter dem Begriff Globales Varianten Produktionssystem GVP erfolgt nunmehr die Aufteilung des Produktes in die Produktionsstufen Beschaffung, kompetenzgetriebene Eigenfertigung und marktnahe Komplettierung [Nyh08]. Da diese Aufteilung den standortspezifischen Umfang einer Fabrik in einem Produktionsnetz bestimmt, wird der Ansatz ausführlich in Abschnitt 14.6 erläutert. Für die Fabrikplanung ergeben sich aus dem Produktionsstufenkonzept spezielle Anforderungen hinsichtlich wandlungsfähiger und rekonfigurierbarer Produktionssysteme auf der Bereichsebene.

4.12  Forschungsansätze •  IMS Das bedeutendste Forschungsprogramm zur Entwicklung zukünftiger Produktionssysteme ist das von Japan initiierte internationale Rahmenprojekt „Intelligent Manufacturing System“ (IMS), das zunächst die folgenden von Australien, Kanada, der Europäischen Union, der Europäischen Freihandelsorganisation EFTA, Japan und den USA getragenen fünf Themen bearbeit hat [www.ims.org].

•  Lebenszyklus

zukünftiger Produkte und Produktionseinrichtungen mit generellen Modellen, Kommunikationsnetzen, Nachhaltigkeit, Wiederaufarbeitung und neuen Wirtschaftlichkeitsrechnungen.

•  Prozesse unter den Gesichtspunkten Nachhaltig•  • 

• 

keit, technologische Innovationen, flexible und autonome Produktionsmodule. Strategie-, Planungs- und Entwicklungswerkzeuge zur Unterstützung der Reorganisation und Strategieentwicklung. Mensch, Organisation und soziale Aspekte zur Verbesserung des Ansehens der Produktion, Arbeitskräfteentwicklung, Betrieb autonomer verlagerter Fabriken, verbessertes Wissensmanagement und angemessene Leistungsindikationen. Virtuelle, vernetzte Unternehmen unter Berücksichtigung der Information und Logistik in Lieferketten, Unterstützung von Entwicklungskooperationen und Concurrent Engineering-Prozessen sowie die Zuordnung von Kosten, Verantwortung und Ergebnissen zu den Elementen der vernetzten Produktion.

4

Nach zehnjähriger Arbeit wurde das Projekt abgeschlossen und mit den Ländern Japan, Republic of Korea, Schweiz, den USA sowie der EU im Jahre 2005 neu gestartet. Es dient heute primär als Rahmen für Industrie und Forschungseinrichtungen, um weltweit Partner für Projekte zur Bewältigung der Produktions- und Organisationsprobleme des 21. Jahrhunderts zu finden. Von den abgeschlossenen Projekten soll das Holonic Manufacturing System (HMS) kurz vorgestellt werden, da es wichtige Anregungen für die wandlungsfähige Fabrik enthält. Der zentrale Begriff des Holonic Manufacturing ist das Holon, ein von Arthur Koestler 1967 in seinem Buch „The Ghost in the Machine“ [Koe67] geprägtes Kunstwort. Er beschreibt damit eine autonome Struktureinheit in einem sozialen oder biologischen System, die einerseits aus kleineren Einheiten besteht und gleichzeitig Bestandteil einer größeren Einheit ist. Das Wort ist zusammengesetzt aus dem griechischen Wort holos für das Ganze und dem Suffix on, das so viel wie Bestandteil bedeutet. Ein Holon ist demnach ein Ganzes und gleichzeitig Teil eines größeren Ganzen. Im Rahmen des erwähnten IMS-Programms wurde der Begriff auf die Produktionswelt übertragen

103

4  Bekannte Produktionskonzepte

4

und ein Holon als autonome und kooperierende Gestaltungseinheit eines Produktionssystems zur Umwandlung, zum Transport, zur Lagerung und/ oder Validierung von Informationen und physischen Objekten definiert [Sei94]. Ähnlich wie ein Fraktal besteht ein Holon aus Untereinheiten, die zueinander in einer starken Beziehung stehen. Das Holon kooperiert als Ganzes wiederum mit anderen Holons in einer als Holarchy bezeichneten Systemordnung. Es ist einerseits autonom und anderseits kooperationsfähig. Bild 4.16 deutet diese Zusammenhänge in einem Schema an [Thar96]. Wendet man dieses Schema auf ein Holonisches Produktionssystem an, integriert dieses alle notwendigen Aktivitäten vom Auftragseingang über die Konstruktion und Fertigung bis hin zum Marketing, um das agile Produktionsunternehmen zu realisieren [Sei94]. Die Holarchy definiert dabei die Regeln der Zusammenarbeit und die Grenzen der Autonomie der Holone. Das einzelne Holon kann hier ein physisches Objekt wie z. B. eine Werkzeugmaschine oder Vorrichtung sein, oder eine Information darstellen, wie

z. B. eine Zeichnung oder einen Arbeitsplan. Menschen sind, soweit sinnvoll, Bestandteile von Holons, werden in ihrer Rolle und Bedeutung für den Unternehmenserfolg aber nicht so stark betont wie bei dem Ansatz des agilitätsorientierten Wettbewerbs. Zur Umsetzung dieser noch sehr konzeptionellen Ideen wurde das sogen. HMS-Konsortium gegründet. Im Rahmen dieses Konsortiums werden u. a. rekonfigurierbare Maschinen entwickelt, die sich bei Produkt- und Mengenänderungen autonom in kurzer Zeit anpassen können und auf Störungen mit einem automatischen Wiederanlauf oder Notlaufbetrieb reagieren. Aber auch neue Steuerungsstrategien und intelligente Spannvorrichtungskonzepte gehören zu den Projekten. Eine Übersicht über einige Teilaspekte und die Abgrenzung zu Fraktalen und den im Folgenden kurz erläuterten Bionischen Systemen finden sich in [Deen08]. Insgesamt zielt das Holonische Produktionssystem auf eine hohe Reaktionsfähigkeit bei Veränderungen des Marktes und der Umwelt. Es soll sich daher dynamisch anpassen und seine Pläne und Strategie ständig kontrollieren.

Holon Holarchy

Holon

Holon

Holarchy Autonomes Holon

kooperativ

Autonomes Holon

kooperativ

Bild 4.16: Holonisches System mit kooperierenden autonomen Holons © IFA G9507SW_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

104

G9507SW B

4.12  Forschungsansätze

Tod

Entsorgung Abnutzung

Altern Erholung

wissensbasierte Information

Reparatur

Verletzung

Fehler

4

Nutzung

Aktivität

Produkt

Individuum genetische Information

Gebrauchsinformation

Zwischenprodukt

Organe

Herstellungsinformation

Rohstoff

Zelle

Organismus

künstliches Produkt

Bild 4.17: Lebenszyklen von Organismen und künstlichen Produkten © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

© IFA G9506SW_B

G9506SW B

•  Bionic Manufacturing Ein bemerkenswerter Ansatz ist das aus japanischen Forschungsmitteln gespeiste Projekt Bionic oder Biological Manufacturing. Der von Okino [Oki89] und Ueda propagierte und laufend weiterentwickelte Ansatz beruht auf einer Analogiebetrachtung des Lebenszyklus lebender Organismen und industriell erzeugter Produkte, Bild 4.17 [Ued95]. Ein Organismus baut aufgrund genetischer Informationen, die in der DNA (Desoxyribonucleinsäure) gespeichert sind, aus Zellen zunächst Organe und daraus das lebensfähige Individuum auf. Es steuert sich aufgrund der vererbten Informationen und der durch Erfahrung mit der Umwelt erlernten Informationen, die als BN (Brains and Neurons) bezeichnet werden. Das künstliche Produkt entsteht analog dazu in einem Produktionsprozess aus Rohstoffen und Zwischenprodukten, die als Teile, Unterbaugruppen und Baugruppen auftreten. Die notwendigen Herstellungsinformationen bestehen aus Zeichnungen, Stücklisten, Arbeitsplänen und dem Wissen der

Mitarbeiter. Im Laufe der Produktnutzung entstehen Gebrauchsinformationen wie Betriebsstunden, Ausfälle und Reparaturvorgänge. In der heute üblichen Produktion sind die Herstell- und Gebrauchsinformationen außerhalb des Produktes gespeichert. Der Ansatz des Bionic Manufacturing möchte nun Erkenntnisse aus der Biologie über das Entstehen, Wachsen und Vergehen biologischer Lebensformen auf die Herstellung, die Nutzung, Reparatur und Entsorgung industrieller Produkte übertragen. Demnach besteht ein Bionic Manufacturing System (BMS) aus autonomen Einheiten, die wie organische Zellen mit ihrer Umwelt kommunizieren. Die Koordination zwischen den Zellen erfolgt mit Hilfe von Enzymen, denen in einem Produktionssystem die Produktionsplanungs- und Steuerungsfunktionen entsprechen. Wie bei der hierarchischen Gliederung eines Organismus in Zellen, Organe und Individuum, geht das BMS ebenfalls von einer hierarchischen Ordnung in autonome kleinste Einheiten aus, die sich zu Gruppen formieren und schließlich ein komplettes Produktionssystem bilden.

105

4  Bekannte Produktionskonzepte

Nachhaltiges Management Wandlungsfähige Strukturen Synergetische Netzwerkbildung

4

Adaptive und hohe Leistungsfähigkeit

Europäische Sozialstandards Methodologien für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Entwicklung

Technische Intelligenz

Europäische Umweltstandards Innovationskultur Europäische Qualitätsstandards Bild 4.18: Leitprojekt Europäisches Produktionssystem (Westkämper)

Lernende Unternehmen

© IFA 14.787_B

14.787 B Ansatz wird beim BMS Ähnlich wie im holonischen ein Kernelement mit dem Namen Modelon definiert [Oki89]. Ein Modelon besteht aus einer Hierarchie von Kinder-Modelons, Operatoren (enzymischen Aktionen) und einer Umgebung zur Speicherung von Informationen, die zwischen den Modelons ausgetauscht werden. Die gesamte Struktur soll einerseits integriert und abgestimmt agieren, anderseits aus in sich geschlossenen Einheiten mit lokaler Entscheidungsfreiheit bestehen. Als Fernziel des BMS wird angestrebt, dass Werkstücke und Produkte die notwendigen Informationen zu ihrer Herstellung und die Kenntnis der benötigten Werkzeuge und Maschinen in sich tragen. Soll das Produkt reproduziert werden, überträgt es diese Informationen an die Produktionseinheiten und Elemente und löst dort die eigentlichen Herstellprozesse aus. Dieser Ansatz wird mit dem Konzept der gentelligenten Bauteile an der Leibniz-Universität Hannover im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 653 „Gentelligente Bauteile im Lebenszyklus“ konkretisiert [http://www.sfb653.uni-hannover.de]. Das Kunstwort „gentelligent“ bringt den genetischen und intelligenten Charakter der innovativen Bauteile zum Ausdruck. Ein gentelligentes Bauteil verfügt im Inneren über notwendige Informationen zu seiner eindeutigen Identifizierung, Reproduktion sowie zu

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

106

seinem Entstehungsprozess. Damit wird es möglich, Informationen an nachfolgende Bauteilgenerationen und im Sinne des lebenslangen Lernens während der Nutzungsphase zu vererben. So entstehen neue Nutzungsmöglichkeiten in den Bereichen Produktionsund Fertigungsplanung, Fertigung, Instandhaltung, Reparatur bis hin zum Recycling und dem Plagiatschutz. Eine Anwendung der Grundidee findet sich in [Den07]. Für die Fabrikgestaltung ergeben sich aus diesen Forschungen noch keine unmittelbaren Konsequenzen. Jedoch ist der generelle Ansatz erkennbar, auf Veränderungen rasch und flexibel reagieren zu können. Dies wird durch verteilte, autonome und kooperierende Strukturen mit dezentraler Steuerung, Flexibilität und Lernfähigkeit sowie der Fähigkeit zur Evolution und Reproduktion erreicht. Dies wird sich langfristig auf die Produktionslogistik im Sinne einer Selbststeuerung der Fertigungsobjekte auswirken.

•  Manufuture Mittlerweile hat auch die EU das Thema Produktion im Rahmen des Rahmenprogramms „Manufuture“ aufgegriffen und strebt ein Europäisches Produktionssystem an, das sämtliche Komponenten für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Entwicklung umfasst [http://www.manufuture.de] [Jov09].

4.14  Literatur

Bild 4.18 zeigt die wesentlichen Komponenten, die im Rahmen von Ausschreibungen entwickelt werden sollen [Wes07]. Während die auf der rechten Bildseite genannten Ziele die Randbedingungen der Produktion wie Unternehmenskultur, Qualität, Umwelt und Sozialstandards betonen, zielen die links angedeuteten Ziele auf die technische Ausprägung der Produktionssysteme hinsichtlich ihrer Wandlungsfähigkeit in einer vernetzten Umgebung sowie eine an die wechselnden Bedingungen der Produktion angepasste Fähigkeit zu einer Hochleistung im technischen und logistischen Sinne. Ergänzt werden diese Felder durch ein nachhaltiges wirtschaftliches, ökologisches und soziales Management sowie durch den Ansatz der ständig lernenden Organisation.

4.13  Zwischenfazit

• 

• 

Produkt- und Prozessgrößen der Produktionsmodule sowie Unterstützung der Selbststeuerung Verlagerung der Mitarbeitertätigkeiten von der „optimalen“ Ausführung vorgeplanter Produktionsabläufe hin zu gestaltenden und überwachenden Aufgaben mit eindeutiger Ergebnisverantwortung für die vom Kunden verlangte Menge, Qualität und Lieferzeit definierter Produkte Beachtung einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Umwelt und soziale Standards

Als zentrale Schlussfolgerung ergibt sich die nachdrückliche Forderung nach wandlungsfähigen Fabriken, die sich je nach Veränderungsimpuls auf einer oder mehreren Ebenen an neue Forderungen anpassen können. Dieser Begriff ist von ähnlichen Begriffen wie Umrüstbarkeit, Flexibilität, Rekonfigurierbarkeit, Transformierbarkeit und Agilität abzugrenzen, um ihn bewertbar zu machen. Diesem Anliegen widmet sich das folgende Kapitel.

Zusammenfassend lassen sich alle neueren Produktionskonzepte durch folgende Eigenschaften kennzeichnen:

4.14  Literatur

•  Einsatz modularer Einheiten für die Bearbeitung,

[Arn75]

• 

• 

•  • 

Montage, Lagerung und den Transport mit „lokaler Intelligenz“ in Form von integrierter Sensorik, Aktorik, Informationsverarbeitung und -speicherung Rasche Anpassung der Produktionssysteme bei Veränderung der Produkte, ihrer Varianten und Mengen durch Rekonfigurierbarkeit, Skalierbarkeit, Mobilität und standardisierte Schnittstellen Einfache Konfiguration dieser Einheiten zu Prozessketten, mit denen einbaufertige bzw. verkaufsfähige Teile, Baugruppen und Produkte mit hoher Qualität in kleinsten Stückzahlen im Kundenauftrag erzeugt werden können Einfache Vernetzungsfähigkeit der Produktionseinheiten in Produktionsverbünden Dezentralisierung der Planung, Steuerung und Überwachung der technischen und logistischen

4

[Arz05]

[AWF84]

[Bru08]

 rn, E.A.: Group technology: an integraA ted planning and implementation concept for small and medium batch production. Springer, Berlin Heidelberg 1975 Arzet, H.: Grundlagen des One Piece Flow: Leitfaden zur Planung und Realisierung von mitarbeitergebundenen Produktionssystemen. Rhombos-Verlag, Berlin 2005 AWF (Hrsg.): Flexible Fertigungsorganisation am Beispiel von Fertigungsinseln. Eschborn 1984 Brunner, F.J.: Japanische Erfolgskonzepte. KAIZEN, KVP, Lean Production Management, Total Productive Maintenance, Shopfloor Management, Toyota Production Management. Hanser, München Wien 2008

107

4  Bekannte Produktionskonzepte

[Bu04]

[Co01]

[Dav87]

4

[Deen08]

[Den07]

[Dom05]

[Gaug96]

[Gold91]

[Gold96]

[Grab00]

108

 usch, A., Dangelmaier, W. (Hrsg.): InteB griertes Supply-Chain-Management, 2. Aufl. Wiesbaden 2004 Corsten, H., Gössinger, R.: Einführung in das Supply Chain Management. Hanser, München Wien 2001 Davis, S.M.: Future Perfect. Addison Wesley, Reading MA, 1987 Deen, S.M. (ed.): Agent Based Manufacturing. Advances in the Holonic Approach (Advanced Information Processing) Springer, Berlin Heidelberg 2008 Denkena, B., Lorenzen, L.-E., Schmidt, C.: Die gentelligente Produktion – Zukunftsweisend Fertigen. ZWF Zeitschrift für den wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, (2007) H. 10, S. 626–629 Dombrowski, U., Schmidt, S.: Planung und Steuerung der Implementierung Ganzheitlicher Produktionssysteme. wt Werkstattstechnik online 98 (2008] H 4, S. 236–241 Gaugler, E.: „The Priniples of Scientific Management” – Bedeutung und Nachwirkungen. In: Grüske, K.-D., Hax, H., Heertje, A., Schefold, B. (Hrsg.): Vademecum zu dem Klassiker der wissenschaftlichen Betriebsführung, S. 25–47. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1996 Goldman, S.L., Preiss, K. (eds.): 21st Century Manufacturing Enterprise Strategy: An Industry-Led View, 2 Volumes. Iacocca Institute at Lehigh University, 1991 Goldman, S.L., Nagel, R.N., Preiss, K., Warnecke, H.-J.: Agil im Wettbewerb – Die Strategie der virtuellen Organisation zum Nutzen des Kunden. Berlin Heidelberg 1996 Grabner, Th.: Die Einbindung von Fertigungsinseln in die innerbetriebliche Logistik. In: Baumgarten, H., Wiendahl, H.-P., Zentes, J. (Hrsg.)

[Har07]

[Hop07] [Jov09]

[Koe67] [Lan54]

[Mit60]

[Nyh03]

[Nyh08]

[Oelt00]

[Ohn86]

Logistik-Management, Kap. 7.06.01, S. 1–21. Springer, Berlin Heidelberg 2000 Hartmann, E.H.: TPM – Effiziente Instandhaltung und Maschinenmanagement: Stillstandzeiten verringern, Maschinenleistungen steigern, Betriebszeiten erhöhen. Übers. der engl. Originalausgabe “Successfully installing TPM in a Non-Japanese Plant“. 3. Aufl. mi-Verlag, Landsberg 2007 Hopp, W. J., Spearman, M.L.: Factory Physics, 2nd ed., McGraw Hill 2007 Jovane, F., Westkämper, E., Williams, D.: The ManuFuture Road. Towards Competitive and Sustainable HighAdding-Value Manufacturing. Berlin Heidelberg 2009 Koestler, A.: The Ghost in the Machine. Arcana Books, London 1967 Lange, P., Roßberg, W.: Wege zur wirtschaftlichen Fertigung im Arbeitsmaschinenbau. Girardet, Essen 1954 Mitrofanow, S.P.: Wissenschaftliche Grundlagen der Gruppentechnologie. VEB Verlag Technik, Berlin (Ost) 1960 Nyhuis, P., Wiendahl, H.-P.: Logistische Kennlinien. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2003 Nyhuis, P., Nickel, R., Tullius, K. (Hrsg.): Globales Varianten Produktionssystem. Globalisierung mit System. Verlag PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2008 Oeltjensbruns, H.: Organisation der Produktion nach dem Vorbild Toyotas. Analyse, Vorteile und detaillierte Voraussetzungen sowie die Vorgehensweise zur erfolgreichen Einführung am Beispiel eines globalen Automobilkonzerns. Diss. TU Clausthal, Shaker Verlag, Aachen 2000 Ohno, T.: The Origin of Toyota Production System and Kanban System. In: Monden, Y.: Applying Just in Time.

4.14  Literatur

[Ohn93]

[Oki89]

[Opi66]

[Opi67]

[Pil06]

[Pin93]

[Roe02]

[Schu89]

[Schu05]

[Sei94]

The American/Japanese Experimence. Georgia 1986, p 3–8 Ohno, T.: Das Toyota-Produktionssystem. Dt. Übers. von Wilfried Hof. Campus, Frankfurt/M. 1993 Okino, N.: Bionic manufacturing systems – modelon based approach. Proc. Int. Conf. on Object oriented Manufacturing Systems. Galgary, Alberta. Univ. of Galgary, 1993 pp. 297–302 Opitz, H.: Werkstückbeschreibendes Klassifizierungssystem. Verschlüsselungsrichtlinien und Definitionen zum werkstück­b eschreibenden Klassifizierungssystem. Girardet, Essen 1966 Opitz, H.: Einführung in die Probleme der Werkstückklassifikation. Ind. Anz. 89 (1967) 41, S. 837–840 Piller, F.T.: Kundenindividuelle Massenproduktion. Die Wettbewerbs­strategie der Zukunft. Hanser, München Wien 1998, 4. Aufl. 2006 Pine II, B.J.: Mass Customization. The New Frontier in Business Competition. Harvard Business School Press Boston, 1993. Deutsche Ausgabe: Maßgeschneiderte Massenfertigung. Neue Dimensionen im Wettbewerb. Wien 1994 Röhrig, M.: Variantenbeherrschung mit hochflexiblen Produktionsendstufen. Diss. Univ. Hannover. Veröff. in: Fortschritt-Berichte VDI, Nr. 622. VDI Düsseldorf 2002 Schuh, G.: Gestaltung und Bewertung von Produktvarianten. Ein Beitrag zur systematischen Planung von Serienprodukten. Diss. RWTH Aachen 1989. Veröff. in: Fortschritt-Berichte VDI-Z, Nr. 177. VDI, Düsseldorf 1989 Schuh, G.: Produktkomplexität managen. Strategien – Methoden – Tools. Hanser, München Wien 2005 Seidel, D., Mey, M.: Holonic manufacturing systems: glossary of terms. In:

[Senn07]

[Spa03]

[Spur00]

[Suz89]

[Suz94]

[Tay11]

[Teu96]

[Thar96]

[Ued95]

[War92]

[War93]

Seidel, D., Mey, M. (eds.) IMS – Holonic Manufacturing Systems: Strategies Vol. 1, IFW, Univ. of Hannover, 1994 Sennheiser, A., Schnetzler, M.J.: Wertorientiertes Supply Chain Management. Strategien zur Mehrung und Messung des Unternehmenswertes durch SCM. Springer, Berlin Heidelberg 2007 Spath, D. (Hrsg.): Ganzheitlich produzieren. Innovative Organisation und Führung. LOG_X Verlag, Stuttgart 2003 Spur, G., Fischer, W.: Georg Schlesinger und die Wissenschaft vom Fabrikbetrieb. Hanser, München Wien 2000 Suzaki, K.: Modernes Management im Produktionsbetrieb. Strategien, Techniken, Fallbeispiele. Hanser, München Wien 1989 Suzaki, K.: Die ungenutzten Potenziale. Neues Management im Produktionsbetrieb. Hanser, München Wien 1994 Taylor, F.W.: The Principles of Scientific Management. Harper, New York London 1911 Teufel, P.: Der Prozess der ständigen Verbesserung (Kaizen) und dessen Einführung. In: Bullinger, H.J., Warnecke H.J. (Hrsg.) Neue Organisationsformen in Unternehmen, S. 526–548. Berlin Heidelberg 1996 Tharumarajah, A., Wells, A.J., Nemes, L.: Comparison of the bionic, fractal and holonic manufacturing system concepts. Int. J. Computer Integrated Manufacturing Vol.9 (1996) 3, p. 217–226 Ueda, O.: A biological approach to complexity in manufacturing systems. Annals of CIRP, 1995 Warnecke, H.-J.: Die Fraktale Fabrik – Revolution der Unternehmenskultur. Berlin Heidelberg 1992 Warnecke, H.-J.: Revolution der Unternehmenskultur – Das Fraktale Unternehmen, 2. Aufl. Berlin Heidelberg 1993

4

109

4  Bekannte Produktionskonzepte

[War95]

[Wes07]

4

[Wie04]

[Wie97] [Wild88]

[Wild00]

110

 arnecke, H.-J. (Hrsg.): Aufbruch zum W Fraktalen Unternehmen – Praxisbeispiele für neues Denken und Handeln. Berlin Heidelberg 1995 Westkämper, E.: Die Strategische Forschungsagenda Deutschland – Ergebnisse des Roadmapping-Prozesses MANUFUTURE D. Manufuture Germany Platform 2007 Wiendahl, H.-P., Gerst, D., Keunecke, L. (Hrsg.): Variantenbeherrschung in der Montage. Konzept und Praxis der flexiblen Produktionsendstufe. Springer, Berlin Heidelberg 2004 Wiendahl, H.-P.: Fertigungsregelung. Hanser, München Wien 1997 Wildemann, H.: Die modulare Fabrik: kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentierung. 1. Aufl. 1988, 5. Aufl. TCW München 1998 Wildemann, H.: Innovative Fertigungsstrategien auf der Basis modularer Pro-

duktionsstrukturen. In: Baumgarten, H., Wiendahl, H.-P., Zentes, J. (Hrsg.): Logistik-Management, Kap. 7.02.01, S. 1–36. Berlin Heidelberg 2000 [Wil10] Wildemann, H.: Distributionslogistik. Leitfaden zur Erzeugung von exzellenten Logistikleistungen am Point of Sales. 14. Aufl. TCW München 2010 [Wom90] Womack, D.T., Jones, J.P., Roos, D.: The machine that changed the world: based on the Massachusetts Institute of Technology 5-million-dollar 5-year study on the future of the automobile. Rawson Associates New York 1990. Deutsche Übersetzung: Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology. 8. Aufl. Campus, Frankfurt/M. 1994 [www.ims.org]  Intelligent Manufacturing System 01.03.2009

Kapitel 5 Systematik der Veränderungsfähigkeit

5

5.1 

Flexibilität

115

5.2 

Rekonfigurierbarkeit

120

5.3 

Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger

5.6 

Klassen der Veränderungs­fähigkeit der Produktionsleistung 131

5.7 

Bewertung der Veränderungsfähigkeit

135

Regelkreis der Wandlungsfähigkeit

141

Leitbild der wandlungs­fähigen Fabrik

143

Literatur

145

121 5.8 

5.4 

Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit

127 5.9 

5.5 

Morphologie der Veränderungsfähigkeit

128 5.10 

112

Bild 5.1:

Charakterisierung von Flexibilitätstypen der Produktion (nach Rakesh Narain u. a.)

116

Bild 5.2:

Flexibilitätsbereiche und Flexibilitätsarten der realen Flexibilität

117

Bild 5.3:

Gliederung der Produktionsflexibilität

118

Bild 5.4:

Flexibilitätsarten in Montagesystemen (Eversheim)

119

Bild 5.5:

Flexibilitätsansätze in der Fabrikplanung

120

Bild 5.6:

Gegenüberstellung Flexibilität und Wandlungsfähigkeit (Zäh, Reinhart)

121

Bild 5.7:

Wandlungsfähigkeit von Unternehmensstrukturen (Westkämper)

122

Bild 5.8:

Eigenschaften des Systems Fabrik (Hernández)

123

Bild 5.9:

Veränderungstypen der Fabrik aus systemtheoretischer Sicht (Hernández)

124

Bild 5.10: Ableitung der Wandlungsfähigkeit aus Systemeigenschaften

125

Bild 5.11: Ableitung der Wandlungsbefähiger einer Fabrik

125

Bild 5.12: Definition der Wandlungsbefähiger einer Fabrik

126

Bild 5.13: Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit von Markt- und Produktionsleistung.

127

Bild 5.14: Morphologie der Wandlungsfähigkeit von Produktionsunternehmen

128

Bild 5.15: Veränderungstreiber und -fokus aus Markt- und Produktionssicht

129

Bild 5.16: Korrespondierende Ebenen von Produktion, Veränderungsfähigkeit und Produkten

131

Bild 5.17: Charakterisierung von Produktionsunternehmen aus Sicht der Veränderungs- und Vernetzungsfähigkeit

133

Bild 5.18: Gliederung der Fabrikobjekte

134

5

113

5

Bild 5.19 Zuordnung der Fabrikobjekte zu den Fabrikebenen und ihre jeweilige Bedeutung

135

Bild 5.20: Veranschaulichung der Wandlungspotenzialarten

136

Bild 5.21: Beispiel Wandlungsarten und -merkmale für ein Fabrikobjekt (Heger)

137

Bild 5.22: Wandlungsorientierte Bewertung von Fabrikobjekten (nach Heger)

138

Bild 5.23: Ermittlung des Ist- und Soll-Wandlungspotenzials für das Bewertungsobjekt „Anlagenverteilung“

139

Bild 5.24: Vergleich der Soll- und Ist-Wandlungsfähigkeit (Beispiel)

140

Bild 5.25: Einordnung der wirtschaftlichen Wandlungsfähigkeit

141

Bild 5.27: Bausteine und Merkmale der Wandlungsfähigkeit aus fabrikplanerischer Sicht 142

114

Bild 5.26: Regelkreis der Veränderungsfähigkeit

142

Bild 5.28: Erfolgsfaktoren des Wandels

143

Bild 5.29: Vision der wandlungsfähigen Fabrik

144

5.1 

Flexibilität

Die Notwendigkeit der situationsgerechten Anpassung eines Produktionsunternehmens an die vielfältigen externen und internen Herausforderungen ist aus den bisherigen Ausführungen hinreichend deutlich geworden. Insgesamt haben sich das erforderliche Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen umzusetzen sind, infolge des globalen Güter- und Dienstleistungsmarktes seit den 1990er Jahren deutlich erhöht. Die Anpassung betrifft zum einen die Marktleistung und zum anderen die Geschäftsprozesse, wie sie in Abschnitt 2.3 bzw. 2.4 als strategische Basis der Fabrik vorgestellt wurden. Die Fähigkeit, diese Anpassung vornehmen zu können, soll zunächst ganz allgemein als Veränderungsfähigkeit bezeichnet werden. In der Literatur und Praxis finden sich hierzu unzählige begriffliche Ausprägungen. Die folgenden Ausführungen können daher nur eine begrenzte Auswahl vorstellen, die im Wesentlichen durch ihren Bezug zur Produktion geprägt ist. Der am häufigsten diskutierte Begriff ist Flexibilität der Produktion. Aus umfangreichen Literaturstudien, u. a. von de Toni und Tonchia [Ton98], die auf über 120 Veröffentlichungen zu diesem Thema basiert, wird deutlich, dass zunächst zwischen einer statischen und dynamischen Flexibilität zu unterscheiden ist. Die statische Flexibilität beschreibt die Fähigkeit, in einer definierten Spannweite von Produkten, Prozessen und deren Mengen im Hinblick auf Qualität, Kosten und Lieferzeit stabil zu operieren. Die dynamische Flexibilität beschreibt demgegenüber die Fähigkeit, in kurzer Zeit und ohne wesentliche Kosten das Produktionssystem hinsichtlich Kapazität, Struktur und Abläufen zu verändern. Die Flexibilität kann sich dabei zum einen auf die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Kunden beziehen (horizontale Klassifizierung), zum anderen kann sie unterschiedliche Ebenen der Produktion vom einzelnen Arbeitsplatz über den Bereich und den Standort bis hin zu einem Produktionsnetzwerk betreffen (vertikale Klassifizierung). Ferner ist der zeitliche Aspekt der Flexibilität zu betrachten, der

auch als Reaktionsgeschwindigkeit zu deuten ist. Zu unterscheiden sind hier eine kurz-, mittel- und langfristige Flexibilität, auch als operative, taktische und strategische Flexibilität bezeichnet. Schließlich ist von Bedeutung, auf welches Objekt sich die Flexibilität der Produktionsleistung bezieht. Damit wird einerseits das Produktspektrum mit seinem Volumen und Mix angesprochen, andererseits die in ihnen enthaltenen Teile mit ihren unterschiedlichen Ausgangsmaterialien, Fertigungsverfahren und Arbeitsfolgen. Als problematisch erweist sich die Messung der Flexibilität und der damit einhergehenden Kosten. Hier liegen noch keine allgemein anerkannten Verfahren und Methoden vor. Als wichtigste Möglichkeiten gelten nach De Toni und Tonchia direkte, indirekte und synthetisch verdichtete Messgrößen. Bei Ersteren wird das Flexibilitätsverhalten des betrachteten Systems in verschiedenen Situationen anhand möglicher Optionen oder Maßnahmen untersucht, während bei den indirekten Messgrößen die Charakteristik der Flexibilität (technisch, organisatorisch) oder die Kosten und/oder der Aufwand, der mit der Flexibilität verbunden ist, ermittelt wird. Mit synthetischen Messgrößen wird schließlich versucht, die (interne) Systemflexibilität in ein Verhältnis zum angestrebten (externen) Ziel zu setzen und daraus eine Art Erfüllungsgrad zu berechnen. Letzten Endes entzieht sich die Flexibilität einer exakten Messung und ist eher mit der Fähigkeit einer Person oder einer Organisation zu vergleichen, auf Störungen aus der Umwelt in einer angemessenen Zeit und mit einem angemessenen Aufwand zu reagieren, ohne sich selbst zu gefährden. Flexibilität wird aber auch immer stärker als strategischer Ansatz in einem zunehmend unsicheren Umfeld gesehen und weiter ausdifferenziert. Rakesh Narain, R.C. Yadav et al. weisen in einer umfangreichen und sorgfältigen Literaturstudie mit 70 Quellen auf fehlende Leitlinien zur Bestimmung der notwendigen Flexibilität einer Organisation hin [Rak00]. Die Autoren empfehlen eine Unterscheidung in die drei Flexibilitätstypen notwendige, ausreichende und kompetitive Flexibilität, denen sie bestimmte Problemklassen und Lösungsansätze zuordnen, Bild 5.1.

5

115

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Merkmal Flexibilitätstyp Fokus

Problemklasse

5

Flexibilitätselemente

Ausprägung notwendig operativ kurzfristig A unvorhersehbare / sporadische Probleme

ausreichend

kompetitiv

taktisch mittelfristig

strategisch langfristig

B Produktqualität, -kosten und -zeit

C Produkt- und Umweltveränderungen

• Maschine • Produkt • Arbeitskräfte • Materialwirtschaft • Operationsfolge • Volumen

Prozess Operationen Programm Material

• Produktion • Expansion • Markt

• Universalmaschinen • Layout • Modulares PPS-System • Universalvorrichtungen • NC-Steuerung

• Maschinenflexibilität • Universalbearbeitungszentren • Werkzeug- u. Vorrichtungshandhabung • Materialbereitstellung • mehrfach qualifizierte Mitarbeiter • fertigungsgerechte Teilkonstruktion

• umrüstbare Maschinen • neue Fertigungsverfahren • alternative Arbeitsfolgen • flexible Materialhandhabungssysteme • modulare, flexible Maschinenzellen • flexibles Layout • Fabrik- Informationsu. Kontrollsystem

Lösungsansätze

Bild 5.1: Charakterisierung von Flexibilitätstypen der Produktion (nach Rakesh u. a.) © IFA 9897SW_B

Die notwendige Flexibilität ist erforderlich, um auf kurzfristige, operative Probleme reagieren zu können, die sporadisch und unvorhersehbar in Form von Produktänderungen, Maschinenstörungen, Personalausfall, Lieferproblemen und Bedarfsschwankungen auftreten. Sie betreffen die unmittelbar an der Auftragsabwicklung beteiligten technischen, logistischen und personalbezogenen Ressourcen. Die Lösungsansätze zielen auf deren ausreichende Elastizität und Umrüstbarkeit ab. Mit der mittelfristig taktisch angelegten Flexibilität – von den Autoren als ausreichende Flexibilität bezeichnet – wird eine für das gegenwärtige Geschäftsfeld erforderliche Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit hinsichtlich Produktqualität, Lieferzeit und Liefertreue sowie der Herstellkosten gesichert. Hierzu müssen die Fertigungsprozesse die Bearbeitung unterschiedlicher Teile mit unterschiedlichen Materialien ohne größeren Aufwand erlauben. Dies erfordert leicht umrüstbare Maschinen und Messwerkzeuge sowie eine flexible Handhabung und

116

Teilebereitstellung und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter. Schließlich zielt die strategisch angelegte langfristig wirkende kompetitive Flexibilität auf die Beherrschung von Veränderungen der Produkte sowie des Käufer- und Wettbewerbsverhaltens. Hier wird die gesamte Produktion betrachtet, wobei die angeführten Lösungsansätze auf der Ebene der Maschinen und ihren Handhabungseinrichtungen sowie des Layouts und Steuerungssystems angesiedelt sind. Konkrete Lösungsvorschläge werden dem Charakter der Veröffentlichungen gemäß für die drei Flexibilitätstypen nicht gemacht, auch fehlt der Bezug zur Logistik und zu den Gebäuden und ihren Einrichtungen sowie die Einbeziehung des Produktionsstandortes und seiner Erschließung. Jedoch ist mit dieser Gliederung eine wertvolle Basis zur systematischen Behandlung der Flexibilitätsgestaltung verfügbar. Im deutschsprachigen Schrifttum hat sich u. a. Kaluza auf Basis umfangreicher eigener Arbeiten und unter Auswertung zahlreicher Literaturstellen intensiv

5.1  Flexibilität

mit dem Be­griff der Flexibilität auseinandergesetzt [Kal05]. Er definiert einen breiten Begriff der Flexibilität, der die wesentlichen betriebswirtschaftlichen Aspekte umfassen soll: „Flexibilität ist die Eigenschaft eines Systems, proaktive oder reaktive sowie zielgerichtete Änderungen der Systemkonfiguration zu ermöglichen, um die Anforderungen von sich ändernden Umweltbedingungen zu erfüllen“ ([Kal05], S. 9). Hinsichtlich der hier besonders interessierenden produktionswirtschaftlichen Flexibilität unterscheidet Kaluza zwischen einer realen und dispositiven Flexibilität [Kal95]. Die reale Flexibilität beschreibt die Anpassungsfähigkeit der menschlichen Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoffe, wobei hier die ersten beiden Elementarfaktoren interessieren. Deren Flexibilität wird in qualitativer, quantitativer und struktureller Hinsicht unterschieden. Bild 5.2 zeigt die daraus entwickelte Systematik der Flexibilitätsarten, denen ausgewählte Instrumente oder Maßnahmen der Flexibilitätspolitik zugeordnet sind [Kal89].

Flexibilitätsbereich

Qualitative Flexibilität

Reale Flexibilität

Quantitative Flexibilität

Strukturelle Flexibilität

Während die qualitative Flexibilität die grundsätzliche Fähigkeit der personellen bzw. technologischen Ressourcen charakterisiert, unterschiedliche Aufgaben zu erledigen, beschreibt die quantitative Flexibilität die mengenmäßige, zeitliche und intensitätsmäßige Bandbreite des jeweiligen Leistungsfaktors. Die strukturelle Flexibilität hängt personalseitig davon ab, wie weit es gelingt, durch Maßnahmen der Arbeitsfeldvergrößerung die Trennung zwischen planenden, ausführenden und kontrollierenden Tätigkeiten aufzuheben. Die strukturelle Flexibilität wird demgegenüber produktionsseitig durch die Art des Layouts und der Steuerung bestimmt und wird mit den Begriffen Durchlauffreizügigkeit, Fertigungsmittelredundanz und Speicherfähigkeit beschrieben. Neben diese auch als potenzielle Flexibilität interpretierbare reale Flexibilität stellt Kaluza die bereits erwähnte dispositive Flexibilität, die er nach der Flexibilität der Produktionsplanung und der Flexibilität der Produktionssteuerung unterscheidet. Unterstützende Maßnahmen der Flexibilitätspolitik sind für die erstgenannte Flexibilitätsart Maßnahmen der

Flexibilitätsart

Personelle Flexibilität Technologische Flexibilität

Personelle Flexibilität Technologische Flexibilität

Arbeitsstrukturbedingte Flexibilität Produktionsstrukturbedingte Flexibilität

5

Maßnahmen der Flexibilitätspolitik • Berufsausbildung • Weiterbildung • Vielseitigkeit • Rüstflexibilität • Änderung des Personalbestandes • Änderung des Personaleinsatzes • Änderung der Personaleinsatzzeiten • Änderung der Arbeitsintensität • Erweiterungsfähigkeit • Kompensationsfähigkeit • Quantitative, zeitliche und intensitätsmäßige Anpassung • Arbeitsfeldvergrößerung • Arbeitsfelderweiterung (job enlargement) • Arbeitsfeldbereicherung (job enrichement) • Aufgaben- und Arbeitsplatzwechsel (job rotation) • Schaffung von Gruppenautonomie • Durchlauffreizügigkeit • Fertigungsmittelredundanz • Speicherfähigkeit

Bild 5.2: Flexibilitätsbereiche und Flexibilitätsarten der realen Flexibilität © IFA 10.000SW_B

117

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

5

Produktgliederung und Systeme zur Produktionsplanung, während die zweite Flexibilitätsart durch Verfahren der Fertigungssteuerung und eine bessere Kommunikation unterstützt werden kann. Insgesamt spricht Kaluza mit diesen Flexibilitätsarten bereits wesentliche Elemente an, die bei einer auf Veränderungsfähigkeit zielenden Fabrikplanung unbedingt zu berücksichtigen sind. Dies sind die Arbeitsorganisation, die Produktionseinrichtungen und die logistische Planung und Steuerung der Auftragsabwicklung. Wichtige Anstöße zur Betrachtung der Flexibilität der Fertigung sind seit den 1960er Jahren den Arbeiten zur Teilefamilienfertigung und Gruppentechnologie zu verdanken. Damit sollten die Nachteile der Werkstättenorganisation bezüglich der hohen Bestände und langen Durchlaufzeiten überwunden werden. Sie haben in der Folge zu Fertigungsinseln, Segmenten und Flexiblen Fertigungssystemen bis hin zur schlanken Produktion geführt (vgl. Abschnitt 4.3 bis 4.6). Diese mussten einerseits flexibel sein, andererseits aber eine wirtschaftliche Auslastung der Maschinen erlauben. In diesem Zusammenhang wurde bereits 1981 vom Institut für Fabrikanlagen der Universität Hannover

Flexibilitätsbereich

der Versuch unternommen, die Produktionsflexibilität durch drei Unterbegriffe zu beschreiben [Wie81]. Bild 5.3 gliedert den Vorschlag nach Flexibilitätsbereich und Flexibilitätsart, ergänzt durch Beispiele. Mit der technologischen Flexibilität soll zum einen die Möglichkeit beschrieben werden, unterschiedliche Fertigungsverfahren in einer Maschine einsetzen zu können (Vielseitigkeit). Dies erlaubt es zum einen, unterschiedliche Werkstücke einer Grundform, z.B. Drehteile oder kubische Teile, möglichst in einer Aufspannung im Arbeitsraum einer Maschine komplett zu bearbeiten. Umrüstbarkeit bedeutet zum anderen, verschiedene Fertigungsaufgaben mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand durchführen zu können. Die strukturelle Flexibilität, auch Durchlauffreizügigkeit genannt, ermöglicht es demgegenüber, einen Auftrag mit unterschiedlichen Reihenfolgen von Arbeitsgängen durch ein System zu steuern. Sie wird wesentlich durch die mehr oder weniger starke Orientierung des Layouts an der Ablauffolge der Arbeitsvorgänge bestimmt. Schließlich beschreibt die kapazitive Flexibilität die quantitativen Reserven eines Produktionssystems (Erweiterungsfähigkeit), die Verschiebungsmög-

Flexibilitätsart

Beispiele Drehen Bohren Fräsen

Vielseitigkeit Technologische Flexibilität Umrüstbarkeit

Strukturelle Flexibilität

Werkzeug

Durchlauffreizügigkeit

Werkstück

ng Bindu

lge O-Fo an AV Durchlaufze it

Ablauforientierung Layout

Erweiterungsfähigkeit

Kap. Zeit

Kapazitive Flexibilität

Kompensationsfähigkeit

Prod. vol.

A

B

C

Produkte

Zeit

Speicherfähigkeit

Prod. vol.

Absatz Produktion

Zeit

Bild 5.3: Gliederung der Produktionsflexibilität © IFA 10.001SW_B

118

5.1  Flexibilität

Kennzeichen der Flexibilität

Arten der Flexibilität

Definition der Flexibilität

Umsteuer-Flexibilität

Der Montageablauf einer bzw. mehrerer verschiedener Varianten bedingt eine unterschiedliche Steuerung des Materialflusses

Zeitpunktorientierte Flexibilität Umstell-Flexibilität

Bei der Montage an einem Objekt werden in einer Station mehrere Montageaufgaben durchgeführt

Umrüst-Flexibilität

Bei der Montage von aufeinander folgenden Losen werden die Einrichtungen den geänderten Montageaufgaben angepasst

Zeitraumorientierte Flexibilität Umbau-Flexibilität

Ereignisorientierte Flexibilität

Störungs-Flexibilität

Beispiele C1 A

D

E

C2 Greifer 2

1

Vorrichtungssatz

5

2 1 3



Nach Auslauf eines Produktes wird auf der umgebauten Montageanlage ein anderes Produkt montiert

Bei Funktionsstörungen im Montagesystem wird der Teiledurchfluss durch AusfallStrategien aufrechterhalten

B

A

B

C

E´ D

E

X A

B

C

D

E

F

Bild 5.4: Flexibilitätsarten in Montagesystemen (Eversheim) © IFA G1115SW_B

lichkeiten im Produktionsprogramm (Kompensationsfähigkeit) und schließlich die Möglichkeit, Unterschiede im Absatz- und Kapazitätsverlauf durch Zwischenlagerung von Halb- oder Fertigprodukten auszugleichen (Speicherfähigkeit). Diese ausschließlich auf die Teilefertigung bezogenen Definitionen stellen einen weiteren Baustein zum Begriff der wandlungsfähigen Fabrik dar. Ähnliche Überlegungen wie für die Teilefertigung wurden von Eversheim in den frühen 1980er Jahren auch für Montagesysteme entwickelt [Eve83]. Für die Auslegung der dazu notwendigen Baukastenelemente war es notwendig, die Flexibilitätsarten der Montage zu definieren, Bild 5.4. Während sich die zeitpunktorientierte Flexibilität auf den laufenden Montageprozess an einzelnen Stationen bezieht und entweder eine Umsteuerung oder Umstellung für einzelne Werkstücke ermöglicht, betrifft die zeitraumorientierte Flexibilität die Umrüs-

tung oder den Umbau des gesamten Montagesystems auf eine andere Variante bzw. ein anderes Produkt. Die Störungsflexibilität, die bei Montagesystemen wegen der kurzen Taktzeiten eine besondere Rolle spielt, ist schließlich ereignisbezogen und betrifft im Wesentlichen Ausfallstrategien beim Auftreten zeitlich nicht vorhersehbarer Funktionsstörungen. Lösungen für solche Montagesysteme erscheinen zunehmend am Markt. In kurzer Zeit können alternativ manuelle oder automatische Stationen in einem Montagesystem ausgewechselt werden, um sich unterschiedlichen Produkten oder schwankenden Stückzahlen anzupassen [Lot06]. Mit dem Begriff der Flexibilität auf Fabrikebene haben sich auch schon die Klassiker der Fabrikplanung wie Kettner und Aggteleky auseinandergesetzt, Bild 5.5 [Her03]. Kettner fordert in der Planungsphase einer Fabrik eine möglichst weit vorausschauende Planung, die

119

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Flexibilität durch sorgfältige, vorausschauende Planung Aspekte Flexibilität durch der Flexibilität Überdimensionierung Flexibilität im Planungsablauf

5

Arten der Flexibilität

Erweiterungsflexibilität im Layout

Kapazitätsflexibilität

a) Ansatz nach Kettner

Universalität der Flexibilität Betriebsmittel in der Strukturplanung Fehlerelastizität

Mobilität der Betriebsmittel Flexibilität in der Layoutplanung

Flexibilität der Transportund Lagersysteme Anpassungsfähigkeit der baulichen Gestaltung Leistungsfähigkeit der Ver- und Entsorgungssysteme

b) Ansatz nach Aggteleky

Bild 5.5: Flexibilitätsansätze in der Fabrikplanung © IFA 10.125_B

eine gewisse Flexibilität im Ablauf als Reaktion auf Änderungen während der Planung zulässt sowie das Vorhalten einer Reserve im Sinne einer Überdimensionierung. Die Fabrik selbst soll leicht erweiterbar sein und eine gewisse Kapazitätsflexibilität besitzen [Ket84]. Aggteleky unterscheidet bereits konkreter zwischen der Struktur- und Layoutflexibilität [Agg87]. Erstere wird durch universelle Betriebsmittel und die Unempfindlichkeit einer Produktionseinrichtung gegen abweichende Betriebsbedingungen gewährleistet, während die Layoutflexibilität bereits die wesentlichen Fabrikelemente Betriebsmittel, Lager- und Transportsysteme, die Gebäude und die technische Infrastruktur anspricht. Deutlich wird bei diesen Ansätzen, dass die Spannweite der heute üblichen Veränderungen aufgrund der damals vergleichsweise stabilen Absatzverhältnisse noch nicht berücksichtigt werden konnte und der Begriff Wandlungsfähigkeit nicht erforderlich war.

120

5.2  Rekonfigurierbarkeit Aus fertigungstechnischer Sicht sind Lösungsansätze zur technologischen Flexibilisierung von Werkzeugmaschinen und Produktionsanlagen hervorzuheben, die unter dem Begriff der Rekonfigurierbarkeit seit den 1990er Jahren diskutiert werden. Hier geht es darum, durch Gliederung der Fertigungseinrichtungen in funktionsfähige Komponenten in kurzer Zeit neue Maschinenkonfigurationen beispielsweise durch Einfügen einer Bewegungsachse oder einer Werkzeugspindel zu ermöglichen. Diese werden nach ihrer mechanischen Koppelung durch eine übergeordnete Steuerung erkannt und nach Start eines Steuerprogramms produktiv. Erste Ansätze wurden in den USA von Koren vorgestellt [Kor01]. In Deutschland wurden im Rahmen des Forschungsprojektes METEOR (http://www.meteor2010.de) zusammen mit der Werkzeugmaschinenindustrie weitergehende Lösungen für rekonfigurierbare Werkzeugmaschinen und Fertigungssysteme entwickelt [Abe06]. Während

5.3  Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger

rekonfigurierbare Montagesysteme als Stand der Technik gelten können, befinden sich rekonfigurierbare Fertigungssysteme überwiegend noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Eine umfassende Übersicht über den Stand der Forschung über wandlungsfähige und rekonfigurierbare Produktionssysteme gibt [Wie07].

Szenarien“ verstanden. Demgegenüber ist „... Reaktionsfähigkeit ein Potenzial, um jenseits vorgedachter Dimensionen und Korridore agieren zu können“. Später präzisiert Reinhart den Begriff Wandlungsfähigkeit wie folgt: „Wandlungsfähigkeit wird als Potenzial verstanden, eine schnelle Anpassung auch jenseits vorgehaltener Korridore in Bezug auf Organisation und Technik bei einem geringen Investitionsaufwand zu ermöglichen“ [Rein08]. Eine anschauliche Darstellung hierzu zeigt Bild 5.6 (s. auch [Nyh08] S. 25). Danach greift bei Veränderungsimpulsen, die ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, die im System „eingebaute“ Flexibilität. Die damit notwendige Veränderung geschieht innerhalb des Systems, ein Umbau und demnach auch ein Rückbau sind nicht erforderlich. Überschreitet die Anforderung aus einem Veränderungsimpuls den so definierten Flexibilitätskorridor, muss sich das System wandeln. Hierzu ist ein Lösungsraum vorgedacht, innerhalb dessen sich das System verändern kann. Dieser erlaubt zwar nahezu beliebige Konfigurationen von Betriebsmitteln, ist aber nicht

5.3  Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger Die Frage, welche Flexibilität aus Sicht der Fabrikplanung für die gesamte Fabrik erforderlich ist, wird seit Ende der 1990er Jahre unter dem Begriff der Wandlungsfähigkeit diskutiert. So weist Reinhart bereits 1997 auf die Wandlungs­fähigkeit als neue Dimension der Flexibilität hin [Rein97]. Er präzisiert den Begriff als Kombination von Flexibilität und Reaktionsfähigkeit [Rein00]. Flexibilität wird hier als „Möglichkeit zur Veränderung in vorgehaltenen Dimensionen und

Wandlungsfähigkeit

5

Flexibilitätskorridor f2

Anforderungen

Wandlungsfähigkeit Flexibilitätskorridor f1 Flexibilitätskorridor f3

0

1

2

Flexibilität

• vorgehaltener Fähigkeitsbereich • skalierbar in festgelegten Korridoren • Rückbau nicht vorgesehen

3

4

5

6

Zeit

Wandlungsfähigkeit

• vorgedachter Lösungsraum • Veränderung im Bedarfsfall • Rückbauoption als Grundeigenschaft

Bild 5.6: Gegenüberstellung Flexibilität und Wandlungsfähigkeit (Zäh, Reinhart) © IFA 14.788_B

121

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Wandlungsfähigkeit kurzfristig

5

Geschäftsprozesse / Betriebsorganisation

Immobilien

mittelfristig

langfristig

• Anzahl, Lage, Größe der Standorte • Gebäude, Infrastruktur • Maschinen, Anlagen Art, Anzahl Anordnung Ausstattung

Mobilien

• Arbeitsplätze • Betriebsmittel Werkzeuge Vorrichtungen Prüfmittel Programme

• Logistik Lager, Materialfluss und Transport

Informationsverarbeitung

• Architektur • Methoden • Applikationen

Personal

• Anzahl • Qualifikation • Motivation heutiger Zustand

wandlungsfähiger Zustand

Bild 5.7: Wandlungsfähigkeit von Unternehmensstrukturen (Westkämper) © IFA 10.053_B

unbegrenzt, beispielsweise hinsichtlich der Größe oder der Genauigkeit von Produkten. Tritt nun ein Veränderungsimpuls auf, der einen Wandel erfordert, wie z.B. ein erheblicher Stückzahlanstieg, ist eine strukturelle Veränderung erforderlich, die aber ggf. auch wieder zurückgebaut werden kann. Wichtige Anstöße zur Wandlungsfähigkeit des gesamten Produktionsunternehmens kommen auch von Westkämper [West99]. Er differenziert die Wandlungsfähigkeit der Unternehmensstrukturen nach Elementen (Immobilien, Mobilien, Informationsverarbeitung und Personal) sowie Zeithorizonten (kurz-, mittel-, langfristig), Bild 5.7. Daraus leitet er die Notwendigkeit technischer Innovationen ab, welche eine kontinuierliche Umplanung und Umkonfiguration der Produktion erlauben, und zeigt hierzu konkrete Ansätze auf [West00]. Auch hier wird Flexibilität von der Wandlungsfähigkeit wie folgt abgegrenzt: „Ein System wird als flexibel bezeichnet, wenn es im Rahmen eines prinzipiell vorgedachten Umfangs von Merkmalen sowie deren Ausprägungen an veränderte Gegebenheiten reversibel anpassbar ist.“

122

Und weiter: „Ein System wird als wandlungsfähig bezeichnet, wenn es aus sich selbst heraus über gezielt einsetzbare Prozess- und Strukturvariabilität sowie Verhaltensvariabilität verfügt. Wandlungsfähige Systeme sind in der Lage, neben reaktiven Anpassungen auch antizipative Eingriffe vorzunehmen. Diese Aktivitäten können auf Systemveränderungen wie auch auf Umfeldveränderungen hinwirken.“ Als wesentliche Ansatzpunkte zur Gestaltung der Wandlungsfähigkeit werden Führung, Mensch, Technik und Organisation herausgearbeitet. Eine darauf aufbauende ausführliche Beschreibung des Stuttgarter Ansatzes eines wandlungsfähigen Unternehmens findet sich in [West09]. Als weiterentwickelte Form der Wandlungsfähigkeit von Fabriken definiert Wirth flexible, temporäre Fabriken, die nur für eine begrenzte Zeit mit einem bestimmten Produkt einen bestimmten Markt bedienen [Wir00]. Ausschlaggebend für diesen Ansatz ist die Erkenntnis, dass die Dauer der Lebenszyklen der Produkte, Prozesse, Fabrikgebäude und Flächennutzung immer weiter auseinanderdriftet, vgl. Bild 1.4. Hier werden neben der bisher bekannten Diskussion des Produktes und der Produktionsprozesse die Art

5.3  Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger

der Gebäude (Universalgebäude, Billigbauten, modulare mobile Gebäude) und die Rolle des Fabrikgrundstücks im Rahmen der Städteplanung thematisiert. Damit einhergehend sieht Wirth einen Rollen- und Funktionswandel in der Fabrikplanung. Er umfasst neben der klassischen „Kernplanung“ von Betriebsmitteln, Personal und Flächen nunmehr auch den lokalen Lebenszyklus einer temporären Fabrik mit Vorbereitung, Hochlauf, Demontage und Umzug sowie deren externe Vernetzung und Logistik. Als Weiterentwicklung dieses Ansatzes schlagen Schenk und Wirth die kompetenznetzbasierte Fabrik vor, die in eine heterarchische (im Gegensatz zur hierarchischen) Netzwerkorganisation eingebunden ist ([Sche04], S.364 f). Sie besteht aus kleinsten überlebensfähigen und wandlungsfähigen Wertschöpfungseinheiten, den sogen. Kompetenzzellen. Das Institut für Fabrikanlagen und Logistik hat das Thema der wandlungsfähigen Fabrik ebenfalls frühzeitig aufgegriffen und hierzu in Form von Vorträgen, Aufsätzen und realisierten Fabriken konkrete

Beiträge geleistet [Wie98, Wie00, Wie01, Her03]. Die von Hernández zusammen mit Wiendahl am IFA entwickelte Systematik der Wandlungsfähigkeit geht von einem systemtheoretischen Ansatz aus und bildet die methodische Basis dieses Buches bezüglich der Wandlungsfähigkeit einer Fabrik [Her03]. Dabei ist als besonderes Anliegen die frühzeitige Einbindung der Belange des Industriebaus hervorzuheben. Daraus sind Vorschläge zu einer Integration der Prozess- und Raumsicht im frühen Stadium einer Fabrikplanung entstanden [Rei99, Rei01, Rei04], die von Nyhuis und Reichardt zum Ansatz der Synergetischen Fabrikplanung weiterentwickelt wurden [Rei04, Nyh04, Rei07]. Der IFA-Ansatz der Wandlungsfähigkeit geht von der Definition einer Fabrik als System aus, welches die in Bild 5.8 genannten und in diesem Zusammenhang wesentlichen Eigenschaften besitzt [Ulr95, Dörr99].

5

Mit dem Begriff Ganzheit und Teile wird hervorgehoben, dass die Eigenschaft einer Fabrik nicht die

Ganzheit und Teile Zweck- und Zielorientierung

Vernetztheit

output

System

Dynamik

Offenheit System

Fabrik

Lenkung

Ordnung und Entwicklung

Umfeld

Komplexität

Bild 5.8: Eigenschaften des Systems Fabrik (Hernández) © IFA 10.137BSW_B

123

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

5

Summe der Eigenschaft ihrer Teile ist, sondern das Zusammenwirken ihrer Teile als Ganzes. Die hohe Beziehungsdichte wird durch die Vernetztheit beschrieben. Die einzelnen Elemente sind nicht einfach linear, sondern in vermaschten Regelkreisen mit teilweiser Rückkopplung verknüpft. Die Offenheit der Fabrik ergibt sich aus den starken Wechselbeziehungen zur Umwelt. Zweifelsohne besitzt eine Fabrik eine hohe Komplexität, welche eine Voraussetzung für ihre Überlebensfähigkeit ist, weil sie in kurzer Zeit verschiedene Zustände annehmen kann. Sie beruht auf der Anzahl der Elemente und den möglichen Beziehungen zwischen ihnen und der Umwelt. Die Dynamik des Systems Fabrik beschreibt das Verhalten im Zeitablauf der Durchführung von Prozessen und ergibt sich aus der Veränderung der Systemelemente. Mit der Lenkung wird die Fähigkeit zur Kontrolle des Systems verstanden. Sie erfolgt teilweise automatisch, überwiegend jedoch durch die Mitarbeiter. Die Entwicklungsfähigkeit kann als Lernfähigkeit interpretiert werden, auf Impulse durch Anpassung oder Veränderung zu reagieren. Die Zweck- und Zielorientierung schließlich ist der Treiber, um den Vorstel-

Veränderungsfokus

Veränderungsart

Relationen der Elemente Strukturkopplung

flexible Reaktion

lungen und Forderungen der Umwelt zu genügen; hier sind es die Anspruchsgruppen Markt, Politik, lokales Umfeld usw. Ein System strebt stets einen Gleichgewichtszustand mit seiner Umwelt an, was im Falle von Umweltveränderungen zu einer Anpassung zwingt. Besitzt es diese als Veränderungsbefähiger benennbare Eigenschaft nicht, gerät es aus dem Gleichgewicht bis hin zur Zerstörung. Die Systemtheorie kennt zwei Arten der Veränderung, die als Strukturkopplung und Transformation bezeichnet werden, Bild 5.9. Bei der Strukturkopplung ändern sich lediglich die Relationen zwischen den Systemelementen. Sie kann daher als eine flexible Reaktion gedeutet werden, die mit Hilfe definierter Regelmechanismen abläuft, wie beispielsweise die Umlenkung eines Auftrags auf eine alternative Maschine. Die Transformation verändert demgegenüber nicht nur die Relationen der Elemente, sondern auch ihre Eigenschaften und Funktionen so weit, dass neue Strukturen und Systeme entstehen. Als Beispiel ist die Umwandlung einer Werkstattfertigung in eine Anzahl von Fertigungsinseln angeführt.

Veränderungsbefähiger definierte Regelmechanismen und eindimensionale Freiheitsgrade der Relationen

• Elementveränderung • Relationenveränderung • Funktionsveränderung

Material-/ Informationsfluss laut Arbeitsplan alternative Kapazitätseinheit neuer Materialund Informationsfluss

Werkstatt

System/Subsystem Neubildung durch Transformation

Beispiel

Wandlungsprozess

mehrdimensionale Freiheitsgrade der Elemente und der Relationen Fertigungsinseln

Bild 5.9: Veränderungstypen der Fabrik aus systemtheoretischer Sicht (Hernández) © IFA 10.146_Wd_B

124

5.3  Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbefähiger

Wandlungsprozess

Dynamik

Änderungsrate von Elementen und Beziehungen

Bild 5.10: Ableitung der Wandlungsfähigkeit aus Systemeigenschaften

Komplexität

Vernetztheit

Fähigkeit, zahlreiche Systemzustände in angemessener Zeit einzunehmen

Regelkreise, die das System wachsen bzw. schrumpfen lassen oder stabil halten

5

Wandlungsfähigkeit

© IFA 10.149A_B

Die Wandlungsfähigkeit des Systems Fabrik ermöglicht demnach die Transformation eines Systems. Sie wird im Wesentlichen von drei der in Bild 5.8 genannten insgesamt acht Systemeigenschaften getragen, die Bild 5.10 noch einmal aufführt und durch die relevanten Systemeigenschaften ergänzt [Her03]. Um eine Transformation durchführen zu können, müssen die Systeme bestimmte Eigenschaften besitzen, die im Folgenden als Wandlungsbefähiger

bezeichnet werden. Damit wird eine inhärente Eigenschaft beschrieben, die in einem bestimmten Zeitraum aktivierbar ist und eine gewünschte Veränderung bewirkt. Aus den drei wandlungsrelevanten Systemeigenschaften lassen sich die in Bild 5.11 aufgeführten Wandlungsbefähiger ableiten [Her03]. Mobilität sowie Erweiterbarkeit und Reduzierbarkeit lassen sich der Systemdynamik zuordnen. Sie charakterisieren die Änderungsfähigkeit von Objekten hinsichtlich Ort und Ausdehnung. Modularität sowie

Relevante Systemeigenschaften der Fabrik

Dynamik

Komplexität

Vernetztheit

Modularität

Erweiter- und Reduzierbarkeit

Bild 5.11: Ableitung der Wandlungsbefähiger einer Fabrik

Mobilität

A

B

C

Funktions- und Nutzungsneutralität

Vernetzungs fähigkeit Desintegrations und Integrationsfähigkeit

© IFA 10.211D_Wd_B

125

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

A

B

C

Universalität

Dimensionierung und Gestaltung für verschiedene Anforderungen hinsichtlich Produkt oder Technologie, z.B. Variantenflexibilität

Mobilität

Örtlich uneingeschränkte Bewegbarkeit von Objekten, z.B. Maschinen auf Rollen

Skalierbarkeit

5

Technische, räumliche und personelle Atmungsfähigkeit (Erweiter- und Reduzierbarkeit), z.B. flexibles Arbeitszeitmodell

Modularität

Standardisierte, funktionsfähige Einheiten oder Elemente, z.B. Plug & Produce-Module

Kompatibilität

Vernetzungsfähigkeit bzgl. Material, Information, Medien und Energie, z.B. einheitliche Softwareschnittstellen

Bild 5.12: Definition der Wandlungsbefähiger einer Fabrik © IFA 15.053_B

Funktionsneutralität und Erweiterungsneutralität sind mit der Komplexitätseigenschaft verknüpft und beschreiben die Fähigkeit, verschiedene Systemzustände einzunehmen. Schließlich sind die Wandlungsbefähiger Vernetzungsfähigkeit sowie Desintegrationsfähigkeit und Integrationsfähigkeit aus der Systemeigenschaft Vernetztheit abgeleitet. Bei der praktischen Anwendung dieser Begriffe hat sich gezeigt, dass sie weiter vereinfacht und auf fünf Begriffe reduziert werden können, die Bild 5.12 mit den zugehörigen Definitionen zeigt. Neben dieser systemtechnischen Betrachtung ist es für die praktische Umsetzung der Wandlungsfähigkeit wichtig, nach den Akteuren eines Unternehmens zu fragen, die über den Grad der Wandlungsfähigkeit und dessen Konkretisierung entscheiden.

•  Aus Sicht des Managements interessiert die Frage, wie rasch ein gesamtes Unternehmen auf Risiken und Chancen reagieren soll, wobei im Wesentlichen Aspekte wie Markt- und Produktstrategie,

126

Finanzierung, Kooperation, Organisation und Standorte im Vordergrund stehen. •  Die Betriebswirtschaft fragt nach den Chancen und Risiken sowie der Kosten-/Nutzenrelation der Veränderungsfähigkeit. Lohnt sich z.B. eine Investition zur Erhöhung der Veränderungsfähigkeit einer Produktion durch ein flexibles Fertigungssystem, die sich erst bei der zweiten oder dritten Produktänderung amortisiert? E  •  ine dritte Sicht betrifft die technische Realisierung der Veränderungsfähigkeit der einzelnen Elemente einer Fabrik, beginnend mit den Fertigungs- und Montageeinrichtungen über die Logistiksysteme und deren Steuerung bis hin zu den Gebäuden und ihren Einrichtungen. •  Und schließlich ist aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive zu fragen, welche Voraussetzungen auf der Ebene der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Motivation, Qualifikation und der Entgeltsysteme geschaffen werden müssen, um eine reibungslose Produktionsanpassung zu gewährleisten.

5.4  Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit

5.4  Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit

te Veränderungsfähigkeit zu erreichen. Dazu zeigt Bild 5.13 eine Übersicht.

Für das einzelne Unternehmen stellt sich nun die Frage, wie die allseits geforderte Flexibilität, Rekonfigurierbarkeit und Wandlungsfähigkeit zu definieren und konkret zu gestalten ist. Dazu erscheint es zweckmäßig, zunächst einen Oberbegriff für die verschiedenen Arten der Anpassungsfähigkeit zu wählen und diesen später für die verschiedenen Objektklassen und -ebenen einer Fabrik zu konkretisieren. Aufgrund zahlreicher Diskussionen auch auf internationaler Ebene wird im Folgenden hierfür der Begriff der Veränderungsfähigkeit (engl. changeability) gewählt, s.a. [Wie07]. Im zweiten Schritt sind die Gestaltungsfelder zu benennen, die zusätzlich zur klassischen Fabrikplanung bearbeitet werden müssen, um eine gewünsch-

Ausgangspunkt der Betrachtung sind die ausführlich erläuterten externen und internen Veränderungstreiber, die sich als Volatilität der Nachfrage und der vom Markt erzwungenen Varietät des Leistungsangebotes darstellen. Ein häufiger Veränderungstreiber ist eine neue Unternehmensstrategie, ausgelöst durch einen Wechsel des Eigentümers oder des Managements. Das Unternehmen kann darauf mit einer Umgestaltung der Marktleistung oder der Produktionsleistung reagieren. In beiden Fällen bedarf es dazu der Anpassung der Veränderungsfähigkeit durch die erläuterten Veränderungsbefähiger. Im Falle der Marktleistung sind dies z.B. ein modularer Aufbau der Produkte oder Dienstleistungen, die Einführung eines Plattformkonzeptes oder ein späterer Zeitpunkt der Variantenbildung z.B. durch Programmierung. Im

intern

extern

Veränderungsbefähiger Produkte • Modularität • Plattformkonzept • Variantenbildung

VeränderungsTreiber • Volatilität • Varietät • Marktstrategie

Veränderungsfokus Marktleistung • Produkt • Stückzahl • Produktmix

Bewertung und Kennzahlen der Veränderungsfähigkeit

VeränderungsAusmaß • Ebene • Dauer u. Häufigkeit • Aufwand

5

VeränderungsStrategie • notwendig • ausreichend • wettbewerbsfähig

Veränderungsbefähiger Prozesse • Modularität • Skalierbarkeit • Mobilität

Veränderungsfokus Produktionsleistung • Prozesse • Einrichtungen • Organisation

VeränderungsNutzung • Planung • Training • Umsetzung

Bild 5.13: Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit von Markt- und Produktionsleistung. © IFA 14.790_B

127

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Einflussgröße

5

Ausprägung

Veränderungstreiber

Unsicherheit extern / intern

Varietät Produkte / Prozesse

Veränderung Produktportfolio

Veränderungsfokus

Marktleistung

Produktionsleistung

Geschäftsprozesse

Veränderungspotenzial

operativ / notwendig

taktisch / ausreichend

strategisch / kompetitiv

Einschränkungen / Freiheitsgrade

technisch / logistisch

organisatorisch / kulturell

wirtschaftlich / finanziell

Veränderungsausmaß

Ebene und Spannweite

Häufigkeit und Dauer

Aufwand/Ertrag

Bild 5.14: Morphologie der Wandlungsfähigkeit von Produktionsunternehmen © IFA 9903SW_B

Falle der Produktionsleistung sind im Wesentlichen die Fertigungsprozesse, die Produktionseinrichtungen und ggf. die Organisation veränderungsfähig zu gestalten. Die hierzu nützlichen Veränderungsbefähiger sind neben der Modularität vor allem die Skalierbarkeit und Mobilität. In welchem Ausmaß die Veränderungsfähigkeit gesteigert wird, hängt von der gewählten Strategie ab, die – wie bereits beschrieben – von einer unmittelbar notwendigen über eine vorläufig ausreichende bis hin zu einer strategischen Ausrichtung reicht. Erst hieraus kann dann das Ausmaß der angestrebten Veränderungsfähigkeit bestimmt werden, gekennzeichnet durch die Veränderungsebenen vom einzelnen Arbeitsplatz bis zur ganzen Fabrik, die angenommene Häufigkeit und zulässige Dauer einer Veränderung sowie den als zulässig erachteten Aufwand, z.B. die Mehrkosten für eine leicht veränderbare technische Gebäudeausrüstung. Die verbesserte Veränderungsfähigkeit bleibt wertlos, wenn sie nicht im Falle eines Veränderungsimpulses rasch aktiviert werden kann. Dazu bedarf es eines Konzeptes zur Nutzung der Veränderungsfähigkeit in Form von Ablaufplänen, eines Trainings der dazu notwendigen Personen sowie der Bereitstellung der

128

technischen Mittel zur Umsetzung. Dieser Ansatz lässt sich analog zu den Konzepten eines schnellen Rüstvorganges entwickeln. Schließlich ist es wünschenswert, eine vorhandene oder geplante Veränderungsfähigkeit wirtschaftlich bewerten zu können und sie möglichst mit Kennzahlen belegen zu können.

5.5  Morphologie der Verände­ rungsfähigkeit Aus der Vielfalt der Einflussgrößen und ihren Ausprägungen lässt sich eine morphologische Matrix der Veränderungsfähigkeit von Produktionsunternehmen entwickeln, Bild 5.14. Theoretisch kann jede Ausprägung einer Einflussgröße mit jeder anderen kombiniert werden, so dass eine sehr große Vielfalt von Erscheinungsformen der Veränderungsfähigkeit entstehen würde. Für die praktische Anwendung sind diese in einige Typen zu ordnen. Bevor dies geschieht, sollen die Einflussgrößen und ihre jeweiligen Ausprägungen kurz erläutert werden.

5.5  Morphologie der Veränderungsfähigkeit

Marktsicht

Veränderungstreiber

• Marktbedarf • Kundengeschmack • Wettbewerber • Produkttechnologie

Marktleistung

Veränderungsobjekte

• Produktportfolio • Volumen • Herstellkosten • Lieferzeit • Liefertreue

Produktionssicht • unsichere Prozesse • Produktionsverfahren • I u. K-Technologie • Kooperation

Produktionsleistung • Technik / Logistik • Organisation • Mitarbeiter • Gebäude • Standort

5

Geschäftsprozesse Bild 5.15: Veränderungstreiber und -fokus aus Markt- und Produktionssicht

• Kernprozesse • Supportprozesse

© IFA 9902SW_B

Zunächst sind die Veränderungstreiber nicht nur durch Unsicherheit des Marktes und Varietät der Produkte im Sinne von Risiken geprägt, sondern beinhalten auch Chancen durch die Verfügbarkeit neuer Produktionsverfahren, allen voran die Lasertechnik, die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Mikrotechnologie und RFID-Technologie. Auch werden bereits internetgestützte neue Formen der Kooperation in Entwicklungs-, Zuliefer-, Produktions- und Logistiknetzen genutzt. Der Veränderungsfokus als zweite Einflussgröße umfasst drei Objekte, die Bild 5.15 mit den zuvor diskutierten Veränderungstreibern zeigt. Die aus Marktsicht notwendige Marktleistung besteht neben dem Produktmix, mit funktional überlegenen Produkten und hohem Kundennutzen, aber auch in einer Anpassungsfähigkeit des Liefervolumens bei Bedarfsschwankungen und dies bei sinkender Lieferzeit und hoher Liefertreue bei gleichzeitig sinkenden Herstellkosten. Die Produktionsleistung als Oberbegriff der von der Produktion zu erbringenden Auftragserfüllung wird hier auf der Ebene von sechs Befähigerelementen betrachtet, die im Fokus der Veränderungsfähigkeit liegen können. Im Kern bestehen sie aus der Fertigungstechnik mit der damit

verbundenen Produktionslogistik, der Aufbau- und Ablauforganisation mit den Mitarbeitern sowie den Produktionsgebäuden und dem sie tragenden Grundstück. Diese Elemente stehen im Wechselspiel zur Marktleistung, das im Rahmen der Fabrikplanung zu konkretisieren ist. Die bisher genannten zwei Ausprägungen der Veränderungsfähigkeit sind zunächst auf die Verbesserung der Marktleistung (externe Sicht) bzw. der Produktionsleistung (interne Sicht) gerichtet. Es bestehen aber auch Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden Leistungsarten. Ein neues Produkt erfordert neue Produktionsleistungen. Umgekehrt kann aber eine zunächst produktneutrale neue Produktionsleistung – z.B. die Einführung des Elektronenstrahlschweißens – neue Möglichkeiten der Produktgestaltung bieten. Der dritte Veränderungsfokus bezieht sich daher auf durchgängige Geschäftsprozesse (vgl. Bild 2.7). Neben den Hauptprozessen Marktschließung, Produktentwicklung, Auftragsgewinnung, Auftragserfüllung und Service verdienen die unterstützenden Prozesse der Personalwirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnik, des Rechnungswesen, der

129

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

5

130

Allgemeinen Dienste und der Qualitätssicherung eine gleichrangige Beachtung im Hinblick auf die Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens. Im Hinblick auf die wachsende Bedeutung des Service als eigenes Betätigungsfeld ist dessen erhöhter Veränderungsfähigkeit besondere Aufmerksamkeit zu widmen. In der Regel wird der primäre Veränderungsfokus die Marktleistung sein. Daraus ist anhand einer Analyse der Geschäftsprozesse die Anforderung an die Produktionsleistung und ihre Wandlungsfähigkeit zu bestimmen. In anderen Fällen kann aber auch die schleichende Verschlechterung der technischen, logistischen und wirtschaftlichen Produktionsleistung den Anlass zu einer grundlegenden Veränderung geben. Nach der Festlegung des Veränderungsfokus stellt sich die Frage, wie viel Veränderungsfähigkeit denn in die Markt- bzw. Produktionsleistung „eingebaut“ werden soll und wie groß demnach das Veränderungspotenzial sein müsste (Bild 5.14). Dies hängt letztlich von der gewählten Veränderungsstrategie ab, die sich als notwendig, ausreichend und kompetitiv darstellt. Sie können auch als operativ, taktisch und strategisch bezeichnet werden. Die Art der Veränderungen, die diesen Typen zugeordnet sind, betreffen beim operativen Veränderungspotenzial die üblichen Marktschwankungen und Störungen, die auch in einem einigermaßen stabilen Umfeld unvermeidbar sind. Die Reaktion darauf erfolgt spontan im Rahmen eingeübter Routinen und erfordert keine Strukturveränderungen etwa des Produktes oder des Produktionssystems. Beispiele sind auf der Produktseite Variantenkonstruktionen oder Baukastensysteme, die kundenindividuell kombiniert werden. Auf der Produktionsseite gehört das Umrüsten einer Maschine oder eines Montagearbeitsplatzes einschließlich Programm-, Werkzeugund Vorrichtungswechsel zum notwendigen Veränderungspotenzial. Beim taktischen Veränderungspotenzial geht es um die mittelfristig stabile Fähigkeit, ein definiertes Produktionsspektrum hinsichtlich Qualität, Kosten und der logistischen Leistungsgrößen Lieferzeit und Liefertreue ausreichend sicher liefern zu können. Dies umfasst z.B. Maßnahmen zur Einführung von

umrüstfreien Fertigungsverfahren, ermöglicht aber auch kurzfristige Veränderungen von Fertigungs-, Montage- und Logistikstrukturen, beispielsweise durch Einführung von Fertigungssegmenten, Verringerung der Fertigungstiefe oder Anlieferung von Komponenten just in time. Schließlich zielt das strategische Veränderungspotenzial darauf ab, sehr schnell neue Produktvarianten, Produkte und Prozesse einführen zu können. Damit sind kompetitive Vorteile im Preis oder in der Lieferzeit zu erringen, die sowohl die Kunden als auch den Wettbewerber überraschen. Die Strategie besteht hier darin, Turbulenz produktiv zu erzeugen statt sie nur reaktiv zu beherrschen. Wie bereits erläutert, hat ein Unternehmen aber keine beliebigen Freiheitsgrade. Ihre möglichst genaue Beschreibung dient der Offenlegung tatsächlicher oder vermeintlicher Einschränkungen hinsichtlich der Veränderungsfähigkeit. Zu unterscheiden sind zunächst technische und logistische Freiheitsgrade, die man auch als Freiheitsgrade der Hardware bezeichnen kann. Hier geht es darum, welche Werkstoffarten, Fertigungsverfahren, Montagetechniken, Handhabungs-, Transport- und Lagerprozesse überhaupt beherrscht werden einschließlich der dazu notwendigen Planungs-, Steuerungs- und Prüfprozesse. Die organisatorisch-kulturellen Freiheitsgrade sind demgegenüber eher „weicher“ Natur. Sie betreffen die Möglichkeit, die Aufbau- und Ablauforganisation ohne erhebliche Widerstände zu verändern und die dazu erforderliche Qualifikation, Lernfähigkeit und Veränderungsbereitschaft zu erreichen. Letzteres ist offenbar eine Frage der Unternehmens- und insbesondere der Führungskultur. Schließlich sind die ökonomischen Freiheitsgrade oft bestimmend für eine wünschenswerte Veränderungsfähigkeit. Diese können Forderungen an die Wirtschaftlichkeit einer Investition sein, wie beispielsweise eine konzernweit vorgeschriebene Amortisationsdauer oder auch eine finanzielle Einschränkung in Form einer vorgegebenen Investitionssumme zur Umstellung einer Produktion oder zum Bau einer neuen Fabrik. Als letzte wesentliche Einflussgröße der Veränderungsfähigkeit ist gemäß Bild 5.14 schließlich das Veränderungsausmaß zu nennen. Hier ist zu klären,

5.6  Klassen der Veränderungs­fähigkeit der Produktionsleistung

auf welcher Ebene und mit welcher Spannweite des Produktes bzw. der Produktion die Wandlungsfähigkeit angestrebt wird. Sie kann auf der Produktseite vom Einzelteil und dessen Werkstoff, Form, Dimension und Genauigkeit bis zum Produktmix reichen und auf der Produktionsseite vom Einzelarbeitsplatz bis zum Standort in einem Produktions­netzwerk gehen. Ein zeitbezogenes Veränderungsmerkmal ist die Häufigkeit der möglichen Veränderungen, die produktseitig an die Frequenz des Auftragswechsels, der Produktänderungen, der Produktneueinführung oder der Produktportfolioveränderung gekoppelt ist. Dem stehen im Extremfall in der Produktion Umrüstvorgänge mehrmals am Tag, Kapazitätsveränderungen mehrmals pro Woche, Strukturveränderungen mehrmals pro Monat oder Standortveränderungen im Abstand weniger Jahre gegenüber. Eng gekoppelt an die Häufigkeit der Veränderung ist deren Dauer. Generell ist festzustellen, dass operative Veränderungen von einem Auftrag zum nächsten möglichst im Minutenbereich liegen sollen und Strukturveränderungen mit taktischem Charakter im Wochen- bis Monatsbereich gefordert werden. Und selbst strategische Veränderungen der Produkte oder einer ganzen Produktion müssen bereits im Bereich eines Jahres erfolgen können, um die Umstellungskosten noch durch Premiumpreise des Erstanbieters decken zu können. Eine darüber hinausgehende Veränderungs-

Produktionsebene

Bild 5.16: Korrespondierende Ebenen von Produktion, Veränderungsfähigkeit und Produkten

fähigkeit bezieht sich dann auf das Unternehmen als Ganzes, das in einem globalen Markt nach zukunftsträchtigen Bestätigungsfeldern sucht, in denen das Produktportfolio über ein Vertriebs- und Produktnetz platziert wird. Schließlich sind der zulässige Aufwand für eine Veränderung, gemessen an interner und externer Personalkapazität, sowie der damit verbundene Ertrag von großer Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit einer wandlungsfähigen Gestaltung technischer, organisatorischer oder personaler Elemente der Markt- oder Produktleistung.

5.6  Klassen der Veränderungs­ fähigkeit der Produktions­ leistung Wie bereits angedeutet, ist es für praktische Anwendungen wenig sinnvoll, nur einen einzigen Veränderungsbegriff für ein ganzes Produktionsunternehmen zu definieren. Veränderungsfähigkeit dient vielmehr als Oberbegriff für verschiedene Veränderungsklassen entsprechend den verschiedenen Ebenen einer Produktion, denen entsprechende Ebenen der Marktleistung zugeordnet werden können.

Klassen der Veränderungsfähigkeit

Produktebene

6

network Netzwerk

agility Agilität

product portfolio Produktportfolio

5

factory Fabrik

transformability Wandlungsfähigkeit

product group Produktgruppe

4

system Bereich

Flexibilität reconfigurability Rekonfigurierbarkeit

product instance Einzelprodukt

3

cell System

Flexibilität flexibility Rekonfigurierbarkeit

2

station Zelle

Flexibilität change over ability Umrüstbarkeit

1

process Arbeitsstation

5

Umrüstbarkeit

part group Teilegruppe

part instance Einzelteil

Teileelement

© IFA 14.791_B

131

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Diese Ebenen der Produktionsleistung bzw. Marktleistung lassen sich aus Sicht der Fabrikplanung mit je sechs Begriffen kennzeichnen, die der klassischen Hierarchie einer Fabrik und ihrer Produkte folgen. Ihnen lassen sich dann unterschiedliche Typen der Veränderungsfähigkeit zuordnen. Bild 5.16 gibt eine Übersicht, s.a. [ElM09].

5

132

Die unterste Ebene entspricht einer einzelnen Arbeitsstation, die in der Regel aus einer Maschine und einem Mitarbeiter besteht. Hier wird eine definierte Operation mit Hilfe bestimmter Fertigungsverfahren an einem Werkstück durchgeführt, wie z.B. eine Drehoperation, Oberflächenbehandlung usw. Sie führt zu der Herstellung eines sogenannten Teileelementes, wie z.B. eine Bohrung, eine Verzahnung oder eine Fläche. Entsprechend wird in einer Montagestation eine Menge von Teilen zu einer Unterbaugruppe gefügt. Um den Prozess zu verändern, ist eine Umrüstbarkeit erforderlich, die bei automatischen Stationen durch einen Wechsel des Steuerprogramms erfolgt. Die nächste Ebene umfasst eine Fertigungszelle, die eine Folge von Operationen zur Herstellung eines einbaufertigen Werkstücks und seiner Varianten durchführen kann. Meist sind derartige Zellen numerisch gesteuert und führen auch einen automatischen Werkzeugwechsel durch. Analog dazu erfolgt in einer Montagezelle das mehr oder weniger automatisierte Fügen einer funktionsfähigen Baugruppe. Solche Zellen müssen hinsichtlich Werkzeug- und Programmwechsel nicht nur umrüstfähig sein, sondern auch eine Flexibilität hinsichtlich neuer Teile bzw. Baugruppen besitzen. Ein System besteht grundsätzlich aus mehreren Stationen oder Zellen und stellt je nach den durchgeführten Operationen ein Fertigungs- oder Montagesystem dar. Es kann ohne oder mit Zwischenpuffern ausgestattet sein und in unterschiedlichen Konfigurationen wie Kreis, Linie, Netz usw. auftreten. Diese Systeme dienen der Herstellung einer Gruppe unterschiedlicher Teile bzw. Baugruppen, die dennoch eine bestimmte Ähnlichkeit aufweisen. Da nicht alle Varianten von Teilen bzw. Baugruppen bei der Installation des Systems bekannt sind, muss auch eine strukturelle Veränderung durch Hinzufügen oder Entfernen von

Komponenten sowie eine andere räumliche Anordnung dieser Komponenten möglich sein. Neben der Flexibilität wird also auch eine Rekonfigurierbarkeit gefordert. Fasst man mehrere solcher Fertigungs- und/oder Montagesysteme zusammen, entstehen Bereiche, deren Fertigungs- und Montageeinheiten durch Logistiksysteme wie Lager-, Transport- und Umschlagsysteme ergänzt werden. Ihre Aufgabe ist die Herstellung unterschiedlicher Komponenten. Diese bestehen aus in sich abgeschlossenen, meist vorgeprüften und verwendungsfähigen Produkten. Die Bereiche müssen sowohl flexibel als auch für den Fall geänderter Produkte rekonfigurierbar sein. Die Ebene der Fabrik führt mehrere solcher Produktionsbereiche zusammen, die jeweils eine definierte Marktleistung erbringen. Neben der Fertigung, Montage und Logistik bedarf es dazu bestimmter Infrastruktureinrichtungen zur Versorgung mit Material, Energie und Medien, Information und zur Entsorgung. Hier ist zusätzlich zur Rekonfigurierbarkeit der Teilsysteme auch die Anpassungsfähigkeit der Planung und Steuerung sowie der Infrastruktursysteme und der Mitarbeiter an die neuen Aufgaben erforderlich. Diese Eigenschaft soll als Wandlungsfähigkeit bezeichnet werden. Schließlich ist eine Fabrik in der Regel in ein Produktionsnetz eingebunden. Solche Produktionsnetze bestehen aus mehreren Fabriken an verschiedenen Standorten und sind oft eng verknüpft mit Lieferanten von Produktkomponenten oder Teilprodukten. Veränderungen auf dieser Ebene sind meist strategiegetrieben wie z.B. der Eintritt in einen neuen Markt, die Veränderung des Produktportfolios durch Einführung oder die Entfernung eines Produktes aus dem Angebot, oder die Integration einer neu erworbenen Firma. Dies erfordert Agilität und ist in erster Linie eine Aufgabe der Unternehmensführung. Die damit beschriebenen Typen der Veränderungsfähigkeit sollen wie folgt definiert werden:

•  Umrüstbarkeit bezeichnet die operative Fähigkeit einer einzelnen Maschine oder eines einzelnen Arbeitsplatzes, zu jedem gewünschten Zeitpunkt

5.6  Klassen der Veränderungs­fähigkeit der Produktionsleistung

Segment 1 Sehr hoch

Agile Organisationen

Vernetzungsfähigkeit

Segment 2 Wandlungsfähige Organisationen

hoch

Segment 3

5

Flexible Organisationen

mittel

Segment 4 niedrig

Bild 5.17: Charakterisierung von Produktionsunternehmen aus Sicht der Veränderungs- und Vernetzungsfähigkeit

Autonome Organisationen

niedrig

mittel

hoch

Sehr hoch

Veränderungsfähigkeit

© IFA 9900SW_B

mit minimalem Aufwand und in kürzester Zeit definierte Arbeitsoperationen einer bekannten Werkstück- oder Baugruppenfamilie durchführen zu können. Die Umstellung ist reaktiv und kann manuell oder automatisch erfolgen. •  Flexibilität bezeichnet die operative Fähigkeit eines Fertigungs- oder Montagesystems, sich reaktiv auf eine vorab definierte Anzahl von Werkstücktypen bzw. Baugruppen durch Hinzufügen oder Wegnahme einzelner Funktionselemente in kurzer Zeit mit geringem Aufwand hinsichtlich Hard- und Software umstellen zu können. Die Umstellung erfolgt teilweise manuell, teilweise automatisch. •  Rekonfigurierbarkeit bezeichnet die taktische Fähigkeit eines ganzen Produktions- oder Logistikbereichs, sich auf eine neue – aber ähnliche – Familie von Komponenten einschließlich der zugehörigen Eigenfertigungs- bzw. Zukaufteile überwiegend reaktiv durch Veränderung der Fertigungsverfahren, Materialflüsse und Logistikfunktionen in mittlerer Zeit mit mittlerem Aufwand hinsichtlich Hard- und

Software anpassen zu können. Die Umstellung erfolgt überwiegend manuell und bedarf in der Regel eines Planungsvorlaufs sowie einer Hochlauf- und Optimierungsphase. •  Wandlungsfähigkeit bezeichnet die taktische Fähigkeit einer ganzen Fabrik, sich auf eine andere – in der Regel aber ähnliche – Produktfamilie reaktiv oder proaktiv also vorausschauend – umzustellen und/oder die Produktionskapazität zu verändern. Das erfordert strukturelle Eingriffe in die Produktions- und Logistiksysteme, in die Gebäudestruktur und deren Einrichtungen, in die Aufbau und Ablauforganisation sowie in den Personalbereich. Die Umstellung erfordert einen längeren Planungsvorlauf, ist dann aber in verhältnismäßig kurzer Zeit durchführbar. Sie erfolgt in abgegrenzten Teilprojekten mit straffem Projektmanagement und einer Hochlauf- und Optimierungsphase. Die Wandlungsfähigkeit setzt flexible, rekonfigurierbare und umrüstbare Systeme auf den darunterliegenden Ebenen voraus.

133

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

•  Agilität bezeichnet die strategische Fähigkeit eines ganzen Unternehmens, überwiegend proaktiv neue Märkte zu erschließen, die dazu erforderliche Marktleistung zu entwickeln und die notwendige Produktionsleistung aufzubauen, ggf. verteilt über mehrere Standorte. Sie erfordert erhebliche Management-, Finanzierungs- und Organisationsfähigkeiten.

5

Versucht man nun, ganze Produktionsunternehmen hinsichtlich ihrer Veränderungsfähigkeit zu differenzieren, muss neben den geschilderten Fähigkeiten zur Veränderung auf den verschiedenen Ebenen und deren Objekten noch die Fähigkeit zur Vernetzung mit in Betracht gezogen werden. Bild 5.17 zeigt ein daraus entwickeltes Portfolio zur strategischen Positionierung von Produktionsunternehmen bezüglich ihrer Fähigkeit zur Anpassung. Das Portfolio wird durch die Merkmale „Veränderungsfähigkeit“ mit der Ausprägung niedrig, mittel, hoch und sehr hoch und „Vernetzungsfähigkeit“ mit den gleichen Attributen beschrieben.

Die Veränderungsfähigkeit korrespondiert in ihrer Ausprägung mit den in Bild 5.16 genannten Begriffen Umrüstbarkeit, Rekonfigurierbarkeit, Flexibilität, Wandlungsfähigkeit und Agilität. Die Stufen der Vernetzungsfähigkeit beziehen sich demgegenüber auf die Intensität der Kooperation mit Lieferanten, Entwicklungspartnern, Produktionspartnern und Kunden. In der niedrigen Ausprägung entspricht die Vernetzungsfähigkeit den traditionellen Beziehungen mit Lieferanten und Produktionsunternehmen zum Ausgleich von Kapazitätsbedarfsspitzen. Eine mittlere Vernetzung beschreibt die Vergabe kleinerer Artikelgruppen oder Komponenten an Zulieferer, die bereits an der technischen Entwicklung beteiligt sind. Eine hohe Vernetzung sieht vor, dass bereits wesentliche Komponenten oder auch Subsysteme von einem Kooperationspartner entwickelt und zugeliefert werden. Auch existieren mehrere Standorte des Produktionsunternehmens, zwischen denen eine Arbeitsteilung bezüglich der Produkte oder deren Komponenten bestehen. Im Fall einer

Technik (T)

Fabrikfelder

Organisation (O)

Raum (R)

Fabrikebenen T.I.1 Ebene I Werk

Ebene II Fabrik

Ebene III, IV Bereich Unterbereich

Ebene V: Arbeitsstation

Bild 5.18: Gliederung der Fabrikobjekte © IFA 13.440_B

134

Technische Anlagen – Zentralen

T.II.1 Technische Anlagen – Verteilung T.II.2 Informationstechnik

O.I.1 Aufbauorganisation

O.II.1 Produktionskonzept O.II.2 Logistikkonzept O.II.3 Struktur

T.III, IV.1 Lagermittel O.III, IV.1 Arbeitsorganisation T.III, IV.2 Transportmittel

T.V.1 Produktionstechnologie T.V.2 Produktionsmittel T.V.3 Sonstige Mittel

O.V.1 Qualitätssicherungskonzept

R.I.1 R.I.2 R.I.3

Grundstück Generalbebauung Außenanlagen

R.II.1 R.II.2 R.II.3 R.II.4 R.II.5

Layout Bauform Tragwerk Hülle Anmutung

R.III, IV.1 Ausbau

R.V.1 Arbeitsplatzgestaltung

5.7  Bewertung der Veränderungsfähigkeit

Fabrikebenen

Fabrikfelder

Technik (T)

Organisation (O)

Raum (R)

keine Bedeutung

Ebene I: Werk

Ebene II: Fabrik

Ebene III/IV: (Unter-) Bereich

Ebene V: Arbeitsstation

Fabrikobjekte T.V.1 T.IV.1 T.II.2 T.III.1 T.III.2 T.I.1 T.I.2 T.I.3 O.V.1 O.IV.1 O.IV.2 O.IV.3 O.III.1 O.I.1 R.V.1 R.V.2 R.V.3 R.VI.1 R.IV.2 R.IV.3 R.IV.4 R.IV.5 R.III.1 R.I.1

Technische Anl. -Zentralen Technische Anl. -Verteilung Informationstechnik Lagermittel Transportmittel Produktionstechnologie Produktionsmittel Sonstige Mittel Aufbauorganisation Produktionskonzept Logistikkonzept Struktur Arbeitsorganisation Qualitätssicherungskonzept Grundstück Generalbebauung Außenanlagen Layout Bauform Tragwerk Hülle Anmutung Ausbau Arbeitsplatzgestaltung

geringe Bedeutung

5

mittlere Bedeutung

hohe Bedeutung

Zuordnung zur Ebene

Bild 5.19 Zuordnung der Fabrikobjekte zu den Fabrikebenen und ihre jeweilige Bedeutung © IFA 13.441A_Wd_B

sehr hohen Vernetzung wird das lokale Produktionsunternehmen zum Integrator für bestimmte Marktleistungen durch die Koordination von Sach- und ggf. Dienstleistungen für einen bestimmten Markt, der geografisch oder nach Kundengruppen gegliedert ist. Die Kooperationspartner sind Entwicklungspartner für Subsysteme, Produktionspartner für Teile- und Komponentengruppen sowie Logistikpartner für die Teilebereitstellung oder die Warenverteilung und -zwischenlagerung. In dem so aufgespannten Feld lassen sich vier Segmente definieren, die in Anlehnung an die Veränderungstypen als agile Organisationen, wandlungsfähige Organisationen, flexible Organisationen und autonome Organisationen bezeichnet werden sollen. Die Segmente 1, 2 und 3 sind selbsterklärend. Segment 4 umfasst autonome Organisationen, die nur

eine schwache äußere Vernetzung mit Lieferanten pflegen und intern lediglich auf Arbeitsplatz und Fertigungs- oder Montagesystemebene umrüstbar bzw. rekonfigurierbar sind.

5.7  Bewertung der Veränderungsfähigkeit Um den Begriff der Veränderungsfähigkeit für die Praxis handhabbar zu machen, ist zunächst eine Ordnung der Fabrikobjekte erforderlich. Daher empfiehlt es sich, die von der Wandlung betroffenen Objekte zum einen nach den Detaillierungsebenen der Fabrik und zum anderen nach der Art der Wandlungsfähig-

135

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

keit zu ordnen. Bild 5.18 zeigt auf der linken Seite die Detaillierungsebenen der Fabrik. Gegenüber Bild 5.16 hat sich aufgrund von Forschungsprojekten [Nyh04, Wie05, Rei07] sowie der praktischen Erfahrungen in zahlreichen Fabrikprojekten gezeigt, dass eine so feine Gliederung nicht erforderlich ist.

5

Daher wurden die Ebene Netzwerk durch den Begriff „Werk“ ersetzt (weil hier nur die Außenbeziehungen interessieren) und die Ebenen Zelle, System und Bereich zu einem Begriff „Bereich/Unterbereich“ zusammengefasst. Die Arten der Wandlungsfähigkeit beziehen sich auf die technischen Einrichtungen, die Organisation und die räumliche Anordnung der Fabrikobjekte. In die hierdurch gebildete Matrix können nun 26 Fabrikobjekte erster Ordnung eingegliedert werden. Für jedes der 26 Objekte wurde eine Untergliederung in insgesamt 116 Fabrikobjekte zweiter Ordnung erarbeitet, die in Anhang A 1 beschrieben sind.

Universalität Mobilität

A

Weiterhin ist zu beachten, dass ein Fabrikobjekt auf jeder Fabrikebene mit einer unterschiedlichen Bedeutung auftritt. Bild 5.19 verdeutlicht dies an einer Darstellung, bei der gegenüber Bild 5.18 die Spalten und Zeilen vertauscht sind. Um eine mehrfache Behandlung der Objekte im Rahmen der Fachplanungen zu vermeiden, ist es zweckmäßig, sie einer bestimmten Ebene zuzuordnen, wie im Bild durch die Rasterung der jeweiligen Felder gekennzeichnet. Die einzelnen so definierten Wandlungsobjekte besitzen unterschiedliche Fähigkeiten, sich zu verändern. Heger hat die in Bild 5.11 und 5.12 beschriebenen Wandlungsbefähiger aufgrund umfangreicher Untersuchungen auf acht Begriffe erweitert und zur Basis einer umfassenden Bewertungssystematik der Wandlungsobjekte einer Fabrik gemacht. Bild 5.20 zeigt die von ihm so genannten Wandlungspoten­ zialarten angewandt auf ein fiktives Fabrikplanungsobjekt [Heg07]. Sie stehen zueinander teilweise in

Neutralität Skalierbarkeit

B C

Fabrikobjekt

notwendige Verbindung

Objektspezifisches Wandlungspotential

Inputs und Outputs A

B C

A

A A

Standardisierung

Erweiterung, Reduzierung und Bewegung Kompatibilität Modularität

Bild 5.20: Veranschaulichung der Wandlungspotenzialarten © IFA 13.445_B

136

gewandeltes Objekt Schnittstellen

5.7  Bewertung der Veränderungsfähigkeit

Fabrikobjekt: Technische Anlagen und Verteilung

Wandlungspotenzialart A

B

Wandlungspotenzialmerkmale und Merkmalsart

Universalität

Ver- und -entsorgungsnetz Medienraster

(qualitativ) (quantitativ)

Skalierbarkeit

Reserve Zugänglichkeit

(quantitativ) (qualitativ)

Modularität

Aufbau Absperreinrichtungen

(qualitativ) (qualitativ)

Kompatibilität

Kennzeichnung Art der Anschlüsse

(qualitativ) (qualitativ)

C

Bild 5.21: Beispiel Wandlungsarten und -merkmale für ein Fabrikobjekt (Heger)

5

© IFA 13.448_B

Wechselwirkung. Sie werden in Anlehnung an Bild 5.12 wie folgt definiert:

weiteren Verlauf dieses Kapitels wird die von Heger vorgeschlagene Systematik weiter benutzt.

•  Universalität und Neutralität beschreiben die Mög-

Stellt man nun die Wandlungsobjekte und die Wandlungsbefähiger einander gegenüber, zeigt sich, dass nicht jedes Wandlungsobjekt jeden Wandlungsbefähiger aufweist. Beispielsweise ist der Wandlungsbefähiger „Mobilität“ für ein Grundstück grundsätzlich nicht anwendbar, ebenso wie für die Fabrikstruktur oder die Arbeitsorganisation. Jedem Fabrikobjekt zweiter Ordnung ist daher eine Reihe von Merkmalen zugeordnet, die für die Beurteilung der Wandlungsfähigkeit relevant sind und für alle Objekte gleichermaßen gelten. Bild 5.21 zeigt am Beispiel des Fabrikobjektes Technische Anlagen und Verteilung das Vorgehen. Zunächst zeigt sich, dass von den 8 Wandlungsbefähigern nur die vier angeführten zutreffen. Daraus werden je Klasse in diesem Fall zwei Wandlungsmerkmale entwickelt, die entweder qualitativer oder quantitativer Natur sind.

• 

• 

• 

lichkeiten, ein Objekt für unterschiedliche Aufgaben einsetzen zu können, wobei im ersten Fall das Objekt unempfindlich gegen Einflüsse anderer Objekte ist und im zweiten Fall keine Einflüsse auf andere Objekte ausübt. Mobilität und Skalierbarkeit sichern im ersten Fall eine örtlich uneingeschränkte Beweglichkeit, während die Skalierbarkeit neben der räumlichen auch eine technische und organisatorische Erweiterung oder Reduktion der Leistung des Objektes erlaubt. Modularität und Kompatibilität beschreiben die Art des Objektaufbaus. Modulare Einheiten sind in sich funktionsfähig, was aber ohne Kompatibilität hinsichtlich Material-, Medien-, Energie- und Datenflüssen wirkungslos bleibt. Standardisierung ist nur in Verbindung mit Universalität, Modularität und Kompatibilität sinnvoll anwendbar und zielt auf die fabrikübergreifende Austauschbarkeit und Vereinfachung der Fabrikobjekte.

Schließlich wird es immer objektspezifische Wandlungsbefähiger geben, die sich nicht eindeutig einer der bisherigen Befähigerarten zuordnen lassen. Im

Das Objekt Technische Anlagen und Verteilung selbst besteht aus den drei Objekten Haupttrassen, Netze und Anschlüsse, denen in Bild 5.22 a die 7 Wandlungsmerkmale zugeordnet sind. Sie gelten für alle drei Unterobjekte. Eine vollständige Auflistung der Wandlungspotenzialmerkmale für alle 116 Objekte zweiter Ordnung findet sich in Anhang A 2.

137

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Fabrikobjekt 1. Ordnung

T.IV.1

Technische Anlagen - Verteilung

Fabrikobjekte 2. Ordnung

T.IV.1.1 Haupttrassen T.IV.1.2 Netze T.IV.1.3 Anschlüsse

Wandlungsmerkmale • Ver- und Entsorgungsnetz (UN) *) • Medienraster (UN) • Reserve (SK) • Zugänglichkeit (SK) • Aufbau (MD) • Absperreinrichtungen (MD) • Kennzeichnung (KO) • Art der Anschlüsse (KO)

*) UN Universalität, MD Modularität, SK Skalierbarkeit, KO Kompatibilität

5

a) Fabrikobjekte und zugehörige Wandlungsmerkmale (Beispiel)

Teilpotenzial

Wandlungsmerkmal

Beschreibung

Zielerreichung

Medienraster

Weite des Rasters, mit dem die Medien verlegt sind

> 21 m 15 bis 21m 9 bis 15 m 3 bis 9 m 21 m (15 m, 21 m] (9 m, 15 m] (3 m, 9 m] (0 m, 3 m] (0 %, 10 %] (10 %, 40 %] (40 %, 70 %] (70 %, 100%] >100 % nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt

0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100%

Ist-Teilpotenzial IstAuswahl wert x

5

Soll-Teilpotenzial AusSoll-Wert wahl

50%

75% x

x

50%

75% x

x 75%

25% x

x 25%

100% x

x 25%

100% x

x 25%

75% x

100%

75% x x

x

50%

IstPotenzial:

40,6%

100% x SollPotenzial:

87,5%

Bild 5.23: Ermittlung des Ist- und Soll-Wandlungspotenzials für das Bewertungsobjekt „Technische Anlagen-Verteilung“ © IFA 14.793_B

139

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Techn. AnlagenVerteiler Bewertungsklassen sehr hoch hoch mittel niedrig

5

sehr niedrig

WP [%]

Elektrohängebahn

Hochregallager

Prod.mittel Abfüll.

Prod.mittel Ansatz

Struktur

Prod.konzept

Tragwerk

Layout

Generalbebauung

Bauform

Ausbau

Hülle

WPDifferenz [%]

100

100

80

80

60

60

40

40

20

20

0

0 -20 -40 -60 -80 -100 Bewertungsobjekt Ist-Wandlungspotenzial Soll-Wandlungspotenzial Ist-Soll-Wandlungspotenzialdifferenz

WP Techn. Anl. – Verteil. Prod.-mittel Abfüll. Prod.-konzept

Bewertungsklassen übermäßig angemessen befriedigend ausreichend bis mangelhaft ungenügend

: Wandlungspotenzial : Technische Anlagen – Verteilung : Produktionsmittel : Abfüllung : Produktionskonzept

Bild 5.24: Vergleich der Soll- und Ist-Wandlungsfähigkeit (Beispiel) © IFA 13.467_B

Insgesamt wird deutlich, dass keine ideale Wandlungsfähigkeit definiert werden kann, sondern nur eine angemessene Wandlungsfähigkeit, die dann gegeben ist, wenn die Ist-Wandlungs­fähigkeit mit der Sollwandlungsfähigkeit der einzelnen Objekte mit einer vernünftigen zulässigen Abweichung übereinstimmt. Für die festgestellten Defizite sind technische oder organisatorische Lösungen zu erarbeiten und der dazu notwendige Aufwand ist abzuschätzen. Der letzte Schritt besteht dann in der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der ermittelten Maßnahmen. In der Regel wird die Sollwandlungsfähigkeit jedoch zu höheren Aufwendungen gegenüber klassischen, wenig wandlungsfähigen Lösungen führen. Dieser Mehraufwand ist wirtschaftlich nur dadurch zu rechtfertigen, dass bei Veränderungen der Objekte die Aufwendungen für die Veränderung um so viel geringer sind, dass die Mehrinvestitionen in möglichst kurzer Zeit amortisiert werden. In der Regel

140

wird dies zu einer wirtschaftlichen Wandlungsfähigkeit führen, die unterhalb der Sollwandlungsfähigkeit liegt. Die Grundüberlegungen zur Betrachtung der Wandlungskosten eines Wandlungsobjektes über seinen Lebenszyklus sind in Bild 5.25 schematisch verdeutlicht [Heg07] Die konventionelle wandlungsträge Lösung wird zwar geringere Objektkosten verursachen, dafür aber hohe direkte und indirekte Durchführungskosten. Die hoch wandlungsfähige Lösung ist demgegenüber durch eine Mehrinvestition gekennzeichnet, der jedoch deutlich niedrigere Wandlungsprozesskosten gegenüberstehen. Die Summe beider Kosten über den Lebenszyklus führt zu einer dazwischenliegenden Lösung. Heger hat zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Wandlungsfähigkeit einen Vorschlag auf Basis der Kapitalwertmethode entwickelt, die aber hier nicht näher erläutert werden soll [Heg07]. Letzten Endes handelt es sich um eine unternehmerische Entschei-

5.8  Regelkreis der Wandlungsfähigkeit

dung, bei der sich die Frage stellt, wie viel die Wandlungsfähigkeit wert ist. In realen Projekten wurde beispielsweise als Richtwert 8 bis 10% Mehrkosten gegenüber einer konventionellen wandlungsträgen Lösung vereinbart.

rietät der Produkte und Prozesse zu unterscheiden. Die Dimension und Tragweite dieser Unsicherheiten führt im nächsten Schritt zu einem wünschenswerten Veränderungspotenzial, das operativ, taktisch oder strategisch angelegt sein kann. Das Unternehmen unterliegt jedoch unabhängig von dem wünschenswerten Veränderungspotenzial bestimmten Einschränkungen unterschiedlicher Art. Diese bestimmen als vorhandene Freiheitsgrade den Handlungsspielraum. Letzterer ist nun als mögliches Veränderungsausmaß hinsichtlich der Veränderungsobjekte zu definieren. Die Gegenüberstellung des möglich erscheinenden Veränderungsausmaßes mit dem zuvor bestimmten wünschenswerten Veränderungspotenzial wird in der Regel einen technischen und/oder organisatorischen Konflikt offenbaren. Dessen Auflösung kann durch die Erweiterung der Freiheitsgrade oder durch Infragestellung der Veränderungstreiber erfolgen. Sie führen unter Berücksichtigung der Veränderungsstrategie ggf. in mehreren Iterationsschleifen zur potenziellen Veränderungsfähigkeit der Marktund/oder Produktleistung. Daraus ergeben sich dann konkrete Aktionen zur Veränderung von Strukturen und Abläufen. Es wird deutlich, dass nicht nur die Veränderung selbst, sondern auch die potenzielle

5.8  Regelkreis der Wandlungsfähigkeit Offensichtlich geht es bei der Festlegung der Wandlungsfähigkeit generell darum, ein wirtschaftlich sinnvolles Gleichgewicht zwischen den externen Forderungen des Marktes und den internen Möglichkeiten des Unternehmens zu finden. Bild 5.26 zeigt hierzu ein einfaches Wirkschema, das eine Außen- und Innensicht unterscheidet, aus deren dynamischem Zusammenspiel sich die potenzielle Veränderungsfähigkeit der Markt- und Produktionsleistung ergibt. Beginnend mit den genannten Veränderungstreibern ist dort zwischen externen und internen Unsicherheiten und der vorhandenen oder beabsichtigten Va-

Wandlungskosten

Kostenbetrachtung im Lebenszyklus konventionell wandlungsträge

1 Wandlungsobjektkosten • Anfangs-, Erst- und Errichtungsinvestitionen • Ersatz- und Zusatzinvestition

• Umstellung, Abbau • Wiederherstellung der Prozessfähigkeit

3 Indirekte Durchführungskosten • Produktionsausfall => Entgangener Gewinn • Mehrarbeit • Bestandskosten

höchst wandlungsfähig

1 Kosten

2 Direkte Durchführungskosten

5

1 2



… Varianten

3

2 3 niedrig

hoch

Wandlungsfähigkeit

Bild 5.25: Einordnung der wirtschaftlichen Wandlungsfähigkeit © IFA 14.794_B

141

B

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Strategie

Vorhandene Freiheitsgrade

Externe und interne Veränderungstreiber

Potenzielle Veränderungsfähigkeit

Innensicht

Außensicht

• Marktleistung • Produktionsleistung

5

Wünschenswertes Veränderungspotenzial

Mögliches Veränderungsmaß

Bild 5.26: Regelkreis der Veränderungsfähigkeit

Aktionen

© IFA 9899SWA_B

und tatsächlich erreichte Veränderungsfähigkeit dynamischen Einflüssen unterliegt, die permanent in einer Außen- und Innensicht abzugleichen sind. Aus der systematischen Analyse der Fabrikbausteine hinsichtlich ihrer Wandlungsfähigkeit lassen sich bereits Ansätze für die Wandlungsfähige Fabrik ab-

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Adaptive•Gebäude

• Nutzungsneutralität • modularer Aufbau • Erweiter- bzw. Reduzierbarkeit • Atmungsfähigkeit

leiten, die ein hohes Erfolgspotenzial besitzen, Bild 5.27. Am Anfang sollte immer eine durchdachte Marktstrategie stehen, welche die gesamte Organisation auf den Kundennutzen ausrichtet. Dies führt zu

Zukunftsrobuste Technik und Technologien

• Werkzeugneutrale Variantenbildung

• schneller Variantenwechsel • elastische Bereichsverkettung • mobile Ressourcen Anforderungsgerechte Produktionsstrukturen

Marktorientierte Produktausrichtung

• produktorientierte Aufbauorganisation • prozessorientierte Ablauforganisation • marktnahe Variantenerzeugung • Kundennutzenorientierung

• Humanzentrierung • Mitarbeiterpartizipation • Autonomie und Verantwortung • attraktive Entlohnungssysteme • flexible Arbeitszeiten

• Integrationsfähigkeit neuer Produkte • plattformorientierte Segmentierung • Programmflexibilität • Layouterweiterbarkeit

Anforderungsgerechte • Logistikstrategien

• dezentrale Belieferung • dezentrale Lagerung • einfache Steuerungsprinzipien • Nutzung von Kooperationen

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik Bild 5.27: Bausteine und Merkmale der Wandlungsfähigkeit aus fabrikplanerischer Sicht

© IFA 14.795_B

142

5.9  Leitbild der wandlungs­fähigen Fabrik

Erfolgreicher Wandel

Wandlungsprozess • Kongruenz zwischen Wandlungsanforderung und Wandlungsziel • Vom Markt geforderte Geschwindigkeit • Geringer Veränderungsaufwand

Wandlungsfähigkeit • Konfigurations- und Rekonfigurationspotenzial

Wandlungskompetenz • Veränderungs- und Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter

Wandlungsbeherrschung • Qualität des geplanten Wandels

5

Bild 5.28: Erfolgsfaktoren des Wandels © IFA 10.150_Wd_B

anforderungsgerechten Produktstrukturen, wie sie beispielsweise im GVP-Ansatz beschrieben wurden (vgl. Abschn. 4.11). Die eingesetzten Technologien und Techniken müssen dem Gedanken folgen, genau die Losgrößen zu fertigen, die der Kunde bestellt. Die Logistikstrategien der Belieferung und Auftragsabwicklung müssen dem Flussprinzip folgen. Die Gebäude sind adaptiv zu gestalten. Schließlich ist die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Gestaltung und den Betrieb der Fabrik unerlässlich. Diese Aspekte werden in den folgenden Kapiteln jeweils auf den verschiedenen Fabrikebenen vertieft behandelt. Die Ausführungen dieses Kapitels haben deutlich gemacht, dass der Begriff Wandlungsfähigkeit konkret fassbar wird. Wenn man Wandlungsfähigeit als strategischen Erfolgsfaktor ansieht, sind die in Bild 5.28 dargestellten Zusammenhänge zu beachten [Her07]. Ein erfolgreicher Wandel wird nur gelingen, wenn der Wandlungsprozess als ein strategischer Ansatz aufgefasst wird, der den permanenten Abgleich zwischen Soll- und Ist-Wandlungsfähigkeit im Auge hat, sich auf die am Markt geforderte Geschwindigkeit einstellt und dabei den Aufwand nicht außer Acht lässt. Dabei genügt es nicht nur, die notwendige Wandlungsfähigkeit im Sinne einer Prozessfähigkeit zu erreichen, sondern sie im Falle einer notwendigen

Veränderung auch in der notwendigen Zeit zu nutzen, den Wandlungsprozess also auch zu beherrschen. Dies wiederum setzt die Wandlungskompetenz der Mitarbeiter voraus.

5.9  Leitbild der wandlungs­ fähigen Fabrik Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich eine Visionen der wandlungsfähigen Fabrik entwickeln, die ihrerseits auf den Leitbildern einer zukunftsfähigen Produktion basiert. Bild 5.29 unterscheidet dabei entsprechend Bild 2.9 nach der Außensicht (Produktion) und der Innensicht (Fabrik). Abweichend von der konventionellen Fabrik, die durch Wandlungsträgheit und interne Optimierung gekennzeichnet ist, muss sich die zukünftige Produktion an Marktstrategien und den daraus abgeleiteten Produkten ausrichten. Dies erfordert Teams, die auf der Basis von klar kommunizierten Zielen eigenverantwortlich Geschäftsprozesse planen und betreiben. Sie orientieren sich dabei an technischen und betrieblichen Grenzwerten der Praxis, aber auch an physikalischen und logistischen Grenzen.

143

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

Leitbild Produktion • Ausrichtung an Markt und Strategie • Eigenverantwortliche Teams • Orientíerung an best practice und Grenzwerten • Angemessene Wandlungsfähigkeit auf allen Fabrikebenen

5

• Nutzungsneutrale, kommunikationsfördernde Gebäude mit ästhetischer Qualität • Externe Vernetzungsfähigkeit • Nachhaltigkeit aus wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Sicht

Vision Fabrik • Gliederung in Wertschöpfungseinheiten • Fabrikumrüstzeit „Null“ • Plug & Produce-Technik • Variantenbildung in Produktionsendstufen • Material immer im Fluss • Vorgetestete mobile Produktionsmodule • Erscheinungsbild spiegelt den Anspruch der Marke • Emission „Null“ • Attraktive und gesunde Arbeitsumgebung

Bild 5.29: Vision der wandlungsfähigen Fabrik © IFA G9536BSW_Wd_B

In der Ausführung der Fabrik gilt der Grundsatz angemessener Wandlungsfähigkeit und Mobilität der Betriebsmittel und der Organisation, und dies auf allen Strukturebenen vom Standort der Fabrik über die Gebäude, die Produktionssysteme bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz. Dies bedingt nutzungsneutrale Gebäude, die mehrere Produkt- und Prozessgenerationen überdauern und dennoch einen gestalterischen Anspruch verwirklichen, der dem Selbstverständnis des Unternehmens und seiner Marktleistung entspricht. Weiterhin ist eine ausgeprägte externe Vernetzungsfähigkeit in logistischer, organisatorischer und kommunikationstechnischer Hinsicht zu gewährleisten, um mit Lieferanten, Entwicklungspartnern oder Kunden effektiv kooperieren zu können. Der Begriff der Nachhaltigkeit umfasst schließlich einen auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Erfolg, der aber die Berücksichtigung der sozialen Belange der Mitarbeiter und ein ökologisch verantwortliches Handeln einschließt. Als Vision entstehen daraus Fabriken, die sich – nach Wertschöpfungseinheiten für unterschiedliche Marktanforderungen gegliedert – in kürzester Zeit aufwandsarm umrüsten lassen. Als Metapher kann

144

ein modernes Theater dienen, dessen Bühnentechnik einen geräuschlosen Szenenwechsel in wenigen Minuten bei offenem Vorhang erlaubt. Diese Umrüstfähigkeit bedingt in einer Fabrik Produktionsmodule, die im Minuten- bis Stundenbereich rekonfigurierbar sind, weil sie sich dank einer leichten Beweglichkeit und einer lokalen Steuerung mit einer übergeordneten Steuerung verständigen können. Wegen der notwendigen Variantenbeherrschung muss die klassische Trennung zwischen Vorfertigung und Montage infrage gestellt werden. Die Variantenbildung erfolgt in sogenannten Produktionsendstufen im spätestmöglichen Schritt der Endmontage durch Integration variantenbestimmender Fertigungsoperationen in den Montageablauf. Eine weitere logistisch motivierte Vision ist der gleichmäßige Fluss des Materials durch die Wertschöpfungsstufen. Dies sichert niedrigste Bestände, kürzeste Durchlaufzeiten und demzufolge eine höchste Reaktionsfähigkeit. „Produziere in einem Tag das, was der Kunde bis zum Abend des vorherigen Tages bestellt hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger“, so könnte eine Maxime dieser Vision lauten. Schließlich geht die wandlungsfähige Fabrik bis hin zu vorgetesteten, mobilen Fab-

5.10  Literatur

rikmodulen, die auf dem Fabrikgelände, aber auch zu anderen Standorten hin verschoben werden können. Dabei gilt die Null-Emissions-Fabrik als Maßstab ebenso wie eine gesunde und attraktive Arbeitsumgebung. Bevor der dazu notwendige Planungsprozess unter dem Begriff Synergetische Fabrikplanung in Kap.15 im Detail entfaltet wird, müssen die Planungsinhalte bekannt sein, die zu einer funktionsfähigen Fabrik führen. Diese werden entsprechend den in Bild 5.18 dargestellten Ebenen Arbeitsstation, Unterbereich/ Bereich, Werk und Fabrik beschrieben. Dabei wird jede Ebene einerseits aus der funktionalen und andererseits aus der räumlichen Gestaltungssicht beschrieben.

[Gau96]

[Heg07]

[Her03]

5.10  Literatur [Kal89] [Abe06]

[Agg87]

[Dörr99]

[Eve83]

[ElM09]

 bele, E., Versch, A., Wörn, A.: ReconA figurable Manufacturing Systems (RMS) for Machining of Case and Similar Parts in Machine Building. In: Dashchenko, A.I. (ed.): Reconfigurable Manufacturing Systems and Transformable Factories. 1st Edition pp. 327–339, Springer, Berlin Heidelberg 2006 A ggteleky, B.: Fabrikplanung und Werksentwicklung. Band 2: Betriebsanalyse und Feasibility-Studie. Hanser, München Wien 1987 Dörrer, P.: Wissensbasierte Evaluierung zukünftiger Produktionsstrategien. Diss. TU Clausthal, Shaker Verlag, Aachen 1999 Eversheim, W., Kettner, P., Merz, K.-P.: Ein Baukastensystem für die Montage konzipieren. Industrie Anzeiger 105 (1983) 92, S. 27–30 ElMaraghy, H., Wiendahl, H.-P.: Changeability – An Introduction. In: ElMaraghy, H. (Hrsg.): Changeable and

[Kal95]

[Kal05]

[Ket84]

[Kor01]

reconfigurable Manufacturing Systems. Springer, Berlin Heidelberg 2009 Gausemeier, J., Fink, A., Schlake, O.: Szenario-Management. 2. Auflage Hanser, München Wien 1996 Heger, Ch. L.: Bewertung der Wandlungsfähigkeit von Fabrikobjekten. Diss. Leibniz Universität Hannover 2006. Veröff. in: Nyhuis, P. (Hrsg.): Berichte aus dem IFA. Wiss. Schriftenreihe des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik der Leibniz Universität Hannover. Verlag PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, 2007 Hernández Morales, R.: Systematik der Wandlungsfähigkeit in der Fabrikplanung. Diss. Univ. Hannover 2002. Veröff. in: Fortschrittberichte VDI, Reihe 16, Nr. 149, Düsseldorf 2003 Kaluza, B.: Erzeugniswechsel als unternehmenspolitische Aufgabe. Integrative Lösungen aus betriebswissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Sicht. Berlin 1989 Kaluza, B.: Flexibilität der Industrieunternehmen. Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg, Nr. 208, Duisburg 1995 Kaluza, B., Blecker, Th.: Flexibilität – State of the Art und Entwicklungstrends. In: Kaluza, B., Blecker, Th. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Flexibilität. Strategien und Konzepte für wandlungsfähige Unternehmen. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2005 Kettner, H., Schmidt, J., Greim, H.-R.: Leitfaden der systematischen Fabrikplanung. Hanser, München Wien 1984 Koren, Y.: Reconfigurable Manufacturing Systems. Proceed. of the CIRP 1st Intern. Conf. on Agile, Reconfigurable Manufacturing. May 20/21, 2001. Univ. of Ann Arbor Michigan, USA

5

145

5  Systematik der Veränderungsfähigkeit

[Lot06]

[Nyh04]

5

[Nyh08]

[Rak00]

[Rei99]

[Rei01]

[Rei04]

[Rei07]

[Rein97]

146

 otter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): MonL tage in der industriellen Produktion – Ein Handbuch für die Praxis. Springer Berlin Heidelberg 2006 Nyhuis, P., Elscher, A., Kolakowski, M.: Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung – Ganzheitliche Integration von Prozess- und Raumsicht. wt Werkstattstechnik online 94 (2004) H. 4, S. 95–99 Nyhuis, P., Reinhart, G., Abele, E. (Hrsg.): Wandlungsfähige Produktionssysteme. Heute die Industrie von morgen gestalten. Verlag Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2008 Rakesh, N., Yadav, R.C., Sarkis, J., Cordeiro, J.J.: The Strategic implications of flexibility in manufacturing systems. Intern. Journal of Agile Management Systems 2/3 (2000) 202–213 Reichardt, J.: Wandlungsfähige Gebäudestrukturen. In: Tagungsband 2. Deutsche Fachkonferenz Fabrikplanung, Fabrik 2000+. Verlag moderne industrie, Stuttgart 26./27. Oktober 1999, 11 Seiten Reichardt, J.: Kommunikationsorientierte Fabrikstrukturen. In: Tagungsband 3. Deutsche Fachkonferenz Fabrikplanung, Fabrik 2000+. Verlag moderne industrie, Stuttgart 3./4. April 2001, 36 Seiten Reichardt, J., Gottswinter, C.: Synergetische Fabrikplanung – Montagewerk mit den Planungstechniken aus dem Automobilbau realisiert. industrieBAU, 3 (2004), S. 52 ff. Reichardt, J., Pfeifer, I.: Phasenmodell der Synergetischen Fabrikplanung. Stand der Forschung und Praxisbeispiele. wt Werkstattstechnik online 97(2007) H. 4, S. 218–225 Reinhart, G.: Innovative Prozesse und Systeme – Der Weg zu Flexibilität und

[Rein00]

[Rein08]

[Sche04]

[Ton98]

[Ulr95]

[West99]

[West00]

[West09]

[Wie81]

Wandlungsfähigkeit. In: Milberg, J., Reinhart, G. (Hrsg.): Mit Schwung zum Aufschwung. Münchener Koll. ´97, Landsberg/Lech 1997 Reinhart, G.: Im Denken und Handeln wandeln. In: Reinhart, G. (Hrsg.): Tagungsband Münchener Kolloquium 2000, München 2000 Reinhart, G., Kerbs, P., Schellmann, H.: Flexibilität und Wandlungsfähigkeit – das richtige Maß finden. In: Hoffmann, H., Reinhart, R., Zäh, M.F. (Hrsg.): Münchener Kolloquium. Innovationen für die Produktion. Produktionskongress 9. Oktober 2008, S. 45–55 Schenk, M., Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb. Methoden für die wandlungsfähige und vernetzte Fabrik. Springer, Berlin Heidelberg 2004 De Toni, A., Tonchia, S.: Manufacturing flexibility: a literature review. Intern. Journal of Production Research 36 (1998) 36, S. 1587–1617 Ulrich, H., Probst, G.J.B.: Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln: Ein Brevier für Führungskräfte. 3. Aufl. Haupt, Bern Stuttgart 1995 Westkämper, E.: Die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen. wt Werkstattstechnik 89 (1999) 4, S. 131–139 Westkämper, E., Zahn, E., Balve, P., Tilebein, M.: Ansätze zur Wandlungsfähigkeit von Produktionsunternehmen. wt Werkstattstechnik 90 (2000) 1/2 , S. 22–26 Westkämper, E., Zahn, E. (Hrsg.): Wandlungsfähige Produktionsunternehmen. Das Stuttgarter Unternehmensmodell. Springer, Berlin Heidelberg 2009 Wiendahl, H.-P., Mende, R.: Produktund Produktionsflexibilität – Wettbewerbsfaktoren für die Zukunft. wt Zeitschr. f. industrielle Fertigung 71 (1981) S. 295 f.

5.10  Literatur

[Wie98]

[Wie00]

[Wie01]

[Wie05]

 iendahl, H.-P., Scheffczyk, H.: WandW lungsfähige Fabrikstrukturen. wt Werkstattstechnik 88 (1998) H. 4, S. 171–175 Wiendahl, H.-P., Hernandez, R.: Wandlungsfähigkeit – neues Zielfeld in der Fabrikplanung. Industrie-Management 16 (2000) 5, S. 37–41 Wiendahl, H.-P., Reichardt, J., Hernández, R.: Kooperative Fabrikplanung – Wandlungsfähigkeit durch zielorientierte Integration von Prozeß- und Bauplanung. wt Werkstattstechnik 91 (2001) H. 4, S. 186–191 Wiendahl, H.-P., Nofen, D., Klußmann, J.H., Breitenbach, F. (Hrsg.): Planung modularer Fabriken. Vorgehen und Bei-

[Wie07]

[Wir00]

spiele aus der Praxis. Hanser, München Wien 2005 Wiendahl, H.-P., ElMaraghy H.A., Nyhuis P., Zäh M.F., Wiendahl H.-H., Duffie, N., Brieke, M.: Changeable Manufacturing – Classification, Design and Operation, 2007, Annals of the CIRP Vol. 56/2, pp. 783–809 Wirth, S. (Hrsg.): Flexible, temporäre Fabriken – Arbeitsschritte auf dem Weg zu wandlungsfähigen Fabrikstrukturen. Ergebnisbericht zur gleichnamigen Vordringlichen Aktion des BMBFRahmenkonzeptes „Produktion von morgen“. Wiss. Berichte FZKA-PFT 203 Forschungszentrum Karlsruhe, ISSN 0948-142, Mai 2000

5

147

Kapitel 6 Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6

150

6.1 

Übersicht

155

6.2  6.2.1 6.2.2 6.2.3

Produktionstechnologie Fertigungsverfahren Montageverfahren Logistikverfahren

158 158 162 168

6.3  6.3.1 6.3.2 6.3.3

Betriebsmittel Fertigungsmittel Montagemittel Logistikmittel

176 178 186 195

6.4 

Literatur

203

Bild 6.1:

Bestimmungsgrößen einer Arbeitsstation

155

Bild 6.2:

Randbedingungen und Ziele der Arbeitsgestaltung (nach Martin)

156

Bild 6.3:

Gestaltungsfelder einer Arbeitsstation aus Prozesssicht

156

Bild 6.4:

Merkmale für die Hauptgruppen der Fertigungsverfahren (Spur)

158

Bild 6.5:

Veränderungsfähigkeit von Fertigungsverfahren

161

Bild 6.6:

Bestandteile und Struktur eines Montageproduktes (Spur)

162

Bild 6.7:

Bestimmung von Produktvarianten (Schuh)

163

Bild 6.8:

Teilfunktionen einer Montagestation

163

Bild 6.9:

Teilfunktionen beim Montieren (nach VDI 2860)

164

Bild 6.10: Gliederung der Fertigungshauptgruppe Fügen (DIN 8593)

165

Bild 6.11: Handhabungsrelevante Werkstückmerkmale (FhG IPA)

166

Bild 6.12: Teilfunktionen des Handhabens (VDI 2860)

167

Bild 6.13: Veränderungsfähigkeit von Montageverfahren

167

Bild 6.14: Haupt- und Teilprozesse der industriellen Produktion

168

Bild 6.15: Elemente und logistische Kennlinien der Produktionsprozesse in einem exemplarischen Prozesskettenplan

169

Bild 6.16: Logistische Zielgrößen für die Referenzprozesse der Produktion

170

Bild 6.17: Trichtermodell und Durchlaufdiagramm einer Arbeitsstation (nach Bechte)

171

Bild 6.18: Logistische Zielgrößen im Durchlaufdiagramm

172

Bild 6.19: Logistische Kennlinien einer Arbeitsstation (Beispiel)

173

Bild 6.20: Parameter der Produktionskennlinien

174

6

151

6

152

Bild 6.21: Transportkennlinien

175

Bild 6.22: Ideale und reale Servicegradkennlinie für einen Lagerartikel

175

Bild 6.23: Gliederung der Betriebsmittel aus Sicht der Fabrikplanung

177

Bild 6.24: Einteilung von Werkzeugmaschinen (Spur)

178

Bild 6.25: Produktivität und Flexibilität von Fertigungseinrichtungen (nach Weck)

179

Bild 6.26: Elemente einer Werkzeugmaschine (Tönshoff)

180

Bild 6.27: Automatisierungsstufen von Einzelmaschinen (in Anlehnung an Spath)

181

Bild 6.28: Aufbau einer Werkzeugmaschine am Beispiel eines Drehautomaten (Hüller Hille Hessap)

182

Bild 6.29: Rekonfigurierbare Werkzeugmaschine (Denkena)

182

Bild 6.30: Prinzip eines flexiblen Fertigungssystems

183

Bild 6.31: Hydraulische Doppelständerpresse (Werkbild Dunkes GmbH)

184

Bild 6.32: Veränderungsfähigkeit von Fertigungsmaschinen

185

Bild 6.33: Einteilung der Montagesysteme nach Leistung und Komplexität (B. Lotter)

186

Bild 6.34: Montagearbeitsplatz für manuelle Montage (Bosch Rexroth)

187

Bild 6.35: Montagearbeitsplatz für satzweise Montage (Lotter)

188

Bild 6.36: Montagearbeitsplatz für stückweise Montage (LP-Montagetechnik)

188

Bild 6.37: Gestaltung U-förmiger Montagesysteme

189

Bild 6.38: Manuelle Fließmontage

190

Bild 6.39: Mehrstationen-Montagemaschine in Rundtaktbauweise (Lotter)

191

Bild 6.40: Anordnungs- und Verkettungsprinzipien von Montagesystemen

192

Bild 6.41: Systembaukasten für Längstransfer-Montageanlagen (Werkbild team technik)

192

Bild 6.42: Roboterbauformen für die Montage (Hesse)

193

Bild 6.43: Veränderungsfähigkeit von Montagestationen und -maschinen

193

Bild 6.44: Teil- und Elementarprozesse der Logistik (in Anlehnung an Fleischmann, Gudehus und ten Hompel)

195

Bild 6.45: Komponenten eines Stückgut-Lagers

196

Bild 6.46: Typische Lagerbauarten für Stückgüter (Schulze)

197

Bild 6.47: Ausführungsformen von Hochregallagern (ten Hompel)

198

Bild 6.48: Liftsysteme (Kardex)

199

Bild 6.50: Staplerarten (nach ten Hompel)

200

Bild 6.49: Fabrikübliche Stückgüter-Fördermittel

200

Bild 6.51: Beispiel eines Kommissioniersystems (Gudehus)

201

Bild 6.52: Realisierungsbeispiele von Kommissioniersystemen

202

Bild 6.53: Veränderungsfähigkeit von Logistikeinrichtungen

203

6

153

6.1 

Übersicht

Arbeitsstationen bilden aus fabrikplanerischer Sicht den kleinsten Baustein der Prozessgestaltung. Sie realisieren eine Arbeitsaufgabe im Zusammenspiel von Mensch und Betriebsmitteln mit dem Ziel, bei geringstmöglichem Aufwand eine Werterhöhung eines Einzelteils, einer Komponente oder einer Baugruppe zu bewirken. Bild 6.1 nennt die Bestimmungsgrößen, welche eine Arbeitsstation beschreiben. Als Eingangsgrößen gehen das Ausgangsmaterial in Form von Rohmaterial, Halbzeug, vorbearbeiteten Teilen, Fertigteilen, Teilesätzen oder teilmontierten Baugruppen in die Station ein. Zur Durchführung des Arbeitsprozesses sind i.d.R. Energie (z.B. Strom, Dampf, Brenngas) sowie Prozessmedien erforderlich (z.B. Wasser, Schutzgas). Die notwendige Information steht in Form von Zeichnungen, Arbeitsplänen, Steuerprogrammen und Arbeitsanweisungen zur Verfügung. In der Arbeitsstation wird mit Hilfe eines Betriebsmittels (Werkzeugmaschine, Montageeinrichtung, Glühofen usw.) sowie von Werkzeugen und ggf. Vorrichtungen der eigentliche Arbeitsprozess durchgeführt. Je nach dem Grad der Automatisierung ist der Mensch dabei mehr oder weniger

intensiv eingebunden. Die Arbeitsstation erfordert eine bestimmte Fläche für das Betriebsmittel, den Menschen sowie das an der Arbeitsstation bereitgestellte und fertig gestellte Material. Betriebsmittel, Mensch und Fläche sind also die Grundgrößen der Arbeitsstation. Am Ausgang der Arbeitsstation steht das Arbeitsergebnis bereit, hier ganz allgemein als Produkt bezeichnet. Zusätzlich fallen jedoch auch unerwünschte Ergebnisse in Form von Materialabfall (z.B. Späne, Reststücke, Zunder, Hilfsstoffe) an, die sachgerecht zu entsorgen sind. Ebenso unerwünscht sind Emissionen in Form von Lärm, Schwingungen, Wärme, Gasen, Stäuben und Dämpfen, die vor allem unter gesundheitlichen Aspekten beherrscht werden müssen. Schließlich liefert die Arbeitsstation auch Informationen, z. B. über das Arbeitsergebnis hinsichtlich ausgewählter Qualitätsmerkmale, der Zeitdauer und der Menge. Die Arbeitsstation bildet meist ein Glied in einer Prozesskette, welche durch die Einbindung in den Materialfluss, Informationsfluss, Kommunikationsfluss und die Arbeitsorganisation der nächsthöheren Ebene gekennzeichnet ist. Schließlich zählen die Umgebungsbedingungen der Arbeitsstation aus Prozesssicht (z.B. Klimatisierung, Reinraum) und Humansicht (Belüftung, Beleuchtung, Farbgebung usw.)

6

Umgebungsbedingungen

Betriebsmittel

• Material • Energie • Medien • Information

Eingang

Mensch

Fläche

• Produkt • Abfall • Emissionen • Informationen

Ausgang

Einbindung in

Bild 6.1: Bestimmungsgrößen einer Arbeitsstation

• • • • •

Materialfluss Energiefluss Informationsfluss Kommunikationsfluss Organisation

© IFA 10.179SW_B

155

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Menschengerechte Arbeitsgestaltung

Ziele

• Technisch - wirtschaftliche Rationalität • Individueller Gesundheitsschutz • Soziale Angemessenheit • Persönlichkeitsförderung

Ökonomisches Prinzip (Mehrwert) Bild 6.2: Randbedingungen und Ziele der Arbeitsgestaltung (nach Martin) © IFA 10.178SW_B

6

zu ihren Gestaltungselementen. Letztere gehören zum Gestaltungsfeld des Gebäudes und werden in Kap. 10 noch ausführlich behandelt. Bei der Gestaltung von Arbeitsstationen stehen sich eine technisch-wirtschaftliche und eine menschlichorganisatorische Sicht gegenüber, die es zu einer langfristig erfolgreichen Synthese zu vereinigen gilt. Bild 6.2 zeigt diese Pole unter den Begriffen ökonomisches Prinzip (Mehrwert erzeugen) und menschengerechte Arbeitsgestaltung, aus denen sich vier Ziele entwickeln [Mar94]. Die technisch-wirtschaftliche Rationalität verlangt eine funktional richtige Zuordnung der maschinellen und menschlichen Leistungen einschließlich der optimalen Kombination der Systemelemente,

die Abstimmung von Arbeitsanforderung und menschlichen Fähigkeiten sowie den wirtschaftlichen Einsatz des Menschen. Der individuelle Gesundheitsschutz gewährleistet die Vermeidung arbeitsbedingter Erkrankungen, den Abbau von Über- und Unterforderung sowie das Schaffen von Wohlbefinden bei der Arbeit. Mit der sozialen Angemessenheit der Arbeit ist die Sicherstellung sozialer Normen, die Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen sowie die Partizipation der Beteiligten an der Arbeitssystemgestaltung angesprochen. Letztere erweist sich wegen der ausführlich diskutierten häufigen Umfeldveränderungen aus Gründen einer raschen und effektiven Planung sowie notwendigen Akzeptanz der Mitarbeiter zunehmend als unverzichtbar. Schließlich zielt die Persönlichkeitsförderung darauf ab, Arbeitssysteme so zu gestalten, dass sich Mitarbeiter bewähren, bestätigen und selbst verwirklichen können, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen erweitern und Dispositionsspielräume gewinnen. Die konkreten Gestaltungsfelder einer Arbeitsstation ergeben sich nach diesen Vorüberlegungen aus Prozesssicht im Rahmen der Fabrikplanung entsprechend Bild 6.3. Dabei ist zu beachten, dass diese Planungsaufgaben nicht etwa von einer einzelnen Person erfüllt werden können, sondern stets die Zusammenarbeit eines sachkundigen Planungsteams bedingen, dessen Zusammensetzung und Vorgehensweise Kapitel 15 noch ausführlich darlegt.

Technologie

Technik

• Fertigungsverfahren

• Betriebsmittel

• Montageverfahren

• Informationsbereitstellung

• Logistikverfahren

• Ver-/ Entsorgung

Arbeitsstation • Belastung • Beanspruchung • Gesundheit / Sicherheit Ergonomie

• Aufgabe • Anforderung • Arbeitszeitmodell • Entgeltverfahren Organisation

Bild 6.3: Gestaltungsfelder einer Arbeitsstation aus Prozesssicht © IFA 10.177SW_B

156 © In

6.1  Übersicht

Die Ausgangssituation ist durch die Fertigungs- oder Montageaufgabe eines Teile- bzw. Baugruppenspektrums gegeben, das in der Zukunft zu produzieren ist. Hierzu sind im Rahmen der Technologieplanung Fertigungs- bzw. Montagefunktionen zu bestimmen und die lokalen Logistikfunktionen der Materialbereitstellung und -entsorgung einschließlich der dazu notwendigen Informationen festzulegen. Dabei spielen strategische Überlegungen hinsichtlich der zukünftig wichtigen Technologien auf Basis der sogen. Technologiedifferenzierung eine große Rolle. Diese wird nach der Technologiekompetenz und Technologieattraktivität bewertet [Zeh97]. Unter der Technologischen Kompetenz werden sowohl die produktionstechnischen Fähigkeiten bezüglich einer bestimmten Technologie als auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Erfüllung einer Fertigungsaufgabe verstanden. Das Potenzial zur Weiterentwicklung der Technologischen Kompetenz wird durch die Technologieattraktivität beschrieben. Sie berücksichtigt die Verfügbarkeit von Technologien, die Interdependenzen zwischen Technologien und eventuelle Substitutionstechnologien [Nyh09]. Die Technologische Kompetenz und die Technologieattraktivität eines Produktionsprozesses definieren dessen Position im sogen. Technologieportfolio. Damit lassen sich die strategische Relevanz und das Entwicklungspotenzial der Produktionsprozesse erkennen und eine Einteilung in Kernkompetenz-, Differenzierungs- und Standardprozesse vornehmen. In Kernkompetenzen wird investiert, bei Standardprozessen wird desinvestiert und bei Differenzierungs­ prozessen wird eine weitere Zerlegung vorgenommen, die entweder zu Kern- oder Standardprozessen führt. Für den Fabrikplaner ist die Kenntnis dieser strategischen Überlegungen insofern von Bedeutung, als sie möglicherweise zu neuen Anforderungen an die Prozess- und Gebäudegestaltung führen. Die Einbettung dieses Ansatzes in die strategische Standortplanung wird in Abschnitt 14.5 weiter ausgeführt. Die so bestimmten Technologien sind durch die Technikplanung in Arbeitsmittel in Form von Betriebsmitteln (Werkzeugmaschinen, Montagestationen, Lagerund Transporteinrichtungen) umzusetzen. Ferner ist

die Informationsbereitstellung für das Betriebsmittel und den Werker zu gestalten und schließlich die Verund Entsorgung des Materials durch Speicher- und Einlegegeräte sowie die Abfallentsorgung (Späneförderer, Kühlmittelreinigung) technisch umzusetzen. Technologie- und Technikplanung sind nur bei einem neuen Produkt erforderlich. Meist wird im Rahmen der Arbeitsplatzgestaltung der überwiegende Teil der bereits eingesetzten Technologien übernommen. Für vorhandene Produkte liegen i.d.R. Arbeitspläne vor, die für jedes Werkstück die Arbeitsfolge, die erforderlichen Betriebsmittel und die benötigte Rüstzeit und Stückzeit enthalten. Sie bilden später die Basis für die Kapazitäts- und Materialflussplanung. Das Gestaltungsfeld Organisation und Ergonomie nimmt den Menschen in den Blick, der den Arbeitsprozess durchführt. Die hier gefundenen Lösungen unterliegen im besonderen Maße zahlreichen Vorschriften und insbesondere der Mitbestimmung durch den Betriebsrat, so dass dessen frühzeitige Einbeziehung dringend geboten ist. Ziel der Organisation ist es zunächst, die durchzuführende Aufgabe je Arbeitsstation generell festzulegen. Sie kann von reinen überwachenden und monotonen Tätigkeiten bis zu anspruchsvollen Aufgabenbündeln reichen, wie sie in Fertigungsinseln und -segmenten anzutreffen sind. Aus der Arbeitsaufgabe resultieren Anforderungen an den Menschen, die bestimmte Fähigkeiten erfordern und damit die Basis für eine Personalplanung und -rekrutierung oder für Qualifizierungsmaßnahmen bilden. Zu den Aufgaben der Organisationsgestaltung gehört weiterhin der Entwurf eines Arbeitszeitmodells, das wegen der raschen Reaktionsfähigkeit auf Kundenbedürfnisse eine hohe Bedeutung hat. Schließlich ist das Entgeltverfahren zu bestimmen, das zunehmend darauf abzielt, dem Mitarbeiter nicht seine Arbeitskraft abzukaufen, sondern ihn nach dem Arbeitsergebnis zu bezahlen, wobei er weitgehende Dispositionsspielräume erhält. Das vierte Gestaltungsfeld einer Arbeitsstation behandelt deren Ergonomie (griech. Ergon=Arbeit, nomos=Regel). Hierbei geht es darum, die Beanspruchung, die aus der Belastung des Werkers durch die Arbeitsaufgabe resultiert, so zu halten, dass sie für

6

157

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

das Individuum auf Dauer schädigungslos, ausführbar, zumutbar, zufriedenheitsfördernd und sozialverträglich ist [Mar94]. Dabei ist ein Weg zwischen einer Über- und Unterforderung zu finden. Oberstes Ziel der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung ist die Erhaltung der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit der Mitarbeiter. Im Folgenden werden die vier Gestaltungsfelder vertieft.

6.2  Produktionstechnologie

6

6.2.1 Fertigungsverfahren

Unter dem Begriff Produktionstechnologie sollen alle Verfahren zusammengefasst werden, die als Fertigungsverfahren zur Herstellung von geometrisch bestimmten Werkstücken dienen, als Montageverfahren Teile und Baugruppen und Endprodukte zusammenfügen und als Logistikverfahren Transportund Lagerungsvorgänge von Teilen, Baugruppen und Produkten realisieren. Diese Gliederung der Produktionstechnologie wird aus Sicht der Fabrikplanung gewählt, weil sich diesen drei Teilgebieten später eindeutig Betriebsmittel und in einem weiteren Schritt Produktions- bzw. Logistikbereiche zuordnen lassen. Hierdurch ergibt sich ein Widerspruch zur DIN 8580 (Fertigungsverfahren) [DIN8580], die den Begriff Montage nicht kennt, in der Hauptgruppe „Fügen“ aber die Kernfunktion der Montage beschreibt.

Schaffen der Form

Sämtliche Verfahren werden im Folgenden nur so weit vorgestellt, dass ihre Eigenschaften hinsichtlich ihres Wirkprinzips für den Fabrikplaner verständlich werden, ohne etwa die physikalischen oder chemischen Grundlagen zu erläutern. Ihre Auswahl im Rahmen der Fabrikplanung erfolgt durch Verfahrensspezialisten und bedarf i.d.R. eines langen Vorlaufs, um entweder aus langjähriger Praxis oder mit Hilfe von Vorversuchen die notwendige Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit zu gewährleisten.

Die Fertigungsverfahren sind in der DIN 8580 genormt, die eine Einteilung nach sechs Hauptgruppen entsprechend den in Bild 6.4 genannten Merkmalen vornimmt [Spu96]. Die Herstellung der durch Werkstoff, Geometrie, Maße, Toleranzen und Oberflächenrauigkeiten in Zeichnungen dokumentierten Werkstücke erfolgt entweder durch Schaffen der Form aus einem formlosen Stoff, durch Verändern der Form eines Ausgangsmaterials oder durch Ändern von Stoffeigenschaften. Die Gruppe der Urformverfahren umfasst hauptsächlich Gießverfahren, die Metalle, Keramiken oder Kunststoffe aus dem flüssigen, breiigen oder pastenförmigen Zustand in eine Form bringen. Die so entstandenen Gussrohlinge erfahren bei metallischen und keramischen Werkstoffen i. d. R. noch eine

Zusammenhalt schaffen

Zusammenhalt schaffen

Zusammenhalt vermindern

Zusammenhalt vermehren

Hauptgruppe 1 Urformen

Hauptgruppe 2 Umformen

Hauptgruppe 4 Fügen

Hauptgruppe 5 Hauptgruppe 3 Beschichten Trennen

Bild 6.4: Merkmale für die Hauptgruppen der Fertigungsverfahren (Spur) © IFA 10.181SW_B

158

Ändern der Stoffeingenschaften

Ändern der Form

Hauptgruppe 6 Stoffeigenschaft ändern

6.2  Produktionstechnologie

mechanische Nachbearbeitung, während Kunststoffteile aufgrund ihrer hohen Form- und Maßgenauigkeit sowie Oberflächengüte meist direkt verwendbar sind. Die Umformverfahren unterscheiden das Massivumformen und das Blechumformen. Bei erstem erfolgt die Umformung eines festen oder teigigen Körpers in eine andere geometrische Form, wobei die Masse und der Stoffzusammenhang beibehalten werden. Es entstehen einerseits Halbzeuge wie Bleche, Rohre und Stäbe, anderseits Werkstücke wie Schrauben, Kurbelwellen oder Zahnräder, die eine hohe Festigkeit besitzen. Der Umformprozess kann für Stahl bei Raumtemperatur (Kaltumformen), zwischen 600 und 900°C (Halbwarmumformen) und bei 1000–1200°C (Warmumformen) erfolgen [Doe96]. Die Verfahren der Blechumformung verformen ein ebenes Blech zu dreidimensionalen Teilen mit annähernd gleicher Wandstärke. Unter den Trennverfahren dominiert beim Zerteilen das Scherschneiden zur Blechverarbeitung und zur Herstellung von Rohteilen aus Stangenmaterial für die Massivumformung. Zu den Trennverfahren zählt weiterhin das Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden (Drehen, Bohren, Fräsen, Hobeln, Räumen, Sägen). Hier werden von einem Rohteil mit Hilfe der Schneiden eines Werkzeugs Werkstoffschichten in Form von Spänen zur Änderung der Werkstückform und/oder der Werkstückoberfläche mechanisch abgetrennt [DIN8589]. Dabei hat sich die Schnittgeschwindigkeit durch den Einsatz jeweils neuer Schneidwerkstoffe ständig erhöht und reicht bei einem unlegierten Baustahl und Einsatz von Schneidkeramik an 2000 m/min heran. Spanen mit geometrisch unbestimmter Schneide (Schleifen, Honen, Läppen) erfordert Werkzeuge, die in einen Schleifkörper oder ein Schleifband gebundene Schleifkörner zum Materialabtrag benutzen, wobei das Schleifen mit geometrisch bestimmten Schleifscheiben die größte Bedeutung hat. Ein wichtiges Trennverfahren ist weiterhin das Abtragen, das in thermisches, chemisches und elektro-chemisches Abtragen gegliedert ist. Beim thermischen Abtragen erfolgt eine Energieerzeugung durch Funken oder energiereiche Strahlen (Laserstrahl, Elektronen-

strahl). Das chemische Abtragen nutzt demgegenüber chemische Reaktionen zwischen dem Werkstückwerkstoff und einem Wirkmedium (Säure, Lauge) zum gezielten Abtrag. Bei den thermischen Abtragverfahren hat das Laserstrahlverfahren wegen des verschleißfreien und programmierbaren Werkzeugs eine große Bedeutung erlangt. Es findet Einsatz für praktisch alle Fertigungsverfahren, wobei das Trennen, Fügen und die Oberflächenbehandlung im Vordergrund stehen. Die Verfahrensgruppe Fügen dient in ihren vielfältigen Ausprägungen der unlösbaren oder lösbaren Verbindung von Werkstücken zu komplexen Bauteilen sowie zu Komponenten, Baugruppen und Produkten. Mit komplexen Bauteilformen, zunehmenden Funktionsansprüchen und steigenden Sicherheitsanforderungen sowie leichter Demontierbarkeit zum Zwecke des Recycling erfährt die Fügetechnik weitere Anforderungen. Als wesentliche konkurrierende Fügeverfahren sind das Schweißen und Löten, Kleben, Nieten, Durchsetzfügen, Falzen und Schrauben zu nennen. Spezielle Fügeverfahren haben sich zur Montage von feinwerktechnischen und elektronischen Geräten entwickelt, die bei großen Stückzahlen mit kurzen Taktzeiten Verwendung finden. Ein besonderes Augenmerk gilt beim Fügen der Prozesssicherheit, die möglichst durch eine Messung wesentlicher Prozessparameter während der Prozessdurchführung sichergestellt wird. Dies geschieht beispielsweise beim Schweißen durch Überwachung des Schweißstroms oder beim Verschrauben durch Messung des Drehmomentverlaufs während des Einschraubvorganges. Bei der Auswahl des Fügeverfahrens spielen zahlreiche Kriterien eine Rolle, die von funktionalen (Werkstoff, Form, Festigkeit, Korrosion) über verfahrenstechnische (Vor- und Nachbearbeitung, Fertigungsmittel, Automatisierbarkeit und Flexibilität) bis hin zu Kosten-, Mensch- und Umweltaspekten (Investition, Betriebskosten, Umweltverträglichkeit, Ergonomie, Mitarbeiteranforderungen) reichen [Dor96]. In der Hauptgruppe Beschichten finden sich alle Fertigungsverfahren, die dem Aufbringen von Verschleißund Korrosionsschichten auf Bauteile dienen. Da verschleiß- und korrosionsfeste Werkstoffe i. d. R. sehr teuer sind, können lokal aufgebrachte Schutzschichten

6

159

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6

160

zu enormen Kosteneinsparungen führen, wobei die Kostenvorteile der Lebensdauererhöhung des Bauteils den Beschichtungskosten gegenüberzustellen sind [Stef96]. Die einzelnen Beschichtungsverfahren beruhen auf elektrochemischen Effekten (kathodisches Abscheiden, stromloses Abscheiden, Anodische Oxidation), mit denen metallische Grundwerkstoffe, Kunststoffe und Keramiken mit Schichtdicken zwischen einigen Mikrometern bis zu 100 Mikrometer versehen werden können. Organische Beschichtungsverfahren bringen beim Lackieren organische Polymere flüssig oder pastenförmig auf den Grundkörper auf und wandeln ihn mittels chemischer oder physischer Veränderungen in einen fest haftenden Film. Demgegenüber arbeitet das Pulverbeschichten mit lösungsmittelfreien Pulvern, die neben dicken Polymerschichten auch die Erzeugung von Schichten aus Polyethylen, Nylon und Fluorpolymeren erlauben. Die zu beschichtenden Werkstücke müssen so weit erwärmt werden, dass das Pulver auf der Oberfläche schmilzt und einen zusammenhängenden Film bildet, dessen Dicke bis in den Millimeterbereich hinein wachsen kann. Das Verfahren ist daher auf metallische und keramische Werkstoffe beschränkt. Sehr widerstandsfähige, aber bruchempfindliche Schichten sind durch das Emaillieren zu gewinnen. Auf einen i.d.R. metallischen Grundwerkstoff werden als Emailschlick aufbereitete oxidische Mineralien und Fluoride schichtweise aufgebracht und bei 550– 900°C eingebrannt. Technische Anwendungen finden sich vorzugsweise bei Bauteilen der chemischen Industrie, der Lebensmitteltechnik und in Hausgeräten, die gegen Säuren und Laugen sowie bei Temperaturen zwischen -50°C bis 450°C beständig sein müssen. Ein Verfahren, das insbesondere dem Korrosionsschutz metallischer Bauteile dient, ist das Schmelztauchen. Die vorbehandelten Bauteile tauchen in eine flüssige Metallschmelze aus Aluminium, Zinn oder Zink und erhalten beim stetigen Herausziehen eine Schicht zwischen 20 und 80 Mikrometer Dicke. Zum Aufbringen dünner, harter, verschleißfester Schichten mit guten Korrosions- und Gleiteigenschaften aus Nitrid und Carbid z. B. auf Werkzeuge und Armaturen haben die Beschichtungsverfahren aus der Dampfphase große Bedeutung erlangt. Bei der physi-

kalischen Abscheidung (PVD = physical vapour deposition) erfolgt die Verdampfung oder Zerstäubung des Beschichtungswerkstoffs und das Abscheiden auf dem Grundwerkstoff in Schichtdicken zwischen wenigen Nanometern und einigen 10 Mikrometern. Anwendungen finden sich in der Dünnbeschichtung optischer, magnetischer, mikroelektronischer und optischer Bauteile, aber auch beim Aufbringen dekorativer Schichten. Die chemische Abscheidung aus der Dampfphase (CVD=chemical vapour deposion) setzt eine gasförmige Metallverbindung des Beschichtungswerkstoffes bei Temperaturen zwischen 600 und 1000°C voraus. Dieses Gas setzt sich durch einen chemischen Reaktionsprozess beim Durchleiten über den Grundwerkstoff in Schichtdicken zwischen 0,1 und 20 Mikrometern mit sehr guter Haftung ab. Als weiteres wichtiges Beschichtungsverfahren gilt das thermische Spritzen, das in seinen drei wesentlichen Verfahrensbenennungen Flammspritzen, Lichtbogenspritzen und Plasmaspritzen darauf hinweist, mit welcher Energiequelle der Spritzwerkstoff zu schmelzflüssigen Partikeln aufgeschmolzen wird. Diese erreichen mit hoher kinetischer Energie den zu beschichtenden Grundkörper, wo sie eine mehr oder weniger poröse Schicht zwischen 50 Mikrometern und einigen Millimetern bilden. Wegen der geringen thermischen Belastung des Grundwerkstoffs durch Temperaturen zwischen 100°C und 250°C lässt sich eine breite Palette von Beschichtungswerkstoffen und Grundwerkstoffen kombinieren. Die Spritzschichten erfordern i.d.R. noch eine Nachbearbeitung zur Verbesserung der Porosität, Haftung, Härte und Zähigkeit, wobei spanende Verfahren der Erziehung einer definierten Geometrie und Oberflächenrauigkeit dienen. Als letztes Beschichtungsverfahren ist das Auftragsschweißen zu nennen, das im Gegensatz zu den Spritzverfahren den Grundwerkstoff so weit erwärmt, dass er mit dem i.d.R. hoch legierten Schweißzusatzwerkstoff eine schmelzflüssige Verbindung eingeht. Ähnlich wie bei den Fügeschweißverfahren erfolgt die Energiezufuhr durch Brenngas, Lichtbogen, Widerstandserwärmung oder Laserstrahlen. Es entstehen so hochverschleißfeste und korrosionsfeste Schichten mit starker Haftung, die bei hochbeanspruchten

6.2  Produktionstechnologie

Fertigungsverfahren

Ebene Station Bereich Fabrik 5 3/4 2

Werk 1

Hemmnisse

Urformen

Gießform, Einsatzstoffe, Anlagengröße

Umformen

Umformwerkzeug, Emission

Trennen

Werkzeug, Emission

Fügen

Emission

Beschichten

Emission, aggressive Bäder

Stoffeigenschaften ändern

Emission, Anlagengröße

Veränderungsfähigkeit:

niedrig

mittel

hoch

6

Bild 6.5: Veränderungsfähigkeit von Fertigungsverfahren © IFA 10.194SW_B

Bauteilen des Maschinenbaus, der Chemie- und Verfahrenstechnik und des Kraftwerkbaus Verwendung finden. Besonders geeignet ist das Verfahren zur Reparatur verschlissener oder beschädigter Bauteile. Als letzte Hauptgruppe der Fertigungsverfahren soll die Wärmebehandlung metallischer Werkstoffe beschrieben werden, die sich für die hier wesentlichen Eisenbasiswerkstoffe in thermische, thermochemische sowie thermomechanische Verfahren gliedern lässt [MaM96]. Ziel der Wärmebehandlung ist generell die Verbesserung der Gebrauchseigenschaften des Werkstoffs hinsichtlich der Umformbarkeit, Bearbeitbarkeit, Härte, Festigkeit usw. Die gewünschten Eigenschaftsänderungen erfolgen in Wärmebehandlungsanlagen und verändern das Bauteil entweder mit seinem ganzen Volumen (durchgreifend) oder in oberflächennahen Bereichen (nicht durchgreifend). Bei Nichteisenwerkstoffen finden thermische und vermehrt auch thermomechanische Verfahren Anwendung. Bei den thermischen Verfahren (Glühen, Härten, isothermisches Umwandeln und Altern) erfahren die Bauteile einen kontrollierten Temperatur-ZeitVerlauf mit den Phasen Erwärmen, Halten und Abkühlen bei durchgreifender Gefügeänderung in Öfen.

Bei bereichsweiser Veränderung sind Tauchen, Induktion, Flammen sowie der Einsatz von Laser- und Elektronenstrahlen üblich. Thermochemische Verfahren bringen feste, flüssige oder gasförmige Stoffe durch Diffusion in randnahe Werkstoffbereiche ein, die durch anschließendes Härten und Anlassen die gewünschten Eigenschaften erhalten. Thermomechanische Wärmebehandlungen erfolgen mit Hilfe mechanischer Umformprozesse, die einen gewünschten Temperatur-Zeit-Verlauf bewirken. Im Rahmen der Fabrikplanung interessieren die Verfahren primär unter dem Gesichtspunkt ihrer Veränderungsfähigkeit auf den in Kapitel 5 entwickelten fünf Ebenen einer Fabrik. Bild 6.5 zeigt die Beurteilung für die sechs Hauptgruppen der Fertigungsverfahren mit den drei Stufen niedrige, mittlere und hohe Veränderungsfähigkeit. Diese zunächst sehr grobe Klassifizierung kann nur einen ersten Anhaltspunkt bieten und soll im Wesentlichen dazu dienen, vermeintliche oder nach dem Stand der Technik tatsächlich bestehende Hemmnisse der Veränderungsfähigkeit zu erkennen und nach Wegen zu ihrer Überwindung zu suchen. Als Ansätze hierzu können gelten:

161

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

•  Ersatz

von abbildenden Werkzeugen durch programmierbare Werkzeuge. Wenn sich abbildende Werkzeuge (z.B. Schmiedegesenke oder Tiefziehwerkzeuge) nicht vermeiden lassen, Einsatz von Rapid-Tooling-Methoden und modularen Werkzeugen. Vermeiden umweltbelastender Einsatz- und Hilfsstoffe, z.B. durch Trockenbearbeitung. Verfahren zum Beschichten und Stoffeigenschaft ändern für einzelne Werkstücke und/oder einzelne Werkstückzonen ermöglichen.

und Baugruppen sowie ggf. Software in Form von Betriebs- und Anwendungsprogrammen zu funktionsfähigen Produkten. Zusätzlich erforderlich sind häufig formlose Betriebs- und Hilfsstoffe wie Fette, Kleber usw. Die Verbindung der Teile ist entweder zerstörungsfrei lösbar (z.B. Verschraubung) oder durch einen zerstörenden Trennvorgang wieder aufhebbar (z.B. Nietverbindung). Der Montageprozess wird wesentlich durch die Struktur des zu montierenden Produktes bestimmt, die Bild 6.6 als Schema zeigt.

Nach dieser knappen Übersicht über die Fertigungsverfahren sollen im Folgenden die Montageverfahren erläutert werden. Wie bereits erwähnt, ist dieser Begriff nicht genormt, und es existiert auch keine so tiefgreifende Gliederung mit entsprechenden Normen, wie bei den Fertigungsverfahren. Wegen der Bedeutung für die Fabrikplanung ist aber die Kenntnis der wesentlichen Teilverfahren unerlässlich.

Die Strukturierung kann nach funktionalen oder montageorientierten Kriterien erfolgen. Die Entscheidung, wie viel Zusammenbaustufen erforderlich sind und auf welcher Baugruppenebene bei Variantenprodukten die Festlegung der individuellen Variante erfolgt, bestimmt die gesamte Gliederung der Montage in Abschnitte. Generell ist anzustreben, den sogenannten Variantenbildungspunkt so spät wie möglich in der Montagereihenfolge zu positionieren, um unnötige Zwischenbestände an halbfertigen Baugruppen und Produkten zu vermeiden. Bild 6.7 verdeutlicht den Ansatz. Im Beispiel links werden die Varianten sehr früh gebildet. Das bedeutet je Pro-

•  • 

6

6.2.2 Montageverfahren Die Montage umfasst sämtliche Vorgänge des Zusammenbaus von geometrisch bestimmten Einzelteilen

Produktstruktur

Zusammenbau des Montageobjektes

Bestandteile Ausgangselement Produkt

Gliederung

Produktebene

P

BG

Zwischenstufe Baugruppe

BG

Baugruppenebenen

BG

BG

Eingangselemente Einzelteile und formlose Hilfsstoffe

ET

ET

ET

ET

ET

HS

ET

P Produkt ET Einzelteil

Bild 6.6: Bestandteile und Struktur eines Montageproduktes (Spur) © IFA G0656_B

162

HS

Einzelteilebene

Zergliederung des Montageobjektes

• 

BG Baugruppe HS formloser Hilfsstoff

6.2  Produktionstechnologie

Produktebene 0

Anfangsvarianten

1

2 3

4 Bild 6.7: Bestimmung von Produktvarianten (Schuh)

a) vor Optimierung

Endvarianten b) nach Optimierung

© IFA 15.054_B

duktebene sehr viele Varianten, die disponiert und zwischengelagert werden müssen. Die optimierte Struktur kommt demgegenüber mit deutlich weniger Zwischenvarianten aus. Betrachtet man die Vorgänge, die zum Zusammenbau eines Produktes aus Einzelteilen und Baugruppen erforderlich sind, ist ein einfaches Grundschema hilf-

reich, das Bild 6.8 zeigt. Der hier gewählte klassische Black-Box-Ansatz geht davon aus, dass jede Station ein Element in einem Produktionsfluss darstellt. Aus der vorhergehenden Station führt ein Transportsystem eine teilmontierte Baugruppe auf einem Werkstückträger zu, der eine Fixierung und Identifizierung des Montageobjektes erlaubt. Es läuft nun ein Fügevorgang auf dem Werkstückträger ab, meist

6

Teilebereitstellung

Handhabungssystem

Bunkern Vereinzeln Orientieren

Teilefluss

Magazinieren Übergeben Positionieren

vorhergehende Station

Bild 6.8: Teilfunktionen einer Montagestation

Transportieren

Fügen

Transportieren

nachfolgende Station

Produktfluss

© IFA 10.196A_B

163

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Montieren (VDI 2860) Gesamtheit aller Vorgänge, die dem Zusammenbau von geometrisch bestimmten Körpern dienen. Dabei kann grundsätzlich formloser Stoff zur Anwendung kommen.

6

Fügen (DIN 8593)

Handhaben (VDI 2860)

Kontrollieren

Justieren

Sonderoperationen

Montagefunktion

Speichern

Menge verändern

Bewegen

Sichern

Kontrollieren

Handhabungsfunktion

Bild 6.9: Teilfunktionen beim Montieren (nach VDI 2860) © IFA 0879SW_Wd_B

gefolgt von einer Qualitätsprüfung. Anschließend übergibt das Transportsystem den Werkstückträger an die nächste Station. Ein eigenständiger, querliegender Teilefluss stellt sicher, dass die von der internen Logistik bereitgestellten Teile zunächst lokal in einer definierten Menge gespeichert werden. Dieser als Bunkern bezeichneten Funktion folgen das Herauslösen einzelner Teile aus dem Haufwerk, das anschließende Orientieren in einer räumlich definierten Lage und schließlich die Positionierung des geordneten Teils in einer vorbestimmten Lage auf dem Werkstückträger. Zur Überbrückung kleinerer Störungen und von Taktzeitunterschieden erfolgt bisweilen eine Zwischenpufferung der geordneten Teile in einem Magazin. Auch die Anlieferung der Teile im vorgeordneten Zustand ist üblich. (Auf die Funktionen und Formen der Teilebereitstellung von Teilen vom Lieferanten bis zum Verbrauchsort in der Fabrik geht der Abschnitt 6.2.3 Logistikverfahren aus technischer Sicht und der Abschnitt 9.5.1 Beschaffungsmodelle aus strategischer Sicht genauer ein.) Die VDI-Richtlinie 2860 definiert das Montieren und seine Teilfunktionen gemäß Bild 6.9. Dabei werden neben dem bereits erwähnten Fügen, Handhaben und Kontrollieren im Sinne einer Qualitätsprüfung noch das Justieren und Sonderoperationen aufgeführt. Unter

164

Justieren wird die geometrische Feineinstellung funktional in Beziehung stehender Teile einer Baugruppe verstanden, während in Sonderoperationen Baugruppen z. B. gereinigt, bedruckt oder markiert werden. Die dazu notwendigen Stationen unterscheiden sich aus Sicht der Fabrikplanung nicht von einer Fügestation. Als Kernfunktionen der Montage können demnach das Fügen und Handhaben gelten, die daher näher zu betrachten sind. Die bei den Fertigungsverfahren in Abschnitt 6.2.1 bereits kurz charakterisierte Hauptgruppe 4 „Fügen“ unterteilt die DIN 8593 nach Bild 6.10 in 9 Teilgruppen. Zusammengesetzte Verbindungen fügen Teile durch Auf- und Einlegen, Ineinanderschieben, Einhängen sowie Einrenken. Der gefügte Zustand wird durch Schwerkraft, Reibung und Formschluss aufrechterhalten. Manche Verfahren nutzen die elastische Verformung der beteiligten Werkstücke oder Hilfsteile zur Sicherung. Zusammengesetzte Verbindungen sind zerstörungs- und beschädigungsfrei zerlegbar. Bei Füllverbindungen dringen gas- oder dampfförmige, flüssige, breiige oder pastenförmige Stoffe durch Einfüllen, Tränken oder Imprägnieren in hohle oder poröse Körper. Die so entstandenen Verbindungen sind i.d.R. ohne Schwierigkeiten z.B. durch Erwärmen lösbar.

6.2  Produktionstechnologie

Fügen (DIN 8593) Fügen ist das auf Dauer angelegte Verbinden oder sonstige Zusammenbringen von zwei oder mehr Werkstücken geometrisch bestimmter Form oder von ebensolchen Werkstücken mit formlosem Stoff. Dabei wird jeweils der Zusammenhalt örtlich geschaffen und im Ganzen vermehrt.

4.1

4.2

4.3

4.4

4.5

4.6

4.7

4.8

Zusammensetzen

Füllen

Anpressen Einpressen

Fügen durch Urformen

Fügen durch Umformen

Fügen durch Schweißen

Fügen durch Löten

Kleben

DIN 8593 Teil 1

DIN 8593 Teil 2

DIN 8593 Teil 3

DIN 8593 Teil 4

DIN 8593 Teil 5

DIN 8593 Teil 6

DIN 8593 Teil 7

DIN 8593 Teil 8

4.9

Textiles Fügen

6

Bild 6.10: Gliederung der Fertigungshauptgruppe Fügen (DIN 8593) © IFA 0915SW_Wd_B

Pressverbindungen verbinden Fügeteile durch Kraftschluss, wobei diese im Wesentlichen nur elastisch verformt werden. Untergruppen dieses Verfahrens sind Schrauben, Klemmen, Klammern, Fügen durch Pressverbindungen, Nageln, Einschlagen und Verteilen. Auch diese Verbindungen sind überwiegend zerstörungsfrei lösbar, manchmal unter Zuhilfenahme besonderer Vorrichtungen. Umformverbindungen fügen Teile i.d.R. durch örtliches Umformen und sichern die Verbindungen dabei durch Formschluss. Untergruppen sind Umformen draht- und bandförmiger Körper und Nietverfahren. Die Verbindungen sind nur durch Beschädigung oder Zerstören der Fügepartner lösbar. Schweißverbindungen verbinden Teile unter Anwendung von Wärme und/oder Kraft (Schmelz- bzw. Pressschweißen) mit oder ohne Schweißzusatz. Ziel der Schweißverbindung ist es i.A., die Festigkeit des Grundwerkstoffs zu erreichen. Die Verbindung ist nur zerstörend lösbar. Bei Lötverbindungen unterscheidet die DIN 8593 Weich-, Hart- und Hochtemperaturverbindungen. Das eingebrachte Lot liegt mit seiner Schmelztemperatur unterhalb derjenigen der Fügewerkstoffe. Daher ist mit Einschränkungen eine Lösung der Verbindung möglich, das sogenannte Entlöten. Klebeverbindungen nutzen als Fügemittel physikalisch oder chemisch abbindende nichtmetallische

Klebstoffe, welche die Fügepartner durch Adhäsion und Kohäsion verbinden. Ein Lösen ist mit Einschränkungen möglich. Textilverbindungen fügen textile Faserstoffe von der Herstellung der Garne, Fäden und Stoffe bis hin zum Fügen von Halb- und Fertigprodukten. Eine weitergehende Normung existiert noch nicht. Diese Fügeverfahren sind in der hier interessierenden Produktion von Maschinenbau- und Elektroprodukten eher selten anzutreffen und werden nicht weiter betrachtet. Das als zweite Kernfunktion der Montage bezeichnete Handhaben ist nach der VDI-Richtlinie 2860 neben dem Fördern und Lagern als Teilfunktion der Funktion „Materialfluss bewirken“ zu interpretieren. Handhaben erscheint dabei als letztes Glied des Materialflusses von der Unternehmensgrenze bis zum Fügeort auf dem Werkstückträger der Montagestation. Die Funktionen Fördern und Lagern (Speichern) bilden zusammen mit dem Handhaben die innerbetrieblichen logistischen Funktionen ab, die externe Entsprechungen besitzen. Hierauf geht der Abschnitt 6.2.3 Logistikverfahren noch genauer ein. Das Handhaben stellt gewissermaßen die Mikrologistik einer Montagestation im unmittelbaren Vorfeld des Fügens dar. Zum tieferen Verständnis der Handhabungsfunktionen ist es zunächst erforderlich, den Blick auf diejeni-

165

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Werkstückmerkmale Werkstückeigenschaften geometrische Werkstückdaten

6

kennzeichnende Formelemente

• Form (Verhaltenstyp)

• Bohrung

• Ausdehnung Abmessungen

• Sicke, Wulst

• Seitenverhältnisse

• Schlitz

• Absatz,Bund • Ausschnitt

Werkstückverhalten

physikalische Eigenschaften

Ruheverhalten

Förderverhalten

• Werkstoff • Schwerpunkt

• Standsicherheit

• Gleitfähigkeit • Rollfähigkeit

• Steifigkeit • Bruchfestigkeit

• Symmetrien

• Nut, Einstich

• Größenklassen

• Fase

• Masse • Oberflächenbeschaffenheit

• Haken

• Temperatur

• Ausklinkung

• Bearbeitungszustand



stabile Orientierung

• Vorzugsorientierung

• Richtungsstabilität

• Stapelfähigkeit • Hängefähigkeit

Bild 6.11: Handhabungsrelevante Werkstückmerkmale (FhG IPA) © IFA G0576_B

gen Merkmale eines Werkstücks zu richten, die sein Verhalten in der Ruhe und in Bewegung bestimmen. Diese Merkmale unterscheiden sich grundlegend von den Werkstückeigenschaften, die der Konstrukteur im Hinblick auf dessen Funktion bestimmt. Bild 6.11 gruppiert die Werkstückmerkmale einerseits in die Handhabungseigenschaften hinsichtlich Geometrie, kennzeichnenden Formelementen und physikalischen Merkmalen und nennt andererseits die in der Ruhe und bei Förderung wesentlichen Eigenschaften. Bei den geometrischen Werkstückdaten dominiert die Form, die zu Werkstücktypen mit ähnlichem Handhabungsverhalten führt. Als schwierig zu handhaben gelten sogenannte Wirrteile, die sich im Haufwerk verhaken können, wie z.B. Sicherungsringe oder Schraubenfedern, und häufig zu Störungen im Zuführsystem führen. Bei den kennzeichnenden Formelementen ist wesentlich, ob sie in der Außenoder Innenkontur des Werkstücks liegen, und bezüglich der physikalischen Eigenschaften sind Teile geringer Steifigkeit – z.B. Gummidichtungen – und Teile mit empfindlichen Oberflächen schwer hand-

166

habbar. Diese Werkstückeigenschaften wirken sich unterschiedlich auf das im Bild 6.11 im Einzelnen genannte Ruheverhalten aus, etwa nach der Positionierung im Werkstückträger und auf das ebenfalls weiter detaillierte Förderverhalten z.B. auf einem Gurtband. Für den Montagesystem- und Fabrikplaner ist dieses scheinbar untergeordnete Thema deshalb von Bedeutung, weil Handhabungssysteme häufig eine erhebliche Störquelle mit Auswirkungen auf den Nutzungsgrad, die Zugänglichkeit und den Platzbedarf darstellen. Bild 6.12 definiert und gliedert das Handhaben in die 5 Elementarfunktionen Speichern, Menge verändern, Bewegen, Sichern und Kontrollieren. Diese lassen sich so zusammensetzen, dass in sich geschlossene Funktionsfolgen entstehen, die technisch in einem Gerät zu realisieren sind. Das Speichern stellt einer Montagestation den lokalen Teilevorrat zur Verfügung und zwar entweder ungeordnet, z.B. als Haufwerk in einem Bunker, teilgeordnet, z.B. in Form von geschichteten Blechteilen, oder

6.2  Produktionstechnologie

Handhaben (VDI 2860) Handhaben ist das Schaffen, definierte Verändern oder vorübergehende Aufrecherhalten einer vorgegebenen räumlichen Anordnung von geometrisch bestimmten Körpern in einem Bezugskoordinatensystem. Es können weitere Bedingungen – wie z.B. Zeit, Menge und Bewegungsbahnen – vorgegeben sein.

Elementarfunktionen

Speichern

ergänzende Funktionen

zusammengesetzte Funktionen

geordnetes Speichern

teilgeordnetes Speichern

Mengen verändern

Bewegen

Sichern

Kontrollieren

Teilen

Drehen

Halten

Prüfen …

Vereinigen

Verschieben

Lösen

Abteilen

Schwenken

Spannen

… Anwesenheit

… Position

Zuteilen

Orientieren

Entspannen

… Identität

… Orientierung

Verzweigen

Positionieren

… Form

Messen

Zusammenführen

Ordnen

… Größe

Zählen

Sortieren

Führen

… Farbe

Orient. messen

Weitergeben

… Gewicht

Pos. messen

geordnetes Speichern

(Fördern)*

*

6

Diese Funktionen sind nach Definition keine Handhabungsfunktionen, wurden jedoch hier mit aufgenommen, um Funktionsfolgen vollständig beschreiben zu können.

Bild 6.12: Teilfunktionen des Handhabens (VDI 2860) © IFA G0682_Wd_B

geordnet, z.B. in einem Teilemagazin. Die Teilfunktion Menge verändern teilt Werkstücke aus einem Vorrat ab oder vereinigt Teile in einer bestimmten Reihenfolge. Beim Bewegen erfolgt ein Drehen oder

Montageverfahren

Ebene Station Bereich Fabrik 5 3/4 2

Verschieben von Teilen, um sie in eine gewünschte räumliche Lage zu bringen, während das Sichern dem Spannen bzw. Entspannen von Werkstücken dient. Dies geschieht entweder beim Bewegen, meist aber

Werk 1

Fügen

Hemmnisse

Emmission

Handhaben • Speichern

nicht wesentlich

• Menge verändern werkstückspezifische Formelemente

• Bewegen • Sichern • Kontrollieren

stark merkmalabhängig

Veränderungsfähigkeit:

niedrig

mittel

hoch

Bild 6.13: Veränderungsfähigkeit von Montageverfahren © IFA 10.195SW_B

167

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6

in der Fügeposition, um Beschleunigungs- bzw. Fügekräften standzuhalten. Das abschließend aufgeführte Kontrollieren prüft nicht die Qualität des Ergebnisses der Fügeoperation, sondern handhabungsrelevante Merkmale, wie z.B. die Identität, Lage oder Anzahl. Das entsprechende Signal der Prüfeinrichtung löst dann die Folgeoperation wie z.B. Greifen, Fügen oder den Weitertransport des Werkstücks oder Werkstückträgers aus. Dieser Weitertransport ist wiederum Teil der Materialflusskette zum innerbetrieblichen Lieferanten – z.B. die Teilefertigung – und darüber hinaus zum externen Zulieferer. Bevor die damit ausgesprochenen logistischen Verfahren im nächsten Abschnitt vorgestellt werden, ist die Veränderungsfähigkeit der Montageverfahren zu diskutieren, deren Aussagen Bild 6.13 zusammenfasst. Bei den Fügeverfahren, die in der Montage eingesetzt werden, kann generell von einer hohen Wandlungsfähigkeit ausgegangen werden. Bei den Handhabungsverfahren wird die Wandlungsfähigkeit naturgemäß primär durch diejenigen werkstückspezifischen Formelemente bestimmt, welche zur Unterscheidung der Lagen und der Kräfteeinwirkung zur Veränderung in die gewünschte Lage dienen. Auch hier können einige Ansätze zur Überwindung der Wandlungshemmnisse von Montagevorgängen auf Stationsebene genannt werden:

•  Verändern

•  • 

der Werkstückeigenschaften, die handhabungsrelevant sind, ohne dadurch die Funktion des Werkstücks zu beeinträchtigen. Vorschläge zur montagegerechten Produktgestaltung finden sich z.B. bei Boothroyd und Dew­ hurst [Boot83], sowie Redford und Chal [Red94] und Hesse [Hes06a]. Ersatz von mechanischen Kräften durch berührungslos wirkende elektrische oder magnetische Kräfte. Einsatz der Bildverarbeitung statt mechanisch abtastender Prüfoperationen.

Die im Folgenden erläuterten logistischen Verfahren bewegen sich auf Stationsebene, also im unmittelbaren Umfeld der Fertigungs- bzw. Montagestation.

168

6.2.3 Logistikverfahren Der Begriff Logistik stammt vermutlich aus dem militärischen Bereich und fasst die Aufgaben zusammen, die der Unterstützung der Streitkräfte dienen [Pfo00]. In den 1980er Jahren hat sich davon angeregt die Unternehmenslogistik mit den Teilbereichen Industrie-, Handels- und Dienstleistungslogistik entwickelt [BZW00]. Generell geht es darum, Objekte raum-zeitlich zu verändern, um sie in der richtigen Menge, Zusammensetzung und Qualität zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Dabei sind minimale Kosten und ein kundengerechter Lieferservice zu gewährleisten [Gud07, Pfo00, Hom07]. Die hier interessierende Industrielogistik gliedert ihre Funktionen in Beschaffungs-, Produktions-, Distributionsund Entsorgungslogistik. Die Entsorgungslogistik wird hier nicht weiter betrachtet. Die verbleibenden Hauptprozesse lassen sich nach Bild 6.14 in weitere Teilprozesse gliedern [Gud07, Pfo00, Dan01, AIK08]. Im Beschaffungsprozess gelangen bestellte Waren über außerbetriebliche Transportprozesse in das Wareneingangslager. Die anschließende Fertigung,

Hauptprozesse

Teilprozesse

Beschaffung

Transportieren Lagern Kommissionieren Planen u. Steuern

Fertigung/ Montage

Fertigen Lagern Kommissionieren Montieren Transportieren Planen u. Steuern

Distribution

Lagern Kommissionieren Verpacken Transportieren Umschlagen Planen u. Steuern

Logistischer Teilprozess

Technologischer Teilprozess

Bild 6.14: Haupt- und Teilprozesse der industriellen Produktion © IFA 10.456SW_B

6.2  Produktionstechnologie

Transportkennlinien

Produktionskennlinien Leistung

Leistung

Durchlaufzeit

Lagerverweilzeit Lagerbestand

Transportbestand

P3

P1 Substrat

Maskenherstellung

Lieferverzug

Transportzeit

Produktionsbestand

P2

Lagerkennlinien

P5

P6

P7

Phtotolitho- Beschich- Prüfgraphie tung u. prozess Abtrag mechanische Bearbeitung

T

P9

P8 Vereinzeln

P4

P10

L2

L3

Systemanbieter

Aufbau- u. Verbindungstechnik

Gehäuse Herstellung

Prozesse:

P

Produzieren/Prüfen

T

Transportieren

L

Lagern

6

Synchronisationspunkt

Bild 6.15: Elemente und logistische Kennlinien der Produktionsprozesse in einem exemplarischen Prozesskettenplan © IFA 1888SW_Wd_B

Montage und die Distribution benötigen zu einem bestimmten Zeitpunkt i.A. nicht einen, sondern mehrere Artikel, meist in unterschiedlichen Mengen, die als Kommission bezeichnet werden. Der entsprechende Prozess heißt Kommissionieren. Alle Beschaffungs- und Teilprozesse sind zu planen, zu steuern und zu überwachen. Die anschließende Fertigung und Montage umfasst, neben ihren bereits erläuterten technologischen Teilprozessen, ebenfalls Lager- und Transportprozesse, jedoch werden hier Roh- und Halbfertigteile bewegt und gelagert. Wenn die Montage örtliche Lagereinrichtungen besitzt, sind auch dort Kommissionierprozesse anzutreffen. Auch die Fertigung und Montage ist je nach Fertigungsort mehr oder weniger genau zu planen und zu steuern. Die Distribution – auch Warenverteilung oder Lieferung genannt (vergl. auch Bild 9.1) – verantwortet die Bereitstellung der produzierten oder eingekauften Artikel beim Kunden, der ein Vertriebslager, ein Händler oder der Endkunde sein kann. Dies erfordert neben dem Lagern, Kommissionieren und Transportieren auch den Schutz der Waren durch Verpacken,

das Zusammenstellen zu Transporteinheiten und ggf. den Umschlag der Transporteinheiten z.B. beim Wechsel des Transportmittels von einem LKW auf die Bahn oder ein Schiff. Auch Distributionsprozesse sind zu planen, zu steuern und zu überwachen. Aus Sicht der Fabrikplanung lassen sich diese Teilprozesse auf die Referenzprozesse Produzieren (Fertigen, Montieren), Transportieren und Lagern reduzieren. Zu ihrer Darstellung haben sich sogen. Prozesskettenelemente nach Kuhn [Kuh95] einerseits und logistische Kennlinien von Nyhuis/Wiendahl [Nyh03] andererseits bewährt. Mit Ersteren lässt sich die logische Verknüpfung der Elementarfunktionen zu sogen. Prozesskettenplänen visualisieren, wobei diese für jeweils einen Artikel oder eine Artikelgruppe mit gleicher Funktionsfolge gilt. Logistische Kennlinien beschreiben demgegenüber die funktionalen Wirkzusammenhänge zwischen den logistischen Zielgrößen Bestand, Durchlaufzeit, Leistung und Termineinhaltung an einer Arbeitsstation oder einem Fertigungsbereich. Bild 6.15 zeigt einen exemplarischen Prozesskettenplan zur Herstellung von mikroelektronischen

169

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Zielgrößen

Referenzprozesse Produktion

6

Unternehmenssicht

Kundensicht

Produzieren

Transportieren

Breitstellen

Termineinhaltung

hohe Termintreue

hohe Termintreue

niedriger Lieferverzug

Durchlaufzeit

niedrige Durchlaufzeit

niedrige Transportzeit

niedrige Lagerverweilzeit

Leistung

hohe Auslastung

hohe Auslastung

hohe Auslastung

Bestand

niedriger Umlaufbestand

niedriger Transportbestand

niedriger Lagerbestand

Kosten

geringe Kosten je Leistungseinheit

geringe Kosten je Transportvorgang

geringe Lagerhaltungskosten

Bild 6.16: Logistische Zielgrößen für die Referenzprozesse der Produktion © IFA 6223SW_Wd_B

Speicherelementen, sogen. Chips. Dieses Element wird auf einer Siliziumscheibe (sogen. Wafer) als elektronische Schaltung realisiert, vereinzelt und in ein Gehäuse eingebaut. Der Verbraucher – hier ein Laptophersteller – ruft die Bauteile aus einem Lager nach Bedarf ab. Jedes Element dieser Prozesskette realisiert eine der drei logistischen Elementarfunktionen und benötigt zu seiner Leistungserfüllung Arbeitsmittel, Personal, Flächen und Steuerungsinformationen. Ein Prozesskettenelement kann ein Unternehmen als Ganzes abbilden, ist aber auch hierarchisch über die Fabrikebenen bis hin zu einer einzelnen Arbeitsoperation zerlegbar. Für die hier interessierende Ebene „Arbeitsstation“ sollen nun die drei in Bild 6.15 angedeuteten logistischen Kennlinien der Produktion, des Transports und des Lagerns erläutert werden, da sie zu deren Dimensionierung aus fabrikplanerischer Sicht von großer Bedeutung sind [Nyh03]. Zunächst ist nach den logistischen Zielgrößen dieser drei Referenzprozesse zu fragen, die Bild 6.16 zusammenfasst. Gegenüber den genannten Elementarprozessen wird das Produzieren mit der Qualitäts-

170

prüfung zusammengefasst, weil diese heute meist unmittelbar am Arbeitsplatz erfolgt. Auch das Lagern erfährt eine Ergänzung durch das Bereitstellen der ausgelagerten Ware an einen definierten Ort, z.B. in ein Zwischenlager oder an den Verbrauchsort. Die Zielgrößen lassen sich nach einer Außen- und Innensicht gliedern. Termineinhaltung und Durchlaufzeit nimmt der jeweilige Kunde wahr, es sind daher logistische Leistungsmerkmale. Demgegenüber sind Leistung (und damit verknüpft die Auslastung), Bestände und Kosten interne Zielgrößen. Sie gilt es zu maximieren bzw. minimieren. Wie können die drei Prozesse und die mit ihnen verbundenen Zielgrößen aus logistischer Sicht modelliert, dimensioniert und gestaltet werden? Für den Referenzprozess Produzieren hat sich das von Kettner und Bechte entwickelte Trichtermodell und Durchlaufdiagramm bewährt, Bild 6.17 [Bech84]. Die Arbeitsstation erscheint hier als Trichter, dessen Füllung den Bestand an wartenden Aufträgen und dessen variable Öffnung die eingestellte Kapazität darstellt. Das Volumen der Kugeln ist ein

6.2  Produktionstechnologie

Maß für den Arbeitsinhalt in Vorgabestunden. Beobachtet man dieses System über einen längeren Untersuchungszeitraum, lassen sich die Zugangs- und Abgangsereignisse im sogenannten Durchlaufdiagramm abbilden, dessen untere Kurve den kumulierten Abgangsverlauf und dessen obere Kurve den kumulierten Zugangsverlauf enthält. Bei Beginn einer Messung liegt i.d.R. ein Anfangsbestand vor, zum Ende des Untersuchungszeitraums ein Endbestand. Die Steigung der Abgangskurve entspricht der mittleren Leistung, gemessen in Vorgabestunden pro Arbeitstag, und die Steigung der Zugangskurve der Belastung der Station in derselben Messeinheit. Wird der Zugang zu einem beliebigen Zeitpunkt angehalten, reicht der dann vorhandene Bestand so lange, wie es dem Verhältnis von Leistung und Bestand entspricht. Dieser Wert heißt demzufolge Reichweite und die Beziehung „Reichweite gleich Bestand dividiert durch Leistung“ wird als Trichterformel bezeichnet. Die mittlere Durchlaufzeit errechnet sich demgegenüber als Mittelwert der Durchlaufzeiten der individuellen Aufträge [Wie97, Nyh03]

Damit sind bereits zwei der in Bild 6.15 genannten Zielgrößen des Prozesses „Produzieren und Prüfen“ erläutert und es fehlen noch Auslastung und Terminabweichung. Alle diese Größen lassen sich entsprechend Bild 6.18 im Durchlaufdiagramm sichtbar machen. In der Bildmitte steht das sogenannte logistische Zielkreuz mit den nach außen wirkenden Leistungsgrößen Durchlaufzeit und Terminabweichung und den nach innen wirkenden Größen Auslastung und Bestand. Diesen Größen zugeordnet sind ihre Darstellungen im Durchlaufdiagramm. Der Bestand erscheint hier als Fläche zwischen der Zu- und Abgangskurve. Die Durchlaufzeit jedes Auftrages wird durch ein Rechteck dargestellt, dessen Länge der Durchlaufzeit und dessen Breite dem Arbeitsinhalt entspricht. Auch die Terminabweichung erscheint als Rechteck, allerdings wird seine Länge hier durch die Zeitdifferenz zwischen dem geplanten und dem tatsächlich erreichten Abgangszeitpunkt bestimmt. Die Differenz kann positiv (zu spät), negativ (zu früh) oder null (pünktlich) sein. Schließlich erscheint die

6

Arbeit [Vorgabestunden]

zugehende Aufträge

Zugangskurve

Endbestand

Zugang

wartende Aufträge (Bestand) maximale Kapazität aktuelle Leistung

mittlere Belastung

Abgangskurve Anfangsbestand

abgefertigte Aufträge

mittlere Leistung Untersuchungszeitraum

a) Trichtermodell

Abgang

Zeit [Betriebskalendertage]

b) Durchlaufdiagramm

Bild 6.17: Trichtermodell und Durchlaufdiagramm einer Arbeitsstation (nach Bechte) © IFA G0476SW_Sh_B

171

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Auslastung

AbPlan

AbIst Durchlaufzeit

Terminabweichung

Zu

D

W

+

Ist zu spät

T

B

Ab

6

Plan

A

_

zu früh

Bestand

Arbeit Zu Ab

Zeit

Bild 6.18: Logistische Zielgrößen im Durchlaufdiagramm © IFA 1558SW_Wd_B

Auslastung als Verhältnis von Istabgang und Planabgang. Zum Aufbau der Durchlaufdiagramme sind lediglich Zu- und Abgangstermine, sowie der Arbeitsinhalt jedes Auftrages erforderlich. Als Nächstes stellt sich die Frage, wie diese Zielgrößen an einer Arbeitsstation zusammenhängen. Bild 6.19 gibt die Antwort in Form der sogenannten Produktionskennlinien an einem Beispiel. Demnach wächst die Leistung (auch Durchsatz oder Ausbringung genannt) einer Produktionsstation mit wachsendem Bestand erst proportional, dann zunehmend schwächer bis zum Erreichen der Kapazitätsgrenze. Die Reichweite und damit auch die Durchlaufzeit steigen entsprechend der erwähnten Trichterformel mit dem Bestand. Der momentane Betriebszustand der Arbeitsstation wird durch die eingefügten Punkte gekennzeichnet. Demnach operierte die Station bei 60 Stunden Bestand mit voller Nutzung der Kapazität von 16 Stunden je Betriebskalendertag (also Zweischicht-

172

betrieb), wobei eine Durchlaufzeit der Aufträge von etwa 3,8 Betriebskalendertagen erreicht wurde. Die Kennlinien lassen sich entweder mittels Simulationsexperimenten punktweise bestimmen oder mit Hilfe von Näherungsgleichungen berechnen [Nyh03]. Offensichtlich ist das logistische Systemverhalten einer Arbeitsstation umso günstiger, je steiler die Leistungskennlinie verläuft. Dann ist es nämlich möglich, mit geringen Beständen und damit kurzen Durchlaufzeiten eine hohe Leistung bzw. Auslastung zu erreichen. Der Fabrikplaner bestimmt maßgeblich den Kennlinienverlauf, während es Aufgabe des Fertigungssteuers ist, den Betriebspunkt auf der Kennlinie entsprechend den gewählten Zielen festzulegen. Daher ist die Kenntnis der Parameter, welche die Kennlinie bestimmen, von fundamentaler Bedeutung, um sie gezielt beeinflussen zu können.

6.2  Produktionstechnologie

Kapazität

Betriebspunkte 9

16

BKT

Std/BKT

7

Reichweite

Leistung

6 10 5

Durchlaufzeit

8

4 6

3

4

Durchlaufzeitgrößen

Leistung 12

2

2

6

1

0

0 0

20

40

60

80

100

120

Std

Bestand BKT: Betriebskalendertag Std: Vorgabestunden Bild 6.19: Logistische Kennlinien einer Arbeitsstation (Beispiel) © IFA D0173NP_B

Bild 6.20 zeigt eine strukturierte Gliederung dieser Parameter, die zwischen einem Idealprozess und einer an die Realität angepassten Kennlinie unterscheidet [Nyh03]. Die ideale Leistungskennlinie geht davon aus, dass Zu- und Abgangsprozesse an der Station so aufeinander abgestimmt sind, dass unmittelbar vor Beendigung eines Auftrages der nächste Auftrag eintrifft. Es muss also weder die Station noch ein Auftrag warten. Für diesen Fall ist die Kennlinie exakt berechenbar und wird in ihrem Verlauf einerseits durch die maximal mögliche Leistung der Station, den sogenannten idealen Mindestbestand und den zeitlichen Überlappungsgrad der einzelnen Teile eines Loses bestimmt. Als idealer Mindestbestand wird der durch den Bearbeitungsprozess gebundene Bestand bezeichnet. Er hängt zum einen nur von der Einzelbearbeitungszeit, der Auftragslosgröße und der Rüstzeit der Station und andererseits von der Mindestübergangszeit ab, die bis zur Bereitstellung

des Auftrages an der nächsten Arbeitsstation vergeht. In der Praxis liegen aber die genannten idealen Bedingungen nicht vor, es kommt zu unregelmäßigen Zugängen mit der Folge einer mehr oder weniger stark schwankenden Belastung. Häufig ist die Flexibilität der Station nicht ausreichend, um diesen Schwankungen zu folgen, und schließlich ist die Flexibilität der Zuordnung des vor der Station liegenden Arbeitsvorrates bei mehreren gleichen Arbeitsstationen mehr oder weniger ausgeprägt. Welche Einflussmöglichkeiten im Rahmen der Fabrikplanung bestehen, eine derartige Arbeitsstation logistisch günstig zu gestalten, macht der Blick zurück auf den rechten Teil von Bild 6.20 deutlich. Ausgehend von den drei klassischen Ansatzpunkten Technik, Mensch und Organisation legt der Fabrikplaner mit der Kapazitätsstruktur, d. h. der Anzahl und Verknüpfung der Arbeitsstationen, zunächst die Leistung fest. Eine geschickte Verfahrens- und Be-

173

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Kennlinientyp

Beeinflussung durch Technik Mensch Organisation

Kennlinienparameter Kapazität je Arbeitssystem

Ideale Kennlinie Leistung = Kapazität Idealer Mindestbestand Bestand

maximal mögliche Leistung Idealer Mindestbestand

Kapazitätsmindernde Störungen Leistungsgrad Anzahl gleicher Arbeitssysteme Losgröße

Mittelwert und Streuung der Auftragszeiten

Einzelzeit Rüstzeit

6

Mindestübergangszeiten

Approximierte Kennlinie

Transportzeit sonstige Mindestübergangszeiten

Überlappungsgrad

Belastungsstreuung

Streckfaktor

Kapazitätsstreuung

Bestand

Flexibilität der Bestandszuordnung

Bild 6.20: Parameter der Produktionskennlinien © IFA 4905SW_Wd_B

triebsmittelauswahl gewährleistet geringe Rüstzeiten, verringert Losgrößen und damit den Mittelwert und die Streuung der Auftragszeit. Und schließlich sorgen ein durchdachtes Layout mit kurzen Transportwegen sowie eine prozessnahe Qualitätsprüfung für geringe gebundene Bestände durch Prüf- und Transportvorgänge. Der zweite in Bild 6.15 genannte Referenzprozess betrifft das Transportieren, genauer gesagt, ein einzelnes Transportmittel. Hier kann es sich beispielsweise um einen Gabelstapler oder Elektrohängezug handeln. Auch diese Einheit lässt sich mit logistischen Kennlinien beschreiben, deren Verlauf denen der Produktionskennlinie gleicht, Bild 6.21 [Wie00]. Im Gegensatz zur Produktionsleistungskennlinie existieren zwei Transportleistungskennlinien. Die Transportlastleistung berücksichtigt ausschließlich Lastfahrten, während die Transportgesamtleistung zusätzlich die Leerfahrten des Transportmittels einschließt. Der Hauptparameter der Leistungskennlini-

174

en ist die Transportarbeit, die im System gebunden ist, aber nicht als Menge oder Volumen des Transportgutes, sondern in Form von Transportstunden. Mit wachsendem Bestand steigt die Leistung zunächst proportional an. Im Übergangsbereich der Kennlinien konkurrieren die anstehenden Aufträge zunehmend um das Transportmittel, so dass Warteschlangen entstehen und die Auslastung nur noch unterproportional bis zur Vollauslastung steigt. Entsprechendes gilt für den Verlauf der Durchlaufzeitkennlinie, welche der Summe aus der mittleren Durchführungszeit und der mittleren Leerfahrtzeit entspricht. Analog zur Produktionsleistungskennlinie bestimmt der Fabrikplaner anhand der notwendigen Materialbewegungen auf Basis des Layouts zunächst die Transportkapazität. Die nächste Aufgabe besteht dann in der Minimierung der Leerfahrten, z.B. durch Einrichten von Rundkursen. Ziel ist auch hier, die Kapazität des Systems möglichst voll zu nutzen und dies bei niedrigstmöglichem Bestand an Ware, die durch das Transportsystem gebunden ist. Damit wird

6.2  Produktionstechnologie

Transportleistung

Gesamtleistung

Lastleistung

Leerleistung

Bild 6.21: Transportkennlinien

Mittlerer Transportbestand

© IFA 7774SW_Wd_B

gleichzeitig das Ziel kurzer Transportzeiten unterstützt. Die genaue Ableitung der Transportkennlinie findet sich in [Egl00] und [Egl01]. Als letzter logistischer Elementarprozess ist das Lagern von Waren oder Artikeln zu betrachten. Dieser Prozess ist immer dann erforderlich, wenn zwei aufeinanderfolgende Prozesse hinsichtlich ihres Abgangs- und Zugangsverhaltens zeitlich und mengenmäßig nicht aufeinander abgestimmt sind. Dies ist nur bei zwangsläufig getakteten Prozessen der Fall, beispielsweise in einer Großstufenpresse. Dort wird z.B. ein Autodach in 5 bis 7 Werkzeugen stufenweise von der flachen Platine in das fertige Dach umge-

6

formt. Bei jedem Niedergang des Oberteils wirken alle Werkzeuge gleichzeitig auf das jeweilige Werkstück ein, beim Hochfahren erfolgt synchron der Weitertransport. Im System ist also nur der Bestand gebunden, der zwingend zur Prozessdurchführung und zum Weitertransport erforderlich ist. Natürlich möchte man in einer Fabrik jede Art von Beständen vermeiden, weil sie Kapital binden, eine Lagerorganisation benötigen und Fläche belegen. Daher wird in manchen Unternehmen der Begriff Lager oder Bestand aus dem Vokabular gestrichen und stattdessen z.B. von dynamischen Zwischenpuffern o. Ä. gesprochen. Bisweilen entstehen daraus

ideale Servicegradkennlinie 100%

Servicegrad [%]

reale Servicegradkennlinie

Bild 6.22: Ideale und reale Servicegradkennlinie für einen Lagerartikel

Sicherheitsbestand bedingt durch: • verspätete Lieferungen • Unterlieferungen • Erhöhung der Nachfrage

0 0

MIndestbestand

Planbestand

mittlerer Lagerbestand [Stück]

© IFA 10.093SW_Mb_B

175

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

auch Visionen oder Vorgaben einer bestandslosen Fabrik. Für die Fabrikplanung sind solche Vorgaben wenig hilfreich, weil unrealistisch. Stattdessen sind die Gesetzmäßigkeiten eines Lagers auf die jeweilige Situation anzuwenden und nach Grenzwerten zu suchen, wie sie in Abschnitt 3.3 dargelegt wurden. Einen logischen Ansatz hierzu bietet die von Lutz entwickelte Servicegradkennlinie [Lut02], die ihrerseits auf der von Gläßner entwickelten Kennlinie für den mittleren Lagerverzug aufbaut [Glä95]. Bild 6.22 zeigt den prinzipiellen Verlauf.

6

176

Betrachtet wird zunächst ein einzelner Artikel oder auch eine logistisch ähnliche Gruppe von Artikeln mit Zu- und Abgang in ein bzw. aus einem Lager. Ähnlich wie bei den Produktionskennlinien lässt sich auch für die Servicegradkennlinie ein Idealzustand definieren und daraus eine Idealkennlinie berechnen, die nur von den Losgrößen des Zu- bzw. Abgangs bestimmt wird. In der Realität treten jedoch sowohl auf der Zugangsseite als auch auf der Abgangsseite Mengen- und Terminabweichungen sowie Schwankungen im Bedarf auf, die einen Sicherheitsbestand erforderlich machen. Dies führt dann zu der realen Servicegradkennlinie. Für die Berechnung der Kennlinien stehen Gleichungen zur Verfügung, die in [Nyh03] und [Lut02] beschrieben sind. Der Lagerbestand wird praktisch ausschließlich durch das Prozessverhalten der Zu- und Abgangsseite bestimmt. Es ist zunächst überraschend, dass demnach keine Beeinflussungsmöglichkeiten durch die Technik oder den Menschen gegeben sind. Dies liegt darin begründet, dass Lagern als Verfahren ein Prozess ist, bei dem das Material in Raum und Zeit, aber nicht in seinem Zustand verändert wird. Einflüsse durch Mensch und Technik treten erst auf, wenn der Lagerprozess durch logistische Betriebsmittel seine Realisierung erfährt. Für die Fabrikplanung bestehen daher die wesentlichen Eingriffsmöglichkeiten darin, die Zugangs- und Abgangsprozesse zu harmonisieren. Hierzu zählen die Angleichung der Losgrößen auf der Zugangs- und Abgangsseite (die sogen. synchronisierte Produktion), die Vergleichmäßigung der Verbrauchsraten, die Minimierung von Lieferzeit- und Mengenabweichungen und schließlich kurze Wiederbeschaffungszeiten.

Auf Stationsebene sind diese Ansatzpunkte überwiegend durch übergeordnete Strukturen und Strategien vorbestimmt, die im Rahmen der Fabrikstrukturplanung stattfinden und aus dem generellen Logistikkonzept der Fabrik abgeleitet werden müssen. Im Wesentlichen kann der Fabrikplaner zusammen mit dem Logistiker nur durch eine geordnete Materialbereitstellung und -entsorgung an den Arbeitsstationen Einfluss auf diese Ziele nehmen. Bei Montagestationen erfüllt die Zuführtechnik diese Aufgabe und an automatisierten Werkzeugmaschinen sind vergleichbare Einrichtungen anzutreffen. Insgesamt stellt sich die Frage der Wandlungsfähigkeit für die logistischen Verfahren Transportieren und Lagern nicht, sondern erst im Zusammenspiel mit vor- und nachgelagerten Prozessen und darüber hinaus dann, wenn die dazu notwendigen Betriebsmittel in ihren technischen Ausprägungen bekannt sind. Sowohl der Aspekt der Beeinflussungsmöglichkeit durch Technik und Mensch als auch der Aspekt der Veränderungsfähigkeit erfährt seine Behandlung auf den nächsthöheren Ebenen im Zusammenhang mit den dort beschriebenen Logistikverfahren. Im Folgenden soll nun die in Bild 6.3 als zweites Gestaltungsfeld bezeichnete Technik so weit erläutert werden, dass für den Fabrikplaner die aus Planungssicht wesentlichen Merkmale der Betriebsmittel für Fertigung, Montage und Logistik hervortreten. Sie sind zu ergänzen um die zum Betrieb der Arbeitsstationen notwendige Informationstechnik sowie die Ver- und Entsorgungstechnik. Auch dieses Feld ist hinsichtlich seiner Beeinflussungsmöglichkeiten durch den Fabrikplaner und die Merkmale der Wandlungsfähigkeit zu ergänzen.

6.3  Betriebsmittel Zur Umsetzung der im vorherigen Abschnitt geschilderten Fertigungs-, Montage- und Logistikverfahren dienen technische Anlagen, Geräte und Einrichtungen, die zusammenfassend als Betriebsmittel bezeichnet werden. Als mehr betriebswirtschaftlich

6.3  Betriebsmittel

Betriebsmittel Gesamtheit der Einrichtungen, Geräte und Anlagen zur Erfüllung einer Produktionsaufgabe Teilsystem

Montagemittel

Logistikmittel

• Handarbeitsplätze • Fertigungsmaschinen

• Handmontageplätze • Fügestationen • Montagemaschinen • Zubringeinheiten

• Lagereinrichtungen • Transport-/Fördereinrichtungen • Kommisioniergeräte • Verpackungsgeräte • Umschlaggeräte

Werkstücksysteme

• Werkstückträger • Spannvorrichtungen • Werkstückspeicher • Be- und Entladegeräte

• Werkstückträger • Greifer • Spannvorrichtungen

• Ladungsträger • Lastaufnahmemittel

Werkzeugsysteme

• Werkzeuge / Messmittel • Werkzeugspeicher • Werkzeugwechsler

• Fügewerkzeuge • Messmittel

Steuerung

• Steuerungs- und Überwachungsgeräte • Maschinendatenerfassung

• Steuerungs- und Überwachungsgeräte • Zustandserfassung

• Steuerungsgeräte • Identifizierungs-/ Rückmeldeeinrichtungen

Peripherie

• Steuerschränke • Abfallförderer • Abfallspeicher • Filteranlagen • Schutzvorrichtungen

• Steuerschränke • Leitungs- und Medientrassen • Schutzvorrichtungen

• Steuerschränke • Ladestationen • Leitstand • Schutzvorrichtungen

Montagesysteme

Logistiksysteme

Prozessbefähiger

Stationsebene

Fertigungsmittel

Bereichsebene

Fertigungssysteme

6

Bild 6.23: Gliederung der Betriebsmittel aus Sicht der Fabrikplanung © IFA 10.270SW_B

geprägter Begriff ist auch die Bezeichnung Ressource (frz. Hilfsmittel) gebräuchlich. Er umfasst neben den Betriebsmitteln auch noch die menschlichen Einsatzkräfte (Humanressourcen), Geldmittel (Finanzressourcen) und Rohstoffe. Aus Sicht der Fabrikplanung gliedert Bild 6.23 die Betriebsmittel in Fertigungs-, Montage- und Logistikmittel. Das Bild unterscheidet die Stationsebene und die Bereichsebene entsprechend den Strukturierungsebenen der Fabrik (vgl. Bild 5.18). Die Besonderheit der Betriebsmittel liegt darin, dass sie als körperliche Einheit verstanden werden, die hinsichtlich Materialfluss, Informations- und Energiefluss in sich verknüpft und daher nicht in Teilen funktionsfähig sind. Eine Ausnahme bilden sehr große Anlagen mit einem durchgängigen Fertigungs- und/oder Montageprozess für Großserien- oder Massenprodukte, wie etwa eine integrierte Vorfertigungs- und Montageanlage für Waschmaschinen oder eine Anlage zur kompletten Herstellung von Verbrennungsmotoren, eine

Lackieranlage für Automobilkarossen, eine Papiermaschine oder eine verkettete Druck- und Faltanlage für Zeitungen. Bei diesen Betriebsmitteln mit Großanlagencharakter dominieren die Prozessbeherrschung und der Materialfluss die gesamte Fabrikgestaltung. Im Folgenden werden die Betriebsmittel auf Stationsebene und Bereichsebene behandelt. Aus Sicht der Fabrikplanung ist es zweckmäßig, die Betriebsmittel zunächst funktional und später auch bei ihrer Dimensionierung und Anordnung in Teilsysteme zu zerlegen, die Bild 6.23 in der ersten Spalte aufführt. Aus Prozesssicht steht der Arbeitsraum des Betriebsmittels, häufig auch Wirkraum genannt, im Vordergrund. In ihm vollzieht sich die Veränderung des Produktes. Der Arbeitsraum befähigt die Betriebsmittel zur Durchführung des Verfahrens und kann deshalb als Prozessbefähiger bezeichnet werden. In der technischen Ausprägung handelt es sich bei Betriebsmitteln um Handarbeitsplätze oder um mehr oder weniger automatisierte Stationen oder Maschinen. Viele der Verfahren benötigen bei

177

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Maschinen zum Urformen

Stranggussmaschinen

Maschinen zum Umformen

Pressen Hämmer

Schleudergussmaschinen

Walzmaschinen

Druckgussmaschinen

Ziehmaschinen

Biegemaschinen

Spritzgussmaschinen

6

Galvanoformende Maschinen

Maschinen zum Trennen

Zerteilende Maschinen -Scheren -Schneidpressen Spanende Maschinen - Drehmaschinen - Fräsmaschinen - Bohrmaschinen - Schleifmaschinen - Honmaschinen - Läppmaschinen - Bearbeitungszentren Abtragende Maschinen - Erodiermaschinen

Maschinen zum Fügen

Schweißmaschinen Lötmaschinen

Maschinen zum Beschnitten

Galvanisiermaschinen

Maschinen zum Ändern der Stoffeigenschaften Nitrierautomaten Härteöfen

Nietmaschinen

Lackiermaschinen

PVD-Anlagen

Klebemaschinen

PVD-Anlagen

CVD-Anlagen

Schraubmaschinen

CVD-Anlagen

Ionenbeschleunigeranlagen

Ionenplattiermaschinen

PVD: Physikal Vapour Deposition CVD: Chemical Vapour Deposition

Bild 6.24: Einteilung von Werkzeugmaschinen (Spur) © IFA 10.253SW_B

ihrer Anwendung Einrichtungen zum Handhaben, Spannen, Bewegen der Werkstücke im Arbeitsraum sowie zur deren Be- und Entladung. Ebenso sind meist Werkzeuge und Messmittel erforderlich. Die mehr oder weniger automatische Steuerung, Überwachung und Rückmeldung der Prüfvorgänge ist ebenfalls notwendig und erfordert meist eine nicht unerhebliche Peripherie, die der Entsorgung von Abfallstoffen, dem Arbeitsschutz und nicht zuletzt der Unterbringung der bisweilen voluminösen Gehäuse für die Energie- und Informationssteuerungsmodule dient.

6.3.1 Fertigungsmittel Fertigungsmittel dienen der Durchführung der in Abschnitt 6.2.1 vorgestellten Fertigungsverfahren. Handarbeitsplätze bestehen aus einem Arbeitstisch, der das zu bearbeitende Werkstück, eventuelle Spannvorrichtungen – z.B. einen Schraubstock – sowie Werkzeuge zur Durchführung der Arbeitsoperation aufnimmt. Derartige Handarbeitsplätze finden sich in der industriellen Produktion eher selten, z.B. als Rohrbiegeplatz, Entgratplatz, Schweißplatz usw.

178

Den weitaus überwiegenden Teil der Betriebsmittel bilden Fertigungsmaschinen, deren wesentliche Ausführungsformen Bild 6.24 entsprechend der Gliederung nach den Fertigungsverfahren zeigt [Spu96]. Sie sollen nicht im Einzelnen erläutert werden, da ihre Eigenschaften aus fabrikplanerischer Sicht sehr ähnlich sind. Für den Fabrikplaner wichtiger ist die Aufteilung der Fertigungsmaschinen in Einzelmaschinen und Maschinensysteme, die sich weiter nach dem Grad der Produktivität und Flexibilität einteilen lassen, Bild 6.25. Einzelmaschinen reichen hinsichtlich der Flexibilität von Einzweckmaschinen, die nur ein bestimmtes Teil herstellen können, über umrüstbare Einzweckmaschinen über Bearbeitungszentren mit eingeschränktem Teilespektrum bis hin zur numerisch gesteuerten Universalmaschine, die lediglich hinsichtlich der Werkstückabmessungen begrenzt ist. Flexible Mehrmaschinensysteme (Flexible Fertigungszelle, Flexibles Fertigungssystem, Flexible Transferstraße) verknüpfen mehrere Einzelmaschi-

6.3  Betriebsmittel

starre Mehrmaschinensysteme

Transferstraße

umrüstbare Transferstraße

Produktivität

integriertes starres Fertigungssystem

flexible Transferstraße

flexible Mehrmaschinensysteme

flexibles Fertigungssystem

flexible Fertigungszelle

Einzweckmaschine

Einzelmaschinen

umrüstbare Einzweckmaschine

Bild 6.25: Produktivität und Flexibilität von Fertigungseinrichtungen (nach Weck)

Bearbeitungszentrum

numerisch gesteuerte Universalmaschine

6

Flexibilität

© IFA 10.342SW_B

nen zu einem durchgängigen Werkstückfluss mit einer mehr oder weniger flexiblen Reihenfolge der Operationen. Die Gruppe der Maschinensysteme mit höchster Produktivität und geringster Flexibilität sind getaktete Transferstraßen, die mehr oder weniger auf unterschiedliche Werkstücke umrüstbar sind. Die Umrüstung beschränkt sich hier aber auf unterschiedliche Abmessungen und Ausprägungen einer eng begrenzten Teilegruppe wie beispielsweise Motorblöcke. Die hier nur kurz angedeuteten Erscheinungsformen der Fertigungsmittel lassen sich aus Sicht der Fabrikplanung auf vergleichsweise wenige Merkmale reduzieren. Als exemplarisch kann die Gruppe der numerisch gesteuerten Universalmaschine gelten. Ihren prinzipiellen Aufbau zeigt Bild 6.26 [Toe95]. Eine ausführliche Einführung bieten auch Weck und Brecher [Wec05]. Das Maschinengestell bestimmt die räumliche Struktur der Maschine mit ihren unbeweglichen und beweglichen Teilen. Führungen ermöglichen die Verschiebung oder Drehung beweglicher Teile und bestimmen wesentlich die Genauigkeit der gefertigten Werkstücke. Antriebe stellen die mechanische

Energie zur Erzeugung von Haupt- und Vorschubbewegungen zur Verfügung und schließlich dient die Steuerung einerseits der Beeinflussung der Motoren und Stellglieder (Leistungssteuerung) und andererseits der Ablaufsteuerung und -regelung der Werkstück- und Werkzeugbewegungen (Informationssteuerung). Letztere erfolgt mit Hilfe einer NC-Steuerung (engl. Numerical Control). Die Steuerung ist vielfach an ein lokales Datennetz (LAN Local Area Network) angeschlossen, das den elektronischen Austausch von Steuer- und Ablaufdaten mit den übergeordneten Systemen erlaubt. Aus Sicht der Fabrikplanung bestimmt das Gestell der Maschine den Flächenbedarf, die Höhe den Raumbedarf und ihr Gewicht die Bodenbelastung sowie die Aufstellungs­art mit oder ohne Fundament. Antrieb und Prozess sind demgegenüber maßgeblich für die Energieanschlüsse bzw. Medienversorgung, wie z.B. Druckluft oder Kühlwasser. Die Werkzeugsysteme bestehen aus Werkzeugen und Messmitteln, die eine Werkzeugvorbereitung auftragsweise kommissioniert und bereitstellt. Bei größeren Werkzeugmengen sind sowohl maschinenintegrierte als auch separate Werkzeugspeicher anzutreffen, ggfs.

179

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Bewegungsachsen x, y, z

Führung

Werkstück

Antrieb z

y Steuerung

Gestell x

Gestell

6

Ständer Fundament

Schlitten Supporte

Führungen

Geradführungen

Lagerung

Antrieb

Hauptantrieb

Nebenantrieb

Steuerung

Leistungssteuerung

Informationssteuerung

Bild 6.26: Elemente einer Werkzeugmaschine (Tönshoff) © IFA 10.254SW_B

mit speziellen Be- und Entladegeräten. Werkzeugsysteme sind aus Sicht der Fabrikplanung flächenverbrauchende Nebensysteme, die aus ergonomischer Sicht zu gestalten und im Rahmen der Flächen- und Anordnungsplanung zu berücksichtigen sind. Zur Handhabung und Speicherung der Werkstücke vor und im Arbeitsraum der Maschine dienen Werkstücksysteme. Werkstückpaletten, auch Werkstückträger genannt, die häufig spezielle Spannvorrichtungen tragen, stellen die räumliche Positionierung und Fixierung der Werkstücke auch unter dem Einfluss der teils erheblichen Zerspanungskräfte sicher. Der Werkstückwechsel kann manuell erfolgen, es sind aber auch separate Werkstückspeicher mit automatischen Be- und Entladegeräten gebräuchlich. Die Teilsysteme der Werkstückhandhabung beanspruchen je nach Werkstückgröße erhebliche Flächen. Sie bilden die Nahtstelle zum innerbetrieblichen Materialflusssystem und werden maßgeblich durch die Fabrikplanung und Logistik gestaltet. Steuerungssysteme sind üblicherweise Bestandteile der Werkzeugmaschine und treten für den Nutzer als Bedientafel oder Steuerpult in Erscheinung. Die Ergeb-

180

nisse eines Prozesses können Qualitätsdaten sein, es werden aber auch organisatorische Rückmeldungen wie Gutstückmenge und Fertigstellungszeit über das Bedienpult eingegeben, die den logistischen Regelkreis der Produktionsplanung und -steuerung schließen. Steuerungssysteme erfordern aus Sicht der Fabrikplanung lediglich einen Flächen- und Betriebsmittelbedarf für Steuerschränke und Verbindungstrassen. Die Peripherie eines Fertigungsmittels wird neben den bereits behandelten Werkstück- und Werkzeugsystemen maßgeblich durch die Entsorgung von Abfallstoffen und deren Zwischenspeicherung sowie Schutzvorrichtungen bestimmt, die aus Umwelt- und Arbeitsschutzvorschriften resultieren. Sie beanspruchen einerseits nennenswerte Flächen und sind andererseits in den Entsorgungskreislauf einzubinden, ohne den Produktionsfluss zu stören. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Kühlschmierstoffe, die bei Vermischung mit Spänen und Schleifstaub zu erheblichen Deponiekosten führen und daher entweder zu vermeiden (Trockenverarbeitung), zu reduzieren (Minimalmengenkühlschmiersystem) oder zu substituieren sind [Tro02].

6.3  Betriebsmittel

Flexible Fertigungszelle Bearbeitungszentrum Maschine Arbeitsraum

NC

• Werkstück • Werkzeug • Vorrichtung

Werkzeugspeicher

NC Numerische Steuerung Kraftantrieb

Bild 6.27: Automatisierungsstufen von Einzelmaschinen (in Anlehnung an Spath)

Werkstückspannstation

Werkzeugwechsler

6

Palettenwechsler

© IFA 10.255SW_B

Für die Auswahl von Fertigungsmaschinen spielen neben dem durch die Bearbeitungsaufgabe bestimmten Verfahren deren Flexibilität und Produktivität eine bedeutende Rolle. Hierzu lieferte Bild 6.25 bereits eine grobe Einteilung. Flexibilität und Produktivität einer Fertigungseinrichtung hängen neben der Strukturierung in eine oder mehrere Einheiten stark vom Automatisierungsgrad der Einheiten ab [Spa97]. Die Automatisierung bezieht sich dabei auf den Programmablauf der Werkzeug- und Werkstückbewegung, den Werkzeugwechsel und den Werkstückwechsel. Bild 6.27 verdeutlicht nach einem Vorschlag von Spath die sich daraus ergebenden Automatisierungsstufen von Einzelmaschinen [Spa97] und gliedert damit die Einzelmaschine in Bild 6.27 weiter auf. Ausgehend vom Wirk- oder Arbeitsraum, in dem der eigentliche Fertigungsprozess stattfindet, entsteht durch Hinzufügen eines Kraftantriebs und einer lokalen Steuerung eine Fertigungsmaschine. Kann diese Maschine mittels eines lokalen Werkzeugmagazins mit verschiedenen Werkzeugen (z.B. Bohrer, Fräser, Gewindeschneider) und einem automatischen Werkzeugwechsler sowie einer integrierten Messein-

richtung unterschiedliche Bearbeitungsoperationen in einer Aufspannung am selben Werkstück durchführen, spricht man von einem Bearbeitungszentrum (BAZ). Bild 6.28 zeigt ein Bearbeitungszentrum zur Fertigung kleiner rotationssymmetrischer Teile. Die Rohteile werden in einen umlaufenden Werkstückspeicher eingelegt. Eine senkrecht und waagerecht geführte Drehspindel greift und spannt ein Rohteil mittels Spannfutter. Die zerspanende Formgebung erfolgt durch die numerisch gesteuerte Bewegung des rotierenden Teiles entlang eines stillstehenden Drehwerkzeuges, das in einem Trommelrevolver eingespannt ist. Die herunterfallenden Späne entsorgt der Späneförderer nach außen in einen Spänebehälter. Der Trommelrevolver enthält alle Werkzeuge zur kompletten Bearbeitung des Teiles, auch Bohr- und Gewindeoperationen sind möglich. Durch Drehen des Revolverkopfes in definierte Positionen kommen die einzelnen Werkzeuge zum Einsatz. Nach dem Ende der Bearbeitung legt die Drehspindel das fertige Teil auf dem Werkstückspeicher ab, dieser rückt einen Schritt vor und befördert das nächste Rohteil in die Startposition. Im Bild ist ebenfalls die für den Fabrikplaner wesentliche Maschinengrundfläche er-

181

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Gestell

Führungen

Antriebe

Drehspindel Arbeitsraum Steuerung Werkzeuge Grundfläche

6 Späneförderer

Plattform

METEOR Vertikale MultiTechnologie Werkzeugmaschine

Konfiguration 1: Drehen, Fräsen, Anfasen

182

Bild 6.28: Aufbau einer Werkzeugmaschine am Beispiel eines Drehautomaten (Hüller Hille Hessap)

Werkstückspeicher

Module

© IFA 10.402SW_B

Sub-Module

Horizontalbearbeitung

Werkzeuge

Drehen

Spindeln

Vertikalbearbeitung

Handling

Konfiguration 2: Drehen, Bohren

Handhabung

Achsen …

Konfiguration X: Bohren, Anfasen, Drehen

Bild 6.29: Rekonfigurierbare Werkzeugmaschine (Denkena) © IFA 15.055_B

6.3  Betriebsmittel

Ein- und Auslagerung

Werkzeuglager

Übergabesystem Zellenrechner

Leitrechner

PPSSystem

B

B

W

M

Übergabesystem

Leitstand

6

Werkstücklager Ein- und Auslagerung

Bearbeitungsstation • Werkzeugspeicher • Funktion: W Waschen, B Bearbeiten, M Messen • Werkstückspeicher

Werkstückfluss

Werkzeugfluss

Informationsfluss

Bild 6.30: Prinzip eines flexiblen Fertigungssystems © IFA 9127SW_B

kennbar. Bei Bearbeitungszentren für prismatische Teile erfolgt die Werkstückspannung außerhalb der Maschine auf einer sogen. Werkstückpalette, die mit einem Palettenwechsler in die Maschine ein- und ausgefahren wird. Wird auch der Werkzeugwechsel und eine Werkstückspannstation außerhalb des Arbeitsraums hinzugefügt, entsteht eine flexible Fertigungszelle (FFZ). Die üblichen Werkzeugmaschinen und -systeme sind zwar im Rahmen ihres definierten Teilespektrums flexibel, weitgehende Veränderungen des Werkstückspektrums, die eine Integration oder die Entfernung von Bearbeitungseinheiten erfordern, sind i.d.R. nicht möglich. Wie in Kapitel 5 diskutiert, kann für den Fall der Forderung nach einer kurzfristigen Umstellung die Rekonfigurierbarkeit einen Lösungsansatz bieten. Bild 6.29 stellt dazu ein im Rahmen eines Verbundforschungsprojektes entwickeltes Konzept für eine rekonfigurierbare Werkzeugmaschine vor.

Die Maschine erlaubt ausgehend von einer Plattform, die das Gestell und die Bewegungsachsen umfasst, Module und Submodule zu kombinieren. Damit sind je nach Werkstückanforderungen unterschiedliche Konfigurationen möglich, von denen drei Beispiele in das Bild eingefügt sind. Verknüpft man mehrere Arbeitsstationen über ein zentrales Werkstück- und Werkzeugmagazin sowie entsprechende Wechseleinrichtungen hinsichtlich Material- und Informationsfluss, spricht man von einem flexiblen Fertigungssystem (FFS), dessen Struktur Bild 6.30 zeigt. Die Aufgabe eines FFS besteht in der vollautomatischen Herstellung eines Werkstückspektrums – z.B. Hebel, Zahnräder, Wellen usw. – in einem großen Stückzahlenbereich in beliebiger Reihenfolge. Die einzelnen Stationen führen nicht nur Bearbeitungsaufgaben durch, sondern übernehmen auch Nebenfunktionen, wie z.B. Messen und Waschen der Teile. Die Steuerung des Systems erfolgt durch einen Leitrechner, der einerseits die Auftragsdaten mit

183

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Pressgangleitung

Motor (groß)

Oberdeckel (Zylinder) Motor (klein) Zylinderrohr Unterdeckel (Zylinder)

Querhaupt (Ober) Führung (am Ständer)

Ständer (Links)

Führung (am Stößel) Ständer (Rechts)

Stößel

6

Presstisch

Touch-PanelSteuerung PC670

Zweihandpult Tischplatte

Flurebene

Bild 6.31: Hydraulische Doppelständerpresse (Werkbild Dunkes GmbH) © IFA 15.056_B

dem PPS-System austauscht und andererseits die Zellenrechner der Teilsysteme steuert. Letztere kommunizieren ihrerseits mit den lokalen Maschinensteuerungen. Ein FFS stellt aus Sicht der Fabrikplanung eine in sich geschlossene Einheit dar, die in den Material-, Informations-, Energie- und Personenfluss der nächsthöheren Planungsebene einzubinden ist. Im Allgemeinen stellen Werkzeugmaschinen für die Fabrikplanung keine besonderen Anforderungen dar. Lediglich bei Maschinen, deren Arbeitsbewegung verfahrensbedingt vertikal ist und die größere Werkstücke bearbeiten, lassen sich spezielle Fundamente nicht vermeiden. Das trifft besonders für Umformmaschinen zu, die zusätzlich durch starke Schwingungen und Lärmemission gekennzeichnet sind. Bild 6.31 zeigt eine hydraulische Doppelständerpresse. Sie ist mit einem Ein-Zylinder-Antrieb ausgerüstet, der sich im oberen Querhaupt befindet und eine maximale Presskraft von 2500 kN aufbringt. Der Antrieb erfolgt über einen Hauptmotor und einen Ne-

184

benmotor mit einer installierten Motorleistung von 55 kW bzw. 15 kW. Diese Auslegung ermöglicht bei Betrieb zum einen den langsamen Einrichtbetrieb und zum anderen sind bei gleichzeitigem Betrieb beider Motoren höhere Stößelgeschwindigkeiten im Eilgang für den Vor- und Rücklauf der Presse zu erzielen. Mit einer Abmessung von 7m x 5m x 6m (Höhe x Breite x Tiefe) und einem Gewicht von ca. 40 to stellt sie einen nahezu unverrückbaren Fixpunkt dar. Für die Veränderungsfähigkeit der Fabrik sind die wandlungsrelevanten Merkmale der Fertigungsmaschinen von primärer Bedeutung. Bild 6.32 stellt diese, abgeleitet aus ihren Teilsystemen (vgl. Bild 6.23 erste Spalte), zusammen, geordnet nach der Maschine, dem Material-, Werkzeug- und Informationsfluss. Mit wachsendem Merkmalswert wird die Veränderungsfähigkeit auf den einzelnen Ebenen un-

6.3  Betriebsmittel

terschiedlich beeinflusst. Je größer Abmessungen und Gewicht und je geringer die Zerlegbarkeit der Maschine aus Sicht der Maschineninstallation und Demontage ist, desto wandlungsträger ist sie. Benötigt sie eigene Fundamente und spezielle Schutzeinrichtungen, wird die Maschine zu einem Fixpunkt im Layout, der die Wandlungsfähigkeit auf allen fünf Ebenen praktisch zu null werden lässt. Aus den in der rechten Spalte von Bild 6.32 aufgeführten Hemmnissen lassen sich folgende Empfehlungen für eine hohe Wandlungsfähigkeit ableiten:

•  Selbsttragende Bauweise der Gestelle, um speziel•  •  • 

le Fundamente zu vermeiden. Gliederung der Maschine in Module, die in sich funktionsfähig und vorgetestet sind. A npassung der Module nach Gewicht und Abmessung an übliche Ladegewichte und -profile, um Schwer- und Sondertransporte zu umgehen. Trassenführung der Energie- und Medienversorgung in modularer Form mit Steckverbindungen.

Fertigungsmaschinen

•  Module

• 

• 

zum Anschluss von Medien und Steuereinheiten, Filter- und Reinigungseinrichtungen sowie modulare Späneförderer, um die Maschine an ein geändertes Layout ohne aufwändige Installationsarbeiten anpassen zu können. Flexibel und mit kurzen Installationszeiten andockbare Module zum Werkstück- und Werkzeugwechsel sowie zur Werkstück- und Werkzeugspeicherung. Aufhebung der Trennung zwischen technischer (NC-Steuerung) und logistischer (PPS-System) Informationsbereitstellung an der Fertigungsmaschine mit Hilfe universeller Werkerinformationssysteme.

Es wird deutlich, dass diese Maßnahmen in erster Linie die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit beeinflussen, während die Umrüstbarkeit und Rekonfigurierbarkeit durch das Maschinenkonzept und die Gliederung seiner Subsysteme selbst bestimmt wird.

Ebene

InformaMaterial-/ tionsfluss Werkzeugfluss

Maschine

Station Bereich Fabrik 5 3/4 2

6

Hemmnisse Werk 1

Äußere Abmessungen Gewicht / Fundamentierung Zerlegbarkeit aus Installationssicht Rekonfigurierbarkeit aus Funktionssicht Energie-/ Medienbedarf Kühlschmiermittelbedarf Lähm-/ Schwingungsmission Arbeits- und Sicherheitsschutz

Ladeprofil LKW, Bahn, Container Bodentragfähigkeit Monoblockbauweise fehlende Funktionsmodule Leitungs-/ Trassenführung Zentrale Aufbewahrung Dämmgehäuse, Bodenisolierung Platzbedarf

Automatisierung Werkstückwechsel lokaler Arbeitsvorrat Automatisierung Werkzeugwechsel lokaler Werkzeugbestand

Werkstückträger, Greifer, Spanneinr. Variantenzahl u. Werkstückvolumen Werkzeugspannsysteme Werkzeuganzahl u. -verschließ

Anbindung an PPS-System Informationsbereitstellung

Datenübertragung Datenübertragung

Veränderungsfähigkeit mit wachsendem Merkmalswert:

niedrig

mittel

hoch

Bild 6.32: Veränderungsfähigkeit von Fertigungsmaschinen © IFA 10.256SW_B

185

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6.3.2 Montagemittel Die Montage unterscheidet sich von der Fertigung aus Sicht der Fabrikplanung und des Fabrikbetriebs durch folgende Eigenschaften:

• 

6

• 

•   ine Fertigungsmaschine benötigt zur HerstelE lung eines Werkstücks Ausgangsmaterial, das i.d.R. aus einem Stück Halbzeug aus gleichem oder ähnlichem Werkstoff in wenigen geometrischen Varianten besteht. Demgegenüber sind in der Montage je nach Produktaufbau sehr viele, meist völlig unterschiedliche Teile in z.T. mehreren Varianten zu fügen und ihr funktions- und lagerichtiger Einbau ist zu prüfen. Bei Fertigungsprozessen steht als ein wichtiges Qualitätsmerkmal die Genauigkeit der Teile im Vordergrund. Daher spielt bei den hohen Prozesskräften die Steifigkeit und das dynamische Ver-

• 

halten der Werkzeugmaschine eine große Rolle. Demgegenüber kommt es bei Montageprozessen bei vergleichsweise geringen Prozesskräften auf die Positionierungsgenauigkeit der Fügeteile und die Sicherheit der Fügeprozesse an. Die Auftragszeiten eines Fertigungsprozesses der variantenreichen Serienfertigung bewegen sich typischerweise im Stundenbereich, je nach Teilekomplexität und Losgröße zwischen 0,5 und 20 Stunden. Sonderfälle sind Fertigungsstraßen für Großserien mit Taktzeiten im Minutenbereich. Demgegenüber sind bei Montageprozessen der variantenreichen Serienfertigung wegen der kurzen Greif- und Fügezeiten Taktzeiten im Sekunden- bis Minutenbereich üblich. Untere Grenzwerte liegen bei 2 bis 3 Sekunden. Die mittlere unterbrechungsfreie Laufzeit von Fertigungsprozessen liegt im Bereich von Stunden und die mittlere Entstördauer bei 10 bis 20

70 One Piece Flow Montage

60 50

manuelle Fließmontage

flexible Montage

Produktkomplexität [Anzahl Teile bzw. Vorgänge]

40 30

Hybride Montage

20 10

manuelle Einzelplatzmontage

0 0

200

400

600

800

1000

1200

0 10

1600

1800

Leistung [Stck/Std]

20 30 40 50

automatische EinzelplatzMontageeinheit

60 70

automatische Fließmontage

Bild 6.33: Einteilung der Montagesysteme nach Leistung und Komplexität (B. Lotter) © IFA 15.057_B

186

1400

starre Montage

6.3  Betriebsmittel

Bezeichnung Fügemittel Ebene 1 Greifbehälter Ebene 2

Ebene 1 s

Montageobjekt

Arbeitsfläche

a

b g3

 i

e 0 bis 325

Arbeitshöhe

h1 350-550 h2 1000-1250

Fußfreiraum

i

Fußstütze

h2

min. 120

Kniefreiraum

k 520-720

Sehabstand

s abhängig von der Sitzflächenhöhe

Beinraumtiefe

t1 min. 350

Fußraumtiefe

t2 min. 800

Fußneigung

 5-10 Grad

Greifraum

g1 1400-1600 g2 200-250 g3 600-650

6

t1

Ablagebehälter

a) Draufsicht

b 250-300

h1

k g2

Sitzhöhe Arbeitsstellendistanz

Ebene 2 e

g1

Maße [mm]

Arbeitsflächenhöhe a 900-1080

t2

b) Seitenansicht

c) empfohlene Maße

Bild 6.34: Montagearbeitsplatz für manuelle Montage (Bosch Rexroth) © IFA 10.336SW_B

Minuten. Automatische Montageprozesse erzeugen demgegenüber wegen der vielen Teile und der kürzeren Taktzeiten viel häufiger Störungen, die im Minutenabstand auftreten können, und sie benötigen Entstörzeiten ebenfalls im Bereich einiger Minuten. Daraus erklärt sich die Tatsache, dass Fertigungsmaschinen vielfach ohne Aufsicht im Nachtbetrieb betrieben werden können, während Montagestationen und gar verkettete Systeme eine ständige personelle Überwachungs- und Eingriffsbereitschaft vor Ort erfordern. F  •  ertigungsmaschinen sind aus den genannten Gründen prinzipiell besser zu automatisieren, wohingegen in der Montage Automatisierungsgrade von mehr als 20 bis 30 % eher selten anzutreffen sind. Aus diesen Gründen spielt die manuelle Montage gegenüber einer automatischen Montage so lange eine bedeutende Rolle, wie es aufgrund der Produktstruktur und Fügetechnik erforderlich ist, jedes einzelne Teil am Arbeitsplatz zu bevorraten, zuzuführen, zu fügen, den Fügeprozess zu prüfen und das fertige

Zwischen- oder Endprodukt weiterzugeben oder abzulegen. Die Montagemittel lassen sich gemäß Bild 6.33 nach der Leistung und der Anzahl zu montierender Teile bzw. Montagevorgänge gliedern, wobei in diesem Feld eine mehr oder weniger flexible Handmontage und eine automatische Montage in zwei Grundformen unterschieden werden [Lot06a]. Bei den manuellen Montagearbeitsplätzen steht der Mensch mit seinen Bewegungsräumen sowie seiner physischen und psychischen Belastung im Mittelpunkt. Bild 6.34 zeigt hierzu die wesentlichen Abmessungen eines Arbeitsplatzes, der sowohl eine sitzende als auch stehende Arbeit erlaubt [Mar94]. Aus logistischer Sicht ist hervorzuheben, dass die Produkte losweise montiert werden. Bei einem Produkt- oder Variantenwechsel ist der Inhalt der Greifbehälter ganz oder teilweise auszutauschen. Zur Durchführung der Arbeit sind als Betriebsmittel ausgehend vom Menschen der Arbeitstisch, die Sitz-

187

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Drehteller 1 für 18 Produkte Montagevorrichtung

Presse T5

T6

T4 Drehteller 2 für 6 Teilebehälter (Schüttgut)

T3 T2

T1

16 cm Fügeposition 60 c

m

6

Ablage Fertigprodukt

Bild 6.35: Montagearbeitsplatz für satzweise Montage (Lotter) © IFA 12.496SW_B

gelegenheit bzw. der Stehplatz, die Greifbehälter und das Fügemittel zu nennen. Die Ablage des Arbeitsergebnisses erfolgt entweder in einen transportablen Ablagebehälter hinein, möglichst in geordneter Form, oder auf einem Förderband. Die räumliche Anordnung

Montageschlitten auf Kugelrollbahn

T5

T6

der einzelnen Arbeitsmittel berücksichtigt die dargestellten Maße für Tischhöhe, Sehabstand, Greifweite und die Freiräume zur ungehinderten Bewegung. Die durch den Menschen ausgeführten Vorgänge lassen sich nach den fünf Bewegungselementen Fügen,

Greifbehälter (Schüttgut)

T7 T8

T4

T9 T3

drehbarer Arbeitstisch mit Werkstückaufnahme T10

T2

T1

T11 Kugelrollbahn

Basisteil

Fertigprodukt

Bild 6.36: Montagearbeitsplatz für stückweise Montage (LP-Montagetechnik) © IFA 12.469SW_B

188

6.3  Betriebsmittel

Kommissionierlager Kommissionierwagen

Fertigprodukt A

Fertigprodukt B

10

9

8

7

6 5

4

3

6 1

2

3

Vormaterial

4

Produkt A

5

Vormaterial

1

2

Produkt B

Bild 6.37: Gestaltung U-förmiger Montagesysteme © IFA 12.504SW_B

Greifen, Verrichten, Hinlangen und Bringen gliedern [MTM87]. Dabei wird zunächst deren zeitminimale Reihenfolge unter Vermeidung schwieriger Bewegungen im Sinne einer Bewegungsvereinfachung angestrebt. Eine weitere Verbesserung lässt sich durch das gleichzeitige Ausführen gleicher oder unterschiedlicher Bewegungen mit beiden Händen und durch die Beseitigung nicht wertschöpfender Tätigkeiten erreichen. Als Maß für den Wirkungsgrad eines Montagearbeitsplatzes gilt nach Lotter das Verhältnis der Summe aller Primärmontagevorgänge PMV und der Summe aller Montagevorgänge (=Summe der Primärmontagevorgänge + Summe der Sekundärmontagevorgänge) [Lot06a]. Unter Primärmontagevorgängen sind dabei alle Vorgänge zu verstehen, die der Erhöhung der Wertschöpfung eines Produktes während seines Montagevorganges dienen, während Sekundärmontagevorgänge die notwendigen, nicht vermeidbaren Aufwendungen darstellen, die keine Wertschöpfung bewirken.

Reichen die Maßnahmen zur weiteren personalbezogenen Leistungssteigerung nicht aus, ist eine Teilmechanisierung und ggf. Automatisierung angebracht. Dies führt zunächst zur satzweisen und teilautomatisierten Montage. Bild 6.35 zeigt einen Montagearbeitsplatz, an dem auf einem Drehteller 1 mit 18 Werkstückaufnahmen zunächst das Grundteil T1 aus einem Greifbehälter durch Weitertakten eingelegt wird [Lot06a]. Danach wird der Drehteller 2 so weit gedreht, dass Teil T2 in die optimale Greifposition gelangt. Dieses Teil wird nun auf Teil T1 18-mal gefügt. Der Vorgang wiederholt sich, bis alle 6 Teile gefügt sind und geordnet abgelegt werden. Bemerkenswert sind zum einen die kurzen Greifwege (Reduktion von Sekundäraufwand) und zum anderen der zeitparallele Einsatz einer automatischen Fügepresse. Daher werden solche Montagelösungen auch als hybride Montagesysteme bezeichnet.

189

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6

Geht man hinsichtlich der Vereinzelung noch einen Schritt weiter, entsteht die stückweise Montage, auch als One-Piece-Flow-Montage bezeichnet. Ein Lösungsbeispiel als Einzelarbeitsplatz zeigt Bild 6.36 [Lot06b]. Hier nimmt der Werker das Basisteil auf, legt es auf einen Werkstückträger, der auf einem sogen. Montageschlitten auf einer Kugelrollbahn verschiebbar ist, und bewegt den Schlitten manuell in die jeweils optimale Greif- und Fügeposition für das nächste Teil. In diesem Fall sind insgesamt 11 Teile zu fügen, bis das Fertigprodukt geordnet abgelegt werden kann. Der Vorteil dieses Systems liegt in der Minimierung der Werkerbewegungen und der Materialversorgung von außen, was sich vorteilhaft bei einem Variantenwechsel auswirkt. Bei stark schwankendem Bedarf ist auch ein flexibler Personaleinsatz möglich. Dazu zeigt Bild 6.37 eine Lösung in Form eines U-förmigen Systems, in dem zwei Produkte A und B montiert werden. Je nach verlangter Ausbringung können z.B. im Bereich A ein bis drei Werker arbeiten und im Bereich B ein bis zwei Werker, die eine mehr oder weniger große Anzahl von Montageoperationen durchführen.

2

1 a) Skelettbandordnung

b) Schoßbandanordnung Bild 6.38: Manuelle Fließmontage © IFA 12.503SW_B

190

Die Kommissionierung der zu verbauenden Teile erfolgt durch einen besonderen Mitarbeiter, der die Teile je Variante stückzahlgenau an den Einzelstationen bereitstellt. Sind noch mehr Fügestationen erforderlich und sind automatische Stationen nicht wirtschaftlich, kommt die manuelle Fließmontage zum Einsatz, deren Verkettung durch unterschiedliche Auslegung des Transportmittels erfolgt, Bild 6.38. Gemäß Bild 6.33 sind damit die Leistungsgrenzen manueller Montagesysteme erreicht. Sind die Varianten nicht zu umfangreich und reichen die Losgrößen für mehrere Stunden durchgehenden Betriebs, kommen Montageautomaten zum Einsatz. Dabei erfolgen alle Fügeoperationen synchron in einem kurzen Takt. Bild 6.39 zeigt einen sogen. Rundtaktautomaten mit zwei Einlegestationen für die Teile A und B und einer Fügestation. Vorteilhaft ist die große Ausbringung mit bis zu 1800 Stück pro Stunde, nachteilig sind die geringe Variantenflexibilität und die Störanfälligkeit bei Zuführproblemen. Wenn eine Station gestört ist, steht die ganze Maschine. Schließlich ist die Anzahl der Stationen durch die Größe des Rundschalttisches begrenzt, 18 Stationen gelten als obere Grenze.

4

3

6

5

6.3  Betriebsmittel

Presse

Rundtakteinheit

Vertikalzylinder (Z Achse) Einlegegerät

Horizontalzylinder (X Achse) Spannzylinder (Greifbewegung) Steuerung Werkstück B

Einlegegerät 1

VWF Fügestation

1

Werkstück A VWF 2

6

Einlegegerät 2 Bild 6.39: Mehrstationen-Montagemaschine in Rundtaktbauweise (Lotter)

Werkstückträger

Baugruppe

VWF = Vibrationswendelförderer

© IFA 10.341SW_B

Sind mehr Teile zu montieren und will man verkettete Automaten vermeiden, ist eine Verkettung der Stationen durch Transfersysteme erforderlich, deren Anordnungsprinzipien Bild 6.40 zeigt. Liniensysteme können ohne oder mit Puffern ausgeführt sein, offen oder geschlossen sein. Karreeanordnungen (ohne oder mit Puffer) vereinfachen die Rückführung leerer Werkstückträger, sind jedoch innen praktisch nicht zugänglich, so dass die Materialbereitstellung im Rücken des Werkers oder neben ihm erfolgen muss. Ein Beispiel für ein modulares Montagesystem zeigt Bild 6.41. Hier sind die Stationen einzeln mit unterschiedlichen Füge- und Messverfahren ausrüstbar, die durch ein modulares Transfersystem verkettet werden. Das modulare System erlaubt auch die Integration von manuellen Arbeitsstationen.

Wie bereits erwähnt, hat die Teilezuführung in der Montage gegenüber der Teilefertigung eine nahezu gleichrangige Bedeutung wie der Fügeprozess selbst. In der manuellen Montage erfolgt sie durch die Montageperson mittels eines Griffs in einen meist ungeordneten Teilevorrat, unterstützt durch eine Vorvereinzelung und griffgerechte Anordnung der Teilebehälter. Will man diesen manuellen Vorgang automatisieren, sind ein Speicher, eine Ordnungseinrichtung und ein Handhabungsgerät erforderlich, wie bereits in Bild 6.8 angedeutet wurde. Aus einem Vorratsbunker, der verschiedene Arten von Austragemechanismen besitzen kann (Vibrationsförderung, Bandaustrag, Schiebebewegungen usw.) fallen Teile in ein Vereinzelungs- und Ordnungsgerät. An einer Übergabeposition übernimmt ein Handhabungsgerät das Teil in einer definierten Lage und legt es in der Fügeposition ab.

191

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Linienanordnung

Karreeanordnung

• feste Stations- und Werkstückreihenfolge

• feste Stations- und Werkstückreihenfolge

• starr verkettet • offenes System

• starr verkettet • geschlossenes System mit und ohne Werkstückträgereinsatz

Sonderformen

• Baumstruktur

• elastisch verkettet • offenes System • Netz

6

• elastisch verkettet • geschlossenes System mit Werkstückträgereinsatz Station

Puffer

• elastisch verkettet • geschlossenes System mit und ohne Werkstückträgereinsatz • Fläche

Materialflussrichtung

Bild 6.40: Anordnungs- und Verkettungsprinzipien von Montagesystemen © IFA G7773SW_Wd_B

Aus Sicht der Fabrikplanung gelten Zuführeinrichtungen als platzaufwendig und störanfällig [Zie85]. Daher sind eine ständige Überwachung und ein rascher Zugang im Störfall wichtig. Einen Ausweg aus

der Problematik bietet die Teileerstellung direkt vor Ort und die unmittelbare Eingabe in die Fügeposition. Dann übertragen sich die Störungen des Fertigungsprozesses aber direkt auf die Montage. Oder die Teile

Steckverbindungen

Prozessmodul Basismodul Transfermodul Linearstrecke Transfermodul Umlenkung Bild 6.41: Systembaukasten für Längstransfer-Montageanlagen (Werkbild team technik) © IFA 12.773SW_B

192

6.3  Betriebsmittel

a) Waagrecht-Gelenkarmroboter

b) Vertikal-Gelenkarmroboter

c) Portalroboter

Bild 6.42: Roboterbauformen für die Montage (Hesse) © IFA 15.058_B

werden außerhalb der Montageanlage in Magazine einsortiert und von einem Handhabungsgerät aus dem Magazin entnommen. Neben den bisher beschriebenen technischen Lösungen stellen Einlegegeräte und Industrieroboter eine wichtige Komponente in der Montagetechnik dar. Erstere besitzen bis zu 3 Freiheitsgrade, die meist

Werk 1

Station / Maschine

Äußere Abmessungen Gewicht Zerlegbarkeit aus Installationssicht Rekonfiguration aus Funktionssicht Energie- und Medienbedarf Lärmemission Arbeits- und Sicherheitsschutz

Ladeprofil, Gebäuderaster Bodentragfähigkeit Monoblockbauweise fehlende Funktionsmodule spezielle Medien lärmintensive Fügeprozesse Platzbedarf

Automatisierung Werkstückwechsel Stationsverkettung Anzahl Werkstückträger

Taktzeit zu geringe Puffer kleine Lose

Anbindung an PPS-System Informationsbereitstellung Zustandserfassung/Qualitätssicherung

Anbindung SPS – PPS Anzahl Varianten Anzahl Merkmale

Veränderungsfähigkeit mit wachsendem Merkmalswert:

6

Hemmnisse

Materialfluss

Ebene Station Bereich Fabrik 5 3/5 2

Informationsfluss

Montageeinrichtungen

nur lineare Bewegungen erlauben. Roboter sind demgegenüber durch mindestens drei frei programmierbare Linear- oder Drehachsen gekennzeichnet, die sich in unterschiedlicher Weise kombinieren lassen. Bild 6.42 zeigt gebräuchliche kinematische Anordnungen, die vorwiegend in der Montage eingesetzt werden [Hes06b].

niedrig

mittel

hoch

Bild 6.43: Veränderungsfähigkeit von Montagestationen und -maschinen © IFA 10.353SW_B

193

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6

In der Montagetechnik finden sich überwiegend Horizontal- und Vertikalknickarmroboter, während Portalroboter eher der Be- und Entladung von Werkzeugmaschinen dienen. Zunehmende Geschwindigkeit und Genauigkeit sowie sinkende Preise machen Roboter in Verbindung mit schnellen Greiferwechselsystemen und dem Einsatz der Bildverarbeitung zu universellen Geräten, die sich den menschlichen Fähigkeiten nähern und den „Griff in die Kiste“ nicht mehr utopisch erscheinen lassen. Die teilweise großen Kräfte und schnellen, ausladenden Bewegungen der Roboter bedingen jedoch strenge Anforderungen an den Arbeitsschutz und die Zugänglichkeit. Betrachtet man Montagestationen und -maschinen abschließend aus Sicht ihrer wandlungsrelevanten Merkmale, lässt sich analog zu den Fertigungs-Betriebsmitteln deren Gliederung nach den Stationen bzw. Maschinen sowie dem Material- und Informationsfluss vornehmen, s. Bild 6.43. Montagestationen und -maschinen sind hinsichtlich der Abmessungen mit Fertigungsmaschinen vergleichbar, allerdings durchwegs leichter, weil die Gestelle praktisch nur Gewichtskräfte aufnehmen müssen, während die Fügekräfte innerhalb des Wirkraums der Fügestation bleiben. Sind viele Stationen verkettet, können wegen der großen Abmessungen der Anlage Hallengrundrisse und Gebäuderaster zum Hemmnis werden. Generell unterstützt eine funktional orientierte Modulbauweise die Veränderungsfähigkeit auf allen Ebenen und ist nachdrücklich zu fordern. Medienbedarf, Lärmschutz und Arbeitsschutz spielen in der Montage keine große Rolle, lediglich die Energie- und Medienzufuhr an den Fügeort kann wegen der vielen dazu notwendigen Schläuche und Leitungen bei einer Umstellung sehr zeitaufwändig werden. Auch hier sind modulare Lösungen mit Steck- und Schnappverbindungen anzustreben. Mit zunehmender Automatisierung des Werkstückwechsels kann dessen Taktzeit im Vergleich zur Fügetaktzeit engpassbestimmend werden. Im Sinne der Veränderungsfähigkeit spielt aber die Frage, wie Fügestation und Werkstückwechseleinrichtung konstruktiv miteinander verbunden sind, die größere Rolle. Generell wird das Verschieben des Werkstückträgers

194

in die Fügestation vermieden. Stattdessen erfolgt bei automatischen Stationen lediglich ein Anhalten und Fixieren des Werkstückträgers im Materialfluss. Je mehr Stationen verkettet sind und je weniger Pufferplätze zwischen ihnen bestehen, desto schwieriger ist eine Veränderung auf allen Ebenen. Schließlich ist der Informationsfluss i.A. nicht so umfangreich wie bei Fertigungsstationen und -systemen, weil ein Fügevorgang deutlich weniger Steuerungsdaten erfordert als ein Fertigungsprozess. Dafür ist jedoch infolge der kurzen Taktzeiten die Bereitstellungsund Abfragefrequenz meist deutlich höher und kann insbesondere bei vielen Varianten mit raschem Loswechsel zu einem Hemmnis für die Veränderung auf Stations- und Systemebene werden. Ein besonderes Merkmal von Montagestationen und -systemen ist schließlich die permanente Qualitätsprüfung entweder während oder unmittelbar nach dem Fügeprozess. Sie muss mit hoher Zuverlässigkeit erfolgen und kann bei einem Varianten- oder gar Produktwechsel wegen der erforderlichen Prozesssicherheit zu einem Umrüst- bzw. Rekonfigurationshemmnis werden. Aus den diskutierten Hemmnissen lassen sich ähnlich wie bei den Fertigungsmitteln folgende Forderungen für eine hohe Wandlungsfähigkeit ableiten:

•  Gliederung

•  •  • 

• 

der Fügestationen, Montagemaschinen und -systeme in transportfähige, funktional selbstständige und vorgetestete Module, die rasch auswechselbar sind. Einfache Umstellung der Zuführsysteme auf Varianten der Zuführteile durch Vermeidung mechanischer Ordnungselemente. Aufstellung der Montagemittel in Gebäuden mit großer Stützweite, um eine unproblematische Erweiterung zu ermöglichen. Energie- und Medienanschlüsse der Montagestationen über ein modulares, im Raster angeordnetes Versorgungssystem sicherstellen, z. B. durch einen Doppelboden oder eine Versorgungsebene über den Betriebsmitteln. Werkerinformationssysteme an den Arbeitsplätzen über Bildschirme statt Einsatz von Papierdokumenten.

6.3  Betriebsmittel [

Teilprozess 1 Lagern

Elementarprozess • Warenannahme • Identifikation • Lagerortbestimmung • Einlagern • Kommissionieren • Auslagern • Versand

2 Fördern

• Beladen • Entladen • Lastfahrt • Leerfahrt

3 Verpacken

• Bereitstellen Packmittel • Bereitstellen Packgut • Verpacken • Ladeeinheiten bilden

4 Kommissio- • Bereitstellung Artikelmenge nieren • Fortbewegung Kommissionierer • Entnahme geforderte Warenmenge • Abgabe Auftragsmengen

Teilprozess

Elementarprozess

5 Umschlagen • • • • •

Beladen Entladen Sortieren Einlagern Auslagern

6 Sortieren

• Zufördern • Vorbereiten • Identifizieren • Verteilen • Abfördern

7 Planen und Steuern

• Mengen- und Kapazitätsplanung • Auftragsabwicklung • Informationsbereitstellung (vorauseilend, begleitend) • Erzeugung der Rückmeldungen • Controlling

6

61SW

Bild 6.44: Teil- und Elementarprozesse der Logistik (in Anlehnung an Fleischmann, Gudehus und ten Hompel) © IFA 15.059_B

Diese Forderungen wirken sich unmittelbar auf die Veränderungsfähigkeit der Stations-, System- und Bereichsebene aus. Die Fabrikstruktur und der Produktionsstandort kann bei Erfüllung dieser Forderungen verglichen mit Fertigungseinrichtungen dann rasch verändert werden.

6.3.3 Logistikmittel Zur Erfüllung der in Bild 6.14 aufgeführten logistischen Haupt- und Teilprozesse dienen Logistikmittel, die in Bild 6.23 schon aufgeführt wurden. Es handelt sich hier um Funktionen, bei denen Stückgüter ohne Veränderung ihrer funktionalen Eigenschaften nach den Kriterien Menge, Zeit und Ort gespeichert oder verändert werden. Ähnlich wie in der Zuführtechnik der Montage sind Geometrie, Abmessungen, Gewicht und Empfindlichkeit des Stückgutes bestimmend für die Auswahl der Logistikmittel. Der Betrachtungsschwerpunkt der folgen-

den Ausführungen liegt auf den innerbetrieblichen Logistikfunktionen, welche die vorher geschilderten Fertigungs- und Montagefunktionen miteinander verknüpfen. Die Gestaltung der externen Logistik behandelt Kap. 9. Bevor die Logistikmittel näher erläutert werden, ist es zweckmäßig, die den logistischen Teilprozessen zugrunde liegenden Elementarprozesse zu betrachten, weil so die Bedeutung der Klassifizierungsmerkmale und ihrer Ausprägung unmittelbar verständlich wird, s. Bild 6.44. Die Elementarprozesse des Lagerns umfassen die Warenannahme und Identifikation, die Bestimmung des Lagerortes, das Einlagern, Kommissionieren, Auslagern und den Versand an den vereinbarten Übergabepunkt, z.B. eine Verladerampe [Hom07]. Fördern setzt sich aus dem Be- und Entladen des Fördermittels sowie dessen Last- und Leerfahrt zusammen.

195

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Lagersysteme für Stückgüter Ladungsträger

• Palette • Tablar • Kasten • Behälter

Lastaufnahmemittel • Gabel (starr, bewegl.) • Seitengreifer • Zug-/SchubVorrichtung • Teleskoptisch • Rollentisch • Tragkettenförderer

6

Lagerfördermittel

Lagermittel

• Handfahrgeräte • Gabelstapler • Hochhubwagen • Schubmaststapler • Schmalgangstapler • Verteilerwagen • Regalbediengeräte • Stapelkräne

• Bodenlager • Regallager - Handregal - Flachregal - Mittel-/Hochregal - Durchlaufregal - Verschieberegal - Umlaufregal • Stetigförderer

Bild 6.45: Komponenten eines Stückgut-Lagers © IFA 10.459SW_B

Das Verpacken dient dem Warenschutz. Hierzu müssen Packmittel und das Packgut – in der Regel eine Kommission – zum eigentlichen Verpackungsprozess bereitgestellt und anschließend Ladeeinheiten gebildet werden. Innerhalb der Fabrik werden praktisch nur Waren verpackt, die zum Versand bestimmt sind. Generell versucht man, Verpackungen zu vermeiden und stattdessen spezielle Mehrwegladungsträger einzusetzen, die sowohl die Beibehaltung der Ordnung als auch den Schutz des Ladungsgutes während des Transportes gewährleisten. Das Kommissionieren besteht aus dem Bereitstellen einer sortenreinen Artikelmenge aus einem Lager, der Entnahme der verlangten Menge aus dem Artikelbehälter durch den Kommissionierer, dem Abgeben dieser Artikelmenge in einen Kommissionierbehälter, dem Zusammenführen weiterer Artikel in diesen Behälter zu einer Auftragsmenge (Kommission) sowie dem Zurückschicken der leeren Artikelbehälter. Ein Umschlagprozess findet nur in Ausnahmefällen in einer Fabrik statt und ist meist außerbetrieblichen Umschlagplätzen z.B. Containerbahnhöfen oder Bahnversandstationen vorbehalten. Auch das Sortieren spielt in der Fabriklogistik eine eher untergeordnete Rolle. Es dient der Aufteilung

196

eines heterogenen Stückgüter-Warenstroms – wie er beispielsweise für Paketverteilzentren oder Gepäcksortieranlagen in Flughäfen typisch ist – auf verschiedene Zielpunkte. Die Elementarprozesse sind naturgemäß ähnlich wie beim Lagern oder Transportieren, nur sind die umzuschlagenden Einheiten meist wesentlich größer und gegen Transportund Witterungseinflüsse durch eine Verpackung geschützt. Sämtliche Abläufe erfordern schließlich Planungs-, Steuerungs- und Überwachungsprozesse, die ihrerseits aus der Mengen- und Kapazitätsplanung der logistischen Einheiten bzw. logistischen Mittel bestehen, gefolgt von der Auftragsabwicklung mit Erstellung von Begleitpapieren sowie deren Freigabe und Auftragsverfolgung. Eine große Rolle spielt die den Aufträgen vorauseilende Information, die immer stärker auf elektronischem Wege erfolgt. Aber auch die begleitende Information im Sinne der jederzeitigen Ortsbestimmung wird zunehmend selbstverständlich. Schließlich sind Rückmeldungen z.B. über erfolgte Lagerentnahmen oder abgeschlossene Transportvorgänge zu erzeugen, die Eingang in die statistischen Auswertungen finden.

6.3  Betriebsmittel

Die zu den vorgestellten logistischen Teil- und Elementarprozessen notwendigen Betriebsmittel erfüllen ihre Funktionen meist im Zusammenspiel mit mehr oder weniger automatisierten Geräten und dem Logistikpersonal. Zunächst sollen die Lagerbetriebsmittel vorgestellt werden. Bild 6.45 unterscheidet hierbei vier Komponenten eines Lagersystems für Stückgüter. Der Ladungsträger – auch Lagerhilfsmittel und Förderhilfsmittel genannt – kann tragend (Palette, Tablar), umschließend (Kasten, Boxpalette) oder abschließend (Behälter, Container) sein. Er dient der Bildung von Ladungseinheiten oder Transporteinheiten und kann von Fördermitteln aufgenommen werden [Dan01]. Innerhalb des Ladungsträgers erfolgt je nach Erfordernis des Schutzes oder der automatischen Be- und Entladung

a) Bodenblocklager

c) Durchfahrregal

der einzelnen Stückgüter in bzw. von Ladungsträgern eine Fixierung durch Aufnahmeleisten oder Zwischenböden mit passenden Vertiefungen. Aus Sicht der Fabrikplanung ist die Vielfalt der Ladungsträger möglichst weitgehend zu minimieren. Das Lastaufnahmemittel dient der Handhabung der Ladungseinheiten bei den in Bild 6.44 genannten Elementarprozessen und ist mit dem Lagerfördermittel fest oder austauschbar verbunden. Weite Verbreitung finden starre und verstellbare Gabeln, die den Ladungsträger anheben. Seitengreifer setzen eine entsprechende Festigkeit der Seitenwände des Ladungsträgers voraus. Die übrigen Lastaufnahmemittel ziehen, schieben, heben oder rollen den Ladungsträger.

6

b) Palettenregal

d) Verschieberegal

stitut463SW Bild B 6.46: Typische Lagerbauarten für Stückgüter (Schulze) © IFA 10.463SW_B

197

6

Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

6 Gabelstapler

Schubmaststapler

Schmalgangstapler

Regalbediengerät

Hubhöhe

8,5 m

12 m

13 m

55 m

Gangbreite

> 3.000 mm

2.700 mm bis 2.800 mm

1.500 mm bis 1.700 mm

750 mm bis 1.500 mm

Modulbreite

> 5.400 mm

5.100 mm bis 5.200 mm

3.900 mm bis 4.100 mm

3.150 mm bis 3.900 mm

Bild 6.47: Ausführungsformen von Hochregallagern (ten Hompel) © IFA 15.060_B

Die Lagerfördermittel nehmen Ladungsträger im Lager auf und transportieren sie von einem Abgabepunkt auf einen Lagerplatz (einlagern), von einem Lagerplatz auf einen Bereitstellpunkt (auslagern) oder zwischen zwei Lagerplätzen (sortieren). Bei nicht automatisierten Lagern dienen hierzu Handfahrgeräte, Gabelstapler und Hochhubwagen sowie Schubmaststapler, bei denen der Fahrer ebenerdig bleibt. In Regalbediengeräten fährt der Bediener mit dem Gerät zu dem einzelnen Lagerplatz. Die Kernfunktion Speichern erfüllt das Lagermittel, s. Bild 6.46. Die Ladungsträger können im Block oder in Zeilen am Boden lagern und werden dann als Bodenblocklager bezeichnet, Bild 6.46 a. Wegen des Platzbedarfs und der Zugänglichkeit kommen überwiegend Regallager zum Einsatz, die als Handlager, Mittel- oder Hochregal ausgeführt sind. Bild 6.46 b zeigt als Beispiel ein Palettenregal mit Quereinstapelung von Palettenboxen.

198

Wenn sich die Ladungsträger im Regal bewegen können, spricht man von einem Durchfahr- oder Durchlaufregal, Bild 6.46 c. Sind Einzelregale mit Ladungsträgern als Ganzes beweglich, handelt es sich um ein Verschiebe- oder Umlaufregal (s. Bild 6.46 d). Das Haupteinsatzgebiet von Regallagern findet sich innerhalb der Fabrik in den Eingangs- und Ausgangslagern sowie in Auslieferungslagern von Versandunternehmen. Bild 6.47 vermittelt eine Vorstellung von den Ausführungsformen, die je nach Bauhöhe mit unterschiedlichen Lagerfördermitteln betrieben werden [Hom07]. Wegen ihres schnellen Zugriffs, der kompakten Bauweise, des Schutzes vor Staub und seiner Mobilität wird für die innerbetriebliche Zwischenlagerung von B-Teilen, Werkzeugen und Verbrauchsmaterial häufig das in Bild 6.48 gezeigte Liftsystem

6.3  Betriebsmittel

eingesetzt. Es erlaubt für Kommissionierzwecke den schnellen Zugriff auf die Artikel in mehreren Ebenen. Eine besondere Rolle nehmen Stetigförderer ein, die sowohl Speicher- als auch Transportfunktionen übernehmen. Ihr Speichervermögen wird durch die Anzahl der Ladungsträger bestimmt, die sie aufnehmen können. Lager, die eine Bewegung des Ladungsträgers und/oder von Regalteilen erlauben, heißen auch dynamische Lager, sonst handelt es sich um statische Lager. Ausführliche Darstellungen der Lagersysteme, ihrer Komponenten, Technik und Dimensionierung finden sich u. a. bei Dangelmeier [Dan01], ten Hompel [Hom07], Gudehus [Gud07] und Furmans [Fur08]. Als Nächstes sind die Transportmittel zu behandeln. Spielt sich der Transport außerhalb der Fabrikgebäude ab, spricht man von transportieren, während innerhalb der Gebäude eher der Begriff fördern benutzt wird. Für die Fabrikplanung interessieren daher primär die innerbetrieblichen Fördersysteme für Stückgüter, die Bild 6.49 nach Stetig- und Unstetigförderern unterscheidet.

1. Horizontalbewegung

Rutschen, Rollenbahnen und Bandförderer finden für vergleichsweise kurze Strecken Verwendung, z.B. bei der Verkettung von Maschinen oder Montagestationen. Trag- und Schleppkettenförderer überbrücken größere Distanzen, etwa zur materialflusstechnischen Verbindung von Produktionsbereichen oder Hallen. Letztere sind unter der Hallendecke angeordnet, um den Hallenboden für Maschinen und Personal frei zu halten. Der weitaus überwiegende Teil der eingesetzten Fördersysteme ist unstetig, wobei man flurgebundene Förderzeuge wie Gabelstapler, Schlepper und Wagen sowie Handfahrzeuge und flurfreie Förderzeuge unterscheidet. Bild 6.50 zeigt zwei typische Vertreter von Staplern mit ihren Leistungsbereichen [Hom07]. Zu den flurfreien Fördermitteln zählen Elektrohängebahnen, die ihre Lasten entlang einer Deckenschiene befördern. Krane, Zug- und Hubgeräte sowie Aufzüge werden zusammenfassend als Hebezeuge bezeichnet und dienen vorwiegend dem senkrechten Transport von Einzellasten. Beim Verpackungsprozess wurde anhand der in Bild 6.44 erläuterten Elementarprozesse deutlich,

Vertikalbewegung

6

2. Horizontalbewegung

Bild 6.48: Liftsysteme (Kardex) © IFA 15.061_B

199

6

Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

Innerbetriebliche Fördersysteme für Stückgüter

stetig

6

unstetig



Rutsche



Flurförderzeuge



Rollenbahn



Elektrohängebahn



Bandförderer



Kran



Tragkettenförderer



Zug- u. Hubgerät



Schleppkettenförderer



Aufzug

© IFA 10.462SW_B

Kennwerte Fahrgeschwindigkeit Hubgeschwindigkeit Antriebsleistung Hubhöhe Tragfähigkeit Stapelhöhe[Paletten]

Gabelstapler [km/h] [m/s] [kW] [m] [t] [-]

Bild 6.50: Staplerarten (nach ten Hompel) © IFA 15.062_B

200

Bild 6.49: Fabrikübliche Stückgüter-Fördermittel

9–3 0,23 – 0,6 4 – 120 ca. 9 1 – 16 8 und 5

Schubmaststapler 7 – 14 0,15 – 0,5 5 – 20 ca. 12 1 – 2,5 12 und 7

6.3  Betriebsmittel

dass hier mit Ausnahme großer Versandhäuser mit großen Durchsatzmengen vergleichsweise einfache Geräte notwendig sind. Logistisch wesentlich ist die Zusammenführung von Kommissionen in transportund lagerfähige Packungen, die zu Ladungseinheiten verknüpft und als solche gegen das Auseinanderfallen z.B. durch Einwickeln in Folien gesichert werden. Die zugehörigen Betriebsmittel bestehen aus Lagern für die Packstoffe, die Fördereinrichtungen für die ankommenden Packstücke sowie ggf. Folienwickeloder Umreifungsanlagen. Die Teilprozesse des Kommissionierens bestehen prinzipiell aus einer Kombination von Lager-, Transport- und Umschlagprozessen, wobei die Person des Kommissionierers selbst zum Transportgut wird, wenn er sich zur Ware hinbewegt, statt dass die Ware zu ihm kommt. Als Beispiel zeigt Bild 6.51 ein System, bei dem die Artikel an ihrem Lagerplatz verbleiben (statische Bereitstellung), der Kommissionierer mit dem Regelbediengerät senkrecht und waagerecht fährt (zweidimensionale Fortbewegung), die Entnahme der geforderten Artikelmenge und das Zusammenführen in die Kommissionierbox durch den Kommissionierer erfolgt (manuelle Entnahme) und die Übergabe der Kommission an einen definierten Ort erfolgt (zentrale Abgabe). In der Fertigung spielt die Kommissionierung wegen der vergleichsweise wenigen Teilearten keine wesentliche Rolle. Demgegenüber setzt sich in der Montage immer stärker die Kommissionierung der Artikel für Baugruppen und Endprodukte durch. Dies liegt zum einen an der steigenden Variantenzahl und der damit verbundenen Verwechselungsgefahr. Weiterhin kann sich der Montagewerker auf die eigentlichen Füge- und Prüfaufgaben konzentrieren. Und schließlich steigen der Platzbedarf und die damit verbundene Unübersichtlichkeit insbesondere bei voluminösen Artikeln schnell so stark an, dass es sinnvoll ist, den Kommissioniervorgang von der eigentlichen Montageaufgabe zu trennen. Bild 6.52 zeigt zwei Ausführungsformen derartiger Kommissioniersysteme für Montagefabriken. Im Fall a) wird die Ware aus einem Lager zum Kommissionierer geführt, im Fall b) läuft der

6 Bild 6.51: Beispiel eines Kommissioniersystems (Gudehus) © IFA 10.464SW_B

Kommissionierer wie in einem Supermarkt die Regale ab und sammelt die Artikel einer Kommission in einen Warenkorb. Allen Logistikmitteln gemeinsam ist, dass sie, verglichen mit Produktionsmitteln, einen großen Flächenbedarf haben, der leicht unterschätzt wird und sorgfältiger Planung bedarf. Dieser ergibt sich vielfach aus den Sicherheitsbestimmungen, die entsprechende Abstände zu beweglichen Betriebsmitteln und Schutzvorrichtungen verlangen. Darüber hinaus verbergen sich gerade in diesem Bereich wertvolle Potenziale zur Durchlaufzeitverkürzung der Aufträge. Auf die Betriebsmittel für die Teilprozesse Umschlagen und Sortieren wird hier nicht näher eingegangen, weil sie, wie bereits erwähnt, in der Fabrik eher selten auftreten. Hier sei auf die einschlägige Literatur verwiesen [Hom07]. Der letzte in Bild 6.44 genannte logistische Teilprozess „Planen und Steuern“ erfordert die üblichen Betriebsmittel der Datenverarbeitung wie Rechner, Bildschirme, Server und Datennetze sowie Anzeigetafeln und Bedienpulte. Sie sind entweder Bestandteile der jeweiligen Teilsysteme oder befinden sich in den entsprechenden Büros der Mitarbeiter.

201

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

5

1

5 6

1 Hochregallager 2 Regalbediengerät

2

5

4

3 Rollenbahn

2

1

Unterflurschleppkettenförderer

2

Kommissionierer

3

Elektrisch angetriebener Kommissionierwagen (Abgabe der Güter)

4

Palettenregal (Bereitstellung)

5

Abgabe der Kommissioniereinheit

6

Versand

7

Kommissionierwagen mit Leerpalette

4 Bereitstellung 5 Kommissionierer 2

3

4

6 Abgabe der Güter 7 Versand 3

4

7 1

5 6 7

6

a)

Dynamische Kommissionierung „Ware zum Mann“

b) Statische Kommissionierung „Mann zur Ware“

Bild 6.52: Realisierungsbeispiele von Kommissioniersystemen © IFA 11.436SW_Mb_B

Die wandlungsrelevanten Merkmale der Logistikmittel sind hinsichtlich der eingesetzten Geräte ähnlich denen der Montagemittel, s. Bild 6.53. Gewicht, Zerlegbarkeit und Rekombinierbarkeit sind direkt vergleichbar. Medienbedarf und Lärmschutz spielen praktisch keine Rolle. Der Arbeitsschutz ist wegen der teils großen Gewichte der Ladungen und der schwebenden Lasten besonders zu beachten. Für den Materialfluss sind die Ausführungsvarianten der Ladungsträger ein bedeutendes Hindernis auf allen Ebenen. Der Materialfluss wird durch die Anzahl der Übergabepunkte von einem Logistikmittel zum anderen behindert, z.B. von einem Transportgerät in ein Lager. Sind die Teilsysteme wiederum zu starr verkettet, behindert dies die Veränderungsfähigkeit auf allen Ebenen. Schließlich kann der Informa­tionsfluss ein Hemmnis der Veränderungsfähigkeit werden, wenn die logistischen und technischen Teilsysteme nicht schnittstellenkompatibel und die Auftragsinformationen zu weit von den ausführenden Personen entfernt verfügbar sind. Ein spezielles Problem ist eine zuverlässige Bestandsinformation der Artikel, die körperlich im System vorhanden sind. Wesentliche Hemmnisse

202

liegen hier in einem ungeregelten Zugriff auf die logistischen Systeme, insbesondere in Nachtschichten. Die diskutierten Hemmnisse führen zu folgenden Forderungen für die Wandlungsfähigkeit der Logistikmittel:

•  Schaffen •  •  • 

modularer, durchgängiger Ladungsträger über die gesamte Logistikkette Modulare Gestaltung der Logistikgeräte und Einrichtungen Große Stützenraster der Gebäude Informationssysteme mit Einblick in den physischen Lagerbestand und Ablauf der Logistikprozesse.

Mit diesen Überlegungen ist die Diskussion der Betriebsmittel aus funktional-technischer Sicht abgeschlossen. Entsprechend Bild 6.3 ist als Nächstes das organisatorische und ergonomische Umfeld auf Einzelplatzebene zu betrachten. Wegen des großen Umfangs wird der organisatorische Teil der Arbeitsplatzgestaltung im folgenden Kapitel 7 behandelt, während die ergonomische Sicht wegen ihrer engen Beziehung zur Raumplanung Gegenstand von Kapitel 8 ist.

6.4  Literatur

Wandlungsrelevante Merkmale

Ebene

Hemmnisse Fabrik 2

Werk 1

Äußere Abmessungen

Stützenraster Gebäude

Gewicht Zerlegbarkeit Rekombinierbarkeit Arbeitsschutz

Bodentragfähigkeit Monoblockbauweise mechanische Schnittstellen Platzbedarf

Materialfluss

Bereich 3/4

Ladungsträger Übergabepunkte Verkettungsgrad

Ausführungsvarianten mangelnde Normung zu geringe Puffer

Informationsfluss

Logististikeinrichtungen und -geräte

Station 5

Anbindung an PPS-System Auftragsinformation Bestandsinformation

Kompatibilität räumliche Entfernung ungeregelter Zugriff

Veränderungsfähigkeit mit wachsendem Merkmalswert:

niedrig

mittel

6 hoch

Bild 6.53: Veränderungsfähigkeit von Logistikeinrichtungen © IFA 10.465SW_B

6.4  Literatur [AIK02]

[Bech84]

[Boot83]

[BWZ00]

 rnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., TemA pelmeier, H., Furmans, K.: Handbuch Logistik. 3. Aufl. Berlin Heidelberg New York 2008 Bechte, W.: Steuerung der Durchlaufzeit durch belastungsorientierte Auftragsfreigabe. Diss. Univ. Hannover. In: Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2, Nr. 70, Düsseldorf 1984 Boothroyd, G., Dewhurst, P.: Design for assembly. Univ. of Amherst 1983. Deutsche Version: Handbuch für montagegerechte Produktgestaltung. Institut für Fachbildung der Fordwerke Köln, 1983 Baumgarten, H., Wiendahl, H.-P., Zentes, J.: Logistikmanagement. Berlin Heidelberg New York 2000

 angelmaier, W.: Fertigungsplanung. D Planung von Aufbau und Ablauf der Fertigung. 2. Aufl. Berlin Heidelberg New York 2001 [DIN8580] Fertigungsverfahren; Begriffe, Einteilung. Köln 1985 [DIN8589] Fertigungsverfahren Spanen; Einordnung, Unterteilung, Begriffe. Köln 1985 [DIN8593] Fertigungsverfahren Fügen. Berlin Köln 1996 [Doe96] Doege, E.: Massivumformen. In: Eversheim, W., Schuh, G. (Hrsg): Betriebshütte, Produktion u. Management. 7. Aufl. Berlin Heidelberg 1996, S. 11–55 bis 11–74 [Dor96] Dorn, L.: Fügen. In: Eversheim, W., Schuh, G. a.a.O. S. 11–182 bis 11–198 [Egl01] Egli, J.: Transportkennlinien: Ein Ansatz zur Analyse von Materialflusssystemen. Diss. Univ. Dortmund 2001. Verlag Praxiswissen, Dortmund 2001 [Dan01]

203

6  Funktionale Arbeitsplatzgestaltung

[Egl00]

[Fur08]

[Glä95]

6 [Gud07]

[Hes06a]

[Hes06b]

[Hilg85]

[Hom07]

[Krü99]

204

 gli, J., Lödding, H., Wiendahl, H.-P.: E Transportprozesse mit logistischen Kennlinien gestalten und bewerten. PPS Management 5 (3000) 4, S. 16–21 Furmans, K., Arnold, D. (Koordinatoren): Innerbetriebliche Logistik. In: Arnold, D. et al. (Hrsg.): Handbuch Logistik. 3. Aufl., S. 614–726. Springer, Berlin Heidelberg 2008 Gläßner, J.: Modellgestütztes Controlling der beschaffungslogistischen Kette. Diss. Univ. Hannover 1995. Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2. Nr. 337. Düsseldorf 1995 Gudehus, T.: Logistik 2. Netzwerke, Systeme und Lieferketten. Springer, Berlin Heidelberg 2007 Hesse, S.: Montagegerechte Produktgestaltung. In: Lotter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Montage in der industriellen Produktion. Ein Handbuch für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg 2006 Hesse, S.: Automatische Montagemaschinen. In: Lotter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Montage in der industriellen Produktion. Ein Handbuch für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg 2006 Hilgenböcker, H.: Methodische Entwicklung von Zuführsystemen. Diss. Univ. Hannover 1985. Veröff. in: FortschrittBerichte VDI, Reihe 2, Nr. 97, Düsseldorf 1985 ten Hompel, M., Schmidt, Th., Nagel, L.: Materialflusssysteme. Förder- und Lagertechnik. 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2007 Krüger, Th.: Nutzungssteigerung verketteter Produktionssysteme. Diss. Univ. Hannover. Veröff. in: FortschrittBerichte VDI, Reihe 2, Nr. 549, Düsseldorf 1999

[Ku95]

[Lot06a]

[Lot06b]

[Lut02]

[MaM96]

[Mar94]

[MTM87]

[Nyh03]

[Nyh09]

[Pfo00]

[Red94] [Spa97]

[Spu96]

 uhn, A.: Prozesskarten in der K Logistik: Entwicklungstrends und Umsetzungsstrategien. Praxiswissen Dortmund 1995 Lotter, B.: Die Primär-SekundärAnalyse. In: Lotter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Montage in der industriellen Produktion. Ein Handbuch für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg 2006 Lotter, E.: Hybride Montagesysteme. In: Lotter, B., Wiendahl, H.-P. (Hrsg.): Montage in der industriellen Produktion. Ein Handbuch für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg 2006 Lutz, S.: Kennliniengestütztes Lagermanagement. Diss. Univ. Hannover 2002. Veröff. in: Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2, Düsseldorf 2002 Macherauch, E., Müller, H.: Wärmebehandlung. In: Eversheim, W., Schuh, G. a.a.O. S. 11–10 bis 11–233 Martin, H.: Grundlagen der menschengerechten Arbeitsgestaltung. Handbuch für die betriebliche Praxis. Köln 1994 Deutsche MTM-Vereinigung (Hrsg.): MTM-Handbuch Grundlehrgangsunterlage, 6. Aufl. Hamburg 1987 Nyhuis, P., Wiendahl, H.-P.: Logistische Kennlinien. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2003 Nyhuis, P., Tullius, X., Nickel, R. (Hrsg.): Globales Varianten Produktionssystem. Verlag PZH GmbH, Garbsen 2009 Pfohl, H.-Chr.: Logistiksysteme. Betriebswirtschaftliche Grundlagen. 6. Aufl., Berlin Heidelberg 2000 Redford, A.H., Chal, J.: Design For Assembly, Mc Graw Hill 1994 Spath, D.: Fertigungsmittel. In: Eversheim, W., Schuh, G. (Hrsg.) a.a.O., S. 10-1 bis 10-16 Spur, G.: Die Genauigkeit von Maschinen. Eine Konstruktionslehre. München Wien 1996

6.4  Literatur

 pur, G.: Produktionstechnologie. In: S Eversheim, W., Schuh, G. a.a.O., S. 11-1 bis 11-14. [Stef96] Steffens, H.-D.: Beschichten. In: Eversheim, W., Schuh, G. a.a.O. S. 11-189 bis 11-210 [Toe95] Tönshoff, H.-K.: Werkzeugmaschinen. Grundlagen. Berlin Heidelberg 1995 [Tro02] w ww.Trockenbearbeitung.de Web-Seite Technologienetz Trockenbearbeitung. 15.08.2009 [VDI2860] VDI-Richtlinie 2860: Montage- und Handhabungstechnik, Handhabungsfunktionen, Handhabungseinrichtungen; Begriffe, Definitionen, Symbole. Berlin Wien Zürich 1990 [Wec05] Weck, M., Brecher, Ch.: Werkzeugmaschinen, Fertigungssysteme, 5 Bde in 6 Teilen, Band 1: Werkzeugmaschinen [Spu96]

[Wie97] [Wie00]

[Zeh97]

[Zie85]

– Maschinenarten und Anwendungsbereiche. 6. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2005 Wiendahl, H.-P.: Fertigungsregelung. Hanser, München Wien 1997 Wiendahl, H.-P., Lödding, H., Egli, J.: Transportprozesse mit logistischen Kennlinien gestalten und bewerten. PPS Management 5 (2000) 4, S. 16–21 Zehnder, T.: Kompetenzbasierte Technologieplanung. Hochschule St. Gallen, Gabler Verlag, Wiesbaden 1997 Ziersch, W.-D.: Strategien zur Leistungssteigerung von automatischen Montageanlagen durch zuverlässige Zuführsysteme. Diss. Univ. Hannover. Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2, Nr. 85, 1985

6

205

Kapitel 7 Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

Detlef Gerst 7.1 

Begriff der Humanressource

7.2 

Humanressourcen und Produktionsleistung

Kompetenz- und Personalentwicklung 7.3.1 Berufliche Handlungskompetenz 7.3.2 Strategien der Kompetenz­entwicklung 7.3.3 Personalentwicklung

211

7.4 

Arbeitsstrukturierung

216

7.5 

Motivation

218

7.6 

Entgeltgestaltung

221

7.7 

Arbeitszeitgestaltung

225

7.8 

Literatur

230

211

7.3 

7

208

212 212 214 214

Bild 7.1:

Dimensionen der beruflichen Handlungskompetenz

213

Bild 7.2:

Lernformen

214

Bild 7.3:

Ansätze und Ziele der Arbeitsstrukturierung

217

Bild 7.4:

Bedürfnispyramide und Arbeitssystemgestaltung [nach Scha00: ; Spa04]

219

Bild 7.5:

Motivationstheorie nach Porter und Lawler

220

Bild 7.6:

Systematik der Leistungsanreize

221

Bild 7.7:

Methoden der Arbeitsbewertung

222

Bild 7.8:

Entgeltformen

222

Bild 7.9:

Verhältnis von Lohn und Leistung

225

Bild 7.10: Systematik der Arbeitszeitmodelle

226

Bild 7.11: Verlauf der physiologischen Leistungsbereitschaft (nach Bjerner / Holm / Svenson und Graf, zitiert nach Landau)

227

Bild 7.12: Gestaltungsbereiche der gleitenden Arbeitszeit

229

7

209

7.1 

Begriff der Humanressource

Wie der im Jahr 2004 zum Unwort des Jahres gewählte Begriff des Humankapitals ist auch der Begriff der Humanressource umstritten. Kritiker sehen die Gefahr, dass das Produktionspersonal lediglich in einer monetären Perspektive betrachtet und zudem zu einem Objekt der Produktionsplanung herabgewürdigt wird. In der Fachliteratur dient der Begriff der Humanressource jedoch ganz im Gegenteil dem Ziel, das spezifisch menschliche Leistungsvermögen hervorzuheben und durch geeignete Maßnahmen zu entwickeln. Aus der Perspektive der Humanressourcenentwicklung sucht man nach Möglichkeiten, die Effizienz der Produktion dadurch zu steigern, dass bei der Arbeitssystemgestaltung persönliche Wachstumsmotive der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Dies beruht auf der Annahme, dass über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens nicht zuletzt die Kompetenz, Motivation und die zeitliche Flexibilität der Arbeitskräfte entscheiden. Mitarbeiter als Ressource zu betrachten, lenkt die Aufmerksamkeit u. a. auf die personellen Kapazitäten. Hierauf bezogene Gestaltungsfelder sind die Personalbeschaffung, die langfristige Bindung von Personal an das Unternehmen und die Arbeitszeitgestaltung. Als Ressource sind Mitarbeiter zudem in qualitativer Hinsicht von Bedeutung. Hervorzuheben sind vier Merkmale, in denen sich Mitarbeiter von Betriebsmitteln unterscheiden.

•  Menschliche • 

Arbeit ist durch eine spezifische Flexibilität gekennzeichnet, die sich allenfalls in Teilaspekten technologisch kopieren lässt. Ein weiteres Merkmal ist ihre Kreativität. Weil Menschen in der Lage sind, von programmierten Handlungsroutinen abzuweichen, können sie originelle und zugleich angemessene Lösungen für

Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht als Gerst, D: „Humanressourcen“, in: Arnold u. a. (Hrsg.): Handbuch Logistik, 3. Aufl., S. 343–361. Springer, Berlin Heidelberg 2008. Die Autoren danken Herrn Dr. Gerst und dem Springer-Verlag für die Genehmigung zum Abdruck.

• 

• 

technologische und organisatorische Probleme entwickeln. Mitarbeiter sind darüber hinaus spezifische Wissensträger. Während Maschinen in der Lage sind, nahezu unbegrenzte Mengen an Informationen zu speichern und zu verarbeiten, besitzen Menschen ein breites Erfahrungs- und Kontextwissen, das ihnen eine Orientierung auch in neuartigen Situationen erlaubt. Schließlich verfügen Mitarbeiter über einen freien Willen, der ihre Arbeitsleistung maßgeblich beeinflusst. Aus diesem Grund ist die Motivation ein zentrales Thema der Entwicklung von Humanressourcen. Zusammenfassend orientiert sich der Begriff der Humanressource durch die Betonung von Flexibilität, Kreativität, spezifisch menschlicher Kompetenz und der Motivation an einem Gegenmodell zum Menschen als „flexibler Maschine“.

7.2 

7

Humanressourcen und Produktionsleistung

Der Zusammenhang zwischen den Humanressourcen und der Produktionsleistung wird erst erkennbar, wenn der Begriff der Produktion nicht auf Methoden und Algorithmen reduziert wird, welche Werkstoffe in Teile und Produkte transformieren sowie den Bestand und die Material- und Produktströme regulieren. Auch wenn es bei der Gestaltung von Produktionsprozessen letztlich das Ziel sein muss, den menschlichen Einfluss auf die Qualität der Produktions- und Logistikleistung zu reduzieren, darf nicht übersehen werden, dass Menschen in der Lage sind, auf unvorhergesehene technologische und organisatorische Störungen zu reagieren, und improvisieren können, wo die bürokratische Steuerung versagt [Wel91]. Damit übernehmen Mitarbeiter zentrale Funktionen für die Wirtschaftlichkeit einer industriellen Produktion. Entwickelte Humanressourcen spielen vor diesem Hintergrund eine entscheidende Rolle für eine hohe Leistungsfähigkeit der Produktion und

211

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

diese ist wiederum Voraussetzung für eine hohe Logistikleistung sowie geringe Logistikkosten. Während die technologischen Kenntnisse durch die unmittelbare Erfahrung bestätigt oder widerlegt werden, gilt dies nicht in gleichem Maße für logistische Zusammenhänge. Neben dem oft fehlenden Verständnis für die komplexen Zusammenhänge spielen die in der Produktion eingesetzten Anreizsysteme für das Steuerungsverhalten eine große Rolle, denn diese entscheiden darüber, ob sich das Produktionspersonal neben der Qualität lediglich an der Produktivität und der Auslastung orientiert oder zudem an den Zielen der Bestandsminimierung, der kurzen Lieferzeit oder der hohen Liefertreue. Kompetenz, personelle Verfügbarkeit und Zielorientierung des Produktionspersonals sind demnach wichtige Eingangsgrößen für die Produktionsplanung [Wie02].

7.3 

Kompetenz- und Personalentwicklung

Die Berufs- und Weiterbildungsforschung beschäftigt sich heute bevorzugt nicht mehr mit Qualifikationen, sondern mit Kompetenzen. Der Begriff der Qualifikation bezeichnet Wissen als formalen Ausdruck anerkannter beruflicher oder fachlicher Fähigkeiten von Arbeitnehmern [Int04: S. 5]. Der Begriff der Kompetenz ist umfassender. Er bezeichnet die Expertise eines Menschen als Ausdruck seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, die in einem bestimmten Kontext beherrscht werden [Int04: S. 5]. Lernprozesse werden heute als selbst organisiert verstanden. Lernen besteht demzufolge nicht in einem Eintrichtern und Akkumulieren von vorstrukturierten Lerninhalten. Menschen lernen vielmehr dadurch, dass sie neue Lerninhalte an vorheriges Wissen anknüpfen, einen Bezug zu bekannten Zusammenhängen herstellen sowie neues Wissen mit praktischen Fragestellungen verbinden. Eine praktische Konsequenz dieser Auffassung liegt darin, Lernprozesse so zu gestalten, dass sich dem

212

Lernenden der praktische Sinn und Zusammenhang der Lerninhalte erschließt. Neben dieser „Verankerung“ des Wissens in praktischen Fragen ist für den Lernerfolg entscheidend, dass der Lernende immer wieder dazu angeregt wird, Lerninhalte aus unter­ schied­licher Perspektive zu durchdenken und zu hinterfragen.

7.3.1 Berufliche Handlungskompetenz Um vorhandene Kompetenzen und Kompetenzdefizite zu ermitteln oder Anforderungen in Form von Kompetenzprofilen abzubilden, ist es erforderlich, einzelne Gesichtspunkte der beruflichen Handlungskompetenz zu unterscheiden. Eine verbreitete und in der Praxis bewährte Typologie beinhaltet vier Kompetenzbereiche: Die Fachkompetenz, methodische Kompetenz, Individual- bzw. Selbstkompetenz sowie die Sozial- und Kommunikationskompetenz. Abb. 7.1 erläutert diese Begriffe und setzt sie in Bezug zu einem Handlungsrahmen, der noch näher erläutert wird. Im Unterschied zum Qualifikationsbegriff rückt in der Kompetenzforschung die Individual- und Selbstkompetenz in den Mittelpunkt. Bergmann setzt die Kompetenz sogar mit der Expertise gleich: „Kompetenz bezeichnet die Motivation und Befähigung einer Person zur selbständigen Weiterentwicklung von Wissen und Können auf einem Gebiet, so dass dabei eine hohe Niveaustufe erreicht wird, die mit Expertise charakterisiert werden kann“ [Ber00: S. 21]. Die heutige berufspädagogische Forschung unterscheidet zusätzlich das explizite vom impliziten Wissen und betont, dass die Handlungskompetenz auf beiden Wissensbereichen beruht. Der Begriff des expliziten Wissens bezeichnet bewusstes, logisch strukturiertes und mitteilungsfähiges Wissen. Implizites Wissen entstammt der Erfahrung; es erlaubt das sichere Ausführen von Aufgaben, liegt aber nicht in einer bewussten und sprachlichen Form vor. Die Forschung geht davon aus, dass das explizite Wissen nur etwa 20 % der individuellen Handlungsfähigkeit begründet [Sta99: S. 52]. Damit beruht die berufliche Handlungskompetenz

7.3  Kompetenz- und Personalentwicklung

Handlungskompetenz

Handlungsfähigkeit Fachkompetenz

Methodenkompetenz

Individual- bzw. Selbstkompetenz

Fachliches Wissen und fachspezifische Erfahrungen

Fähigkeit, durch gezieltes Vorgehen Lösungswege zu finden

Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und zu eigenverantwortlichem Handeln und Lernen

Sozial- und Kommunikationskompetenz Fähigkeit zur Teamarbeit und zur Verständigung

Explizites Wissen Implizites Wissen/ Fertigkeiten

Handlungsbereitschaft Zuständigkeit / Organisationale Einbindung

7

11.627_Wd_B

Bild 7.1: Dimensionen der beruflichen Handlungskompetenz © IFA 11.627_Wd_B

zumindest auf explizitem und implizitem Wissen in den oben genannten vier Wissensbereichen. Dieses Wissen begründet jedoch nach aktueller Auffassung nur die Handlungsfähigkeit, d. h. die kognitiven Voraussetzungen, um bestimmte Aufgaben erfolgreich ausführen zu können. Im Rahmen der Untersuchung von Innovationsprozessen wurde das Modell der Handlungskompetenz um zwei weitere Aspekte erweitert, nämlich durch die Motivation bzw. die Handlungsbereitschaft und die organisatorische Einbindung bzw. Zuständigkeit der Mitarbeiter [Sta02]. Wird jemand offiziell für eine bestimme Aufgabenstellung für zuständig erklärt, so erhöht dies dem Modell zufolge die Handlungskompetenz. Die oben genannten vier Kompetenzdimensionen, die Unterscheidung von implizitem von explizitem Wissen, die Handlungsbereitschaft und die organisatorische Einbindung lassen sich zu einem Modell zusammenfassen, anhand dessen sehr viel an enttäuschten betrieblichen Erwartungen an die Leistung der Mitarbeiter erklärbar wird. Beispiels-

weise werden Erwartungen an eine Beteiligung von Mitarbeitern am Verbesserungsprozess regelmäßig durch eine fehlende organisatorische Einbindung der Mitarbeiter enttäuscht. Orientiert an dem Modell lassen sich zudem Ansatzpunkte für eine Kompetenzentwicklung gewinnen. Deutlich wird, dass betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeiterkompetenz unterschiedliche Kompetenzbereiche ansprechen müssen. Zur Steuerung von Prozessen der Kompetenzentwicklung werden in der betrieblichen Praxis Kompetenzprofile entwickelt, die stärker die fachlichen und die methodischen Kompetenzen der Mitarbeiter abbilden. Der Grund für diese Spezialisierung liegt darin, dass die Diagnose der Selbst- und der Sozialkompetenz den betrieblichen Praktiker vor schwierige methodische Probleme stellt. Werden nur die fachlichen und methodischen Kompetenzen analysiert oder in Soll-Kompetenzprofilen dargestellt, verleitet dies dazu, die Bedeutung von Selbstkompetenz sowie sozialer und kommunikativer Kompetenz systematisch zu verkennen.

213

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7.3.2 Strategien der Kompetenz­ entwicklung

7

plexe Aufgabenstellungen bewältigen. Vermitteln lässt sich hierbei sowohl explizites als auch implizites Wissen in allen vier Kompetenzdimensionen. Eine besondere Stärke liegt in dem großen Erfahrungsbezug und in der Verbesserung der Selbst- und Sozialkompetenz. Der Nachteil des teilformalisierten Lernens liegt in dem begrenzten Spielraum für theoretische Vertiefungen, was Wissenslücken hinterlassen kann. Diese können nur durch formalisiertes Lernen geschlossen werden. Die dritte Lernform ist das informelle Lernen. Hierbei handelt es sich um ein unstrukturiertes Erfahrungslernen, das vorwiegend am Arbeitsplatz, beim Ausüben von Arbeitstätigkeiten oder im Gespräch mit Kollegen stattfindet. Informelles Lernen ist erfahrungsorientiert und führt zur Stärkung des informellen Wissens. Informelles Lernen wird von den Beteiligten meist nicht bewusst als Lernen wahrgenommen. Es ist jedoch unumgänglich zur Verbesserung von Fertigkeiten und für die Weitergabe von informellem Wissen an Kollegen.

Lernen wurde lange Zeit mit formeller Weiterbildung in Form von formalisierten Schulungen oder Trainingsmaßnahmen gleichgesetzt. Diese traditionellen Lernformen sind zwar für bestimmte Qualifizierungsziele sinnvoll, als alleinige Strategie jedoch auch mit Nachteilen verbunden. Die klassische Weiterbildung gilt als vergleichsweise teuer, chronisch verspätet und zu wenig in den praktischen Problemstellungen und den Erfahrungshorizonten der Teilnehmer verankert. Demgegenüber wird heute das arbeitsbezogene Lernen höher gewichtet [Deh01; Ger04; Son00]. Diesem Ansatz zufolge soll Lernen einen möglichst deutlichen Bezug zu den Arbeitsaufgaben aufweisen und insbesondere die Selbst- und Sozialkompetenz optimieren. Um alle in Bild 7.1 benannten Teilkompetenzen zu verbessern, ist eine Vielfalt an Lernarrangements erforderlich. Hier werden drei Lernformen und entsprechende Lernarrangements unterschieden, Bild 7.2.

7.3.3 Personalentwicklung

Das formalisierte Lernen ist systematisch und didaktisch angeleitet. Es findet vor allem in Kursen, Schulungen und Trainingsmaßnahmen statt und eignet sich insbesondere für die Fach- und Methodenkompetenz sowie für die Vermittlung von explizitem Wissen. Das teilformalisierte Lernen erfolgt in einer arbeitsintegrierten Lernumgebung, in der Lernprozesse bewusst unterstützt, aber nicht im Detail didaktisch vorstrukturiert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Lerninsel, in der Mitarbeiter eigenständig und unter Verwendung von Schulungsunterlagen kom-

Mit der Qualifizierung, der Verhaltensoptimierung und der Laufbahngestaltung lassen sich drei zentrale Aufgabengebiete der Personalentwicklung voneinander abgrenzen. In der Fachliteratur ist auch von wissensorientierten [Son01a], verhaltensorientierten [Son01b] und laufbahnbezogenen Verfahren der Personalentwicklung [Scha00] die Rede. Übergeordnetes Ziel ist jeweils die mittel- und langfristige Abstimmung des Personals mit den Anforderungen der Produktion. Verfahren der Personalentwicklung können direkt oder indirekt auf das Individuum ein-

Formalisiertes Lernen

Teilformalisiertes Lernen

Informelles Lernen

Definition

Systematisches, didaktisch angeleitetes Lernen

Wenig strukturiertes Lernen (arbeitsintegrierte Lernumgebung)

Unstrukturiertes Erfahrungslernen

Beispiele

•Schulungen •Kurse •Training

Lernen •am Arbeitsplatz •in einer Lernstatt •in einer Lerninsel

Lernen am Arbeitsplatz Bild 7.2: Lernformen © IFA 14.798_Wd_B

214

7.3  Kompetenz- und Personalentwicklung

wirken. Eine direkte Einwirkung geschieht beispielsweise durch Schulungsmaßnahmen zum Erwerb beruflichen Wissens. Ein indirektes Einwirken auf das Individuum erfolgt vermittelt über die Gestaltung der Arbeitssysteme. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung von Gruppenarbeit. Im Bereich der wissensbezogenen Verfahren zielt die Personalentwicklung auf eine optimale Abstimmung der persönlichen Kompetenzen mit den Anforderungen der Arbeitstätigkeiten. Hierzu muss erfasst werden, welches Wissen bzw. welche Kompetenzen Mitarbeiter zur Ausführung bestimmter Tätigkeiten benötigen. Möglich ist eine reaktive Orientierung, als besser geeignet gilt eine prospektive Orientierung. Instrumente, die der Personalentwicklung hierbei zur Verfügung stehen, sind die Anforderungsanalyse, die Szenarienbildung und die Personalbeurteilung. Die Personalbeurteilung liefert Informationen über das aktuelle Leistungsvermögen sowie über Entwicklungspotenziale der Mitarbeiter. Sie umfasst eine Analysephase, an die sich Entwicklungspläne anschließen, welche konkrete Maßnahmen, den zeitlichen Ablauf sowie eine abschließende Bewertung beinhalten. Aktuelle Ansätze wissensbezogener Verfahren berücksichtigen individuelle Lernstile, sind realitätsnah und komplex in den Lernzielen. Für den gewerblichtechnischen Bereich werden Lernaufgabensysteme, Lerninseln, Übungsfirmen und Lernbüros vorgeschlagen [Son01a]. Auch für den Bereich der verhaltensorientierten Maßnahmen existiert eine Vielfalt an Instrumenten. Verbreitet sind Versuche einer Verhaltensmodifikation durch Trainingsmaßnahmen sowie verschiedene Ansätze der Beratung und Betreuung. Eingesetzt wird zudem das Veränderungsmanagement als mittelfristig wirkende Maßnahme bei konkreten Veränderungsvorhaben. Die Organisationsentwicklung zielt demgegenüber neben der Akzeptanzsicherung bei Veränderungen auf eine nachhaltige Verbesserung der Organisationskultur. Neuere Ansätze der Verhaltensmodifikation zeichnen sich durch ein ganzheitliches Vorgehen aus. Hintergrund sind Studien, die den langfristigen Effekt von Trainingsmaßnahmen wie beispielsweise einer Gruppenentwicklung oder

einem Outdoor-Training anzweifeln. Kritisiert werden das geringe Transferpotenzial, der punktuelle Charakter der Maßnahmen sowie der Alibi-Charakter, der sich ergibt, wenn nicht zugleich die Arbeitssysteme verbessert werden. Als besser geeignet gelten Ansätze, die Trainingsmaßnahmen mit Maßnahmen der Arbeitssystemgestaltung kombinieren. Dies wird damit begründet, dass die Arbeitsstrukturierung langfristige Konsequenzen für die Persönlichkeit der Mitarbeiter hat. Die Aufgaben einer laufbahnbezogenen Personalentwicklung [Scha00] liegen in der Gestaltung eines Laufbahnsystems, welches die Anforderungen der Organisation mit den individuellen Karriereorientierungen vereinbart. Laufbahnen lassen sich in zwei Richtungen gestalten. Vertikale Laufbahnen beinhalten den hierarchischen Aufstieg, daneben aber auch den hierarchischen Abstieg mit der Sonderform der Scheinbeförderung. In der horizontalen Laufbahn erhalten Mitarbeiter andere Aufgabenfelder, ohne dass sie hierbei auf- oder absteigen. Dass die horizontale Laufbahn in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, liegt an der Verschlankung der Unternehmenshierarchien. Die Personalentwicklung berücksichtigt bei der Laufbahngestaltung die Motive der Mitarbeiter. Deren Bereitschaft zum vertikalen Aufstieg ist in der Regel stärker ausgeprägt als die zur horizontalen Veränderung. Begründet wird der Vorrang der Karriereorientierung durch den Wunsch nach Autonomie, nach der Gewinnung von Machtpositionen, nach Selbstentfaltung, Prestige und nicht zuletzt nach einer Erhöhung von Gehalt und Einkommen. Für die horizontale Veränderung sind andere Motive ausschlaggebend: der Wunsch nach einer interessanteren und weniger belastenden Aufgabe oder die Suche nach Erfolgserlebnissen, die die bisherige Position zu wenig bietet. Gebremst wird die Veränderung in horizontaler Richtung durch das Interesse an einer stabilen beruflichen Entwicklung. Angesichts dieser Problemlagen steht die Personalentwicklung vor der Aufgabe, Karrierewege transparent zu machen und den Mitarbeitern Entwicklungsperspektiven zu ermöglichen. Hierbei ist es vorteilhaft, die Laufbahngestaltung nach Er-

7

215

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

werbsphasen zu untergliedern und beispielsweise die Eingliederung, die frühen, mittleren und späteren Karrierejahre sowie den Austritt aus dem Unternehmen zu unterscheiden.

7.4 

7

216

Arbeitsstrukturierung

Für die organisatorische Sicht der Fabrikplanung besonders wichtig ist die Arbeitsstrukturierung. Sie bezeichnet die Arbeitsteilung und die Zuweisung von Verantwortung innerhalb und zwischen betrieblichen Funktionsbereichen. Personenunabhängige Strategien definieren Tätigkeiten und Aufgaben, die in einer Stellenbeschreibung ohne konkreten Personenbezug zusammengefasst werden. Personenbezogene Strategien verknüpfen die Gestaltung von Arbeitssystemen gezielt mit den Bedürfnissen bestimmter Mitarbeiter. Während die Folgen der Arbeitsstrukturierung für die Motivation, Kompetenz, Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter mittlerweile nahezu einheitlich beurteilt werden, sind die Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit umstritten. Forschungen zur sogenannten High Performance Work Organisation (HPWO) sehen die Wirtschaftlichkeit bestimmter partizipativer und teamorientierter Arbeitsstrukturen erst durch die Kombination mit leistungsorientierten Entgeltsystemen, flexiblen Arbeitszeitregelungen und Trainingsmaßnahmen gegeben [App00]. Zu den grundlegenden Ansätzen der Arbeitsstrukturierung zählen die Arbeitserweiterung (auch Jobenlargement), der Arbeitsplatzwechsel (Job-rotation), die Arbeitsbereicherung (auch Job-enrichment) und die teilautonome Gruppenarbeit (vgl. auch Abschn. 4.2 Gruppenarbeit). Bild 7.3 zeigt die Ansätze in Bezug auf die damit erreichbaren Ziele. Der Ansatz des Arbeitsplatzwechsels ist in der Tabelle nicht enthalten, weil sich seine Effekte nicht generalisierend beurteilen lassen. Dieser Ansatz kann je nach einbezogenen Aufgaben entweder im Sinne einer Arbeitserweiterung oder einer Arbeitsbereicherung

praktiziert werden. Im Regelfall beschränkt sich der Arbeitsplatzwechsel jedoch auf die Arbeitserweiterung. Bei der Arbeitserweiterung wird ein bereits bestehender Arbeitsumfang durch ähnliche Tätigkeiten erweitert. Dies lässt sich zum Beispiel durch einen verlängerten Montagezyklus erreichen. Hierdurch erhöhen sich in der Regel nicht die Qualifikationsanforderungen, den Mitarbeitern werden jedoch in einem bescheidenen Rahmen Belastungswechsel und eine größere Vielseitigkeit der Arbeit ermöglicht. Im Unterschied hierzu werden bei der Arbeitsbereicherung andere, in der Regel auch mit höheren Denkund Qualifikationsanforderungen verbundene Tätigkeiten ergänzt. Die Arbeitsbereicherung folgt dem Konzept der vollständigen Arbeitsaufgabe [Hac98], das neben der reinen Ausführung auch die Planung, Vorbereitung und Kontrolle umfasst. Ein Beispiel ist die Erweiterung der Aufgaben eines Maschinenbedieners durch die Wartung, Qualitätsprüfung und Auftragssteuerung. Die Arbeitsbereicherung geht in der Regel mit einer Höherqualifizierung, teilweise auch mit einem höheren Arbeitsentgelt einher. Die teilautonome Gruppenarbeit beruht auf einer Gruppe von Mitarbeitern, die in einem gewissen Rahmen ihre Arbeitstätigkeiten selbst plant, vorbereitet und kontrolliert [Ant94]. Damit kombiniert sie Strategien der Arbeitserweiterung und -bereicherung und setzt hierbei einen Schwerpunkt durch die Übertragung von Aufgaben im Bereich der Personalführung. Je größer die Anteile der Arbeitsbereicherung ausfallen, desto besser ist die Gruppenarbeit geeignet, Belastungen zu reduzieren und langfristig die Kompetenzen der Mitarbeiter zu erhalten oder zu erweitern. Die heutige Verbreitung der teilautonomen Gruppenarbeit lässt sich mit der wachsenden Komplexität der Produktionsprozesse erklären. Ihr wesentlicher Leistungsvorteil ist die Flexibilität und die Geschwindigkeit, mit der sie angesichts vielfältiger Produktionsanforderungen und Umgebungseinflüsse angemessene Handlungsstrategien entwickeln kann [Ger06]. Mit der Gruppenarbeit können eine Verbesserung der Produktqualität, eine Verminderung von Durchlaufzeiten, eine Verringerung arbeits-

7.4  Arbeitsstrukturierung

Ansätze Arbeitserweiterung (Job-enlargement)

Ziele

Arbeitsberei- Teilautonome cherung (Job- Gruppenarbeit enrichement)

Kompetenzentwicklung fördern Physische Belastungen verringern Monotonie abbauen Arbeitsmotivation erhöhen Kommunikation fördern Verantwortung fördern Flexibilität des Arbeitssystems erhöhen

7

Verbesserungsprozess (KVP) fördern Störanfälligkeit des Arbeitssystems verringern Führung von Routineaufgaben entlasten Menschlichem Leistungsabbau vorbeugen kaum erreichbar

erreichbar

sehr gut erreichbar

14.799 Wd B Bild 7.3: Ansätze und Ziele der Arbeitsstrukturierung

© IFA 14.799_Wd_B

ablaufbedingter Wartezeiten und eine Verringerung von Stillstandszeiten erreicht werden [Uli01: S. 260]. Um die zeitliche Flexibilität und die Zielorientierung von Arbeitsgruppen zu steigern, ist es vorteilhaft, die Gruppenarbeit mit einem Prämienentgelt (s. Abschn. 7.5.3) und mit dem Modell der gleitenden Arbeitszeit (s. Abschn. 7.6.3) zu kombinieren. Personenbezogene Konzepte der Arbeitsstrukturierung umfassen die differentielle und die dynamische Arbeitsgestaltung. Bei der differentiellen Arbeitsgestaltung orientiert sich die Gestaltung von Arbeitsaufgaben an den individuellen Interessen und Kompetenzen. Bei der dynamischen Arbeitsgestaltung erfolgt eine laufende individuelle Aktualisierung der Arbeitsaufgaben mit dem Ziel, wandelnden Kompetenzen und Interessen Rechnung zu tragen. Mit dem Ansatz der sozio-technischen Systemgestaltung verfügt die Arbeitswissenschaft über einen

normativ gehaltvollen Ansatz der Arbeitsstrukturierung. Er beruht auf der Annahme, dass Betriebe aus technologischen und sozialen Teilsystemen bestehen und dass es im Interesse der Wirtschaftlichkeit darauf ankommt, beide Systeme aufeinander abzustimmen. Der Ansatz trifft Aussagen über die Aufgabengestaltung und konzentriert sich hierbei auf die Gruppenarbeit, die er als effiziente Arbeitsform ansieht. Die zentralen Annahmen des sozio-technischen Systemansatzes lauten [Fri99; Ric58; Uli01]:

•  Die •  • 

Gruppe ist an effizienter Organisation und Aufgabenerfüllung interessiert. Eine Gruppe ist effizienter, wenn sie ganzheitliche Aufgaben vollenden kann. Zusammenhängende Aufgaben innerhalb einer Gruppe erfordern befriedigende soziale Beziehungen der Gruppenmitglieder.

217

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

•  Verfügt eine Gruppe über ein abgegrenztes Territorium, dann wirkt sich dies positiv auf die sozialen Beziehungen aus. Darüber hinaus wurden vom Londoner Tavistock Institut, das den sozio-technischen Systemansatz maßgeblich begründet hat, Prinzipien der Arbeitsstrukturierung formuliert, die sich auf das Individuum beziehen [nach Fri99]. Der Einzelne soll:

•  auch fachlich gefordert werden, •  an seinem Arbeitsplatz lernen, •  auch allein Entscheidungen treffen können, •  Rückhalt und Anerkennung erfahren, •  seine Arbeit als sinnhaft erleben und •  seine Arbeit als Beitrag zu einer wünschenswer-

7

ten Zukunft erfahren. Neben der Unterscheidung des technologischen Systems vom sozialen System wurde auch eine Abgrenzung von drei Systemtypen vorgeschlagen. Diese sind die Person, Organisation und Technologie [Fri99]. Ziel einer soziotechnischen Systemgestaltung ist eine Abstimmung der Schnittstellen dieser drei Systeme. Galt der sozio-technische Systemansatz lange Zeit als Grundlage zur Anpassung des sozialen Systems an das technologische, so hat sich in der Forschung ein Paradigmenwechsel vollzogen, demzufolge das technologische System bereits in der Phase der Produktionsplanung an die Belange des sozialen Systems angepasst werden muss [Zin97]. Dieser Ansatz wird heute jedoch noch wenig praktiziert, mit der Folge, dass auftretende Probleme im sozialen System wie mangelnde Motivation, Dienst nach Vorschrift, hohe Krankheits- und Abwesenheitsraten aus Kostengründen kaum verringert werden können.

7.5 

Motivation

Die Leistung eines Mitarbeiters ist neben seiner Kompetenz und der Arbeitsplatzgestaltung entscheidend von seiner Motivation abhängig. Motivation

218

lässt sich nicht direkt beobachten, beobachten lassen sich lediglich ihre Resultate in Form von Handlungen und Handlungsergebnissen. Generell bezieht sich der Begriff der Motivation auf die Handlungsenergie, die Richtung, in die diese Handlungsenergie gelenkt wird, sowie auf die Ausdauer, mit der eine Person ein Ziel verfolgt [Kir05: S. 321; Rob01: S. 155]. Warum eine Person eine bestimmte Handlung ausführt oder unterlässt, ist entweder auf eine intrinsische oder extrinsische Motivation zurückzuführen. Bei der intrinsischen Motivation ist es die Ausführung einer Handlung selbst, die eine Person antreibt. Dies trifft zu, wenn eine Arbeit als selbst bestimmt, fachlich herausfordernd und als Grundlage persönlichen Wachstums empfunden wird. Bei der extrinsischen Motivation wird eine Handlung durch die damit verbundenen Belohnungen oder nicht eintretenden Belohnungen bzw. Bestrafungen begründet. Während das tayloristische Menschenbild von einem primär extrinsisch, d. h. durch Entgelt und angedrohte Bestrafungen motivierbaren Mitarbeiter ausgeht, spielt in modernen Arbeitsorganisationen die intrinsische Motivation eine wachsende Rolle. In der Motivationsforschung lassen sich zwei Theoriegruppen voneinander abgrenzen. Inhaltstheorien zielen auf eine inhaltliche Bestimmung der menschlichen Antriebe und deuten menschliches Verhalten durch das Bedürfnis, einen spezifischen Mangel zu beseitigen. Prozesstheorien erklären das Handeln vor dem Hintergrund komplexer mehrstufiger Entscheidungsprozesse. Aus beiden Ansätzen lassen sich Richtlinien für die Arbeitsstrukturierung und die Personalführung ableiten. Die bekannteste Inhaltstheorie stammt von Abraham Maslow. Sie unterscheidet die in Bild 7.4a dargestellten 5 Klassen von Bedürfnissen. Die „Bedürfnispyramide“ beruht auf der Annahme, dass jeweils eine Motivklasse aktuell das Handeln einer Person bestimmt, wobei höhere Klassen erst aktiviert werden, sobald die Bedürfnisse auf den niederen Stufen befriedigt wurden. Im Unterschied zu den vier unteren Motivklassen ist auf der obersten Ebene keine Sättigung mehr möglich, weshalb Maslow hier von einem Wachstumsmotiv im Unterschied zu den

7.5  Motivation

Wachstumsmotiv

Handlungs- und Entscheidungsspielräume, Partizipation, Lernmöglichkeiten, ...

Selbstverwirklichung

Karrierechancen, Status, Entgelthöhe, Handlungsspielräume, Lob, ...

Anerkennung Defizitmotive

Zusammenarbeit, Einbindung in Entscheidungsprozesse, ...

Soziale Beziehungen

Sicherheit des Arbeitsplatzes, soziale Sicherung (Krankheit, Rente), ...

Sicherheit

Entgelthöhe, Arbeitsumgebung, Arbeitsschwere, Pausen, ...

Physiologische Grundbedürfnisse

a) Motivklassen

b) Gestaltungsbereiche

Bild 7.4: Bedürfnispyramide und Arbeitssystemgestaltung [nach Scha00: ; Spa04] © IFA 14.800_B

vier Defizitmotiven spricht. Folgt14.800 manB dem Modell von Maslow, dann entsprechen den 5 Motivebenen jeweils spezifische Bereiche der Arbeitsgestaltung (Bild 7.4b). Physiologische Grundbedürfnisse lassen sich beispielsweise im Bereich der Entgeltgestaltung befriedigen, Sicherheitsbedürfnisse durch ein sicheres Arbeitsverhältnis, Bedürfnisse nach sozialen Beziehungen durch kooperative Arbeitsformen, Bedürfnisse nach Anerkennung durch Karrieremöglichkeiten und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung durch Lernmöglichkeiten.

•  Mitarbeiter lassen sich auf ganz unterschiedliche

Als eine der ersten Inhaltstheorien der Motivation zeigt die Bedürfnispyramide die Vielfältigkeit menschlicher Motive auf. Als problematisch haben sich jedoch die Abgrenzung der Bedürfnisse und die Annahme einer hierarchischen Anordnung erwiesen. Spätere theoretische Ansätze reduzieren die Anzahl der Bedürfnisklassen und geben die Annahme einer hierarchischen Ordnung auf. Gemeinsam ist jedoch die Betonung von Leistungs- und Wachstumsmotiven. Inhaltstheorien stellen hierdurch Annahmen der tayloristischen Arbeitsorganisation in Frage und weisen Wege zu einem produktiveren Mitarbeitereinsatz. Wesentliche Konsequenzen sind:

• 

• 

7

Weise motivieren, nicht nur – wie der Taylorismus unterstellt – durch die finanzielle Kompensation für aufgebrachte Mühen und erlittene Beanspruchungen. Die persönlichen Wachstumsbedürfnisse der Mitarbeiter stellen für das Unternehmen ein wertvolles Potenzial dar. Handlungs- und Entscheidungsspielräume sollten deshalb nicht stärker eingeschränkt werden als unbedingt erforderlich. Nur so kann die freiwillige Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter gewonnen werden. Die Aufgabe der Führungskräfte besteht darin, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der die Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen verknüpft wird und in der das persönliche Leistungsmotiv trainiert werden kann.

Prozesstheorien der Motivationsforschung setzen inhaltlich benennbare Motive voraus, erklären menschliches Handeln jedoch in erster Linie als Ergebnis von Entscheidungsprozessen, die verschiedene Stufen des Arbeitsprozesses einbeziehen. Motivation entsteht diesen Ansätzen zufolge im Wesentlichen

219

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

aus dem Arbeitsprozess und seiner gedanklichen Vorwegnahme. Die meisten Prozesstheorien arbeiten zum einen mit dem Wert, den bestimmte Arbeitsprozesse und deren Ergebnisse für einen Mitarbeiter haben. Zum anderen argumentieren sie mit der Erwartung, die ein Mitarbeiter darüber hat, ob diese Werte überhaupt erreichbar sind. Eine der bekanntesten Prozesstheorien, die neben der Arbeitszufriedenheit auch die Arbeitsmotivation erklärt, stammt von Porter und Lawler (Bild 7.5) [Port68; Tho03]. Der Theorie zufolge wird sich ein Mitarbeiter nur anstrengen, wenn er eine Belohnung erwartet, die für ihn einen Wert darstellt. Inwieweit diese Anstrengung zu einer Leistung führt, ist zum einen von den persönlichen Fähigkeiten abhängig und zum anderen von der Rollenwahrnehmung, d. h. davon, wie der Mitarbeiter den Handlungserfolg definiert. Anstrengung und Leistung führen zu intrinsischen und extrinsischen Belohnungen, die zudem unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit beurteilt werden. Die empfundenen Belohnungen begründen schließlich den Grad der Arbeitszufriedenheit. Die Theorie von Porter und Lawler umfasst

Wertigkeit der Belohnung

Fähigkeiten und Persönlichkeitsbezüge

Entscheidungsprozesse, die einen Mitarbeiter von Beginn einer Arbeitsaufgabe bis zu deren Abschluss begleiten. Aus Prozesstheorien wie der von Porter und Lawler lassen sich vor allem praktische Konsequenzen für die Personalführung ableiten.

•  Führungskräfte

• 

• 

sollten unter Beteiligung der Mitarbeiter eine klare Zielorientierung schaffen und verdeutlichen, worin die betrieblichen Ziele bestehen. Zur Verbesserung der Zielorientierung dienen gemeinsam erarbeitete Ziele, die im Rahmen von Zielvereinbarungen schriftlich festgehalten werden. Führungskräfte sollten Bedingungen schaffen, unter denen Mitarbeiter die gewünschten Ergebnisse auch erreichen können. Dies erfordert die Beseitigung von technologischen und organisatorischen Hindernissen sowie Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung. Führungskräfte sollten ihr Verhalten auf unterschiedliche Wertorientierungen und Kompe-

Wahrgenommene gerechte Belohnung Intrinsische Belohnung

Anstrengung

Leistung

Zufriedenheit Extrinsische Belohnung

Wahrgenommene Wahrscheinlichkeit der Belohnung bei Anstrengung

Rollenwahrnehmung

Bild 7.5: Motivationstheorie nach Porter und Lawler © IFA 14.801_B

220

14.801 B

7.6  Entgeltgestaltung

Entgelt Monetäre Anreize

Erfolgsbeteiligung Betriebliche Sozialleistungen Prämien aus betrieblichem Vorschlagswesen

Leistungsanreize

Aus- und Weiterbildung Aufstiegsmöglichkeiten Gruppenmitgliedschaft Nichtmonetäre Anreize

Leistungsförderndes Betriebsklima Partizipation Arbeitszeit- und Pausenregelung Herausfordernder Arbeitsinhalt

Bild 7.6: Systematik der Leistungsanreize

Attraktive Arbeitsplatzgestaltung

© IFA 14.802_B 14.802 B

tenzen der Mitarbeiter abstellen. Beispielsweise eignet sich ein partizipativer und ein leistungsorientierter Führungsstil bei kompetenten und entscheidungsstarken Mitarbeitern, während bei weniger kompetenten Mitarbeitern und uneinigen Arbeitsgruppen eher eine direktive Führung angemessen ist.

•  erworbener sozialer Vorrechte wie etwa durch die •  •  • 

7.6 

Entgeltgestaltung

Entscheidend für die Entgeltgestaltung sind die Kriterien, an denen sich die Höhe der Entlohnung für eine geleistete Arbeit orientieren soll. Hierbei werden zwei Ziele verfolgt: Die Realisierung einer als gerecht empfundenen Entlohnung und die Steuerung der Mitarbeiterleistung. Welche Entgeltsysteme dem Kriterium der Gerechtigkeit entsprechen, ist eine kulturabhängige Frage [Wäc97]. Je nach herangezogenem Gerechtigkeitskriterium ist das Entgelt Ausdruck

•  des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt,  e •  rworbener Qualifikationen und Berufsabschlüsse,

7

Dauer der Organisationszugehörigkeit oder durch das Dienstalter, sozialer Bedürfnisse wie beispielsweise durch die Verantwortung für Ehepartner und Kinder, der allgemeinen Schwierigkeit der Arbeitsaufgabe, der spezifischen Leistung des Mitarbeiters.

In heutigen Entgeltsystemen spielen alle diese Perspektiven eine Rolle, wobei das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und die Leistung dominieren. Wer eine seltene, aber auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragte Qualifikation vorweisen kann, verfügt auch über eine relativ gute Verdienstchance. Daneben hat in vielen Entgeltsystemen die individuelle Leistung einen hohen Stellenwert. Hierbei geht es den Unternehmen neben einer gerechten Entlohnung darum, das Mitarbeiterverhalten in eine gewünschte Richtung zu steuern. In diesem Sinne ist Entgelt ein Leistungsanreiz, d. h. eine Belohnung für eine spezifische Anstrengung. Neben den monetären sind jedoch auch nichtmonetäre Leistungsanreize bekannt, die ebenfalls einen starken Einfluss auf das Mitarbeiterverhalten ausüben können, die Bild 7.6 nach Thommen und Achleitner [Tho03: S. 692] zeigt. Die Gestaltung von

221

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

Methoden der qualitativen Analyse des Anforderungsbildes

Methoden der Quantifizierung

Summarische Betrachtung

Analytische Betrachtung

Reihung

Rangfolgeverfahren

Rangreihenverfahren

Stufung

Lohn- /Gehaltsgruppenverfahren Stufenverfahren

Bild 7.7: Methoden der Arbeitsbewertung © IFA 14.803_B

monetären Leistungsanreizen sollte deshalb immer im Zusammenhang mit der Gesamtheit möglicher Anreize gesehen werden.

7

Entgeltsysteme werden häufig in Form einer Ent14.803 B geltsäule dargestellt. Den Sockel bildet hierbei ein anforderungsabhängiges Grundentgelt, darauf folgen leistungsabhängige sowie weitere tarifliche und übertarifliche Entgeltbestandteile. Die Ermittlung der Grundentgelte erfolgt auf der Grundlage einer Arbeitsbewertung. Bei der Arbeitsbewertung werden die Anforderungen einer Arbeit im Verhältnis zu anderen Arbeiten unter Verwendung eines einheitlichen Maßstabes bewertet. Das Ziel liegt hierbei in der anforderungsabhängigen Entgeltdifferenzierung. Neben der Grundentgeltermittlung lässt sich die Arbeitsbewertung noch für zwei weitere Ziele einsetzen: die Personalentwicklung und die Optimierung von Arbeitsprozessen. Für die Arbeitsbewertung steht die vom REFA-Verband entwickelte 3-Stufen-Methode zur Verfügung. Der erste Schritt besteht in der Erfassung und Beschreibung der Arbeitstätigkeit, des Arbeitsplatzes

und der Organisationsbeziehungen. Schritt zwei umfasst die Analyse der Anforderungsarten. Der dritte Schritt besteht in der Bewertung der Anforderungen und der zusammenfassenden quantitativen Bewertung der Arbeitstätigkeit. Zur Arbeitsbewertung werden summarische und analytische Betrachtungsweisen unterschieden. Während summarische Methoden von der Tätigkeit als Ganzes ausgehen und diese entweder miteinander oder mit Beispielkatalogen vergleichen und so zu Lohn- oder Gehaltsgruppen gelangen, bewerten analytische Methoden die einzelnen Anforderungsarten getrennt und errechnen anschließend einen Gesamtarbeitswert, der einer Lohn- oder Gehaltsgruppe zugeordnet werden kann. Innerhalb der summarischen und der analytischen Betrachtungsweise lässt sich jeweils unterscheiden, ob zur Quantifizierung die Methode der Reihung oder der Stufung angewendet wird. Während die Reihung auf einer Rangfolge von Arbeitstätigkeiten oder einzelnen Arbeitsanforderungen anhand des Schwierigkeitsgrades erfolgt, gibt es bei der Stufung genau definierte Stufen, entweder für Lohn- und Gehaltsgruppen bei der summarischen Be-

Struktur Reine Entgeltformen

Leistungsbezug

Zusammengesetzte Entgeltformen

Nicht leistungsreagibel

•Zeitlohn •Gehalt •Zeitentgelt

•Standardlohn •Polyvalenzlohn

Leistungsreagibel

•Akkordentgelt •Prämienentgelt •Zielentgelt •Zeitentgelt mit Leistungszulage •Zeitentgelt mit Ergebnisbeteiligung

Bild 7.8: Entgeltformen © IFA 14.804_B

222 14.804 B

7.6  Entgeltgestaltung

trachtung oder für die einzelnen Anforderungsmerkmale bei der analytischen Betrachtung. Alle in Bild 7.7 enthaltenen Methoden führen zur quantitativen Bewertung von Arbeitstätigkeiten [Doe97]. Das Rangfolgeverfahren beruht auf einer Reihe von paarweisen Vergleichen, wodurch alle in einem Betrieb vorhandenen Tätigkeiten in eine Rangfolge gebracht werden. Im Unterschied hierzu orientiert sich das Lohn- bzw. Gehaltsgruppenverfahren an einem Katalog, der in abgestufter Form Arbeitstätigkeiten charakterisiert. Ein Beispiel wäre die Kategorie „schwierige Facharbeiten, die besondere Fähigkeiten und langjährige Erfahrung voraussetzen“. Als Hilfsmittel dienen sogenannte Richtbeispiele. Grundlage der analytischen Arbeitsbewertung sind Anforderungskataloge, die zumeist tarifvertraglich festgelegt werden. Orientierungshilfe ist hierbei das 1950 auf einer internationalen Konferenz zur Arbeitsbewertung formulierte Genfer Schema, das geistige Anforderungen, körperliche Anforderungen, Verantwortung und die Arbeitsbedingungen unterscheidet. Analytische Verfahren sind das Rangreihenverfahren und das Stufenverfahren. Das Rangreihenverfahren beruht auf Rangreihen, die für jede Anforderungsart existieren und je nach Schwere der Arbeit entsprechende Wertzahlen enthalten. Zur Orientierung dienen Beispieltätigkeiten, die auch als Brückenbeispiele bezeichnet werden. Das Stufenverfahren, oder auch Stufenwertzahlverfahren, beruht auf Bewertungstafeln, die ebenfalls für jede Anforderungsart Werte für die Schwierigkeit angeben. Die Einstufung orientiert sich jedoch an qualitativen Begriffen wie „sehr hoch, hoch, mittel, gering, sehr gering“ oder an umfassenden Beschreibungen der jeweiligen Höhe der Anforderungsstufe. Auch bei diesem Verfahren erleichtern Beispiele die Orientierung. Wie bei dem Rangreihenverfahren wird für jedes Anforderungsmerkmal eine Punktzahl ermittelt. Die Gesamtpunktzahl ermöglicht die Einordnung in eine Lohn- oder Gehaltsgruppe. Das Stufenverfahren zeichnet sich durch seine „leichte Handhabung für den Bewerter und gute Verständlichkeit für den Mitarbeiter“ aus [Tho03].

Bei den Entgeltformen lassen sich reine Lohnformen von zusammengesetzten Lohnformen unterscheiden, s. Bild 7.8. Während sich reine Lohnformen ausschließlich entweder an der Arbeitszeit, der Arbeitsschwierigkeit oder der Leistung orientieren, kombinieren zusammengesetzte Lohnformen mehrere dieser Merkmale. Darüber hinaus unterscheiden sich Entgeltformen darin, ob sie unmittelbar auf die Leistung reagieren oder das Entgelt konstant bleibt. Leistungsreagibel ist das Akkord- und Prämienentgelt, aber nicht das Zeitentgelt. Das Zeitentgelt beruht auf einer festen Vergütung für eine bestimmte Zeiteinheit. Es zählt zu den reinen Lohnformen und ist darüber hinaus nicht unmittelbar leistungsreagibel. Dies bedeutet nicht, dass von einem Mitarbeiter im Zeitentgelt nur die reine Anwesenheit erwartet wird, doch ändert sich das Entgelt bei schwankender Leistung nicht. Das Zeitentgelt ist „vorteilhaft bei Arbeiten,

7

•  die einen hohen Qualitätsstandard verlangen, •  die sorgfältig und gewissenhaft ausgeführt wer•  •  • 

den müssen, bei denen eine große Unfallgefahr besteht, deren Leistung nicht oder nur sehr schwer (quantitativ) messbar ist, wie dies bei kreativen Aufgaben der Fall ist, bei denen die Gefahr besteht, dass Mensch oder Maschine überfordert oder zu stark beansprucht werden.“ [Tho03: S. 716].

Der Nachteil des Zeitentgelts wird in dem fehlenden finanziellen Leistungsanreiz gesehen. Eine Möglichkeit, das Zeitentgelt mit Leistungsanreizen zu versehen, liegt in der Kombination mit Leistungszulagen. Diese werden auf der Grundlage einer Bewertung des individuellen Verhaltens gewährt, d. h. sie honorieren kausale Leistungsbeiträge. Ein Grenzfall zwischen einem leistungsreagiblen und einem nicht-leistungsreagiblen Entgelt ist der vor allem in der Automobilindustrie verbreitete Standardlohn. Bei dieser dem Leistungsentgelt zugerechneten Entgeltform müssen die Mitarbeiter für einen bestimmten Zeitraum definierte Leistungsziele

223

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

224

erreichen. Eine Zielabweichung ist nicht relevant für das Entgelt, zieht aber eine Ursachenanalyse und Maßnahmen nach sich. Zu den leistungsreagiblen Entgeltformen zählt das Akkordentgelt, das die von einem Mitarbeiter oder im Falle des Gruppenakkords die von einer Gruppe beeinflussbare Mengenleistung entlohnt. Leistungsmerkmal ist hier der Leistungsgrad, der die Leistung in Bezug zu einer Normalleistung angibt. Das Akkordentgelt enthält einen finanziellen Leistungsanreiz, ist jedoch auch mit einigen Nachteilen verbunden. Es besteht vor allem die Gefahr, dass Mensch und Maschine zu stark beansprucht und dass Qualitätsziele vernachlässigt werden. Nicht eingesetzt werden sollte das Akkordentgelt deshalb bei Unfallgefahren oder bei Arbeiten mit einem hohen Qualitätsanspruch. Wesentlich flexibler als das lediglich auf die Mengenleistung zielende Akkordentgelt ist das Prämienentgelt. Das Prämienentgelt beruht auf einem anforderungsabhängigen Grundentgelt, das um eine veränderbare Prämie ergänzt wird. Orientieren können sich die Prämien beispielsweise an der Mengenleistung, der Qualität, der Produktivität, der Ersparnis von Material und Zeit sowie der Nutzung von Produktionsmitteln. Das Prämienentgelt ist grundsätzlich offen für die Unterstützung logistischer Ziele, doch orientieren sich die Prämien im Bereich der Produktionsarbeit in der Regel eher an der Produktivität und kaum am logistischen Zielsystem. Hierdurch kann es aus logistischer Sicht zu einer Fehlsteuerung kommen. Der Polyvalenzlohn setzt sich aus einem anforderungsorientierten Grundlohn und einer Könnenszulage zusammen. Ziel dieses Entgeltsystems ist die Förderung der Qualifizierungsbereitschaft und der individuellen Kompetenz. In der Praxis stellt sich neben der Gewichtung des Könnens die Frage nach Instrumenten zur Bewertung der Kompetenz [Uli01]. Eine Möglichkeit besteht darin, die Kompetenz durch die erforderliche Lernzeit auszudrücken. Der Indikator kumuliert die Zeiten, die erforderlich sind, um die Aufgaben in einem Arbeitssystem so weit zu lernen, dass sie „selbstständig und in normaler Zeit“ ausgeführt werden können [Pla04].

Das Zielentgelt wurde in dem neuen Entgeltrahmenabkommen (ERA) in den Tarifgebieten der Metallund Elektroindustrie formuliert. Es beruht auf einem Grundentgelt, welches durch eine Prämie ergänzt wird, die sich an Zielvereinbarungen orientiert. Eine weitere Möglichkeit einer kombinierten Entlohnung ist das Zeitentgelt mit einer Beteiligung am Unternehmensergebnis. Meist orientieren sich die Unternehmen hierbei am Umsatz oder am Gewinn vor Steuern. Ziel dieser Entgeltsysteme ist eine stärkere Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sowie eine Begrenzung des unternehmerischen Entgeltrisikos. In der Fachliteratur wird auf einen Nachteil ergebnisorientierter Entgeltsysteme hingewiesen, der darin besteht, dass Leistung entwertet wird, wenn sie nicht zu einem Markterfolg führt [Bah01]. Entgelt ist die Gegenleistung für eine vom Mitarbeiter erbrachte Leistung. Der Begriff der menschlichen Arbeitsleistung lässt sich jedoch unterschiedlich definieren, zudem unterliegt er einem historischen Wandel. In den Hochzeiten des Taylorismus wurde Leistung mit der Geschwindigkeit gleichgesetzt, mit der eine Arbeitskraft fehlerfreie Produkte hergestellt hat. Angestellte waren für andere Aufgaben zuständig als Arbeiter, was unterschiedliche Tarifgefüge zur Folge hatte. Heute sind Produktionsarbeiter stärker als Mitgestalter gefordert, sie haben häufiger dispositive, kontrollierende und Aufgaben im Bereich der Prozessoptimierung. Damit gleichen sich die Tätigkeiten von Arbeitern und Angestellten zunehmend an. Dies stellt neue Anforderungen an die Entgeltgestaltung, die die Tarifpartner zu einheitlichen Entgelttarifverträgen für Arbeiter und Angestellte bewegt haben, 1988 im Tarifbereich der Chemischen Industrie, später in Elektro- und Metallindustrie (ERA). Entgeltsysteme korrespondieren mit dem jeweiligen Verständnis, das in einem Unternehmen über den Inhalt der Arbeitsleistung und damit auch über die Funktion der Arbeitskraft vorherrscht. Hierzu lassen sich grundsätzlich vier verschiedene Leistungsindikatoren unterscheiden (Bild 7.9). Unternehmen können Mitarbeiter dafür entlohnen, dass sie ihre Zeit zur Verfügung stellen, dass sie sich in einer spezifischen Form anstrengen, dass sie ein betriebswirtschaftlich

7.7  Arbeitszeitgestaltung

Leistungsindikator

Kriterium

Entgeltform

Eingebrachte Zeit

Arbeitszeit

Zeitentgelt

Qualitativ unterscheidbare Anstrengung

Betriebswirtschaftlich verwertbares Ergebnis

Erfolgreich verwertetes Ergebnis / Markterfolg

Arbeitssorgfalt, Flexibilität, Arbeitseinsatz, Teamverhalten

Produktivität, Kosteneinsparung, Lieferzeiten, Qualität

Umsatz, Gewinn, ...

Leistungsorientierte Entlohnung

Erfolgs- und ergebnisorientierte Entlohnung

Bild 7.9: Verhältnis von Lohn und Leistung © IFA 14.805_B

verwertbares Ergebnis erzielen und dafür, dass ein Markterfolg erzielt wurde. Bild 7.9 führt zu den Leistungsindikatoren die Kriterien auf, die sich in den entsprechenden Entgeltformen widerspiegeln. 14.805 B Moderne Unternehmen orientieren sich in den Entgeltsystemen zunehmend am betriebswirtschaftlich verwertbaren Ergebnis. Damit verschiebt sich die Funktion der Mitarbeiter. Statt deren spezifische Anstrengungen und die in das Unternehmen eingebrachte Zeit zu honorieren, wird als Leistung anerkannt, was die Mitarbeiter durch geschicktes Agieren zu Produktivitätssteigerung und Kosteneinsparung oder anderen unmittelbar verwertbaren Resultaten beitragen. In der Fachliteratur wird diese Entwicklung als Wandel von einem kausalen zu einem funktionalen Leistungsbegriff bezeichnet [Ben97].

7.7 

Arbeitszeitgestaltung

Die Arbeitszeitgestaltung ist ein bestimmender Faktor für das Kapazitätsangebot und die Kapazitätsflexibilität einer Fabrik und eine wichtige Berechnungsgröße für die Auslegung der Betriebsmittelkapazität. Der Gegenstand der Arbeitszeitgestaltung ist die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeiten

innerhalb einer definierten Betrachtungsperiode, z.B. einer Woche oder eines Monats. Dies schließt Urlaubsregelungen sowie die Gestaltung von Ruhe- und Erholungspausen ein. Die Ziele der Arbeitszeitgestaltung sind die Anpassung der personellen Kapazitäten an die Produktionsplanung, die Schaffung von ausreichenden Erholungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter, der Erhalt ihrer Gesundheit und dauerhaften Leistungsfähigkeit sowie die Berücksichtigung individueller Interessen. Auf welche dieser Ziele die Akzente gesetzt werden, kann zwischen den Arbeitszeitmodellen und im Rahmen deren konkreter Ausgestaltung stark variieren. Bei der Arbeitszeitgestaltung gilt die Vertragsfreiheit zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, doch müssen gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften eingehalten werden. Die wichtigste gesetzliche Grundlage ist das Arbeitszeitgesetz (ArbzG). Historisch betrachtet handelt es sich hierbei um ein Arbeitnehmerschutzrecht. Lag die tägliche Arbeitszeit zu Beginn der Industrialisierung in Deutschland im Durchschnitt bei 15 Stunden und mussten selbst Kinder ab dem 6. Lebensjahr bis zu 12 Stunden schwerste körperliche Arbeit verrichten, beträgt die Arbeitszeit heute laut § 3 ArbzG in der Regel 8 Stunden pro Tag. Die Arbeitszeit kann auf 10 Stunden ausgedehnt werden, jedoch dürfen nach § 7 ArbzG innerhalb von 6 Monaten im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Weitere

7

225

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung finden sich in den Tarifverträgen und den individuellen Arbeitsverträgen. Die zur Arbeitszeitgestaltung eingesetzten Arbeitszeitmodelle lassen sich grundlegend nach dem Grad ihrer Flexibilität unterscheiden, s. Bild 7.10. Es existieren jedoch verschiedene Definitionen für die flexible und die starre Arbeitszeit. Bezugspunkt für die Charakterisierung von Arbeitszeitmodellen ist zumeist die ebenfalls recht unterschiedlich definierte Normalarbeitszeit. Meist wird unter dem Begriff der Normalarbeitszeit eine regelmäßige und starr geregelte Arbeitszeit zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr verstanden. Unter den Bedingungen einer Normalarbeitszeit arbeitet derzeit noch die Mehrheit der Beschäftigten, doch wird dieses Arbeitszeitmodell durch verschiedene Varianten mehr und mehr verdrängt. Nicht jede Abweichung von der Normalarbeitszeit führt jedoch zu einer flexiblen Arbeitszeit. Dies gilt für die reduzierte regelmäßige Arbeitszeit, beispielsweise im Rahmen einer Teilzeitarbeit. Die Schichtarbeit weicht ebenfalls von der Normalarbeitszeit ab, fällt aber bei einem planbaren Schicht-

rhythmus noch nicht in die Kategorie der flexiblen Arbeitszeit. Eine weitere Gruppe von Arbeitszeitmodellen beruht auf einer unregelmäßigen Verteilung der Arbeitszeit, wie die Saisonarbeit oder die Arbeit à la carte. Auch hier muss es sich noch nicht um eine flexible Arbeitszeit handeln. Saisonarbeit kann einem starren Jahresrhythmus folgen und bei der Arbeit à la carte kann die Arbeit auf feste Tage oder Bruchteile von Tagen in der Woche verteilt ˇ werden. Nachreiner und Grzech-Sukalo [Nac97] zufolge müsste ein sinnvoller arbeitswissenschaftlicher Begriff der flexiblen Arbeitszeit das Merkmal des „Dispositions- bzw. Verhandlungsspielraumes in Bezug auf Dauer, Lage und Verteilung“ der Arbeitszeit hervorheben. Andernfalls würden so viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle unter dem Begriff der flexiblen Arbeitszeit zusammengefasst, dass keine verallgemeinernden Aussagen über diese Modellgruppe möglich wären. Starre Arbeitszeiten sind diesem Definitionsvorschlag zufolge durch die periodische Wiederholung von Arbeitsund Freizeitblöcken mit jeweils gleicher Dauer und Lage innerhalb eines Betrachtungszeitraumes gekennzeichnet.

Normalarbeitszeit Reduzierte Arbeitszeit Starre Arbeitszeit

Schichtarbeit Unregelmäßig verteilte regelmäßige Arbeitszeit ...

Arbeitszeitmodelle

Gleitende Arbeitszeit Flexibilisierte Teilzeit KAPOVAZ *) Flexible Arbeitszeit

Vertrauensarbeitszeit Langfristige Zeitkonten Job-Sharing ... *) Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit

14.806 B

226

Bild 7.10: Systematik der Arbeitszeitmodelle © IFA 14.806_B

7.7  Arbeitszeitgestaltung

Wie flexible Arbeitszeitmodelle zu bewerten sind, hängt sehr stark von der Perspektive des Bewertenden und von der Frage ab, wer über die zeitlichen Dispositionsspielräume verfügt. Bei der kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit (KAPOVAZ) liegt die alleinige Disposition über die Arbeitszeit beim Arbeitgeber, weshalb dieses Modell nicht auf die Zustimmung der Gewerkschaften trifft. Andere Formen der flexiblen Arbeitszeit wie die Gleitzeitarbeit, die flexibilisierte Teilzeit oder die Vertrauensarbeitszeit können den Arbeitnehmern eine sehr viel weitergehende Zeitsouveränität erlauben. So ist es beim Jobsharing möglich, dass sich zwei Mitarbeiter einen Arbeitsplatz teilen und ihre Arbeitszeit frei einteilen. Andere Formen der flexiblen Arbeitszeit sind neben dem unbezahlten Langzeiturlaub (Sabbatical) verschiedene Varianten von Lebensarbeitszeitkonten, die beispielsweise den gleitenden Einstieg in den Ruhestand erlauben. In der heutigen Wirtschaft besteht aus verschiedenen Gründen die Notwendigkeit der Nacht- und Schichtarbeit. Es kann erforderlich sein, Investitionskosten dadurch zu rechtfertigen, dass eine kapitalintensive Anlage möglichst rund um die Uhr ausgelastet wird.

Weitere wirtschaftliche Gründe für die Nacht- und Schichtarbeit liegen in einem beschleunigten technologischen Wandel, der die Amortisationszeit für die Produktionsmittel verkürzt. Daneben werden Technologien eingesetzt, die – wie in der Stahlindustrie und der Chemischen Industrie – einen vollkontinuierlichen Betrieb erfordern. Ein weiterer Grund ist die Versorgung der Bevölkerung beispielsweise mit Energie oder mit ärztlichen Leistungen, die sich nicht auf die Normalarbeitszeit beschränken kann. Nach dem Arbeitszeitgesetz (§ 6 ArbzG) ist die Arbeitszeit bei der Nacht- und Schichtarbeit jedoch nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu gestalten. Menschengerecht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Wohlbefinden und Gesundheit nicht beeinträchtigt und dass den Mitarbeitern eine angemessene Teilhabe am Sozialleben ermöglicht werden [Kna97]. Grundlage für den Erhalt von Wohlbefinden und Gesundheit ist die Berücksichtigung der „physiologischen Leistungskurve“ [Gra61; Sch93] zitiert nach Landau. Die Leistungskurve (Bild 7.11), welche den Verlauf der körperlichen und geistigen Leistungs-

7

Grenze der maximalen Leistungsfähigkeit

Dem Willen unzugängliche Notfallreserven

Grenze der physiologischen Leistungsbereitschaft Physiologische Nacht

Dem Willen zugängliches Leistungsvermögen

Unwillkürliche Leistungen

Bild 7.11: Verlauf der physiologischen Leistungsbereitschaft (nach Bjerner / Holm / Svenson und Graf, zitiert nach Landau) © IFA 14.807_Wd_B

6

8

10

12

14

16

18

20

22

24

2

4

6

Uhr

14.807 Wd B

227

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

bereitschaft beschreibt, ist genetisch weitgehend festgelegt [Land01, S. 40]. Sie liegt mit gewissen Einschränkungen während der physiologischen Nachtzeit im Leistungsbereich, der dem freien Willen zugänglich ist. Der Verlauf der Kurve kann intra- und interindividuell variieren, eine Verschiebung der Kurve um eine Schicht oder um einen halben Tag ist jedoch aus biologischen Gründen nicht möglich. Zwar reagiert der Körper mit Anpassungen auf die Schichtarbeit, doch führen vor allem die Früh- und die Nachtschicht tendenziell zu einem Dauerkampf gegen die eigene innere Uhr. Diesen Dauerkampf gilt es durch arbeitswissenschaftlich abgesicherte Maßnahmen zu minimieren. Andernfalls drohen eine deutliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens und ernsthafte Gesundheitsrisiken. In Phasen der geringen Leistungsfähigkeit steigt zudem das Risiko von Fehlhandlungen und Unfällen. Wie Untersuchungen bestätigen, geht die Frühschicht mit Schlafstörungen und Müdigkeit einher, während die Spätschicht und die Wochenendarbeit die Teilnahme am sozialen Leben beeinträchtigen [Kna97]. Die Probleme der Früh- und Spätschicht treten auch bei der Nachtschicht auf. Zusätzlich lassen sich bei der Nachtschicht weitere Beeinträchtigungen des Wohlbefindens durch Appetitstörungen und Magen-Darm-Beschwerden sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Magen-Darm- und HerzKreislauf-Erkrankungen nachweisen [Kna97]. Bei der Schichtplangestaltung sollten einer Studie zufolge, in der 9000 Schichtarbeiter untersucht wurden, folgende arbeitswissenschaftliche Empfehlungen beachtet werden [Kna97]:

•  Die

•  • 

228

Anzahl der hintereinander abzuleistenden Nachtschichten sollte möglichst gering sein. Als maximal gelten vier, als ideal weniger als drei aufeinander folgende Nachtschichten. Dies gilt gleichermaßen für die Früh- und die Spätschichten. Einer geblockten Freizeit am Wochenende ist gegenüber einzelnen freien Tagen in der Woche der Vorzug zu geben. Vorwärts rotierende Schichtsysteme (Früh-, Spät-, Nachtschicht) sind besser als rückwärts rotierende

•  •  • 

Arbeitszeitsysteme (Nacht-, Spät-, Frühschicht). Bei einer großen Arbeitsbelastung sollte die Schichtdauer verkürzt werden. Die Frühschicht sollte nicht um 6:00 Uhr, sondern erst um 7:00 Uhr beginnen. Schichtpläne sollten vorhersehbar sein und nicht kurzfristig durch den Arbeitgeber geändert werden.

In der arbeitswissenschaftlichen Literatur finden sich noch folgende weitere Empfehlungen:

•  Auf eine Nachtschicht sollte eine möglichst lange •  • 

Ruhepause folgen. Diese sollte länger als 24 Stunden sein. In der Nachtschicht sollten die Leistungsanforderungen verringert werden. Dies schließt den Verzicht auf Leistungsanreize ein. Für Nachtarbeiter sollten zusätzliche betriebsärztliche Maßnahmen ergriffen werden. Das Recht auf arbeitsmedizinische Untersuchungen regelt § 6 ArbZG.

Eine Möglichkeit zur Berücksichtigung möglichst vieler dieser Empfehlungen liegt im Übergang von einem 3-Schicht- auf ein 4-Schicht- oder 5-Schichtsystem. Die zunehmende Verbreitung flexibler Arbeitszeiten lässt sich u.a damit begründen, dass im Interesse kurzer Lieferzeiten und einer hohen Liefertreue die Betriebsnutzungsdauer an die schwankende Nachfrage angepasst wird. Neue Produktions- und Logistikkonzepte wie Lean Production oder Justin-sequence verstärken diesen Trend. Ein weiterer Grund liegt in der relativen Zunahme von Dienstleistungen. Diese richten sich in der zeitlichen Gestaltung nach den Kundenwünschen. Erfahrbar ist dies nicht nur im Einzelhandel, sondern auch bei industrienahen Dienstleistungen. Hier wird häufig in Projekten gearbeitet, die ebenfalls eine zeitliche Flexibilität erfordern. Hinzu kommen eine größere gesellschaftliche Akzeptanz von flexiblen Arbeitszeiten und nicht zuletzt auch das Interesse der Beschäftigten an einer flexibleren Verfügung über ihre Zeit.

7.7  Arbeitszeitgestaltung

Bereich Länge des Gleitrahmens

Verhältnis Kernzeit / Gleitspanne

Schwankungsbreite der Zeitkonten

Beispiele 9 Std. 10 Std. … 7 Std. / 9 Std 5 Std. / 10 Std. keine Kernzeit …

+ 20 Std. / - 20 Std. +100 Std. / - 50 Std. …

Bereich

Beispiele

Mitbestimmung des Arbeitnehmers

selbstbestimmte Arbeitszeit fremdbestimmte Arbeitszeit nach Absprache

Ausgleichsmodus

nach Absprache automatisch Ampelmodell …

Ausgleichszeitraum für Zeitguthaben

wöchentlich monatlich jährlich …

Ausgleichsumfang für Zeitguthaben

stundenweise halbtags tageweise …

7

Bild 7.12: Gestaltungsbereiche der gleitenden Arbeitszeit © IFA 14.808_B

Die Möglichkeiten einer flexiblen Gestaltung der 14.808 B Arbeitszeit sind recht vielfältig. Seit langem bekannt sind Überstunden und Bereitschaftsdienste. Relativ neu sind Modelle der gleitenden Arbeitszeit, die Vertrauensarbeitszeit sowie längerfristige Arbeitszeitkonten und Jahres- oder Lebensarbeitszeitmodelle. Als Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten haben auch heute noch die Überstunden die größte Verbreitung. An deren Stelle treten aber zunehmend flexiblere und für den Arbeitgeber kostengünstigere Lösungen. Als ein häufig praktiziertes Modell wird im Folgenden die gleitende Arbeitszeit und als ein umstrittenes Modell die Vertrauensarbeitszeit vorgestellt. Modelle der gleitenden Arbeitszeit beruhen auf Vereinbarungen, die einen Gleitzeitrahmen festlegen, innerhalb dessen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit verteilen können (s. Bild 7.12 [u. a. nach Luc98; Mar94]). Meist werden zudem eine Kernzeit mit Anwesenheitspflicht sowie eine erlaubte Schwankungsbreite der Zeitkonten festgehalten. Ziele der Gestaltung

von Gleitzeitmodellen sind eine optimale Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung und eine hohe Zeitsouveränität der Mitarbeiter. Die größte Flexibilität versprechen große Schwankungsbreiten und lange Ausgleichszeiträume. Die Folgen einer Gleitzeitregelung sind jedoch recht komplex und situationsabhängig. Beispielsweise können bei einem Konto mit einer sehr großen Schwankungsbreite bei Erreichen der Schwankungsgrenzen starke Handlungszwänge entstehen. Aus der Perspektive der Mitarbeiter ist die gleitende Arbeitszeit dann attraktiv, wenn die Mitarbeiter selbst die Lage und Länge der Arbeitszeit wählen können oder hierbei zumindest mit entscheiden. Eine größere Zeitsouveränität lässt sich zudem erreichen, wenn die Mitarbeiter flexibel den Umfang und den Ausgleichszeitraum für den Ausgleich positiver Zeitkonten wählen können. Ein weiterer Regelungsbereich ist der Ausgleichsmodus. Dieser kann in einer Absprache zwischen

229

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

7

Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehen. Dieser Modus allein reicht dann nicht mehr aus, wenn die Grenze eines Schwankungsbereiches erreicht wird. Für diesen Fall werden sogenannte Ampelmodelle praktiziert, die abgestufte Handlungszwänge für den Kontenausgleich enthalten. Ein möglicher Modus ist der automatische Ausgleich, der erfolgt, sobald die Grenze des Schwankungsbereiches erreicht wird. Weiterhin zu regeln ist der Ausgleichszeitraum, in dem das Konto die Nulllinie erreichen muss. Üblich sind längere Perioden wie ein halbes oder ein Jahr. Die Vertrauensarbeitszeit ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zeiterfassung abgeschafft wird und die Mitarbeiter stattdessen eigenverantwortlich ihre Arbeitszeit regulieren. Entscheidend für die Bewertung der Arbeitsleistung ist das Arbeitsergebnis, für das die Mitarbeiter die Verantwortung tragen. Da die Vertrauensarbeitszeit hochgradig unbürokratisch und flexibel ist, bietet sie große Chancen sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer. Dennoch ist die Vertrauensarbeitszeit vor allem in Gewerkschaftskreisen sehr umstritten. Kritiker befürchten eine Ausweitung der Arbeitsstunden, da die Schutzfunktion geregelter Arbeitszeiten entfällt und die Ergebnisverantwortung die Mitarbeiter zu einer „Selbstausbeutung“ und zum Verlust solidarischer Verhaltensweisen im Betrieb verleiten könnte. Wie eine Untersuchung zeigt, ist die „ungebremste Leistungssteigerung“ jedoch eine seltene Ausnahme [Böh04]. Vermehrt ist die ungeplante Fortschreibung einer Gleitzeitregelung zu beobachten, die meist vor der Einführung der Vertrauensarbeitszeit praktiziert wurde. Häufiger als die ungebremste Leistungssteigerung ist zudem die Realisierung von Vorteilen auf betrieblicher und Arbeitnehmerseite. Als entscheidend für die Einführung einer Vertrauensarbeitszeit, die sowohl zeitliche Flexibilität als auch Zeitsouveränität der Mitarbeiter erlaubt, sind Ausgleichsregelungen zu sehen, die eine Überlastung der Mitarbeiter verhindern. Als effizient haben sich folgende Maßnahmen erwiesen [Böh04]:

•  Die

Ermöglichung einer individuellen Zeitdokumentation,

230

•  virtuelle Ampelkonten, die abgestuft Handlungs•  •  •  • 

bedarf anzeigen, die Einrichtung eines Gremiums zur Klärung strittiger Fragen und Reklamationen (ClearingStelle), die Ermöglichung von bezahlter Mehrarbeit, optionale Modelle, die eine Rückkehr in die Zeiterfassung ermöglichen, verstärkte Anstrengungen zur Teamentwicklung mit dem Ziel einer Förderung solidarischer Verhaltensweisen.

Mit diesen Darlegungen sind die für den Fabrikplaner wesentlichen Aspekte der organisatorischen Arbeitsgestaltung abgeschlossen. Darüber hinaus ist aber die unmittelbare räumliche Arbeitsumgebung für eine zuverlässige und gesundheitserhaltende Arbeitsleistung von großer Bedeutung. Sie wird im folgenden Kapitel aus Sicht der Raumplanung behandelt.

7.8  [Ant94]

[App00]

[Bah01]

Literatur  ntoni, C.H.: Gruppenarbeit – mehr als A ein Konzept. Darstellung und Vergleich unterschiedlicher Formen der Gruppenarbeit. In: Antoni, C.H. (Hrsg.): Gruppenarbeit in Unternehmen. Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven, S. 19–48. Beltz, Psychologie Verlags Union, Weinheim 1994 Appelbaum, E. u. a.: Manufacturing Advantage. Why high-performance work systems pay off. Cornell University Press, Ithaka/London 2000 Bahnmüller, R.: Stabilität und Wandel der Entlohnungsformen. Entgeltsysteme und Entgeltpolitik in der Metallindustrie, in der Textil- und Bekleidungsindustrie und im Bankgewerbe. Rainer Hampp Verlag, München/ Mering 2001

7.8  Literatur

[Ben97]

[Ber00]

[Böh04]

[Deh01]

[Doe97]

[Fri99]

[Ger04]

[Ger06]

[Gra61]

 ender, G.: Lohnarbeit zwischen B Autonomie und Zwang. Neue Entlohnungsformen als Element veränderter Leistungspolitik. Campus Verlag, Frankfurt/M. New York 1997 Bergmann, B.: Arbeitsimmanente Kompetenzentwicklung. In: Bergmann, B. u. a. (Hrsg.): Kompetenzentwicklung und Berufsarbeit, S. 11–39. Waxmann Verlag, Münster New York München Berlin 2000 Böhm, S., Herrmann, C., Trinczek, R.: Herausforderung Vertrauensarbeitszeit. Zur Kultur und Praxis eines neuen Arbeitszeitmodells. Edition Sigma, Berlin 2004 Dehnbostel, P.: Perspektiven für das Lernen in der Arbeit. In: Arbeitsgemeinschaft QualifikationsEntwicklungsmanagement Berlin (Hrsg.): Kompetenzentwicklung 2001: Tätigsein – Lernen – Innovation, S. 53–94. Waxmann Verlag, Münster New York München Berlin 2001 Doerken, W.: Arbeitsbewertung. In: Luczak, H., Volpert, W. (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft, S. 994–998. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997 Frieling, E.; Sonntag, K.: Lehrbuch Arbeitspsychologie. 2. Aufl. Verlag Hans Huber, Bern u. a. 1999 Gerst, D.: Arbeitsorganisation und Qualifizierung. In: Wiendahl, H.-P., Gerst, D., Keunecke, L. (Hrsg.): Variantenbeherrschung in der Montage. Konzept und Praxis der flexiblen Produktionsendstufe, S. 95–118. Springer Verlag, Berlin u. a. 2004 Gerst, D.: Von der direkten Kontrolle zur indirekten Steuerung. Eine empirische Untersuchung der Arbeitsfolgen teilautonomer Gruppenarbeit. Rainer Hampp Verlag, München/Mering 2006 Graf, O.: Arbeitsablauf und Arbeitsrhythmus. In: Lehmann, G. (Hrsg.):

[Hac98]

[Int04]

[Kir05]

[Kna97]

[Land01]

[Luc98]

[Mar94]

[Nac97]

[Pla04]

Handbuch der gesamten Arbeitsmedizin. Bd. 1: Arbeitsphysiologie, S. 789–824. Urban und Schwarzenberg, Berlin 1961 Hacker, W.: Allgemeine Arbeitspsychologie: Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten. Huber, Bern u. a. 1998 Internationales Arbeitsamt: Entwicklung und Ausbildung der Humanressourcen. Internationale Arbeitskonferenz, 92. Tagung (2004), Bericht IV (2B). Genf 2004 Kirchler, E., Walenta, C.: Motivation. In: Kirchler, E. (Hrsg.): Arbeits- und Organisationspsychologie, S. 319–408. UTB, Wien 2005 Knauth, P.: Nacht- und Schichtarbeit. In: Luczak, H., Volpert, W. (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft, S. 938–946. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997 Landau, K., Wimmer, R., Luczak, H., Mainzer, J., Peters, H., Winter, G.: Anforderungen an Montagearbeitsplätze, S. 40. In: Landau, K., Luczak, H. (Hrsg.): Ergonomie und Organisation in der Montage. Hanser, München Wien 2001 Luczak, H.: Arbeitswissenschaft. Springer-Lehrbuch 2., vollst. neubearb. Aufl. Springer, Berlin u. a. 1998 Martin, H.: Grundlagen der menschengerechten Arbeitsgestaltung. Handbuch für die betriebliche Praxis. Bund Verlag, Köln 1994 Nachreiner, F., Grzech-Šukalo, H.: Flexible Formen der Arbeit. In: Luczak, H., Volpert, W. (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft, S. 952–957. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997 Plaut, W.-D., Sperling, H.-J.: Qualifikationsgerechte Entlohnung. Das Konzept der Lernzeit zur Grundlohneinstufung. In: Gergs, H.-J. (Hrsg.): Qualifizierung für Beschäftigte in der Produktion. RKW, Eschborn 2004

7

231

7  Arbeitsorganisatorische Arbeitsplatzgestaltung

[Port68]

[Ric58]

[Rob01]

[Sch00] [Scha93] [Son01a]

7 [Son00]

[Son01b]

[Spa04]

[Sta99]

232

 orter, L.W., Lawler, E.E.: Managerial P Attitudes and Performance. Homewood, Ill. 1968 Rice, A.: Productivity and social organisation. The Ahmedabad experiment. Tavistock, London 1958 Robins, S.R.: Organizational behavior. Concepts-controversies-applications. 9. Aufl. NJ: Prentice Hall, Englewood Cliffs 2001 Schanz, G.: Personalwirtschaftslehre. 3. Aufl. Vahlen, München 2000 Schmidtke, H. (Hrsg.) Ergonomie. Hanser, München 1993 Sonntag, K., Schaper, N.: Wissensorientierte Verfahren der Personalentwicklung. In: Schuler, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie, S. 242–263. Hogrefe, Göttingen 2001 Sonntag, K. u. a.: Leitfaden zur Implementation arbeitsintegrierter Lernumgebungen. Materialien zur Beruflichen Bildung Bielefeld. Bertelsmann, 2000 Sonntag, K., Stegmaier, R.: Verhaltensorientierte Verfahren der Personalentwicklung. In: Schuler, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie, S. 266–287. Hogrefe, Göttingen 2001 Spath, D.: Der Mensch im Arbeitssystem. Manuskript zur Vorlesung Arbeitswissenschaft 1. Stuttgart 2004 Staudt, E., Kriegesmann, B.: Weiterbildung: Ein Mythos zerbricht. Der Widerspruch zwischen überzogenen Erwartungen und Mißerfolgen der Weiterbildung. In: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management Berlin (Hrsg.): Kompetenzentwicklung ‚99. Aspekte einer neuen Lernkultur. Argumente, Erfahrungen,

[Sta02]

[Tho03]

[Uli01] [Wäc97]

[Wel91]

[Wie02]

[Zin97]

Konsequenzen, S. 17–59. Waxmann Verlag, Münster New York München Berlin 1999 Staudt, E., Kriegesmann, B.: Zusammenhang von Kompetenz, Kompetenzentwicklung und Innovation. Objekt, Maßnahmen und Bewertungsansätze – Ein Überblick. In: Staudt, E. u. a. (Hrsg.): Kompetenzentwicklung und Innovation. Die Rolle der Kompetenz bei Organisations-, Unternehmens-, und Regionalentwicklung, S. 15–70. Waxmann Verlag, Münster u. a. 2002 Thommen, J.-P., Achleitner, A.-K.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Umfassende Einführung aus managementorientierter Sicht. Gabler, Wiesbaden 2003 Ulich, E.: Arbeitspsychologie. 5. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2001 Wächter, H.: Grundlagen und Bestimmungsfaktoren des Arbeitsentgelts. In: Luczak, H., Volpert, W. (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft, S. 986–989. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997 Weltz, F.: Der Traum von der absoluten Ordnung und die doppelte Wirklichkeit der Unternehmen. In: Hildebrandt, E. (Hrsg.): Betriebliche Sozialverfassung unter Veränderungsdruck, S. 85–97. Edition Sigma, Berlin 1991 Wiendahl, H.-P., Begemann, C., Nickel, R.: Die klassischen Stolpersteine der PPS und wie sie vermieden werden: 7. Stuttgarter PPS-Seminar, Stuttgart 2002 Zink, K.J.: Soziotechnische Ansätze. In: Luczak, H., Volpert, W. (Hrsg.): Handbuch Arbeitswissenschaft, S. 74–77. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997

Kapitel 8 Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8

234

8.1 

Ergonomie

238

8.2 

Raumausstattung

241

8.3  Farbgestaltung 8.3.1 Psychologische Farbwirkungen 8.3.2 Sicherheitsfarben, Kennzeichnung Medienleitung 8.3.3 Ganzheitliches Farbkonzept

242 242 243 243

8.4  Arbeitsschutz 8.4.1 Übersicht

244 244

8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5 8.4.6

Arbeitsstättenverordnung Mitbestimmung Tritt- und Absturzsicherheit Gefahrstoffschutz Lärmschutz und Lärmminderung 8.4.7 Wärme-, Kälte-, Vibrationsschutz 8.4.8 Elektrosicherheit und Strahlenschutz

244 246 247 248

8.5 

252

Literatur

249 250 251

Bild 8.1:

Gestaltungsfelder und -elemente eines Arbeitsplatzes

237

Bild 8.2:

Aspekte der Arbeitsplatzgestaltung (nach REFA)

238

Bild 8.3:

Ergonomische Aspekte eines Arbeitsplatzes

239

Bild 8.4:

Sitz-Steharbeitsplatz (Bosch Rexroth)

239

Bild 8.5:

3D-Simulation eines Montagearbeitsplatzes (nach Modine)

240

Bild 8.6:

Mindestraumhöhen und Mindestlufträume für Arbeitsplätze (nach § 23 Arb. Stätt. V.)

241

Bild 8.7:

Zusammenhang der Arbeitsstätten-Verordnung und ArbeitsstättenRichtlinien mit anderen Gesetzen

244

Bild 8.8:

Übersicht Arbeitsstättenrichtlinien (nach Lehder)

245

Bild 8.9:

Prinzip der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung (nach Dlugos)

247

Bild 8.10: Grenzwerte und technische Möglichkeiten zum Lärmschutz und zur Lärmminderung

248

Bild 8.11: Wärmeempfinden des Menschen bei zunehmender Wärmestrahlung (nach H. Peter)

249

Bild 8.12: Gefährdung von Bauwerken durch Schwingungen (nach Lehder)

250

8

235

Arbeitsplätze, technische Arbeitsmittel und Arbeitsorganisation sollten so gestaltet sein, dass im Rahmen einer auch ästhetisch anregenden räumlichen Umgebung sicherheits- und gesundheitsgerechtes Arbeiten gewährleistet ist. Aus Raum-Sicht bedeutet dies die Bereitstellung einer wandlungsfähigen, geordneten Struktur innerhalb des überschaubaren Sehfeldes eines Arbeitsbereiches. Arbeitsplätze müssen nach den Erkenntnissen der Ergonomie (von grch. ergon = Arbeit, Werk; nomos = Gesetz, Regel) menschengerecht gestaltet sein und optimale Arbeitsbedingungen bieten. Die Flächen und Wege am Arbeitsplatz sind auch mit Rücksicht auf Behindertengerechtigkeit zu gestalten. Je nach Anforderung des durchzuführenden Prozesses muss die Raumausstattung in Weiterführung eines geeigneten Raumzuschnitts durch Detaillösungen für Boden, Wand und Decke gestaltet werden sowie Hygiene, Reinigungsfreundlichkeit, Staubfreiheit und

ggf. Keimfreiheit gewährleisten. Eine ganzheitliche Farbgestaltung sollte alle Komponenten eines Arbeitsplatzes zu einem verbindlichen Gesamtkonzept zusammenführen. Genormte Sicherheitsfarben, Medienkennzeichnungen, psychologische Farbwirkungen sowie ästhetische Aspekte sind hierbei zu einer überzeugenden Farbharmonie zu integrieren. Besondere Vorkehrungen der Unfall-, Brand- und Schadensverhütung schützen Arbeitnehmer vor den Gefahren aus ihrer beruflichen Tätigkeit. Im Rahmen des Arbeitsschutzes sind daher bauliche und haustechnische Maßnahmen vorzusehen, um Gefährdungen aus Betriebseinrichtungen und Prozessen, Gefahrstoffen, Ver- und Entsorgungsmedien sowie Brand- und Explosionsgefahr zu vermeiden. Bild 8.1 zeigt die aus diesen Anforderungen resultierenden Gestaltungsfelder und Gestaltungselemente eines Arbeitsplatzes. Diese werden nachfolgend, auch in ihrer Bedeutung für die Wandlungsfähigkeit, näher beschrieben.

8

Bild 8.1: Gestaltungsfelder und -elemente eines Arbeitsplatzes © Reichardt 14.809_JR_B

237

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8.1 

Ergonomie

Ziel einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung ist die Anpassung der Arbeitsbedingungen hinsichtlich Aufgabe und Umweltbedingungen an die Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen. Die verlangte Mengenleistung ist dabei in ausreichender Qualität bei niedrigen Arbeitssystemkosten und einer für den Menschen dauerhaft erträglichen Belastung und Beanspruchung unter Beachtung der Arbeitssicherheit zu gewährleisten. Bei der Gestaltung der Arbeitsplätze sind zum einen gesicherte Erkenntnisse aus den Gebieten zu berücksichtigen, die Bild 8.2 im oberen Bildteil zusammenfasst, während die Umgebungsbedingungen durch die Raumplanung im Hinblick auf die im unteren Bildteil genannten Faktoren zu gestalten sind [Ref9].

8

Bei der anthropometrischen Gestaltung (grch. anthropos = Mensch) geht es um die den Körpermaßen entsprechende Anordnung von Werkstücken, Werkzeugen und Bedien­elementen. Dabei sind die Beweglichkeitsbereiche, Reichweiten und Sehbereiche zu beachten, die sich aus den Skelett- und Umrissmaßen des Menschen einschließlich eventueller Schutzkleidung ergeben. Alle Arbeitsvorgänge sollten ohne große Anstrengung im Einklang mit den körperli-

chen Möglichkeiten verrichtet werden. Industriearbeitsplätze in bewegter Produktion, Werkbänke oder Bürotätigkeiten sollten natürliche Seh-, Greif- oder Bewegungsvorgänge fördern. Für die Arbeitsplatzgestaltung geht es um die den Körpermaßen entsprechende Anordnung von Werkstücken, Werkzeugen und Bedienelementen, eine Zusammenstellung findet sich in [Rüs06] und [Lan06]. Bild 8.3 zeigt hierzu zwei exemplarische Aspekte. Im Bild 8.3a wird das maximale und optimale Blickfeld thematisiert. Diese Merkmale sind besonders bei kurzzyklischen Arbeiten mit gleich bleibender Körperhaltung, wie sie z. B. bei Fließmontagearbeiten auftreten, zu beachten. Bild 8.3b zeigt einige Abstands- und Bewegungsmaße des Menschen. Sie sind bei der Bemessung von Stand- und Bewegungsflächen an Arbeitsplätzen sowie Verkehrswegen zu berücksichtigen. Behindertengerechte Arbeitsplätze sollten eine Selbstverständlichkeit darstellen, wozu die Zugänglichkeit zum Arbeitsplatz und die Anpassungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes gehören. Bild 8.4 zeigt einen nach ergonomischen Gesichtspunkten gestalteten Handarbeitsplatz, der wahlweise sitzendes oder stehendes Arbeiten erlaubt. Die den Werker umgebende Hülle kennzeichnet seinen Arbeitsraum. Unterschiedliche Körpergrößen wer-

Anthropometrie Arbeitsphysiologie des Arbeitsplatzes unter Berücksichtigung von

Gestaltung

Bewegungstechnik Informationstechnik Sicherheitstechnik Schall

der Arbeitsumgebung hinsichtlich

Schwingungen Klima Beleuchtung Farbe Stäube, Gase, Dämpfe

Bild 8.2: Aspekte der Arbeitsplatzgestaltung (nach REFA) © IFA 14.810_B

© Institut für Fabrikanlagen und Log

238

14.810 B

8.1  Ergonomie

8 Bild 8.3: Ergonomische Aspekte eines Arbeitsplatzes © Reichardt 14.811_JR_B

den durch einstellbare Sitzhöhen und Fußauflagen berücksichtigt. Die empfohlenen Abmessungen für den Bewegungsraum und den Montagetisch sind Bild 6.24 zu entnehmen. Die arbeitsphysiologische Arbeitsplatzgestaltung berücksichtigt vorrangig die Beanspruchung durch Muskelarbeit. Dabei sind einseitige dynamische Muskelarbeit, statische Haltearbeit und gebeugte und gebückte Körperhaltungen zu vermeiden. Die Beanspruchung ist unterhalb der Dauerleistungsgrenze zu halten. Diese entspricht einer menschlichen Leistung, die ohne nennenswerte Arbeitsermüdung und ohne gesundheitliche Schäden arbeitstäglich auf Dauer erbracht werden kann. Die Arbeitsplatzgestaltung nach Gesichtspunkten der Bewegungstechnik folgt den drei Grundprinzipien Bewegungsvereinfachung, Bewegungsverdichtung sowie Teilmechanisierung und Automatisierung. Die Bewegungsvereinfachung baut auf den fünf Be-

Bild 8.4: Sitz-Steharbeitsplatz (Bosch Rexroth) © IFA 10.336SW_B

239

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8

wegungselementen Fügen, Greifen, Verrichten, Hinlangen und Bringen auf. Es wird eine zeitminimale Reihenfolge dieser Bewegung unter Vermeidung schwieriger Bewegungen hinsichtlich Zielgenauigkeit und Sorgfalt angestrebt. Dies geschieht durch Verkürzung der Bewegungslängen und die entsprechende Anordnung der Betriebsmittel. Die Bewegungsverdichtung kann durch gleichzeitiges Ausführen gleicher oder unterschiedlicher Bewegungen mit beiden Händen und durch die Beseitigung unproduktiver, d. h. nicht wertschöpfender Tätigkeiten eine weitere Steigerung erreichen. Eine Teilmechanisierung und Automatisierung sollte erst oberhalb der maximal möglichen Bewegungsverdichtung be­ginnen, da der weiteren Zeitersparnis überproportionale Investitionen gegenüberstehen. Die informationstechnische Gestaltung befasst sich mit dem Informationsfluss zwischen Mensch, Betriebsmittel, Arbeitsgegenstand und Arbeitsumgebung, vorwiegend durch optische und akustische Signale. Dabei bestimmt die sichere Wahrnehmung und eindeutige Identifizierung die Anordnung und Gestaltung von Anzeigegeräten und Bedienelementen einer Maschine, aber auch die Gestaltung von Bildschirmmasken.

Die sicherheitstechnische Arbeitsplatzgestaltung dient der Unfallverhütung und der Verhinderung von Berufskrankheiten. DIN 31000 unterscheidet zwischen unmittelbarer, mittelbarer und hinweisender Sicherheitstechnik [DIN79]. Die unmittelbare Sicherheitstechnik vermeidet durch die konstruktive Ausführung von vornherein eine Gefährdung und hat Vorrang vor den weiteren Stufen. Die mittelbare Sicherheitstechnik sieht möglichst integrierte Schutzmaßnahmen an Gefahrenstellen vor, an denen die Möglichkeit einer Verletzung besteht. Dabei ist auf die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsabstände zu achten, um die Gefahrenstelle unzugänglich zu machen. Da sich Gefahrenstellen an Arbeitsplätzen nie ganz ausschließen lassen, sind diese durch Sicherheitszeichen oder Warneinrichtungen zu kennzeichnen und gegebenenfalls Körperschutzmittel bereitzustellen. Eine Übersicht über Maßnahmen der sicherheitstechnischen Arbeitsplatzgestaltung ist in [Leh05] und [Rüs07] zusammengestellt. Zur Erleichterung des Gestaltungsprozesses von Arbeitsplätzen unter ergonomischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten insbesondere in der manuellen Montage wurden verschiedene rechnerunterstützte Verfahren entwickelt. Durch die Modellierung des

Bild 8.5: 3D-Simulation eines Montagearbeitsplatzes (nach Modine) © Reichardt 14.812_JR_B

240

8.2  Raumausstattung

8 Bild 8.6: Mindestraumhöhen und Mindestlufträume für Arbeitsplätze (nach § 23 Arb. Stätt. V.) © Reichardt 14.813_JR_B

Menschen hinsichtlich seiner Körpermaße und Bewegungsbahnen sowie die Integration der Arbeitsplatzeinrichtung und Bereitstellungsmittel für Teile und Werkstücke in ein Arbeitsplatzmodell können – teilweise mit algorithmischer Unterstützung – günstige Anordnungen gefunden und dreidimensional dargestellt werden. Mittlerweile sind ausgereifte Modellierungs- und Simulationssysteme mit realitätsnaher Personendarstellung verfügbar. Bild 8.5 zeigt als Beispiel die mithilfe eines Simulationsprogramms erzeugte Darstellung eines Montagearbeitsplatzes, der in den Materialfluss einer größeren Anlage eingebunden ist.

8.2  Raumausstattung Am Arbeitsplatz sollte eine ausreichende Raumhöhe und ein Mindestluftraum für jeden ständig anwesenden Arbeitnehmer vorgesehen werden. Nach Bild 8.6

sind in Abhängigkeit von der Grundfläche des Arbeitsraumes entsprechend § 23 der Arbeitsstättenverordnung lichte Raumhöhen von mindestens 2,50 m bis über 3,25 m einzuhalten. Bei flexiblen Arbeitsplätzen mit variablen Grundflächen der Räume sollten die lichten Höhen weitsichtig ausgebildet werden. Ähnlich verhält es sich mit den Mindestlufträumen je Arbeitnehmer. Bei flexiblen, wandlungsfähigen Arbeitsplätzen sollten zumindest 15 m3 Luftraum je Person bereitgestellt werden. Die Medienführung am Arbeitsplatz sollte im Rahmen einer ordnenden Systemplanung variable Zuführungen und Auslässe für wechselnde Arbeitsplatzanordnungen ermöglichen. In der Halbleiterindustrie kann die Reinraumtechnik die Zuordnung spezieller Medien erfordern. Bei der Möblierung sind modular aufgebaute, variable Schrank- und Tischsysteme zu bevorzugen. Die Möbel sollten leicht zu bewegen sein, beständige und reinigungsfreundliche Oberflächen besitzen und über integrierte Installationsräume für Elektroleitungen, EDV und Telefon verfügen.

241

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8.3  Farbgestaltung

8

„Zum Leben braucht der Mensch die Farbe. Sie ist ein ebenso notwendiges Element wie das Wasser und das Feuer“ (Fernand Léger). Farben wirken direkt über die im Auge erzeugten Reize auf das Zwischenhirn. Die physiologischen wie psychologischen Auswirkungen auf den arbeitenden Menschen sind vielfacher Art. Daher sollte die Farbgestaltung alle Komponenten wie Betriebsmittel, Gebäude, Medien und Einrichtung zu einem räumlich stimmigen Gesamtkonzept integrieren. Positive Auswirkungen auf die Mitarbeiter liegen in der Steigerung von Arbeitsfreude und Arbeitsleistung, Verbesserung von Betriebsklima und Sicherheit sowie in Anregungen zur Ordnung und Hygiene. Ein ganzheitliches Farbkonzept führt psychologische Farbwirkungen, Vorgaben für Sicherheitsfarben und die Kennzeichnung von Medienleitungen zu einer ästhetisch wie funktional überzeugenden Farbharmonie zusammen.

8.3.1 Psychologische Farbwirkungen In unserer Sprache haben sich verschiedene Fachwörter zum Ausdruck von Gemütsbewegungen eingebürgert. Viele sind schon einmal „kreidebleich“ geworden und haben sich erst wieder wohl gefühlt, wenn sie etwas „Farbe bekommen haben“. Zeitweise können wir „rot sehen“ oder „blau sein“, und man sollte lieber immer eine „weiße Weste“ anhaben. Weitere Phänomene von Farben sind bei [Gek07] zusammengestellt. Da die Gefühlscharaktere verschieden sind, werden bestimmte bevorzugte Farben für Kleidung oder Einrichtungsgegenstände ausgewählt, die entweder zur Betonung der persönlichen Note dienen oder durch ihre lebhaften oder ruhigen Töne – je nachdem was der betreffende Mensch braucht – das Wohlbefinden des Individuums heben. Den Grundfarben werden von Farbforschern charakteristische Eigenschaften zugeschrieben: Rot: Die Farbe des Feuers und des Blutes, Ausdruck von Leben und Tatkraft. Rot ist untrennbar mit Leidenschaft, Hitze, Zorn und Krieg verbunden. Sie gilt als eine anregende Farbe. Blau: Die Farbe des tiefsten Eises. Rein gefühlsmäßig verbindet man sie mit Unbegrenztheit – die kalte

242

Weite des Raumes, Unendlichkeit. Blau spricht den Intellekt an, während Rot auf die Gefühlssphäre wirkt. Im symbolischen Sinne ist blau die Farbe der Wahrheit, die einer ruhigen Überlegung und niemals einer übereilten Entscheidung entspricht. Gelb: Die hellste der Grundfarben, die Farbe der Sonne und Ausdruck des Glanzes, des Strahlens und der Lebhaftigkeit. Ebenso wie Rot gilt Gelb als „maskuline“ Farbe, während Grün, Blau und Violett als „feminin“ betrachtet werden. Orange: Es ist eine Mischung aus Rot und Gelb und vereinigt daher das Kraftvolle im Rot mit dem leuchtend hellen Glanz des Gelbs. Grün: Eine Mischung aus Blau und Gelb; als Farbe der Natur bedeutet sie Heiterkeit, Auferstehung, Ruhe. Symbolisch ist es die Farbe der Hoffnung. Purpur: Eine Mischung aus Rot und Blau, an die sich Vorstellungen wie Pracht, Prunk und königliche Würde knüpfen; aber es hat wie Grün einen beruhigenden und besänftigenden Einfluss. Raum und Verhalten stehen in Beziehung zueinander. Ein Aktivitätsraum kann Verhalten beeinflussen, indem er Gegensätze gegeneinander ausspielt. Die Farbgestaltung eines Arbeitsraumes sollte sich nach der Art des Arbeitsvorgangs richten. Bei monotoner Arbeit ist die Anwendung einiger anregender Farbelemente im Raum empfehlenswert. Dabei sollten aber nicht große Flächen (Wände, Decken) mit einer anregenden Farbe versehen werden, sondern nur einige Elemente (z.B. Säule, Tür). Ist der Arbeitsraum groß, dann kann man ihn mit besonderen Farbelementen räumlich unterteilen. Stellt die in einem Arbeitsraum ausgeübte Tätigkeit hohe Anforderungen an die Konzentration, sollte die Farbgebung eher zurückhaltend sein, um unnötige Ablenkungen zu vermeiden. In diesem Fall sind Wände, Decke und andere Bauelemente mit möglichst hellen, farblich kaum wahrnehmbaren Tönen zu versehen. Für die Schaffung von Farbkontrasten ist zwischen der Farbgebung größerer Flächen (Wände, Möbel, etc.) und kleiner Flächen (Blickfänge für Knöpfe, Griffe, Hebel, etc.) zu unterscheiden. Für größere Flächen sollten Farben gewählt werden, die einen ähnlichen Reflexionsgrad aufweisen. Außerdem sollen bei größeren Flächen oder Gegenständen keine leuchtenden Farben verwendet werden, da sie die Netzhaut einseitig bean-

8.3  Farbgestaltung

spruchen, was sich in der Erzeugung von Nachbildern äußern kann. Die Orientierung und visuelle Erfassung des Arbeitsgutes wird durch die Schaffung eines Farbkontrastes zwischen Arbeitsgut und unmittelbarer Umgebung (Arbeitstisch oder Maschine) erleichtert. Auch hier sind Helligkeitsunterschiede zu vermeiden. Das „Erscheinungsbild“ Architektur, der sinnliche, optische Eindruck wird primär von der Farbe der Materialien und deren Struktur bestimmt. Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der Wahl des Baustoffes und dem Erscheinungsbild des fertigen Gebäudes. Im Außenraum bestimmt entweder die Eigenfarbigkeit von Materialien wie Sichtbeton, Metall, Holz, Naturstein, Kunststoff oder eine farbliche Beschichtung den Charakter eines Gebäudes. Im Innern des Gebäudes spielt die Materialwahl in Bezug auf die Behaglichkeit eine große Rolle. Neben der Farbigkeit der Materialien sind Stofflichkeit und Oberflächenstruktur (visuelle und haptische Wahrnehmung) wichtige Kriterien für das „Raumklima“. So haben beispielsweise lackierte Wände einen anderen Charakter als solche mit mattem Anstrich.

8.3.2 Sicherheitsfarben, Kennzeichnung Medienleitung In den meisten Ländern sind heute bestimmte Farben zur Kennzeichnung definierter Gefahren vorgeschrieben. Diese Vorbelegung einer Farbe mit einer bestimmten Information fördert die Entwicklung einer automatischen Schutzreaktion. Ähnlich der Ampelkodierung im Straßenverkehr regelt in Deutschland die DIN 4818 verbindliche RAL-Farben für bestimmte Gefahren. RAL steht für „Ausschuss für Lieferbedingungen und Gütesicherung (ursprünglich Reichsausschuss für Lieferbedingungen), der u. a. Farb-Codes festlegt (http//:ral. de). Die Farbe RAL 1004 (Goldgelb) signalisiert Vorsicht und weist auf mögliche Gefahren bei Transportbändern, Verkehrswegen und Treppenstufen hin. Brandbekämpfungseinrichtungen sollten in RAL 3001 (Signalrot) gekennzeichnet werden. Wie im Straßenverkehr steht Signalrot für Verbot, Halt, Gefahr. RAL 5010 (Enzianblau) hat nach DIN 4844 eine Gebotsfunktion und dient als Hinweiszeichen mit zusätzlichen sicherheitstechnischen Anweisungen für z.B. Lärmschutz. RAL 6001

(Smaragdgrün) signalisiert Gefahrlosigkeit und erste Hilfe. Diese Farbe findet Anwendung auf Piktogrammen für Fluchtwege, Türen der Notausgänge sowie Räumen und Geräten zur ersten Hilfe. In Ergänzung der Farbe von Brandbekämpfungseinrichtungen sind in DIN 2403 Kennzeichnungen von Medienleitungen festgelegt. Viele Unternehmen haben auf dieser Grundlage Werksvorschriften mit eigenen Kodierungen für Prozessmedien und Gebäudemedien erarbeitet. Sinnvollerweise ist auch die Flussrichtung der Medien durch z.B. entsprechende Banderolen anzugeben.

8.3.3 Ganzheitliches Farbkonzept Die Betriebsstätte als Ganzes sowie Arbeitsbereiche bis hin zu einzelnen Arbeitsplätzen sollte eine geordnete optische Struktur darstellen. Dabei verdeutlicht und unterstreicht die Farbgebung die Orientierung, Raumform, Anordnung der Betriebsanlagen und Beleuchtung. Hilfreiche Ordnungsprinzipien sind Achsen, Bezugsebenen, Gruppen oder geometrische Muster. Prozessfolgen können durch Linien oder Reihung verdeutlicht werden. [Ben07] bezieht in Erweiterung der eigentlichen Betriebsstätte ausdrücklich auch das Umfeld der Nachbarschaft von Industriebauten in ein ganzheitliches Farbkonzept ein. Neben den allgemeinen Raumwirkungen als Begrenzungsflächen der Bauteile des Gebäudes spielen die Farben der Maschinen und Einrichtungsgegenstände im funktionalen wie ästhetischen Bezug eine große Rolle. Psychologische Farbwirkungen, Sicherheitsfarben, Medienkennzeichnung und übergeordnete Unternehmensfarben sollten zu einem funktionellen wie ästhetisch überzeugenden Ganzen zusammengeführt werden. Oft erweist sich zwecks Herausarbeitung einer beabsichtigten Identität eine Differenzierung in akzentuierte Leitfarben und zurückhaltende Nebenfarben als sinnvoll. Hierzu bietet sich eine ganzheitliche Farbsimulation von Prozess, Gebäude, Medien und Einrichtung am 3D-Modell an. Herkömmliche Studien benutzen Farbkollagen zur Entwicklung von Farbharmonien. Die Vorteile der Farbstudien am 3D-Modell liegen in der Raumwirkung frei wählbarer Standorte der Betrachtung,

8

243

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

Arbeitsstätten-Verordnung und Arbeitstättenrichtlinien berühren folgende Gesetze und gesetzesähnliche Vorschriften

Gewerbe-Ordnung (GewO) §120a Betriebssicherheit §120c Gemeinschaftsunterkünfte §120f Ermächtigungen §139g Befugnisse Arbeitssicherheitsgesetz §3 Betriebsarzt §6 Sicherheitskräfte

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §618-619 : unabdingbare Schutzvorschriften beim Dienstvertrag

Arbeitsschutzvorschriften z.B. : Arbeitsstoff V. J. Arb. Sch. G Mu. Sch. G. MAX-Werte

Handelsgesetzbuch (HGB) §62 : Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Unfallverhütungsvorschriften Maschinenschutzgesetz

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVerfG) §87 Mitbestimmung §89 Arbeitsschutz §90 Beratungsrecht §91 Mitbestimmung

Bauordnungsrecht der Länder

tarifvertraglich vereinbarte Regelungen

Sie verpflichten den Arbeitgeber bei der Arbeitsstättengestaltung zur Beachtung von:

allgemein anerkannten Regeln der - Sicherheitstechnik - Arbeitsmedizin und - Hygiene

arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie z.B. vom Fachnormenausschuss Ergonomie im DIN dargestellt sind oder noch dargestellt werden

Bei der Durchführung dieser Aufgaben wirken mit:

8

innerbetrieblich Fachkräfte

Vorgesetzte

außerbetrieblich Betriebsrat

Aufsichtsbeamte der Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft

Bild 8.7: Zusammenhang der Arbeitsstätten-Verordnung und Arbeitsstätten-Richtlinien mit anderen Gesetzen © IFA D3823_B

realistischer Farbverteilung von Leitfarben und Nebenfarben sowie in der Möglichkeit einer vergleichenden Bewertung von Farbvarianten. Besonders wichtige Bereiche, wie z.B. ein Foyer, können mittels Eingabe der Reflexionsgeraden der Materialien und Berechnung aller Licht- und Schattenwirkungen fotorealistisch simuliert werden.

8.4  Arbeitsschutz

8.4.1 Übersicht Für die Fabrikplanung und den Fabrikbetrieb spielt eine große Zahl von Vorschriften, Gesetzen und Verordnungen eine wichtige Rolle, die in ihren Grundzügen auch dem Fabrikplaner und in bestimmten

244

Details insbesondere dem Architekten vertraut sein müssen. Dabei sind zwei Bereiche von besonderer Bedeutung, weil sie deren Tätigkeitsbereiche unmittelbar berühren. Zum einen hat der Gesetzgeber den Schutz des Arbeitnehmers in der gewerblichen Wirtschaft stark ausgebaut und die Einrichtung und den Betrieb gewerblicher Arbeitsstätten detailliert mit Verordnungen und Richtlinien belegt. Zum anderen bedeutet die gesetzliche Mitbestimmung eine weit reichende Beteiligung des einzelnen Arbeitnehmers und des Betriebsrats in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Belangen. Zunehmend berühren jedoch auch umweltrechtliche Aspekte den betrieblichen Ablauf.

8.4.2 Arbeitsstättenverordnung Eine Übersicht über die wesentlichen Gesetze und Vorschriften zu Arbeitsstätten vermittelt Bild 8.7 [Ave76]. Man erkennt, dass neben der Gewerbeord-

8.4  Arbeitsschutz

nung noch allgemeine Berührungspunkte zum Bürgerlichen Gesetzbuch, zum Handelsgesetzbuch und zum Betriebsverfassungsgesetz bestehen und dass spezielle Beziehungen durch das Arbeitssicherheitsgesetz, die Arbeitsschutzvorschriften, das Maschinenschutzgesetz, die Unfallverhütungsvorschriften, das Bauordnungsrecht und gegebenenfalls speziell tarifvertraglich vereinbarte Regelungen bestehen. Die Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) [Arb04] trat am 1. Mai 1976 in Kraft (zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.08.2004) und stellt zusammen mit den Arbeitsstättenrichtlinien (ASR) [ASR06] das bisher letzte Glied der Arbeitsschutzgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland dar. Sie fasst zahlreiche geltende Einzelvorschriften des Arbeitsstättenrechts zusammen, modernisiert sie und ergänzt sie durch die neuesten Erkenntnisse des Arbeitsschutzes, der Arbeitsmedizin, der Arbeitshygiene und der Arbeitswissenschaft. Neu hinzugekommen ist der

Nichtraucherschutz. Die Verordnung gilt für alle Arbeitsstätten in Industrie, Handel und Dienstleistungsbetrieben [OSP05]. Gemäß §3 ArbStättV hat der Arbeitgeber die Arbeitsstätte einschließlich der dazu gehörenden Verkehrswege, Lager-, Maschinen- und Nebenräume, Erholungs-, Sanitär- und Sanitätsräume nach dieser Verordnung, den sonst geltenden Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften und nach den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Regeln sowie den sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen einzurichten und zu betreiben. Die hier wesentlichen Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind sachbezogen, insbesondere die Verordnung für überwachungsbedürftige Anlagen, die Druckluftverordnung, die Arbeitsstoffverordnung, das Gesetz über technische Arbeitsmittel und die Strahlenschutzverordnung. Mehr personenbezogen sind demgegenüber das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), das Mutterschutzge-

8

Bild 8.8: Übersicht Arbeitsstättenrichtlinien (nach Lehder) © Reichardt 14.814_JR_B

245

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8

setz (MuSchG) und die Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Als allgemein anerkannte sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und hygienische Regeln gelten sowohl die einschlägigen Normen, VDI- und VDERichtlinien usw. als auch allgemein von Fachleuten anerkannte und in der Praxis bewährte Regeln. Sie sind insbesondere den 30 Arbeitsstättenrichtlinien (ASR) zu entnehmen, welche vom Bundes­minister für Arbeit und Soziales veröffentlicht werden [ASR06]. Bild 8.8 zeigt eine Übersicht über die Arbeitsstättenrichtlinien. Sie betreffen hauptsächlich Belichtung, Raumklima, Ausbauten und Sozialbereiche. Diese Richtlinien stellen zwar keine rechtsverbindlichen Vorschriften dar, jedoch darf von ihnen und den übrigen anerkannten Regeln nur abgewichen werden, wenn Maßnahmen getroffen werden, die ebenso wirksam sind. Ergänzt werden diese Vorschriften durch die Bauordnungen der Länder, die sich zum Teil auch mit diesen überschneiden [OSP05]. Die Kontrolle der Ausführung der Arbeitsstättenverordnung und der übrigen Rechtsvorschriften des Arbeitsschutzes obliegt den Bundesländern. Diese haben die Gewerbeaufsichtsämter und die Berufsgenossenschaften mit der Durchführung beauftragt. Mit der Richtlinie 89/391 EWG (ArbeitsschutzRahmenRL) des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit gewinnt die Europäische Gesetzgebung an Bedeutung. Die Richtlinie verpflichtet Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen zu vorbeugenden Maßnahmen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes. Die entsprechenden Maßnahmen sind mit dem Qualitäts- und Umweltmanagement durch ein Arbeitsschutzmanagement umzusetzen [KKSW01, KuKi05]. Spezifische Betriebseinrichtungen und Prozesse sowie die Verarbeitung von Gefahrstoffen bedingen geeignete Ver- und Entsorgungsmedien. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Vermeidung von Brand- und Explosionsgefahr. Gefährdungen zu erkennen und zu bewerten ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Beschäftigten vor Unfällen und

246

arbeitsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen zu schützen. Im Sinne des auch im Rahmen der Wandlungsfähigkeit betrachteten Themas des Arbeitsschutzes sind die gesetzlichen Anforderungen für Tritt- und Absturzsicherheit, Gefahrstoffe, Lärmschutz und Lärmminderung, Wärme-, Kälte-, Vibrationsschutz sowie Elektrosicherheit und Strahlenschutz zu erörtern. Zuvor soll jedoch kurz auf die Mitwirkung der Arbeitnehmer bei der Arbeitsplatzgestaltung eingegangen werden.

8.4.3 Mitbestimmung Wie bereits erwähnt, ist bei der Gestaltung von Arbeitsstätten die Einbeziehung der Arbeitnehmer und des Betriebsrats verbindlich vorgeschrieben. Bei den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer und des Betriebsrates ist zunächst zwischen Mitwirkung und Mitbestimmung zu unterscheiden. Bei der Mitwirkung haben die Beteiligungsberechtigten das Recht der Information, der Anhörung oder der Beratung; die Entscheidung jedoch wird vom Arbeitgeber getroffen. Die Mitbestimmung bedeutet demgegenüber ein Mitentscheidungsrecht, wobei drei Formen zu unterscheiden sind: Beim Initiativrecht können vom Arbeitnehmer oder vom Betriebsrat bestimmte Maßnahmen verlangt bzw. erzwungen werden. Das Widerspruchsrecht ermöglicht dem Betriebsrat den Einspruch gegen Maßnahmen, die der Arbeitgeber selbständig treffen kann. Durch das Zustimmungsrecht schließlich ist die Zustimmung des Betriebsrats zu bestimmten Maßnahmen des Arbeitgebers erforderlich. In Bild 8.9 ist erkennbar, auf welche Angelegenheiten sich die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmer und Betriebsrat erstrecken [Dlu80]. So besitzt der Arbeitnehmer Informations-, Anhörungs- und Initiativrechte, die sich auf seinen Arbeitsplatz, den Arbeitsablauf und seine Person beziehen. Der Betriebsrat hat darüber hinaus noch wesentlich erweiterte Gebiete der Beteiligung. Diese betreffen neben den allgemeinen, ihn selbst berührenden Aufgaben vor allem soziale und personelle

8.4  Arbeitsschutz

Arbeitsplatz

Beteiligungsebene

Beteiligungsberechtigte

Arbeitnehmer • Arbeitsplatz • Arbeitsablauf • Personalakte • Beschwerde

Mitwirkung

Beteiligungsrechte

Informationsrecht

Mitbestimmung

Beteiligungs angelegenheiten

Initiativrecht

Betrieb

Betriebsrat • allgemeine Aufgaben - Amtsobliegenheiten - Rechte - Beschwerdeverfahren

• soziale Angelegenheiten - Arbeitsbedingungen - Arbeitsschutz - Sozialeinrichtungen - Arbeitsplatzgestaltung - Arbeitsablauf - Arbeitsumgebung

• personelle Angelegenheiten - Arbeitsplatzausschreibung - Berufsbildung - Einstellung - Entlassung - Ein- und Umgruppierung - Versetzung - Grundsätze der Beurteilung

• wirtschaftliche Angelegenheiten - Wirtschaftsausschuss - Betriebsänderungen - Interessausgleich - Sozialplan - Nachteilausgleich

Anhörungsrecht Beratungsrecht

Widerspruchsrecht Zustimmungsrecht

8

Bild© 8.9: der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung (nach Dlugos) InstitutPrinzip für Fabrikanlagen und Log 14.815 Wd B © IFA 14.815_Wd_B

Angelegenheiten der Arbeitnehmer. Gemäß den Absichten des Gesetzgebers, den Arbeitnehmer vor eventuellen negativen Auswirkungen unternehmerischer Entscheidungen zu schützen, bestehen hier auch die stärksten Beteiligungsrechte. Wie die Aufzählung in den beiden Gruppen zeigt, wird hier eine intensive Information, Beratung und Zustimmung des Betriebsrates in allen Belangen der Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsplatzbesetzung gesichert, die im Gesetz detailliert geregelt ist [Fit06]. Die Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten ermöglicht dem Betriebsrat durch die Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses, sich laufend über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu informieren sowie bei den personenbezogenen finanziellen Folgen größerer Betriebsveränderungen mitzuwirken. Als beherrschender Grundsatz des Betriebsverfassungsgesetzes ist schließlich das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes hervorzuheben. Kann in bestimmten Fällen keine Übereinstimmung zwischen Arbeitge-

ber und Betriebsrat oder Arbeitnehmer erzielt werden, ist zunächst eine Einigungsstelle anzurufen und erst dann das Arbeitsgericht. Wie bereits erwähnt, werden nun die für die Arbeitsplatzsicherheit wesentlichen Aspekte vertieft.

8.4.4 Tritt- und Absturzsicherheit Stürze durch Ausrutschen, Fehltreten oder Stolpern müssen durch entsprechende Gestaltung der Trittflächen vermieden werden. Unfälle entstehen meist durch mangelhafte Rutschsicherheit oder unzulässige Unebenheiten von Fußböden. Je nach Anforderung können feinraue, raue oder profilierte Oberflächen zweckmäßig sein. Nach DIN 51130 sowie berufsgenossenschaftlichen Richtlinien werden rutschhemmende Eigenschaften von Trittflächen mit R-Gruppen charakterisiert. Muss in Arbeitsräumen oder auf Freiflächen mit erheblichen Verschmutzungen gerechnet werden, ist die Profilierung der Böden von Bedeutung. Bei Trittflächen und Gehwegen sind Steigungen und Neigungen von mehr als 25 % sowie Stolperkanten größer 6 mm zu vermeiden. Absturz-

247

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

gefahr besteht bei Falltiefen größer 1,0 m; nach Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstättenrichtlinien müssen geeignete Umwehrungen den Absturz in Gefahrbereiche verhindern.

8.4.5 Gefahrstoffschutz

8

Luftgetragene Gefahrstoffe wie Gase, Dämpfe, Nebel, Rauch oder Stäube können über die Atmungsorgane, die Haut sowie den Magen-Darm-Trakt in den Körper gelangen. Das Chemikaliengesetz (ChemG) sowie die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) regeln grundsätzliche Rechtsvorschriften. Die Technischen Regeln für gefährliche Stoffe (TRGS), Technische Regeln für gefährliche Arbeitsstoffe (TRgA) sowie die Technischen Regeln für brennbare Flüssigkeiten (TRbF) definieren spezielle Anforderungen. Zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten sind die zulässigen Konzentrationswerte in der Luft am Arbeitsplatz (MAK-Werte) für verschiedene sogenannte Gewerbegifte gesetzlich geregelt.

Bauliche Schutzmaßnahmen beziehen sich insbesondere auf die unmittelbare Erfassung und Abführung der Gefahrstoffe am Entstehungsort sowie die besondere Gestaltung von Gefahrstofflagern. Gefahrstofflager müssen unter Berücksichtigung der TRGS-Vorschriften über besondere Brandschutzeinrichtungen, Sicherheitsabstände, Zufahrten für die Feuerwehr, Fluchtwege und Beleuchtung verfügen. Darüber hinaus muss auf Gefahrstoffe bei der Bauerstellung durch zunehmenden Einsatz chemischer Produkte als Baumaterial (z.B. Bitumen, Fußbodenkleber, Anstrichstoffe) hingewiesen werden. Im Sinne der Wandlungsfähigkeit der Nutzung ist der Einsatz von baubiologisch einwandfreien Materialien höchst ratsam. Viele Bauherren legen schon bei der Festsetzung der Zielprojektion für die Gebäudestruktur besonderes Gewicht auf den Einsatz baubiologisch unbedenklicher Materialien. Der generelle Verzicht auf Lösungsmittel oder PVC in den verwandten

Bild 8.10: Grenzwerte und technische Möglichkeiten zum Lärmschutz und zur Lärmminderung © Reichardt 14.816_JR_B

248

8.4  Arbeitsschutz

Bild 8.11: Wärmeempfinden des Menschen bei zunehmender Wärmestrahlung (nach H. Peter) © Reichardt 14.817_JR_B

Bauelementen ist auch wirtschaftlich interessant, wird doch die Gesundheit der Mitarbeiter nachhaltig geschützt.

8.4.6 Lärmschutz und Lärmminderung In Betriebsstätten tritt häufig Lärm als unerwünschte Form des hörbaren Schalls auf. Die Gesamtlautstärke der als störend empfundenen Geräusche setzt sich aus Anlagengeräuschen und sonstigen Geräuschen zusammen. Anlagengeräusche entstehen aus Fertigungsprozessen und Fertigungseinrichtungen, Fördertechnik sowie technischer Ver- und Entsorgung. Sonstige Geräusche sind alle möglichen Störeinflüsse wie z.B. Hintergrundgeräusche im Raum oder Straßenlärm von außen. Die geräuschbedingten Schwingungen breiten sich wellenförmig in verschiedenen Medien aus (Luftschall, Körperschall, Flüssigkeitsschall). Häufig wird an Maschinen und bei Bearbeitungsvorgängen primär Körperschall erzeugt und dieser als Luftschall abgestrahlt; jedoch entsteht Luftschall auch unmittelbar durch Strömungsvorgänge an z.B. Auspuffanlagen, Düsen oder Lüftern. Wie-

derholt auftretender und lang andauernder Lärm wirkt belästigend und schädigt die Gesundheit, hochfrequente und impulshaltige Geräusche sind im Allgemeinen gefährlicher als niederfrequente und kontinuierliche Geräusche. Lärmschwerhörigkeit, Sicherheitsrisiken, geringere Arbeitsleistung mit erhöhten Fehlerquoten bis hin zu vegetativen Befindlichkeits­störungen können sich als Folgen schädlicher Lärmemission einstellen. Lärmminderungsmaßnahmen sind der Einsatz lärmarmer Maschinen, Lärmminderung an der Quelle sowie Minderung der Luftschallübertragung. Nach [Fas03] mindern Zwischenlagen aus Gummi, Kork oder Kunststoffen die Weiterleitung vom Körperschall in festen Bauteilen. Eine weitere bauliche Maßnahme der Luftschalldämpfung ist die Absorption von Schallanteilen durch die Verkleidung von Decken- und Wandflächen sowie der Innenflächen von Schallschutzkapselungen durch weiche und offenporige Materialien geringer Dichte. Schallschutzkabinen und Schallschirme dienen vor allem der direkten Lärmminderung am Arbeitsplatz. Geschlossene Kabinen mit eigenem Lüftungssystem können den Schallpegel um bis zu 30 dB verringern.

8

249

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

Bild 8.10 zeigt in Anlehnung an [Sch96] Grenzwerte für Lärmschutz und technische Möglichkeiten der Lärmminderung. Im Sinne der Wandlungsfähigkeit sollten die baulichen Systeme der Lärmminderung generell flexibel, mobil und mit geringem Aufwand umbaubar sein.

8.4.7 Wärme-, Kälte-, Vibrationsschutz Einige Produktions- oder Lagerprozesse verursachen erhebliche Wärme- oder Kältebelastungen; Gefährdungen der Gesundheit von Menschen dürfen hieraus nicht entstehen. Gefährdungen entstehen aus extremen klimatischen Parametern, wärmeoder kältestrahlenden Oberflächen sowie direktem Körperkontakt mit extrem temperierten Oberflä-

chen, Flüssigkeiten und Gasen. Bild 8.11 zeigt den Zusammenhang von Wärmebelastung und Schmerzempfinden (nach Peter in [Poe85] S. 10). Besondere bauliche Maßnahmen bestehen in der Abschirmung gefährdender Strahlung durch Reflexion und Absorption mittels fester oder mobiler Trennwände, Schutzschirmen, Kettenvorhängen, Drahtgewebe, Reflexionsanstrichen und Klimaschutzgläsern. Zur Unterstützung einer erhöhten Behaglichkeit dienen auch lüftungs- und klimatechnische Maßnahmen. Betriebseinrichtungen, Transportmittel und Werkzeuge erzeugen während ihres Einsatzes mechanische Vibrationen. Diese übertragen sich über Kontaktstellen als Teilkörpervibrationen in Hände und Arme bzw. über Fußboden oder Sitz

8

Bild 8.12: Gefährdung von Bauwerken durch Schwingungen (nach Lehder) © Reichardt 14.818_JR_B

250

8.4  Arbeitsschutz

als Ganzkörpervibrationen. Bei Tätigkeiten hoher Konzentration oder Feinmotorik wirken spürbare Schwingungen lästig und leistungsmindernd; sie können gesundheitliche Schäden des Herzkreislaufsystems, der Nerven sowie des Knochenapparates fördern. Ein primärer technischer Vibrationsschutz vermindert oder beseitigt die Schwingungsursachen z.B. durch Verfahrenswechsel oder Einsatz anderer Betriebseinrichtungen. Beim sekundären technischen Vibrationsschutz wird das schwingende System so dimensioniert, dass die Schwingungen der vom Menschen berührten Gegenstände bei vorgegebener Eigenfrequenz möglichst gering bleiben. Bauliche Maßnahmen zur Verminderung von Schwingungsübertragung sind die Reduzierung der Eigenfrequenzen von Maschinen durch die Absetzung auf Federn oder Isolatoren aus Stahl, Gummi oder Kork. Dies bedingt flexible Anschlüsse für Medien- sowie Transportsysteme. Weiterhin müssen insbesondere bei Geschossbauten gefährdende dynamische Zustände beachtet werden, die sich aus der Anregung der Eigenfrequenz der Geschossdecken durch die Nähe zur Erregerfrequenz einer Betriebseinrichtung ergeben. Bild 8.12 zeigt den Zusammenhang von Schwingungsgeschwindigkeit, Eigenfrequenz und Gefährdung von Bauwerken [Leh05].

8.4.8 Elektrosicherheit und Strahlenschutz Elektrische Anlagen müssen zuverlässig einen unterbrechungsfreien und sicheren Betrieb gewährleisten. Umspann- und Gleichrichteranlagen sind in abgeschlossenen elektrischen Betriebsräumen unterzubringen. Schaltanlagen müssen gegen Berühren spannungsführender Teile sowie Eindringen von Fremdkörpern und Wasser gesichert sein. Gesundheitsgefahren erwachsen aus der elektrischen Durchströmung des menschlichen Körpers beim Berühren unter Spannung stehender Teile. Bei allen Maßnahmen, die einen Schutz durch automatische Abschaltung bewirken, ist im Gebäude ein Hauptpotenzialausgleich einzurichten. Dabei wird der

Schutzleiter über eine Potenzialausgleichsschiene mit metallischen Gebäudekonstruktionen, leitfähigen Teilen von Technikanlagen sowie metallischen Rohrleitungen verbunden. Neuere Forschungsergebnisse weisen auf den gesundheitsgefährdenden Einfluss von Elektrosmog am Arbeitsplatz hin. Darunter wird die unerwünschte Abstrahlung von technisch erzeugten elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern verstanden. Bei der Auswahl der Elektronikgeräte sollten geringe Anschlusswerte und strahlungsarme Komponenten, wie z.B. Flachbildschirme, bevorzugt werden. Strahlung tritt als elektromagnetische Strahlung sowie als Korpuskularstrahlung auf. Die wichtigste Strahlenquelle ist die Sonne. Gefährliche Wirkungen gehen vor allem von elektromagnetischen Strahlen mit Wellenlängen unter 10-8 m wie Röntgen- oder Gammastrahlen sowie von radioaktiven Korpuskularstrahlen aus. Die Intensität nimmt meist mit dem Quadrat der Entfernung von der Strahlenquelle ab. Entsprechende Schutzmaßnahmen sind unter Berücksichtigung der Eigenschaften der jeweilig auftretenden Strahlung zu planen. Bauliche Schutzmaßnahmen gegen Betastrahlen sind dünne Bleche, gegen Infrarotstrahlen reflektierende Flächen sowie gegen Funkwellen und technische Wechselströme Blechabschirmungen. Werkstoffe hoher Dichte, wie Bleiwände, werden zum Schutz vor Röntgen- und Gammastrahlen eingesetzt. Geräte und Anlagen, von denen eine gefährdende Strahlung hoher Intensität ausgeht, sollten bevorzugt in großer Entfernung von Aufenthaltsbereichen der Beschäftigten angeordnet werden. Eine wirksame Abschirmung bieten feste Trennwände aus Beton oder Ziegeln, flexible Wände aus Bleiziegeln oder mobile Schirme aus Blech oder textilen Werkstoffen. Mit diesen Ausführungen ist die Behandlung der Gestaltung auf Arbeitsplatzebene aus räumlicher Sicht abgeschlossen. Zusammen mit den Aspekten der funktionalen Arbeitsplatzgestaltung (Kap. 6) und organisatorischen Arbeitsplatzgestaltung (Kap. 7) fließen sie in die Gestaltung der Bereichsebene ein. Diese wird zunächst funktional betrachtet (Kap. 9), dann aus räumlicher Sicht (Kap. 10).

8

251

8  Räumliche Arbeitsplatzgestaltung

8.5  Literatur  rbeitsstättenverordnung: ArbStättV. A Bundesgesetzblatt Jg. 2004, Teil I, Nr. 44, S. 2149–2189 [ASR06] Arbeitsstättenrichtlinien. Vorschriften und Empfehlungen zur Gestaltung von Arbeitsstätten. Verlagsgesellschaft Weinmann, Filderstadt 2006 [Ave76] Avenarius, A., Pfützner, R.: Arbeitsplätze richtig gestalten nach der Arbeitsstättenverordnung, München 1976 [Ben07] Benad, M., Opitz, J.: Architekturfarben – Lehre der Farbgestaltung nach Friedrich Ernst v. Garnier. Verlag Anton Siegl, München 2007 [DIN79] Allgemeine Leitsätze für das sicherheitsgerechte Gestalten technischer Erzeugnisse. Beuth, Berlin Wien Zürich 1979 [Dlu08] Dlugos, G.: Mitbestimmung. In: Grochla, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 2. Aufl., Stuttgart 1980 [Fas03] Fasold, W., Veres, E.: Schallschutz und Raumakustik in der Praxis – Planungsbeispiele und konstruktive Lösungen. 2. Aufl. Verl. Bauwesen, Berlin 2003 [Fit06] Fitting, K. u. a. (Hrsg.): Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), Handkommentar. 23. Aufl., München 2006 [Gek07] Gekeler, H.: Handbuch der Farbe – Systematik, Ästhetik, Praxis. 6. Aufl. Verl. DuMont Buchverlag, Köln 2007 [KK01] Kröger, D., Klauß, I.: Umweltrecht. Schnell erfasst. München Wien 2001 [KKSW01] Koether, R., Kurz, B., Seidel, U. a., Weber, F.: Betriebsstättenplanung und [Arb04]

8

252

[KuKi05]

[Lan06]

[Leh05]

[OSP05] [Poe85]

[REf9]

[Rüs06]

[Rüs07]

[Sch96]

Ergonomie. Kap. 10.3: Arbeitsschutzmanagement, S. 335 ff., München Wien 2001 Kubitscheck, S., Kirchner, J.-H.: Kleines Handbuch der praktischen Arbeitsgestaltung: Grundsätzliches, Gestaltungshinweise, Gesetze, Vorschriften und Regelwerke, weiterführende Literatur. München Wien 2005 Lange, W., Windel, A.: Kleine Ergonomische Datensammlung. 11. Aufl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2006 Lehder, G., Skiba, R.: Taschenbuch Arbeitssicherheit. 11. Aufl. Verl. Schmidt (Erich), Berlin 2005 Opfermann, R., Streit, W., Pernack, E. F.: Arbeitsstätten. 7. Aufl. Heidelberg 2005 Poeschel, E., Köhling, A.: Asbestersatzstoff-Katalog. Band 2: Arbeitsschutz. Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V., Sankt Augustin 1985 R EFA (Hrsg.): Methodenlehre der Planung und Steuerung, 6 Bände, München 1991 Rüschenschmidt, H.: Ergonomie im Arbeitsschutz – menschengerechte Gestaltung der Arbeit. 2. überarb. Aufl. Verl. Technik und Information, Bochum 2006 Rüschenschmidt, H., Reidt, U., Rentel, A.: Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz – mit Ergonomie gestalten. 1. Aufl. Verl. Technik & Information, Bochum 2007 Schirmer, W.: Technischer Lärmschutz. VDI-Verlag, Düsseldorf 1996

Kapitel 9 Funktionale Arbeitsbereichs­ gestaltung

9.1 

Übersicht über die Gestaltungsfelder

257

Kundenauftrags-­ entkopplungspunkt

258

9.3 

Abwicklungsarten

260

9.4 

Auftragsarten

261

9.5  9.5.1 9.5.2 9.5.3

Prozessmodelle Beschaffungsmodelle Produktionsmodelle Liefermodelle

262 262 265 265

9.2 

9

254

9.6 

Fertigungs- und Montageprinzipien

267

9.7 

Produktionssegmente

269

9.8 

Produktionsplanung und -steuerung

270

Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungsverfahren

274

Literatur

280

9.9 

9.10 

Bild 9.1:

Gestaltungsfelder der Fabrik aus Prozesssicht

257

Bild 9.2:

Bestimmung des Kundenauftragsentkopplungspunktes

258

Bild 9.3:

Abwicklungsarten von Aufträgen

259

Bild 9.4:

Auftragsarten

261

Bild 9.5:

Übersicht über gängige Beschaffungsmodelle

263

Bild 9.6: Informationsflüsse bei unterschiedlichen Produktionsmodellen (vereinfachte Darstellung)

264

Bild 9.7:

Struktur industrieller Fertigungsprinzipien

266

Bild 9.8:

Organisationsformen in der Montage (nach Eversheim)

268

Bild 9.9:

Beispiel einer segmentierten Fabrik (nach Brankamp)

269

Bild 9.10: Regelkreis der Produktionsplanung und -steuerung

270

Bild 9.11: Hauptaufgaben der PPS

271

Bild 9.12: Manufacturing Resource Planning (MRP II)

272

Bild 9.13: Modell der Fertigungssteuerung – Aufgaben und Wirkzusammenhänge

274

Bild 9.14: Zuordnung ausgewählter Steuerungsverfahren zu den Aufgaben der Fertigungssteuerung

275

Bild 9.15: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Prozessanalyse und Zielfindung

276

Bild 9.16: Ausprägungen steuerungsrelevanter Merkmale

277

Bild 9.17: Konfiguration der Fertigungssteuerung

278

Bild 9.18: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Ausgangslage in einem Praxisbeispiel

279

Bild 9.19: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Praxisbeispiel

280

9

255

9.1 

Übersicht über die Gestaltungsfelder

Aus Sicht der Arbeitsbereichsgestaltung bestehen verschiedene Möglichkeiten, auf die internen und externen Einflussgrößen der Fabrik zu reagieren und die Produktionsprozesse funktional zu gestalten, zu planen und zu steuern. Bild 9.1 zeigt die hier rele­ vanten Gestaltungsfelder, die sich an den Prozessen Beschaffung, Produktion und Lieferung orientieren. Im Zentrum der Betrachtungen steht zweifels­ ohne die Produktion. Sie ist konsequent nach der Wettbewerbsstrategie des Unternehmens und den Kundenanforderungen auszurichten. Zunächst ist unter Berücksichtigung von Lieferzeitanforderungen, Wiederbeschaffungszeiten und wirtschaftlichen Er­ wägungen festzulegen, welcher Teil der Produkte erst nach dem Vorliegen eines konkreten Kundenauftrages hergestellt wird und welcher Teil auf Lager zu fertigen ist. Dieser Punkt in der Produktion heißt Kundenauf­ tragsentkopplungspunkt. Aus dieser Entscheidung ergeben sich anschließend zentrale Anforderungen an die Art der Auftragsabwicklung. Weiterhin sind unter zusätzlicher Berücksichtigung der Produkt­ struktur und technologischer Restriktionen geeignete Fertigungs- und Montageprinzipien auszuwählen und

Lieferant

Unternehmen

Beschaffung • Auftragsauslösung • Art und Ort der Lagerhaltung • Anlieferungsform

ggf. Fertigungssegmente zu bilden. Schließlich ist die Planung und Steuerung für die Produktion derart zu konfigurieren, dass die geschaffenen Potenziale der Produktionsstruktur auch bestmöglich und nachhaltig umgesetzt werden. Die Produktion darf jedoch nicht losgelöst von den Beschaffungs- und Lieferprozes­sen gestaltet werden. Häufig beeinflusst der Kunde die Gestaltung der Produktion unmittelbar, wenn er beispielsweise eine stundengenaue Anlieferung fordert. Ebenso sind die Anforderungen der Beschaffung zu berücksichtigen, wenn z. B. mit dem Lieferanten vereinbart wurde, dass bestimmte Artikel mit einem Vorlauf von 2 Tagen angefordert werden können, andere jedoch selbst bevorratet werden. Mit der Wahl der Beschaffungs- bzw. Liefermodelle wird neben der Art der Auftragsauslösung insbeson­ dere auch festgelegt, wo und wie eine Lagerhaltung stattfinden muss, wie die Anlieferung erfolgt und wer für den Betrieb des Lagers verantwortlich ist. Diese Aspekte, die nachfolgend ausführlicher erläutert werden, sind bei der Arbeitsbereichsgestaltung inte­ griert zu berücksichtigen und müssen vom Fabrik­ planer in Zusammenarbeit mit der Logistik und Ar­ beitsvorbereitung bearbeitet werden. Dabei wird sich in der Praxis wegen der unterschiedlichen Produkte und ihren Absatzmärkten häufig eine Mischung aus

Produktion • Kundenentkopplungspunkt • Abwicklungsarten • Konfiguration der Produktion

9

Kunde Lieferung • Auftragsauslösung • Art und Ort der Lagerhaltung • Anlieferungsform

• Konfiguration der Produktionsplanung und -steuerung

Bild 9.1: Gestaltungsfelder der Fabrik aus Prozesssicht © IFA 14.964

257 © 2008 IFA

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

b) Fristenplan

a) Strukturstückliste

B B

M

F B

B

F

B

F

M

M

Anzahl Komponenten

ATZ B

Strukturstufen

B

M

B B F F

B

M

B M

F

B

Zeit

Gesamt-WBZ Produkt Lieferzeit Ziel

c) Kundenentkopplungspunkte

9

B

Beschaffungsteil

F

Fertigungsteil

M

Montagekomponente

ATZ

Zeit für Auftragsmanagement und Transport

WBZ

Wiederbeschaffungszeit Kundenauftragsentkopplungspunkt lt. Fristenplan

Anzahl Komponenten

ATZ

B B B

M

B B F F

M

B M

F

Gesamt-WBZ Produkt

Zeit

Lieferzeit Ziel

© 2008 IFA 14.965 Bild 9.2: Bestimmung des Kundenauftragsentkopplungspunktes © IFA 14.965

verschiedenen Beschaffungs-, Produktions- und Lie­ ferformen ergeben, die sich im Laufe der Zeit ändern können. Die Wandlungsfähigkeit der Fabrik wird also nicht nur von der Produktion, sondern auch von den Beschaffungs- und Liefermodellen bestimmt.

9.2  Kundenauftrags­ entkopplungspunkt Zentrales Kriterium für die Festlegung des Kunden­ auftragsentkopplungspunktes KEP (auch Customer Order Decoupling Point oder Order Penetration Point

258

genannt) ist das Verhältnis der geforderten Lieferzeit zur Wiederbeschaffungszeit des Produktes von der Materialbeschaffung bis zur Auslieferung. Insbesondere bei komplexeren Produkten wird der Kundenauftragsentkopplungspunkt im Allgemei­ nen nicht für das Produkt als Ganzes festgelegt, sondern es erfolgt eine differenzierte Zuordnung der Baugruppen und Einzelteile zu der Produktion vor bzw. nach dem KEP. Basis hierfür ist eine Pro­ duktstrukturanalyse, deren Schritte Bild 9.2 zeigt. Für ein betrachtetes Produkt bzw. einen Referenz­ vertreter je Produktklasse (gebildet nach Kriterien wie Kundenspezifität, Produktkomplexität, Dynamik der Nachfrage, Umsatzanteile usw.) wird der in der Strukturstückliste beschriebene Produktaufbau (Bild

9.2  Kundenauftrags­entkopplungspunkt

9.2a) in einen sogenannten Fristenplan übertragen (Bild 9.2b). Dieser bildet alle relevanten Komponen­ ten mit ihren Wiederbeschaffungszeiten für die Kauf­ teile bzw. den Plandurchlaufzeiten für die Montage und Fertigung der Eigenfertigung über der Zeitachse ab. Ergänzend ist der Zeitanteil anzufügen, der für das Auftragsmanagement (von der Auftragsannahme bis zur Einstellung des Auftrages in das Planungsund Steuerungssystem) und den Transport bis zur Übergabe an den Kunden benötigt wird. Aus dem Fristenplan ergibt sich so die Gesamt-Wie­ derbeschaffungszeit für das Produkt. Wird zusätzlich die Ziel-Lieferzeit eingetragen (auch Lieferzeitfenster genannt), lässt sich erkennen, welche Komponenten auftragsanonym beschafft bzw. gefertigt und/oder montiert werden müssen. Bei diesen Komponenten liegt der Startzeitpunkt des zugehörigen Zeitelemen­ tes vor dem Beginn des Lieferzeitfensters. Sollten davon auch solche Komponenten betroffen sein, die speziell für einen Kundenauftrag beschafft bzw. her­ gestellt werden (sogen. kundenauftragsspezifische

Komponenten), so ist zu prüfen, ob sich durch Pro­ zessoptimierungen (z.B. Verkürzung von Liegezei­ ten) oder Strukturveränderungen der Beschaffung, Produktion oder Lieferung (z.B. durch einen Lieferan­ tenwechsel, ein Produktredesign oder die Wahl eines anderen Transportkanals) die Wiederbeschaffungs­ zeiten der von dieser Komponente direkt betroffenen Fertigungs- und Montageaufträge so weit reduzieren lassen, dass sich damit der Startzeitpunkt dieser Komponenten in das Lieferzeitfenster verschiebt. Ist dies nicht möglich, so muss die Ziel-Lieferzeit ent­ sprechend angepasst werden. Bei den Komponenten, bei denen der Startzeitpunkt innerhalb des Lieferzeitfensters liegt, besteht sowohl die Möglichkeit einer kundenauftragsbezogenen als auch einer kundenauftragsanonymen Beschaf­ fung bzw. Produktion. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Versorgungssicherheit und der Wirt­ schaftlichkeit ist zu prüfen, welche der Alternativen sinnvoller ist. Wesentliche Kriterien sind hierbei die Mehrfachverwendung, die Bedarfsdynamik und der Wert der Komponenten.

9

auftragsanonyme Beschaffung

Fertigung und Montage auf Lager

auftragsanonyme Beschaffung

Fertigung auf Lager

auftragsanonyme Beschaffung

Belieferung aus Lager

auftragsbezogene Montage und Lieferung

Make-to-Stock (M-t-S)

Kunde

Lieferant

Abwicklungsart

auftragsbezogene Fertigung, Montage und Lieferung

Make-to-Order (M-t-O)

auftragsbezogene Konstruktion, Beschaffung, Fertigung, Montage und Lieferung

Beschaffung

Fertigung

auftragsanonymer Teil

Montage

auftragsspezifischer Teil

Assembleto-Order (A-t-O)

Engineerto-Order (E-t-O)

Lieferung

Kundenauftragsentkopplungspunkt

Bild 9.3: Abwicklungsarten von Aufträgen © 2008 IFA © IFA 12.061

259

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

Sind diese Entscheidungen gefallen, lassen sich die Kundenauftragsentkopplungspunkte in den Fristenplan eintragen (Bild 9.2c). In den Fällen, in denen noch eine Wahlfreiheit besteht, sollte die endgültige Festlegung jedoch erst erfolgen, wenn entsprechende Untersuchungen für alle relevanten Produktgruppen durchgeführt wurden. Daraus sind produktübergreifend die zu realisierenden Abwick­ lungsarten und die Prozessmodelle (siehe Abschn. 9.5) zu bestimmen.

9.3  Abwicklungsarten

9

Es lassen sich vier generelle Formen der Auftragsab­ wicklung unterscheiden: die Belieferung aus einem Fertigwarenlager, die auftragsbezogene Montage und die auftragsbezogene Produktion (jeweils von Stan­ dardprodukten) sowie die Herstellung von Produkten mit einem kundenspezifischen Engineeringanteil. Bild 9.3 zeigt die vier Hauptprozesse Beschaffung, Produktion (unterteilt in Fertigung und Montage) sowie Lieferung. Je nach Lage des Kundenauftrags­ entkopplungspunktes ergeben sich daraus die vier Arten der Auftragsabwicklung. Im Fall einer Belieferung aus einem Fertigwarenlager wird ein verkaufsfähiges Produkt auch ohne Vorlie­ gen eines Kundenauftrages aufgrund von Prognosen des Vertriebs produziert und auf Lager gelegt. Diese Produktionsart wird als Make-to-Stock bezeichnet (engl. stock = Lager). Beispiele sind Kameras, Haus­ haltsgeräte und Drucker. Bei dieser Abwicklungs­ art stehen dem Vorteil kurzer Lieferzeiten höhere Kapitalbindungskosten für die gelagerten Produkte gegenüber. Mit steigender Variantenzahl und höherem Produkt­ wert ist diese Abwicklungsart wirtschaftlich nicht vertretbar. Eine Alternative ist die auftragsbezogene Montage, als Assemble-to-Order (engl. assemble = montieren) bezeichnet. Bei dieser Abwicklungsart er­ folgt die Montage erst nach Kundenauftragseingang. Die Montage greift dabei auf vorgefertigte Standard­

260

komponenten zurück. Das wohl bekannteste Beispiel ist die internetbasierte Bestellung eines Notebooks bei der Firma Dell. Über einen Produktkonfigurator kann der Kunde im Rahmen des Bestellvorganges Festplatten- und Arbeitsspeicherkapazität, Prozes­ sorleistung, Software und weitere Ausstattungs­ details festlegen. Da die Standardkomponenten in einem Lager vorgehalten werden, können kunden­ individuelle Produkte in kurzer Zeit montiert und ausgeliefert werden. Nicht immer ist es jedoch möglich, die Komponenten für alle denkbaren Kundenwünsche vorzufertigen, selbst wenn es sich um Standardteile handelt, sei es aus Kostengründen oder aus Gründen einer begrenz­ ten Lagerungsfähigkeit. In diesen Fällen wird auch die Fertigung der Komponenten erst nach Vorliegen des Kundenauftrages angestoßen. Bei dieser Abwick­ lungsart, auch als Make-to-Order bezeichnet, wird unterstellt, dass die Arbeitspläne bereits existieren und keine kundenspezifischen Anpassungen erfor­ derlich sind. Das Ausgangsmaterial wird zumeist auf Basis von Absatzprognosen beschafft. Ein typisches Beispiel für eine Make-to-Order-Auftragsabwicklung stellt die Fertigung hochwertiger variantenreicher Komponenten in der Automobilproduktion dar, wie z.B. Innenverkleidungen oder Sitze. Der vierte Fall, Engineer-to-Order, ist dann gegeben, wenn für mindestens eine Komponente des auszulie­ fernden Produktes aufgrund einer Kundenspezifika­ tion eine Konstruktionsleistung erforderlich ist. Im Falle der Eigenfertigung sind individuelle Arbeitsplä­ ne und Stücklisten erforderlich. Diese Abwicklungs­ art ist typisch beispielsweise für Erzeugnisse des Anlagenbaus. Abhängig von der Abwicklungsart unterscheiden sich auch die logistischen Zielgrößen, die es vorrangig zu verfolgen gilt. Generell sind die logistischen Ziele vor dem Kundenauftragsentkopplungspunkt auf die Reduzierung der Logistikkosten ausgerichtet. Daher stehen hier die Auslastung der bereitgestellten Res­ sourcen und die Bestandsminimierung im Vorder­ grund. Nach dem Kundenauftragsentkopplungspunkt liegt das Hauptaugenmerk auf der Logistikleistung, also im Wesentlichen auf Lieferzeit und Liefertreue. Für die Dimensionierung des Entkopplungslagers

9.4  Auftragsarten

Prognosen aus Vergangenheitsdaten und Marktindikatoren

Rahmenverträge

Kundenanfragen

Kundenbestellungen

Interne Produktentwicklung

Produktionsprogrammplanung Fertigungsauftrag (Lager)

Fertigungsprogrammplanung Beschaffungsprogrammplanung

Montageauftrag (Lager)

Lagernachfüllauftrag

Beschaffungsauftrag (La)

Kundenauftrag

Entwicklungsauftrag

Beschaffungsauftrag

Beschaffung

Fertigung

kundenauftragsneutrale Prozesskette

Montage

kundenauftragsbezogene Prozesskette

Lieferung

Kundenauftragsentkopplungspunkt

Bild 9.4: Auftragsarten

9

© IFA 12.966

gilt schließlich, dass einerseits die Versorgung der nachfolgenden Prozesse sichergestellt werden muss, andererseits das Bestandsniveau möglichst gering ist.

9.4  Auftragsarten Parallel zu den Abwicklungsarten lassen sich unter­ schiedliche Auftragsarten und daraus resultierende Anforderungen an die Planungsprozesse ableiten. Bild 9.4 zeigt die wesentlichen Auftragsarten, die in Abhängigkeit von der Auftragsauslösung unterschie­ den werden. Für die kundenauftragsneutrale Prozesskette werden Beschaffungs-, Fertigungs- und Montageaufträge aus

dem Produktionsprogramm und daraus abgeleiteten Fertigungs- und Beschaffungsprogrammen gebildet. Die Aufträge dienen dazu, die Bestände im Entkopp­ lungslager (dem Kundenauftragsentkopplungspunkt) auf einem definierten Niveau zu halten, um damit die Versorgungssicherheit für die nachfolgenden Prozes­ se sicherzustellen. Im Produktionsprogramm sind die Primärbedarfe (Bedarfe an verkaufsfähigen Erzeug­ nissen) mit Mengen- und Terminangaben dargestellt. Es wird auf der Grundlage von Vergangenheitsdaten und Marktindikatoren, aus Rahmenverträgen und ggf. aus Kundenanfragen erstellt. Unter Berücksich­ tigung von offenen Bestellungen und bereits aus­ gelösten Fertigungs- und Montageaufträgen sowie vorhandenen Beständen und ggf. Reservierungen werden anschließend die erforderlichen Sekundär­ bedarfe (Bedarfe an Rohstoffen, Teilen und Baugrup­ pen) ermittelt und in das Fertigungs- bzw. das Be­ schaffungsprogramm übertragen. Es folgt schließlich

261

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

9

262

die Mengenrechnung, welche die Auftragslosgrößen und die Bedarfstermine für die Beschaffungs-, Ferti­ gungs- und Montageaufträge festlegt. Fehler in der Produktionsprogrammermittlung oder den zugrunde liegenden Eingangsdaten wirken sich unmittelbar in erhöhten Beständen im Entkopplungslager oder in Form von Versorgungsengpässen aus. Weiterhin besteht in der kundenauftragsneutralen Prozesskette die Möglichkeit, eine Beschaffung bzw. Produktion auf der Basis von Lagernachfüllauf­ trägen durchzuführen (Pull-Prinzip). Die Auftrags­ auslösung erfolgt hierbei direkt nach der Entnahme von Material aus dem Entkopplungslager oder bei Unterschreiten eines Bestellauslösebestandes. Die Fertigungs- und Beschaffungsprogramme dienen in diesem Fall im Wesentlichen der Dimensionierung der Bestände (Maximalbestand, Bestellauslösebe­ stand) im Entkopplungslager. Planungsfehler in den zugrundeliegenden Programmen sind in diesem Fall nicht ganz so kritisch, da sich das Bestandsri­ siko auf den Maximalbestand begrenzt und Versor­ gungsproblemen in den nachfolgenden Prozessen durch eine entsprechende Dimensionierung des Bestellauslösebestandes entgegengewirkt werden kann. Problematisch erweist sich jedoch, dass die Bestände im Entkopplungslager bei hoher Varian­ tenvielfalt und schwankenden Bedarfen sehr groß werden. Vor dem Hintergrund kürzer werdender Produktlebenszyklen sowie bei Veränderungen ei­ nes Produktes im Rahmen der Produktpflege besteht zudem die Herausforderung, für die betroffenen Ar­ tikel die Bestände rechtzeitig auf ein angemessenes Niveau zu reduzieren, um das Verschrottungsrisiko zu minimieren, gleichzeitig aber die Vorsorgung der nachfolgenden Prozesse bzw. der Kunden noch sicherzustellen. In der kundenauftragsbezogenen Prozesskette sind konkrete Kundenaufträge oder interne Entwick­ lungsaufträge abzuarbeiten und ggf. Beschaffungs­ aufträge auszulösen. Artikelnummern, Mengen und Fertigstellungstermine sind also durch interne oder externe Kunden vorgegeben. Die Auftragsab­ wicklung beschränkt sich auf die Terminierung der einzelnen Prozessschritte und deren termingerechte Umsetzung.

9.5  Prozessmodelle Für die weitere Auslegung der Produktion ist eine Aufteilung in kundenauftragsbezogene und kun­ denauftragsneutrale Abschnitte nicht differenziert genug. Die einzelnen Prozesse müssen als leistungs­ fähige, auch unternehmensübergreifende Geschäfts­ prozesse ausgestaltet werden, ausgerichtet auf die optimale Erfüllung von Kundenanforderungen und Unternehmenszielen. Hierzu werden die in Bild 9.1 kurz vorgestellten Hauptprozesse Beschaffung, Pro­ duktion und Lieferung näher betrachtet.

9.5.1 Beschaffungsmodelle Der Beschaffungsprozess umfasst alle Aktivitäten zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Versorgung eines Unternehmens mit den benötigten Fertigungs- und Montagematerialien, Handelswaren sowie Fremd­ leistungen. Er stellt die Verbindung zwischen den Lieferanten und der Produktion dar. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich immer mehr Formen der Beschaffung herausgebildet, die eine möglichst sichere Versorgung bei minimalen Beständen und Prozesskosten zum Ziel haben. Eine Übersicht über die heute gängigen sechs Grundtypen der Beschaffung zeigt Bild 9.5. Sie lassen sich nach der Beschaffungsauslösung, der Art und dem Ort der Lagerhaltung und dem Eigentumsübergang unter­ scheiden, [Nyh03] und [Frü06]. Bei der klassischen Vorratsbeschaffung führt der Abnehmer alle Aktivitäten der Beschaffung, d. h. die Disposition und Bestellung, Warenannahme und -eingangsprüfung, Lagerhaltung und Bereitstellung am Verbrauchsort selbst durch. Es erfolgt bewusst eine Vorhaltung von Materialbeständen, die der Ver­ sorgungssicherheit für die nachfolgenden Prozess­ schritte dienen. Bei allen anderen Beschaffungsmodellen erfolgt die Lagerhaltung durch den Lieferanten bzw. Dienstleis­ ter (nachfolgend zusammenfassend als Lieferant be­ zeichnet) oder sie kann ganz entfallen. Dennoch sind bei diesen Modellen verschiedene Formen von Lager­ flächen in unmittelbarer Nähe des Verbrauchsortes

9.5  Prozessmodelle

Lager

Lieferung auf Abruf

(Fertigung und) Lieferung auf Auftrag

Warenannahme

Fertigung und Lieferung auf autom. Auftragimpuls

Lagerhaltung optional

Lager

fabrikplanungsrelevante Flächen

PufferLager

Fertigung Lieferung Fertigung

Synchrone Prod. prozesse

Bereitstellung in verbrauchsnahem Pufferlager

Vertragslager

Lager

Entnahme aus dem Konsignationslager

Fertigung

Einzelbeschaffung

Konsignationslager

Bereistellfläche

Bereitstellfläche

Fertigung

Vertragslagerkonzept

Lager

Bereitstellfläche

Fertigung Lieferung

Lager

Standardteilemanagement

Warenannahme

Bereitstellfläche

Fertigung

Lieferant

Bereitstellung in ein Konsignationslager

Lieferant

Lager

Konsignationskonzept

Lieferant

Lieferung auf Bestellung

Vorratsbeschaffung

Lieferant

Lager

Lieferant

Kunde

Lieferant

Lieferant

Eigentumsübergang

9

© 2008 IFA

Bild 9.5: Übersicht über gängige Beschaffungsmodelle © IFA 10.302

erforderlich und somit im Rahmen der Fabrikplanung zu berücksichtigen. Ein Konsignationslager ist ein vom Lieferanten unter­ haltenes Lager einschließlich einer Retourenfläche, auf welcher der Lieferant Artikel mit einem vertrag­ lich vereinbarten Mindestbestand vorhält. Der Ab­ nehmer kann über den Bestand jederzeit verfügen, der Lieferant bleibt jedoch bis zur Entnahme durch den Abnehmer Eigentümer der Ware. Das Konsigna­ tionskonzept kommt in der Regel bei hochwertigen Artikeln zur Anwendung. Aufgrund der Besonder­ heit der Eigentumsverhältnisse ist in vielen Fällen eine Sicherung der Ware z.B. durch abschließbare Lagerorte notwendig. Für die Beschaffung von Standardartikeln mit gerin­ gerer Wertigkeit eignet sich das Standardteilemanagement. Hierbei befüllt der Lieferant in regelmäßigen Abständen die in unmittelbarer Arbeitsplatznähe

befindlichen Materialpuffer bis zu einer mit dem Abnehmer vereinbarten Bestandshöhe. Bei den vorgenannten Beschaffungsmodellen erfolgt die Beschaffung bei der Vorratsbeschaffung aufgrund des Beschaffungsprogramms bzw. beim Konsignati­ onskonzept und beim Standardteilemanagement aufgrund von Materialentnahmen. Bei den übrigen drei Konzepten, nämlich dem Vertragslagerkonzept, der Einzelbeschaffung und den synchronisierten Pro­ duktionsprozessen erfolgt die Beschaffung hingegen aufgrund eines konkreten Kundenauftrags. Ein Vertragslager ist ein von einem Lieferanten un­ terhaltenes Lager in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Abnehmer. Dadurch ist eine bedarfssynchrone Anlieferung in hoher Frequenz auf Basis von Abru­ fen möglich. Diese Abrufe erfolgen in der Regel auf Grundlage von Kundenaufträgen. Es ist jedoch auch möglich, dass der Abruf durch eine Entnahme aus

263

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

einem dann zusätzlich erforderlichen Pufferlager ausgelöst wird. Auch bei der Einzelbeschaffung und den synchronisierten Produktionsprozessen erfolgt die Beschaffung immer für einen konkreten Kundenauftrag. Das Ma­ terial wird ohne Zwischenlagerung direkt an den Ver­ brauchsort geliefert. Merkmal der synchronisierten Produktionsprozesse sind gleich getaktete Fertigun­ gen bei Lieferant und Kunde, wobei die Produktions­ stätte des Lieferanten nah beim Abnehmer (teilweise auch auf dessen Werksgelände) angesiedelt ist. Bei den drei letztgenannten Beschaffungsmodellen sind auf Abnehmerseite keine Lagerhaltungspro­ zesse erforderlich. Jedoch sind im Rahmen der Fab­ rikplanung Bereitstellflächen einzuplanen, die eine zeitliche Entkopplung von Lieferung und Verbrauch ermöglichen. Zur Auswahl der im konkreten Anwendungsfall am besten geeigneten Beschaffungsmodelle und der Zu­

9

a) Lagerfertigung ( M-t-S PUSH)

ordnung von Lieferanten und Materialnummern sind insbesondere die nachfolgend genannten Kriterien zu beachten [Nyh03]:

•  der •  •  • 

Kundenauftragsbezug des Beschaffungsgu­

tes, die Wertigkeit der Artikel, die beschaffungsseitige Versorgungssicherheit und die Bedarfskonstanz für das Beschaffungsgut.

Ist eine Mehrfachverwendung eines Beschaffungs­ gutes nicht gegeben, so kommt grundsätzlich nur die Einzelbeschaffung in Frage. Gleiches gilt für hochwertige Beschaffungsgüter (A-Teile), die eine Lagerhaltung aufgrund sehr sporadischer Bedarfe sowohl für den Abnehmer wie auch für den Liefe­ ranten ausschließt. Für alle anderen A-Teile und überwiegend auch für die B-Teile sind das Konsigna­

b) Lagerfertigung (M-t-S PULL)

• Produktionsprogrammplanung

• Bestandsführung • Fertigungsprogrammplanung • Auftragserzeugung • Terminierung (je Stufe) Fertigungs- bzw. Montageauftrag

Bestandsmeldung

Produktion

• Bestandsführung • Auftragserzeugung Bedarf

Kunde

c) Kundenauftragsbezogene Produktion ohne Engineeringanteil (M-t-O / A-t-O)

Lagernachfüllauftrag

Entnahmemeldung

Produktion

Bedarf

Kunde

d) Kundenauftragsbezogene Produktion mit Engineeringanteil (E-t-O) • Anpasskonstruktion

• Terminierung (Auftragsnetz)

Kundenauftrag

Kunde

Produktion

Bild 9.6: Informationsflüsse bei unterschiedlichen Produktionsmodellen (vereinfachte Darstellung) © IFA 14.967

264

Kundenauftrag

Fertigungs- und Montageauftrag

Fertigungs- bzw. Montageauftrag Produktion

• Terminierung (Auftragsnetz)

Kunde

9.5  Prozessmodelle

tionskonzept, das Vertragslagerkonzept und gegebe­ nenfalls die synchronisierten Produktionsprozesse auf ihre Anwendungsmöglichkeit zu prüfen. Alle drei Modelle zielen vorrangig auf die Reduktion der Bestandskosten ab, bewirken aber gleichzeitig auch eine Reduktion der Prozesskosten. Als Prozesskos­ ten werden die Kosten bezeichnet, die durch die Ver­ waltung von Bestellungen entstehen. Demgegenüber ist das Standardteilemanagement ausschließlich auf eine Verringerung der Prozesskosten ausgerichtet. Anwendungsschwerpunkt dieses Modells sind die C-Teile. Die klassische Vorratsbeschaffung schließ­ lich ist vorrangig dann anzuwenden, wenn die über den Einkauf erzielbaren Preisvorteile die erhöhten Logistikkosten nachweislich kompensieren und gleichzeitig die Versorgungssicherheit der Produkti­ on gewährleistet werden kann.

9.5.2 Produktionsmodelle Für den Produktionsbereich ergeben sich die Pro­ zessmodelle für die Fertigung und Montage aus den in Abschn. 9.4 erläuterten Auftragsarten. Bild 9.6 zeigt die wesentlichen Modelle mit ihren Informati­ onsflüssen. Make-to-Stock (M-t-S) bezeichnet die klassische kundenauftragsanonyme Herstellung von Standard­ produkten und deren Bevorratung in einem Fertigwa­ renlager. Abhängig vom Steuerungsprinzip werden dabei zwei Prozessmodelle unterschieden. Werden die Produktionsaufträge auf Basis eines Fertigungs- bzw. Montageprogramms (mit Mengen- und Terminvorga­ ben versehen) unter Berücksichtigung von Beständen in der Fertigungsprogrammplanung gebildet und nach ihrer Freigabe durch die entsprechenden Produktions­ bereiche ‚gedrückt’, so liegt ein Push-Modell vor (s. Bild 9.6a). Ein Pull-Prinzip hingegen funktioniert ver­ brauchsgesteuert; die Auftragsauslösung erfolgt nach der Entnahme der Produkte (und Unterschreiten eines Mindestbestandes) aus einem Lager und ist dadurch wesentlich einfacher (Bild 9.6b). Welches der beiden Modelle der Lagerfertigung zur Anwendung kommt, hängt im Wesentlichen von der Bedarfskonstanz, der Mehrfachverwendung der

betroffenen Artikel und der Anzahl der Varianten ab. Bei hoher Bedarfskonstanz, hoher Mehrfach­ verwendung und geringer Variantenanzahl eignet sich das Pull-Prinzip, in den anderen Fällen ist im Allgemeinen das Push-Prinzip trotz aufwändigerer Planungs- und Steuerungsprozesse zu empfehlen. Voraussetzung ist jedoch ein Produktionsprogramm, das die Bedarfsverläufe gut prognostiziert. Ist der Bedarf eher sporadisch (in der Regel verbunden mit einer geringen Mehrfachverwendung und einer hohen Variantenanzahl) und nur schwer prognosti­ zierbar, ist zu prüfen, ob die geforderten Lieferzeiten eine kundenauftragsbezogene Herstellung (M-t-O) zulassen. Bei einer kundenauftragsbezogenen Produktion (Make to Order „M-t-O“ und Assemble to Order „At-O“) werden die Produkte erst nach Vorliegen eines Kundenauftrages terminiert und freigegeben (s. Bild 9.6c). Wenn zusätzliche Engineeringleistungen z. B. in Form einer Anpassungskonstruktion erforderlich sind, greift das Modell Engineer to Order „E-t-O“ (s. Bild 9.6d). Das Produkt wird in beiden Fällen nach Prüfung und Freigabe ohne Lagerhaltung direkt an den Kunden geliefert. Eine Zwischenpufferung auf Auslieferflächen ist jedoch erforderlich, wenn Kun­ denaufträge aus mehreren Bedarfspositionen beste­ hen und eine Komplettlieferung erwünscht ist.

9

9.5.3 Liefermodelle Der Lieferprozess umfasst alle Informations- und Werteflüsse von der Übermittlung, Bearbeitung und Steuerung eines Kundenauftrages (Auftragsabwick­ lung) ab dem Zeitpunkt des Auftragseingangs sowie den Warenfluss vom Herstellort bzw. vom Lagerort bis zum vereinbarten Anlieferort beim Kunden. Jedem Beschaffungsprozess auf Abnehmerseite muss ein dazugehöriger Lieferprozess auf der Lieferanten­ seite gegenüberstehen. Folglich gibt es entsprechend den zuvor beschriebenen sechs Beschaffungsmodel­ len (vergl. Abschn. 9.5.1) auch sechs Liefermodelle mit überwiegend analogen Bezeichnungen: Abwicklung aus kundenneutralem Lager, Konsignationskonzept, Vertragslagerkonzept, Standardteilemanagement, Ein­ zellieferung und Synchronisierte Produktion [Frü06].

265

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

Ordnungskriterium Fertigungsprinzip

Räumliche Struktur

S

Arbeitsaufgabe

Fließprinzip Erzeugnisprinzip

Arbeitsfolge einer Teilefamilie

Fertigungsinsel / Gruppenprinzip

S

AG

S

S

S

Schleiferei

Bohrerei

Dreherei

S

S

AG

S

• Fertigungslinie

S

AG

AG S

S

AG

S

S

AG

Mensch

9

Baustellenprinzip

Mensch

S

S

AG

Mensch

Arbeitsgegenstand

• Montagelinie • Fertigungsinsel • Montageinsel

Material

• Großmaschinenbau • Schiffswerft

Abfall S

Werkbankprinzip

AG

© 2008 IFA

Arbeitsgegenstand (Baustelle)

• Schleiferei • Schweißwerkstatt

Stationen

Produkt

• Dreherei • Fräserei

Werkstattprinzip Verrichtungsprinzip

Arbeitsfolge definierter Varianten

S

Beispiele

AG S

• Handwerkliche Arbeitsplätze • Werkzeugmacherei

Station

D 3838

Bild 9.7: Struktur industrieller Fertigungsprinzipien © IFA D3838

Zentrales Unterscheidungsmerkmal ist zunächst die Art der Auftragsabwicklung und Übergabe des Materials an den Kunden (vgl. Bild 9.5). Für die Fa­ brikplanung sind diese Unterscheidungsmerkmale jedoch von untergeordneter Bedeutung. Relevant ist vielmehr, ob und ggf. an welchem Ort eine La­ gerhaltung für die fertigen Produkte erfolgen muss. Lieferantenseitig ist sowohl bei einer Abwicklung aus kundenneutralem Lager wie auch bei dem Standardteilemanagement ein Fertigwarenlager im eigenen Unternehmen erforderlich. Beim Konsig­ nationskonzept sowie bei der Einzellieferung kann eine Lagerhaltung im eigenen Unternehmen sinn­ voll sein, sofern es für die betroffenen Produkte unterschiedliche Abnehmer gibt. Sind die Produkte jedoch kundenspezifisch, so sollte geprüft werden, ob für die eigene Produktion ein M-t-O-Prozess und somit ein Verzicht auf eine eigene Lagerhaltung re­ alisiert werden kann. Beim Vertragslagerkonzept

266

ist ein separates Lager in räumlicher Nähe zum Kunden zu unterhalten. Die größten Auswirkun­ gen auf die eigene Produktion hat schließlich das Liefermodell der synchronisierten Produktion. Bei diesem auf beiden Seiten lagerlosen Prozessmodell muss die Produktion des Lieferanten kapazitiv und in der Beherrschung der Variantenvielfalt vollstän­ dig auf die Anforderungen des Abnehmers abge­ stimmt werden. Aufgrund sehr kurzer Lieferzeiten ist es in diesem Fall meist erforderlich, dass der Lieferant eine Produktionsstätte in unmittelbarer Nähe seines Kunden einrichtet. Aus Sicht eines Lieferanten sind die Anforderungen an ein solches Liefermodell fast ausschließlich in der Automobil­ zulieferindustrie und auch dort nur für hochwertige Komponenten gegeben, da sich die erforderlichen Investitionskosten nur bei langfristigen vertragli­ chen Bindungen und hohem Umsatz rechtfertigen lassen.

9.6  Fertigungs- und Montageprinzipien

9.6 

Fertigungs- und Montage­ prinzipien

In der industriellen Praxis existiert eine nahezu un­ überschaubare Vielfalt an Fertigungsprinzipien, auf welche Weise die wesentlichen Systemkomponenten Werkstück, Mensch und Betriebsmittel einander zugeordnet sind. Jedes reale Fertigungssystem lässt sich jedoch durch seine Bewegungsstruktur, seine räumliche Struktur sowie seine zeitliche und organi­ satorische Struktur unterscheiden. Die Beweglichkeit oder Transportierbarkeit des Werkstückes kann infol­ ge seiner Größe oder seines Gewichtes eingeschränkt sein, wie Beispiele aus dem Schwermaschinenbau, Stahl- und Schiffbau zeigen. Der Beweglichkeit des Menschen können auf der einen Seite z.B. durch rein physiologisch bedingte Behinderungen, auf der anderen Seite aber auch durch fehlende Qualifika­ tion Grenzen gesetzt sein. Die Umsetzbarkeit eines Betriebsmittels wird durch sein Gewicht und seine Größe, aber auch durch besondere Anforderungen, wie z.B. Sonderfundamentierungen oder Emissions­ schutzmaßnahmen, eingeschränkt. Eine praxisnahe Einteilung der Organisationstypen ergibt sich, wenn man die räumliche Struktur von Fertigungsprinzipien betrachtet. Bild 9.7 führt die in der industriellen Praxis wesentlichen Fertigungs­ prinzipien nach ihrem Ordnungskriterium, den ge­ bräuchlichen Bezeichnungen und ihrer räumlichen Struktur jeweils mit einigen Beispielen auf. Da die Fertigung nach dem Verrichtungsprinzip, nach dem Fließprinzip und dem Gruppenprinzip die weitaus häufigsten Organisationsformen darstellen, sollen sie zuerst behandelt werden. Die Fertigung nach dem Verrichtungsprinzip, auch funktionale Fertigung oder Werkstattprinzip genannt, ordnet die Arbeitsplätze nach den Bearbeitungsver­ fahren an. Die Arbeitsgegenstände (Werkstücke oder Baugruppen) werden einzeln oder losweise von Ar­ beitsplatz zu Arbeitsplatz transportiert. Dort müssen sie warten, bis die in der Warteschlange befindlichen Lose abgearbeitet sind. Das Verrichtungsprinzip besitzt den großen Vorteil der flexiblen Anpassung an unterschiedliche Produkte und ihre unterschied­

lichen Bearbeitungsfolgen. Zudem können die Res­ sourcen gut genutzt werden. Nachteilig ist jedoch die lange Durchlaufzeit im Produktionsprozess. Im Gegensatz zum Verrichtungsprinzip ist die Fließfertigung nach den Arbeitsfolgen des Erzeugnisses aufgebaut und wird daher auch Erzeugnisprinzip genannt. Hier ist der Durchlauf der Teile sehr kurz, weil die Werkstücke nach einer Bearbeitungsopera­ tion direkt zur nächsten Arbeitsstation transportiert werden und nicht auf die Fertigstellung anderer Teile warten müssen. Eine Fließfertigung, bei der die einzelnen Arbeitsstationen durch Pufferstrecken verbunden sind, wird als lose oder elastisch verkettet bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht die starre Ver­ kettung, die keine Zwischenpuffer zur vorübergehen­ den Aufnahme von Werkstücken enthält. Bei einer starren Verkettung führen schon kleinere Störungen an einer einzelnen Arbeitsstation zum Stillstand der gesamten Anlage. Ein zentraler Nachteil der Fließfertigung besteht da­ rin, dass wegen der Einrichtung auf ein bestimmtes Produkt die Anlage bei technischen Änderungen nur mit großem Aufwand umzurüsten ist. Weiterhin wird die Produktion der Teile dann teuer, wenn bei fehlendem Bedarf für das vorgesehene Werkstück bzw. Produkt keine wirtschaftliche Auslastung der Betriebseinrichtungen möglich ist. Fertigungsinseln werden verstanden als die räumlich und organisatorisch zusammengefasste Anordnung sämtlicher Betriebsmittel, die erforderlich sind, um eine Gruppe ähnlicher Werkstücke oder Erzeugnisse möglichst vollständig herzustellen. Ein Liegen zwi­ schen den einzelnen Arbeitsschritten wird durch flussorientierte Maschinenaufstellung und über­ lapptes Fertigen (One Piece Flow: Ein Stück fließt) vermieden. Überlapptes Fertigen bedeutet sofortiges Weiterleiten von Teilen nach Fertigbearbeitung an einer Station anstatt einer losweisen Weitergabe. In einer Fertigungsinsel überträgt man aber nicht nur die eigentlichen Fertigungsoperationen, sondern auch organisatorische, planerische und kontrollie­ rende Funktionen an eine Gruppe von Mitarbeitern, welche die Fertigungsinsel in weitgehender Selbstver­ antwortung betreiben. Zu diesen Funktionen zählen die Materialanforderung, die Feinterminierung und

9

267

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

9

Reihenfolgebildung der Aufträge, die Arbeitsplanung einschließlich Erstellung der Steuerprogramme für die numerisch gesteuerten Werkzeug- und Messma­ schinen. Die Aufhebung der strengen Arbeitsteilung zwischen planenden und ausführenden Tätigkeiten bewirkt zusammen mit der räumlichen Konzentrati­ on der Arbeitsmittel gegenüber der konventionellen Werkstattfertigung eine wesentlich kürzere Durch­ laufzeit der Erzeugnisse bei deutlich erweitertem Handlungsspielraum der beteiligten Mitarbeiter (s. auch Abschn. 4.2 und 4.3). Neben diesen drei wichtigsten Organisationstypen spielt die Baustellenfertigung noch eine Rolle bei der Fertigung von Werkstücken mit großen Abmessun­ gen und Gewichten, verglichen mit den Bearbeitungs­ einrichtungen. Diese Fälle treten im Anlagen- und Großmaschinenbau auf, wie z.B. bei Druckgehäusen für Wasserkraftturbinen, oder sehr großen Wellen von Generatoren. In diesen Fällen richtet man die Werkstücke auf einer Spannplatte aus und setzt die Werkzeugmaschinen an die zu bearbeitenden Stel­ len. Den Extremfall der Baustellenfertigung stellen Werkstücke dar, die erst am Ort der Verwendung zu­

Bewegungsgröße

Baustellenmontage

Reihenmontage

ortsgebundene Montageobjekte stationäre Arbeitsplätze

Bewegungsparameter

gs-

Gruppenmontage

Montageplätze

bewegte Arbeitsplätze aperiodischer Bewegungsperiodischer ablauf gerichtete ungerichtete Werker

Bewegung

Objektbewegung

© IFA D3853

268

D3853 Vr

Taktstraßenmontage

kombinierte Fließmontage

ortsveränderliche Montageobjekte

ortsveränderliche Montageobjekte

stationäre Arbeitsplätze

bewegte Arbeitsplätze

aperiodischer Bewegungsablauf

Bild 9.8: Organisationsformen in der Montage (nach Eversheim) © 2008 IFA

sammengebaut und fertig bearbeitet werden können, weil sie nicht mehr transportierbar sind. Ein in der Industrie relativ seltener Organisationstyp ist das Werkbankprinzip, das bei vorzugsweise hand­ werklichen Arbeitsgängen ohne großen Maschinen­ aufwand Anwendung findet. Solche Arbeitsplätze finden sich beispielsweise im Werkzeug- und Vor­ richtungsbau. Ähnlich wie für die Teilefertigung lassen sich auch für die Montage unterschiedliche Organisationsfor­ men definieren. Gemäß Bild 9.8 dient – wie bei den Fertigungsformen – die relative Bewegung von Mon­ tageobjekt und Montageplätzen zueinander als Ord­ nungskriterium. Die Baustellenmontage entspricht der Baustellenfertigung. Die Gruppenmontage arbei­ tet an einem feststehenden Objekt mit periodischer oder aperiodischer Bewegung der Arbeitsplätze. Reihenmontage oder Taktstraßenmontage sind unter dem Oberbegriff Fließmontage durch bewegte Mon­ tageobjekte gekennzeichnet und unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Art der Bindung des Men­ schen an die Taktzeit bzw. Fließgeschwindigkeit bei kontinuierlich laufenden Werkstückträgern.

periodischer kontinuierl.

gerichtete Bewegung

Arbeitsplatzbewegung

Bewegungsablauf

periodischer Bewegungskontinuierl. ablauf gerichtete Bewegung

9.7  Produktionssegmente

Masse

Serie

Bestand/Auslastung

Bestand/Termintreue Versand

Termintreue/Lieferzeit Versand

Einzelmontage

Montagegr. 1

Montagelinie III

Montagelinie II

Montagelinie I

Einzel

Montagepool

Versand

Versand Masse

Montagegr. 3

Primärziele

Montagegr. 2

Typ

Struktur

Eingangslager

Insel 4

Einzelmaschinen

Fertigungslinie III

Fertigungslinie II

Fertigungslinie I

Insel 1

Insel 2

Insel 3

Ausgangslager

Insel 5

Wertschöpfung

9

© 2008 IFA Bild 9.9: Beispiel einer segmentierten Fabrik (nach Brankamp) © IFA 12.047

9.7  Produktionssegmente Die Anforderungen an eine Produktion sind in der Regel je nach Breite des Produktionsprogramms mehr oder weniger heterogen. Dies äußert sich in unterschiedlichen kundenseitigen Forderungen nach bestimmten Liefermodellen und logistischen Leistungsmerkmalen sowie den produktseitigen Rahmenbedingungen wie Produktstruktur und Vari­ antenvielfalt. Daher ist es häufig nicht möglich, allen Anforderungen mit nur einem Fertigungs- und einem Montageprinzip zu genügen. Wenn die Stückzahlen es zulassen, bietet es sich an, Fertigungssegmente als produktorientierte dezentrale Organisationseinheiten der Produktion zu bilden [Wil88]. Fertigungssegmente sind ge­ kennzeichnet durch eine spezifische Wettbewerbs­

strategie, in deren Mittelpunkt Kostenreduzierung, Verkürzung der Durchlaufzeiten und/oder Quali­ tätsverbesserung stehen. Durch die Integration pla­ nender und indirekter Funktionen wird ein hoher Autonomiegrad angestrebt. Weiterhin zeichnen sich Fertigungssegmente dadurch aus, dass mehrere Stufen der logistischen Kette in ein Fertigungsseg­ ment integriert werden. So kann ein Segment auch aus mehreren Fertigungs- und/oder Montageinseln bestehen (vergl. auch Abschn. 4.5). Bild 9.9 zeigt exemplarisch drei Fertigungsseg­ mente eines Herstellers von Wasserpumpen, die in diesem Fall nach dem Stückzahlcharakter gebildet wurden. Eines der Segmente fertigt Massenproduk­ te mit weitgehend konstantem Absatz. Die primäre Zielsetzung besteht für dieses Segment in einer möglichst wirtschaftlichen Produktion, bewertet

269

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

Plan

Soll Zielvereinbarung • Strategische Positionierung

Produktionsplanung und -steuerung

• Bedarfe

Beschaffungsprogramm Fertigungs(Art, Menge, programm Termin) (Art, Menge, Termin)

Durchführung • Beschaffung • Produktion • Lieferung

Ist Logistisches Controlling

Beschaffungsprogramm Fertigungs(Art, Menge, programm Termin) (Art, Menge, Termin)

Betriebsdatenerfassung

Störungen, Änderungen

Bild 9.10: Regelkreis der Produktionsplanung und -steuerung © IFA G1392

9

© 2008 IFA

durch Auslastung und Umlaufbestand. Ein zweites Segment deckt die Anforderungen einer Serienferti­ gung mit einer höheren Varianz in den Produkten ab. Die integrierten Fertigungsinseln ermöglichen das „One Piece Flow-Prinzip“ und damit geringe Bestän­ de und Durchlaufzeiten. Abhängig von der Art der Kundenanbindung (s. Liefermodelle Abschn. 9.5.3) kann das Primärziel auch die Termintreue sein. Das dritte Fertigungssegment ist auf die Anforderungen einer Einzelfertigung ausgerichtet. Hier werden die kundenspezifischen Produkte mit hoher Varianten­ vielfalt termingerecht und mit kurzer Durchlaufzeit produziert. Aufgrund unterschiedlicher Bearbei­ tungsfolgen sind die Maschinen verrichtungsorien­ tiert aufgestellt. Für die drei Fertigungssegmente sind aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen und Restriktionen der Segmente selbst auch unterschiedliche Planungsund Steuerungsansätze erforderlich. Deren Grundla­ gen sowie Ansätze zur Auswahl und Konfiguration der zugehörigen Verfahren werden nachfolgend dargestellt.

270

9.8  Produktionsplanung und -steuerung Als Modell der Produktionsplanung eignet sich ein Regelkreis, den Bild 9.10 zeigt [Wie08]. Aus der Zielvereinbarung bezüglich der strategi­ schen Positionierung sowie den Kundenbedarfen entstehen Soll-Werte. Ein Produktionsplanungsund -steue­rungssystem (PPS) erzeugt daraus mit unterschiedlichen Ansätzen ein Produkti­ onsprogramm, das weiter in Eigenfertigungs-, Beschaffungs- und Lieferprogramme aufgelöst wird. Diese sind im Durchführungsprozess zu be­ schaffen, zu produzieren und zu versenden. Nach der Durchführung werden die mit Hilfe einer Be­ triebsdatenerfassung gewonnenen Ist-Werte mit einem logistischen Controllingsystem in Form von Kennzahlen und Grafiken aufbereitet und mit den Plan- bzw. Soll-Werten verglichen. Die fest­ gestellten Abweichungen sind zu analysieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Zielerreichung vorzuschlagen.

9.8  Produktionsplanung und -steuerung

Die Kernaufgaben der Produktionsplanung- und -steuerung sind die Produktionsprogrammplanung, die Produktionsbedarfsplanung sowie die Planung und Steuerung von Fremdbezug und Eigenfertigung, s. Bild 9.11 [Sch06]. Die Produktionsprogrammplanung bestimmt, welche Erzeugnisse in welcher Menge in den nächsten Planungsperioden produziert werden sollen. Dabei wird der zugrundeliegende Ab­ satzplan, der neben Absatzprognosen auch Kunden­ aufträge beinhaltet, in enger Abstimmung zwischen Vertrieb, Produktion und Einkauf auf seine Mach­ barkeit geprüft. Meist in Form einer Tabelle wird als Planungsergebnis der Primärbedarf verkaufsfähiger Erzeugnisse bzw. Erzeugnisgruppen für einen Pla­ nungshorizont von einem bis zu mehreren Jahren aufgelistet. Die Produktionsbedarfsplanung leitet aus dem Produktionsprogramm den erforderlichen Materialund Ressourcenbedarf ab. Unter Berücksichtigung von vorhandenen bzw. eingeplanten Beständen

ermittelt sie den Sekundärbedarf an Teilen und Baugruppen, terminiert die Fertigungsaufträge und ermittelt die Belastungen der Arbeitssysteme in Fertigung und Montage sowie die Bedarfstermine für das Beschaffungsmaterial. Als Ergebnis liegt das Beschaffungsprogramm sowie das Fertigungsund Montageprogramm vor, die nachfolgend in der Fremd- bzw. Eigenfertigungsplanung und -steue­ rung weiter ausgeplant und zur Durchführung frei­ gegeben werden. Zur Vermeidung einer scheingenauen Planung wird heute versucht, unter den Stichworten Dezentrali­ sierung und Segmentierung die Aufgaben der Ferti­ gungsplanung und -steuerung den durchführenden Bereichen zu übertragen. Dabei überlässt man den Mitarbeitern nicht nur die Ausführung, sondern bis zu einem bestimmten Umfang auch die Wahl der ein­ gesetzten Verfahren und Hilfsmittel. Das Ergebnis besteht in einer Reduktion der Planungstiefe und -komplexität bei gleichzeitiger Erhöhung der Quali­ tät der Aufgabenerfüllung (s. auch Abschn. 4.2).

9 Produktionsprogrammplanung

Netzwerkabsatzplanung

Produktionsbedarfsplanung

Netzwerkbedarfsplanung

Fremdbezugsplanung und -steuerung

Eigenfertigungsplanung und -steuerung

PPS-Controlling

Netzwerkkonfiguration

Querschnittsaufgaben

Lagerwesen

Kernaufgaben

Auftragskoordination

Netzwerkaufgaben

Datenverwaltung

Bild 9.11: Hauptaufgaben der PPS © IFA G1863 © 2008 IFA

G1863SW

271

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

Um die Effizienz der gesamten Wertschöpfungskette sicherzustellen, sind neben den vier Hauptaufgaben der PPS drei Querschnittsaufgaben erforderlich. Die Auftragskoordination stimmt Prozesse, Abläufe und Termine über die verschiedenen Unternehmensbe­ reiche hinweg ab. Das Lagerwesen ist für das Be­ standsmanagement und die Versorgungssicherheit gegenüber Fertigung und Montage sowie den Kunden verantwortlich. Das PPS-Controlling misst die logis­ tische Zielerreichung sowohl kundenseitig als auch unternehmensseitig. Kernaufgaben und Querschnitts­ aufgaben sind dabei auf eine sorgfältige Datenverwaltung der Stamm- und Bewegungsdaten angewiesen. Ergänzend zu den Kern- und Querschnittsaufgaben werden heute auch verschiedene Netzwerkaufgaben

der PPS zugerechnet [Sch06]. Diese fassen sämtliche planenden Aufgaben zusammen, die im Kontext ei­ nes Produktionsnetzwerkes zu sehen sind. Im Kern handelt es sich dabei um die strategisch ausgelegte Netzwerkkonfiguration, die übergreifende Absatz­ planung und die Netzwerkbedarfsplanung. Einen weit verbreiteten Sukzessiv-Planungsansatz zur Erfüllung der Kernaufgaben der PPS stellt das MRP II-Konzept dar. MRP II steht hier für Material Resource Planning. Bei diesem Ansatz wird nicht dem Anspruch einer Simultanplanung gefolgt, da davon ausgegangen wird, dass die Vielzahl der Pa­ rameter und Variablen und deren Interdependenzen sowie Unsicherheiten bei den zugrundeliegenden Pla­ nungsdaten zu einer Komplexität führt, die auch bei

Geschäftsplanung Aggregierte Absatzprogrammplanung Aggregierte Lagerplanung

9

Aggregierte Produktionsprogrammplanung

Ressourcenplanung

Produktionsprogrammplanung Grobkapazitätsplanung

Materialbedarfsplanung Kapazitätsbedarfsplanung

Durchlaufterminierung Kapazitätsterminierung

Auftragsfreigabe Feinterminierung / Maschinenbelegungsplanung

Auftragsüberwachung © 2008 IFA

11.882SW Lp(MRP II) Bild 9.12: Manufacturing Resource Planning © IFA 11.882

272

nein durchführbar ja

nein durchführbar ja

nein durchführbar ja

nein durchführbar ja

nein durchführbar ja

9.8  Produktionsplanung und -steuerung

der heutigen Rechnerleistung nicht zu beherrschen ist. Vielmehr wird die gesamte PPS in Teilprobleme bzw. Module zerlegt, Bild 9.12. Der MRP II-Ansatz ermöglicht eine Lösung der kurz dargelegten Planungsaufgaben in einem schrittwei­ sen Abstimmungsprozess, bei dem auf jeder Ebene Entscheidungsvariablen festgelegt werden, die als Eingangsgrößen in die nächste Planungsebene eingehen. MRP II steht dabei für Manufacturing Resource Planning und ist aus dem in den 1970er Jahren entwickelten MRP (Material Requirement Planning) hervorgegangen. Die Hierarchie der Pla­ nungsebenen orientiert sich am zeitlichen Horizont der Teilprobleme, wobei ausgehend von der strategi­ schen Geschäftsplanung eine kontinuierliche Verfei­ nerung des Material- und Kapazitätsbedarfs bis zur Belegung der einzelnen Maschinen mit einzelnen Arbeitsgängen erreicht wird. Rückkopplungen zwi­ schen den einzelnen Ebenen stellen die Machbarkeit eines Teilplans auf der jeweils nächsten Stufe sicher. Bei Abweichungen sind entweder Maßnahmen auf der Auftragsseite (Terminverschiebungen) oder der Ressourcenseite (Kapazitätsanpassungen) erforder­ lich. Das MRP II-Konzept stellt die Grundlage für vie­ le Softwaresysteme und deren EDV-technische Umsetzung dar. Gleichwohl zeigen die Ausfüh­ rungen zum Kundenauftragsentkopplungspunkt, den Abwicklungs- und Auftragsarten sowie den Prozessmodellen (vergl. Abschn. 9.2 bis 9.4), dass die spezifische Ausgestaltung der PPS, der Pla­ nungsgegenstand und die Planungstiefe an den gewählten Strukturen und Prozessen ausgerichtet werden müssen. Davon können alle Aufgaben der PPS betroffen sein. So ist der Detaillierungsgrad der Produktionspro­ grammplanung stark davon abhängig, in welchem Umfang kundenauftragsneutral produziert wird. Für die vor dem Kundenauftragsentkopplungspunkt liegenden Produktionsbereiche dient das Produkti­ onsprogramm der Erzeugung von kundenneutralen Fertigungs- bzw. Beschaffungsaufträgen; nach dem Kundenauftragsentkopplungspunkt sind demge­ genüber konkrete Kundenaufträge die Auslöser für

Fertigungs- und/oder Beschaffungsvorgänge. Das Produktionsprogramm dient in diesem Fall in erster Linie der Abschätzung des Kapazitäts- und Material­ bedarfs und wird dann meist nur auf der Ebene von Produktgruppen erstellt. Die Wahl der Prozessmodelle beeinflusst stark die Funktionen der PPS. So ist für die Fremdbezugs­ planung und -steuerung ausschlaggebend, welche Beschaffungsmodelle eingesetzt werden. Nur im Falle der klassischen Vorratsbeschaffung und der Einzelbeschaffung dient das Beschaffungsprogramm der Erzeugung konkreter Beschaffungsaufträge. Bei allen anderen Beschaffungsmodellen werden den Lieferanten lediglich Minimal- und Maximalbestände vorgegeben und/oder es erfolgt ein Materialabruf für aktuell bearbeitete Kundenaufträge. Grundlage der Kooperation sind bei diesen Beschaffungsmodellen Rahmenverträge. Auch die Gestaltung der Eigenfertigungsplanung und -steuerung und die Auswahl geeigneter Verfahren sowie deren Parametrierung sind in starkem Maße von den genannten Faktoren abhängig. Es wurden in der Vergangenheit viele Verfahren zur Steuerung von Produktionsprozessen entwickelt, die auf die Erfüllung einzelner Aufgaben für jeweils definierte Anwendungsbedingungen ausgerichtet sind. Da die Fertigungssteuerung unmittelbar den Produktions­ ablauf bestimmt und vielfache Konsequenzen für die Fabrikplanung nach sich zieht, soll diese Funktion etwas genauer betrachtet werden. Eine gute Übersicht über Funktionsweise, Anwen­ dungsvoraussetzungen und -grenzen der heute bekannten Steuerungsmodelle liefert Lödding [Löd09]. Als Fazit lässt sich festhalten, dass keines der bekannten Modelle für sich in Anspruch nehmen kann, den unterschiedlichen Anforderungen der Industrie umfassend gerecht zu werden. Es sollte daher angestrebt werden, unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen, Anforderungen und Fähigkeiten der Produktionsbereiche die in Fra­ ge kommenden Steuerungsansätze hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten zu überprüfen und in einer der jeweiligen Aufgabe angepassten Form – ggf. auch kombiniert – zu realisieren. Eine Vorgehensweise hierzu wird nachfolgend beschrieben.

9

273

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

9.9 

Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungs­ verfahren

Es ist Aufgabe der Fertigungssteuerung, die Vorga­ ben der Planungsschritte auch bei unvermeidbar auftretenden Störungen bestmöglich umzusetzen. Ausgehend von diesem Grundverständnis hat Löd­ ding [Löd08] ein allgemeingültiges Modell der Fer­ tigungssteuerung entwickelt, das vier Aufgaben der Fertigungssteuerung definiert. Bild 9.13a zeigt diese am Trichtermodell einer Fertigung, während Bild 9.13b die elementaren Stell- und Regelgrößen sowie die beeinflussten Zielgrößen in den Wirkzusammen­ hängen abbildet. Die Aufgaben legen die Stellgrößen fest, während die Regelgrößen, die die Qualität der Zielerreichung bestimmen, sich aus der Differenz von je zwei Stellgrößen ergeben. Diese vier Aufga­ ben der Fertigungssteuerung werden zunächst kurz erläutert.

9

Mit der Auftragserzeugung werden Fertigungsauf­ träge auf Basis von Kundenaufträgen, dem Produkti­ onsprogramm und/oder Materialentnahmen erzeugt.

Auftragserzeugung

Disposition

Auftragsfreigabe

Somit legt sie den Planzugang und den Planabgang der einzelnen Fertigungsaufträge und über die Ter­ minierung indirekt auch deren Abarbeitungsreihen­ folge fest. Die Auftragsfreigabe bestimmt den Zeitpunkt, ab dem die Bearbeitung eines Auftrages erfolgen kann. In der Regel wird dabei auch die Verfügbarkeit des Materials geprüft und die Bereitstellung ausgelöst. Relevante Kriterien der Auftragsfreigabe sind bei­ spielsweise die von der Auftragserzeugung vorgege­ benen Plan-Zugangstermine und/oder die Verfügbar­ keit der benötigten Ressourcen. Mit der Reihenfolgebildung wird festgelegt, wel­ cher Auftrag in einer Warteschlange als jeweils nächster bearbeitet werden soll. Dazu wird jedem Auftrag nach definierten Kriterien ein Merkmal zugeordnet, das dessen Priorität im Vergleich mit den übrigen wartenden Aufträgen bestimmt. Es ist eine Reihe von Reihefolgeregeln bekannt, die verschiedene primäre Zielsetzungen unterstützen wie bspw. kurze Durchlaufzeiten oder Rüstzeitein­ sparungen. Mit der Kapazitätssteuerung schließlich werden Ar­ beitszeiten arbeitssystemspezifisch festgelegt und

IstZugang

PlanZugang Durchlaufzeit

Auftragsfreigabe

Bestand

Bestand Auslastung

Kapazitätssteuerung

Kapazitätssteuerung

IstAbgang

Rückstand

PlanAbgang

Auftragserzeugung

Termintreue 2

Reihenfolgebildung

4 1

3

Reihenfolgebildung

IstReihenfolge

ReihenfolgeAbweichung

PlanReihenfolge

Produktion Aufgabe Differenz

a) Aufgaben

Stellgröße

Regelgröße

Zielgröße

Wirkrichtung

b) Wirkzusammenhänge

Bild 9.13: Modell der Fertigungssteuerung – Aufgaben und Wirkzusammenhänge © 2008 IFA © IFA 14.969

274

14.969

Bild 9.13

9.9  Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungsverfahren

• Conwip • Engpasssteuerung • Belastungsorientierte Auftragsfreigabe

• MRP II • BestellbestandsVerfahren

Auftragsfreigabe

• Leistungsmaximierend • Rückstandsregelnd

• Kanban • Fortschrittszahlen

Kapazitätssteuerung

Auftragserzeugung

Reihenfolgebildung

• First In-First Out • Geringster Restschlupf • Rüstzeit-optimierend © 2008 IFA

14.970

Bild 9.14: Zuordnung ausgewählter Steuerungsverfahren zu den Aufgaben der Fertigungssteuerung © IFA 14.970

Mitarbeiter einzelnen Systemen oder Gruppen zu­ geordnet. Sie beeinflusst damit den Ist-Abgang einer Fertigung. Beispiele für ausgewählte Verfahren, die zur Erfül­ lung der Aufgaben herangezogen werden können, zeigt Bild 9.14. Aufgrund der Fülle der bekannten Verfahren ist an dieser Stelle nur eine knappe Dar­ stellung möglich. Für weitergehende Informationen sei daher auf die entsprechende Fachliteratur, insbe­ sondere [Löd08] und [Schö07] verwiesen. Von den Verfahren zur Auftragserzeugung ist der MRP II-Ansatz weit verbreitet, ebenso das Bestell­ bestands-Verfahren und das Kanban-Verfahren (eine Erläuterung zu Kanban findet sich in Abschn. 4.7), während das Fortschrittszahlenverfahren in ver­ netzten Lieferketten über mehrere Fertigungsstufen hinweg Anwendung findet. Bei der Auftragsfreigabe ist die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe bekannt geworden [Wie97], ebenso

9

das ConWip-Verfahren [Hop96]. Beide zielen auf die Beherrschung der Durchlaufzeit mit Hilfe einer Bestandsregelung. Andere Ansätze gehen von einer Engpasssteuerung aus, wie bspw. der OPT-Ansatz (Optimized Production Technology) [Gol84]. Verfahren der Kapazitätssteuerung versuchen häu­ fig, eine maximale Auslastung der Arbeitsplätze zu erreichen, andere achten mehr darauf, durch eine Rückstandsregelung die Termineinhaltung zu unter­ stützen. Schließlich sollen Reihenfolgeregeln entweder die Durchlaufzeit, die Termineinhaltung oder die Rüst­ zeitminimierung unterstützen. Generell ist allerdings festzustellen, dass die Wirkung von Prioritätsregeln stark bestandsabhängig ist und die Regeln bei gerin­ gen Beständen alle auf die Regel „First-in-First-out“ hinauslaufen. Wichtig ist an dieser Stelle die Erkenntnis, dass jedes Verfahren einen spezifischen Einsatzbereich, aber auch eigene Einsatzvoraussetzungen und -grenzen

275

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

1

1

3 2

Fertigung

Controlling

Kunde

Lieferant

PPS

3 PPS

2 PPS

Fertigung

Montage

Kunde

Controlling

Controlling B

F

M

V

a) Kundenentkopplungspunkte

b) Prozessanalyse 2

3

2

Make-to-Order

Bestände

Bestände

Bestände

3

Assemble-to-Order

Termintreue

Auslastung

Auslastung

Auslastung

Termintreue

Durchlaufzeit

1

Durchlaufzeit

Make-to-Stock

Durchlaufzeit

1

Termintreue

c) Zieldefinition

9

© 2008 IFA

14.971

Bild 9.15: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Prozessanalyse und Zielfindung © IFA 14.971

hat. Auch nehmen manche Verfahren mehrere der vier Aufgaben wahr. Soll in einem Anwendungsfall die Fertigungssteue­ rung konfiguriert werden, so sind zunächst die stra­ tegischen Zielsetzungen des Unternehmens, die Kun­ denanforderungen, die sich aus der Produktstruktur ergebenden Restriktionen und die Fähigkeiten der Produktion zu berücksichtigen. Ausgangspunkt ist die Festlegung der Kundenauf­ tragsentkopplungspunkte (Bild 9.15a), die Festle­ gung der einzelnen Regelstrecken der Produktion (Bild 9.15b) und die Quantifizierung der Zielgrößen für die einzelnen Regelstrecken (Bild 9.15c). In je­ der Regelstrecke können verschiedene Primärziele verfolgt werden. Wie bereits erläutert, dominiert im kundenneutralen Produktionsbereich die For­ derung nach einer wirtschaftlichen Produktion, während in den kundenauftragsbezogenen Produk­ tionsabschnitten die Logistikleistung als Ziel im Vordergrund steht.

276

Wichtig ist ferner, dass die Ziele der einzelnen Re­ gelstrecken aufeinander abgestimmt sind, sofern sie gemeinsam an der Erfüllung von Kundenaufträgen mitwirken. Wird beispielsweise für den kundenauf­ tragsbezogenen Teil einer Wertschöpfungskette eine hohe Termintreue bei kurzen Durchlaufzeiten als Ziel formuliert, so muss die Versorgungssicherheit für diesen Teil der Prozesskette entweder durch ein entsprechend dimensioniertes Entkopplungslager oder eine hohe Reaktionsfähigkeit und somit kurze Durchlaufzeiten der vorgeschalteten Regelstrecken sichergestellt werden. Handelt es sich hingegen um parallele Fertigungssegmente (siehe beispielsweise Bild 9.9: Beispiel einer segmentierten Fabrik), die verschiedene Produkte für unterschiedliche Kunden­ gruppen herstellen, so sind die Primärziele für die Segmente voneinander unabhängig. Im Weiteren sind die einzelnen Regelstrecken in Be­ zug auf die steuerungsrelevanten Merkmale zu ana­ lysieren, die sich aus den dort zu fertigenden Produk­

9.9  Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungsverfahren

Die Produktion selbst beeinflusst die Auswahl der Fertigungssteuerungsverfahren zunächst über das gewählte Fertigungsprinzip, die Fertigungsart sowie die Art des Teilflusses. Die Materialflusskomplexität zeigt an, ob über alle zu bearbeitenden Produkte ein geradliniger oder stark vernetzter Materialfluss mit vielen Rückschleifen vorliegt. Damit einher geht in der Regel auch die Beurteilung der Engpasssituati­ on. Bei einem sehr geradlinigen Materialfluss wird es tendenziell wenige und konstante Engpässe ge­ ben, während man bei vernetzten Materialflüssen häufig wechselnde Engpasssituationen vorfindet. Weiterhin sind die Schwankungen des Kapazitätsbe­ darfs zu beurteilen. Zwar ergeben sie sich aus den Bedarfsschwankungen der Produkte, jedoch sind bei der Fertigung mehrerer Produkte trotz stärke­

ten und der Produktion selbst ergeben (Bild 9.16). Die Produkte sind hinsichtlich ihrer Komplexität (gering­ teilige oder mehrteilige komplexe Erzeugnisse), des Produktwertes sowie verschiedener Bedarfskriterien (Absatzmenge und -schwankung sowie Variantenan­ zahl) zu unterscheiden. Ein weiteres entscheidungs­ relevantes Kriterium kann eine eingeschränkte Lagerfähigkeit der Produkte darstellen. Mit der Belastungsflexibilität schließlich wird ausgedrückt, ob der Abnehmer (sei es ein externer oder auch in­ terner Kunde) terminliche Verschiebungen in einem begrenzten Umfang akzeptieren kann. Grundsätzlich ist dies möglich, wenn auf ein Lager gefertigt wird. In Ausnahmefällen sind Terminverschiebungen aber auch bei einer kundenauftragsbezogenen Produktion mit dem Kunden vereinbar.

Kriterium

Produkt

Produktkomplexität

mehrteiliges Erzeugnis mit einfacher Struktur

geringteiliges Erzeugnis

mehrteiliges komplexes Erzeugnis

Produktwert

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Absatzmenge pro Jahr

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Variantenanzahl

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Badarfsschwankungen

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Lagerfähigkeit

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Belastungsflexibilität

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Arbeitsplanqualität Fertigungsprinzip

Produktion

Ausprägung

sehr niedrig (nicht vorhanden) Werkbankprinzip

Fertigungsart

Einmalfertigung

Teilefluss

Chargenfertigung

mittel

hoch

sehr hoch

BaustellenWerkstättenInselprinzip prinzip prinzip Einzel- u. KleinSerienfertigung serienfertigung Losweiser Überlappte Transport Fertigung

Fließprinzip Massenfertigung One-Piece Flow

Materialflusskomplexität Engpässe in der Produktion Schwankung des Kapazitätsbedarfs

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

sehr viele (wechselnd)

mehrere (konstant)

wenige

einer

keine

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Kapazitätsflexibilität

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

sehr hoch

Versorgungszuverlässigkeit durch Vorgänger

sehr niedrig

niedrig

mittel

hoch

Datenverfügbarkeit

sehr niedrig (nur je Auftrag)

mittel

hoch

9

sehr hoch sehr hoch (je Arbeitsplatz)

© 2008 IFA

Bild 9.16: Ausprägungen steuerungsrelevanter Merkmale © IFA 14.972

277

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

9

rer Bedarfsschwankungen auf Produktebene durch kompensatorische Effekte vergleichsweise konstante Kapazitätsbedarfe auf Arbeitssystemebene möglich. Je heterogener das Produktspektrum ist, desto grö­ ßer ist die Wahrscheinlichkeit hierfür. Schließlich ist noch die Versorgungssicherheit durch den Vorgän­ gerprozess zu berücksichtigen. Den vorgenannten Anforderungen und Restriktionen stehen die vorhan­ dene Kapazitätsflexibilität sowie die Datenverfügbar­ keit als Fähigkeiten der Produktion gegenüber. Auf der Grundlage der vorgenannten Informationen kann im nächsten Schritt die Konfiguration der Ferti­ gungssteuerung erfolgen, wozu Bild 9.17 ein Schema zeigt. Ausgehend von den quantifizierten Zielgrößen sowie den Ausprägungen der steuerungsrelevanten Merkmale ist für jede Aufgabe der Fertigungs­ steuerung zu prüfen, welches prinzipiell in Frage kommende Verfahren eingesetzt werden soll. Unter Berücksichtigung der erwarteten Ergebnisse (benö­ tigt als Input für die nachfolgende Aufgabe) und der Verfahrensanforderungen sind die Datenbedarfe und Datenquellen zu identifizieren. Ergänzend dazu ist das Controllingkonzept zu entwerfen, mit dem die Zielerreichung überprüft werden kann und mit des­ sen Hilfe sich bei Bedarf Maßnahmen zur Prozessver­ besserung ableiten lassen. Das Vorgehen zur Konfiguration soll nachfolgend an einem Praxisbeispiel erläutert werden [Nyh06]. Es handelt sich um einen Systemlieferanten für einen Nutzfahrzeughersteller. Im Rahmen eines Zieldefini­

tionsworkshops wurde zunächst die Bedeutung der logistischen Zielgrößen ermittelt und mit dem aktu­ ellen Leistungsprofil verglichen (Bild 9.18a). Dabei zeigte sich, dass insbesondere hinsichtlich der Liefer­ treue der Fertigung ein erheblicher Handlungsbedarf bestand. In der Vergangenheit umging man die dies­ bezüglichen Schwächen, indem das Unternehmen die Produkte auf Lager fertigte und von dort an den Kunden auslieferte. Schwächen in der Termintreue wurden mit hohen Fertigwarenbeständen ausgegli­ chen. Daher einigte sich das Projektteam als zweites Hauptziel für die Konfiguration der Fertigungssteue­ rung auf die Reduktion der Fertigwarenbestände und damit der Kapitalbindungskosten. Fertigwarenbe­ stände sollten möglichst gänzlich entfallen. Das Unternehmen fertigt kundenspezifische Produkte in kleinen und mittleren Stückzahlen in einer hohen Varianz (Bild 9.18b). Die Belastungsflexibilität war aufgrund der Kundenanforderungen an die Termin­ einhaltung sehr gering. Die Fertigung war nach dem Werkstättenprinzip organisiert und zeichnete sich durch eine hohe Materialflusskomplexität aus. In der Vergangenheit hat das Unternehmen versucht, mit fle­ xiblen Arbeitszeitmodellen, einem Springerpool mit mehrfach qualifizierten Mitarbeitern und Fremdver­ gabe den Anforderungen bezüglich der logistischen Zielgrößen, insbesondere der Vermeidung von Termi­ nabweichungen, weitgehend gerecht zu werden. Die Ergebnisse entsprachen jedoch nicht den gesetzten Anforderungen. Daher sollte die Fertigungssteuerung insgesamt neu konfiguriert werden.

Datenquellen Datenbedarfe

Ziele

Auftragserzeugung

Auftragsfreigabe

Ergebnisse

Kapazitätssteuerung

Strecke (Fertigung/Montage)

Controlling

Bild 9.17: Konfiguration der Fertigungssteuerung © IFA 14.973

278 © 2008 IFA

Reihenfolgebildung

14.973

9.9  Auswahl und Konfiguration von Fertigungssteuerungsverfahren

gering / unbedeutend



Liefertreue



Lieferzeit



Herstellkosten



Kapitalbindungskosten

hoch / entscheidend

aktuelle Leistung

Bedeutung

a) Zieldefinition



Einzel- und Kleinserienfertigung



Fertigung nach dem Werkstättenprinzip



hohe Variantenzahl



sehr hohe Materialflusskomplexität



sehr niedrige Belastungsflexibilität



hohe Kapazitätsflexibilität



mittlere Schwankung des Kapazitätsbedarfs

b) Rahmenbedingungen Bild 9.18: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Ausgangslage in einem Praxisbeispiel

© 2008 IFA © IFA 14.974

14.974

In den ersten Überlegungen stand zur Diskussion, eine Kanban-Steuerung zu realisieren. Aufgrund der hohen Produktvarianz und der geringen Stückzah­ len je Variante hätte ein solches Verfahren jedoch nicht zu den geforderten Bestandsreduzierungen im Fertigwarenbereich geführt. Generell gilt, dass eine Pull-Steuerung wie Kanban immer in ein Lager (den Kanban-Puffer) hineinproduziert und damit Lager­ bestände eine notwendige Verfahrensvoraussetzung sind. Weiterhin wurde überprüft, ob ein bestandsregeln­ des Verfahren (hier die belastungsorientierte Auf­ tragsfreigabe) eingesetzt werden kann. Bei diesen Verfahren erfolgt die Auftragsfreigabe, wenn die Bestände an den Arbeitssystemen einen vorgegebe­ nen Wert unterschreiten. Ziel dieser Verfahren ist es, mit konstanten Beständen auch die Durchlaufzeiten auf einem stabilen Niveau zu halten und somit die Planungs- und insbesondere die Terminsicherheit zu erhöhen. Voraussetzung ist, dass die Aufträge und

9

somit die Belastungen der Arbeitssysteme terminlich verschoben werden können. Dies geht aber nur, wenn die Kundenanforderungen eine Belastungsflexibilität zumindest in Grenzen zulassen oder die Produktion durch ein Lager vom Kunden entkoppelt ist. Da hier beides nicht der Fall war, kamen bestandsregelnde Verfahren ebenfalls nicht in Frage. Die für das Unternehmen letztlich gefundene Konfi­ guration ist in Bild 9.19 dargestellt. Die Auftragser­ zeugung erfolgt auf Basis der gemeldeten wöchent­ lichen Kundenbedarfe, für die im ersten Schritt eine retrograde Auftragsterminierung bis auf die Ebene der einzelnen Arbeitsvorgänge durchgeführt wird. Die dabei gewonnenen Informationen werden unter anderem genutzt, um den Kapazitätsbedarf mit drei unterschiedlichen Planungshorizonten (3 Wochen, 6 Wochen, 3 Monate) zu ermitteln und geeignete mit­ telfristige Maßnahmen zur Kapazitätsabstimmung (hauptsächlich Einplanung von Sonderschichten und Fremdvergabe) anzustoßen.

279

9  Funktionale Arbeitsbereichs­gestaltung

Auftragserzeugung

Auftragsfreigabe

Reihenfolgebildung

Kapazitätssteuerung

Kundenbedarfe

Fertigungsauftrag

freigegebener Fertigungsauftrag

Fertigungsauftrag mit Rangwert

• Retrograde Auftragsterminierung • 3-Horizonte Kapazitätsbedarfsrechnung

• Auftragsfreigabe nach Termin

• Rangwert nach Restschlupf

• Rückstandsregelung

• Arbeitsverteilung

• kurzfristige Kapazitätsflexibilität

• Kapazitätsabstimmung

Controlling

Bild 9.19: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Praxisbeispiel

9

280

© IFA 14.975

Die Auftragsfreigabe erfolgt nun streng nach berech­ netem Starttermin; andere Kriterien wie die Siche­ rung der Auslastung einzelner Arbeitssysteme durch Vorziehen von Aufträgen sind nicht mehr zugelassen. Die Reihenfolgebildung in der Produktion erfolgt ebenfalls ausschließlich nach Terminkriterien (Rest­ schlupf: freie ‚Pufferzeit’ bis zum Bedarfstermin). Für die Kapazitätssteuerung im Kurzfristbereich wur­ de schließlich ein Ansatz zur Rückstandsregelung gewählt. Sofern eine Differenz zwischen Planabgang und Istabgang an einem Arbeitssystem entsteht, kommen die kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen zur Kapazitätsabstimmung wie die Nutzung flexibler Arbeitszeitmodelle und Einsatz des Springerpools zur Anwendung. Da für die Reihenfolgebildung und die Kapazitäts­ steuerung aktuelle arbeitsgangbezogene Rückmel­ dedaten benötigt werden, wurde zudem ein Logistik­ controllingsystem eingeführt, welches diese Daten liefert. Das System dient auch dazu, wichtige Pla­ nungsparameter wie zum Beispiel die Durchlaufzei­ ten und Kapazitäten der Arbeitssysteme fortlaufend

zu überprüfen und ggf. nachhaltige Änderungen in die Fertigungssteuerung zurückzuspielen. Mit diesem Beispiel sind die Überlegungen zur Ge­ staltung der Arbeitssystemebene aus Sicht der Pro­ duktionseinrichtungen und der Produktionslogistik abgeschlossen. Im folgenden Kapitel wird die zuge­ hörige Raumgestaltung behandelt.

9.10  Literatur [Frü06]

[Gol84]

 rühwald, C., Wolter, C.: Prozessge­ F staltung. In: Hagen, N. u. a. (Hrsg.): Prozessmanagement in der Wertschöp­ fungskette. Haupt Verlag, Bern Stutt­ gart Wien 2006 Goldratt, E.M., Cox, J.: The Goal. A Pro­ cess of Ongoing Improvement. Gower, Aldershot 1984

9.10  Literatur

[Hop96] [Löd08]

[Nyh03]

[Nyh06]

[Sch06]

 opp, W. J., Spearman, M. L.: Factory H Physics. Irwin, Chicago et al. 1996 Lödding, H.: Verfahren der Fertigungs­ steuerung. Grundlagen, Beschreibung, Konfiguration. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2008 Nyhuis, P., Rottbauer, H.: Erfolgsfak­ toren und Hebel der Beschaffung im Rahmen eines Integrated Supply Managements. In: Bogaschewsky, R. (Hrsg.): Integrated Supply Management. Deutscher Wirtschaftsdienst, Köln 2003 Nyhuis, P., Begemann, C., Berkholz, D., Hasenfuß, K.: Konfiguration der Fertigungssteuerung – Grundlagen und Anwendung in einer Werkstattfer­ tigung. wt Werkstattstechnik online, Ausgabe 4, 2006 Schuh, G., Gierth, A.: Aachener PPS-Mo­ dell. In: Schuh, G. (Hrsg.): Produktions­

[Schö07]

[Wie97]

[Wie08]

[Wil98]

planung und -steuerung. Grundlagen, Gestaltung, Konzepte. Springer, Berlin Heidelberg 2006 S chönsleben, P.: Integrales Logistik­ management. Operations and Supply Chain Management in umfassenden Wertschöpfungsnetzwerken. 5.Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2007 Wiendahl, H.-P.: Fertigungsregelung. Logistische Beherrschung von Ferti­ gungsabläufen auf Basis des Trichter­ modells. Hanser Verlag, München Wien 1997 Wiendahl, H.-P.: Betriebsorganisation für Ingenieure. 6. Aufl., Hanser Verlag, München Wien 2008 Wildemann, H.: Die modulare Fabrik. Kundennahe Produktion durch Ferti­ gungssegmentierung. 5. Aufl., TCW, München 1998

9

281

Kapitel 10 Räumliche Arbeitsbereichs­ gestaltung

10

284

10.1  Kommunikation 10.1.1 Wege, Treppen, Zwischenräume 10.1.2 Anordnung und Verbindung Arbeitsbereiche 10.1.3 Lage, Form und Ausstattung Gemeinschaftsräume

287 289

292

10.2  Belichtung 10.2.1 Tageslicht 10.2.2 Natürliche Belichtung 10.2.3 Künstliche Beleuchtung 10.2.4 Lichtlenkung

293 293 294 297 299

10.3  Behaglichkeit

300

290

10.4  Rekreation 10.4.1 Pausenbereiche, Sozialräume 10.4.2 Kantine, Cafeteria, Teeküchen 10.4.3 Sport, Spiel, Freizeit

302 303 304 304

10.5  Brandschutz 10.5.1 Brandschutzkonzept, Brand­ abschnittsflächen 10.5.2 Abstandsflächen, Brandwände, Komplextrennwände 10.5.3 Feuerwiderstandsklassen 10.5.4 Flucht- und Rettungswege 10.5.5 Rauch- und Wärmeabzug, Feuer­ löscheinrichtungen

304

10.6  Literatur

310

305 306 307 308 309

Bild 10.1: Übersicht der Gestaltungsfelder und -elemente eines Arbeitsplatzes

287

Bild 10.2: Kommunikationsgerechte Raumgestaltung

288

Bild 10.3: Kommunikationsfördernde Strukturmerkmale

289

Bild 10.4: Bürokonzepte in Abhängigkeit von Anwesenheitszeit und Arbeitsweise (congena gmbH nach wikipedia)

290

Bild 10.5: Übersicht Bürokonzepte (congena gmbH nach wikipedia)

290

Bild 10.6: Zweigeschossiger Fabrikbau mit Zwischengalerien (Reichardt)

292

Bild 10.7: Einfluss des Raumquerschnitts auf den Tageslichtquotient

294

Bild 10.8: Lichtverteilung bei verschiedenen Dachformen

295

Bild 10.9: Vor- und Nachteile verschiedener Oberlichtformen

296

Bild 10.10: 3D-Simulation der Tageslichtverteilung einer Industriehalle

297

Bild 10.11: Nennbeleuchtungsstärke für industrielle Tätigkeiten

298

Bild 10.12: Auswirkung Erhöhung Beleuchtungsstärke auf Leistungsfaktoren

299

Bild 10.13: Systeme für seitlichen Lichteintrag

300

Bild 10.14: Behaglichkeitsfelder für Raumlufttemperatur und Strahlungstemperatur (nach Frank)

301

Bild 10.15: Behaglichkeitsfelder für Luftfeuchte und Raumlufttemperatur

303

Bild 10.16: Einfluss der Bauwerkselemente auf Nutzung und Brandschutz

304

Bild 10.17: Zulässige Größe von Brandabschnittsflächen

306

Bild 10.18: Brandschutzanforderungen an umgebende Gebäudeflächen

307

Bild 10.19: Ausführung von Brandwänden und Komplextrennwänden

308

10

285

10

286

Bild 10.20: Feuerwiderstandsklassen für Bauteile eines Gebäudes

309

Bild 10.21: Anforderungen an Rettungswege

310

Bild 10.22: Anforderungen an Rauch- und Wärmeabzug

311

Die Arbeitswelt ist Teil unseres Seins. Der Arbeitsbereich als persönlich erfassbarer Teilbereich von Fertigung, Werkstatt oder Büro sollte ein selbstverständlicher und gleichermaßen erfreulicher Teil unserer Persönlichkeit sein. Es muss falsch sein, die Lebensqualität auf die Zeit außerhalb der Arbeit zu reduzieren und die Trennung von Arbeit und Freizeit kantenscharf auszulegen. Messlatte bei der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse in Fabriken waren bislang die gesetzlichen Mindestforderungen für ausreichend Licht, Luft oder Schallschutz. Ihre Erfüllung galt allgemein schon als Inbegriff der Humanisierung des Arbeitsbereiches. Aber ebenso wichtig wie die messbaren Parameter für physisches Wohlbefinden sind die weniger eindeutig messbaren Parameter wie die Varianz des Tageslichtes und eine harmonische Umgebung. Auf der Gestaltungsebene Arbeitsbereich sind die baulichen Möglichkeiten zur Förderung von körperlichem und geistigem Wohlbefinden, Arbeits-

bereitschaft und Arbeitsleistung zu untersuchen. Bild 10.1 zeigt die wichtigsten Gestaltungselemente der Gestaltungsfelder Kommunikation, Belichtung, Behaglichkeit, Rekreation und Brandschutz. Im Weiteren werden diese erläutert und ihre Bedeutung für die Wandlungsfähigkeit näher betrachtet.

10.1  Kommunikation Der Einfluss der personalen Kommunikation auf die Schaffenskraft ist unleugbar, Kreativität und Innovation sind Grundvoraussetzungen wandlungsfähiger Unternehmen. Gebäude leisten einen wichtigen Beitrag, um unentdecktes Potenzial für Kommunikation zu erschließen. Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Arbeitszeit in Projektteams, Entscheidungsgremien, Arbeitsgruppen und Gesprächs-

10

Bild 10.1: Übersicht der Gestaltungsfelder und -elemente eines Arbeitsplatzes © Reichardt 15.180_JR_B

287

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

runden. Das alte japanische Sprichwort: „Das Gold liegt in den Köpfen der Mitarbeiter“, weist dabei den richtigen Weg zur Rückbesinnung auf die einzigartigen Talente des Menschen. In der tayloristischen Massenfertigung wurde Denken, Entscheiden und Handeln gespalten, jetzt muss Kopf- und Handarbeit wieder zusammengeführt werden. Die traditionellen „Kasten“ der Blaukittel und Weißkragen sind in Auflösung begriffen, Gemeinsamkeit wird zum Ideal. Material- und Kommunikationsfluss, bisher getrennt betrachtet, werden integriert – damit wird Kommunikation zu einem entscheidenden Produktionsfaktor. Fehler im physischen Materialfluss werden früher oder später evident, im geistigen Materialfluss Kommunikation bleiben sie meist unentdeckt. Für die Gebäudekonzeption bedeutet dies, Strukturen bereitzustellen, die die Kreativität der Nutzer anregen. Kommunikation geschieht außerhalb des Büros mehr zufällig, informell auf dem Flur oder formell gelenkt z.B. während einer Seminarveran-

10

Bild 10.2: Kommunikationsgerechte Raumgestaltung © Reichardt 15.161_JR_B

288

staltung oder einem Workshop. Gerade bei größeren Industriewerken wird nach [Rei01] durch eine entsprechende räumliche Gestaltung von Verkehrsflächen, Arbeitsbereichen und Gemeinschaftsräumen die Kommunikationsdichte nachweislich gefördert. Bild 10.2 zeigt Wirkungen der Raumgestaltung in Abhängigkeit von der Art der Kommunikation, die stark oder schwach nach innen gerichtet sein kann oder außenorientiert ist. Die für ein Projekt „richtige“ Mischung aus Innen- und Außenorientierung sollte schon in der Aufgabenstellung und Zielprojektion thematisiert werden. Folgerichtig könnten z.B. in der Ausformung der Architektur Kombinationen von größeren (gemeinschaftlichen) Gruppenräumen mit kleineren (individuellen) Denkzellen geboten werden. Kommunikation findet gezielt in Gemeinschaftsräumen und eher spontan in Verbindungsbereichen statt. Für die Architektur stellt sich die Frage eines anregenden Impulses für Kommunikation durch die Bereitstellung hierfür geeigneter Raumformen.

10.1  Kommunikation

10.1.1 Wege, Treppen, Zwischenräume Erschließungsflächen werden vielfach nur eindimensional als minimierte funktionale Notwendigkeit konzipiert. Im wahrsten Sinn des Wortes sind dies „Fluchtwege“. Flure und Treppen ohne Sonnenlicht mit fahler Ausleuchtung, schmal, räumlich gedrückt, manchmal sogar klaustrophob gestaltet, drängt es die Menschen, sie schnell zu durcheilen und ja nicht stehen zu bleiben. Es entsteht keinerlei Anreiz zum kurzfristigen Verweilen und zu einem spontanen Gedankenaustausch. Architektonische Mittel einer Neuinterpretation dieser „Fluchtwege“ sind Tageslicht, attraktive Blickbezüge und Angebote zum Verweilen, Bild 10.3 links. Baustrukturen, die ohne Not auf natürliches Licht für Treppen und Flurbereiche verzichten, sollten der Vergangenheit angehören. Die Varianz des Sonnenlichts, die Bewegung von Lichtflecken und Schattenbildern erzeugt eine dem Menschen angenehme At-

mosphäre. Attraktive Blickbezüge fördern vielfältige Anregungen durch Empfangen visueller Eindrücke, als Durchblicke nach links und rechts, oben und unten, über Galerien und Lufträume hinweg. Die natürliche menschliche Neugier erhält Befriedigung, das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein, erleichtert spontanen Kontakt durch Handzeichen oder Zuruf. Flure müssen nicht als immer gleiches Standardprofil und Treppenpodeste nicht als minimal mögliche Bewegungsflächen ausgeführt werden. Die Vorsehung „geplanter Zufälligkeiten“ der Begegnung durch räumliche Aufweitungen fördert die Möglichkeit des kurzzeitigen Verweilens. Teeküchen oder Kopierstationen können nach Bedarf diesen Situationen zugeordnet werden. Studien nach [Eba84] und [Bis98] belegen, dass 80 Prozent aller innovativen Ideen durch direkte personale Kommunikation entstehen und die informelle Kommunikation die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz fördert. Kommunikationsarchitektur ist also eine höchst lohnende Angelegenheit.

10

Bild 10.3: Kommunikationsfördernde Strukturmerkmale © Reichardt 15.162_JR_B

289

10.1.2 Anordnung und Verbindung Arbeitsbereiche

zeitweise

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

ständig

Anwesenheit

Business Für die immer weniger trennscharf abgrenzbaren Teambüro Club Bereiche Fertigung, Montage, Arbeitsvorbereitung, Produktionsplanung- und Steuerung, Qualitätssicherung, etc. bis hin zur Forschung und Entwicklung Kombibüro sind veränderbare Raumbereiche mit Möglichkeiten des gegenseitigen Austausches oder der Verzahnung bereitzustellen. Noch immer werden Fabriken nach dem Muster isolierter Produktionshallen und GroßraumZellenbüro davon freistehender Verwaltungsbauten konzipiert büro und weisen separate, über eine Brücke verbundene Bauformen aus. An die Produktionshallen angedockt werden häufig auch isolierte Randbauten mit gerinkooperativ Arbeitsweise autonom ger Raumtiefe längs einer Brandwand ohne Einblick für FabrikanlagenBild und Logistik 15 270 in die Produktion. Der für Kommunikation© Institut so wich10.4: Bürokonzepte in Abhängigkeit von Anwesenheitszeit und Arbeitsweise (congena gmbH nach wikipedia) tige Austausch, die Verzahnung an der Nahtstelle © IFA 15.270 von Denken, Entscheiden und Handeln ist durch die meist nicht mehr rückgängig zu machende Wahl derartiger Lösungen stark eingeschränkt. destruktur entstehenden Kommunikationsräumen, Vorteilhaft sind demgegenüber variable Raumformen Bild 10.3 Mitte. Im Bürobau ist der Zusammenhang mit veränderlichen, transparenten Raumgrenzen sovon Gebäudeform und Gebäudetiefe für die Wahl der wie ein Angebot an übergeordneten, durch die GebäuArbeitsform offensichtlich. Der traditionelle Bürotyp

10

ro nbü e l l e Z

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

290

15.271

|

| üro b i b Kom

| um a r n ppe Gru

ub s Cl s e n i Bus

Bild 10.5: Übersicht Bürokonzepte (congena gmbH nach wikipedia) © IFA 15.271

10.1  Kommunikation

mit Mittelflur und beidseitigen Zellenbüros hat im Hinblick auf Kommunikation eindeutige Nachteile gegenüber Arbeitsformen wie Kombibüros, Gruppenräumen oder hieraus abgeleiteten Mischformen. Die Gebäudetiefe leitet sich beim Zellenbüro aus einem ca. 2 m breiten Flur und ca. 5 m tiefen, schmalen Räumen mit ca. 12 bis 13 m2 Gesamtfläche ab. KombiBüroformen mit Einbeziehung der ehemaligen Flure als Fläche für gemeinschaftliche Nutzungen oder Gruppenraumformen benötigen ca. 15 bis 18 m Gebäudetiefe. Wurde dieser Gestaltungsbereich bisher im Wesentlichen als ein von der Fabrikplanung völlig getrennter Komplex behandelt, rückt mit der zunehmenden Vermischung von Hand- und Kopfarbeitsplätzen diese Aufgabe in den Fokus des Fabrikplaners. Ohne zu sehr in die Details zu gehen, sollen hierzu einige Ansätze skizziert werden. Eine gute Übersicht zu diesem Thema bietet [Spat03]. Bild 10.4 ordnet die heute bekannten Bürokonzepte anhand der Parameter Anwesenheitszeit und Arbeitsweise ein, während Bild 10.5 ergänzend eine Vorstellung vom Layout dieser Konzepte vermittelt. Das klassische Zellenbüro bietet bei ständiger Anwesenheit und autonomer Arbeitsweise zwar einen störungsfreien Rückzugsraum, ist aber prinzipiell wandlungsträge und kommunikationsfeindlich. Der Gegenentwurf des Großraumbüros soll die Zusammenarbeit stärken, sie erfreuen sich aber wegen der starken Beeinträchtigung einer konzentrierten Arbeit durch Personenbewegungen, Telefonate und Besprechungen keiner großen Beliebtheit. Durch Aufteilung in überschaubare Bereiche und Vereinbarung eines Verhaltenskodex versucht man vielerorts, diesen Nachteilen zu begegnen. Teambüros bieten sich für temporäre Projektteams an. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass es auf eine zweckmäßige Kombination der Büroformen ankommt, die daher Kombibüro genannt wird. Hier sind auf einer größeren Fläche mit weitgehend transparenten und möglicherweise mobilen Trennwänden Einzelbüros mit davor angeordneten Arbeitsbereichen konzipiert. Konzentrierte Einzelarbeit und spontane Gruppenarbeit sind

gleichermaßen realisierbar. Schließlich gewinnt die Idee des Business Club zunehmend Anhänger. Nach dem Vorbild der in Flughäfen, Bahnhöfen und großen Hotels anzutreffenden Business Center werden im Unternehmen temporäre Arbeitsplätze für Einzelpersonen oder Arbeitsgruppen etabliert, die sich zurückziehen wollen bzw. mit internen und externen Teams nach neuen Lösungen suchen. Solche Ansätze bieten sich bspw. im Bereich Marketing, Forschung, Produktentwicklung und Engineering an. Bei der Gestaltung von Büroflächen wird auch immer mehr nach der Anwesenheitsdauer der Mitarbeiter gefragt. Wenn bspw. Vertriebsmitarbeiter nur etwa 50 % ihrer Arbeitszeit im Unternehmen verbringen und davon vielleicht noch einmal die Hälfte in Meetings, liegt es nahe, keine feste Zuordnung einer Person zu einem bestimmten Arbeitsplatz vorzusehen. Der Mitarbeiter hat dann vielleicht noch einen mobilen Container mit persönlichen Unterlagen. Zum Arbeitsbeginn holt er sich diesen aus einem Depot, sucht einen freien Schreibtisch, loggt sich mit seinem Laptop in das Firmennetz ein und ist in wenigen Minuten arbeitsfähig. Sollen zusätzlich Forschung und Entwicklung, Labore oder Werkstätten entstehen, kann dies für die Gebäudetiefe leicht 20 m und mehr bedeuten. Falls Anteile der Fertigung in Stockwerken übereinander gestapelt werden, können intelligent strukturierte Flächen mit freizügiger Grundrissentwicklung ohne störende Wände und Stützen als „Industrieloft“ konzipiert werden. Gerade für sich verändernde Arbeitsund Kommunikationsformen bieten variable Raumformen und Raumtiefen beste Voraussetzungen. Die Raumabschlüsse der verschiedenen Bereiche sollten untereinander reversibel und veränderbar sein, ohne großen Umstand Raumvergrößerungen oder Raumverkleinerungen erlauben sowie Austausch und gegenseitige Verzahnung ermöglichen. Diese mobilen Wandelemente sollten zum großen Teil transparent sein und so Einblicke und Durchblicke gewähren. Die Transparenz des Einzelnen in der Gruppe fördert den Aufbau und Erhalt einer Gemeinsamkeit, eines Wir-Gefühls, eines Teams zur Verwirklichung einer gemeinsamen Vision.

10

291

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bei geschickter Neuinterpretation einer erweiterten Funktion der Verkehrsflächen können ganze Werkstrukturen von einer in Schnittprofil, Grundrissfigur und Verknüpfungsprinzip der Bauformen verankerten Kommunikationsidee profitieren. Ausgehend von skandinavischen Beispielen entstanden beispielsweise auf der Grundlage des innovativen Montagewerks von Saab in Malmö mehrere Varianten eines Kommunikationsrückgrats. In Umkehrung traditioneller Rezepte ist hier jeweils die Mitte der Fabrik nicht mit Materialfluss und Logistik, sondern durch die Kommunikations- und Rekreationsbereiche der Mitarbeiter belegt. Auch das Skoda-Automobilwerk in Mladá Boleslav bei Prag weist diese Struktur auf.

10.1.3 Lage, Form und Ausstattung Gemeinschaftsräume Ein vielfaches Angebot zu formeller, gelenkter Kommunikation sollte an strategisch wichtigen Stellen im Gebäude verteilt werden. Seminar- und Trai-

ningsräume bieten sich insbesondere an der Nahtstelle zur Produktion an. Je nach Bedarf erlauben Lamellen oder Jalousien vielfache Veränderungen für gewünschte Ein- oder Ausblicke. Besprechungsbereiche können an ähnlichen Stellen oder aufgrund häufigen Gästeverkehrs in der Nähe des Foyers liegen. Muffige Pausenräume und Umkleiden in Kellerlage sollten der Vergangenheit angehören und durch helle, luftige, attraktive Angebote abgelöst werden, Bild 10.3 rechts. An einer übergeordneten Stelle wie Dachterrasse oder an einem mit Pflanzen und Teich ausgestalteten Freibereich animiert eine Cafeteria oder Kantine mit Freizeitflair auch zum Besuch außerhalb der reinen Verköstigungszeiten und somit zum Informationsaustausch. Ein Beispiel für eine Lösung, bei der die Aspekte Kommunikation und Wandlungsfähigkeit im Vordergrund standen, zeigt Bild 10.6. Es handelt sich um ein zweigeschossiges Produktions- und Technologiegebäude für einen Hersteller hochwertiger Audiogeräte [Fi09]. Jedes Geschoss besitzt auf drei Seiten eine

10

Bild 10.6: Zweigeschossiger Fabrikbau mit Zwischengalerien (Reichardt) © Reichardt

292

10.2  Belichtung

Zwischengalerie zur Aufnahme der Büros für alle an der Technologieentwicklung, Arbeitsvorbereitung und Produktion beteiligten Bereiche. Eine zentrale Pausenfläche im Erdgeschoss, gläserne Bürofronten und ein zentral lokalisierter Besprechungsraum erlauben eine rasche Kommunikation. Das große Stützenraster von 16,8 x 8,4 m stellt einen hohen Grad an Wandlungsfähigkeit sicher. Soweit aus Emissionsgründen oder wegen besonderer klimatischer Bedingungen erforderlich, sind einige Bereiche mit einer Leichtbaukonstruktion gekapselt. Ein „inneres“ Wachstum ist ohne Eingriff in die Gebäudestruktur durch die nachträgliche Erweiterung der Galerien möglich.

10.2  Belichtung In den 1970er Jahren wurde in Ablösung bewährter Oberlichter in Shed-Bauweise die fensterlose, künstlich belichtete und belüftete Fabrik propagiert. Mittlerweile setzt eine Rückbesinnung auf die atmosphärische Qualität guter Belichtung von Arbeitsplätzen ein, Ziel ist jetzt vielfach die Tageslichtfabrik. Gründe hierfür liegen im steigenden ökologischen Bewusstsein, aber auch in der durch innovationsorientierte Produktion höheren Qualifikation der Mitarbeiter. Nach [Schu94] ist im Industriebau die ausgiebige Nutzung natürlichen Lichtes eine höchst ratsame Strategie. Einmal bietet sie den großen ökonomischen wie ökologischen Vorteil der dauerhaften Einsparung von Energie für Zwecke der Raumbeleuchtung. Darüber hinaus ist Licht, und insbesondere Tageslicht, der wichtigste Faktor bei der menschlichen Arbeit. 80 bis 90 % seiner Informationen nimmt der Mensch durch optische Wahrnehmung auf. Licht beeinflusst Motivation und Wohlbefinden des Menschen. Vor allem natürliches Licht, also die Erlebbarkeit wechselnder Lichtintensitäten und Lichtatmosphären, wirkt auf den Organismus anregend. Unbestritten ist der physische Einfluss des herrschenden Wetters auf die Stimmung des Menschen. Der Tagesrhythmus von 24 Stunden bestimmt unser Wach- und Schlafverhalten

und ist damit ein unverzichtbarer Zeitgeber für vegetative Körperfunktionen (vgl. auch Bild 7.11). Als gesicherte Erkenntnis gilt, dass die Varianz des Sonnenlichtes Fehlerquoten in der Produktion verringert. In Ergänzung zu natürlichem Licht und zur Ausleuchtung in Dunkelzeiten muss eine sorgfältige Planung alle Bedingungen für eine künstliche Beleuchtung erfassen und zu einer Gesamtgestaltung integrieren. Die Lichtverteilung im Raum kann insbesondere bei tiefen Gebäudequerschnitten durch Systeme der Lichtumlenkung optimiert werden. Im Weiteren werden die Gestaltungselemente Tageslicht, natürliche Belichtung, künstliche Beleuchtung und Lichtumlenkung anhand von Strukturmerkmalen sowie ihrer Bedeutung für Wandlungsfähigkeit näher erläutert.

10.2.1 Tageslicht Das Tageslicht vermittelt vor allem durch seine stetige Veränderung seiner Komponenten wie Intensität, Richtung und spektrale Zusammensetzung wesentlich mehr Informationsinhalte als ein statischer Zustand, wie er beim Kunstlicht auftritt. Tageslicht bewirkt nicht nur bessere Sehbedingungen, es erleichtert auch durch seine Varianz die optischen Wahrnehmungsabläufe, vergrößert die Informationsaufnahme und verringert die mentale Belastung. Die somit erhöhte freie Gehirnkapazität steigert die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit und verhindert Fehlleistungen. Die intelligente Nutzung der kostenlosen Ressource Tageslicht ist durchaus nicht selbstverständlich. Der Lichtplaner C. Bartenbach beklagt gerade im Industriebau ein mangelhaftes Verständnis für Tageslicht. “Leider sind die Vorkehrungen zur Nutzung des Tageslichtes oft überaus dürftig. Eigentlich ist das unverständlich, da gerade in diesen Bereichen sich jeder Fehler sofort finanziell auswirkt und Investitionen für Licht-, Seh- und Wahrnehmungsmittel gemessen an den Investitionen der Gebäude und Produktionsmittel verschwindend klein sind“ [Bar98]. Sonnenlicht hat die Eigenschaft, als kurzwelliges Licht durch die Glasflächen einzutreten, danach als langwellige Wärmestrahlung den Innenraum aufzuheizen.

10

293

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.7: Einfluss des Raumquerschnitts auf den Tageslichtquotient © Reichardt 15.164_JR_B

10

294

Die thermische Komponente großer Glasflächen muss also jeweils beachtet werden. Fußten Untersuchungen zu Lichtausbeute und Wärme bisher auf überschlägigen graphischen Nachweisen im Schnittprofil des Gebäudes bzw. auf einer groben Abschätzung der erwarteten Raumaufheizung, stehen heute ausgereifte Techniken wie 3D-Licht- und Energiesimulationen zur Verfügung. Es geht bei einer angemessenen Belichtung der Arbeitsbereiche vor allem um die Ziele einer gleichmäßigen Ausleuchtung und Lichtausbeute. Eine gleichmäßige Ausleuchtung vermeidet Schlagschattenwurf und ist blendfrei. Die auf der Arbeitsebene gemessene Gleichmäßigkeit der Lichtverteilung hängt von deren Abstand zu den Lichtöffnungen im Dach ab, während eine gute, gleichmäßige Lichtausbeute durch die Größe und Art der Verglasung bestimmt wird. Der Vergleichsmaßstab des im Innenraum verfügbaren Tageslichts zur außen herrschenden Lichtstärke bei bedecktem Himmel wird mittels des Tageslichtquotienten TQ ermittelt.

10.2.2 Natürliche Belichtung Bild 10.7 zeigt den Verlauf des Tageslichtquotienten TQ über die Raumbreite bei verschiedenen Raumquerschnitten, wie sie in der Praxis anzutreffen sind. Als Tageslichtquotient wird das Verhältnis der Beleuchtungsstärke im Innenraum zur Beleuchtungsstärke draußen bei bedecktem Himmel mit TQ = innen (lx) / außen (lx) definiert. Für alle Raumformen des Bildes wird die Summe der Tageslichtöffnungen mit einem Sechstel der Raumgrundfläche vorausgesetzt. Dieser Parameter wird als Fensterfaktor KF bezeichnet und als KF = Fensterfläche / Raumgrundfläche definiert. Der für ein Seitenfenster typische Tageslicht­ verlauf wird unter der erwähnten Annahme für KF im oberen linken Bildteil dargestellt. Der mittlere erzielbare TQ-Wert ist, bedingt durch die geometrische Lage des Fensters zum Himmelsaus-

10.2  Belichtung

Bild 10.8: Lichtverteilung bei verschiedenen Dachformen © Reichardt 15.165_JR_B

schnitt, nicht optimal. Durch den exponentiellen Abfall der Intensität des eintretenden Tageslichtes vom Fenster in den Raum wird das bereits eingeschränkte Tageslicht schlecht nutzbar. Daher ist es kaum möglich, durch Seitenfenster beleuchtete tiefere Räume ohne künstliche Ergänzungs­ beleuchtung zu nutzen. Arbeitsplätze, deren Tageslichtquotient 2 % oder niedriger ist, kommen ohne künstliche Beleuchtung im Allgemeinen als Tageslichtarbeitsplätze nicht in Frage. Eine grobe Faustregel lautet, dass Punkte im Raum, von denen aus kein Stück der freien Himmelsfläche zu sehen ist, meistens nicht ausreichend mit Tageslicht beleuchtet sind. Bei Lichteintrag von oben kann die Raummitte besser mit Tageslicht versorgt werden. Bei entsprechender Gestaltung der Eintrittsflächen ist eine gleichmäßige Ausleuchtung zu erzielen. Aus den genannten Kriterien hat sich im Industriebau eine Reihe von Dachbelichtungsformen in

Variation der sogenannten Shed-Dachformen (engl. shed = Schuppen, Verschlag) entwickelt, die auf der nördlichen Erdhalbkugel nach blendfreiem Nordlicht ausgerichtet sind. Das Shed-Dach kommt vor allem bei großflächigen Bauten zum Einsatz. Durch mehrfaches Hintereinandersetzen von kleinen satteldachartigen Aufbauten bleibt die Dachhöhe insgesamt gering. Die Neigung der beiden Seiten jedes Reiters ist normalerweise verschieden, in der Regel steht eine Seite sogar senkrecht, damit das Gebäude weniger Stützen für den Dachaufbau benötigt. Die steile Seite wird meist in Glas ausgeführt. Bild 10.8 zeigt eine vereinfacht dargestellte Lichtverteilung in Hallenräumen für im Industriebau übliche Dachformen und Bild 10.9 nennt für diese Oberlichtformen charakteristische Vor- und Nachteile für die Belichtung. Mit dem einfallenden Tageslicht gelangt Wärme in den Raum, die an Sonnentagen auf Maximalwerte ansteigt.

10

295

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.9: Vor- und Nachteile verschiedener Oberlichtformen © Reichardt 15.166_JR_B

10

296

Neben möglichen Blendungserscheinungen an den Arbeitsplätzen muss die unzulässige Aufheizung des Raums und der Einrichtungen durch die Sonneneinstrahlung kompensiert werden. Dies kann zum Teil durch Sonnenschutzsysteme geleistet werden, die die Sonneneinstrahlung verhindern. Dadurch wird auch die Lichtstärke entsprechend reduziert. Die Folge ist das Paradoxon, dass an schönen Sonnentagen bei wirksamem Sonnenschutz vielfach Kunstlicht in Betrieb genommen werden muss. Nach Norden ausgerichtete Oberlichter in Shedform gewährleisten eine gleichmäßige Beleuchtung ohne wechselnde Licht- und Schattenspiele. Blendgefahr besteht dadurch nicht und ein Sonnenschutz ist in der Regel nicht notwendig. Mit Monitordächern ist bei geschickter Anordnung ebenfalls eine gute Hallenausleuchtung erzielbar; Sonnenstrahlen können dann gezielt, ohne Blendgefahr oder Hallenaufheizung, in die Halle eindringen.

Die für ein Industrieprojekt zu realisierende Lichtführung kann nach [Bra05] nur unter weitsichtiger Abwägung einer Vielzahl von Aspekten von Prozess, Logistik und Nutzererforderungen entwickelt werden. Die Wandlungsfähigkeit im Hinblick auf Tageslichtnutzung hängt hierbei entscheidend von der Wahl lichttechnisch günstiger Oberlichtformen und Raumquerschnitte ab. Die voraussichtliche Lichtverteilung kann mit Hilfe von 3D-Lichtsimulationen zur Variantenbewertung insbesondere bei einer Kombination mehrerer Oberlichtformen zwecks Vermeidung nachteiliger Belichtung untersucht werden. Bild 10.10 zeigt als Auszug einer Tageslichtsimulation die Ermittlung verfügbarer Lichtmengen an den Arbeitsplätzen einer großen Halle von 126 m x 40 m. Wichtige Parameter des Lichtmodells waren insbesondere die geographische Lage und Himmelsausrichtung der Halle, die Hallengeometrie sowie die Farben und Reflektionsgrade aller Flächen des Innenraums.

10.2  Belichtung

10.2.3 Künstliche Beleuchtung Für den ungestörten Sehvorgang werden nach Schätzungen von Medizinern etwa 75 % des gesamten menschlichen Energiehaushaltes benötigt. In Ergänzung der natürlichen Belichtung kommt daher der künstlichen Beleuchtung am Arbeitsplatz eine überragende Bedeutung zu. Diese beinhaltet den Aspekt der Humanisierung der Arbeitswelt, aber auch Aspekte einer wirtschaftlichen Arbeitsplatzgestaltung. Die wesentlichen lichttechnischen Gütemerkmale, die berücksichtigt werden müssen, um eine optimale Beleuchtung zu erzielen, sind Beleuchtungsniveau, Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke, Begrenzung der Blendung, Lichtrichtung und Lichtfarbe sowie die Wirtschaftlichkeit. Als Gütekriterium für den Helligkeitseindruck wird die Beleuchtungsstärke Lux (lx) herangezogen. Sie ist definiert als Lichtstrom (gemessen in Lumen) pro m2. Der Lichtstrom einer Kerze beträgt etwa 10 Lumen. Aufgrund physiologisch-optischer, arbeitsphysiologischer und psychologischer Untersuchungen gelten folgende Empfehlungen:

•  200 lx als Mindest-Beleuchtungsstärke für stän•  • 

dig besetzte Arbeitsplätze, 500 bis 2000 lx als optimaler Bereich für Arbeitsstätten in Gebäuden und 2000 bis 4000 lx als Bereich für besonders feine Arbeiten.

Als Kompromiss zwischen wirtschaftlich realisierbarer und wissenschaftlich erforderlicher Beleuchtungsstärke führt DIN 5035 Teil 2 Mindestrichtwerte der Nennbeleuchtungsstärke für 176 unterschiedliche Tätigkeiten an. Die Werte liegen für die meisten Arbeitsstätten zwischen 200 lx und 1000 lx. Bild 10.11 zeigt vorgeschriebene Nennbeleuchtungsstärken, Lichtfarben, Farbwiedergabeeignung und Blendklassen für häufige industrielle Tätigkeiten nach DIN 5035. Flächen relativ hoher Leuchtdichte verursachen im Gesichtsfeld Störungen, und durch Blendung wird das Wohlbefinden beeinträchtigt. Beleuchtungsanlagen, bei denen Nutzer das Empfinden äußern, das Licht sei zu grell, sind in den meisten Fällen in Bezug

10

Bild 10.10: 3D-Simulation der Tageslichtverteilung einer Industriehalle © Reichardt 15.167_JR_B

297

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.11: Nennbeleuchtungsstärke für industrielle Tätigkeiten © Reichardt 15.168_JR_B

10

298

auf Blendungsbegrenzung ungenügend ausgelegt. Näheres regelt DIN 5035. Reflexblendung wird verursacht durch Spiegelung hoher Leuchtdichten auf glänzenden Oberflächen. Sie kann durch passende Leuchtenanordnung, matte Geräteoberflächen oder abgetönte Raumwände und -decken verringert werden. Lichtrichtung und Schattigkeit beeinflussen in starkem Maße die Erkennbarkeit räumlicher Gegenstände, und eine unnatürliche Lichtrichtung kann die falsche Wiedergabe der plastischen Form bewirken. Durch einen genügend hohen Vertikalanteil des Lichtes kann der Silhouetteneffekt gemildert werden, der entsteht, wenn Gegenstände oder Personen vor hellen Fensterflächen beobachtet werden. In Industriebetrieben sollte ein Verhältnis von vertikaler zu horizontaler Beleuchtungsstärke von 1:3 angestrebt werden. Veränderliche Stimmungen von Licht und Farbe haben nach [Deh01] über die Wahrnehmung von

Helligkeit hinaus physisch-psychische Wirkungen auf Wohlbefinden und Stimmung des Menschen. Die Lichtfarbe bestimmt sich nach ihrer spektralen Strahlungsverteilung. Die Farbtemperatur ist ein Maß für den Farbeindruck einer Lichtquelle. Sie wird definiert als die Temperatur, auf die man einen schwarzen Körper aufheizen müsste, damit er Licht einer Farbe abgibt, das (bei gleicher Helligkeit und unter festgelegten Beobachtungsbedingungen) der zu beschreibenden Farbe am ähnlichsten ist. Die Einheit für die Farbtemperatur ist Kelvin (K). Elektrische Lampen werden bezüglich ihres Farbeindrucks in drei Lichtfarben eingeteilt: ww - warmweiß (bis 3300 K), nw - neutralweiß (3300 K–5000 K), tw - tageslichtweiß (ab 5000 K). Die Farbwiedergabe beeinflusst in hohem Maße das farbige Aussehen von Objekten, sie wird durch den Farbwiedergabeindex Ra gekennzeichnet (1 = Glühlampe bis 4 = Natriumdampfleuchte), wobei Glühlampen am wenigsten farbverfälschend wirken. Eine relativ neue

10.2  Belichtung

Bild 10.12: Auswirkung Erhöhung Beleuchtungsstärke auf Leistungsfaktoren © Reichardt 15.169_JR_B

Entwicklung sind true-lite Lampen, die gegenüber herkömmlichen Leuchten einen wesentlich höheren spektralen Infrarotanteil aussenden und dadurch der Farbwiedergabe des natürlichen Sonnenlichtes noch mehr entsprechen. Ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Beleuchtungsanlagen ist immer zweckmäßig, wobei zu beachten ist, dass vergleichbare beleuchtungstechnische Qualitätsmerkmale die Grundlage bilden. Bei betriebswirtschaftlichen Überlegungen ist auch der elektrische und mechanische Aufbau der Leuchte zu berücksichtigen, im Besonderen die Montage- und Wartungsfreundlichkeit. Flexible, wandlungsfähige Arbeitsplätze sollten zumindest in der Anschlussleistung der Beleuchtung weitsichtig ausgelegt werden. Gutes Licht schafft nachweislich eine höhere Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, verhindert vorzeitige Ermüdung, fördert Merkfähigkeit und logisches Denken, fördert Sicherheit und Schnelligkeit und reduziert schließlich die Fehlerhäufigkeit und Unfälle [Rüs05].

Bild 10.12 zeigt die Auswirkung erhöhter Beleuchtungsstärke auf die Arbeitsleistung, Ermüdung sowie die Abnahme von Unfällen. Im Rahmen der erwähnten 3D-Lichtsimulation können außer dem Nachweis der Beleuchtungsstärken unter Berücksichtigung geplanter Leuchtenfabrikate fotorealistische Nachtstimmungen erzeugt werden.

10

10.2.4 Lichtlenkung Ein Problem der Seitenbelichtung ist der Einfluss von Raumhöhe, Raumtiefe und Einschränkung des seitlichen Lichteinfalls durch benachbarte Gebäude. Bei üblichen Raumhöhen sind Raumtiefen größer als 7,0 m nicht mehr natürlich auszuleuchten, ein Grund, weshalb historische Geschossbauten auch bei großen Raumhöhen selten Fertigungstiefen von mehr als 15 m bereitstellten. Damit stellt sich die Frage, wie blendfreies Sonnenlicht in die Tiefe des Raumes geleitet werden kann. Hier erweisen sich Systeme

299

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.13: Systeme für seitlichen Lichteintrag

10

300

© Reichardt 15.170_JR_B

der Lichtumlenkung als besonders hilfreich, weil sie das Sonnenlicht in Raumtiefen von bis zu 20 m transportieren. Die Idee der Lichtlenkung ist nicht neu; schon 1900 bestand ein Patent zur Umlenkung des Sonnenlichtes über Spiegel ins Gebäudeinnere. Der Lichtexperte Ch. Bartenbach erforscht seit vielen Jahren Möglichkeiten der gleichmäßigen Ausleuchtung größerer Raumtiefen durch Reflexion des Tageslichtes an Decken, besonders geformten Fassadenelementen oder Gläsern mit integrierten Elementen. In Zukunft könnten nach [Bar01] LED-Systeme hierfür besonders geeignet sein. Die von Gutjahr und Müller [Mül01] entwickelten holographischen Folien ermöglichen eine gezielte Lichtlenkung, mit der über verhältnismäßig schmale Fassadenstreifen die Ausleuchtung der Raumtiefe sichergestellt werden kann, während der Rest der Fassade freien Durchblick bietet. Unter Einbeziehung von gegenwärtig verfügbaren Tech-

niken der Lichtlenkung zeigen die Darstellungen in Bild 10.13 Möglichkeiten für Lichtlenksysteme an einem Büroraum auf. Über Spiegelreflektoren, Lightshelfs oder Mikroprismenplatten lässt sich das Licht weit in die Tiefe des Raumes lenken und den für Büroarbeit nutzbaren Tageslichtquotienten deutlich anheben.

10.3  Behaglichkeit Für den Menschen wirkt ein Raumklima behaglich, wenn die Regulierungsvorgänge des Körpers zur Verhinderung seiner Abkühlung oder Überwärmung fast unbemerkt vor sich gehen. Die Behaglichkeitsempfindung ist hierbei in einem breiten Bereich unterschiedlich, sie variiert nach Art und Dauer von

10.3  Behaglichkeit

Beschäftigung, Lebensalter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Kleidung. Für das thermische Wohlbefinden können keine Standard- oder Normenwerte im Sinne physikalischer Stoffwerte genannt werden, vielmehr entsteht individuelle thermische Behaglichkeit aus dem Zusammenwirken und der Verflechtung der physikalischen Raumklimakomponenten Raumlufttemperatur und Strahlungstemperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung und Luftreinheit. Weitere Aspekte der Behaglichkeit wie Farbgestaltung und Lärmempfindung sind in Abschnitt 8.3.1 bzw. 8.4.6 thematisiert. Bei der Frage nach dem behaglichen Zustand einer Person muss ihre eigene Wärmeabgabe mit einbezogen werden. Sie setzt sich zusammen aus trockener Wärme (Konvektion und Strahlung) sowie aus feuchter Wärme (Verdunstung). Die Wärmeproduktion des Menschen ist je nach Tätigkeit sehr verschieden. Eine Wärmeabstrahlung an kalte Oberflächen wird wie die Abkühlung bei Zugerscheinungen empfunden, während die Strahlung hoch temperierter Heizflächen oder stark

erwärmter Sonnenschutzeinrichtungen eine Wärmebelästigung darstellt. Gerade im Bereich von Toren sollte bei schwerer Arbeit eine zusätzliche Auskühlung durch Zugerscheinungen vermieden werden. Bei vielen Arbeitsprozessen lässt sich aufgrund des eingesetzten Produktionsverfahrens oder wegen der klimatischen Umgebungsbedingungen nur ein erträgliches Raumklima aufrechterhalten. Als erträglich wird ein raumklimatischer Zustand bezeichnet, bei dem keine gesundheitlichen Schäden zu erwarten sind. Durch die Thermoregulation steigt bei höheren Belastungen und Temperaturen die Schweißproduktion und somit die Abgabe der Wärme durch Verdunstung. Durch Schadstoffanfall und Luftverschlechterung, wozu auch Wärme und Feuchtigkeit zählen, ergeben sich nach [Opf00] Bedingungen für die Lufterneuerung, einen bestimmten Luftzustand oder ein günstiges Raumklima für verschiedene Industriebetriebe. Das einen Arbeitsplatz umgebende Temperaturfeld wird durch Lufttemperatur und Strahlungstem-

10

Bild 10.14: Behaglichkeitsfelder für Raumlufttemperatur und Strahlungstemperatur (nach Frank) © Reichardt 15.171_JR_B

301

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

10

peratur gekennzeichnet. Die Lufttemperatur soll sich je nach Tätigkeit in einem Bereich von 18 bis 24°C bewegen. Der untere Grenzwert gilt für eine leichte körperliche Tätigkeit, der obere für den Ruhezustand. Die durchschnittliche Strahlungstemperatur kann etwa 3 bis 4°C unter der Raumlufttemperatur liegen. Das arithmetische Mittel aus Lufttemperatur und Strahlungstemperatur entspricht in etwa dem Temperaturempfinden; so werden eine Lufttemperatur von 22°C und eine Strahlungstemperatur von 18°C wie eine gleichmäßige Umgebungstemperatur von 20°C empfunden. In den Sommermonaten ist eine Temperatur von 26°C bei leichter Arbeit noch als behaglich zu bezeichnen. Die Temperaturen der einzelnen Raumumschließungsflächen sollten sich durch eine entsprechende Wärmedämmung so ausbilden, dass sie möglichst wenig vom Durchschnittswert abweichen. Bild 10.14 zeigt Behaglichkeitsfelder des Menschen für die Temperaturen von Raumluft, Raumumschließungsflächen und Fußböden. Im Zusammenspiel mit den haustechnischen Lösungen für Heizung und Kühlung müssen insbesondere die Ausbaumaterialien des Gebäudeausbaus auf die geforderten Behaglichkeitswerte abgestimmt werden.

Luftfeuchte, Luftbewegung, Luftreinheit Bild 10.15 zeigt Behaglichkeitsfelder in Abhängigkeit von Luftfeuchte und Luftgeschwindigkeit von der Raumlufttemperatur. Danach sollte die Luftfeuchtigkeit in der Regel im Bereich von 35 bis 65 % liegen. Bei höheren Lufttemperaturen ist zur Erhöhung des Wärmeabgabeanteils durch Verdunstung eine niedrige Raumluftfeuchtigkeit anzustreben, andernfalls macht sich eine Schwülempfindung bemerkbar. Die zulässige Luftbewegung ist abhängig von der Raumlufttemperatur. Einer Temperatur von 20°C kann eine Luftbewegung von 0,15 m/s, von 22°C bereits eine solche von 0,20 m/s zugeordnet werden. Wird eine Tätigkeit mit viel Bewegung ausgeübt, kann die Luftgeschwindigkeit höher liegen.

302

Als Bewertungsmaßstab für die Luftreinheit werden Behaglichkeit beeinträchtigende Luftverunreinigungen durch Stäube, Gase und Dämpfe sowie Gerüche herangezogen. Die Höhe der zuzuführenden Außenluftmenge hängt von der Zahl der anwesenden Menschen sowie der besonderen industriellen Nutzung ab. Treten in speziellen Räumen schädliche Gase und Dämpfe auf, so lässt sich der stündliche Luftwechsel nicht mehr pauschal angeben, sondern ist in Abhängigkeit von der anfallenden Gas- und Dampfkonzentration zu ermitteln. Richtwerte finden sich in [Leh98] und [Ski00]. Es empfiehlt sich oft, sehr hohe Luftwechselraten durch die Addition mehrerer räumlich verteilter Teilmodule zu gewährleisten und somit gegenüber Klimazentralen in Form technischer Großsysteme Teilnutzungen zu ermöglichen. Die Notwendigkeit der Wandlungsfähigkeit von Arbeitsbereichen sowie eine individuelle Einflussnahme auf die Umgebung bedingen sensibel steuerbare Systeme für kleinvolumige Arbeitsbereiche, die einen möglichst hohen Anteil natürlicher Ventilation besitzen. Im Sinne einer nachhaltigen Wandlungsfähigkeit sollte aus der integralen Betrachtung von Prozessund Raumsicht insgesamt eine angemessene Flexibilität der Raumkonditionierung definiert werden. Die Systeme von Haustechnik und Gebäudestruktur sind dann ohne große Veränderungen an neue Anforderungen aus Temperatur und Luftfeuchte anzupassen.

10.4  Rekreation Nach konzentrierter Arbeit sollen Erholungsbereiche zur erforderlichen Rekreation der Arbeitnehmer beitragen. Eine geschickte Integration in das Werksgefüge und die attraktive räumliche Gestaltung der Rekreationsbereiche sind unverzichtbar für den Arbeitserfolg. Ein mental zunehmend fordernder Arbeitsprozess kann negative Folgen psychischer Über- und Unterforderung bedingen. Ausgleichende Erholungsphasen fördern Gemeinschaftsgefühl, Sozialkompetenz und Teamfähigkeit. Rekreationsbereiche bieten also ein hohes Potenzial für die Identifikation der Mitarbeiter mit „ihrem“ Unternehmen.

10.4  Rekreation

Bild 10.15: Behaglichkeitsfelder für Luftfeuchte und Raumlufttemperatur © Reichardt 15.172_JR_B

Die bauliche Unterstützung der notwendigen Erholungsphasen kann durch ansprechende Gestaltung von Pausenbereichen und Sozialräumen, Kantine und Cafeteria sowie Anlagen für Sport, Spiel und Freizeit geleistet werden. Eine weitsichtige Planung vermeidet negative Folgen psychischer Über- und Unterforderung, indem sie notwendige Rekreationsräume nicht auf das gesetzliche Mindestmaß vorgeschriebener Pausenzeiten beschränkt. Wandlungsfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang auch die räumlich angebotene Flexibilität, sich den Wünschen und Neigungen der Nutzer anzupassen und eine Prise „Freizeitflair“ zu vermitteln.

10.4.1 Pausenbereiche, Sozialräume Nach dem Regelwerk der Arbeitsstättenrichtlinien sind bei mehr als 10 Arbeitnehmern Pausenbereiche auszuweisen. Bei besonderen gesundheitlichen Gründen sowie aufgrund besonderer Art der Tätigkeit

können darüber hinaus separate Pausenräume erforderlich werden (§ 29 ArbStättV). Vielfach wird das Pausenbrot an der Maschine eingenommen, weil attraktive Pausenbereiche fehlen oder zu weit entfernt sind. Insbesondere bei Fabriken mit spezifischen, die Behaglichkeit beeinflussenden Fertigungsprozessen, sollte durch attraktive Pausenbereiche eine Entspannungsmöglichkeit gegeben sein. Aus einer integralen Sicht von Prozess und Raum ergeben sich oft Möglichkeiten für „Oasen“ als räumlich attraktive und bepflanzte Rückzugsbereiche inmitten der Produktion. Der Begriff Sozialräume umreißt den Mindestbedarf nach Arbeitsstättenrichtlinien für Umkleiden, Waschplätze und Toiletten. Diese „Nebenräume“ werden oft in einer Kellerlage ohne jeglichen Außenbezug untergebracht; eine glücklichere Positionierung mit natürlichem Licht und möglicher Blickbeziehung nach draußen verbessert die Atmosphäre nachhaltig.

10

303

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

10.4.2 Kantine, Cafeteria, Teeküchen

10.4.3 Sport, Spiel, Freizeit

Ausgewiesene Bereiche zur Einnahme von Mahlzeiten, Snacks oder Getränkeaufbereitung sollten an räumlich attraktiven, besonderen Stellen des Gebäudes angeboten werden, wenn möglich mit Außenbezug. Auf einer besonnten Terrasse speist man angenehm, lockere Gespräche in Luft und Sonne fördern Sozialkompetenz und Teamfähigkeit. Materialien, Lichtführung, Möblierung und Farbeinsatz sollten den besonderen Charakter des Ortes unterstützen und einem ganzheitlichen Gestaltungskonzept folgen. Teeküchen sollten an attraktiver Stelle des Gebäudes im Schnittpunkt von Wegen angeordnet sein. Aufwertungen der Flurbereiche vor Treppen, Galeriebereiche mit Einblick in Produktion, Landschaft oder Foyer bieten sich für einen kurzweiligen Aufenthalt mit frischem Cappuccino an. Der durch Büros und angrenzende Raumbereiche ziehende röstfrische Duft wirkt entspannend und anregend zugleich.

Fortschrittliche Unternehmen unterstützen die Erholungsphasen der Mitarbeiter mit Saunabesuch, Fitnessstudio oder Tenniscourts. Gemeinschaftliche Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit sind teamfördernd und können dazu beitragen, persönliche Konflikte zwischen Mitarbeitern abzubauen. Es bietet sich an, geeignete Teilbereiche von Dachflächen und Außenanlagen weitsichtig für solche Aktivitäten zu reservieren. Spätere Maßnahmen, wie z.B. Dachbegrünung, Anlage eines Trimmpfades mit Sportgeräten o. Ä., können dann Schritt für Schritt erfolgen.

10.5  Brandschutz Der Begriff Brandschutz umfasst alle Eigenschaften und Maßnahmen, die dem Schutz von Personen und Sachwerten gegen Brand dienen. Der generelle Zu-

10

Bild 10.16: Einfluss der Bauwerkselemente auf Nutzung und Brandschutz © Reichardt 15.173_JR_B

304

10.5  Brandschutz

sammenhang von Nutzung, vorbeugendem und abwehrendem Brandschutz sowie der Brandsanierung ist in Bild 10.16 zusammen mit den beeinflussenden Bauwerkselementen dargestellt. Je nach Ausprägung der Bauwerkselemente ergeben sich Anforderungen bzw. Einschränkungen für Nutzung, vorbeugenden Brandschutz, abwehrenden Brandschutz sowie Behaglichkeit oder Schallschutz. Sie bestimmen aber auch Brandverhinderung, Risiken der Brandbekämpfung sowie die spätere Sanierbarkeit. Da bei Industriebauten die Nutzungsarten sehr vielfältig sind, ist das Thema unter Berücksichtigung von Standardregelungen der Landesbauordnungen sehr komplex [AGI03]. Eine leistungsfähige Gebäudestruktur vermag Beiträge eines wirkungsvoll vorbeugenden, also gleichsam im Entwurf eingebauten, passiven Brandschutzes zu erbringen. Eine hohe Transparenz der Fabrik fördert z.B. die Früherkennung von Brandherden. Die Systematik der Fluchtwege sollte den Nutzern eine intuitiv nachvollziehbare, horizontale und vertikale Orientierung im Werk nahe legen. Bei geschickter Zonierung können hoch installierte, brandgefährdete Bereiche in unmittelbarer räumlicher Nachbarschaft zusammengefasst werden. Ein ganzheitliches Brandschutzkonzept führt die Anforderungen aus Raum, Prozess und Logistik zusammen und liefert die Voraussetzung für bauliche und technische Maßnahmen zum Schutz von Personen und Sachwerten. Auf der Grundlage der Brandlastermittlung werden notwendige Abstandsflächen zwischen Gebäuden und maximale Brandabschnittsflächen in Gebäuden festgelegt. Hieraus ergibt sich nach [Löb07] die Ausführung von feuerabschottenden Brandwänden, Komplextrennwänden sowie Anforderungen an die Feuerwiderstandsklasse oder Baustoffe. Auf besondere Aspekte der Genehmigung von Werksbauten im europäischen Umfeld wird in [Schn08] hingewiesen. Weiterhin ist die Lage, Länge und Ausführung der Flucht- und Rettungswege zu beachten. Schließlich sind aktive technische Maßnahmen des Brandschutzes wie Rauch-, Wärmeabzug und Feuerlöscheinrichtungen vorzuhalten. Die folgenden

Ausführungen verdeutlichen Strukturmerkmale dieser Elemente und gehen auf Aspekte der Wandlungsfähigkeit ein.

10.5.1 Brandschutzkonzept, Brandabschnittsflächen Bei der Erstellung von Brandschutzkonzepten für Industriebauten sind nach [Beu03] die Vorschriften der jeweiligen Landesbauordnungen, Verordnungen über bauaufsichtliche Verfahren und Bauvorlagenverordnung sowie die Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau in jeweils gültiger Fassung zu beachten (Musterbau-Industrierichtlinie M IndBauRL: http://www.bauordnungen. de). Die Bauordnungen der Länder enthalten eine Fülle materieller Bestimmungen bezüglich des Brandschutzes, welche sich allerdings hinsichtlich der Risikosituation insbesondere auf Wohnungsbauten und verwandte Gebäude beziehen. Daher werden in der Regel größere Werksbauten nach der MusterIndustriebaurichtlinie von Sachverständigenbüros für Brandschutz beurteilt. Wesentliche Teile der zur Prüfung behördlicher Genehmigungsfähigkeit angefertigten Ausarbeitung sind die Objektbeschreibung, der Bezug zu gesetzlichen Bestimmungen, eine brandschutztechnische Risikobewertung und die Darstellung des Brandschutzkonzepts anhand von rechnerischen Nachweisen und Planunterlagen. Die Objektbeschreibung erläutert die Konstruktion des Gebäudes und weitere bauliche Merkmale sowie die vorgesehene Nutzung. Schon an dieser Stelle ist das Thema der Wandlungsfähigkeit einzubringen, um zukünftig nicht mit der ersten, vielleicht brandschutztechnisch unterschätzten Werksveränderung große Probleme für Gebäude, Haustechnik und Betrieb zu verursachen. Die brandschutztechnische Risikobewertung erfasst die Summe der nutzungsbedingten Brandbelastung aller Materialströme im Werk nach Sicherheitskategorien sowie die Brandlast der Baukonstruktion. Wichtige Ergebnisse einer Brandlastberechnung nach DIN 18230 sind die maximale Größe und die erforderliche Feuerwiderstandsdauer eines Brandbe-

10

305

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

kämpfungsabschnitts. Die Feuerwiderstandsdauer gibt an, wie viele Minuten ein Bauteil unter Brandbelastung seine Funktion erfüllt (DIN 4102, Teil 2). Dabei wird hinsichtlich der Feuerwiderstandsklassen zwischen feuerhemmend (mindestens F 30), feuerbeständig (mindestens F 60) und hochfeuerbeständig (mindestens F 120) unterschieden. Die Angaben F 30, F 60 und F 120 beziehen sich jeweils auf die nach Minuten angegebene Feuerwiderstandsdauer. Bild 10.17 zeigt nach der Muster-Industriebaurichtlinie sowie DIN 18230 die zulässige Größe der Brandabschnittsflächen. Das sind durch Brandwände oder Komplextrennwände begrenzte zulässige zusammenhängende Geschossflächen. Weiterhin ist die Feuerwiderstandsdauer tragender und aussteifender Bauteile in Abhängigkeit von der Sicherheitskategorie der Nutzung und der Anzahl Geschosse des Bauwerks angegeben. Für die Wandlungsfähigkeit der Generalbebauung sind insbesondere Anforderungen an Abstandsflächen, Brandwände (F 90) und Komplextrennwände (F 120, F 180) entscheidend.

10

Bild 10.17: Zulässige Größe von Brandabschnittsflächen © Reichardt 15.174_JR_B

306

Komplextrennwände werden oft bei hohen Brandlasten durch Lagergüter wie z.B. Papier gefordert und schränken durch die bauortbedingte Ausführung in Stahlbeton eine spätere Wandlungsfähigkeit erheblich ein.

10.5.2 Abstandsflächen, Brandwände, Komplextrennwände Bild 10.18 zeigt eine Übersicht der Anforderungen an Abstandsflächen von Gebäuden sowie Umfahrten, Aufstellflächen und Bewegungsflächen für die Feuerwehr. Es fällt auf, dass die lichten Abstände zwischen Gebäuden, in Erweiterung der Bestimmungen der Landesbauordnungen, durch die notwendigen Flächen für Brandbekämpfung und Rettungswege bestimmt werden. Daher empfiehlt sich zur Absicherung von Bebauungskonzepten eine frühzeitige Prüfung feuerschutztechnischer Belange. Brandabschnitte begrenzen durch feuerbeständige Raumumgrenzungen Brandschäden und ermöglichen

10.5  Brandschutz

Bild 10.18: Brandschutzanforderungen an umgebende Gebäudeflächen © Reichardt 15.175_JR_B

sichere Fluchtwege in weniger gefährdete Bereiche. Nach den Landesbauordnungen sind Brandabschnitte auf 40 m x 40 m =1600 m2 begrenzt. Die Anwendung der Industriebaurichtlinie und insbesondere Sondermaßnahmen wie Sprinkleranlagen gestatten hiervon abweichend größere zusammenhängende Produktionsflächen. Brandabschnitte werden durch Brandwände begrenzt. Sie sollen im Katastrophenfall die Feuerentwicklung örtlich begrenzen und werden deshalb mit mindestens eineinhalbstündigem Feuerwiderstand in nicht brennbarer Konstruktion (F 90-A) gefordert. Bei höheren Risiken aus z.B. Lagern besonders gefährdeter Güter werden Komplextrennwände erforderlich. Hier sind erhöhte Anforderung an Feuerwiderstandsdauer oder Detailausbildung einzuhalten. Bild 10.19 zeigt Ausführungsvorgaben zur Vermeidung des Brandüberschlags bei Überdachführung, im Gebäudewinkel und bei inneren Öffnungen für Brandwände und Komplextrennwände.

10.5.3 Feuerwiderstandsklassen

10

Der Einsatz nicht brennbarer oder zumindest schwer entflammbarer Materialien für Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau soll Entstehung und Ausbreitung von Bränden entgegenwirken. Die Konstruktion muss mindestens so lange standsicher sein, bis alle lebensrettenden Maßnahmen durchgeführt sind. In Abhängigkeit von den Forderungen der Feuerwehr und Bauordnung und den Ausführungen des Brandschutzkonzeptes ergeben sich eine Feuerwiderstandsdauer von F 0 bis F 90 für Tragwerksteile und F 90 bis F 180 für Brandabschnitte bildende Wände sowie Anforderungen an die Baustoffe für Hülle und Ausbauten. Bild 10.20 zeigt eine Übersicht von Feuerwiderstandsklassen der Bauteile nach der Muster-Industriebaurichtlinie. So ist z.B. für das Bauteil eines Türelementes mit der Anforderung „Feuerwiderstand bis 60 Minuten“ die Bezeichnung „F 60“ festgelegt.

307

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.19: Ausführung von Brandwänden und Komplextrennwänden © Reichardt 15.176_JR_B

10

Der gesamte Bereich der Haustechnik muss einer ähnlichen Betrachtung unterzogen werden. Installationsschächte, Kabel, Lüftungsleitungen und Rohre sind überwiegend in nicht brennbaren Materialien auszuführen. Alle Mediendurchführungen durch nicht brennbare Wände sind brandschutztechnisch abzudichten. Alle Öffnungselemente wie Türen, Tore, Klappen in abschottenden Bauteilen müssen bauaufsichtlich zugelassen sein.

10.5.4 Flucht- und Rettungswege Vertikale und horizontale Flucht- und Rettungswege gewährleisten im Brandfall den raschen und sicheren Austritt aus dem Gebäude. Zufahrten von Rettungswegen und Einstiegsmöglichkeiten für die Brandbekämpfung sind auszuweisen und dauerhaft freizuhalten. Tageslicht, Transparenz, Überblick, Einblick und Ausblick sind weitere architektonische Mittel, um eine unmittelbare Orientierung mit

308

direkter Auffindbarkeit der Fluchtwege zu gewährleisten. Das allgemeine Bewertungsschema von Landesbauordnung, Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstättenrichtlinien geht davon aus, dass für einen Menschen an beliebiger Stelle nach höchstens 35 m Ausgänge und Notausgänge ins Freie oder aber in andere gesicherte Bereiche erreicht werden können. Die Muster-Industriebau­richtlinie gestattet in Abhängigkeit von der Raumhöhe und der brandschutztechnischen Infrastruktur größere Rettungswegelängen. Bild 10.21 illustriert Anforderungen an Rettungswege in Abhängigkeit von der Lage im Gebäude, dem Feuerwiderstand des Gebäudes und der Raumhöhe. Bei Hallenhöhen über 10 m ist, bedingt durch den vorteilhaften Rauchabzug in die Hallenhöhe (vgl. Abschn. 10.5.5) demnach eine tatsächliche Rettungsweglänge von bis zu 105 m möglich. Notwendige Treppen sind in einem Zuge zu allen angeschlossenen Geschossen zu führen und müssen in einem eigenen durchgehen-

10.5  Brandschutz

Bild 10.20: Feuerwiderstandsklassen für Bauteile eines Gebäudes © Reichardt 15.177_JR_B

den Treppenraum liegen, der einschließlich seiner Zugänge und des Ausgangs ins Freie so angeordnet und ausgebildet ist, dass er gefahrlos als Rettungsweg genutzt werden kann. Die inneren Umfassungswände müssen nach den jeweiligen Landesbauordnungen mindestens der Feuerwiderstandsklasse F30 entsprechen. Sämtliche Flucht- und Rettungswege sind nach DIN 4844 zu kennzeichnen. Nach den Vorgaben von Arbeitsstättenverordnung und -richtlinien werden hinterleuchtete Piktogramme sowie Sicherheitsbeleuchtung gefordert.

10.5.5 Rauch- und Wärmeabzug, Feuerlöscheinrichtungen Zur Abführung lebensgefährdender Brandgase sind in Abhängigkeit einer von Raum, Prozess und Logistik abhängigen Brandlastermittlung Rauchabzugsvorrichtungen in Hallendächern oder Seitenwänden vorzusehen. Deren thermische Wirksamkeit stellt sich

nur bei Vorhandensein geeigneter Zuluftöffnungen ein. Für den Nachweis eines thermischen Ablaufes im Einzelfall empfiehlt sich eine 3D-Rauchgassimulation. Die allgemeinen Anforderungen der MusterIndustriebaurichtlinie gehen für Produktions- bzw. Lagerräume mit selbsttätiger Löschanlage und einer Fläche von über 1600 m2 davon aus, dass eine Rauchabführung in ausreichender Weise über Rauchabzüge mit einer aerodynamisch wirksamen Fläche von 0,5%, bezogen auf die Grundfläche, gewährleistet wird. Die Rauchableitung muss den Schutzzielen und Geräteanforderungen der Normenreihe DIN 18232 entsprechen. Die geometrische Öffnungsfläche der Zuluftöffnungen muss mindestens im Verhältnis 1,5 zu 1 zu den geometrischen Eintrittsflächen aller Rauchabzugsflächen des größten Rauchabschnitts stehen. Bild 10.22 illustriert Anforderungen an den Rauch- und Wärmeabzug nach der Muster-Industriebaurichtlinie für Flächen < 200 m2 und Flächen > 1600 m2. Auf je-

10

309

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

Bild 10.21: Anforderungen an Rettungswege © Reichardt 15.178_JR_B

10

310

der zur Brandbekämpfung erforderlichen Ebene, also auch auf Galerien, muss eine 2,5 m hohe rauchfreie Schicht (Atmungsluft ohne toxische Verqualmung) im Rettungsbereich von Personen rechnerisch nachgewiesen werden. Reserven in der Hallenhöhe sind also auch aus Sicht des Brandschutzes eine weitsichtige bauliche Investition in zukünftige Wandlungsfähigkeit. Als aktive weitere technische Maßnahmen zur Brandbekämpfung können über eine Brandmeldeanlage selbsttätige Löschanlagen gesteuert, sowie Außenhydranten und Wandhydranten angeordnet werden. Ein geforderter Sprinklerschutz (engl. to sprinkle = sprengen) ist umfassend auf die jeweiligen Brandabschnitte auszulegen. Die Ausführung der Sprinkleranlage ist Gegenstand einer gesonderten Fachplanung, die eine enge Abstimmung mit dem Sachversicherer des Werkes, dem Sachverständigen für Löschanlagen und den zuständigen Behörden erfordert.

Damit sind die Darlegungen über die Raumgestaltung auf Bereichsebene abgeschlossen. Diese fließen nun unter Berücksichtigung der funktionalen Bereichsgestaltung nach Kap. 9 in die Gestaltung eines Fabrikgebäudes ein, die im folgenden Kapitel 11 behandelt wird.

10.6  Literatur [AGI03]

[Bar01]

 rbeitsgemeinschaft Industriebau e.V. A (Hrsg.): Brandschutz im Industriebau – Ein Leitfaden für Architekten, Ingenieure und Unternehmen. 1. Aufl. Verl. Callwey, München 2003 Bartenbach, C.: LED als Raumbeleuchtung. In: Architekten-Magazin 6/2001, S. 22–24

10.6  Literatur

Bild 10.22: Anforderungen an Rauch- und Wärmeabzug © Reichardt 15.179_JR_B

[Bar98]

[Beu03]

[Bis98]

[Bra05]

[Deh01]

Bartenbach, C., Corthesy, R.: Bartenbach Lichtlabor. Bauen mit Tageslicht, Bauen mit Kunstlicht. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 1998 Beuth Kommentare. Baulicher Brandschutz im Industriebau – Kommentar zu DIN 18230 und Industriebaurichtlinie. 3. Aufl. Beuth Verlag, Berlin 2003 Bismarck, W.-B., Held, M.: Ergebnisbericht der Befragung zur Anwendung innovativer Kommunikationstechnologien. Universität Mannheim 1998 Brandi, U.: Detail – Tageslicht – Kunstlicht: Grundlagen, Ausführung, Beispiele. 1. Aufl. Institut f. intern. Architektur-Dok., München 2005 D ehoff, P.: Die sinnvolle Veränderung des Lichts am Arbeitsplatz. In: Architekten-Magazin 4/2001, S.36–39

[Eba84]

[Fi09]

[Leh98]

[Löb07]

 badi, Y.M., Utterback, J.M.: The Effects E of Communication on Technological Innovation. In: Management Science 05/84, Massachusetts Institute of Technology, 1984 Fischer, A., Schmidt, A.: Wettbewerbsfähig in die Zukunft. Audiospezialist Sennheiser baut neues Produktions- und Technologiezentrum. wt Werkstattstechnik online 99 (200) H. 4, S.199–204 Lehder, G., Uhlig, D.: Betriebsstätten­ planung. Weinmann, Filderstadt 1998 Löbbert, A., Pohl, K.D., Thomas, K.-W., Kruszinski, T.: Brandschutzplanung für Architekten und Ingenieure – mit beispielhaften Konzepten für alle Bundesländer. 5. Aufl. Verl. Rudolf Müller, Köln 2007

10

311

10  Räumliche Arbeitsbereichs­gestaltung

[Mül01]

[Opf00] [Rei01]

[Rüs05]

[Schn08]

10

312

 üller, H.F.O.: Die verschiedenen SysteM me der Lichtlenkung. In: ArchitektenMagazin 3/2001, S. 34–41 Opfermann, R., Streit, W.: Arbeitsstätten. Forkel-Verlag, Heidelberg 2000 Reichardt, J.: Kommunikationsorientierte Fabrikstrukturen. In: Tagungsband Fabrik 2005+. 3. Deutsche Fachkonferenz Fabrikplanung, Stuttgart 2001 Rüschenschmidt, H., Reidt, U., Rentel, A.: Licht Gesundheit Arbeitsschutz. 6. Aufl. Verl. Technik und Information, Bochum 2005 Schneider, U., Franssen, J.M., Lebeda, C.: Baulicher Brandschutz – Nationale

[Schu94]

[Ski00]

[Spat03]

und Europäische Normung, Bauordnungsrecht, Praxisbeispiele. 2. Aufl. Verl. Bauwerk, Berlin 2008 Schulitz, H.C.: Licht und Industriearchitektur. In: Constructec Preis 1994 Industriearchitektur in Europa, S. 10–37, Verl. Ernst und Sohn, Berlin 1994 Skiba, R.: Taschenbuch Arbeitssicherheit. Erich Schmidt Verlag, Bielefeld 2000 Spath, D., Kern, P. (Hrsg.): Zukunfts­ offensive 21 – Mehr Leistung in innovativen Arbeitswelten. Egmont, Köln 2003

Kapitel 11 Gebäudegestaltung

11.1  Tragwerk 11.1.1 Projektanforderungen und Lastannahmen 11.1.2 Strukturform als statisches System 11.1.3 Spannweite 11.1.4 Werkstoffwahl und Fügeprinzip 11.1.5 Profilierung der Stützen, Träger und Decken

11

314

318

11.3.4 Leitungsnetze 11.3.5 Auslässe

339 340

11.4  Ausbau 11.4.1 Böden 11.4.2 Wände 11.4.3 Decken 11.4.4 Kerne 11.4.5 Treppen

341 342 345 345 347 348

318 320 324 325 328

11.2  Hülle 11.2.1 Schutzfunktionen 11.2.2 Produktion und Logistik 11.2.3 Belichtung, Ausblick, Kommunikation 11.2.4 Ökologie und Energiegewinnung

330 330 331

11.3  Medien 11.3.1 Ver- und Entsorgungssysteme 11.3.2 Technikzentralen 11.3.3 Haupttrassen

334 336 337 339

333 334

11.5 

Beispiele für wandlungs­fähige Gebäude

349

11.6  Anmutung und Ästhetik 350 11.6.1 Strukturelle Ordnung 350 11.6.2 Einfachheit 351 11.6.3 Balance von Einheit und Vielfalt 351 11.6.4 Unverwechselbarkeit 351 11.6.5 Emotionale Qualität, Atmosphäre 352 11.7 

Literatur

352

Bild 11.1: Gestaltungsfelder eines Gebäudes

317

Bild 11.2: Strukturmerkmale eines Gebäudes

319

Bild 11.3: Projektanforderungen an Tragwerke

320

Bild 11.4: Übersicht der Lastannahmen für ein Tragwerk

321

Bild 11.5: Strukturformen und statische Systeme für Hallen

322

Bild 11.6: Strukturformen eines Tragwerks

323

Bild 11.7: Tragwerksbeispiele

323

Bild 11.8: Variantendiskussion eines Tragwerks für eine PKW-Montagehalle

324

Bild 11.9: Relative Kosten von Holztragwerken

325

Bild 11.10: Relative Kosten von Stahltragwerken

326

Bild 11.11: Tragglieder mit alternativen Werkstoffen

327

Bild 11.12: Werkstoffe und Fügeprinzipien für Tragwerke

328

Bild 11.13: Profilierung von Traggliedern

329

Bild 11.14: Schutzfunktions-Merkmale von Gebäudehüllen

331

Bild 11.15: Merkmale einer Gebäudehülle aus Produktionssicht

332

Bild 11.16: Fassadensysteme für ein Montagewerk (Beispiel)

332

Bild 11.17: Merkmale einer Gebäudehülle aus Sicht von Belichtung, Ausblick und Kommunikation

333

11

Bild 11.18: Merkmale einer Gebäudehülle aus Sicht von Ökologie und Energiegewinnung 334 Bild 11.19: Mediensystem-Hierarchie

335

Bild 11.20: Modulares Versorgungssystem für ein Motorenwerk

336

315

316

Bild 11.21: Störungsfreie Lage von Technikzentralen

338

Bild 11.22: 3D-Modellierung der Medienführung eines Besprechungsraums (Beispiel)

340

Bild 11.23: Beispiel für ein wandlungsfähiges Zuluftsystem

341

Bild 11.24: Übersicht Strukturelemente Gebäudeausbau

342

Bild 11.25: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Böden

343

Bild 11.26: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Wänden

344

Bild 11.27: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Decken

346

Bild 11.28: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Gebäudekernen

347

Bild 11.29: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Treppen

348

Bild 11.30: Baukastenprinzip für Gebäude (Beispiele)

349

Die architektonische Durchbildung eines Gebäudes umfasst die vier gestaltprägenden Komponenten seiner Baustruktur: Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau. Die „Leistungsfähigkeit“ eines Gebäudes, also seine Fähigkeit, gegenwärtigen und zukünftigen Zwecken zu dienen, wird im Wesentlichen durch die Ausprägung der gewählten technischen und baukonstruktiven Lösungen im Zusammenspiel dieser Komponenten bestimmt. Adam zeigt in [Ada04] eine Vielzahl von Beispielen mit höchst unterschiedlichen Lösungen für Industriebauten. Bild 11.1 illustriert die Methodik einer integrierten Variantendiskussion von Strukturmerkmalen aus Sicht der Prozesse und des umhüllenden Raums. Wesentlich dabei ist die Unterscheidung in unveränderliche, schwer veränderliche und leicht veränderliche Strukturmerkmale im Vergleich zu der vermuteten Veränderung der Anforderungen. Hieraus ergibt sich die notwendige zukünftige Wandlungsfähigkeit des Gebäudes.

Das Tragwerk ist das zeitbeständigste und somit am schwersten veränderliche System einer Baustruktur. In der Regel ist es ausgelegt für die gesamte Nutzungsdauer des Gebäudes. Ein Tragwerk besteht aus den für die Standsicherheit eines Gebäudes notwendigen flächenartigen und stabartigen Bauteilen, Aussteifungen und Fundamenten. Dabei finden vor Ort gefertigte oder elementierte Komponenten aus Stahl, Stahlbeton, Holz oder Leichtmetall sowie Kombinationen dieser Baustoffe Verwendung. Die Wahl der Tragstruktur hat großen Einfluss auf die langfristige Nutzbarkeit sowie auf die architektonische innere und äußere Gestalt. Die Hülle grenzt einen geschützten Innenraum als eigenständigen klimatischen Bereich gegenüber dem Außenraum ab. Sie besteht aus unbeweglichen geschlossenen oder transparenten Elementen für Fassaden und Dächer sowie beweglichen Teilen wie Toren, Türen, Fenstern oder Rauchabzugselementen. Insbesondere Aspekte der natürlichen Belichtung,

11

Bild 11.1: Gestaltungsfelder eines Gebäudes © Reichardt 14.782_JR_B

317

11  Gebäudegestaltung

11

318

Ausblick und Kommunikation bestimmen die langfristige Qualität und Wandlungsfähigkeit der Gebäudehülle. Der Begriff Medien kennzeichnet die Gesamtheit aller für Produktionsprozesse, Nutzerbehaglichkeit und Gebäudesicherheit notwendigen Zentralen, Leitungswege und Anschlüsse. Insbesondere Aspekte der Modularität, Nachrüstbarkeit, aber auch einfache Erreichbarkeit zu Wartungszwecken prägen den Grad der Wandlungsfähigkeit von Medien. Unter Ausbau sollen Treppen, Kernbereiche, besondere Einbauten sowie alle statisch nicht notwendigen Bauteile verstanden werden. Als Grundsatz sollten möglichst wenige, nicht veränderliche Ausbausysteme die Wandlungsfähigkeit der Prozesse einschränken oder behindern. Schließlich entsteht die Anmut einer Industrie- und Gewerbearchitektur aus Atmosphäre, struktureller Ordnung, Einfachheit sowie der Balance von Einheit und Vielfalt. Die daraus resultierende wohltuende Harmonie wird erreicht durch eine an lebendige Organismen erinnernde, innere Schlüssigkeit der Elemente in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit. Dabei spielt die unmittelbare Erfassung klar artikulierter Bau- und Architekturformen, das sofortige Verständnis und die Ablesbarkeit der Aufgaben der Elemente wie Tragwerk, Hülle und Ausbau im Gesamtgefüge eine entscheidende Rolle. Dabei bedarf es keiner besonderen Verkleidung oder Kaschierung. Eine hohe ästhetische Qualität bedingt keinesfalls hohe Kosten. Das Prinzip der Einfachheit, der Reduktion auf das Wesentliche, darf nicht verwechselt werden mit der Banalität, Einfallslosigkeit und Primitivität des gemeinen Wirtschaftsbaus. Die gebotene Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeit verträgt sich vielmehr hervorragend mit Knappheit, fehlender Verkleidung und Vermeidung von Zierrat. Die „Leistungsfähigkeit“ eines Gebäudes, also seine Fähigkeit, gegenwärtigen und zukünftigen Zwecken zu dienen, wird im Wesentlichen durch die Ausprägung der gewählten technischen und baukonstruktiven Lösungen im Zusammenspiel von Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau bestimmt. Dringlichstes Ziel der Gebäudeplanung ist daher die eingehende Diskussion und einvernehmliche Abstimmung umfassender Leistungsmerkmale mit allen Planungsbeteiligten.

Auf Grundlage des von der Produktionsplanung optimierten Layouts erweist sich eine übergreifende Modularität der Betriebsmittel und der Flächen als besonders hilfreich für die gegenseitige Abstimmung von Prozess- und Raumplanung. Eine gemeinsame Maßordnung vereinfacht die räumliche Zuordnung von Mediensystemen zu Produktionseinheiten sowie deren Anpassung im Sinne von Wandlungsfähigkeit. Darüber hinaus erleichtert sie die einfache Nachrüstbarkeit von Gebäudeelementen wie z.B. Hallentoren in der Fassade. Die geschickte Kombination der unveränderlichen, schwer veränderlichen und veränderlichen Strukturmerkmale bedingt die angestrebte Wandlungsfähigkeit des Gebäudes für gegenwärtige Aufgaben, erweiterte Aufgaben sowie neue, noch nicht bekannte Aufgaben. Unveränderliche Strukturmerkmale sind die Tragfähigkeit von Fundamenten und Bodenplatte. Schwer veränderliche Strukturmerkmale sind die Tragfähigkeit von Stützen- und Trägerquerschnitten oder die Diagonalverbände der statischen Aussteifung, die die Erweiterung einer Halle einschränken. Veränderliche Strukturmerkmale sind versetzbare geschlossene oder transparente Fassadenelemente, die je nach Bedarf die Tageslichtzuführung von der Hallenfassade oder der Dachfläche gestatten. Bild 11.2 fasst in einer Übersicht die Strukturmerkmale der Gestaltungsfelder Tragwerk, Hülle, Medien, Ausbau und Anmutung zusammen. Nachfolgend sollen diese besonders mit Blick auf ihre Bedeutung für Wandlungsfähigkeit erörtert werden.

11.1  Tragwerk

11.1.1 Projektanforderungen und Lastannahmen Zur Erfüllung der vielfältigen und sich teilweise widersprechenden Anforderungen eines spezifischen Projektes gilt es, einen Ansatz für die Tragwerksgestaltung zu finden, der sich an der langfristig

11.1  Tragwerk

Bild 11.2: Strukturmerkmale eines Gebäudes © Reichardt 15.181_JR_B

geltenden Produktionsstrategie des Unternehmens orientiert. Bild 11.3 zeigt Beispiele von häufigen Projektanforderungen an Tragwerke. Primär prägen die aus den Produktions- und Logistikprozessen resultierenden geometrischen und verfahrenstechnischen Parameter die Tragwerkstruktur, die ihrerseits die Installationsführung bestimmt. Wie ausführlich in Kapitel 5 entwickelt, spielt die Veränderbarkeit von Flächen und Einbauten eine große Rolle. Schließlich sind Personen- und Sachschutz sowie Behaglichkeit wichtige Anforderungen der Nutzungsphase. Übergeordnet sind wirtschaftliche Aspekte der Kosten und Bauzeit. Im Rahmen der in Kapitel 15 ausführlich dargestellten Synergetischen Fabrikplanung werden die projektspezifischen Anforderungen zu einem Anforderungsprofil zusammengeführt und die konkreten Parameter mit allen Beteiligten, insbesondere unter dem Aspekt der langfristigen Wandlungsfähigkeit, abgeglichen.

Sind zumindest grundsätzliche Projektanforderungen geklärt, geht es zu einem sehr frühen Zeitpunkt um eine überschlägige erste Dimensionierung der Tragwerkteile. Hierfür stehen Tabellenwerke wie [Kra07] zu einer ersten Abschätzung der Tragwerksglieder zur Verfügung, wobei die Lastannahmen für Verkehrslasten, Einzellasten und dynamische Lasten zu ermitteln sind. Sollten nicht alle Daten verfügbar sein, müssen im Team Annahmen getroffen werden. So stellen sich in jedem Projekt frühzeitig Fragen zur Lage der Technikzentralen oder Medienabhängungen, die mit entsprechendem Weitblick mangels genauer Definition angenommen werden müssen. Es empfiehlt sich, die in der Praxis zusammengeführte Kombination aus Festlegungen und Annahmen nach Projektteilen zu dokumentieren und mit dem Projektfortgang immer weiter zu präzisieren. Bild 11.4 zeigt eine Übersicht wichtiger Lastannahmen für die Hauptelemente eines Tragwerks. Davon sind einige prozessbedingt, andere den örtlichen

11

319

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.3: Projektanforderungen an Tragwerke © Reichardt 15.182_JR_B

11

320

Gegebenheiten, wie z. B. Schneelasten, geschuldet. Die Bodenplatte spielt für die Wandlungsfähigkeit eine besondere Rolle, bestimmt sie doch entscheidend die Möglichkeit einer Ortsveränderung der Betriebseinrichtungen oder der Umwidmung von Bereichsflächen, z.B. von einem Logistikbereich in einen Fertigungsbereich oder umgekehrt. Der Aspekt der Lastreserven verdient eine eingehende Diskussion. Hohe Lastreserven bedingen finanzielle Vorinvestitionen durch Überdimensionierung von Tragwerksteilen, stellen aber gleichzeitig einen entsprechenden Grad an Wandlungsfähigkeit dar. Hier gilt es, strategische und wirtschaftliche Gesichtspunkte sinnvoll abzuwägen. Erweiterungen in Fläche oder Höhe müssen bei den jeweiligen Lastannahmen vorausschauend berücksichtigt werden, ebenso erwartete Änderungen der Produktion mit einer möglicherweise neuen Generation von Betriebsmitteln und deren baulichen Anforderungen.

11.1.2 Strukturform als statisches System Die Eigenschaften eines Tragwerks werden durch die architektonische Ausprägung von Stützen und Trägersystemen, Deckensystemen, Bodenplatte, Fundamenten, tragenden Wänden und Kernen bestimmt. Diese Merkmale der Art der Kräfteverteilung des statischen Systems definieren die Strukturform. Die Wahl der Strukturform, das Prinzip der Lastableitung und Aussteifung entscheiden über mögliche Erweiterungsrichtungen sowie die Eignung zur Aufnahme besonderer Lastfälle. Grob lässt sich in Anlehnung an [Eng07] eine Einteilung in acht Tragwerksfamilien vornehmen: Balkentragwerke, Trägerroste, Rahmen, Bögen, Schrägkabelkonstruktionen, Seilbinder, Kuppeln sowie Seilnetze und Textilkonstruktionen. Für übliche Anforderungen an Produktionsstätten lassen sich nach [Gri97] vereinfachend vier Gruppen

11.1  Tragwerk

Bild 11.4: Übersicht der Lastannahmen für ein Tragwerk © Reichardt 15.183_JR_B

der Strukturformen von Hallentragwerken bilden: Stützen und Binder, Rahmen, Bögen und Raumtragwerke. Bild 11.5 zeigt eine Übersicht von Strukturformen für Hallentragwerke in Form von Stützen/ Binder-Tragwerken und Rahmenkonstruktionen. Bogentragwerke und Raumtragwerke finden in Fa­ brikbauten eher selten Anwendung. Grundsätzlich muss jedes Hallen- und Geschossbauwerk in Längs- und Querrichtung ausgesteift werden. Rahmen oder Bogentragwerke sind in Querrichtung bereits stabil und erfordern deshalb nur eine zusätzliche Aussteifung in Längsrichtung. Gerichtete Tragsysteme weisen eine eindeutige Unterscheidung in der Lage von Haupt- und Nebenträgern aus, die Vertikallasten werden hier einachsig über die Hauptträger in die Stützen geführt. Demgegenüber verteilen ungerichtete Tragwerke die Vertikallasten zweiachsig über alle Tragglieder in die Stützen. Ungerichtete Tragwer-

ke sind daher meistens nur auf quadratischem Stützenfeld wirtschaftlich, die Erweiterung in zwei Richtungen fällt jedoch leichter als bei gerichteten Strukturen. Der Zusammenhang von Modularität, Spannweite, Aussteifung, Lastverteilung und Erweiterung muss nach Bild 11.6 für jedes Projekt eingehend aus Prozess- und Raumsicht diskutiert werden. Dabei ist zwischen der horizontalen und vertikalen Erweiterungsrichtung zu unterscheiden. Hier empfiehlt sich bereits eine 3D-Modellierung des Tragwerks, um Kollisionen mit der Prozess- oder Haustechnik frühzeitig zu erkennen. Generell bedeutet ein hoher Grad an Wandlungsfähigkeit immer vielfältige Anbau- und Ausbaumöglichkeiten. Das Tragwerk großer Hallen sollte den Einbau von Galerien für produktionsnahe Bürofunktionen wie Arbeitsvorbereitung, Fertigungssteuerung, Qualitätssicherung usw. gestatten und somit die innere Wandlungsfähigkeit unterstützen.

11

321

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.5: Strukturformen und statische Systeme für Hallen © Reichardt 15.184_JR_B

11

Bild 11.7 zeigt zwei realisierte Projektbeispiele mit der Darstellung äußerer und innerer Erweiterungsoptionen. Im Fall der Pumpenfabrik mit Modulen von 21 x 21 m können 6 Module in Längsrichtung ohne Produktionsstörung angebaut werden. Das Innere des vorgesetzten Moduls ist mit Büroflächen ausgestattet, die sich in die Fabrik fortsetzen und dadurch eine direkte Kommunikation unterstützen (s. auch Bilder 15.57 und 15.58). Auch im Werk für PKWKühlelemente können autonome Großmodule von 18 bzw. 36 m Spannweite störungsfrei angebaut werden. Statt eines separaten Kopfbaues bietet eine integrierte Bürogalerie Platz für das gesamte Management mit direkter Einsicht in die Produktionsabläufe. Für Flachbauten und Hallen ist die natürliche Ausleuchtung der Arbeitsbereiche durch Oberlichter zu empfehlen. Die Belichtungsflächen laufen dann senkrecht oder parallel zur Spannrichtung des Tragwerks. Bei senkrechter Führung der Belichtungsflächen zum

322

Tragwerk liegen die Konstruktionsglieder innerhalb und außerhalb der temperierten Hülle des Gebäudes. Diese Bauweise ist mit den hierdurch auftretenden Kältebrücken im Sinne einer energiebewussten Bauweise kaum vertretbar. Weitaus sinnfälliger ist es, die Belichtungsflächen parallel zu einer in filigrane Träger aufgelösten Konstruktion anzuordnen, so dass das Tageslicht die Trägerzone durchdringen kann. Ausführungsbeispiele von Belichtungselementen sowie Zusammenhänge von Lichtöffnungen, Raumhöhe und Raumtiefe sind in Abschnitt 11.2.3 Natürliche Belichtung, aufgeführt. Für die Wirtschaftlichkeit weit gespannter Hallentragwerke sind insbesondere die Ableitung von Anpralllasten durch Staplerverkehr an Stützen sowie die Summe aller Abhängelasten des Dachtragwerks von Bedeutung. Bei weit gespannten Hallendächern sollte zugunsten der Lastminimierung des Dachtragwerks der Einsatz bodengestützter Medienverteilsysteme geprüft werden.

11.1  Tragwerk

Bild 11.6: Strukturformen eines Tragwerks © Reichardt 15.185_JR_B

11

Bild 11.7: Tragwerksbeispiele © Reichardt 15.186_JR_B

323

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.8: Variantendiskussion eines Tragwerks für eine PKW-Montagehalle © Reichardt 15.187_JR_B

11

Für die Lösungsfindung eines spezifischen Projektes empfiehlt sich die Diskussion von Planungsalternativen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Bild 11.8 zeigt die Gegenüberstellung einiger exemplarischer modularer Strukturformen und statischer Systeme für das Projektbeispiel Hallentragwerk einer PKW-Montagehalle. Vor- und Nachteile von Aspekten aus Prozess, Architektur, Haustechnik und Wirtschaftlichkeit fließen in eine integrierte Bewertung ein.

11.1.3 Spannweite Die Festlegung der Spannweiten für Halle oder Geschossbau ist eine der wichtigsten, wenn nicht die zentrale Frage aus Prozess- und Raumsicht. Der Zielvorstellung möglichst weniger behindernder Stützen steht die gebotene Wirtschaftlichkeit des Tragwerks

324

gegenüber. Die Optimierung zielt auf einen aus beiden Sichtweisen tolerierbaren Kompromiss. Polonyi untersuchte für eine ca. 300 m2 große Halle mit 6,5 m lichter Höhe die Kostenentwicklung in Abhängigkeit von Spannweite, Dachlast und Werkstoff [Pol03]. Die zugrunde gelegten alternativen statischen Systeme Zweigelenkrahmen, Fachwerkträger und zweifache Unterspannung wurden dabei jeweils vergleichend für Stahl- und Holzquerschnitte berechnet. Nach Bild 11.9 und Bild 11.10 lassen sich relative Kosten in Abhängigkeit von der Spannweite ableiten. Im industriellen Hallenbau sind demnach gegenüber Standardlösungen mit 20 m Spannweite solche von 30 m bis 50 m ohne gravierende Mehrkosten der Konstruktion unter der Voraussetzung minimierter Dachlasten (geringe Schneelasten, kleine Abhängelasten) möglich. Desgleichen sind in Druck- und Zugzone aufgelöste unterspannte Holzkonstruktionen

11.1  Tragwerk

im Bereich von 21 m bis 30 m Spannweite überraschenderweise fast kostenneutral. In einem weiteren Systemvergleich wurden für die bereits angesprochene PKW-Montagehalle im Rahmen der Variantendiskussion Spannweiten von 15 x 15 m, 20 x 20 m und 24 x 24 m vergleichend bewertet. Verschiedene Ausführungen eingespannter Stützen in Stahl und Beton sowie Dachtragwerke in Stahl, Spannbeton und Holz flossen in die Diskussion ein. Die schließlich ausgeführte Lösung von 21 x 21 m Stützenraster bietet gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Raster von 15 x 15 m einen langfristigen Mehrwert bei ca. 10% höheren Konstruktionskosten.

11.1.4 Werkstoffwahl und Fügeprinzip Im Industriebau steht eine Vielzahl von Werkstoffen zur Verfügung, um die teilweise großen geforderten Stützweiten und Deckenlasten zu gewährleisten. Die

hohe statische Belastbarkeit prädestiniert den Werkstoff Stahl insbesondere für elementierte Konstruk­ tionen sowie große Hallenspannweiten. Brettschichtholzbinder und unterspannte Holzkonstruktionen eignen sich für Hallen mittlerer Spannweite. Konstruktionen aus Leichtmetall ermöglichen aufgrund des geringen Gewichtes der Bauteile den raschen Aufbau und Abbau temporärer Tragstrukturen. Bei der Wahl des Werkstoffs sind die Belange des Brandschutzes zu berücksichtigen. Ausschlaggebend ist neben der Einstufung der Brennbarkeit des Materials die in eine Konstruktion durch Prozesse, Betriebseinrichtungen und Logistik eingebrachte Brandlast. Mit geeigneten Anstrichsystemen sind z.Zt. Brandschutzanforderungen an Stahlhallen bis F 90 erzielbar. Für Holzkonstruktionen sind durch entsprechende Querschnitte oder aufblähende Anstriche z.Zt. Brandschutzwerte bis F 60 erreichbar. Geschossbauten mit hohen Brandschutzanforderungen an die Feuerbeständigkeit von Stützen, Trägern

11

Bild 11.9: Relative Kosten von Holztragwerken © Reichardt 15.188_JR_B

325

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.10: Relative Kosten von Stahltragwerken © Reichardt 15.189_JR_B

11

und Decken können in Stahlbeton- oder Stahlverbundbauweise erstellt werden. Bild 11.11 zeigt die Dimensionierung von Decken und Stützen mit verschiedenen Werkstoffen bzw. Werkstoffkombinationen. Stahlverbundbauteile erlauben im Vergleich zur Stahlbetonbauweise schlankere Querschnitte bei geringerer statischer Höhe. Weitere Kriterien für die Werkstoffauswahl sind die Korrosionsbeständigkeit und Wetterbeständigkeit der Konstruktion. Tragwerke aus Stahl, Holz und Stahlbeton müssen mit entsprechenden Maßnahmen vor Schlagregen geschützt werden, Stahl ist durch Feuerverzinkung oder Beschichtungen gegen Korrosion zu schützen. Bei den meist geforderten kurzen Bauzeiten sind in der Werkstatt vorgefertigte elementierte Tragwerke oft vorteilhaft gegenüber vor Ort erstellten Konstruktionen aus Ortbeton. Sie erlauben nicht nur eine beinahe witterungsunabhängige Montage auch bei

326

Frostgraden, sondern weisen weitere grundsätzliche Vorteile gegenüber monolithischen Konstruktionen auf. Die Wahl des Fügeprinzips (Schweißen, Schrauben oder Stecken) bestimmt die Geometrie der Anschlussknoten und entscheidet über den zeitlichen Verlauf von Planung, Fertigung und Montage. Die einfache Lösbarkeit konstruktiver Verbindungen ermöglicht eine spätere Verstärkung oder Nachrüstung von Deckenträgern bei höherer Belastung und ist also ein Merkmal der Wandlungsfähigkeit. Darüber hinaus ist beim Rückbau des Gebäudes keine Trennung der Baustoffe für Recyclingzwecke erforderlich. Nach dem Grad der Vorfertigung und Elementierung lassen sich vier Gruppen der Fügung von Traggliedern bilden: Monolithische Konstruktionen, sogenannter Ortbeton, werden mit homogenen, unlösbaren Verbindungen auf der Baustelle erstellt. Homogene, jedoch lösbare Verbindungen entstehen durch Schweißen von Stahlverbindungen. Mit entspre-

11.1  Tragwerk

Bild 11.11: Tragglieder mit alternativen Werkstoffen © Reichardt 15.190_JR_B

chendem Aufwand können solche Tragwerke wieder in einzelne Tragglieder zerlegt werden. Bei einer Teilvorfertigung können die mit einer Teilbewehrung versehenen Deckenelemente als verlorene Schalung dienen: Sie erhalten ihre Endstabilität durch den am Einsatzort aufgebrachten Beton. Den höchsten Grad der Elementierung mit kompletter Vorfertigung aller Komponenten stellt ein geschraubtes Stahlskelett dar, die additive Fügung ermöglicht grundsätzlich Veränderungen der Tragglieder. Bild 11.12 zeigt eine Übersicht alternativer Werkstoffe und Fügeprinzipien für Hallen und Geschossbauten. Nach [Ack88] steht für Hallenbauten eine große Anzahl von Werkstoffen mit unterschiedlichen Eigenschaften besonders hinsichtlich erreichbarer Feuerschutzklassen zur Verfügung. Bei Geschossbauten beschränken sich diese auf Stahlbeton, Stahl und Stahl-BetonVerbundlösungen. Gegenwärtig werden nach [Rei08] auch innovative brandgeschützte Holzkonstruktionen für den Industrie- und Gewerbebau interessant.

Für die wandlungsfähige Fabrik erscheint die Verwendung von elementierten Bausätzen (vgl. auch Beispiele Bild 11.30) der angemessene Ansatz bei der Entwicklung von Tragwerken. Die komplette Vorfertigung mit schnell lösbaren Verbindungen erleichtert Veränderungen; Träger können vergleichsweise einfach und schnell verstärkt oder ersetzt werden. Durch die Herausnahme von Deckenfeldern sind nachträglich notwendige Vertikalverbindungen zwischen Geschossbereichen möglich, z.B für Fördereinrichtungen. Notwendige interne Erweiterungen lassen sich durch Galerieflächen realisieren, die bei entsprechender Vorbereitung an bestehende Stützen oder Träger angehängt werden können (vgl. auch Beispiel Bild 10.6). Nach [Lac84] ist der Entwurfsgedanke des Bausatzes grundsätzlich in den Werkstoffen Stahl, Stahlbeton, Holz und Leichtmetall zu verwirklichen. Besondere Detaillösungen wie Steckverbindungen erlauben eine rasche Montage und Demontage der Tragglieder, sie

11

327

11  Gebäudegestaltung

unterstützen somit Anforderungen nach temporären oder gar mobilen Fabriken. Im Einzelfall müssen die Mehrkosten gegenüber der gewonnenen Wandlungsfähigkeit abgewogen werden, die sich in kürzeren Umbauzeiten und geringerer Störung des laufenden Betriebs darstellt.

11.1.5 Profilierung der Stützen, Träger und Decken Je nach Strukturform, Spannweite, Werkstoff und Fügeprinzip ergeben sich für die Bauelemente von Stützen, Trägern, Dachdecken, Geschossdecken und Bodenplatte eine Vielzahl leistungsfähiger Detailausführungen. Der Grundsatz möglichst weniger Stützen wurde bereits angeführt. Andererseits eignen sich Stützen zur Aufhängung der Förder- und Haustechnik. Auch Laufschienen für Hallenkräne sowie Schwenkkräne und sonstige Hebezeuge können bei entsprechender Dimensionierung an Stützen befestigt werden. Stüt-

11

Bild 11.12: Werkstoffe und Fügeprinzipien für Tragwerke © Reichardt 15.191_JR_B

328

zen eignen sich auch für die Führung von vertikalen Trassen der Haustechnik wie Steigleitungen, Fallrohre oder Luftkanäle. Darüber hinaus können Traggerüste für die Ver- und Entsorgung der Betriebsmittel mit Strom, Druckluft oder Wasser an den Stützen befestigt werden. Kreuzförmige Stützen minimieren Flächenverluste durch Medienführung im Stegschatten. Bei elementierten Tragwerken kann die Bauzeit durch Fundamentkörper verringert werden, die an die Stützen angeformt sind. In der Fundamentplatte verankerte Anprallsockel führen die Anpralllasten ohne eine zusätzliche statische Beaufschlagung der Stützen ab. Am Stützenschaft kann eine Absenkung der Fundamentoberkante die horizontale Abführung von Medienleitungen oder deren Nachrüstung unter der Bodenplatte erleichtern. In Abhängigkeit von Dachlast und lichter Höhe wurde bei der bereits vorgestellten Variantendiskussion einer PKW-Montagehalle die Stützenausführung in den Werkstoffen Beton und Stahl mit verschiedenen Profilierungen

11.1  Tragwerk

Bild 11.13: Profilierung von Traggliedern © Reichardt 15.192_JR_B

untersucht und die jeweiligen Kosten von Stützen, Träger und Fundamenten für ein Modulfeld von 20 m x 20 m ermittelt (vgl. Bild 11.8). In dem vorliegenden Fall erwies sich die Betonstütze mit angeformtem Fundament als die wirtschaftlichste Lösung. Die Profilierung der Träger als Vollwand, Wabenträger, Fachwerkträger oder unterspannte Träger hat Einfluss auf die Medienverteilung sowie die Tageslichtverteilung. Filigrane Träger erlauben die Führung von Medientrassen innerhalb der Trägerzone; bei Vollwandträgern verringert sich demgegenüber die lichte nutzbare Hallenhöhe um den unterhalb der Träger notwendigen Installationsraum. Geschosshohe Fachwerkträger ermöglichen die Integration von Wartungsstegen oder Technikgalerien im Dachtragwerk. Durchlässige Träger unterstützen die Ausbreitung einer natürlichen Lichtführung im Dachbereich, entsprechend profilierte Träger können zur Optimierung der Ausleuchtung von Arbeitsflächen durch Lichtumlenkung herangezogen werden.

Waagerecht konstruierte Dachdecken sind vorteilhaft für die systematische Anbringung von Medientrassen sowie die Anordnung der Leuchten. Gegenüber aufgrund der notwendigen Dachentwässerung leicht geneigten Flächen und Träger bietet die Horizontaldecke bei leicht erhöhtem konstruktivem Aufwand den „Mehrwert“ immer gleicher Abhängabstände für Medien sowie Prozess- oder Fördertechnik. Eine stimmige Systemplanung der Medien ist von großem Vorteil bei Planung, Bau sowie späterer Veränderung. Die Dachdecken sollten durch möglichst wenige Aussteifungsverbände beeinträchtigt sein und Nachrüstungen von Belichtungsöffnungen oder notwendigen Dachdurchdringungen durch entsprechende Werkstoffwahl und modulare Elementierung erlauben. Die Detailausbildung der Unterseite der Dachdecken sollte nach den Anforderungen von Lichtverteilung im Raum, Schallabsorption sowie Abhängmöglichkeiten für Medien gewählt werden. Oberflächen mit hoher

11

329

11  Gebäudegestaltung

11

330

Lichtreflexion erhöhen die Raumhelligkeit; poröse Oberflächen durch gelochte Bleche oder eingehängte Segel dämpfen den Schallpegel. In die Deckenmaterialien eingearbeitete Sicken und Nuten gestatten vielfältige reversible Abhängmöglichkeiten. Die Vorteile elementierter Systeme für Geschossdecken gegenüber der monolithischen Bauweise liegen in der Integration der Medien, nachträglicher Veränderbarkeit und beschleunigtem Bauablauf. Befestigungsdetails wie sogen. Halferschienen in jedem Element gestatten eine variable Installationsführung und vertikale Geschossverbindungen sind auch nachträglich in einem Modulelement leicht möglich. Bei größeren Spannweiten können die Medien bei geschickter Organisation innerhalb der statischen Höhe des Deckenelements geführt werden, wenn sie als Rippenplatten ausgeführt sind. Die Tragfähigkeit der Bodenplatte ist ein entscheidender Faktor für die langfristige Wandlungsfähigkeit. Hohe Belastbarkeit sollte durchgängig ohne Einschränkungen über die gesamte Fläche gegeben sein. Ein weiterer Aspekt betrifft die Ebenheit. Gerade bei monolithischen Bodenplatten (Vakuumbeton) ist die damit erreichte Höhentoleranz durch spätere Aufbauten nicht mehr auszugleichen, muss also weitsichtig auf die Erfordernisse der Prozesstechnik eingestellt sein. Medienführung, Fördertechnik, Prozessentsorgung, Sonderfundamente und Fluchtwege stellen weitere Anforderungen an die Detailausbildung der Bodenplatte. Lassen sich Einbauten für Kabelwege, Laufschienen oder Späneentsorgung nicht vermeiden, sollten Abdeckungen ebenengleich und befahrbar sein. Sonderfundamente oder Gruben für bestimmte Maschinen schränken die Wandlungsfähigkeit erheblich ein und die Lage von Fluchttunneln sowie deren Zugänge sollten auf lange Sicht geprüft werden. Befolgt man die aufgeführten Prinzipien, wird man in Anlehnung an [Pol03] wenig Verständnis für die Dekoration eines Bauwerkes mit einer nicht notwendigen oder nicht sinnvollen Konstruktion haben. Bild 11.13 fasst die Merkmale der Wandlungsfähigkeit bei der Profilierung von Stützen, Trägern und Decken zusammen.

11.2  Hülle Die bauliche Umhüllung eines Tragwerkes umfasst vertikale Fassadenflächen sowie horizontale oder geneigte Dachflächen. Sie bestehen in der Regel aus einer Kombination aus geschlossenen und transparenten Flächen. Nach Bedarf sind Öffnungselemente als Fenster, Türen oder Tore in die Hüllflächen integriert. Die Aufgaben einer Hülle umfassen Schutzfunktionen, Anforderungen aus Produktion und Logistik, Belichtung, Ausblick, Kommunikation sowie Ökologie und Energiegewinnung. Eine Vielzahl möglicher Lösungen sind in [Her04] und [Sch06] mit Bauarten und Beispielen zusammengestellt.

11.2.1 Schutzfunktionen Je nach geographischem Standort ist die Hülle für den geeigneten Klimaschutz auszulegen. Nach Angaben der Wetterdienste sind durchschnittliche Temperaturwerte für Kälte- und Hitzeperioden sowie Regenperioden, Windrichtungen und Windstärken bestimmbar. Zur Festlegung der Wand- und Dachaufbauten empfiehlt sich eine integrale 3D-Betrachtung von Energieverlusten und Energiegewinnen der Hülle im Rahmen der synergetischen Fabrikplanung. Hierbei sollten auch alle prozessbedingten Energieströme wie Maschinenabwärme in die Betrachtung einfließen. Diese Betrachtung ist alternativ für mehrere Wandaufbauten sowie unter der Zugrundelegung zukünftiger Energiepreis-Szenarien durchzuführen. Die Lage des Gebäudes zu vorherrschenden Windrichtungen hat Einfluss auf die Anordnung von Toren, Vordächern sowie Rauchwärmeabzügen. Fordern Gesetze und Auflagen die Einhaltung bestimmter Schallwerte, sind geschlossene Flächen und Öffnungen der Hülle entsprechend auszulegen. Die Lage an Autobahnen oder Flughäfen kann einen Lärmschutz von außen nach innen oder spezielle schallreflektierende Schutzmaßnahmen vor der Fassade erfordern. Bild 11.14 zeigt in einem Überblick wesentliche Merkmale für die Schutzfunktionen Kälte, Hitze, Regen, Wind und Schall. Der Wert des Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) bestimmt die Wärmedämmung,

11.2  Hülle

Bild 11.14: Schutzfunktions-Merkmale von Gebäudehüllen © Reichardt 15.193_JR_B

der Energiedurchlasswert (g-Wert) den Energieeintrag durch solare Strahlung. Je nach geographischem Ort ist für die Ausführung der Dachsysteme die maximale anzusetzende Regenmenge (Regenspende) maßgebend. Die Forderung nach einer hohen Wandlungsfähigkeit der Hülle bedeutet in der Regel die Vermeidung tragender Außenwände, da Massivkonstruktionen Umbauten oder Erweiterungen einen großen Widerstand entgegensetzen. Modulare, elementierbare Systeme lassen sich hingegen schneller und wirtschaftlicher an neue Anforderungen adaptieren.

11.2.2 Produktion und Logistik Bauliche Anforderungen an die Hülle aus den Bedingungen von Produktion und Logistik beziehen sich nach Bild 11.15 vor allem auf An- und Auslieferstellen, Fluchtwege, Montageöffnungen der Einrichtung sowie Durchdringungen der Hülle mit Medientechnik aus Prozessen, Brandschutz und Haustechnik. Im Sinne eines hohen Grades baulicher Wandlungsfähigkeit sollten Massivkonstruktionen für Dach und Wand vermieden werden und stattdessen eine Vielzahl weicher, also leicht veränderbarer Zonen

vorgesehen werden. Für die vertikalen Fassaden empfiehlt sich eine Elementierung transparenter oder teiltransparenter (opaker) Bauteile im Torraster von ca. 3,00/4,50 m x 4,50 m. Auf dieser Grundlage sind übliche Torgrößen, seitliche Fluchttüren sowie LKW-Einfahrten in die Halle wandlungsfähig zu gestalten.

11

Vordächer für eine wettergeschützte Ladung und Entladung von Fahrzeugen sollten mit eigener Fundamentierung an beliebiger Stelle möglich sein. Eine Auswechselbarkeit der Fassadenstiele zwischen Bodenplatte und Traggurten erlaubt größere Fassadenöffnungen zur Einbringung großer Maschinen und unterstützt auch eine rasche Hallenerweiterung. Belichtungsflächen, Rauchwärmeabzugsanlagen sowie notwendige Durchstoßpunkte für Prozessabluft lassen sich in bandartige Dachstrukturen integrieren. Elementierte transparente und geschlossene Paneelsysteme für Sheds und Stehverglasungen können jederzeit an neue Erfordernisse angepasst werden. Bild 11.16 zeigt nach dieser Strategie entwickelte geschlossene und transparente Fassadensysteme eines Montagewerkes für PKW-Kühlsysteme.

331

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.15: Merkmale einer Gebäudehülle aus Produktionssicht © Reichardt 15.194_JR_B

11

Bild 11.16: Fassadensysteme für ein Montagewerk (Beispiel) © Reichardt 15.195_JR_B

332

11.2  Hülle

11.2.3 Belichtung, Ausblick, Kommunikation Nach den Bestimmungen der Arbeitsstättenrichtlinien sind für Hallen bis zu 2.000 m2 Größe 10% der Grundfläche für transparente Fassaden in Augenhöhe vorzuhalten. Für größere Hallen ergibt sich aufgrund der Hallentiefe keine Forderung nach direktem Ausblick, hier wird von möglicher Tageslichteinführung durch Oberlichter ausgegangen. Um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter zu steigern, achten Unternehmen zunehmend auf helle Arbeitsplätze. Wandlungsfähige Arbeitsräume sind keine Dunkelflächen, sondern haben über entsprechende Öffnungen der Hülle Anteil am Tagesablauf und an den Veränderungen des Wetters. Durch entsprechende Profilierung der Dachflächen kann eine blendfreie Grundversorgung der Arbeitsflächen mit natürlichem Zenitlicht erfolgen, die eine Voraussetzung für angenehmes Arbeiten ist. Über Ausblick und Belichtung hinaus können Fassaden

wichtige Beiträge zur Kommunikation eines Gebäudes mit der Umgebung leisten sowie Identität und Signifikanz vermitteln. Bild 11.17 zeigt in einem Überblick, welche Elemente der Hülle die Merkmale Belichtung, Ausblick und Kommunikation bestimmen können. Ein besonderes Augenmerk verdient die Entwässerung ausgedehnter Dachflächen. Über entsprechende Profilierung der Teilflächen muss an jeder Stelle des Daches eine Neigung von mindestens 2% zur eindeutig gerichteten Ableitung der Regenspenden bestehen. Dies kann bei weit gespannten Tragwerken zur Notwendigkeit der statischen Überhöhung der Traggurte führen. Schadensfälle an Dächern durch kurzzeitigen Schlagregen mit Überlastung der Einläufe führten zur Überarbeitung der DIN- und EN-Normen mit der Berücksichtigung regionaler Mengenangaben für Jahrhundertregen mit Auswirkungen auf die Gestaltung von Notüberläufen.

11

Bild 11.17: Merkmale einer Gebäudehülle aus Sicht von Belichtung, Ausblick und Kommunikation © Reichardt 15.196_JR_B

333

11  Gebäudegestaltung

11.2.4 Ökologie und Energiegewinnung Fassadenflächen eignen sich in hervorragender Weise für aktive Maßnahmen zur Verbesserung von Ökologie und Energiebilanz. Begrünte Fassaden und Dächer können als ökologisch wertvolle Maßnahmen in die Berechnung von Ausgleichsflächen einbezogen werden. Dachbegrünungen wirken verzögernd und damit entlastend auf die Einbringung von Regenspenden in die kommunalen Vorfluter, sie bewirken entwässerungstechnische Erleichterungen beim Genehmigungsverfahren. Mittlerweile steht eine große Zahl erprobter Systeme für die aktive Energiegewinnung an Fassaden bereit. Thermische Kollektoren zur Warmwassererzeugung, Photovoltaikkollektoren zur Stromerzeugung und Windkraftanlagen sind als separat aufgestellte oder in die Fassaden- und Dachelemente integrierte Systeme denkbar. Ihre Effizienz in Abhängigkeit von der Gebäudeausrichtung sowie Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sollten im Rahmen der synergetischen Fabrikplanung am 3D-Computer­modell optimiert werden.

Bild 11.18 zeigt eine Übersicht von Merkmalen aus Ökologie und Energiegewinnung und ihre Einbindung in die Gebäudehülle. Es ist zu erwarten, dass in Anlehnung an [Hau07] der für Wohnbauten bereits eingeführte „Passivhausstandard“ (jährlicher Heizenergiebedarf kleiner als 15 kWh/m2) zukünftig sinngemäß auch auf Indus­ trie- und Gewerbebauten übertragen wird. Gegenwärtig entwickeln eine Großzahl von Fassaden- und Systemherstellern integrative Systeme zur Nutzung insbesondere solarer und geothermischer, umweltfreundlicher, „passiver“ Energien. Weiterhin wird an Zertifizierungssystemen zur Erlangung eines „Green Building Standards“ auch für Industrie- und Gewerbebauten gearbeitet. Die ökologisch und energetisch bewusste Fassade verheißt also ein Stück Zukunftssicherheit.

11.3  Medien Unter dem Sammelbegriff Medien sollen sowohl die für das Gebäude notwendigen haustechnischen Medien wie auch im Gebäude geführte Prozessmedien

11

Bild 11.18: Merkmale einer Gebäudehülle aus Sicht von Ökologie und Energiegewinnung © Reichardt 15.197_JR_B

334

11.3  Medien

Bild 11.19: Mediensystem-Hierarchie © Reichardt 15.198_JR_B

der Fertigungseinrichtungen verstanden werden. Die in der Praxis übliche Trennung in „Haustechnik“ (ausgelegt vom Fachplaner Bau) und „Prozesstechnik“ (ausgelegt vom Betriebsplaner) birgt ein hohes Risiko an Abstimmungsverlusten und ermöglicht selten die Nutzung sinnfälliger Synergien. Die Gesamtheit der Mediensysteme sollte angesichts steigender Komplexität, insbesondere aber unter dem Primat der Energie- und Rohstoffeinsparung, ganzheitlich optimiert werden. Beispiele für die energetische Optimierung von Industriegebäuden finden sich bei [Hat06]. Zur Planungsoptimierung bieten sich fortgeschrittene EDV-Programme zur 3D-Modellierung aller Systeme, 3D-Simulation von Energieverlusten/ Energiegewinnen bis hin zur thermodynamischen 3D-Strömungssimulation an. Daniels beschreibt in Leitsätzen allgemeine Anforderungen und Prinzipien für die Planung haustechnischer Systeme [Dan96]: •  Suche nach Optimum aus Investitions- und Verbrauchskosten. •  Minimierung von Energie-, Rohstoffverbrauch und Schadstoffausstoß im Rahmen ganzheitlicher Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.

•  Diskussion über Art und Bereitstellung von Elektrotechnik, Heiz- oder Kühlenergie (evtl. eigenes Blockheizkraftwerk). •  Sorgfältige Bedarfsermittlung und Dimensionierung nach Kennwerten mit ausreichenden Reserven für wachsenden Bedarf. •  Sorgfältige Planung der Versorgungssysteme für Prozess und Bau, wenn möglich mit kurzen Wegen, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Technologien ohne Nutzungsausfall. •  Separate, jederzeit zugängliche Technikzentralen, Haupttrassen, Leitungsnetze und Auslässe nach übergeordneter Systemplanung, gemeinsame Haupt- und Nebentrassen mit Kennzeichnung der Medien und deren Flussrichtung.

11

Der Aspekt der Wandlungsfähigkeit ist von besonderer Bedeutung für die Gestaltung der Ver- und Entsorgungssysteme, Technikzentralen, Haupttrassen, Leitungsnetze und Auslässe. Bild 11.19 verdeutlicht die Hierarchie dieser Systeme im Gebäudegefüge. Für den Fabrikplaner sind insbesondere Lage und Ausbildung von Zentralen und Haupttrassen von Bedeutung, sollten sie doch gegenwärtige wie künftige Produktionsbelange nicht behindern.

335

11  Gebäudegestaltung

11.3.1 Ver- und Entsorgungssysteme Hinsichtlich der Ver- und Entsorgungssysteme sind in Weiterführung der Erschließungssystematik der Generalbebauung die Medienstrukturen der Gebäude auszulegen. Übergabepunkte, Qualität, Quantität und vor allem Erweiterungsmöglichkeiten bestimmen die Verteil- und Sammelstrukturen. Zu den Verund Entsorgungssystemen zählen im Wesentlichen die Stromversorgung, Heizung, Wasser- und Abwassernetze, Druckluftnetze, Kühlwasser- und Schmierstoffbereitstellung. [Pis07] und [Kri08] zeigen in ihren Zusammenstellungen grundsätzliche Bauarten für Ver- und Entsorgungssysteme auf. Grundsätzlich ist zu klären, ob eine mehr zentrale oder dezentrale Auslegung von Ver- und Entsorgung besser ist. Für Medien, die in größeren Mengen überall im Werk benötigt werden, bietet sich die zentrale

11

Bild 11.20: Modulares Versorgungssystem für ein Motorenwerk © Reichardt 15.199_JR_B

336

Bereitstellung an. Vorteilhaft sind dann niedrige Investitions- und laufende Kosten. Auch ist der Einsatz von Wärmerückgewinnungstechniken für Lüftungsanlagen oft wirtschaftlich. Nachteilig wirken sich bei zentralen Anlagen mögliche Betriebsstörungen bei Defekten aus. Anzahl und Volumen der Leitungen sind in der Regel höher als bei dezentralen Anlagen, dies bedingt eine entsprechende Bereitstellung horizontaler und vertikaler Leitungswege im Gebäude. Nachteilig wirken darüber hinaus die mit langen Leitungswegen verbundenen Effizienzverluste. Der Trend zu Kompaktanlagen mit immer höheren Wirkungsgraden führt zur Dezentralisierung von Systemen. Die größere Unabhängigkeit dezentraler Anlagen bei Planung, Betrieb und Veränderung bedeutet gerade für modulare Fabrikkonzepte einen erheblichen Zuwachs an Flexibilität und Wandlungsfähigkeit.

11.3  Medien

Bild 11.20 zeigt als Beispiel für eine dezentrale Lösung das technische Versorgungssystem eines Montagewerkes für Motoren mit vier „Teilfabriken“. Jeder dieser ca. 5.000 m² umfassenden Hallen ist ein dreigeschossiges Servicegebäude mit Technikflächen für Lüftungsanlagen und Trafos als zentrales Penthaus zugeordnet. Als Verteilstruktur für Lüftung, Druckluft und Elektroenergie wurde ein kammartiger verzweigter Längsfluss gewählt. Die modulare Struktur erlaubt jederzeitige störungsfreie Anpassungen der Versorgungssysteme an zukünftige Anforderungen der Teilfabriken.

11.3.2 Technikzentralen Zur Medienerzeugung (Druckluft, Dampf, Kühlluft usw.) sowie deren Bedienung, Überwachung und Filterung werden die wichtigsten maschinentechnischen Aggregate in Technikzentralen zusammengefasst. Deren Lage im Gebäude, der Raumbedarf, die Raumanforderungen und Erweiterungsmöglichkeiten sind in eine sinnvolle Gesamtkonzeption einzubeziehen. Die Lage der Technikzentralen im Gebäude wird bestimmt durch die Kombination der Aspekte zentrale oder dezentrale Anordnung sowie Einbau in das Gebäude oder freie Aufstellung. Lüftungs- und Klimaanlagen haben ihre Zentrale oft in einem Technikgeschoss in der Nähe der Wärmezentrale (Heizraum und Verteilung) und der Kälteanlage (Kältemaschine). Die gemeinsame Unterbringung von Lüftungszentrale und Heizungsanlage in einem Raum ist aus Gründen des Feuerschutzes nicht zulässig. Vorteilhaft ist die enge räumliche Anbindung der Zentralen an die vertikalen Installationsschächte der Gebäudekerne. Wichtig für die Bauplanung sind die frühzeitige Angabe der Lastannahmen für den Endausbau der Technikzentralen sowie Vorkehrungen für den nachträglichen Austausch von Technikaggregaten. Weiterhin sind Abschottungen gegen Lärm, Brand sowie Schwingungen zu bedenken. Lage und Auslegung von Sprinklerzentralen und Sprinklertanks erfordern eingehende Diskussion mit Sachversicherern und Behörden und müssen in genauer Abstimmung mit dem strategischen Werksausbau der Generalbebauung erfolgen.

Die Vorteile einer zentralen Anordnung liegen in meist geringeren Investitionen durch den insgesamt kleineren Flächenbedarf sowie in Synergien bei der Maschinenausrüstung. Dezentrale Anlagen begünstigen demgegenüber die Wandlungsfähigkeit, da beim Umbau einzelner Produktionsbereiche die notwendigen Mediensysteme feingliedriger angepasst und bei partiellem Ersatz von Trassen oder Netzen Störungen der laufenden Produktion minimiert werden. Die Lage im Untergeschoss hat den Vorteil der günstigen Abschirmung von Geräuschen und Erschütterungen; hohe Gerätegewichte sind dann ohne große Bedeutung für das Tragwerk. Nachteilig wirken sich gerade bei hohen Hallen lange Wege und Flächenverluste im Grundriss für die Führung der Haupttrassen aus. Die Auswechselung der Anlagen kann über einfache Förderzüge baulich gewährleistet werden. Die Lage von Zentralen im Erdgeschoss sollte grundsätzlich vermieden werden, da sie für jegliche Erweiterungsoptionen meist Fixpunkte im Grundriss darstellen. Heute lassen sich selbst Trafoanlagen ohne große Mühe aus der ebenen Fläche verbannen. Der wesentliche Vorteil einer Zentrale in einem Zwischengeschoss liegt in insgesamt kleineren Kanalquerschnitten, allerdings müssen erhöhte Schallschutzmaßnahmen durch Abschirmung und federnde Aufstellung aller schwingenden Anlagenteile gewährleistet sein. Als eine Möglichkeit mit guter Wandlungsfähigkeit bieten sich insbesondere bei nicht allzu hohen Gebäuden wetterfeste, frei aufgestellte Technikkomponenten an, die auf die Dachdecke oder seitlich an Fassaden gesetzt werden. Als bauliche Vorkehrung sollte dann eine entsprechende Rahmenkonstruktion weitere Technikmodule für optionale Werksum- oder -ausbauten aufnehmen können und zukünftig erwartete Lasten bereits jetzt berücksichtigen. Neue Entwicklungen gehen in Richtung „ship and plug in“. Dabei handelt es sich um mobile Baueinheiten aus komplett vorgerüsteten Technikcontainern, die am Produktionsort nur noch miteinander verbunden werden müssen, um sofort die technische Ver- und Entsorgung aufzunehmen. Eine weitere Variante ist die Unterbringung von Zentralen innerhalb der oft geschosshohen Tragwerkszo-

11

337

11  Gebäudegestaltung

ne weit gespannter Hallen. Die Untergurte der Träger können zur Auflage von Traversen für Technikbühnen oder Wartungsstegen genutzt werden, zudem steht der gesamte Dachhimmel zum variablen Einbau von Technikanlagen zur Verfügung. Bei dieser Strategie empfiehlt sich eine frühzeitige enge Abstimmung von Tragwerksentwurf und Medienplanung am 3DComputermodell. Vorteile der Lage von Zentralen innerhalb des Tragwerks gegenüber aufgesetzten separaten Penthäusern liegen in langfristig variabler Anordnung, konstruktiv einfacherer Einfädelung von Haupttrassen und Leitungsnetzen sowie wettergeschützter Wartung. Demgegenüber müssen im Einzelfall besondere Kapselungen für Schallschutz oder Brandschutz beachtet werden. Bild 11.21 zeigt eine modulare Penthauslösung auf dem Geschossbau eines Motorenwerkes, weiterhin die containerartige „ship and plug“-Technikzentrale auf dem Hallendach eines Montagewerkes für Kühlsysteme sowie die im Tragwerk einer Reifenfabrik integrierte Technikgalerie. Die Trafoanlagen wurden in die beiden Penthäuser des Motoren- bzw. Montage-

11

Bild 11.21: Störungsfreie Lage von Technikzentralen © Reichardt 15.200_JR_B

338

werkes jeweils integriert und entsprechende Einzellasten von bis zu 40 kN sowie die Einbringwege über Förderzeuge bzw. Autokran und Absetzflächen durch Gitterroste berücksichtigt. Vor- und Nachteile dieser grundsätzlichen Lösung sind anhand der Kriterien Lasthöhe, Brandschutz, Schallschutz, Erweiterbarkeit und Zugänglichkeit angeführt. Der Raumbedarf für Technikzentralen ist frühzeitig zu bestimmen, da Gebäudeentwurf und Tragwerk hiervon maßgeblich beeinflusst werden. Anforderungen der Schalldämpfung müssten frühzeitig bedacht werden, da sie großen Einfluss auf den Raumbedarf haben. Die benötigte lichte Raumhöhe wird oft unterschätzt, gerade bei Untergeschossen führen zu spät erkannte Zwänge zu einer unübersichtlichen und wenig wandlungsfähigen Medienführung in den Zentralen. Im Zuge einer strategischen Werksplanung mit langfristiger Wandlungsfähigkeit sollten denkbare Stufenlösungen auch für einen zunehmenden Steuerungs- und Regelungskomfort vorausgedacht und im zukünftigen Raumbedarf berücksichtigt werden.

11.3  Medien

Für gute Erweiterungsmöglichkeiten sind entsprechende bauliche sowie technische Vorkehrungen zu treffen. Da der Lebenszyklus der Technikaggregate ca. 5 bis 15 Jahre beträgt, sollten die Maschinenkomponenten der Zentralen modular aufgebaut, austauschbar und erweiterungsfähig sein. Es empfiehlt sich eine im Rahmen der synergetischen Fabrikplanung erstellte 3D-Computermodellierung der Zentralen mit Dokumentation und Wartung der Komponenten über ein projektbegleitendes Facility-Management (s. auch Kap. 17).

11.3.3 Haupttrassen Von den Technikzentralen führen die vertikalen und horizontalen Sammelstränge der Haupttrassen zu den weiteren Verteilsystemen der Leitungswege. Vertikale Haupttrassen werden oft in den Schächten der Gebäudekerne geführt, horizontale Haupttrassen in oder unterhalb der Tragkonstruktion von Hallendächern oder Geschossdecken. Mit besonderem Bedacht muss die vorausschauende Positionierung der Haupttrassen bezüglich möglicher horizontaler oder vertikaler Erweiterungsoptionen gewählt werden. Oft blockieren nur mit großem Aufwand verlegbare Medienpakete sinnvolle Wachstumseinrichtungen eines Gebäudes und strangulieren förmlich seine weitere Entwicklung. Schächte und Kanäle der Haupttrassen sind so zu planen, dass sie den Anforderungen an Standsicherheit, Brandschutz, Feuchtigkeitsschutz, Wärmeschutz und Hygiene entsprechen. Darüber hinaus ist eine gute Zugänglichkeit für Wartung und Reinigung anzustreben. Kleine Schächte sollten von außen bedienbar, müssen jedoch nicht begehbar sein. Da in großen Schächten häufig zu wartende Ventile oder Regelungseinrichtungen vorhanden sind, sollten diese unbedingt begehbar sein. Bei Systemauswahl und Detailplanung des Tragwerks kommt der Führung von Haupttrassen besondere Bedeutung zu. Neuralgische Punkte sind bei Geschossbauten die Anschlüsse der horizontalen Kanalstrecken an die vertikalen Schächte. Statische Aussteifungsaufgaben der Kerne können durch ungeschickte Medienführung beeinträchtigt wer-

den, die Anschlussöffnungen müssen eine auch für Nachrüstung der Haupttrassen ausreichende Breite vorhalten. Horizontale Haupttrassen durchqueren oft die Zone der statischen Unterzüge von Tragkonstruktionen. Entscheidend für die freizügige Führung der Trassen, insbesondere ihre Kapazität für spätere Nachrüstungen, ist die Werkstoffwahl und Profilierung der Träger. Oft werden in der Planung nicht alle Kollisionen zwischen Tragwerk und Trassen erkannt, dies führt bei der späteren Realisierung leicht zum Verlust lichter Höhe durch unplanmäßige Führung von Trassen unterhalb des Tragwerkes. Eine Kollisionsprüfung von Tragwerk und Medien mit Hilfe der 3D-Modellierung vermeidet die Unterschreitung geforderter lichter Höhen, geometrisch unbefriedigende Knoten sowie hierdurch entstehende Ausbauprobleme.

11.3.4 Leitungsnetze Nach der Festlegung der Haupttrassen gilt es, ein sinnvolles Leitungsnetz zu den Auslässen aufzubauen. Die weitere Verästelung der Medien verhält sich in ihren vertikalen und horizontalen Gebäudewegen wie bereits für Haupttrassen ausgeführt. Als weiterer Aspekt kommt der geometrischen Festlegung der verschiedenen Netze gerade für die langfristige Wandlungsfähigkeit besondere Bedeutung zu. Der Modularität der Gebäudestruktur sollte eine alle Leitungsnetze koordinierende Systemplanung entsprechen. Die Dichte der flächen- und raumdeckenden Ver- und Entsorgung muss weitsichtig aufgebaut, Belange von Haustechnik und Prozess müssen zusammengeführt werden. Alle Netze sollten leicht zugänglich und ohne Störungen der Produktion veränderbar sein. Horizontale und vertikale Befestigungspunkte am Gebäude sollten nach übergeordneten Systemmaßen mit einheitlichen Montagesystemen erfolgen. Die Farbcodierung nach Werkskonzept mit Angabe der Flussrichtungen der Medien stellt eine wertvolle Hilfe zur jederzeitigen Identifikation der Leitungsnetze dar. Bild 11.22 zeigt die im Rahmen der Systemplanung entwickelte 3D-Kanalführung für Zu- und Abluft sowie Leuchten und Sprinklernetz im Besprechungs-

11

339

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.22: 3D-Modellierung der Medienführung eines Besprechungsraums (Beispiel) © Reichardt 15.201_JR_B

11

raum eines Montagewerkes. Im vorliegenden Fall werden alle Leitungsnetze durch ein Systemraster von 1,25 m störungsfrei koordiniert, die elementierten Deckenspiegel mit akustisch wirksamen Lochplatten sind hierauf geometrisch passend abgestimmt.

11.3.5 Auslässe Bei vielen Arbeitsprozessen entstehen Staub, Gase oder Dämpfe. Die Absaugung dieser schädlichen oder störenden Stoffe geschieht am besten am Ort ihrer Entstehung mit Hilfe von Auslässen. Dies sind die Übergangsstellen der Leitungsnetze, durch die Medien in den Raum eintreten (Zuluftauslass) oder aus dem Raum abströmen (Abluftauslass). Sie müssen mit größter Sorgfalt bemessen und ausgeführt werden, um Störungen (Zugerscheinungen, Verschmutzungen am Arbeitsplatz) zu vermeiden.

340

Medienauslässe sollten vom Grundsatz immer leicht räumlich veränderbar sein, um wechselnde Maschinenaufstellungen und den Einsatz neuer Betriebseinrichtungen mit neuen Anforderungen nicht zu behindern. Die Lage der Auslässe in Fläche und Raum wird sinnvollerweise durch eine 3D-Systemplanung bestimmt, dies vermeidet Kollisionen verschiedener Medien an einem Punkt. Im Sinne eines hohen Grades an Wandlungsfähigkeit sollten insbesondere die Lage von Leuchten, Datenauslässen und Luftführungen eingehend untersucht werden. Die Verteilung der Leuchten orientiert sich außer an den geforderten flächendeckenden Beleuchtungsstärken auch an einer räumlich robusten Anordnung für unterschiedliche Hallennutzungen. Die Datenauslässe in Halle und Geschossbau sollten eine möglichst freizügige Anordnung der Betriebsmittel sowie der Büros gestatten. Bild 11.23 zeigt ein Beispiel für eine wandlungsfähige Zuluftführung und Auslasssysteme aus Textilmateri-

11.4  Ausbau

al in einer Großbäckerei. Die schlauchartige Anlage verteilt die Luft mikrofein durch die Gewebeporen, verursacht praktisch keinen spürbaren Luftzug, ist leicht zu reinigen (Waschmaschine) und in ihrer Länge oder ihrer Lage sehr leicht veränderbar.

11.4  Ausbau Nachdem die grundlegenden Strukturen von Tragwerk, Hülle und Medien geklärt sind, geht es um den Ausbau der Räume. Hierfür stehen eine Vielzahl von Systemen und Materialien zur Verfügung. Die Ausbausysteme für Böden, Wände und Decken sollten auf die Belange der Benutzer abgestimmt sein, jedoch unter Vermeidung von veränderungshemmenden Zwangspunkten. Dem Anspruch eines hohen Grades an Wandlungsfähigkeit von Ausbauten käme die Vorstellung einer von Akt zu Akt leicht

veränderlichen Theaterbühne entgegen oder einer Messeständen vergleichbaren bewusst temporären Raumgestaltung. Dies bedeutet den weitestgehenden Verzicht auf Massivkonstruktionen für Ausbauten zu Gunsten von modularen, variablen, einfach umzurüstenden Ausbausystemen auch für Treppen und Kernbereiche. Auch Böden, Wände, Decken, Kerne und Treppen sollten folglich in ihren gestalterischen wie technischen Details als elementierte Bausätze entwickelt werden. In [Pot07] ist das Grundlagenwissen des baukonstruktiven Ausbaus zusammengestellt. Dabei können selbst hohe Brandschutzanforderungen ohne Einsatz der Massivbauweise durch eine reversible Leichtbaukonstruktion erfüllt werden. Als Haus im Haus ausgeführte Kabinenbauweisen tragen sie dieser Vorstellung Rechnung; bei entsprechender Detailausbildung sind sie in hohem Maße räumlich variabel und erlauben einen einfachen Umbau ohne Beeinträchtigung der laufenden Prozesse.

11

Bild 11.23: Beispiel für ein wandlungsfähiges Zuluftsystem © Reichardt 15.202_JR_B

341

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.24 zeigt einen Überblick über die 5 Gestaltungsfelder und jeweils 4 Gestaltungselemente des Ausbaus. Nachfolgend sollen an diesen Elementen Strukturmerkmale für Wandlungsfähigkeit aufgezeigt werden.

11.4.1 Böden Bild 11.25 zeigt die für die Wandlungsfähigkeit von Böden wesentlichen Strukturelemente und deren Parameter im Überblick. Der Nutzer nimmt zunächst die Oberfläche wahr, während die bauphysikalischen Anforderungen aus Prozess- und Umweltanforderungen resultieren. Wesentlich für die Wandlungsfähigkeit sind u. a. die nachhaltige Robustheit der Konstruktion, die aufwandsarme Einbringung von Installationen und deren Änderungen sowie eine grundlegende Elementierung für spätere Veränderungen. Diese Aspekte werden nun weiter vertieft.

11

Bild 11.24: Übersicht Strukturelemente Gebäudeausbau © Reichardt 15.203_JR_B

342

Die Oberfläche wird primär durch die Belastung bestimmt. Baustoffe für Industrieböden sollten daher über hohe Beanspruchbarkeit bei gleichzeitiger langer Lebensdauer verfügen, eine den Anforderungen gemäße Ebenheit der Fläche aufweisen und einen geringen Unterhaltsaufwand erfordern. Außerdem sollten sie wirtschaftlich, schnell, einfach und rationell zu erstellen sein. Diese Anforderungen lassen sich mit monolithischen oder mehrschaligen Konstruktionen erfüllen. Oberflächen aus Beton haben sich seit Jahrzehnten als dauerhafter Fußbodenbelag bewährt. Sie verfügen über hohe Tragfähigkeit und lange Lebensdauer, sind weitgehend unempfindlich gegen Verschmutzungen und mechanische Einwirkungen sowie gegen Wasser und Frost. Böden aus Beton sind leicht sauber zu halten und zu reinigen, Kosten für die Instandhaltung fallen kaum an. Auch können ausgebaute Betonböden wieder verwendet werden, indem der aufbereitete Altbeton zu neuem Betonzuschlag gebrochen wird. Monolithische Bodenplatten

11.4  Ausbau

Bild 11.25: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Böden © Reichardt 15.204_JR_B

aus Stahlfaserbeton ersetzen die normalerweise vor Ort einzubauende konstruktive Bewehrung durch Stahlfasern. Bei mehrlagigen Konstruktionen wird meist nachträglich eine Hartstoffverschleißschicht aufgebracht. Geforderte Belastbarkeit und Ebenheit des Gesamtaufbaus richten sich nach den Vorgaben der Betriebsmittel für Prozess und Logistik. Nachträgliche Veränderungen von Ebenheit und Belastbarkeit sind kaum möglich. Es empfiehlt sich in Abstimmung mit der Prozess-Sicht, gegenwärtige Minimalanforderungen weitsichtig zu überprüfen. Weitere Strukturmerkmale der Oberfläche sind ausreichende Rutschsicherheit nach DIN 5130 und einfache Reinigung. Hier sollten langfristig auch andere Nutzungen ermöglichende Beläge bevorzugt werden. Hallenböden sollten im Sinne einer hohen Wandlungsfähigkeit von Prozess und Logistik möglichst frei von Installationen sein, bei Geschossdecken empfiehlt sich oft die Integration von System für Elektroenergie, DV/Telefon, Lüftung sowie Kühlung

und Heizung. Es ist ratsam, derartige Installationen nicht direkt in die statische Deckenkonstruktion einzuarbeiten, sondern als Teil eines hiervon unabhängigen Belages auszubilden. Montagesysteme wie Hohlraumböden oder Doppelböden ermöglichen auf vielfache Weise nachrüstbare Medienführung und variable Medienauslässe. Bauphysikalische Anforderungen an Böden entstehen aus Projektvorgaben vor allem für Wärmeschutz, Schallschutz, Brandschutz, Ableitfähigkeit sowie Dichtigkeit. Der Wärmeschutz des Bauteils „Boden“ sowie ausreichende Fußwärme für Arbeitsbereiche sollten im Rahmen der 3D-Energiesimulation betrachtet und nachgewiesen werden. Höhere Oberflächentemperaturen des Hallenbodens durch bessere Dämmwerte erhöhen oft die Möglichkeiten der veränderten Anordnung von Arbeitsplätzen in der Halle und unterstützen hierdurch die Wandlungsfähigkeit. Die Dichtigkeit des Hallenbodens kann sowohl als Absperrung gegen von außen eindringende Ausgasungen als auch als Schutz gegen von innen

11

343

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.26: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Wänden © Reichardt 15.205_JR_B

11

344

und außen versickernde Stoffe erforderlich werden. Anstriche und Beläge auf Epoxydharz-Basis finden in diesen Fällen Anwendung. Bei nachträglichen Beschichtungen besteht das Problem der einwandfreien Haftung durch die zwischenzeitliche Verschmutzung des Untergrundes. Anforderungen aus Brandschutz, Schallschutz und Ableitfähigkeit beziehen sich zumeist auf Geschossdecken. Generell sollten, soweit möglich, nur nicht brennbare Materialien, Baustoffklasse A1, verwendet werden. Beläge auf PVC-Basis erscheinen auf den ersten Blick sehr wirtschaftlich. Berücksichtigt man aber die Freisetzung gesundheitsgefährdender Stoffe bei Brand und die hohen Entsorgungskosten für Sondermüll nach Umbauten, kann bei ganzheitlicher Betrachtung von ihrem Einsatz nur abgeraten werden. Bei entsprechender Detailausbildung sind Beeinträchtigungen durch unzureichenden Trittschallschutz vermeidbar. Da in Zukunft der Einsatz von Rechnersystemen wohl noch weiter zunimmt, sollten im Sinne der Wandlungsfähigkeit

entsprechende Werte des Bodens für die Ableitung elektrischer Spannungen flächendeckend vorgesehen werden. Die technische Installation von Bodensystemen sollte immer leicht nachrüstbar und im Prinzip auch generell leicht austauschbar ausgeführt werden. Der Grad der Elementierung bestimmt maßgeblich den Aufwand des nachträglichen Umbaus von Böden. Voraussetzung für Erweiterungen, Rückbau oder Austausch von Systemen ist eine durchgängige maßliche Systematik der Bauteile. Ist ein Industrieboden gefordert, der großen Gewichten standhalten und sich darüber hinaus durch Langlebigkeit und Wiederverwertbarkeit auszeichnen soll, können die Flächen auch mit der sogenannten Stelcon-Großflächenplatte sowie mit dem Stelcon-Sechseck-Element erstellt werden. Diese Großflächenplatten werden in der Betonqualität B 55 und im Standardmaß 200 x 400 cm hergestellt. Sie sind 14 bis16 cm dick und besitzen eine spezielle Einfassung mit Winkeleisen, die die Kanten vor Beschädigungen schützt. Eingesetzt

11.4  Ausbau

wird diese Großflächenplatte z.B. für Fertigböden in Werks- oder Lagerhallen, aber auch als Befestigung von Hafen- und Gleisanlagen, auf Umschlagplätzen in der Chemieindustrie, auf Zufahrtswegen sowie bei Tankstellen. Bei der Detailausbildung notwendiger Konstruktionsfugen sollten Störstellen in Form von Induktionsschleifen oder Transponderpunkten aus Prozess und Logistik beachtet werden.

11.4.2 Wände Bild 11.26 zeigt die wesentlichen Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Wänden im Überblick, die den Merkmalen der Böden entsprechen. Während die Oberfläche unterschiedliche Funktionen zu erfüllen hat, bestimmen bauphysikalische Anforderungen die technische Ausprägung. Immer wichtiger werden einfach einzubringende und veränderbare Installationen. Und schließlich gilt es auch hier, eine durchgehende Systematik für die Elementierung zu finden, die mit dem Gebäuderaster harmoniert. Gerade moderne Arbeitsformen mit dem dynamischen Wechsel von z.B. Labor-, Büro- und Werkstattarbeit erfordern Raumgrenzen, die an die jeweiligen Größen der Arbeitsgruppen und ihre Arbeitsinhalte leicht anpassbar sind. In Abkehr von der Massivbauweise ermöglicht hier die Systembauweise eine Freizügigkeit in der Wahl der Wandoberfläche sowie die beliebige Positionierung von geschlossenen Flächen, Verglasungen und Türen. Der Aspekt der die einzelnen Bereiche verbindenden Transparenz ist für die personale Kommunikation in einem Werk besonders wichtig, denn der Sichtkontakt fördert das Teamverständnis. Grundsätzlich stehen zwei Systeme für Leichtbauwände zur Verfügung: sogenannte Trockenbauwände aus Gipsplatten und Schalenwände aus Holz-, Kunststoff- oder Metallplatten. Trockenwände aus Gipsplatten werden auf Aluminium- oder Holzständerwerken aufgebracht, verspachtelt und gestrichen oder mit Tapete belegt. Schalenwände bestehen im Unterschied hierzu aus oberflächenfertig angelieferten und über Systemfugen verbundenen Elementen. Verglasungen und Türen sind

nicht Störungen der Wandfläche, sondern gleichberechtigte Elemente. Solche Bausätze können in wenigen Tagen abgebaut und in neuer Kombination an einem anderen Ort des Werkes wieder aufgebaut werden. Bei entsprechender Detailausbildung sind Installationen für Elektroversorgung, EDV/Telefon sowie Heizung und Kühlung z.B. in Sockelbereiche oder Fensterbankkanäle integrierbar. Bei einigen Systemen sind Büromöbel wie z.B. Hängeschränke oder Bücherborde in den Systemfugen der Schalen arretierbar. Durch die zusätzliche Anordnung von Dämmelementen im Zwischenraum von Gipsplatten oder Schalenwänden können besondere bauphysikalische Anforderungen aus Schallschutz, Wärmeschutz oder Brandschutz erfüllt werden. Trockenwände mit entsprechenden Plattenfüllungen genügen Anforderungen bis zu drei Stunden Feuerwiderstand und entsprechen hiermit Komplextrennwänden der Feuerschutzklasse F 180. Mit elementierten Schalenwänden sind Feuerwiderstände bis zu zwei Stunden entsprechend F 120 erzielbar. Schalenwände sind durch die Präzision der industriellen Fertigung auch für die Raumabschlüsse von Reinräumen geeignet. Die erforderliche Fugendichtheit kann auch nachträglich über geeignete Versiegelungen erzielt werden. Der besondere Vorteil von Schalenwänden gegenüber Trockenbaukonstruktionen liegt in der schmutzvermeidenden Wiederverwendbarkeit der Bauteile. Sie unterstützen hiermit die Wandlungsfähigkeit gerade bei empfindlichen Einrichtungen aus Prozess und Logistik. Grundlage jeglicher Elementierung ist auch hier eine durchgängige maßliche Systematik für alle geschlossenen Flächen, Verglasungen und Türen. Vorzugsraster für die Grundrissanordnung sind 1,00 m, 1,20 m, 1,25 m und 1,50 m.

11

11.4.3 Decken Decken unterliegen hinsichtlich der Wandlungsfähigkeit den gleichen Merkmalen wie Böden und Wände. Bild 11.27 zeigt die entsprechenden Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Decken im Überblick.

345

11  Gebäudegestaltung

Bild 11.27: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Decken © Reichardt 15.206_JR_B

11

346

Die wechselnden Raumanforderungen moderner Arbeitsformen erfordern in Entsprechung der Wandsysteme flexible Deckensysteme. Kabinenbauweisen bieten den Vorteil aufeinander abgestimmter Wandund Deckenelemente. Die Präzision der industriellen Vorfertigung bietet hier beste Gewähr für den Nachweis bauphysikalischer Anforderungen sowie durchdachter Elementierung der Installation. Ein wesentliches Merkmal der Wandlungsfähigkeit ist die lichte Raumhöhe. Räume über 50 m2 sollten 2,75 m, Räume über 100 m2 eine Raumhöhe von 3,00 m nicht unterschreiten. Bei flexibler Grundrissgestaltung muss die Raumhöhe kleinerer Räume auf zukünftige Entwicklungen überprüft werden. Als Bauprinzip werden bei Systemdecken Montageplatten unter einem Traggerüst aus Metall befestigt. Der entstehende Hohlraum kann zur Medienführung genutzt werden. Für die Montageplatten steht eine Vielzahl von Materialien zur Verfügung. Die Oberflächen sollten von hoher Beständigkeit sein und reinigungsfreundlich ausgeführt werden. Als Systemrasterung sind Maße von 0,50 m, 0,60 m, 0,625 m

oder 1,00 m gebräuchlich, Revisionsöffnungen für die darüber liegende Installation können über speziell aufnehmbare Platten oder eingeformte Öffnungen ausgebildet werden. Ein weiteres wesentliches Merkmal von Wandlungsfähigkeit ist der lichte Installationsraum der Deckenkonstruktion. Nachrüstungen für z. B. erhöhte Lüftungsanforderungen bedeuten meist größere Querschnitte der Lüftungskanäle. Diese können nur bei ausreichender Dimensionierung des zur Verfügung stehenden Hohlraums untergebracht werden. Die Installation und Medienauslässe für Elektroversorgung, EDV/Telefon, Lüftung sowie Kühlung und Heizung sollten modular ausgeführt und somit ohne gegenseitige Beeinträchtigung veränderbar sein. Über entsprechende Detailausbildung der Montageplatten sowie Zwischenlagen im Deckenhohlraum kann bauphysikalischen Anforderungen zu Schallschutz, Brandschutz, Wärmeschutz und Reinraumtechnik entsprochen werden. Gelochte Platten verbessern durch Erhöhung der Schalldiffusion die Raumakustik. Dämmlagen aus nicht brennbaren Materialien wie Mineralwolle oder spezielle

11.4  Ausbau

Feuerschutzplatten erhöhen die Feuerwiderstandsdauer von Deckenkonstruktionen oder einzelnen Medientrassen. Die erforderliche Fugendichtheit für Reinräume kann wie bei den Wandsystemen über entsprechende Versiegelungen auch nachträglich erzielt werden. Bei der Elementierung sollte auf eine durchgängige maßliche Systematik mit Minimierung von Passfeldern geachtet werden. Ein ungestörtes Verlegeraster vermeidet für Medieneinbauten gestörte Randbereiche mit möglichem Austausch von Elementen über die ganze Fläche. Clips- und Steckverbindungen oberflächenfertiger Systeme für Deckenplatten und Installationen minimieren den zeitlichen Aufwand sowie die Verschmutzungsgefahr bei Umbauten.

11.4.4 Kerne Kerne sind mit zusätzlichen Funktionen versehene Gebäudebereiche konzentrierter statischer Kraftableitung. Aus wirtschaftlichen Gründen empfiehlt es

sich oft, die Vertikallasten und Horizontalkräfte eines Hallentragwerks über Stahlbetonwände abzutragen und die hierbei entstehenden Räume für Aufzüge, Fluchttreppen oder Installationsschächte zu nutzen. Die generelle Positionierung und räumliche Anordnung derartiger Kernbereiche sollte eingehend mit den Belangen der Fabrikplanung diskutiert werden, da einmal festgelegte Kerne praktisch nicht mehr veränderbar sind. Aus dem Konzept der Tragwerksplanung ergeben sich Vorschläge für die Lage der Kerne im Gebäude sowie die erforderliche Kernbreite und Kerntiefe. Kerne sollten weitsichtig derart positioniert werden, dass mögliche Optionen der Veränderung von Prozess und Logistik auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Die lichten Raummaße der Installationsschächte sind auf zukünftig ausreichende Dimensionen zu überprüfen. Veränderungen der Einrichtung aus Prozess und Logistik erfordern oft die Bereitstellung zusätzlicher Medien. Entsprechende Reserven sind in den Schächten vorzusehen.

11

Bild 11.28: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Gebäudekernen © Reichardt 15.207_JR_B

347

11  Gebäudegestaltung

Ein neuralgischer Punkt vieler Installationsschächte ist der Bereich der horizontalen Ausfädelung von Trassen und Leitungen. Auch hier müssen Reserven für zusätzliche Medientrassen eingeplant werden. Schließlich sollten die Zugänge zu den brandschutztechnisch sensiblen Schächten die Wartung, Nachrüstung und den Austausch der Installationen auf einfache Art ermöglichen. Ein wesentliches Merkmal für Wandlungsfähigkeit ist die Detailausbildung der Aufzugsräume für Personen- und Lastenaufzüge. Gerade im Hinblick auf den alle 15 bis 25 Jahre notwendigen Austausch der Fahrstuhltechnik sollten der lichte Aufzugsraum sowie die Türbreite und Türhöhe weitsichtig auch für größere Transportvolumen ausgelegt werden. Die im Sinne der Wandlungsfähigkeit gebotene Elementierung und damit Veränderbarkeit von Kernen ist aus vorher genannten Gründen gerade bei Konstruktionen aus Ortbeton stark eingeschränkt. Kerne können jedoch auch in Betonfertigteilkonstruktionen

11

Bild 11.29: Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Treppen © Reichardt 15.208_JR_B

348

sowie in Stahlfachwerkbauweise mit späterer Ausfachung der Wandscheiben erstellt werden. Durch die Montagetechnik der Elemente sind hierdurch Veränderungen auch von Kernbreite und Kerntiefe grundsätzlich möglich. Bild 11.28 zeigt abschließend die angesprochenen Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Kernen im Überblick.

11.4.5 Treppen Liegen Treppen innerhalb von Kernen, sind sie unter Nutzung der feuerbeständigen Raumteile in der Regel als Fluchttreppen ausgebildet. Fluchttreppen können aber auch an anderer Stelle im Gebäude angeordnet sein. Der für Fluchttreppen nach Bauordnung erforderte Raumabschluss mit einem Feuerwiderstand von 1,5 Stunden (F 90) kann auch mit Montageelementen in Trockenbau bis hin zu vollflächigen Verglasungen realisiert werden. Wie bei den Kernen gilt es, die Lage der Fluchttreppen im Gebäude weitsichtig

11.5  Beispiele für wandlungs­fähige Gebäude

Bild 11.30: Baukastenprinzip für Gebäude (Beispiele) © Reichardt 15.209_JR_B

festzulegen. Nachträgliche Veränderungen bedingen außer der Umkonstruktion auch eine Überprüfung der Fluchtwege und eine erneute Brandschutzgenehmigung. Die geforderten Treppenbreiten und Türbreiten richten sich nach der Anzahl der im ungünstigsten Fall flüchtenden Personen, daher sollten z.B. optionale Büroerweiterungsflächen bei der Auslegung bereits berücksichtigt werden. Wartungstreppen unterliegen nicht den Anforderungen an Fluchttreppen, deren Lage im Gebäude richtet sich vielmehr nach funktionalen Erfordernissen. Die notwendige Treppenbreite, Treppensteigung sowie Detailausbildungen müssen nach den einschlägigen Arbeitsstättenrichtlinien und Unfallverhütungsvorschriften angelegt werden. In Ergänzung zu den Fluchttreppen nicht notwendige Treppen, wie z.B. Foyertreppen oder Galerietreppen, können als offene Treppen ohne abgeschlossenen Treppenraum ausgeführt werden. Treppenbreite und Treppensteigung sollten sich an einer auch zukünftig

zu erwartenden Benutzerzahl orientieren. Grundsätzlich sollte im Hinblick auf Wandlungsfähigkeit elementierten Treppenkonstruktionen der Vorzug gegenüber der ortsfesten Betonbauweise gegeben werden. Die Ausführung der Treppenläufe, Podeste und Stufen kann auch nachträglich in einer Vielzahl von Materialien verändert werden. Bild 11.29 zeigt die angesprochenen Strukturmerkmale der Wandlungsfähigkeit von Treppen im Überblick.

11

11.5  Beispiele für wandlungs­ fähige Gebäude Bild 11.30 zeigt zwei realisierte Ausführungen von Fabrikbauten, bei denen die Wandlungsfähigkeit im besonderen Maße bei der Gestaltung von Tragwerk, Hülle, Ausbau und Medien im Vordergrund stand.

349

11  Gebäudegestaltung

Die gesamte Gebäudekonzeption ist in beiden Fällen im „Baukastenprinzip“ als modulare Konstruktion mit getrennten Bauelementen für Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau ausgeführt. Im Fallbeispiel der Großbäckerei ergaben sich aufgrund der Projektanforderungen ein Tragwerk als Holzskelettkonstruktion, für die hiervon konsequent entkoppelte Gebäudehülle eine Metall-Glasfassade und für die Lüftungstechnik modulare Umluftgeräte innerhalb der Tragwerkzone. Durch die strikte Trennung der Systeme konnte eine störungsfreie Erweiterung der Backhalle um 1 Rasterfeld (ca. 6 x 22 m) gleichsam „über das Wochenende“ realisiert werden. Auch bei der pharmazeutischen Produktion wurde auf eine weitgehend störungsfreie modulare Erweiterbarkeit der Gebäude sowie innere Wandlungs­ fähigkeit geachtet.

11.6  Anmutung und Ästhetik

11

350

Architektur spiegelt immer die Kräfte wider, die bei ihrer Entstehung wirksam waren. Leider trifft dies auf die überwiegende Zahl hässlicher Industrie- und Gewerbebauten zu. Es hat den Anschein, als sähen Unternehmen in ihren Gebäuden oft nur lästige Notwendigkeiten, auf die man am liebsten ganz verzichten würde. Architektur ist der elementarste und der dauerhafteste Ausdruck gesellschaftlicher Kultur. Wenn Industrie und Gewerbe sich nicht dem Vorwurf der kulturellen Barbarei aussetzen wollen, müssen sie ihre Einstellung und ihren Umgang mit der Architektur überdenken. Nur wenn die Gestaltungselemente aus Standort, Bauform, Tragwerk, Hülle, Medien und Ausbau auf der Grundlage integrierender Zielprojektionen mit Geschick und Kreativität zusammengeführt werden, entstehen ästhetische Gestaltwerte, die wir mit ‚Anmutung‘ bezeichnen. Beispiele für anmutige Fabrikbauten finden sich in [Uff09]. Für die jeweilige Aufgabenstellung ist daher nach [Mes05] und [Kni06] eine kreative gestalterische Gesamtstrategie für Form, Material und Farbe zu

erarbeiten. Diese Strategie sollte bis in die Ausbildung von Details und Fügungen durchgängig erkennbar sein und für „Außen“ wie „Innen“ gleichermaßen gelten. Dabei sind gestalterische Details wie Entwurf der Fassadenproportionen oder Farbeinsatz sekundäre Gestaltmerkmale. Wesentlicher für die Gesamtwirkung des Gebauten ist zunächst die Tektonik der Volumenentwicklung und Baukörperverteilung. Oft wird bei gestalterischen Missständen mit dem Alibi der gebotenen „Wirtschaftlichkeit“ argumentiert und ein bewusster Verzicht auf Anmutung einem hohen Kostendruck zugeschrieben. Vielfältige Gegenbeweise liefern Beispiele hervorragender Industriearchitektur. Gerade die als Abbild des Produktionsprozesses sehr funktionalen Fabrikbauten des in seiner Zeit als Knickerpfennig verschrienen Autokönigs Henry Ford belegen eindrucksvoll, wie höchste Wirtschaftlichkeit durchaus mit vorbildlicher Anmutung vereinbar ist [Hil74]. Der Ausspruch Fords „good design pays“ zeigt ein hohes Bewusstsein für auch ästhetisch vorbildlich gestaltete Arbeitsstätten: Schon in den 1920er und 1930er Jahren wurden die Reduzierung von Krankenstand und Kündigungen mit langfristiger Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen in die Gesamtwirtschaftlichkeit einbezogen. Die Zielvorstellungen einer anmutigen Industriearchitektur lassen sich mittels der grundsätzlichen Parameter strukturelle Ordnung, Einfachheit, Balance von Einheit und Vielfalt sowie Unverwechselbarkeit zusammenfassen. Als weiterer Gestaltungswert sollte nach [Böh06] die emotionale oder „atmosphärische“ Qualität eines Bauwerkes in die Betrachtung einbezogen werden.

11.6.1 Strukturelle Ordnung Im Gegensatz zur willkürlichen Beliebigkeit des chaotischen Neben-, Über-, Durcheinander in Städten und Gebäuden schafft das Prinzip der strukturellen Ordnung wohltuende Harmonie. Sie wird erreicht durch eine durchgängige Beziehung der Teile und des Ganzen, einer an lebendige Organismen erinnernde innere Schlüssigkeit der Elemente

11.6  Anmutung und Ästhetik

in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit. Dabei spielt die unmittelbare Erfassung klar artikulierter Bauund Architekturformen, das sofortige Verständnis und die Ablesbarkeit der Aufgaben der Elemente wie Tragwerk, Hülle und Ausbau im Gesamtgefüge eine entscheidende Rolle. Die strukturelle Ordnung formt mit Hilfe einer ihr eigenen gestalterischen Grammatik Grundriss, Schnitt und Aufriss wie selbstverständlich aus. Notwendige Erklärungen zum Verständnis des Gebauten erübrigen sich, da die Beziehung der Teile so intuitiv erfassbar wird. Ein Beispiel für strukturell geordnete Bauformen ist eine modulare Werksstruktur auf Grundlage eines Hallensegmentes.

11.6.2 Einfachheit Bei Industriebauten bedarf es keiner besonderen Kunst der Verfüllung, Verkleidung oder Kaschierung. Diese Art zu gestalten, nämlich eine Bauaufgabe „ohne Kulissenzauber“ zu lösen, entspricht auf wohltuende Weise dem rationalen Bauprinzip mittelalterlicher Städte. Eine hohe ästhetische Qualität bedingt also keinesfalls hohe Kosten. Das Prinzip der Einfachheit, der Reduktion auf das Wesentliche, darf nicht verwechselt werden mit der Banalität, Einfallslosigkeit und Primitivität des gemeinen Wirtschaftsbaus. Die gebotene Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeit verträgt sich hervorragend mit Knappheit, fehlender Verkleidung und Vermeidung von Zierrat. Die landauf, landab aus Baumärkten schnell zusammengeschusterten „Auftritte“ vieler Unternehmen sprechen leider eine andere Sprache, sie verwechseln einfach mit einfältig. Gerade die intelligente Reduktion des Einsatzes von Formen, Materialien und Farben erlaubt eindringliche ästhetische Wirkungen. Eine von überflüssigen Kaschierungen befreite substantielle Qualität wirkt auf den Betrachter unmittelbar und nachhaltiger als der Versuch, durch Effekthascherei eine Mogelpackung vorzuführen.

11.6.3 Balance von Einheit und Vielfalt Die Ausgewogenheit der visuellen Informationen im Spannungsfeld zwischen Monotonie und Chaos

bedingt unsere subjektive ästhetische Behaglichkeit. Dabei bedürfen sich Einheit und Vielfalt unabdingbar gegenseitig, sind gleichsam notwendige Pole, zwischen denen für jedes Projekt die Balance neu justiert werden muss. Das Übergewicht einer sofort in Gänze erfassbaren Gleichartigkeit und Monotonie führt unmittelbar zur Langeweile, aufgeregte Mannigfaltigkeit endet in chaotisch empfundenem Durcheinander. Die aufgeregten Schrägheiten kurzlebiger Tagesmoden sind rasch vergessen und wirken im Rückblick weniger Jahre meistens peinlich. Der Königsweg liegt in der Formulierung eines städtebaulich und architektonisch nachhaltig gültigen gestalterischen Rahmens. Langfristig festgelegte Bauhöhen oder ein Kanon des Materialeinsatzes mit Optionen für in diesem Rahmen stattfindende gestalterische Freiräume eröffnen auch zukünftig individuelle Lösungen.

11.6.4 Unverwechselbarkeit Unverwechselbarkeit steht für die bewusste Erinnerbarkeit der Gestalt eines Ortes als Gegensatz zur nicht erinnerbaren Bedeutungslosigkeit. Es hat oft den Anschein, als sei die Anonymität der Bedeutungslosigkeit bewusste Zielvorgabe vieler Industrieprojekte, wie sonst könnte man den Verzicht auf erinnerbare Gestaltwerte in der Masse erklären? In Reaktion hierauf versuchen einige Unternehmen mit kurzweiligen Designgags auf sich aufmerksam zu machen – an Überraschungseffekten orientierte formale Willkür wird höchst selten den Charakter eines Gebäudes nachhaltig definieren. Nur aus der schöpferischen Zusammenführung von spezifischem Nutzungsauftrag, besonderer örtlicher Situation und bewusster Auswahl der Komponenten von Bauform und Gebäude entsteht unverwechselbare gestalterische Qualität. Derartige MehrwertArchitektur hat bei viel geringerem Kapitaleinsatz einen weitaus höheren Werbeeffekt als aufwendige Werbekampagnen in Druck- und Filmmedien. Sie ist die Verkörperung der „Mission“ eines Projektes, geschaffen durch die kreative Gesamtleistung des Planungsteams.

11

351

11  Gebäudegestaltung

11.6.5 Emotionale Qualität, Atmosphäre

11

Anmutige Bauwerke berühren in uns eine innere Saite, es stellt sich eine positiv besetzte Beziehung des Betrachters zum Gebauten ein. Diese emotionale Qualität bewirkt in Anlehnung an [Böh06] die tiefere Wahrnehmung von Raum, Material, Farbe und Licht weit über organisatorische und funktionelle Bezüge hinaus. Bewusst gestaltete Art und Form der Raumgebung, Orientierung, Blickbezüge usw. bewirken ein sofortiges Verständnis für die architektonische Struktur und erleichtern ihre Benutzbarkeit. Die Art und Weise von Materialverwendung und Fügung vermittelt den Eindruck hoher industrieller Präzision oder handwerklich künstlerischer Spontanität. Bauliche Parallelen zur Qualität des gefertigten industriellen Produkts werden so direkt hergestellt oder sind zumindest interpretierbar. In Entsprechung zum Produktdesign sollte einer durch Gebäude angeregten emotionalen Qualität besondere Beachtung in der Zielfindung eines Projektes zukommen. Beispiele und Anregungen hierfür können in den Workshops zur Zielprojektion vermittelt und modernisiert werden. Kurz gefasst sollte das Äußere eines Gebäudes den Anspruch des Unternehmens und das Innere des Gebäudes den Anspruch des Produktes widerspiegeln, und damit nach [Rei05] Ästhetik und Effizienz im Einklang stehen.

[Böh06]

[Dan96]

[Eng07]

[Gri97] [Hat06]

[Hau07]

[Her04]

[Hil74]

[Kni06]

[Kra07]

11.7  Literatur [Ada04]

[Ack88]

[Ack93]

352

 dam, J., Hausmann, K., Jüttner, F.: A Entwurfsatlas Industriebau. 1. Aufl. Verl. Birkhäuser, Basel 2004 Ackermann, K.: Tragwerke in der konstruktiven Architektur. Verl. DVA, Stuttgart 1988 Ackermann, K.: Geschossbauten für Gewerbe und Industrie. Verl. DVA, Stuttgart 1993

[Kri08]

[Lac84]

[Mes05]

 öhme, G.: Architektur und AtmoB sphäre. 1. Aufl. Verl. Fink (Wilhelm), Paderborn 2006 Daniels, K.: Haustechnik, ein Leitfaden für Architekten und Ingenieure. Verl. Oldenbourg, München 1996 Engel, H.: Tragsysteme – Structure Systems. 3. Aufl. Verl. Hatje Cantz, Ostfildern 2007 Grimm, F.: Hallen aus Stahl. Stahlinformationszentrum, Düsseldorf 1997 Hatz, R.: Auf Sparflamme. Energetische Optimierung von Industriebauten. In: db 8/2006, S. 71–75 Hausladen, G., de Saldanha, M., Liedl, P.: ClimaSkin-Konzepte für Gebäudehüllen, die mit weniger Energie mehr leisten. 1. Aufl. Verl. Callwey, München 2007 Herzog, T., Krippner, R., Lang, W.: Fassaden Atlas. 1. Aufl. Verl. Birkhäuser, Basel 2004 Hildebrand, G.: Designing for Industry. The Architecture of Albert Kahn. The Massachusetts Institute of Technology, 1974 Knittel-Ammerschuber, S.: Erfolgsfaktor Architektur – Strategisches Bauen für Unternehmen. 1. Aufl. Verl. Birkhäuser, Basel 2006 Krauss, F., Führer, W., Jürges, T.: Tabellen zur Tragwerklehre. 10. Aufl. Verl. Rudolf Müller, Köln 2007 K rimmling, J., Preuß, A., Deutschmann, U.: Atlas Gebäudetechnik – Grundlagen, Konstruktionen, Details. 1. Aufl. Verl. Rudolf Müller, Köln 2008 Lachenmann, G.: Industrialisiertes Bauen. In: Ackermann, K.: Industriebau, Ausstellungskatalog, S. 118–141 Messedat, J.: Corporate Architecture – Entwicklung, Konzepte, Strategien. 1. Aufl. Verl. Av edition, Ludwigsburg 2005

11.7  Literatur

[Pis07]

[Pol03]

[Pot07]

[Rei05]

 istohl, W.: Handbuch der GebäudeP technik. Band 1. und 2. 6. Aufl. Verl. Werner, Neuwied Dessau-Roßlau 2007 Polónyi, S., Walochnik, W.: Architektur und Tragwerk. 1. Aufl. Verl. Ernst & Sohn, Berlin 2003 Pottgiesser, U., König, K.: Baukons­ truktion Ausbau. 1. Aufl. Verl. UTB, Stuttgart 2007 Reichardt, J.: Ästhetik Effizienz – Aes­t hetics Efficiency. In: Nelte, H.M.

[Rei08]

[Sch06]

[Uff09]

(Hrsg.): Ästhetik Effizienz – Industrie Gewerbe Verwaltungsbauten. 1. Aufl. Verl. Nelte, Wiesbaden 2005 Reichardt, J.: Industrie- und Gewerbebau in Holz. Holzbau Handbuch, Reihe 1, Teil 3, Folge 11, Bonn 2008 Schnittich, C.: Im Detail: Gebäudehüllen. 2. Aufl. Verl. Birkhäuser, Basel 2006 van Uffelen, C.: Factory Design. Verlagshaus Braun, Berlin 2009

11

353

Kapitel 12 Generalbebauung

12.1  12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4

12

356

Anforderungsprogramm Flächenbedarf und Raumspiegel Prozess- und Logistikelemente Ver- und Entsorgung Besondere Anforderungen

359 359 362 364 365

12.3.1 Einbruch, Diebstahl 12.3.2 Brandschutz, Explosionsschutz

12.2  Bauformen 12.2.1 Schnittprofil 12.2.2 Grundrissfigur 12.2.3 Verknüpfungsprinzip

365 366 368 370

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan) 12.4.1 Ablauf 12.4.2 Zonierung und Ordnungsraster 12.4.3 Erschließungs-, Ver- und Entsorgungssystem 12.4.4 Bauten, Freiflächen

12.3  Objektschutz

372

12.5  Literatur

372 372

372 372 374 375 376 378

Bild 12.1: Übersicht Gestaltungsfelder und -elemente der Generalbebauung

359

Bild 12.2: Primäre und sekundäre Einflussfaktoren für den Flächenbedarf (nach Aggteleky)

360

Bild 12.3: Raumspiegel einer Fabrik (Beispiel)

361

Bild 12.4: Beispiel einer 3D-ID-Card (Putzroboter)

362

Bild 12.5: Merkmale der Wandlungsfähigkeit für Betriebseinrichtungen

363

Bild 12.6: Beispiel einer 3D-ID-Card (Entfettungsmaschine)

365

Bild 12.7: Energieoptimierung eines Gebäudes (Beispiel Großbäckerei)

366

Bild 12.8: Bauformen: Typologie von Schnittprofilen

367

Bild 12.9: Merkmale verschiedener Hallen-Schnittprofile (nach Dangelmaier)

368

Bild 12.10: Typologie von Grundrissfiguren

369

Bild 12.11: Typologie der Verknüpfungsprinzipien

370

Bild 12.12: Wandlungsfähigkeitsmerkmale einer Kombination aus Geschoss- und Hallenbau

371

Bild 12.13: Faktoren der Generalbebauung (nach Dolezalek, Warnecke)

373

12

Bild 12.14: Ablaufschema zur Erstellung eines Generalbebauungsplans (nach Aggteleky) 374 Bild 12.15: Zonierung und Ordnungsraster einer Generalbebauung (Beispiel)

375

Bild 12.16: Anordnung von Erschließungs-, Ver- und Entsorgungssystemen

376

Bild 12.17: Flächengliederung Generalbebauung (Beispiel)

377

Bild 12.18: Variantendiskussion Werksverlagerung (Beispiel)

378

357

Mit der Generalbebauung wird die umfassende gegen­ wärtige wie zukünftige Leistungsfähigkeit der städte­ baulichen Gesamtkonzeption einer Fabrik festgelegt. Die Ausprägungen des Anforderungsprogramms be­ stimmen die Wahl der Bauformen und die Kriterien des Objektschutzes. Der Generalbebauungsplan fasst Leitlinien für das Arrangement der Baukörper und die Zonierung der Verkehrs- und Freiflächen in möglichen Baustufen zusammen. Im Sinne eines möglichst hohen Grades der Wandlungsfähigkeit kommt der Auswahl und Verknüpfung der Bauformen besondere Bedeu­ tung zu. Bild 12.1 zeigt die sich daraus ergebenden Gestaltungsfelder und -ebenen der Generalbebauung, die im Folgenden detailliert beschrieben werden.

12.1  Anforderungsprogramm Ein im Planungsteam abgestimmtes Pflichtenheft de­ finiert den gegenwärtigen wie zukünftigen Flächen­ bedarf, die Modularität der Bauformen in Flächen-

und Höhenelementen, die Prinzipien der Ver- und Entsorgung sowie darüber hinausgehende besondere Anforderungen. Das Anforderungsprogramm sollte über die gesamte Planungszeit fortgeschrieben und laufend präzisiert werden. Dabei werden sich erste Annahmen bestätigen oder müssen Korrekturen er­ fahren.

12.1.1 Flächenbedarf und Raumspiegel Grundlage von Layoutplanung und Raumplanung ist die möglichst frühzeitige Erfassung aller wesentli­ chen quantitativen und qualitativen Raumanforde­ rungen. Die Quantifizierung der gegenwärtigen und zukünftig benötigten Nutzflächen der verschiedenen Bereiche lässt sich am besten auf übersichtliche Art in Tabellenform zu sogenannten Raumspiegeln zusammenfassen (s. Anhang B Raumspiegel). Forde­ rungen an die quantitative räumliche oder qualitati­ ve Ausbildung der Nutzungsbereiche mit Angaben zu Stützenabstand, bevorzugter Raumproportion,

12

Bild 12.1: Übersicht Gestaltungsfelder und -elemente der Generalbebauung © Reichardt 15.210_JR_B

359

12  Generalbebauung

Bild 12.2: Primäre und sekundäre Einflussfaktoren für den Flächenbedarf (nach Aggteleky) © Reichardt 15.211_JR_B

12

360

maximaler Bodenbelastung oder lichter Hallenhöhe können in die Tabellen eingearbeitet werden. Durch entsprechende Kennzeichnung sollten gemeinsam im Planungsteam getroffene Festlegungen von ersten Annahmen differenziert werden; Korrekturen oder Präzisierungen erfolgen dann durch die Fortschrei­ bungen des Raumspiegels während der Planung. Zur Ermittlung des Flächenbedarfs können abstrakte oder projektbezogene Methoden herangezogen wer­ den. Abstrakte Ermittlungen fußen auf allgemeinen Erfahrungen wie Richtwerten oder Kennziffern sowie synthetischer Herangehensweise als additive Erzeu­ gung aller Teilflächen. Projektbezogene Methoden leiten die Flächenermittlung aus einem vorhandenen Ist-Zustand ab. Drei Faktoren bestimmen den Flächenbedarf einer Produktion. Dies sind die Betriebsmittel, das Roh­ material, die angearbeiteten Werkstücke und die Fertigprodukte sowie die Bedienflächen und Mani­ pulationsräume für den Arbeitsprozess mit notwen­

digen vor- und nachgeschalteten Hilfsfunktionen. Frühzeitig sollte auch der jeweils anzustrebende Raumzuschnitt diskutiert und als Merkmal in die Raumspiegel übernommen werden. Bild 12.2 zeigt eine Übersicht wichtiger primärer und sekundärer Einflussfaktoren des Flächenbedarfs einer Produk­ tion. Während sich die primären Einflussgrößen unmittelbar aus der Geometrie und den Abmessun­ gen der drei Faktoren bestimmen, ergeben sich die sekundären Einflüsse aus dem Betrieb der Produk­ tion unter Beachtung logistischer, ergonomischer und lokaler Gegebenheiten. Die Vorgehensweise zur Flächenermittlung werden in Abschn. 15.5.2 „Struk­ turdimensionierung“ vertieft. Die rechteckige Grundrissform für Nutzungsbereiche und Betriebsräume ist schiefwinkligen Zuschnitten aus Gründen besserer funktioneller Nutzung immer vorzuziehen. Aus Sicht einer guten innerbetriebli­ chen Kommunikation, der Qualitätssicherung, des

12.1  Anforderungsprogramm

Personenflusses, der Besucherführung usw. sollte der Zuschnitt der Betriebsbereiche so gewählt wer­ den, dass das Verhältnis von Länge zu Breite etwa zwischen 1:1,5 bis 1:3 liegt. Freistehende Stützen innerhalb der Nutzungsflächen sind nach Möglich­ keit zu vermeiden. Stützen sollten weder die Aufstel­ lung der Betriebsmittel noch ihre Bedienung oder Instandhaltung stören. Die Mindestbreite einer Be­ triebsfläche muss von Fall zu Fall ermittelt werden, sie ist die Voraussetzung für spätere Möglichkeiten andersartiger Zuordnungen der Betriebsmittel. Diese Überlegungen sind im Rahmen der Gebäudeplanung im Sinne einer angemessenen Wandlungsfähigkeit zu diskutieren und führen in der Regel zu möglichst großen Stützweiten (s. Abschn. 11.1 „Tragwerk“). Der Raumspiegel kann weitere Anforderungen zu lichter Raumhöhe sowie besonderer Lage von Berei­ chen im Raumgefüge beinhalten. Bei der Festlegung der anzustrebenden lichten Raumhöhe sollte die Möglichkeit nachträglich einziehbarer Galerien als

einfachste Art der internen Raumreserve erwogen werden. Durchgängig frei verfügbare lichte Raum­ höhen sind zwar generell anzustreben, jedoch stören wenige die nutzbare Raumhöhe einschränkende Träger dann nicht, wenn die Stützenabstände groß­ zügig ausgeführt sind. Vielfach sind bei ungünstiger Ausbildung des Tragwerkes nicht die Unterkanten der Träger für das verbleibende Lichtraumprofil maßgebend, sondern die unter dem Tragwerk ge­ führte Medienverteilung. Auch die Möglichkeiten der Ausleuchtung mit Tageslicht sowie die Raum­ konditionierung unter Nutzung natürlicher äußerer Umgebung sind für die Lage des Raumes in direkter Angrenzung an die Gebäudehülle oder innerhalb des Gebäudevolumens entscheidend. Nach DIN 277 werden Flächenarten unterschieden in Hauptunterflächen, Nebennutzflächen, Verkehrs­ flächen und Konstruktionsflächen. Es ist ratsam, frühzeitig im Projekt einen gemeinsamen Sprachge­ brauch zu vereinbaren. Unliebsame Überraschungen

12

Bild 12.3: Raumspiegel einer Fabrik (Beispiel) © Reichardt 15.212_JR_B

361

12  Generalbebauung

durch falsche Flächenansätze bei Kostenschätzun­ gen können so vermieden werden. Es bietet sich an, die Inhalte der Raumspiegel vom Grobrahmen bis zu den Feindaten direkt mit der parallel laufenden 3D-CAD-Planung zu verknüpfen. Redundanzen oder unterschiedliche Planungsstände werden dann mit Hilfe der jederzeit aktuellen Auswertungen der Syn­ ergetischen Fabrikplanung vermieden. Für laufende Budgetschätzungen können überdies ausgewählte, quantifizierbare Gewerke mit Kostenrichtwerten versehen und zu Teilbudgets aufsummiert werden. Bei entsprechender Strukturierung der Raumspiegel erlaubt diese Vorgehensweise darüber hinaus die rasche, zumindest überschlägige Bewertung von Pla­ nungsalternativen. Erfahrungsgemäß ist eine Gliederung der Raumpla­ nung nach Projektteilen und Ebenen sinnvoll; die Struktur der Tabellen sollte die Fortführung und Erweiterung der Raumspiegel zu späteren Raum­ büchern, ergänzt um Ausbaumerkmale wie Boden­

12

Bild 12.4: Beispiel einer 3D-ID-Card (Putzroboter) © Reichardt 15.213_JR_B

362

beläge oder Türtypen, ermöglichen. Bild 12.3 zeigt Auszüge aus der Grobermittlung des Flächenbedarfs für ein Montagewerk sowie hieraus abgeleitete erste Präzisierungen der räumlichen und haustechnischen Anforderungen in einem Raumspiegel. Im Sinne einer später geforderten Wandlungsfähig­ keit sollten Flächen für gegenwärtige Zwecke opti­ miert werden, denkbare, alternative Zuordnungen aber bereits jetzt vorausschauend auf Kollisionsver­ meidung sowie mögliche Synergiepotenziale geprüft werden. Während des Projektverlaufes sollten hierbei erste Annahmen nach Bestätigung weiter verfeinert oder nach Änderung korrigiert werden.

12.1.2 Prozess- und Logistikelemente Jede Fabrikplanung optimiert das Zusammenspiel der Prozess- und Logistikelemente primär unter dem Gesichtspunkt eines Materialflusses mit minimaler Durchlaufzeit und minimalen Beständen. Je nach

12.1  Anforderungsprogramm

Größe und Gewicht erfordern die dazu notwendigen Betriebseinrichtungen die Berücksichtigung vielfäl­ tiger Schnittstellen zur Raumplanung. Bodentragfä­ higkeit, lichte Höhe, Stützenstellung, Medienver- und Entsorgung, Lärmschutz sind beispielsweise im Fall von Umformpressen wichtige Anforderungen an das räumliche Umfeld. Vielfach führt die traditionelle Entkopplung von Einrichtungsplanung und Raumplanung zu Abstim­ mungsproblemen; dauerhafte Funktionsmängel der Einrichtungen oder Baufehler sind die Folge. Im Rahmen der Synergetischen Fabrikplanung werden die Prozess- und Logistikelemente der Ein­ richtungsplanung bereits in der Entwurfsplanung als 3D-Strukturen erfasst und in das umgebende Raummodell gesetzt, um Kollisionen zu erkennen. In vielen Fällen ergibt sich aus der Verflechtung der 3D-Strukturen für Prozess und Logistik im Raum eine horizontale sowie vertikale Modularität der Ein­ richtungsplanung. Diese Maßordnungen bilden dann

die Grundlage für weitergehende Untersuchungen zur Auswahl geeigneter Bauformen, Tragwerke und Medienstrukturen. Um diesen Abgleich zwischen Prozess- und Raumpla­ nung zu unterstützen, sind „ID-Cards“ für Prozessund Logistikelemente nützlich. Sie fassen alle für die Fabrikplanung relevanten Angaben zusammen und erlauben darüber hinaus ihre Verwendung für Materialflusssimulationen. Aber auch z.B. die Simu­ lation der Wärmelasten oder Farbkonzepte können auf Grundlage der „ID-Cards“ rasch durchgespielt werden. Die ID-Cards befinden sich in einer elekt­ ronischen Bibliothek, die im Rahmen des Facility Management gepflegt wird. Bild 12.4 zeigt das 3D-Modell sowie das Foto eines „Putzroboters“ für Gummiverbundelemente als Teil einer neuen Produktionsanlage. Die Abmessungen sind in den drei Ansichten dargestellt, ergänzt um Flächen- und Gewichtsangaben. Ein besonderer Bereich der Karte ist für Textfelder reserviert, hier

12

Bild 12.5: Merkmale der Wandlungsfähigkeit für Betriebseinrichtungen © Reichardt 15.214_JR_B

363

12  Generalbebauung

können z.B. Umbauerfordernisse bei Übernahme bestehender Einrichtungen, Ausstattungsmerkma­ le oder Liefertermine dokumentiert werden. Mit zunehmender Planungstiefe wird die ID-Card er­ gänzt, auch Ver- und Entsorgungsangaben können entsprechend grafisch oder textlich nachgetragen werden. Überdies sind bei geschickter Projektie­ rung auf Grundlage der bereits in der Entwurfspha­ se angelegten „ID-Cards“ spätere Dokumentationen für Zwecke des Facility Management während der Produktionszeit möglich. Der Grad räumlicher Wandlungsfähigkeit der Pro­ zess- und Logistikelemente wächst mit der Realisie­ rung der Einrichtungen als freizügig verschiebbare „Möbel“ in einer Halle. Es gilt, alle Einschränkungen für eine einfache räumliche Veränderung zu vermei­ den. Bild 12.5 zeigt die Merkmale räumlicher Wand­ lungsfähigkeit für Elemente aus Prozess und Logistik nach Art der Befestigung, Art der Ver- und Entsor­ gung sowie Art der Fördertechnik auf. Insbesondere sollten Spezialfundamente und Gruben, im Boden angeordnete starre Ver- und Entsorgungssysteme so­ wie die Abhängigkeit von speziellen Fördersystemen vermieden werden (vgl. auch Bilder 6.3.2 und 6.4.3).

12.1.3 Ver- und Entsorgung

12

364

Ein aus Sicht der Prozessplanung sekundäres, für die Raumplanung aber primäres Thema stellen die Ver- und Entsorgungssysteme für die Arbeitsplätze und Einrichtungen dar. Deren oft unerwartet großes Volumen und ihre häufig schlechte Anpassungs­ fähigkeit an veränderte Layouts stellen ernsthafte Hindernisse für eine als notwendig erkannte Verän­ derung dar. Eine unbedingte Voraussetzung für die Erörterung, Bewertung und Auswahl der späteren Detaillösun­ gen ist die frühzeitige Erfassung und Dokumentati­ on der Anforderungen in entsprechenden Tabellen, die ein Fortschreiben der Informationsstände auf einfache Art erlauben. Weiterhin sollten die Anfor­ derungen der Ver- und Entsorgung den jeweiligen Bereichen der Raumspiegel direkt zugeordnet sein. Eine derartige Kopplung von Anforderungen an

Raum und Haustechnik vermeidet unterschiedliche Planungsstände und bietet eine gute Grundlage für Szenarien der Wandlungsfähigkeit, da Alternativen ganzheitlich betrachtet werden können. Insbeson­ dere bieten sich die erläuterten „ID-Cards“ der Einrichtungsplanung für die 3D-Eintragung aller Ver- und Entsorgungsanschlüsse sowie aller not­ wendigen textlichen Daten wie benötigte Druckluft­ mengen, Elektroleistungen etc. an. Bild 12.6 zeigt die Übersicht von Anschlussmedien am Beispiel einer Entfettungsmaschine für eine Gummiproduktion. In Verfeinerung der 3D-Kons­ truktion des Elementes sind hier alle notwendigen Leistungsaufnahmen, Medienanschlüsse- und -ab­ gänge berücksichtigt; späteren Abstimmungsproble­ men zwischen Prozesstechnik und Haustechnik wird so vorgebeugt. Der Minimierung des Energiebedarfs kommt im An­ gesicht der globalen Klimaproblematik eine immer wichtigere Rolle zu. Neue Produktionsanlagen sollten bei der technisch-wirtschaftlichen Betriebsanalyse eine energetische Kostenanalyse aller Verbrauchs­ stellen des Prozesses einbeziehen. Für die Erstellung einer integralen Energiesimulation kann im Rahmen der synergetischen Fabrikplanung direkt auf die Daten der entsprechenden „ID-Cards“ zugegriffen werden. Bei der Ermittlung von Leistungsdaten sind spezifi­ sche Nutzungsprofile und vor allem der sogenannte Gleichzeitigkeitsfaktor zu berücksichtigen. Dieser trägt der Tatsache Rechnung, dass selbst bei Vollbe­ trieb einer Fabrik nie alle Verbraucher gleichzeitig und mit ihrer Nennleistung eingeschaltet sind. Dieser Faktor liegt beispielsweise für Maschinenfabriken bei 0,25 bis 0,4. Natürlich ist bei der Bemessung der Leistung der voraussichtliche Endausbau der Fabrik zu berücksichtigen, gleichzeitig sind aber auch die ständige Verbesserung der Produktivität und des Wirkungsgrades der eingesetzten Betriebsmittel im Laufe ihrer Nutzungszeit zu beachten. Auch hier er­ weist sich das modulare Prinzip der energetischen Versorgungseinrichtungen als sinnvoll. Ein Lösungsansatz besteht auch darin, dass die Fa­ brik ihren Energiebedarf von einem örtlichen Versor­

12.2  Bauformen

Bild 12.6: Beispiel einer 3D-ID-Card (Entfettungsmaschine) © Reichardt 15.215_JR_B

gungsunternehmen bezieht, das die dazu notwendi­ gen Transformatoren, Druckluft- und Dampferzeuger usw. auf dem Fabrikgelände in Eigenregie betreibt und das nur den tatsächlichen Verbrauch abrechnet. Bild 12.7 zeigt die Prozess- und Energieoptimierung am Beispiel einer Großbäckerei [Rei98]. Hier wurde u. a. durch geschickte Kopplung von Prozesstechnik und Haustechnik mittels Techniken der Wärmerück­ gewinnung der Jahresenergiebedarf gegenüber einer konventionellen Lösung für Heizung um 62%, für Lüftung um 39% reduziert.

12.1.4 Besondere Anforderungen Im Rahmen der Generalbebauung sind vielfältige be­ sondere Fragestellungen aus dem Anforderungspro­ gramm denkbar. Neben weiteren Anforderungen aus Ver- und Entsorgung wie Reinraumtechnik können aus der Einrichtungsplanung besondere Steifigkeiten

für Geschossdecken oder Kranbahnen für Brücken­ krane zur Montage schwerer Maschinen resultieren. Auch hier empfiehlt es sich, diese Anforderungen in die „ID-Cards“ der Prozess- und Logistikeinrichtun­ gen aufzunehmen und von Projektbeginn bis Projek­ tende alle sich hieraus ergebenden Verflechtungen zu beachten.

12

12.2  Bauformen Pevsner [Pev98] definiert Fabrikgebäude als Bau­ werke einer gewissen Größe, in denen Produkte in hoher Stückzahl hergestellt werden. Traditionell werden nach [Dol73] und [Agg80] aus Raumsicht Industrie- und Gewerbebauten nach Gebäudetypen für die Grundfunktionen Fertigung und Montage,

365

12  Generalbebauung

Bild 12.7: Energieoptimierung eines Gebäudes (Beispiel Großbäckerei) © Reichardt 15.216_JR_B

12

366

Lagerung, Verwaltung, Entwicklung, Sozialbereiche, Ausstellung und Verkauf sowie nach der Form des Gebäudeschnitts unterschieden. Diese bauliche Typisierung nach Grundfunktionen und zugeordneten Gebäudetypen ist insbesondere für die Fragestellung der Wandlungsfähigkeit wenig sinnvoll, da sich immer stärker eine prozessorien­ tierte Gliederung nicht nur der Organisation, son­ dern auch der zugehörigen Geschäftsprozesse und der dazu notwendigen Einrichtungen und Räume durchsetzt. Dies führt wiederum zu multifunktio­ nalen Gebäuden, deren Teilbereiche atmungsfähig sein müssen und bei einer kurzfristigen Nutzungs­ änderung keine großen bautechnischen Probleme und Kosten verursachen. Die richtige Auswahl und Ausformulierung des Gebäudeschnitts ist daher von größter Bedeutung, werden hierdurch doch meist irreversibel Tragfähigkeit, lichte Höhen, natürliche Belichtung, Installationszonen sowie Erweiterungs­ optionen festgelegt.

12.2.1 Schnittprofil Bild 12.8 zeigt wichtige Schnittausprägungen mit angetragenen Erweiterungsrichtungen für Flach­ bauten, Hallenbauten, Geschossbauten, Kombina­ tionsformen und Sonderbauten. Flach-, Hallen- und Geschossbauten stellen den überwiegenden Typ dar, modifiziert durch unterschiedliche Dachausprägun­ gen (s. Abschn. 11.2). Kombinationsformen entstehen aus projektspezifischen Additionen dieser Grund­ prinzipien. So besteht der oft anzutreffende Bautyp einer niedrigen Produktions- oder Montagehalle mit seitlicher Verwaltung eigentlich aus einem Flachbau mit hieran einseitig angeschobenem Geschossbau. Sonderbauten entstehen als Tragegerüste mit techni­ schen Aggregaten für Raffinerien oder in Silobauwei­ se mit tragenden Stahlregalen für Hochregalläger. Bild 12.9 stellt eine Übersicht baulicher Merkmale für die Schnittprofile Geschossbau, Flachbau und Halle

12.2  Bauformen

zusammen. Der Geschossbau ist der eigentliche Urtyp des Fabrikgebäudes, mannigfaltige Verfeinerungen entstanden in den englischen Textilspinnereien des 18. Jahrhunderts, aber auch in den amerikanischen Automobilfabriken zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er findet heute noch Gebrauch in der feinmechani­ schen, optischen und elektronischen Industrie sowie in der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie. Für die pharmazeutische Industrie sind Geschossbauten durch die Nutzung der Schwerkraft für den Verti­ kaltransport von schüttbaren Gütern geeignet. Flachbauten entstanden in großer Zahl zu Anfang des 20. Jahrhunderts als bauliche Antwort auf die Prozessvorgaben nach zusammenhängenden, eben­ erdigen Flächen. Die Einführung des Fließbandprin­ zips in der amerikanischen Automobilproduktion begünstigte Konzepte der einfachen Erweiterbarkeit auf einer Ebene und auch schwerste Maschinen wa­ ren auf der Bodenplatte einfach montierbar.

Die Entwicklung und Verfeinerungen von Hallen­ bauten bei Henry Ford beschreibt [Buc03]. Bis in die Gegenwart bietet der Hallenbau, insbesondere bei Vorhaltung ausreichender lichter Höhen für spätere Galerieeinbauten sowie als konsequenter Modulbau für vielfache externe Erweiterungen, sehr gute Mög­ lichkeiten der Wandlungsfähigkeit. Hallenbauten entstehen aus zusätzlichen Anfor­ derungen nach großer Spannweite, großer, lichter Höhe oder schwerer Fördertechnik. Bei geschickter Auslegung ist ein hohes Maß an interner Wand­ lungsfähigkeit durch vielfältige Ausbaureserven erzielbar. Gegenüber der für äußere Wandlungs­ fähigkeit vorteilhaften Richtungslosigkeit von Flachbauten sind Hallenbauten meist sinnvoll nur in einer Achse erweiterbar. Für Tragwerke, Förder­ technik sowie technischen Ausbau ist bei der Erstel­ lung ein höherer Aufwand gegenüber Flachbauten zu veranschlagen.

12

Bild 12.8: Bauformen: Typologie von Schnittprofilen © Reichardt 15.217_JR_B

367

12  Generalbebauung

Bild 12.9: Merkmale verschiedener Hallen-Schnittprofile (nach Dangelmaier) © Reichardt 15.218_JR_B

12

Geschickt arrangierte Kombinationsformen nutzen die jeweiligen Vorteile der Schnittprofile und bieten bei Vorliegen eines schlüssigen, alle Werkbereiche verknüpfenden Gesamtkonzepts eine gute Chance für nachhaltige Wandlungsfähigkeit.

12.2.2 Grundrissfigur In der Praxis erweist sich die Wahl des Schnittprofils als alleiniges Kriterium zur Definition der Bauform in vielen Fällen als notwendig, aber nicht hinreichend. Die Zuordnung von Nutzungsbereichen sowie deren Ausrichtung und Veränderbarkeit wird außer durch den Gebäudeschnitt maßgeblich durch die Dispositi­ on in der Fläche, der Grundrissfigur, bestimmt. Als Grundtypen, die je nach Schwerpunkt durch zentra­ lisierend oder dezentralisierend wirkende Faktoren geprägt sind, ergeben sich kompakte, geschlossene Umrissfiguren oder gegliederte, ausgreifende Um­ rissfiguren, s. Bild 12.10.

368

Bei der kompakten, geschlossenen Umrissfigur werden alle Raum- bzw. Nutzungsbereiche unter dem Dach eines Gesamtraums zusammengefasst. Solche homo­ genen Großformen weisen oft zusammenhängende Raumbereiche auf und führen in vielen Fällen zu gro­ ßen Baukörpern und ausgedehnten Innenraumdimen­ sionen. Zur eigentlichen Raumdefinition dienen dann vom Tragwerk unabhängige Raumtrennelemente. Die spezifischen Einflussfaktoren, die zu solchen geschlossenen bzw. kompakten Baukörperformen – und damit zu einer inneren Großraumstruktur – füh­ ren, sind oft eine funktionell und technologisch be­ dingte Zusammengehörigkeit aller Produktions- und Nebenbereiche. Weitere Merkmale sind die einfache Bildung von größeren und dadurch wirtschaftlichen Einheiten bei hohen haustechnischen Anforderun­ gen mit kostengünstigen gebäudetechnischen An­ lagen größerer Kapazität, die Vermeidung größerer Transportwege sowie die Einsparung von Bauland bei hohen Grundstückspreisen.

12.2  Bauformen

Bild 12.10: Typologie von Grundrissfiguren © Reichardt 15.219_JR_B

Die im Grundsatz universelle Anwendbarkeit des Großraums für verschiedenartige Anforderungen aus Prozess, Logistik und Verwaltung bedeuten ein hohes Maß an zukünftiger Wandlungsfähigkeit. Aus energetischer Sicht sind geringe Wärmeverluste durch günstige Verhältniswerte A/V (Quotient aus Hüllfläche A und Volumen V) sowie kürzere Ver- und Entsorgungsleitungen vorteilhaft. Die interne Wand­ lungsfähigkeit ist bei Vermeidung von Zwangspunk­ ten wie zu engen Stützrastern oder ungünstiger Lage von Kernbereichen gegeben. Bei der gegliederten, ausgreifenden Umrissfigur wird das gesamte Bauvolumen in mehrere gleiche oder verschiedenartige Gebäudetrakte gegliedert. Die Glie­ derung erfolgt dabei durch Versatz, Stapelung, Abtrep­ pung, Verzahnung oder Koppelung der Baumassen. Die vollständige Trennung der Bauwerke als freistehende Einzelbaukörper kann zwar als ein eigener Grundtyp an­ gesehen werden, hier zählt sie aber aus Vereinfachungs­ gründen zu der Gruppe der gegliederten Bauwerke.

Alle diese heterogenen Baukörperformen haben in den meisten Fällen kleinere, überschaubare Raumund Körperdimensionen und zeichnen sich durch mehr Außenwandflächen je Quadratmeter Grundflä­ che aus. Die spezifischen Einflussfaktoren, die zu geglieder­ ten Baukörperformen führen, sind oft unterschied­ liche bauliche und räumliche Forderungen der Pro­ duktion, wie höhere Lasten, verschiedene Höhen, höhere Luftfeuchtigkeit, verschiedene Lüftungs- und Klimatisierungsforderung etc. Weiterhin können ge­ fährdende oder belästigende Teilprozesse wie lärm-, schwingungs- und erschütterungserzeugende Pro­ zesse, gas-, dampf-, staub- oder geruchs-emittierende Verfahren sowie Bereiche mit erhöhter Brand- und Explosionsgefahr, die eigenen, speziellen Sicher­ heitsbestimmungen unterliegen, zu einer baulichen Separierung führen. Eine größere Hüllfläche ist zwar in der Regel ener­ getisch und kostenmäßig ungünstig, kommt aber

12

369

12  Generalbebauung

humanen Anforderungen nach mehr Ausblick durch größere Außenwandanteile mit ausreichender Vergla­ sung in Augenhöhe sowie kleinmaßstäblichen Raumbzw. Bereichsdimensionen mit eigenen, getrennten Sozialbereichen (Umkleideräume, Pausenräume, Toiletten, Ruheräume etc.) entgegen.

12.2.3 Verknüpfungsprinzip Im Hinblick auf eine möglichst dynamische Wand­ lungsfähigkeit von Bauformen muss als weiteres Krite­ rium der bisherigen Charakterisierung in Schnitt und Grundrissfigur die prinzipielle Art der typologischen Verknüpfung der Baukörper betrachtet werden. Einzelne Hallen oder ganze Werksbereiche werden durch die „Lebensadern“ der sie durchziehenden Magistralen für Erschließung, Medientrassen und übergeordnete Wege des Materialflusses verbun­

12

Bild 12.11: Typologie der Verknüpfungsprinzipien © Reichardt 15.220_JR_B

370

den. Ebenso legt die einmal gewählte Stellung und Verbindung benachbarter Baukörper gegenseitige Kommunikationsbeziehungen fest. Ein einmal ge­ wähltes Verknüpfungsprinzip wirkt nach [Kar90] anregend oder hemmend für die „innere“ Erwei­ terung (Nachrüstung von Medien) oder „äußere“ Erweiterung (Addition zusätzlicher Werksbereiche). Der Wahl des Verknüpfungsprinzips kommt daher eine überragende Bedeutung zu, da durch die viel­ fache Überlagerung unverzichtbarer Funktionen an den Schnittstellen der Baukörper Veränderungen oft schwerwiegender durchzuführen sind als im Schnitt oder Grundriss des einzelnen Baukörpers. In Weiterführung von Prinzipien zur Bildung addi­ tiver Formen können im Industriebau die nach Bild 12.11 aufgeführten Verknüpfungsprinzipien das langfristige Arrangement von Baukörpern und die entsprechenden Erweiterungsoptionen bedingen.

12.2  Bauformen

Bild 12.12: Wandlungsfähigkeitsmerkmale einer Kombination aus Geschoss- und Hallenbau © Reichardt 15.221_JR_B

Das Prinzip der Koppelung führt zu einem additiven Gefüge von Baukörpern. Die Aufreihung von Baukör­ pern entlang einer Bewegungslinie, oft als zentrale Erschließung im Sinne eines alle Werkbereiche tan­ gierenden Rückgrats verstanden, kann entlang einer Achse erfolgen. Reservierte Baufelder entlang der Achse können als zusätzliche Erweiterungsflächen zu einem späteren Zeitpunkt gefüllt werden. Das Hofprinzip ordnet demgegenüber meist rechtwink­ lig Baukörper um einen platzartigen Freiraum an; bei geschickter Auslegung können Erweiterungen ringartig erfolgen. Beim Stern sind die Baukörper ebenfalls um einen Freiraum, jedoch mittels freier Winkel angeordnet. Die weitere Loslösung der Baukörperanordnungen von einem erkennbaren Bauprinzip führt zur chaotischen Baukörperstellung nach (fraktaler) Zufälligkeit. Beim Kreuz werden die Baukörper entlang zweier lotrechter Bewegungslinien aufgereiht, Quadranten weisen dann

um einen Zentralkörper rotierende Baufelder aus. Bei Spirale und Kreis sind die Baukörper in Abhängigkeit von (imaginären) Bewegungslinien einer statischen oder dynamischen Kreisgeometrie angeordnet. Das Netzprinzip regelt mittels eines unterlegten Koordi­ natensystems die gegenwärtige und zukünftige Bezie­ hung von bekannten und unbekannten Flächen. Die Auswahl von Schnittprofil, Grundstücksfigur und Verknüpfungsprinzip sollte auf Grundlage von Prozess- und Raum-Sicht gegenwärtiger wie zukünf­ tiger Projektkriterien erfolgen. Bild 12.12 zeigt den Schnitt, den Grundriss und die Verknüpfung mit Er­ weiterungsoptionen am Beispiel einer Kombination aus Geschoss- und Hallenbau. Durch die Anordnung der Baukörper werden die Erweiterungsrichtungen in Grundriss und Schnitt, aber auch die mehrfache „Nutzung der Verknüpfungsräume“, z.B. für Besu­ cher, Medienführung und Rekreation bestimmt. Die Merkmale der Wandlungsfähigkeit der Bauform sind hiernach eindeutig definiert.

12

371

12  Generalbebauung

12.3  Objektschutz Je nach Art und Gefährdung des Betriebes erfordern Werksanlagen besondere Maßnahmen hinsichtlich Einbruch, Diebstahl, Brandschutz und Explosions­ schutz. Eine Übersicht möglicher Faktoren mit Bei­ spielen sind in [AGI04] zusammengestellt.

ein einmal erarbeitetes Brandschutzkonzept nicht bei der ersten Änderung der Betriebsmittel obsolet sein, sondern vielmehr Reserven bei Fluchtweglängen und Rauchabzugsfaktoren aufweisen. Die Räume für explosive Stoffe sollten auf einfache Weise vergrößert oder bei Entfall durch geeignete Baukonstruktionen rückbaufähig sein. Die technischen Details sind in Abschn. 10.5 beschrieben.

12.3.1 Einbruch, Diebstahl

12

Die traditionelle Lösung gegen Einbruch und Dieb­ stahl ist eine das gesamte Werksgelände umfassende äußere Sicherung durch Zaunanlagen. Je nach Lage der Pforte können ausgedehnte Parkplätze für Mit­ arbeiter und Besucher auch vor dem eigentlichen Werkszugang liegen. Zäune stellen vielfach keine wirkliche Sicherung gegen unbefugte Betreter dar. Sie sind für geübte Täter relativ einfach zu überwin­ den. Aus städtebaulicher Sicht wie auch aus der Sicht einer hohen Wandlungsfähigkeit der Außenanlagen bei Erweiterungen kann bei Einsatz von Tür- und Glasscheibensensoren sowie Bewegungsmeldern auf Zaunanlagen ganz verzichtet werden. Durch ein solches integriertes, auf definierte, besondere Si­ cherheitsbereiche abgestimmtes Sicherheitskonzept kann in Abstufungen auch auf veränderte Nutzungen leicht reagiert werden. Moderne Alarmanlagen erlau­ ben die automatische Weiterleitung von Meldungen zu Dienststellen von Werkschutz, Polizei oder priva­ ten Telefonnummern.

12.3.2 Brandschutz, Explosionsschutz Maßnahmen hinsichtlich Brandschutz und Explosi­ onsschutz sollten aus einem ganzheitlich erstellten Brandschutzkonzept des ganzen Werksgeländes abgeleitet werden. Das Brandschutzkonzept regelt zuerst den Personenschutz mit ausreichenden Fluchtweglängen, baulicher Qualität von Tragkonst­ ruktionen, Hülle, Anbauelementen, Rettungswegen sowie die Entrauchung im Brandfall. Explosions­ schutz bedeutet vor allem die sichere Lagerung ge­ fährdeter Stoffe in hierfür besonders ausgewiesenen Räumen. Für die gebotene Wandlungsfähigkeit sollte

372

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan) 12.4.1 Ablauf Der Generalbebauungsplan soll eine materialfluss­ gerechte, städtebaulich und ökologisch sinnvolle, im Rahmen der Vorschriften vollständige Ausnutzung eines Geländes mit optimalen Zuordnungen ermög­ lichen. Er führt in zeitlich versetzten Bauabschnitten Gegenwart und Zukunft für Bauten und Freiflächen strategisch zusammen. Als Vorteile eines Generalbe­ bauungsplans, auch wenn das Gelände bereits teil­ weise bebaut ist, ergeben sich vorausschauende, auf­ einander abgestimmte Teilnutzungen. Ziel ist dabei die Vermeidung künftiger Ausbaublockaden durch unvorteilhaft positionierte Bauten oder nur mit sehr hohem Aufwand veränderbare Erschließungs- oder Medienwege. Ein ganzheitlicher Generalbebauungsplan optimiert nicht nur kommunale Vorschriften bezüglich Bau­ massenzahl, Geschossflächenzahl oder notwendiger PKW-Stellplätze, sondern integriert fabrikplaneri­ sche, energetische und ökologische stadträumliche Fragestellungen wie Funktionsbeziehungen von Werksbereichen, Qualität der Raumbildungen, nach solaren Kriterien optimierte Ausrichtung der Gebäu­ de für Verschattung und Energiebilanzierung sowie die bewusste Anlage von Begrünung und Ventila­ tionsschneisen. Genauere Hinweise über Städtebau­ recht von Bebauungsplänen sowie Regelungen durch Baugesetze enthalten [Stü06] und [Kie07].

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan)

Bild 12.13: Faktoren der Generalbebauung (nach Dolezalek, Warnecke) © Reichardt 15.222_JR_B

In der Entsprechung der Diskussion von Merkmalen kompakter und ausgreifender Grundrissfiguren der Bauformen zeigt Bild 12.13 grundsätzlich zentralisie­ rende und dezentralisierende Faktoren der General­ bebauung. Erstere betonen das Funktionalprinzip, indem gleiche Funktionen möglichst zusammenge­ fasst werden, wohingegen die Gliederung eines Un­ ternehmens in weitgehend selbständig operierende Geschäftseinheiten dezentralisierend wirkt. Zu unterscheiden ist zwischen einem Ideal- und einem Realplan. Der Ideal-Plan ist der Bebauungs­ plan, den man verwirklichen würde, wenn keinerlei örtliche Beschränkungen vorliegen. Dieser Plan ist wichtig, um eine Vorstellung von der idealen Fabrik zu entwickeln und um abschätzen zu können, wel­ che Nachteile bei Abweichungen vom Idealzustand entstehen. Um den Real-Plan nunmehr aus dem Ideal-Plan zu entwickeln, müssen vor allem die Ei­ genschaften des in Frage kommenden Geländes im

Hinblick auf Zonierung, Ordnungsraster, Erschlie­ ßungssystem, Ver- und Entsorgungssystem, Bauten und Freiflächen geprüft werden. Der Vergleich mit dem Ideal-Plan zeigt, ob ein vorhandenes Grundstück aus raumplanerischer Sicht langfristig überhaupt ge­ eignet ist. Bild 12.14 zeigt ein Ablaufschema zur Erstellung eines Generalbebauungsplans. Auf Grundlage einer eindeutigen Aufgabenstellung sind alle hierfür not­ wendigen Grundstücksflächen nach ihrer Nutzung (Zonen), den Baukörpern und der Infrastruktur zu einer schlüssigen Gesamtbebauung zusammenzu­ führen. Ziel ist hierbei nicht nur die Abbildung eines gegenwärtigen Zustandes, sondern die Ausweisung expliziter zukünftiger Ausbau- und Erweiterungs­ phasen. Übliche Planungshorizonte hierfür sind fünf, zehn oder fünfzehn Jahre. Besondere Bedeutung kommt hierbei einer exakten Grundlagenermittlung sowie einer zeitlich präzisen Koordination für die angesprochenen drei Bereiche zu.

12

373

12  Generalbebauung

Bild 12.14: Ablaufschema zur Erstellung eines Generalbebauungsplans (nach Aggteleky) © Reichardt 15.223_JR_B

12

Auffallend ist die unbedingte Notwendigkeit einer vernetzten Arbeitsweise mit frühzeitiger Beteili­ gung der Behörden für Erschließung, Ver- und Ent­ sorgung und Umweltschutz. Wichtige Aussagen im Zonenplan sind die Bereichsplanungen der Funkti­ onsbereiche und für den Bereich der Infrastruktur die Trassenplanung der Ver- und Entsorgungssyste­ me. Für die Gesamtbebauung sollten Verkehrsplan, Parkplätze, Außenanlagen, Straßen, Umzäunungen und Gebäudestellungen (Katasterpläne) geklärt werden.

12.4.2 Zonierung und Ordnungsraster Grundlage des Zonenplans ist das im Rahmen der Strukturplanung entwickelte, grob dimensionierte Fabrikkonzept (s. Abschn. 15.5). Insbesondere sind alle notwendigen Erweiterungsoptionen sorgfältig auszuweisen. Aus dem verfeinerten Zonenplan wird

374

schließlich die Bereichsplanung der Funktionsbe­ reiche abgeleitet. Je nach Grundstücksgröße und Vorhaben empfiehlt sich ein auf die Ordnungseinheit Quadrat, Rechteck oder auch Dreieck aufgebautes Rasternetz. Vorteile bei der weiteren Aufschließung des Geländes sind eine einheitliche Maßordnung für die Überbauungs- und Einrichtungsplanung sowie eine rasche Flächenkontrolle durch Auszählen von Flächenmodulen. An- und Umbauten zukünftiger Anbaustufen sowie Erweiterungen fügen sich in das System der errichteten Gebäude und Verkehrswege ein. Die beste Auswertung eines Grundstückes ergibt sich in der Regel bei Ausrichtung der Rasterpunkte etwa parallel zu den Grundrichtungen des Grund­ stücksverlaufs. Bebauungen lassen sich dann vor­ teilhaft mit geraden, durchgängigen Außenwänden errichten. Nach DIN 4171, DIN 4172 sowie ISO 1791 sind mögliche Rastersysteme genormt; die Wahl der

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan)

Rastergrößen richtet sich nach Zielvorgaben der Fab­ rikplanung, Grundstückszuschnitt und Bankkosten. Bild 12.15 zeigt ein Beispiel für Zonierung und Ord­ nungsraster. Bei der Zonierung sind in diesem Falle Schutzzonen sowie als nicht überbaubare Fläche der Vegetationsbereich einer landschaftlichen Schutz­ zone (landschaftsplanerische „Ausgleichsfläche“) zu beachten. Auf der Grundlage des Materialflusses sind drei Baustufen ohne Störung der laufenden Produktion möglich. Der Werksausbau vollzieht sich in Übereinstimmung mit der Modularität aus den Prozess- und Logistikelementen auf einem überge­ ordneten Rasternetz für Straßenbau, Baukörper und Raumausbau. Die großflächige Zonierung ist hierbei durch einfa­ che geometrische Teilbarkeit nach Bedarf auf kleine­ re Rastersysteme zu verfeinern. Typische Maße für Zonierungen sind z.B. 36 m, 50 m und 60 m. Hieraus abgeleitet ergeben sich dann Gebäude und Konstruk­ tionsraster von z.B. 18 m bzw. 1,20 m.

12.4.3 Erschließungs-, Ver- und Entsorgungssystem Die Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Verkehrsnetz, der überbetriebliche Materialfluss auf dem Gelände, die Mitarbeiter- und Besucher­ führung sowie Feuerwehrumfahrten bestimmen das Erschließungssystem. In Übereinstimmung mit dem strategischen Werksausbau der Generalbebauung legt das Erschließungsraster Flächenmodule für die Straßenführung fest. Die Definition dieser Verkehrs­ wege muss in Zusammenhang mit Bauformen und Gebäudestrukturen entwickelt werden. Vielfach bie­ tet sich eine Überlagerung von Erschließungssystem und Medienführung auf dem Grundstück an, da die Trassen der Ver- und Entsorgung in der Regel nicht überbaut werden dürfen. Die störungsfreie Positionierung und zukunftssi­ chere Ausbildung der Magistralen für Verkehr und Medienführung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Generalbebauung. Gerade bei modularen

12

Bild 12.15: Zonierung und Ordnungsraster einer Generalbebauung (Beispiel) © Reichardt 15.224_JR_B

375

12  Generalbebauung

Bild 12.16: Anordnung von Erschließungs-, Ver- und Entsorgungssystemen © Reichardt 15.225_JR_B

12

376

Werkskonzepten kommt der weitsichtig geplanten Infrastruktur eine überragende Bedeutung zu. Auch bei den Sammel- und Verteilstrukturen der Ver- und Entsorgung ist abzuwägen, ob zentral oder dezen­ tral angelegte Systeme vorteilhaft sind. Zentrale Systeme für Energieversorgung, Transformatoren, Heizanlagen oder Lüftungs- und Klimaanlagen be­ deuten in der Regel günstigere Investitions- und Betriebskosten. Bei dezentralen Systemen sind demgegenüber die Anzahl der Leitungen und damit auch die Leitungsverluste geringer. Bei einem De­ fekt wird nicht das ganze Werk blockiert und beim Umbau einzelner Werksteile sind medientechnische Anpassungen einfacher zu realisieren. Generell zeigt sich auch hier die Tendenz zu Modulen, die funktionsfähig vormontiert und geprüft in kurzer Zeit einsatzbereit sind. Bild 12.16 zeigt Beispiele für Erschließungs- und Ver- und Entsorgungssysteme. Der linke Bildteil ver­ deutlicht Erschließungsmuster, der rechte Bildteil

Varianten der Medienführung in der Vertikalen. Im Hinblick auf Wandlungsfähigkeit sollten eine einfa­ che Erweiterungsfähigkeit sowie die zukunftssichere Ausbildung durch leichte Nachrüstbarkeit weiterer Haupttrassen innerhalb der Querschnitte von Kanä­ len, Rohren, Brücken oder Nebenstationen gegeben sein.

12.4.4 Bauten, Freiflächen In Übereinstimmung mit den Zielsetzungen der Fa­ brikplanung sind nach der Auswahl geeigneter Bau­ formen und Gebäuderaster modulare Baukonzepte für einen strategischen Werksausbau in mehreren Stufen vorteilhaft. Grünanlagen und Parkplätze binden die Gebäude in das Grundstück sowie sein städtebauliches und landschaftliches Umfeld ein. Es empfiehlt sich ein durchgängiges Grünkonzept für das gesamte Werksgelände einschließlich aller Randbereiche im Übergang des Werkes zu seinem

12.4  Generalbebauungsplan (Masterplan)

Umfeld. Versickerungsflächen und Regenrückhalte­ becken sollten als ökologisch wertvolle Biotope in dieses Konzept einbezogen werden. Sie sind darüber hinaus für die Rekreation der Mitarbeiter in den Pau­ senzeiten förderlich. Parkplätze sollten mit Bäumen überstellt sein. Um eine unnötige weitere Versiegelung der Bodenfläche zu vermeiden, können sie mit Rasensteinen oder Kies versehen werden. Bild 12.17 zeigt das Prinzip der Flächengliederung aus dem in Bild 12.15 diskutierten Beispiel einer modularen Werkserschließung. Bild 12.18 zeigt ein Beispiel für die Variantendis­ kussion einer Werksverlagerung aus einer inner­ städtischen Lage in das Umfeld einer Großstadt. Zwei mögliche Standorte wurden anhand einer Kriterienliste auf ihre Eignung hin untersucht. Die wandlungsfähige Gebäudestruktur entwickelte sich aus den Anforderungen der begleitenden Fabrikpla­ nung jeweils aus einem Konstruktionsraster von

36,0 m x 36,0 m. Der Ausbau des Werkes erfolgt in mehreren Baustufen. Für beide Standorte wurde in Weiterführung der vorhandenen Vegetationsstruk­ turen ein übergeordnetes Grünkonzept erstellt und landschaftsplanerisch angelegte Regenrückhalte­ teiche für die Entwässerung der Dachflächen inte­ griert. Auf Grund besserer Entwicklungsmöglich­ keiten der Bauflächen sowie der Option mehrerer Zufahrten wurde Variante B für die weitere Planung ausgewählt. Mit diesen Ausführungen ist die Entwicklung eines Werksgeländes abschließend beschrieben. In der Regel ist damit auch der Aufgabenbereich der Fa­ brikplanung im engeren Sinne abgeschlossen. Die nächsthöhere Ebene der Planung betrifft den Standort und ist eng verknüpft mit der Produktionsstrategie des Unternehmens. Er wird in den beiden folgenden Kapiteln zunächst aus Raumsicht, dann aus strategi­ scher Sicht behandelt.

12

Bild 12.17: Flächengliederung Generalbebauung (Beispiel) © Reichardt 15.226_JR_B

377

12  Generalbebauung

Bild 12.18: Variantendiskussion Werksverlagerung (Beispiel) © Reichardt 15.227_JR_B

12.5  Literatur [Agg80]

12

[AGI04]

[BUC03]

[Dol73] [Kar90]

378

 ggteleky, B.: Fabrikplanung – Werks­ A entwicklung und Fabrikrationalisie­ rung. Verl. Carl Hanser, München 1980 Arbeitsgemeinschaft Industriebau e.V.: Objektschutz und Sicherheitstechnik im Industriebau. Verl. Callwey, Mün­ chen 2004 Bucci, F.: Albert Kahn : Architectural of Ford. Princeton Architectural Press, New York 2003 Dolezalek, C.M.: Planung von Fabrikan­ lagen. Springer, Berlin Heidelberg 1973 Karsten, G.: Fabriken für das 21. Jahrhundert. Vortrag Symposium Fabrikplanung 30./31.08.1990, Jena

[Kie07]

[Pev98]

[Rei98]

[Stü06]

 iepe, F., von Heyl, A.: Baugesetzbuch K für Planer. 3. Aufl. Verl. Rudolf Müller, Köln 2007 Pevsner, N.: Funktion und Form, die Geschichte der Bauwerke des Westens. Verl. Rogner & Bernhard, Hamburg 1998 Reichardt, J., Drüke, K.: Bäckerei mit innovativem Gesamtkonzept. In: industrieBAU 6/1998, S. 34 ff. Stüer, B.: Der Bebauungsplan – Städtebaurecht in der Praxis. 3. Aufl. Beck Juristischer Verlag, München 2006

Kapitel 13 Standortplanung aus Raumsicht

13.1 

13

380

Erschließung

383

13.4  Gesetze und Auflagen

386

13.2  Ver- und Entsorgung Medien

383

13.5  Standortbewertung

387

13.3  Grundstück 13.3.1 Geometrische Eigenschaften 13.3.2 Bodenbeschaffenheit 13.3.3 Hindernisse und Bebauungen

385 385 386 386

13.6  Umwelt

388

13.7  Literatur

390

Bild 13.1: Standort: Ver- und Entsorgung eines Montagewerks

384

Bild 13.2: Topographie eines Montagewerk-Standortes

385

Bild 13.3: Städtebauliches Entwicklungskonzept eines Gewerbeparks

387

Bild 13.4: Standortbewertung (Beispiel)

388

Bild 13.5: Ergebnisse einer Standortbewertung (Beispiel)

389

Bild 13.6: Übersicht Gestaltungsfelder Standort

390

13

381

13.1  Erschließung Zu Beginn der Industrialisierung wurden in England Textilspinnereien in unmittelbarer Nähe der Wasserläufe errichtet. Vor der Verfügbarkeit von Dampfkraft und Elektrizität war Wasserkraft für den Transmissionsantrieb der Webstühle unabdingbar; Wasserwege leisteten den An- und Abtransport der Waren zu den städtischen Märkten. Beim gegenwärtig globalen Güteraustausch zwischen Unternehmensnetzwerken unterliegt die Standortwahl heute einer Vielfalt miteinander verflochtener globaler, regionaler und lokaler Faktoren. Auf lokaler Ebene sind vor allem die strategische Lage des Standortes innerhalb des logistischen Netzwerkes sowie die Transportkapazität von LKW, Bahn, Flugzeug und Schiff von Bedeutung. Für die Sicherung eines langfristig störungsfreien Warenverkehrs sollten die Anschlusspunkte von Autobahnen oder Bundesstraßen außerhalb neu­ ralgischer Staugebiete liegen. Der Streckenverlauf sollte frei von Ortsdurchfahrten und Brücken sein, welche die Transporthöhen, -breiten oder -gewichte beschränken. Die verkehrstechnisch günstige Lage zu Flughäfen wird wegen der Verkürzung der Reaktionszeit vor allem für exportorientierte Unternehmen immer interessanter. Bei Bahntransport ist auf die Nähe zu Hauptgleisen zu achten und die Sinnfälligkeit eines eigenen Gleisanschlusses zu prüfen. Vorteilhaft ist die Nachbarschaft zu Güterverteilzentren sowie Container Terminals. Die regionale Schifffahrt auf Flüssen und Kanälen ist nur für sehr sperrige, schwere Güter oder billige Rohstoffe interessant. Zur Absicherung einer Standortentscheidung sollte auf jeden Fall die zeitliche Perspektive der jeweiligen Verkehrsentwicklung über einen Zeitraum von 15–30 Jahren beachtet werden. Bei den folgenden Ausführungen wird vorausgesetzt, dass die strategischen Entscheidungen über die langfristige Rolle einer eigenen Produktion vorliegen und damit auch das – wenn auch häufig mit vielen Unsicherheiten behaftete – Produktionsprogramm feststeht. Ferner wird angenommen, dass in der vorangegangenen Planung die Anzahl möglicher Stand-

orte bereits stark eingegrenzt wurde. Beide Aspekte behandelt Kapitel 14 „Strategische Standortplanung“ ausführlich. Es gilt nun, diese Standorte auf lokaler Ebene unter dem Gesichtspunkt der Raumplanung zu analysieren.

13.2  Ver- und Entsorgung Medien Eine gründliche Bestandsaufnahme vermittelt Klarheit über alle auf einem Grundstück vorhandenen sowie anschließenden bzw. hineinführenden Medien. In die Grundlagenermittlung sollten Lage, Qualität, Quantität, Liefersicherheit der Medien sowie gegenwärtige und voraussichtliche zukünftige Tarifpreise einfließen. Wichtige Medien der Versorgung sind Elektrizität, Gas und Telekommunikation. Für die Entsorgung sind vor allem Entwässerung und Abwässer maßgebend. Bei bestehenden Ver- und Entsorgungssystemen auf dem Grundstück muss deren Eignung für neue Aufgaben geprüft werden. Insbesondere bei der Revitalisierung brachgefallener Gewerbeflächen mit der Teilnutzung vorhandener Infrastrukturen sind die vorhandenen Netze der Entwässerungs- bzw. Abwasserkanäle mit Hilfe von mobilen bildgebenden Inspektionssystemen auf ihren Zustand zu untersuchen. Es empfiehlt sich, die Grundriss- und Schnittlage aller Medien im Rahmen der Methodik der Synergetischen Fabrikplanung als 3D-CAD-Datenmodell zu erfassen. Bild 13.1 zeigt Auszüge aus dem 3D-Datenmodell der Ver- und Entsorgungsleitungen eines Montagewerkes. Die frühzeitige räumliche Erfassung aller bestehenden und geplanten Mediennetze eines Standortes vermeidet spätere unliebsame Überraschungen während der Bauzeit.

13

Zur Ermittlung benötigter Energiemengen und Energielastprofile sollte eine qualifizierte integrale Energiesimulation des geplanten Werkes die Grundlage der Verhandlung mit den Versorgungsunternehmen bilden. Lage und Anzahl von Trafostationen sind mit den Zielsetzungen des Generalbebauungsplanes

383

13  Standortplanung aus Raumsicht

Bild 13.1: Standort: Ver- und Entsorgung eines Montagewerks © Reichardt 15.228_JR_B

13

384

abzugleichen. Die Wandlungsfähigkeit muss über die Aufsummierung des Energiebedarfs aller strategischen Ausbaustufen des Werkes unter Berücksichtigung des Gleichzeitigkeitsfaktors abgesichert werden. In den Anforderungen muss klargestellt werden, welcher Tagesdurchschnitt für die Wasserversorgung und welcher Spitzenverbrauch für die jeweiligen Bauabschnitte erwartet wird. Vielfach empfiehlt sich für den zusätzlichen Lastfall einer Sprinkleranlage zur Brandbekämpfung ein werkseigenes Wasserreservoir. Benötigter Wasserdruck und Nachspeisemenge müssen weitblickend definiert werden. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Möglichkeit von Tiefbrunnen zur eigenen Wasserentnahme besteht, um auf lange Sicht eine gebührenunabhängige Teilversorgung zu sichern. Für Unternehmen wie Brauereien oder Nahrungs-

mittelhersteller ist die Qualität des Wassers von großer Bedeutung. Chemische Zusammensetzung, Härte und Temperatur sollten als Wasserproben vorab entnommen und die Wasserkonsistenz im Sinne eines Liefervertrages festgeschrieben werden. Gas ist als Heizmedium für Gebäude und Prozesse Mineralöl aus Gründen geringerer Umweltbelastung vorzuziehen. Bei sehr kleinem Bedarf können auch in Flaschen oder Tanks bereitgestellte Mengen ausreichend sein. In der Nachbarschaft von Heizkraftwerken kann Fernwärme, Warmwasser oder Heizdampf kostengünstig bereitgestellt werden. Eine längerfristig angelegte Vergleichskalkulation sollte Aufschluss über deren Wirtschaftlichkeit gegenüber eigener Herstellung bieten. Die Abführung von Niederschlagswässern der Dachflächen bzw. befestigter Wege und Freiflächen in Kanalnetze ist aufgrund von Überlastung der Vorfluter und Klärwerke vielfach nicht möglich. Als ökologisch sinnvolle Alternative wird von Seiten der Behörden die Einleitung der Regenwässer auf dem eigenen Grundstück gefordert. Bei entsprechender Bodenbeschaffenheit sind hierfür geeignete VersickerungsFlächen auszuweisen; ein frühzeitiges Bodengutachten verschafft hier Klarheit. Abwässer sind häusliches Schmutzwasser, Abwässer aus Fertigungsprozessen, aber auch durch PKW-Betriebsstoffe verunreinigte Niederschlagswässer. Verunreinigungen des Niederschlagswassers oder von Prozess-Abwässern müssen durch geeignete Abscheide- bzw. Filteranlagen vor Einführung in das öffentliche Kanalnetz aufbereitet werden. Die am 3D-Medienmodell kontrollierte Höhenlage von Gebäudeausgang bzw. Geländeausgang und Einführung Kanalnetz entscheidet darüber, ob Abwässer über natürliches Gefälle abfließen können oder Hebeanlagen notwendig sind. Internet und Videokonferenzen erfordern möglichst leistungsfähige Datennetze der Telekommunikation. Zukünftig wird die Standortlage innerhalb von Hochgeschwindigkeitsnetzen daher zu einem wichtigen Merkmal konkurrenzfähiger Standorte.

13.3  Grundstück

13.3  Grundstück 13.3.1 Geometrische Eigenschaften Größe, Zuschnitt und Topographie bestimmen die Gestalt und Nutzbarkeit eines Grundstücks. Die Definition des notwendigen Flächenbedarfs erfolgt zu Beginn des Gesamtvorhabens und führt zu den Festlegungen des Generalbebauungsplans. Vielfach stellt sich die Frage, ob nur das für den ersten Bauabschnitt notwendige oder das ganze Gelände gekauft werden soll, ob eine Kaufoption für den Rest des Geländes oder sogar ein direkt benachbartes Gelände gesichert werden soll. Dies kann nicht allgemein gültig beantwortet werden und hängt u. a. von Geländepreisentwicklung, Kapitalverzinsung, jährlichen Gebühren sowie Planungsrisiken ab. Das Verhältnis von Grundstückslänge zu Grundstücksbreite, die Winkligkeit der Seiten zueinander

sowie die Lage von Zufahrten bestimmen die Eignung des Geländes für gegenwärtige und zukünftige Prozesse sowie deren Wandlungspotenzial. Kompakte, annähernd quadratische Grundstücke eignen sich für vorwiegend konzentrierende Produktionsformen, längliche Grundstücke für vorwiegend lineare Produktionsformen. Die Lage der Zufahrten bestimmt maßgeblich über zukünftige Möglichkeiten, modulare Werksanlagen als „Fabriken in der Fabrik“ mit eigenen Zufahrten zu entwickeln. Die Topographie eines flachen Geländes bis zu einer Neigung von 2 bis 3 % ist vorteilhaft gegenüber Hanglagen. Materialflussströme können auf terrassierten Flächen nur eingeschränkt optimiert werden und das notwendige Planieren der Hangflächen bedeutet oft erhebliche Mehraufwendungen für die Erd-Modellierung und Abführung der Oberflächenwässer. Bei einem nicht zu stark geneigten Gelände besteht u. U. die Möglichkeit, in einem zweigeschossigen Gebäude beide Ebenen direkt anzufahren, allerdings ohne

13

Bild 13.2: Topographie eines Montagewerk-Standortes © Reichardt 15.229_JR_B

385

13  Standortplanung aus Raumsicht

Erweiterungsmöglichkeit der Fertigungsflächen in Hang-Richtung. Bei der Festlegung der Außenanlagen sollten sich aus Kosten- und Termingründen die Erdbewegungen für Aushub und Wiedereinbau innerhalb des Grundstücks die Waage halten. Bild 13.2 zeigt eine solche Bilanzierung der Erdmassen am 3D-Topographiemodell für ein Montagewerk. Ein ähnliches Beispiel illustriert Bild 16.27.

13.3.2 Bodenbeschaffenheit

13

Die Gründungsmöglichkeiten der Baukörper werden hauptsächlich durch Material, Tiefe und Tragfähigkeit des gewachsenen Bodens, dessen chemischer Zusammensetzung sowie der Höhenlage des Grundwasserspiegels bestimmt. Die Wasserdurchlässigkeit des Bodens entscheidet über Versickerungsmöglichkeiten von Regenwasser auf dem Grundstück. Auf jeden Fall sollte ein qualifiziertes Bodengutachten als Grundlage jeder Planung erstellt werden. Um spätere unliebsame Überraschungen zu vermeiden, bieten sich je nach Größe des Grundstücks Sondierungs­bohrungen im Raster von 10 x 10 m bzw. 20 x 20 m an. In industriellen Ballungszentren sind Böden oft kontaminiert; auch kann die Suche nach Blindgängern aus Fliegerbombenangriffen notwendig werden. Eine erste Abschätzung erlaubt oft die Sichtung der Luftfotos des damaligen Zustandes bei entsprechenden Behörden. Notwendige Altlastensanierung, Sprengstoffräumung oder auch Sicherung kulturell bedeutender Ausgrabungsgüter verlangt ein spezielles Risikomanagement für Kosten und Termine, um das Gesamtvorhaben nicht zu gefährden.

13.3.3 Hindernisse und Bebauungen Bestehende sowie geplante Nachbarbebauungen sind auf mögliche ökologische Beeinträchtigungen wie Lärm, Rauch, Gas oder besondere Feuergefahren zu überprüfen. Bei angrenzenden Wasserschutzgebieten sind besondere Auflagen bezüglich Erdbewegungen sowie Wasserversickerung zu erwarten. Bestehen auf dem Grundstück schützenswerte Tierbiotope oder Pflanzungen, ist dies bei der Auslegung der Freiflächen zu berücksichtigen. In Bergwerksgebieten sollte

386

der Untergrund auf mögliche Stollen untersucht werden; Setzungsfugen zwischen den Baukörpern könnten eine Folge des inhomogenen Untergrundes sein. Bestehende Bebauungen, auch auf direkt anschließenden Grundstücken, sollten bei dieser Betrachtung eingeschlossen werden. Auf dem Grundstück befindliche störende oder noch nutzbare Reste von Bauten sind auf die Eignung einer Umnutzung zu prüfen. Oftmals ist deren Abriss die einzige Möglichkeit, einen optimalen Werksausbau zu betreiben.

13.4  Gesetze und Auflagen Im Maßstab der Landes- und Regionalplanung legen Flächennutzungspläne die grundsätzliche Ausweisung industrieller Entwicklungsflächen fest. Aus diesen Zielsetzungen leiten die Kommunen Bebauungspläne mit Festsetzungen zu Art und Maß der Nutzung von Grundstücken ab. Verhältniswerte von Grundfläche zu Geschossfläche und Volumen der Bauten regeln den zulässigen Grad der Überbauung. Je nach Ausweisung des Gebietes als Gewerbegebiet oder Industriegebiet sind Grenzabstände, Gebäudehöhe, zulässige Schallpegel und Obergrenzen für Schadstoffwerte vorgeschrieben. Vielfach stellt sich die Frage nach der Verträglichkeit von Gewerbeflächen in einem städtischen Umfeld. [Kar88], [Sch92] und [Rei94] plädieren aus städtebaulichen und ökologischen Gründen für eine Integration von Gewerbeund Industrieflächen in das Stadtgefüge. Im Sinne einer hohen Wandlungsfähigkeit sollten die Reglementierungen eines Standortes notwendige Veränderungen nicht grundsätzlich blockieren. Bei der Standortbewertung sind daher mögliche Szenarien zukünftiger Werksentwicklungen entsprechend zu berücksichtigen. Bei Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) kann die potenzielle Dauer des Verfahrens ausschlaggebend für die letztendliche Wahl eines Standortes sein. Weitergehende städtebauliche oder architektonische Zielsetzungen finden sich in Gestaltungssatzungen oder Gestaltungshandbüchern.

13.5  Standortbewertung

Bild 13.3: Städtebauliches Entwicklungskonzept eines Gewerbeparks © Reichardt 15.230_JR_B

Hierin können u. a. verbindliche Festlegungen zu einheitlichen Traufhöhen, Dachformen, Fassadenmaterialien, Farbgebung oder Dachbegrünung getroffen werden. Bild 13.3 zeigt ästhetische und rechtliche Leitlinien für das städtebauliche Entwicklungskonzept eines Gewerbeparks. Nach [Rei97] wurde hier für eine ca. 40 ha umfassende städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Sinne der Synergetischen Fabrikplanung ein 3D-Datenmodell angelegt und über einen Realisierungszeitraum von sieben Jahren stetig angepasst. Die rechtlichen Festsetzungen entsprechen einem Bebauungsplan, während ästhetische Aspekte im Vorfeld der Realisierung mithilfe von 3DAnimationen geklärt wurden. Damit entstand ein für alle Investoren verbindliches Gestaltungshandbuch. Über diese kommunalen Festsetzungen hinaus bestehen eine Vielzahl weiterer Auflagen und Gesetze aus Länderrecht sowie spezielle Verordnungen.

13.5  Standortbewertung Aspekte aus Erschließung, Ver- und Entsorgung, Grundstück, Arbeitsmarkt, Umwelt, Erweiterungsmöglichkeiten, Baurecht sowie Kaufpreis und kommunale Förderungen fließen in eine Systematik zur Bewertung alternativer Standorte ein. [AGI04] und [Kin09] zeigen mögliche Auswahlfaktoren von Standortentscheidungen an Fallbeispielen auf. Bild 13.4 a erläutert das Vorgehen nach dem Schema einer Nutzwertanalyse. Ausgehend von der Auswahl der Bewertungskriterien setzt das Planungsteam eine Gewichtung der Kriterien fest, deren Summe 100% beträgt. Anschließend wird jeder in die nähere Auswahl gezogene Standort mit einem Punktwert zwischen 0 (unbefriedigend) und 4 (sehr gut) bewertet und mit dem Gewichtungsfaktor multipliziert. Die so gefundenen Einzelnutzwerte ergeben in der Summe den Gesamtnutzwert. Bild

13

387

13  Standortplanung aus Raumsicht

Bild 13.4: Standortbewertung (Beispiel) © Reichardt 15.231_JR_B

13.4 b führt ein Beispiel an, dessen Gesamtnutzwert 3,25 beträgt, das sind 81,25% des maximal erreichbaren Wertes von 4,0. Als Faustregel gilt, dass eine Lösung mit einem Nutzwert unter 80% des maximal möglichen Wertes langfristig nicht wettbewerbsfähig ist.

13

388

Bild 13.5 zeigt als Beispiel die Untersuchung der Werksverlagerung einer Gummifabrikation. Das gewachsene innerstädtische Werk bot keine ausreichenden Entwicklungsmöglichkeiten. Im Umfeld von 20 km zum bestehenden Standort wurden zwölf Standorte untersucht, bewertet und eine Standortempfehlung ausgesprochen. Im linken Bildteil sind die 12 Standorte mit ihren wesentlichen Kennzahlen aufgeführt und rechts oben die Bewertungskriterien, die noch einmal in sogenannte K.O.-Kriterien (sie führen bei Nichterfüllung zum sofortigen Ausschluss) und Auswahlkriterien unterteilt sind.

Nach dem in Bild 13.4 erläuterten Schema erfolgte die Berechnung der Nutzwerte der einzelnen Standorte in der Tabelle rechts unten. Die nach absteigendem Wert sortierten Nutzwerte ergeben den Standort Wenzendorf mit 3,25 entsprechend 82% des möglichen Maximalwertes. Ausschlaggebend für den ersten Rang waren in diesem Falle u. a. der Zuschnitt und die Erweiterungsmöglichkeiten des Standortes.

13.6  Umwelt Energiegewinne und Energieverluste einer Fabrik sollten in einer integralen Betrachtung von Gebäude und Prozess durch eine bereits zu Beginn der Planung erstellte Energiesimulation dargestellt werden. Insbesondere die Potenziale zum Einsatz alternativer

13.6  Umwelt

Energien aus z.B. Sonne, Grundwasser, Erdwärme oder Wind sind aufzuzeigen. Hierfür sind die spezifischen Wetterdaten eines Standortes wie Temperaturverlauf, Sonnenscheinstunden, Niederschlagsmengen oder vorherrschende Windströmungen als Datensatz aufzunehmen. Eine intelligente Architektur bezieht immer eine auf den Standort bezogene klimatische Optimierung von Bebauung und Gebäudestruktur mit ein. Über die zuständigen Wetterämter sind Erfahrungswerte für jeden Standort der Welt verfügbar. Anhand eines Referenzjahres lassen sich kälteste und heißeste Perioden, Lichtintensitäten, Sonnenscheinstunden, Niederschlagsmengen oder vorherrschende Windströmungen darstellen und als Datensatz für eine Energie-Bilanzierung des geplanten Vorhabens verwenden. Unterschiedliche Klimazonen erfordern spezifische Konzeptionen für Bebauung, Gebäude sowie Einsatz alternativer Energien. Für die Sauerstoffversorgung sind Ventilationskorridore zwischen den Gebäuden in Abhängigkeit von

den jeweiligen Hauptwindrichtungen wichtig. Neue Industrie- und Gewerbegebiete sollten die Stellung ihrer Gebäude auch mit Verständnis für diese Belange ausrichten und keinesfalls wichtige Luftströmungen blockieren. Bauen bedeutet Umwandlung von lebendigen, unbefestigten Flächen in tote, versiegelte Flächen. Erhöhung der Lufttemperaturen, Zerstörung von Biotopen sowie Zwang zur Kanalisierung der Regenspenden sind eine unmittelbare Folge. Bei neuen Gewerbeansiedlungen sollten großzügig bemessene ökologische Ausgleichsflächen die Zunahme an unbefestigten Flächen mehr als nur mildern. Begrünung und Bepflanzung des Vorhabens tragen wesentlich zur Verbesserung des klimatischen Umfeldes bei und ermöglichen bei entsprechendem Untergrund die Versickerung von Regenspenden auf unversiegelten Flächen. Vielfach bieten sich Chancen, neue Industrie- und Gewerbegebiete in Weiterführung vorhandener

13

Bild 13.5: Ergebnisse einer Standortbewertung (Beispiel) © Reichardt 15.232_JR_B

389

13  Standortplanung aus Raumsicht

Bild 13.6: Übersicht Gestaltungsfelder Standort © Reichardt 15.233_JR_B

13

390

Grünzüge, etwa nach dem Leitbild angelsächsischer Gewerbeparks, anzulegen. Planungsansätze für einen derartigen 200 ha umfassenden, um eine grüne Mitte entwickelten Technologiepark werden in [Mat94] aufgezeigt. Zu fordern wären nicht nur einige Quadratmeter Hecken als Alibi, sondern großräumige Parklandschaften, nutzbar auch zum Zweck der Rekreation von Mitarbeitern und Anwohnern. Auch in der Gestaltung von Bebauung und Gebäude bieten sich Chancen durch eine für das Erscheinungsbild des Unternehmens vorteilhafte Begrünung. Parkplätze sollten generell durch großkronige Bäume überstellt sein und Haupterschließungswege könnten als ein- oder beidseitig bepflanzte Allee geformt werden. Dach- und Fassadenbegrünung wären weitere Beiträge zu einer ökologisch höherwertigen Umwelt. Bild 13.6 fasst abschließend die Gestaltungsfelder und -elemente der lokalen Standortebene zusammen.

Die Ausführungen zum Generalbebauungsplan haben deutlich gemacht, dass damit eine langfristige Festlegung der Entwicklungsmöglichkeiten eines Standortes erfolgt. Sie bleibt eingebunden in die strategische Standortbetrachtung, die im folgenden Kapitel ausgeführt wird.

13.7  Literatur [AGI04]

[Kar88]

 rbeitsgemeinschaft Industriebau e.V.: A Standortplanung im Industriebau – Ein Leitfaden für Architekten, Ingenieure und Unternehmen. 1. Aufl. Verl. Callwey, München 2004 Karsten, G., Reichardt, J.: Flächensparendes Bauen für Industrie und Gewerbe in Berlin. Gutachten im Auftrag des Berliner Senats, 1988

13.7  Literatur

[Kin09]

[Mat94]

[Rei94]

 inkel, S.: Erfolgsfaktor StandortplaK nung. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 2009 Matzig, G.: Neue Mitte – Technologiepark Nürnberg – Fürth – Erlangen. Stadt Bauwelt, 36/1994, S. 1912 f. Reichardt, J.: Multi-story Industrial Buildings – New Chances for the city development? In: Vortragsmanuskript International Congress – new technology in town, Rotterdam 1994, S. 36 f.

[Rei94]

[Rei97]

[Sch92]

 eichardt, J.: Arbeiten in der Stadt R – neue Lebensräume. Chancen für verdichtete Stadtstrukturen. DAB, 9/1994, S. 1328 ff. Reichardt, J.: Entwicklung des Gewerbegebietes M1. BAUKULTUR, 2/1997, S. 36 ff. Schulitz, H.C.: Industrie contra Städtebau. In: Constructec Preis 1990 Industriearchitektur in Europa, S. 8–41, Verl. Ernst und Sohn, Berlin 1992

13

391

Kapitel 14 Strategische Standortplanung

14.1 

14

394

Auslöser einer Standortplanung 397

14.4  Vorgehensmodell Standortauswahl

407

14.2  Eignungsprüfung der heutigen Struktur

399

14.5  Bildung von Produktionsstufen

408

14.3 

402

14.6  Literatur

415

Standortfaktoren

Bild 14.1: Wesentliche Wandlungstreiber und Reaktionsalternativen auf Standortebene 397 Bild 14.2: Strategische Passfähigkeit von Internationalisierungs- und Wettbewerbsstrategie

398

Bild 14.3: Abschätzung der Optimierungspotenziale am bisherigen Standort (Jung Erceg)

399

Bild 14.4: Modernisierungspotenziale einer bestehenden Produktion (Jung Erceg)

400

Bild 14.5: Wirkung einer Verbesserungsmaßnahme (Beispiel Leistungsoptimierung im Modernisierungsfeld Technik)

401

Bild 14.6: Standortfaktorensystematik (Kinkel)

402

Bild 14.7: Erfolgskritische Faktoren für die Erschließung von Absatzmärkten und Kostenreduktion

403

Bild 14.8: Produktportfolio mit bevorzugten Fabriktypen (B. Schmidt, A.T. Kearney)

404

Bild 14.9: Maximaler wirtschaftlicher Transportradius (Beispiel) (B. Schmidt, A.T. Kearney)

405

Bild 14.10: Erfolgskritische Faktoren für die Strategie Following Customer und Technologieerschließung

406

Bild 14.11 Vorgehensmodell zur Standortwahl (Meyer)

408

Bild 14.12: Globales Varianten-Produktionssystem GVP

409

Bild 14.13: Integriertes Produktmodell

410

Bild 14.14: Gestaltungsprin­zipien für Produkte hinsichtlich Komplexitätsreduzierung und Kernkompetenzsicherung

411

Bild 14.15: Prozessklassen und Normstrategien im Technologieportfolio

412

Bild 14.16: Standortübergreifende Wertstromanalyse (Beispiel)

413

Bild 14.17: Quantitative Bewertung einer Beschaffungsentscheidung (Beispiel)

414

Bild 14.18: Produktionsstufenbildung

415

14

395

Die Standortsuche aus strategischer Sicht ist keine primäre Aufgabe der Fabrikplanung, sondern Aufgabe der Unternehmensführung. Für die Ausgestaltung eines vorhandenen oder neuen Standortes ist jedoch die Kenntnis der zugrunde liegenden wesentlichen Grundannahmen für den Fabrikplaner von großer Bedeutung, weil sich diese stark auf die späteren Fabrikmerkmale und insbesondere auf den notwendigen Grad der Wandlungsfähigkeit auswirken. Auch die Art und Weise, wie solche strategischen Entscheidungen zustande kommen, sollte dem Fabrikplaner vertraut sein, um die Sicherheit oder Unsicherheit einiger Annahmen insbesondere hinsichtlich des zukünftigen Produktspektrums abschätzen zu können. Die folgenden Ausführungen können nur den Rahmen und die wesentlichen Schritte veranschaulichen, innerhalb derer eine strategische Standortsuche abläuft. Neuere Ausführungen finden sich z.B. in [Au07], [Kin04a], [Abe06].

14.1  Auslöser einer Standortplanung Die Ausführungen zu den Wandlungstreibern in Kap. 1 haben deutlich gemacht, dass eine Fülle externer und interner Veränderungstreiber auf eine Fabrik einwirkt. Nicht alle führen dazu, dass der Standort infrage gestellt werden muss. Meist bewirkt erst das gleichzeitige und manchmal fast unmerkliche Auftreten mehrerer Faktoren ein schleichendes Absinken der Unternehmensergebnisse und ein steigendes Unbehagen des Managements. Dies kann zu der Erkenntnis führen, dass der vorhandene Standort einen dauerhaften Erfolg in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht vielleicht nicht mehr gewährleisten kann. Bild 14.1 zeigt die wesentlichen internen und externen Treiber, die einen Standort als Ganzes infrage stellen können. Die externen Markteinflüsse aus Technolo-

extern Umwelt

Markt

Technologie • Werkstoffe • Fertigungsverfahren • Automatisierungstechnik

• Individualisierung Kundenwünsche • stärkere Verbrauchsschwankungen • internationale Arbeitsteilung

• Faktorkosten • Gesetzliche Auflagen • Steuern/Abgaben

standortbezogene Reaktion:

• Reorganisation • Erweiterung • Neuplanung

• • • • •

Kostenführerschaft Qualitätsführerschaft Technologieführerschaft Logistikführerschaft Flexibilitätsführerschaft

• • • •

mangelnde Logistikleistung mangelnde Prozesssicherheit hohe Produktionskosten Kapazitätsengpässe

strategische Ziele

14

Schwachstellen intern

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

15.252 B

Bild 14.1: Wesentliche Wandlungstreiber und Reaktionsalternativen auf Standortebene © IFA 15.252_B

397

14  Strategische Standortplanung

gie, Markt und Umwelt stellen dabei eher ständige Veränderungskeime dar. Erst die Verbindung mit unübersehbaren Schwachstellen in der Logistikleistung, der Kostensituation, einer schwankenden Qualität und anhaltenden Kapazitätsengpässen führt zu der wachsenden Einsicht, dass ein andauerndes Nachbessern einzelner Schwachpunkte nicht mehr ausreicht. Dann bedarf es eines umfassenderen Ansatzes, der von einer langfristig bestimmten Wettbewerbsstrategie der Produktion ausgeht. Diese kann zum einen eine Fokussierung auf eine der im Bild genannten Ziele Kosten-, Qualitäts-, Technologie-, Logistikund Flexibilitätsführerschaft bedeuten oder eine Kombination davon. Spätestens dann wird sich das Management aber auch mit der internationalen Ausrichtung der Produktion beschäftigen müssen. Dabei sind zum einen interne Wettbewerbsstrategien, die aus den strategischen Impulsen stammen, und zum anderen Verlagerungsmotive zu unterscheiden. Solche Verlagerungsmotive sind im Wesentlichen Kostenreduktion, Erschließung neuer Absatzmärkte, der Zwang, einem oder mehreren Kunden an deren Auslandsstandort folgen zu müssen oder die eher

seltene Motivation, an dem Auslandsstandort ein spezifisches Know-how zu erschließen. Bild 14.2 macht deutlich, dass diese beiden Sichten zusammenpassen müssen [Kin04]. So ist eine Verlagerung aus Kostengründen wenig sinnvoll, wenn beispielsweise der Anteil der Personalkosten an den Herstellkosten eines Produktes bei nur 20 % liegt und das Verhältnis der Arbeitskosten am deutschen Standort zum ausländischen Standort bei 5 zu 1. In diesem Fall würden unter der Annahme gleicher Materialkosten 16 % der Herstellkosten eingespart, die aber aufgrund der Mehrkosten durch Logistik, Anlaufkosten und Managementaufwand leicht aufgezehrt werden können. Die Erschließung neuer Absatzmärkte passt demgegenüber zu allen Strategien, während die Strategie, einem oder mehreren Großkunden in deren Absatzmärkte zu folgen, unter reinen Kostengesichtspunkten nicht trägt. Schließlich unterstützt die Erschließung von neuem technischem Know-how nur die Strategien Qualitäts-, Technologie- und Flexibilitätsführerschaft der Produktanpassung [Kin04].

Motive internationaler Standortentscheidungen

Wettbewerbsstrategien

Kostenreduktion 1)

Erschließung von Absatzmärkten

Following Customer

Erschließung von Technologie/ Know-how

Kostenführerschaft Qualitätsführerschaft

14

Technologieführerschaft Logistikführerschaft Flexibilitätsführerschaft Motiv passt grundsätzlich zur Strategie 1) umfasst

neben Arbeitskosten auch Rohstoff- und Energiekosten sowie kostenintensive gesetzliche Auflagen

Bild 14.2: Strategische Passfähigkeit von Internationalisierungs- und Wettbewerbsstrategie © IFA 15.253_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

398

Motiv passt nicht zur Strategie

15.253 B

14.2  Eignungsprüfung der heutigen Struktur

Je nach Tiefe und Breite der Analyse kann sich aus diesen Überlegungen die Erkenntnis ergeben, dass es reicht, den Standort zu reorganisieren, z. B. im Sinne einer Transformation in eine schlanke Produktion. Manchmal genügt auch eine lokale Erweiterung, ggf. verbunden mit einer Zusammenlegung mehrerer Standorte. Schließlich könnte die Errichtung eines neuen Standortes geboten sein, entweder unter Aufgabe des vorhandenen Standortes oder als zusätzlicher Standort, der mit dem vorhandenen Standort durch Funktions- und Kapazitätsaufteilung verbunden ist. Von größter Bedeutung ist, dass diese Entscheidung nicht impulsiv gefällt und durch einen einzigen Faktor, z. B. Kostendruck oder Nähe zu einem Großkunden bestimmt wird, sondern vorher eine sorgfältige strategische Planung stattfindet. Kapitel 1 hat mit Bild 1.6 bereits die Argumente dafür geliefert, dass bei Nichtbeachtung dieser Regel etwa ein Viertel aller Verlagerungen nicht erfolgreich sind und unter erheblichen Verlusten zu einer Rückverlagerung führen. Das häufig zu hörende Argument, dass man für solche akademischen Übungen keine Zeit habe und ein rasches Vorgehen erforderlich

sei, verkennt die Komplexität der Aufgabenstellung und das damit verbundene Eingehen unreflektierter Risiken.

14.2  Eignungsprüfung der heutigen Struktur Bevor die eigentliche Standortsuche in Gang gesetzt wird, muss sichergestellt sein, dass der vorhandene und ein neuer Standort hinsichtlich der kritischen Erfolgsfaktoren vergleichbar sind. Als kritische Erfolgsfaktoren (hier Performancefaktoren genannt) gelten nach [Jun04]:

•  Produktivität/Herstellkosten, •  Durchlaufzeiten, •  Innovationsfähigkeit, •  Produkt- und Produktionsflexibilität sowie •  Produkt- und Prozessqualität. Offensichtlich ist es nicht sachgerecht, wenn ein „organisch gewachsener“ und seit Jahren nicht gründlich

Mögliche Modernisierungsfelder am bisherigen Standort Technik

Organisation

Personal

Strukturierte Bestandsaufnahme durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen

Produkt

Identifikation von Ansatzpunkten für weitere Verbesserungen

Optimierbare Performancefaktoren am bisherigen Standort Herstellkosten

Produktqualität

Produktflexibilität

Abschätzung des genutzten Potenzials am bisherigen Standort

Innovationsfähigkeit

Durchlaufzeiten

14

Abschätzung des realistisch noch auszuschöpfenden Optimierungspotenzials

Bild 14.3: Abschätzung der Optimierungspotenziale am bisherigen Standort (Jung Erceg) © IFA 15.254_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

15.254 B

399

14  Strategische Standortplanung

modernisierter Standort mit einem neuen Standort verglichen wird, der nach neuesten Erkenntnissen optimiert wurde. Es sind also zunächst die in der vorhandenen Produktion schlummernden Verbesserungspotenziale auszuloten und in ihrer möglichen Auswirkung auf die fünf Performancefaktoren zu bewerten. Hierzu sind zahlreiche Ansätze bekannt, wie Lean Production, Total Quality Management, Business Reengineering, häufig gebündelt in einem ganzheitlichen Produktionssystem. Da es im vorliegenden Fall jedoch um die Abschätzung der Potenziale und nicht um die konkrete Umsetzung geht, empfiehlt sich eine Konzentration auf die vier Modernisierungsfelder Technik, Organisation, Personal und Produkt [Jun04]. Bild 14.3 zeigt das generelle Vorgehen. Durch eine strukturierte Bestandsaufnahme der in diesen vier Feldern bereits durchgeführten Maßnahmen und die Suche nach weiteren Verbesserungen kann das bereits genutzte und noch auszuschöpfende Optimierungspotenzial bezüglich der fünf Performancefaktoren abgeschätzt werden. Die Ansätze zur Verbesserung in jedem der vier Modernisierungsfelder fasst Bild 14.4 zusammen [Jun04]. Im Bereich der eigentlichen Produktionstechnik geht es zunächst um eine hohe Stabilität gegenüber internen Störquellen und um die flexible Automatisierung ganzer Wertschöpfungsketten. Einen hohen Stellenwert nimmt die bereits ausführlich erläuterte Flexibilität hinsichtlich Produkt- und Prozessvarianten ein, und schließ-

14

lich geht es um eine permanente Leistungsverbesserung. Bild 14.5 zeigt zu diesem Punkt etwas genauer die Bewertung solcher Maßnahmen am Beispiel der Leistungsoptimierung der Produktion. Die hier angeführten Maßnahmen sind durch den Einsatz neuer Werkzeugmaschinenkonzepte und Fertigungsverfahren gekennzeichnet, deren Wirkung auf die fünf Performancefaktoren positiv, negativ oder ambivalent sein kann. In diesem Fall steht die Produktivitätssteigerung im Vordergrund, während die Wirkung auf die Durchlaufzeit wegen des meist geringen Wertschöpfungsanteils an der Durchlaufzeit eher gering ist. Zu beachten ist wegen des vergleichsweise hohen Rüstaufwandes der negative Einfluss auf die Flexibilität, während die Qualität je nach Prozessbeherrschung sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden kann. Zurückkommend zu Bild 14.4 zeigen sich die wesentlichen Modernisierungsansätze in der Organisation zum einen in der Aufbau- und Ablauforganisation. Genau hier greifen die Ansätze der schlanken Produktion in Form von Fertigungsinseln und -segmenten bis hin zu weitgehend selbständigen Geschäftseinheiten. Dabei ist nicht nur die Produktion, sondern im Sinne überlegener Produkte auch und gerade die Produktentwicklung in Verbesserungen einzubeziehen, beispielsweise durch produktionsnahe Entwicklungsteams. Die Bestimmung der Fertigungstiefe und der räumlichen Verteilung der Wertschöpfung stellt einen zentralen Ausgangspunkt der gesamten Standortsuche dar und

Modernisierungsfelder Technik

Organisation

Personal

Produkt

• Stabilität

• Aufbauorganisation

• Arbeitsstrukturen

• Standardisierung

• Automatisierung

• Geschäftsprozesse

• Qualifizierung

• Modularisierung

• Flexibilisierung

• Fertigungstiefe

• Führung

• Marktanpassung

• Entgeltsysteme

• neue Produkte

• Leistungsoptimierung

Bild 14.4: Modernisierungspotenziale einer bestehenden Produktion (Jung Erceg) © IFA 15.255_B

400

14.2  Eignungsprüfung der heutigen Struktur

Produkt- / Produktionsflexibilität

Produkt- / Prozessqualität

Innovationsfähigkeit

Performancefaktoren

Duchlaufzeiten

Beispiele

Herstellkosten/ Produktivität

Maßnahme

-

±

• Hochgeschwindigkeitsbearbeitung • Hartbearbeitung Leistungsoptimierung

• Trockenbearbeitung • Werkzeugmaschinen mit Linearantrieben

+

(+)

• Computer Integrated Manufacturing (CIM) • Fertigungsverfahren für neue Materialien + Verbesserung steht im Mittelpunkt der Maßnahme (+) Verbesserung als Nebeneffekt der Maßnahme möglich ± Ambivalente Wirkung: sowohl Verbesserung wie auch Verschlechterung möglich – Negativer Nebeneffekt möglich bzw. wahrscheinlich 15.256 B (Beispiel Leistungsoptimierung im Modernisierungsfeld Technik) Bild 14.5: Wirkung einer Verbesserungsmaßnahme

© IFA 15.256_B

wird in Abschnitt 14.5 noch ausführlich erläutert. Im Wesentlichen geht es darum, im Spannungsfeld zwischen Kosten, Qualität und Logistik eine marktnahe Versorgung sicherzustellen. Im Modernisierungsfeld Personal bieten neue Arbeitsstrukturen mit hoher Aufgabenintegration und die fortlaufende Qualifizierung wertvolle Verbesserungsansätze. Dabei gilt es, das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer stetigen Veränderung zu schärfen, so dass diese nicht mehr als Bedrohung, sondern als Herausforderung und Chance begriffen wird. Dies äußert sich in einer Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Aufgabenzuordnung. Schließlich sind die Potenziale der Produktgestaltung durch Standardisierung, Modularisierung und Plattformkonzepte zu untersuchen. Die Beherrschung marktspezifischer Produktanpassungen z.B. hinsichtlich länderspezifischer Abnahme- und Sicherheitsvorschriften und deren Auswirkungen auf Produktion und Logistik bietet ein vielfältiges

Potenzial mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Produktstrukturierung bis hin zur Gestaltung der Verpackung. Neue Produkte zu entwickeln, aber auch bestehende Produkte weiterzuentwickeln, gehört zu den permanenten Herausforderungen eines Unternehmens. Für die Standortsuche ist die Kenntnis der hier vorgesehenen Maßnahmen unerlässlich. Im Einzelfall sind die ausgewählten Maßnahmen nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ in ihrer Wirkung auf die Performancefaktoren abzuschätzen. So zeigen nach Untersuchungen des Fraunhofer ISI die Segmentierung der Produktion, die Einführung des Pullprinzips, das Simultaneous Engineering sowie die Aufgabenintegration und die Gruppenarbeit in der Produktion die stärksten Wirkungen [Jun04, S. 149]. Solche Voruntersuchungen tragen dazu bei, die Kräfte zunächst auf die Nutzung der Potenziale zu lenken, statt sich mehr oder weniger unvorbereitet in eine risikoreiche Auslandsverlagerung zu stürzen.

14

401

14  Strategische Standortplanung

14.3  Standortfaktoren Es existieren zahlreiche Vorschläge zur Bewertung von Standorten z. B. [Au07, Paw08, Abe06, Eve96]. Sie werden in der Regel nach globalen, regionalen und lokalen Aspekten unterschieden. Dieses Kapitel betrachtet nur die globalen, regionalen und lokalen strategischen Faktoren, während Kapitel 13 die lokalen Faktoren aus Raumsicht behandelt. Als klassische Kategorien für die globale Standortbewertung gelten die Produktionsfaktoren und die Marktfaktoren. Sie sind nach Untersuchungen von Kinkel um die in Bild 14.4 bereits vorgestellten fünf Performancefaktoren zu ergänzen. Als vierte Katego-

Produktionsfaktoren (Input) quantitativ Produktionsfaktorkosten

Produktionsfaktorqualität

Produktionsfaktorverfügbarkeit

Politische / rechtliche Standort faktoren

Abgaben und Incentives

14

qualitativ

rie ergibt sich der Netzwerkbedarf, dessen Aufwand, aber auch Nutzen in vielen Fällen nicht genügend beachtet wurde [Kin04]. Bild 14.6 gibt eine Übersicht über die sich daraus ergebenden Standortfaktoren, die je Kategorie noch einmal in quantitative und qualitative Faktoren unterteilt sind. Alle Faktoren sind als Oberbegriff für ein Bündel evtl. weiter zu differenzierender Größen zu verstehen. Eine wichtige Randbedingung ist der gewählte Zeithorizont, der wegen der langfristig bindenden Entscheidung nicht unter 5 Jahren liegen sollte und in Sonderfällen auch 10 Jahre beträgt. Häufig versucht man, die quantitativen Faktoren in ihrer Entwicklung in diesem Zeitraum abzuschätzen.

Marktfaktoren quantitativ Absatzpotenzial

Handelshemmnisse

qualitativ Marktattraktivität

Konkurrenzsituation

Infrastruktur

Auflagen und Verfahren

Geospezifik

Gesamtwirtschaftliche Faktoren

Soziokultur

Performancefaktoren (Output) quantitativ

qualitativ

Produktivität / Herstellkosen

Innovationsfähigkeit

Prozessgüte

Flexibilität / bei der Produktanpassung

Durchlaufzeiten

Produktqualität

Netzwerkbedarf • Bedarf an Kooperationen und Netzwerken am jeweiligen Standort in den Bereichen Produktion, Beschaffung Marketing/Vertrieb, Service, F&E, Aus- und Weiterbildung, Standortentwicklung • Unausgeschöpfte Potenziale vorhandener Netzwerke vs. Kosten für den Netzwerkaufbau

Bild 14.6: Standortfaktorensystematik (Kinkel) nstitut für Fabrikanlagen und Logistik 15.257 B © IFA 15.257_B

402

14.3 

Standortfaktoren

Internationalisierungsstrategie Erschließung von Absatzmärkten 1. Realistisches Marktpotenzial 2. Konzentration (Anzahl), Marktmacht, Technologieniveau (Vorsprung bzw. Rückstand) und sunk costs (Signal für strategischen Wettbewerb) der lokalen Wettbewerber 3. Aufwand für den Aufbau hinreichender Marktkenntnisse 4. Zugriff auf eingespielte Vertriebswege und -netzwerke 5. Zielpreise und Margen 6. Anpassungsnotwendigkeit von Produkten an die Marktgegebenheiten 7. Bedarf nach Anwendungsberatung und Service vor Ort 8. Produkthaftung 9. Codifizierte (v.a. Zölle, local content) und nicht codifizierte Handelsbarrieren (z.B. Einstellung zu „deutschen“ Produkten 10. Währungsvorteile auf der Beschaffungsseite

Kostenreduktion Alle relevanten Kostenarten und -treiber einer Gesamtkostenbetrachtung Stufe 1: Einzelkosten der Herstellung (i.w.S.) • Lohn- und Gehaltskosten, Material- und Vorleistungs- kosten, Transportkosten (Zwischen- und Endprodukte) • Zukünftige Entwicklung der Lohnkosten und Preise vor Ort Stufe 2: Übergang zu Stückkosten Produktivitätsniveau vor Ort • Verfügbarkeit und Fluktuation von Arbeitskräften • Anlaufzeiten und -kosten für Qualität und Produktivität Stufe 3: Einbezug von Gemeinkosten • Am deutschen Stammsitz anfallende Gemeinkosten • Qualifizierungs- und Trainingskosten Stufe 4: Einbezug von • Kosten der Technologieanpassung an das Qualifikationsniveau • Kosten für den Netzwerkaufbau vor Ort •" Weiche Faktoren“ am deutschen Stammsitz; Vertrauen, Motivation, Konflikte Nicht primär ausschlaggebend: Subventionen, Fördermittel, Steuern und Abgaben

Bild 14.7: Erfolgskritische Faktoren für die Erschließung von Absatzmärkten und Kostenreduktion © IFA 15.258_B

Beginnend mit den Produktionsfaktoren sind als quantitative Größen zunächst die Produktionsfaktorkosten, und dort vor allem die Kosten und Verfügbarkeit des Personals, gefolgt von Kapital, Material (Zulieferer), Energie, Grundstück usw. als Abgaben zu nennen. Auflagen und gesamtwirtschaftliche Indikatoren ergänzen die Liste. Bei den qualitativen Faktoren geht es im Kern um Qualität und langfristige Stabilität der Produktionsfaktoren und Infrastruktur, aber auch der politischen Stabilität sowie der geographischen und soziokulturellen Besonderheiten. Die Marktsicht ist vorrangig gekennzeichnet durch das Absatzpotenzial und die Handelshemmnisse wie beispielsweise der vorgeschriebene Anteil lokaler Wertschöpfung (local content) oder Zölle. Eher qualitativer Natur sind die langfristige Marktattraktivität und das jetzige und zukünftige Verhalten der Wettbewerber. Die Performancefaktoren sind in Abhängigkeit von der verfolgten Produktionsstrategie zu beurteilen und können vom Unternehmen aktiv beeinflusst

werden. So wird bei einer angestrebten Kostenführerschaft die Produktivität und die Prozessstabilität – hier als Prozessgüte bezeichnet – erfolgsentscheidend sein, während bei hochwertigen Produkten die Produktqualität, die Innovationsfähigkeit und die Anpassung der Produkte an Kundenwünsche im Vordergrund stehen. Bei sonst ähnlichen Produkten des Wettbewerbs werden jedoch Lieferzeit und Liefertreue als Differenzierungsmerkmal zu beachten sein, die durch eine hohe logistische Leistungsfähigkeit zu erbringen ist. Relativ neu ist schließlich die Beachtung der Faktoren, die aus der Vernetzung resultieren. Entscheidend ist hier nicht nur die Vernetzung der Produktion mit den übrigen Standorten, sondern darüber hinaus auch die reibungslose Zusammenarbeit mit den Beschaffungsquellen, dem heimischen Marketing und Vertrieb, dem Service für die Betriebsmittel (IT, Instandhaltung), der Forschung und Entwicklung zur Anpassung der Produkte an lokale Bedürfnisse, der Aus- und Weiterbildung des eigenen und lokal

14

403

14  Strategische Standortplanung

angeworbenen Personals sowie der Entwicklung des Standortes außerhalb des eigenen Unternehmens. Hier zeigen sich einerseits neue Potenziale, andererseits sind u.U. erhebliche Kosten für den Netzwerkaufbau zu erwarten. Die Bewertung selbst stellt einen Lernprozess dar, der ungeachtet allgemeiner Grundschritte jedes Mal neu von einem Kernteam unter Einschluss der Unternehmensführung durchlaufen werden muss. Werden zunächst positive Argumente im Vordergrund stehen, werden sich mit zunehmender Beschäftigung auch die negativen Aspekte bemerkbar machen. Die in Bild 14.6 genannten Faktorenbündel sind je nach verfolgter Internationalisierungsstrategie weiter zu konkretisieren. Zwar wurden die Faktoren vor dem Hintergrund einer beabsichtigten Internationalisierung gewonnen, sind im Prinzip jedoch auch für den nationalen Standort anwendbar, da es ja auch innerhalb Deutschlands durchaus nennenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Faktoren geben kann. Bild 14.7 führt zunächst die aus Unternehmensbefragungen von Kinkel gewonnenen wichtigsten Faktoren für den Fall der Erschließung von neuen Absatzmärkten und zur Kostenreduktion auf. Sie sollen nur knapp kommentiert werden, eine ausführliche Erläuterung findet sich bei Kinkel [Kin04].

Bei den Standortfaktoren zur Erschließung neuer Absatzmärkte ist die realistische Abschätzung des Marktpotenzials die zentrale Frage, gefolgt von einer lokalen Wettbewerbsanalyse. Voraussetzung sind der Aufbau gründlicher Marktkenntnisse und der Zugang zu Vertriebswegen, die wiederum zu realistischen Zielpreisen und Margen führen. Die Folgen eines neuen Marktzuganges können in einer Produktanpassung, einer örtlichen Anwendungsberatung und einem Service bestehen. Auch sind Hemmnisse in Form von Handelsbarrieren sowie Fragen der Produkthaftung zu bedenken. Schließlich können sich auch Währungsvorteile für die Beschaffung ergeben, weil im selben Währungsraum eingekauft wie verkauft wird und dadurch Währungsschwankungen zumindest teilweise kompensiert werden können. Eine anschauliche Darstellung dieser Zusammenhänge stammt von der Unternehmensberatung A. T. Kearney. Dabei geht es um die Untersuchung der in Betracht kommenden Produktfamilien hinsichtlich ihrer Positionierung in einem Produktportfolio, das aus den Dimensionen Produktreife und Marktkomplexität gebildet wird, Bild 14.8. Bei der Produktreife wird anhand der fünf unten im Bild genannten Kriterien nach der Stellung im

Produktportfolio Umfang der kundenspezifischen Varianten

Bedeutung von Kundenlösungen (mit FuE)

14

Kriterien

Umfang kundengetriebener Innovationen

Wie bedeutend sind lokale Anforderungen und wie eng sind die Kundenbeziehungen?

niedrig

Bedeutung lokaler Normen (metrische vs. Zollmaße; DIN vs. IEC, etc.)

Regionales Leitwerk

Server-Werk

Globales Leitwerk

Offshore-Werk

Marktkomplexität

hoch

Bedeutung kundenspezifischer Anpassungskonstruktionen

niedrig

Bedeutung lokaler Vorschriften (Tarife, etc.)

Wie reif ist ein Produkt aus Produktionssicht und wie einfach kann es entfernt von einem Leitwerk hergestellt werden?

Bedeutung kundenspezifischer Local Content Vorschriften (JIT, JIS)

Kriterien Änderungshäufigkeit Produkt

Änderungshäufigkeit Produktionsprozess

Bild 14.8: Produktportfolio mit bevorzugten Fabriktypen (B. Schmidt, A.T. Kearney) © IFA 15.259_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

404

hoch

Produktreife

15.259 B

Prozesssicherheit

Gefährdung des ProduktionsKnow-hows

Bedeutung lokaler Zulieferer

14.3 

PA See

PA Strasse PA Luft

Lesebeispiel: Bei einem Arbeitskostenvorteil von 30% kann das Produkt PB bis etwa 9.000 km per LKW ohne Kostennachteile transportiert werden

20.000 [km]

PB See

PB Strasse

16.000 Entfernung

Standortfaktoren

14.000 12.000 PB Luft

10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 20

25

30

35

40

45

50

55

60

65

[%]

75

Arbeitskostenvorteil Anmerkungen: Frachtraten auf Basis Kunden- und A T Kearney Benchmark-Daten. Arbeitskosten auf Basis 33 /Std und 80% Effizienz

Bild 14.9: Maximaler wirtschaftlicher Transportradius (Beispiel) (B. Schmidt, A.T. Kearney) © IFA 15.260_B 15.260 B

Lebenszyklus gefragt, um zu erkennen, wie einfach es ist, das Produkt zu verlagern: je höher die Reife, desto einfacher aus Produktionssicht. Die Marktkomplexität beschreibt demgegenüber anhand der sieben links im Bild genannten Kriterien, wie eng die Bindung an den jeweiligen Kunden hinsichtlich der Produktausführung ist und welche lokalen Bedingungen einschränkend wirken können. Je höher die Marktkomplexität, desto wichtiger wird die Nähe zum Kunden. Daraus ergeben sich vier Felder, denen je ein Begriff zur Kennzeichnung des Standortes zugeordnet wurde. Das globale Leitwerk stellt diejenigen Produkte her, die durch eine dort entwickelte, hohe Produktionskompetenz gekennzeichnet sind und eine Nähe zur Forschung und Produktentwicklung benötigen. Ein regionales Leitwerk ist in der Nähe des oder der Kunden angesiedelt, hat aber eine eigenständige Produktionskompetenz entwickelt und besitzt eine spezifische FuE-Kompetenz. Das lokale Server-Werk steht ebenfalls in der Nähe des Kunden, benötigt aber keine hohe Produktionskompetenz, während das Offshore-Werk auf Standardprodukte mit der Ausnutzung lokaler Kostenvorteile ausgerichtet ist.

Die Strategie Kostenreduktion erfordert nach Bild 14.7 eine Gesamtkostenbetrachtung über die Stufen Einzelkosten, Stückkosten sowie Einbezug der Gemeinkosten und der sogenannten versunkenen Kosten. Bei Letzteren handelt es sich um Kosten, die am Stammort bereits angefallen sind (z.B. für Produktionsmittel, Ausbildung oder den Aufbau örtlicher Lieferanten und Dienstleister), am neuen Standort aber noch einmal anfallen. Hierzu ist u. a. eine Transportkostenanalyse erforderlich, die darstellt, bis zu welcher Entfernung ein Produkt unter Berücksichtigung des Arbeitskostenvorteils am Verlagerungsort noch wirtschaftlich transportiert werden kann. Bild 14.9 stellt nach einem Vorschlag von A.T. Kearney exemplarisch für zwei Produkte PA und PB den Verlauf des maximalen wirtschaftlichen Transportradius für die Frachtwege Straße, See und Luft dar. In diesem Fall zeigte sich, dass für die meisten Produkte des betreffenden Kunden die Transportkosten keinen Hinderungsgrund für ein sogen. Global Footprint Design darstellen. Nach Untersuchungen des WZL der RWTH Aachen versteht man darunter die Erarbeitung von Konzepten über die langfristig anzustrebende räumliche Verteilung von Produktionskapazitäten,

14

405

14  Strategische Standortplanung

Internationalisierungsstrategie Following Customer

Technologieerschließung

1. Bedeutung des Schlüsselkunden 2. Belastbarkeit der zugesagten Absatzmenge bzw. der Absatzprognose 3. Unterstützungsleistungen des Kunden während des Produktionsanlaufs 4. Zertifizierungs- und Local-content-Anforderungen 5. Entwicklungsfähigkeit des lokalen Marktes 6. Fühlungsvorteile und neue Kooperationspotenziale mit dem Kunden, z.B. in der Produktentwicklung 7. Kosten und gebundenes Kapital durch die Duplizierung von Anlagen 8. Verfügbarkeit und Fluktuation (Wechselneigung) entsprechend qualifizierter Arbeitskräfte 9. Koordinierungs- und Qualitätssicherungskosten 10. Langfristige Auswirkungen (z.B. Gebundenheit des „Folgens“

1. Existenz eines Lead Marktes vor Ort („Technology Pull“) 2. Nähe zu innovativen Clustern und führenden F&E Zentren („Technology Push“) 3. Kooperationspartner mit innovativem Ergänzungsprofil 4. Konzentration der Wettbewerber vor Ort 5. Möglichkeit zum Schutz von Technologien, Patenten, Lizenzen, Marken 6. Personalverfügbarkeit und Fluktuationsrate 7. IuK-Infrastruktur 8. Sprachbarrieren und Verständigungsprobleme 9. Möglichkeiten des Wissenstransfers 10. Entwicklungsfähigkeit des lokalen Marktes vs. Trennung von F&E und Produktion

Bild 14.10: Erfolgskritische Faktoren für die Strategie Following Customer und Technologieerschließung © IFA 15.261_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

15.261 B

-kompetenzen, -prozessen und -ressourcen unter Berücksichtigung strategischer und wirtschaftlicher Kriterien [Schu04]. Für die beiden weiteren Internationalisierungsstrategien „Following Customer“ und „Technologieerschließung“ fasst Bild 14.10 die Faktoren zusammen.

14

406

Viele Unternehmen der Zulieferindustrie sind mit der Forderung eines oder mehrerer Kunden konfrontiert, ihnen an einen ausländischen Standort zu folgen, um dort einen Teil des dortigen Beschaffungsnetzes zu bilden. Der Standort soll zum einen den gewohnten Standards hinsichtlich Qualität und Liefertreue genügen und zum anderen den Anteil der lokalen Wertschöpfung erhöhen. Bild 14.10 links nennt die hier zu beachtenden 10 wichtigsten Faktoren der FollowingCustomer-Strategie, von denen der Umsatzanteil dieser Kunden im Vergleich zu den übrigen Kunden, die Sicherheit der Abnahmemengen sowie die Unterstützung beim Hochlauf die höchste Bedeutung besitzen. Zertifizierungs- und local-content-Forderungen können gegenüber heimischen Wettbewerbern Vorteile bieten, ebenso wie die Nähe zum Endkunden z.B. bei der Weiterentwicklung der Produkte. Die Entwick-

lungsfähigkeit des neuen Standortes kann auch die Chance zur Ausweitung des Umsatzes eröffnen, während die Kosten der neuen Anlagen, die Wechselneigung der Arbeitskräfte und die Koordinierungs- und Qualitätssicherungskosten als Risikofaktoren gelten müssen. Bei nüchterner Abwägung aller Vor- und Nachteile einschließlich der Risiken wird u.U. der Verlagerungsschritt wenn auch nicht völlig verneint, so doch zumindest aufgeschoben. Die Erfolgsfaktoren der Strategie Technologieerschließung (Bild 14.10 rechts) beginnen mit der Notwendigkeit sogenannter Lead Märkte, die durch einen hohen Anspruch der Kunden und innovationsfördernde Rahmenbedingungen gekennzeichnet sind, wie z.B. strenge Umweltschutzauflagen. Die Nähe zu führenden Forschungseinrichtungen, das Vorhandensein innovativer Kooperationspartner und die räumliche Konzentration der Wettbewerber schafft eine stimulierende Atmosphäre. Als kritische Faktoren müssen die Möglichkeit des Know-how-Verlustes, die Personalbeschaffung und Gefahr der Abwanderung, die Sprachund Kulturbarrieren und der möglicherweise unbefriedigende Wissenstransfer an den Stammort in Betracht gezogen werden. Schließlich kann die Trennung der F&E-Aktivitäten von der Produktion zum Nachteil

14.4  Vorgehensmodell Standortauswahl

werden. Das gilt aber nur, wenn am Auslandsstandort auch die komplette Konstruktion der Produkte erfolgt und nicht nur Funktionsmuster gebaut werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Einzelfall auch eine Kombination der Strategien möglich ist, von denen die Erschließung neuer Märkte verbunden mit einem Kostensenkungsziel die häufigste ist. Weiterhin ist zu beachten, dass aus vielerlei Gründen nicht immer ganze Produkte verlagert werden, sondern nur bestimmte Komponenten oder Baugruppen. Diese Strategie verknüpft die Fertigung know-howintensiver Kernkomponenten am Stammort mit der kostengünstigen Fertigung lohnintensiver Komponenten und deren marktnaher Komplettierung. Hierauf geht Abschnitt 14.6 unter dem Begriff Produktionsstufenmodell noch näher ein.

14.4  Vorgehensmodell Standortauswahl Die Vorgehensweise zur Auswahl eines Standortes wird maßgeblich durch die Produktionsstrategie sowie den Anlass und Umfang der ins Auge gefassten Verlagerung bestimmt. Als typische Fälle können gelten [Mey06]:

•  Es liegt ein weitgehend definierter Produkt- und

• 

Prozessumfang mit vergleichsweise geringer Vernetzung zu anderen Standorten und Lieferanten vor. Diese Situation ist typisch für mittelständische Unternehmen mit wenigen Standorten, Kunden und Lieferanten. In der Regel ist die Kostenreduktion, verbunden mit einer Markterschließung, das Motiv für eine Standortsuche. Das Unternehmen (meist ein Konzern) ist in einer größeren Anzahl von Geschäftsfeldern tätig, die sich aber in den Zielmärkten und Produkten wenig überschneiden. Dabei geht es um die Bewertung derjenigen Bereiche des Portfolios, deren Kapitalrendite und operative Aufwendungen durch einen internationalen neuen Standort am stärksten verbessert werden können.

•  Der

komplexeste Fall liegt bei Unternehmen mit einem Angebot an tief strukturierten Serienprodukten des Automobil- und Maschinenbaus vor, die in einem global verteilten Produktionsnetz Fabriken mit einem bestimmten Fokus betreiben, wie z.B. Komponentenherstellung oder Endmontage. Hier spielen nicht nur die logistischen Wechselbeziehungen zwischen den Werken, sondern auch die Warenströme der Zulieferer wegen des großen Zulieferanteils eine bedeutende Rolle. Häufig ergeben sich auch Rückwirkungen auf die Technologieauswahl und die Produktkonstruktion. In einem solchen Fall geht es um die ständige Anpassung des gesamten Produktionsnetzes unter dem Gesichtspunkt der Gesamtkosten.

Dennoch lässt sich ein allgemeines Vorgehensmodell empfehlen, das von einer größeren Anzahl möglicher Standorte auf Länderebene in einer stufenweisen Einschränkung zu einer lokalen Standortentscheidung führt, Bild 14.11 [Mey06]. Es soll hier nur ganz kurz kommentiert werden, eine detaillierte Beschreibung findet sich in [Abe06]. Der von der Unternehmensberatung McKinsey entwickelte Ablauf beginnt mit einer Vorauswahl von Ländern, in denen bestimme Produkte und Fertigungsschritte sinnvoll produzierbar erscheinen. Welche Länder attraktiv erscheinen, hängt von der zuvor zu entwickelnden Produktionsstrategie ab. Die in Bild 14.7 und Bild 14.10 vorgestellten erfolgskritischen Faktoren für die vier typischen Strategien bieten hierzu eine wertvolle Hilfe. Im einfachsten Fall erfolgt diese Vorauswahl durch erfahrene Entscheidungsträger, ggf. unterstützt durch eine externe Beratung. Die zweite Stufe umfasst die Festlegung eines zunächst noch nicht näher lokalisierten Standortes auf Länderebene und dessen Einbindung in die zu beliefernde Märkte, in das eigene Produktionsnetz und in das Lieferantennetz. Als wesentliches Entscheidungskriterium dienen die sogenannten Total Landed Costs. Darunter wird die Summe aus Herstellkosten und allen Transaktionskosten für die gesamte Wertschöpfungskette bis zur Verfügbarkeit im Markt verstanden.

14

407

14  Strategische Standortplanung

Anzahl Produkte/ Prozesse

Anzahl Länder/ Regionen

Globale Vorauswahl von Ländern, Produkten und Fertigungsschritten Wahl von Standort und Funktionsumfang auf Länderebene Lokale Vorauswahl “Long List”

Mögliche Auswahllogik/-ergebnisse • Beschränkung auf Geschäftsbereiche/Werke/ Produkte/Fertigungsschritte mit größtem Potenzial • Beschränkung auf attraktive Länder • Festlegung der grundsätzlichen Netzwerktopologie (z. B. Volumenwerke zur Teilefertigung und marktnahe Montagestandorte) • Festlegung der Zielländer mit geringsten Total Landed Costs • Festlegung attraktiver Standorte innerhalb eines Landes anhand von Mindestanforderungen

Lokale Zwischenauswahl

• Beschränkung auf Optionen mit bester Wirtschaftlichkeit auf Basis von Schätzung für Grundstückspreise, Löhne usw.

Lokale Standortauswahl

• Detaillierte Vergleichsrechnung auf Basis aller relevanten Faktoren • Bewertung der Faktoren (z.B. Grundstückspreise) auf Basis direkt realisierbarer, verhandelter Werte

Standortentscheid Bild 14.11 Vorgehensmodell zur Standortwahl 15.262 B(Meyer) © IFA 15.262_B

14

408

Die lokale Vorauswahl hat zum Ziel, etwa 10 bis 30 attraktive Standorte innerhalb eines Landes zu finden, die in einem nächsten Schritt auf 3 bis 5 Optionen zu reduzieren sind. Die Kriterienliste wird zunehmend lokale Faktoren berücksichtigen, um schließlich zu Verhandlungen mit den Grundstückseignern und den lokalen Behörden zu gelangen, die möglichst parallel zu führen sind. Die endgültige Standortauswahl erfordert eine sorgfältige Vergleichsrechnung, wobei die Amortisationszeit der getätigten Investitionen und der Arbeitskostenanteil zu den häufigsten Indikatoren zählen. Generell ist aufgrund der inzwischen vorliegenden Erfahrungen davon auszugehen, dass die Anlaufzeiten und -kosten häufig unterschätzt werden. Auch die Gemeinkosten für Aufbau, Koordination und Kontrolle des neuen Standortes werden meist zu gering angesetzt und nicht richtig verrechnet, und schließlich findet die dynamische Veränderung der Preise und Lohnkosten vor Ort nicht genügend Berücksichtigung.

14.5  Bildung von Produktionsstufen In den bisherigen Ausführungen zur Suche eines neuen Produktionsstandortes wurde nicht näher auf die Frage eingegangen, welche Bestandteile eines Produktes oder einer Produktgruppe dort zu fertigen sind. Da diese Daten die Ausgangsbasis der gesamten Standortplanung bilden, ist die Beantwortung dieser Frage noch Teil der strategischen Planung und Eingangsinformation für die Fabrikplanung. Generell sind die folgenden Aspekte zu bedenken:

•  Welche •  • 

Produktkomponenten sind lohnintensiv und welche sind materialintensiv? Wo findet die Komplettierung des Endproduktes statt? Welche Technologien sind am Stammort und welche am neuen Standort unter dem Gesichtspunkt Kostenreduktion und Know-how-Schutz sinnvoll?

14.5  Bildung von Produktionsstufen

•  Welche Konsequenzen hat eine verteilte Produkti•  • 

on auf die Logistikprozesse und das Supply Chain Management? Wie werden die bisherigen und ggf. neuen Zulieferer eingebunden? Genügt die Produktstruktur den Anforderungen einer verteilten Produktion?

Als Lösungsansatz wurde das in einem vom BMBF geförderten Projekt entwickelte Produktionsstufenkonzept [Wie04] auf seine Anwendung in einem globalen Produktionsnetzwerk ausgeweitet und zu einem Globalen Varianten-Produktionssystem GVP weiter entwickelt [Nyh08]. Mit der zugrunde liegenden Methodik und entsprechenden Werkzeugen sollen technologisch anspruchsvolle Produkte an international verteilten Standorten manuell oder automatisiert in variablen Stückzahlen in hoher Variantenvielfalt hergestellt werden. Gegenüber

dem Produktionsstufenkonzept werden nunmehr die Beschaffung und die Produktion an international verteilten Standorten einbezogen. Der Ansatz bedingt zunächst eine Identifizierung von Kernbaugruppen, die sowohl marktrelevant als auch know-how-intensiv sind und in denen sich die technologischen Kernkompetenzen des Unternehmens bündeln. Daraus ergeben sich die drei Produktionsstufen Beschaffung, Eigenproduktion und marktnahe Komplettierung, die logistisch zu verknüpfen sind. Bild 14.12 zeigt die hierzu entwickelten GVP-Module. Die einzelnen Schritte sind in [Nyh08] ausführlich beschrieben und die Anwendung wird durch eine beigelegte CD mit Checklisten unterstützt. Bei der Produktstrukturierung geht es darum, die funktionsbezogene Kernkompetenz auf Kernkomponenten zu konzentrieren, die zum Schutz des Knowhows in Eigenfertigung produziert werden. Ein

Internationale Kooperationsbeziehungen

Produktstrukturierung

Technologiedifferenzierung

Produktionsstufenund Logistikgestaltung

Produktionsstufen Standort ABCD

Beschaffung Produkt

Produktion Variante 2

Einkauf

Umfeld

Eigenfertigung



Anforderungen



Ressourcen



Stärken und



Schwächen

und Montage

Techn . Kompetenzen . Technolog. Kompetenzen

Vertrieb Personal

Beschaffung Beschaffung

Variante 3

Entwicklung

Variante 1 Standort A

B

C

D

Kompetenz Kompetenzgetriebene getriebene Eigenproduktion Eigenproduktion Marktnahe Marktnahe Komplettierung Komplettierung

14

Logistische Logistische Verkn ü pfung Verknüpfung

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

15.263 B

Bild 14.12: Globales Varianten-Produktionssystem GVP © IFA 15.263_B

409

14  Strategische Standortplanung

zweiter Schwerpunkt liegt in der Minimierung der internen Produktvielfalt gegenüber der vom Markt geforderten externen Vielfalt. Zur konkreten Durchführung der Produktstrukturierung dient ein Datenmodell, das ausgehend von der Funktionsstruktur des Endproduktes die als Stückliste gespeicherte Erzeugnisstruktur ableitet. Jede Stücklistenposition wird mit der zugehörigen Prozessstruktur hinterlegt, wobei ein Prozess eine Fertigungsoperation, ein Montageschritt oder ein Beschaffungsvorgang sein kann. Bild 14.13 zeigt dieses in einer relationalen Datenbank abgelegte integrierte Produktmodell, das die datentechnische Verknüpfung der Funktionen, Erzeugnispositionen und Prozessschritte erlaubt und damit die Konsistenz der Daten sicherstellt. Wird ein Element in einem der Teilmodelle geändert, erscheinen sämtliche Verknüpfungen zu den entsprechenden Elementen der anderen beiden Modelle. Die Funktionsstruktur stellt die vom Produkt angebotenen Funktionen dar, die hinsichtlich der Kundensicht, Wettbewerbsdifferenzierung und Komplexität

14

Markt

Erzeugnis

Produktion

Kompetenz

Kundenwahrnehmung Wettbewerbsdifferenzierung

Entwicklungswissen

Fertigungswissen

Komplexität

Angebotene Variantenvielfalt

Komponententyp Fertigungsstufe

Prozessabfolge Produktionsort

Funktionsstruktur

Erzeugnisstruktur

Prozessstruktur

Integriertes Produktmodell

Bild 14.13: Integriertes Produktmodell © IFA 15.264_B © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

410

kennzeichnet werden. Bei der Kundenwahrnehmung wird gefragt, ob die Funktion mehr oder weniger wichtig für die Kaufentscheidung ist, während die Wettbewerbsdifferenzierung darstellt, ob diese Funktion beim Wettbewerb vorhanden ist oder nicht. Die Komplexität beschreibt, ob die angebotene Variantenvielfalt der Funktion mehr oder weniger vom Kunden beeinflusst werden kann. Die Erzeugnisstruktur bildet den physischen Aufbau des Produktes in einer Strukturstückliste als Maximalstückliste mit sämtlichen Varianten ab. Diese Struktur wird je nach Komplexität des Produktes bis auf die Einzelteilebene hinunter erstellt oder nur bis auf die Baugruppen erster und zweiter Ordnung, die dann je nach Bedeutung weiter getrennt zu analysieren sind. Die Prozessstruktur dokumentiert zu jedem Prozesselement den Prozesstyp (Beschaffen, Verändern, Vereinigen oder Prüfen) und den (vorläufigen) Ort und die Art (Eigen- oder Fremdfertigung) der Durchführung. Das Fertigungswissen wird danach klassifiziert, ob es nur im eigenen Unternehmen vorhanden ist, auch bei wenigen Wettbewerbern,

15.264 B

14.5  Bildung von Produktionsstufen

1 Produktbezogene Kernkompetenz in wenigen Komponenten konzentrieren 2 Produktionsbezogene Kompetenz in Kernkomponenten konzentrieren 3 Produktionskompetenz in der Eigenfertigung konzentrieren 4 Externe Produktvielfalt an die vom Markt geforderte Vielfalt angleichen 5 Interne Produktvielfalt unter Beachtung der externen Produktvielfalt minimieren 6 Interne Produktvielfalt in wenigen Komponenten konzentrieren 7 Funktionsüberschneidungen zwischen Komponenten minimieren Bild 14.14: Gestaltungsprin­ zipien für Produkte hinsichtlich Komplexitätsreduzierung und Kernkompetenzsicherung

8 Externe Varianten spät bilden 9 Länderspezifische Varianten spät bilden

© IFA 15.265_B

bei den meisten Wettbewerbern oder als Stand der © Institut für Fabrikanlagen und Logistik 15.265 Technik gilt. Mit der Analyse der vorhandenen Funktions-, Erzeugnis- und Prozessstruktur werden die Ansatzpunkte zur Verbesserung der Erzeugniskonstruktion und der Produktionsprozesse erkennbar. Bild 14.14 nennt die sich daraus ergebenden neun Gestaltungsprinzipien, die auf der einschlägigen Literatur und den Erfahrungen der am Projekt beteiligten Firmen beruhen. Als Gestaltungsansätze stehen Integrieren, Differenzieren, Substituieren, Eliminieren und Verlegen von Konstruktionselementen zur Verfügung. Bevor über die endgültige Verteilung der Wertschöpfung auf unterschiedliche Standorte entschieden werden kann, sind im Rahmen der internationalen Kooperationsbeziehungen Anforderungen an mögliche Kooperationspartner sowie deren Stärken und Schwächen zu analysieren und zu bewerten. Die ins Auge gefassten Partner und deren Standorte bilden die Ausgangslage, gefolgt von den Zielen der Kooperation (Kosten, Markt, Kunden, Technologie) und dem Gegenstand der Kooperation (Fertigung, Montage, Entwicklung, Zukauf usw.). Daraus ergeben sich die Anforderungen zunächst an die Ressourcen

des Partners (Management, Produktion, Beschaffung, F&E, Vertrieb, Personal, Kapital, Zuverlässigkeit usw.), aber auch an das lokale Umfeld (Infrastruktur, Service, Zulieferer, Ausbildungsstätten usw.). Mit den Ressourcen des eigenen Betriebes sind die von der Kooperation betroffenen eigenen Ressourcen gemeint, die mit dem Kooperationspartner zusammenarbeiten müssen. Hier sind neben den fachlichen Ressourcen vor allem die personellen Voraussetzungen hinsichtlich der Sprach- und Kulturkenntnisse kritisch zu beleuchten. Die Kooperationsressourcen schließlich betreffen das gemeinsame Informations-, Wissens- und Konfliktmanagement. Auf Basis der Produkt- und Kooperationsanalyse kann gemäß Bild 14.12 als nächster Schritt die sogenannte Technologiedifferenzierung erfolgen. Sie dient der Analyse der zur Produktherstellung notwendigen standortübergreifenden Prozessketten auf Basis der Technologiekompetenz und -attraktivität. Durch die Gegenüberstellung in einer Matrix entsteht das ursprünglich von Pfeiffer [Pfe91] entwickelte und im Rahmen von GVP adaptierte Technologieportfolio, Bild 14.15a. Statt der ursprünglichen Skalierung in niedrig, mittel und hoch wird hier ein Nutzwert verwendet, der sich aus dem Erfüllungsgrad von Einzelkriterien ergibt [Sch08].

B

14

411

14  Strategische Standortplanung

nz te pe m ko rn Ke

ng ru zie en er iff D

0

rd da an St

Nutzwert Technologieattraktivität

100 %

Nutzwert Technologiekompetenz

100 %

Kernkompetenzprozess • Investition • Geschäftsfelderweiterung Differenzierungsprozess • Investition • Technologiesubstitution • Aufteilung in Standard- oder Kernkompetenzprozesse Standardprozess • Maßnahmenreduzierung • Desinvestition • Technologierückzug

Prozesse

a) Technologieportfolio

b) Normstrategien

Bild 14.15: Prozessklassen und Normstrategien im Technologieportfolio © IFA 15.266_B

Als Technologiekompetenz werden die vom Unternehmen beeinflussbaren © Institut für Fabrikanlagen und Logistik 15.266produktionstechnischen B Fähigkeiten sowie die dazugehörigen Betriebseinrichtungen und das personalgebundene Know-how zur Erfüllung eines bestimmten Prozessschrittes bezeichnet. Demgegenüber beschreibt die Technologieattraktivität das Weiterentwicklungspotenzial der jeweiligen Fähigkeiten. Die Positionierung der Prozesse in der Matrix erlaubt die Unterscheidung in Kernkompetenz-, Differenzierungs- und Standardprozesse. Für jeden Prozesstyp stehen Normstrategien zu deren Behandlung zur Verfügung, Bild 14.15 b. Kernkompetenzprozesse stellen herausragende Fähigkeiten mit dem Ziel der Technologieführerschaft dar, die durch Investitionsmaßnahmen zu stützen und auf möglichst viele Geschäftsfelder anzuwenden sind. Beispiele sind spezielle Beschichtungs- oder Fügeverfahren. Standardprozesse sind von geringer strategischer Bedeutung und sind möglichst wirtschaftlich zu betreiben. Differenzierungsprozesse überstreichen das Feld zwischen hoher Kompetenz und niedriger Attraktivität bis zur niedrigen Kompetenz und hohen Attraktivität. Je nachdem, ob diese Prozesse in Kernkomponenten eingesetzt werden, ist in diese Prozesse zu investieren, damit sie zu Kernkompetenzen werden, oder sie können an einen strategischen Partner verlagert werden. Die eigentliche Technologiedifferenzierung besteht darin, dass man versucht, durch eine entsprechende

14

412

konstruktive Umgestaltung des Produktes dessen Komponenten aufzuteilen. Derjenige Teil der Komponenten, die das funktionale Kern-Know-how enthalten, werden mit einer Kernkompetenz erstellt, während die anderen Teile, die eine Standardfunktion erfüllen, möglichst mit einer Standardtechnologie hergestellt werden und damit je nach Kostensituation auch verlagerbar sind. Schließlich ist (s. Bild 14.12 rechts) in der Produktionsstufen- und Logistikgestaltung die kompetenzorientierte Aufteilung der Produktion auf die verschiedenen Standorte zu bestimmen. Dabei sind folgende Leitfragen zu beantworten:

•  Was ist der optimale Fertigungsumfang an einem •  • 

Standort? Wo sind welche Teile der Wertschöpfungskette zu lokalisieren? Wie sind die Materialflüsse im globalen Netzwerk strategisch zu gestalten?

Zunächst muss eine Ist-Analyse Aufschluss über den Wertstrom und die Gesamtkosten im Produk­ tionsnetz geben. Bild 14.16 zeigt ein fiktives Beispiel für das Wertstromdiagramm einer abgegrenzten Produktfamilie. Das von einem Lieferanten per Flugzeug angelieferte Ausgangsmaterial wird in Hannover zu Varianten veredelt, per LKW nach Prag transportiert, dort kundenspezifisch endmontiert und dann dem dortigen Vertriebspartner in einem

14.5  Bildung von Produktionsstufen

Lager bereitgestellt. Die Zeitlinie zeigt wertschöpfende und nicht wertschöpfende Durchlaufzeitanteile, und in den Datenkästen werden die einzelnen Zeit- und Bestandswerte an den Standorten sowie die Zeit-, Distanz- und Losgrößenwerte für die Transportstrecken notiert. Hieraus ergeben sich erste Anregungen für die Verbesserung des Ablaufs durch Weglassen, Zusammenfassen, Parallelisieren usw. [Wag08].

kosten „nur“ 6,8 % der sogenannten erweiterten Stückkosten. Für den Fall einer Programmierung im Ausland würden sich die Kostenanteile entsprechend verschieben. Darüber hinaus darf das Risiko, das mit den großen Entfernungen und vielen unterschiedlichen Partnern anderer Kulturen hinsichtlich der Reaktionsfähigkeit auf plötzliche Änderungen des Bedarfs verbunden ist, nicht aus den Augen verloren werden. Diese betreffen z.B. die Unternehmensausrichtung des Lieferanten, den örtlichen Service usw. Diese Faktoren gehen in eine qualitative Beurteilung ein, die zusammen mit der quantitativen Analyse zu einer endgültigen Entscheidung führt.

Die Gesamtkosten eines Produktes im Netzwerk werden auch als Total Cost of Ownership bezeichnet und umfassen neben den Einstandskosten noch Handlingkosten, Kosten mangelnder logistischer Prozesssicherheit (Transportausfälle, Zolltarifänderungen, Verlust usw.), Steuerungs- und Systemkosten, Transaktionskosten, Transportkosten, Währungskurseffekte, Bestands- und Qualitätskosten. Bild 14.17 zeigt das fiktive Beispiel einer solchen Analyse für die IC-Programmierung eines IC-Chips am Standort Hannover. Hier betragen die Zusatz-

Die darauf folgende Gestaltung der örtlichen Produktionsumfänge orientiert sich an der Bündelung von Produktionsaufgaben mit gleicher Kompetenz. Bild 14.18 zeigt das daraus resultierende verallgemeinerte Produktionssystem mit drei charakteristischen Produktionsstufen.

PPS

Montage

Fertigung V

Vertriebspartner

Lieferant

Hannover Durchlaufzeit Wertschöpfende Zeit Schichten Bestand Rohmaterial Work in Progress Bestand Fertigwaren Defekte

Prag

Durchlaufzeit

Zeitlinie Durchlaufzeit (wertschöpfend)

Mitarbeiter

V Variantenbildungspunkt

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

Prag

Dauer Zyklus Distanz Transportlos Transportdefekte

14 Summe Durchlaufzeit Summe Durchlaufzeit (wertschöpfend)

Lager

15.267 B

Bild 14.16: Standortübergreifende Wertstromanalyse (Beispiel) © IFA 15.267_B

413

14  Strategische Standortplanung

Teilename Laufzeit (Jahre) Jahresmenge (Stück) Produktionsstufe

IC Chip 6 100.000 IC Programmierung Hannover

Quantitative Bewertung Kostentyp

Beschreibung

Betrag []

erweiterte Stückkosten

Fertigungskosten, Materialkosten, Rabatte, Zahlungskonditionen, Gebäudekosten, Entwicklungsgemeinkosten, Verwaltungs- und Vertriebskosten

5,00

Werkzeugkosten

Komplettwerkzeugkosten über die Laufzeit (incl. Reparatur, Ersatz)

0,02

Logistikkosten

Transport, Verpackung, Versicherungen, Gebühren, Zölle, Ein-/ Ausfuhrsteuern

0,29

Standardtransport

incl Verpackung, Versicherung, Gebühren, Zollabwicklung

0,09

Alternativtransport

incl Verpackung, Versicherung, Gebühren, Zollabwicklung

0,10

Zölle, Ein-/ Ausfuhrsteuern

0,10

Lieferantenqualifizierung

Projektaufwand Personal + Reisekosten + sonstige Kosten

0,01

Serienbetreuung

Serienaufwand Personal + Reisekosten + sonstige Kosten

0,00

Zölle, Steuern

Bestände

Kapitalbindung für Ware in Transit und Sicherheitsbestand

0,03

Gesamtkosten

5,34

Zusatzkosten in Prozent der Gesamtkosten

6,8%

Bild 14.17: Quantitative Bewertung einer Beschaffungsentscheidung (Beispiel) © IFA 15.268_B

stitut für Fabrikanlagen und Logistik

14

414

15.268 B

Bei der Beschaffungsstufe geht es um Teile, für die das Unternehmen keine Kompetenz oder Kostenvorteile besitzt. Durch den Kauf in den Hauptabsatzländern kann zusätzlich das Währungsrisiko vermindert werden. Die Eigenproduktionsstufe umfasst Teile und Baugruppen, welche die Kernkompetenz und die Produktion am Standort sichern sowie das Knowhow schützen. Schließlich ermöglicht die marktnahe Komplettierungsstufe von Kernkomponenten die Lieferung länderspezifischer Varianten in kurzer Zeit und die Erfüllung von Forderungen nach einem bestimmten Anteil lokaler Wertschöpfung. Die so definierten Produktionsstufen erfordern schließlich ein anpassungsfähiges logistisches Versorgungssystem, wobei Fragen der örtlichen oder zentralen Lagerhal-

tung und deren möglichst enge Anbindung an die Absatzregionen im Vordergrund stehen. Aus fabrikplanerischer Sicht bedingt der GVP-Ansatz nicht nur örtlich wandlungsfähige Produktionseinrichtungen und Gebäude, sondern auch ein ebenso wandlungsfähiges logistisches Verteilernetz für den physischen Materialfluss. Damit sind bei der Fabrikplanung auch die grundsätzlich denkbaren Belieferungs- und Distributionskonzepte als Varianten vorzusehen und in ihrer Ausprägung ebenfalls wandlungsfähig zu gestalten. Die hier vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten wurden in Kapitel 9 behandelt. Mit diesen Ausführungen ist die Betrachtung aller Ebenen einer Fabrik hinsichtlich ihrer technischen,

14.6  Literatur

organisatorischen und räumlichen Gestaltung abgeschlossen. Die folgenden Kapitel behandeln die Fabrikplanung aus Sicht des Ablaufs einer Fabrikplanung und des dazu notwendigen Projektmanagements.

[Eve96]

[Jun04]

14.6  Literatur [Abe06]

[Au07]

 bele, E., Kluge, J., Näher, U. (Hrsg.): A Handbuch Globale Produktion. Hanser, München Wien 2006 Aurich, J.C., Wolf, N., Fuchs, Ch.: Strukturierte Standortplanung. Konzept zur systematischen Auswahl von Standorten. Industrie Management 23 (2007) 3, S. 43–46

Beschaffungsstufe Welche Baugruppen werden zugekauft? • Erschließung von Kostenvorteilen • Währungsausgleich • Nutzung der Kompetenz der Zulieferer

[Kin04a]

[Kin04b]

Kompetenzgetriebene Eigenproduktionsstufe Was wird selbst gefertigt und montiert?

• Sicherung von Kernkompetenzen • Know-how Schutz • Variantenreduzierung am Standort D • Standortsicherung D

globale Standortwahl

lokale Standortwahl Deutschland

 versheim, W.: Standortplanung. E In: Eversheim, W., Schuh, G. (Hrsg.): Produktion und Management „Betriebshütte“. 7. Aufl., S. 9–40 bis 9–57. Springer, Berlin Heidelberg 1996 Jung Erceg, P.: Optimierungspotenzial am deutschen Standort bewerten. Das Konzept des Instruments. In: Kinkel, S. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Standortplanung. In- und ausländische Standorte richtig bewerten, S. 131–161. Springer, Berlin Heidelberg 2004 Kinkel, S. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Standortplanung. In- und ausländische Standorte richtig bewerten, S. 17– 48. Springer, Berlin Heidelberg 2004 Kinkel, S., Lay, G., Jung Erceg, P.: Problemfall internationale Standortbewertung oder: Warum neue Lösungen

Marktnahe Komplettierungsstufe Was wird marktnah komplettiert?

• Ausdifferenzierte Marktversorgung • Beherrschung länderspezifischer Varianten • Erfüllung von local content-Anforderungen globale Standortwahl

14

Europa

Bild 14.18: Produktionsstufenbildung © IFA 15.269_B

© Institut für Fabrikanlagen und Logistik

15.269 B

415

14  Strategische Standortplanung

[Mey06]

[Nyh08]

[Paw08]

[Pfe91]

14

416

notwendig sind. In: Kinkel, S. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Standortplanung. Inund ausländische Standorte richtig bewerten, S. 17– 48. Springer, Berlin Heidelberg 2004 Meyer, T.: Investitionen in Auslandsstandorte: Bewertung und Auswahl. In: Abele, E., Kluge, J., Näher, U. (Hrsg.): Handbuch Globale Produktion, S. 102–142. Hanser, München Wien 2006 Nyhuis, P., Nickel, R., Tullius, K. (Hrsg.): Globales Varianten Produktionssystem. Globalisierung mit System. PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2008 Pawellek, G.: Ganzheitliche Fabrikplanung. Grundlagen, Vorgehensweise, EDV-Unterstützung. Springer, Berlin Heidelberg 2008 Pfeiffer, W., Metze, G., Schneider, W.: Technologie-Portfolio zum Management

[Sch08]

[Wag08]

[Wie04]

strategischer Zukunftsfelder, 6. Aufl. Verlag Vandenhoek und Ruprecht, Göttingen 1996 Schünemann, W.: GVP-Modul Technologiedifferenzierung. In: Nyhuis, P., Nickel, R., Tullius, K. (Hrsg.): Globales Varianten Produktionssystem. Globalisierung mit System, S. 98–123. PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2008 Wagner, C., Großhennig, P.: Produktionsstufen- und Logistikgestaltung. In: Nyhuis, P., Nickel, R., Tullius, K. (Hrsg.): Globales Varianten Produktionssystem. Globalisierung mit System, S. 124–163. PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2008 Wiendahl, H.-P., Gerst, D., Keunecke, L. (Hrsg.): Variantenbeherrschung in der Montage. Konzept und Praxis der flexiblen Produktionsendstufe. Springer, Berlin Heidelberg 2004

Kapitel 15 Synergetische Fabrikplanung

15.1 

15

418

Ansatz

423

15.2  Prozessmodell

427

15.3  Zielfestlegung 15.3.1 Hauptschritte 15.3.2 Logistikprofil Standort 15.3.3 Umfeldanalyse 15.3.4 Erfolgsfaktoren 15.3.5 Veränderungstreiber 15.3.6 Szenarienerstellung 15.3.7 Visionsfindung 15.3.8 GENEering 15.3.9 Handlungsfelder

436 436 437 439 440 441 441 445 447 449

15.4  Grundlagenermittlung 15.4.1 Objektdaten 15.4.2 Prozessanalyse

450 451 454

15.5  Konzeptplanung 15.5.1 Strukturentwicklung 15.5.2 Strukturdimensionierung 15.5.3 Groblayoutplanung

460 460 463 471

15.6  Detailplanung 15.6.1 Verkehrswegesystem 15.6.2 Feinlayoutplanung

482 482 482

15.7  Realisierungsvorbereitung

487

15.8  Realisierungsüberwachung

487

15.9  Hochlaufbetreuung

487

15.10  Literatur

489

Bild 15.1: Meer der Schnittstellen

423

Bild 15.2: Synergetischer Ansatz der Fabrikplanung

424

Bild 15.3: Zusammenführung der Teilplanungen eines Fabrikobjektes

425

Bild 15.4: Produktzyklus Synergetische Planung

426

Bild 15.5: Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung

429

Bild 15.6: Anlaufphasen einer Fabrik aus Produkt- und Produktionssicht

432

Bild 15.7: Fachliche Abstimmung der Teilplanungsprozesse

433

Bild 15.8: Inhaltliche Abstimmung der Teilplanungsprozesse

434

Bild 15.9: Gestaltungs- und Leitungsaufgaben in einem Projekt (Schübel Wiendahl)

435

Bild 15.10: Ablaufschritte Ziel- und Projektdefinitionsworkshop

437

Bild 15.12: Produktionsnetz für eine Produktgruppe [nach K. Windt]

438

Bild 15.11: Analyse Produktionsprogramm für einen Standort

438

Bild 15.13: Logistikprofil eines Standortes

439

Bild 15.14: Unternehmens- und Umfeldanalyse (Beispiel)

440

Bild 15.15: Erfolgsfaktoren der Produkte (Beispiel)

441

Bild 15.16: Veränderungstreiber für die Produktion (Beispiel)

442

Bild 15.17: Erstellung von Szenarien (nach Gausemeier)

442

Bild 15.18: Lenkbare und nicht lenkbare Schlüsselfaktoren der Fabrik

443

Bild 15.19: Grobszenarien für einen Automobilzulieferer

444

Bild 15.20: Vision, Metaziele und Fabrikstrategie (Beispiel)

445

15

419

15

420

Bild 15.21: GENEering Ansatz

446

Bild 15.22: Aspekte und Bewertung des Faktors Wandlungsfähigkeit (Beispiel)

447

Bild 15.23: Beispiel eines Gen-Codes für ein Objekt

448

Bild 15.24: Kern- und Supportprozesse eines Produktionsunternehmens

449

Bild 15.25: Aufbau einer Datenbedarfsliste

450

Bild 15.26: Produktionsprogramm eines Pumpenherstellers (Beispiel)

451

Bild 15.27: Lageplan eines Werkes (Beispiel)

452

Bild 15.28: Flächenbilanz eines Automobilzulieferer-Werkes

453

Bild 15.29: Planungsannahmen für ein Fabrikprojekt (Beispiel)

453

Bild 15.30: Prozesskettenmodell nach Kuhn

454

Bild 15.31: Beschreibungsmerkmale eines Prozesskettenelementes (Kuhn)

455

Bild 15.33: Vorgehensschritte einer Wertstromanalyse

456

Bild 15.32: Ansätze zur Prozesskettenverbesserung

456

Bild 15.34: Beispiel Wertstromanalyse (Istzustand)

457

Bild 15.35: Beispiel Wertstromanalyse (Sollzustand)

457

Bild 15.36: Visualisierung von Materialflüssen (Beispiel)

458

Bild 15.37: Darstellung von Kommunikationsflüssen

459

Bild 15.38: Einflussfaktoren auf die Strukturbildung

461

Bild 15.39: Ebenen der Strukturplanung

462

Bild 15.40: Strukturierungsoptionen für eine Fabrik (Beispiel)

463

Bild 15.41: Mögliche Ausprägungen von Strukturvarianten (Beispiel)

464

Bild 15.42: Eingangsgrößen für die Ressourcendimensionierung

464

Bild 15.43: Systematik der Ressourcendimensionierung

465

Bild 15.44: Kapazitätsbedarf einer Produktgruppe (Beispiel)

466

Bild 15.45: Gegenüberstellung von Bedarfs- und Kapazitätsprofil

467

Bild 15.46: Flächengliederung nach VDI 3644

468

Bild 15.47: Bestandteile von Produktionsflächen

469

Bild 15.48: Lagerbereiche in Abhängigkeit vom Logistikprofil

470

Bild 15.49: Definition von Flächenmodulen

471

Bild 15.50: Layoutarten

472

Bild 15.51: Ideales Funktionsschema

473

Bild 15.52: Maßstäbliches Funktionsschema

474

Bild 15.53: 2D-Ideal-Groblayout

474

Bild 15.54: 3D-Ideal-Groblayout

475

Bild 15.55: Restriktionen der Reallayoutplanung

476

Bild 15.56: Entwicklung eines Reallayouts

477

Bild 15.57: Beispiel eines 3D-Groblayouts

478

Bild 15.58: 3D-Darstellung Außenansicht

478

Bild 15.59: Kriteriengewichtung in einer Nutzwertanalyse

479

Bild 15.60: Nutzwertanalyse – Bewertung von Varianten (Beispiel)

480

Bild 15.61: Nicht-monetäres Zielsystem für die Fabrikplanung

481

Bild 15.62: Erweiterter Kapitalwert für nichtmonetäre Ziele [nach Brieke]

481

Bild 15.63: Planung des Verkehrswegesystems

483

Bild 15.64: Ausschnitt aus einem 2D-Fein-Layout

484

15

421

15

422

Bild 15.65: Inhaltsverzeichnis eines Bauantrages

485

Bild 15.66: 3D-Feinlayout

485

Bild 15.67: Ausschnitt Feinlayout mit Technischer Gebäudeausrüstung

486

Bild 15.68: Anlaufkurve einer Produktion

488

15.1  Ansatz In der klassischen Fabrikplanung werden ausgehend von einer Aufgabenstellung und Zielsetzung üblicherweise zunächst die Arbeitsprozesse und Einrichtungen sowie das Layout geplant. Danach wird ein Architekt beauftragt, eine meist möglichst preiswerte Hülle mit der notwendigen technischen Gebäudeausrüstung zu entwerfen. Die Prozesse und Produktionsanlagen mit ihren Material-, Informations- und Personenflüssen stehen jedoch in enger Wechselbeziehung zur Haustechnik (Energie und Medien, Be- und Entlüftung usw.), die wiederum Bestandteil der Gebäudearchitektur ist. Die aufgrund des konventionellen Planungsansatzes üblicherweise entstehenden Insellösungen für den Standort, die Gebäude, die Haustechnik und die Prozesse führen zu dem in Bild 15.1 gezeigten sogenannten Meer der Schnittstellen [Rei08]. Diese Praxis führt während der Planung nicht nur zu Termin- und Budgetüberschreitungen. Sie er-

zeugt auch unzureichende Planungsergebnisse, die in Funktions- und Qualitätsmängeln, mangelnder Performance des Gebäudes und unzureichender Wandlungsfähigkeit in der Betriebsphase offenbar werden. Die geschilderte Situation wirft auch die Frage nach der Methodik der bisherigen Raumplanung auf. Ein kritischer Blick auf die übliche Bauwerksplanung offenbart gerade im Vergleich zur „digitalen“ Arbeitsweise fortschrittlicher Industrien gravierende Unterschiede und führt zur angesprochenen separierten Definition der Teilprojekte. Die Planung von Standort, Gebäuden, Haustechnik und Prozessen erfolgt überdies jeweils sequentiell gegenüber einem simultaneous engineering, wie er für die Produktentwicklung in der Stückgüterindustrie seit langem üblich ist. Diese kurze Charakterisierung der Planungsansätze klassischer Fabrik- und Bauplanungen zeigt, dass weiter gedacht werden muss. Die von den Autoren im

15 Bild 15.1: Meer der Schnittstellen ©Reichardt 15.457

423

15  Synergetische Fabrikplanung

Laufe eines Jahrzehnts entwickelte Synergetische Fabrikplanung beginnt daher schon bei der Zielplanung mit einer gemeinsamen Prozess- und Raumsicht, die sich über die Planungsphasen bis zur Inbetriebnahme fortsetzt [Wie96], [Wie97], [Wie02], [Nyh04], [Rei04], [Rei07]. Generell wird unter Synergie das Zusammenführen verschiedener Kräfte, Faktoren und Organe zu einer abgestimmten Gesamtleistung verstanden. Bild 15.2 verdeutlicht den Grundgedanken einer hierauf basierenden Fabrikplanung. Jeder Partner entwickelt zunächst aus seiner Prozessbzw. Raumsicht eine Vision und entwickelt danach die fachspezifischen Detailanforderungen in Stufen zunehmender Genauigkeit. Aus Prozesssicht stehen die klassischen Forderungen nach hoher Produktivität und Qualität, kurzer Durchlaufzeit und ergonomischer Gestaltung sowie als relativ neue Forderung die Wandlungsfähigkeit im Vordergrund. Letztere wirkt sich unmittelbar auf die Raumsicht aus und betrifft die Gebäudestruktur und ihre haustechnischen Einrichtungen. Weiterhin treten Forderungen auf, die aus den Wechselwirkungen der Fabrik mit einer zunehmend vernetzten Umwelt resultieren. Hierzu zählen die Lebenszyklusbetrachtung der Produkte und Einrichtungen sowie die Einbindung der Produktionsprozesse in Lieferketten und Produktionsnetze. Die Raumsicht beginnt nach der Entwicklung einer

Vision mit den eher harten Fakten wie Gebäudetechnologie und Energieverbrauch. Ökologische Überlegungen spielen sowohl beim Bau bezüglich des Energieverbrauchs, der verwendeten Werkstoffe als auch bei Prozessen eine Rolle, wenn es z. B. um gefährliche Zusatzstoffe und Abfälle geht. Die weichen Faktoren betreffen hier die Frage der einfachen personalen Kommunikation sowie das identitätsstiftende innere und äußere Erscheinungsbild. Alle Forderungen münden in einen synergetischen Ansatz, bei dem die Zielprojektionen zu einer von allen Planungsteammitgliedern getragenen Lösung verschmelzen. Dabei geht es nicht nur um rechenbare Fakten, sondern auch um emotionale Zustimmung. Entscheidend für die Nachhaltigkeit der gefundenen Konzeption ist die von ihr dauerhaft ausgehende Faszination. Die neue Qualität einer so definierten kooperativen Planung aus Prozess- und Raumsicht liegt in einer möglichst frühzeitig begonnenen Zusammenführung der räumlich durchgebildeten Teilprojekte Standort, Gebäude, Haustechnik und Prozess, immer wichtiger wird die ganzheitliche Betrachtung der Aspekte aus Nachhaltigkeit und Energieeffizienz, Bild 15.3 [Rei98], [Rei07]. Die Stellgrößen sind hierbei Material, Information und Kommunikation, Kapital und Personen, die ganzheitlich aus Sicht der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zusammenwirken.

Zeit

Ökologie Energie

Qualität Veränderungsfähigkeit Produktivität

Prozesssicht

Synergie suchen

Vision denken

15

Lebenszyklus

Bild 15.2: Synergetischer Ansatz der Fabrikplanung

424

Technologie

Vision denken

Ergonomie Vernetzung

©Reichardt 15.458

Raumsicht

Kommunikation Identität

15.1  Ansatz

Bild 15.3: Zusammenführung der Teilplanungen eines Fabrikobjektes ©Reichardt15.459

Grundsätzlich wird dabei eine dreidimensionale Abbildung aller Objekte angestrebt, die eine datentechnisch unterstützte Interaktion der Planungspartner ermöglicht. Die integrale Arbeitsweise verfeinert hierbei die 3D-Struktur sowie die attributiven Planungsdaten der Teilobjekte laufend vom Groben (Annahmen) zum Feinen (Festlegungen) und evaluiert Entscheidungswege anhand übergreifender Variantendiskussionen. Die spezifischen Zielprogramme der Teilprojekte im Hinblick auf die angestrebten Leistungsmerkmale Wandlungsfähigkeit und Investitionskosten können dabei mittels Pflichtenheft klar konturiert, in räumliche Modelle übersetzt und die Auswirkungen im Gesamtprojekt geprüft werden. Ein durchgängiges 3D-Datenmodell nutzt dabei die Potenziale gegenwärtiger CAD-CAM-Datenbank­ techniken zugunsten einer übergreifenden Projekt­ optimierung und zyklischen 3D-Qualitätssicherung. Dieser Ansatz wird auf der Prozessseite unter dem Begriff Digitale Fabrik und auf der Raumseite unter

dem Begriff BIM (Building Information Modeling) in Kap. 16 noch näher beschrieben. Auf Grundlage der räumlichen Optimierung dieses synergetischen Fabrikmodells sind darüber hinaus Kollisionsprüfungen und eine mitlaufende Qualitätskontrolle für alle Gewerke möglich. Insbesondere Kosten, Zeit und Qualität beeinträchtigende Konfliktpunkte zwischen Standort, Gebäude, Haustechnik und Nutzung/Prozess werden frühzeitig erkannt und nicht erst „auf der Baustelle“ oder während des späteren Betriebs beseitigt. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt der 3D-Modellierung ist die hohe unmittelbare Anschaulichkeit der Planungsergebnisse für alle Beteiligten. Der Ansatz darf sich aber nicht nur auf die Planungsphase beschränken, sondern muss in Zukunft den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes umfassen, Bild 15.4. Dabei wird ein integriertes Facility Management Datenmodell (in Zukunft auf dem BIM-Standard basierend, s. Kap. 16) folgende Möglichkeiten eröffnen.

15

425

15  Synergetische Fabrikplanung

Bild 15.4: Produktzyklus Synergetische Planung ©Reichardt 15.460

15

426

Beginnend mit der ersten Zielprojektion kann die Grundlagenermittlung bereits Zielkosten berücksichtigen. In der Konzeptionsphase und der damit verbundenen Feasibility Studie werden alle Raumelemente zusammen mit den Produktionseinrichtungen dreidimensional modelliert und ggf. animiert. Die Grob- und Feinplanung wird durch die modellorientierte Feinplanung, Ausschreibung und Anpassung der Kosten und Termine bei Änderungen und/oder Varianten vereinfacht. Die Ausführungsphase kann durch das 3D-Modell hinsichtlich Kollisionsprüfungen und Planung des Bauablaufs unterstützt werden. Im laufenden Betrieb ist ein räumlich strukturiertes Ablagemodell für alle Dokumente nützlich und schließlich sind Auswertungen der laufenden Baunutzungskosten in der Betriebsphase möglich. Sicher sind diese Vorstellungen auf absehbare Zeit vor allem für kleinere Objekte noch nicht wirtschaft-

lich umsetzbar. Sie zeigen jedoch den Weg, auf dem sich die Fabrikplanung in Zukunft entwickeln wird und der im Folgenden als Synergetische Fabrikplanung bezeichnet werden soll. Die Nutzung des Ansatzes der Synergetischen Fabrikplanung bedarf jedoch zunächst eines klar strukturierten Prozessmodells, das auch ohne eine 3D-Modellierung anwendbar ist. Es muss folgende Forderungen erfüllen, die sich an den Prinzipien des Systems Engineering orientieren:

•  Festlegung

eines Anforderungskatalogs, der von einer Unternehmensvision und einem Markenanspruch ausgeht. Daraus sind gleichrangig harte Faktoren wie Produktivität, Materialfluss, Energieverbrauch usw. und weiche Faktoren wie Kommunikation, Identität und Wandlungsfähigkeit usw. abzuleiten.

15.2  Prozessmodell

•  Aufgliederung

•  •  •  •  •  • 

• 

der Planungsaufgabe in Gestaltungsebenen, die zunehmend genauer ausgeformt werden. Sie reichen von der Einbettung des Generalbebauungsplans in die lokale Umgebung über die Einzelgebäude bis hin zu deren Unterteilung in Bereiche und Arbeitsplätze. Möglichst weitgehende Parallelisierung der Teilaufgaben zur Verkürzung der Planungsdauer. Synergetische Lösungsfindung für die Prozesse, Betriebseinrichtungen und Räume, in denen diese Prozesse stattfinden. Aufbau eines Datenmodells, das sowohl die Prozesse als auch Räume dreidimensional abbildet. Standardisierung sich wiederholender Aufgaben zur Verringerung des Planungsaufwandes und Erhöhung der Planungsqualität. A nwendung einer begrenzten Anzahl normierter Werkzeuge zur Vereinheitlichung der Ergebnisdarstellung Definition von Meilensteinen im Sinne von Quality-Gates zur Verbesserung der Ergebnisqualität und zur Vermeidung der Weitergabe unentdeckter Fehler. Installation eines Projektmanagements nach fachlichen, organisatorischen und atmosphärischen Gesichtspunkten.

Dieses Modell soll im Folgenden zunächst in seiner Struktur vorgestellt werden.

15.2  Prozessmodell Ein Fabrikplanungsprojekt kann nach Anlass, geforderter Genauigkeit, organisatorischen Randbedingungen, ausgewähltem Betrachtungsbereich, angestrebter Verwendung der Planungsergebnisse und der Ergebnisdarstellung unterschieden werden. Die Anforderungen an einen Planungsprozess gestalten sich somit abhängig von der Projektart sehr unterschiedlich: Je nach Projekttyp (Neuplanung, Erweiterung oder Reorganisation) ergeben sich unterschiedliche Zielsetzungen, die wiederum differenzierte

Vorgehensweisen zu bedingen scheinen. Dennoch sind grundsätzliche Phasen eines Planungsprozesses erkennbar, die mehr oder weniger detailliert durchlaufen werden müssen. Dieser Ansatz wurde bereits von vielen Autoren herausgestellt, s. u. a. [Wie72], [Ket84], [Agg87], [Wie96], [Fel98], [Gru00], [Dan01], [Sch04], [Paw08], und in einer VDI-Richtlinie aufgegriffen [VDI09]. Hinsichtlich einer zukünftigen Fabrik sind heute jedoch relativ neue Aspekte zu berücksichtigen, die sich aus deren Einbindung in ein globales Produktionsnetz und das damit einhergehende, zunehmend unprognostizierbare Marktverhalten ergeben. Der dazu passende Ansatz der Wandlungsfähigen Fabrik wurde in Kap. 5 entwickelt. Darüber hinaus sind – wie bereits mehrfach ausgeführt – Fabrikeigenschaften gefragt, die sich durch die Berücksichtigung nicht nur harter Faktoren wie Materialfluss, Flächennutzung, Energieverbrauch usw., sondern auch weicher Faktoren wie Kommunikation, Nachhaltigkeit und Attraktivität auszeichnen. Ziel der heutigen Fabrikplanung ist also nicht mehr die Entwicklung einer langfristig festgelegten Produktionseinrichtung für ein weitgehend stabiles Produktionsprogramm nach Gesichtspunkten der Kostenminimierung, sondern vielmehr die Ausgestaltung eines Lösungsraums für differenzierte Produktionsszenarien. Mit dem Ansatz der Synergetischen Fabrikplanung wird daher angestrebt, innerhalb kürzester Zeit mit minimalem und stark vernetztem Ressourceneinsatz das gewünschte Planungsergebnis zu erzeugen. Die Form der Zusammenarbeit verschiebt sich hierbei von dem isolierten Abarbeiten einzelner Arbeitspakete hin zu einem kreativen interdisziplinären Dialog, in dem die zunächst nur grob skizzierte Vision der Fabrik zielgerichtet und stufenweise in eine konkrete Lösung überführt wird. Möglich wird dies neben der Anwendung der o.g. Planungsgrundsätze durch die Nutzung der teilweise bereits angesprochenen neuen Medien und Arbeitstechniken, wie Tools der Digitalen Fabrik [VDI08] (s. Abschn. 16.8), des Building Information Modeling (s. Abschn. 16.9), des Facility Management (Kap. 17), der SharePoint Server oder von Telefon- und Video-

15

427

15  Synergetische Fabrikplanung

konferenzen. Der verstärkte Einsatz von Simulationswerkzeugen für Material-, Kommunikations- und Energiefluss sowie zur Simulation von Luftströmungen und Lichtverteilungen unterstützt dabei die Absicherung der Ergebnisqualität. Letztlich kann jedoch jedes Projekt mit standardisierten Prozessen durchgeführt werden, wobei der Detaillierungsgrad einzelner Prozessschritte je nach Projektart und -komplexität unterschiedlich ausfällt. Weiterhin ist die elektronische Dokumentation der Ergebnisse selbstverständlich, bspw. durch den Aufbau entsprechender Serversysteme und Datenbanken. Die strukturiert erzeugten Dokumente bilden gleichzeitig die Basis für das spätere Facility Management. Über eine Zuweisung von Dokumenten zu Projektteams oder einzelnen Mitarbeitern lassen sich die Rückverfolgbarkeit von Änderungen sowie die notwendige Prozesstransparenz sicherstellen. Das im Folgenden vorgestellte Prozessmodell gibt einen strukturierten Ordnungsrahmen für die genannten Planungsfälle vor, der sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit auszeichnet. Dies resultiert in einem modularen Aufbau, in dem Abhängigkeiten genau beschrieben und die Verknüpfungen zwischen einzelnen Prozessen nachvollziehbar gestaltet sind. Zusätzliche Informationen bezüglich anzuwendender Methoden und Werkzeuge sowie die Bewertung der Ergebnisqualität sind ebenfalls Teil eines solchen Beschreibungsmodells. Das nach diesen Vorüberlegungen entwickelte Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung zeigt Bild 15.5.

15

428

Den Ausgangspunkt bilden die Leistungsphasen der Produktionsplanung, die aus den Hauptprozessen Analyse, Strukturdesign, Layoutgestaltung sowie der Umsetzung des Projektes nach Planungsabschluss bestehen. Dieses Teilmodell beschreibt die Gestaltung der technologischen und logistischen Prozesse sowie der Produktionseinrichtungen und deren Anordnung nach Gesichtspunkten des Material- und Kommunikationsflusses usw. in Stufen zunehmender Konkretisierung. Dem stehen die Leistungsphasen der Objektplanung zur Gestaltung der Innen- und Außenräume

einer Produktionsstätte aus architektonischer Sicht gegenüber. Diese bestehen nach der gesetzlich geregelten Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) aus neun Leistungsphasen von der Grundlagenermittlung bis zur Objektbetreuung und Dokumentation [HOAI09]. Die HOAI beschreibt den Inhalt der Leistungsphasen, legt fest, wie Architekten- und Ingenieurhonorare der Gebäudeplanung und Außenanlagen zu ermitteln sind und schreibt in Honorartabellen die Preisgrenzen (Vorgabe von Mindest- und Höchstsätzen) für Architekten- und Ingenieurleistungen vor. Die Leistungsphasen der Synergetischen Fabrikplanung umfassen in einer Integration von Produktionsplanung und Objektplanung den Fabriklebenszyklusabschnitt von der Vorbereitung der Planung bis zum Betrieb in sechs voneinander abgegrenzten Phasen. Die Phasen beginnen mit dem Meilenstein M0 und werden jeweils mit einem Meilenstein (M1 bis M6) abgeschlossen. Ergänzt werden diese Phasen durch das begleitende Projektmanagement. Es besteht aus den Teilen Projektdefinition, -planung, -durchführung und -abschluss sowie der Auswahl der eingesetzten Werkzeuge und Kommunikationsstandards. Die Bezeichnung dieser Phasen folgt der VDI-Richtlinie VDI 5200 [VDI09]. Den Beginn des Synergetischen Prozesses bildet der Meilenstein Projektbeschluss (M0). Letzterer ist meist die Folge einer strategischen Neupositionierung des Unternehmens aufgrund starker Veränderungsimpulse. Er basiert ggf. auf einer strategischen Vorstudie, wie sie im Kap. 14, Strategische Standortplanung, vorgestellt wurde. Die von der Geschäftsführung festgelegten wesentlichen Eckpunkte betreffen das Produktionsprogramm, den Standort, den Eigenfertigungs- und Zukaufanteil, die Vernetzung mit anderen Standorten sowie eine Zielvorstellung für den Fertigstellungstermin und manchmal auch das Investitionsvolumen. Diese bilden die Eingangsinformationen für die Phase der Zielfestlegung und Grundlagenermittlung. Die eigentliche Fabrikplanung beginnt mit der Zielfestlegung und Grundlagenermittlung. Hierzu erarbeitet das Projektmanagement mit der Produktionsplanung auf Basis des Meilensteins 0 eine Vision,

15.2  Prozessmodell

Leistungsphasen der Produktionsplanung Strukturdesign

Analyse A1

A2

S1

Layoutgestaltung

S2

L1

L2

Leistungsphasen der Objektplanung nach HOAI

Umsetzung U1

U2

U1: Vergabe U2: Überwachung U3: Hochlauf

S1: Strukturentwicklung S2: Strukturdimensionierung

2

4 Genehmigungsplanung

5 Ausführungsplanung

3

Vorplanung

Entwurfsplanung

U3

L1: Groblayoutplanung L2: Feinlayoutplanung

A1: Objektanalyse A2: Prozessanalyse

1 Grundlagenermittlung

7

Mitwirkung bei der Vergabe

8

6 Vorbereitung der Vergabe

Objektüberwachung

9 Objektbetreuung und Dokumentation HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure

Leistungsphasen der Synergetischen Fabrikplanung

A1

A2

S1

S2

M1

M0 1

L2

L1 M2

2

Konzeptplanung Zielfestlegung und Grundlagenermittlung

U2

U1 M3

3

4

5

M4 6

Detailplanung

7

Realisierungsvorbereitung

M5 8

U3

M6

9

Realisierungsüberwachung

Hochlaufbetreuung

Projektmanagement (Definition, Planung, Durchführung, Abschluss, Werkzeuge)

Meilenstein

Teilprozess Produktionsplanung

Teilprozess Objektplanung

Teilprozess Synergetische Fabrikplanung

Bild 15.5: Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung ©IFA 15.461

Mission sowie strategische Ziele für die neue Fabrik. Parallel dazu erfolgt die Grundlagenermittlung aus Objektsicht. Im nächsten Schritt dieser Leistungsphase werden aus Sicht der Produktionsplanung die Rahmenbedingungen des Projektes in zwei Schritten analysiert. In der Objektanalyse (A1) geht es zum einen um die Produkte mit ihren Derivaten, ihren Varianten und ihrem Stücklistenaufbau, unterteilt nach Eigenfertigungs- und Zukaufteilen und Komponenten. Zum anderen ist eine Bestandsaufnahme neuer oder vorhandener Betriebseinrichtungen mit ihren Flächen und dem erforderlichen Personal notwendig. Sie wird ergänzt um Personal und Büroflächen für Marketing, Vertrieb, Forschung und Entwicklung, Arbeitsvorbereitung, Fertigungssteuerung sowie die Supportfunktionen Personal, Finanzen, Controlling, usw. Der Schritt der Prozessanalyse (A2) untersucht demgegenüber die Pro­duktions­abläufe aus technologischer Sicht auf Basis der Arbeitspläne und

Ablauforganisation. Ergänzend kommt die Analyse der Logistik hinzu, d.h. der Anlieferkonzepte der Lieferanten, die Steuerung der Produktion und das Auslieferungskonzept für die Fertigwaren mit den notwendigen Lager- und Transporteinrichtungen. In Einzelfällen müssen weitere Objekte und Abläufe einbezogen werden, wie z. B. eine Versuchseinrichtung oder ein Technikum für Kundenschulung. Seitens der Objektplanung findet nach HOAI in dieser Leistungsphase die Klärung der Aufgabenstellung aus Sicht der Bauplanung statt. Gerade bei komplexen Industrieprojekten gestaltet sich die Grundlagenermittlung der Ausgangsdaten für die Gebäudeplanung meist schwierig. Gründe hierfür liegen u. a. in der stets gegebenen Vermischung von „harten“ Angaben (z. B. zu Stützenrastern, lichten Raumhöhen) mit mehr „weichen“ Faktoren (z. B. Kommunikationsbeziehungen zwischen Mitarbeitern und Kunden) sowie einer großen Meinungsvielfalt der Beteiligten. Von den Verfassern wurde daher in vielen Projekten

15

429

15  Synergetische Fabrikplanung

eine nach „harten“ und „weichen“ Lösungsräumen strukturierte Moderationstechnik eingesetzt. Diese geht von der Vorstellung eines Gebäudes als technischem Organismus aus. Das bewusste Aufspüren und Setzen der gestaltprägenden „Gene“ führt zu einem „strukturierten Geburtsprozess“, der als GENEering bezeichnet wird (vgl. Abschnitt 15.4). Als Ergebnis liegen am Meilenstein M1 folgende Unterlagen vor:

•  die Vision und Mission der Fabrik, •  ein abgestimmtes Anforderungsprofil, •  die Fabrikstrategie und -ziele sowie notwendige •  •  •  • 

15

430

Handlungsfelder, die Aufgabenstellung nach HOAI, das Beschaffungs- und Distributionsmodell, eine Maschinenliste mit Raumattributen sowie ein grober Projekt-Terminplan.

Diese Punkte bilden mit den entsprechenden Dokumenten die Agenda für das Meilensteintreffen mit dem Lenkungsausschuss. In der sich anschließenden Konzeptplanung werden aus Sicht der Produktionsplanung die Prozessphasen der Strukturentwicklung (S1) (dimensionslos) und Strukturausplanung (S2) (dimensioniert) sowie die Groblayoutplanung (L1) durchlaufen. Dabei wird entweder die vorhandene Produktionstechnologie oder eine neue Technologie aus einem parallel laufenden Projekt übernommen. Bei der Strukturentwicklung (S1) liegt der Fokus auf der Ermittlung von Strukturvarianten. Sie beschreiben in einer 2D-Darstellung die Beziehungen zwischen den Fertigungs-, Montage- und Logistikbereichen. Dies geschieht auf der Basis bestimmter Strukturbeziehungen wie z. B. Technologie oder Produktgruppen. Anschließend erfolgt für die erarbeiteten Strukturen die Strukturdimensionierung (S2) durch die Bestimmung der Anzahl notwendiger Produktionsmittel sowie deren Flächen, der Anzahl der Mitarbeiter sowie in Abstimmung mit der Objektplanung die Dimensionierung der Gebäuderaster und Bebauungsflächen. Diese werden im nächsten Schritt, der Groblayoutplanung (L1), ohne Details der Einrichtungen, meist in Form von Blöcken, räumlich angeordnet. Die gefun-

dene Struktur wird hier unter Beachtung von weiter verfeinerten Anordnungskriterien wie Produkt, Technologie, Werkstoff usw. zunächst in ein Ideallayout umgesetzt. Die Objektplanung konzentriert sich parallel dazu auf die Erarbeitung eines Planungskonzeptes für den Bau unter Beachtung der Tragfähigkeit, Genehmigungsfähigkeit und Kosten nach Leistungsphase 2 der HOAI. Den Abschluss dieser Leistungsphase bildet eine Machbarkeitsstudie des Gebäudes (sog. Feasibility-Studie). Die Qualität dieser FeasibilityStudie liegt in der synergetischen Zusammenschau der bis zu diesem Zeitpunkt erarbeiteten Zielvorstellungen aus Standort, Prozess und Organisation, Gebäude und Haustechnik in einem räumlichen Gesamtmodell. Das Modell vermittelt dem Lenkungsausschuss und Projektteam das Zusammenspiel der Produktionseinrichtungen mit dem Gebäude. Nutzungsaspekte wie Kommunikation oder der Einsatz von Tageslicht werden in visuell sinnlicher Weise vermittelt. Parallel stehen realistische Kenndaten wie die Größe der Bruttogeschossflächen und der Kubatur als maßgebende Richtgrößen für die Kostenschätzung zur Verfügung. Darüber hinaus können aus den in der 3D- Modellierung angelegten Datensätzen mit relativ überschaubarem Aufwand Videoanimationen des Projektes erzeugt werden. Gerade für die vergleichende Bewertung ggf. alternativer Szenarien ist die Überzeugungskraft bewegter Bilder von großem Vorteil. In das mit dem Projektteam vorab abgestimmte „storyboard“ (Drehbuch) können auch Prozessanimationen wie z. B. Materialflusssimulationen eingebettet werden. Anhänge D 1 und D 2 enthalten Beispiele für derartige Videoanimationen. Es zeigt die innere und äußere Gestaltung eines Gebäudes in seiner Umgebung und seine späteren Ausbaustufen. Nach Abschluss der Konzeptplanung liegen am Meilenstein M2 folgende Ergebnisse vor:

•  das Produktionskonzept, •  das Volumen- und Flächenprogramm (mit Raum• 

spiegel, Bruttogeschossflächen und Bruttorauminhalt), eine Kostenschätzung nach DIN 276,

15.2  Prozessmodell

•  ein • 

integriertes 3D-Raum- und Produktionskonzept sowie ein aktualisierter Terminplan.

Nun folgt die Leistungsphase Detailplanung. Sie umfasst seitens der Produktionsplanung die Festlegung der Betriebseinrichtungen für Fertigung, Montage und Logistik sowie die Feinlayoutplanung (L2). Durch die Berücksichtigung von Restriktionen der Produktion und des mittlerweile bekannten Gebäudekonzeptes entsteht eine realistische Ausplanung der Fabrik mit Positionierung der Einrichtungen, Wege, Medienanschlüsse usw. Die Objektplanung erstellt in dieser Projektphase die Objektentwürfe nach Leistungsphase 3 der HOAI. Es müssen notwendige Genehmigungen eingeholt und die Ausführungsplanung angestoßen werden (Leistungsphase 4 und 5). Als Ergebnisse liegen bei M3 vor:

•  das •  •  •  •  •  •  • 

Feinlayout mit genau lokalisierten Betriebseinrichtungen, Nutzerfreigaben, die Genehmigungsplanung, die Ausführungsplanung der Teilgewerke, Absicherung der Entwurfsplanung auf Machbarkeit und Kosteneinhaltung, die Kostenberechnung nach DIN 276 sowie das Raumbuch und der Feinterminplan.

Mit dem Erreichen des Meilensteins M3 ist die eigentliche Planung des Fabrikobjektes abgeschlossen. In der anschließenden Realisierungsvorbereitung geht es um die Umsetzung der Planungsergebnisse. Produktionsseitig erfolgt die Vorbereitung der Vergabe neuer Produktionseinrichtungen und ggf. Anpassung zu übernehmender Betriebsmittel (U1). Die Objektplanung wird zum wesentlichen Treiber der Objektrealisierung, während der Fabrikplaner stärker als Prozessbegleiter fungiert. Objektseitig ist die Werkplanung und Vergabe der Gewerke auf Basis von Ausschreibungsunterlagen durchzuführen und zu begleiten, Leistungsphase 6

und 7 HOAI (die verschiedenen vertraglichen Formen werden in Abschn. 16.5 behandelt). Mit Erreichen des Meilensteins M4 liegen vor:

•  die Ausschreibungen der Teilgewerke, •  ein Kostenanschlag nach DIN 276 sowie •  die Detailterminplanung. Die folgende Leistungsphase Realisierungsüberwachung dient aus Sicht der Produktionsplanung der Kontrolle des Baufortschritts sowie dem korrekten Einbau der Betriebseinrichtungen. Die Planer der Einzelgewerke nehmen die erbrachten Leistungen auf Objektseite (Leistungsphase 8 HOAI) und Produktionsseite ab. Die Objektplanung (Leistungsphase 9 HOAI) veranlasst in der Gewährleistungszeit bei Auftreten von Mängeln und Eintritt der Gewährleistung für unvollständig oder fehlerhaft erbrachte Bauleistungen die Mängelbeseitigung. Hierbei ist ein enger Kontakt von Raum- und Prozessseite unverzichtbar. Spätestens jetzt empfiehlt sich, die gesammelten „as built“-Informationen aus dem Raumbuch (Ausführungsphase) und der Abschlussdokumentation für die Betriebsphase in ein Facility Managementsystem (vgl. Kapitel 17) zu überführen. Die Fabrik ist bei Erreichen des Meilensteins M5 bezugsfertig. Es liegen dann vor:

•  die •  • 

Leistungsabnahmen der Einrichtungen und Gebäude, die Kostenfeststellung nach HOAI sowie die Abschlussdokumentation.

Die letzte Leistungsphase besteht in der Hochlaufbetreuung. Der Schwerpunkt dieser Phase liegt auf dem Anlauf der Produktion des Produktes bis zur Erreichung der vereinbarten Produktionsleistung. Hierzu gibt Bild 15.6 einen genaueren Einblick [Zeug98] und [Win07].

15

Zu unterscheiden sind hier neben der bisher primären Fabrikplanungssicht die Produkt- und Produktionssicht. Für die Produktentwicklung (Bild 15.6a) ist nach Abschluss der Konstruktion der Produk­tionshochlauf

431

15  Synergetische Fabrikplanung

Produktplanung

Konstruktion

Serienanlauf Prototypen bau Vorserie

Nullserie

Produktionshochlauf

abgesicherte Produktion

a) Produktsicht

Anlagenanlauf

M4

FreigabeBaustelle

GebäudeErrichtung

M4.1

AnlagenEinbringung

Freigabe Anlagenmontage

M4.2

Inbetriebnahme

M4.3

Freigabe Anlagennutzung

Probebetrieb

Freigabe Produktion

b) Produktionssicht

M5

Übergabe Bau

Hochlauf

M6

M7

Übergabe Anlagen Normalbetrieb Meilensteine gemäß Bild 15.5

D13963

Bild 15.6: Anlaufphasen einer Fabrik aus Produkt- und Produktionssicht © IFA 15.523

15

432

Teil des Serienanlaufs, der mit dem Prototypenbau beginnt. Hier interessieren das Produkt und seine Eigenschaften. In Automobilunternehmen stehen hierfür eigene streng abgeschirmte Fabriken zur Verfügung, bei kleineren Produkten entstehen die Prototypen meist im Versuchs- oder Betriebsmittelbau. Danach startet eine Pilotserie, unterteilt nach Vor- und Nullserie, auf den mittlerweile aufgebauten neuen Produktionseinrichtungen. Meist sind dann noch Produktanpassungen oder Änderungen an den Betriebsmitteln erforderlich. Wenn die Ergebnisse zufriedenstellend sind, fährt die Produktion hoch, bis ein stabiler Betrieb erreicht ist. Aus der Produktionssicht (Bild 15.6b) beginnt die Realisierung der Produktion mit dem Baubeginn, gefolgt von der Errichtung des Baus bis zur Freigabe der Einbringung der Betriebseinrichtungen (M4.1). Dazu gehört auch eine sorgfältige Umzugsplanung. Hier interessiert aus Sicht des späteren Nutzers die Prozesssicherheit der Produktionsanlagen. Mit der Freigabe der Anlagennutzung (M4.2) kann der eigentliche Anlagenanlauf beginnen. Zunächst wer-

den die Einrichtungen bei der Inbetriebnahme auf Funktionstüchtigkeit geprüft (M4.3), an die sich für den Fall der Serienfertigung die eigentliche Produktion mit Vorserie, Nullserie und Volllastbetrieb anschließt. In der Einzel- und Kleinserienfertigung wählt man exemplarische Fälle aus. Eingebettet ist die Bauabnahme mit Übergabe (M5). Der stabile Dauerbetrieb ist erst mit dem in Bild 15.5 nicht enthaltenen Meilenstein 7 erreicht. Mit Abschluss der Phase (Meilenstein M6) ist die Fabrik also vollständig in Betrieb und das Projekt aus Sicht der Fabrikplanung abgeschlossen. Je nach Vereinbarung geht die Verantwortung jetzt auf den Nutzer über. Sowohl die Leistungsfähigkeit der Fabrik, als auch das Planungsprojekt selbst sollten zu diesem Zeitpunkt abschließend bewertet werden. Als Ergebnisse liegen in M6 vor:

•  die Feststellung der Volllastfähigkeit, •  eine Bewertung der Zielerreichung (PerformanceKontrolle) sowie

15.2  Prozessmodell

•  die Dokumentationsübergabe und der Rechnungs-

sen fachlichen Abstimmungsprozess schematisch am Beispiel der Konzeptplanung. In dieser Phase müssen die auf die Planungsobjekte Raum, Betriebsmittel und Organisation hin orientierten Fachdisziplinen zunächst ihre Teilergebnisse erarbeiten und zu einem vereinbarten Termin präsentieren. Die Planungsobjekte stehen jedoch in funktionellen Wechselbeziehungen zueinander, die durch die hinterlegte Matrix angedeutet sind. Bspw. benötigt der Raumplaner, um eine Gebäudestruktur vorschlagen zu können, ein Strukturbild der Fabrik, aus dem er die wesentlichen Bereiche und deren Verknüpfung erkennen kann. Die Teilergebnisse werden an die betreffenden Partner in Form von Plänen, Diagrammen, Listen usw. weitergereicht (Austauschprozess). An bestimmten Punkten der Konzeptplanung erfolgt eine Abstimmung aller beteiligten Disziplinen, meist in einem Workshop. Dieser stellt einen Meilenstein für das Projektmanagement dar. Das Ergebnis bildet die Planungsgrundlage für die nächste Phase und ist mit bestimmten Freigaben seitens des Bauherrn verbunden, bspw. für das Konzept und eine Teilzahlung.

abschluss. Die skizzierten 6 Planungsschritte werden durch ein Projektmanagement begleitet. Dieses beginnt mit der eingangs geschilderten Projektdefinition, bei der es um die breit abgesicherte Zielsetzung für das Projekt geht. Der zweite Baustein beinhaltet die Projektplanung, deren Ziel die möglichst eindeutige Definition der Projektphasen und ihrer Ergebnisse ist. Die Projektdurchführung beschäftigt sich mit der Organisation und Dokumentation des laufenden Projektes und der Projektabschluss dokumentiert schließlich die Ergebnisse. Zur Aufgabe des Projektmanagements gehört auch die Vereinbarung der eingesetzten Werkzeuge zur Erarbeitung, Darstellung und Dokumentation der Ergebnisse. Einzelheiten dazu werden in Kap.16 Projektmanagement im Abschn. 16.8 digitale Werkzeuge vorgestellt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die erläuterten Meilensteine, da sie der fachlichen, zeitlichen und kostenmäßigen Abstimmung sowie Freigabe durch den Lenkungsausschuss dienen. Bild 15.7 zeigt die-

Raum

Organisation

Mittel

Raum Grundlagenermittlung

Konzeptplanung Mittel

Detailplanung

Realisierungsvorbereitung

Realisierungsüberwachung

Hochlaufbetreuung

Organisation

1

2

3

15 1 Teilergebnis

2

Austauschprozess

3

Meilenstein

Teilprozesse verschiedener Planungsdisziplinen

Bild 15.7: Fachliche Abstimmung der Teilplanungsprozesse ©IFA 15.462

12.902

433

15  Synergetische Fabrikplanung

Das Ergebnis einer solchen konkreten Abstimmung zwischen Prozess- und Raumplanung zeigt Bild 15.8 an einem Beispiel. In der Phase der Detailplanung wird im Schritt L2 die genaue Position der Maschinen bestimmt. Damit steht fest, an welchen Stellen der Fabrik ggf. Abwärme oder Dämpfe entstehen. Diese Informationen bilden die Eingangsinformation für die Objektplanung, sodass die Fachplaner der Haustechnik die Abwärmequellen berücksichtigen und die Technische Gebäudeausstattung anforderungsgerecht auslegen können.

Stellenwert ein, wenn die Planungsergebnisse keine baulichen Veränderungen bedingen. Weiterhin sind Restriktionen, die sich aus der vorhandenen Gebäudesubstanz ergeben, im Rahmen der Produktionsplanung stärker zu berücksichtigen, während diese bei einer Grüne-Wiese-Planung meist eine deutlich geringere Rolle spielen. Die bisherigen Darlegungen bezogen sich auf die fachlichen Aspekte des Planungsmodells und bilden insgesamt den Schwerpunkt dieses Kapitels. Für den Erfolg eines Planungsprojektes sind aber noch methodische und atmosphärische Gesichtspunkte – also eher weiche Faktoren – maßgebend. Sie werden in ihrer Bedeutung für die Lösung der interessenbedingten Zielkonflikte meist unterschätzt und treten dann typischerweise erst bei den Abstimmungstreffen der Fachplanungen und den Meilensteintreffen zutage. Ausgehend von den jeweils spezifischen Rahmenbedingungen des Projektes ist generell zwischen den fachlichen, methodischen und atmosphärischen Aspekten der Projektarbeit zu unterscheiden: Bild

Unterschiede in der Anwendung der Synergetischen Fabrikplanung ergeben sich vornehmlich in der Bearbeitungstiefe, mit der die einzelnen Prozessphasen durchlaufen werden. So werden bspw. in einem Reorganisationsprojekt im Vergleich zu einer Neuplanung vermehrt Ist-Daten bestehender Prozesse aufgenommen, und der Schwerpunkt der Planung liegt im Bereich der Prozess- und Strukturoptimierung. Die Gebäudeplanung nimmt dann einen geringeren

Raum

Mittel

In der Ausplanungsphase müssen der Haustechnikplanung Informationen über die genaue Positionierung der Fertigungs- und Montagemittel sowie deren spezielle Wärmeabgabe übermittelt werden.

Organisation

Raum

Mittel

°C Organisation

°C

°C

°C

Beziehung zwischen Gestaltungsobjekten in der Ausplanungsphase

15 Grundlagenermittlung

Konzeptplanung

Detailplanung

Bild 15.8: Inhaltliche Abstimmung der Teilplanungsprozesse ©IFA 15.463

434

°C

Realisierungs- Realisierungsvorbereitung überwachung

Hochlaufbetreuung

15.2  Prozessmodell

!

       

 !          " 

 !            

 !  

 !

 !

 !  !



 

# #

   

   

! $ ! !$!

     

   

 ! ! !!

Bild 15.9: Gestaltungs- und Leitungsaufgaben in einem Projekt (Schübel Wiendahl) ©IFA 15.464

15.9 verdeutlicht diese Sichten und die daraus resultierenden Leitungsaufgaben des Projektmanagements unter Berücksichtigung aller drei Aspekte nach einem Vorschlag von H.-H. Wiendahl [WieH09]. Ursprünglich für die Gestaltung und Einführung eines Auftragsmanagement-Systems entwickelt, lässt sich der Ansatz wegen der vergleichbaren Projektkomplexität vorteilhaft auf ein Fabrikplanungsprojekt übertragen. Es handelt sich hier um einen soziotechnischen Ansatz. Er basiert einerseits auf dem von Katz entwickelten three-skill approach, der als personenbezogene Handlungs­kompetenz die fachliche, soziale und konzeptionelle Kompetenz unterscheidet [Kat55], [Son07]. Andererseits ist die systemische Analyse zu berücksichtigen, welche die Rahmenbedingungen sowie die Aspekte Mensch, Technik und Organisation eines Systems behandelt [Uli99], [May01]. Daraus ergibt sich als Empfehlung, zwischen einer fachlichen Projektleitung und einer Prozessbegleitung zu unterscheiden. Diese beiden Aufgaben sollten möglichst zwei Personen übertragen werden, welche die drei Aufgaben in unterschiedlicher Intensität wahrnehmen. Bild 15.9 a zeigt zunächst die relevanten Gestaltungsaspekte aus Projektsicht:

•  Die

• 

• 

• 

Rahmenbedingungen beschreiben das Gestaltungsobjekt und die aktuelle Situation sowie die produktionsrelevante Strategie des Unternehmens. Dieser Schritt wurde zum einen in Kap. 14 (Strategische Standortplanung) behandelt und wird zum anderen im Abschnitt 15.3 Zielfestlegung noch vertieft. Die Fach- und Sachthemen ergeben sich aus den Gestaltungsfeldern der Fabrik, die in den Kapiteln 6 bis 14 erläutert wurden. Sie stellen den Kern der Fabrikplanung dar und werden vom fachlichen Projektleiter verantwortet. Demgegenüber betreffen die emotionalen und sozialen Aspekte die Atmosphäre und Stimmung im Projekt bzw. Unternehmen sowie die informellen Beziehungen zwischen den Akteuren. Ihre angemessene Berücksichtigung liegt in der Verantwortung des Prozessbegleiters. A ls drittes Teilthema ist die Projektorganisation und Methodik festzulegen, welche das Vorgehen im Projektablauf bestimmt. Um sowohl fachliche als auch sozial-emotionale Aspekte zu berücksichtigen, trägt hier der fachliche Projektleiter und der Prozessbegleiter gemeinsam Verantwortung. Damit werden neben fachlichen auch methodische

15

435

15  Synergetische Fabrikplanung

und atmosphärische Qualitätskriterien für das Projekt formuliert. Bild 15.9 b detailliert den veränderlichen Anteil dieser beiden Leitungsaufgaben während der aufeinanderfolgenden Aufgaben Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Projekttreffen.

•  In der Vorbereitungsphase dominiert zunächst die

• 

• 

15

Die Gesamtverantwortung für das Projekt muss jedoch beim fachlichen Projektleiter liegen. Zusammenfassend lässt sich vorab festhalten, dass sich das Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung in vielen Projekten als praktikabel erwiesen hat, zu hochwertigen Ergebnissen führt und Abstimmungsprobleme verringert. Der Synergieeffekt ergibt sich demnach daraus, dass

•  in jeder Planungsphase ein kreativer Dialog zwi• 

436

fachliche Projektleitung, während mit den methodischen und dann atmosphärischen Fragestellungen der Prozessbegleiter an Bedeutung gewinnt. In der Durchführungsphase stellt der Prozessbegleiter die methodischen und atmosphärischen Voraussetzungen für eine fachlich zielführende Lösungsfindung sicher, um danach eher auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln zu achten. Die meist unbeliebte Nachbereitung der Projekttreffen ist zweigeteilt: Fachmethodisch muss der Projektleiter die Aufbereitung der Ergebnisse durchführen oder verantworten. Dabei ist auf inhaltliche Schlüssigkeit, zielgruppengerechte Aufbereitung der Ergebnisse sowie Darstellung von Konsens und Dissens zu achten. Atmosphärisch-methodisch reflektiert der Prozessbegleiter auf Basis der Rückmeldungen der Beteiligten die Qualität der Ergebnisse, die Einhaltung der Regeln und die Stimmung des Teams mit dem Ziel einer ständigen Verbesserung.

schen den phasenspezifischen Fachdisziplinen der Produktions- und Objektplanung stattfindet, ein gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen fachspezifischen Forderungen, Randbedingungen und Lösungsmöglichkeiten entsteht,

•  nicht

erst nach Abschluss der Fabrikplanung, sondern bereits nach jeder Phase ein zwischen der Produktionsplanung und Objektplanung abgestimmtes Teilergebnis vorliegt, •  durch die gesteuerte Abstimmung zwischen Produktions- und Objektplanung frühzeitig und konsequent die Aufmerksamkeit auf weiche Faktoren wie Mitarbeiterorientierung, Kommunikation oder Nachhaltigkeit der Fabrik gelenkt wird, •  möglichst durchgängig mit 3D-Darstellungen geplant wird, wodurch eine hohe Anschaulichkeit und Datenkonsistenz aller Daten im Lebenszyklus der Fabrik gewährleistet werden kann und schließlich R  •  isiken bei Ausführung des Baus und Inbetriebnahme des Prozesses der Fabrik vermindert werden. Im Folgenden werden die Leistungsphasen der Synergetischen Fabrikplanung detailliert vorgestellt. Der Fokus liegt hierbei auf den fachlichen Inhalten, die der Produktionsplaner in das Projekt einbringt. Die Beiträge der Objektplaner, die sie im Rahmen der HOAI liefern, sind Architektenleistungen und hiermit in Verbindung stehende Ingenieursleistungen. Deren Ausprägungen wurden bezogen auf die Fabrikebenen ausführlich in den Kapiteln 8 (Arbeitsplatz), 10 (Arbeitsbereich), 11 (Gebäude), 12 (Generalbebauung) und 13 (Standortplanung) beschrieben. Besonderer Wert wird auf die Beschreibung der Ergebnisse der Leistungsphasen und ihrer synergetischen Verknüpfung von Objektund Produktionsplanung gelegt. Die ebenso wichtigen Aufgaben des Projektmanagements der Bauplanung werden in Kap. 16 näher beschrieben.

15.3  Zielfestlegung 15.3.1 Hauptschritte Wie ausführlich in Kap. 1 und 3 dargelegt, ist eine ständige Anpassung der Unternehmensstrategie an die Marktanforderungen unerlässlich. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn die betrachtete Fabrik

15.3  Zielfestlegung

Unternehmens- und Umfeldanalyse • Logistikprofil Standort • Umfeldanalyse - Märkte und Kunden - Produkte und Dienstleister - Wettbewerber - Lieferanten

Ziel- und Strategiefindung • Erfolgsfaktoren der Produkte • Veränderungstreiber Produktion • Vision Standort - und Strategiedefinition • Ziel-

konkrete Teilziele heruntergebrochen werden. Der Workshop definiert als Ergebnis Handlungsfelder, die die nächsten Schritte sowie Verantwortlichkeiten beschreiben. Je nach Projektumfang beträgt die Dauer eines solchen Workshops ein bis zwei Tage. Neben der Zieldefinition ist es Aufgabe dieser Planungsphase, einige konzentrierte Analysen durchzuführen, deren Fragestellungen an die Teilnehmer vorab übermittelt werden, sodass diese sich entsprechend vorbereiten können.

Definition notwendiger Handlungsfelder • Kernprozesse • Supportprozesse • Projektorganisation

Bild 15.10: Ablaufschritte Ziel- und Projektdefinitionsworkshop ©IFA 15.465

auch über die Potenziale verfügt, um die gestellten Anforderungen, wie Variantenflexibilität oder Hochleistungslogistik zu bewältigen. Die Grundlagen zur Schaffung dieser Potenziale werden zu Beginn eines jeden Planungsprojektes im Rahmen eines Projektdefinitions- und Zielsetzungsworkshops gelegt, der seinerseits auf einer vorhandenen Unternehmensstrategie oder einer speziellen strategischen Standortplanung basiert (vgl. Kap. 14). Den Ablauf eines entsprechenden Workshops in drei Schritten zeigt Bild 15.10. Teilnehmer an einem solchen Workshop sind neben dem Planungsteam die Prozessverantwortlichen von der Geschäftsführung bis zu den Funktionsverantwortlichen der Kern- und Supportprozesse. Aufgabe des Teams ist es, ausgehend von den strategischen Vorgaben der Geschäftsführung die Ziele für das Projekt klar herauszuarbeiten und ein gemeinsames Verständnis für die Aufgabenstellung zu finden. Es beginnt mit einer Aufgabenabgrenzung des Standortes gegenüber anderen Standorten des Unternehmens in Form eines Logistikprofils. Es folgen die Analyse des Standortes und seines Umfeldes sowie die Entwicklung möglicher Zukunftsszenarien. Durch die Eignungsprüfung existierender Strukturen lassen sich Stärken und Potenziale des Standortes herausarbeiten, die im Folgenden auf

15.3.2 Logistikprofil Standort Die Abgrenzung des betrachteten Standortes und der dort zu leistenden Planungsaufgabe besteht in einer groben Übersicht über sämtliche Produkte des Unternehmens und die am Standort vorgesehene Wertschöpfung. Dazu zeigt Bild 15.11 ein einfaches Schema, das auf der linken Seite sämtliche Produktgruppen des Unternehmens und deren Umsatzverteilung aus der Vertriebsplanung zeigt. Aus der strategischen Standortplanung (Kap. 14) ist weiterhin bekannt, wie die Aufteilung dieser Produktgruppen auf die Standorte erfolgen soll und welche Prozesse mit welchem Volumen in den Bereichen Beschaffung, Fertigung, Montage und Lieferung jeweils dort vorgesehen sind. Für die Beschaffung werden die Artikelgruppen mit ihrem Beschaffungsvolumen und -quellen (fremd, eigen) festgelegt. Die Fertigung umfasst die Eigenfertigungsteile nach Artikelgruppen und die damit verbundenen Produktionsstunden. Die Montage kann Komponenten für Kunden und andere Standorte (kompetenzorientierte Kernbaugruppen) umfassen, wird meistens jedoch fertige Produkte abliefern. Die Lieferung erfolgt je nach Lieferkonzept an ein Schwesterwerk, einen Logistikprovider oder direkt an den Endkunden. Die topografische Visualisierung der Warenströme in und aus dem Standort unterstützt aus logistischer Sicht die Vorstellung über das Volumen und die zu überbrückenden Entfernungen sowie die Vernetzung mit Kunden, Schwesterwerken des Unternehmens und Lieferanten. Bild 15.12 zeigt eine stark vereinfachte Darstellung für ein fiktives Produktionsnetz von 3

15

437

15  Synergetische Fabrikplanung

80 [%] 40

20 0

PG1 PG2 PG3 PG4 Standort S1 Standort S2 Standort S3

PG: Produktgruppe

lokaler Anteil

Umsatzverteilung sämtlicher Produktgruppen an allen Standorten

Bild 15.11: Analyse Produktionsprogramm für einen Standort

Anteile Wertschöpfung am Standort S2

©IFA 15.466

Standorten. Reale Darstellungen sind wegen der meist deutlich größeren Zahl von Produkten, Lieferanten und Kunden naturgemäß weitaus komplexer und werden zweckmäßig in mehreren Ebenen getrennt nach Produktgruppen und Akteuren dargestellt.

Vor größter Bedeutung für die Fabrikplanung ist das aus diesem Produktionsnetz abgeleitete logistische Standortprofil, Bild 15.13. Hier werden die Produktgruppen zunächst weiter in Kunden/MarktSegmente gegliedert, die je eine bestimmte Kombi-

Kunde

Produzent Standort 2

Kunde

Kunde

Lieferant Kunde

Produzent Standort 1

Lieferant

Produzent Standort 3

Lieferant Lieferant Lieferant Kunde Kunde

15

Endprodukt

Zwischenprodukt

Bild 15.12: Produktionsnetz für eine Produktgruppe [nach K. Windt] ©IFA 15.467

438

Zulieferung

15.3  Zielfestlegung

Kunden/Markt Segment

Beschaffungsmodelle

Produktionsmodelle

Liefermodelle

PG1

K/M-S1.1 K/M-S1.2 K/M-S1.3

PG2

K/M-S2.1 K/M-S2.2

PG3

K/M-S3.1 K/M-S3.2

Einze lliefe rung Liefe rung auf K Liefe onsig rung natio auf S nslag Liefe tand er ardte rung ile-La auf V Einz g e er r trags ellief lager erun g an Sync Verb hron rauc e Lie hsor ferun t g an Verb rauc hso

Make -to-S tock Push Make -to-S tock Pull Make to Or der Asse mble to Or Engin der eer to Orde r

Vorr

atsb esch affun Kons g ignat ionsk onze Stan dardt pt eile-M Vertr anag agsla emen gerk t onze Einz elbes pt c h a ff ung Sync hron e Pro duktio nspr ozes se

rt

Produktgruppe

Lesebeispiel: K/M-S1.3 = Kunden-Markt-Segment 3 der Produktgruppe PG1

Bild 15.13: Logistikprofil eines Standortes ©IFA 15.468

nation bestimmter Produkte für bestimmte Kunden in bestimmten Märkten bedeuten und an diesem Standort gefertigt werden sollen. Für jedes Segment hat die in Kap. 9 ausführlich beschriebene funktionale Arbeitsbereichsgestaltung die Beschaffungs-, Produktions- und Lieferkonzepte festgelegt, erkennbar durch die im Bild dargestellten Matrizen.

trotz aller strategischen Vorgaben unerlässlich ist, erst eine konzentrierte Unternehmens- und Umfeldanalyse bezogen auf den Standort vorzunehmen, und erst danach die für das konkrete Planungsobjekt verbindlichen Ziele und Strategien festzulegen.

Man könnte nun den Eindruck gewinnen, dass für den Fabrikplaner keine wesentlichen Gestaltungsaufgaben mehr zu lösen sind. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die strategischen Vorabfestlegungen primär aus Sicht der Märkte und Kunden und deren sicherer Versorgung erfolgt sind. Am Standort treffen aber ggf. technisch unterschiedliche Produkte für ganz unterschiedliche Kunden zusammen. Es gilt also, die daraus entstehenden teils widersprüchlichen Anforderungen unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten zu einer wandlungsfähigen und attraktiven lokalen Lösung zusammenzuführen. Das erklärt, warum es

Primäre Aufgabe der Unternehmens- und Umfeldanalyse ist es, einen kompakten Überblick über die Markt-, Produkt- und Wettbewerbssituation des Unternehmens und seiner Produkte aus Sicht des betrachteten Standortes zu gewinnen. Neben der Herausarbeitung der aktuellen Unternehmenssituation sind geplante zukünftige Entwicklungen sowie sich abzeichnende Trends für einen Horizont von 5 bis zu maximal 10 Jahren aufzunehmen. Hieraus entwickeln sich dann die Anforderungen an die neue Fabrik. Plant ein Unternehmen bspw., in den nächsten Jahren neue Produkte am Markt zu platzieren, ist der Flächenbedarf für die dazu

15.3.3 Umfeldanalyse

15

439

15  Synergetische Fabrikplanung

- heute, bei x Mio Umsatz: 55% Deutschland, 10% außerhalb Europa, 35% Westeuropa - in 5 Jahren x Mio Umsatz: 2. 45% Deutschland, Wachstum außerhalb Europa ca. 20%, 35% Westeuropa 3. - Kraftwerke, Getriebebauer, Apparatebau, Pumpenbau - Proportionales Wachstum mit Kunden 5. - Gliederung nach: Material (Stahl/Alu), Produkttyp/Funktionsprinzip, Größen (Au ßendurchmesser) Produktionsstückzahlen in 5 Jahren: 10.000 Durchschnittliche Losgröße: 4 6. - Überproportionales Wachstum bei XL Produkten Produktionsstückzahlen in 5 Jahren: 15.000 Durchschnittliche Losgröße: 4 Service -Reparaturen f ür insbesondere XL Produkte und verst ärkt Produktion von Ersatzteilen als "Feuerwehr Auftr äge" Dimensionen der großen Produkte werden steigen 7. - In eigenem Segment Nummer 2 in Europa; Nummer 1 in Deutschland, gr ößter Wettbewerber national: Fa. AA, Nummer 1 in Europa ist Fa. YX (USA, GB) 8. - Nummer 1 in Europa, Wachstum in Asien (Kunden sind die Anlagenbauer) 9. - Beschaffungsprobleme bei Produkt XL: handelsüblicher Stahl, spezielle Legierungen bei Alu, nur noch 2 10. - m ögliche Lieferanten am Markt, Spezialmetall nur von einem Lieferanten 11. - Weiterhin steigender Energiebedarf - Steigende Komplexit ät, mehr Teile pro Produkt durch 12. - Justierfähigkeit bei Einbau 1.

4.

heute

zukünftig Trends / (ca. 5 Jahre) Entwicklungen

Märkte

1

2

Kunden

3

4

Produkte

5

6

Wettbewerber

7

8

Lieferanten

9

10

11

12

Zusammenfassung: Starkes Wachstum angestrebt - größtes Wachstum bei Produkt XL in welcher Region Wachstum erwartet wird, ist bekannt. Produktkomplexit ät steigt.

Bild 15.14: Unternehmens- und Umfeldanalyse (Beispiel) ©IFA 15.469

notwendigen Produktionsbereiche bereits in den laufenden Planungen zu berücksichtigen. Wird mit neuen Auflagen oder Veränderungen bspw. im Umweltschutzbereich gerechnet, sind die daraus resultierenden Anforderungen zu beachten. Die Ergebnisse einer solchen Analyse zeigt Bild 15.14 am Beispiel eines mittelständischen Anbieters hochwertiger Maschinenbaukomponenten. Projektauslöser war in diesem Fall eine kapazitätsbedingte Standortverlagerung.

15

440

Der Markt wird hier durch den Umsatz sowie dessen regionale Aufteilung beschrieben und die Produkte durch produktionsrelevante Merkmale wie Grundwerkstoff, Funktionstyp, Größe und Stückzahlen. Es bestehen auch noch andere Standorte, die Verknüpfung ist aber sehr schwach ausgeprägt und wird hier nicht weiter betrachtet. Die Wettbewerbsbeschreibung verdeutlicht die Position hinter dem Marktführer, während die Lieferantenanalyse auf die Gefahr nur eines Lieferanten für einen

wichtigen Werkstoff hinweist. Die Zusammenfassung zeigt eine klare Wachstumsstrategie, die auf einem zunehmenden Bedarf der Kundenprodukte in bestimmten Regionen fußt und durch eine Funktionserweiterung der Produkte abgesichert ist, allerdings mit der Folge einer steigenden Produktkomplexität.

15.3.4 Erfolgsfaktoren Wesentlicher Bestandteil dieses Analyseschrittes ist die Identifizierung der produktspezifischen Erfolgsfaktoren. Auch hier wird wieder nach aktuellen sowie zukünftigen Entwicklungen differenziert, um so Anforderungen an die zu planende Fabrik abzuleiten. Soll sich ein Produkt am Markt bspw. durch eine sehr hohe Liefertreue auszeichnen, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Fabrik, hier insbesondere auf das Logistikkonzept. Bild 15.15 zeigt die Ergebnisse der entsprechenden Abfragen des Vertriebs und der Entwicklung.

15.3  Zielfestlegung

In diesem Fall wird deutlich, dass der wichtigste Erfolgsfaktor eine hohe Produktqualität ist, der aber in Zukunft durch kürzere Lieferzeiten, besseren Service und teilweise Fremdvergabe ergänzt werden muss.

15.3.5 Veränderungstreiber In einem letzten Analyseschritt geht es darum, die internen Erfolgsfaktoren und Veränderungstreiber der Fabrik herauszustellen. Im Wesentlichen sind hier folgende Fragen zu beantworten:

•  Welches waren die wesentlichen Treiber, die in der

•  •  • 

Vergangenheit zu Veränderungen in der Fabrik führten? Wie häufig treten diese Veränderungstreiber auf? Welche Auswirkungen hatten die Veränderungstreiber auf die Fabrik, welche Maßnahmen wurden ergriffen? Welches sind die wesentlichen Treiber, die zukünftig zu Veränderungen in der Produktion führen werden? Mit welcher Frequenz wird deren Auftreten erwartet?

1

2

3

4

-

hohe Qualität (Laufeigenschaften, Lebensdauer) Premium-Produkt Technical Support (derzeit ca. 8 % von HK) Manufacturing/Fertigungspräzision Anpassung an Kundenwünsche geringe Lebenszykluskosten (Verlustleistung, Tragfähigkeit, Laufruhe, Betriebsmittelverbrauch) - Lieferzeit derzeit 18 Wochen, Standard 12 Wochen - xx% Anteil Fremdvergabe an Herstellkosten - xy% Lohnanteil an den Herstellkosten - Lieferzeit: 8 Wochen - Qualitätsniveau halten - Service verstärken - Anteil Fremdvergabe an Herstellkosten wird steigen - Wachstum durch Fremdvergabe kompensieren - 2 Arten von Wettbewerbern: Vorteile durch marktnahe Produktion und/oder günstigere Preisstellung - größere Stückzahlen in ausgewählten Segmenten - Werkstoffverbund kann vom Wettbewerber AA selbst durchgeführt werden - Verlagerung in Niedriglohnländer

Betrachtet werden dabei Faktoren wie Herstell- und Logistikkosten, die Wertschöpfung je Mitarbeiter, der Flächennutzungsgrad, die Umschlagshäufigkeit, die Veränderungsfähigkeit des Fabrikkonzeptes, aber auch das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter oder die räumliche Nähe zwischen direkten und indirekten Bereichen. Entscheidend ist es, dabei herauszuarbeiten, was sich in der Vergangenheit bewährt hat und welche Potenziale im Rahmen einer Neuplanung gehoben werden können. Bild 15.16 zeigt das Ergebnis der Analyse der Veränderungstreiber, die in diesem Fall vergleichsweise kurz ausfiel. Wie bereits erwähnt, war die Umsatzsteigerung der Auslöser für eine Entscheidung des Managements zur ortsnahen Verlagerung als selbständige Geschäftseinheit, wobei aber die Supportfunktionen IT-Unterstützung, Personal, Finanzen usw. weiterhin von der Zentrale gewährleistet werden sollen.

15.3.6 Szenarienerstellung Der als Beispiel gewählte Fall ist vergleichsweise einfach. Bei komplexeren Fällen empfiehlt sich die Anwendung des Szenariomanagements, das ursprünglich vor allem in der Produktplanung genutzt

heute

zuk zukünftig ünftig

Unternehmen

1

2

Wettbewerb (evtl. auch konzernintern)

3

4

Zusammenfassung: Die Produkte werden wegen ihrer hohen Zuverlässigkeit und geringen Betriebskosten geschätzt. Lieferzeit und Kosten müssen verbessert werden.

15

Bild 15.15: Erfolgsfaktoren der Produkte (Beispiel) ©IFA 15.470

441

15  Synergetische Fabrikplanung

1

- Umsatzsteigerung - Lieferzeitverkürzung - Märkte (Segmentierung)

2

- Managemententscheidung Umzug

3

- Verselbständigung als eigene Business Unit mit folgenden Ausnahmen: - IT-Abteilung und Support - Personalwesen - Finanz- und Rechnungswesen - Einkauf von Teilfunktionen - Instandhaltungsservice

4

Ver änderungstreiber/ Auslöser

Auswirkungen / Maßnahmen

In der VergangenVergang enheit heit

1

2

In Zukunft zu erwarten

3

4

- Schaffen einer in sich geschlossenen räumlichen und organisatorischen Einheit

Bild 15.16: Veränderungstreiber für die Produktion (Beispiel) ©IFA 15.471

wurde, sich aber in einer verkürzten Form auch sehr gut im Rahmen eines Workshops anwenden lässt. Ziel dieser Methode ist die Ermittlung von konsistenten, allgemeinverständlichen Zukunftsbildern [Gau06]. Das Szenariomanagement basiert auf zwei Grundprinzipien: Dies ist zum einen der Ansatz des ver-

Analyse und Beschreibung des zu planenden Objektes Umfeld

Einflussfaktoren identifizieren und Schlüsselfaktoren ermitteln

Gestaltungs feld

15 Szenario-Transfer

Bild 15.17: Erstellung von Szenarien (nach Gausemeier) ©IFA 15.472

442

netzten Denkens, in dem die Beziehungen zwischen mehreren Einflussfaktoren Berücksichtigung finden. Das andere Prinzip ist die Idee der multiplen Zukunft, die aussagt, dass sich jeder Faktor in Zukunft in verschiedene Richtungen entwickeln kann (siehe auch [Gau06]).

Entwicklungsmöglichkeiten beschreiben

Konsistente Zukunftsbilder ermitteln und beschreiben

15.3  Zielfestlegung

Nicht lenkbare Schlüsselfaktoren (Globales Umfeld und Unternehmensumfeld) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Marktdynamik-, -gesetze und -entwicklung Nachfrageverlauf Wettbewerbsstruktur/ Neue Wettbewerber Marktstruktur und -segmentierung Kompetenzen der Wettbewerber Wirtschaftliche Entwicklung Kompetenzen der Partner im Produktionsnetzwerk Auslastung der Partner im Produktionsnetzwerk Produktionsnetzwerkorganisation Branchenstandards und -normen Preisanforderungen Innovationsgeschwindigkeit Globalisierung der Produktion Marktstrategie der Wettbewerber Lieferanforderungen Risikoneigung der Kapitalgeber / Aktionäre Lieferantenstruktur Machtstellung der Lieferanten Finanzpolitik Technologieentwicklung Umweltpolitik Globale Forschungs- und Entwicklungsintensität Rohstoffe Import und Export Herkunft und Struktur der Kunden

Lenkbare Schlüsselfaktoren (Fabrikumfeld) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Produktarten und -typen Produktvarianten Produktmengen Grad der Spezialisierung Produktstandardisierung Produktpreise Ort der Produktion Werkstoffentwicklung Produkttechnologie Fertigungstiefe Produktionstechnologie und Automatisierung Produktgröße und -gewicht Investitionsbudget Umlauf- und Anlagevermögen Umsatz und Gewinne Gebäudelebenszyklus Kooperationsstrategie Standortentwicklung Distributionsstrategie Marktstrategie / Geschäftsfeldstrategie Serviceleistung Humanstrategien Produktlebenszyklen Unternehmens- und Metaziele Logistikstrategie

Bild 15.18: Lenkbare und nicht lenkbare Schlüsselfaktoren der Fabrik ©IFA 15.473

Der Ablauf einer Szenarioerstellung basiert auf fünf Schritten, deren Abfolge Bild 15.17 verdeutlicht. Zunächst wird das zu beschreibende Gestaltungsfeld (in diesem Fall eine Fabrik) ausgewählt und mit Hilfe von sogenannten Gestaltungsfeldkomponenten beschrieben. Im Fall der Fabrik könnten es z. B. die in Bild 2.8 aufgeführten Gestaltungsfelder sein. Anschließend sammelt man die Einflussfaktoren, die auf dieses Gestaltungsfeld wirken, und leitet daraus mit Hilfe einer Vernetzungsanalyse die sogenannten Schlüsselfaktoren ab. Diese sind für den betrachteten Fall von besonderer Bedeutung. Nun werden für jeden dieser Schlüsselfaktoren die denkbaren zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten, sogenannte Projektionen, gebildet. Ist z. B. ein bestimmter Werkstoff ein Schlüsselfaktor, können als Projektionen ein sinkender, gleich bleibender oder stark steigender Preis angenommen werden. In

einer anschließenden Konsistenzbewertung kombiniert man diese Projektionen der Schlüsselfaktoren miteinander und überprüft sie auf ihre Verträglichkeit. Wenn bspw. Energie- und Transportkosten Schlüsselfaktoren sind, müssen hohe Energiekosten mit hohen Transportkosten und niedrige Energiekosten mit niedrigen Transportkosten korrespondieren. Nur konsistente Kombinationen von Projektionen finden Eingang in die Zukunftsbilder, die als Szenarien bezeichnet werden. Diese Szenarien sind nicht zu verwechseln mit den üblichen Planungsvarianten wie „optimistisch“, „pessimistisch“ und „realistisch“. Der abschließende Schritt wird Szenario-Transfer genannt und dient der Übertragung der entwickelten Szenarien in einen Fließtext. Die gefundenen Szenarien spannen den Zukunftsraum auf, der eine Aussage über mögliche zukünftige Auswirkungen auf die Gestaltungsfelder einer Fabrik erlaubt.

15

443

15  Synergetische Fabrikplanung

Wird das Szenariomanagement in einem Ziel- und Projektdefinitionsworkshop angewendet, empfiehlt sich eine im Vergleich zu dem von Gausemeier beschriebenen Vorgehen stark verkürzte Form. Als Ausgangsinformation sind die von Hernández zusammengestellten Schlüsselfaktoren nützlich. Dabei wird zwischen den Faktoren des weiteren Umfeldes (nicht lenkbar) und des engeren Fabrikumfeldes (lenkbar) unterschieden (Bild 15.18) [Her06]. Aus dieser Liste erfolgt eine Auswahl von maximal 4 bis 5 Schlüsselfaktoren mit je 2 bis 3 Projektionen. Die Erstellung der Szenarien erfolgt durch die Teilnehmer im Workshop, die Konsistenz der Projektionsbündel muss durch die Erfahrungsbreite des Teilnehmerkreises sichergestellt werden. Naturgemäß ist der Erkenntnisgewinn geringer als im klassischen Szenariomanagement, für die Fabrikplanung aber ausreichend. Bild 15.19 stellt ein exemplarisches Ergebnis aus einem Fabrikplanungsprojekt vor. Für das hier betrachtete Unternehmen wurden vier mögliche Szena-

15

Wesentliches Charakteristikum der Szenarien ist, dass ihnen keine spezifische Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet ist. Ob ein bestimmtes Szenario eintritt oder nicht, hängt letztlich von der Entwicklung der Schlüsselfaktoren und ihrer Vernetzung ab und lässt sich durch unternehmensinterne Entscheidungen nur hinsichtlich der lenkbaren Faktoren beeinflussen. Der wesentliche Nutzen besteht darin, unterschiedliche Konzeptvarianten an den

Boom

Dieses Grobszenario geht bei einer Steigerung des Gesamtvolumens (Stückzahl) von bis zu 20% p.a. davon aus, dass die Kundenauftragsmenge ein breites Produktspektrum abdeckt. Aufträge können mit einem wöchentlichen Abruf von Einzelbestellungen bis zu einigen zigtausend Stück eingehen. Das Produktspektrum würde sich stark ausdehnen und auch die Herstellung von Produkten der Abgastechnik wäre möglich.

Trend

Schreibt man den bisherigen Trend fort, so erhöht sich die Stückzahl um jährlich 10%. Die Kundenauftragsmenge reduziert sich auf maximal einen Tagesbedarf und folgt damit dem bisher schon erkennbaren Trend. Das Produktspektrum umfasst einfache Teile bis zu kompletten Systemen und würde sich gegenüber dem jetzigen Umfang etwas ausdehnen. Die Herstellung von Produkten der Abgastechnik wäre auch in diesem Szenario möglich.

Abgastechniklieferant

Als Hersteller von Produkten überwiegend aus der Abgastechnik würden sich die Kundenauftragsmengen weiter verringern und bis auf Stundenbedarfe absinken. Dies ist eine Folge der Lieferanforderungen der Automobilbranche. Das Unternehmen würde sich auf die Systemherstellung konzentrieren und das Produktspektrum dadurch erheblich reduzieren.

Parallel zum Szenario „Abgastechniklieferant“ ist bei einer Fokussierung auf die Rolle als Systemlieferant und ohne Abgastechnik ein erheblicher Rückgang des Gesamtvolumens und damit eine Verkleinerung des Werkes zu erwarten. Die Kundenauftragsmengen würden sich bis Systemlieferant auf Stundenbedarfe verringern. (geschrumpft)

Bild 15.19: Grobszenarien für einen Automobilzulieferer ©IFA 15.474

444

rien mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsrichtungen abgeleitet. Die beiden Szenarien Boom und Trend gehen im Wesentlichen von einer Fortführung bisheriger Entwicklungen aus, während Szenario 3 die Fokussierung auf ein spezifisches Produktspektrum aus dem Bereich der Abgastechnik erkennen lässt. Szenario 4 stellt eine Mischung aus mehreren Entwicklungsrichtungen dar. Es handelt sich um die Spezialisierung auf ein spezifisches Produktspektrum sowie die Ausrichtung als Systemlieferant verbunden mit einem Rückgang des Produktionsvolumens.

15.3  Zielfestlegung

1. Vision der Fabrik in diesem Projekt Unsere Produkte sind zuverlässig, präzise und wirtschaftlich durch unsere Kompetenz, Qualität und Effizienz. Für uns bedeutet das Anspruch und Verpflichtung.

2. Metaziele des Unternehmens für die Fabrik

2. Metaziele • • • •

• • • • •

3. Unternehmensstrategie für die Fabrik

Umsatz: von x auf y Mio  in 5 Jahren steigern EBIT: mind. 10% Lieferzeit: von 12 auf 8 Wochen Liefertreue: heute 77% (Differenz zw. zugesagtem u. erreichten Termin) wochengenau, Auslieferung ab Rampe), Ziel: erste Stufe 85 % in 1 Jahr, 90% in zwei Jahren Produktivitätssteigerung: in zwei Jahren 6%, ab dann 3% p.a. Bestände: Lagerumschlaghäufigkeit von 2,2 auf 3 in zwei Jahren Qualität: halten Wandlungsfähigkeit: steigern hinsichtlich größerer Produktabmessungen, alle Einrichtungen möglichst mobil ausgestalten, Einrichtung eines Service-Centers in der Fabrik 3. Unternehmensstrategie für die Fabrik

• Technologief ührerschaft (Präzision, Zuverlässigkeit) • Modularität (Raster z.B. 3 x 3 m, auch für die Durchführung des Umzuges vorteilhaft) • Mobilität der Einrichtungen

4. Randbedingungen 4. Randbedingungen: • Maximal akzeptable Umzugsdauer: 3 Wochen, geplant wird während des Umzuges mit halbem Umsatz • Umzug muss in 6 Monaten abgeschlossen sein, um den Fortschritt anderer Projekte nicht zu gefährden • Maschineninformationen für den gesamten, zu verlagernden Maschinenpark vorhanden

Bild 15.20: Vision, Metaziele und Fabrikstrategie (Beispiel) ©IFA 15.475

Szenarien zu spiegeln und dabei zu überprüfen, inwiefern eine zielkonforme Produktion bei Eintritt der einzelnen Szenarien gewährleistet werden kann. Durch Projektion der einzelnen Szenarien auf die Gestaltungsfelder einer Fabrik wird erkennbar, welche Szenarien jeweils einen starken und welche einen schwachen Einfluss auf das jeweilige Gestaltungsfeld haben. Diejenigen Gestaltungsfelder, die bei unterschiedlichen Szenarien stark unterschiedliche Lösungen benötigen, müssen ein bestimmtes Maß an Wandlungsfähigkeit besitzen, bspw. in Form mobiler oder skalierbarer Montageeinrichtungen oder einfach anzupassender Entlüftungssysteme. Damit lässt sich beurteilen, ob ein geplantes Fabrikkonzept so veränderungsfähig ist, dass es auf alle Entwicklungsrichtungen reagieren kann oder nur auf ausgewählte Szenarien. Ein Konzept, das nur ein einziges mögliches Szenario abdecken kann, sollte kritisch im Hinblick auf seine Zukunftsfähigkeit überprüft wer-

den. Die Wandlungsfähigkeit findet allerdings ihre wirtschaftlichen Grenzen, wenn der Mehraufwand für die wandlungsfähige Lösung aller Voraussicht nach nicht durch eine genügend häufige Inanspruchnahme und die damit verbundenen geringeren Umstellungskosten gedeckt ist.

15.3.7 Visionsfindung Die Definition einer gemeinsamen Vision für die Fabrik ist ein diskussionsintensiver Prozess, da je nach Interessengruppe (Eigentümer, Geschäftsführung, Mitarbeiter, etc.) sehr unterschiedliche Vorstellungen über eine solche Vision bestehen. Um eine höchstmögliche Akzeptanz innerhalb des Projektteams zu erreichen, sollte daher eine Fabrikvision nicht autoritär von der Geschäftsleitung bestimmt, sondern gemeinsam im Team der leitenden Mitarbeiter herausgearbeitet werden. Im Einzelnen sind dabei die folgenden Fragen zu klären:

15

445

15  Synergetische Fabrikplanung

•  Was

ist die Vision, das Leitbild unseres Unternehmens (z. B. Marktführer, Fast Follower, bester Partner, Innovationsführer)? •  Was sind die Metaziele unseres Standortes (z. B. Umsatz, Rendite, Lieferzeiten, Marktanteile, Produkte, Produktivitätssteigerung, Umschlagshäufigkeit, Bestandssenkung, Systemfähigkeit, Qualität, Wandlungsfähigkeit, Stückzahlen / Ausbringung, Vergleich mit Wettbewerb, usw.)? M  •  it welcher Strategie wollen wir diese Ziele erreichen (z. B. Kostenführerschaft, Pionierstrategie, Kooperationsstrategie, Imitationsstrategie, Nischenstrategie, Technologieführerschaft, NullFehler-Strategie, KVP, Prozessorientierung)? •  Sind Notfallstrategien erforderlich z. B. durch Re­ dundanz, Erweiterungsfähigkeit in kleinen Stufen, Rückbaubarkeit?

15 Bild 15.21: GENEering Ansatz ©Reichardt 15.476

446

Bild 15.20 zeigt die Ergebnisse eines diesbezüglichen Workshops für den Beispielfall. Im linken oberen Bildteil ist die Vision als Ergebnis einer hier nicht gezeigten Sammlung von Ideenkarten zusammengefasst, während die Aussagen zu den Metazielen und der Unternehmensstrategie im rechten Bildteil aufgeführt sind. Die Metaziele bilden die für das gesamte Fabrikprojekt wesentliche Geschäftsgrundlage und dienen als Basis einer späteren Erfolgskontrolle. Die Unternehmensstrategie für die Fabrik konzentriert sich in diesem Fall auf die zwei Aspekte Produktqualität und Wandlungsfähigkeit durch Modularität. Als wichtige Randbedingung wird ein sehr kurzer Realisierungszeitraum vorgegeben, da die von diesem Produkt belegte Produktionsfläche von einem anderen Produktbereich benötigt wird.

15.3  Zielfestlegung











               

         

           

         

      

     







Bild 15.22: Aspekte und Bewertung des Faktors Wandlungsfähigkeit (Beispiel) ©Reichardt 15.477

15.3.8 GENEering Wie bereits früher dargestellt wurde, ist eine Fabrik immer auch Ausdruck der unternehmerischen Kultur und reflektiert nicht zuletzt die Ansprüche des Unternehmens an sich und das eigene Produkt. Bedient ein Unternehmen bspw. primär den Markt für regenerative Energien, sollten die dort verfügbaren Technologien auch Verwendung in der Fabrik finden. Dementsprechend muss die unternehmerische Gesamtvision nicht nur aus Produktions-, sondern auch aus Raumsicht in eine Fabrikvision transformiert werden. Eine dafür bewährte Methode ist das bereits erwähnte GENEering [Rei01]. Der Begriff ist eine sprachliche Kreuzung zwischen „Gene“ und „Engineering“. Die Methode befasst sich aus Sicht der Objektplanung mit der Entwicklung eines sog. DNA-Codes. Dieser legt die strukturbildenden Pa-

rameter im zukünftigen Lebenszyklus der Fabrik und damit die sog. Leistungsform eines Objektes unter dem Motto „Form follows Performance“ fest. Es empfiehlt sich in der Sammlung der Aspekte nach „interner Sicht“ (z. B. Mitarbeiter) und „externer Sicht“ (z. B. Kunden, Geschäftspartner) zu unterscheiden. Im besten Fall lassen sich die verschiedenen Wünsche und Ziele in eine gemeinsame Vorstellung für die nahe Zukunft integrieren. Bild 15.21 verdeutlicht diese insgesamt 8 Faktoren, die in weiteren Schritten durch ausdrucksstarke Bilder aus diesen Bereichen visualisiert werden. Sie haben in einem ersten Durchlauf nicht unmittelbar etwas mit Fabrikbauten zu tun, um neue Assoziationen der Workshopteilnehmer auszulösen. In einem zweiten Durchlauf werden die Faktoren in gleicher Weise, diesmal an Beispielen des Fabrikbaus orientiert, durchgespielt.

15

447

15  Synergetische Fabrikplanung

Bewertungsfelder

hart

weich

Gestaltungsfelder

Wandlungsfähigkeit

6

Standort

Technologie

6

Haustechnik

Ökologie

7

Ästhetik

7

Gebäude

Effizienz

7

Prozess/Logistik

Energie

3

Kommunikation

9

- Modularität - Flexibilität - Mobilität

- Präzision - Innovation - Performance

- Vernetzung - Symbiose - Nachhaltigkeit - Tektonik - Materialität - Emotion / Poesie

- Ökonomie - Grenzwert - Leistungsform - Ressourcen - Systeme - Verantwortung - Signal - Team - Transparenz

Identität

- Individualität - Tradition - Marke

Organisation 8 Bewertungsskala: 1 (unwichtig) bis 10 (sehr wichtig)

Bild 15.23: Beispiel eines Gen-Codes für ein Objekt ©Reichardt 15.478

Jeder einzelne Faktor wird noch einmal in drei Unterbegriffe zerlegt und aus interner und externer Unternehmenssicht beleuchtet. Bild 15.22 zeigt die Ergebnisse der entsprechenden Detaildiskussion für den Faktor Wandlungsfähigkeit aus einem Projekt [Rei04]. Jeder Unterbegriff erhält dabei eine Bedeutung zugewiesen, deren Wert zwischen 1 (unbedeutend) und 10 (sehr große Bedeutung) liegen kann. In diesem Beispiel erhielten Modularität und Flexibilität einen hohen Punktwert, während die Mobilität kaum Bedeutung hatte.

15

448

Der arithmetische Mittelwert fließt dann in ein Gesamtbild des Gen-Codes dieses Objektes ein, den Bild 15.23 zeigt. Dabei findet eine Einteilung in harte und weiche Bewertungsfelder statt. Im letzten Schritt erfolgt eine Zuordnung dieser gewünschten Ausprägung des Gesamtobjektes zu den betroffenen Gestaltungsfeldern, wie im rechten Bildteil ange-

deutet. In diesem Fall ist eine starke Dominanz der weichen Faktoren beim Standort, den Gebäuden und der Organisation zu erkennen. Die Ergebnisse werden abschließend in Leitlinien für die Objektgestaltung transformiert, die z. B. so aussehen können:

•  Wandlungsfähigkeit durch Mobilität, Modularität, Mitarbeiterqualifikation und Arbeitszeitmodell erhöhen. •  Neue Technologien für Bauwerk, Brandschutz, Wärmerückgewinnung nutzen. E  •  ffizienz durch Grenzwertüberlegungen (minimale Durchlaufzeit, minimale Bestände usw.) steigern. •  Ökologie durch Ersatzflächen sichern, lokale Regenwasserversickerung beachten. •  Ästhetik durch Ordnung, Farbkonzept und Medienführung schaffen. •  Kommunikation durch fertigungsnahe Support-

15.3  Zielfestlegung

• 

funktionen wie Arbeitsvorbereitung, Auftragsabwicklung usw. fördern. Identität durch Exponate, Individualität, Tradition und Mythos in einem Foyer stiften.

Durch die anschließende gemeinsame Diskussion der Zielbegriffe aus produktionstechnischer und objektbezogener Sicht entstehen oft sehr originelle Ideen, die besonders in der Strukturplanung der Produktion und Gebäude lösungsprägend sind. Besondere Bedeutung gewinnt das GENEering in der Diskussion um Nachhaltigkeit im Industriebau. In ihrem vielbeachteten Buch „Cradle to Cradle“ weisen Braungart und McDonough bereits 2002 auf die damals noch wenig zur Kenntnis genommenen Begleiterscheinungen der Industriegesellschaften wie z. B. Umweltgifte in Produkten, ungelöste Müll­ entsorgung oder unwiederbringliche Ressourcenvernichtung hin [Bra09]. Das Ziel der Energieeffizienz ist hiernach nur eines von vielen Themen einer umfassenden Nachhaltigkeit, gerade bei der Planung von Fabriken. Die Methode der fraktalen Zerlegung zur Lösung von komplexen Problemstellungen mithilfe eines Fragen-Antworten-Dialoges innerhalb eines Feldes sich gegenseitig beeinflussender Wirkbereiche wurde nach [Bra 09] im Jahr 1919 als „Sierpinski Gasket“ des gleichnamigen polnischen Mathemati-

kers entdeckt. In ähnlicher Art zielt die Methodik des GENEering auf die Erschließung der Kreativität der Workshopteilnehmer ab, indem Wirkbereiche und Fraktale der Fabrikplanung mit visuellen Assoziationstechniken unterstützt werden.

15.3.9 Handlungsfelder Die anschließende Definition von Handlungsfeldern benennt, basierend auf den vorherigen Ergebnissen, konkrete Teilprojekte mit Verantwortlichen sowie Terminen. Als Vorschlag für die Gliederung bietet sich eine Ordnung nach den Kern- und Supportprozessen eines Produktionsunternehmens an. Bild 15.24 zeigt hierzu einen Vorschlag, der sich an dem für die Fabrikplanung wesentlichen Hauptprozess Produktentstehung und Auftragsabwicklung orientiert (vgl. auch Bild 2.7 und [Wie10]). Marketing und Vertrieb suchen und definieren neue Produktideen, die von der Forschung und Entwicklung in Produkte transformiert werden. Die Produktion (Fertigung und Montage) realisiert zusammen mit der Logistik (Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik) die Auftragsabwicklung. Die Supportprozesse erbringen Dienstleistungen für die Kernprozesse. Aus Sicht der Fabrikplanung werden

Controlling & Finanzen

Qualitätsmanagement

Forschung und Entwicklung

Marketing

Vertrieb

Bild 15.24: Kern- und Supportprozesse eines Produktionsunternehmens

Produktion

Personalwesen

Informationstechnik Kernprozesse

Supportprozesse

15

Logistik

Produktentstehung

Auftragsabwicklung

©IFA 15.479

449

15  Synergetische Fabrikplanung

die einzelnen Prozesse vor dem Hintergrund der Vision, Leitlinien und Standortstrategie im Hinblick auf die Handlungsfelder abgefragt. Zu jedem Prozess sind Zeit- und Wirtschaftlichkeitsziele zu definieren. Den identifizierten Handlungsfeldern müssen alle Workshopteilnehmer zustimmen, da nur so ein gemeinsames Vorgehen sichergestellt werden kann. Darüber hinaus ist die Einhaltung der gesetzten Ziele durch den Lenkungsausschuss mit entsprechenden Befugnissen sicherzustellen. Nach Abschluss der Zielfestlegung ist die Basis für die eigentliche Fabrikplanung aus Sicht der Prozessund Raumplanung gelegt. Im Folgenden wird gemäß Bild 15.5 die Grundlagenermittlung beschrieben.

15.4  Grundlagenermittlung Die Grundlagenermittlung dient primär der Analyse von Produkt- und Prozessdaten, um im Falle einer Reorganisation die Schwächen und Potenziale des Ist-Zustands einer bestehenden Fabrik zu ermitteln oder im Falle einer Neuplanung Referenzprozesse

15 Bild 15.25: Aufbau einer Datenbedarfsliste ©IFA 15.480

450

innerhalb der geplanten Fabrik zu beschreiben. Zur deren strukturierten Datensammlung und Dokumentation empfiehlt sich eine durchgängige Ordnung aller Unterlagen, die bspw. nach dem in Bild 15.25 gezeigten Schema gegliedert sind. Zu jeder Datengruppe werden vom Projektmanagement nach der kurzen Beschreibung des Inhaltes der Verwender, der Ersteller und die Verfügbarkeit mit Vollständigkeitsstatus festgehalten und in der Projektdatenbank abgelegt. Die Praxis zeigt, dass die Datenaufnahme und -analyse bis zu 50  % des gesamten Projektaufwandes in Anspruch nehmen kann. Die vollständige Liste ist in Anhang C 2 dokumentiert. Die Analyse wird für die Gestaltungsobjekte der Fabrik durchgeführt (vgl. Bild 2.8 und 5.18). Dabei ist projektspezifisch zu unterscheiden, welche Fabrikobjekte untersucht werden, um den Aufwand auf das notwendige Maß der Aufgabenstellung zu begrenzen. Wichtig ist, dass nicht „blind“ große Datensammlungen „auf Vorrat“ angelegt werden, sondern dass der Projektleiter in Abstimmung mit den Teilprozessplanern für jeden Teilschritt Umfang und Tiefe bestimmt. Generell versucht man dabei, den Detaillierungsgrad nicht zu hoch zu wählen,

15.4  Grundlagenermittlung

Typ A Stück: 14.000

StandardProgramm

SonderProgramm

Typ H Stück: 1.200

Typ B Stück: 6.000

Typ K Stück: 1.000

Typ C Stück: 6.000

Typ L Stück: 500

Typ D Stück: 2.000

Typ M Stück: 500

Typ E Stück: 1.200

Zei

Typ F Stück: 1.000 Typ G Stück: 500

Typ P Stück: 100

Zeit Stückzahl/Jahr: 30.700

Typ O Stück: 200

Stückzahl/Jahr: 3.550

Typ Q Stück: 50

Bild 15.26: Produktionsprogramm eines Pumpenherstellers (Beispiel) ©IFA 15.481

um einen unnötigen Aufwand und den Eindruck einer Scheingenauigkeit zu vermeiden. Dabei ist zu beachten, dass die bestehenden Unterlagen oft nicht aktuell sind und für die Zukunft sowieso mit eher strategischen Annahmen gerechnet werden muss. Zur Unterstützung einer Analyse steht eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung (s.u. a. [Agg87], [Gru00], [Wie96], [Ket84]), die später phasenspezifisch behandelt werden. Die bekannteste ist die ABCAnalyse, die sich zur Unterscheidung von wenigen wichtigen und vielen unwichtigen Elementen eignet. Als Beispiel sei die Analyse eines Produktionsprogramms genannt. Dabei werden für jedes Produkt der Mengenanteil an der Gesamtausbringungsmenge und der Umsatzanteil am Gesamtumsatz in einer Grafik gegenübergestellt. Dadurch lassen sich die umsatzträchtigen von den umsatzschwachen Produkten trennen. Diese Informationen werden u. a. im Rahmen des Strukturdesigns benötigt, um die Produktion bspw. in Renner und Exotensegmente zu unterteilen.

15.4.1 Objektdaten Produktionsprogramm Den Ausgangspunkt der Objektdatenanalyse bildet in der Regel das Produktionsprogramm, das auf Grundlage der in Bild 15.11 gezeigten Übersicht die an dem betrachteten Standort zu produzierenden Produkte mit ihren Stückzahlen im Laufe der nächsten 3 bis 5 Jahre zusammenfasst. Es zeigt im Sinne der erwähnten ABC-Analyse, welche der Produkte „Renner“ mit hohen Stückzahlen, welche „Läufer“ mit mittleren und welche „Exoten“ mit niedrigen Stückzahlen sind. Ein Beispiel zeigt Bild 15.26. Es handelt sich um das Programm eines Pumpenherstellers, der 7 Standardpumpen mit einer Lieferzeit von 5 Tagen sowie ein Sonderprogramm mit 7 Typen und einer Lieferzeit von 3 Wochen anbietet. Diese Informationen werden primär zur späteren Strukturierung von Produktionsbereichen benötigt, wenn sich diese an der Einteilung nach Stückzahlen orientieren.

15

451

15  Synergetische Fabrikplanung

3

25

18

3A

10 10 N

15

17 17 27 27

6

8

13 8 228

23

A 19A 19

14

19 19

P

Fahrwege in gutem Zustand Fahrwege in schlechtem Zustand Durchfahrten h äufig versperrt

Bild 15.27: Lageplan eines Werkes (Beispiel) ©IFA 15.482

Bei einer Serienfertigung ist für jeden Produkttyp die Stückliste mit einer Unterscheidung von Eigenfertigungs- und Zukaufteilen bekannt. Für die Eigenfertigungsteile bestehen dann auch Arbeitspläne, in denen die einzelnen Arbeitsoperationen mit dem entsprechenden Fertigungsverfahren, der Rüstzeit und Stückzeit dokumentiert sind. Sie bilden die Berechnungsgrundlage für die spätere Kapazitätsbestimmung. In der Einzelfertigung mit vielen unterschiedlichen Produkten benutzt man demgegenüber die Belastungsdaten aus abgerechneten Aufträgen, die zu einem repräsentativen Produktionsprogramm zusammengestellt werden. Auf die Einzelheiten geht Abschn. 15.5.2 (Strukturdimensionierung) noch näher ein.

Betriebseinrichtungen

15

452

Die zweite große Objektgruppe stellen die Betriebs­ einrichtungen dar. Hier beginnt man mit einem Überblick über den Standort, die Lage der Gebäude, die Infrastruktur sowie mögliche Erweiterungsrichtungen und vorhandene Freiflächen. Sie sind im Lageplan des Werkes dokumentiert, wozu Bild 15.27 ein stark vereinfachtes Beispiel zeigt. Der Plan kann mit zusätzlichen Angaben bspw. über den Zustand der Fahrwege und der Gebäude inkl. der Ausrüstung (Krane usw.) ergänzt werden. Notwendig sind diese Informationen u. a. im Rahmen einer Standort-

bewertung sowie zur Planung potenzieller Erweiterungsflächen. Innerhalb der Gebäude sind die fabrikplanungsrelevanten Daten der Betriebsmittel zu erheben. Dafür eignen sich sog. Maschinendatenblätter, die von der Arbeitsvorbereitung gepflegt werden und Basis der Bestimmung des Anlagevermögens sind. Die für den Fabrikplaner wesentlichen Daten sind die Grundfläche und Höhe, das Gewicht, der Energiebedarf und die Medienanschlüsse. Wichtig sind weiterhin Angaben über eine eventuell erforderliche Belüftung oder Absaugung sowie Lärm- und Schwingungsemissionen, die ggf. eine Kapselung oder ein schwingungsentkoppeltes Fundament benötigen. Die Flächendaten der Betriebseinrichtungen müssen vor ihrer Verwendung in der weiteren Planung auf den Normalzustand umgerechnet werden, weil der aktuelle Zustand in der Regel nicht einem sachgerechten Prozessablauf entspricht. Auf die Maschinengrundfläche werden Flächen für die örtliche Materialpufferung, die Wartungs- und Bedienflächen sowie für Werkzeuge und Vorrichtungen zugeschlagen. Diese können ein Vielfaches der Grundfläche betragen. Auch hierauf geht Abschn. 15.5.2 noch näher ein. Die Einteilung der vorhandenen Hallenflächen in Lager- und Pufferflächen, Funktionsflächen, Produkti-

15.4  Grundlagenermittlung

Fläche 12.000 [m] Halle 1

Lager

10.000

Halle 2

%

36% 36

Anteil an Gesamtfläche 30%

Produktion

8.000

24%

6.000 Halle 3 Lager

4.000 2.000

Büros 3%

0 Büros

10 m

N

Hauptnutzflächen

Sozial

Sonstige

2%

2%

2%

Nebennutzflächen Transport flächen Flächentypen

Leerflächen

Bild 15.28: Flächenbilanz eines Automobilzulieferer-Werkes ©IFA 15.483

onsflächen sowie Transportflächen führt zur Flächenbilanz (Bild 15.28) eines ganzen Werkes. Das Ergebnis lässt sich mit branchenüblichen Flächenkennzahlen vergleichen. Hierüber können Rückschlüsse über die sinnvolle Aufteilung der Einzelflächen generiert werden. Eine Aufgabe, die häufig aus einer derartigen Flächenbilanz abgeleitet wird, ist die Reduktion des Anteils an Lager- und Pufferflächen zur Minimierung von Verschwendung.

Als stark verdichtete Gesamtübersicht einer solchen Objektanalyse zeigt Bild 15.29 die für eine Fabrikplanung angenommene Entwicklung des Umsatzes, der Gesamtnutzflächen und der separat ausgewiesenen Büroflächen sowie der Anzahl Mitarbeiter. In diesem Fall wurden die Istwerte im Planungsjahr auf 100  % gesetzt und die Planwerte auf die jeweiligen Werte normiert. Während der Umsatz in den nächsten 10 Jahren auf etwa 250  % steigen soll, beträgt die Zu-

300 [%]

in 10 Jahren

250 200 in 10 Jahren in 10 Jahren in 10 Jahren in 5 Jahren in 5 Jahren in 5 Jahren

in 5 Jahren

150

100

Ist

Ist

Ist

15

Ist

50 0 Bild 15.29: Planungsannahmen für ein Fabrikprojekt (Beispiel)

Umsatz

Gesamtfläche

Bürofläche

Mitarbeiter

©IFA 15.484

453

15  Synergetische Fabrikplanung

nahme der Gesamtfläche auf Basis von Rationalisierungs- und Verlagerungsannahmen etwa 140  %. Die Mitarbeiterzahl steigt wegen der mit dem Umsatz verbundenen Tätigkeiten zusammen mit der zugehörigen Bürofläche auf etwa 170 %.

15.4.2 Prozessanalyse Ziel der Prozessanalyse ist die Beschreibung von Geschäftsprozessen, Material-, Kommunikations- und Werteflüssen. Für Geschäftsprozessdarstellungen sind mehrere Verfahren und Werkzeuge entwickelt worden, die ihren Ursprung vielfach in der betrieblichen Informationstechnik haben. Ein Beispiel ist das System ARIS (Architektur integrierter Informationssysteme) [Sche01], [Sche02]. Für betriebliche Anwendungen hat der REFA-Verband Vorschläge entwickelt [Bin02]. Prozessbeschreibungen mit dem Schwerpunkt Logistik eignen sich besonders für die Analyse von Fabrikabläufen.

Als Beispiel für ein solches Beschreibungswerkzeug zeigt Bild 15.30 das von Kuhn am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund entwickelte Instrumentarium der Prozesskettenanalyse [Win97]. Es beschreibt für ein Produkt oder eine Produktgruppe die einzelnen Prozessschritte und ihre Verbindungen mit bestimmten Symbolen. Sogenannte Konnektoren bewirken entweder eine physische oder zeitliche Verknüpfung mehrerer Prozesselemente, bspw. das Zusammenfügen mehrerer Bauteile zu einer Baugruppe. Im Bild 15.30 sind die Prozessketten für zwei Artikelgruppen erkennbar, von denen die Artikelgruppe 1 innerhalb von 24 Stunden geliefert wird, während Artikelgruppe 2 nach dem Standardservice von z. B. innerhalb einer Woche den Besteller erreicht. Die erste Kette hat zwei Prozesselemente weniger. Jedes Prozesselement wird durch vier Merkmalsgruppen beschrieben, die Bild 15.31 zusammenfasst. Ein

Prozesskette (Artikelgruppe 1) 1) Prozesskette 1: 24 1: 24-Stunden Service Service (Artikelgruppe

Prozesskette 2: Standard Service (Artikelgruppe 2)

Hauptmodell

Untermodell

15

Untermodell Quelle / Senke

Prozesskettenelement

Bild 15.30: Prozesskettenmodell nach Kuhn ©IFA 15.485

454

Konnektor

Zeit-Konnektor

15.4  Grundlagenermittlung

Prozesse

Lenkung

Quellen

Normative Ebene

Senken

Administrative Ebene

Prozessstrukturen

Dispositive Ebene Netzwerkebene Steuerungsebene

Leistungsobjekt

transformiertes Leistungsobjekt

Personal Fläche Topologie Aufbauorganisation Kommunikationsstruktur

Bestand Arbeitsmittel Hilfsmittel Organisationsmittel

Bild 15.31: Beschreibungsmerkmale eines Prozesskettenelementes (Kuhn)

Strukturen

Finanzmittel Ressourcen

©IFA 15.486

Prozesskettenelement bewirkt eine physische oder räumliche Transformation eines Objektes, z. B. Umformen, Lackieren, Transportieren, Einlagern, usw. Die Prozesse sind durch Quellen (Input) und Senken (Output) sowie eine innere Struktur beschrieben, wie in Bild 15.30 als Untermodell dargestellt. Dieses Untermodell beschreibt die Topologie – also die Gestalt – des Elementes sowie seine Eingliederung in die Aufbauorganisation und Kommunikationsstruktur des Netzes. Die Ressourcen des Elementes sind nach der materiellen und immateriellen Ausstattung gegliedert, während die Lenkung die Planung und Steuerung auf der normativen Ebene (Unternehmenskultur und Regeln, Verwaltung, Disposition, Steuerung und Verknüpfungen im Netzwerk) kennzeichnet. Ziel einer Prozesskettenanalyse ist es, die Abläufe in einer einfachen Darstellung für alle Beteiligten transparent zu machen sowie mögliche Schwachstellen aufzudecken und zu beseitigen. Als Regeln gelten die in Bild 15.32 aufgestellten Empfehlungen. Unterschieden werden Nutzprozesse (sie sind wertschöp-

fend und ihr Anteil ist zu steigern) und Stützprozesse (sie sind aufgrund des gewählten Nutzprozesses notwendig, aber nicht wertschöpfend, wie z. B. der Transport zwischen zwei Arbeitsstationen: Sie sind zumindest konstant zu halten). Fehlprozesse lassen demgegenüber auf eine unsichere Prozessgestaltung schließen und sind ständig zu verringern, während Blindprozesse reine Verschwendung darstellen. Neben den klassischen Methoden der Geschäftsprozessmodellierung hat sich die vergleichsweise junge Wertstromanalyse als ein wertvolles Hilfsmittel zur Darstellung und Analyse des Wertstroms einer Produktfamilie mit den dazugehörigen Informations- und Materialflüssen bewährt. Beruhend auf standardisierten Symbolen wird der gesamte Wertstrom entgegen dem Materialfluss (d. h. vom Versand zum Wareneingang) aufgenommen, s. auch Bild 14.16. Eine ausführliche Einführung findet sich bei [Rot00] und [Erl07]. Bild 15.33 zeigt die wesentlichen Schritte. Ziel der Wertstromanalyse ist es insgesamt, Verschwendung in Beständen, Flächen und Liegezeiten

15

455

15  Synergetische Fabrikplanung

Nutzprozess

Stützprozess

geplant

geplant Fördern und Manifestieren

Bearbeiten Montieren

Transportieren Lagern

Blindprozess

Fehlprozess

ungeplant

ungeplant

Puffern Teile suchen

Ausschuss Prozessfehler

Identifizieren und Eliminieren Bild 15.32: Ansätze zur Prozesskettenverbesserung ©IFA 15.487

Produktfamilie wählen

Zeichnung Ist-Zustand

Zeichnung Soll-Zustand

15

Umsetzung durch Projekt

Auswahl Auswahl einer einer repräsentativen repräsentativen Produktfamilie Produktfamilie nach: nach: •• Erforderlichen Fertigungsschritten Erforderlichen Fertigungsschritten •ŸBenötigten BenötigtenFertigungseinrichtungen Fertigungseinrichtungen Umsatzstärke • Varianten •szstärke

Verständnis der aktuellen Funktionsweise des Werkes: • Daten selbst erheben – keine Standardwerte für InformationsInformations-und und Materialflüsse • Von Warenausgang zum Wareneingang Vorgehen: • Verwendung der Wertstromsymbolik • Evtl. ein schneller Durchgang zur Prozessaufnahme (Reihenfolgebildung) (Reihenfolgebi ldung) • Ausführlicher Durchgang der Prozesse mit Bleistift und Papier Vermeidung von Verschwendung: • Ganzheitlicher Ansatz (System-Kaizen statt Punkt-Kaizen) WertstromLeitlinien beachten • Wertstrom-Leitlinien beachten(siehe folgende Folie)

Schleifen: • Wichtig: Umsetzung sofort beginnen • Bildung von Wertstrom-Schleifen Wertstrom Schleifen (Schrittmacher, Zulieferer, Proz Prozesse) • Start bei der Schrittmacher Schleife

Bild 15.33: Vorgehensschritte einer Wertstromanalyse ©IFA 15.488

456

15.4  Grundlagenermittlung

Produktionssteuerung

Stahl KG

60Tage Vorschau

Kunde

Fax

Kundentakt 2,3 min 2 Schichten

1x Woche

9

Stanzen Coils 5 Tage

Auftr äge

Auftr äge

=1

Biegen 2500 Stk.

=1

Schweißen 200 Stk.

täglicher Lieferplan

Vormontage 350 Stk.

=1

Alle 2h

Endmontage 1000 Stk.

150 Stk.

=1

ZZ=73 sec.

ZZ=86 sec.

ZZ=39 sec.

TZ=125sec.

TZ=136sec.

RZ=45 min.

RZ=30 min.

RZ=5 min.

RZ=0

RZ=0

V=90%

V=95%

V=95%

V=100%

V=100%

2 Schichten

2 Schichten

2 Schichten

2 Schichten

5 Tage

6,0 Tage 73 sec.

0,5 Tage 86 sec.

0,8 Tage 39 sec.

Versand

DLZ DLZ

2 Schichten 2,4 Tage

125 sec.

0,4Tage

15,1 Tage WSZ WSZ

136 sec.

459 sec. DLZ … Durchlaufzeit WSZ …Wertschöpfungszeit Wertsch

Bild 15.34: Beispiel Wertstromanalyse (Istzustand) ©IFA 15.489

Produktionssteuerung

60Tage Vorschau

Kunde

Wöchentl. Fax

Stahl KG

Kundentakt 2,3 min

2-3x Woche

Tägliche Aufträge

Stanzen

Coils 2 Tage

Montage

Produktion

=1

=1

Alle 2h

100 Stk.

=2

ZZ=73 sec.

ZZ=130sec.

ZZ=261sec.

RZ=45 min.

RZ=0

RZ=0

2 Schichten

73 sec.

DLZ DLZ

0,2 Tage 130 sec.

100 Stk.

2 Schichten

2 Schichten

0,5 Tage

2 Tage

Versand

0,2 Tage 261 sec.

2,9 Tage WSZ WSZ 464 464 sec. sec.

RZ… Rüstzeit V… Verfügbarkeit EZ… Einzelzeit TZ… Taktzeit DLZ… Durchlaufzeit WSZ…Wertschöpfungszeit

15

Bild 15.35: Beispiel Wertstromanalyse (Sollzustand) ©IFA 15.490

457

15  Synergetische Fabrikplanung

72t

Eingangslager

Fertigung 6t Schrott

52t

20t

Montage 10t

15

65t Prüfen

16t

3t Schrott

Versand

a) Sankey-Diagramm Bild 15.36: Visualisierung von Materialflüssen (Beispiel)

458

6

76

65

3

72

2

Montage

4

102

65

65

Versand Schrott Summe

102 76 72

Einheiten in [t / Monat]

b) Materialflussmatrix

Summe

16

Schrott

52

100

Prüfen

4t

91t

©IFA 15.491

Fertigung

10

100

Zuschnitt 8t

72 20

Versand

von

Zuschnitt

Prüfen

2t

Montage

nach 100t

Fertigung

Eingangslager

Zuschnitt

Geschäftsprozessanalysen und auch die Wertstromanalyse betrachten immer nur jeweils ein Produkt oder eine Produktgruppe. Für mehrere Produkte oder Produktfamilien sind demnach entsprechend viele Analysen erforderlich.

In einer Fabrik werden in der Regel mehrere unterschiedliche Produktgruppen (typisch sind drei bis fünf) mit unterschiedlichen Stückzahlen und für unterschiedliche Abnehmer gefertigt, hinzu treten meist noch Komponenten für andere Werke sowie Ersatzteile. Häufig ist es aus Gründen der mangelnden Auslastung der Maschinen nicht möglich, für jede der Produktgruppen eine in sich geschlossene Fertigung einzurichten, sodass die Produkte im gesamten Auftragsstrom um die Kapazitäten konkurrieren. Für diesen Fall ist es zweckmäßig, die Material- und Kommunikationsflüsse zusätzlich aus Ressourcensicht aufzunehmen. Ein einfaches Hilfsmittel hierzu stellt das Sankey-Diagramm dar (Bild 15.36a), welches die betrieblichen Organisationseinheiten und die zwischen ihnen verlaufenden Flüsse (z. B. Material- oder Kommunikationsflüsse) visualisiert. Die Anordnung der Organisationseinheiten in der Fläche und ihre Entfernungen zueinander werden dabei vernachlässigt. Die Breite der Flüsse ist proportional zu den transportierten Mengen je Zeiteinheit, hier z. B. in to/Monat. Die Flussbeziehungen können auch in einer Von-Nach-Matrix, auch Materialflussmatrix genannt, festgehalten werden (Bild 15.36b).

Eingangslager

im Durchlauf der Produkte zu identifizieren und damit Ansätze für eine flussorientierte Produktion zu schaffen. Die einfach anzuwendende Methode (typischerweise benötigt sie inklusive Vor- und Nachbereitung wenige Tage) ist gerade in der Analysephase sehr hilfreich, wenn es gilt, einen raschen Überblick über die Produktionsabläufe zu erhalten. Die Ergebnisse gehen als Eingangsgröße in die nächste Phase der Fabrikplanung – das Strukturdesign – ein und können bei Bedarf weiter detailliert werden. Ein Beispiel für eine solche Analyse des Ist-Zustandes eines Produktionsablaufs zeigt Bild 15.34. Nach der Analyse entwickelte das Untersuchungsteam einen Sollzustand, der sich durch eine dramatische Verkürzung der Durchlaufzeit von 15,1 auf 2,9 Tage auszeichnet, Bild 15.35. Dies wird im Wesentlichen durch den Wegfall von Zwischenoperationen und der damit verbundenen Puffer erreicht.

91

65

9

15.4  Grundlagenermittlung

W W

B1

B2

B3

B4

B5

B1

Werksleiter Leiter Bereich 1 Mitarbeiter 1.1 Mitarbeiter 1.2 Mitarbeiter 1.3 Mitarbeiter 1.4 Mitarbeiter 1.5 Mitarbeiter 1.6 Mitarbeiter 1.7 Mitarbeiter 1.8 Mitarbeiter 1.9 Mitarbeiter 1.10 Leiter Bereich 2 Mitarbeiter 2.1 Mitarbeiter 2.2 Mitarbeiter 2.3 Mitarbeiter 2.4 Mitarbeiter 2.5 Mitarbeiter 2.6 Mitarbeiter 2.7 Mitarbeiter 2.8 Mitarbeiter 2.9 Mitarbeiter 2.10 Mitarbeiter 2.11 Leiter Bereich 3 Mitarbeiter 3.1 Mitarbeiter 3.2 Mitarbeiter 3.3 Mitarbeiter 3.4 Mitarbeiter 3.5 Mitarbeiter 3.6 Mitarbeiter 3.7 Leiter Bereich 4 Mitarbeiter 4.1 Mitarbeiter 4.2 Mitarbeiter 4.3 Mitarbeiter 4.4 Mitarbeiter 4.5 Leiter Bereich 5 Mitarbeiter 5.1

W : Werksleiter B : Bereich

B2

B3

B4

B5

Intensität zwischen Bereich B2 und B4

Intensität zwischen Mitarbeiter B1.3 und B1.8 Intensität zwischen Mitarbeiter B1.6 und B1.5

Intensität im Bereich B3

Intensität: gering

mittel

hoch

keine Angaben

Hauptdiagonale

Bild 15.37: Darstellung von Kommunikationsflüssen ©IFA 15.492

Die Zeilen repräsentieren die Sendestellen, während die Spalten die Empfangsstellen darstellen. Die Zahlen für den Fluss können das Gewicht, das Volumen oder die transportierte Stückzahl je Zeiteinheit bedeuten. Abweichungen zwischen der Summe der Zu- und der Abgänge treten dann auf, wenn nicht alle untersuchten Bereiche in der Matrix aufgeführt wurden. Mit der wachsenden Bedeutung der personalen Kommunikation gewinnen weiterhin die Kommunikationsbeziehungen an Bedeutung. Sie können mit den gleichen Methoden visualisiert werden, wie sie für Materialflüsse üblich sind. Die Aufbereitung und Darstellung der erhobenen Daten erfolgt zweckmäßig in Matrizenform. Bild 15.37

zeigt ein Beispiel für die drei Ebenen Werkleiter, Bereich und Mitarbeiter. Auf der x- und y-Achse werden in jeweils gleicher Reihenfolge die Teilnehmer der Befragung ihren Bereichen zugeordnet. Wenn die gegenseitige Einschätzung von Partnern über ihre Kommunikationsintensität und -inhalte in beiden Richtungen verglichen werden soll, sind die Felder über- und unterhalb der Diagonale auszufüllen. Die Farben geben die Intensität der Kommunikation an, hier in den drei Stufen gering (grün), mittel (gelb) und hoch (rot). Mit dieser Darstellung wird zunächst der Austausch auf Mitarbeiterebene offenbar. Die Darstellung lässt sich auf die Beziehungen ganzer Bereiche in der Fabrik verdichten. Bei einer zweckmäßig gestalteten Aufbauorganisation ist eine hohe Kommunikationsintensität inner-

15

459

15  Synergetische Fabrikplanung

halb von Bereichen typisch (Kästchen entlang der Hauptdiagonale), während die Intensität zu anderen Bereichen nur schwach ausfällt. Werden zu dieser Information die wesentlichen Kommunikationsinhalte sowie die räumliche Lage der Bereiche aus der Analyse hinzugefügt und diese mit dem „Soll“ verglichen, können Schritt für Schritt alle erforderlichen Eingangsdaten für ein Kommunikationskonzept erzeugt werden. Daraus ergeben sich unmittelbare Schlussfolgerungen für die Anordnung der betreffenden Bereiche z. B. in einem Bürokonzept. Leider ist immer wieder zu beobachten, dass aktuelle unwirtschaftliche Abläufe in die neue Fabrik in der stillschweigenden Annahme übernommen werden, dass dann alles irgendwie besser wird. Das ist aber ohne ein entsprechendes Programm keineswegs der Fall. Die Analysephase sollte daher auch dazu dienen, Verbesserungen möglichst vor Bezug der neuen Fabrik einzuführen, die dann nach dem Umzug Schritt für Schritt umgesetzt werden. Parallel zur Analyse der Produktionseinrichtungen umfasst die Grundlagenermittlung der Objektplanung im Wesentlichen die Aufnahme des vorhandenen bzw. vorgesehenen Grundstücks und ggf. vorhandener Gebäude sowie ihrer Flussbeziehungen. Abschließend fließen die Analyseergebnisse der Produktionseinrichtungen und -abläufe mit der Analyse der räumlichen Objekte aus Architektursicht zusammen und werden im Meilenstein M1 gemäß Bild 15.5 im Lenkungsausschuss verabschiedet.

15.5  Konzeptplanung

15

460

Die Konzeptplanung setzt sich nach Bild 15.5 aus den Schritten Strukturentwicklung, Strukturausplanung und Groblayoutplanung zusammen. Die Aufgabe der Strukturentwicklung ist die Bildung funktionstüchtiger Struktureinheiten, die technologisch, organisatorisch und ökonomisch sinnvoll sind. Eine Struktureinheit wird hier definiert als ein Baustein innerhalb einer komplexen Struktur, der eine bestimmte Funktion erfüllt [Wie96].

Grundlage hierfür bildet die Systemtheorie [Wil96]. Danach beschreiben Systeme eine Menge von Elementen mit bestimmten Eigenschaften, die untereinander in Beziehung stehen [Rop99]. Das Netz dieser Beziehungen zwischen den Elementen wird als Struktur bezeichnet. Diese Struktur ist nicht beliebig, sondern immer auf den Systemzweck ausgerichtet. Elemente stellen nur für das betrachtete System die kleinsten Einheiten dar. Sie können für sich selbst wieder Systeme sein. So bildet im System Fabrik ein Betriebsmittel das kleinste Element, das selbst wiederum als System verstanden werden kann (vgl. z. B. Bild 6.26, Elemente einer Werkzeugmaschine). Bezogen auf die Fabrikplanung kann die Struktur als übergeordnete Gliederung der Fabrik betrachtet werden. Dabei ist zu beachten, dass eine Struktur nicht die räumliche Ausprägung eines Systems abbildet, sondern nur die Struktureinheiten und deren Beziehungen veranschaulicht [Har04]. Die Strukturplanung ist der kreativste und wichtigste Schritt einer Fabrikplanung. Hier erfahren die in der Zielplanung erarbeiteten Kriterien ihre Umsetzung in eine Beziehungsstruktur der Fabrikobjekte. Diese muss sowohl aus Prozess- wie auch aus Raumsicht langfristig Bestand haben, aber auch Anpassungen an veränderte Randbedingungen erlauben. Praktikern fällt diese Betrachtung häufig schwer, weil sie meist konkrete räumliche Vorstellungen der Fabrikobjekte vor Augen haben und Darstellungen von Funktionsbeziehungen als sehr theoretisch empfinden. Die Erfahrung zeigt aber, dass erst diese Art der Abstraktion zu tiefer greifenden Diskussionen über Produktionsprinzipien und zu frischen Ansätzen führt.

15.5.1 Strukturentwicklung Struktureinheiten werden durch die Ausrichtung der Produktion anhand sogenannter Strukturierungsprinzipien entwickelt, die einem strategischen Ansatz folgen. Dieser geht von dem in Bild 15.13 vorgestellten Logistikprofil eines Standortes aus. Für diesen Standort werden nach Bild 15.38 primär der in der Analysephase definierte Markt und die Produk-

15.5  Konzeptplanung

Markt

Produkt

Prozess Technologie

Produktgruppen

Werkstoffarten

Liefermodelle

Prozessschritte Fertigungsprinzip

Produktformat

Kundengruppen

Beschaffungskonzept

Verpackung

Marktregion

Steuerungskonzept

Stückzahl

Lagerkonzept Transportkonzept

Verantwortungsbereich Kapazitätsbedarf

Kommunikation

Kapazitätsangebot Investitionen Wirtschaftlichkeit

Struktur

Personenfluss Informationsfluss Materialfluss

Effizienz

Transparenz

Bild 15.38: Einflussfaktoren auf die Strukturbildung ©IFA 15.493

te sowie die benötigten Prozesse ins Auge gefasst, während die geforderte Effizienz und die benötigte Transparenz als Randbedingungen gelten. Bild 15.38 gliedert diese Oberbegriffe in weitere Merkmale, die als Anhaltspunkt für die konkrete Strukturbildung mit den projektspezifischen Randbedingungen dienen [Har04]. In der Regel wird es nicht möglich sein, ein durchgängiges Strukturierungsprinzip für eine ganze Fabrik zu finden. Daher ist es zweckmäßig, sich an den in Bild 5.18 vorgestellten Fabrikebenen zu orientieren. Bild 15.39 zeigt das Prinzip an einem fiktiven Beispiel. Die oberste Ebene beschreibt die Fabrikstruktur, für die in diesem Fall die einzelnen Produktgruppen bestimmend sind. Diese Struktureinheiten spiegeln sich in der Aufbauorganisation des Unternehmens wider, meist Geschäftseinheiten oder Business Units (BU) genannt. Einer Geschäftseinheit sind neben dem Produktionsbereich meist auch das Marketing, der Vertrieb und die Pro-

duktentwicklung zugeordnet. Bei der späteren Gesamtplanung versucht man, diese Funktionen aus Gründen der einfachen Kommunikation in räumlicher Nähe der Produktion und Auftragsabwicklung anzusiedeln. Auf der Bereichsebene der Fabrik werden im Beispiel innerhalb jeder Produktgruppe bestimmte Kundengruppen angesprochen, die meist in Produkt/Kunden-Segmenten strukturiert sind. Diese werden möglichst in einem Gebäude zusammengefasst. Diese Segmente können auf der untersten Systemebene weiterhin logistisch segmentiert werden, hier etwa nach Läufern (hohe Stückzahlen), Rennern (mittlere Stückzahlen) und Exoten (geringe Stückzahlen). Läufer, Renner und Exoten bedürfen unterschiedlicher Beschaffungs-, Fertigungs-, Montage- und Lieferkonzepte, wie in Bild 15.13 angedeutet. Neu auf dieser Ebene gegenüber dem Logistikprofil ist nun die Entscheidung über die räumlich-zeitliche Fertigungs- bzw. Montage-

15

461

15  Synergetische Fabrikplanung

Produktgruppe 1

Eingang

Fabrik

Strukturformen

Produktgruppe 2 Produktgruppe 3

Bereich

Segment Segment 3.1 3.2

Ausgang

Detaillierungsebenen

Segment 3.3

Läufer Renner

System Exoten

Bild 15.39: Ebenen der Strukturplanung ©IFA 15.494

15

462

struktur, deren mögliche Ausprägungen in Bild 9.7 bzw. 9.8 vorgestellt wurden. Für die Renner und Läufer, die stark und regelmäßig von den Kunden nachgefragt werden, eignet sich bspw. eine Inselbzw. Fließfertigung. Für die eher sporadisch nachgefragten Exoten eignet sich demgegenüber eher eine Werkstattfertigung. Die Auswahl entsprechender Strukturierungsmerkmale wird im Folgenden am Beispiel einer Fabrik für Kunststoffspritzgussteile gezeigt, Bild 15.40 [Har04]. Auf der Fabrikebene ist von links nach rechts zunächst ein Rohmateriallager, gefolgt von einer Rohmaterialvorbereitung erkennbar. Daran schließt sich die Produktion mit einem integrierten Teilelager für Einkaufsteile an, welche die Montage benötigt. Die anschließend verpackten Fertigteile wandern in ein Fertigteilelager, von wo aus sie nach Bedarf zu Auftragskommissionen zusammengestellt und versandt werden. Die im Projekt entwickelten 10 Strukturierungsoptionen der Produktion sind im darunter liegenden Bildteil dargestellt. Sie orientieren sich entweder am Kunden, an der Technologie oder an den Produktgruppen.

Bei einer Verfahrensorientierung (Prinzip 1) werden die innerhalb der Struktureinheit (z. B. Montagebereich oder Fertigungsbereich) ausgeführten technologisch gleichen Prozesse zusammengefasst. Als Vorteil dieses Funktions- oder Werkstättenprinzips lässt sich eine hohe Auslastung der Betriebsmittel und des Personals nennen. Weiterhin erfolgt eine technologiespezifische Know-how-Konzentration. Sollten sich Veränderungen am Produktionsprogramm ergeben, sind diese leicht umsetzbar. Die Kapazität innerhalb der Struktureinheit besitzt eine hohe Anpassungsfähigkeit. Nachteilig sind hohe Bestände und lange Durchlaufzeiten. Werden die Bereiche sehr groß, kann eine Unterteilung der Funktionsbereiche in Größenklassen der Betriebsmittel erfolgen (Prinzip 5). Bei der Prozessorientierung der Struktureinheiten (Prinzip 10) werden alle Herstellungsschritte eines Produktes oder einer Produktfamilie zusammengefasst. Als Vorteil gilt die vollständige Verantwortung für ein Produkt und die damit verbundene Teil- oder Gesamtprozesskette. Dadurch findet eine Konzentration auf das produktbezogene Prozess-Know-how statt. Die Durchlaufzeiten und Bestände sind vergli-

15.5  Konzeptplanung

RML

Rohmaterialvorbereitung

1 Verfahren

Verpackung

Produktion

FTL

EL

2 Produktfamilie

3 Material

4 Kunde

Kommissionierung, Versand

5 Technologie

Step in

Water/air

ABS

ABS/PC

PP

MBUS

BMW

GM

650t

420t

300t

Spritzguss

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Schweißen

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Montage

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

6 Produkt Kunde

7 Werk Kunde

Mon.

8 Lieferabruf

9 Komponente

10 Prozessschritte

251

164

MBUS1

MBUS2

JIT

JIS

1K

2K

3K

1 Pro.

2 Pro.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

Segmente

Erweiterungssegmente

Mon.

Prozessschritt

3 Pro. Spg. Schw.

Mon.

Mon.

Lager

RML: Rohmateriallager, EL: Einkaufteilelager, FTL: Fertigteillager, Spg.: Spritzguss, Schw.: Schweißen, Mo.: Montage, Pro.: Prozessschritte, K: Komponente

Bild 15.40: Strukturierungsoptionen für eine11.349 Fabrik (Beispiel) ©IFA 15.495

chen mit Prinzip 1 deutlich geringer und die Fertigungssteuerung vergleichsweise einfach. Dafür kann aber nicht jede Produktionseinheit voll ausgelastet werden. Nachteilig ist weiterhin die Verteilung des technologischen Know-hows der Einzeloperationen auf mehrere Segmente. Überwiegend richtet sich heute die Prozessorientierung an den Kunden aus (Prinzip 4), bei großen Kunden an deren Werken (Prinzip 7), an den Produkten je Kunde (Prinzip 6) oder am Liefermodell (Prinzip 8). Sind die Liefervolumina zu klein für einzelne Segmente, könnte man auch nach Produktfamilien gliedern (Prinzip 2). Eine Auswahl der möglichen Strukturierungsmerkmale muss für jedes Projekt einzeln durchgeführt werden, um projektspezifischen Randbedingungen Rechnung zu tragen. Dennoch bewegen sich die möglichen Ausprägungen einer Struktur meist zwischen einer funktionsorientierten und einer prozessorientierten Ausrichtung. Bild 15.41 zeigt einen solchen Kombinationsprozess. In diesem Fall wurden drei prozessorientierte Segmente beibehalten, die Ein-

gangs- und Ausgangssituation jedoch funktionsorientiert gemeinsam gestaltet. In die Strukturfindung ist die Objektplanung entsprechend dem synergetischen Ansatz aktiv einzubinden und die Varianten sind anhand der im Zielsetzungsworkshop festgelegten Leitlinien zu bewerten und auszuwählen. An die Entwicklung der Struktur schließt sich die Dimensionierung der Ressourcen an, bevor die Konzeptplanung mit der Groblayoutplanung abgeschlossen werden kann.

15.5.2 Strukturdimensionierung Eingangsgrößen In der Strukturdimensionierung, die auch als Strukturausplanung bezeichnet wird, werden die Anzahl der notwendigen Betriebsmittel, die erforderlichen Flächen sowie das zur Bedienung benötigte Personal bestimmt. Eingangsgrößen sind das Produktionsprogramm, die Produkteigenschaften, die zukünftig be-

15

463

15  Synergetische Fabrikplanung

Funktionsorientierung

Kombination

RML

RML

Prozessorientierung RML

Rohmaterialvorbereitung

Rohmaterialvorbereitung

Spritzguss Schweißen Montage

Rohmaterialvorbereitung

420t

300t

650t

420t

300t

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Spg.

Schw.

Schw.

Schw.

Schw.

Mon.

Mon.

Mon.

Mon.

FTL

FTL

FTL

FTL

Vers.

Vers.

Vers.

Versand

Versand

Prozessschritt

RML

650t

FTL

Segment

RML

Lager

RML Rohmateriallager FTL Fertigteillager Spg. Spritzguss Schw. Schweißen Mon. Montage, Vers. Versand

Bild 15.41: Mögliche Ausprägungen von Strukturvarianten (Beispiel) ©IFA 15.496

. nötigten bzw. vorhandenen Produktionsmittel sowie die Qualifikation und die Flexibilität des einzusetzenden Personals (Bild 15.42).

Das Produktionsprogramm wurde im Zusammenhang mit der Erstellung des Logistikprofils mit Angaben über die Art und Menge der Produkte festgeschrie-

ben. Dieses stellt damit auch die Grundlage für die Berechnung der Ressourcen dar. Zusätzlich zu den aktuellen Produkten und deren Stückzahlen müssen aus der Analysephase Aussagen über die zukünftige Entwicklung der Stückzahlen, die Lebenszyklen der Produkte (neu, aufsteigend, auslaufend) sowie mögliche zukünftige Produkte vorliegen.

Produkteigenschaften

Produktionsprogramm • Produktart • Produktmenge • Fertigungstiefe

• Erzeugnisstruktur • Arbeitsplätze • Bearbeitungszeiten

Dimensionierung

15

• Betriebsmittel • Fläche • Personal

Produktionsmittelpotenzial • Art und Anzahl • Kapazität • Verfügbarkeit

Produktionsmitteleigenschaften • Verfahren • Leistung • Genauigkeit

Personalpotenzial • Qualifikation • Flexibilität • Arbeitszeitmodell

Bild 15.42: Eingangsgrößen für die Ressourcendimensionierung ©IFA 15.497

G9150NP_Hc

464

15.5  Konzeptplanung

Bestimmung der Betriebseinrichtungen Das prinzipielle Vorgehen zur Ressourcendimensionierung zeigt Bild 15.43 [Wie72]. Als primäre Eingangsgröße dient das Produktionsprogramm für einen Zeithorizont von typischerweise 5 Jahren. Die Produkteigenschaften als zweite Eingangsgröße werden durch die Erzeugnisstruktur der Produkte aus deren Einzelkomponenten bestimmt, die in Stücklisten dokumentiert sind (vgl. Bild 6.6). Aus den zugehörigen Arbeitsplänen lässt sich der Arbeitsablauf mit den erforderlichen Arbeitsvorgängen sowie die Rüstzeit (je Los) und die Einzelzeit (je Stück) entnehmen. Durch Multiplikation der Produkt-Stückzahlen des Produktionsprogramms mit den Werten der Stückzahlen je Komponente (entnommen aus den Stücklisten) ist die Anzahl jährlich zu fertigender Endprodukte, Baugruppen und Einzelteile bekannt. Zu berücksichtigen ist nun die Stückelung des Jahresbedarfs in Lose. Multipliziert man die Anzahl Lose

mit der Rüstzeit und die Anzahl Einzelteile mit der Einzelzeit, ergibt sich die Auftragszeit je Produkt. Zur Verdeutlichung der Rechnung zeigt Bild 15.44 ein Beispiel aus einer Industrieuntersuchung. In diesem Fall geht die Planung von einem Jahresbedarf von 80 Endprodukten aus, die in 8 Losen je 10 Stück aufgelegt werden. Die Gliederung der Kapazität folgt der in diesem Unternehmen gebräuchlichen Klassifizierung, die im Arbeitsplan je Arbeitsvorgang vermerkt ist. In der ersten Spalte stehen die pro Jahr zu fertigenden Stückzahlen der Einzelteile (viele Einzelteile werden in diesem Produkt zigfach eingesetzt), gefolgt von der Rüst-, Einzel- und Auftragszeit. Die Auftragszeit entspricht dem jährlichen Kapazitätsbedarf gemessen in Vorhabestunden. Als jährliches Kapazitätsangebot werden 1.600 Vorgabestunden je Maschine angenommen. Das entspricht einem Einschichtbetrieb mit Abschlägen für Pausen, Wartung, Störungen usw. Der Rüstzeit-

Informationsbasis Art Menge Zeit C AB

Stunden

Produktionsprogramm

AGV MGR 10 4711 20 4815 ... ...

tR 30 10 ...

te 2 6 ...

Verfahren Arbeitsraum Leistung Genauigkeit Maschinen U V

x x x x x

Produkteigenschaften

Produktionsmitteleigenschaften

Herstellverfahren

Stunden

Produkt

Arbeitspläne

Zeit

Bearbeitungsprofil

Maschinen - art - kapazität - verfügbarkeit

Produktionsmittelpotenzial

Herstellverfahren Zeit

Produktionsmittelprofil technologisch zeitlich / wirtschaftlich organisatorisch

Zuordnung Maschinenbedienung Führungspersonal Planung und Steuerung

Arbeitsplätze Maschinen Werkzeuge / Ausrüstung Struktur

Fertigung, Montage Transport, Lager, Puffer Verwaltung sonstiges

Betriebsmittel

Fläche

Personal

15

Planungsergebnis

Bild 15.43: Systematik der Ressourcendimensionierung ©IFA 15.498

465

15  Synergetische Fabrikplanung

Bild 15.44: Kapazitätsbedarf einer Produktgruppe (Beispiel) ©IFA 15.499

15

466

anteil ist eingefügt, um ein Gefühl für den Einfluss der Losgröße zu gewinnen, z. B. bei Umstellung auf kleinere Lose. Der Quotient aus Auftragszeit und Kapazität ergibt die Anzahl benötigter Maschinen bei Einschichtbetrieb, die meist keine ganzzahlige Größe ist. Die Addition aller Produktgruppen des Produktionsprogramms pro Jahr führt gemäß Bild 15.43 zum sog. Bearbeitungsprofil. In der Einzelfertigung ist es nicht sinnvoll oder möglich, das Bearbeitungsprofil aus den Stücklisten und Arbeitsplänen einzelner Aufträge abzuleiten, weil der Aufwand dafür sehr groß wäre und weil meist noch keine Arbeitspläne vorliegen. In diesem Fall benutzt man die Belastungswerte abgerechneter Aufträge aus der Kostenträger- und Kostenstellenrechnung. Für die Zukunft wird dann ein repräsentativer Produktmix bestimmt und auf Basis des angestrebten Umsatzes der Gesamtkapazitätsbedarf hochgerechnet [Wie74].

Der zweite wesentliche Schritt der Strukturdimensionierung betrifft die Festlegung des Produktionsmittelprofils. Es gibt Auskunft über die Art und Anzahl der vorhandenen Produktionsmittel sowie deren Kapazität und Verfügbarkeit. Hier fließen ggf. Überlegungen über geplante Ersatz- oder Neuinvestitionen ein. Nun erfolgt im dritten Schritt der Abgleich des Bearbeitungs- und Produktionsmittelprofils in dreierlei Hinsicht. Im technologischen Abgleich wird geprüft, ob die bisher eingesetzten Fertigungsverfahren und zugehörigen Maschinen auch in Zukunft Anwendung finden sollen. Oft sind schon neue Verfahren in Erprobung (z. B. Hochgeschwindigkeitsfräsen), die eine erheblich höhere Leistung erbringen und eine entsprechende Korrektur der Auftragszeit bedingen. Unabhängig von neuen Betriebsmitteln gilt darüber hinaus in vielen Unternehmen die Zielsetzung einer

15.5  Konzeptplanung

Produktivitätssteigerung, die je nach Branche zwischen 3 und 6 % pro Jahr liegt. Dies bedeutet eine Verringerung der Kapazitätsnachfrage von 15 bzw. 30 % in 5 Jahren. Der zeitliche Abgleich betrifft die Frage des Schichtmodells, ob also ein-, zwei- oder dreischichtig und ggf. auch an Wochenenden gearbeitet werden soll (vgl. Bild 7.10). Im organisatorischen Abgleich erfolgt eine Zuordnung der Maschinen zu der in der Strukturentwicklung festgelegten Bereichsstruktur, wie sie beispielsweise in Bild 15.39 angedeutet wurde. Spätestens hier wird das Dilemma Wirtschaftlichkeit versus Flexibilität zutage treten, denn in der Regel werden nicht alle Maschinen eines Segmentes ausgelastet sein. Dann hilft man sich manchmal mit dem Zukauf von gebrauchten Maschinen, deren Technologie keine Kernkompetenz darstellt (vgl. Bild 14.15). Die weiteren Betriebsmittel wie Lager- und innerbetriebliche Fördermittel ergeben sich aus der Anzahl Produktionsmittel und ihren Flussbeziehungen. Wichtig ist für diese Betriebsmittel der Flächenbedarf, auf den der nächste Abschnitt noch näher eingeht. Die Anzahl der Maschinen und sonstigen Einrichtungen sowie das Schichtmodell bestimmen schließlich das operative Personal mit der benötigten Qualifika-

tion. Hier finden Überlegungen über die Möglichkeit einer sog. Mehrmaschinenbedienung statt, die beispielsweise bei Vollautomaten in Kunststoffspritzbetrieben möglich ist. Je nach Strukturprinzip kommen beim Personal noch die Führungsfunktionen (Gruppenleiter, Meister, Segmentleiter usw.) und die produktionsnahen Dienstleistungen wie z. B. NCProgrammierung hinzu. Die grafische Gegenüberstellung von Bedarfs- und Kapazitätsprofil zeigt Bild 15.45 schematisch. Damit soll das Problem der zunehmenden Unsicherheit des Bedarfs in der Zukunft verdeutlicht werden. Erschien die hier angedeutete Spannweite der Prognosewerte noch bis in die 1990er Jahre als übertrieben, müssen solche Werte bei neuen Planungen eher als Normalfall angesehen werden. Die Darstellung unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Flexibilität und Wandlungsfähigkeit einer Fabrik und ihrer Einrichtungen.

Flächenbestimmung Betriebsmittel Aus der Dimensionierung der Produktionsmittelanzahl folgt im letzten Schritt der Ressourcendimensionierung die Bestimmung der notwendigen Flächen. Bild 15.46 gibt zunächst – ausgehend von der Grundstücksfläche – eine Übersicht über

Kapazitätsbedarf Kapazitätsangebot

Kapazitätsbedarf



optimistisch realistisch

Kapazitätsband

• Planungstoleranz Kapazität



Planwert

pessimistisch

1

2

3

4

n

15

Planjahre

Bild 15.45: Gegenüberstellung von Bedarfs- und Kapazitätsprofil ©IFA 15.500

467

15  Synergetische Fabrikplanung

Nutzflächen Versorgungsflächen Verkehrsflächen

unbebaute Flächen

Parkplatzflächen

Grundstücksfläche

Konstruktionsflächen BruttoGrundrissflächen

bebaute Flächen

NettoGrundrissflächen

für die Fabrikplanung wesentliche Flächen

Nutzflächen

Funktionsflächen Verkehrsflächen (Transportflächen)

Nebennutzflächen

Grün-/Freiflächen

Hauptnutzflächen

Reserveflächen Produktionsflächen Lagerflächen Sonderflächen Büroflächen (Funktionsflächen) Sozialflächen Sanitärflächen sonstige Flächen

Hauptverkehrsflächen allg. Verkehrsflächen

Bild 15.46: Flächengliederung nach VDI 3644 ©IFA 15.501

83ASW_Hc

die Flächenarten und ihre Gliederung für einen Produktionsbetrieb nach VDI Richtlinie 3644 [VDI91].

15

468

Für die Fabrikplanung sind davon folgende Flächenanteile von Bedeutung: Produktionsflächen sind die Flächenanteile, die zum Fertigen, Montieren, Handhaben und Prüfen der Werkstücke erforderlich sind. Die Lagerfläche in einer Produktionseinheit ist für die An- und Ablieferung sowie die Bereitstellung der Werkstücke für den Produktionsprozess vorzusehen. Büroflächen werden für administrative Bereiche vorgehalten, während Sozialflächen überwiegend der Gesundheit und Betreuung der Belegschaft dienen. Die Hauptverkehrsfläche ist der Flächenanteil, der ausschließlich zum Transport von Werkstücken und Personal in den Produktionseinheiten freigehalten bzw. genutzt wird. Daneben stehen die unbebauten Reserveflächen, auf die die Fabrik im Wachstumsfall ausweichen kann. Um den Flächenbedarf der Produktionsflächen zu ermitteln, existieren sowohl kennzahlenbasierte als auch rechnerische Verfahren. Die kennzahlenba-

sierten Verfahren eignen sich besonders in frühen Planungsphasen zur Überschlagsrechnung. Hierbei wird der Flächenbedarf entweder absolut (z. B. Produktionsfläche 1.535 m2) oder relativ (z. B. Transportfläche = 25 % der Produktionsfläche) angegeben. Die rechnerischen Verfahren umfassen unter anderem das Ersatzflächenverfahren sowie die funktionale Flächenermittlung, s. a. [Ket84], [Gru00]. Bei beiden Verfahren geht man von der Maschinengrundfläche aus, die mit Hilfe von Zuschlagsfaktoren auf die Gesamtmaschinenarbeitsplatzfläche erweitert wird. Während beim Ersatzflächenverfahren zusätzlich zur Maschinengrundfläche lediglich die Fläche für mögliche Transporteinheiten zugeschlagen wird, werden bei der funktionalen Ermittlung eigene Flächenelemente für bspw. Transporte oder Wartung berücksichtigt. Bild 15.47 vermittelt eine Vorstellung der bei diesem Verfahren berücksichtigten Flächenelemente. Die Zuschlagsfaktoren bei beiden Verfahren beruhen z. T. auf der Arbeitsstättenverordnung z. B. für die Reparatur- und Wartungsflächen (s. a. Abschn.

15.5  Konzeptplanung

8.4 Arbeitsschutz), können aber auch aufgrund von Erfahrungen, Diskussionen oder vorhandenen Betriebswerten festgelegt werden.

nahme und dem sich anschließenden Eingangslager beginnen. Nach Anforderung von Material erfolgt eine Bereitstellung und ggf. Kommissionierung mit nachgeschalteter Puffer- und Bereitstellfläche. Während der Verarbeitung ist ggf. eine Zwischenlagerung von Halbfabrikaten erforderlich. Fertigware gelangt wiederum in einen Fertigwarenpuffer oder ein -lager, bis es bereitgestellt und versandt wird. Das Bild zeigt weiterhin, welche Lagerbereiche in Abhängigkeit vom Beschaffungs-, Produktions- und Liefermodell dieser Produktgruppe erforderlich sind. Die Größe der einzelnen Lagerflächen ist abhängig von der Anzahl zu lagernder bzw. zu puffernder Artikel, deren Größe und Anzahl je Lagergutträger (Stapelbehälter, Gitterbox, Palette usw.) und vom Lagerumschlag. Man bezieht die Flächen gern auf die Maße der Europalette von 800 x 1200 mm und drückt sie dann in Teilen oder Vielfachen dieser Einheit aus. Die sich daraus ergebenden Flächen werden zunächst dem jeweiligen Strukturbereich zugeordnet. Erst im Groblayout zeigt sich dann, ob durch die Anordnung der einzelnen Strukturbereiche Flächen zusammen-

Flächenbestimmung Lager- und Transportflächen Neben den Maschinenflächen sind auch noch die weiteren in Bild 15.46 genannten Flächen zu dimensionieren. Dies betrifft zunächst die der Produktion zugeordneten Lager und Transportflächen. Diese bestimmen sich maßgeblich durch das im Logistikprofil und Strukturplan festgelegte Beschaffungs- und Liefermodell. Bild 15.48 zeigt dazu in der ersten Spalte die zu betrachtenden Lagerbereiche der Produktgruppen PG1 bis PG3, die aus den Teil- und Elementarprozessen der Logistik (vgl. Bild 6.44) abgeleitet wurden. Unterschieden wird dabei zwischen Lagerflächen, die immer erforderlich sind, und solchen, die vom Strukturkonzept abhängen. Die Art der Lagerbereiche ist im Bild 15.48 am Materialfluss orientiert, wobei diese mit der Warenan-

Abfallentsorgung (z.B. Späne, Kühlmittell)

Maschinen- bzw. Handarbeitsplatz-Grundfläche

Maschinensteuerung



• •

Reparatur- und Wartung

Vorrichtungen und Werkzeuge

• 0,4 m

• •



1m



Materialbereitstellung Entsorgung



Materialbereitstellung Versorgung

Anteilige Transportfläche

15

Bedienung

Bild 15.47: Bestandteile von Produktionsflächen ©IFA 15.502

469

15  Synergetische Fabrikplanung

BeschaffungsProduktionsmodelle modelle BeschaffungsProduktionsmodelle modelle BeschaffungsProduktionsmodelle modelle BeschaffungsProduktionsmodelle modelle

Liefermodelle Liefermodelle Liefermodelle Liefermodelle

Vorr atsb es Kons Vorrachaffun igna tsbes g tioVnos chaff K rkraots Stan onsig nzbe ung dard te natioVnosrekrpstchaffu Msaignn aots Vertr StandilKeo-n nzbeep ng aagtieom agsla ardte stch g ta Msaignnnesnktonzaeffung rknodnilKeo-n Einz VertraSe elbe gslagazredptet ileaagtieomnesnpt schae Seta a ktonz ffrtru grknodnazre-dM Sync EinzeV ptet nagemeenpt sla hron lbescanV t haeffrtrugerkonilze-Mana nlizefe Synce EAin a gem n hron lbreusncghgslagerekpt ent e a o E ff A n in ung zept Sync nlizefe hron lbreusncg h e a Sync Anliefe ffung hron rung e An Make liefer -to-S ung tock M Make ake-to (Pus h -to-S -Sto ) c to k Make MakeMcakke(P-to ull-)S(Push) to O -to-Sto rdear Mcakke(tock (Pu ke-to P-to Asse Make M s mble to Or -Stoucll-)Stockh) deark k (Pu (Pus to MaOkre M EnginAssem h) ll) etor Oe-to-Sto eer to ble dto MaOkrerder ck (Pu EnginAO ssrd ll d ) e e to e m eer to rble to r Orde r AO O Engin ssree mrblerder eer d to to O Engin rder O r d e r eer to Einz Orde elliefe r r Liefe Einzeull ng rung ieferu a n E u g in f L z s Liefe iefer K rung ung eoallnie ig fenruanti a f S Euin g onsla zeollnie feta f K Liefe LieferLuuie sig fenr ger rung ng arunndgaradute onsla u f ilKeo-uanLntig L a f ie L u f fe feta Verurtrn S Einz Liefer ie r saig genr ger u n n d elliefe ung aggasula garadute f ilKeo-anLtionsla aLuie fgSeta ru f L n r fe V ie E g ge ger Sync inzell fearunnV erurtrnagg ndard saig hron ieferu gearbura asulafgS teilen-rationsla Ln r nda Lager ger iegfear n f Vuecrhtrsoeta blizefe Synce EAin u gearbur agrtslag rdteilehron llierufenrgu nV Lage Vuech er Synce EAin b ll ng an fa r ierufenrg Verrbtrrsaogrtslag hronlizefe ung e uchs er Sync Abliefe an a o r V hron rung erbra t e Ab uchs liefer ort ung

Lagerbereich Fläche Produktgruppe PG1 - PG3 [m_] Lagerbereich Fläche Produktgruppe PG1 - PG3 [m_] Lagerbereich Fläche Produktgruppe PG1 - PG3 [m_] Lagerbereich Fläche Produktgruppe PG1 - PG3 [m_]

Warenannahme 50 Eingangslager 350 Warenannahme 50 50 Bereitstellung/Kommissionierung 350 50 PufferlagerEingangslager /Bereitstellfläche Warenannahme Bereitstellung/Kommissionierung Zwischenlager zentral 50 50 0 Eingangslager Pufferlager /Bereitstellfläche Zwischenlager dezentral 350 50 50 Warenannahme Bereitstellung/Kommissionierung Zwischenlager zentral 50 50 0 10 Fertigwarenpuffer Eingangslager Pufferlager /Bereitstellfläche Zwischenlager dezentral 350 50 50 0 Fertigwarenlager Bereitstellung/Kommissionierung 50 0 10 20 Zwischenlager zentral Fertigwarenpuffer Warenbereitstellung/Versand Pufferlager /Bereitstellfläche 50 50 0580 Zwischenlager dezentralSumme Fertigwarenlager Zwischenlager zentral 0 10 20 Fertigwarenpuffer Warenbereitstellung/Versand Zwischenlager dezentralSumme 50 0580 Fertigwarenlager Fertigwarenpuffer 10 20 Warenbereitstellung/Versand Fertigwarenlager 0580 Summe Warenbereitstellung/Versand 20 Summe 580

Lagerfläche immer erforderlich Lagerfläche immer erforderlich Lagerfläche immer erforderlich

Lagerfläche immer erforderlich

Lagerfläche je nach Strategie erforderlich Lagerfläche je nach Strategie erforderlich Lagerfläche je nach Strategie erforderlich

Lagerfläche je nach Strategie erforderlich

Bild 15.48: Lagerbereiche in Abhängigkeit vom Logistikprofil ©IFA 15.503

gelegt werden können, beispielsweise für ein gemeinsames Zwischenlager aller Produktionssegmente, das zwischen einer push-gesteuerten Fertigung und einer pull-gesteu­erten Montage liegt. Im Bild 15.48 ist der Gesamtflächenbedarf mit Werten aus einer Betriebsuntersuchung für alle Produktgruppen in der 2. Spalte von links ausgewiesen. Transportflächen werden in der Strukturplanung zunächst mit einem Zuschlagsfaktor berücksichtigt; typisch sind 20 bis 25  % der Flächen für die Betriebseinrichtungen. Sozialflächen ergeben sich aus der Anzahl Mitarbeiter und gesetzlichen Vorgaben. Als Richtwerte für Büros gelten Spannen zwischen 11 und 15 m2/Person für eine Besetzung mit 1 bis 3 Personen.

15

Flächenmodule Im Rahmen der Planung neuer Fabriken ist anzustreben, nicht nur die Produktionseinrichtungen, sondern auch das Layout selbst wandlungsfähig zu gestalten. Dazu bietet sich die Einführung von Flächenmodulen an. Eine Betriebseinrichtung kann dann

470

immer nur ein mehr oder weniger großes Modul belegen. Wird eine Umplanung vorgenommen, können Betriebseinrichtungen im Modulraster leicht verlegt werden. Der Nachteil besteht in der nicht optimalen Flächennutzung. Die Flächenmodularisierung erfolgt in folgenden Schritten, Bild 15.49: Zunächst werden die Flächenbedarfe für die Betriebseinrichtungen einschließlich der in Bild 15.47 angedeuteten Nebenflächen bestimmt und als umschließendes Rechteck in das Koordinatensystem (Bild 15.49b) eingetragen. Danach werden Flächen mit ähnlichen Abmessungen zu Modulen zusammengefasst. Das kleinste Modul sollte sich am Gebäuderaster orientieren. Die Module sollen ein Vielfaches des Basismoduls betragen, um eine lückenlose Schachtelung zu ermöglichen. Die Belegung der Flächen durch die Betriebseinrichtungen kann dann nur mit ganzen Modulen erfolgen. Vorteil dieses Verfahrens ist die hohe Flexibilität des Layouts im weiteren Planungsverlauf und späteren Betrieb. Müssen beispielsweise Maschinen aufgrund

15.5  Konzeptplanung

eines veränderten Produktionsprogramms umgesetzt werden, so ist dies innerhalb der einzelnen Modulgrenzen problemlos möglich, da jede Maschine dieselbe Modulflächengröße belegt. Freistehende Flächen werden im Rahmen dieses Konzeptes als Wandlungsfläche ausgewiesen. Als wesentlicher Nachteil der Flächenmodularisierung ist der höhere Flächenbedarf zu nennen. Der Mehraufwand für die Fläche gegenüber den erwarteten Vorteilen erhöhter Wandlungsfähigkeit ist abzuwägen. Der letzte Schritt der Konzeptplanung ist die Erstellung des Groblayouts, in der der Prozess- und Objektplan einen gemeinsamen Entwurf finden muss.

15.5.3 Groblayoutplanung Layout-Arten Als Layout (auch Anordnungsplan genannt) bezeichnet man die räumliche Positionierung von betrieblichen Struktureinheiten. Je nach betrachteter Ebene der Fabrik ergeben sich unterschiedliche Layoutarten zunehmender Detaillierung, die Bild 15.50 nach [Gru00] verdeutlicht.

1

Das Werkslayout stellt den Gesamtüberblick über alle Struktureinheiten eines Fabrikgeländes in einer Makrodarstellung dar. In der Objektplanung entspricht das dem Generalbebauungsplan (vgl. Abschn. 12.4). Er zeigt, wie die Gebäude auf dem Gelände zueinander aufgestellt und mit Straßen verbunden sind. Ein Groblayout stellt innerhalb eines Fabrikgebäudes einzelne Produktionsbereiche dar. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der internen Logistik, weshalb die Haupttransport- und Hauptmaterialflusswege enthalten sind. Wichtig ist hier die Beachtung der Wandlungsfähigkeit, etwa indem ein Layout eine klare Erweiterungsrichtung erkennen lässt oder Materialflüsse besitzt, die rechtwinklig zur Erweiterungsrichtung verlaufen. Das Feinlayout stellt innerhalb eines Bereiches die exakte Position und Anordnung der Betriebsmittel dar. Ebenso festgelegt ist die Anordnung der Gebäudetechnik und Medienversorgung. Auf der feinsten Detaillierungsstufe steht schließlich das Arbeitsstationslayout. Es repräsentiert in einer Mikrodarstellung eine genaue Anordnung aller Maschinen, Werkzeuge oder Materialien. Hier sind auch Energie- und Medienanschlüsse sichtbar.

Aufnahme der Abmessungen der einzelnen Einheiten, z.B. Maschinen, Arbeitsplätze

Modul L (10x16)

Modul S (5x4) Breite

2

Definition der zusätzlichen Funktionen und Flächen (z.B. für Werkzeuge, Umrüstteile) in jedem Modul, um es so autark wie möglich zu machen

3

Abstimmung mit Technologieplanung, da derzeitige und zukünftige Einheiten auf Module passen müssen

4

Berücksichtigung der Randbedingungen des Gebäudes (Stützenraster) und der Logistik (Transportbehälter) bei der Definition des kleinsten Basismoduls

5

Definition geeigneter Modulgrößen, die jeweils ein Vielfaches voneinander darstellen

6

Umsetzung der Modularisierung des Layouts und Berücksichtigung bei zukünftigen Beschaffungen

Modul XL (10x24)

Modul M (10x8)

15 [m] 10

5

0

5

10

15

20

25 [m] 30

Ergebnisse Flächenanalyse

a) Vorgehensweise zur Moduldefinition

Beispiel Flächenmodul

Länge

15

b) definierte Flächenmodule

Bild 15.49: Definition von Flächenmodulen ©IFA 15.504

471

15  Synergetische Fabrikplanung

Ebene

Charakteristik • Makrodarstellung

Werkslayout

• Anordnung von Gebäuden und Funktionsbereichen im

Fabrikgelände • Grobdarstellung innerhalb der Fabrikgebäude der

Funktionsbereiche (Fokus Produktions- und Logistikbereiche)

Groblayout

• Darstellung von Haupttransport- und

Hauptmaterialflusswegen • hoher Detaillierungsgrad • Exakte Betriebsmittelanordnung

Feinlayout

• Darstellung von Gebäudetechnik und

Medienversorgung • Mikrodarstellung

Arbeitsstationslayout

• Feinanordnung einzelner Betriebsmittel einer

Arbeitsstation

Bild 15.50: Layoutarten ©IFA 15.505

11.419NP_Kk

Ideales und maßstäbliches Funktionsschema

15

Die Basis eines Layouts bildet in der Regel das sog. ideale Funktionsschema, das wiederum auf dem Ergebnis der Strukturplanung aufbaut. Bild 15.51 zeigt ein ideales Funktionsschema, das lediglich die Flächeneinheiten und ihre Materialflussintensität unmaßstäblich abbildet. Die Flächenwerte sind aus der Ressourcendimensionierung übernommen, während die Materialflussintensitäten (ausgedrückt in Transporteinheiten pro Zeiteinheit) entweder einer Wertstromanalyse oder einer Materialflussberechnung anhand von Arbeitsplänen entstammen. In einem ersten Schritt sind die Funktionseinheiten flussorientiert anzuordnen. In einem zweiten Schritt werden die Funktionseinheiten unter Beibehaltung der Materialflussbeziehungen maßstäblich dargestellt (Bild 15.52). Da die

472

Flächenbereiche meist sehr unterschiedliche Größen besitzen, entstehen erste maßliche Verzerrungen gegenüber der idealen Anordnung. Im dritten Schritt gilt es, die Flächen entsprechend den Zielkriterien aneinanderzusetzen und eine weitgehend geschlossene Außenkontur zu erreichen.

Ideales 2D- und 3D-Groblayout Im Zusammenspiel mit der von der Objektplanung zeitlich parallel entworfenen ersten Gebäudestruktur, die zunächst nur durch Spannweite und Stützenraster bestimmt ist, entsteht nun in einem kreativen Prozess das maßstäbliche ideale 2D-Layout, Bild 15.53. Ein Ideallayout ist definiert als eine „flussgerechte, flächenbezogene idealisierte räumliche Anordnung von Struktureinheiten“ [Sch04]. Im Bild wird angedeutet, dass in diesem Beispielfall die einzelnen

15.5  Konzeptplanung

Linie 1 115 m

Linie 2 115 m

Presse 27 m Lager 450 m

Endmontage 187 m

Endabnahme 51 m

Vormontage 82 m

Spritzguss 82 m

Büro 200 m

Werkstatt 273 m

Materialfluss-Intensität

Versand 181 m

Bild 15.51: Ideales Funktionsschema ©IFA 15.506

Fertigungssegmente sich zunächst am Stückzahlcharakter der Produktgruppen orientieren, während das Zwischenlager und die Montage gemeinsam genutzt werden. Im Fertigungssegment „Renner“ erfolgt eine Trennung der Fertigung für Werkstücke aus Stahl und aus nichtrostendem Stahl, da diese wegen der Gefahr des sog. Flugrostes und der Werkstofftrennung bei der Späneentsorgung nicht auf derselben Maschine bearbeitet werden dürfen. Im Sinne der 3D-orientierten Synergetischen Fabrikplanung kann das 2D-Layout nun in ein 3D-Layout überführt werden, welche die Höhendimension der Einzelbereiche berücksichtigt. Bild 15.54 vermittelt eine räumliche Vorstellung der Einheiten und deutet bereits die aus den Flächenmodulen abgeleiteten Raummodule sowie die Notwendigkeit der Bekranung der Montage- und Prüfflächen an. Auch entstehen so bereits erste

Vorstellungen über einen idealen Baukörper, der die Struktureinheiten umschließt. Hier sind auch die von den Mitarbeitern beanspruchten Flächen für Büros, Werkstätten und Sozialflächen in die Layoutüberlegungen einzuarbeiten, ist doch deren Lage und Ausbildung für den Grad der internen Kommunikation entscheidend. Neben dem Materialfluss ist – wie bereits mehrfach erwähnt – in den vergangenen Jahren zudem der Personal-, Informations- und Kommunikationsfluss in den Fokus der Layoutgestaltung gerückt. Unter dem Primat der Wandlungsfähigkeit wird darüber hinaus gefordert, dass eine einfache Erweiterung oder Reduzierung der Struktureinheiten möglich ist. Gleichzeitig dürfen während der Veränderung keine Einbußen in der Leistungsfähigkeit der Fabrik eintreten. Eine weitere wichtige Forderung stellt die Anordnung der indirekten Bereiche in der Nähe der Produktion dar,

15

473

15  Synergetische Fabrikplanung

Linie 1 115 m

Spritzguss 82 m

Linie 2 115 m Lager 450 m

Endprüfung 51 m

Endmontage 187 m

Presse 27 m

Vormontage 82 m Versand 181 m

Werkstatt 273 m

Büro 200 m Materialfluss-Intensität

10 m

Bild 15.52: Maßstäbliches Funktionsschema

Stahl Deckel

Niro Deckel

Stahl Gehäuse

Niro Gehäuse

Dienstleistungssegment (Welle, Kurzwelle, Rotor)

QS

Lager

15

Wareneingang

Fertigung Renner

Fertigung Läufer

Warenausgang

Niro Träger

Montage und Prüfung

Stahl Träger

Teilsegment Werkstoff Rostfrei

Teilsegment Werkstoff Stahl

©IFA 15.507

Fertigung Exoten Büros

20 m

Bild 15.53: 2D-Ideal-Groblayout ©IFA 15.508

474

15.5

Konzeptplanung

Bild 15.54: 3D-Ideal-Groblayout ©Reichardt 15.509

um die personale Kommunikation und damit die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen sowie die traditionelle Schranke zwischen „Weißkitteln“ und „Blaukitteln“ zu überwinden. Mit der von Einschränkungen gelösten Sichtweise der Ideallayoutplanung wird insgesamt das Ziel verfolgt, sich von „Betriebsblindheit“ und bestehenden Gegebenheiten zu lösen und einen Bewertungsmaßstab für die nachfolgenden Planungsphasen zu erhalten [Agg87]. Eine Idealplanung ist aber nicht nur bei Neubauten, sondern gerade auch bei der Umplanung vorhandener Fabriken dringend zu empfehlen, weil sie zum einen häufig zu originellen Lösungen führt, manchmal aber auch zu der Erkenntnis, dass eine bestehende Gebäudestruktur einfach keine Zukunft hat und das Gelände oder Gebäude besser aufgegeben wird.

Reales Groblayout Das ideale Layout wird im nächsten Schritt durch Anpassung an betriebsspezifische Randbedingungen und Restriktionen in ein grobes Reallayout überführt. Darunter wird eine realisierbare räumliche

Anordnung von Struktureinheiten verstanden, die funktionelle, flussseitige, flächen- und unternehmensbezogene sowie behördliche Einflussfaktoren berücksichtigt [Sch04]. Dabei sind verschiedene Restriktionen zu beachten, die aus der objekt- und prozessorientierten Grundlagenermittlung stammen, Bild 15.55 [Sch04]. Örtliche Restriktionen umfassen zunächst das Grundstück und seine Topographie sowie Zugangsrechte und Altlasten. Dies kann dazu führen, dass die ideale Größe einer Fabrik verändert oder angepasst wird. Auch können bei nennenswerten Höhenunterschieden bauliche Veränderungen notwendig werden. In der Regel existieren außerdem Fixpunkte, die aufgrund von großen Fundamenten oder aufwändigen Umbauten nicht verändert werden sollen. Weitere Einschränkungen können aus der Weiternutzung von teuren Betriebsmitteln erwachsen. Außerdem können auch Vorgaben der übergeordneten Organisation (z. B. Holding oder Investor) oder Good Manufacturing Practices (Richtlinien zur Qualitätssicherung in Produktionsabläufen) zu Anpassungen der Planung führen. Weiterhin können begrenzte monetäre Res-

15

475

15  Synergetische Fabrikplanung

Grundstück

Rechtliche Bedingungen §

Monetäre Ressourcen

Gelände

Fixpunkte Realplanung



GMP

Betriebsmittel

Organisation GMP Good Manufacturing Practice

Bild 15.55: Restriktionen der Reallayoutplanung ©IFA 15.510

sourcen als Restriktion auftreten. Daneben stehen die nicht veränderbaren lokalen und übergeordneten gesetzlichen Auflagen und Vorschriften zum Betrieb gewerblicher Arbeitsstätten. Diese wurden ausführlich im Abschnitt 8.4 (Arbeitsschutz), Kap. 10 (Räumliche Arbeitsbereichsgestaltung) und Kap. 13 (Standortplanung aus Raumsicht) thematisiert.

15

Ein Beispiel für den Übergang von einem groben Ideal- zu einem groben Reallayout zeigt Bild 15.56. Hierbei wurden die Funktionseinheiten aufbauend auf der vorher entwickelten Struktur ideal angeordnet. In Verfeinerung des 2D-Layouts aus Bild 15.53 wurden unter Berücksichtigung der objektspezifischen Restriktionen zunächst weitere Segmente innerhalb der Grobstruktur gebildet. Als Ergebnis entsteht eine Zwischenstufe des realen Groblayouts, die im Bild links unten skizziert ist. Die zuvor schon von der Objektplanung eingebrachte Idee einer modularen Grundstruktur des Gebäudes führte in diesem Fall unter Berücksichtigung der

476

Grundstückstopografie zu der Entscheidung, ein Gebäuderaster von 20 x 20 m zu wählen. Die Erweiterung des Gebäudes wird durch Versetzen der hinteren Längswand um eine Modulbreite ermöglicht. Als wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation wurde seitens der Objektplanung weiterhin vorgeschlagen, in einem der Südseite vorgelagerten Modul auf zwei Ebenen die nach außen wirkenden Funktionen wie Empfang, Geschäftsführung, Vertrieb, Ausstellungsräume usw. unterzubringen. Das sich nach innen anschließende Modul bietet auf der oberen durchgängigen Ebene den Funktionen der Auftragserfüllung einen direkten Einblick in die Produktion. Zu diesen indirekten Funktionen zählen im Wesentlichen die Fertigungssteuerung, die Arbeitsvorbereitung incl. NC-Programmie­rung und die operative Beschaffung. Die Erdgeschossebene dieses Moduls ist in die Produktion hinein geöffnet und wird u. a. von der Instandhaltung und Werkzeugaufbereitung genutzt. Das Obergeschoss stellt damit das Bindeglied zwischen den Außen- und Innenfunktionen dar und gewährleistet die Kommunikation auf

15.5  Konzeptplanung

Grundstücksgrundriss

Restriktionen Gebäudeprinzip

Grundstücksgrundriss

Erweiterungsrichtung

Geländezugang

Auflagen Lärmschutz

Energie- und Datenleitungen

Gebäudekonzept

Erweiterung Geländezugang N

Zugang | Fertigungssegmente | Lager | Montage | Prüfung Läufer Dienste Renner

Exoten

Idealplan

Büros

Realplan

N 0 20 m

Bild 15.56: Entwicklung eines Reallayouts ©IFA 15.511

kürzestmöglichem Wege. Das Ergebnis ist der rechts unten im Bild vereinfacht dargestellte Realplan. Zum Meilensteintreffen M2 liegt damit ein abgestimmtes Konzept aus Produktions- und Objektplanung vor. Da in dieser Phase auch die Anordnung der Betriebsmittel bekannt ist, kann auch der parallel zum Struktur- und Groblayoutplan entstandene Gebäudeentwurf mit verabschiedet werden. Dazu wird nach dem Ansatz der Synergetischen Fabrikplanung zweckmäßig ein 3D-Groblayout präsentiert, das Bild 15.57 analog zum 2D-Layout aus Bild 15.56 zeigt. Während beide Darstellungen primäre Basis der produktions- und logistikorientierten Bewertung sind, erleichtert das 3D-Modell der Außenhülle (Bild 15.58) vor allem die Diskussion der im GENEering erarbeiteten Ziele und deren Erfüllung.

Bewertung In vielen Fällen verlangt der Auftraggeber, mehrere Varianten eines Groblayouts des Fabrikgebäudes zu entwickeln, weil bspw. schon Vorstellungen seitens

des Managements oder der Nutzer bestehen. Varianten schärfen den Blick für die Qualität einer Lösung und führen leichter zu einem Entscheidungskonsens. In der Architekturplanung werden Varianten meist durch Wettbewerbe generiert und unter Beteiligung einer unabhängigen Jury eine Reihung der Entwürfe vorgenommen. Wendet man das Wettbewerbsverfahren bei Fabrikbauten an, wird das Konzept der Produktionsplanung vom Architekten in der Regel nicht infrage gestellt. Der Ansatz der Synergetischen Fabrikplanung möchte aber genau diesen Effekt vermeiden und die Kompetenz des Objektplaners möglichst frühzeitig nutzen, weil die heute verfügbaren Möglichkeiten einer kreativen und wandlungsfähigen Gebäudegestaltung dem Produktionsplaner in der Regel nicht bekannt sind. Als einziges Auswahlkriterium zählen meist nur die Investitionskosten des Gebäudes und in seltenen Fällen die Baunutzungskosten im Lebenszyklus des Gebäudes. Ob dieser wünschenswerte Ansatz einer frühen Integration der Objektsicht gelingt, ist eine Frage der Vertragsgestaltung des Bauherrn

15

477

15  Synergetische Fabrikplanung

Bild 15.57: Beispiel eines 3D-Groblayouts ©Reichardt 15.512

15 Bild 15.58: 3D-Darstellung Außenansicht ©Reichardt 15.513

478

15.5  Konzeptplanung

Gx =

Häufigkeit Hx mit der Kriterium Kx wichtiger als die anderen Kriterien bewertet wurde.

Hx n

•100

 Kx

X=1

H: Häufigkeit, K: Kriterium, x: Nummer Kriterium, G: Gewichtung, n: Anzahl Kriterien

Bild 15.59: Kriteriengewichtung in einer Nutzwertanalyse ©IFA 15.514

mit dem Architekten und den ausführenden Firmen, auf die Kap. 16 Projektmanagement noch ausführlich eingeht. Unabhängig von der Vertragsgestaltung liegen beim Meilensteintreffen M2 häufig Varianten vor, die zu bewerten sind. Mit der getroffenen Entscheidung werden wichtige Weichen für eine zukunftsrobuste Lösung gestellt. Über die Bewertung von Varianten gibt es zahllose Ausführungen und Vorschläge, die für den Fall der Fabrikplanung häufig auf die Nutzwertanalyse mit gewichteten Kriterien [Zan74] hinauslaufen. Diese soll kurz kommentiert werden, ehe auf Wirtschaftlichkeitsüberlegungen eingegangen wird. Die Nutzwertanalyse ist eine Methode zur systematischen Entscheidungsvorbereitung bei der Auswahl von Projektalternativen. Sie analysiert eine Menge komplexer Handlungsalternativen mit dem Zweck, die einzelnen Alternativen entsprechend den Präferenzen des Entscheidungsträgers bezüglich eines mehrdimensionalen Zielsystems zu ordnen [Zan74]. Das Projektkernteam stellt vor der Präsentation der Varianten zunächst eine Kriterienliste auf, die sich an den im Zielsetzungsworkshop erarbeiteten Kri-

terien orientiert, Bild 15.59. Diese werden in einer Matrix doppelt angeordnet. Im Beispielfall sind es 9 Kriterien. Nun wird spaltenweise jedes Kriterium abgeprüft, ob es wichtiger oder weniger wichtig ist als die übrigen in der Spalte stehenden Kriterien. Die Gewichtung erfolgt am einfachsten durch einen paarweisen Vergleich. Ist das betrachtete Kriterium wichtiger als die übrigen, wird die Nummer des wichtigeren Kriteriums eingetragen, ist es weniger wichtig, trägt man die Nummer des betrachteten Kriteriums ein. Beispielsweise ist in der ersten Spalte das Kriterium 2 (Volumenflexibilität) wichtiger als das Kriterium 1 (Produkthandling) eingestuft worden, deshalb steht in Spalte 1, Zeile 2 eine 2. Das Kriterium 3 (Rückverfolgbarkeit) wurde demgegenüber weniger wichtig gegenüber Kriterium 1 (Produkthandling) eingestuft, deshalb steht in Spalte 1, Zeile 3 eine 1. Der Wert in der untersten Zeile zeigt, wie häufig das jeweilige Kriterium wichtiger als die anderen Kriterien eingestuft wurde. In der ersten Spalte wurde z. B. das Kriterium 1 nur ein Mal wichtiger als die anderen eingestuft, hingegen Kriterium 9 acht Mal. Man erkennt sofort,

15

479

15  Synergetische Fabrikplanung

Gewichtete Bewertung [%] = Kriteriengewichtung • (Bewertung/Bewertungsmaximalwert)

Bild 15.60: Nutzwertanalyse – Bewertung von Varianten (Beispiel) ©IFA 15.515

dass in diesem Beispiel Nr. 9 und Nr. 5 die wichtigsten Kriterien sind. Mit der einfachen ins Bild eingefügten 11.612 Formel werden daraus die auf 100 % normierten Gewichte der einzelnen Kriterien berechnet. Den zweiten Schritt der Nutzwertanalyse zeigt Bild 15.60. Die hier zur Auswahl stehenden drei Varianten wurden anhand der 9 Kriterien bewertet, wobei die Skala von 1 bis 5 oder von 1 bis 10 reichen kann. Eine 1 entspricht der jeweils niedrigsten Bewertung, eine 5 bzw. 10 der höchsten. Hier wurde der Bereich 1 bis 5 gewählt. Der gewichtete Kriterienwert ergibt sich aus dem Produkt des Kriteriengewichtes und der relativen Bewertung (das ist der Quotient aus der Bewertungsziffer und dem Maximalwert der Bewertungsskala). Aus der Summe der gewichteten Einzelkriterienbewertungen ergibt sich der Nutzwert der jeweiligen Variante. Er sagt aus, wie viel Prozent der maximal möglichen Bewertung eine Variante insgesamt erreicht hat.

15

480

Ein Nutzwert unter 80 % sollte zu einer kritischen Überprüfung der betreffenden Variante führen. Entweder erlauben die Restriktionen des Grundstücks oder der vorhandenen Gebäude keine bessere Lösung, dann sollte der Standort bzw. das Gebäude infrage gestellt werden, weil die Lösung langfristig nicht wettbewerbsfähig ist. Oder die Lösung ist noch nicht ausgereift und sollte an das Planungsteam zurückverwiesen werden. Zur Erleichterung der Anwendung der Nutzwertanalyse enthält Anhang C3 eine kleine Excel-Anwendung.

Eine zweite Bewertungsart ist die Investitionsrechnung, bei der es um die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit gegenüber anderen anstehenden Investitionen geht. In der Fabrikplanung hat sich nach Untersuchungen von Brieke die Kapitalwertmethode etabliert [Brie09]. Als Kapitalwert (auch Barwert oder Net Present Value NPV genannt) gilt die Summe aller auf einen Zeitpunkt ab- bzw. aufgezinsten Einund Auszahlungen, die durch die Realisation eines Investitionsobjektes verursacht werden. Die absolute Vorteilhaftigkeit einer Investition gegenüber dem Unterlassen wird durch einen Wert größer Null sichtbar, die relative Vorteilhaftigkeit im Vergleich zu anderen Varianten wird durch den höheren Kapitalwert abgebildet. Für die Investitionsgüter der Fabrik, deren Betriebskosten im Lebenszyklus oft das Mehrfache der Investitionskosten betragen, sind der Ansatz Total Cost of Ownership (TCO) und Lebenszyklusbewertung bekannt. Auch in der Bauplanung wird dieser Gedanke durch die Unterscheidung zwischen Bauerstellungs- und Baunutzungskosten aufgegriffen, worauf Abschn. 16.3 noch näher eingeht. Während die Ermittlung der Ein- und Auszahlungen für ein Fabrikprojekt noch mit einigem Aufwand möglich ist, ist dies für die nichtmonetären Ziele trotz ihrer unstrittig hohen wirtschaftlichen Bedeutung wesentlich schwieriger. Brieke hat daher eine erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung entwickelt, die auf dem in Bild 15.61 dargestellten Zielsystem

15.5  Konzeptplanung

Ziele

Unterziele

Einhaltung von Standards

Hygiene und Sauberkeit

Geschwindigkeit Ganzheitliches Produktionssystem Kommunikation Durchlaufzeit

Mitarbeiterorientierung Nachhaltigkeit

Hochlaufzeit

Organisationskompatibilität

Kompatibilität zur Aufbauorganisation

Produkt- und Prozessqualität

Kompatibilität zur Mitarbeiterqualifikation

Räumliche Attraktivität

Transparenz der Verantwortlichkeit

Transparenz

Bild 15.61: Nicht-monetäres Zielsystem für die Fabrikplanung

Transparenz der Bestände

Wandlungsfähigkeit

©IFA 15.516

der nichtmonetären Ziele aufbaut [Brie09]. Die aufgeführten Ziele und ihre exemplarischen Unterziele haben besonders im Rahmen einer reaktionsschnellen Fabrik eine große strategische Bedeutung erlangt und wurden in den vorhergehenden Kapiteln vielfach thematisiert. Zahlungen []

Bild 15.62 verdeutlicht das Prinzip der Erweiterung der klassischen Ein- und Auszahlungen um die monetären Auswirkungen der Zielerfüllung der nichtmonetären Zielwerte. Die Transformation erfolgt durch eine Überführung des Zielerfüllungsgrades in einen monetären Ein- bzw. Auszahlungswert Zusatznutzen [%] 100 60 40 20

0

Zeit [Perioden]

-200

0

200

400

600

800

Kapitalwert [T]

Direkte Bewertung Variante A Erweiterte Bewertung Variante A Direkte Bewertung Variante B Einzahlungen

Auszahlungen

transformierte Ein- bzw. Auszahlungen

Erweiterte Bewertung Variante B Direkte Bewertung Variante C

15

Erweiterte Bewertung Variante C

a) Zahlungsverlauf

b) Veränderung des Kapitalwertes

Bild 15.62: Erweiterter Kapitalwert für nichtmonetäre Ziele [nach Brieke] ©IFA 15.517

481

15  Synergetische Fabrikplanung

über der Zeitachse. Beispielsweise wird das Ziel Mitarbeiterorientierung für ein Montagesegment dahingehend bewertet, ob durch die gewählte Lösung ein hohe, mittlere oder niedrige körperliche Beanspruchung der Werker zu erwarten ist. Die Transformation in Auszahlungswerte erfolgt über die ggf. erforderliche zusätzliche Investition in eine bessere ergonomische Gestaltung. Auf der Einzahlungsseite stehen die Steigerung der Arbeitszufriedenheit mit der Folge einer geringeren Fluktuation sowie ein geringerer Krankenstand. Bild 15.62 verdeutlicht das Prinzip.

15

482

Bild 15.62a zeigt die Zahlungsströme auf der Eingangs- und Ausgangsseite, unterschieden nach direkt ermittelbaren Zahlungen und den in Zahlungen transformierten nicht-monetären Zielwerten, während Bildteil b für drei Varianten die Veränderung des Kapitalwertes mit und ohne Berücksichtigung der nicht-monetären Ziele zeigt. Die stärkste Veränderung liegt hier bei der Variante C vor, die gegenüber Variante A und B bei einer klassischen Bewertung verworfen würde, durch Berücksichtigung des Zusatznutzens jedoch nunmehr dominiert. Ohne auf die Zahlungsarten im Einzelnen einzugehen, sei auf Anhang C4.1 verwiesen, in dem die Initial-Zahlungsarten nach den Bereichen Planung, Anlagevermögen, Realisierung, Betrieb und Rückbau gegliedert aufgeführt sind. Weiterhin enthält Anhang C4.2 eine Übersicht über die in Bild 15.61 aufgeführten Zielgruppen und ihre Unterziele mit Beschreibung und Skalierung des Erfüllungsgrades. Der Aufwand für die erweiterte Bewertung ist nicht unerheblich und sie wird in der Praxis sicher nicht leicht Fuß fassen. Wichtig ist jedoch, dass hier zumindest ein methodisch durchdachter Weg gezeigt wird, um die Aufmerksamkeit der Entscheider auf die monetäre Bedeutung auch weicher Ziele zu lenken und sie einer rationalen Betrachtung zugänglich zu machen. Mit der abschließenden Bewertung des Groblayouts und einer Gebäudestruktur kann das Konzept im Meilensteintreffen M2 beschlossen werden. Damit ist die Konzeptphase abgeschlossen und die Leistungsphase Detailplanung kann beginnen.

15.6  Detailplanung 15.6.1 Verkehrswegesystem Wesentlicher Bestandteil der Detailplanung ist aus Prozesssicht die Gestaltung der verkehrstechnischen Anordnung der Einzelbereiche sowie des Verkehrswegesystems innerhalb der Fabrik. Hierüber wird der gesamte innerbetriebliche Material- und Personenfluss abgewickelt. Je nach Planungsaufgabe sind verschiedene Materialflussvarianten der räumlichen Anordnung der Wege auf den verschiedenen Detaillierungsstufen möglich. Zu unterscheiden sind Last- und Leerfahrten in der Fabrik, die sich möglichst nicht begegnen oder kreuzen sollten (Bild 15.63). Die Verkehrswege sind dabei so anzuordnen, dass

•  eine einfache An- und Ablieferung an die bzw. von •  •  • 

den Struktureinheiten erfolgt, eine gute Flächennutzung sichergestellt wird, die Kommunikation unterstützt wird und die gesetzlichen Bestimmungen insbesondere hinsichtlich der Flucht- und Rettungswege eingehalten werden.

Diese Aufgabe berührt unmittelbar die Gebäudegestaltung und muss daher in enger Abstimmung mit der Objektplanung erfolgen. Innerhalb einer Fabrik wird die logistische Qualität des Layouts unter anderem von der Symmetrie des Verkehrswegesystems bestimmt.

15.6.2 Feinlayoutplanung Ausgehend vom maßstäblichen realen Groblayout und vom Gebäuderaster werden die Betriebseinrichtungen in ihren realen Abmessungen nun genauer in die Fläche eingepasst. Dabei ist noch eine Fülle von kleinen Objekten zu berücksichtigen, wie z. B. Abfallbehälter, Anprallschutz um Säulen sowie Objekte der technischen Gebäudeausrüstung wie Verteilerschränke für Medien, Elektrik und Daten. Letztere

15.6  Detailplanung

1. Erschließung über Quergänge

- lange Wege, schlechte Raumnutzung

Einbahnverkehr

Direktverkehr

+ Flächeneinsparungen durch schmalere Gänge + geringe Unfallgefahr - lange Wege

+ kürzere Wege mittlerer Flächenbedarf - erhöhte Unfallgefahr aufgrund Gegenverkehr

+ kurze Wege, gute Raumnutzung

2. Gerade Zahl von Bereichen

- ein Bereich wird von zwei Seiten bedient

+ für jeden Bereich nur ein Weg

Leerfahrt

Lastfahrt

Gänge

a) Grundsätze

b) Beispiele von Verkehrswegesystemen

Bild 15.63: Planung des Verkehrswegesystems ©IFA 15.518

führen wegen ihrer häufig unerwarteten Dimension und ihres Fixpunktcharakters oft zu unangenehmen Überraschungen. Dabei muss das ganze Layout aber auch den Ansprüchen der Wandlungsfähigkeit, einer schlanken Produktion und eines ästhetischen Anspruchs genügen. Einen exemplarischen Ausschnitt einer solchen Planung zeigt Bild 15.64 in einer 2DDarstellung. Das Feinlayout lässt die exakte Positionierung (Größenordnung ± 5 bis 10 cm) der Betriebseinrichtungen erkennen. Auch die Lage und Ausstattung der indirekten Bereiche ist fixiert und erfordert die Festlegung von betriebsinternen Büros. Die Verkehrswege sind bestimmt und positioniert. In Zusammenarbeit mit dem Architekten ist festzulegen, wie die Betriebs­ einrichtungen an das Ver- und Entsorgungssystem ©IFAfür 15.518 Energie und Medien angeschlossen werden sollen und an welcher Stelle die notwendigen Anschlussstellen vorzusehen sind. Auch ist zu klären, ob bestimmte Produktionsbereiche Zuluft- und/oder Abluftanlagen benötigen. Mit dem Feinlayout sind die Grundlagen für die Entwurfsplanung gelegt. Diese umfasst nach HOAI Phase

3 im Kern die Durcharbeitung des Planungskonzeptes aller technischen Gebäudeanlagen einschließlich Abstimmung der Tragwerksplanung. Zur Verabschiedung wird meist ein spezielles Meilensteintreffen vereinbart. Für den Bauherrn ist der Entwurfsplan in ggf. mehreren Varianten von herausragender Bedeutung für seine Zustimmung zum Gesamtobjekt. Spätestens hier zeigt sich auch die Qualität des Strukturplans. Mit zunehmender Konkretisierung des Objektes treten nämlich häufig Änderungswünsche seitens des Bauherrn auf, die ein guter Strukturplan verkraftet. Die Genehmigungsplanung nach HOAI Phase 4 beinhaltet die Erarbeitung der Vorlagen für die erforderlichen Genehmigungen. Das Inhaltsverzeichnis eines Bauantrages zeigt Bild 15.65. Daraus wird deutlich, dass dieser neben der Beschreibung des Gebäudes eine Fülle von Genehmigungsanträgen enthalten muss. Insbesondere die mit dem spezifischen Standort verbundene Planung der Außenanlagen erfordert in aller Regel einen hohen Abstimmungsaufwand mit den Fachbehörden (z. B. Entwässerung, Grünflächen) und ggfs. auch mit den Nachbarn (z. B. Grenzanpassungen, Wegerechte).

15

483

15  Synergetische Fabrikplanung

%R

%R %R

%R %R

%R

'U

6SLQQHU 'U

hEHUODGH EUFNH RSWLRQDO

:HLOHU

*H

,G 



*H

%R

3X 

%R

6F

%R

6F

5HJDO .O

.O

9RUKDQJ

6SOH

6FKUDQN

.O

7LVFK

:D

6SOH 0

*O

 %

7D

*

&

:J

*O .O

.O

7D

hEHUODGH EUFNH

$

3

.O

1L

6FKUDQN PLW%HOLFK WXQJVJHUlW

6WDKO WLVFK

:HUNEDQN

1L

6F 6F



/,()(5=21(

7HFKQ :lVFKHUHL NOHLQ

6FKUHLE WLVFK

'

Bild 15.64: Ausschnitt aus einem 2D-Fein-Layout ©Reichardt 15.519

15

484

Die anschließende Ausführungsplanung (Phase 5 HOAI) verfeinert die Entwurfspläne bis zur ausführungsreifen Lösung einschließlich der Darstellung der Betriebsmittel und ihrer Anschlüsse. Hier finden auch häufig Bemusterungen der Ausführungsdetails von Wänden, Decken, Fenstern, Fassaden usw. statt, um eine konkrete Vorstellung über die funktionale und optische Wirkung zu gewinnen. Auch diese Planung muss vom Bauherrn freigegeben werden. Der genaue Inhalt dieser 3 Leistungsphasen ist in der HOAI ausführlich beschrieben und wird im Einzelfall mit dem Bauherrn vereinbart. Diese Leistungen stellen umfangreiche Architektur- und Fachplanungsleistungen dar und bilden den Schwerpunkt der Detailplanung. Sie übersteigen im Aufwand bei weitem denjenigen der Feinlayoutplanung. Hier sind zahlreiche detaillierte Abstimmungen mit den Nutzern erforderlich. Z. B. sind für die in Bild 16.64

angedeutete Überladebrücke u. a. Ladefläche, Tragfähigkeit, lichte Tormaße, Wetterschutz, Abdichtungsdetails, Torgeschwindigkeit, Ansteuerung und Schaltung für die spätere Ausschreibung zweifelsfrei zu ermitteln. Im Sinne der Wandlungsfähigkeit ist in diesem Beispiel auch eine optionale Position vorgesehen, die möglicherweise konstruktive Vorkehrungen erfordert, worauf die Ausschreibung hinweisen muss. Die für den Produktionsplaner wesentlichen Grundlagen wurden für die einzelnen Fabrikebenen in Kap. 8 (Räumliche Arbeitsplatzgestaltung), Kap. 10 (Räumliche Arbeitsbereichsgestaltung), Kap. 11 (Gebäudegestaltung), Kap. 12 (Generalbebauung) und Kap. 13 (Standortplanung aus Raumsicht) ausführlich thematisiert. Die Zusammenführung der Teilplanungen aus Prozess- und Raumsicht in ein 3D-Modell zeigt Bild 15.66. Hier wird das mit Bild 10.6 bereits vorgestellte

15.6  Detailplanung

1. Bauantragsformulare a) Bauantrag b) Baubeschreibung zum Bauantrag c) Betriebsbeschreibung für gewerbliche Anlagen d) Statistischer Erhebungsbogen 3. Beschreibungen a) Systembeschreibung der Baukonstruktion b) Systembeschreibung der technischen Gebäudeausrüstung 5. Technische Nachweise und Gutachten a) Standsicherheitsnachweis (Statik) b) Energieausweis für Nichtwohngebäude gemäß Energieeinsparverordnung (EnEV) c) Schallschutznachweis d) Brandschutzgutachten e) Stellplatznachweis 4. Berechnungen a) Berechnung des umbauten Raums (BRI) b) Berechnung der Brutto-Grundfläche (BRG) c) Berechnung der Netto-Grundfläche d) Berechnung des höchstgelegenen Aufenthaltsraums über der Geländeoberfläche e) Berechnung der Rohbaukosten

5.

6.

7. 8.

9.

Amtliche Lagepläne • Auszug aus der Flurkarte • Qualifizierter Lageplan Planzeichnungen Bau a) Zeichnerische Darstellung in Grundrissen, Schnitten, Ansichten Planzeichnungen Außenanlagen a) Zeichnerische Darstellung der Außenanlagen Entwässerungsantrag (Ableitung von Schmutz- und Niederschlagswasser in die öffentliche Entwässerungsanlage Wasserrechtliche Erlaubnis (Einleitung von Niederschlagswasser in den Untergrund)

Bild 15.65: Inhaltsverzeichnis eines Bauantrages ©Reichardt 15.520

©Reichardt 15.520

H-P Wiendahl

15 Bild 15.66: 3D-Feinlayout ©Reichardt 15.521

485

15  Synergetische Fabrikplanung

Bild 15.67: Ausschnitt Feinlayout mit Technischer Gebäudeausrüstung ©Reichardt 15.522

Gebäude wieder aufgegriffen und die Anordnung der Betriebseinrichtungen im Erdgeschoss gezeigt. Zusätzlich ist der Hauptmaterialfluss eingezeichnet. Er wird gespeist aus den beiden gelb gekennzeichneten Eingangsbereichen mit Rolltoren, verteilt sich über die Maschinen der mechanischen Fertigung und fließt über die Verbindungsbrücke in das Nebengebäude zur weiteren Verwendung.

15

486

Im Beispiel musste auf Basis des Layouts entschieden werden, an welchen Stellen Zu- und Abluft in die Geschosse geleitet werden. Die Zentralen zur Versorgung mit Medien und Frischluft wurden bereits in der Entwurfsphase vom Architekten positioniert (vgl. Abschn. 11.3.1 Ver- und Entsorgungssysteme). Den 3D-Entwurfsplan für die Technische Gebäudeausrüstung des in Bild 15.66 dargestellten Gebäudes zeigt Bild 15.67.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Wandlungsfähigkeit der Technischen Gebäudeausstattung. Da es in der Regel teuer ist, ein Gebäude technisch auszustatten, werden aus Budgetgründen oftmals Einschränkungen hinsichtlich der Wandlungsfähigkeit hingenommen. Dennoch sollte überlegt werden, ob etwa einzelne Hallenschiffe mit einer in sich geschlossenen technischen Infrastruktur ausgestattet werden, weil dies bei Störungen den autonomen Betrieb eines Hallenbereichs ermöglicht. Auch Veränderungen der Produktionseinrichtungen oder der Betrieb von Teilbereichen einer Produktion je nach Schichtmodell können so besser beherrscht werden. Mit Abschluss der Ausführungsplanung ist der Meilenstein M3 erreicht. Er wird in einer Lenkungsausschusssitzung ausführlich diskutiert und verabschiedet.

15.9  Hochlaufbetreuung

15.7  Realisierungsvorbereitung

15.8  Realisierungsüberwachung

In der Realisierungsvorbereitung als nächste Phase der Synergetischen Fabrikplanung tritt die Konkretisierung der Planung aus Produktionsund Objektsicht in den Vordergrund. Die hierbei wesentliche Phase 6 der HOAI beinhaltet die Vorbereitung der Vergabe der baulichen Einzelgewerke und dient der Mengenermittlung und Aufstellung der Leistungsverzeichnisse in Abstimmung mit den Fachplanern. Dies betrifft aber nur die Gebäude und ihre technischen Einrichtungen sowie die Außenanlagen. Wie bereits erwähnt, wird bei den meisten Fabrikplanungen ein großer Teil der produktionstechnischen Einrichtungen aus einer bestehenden Fabrik übernommen. Nur bei Großanlagen wie z. B. Papiermaschinen, Walzwerken, Druckereien, Presswerken, Lackierereien, Endmontagen von Automobilwerken usw. dominieren die Anlagen von ihrer Komplexität und ihrem Wert her bei Weitem das Fabrikgebäude. In solchen Fällen wird das Gebäude zur schützenden Hülle und nicht zu einem wandlungsfähigen Baukörper mit vergleichsweise häufig wechselnden Produkten und Produktionseinrichtungen. Aus Sicht der Produktionsplanung werden demnach die in der Grobplanung und Feinplanung ausgelegten Betriebsmittel ausgeschrieben und vergeben. Lediglich die Lager- und Kommissioniereinrichtungen sind als Bestandteil der Produktionslogistik auf die neuen Fertigungs- und Montagesegmente auszulegen. Sie werden ebenfalls ausgeschrieben und beschafft. Handelt es sich dabei um automatisierte Einrichtungen wie Hochregallager, werden hiermit Spezialanbieter beauftragt. Die anschließende Mitwirkung bei der Vergabe (Phase 7 HOAI) als Abschluss der Realisierungsvorbereitung bedeutet die Prüfung und Bewertung der Angebote auf Konformität mit der Ausschreibung, die Aufstellung eines Preisspiegels nach Teilleistungen und die Mitwirkung bei den Vergabeverhandlungen an die ausführenden Firmen. Diese Phase ist stark durch die Vergabeform geprägt, die im Abschnitt 16.5.2 (Vergabeformen) noch näher beschrieben wird.

In der Realisierungsphase hat die Produktionsplanung eine Überwachungsfunktion der Ausführung im Sinne der Sicherstellung der zukünftigen Produktions- und Logistikabläufe. Hier werden während der Errichtung des Gebäudes immer wieder Einzelfragen wie z. B. Zugänglichkeit zu Einrichtungen im Störungs- und Wartungsfall zu klären sein. Die Überwachung der Bauausführungen obliegt den bauleitenden Architekten und Fachingenieuren der Haustechnik. Sie überwachen in enger Zusammenarbeit mit dem Baustellenleiter die vertragsgemäße Ausführung der Einzelgewerke und bereiten die notwendigen Abnahmen vor. Verbunden damit sind nach Leistungsphase 8 HOAI (Objektüberwachung) weitere zahlreiche Kontrollaufgaben aus terminlicher, kostenmäßiger und rechtlicher Sicht einschließlich Mängelfeststellung und deren Beseitigung. Bei komplexen Produktionsanlagen finden nach der Einbringung der Anlagen und deren Inbetriebnahme separate Abnahmeversuche statt, wie in Bild 15.6 angedeutet. Diese Objektüberwachung endet mit der Abnahme der Einzelgewerke und des Gesamtobjektes durch den Bauherrn und die zuständigen Behörden. Als letzter Schritt der Realisierungsüberwachung erfolgt nach Phase 9 HOAI die Objektbetreuung. Sie umfasst im Wesentlichen die Aufstellung von Wartungsplänen, Mängelfeststellung und Zusammenstellung der zeichnerischen Darstellungen. Ist ein rechnergestütztes Facility Management vorgesehen, können die entsprechenden Dokumente dort eingestellt werden. Details werden in Kapitel 17 Facility Management erörtert. Mit diesem Schritt der Realisierungsüberwachung ist Meilenstein M5 erreicht.

15.9  Hochlaufbetreuung

15

In dieser letzten Leistungsphase der Synergetischen Fabrikplanung tritt der Nutzer in den Vordergrund. Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe ist die bereits erwähnte Umzugsplanung. Angestrebt wird eine

487

15  Synergetische Fabrikplanung

Entwicklung

Produktionsanlauf Vorbereitung

Produktion Hochlauf Serie

Leistung Vorbestellungen Nullserie Produktionstests Prototypen

Vorserie

Zeit Meilenstein  M4.2 • Freigabe Serienanlauf • Freigabe Vorserie

M4.3 • Produktionsfreigabe

M7 M6 • Anlagenabnahme • Normalproduktivität • Kammlinie • Serienfreigabe • Nennleistung • SOP • Job #1 Meilensteine gemäß Bild 15.5 und Bild 15.6

Bild 15.68: Anlaufkurve einer Produktion ©IFA D 13.966

möglichst geringe Produktionsunterbrechung, die durch eine Vorlaufproduktion überbrückt werden muss. Nach dem Umzug sind die Maschinen und Anlagen auf Nennleistung hochzufahren. Bei komplexen Objekten kann diese Phase mehrere Wochen dauern. Eine Vorstellung über die Anlaufkurve eines komplexen Produktionssystems vermittelt Bild 15.68 [Win07].

15

488

Man erkennt die in Bild 15.6 und 15.7 erläuterten Phasen und Meilensteine, Letztere noch einmal verfeinert. Die jeweiligen Erzeugnismengen für die Prototypen entspringen den Anforderungen der Entwicklung, während Vorserien und Produktionstests der Ertüchtigung der Anlagen zur Serienreife dienen. Nach der Nullserie beginnt meist der Markteintritt und die ersten Vorbestellungen werden abgearbeitet.

Immer wieder wird es dabei zu Störungen kommen, die durch ein systematisches Anlaufmanagement zu minimieren sind [Ku02], [Win07], [Zeug98]. Nach Abnahme der Einrichtungen ist Meilenstein M6 erreicht. Das Investitionskonto wird geschlossen und die Schlussabrechnung erstellt, die wiederum Basis für die Aufstellung des Anlagevermögens der Bilanz ist. Mit diesen Ausführungen ist die Beschreibung der Leistungsphasen des Synergetischen Fabrikplanungsmodells aus fachlicher Sicht abgeschlossen. Wie eingangs beschrieben, ist das Projektmanagement eine begleitende Leistung, die wegen ihrer Bedeutung für den Projekterfolg im folgenden Kapitel behandelt wird.

15.10  Literatur

15.10 Literatur [Agg87]

[Bin08]

[Bra09]

[Bri09]

[Bus90]

[Dae02]

[Dan01]

[Erl07]

[Fel98]

 ggteleky, B.: Werksentwicklung A und Betriebsrationalisierung, Bd. 2: Betriebsanalyse und Feasibility-Studie. Hanser Verlag, München Wien 1987 Binner, H.F.: Handbuch der prozessorientierten Arbeitsorganisation. REFA. Methoden und Werkzeuge zur Umsetzung. 3. Aufl. Hanser Verlag, München Wien 2000 Braungart, M., McDonough, W.: Cradle to Cradle, Remaking The Way We Make Things. Vintage Books, 2. Aufl. London 2009. Deutsche Übersetzung: Die nächste industrielle Revolution. Die Cradle-to-Cradle-Community. Europ. Verlagsanstalt, Hamburg 2008 Brieke, M.: Erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung in der Fabrikplanung. Diss. Leibniz Universität Hannover 2009. Veröff. in: Nyhuis, P. (Hrsg.): Wissenschaftliche Schriftenreihe des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik der Leibniz Universität Hannover. Verlag PZH GmbH, Garbsen 2009 Busse v. Colbe, W., Laßmann, G.: Betriebswirtschaftstheorie, Bd. 3: Investitionstheorie. 3. Aufl. Springer Verlag 1990 Daenzer, W.F., Huber, F. (Hrsg.): Systems Engineering. Verlag Indus­ trielle Organisation, Zürich 2002 Dangelmaier, W.: Fertigungsplanung. Planung von Aufbau und Ablauf der Fertigung. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2001 Erlach, K.: Wertstromdesign: Der Weg zur schlanken Fabrik (VDI-Buch) Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2007 Felix, H.: Unternehmens- und Fabrikplanung: Planungsprozesse, Leistungen und Beziehungen. Hanser Verlag, München Wien 1998

 ausemeier, J., Fink, A., Schlake, O.: G Szenariomanagement. Planen und Führen mit Szenarien. 2. Aufl. Hanser Verlag, München Wien 2006 [Gru00] Grundig, C.-G.: Fabrikplanung: Planungssystematik, Methoden, Anwendungen. Hanser Verlag, München Wien 2000 [Har04] Harms, T.: Agentenbasierte Strukturplanung. Diss. Universität Hannover 2004. Veröff. in: Berichte aus dem IFA. PZH Produktionstechnisches Zentrum GmbH, Garbsen 2004 [Her06] Hernández Morales, R.: Systematik der Wandlungsfähigkeit in der Fabrikplanung. Diss. Universität Hannover 2002. Veröff. in: Fortschrittberichte VDI, Reihe 16, Nr. 149, Düsseldorf 2003 [HOAI99] Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure. Novelliert am 12. 08. 2009 (BGBl. I, 2009, Nr. 53, S. 2732–2809) (BGBl. I S. 533). [Kat55] Katz, R.L.: Skills of an effective administrator. Harvard Business Review 33 (1955) 1: 33–42. [Ket84] Kettner, H., Schmidt, J., Greim, H.-J.: Leitfaden der systematischen Fabrikplanung. Hanser Verlag, München Wien1994 [Ku02] Kuhn, A., Wiendahl, H.-P., Eversheim, W., Schuh, G., Winkler, H. et al. (Hrsg.): Schneller Produktionsanlauf von Serienprodukten. Ergebnisbericht der Untersuchung fast ramp-up. Verlag Praxiswissen, Dortmund 2002 [May01] Mayrshofer, D., Kröger, H.A.: Prozesskompetenz in der Projektarbeit: Ein Handbuch für Projektleiter, Prozessbegleiter und Berater. Windmühle, Hamburg 2001 [Nyh04] Nyhuis, P., Elscher, A. et al.: Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung: Ganzheitliche Integration von Prozessund Raumsicht. wt Werkstattstechnik online 94 (2004) 4: 95–99. [Gau06]

15

489

15  Synergetische Fabrikplanung

[Paw08]

[Rei98]

[Rei01]

[Rei04]

[Rei07]

[Rei08]

[Rop99]

[Roth00]

[Sche01]

[Sche02]

15

[Sch04]

[Son07]

490

 awellek, G.: Ganzheitliche FabrikplaP nung: Grundlagen, Vorgehensweise, EDV-Unterstützung. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2008 Reichardt, J.: Planungsmanagement mit Pflichtenheft und Energiesimulation, Baukultur 6/1998, S. 6–12 Reichhardt, J.: Kommunikationsorientierte Fabrikstrukturen. In: Tagungsband 3. Deutsche Fachkonferenz Fabrikplanung, Fabrik 2000+. Verlag moderne industrie, Stuttgart 3./4. April 2001 Reichardt, J., Gottswinter, C.: Synergetische Fabrikplanung – Montagewerk mit den Planungstechniken aus dem Automobilbau realisiert. industrieBAU, 3/2004, S. 52–55 Reichardt, J., Pfeifer, I.: Phasenmodell der Synergetischen Fabrikplanung. Stand der Forschung und Praxisbeispiele. wt online, 97 (2007) 4: 218–225. Reichardt, J.: Industrie- und Gewerbebau in Holz. Holzbau Handbuch, Reihe 1, Teil 3, Folge 11, Bonn 2008 Ropohl, G.: Allgemeine Technologie – Eine Systemtheorie der Technik. Hanser Verlag, München Wien 1999 Rother, M., Shook, J.: Sehen lernen: Mit Wertstromdesign die Wertschöpfung erhöhen und Verschwendung beseitigen. LOG-X Verlag, Stuttgart 2000 Scheer, A.W.: ARIS-ModellierungsMethoden, Metamodelle, Anwendungen. 4. Aufl. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2001 Scheer, A.W.: ARIS. Vom Geschäftsprozess zum Anwendungssystem. 4. Aufl. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2001 Schenk, M., Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb – Methoden für die wandlungsfähige und vernetzte Fabrik. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2004 Sonntag, K.: Kompetenzmodelle im Human Resource (HR-) Management.

[Uli99]

[VDI91]

[VDI08] [VDI09]

[Wie72]

[Wie74]

[Wie96]

[Wie97]

[Wie02]

In: Schäfer E. u. a. (Hrsg.): Arbeitsleben! Arbeitsanalyse, Arbeitsgestaltung, Kompetenzentwicklung. Kassel: Kassel University Press 2007, S. 264–279. U lich, E.: „Mensch – Technik – Organisation: Ein europäisches Produktionskonzept.“ Betonwerk und Fertigteil-Technik 65 (1999) 22: 26–31. VDI-Richtlinie 3644: Analyse und Planung von Betriebsflächen. Grundlagen, Anwendung und Beispiele. Beuth Verlag, Berlin 1991 VDI-Richtlinie 4499: Digitale Fabrik – Grundlagen. Beuth Verlag, Berlin 2008 VDI-Richtlinie 5200: Fabrikplanung. Planungsvorgehen. Gründruck. Beuth Verlag, Berlin 2009 Wiendahl, H.-P.: Technische Strukturund Investitionsplanung. Habilitationsschrift RWTH Aachen 1972. Veröff.: Girardet Taschenbücher Technik, Bd. 19. Girardet Verlag, Essen 1972 Wiendahl, H.-P., Bertram, D.: Die Produktionsplanung als Bestandteil der Unternehmensplanung. Ind. Org. 43 (1974) Nr. 4, S. 193–198 Wiendahl, H.-P.: Grundlagen der Fabrikplanung. In: Eversheim, W., Schuh, G. (Hrsg.): Betriebshütte – Produktion und Management. 7. Aufl. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1996 Wiendahl, H.-P., Scheffczyk, H.: Gestaltung wandlungsfähiger Fabrikstrukturen: Strategien, Planungs­methoden, Beispiele. Vortrag Fertigungstechnisches Kolloquium „Innovation durch Technik und Organisation. 11./12.11.1997 Universität Stuttgart Wiendahl, H.-P., Hernández, R.: Fabrikplanung im Blickpunkt. Herausforderung Wandlungsfähigkeit, wt Werkstattstechnik online, Jhg. 92 (2002) 4, S. 133–138

15.10  Literatur

 iendahl, H.-P.: Betriebsorganisation W für Ingenieure. 7. Aufl. Hanser Verlag, München Wien 2010 [WieH09] Wiendahl, H.-H.: Sozio-technisches Auftragsmanagement – Grundlagen, Konfiguration, Einführung. Habilita­ tionsschrift Universität Stuttgart 2009. [Win97] Winz, G., Quint, M., Kuhn, A. (Hrsg.); Prozesskettenmanagement – Leitfaden für die Praxis; Reihe: Spektrum 2000; Verlag Praxiswissen, Dortmund 1997 [Win07] Winkler, H.: Modellierung vernetzter Wirkbeziehungen im Produktionsanlauf. Diss. Leibniz Universität Hannover [Wie10]

[Wil96] [Zan76]

[Zeug98]

2007. Veröff. in: Nyhuis, P. (Hrsg.): Berichte aus dem IFA, Band 03/2007. PZH Verlag, Garbsen 2007 Willke, H.: Systemtheorie. Fischer Verlag, Stuttgart 1996 Zangemeister, C.: Nutzwertanalyse in der Systemtechnik: Eine Methodik zur multidimensionalen Bewertung und Auswahl von Projektalternativen. 4. Aufl. Berlin 1976 Zeugträger, K.: Anlaufmanagement von Großanlagen. Diss. Universität Hannover. Veröff. in: Fortschrittberichte VDI, Reihe 2, Nr. 47, VDI-Verlag, Düsseldorf 1998

15

491

Kapitel 16 Projektmanagement

16.1 

Aufgaben des Projektmanagements 16.1.1 Stolpersteine 16.1.2 Aufgabenübersicht

16 494

497 497 498

16.2  Projektorganisation 16.2.1 Teambildung 16.2.2 Beispiel einer Projektorganisation 16.2.3 Regeln für das Projektteam

500 500

16.3  Projektplanerstellung

503

16.4  Kapazitätsplanung

506

501 502

16.5  Vertragsgestaltung 16.5.1 Allgemeines 16.5.2 Vergabeformen 16.5.3 Vor- und Nachteile Vergabe­formen 16.5.4 Haftungsfragen

508 509

16.6 

510

Projekthandbuch

506 506 507

16.7  Kostenermittlung und -kontrolle 16.7.1 Voraussetzungen für Kostenermittlung 16.7.2 Kosten im Hochbau nach DIN 276 16.7.3 Nutzungskosten im Hochbau nach DIN 18960 16.7.4 Kostenmanagement

510

16.8  Digitale Fabrik 16.8.1 Konzept 16.8.2 Digitale Werkzeuge 16.8.3 Simulationsbeispiel

517 517 519 521

16.9  Building Information Modeling 16.9.1 Einführung 16.9.2 Auswertung des durchgängigen Gebäude­datenmodells 16.9.3 Fazit

524 524

16.10  Literatur

532

511 511 513 514

526 532

Bild 16.1: Spannungsfelder in einem Fabrikplanungsprojekt

497

Bild 16.2: Handlungsbereiche des Projektmanagements

499

Bild 16.3: Einbindung der Projektleitung und -steuerung in die Projektorganisation

500

Bild 16.4: Ganzheitliche Projektorganisation bei komplexen Fabrikplanungsprojekten (H. Schulte)

501

Bild 16.5: Leitungsaufgaben bei Projekttreffen (H.-H. Wiendahl)

503

Bild 16.6: Grobterminplan (Beispiel)

504

Bild 16.7: Feinterminplan (Beispiel)

505

Bild 16.8: Grobterminplanung Produktionseinrichtungen (Beispiel)

505

Bild 16.9: Grobterminplanung Produktionseinrichtungen (Beispiel)

506

Bild 16.10: Auszugsweise Gliederung eines Projekthandbuchs (J. Reichardt, RMA Architekten)

510

Bild 16.11: Kostengliederung nach DIN 276 (Auszug)

512

Bild 16.12: Baunutzungskosten 1. und 2. Ebene nach DIN 18960

513

Bild 16.13: Aufgaben des Kostenmanagements

515

Bild 16.14: Konzept der Digitalen Fabrik (Kühn)

516

Bild 16.15: Modellklassen der Digitalen Fabrik (Kühn)

517

Bild 16.16: Modellvernetzung in der Digitalen Fabrik (Kühn)

518

Bild 16.17: Grundstruktur einer möglichen Softwarearchitektur der Digitalen Fabrik (VDI 4499)

519

Bild 16.18: Funktionen rechnergestützter Planungswerkzeuge

519

Bild 16.19: Exemplarische Simulationsanwendungen in der Produktion

520

16 495

16 496

Bild 16.20: Visualisierung – Planen in der virtuellen Realität

521

Bild 16.21: Simulation von Strukturvarianten für einen Karosseriebau (Meichsner)

522

Bild 16.22: Layout Struktur­variante 1, Szenario 4

522

Bild 16.23: Simulationsmodell Strukturvariante 1, Szenario 4 (Meichsner)

523

Bild 16.24: Simulationsergebnisse Szenario 4 (Meichsner)

523

Bild 16.25: Überlagerung der Teilmodelle Architektur, Technische Anlagen und Prozess an einem Projektbeispiel (RMA Architekten)

525

Bild 16.26: Darstellung und Analyse von Ausbaustufen

526

Bild 16.27: Topografie-Optimierung

527

Bild 16.28: Tageslichtsimulation der Modellfabrik

529

Bild 16.29: Kunstlichtsimulation der Modellfabrik

529

Bild 16.30: Beispiel zur Zonierung und Anlagenkonfiguration eines Gebäudes

530

Bild 16.31: Eingangssituation der Modellfabrik

531

16.1  Aufgaben des Projektmanagements

•  Ein Methodenkonzept wird nicht vereinbart: Inge­

16.1.1 Stolpersteine

•  • 

Das Projektmanagement eines Fabrikplanungs­ projekts umfasst die Gesamtheit aller Planungs-, Steue­rungs-, Koordinierungs- und Überwachungsauf­ gaben zur sach-, termin- und kostengerechten Reali­ sierung von Projekten sowie die hierfür benötigten Konzepte und Methoden [Zim06], [Die04]. Auf der Wegstrecke dieses Prozesses liegen viele Stol­ persteine, die es mit fachlichem, organisatorischem und menschlichem Geschick zu vermeiden gilt. Sie sind typisch für komplexe Projekte und lassen sich nach Erfahrungen von H. Schulte [Schu08] und den Autoren bezogen auf die Fabrikplanung wie folgt zu­ sammenfassen:

• 

• 

• 

•  In der Projektvorbereitung wird überstürzt losge­ arbeitet, statt zunächst einmal die gegenseitigen Vorstellungen abzuklären.

Interessen der Auftraggeber Minimierung der Investition

nieure möchten gestalten und sich nicht lange mit „Formalkram“ aufhalten. Es mangelt an der Ganzheitlichkeit der Lösung; vielfach werden Einzellösungen “optimiert“. In der Projektkommunikation werden Entschei­ dungen emotional getroffen; oft sind Machtpositi­ onen statt Sachargumente ausschlaggebend. Auftraggebern ist die Komplexität eines Fabrik­ planungsprojektes oft nicht bewusst; dies baut einen unangemessen hohen Ergebnis- und Kos­ tendruck auf. Vielfach wird ein Standardvorgehen vorausge­ setzt, das mehr oder weniger automatisch eine „optimale“ Lösung garantieren soll. Jedes Projekt ist aber einmalig, daher gibt es keine „richtige“ Lösung, sondern sie muss in einem Lernprozess erarbeitet werden. Offene und versteckte Widerstände gegen be­ stimmte Lösungen werden nicht transparent; dies erschwert einen fairen Interessenausgleich sowohl zwischen den Akteuren als auch zwischen den späteren Nutzern.

Spannungsfelder Bauherr

Planer

Interessen der Auftragnehmer Maximierung des Gewinns

• Maximale Leistung

• Auftragserhalt

• Optimale Qualität

• Minimierung des Aufwands für Planung, Lieferung und Koordination

• Termintreue • Budgeteinhaltung • Vermeidung von Nachträgen • Sicherheit für Planung, Kosten, Haftung und Gewährleistung

Auftragnehmer/GU

• Gewinnerzielung durch Nachträge/ Um- bzw. Neuplanung • Baukostensteigerung bei HOAI-Basis

• Nachhaltigkeit

• Sicherheit für Werklohnerstattung Nachunternehmer

GU Generalunternehmer HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure

• Minimierung der Gewährleistung

16

Bild 16.1: Spannungsfelder in einem Fabrikplanungsprojekt (H. Schulte) © IFA 15.234_B

497

16  Projektmanagement

•  Bei auftretenden Konflikten wird nicht zwischen Beziehungskonflikten (unterschiedliche persönli­ che Werte und Kulturen), Sachkonflikten (unter­ schiedliche Fachsichten und stellenbedingte In­ teressen) und Scheinkonflikten (unterschiedliche Begriffsinterpretationen und unklare Kommuni­ kation) differenziert. Bild 16.1 verdeutlicht die daraus entstehenden Span­ nungsfelder zwischen dem Bauherrn, den Planern, dem Auftragnehmer sowie den ausführenden Nach­ unternehmern [Schu08].

16 498

Der Auftraggeber ist an minimalen Investitionskosten (in manchen Fällen auch an minimalen Betreiberkos­ ten) interessiert und achtet auf die im linken Bildteil aufgeführten Einzelziele. Er möchte möglichst keine Risiken bezüglich Budget, Nachträgen und Gewähr­ leistung eingehen. Dies gilt auch dann, wenn we­ sentliche Gründe für nachvertragliche Kosten- und Terminprobleme auf seiner Seite liegen, z. B. durch nicht eindeutige Vorgaben, Entscheidungsschwäche oder ständige Änderungen. Hinzu kommt, dass die Nutzer ein neues Projekt natürlicherweise als einma­ lige Gelegenheit verstehen, langjährige Missstände zu beseitigen. Die Folge ist oft ein mit der Geschäfts­ leitung nicht abgestimmtes „Wunschkonzert“ und hierdurch bedingte Kostensteigerungen werden ger­ ne den Planenden angelastet. Die Auftragnehmer sind demgegenüber an der Maxi­ mierung ihres Gewinns aus dem jeweiligen Teilpro­ jekt interessiert und sind bestrebt, ihren Aufwand zu minimieren. Die Planer werden wiederum keine umfassende Verantwortung oder gar Haftung für Anforderungen des Auftraggebers und der Nutzer übernehmen wollen, die ihnen zum Zeitpunkt der Vertragsgestaltung nicht mit genügender Genauig­ keit bekannt sind. Schließlich werden die Ausfüh­ renden und Lieferanten versuchen, ihre im Rahmen von Bieterwettbewerben gegebenen Nachlässe auf die Angebotspreise nach Auftragserlangung durch ein geschicktes Claimmanagement bestmöglich zu kompensieren. Ist das Honorar des Planers gemäß der HOAI an die Baukosten gebunden, wird er auf dessen Anpassungen bei Baukostensteigerungen

Wert legen. Alle Auftragnehmer werden schließlich anstreben, die Gewährleistungsverpflichtungen zu minimieren. Um den Aufbau von Feindbildern der Beteiligten zu vermeiden, empfiehlt es sich, die grundlegenden Pro­ jektziele in einem strukturierten Dialog gemäß dem Prozessmodell der Synergetischen Fabrikplanung (vgl. Kap. 15) aus Sicht der Prozess- und Raumpla­ nung zu entwickeln. Dies gilt sowohl für das Gesamt­ projekt wie auch für die Teilprojekte.

16.1.2 Aufgabenübersicht Zum Thema Projektmanagement existiert eine nahezu unübersehbare Anzahl von Vorschlägen zur möglichst effizienten Projektabwicklung, die sich vielfach an den Erkenntnissen des Systems Engineering orientieren, z. B. [Hab02]. Auf Basis der einschlägigen Literatur, z. B. [Kus07], [Kal05], [Kes08], [Esc09], [Grei09] und den Erfahrungen der Autoren sind die in Bild 16.2 auf­ geführten Handlungsbereiche zu beachten. Ausgangspunkt ist der Projektrahmen, der zunächst die Anforderungen festlegt, deren Erarbeitung im Rahmen des Prozessmodells nach Bild 15.5 in Mei­ lenstein 1 erfolgt. Daraus entwickelt sich ein Nutzer­ bedarfsprogramm und ein darauf basierendes Raumund Funktionsprogramm, das als Raumspiegel oder Raumbuch bezeichnet wird. Es bildet das Gegenstück zum Pflichtenheft der Produktionseinrichtungen und ist Grundlage für eine erfolgreiche Vermittlung zwi­ schen dem Bauherrn, den Nutzern und den externen Partnern [Rei04]. Die Gliederung eines solchen Raumbuchs erfolgt für jedes Gebäude nach Gebäudeebenen und Räumen. Darin werden die Anforderungen an jeden Raum und seine Elemente, die Anforderungen an die Haustech­ nik sowie die Anforderungen an die in dem betref­ fenden Raum stattfindenden Prozesse zugeordnet. Anhang B enthält ein Beispiel für eine entsprechend strukturierte Excel-Liste, mit der ein Schema für ein derartiges Raum- und Funktionsprogramm angeboten wird. Schließlich gehört zum Projektrahmen immer ein grober Zeit- und Kostenrahmen, der sich aus den strategischen Überlegungen für das Projekt ableitet.

16.1  Aufgaben des Projektmanagements

Projektrahmen

Organisation

• • • •

• • • • • •

Nutzerbedarfsprogramm Raum- und Funktionsprogramm Zeitrahmen Budgetrahmen

Kosten • Objektkosten, Nutzungskosten • Kostenschätzung, -ermittlung und -kontrolle • Rechnungsprüfung und Zahlungsfreigabe

Projektteam Projektstruktur Terminplanung und Meilensteine Kapazitätsplanung Verträge Projekthandbuch

Planungswerkzeuge • Digitale Fabrik • Building Information Modeling • Facility Management

Das zweite Handlungsfeld betrifft die Projektorganisation. Sie bestimmt die Projektkonstellationen der Projektbeteiligten für die Planung, Realisierung und Inbetriebnahme der Fabrik. Weiterhin ist eine Pro­ jektstruktur mit Arbeitspaketen und ihrer Reihung zu bestimmen und in einen Terminplan mit Meilen­ steinen einzufügen. Die Projektdurchführung erfor­ dert auch bei weitgehender Vergabe der Leistungen innerbetriebliche Kapazitäten, die zu planen sind. Alle Leistungen müssen in Verträgen beschrieben werden, die insbesondere auch Fragen der Gewähr­ leistung und Mängelbehandlung umfassen. Wichtig ist auch, eine Vereinbarung darüber zu treffen, ab wann keine gravierenden Nutzeränderungen mehr möglich sind. Diese als frozen period bezeichnete Zeitspanne dient der ungestörten Entwicklung des Projektes und seiner Gewerke. Schließlich stellt eine abgestimmte Information und Koordination der Beteiligten sowie die Dokumentation der Ergebnisse in Form eines Projekthandbuchs einen konsistenten Planungsstand sicher. Der dritte Handlungsbereich betrifft die Kosten. Diese beziehen sich zum einen auf die Produkti­ onseinrichtungen und zum anderen auf das Bau­ objekt. Wünschenswert ist eine Unterscheidung zwischen den einmaligen Objektkosten und den Nutzungskosten des späteren Betriebs. Daraus er­ geben sich Zielkosten für ein Gebäude. Bei der Kos­

Bild 16.2: Handlungsbereiche des Projektmanagements © IFA 15.235_B© IFA G8895SW_B

tenschätzung gilt das Prinzip Vollständigkeit vor Genauigkeit. Ganz wesentlich ist eine proaktive Steuerung aller Kostenpositionen im Sinne einer Minimierung der Lebenszykluskosten der gesam­ ten Fabrik mit Produktionsanlagen und Gebäuden. Mit Blick auf die immer wichtigeren Forderungen nach Energieeffizienz und Nachhaltigkeit mit der Übertragung des Ansatzes des sog. Green Building auf den Fabrikbau empfiehlt es sich, auch Aspekte der Energierückgewinnung und Ressourcenscho­ nung mit einzubeziehen. [Rei98]. Diese knappen Ausführungen machen bereits deut­ lich, dass dem Projektmanagement bei der gebotenen Abwägung objektiver, „harter“ Faktoren (wie z. B. Funktionsziele, Kosten, Termine) und mehr subjekti­ ver, „weicher“ Faktoren (wie z. B. Qualität, Ästhetik, Ökologie) eine Schlüsselrolle zufällt. Mit zunehmender Mächtigkeit digitaler Planungswerkzeuge gehört deren Festlegung ebenfalls zu den Aufgaben des Projektmanagements. Für die Gebäudeplanung gewinnt ein Modellstandard unter dem Begriff Building Information Model (BIM) an Bedeutung, dem auf der Produktionsseite die Digitale Fabrik gegenübersteht. Das Facility Management ist der Nutzungsphase vorbehalten, basiert aber in sei­ nen Inhalten auf der Dokumentation der Planungs­ ergebnisse. Es wird im abschließenden Kapitel 17 behandelt.

16 499

16  Projektmanagement

Im Folgenden werden die drei Handlungsbereiche Organisation, Kosten und Planungswerkzeuge so weit behandelt, wie sie für das Verständnis der Auf­ gaben des Projektmanagers wichtig sind. Fallweise wird auf entsprechende Literatur verwiesen.

16.2  Projektorganisation

16.2.1 Teambildung Nach dem Projekteröffnungsbeschluss des Ma­ nagements ist ein Projektteam aufzustellen. Dazu sind die Verantwortlichkeiten und Befugnisse des Projektmanagements, des Auftraggebers sowie von Nutzern, Planern und Ausführenden in einem Orga­ nigramm festzulegen, dessen prinzipiellen Aufbau Bild 16.3 zeigt. Nach allgemeinem Verständnis (z. B. [Koc07]) besteht dabei das Projektmanagement aus der Projektleitung (Auftraggeberfunktion mit Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenz) und der Projektsteuerung (Beratungsleistung ohne Entscheidungsbefugnis). Geschäftsgrundlage für die

ausführenden Partner ist das erwähnte abgestimmte Raum- und Funktionsprogramm. Vielfach wird vom Auftraggeber die Bedeutung sei­ ner eigenen Projektleitung unterschätzt, und zwar im Hinblick auf die gebotene fachliche Qualifizie­ rung, den benötigten Zeitaufwand sowie die Kompe­ tenz zur Teamführung. Auch wenn ein bereits pro­ jekterfahrener Auftraggeber immer versuchen wird, mögliche Projektrisiken an die von ihm beauftragten Planer und Ausführenden zu verlagern, liegt die Projektverantwortung durch die Formulierung und Kontrolle der Projektziele doch letztlich in seinen Händen. Für diese Bauherrenaufgabe benötigt die Projektleitung die ungeteilte, nach innen und außen sichtbare Unterstützung der Geschäftsführung. Die gilt insbesondere für die laufend erforderlichen in­ ternen Abstimmungen auf Seiten des Auftraggebers. Eine Alternative bei nicht abkömmlichem eigenem Führungspersonal ist die Wahrnehmung einer „Bau­ herrenstellvertretung“ durch eine Projektsteuerung als externe Fachkompetenz. Die Festlegung der Projektstruktur als zweiter Schritt gliedert das Projekt in Teilpakete, z. B. für das Gebäude, die Technische Gebäudeausrüstung, Außenanlagen usw.). Bei großen Projekten, die z. B.

Bauherr Projektmanagement Projektmanagement Nutzer

Projektleitung

Projektsteuerung

abgestimmtes Raum- und Funktionsprogramm

16

Fachplaner und Berater

Objektplaner

Behörden und Träger öffentlicher Belange

Bild 16.3: Einbindung der Projektleitung und -steuerung in die Projektorganisation © Reichardt 15.236_JR_B

500

Bauausführende und Lieferanten

16.2  Projektorganisation

Lenkungs-Ausschuss Vorgaben u. Entscheidungen

Projektleiter

Produktionsplaner

Logistikplaner

Organisationsplaner

Architekt

Kosten / Termine

Fachingenieure

-Heizung -Fertigung

-Auftragsabwicklung

-Montage

-Materialfluss

-Leitstandsysteme

-Lagerung

-Informationssysteme

-Kommissionierung

-DV-Konzept

-Ablauforganisation

-Lüftung -Bauwerke

-Klima

-Innenausbau

-Sanitär

-Freianlagen

-Brandschutz

-Elektro -Betriebstechnik

Bauingenieure

Fachberater und Gutachter

-Tragwerke -Straßen -Wege -Gleisanlagen -Ingenieurbauwerke

-Bodenmechanik

Auflagen und Abnahmen

Informationen und Daten

Leistung / Qualität

Behörden / Instanzen

Unternehmen / Betreiber

Projektteam

-Vermessung -Umweltschutz

Lieferanten Lieferpünktliche Leistungen

Bild 16.4: Ganzheitliche Projektorganisation bei komplexen Fabrikplanungsprojekten (H. Schulte) © IFA 15.238_B

eine eigene Energieversorgung oder Abwasseraufbe­ reitung einschließen, sind die jeweiligen Einzelpläne in einem Generalterminplan über einen kritischen Terminpfad vernetzt.

16.2.2 Beispiel einer Projektorganisation Bild 16.4 zeigt als exemplarisches Beispiel das Zusammenwirken der Akteure in einem größeren Fa­brikplanungsprojekt, die gemeinsam das Projekt­ team bilden [Schu08]. Man erkennt zunächst die auf das Projekt von au­ ßen einwirkenden Akteure. Der Bauherr erscheint hier als Lenkungsausschuss und besteht aus den zuständigen Mitgliedern der Geschäftsführung, den Vertretern der Hauptnutzer und – soweit vorhanden – dem Betriebsratsvorsitzenden. Manchmal wird auch ein unabhängiger externer Fachmann einbe­ zogen. Berichterstatter an den Lenkungsausschuss

sind der Projektleiter und je nach Meilenstein die verantwortlichen Planer und ggf. Lieferanten. Die Nutzer des Planungsobjektes liefern die notwendi­ gen Ausgangsdaten im Rahmen der Vorbereitungs­ phase, legen mit den Planern die Anforderungen an die Teilgewerke fest und verabschieden die entspre­ chenden Lösungen. Sie bestimmen darüber hinaus die zukünftige Arbeitsorganisation der neuen Fabrik und veranlassen die rechtzeitige Rekrutierung und Qualifizierung des Personals. Behörden und sonstige Instanzen machen Auflagen, besonders hinsichtlich des Arbeits- und Umweltschutzes, führen Abnahmen der Gewerke durch und erteilen Betriebsgenehmi­ gungen. Die Lieferanten von Ausrüstungen und Dienstleistungen sind schließlich verantwortlich für eine den Verträgen entsprechende pünktliche Liefe­ rung ihrer Gewerke. Den Kern der Projektorganisation bildet das Pro­ jektteam. Es wird geführt vom Projektleiter, der gegenüber dem Lenkungsausschuss für die verein­

16 501

16  Projektmanagement

barte Leistung mit der vereinbarten Qualität unter Einhaltung von Kosten und Terminen verantwortlich ist. Dazu legt er im Rahmen der Projektsteuerung die Vorgehensmethodik fest, die in den einzelnen Planungsphasen angewandt werden soll und prüft, ob die Qualifikation der Planungsbeteiligten der Schwierigkeit der Planungsaufgabe entspricht. Er beeinflusst durch die Aufstellung von Spielregeln und Verhaltensvereinbarungen wesentlich die Pro­ jektatmosphäre. Sein Persönlichkeitsprofil ist durch Moderationsfähigkeit, Konfliktlösungsvermögen, Neutralität gegenüber den Beteiligten und Metho­ denkompetenz gekennzeichnet. Wichtig ist, dass er in der Geschäftsführung einen direkten Ansprech­ partner besitzt, der als „Projektpate“ fungiert. Im Bild 16.4 sind weiterhin die ausführenden Team­ mitglieder mit ihren Aufgaben erkennbar. Produk­ tions-, Logistik- und Organisationsplaner sind für die in den vorhergehenden Kapiteln ausführlich dargestellten produktionsbezogenen Gestaltungsfel­ der zuständig, während der Architekt und die von ihm koordinierten Fachingenieure, Bauingenieure und Fachberater die Funktionsfähigkeit der Gebäude verantworten. Sie bilden das Kernteam, das fallwei­ se durch interne oder externe Spezialisten ergänzt wird, wie z. B. einen Außenanlagenplaner oder Brandschutzsachverständigen.

16.2.3 Regeln für das Projektteam

16 502

Wie bereits in Kap.15, Bild 15.9 ausgeführt, reichen für ein erfolgreiches Projekt eine rein fachlich-sach­ lich orientierte Abarbeitung der Teilprojekte und ihre Koordination durch den Projektleiter nicht aus. Viel­ mehr sind zusätzlich methodische und atmosphäri­ sche Belange zu berücksichtigen, die zu bestimmten Verhaltensregeln des Projektteams führen. Dazu gehört als Erstes, dass jedes Teammitglied grund­ sätzlich für seinen Planungsgegenstand hinsichtlich Funktion, Qualität, Kosten und Termineinhaltung verantwortlich ist. Die jeweilige Abstimmung er­ folgt im Rahmen von Projekttreffen. Diese dienen der Vorbereitung, Überprüfung, Entscheidung oder Information über Fachinhalte und Projektvorgehen. Üblich sind Lenkungsausschuss-Sitzungen, Jour Fixe

(Treffen des Kernteams zu einem festen Zeitpunkt, z. B. jeden Freitag von 14 bis 16 Uhr) sowie Arbeitsund Informationstreffen. Weiterhin sind methodische Regeln sinnvoll, die sich an allgemeinen Problemlösungsmethoden orientie­ ren. Dazu gehört z. B., dass für alle Teilplanungen eine eindeutige Aufgabenbeschreibung vorliegt, grundsätzlich Varianten erarbeitet werden und deren Bewertung anhand von Kriterien erfolgt, die aus den Strategien und Rahmenbedingungen abgeleitet sind. Vorgehensregeln betreffen demgegenüber die Ein­ haltung vereinbarter Regeln und Verpflichtungen sowie die Kommunikation unterschiedlicher Auffas­ sungen. Dazu gehören z. B. allgemeine Festlegungen wie Standard-Wochenpläne, interne Regeln des Kernteams (z. B. Kommunikation von Projektstän­ den nach außen nur nach Abstimmung) oder auch projektbezogene Regeln, wie z. B. „Mehrkosten eines Teilgewerkes müssen durch Einsparungen bei ande­ ren Teilgewerken kompensiert werden“. Dokumentationsregeln legen schließlich die Doku­ mentation von Projektverlauf und -ergebnissen fest. Dies betrifft im Wesentlichen Sitzungsergebnisse, den zeitlichen Arbeitsfortschritt und die fachlichen Ergebnisse. Sie sind im erwähnten Projekthandbuch hinterlegt. Bild 16.5 fasst die resultierenden Aufgaben des Pro­ jektmanagements aus fachlicher, methodischer und atmosphärischer Sicht am Beispiel eines Arbeitstref­ fens in der Konzeptphase zusammen [WieH09]. Vo­ rausgesetzt wird hier die Unterscheidung zwischen fachlicher Projektleitung und Prozessbegleitung (vgl. Bild 15.9). Diese Aufgaben sind möglichst zwei Personen zu übertragen. Ist das Team eingespielt und sind keine Kontroversen zu erwarten, können beide Aufgaben auch vom fachlichen Projektleiter wahrge­ nommen werden. Ausgangspunkt eines Treffens bilden die Ziele, die erreicht werden sollen. Sie entstammen dem zu behandelnden Arbeitspaket des übergeordneten Pro­ jektplans. Zur Vorbereitung strukturiert der fachliche Projektleiter dessen Inhalt und seine Abarbeitung, während der Prozessbegleiter Arbeitsformen (z. B. Metaplantechnik) und die atmosphärische Situation

16.3  Projektplanerstellung

Aufgaben

Prozessbegleitung

fachliche Projektleitung

Vorbereitung fachlich • Vorstrukturierung der Fachinhalte • Aufzeigen in Frage kommender Gestaltungsalternativen methodisch • sach-logische Reihung der Inhalte • didaktische Aufbereitung der Fachinhalte methodisch • Aufbereitung der Ziele und Auswahl geeigneter Arbeitsformen • Ausarbeitung des Ablaufplans atmosphärisch • Einschätzung erfolgskritischer Beziehungs- und Motivationslagen unter den Beteiligten

Durchführung fachlich • Erläuterung der Fachinhalte methodisch • inhaltliche Überwachung der Fachdiskussion und der Wechselbeziehungen der Fachargumente • Herausarbeiten von inhaltlichen Widersprüchen

Nachbereitung fachlich • Sicherstellung der logischen Schlüssigkeit des Fachkonzepts methodisch • zielgruppengerechte Aufbereitung der Ergebnisse • Darstellung von inhaltlichem Konsens und Dissens

methodisch • situationsgerechte Umsetzung des Ablaufplans (ggf. Anpassung) • präzise Anwendung der Moderationsmethoden

methodisch • zeitnahe Dokumentation der Vorgehensbeschlüsse • nachvollziehbare Darstellung des inhaltlichen Arbeitsverlaufs

atmosphärisch • Förderung der Arbeitsfähigkeit (Gruppendynamik)

atmosphärisch • situationsgerechte Interventionen (z. B. bei Konfliktlagen)

Bild 16.5: Leitungsaufgaben bei Projekttreffen (H.-H. Wiendahl) © IFA 15.239_B

einschließlich der räumlichen Bedingungen klärt. Aus Fach- und Methodensicht wird geprüft, ob die Zielerreichung realistisch ist. Zu Beginn der Durchführung stellt der Prozessbegleiter die Ziele vor, steckt den methodisch-organisatorischen und atmosphärischen Rahmen ab und übernimmt die Diskussionsleitung. Bei den Fachinhalten achtet der fachliche Projektleiter auf die Plausibilität und Kom­ patibilität der Lösungen. Abschließend ist die Zieler­ reichung durch eine Teilnehmerabfrage zu prüfen. Die Nachbereitung durch die fachliche Projektlei­ tung dient der Dokumentation der Arbeitsergebnisse und der Überprüfung durch den Prozessbegleiter auf Verständlichkeit. Je nach Ergebnis kann eine Zielüberprüfung sinnvoll sein und dient damit der Vorbereitung des Folgetreffens. Abschließend sind die unvermeidlich auftretenden Konflikte der Beteiligten auf der Auftraggeberseite mit ihren Hauptaufgaben zu klären. Dabei sind an­ dere Projekte und persönliche Belange der Mitar­ beiter wie bspw. Urlaubs- und Freizeitgestaltung zu berücksichtigen, um eine Überbeanspruchung und infolgedessen eine schlechte Ergebnisqualität zu vermeiden.

16.3  Projektplanerstellung Nach der Festlegung des Projektteams, der Pro­ jektstruktur und der Vereinbarung von Projektre­ geln besteht die nächste wichtige Aufgabe des Pro­ jektleiters in der Aufstellung eines Projektplans. Dieser stellt über der Zeitachse die notwendigen Aktivitäten zunächst in groben Arbeitspaketen dar. Dabei versucht man, durch eine möglichst weitgehende Parallelisierung die Gesamtprojekt­ laufzeit zu minimieren bzw. auf ein vorgegebenes Terminziel hin zu optimieren. Ausgehend vom ge­ wünschten Fertigstellungstermin wird damit ein Zeitrahmen für die Planung und Ausführung der Teilgewerke, aber auch der Genehmigungs- und Freigabeprozesse gesetzt. Wichtig sind realisti­ sche Annahmen, die auch noch Reserven enthal­ ten. Bild 16.7 zeigt einen Übersichtsplan für ein Bauobjekt, wie er üblicherweise zum Meilenstein 0 vorliegt. Er orientiert sich an den Leistungspha­ sen nach HOAI und unterscheidet demgemäß die Module „integrierter Vorentwurf“, „integrierter Entwurf“, „integrierte Ausschreibung“ und „Rea­ lisierung“.

16 503

16  Projektmanagement

Nr.

Vorgangsname

1 2

Planungsauftrag

3

Integrierter Vorentwurf [Modul 1]

21

Präsentation: Integriertes Konzept

22

Freigabe: Integrierter Vorentwurf

4. Quartal 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

01.11.

18.03.

25.03.

23 24

Integrierter Entwurf [Modul 2]

36

Freigabe: Baugenehmigung

18.08.

37 38

Integrierte Ausschreibung [Modul 3]

44 45

Baubeginn

46

Realisierung

03.11.

72 73

Dokumentation, FM [Modul 5]

74

Übergabe: FM

Bild 16.6: Grobterminplan (Beispiel) © Reichardt 15.240_JR_B

Mit zunehmendem Planungsfortschritt wird dieser Plan verfeinert, wozu Bild 16.8 ebenfalls ein Beispiel zeigt. Hier wird ein Ausschnitt aus der Realisierung des Gebäudes und seines Ausbaus für ein Bauprojekt gezeigt. Die Terminpläne werden von den ausführen­ den Firmen weiter detailliert verfeinert und mit dem übergeordneten Projektplan abgestimmt.

16 504

Neben der Objektplanung besteht ein entsprechender Terminplan für die Planung der Produktionseinrich­ tungen, den Bild 16.8 als Grobterminplan darstellt. In diesem Fall wird von neuen Betriebseinrichtungen für die Fertigung, Montage und innerbetriebliche Logistik ausgegangen. Für den Fall der Übernahme vorhandener Einrichtungen vereinfacht sich der Plan entsprechend. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Meilen­ steine, die in Abschn. 15.2 ausführlich erläutert wur­ den. Sie dienen der Abstimmung von Teilergebnissen nach dem in Bild 15.7 und 15.8 erläuterten Prinzip

und der Überprüfung von vereinbarten Zwischenzie­ len. Meilensteinberichte sind auch eine Grundlage für eine sog. Due Diligence (Sorgfaltsprüfung), bei der Projekte zu bestimmten Zeitpunkten, z. B. Fertig­ stellung Rohbau, von unabhängigen Sachverständi­ gen begutachtet werden. Meilensteine kennzeichnen weiterhin die Freigabe der Planung durch das Projektmanagement für die jeweils nächste Planungsphase (z. B. Einholen der behördlichen Genehmigungen (HOAI 4), Überführung der Ausfüh­ rungsplanung (HOAI 5) in die Ausschreibungen (HOAI 6), sowie die finale Freigabe der Montagepläne auf der Baustelle (z. B. Positionierung von Maschinen entspre­ chend der Einrichtungsplanung). Schließlich geht es beim Projektmanagement um die Unterstützung von Abnahmen und Inbetriebnahmen von Gebäuden und Einrichtungen. In dieser Phase liegt ein besonderes Konfliktpotenzial in der rechtlichen Auslegung der Verantwortung bei Mängeln an Gebäuden und Einrich­ tungen, deren Beseitigung sowie Gewährleistungs- und Haftungsregelungen [Esc03].

16.3  Projektplanerstellung

Bild 16.7: Feinterminplan (Beispiel) © IFA 15.241_JR_B

16 Bild 16.8: Grobterminplanung Produktionseinrichtungen (Beispiel) © IFA 13.969_B

505

16  Projektmanagement

16.4  Kapazitätsplanung Ein so großes Projekt wie eine Fabrikplanung be­ schäftigt nicht nur die externen Partner, sondern auch zahlreiche interne Bereiche. Dies sind zunächst die direkt betroffenen Nutzer der Produktion mit ih­ ren indirekten Funktionen wie Arbeitsvorbereitung, NC-Programmierung, Produktionssteuerung usw. Weiterhin sind Supportfunktionen wie Qualitätssi­ cherung, Informations- und Kommunikationsver­ sorgung, Personal- und Sozialbereiche bis hin zum Werkschutz beteiligt. Mit dem Hochlauf werden auch die operativen Mitarbeiter einbezogen. Im Laufe des Projektes wird dies in unterschiedlichem Umfang der Fall sein. Jedoch ist es ratsam, hierfür eine Ka­ pazitätsplanung durchzuführen, um die notwendige Projektmitarbeit, die ja parallel zum Tagesgeschäft läuft, sicherzustellen. Dabei ist zwischen drei Stufen der Beteiligung je Leistungsphase zu unterscheiden, Bild 16.9. Die Geschäftsführung als Entscheidungsinstanz ist besonders in der Zielformulierungs- und Hoch­ laufphase gefordert. In der Planungs- und Realisie­ rungsphase nimmt sie diese Aufgabe im Rahmen des Lenkungsausschusses wahr. Die Projektmitarbeit erfolgt auf der Ebene der Führungskräfte und Exper­ ten primär beim Fachkonzept der Produktionsein­

Leistungsphasen der Fabrikplanung

richtungen und beim logistischen Standortprofil. Die operativen Mitarbeiter sind durch Informationen, Schulungen, Testläufe und Mitarbeit beim Hochlauf eingebunden. Diese nur grob skizzierten Tätigkeiten werden in ihrem Umfang häufig unterschätzt und sollten un­ bedingt in einer gesonderten Kapazitätsbetrachtung unter Beachtung von Urlaubszeiten erfasst werden. Damit wird zum einen der Überlastung der betrof­ fenen Mitarbeiter oder der Vernachlässigung ihrer normalen Aufgaben vorgebeugt. Zum anderen wird der doch erhebliche interne Aufwand deutlich, der zu den indirekten Kosten zählt.

16.5  Vertragsgestaltung 16.5.1 Allgemeines Eine nächste wesentliche Aufgabe des Projektma­ nagements ist die Vorbereitung und finale Ausge­ staltung der Verträge mit allen Projektbeteiligten. Primäre Vertragsinhalte sind im Wesentlichen die Beschreibung von Leistungen, Terminen und Doku­ mentationsrichtlinien. Weiterhin geht es zwischen allen Partnern um das Vorgehen bei auftretenden

Unternehmensebene Geschäftsführung Führungskräfte

Zielfestlegung Konzeptplanung Detailplanung Realisierungsvorbereitung Realisierungsüberwachung

16

Hochlaufbetreuung Beteiligung je Leistungsphase:

schwach

mittel

Bild 16.9: Beanspruchung der Unternehmensebenen durch ein Fabrikplanungsprojekt © IFA 15462

506

© IFA

stark

Operative Mitarbeiter

16.5  Vertragsgestaltung

Mängeln von erbrachten Leistungen mit den Stufen Nachbesserung, Preisminderung oder Rückgabe. Weitere wichtige Bereiche betreffen Gewährleis­ tungsansprüche, Haftungsaspekte und Honorierung der Leistung. Für die spätere Beurteilung der Haftung ist die Ein­ ordnung des Einzelvertrages als Werkvertrag oder Dienstvertrag von Bedeutung, worauf Abschn. 16.5.4 näher eingeht.

16.5.2 Vergabeformen Auftraggeber von Fabrikprojekten können in sehr unterschiedlichen Organisations- und Rechtsformen auftreten, ebenso die für sie tätigen Berater, Planer und ausführenden Unternehmen. Dabei sind im Wesentlichen vier Projektkonstellationen und damit Vergabeformen für die Planung und Ausführung ei­ nes Fabrikprojektes denkbar. Ihre spezifischen Cha­ rakteristika sowie einige Vor- und Nachteile sollen nachfolgend kurz erörtert werden.

Einzelplaner- Einzelunternehmer Die klassische Vergabeform ist die gewerkespezifi­ sche Vergabe von Bauleistungen auf der Grundlage von Leistungsverzeichnissen und Detailplänen. Bedingt durch das direkte Vertragsverhältnis des Auftraggebers mit ausgewählten Unternehmen und die spätere Abrechnung nach tatsächlich verbau­ ten Mengen hat der Auftraggeber hier den größten Einfluss auf Termine, Kosten und Qualität. Für das Projektmanagement bedeutet die Vergabe an Einzel­ unternehmen jedoch eine Vielzahl von zu koordinie­ renden Schnittstellen zu Folgegewerken mit entspre­ chenden Qualitäts-, Kosten- und Haftungsrisiken. Sinngemäß gelten diese Vor- und Nachteile auch bei der Auswahl der Fachplaner für Prozess, Raum und Organisation.

Generalplaner- Generalunternehmer Wie erwähnt, ist der Koordinationsaufwand bei sepa­ raten Fachplanungen und Einzelvergaben beträcht­ lich. Durch Bündelung der Beauftragung der Planung

(z. B. für die Planung eines Gebäudes mit Generalpla­ nung, Architektur, Tragwerksplanung, Haustechnik und Freianlagen), die Ausführung (Gebäude inklu­ sive Haustechnik) oder ein Teilpaket Haustechnik (Heizung, Lüftung, Sanitär, Elektro) reduzieren sich aus Sicht des Auftraggebers die Schnittstellen und damit sein Aufwand. Die weitere Reduzierung vertraglicher Schnittstel­ len führt zur Vergabe an lediglich einen General­ unternehmer mit Pauschalpreisverträgen. Jedoch muss zum Zeitpunkt der Beauftragung die vertrag­ liche Bauleistung abschließend und genau definiert sein. Alle späteren Veränderungen, oft bedingt durch die nach der Vergabe weiterlaufenden Verfei­ nerungen der Prozess- und Organisationsplanung, führen dann unweigerlich zu Nachträgen, die nicht mehr dem Wettbewerb ausgesetzt sind. Diese wer­ den vom Bauherrn oft als überhöht empfunden, stellen aber für den Generalunternehmer die Mög­ lichkeit dar, die im Vergabeprozess zugestandenen Preisnachlässe bis zu einem gewissen Maß wieder zu kompensieren. Darüber hinaus bestehen auch die Vergabeformen Einzelplaner-Generalunternehmer (eher selten) und Generalplaner-Einzelunternehmer oder Generalpla­ ner-Gewerkepakete (eher häufig).

Garantierter Maximalpreis (GMP) Zur Abmilderung der Interessenkonflikte hat sich als Idee des „partnerschaftlichen Bauens“ mit dem GMPVerfahren (garantierter Maximalpreis) eine weitere Vergabevariante entwickelt. Dieses Verfahren zielt auf Festpreise sowohl in der Planungsphase als auch in der Ausführungsphase ab [Ble00]. Hierzu schreibt der Bauherr Leistungen funktional aus, oft auf der Grundlage einer abgeschlossenen Vorplanung. Das noch fehlende Planungs- und Aus­ führungsmanagement einschließlich der Verant­ wortung für den Gesamterfolg wird dann von einem Totalunternehmer (Generalunternehmer für die Bau­ leistungen inklusive Engineering aller erforderlichen Fachplanungen) erbracht. Der mit einem Pauschalpreis verhandelte GMPVertrag hat üblicherweise einen festen Anteil für

16 507

16  Projektmanagement

Honorar, Wagnis und Gewinn; ein variabler Anteil ist den (weitergegebenen) Bauleistungen vorbehal­ ten. Dies setzt das Prinzip der „gläsernen Taschen“ voraus und bedeutet, dass der Auftraggeber ständig „wahre“ Informationen über den Stand der aktuellen Kosten und Termine erhält [Eit07]. Inwieweit diese theoretische Projekttransparenz im Verlauf eines Projektes in allen Kostenpositionen tat­ sächlich eingehalten oder durch das entsprechende Talent der Ausführenden manipuliert wird, ist nicht zuletzt eine Frage des Vertrauens.

Public Private Partnership (PPP) Infolge fehlender Investitionsmittel oder zur Vermin­ derung des Investitionsrisikos sowie Ausnutzung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten entstehen Fa­ briken manchmal auch als fremdfinanzierte Objekte, die an den Nutzer nach dem Leasing- oder Betreiber­ modell rückvermietet werden. Beim Leasingmodell übernimmt eine Leasinggesellschaft die vertragliche Verantwortung und das Projektrisiko. Sie sichert die Finanzierung über Kreditaufnahmen und beauftragt ohne Mitwirkung des Auftraggebers Planer und aus­ führende Unternehmen. Über einen mit dem Nutzer ausgehandelten Leasingvertrag werden die Kredittil­ gung, sonstige Kosten sowie der Übertrag des wirt­ schaftlichen Eigentums nach Ablauf der Leasingzeit vereinbart. Grundlage des Betreibermodells ist die Konzessionsvergabe zum Betrieb einer baulichen Anlage [Bur06].

16.5.3 Vor- und Nachteile Vergabe­formen

16 508

Für den nachhaltigen Gesamterfolg eines Projektes ist die Ausrichtung der Interessen der Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel von Bedeutung. Durch ergänzende Vereinbarungen zu Zielwerten oder Zielkosten können bei allen Vergabeformen „Beloh­ nungen“ oder „Bestrafungen“ vereinbart werden. Generell bedeutet weniger Verantwortung auch weniger Gestaltungsfreiheit für den Auftraggeber, insbesondere während der für die Ausführungsqua­ lität von Prozess und Raum entscheidenden Phasen Ausschreibung, Realisierung und Abnahme bzw.

Inbetriebnahme. Der Verzicht auf gewerkespezifi­ sche Ausschreibungen und die Wahl einer Funktio­ nalausschreibung verheißt frühzeitige Kosten- und Terminsicherheit. Diese werden aber in aller Regel mit Qualitätseinbußen, nicht selten auch Funktions­ einbußen, erkauft. Die Vergabeform Einzelgewerke sichert die umfang­ reichste Einflussnahme auf die Ausführungsqualität mit bestem Preis-Leistungs-Verhältnis. Nachteilig sind der sehr hohe Koordinationsaufwand, kompli­ zierte Haftungsschnittstellen zwischen den Gewer­ ken sowie mögliche Terminverzögerungen bei z. B. Insolvenzen der Einzelunternehmen. Präferiert der Auftraggeber eine Garantie für Her­ stellkosten und Endtermin sowie nur einen Vertrags­ partner für die Ausführung, ist die Wahl eines Ge­ neralunternehmers der Vergabe von Einzelgewerken vorzuziehen. Den erwähnten Vorteilen stehen die Nachteile höherer Regie- und Umlagekosten sowie überteuerte Planungsänderungen nach Vergabe ge­ genüber. Ein Stück Fabrik als eine Summe von Funktional­ leistungen zum garantierten Maximalpreis (GMP) einzukaufen, ist grundsätzlich denkbar, jedoch liegt die Tücke im Detail. Gerade wenn es darum geht, die Wandlungsfähigkeit vieler Detaillösungen herauszu­ arbeiten, kann erst eine Feinplanung die maßgebli­ chen Strukturen und Schnittstellen aus Prozess- und Raumsicht definieren. Diese wird bei anspruchsvol­ len Projektzielen nur in seltenen Fällen durch eine rein funktionale Systembeschreibung hinreichend erfasst. Bei der Wahl eines Leasingmodells verzichtet der Auftraggeber auf den Einsatz eigener Investitions­ mittel, auch zugunsten steuerlicher Aspekte. Ein weitsichtiger Leasinggeber sollte großen Wert auf die Wandlungsfähigkeit einer Immobilie, also die Weiter­ vermietbarkeit des Objektes nach Ablauf oder Ausfall der Erstvermietung legen. Daher ist auch bei diesem Modell von einer rein funktional bedingten System­ beschreibung ohne eindeutige Definition sorgfältiger Detaillösung abzuraten. Für die langfristige Qualität, gerade im Hinblick auf strategische Wandlungsfähigkeit, sollten bei allen diskutierten Vergabemodellen die wesentlichen

16.5  Vertragsgestaltung

strukturbildenden Elemente einer Gebäudestruktur eindeutig und zweifelsfrei geplant und in bestmögli­ cher Qualität ausgeführt werden. Darüber hinaus ver­ langen gerade ästhetische Belange von Innenräumen, Fassade und Außenraum besonderes Fingerspitzen­ gefühl in Planung und Ausführung. Sorgfältige und weitsichtige Detaillösungen tragen wesentlich zum werthaltigen Eindruck einer Fabrikanlage, deren vi­ sueller Identität bei Nutzern und Besuchern sowie zu einer nachhaltigen Wandlungsfähigkeit bei.

16.5.4 Haftungsfragen Die Aufgaben des Projektmanagements umfassen Be­ ratungs-, Koordinations- und Kontrollleistungen. Die hieraus entstehende rechtliche Thematik ist äußerst vielschichtig und kann in diesem Buch nur gestreift werden. Maßgeblich für spätere Haftungsfragen ist insbesondere, ob für vertragliche Vereinbarungen zu Qualitäts-, Kosten- oder Terminzielen das Dienst- oder Werkvertragsrecht anzuwenden ist. Beim Werkver­ trag (§§ 631 ff. BGB) schuldet der Werkunternehmer dem Werkbesteller die Herstellung eines Werkes, das heißt die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges tatsächlicher Natur (z. B. eine Heizungsanlage oder eine Dachabdeckung). Der Werkbesteller schuldet als Gegenleistung dem Werkunternehmer den ver­ einbarten Werklohn. Demgegenüber vereinbart ein Dienstvertrag die Erbringung von Diensten durch die Vertragspartei (nach [Wik09]). Maßgeblich ist allerdings nicht der Titel des Vertrages, sondern sein Regelungsinhalt. Entscheidend ist, ob eine Dienst­ leistung als solche oder als Arbeitsergebnis deren Erfolg geschuldet wird. In der Regel schulden Planer, wie z. B. Architekten und Ingenieure, den umfassenden Projekterfolg nach Werkvertragsrecht. Externe Projektsteuerer erbringen demgegenüber als Stabsfunktion lediglich Beratungsleistungen gemäß Dienstvertragsrecht. Mit Blick auf aktuelle Urteile gilt der Projektsteue­ rungsvertrag aber zunehmend schwerpunktmäßig als erfolgsorientiert und wäre als solcher auch als Werkvertrag einzuordnen. Dies kann jedoch nicht pauschal gelten, vielmehr kommt es darauf an, wel­ che vertraglichen Leistungen beauftragt wurden.

Die Haftung der Ergebnisse der Projektsteuerung be­ schränkt sich auf die Mängelfreiheit und Abnahme­ fähigkeit der erstellten Dokumente, durchgeführte Kontrollen sowie vorgeschlagene Steuerungsmaß­ nahmen. Die weitergehende Haftung für Qualitäten, Kosten und Termine setzt die Übertragung von Ent­ scheidungs- und Durchsetzungskompetenzen durch den Auftraggeber voraus [Esc01]. Von Seiten der Kostenkontrolle eines Architekten gehören zu dessen Pflichten insbesondere die dem Stand der Planung entsprechende fehlerfreie Massen­ermittlung für die Gebäudegewerke. Wie bereits ausgeführt, sind Änderungen der Projekt­ größe und somit der Kosten häufige Ursachen von Kostenüberschreitungen. Gerade bei nachträglichen Wünschen des Auftraggebers gehören entsprechen­ de Warn- und Hinweispflichten zu den ursächlichen Aufgaben des Architekten. Weitere Aufklärungs­ pflichten können sich z. B. auf Ergebnisse von Bo­ denuntersuchungen und hierdurch aufwendigere Gründungen beziehen, unterbliebene Warn- und Hinweispflichten können dann später als Pflichtver­ letzung ausgelegt werden. Auch die Entscheidung des Auftraggebers für im Nachhinein gewünschte Verwendung höherwertiger Materialien kann zu einer Verteuerung des Bauvorhabens führen und zieht entsprechende Aufklärungspflichten des Ar­ chitekten nach sich. Der Hinweis auf steigende Kos­ ten sollte immer schriftlich dokumentiert und vom Auftraggeber gegengezeichnet werden. Bei der Frage, inwieweit die Planer für ihre Kostener­ mittlungen haftbar sind, hängt wesentlich davon ab, ob in Planungsverträgen gewährleistungsrechtliche Beschaffenheitsvereinbarungen als Kostenhöchst­ grenzen für die Baukosten festgelegt wurden. In diesen Fällen wäre der Verweis auf Toleranzbereiche von Kostenermittlungen nicht möglich. Vertragliche Vereinbarungen zu Baukostenobergrenzen sind vielleicht bei dem später noch behandelten Kosten­ beispiel Reihenhaus denkbar, nicht jedoch bei kom­ plexen Fabrikplanungsprojekten. Ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wegen Bausummenüberschreitung kommt nur nach vorheriger Fristsetzung zur Nachbesserung in Betracht. Dies bedeutet, dass der Auftraggeber den

16 509

16  Projektmanagement

Planern die Möglichkeit einräumen muss, durch eine „Umplanung“ oder erneute Planung die Kosten zu senken, so lange dies möglich ist. Bei der Forderung eines Schadensersatzes muss sich der Auftraggeber eine eventuelle Steigerung des Verkehrswertes sei­ nes Objektes, bedingt durch höherwertige Bauaus­ führung, anrechnen lassen. Weisen die Planer den Auftraggeber rechtzeitig auf eine Verteuerung des Bauvorhabens hin, so ist bei der Vergütung nach Sachlage der geltenden HOAI ohne Weiteres von den entsprechend verteuerten Baukosten auszugehen.

16.6  Projekthandbuch Zur zielgerichteten Strukturierung der Kommunika­ tion hat sich das bereits erwähnte Projekthandbuch bewährt. Darin werden z. B. Adressen, Datenformate, Layercodierungen für Zeichnungen, Planbezeich­ nungen etc. verbindlich festgelegt. Bild 16.10 zeigt

ein Beispiel für die mögliche Gliederung eines der­ artigen Projekthandbuchs. Sie folgt im Wesentlichen den in Bild 16.2 genannten Handlungsfeldern.

16.7  Kostenermittlung und -kontrolle Bei der Errichtung eines Bauwerkes wird es kaum einen Bauherrn geben, der sich dem Motto „koste es, was es wolle“ verschrieben hat. Vielmehr wird der Projektleiter des Auftraggebers bestrebt sein, schon aus persönlichem Ehrgeiz seiner Geschäftsführung für das zukünftige Projekt möglichst früh eine mög­ lichst niedrige Summe mitzuteilen. In der Praxis führt dieser Umstand vielfach zu „Schnellschüssen“, da unausgereifte Projektideen auf Grundlage imaginärer Zahlenansätze budgetiert werden, sei es als Gesamtsumme oder pauschaler Kostenansatz je Quadratmeter Nutzfläche. Sind die­ se Zahlen beim Top-Management (oft schon vor dem

11 Allgemeines Allgemeines

22 Organisation Organisation

3 Termine

4 Kosten

55 Qualität Qualit

1. Planungsgrundlagen Standort

1. Stammdaten / Beteiligte

1. Rahmenterminplan

1. Kostenrahmen, Toleranzbereich

1. Baustandards

2. Planungsgrundlagen Nutzer

2. Verträge

2. Meilensteinplan

2. Kostenschätzung

3. Organigramm

3. Detailterminplan

3. Kostenberechnung

4. Codierungen Layouts

4. Ausführungsterminplan

4. Kostenanschlag

3. Raumprogramme 4. Funktionsprogramme 5. Anforderungsprofile Projektrisiken

5. Zeichnungslisten 6. Strukturierung Graphik 2D/3D

5. Kostenfestlegung 6. Änderungsdokumentation 7. Honorarschätzung

7. Protokolle 8. Charts 9. Variantenbewertung 10. Reports und Präsentationen

16

11. Genehmigungen 12. Abnahmen Bild 16.10: Auszugsweise Gliederung eines Projekthandbuchs (J. Reichardt, RMA Architekten) © Reichardt 15.237_JR_B

510

2. Ästhetische Vorstellungen 3. Systeme, Fabrikate

16.7  Kostenermittlung und -kontrolle

Planungsstart) bekannt, wird es schwer bis unmög­ lich, diese auf Grundlage sich entwickelnder Anfor­ derungen und Baumassen zu verändern. Gleiches gilt für die Vertragsgestaltung mit den Fachplanern; auch hier sind stimmige Verträge erst auf Grundlage plausibilisierter Leistungsinhalte und Projektsum­ men möglich.

16.7.1 Voraussetzungen für Kostenermittlung Am fiktiven Beispiel der „Kosten“ eines Reihenhauses wird das Dilemma von Kostenaussagen schnell deut­ lich: Wie sind die vom Interessenten auf Nachfrage vom Anbieter genannten „Baukosten“ von € 250.000 zu verstehen? Umfassen sie bspw. auch Grundstück, Grünanlagen, Eigenleistungen, Saunaeinbau, Pla­ nungsaufwände, Gebühren für Vermessung und Baugenehmigung sowie Grunderwerbs- und Umsatz­ steuer? Betrachtet wurden damit aber nur die einmaligen Erstellungskosten. Ein zweiter, leider oft vernach­ lässigter Kostenblock beinhaltet die periodischen Nutzungskosten wie z. B. Grundsteuern, Müllabfuhr, Straßenreinigung, Gas, Wasser, Strom sowie die Wartung und Instandhaltung. Selbst dieser einfache Fall zeigt die Schwierigkeiten einer zuverlässigen Kostenermittlung. Die Gesamtkostenermittlung eines Fabrikprojektes ist demgegenüber deutlich komplexer, insbesondere weil bei einer Neuplanung oft kein Vergleich mit einem zumindest ähnlichen Gebäudetyp möglich ist. Das spezifische Zusammenspiel aus Standort, Prozessen, Organisation, Gebäude und Haustechnik und deren vielfältigen gegenseitige Anforderungen führen im Fabrikbau zu teilweise hochkomplexen Unikaten, die aus Sicht des Auftraggebers höchst wirtschaftlich zu errichten und zu betreiben sind. Da Kosten eine direkte Folge der verbauten Massen einerseits und Anforderungen der Ausführungsqua­ lität andererseits sind, können Kostenschätzungen verantwortungsbewusst erst nach Vorliegen entspre­ chender vollständiger, mit allen Projektbeteiligten abgestimmter Raumprogramme und Funktionspro­ gramme erfolgen.

Zu den Flächenangaben ist anzumerken, dass im Bauwesen als Referenzgröße für die Baukosten die Bruttogeschossfläche (BGF) gilt und nicht die nutz­ bare Nettofläche. Da sich Nutzerprogramme aber an Netto-Flächen orientieren, müssen diese auf Brutto-Flächen umgerechnet werden. Gleiches gilt für Anforderungen nach lichten Raumhöhen. Auch hier ist bei der Kubatur des Gebäudes der Brutto­ rauminhalt (BRI) maßgebend, welcher die Außenma­ ße einschließlich z. B. Unterkante Fundamente und Oberkante Dachaufbauten einbezieht. Zu den Funktionsprogrammen ist weiterhin anzu­ merken, dass erhebliche Kostenrisiken insbesonde­ re in den Systemen für die Haustechnik, im Brand­ schutz und den EDV-Netzen liegen, da sie durch die ungenügende Planungstiefe zu Projektbeginn stets unterschätzt werden. Das gilt auch für den oft zu gering bemessenen Raumbedarf insbesondere für Lüftungs- und Absauganlagen, die sich dann später als ästhetisch unbefriedigende Dachaufbauten be­ merkbar machen. Schließlich sollten noch die Unwägbarkeiten von Standorteigenschaften und Genehmigungsverfahren erwähnt werden. Ohne ein qualifiziertes Bodengut­ achten und belastbare Auskünfte der behördlich zulässigen Bebaubarkeit sowie besonderen Auflagen (z. B. Schallschutz) können Kosten nicht seriös abge­ schätzt werden. Besondere Nutzerbedarfsanforderungen sowie Raum- und Funktionsprogramme sind also vor Planungsbeginn abzustimmen und fortlaufend zu prüfen. Begleitende Qualitätsstandards können z. B. in einem Pflichtenheft oder Raumbuch zusätzlich festgelegt werden.

16.7.2 Kosten im Hochbau nach DIN 276 In DIN 276-1 (letzte Fassung Dezember 2008) sind die Kostenarten und Kostengruppen aufgegliedert. Bild 16.11 zeigt am Beispiel der Erstellungskosten in der ersten Spalte die Kostenarten. Für die Kos­ tenarten 300 und 400 sind die entsprechenden Kos­ tengruppen dargestellt, denen für zwei Beispiele die weitere Untergliederung in der zweiten und dritten Spalte folgt.

16 511

16  Projektmanagement

Bild 16.11: Kostengliederung nach DIN 276 (Auszug) © Reichardt 15.242_JR_B

16 512

Diese Gliederung ist auch maßgebend für die drei Genauigkeitsstufen einer Kostenermittlung. In der HOAI Leistungsphase 2 (Vorentwurfsplanung) erfolgt eine überschlägige Kostenschätzung der Er­ stellungskosten. Grundlage hierfür sind die zeich­ nerischen sowie mengenmäßigen Ergebnisse der Vorplanung. Dabei werden die Gesamtkosten nach Kostengruppen bis zur ersten Ebene der Kostenglie­ derung ermittelt. In HOAI, Leistungsphase 3 (Entwurfsplanung) er­ folgt eine Kostenberechnung als angenäherte Koste­ nermittlung auf Grundlage der zeichnerischen und mengenmäßigen Ergebnisse der Entwurfsplanung. Hier werden die Gesamtkosten nach Kostengruppen bis zur zweiten Ebene der Kostengliederung ermit­ telt. In HOAI, Leistungsphase 7 (Vergabe) erfolgt ein Kostenanschlag als Grundlage der Entscheidung über die Ausführung und die Vergabe der Bauleistungen. Basis hierfür sind die endgültigen Ausführungs­

zeichnungen, mengenmäßigen Ergebnisse sowie Berechnungen z. B. der Standsicherheit, des Wärme­ schutzes, der technischen Anlagen usw. Nach HOAI, Leistungsphase 8 (Objektüberwachung) erfolgt die Kostenfeststellung der tatsächlich ent­ standenen Kosten. Grundlage hierfür sind geprüfte Abrechnungsbelege, z. B. Schlussrechnungen, Pla­ nungsunterlagen, Abrechnungszeichnungen und Erläuterungen. Hier werden die Gesamtkosten nach Kostengruppen bis zur zweiten Ebene der Kosten­ gliederung dokumentiert. Der Begriff Kostenrahmen wurde zusätzlich einge­ führt, um bereits vor der Kostenschätzung im Rahmen der Grundlagenermittlung (HOAI 1) den wirtschaftli­ chen Rahmen eines Bauvorhabens abzustecken. Grundsätzlich wird der Toleranzbereich für Kosten­ abweichungen mit Fortschritt des Planungsstadiums immer geringer, denn mit Fortschreiten der Planung kann von den Planern auch eine höhere Genauigkeit verlangt werden.

16.7  Kostenermittlung und -kontrolle

16.7.3 Nutzungskosten im Hochbau nach DIN 18960 Planen mit sog. Baunutzungskosten bedeutet, die Gebäude vor allem unter dem Aspekt der Folgekosten zu betrachten. Eine wirtschaftliche Planung bedeutet nicht nur die Einhaltung einer Kostenobergrenze für die Projekterstellung, sondern Wirtschaftlichkeit über die gesamte Lebensdauer des Projektes. Ein nächster Schritt ist folgerichtig die Optimierung des Gebäudes durch die Entwicklung, Bewertung und Auswahl von Varianten sowohl in der Erstellungs- als auch Nutzungsphase. Fragen hierzu beziehen sich beispielsweise auf Raum- und Funktionsprogramm, Gebäudegeometrie oder Materialwahl. Betrachtungen dieser Art können dazu führen, dass ein einmaliger Mehraufwand bei der Erstellung durch Einsparungen auf längere Sicht mehr als kompensiert wird [Kal02]. Ein typisches Beispiel hierfür ist eine Vergleichs­ rechnung des Mehraufwandes höher gedämmter Gebäudehüllen gegenüber der Energieeinsparung

im Laufe der Nutzungszeit. Zusätzlich würde sich bei der besseren Dämmung die Nachhaltigkeit durch Einsparungen bei der CO2-Emission verbessern. Ähnliches gilt für Spann- und Stützenweiten eines Gebäudes. Große Spannweiten erhöhen die Wand­ lungsfähigkeit, aber auch die Kosten. Mit Bild 11.9 und Bild 11.10 wurde dieser Sachverhalt für Holzbzw. Stahlbauten diskutiert. In DIN 18960 (letzte Fassung Februar 2008) sind die Nutzungskosten definiert als „alle in baulichen An­ lagen und deren Grundstücken entstehenden regel­ mäßig oder unregelmäßig wiederkehrenden Kosten von Beginn ihrer Nutzung bis zu ihrer Beseitigung“. Entsprechend der im Planungsverlauf zunehmenden Genauigkeit werden analog zur DIN 276 Nutzungskos­ tenschätzung, Nutzungskostenberechnung, Nutzungs­ kostenanschlag und Nutzungskostenfeststellung un­ terschieden. Die Nutzungskostengruppen beinhalten Kapitalkosten, Verwaltungskosten, Betriebskosten und Instandsetzungen. Eine Übersicht der Kostenarten nach DIN 18960 zeigt Bild 16.12.

16 Bild 16.12: Baunutzungskosten 1. und 2. Ebene nach DIN 18960 © Reichardt 15.243_JR_B

513

16  Projektmanagement

Durch sorgfältige Planung können insbesondere die Betriebskosten für Komponenten der Haustechnik sowie Bauteile des Gebäudes reduziert werden. Bei­ spielsweise bedeutet der Verzicht auf Klimatisierung nicht nur eine Vermeidung der Geräteinvestition, sondern auch Einsparungen für Energie- und War­ tungskosten. Diese betragen in der Nutzungszeit des Gebäudes ein Vielfaches der Erstinvestition. Fußböden und Dächer sind weitere Beispiele für neu­ ralgische Bauteile des Gebäudes. Häufiger Ersatz und teure Reinigungskosten von textilen Bodenbelägen sowie kostspielige Dachsanierungen sind die Folgen vordergründig billig eingekaufter Material- und De­ taillösungen.

16.7.4 Kostenmanagement

16 514

In der Phase der Grundlagenermittlung müssen die finanziellen Rahmenbedingungen geklärt werden. Wie bereits mehrfach betont, ist hierfür ein sorgfäl­ tig strukturiertes Raum- und Funktionsprogramm unbedingte Voraussetzung. Es empfiehlt sich auch, Aspekte wie Qualität, Komfort oder Behaglichkeit einzubeziehen. Auftraggeber und Nutzer werden sich in dieser frühen Phase mit bewusst „unschar­ fen“ Angaben nicht festlegen wollen, von den Planern wird jedoch vielfach ein fundiert ermittelter Kosten­ rahmen erwartet. Die sorgfältige Dokumentation der Grundlagen zum Planungsbeginn und der späteren Planungsänderungen ist deshalb auch im Hinblick auf die eventuelle Verantwortung für Kostenüber­ schreitungen durch Vergleich unterschiedlicher Raum- und Funktionsprogramme in verschiedenen Planungsphasen unerlässlich. In der Phase der Vorplanung kommen durch die in der Regel erst dann abgefragten und artikulierten Anfor­ derungen der Nutzer vielfältige „Wunschkonzerte“ zu Gehör, beispielsweise für eine vorher nicht erwähnte Klimatisierung von Fertigungsbereichen oder Bespre­ chungsräumen. Naturgemäß wird der Auftraggeber die resultierenden Kostensteigerungen in der Kos­ tenschätzung im Vergleich zum Kostenrahmen in die Verantwortung der Planenden legen wollen. Ebenso treten in der Phase der Entwurfsplanung im Vergleich zur Vorplanung bedingt durch die höhere

Planungstiefe, aber auch durch weitere Wünsche der Nutzer an z. B. zusätzliche Räume für Konferenz, EDV oder Kopierer, Massenmehrungen auf, die wie­ derum gern den Planenden zur Last gelegt werden. Die Kostenberechnung, welche die Entwurfsplanung abschließt, sollte diese Planungsänderungen im Ver­ gleich zur vorangegangenen Kostenschätzung trans­ parent dokumentieren. In der folgenden Phase der Genehmigungsplanung können bedingt durch behördlich geforderte Aufla­ gen weitere, vorher nicht absehbare Planungsän­ derungen und Planungsergänzungen erforderlich werden. Föderales deutsches Länderrecht oder unterschiedliche Bestimmungen auf europäischer Ebene wirken sich z. B. gravierend auf Nachweise von Fluchtwegen, Brandschutz und Schallschutz aus. Eine Übersicht der Bestimmungen von Behörden und Trägern öffentlicher Belange findet sich bei [Rös94]. Im besten Fall sind diese Aspekte bereits durch vor­ herige Behördenabstimmungen in die Entwurfspla­ nung eingearbeitet worden. In der Phase der Ausführungsplanung gilt es, die bisherigen Planungsansätze in die Werk- und Detail­ planung zu überführen und mit der Marktsituation ausführender Firmen abzustimmen. Deuten sich Lieferengpässe oder konjunkturbedingte besonde­ re Preiserhöhungen bei bestimmten Werkstoffen an (z. B. für Dämmstoffe, Stahlpreise oder Beton), können alternative Detaillösungen ausgearbeitet und ausgeschrieben werden. Die Durchsprache der Planung mit Fachfirmen der späteren Ausführung und deren Richtangebote vor der eigentlichen Aus­ schreibung erzeugt zusätzliche Detail- und Kosten­ sicherheit. In der Phase der Angebotsprüfungen sind die vor­ gelegten Angebote substanziell und leistungsäqui­ valent in einem Kostenanschlag zu vergleichen. Al­ ternativangebote müssen, auch in ihrer Auswirkung auf Folgegewerke, ganzheitlich geprüft und bewertet werden. Wie erwähnt, können „billige“ Alternativlö­ sungen sehr teuer sein, wenn die Nutzungskosten einbezogen werden. Das letztendliche Vergabeprotokoll muss außer den Bauumfang ausweisenden Bauplänen und Leistungs­ texten auch zweifelsfreie Aussagen zu Werkstoffen

16.7  Kostenermittlung und -kontrolle

Bild 16.13: Aufgaben des Kostenmanagements © Reichardt 15.244_JR_B

und Fabrikaten umfassen. Die von Seiten der Aus­ führenden häufig vorgeschlagene Freistellung von definierten Produkten führen in aller Regel zum Einbau minderwertiger Komponenten mit erhöhten Nutzungskosten. Schließlich fassen in der Projektrealisierung z. B. 14-tägig erstellte Kostenjournale als fortlaufende Überwachung und Kostenkontrolle den Stand der Arbeiten durch Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Kosten zusammen. Die abschließende Kostenfest­ stellung dient dann dem Nachweis der tatsächlich entstandenen Kosten. Alle Stufen des Kostenmanagements sollten auf Grundlage der Kostengruppen und Kostenstellen nach DIN 276 bzw. 18960 die Kostenbasis der jeweils vorhergehenden Planungsphase fortschreiben. Bild 16.13 zeigt zusammenfassend eine Übersicht über die Aufgaben des Kostenmanagements in den jewei­ ligen HOAI-Leistungsphasen.

In der Fachliteratur ist die zulässige Toleranzbreite von Kostenermittlungen strittig, gerade im Hinblick auf eventuelle Schadensersatzansprüche wegen feh­ lerhafter Kostenermittlungen. Auf die Mitwirkung von Auftraggebern und Nutzern bei Veränderungen der Raum- und Funktionsprogramme und deren Anteil bei Kostensteigerungen wurde bereits eingehend hingewie­ sen. Hinzu treten von den Planenden nicht zu verantwor­ tende Faktoren wie z. B. generelle Baupreiserhöhungen, besondere Liefersituation durch Marktengpässe etc. Diese Einflüsse sind natürlich bei der Aufgliederung der Gründe für Kostensteigerungen zu berücksichtigen. Als Faustformel kann in Anlehnung an [Fes05] je nach Lage des Einzelfalls von folgenden zulässigen Toleranzwerten ausgegangen werden:

•  •  • 

 ostenschätzung: Überschreitung 15–33  %, K Kostenberechnung: Überschreitung 10–25  %, Kostenanschlag: Überschreitung 5–15  %.

16 515

16  Projektmanagement

Zu diesen Abweichungen ist zu bemerken, dass sie budgetrelevant sind und damit ein Ausschlusskrite­ rium für den Planer darstellen können. Der Einfluss der Investitionen für Gebäude auf die Herstellkosten ist andererseits wegen der Abschreibungsdauer von etwa 30 Jahren bei den meisten Vorhaben relativ gering. Ein Beispiel soll die Aussage verdeutlichen. Nimmt man einmal Kosten von 10 € pro m2 und Monat für eine Produktionshalle an, bedeutet das bei 8 Std./ Tag und 25 Arbeitstagen 0,05 € pro Stunde „Miete“. Bei 15 m2 Flächenbedarf für eine Werkzeugmaschine ergeben sich 0,75 €/Std. Übliche Stundensätze für mittelgroße Werkzeugmaschinen liegen bei 50 bis 80 €/Std., sodass der Mietkostenanteil 0,9 bis 1,5  % beträgt. Natürlich bestehen auch Arbeitsplätze mit niedrigeren Stundensätzen, besonders in der Mon­ tage. Aber auch dort bleibt der Gebäudekostenanteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Damit sind die genannten Abweichungen bei den Gebäudekos­

Strategiephase

Technologiephase

ten eigentlich vernachlässigbar, spielen aber für die Liquiditätsplanung eine erhebliche Rolle. Es gehört daher zu einem guten Kostenmanagement, nicht nur Abweichungen festzustellen und Wünsche abzuweh­ ren, sondern proaktiv das Wechselspiel zwischen allen Positionen der Wirtschaftlichkeit zu steuern. Ein im Rahmen der Kapazitätsplanung bereits er­ wähnter Kostenfaktor ist der Aufwand für die unter­ nehmensinterne Planung. Er kann durch moderne Arbeitsmethoden sowie digitale Werkzeuge deutlich verringert werden und verbessert darüber hinaus die Planungsqualität und Kommunikation aller Beteilig­ ten. Auch zu diesem Thema besteht eine umfangrei­ che Literatur, die hier nicht umfassend abgehandelt werden kann. Jedoch sollen zwei wichtige Trends auf­ gezeigt werden, die auf eine datentechnische Integra­ tion und Dokumentation der Teilplanungen abzielen. Abschnitt 16.8 skizziert die Digitale Fabrik für die Produktionsplanung und Abschnitt 16.9 das Building Information Modeling für die Objektplanung.

Produkt phase

Anlauf phase

Produktmodellierung

Planungswerkzeuge

Simulation Produktdaten Prozessdaten Planungsdaten

Modellierungswerkzeuge

Produktionskonzepte

Technologie phase

16

Dokumentation

Produktionsverfahren Anlagenbau

Bild 16.14: Konzept der Digitalen Fabrik (Kühn)

516

Anlaufphase

Prozess- und Fabrikmodellierung

© IFA 15463

Visualisierung

Produktion

16.8  Digitale Fabrik

16.8  Digitale Fabrik 16.8.1 Konzept Im Bereich der Fabrikplanung sind seit den 1980er Jahren Bemühungen erkennbar, eine geplante Produk­ tionsanlage weitgehend vollständig digital zu modellie­ ren, um ihr Verhalten möglichst realitätsnah vorherzu­ sagen. Für diesen Ansatz, der als Weiterentwicklung von CIM (Computer Integrated Manufacturing) gelten kann, hat sich der Begriff Digitale Fabrik etabliert. Die VDI-Richtlinie VDI 4449 definiert ihn wie folgt: Die Digitale Fabrik ist der Oberbegriff für ein umfassendes Netzwerk von digitalen Modellen, Methoden und Werkzeugen,– u. a. der Simulation und der dreidimensionalen Visualisierung –, die durch ein durchgängiges Datenmanagement integriert werden. Ihr Ziel ist die ganzheitliche Planung, Evaluierung und laufende Verbesserung aller wesentlichen Strukturen, Prozesse und Ressourcen der realen Fabrik in Verbindung mit dem Produkt.

Bild 16.14 verdeutlicht das zugrunde liegende Konzept [Küh06]. Angestrebt wird die durchgängige digitale Bearbeitung der Produktentwicklung einerseits und der Prozess- und Fabrikplanung andererseits in ihren jeweiligen Lebensphasen. Die Basis dieses Ansatzes bilden die Produkt-, Prozess- und Planungsdaten, die mit Modellierungs- und Planungswerkzeugen zu Pro­ duktionskonzepten führen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Simulation, welche die Vorgänge auf den ver­ schiedenen Ebenen der Fabrik im Zeitablauf nachbildet. Die Planungsergebnisse können mit verschiedenen Techniken visualisiert und dokumentiert werden. Aus Sicht der Fabrikplanung sollen im Wesentlichen die Pla­ nungsqualität verbessert, die Produkteinführung ver­ kürzt und die Kommunikation transparenter werden. Von zentraler Bedeutung sind die zugrunde liegenden statischen und dynamischen Modelle der beplanten Objekte, die Bild 16.15 im Überblick zeigt [Küh06]. Basis der Produktbeschreibung sind Stücklisten und

Digitale Modelle

Statische Modelle

Struktur- und prozessorientierte Modelle

Dynamische Modelle

Geometrieorientiert

Simulationsmodelle

Stücklisten

2D-Modelle

Discret-Event-Modelle

Arbeitspläne

3D-Modelle

Kinematische Modelle

Ressourcen Prozesspläne

FEM-Modelle

16

Bild 16.15: Modellklassen der Digitalen Fabrik (Kühn) © IFA 15464

517

16  Projektmanagement

3D-Repräsentationen der Teile und Baugruppen. Die Produktionsprozesse sind in Arbeitsplänen be­ schrieben, die ihrerseits auf die dabei eingesetzten Betriebsmittel verweisen, die ausführlich in Abschn. 6.3 erläutert wurden. Nicht nur die Produkte, sondern auch die Betriebs­ einrichtungen lassen sich durch 2D- und 3D-Modelle beschreiben. In der Konzeptphase der Produktions­ planung wird überwiegend in 2D-Darstellungen ge­ arbeitet, die im Laufe der weiteren Konkretisierung in 3D-Modelle überführt werden, um sie mit dem Gebäudemodell verknüpfen zu können. Statische Modelle repräsentieren nur einen bestimm­ ten Zustand, z. B. stellt eine Materialflussmatrix den Mittelwert einer Beobachtung oder Berechnung dar. Ist dieser zeit- und raumabhängig veränderlich, sind dynamische Modelle erforderlich. Discrete-EventModelle bilden miteinander verknüpfte Einzeler­ eignisse im Zeitverlauf ab, z. B. die Bewegung von Transporteinrichtungen in einer Fabrik. Mit kine­ matischen Modellen lassen sich Bewegungen von Körpern studieren, beispielsweise die Werkstückund Werkzeugbewegungen im Arbeitsraum einer Werkzeugmaschine. FEM-Modelle (Finite Element Model) zerlegen einen Körper in Elemente, die durch bestimmte Beziehungen z. B. Kräfte, Dehnungen, Temperaturen usw. miteinander verknüpft sind. Da­ durch lassen sich beispielsweise Umformvorgänge oder Aufheizvorgänge eines Werkstücks nachbilden.

16 518

Das Zusammenspiel dieser Modelle im Rahmen der Fab­ rikplanung deutet Bild 16.16 an [Küh06]. Beginnend mit der statischen Planung der Ressourcen und Kapazitäten, wie sie in Abschn. 15.4 Konzeptplanung beschrieben wurde, geht es in der dynamischen Auslegungsplanung z. B. um die Puffer- und Lagerdimensionierung unter unterschiedlichen Lastannahmen des Produktionspro­ gramms. Die Ebene der operativen Planung will auf Ba­ sis dynamischer Modelle den Produktionsbetrieb und dessen Steuerung im Sinne von Qualitäts- und Logis­ tikzielen optimieren, beispielsweise zur Verbesserung der Termintreue oder der Ausbringung. Mit der 3D-Ani­ mation können schließlich zeit- und raumveränderlich Vorgänge unmittelbar sichtbar gemacht und mit Hilfe der Technologie der Virtuellen Realität sogar interaktiv

3D-Animation Anschauliche Visualisierung

Dynamische Modell-Operative Planung Optimierung der Prozesse und Steuerung

Dynamische Modell-Auslegungsplanung Optimierung der Auslegungsplanung

Statische Planung Berechnung von Material-, Ressourcenbedarf, Kapazitäten

Bild 16.16: Modellvernetzung in der Digitalen Fabrik (Kühn) © IFA 15465

beeinflusst werden. Der Ansatz der Digitalen Fabrik unterstützt nicht nur eine einmalige Planung, sondern auch das Konzept der wandlungsfähigen Fabrik, die je nach Veränderungsimpuls auf unterschiedlichen Fabri­ kebenen durch eine mehr oder weniger umfangreiche Umstellung reagieren muss. Pioniere der Digitalen Fabrik sind die Automobil- und Flugzeugindustrie, während sich die übrigen Bran­ chen wegen der mittelständischen Betriebsstruk­ turen und der doch erheblichen Vorarbeiten und Investitionen erst allmählich in diese Richtung hin entwickeln. Eine weitere Barriere stellt die mangeln­ de Interoperabilität der eingesetzten Modelle dar, welche den Austausch der Daten über die verschie­ denen Ebenen hinweg erschwert. Der Lösungsansatz besteht in Datenmanagementsys­ temen, auf die die verschiedenen Anwender zugrei­ fen, wie es Bild 16.17 andeutet. Man erkennt auf der Datenmanagementebene die wesentlichen Objekte Produkt, Ressource, Prozess und Projekt, die nach verschiedenen Aspekten beschrieben sind. Auf diese Daten greifen die angedeuteten Funktionsmodule zu, z. B. zur Erstellung eines Balkenplans, der 3D-Model­ lierung einer Betriebseinrichtung oder der Simulati­ on eines Materialflusses. Die Bedienungsebene ist die Arbeitsoberfläche des Nutzers, auf der er je nach Aufgabenstellung die Werkzeuge der Funktionsebe­

16.8  Digitale Fabrik

Bedienungsebene

Dokumentenverwaltung (u.a. für Varianten, Änderungen)

Simulation (kontinuierlich, ereignisorientiert)

2D/3DVisualisierung Modellierung (u.a. Virtual Reality)

2D/3DGeometrie Modellierung (CAD/CAE)

Abbildung von Strukturen und Zusammenhängen (z.B. PERT, GANTT)

Funktionsebene

… weitere

Datenmanagementebene Struktur

Geometrie

Dokument

Eigenschaften

Produkt Ressource Prozess Projekt

Bild 16.17: Grundstruktur einer möglichen Softwarearchitektur der Digitalen Fabrik (VDI 4499) © IFA 15466

ne aufruft. Die Aufgaben selbst orientieren sich wie­ derum am Prozessmodell der Fabrikplanung. Zu beachten ist beim Ansatz der Digitalen Fabrik, dass diese ausschließlich die Gestaltung und den Betrieb der Produktionseinrichtungen betrachtet. Eine Interaktion mit dem umgebenden Gebäude ist (bisher) nicht vorgesehen.

16.8.2 Digitale Werkzeuge Unabhängig vom umfassenden Ansatz der Digita­ len Fabrik werden in der Praxis mit Erfolg bereits zahlreiche digitale Werkzeuge eingesetzt, die in den

Standardaufgaben • • • • •

Tabellenkalkulation Textverarbeitung Datenbanknutzung Präsentationen Aufgaben- und Zeitmanagement

einzelnen Planungsphasen eine wertvolle Unterstüt­ zung bieten. Bild 16.18 nennt einige wichtige Werk­ zeugklassen mit Beispielen. Standardaufgaben wie Textverarbeitung, Tabel­ lenkalkulation, Datenhaltung und -verwaltung, Ergebnispräsentationen und das Management von Aufgaben und Personen werden mit Standardpro­ grammen wie z. B. der Microsoft-Office-Familie be­ arbeitet. In der Kommunikation spielt das Internet mit entsprechenden Diensten zur Übermittlung von Texten, Graphiken, Tondokumenten usw. mitt­ lerweile eine überragende Rolle. Auch Telefon- und

Kommunikation • • • •

Internetdienste Telefonkonferenzen Videokonferenzen Projektlaufwerke

Simulationen • • • •

Struktursimulation Produktsimulation Verfahrenssimulation Ablaufsimulation

Visualisierung • • • •

2D / 3D CAD Virtual Reality Augmented Reality Augmented Virtuality

16

Bild 16.18: Funktionen rechnergestützter Planungswerkzeuge © IFA G9352_Wu_B

519

16  Projektmanagement

Videokonferenzen und die gemeinsame Arbeit an Dokumenten an verschiedenen Orten sind Stand der Technik. Für Fabrikplanungsprojekte richtet man hierzu ein Projektlaufwerk beim Bauherrn oder Ge­ neralplaner ein, auf dem das Projekthandbuch nach Bild 16.10 hinterlegt ist. Sind die Projektbeteiligten in mehreren Zeitzonen lokalisiert, kann ein Follow-theSun-Ansatz implementiert werden. Hierbei wird ein Arbeitsergebnis am Ende des Tages an einen Partner in der um 8 Stunden versetzten Zeitzone übermittelt. Dieser arbeitet ohne Unterbrechung daran weiter, sodass das Ergebnis am nächsten Morgen beim Auf­ traggeber vorliegt. Wie bereits erwähnt, spielt die Simulation im Konzept der Digitalen Fabrik eine zentrale Rolle, wird aber auch ohne eine solche Umgebung ange­ wandt. Bild 16.19 zeigt die wesentlichen Anwendungsbe­ reiche der Simulation in der Produktionsplanung, die von der Prozessebene über die Maschinen- und Bereichsebene bis zur Fabrikebene reichen. Auch für die Gebäudeplanung stehen mittlerweile mächtige Simulationsprogramme zur Berechnung von Luftbe­ wegungen, Temperaturverteilungen, Lichtverhältnis­ sen (s. Bild 10.10) usw. zur Verfügung.

Prozesse

• Prozessparameter • Werkzeugbeanspruchung • Taktzeit • NC-Programmierung

16

Kinematik

• BewegungsProgrammierung • Kollisionskontrolle • Taktzeitoptimierung

Links im Bild dargestellt sind sog. Caves (engl. Höhle), die den Besucher in einen virtuellen Raum führen. Dazu werden auf die transparenten Wände von außen Modellsichten so projiziert, dass bei An­ wendung einer speziellen Brille der Eindruck eines im Raum schwebenden Objektes entsteht. Das Objekt kann mit bestimmten Techniken in seiner Lage und Dimension im Raum verändert werden. Anwendun­ gen finden sich hauptsächlich in der Produktent­ wicklung der Automobil- und Flugzeugindustrie, um z. B. das Design oder die Sichtverhältnisse eines Passagiers zu beurteilen. Einfachere Lösungen sind Großbildprojektionen, die ebenfalls ein räumliches Objektbild erzeugen, das aber gewissermaßen nur von außen betrachtet werden kann.

Ergonomie

• Arbeitsplatzlayout • Montageabläufe • physische Beanspruchung • MTM-Zeiten

Logistik

• Anlagenkonfiguration • Materialfluss • Steuerstrategien • Entstörstrategien • Systemleistung

Größe des Betrachtungsbereiches Detaillierungsgrad

Bild 16.19: Exemplarische Simulationsanwendungen in der Produktion © IFA 12.360NP_B

520

Die Visualisierung von Planungsergebnissen kann mit verschiedenen Techniken erfolgen. Als klas­ sisch können 2D- und 3D-Darstellungen gelten, die mit fachspezifischen Programmen der CAD-Welt erzeugt werden. Objekte können so frei im Raum bewegt und von allen Seiten betrachtet werden. Die nächste Stufe der Realitätsnähe wird mit der bereits erwähnten Technik der Virtuellen Realität erreicht, Bild 16.20.

16.8  Digitale Fabrik

Großbildprojektion

6-Seiten-Cave

[Fraunhofer IAO]

Planungstisch

[Bracht]

[ETH Zürich]

• Projektion einer benutzerdefinierten 3D-Ansicht • 2D-Projektion Grundriss • interaktive Platzierung von Objekten [3Dims GmbH]

• Projektoren, Rechner und Bilderkennungssoftware

Bild 16.20: Visualisierung – Planen in der virtuellen Realität © IFA 11.727_Wu_B

Der ebenfalls in Bild 16.20 gezeigte Planungstisch wurde ursprünglich an der ETH Zürich erfunden und vom IPA Stuttgart und in etwas anderer Form an der TU Chemnitz weiterentwickelt. Hier wird auf eine Tisch­ platte oder einen Großbildschirm ein 2D-Layout mit manipulierbaren Objekten projiziert, z. B. Maschinen, Regale, Transportmittel usw. Diese können von den Teilnehmern einer Planungssitzung nach bestimmten Kriterien wie z. B. Segmentbildung, angeordnet werden. Das hinterlegte Programm berechnet daraus Kennzah­ len wie z. B. die Flächenausnutzung oder Materialfluss­ intensität. Zur räumlichen Visualisierung erscheint zusätzlich ein 3D-Layout auf der Projektionsfläche.

16.8.3 Simulationsbeispiel

zeptstudie für einen modell- und variantenflexiblen Karosseriebau erläutert werden [Mei07]. Ausgangspunkt waren drei PKW-Karosseriemodelle, die auf einer Produktionsanlage in beliebiger Reihen­ folge gefertigt werden sollen. Bild 16.21 zeigt die we­ sentlichen Schritte der Untersuchung im Überblick. In einer Vorstudie wurden zunächst vier Strukturkon­ zeptvarianten für die Karosseriefertigung entwickelt. Dann wurden vier Szenarien mit einem unterschied­ lichen Modellmix formuliert, die jeweils die vier Lebenszyklusphasen Anlauf, Volllast, Teillast und Auslauf einer Fahrzeuggeneration durchwandern. Daraus ergeben sich insgesamt 16 Simulationsläufe, die eine Aussage über das Ausbringungsverhalten der 16 Konstellationen ermöglichen sollen.

Aus Sicht der Produktionsplanung stellt das dynami­ sche Verhalten von Konzeptvarianten in der Fertigung und Montage insbesondere bei komplexen Anlagen das wichtigste Anwendungsgebiet der zeitdiskreten Simulation dar. Als exemplarisches Beispiel sollen daher Vorgehensweise und Ergebnisse einer Kon­

Bild 16.22 zeigt das maßstäbliche Layout der Struk­ turvariante 1 mit den Ein- und Ausschleuspunkten für die 3 Modelle A bis C, den Schweißrobotern und Ausschweißstationen sowie die verbindende Förder­ technik. Weiter sind die Leistungsdaten für das hier untersuchte Szenario 4 angegeben.

16 521

16  Projektmanagement

"! $""

$""

$""

!"!"$! % #'

$  

#"( #"( #"( #"(

% #' $"""&' $"""&' $"""&' $"""&'

% #'

% #'  ""&'  ""&'  ""&'  ""&'

(&"( (&"( (&"( (&"(

   !" $ *$('

 &'(#

# !

)%'(#

Bild 16.21: Simulation von Strukturvarianten für einen Karosseriebau (Meichsner) © IFA 13983

In Bild 16.23 ist das mit Hilfe eines Simulationspro­ gramms modellierte Layout erkennbar. Als Zielleis­ tung wurden 166 Einheiten pro Tag bei Zweischicht­ betrieb vorgegeben. Nicht sichtbar sind das für jedes Strukturkonzept hinterlegte Steuerungsprinzip zur Abarbeitung des Produktionsprogramms, die Leis­ tungsdaten des Fördersystems sowie die aus der Praxis stammenden Verfügbarkeitswerte der ein­ zelnen Aggregate. Die Mittelwerte der wesentlichen

&*('& '%% &*('& '%%

Kennzahlen des Simulationslaufs sind ebenfalls in das Bild eingetragen. Die verlangte Leistung wurde etwas überschritten. Die Auslastung der Roboter er­ reicht hier aber nur rund 67 %. Zusätzlich interessiert aber auch das dynamische Verhalten des Systems. In Bild 16.24 wird dies für den Beispielfall aus Bild 16.23 sichtbar. Die Einzelwerte der Ausbringung lassen eine gewis­

   #&"#*&'%%  #&"#*&'%%  #&"#*&'%% "#"*&, *

16 &*('& '%%

#&"#* '%% +&

#&"#* '%%

Bild 16.22: Layout Struktur­ variante 1, Szenario 4 © IFA 13984

522

16.8  Digitale Fabrik

 $)*$)4.0%&--4% -"/349$,8")-  /%*6*%5&--&&2'9(#"2,&*437&24& +&((2&("4





 53#2*/(5/(  ! *44-&2&2&34"/%  *44-&2&52$)-"5'8&*4 .*/ *44&-7&240#04&2"53-"345/(  */)&*4&/1202#&*434"(







Bild 16.23: Simulationsmodell Strukturvariante 1, Szenario 4 (Meichsner) © IFA 13985

Leistung [EH/Tag]

200 Gesamtleistung im Mittel 172 EH/AT 160

120

8 0

Einzelwerte Gleitender Mittelwert Modell A (~60%)

4 0

Modell B (~30%) Modell C (~10%)

0 OO:08:14

Bild 16.24: Simulationsergebnisse © Institut für Fabrikanlagen und Logistik

1:02:03

1:19:25

2:12:47

3:06:09

3:23:31 Zeit [Std : min : sec]

16

Szenario 4 (Meichsner) 14.234SW

© IFA 13986

523

16  Projektmanagement

se Schwankungsbreite erkennen. Durch die hier nicht vertiefte Variation der Parameter des Steu­ erungsverfahrens lässt sich dieser Effekt vermin­ dern.

16 524

Im Beispielfall zeigte sich ein leichter Vorsprung des Strukturkonzeptes 1 vor den übrigen Konzep­ ten. Ist der Vorsprung nicht sehr groß, werden meist die zwei besten Konzepte in die Ausplanung überführt, um genauere Aussagen anhand weite­ rer Kriterien wie z. B. Wartungsfreundlichkeit, Bereitstellkonzept der Einzelteile usw. treffen zu können. Insgesamt wird aus dem Beispiel der Aufwand und Nutzen der Simulation deutlich. Die Modellierung der Strukturvarianten ist dann relativ schnell möglich, wenn die Leistungs- und Verfügbarkeits­ daten der Einzelkomponenten bekannt sind. Die Programmierung des Steuerungsverfahrens ist schon deutlich aufwändiger und verlangt intensive Diskussionen. Als Nutzen der Simulation kann für den Beispiel­ fall die Erkenntnis der prinzipiellen Machbarkeit der Konzepte und ihrer relativen Vorteilhaftigkeit genannt werden. Des Weiteren zeigten die für das Management entwickelten Planungsszenarien, dass eine optimale Produktionsausbringung selbst bei veränderten Kundenwünschen oder starken Absatzschwankungen möglich ist. Eine Zielsetzung der Simulation war es auch, die Erfüllung der Pro­ duktionsanforderungen bei deutlich abgesenkten Investitionen zu überprüfen. Dabei konnte nachge­ wiesen werden, dass eine modulare Anlagenerwei­ terung nach dem von Meichsner vorgeschlagenen Migrationsprinzip [Mei07] zu einer erheblichen Senkung des Investitionsvolumens und zu einer deutlichen Steigerung der Wirtschaftlichkeit führt und damit dem in Bild 3.3 diskutierten Ansatz eines mengenflexiblen Produktionskonzeptes ent­ spricht. Die Durchführung derartiger Simulationen verlangt viel Erfahrung und wird bei Fehlen einer entspre­ chenden hauseigenen Expertise in der Regel spezia­ lisierten Beratungs­unternehmen oder Hochschulins­ tituten übertragen.

16.9  Building Information Modeling 16.9.1 Einführung Im Bauwesen sind Ansätze, die der Digitalen Fabrik entsprechen, noch relativ jung. Das Ziel besteht hier darin, die im Kapitel 15 ausführlich dargelegten Teil­ planungen der Bauobjekte und deren Ergebnisse im Projektverlauf in einem digitalen Modell integriert abzubilden. Hierfür hat sich der Begriff Building Information Modeling (BIM) (etwa: GebäudedatenModellierung) etabliert. Die technische Grundlage hierfür bildet die normierte 3D-CAD-Schnittstelle IFC (Industry Foundation Classes), ein offener Standard zur digitalen Beschreibung von Gebäudemodellen. IFC wird von zahlreichen Softwareherstellern unter­ stützt, die sich im Rahmen einer Industrieallianz für Interoperabilität zusammengeschlossen haben. Während des Konstruktionsprozesses eines Gebäudes entsteht mit Hilfe eines Softwaresystems ein präzises, dreidimensionales Gebäudemodell. Neben der Geomet­ rie werden alle für die Erstellung und Fertigung, Analy­ se und Optimierung sowie die für den späteren Betrieb relevanten Daten in einer zentralen Datenbank mitein­ ander vernetzt und an zentraler Stelle dem Projektteam zur Verfügung gestellt [Eas01], [Smi09]. Alle am Bau Beteiligten – von den Nutzern, den Architekten über die Fachplaner für Statik und Gebäudetechnik sowie Pro­ zess- und Logistikplaner bis hin zu den Ausführenden – greifen in sämtlichen Planungs- und Lebenszykluspha­ sen auf das zentrale Gebäudedatenmodell zurück und können so die für sie relevanten Informationen nutzen. Änderungen während der Planungsphase werden auto­ matisch in alle betroffenen Bereiche übernommen und sämtliche „klassischen“ Planungsdokumente wie z. B. Grundrisse, Schnitte, Ansichten, 3D-Isometrien und Bauteillisten zeitnah aktualisiert. Anhand eines Beispiels sollen die Möglichkeiten und die Interaktion der verschiedenen Fachplaner mit Hilfe des BIM-Ansatzes näher erläutert werden: Der Architekt entwickelt in Abstimmung mit dem Fabrik- und Logistikplaner aus der Layoutplanung ein räumliches Konzept für ein neu zu erstellendes

16.9  Building Information Modeling

Gebäude. Er übergibt nach Fertigstellung seine Rohbauplanung an den Tragwerksplaner, der daraus sein statisches Analysemodell ableitet. Im weiteren Projektverlauf kann der Statiker das Modell detail­ lieren und es für die Dimensionierung der Bauteile in ein Berechnungsprogramm überführen. Etwaige Änderungsvorschläge spielt er bei Bedarf fehlerfrei an den Architekten zurück. Der Haustechnik-Ingenieur kann das vom Architek­ ten erstellte dreidimensionale Gebäudemodell für die Planung von Technikzentralen und Leitungstrassen nutzen. Der Architekt führt aufgrund des Teilmodells des Gebäudetechnikers Kollisionsprüfungen auch mit der Produktionseinrichtung durch und spürt so Fehler in der Planung auf. Konflikte zwischen den Fachgewerken sowie teure Nachträge während der Bauzeit aufgrund von Abstimmungsfehlern lassen sich so auf ein Minimum reduzieren. Der Produktions- und Logistikplaner nutzt das Building Information Model in frühen Projektphasen als Tool zur

Darstellung und Prüfung des mit dem späteren Nutzer erarbeiteten Flächenprogramms. In weiterführenden Phasen werden einzelne Produktionseinrichtungen als grobe Volumen dem Layout hinzugefügt und in der Datenbank den Räumen bzw. Raumbereichen automa­ tisch zugeordnet. Zusätzliche für die weitere Planung erforderliche Parameter wie z. B. Gewicht, Anschluss­ werte für Strom, Druckluft etc. oder besondere Anforde­ rungen an eine statische Entkopplung können je nach Bedarf und zu jedem Zeitpunkt ergänzt werden. Liegen bereits detaillierte dreidimensionale Prozessmodelle aus anderen Anwendungen wie z. B. Autodesk Inventor vor, können diese in das Gebäudedatenmodell impor­ tiert und deren Anschlusswerte für die Auslegung der Gebäudetechnik genutzt werden. Sämtliche Interaktionen der verschiedenen Fachge­ werke geschehen kollisionsfrei durch Zugriff auf ein zentrales Modell bzw. Teilmodell [Eas01], [Rei04]. Bild 16.25 zeigt anhand eines realisierten Projektes anschaulich die Überlagerung der Teilmodelle „Ar­

16 Bild 16.25: Überlagerung der Teilmodelle Architektur, Technische Anlagen und Prozess an einem Projektbeispiel (RMA Architekten) © Reichardt15.245_JR_B

525

16  Projektmanagement

chitektur“ (hier grau dargestellt), „Technische An­ lagen“ (hier orange dargestellt) und „Prozess“ (hier blau dargestellt). Nach Fertigstellung des Gebäudes kann die inte­ grierte Planung an ein CAFM-System (Computer Aided Facility Management) übergeben und für die Bewirtschaftung genutzt werden (s. Kap. 17). Spätere Umbaumaßnahmen lassen sich so leicht koordinie­ ren und machen Gebäudeaufnahmen bei einer kon­ sequenten Pflege nahezu überflüssig.

16.9.2 Auswertung des durchgängigen Gebäude­datenmodells Die nachfolgenden Ausführungen zeigen am Beispiel eines realisierten Fabrik-Projektes sowie einer vor­ erst nur virtuellen Modellfabrik einige der Auswer­ tungsmöglichkeiten des digitalen Gebäudedatenmo­ dells.

Darstellung von Planungsvarianten Die Erstellung und Darstellung von Planungsvari­ anten sowie die hiermit verbundene Gegenüber­ stellung von Erstellungskosten sind gängige Praxis in der Fabrikplanung. Bei der konventionellen Bearbeitung eines Projektes war die Planung und

Verwaltung von Varianten häufig sehr zeit- und kos­ tenintensiv und führte nicht selten zu redundanten Planungen. Mittels Building Information Modeling ist es möglich, wichtige Entwurfsalternativen im gleichen Gebäudedatenmodell zu entwickeln, zu prüfen und bis zur Entscheidungsfindung mitzufüh­ ren. Jede Option kann im Modell vorab dargestellt werden und beinhaltet je nach Darstellungstiefe die relevanten Informationen über Flächen, Massen, Bauteile etc. Änderungen, die das reguläre Projekt betreffen und nicht Teil einer Entwurfsvariante sind, sind auf­ grund der zentralen Datenbank nur einmal durch­ zuführen, jedoch in sämtlichen Planungsvarianten automatisch mitgeführt. Dies erspart Zeit und hält sämtliche das Projekt betreffende Daten konsis­ tent. Bild 16.26 zeigt in einem sehr frühen Planungsstadi­ um die Volumen verschiedener Erweiterungsstufen der fiktiven Modellfabrik und die mit diesen Pla­ nungsoptionen verbundenen Flächen und Massen­ entwicklungen. Die gleichzeitige Darstellung der Erweiterungsmöglichkeiten im visuellen Modell wie auch den parallel hieraus ermittelten Kennwerten BGF, Volumina und entsprechenden Kostenrichtwer­ ten ermöglicht eine rasche Bewertung im Projekt­ team.

16 Bild 16.26: Darstellung und Analyse von Ausbaustufen © Reichardt 15.246_JR_B

526

16.9  Building Information Modeling

Bild 16.27: Topografie-Optimierung © Reichardt 15.247_JR_B

Optimierung der Topografie Mit Hilfe von Modellierungstools innerhalb der BIMSoftware ist es möglich, numerische Informationen des Geländeprofils aus Vermessungsprotokollen bzw. aus Tiefbau-Anwendungen in das Projekt zu importieren und daraus automatisch ein dreidimen­ sionales Geländemodell zu generieren [Maa08]. Bei Grundstücken mit einem starken Gefälle, Erdwäl­ len, Gräben etc. können Erdbewegungen während der Planungsphase durch Höhennivellierung auf ein Minimum reduziert und unnötige Kosten für Abtra­ gungen und Deponie bzw. Auffüllungen vermieden werden. Neben dem zeitlichen Vorteil der dreidimen­ sionalen Geländemodellierung bietet diese Methode eine deutlich höhere Genauigkeit gegenüber der manuellen Berechnung über Geländeschnitte und Interpolation. Bild 16.27 zeigt in den Phasen „Bestand“, „Abtra­ gung“ und „Ausbau“ die Optimierung anhand des

dreidimensionalen Geländemodells sowie die Ge­ genüberstellung der erforderlichen Erdbewegun­ gen.

Parametrik Das virtuelle Gebäudedatenmodell besteht aus para­ metrierten Elementen, die eine Vielzahl von Infor­ mationen sowie die Beziehung zu anderen Objekten beinhalten. Einer einfachen Wand z. B. wird nicht eine generelle Höhe in Metern zugewiesen, son­ dern das Modell verknüpft die Oberkante mit der darüberliegende Ebene. Wird später während einer Planungsänderung die Geschosshöhe verändert, werden sämtliche Wände und alle weiteren Objek­ te, die an diese Ebene gebunden sind, automatisch angepasst. Die Aktualisierung aller betroffenen Dokumente wie z. B. Grundrisse, Schnitte und Ansichten erfolgt da­ nach automatisch.

16 527

16  Projektmanagement

Flächen und Massenauswertung Bauteillisten bieten neben den klassischen Planungs­ dokumenten eine weitere Sicht auf die Informationen des Gebäudedatenmodells. Hierbei handelt es sich um die numerische Darstellung aller im Modell vorhandenen Elemente in Form von Tabellen und Berichten [Sei01]. Der Nutzer hat so die Möglichkeit, die für ihn relevanten Informationen je nach Bedarf zu betrachten und zu ändern. Räume und Flächen­ bereiche können z. B. in Form eines übersichtlichen Raumbuches dargestellt werden. Werte für die Flä­ che oder Volumen werden anhand der Geometrie automatisch ermittelt. Alle nicht an die Geometrie gebundenen Informationen wie z. B. Raumnummer und Raumbezeichnung können vom Benutzer über­ sichtlich in Tabellenform angepasst werden. Neben den Räumen und Flächen stehen auch die Bauteile des Architekten, Haustechnikers, Statikers sowie Fabrik- und Logistikplaners zur Auswertung in Bauteillisten zur Verfügung. Produktionselemente werden beim Einfügen automatisch den Räumen bzw. Flächen zugeordnet und können in Raumbüchern oder Maschinenlisten erfasst werden.

Bauzeitabläufe und virtuelle Baustelle

16

Neben dar Darstellung von Planungsvarianten spielt der störungsfreie Bauablauf eines Projektes aufgrund des üblichen Zeitdrucks eine große Rolle. Sowohl für Planer als auch für Ausführende gilt es, die gleich­ zeitig auf der Baustelle agierenden Unternehmen zu koordinieren und Konflikte und Überlagerungen weitestgehend zu vermeiden. Building Information Modeling ermöglicht es, neben den zuvor genannten Parametern jedem Objekt auch eine zeitliche Komponente je Projektphase zuzuord­ nen. So können schon vor dem ersten Spatenstich einzelne Bauabschnitte, aber auch komplexe Baustel­ lenabläufe simuliert werden.

Simulation Tages- und Kunstlicht Die BIM-Technologie ermöglicht es weiterhin, DINgerechte Tageslicht- und Kunstlichtsimulation zu

528

erstellen und so schon in einem frühen Stadium der Planung sowohl einen visuellen Eindruck der Lichtund Schattenverhältnisse als auch einen quantitati­ ven Nachweis über die an virtuellen Messpunkten zu erwartende Lichtstärke zu erhalten. Im Fall einer Tageslichtsimulation wird das Gebäu­ demodell in eine Simulationssoftware überführt, Informationen über den Standort und die Gebäu­ deausrichtung aus dem Building-Information-Model werden dabei automatisch übertragen. Nach dem Einlesen der ortsspezifischen Wetterinformation und Definition der zu simulierenden Uhrzeit bzw. des zu simulierenden Zeitintervalls können realitätsgetreue und DIN-gerechte Auswertungen in Form von z. B. animierten Schattenverläufen oder Falschfarben­ darstellungen erfolgen. Beeinträchtigungen an den Arbeitsplätzen durch ungewollte Blendungen von z. B. direkt einstrahlendem Sonnenlicht sind so früh­ zeitig erkennbar und können dann durch geeignete Maßnahmen (Optimierung der transparenten Fassa­ denflächen oder des Sonnenschutzes) ausgeschaltet werden. Bild 16.28 zeigt die Tageslichtsituation des Modell­ beispiels bei wolkenfreiem Himmel gegen 7 Uhr morgens. Im Fall einer Kunstlichtsimulation wird das BuildingInformation-Modell durch herstellerspezifische Leuchteninformation im IES-Format, ein interna­ tional gängiges Datenformat zur Beschreibung der Lichtverteilung von Leuchten, ergänzt. Mittels eines „Light Meter“, eines vom Benutzer zu definierenden Rasters zur virtuellen Messung der Beleuchtungsstärke, kann der zu untersuchende Be­ reich DIN-gerecht erfasst und verschiedene Beleuch­ tungskonzepte können simuliert werden. So können sowohl einzelne Flächen als auch ein komplettes Gebäude realitätsgetreu simuliert, analysiert und für den jeweiligen Bedarfsfall optimiert werden. Eine aufwendige und zeitintensive Bemusterung vor Ort kann somit in den meisten Fällen entfallen und für die Beleuchtung erforderliche bauliche Maßnah­ men können in der weiteren Planung Berücksichti­ gung finden. Bild 16.29 zeigt einen Halleninnenraum bei künstlicher Beleuchtung von 500 lux; die spezi­

16.9  Building Information Modeling

Bild 16.28: Tageslichtsimulation der Modellfabrik © Reichardt 15.2488_JR_B

16 Bild 16.29: Kunstlichtsimulation der Modellfabrik © Reichardt 15.249_JR_B

529

16  Projektmanagement

fischen Hallenstrahler wurden aus dem Lieferpro­ gramm eines Leuchtenherstellers (z. B. ERCO, Zum­ tobel) virtuell im Deckenbereich montiert.

Energieanalyse und -minimierung In der Vergangenheit waren häufig niedrige Investi­ tionskosten sowie die Amortisation der reinen Erstel­ lungskosten in wenigen Jahren ausschlaggebende Kriterien für Entwurfsentscheidungen. Steigende Energiepreise, die Einführung des Erneu­ erbare-Energie-Wärmegesetzes 1 (EEWärmeG) sowie die Einführung und stetige Verschärfung der Energie­ einsparverordnung für Gebäude (EnEV) machen ein Umdenken für alle an der Planung Beteiligten – vom Architekten bis hin zum Investor und Nutzer – erfor­ derlich. Das EEWärmeG ist seit dem 1. Januar 2009 in Kraft und hat zum Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch für Wärme von derzeit 6 % auf 14 % im Jahr 2020 zu erhöhen. Schon vermeintlich einfache Entwurfsentscheidungen in

den ersten Planungsphasen wie z. B. die Gebäudeaus­ richtung auf einem Grundstück können erheblichen Einfluss auf die spätere energetische Bilanz eines Ge­ bäudes haben und hohe Betriebskosten für Heizung / Kühlung nach sich ziehen. Building Information Modeling ermöglicht Archi­ tekten und Ingenieuren zu einem frühen Zeitpunkt, ihre virtuellen Modelle zur Simulation und energie­ technischen Einschätzung in Tools wie IES Virtual Environment, Autodesk Green Building Calculation, Design Builder etc. zu überführen und den Einfluss von Entwurfsentscheidungen auf die Leistung des Bauwerks zu prüfen. Für die erste Einschätzung ist ein „grobes“ Modell mit Informationen über Umfassungswände, transparente Fassaden, Raumbereiche sowie Geschossdecken und Trennwände ausreichend. Das Gebäudedatenmodell wird über die gbXML-Schnittstelle (Green buil­ ding extensible markup language) in die jeweilige Simulations-Anwendung exportiert und mit den für die Berechnung erforderlichen Informationen für

16 Bild 16.30: Beispiel zur Zonierung und Anlagenkonfiguration eines Gebäudes © Reichardt 15.250_JR_B

530

16.9  Building Information Modeling

Bild 16.31: Eingangssituation der Modellfabrik © Reichardt 15.251_JR:B

Bauteile, Zonierung und technische Anlagen ergänzt. Grundlage einer thermischen Simulation ist die Zo­ nierung eines Modells nach DIN 18599 in Bereiche unterschiedlicher Temperaturanforderungen für z. B. Produktion, Büros oder Verkehrsflächen. Bild 16.30 zeigt schematisch Beispiele für derart er­ fasste spezifische Anforderungen an Heizung, Lüftung, Beleuchtung für die Projektzonen Produktion, Büro und Verkehrsflächen sowie das daraus resultierende Schema der haustechnischen zentralen Anlagen. Bei einer Veränderung dieser Stellgrößen, aber auch der Prozess- und Gebäudeparameter (z. B. Abwärme der Maschinen, solare Gewinne des Baukörpers, Dämm­ werte der Hülle) verändern sich dynamisch alle Para­ meter des integralen Energie- und Klimamodells. Je nach Komplexität des Gebäudemodells lassen sich nach kurzer Berechnungszeit die Ergebnisse der Simulation in Form einfacher Grafiken bis hin zu ausführlichen Berichten betrachten. Die Resultate reichen vom Primärenergiebedarf über die energeti­ sche Qualität der Gebäudehülle und den sommerli­ chen Wärmeschutz bis hin zur CO2-Emission.

Umfangreiche Tools wie z. B. TAS oder das auf dem angelsächsischen Markt verbreitete IES Virtual Environment sind in der Lage, komplexe CFDSimulationen (Computational Fluid Dynamics) für sehr genaue Simulationsergebnisse zu liefern. Diese Verfahren sind derzeit noch sehr aufwendig und be­ dürfen fundierter Fachkenntnisse. Sie finden daher ihren Einsatz vorrangig bei komplexen Projekten mit besonderen Anforderungen.

Visualisierung Neben den zuvor beschriebenen teilweise recht tro­ ckenen Simulationen, Analysen und Auswertungen ist die Visualisierung ein wichtiges Werkzeug zum Transport von Entwurfsgedanken sowie zur Dar­ stellung der Funktionsweise technischer Anlagen und Prozessabläufe. Schattierte Darstellungen des Gebäudedatenmodells mit einfachen Materialdar­ stellungen sind in den aktuellen BIM-Anwendungen Stand der Technik und ermöglichen insbesondere den Nutzern schon während der Konstruktion einen sehr anschaulichen Eindruck des virtuellen Modells.

16 531

16  Projektmanagement

Darüber hinaus sind fotorealistische Darstellungen und Kamerafahrten um und durch das Gebäude schon für kleinere Projekte mit wenig zusätzlichem Aufwand möglich. Beispiele für derartige Videoani­ mationen für den Neubau einer Kosmetikfertigung sowie die Aufwertung einer bestehenden Werks­ struktur einer Backwarenfertigung sind in Anhang D beigefügt. Bei der Kosmetikfertigung wurden die Einrichtung der Prozesslinien in den BIM Ansatz einbezogen, die Werkstrukturplanung der Backwa­ renfertigung bezog sich demgegenüber vor allem auf Varianten der funktionalen und gestalterischen Aufwertung des 3D-erfassten Gebäudebestandes. Die objektorientierte 3D-Konstruktion ist nicht nur für Neubauprojekte sinnvoll, gerade eine nachträgliche, strukturierte Erfassung zumindest von Teilbereichen bestehender Werke bietet vielfältige Synergien der Auswertung. Damit stehen dem Anwender der BIMAnwendung hochwertige Werkzeuge zur fotorealisti­ schen Visualisierung von Räumen zur Verfügung, die mit wenigen Einstellungen gute Ergebnisse in kurzer Zeit liefern. Alternativ bietet der Markt auch High-End-Anwen­ dungen wie 3D-Studio Max oder Cinema 4D. Diese Programme erfordern fundierte Kenntnisse im Be­ reich der Visualisierung und werden daher häufig nur von großen Planungsbüros mit eigenen Visua­ lisierungsabteilungen oder spezialisierten Unter­ nehmen eingesetzt. Bild 16.31 zeigt als Beispiel die Atmosphäre der Eingangssituation der als „Green Factory“ gestalteten Modellfabrik.

Bereiche unmittelbar generiert. So wird der Ar­ chitekt die Auswirkungen einer Änderung der Gebäudeausrichtung auf dem Grundstück oder einer veränderten Fassadenkonstruktion auf die Energiebilanz und die Gebäudetechnik praktisch in Echtzeit bereits in der Frühphase einer Planung durchspielen können. Building Information Modeling ist demnach nicht nur ein Tool, sondern vielmehr ein Prozess, der Nut­ zern, Planern und ausführenden Unternehmen hilft, die steigende Informationsmenge und Komplexität von Fabrikplanungsprojekten zu beherrschen. Die vielfältigen Synergien in Planung und Ausführung rechtfertigen den erhöhten Aufwand und die gebote­ ne Disziplin im Planungsprozess. Mit diesen Ausführungen sind die wesentlichen As­ pekte des Projektmanagements abgehandelt. Wegen der steigenden Bedeutung der rationellen Bewirt­ schaftung und Dokumentation von Bauvorhaben soll das Thema Facility Management dieses Buch abschließen.

16.10 Literatur [Ble00]

[Bur06]

16.9.3 Fazit

16 532

Building Information Modeling ist eine vergleichs­ weise neue Technologie im Bereich der Konstruktion im Bausektor und bietet ein enormes Potenzial zur Effizienz- und Qualitätssteigerung des gesamten Pla­ nungsprozesses. Die digitalen Modelle können die Informationen über beispielsweise ihre Nutzung, Isolationswerte der Ge­ bäudehülle, solare Wärmegewinne und die struktu­ rellen Komponenten stetig mitführen [Kry01]. Während der Erstellung werden die Konsequen­ zen von Entwurfsentscheidungen auf betroffene

[Die04]

[Eas01]

 lecken, U., Schriek, T.: Konzepte für B neue Wettbewerbs- und Vertragsfor­ men in der Bauwirtschaft. Bautechnik, 2/2000, S. 119-130 Burghardt, M.: Projektmanagement – Leitfaden für die Planung, Überwa­ chung und Steuerung von Projekten. 7. Aufl. Verl. Publicis Corporate Publi­ shing, Erlangen 2006 Diederichs, C.J.: Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute 1 – Grundlagen. 2. Aufl. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2004 Eastman, C.: BIM Handbook: A Guide to Building Information Modeling for Owners, Managers, Designers, Engi­ neers and Contractors. 1. Aufl. Wiley & Sons, März 2008

16.10  Literatur

[Eit07]

[Esc01]

[Esc03]

[Esc09]

[Fes05]

[Grei09]

[Hab02]

[Hof01]

[Kal02]

[Kal05]

[Kes08]

[Koc07]

 itelhuber, A.: Partnerschaftliche E Zusammenarbeit in der Bauwirtschaft – Ansätze zu kooperativem Projektma­ nagement im Industriebau (Broschüre). Verl. Kassel University Press 2007 Eschenbruch, K.: Bauverzug: Haftet Baubetreuer/Projektsteuerer? In: IBR 2001, H. 1, S. 34 Eschenbruch, K.: Recht der Projekt­ steuerung. 2. Aufl. Werner Verlag 2003 Eschenbruch, K.: Projektsteuerung und Projektmanagement: Leistung, Vergü­ tung, Nachträge, Haftung, Vergabe, Vertragsgestaltung. 3. Aufl. Werner Verlag 2009 Feske, I.: Toleranz beim Baukosten­ limit? Baurecht und Baupraxis BrBp 3(2005)2, S. 60–64 Greiner, P., Mayer, P.E., Stark, K.: Bau­ betriebslehre – Projektmanagement: Erfolgreiche Steuerung von Bauprojek­ ten. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2009 Haberfellner, R., Nagel, P., Becker, M.: Systems Engineering. 11.Aufl., Orell Füssli, Zürich 2002 Hoffeler, T., Liebich, T.: Anwenderhand­ buch Datenaustausch BIM / IFC. IAI – Industrieallianz für Interoperabilität e. V., München 2008 Kalusche, W.: Entscheidung bei der Gebäudeplanung mit Hilfe der Nut­ zungskostenermittlung. Zeitschrift für Immobilienökonomie 1/2002, S. 55–63 Kalusche, W.: Projektmanagement für Bauherren und Planer: Bauen und Ökonomie. Oldenbourg Werlag, München 2005 Kessler, H., Winkelhofer, G.A.: Projekt­ management: Leitfaden zur Steuerung und Führung von Projekten. Springer, Heidelberg Berlin 2008 Kochendörfer, B., Liebchen, J.H., Viering, M.G.: Bau – Projekt – Management.

[Köp04]

[Kus07]

[Kry01]

[Küh06]

[Maa08]

[Mei07]

[Rei98]

[Rei04]

[Rös94]

[Schu08]

[Sei01]

Grundlagen und Vorgehensweisen. 3. Aufl. Teubner Verlag, Wiesbaden 2007 Köppe, M., Steeger, F.: Kostenmanage­ ment des Architekten / Ingenieurs. Baukammer Berlin 4/2006, S. 28–35 Kuster, J., Hiber, E., Lippmann, R.: Handbuch Projektmanagement. Springer, Berlin Heidelberg 2008 Krygiel, E.: Green Bim: Successful Sustainable Design with Building Information Modeling. 1. Aufl. Verl. Wiley & Sons, April 2008 Kühn, W.: Digitale Fabrik. Fabriksimu­ lation für Produktionsplaner. München Wien 2006 Maas, B.: Vortrag: Synergetischer Einsatz von BIM am Beispiel der Montagefabrik MODINE Ungarn 2, BIM Conference 2008, Berlin 2008 Meichsner, T.P.: Migrationskonzept für einen Modell- und Variantenflexiblen Karosseriebau. Diss. Leibniz Uni­ versität Hannover 2007. PZH Verlag, Garbsen 2007 Reichardt, J.: Planungsmanagement mit Pflichtenheft und Energiesimulation. BAUKULTUR, 6/1998, S. 6–12 Reichardt, J., Gottswinter, C.: Synerge­ tische Fabrikplanung – Montagewerk mit den Planungstechniken aus dem Automobilbau realisiert. industrieBAU, 3/2004, S. 52–55 Rösel, W.: Baumanagement – Grund­ lagen, Technik, Praxis. 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg 1994 Schulte, H.: Fabrikplanung organi­ sieren und durchführen. Vortrag 8. Deutscher Fabrikplanungskongress, 28./29.10.2008, Ludwigsburg Seifert, A.: BIM im Planungsprozess – Gebäudedatenmodell und Kosten­ ermittlung. Diplomarbeit BauhausUniversität Weimar, Januar 2008

16 533

16  Projektmanagement

 mith, D.A., Tardif, M.: Building S Information Modeling: A Strategic Implementation Guide for Architects, Engineers, Constructors, and Real Estate Asset Managers. Wiley & Sons, New Jersey 2009 [WieH09] Wiendahl, H.-H.: Sozio-technisches Auftragsmanagement – Grundlagen, Konfiguration, Einführung. Habilita­ [Smi09]

16 534

[Wik09]

[Zim06]

tionsschrift Universität Stuttgart 2009 Wikipedia Die freie Enzyklopädie: Arti­ kel „Werkvertrag“ und „Dienstvertrag“. Gelesen 04.08.2009 Zimmermann, J., Stark, C., Rieck, J.: Projektplanung – Modelle, Methoden, Management. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2006

Kapitel 17 Facility Management

17.1 

Historie und Definition

539

17.2  Aufgaben und Abgrenzung 17.2.1 Ermitteln und Bereithalten aktueller Daten 17.2.2 Bewerten von Standorten, Gebäuden, Einrichtungen 17.2.3 Raum- und Belegungsplanung 17.2.4 Gebäudebetrieb und Bewirtschaftung 17.2.5 Budgetierung und Bewertung

539

540 540 540 540

536

Facility Management im Lebenszyklus eines Objektes 17.3.1 Neuplanungsphase 17.3.2 Realisierungsphase 17.3.3 Betriebsphase 17.3.4 Umplanungsphase 17.3.5 Rückbauphase

540 541 542 543 544 544

17.4  Facility Management Systeme 17.4.1 Funktionen 17.4.2 Aufbau von Datenmodellen 17.4.3 Virtueller Projektraum

544 544 546 551

Anwendungen des Facility Managements 17.5.1 Minimierung Unterhaltskosten 17.5.2 Vermeidung von Zuteilungs­konflikten 17.5.3 Raumplanung 17.5.4 Schließmanagement und Schlüssel­verwaltung 17.5.5 Kosten- und Gebäudezustandskontrolle 17.5.6 Berichtserstellung 17.5.7 Brandschutz

552 554

17.5 

540

17.3 

17

17.4.4 Navigation 17.4.5 Auswahl eines CAFM-Systems

17.6 

555 555 556 556 557 557 557 557

Modellierung von FM-Prozessen 558

17.7  Fallbeispiele 17.7.1 Phoenix AG Hamburg 17.7.2 Londa Rothenkirchen

559 559 560

17.8 

562

Literatur

Bild 17.1: Aufgaben des Facility Managements

541

Bild 17.2: Aufbau der DIN 276 „Kostenplanung im Hochbau“

542

Bild 17.3: Kostenstruktur für einen Hochbau nach DIN 276 (Beispiel)

543

Bild 17.4: Mögliche Funktionen eines Facility Management Systems (nach Nävy)

545

Bild 17.5: FM Datenklassen, Beispiele (nach GEFMA 400)

547

Bild 17.6: Layerbelegung (Beispiel Industrieprojekt)

548

Bild 17.7: Layerbelegung Haustechnik (Beispiel)

548

Bild 17.8: Planungsdaten eines Raumbuches (Beispiel)

550

Bild 17.9: Inhalte einer Gebäudedokumentation

551

Bild 17.10: Vernetzung von Projektdaten

552

Bild 17.11: Integriertes FM-Datenmodell

553

Bild 17.12: FM-System (Beispiel Archibus)

555

Bild 17.13: Beispiele für Prozesse des technischen Gebäudemanagements (nach Krimmling)

558

Bild 17.14: 3D-Gebäudedokumentation (Beispiel Phönix Hamburg)

560

Bild 17.15: Bestandsaufnahme, Beispiel Flächengliederung

561

Bild 17.16: Übernahme eines Excel-Raumbuches in eine Oracle Datenbank (Beispiel)

562

Bild 17.17: Verknüpfung von Gebäude- und Einrichtungsdaten (Beispiel)

563

17 537

17.1  Historie und Definition Der Begriff Facility Management (FM) wurde erstmals Mitte der 1950er Jahre durch die Gebrüder Schnelle vom Quickborner Team geprägt. Am Beispiel des Sitzmöbelherstellers Hermann Miller sollte die betriebliche Interaktion durch die Einführung einer Bürolandschaft verbessert und somit die Produktivität gesteigert werden. Diese Marketingidee entwickelte sich rasch zu einem Selbstläufer. 1978 lud die Hermann Miller Corporation, Ann Arbour, Michigan Kunden zu einer Konferenz mit dem Titel „Facility Impact on Productivity“ ein. Diese Initiative führte 1979 zur Gründung des Facility Management Institute (FMI) in Ann Arbour, Michigan. Im Oktober 1980 wurde von 40 professionellen Facility Managern die National Facility Management Association gegründet. Das rasche Wachstum und die Erweiterung um Kanada führte 1982 zur Umbenennung in IFMA, International Facility Management Association. 2008 hatte die IFMA weltweit ca. 18000 Firmenmitglieder. In Europa wurde FM Mitte der 80er Jahre eingeführt und zwar zuerst in Großbritannien, wo der Architekt Francis Duffy diesen Gedanken aufgriff. 1985 wurde daraufhin die AFM, Association of Facility Managers und das Institute of Administrative Management / Facilities Management Group (IAM / FMG) gegründet. Wie in anderen europäischen Ländern wurde auch in Deutschland 1989 ein nationaler Verband, die German Facility Management Association (GEFMA), mit dem Ziel der Informationsbündelung zu Gunsten einer einheitlichen Aussage für die Anwender des Facility Managements gegründet. Als Gegenpol zu GEFMA gründete sich dann im Dezember 1996 die IFMA Deutschland e. V. Sie versucht als deutsche Landesgruppe der IFMA ein vorbildliches Berufsbild des Facility Managers zu erarbeiten. Der Begriff „Facility Management“ wird häufig ohne eine klare Definition verwendet. In Bezug auf Standort, Gebäude und Einrichtung wird in Anlehnung an die GEFMA Richtlinie 100 [GEF96] folgende Definition vorgeschlagen: Facility Management ist die Betrachtung, Analyse und Optimierung aller kosten- und qualitätsrelevanten Vorgänge von Standort, Gebäude, technischen und anderen Einrichtungen.

Eine noch knappere Definition schlägt J. Nävy vor [Näv04]: Facility Management ist ein strategisches Konzept zu Bewirtschaftung, Verwaltung und Organisation aller Sachressourcen in einem Unternehmen. Als „Facilities“ – also Sachressourcen – werden folgerichtig alle Grundstücke, Infrastrukturen, Gebäude, Anlagen, Maschinen und Einrichtungen, also das gesamte „Anlagevermögen“ eines Unternehmens betrachtet. Somit umfasst Facility Management alle Kriterien der dauerhaften wirtschaftlichen wie nutzungsoptimierten Leistungsfähigkeit eines Bauvorhabens. Der Begriff spiegelt in Anknüpfung an den Begriff Leistungsform eines Gebäudes deren „performance“ wider. Facility Management umfasst demnach die Beratung, Planung, Organisation, Steuerung und Kontrolle aller Prozesse, baulichen Maßnahmen sowie Marketingaktivitäten während der gesamten Lebenszeit eines Standortes mitsamt Gebäuden und Einrichtungen. Facility Management begleitet ein Bauprojekt von der Planung über die Nutzungsphase bis zum Rückbau. Dabei ist zu beachten, dass die reinen Baukosten nur ein Teil der während der gesamten Nutzungsdauer entstehenden Kosten sind. Je nach Projekt liegen die jährlichen Unterhalts-, Infrastruktur- und Betriebskosten zwischen 10 und 20 % der Erstellungskosten. Diese werden also über die Gesamtzeit der Nutzung um ein Vielfaches überschritten. Gegenwärtig werden von Fachfirmen internetbasierte Programme für z. B. Wartungsarbeiten an Technikzentralen oder die Vergabe von Ausschreibungsleistungen angeboten. Es mangelt aber nach wie vor an einer die Schnittstellen minimierenden ganzheitlichen Sicht der Immobilie.

17.2  Aufgaben und Abgrenzung In der heutigen Praxis befasst sich das Facility Management einer Immobilie mit dem ständigen Wandel der betrieblichen Ansprüche an Standort, Gebäude und Einrichtung. Es liefert fundierte Ent-

17 539

17  Facility Management

scheidungsgrundlagen für deren optimale Planung, Einrichtung, Betrieb, Umnutzung und Verwertung. Dieser Aufgabenkomplex lässt sich nach Bild 17.1 in fünf Teilbereiche aufgliedern.

17.2.1 Ermitteln und Bereithalten aktueller Daten Hierunter fallen die Erfassung und Pflege aktueller Daten von Grundstücken, Gebäuden, haustechnischen Anlagen und Einrichtungen, die Berechnung des Nutzungsgrades sowie die Ermittlung des Marktwertes. Deshalb gehört zu einem wirkungsvollen FM eine gut ausgebaute Kommunikationsinfrastruktur, um eine schnelle, wirtschaftliche und redundanzfreie Datenerfassung und Datenpflege sicherzustellen und um alle planungs- und entscheidungsrelevanten Informationen an den betroffenen Arbeitsplätzen stets aktuell im Direktzugriff verfügbar zu haben.

17.2.2 Bewerten von Standorten, Gebäuden, Einrichtungen Dabei geht es um die Bereitstellung von Daten zur Entwicklung sowie zum Betrieb und zur Erhaltung einer sicheren, humanen, funktionalen Arbeitsumgebung. Diese Aufgabe kann sich nicht nur auf die eigentlichen Ressourcen, sondern auch auf Organisations- und Personalentwicklungskonzepte beziehen. Weitere Anforderungen sind die Ermittlung von Folgekosten aufgrund strategischer Investitionsentscheidungen, Pflege des visuellen Erscheinungsbildes als Kennzeichen der Identität des Unternehmens sowie die jederzeitige Gewährleistung der Sicherheit von Ressourcen, Gebäude und Daten.

17.2.3 Raum- und Belegungsplanung

17 540

Ziel der Raum- und Belegungsplanung ist das Einrichten, Überwachen und Anpassen von physischen Arbeitsplätzen nach gesetzlichen, ergonomischen, organisatorischen und soziologischen Kriterien, wobei insbesondere die Interaktion mit anderen Arbeitsplätzen beachtet werden muss.

17.2.4 Gebäudebetrieb und Bewirtschaftung Aufgabenstellung von Gebäudebetrieb und Bewirtschaftung ist die Analyse der Baunutzungs- und internen Servicekosten, das Erarbeiten von Bewirtschaftungskonzepten unter Einbeziehung der Lebenszyklusdaten und Kosten sowie die Aufrechterhaltung eines wirtschaftlichen Gebäudebetriebes.

17.2.5 Budgetierung und Bewertung Inhalte von Budgetierung und Betrieb sind die vergleichende finanzielle Bewertung einzelner Maßnahmen sowie die Erarbeitung von Alternativen unter Berücksichtigung des jeweiligen Lebenszyklus und ökologischer Konsequenzen. Mit dieser Rolle des Facility Managements vollzieht sich eine grundlegende Veränderung des Begriffs „Planung“. Planung ist nun nicht mehr ein zeitlich begrenzter, isolierter Vorgang, der mit der Errichtung eines Gebäudes seinen Abschluss findet, sondern wird zu einem den Lebenszyklus der Gebäude begleitenden Prozess.

17.3  Facility Management im Lebenszyklus eines Objektes Die ganzheitliche Betrachtung der Immobilie über die gesamte Nutzungsdauer verändert die Sichtweise bisher voneinander getrennter Planungen, Abteilungen, Funktionen und betrieblicher Abläufe. Die Datenerfassung und der Datenaustausch müssen koordiniert werden, um wiederholte Datenaufnahmen mit unnötigem Zeit- und Kostenaufwand sowie Übertragungsfehlern zu vermeiden. Meistens beginnt der Lebenszyklus eines Objektes mit einer Beratungsleistung in Form eines Workshops. Die folgenden Phasen Planung, Realisierung, Betrieb, Umbau, evtl. Sanierung, Verwertung oder Abriss gehen über die Leistungsphasen der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure)

17.3  Facility Management im Lebenszyklus eines Objektes

Bild 17.1: Aufgaben des Facility Managements © JR 15.272_JR_B

weit hinaus. Die dort definierten Leistungsphasen behandeln ein Bauwerk primär als physisches Objekt und enden mit dessen Fertigstellung (vgl. Bild 15.5). Das Facility Management sieht demgegenüber eher die Verwertbarkeit eines Objektes im Laufe seiner Lebenszeit. Dabei gelten als typische Lebensphasen:

•  Beratung •  Planung •  Realisierung •  Betrieb •  Umbau/Sanierung •  Rückbau. Im Folgenden wird die Rolle des Facility Managements in diesen Phasen näher betrachtet.

17.3.1 Neuplanungsphase Im Rahmen der Neuplanungsphase werden aufgrund von Aufgabenstellung und Zielvorgaben Kosten für Erstellung und Betrieb festgelegt und Planungser-

gebnisse erarbeitet, die in der nachfolgenden Realisierungsphase umgesetzt werden. Obwohl die Planungsphase im Vergleich zur Nutzungszeit sehr kurz ist, werden hier für die spätere Bewirtschaftung der Sachressourcen wesentliche Festlegungen getroffen. Eine Einflussnahme, z. B. auf den Wärme- oder Kältebedarf und damit auf die Betriebskosten, ist nach der Erstellung von Gebäuden häufig nur noch durch umfangreiche und störende Umbauarbeiten möglich. Ein bereits während der Zieldefinition eingebrachtes Facility Management kann durch die gemeinsame Sicht auf die Planungs- und Betriebsphase zu neuen Lösungsansätzen führen. Ohne CAD-Unterstützung und Datenbankeinsatz lassen sich komplexe Fabrikbauten nicht mehr in der gewünschten Zeit realisieren. Bereits die Erhebung der Basisdaten sollte daher in einer für das Facility Management geeigneten Art und Weise erfolgen und die Ablage der Grafik- und Textdateien durch verbindliche Dokumentationsvorgaben geregelt sein (z. B. in einem Projekthandbuch mit konfektionierten Excel-Listen oder Karteikarten für die Projektanfor-

17 541

17  Facility Management

derungen). Der Datenaustausch zwischen den Projektbeteiligten innerhalb der Planungsphase über Datennetzwerke oder Datenträger ist heute Stand der Technik. Die Planungsphase ist mit der nachfolgenden Realisierung eng verknüpft und die aus den Planungsunterlagen abgeleiteten Ausschreibungen sind die Grundlage für die Angebote der realisierenden Unternehmen. Hier beginnt sich aufgrund von Termin- und Kostenzwängen eine Integration durchzusetzen, z. B. durch Internetauktionen der Leistungsverzeichnisse bei Gebäuden oder der Stücklisten im Anlagenbau. Der Aufbau von Ausschreibungen nach den Kostengruppen und Kostenelementen gemäß DIN 276 bietet gegenüber der traditionellen Gewerkestruktur den Vorteil der jederzeitigen Kostentransparenz vergleichbarer Kostenelemente, zudem können Termin- und Zahlungspläne hierauf aufbauen. Diese Norm gliedert die Kosten für einen Hochbau entsprechend Bild 17.2 in 7 Hauptgruppen, die jeweils in Untergruppen unterteilt werden. Jede Untergruppe wird in einer dritten Auflösungsstufe noch einmal unterteilt (vgl. auch Bild 16.11). Bild 17.3 zeigt ein Beispiel für die Kostenstruktur einer Neuplanung, die durchgängig gemäß DIN 276 nach Kostenelementen geordnet ist. Die Art und Weise der Erstellung von Ausschreibungen und die Vergabe von Bauleistungen sollte in einen ganzheitlichen digitalen Workflow aller Baudokumente einbezogen werden; spätere Anpassungen der Immobilie während der Betriebsphase können dann auf Grundlage der Leistungstexte der Neuplanungsphase vorgenommen werden.

17 542

Bild 17.2: Aufbau der DIN 276 „Kostenplanung im Hochbau“ © JR 15.273_JR_B

17.3.2 Realisierungsphase In der Realisierungsphase erstellen die ausführenden Unternehmer unter Regie der Fachplaner die Bauleistungen für Standort, Gebäude und Einrichtung nach den Definitionen der Ausschreibung. Da sich Änderungen gegenüber der Planung nie ganz vermeiden lassen, entstehen in der Bauphase oft dadurch Probleme, dass diese Änderungen nicht in den Planungsunterlagen nachgetragen werden. In der Realisierungsphase sollte idealerweise der Planbestand immer mit dem Realbestand übereinstimmen oder der Planbestand regelmäßig nachgeführt werden. Nur so lassen sich die erbrachten Leistungen kontrollieren und damit auch die Kosten und Termine der Projekte steuern. Es empfiehlt sich, die Abschlagszahlungen an die ausführenden Firmen nicht pauschal, sondern in Übereinstimmung mit dem Leistungsstand der jeweiligen Gewerke oder Kostenelemente vorzunehmen. Im Rahmen der späteren Bewirtschaftung des Gebäudes muss auf diese Planungsunterlagen zurückgegriffen werden, z. B. für die Flächenermittlung zur Ausschreibung von Reinigungsarbeiten oder von Instandhaltungsarbeiten der technischen Gebäudeausrüstung. Werden in der Realisierungsphase keine Planbestände nachgeführt, ist nach Abschluss des Projektes eine umfassende, kostenintensive Neuaufnahme der Bestände erforderlich. Gerade hier entwickelt sich für die Projektsteuerung mit dem Hilfsmittel des Facility Managements ein verantwortungsvolles Aufgabenfeld. Nach Abschluss der Realisierung und Übergabe des Objektes an den Nutzer sollten alle Planunterlagen und Objektbeschreibungen in aktueller Form vorliegen und mit

17.3  Facility Management im Lebenszyklus eines Objektes

Bild 17.3: Kostenstruktur für einen Hochbau nach DIN 276 (Beispiel) © JR 15.274_JR_B

den Unterlagen der realisie­renden Unternehmen übereinstimmen. Die Lieferung dieser Planunterlagen und Objektbeschreibungen sollte vertraglich mit den realisierenden Unternehmen vereinbart und von der Projektsteuerung abgenommen werden. In der Realisierungsphase werden aber auch Planungsfehler an die Planer zurückgemeldet. Sie führen häufig zu Terminverzügen. Sofern nicht korrigierbar, muss der Planbestand nach der Realisierung überarbeitet werden. Meist findet im Regelkreis Realisierer – Planer ein Informationsaustausch statt, der durch die Einbindung des Architekten und der Fachplaner sowie der Einrichtungslieferanten verstärkt wird.

17.3.3 Betriebsphase Die Betriebsphase ist sowohl von der Zeitdauer als auch von den kumulierten Kosten die bedeutendste im gesamten Lebenszyklus. Sie ist dadurch charakterisiert, dass an den Sachressourcen bis auf die Abnutzung keine wesentlichen Veränderungen stattfinden. Für das Facility Management stellt sich hier

die Aufgabe, den Betrieb aufrechtzuerhalten, wozu es erforderlich ist, den Abnutzungsvorgang und die zugeordneten Betriebssysteme zu dokumentieren und zu kontrollieren. Neben Problemen, die aus der zu späten Einbindung der Nutzer in der Planungsund Realisierungsphase resultieren, bestehen in der Betriebsphase noch weitere Schwierigkeiten. Die Verantwortung für den Betrieb von Sachressourcen liegt in verschiedenen Händen. Überwiegend sind es interne Stellen, aber auch externe Betreiber sind denkbar. Eine detaillierte Aussage über alle Betriebskosten je Objekt lässt sich daher meist nur mit viel Mühe treffen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Betriebsphase ist eine effiziente Raumnutzung. Damit ist nicht nur eine Senkung der Betriebskosten, sondern sogar eine Gewinnvergrößerung möglich. Facility Management Systeme erleichtern es, die Raumnutzung in Gebäuden zu verfolgen und durch das Planen von gemeinsam oder zeitweise genutzten Räumen diese nach Verfügbarkeit, Verrechnungskosten, Ausstattungen und Belegungskapazitäten zu optimieren.

17 543

17  Facility Management

17.3.4 Umplanungsphase

17 544

Die Umplanungsphase unterbricht die Betriebsphase mit dem Ziel, die Sachressourcen aufgrund neuer Anforderungen (z. B. Erweiterung des Produktionsprogramms, Einführung einer neuen Technologie oder Einführung neuer Fertigungs- und Montagestrukturen) zu verändern. Weiterhin bedingt die unterschiedliche wirtschaftliche und technische Lebensdauer der Komponenten einer Fabrik mehr oder weniger häufige Veränderungen. Abhängig von der Nutzungsart sind übliche Änderungsintervalle beispielsweise für Organisation 2 bis 3 Jahre, EDV 3 Jahre, Telekommunikation 5 Jahre, Mobiliar 10 Jahre, Beleuchtung 10 bis 15 Jahre, Haustechnik 5 bis 20 Jahre, Innenausbau 5 bis 30 Jahre. Ein Tragwerk hält 50 bis 70 Jahre. In der Umplanungsphase finden prinzipiell die gleichen Abläufe wie in der Planungsphase statt mit dem Unterschied, dass hier der Bestand an Gebäuden und Einrichtungen zu berücksichtigen ist. Wurden die Ausschreibungsunterlagen der Neuplanungsphase sauber abgelegt, können bereits verwendete Systemlösungen für eine erneute Ausschreibung genutzt werden. Direkt im Anschluss an die Umplanung findet wiederum eine Realisierung statt. Im Wesentlichen laufen auch hier die gleichen Vorgänge ab wie bei der Realisierung einer Neuplanung. Bei umfangreichen Umplanungen kann auf Bestandspläne nicht verzichtet werden, da z. B. aufgrund der Genehmigungspflicht Veränderungsprozesse (Nutzungsänderungen, umfangreiche bauliche Maßnahmen etc.) in Plänen zu dokumentieren und freizugeben sind. Damit besteht ein äußerer Zwang, die Veränderungen zu dokumentieren. Bei kleineren Umplanungen ist dies jedoch nicht immer erforderlich. Hier besteht aber die Gefahr, die Veränderungen vor Ort vorzunehmen, ohne die Bestandspläne und zugehörigen Unterlagen zu aktualisieren. Aufgrund fehlender Bestandspläne oder Unterlagen werden Veränderungen häufig auf Zuruf ausgeführt und die Bestandspläne nicht fortgeschrieben. Da der betriebliche Alltag aber gerade durch die Menge von kleinen Veränderungen und Anpassungen gekennzeichnet ist und umfangreiche Anpassungsprozesse die Ausnahme bilden, nimmt

die Aktualität durch diese kleinen Veränderungen permanent ab. Viele kleine undokumentierte Veränderungen machen die Bestandspläne innerhalb kurzer Zeit unbrauchbar. Schnell ist ein Informationsniveau erreicht, bei dem nur eine umfassende Bestandsaufnahme wieder ausreichend Planungssicherheit liefert. Gerade hier kann eine permanent gepflegte FacilityDatenbank wertvolle Unterstützung liefern. Als Argument kann die Analogie zum Änderungsdienst der Produktstammdaten dienen.

17.3.5 Rückbauphase Die Rückbauphase schließt den Lebenszyklus von Objekten ab. Das Objekt kann seine Funktion wirtschaftlich nicht mehr erfüllen. Auch eine Umplanung und Umnutzung ist für das Unternehmen nicht mehr sinnvoll. Entweder wird das Objekt dann veräußert und vom Käufer weitergenutzt oder die Objekte, z. B. Gebäude, werden zurückgebaut bzw. Maschinen und Ausrüstungen verschrottet. Im Falle einer Veräußerung besteht durch die Datenbasis des Facility Managements die Möglichkeit, dem Käufer umfangreiche Informationen über die Objekte als geldwerten Vorteil mit anzubieten. Der gesamte Lebenszyklus ist praktisch dokumentiert worden und bietet dem weiteren Nutzer einen Bewirtschaftungsmehrwert. Werden die Objekte zurückgebaut oder verschrottet, so helfen die Informationen aus dem Facility Management, die Rückbauphase detailliert ohne umfangreiche Datenaufnahme zu planen und gesicherte Rückbau- und Entsorgungskosten zu erhalten.

17.4  Facility Management Systeme 17.4.1 Funktionen Der Betrieb eines Standortes mit seinen Gebäuden und Einrichtungen erfolgt im Allgemeinen durch mehrere interne Abteilungen teils als Nebentätigkeit, teils als Hauptaufgabe der Liegenschafts-, Bau- oder Verwaltungsabteilung. Während die Produktionsab-

17.4  Facility Management Systeme

Bild 17.4: Mögliche Funktionen eines Facility Management Systems (nach Nävy) © JR 15.275_JR_B

läufe unter hohem Optimierungsdruck stehen, betrachtet man die Gebäude und deren Unterhalt vielfach noch als „notwendiges Übel“. Ein Umdenken in der Gebäudebewirtschaftung ist aufgrund der bereits im Einführungskapitel dargelegten Veränderungstreiber zwingend erforderlich. Speziell für Gebäude sind darüber hinaus steigende Instandhaltungskosten und wachsende Energiekosten zu beachten. Hier setzt Facility Management als strategische und ganzheitliche Dienstleistung mit den folgenden Aufgaben an:

•  Immobilien aktiv zu steuern und nicht nur passiv •  •  • 

auf Anforderungen zu reagieren, die Unterhaltskosten der Immobilien deutlich zu verringern, Betriebsstörungen zu reduzieren und die Sicherheit der Nutzung durch größere Verfügbarkeit zu steigern sowie die Kostentransparenz zu gewährleisten.

Ein wichtiges Werkzeug bei der geforderten schnelleren Bereitstellung von Informationen bieten Facility Management Systeme unter dem Begriff CAFM (Computer Aided Facility Management). Dabei handelt es sich um ein datenbankgestütztes Informationssystem zur Speicherung, Pflege und Auswertung von Objektdaten. Es ist vergleichbar mit einem PLM-System für die Konstruktionsunterlagen von Produkten. Als Product Lifecycle Management PLM wird ein Informa­ tionssystem bezeichnet, mit dem alle Daten, die bei der Entwicklung, Produktion, Lagerhaltung und dem Vertrieb eines Produkts anfallen, einheitlich gespeichert, verwaltet und abgerufen werden können. Bild 17.4 zeigt einen Überblick über mögliche Funktionen eines CAFM-Systems [Näv06]. Die für die Fabrikplanung wesentlichen Einsatzfelder liegen im Bereich der Gebäudeplanung (Gebäudeplanung nach HOAI 1-6, Ausschreibung und Vergabe nach HOAI 7, Baumaßnahmen nach HOAI 8 sowie im

17 545

17  Facility Management

Projektmanagement und der Projektdokumentation) sowie im Flächenmanagement (Raum- und Flächenverwaltung, Raum- und Belegungsplanung, Umzugsplanung). Weitere Funktionen können insbesondere bei der Bewirtschaftung großer Immobilienbestände das kaufmännische und technische Gebäudemanagement sowie Servicefunktionen (z. B. Reinigung und Pflege, Sicherheit, Ver- und Entsorgung) sein. Zum Betrieb komplexer Objekte, wie z. B. einem Konferenzzentrum, können Serviceangebote mit einem derartigen System gemanagt und bei Mietobjekten auch die gesamte Immobilienverwaltung mit den für die Vermietung wesentlichen Funktionen durch ein solches System unterstützt werden. Querschnittsfunktionen runden das Spektrum ab. Im konkreten Fall wird ein Unternehmen nicht alle diese Funktionen integrieren, sondern es in Abstimmung mit den vorhandenen kaufmännischen Systemen konfigurieren. Am Markt werden nach Untersuchungen von Nävy mit Stand von 2005 insgesamt 44 FM-Systeme angeboten, von denen 80  % aus Deutschland, 11  % aus dem übrigen Europa und nur 9  % aus den USA stammen [Näv06]. In Abhängigkeit vom gewählten Facility Management System erlauben Datenauswertungen:

•  die Analyse von Rauminventarinformationen nach •  •  • 

17 546

Abteilungen, das Darstellen von Berichten für Bruttoflächen, Räume, Serviceflächen, Vertikalschließungen, das Erstellen von Testanordnungen, um die Raumnutzung verschiedener Umzugs- und Belegungsszenarien zu vergleichen und die nahtlose Integration mit Zeichnungsprogrammen wie dem Industriestandard Autocad, Microstation oder Nemetschek, um Grundrisse mit Raumdaten einfach und schnell zu verknüpfen.

Neben der durch das System geschaffenen Transparenz können durch die ganzheitliche Betrachtung der Planung, des Baus und der Bewirtschaftung von Gebäuden über den Lebenszyklus einer Immobilie gegenüber einer konventionellen Vorgehensweise 10 bis 30 % aller anfallenden Kosten eingespart werden.

17.4.2 Aufbau von Datenmodellen Grundlage jeder späteren Auswertung in den Phasen Planung, Realisierung, Betrieb, Änderung oder Verwertung ist eine standardisierte Erfassung von CAD-Daten, Textdaten und Bilddaten. Bei CADZeichnungssystemen werden die graphischen Informationen üblicherweise in Abhängigkeit von der Konstruktionssoftware als DWG- (Autocad), DGN(Microstation) oder DXF-Datei (für CAD-Software übergreifenden Zeichnungsaustausch von Autodesk/ Autocad) gebildet, bei alphanumerischen Informationen hat sich der Industriestandard MS-Office mit den Programmen Word und Excel durchgesetzt. Graphiken, Fotos, Videos sind in der Regel pixelgraphische Daten wie z. B. bitmaps. Computer-Aided-Facility-Management-Systeme (CAFM) lösen zunehmend konventionelle Datensammlungen wie Ordner, Karteikästen oder Listen durch übergreifende Datenbanken ab. Die Vorteile der CAFM-Systeme liegen vor allem in der Vernetzung unterschiedlichster Informationen, z. B. Flächen, Kosten, Personal, Prozesse sowie deren Optimierung.

Datenstrukturierung Datenbanksysteme werden zur Speicherung und Verwaltung umfangreicher und komplex strukturierter Datenbänke verwendet. Ein großer Vorteil liegt dabei in der Generierung verschiedener (Teil-) Sichten durch spezifische Abfragemöglichkeiten der Datenfelder. Nach [Jed02] werden Datenbankmodelle hinsichtlich ihrer Aufgabenstruktur unterschieden; für CAFM-Systeme werden gegenwärtig zumeist relationale, objektorientierte und objektrelationale Datenbanksysteme eingesetzt. Relationale DBS legen Daten in verbundenen Tabellen ab. Deren Beziehungen werden über Schlüssel­ attribute eindeutig gekennzeichnet. Objektorientierte DBS speichern Objekttypen mit Attributen, die an diese gebunden sind. Ein Beispiel hierfür ist die CAD-Konstruktion eines Fensterelementes mit zusätzlicher textlicher Verknüpfung z. B. von Rahmenmaterial, Glaskennwerten oder Preis bei einer objektorientierten CAD-Konstruktionssoft-

17.4  Facility Management Systeme

Bild 17.5: FM Datenklassen, Beispiele (nach GEFMA 400) © JR 15.276_JR_B

ware. Allerdings sind die einem Zeichnungsobjekt zuzuordnenden Merkmale gegenwärtig auf ca. 10 Attribute begrenzt. Objektrelationale DBS kombinieren die Vorteile verschiedener Datenbankmodelle, sie bieten eine flexible Erweiterung des Datentyps und sind auch zur Verwaltung multimedialer Daten wie Dokumenten, Bildern, Tönen oder Filmen geeignet. Die GEFMA-Richtlinie 400 [GEF02] unterscheidet gemäß Bild 17.5 nach Bestandsdaten, Zustandsdaten, Verbrauchsdaten und sonstigen Daten. Bestandsdaten einer Immobilie sind z. B. relevant für Flächenmanagement oder Gebäudereinigung. Zustandsdaten melden aktuell Temperaturen, Energieströme oder Störungen. Verbrauchsdaten entstehen durch automatische oder manuelle Ablesungen mittels Gebäudeautomation bzw. Erfassung vor Ort. Es gilt beim Aufbau der Datenmodelle diejenigen Informationen herauszufiltern, deren Darstellung, Auswertung und laufende Pflege aus organisatorischen wie aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll ist. Durch Konzentration auf wesentliche betriebsrelevante Informationen wird eine solide Datenbasis geschaffen, die sich bei offenen Datenbanksystemen mit dem weiteren Projektverlauf erweitern lässt.

Layer-Klassifizierung Komplexe CAD-Zeichnungen bedürfen zur Verwaltung der in ihnen enthaltenen Informationen einer eindeutigen Ordnung. Über Gruppierungsfunktionen können je nach Konstruktionssoftware objektübergreifende Zusammenhänge (z. B. Geschoss, alle tragenden Wände, alle Möbel) durch Layersteuerung und Referenzierungstechniken nach Wahl dargestellt werden. Unter Layer (engl. Lage, Schicht, Ebene) wird eine Strukturebene von Zeichnungsdateien verstanden, die jeweils bestimmte Informationen des dargestellten Objektes enthält, z. B. die Kontur, Farbe oder Bemaßung. Durch Ein- oder Ausblenden von Ebenen kann die Darstellung für einen bestimmten Verwendungszweck angepasst werden. Beim Aufbau der CAD-Zeichnungen sollte bereits in der Phase der Planung eine verbindliche Layerbelegung alle Darstellungen von Standort, Gebäude, Haustechnik und Einrichtung ordnen. Die Durchgängigkeit einer ganzheitlichen Planung erfordert die integrierte Abstimmung aller Fachplanungen mit Festlegung von z. B. Linienstärke und Linienfarben. Bild 17.6 zeigt Auszüge der Layerbelegung für ein kleineres Industrieprojekt. In diesem Fall geht es um die Dokumentation des Grundstücks, des Tragwerks und der Hülle eines Industriegebäudes in drei Haup-

17 547

17  Facility Management

Bild 17.6: Layerbelegung (Beispiel Industrieprojekt) © JR 15.277_JR_B

tebenen und jeweils mehreren Unterebenen, die von 11 bis 37 durchnummeriert sind. Jeder Ebene ist ein Objekt mit Kurzbezeichnung und Farbdarstellung zugeordnet. Ein weiteres Beispiel für eine Layerbelegung zeigt Bild 17.7. Hier wird die Gliederung der Haustechnik

17 548

in den Vordergrund gestellt. Durch die dahinterliegenden Ebenen für Funktionen und Prozesse und deren räumliche Zuordnung zu den Ebenen Gebäude und Standort ist es möglich, die Interaktion von Prozessen, die in dem Gebäude ablaufen, mit der sie betreffenden Haustechnik unmittelbar sichtbar zu machen. Dazu könnte beispielsweise die Ebene, in

Bild 17.7: Layerbelegung Haustechnik (Beispiel) © JR 15.278_JR_B

17.4  Facility Management Systeme

der die Betriebseinrichtungen stehen, mit der Ebene, in der sich das Druckluftnetz befindet, übereinander abgebildet werden.

Raumbuch

3D-Gebäudemodell

Grundlage jedes CAFM-Systems ist ein Raumverzeichnis des betrachteten Gebäudes, das allgemein als Raumbuch oder auch Raumspiegel bezeichnet wird. Ein Raumbuch dokumentiert in der Phase der Grundlagenermittlung die Nutzeranforderungen und wird im Laufe des Planungsprozesses als Planungsraumbuch weitergeführt. Raumbücher enthalten Informationen zu Raumnummer, Raumbezeichnung, Geschoss, Grundfläche, Höhe des Raumes sowie Informationen zur Gebäudestruktur. Im Rahmen der synergetischen Planung wurden matrixartige Raumspiegel entwickelt, die eine Vielzahl zusätzlicher Merkmale beinhalten können und auch eine Kopplung zu den in der späteren Ausarbeitung definierten Kostenelementen für Boden, Wand, Decke sowie Haustechnik ermöglichen (vgl. Bild 12.3). Weiterhin ist es bei konsequenter Strukturierung möglich, jedem Raum einen definierten Service mit anteiligen Kosten und Kostenstellen zuzuordnen. Ein Beispiel für die Planungsdaten eines Raumbuchs zeigt Bild 17.8.

Stand der Technik sind CAD-Programme, die auf einem 3-dimensionalen Gebäudemodell basieren. Die Bauelemente eines Gebäudes wie Decken oder Stützen werden in kompletter Geometrie sowie den Relationen zwischen diesen Elementen abgelegt. Die CAD-Software sollte es erlauben, die Elemente in verschiedenen Sichten zu betrachten. Problematisch war bisher der Datenaustausch zwischen Gebäudemodellen und Datenbanken, da hierfür die Logik der Datenbank mit der des CADSystems übereinstimmen muss. Gegenwärtig wird daran gearbeitet, mit einem offenen Standard im Bauwesen IFC (Industry Foundation Classes) zur digitalen Beschreibung von Gebäudemodellen den Datenaustausch zwischen den Systemen verschiedener Anbieter zu ermöglichen. Einige CAFM-Systeme wie z. B. Archibus/FM verbinden eine offene Oracle Datenbankstruktur mit der sogenannten „Overlay“ Einlese- und Auslesefunktionalität von AutocadZeichnungs­daten. Dies gewährleistet die jederzeitige Aktualität der Datenbankeinträge und der Zeichnungsdaten.

Die Anforderungen jedes Raumelementes an die Raumgeometrie, die Bausysteme für Boden, Wand und Decke sowie an die haustechnischen Systeme und der Hinweis auf spezielle Nutzungen sind nach Bauteilen und Geschossen getrennt in Tabellen zusammengeführt. Jedes Raumelement wird mit einer Ordnungsnummer in der ersten Spalte identifiziert. Die Räume sind durch die Art der Codierung in Klassen ähnlicher Räume, also z. B. Nassräume, eingeteilt. Dies erlaubt es bei Kostenauswertungen, z. B. bei einer Mischnutzung von Bruttogeschossflächen, die groben Kennwerte in feinere Kennwerte für einzelne Raumarten aufzugliedern. Idealerweise wird bereits die Projektentwicklung einer Immobilie von einer ergebnisorientierten Datenmodellierung für die Detailprozesse aus Standort, Gebäude, Haustechnik und Prozess flankiert. Insbesondere die Grundlagenermittlung sollte mit für den späteren Betrieb durchdachten und sauber strukturierten Tabellen aus integraler Sicht aller beteiligten Fachplanungen erfolgen. Sind für Einzelbereiche keine Daten verfügbar, sollten gemeinsame Annah-

Die gewählte Layerbelegung ist auch für die Dokumentation der mit der Realisierung betrauten Fachunternehmen verbindlich. Auf dieser Grundlage kann z. B. die Zusammenfassung der Verbrauchsdaten aller Technikzentralen im späteren Betrieb und eine datenbanktechnische Verknüpfung mit dem 2Doder 3D-Raummodell erfolgen. Durch Anklicken der jeweiligen Zentrale werden dann die momentanen Verbrauchswerte direkt aufgezeigt. Für die Datenstrukturierung eines CAFM-Systems ist die Zusammenfassung gleichartiger Objekte zu Objektklassen vorteilhaft. Damit kann bei Auswertungen auf alle Objekte eines Objekttyps gleichzeitig zugegriffen werden. Derartige Klassifikationen sind nach Datenart, Datenformat und Änderungshäufigkeit üblich [Lut02].

17 549

17  Facility Management

Bild 17.8: Planungsdaten eines Raumbuches (Beispiel) © JR 15.279_JR_B

men getroffen und diese im späteren Projektverlauf präzisiert werden. Eine direkte Übernahme der Daten aus digitalen Raumbüchern in die Datenbank des CAFM-Systems ist selten möglich, weil die den Raumbüchern zu Grunde liegenden Gebäudedatenbanken in der Regel noch auf individuellen Datenbanken aufsetzen. Im vorliegenden Fall wurde über ein Makrotool die jeweils zeitaktuelle Übernahme aller Raummerkmale in die Oracle Datenbank des CAFM-Systems Archibus/ FM sichergestellt.

Dokumentation

17 550

Auf die Vorteile, die sich mit dem Aufbau eines CAFMSystems bereits in der Planungsphase ergeben, wurde bereits eingehend hingewiesen. Vielfach sind bei bereits vorhandener Bausubstanz Altgebäude in den Datenbestand zu integrieren. Inwieweit existierende Bestandsunterlagen hierfür verwendet werden

können, hängt von deren Zustand, Korrektheit und Aktualität ab. Facility Management kann nur bei Vorliegen richtiger Ausgangsdaten korrekte Ergebnisse liefern. Bereits bei den Ausschreibungen müssen an die Anbieter klare Vorgaben für die Planerstellung und textliche Aufbereitung der späteren Dokumentationen erfolgen. Dateiformate, Layerordnungen, Strichstärken und -farben sowie Planformate und die Nummerierungssystematik sollten durchgängig für alle graphischen, alphanumerischen und bildlichen Daten verbindlich vorgegeben werden. Es empfiehlt sich, in den jeweiligen Ausschreibungen diese „Integrationsleistung“ der Anbieter nicht nur in den Vorbemerkungen zu verankern, sondern den Aufwand hierfür in der jeweiligen Ausschreibung als Kostenelement für eine präzise definierte Leistung abzufragen. Bild 17.9 zeigt exemplarische Kategorien zur Gliederung einer Gebäudedokumentation, die den ganzen Lebenszyklus umfasst.

17.4  Facility Management Systeme

Nach [Mor02] hat die gewissenhafte Dokumentation der gebäudetechnischen Anlagen insbesondere in der Automobilindustrie einen hohen Stellenwert. Der Bereich Forschung und Entwicklung VW Wolfsburg umfasst z. B. 500.000 m2. Mengen­ ermittlungen für Ausschreibungen der Instandhaltung, Ersatzbeschaffungen sowie beliebige Anfragen zu bestimmten Bauteilen sollen zukünftig über das CAFM-System MORADA erfolgen. Ziel ist dabei auch die graphische Auffindbarkeit komplexer tech­ni­scher Anlagen nach ihrer Lage im Gebäude. Zu diesem Zweck werden Kataloge aller Komponenten der Versorgungstechnik, die TGA-Strukturelemente und die Merkmale der technischen Anlagen mit einer übergeordneten Kennzeichnungssystematik erarbeitet. Die Systematik der TGA-Strukturelemente folgt dabei der GEFMA-Richtlinie 182, die Kennzeichnungssystematik lehnt sich an die aus dem Kraftwerksbau übernommene DIN 6779 an. Zukünftig soll aus den Katalogen für jede Komponente ein Barcode als Typenschild generiert werden. Eine Dokumen-

Bild 17.9: Inhalte einer Gebäudedokumentation © JR 15.280_JR_B

tationsrichtlinie verpflichtet alle ausführenden Firmen, ihre Daten entsprechend den Vorgaben anzubieten.

17.4.3 Virtueller Projektraum Für komplexe Projekte werden zunehmend internetbasierte Techniken für das Planungs- und Dokumentenmanagement genutzt. Gerade für CAFM-Systeme bietet es sich an, z. B. die Kommunikation von Unternehmen, die an der Bewirtschaftung einer Immobilie in Planung oder Ausführung beteiligt sind, oder Wartungs- und Steuerungsvorgänge gebäudetechnischer Anlagen online bereitzustellen. Auf diese Weise kann ein externer Dienstleister die Anlagen kontinuierlich überwachen und Störungen frühzeitig entdecken, ohne dass ein Techniker vor Ort sein muss. Eine hohe Flexibilität und Systemoffenheit wird mit der Einrichtung einer eigenen Homepage für ein Gebäude erreicht. Berechtigte Nutzer können dann nach Sichten differenziert auf Teilbereiche der im Intranet verfügbar gehaltenen Daten von Standort,

17 551

17  Facility Management

Gebäude, Haustechnik und Einrichtung zugreifen. Zudem können über mobile PDA-Geräte, Laptops und Mobiltelefone z. B. Ablesedaten von Aggregaten direkt online eingegeben werden. Als Vorteile ergeben sich:

•  •  • 

• 

17 552

 oppelarbeit und Fehler werden reduziert, da siD chergestellt ist, dass alle Planer auf Grundlage der aktuellen Pläne und Dokumente arbeiten. Pläne können online geprüft und kommentiert werden, was zu einer erheblichen Zeitersparnis im Beurteilungs- und Genehmigungsprozess führt. Die Gefahr, wichtige Dateien zu verlieren, wird eliminiert, da die aktuellen wie auch die vorherigen Versionen eines Dokumentes an einem zentralen Ort gespeichert werden. Eine Verbesserung des Kommunikationsflusses innerhalb des Teams wird durch ein strukturiertes Initiieren und Beantworten von Anfragen erreicht.

Bild 17.10: Vernetzung von Projektdaten © JR 15.281_JR_B

•  Ein • 

proaktives Aufgabenmanagement erleichtert das Steuern von Prozessen. Der Mängelbeseitigungsvorgang wird beschleunigt.

CAFM-Bearbeitungen im Netz sind eine kostengünstige Alternative zur Bereitstellung kompletter Hard- und Softwareinstallation bei jedem Nutzer des CAFM-Systems. Kostenlose Viewer-Systeme wie volo-view oder DWF-viewer erlauben den Aufruf von z. B. Autocad-Zeichnungen, ohne dass die komplette Software beim Nutzer installiert sein muss.

17.4.4 Navigation Der Wert visueller Informationssysteme für eine komfortable Nutzerführung wurde bereits angesprochen. Bild 17.10 illustriert die Vernetzung der Informationen aus Standort, Gebäude, Haustechnik und Funktion / Prozess am Beispiel einer Fabrik-

17.4  Facility Management Systeme

Bild 17.11: Integriertes FM-Datenmodell © JR 15.282_JR_B

planung. Parallel zu den Sichten der Planer müssen die Sichten der Eigentümer, Betreiber und Nutzer integriert werden. Ihre Fragestellungen können sich z. B. auf die Elemente der Generalbebauung, Bauteile, Geschossebenen, Bereiche, Räume oder Einrichtung beziehen. Die im Facility Management zusammengeführten Informationen kann man sich als ein in Matrixform gegliedertes Datenmodell bildlich vorstellen. Bild 17.11 visualisiert ein solches Matrixmodell. Horizontal übergeordnet sind die Sichten der Anwender (Fachplaner, Eigentümer, Betreiber und Nutzer) auf Standort, Gebäude, Haustechnik und Funktion / Prozess. Die zweite Sichtweise ist nach den Fabrikebenen von der Generalbebauung bis zur einzelnen Einrichtung geordnet. Je nach Fragestellung findet ein auswertungsorientierter Zugriff des Facility Management Systems auf die in

„Schubladen“ abgelegten Daten zu Zeichnungen, Texten und Bildern statt. Dieses Navigationssystem erlaubt einen durch graphische Aufbereitung visuell geführten Zugang zu den jeweiligen Informationen und ermöglicht die Überlagerung von Informationen auf einfache Weise. Im „Querblick“ ist z. B. die Überlagerung eines Haustechnikplans mit Lüftungstrassen über einem Einrichtungslayout auf dem Bauplan eines Geschosses leicht auffindbar. Im „Längsblick“ sind z. B. die kompletten Informationen über eine Sprinkleranlage von der Infrastruktur des Standortes bis zum einzelnen Sprühkopf im Lagerregal abrufbar. Es ist denkbar, Ordnungsstrukturen, wie das vorgestellte Navigationssystem, in den nächsten Jahren mit einer an den Nutzertyp angepassten grafischen Eingabemaske auch sprachgesteuert als individuellen Datenfilter zu entwickeln. Die mehr intuitive nutzerspezifische Abfrage (und Ablage)

17 553

17  Facility Management

von Informationen könnte wesentlich zur weiteren Akzeptanz von Facility-Management-Systemen beitragen.

17.4.5 Auswahl eines CAFM-Systems

17 554

Hersteller von CAD-Konstruktionssoftware, Systemlieferanten der Haustechnik, Planungs- und Beratungsunternehmen und zunehmend auch Softwarehersteller mehr betriebswirtschaftlicher Programme, wie z. B. SAP, stellen CAFM-Software zur Verfügung. Nach [Näv02] wurden im Jahre 2002 bereits 43 CAFM-Systeme in Deutschland angeboten, wobei 60  % dieser Systeme vor fünf Jahren noch nicht auf dem Markt waren und gegenüber 1999 15 Systeme am Markt nicht mehr angeboten werden. Die Entwicklung der CAFM-Systeme entfernt sich von „CAD-lastigen“ Systemen, die nur mit speziellen Kenntnissen zu bedienen sind, zu datenbankorientierten Systemen mit variablen Oberflächen für einfache Bedienung. Die Dominanz der Industriestandards Autocad (77  %) und Oracle (81  %) für das CAD-Zeichnungssystem bzw. die zentrale Datenbank ist bemerkenswert. Um die Zukunftssicherheit der wertvollen Datenbestände zu gewährleisten, empfiehlt es sich, Systeme zu bevorzugen, die mit Industriestandards für Graphik und Text arbeiten und bereits einen langjährigen Einsatz aufweisen können. Die GEFMA-Richtlinie 400 unterscheidet deutlich zwischen einer CAFM-Software und einem CAFMSystem [GEF02]. Unter einem CAFM-System wird eine komplexe und individuell gestaltete Softwarelösung verstanden, die die jeweiligen Prozesse in eine spezifische Datenbankstruktur umsetzt. Für den Aufbau eines CAFM-Systems ist also ein Pflichtenheft zu erstellen, das die spezifischen Anforderungen des Unternehmens abbildet und Auswertungsoberflächen für variable Sichten bereithält. Die Anforderungen an ein CAFM-System ergeben sich aus den zu unterstützenden FM-Prozessen. Es muss festgelegt werden, welche Aufgaben die Nutzergruppen (z. B. FM-Team, Eigentümer, Verwalter, interne und externe Dienstleister, Nutzer, Interessenten usw.) beim Einsatz des CAFM-Systems übernehmen sollen.

CAFM-Consulting Nach [War02] ergeben sich folgende Aufgaben bei der Einführung von CAFM-Systemen:

•  Die Anforderungen an ein CAFM-System müssen strukturiert zusammengeführt und aufgearbeitet werden. •  Zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen ist zu moderieren. E  •  ine Wertung und Priorisierung ist vorzunehmen. •  Eine abgestimmte Prozess-, System- und Datenarchitektur ist zu entwickeln. •  Entsprechend der getroffenen Priorisierung ist ein Etappen- bzw. Ablaufplan zu entwickeln und es sind Meilensteine festzulegen. •  Der Erfolg der Implementierung ist mit einem begleitenden Qualitätsmanagement abzusichern. Spezialisierte Berater des CAFM-Consulting sind für die Moderation der Einführung von CAFM-Projekten sinnvoll. Demnach hat sich die nachfolgende Gliederung bei größeren Projekten bewährt: 1. Workshop: Flächen, Organisation, Ausstattung, Umzug 2. Workshop: Wartung, technische Ausstattung, Energie, Bauunterhalt 3. Workshop: Entsorgung, Reinigung, Sicherheit 4. Workshop:  Datenbestände, Kennzeichensystem 5. Workshop: Schnittstellen zu anderen DV-Systemen Es empfiehlt sich, die Ermittlungen und Prozessbeschreibungen nicht nur in Protokollform, sondern zur besseren Übertragbarkeit auch in Datenbanken als Tabellenblätter abzulegen. Erst nach Klärung der benötigten Prozesse kann die Auswahl eines hierfür geeigneten CAFM-Systems erfolgen. Der Trend geht eindeutig in Abkehr von geschlossenen CAD-Konzepten hin zu offenen, flexiblen Datenbankstrukturen, die über eine Integration weit verbreiteter CAD-Systeme, wie z. B. Autocad, über eine hohe Zukunftssicherheit verfügen. Eine Alternative besteht in der Kombination mehr betriebswissenschaftlicher Software wie z. B. SAP R3 mit einem hier-

17.5  Anwendungen des Facility Managements

Bild 17.12: FM-System (Beispiel Archibus) © JR 15.283_JR_B

für geeigneten graphischen Visualisierungswerkzeug. Dies bietet sich besonders für Unternehmen an, die bereits SAP für ihre Kernprozesse einsetzen. Ein Beispiel für ein weit verbreitetes FM-System ist Archibus/FM, das neben zahlreichen Anwendungsmodulen wie Flächen-, Möbel-, Geräte- und Instandhaltungsmanagement auch die Anbindung an andere betriebliche Softwaresysteme wie ERP oder Personalverwaltung erlaubt. Bild 17.12 zeigt eine Anwendung, bei der das angebundene CAD-System Autocad innerhalb des Systems editiert werden kann.

17.5  Anwendungen des Facility Managements Im Folgenden werden einige exemplarische Anwendungsfelder des Facility Managements erläutert, soweit sie für die Fabrikplanung von Bedeutung sind.

17.5.1 Minimierung Unterhaltskosten Im Gegensatz zur konventionellen Planung von Gebäuden, bei der unter der Maßgabe, eine festgesetzte Investitionssumme nicht zu überschreiten, ein Bauvorhaben abgewickelt wird, beginnt Facility Management schon in der Planung, die späteren Unterhaltskosten im Sinn einer Abwägung von höheren Baukosten gegenüber niedrigeren Betriebskosten zu optimieren. Dies wird dadurch erreicht, dass zum frühestmöglichen Zeitpunkt die entscheidenden Faktoren der Unterhaltskosten wie z. B. Energie- und Reinigungskosten aufgezeigt werden. Mit dieser Unterstützung entscheidet der Bauherr nicht nur auf Grundlage minimaler Investitionskosten, sondern minimaler Unterhaltskosten. Facility Management bietet aber nicht nur für Neubauprojekte Einsparungspotenzial, sondern auch für bestehende Gebäude. Der Fokus richtet sich hierbei auf die Energieoptimierung, Kostentransparenz,

17 555

17  Facility Management

Betriebsabläufe und die Aufbauorganisation, da nachträgliche bauliche und haustechnische Optimierungen in der Regel nur mit sehr hohen Kosten zu realisieren sind. Viele gut gemeinte Bemühungen einer Vielzahl von Dienstleistern erzeugen neue Insellösungen mit neuen Schnittstellen. Unter den gegenwärtigen beruflichen Qualifikationen scheint der Architekt, bei entsprechender Ausbildung, das umfassendste Wissen über Gebäude zu besitzen. Damit ist er prädestiniert, die vielfachen Fragestellungen zur Gebäudeerstellung und zum Gebäudebetrieb in einer ganzheitlichen Sichtweise zusammenzuführen. Über die Diskussion der Standorte von Unternehmen hinaus vollzieht sich seit Beginn der 1990er Jahre ein gravierender Wandel in der Liegenschaftsverwaltung der Länder, Kommunen und Gemeinden. Das bestehende kommunale Haushalts- und Rechnungssystem der öffentlichen Verwaltung ist traditionell stärker auf wirtschaftliche Optimierung und Dienstleistungsqualität ausgerichtet. In einer Zeit angespannter oder defizitärer Haushaltslagen zwingt dies nach [Bon01] zu einem konsequent optimierten kommunalen Liegenschafts- und Gebäudemanagement mit Budgetierung der Verwaltungs- und Haushaltsmittel aller Fachbereiche der Ämter. Grundlage hierfür ist eine systematische Erfassung aller Liegenschaften.

17.5.2 Vermeidung von Zuteilungs­ konflikten

17 556

Eine ständige Diskussion bei der Nutzung eines Gebäudes ist die angemessene Flächengröße je Nutzer oder je Funktion, denn nichts wird so zäh verteidigt wie eine einmal „erworbene“ Fläche. In Abschn. 15.5.2 wurden Verfahren zur Flächenbestimmung im Rahmen einer Neu- oder Umplanung vorgestellt. Diese sind jedoch weniger für den laufenden Betrieb und dessen Veränderung geeignet. Ein FM-System bietet hier die Möglichkeit, die wirklich genutzten Flächen jeder Abteilung festzustellen. Der Einsatz einer objektiven Methode beim Zuordnen von Räumen führt zu besserer und schnellerer Akzeptanz der Räume, die den Mitarbeitern zugeordnet sind. Belegungspläne helfen, freie Räume für neue Mitarbeiter

schnell ausfindig zu machen. In Abhängigkeit vom gewählten Facility-Management-System sind Datenauswertungen möglich für:

•  die •  •  •  • 

Erstellung von Belegungsplänen und Berichten mit Durchschnittsflächen je Mitarbeiter nach Gebäude und Standort, die Verrechnung nach Gruppe, Raum oder Mitarbeiter, die Einfügung von Mitarbeitersymbolen in Zeichnungen, die Raumreservierung eines verfügbaren Raums für einen vorgegebenen Zeitbereich unter Berücksichtigung von Kapazität und Ausstattung sowie die Suche nach Räumen mit fest zugeordneter Ausstattung, z. B. Beamerprojektion oder Videokonferenzanlagen.

17.5.3 Raumplanung Das Raum- und Flächenmanagement eines FMSystems enthält Funktionen, die zeigen, ob bei einer Veränderung von Funktionen mehr Raum benötigt oder eine Umstrukturierung der Raumbelegung notwendig wird. Der Raumbedarf kann entsprechend der Mitarbeiterzahl, Nutzungsart der Räume und Logistik geplant und Belegungskosten verständlich gemacht werden. Teile der Raumbelegungsdaten können oft in Microsoft Excel oder Adobe Acrobat transferiert oder auch web-fähig gemacht werden, um diese Informationen anderen Abteilungen der Organisation für Lesezwecke zugänglich zu machen. In Abhängigkeit vom gewählten Facility-Management- System erlauben Datenauswertungen folgende Funktionen:

•  Die Gebäude- und Infrastrukturdaten können Benutzern innerhalb ihrer Organisation zugänglich gemacht werden. •  Die Effizienz der Raumnutzung kann mit Nutzungskennziffern anderer Gebäude verglichen werden. •  Die Verrechnung der Raumkosten kann nach belegter Fläche sowie anteilmäßiger Fläche an Gemeinschaftsräumen erfolgen. d  •  as Umzugsmanagement und die Inventarplanung.

17.5  Anwendungen des Facility Managements

17.5.4 Schließmanagement und Schlüssel­verwaltung Mit einem Schließmanagement können beliebig viele Schließungen mit unbegrenzter Verschachtelungstiefe verwaltet werden. Gruppen-, Einzel- und Zentralschließungen sind dabei bedeutende Elemente der abzubildenden Schließhierarchie. So werden die lückenlose und übersichtliche Verwaltung der Zugangsberechtigungen zu allen Räumlichkeiten gewährleistet und Reporting- und Analysemöglichkeiten eröffnet. Die automatische Erstellung von Schließplänen für Einzel-, Zentral-, und Gruppenschließungen mit Übergabe in Microsoft Excel ist oft ebenso selbstverständlich wie ein leistungsstarker Reportgenerator für individuelle Listen und Reports. Die Integration des Schließmanagements in CADGraphikmodule ergänzt die Auswertungsmöglichkeiten.

17.5.6 Berichtserstellung Ein unkomplizierter und schneller Zugriff auf genaue Flächenangaben vereinfacht es, die Berichterstattung an externe Anforderungen anzupassen. Wenn die Flächenkosten teilweise oder ganz von externen Organisationen erstattet werden, kann ein erheblicher Unterschied zwischen geschätzten und aktuellen Flächenkosten die Rückzahlung einiger tausend oder gar Millionen Euro bedeuten. Die Anwendung entsprechender Verrechnungsformeln stellt sicher, dass innerhalb der Organisation jede Abteilung für ihre Flächennutzung selbst verantwortlich ist und die verursachten Kosten entsprechend des vorgegebenen Verteilungsschlüssels verrechnet werden. Je nach eingesetztem FacilityManagement-System sind folgende Datenauswertungen möglich:

•  die Berechnung der prozentualen Raumanteile für 17.5.5 Kosten- und Gebäudezustandskontrolle Um Kosten kontrollierbar und transparent zu machen, ist eine grundlegende Voraussetzung, alle Gebäudekosten hinreichend genau zu erfassen und die geplanten Ausgaben zu kalkulieren. Auch die Betriebskosten für eigene oder gemietete Immobilien sowie Steuern können registriert werden. Umlagekosten, z. B. städtische Gebühren und Flächenkosten, lassen sich an Hand definierter Schlüssel auf Abteilungen oder andere Einheiten unkompliziert und zügig verteilen. Die Überwachung jedweder Zahlungen kann durch die Erstellung von Budget- und Zahlungsplänen einfach erfolgen. Das erlaubt:

•  die •  •  • 

Einhaltung von vertraglich festgelegten Vorschriften und Terminen, die Kontrolle der bisherigen und kommenden Steuerausgaben, die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Immobilien sowie die Tendenzaufzeichnung und -analyse für jede Immobilie und Liegenschaft.

•  • 

teil- oder zeitweise genutzte Flächen, die Zusammenfassung der Fläche jeder Abteilung mit den abteilungsorientierten Raumanalyseberichten und die Bereitstellung unterschiedlicher Verrechnungsmethoden.

17.5.7 Brandschutz In den jeweils gültigen Bauordnungen der Länder sind die Grundnormen des vorbeugenden Brand- und Gefahrenschutzes aufgeführt. Gerade das Facility Management bietet durch seine Art der verknüpften Datenstrukturierung hervorragende Möglichkeiten einer übergreifenden Darstellung der baulich notwendigen Maßnahmen, der Betriebsbereitschaft technischer Einrichtungen sowie der Verantwortlichkeit der Nutzer. Insbesondere ist bei wechselnden Nutzern und entsprechenden Umbauten des Gebäudes die ständig aktualisierte Dokumentation eines mit den Behörden rechtlich abgestimmten Zustandes unverzichtbar. Der bauliche Brand- und Gefahrenschutz bezieht sich vor allem auf Anforderungen zu folgenden Punkten:

17 557

17  Facility Management

•  Gebäudeabstand, •  Lage und Anordnung der baulichen Anlagen auf •  •  •  •  • 

dem Grundstück, Zufahrten und Flächen für die Feuerwehr, Baustoffe, Bauteile und Gesamtkonstruktion, Abschottungen, L age und Anordnung der Rettungswege sowie L age und Anordnung von Feuerwehrschlüsselkästen.

Der organisatorische Brand- und Gefahrenschutz umfasst die in das Brandschutzkonzept einfließenden Maßnahmen wie:

•  Einsatz von Werks-, Betriebs- oder Hausfeuerweh•  •  •  • 

17 558

ren, Erstellung von Brandschutzordnungen, Bereitstellung objektbezogener Einsatzunterlagen, Begrenzung von Brandlasten sowie rechtzeitig und wirkungsvoll eingeleitete Gefahrenabwehrmaßnahmen.

17.6  Modellierung von FM-Prozessen Wurden bislang lediglich einzelne Aufgaben des Facility Management betrachtet, zeichnet sich dieses in der Betriebsphase eines Gebäudes durch eine prozessorientierte Herangehensweise aus, wie sie seit langem zur Abbildung von Produktions- und Logistikfunktionen üblich ist. Die Dimensionen dieser Prozesse sind Kosten, Informationen und Nutzen. Die grundlegenden Prozessabläufe sind ähnlich. Es ist daher sinnvoll, Referenzprozesse zu modulieren und diese an den konkreten Fall anzupassen. Bild 17.13 zeigt Ziele und Inhalte solcher Prozesse am Beispiel von Störungsmanagement, Energiecontrolling und Reparaturauftrag. Am Beispiel einer Störung soll ein solcher Prozess beschrieben werden [Kri08]. Für einen defekten Wasserhahn in einem öffentlichen Gebäude läuft der Prozess von der Störmeldung bis zur Behe-

Bild 17.13: Beispiele für Prozesse des technischen Gebäudemanagements (nach Krimmling) © JR 15.284_JR_B

17.7  Fallbeispiele

bung der Ursache wie folgt ab: Die telefonische Störmeldung oder eine entsprechende E-Mail läuft beim 24-Stunden-Bereitschaftsdienst des für technische Wartung zuständigen Dienstleisters auf, wo die Meldung im Web-Störmeldetool (z. B. mit dem Haustechnik-Softwaremodul pit-FM) erfasst wird. Alternativ kann sich auch der Nutzer direkt durch die Liegenschafts-Raumstruktur des CAFMSystems navigieren und das Ereignis „Störung“ im Raum „009 WC Herren“ hinterlegen. Nach Vergabe der Dringlichkeit wird ein Vorgang mit der Auftragsvergabe eingeleitet. Nach der Reparatur werden die Fertigstellung dem System rückgemeldet und die entstandenen Kosten dem Kostenträger zugeordnet. Die Vermeidung von Schnittstellen bei den haustechnischen Gewerken und die knappen Mittel bei Unternehmen und Kommunen führen zum sogen. Performance-Contracting oder auch EnergiesparContracting als eine neue, vom Markt geforderte Leistung im Bereich Gebäudetechnik und Energiemanagement. Das Prinzip des Performance-Contracting besteht darin, dass alle Maßnahmen zur Objektoptimierung und die darin betriebenen Anlagen für die Mess-, Steuer-, und Regeltechnik, das Gebäudemanagementsystem, die Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, die Beleuchtung und der Energie- und Gebäudeservice durch die hiermit erzielten Energiekosteneinsparungen finanziert werden.

namige Gummiwarenfabrik in Hamburg-Harburg. 1872 entstand die Phoenix AG. Wie kaum ein anderes Unternehmen ist die Gummiwarenfabrik mitten in der Stadt mit der jüngeren Geschichte Harburgs verbunden und als großer Arbeitgeber maßgeblich an dem Wachstum der Stadt beteiligt. Die Phoenix AG zählt im Verbund der Continental AG zu den führenden Anbietern für Kautschuktechnologie und Akustiksysteme. Ende der 90er Jahre verlagerte der Konzern die Produktion zunehmend in osteuropäische Staaten. Im Hamburger Stammwerk waren von weltweit 10.000 Mitarbeitern 2008 noch 3.100 beschäftigt. Das Hauptwerk liegt an der Hannoverschen Straße gegenüber dem Hauptbahnhof und bietet als gewachsene Struktur nur noch veraltete Produktionsstätten mit zunehmend unwirtschaftlichen Prozessen. Die innerstädtische Lage verhindert eine Erweiterung mit neuen Werksteilen. Langfristig wird die Firma ihren Standort an der Hannoverschen Straße aufgeben müssen. Für die zukünftige Verwertung des Gebäudebestandes sind mehrere Alternativen denkbar, Voraussetzung für künftige Nutzungsszenarien der ca. 120.000 m2 Bruttogeschossfläche ist das Vorliegen einer Dokumentation aller Gebäude. In einer umfassenden digital dokumentierten Bestandsaufnahme wurden für das Kernareal auf Grundlage verfügbarer archivierter Plandokumentationen

•  die

17.7  Fallbeispiele An den Fallbeispielen zweier Industriewerke für Gummiwaren bzw. Haarkosmetik sollen im Folgenden Anwendungen für Facility Management bei Industriegebäuden verdeutlicht werden.

17.7.1 Phoenix AG Hamburg Die Phoenix-Werke gehören seit 150 Jahren zu den größten Firmen Hamburg-Harburgs. 1856 gründeten die Pariser Brüder Albert und Louis Cohen die gleich-

Nutzflächen und Bruttogeschossflächen des gesamten Areals in Zuordnung zu neun sie betreibenden Gesellschaften ermittelt, •  einzelne Gebäude detaillierter in Flächenklassen gemäß DIN 277 gegliedert, •  f ür das gesamte Areal eine 3D-Gebäudedokumentation erstellt (s. Bild 17.14), f  •  ür Teilbereiche an CAD-Objekte wie z. B. Decken Textattribute mit Angaben zu Deckenbelastbarkeit, Konstruktionsstärken, Medienführung, lichte Höhen oder Sanierungsnotwendigkeit angefügt und •  eine digitale Dokumentation aller Fassadeabwicklungen jeweils den Gebäuden zugeordnet. Auf dieser Grundlage wurden in mehreren Szenarien Optimierungen durchgearbeitet, mit dem Ziel, u. a.

17 559

17  Facility Management

Bild 17.14: 3D-Gebäudedokumentation (Beispiel Phönix Hamburg) © JR 15.285_JR_B

•  Geschossleerstände durch die Zusammenfassung •  •  • 

17 560

von Abteilungen zu korrigieren, f unktionale Beziehungen in Prozessen, Logistik und Verwaltung zu verbessern, Betriebskosten zu minimieren und mögliche Flächenpräferenzen für Fremdvermietung oder Verkauf zu eruieren.

Die 2D/3D-Zeichnungskonstruktion sowie die Flächenermittlung erfolgten in Autocad. Die Graphikwie die Bilddaten wurden in die Oracle Datenbank des CAFM-Systems Archibus/FM übernommen. Über den Reportgenerator von Archibus sind z. B. nach Bild 17.15 Flächengliederungen je nach Zuordnung zu gewünschter Gesellschaft oder Funktionsbezüge von Geschossflächen auf einfache Art möglich.

17.7.2 Londa Rothenkirchen In Erweiterung der gewachsenen Werksstruktur sollte am Standort Rothenkirchen der Firma Londa eine neue Fertigungshalle von ca. 6.000 m2 BGF mit zugehörigen Serviceflächen realisiert werden. Das Unternehmen ist eine Tochter der WELLA AG, Darmstadt. Diese ist jetzt Teil des weltweit agierenden Procter + Gamble Konzerns. Im Zuge der informationstechnischen Vernetzung aller Immobilien von Proctor + Gamble wurde vom US-amerikanischen Eigentümer großer Wert auf die Ablage relevanter Daten für Standort, Gebäude, Haustechnik und Einrichtung in einer Oracle Datenbank mit dem CAFM-System Archibus gelegt. Bei der Werkserweiterung wurde die Chance der planungsbegleitenden FM-gerechten Dokumentation

17.7  Fallbeispiele

für alle Fachdisziplinen genutzt, um Workshops, die Grobplanung, die Feinplanung, die Genehmigungsplanung, die Werksplanung und die Ausschreibung zu dokumentieren. Die Übergabe der von allen Fachplanern gepflegten Excel-Listen gemäß der Methodik der Synergetischen Fabrikplanung erfolgte durch ein Makrotool, welches die Excel-Einträge systematisch absucht und mittels einer in Access programmierten „Systemtabelle“ in die Datenfelder der Oracle Datenbank des CAFM-Systems Archibus übergibt. Bild 17.16 zeigt die „Übersetzung“ eines Auszuges aus dem Raumbuch in die Steuertabelle unter Access. Durch die mit Archibus möglichen vielfältigen Reports hat das Management jederzeit Zugriff auf z. B. Nutzflächen oder Kosten und kann diese Werte mit anderen Werken im Sinne eines globalen Benchmar-

Bild 17.15: Bestandsaufnahme, Beispiel Flächengliederung © JR 15.286_JR_B

kings vergleichen. Zur besseren Anschaulichkeit des Gesamtprojektes wurde bereits im Vorprojekt eine Videosimulation als integrales Werksmodell von Standort, Gebäude, Haustechnik und Einrichtung erstellt. Diese 3D-Datensätze werden zum Aufbau eines Informationssystems verwendet. Dadurch ist es möglich, die virtuelle 3D-Konstruktion einer Fertigungslinie direkt aus einer Grundrissdarstellung zu generieren und bei Interesse weitergehende Leistungsmerkmale, Kosten- oder Lieferanteninformationen durch Verknüpfung der Zeichnungsinformationen mit dem CAFM-System aus der Datenbank abzurufen. Bild 17.17 veranschaulicht das Vorgehen. Gerade für global aufgestellte Unternehmen bietet eine derart vereinfachte Navigation mit vereinheitlichten Daten besondere strategische Vorteile in der Entscheidung der Lenkung von Investitionen.

17 561

17  Facility Management

Bild 17.16: Übernahme eines Excel-Raumbuches in eine Oracle Datenbank (Beispiel) © JR 15.287_JR_B

Mit diesen Beispielen sind die Ausführungen zum Facility Management abgeschlossen. Wenn sich die Anwendung auch erst zögerlich verbreitet, wird sich aufgrund des unaufhaltsamen Weges der Digitalen Fabrik und der zunehmenden Veränderungsgeschwindigkeit von Fabriken der Nutzen eines FMSystems immer mehr erschließen.

[GEF02]

17.8  Literatur

[Kri08]

[Bon01]

17 562

[GEF96]

 ongartz, O.: Das neue LiegenschaftsB management der Freien Hansestadt Bremen. Finanzbericht Bremen 3/01, Der Senator der Finanzen, Bremen 2001 GEFMA Richtlinie 100: Facility Management. Begriffe, Strukturen, Inhalte. Bonn 1996

[Jed02]

[Lut02]

[Mor02]

 EFMA Richtlinie 400: Computer Aided G Facility Management CAFM. Begriffsbestimmungen, Leistungsmerkmale. Bonn 2002 Jedlitzke, M. u. a.: IT-Grundlagen für Facility Manager. In: May, M. (Hrsg): IT im Facility Management erfolgreich einsetzen. Das CAFM-Handbuch. Springer Verlag, Berlin 2002 K rimmling, J., Preuß, A., Deutschmann, J.U., Renner, E.: Atlas Gebäudetechnik. Grundlagen, Konstruktionen, Details. Verlag Rudolf Müller, Köln 2008 Lutz, U. (Hrsg.): Facility Management Jahrbuch 2002/2003. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2002 Morfeld, E., Potreck, H.: Digitale Bestandsdokumentation zur Optimierung von Wartungs- und Instandhaltungs-

17.8  Literatur

Bild 17.17: Verknüpfung von Gebäude- und Einrichtungsdaten (Beispiel) © JR 15.288_JR_B

[Näv02]

prozessen. In: Lutz, U. (Hrsg.): Facility Management Jahrbuch 2002/2003. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2002 Nävy, J.: Marktübersicht CAFMSysteme. In: Lutz, U. (Hrsg.): Facility Management Jahrbuch 2002/2003. Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York 2002

[Näv06]

[War02]

 ävy, J.: Facility Management. CompuN terunterstützung, Systemeinführung, Anwendungsbeispiele. 4. Aufl. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2006 Warner, T. u. a.: Consulting im CAFM. In: May, M. (Hrsg): IT im Facility Management erfolgreich einsetzen. Das CAFM-Handbuch. Springer Verlag, Berlin 2002

17 563

Anhang

Anhang A Wandlungspotenzialbestimmung der Fabrikobjekte Anhang A1  Definition In diesem Anhang werden die Fabrikobjekte 1. und 2. Ordnung – sortiert nach den Fabrikebenen I bis V und den Fabrikfeldern Technik, Organisation und Raum – entsprechend der folgenden Übersicht aufgelistet und beschrieben. Die Anwendung der Bewertung beschreibt Abschn. 5.7 „Bewertung der Veränderungsfähigkeit“.



  

 

  

  

     

 !)!



!$)%-$!

)'#!)7 !).,'!)

 /"/ *,#)%-.%*)

 ,/) -.4&  !)!,' !//)#  /5!))'#!)

 ,* /&.%*)- &*)2!+.  *#%-.%&&*)2!+.  .,/&./,

   



  

!)!  

  

!)!     

  

!)!    

 !$)%-$!

)'#!)7 !,.!%'/)#  )"*,(.%*)- .!$)%&

1*/. /"*,( ,#0!,& 4''!

)(/./)#

#!,(%..!'  ,!%.- *,#)%-.%*) ,)-+*,.(%..!'

 /-/

 ,* /&.%*)- .!$)*'*#%!  ,* /&.%*)- (%..!'  *)-.%#!%..!'

 ,!%.-+'.2 #!-.'./)#

 /'%.3.- -%$!,/)#- &*)2!+.

Übersicht Fabrikobjekte (vgl. Kap. 5, Bild 5.18)

567

Anhang

Das folgende Beispiel zeigt die Untergliederung des Fabrikobjektes Produktionsmittel und die zugehörigen Definitionen.

Fabrikobjekt 1. Ordnung

T.V.2:

Produktionsmittel

Fabrikobjekte 2. Ordnung

T.V.2.1 T.V.2.2 T.V.2.3 T.V.2.4 T.V.2.5 T.V.2.6 T.V.2.7

Gründung Gestell Antriebe Kinematisches System Systeme für Steuerung, Regelung, Messung und Diagnose Peripheriesysteme und Hilfsmittel Werkzeuge

Beschreibung: Unter Produktionsmitteln werden sowohl Einrichtungen zum Urformen, Umformen, Trennen, Fügen, Beschichten und Stoffeigenschaft ändern sowie zur Montage als auch Handarbeitsplätze verstanden. Zur Gründung zählen alle Teile, die die Lasten des Produktionsmittels in den Baugrund einleiten, wie Fundamente, Pfähle, Unterböden oder Platten. Des Weiteren können Produktionsmittel folgende Bestandteile besitzen: Korpus der Maschine, z. B. Bett, Ständer oder Verhaubung (Gestell), Leistungs- und Positionierantriebe (Antriebe), bewegliche Teile, die zum Bewegen und zur Positionierung von Werkstücken oder Werkzeugen benötigt werden, wie Spindel und Spannvorrichtung (Kinematisches System) sowie Systeme für Steuerung, Regelung, Messung und Diagnose. Zusätzliche Systeme z. B. zwecks Arbeitssicherheit oder Medienversorgung werden unter dem Begriff Peripheriesysteme zusammengefasst. Zu diesen zählen auch Hilfsmittel wie Spannwinkel oder Schablonen. Werkzeuge lassen sich in Maschinenwerkzeuge (z. B. Schaftfräser oder Bohrer) und Handwerkzeuge (z. B. Hammer oder Säge) unterteilen. Zu den Werkzeugen werden auch die Werkstückspeicher gezählt.

Beispiel Gliederung und Definition Fabrikobjekt Produktionsmittel

568

Anhang A

Anhang A2  Wandlungspotenzialmerkmale In diesem Anhang werden die Wandlungspotenzialmerkmale geordnet nach Fabrikfeldern, -ebenen und -objekten sowie nach den primären Wandlungspotenzialarten aufgelistet und beschrieben. Jedem Merkmal werden die möglichen Zielerreichungsklassen bzw. Zielerreichungsintervalle und die entsprechenden Teilpotenzialwerte zugeordnet. Die Abkürzungen in Klammern in der ersten Spalte der Tabellen repräsentieren die sekundären Wandlungspotenzialarten. Die zugehörigen Definitionen der Fabrikobjekte enthält Anhang A1

Fabrikobjekt 1. Ordnung

T.V.2: Produktionsmittel

Nr. Wandlungs- Beschreibung WP potenzial merkmal

Zielerreichung (Klassen oder Intervalle)

Teilpotenzial

90 Produkt- und Potenzial, auf dem Mittel UN Varianten- aktuelle und geplante Produkte flexibilität bzw. deren Varianten ohne Nachrüstung vollständig zu produzieren

nicht erfüllt (z. B. Spezialmaschine) vereinzelt erfüllt (z. B. konv. Bearbeitungsmaschine) teilweise erfüllt (z. B. flex. Fertigungssystem) größtenteils erfüllt (z: B. flexible Fertigungszelle) erfüllt (z. B. Komplett- bearbeitungssystem)

0 %

91 Standar- UN disierung (ST)

alle Produktionsmittel sind standardisert und untereinander austauschbar, z. B. gleiche oder ähnliche Roboter, die dieselben oder ähnliche Arbeitsinhalte verrichten können

nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt

0 % 25 % 50 % 75 % 100 %

92 Automatisier- barkeit

Potenzial, einzelne Module oder das gesamte Mittel zu zu automatisieren bzw. von Automatisierung auf manuellen Betrieb zurückzurüsten

nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt

0 % 25 % 50 % 75 % 100 %

93 Sonderan- UN forderungen

das Mittel besitzt keine Sonder- anforderungen bzgl. Brandschutz, Arbeitssicherheit etc.; eine zu- sätzliche Bodenöffnung (z. B. bei Senkrechthonmaschinen) ist ebenso eine Sonderanforderung

nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt

0 % 25 % 50 % 75 % 100 %

25 % 50 % 75 % 100 %

Beispiel für die Wandlungspotenzialmerkmale der Produktionsmittel

569

Anhang

Anhang A3  Transformationstabellen In diesem Anhang werden Tabellen und Bilder für die Transformation der Zielerreichungsklassen in Teilpotentialwerte aufgeführt und beschrieben, die aufgrund ihres Umfangs in Anhang A2 nicht berücksichtigt werden konnten. Diese sind: • Autonomie • Beschäftigungsverhältnis • Arbeitzeitmodell und • Lage Fixpunkte.

Anteil der Mitarbeiter mit gleitenden Arbeitszeiten [%]

Als Beispiel zeigt die folgende Matrix die Potenzialbewertung für das Teilpotenzial Arbeitzeitmodell 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

60 56 48 42 36 30 24 18 12 6 0 0

66 58 52 46 40 34 28 22 16 10 10

68 62 56 50 44 38 32 26 20 20

72 66 60 54 48 42 36 30 30

76 70 64 58 52 46 40 40

80 74 68 62 56 50 50

84 78 72 66 60 60

88 82 76 70 70

92 86 96 80 90 100 80 90 100

Anteil der Mitarbeiter mit bedarfsorientierten Arbeitszeiten [%]

Beispiel für die Teilpotenzialermittlung des Wandlungspotenzialmerkmals Arbeitszeitmodell

570

Anhang A

Anhang A4  Softwaretool Für die Ermittlung der Ist-, Soll- und Plan-Teilwandlungspotentialwerte sowie für die Berechnung des jeweiligen Wandlungspotentials wurde prototypisch ein auf Microsoft Excel basierendes Tool entwickelt. Das folgende Arbeitsblatt zeigt als Beispiel im Ausschnitt das Fabrikobjekt „Produktionsmittel“. Fabrikobjekt: Fabrikfeld: Fabrikebene: Fabrikobjekte 2.Ordnung:

Wandlungspotentialmerkmal

UN

90

T.V.2: Produktionsmittel Technik (T) Arbeitsstation (V) T.V.2.1 Gründung T.V.2.2 Gestell T.V.2.3 Antriebe T.V.2.4 Kinematisches System T.V.2.5 Systeme für Steuerung, Regelung, Messung und Diagnose T.V.2.6 Peripheriesysteme und Hilfsmittel T.V.2.7 Werkzeuge

UN

Produkt- und Variantenflexibilität

Zielerreichung (Klassen oder Intervalle)

Beschreibung

Potential, auf dem Mittel aktuelle und geplante Produkte bzw. deren Varianten ohne Nachrüstung vollständig zu produzieren

91

UN (ST)

Standardisierung

alle Produktionsmittel sind standardisiert und untereinander austauschbar, z. B gleiche oder ähnliche Roboter, die dieselben oder ähnliche Arbeitsinhalte verrichten können

92

UN

Automatisierbarkeit

Potential, einzelne Module oder das gesamte Mittel zu automatisieren bzw. von Automatisierung auf manuellen Betrieb zurückzurüsten

nicht erfüllt (z. B. Spezialmaschine) vereinzelt erfüllt (z. B. konv. Bearbeitungsmaschine) teilweise erfüllt (z. B. flexibles Fertigungssystem) größtenteils erfüllt (z. B. flexible Fertigungszelle) erfüllt (z. B. Komplettbearbeitungssystem) nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt nicht erfüllt vereinzelt erfüllt teilweise erfüllt größtenteils erfüllt erfüllt

Teilpotential 0%

25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100%

Beispiel Arbeitblatt Produktionsmittel Die Bewertung wird in einem Übersichtsblatt zusammengeführt, für das die folgende Tabelle ein Beispiel zeigt. Fabrikfelder

T Technik

O Organisation

R Raum

Fabrikobjekte T.I.1 T.II.1 T.II.2 T.III.1 T.III.2 T.V.1 T.V.2 T.V.3 O.I.1 O.II.1 O.II.2 O.II.3 O.III.1 R.I.1 R.I.2 R.I.3 R.II.1 R.II.2 R.II.3 R.II.4 R.III.1 R.V.1

Technische Anlagen - Zentralen Technische Anlagen - Verteilung Inform ationstechnik (IT) Lagerm ittel Transportm ittel Produktionsverfahren Produktionsm ittel Sonstige Mittel Aufbauorganisation Produktionskonzept Logistikkonzept Struktur Arbeitsorganisation Grundstück Generalbebauung Außenanlagen Layout Bauform Tragwerk Hülle Ausbau Arbeitsplatzgestaltung

W P Ist

W P Soll

W P Ist-W P Soll

Bewertungsklasse

53,9% 42,2% 75,0% 87,3% 13,7% 67,4% 33,4% 33,9% 60,9% 35,8% 56,7% 40,3% 77,3% 57,4% 39,6% 45,0% 60,9% 45,1% 49,4% 47,7% 43,3% 87,5%

60,0% 87,5% 75,0% 90,0% 13,7% 82,9% 50,2% 55,3% 92,1% 78,9% 65,1% 87,5% 80,3% 85,7% 82,3% 65,1% 92,0% 52,0% 72,9% 67,6% 85,3% 87,5%

-6,1% -45,3% 0,0% -2,7% 0,0% -15,5% -16,8% -21,4% -31,2% -43,1% -8,4% -47,2% -3,0% -28,3% -42,7% -20,1% -31,1% -6,9% -23,5% -19,9% -42,0% 0,0%

befriedigend ungenügend angem essen angem essen angem essen ausreichend bis m angelhaft ausreichend bis m angelhaft ausreichend bis m angelhaft ausreichend bis m angelhaft ungenügend befriedigend ungenügend angem essen ausreichend bis m angelhaft ungenügend ausreichend bis m angelhaft ausreichend bis m angelhaft befriedigend ausreichend bis m angelhaft ausreichend bis m angelhaft ungenügend angem essen

Beispiel Übersichts-Tabellenblatt mit exemplarischen Werten

571

Anhang B

Anhang B Raumspiegel Die Tabellen beschreiben für jede Ebene und jeden Raum eines Gebäudes die Geometrie (Nettofläche, lichte Höhe), die Raumanforderungen an Boden, Decke, Wände und Einrichtungen, die daraus resultierenden Anforderungen an die Haustechnik und die Anforderungen aus dem Prozess, der in diesem Raum stattfindet. Die Anwendung wird in Abschn. 16.1.2 „Aufgabenübersicht des Projektmanagements“ beschrieben.

Standort NNNN

Bauteil

NNNN

Code

Bereich 200

Bezeichnung / Geometrie

Raumnummer Raumname Nettofläche 201

NNNN

0,00

202

NNNN

0,00

203

NNNN

0,00

Summe 200

lichte Höhe

Boden

Anforderungen Raum Wand Decke Einrichtung

Anforderungen Haustechnik

Behaglichkeit

Boden

Wand

Decke

Anforderungen Prozess

Klima Boden

Wand

Decke

0,00

a) Angaben je Geschoss

Erdgeschoss Raumnummer Raumname Nettofläche

1. Obergeschoss Raumnummer Raumname Nettofläche

2. Obergeschoss Raumnummer Raumname Nettofläche

3. Obergeschoss Raumnummer Raumname Nettofläche

101

NNNN

0,00 201

NNNN

0,00 301

NNNN

0,00 401

NNNN

0,00

102

NNNN

0,00 202

NNNN

0,00 302

NNNN

0,00 402

NNNN

0,00

103

NNNN

0,00 203

NNNN

0,00 303

NNNN

0,00 403

NNNN

0,00

b) Zusammenfassung je Geschoss

573

Anhang C

Anhang C Der Anhang enthält einige Vorlagen und Tabellen zur Durchführung eines Fabrikplanungsprojektes.

Anhang C1  Zielfindungsworkshop Die Datei enthält alle notwendigen Vorlagen, um einen Zielfindungsworkshop für einen Unternehmensstandort nach dem folgenden Ablauf durchzuführen

09:00

Begrüßung und Zielsetzung des Workshops Erwartungen der Teilnehmer

Geschäftsführung alle

(10 min) (10 min)

09:30

Impulsreferat

NN

(45 min)

10:30

Kaffeepause

10:45

Unternehmens- und Umweltanalyse

Moderation NN

(60 min)

11:45

Ziel- und Strategiefindung

Moderation NN

(60 min)

12:45

Imbiss

13:30

Eignungsprüfung des Standortes

15:30

Kaffeepause

16:00

Definition der Leitlinien und Handlungsfelder

Moderation NN

(60 min)

17:30

Feed Back der Teilnehmer

alle

(30 min)

18:00

Ende Workshops

(15 min)

(45 min) Moderation NN

(120 min) (30 min)

Ablaufvorschlag Workshop Zielfindung Der genaue Ablauf eines Workshops wird anhand eines Beispiels in Abschn. 15.3 „Zielfestlegung“ beschrieben.

575

Anhang

Anhang C2  Datenbedarfsliste Die Tabelle dient als Checkliste für die Daten, die für eine Fabrikanalyse ggf. erforderlich sind. Die Anwendung wird in Abschn. 15.4 „Grundlagenermittlung“ beschrieben. Nr. Daten 0

Bedarf vom

Beschreibung

verantwortlich

Erhalt Datum

Status Pfad von wann

Projektmanagement

0.1 Ansprechpartner 0.2 Logo des Unternehmens 1

3 für Präsentationen

3

Unternehmen

1.1 Unternehmensstruktur

3

Konzernstruktur, Rechtsform, finanzielle Einbindung

1.2 Umsatz

3

1.3 Mitarbeiteranzahl

Aufteilung auf Bereiche (auch indirekte MA) und über Schichten

3

1.4 Betriebskalender

inkl. Freie Tage, Feiertage

3

1.5 Schichtmodell 1.6 Organigramm 2

3 Organisationsstruktur (über 3 Hierachieebenen)

3

Werks- und Fabriklayout

2.1 Generalbebauungsplan

3

2.2 Ist Layout Grob

3

2.3 Ist Layout Fein

3

2.4 Soll-Layout Grob

3

2.5 Soll-Layout Fein

3

2.6 Flächenbilanz

Größe sämtlicher Flächen (inkl. ungenutzter Flächen)

3

2.7 Fixpunkte

Layout mit Fixpunkten

3

2.8 3D-Dateien

z.B. Filme

3

Datenbedarfsliste (Ausschnitt) Anhang C3  Nutzwertanalyse Die Excel-Anwendung ermöglicht die Bewertung von Konzeptvarianten anhand einer gewichteten Kriterienliste. Die Kriteriengewichtung erfolgt durch paarweisen Vergleich. Als Ergebnis erhält man den Zielerfüllungsgrad. Die Anwendung wird in Abschn. 15.5.3.5 „Bewertung“ beschrieben. Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kriterien Produkthandling Volumenflexibilität Rückverfolgbarkeit Umlaufflexibilität inkrement. Kapazitätsanpassung Störungsflexibilität Variantenflexibilität Überholflexibilität Prozessicherheit Bewertungsskala 1 bis 5

Kriteriengewichtung [%] 2,78 13,89 2,78 8,33 19,44 11,11 11,11 8,33 22,22

Konzept 1 gewichtete Bewertung [%] 0,20 3,20 3,20 3,20 3,20 1,80 0,80 0,20 0,20 16,00

Konzept 2 gewichtete Bewertung [%] 0,20 3,20 3,20 1,60 1,60 1,80 0,80 0,20 0,20 12,80

Konzept 4 gewichtete Bewertung [%] 1,00 3,20 3,20 2,40 2,40 3,00 1,60 1,00 1,00 18,80

Bewertung

Bewertung

Bewertung

1 4 4 4 4 3 2 1 1 %

1 4 4 2 2 3 2 1 1 %

5 3 4 4 4 4 3 5 5 %

5 4 4 3 3 5 4 5 5 %

Beispiel einer Nutzwertanalyse für vier Konzeptvarianten

576

Konzept 3 gewichtete Bewertung [%] 1,00 2,40 3,20 3,20 3,20 2,40 1,20 1,00 1,00 18,60

Bewertung

Anhang C

Anhang C4  Erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung Der Anhang beschreibt eine Methode zur Wirtschaftlichkeitsrechnung einer Fabrikinvestition auf Basis einer Kapitalflussrechnung. Dabei werden neben monetär bewertbaren Zielgrößen auch nicht monetäre Zielgrößen berücksichtigt. Die Anwendung wird in Abschn. 15.5.3.5 „Bewertung“ beschrieben. Ein Beispiel für monetär bewertbare Größen, die durch das Gebäude entstehen, zeigt die folgende Tabelle Zahlungsart Betriebsmittel

Beschreibung Zahlungen durch Betriebsmittel umfassen sämtliche Produktions- und Lagermittel Grundstück Zahlungen für Erwerb und Freimachung bzw. Verkauf des Grundstücks (vgl. Kostengruppe 100 in DIN 276) Herrichtung und Zahlungen für die Herrichtung und öffentliche Erschließung Erschließung des Grundstücks (vgl. Kostengruppe 200 in DIN 276) Bauwerk Zahlungen für die Gebäude, jedoch ohne Baukonstruktion technische Ausrüstung (vgl. Kostengruppe 300 in DIN 276) Bauwerktechnische Zahlungen für die Ausrüstung der Gebäude Anlagen z. B. mit Klimatechnik (vgl. Kostengruppe 400 in DIN 276) Außenanlagen Zahlungen für Außenanlagen (vgl. Kostengruppe 500 in DIN 276) Ausstattung und Zahlungen für die generelle Ausstattung des Kunstwerke Gebäudes (vgl. Kostengruppe 610 in DIN Öffentliche Fördermittel Investitionszulagen von staatlicher Seite, als Einzahlungen i.S.v. Investitionszulagen

Beispiele Maschinen oder ein Hochregallagersystem Grundstück, Grunderwerbsteuer

Abbruch von bestehenden Gebäuden, Anschluss an Abwasser Stahlkonstruktion, Gründung etc.

Klimatechnik, informationstechnische Anlagen Anlage von Parkplätzen Möbel, technische Geräte, Werbeanlagen Investitions-Subvention

Beispiel Zahlungsarten Gebäudeinvestition Ein Beispiel für ein nichtmonetäres Ziel zeigt die folgende Tabelle

1. 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Einhaltung von Standards Grad der Einhaltung von GPS (ordinal) Grad der Einhaltung von GPS (kardinal) Grad der Einhaltung der GMP-Vorschriften Grad der Einhaltung der FDA-Vorschriften Restverschmutzung der Endprodukte Einhaltung der 5S-Methode Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz (ordinal) Zugangssicherheit der Fabrik Diebstahlsicherung Allgemeine Übererfüllung der Arbeitssicherheitsauflagen Grad der Unfallgefährdung Unfallvorbeugung

Beispiel für ein nichtmonetäres Ziel „Einhaltung von Standards“

577

Anhang

Für jedes nichtmonetäre Kriterium werden die Bewertungskriterien, ihre Skalierung und die Art der Transformation in eine Ein- oder Auszahlung beschrieben. Das folgende Beispiel beschreibt Kriterium 1.1

1.1

Grad der Einhaltung von GPS (ordinal)

•  B  eschreibung: Es wird ordinal bewertet, zu welchem Grad das vorgegebene GPS des Unternehmens durch das Bewertungsobjekt eingehalten bzw. unterstützt wird. •  Skalierung: Fünfstufig ordinal: – Stufe 1 (0 %): Das unternehmensinterne GPS wird nicht unterstützt, sondern eine Einhaltung der Standards wird durch das Betrachtungsobjekt erschwert. – Stufe 3 (50 %): Das unternehmensinterne GPS wird nicht unterstützt, jedoch auch nicht behindert. – Stufe 5 (100 %): Das unternehmensinterne GPS wird optimal unterstützt. Es besteht eine vollständige Überdeckung zwischen den Vorgaben und dem Bewertungsobjekt. •  Mögliche Transformation – „Zahlungen durch die Planung“ (z. B. „Externes Planungspersonal“ oder „Internes Planungspersonal“), da zusätzliche Randbedingungen für die Fabrikplanung relevant sind und berücksichtigt werden müssen. Andererseits sind Fabriken, die GPS entsprechen sollen, schneller und einfacher zu planen, da diese die Grundlagen des GPS mit aufnehmen können. – „Zahlungen durch Anlagevermögen“, da einige GPS auch Vorgaben für die Gestaltung z. B. von Betriebsmitteln geben und damit zu veränderten Zahlungen führen können. – „Zahlungen durch die Realisierung“ (insbesondere „Projektbegleitende Schulungsmaßnahmen“, „Zahlungen für den Anlauf“), da diese eine hohe Bedeutung im Bereich der GPS haben und eine Fabrik mit einer guten Einhaltung entsprechende Schulungsaufwände bedingt. Durch die Berücksichtigung des GPS werden nur im Unternehmen etablierte Methoden und Tools eingesetzt und damit kann ein geringerer Aufwand im Anlauf erwartet werden. – „Zahlungen im Betrieb“, da die Beeinflussung dieser Zahlungen letztlich das Ziel der GPS darstellt. Der Einfluss ist jedoch GPS-spezifisch, daher können keine allgemeingültigen Transformationsansätze identifiziert werden.

578

Anhang D

Anhang D Anhang D 1  Videoanimation einer Feasibility Studie

Beispiel Szenenbild

Die Qualität der Feasibility-Studie liegt in der synergetischen Zusammenschau der bis zu diesem Zeitpunkt erarbeiteten Zielvorstellungen aus Standort, Prozess und Organisation, Gebäude und Haustechnik in einem räumlichen Gesamtmodell. Aus den 3D-Daten der Prozess- und Gebäudeplanung lassen sich mit relativ überschaubarem Aufwand Videoanimationen erstellen. Funktionell-organisatorische Zusammenhänge der Standort- und Prozessplanung, insbesondere aber deren Zusammenspiel mit dem Gebäude (z. B. Nutzungsaspekte wie Kommunikation oder der Einsatz von Tageslicht), können allen Beteiligten des Projektteams, Investoren, Behörden oder auch den späteren Nutzern in höchst anschaulicher Weise vermittelt werden. Gerade für die vergleichende Bewertung ggf. alternativer angelegter Szenarien von Planungsvarianten ist die unmittelbare Überzeugungskraft bewegter Bilder von großem Vorteil. In das mit dem Projektteam vorab abgestimmte „storyboard“ können auch Prozessanimationen wie z. B. Materialflusssimulationen eingebettet werden. Die als Anhang D beigefügte Videoanimation zeigt die Einbindung einer neuen, modular konzipierten Fertigungshalle für Kosmetikprodukte in eine gewachsene Werkstruktur. Besondere Aspekte lagen u. a. in der Darstellung der topographischen Einbettung in die existente leichte Hanglage, die grobe 3D-Darstellung der Prozesseinrichtungen, des strukturellen Zusammenhangs von Tragwerk und modularer Haustechnik sowie im Aufzeigen räumlicher Transparenz, Kommunikation und Blickbezüge im neuen Werk. Die Ziele der Werkserweiterung wurden anhand der Videoanimation insbesondere mit den künftigen Nutzern erörtert. Die Einbindung der Videoanimation in den synergetischen Planungsprozess wird in Abschn. 15.2 „Prozessmodell“ näher beschrieben.

579

Anhang

Anhang D 2  Videoanimation Aufwertung der Werksstruktur einer Backwarenfertigung

Beispiel Szenenbild

Die besondere Aufgabenstellung forderte in diesem Fall funktionale Verbesserungen in den bestehenden Gebäudestrukturen, der Werkserschließung, logistischen Abläufen und den Außenanlagen. Darüber hinaus war, verbunden mit der anstehenden Sanierung und energetischen Verbesserung von Teilbereichen der Fassaden, eine höherwertige Gestaltung des Werksauftritts in Ästhetik, Material und Licht gewünscht. Die visuelle Vermittlung dieser neuen Qualitäten für Mitarbeiter und Besucher, Varianten der Fassadenreliefierung, auch die Identität des Werkes in Fern- und Nahwirkung waren Themen des mit dem Auftraggeber abgestimmten storyboards. Die Einbindung der Videoanimation in den synergetischen Planungsprozess wird in Abschn. 15.2 „Prozessmodell“ näher beschrieben.

580

Sachregister

Sachregister 3D-Gebäudedokumentation 560

A Abschätzung der Optimierungspotenziale 399 Agilitätsorientierter Wettbewerb 97 alternsgerechte Gestaltung 66 Altersentwicklung 65 Anlaufkurve 488 Anlaufphasen einer Fabrik 432 Anmut 318 Anmutung 350 Arbeitsbewertung 222 arbeitsphysiologische Arbeitplatzgestaltung 239 Arbeitsplatzgestaltung 238 Arbeitsschutz 244 Arbeitsstrukturierung 216 Arbeitstättenrichtlinien 245 Arbeitstättenverordnung 244 Arbeitszeitgestaltung 225 Arbeitszeitmodelle 226 Assemble-to-Order 260, 265 Ästhetik 350 atmende Fabrik 34 Aufbau der DIN 276 542 Aufbau einer Werkzeugmaschine 182 Aufbau von Datenmodellen für Gebäudedaten 546 Aufgaben des Facility Management 541 Aufgabenübersicht des Projektmanagements 498 Auftragserzeugung 274 Auftragsfertigung 47 Auftragsfreigabe 274 Auftragsstrategien 46 Ausbau eines Gebäudes 318, 341 Auslässe eines Gebäudes 340 Automatisierungsstufen von Einzelmaschinen 181

B Böden 342 Bürokonzepte 290 Balance von Einheit und Vielfalt 351 Balanced Scorecard 23 Bauantrag 485 Bauformen 365

Bauherrenstellvertretung 500 Baukastenprinzip für Gebäude 349 Baunutzungskosten 513 Baustellenfertigung 268 Baustellenmontage 268 Bedürfnispyramide 219 Bedarfsprofil 467 Belastungsorientierte Auftragsfreigabe 275 Beschaffungsmodelle 262 Beschichten 159 Betreibermodelle 29 Betriebseinrichtungen 452 Betriebsmittel 176 Bewertung 477 Bewertung der Veränderungsfähigkeit 135 Bionic Manufacturing 105 Bodenbeschaffenheit 386 Brandschutz 372, 557 Building Information Modeling 524 Business Club 291

C CAFM (Computer Aided Facility Management) 545 CAFM-System 554 ConWip-Verfahren 275 Customer Order Decoupling Point 258

D Datenbedarfsliste 455 Decken 345 Demographische Entwicklung 65 Detailplanung 482 Dienstvertrag 509 Digitale Fabrik 517 Doppelständerpresse 184 Durchlaufdiagramm 83, 171

E Ebenen der Marktleistung 132 Ebenen der Produktionsleistung 132 Economies of Scale 27 Economies of Scope 27

581

Anhang

Eignungsprüfung der heutigen Struktur (einer Produktion) 399 Einteilung von Werkzeugmaschinen 178 Einzelbeschaffung 264 Elektrosicherheit und Strahlenschutz 251 Elemente einer Werkzeugmaschine 180 Emotionale Qualität, 352 emotionale und soziale Aspekte 435 Energiegewinnung 334 Energieoptimierung eines Gebäudes 366 Engineer to Order 260, 265 Entgeltformen 222 Entgeltgestaltung 221 Entkopplungslager 261 Erfolgsfaktoren der Produkte 440 Ergonomie 157, 238 Erschließung eines Grundstücks 375, 383 Erstellung eines Generalbebauungsplans 374 Explosionsschutz 372

F F. W. Taylor 81 Fügen 159, 165 Fabrikstrategie 445 Fabriktypen 33 Facility Management Systeme 544 Faktoren der Generalbebauung 373 Farbgestaltung 242 Farbkonzept 243 Fassadensysteme 332 Feinlayout 482 Feinterminplan 505 Fertigungsinseln 84, 267 Fertigungsmittel 178 Fertigungsprinzipien 266 Fertigungssegmente 87, 269 Fertigungssteuerung 273 Fertigungssteuerungsverfahren 274 Fertigungsverfahren 158 Flächenarten 361 Flächengliederung Generalbebauung 377 Flächennutzungspläne 386 Flächenbestimmung 467, 469 Flächenbilanz 453 Flächengliederung 468

582

Flächenmodule 470 Flexibilität 115 Flexibilitätsansätze in der Fabrikplanung 120 Flexibilitätstypen 116 Flexible Fertigungssysteme 86, 183 Fließfertigung 267 Fließmontage 190 FM Datenklassen, 547 FM-System 555 form follows function 70 form follows performance 70 Formen der Auftragsabwicklung 260 Formen von Arbeitsstrukturen 83 Fraktale Unternehmen 96 Freiflächen 376 Fristenplan 259 function follows form 70 funktionale Fabrik 11, 36 Funktionen eines Facility Management Systems 545 Funktionsschema 472

G Gebäudedatenmodell 526 Gebäudedokumentation 551 Gebäudezustandskontrolle 557 Gefährdung von Bauwerken 250 Gefahrstoffschutz 248 Gemeinschaftsräume 292 Gen-Code für ein Objekt 448 GENEering 447 Generalbebauungsplan 372 Gesamt-Wiederbeschaffungszeit 259 Gesetze und Auflagen für Bebauung 386 Gestaltungsfelder der Fabrik 32, 257 Gestaltungsfelder der Veränderungsfähigkeit 127 Gestaltungsfelder Standort 390 gleitende Arbeitszeit 229 Gliederung der Fabrikobjekte 134 Gliederung der Produktionsflexibilität 118 Globales Varianten-Produktionssystem GVP 409 Grenzwertansätze in der Produktion 53 grenzwertorientierte Verbesserung 56 Grenzwertorientierung 51 Groblayout 472 Groblayoutplanung 471

Sachregister

Grobszenarien 444 Grobterminplan 504 Grobterminplanung Produktionseinrichtungen 505, 506 Großraumbüros 291 Grundlagenermittlung 550 Grundrissfigur 368 Gruppenarbeit 82, 216 Gruppenmontage 268

ID-Cards 363 Ideal-Groblayout 472 Industrieloft 291 Integriertes FM-Datenmodell 553 Intelligent Manufacturing System 103 Internationalisierungsstrategie 398

Kapazitätsprofil 467 Kapitalwert 481 Kern- und Supportprozesse 449 Kerne eines Gebäudes 347 Klassen der Veränderungsfähigkeit 131 Kombibüro 291 Kommissioniersystem 201 Kommunikation 60, 287 Kommunikationsfördernde Strukturmerkmale 289 Kommunikationsflüsse 459 Kommunikationsgerechte Raumgestaltung 288 Kompetenz 212 Kompetenzentwicklung 214 Komplexitätsbeherrschung 13 Konfiguration der Fertigungssteuerung 278 Konsignationslager 263 Konzeptplanung 460 Kooperationsbeziehungen 411 Kosten im Hochbau 511 Kostenanschlag 512 Kostenberechnung 512 Kostenermittlung 510 Kostenfeststellung 512 Kostengliederung nach DIN 276 512 Kostenmanagement 514 Kostenrahmen 512 Kostenschätzung 512 Kreislaufwirtschaft 71 Kundenauftragsentkopplungspunkt 46, 257 kundenindividuelle Fabrik 35 kundenindividuelle Massenproduktion 98 kundenspezifische Einmalfertigung 47 Kunstlichtsimulation 529

J

L

Job Enlargement 84 Job Enrichment 84 Job Rotation 84 Just in Time 93

Lärmschutz und Lärmminderung 249 Lageplan 452 Lagerbauarten 197 Lagerbereiche 470 Lagerfertigung 46 Layoutarten 472 Lebenszykluskosten 49 Leistungsanreize 221 Leistungsbereitschaft 227 Leistungsfähigkeit 318

H Hülle eines Gebäudes 317 Haftungsfragen 509 Handhabens 167 Handlungsfelder 449 Handlungskompetenz 212 Hauptgeschäftsprozesse 31 Haupttrassen 339 HOAI 428 Hochlaufbetreuung 487 Hochregallager 198 Hochtechnologiefabrik 34 Holonic Manufacturing 103 Holztragwerke 325 Humanressource 211

I

K Kanban-Verfahren 275 Kapazitätsplanung 506 Kapazitätssteuerung 274 Kapazitätsbedarf 466

583

Anhang

Leistungsphasen der Objektplanung 428 Leistungsphasen der Produktionsplanung 428 Leistungsphasen Synergetische Fabrikplanung 428 Leitbild der wandlungsfähigen Fabrik 143 Leitsätze Produktion 73 Leitungsaufgaben bei Projekttreffen 503 Leitungsnetze 339 Lernformen 214 Liefermodelle 265 Lieferzeitfenster 259 Logistikmittel 195 Logistikverfahren 168 logistische Kennlinien 169, 173 logistische Zielgrößen 172 logistisches Geschäftsarten-Portfolio 26 logistisches Standortprofil 437, 438 Low Cost-Fabrik 35

M Make to Order 260, 265 Make-to-Stock 260, 265 Manufacturing Resource Planning 272 Manufuture 106 Marktleistung 26 Mass Customization 99 Medien 318, 334, 383 Medienführung 340 Mediensystem-Hierarchie 335 Meilensteine 504 Mengen- und Variantenflexibilität 48 mengenflexibles Produktionskonzept 48 Merkmale einer Gebäudehülle 332 Metaziele 445 Mindestlufträume 241 Mindestraumhöhen 241 Mitarbeiterpartizipation 58 Mitarbeiterrollen 59 Mitbestimmung 246 Modellierung von FM-Prozessen 558 Modellklassen der Digitalen Fabrik 517 Modernisierungspotenziale 400 Montageanlagen 192 Montagearbeitsplatz 187 Montagemaschine 191 Montagemittel 186

584

Montagestation 163 Montagesysteme 186 Montageverfahren 162 Morphologie der Veränderungsfähigkeit 128 Morphologie von Fabriktypen 34, 38 Motivation 218 Motivationstheorie 220 MRP II-Ansatz 275 MRP II-Konzept 272

N Nachhaltigkeit 71 Netzwerktypen 63 Nicht-monetäres Zielsystem 481 Nutzungskosten 499, 513 Nutzwertanalyse 479

O Objektanalyse 429 Objektdaten 451 Objektkosten 499 Objektschutz 372 One Piece Flow 267 One-Piece-Flow-Fertigung 86 OPT-Ansatz 275 Optimierung der Topografie eines Gebäudes 527 Ordnungsraster 374

P Partizipation 57 partizipative Fabrik 60 partnerschaftliche Kooperation 64 PDCA-Zyklus 93 Personalentwicklung 212, 214 Phasen der Dezentralisierung der Produktion 62 Planungswerkzeuge 499 PPS-Controlling 272 Production on Demand 46 produktintegrierte Dienstleistungen 12 Produktionsanforderungen 45 Produktionsbedarfsplanung 271 Produktionsleistung 211 Produktionsmodelle 265 Produktionsplanung und -steuerung 270 Produktionsprogrammplanung 271

Sachregister

Produktionssegmente 269 Produktionsstandort 33 Produktionsstufen 408 Produktionsstufenbildung 415 Produktionsstufenkonzept 101 Produktionstechnologie 158 Projektbeschluss 428 Projektdefinitions- und Zielsetzungsworkshop 437 Projekthandbuch 510 Projektmanagement 433 Projektplanerstellung 503 Prozessanalyse 429, 454 Prozessbegleiter 502 Prozessbegleitung 435, 502 Prozesskettenmodell 454 Prozessmodell Synergetische Fabrikplanung 428, 436 Psychologische Farbwirkungen 242 Public Private Partnership 508 Pull-Prinzip 265 Push-Modell 265

R Raumausstattung 241 Raumbuch 549 Raumspiegel 359 reaktionsschnelle Fabrik 34 Reaktionsschnelligkeit 46 Reales Groblayout 475 Realisierungsüberwachung 487 Realisierungsvorbereitung 487 Reallayout 477 Rechnergestützte Planungswerkzeuge 519 Referenzprozesse der Produktion 170 Regelkreis der Wandlungsfähigkeit 141 Regeln für das Projektteam 502 Reihenfolgebildung 274 Reihenfolgeregeln 275 Rekonfigurierbarkeit 120 Ressourcendimensionierung 465 Ressourcenschutz 71 Roboterbauformen 193

S schlanke Produktion 89 Schließmanagement 557

Schlüsselfaktoren der Fabrik 443 Schnittprofil eines Gebäudes 366 Schutzfunktions-Merkmale von Gebäudehüllen 331 segmentierte Fabrik 11 Selbstorganisation 57 Servicegradkennlinie 175 Sicherheitsfarben 243 sicherheitstechnische Arbeitsplatzgestaltung 240 Simulationsbeispiel 521 Softwarearchitektur der Digitalen Fabrik 519 soziotechnischer Ansatz Projektmanagement 435 Spannungsfelder in einem Fabrikplanungsprojekt 497 Spannweite 324 Stückgüter-Fördermittel 200 Stückgut-Lager 196 Städtebauliches Entwicklungskonzept 387 Standardteilemanagement 263 Standortauswahl 407 Standortbewertung 387 Standortfaktoren 402 Staplerarten 200 Stolpersteine der Fabrikplaner 497 Strategiebasis der Fabrikplanung 25 Strukturelle Ordnung 350 Strukturentwicklung 460 Strukturentwicklung (S1) 430 Strukturform 320 Strukturierungsoptionen 463 Strukturmerkmale eines Gebäudes 319 Strukturplanung 460 Strukturstückliste 258 Strukturvarianten 464 Supportprozesse 31 synchronisierte Produktionsprozesse 264 Szenarienerstellung 441

T Tageslichtsimulation 529 Teambildung 500 Technikplanung 157 Technikzentralen eines Gebäudes 337 Technologieattraktivität 412 Technologiedifferenzierung 157, 411 Technologiekompetenz 412

585

Anhang

Technologieplanung 157 Technologieportfolio 412 Teil- und Elementarprozesse der Logistik 195 temporäre Fabriken 122 Topografie-Optimierung 527 Total Cost of Ownership 413 Total Landed Costs 407 Toyota Produktionssystem 89 Tragglieder 327 Tragwerk 317 Transportkennlinien 175 Trennverfahren 159 Treppen 348 Trichtermodell 171 Tritt- und Absturzsicherheit 247 turbulentes Handlungsumfeld 8 Typen der Veränderungsfähigkeit 132 Typologie der Verknüpfungsprinzipien 370 Typologie von Grundrissfiguren 369 Typologie von Schnittprofilen 367

U Umfeldanalyse 439 Unternehmenskultur 67 Unternehmenskultur-Portfolio 69 Urformverfahren 158

V Ver- und Entsorgung 364 Veränderungsfähigkeit von Fertigungsmaschinen 185 Veränderungsfähigkeit von Logistikeinrichtungen 203 Veränderungsfähigkeit von Montagestationen 193 Veränderungsausmaß 130 Veränderungsfähigkeit 115 Veränderungspotenzial 130 Veränderungstreiber 14, 15, 127, 441 Veränderungstypen der Fabrik 124 Vergabeformen 507 Vergabestrategien 508 Verkehrswegesystem 483

586

Verlagerungs- und Rückverlagerungsmotive 12 Vernetzungsfähigkeit 134 Verrichtungsprinzip 267 Vertragsgestaltung 506 Vertragslagerkonzept 263 virtuelle Unternehmen 36 Virtueller Projektraum 551 Vision 445 Visionsfindung 445 Visualisierung 521 Vorgehensmodell zur Standortwahl 408 Vorratsbeschaffung 262

W Wände 345 Wärme-, Kälte-, Vibrationsschutz 250 Wärmeempfinden des Menschen 249 Wandlungsbefähiger 121, 125 Wandlungsfähige Gebäude 349 Wandlungsfähigkeit 122 Wandlungsorientierte Bewertung 138 Wandlungspotenzialarten 136 wandlungsträge Fabrik 5 Wandlungstreiber auf Standortebene 397 Werkbankprinzip 268 Werkstückmerkmale 166 Werkstattprinzip 267 Werkvertrag 509 Wertstromanalyse 413, 455, 456 Wettbewerbsstrategie 23 wirtschaftliche Wandlungsfähigkeit 141

Z Zellenbüro 291 Zielfestlegung 436 Zielfestlegung und Grundlagenermittlung 428 Ziel-Lieferzeit 259 Zonierung 374 Zuliefernetzwerke 11 Zuluftsystem 341 Zwischengalerien 292

Wiendahl · Reichardt · Nyhuis

Handbuch Fabrikplanung Dieses Handbuch stellt einen methodisch fundierten und praxiserprobten Ansatz zur Gestaltung wandlungsfähiger Produktionsstätten vor, die in einem strategischen Verbund zur reaktionsschnellen Versorgung globaler Märkte agieren. Im Grundlagenteil werden die Veränderungstreiber der Produktion und die daraus resultierenden neuen Anforderungen mit dem Schwerpunkt einer angemessenen Wandlungsfähigkeit entwickelt. Im zweiten Teil geht es um die konkrete Gestaltung der Produktion und deren Räume auf den Fabrikebenen Arbeitsplatz, Arbeitsbereich, Gebäude und Standort unter funktionalen, organisatorischen, architektonischen und strategischen Aspekten. Der dritte Teil ist der Planungssystematik gewidmet, die auf einem synergetischen Zusammenspiel von Prozess- und Raumplanung basiert. Das begleitende Projektmanagement in der Planungs- und Realisierungsphase sowie das Facility Management zur effektiven Nutzung der Fabrik schließen das Buch ab.  Prägnanter Überblick über Produktionstechnik, -logistik und Fabrikgebäude mit ihrer technischen Ausrüstung aus Sicht des Fabrikplaners  Darstellung der Wandlungsfähigkeit und Anwendung von Wandlungsbefähigern  Praxisnaher Leitfaden der Fabrikplanung von der Zielsetzung bis zum Hochlauf mit Checklisten und Hilfstabellen  Ganzheitliches Projektmanagement durch Berücksichtigung fachlicher, organisatorischer und atmosphärischer Aspekte  Beispiele wandlungsfähiger und kommunikationsförderlicher Fabriken

Die Autoren Prof. Dr.-Ing. Dr. mult. h.c. Hans-Peter Wiendahl war 23 Jahre Leiter des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik der Leibniz Universität Hannover. Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA Jürgen Reichardt ist Professor an der msa, muenster school of architecture und Partner der RMA Reichardt – Maas – Assoziierte Architekten in Essen. Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Nyhuis ist Geschäftsführender Leiter des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik der Leibniz Universität Hannover.

www.hanser.de ISBN 978-3-446-22477-3

9

783446 224773