Wirtschaftskrisen in Deutschland und China: Eine linguistische Printmedienanalyse 9783110467062, 9783110465075

This study examines major print media organizations to analyze and compare the essential features of media discourse on

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Wirtschaftskrisen in Deutschland und China: Eine linguistische Printmedienanalyse
 9783110467062, 9783110465075

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Zur Themenwahl
1.2 Fragestellung und Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Theorie und Methodik
2.1 Diskurs und Diskursanalyse
2.1.1 Linguistische Diskursanalyse
2.1.2 Der linguistische Diskursbegriff
2.2 Linguistische Frameanalyse
2.2.1 Der Frame-Begriff
2.2.2 Linguistische Frameanalyse nach Konerding
2.2.3 Handlungsanweisungen für Diskursanalyse von Konerding
2.3 Inhaltsanalyse – Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung
3 Untersuchungskorpus
3.1 Textquellen
3.2 Kriterien der Textauswahl
3.3 Korpuskonstitution
4 Diskurslinguistische Analyse
4.1 Analyseschritte
4.1.1 Bildung von Hauptanalysekategorien
4.1.2 Kodierung der betreffenden Textsegmente
4.1.3 Bildung von Prototypen
4.1.4 Quantitative und qualitative Analyse der Prototypen
4.2 Kategorienbildung
4.2.1 Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE
4.2.2 Bildung von Analysekategorien
4.2.3 Definitionen der Hauptanalysekategorien
4.3 Prototypen – quantitative und qualitative Analyse
4.3.1 URSACHEN-Prototypen
4.3.1.1 URSACHEN der Asienkrise
4.3.1.2 URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“
4.3.1.3 URSACHEN der Weltfinanzkrise
4.3.2 AKTEUR-Prototypen
4.3.2.1 AKTEURE der Asienkrise
4.3.2.2 AKTEURE des Platzens der „Dotcom-Blase“
4.3.2.3 AKTEURE der Weltfinanzkrise
4.3.3 FOLGEN-Prototypen
4.3.3.1 FOLGEN der Asienkrise
4.3.3.2 FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“
4.3.3.3 FOLGEN der Weltfinanzkrise
4.3.4 BEWERTUNG-Prototypen
4.3.4.1 BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa
4.3.4.2 BEWERTUNG der Asienkrise
4.3.4.3 BEWERTUNG der Weltfinanzkrise
4.3.5 FORDERUNG-Prototypen
4.3.5.1 FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa
4.3.5.2 FORDERUNG der Asienkrise
4.3.5.3 FORDERUNG des Platzens der „Dotcom-Blase“
4.3.5.4 FORDERUNG der Weltfinanzkrise
5 Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse
5.1 Entwicklung in Deutschland
5.1.1 Transformation in Russland und Osteuropa
5.1.2 Asienkrise
5.1.3 Das Platzen der „Dotcom-Blase“
5.1.4 Die Weltfinanzkrise
5.2 Entwicklung in China
5.2.1 Transformation in Russland und Osteuropa
5.2.2 Asienkrise
5.2.3 Das Platzen der „Dotcom-Blase“
5.2.4 Die Weltfinanzkrise
5.3 Entwicklung im Vergleich zwischen Deutschland und China im Überblick
6 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Index

Citation preview

Rui Li Wirtschaftskrisen in Deutschland und China

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 24

Rui Li

Wirtschaftskrisen in Deutschland und China Eine linguistische Printmedienanalyse

ISBN 978-3-11-046507-5 e-ISBN [PDF] 978-3-11-046706-2 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-046521-1 ISSN 1864-2284 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

| Für meine Eltern

Danksagung An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nicht gelingen hätte können. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. KlausPeter Konerding, der die Arbeit von Anfang an stets freundlich betreut und sorgfältig korrigiert hat, mir mit Fragen und Anregungen immer zur Seite stand und für mich ein wunderbarer Lehrer war und bleiben wird. Er gab für diese Arbeit einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung von Ideen und deren Ausarbeitung. Herrn Prof. Dr. Ekkehard Felder danke ich sehr herzlich für die freundliche Übernahme des Korreferats und die hilfreichen Anmerkungen im Gutachten. Jedenfalls empfinde ich es als ein besonders Geschenk, dass meine beste Freundin Frau Verena Birkhold als Sinologin und Übersetzerin die Arbeit Seite für Seite durchgesehen hat und sie sich als Garant für die Richtigkeit aller Anteile des Chinesischen im vorliegenden Text verbürgt. Mein Dank gilt auch meinen Kommilitonen vom Forschungskolloquium „Ausgewählte Themen der germanistischen Linguistik“, mit denen so wichtige vertiefende und auch ausgreifende Diskussionen möglich wurden. Meinen Kollegen bei SAP SE danke ich für die stets angenehme und hilfsbereite Atmosphäre. Mein ausdrücklicher Dank gebührt Herrn Ma Weidu 马未都, der das „Guanfu Museum“ 观复博物馆, das erste private Museum nach der Gründung der Volksrepublik China, im Jahre 1996 in Beijing gründete, für seine Unterstützung während meiner Promotion, ohne ihn ich diese anstrengende Zeit sicherlich nicht so gut überstanden hätte. Meinem Ehemann Zhang Hui, der zusammen mit mir vor zwölf Jahren die Reise nach Deutschland eingetreten und in der Germanistik zusammen studiert und promoviert und mich über all die Jahre begleitet hat, sei von Herzen für seinen Beistand gedankt. Gewidmet ist die vorliegende Arbeit meinen Eltern Li Liandi und Ma Cuixiang, die für mich alles aufgewandt haben, was Eltern erbringen können.

Inhalt 1  1.1  1.2  1.3 

Einleitung | 1  Zur Themenwahl | 1  Fragestellung und Zielsetzung | 4  Aufbau der Arbeit | 5 

2  2.1  2.1.1  2.1.2  2.2  2.2.1  2.2.2  2.2.3  2.3 

Theorie und Methodik | 7  Diskurs und Diskursanalyse | 7  Linguistische Diskursanalyse | 7  Der linguistische Diskursbegriff | 9  Linguistische Frameanalyse | 14  Der Frame-Begriff | 14  Linguistische Frameanalyse nach Konerding | 17  Handlungsanweisungen für Diskursanalyse von Konerding | 21  Inhaltsanalyse – Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung | 24 

3  3.1  3.2  3.3 

Untersuchungskorpus | 27  Textquellen | 27  Kriterien der Textauswahl | 28  Korpuskonstitution | 29 

4  Diskurslinguistische Analyse | 33  4.1  Analyseschritte | 33  4.1.1  Bildung von Hauptanalysekategorien | 33  4.1.2  Kodierung der betreffenden Textsegmente | 34  4.1.3  Bildung von Prototypen | 35  4.1.4  Quantitative und qualitative Analyse der Prototypen | 36  4.2  Kategorienbildung | 36  4.2.1  Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE | 36  4.2.2  Bildung von Analysekategorien | 40  4.2.3  Definitionen der Hauptanalysekategorien | 43  4.3  Prototypen – quantitative und qualitative Analyse | 46  4.3.1  URSACHEN-Prototypen | 46  4.3.1.1  URSACHEN der Asienkrise | 47  4.3.1.2  URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ | 57  4.3.1.3  URSACHEN der Weltfinanzkrise | 63  4.3.2  AKTEUR-Prototypen | 71 

X | Inhalt

4.3.2.1  4.3.2.2  4.3.2.3  4.3.3  4.3.3.1  4.3.3.2  4.3.3.3  4.3.4  4.3.4.1  4.3.4.2  4.3.4.3  4.3.5  4.3.5.1  4.3.5.2  4.3.5.3  4.3.5.4 

AKTEURE der Asienkrise | 72  AKTEURE des Platzens der „Dotcom-Blase“ | 75  AKTEURE der Weltfinanzkrise | 78  FOLGEN-Prototypen | 85  FOLGEN der Asienkrise | 85  FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ | 93  FOLGEN der Weltfinanzkrise | 97  BEWERTUNG-Prototypen | 109  BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa | 109  BEWERTUNG der Asienkrise | 116  BEWERTUNG der Weltfinanzkrise | 124  FORDERUNG-Prototypen | 132  FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa | 133  FORDERUNG der Asienkrise | 141  FORDERUNG des Platzens der „Dotcom-Blase“ | 151  FORDERUNG der Weltfinanzkrise | 155 

5  5.1  5.1.1  5.1.2  5.1.3  5.1.4  5.2  5.2.1  5.2.2  5.2.3  5.2.4  5.3 

Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse | 164  Entwicklung in Deutschland | 165  Transformation in Russland und Osteuropa | 165  Asienkrise | 170  Das Platzen der „Dotcom-Blase“ | 182  Die Weltfinanzkrise | 189  Entwicklung in China | 210  Transformation in Russland und Osteuropa | 210  Asienkrise | 214  Das Platzen der „Dotcom-Blase“ | 226  Die Weltfinanzkrise | 230  Entwicklung im Vergleich zwischen Deutschland und China im Überblick | 247 



Zusammenfassung und Ausblick | 269 

Literaturverzeichnis | 275  Index | 287 

1 Einleitung 1.1 Zur Themenwahl Die vorliegende Dissertationsarbeit ist thematisch und methodisch in dem sehr innovativen Bereich der sich aktuell stark entwickelnden Diskurslinguistik lokalisiert (vgl. dazu etwa Warnke 2007 und Warnke/Spitzmüller 2008). Der Begriff des Diskurses und der zugehörige Methodenbereich der Diskursanalyse haben sich in den letzten Jahren im Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften als paradigmenstiftend erwiesen. Die Diskursanalyse ist heute ein bedeutendes transdisziplinäres zeitgenössisches Paradigma, das sich rasant entwickelt (vgl. dazu Konerding 2009a und Busse/Teubert 2013). Das Thema der vorliegenden Dissertationsarbeit gliedert sich in einen thematisch übergeordneten Zusammenhang von einschlägigen Forschungsaktivitäten ein, die von Konerding seit längerer Zeit unternommen wurden.1 Konerding hat in den letzten 25 Jahren wesentlich zur methodischen Entwicklung der Diskurslinguistik beigetragen; auf seine Überlegungen wird in zahlreichen deutschsprachigen Untersuchungen im einschlägigen Bereich direkt oder indirekt Bezug genommen. Grundlegend sind hier seine Arbeiten zu rahmen- bzw. frametheoretischen Zugängen zur Diskursanalyse. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung werden entsprechende linguistische Instrumente vorgestellt und angewendet. Zudem wird deren besondere Leistungsfähigkeit anhand der erzielten Ergebnisse dokumentiert. Es wird deutlich werden, dass sich hierüber erhebliche Präzisierungen von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden erreichen lassen. Vor dem Hintergrund der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise und den ereignisgeschichtlichen Dokumentationen zu den weltweiten politischen und wirtschaftlichen Restrukturierungen bzw. Veränderungen, die unter dem Leitwort der „Globalisierung“ erfolgten, sollen in der vorliegenden Dissertation zentrale Grundzüge zum Diskurs über Wirtschaftskrisen in Deutschland und China kontrastiv erfasst und analysiert werden. Es soll der kommunikativen und mentalen Resonanz dieser Ereignisse nachgespürt werden, wie diese an öffentlich prominenter Stelle Deutschlands und Chinas in überregionalen Massenmedien jeweils manifest wird. Dabei sollen einschlägige Texte deutscher

|| 1 Näheres zum aktuellen Forschungsprojekt „Linguistik der diskursiven Phänomene gesellschaftlichen Handels: Wirtschaft – Umwelt – Mensch“ siehe unter: http://www.gs.uni-hd.de/ personen/konerding.html

2 | Einleitung

und chinesischer prominenten Medien aus dem Zeitraum 1990–2012, der die Entwicklung der Wirtschafts- bzw. Finanzkrisen abdeckt, analysiert werden. Um bei der Analyse der Medientexte maßgebliche historische Veränderungen „repräsentativ“ registrieren zu können, umspannt der gesamte überschaubare Untersuchungszeitraum rund 20 Jahre. Er reicht von der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sozialistischen Regime in Mittel- und Osteuropa bis in die letzte Weltfinanzkrise. Untersucht werden soll insbesondere die mediale Resonanz auf die globalen Transformationsprozesse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (1990–1992), auf die Asienkrise (1997–1999), auf das Platzen der „Dotcom-Blase“ (2000–2002), und schließlich auf die Weltfinanzkrise (2007–2012). Die Untersuchung in den jeweiligen Kulturräumen will einen ersten wichtigen Ausschnitt aus den medial getragenen Foren öffentlicher Meinungs- bzw. Bewusstseinsbildungsprozesse in Deutschland und China ins Auge fassen und über den genannten Zeitraum in enger Beziehung mit den weltpolitisch wichtigen Entwicklungen der Ereignisgeschichte, soweit diese in exemplarisch ausgewählter wirtschaftshistorischen Literatur erfasst bzw. (re-)konstruiert wurde, abgleichen, um so wichtige Veränderungen in den Meinungsbildungsprozessen im Zusammenhang mit der Darstellung der Geschichte der (Um-)Gestaltung politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Kontext der sogenannten Globalisierungsentwicklungen nachzeichnen zu können. Es sei darauf hingewiesen, dass die zugehörigen Meinungs- und Bewusstseinsbildungsprozesse immer als selektive bzw. konstruktive kognitive Leistungen verstanden werden müssen, Prozesse, die den jeweiligen kulturellen und politisch-ideologischen Rahmenbedingungen und auch den speziellen kognitiven Perspektiven der individuellen Verfasser geschuldet sind. In globalen wirtschaftlichen Krisensituationen sind Gesellschaften bzw. deren politische und ökonomische Eliten einem besonders hohen Entscheidungsdruck ausgesetzt. Diskurslinguistisch erscheinen sie daher als Perioden intensivierter Kommunikationsprozesse, in denen von den Diskursteilnehmern um Antworten auf bedeutsame, dringende Probleme gerungen wird. Entsprechende Diskursbeiträge liefern daher grundsätzlich einen besonders geeigneten Zugriff auf konkurrierende kollektive Konzeptbildungen und Deutungsmuster sowie deren zeitliche Entwicklung bzw. Veränderung. Warum Deutschland und China im Kontrast? Beide Staaten gehören zu den Ländern mit dem größten Bruttoinlandsprodukt und damit zu den stärksten Wirtschaftsmächten der Welt. Deutschland ist Gründungsmitglied der Europäischen Union sowie deren bevölkerungsreichstes Land und gilt als politisch einflussreichster Staat in Europa. China ist der bevölkerungsreichste Staat und

Zur Themenwahl

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seit 2010 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt2 und gilt als politisch einflussreichster Staat in Asien. China steht exemplarisch für die asiatischpazifischen Länder, während Deutschland für Europa steht. Sie arbeiten eng und gemeinsam an der globalen Wirtschaftsentwicklung: China ist der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Asien, Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Angesichts der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise kommt der stabilen Kooperation zwischen den beiden stark exportorientierten Volkswirtschaften große Bedeutung zu. China sieht Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch als sein „Tor nach Europa“. Seit 2004 werden die deutschchinesischen Beziehungen daher als „Strategische Partnerschaft in globaler Verantwortung“ bezeichnet, die mit dem Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Deutschland Ende März 2014 zu einer „umfassenden strategischen Partnerschaft“ angehoben wurden.3

Warum Medientexte? Wie etwa Konerding (2009a) in Anlehnung an die einschlägige breite Forschung feststellt, ist es wissenschaftlich lohnenswert und gesellschaftlich unverzichtbar, sich eingehend mit der Analyse von massenmedial bestimmten Diskursen (kurz: „Mediendiskursen“) und ihrer maßgebenden Wechselwirkung mit anderen wichtigen Diskursbereichen der Gesellschaft zu beschäftigen. Diese Analyse gibt Aufschluss über die Entwicklung kollektiver Meinungen und Bewusstseinsbildungsprozessen, über behauptete oder präsupponierte Fakten- oder Sachverhaltskonzeptualisierungen, über postulierte Handlungserfordernisse, über die Genese und Legitimität, Rechtfertigung und Problematisierung damit verbundener politischer Entscheidungen, über behauptete Themen- und Problemkomplexe, die jeweils kurz- oder längerfristig die kollektive Aufmerksamkeit in öffentliche bzw. in öffentlich medial inszenierte Diskussionen einbinden oder diese in ein spezifisches Verhältnis zu entsprechenden Diskussionen setzen (vgl. Konerding 2009a). Massenmedien bieten einen Raum, in denen Hauptakteure des politischen und wirtschaftlichen Handelns entweder selbst zu Wort kommen, oder aber in denen Redakteure oder andere Personen von öffentlicher Bedeutung über Positionen und Aktionen entsprechender Hauptakteure informieren – mehr oder weniger meinungsbetont, mehr oder weniger wertend. Massenmediale Texte (Kommunikate) bieten damit einen guten Zugang zu prominenten Foren öffentlicher Meinungs-

|| 2 Siehe Artikel der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua News Agency: Roundup: China’s new 5-year plan proposals well-received overseas (19.10.2010) und News Analysis: China-EU-U.S. cooperation of increasing significance to world (22.04.2011). 3 Nach offiziellen Angaben des Auswärtigen Amts unter: http://www.auswaertiges-amt.de/ DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Bilateral_node.html (Stand: März 2014).

4 | Einleitung

bildungsprozesse, zu Orten der Problematisierung, Behauptung oder Präsupposition von Faktizität, von Handlungserfordernissen, unabhängig davon, ob diese Foren frei und weitgehend selbstorganisiert sind (wie derzeit in weiten Teilen des Internets) oder redaktionell bzw. staatlich kontrolliert oder gefiltert verfügbar gemacht werden.

1.2 Fragestellung und Zielsetzung Die linguistische Analyse des Wirtschaftskrisen-Diskurses sucht die Frage zu beantworten, wie die Ereignisse zum Bereich der Finanz- und Wirtschaftskrisen im Zusammenhang mit der weltweit programmatisch diskutierten wirtschaftspolitischen Globalisierung in den einschlägigen Texten der Massenmedien sprachlich konzeptualisiert und damit verbundene Geltungsansprüche auf Faktizität und Notwendigkeit behauptet werden. Genauer ausgedrückt heißt dies: Vor dem Hintergrund der Ereigniskonzeptualisierungen sollen Indikatoren für Einstellungen gegenüber und Bewertungen von wirtschaftlichem Handeln sowie von transnationalen wirtschaftlichen Beziehungen, wie sie in den Medientexten Ausdruck erlangen, methodengeleitet identifiziert und systematisch erfasst werden. Die Fragen, die die vorliegende Arbeit zu beantworten versucht, können wie folgt formuliert werden: Wie ändert sich die Konzeptualisierung und Bewertung des wirtschaftlichen Handelns im Kontext der globalen, d. h. diskursübergreifend konsensuellen, ökonomischen und politischen Ereigniskonzeptualisierungen vor dem Hintergrund der weltweit thematisierten „großen“ Finanzkrisen in Asien und der Welt – im Spiegel ausgewählter Medientexte im Chinesischen und Deutschen? Inwieweit hat sich die mediale Konzeptualisierung, Analyse und Bewertung des wirtschaftlichen Handelns, vor dem Hintergrund der als wesentlich präsupponierten Finanzkrisen in Asien und der Welt, im Zeitraum der letzten 20 Jahre entwickelt? Im Weiteren wird zu fragen sein, wie das wirtschaftliche Handeln maßgebender Akteure oder Akteursgruppen in den Texten konzeptualisiert, behauptet, problematisiert, kommentiert und bewertet wird: Welche Akteure oder Akteursgruppen werden thematisch, wie wird deren Handeln bestimmt, und welche Forderungen für die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns durch administrative Regulation und Deregulation ergeben sich für die Akteure aus Sicht der jeweiligen Mediendarstellungen daraus? In einem weiteren wesentlichen Schritt ist zu fragen, wie die Wirtschaftskrisen in der Medienöffentlichkeit des deutschen und chinesischen Sprachraums thematisiert und diskursiv verhandelt werden, wo wesentliche Unterschiede in

Aufbau der Arbeit

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den jeweiligen Positionen auszumachen sind und wie stark die Resonanz auf die thematisierten Ereignisse der Wirtschaftskrisen im Zuge der Globalisierung während ihrer zeitlichen Entwicklung in deutschen und chinesischen Medien gewesen ist. Hier wird für China insbesondere zu fragen sein, inwieweit sich anhand der Medientexte die Position nachzeichnen lässt, dass die Übernahme westlicher Konzepte der wirtschaftspolitischen Gestaltung (Öffnung und Liberalisierung der nationalen Märkte) durch einen spezifisch chinesischen Weg gekennzeichnet wird. Wesentlich wird in diesem Zusammenhang sein, im Rahmen der Analyse darauf zu achten, auf welche kulturell verankerten praktischen Traditionen, auf welche ethischen Einstellungen und Werthorizonte jeweils direkt oder indirekt Bezug genommen wird und welche damit kohärenten bzw. kongruenten Bewertungen und Einschätzungen in den Medientexten vorgenommen werden. Hier ist insbesondere der Kulturraum Chinas von Interesse, insofern das synergetisch-emergente Zusammenwirken von konfuzianistischen/ daoistischen, marxistischen und neoliberalen Traditionen und Haltungen zurzeit eher unüberschaubar erscheint. Auf Grundlage der erzielten Ergebnisse der vorliegenden linguistischen Analyse lassen sich umfassende Einsichten in wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der massenmedial getragenen Konzeptualisierung, Behauptung und Bewertung von wirtschaftlichem Handeln in beiden großen Kulturräumen gewinnen, was zugleich die besondere Leistungsfähigkeit des hier verwendeten innovativen linguistischen Instrumentariums dokumentiert.

1.3 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit gliedert sich mit „Einleitung“ (Kapitel 1) und „Zusammenfassung und Ausblick“ (Kapitel 6) in sechs Teile. In Kapitel 2 werden die grundlegenden diskurslinguistischen Ansätze und die zugehörigen Methoden erläutert. Zunächst sollen der linguistische Diskursbegriff und der Ansatz zur linguistischen Diskursanalyse vorgestellt werden. Danach sollen der Frame-Begriff und der Ansatz zur linguistischen Frameanalyse nach Konerding erörtert werden, da diese als zentrales methodisches Instrumentarium in Rahmen der vorliegenden Untersuchung eingesetzt werden soll. Im Anschluss daran wird auf die Qualitative Inhaltsanalyse nach Früh (2007) eingegangen, die für die vorzunehmende Kategorienbildung zum Einsatz gebracht werden soll. In Kapitel 3 wird die Zusammenstellung des Untersuchungskorpus erläutert. Anhand der Darlegungen sollen Textquellen, Kriterien der Textauswahl und Korpuskonstitution verdeutlicht werden.

6 | Einleitung

An die Materialerhebung und Konstituierung des Untersuchungskorpus schließt sich die eigentliche Analysearbeit an. Kapitel 4 dokumentiert mit einem ersten Schwerpunkt präzise vor allem die quantitative Analyse des Untersuchungskorpus und Kapitel 5 befasst sich mit einem zweiten Schwerpunkt mit einer Vorstellung und umfassenden Diskussion der zugehörigen Ergebnisse im Rahmen einer qualitativen Analyse. In Kapitel 4 werden zuerst die Analyseschritte mithilfe der praktischen Handlungsanweisungen für Diskursanalyse nach Konerding (2005, 2007) vorgestellt. Danach wird die Entwicklung der Analysekategorien für die vorliegende Untersuchung näher dargestellt, mit denen die Medientexte des Korpus untersucht wurden. Die Hauptanalysekategorien werden schließlich nach Konerding (2007) in der Funktion von thematischen Makro-Rollen in linguistische Frames eingebunden. In dieser Funktion können sie als ein hochauflösendes Analyseraster für die einzelnen Texte und ihren Vergleich genutzt werden (vgl. ebd.). Auf dieser Grundlage werden Prototypen zu den jeweiligen textuellen Spezifikationen der Analysekategorien gebildet, um synchrone Kontraste und diachrone Entwicklungen herauszuarbeiten und sichtbar zu machen. Der zweite Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf Kapitel 5, der Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse aus Kapitel 4 unter Bezug auf die Entwicklungen einerseits in Deutschland, andererseits in China sowie in Deutschland und China im Vergleich. Betrachtet werden dabei insbesondere auch die speziellen Positionen der Medien im Einzelnen. Methodisch zum Einsatz kommt hier das analytische Konzept der intertextuellen thematischen Kohärenzbeziehungen nach Konerding (2005, 2007), das die dynamische Entwicklung von Subthematisierungen und damit von alternativen thematischen Entfaltungen pro Medium bzw. Land in ihrem zeitlichen Verlauf über die jeweiligen Krisen hinweg durch die vergleichende Belegung der Makro-Rollen bzw. Frame-Attribute ermöglicht. Hiermit verbunden ist zudem eine detaillierte qualitative Analyse repräsentativer Textstellen der zughörigen Prototypen. Schließlich werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich der Relevanz und der jeweiligen Entwicklungstendenzen von Prototypen der Makro-Rollen-Spezifikationen hinsichtlich der beiden Kulturräume herausgearbeitet. Damit werden die wichtigen Veränderungen in den Meinungsbildungsprozessen im Zusammenhang mit der massenmedial bestimmten sprachgetragenen Konzeptualisierung bzw. Darstellung der Ereignisse sowie der (Um-)Gestaltung politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Kontext der sogenannten Globalisierungsentwicklungen nachgezeichnet.

2 Theorie und Methodik 2.1 Diskurs und Diskursanalyse 2.1.1 Linguistische Diskursanalyse Die vorliegenden Untersuchungen sind im weiteren Umfeld sich zunehmend ausgestaltender diskurslinguistischer Ansätze und zugehöriger Methoden angesiedelt. Die diskurslinguistischen Ansätze gehen im Weiteren auf die Beiträge von Michel Foucault (vgl. etwa Auer 1999, Warnke 2007, Warnke/Spitzmüller 2008) zurück, der in den Sozial- und Geisteswissenschaften ein neues, sich zunehmend konsolidierendes und entwickelndes transdisziplinäres Forschungsparadigma begründet hat. Zu einem ersten Überblick zum Stand der Entwicklung diskurslinguistischer Methoden, vor allem im Rahmen der Germanistik, vergleiche man etwa Bluhm u. a. (2000), Konerding (2009a), Busse (2013a, 2013b) und die Sammelbände von Warnke (2007, 2012) und Warnke/ Spitzmüller (2008); für die Sozialwissenschaften vergleiche man etwa Keller u. a. (2006, 2010, 2012). Konerding hat, insbesondere in der durch Busse und Teubert geprägten Richtung, mit methodischen Vorschlägen zur Weiterentwicklung dieses Bereiches Wesentliches beigetragen (vgl. Busse/Teubert 1994 und Konerding 1993, 2005, 2007, 2008a und 2009a, daran anschließend etwa Fraas 1996, Klein 1999, 2002a und 2002b, Klein/Meisner 1999, Holly 2001, Habscheid 2003, Scheufele 2003, Lönneker 2003, Ziem 2008a, Wengeler 2010, Stein 2012 und Kalwa 2013). Diskurse wurden entsprechend seit einigen Jahrzehnten zum Objekt zahlreicher linguistischer Untersuchungen gemacht. Dabei gilt das Interesse folgenden diskurstheoretischen Ansätzen: An prominenter Stelle steht die „Kritische Diskursanalyse“, die speziell zu politischen Themen unter ideologiekritischen Zielsetzungen durchgeführt wird. Hierzu zählen die Arbeiten von Ruth Wodak und Siegfried Jäger. Jäger verbindet Methoden der empirischen Sozialforschung mit linguistischen Analysetechniken, um im Anschluss an die Überlegungen von Foucault den Zusammenhang zwischen Handeln, Denken und Sprechen von Menschen in konkreten sozio-historischen Kontexten zu bestimmen. Hier wird der Mediendiskurs wichtig mit seiner breiten gesellschaftlichen Reichweite und Zugänglichkeit, in dem bestimmte Themen, die Art ihrer kommunikativen Be- und Verhandlung über bestimmte Zeiträume durch Wiederaufnahme und Respondierung in den Leitmedien einer Gesellschaft, im Aufmerksamkeitsbereich und im Bewusstsein der Öffentlichkeit gehalten werden (dazu auch

8 | Theorie und Methodik

Konerding 2009a). Im Verlauf der 90er Jahre haben sich im Wesentlichen drei weitere wichtige Forschungstraditionen im deutschen Sprachraum herausgebildet, in deren Rahmen die hier projektierte Untersuchung wurzelt. Die Arbeiten der ersten Gruppe sind dem Forschungsschwerpunkt einer historischen Diskurssemantik zuzuordnen. Die Analyse zugehörigen Datenmaterials bezieht sich auf konkrete Textkorpora als Produkte und Dokumente des historischen Kommunikationsgeschehens. Wie Konerding (2009a) feststellt, ist die erste fruchtbare linguistische Operationalisierung des Diskursbegriffes auf der Grundlage korpuslinguistischer Prinzipien ein besonderes Verdienst von Busse, Hermanns und Teubert, der so genannten „Heidelberg-Mannheimer Schule“. Danach werden Diskurse als thematisch bestimmte Mengen von Texten, von sogenannten thematischen Korpora, expliziert (vgl. Konerding 2009a). Als Zweites wird die „Düsseldorfer Schule“ (G. Stötzel, M. Jung, M. Wengeler und K. Böke) genannt. Diese Forschergruppe baut auf den grundlegenden Arbeiten der Heidelberg-Mannheimer Gruppe unmittelbar auf. Ihr wesentlicher Beitrag ist die Weiterentwicklung und Verfeinerung diskursanalytischer linguistischer Methoden unter Berücksichtigung forschungspraktischer Fragen (vgl. ebd. 167). Jung (1996) betrachtet Diskurs als die „Gesamtheit der Beziehungen zwischen thematisch verknüpften Aussagekomplexen“ (Jung 1996: 461). Ergänzend hat Böke (1996) Metaphern und Bildfelder in einschlägigen Diskursen erschlossen und analysiert. Weiterhin ist die „Oldenburger Gruppe“ (um Klaus Gloy) zu nennen. Wie die Heidelberg-Mannheimer Forschergruppe und Düsseldorfer Schule stützt sich die Oldenburger Gruppe auf den sozialphilosophischen Diskursbegriff von Foucault und lässt sich somit der inhaltlich orientierten, kritischen Sprachwissenschaft zuordnen (vgl. Gloy 1998). Diskurs wird dabei im Sinne von Supertext oder sogar Hypertext verstanden, der die dialogischen und intertextuellen Bezüge zwischen Einzeltexten als ein komplex geknüpftes Netzwerk rezeptiv-responsiver Text-Beziehungen betrachtet (vgl. auch Konerding 2009a). Was die Anwendung der Ergebnisse linguistischer Diskursanalysen anbelangt, so habe ich mich auf der Grundlage der genannten Instrumentarien mit der Aufarbeitung der Entwicklungs- und Verschränkungslinien des so tiefgreifenden und global verlaufenden Phänomens „Wirtschaftskrise“ und der sich neu entfachenden Diskussion zu Werten und Normen in den verschiedenen Kulturbereichen beschäftigt, hier: China und Deutschland bzw. Deutschland im Kontext von Europa. Gegenstand der Analyse sind repräsentative und markante öffentliche Stellungnahmen von Meinungsträgern im Zusammenhang der

Diskurs und Diskursanalyse

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„Wirtschaftskrise“-Debatte, insofern diese textuell dokumentiert und verfügbar sind.1

2.1.2 Der linguistische Diskursbegriff In linguistischen Diskursanalysen werden nicht Einzeltexte, sondern Textkorpora bzw. Aussagenkorpora zum Gegenstand der Untersuchung gemacht, die diskursanalytischer Untersuchung zugrunde gelegt und von Analysierenden zusammengestellt werden. Daraus ergibt sich die Frage, nach welchen Kriterien das Untersuchungskorpus zusammengestellt werden soll. Bevor dieser forschungspraktischen Frage nachgegangen werden kann, ist es für die genaue Erläuterung der hier durchgeführten Korpuskonstitution, Kategorienbildung und linguistische Diskursanalyse, die eng mit der theoretischen Bestimmung des Diskursbegriffes zusammenhängen, zunächst notwendig, den Diskursbegriff dieser Arbeit etwas weitgehend zu explizieren. Zu einer linguistischen Operationalisierung des Diskursbegriffes haben, wie zuvor bereits erwähnt, Busse und Teubert (1994) einen vielversprechenden Ansatz in ihrem programmatischen Aufsatz entwickelt, der inzwischen durch einen Wiederabdruck in Busse/Teubert (2013: 13-30) leichter zugänglich ist. Unter Diskurs verstehen Busse und Teubert (1994) die Menge aller Texte, die –





sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen, den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen, und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden. (Busse/Teubert 1994: 14)

Diese Definition betont den intertextuellen bzw. transtextuellen Charakter von Diskurs und ist stark korpuslinguistisch ausgerichtet. Demnach ist Diskurs prinzipiell nur über von mehreren Texten zusammengestellten Textkorpus zugänglich. Die Zusammenstellung des Textkorpus basiert auf bestimmten Vorannahmen der Analysierenden und erfordert auch Vorentscheidungen der Analy-

|| 1 Zur Korpuskonstitution vergleiche man Kapitel 3 „Untersuchungskorpus“.

10 | Theorie und Methodik

sierenden: „Ob eine bestimmte Textmenge als zugehörig zu einem Diskurs X oder Diskurs Y aufgefasst wird, ist daher immer Ergebnis von objektkonstituierenden Akten der wissenschaftlichen Beobachter und Analytiker“ (Busse 2013c: 148). Busch (2007) vertritt jedoch die Auffassung, dass ein Korpus als „Forschungsartefakt“ etabliert wird, „das als konkrete Zusammenstellung sprachlicher Einheiten Rückschlüsse auf die kommunikativen Verhältnisse im Wissens-, Sprach- und Handlungsraum des Diskurses ermöglichen soll. […] (und) vom Forscher arbiträr nach bestimmten Fragestellungen, Vorlieben, forschungspraktischen Strategien und Zufälligkeiten zusammengestellt wird“ (Busch 2007: 150). Dies sollte allerdings auf keinen Fall als Begründung für eine willkürliche Textzusammenstellung genommen werden und es sollte immer der Frage nachgegangen werden, welche Kriterien für die Zusammenstellung von Textkorpus gelten, damit das Textkorpus als solide Grundlage für die Diskursanalyse dienen kann (dazu vgl. Lemnitzer/Zinsmeister 2010: 50ff.). Bei der Erstellung des Untersuchungskorpus der vorliegenden Arbeit habe ich versucht, an die von Konerding (2007) vorgegebenen Kriterien zu halten, worauf ich später näher eingehen werde. Busse und Teubert (1994) weisen dann darauf hin, dass in der Diskursanalyse Korpus und Untersuchungsgegenstand „untrennbar miteinander verknüpft sind und das Korpus selbst konstituiert das Untersuchungsobjekt und damit auch die erzielbaren Ergebnisse“ (Busse/Teubert 1994: 15). Die Konstitution des Untersuchungskorpus setzt daher bereits das Verstehen bzw. die Kenntnis des Diskurses voraus: Die Einheit eines Diskurses (im Hinblick auf semantische Beziehungen, Thema, Gegenstand, Wissenskomplexe, Funktions- bzw. Zweckzusammenhänge) wird vom Untersuchungsziel, Interesse oder Blickwinkel der Wissenschaftler bestimmt. Diskursive Beziehungen sind – in einem weiten Sinne von Semantik – semantische Beziehungen. Jedenfalls setzt ihre Feststellung und Eingrenzung semantische Akte voraus. Diskursive Beziehungen können erst festgestellt werden, wenn ein Kriterium für die Korpusbildung feststeht. Gleich welcher Art dieses Kriterium auch sein mag, es setzt die Kenntnis des Inhalts der in Frage kommenden Texte voraus. So gesehen setzt also schon die Korpusbildung das Verstehen der Texte voraus. Die Korpusbildung, d. h. die Konstitution einer diskursiven Einheit als prospektiven Untersuchungsgegenstandes der Linguistik, basiert daher auf Deutungsakten. Diskursive Relationen können (wie intertextuelle Relationen jeglicher Art) als Bedeutungsbeziehungen nicht unabhängig von ihrer Deutung bestehen. Die Konstitution des Diskurses, der das Forschungsobjekt bilden soll, setzt daher stets schon Interpretationshandlungen der Forscher voraus. (Busse/Teubert 1994: 16)

Busse und Teubert plädieren für ein „hermeneutisches Diskursverständnis, wonach Diskurse nicht als objektive Entitäten existieren, sondern ,Ergebnis[se] wissenschaftlicher Konstitutionsprozesse‘ darstellen.“ (Ziem 2008a: 389). Die

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konkrete Korpuskonstitution basiert letztlich auf Deutungsakten des/der Analysierenden. Ziem (2008a) betont zu Recht, dass die Bewertung der Relevanz eines Textes und die darauf basierende Auswahl der korpuskonstituierenden Texte den interpretierenden, verstehenden Eingriff des/der Analysierenden voraussetzen (vgl. ebd. 389). Da der Textauswahl immer eine gewisse Interpretationshandlung des/der Analysierenden vorausgeht, ist der Diskurs ein Konstitutionsobjekt des/der Analysierenden. Diskursanalyse kann somit als „ein fortschreitend die Korpusbildung korrigierende Lesen“ betrachtet werden (Busse/ Teubert 1994: 18). In ähnlicher Weise betonen auch Spitzmüller (2005) und Spieß (2011), dass bei der Erstellung des Korpus der Analysierende den Diskurs notwendigerweise mitkonstituiert, weil er vorher bestimmen muss, was er unter dem untersuchenden Diskurs versteht und damit die Auswahlkriterien von ihm festgelegt werden. Folglich kann die Korpuserstellung als hermeneutischen Prozess betrachtet werden, „insofern im Laufe der Untersuchung immer wieder das Textkorpus ergänzende Recherchen und damit in Zusammenhang stehende Erweiterungen oder Reduktionen des Textkorpus vor allem auf Grund intertextueller Bezüge, die sich zumeist erst während der Arbeit erschließen, vorgenommen werden müssen.“ (Spieß 2011: 252) Bei der Busse/Teubertschen Definition von Diskurs ist die deutliche Betonung des gemeinsamen Themas und des gegenseitigen Verweises der Texte charakteristisch (vgl. Busse/Teubert 1994: 15f.; Jung 1996: 455). Auf diese intertextuellen Bezüge hat auch Fraas (1996) hingewiesen (vgl. Fraas 1996: 165). Ähnlich wie Fraas beschreibt Konerding (2005, 2007) den Diskurs als ein Ensemble von öffentlich zugänglichen Texten, die insbesondere über ein gemeinsames Thema (oder einen gemeinsamen thematischen Komplex) miteinander verbunden sind. Entsprechend wird Thema2 im Diskurs durch Wiederaufnahme, Bezugnahme, Kommentierung und (kontroverse) Respondierung in den jeweiligen Texten „intertextuell“, d. h. im Zusammenwirken der Einzeltexte, „verhandelt“ (Konerding 2007: 124). Diskurs wird dadurch zu einem virtuellen Ort, in dem Themen „intertextuell“ ausgehandelt werden, und bezeichnet also ein prinzipiell „offenes Korpus“ (Busse/Teubert 1994: 15) von thematisch aufeinander bezogenen Texten. Der Busse/Teubertsche Definition zufolge definiert Ziem (2008a) Diskurs in seiner Korpusanalyse zur Metapher „Finanzinvestoren als Heuschrecken“ unter Rückgriff auf das Framekonzept von Konerding wie folgt: Geht man also aus frame-semantischer Sicht der Frage nach, was ein Diskurs ist, so lautet die Antwort: Ein Diskurs ist eine virtuelle Menge von Texten (oder Textsequenzen), in de-

|| 2 Zum Begriff Thema siehe Abschnitt 2.2.3 „Handlungsanweisungen nach Konerding“.

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nen Leerstellen des Frames, den die Metapher Heuschrecke aufruft, mit konkreten Füllwerten belegt werden. […] Ob ein Text oder eine Textsequenz einem Diskurs zuzurechnen ist, entscheide sich dadurch, ob „semantische Beziehungen“ zwischen Texten bzw. Textsequenzen vorherrschen würden und/oder ob sie in einem „gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang“ stünden. Die der Analyse zugrunde liegende Textmenge wird dabei aus praktischen und methodologischen Gründen als „offenes Korpus“ begriffen. (Ziem 2008a: 388f.)

Nach Ziem (2008a) gehören zu einem Diskurs alle Texte, die einen gemeinsamen Themenfokus aufweisen. Dieser lässt sich über ähnliche Makro-Propositionen der Einzeltexte (vgl. dazu Konerding 2005, 2007) oder über zentrale Textinhaltselemente, die wiederkehrend auftreten (vgl. etwa Böke 1996, Wengeler 2003a), nachweisen (Ziem 2008a: 391). Matthias Jung (1996) vertritt jedoch die Meinung, dass die Auffassung von Diskurs als Textkorpus mit dem Postulat eines gemeinsamen diskurskonstitutiven Themas in Widerspruch gerät. Da kein Text sich durch seine eindeutige Zugehörigkeit zu einem Diskurs vollständig erfassen lässt und auch in thematisch einschlägigen Texten Passagen vorkommen, die sich nicht dem gleichen Diskurs zuordnen lassen, weil das Thema wechselt, oder wie z. B. in den Regierungserklärungen, die verschiedene Themen in klar voneinander abgegrenzten Absätzen entwickeln, ergeben sich Fragen wie die folgenden: Sollte man trotzdem den ganzen Text zum Textkorpus zählen oder sollte man ihn dann überhaupt nicht mehr berücksichtigen, obwohl darin ein wichtiger Textabschnitt vorkommt (vgl. Jung 1996: 459f.)? Vor diesem Problemhintergrund hat Jung (1996) vorgeschlagen, für die Diskursanalyse nicht Text-, sondern Aussagenkorpora zugrunde zu legen. Jungs (1996) Konzept versteht Diskurs als „Aussagengeflecht“ (ebd. 461) zu einem bestimmten Thema: Diskurs bezeichnet die „Gesamtheit der Beziehungen zwischen thematisch verknüpften Aussagenkomplexen“, die sich natürlich in der Regel als Teile von übergeordneten Texten manifestieren (ebd. 463). Damit hat Jung (1996, 2000) den Diskursbegriff von Busse/Teubert (1994) konstruktiv modifiziert. Jungs Diskursverständnis geht auf Foucaults Kategorie der énoncé (dt. „Aussage“) zurück: Ein Diskurs besteht aus „in ihrer Form verschiedenen, in der Zeit verstreuten Aussagen“ (Foucault 1973: 49; vgl. dazu Busse 1987). In der Archäologie des Wissens geht Foucault davon aus, dass Diskurse aussagegebunden sind. Darauf beruhend spricht Jung von „Diskurs als in Texten realisiertes Aussagenkorpus“ (Jung 1996: 460f.; Jung/ Wengler 1999: 147f.). Jung (1996) richtet den Blick fort von Texten als Gesamtheiten hin zu diskursrelevanten Aussagen innerhalb von Texten. Damit treten textlinguistische Phänomene wie Textaufbau, -strategie und -intention zugunsten primär diskursanalytisch relevanterer Einheiten in den Hintergrund (Jung 1996: 461). Obwohl Jung es für sinnvoller hält, den Diskurs als die Gesamtheit

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der Beziehungen zwischen thematisch verknüpften Aussagenkomplexen zu definieren, hat er die Relevanz von Texten jedoch keineswegs geleugnet: Die Erfassung von thematisch einschlägigen und chronologisch geordneten Texten ist zwangsläufig der erste Schritt bei der Zusammenstellung von Diskurskorpora. Anschließend folgt die Auswertung nach Aussagen bzw. daran gekoppelten sprachlichen Phänomenen unter dem spezifischen linguistischen Forschungsinteresse und erst dann ihre Interpretation im Verweis- und Textzusammenhang. (Jung 1996: 463)

Diese Vorstellung erweist sich insbesondere hinsichtlich der Forschungsperspektive der vorliegenden Arbeit als forschungspraktisch und zweckmäßig, denn Aussagen sind auch nur in Form von Texten fassbar und der Text ist wegen der Kontextualisierungsfunktion von Aussagen relevant.3 Daher wurden auch die themenbezogenen Aussagen mit ins Untersuchungskorpus aufgenommen, wie z. B. Textabschnitte aus Regierungserklärungen, die von Medien zitiert wurden und für uns diskursrelevant sind, weil auf den viele spätere Medientexte/-textabschnitte beruhen. Bei der linguistischen Diskursanalyse legt somit eine Datensammlung von den diskursrelevanten Texten und Aussagen zugrunde.4 Wie zuvor bereits erwähnt, definiert Konerding (2005, 2007) Diskurs wie folgt: „Bei einem ‚Diskurs‘ handelt es sich um ein Ensemble von öffentlich zugänglichen Texten, die über ein gemeinsames Thema verbunden sind“ (Konerding 2005: 21f.), wobei Texte hier eben auch als thematisch relevante Teiltexte, als Aussagengeflechte im Sinne Jungs verstanden werden können. Diesem Verstehen vom Begriff Diskurs schließe ich mich an und bei der Erstellung meines Untersuchungskorpus habe ich versucht, mich an den folgenden von Konerding (2007) vorgegebenen thematischen Kriterien und den sich daraus ergebenden analytischen Zugriffsweisen zu orientieren: Ausgehend von der zuvor genannten Bedingung dafür, dass ein Text Bestandteil eines spezifischen Diskurses wird, ist, dass der betreffende Text zu wesentlichen Teilen gerade dasjenige Thema oder ein Thema aus demjenigen Themenkomplex behandelt, welches

|| 3 Um zu verdeutlichen, dass das Korpus nur einen Diskursausschnitt darstellt, hat Jung (1996, 2000) ein dreidimensionales Würfelmodell entworfen, wonach ein Diskurs nach Teildiskursen, Kommunikationsbereichen und Textsorten differenziert werden kann. Darauf gehe ich in der vorliegenden Arbeit nicht näher ein. Näheres dazu siehe Jung (1996, 2000) und Jung/Wengeler 1999. 4 Die textlinguistische Phänomene wie Textaufbau, -strategie und -intention bzw. Textsortenspektrum werden jedoch zugunsten diskursanalytisch relevanterer Einheiten nicht berücksichtigt.

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bzw. welcher für den betreffenden Diskurs konstitutiv ist. Ist diese zentrale Bedingung für eine Diskursbindung erfüllt, so sind nach den bisherigen Ausführungen auch die folgenden Bedingungen erfüllt: Der betreffende Text – bzw. der einschlägige Teiltext – weist bezüglich des jeweils relevanten Themas die gleiche oder doch sehr ähnliche MakroProposition wie die übrigen diskurskonstitutiven Texte auf. Die Texte können dann entsprechend durch einen gemeinsamen Makro-Rahmen im vorgenannten Sinne analysiert werden, und die in den Texten präsentierten Prädikationen müssen zugehörigen MakroRollen als jeweilige Rollenwerte zugeordnet werden können. (Konerding 2007: 124; vgl. dazu Konerding 2005: 22)

Entsprechend rückt für das weitere methodische Verfahren der Analyse das Konzept – als wissenschaftliches Konstrukt für die Modellierung der Schnittstelle zwischen Semantik und Weltwissen – in das Zentrum der Betrachtung. Diesem Konzept – in der linguistischen Explikation nach Konerding (1993) und seiner instrumentellen Funktion für die Diskursanalyse (vgl. speziell Konerding 2005, 2007) – seien im Folgenden einige Bemerkungen gewidmet.

2.2 Linguistische Frameanalyse 2.2.1 Der Frame-Begriff Wie zuvor bereits erwähnt, sind Konerdings (1993, 2005, 2007, 2008a) Arbeiten zu frametheoretischen Zugängen zur Diskursanalyse in der vorliegenden Untersuchung grundlegend. Konerding hat mit methodischen Vorschlägen zur Weiterentwicklung dieses Bereiches Wesentliches beigetragen. Die gegenwärtigen methodischen Entwicklungsresultate von Konerding gelangen daher als zentrales Untersuchungsinstrument in der vorliegenden Arbeit zum Einsatz und werden weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang ist, wie schon oben angedeutet, das Konzept Frame (dt. Rahmen) – je nach Verwendungstradition auch „Wissens-“ bzw. „Deutungsrahmen“ genannt – methodisch und analytisch sehr fruchtbar, insbesondere unter dem Aspekt der rahmengeleiteten Kontextualisierung und Kontextkonstitution für sprachliche Äußerungen. Frames bilden ein Kernkonzept bzw. analytisches Werkzeug der kognitiven Linguistik, mit dem sich sprachliche Phänomene erklären lassen. Konerding (2009a) hat darauf hingewiesen, dass dieses transdisziplinär situierte Konzept auch im Bereich der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse zunehmende Bedeutung erfährt (Konerding 2009a: 171). Nach Konerding sind Frames themenbestimmte komplexe kognitive Strukturen, die das allgemeine, stereo- bzw. prototypische Wissen in Form kulturell

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erzeugter und kollektiv geteilter kognitiver Konzeptstrukturen zu einem Thema bzw. thematisierten Gegenstand umfassen bzw. modellieren: Hierbei wurde der Terminus Frame im Sinne der KI zur Anwendung gebracht, d. h. mit Frame werden […] bestimmte sprachliche Texte bezeichnet, die konzeptgebundenes Wissen, hier insbesondere stereotypisches Wissen, detailliert zur Darstellung bringen sollen. (Konerding 1993: 282)

Die moderne Frametheorie kommt ursprünglich aus der Künstlichen-Intelligenz -Forschung (Abk. KI-Forschung) und Kognitiven Psychologie. Großen Einfluss hatte der Ansatz von Marvin Minsky (1975). Nach Minsky (1975) besteht eine zentrale Funktion von Frames darin, eine Liste von strategisch entscheidenden und sinnvollen Fragen bereitzustellen, die systematisch die Kontextualisierung des frameaktivierenden Ausdrucks steuern, damit werden konzeptuelle Wissenslücken geschlossen (Minsky 1975: 246f.). Frames sind somit Prädikationsrahmen und -raster (vgl. Fraas 1996: 27). In diesem Sinne bemerkt auch Ziem (2008a): (Matrix-)Frames dienen als Analyseraster, sie sind Instrumente zur Bestimmung verstehensrelevanten Wissens, stellen als solche aber keine mentalen Entitäten dar. Als Analyseinstrumente – nicht aber als kognitive Einheiten – bilden Frames inhaltsleere Formate, die Möglichkeiten der Wissenspezifikation (Prädikatoren) anzeigen. Die Kenntnis der Standardwerte wird also gerade nicht vorausgesetzt. (Ziem 2008a: 374)

Ist ein Frame, als implizite Wissensstruktur und als Versprachlichungspotential, einmal aktiviert,5 d. h. kleideraufgerufen oder abgerufen, leistet dann der/die Sprachbenutzende („the comprehender“) selbst die semantische Konstruktionsarbeit („Comprehension as an active process“), indem er oder sie die Leerstellen eines Frames mit den aus „the needed information in the rest of the text“, oder „awareness of the current situation“ bzw. „his/her own system of beliefs“ stammenden Details füllt (vgl. Fillmore 1976: 29 bzw. Ziem 2008a: 284). Frames sind im Bereich der kognitiven Wissenschaften bereits eingehend erforscht worden (vgl. Barsalou 1992, Langacker 1987, Lakoff 1987). Konerding (2009a) hat darauf hingewiesen, dass entsprechende Strukturen sich sprachbezogen modellieren und über sortal bestimmte „Ontologien“ in hierarchischen Systemen anordnen lassen, wobei höher stehende Rahmen ihre Eigenschaften

|| 5 Ziem (2008a) hat darauf hingewiesen, dass „Aktivieren“ das identifizierende Referieren auf eine Entität bedeutet, ohne welches ein sprachlich vollzogener kommunikativer Akt nicht gelingen könnte. Demnach ist die Aktivierung eines Frames mit der referentiellen Funktion eines sprachlichen Ausdrucks gleichzusetzen (vgl. dazu Ziem 2008a: 288ff.).

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an unterordnete Rahmen vererben. Dieses strukturgebundene, themen- und bereichsspezifische Wissen, das handlungs- und verhaltenspraktische Dimensionen umfasst, ist in gewissem Maße sozial geteilt und bildet prinzipiell die Grundlage für erfolgreiche Kommunikation und Kooperation in einer sozialen Formation bzw. in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich. Das Wissen manifestiert sich direkt oder indirekt in Diskursen und wird dort ausgehandelt und modifiziert. Gelingt es also, dieses Wissen und seine diskursspezifische Dynamik über die sprachlich manifesten Indikatoren von Texten zu rekonstruieren bzw. zu modellieren, so wird es möglich, relativ direkt und nahezu beschränkt auf sprachlich bestimmte Analysen, einen Einblick in die Dynamik diskursbestimmter Wissensstrukturen und Wissensordnungen im Sinne der eingangs umrissenen Charakteristika von Diskursen zu erhalten (Konerding 2009a: 171, vgl. Konerding 1993, 1997, 2005, 2007, 2008a). Konerding (2009a) hat gezeigt, wie derartige Frames im Sinne thematischer Makrostrukturen zur Analyse von Diskursen und zugehörigen komplexen Wissenssystemen eingesetzt werden können: Entscheidend ist, dass Frames eine konzeptuelle Inhalts- sowie eine sprachliche Ausdrucksdimension aufweisen, wenn zugehörige Wissenskomponenten in Diskursen thematisch werden und diskursiv, quasi-dialogisch, verhandelt werden. Entsprechend lassen sich zu den ermittelten und modellierten Wissensstrukturen zugehörige diskursive Indexund Ausdrucksformen finden, die von spezifischen lexikalischen Feldern über stereotype feste Formeln und verfestigte Topoi bis hin zu fixen Formen der Themenbehandlung und zu pauschalen Bewertungen und Argumentationen reichen. Wie zuvor ausgeführt unterliegen diese Formen im Rahmen der Diskursentwicklung einer gewissen Dynamik und Veränderung, die ihrerseits mit Veränderungen der betroffenen Wissenssysteme, jeweiliger Handlungspräferenzen, kollektiver Seins-, Wollen- und Sollensorientierungen im Zusammenhang mit wechselnden Diskursakteuren und ihren jeweiligen Interessen einhergehen. Wie in Konerding (2007) ausgeführt wurde, bietet der methodische Zugriff über Frames ein unvergleichlich starkes und zugleich kohärentes Instrument, um auf der Grundlage einer Operationalisierung von forschungspraktischen Begriffen wie „thematischer Kongruenz“, „thematischer Variation“, „thematischer Elaboration“ und „thematischer Kontrastierung“ die Dynamik einer Diskursentwicklung detailliert zu erschließen und in ihrem Verlauf methodisch kontrolliert zu modellieren. (Konerding 2009a: 172)

Wie zuvor bereits erwähnt, kommt die moderne Frametheorie ursprünglich aus der KI-Forschung und kognitiven Psychologie (vgl. Minsky 1975). In die Linguistik wurde der Frame-Begriff als Weiterentwicklung der Kasusrahmen-Theorie

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eingeführt von Charles J. Fillmore (1975, 1977),6 der die Rolle der Sprache für Framekonzeptionen erstmals explizit thematisiert und schon sehr früh auf die Relevanz von Framekonzeptionen in der Linguistik aufmerksam gemacht hat.7 Er ist zugleich Initiator des FrameNet-Projekts in Berkeley, in dem auf der Basis großer Textkorpora mögliche Valenzleerstellen von sprachlichen Ausdrücken ermittelt werden.8 Konerding (1993) hat einen lexikologisch orientierten Ansatz entwickelt, der, hier gerade im Unterschied zum verbbezogenen Zugriffsverfahren Fillmores, den nominalen Aspekt der Lexik dominant setzt und der dadurch auch für text- und diskursanalytische Untersuchungszwecke eingesetzt werden kann (vgl. auch oben). Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass stereotypisches Wissen, nämlich das „an Objekten und Situationen orientierte Alltagswissen“ (Konerding 1993: 19), Strukturen in Form „kleinerer Pakete“ (ebd. 19) aufweist, die sich mit Frames adäquat erfassen und beschreiben lassen (vgl. dazu auch Konerding 2008b). Konerdings Untersuchung hat deutlich gemacht, wie die Idee des Frames mit sprachwissenschaftlichen Mitteln eine theoretische und methodische Fundierung erfahren kann und damit hat Konerding (1993) zur erfolgreichen Operationalisierung der Framekonzeption im Bereich der Linguistik, die zum sinnvollen Einsatz in der weiteren linguistischen Forschung führen sollte, beigetragen.

2.2.2 Linguistische Frameanalyse nach Konerding Diskursanalytische Operationalisierungen der Frame-Theorie orientieren sich meistens an Konerdings (1993) Konzept der Matrixframes. Konerding (1993, 2005, 2007, 2008a, 2009a) greift dabei auf eine lexikonbezogene Modellierung und Operationalisierung des Frame-Begriffs zurück, die in der einschlägigen Forschung bereits nachhaltig Resonanz und Verwendung gefunden hat. Zentrales Funktionselement in diesem Zusammenhang ist die interpretative Zuordnung von potentiellen Füllwerten zu Leerstellen der Makro-Rahmen auf der Grundlage von Hyperonym-Relationen zwischen Nominalgruppen, was letztlich analog zur Funktion von Valenzstellen und der Bestimmung von zugehörigen

|| 6 Ein Überblick über die Geschichte des Frame-Begriffs in der linguistischen Forschungstradition und die wichtigen Arbeiten auf diesem Gebiet findet sich bei Konerding (1993), Ziem (2008a) und Busse (2012). 7 Näheres dazu siehe Konerding 1993: 43ff. 8 Nähere Informationen zu Berkeleyer FrameNet-Projekt siehe Lönneker (2003) und Busse (2012).

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thematischen Rollen bei Verben erfolgt. Insofern spricht Konerding bei den Leerstellen der thematischen Makro-Rahmen auch von Makro-Rollen. Leerstellen von Rahmen lassen sich offene Propositionen zuordnen, die ihrerseits als Präsuppositionen für Fragehandlungen fungieren und die Spezifikation zugehöriger konzeptueller Suchräume im Sinne relevanter Gegenstandsbereiche und deren textuelle Spezifikationen leisten. Wie Ziem (2008b) aufzeigt, bildet die Annahme, „dass ein sprachlicher Zugang zu konzeptgebundenem Wissen nur über Prädikationen möglich ist, wie sie in einer Sprachgemeinschaft gebräuchlich sind“, den „fundamentalen Ausgangspunkt der linguistischen Frame-Theorie“. Und das Potential dieser Prädikationen entspricht der Menge von Leerstellen (engl. Slots), die ein sprachlicher Ausdruck aufweist. Frames repräsentieren dementsprechend „das Potential kommunikativ sinnvoller Kontextualisierungsmöglichkeiten eines Konzeptes. Mit der Hilfe von Frames werden damit konzeptuelle Wissenslücken geschlossen“ (Ziem 2008b: 102f., vgl. Konerding 1993, Fraas 1996). Um die Leerstellen bzw. Attribute eines Frames zu ermitteln, hat Konerding (1993) die sog. Hyperonymtypenreduktion als ersten Schritt zur Rekonstruktion lexikalisch bestimmbarer Frames vorgeschlagen. Dies macht es möglich, ein leitendes Prinzip bei der Framerekonstruktion zu nutzen, wodurch jedes nominale Wort, bzw. seine spezielle typische Lesart, seinem höchsten Hyperonym zugewiesen wird. Darüber wird ihm sein Matrixframe zugewiesen (vgl. dazu Konerding 1993, 2007). Für die nominale Lexik resultieren nach Konerding schließlich zwölf allgemeinste Hyperonymtypen in der Lexik selbst. Zu diesen allgemeinsten Hyperonymen werden nun die zugehörigen Basis- oder Matrixframes konstruiert, und zwar unter Rückgriff auf alle sprachlich möglichen Prädikabilien dieser Hyperonyme. Das Ergebnis dieses Verfahrens sind insgesamt zwölf Matrixframes wie z. B. „Ereignis“, „Handlung“, „Zustand“, „Vorgang“, „Organismus“ u. a. Die Leerstellen der Matrixframes vererben sich auf untergeordnete Frames, d. h. auf Hyponyme der Ausdrücke, die jeweils einen Matrixframe aufrufen. So verhalten sich Hyponyme und Hyperonyme zueinander wie Instanzen zu Schemata. Die beiden rufen zwar denselben Frame auf, besetzen dessen Leerstellen aber mit Füllwerten (engl. fillers) unterschiedlichen Abstraktions- und Spezifikationsgrades (vgl. auch Ziem2008a: 310f. und Ziem 2008b: 103). Ziem (2008a) hat darauf hingewiesen, dass Konerdings (1993) auf der Hyperonymtypenreduktion basierende Verfahren bislang als „einzige systematische und linguistisch fundierte“ Methode zur Ermittlung von Leerstellen eines Frames gilt, mit der die Leerstellen in Gestalt von Fragen – bzw. von Prädikationsschemata, die die offenen Propositionen der Fragen definieren – systematisch erzeugt werden (vgl. Ziem 2008a: 310).

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Matrixframes fungieren als epistemologische Instrumente zur empirischen Ermittlung stereotypischen Wissens, das in konzeptuellen Einheiten kognitiv verfügbar ist (vgl. Konerding 1993: 282 und Ziem 2008a: 325). Für jeden Matrixframe lässt sich ein umfassender Katalog von offenen Propositionen bzw. zugehörigen Fragen konstruieren, welche jeweils Leerstellen des Frames definieren (vgl. dazu im Detail Konerding 2007), und zwar diejenigen Leerstellen, die innerhalb des fraglichen Diskurses relevant sind und theoretisch mit situations- bzw. textspezifischen Füllwerten (Prädikaten) gefüllt werden können. Es gilt zu untersuchen, welche Füllwerte anhand der offenen Propositionen bzw. Detailfragen in den vorliegenden Texten des Textkorpus systematisch gefunden werden können (vgl. Wengeler 2010: 140). Fraas (1996), Klein/Meisner (1999), Holly (2001), Lönneker (2003), Ziem (2008a), Wengeler (2010), Stein (2012) und Kalwa (2013) griffen auf Konerding (1993) zurück und versuchten, die Matrixframes zur Diskursanalyse und Korpusanalyse einzusetzen.9 So untersucht z. B. Claudia Fraas (1996), wie sich die Konzepte „Identität“ und „Deutsche“ im deutschen „Einheitsdiskurs“ maßgeblich verwandelt haben, während die Forschungsergebnisse von Lönneker (2003) deutlich machen, dass sich die von Konerding ermittelten Prädikatorenklassen (Leerstellentypen) eines Frames prinzipiell zur Korpusanalyse eignen. Lönneker (2003) hat die von Konerding entwickelten Matrixframes leicht modifiziert; diese liegen dann auch der Korpusanalyse von Ziem (2008a) zugrunde (Ziem 2008a: 371). Ähnlich wie Fraas (1996) und Lönneker (2003) haben auch Klein (1999) und Klein/Meisner (1999) zur empirischen Ermittlung von konzeptuellem Wissen, über das junge Erwachsene hinsichtlich zentraler ökonomischer Begriffe und Begriffszusammenhänge verfügen, angelehnt an Konerding (1993) Frames in der Korpusanalyse eingesetzt. Ziem (2008a) geht davon aus, dass sich Standardwerte (engl. default values) von forschungsleitenden Kategorien mithilfe von Matrixframes ermitteln lassen. Unter Frame versteht Ziem (2008a) wie Konerding (1993) eine semantische Organisationseinheit. Nach Ziem (2008a) sind Frames spezifische Schemata10, die verstehensrelevantes Wissen repräsentieren und strukturieren, das zur Interpretation sprachlicher Ausdrücke herangezogen wird (vgl. Ziem 2008a: 257). Ziem (2008a) hat den Begriff Frame als

|| 9 Darüber hinaus wurden natürlich auch eine Reihe von Einzeltextanalysen mithilfe von Matrixframes durchgeführt, wie z. B. Klein (2002) und Holly (2001, 2002), auf die ich hier nicht gesondert eingehe, vgl. hierzu Ziem 2008a, S. 373f. 10 Unter „Schema“ versteht Ziem (2008a) ein allgemeines, modalitätsunspezifisches Strukturformat. Der Begriff „Schema“ fungiert demnach als Oberbegriff für alle komplexen konzeptuellen Strukturen (vgl. Ziem 2008a: 257).

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semantisches Analyseinstrument in der diskursanalytischen Korpusuntersuchung von lexikalischer Bedeutung und Metaphern eingesetzt und hat dabei Folgendes angedeutet: Frames können auf der Basis eines Textkorpus bestimmt werden, indem zunächst die Okkurrenzen der phonologischen Einheit (die den zur Disposition stehenden Frame evoziert) im Korpus identifiziert werden, um auf dieser Grundlage zu bestimmen, was von dieser Entität prädiziert wird. Das Resultat ist eine große Menge an Propositionen, die insgesamt die Inhaltsdimension des Frames ausmachen, wie sie im zugrunde gelegten Korpus vorzufinden ist. (Ziem 2008a: 287f.)

Stein (2012) hat mit dem frameanalytischen Instrumentarium untersucht, welche diskursgebundenen Stereotypen als Wissenselemente mit dem Ausdruck „Integration“ verbunden sind und was diese über die Konzeptualisierung der Integrations- und Migrationsthematik aussagen. Steins (2012) Untersuchung hat gezeigt, dass es mithilfe des frameanalytischen Instrumentariums möglich ist, von einem zentralen Begriff ausgehend ein ganzes Netz an verstehensrelevanten Wissenselementen zu erschließen und herauszuarbeiten (Stein 2012: 22f.). Kalwa (2013) hat in ihrer Arbeit eine Hyperonymtypenreduktion für „Islam“ durchgeführt und darüber wurden verschiedene zugehörige Matrixframes ermittelt. Mittels der Frameanalyse wurden in ihrer Untersuchung sodann neben den Kontextualisierungen der Ausdrücke „Islam“ und „Muslim“/„Moslem“ auch deren Präsuppositionen erfasst (Kalwa 2013: 330). Spitzmüller und Warnke (2011) haben in ihrer Einführung in die Diskurslinguistik darauf hingewiesen, dass Frameanalyse inzwischen ein wichtiges und grundlegendes Instrument der Wissens- und Diskursanalyse bei linguistischen Untersuchungen ist. An Beispielen vom „Kolonialdiskurs“ wird es in der Einführung veranschaulicht, wie man mit Konerdings (1993, 2005, 2007, 2008a) Verfahren zur Ermittlung von Matrixframes eine Frameanalyse (als Methode der Diskurslinguistik) durchführen kann (vgl. dazu Spitzmüller/Warnke 2011: 94, 190f.).11 Die von Konerding bisher diskutierten und entwickelten methodischen Zugriffsweisen (Konerding 1993, 2005, 2007, 2008a, 2009) fungieren als zentraler Untersuchungsrahmen in der vorliegenden Arbeit. Darüber hinaus wurde von || 11 Innerhalb der Kritischen Diskursanalyse setzt auch van Dijk (1980) Frames zur Textanalyse ein. Sein Frame-Konzept steht dabei stärker in der interaktionstheoretischen Tradition Goffmans (1977), durch wen der Frame-Begriff in die Soziologie eingeführt worden ist. Goffmans Frame-begriff liegt den Kontextualisierungsansätzen (z. B. Gumperz 1992) zugrunde. Die Kontextualisierungsforschung versteht Frames vor allem als kognitive Schemata, die den Kontext darstellen (vgl. Auer 1992). Frameanalysen werden auch in der Medienforschung eingesetzt, um das Wissen um die öffentliche Meinung zu analysieren (vgl. D´Angelo 2002, Vreese 2005).

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Konerding in den letzten Jahren im Rahmen von weiterführenden Projekten die Grundlage für einen methodisch gesteuerten Datenzugriff auf der mikroanalytischen Ebene zu Diskursen entwickelt und erprobt. Dieser Teil des methodischen Zugriffs versteht sich im Wesentlichen im Sinne einer transdisziplinären Erschließung und Zusammenführung von Methoden der Analyse großer Textmengen, hier von bewährten Methoden aus den Bereichen der Linguistik und der Sozialwissenschaften: Auf linguistischer Grundlage werden Verfahren der qualitativen Textanalyse, speziell der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Früh (2007) ergänzt, modifiziert und weiterentwickelt. Ergänzend und komplementär werden auf der Ebene der mikroanalytischen Behandlung der jeweiligen Textspezifika die Methoden aus dem diskurslinguistischen Methodenfundus zum Einsatz gebracht, vor allem von Busse (1994, 2013), Warnke (2007, 2008, 2011), Wengeler (2010) und Ziem (2006, 2008a). Als grundlegende Analysemethode wird die linguistische Diskursanalyse mit den bereits beschriebenen verschiedenen Herangehensweisen angewendet und das Verfahren an die Ziele und Aufgaben der vorliegenden Untersuchung angepasst.

2.2.3 Handlungsanweisungen für Diskursanalyse von Konerding Da das der Diskursanalyse zugrunde zu legende Sprachmaterial in Form eines thematischen Korpus erfasst und verfügbar gemacht werden soll (vgl. Busse/ Teubert 1994:14), muss zunächst der zentrale Begriff des Themas bestimmt werden. In diesem Zusammenhang betont auch Konerding (2005), dass eine erfolgreiche Diskursanalyse in zentraler Hinsicht auf den Themenbegriff zurückgreifen sollte (Konerding 2005: 21). Konerding (2005, 2007) versteht Themen als „spezifikationsbedürftige Wissensbestände“, für die eine „sprachvermittelte Spezifikation“ intendiert bzw. vorgesehen ist. Damit zeigt Konerding, dass der linguistische Themabegriff vom Wissensbegriff – vor allem vom Begriff des semantisch spezifizierten konzeptuellen Wissens – nicht zu trennen ist. Sprachlich können Themen prototypischerweise in einer Frage explizit Ausdruck erfahren (Konerding 2007: 110).12 Themen der primär deskriptiven Texte finden in den Ergänzungsfragen („w-Fragen“) und Themen der primär argumentativen Texte in Entscheidungsfragen („ja/nein-Fragen“) einen möglichen Ausdruck (Konerding 2005: 11). Angelehnt an zeitgenössische Standards aus Linguistik,

|| 12 Vgl. dazu auch den Ansatz von Ochs-Keenan/Schieffelin (1976) und Quaestio-Konzept nach Klein (1999) und von Stutterheim (1997).

22 | Theorie und Methodik

kognitiver Psychologie und Informationswissenschaften wurde in Konerding (2005, 2007) eine Explikation des Themas vorgestellt: Jeder Wissenskomplex lässt sich nominal identifizieren, damit pauschal abstrakt klassifizieren und nachfolgend prädikativ spezifizieren. In der Regel vollzieht sich eine solche Spezifikation in Form einer multipropositionalen sprachlichen Struktur, d. h. mit Hilfe mehrerer Sätze, bzw. mit Hilfe eines mehr oder weniger umfangreichen Textes.[…]Das Entscheidend dabei ist: Mit der nominalen Identifikation und Klassifikation der Makroproposition verbindet sich zugleich ein allgemeiner, sortal bestimmter Relevanzrahmen, in dem grundlegende Beschreibungsdimensionen für eine prädikative Spezifizierung potentiell bereitgestellt werden. Jede Makroproposition lässt sich nominalisieren. […] Entsprechend steht für jede Makroproposition ein allgemeiner, sortal bestimmter Beschreibungsrahmen bereit, der die nachfolgende Spezifikation des Wissenskomplexes und damit die „thematische Entfaltung“ sowie die Beantwortung der „Textfrage“ global leitet. (Konerding 2005: 13)

Wie zuvor bereits erwähnt, definiert Konerding (2005, 2007) Diskurs wie folgt: „Bei einem ‚Diskurs‘ handelt es sich um ein Ensemble von öffentlich zugänglichen Texten [bzw. Teiltexten], die über ein gemeinsames Thema verbunden sind“ (Konerding 2005: 21f.). Entsprechend wird ein Thema im Diskurs intertextuell „verhandelt“ (vgl. dazu Fraas 1996: 165). Über die diskursive Differenzierung vom Thema hat Konerding (2005, 2007) an das auf Beziehungen der intertextuellen thematischen Kongruenz, Variation, Elaboration und Kontrastierung aufbauende linguistische inter- bzw. transtextuelle Modell der semantischthematischen Kohärenz vorgestellt. Dieses Explikat ermöglicht eine weiterführende rahmengeleitete makrostrukturelle Analyse von Diskursen im Sinne eines theoretisch wie praktisch umfassend fundierten linguistischen Instruments. In der vorliegenden Untersuchung wird daran angeknüpft, um die thematische Einbindung von Texten im Diskurs und die Beziehungen der Diskursgebundenen Texte untereinander präzise analysieren zu können. Konerding (2005, 2007) unterscheidet vier grundlegende „intertextuelle thematische Kohärenzbeziehungen“ (vgl. Konerding 2005: 23ff. und 2007: 125ff.): – Thematische Kongruenz – Thematische Variation – Thematische Elaboration – Thematische Kontrastierung Thematische Kongruenz liegt zwischen den Texten (bzw. Textsegmenten) vor, wenn über die gleichen „Aspekte“ eines Themas etwas geäußert wird. Dies heißt, dass die Realisierung bzw. Füllung der gleichen Makro-Rollen (Leerstel-

Linguistische Frameanalyse

|

23

len) des zugehörigen Makro-Rahmens durch textspezifische Prädikationen – im Rang von konkreten Rollenwerten (Füllwerten) – vorliegt. Im Falle des vorliegenden Diskurses zur WIRTSCHAFTSKRISE (Makro-Proposition) könnte dies konkret heißen, dass die betrachteten Texte bzw. Aussagen z. B. alle etwas zu Ursachen, Folgen, Bewertung, Forderung des EREIGNIS WIRTSCHAFTSKRISE sagen würden, wobei die jeweiligen Aussagen dazu durchaus voneinander abweichen könnten. Thematische Variation liegt zwischen den Texten (bzw. Textsegmenten) vor, wenn von den betrachteten diskurskonstitutiven Texten (bzw. Textsegmenten) wechselseitig verschiedene „Aspekte“ eines gemeinsamen Themas behandelt werden. Konkreter heißt dies: Es werden jeweils wechselseitig verschiedene Makro-Rollen durch textspezifische Prädikationen realisiert. Im Falle des vorliegenden Diskurses zur WIRTSCHAFTSKRISE heißt dies zum Beispiel, dass ein Text vom Korpus etwas zu den Ursachen der Wirtschaftskrise sagen würde, die übrigen aber dazu nichts. Ein anderer Text würde etwas zu den Folgen der Wirtschaftskrise präsentieren, die übrigen Texte dazu nichts. Thematische Elaboration liegt zwischen den Texten (bzw. Textsegmenten) vor, wenn in den Texten (bzw. Textsegmenten) über die gleichen „Aspekte“ eines Themas gesprochen wird, im Vergleich jedoch jeweils verschieden ausführlich und detailliert. D. h., die Realisierung bzw. Füllung der gleichen Makro-Rollen des zugehörigen Makro-Rahmens erfolgt durch textspezifische Prädikationen, die die gleichen Eigenschaften etc. zuschreiben, die gleichen Argumente präsentieren, dies aber in unterschiedlichem Grad detaillieren. Am Beispiel des Diskurses zur WIRTSCHAFTSKRISE würde dann einer der Texte etwas zu den Folgen der Wirtschaftskrise ausführen, ein anderer Text etwas Ähnliches präsentieren, dieses aber wesentlich detaillierter ausführen, weitere Informationen dazu bieten. Thematische Kontrastierung liegt zwischen den Texten (bzw. Textsegmenten) vor, wenn in den Texten (bzw. Textsegmenten) über die gleichen „Aspekte“ eines Themas gesprochen wird, jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen angeboten werden. D. h., die Realisierung bzw. Füllung der gleichen Makro-Rollen des zugehörigen Makro-Rahmens erfolgt durch textspezifische Prädikationen, die wechselseitig verschiedene Informationen/ Argumente präsentieren. Im Falle des vorliegenden Diskurses zur WIRTSCHAFTSKRISE heißt dies zum Beispiel, dass einer der betrachteten Texte etwas zu den Ursachen der Wirtschaftskrise sagt, während der andere Text zu den Ursachen etwas vollkommen Verschiedenes präsentiert. Aus dem oben vorgestellten Modell lassen sich praktische Handlungsanweisungen für Diskursanalyse gewinnen. Konerding (2005, 2007) greift dabei

24 | Theorie und Methodik

auf sein Konstrukt der Matrixframes (Konerding 1993) zurück, die die thematischen Makro-Rahmen strukturieren. Die Handlungsanweisungen für die Diskursanalyse werden wie folgt formuliert: i.

ii. iii.

iv. v.

Identifiziere die Hauptthemen der Texte (als Makro-Propositionen), und bestimme den zugehörigen Matrixframe als Makro-Rahmen (via Nominalisierung und Zuordnung eines Matrixframes zur nominalisierten Makro-Proposition). Identifiziere die in den betrachteten Texten realisierten Prädikationstypen (Makro-Rollen) des Makro-Rahmens. Identifiziere die wechselseitig gemeinsamen Prädikationstypen (Makro-Rollen), und gib die konkreten Prädikationsausprägungen (Rollenwerte) aus dem Text für diese Hauptthemen an. Identifiziere wechselseitig gemeinsame und verschiedene Realisierungen (Rollenwerte) von gemeinsamen Prädikationstypen (Makro-Rollen). Identifiziere Prädikationstypen (Makro-Rollen) und Realisierungen (Rollenwerte), in denen sich die Behandlungen der Hauptthemen unterscheiden und suche nach Gründen für diese Abweichungen. (vgl. Konerding 2005: 26 und 2007: 128)

Auf diese Weise wurde mithilfe der Makro-Rahmen die jeweilige Themenbehandlung in diskurskonstitutiven Texten einer gewissermaßen „Raster“geleiteten vergleichenden Betrachtung unterzogen. Im Kapitel 4.1 „Analyseschritte“ werden anhand dieser praktischen Handlungsanweisungen für die Diskursanalyse die Analyseschritte vorgestellt, die der vorliegenden diskurslinguistischen Untersuchung zugrunde liegen.

2.3 Inhaltsanalyse – Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung Wie zuvor bereits angedeutet, werden auf linguistischer Grundlage Verfahren der qualitativen Textanalyse ergänzt, modifiziert und weiterentwickelt. Im Zentrum dieser Erweiterungen stehen neben dem Zugriff über Wissensrahmen (Frames) insbesondere Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach Früh (2007), die sich für die Korpuskonstitution und die korrespondierende Kategorienbildung im Sinne der Forschungsfrage als grundlegend erweisen. Die Arbeitsschritte der Korpuskonstitution13 greifen die zwei Strategien von Früh (2007, 2001) auf, nämlich die vorgeschaltete Explorationsphase der Inhaltsanalyse und die Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung (Abk. BoK).

|| 13 Siehe Kapitel 3.3 „Korpuskonstitution“.

Inhaltsanalyse – Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung

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25

Die BoK stellt eine Verbindung der theoriegeleiteten Kategorienbildung mit einem material- und empiriegeleiteten Vorgehen dar, bei dem die Elemente des sprachlichen Materials aufgrund allgemeinen Basiswissens selegiert, reduziert und segmentiert werden. Bei der BoK werden zuerst anhand von allgemeinem Hintergrundwissen14 bzw. theoretischem Basiswissen des Forschers über den zu untersuchenden Gegenstandsbereich und die Forschungsfragestellung allgemeine Orientierungskategorien entwickelt, die als grobe Such- und Vergleichskriterien dienen (vgl. Früh 2007: 78f.). Bei der empiriegeleiteten Kategorienbildung werden dann die Orientierungskategorien einer Selektions- und Präzisierungsprüfung unterzogen, um die Hauptkategorien in Unterkategorien auszudifferenzieren und ggf. zu ergänzen, bzw. um die Kategorien operational zu definieren. Die Orientierungskategorien werden mit einem „repräsentativen Querschnitt“ des Untersuchungsmaterials konfrontiert, d. h. repräsentative Textstichproben werden nach diesen Kategorien durchsucht. Anhand der Stichproben werden Unterkategorien entwickelt bzw. präzisiert. Den resultierenden finalen, empiriegeleitet gebildeten Unterkategorien werden schließlich beschreibende „Labels“ zugewiesen. Damit sind die eigentlich relevanten Untersuchungskategorien gebildet (vgl. Früh 2007: 157f.). Die von Früh (2001, 2007) vorgeschlagenen Vorgehensweisen der Qualitativen Inhaltsanalyse bieten sich auch als willkommene Ergänzung zu den beiden korpuslinguistischen Verfahrensweisen von corpus-based und corpus-driven (vgl. Bubenhofer 2009) an. Spitzmüller und Warnke (2011) haben gezeigt, inwieweit corpus-based analysiert wird, um zuvor aufgestellte Hypothesen im Textkorpus zu überprüfen, oder inwieweit das Korpus selbst aufgrund empirischer Evidenzen die Analysekategorien corpus-driven nahelegt, ohne dass zuvor formulierte Hypothesen auf die Kategorienbildung Einfluss nehmen. Dabei sind durchaus auch Kombinationen beider Verfahren möglich bzw. sinnvoll, da der corpus-driven Zugang, der die Daten zum Ausgangspunkt der Theoriebildung macht, eine sinnvolle Ergänzung zum corpus-based, qualitativ-interpretativen Verfahren der Diskurslinguistik darstellt (Spitzmüller/Warnke 2011: 39). Eine rein induktive corpus-driven Vorgehensweise ohne jegliche Vorannahmen ist in Realität kaum vorstellbar; und ein Ansatz, der corpus-based verfährt, setzt sich der Gefahr aus, nur das im Textkorpus zu finden, das mit den zu überprüfenden Hypothesen in Einklang zu bringen ist. Aus diesem Grund bevorzugt Bubenhofer (2009) auch das „Zusammenspiel von Induktion und Deduktion“ (Bubenhofer 2009: 101). Bubenhofer (2009) weist darauf hin, dass es bei einer || 14 Früh betrachtet das allgemeine Hintergrundwissen als „vorläufige Substitution präziserer gegenstandsbezogener Theorien“ bei der theoriegeleiteten Kategorienbildung (Früh 2007: 79).

26 | Theorie und Methodik

korpuslinguistischen Diskursanalyse unumgänglich ist, corpus-driven zu beginnen, um aufgrund empirischer Evidenz Kategorien zu bilden (Bubenhofer 2009: 102). Dieses Verfahren entspricht dem von Früh (2001, 2007) vorgeschlagenen Verfahren der BoK und es wird auch bei der Kategorienbildung der vorliegenden Untersuchung zur Anwendung gelangen, d. h. bei der Kategorienbildung wurde teilweise corpus-driven vorgegangen, bei der Datenkodierung wurde anschließend corpus-based analysiert. Auf die Bildung der Analysekategorien bzw. deren Definitionen werde ich in Kapitel 4.2 „Kategorienbildung“ ausführlicher eingehen.

3 Untersuchungskorpus 3.1 Textquellen Die Untersuchung bedarf eines Textkorpus, das einerseits prominente, wichtige sowie auflagenstarke Printmedien erfasst, andererseits aufgrund forschungspraktischer Bedingungen nur eine sehr beschränkte Auswahl aus dem Medienspektrum treffen kann. Hier wird wie folgt verfahren: Als Materialquelle dient für Deutschland und China jeweils eine Auswahl elektronisch verfügbarer bedeutender Zeitungen und Zeitschriften mit möglichst divergierenden politischen Grundhaltungen. Die Medienmengen sind in der nachfolgenden Übersicht einschließlich der zugehörigen Daten zu ihrer elektronischen Verfügbarkeit erfasst: Übersicht 1: Quellen für die Recherche nach Medientexten

Name

Verfügbarer Zeitraum

Quelle

Der Spiegel

1947 bis heute

WISO Online-Datenbank Online-Archiv vom Spiegel

FAZ

1993 bis heute

Online-Datenbank der FAZ

People's Daily (Chinesisch)

1946 bis 2012

Online-Datenbank von PD

Xinhua News Agency (Englisch)

1979 bis heute

LexisNexis Online-Datenbank

Für die deutschen Texte sollte die Wahl auf Medien fallen, die eine möglichst hohe Verbreitung im deutschsprachigen Raum besitzen, wie z. B. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Abk. FAZ), Der Spiegel. Die überregionale Tageszeitung FAZ und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel werden zur Analyse herangezogen. Mit der Auswahl dieser auflagenstarken Medien, die auch als Leitmedien für die Darstellung und Vermittlung öffentlich-politischer Themen gelten, soll ein relativ breites politisches Spektrum abgedeckt werden. Die Auswahl der chinesischen Medien sollte dem Ziel folgen, einerseits den in offiziellen Medien (chi. 官 方媒体, „Guanfang“ Medien), andererseits in Mainstream-Medien (chi. 主流媒 体, „Zhuliu“ Medien) und darüber hinaus in allgemeinen Nachrichtenmedien (chi. 新闻媒体, „Xinwen“ Medien) geführten Diskurs zu untersuchen, um spezifische Unterschiede vor dem Hintergrund des anhaltenden Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft in China erfassen zu können. Mit einer Auflagenhöhe von ca. 2,5 Millionen Exemplaren ist die People’s Daily

28 | Untersuchungskorpus

(chin. 人民日报, Renmin Ribao; dt. Tageszeitung des Volkes/Volkszeitung, Abk. PD) eine der größten Tageszeitungen der Volksrepublik China. Xinhua News Agency (chin. 新华社, Xinhua She; dt. Neues China Nachrichtenagentur, Abk. XH) ist die chinesische staatliche Nachrichtenagentur und die größere der beiden Nachrichtenagenturen Chinas. Zur Xinhua News Agency gehören über 20 Zeitungen und dutzende Magazine. Die Artikel der Xinhua News Agency stehen weltweit online zur Verfügung. PD und Xinhua News Agency gehören zu den chinesischen Staatsmedien und stellen die Dinge aus Sicht der Regierung dar.

3.2 Kriterien der Textauswahl Wie im Abschnitt 2.1.2 „Der Linguistische Diskursbegriff“ schon erläutert, muss der Analysierende vorab definieren, nach welchen Kriterien das Korpus zusammengestellt werden soll, damit die Untersuchung aussagekräftig wird. Insgesamt wurde das konkrete Korpus der vorliegenden Untersuchung nach folgenden Kriterien zusammengestellt: –



Kriterium der thematischen Eingebundenheit: In der vorliegenden Arbeit wurden die repräsentativen Medientexte bzw. Textpassagen ausgewählt, die thematisch dem Diskurs zuzuordnen sind. Die Medientexte bzw. Textpassagen werden dann in der vorliegenden Untersuchung betrachtet, wenn sie diskurskonstitutiv sind, d. h. wenn sie das gleiche Thema und damit die gleiche Makro-Proposition WIRTSCHAFTSKRISE aufweisen und ihnen entsprechend der hyperonymtypspezifisch gleiche Makro-Rahmen, nämlich der Matrixframe EREIGNIS, zuweisbar ist (vgl. Konerding 2005, 2007). Die Texte, die aufgrund der intertextuellen thematischen Kongruenz, Variation, Elaboration und/oder Kontrastierung (frameanalytisch operationalisiert in Konerding 2005, 2007) – ganz oder zumindest segmentweise – in einer Kohärenzbeziehung zum Diskursthema stehen, können daher als thematisch in den Diskurs eingebunden gelten. Zeitraum: Der Untersuchungszeitraum ist auf rund 20 Jahre (1990–2012) begrenzt und deckt die Entwicklung der Wirtschafts- bzw. Finanzkrisen ab. Innerhalb des Untersuchungszeitraums liegt der Fokus auf vier Krisenperioden, die thematisch jeweils mit einem Ereignis oder einer Situation verbunden sind und denen in den Mediendiskursen eine herausragende globale wirtschaftspolitische Bedeutung zugesprochen wird. Im Einzelnen sind dies:

Korpuskonstitution

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(1) Die globalen Transformationsprozesse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (1990–1992) (2) Die Asienkrise (1997–1999) (3) Das Platzen der „Dotcom-Blase“ (2000–2002) (4) Die Weltfinanzkrise (2007–2012) –

Medien und Verfügbarkeit der Textquellen: Die Materialquelle wurde nach Repräsentativität, Relevanz und Meinungsspektrum auf bestimmte Qualitätsmedien und Presseorgane in Deutschland und China beschränkt. Aus forschungspraktischen Gründen müssen sie auch in digitaler Form ohne Aufwand zugänglich und elektronisch verfügbar sein.

Das konkrete Verfahren der Korpuskonstitution der vorliegenden Untersuchung wird im folgenden Abschnitt ausführlich dargestellt.

3.3 Korpuskonstitution Wie zuvor erläutert, bilden den eigentlichen Untersuchungsgegenstand solche Artikel, in denen sich Bewertungen makroökonomisch bedeutsamen Handelns im thematischen Kontext der jeweiligen vier Krisenperioden entnehmen lassen. Für jede Krisenperiode wird eine Auswahl der aussagekräftigsten Artikel der linguistischen Frame-Analyse unterzogen, die mithilfe der Software MAXQDA durchgeführt wird. In der Korpusdatenbank sind sowohl sämtliche Artikeltexte als auch die darin vorgenommenen Kategorisierungen und die zugrunde gelegte Kategorienhierarchie (Ontologie) enthalten.1 Die Korpuskonstitution der vorliegenden Untersuchung gliedert sich in fünf Arbeitsschritte: 1. Formulierung der Korpussuchanfragen 2. Definition des Suchrahmens 3. Vorläufige Relevanz-Entscheidung nach Überschriften 4. Lesen des Textanfangs 5. Close Reading Wie zuvor bereits angedeutet, greifen die ersten zwei Arbeitsschritte zwei Strategien der qualitativen Inhaltsanalyse nach Früh (2007) auf, nämlich die vorgeschaltete Explorationsphase und die Basiswissengeleitete offene Kategorienfin-

|| 1 Zur Kategorienbildung der vorliegenden Untersuchung siehe Abschnitt 4.2 „Kategorienbildung“.

30 | Untersuchungskorpus

dung (vgl. Früh 2007, 2001). Korpussuchanfragen lassen sich ausgehend vom Diskursthema „Wirtschaftskrise“ bzw. von der Forschungsfrage formulieren, wie z. B. Ausdrücke für zentrale Akteure, Handlungen, Ereignisse u. a. Bei der vorgeschalteten Explorationsphase wird ein repräsentativer Querschnitt des Untersuchungsmaterials, nämlich der Medientexte aus den vier Textquellen der deutschen und chinesischen Medien, durch das explorative Scanning nach möglicherweise relevanten Informationen untersucht, damit man intuitive Eindrücke von den Texten gewinnt. Um Artikel in den elektronisch verfügbaren Quellendatenbanken zu recherchieren und die diskursrelevanten Texte auszuwählen, werden für jede Krisenperiode jeweils eine deutschsprachige, eine chinesischsprachige und eine englischsprachige Korpussuchanfrage formuliert. Die Korpussuchanfragen setzen sich aus den mit dem Booleschen Operator ‚ODER‘ (Disjunktion) verknüpften Stichwörter-Termen zusammen, die sich deshalb als besonders geeignet erweisen, weil damit beinahe alle relevanten Texte in den Medienquellen erfasst werden können.2 Die folgenden Übersichten zeigen Listen der bei der vorliegenden Untersuchung verwendeten Korpussuchanfragen: Übersicht 2: Krisenperiode 1990–1992: Die globalen Transformationsprozesse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion

DE:

*sowjet* ODER UdSSR* ODER *Ostblock* ODER Perestrojka* ODER Osteurop* ODER Reform* ODER Marktwirtschaft* ODER westlich* ODER kapitalis* ODER Transformation* u.s.f.

CN:

苏联 ODER 东欧 ODER *改革* ODER 开放 ODER 社会主义* ODER 资本主义* ODER *市场经济 ODER *自由* u.s.f.

EN:

*soviet * ODER USSR* ODER russia* ODER *transformation ODER eastern Europe* u.s.f.

|| 2 Der Asterisk ist ein Platzhalter, der die Suche nach Wortteilen ermöglicht.Die einzelnen Terme können intern komplex strukturiert sein, d. h. sie können bei Bedarf selbst durch Operatoren wie UND/UND NICHT/XOR/… verknüpfte Subterme enthalten. Die Korpussuchanfragen sollen so formuliert werden, dass ein Text im Untersuchungszeitraum, der mindestens einen der in den entsprechenden Korpussuchanfragen enthaltenen Terme enthält, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für das betreffende Ereignis relevant ist; ein Text im Untersuchungszeitraum, der keinen der in den entsprechenden Korpussuchanfragen enthaltenen Terme enthält, aller Wahrscheinlichkeit nach für das betreffende Ereignis irrelevant ist.

Korpuskonstitution

|

31

Übersicht 3: Krisenperiode 1997–1999: Die Asienkrise

DE:

*Asien* ODER *asiatisch* ODER Tigerstaat* ODER China* ODER chinesisch* ODER *Krise* ODER Zhu Rongji u.s.f.

CN:

*亚洲* ODER *四小龙* ODER 东南亚* ODER *危机 ODER *风暴 ODER 金融* u.s.f.

EN:

*asia* ODER *financial* ODER southeast* ODER China* ODER thailand* ODER *crisis* ODER Zhu Rongji u.s.f.

Übersicht 4: Krisenperiode 2000–2002: Das Platzen der „Dotcom-Blase“

DE:

* Internet* ODER NASDAQ* ODER *blase ODER dot.com* ODER Dotcom* ODER New-Economy-Blase u.s.f.

CN:

* 互联网* ODER 纳斯达克* ODER *泡沫 ODER 网络经济* u.s.f.

EN:

* Internet* ODER NASDAQ* ODER *bubble ODER dotcom* ODER ODER New Economy bubble u.s.f.

Übersicht 5: Krisenperiode 2007–2012: Die Weltfinanzkrise

DE:

Finanzkrise* ODER *Regulier* ODER Wall Street* ODER Neoliberalis* u.s.f.

CN:

金融危机* ODER *金融风暴* ODER 华尔街* ODER *风暴 ODER 新自由主义* ODER *监管 u.s.f.

EN:

*financial* ODER *crisis* ODER *regulat* ODER Wall Street* ODER u.s.f.

Nach der Formulierung der Korpussuchanfragen erfolgt die Definition des Suchrahmens (Medium, Zeitraum [basierend auf der Krisenperiode], Mindesttextgröße [z. B. Wortzahl > 200]). Danach werden die Korpussuchanfragen auf sämtliche Artikel innerhalb der entsprechend definierten Suchrahmen angewendet und damit die potenziell diskursrelevanten Texte bestimmt. Um die tatsächlich diskursrelevanten Artikel aus den für potenziell diskursrelevant befundenen Artikeln auszuwählen, werden die Arbeitsschritte 3 bis 5 durchgeführt. Ausgehend von den Überschriften der mithilfe der Korpussuchanfragen vorgefundenen Texte wird zunächst ein vorläufiges Korpus aus potenziell relevanten Texten zusammengestellt. Anhand der Textüberschriften wird die Relevanz der Texte bewertet und die relevanten Artikel werden in die engere Auswahl des nächsten Schritts genommen. Die Auswahl der tatsächlich diskursrelevanten Artikel aus den für potenziell diskursrelevant befundenen Artikeln geschieht interpretativ nach deren Lektüre.

32 | Untersuchungskorpus

Wie oben bereits angegeben, halte ich mich bei der Erstellung des Untersuchungskorpus an die von Konerding (2007) vorgegebenen Kriterien. Die Medientexte bzw. Textpassagen werden dann in der vorliegenden Untersuchung betrachtet, wenn sie diskurskonstitutiv sind, d. h. wenn sie das gleiche Thema und damit die gleiche Makro-Proposition WIRTSCHAFTSKRISE aufweisen und ihnen entsprechend der hyperonymtypspezifisch gleiche Makro-Rahmen, nämlich der Matrixframe EREIGNIS, zuweisbar ist (vgl. Konerding 2005, 2007). Im Arbeitsschritt 5 (Close Reading) erfolgt die Identifikation zu kodierender Textsegmente. Im Zuge eines ersten Close Reading des Gesamttextes wird entschieden, ob dieser (oder maßgebliche Teile davon) tatsächlich als in das Diskursthema eingebunden betrachtet werden kann. Damit einher geht eine erste, grobe Identifikation von den zu kodierenden Textsegmenten. Ein idealer Text (bzw. Textpassage) zeichnet sich demnach durch ein Textthema aus, das in sehr engen Kohärenzbeziehungen zum Diskursthema („Wirtschaftskrise“) steht und dabei mannigfaltig im Text attribuiert wird. D. h. es findet sich eine Vielzahl von Fillers zu den Slots URSACHEN, AKTEUREN, BEWERTUNG, FORDERUNG und FOLGEN, die eine enge Kohärenzbeziehung zum Diskursthema aufweisen. Texte, die diesem Ideal in jeder Hinsicht fern bleiben, werden nach dem Close Reading wieder aus dem Korpus entfernt. Schließlich wurden insgesamt 627 Texte als relevant im Sinne der Forschungsfrage bestimmt. Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die Anzahl der Dokumente je Medienquelle: Übersicht 6: Anzahl der Dokumente je Medienquelle

Medienquellen

Anzahl der Texte

FAZ

206

Der Spiegel

112

People's Daily (Chinesisch)

144

Xinhua News Agency (Englisch)

165

Gesamt

627

Nun muss es festgelegt werden, mit welchen Analysekategorien das Untersuchungskorpus befragt werden soll. Diese werden in den nächsten Abschnitten detailliert erläutert. An dieser Stelle möchte ich nun überleiten zum Analyseteil der Arbeit.

4 Diskurslinguistische Analyse 4.1 Analyseschritte An die Materialerhebung und Konstituierung des Untersuchungskorpus schließt sich die eigentliche Analyse an. An dieser Stelle soll zuerst ausführlich vorgestellt werden, nach welchen Analyseschritten die diskurslinguistische Analyse durchgeführt wird. Im Folgenden werden die Analyseschritte anhand der praktischen Handlungsanweisungen für Diskursanalyse nach Konerding (2005, 2007)1 vorgestellt, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen. Die vorliegende diskurslinguistische Untersuchung erfolgt in vier Analyseschritten, auf die in den folgenden Abschnitten genauer eingegangen wird: i. Bildung von Hauptanalysekategorien ii. Kodierung der betreffenden Textsegmente iii. Bildung von Prototypen iv. Quantitative und qualitative Analyse der Prototypen

4.1.1 Bildung von Hauptanalysekategorien Zunächst gilt es, das Untersuchungskorpus zu konstituieren und die Hauptanalysekategorien zu erstellen. Zur Unterstützung der Datenerfassung und Datenverwaltung wurde die mittlerweile auch in der Linguistik einschlägige qualitative Analysesoftware MAXQDA verwendet. In MAXQDA wurden die repräsentativen Medientexte (bzw. Textpassagen) 2 importiert und Analysekategorien implementiert. Die Bestimmung der Hauptanalysekategorien erfolgt über die thematische Bindung der Texte in das vorliegende Konstrukt des Diskurses. Sie weisen alle als nominalisierte Makro-Proposition das Ereignis WIRTSCHAFTSKRISE auf; entsprechend kann ihnen der Matrixframe EREIGNIS als Makro-Rahmen in der Spezifizierung auf WIRTSCHAFTSKRISE zugeordnet werden.3 Durch die zugehörigen Frame-Attribute bzw. Makro-Rollen (Leer- oder Spezifikationsstellen des Rahmens), die hinsichtlich der Forschungsfrage als relevant evaluiert sind, sind die Hauptanalysekategorien bestimmt. Die gemeinsamen Prädikationstypen

|| 1 Siehe Kapitel 2.2.3 „Handlungsanweisungen für Diskursanalyse von Konerding“. 2 Näheres dazu siehe Abschnitt 3.2 „Kriterien der Textauswahl“ und Abschnitt 3.3 „Korpuskonstitution“. 3 Näheres dazu siehe Abschnitt 4.2 „Kategorienbildung“.

34 | Diskurslinguistische Analyse

(Makro-Rollen)4 sind die Hauptanalysekategorien, die in MAXQDA unter „Codesystem“ als Hauptcodes5 angelegt wurden. Dazu zählen z. B. AKTEURE, BEWERTUNG, FORDERUNG, URSACHEN, FOLGEN.6 Dieser Analyseschritt soll im Kapitel 4.2 „Kategorienbildung“ mit Beispielen veranschaulicht werden.

4.1.2 Kodierung der betreffenden Textsegmente In MAXQDA sollen bei der Kodierung7 alle relevanten Textsegmente identifiziert, markiert und erfasst werden, die sich einer der Hauptanalysekategorien zuordnen lassen. Das Kodierungsverfahren in MAXQDA entspricht dann dem Instantitierungsverfahren: In den Texten präsentierte textspezifisch relevante Prädikationen (die konkreten Rollenwerte) werden identifiziert und unter die zugehörigen Makro-Rollen subsumiert. Die Frame-Attribute in ihrer Funktion als Makro-Rollen bestimmen Prädikationstypen in dem folgenden Sinne: Nominale kennzeichnen diese Makro-Rollen semantisch und fungieren somit als semantisch-konzeptuelle Filter. Sie müssen im Sinne der HyperonymkettenBeziehungen durch Makro-Propositonen von Textsegmenten bzw. deren Nominalisierungen im Range von Prädikationen spezifiziert werden. Die zugehörigen Textsegmente bzw. deren nominalisierte Makro-Propositionen bilden alternative Filler/Rollenwerte für die Leerstellen der nominalisierten Frame-Attribute alias Makro-Rollen. Zugleich fungieren die Textstellen als jeweilige individuelle Antworten auf die korrespondierenden heuristischen Frame-spezifischen Fragen.8 Auf der Grundlage dieser Konzeption werden dann die betreffenden Textsegmente identifiziert und in MAXQDA kodiert.

|| 4 Näheres dazu siehe Kapitel 2.2.3 „Handlungsanweisungen für Diskursanalyse von Konerding“. 5 Der Begriff „Code“ wird vor allem in der Grounded Theory verwendet, wo das „Kodieren“ das Analysieren, Benennen, Kategorisieren und das theoretische Einordnen des Datenmaterials bezeichnet (vgl. Kuckartz 2012: 45ff.). In der vorliegenden Arbeit bezeichnet „Code“ Kategorie. 6 Zu den Definitionen der Hauptanalysekategorien siehe Abschnitt 4.2.3 „Definitionen der Hauptanalysekategorien“. 7 Als „Kodierung“ wird hier die Zuordnung von Kategorien zu betreffenden Textstellen bezeichnet. 8 Zu den Frame-spezifischen Fragen siehe Abschnitt 4.2.1 „Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE“.

Analyseschritte

|

35

4.1.3 Bildung von Prototypen Der nächste Analyseschritt umfasst die Bildung von Prototypen innerhalb der Menge der jeweils attributspezifischen Textsegmente, wobei Relevanz und Häufigkeit eine wichtige Rolle spielen. Die Prototypen werden auf dem Weg induktiver semantischer Generalisierung und Gruppierung/Kategorisierung der lokalen Attribut- bzw. Makrorollenwerte der Textsegmente gewonnen. Die in MAXQDA kodierten Textstellen werden jahrgangsbezogen, länderbezogen und medienbezogen gruppiert und anschließend zu den Gruppen Prototypen gebildet. Die als konkrete Füllwerte kodierten Textstellen werden anhand von Relevanz – d. h. der Bewertung der Wichtigkeit und Zentralität einzelner Fillers für den Diskurs – und Häufigkeit verglichen. Die relevantesten bzw. in den Texten am häufigsten präsentierten Prädikationen werden nominalisiert und operational als Prototypen der Makro-Rollen definiert. Die nominalisierten Prototypen bilden dann die Unterkategorien9 für die Kodierung in MAXQDA, z. B.: |_ URSACHEN |_ DEREGULIERUNG DER MÄRKTE |_ GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE |_ KONSTRUKTIONSMÄNGEL IM WELTFINANZSYSTEM |_ THE MADE-IN-AMERICA CRISIS |_ DAS ASIATISCHE MODELL |_ BLASEN-WIRTSCHAFT |_ FEHLER DER REGIERUNG |_ MANGEL AN MORAL |_ VERSAGEN DES KAPITALISMUS |_ VERSAGEN DES IWF |_ … |_ FOLGEN |_ KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS |_ NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER |_ AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT |_ NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN |_ DAS ASIATISCHE MODELL |_ VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH |_ RÜCKKEHR DER REGULIERUNG || 9 Näheres dazu siehe Abschnitt 4.2.2 „Bildung von Analysekategorien“.

36 | Diskurslinguistische Analyse

|_ SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE |_ GEWINNER USA UND ANTI-AMERIKANISMUS |_ ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAHMEN |_ ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG |_ WELTREZESSION |_ … Damit werden die Prototypen der Makro-Rollen (hier: URSACHEN, AKTEURE, BEWERTUNG, FORDERUNG, FOLGEN)10 gebildet. Dieser Analyseschritt soll im Kapitel 4.3 „Prototypen – quantitative und qualitative Analyse“ mit Beispielen veranschaulicht werden.

4.1.4 Quantitative und qualitative Analyse der Prototypen Im letzten Analyseschritt werden schließlich die als Prototypen ermittelten Unterkategorien quantitativ und qualitativ analysiert, was einen ersten wesentlichen Schwerpunkt der Untersuchung ausmacht. Die qualitative Analyse kann durch quantitative Auswertungsmöglichkeiten ergänzt werden (vgl. dazu Spitzmüller/Warnke 2011: 39). Durch die Quantifizierung der konkreten Füllwerte können Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Relevanz und der Entwicklungstendenzen von Prototypen der Makro-Rollen zwischen den beiden Kulturräumen herausgearbeitet werden. Dieser Analyseschritt soll im Kapitel 4.3 „Prototypen – quantitative und qualitative Analyse“ mit Beispielen veranschaulicht werden.

4.2 Kategorienbildung 4.2.1 Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Wie zuvor bereits erwähnt, fungieren die von Konerding bisher diskutierten und entwickelten methodischen Zugriffsweisen (Konerding 1993, 2005, 2007, 2008a, 2009a) als zentraler Untersuchungsrahmen in der vorliegenden Arbeit. Darüber hinaus wurde von Konerding in den letzten Jahren im Rahmen von weiterführenden Projekten die Grundlage für einen methodisch gesteuerten Datenzugriff auf der mikroanalytischen Ebene zu Diskursen entwickelt und erprobt. Ergän-

|| 10 Näheres dazu siehe Abschnitt 4.2.2 „Bildung von Analysekategorien“.

Kategorienbildung

|

37

zend und komplementär werden auf der Ebene der mikroanalytischen Behandlung der jeweiligen Textspezifika argumentationsanalytische Methoden aus dem diskurslinguistischen Methodenfundus zum Einsatz gebracht, vor allem von Busse (1994, 2013), Warnke (2007, 2008, 2011), Wengeler (2010) und Ziem (2006, 2008a). Als grundlegende Analysemethode wird die linguistische Diskursanalyse mit den bereits beschriebenen unterschiedlichen Herangehensweisen angewendet und das Verfahren an die Ziele und Aufgaben der Dissertationsarbeit angepasst. In Rückgriff auf die Frameanalyse nach Konerding (1993, 2007) hat Wengeler (2010) untersucht, wie der Frame zu „Wirtschaftskrise“ durch akteurspezifische Handlungen konstituiert werden könnte, bzw. wie entsprechende Prädikationen die zugehörigen Frameslots inhaltlich füllen. Um das höchste Hyperonym von „Krise“ zu ermitteln, hat Wengeler bei der Hyperonymtypenreduktion das Hyperonym EREIGNIS bestimmt. Der Matrixframe zu EREIGNIS wird entsprechend auf „Wirtschaftskrise“ übertragen (vgl. Konerding 2007) und mit dem zugehörigen Katalog von Detailfragen des Matrixframes, mit denen die relevanten Leerstellen des Matrixframes bestimmt werden, werden entsprechend die Texte des Korpus untersucht. Wengelers (2010) Ergebnis der Hyperonymtypenreduktion für „Krise“ bzw. „Wirtschaftskrise“, sowie die dadurch bestimmten Leerstellen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE werde ich im Folgenden modifizieren und für die vorliegenden Zusammenhänge spezifizieren. Wengelers (2010) Fragenkatalog des Matrixframes „Ereignis“, den das Substantiv „Krise“ aufruft, geht auf die von Ziem (2008a) zusammengefasste Liste der Leerstellen des Matrixframes Ereignis zurück, den dort die Nominalisierung „Scheidung“ aufruft. Ziem (2008a) hat für sein Beispiel die von Konerding (1993) entwickelten Detailfragen zum Matrixframe EREIGNIS wie folgt herausgegriffen bzw. direkt übernommen: Leerstellen des Matrixframes EREIGNIS (1) Was hat das Ereignis zur Voraussetzung? Wodurch ist das Ereignis bedingt? Was macht es möglich? (2) Worauf geht das Ereignis zurück? (3) Wovon ist es Bestandteil? In welchem übergeordneten funktionalen Zusammenhang figuriert das Ereignis? (4) Welche Charakteristika kennzeichnen den Ablauf des Ereignisses? (5) Welche wesentlichen Phasen bzw. Teilereignisse weist das Ereignis auf? Wie sind diese charakterisiert? (6) Mit welchen anderen Ereignissen oder welchen von deren Phasen überschneidet sich das Ereignis?

38 | Diskurslinguistische Analyse

(7) Welche wesentlichen MitspielerInnen/InteraktionspartnerInnen agieren in dem Ereignis? (8) Wie sind diese charakterisiert? (9) Durch welche relevanten Eigenschaften sind die jeweiligen MitspielerInnnen und ihre Rollen charakterisiert? (10) Was unterstützt das Ereignis? (11) Welchen Namen hat das Ereignis? (12) Was folgt dem Ereignis oder einzelnen seiner Phasen nach? (vgl. Ziem 2008a: 273)

Wengeler (2010) hat darauf hingewiesen, dass mit diesen Detailfragen einige der Leerstellen benannt sind, die bezüglich jedes Ereignisses in Texten mit Füllwerten belegt sind. Mit dem Fragenkatalog können die in den Texten etablierten Wissenssegmente, die den Ausdruck „Wirtschaftskrise“ jeweils ermitteln, differenziert behandelt werden. Um das in seinem Textkorpus konstituierte Wissen über die „Wirtschaftskrise“ in den zentralen Bestandteilen zu erschließen, hat Wengeler (2010) den Fragenkatalog von Ziem (2008a) weiter auf die folgenden fünf Fragen reduziert: 1, Die Frage danach, was zur Wirtschaftskrise geführt hat: Was hat das Ereignis zur Voraussetzung? Wodurch ist das Ereignis bedingt? Was macht es möglich? Worauf geht es zurück? 2, Die Frage nach dem, was eigentlich gerade passiert, welche Ereignisse in welchen Bedingungszusammenhängen ablaufen: Welche Charakteristika machen den Ablauf des Ereignisses Wirtschaftskrise aus? Welche wesentlichen Phasen bzw. Teilereignisse weist das Ereignis Wirtschaftskrise auf? Wie sind diese charakterisiert? 3, Die Frage nach den handelnden Personen, wer in welcher Rolle, mit welchen Gründen und welchen Aktionen das Ereignis Wirtschaftskrise ausmacht: Welche wesentlichen MitspielerInnen/InteraktionspartnerInnen agieren in dem Ereignis? Wie sind diese charakterisiert? Durch welche relevanten Eigenschaften sind die jeweiligen MitspielerInnen und ihre Rollen charakterisiert? 4, Welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen hat das Ereignis Wirtschaftskrise und wie werden diese bewertet: Was folgt dem Ereignis oder einzelnen seiner Phasen nach? 5, Womit ist das Ereignis vergleichbar? Gab es schon einmal ein ähnliches Ereignis? Und hatte dieses Ereignis ähnliche Ursachen, einen ähnliche Verlauf und ähnliche Folgen wie das aktuelle Ereignis Wirtschaftskrise? (Wengeler 2010: 143)

Im Fall vorliegender Arbeit geht es darum, dass die Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS unter der Spezifizierung auf „Wirtschaftskrise“ (als Hyponym) gerade die Operationalisierung der Forschungsfrage liefern können, wobei die Detailfragen, die die Slots des Frames definieren, durch die auszulesenden Codes, durch die relevante Textstellen in den Korpustexten markiert wurden, beantwortet werden. Um die Forschungsfrage hinsichtlich der textanalytischen Codes zu operationalisieren, möchte ich, in Anlehnung an das Vorgehen bei

Kategorienbildung

|

39

Wengeler (2010), eine Anpassung des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE in dem Sinne einer leichten Vereinfachung heranziehen und den Katalog auf die folgenden vier Detailfragen reduzieren und für das vorliegende Anliegen spezifizieren, sodass die Frame-spezifischen Fragen dann letztlich alle Aspekte der eingangs hier bereits vorgestellten Forschungsfrage repräsentieren: Leerstellen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE 1.

Die Frage nach den URSACHEN der Wirtschaftskrise: Was hat zu dem Ereignis Wirtschaftskrise geführt? Was hat das Ereignis zur Voraussetzung? Wodurch ist das Ereignis bedingt? Was macht es möglich? Worauf geht es zurück? 2. Die Frage nach den AKTEUREN in der Wirtschaftskrise: Wer in welcher Rolle, aus welchen Gründen und mit welchen Handlungen verursacht oder beeinflusst das Ereignis Wirtschaftskrise? Welche sind die wesentlichen Akteure – entweder als verantwortliche Urheber der Wirtschaftskrise oder als Akteure, die Veränderungen in den handlungsleitenden Systemen (kodifizierten Normen – Regularien) vornehmen sollen, um die Wirtschaftskrise zu beseitigen? Wie sind die jeweiligen Handlungen jeweils charakterisiert? Durch welche relevanten Eigenschaften sind die Akteure und ihre Rollen charakterisiert? 3. Die Frage nach den FOLGEN der Wirtschaftskrise und den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns: Welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen hat das Ereignis Wirtschaftskrise und wie werden diese bewertet? Wie werden die (verursachenden) Handlungen der Wirtschaftskrise bzw. ihre Folgen und Auswirkungen bewertet? 4. Die Frage nach den FORDERUNGEN für die Zukunft: Welche Handlungen werden gefordert, um die Wirtschaftskrise zu beseitigen und zukünftige Wirtschaftskrisen zu vermeiden? Welche Forderungen für die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns ergeben sich daraus? Welche Bedeutung hat das für die Menschen? 11

|| 11 Bedeutung für die Menschen ist, negative Folgen zu vermeiden und positive Folgen zu ermöglichen. Daher kontrolliert man Handlungen mit negativen Folgen und ersetzt sie durch Handlungen mit den gewünschten und erhofften positiven Folgen.

40 | Diskurslinguistische Analyse

Mit diesem Katalog von Makro-Rollen und den ihnen zugeordneten Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS werden entsprechend Kategorien im Sinne der Inhaltsanalyse bzw. Grounded Theory generiert und darüber vermittelt die Texte des Korpus untersucht.

4.2.2 Bildung von Analysekategorien Mit dem von Konerding (1993) entwickelten Instrumentarium zur Erschließung und sprachlichen Darstellung von Wissen auf der Grundlage von Frames hat Konerding (2005, 2007) einen umfassenden theoriegestützten Zugriff auf eine thematisch geleitete Diskursanalyse geboten: Diskursthemen lassen sich über Makropropositionen repräsentieren. Jede Makroproposition lässt sich nominalisieren. Nach dem bisher Ausgeführten steht für jede nominalisierte Makroproposition ein abstrakter, sortal bestimmter Konzept-Frame und ein zugehöriger Beschreibungsrahmen bereit, der die nachfolgende Spezifikation des Wissenskomplexes und damit die „thematische Entfaltung“ leitet: der konzeptuell bestimmte Matrixframe. Der Matrixframe hat in dieser Rolle die Funktion einer abstrakten Makrostruktur; er soll in dieser Rolle im Folgenden Makro-Frame genannt werden (vgl. auch Konerding 2000). Die zugehörigen Frame-Slot-Relationen des Makro-Frames definieren entsprechend globale „Makro-Rollen“, die Gegenstand von Spezifikationen und gegebenenfalls weiteren Thematisierungen sind. […] Die instantiierten Slots bzw. Makro-Rollen der jeweiligen MakroFrames (bzw. Matrixframes) bestimmen dabei die jeweils zu spezifizierenden Wissenskomponenten. (Konerding 2005: 20)

Wie vorher bereits angedeutet, erfolgt die Bestimmung der Hauptanalysekategorien über die thematische Bindung der Texte in das vorliegende Konstrukt des Diskurses. Sie weisen alle als nominalisierte Makro-Proposition das Ereignis WIRTSCHAFTSKRISE auf; entsprechend kann ihnen der Matrixframe EREIGNIS als Makro-Rahmen in der Spezifizierung auf WIRTSCHAFTSKRISE zugeordnet werden. Mit dem zuvor genannten zugehörigen Katalog von Makro-Rollen und den ihnen zugeordneten Frame-spezifischen Fragen werden entsprechend Hauptanalysekategorien generiert und darüber vermittelt die Texte des Korpus untersucht. Die Fragen betreffen die folgenden Makro-Rollen: 1. URSACHEN der Wirtschaftskrise 2. AKTEURE in der Wirtschaftskrise 3. FOLGEN der Wirtschaftskrise und BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns 4. FORDERUNGEN für die Zukunft

Kategorienbildung

|

41

Die Präsuppositionen der Fragen als offene Propositionen fungieren als Suchraster für Textstellen via Hyponymiebeziehungen, in denen die offenen Propositionen mit spezifischen Inhalten gefüllt werden. Anhand der oben genannten Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE wurden nach den von Früh (2007) empfohlenen Methoden der Kategorienbildung die Analysekategorien für die vorliegende Untersuchung entwickelt, die als Codes in MAXQDA implementiert wurden. Die folgende Abbildung zeigt die Hauptanalysekategorien (Hauptcodes): MAKRO-ROLLEN |_ URSACHEN |_ AKTEURE |_ FOLGEN |_ BEWERTUNG |_ FORDERUNG Die in MAXQDA kodierten Textstellen wurden – wie vorher schon angedeutet – jahrgangsbezogen, länderbezogen und medienbezogen gruppiert und und anschließend wurden zu den Gruppen Prototypen gebildet. Die als konkrete Füllwerte kodierten Textstellen wurden anhand von Relevanz und Häufigkeit verglichen. Die relevantesten bzw. in den Texten am häufigsten präsentierten Prädikationen wurden nominalisiert und operational als Prototypen der MakroRollen definiert. Die nominalisierten Prototypen bilden dann die Unterkategorien für die Kodierung in MAXQDA, wie die folgende Abbildung zeigt: |_ URSACHEN |_ DEREGULIERUNG DER MÄRKTE |_ GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE |_ KONSTRUKTIONSMÄNGEL IM WELTFINANZSYSTEM |_ THE MADE-IN-AMERICA CRISIS |_ DAS ASIATISCHE MODELL |_ BLASEN-WIRTSCHAFT |_ FEHLER DER REGIERUNG |_ MANGEL AN MORAL |_ VERSAGEN DES KAPITALISMUS |_ VERSAGEN DES IWF |_…

42 | Diskurslinguistische Analyse

|_ FOLGEN |_ KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS |_ NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER |_ AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT |_ NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN |_ DAS ASIATISCHE MODELL |_ VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH |_ RÜCKKEHR DER REGULIERUNG |_ SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE |_ GEWINNER USA UND ANTI-AMERIKANISMUS |_ ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAHMEN |_ ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG |_ WELTREZESSION |_… |_ BEWERTUNG |_ BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG |_ BEWERTUNG DER REGULIERUNG |_ BEWERTUNG DER TRANSFORMATION UND REFORMEN |_ BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION |_ BEWERTUNG DES PROTEKTIONISMUS |_ … |_ FORDERUNG |_ DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE |_ REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE |_ ABBAU DES PROTEKTIONISMUS |_ GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION |_ LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS |_ REFORM UND WESTÖFFNUNG |_ STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL |_ VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN |_ WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG |_ WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG |_ REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS |_…

Kategorienbildung

|

43

Damit ist das eigentlich relevante Kategoriensystem gebildet und das vollständige Untersuchungskorpus kann der Kodierung mithilfe des in MAXQDA erstellten Codesystems unterzogen werden. Die Hauptcodes (die Hauptanalysekategorien) korrespondieren potentiell jeweiligen Makro-Rollen als potentielle Typen von Fillern (für die zugehörigen Prädikationstypen) des Makro-Rahmens EREIGNIS (hier „WIRTSCHAFTSKRISE“). Die Unterkategorien werden in die Makro-Rollen unmittelbar eingebettet. Die bestimmten kodierten Textstellen werden als Fillers in die Slots, d. h. in die Makro-Rollen, eingeordnet. Im Folgenden wird auf die Definitionen der Hauptanalysekategorien näher eingegangen.

4.2.3 Definitionen der Hauptanalysekategorien Als Code AKTEUR gilt eine Person, Personengruppe, Institution oder Personifikation (z. B. Bundeskanzlerin Angela Merkel; die Unternehmer; die Investmentbanker), die in einem Text als Urheber verbaler oder nonverbaler, faktischer oder hypothetischer Handlungen erscheint. Eine grundsätzliche Unterscheidung von AKTEUR in zwei Makro-Kategorien ist möglich: Die erste Makro-Kategorie ist AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE. Dies sind in erster Linie Akteure aus der Sphäre der Politik, der Wirtschaft sowie der Kapitalseite (wie z. B. Investmentbanker, Spekulanten, Eigentümer usw.), die regelmäßig die Intention verfolgen, ihre Interessen durchzusetzen und durch (nonverbale) wirtschaftspolitische Handlungen makroökonomische Fakten zu schaffen. Mit ihren Handlungen verursachen und beeinflussen diese wesentlichen AKTEURE das EREIGNIS WIRTSCHAFTSKRISE. Auf die Prototypen von AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE für alle Krisenperioden wird in Kapitel 4.3.2 „AKTEUR-Prototypen“ näher eingegangen. Die zweite Makro-Kategorie ist DISKURSAKTEUR, d. h. AKTEUR der verbalen Handlungen wie BEWERTUNG und FORDERUNG. Dies umfasst solche Akteure, die in erster Linie durch verbale Handlungen reflektierend, kommentierend oder bewertend auf die nonverbalen Handlungen anderer Akteure rekurrieren.12 Beim Akteur einer solchen Handlung kann es sich um eine personale wie nichtpersonale (Institution/Körperschaft, Personifikation) handeln. Es wird angenommen, dass unterschiedliche Akteursgruppen mit ihren jeweiligen Zielsetzungen, Befugnissen, Selbstverständnissen usw. vor unterschiedlichen Wertho-

|| 12 Bei Bedarf kann TEXTAUTOR (REDAKTEUR) als (Untercode von) AKTEUR kodiert werden. Daneben wird in Texten üblicherweise aber auch auf Handlungen, die von anderen Akteuren hervorgebracht werden, rekurriert.

44 | Diskurslinguistische Analyse

rizonten agieren und dass rekonstruierbare charakteristische Korrelationen zwischen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Akteursgruppe und den handlungsleitenden Tiefenstrukturen bestehen. Hierzu zählen vor allem Akteure aus den Sphären Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Religion. Es gibt insgesamt 417 Personen, die als DISKURSAKTEUR im Untersuchungskorpus kodiert sind. Die folgende Tabelle zeigt eine Liste der relevanten DISKURSAKTEURE: Tab. 1: Exemplarisch ausgewählte DISKURSAKTEURE

Rang Code

CodingsSphäre

Funktionsrollen

1

105

Staatspräsident der Volksrepublik China (2003–2013)

Hu, Jintao

Politik

2

Soros, George

74

Wirtschaft

US-amerikanischer Spekulant

3

Stiglitz, Joseph

61

Wissenschaft

US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger

4

Obama, Barack 52 Hussein

Politik

Präsident der Vereinigten Staaten (seit 2009)

5

Wen, Jiabao

45

Politik

Ministerpräsident der Volksrepublik China (2003–2013)

6

Sarkozy, las

Nico- 44

Politik

Staatspräsident der Französischen Republik (2007–2012)

7

Merkel, Angela

41

Politik

Bundeskanzlerin der Deutschland (seit 2005)

8

Ackermann, Josef

39

Wirtschaft

Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bank AG (2006–2012)

9

Deng, Xiaoping

36

Politik

Vorsitzender der Zentralen Militärkommissionen (1981–1990)

10

Krugman, Paul

32

Wissenschaft

US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger

11

Siebert, Horst

29

Wissenschaft

Deutscher Ökonom

12

Gorbatschow, Michail

27

Politik

Staatspräsident der Sowjetunion (1990– 1991)

13

Brown, Gordon

23

Politik

Premierminister des Vereinigten reichs (2007–2010)

14

Steinbrück, Peer

22

Politik

Bundesminister der Finanzen (2005–2009)

15

Camdessus, Michel

21

Wirtschaft

Direktor des IWF (1987–2000)

Bundesrepublik

König-

Kategorienbildung

|

45

Rang Code

CodingsSphäre

Funktionsrollen

16

Green, Stephen

20

Wirtschaft

Verwaltungsratsvorsitzender Holdings plc

17

Greenspan, Alan

20

Politik

Vorsitzender der US-Notenbank (Federal Reserve System) (1987–2006)

18

Dai, Xianglong

20

Politik

Gouverneur der Chinesischen Volksbank (1995–2002)

19

Marx, Reinhard

19

Religion

Erzbischof von München und Freising, katholischen Sozialethiker

20

Sachs, Jeffrey

19

Wissenschaft

US-amerikanischer Ökonom, Erfinder der Schocktherapie

21

Zhang, Yunling

19

Wissenschaft

Chinesischer Ökonom

22

Jiang, Zemin

18

Politik

Staatspräsident der Volksrepublik China (1993–2003)

23

Bush, W.

George 17

Politik

Präsident der Vereinigten Staaten (2001– 2009)

24

Schwab, Klaus

Wissenschaft

Deutscher Ökonom, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums

25

Zhou, chuan

Xiao- 17

Politik

Gouverneur der Chinesischen Volksbank (seit 2003)

26

Li, Peng

16

Politik

Ministerpräsident der Volksrepublik China (1987–1998)

27

Gabriel, Sigmar 15

Politik

SPD-Parteivorsitzender (seit 2009)

28

Köhler, Horst

Wirtschaft, Politik

Direktor des IWF (2000–2004), Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (2004–2010)

29

Lula da Silva, 15 Luiz Inácio

Politik

Präsident Brasiliens (2003–2011)

30

Geithner, Timothy

Politik

Finanzminister (2009–2013)

17

15

14

der

der

Vereinigten

HSBC

Staaten

BEWERTUNG (Code) ist die Aussage eines Akteurs, die zum Ausdruck bringt, wie er andere Akteure, mögliche (wirtschaftskrisenverursachende) Handlungen, eingetretene oder mögliche Ereignisse bzw. Situationen bewertet, ohne dass hieraus eindeutig eine Forderung abgeleitet werden kann.

46 | Diskurslinguistische Analyse

FORDERUNG (Code) ist die Aussage eines Akteurs, die zum Ausdruck bringt, dass er von anderen den Vollzug (oder Nichtvollzug) einer Handlung fordert, um eine bestimmte Situation herbeizuführen, abzuwenden oder zu bewahren, wie z. B. die Wirtschaftskrise zu beseitigen und zukünftige Wirtschaftskrisen zu vermeiden. URSACHE (Code) ist etwas, was zu dem Ereignis Wirtschaftskrise geführt hat; es ist eigentlicher Anlass. Die Ursache ist eine zeitlich vor der Wirkung liegende Bedingung, d. h. Vergangenes wird als URSACHE kodiert. FOLGE (Code) ist etwas, was aus einem bestimmten Handeln, Geschehen folgt; welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen das Ereignis Wirtschaftskrise hat; es ist die Auswirkung eines bestimmten Handelns, Geschehens.

4.3 Prototypen – quantitative und qualitative Analyse Im Folgenden wird auf die Prototypen von Makro-Rollen (URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN, BEWERTUNG und FORDERUNG) für alle Krisenperioden ausführlich eingegangen. Für jedes Frame-Attribut (Hauptkategorien) werden die pro Krise ermittelten Prototypen (Unterkategorien) gelistet und hinsichtlich ihrer extensionalen Mächtigkeit gerankt. Die Attribute als Hauptkategorien werden dabei allerdings nur insoweit berücksichtigt, wie überhaupt korrespondierende Textsegmente in den Medien bezüglich der jeweiligen Krise gefunden werden konnten. Von daher sind nicht in jedem Fall für alle Attribute pro Krise Werte nachweisbar (betroffen sind z. B. die Attribute URSACHEN, AKTEUR und FOLGEN bei der Krisenperiode der Transformation in Russland und Osteuropa sowie das Attribut BEWERTUNG beim Platzen der „Dotcom-Blase“). Weiterhin wird die Verteilung der jeweils als prototypische Instanzen gewerteten Textsegmente auf die untersuchten Medien in übersichtlicher Tabellenform dokumentiert, anhand welcher Einzelheiten erläutert werden. Um die Fundierung der Prototypen zu illustrieren, werden repräsentative Beispiele aus den einschlägigen Medien für die jeweils wichtigsten Prototypen präsentiert.

4.3.1 URSACHEN-Prototypen Mit dem Katalog von Makro-Rollen (Frame-Attributen, Prädikationstypen) und den ihnen zugeordneten Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS werden ent-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

47

sprechend Kategorien generiert13 und darüber vermittelt die Korpustexte untersucht. Als Antworten auf die Frame-spezifische Frage nach den URSACHEN der Wirtschaftskrise wurden beispielsweise folgende Rollenwerte (als nominalisierte Prädikationen) in den Medientexten ermittelt. Darauf basierend wurden folgende Prototypen für die Ursachen der Wirtschaftskrise gebildet: Makro-Rahmen/Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Makro-Rolle, Prädikationstyp: URSACHEN der Wirtschaftskrise Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen): – DEREGULIERUNG DER MÄRKTE – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS – MANGEL AN MORAL – GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE – KONSTRUKTIONSMÄNGEL IM WELTFINANZSYSTEM – AKTIONEN INTERNATIONALER KAPITALSPEKULANTEN – VERSAGEN DES IWF – BLASEN-WIRTSCHAFT – FEHLER DER REGIERUNG – VERSAGEN DES KAPITALISMUS Für verschiedene Krisenperioden sind unterschiedliche URSACHEN-Prototypen von wesentlicher Bedeutung. In den folgenden Abschnitten werden repräsentative Beispiele aus den untersuchten Medien für die jeweils wichtigsten Prototypen präsentiert.

4.3.1.1 URSACHEN der Asienkrise Die Ränge der im Untersuchungskorpus ermittelten Prototypen von URSACHEN der Asienkrise sowie deren Anzahl der Codings sind in Tabelle 2 zusammengefasst:

|| 13 Näheres dazu siehe Abschnitt 4.2.2 „Bildung von Analysekategorien“.

48 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 2: Prototypen von URSACHEN der Asienkrise

Rang Code/Prototypen 1 2 3

Codings

GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE FEHLER DER REGIERUNG AKTIONEN INTERNATIONALER KAPITALSPEKULANTEN

45 35 33 23

7

BLASEN-WIRTSCHAFT DEREGULIERUNG DER MÄRKTE/RASCHE LIBERALISIERUNG DAS ASIATISCHE MODELL KONSTRUKTIONSMÄNGEL IM WELTFINANZSYSTEM

8

DIE USA SIND SCHULD

14

9

VERSAGEN DES KAPITALISMUS VERSAGEN DES IWF MANGEL AN MORAL

12

4 5 6

10 11

19 17 15

8 4

Beim ersten Prototyp der URSACHEN der Asienkrise – GLOBALISIERUNG DER FINANZ– handelt es sich um die Kehrseite der Globalisierung, die Gefahren des globalen Geldgewerbes bzw. die negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung, die zur Entstehung der Asienkrise führten. Die meisten Rollenwerte/Fillers stammen aus dem chinesischen Staatsmedium People’s Daily. Dieser URSACHEN-Prototyp wird als die wichtigste Ursache der Asienkrise in PD angesehen, während er in den deutschen Medien weniger relevant ist – nur 4 von 45 Rollenwerten stammen aus dem Spiegel (siehe Tabelle 3). MÄRKTE

Tab. 3: GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE (45 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings

Der Spiegel

4

FAZ

0

People’s Daily (Chinesisch)

Insgesamt 4

41

Chinesische Medien

41 Xinhua News Agency (Englisch)

0

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

49

Beispiele für GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 1.

亚洲金融危机是经济全球化所产生负面影响的表现,是在全球化过程中世 界经济潜在危机的大爆发。 Deutsche Übersetzung: Die Asienkrise ist ein Ausdruck der negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung, sie ist der große Ausbruch der latenten Krise der Weltwirtschaft im Globalisierungsprozess. (People’s Daily, 03.07.2000, 发挥经济新潜能, dt. Nutzen der neuen wirtschaftlichen Potenziale) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

2.

在金融体制尚不完善和金融监管能力不强的情况下,发展中国家盲目开放 国内的金融市场,金融全球化的负面影响就会凸现出来。1997 年亚洲金融 危机的爆发就是一个有力的例证。 Deutsche Übersetzung: Das Finanzsystem der Entwicklungsländer ist noch nicht perfekt und die Fähigkeiten der Finanzaufsicht sind nicht stark. Wenn die Entwicklungsländer unter diesen Umständen ohne Überlegung den heimischen Finanzmarkt öffnen, dann werden die negativen Auswirkungen der Finanzglobalisierung offensichtlich. Die Asienkrise von 1997 ist ein exzellentes Beispiel dafür. (People’s Daily, 12.12.2000, 世界需要“共赢”的经济全球化, dt. Die Welt braucht eine Win-Win-Wirtschaftsglobalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

3.

Die eigentliche politische Debatte aber beginnt erst – es wird ein Streit über die Grenzen der Globalisierung. Der Abbau von Grenzen, Handelshemmnissen und Zöllen, das war bislang die Mehrheitsmeinung in Politik und Ökonomie, treibt den Welthandel voran, er läßt das Kapital dahin fließen, wo es sich am besten mehren kann – das bringt Investitionen und mehrt den Wohlstand. Doch nun wird die Kehrseite der Globalisierung sichtbar: Wenn das Kapital noch schneller verschwindet, als es gekommen ist, stürzen ganze Volkswirtschaften in den Abgrund. Die enge Einbindung in die Weltwirtschaft bedeutet auch geringeren Schutz vor ökonomischen Turbulenzen. (Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

4. Ausgerechnet die aufstrebenden kleinen und großen Tigerstaaten, die als sichere Sieger des verschärften weltweiten Wettbewerbs galten, sind nun die

50 | Diskurslinguistische Analyse

ersten Opfer der Globalisierung. (Der Spiegel, 19.01.1998, Schockwellen aus Fernost) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der URSACHEN der Asienkrise – FEHLER DER REGIERUNG – handelt es sich um Fehler der Regierungen der asiatischen Staaten, wie z. B. Überregulierung, falsche staatliche Eingriffe und schlechte Wirtschaftspolitik, die zur Asienkrise geführt haben. Dabei wurden insgesamt 35 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – davon 20 in den deutschen und 15 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 4). Tab. 4: FEHLER DER REGIERUNG (35 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel FAZ People’s Daily (Chinesisch)

Codings Insgesamt 17 3

20

14

Chinesische Medien

15 Xinhua News Agency (Englisch)

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für FEHLER DER REGIERUNG: 5.

Aber im Grunde haben die Länder alle den gleichen Fehler gemacht: Aus Prestigegründen haben sie zu lange an einem falschen, zu hohen Wechselkurs festgehalten. Das halten sie zwei, drei Jahre durch, dann kracht es. (Der Spiegel, 12.10.1998, Eins auf die Nuß) AKTEUR der verbalen Handlung: Heiner Flassbeck, ökonomischer Berater von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

6. Bisher hatten viele asiatische Länder ihre Währungen an den Dollar gekoppelt. Dieser sogenannte Peg symbolisierte gewissermaßen das Vertrauen der Asiaten gegenüber Amerika – doch das ist nun zerbrochen. (Der Spiegel, 19.01.1998, Der Wandel ist zu abrupt) AKTEUR der verbalen Handlung: Heita Kawakatsu, japanischer Wirtschaftshistoriker

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

7.

|

51

Ja, so was schürt Anti-Amerikanismus. Ich halte diesen Trend für extrem gefährlich. … Wenn stattdessen diesen Ländern westliche Prinzipien einfach stur übergestülpt werden, dann kann es zu einem Anti-Amerikanismus kommen, wie er bei Malaysias Ministerpräsident Mahathir schon sichtbar wird. (Der Spiegel, 19.01.1998, Der Wandel ist zu abrupt) AKTEUR der verbalen Handlung: Heita Kawakatsu, ein japanischer Wirtschaftshistoriker

8. 实施政府主导型的不完全市场经济体制而诱发出腐败等各种弊端。 Deutsche Übersetzung: Die Umsetzung einer unvollständigen Marktwirtschaftssystems unter Führung der Regierung hat verschiedene Missstände wie etwa Korruption hervorgerufen. (People’s Daily, 30.01.1999, 市场经济条件下 的儒商现象, dt. Das Phänomen konfuzianischer Unternehmer unter den Bedingungen der Marktwirtschaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 9. „Das asiatische Wunder war auf gute Politik gebaut und stolpert jetzt über schlechte“, schreibt die in Sydney erscheinende „Australian Financial Review“. Zweifel an der Weisheit der Politiker hätten die Märkte in Panik versetzt. „Die Wunderkinder entdecken die Sterblichkeit.“ (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Australian Financial Review Beim dritten Prototyp der URSACHEN der Asienkrise – AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN – handelt es sich um spekulative Attacken der westlichen Spekulanten, die als eine wesentliche Ursache der Asienkrise gesehen wird. Dabei ergibt sich insgesamt eine Anzahl von 33 Codings im Untersuchungskorpus – davon 11 in den deutschen und 22 in den chinesischen Medientexten. Dieser Ursachen-Prototyp erscheint daher weniger relevant in den deutschen Medien (siehe Tabelle 5).

52 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 5: AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN (33 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

9

FAZ

2

People’s Daily (Chinesisch)

11

21

Chinesische Medien

22 Xinhua News Agency (Englisch)

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN: 10. 记者采访一些泰国经济学家和企业家时,他们都指出,国际金融投机集团 的恶性投机活动是这场金融动荡的直接原因。 Deutsche Übersetzung: Als unsere Journalisten einige thailändische Ökonomen und Unternehmer interviewten, wiesen diese darauf hin, dass die bösartigen Spekulationen der internationalen Kapitalspekulanten die direkten Ursachen der Asienkrise sind. (People’s Daily, 16.09.1997, 金融动荡中的泰国, dt. Thailand in Finanzunruhen) AKTEUR der verbalen Handlung: thailändische Ökonomen und Unternehmer Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: die internationalen Kapitalspekulanten 11. In der Tat haben ausländische Banken, Investmentfonds und auch „Spekulanten“ Geld in großer Menge aus Asien abgezogen. (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZBANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: ausländische Banken, Investmentfonds und auch „Spekulanten“

INDUSTRIE:

12. Mitschuldig an dem Desaster sind auch westliche Banken. In der Hoffnung auf große Gewinne stellten sie Milliarden bereit, auch als viele asiatische Firmen

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

53

längst überschuldet waren. (Der Spiegel, 02.02.1998, Sie hofften auf ein Wunder) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: westliche Banken

13. Hat also doch eine Verschwörung westlicher Spekulanten die Länder Südostasiens in den Abgrund gestoßen, wie der malaysische Premier Mahathir Mohamad behauptet hat? (Der Spiegel, 25.05.1998, Asienkrise: Blut im Haifischbecken) AKTEUR der verbalen Handlung: Mahathir Mohamad, der malaysische Premier Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: westliche Spekulanten Es zeigt sich, dass der URSACHEN-Prototyp AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN und Prototyp der AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN – eng miteinander verbunden sind. Beim vierten Prototyp der URSACHEN der Asienkrise – BLASEN-WIRTSCHAFT – handelt es sich um das Entstehen und Platzen von Spekulationsblasen als Ursache des Zusammenbruchs der Finanzmärkte. Dabei wurden insgesamt 23 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – davon 10 Codings in den deutschen und 13 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 6). Tab. 6: BLASEN-WIRTSCHAFT (23 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

5

FAZ

5

People’s Daily (Chinesisch)

10

12

Chinesische Medien

13 Xinhua News Agency (Englisch)

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind:

54 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für BLASEN-WIRTSCHAFT: 14. Kein Zweifel, daß die asiatische Finanzkrise uns schwer getroffen hat. Wir hatten zu hohe Immobilienpreise, eine hohe Inflationsrate, zu hohe Löhne. Daraus resultierte eine Spekulationsblase, die geplatzt ist. (Der Spiegel, 29.06.1998, Schmerzhaft, aber gut) AKTEUR der verbalen Handlung: Tung Chee-hwa, Hongkongs Regierungschef 15. He pointed out that two fundamental elements led to the recent financial crisis in Asia – economic bubbles and defects in financial system. (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association 16. He urged financial centers to establish sound and efficient financial institution system, financial market mechanism, and financial monitoring and supervisory framework. (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association Beim fünften Prototyp der URSACHEN der Asienkrise – DEREGULIERUNG DER MÄRKTE/RASCHE LIBERALISIERUNG – handelt es sich um zu weit gegangene Deregulierung bzw. zu rasche Liberalisierung der Finanzmärkte, die zur Finanzkrise geführt haben. Dabei ergibt sich insgesamt eine Anzahl von 18 Codings im Untersuchungskorpus – davon 4 in den deutschen und 14 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 7).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

55

Tab. 7: DEREGULIERUNG DER MÄRKTE/RASCHE LIBERALISIERUNG (18 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

3

FAZ

1

People’s Daily (Chinesisch)

4

14

Chinesische Medien

14 Xinhua News Agency (Englisch)

0

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für DEREGULIERUNG DER MÄRKTE/RASCHE LIBERALISIERUNG: 17. 金融监管不力等问题是引发危机的根本原因。 Deutsche Übersetzung: Probleme wie die Unwirksamkeit der Finanzaufsicht sind die wesentliche Ursache der Krise. (People’s Daily, 05.01.1998, 苍蝇不叮 无缝的蛋, dt. Eine Fliege sticht nicht ein Ei ohne Riss) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 18. 经济高速度发展并伴随金融自由化。 Deutsche Übersetzung: [Die Ursache ist] die rasante Wirtschaftsentwicklung, die mit der Finanzliberalisierung einhergeht. (People’s Daily, 18.11.1997, 货币 危机宏观危机银行危机, dt. Währungskrise, Makrokrise, Bankenkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die sich daraus ergebende FORDERUNG - REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 19. 加强金融监管。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzregulierung muss gestärkt werden. (People’s Daily, 18.11.1997, 货币危机宏观危机银行危机, dt. Währungskrise, Makrokrise, Bankenkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 20. Aber Finanzmärkte bergen die Gefahr selbstzerstörerischer Entwicklungen. Die „unsichtbare Hand“ muss nicht notwendigerweise ausgleichend eingrei-

56 | Diskurslinguistische Analyse

fen. Asien hat gezeigt, daß sie wie eine Abrißbirne wirken kann. (Der Spiegel, 06.04.1998, Kapitalismus: Die Reichen hauen ab) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Die sich daraus ergebende FORDERUNG- REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 21. Die Finanzmärkte brauchen Aufsicht und Regeln. (Der Spiegel, 06.04.1998, Kapitalismus: Die Reichen hauen ab) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Es zeigt sich, dass der URSACHEN-Prototyp DEREGULIERUNG DER MÄRKTE und der FORDERUNG-Prototyp REGURLIERUNG DER MÄRKTE eng miteinander verbunden sind. Die Übersicht über die Verteilung der Codings von URSACHEN-Prototypen der Asienkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 8 dargestellt: Tab. 8: Prototypen von URSACHEN der Asienkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

PD

XH

GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE FEHLER DER REGIERUNG

4

0

41

0

2

17

3

14

1

3

AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN

9

2

21

1

4

BLASEN-WIRTSCHAFT DEREGULIERUNG DER MÄRKTE/RASCHE LIBERALISIERUNG DAS ASIATISCHE MODELL KONSTRUKTIONSMÄNGEL IM WELTFI-

1

5 6 7

5

5

12

1

4

1

14

0

7

5

5

0

6

0

8

1

NANZSYSTEM

8

DIE USA SIND SCHULD

9

0

5

0

9

VERSAGEN DES KAPITALISMUS

4

2

6

0

10

VERSAGEN DES IWF MANGEL AN MORAL

4

3

1

0

3

0

0

1

Summe

72

21

127

5

11

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

57

Tabelle 8 hat gezeigt, während die untersuchten deutschen Medien die Verantwortung für die Asienkrise den asiatischen Regierungen, dem asiatischen Modell – d. h. Mangel an Demokratie, Vetternwirtschaft, Korruption, Nepotismus, Patronage usw. – und den internationalen Spekulanten sowie den USA zuschreiben, führen die chinesischen Medien die Asienkrise hauptsächlich auf die Globalisierung der Finanzmärkte, auf die Aktion internationaler Spekulanten und auf die zu weit gegangene Deregulierung sowie die zu rasche Liberalisierung der Märkte zurück.

4.3.1.2 URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ Die Ränge der im Untersuchungskorpus ermittelten Prototypen von den URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ sowie deren Anzahl der Codings sind in Tabelle 9 zusammengefasst: Tab. 9: Prototypen von URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“

Rang

Code/Prototypen

1

BLASEN-WIRTSCHAFT ÜBEROPTIMISMUS DIE USA SIND SCHULD

46

MANGEL AN MORAL DEREGULIERUNG DER MÄRKTE GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE

14

2 3 4 5 6

Codings

32 20

1 1

Beim ersten Prototyp der URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ – BLASENWIRTSCHAFT – handelt es sich um die geplatzte Internet-Spekulationsblase, die zum Zusammenbruch der Aktienmärkte geführt hat. Dabei ergibt sich insgesamt eine Anzahl von 46 Codings im Untersuchungskorpus – davon 34 in den deutschen und 12 in den chinesischen Medientexten. Die meisten Rollenwerte stammen aus der FAZ (siehe Tabelle 10).

58 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 10: BLASEN-WIRTSCHAFT (46 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

13

FAZ

21

People’s Daily (Chinesisch)

10

Chinesische Medien

34

12 Xinhua News Agency (Englisch)

2

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für BLASEN-WIRTSCHAFT: 22. Biggs gehört an der Wall Street zu den wenigen Geistern, die diese InternetHausse als eine Spekulationsblase betrachten. Damit ist er aber selbst in seinem eigenen Haus ein einsamer Warner. (FAZ, 15.12.1999, Das InternetFieber an der Wall Street ist höher denn je) AKTEUR der verbalen Handlung: Barton M. Biggs, der Chefinvestmentstratege von Morgan Stanley Dean Witter 23. 网络公司的股票价格存在严重的泡沫。 Deutsche Übersetzung: Die Aktienkurse der Internet-Unternehmen haben eine riesige Blase gebildet. (People’s Daily, 04.04.2000, 美网络经济迅猛发展, dt. Die rasante Entwicklung der amerikanischen Internet-Wirtschaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ – ÜBEROPTIMISMUS – handelt es sich um die zu positive Erwartung und Stimmung bei den Investoren, Finanzanalysten und Medien. Dies hat zum Platzen der spekulativen Internet-Blase geführt. Diesem Prototyp-Code wurden im Untersuchungskorpus insgesamt 32 Codings zugeordnet – davon 26 in den deutschen und 6 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 11).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

59

Tab. 11: ÜBEROPTIMISMUS (32 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

15

FAZ

11

People’s Daily (Chinesisch)

5

Xinhua News Agency (Englisch)

1

Chinesische Medien

26

6

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für ÜBEROPTIMISMUS: 24. Many of the dotcom companies cannot answer the very simple question of business strategy, which is what we sell, to whom and where to sell. They are overvalued just because people do not quite understand the Internet world,“ said Haybyrne. (Xinhua News Agency, 30.05.2000, 20000530 Analysis: Internet More Trend than Bubble) AKTEUR der verbalen Handlung: James B. Haybyrne, Chairman of the Hong Kong-based Strategic Thinking Group 25. Auf der Suche nach dem Sündenbock gehen alle Beteiligten aufeinander los. Die Gier der Gründer sei schuld gewesen, die nach der Auffassung von Lise Buyer, einer bekannten Internet-Analystin, alle denken, sie hätten ein gottgegebenes Recht, Millionär zu sein. Die Dotcommies wiederum prangern die Wagnisfinanziers an: Die hätten sie in diesen Wachstumswahn getrieben. (Der Spiegel, 26.03.2001, Blues im Silicon Valley) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 26. [Die Anleger] sind zuversichtlich. Bloss: Diese Zuversicht hat nichts zu tun mit einem überzeugenden Geschäftsplan. Sie entsteht vielmehr aus einer Gemengelage, die praktisch die Haut der Spekulationsblase bildet, in der wir uns heute befinden. Ganz verschiedene Faktoren haben zu dieser Zuversicht beigetragen: der Untergang des Kommunismus und der Sieg des Kapitalismus, die boomende Wirtschaft ohne Arbeitslosigkeit, die Ankunft des Internets, Materialismus als Populärkultur, die zunehmende Notwendigkeit, selbst fürs

60 | Diskurslinguistische Analyse

Alter vorzusorgen, der Ausbau der Wirtschaftsberichterstattung, um nur einige zunennen. (Der Spiegel, 20.11.2000, „Wie ein Kettenbrief“) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Shiller, US-Ökonom Dem dritten Prototyp der URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ – DIE USA SIND SCHULD – wurden solche Aussagen zugewiesen, die besagen, dass das Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die amerikanische Geldpolitik der Fed, auf das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und auf die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage durch die amerikanischen Finanzanalysten und Medien zurückgeht. Kurz und bündig: Die USA sind schuld an der „Dotcom-Blase“. Dabei wurden insgesamt 20 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – 17 Codings in den deutschen und 3 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 12). Tab. 12: DIE USA SIND SCHULD (20 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

8

FAZ

9

People’s Daily (Chinesisch)

2

Xinhua News Agency (Englisch)

1

Chinesische Medien

17

3

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für DIE USA SIND SCHULD: 27. Auf die Mexiko-Krise, auf die Asien-Krise und auf die Schieflage amerikanischer Risikofonds hat die Fed als lender of last resort reagiert: sie hat Geld in den Kreislauf gepumpt, um einer panikgeleiteten Kreditverknappung vorzubeugen. Dafür mag es aus der damaligen Sicht akzeptable Gründe gegeben haben. Man muss aber sehen: Die anregende Wirkung des Geldes, das ohne ökonomische Potentialfundierung in drei Schüben in den Kreislauf gedrückt wurde, hat es der Börse später ermöglicht, die Erwartungen an den ökonomischen Neuerungs- und Produktivitätsschub der New Economy maßlos übertreibend in phantastisch aufgeblähte Kursblasen zu verwandeln. (FAZ, 20.04.2001, Zaubergriff oder ruhige Hand) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

61

28. Kaum war „Irrational Exuberance“ auf dem Markt, brachen im März die Technologiewerte ein. (Der Spiegel, 20.11.2000, „Wie ein Kettenbrief“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim vierten Prototyp der URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ – MANGEL – handelt es sich um die Gier und weitere menschliche Schwächen, die zum kollektiven Börsenwahn und schließlich zur Krise geführt haben. Hier wurden insgesamt 14 Textstellen im Untersuchungskorpus kodiert – davon 13 in den deutschen und nur eine in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 13).

AN MORAL

Tab. 13: MANGEL AN MORAL (14 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

6

FAZ

7

People’s Daily (Chinesisch)

1

Xinhua News Agency (Englisch)

0

Chinesische Medien

13

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für MANGEL AN MORAL: 29. Wenn die Anleger Gewinn machen, lösen sie einen Herdentrieb aus. Vernuenftige Menschen, die die Spekulationsblase eigentlich erkannt haben, zweifeln plötzlich, wenn sie ihre Nachbarn reich werden sehen. Neid und Gier und die Angst vor Fehleinschätzung führen zu Urteilen nach dem Motto: Millionen andere können sich nicht irren. (Der Spiegel, 20.11.2000, „Wie ein Kettenbrief“) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Shiller, US-Ökonom 30. Spekulative Blasen sind etwas Faszinierendes; in ihnen mischen sich fatale ökonomische Wirkungszusammenhänge mit psychologischen Elementen Gier, Unwissenheit und Ökonomie gehen hier eine Verbindung ein. (FAZ, 28.05.2001, Der Bulle tanzt blind auf den Klippen der „Goldilock-Ökonomie“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

62 | Diskurslinguistische Analyse

31. Vergleichbar mit der holländischen Spekulationsblase sind die Motive der heutigen Anleger, deren Wunsch nach raschem Reichtum die Sinne vernebelte und sie vergessen ließ, daß sie von Aktien und den dahinterstehenden Unternehmen eigentlich keinen blassen Schimmer hatten. (FAZ, 03.08.2001, Tulpenzwiebeln und das kleine Anlegerglück) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die Übersicht über die Verteilung der Codings von URSACHEN-Prototypen des Platzens der „Dotcom-Blase“ auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 14 dargestellt: Tab. 14: Prototypen von URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3 4 5 6

der Spiegel

FAZ

BLASEN-WIRTSCHAFT ÜBEROPTIMISMUS DIE USA SIND SCHULD

13

21

15 8

MANGEL AN MORAL DEREGULIERUNG DER MÄRKTE GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE Summe

PD

XH

10

2

11

5

1

9

2

1

6

7

1

0

0

1

0

0

0

1

0

0

42

51

18

4

Aus Tabelle 14 lässt sich ablesen, dass bei der FAZ BLASEN-WIRTSCHAFT als die wichtigste Ursache für das Platzen der „Dotcom-Blase“ angesehen wird, während beim Spiegel ÜBEROPTIMISMUS als die wesentliche Ursache genannt wird. Im gesamten Untersuchungskorpus ist BLASEN-WIRTSCHAFT der wichtigste Prototyp der URSACHEN für das Platzen der „Dotcom-Blase“. Diese Tabelle hat auch gezeigt, dass bei der Krisenperiode der „Dotcom-Blase“ in den chinesischen Medien deutlich weniger treffende Äußerungen vorkommen, die als URSACHEN kodiert wurden. Dies liegt darin begründet, dass bei dieser Krisenperiode der übrige solide Wirtschaftsbereich in China nicht berührt war. Die wirtschaftlichen Folgen schienen nur begrenzt zu sein und die übrige Wirtschaft schien dabei kaum involviert.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

63

4.3.1.3 URSACHEN der Weltfinanzkrise Die folgende Tabelle zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die URSACHEN der Weltfinanzkrise (ab 2007): Tab. 15: Prototypen für die URSACHEN der Weltfinanzkrise

Rang

Code/Prototypen

1

DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS DEREGULIERUNG DER MÄRKTE MANGEL AN MORAL

2 3 4 5 6 7

VERSAGEN DES KAPITALISMUS FEHLER DER REGIERUNG FEHLRISIKOMANAGEMENT DER BANKEN GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE

Codings 198 159 94 74 61 43 29

Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) wurden die folgenden vier UrsachenPrototypen im Untersuchungskorpus am häufigsten genannt: – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS – DEREGULIERUNG DER MÄRKTE – MANGEL AN MORAL – VERSAGEN DES KAPITALISMUS Im Vergleich mit den kodierten URSACHEN-Prototypen der Asienkrise (siehe Tabelle 2) hat hier der URSACHEN-Prototyp GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE seine Wichtigkeit verloren. Stattdessen erweist sich der URSACHEN-Prototyp DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS als dominant. Im Folgenden werden diese vier wichtigsten URSACHEN-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) an Beispielen erläutert. Dem ersten Prototyp der URSACHEN der Weltfinanzkrise – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS – wurden solche Textstellen zugewiesen, die besagen, dass die Weltfinanzkrise mit ihren Wurzeln in die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, die Immobilienblase in den USA sowie die amerikanischen finanzmarktbezogenen Innovationen zurückgeht. Kurz und bündig: Die USA sind schuld an der Finanzkrise. Dabei wurden insgesamt 198 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – 110 Codings in den deutschen und 88 in den chinesischen Medientexten. Mit 75 konkreten Füllwerten erweist sich DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS beim Spiegel als der dominante URSACHEN-Prototyp für die Weltfinanzkrise (siehe Tabelle 16).

64 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 16: DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS (198 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

75

FAZ

35

People’s Daily (Chinesisch)

45

Xinhua News Agency (Englisch)

43

Chinesische Medien

110

88

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS: 32. Schuld habe auch die amerikanische Regierung von George Bush, die blind marktgläubig sei, sowie Alan Greenspan, der ehemalige Chef der Notenbank Fed. (FAZ, 23.08.2008, Die Olympier der Ökonomik) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – USREGIERUNG UND FED: die amerikanische Regierung von George Bush, Alan Greenspan, der ehemalige Chef der Notenbank Fed 33. Ursprung und Schwerpunkt der Probleme liegen eindeutig in den USA. Die Ursachen sind vielfältig: Nach 9/11 wurde sehr viel billiges Geld auf den Markt geworfen. Das bekamen offenkundig auch Leute mit einer schlechten Bonität. So schwoll die Immobilienblase an. Bei den Banken begann ein Rattenrennen um Gewinnmargen. Die Spekulation ist dann komplett aus dem Ruder gelaufen ... (Der Spiegel, 29.09.2008, „In einen Abgrund geblickt“) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister 34. Die aktuelle globale Finanzstruktur ist nicht nur mangelhaft, sie ist auch ungerecht, insbesondere gegenüber den Entwicklungsländern. Sie gehören zu den unschuldigen Opfern dieser weltweiten Krise, die von den USA geschaffen wurde. Selbst Länder, die alles richtig machten – ihre Wirtschaft besser regulierten und makroökonomische Vorsicht walten ließen – werden von den Feh-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

65

lern der Vereinigten Staaten in Mitleidenschaft gezogen. (Der Spiegel, 10.11.2008, Neues Denken nötig) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 35. Obama said it was a „collective failure of responsibility in Washington, on Wall Street, and across America that led to the near-collapse of the financial system one year ago.“ (Xinhua News Agency, 15.09.2009, Obama pushes for regulation reform on Lehman collapse anniversary) AKTEUR der verbalen Handlung: Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten 36. Improper macro-economic policies by the U.S. government were also considered a trigger of the crisis. In a bid to stimulate economic growth, the Federal Reserve drastically reduced its benchmark rates when the U.S. economy sank into recession in 2001 following the internet bubble burst. (Xinhua News Agency, 06.01.2010, Commentary: Look for solutions, not scapegoats) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – USREGIERUNG UND FED: the U.S. government, Alan Greenspan, the Federal Reserve Es zeigt sich, dass der URSACHEN-Prototyp DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-INAMERICA CRISIS und Prototyp der AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – USREGIERUNG UND FED – eng miteinander verbunden sind. Beim zweiten Prototyp der URSACHEN der Weltfinanzkrise – DEREGULIERUNG DER MÄRKTE – handelt es sich um Deregulierung bzw. Liberalisierung der globalen Finanzmärkte, die zur Weltfinanzkrise geführt haben. Die Finanzkrise sei somit eine Folge des blinden Glaubens an die Selbstregulierung der Finanzmärkte. Dabei ergibt sich insgesamt eine Anzahl von 159 Codings im Untersuchungskorpus – 86 in den deutschen und 73 in den chinesischen Medientexten. Mit 64 konkreten Füllwerten ist DEREGULIERUNG DER MÄRKTE bei der FAZ die dominante URSACHE für die Weltfinanzkrise (siehe Tabelle 17).

66 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 17: DEREGULIERUNG DER MÄRKTE (159 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

22

FAZ

64

People’s Daily (Chinesisch)

41

Xinhua News Agency (Englisch)

32

Chinesische Medien

86

73

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für DEREGULIERUNG DER MÄRKTE: 37. 周正庆认为,近 30 年来盛行的新自由主义经济学理论和金融自由化,导致 了这些后果。 Deutsche Übersetzung: Zhou Zhengqing ist der Meinung, die in den letzten drei Jahrzehnten beliebte ökonomische Theorie des Neoliberalismus und die Finanzliberalisierung haben zu diesen Folgen [Finanzkrise] geführt. (People’s Daily, 29.10.2009, 发展资本市场不能照搬国外的东西, dt. Beim Entwickeln der Kapitalmärkte darf man nicht einfach ausländische Dinge nachahmen) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhou Zhengqing, Ex-Vorsitzender der CSRC (China Securities Regulatory Commission) Die sich daraus ergebende FORDERUNG – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 38. 西方各国不得不放弃新自由主义经济理论那一套,联手干预市场。 Deutsche Übersetzung: Die westlichen Staaten haben keine andere Wahl als die ökonomische Theorie des Neoliberalismus aufzugeben und gemeinsam in die Märkte einzugreifen. (People’s Daily, 29.10.2009, 发展资本市场不能照搬 国外的东西, dt. Beim Entwickeln der Kapitalmärkte darf man nicht einfach ausländische Dinge nachahmen) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhou Zhengqing, Ex-Vorsitzender der CSRC (China Securities Regulatory Commission)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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67

39. The international financial crisis once again shows how dangerous a market economy without regulation can be. Since the 1990s, some profit-driven financial institutions in economies lacking effective regulation have raised massive capital with a leverage of dozens of times. While they reaped huge profits, the world was exposed to enormous risks. This fully demonstrates that a totally unregulated market economy cannot work. (Xinhua News Agency, 02.02.2009, Full text of Chinese premier's speech at University of Cambridge) AKTEUR der verbalen Handlung: Wen Jiabao, Ministerpräsident der Volksrepublik China 40. Zu den Ursachen der Krise zähle, dass die moderne Art der Bankregulierung, namentlich die neuen Eigenkapitalvorschriften „Basel II“, zu stark auf Selbstregulierung setzten. (FAZ, 22.08.2008, Nobelpreisträger halten das ganze Finanzsystem für mangelhaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 41. Die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden der Finanzmärkte haben versagt. Die neuen Vorgaben von Basel II für die Regulierung von Banken stützten sich zum Großteil auf Selbstregulierung, was schon in sich ein Widerspruch ist. (Der Spiegel, 10.11.2008, Neues Denken nötig) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 42. Diese Krise ist kein Phänomen, das exogen auf den Bankenbereich zugekommen ist; es ist eine endogene Krise, die sich aus dem System selbst entwickelt hat. Zudem muss man von Regulierungsversagen sprechen. (FAZ, 25.10.2008, Ein Regelwerk für die Finanzmärkte) AKTEUR der verbalen Handlung: Horst Siebert, deutscher Ökonom, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Es zeigt sich, dass der URSACHEN-Prototyp DEREGULIERUNG DER MÄRKTE und FORDERUNG-Prototyp REGURLIERUNG DER MÄRKTE eng miteinander verbunden sind. Beim dritten Prototyp der URSACHEN der Weltfinanzkrise – MANGEL AN MORAL – handelt es sich um die Gier und weitere menschliche Schwächen, die die Weltwirtschaft in den Abgrund getrieben haben. Als URSACHEN-Code MANGEL AN

68 | Diskurslinguistische Analyse

MORAL markiert wurden beispielsweise folgende Äußerungen: Anreizmechanismen der Investmentbanken, Gier-Mechanismus, menschliches Versagen, Kultur der Gier, Maßlosigkeit, strukturelle Nichtverantwortlichkeit usw. Hier wurden insgesamt 94 Textstellen im Untersuchungskorpus kodiert – davon 66 in den deutschen und nur 28 in den chinesischen Medientexten. Dieser URSACHEN-Prototyp spielt in den chinesischen Medien eine weniger relevante Rolle (siehe Tabelle 18). Tab. 18: MANGEL AN MORAL (94 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

28

FAZ

38

People’s Daily (Chinesisch)

18

Xinhua News Agency (Englisch)

10

Chinesische Medien

66

28

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für MANGEL AN MORAL: 43. 一些人见利忘义,损害公众利益,丧失了道德底线,正是金融危机的一个 重要原因。 Deutsche Übersetzung: Einige Leute sind skrupellos, sie haben öffentliches Interesse geschädigt und die moralische Basis verloren. Dies ist eine wichtige Ursache der Finanzkrise. (People’s Daily, 27.08.2009, “海啸”起处神话灭, dt. Als der Tsunami kam, wurde der Mythos zerstört) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 44. The loss of morality is an underlying cause for the current crisis. Some people have sacrificed principle and sought profits at the expense of public interests. They have crossed the moral baseline. (Xinhua News Agency, 02.02.2009, Full text of Chinese premier's speech at University of Cambridge) AKTEUR der verbalen Handlung: Wen Jiabao, Ministerpräsident der Volksrepublik China

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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69

45. Die Gier lebt weiter: Weltweit verteilen die Banken Milliarden an Boni, obwohl sie gigantische Verluste erwirtschaften und auf die Hilfe des Staates angewiesen sind. Dabei war es gerade dieses System der Selbstbedienung, das die Finanzkrise mitverursacht hat. (Der Spiegel, 16.02.2009, Schuld und Sühne) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim vierten Prototyp der URSACHEN der Weltfinanzkrise – VERSAGEN DES KAPITALISMUS – handelt es sich um das Versagen des globalen angloamerikanischen ungebändigten Kapitalismus, das Versagen des Neoliberalismus sowie das Versagen der ungezähmten Märkte. Dabei wurden insgesamt 74 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – davon 36 in den deutschen und 38 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 19). Tab. 19: VERSAGEN DES KAPITALISMUS (74 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

11

FAZ

25

People’s Daily (Chinesisch)

23

Xinhua News Agency (Englisch)

15

Chinesische Medien

36

38

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code URSACHEN markiert sind: Beispiele für VERSAGEN DES KAPITALISMUS: 46. Die zweite Genugtuung von Kauder und Struck liegt darin, dass bislang eher der angelsächsische Kapitalismus als Modell für die Welt galt, weil er den Tüchtigen mehr Wohlstand versprach. Aber es gehörte auch das Rücksichtslose, das Ungezügelte dazu, das für die Krise verantwortlich ist. (Der Spiegel, 13.10.2008, FINANZKRISE. Der Schwarze Herbst) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 47. Sein Kollege Robert Shiller, Professor an der Yale-Universität, hat bei Keynes gefunden, was für ihn das Ausmaß dieser Systemkrise erklärt: den „animal spirit“ im Kapitalismus, den Herdentrieb in einem System, das auf ganz und gar unmathematischen Wegen nach Geld strebt, unberechenbar, irrational:

70 | Diskurslinguistische Analyse

Die unsichtbare Hand der Märkte sorge nicht für Ordnung und Gemeinwohl, sondern für Krise und Exzesse. Die „animal spirits“, sie produzieren im Boom zu viel Vertrauen der Marktteilnehmer und in der Krise zu viel Misstrauen. (Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Shiller, US-Ökonom 48. Though other nations blamed the financial storm on the failure of free-market capitalism in the United States, U.S. President George W. Bush stood firm against calling into question the very fundamentals of „democratic capitalism“ and against excessive regulation. (Xinhua News Agency, 17.11.2008, News Analysis: Is world ready for a new international financial system?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 49. 目前的美国金融风暴,是资本主义一种特殊制度形式的产物,也是资本主 义的新自由主义形式作用的结果。 Deutsche Übersetzung: Der heutige Finanzsturm in den USA ist das Produkt einer speziellen Form des Kapitalismus und die Auswirkung des kapitalistischen Neoliberalismus. (People’s Daily, 05.11.2008, 过度创新与金融风暴, dt. Übermäßige Innovation und der Finanzsturm) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die Übersicht über die Verteilung der Codings von URSACHEN-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 20 dargestellt: Tab. 20: Prototypen von URSACHEN der Weltfinanzkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

3

DIE USA SIND SCHULD/THE AMERICA CRISIS DEREGULIERUNG DER MÄRKTE MANGEL AN MORAL

4

VERSAGEN DES KAPITALISMUS

1 2

der Spiegel MADE-IN-

FAZ

PD

XH

75

35

45

43

22

64

41

32

28

38

18

10

11

25

23

15

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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71

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen 5 6 7

der Spiegel

FAZ

PD

XH

FEHLER DER REGIERUNG FEHLRISIKOMANAGEMENT DER BANKEN GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE

19

28

3

11

18

18

2

5

4

1

14

10

Summe

177

209

146

126

Diese Tabelle zeigt, dass in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien eine weitgehende Übereinstimmung darüber herrscht, dass DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS und DEREGULIERUNG DER MÄRKTE die zwei dominanten URSACHEN-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) sind. Weiterhin wird festgelegt, dass den URSACHEN-Prototypen MANGEL AN MORAL, FEHLER DER REGIERUNG und FEHLRISIKOMANAGEMENT DER BANKEN in den untersuchten deutschen Medien eine relevantere Rolle für die Weltfinanzkrise zuteilwird, während dem URSACHEN-Prototyp GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE in den untersuchten chinesischen Medien eine stärkere Bedeutung zukommt.

4.3.2 AKTEUR-Prototypen Wie zuvor bereits definiert, sind AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE die AKTEURE aus der Sphäre der Politik, der Wirtschaft sowie der Kapitalseite (wie. z. B. Investmentbanker, Spekulanten, Eigentümer usw.), die regelmäßig die Intention verfolgen, ihre Interessen durchzusetzen und durch (nonverbale) wirtschaftspolitische Handlungen makroökonomische Fakten zu schaffen. Mit ihren Handlungen verursachen und beeinflussen diese wesentlichen Akteure das EREIGNIS WIRTSCHAFTSKRISE. Als Antworten auf die Frame-spezifische Frage nach den AKTEUREN ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE wurden beispielsweise folgende Rollenwerte (als nominalisierte Prädikationen) in den Medientexten ermittelt. Darauf basierend wurden folgende Prototypen für die AKTEUREN ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE gebildet: Makro-Rahmen/Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Makro-Rolle, Prädikationstyp: AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen):

72 | Diskurslinguistische Analyse

– – – – – – – – –

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN US-REGIERUNG UND FED AUFSICHTSBEHÖRDEN REGIERUNG UND ZENTRALBANK RATINGAGENTUREN ANLEGER MEDIEN FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN IWF

Für verschiedene Krisenperioden sind unterschiedliche AKTEUR-Prototypen von wesentlicher Bedeutung, die in den folgenden Abschnitten mit Beispielen veranschaulicht werden sollen.

4.3.2.1 AKTEURE der Asienkrise Die folgende Tabelle 21 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die AKTEURE ALS URHEBER der Asienkrise: Tab. 21: Prototypen von AKTEUREN der Asienkrise

Rang

Code/Prototypen

1

REGIERUNG UND ZENTRALBANK FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS

2

Codings 40 UND

SPEKU-

38

LANTEN

3

US-REGIERUNG UND FED

4

IWF

16 8

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE markiert sind: Beispiele für REGIERUNG UND ZENTRALBANK: 50. Aber im Grunde haben die Länder alle den gleichen Fehler gemacht: Aus Prestigegründen haben sie zu lange an einem falschen, zu hohen Wechselkurs festgehalten. Das halten sie zwei, drei Jahre durch, dann kracht es. (Der Spiegel, 12.10.1998, Eins auf die Nuß)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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73

AKTEUR der verbalen Handlung: Heiner Flassbeck, der ökonomische Berater von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 51. 市场中留有投机的空间是各国政府的错误。 Deutsche Übersetzung: Es war der Fehler der Regierungen, Raum für Spekulation am Finanzmarkt zuzulassen. (People’s Daily, 04.08.1997, 就东南亚金 融风暴访人行金融所所长, dt. Interview mit dem Leiter der Finanzabteilung der Chinesischen Volksbank zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Beispiele für FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: 52. Mitschuldig an dem Desaster sind auch westliche Banken. In der Hoffnung auf große Gewinne stellten sie Milliarden bereit, auch als viele asiatische Firmen längst überschuldet waren. Mit ihren Finanzhilfen im fernen Osten retten sie nun ausgerechnet die schlimmsten Spekulanten vor schweren Verlusten. (Der Spiegel, 02.02.1998, Sie hofften auf ein Wunder) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 53. 这次东南亚金融危机首先是由国际炒家冲击泰铢引发的。 Deutsche Übersetzung: Die Asienkrise wurde zunächst durch den Angriff internationaler Spekulanten auf den thailändischen Baht verursacht. (People’s Daily, 05.01.1998, 苍蝇不叮无缝的蛋, dt. Eine Fliege sticht nicht ein Ei ohne Riss) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für US-REGIERUNG UND FED: 54. Im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte und mit der Macht des Dollar bestimmen ja die USA, was als „fair und frei“ zu gelten hat. Klar, daß beim Kasino-Kapitalismus die Amerikaner, die früh ihre Finanzmärkte liberalisierten, überlegen sind. Wenn man den profitorientierten „amerikanischen Standard“ in Asien einführt, strauchelt unsere Wirtschaft wie eine Konkubine, der die Füße gefesselt sind. (Der Spiegel, 09.11.1998, Opfer der Amerikaner) AKTEUR der verbalen Handlung: Shintaro Ishihara, japanischer Schriftsteller und Politiker, Rechtsradikaler

74 | Diskurslinguistische Analyse

55. 亚洲金融危机的祸首是美国,美国人的如意算盘是在亚洲方面实施“先发制 人的打击”。 Deutsche Übersetzung: Der Verursacher der Asienkrise ist die USA. Die Milchmädchenrechnung der Amerikaner bestand darin, einen Präventivschlag gegen Asien durchzuführen. (People’s Daily, 07.08.1998, 金融危机的政治反 弹, dt. Die politische Gegenreaktion auf die Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Russische Zeitung Die Tribüne Beispiele für IWF: 56. Schließlich ist in Asien ausgerechnet jene Truppe ins Gerede geraten, die als Weltfinanzpolizei Schlimmeres verhindern sollte: Die Frühwarnsysteme des Internationalen Währungsfonds haben gründlich versagt. (Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 57. Versagt hat der Internationale Währungsfonds. Dieser war geschaffen worden, um das feste Wechselkurssystem der in Bretton Woods paraphierten Abkommen zu schützen. 1978 fielen die Voraussetzungen für seine Existenz weg, und bereits da hätte auch der IWF abgeschafft werden müssen. Aber es ist bekannt, daß die staatlichen Institutionen, vor allem auf internationaler Ebene, steinhart sind. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede) AKTEUR der verbalen Handlung: Milton Friedman, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger Die Übersicht über die Verteilung der Codings von AKTEUR-Prototypen der Asienkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 22 dargestellt: Tab. 22: Prototypen von AKTEUREN ALS URHEBER der Asienkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1

REGIERUNG UND ZENTRALBANK

der Spiegel 19

FAZ 4

PD 16

XH 1

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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75

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

PD

XH

11

5

21

1

3

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN US-REGIERUNG UND FED

10

1

5

0

4

IWF

4

3

1

0

Summe

44

13

43

2

2

Aus der Tabelle lässt sich ablesen, dass in verschiedenen Medien unterschiedliche AKTEUR-Prototypen von wesentlicher Bedeutung sind. Im Spiegel sei die Verursachung der Asienkrise vor allem REGIERUNG UND ZENTRALBANK asiatischer Staaten zuzuschreiben, während im chinesischen Staatsmedium People’s Daily die FINANZINDUSTRIE – insbesondere westliche – BANKEN, HEDGEFONDS, UND SPEKULANTEN als URHEBER der Asienkrise angesehen werden.

4.3.2.2 AKTEURE des Platzens der „Dotcom-Blase“ Die folgende Tabelle 23 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die AKTEURE ALS URHEBER beim Platzen der „Dotcom-Blase“: Tab. 23: Prototypen von AKTEUREN beim Platzen der „Dotcom-Blase“

Rang Code/Prototypen

Codings

3

ANLEGER MEDIEN FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN

4

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN

6

5

US-REGIERUNG UND FED

5

1 2

13 8 6

Aus der Tabelle lässt sich ablesen, dass im gesamten Untersuchungskorpus die ANLEGER als dominante AKTEURE beim Platzen der „Dotcom-Blase“ betrachtet werden. Dabei haben die Anleger in erster Linie selbst Schuld. Im Vergleich mit den AKTEUREN der Asienkrise (siehe Tabelle 21) haben die AKTEUR-Prototypen REGIERUNG UND ZENTRALBANK bzw. FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN beim Platzen der „Dotcom-Blase“ an Bedeutung verloren. Stattdessen

76 | Diskurslinguistische Analyse

erweisen sich MEDIEN bzw. FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN als relevante AKTEURPrototypen. Sie haben durch ihre zu positive Erwartung und Stimmung sowie ihre kollektive Fehleinschätzung der Sachlage zum unbedachten Aufblasen der Internet-Euphorie sowie zum Platzen der „Dotcom-Blase“ beigetragen (vgl. URSACHEN-Prototyp ÜBEROPTIMISMUS). Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code AKTEURE ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE markiert sind: Beispiele für ANLEGER: 58. Schuld an diesem Desaster sind alle Beteiligten […] und nicht zuletzt die Anleger, die in ihrer Gier nach dem schnellen Geld sich auf jede Neuemission gestürzt haben. (FAZ, 06.03.2002, Zweite Chance für den Neuen Markt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 59. Vergleichbar mit der holländischen Spekulationsblase sind die Motive der heutigen Anleger, deren Wunsch nach raschem Reichtum die Sinne vernebelte und sie vergessen ließ, daß sie von Aktien und den dahinterstehenden Unternehmen eigentlich keinen blassen Schimmer hatten. (FAZ, 03.08.2001, Tulpenzwiebeln und das kleine Anlegerglück) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für MEDIEN: 60. Wer hat das kleine Anlegerglück gemeuchelt, ist die Frage der Stunde. Die Verdächtigen sind unter uns: Die Banken, die Unternehmer, die Analysten, die Anlegermagazine und selbst Wissenschaftler haben dazu beigetragen, Traumschlösser zu errichten, die sich nun als nicht bewohnbar erweisen. (FAZ, 03.08.2001, Tulpenzwiebeln und das kleine Anlegerglück) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 61. Ein Überoptimismus, geleitet von zu positiven Erwartungen. Es wurde zuviel investiert von den Unternehmen und die Wirtschaftsaussichten zu positiv eingeschätzt. Das hat natürlich auch die Investoren beflügelt, angetrieben letztendlich von der positiven Stimmung bei den Unternehmen, bei den Kapitalanlegern, bei den Medien. (FAZ, 06.09.2001, „Man muss auch nein sagen können“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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77

Beispiele für FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN: 62. Wahlweise sind auch die Analysten verantwortlich, die unschuldige Investoren zum Kauf der Aktien idiotischer Firmen berieten. Vor allem Analysten jener Banken, deren Investmentabteilungen wiederum die Dot.coms an die Börse gebracht haben. (Der Spiegel, 26.03.2001, Blues im Silicon Valley) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 63. Dr. Mabuse ist in den Augen vieler Beobachter wieder da – und zwar in Form unseriöser Unternehmensführungen, Aktienanalysten und TV-Börsengurus, die Internet-Unternehmen in den Himmel lobten, kurz bevor die Kurse einbrachen. (FAZ, 12.03.2002, Das verdammte Wirtschaftswunder und die Rückkehr des Dr. Mabuse) AKTEUR der verbalen Handlung: Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG und Hans Joachim Voth, deutscher Ökonom Die Übersicht über die Verteilung der Codings von AKTEUR-Prototypen beim Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 24 dargestellt: Tab. 24: Prototypen von AKTEUREN beim Platzen der „Dotcom-Blase“ im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3

ANLEGER MEDIEN FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN

der Spiegel

FAZ

PD

XH

5

7

1

0

2

6

0

0

3

3

0

0

0

6

0

0

4

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN

5

US-REGIERUNG UND FED

0

5

0

0

Summe

10

27

1

0

Ähnlich wie bei den URSACHEN-Prototypen wurden für die Krisenperiode der „Dotcom-Blase“ in den chinesischen Medientexten deutlich weniger betreffende

78 | Diskurslinguistische Analyse

Äußerungen als AKTEURE kodiert. Dies liegt darin begründet, dass bei dieser Krisenperiode der übrige solide Wirtschaftsbereich in China nicht berührt war. Die wirtschaftlichen Folgen schienen nur begrenzt zu sein und die übrige Wirtschaft schien dabei kaum involviert.

4.3.2.3 AKTEURE der Weltfinanzkrise Die folgende Tabelle 25 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die AKTEURE ALS URHEBER der Weltfinanzkrise (ab 2007): Tab. 25: Prototypen für die AKTEURE ALS URHEBER der Weltfinanzkrise

Rang Code/Prototypen

Codings

3

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN US-REGIERUNG UND FED REGIERUNG UND ZENTRALBANK

4

AUFSICHTSBEHÖRDEN

53

5

16

7

RATINGAGENTUREN FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN ANLEGER

8

MEDIEN

1

9

WEIßE MENSCHEN

1

1 2

6

127 89 71

13 7

Aus der Tabelle 25 geht hervor, dass in der Krisenperiode der Weltfinanzkrise die FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN, US-REGIERUNG UND FED sowie REGIERUNG UND ZENTRALBANK – analog wie bei der Asienkrise (siehe Tabelle 21) – wiederum als die wichtigste AKTEUR-Prototypen gelten. Als ebenfalls wichtig angesehen werden die neu auftauchenden AKTEUR-Prototypen wie z. B. AUFSICHTSBEHÖRDEN, RATINGAGENTUREN und WEIßE MENSCHEN. Obwohl als AKTEUR-Prototyp WEIßE MENSCHEN nur eine Textstelle kodiert wurde, wird er hier aber wegen seiner Merkwürdigkeit auch an einem Beispiel veranschaulicht. Im Folgenden werden repräsentative Beispiele für die AKTEUR-Prototypen der Weltfinanzkrise angeführt.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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79

Beispiele für FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: 64. Kriminelle Finanzjongleure, destruktive Banker und verantwortungslose Geldpolitiker haben sich offenbar verschworen, die Welt in den Untergang zu treiben. (FAZ, 21.12.2008, Nichts Neues unter der Sonne) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 65. Moreover, the greediness of the financial sector in some western countries was also to blame. Driven by profit, „financial innovators“ were busy introducing to clients newer and more complicated financial derivatives, which only made matters worse when risks emerged. Therefore, the fury of U.S and European citizens toward Wall Street after the outbreak of the crisis was not unfounded. (Xinhua News Agency, 06.01.2010, Commentary: Look for solutions, not scapegoats) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 66. „Die Zocker in den Banken und an den Börsen haben die Krise maßgeblich verursacht, sie müssen auch an den Kosten beteiligt werden.“ (FAZ, 27.09.2012, SPD lobt Steinbrück-Pläne) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister Die sich daraus ergebende FORDERUNG – KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER: sie müssen auch an den Kosten beteiligt werden 67. WALL STREET IS RESPONSIBLE. It was Wall Street that possessed the most wealth, stained with greed and corruption. It was Wall Street greed that, at least partly, led to the financial crisis and economic recession in 2008. It was giant bailout of Wall Street that, at least partially, led to a record-high government debt level. It was Wall Street's „fat cats“ who took taxpayers' aid money as their own whopping bonus. (Xinhua News Agency, 06.10.2011, News Analysis: What leads to „Occupy Wall Street“?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 68. „Es ist uns völlig klar, dass die breite Öffentlichkeit wütend auf unsere ganze Branche ist“, betonte Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs, in der vergangenen Woche bei der Anhörung vor dem Finanzausschuss des Repräsentantenhauses. „Viele Menschen glauben – und in vielen Fällen sogar berech-

80 | Diskurslinguistische Analyse

tigt –, dass Wall Street den Blick für ihre öffentlichen Verpflichtungen verloren hat.“ (Der Spiegel, 16.02.2009, Schuld und Sühne) AKTEUR der verbalen Handlung: Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs Die oben genannten Beispiele haben gezeigt, dass die Vertreter der AKTEUREN FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN an der Wall Street14 agieren. Und dieser AKTEUR-Prototyp ist mit den FORDERUNG-PROTOTYPEN KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER, STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL und REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE miteinander verbunden. Beispiele für US-REGIERUNG UND FED: 69. Schuld habe auch die amerikanische Regierung von George Bush, die blind marktgläubig sei, sowie Alan Greenspan, der ehemalige Chef der Notenbank Fed. (FAZ, 23.08.2008, Die Olympier der Ökonomik) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 70. The global financial crisis is blamed on the laissez-faire economic policy adopted by the U.S. government and its failure to exercise effective financial regulation amid the dramatic expansion of financial derivative products since early this century. (Xinhua News Agency, 28.12.2008, Yearender: Marked changes in world's political, economic landscape (part II)) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 71. Personen wie Timothy Geithner oder Larry Summers sind mitschuldig an den Problemen. Summers war vor zwölf Jahren unmittelbar mit für die Entscheidung verantwortlich, die außerbörslichen Derivatemärkte nicht zu regulieren. (FAZ, 23.06.2009, Im Gespräch: Christopher Whalen, Institutional Risk Analytics. „Timothy Geithner ist mitschuldig an der Finanzkrise“) AKTEUR der verbalen Handlung: Christopher Whalen, Managing Director des Risikospezialisten Institutional Risk Analytics || 14 Ziem (2010) hat eindeutig erklärt, dass mit der Wall Street nicht die Straße selbst in New York gemeint ist, sondern als „(virtueller) Ort des internationalen Finanzmarktes“ auftritt. In den meisten Belegen betrifft dieser Begriff vielmehr metonymisch die Banken und die Börse, die sich in der Wall Street befinden, oder metaphorisch „das Finanzgebaren der spätkapitalistischen Gesellschaft“ bzw. „den Ort, der topographisch nirgendwo ausgemacht werden kann: die zentrale ‚Schaltstelle‘, wo die hochspekulativen und risikoreichen Geschäfte abgewickelt werden“ (Ziem 2010: 166f.).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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81

72. Jetzt gilt die lange Zeit unumstrittene Politik von Greenspan und Co. als Krisenverursacher, und die Möglichkeiten der US-Währungsbehörde zum Gegensteuern sind auf ein Minimum begrenzt. (Der Spiegel, 28.01.2008, Der kranke Gorilla) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 73. Die Hauptverantwortlichen dieser Entwicklung sind Amerikas Finanzminister Timothy Geithner, Notenbank-Chef Ben Bernanke und Princeton-Ökonom Paul Krugman, der die Politiker mit der Autorität seines Nobelpreises zu immer neuen Milliardeninjektionen zu überreden versucht. (Der Spiegel, 23.11.2009, Wahnsinn 2.0) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für REGIERUNG UND ZENTRALBANK: 74. Gleichzeitig gab es Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks, die ihrer Bevölkerung den Traum des Eigenheims erfüllen wollten. Sie verzichteten bewusst auf eine schärfere Regulierung des Hypothekenmarktes. (FAZ, 25.09.2008, Das Versagen der Aufsicht) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 75. Ein Grund dafür ist die mangelhafte Regulierung und die unzureichende Kontrolle durch den Staat oder auf internationaler Ebene durch die Staatengemeinschaft. Wir haben es also mit einem Versagen der Regulierung zu tun. Regulierungsversagen ist aber Staatsversagen, nicht Marktversagen. (FAZ, 03.11.2008, Gelegenheit macht Freiheitsdiebe) AKTEUR der verbalen Handlung: Hermann Otto Solms, Bundestagsvizepräsident und finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion 76. Margaret Thatcher, die ehemalige britische Premierministerin, hat großen Anteil an jener Krise, in der sich Europa, der Kapitalismus und die Demokratie zurzeit befinden, nur diskutiert das kaum jemand, aus Pietät vielleicht. (Der Spiegel, 06.02.2012, Unbarmherzige Samariter) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

82 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für AUFSICHTSBEHÖRDEN/REGULATOR: 77. Obama said one of the main reasons this crisis could take place is that many agencies and regulators were responsible for oversight of individual financial firms and their subsidiaries, but no one was responsible for protecting the whole system. (Xinhua News Agency, 15.09.2009, Obama pushes for regulation reform on Lehman collapse anniversary) AKTEUR der verbalen Handlung: Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten 78. Die Banken- und Marktaufsicht hat an jedem einzelnen Finanzplatz katastrophal versagt. Weder die deutsche Bafin noch die britische FSA, die amerikanische Federal Reserve oder die SEC haben erkannt, dass es Geschäftsmodelle gab, die gefährliche Schneeballeffekte auslösen könnten. Die Aufsichtsbehörden haben die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vernachlässigt, sich teilweise sogar in Aufsichtsfragen blockiert. Kein Wunder, dass sie nicht gesehen haben, welch systemisches Risiko in den neuen technischen Kreditprodukten und ihrer Risikoverteilung auf den Markt schlummerte. (FAZ, 25.09.2008, Das Versagen der Aufsicht) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 79. 金融危机的根源是西方国家金融创新与房产泡沫交互作用,企业普遍忽略 风险,而监管者没有尽到责任。 Deutsche Übersetzung: Die Ursachen der Finanzkrise sind das Zusammenspiel von Finanzinnovationen der westlichen Staaten und der Immobilienblase, die Risikoignorierung der Unternehmen und die Unverantwortlichkeit der Regulatoren. (People’s Daily, 10.01.2008, 巴西总统卢拉一针见血地指出 金 融危机起源于发达国家心脏地带, dt. Der brasilianische Staatspräsident Lula hat treffsicher darauf hingewiesen, dass die Finanzkrise aus dem Kerngebiet der Industriestaaten stammt) AKTEUR der verbalen Handlung: Brookings Institution, US-amerikanische Denkfabrik

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

83

Beispiele für RATINGAGENTUREN: 80. Als einen der Hauptschuldigen der Krise bezeichnete Sanio die Ratingagenturen. (FAZ, 29.05.2009, Finanzaufsicht gesteht Fehler) AKTEUR der verbalen Handlung: Jochen Sanio, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) 81. 评级机构问题重重,是引发和恶化全球金融危机的又一重要原因。 Deutsche Übersetzung: Die Ratingagenturen sind sehr problematisch. Dies ist eine weitere wichtige Ursache für die Entstehung und Verschlimmerung der globalen Finanzkrise. (People’s Daily, 14.01.2009,“中国责任论”站不住脚, dt. Die „Theorie der Verantwortung Chinas“ ist unhaltbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhang Jianhua, Leiter des Forschungsbüros bei der chinesischen Volksbank Beispiele für FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN: 82. The letter, published by Asia Times on Nov. 8, blasted neo-liberal economists who „fooled themselves into thinking that false prosperity built on debt could be sustainable with monetary indulgence.“ (Xinhua News Agency, 17.11.2008, News Analysis: Is world ready for a new international financial system?) AKTEUR der verbalen Handlung: Henry C.K. Liu, ein chinesisch-amerikanischer Wirtschaftskommentator 83. Die Hauptverantwortlichen dieser Entwicklung sind Amerikas Finanzminister Timothy Geithner, Notenbank-Chef Ben Bernanke und Princeton-Ökonom Paul Krugman, der die Politiker mit der Autorität seines Nobelpreises zu immer neuen Milliardeninjektionen zu überreden versucht. (Der Spiegel, 23.11.2009, Wahnsinn 2.0) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

84 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für WEIßE MENSCHEN: 84. Und Brasiliens sozialistischer Staatschef Lula da Silva donnerte so rassistisch wie termingerecht: „Diese Krise wurde gemacht von weißen Menschen mit blauen Augen, die vor der Krise alles wussten und jetzt nichts mehr wissen.“ (Der Spiegel, 30.03.2009, Gipfel am Abgrund) AKTEUR der verbalen Handlung: Lula da Silva, Brasiliens Staatspräsident Die Übersicht über die Verteilung der Codings von AKTEUR-Prototypen der Weltfinanzkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 26 dargestellt: Tab. 26: Prototypen von AKTEUREN der Weltfinanzkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

PD

XH

3

FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN US-REGIERUNG UND FED REGIERUNG UND ZENTRALBANK

4

AUFSICHTSBEHÖRDEN

7

5

RATINGAGENTUREN FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN

8

1

4

3

6

8

4

0

1

7

ANLEGER

4

1

1

1

8

MEDIEN

1

0

0

0

9

WEIßE MENSCHEN

1

0

0

0

132

121

56

69

1 2

Summe

45

39

19

24

32

29

11

17

26

30

4

11

17

17

12

Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, dass für die Weltfinanzkrise in den deutschen Medien deutlich mehr betreffende Textstellen als AKTEUR – URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE kodiert wurden. Im gesamten Untersuchungskorpus herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN als wichtigste URHEBER der Weltfinanzkrise (ab 2007) betrachtet werden.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

85

4.3.3 FOLGEN-Prototypen Als Antworten auf die Frame-spezifische Frage nach den FOLGEN der Wirtschaftskrise wurden beispielsweise folgende Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen) in den Medientexten ermittelt. Darauf basierend wurden folgende Prototypen für die FOLGEN der Wirtschaftskrise gebildet: Makro-Rahmen/Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Makro-Rolle, Prädikationstyp: FOLGEN der Wirtschaftskrise Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen): – AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT – AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS – NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER – GLOBALISIERUNGSSKEPSIS – NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN – WELTREZESSION – RÜCKKEHR DER REGULIERUNG – VERLUST AN INTERNATIONALEM VERTRAUEN – VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH – ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAHMEN – ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG Für verschiedene Krisenperioden sind unterschiedliche FOLGEN-Prototypen von wesentlicher Bedeutung. In den folgenden Abschnitten werden repräsentative Beispiele aus den untersuchten Medien für die jeweils wichtigsten FOLGENPrototypen präsentiert.

4.3.3.1 FOLGEN der Asienkrise Die folgende Tabelle 27 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FOLGEN der Asienkrise:

86 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 27: Prototypen von FOLGEN der Asienkrise

Rang

Code/Prototypen

1

WELTREZESSION GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS

42

18

7

VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH GLOBALISIERUNGSSKEPSIS NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT

8

EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MODELLS

12

9

KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS VERLUST AN INTERNATIONALEM VERTRAUEN ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAHMEN

7

AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUN-

4

2 3 4 5 6

10 11 12 13

Codings

23 22

15 14 13

7 5

2

GEN

14

RÜCKKEHR DER REGULIERUNG

1

Beim ersten Prototyp der FOLGEN der Asienkrise –WELTREZESSION – stammen die meisten Rollenwerte (33 Codings) aus dem Spiegel. In den anderen drei Medien wurden diesem Prototyp-Code weitaus weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 28). Tab. 28: WELTREZESSION (42 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Codings Insgesamt 33

FAZ

2

People’s Daily (Chinesisch)

4

Xinhua News Agency (Englisch)

3

Chinesische Medien

35

7

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

87

Beispiele für WELTREZESSION: 85. Aus anfänglich regionalen Krisen ist ein globaler Flächenbrand geworden, der die gesamte Weltwirtschaft bedroht. (Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 86. 19 Monate nachdem das Desaster mit der Abwertung des thailändischen Baht seinen Anfang nahm, ist noch kein Ende der globalen Krise in Sicht. Und so suchen sie in Davos wieder einmal verzweifelt nach Mitteln gegen das Virus, das fast den halben Globus infiziert hat: Rund 40 Prozent der Weltwirtschaft stecken inzwischen in der Rezession. (Der Spiegel, 01.02.1999, Ein Ort der Ratlosigkeit) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 87. It is not an Asian financial crisis, but a crisis which is centered in asia, and that its effects are being increasingly felt around the world. (Xinhua News Agency, 09.06.1998, George Bush says Asian economy will recover soon) AKTEUR der verbalen Handlung: George W. Bush, Präsident der Vereinigten Staaten Beim zweiten Prototyp der FOLGEN der Asienkrise – GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS – ergibt sich insgesamt eine Anzahl von 23 Codings im Untersuchungskorpus. Die meisten Fillers stammen aus dem Spiegel (siehe Tabelle 29). Im Spiegel werden die WELTREZESSION und der ANTI-AMERIKANISMUS als die wichtigsten FOLGEN der Asienkrise dargestellt. Tab. 29: GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS (23 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Codings Insgesamt 15

FAZ

1

People’s Daily (Chinesisch)

7

Xinhua News Agency (Englisch)

0

Chinesische Medien

16

7

88 | Diskurslinguistische Analyse

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS: 88. Der Gewinner der Krise in Ostasien sind zunächst einmal zweifellos die Vereinigten Staaten. Wieder hat sich gezeigt, daß nur sie in der Lage sind, in Krisensituationen Koalitionen von Staaten, internationalen Institutionen und privaten Akteuren effektiv zu mobilisieren. Amerika verfügt heute nicht nur militärisch und diplomatisch über eine herausgehobene Stellung, sondern aufgrund der technologischen und kommerziellen Leistungsfähigkeit seiner Unternehmen auch über das dominierende Wirtschaftsmodell. (FAZ, 25.03.1998, Bewährungsprobe für eine Partnerschaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Hanns W. Maull, Professor für Außenpolitik an der Universität Trier 89. Der frühere Außenminister Henry Kissinger warnt seine Landsleute vor einem wachsenden Anti-Amerikanismus in Asien, ausgelöst durch die drastischen Sparmaßnahmen, die der IWF den Tigerstaaten als Gegenleistung für seine finanzielle Hilfe abverlangt. (Der Spiegel, 19.01.1998, Schockwellen aus Fernost) AKTEUR der verbalen Handlung: Henry Kissinger, der frühere Außenminister der Vereinigten Staaten 90. Wahr ist aber auch, daß wir der globalen Finanzstrategie der Amerikaner zum Opfer gefallen sind. (Der Spiegel, 09.11.1998, Opfer der Amerikaner) AKTEUR der verbalen Handlung: Shintaro Ishihara, japanischer Schriftsteller und Politiker, Rechtsradikaler. Beim dritten Prototyp der FOLGEN der Asienkrise – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS – wurden insgesamt 22 Textstellen im Untersuchungskorpus kodiert. Die meisten Rollenwerte (11 Codings) stammen aus der FAZ. Bei der FAZ wird die Meinung vertreten, dass das asiatische Modell am Ende zu sein scheine. Dort erweist sich die Folge ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS als dominant. In den anderen drei Medien wurden bei diesem Prototyp vergleichsweise weniger Codings zugewiesen (siehe Tabelle 30).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

89

Tab. 30: ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS (22 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel FAZ

3 11

People’s Daily (Chinesisch)

7

Xinhua News Agency (Englisch)

1

Chinesische Medien

14

8

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS: 91. „Das asiatische Wunder war auf gute Politik gebaut und stolpert jetzt über schlechte“, schreibt die in Sydney erscheinende „Australian Financial Review“. Zweifel an der Weisheit der Politiker hätten die Märkte in Panik versetzt. „Die Wunderkinder entdecken die Sterblichkeit.“ (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Australian Financial Review 92. Indes könnten schlechte Zeiten gut sein für Reformen: Ende der staatlichen Interventionen in der Wirtschaft, der Kapital- und Währungskontrollen. (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 93. Die Globalisierung fordert ihr erstes Opfer: Die einstige Boomregion in Fernost ist abgestürzt, das sogenannte asiatische Modell scheint am Ende. Der Kapitalismus westlicher Prägung hat fürs erste gesiegt – und ist nun selbst bedroht. (Der Spiegel, 19.01.1998, Schockwellen aus Fernost) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Im Gegensatz zur pessimistischen FOLGE – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS, deren korrespondierende Textsegmente viel mehr in den deutschen Medien gefunden wurden, ist in den chinesischen Medien die optimistische FOLGE des asiatischen Modells – EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MODELLS – von Relevanz, wobei insgesamt 12 Codings in den chinesischen Medientexten vorgenommen wurden (siehe Tabelle 32). Z. B.:

90 | Diskurslinguistische Analyse

94. The Southeast Asian financial crisis in 1997 has created a lot of uncertainty for the economic future of Asia, but the „Asian economic miracle“ is not over, as the region could still achieve steady, though slower, growth in the years ahead. (Xinhua News Agency, 05.12.1997, Yearender: Slower growth expected, but „Asian miracle“ not over) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 95. 经过一段时间的调整和改革,“东亚模式”将得到更新和完善,东亚定能重 新焕发活力与生机,在 21 世纪的全球经济中发挥重要作用。 Deutsche Übersetzung: Nach einer Zeit der Anpassungen und Reformen wird das „ostasiatische Modell“ aktualisiert und optimiert. Ostasien wird neue Kraft und Vitalität erlangen und eine wichtige Rolle in der globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts spielen. (People’s Daily, 02.02.1999, 在达沃斯论坛年会 上汪道涵说经济全球化是双刃剑, dt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte Wang Daohan, dass die wirtschaftliche Globalisierung ein zweischneidiges Schwert ist) AKTEUR der verbalen Handlung: Wang Daohan, Präsident der Association for Relations Across the Taiwan Strait (ARATS) Beim vierten Prototyp der FOLGEN der Asienkrise – VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWI– wurden insgesamt 18 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen. Die meisten Rollenwerte (17 Codings) stammen aus der People’s Daily. In den anderen drei Medien wurden bei diesem Prototyp weitaus weniger Textstellen kodiert (siehe Tabelle 31).

SCHEN ARM UND REICH

Tab. 31: VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH (18 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

1

FAZ

0

People’s Daily (Chinesisch)

1

17

Chinesische Medien

17 Xinhua News Agency (Englisch)

0

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

91

Beispiele für VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH: 96. 在穷国与富国之间以及在一个国家内部富人与穷人之间,出现了巨额贸易 利润分配极不平衡的现象。 Deutsche Übersetzung: Zwischen den armen und reichen Ländern bzw. zwischen armen und reichen Menschen in einem Land, gibt es ein riesiges Handelsdefizit und eine unausgewogene Gewinnverteilung. (People’s Daily, 22.06.2000, 经济全球化—亚洲与中国, dt. Wirtschaftliche Globalisierung – Asien und China) AKTEUR der verbalen Handlung: Virabongsa Ramangkura, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister Thailands 97. Die Proteste werden jetzt stärker, weil sich mit der Asien-Krise, der Lateinamerika-Krise und der wachsenden Ungleichheit die Probleme verschärfen. (Der Spiegel, 30.07.2001, „Globalisierung von unten“) AKTEUR der verbalen Handlung: Christine Buchholz, Linke-Politikerin Beispiele für GLOBALISIERUNGSSKEPSIS: 98. Unter Experten ist deshalb ein heftiger Streit über die Zukunft der Weltwirtschaft entbrannt. Ist die totale Globalisierung, so fragen viele, wirklich das richtige Rezept für die nächste Dekade? (Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER: 99. 80 年代拉美国家发生的债务危机与 1997 年发生的亚洲金融危机,都曾给发 展中国家带来灾难性的后果。实践已经证明,并非所有国家都能在全球化 当中获取利益。 Deutsche Übersetzung: Die Lateinamerika-Krise der 80er Jahre und die Asien-Krise von 1997 haben verheerende Folgen für die Entwicklungsländer. Die Praxis hat bewiesen, dass nicht alle Länder von der Globalisierung profitieren können. (People’s Daily, 01.02.2000, 融入经济全球化潮流, dt. Teilnahme an der wirtschaftlichen Globalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

92 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT: SOZIALE KONFLIKTE: 100. Politische Unruhen und eine wachsende Instabilität Asiens könnte die gefährliche Folge sein. (Der Spiegel, 19.01.1998, Schockwellen aus Fernost) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 101. The financial crisis has caused economic and political turmoil in some countries, Jiang said, mentioning that the nuclear arms race in south Asia has created sudden tension in the region. „These problems, if not promptly and properly settled, will cast a shadow over the future of the mankind in the next century,“ said the president. (Xinhua News Agency, 27.06.1998, Jiang, Clinton hold talks) AKTEUR der verbalen Handlung: Jiang Zemin, Staatspräsident der Volksrepublik China Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FOLGEN-Prototypen der Asienkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 32 dargestellt: Tab. 32: Prototypen von FOLGEN der Asienkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3 4 5 6

der Spiegel

WELTREZESSION GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH GLOBALISIERUNGSSKEPSIS NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄN-

33

FAZ

XH

PD

2

4

3

15

1

7

0

3

11

7

1

1

0

17

0

5

0

9

1

0

0

14

0

DER

7 8

AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MO-

3

3

5

2

0

0

8

4

6

1

0

0

DELLS

9

KRISE

DES ANGLOAMERIKANISCHEN LISMUS

KAPITA-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

93

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

10 11

VERLUST AN INTERNATIONALEM VERTRAUEN ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAH-

der Spiegel

FAZ

PD

XH

0

2

5

0

1

1

3

0

MEN

12 13 14

AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN RÜCKKEHR DER REGULIERUNG

0

0

1

0

Summe

70

23

81

11

1

2

1

0

2

0

0

0

Aus Tabelle 32 lässt sich ablesen, dass im Diskurs keine Einigkeit darüber herrscht, welcher der wichtigste FOLGEN-Prototyp bei der Asienkrise ist. Beim Spiegel sind WELTREZESSION und GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS die zwei relevanten FOLGEN-Prototypen, während sich bei der FAZ der FOLGEN-Prototyp ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS als dominant erweist. Im chinesischen Staatsmedium People’s Daily gelten VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH und NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER als die zwei wichtigsten FOLGENPrototypen bei der Asienkrise. Der FOLGEN-Prototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS, bei dem 7 Textstellen in den beiden deutschen Medien kodiert wurden, spielt bei den chinesischen Medien jedoch gar keine Rolle.

4.3.3.2 FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ Die folgende Tabelle 33 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“: Tab. 33: Prototypen von FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“

Rang

Code/Prototypen

1

VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH GLOBALISIERUNGSSKEPSIS GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS

2 3 4 5

REZESSION DER NEW ECONOMY EIN NEUER ANFANG DER NEW ECONOMY

Codings 21 15 15 8 7

94 | Diskurslinguistische Analyse

Rang

Code/Prototypen

6

VERTRAUENSVERLUST DER INVESTOREN DER KAPITALISTISCHE KRISENZYKLUS

7

Codings 3 2

Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, dass die FOLGEN-Prototypen VERSCHÄRFUNG KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH, GLOBALISIERUNGSSKEPSIS sowie GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS als die drei wichtigsten FOLGEN-Prototypen im gesamten Untersuchungskorpus bei der Krisenperiode der „Dotcom-Blase“ gelten. Im Vergleich mit den FOLGEN der Asienkrise (siehe Tabelle 27) haben hier die folgenden drei FOLGEN-Prototypen – WELTREZESSION, ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS und NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER – an Relevanz verloren. Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: DER

Beispiele für VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH: 102. Und in der Tat haben die Konzentration des Reichtums und die Armut in den Jahren des Internet-Booms zugenommen. (FAZ, 12.07.2000, Aus den Ruinen unserer Zeit wächst ein zweiter Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Jaron Lanier, US-amerikanischer Computertheoretiker 103. Dazu müssen wir in Kauf nehmen, daß sich die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. (FAZ, 12.03.2002, Das verdammte Wirtschaftswunder und die Rückkehr des Dr. Mabuse) AKTEUR der verbalen Handlung: Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG und Hans Joachim Voth, deutscher Ökonom 104. Während in den sechziger Jahren das Einkommen aller Amerikaner relativ gleichmässig stieg, profitierten vom Boom der letzten Dekaden vor allem die Spitzenverdiener. Ein Unternehmensboss kassiert 400-mal so viel wie sein Arbeiter, vor zwölf Jahren war es nur 40-mal so viel. Heute verdienen rund 60 Prozent der Amerikaner real nicht mehr als vor 20 Jahren. Die Armutsrate, die wenig über tatsächliche Armut, aber viel über die Spreizung der Gesellschaft aussagt, liegt über dem Niveau der siebziger Jahre. (Der Spiegel, 29.05.2000, Das Comeback Europas) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

95

105. Rasch wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, selbst inmitten des kalifornischen Silicon Valley, der Reichtumsschmiede für die meisten InternetMillionäre. Während das Einkommen des oberen einen Prozents dort zwischen 1993 und 1997 um 57 Prozent nach oben schoss, stieg das Einkommen des unteren Fünftels lediglich um zehn Prozent – und liegt damit inflationsbereinigt sogar immer noch 13 Prozent unter dem Wert von 1989. (Der Spiegel, 13.03.2000, „Es regiert die Gier“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für GLOBALISIERUNGSSKEPSIS: 106.Aber Sie müssen sehen: Globalisierung ist täglicher Terror. (FAZ, 26.01.2003, „Der Kapitalismus ist wie eine Feuersbrunst“) AKTEUR der verbalen Handlung: Jean Ziegler, Schweizer Soziologe Beispiele für GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS: 107. Die Zukunft, so scheint es, liegt auf der anderen Seite des Atlantiks. „Wir sind die unumstrittenen Anführer der Welt“, rief US-Präsident Bill Clinton seinen Landsleuten entgegen. Auch wenn Clinton ins Ausland reist, so wie diese Woche nach Deutschland, kann er sich der Bewunderung durch die Gastgeber sicher sein: America, the beautiful – es ist das grosse Vorbild. (Der Spiegel, 29.05.2000, Das Comeback Europas) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur), US-Präsident Bill Clinton 108. 对西方资本主义,尤其是对作为西方资本主义典型的美国人的强烈反感日 益明显。 Deutsche Übersetzung: Die starke Abneigung gegen den westlichen Kapitalismus, insbesondere gegen dessen klassischen Vertreter – die Amerikaner, wird von Tag zu Tag offensichtlicher. (People’s Daily, 05.03.1999, 美式资本主 义招怨, dt. Der amerikanische Kapitalismus ruft Abneigung hervor) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

96 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für REZESSION DER NEW ECONOMY: 109.Vom Wohlstand auf Pump ist die Rede, und manche Ökonomen erwarten gar ein „hard landing“ der Amerikaner, einen unsanften Absturz in die Rezession. (Der Spiegel, 29.05.2000, Das Comeback Europas) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 110. „Möglicherweise stehen wir am Rande einer Rezession“, heisst es bei Cheney düster. (Der Spiegel, 01.01.2001, Die Zitterpartie) AKTEUR der verbalen Handlung: Richard Bruce „Dick“ Cheney, Vizepräsident der Vereinigten Staaten Im Gegensatz zur pessimistischen FOLGE – REZESSION DER NEW ECONOMY, deren korrespondierende Textsegmente viel mehr in den deutschen Medien gefunden wurden, ist in den chinesischen Medien die optimistische FOLGE – EIN NEUER ANFANG DER NEW ECONOMY – mehr bedeutend (siehe Tabelle 34). Z. B.: Beispiele für EIN NEUER ANFANG DER NEW ECONOMY: 111. 信 息 技 术 产 业 经 过 调 整 与 重 组 之 后 , 将 会 重 新 获 得 人 才 与 资 金 的 支持,产生新的发展动力,在新的基础上继续向前发展。 Deutsche Übersetzung: Nach der Anpassung und Umstrukturierung wird die IT-Branche erneut die Unterstützung von Humanressourcen und Finanzmitteln erfahren, neuen Antrieb erhalten und sich auf neuer Basis weiterentwickeln. (People’s Daily, 13.08.2001, IT 业疯狂裁员的启示, dt. Offenbarung der Entlassungswelle in der IT-Branche) AKTEUR der verbalen Handlung: Xu Hanping, Senior Consultant Risk Management bei JP Morgan 112. „Even with the current worldwide recession, e-commerce spending and ecommerce solution investments are booming,“ Giang stressed. (Xinhua News Agency, 31.05.2002, E-Commerce Market in Asia Still Hot After Dotcom Burst) AKTEUR der verbalen Handlung: Robin Giang, research manager of IT solutions for IDC Asia Pacific

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

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97

Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FOLGEN-Prototypen des Platzens der „Dotcom-Blase“ auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 34 dargestellt: Tab. 34: Prototypen für die FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3 4 5 6 7

VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH GLOBALISIERUNGSSKEPSIS GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS REZESSION DER NEW ECONOMY EIN NEUER ANFANG DER NEW ECONOMY VERTRAUENSVERLUST DER INVESTOREN DER KAPITALISTISCHE KRISENZYKLUS Summe

der Spiegel 13

FAZ

PD

5

XH 3

0

1

3

11

0

4

0

11

0 0

5

3

0

0

1

3

3

1

1

1

0

1

1

0

0

25

14

29

3

Aus der Tabelle 34 ist ersichtlich, dass in den untersuchten deutschen Medien Einigkeit darüber herrscht, dass die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH die wichtigste FOLGE des Platzens der „Dotcom-Blase“ ist. Im chinesischen Staatsmedium People’s Daily gelten jedoch GLOBALISIERUNGSSKEPSIS bzw. GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS als zwei wesentliche FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“. Die zwei FOLGEN-Prototypen REZESSION DER NEW ECONOMY und DER KAPITALISTISCHE KRISENZYKLUS spielen bei den chinesischen Medien gar keine Rolle.

4.3.3.3 FOLGEN der Weltfinanzkrise Die folgende Tabelle 35 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FOLGEN der Weltfinanzkrise (ab 2007):

98 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 35: Prototypen von FOLGEN der Weltfinanzkrise

Rang

Code/Prototypen

1

KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT

115

ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER

46

2 3 4 5 6

Codings

59 57

36 35

26

9

WELTREZESSION VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT

10

RÜCKKEHR DER REGULIERUNG

18

11

VERTRAUENSVERLUST IN DAS BANKENSYSTEM ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAHMEN GLOBALISIERUNGSSKEPSIS

14

7 8

12 13

33

24

12 4

Aus Tabelle 35 ist zu entnehmen, dass sich mit 115 Codings KRISE DES ANGLOAMEdominierender FOLGEN-Prototyp für die Weltfinanzkrise (ab 2007) im gesamten Untersuchungskorpus erweist. Im Vergleich mit den FOLGEN der Asienkrise (siehe Tabelle 27) und FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ (siehe Tabelle 33) werden hier zwei neue relevante FOLGENPrototypen gebildet: ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG und SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE. Beim ersten Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – ergibt sich eine Anzahl von 115 Codings im Untersuchungskorpus – 74 in den deutschen und 41 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 36). Dieser FOLGEN-Prototyp gilt bei der FAZ und bei der People’s Daily als die wichtigste FOLGE für die Weltfinanzkrise (siehe Tabelle 42). RIKANISCHEN KAPITALISMUS als

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

99

Tab. 36: KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS (115 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

23

FAZ

51

People’s Daily (Chinesisch)

29

Xinhua News Agency (Englisch)

12

Chinesische Medien

74

41

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS: 113. Die Finanzkrise bestätigt uns darin, dass unsere Kritik am Kapitalismus richtig war und ist. Man kann sagen: Dieses System fährt vor die Wand. Das sieht man jetzt sehr deutlich. (FAZ, 10.10.2008, „Der Neoliberalismus ist am Ende“) AKTEUR der verbalen Handlung: Franziska Drohsel, Juso-Vorsitzende, SPD 114. Der Turbokapitalismus ist tot. (FAZ, 19.10.2008, Die neue Sehnsucht nach einem New Deal) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 115. „Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn hier erlebt haben mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selber auf“, sagt etwa Steinbrück. (FAZ, 19.10.2008, In welchem Staat leben wir eigentlich? Neoliberal war die Politik in Deutschland nie) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister 116. In the context of failing to learn lessons from the crisis of 2009, capitalism, in its current form, no longer fits the world around us, said Klaus Schwab, founder and executive chairman of the World Economic Forum (WEF) here on Wednesday. (Xinhua News Agency, 18.01.2012, Capitalism in current form no longer fits world: WEF's Schwab) AKTEUR der verbalen Handlung: Klaus Schwab, Deutscher Ökonom, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums

100 | Diskurslinguistische Analyse

117. That means even among the adults, one out of five Americans prefer socialism. (Xinhua News Agency, 11.04.2009, Roundup: Economic crisis turns more Americans to pro socialism) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 118. 国际金融危机宣告了新自由主义的破产。 Deutsche Übersetzung: Die internationale Finanzkrise hat den Bankrott des Neoliberalismus erklärt. (People’s Daily, 30.07.2010, 揭开经济危机的底牌, dt. Die unterste Karte der Wirtschaftskrise wird aufgedeckt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN – wurden insgesamt 59 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen. Die meisten Rollenwerte (46 Codings) stammen aus dem Spiegel, bei dem dieser FOLGEN-Prototyp als die wichtigste FOLGE für die Weltfinanzkrise gilt (siehe Tabelle 42). In den anderen drei Medien wurden bei diesem Prototyp vergleichsweise weniger Textstellen kodiert (siehe Tabelle 37). Tab. 37: NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN (59 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Codings Insgesamt 46

FAZ

4

People’s Daily (Chinesisch)

5

Xinhua News Agency (Englisch)

4

Chinesische Medien

50

9

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

101

Beispiele für NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN: 119. Die Grünen bemängelten dagegen, dass den großen Worten auf den beiden vorbereitenden G-20-Treffen in Washington und London nun keine entsprechenden Taten gefolgt seien. „Das Casino bleibt bis auf weiteres offen“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Jürgen Trittin. (Der Spiegel, 28.09.2009, Wenig Begeisterung für G-20-Beschlüsse) AKTEUR der verbalen Handlung: Jürgen Trittin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen 120. Andererseits hat sich in der Wirklichkeit bisher nicht allzu viel verändert. In der amerikanischen Politik ist der Reformelan spürbar erlahmt. (Der Spiegel, 14.09.2009, Stärker als die Vernunft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 121. Es ist fast, als wäre nichts gewesen. Die alte Gier ist wieder da und die alte Hybris auch. (Der Spiegel, 23.11.2009, Wahnsinn 2.0) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 122. For any effort to strengthen financial regulation, it would just be another round of empty talks if it failed to accommodate the dire need for financial and economic security of emerging countries. (Xinhua News Agency, 23.03.2009, Commentary: Financial regulation never too much for sound global economy) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim dritten Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – AUSWIRKUNG AUF DIE GE– wurden insgesamt 57 Textstellen im Untersuchungskorpus kodiert. Die meisten Rollenwerte (27 Codings) stammen aus dem Spiegel. (siehe Tabelle 38).

SELLSCHAFT

102 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 38: AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT (57 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

27

FAZ

15

People’s Daily (Chinesisch)

13

Chinesische Medien

42

15 Xinhua News Agency (Englisch)

2

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT: 123. Der unverhüllte Kapitalismus ist allerdings ein Risiko für den Zusammenhalt der Gesellschaft; der Sozialhistoriker Nolte sieht die Gefahr einer gesellschaftlichen Depression. (Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier) AKTEUR der verbalen Handlung: Paul Nolte, Deutscher Historiker 124. „Aus dieser Depression kommen wir nie mehr raus.“ Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff und seine Kollegin Carmen Reinhart haben die Weltgeschichte der Finanzkrise seit achthundert Jahren und in über sechzig Ländern untersucht, und es stellt sich heraus: Es geht immer nach dem Muster von Gier und Angst. (FAZ, 21.12.2008, Nichts Neues unter der Sonne) AKTEUR der verbalen Handlung: Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart, USamerikanische Ökonomen 125. Es gibt viele solche Gesichter in diesen Tagen, überall auf der Welt, jedes Land hat seine eigenen, überall macht sich Wut breit und ohnmächtiger Zorn. (Der Spiegel, 16.02.2009, Schuld und Sühne) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 126. So unterschiedlich all diese Aktionen auch sind: Sie zeigen, dass und wie sich das gesellschaftliche Klima in den Zeiten der Finanzkrise verändert hat. Denn deren durchaus reale Auswirkungen sind längst bei den Bürgern angekommen, überall drohen Kurzarbeit oder Entlassungsrunden. Und überall wächst der Zorn auf diejenigen, die diese Krise heraufbeschworen haben. (Der Spiegel, 06.04.2009, Eine Form von Irrsinn) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

103

Beim vierten Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG – wurden insgesamt 46 Textstellen im Untersuchungskorpus kodiert. Die meisten Rollenwerte (21 Codings) stammen ebenfalls aus dem Spiegel. (siehe Tabelle 39). Tab. 39: ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG (46 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Codings Insgesamt 21

FAZ

9

People’s Daily (Chinesisch)

9

Xinhua News Agency (Englisch)

7

Chinesische Medien

30

16

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG: 127. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist überzeugt, dass die Finanzkrise ähnlich gravierende Folgen haben wird wie das Ende des Ost-West-Konflikts. „Die Finanzkrise wird die Welt so stark verändern wie der Fall der Mauer. Die Gewichte zwischen Amerika, Asien und Europa verschieben sich dramatisch. Und diese Entwicklung ist noch längst nicht zu Ende“, sagte Schäuble in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“. (FAZ, 23.11.2009, Schäuble vergleicht Finanzkrise mit Fall der Mauer) AKTEUR der verbalen Handlung: Wolfgang Schäuble, CDU, Finanzminister 128. Die Finanzkrise ist eine Zäsur. Sie hatte ihren Ursprung in der verantwortungslosen Verschuldung im Westen, der nun am meisten unter den Folgen leidet. Im Unterschied zu den vorherigen Finanzkrisen der Nachkriegszeit kann der Westen nicht mehr in der Rolle des Lehrmeisters auftreten. Ihm stehen jetzt selbstbewusste Länder wie China, Indien, Brasilien, Indonesien oder die Türkei gegenüber, die auf Basis wachsender und strukturell erneuerter Volkswirtschaften ihre Interessen durchzusetzen verstehen. Die neue Weltwirtschaftsordnung zeigt sich in der Reform des Internationalen Währungsfonds. Künftig sind neben den traditionellen G-7-Ländern die vier BRIC-

104 | Diskurslinguistische Analyse

Staaten Brasilien, Russland, Indien und China die elf größten Anteilseigner des IWF. (FAZ, 24.12.2010, Die Neuordnung der Welt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 129. Die jüngste Finanz- und Bankenkrise, so viel steht heute schon fest, wird die etablierten Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft erschüttern. (Der Spiegel, 28.01.2008, Der kranke Gorilla) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 130. „The new world order that will eventually emerge will not be dominated by the United States to the same extent as the old one. China may be able to take its place to some extent,“ Soros said. (Xinhua News Agency, 30.10.2009, Soros: China will emerge as winner from current econom) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 131. 金融危机是人类社会发展史上的一个重大历史事件,世界经济格局正处在 激烈的变动之中。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzkrise ist ein wichtiges historisches Ereignis in der Geschichte der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Die Weltwirtschaftsordnung befindet sich zurzeit in einem Prozess der drastischen Veränderung. (People’s Daily, 15.09.2009, 国际金融危机爆发一周年之际, dt. Zum Jahrestag des Ausbruchs der internationalen Finanzkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Shenming, Vize-Direktor der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) Beim fünften Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – SOZIALISIERUNG DER VERhandelt es sich um die FOLGE, dass die Bankenverluste zum Großteil von den Steuerzahlern getragen werden müssen. D. h. Gewinne werden privatisiert, aber Verluste sozialisiert. Dabei wurden insgesamt 36 Codings im Untersuchungskorpus vorgenommen – 28 Codings in den deutschen und nur 8 in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 40). LUSTE –

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

105

Tab. 40: SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE (36 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

19

FAZ

9

People’s Daily (Chinesisch)

5

Xinhua News Agency (Englisch)

3

Chinesische Medien

28

8

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE: 132. Die Banker kommen ungeschoren davon, auch die Aktionäre müssen kaum bluten. Aber die Zentralbanken oder der Staat müssen haften. Da kommt der alte Vorwurf in den Sinn: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. (FAZ, 18.05.2008, „Ich sehe keine Indizien für eine neue Weltwirtschaftskrise“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 133. „Sie [die Eliten] sind durch die Aussicht auf schnelle, sichere Profite hoch motiviert, während sich die Verluste stets auf eine sehr große Zahl von Individuen verteilen.“ Das ist exakt das Kalkül, das der Kongressausschuss bei Lehman Brothers vorfand. In der mittleren Verlustzone, so Diamond, verzichtet der Einzelne auf juristische Aktionen, weil er angesichts der Masse an Betroffenen gar keine Chance auf Entschädigung sieht. In der großen Verlustzone trifft es dann alle, aber nun ist der ohnehin schon geschädigte Staat praktisch gezwungen, systemstabilisierend tätig zu werden, auch wenn es ihn selbst an den Rand des Abgrunds führt. (FAZ, 11.10.2008, Was wird morgen sein) AKTEUR der verbalen Handlung: Jared Diamond, US-amerikanischer Evolutionsbiologe, Physiologe und Biogeograf 134. Es sei diese Privatisierung der Gewinne bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährde. (Der Spiegel, 06.04.2009, Eine Form von Irrsinn) AKTEUR der verbalen Handlung: Nikolaus Läufer, deutscher Ökonom

106 | Diskurslinguistische Analyse

135. Ang also expressed concern that government bailouts during the crisis could lead to moral hazard. (Xinhua News Agency, 24.09.2009, More efforts needed for stable world financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Andrew Ang, professor of finance and economics at Columbia University Beim sechsten Prototyp der FOLGEN der Weltfinanzkrise – NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER – handelt es sich um die FOLGE der Weltfinanzkrise, dass die armen Menschen der Entwicklungsländer – als „die unschuldigen Opfer“15 – unter der Weltfinanzkrise leiden müssen. Dabei wurden die meisten Rollenwerte (22 Codings) in den Texten der englischsprachigen chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua News Agency kodiert (siehe Tabelle 41). Tab. 41: NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDE (35 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

5

FAZ

2

People’s Daily (Chinesisch)

6

Chinesische Medien

7

28 Xinhua News Agency (Englisch)

22

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FOLGEN markiert sind: Beispiele für NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER: 136. The developing countries will suffer for no fault of theirs. They did not cause the contagion. Many are not well-equipped to face the consequences,“ Indian Finance Minister Palaniappan Chidambaram told the Development Committee of the IMF and the World Bank. (Xinhua News Agency, 14.10.2008, Roundup: Internationally coherent actions urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Palaniappan Chidambaram, Finanzminister Indiens

|| 15 Genannt von Joseph Stiglitz, dem US-amerikanischen Ökonom und Nobelpreisträger. Siehe Beispielsatz 34.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

107

137. Developing countries have been hit hard as well, even harder, by the crisis because their hard-won achievements in development have been nearly wiped out. Besides, poor nations would suffer a double blow, developing nations say. On the one hand, it would be more difficult for developing or poor nations to get financing in global financial markets as a result of capital flow to developed countries due to bailout measures. (Xinhua News Agency, 14.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 138. „They are being hard hit by the made-in-America crisis, as turmoil in the financial markets weakens economies worldwide, threatening vital trade,“ it said. „These countries deserve a voice in any long-term solution.“ (Xinhua News Agency, 14.10.2008, G20 summit: Great expectations, but will it deliver?) AKTEUR der verbalen Handlung: Institute of International Finance (IIF) Anhand der Auswertung zeigt sich, dass der FOLGEN-Prototyp NEGATIVE FOLGEN ENTWICKLUNGSLÄNDER und die FORDERUNG-Prototypen – UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER bzw. VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN – eng miteinander verbunden sind: FÜR

139. It would not work if these nations act only with their own interests in mind without taking into consideration those of developing countries, the innocent victims of this crisis, in overhauling the global financial system, analysts here say. (Xinhua News Agency, 17.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 140. To achieve sustainable globalization and eliminate poverty worldwide, developed countries should responsibly take into account the needs of their developing partners when rebuilding the world financial system, analysts say. (Xinhua News Agency, 14.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

108 | Diskurslinguistische Analyse

Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FOLGEN-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 42 dargestellt: Tab. 42: Prototypen von FOLGEN der Weltfinanzkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

PD

XH

1

KRISE

KAPITA-

23

51

29

12

2

NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT

46

4

5

4

27

15

13

2

ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄN-

21

9

9

7

19

9

5

3

5

2

6

22

3 4 5 6

DES ANGLOAMERIKANISCHEN LISMUS

DER

7 8 9 10 11 12

WELTREZESSION VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT RÜCKKEHR DER REGULIERUNG VERTRAUENSVERLUST IN DAS BANKENSYSTEM ZUNAHME PROTEKTIONISTISCHER MAßNAH-

8

8

9

8

11

2

12

1

6

8

8

2

1

13

3

1

5

8

1

0

2

1

4

5

MEN

13

GLOBALISIERUNGSSKEPSIS Summe

0

4

0

0

174

134

104

67

Aus dieser Tabelle geht hervor, dass im Diskurs keine Einigkeit darüber herrscht, welcher der wichtigste FOLGEN-Prototyp bei der Weltfinanzkrise ist. Beim Spiegel ist NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN der wichtigste FOLGEN-Prototyp, während sich bei der FAZ und bei der People’s Daily der FOLGEN-Prototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS als dominant erweist. In den Texten der englischsprachigen chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua News Agency gelten jedoch NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICK-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

109

als die wichtigsten FOLGEN der Weltfinanzkrise. Der FOLGENPrototyp GLOBALISIERUNGSSKEPSIS spielt bei den chinesischen Medien und beim Spiegel gar keine Rolle.

LUNGSLÄNDER

4.3.4 BEWERTUNG-Prototypen Als Antworten auf die Frame-spezifische Frage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns wurden beispielsweise folgende Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen) in den Medientexten ermittelt. Darauf basierend wurden folgende Prototypen für die BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns gebildet: Makro-Rahmen/Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Makro-Rolle, Prädikationstyp: BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen): – BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG – BEWERTUNG DER REGULIERUNG – BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION – BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION – BEWERTUNG DER TRANSFORMATION UND REFORMEN Für verschiedene Krisenperioden sind unterschiedliche BEWERTUNG-Prototypen von wesentlicher Bedeutung. In den folgenden Abschnitten werden repräsentative Beispiele aus den untersuchten Medien für die jeweils wichtigsten Prototypen präsentiert.

4.3.4.1 BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa Die folgende Tabelle 43 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa: Tab. 43: Prototypen von BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa

Rang

Code/Prototypen

1

BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION

2

Codings 51 25

110 | Diskurslinguistische Analyse

Rang

Code/Prototypen

3

BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

24

4

BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA BEWERTUNG DER TRANSFORMATION UND REFORMEN OSTEUROPA BEWERTUNG DER REGULIERUNG

22

5 6

Codings

12

IN

3

Beim ersten Prototyp der BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION – stammen die meisten Rollenwerte (31 Codings) aus dem Spiegel. Dieser BEWERTUNG-Prototyp gilt als wichtigster BEWERTUNG-Prototyp beim Spiegel (siehe Tabelle 49). In den chinesischen Medien wurden diesem Prototyp-Code weitaus weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 44). Tab. 44: BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION (51 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

31

FAZ

14

People’s Daily (Chinesisch)

4

Xinhua News Agency (Englisch)

2

Chinesische Medien

45

6

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION: 141. Unsere Wahl, den Weg der Perestroika zu gehen, ist richtig. (Der Spiegel, 01.12.1991, Wir haben Fehler gemacht) AKTEUR der verbalen Handlung: Michail Gorbatschow, Staatspräsident der Sowjetunion

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

111

142. Jelzins bisherige Reformvorstellungen, angefangen von Schatalins 500-TagePlan bis zu seinen jüngsten angekündigten Maßnahmen, sind allenfalls ehrgeizige Visionen, aber keine realistischen Umbau-Konzepte. (FAZ, 27.12.1991, Gorbatschow geht, Lenins Erbe bleibt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 143. Für eine optimistische Sicht steht Wassily Leontief, Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaft: Wenn ein Haus renoviert werde, lebe es sich in dieser Zeit schlechter darin als vorher und nachher; am besten ziehe man in ein Hotel und dann wieder in das eigene Haus. Er thematisiert also die An- und Abrüstkosten des Transformationsprozesses. Er setzt ihn gewissermaßen einem Auswechseln des Antriebsaggregats oder einem Tapetenwechsel gleich. (FAZ, 24.02.1990, Die Weltrevolution fällt aus) AKTEUR der verbalen Handlung: Wassily Leontief, Russischer Ökonom, Nobelpreisträger 144. 俄罗斯一度推行的“休克疗法”也以“一场浩劫”而告终。 Deutsche Übersetzung: Die von Russland betriebene „Schocktherapie“ endete auch in einer Katastrophe. (People’s Daily, 02.02.2012, “市场原教旨主义 ”行不通, dt. Ein „Marktfundamentalismus“ ist undurchführbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – stammen die meisten Rollenwerte (16 Codings) aus der FAZ, bei der sich dieser BEWERTUNG-Prototyp als dominant erweist (siehe Tabelle 49). In den anderen drei Medien wurden diesem Prototyp-Code weitaus weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 45). Tab. 45: BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (25 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel FAZ

Codings Insgesamt 2 16

People’s Daily (Chinesisch)

5

Xinhua News Agency (Englisch)

2

Chinesische Medien

18

7

112 | Diskurslinguistische Analyse

Wie aus Tabelle 45 ersichtlich ist, wurden bei diesem Prototyp-Code insgesamt 25 Codings in den untersuchten Medientexten zugewiesen – davon 13 negativ, 0 positiv und 12 neutral (siehe Tabelle 46): Tab. 46: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION

Medienname Deutsche Medien Chinesische Medien

Summe

Pos.

Neg.

Insg. 2

Der Spiegel

0

2

FAZ

0

5

5

People’s Daily (Chinesisch)

0

5

5

Xinhua News Agency (Englisch)

0

1

1

0

13

13

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für negative BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION: 145. Ebenso verwundert sind sie [Osteuropäer], daß sich auch die europäischen „Experten“ dem liberalistischen Extremismus der Amerikaner, der heute vor allem – oft nicht einmal ganz zu Recht – mit dem Namen des Professors Geoffrey Sachs in Zusammenhang gebracht wird, völlig unterordnen. Dabei hat in einigen Ländern, die sich durchaus „westlich“ und „kapitalistisch“ fühlen wie Frankreich, Österreich oder Italien, der Staat einen großen Anteil an der Wirtschaft, und das nicht im „Übergang“, sondern auf Dauer. (FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 146. Denn die Vorstellung westlicher Transformationstheoretiker, Demokratie bringe quasi automatisch eine rasche Wende zur Marktwirtschaft und damit Wachstumserfolge, hat sich als Illusion entpuppt. (FAZ, 03.05.1993, Rußland auf den chinesischen Weg?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

113

147. Keine Frage, wir alle haben die Schwierigkeiten unterschätzt. Die Wirtschaftsreformen stecken in einer Krise, die Bevölkerung ist schockiert. Dieser Schock soll nun durch Einfuhren westlicher Konsumwaren und von Lebensmitteln abgefedert werden. Für diese Importe hätten die Sowjets gern wieder Westkredite mit langen Rückzahlungsfristen. Das ist keine gesunde Entwicklung. (Der Spiegel, 21.05.1990, Völlig aus den Fugen geraten) AKTEUR der verbalen Handlung: Friedrich Wilhelm Christians, Vorstand der Deutschen Bank 148. 俄国曾按美国药方搞“休克疗法”,结果是“有休克、无治疗”。 Deutsche Übersetzung: Russland hat die „Schocktherapie“ nach amerikanischem Rezept durchgeführt, das Ergebnis lautet: Nur Schock, keine Heilung. (People’s Daily, 05.03.1999, 美式资本主义招怨, dt. Der amerikanische Kapitalismus ruft Abneigung hervor) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim dritten Prototyp der BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG – wurden insgesamt 25 Codings in den untersuchten Medientexten zugewiesen – davon 15 negativ und 0 positiv. Die meisten Rollenwerte (14 Codings) stammen aus der People’s Daily, bei der dieser als wichtigster BEWERTUNG-Prototyp gilt (siehe Tabelle 49). In den anderen drei Medien wurden diesem Prototyp-Code vergleichsweise weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 47). Tab. 47: BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG (25 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

4

FAZ

6

People’s Daily (Chinesisch)

10

14

Chinesische Medien

15 Xinhua News Agency (Englisch)

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind:

114 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG: 149. Westlicher Radikalismus bei östlichen Wirtschaftsreformen kann schädlich sein. (FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 150. Doch Premier Nikolai Ryschkow hält den Experten für „realitätsfremd“; dessen Rat, so schnell wie möglich zur Marktwirtschaft überzugehen, werde die UdSSR „ruinieren und begraben“. (Der Spiegel, 10.09.1990, Großer Bruch) AKTEUR der verbalen Handlung: Nikolai Ryschkow, Premier, Vorsitzender des Ministerrates der Sowjetunion 151. Diese Lektion haben die osteuropäischen Staaten, die nach der Wende zunächst ganz auf Deregulierung setzten, um überhaupt Märkte zu schaffen, nach schmerzhaften Erfahrungen gelernt. Eine Gesellschaft, die auf Egoismus ohne Moral setzt, versinkt in Anarchie. (Der Spiegel, 19.03.2012, „Gier ist der Anfang von allem“) AKTEUR der verbalen Handlung: Tomášder Sedláček, Tschechische Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater 152. Yet he also pointed out that price deregulation might lead to soaring prices when commodities are in short supply, and the shortage in supply is the result of the old system. This contradiction cannot be resolved in a short period, and long-term efforts are called for in addition to careful work in the reform. (Xinhua News Agency, 16.05.1989, Zhao highlights reforms at meeting with Gorbachev) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhao Ziyang, Premierminister der Volksrepublik China Beim vierten Prototyp der BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA – wurden insgesamt 22 Codings in den untersuchten Medientexten vorgenommen. Die meisten Rollenwerte (14 Codings) stammen aus dem Spiegel. In den anderen drei Medien wurden diesem Prototyp-Code vergleichsweise weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 48).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

115

Tab. 48: BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA (22 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

14

FAZ

6

People’s Daily (Chinesisch)

0

Xinhua News Agency (Englisch)

2

Chinesische Medien

20

2

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA: 153. Die wieder aktiven Reformfreunde halten Dengs großen Sprung in Richtung Kapitalismus für die letzte Chance vor dem Kollaps der Staatswirtschaft. (Der Spiegel, 02.03.1992, Vom Kapitalismus lernen) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 154. Mit einem fast schon göttlich entrückten Lächeln gibt der Architekt der funktionierenden Wirtschaftsreform im Staatssozialismus den Segen dazu. Einziger Grund: All das bringt Geld. (Der Spiegel, 31.08.1992, Die Sphinx von Shenzhen) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 155. Professor Nicholas Lardy, who teaches at the University of Washington in the united states, said that analysis of China's opening strategy shows that a noticeable difference exists between China's reform and that of the Soviet Union and other Eastern European countries, and that china has become a 'significant participant in the world economy.' the decentralization of trade authority, a reduction in the scope of the trade plan, a more realistic value for china's currency and the development of a substantial parallel market for foreign exchange have created a 'fundamental change' in China's traditional trade and payments policy, said Lardy. (Xinhua News Agency, 30.05.1991, Foreign scholars express views on China's reform) AKTEUR der verbalen Handlung: Nicholas Lardy, US-Ökonom

116 | Diskurslinguistische Analyse

Die Übersicht über die Verteilung der Codings von BEWERTUNG-Prototypen der Transformation in Russland und Osteuropa auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 49 dargestellt: Tab. 49: Prototypen von BEWERTUNG der Transformation in Russland und Osteuropa im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1

BEWERTUNG

DER

der Spiegel

REFORMEN

FAZ

XH

PD

SOWJET-

31

14

4

2

KRISENREAK-

2

16

5

2

DER

UNION

2

BEWERTUNG

DER WESTLICHEN

TION

3

BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

4

6

13

1

4

BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA BEWERTUNG DER TRANSFORMATION UND REFORMEN IN OSTEUROPA BEWERTUNG DER REGULIERUNG

14

6

0

2

2

5

4

1

0

0

3

0

Summe

53

47

29

8

5 6

Aus Tabelle 49 lässt sich ablesen, dass im Diskurs keine Einigkeit darüber herrscht, welche die wichtigste BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa ist. Beim Spiegel ist BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION der dominierende BEWERTUNG-Prototyp, während sich bei der FAZ BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION als wichtigste BEWERTUNG erweist. Bei der People’s Daily gilt jedoch BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG als der relevanteste BEWERTUNG-Prototyp im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa.

4.3.4.2 BEWERTUNG der Asienkrise Die folgende Tabelle 50 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die BEWERTUNG der Asienkrise:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

117

Tab. 50: Prototypen von BEWERTUNG der Asienkrise

Rang

Code/Prototypen

1

BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION BEWERTUNG DER REGULIERUNG BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

62

BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA

16

2 3 4 5

Codings

19 17

5

Im Vergleich mit den kodierten BEWERTUNG-Prototypen der Transformation in Russland und Osteuropa (siehe Tabelle 43) hat hier der BEWERTUNG-Prototyp BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION seine Wichtigkeit verloren. Stattdessen erweist sich der BEWERTUNG-Prototyp BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION als dominant. Im Folgenden werden die wichtigsten BEWERTUNG-Prototypen der Asienkrise an Beispielen erläutert. Beim ersten Prototyp der BEWERTUNG der Asienkrise – BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – stammen die meisten Rollenwerte (31 Codings) aus dem Spiegel. Dieser BEWERTUNG-Prototyp gilt als wichtigster BEWERTUNG-Prototyp beim Spiegel und bei der People’s Daily (siehe Tabelle 58). In der FAZ und in den untersuchten Artikeln der Xinhua News Agency wurden diesem Prototyp-Code weitaus weniger Codings zugeordnet (siehe Tabelle 51). Tab. 51: BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (62 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel FAZ People’s Daily (Chinesisch)

Codings Insgesamt 31 4

35

26

Chinesische Medien

27 Xinhua News Agency (Englisch)

1

Wie aus Tabelle 51 ersichtlich ist, wurden bei diesem Prototyp-Code insgesamt 62 Codings in den untersuchten Medientexten zugewiesen – davon 46 negativ und 6 positiv. Die meisten negativen BEWERTUNGEN stammen aus dem Spiegel und aus der People’s Daily (siehe Tabelle 52):

118 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 52: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION

Medienname Deutsche Medien Chinesische Medien

Summe

Pos.

Neg.

Insg.

Der Spiegel

2

21

23

FAZ

0

4

4

People’s Daily (Chinesisch)

4

20

24

Xinhua News Agency (Englisch)

0

1

1

0

46

52

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für positive BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION: 156. Dank der IWF-Reformen ist Asien bereits auf dem richtigen Weg. Gewiß, in jüngster Zeit nimmt die Kritik an den orthodoxen Liberalisierungsreformen des IWF zu. Aber ich halte nichts davon, den IWF übermäßig zu beanspruchen. Der IWF sollte an den strengen Auflagen gegenüber Entwicklungsländern festhalten. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede) AKTEUR der verbalen Handlung: Akiyoshi Horiuchi, Ökonom an der Universität Tokio 157. 对 正 处 于 经 济 萧 条 的 东 亚 国 家 而 言 , 从 短 期 来 看 , IMF 的药方是服“苦药”,但有助于长期的“健康”。 Deutsche Übersetzung: Für die in die Rezession gerutschten ostasiatischen Länder schmeckt die IWF-Medizin kurzfristig gesehen zwar bitter, aber diese kann zu langfristiger Gesundheit beitragen. (People’s Daily, 26.01.1998, 东亚 金融动荡引发的思考, dt. Betrachtung der südostasiatischen Finanzunruhe) AKTEUR der verbalen Handlung: Liu Zhenya, Vorsitzender von Shandong Electric Power Corporation Beispiele für negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION: 158. Der Weltwährungsfonds (IWF) hat in der Asienkrise die falsche Medizin verschrieben. (FAZ, 16.01.1998, Sachs: Falsche Medizin des IWF) AKTEUR der verbalen Handlung: Jeffrey Sachs, US-amerikanische Ökonom

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

119

159. „Die Europäer benehmen sich, als fände die Asienkrise auf einem anderen Planeten statt“, zitierte das „Asian Wall Street Journal“ einen Banker. (Der Spiegel, 19.01.1998, Schockwellen aus Fernost) AKTEUR der verbalen Handlung: ein Banker 160.Philippine foreign minister Domingo Siazon told the general assembly that the Bretton Woods Institutions, particularly the International Monetary Fund, are insufficient in containing the Asian financial crisis and restoring the health of affected economies. (Xinhua News Agency, 28.09.1998, International financial market urged to be reformed) AKTEUR der verbalen Handlung: Domingo Siazon, Außenminister der Philippinen 161. 他认为国际货币基金组织的一些传统做法已经“过时”,应该加以改变,因 为它现在提出的许多建议往往妨碍有关国家的经济发展。 Deutsche Übersetzung: Er vertritt die Meinung, dass die traditionellen Methoden des IWF bereits veraltet sind und verändert werden sollten. Denn viele Vorschläge des IWF verhindern die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder. (People’s Daily, 28.09.1998, 希拉克要求加强国际金融体制, dt. Chirac fordert Verstärkung der internationalen Finanzstruktur) AKTEUR der verbalen Handlung: Jacques René Chirac, Staatspräsident Frankreichs Beim zweiten Prototyp der BEWERTUNG der Asienkrise – BEWERTUNG DER REGULIERUNG – stammen die meisten Rollenwerte (11 Codings) aus dem Spiegel (siehe Tabelle 53). Tab. 53: BEWERTUNG DER REGULIERUNG (19 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

11

FAZ

0

People’s Daily (Chinesisch)

8

Xinhua News Agency (Englisch)

0

Chinesische Medien

11

8

120 | Diskurslinguistische Analyse

Wie aus Tabelle 53 ersichtlich ist, wurden bei diesem Prototyp-Code insgesamt 19 Codings in den untersuchten Medientexten zugewiesen – davon 7 negativ, 7 positiv. Die meisten positiven BEWERTUNGEN DER REGULIERUNG stammen aus der People’s Daily, während die meisten negativen BEWERTUNGEN DER REGULIERUNG aus dem Spiegel stammen (siehe Tabelle 54). Tab. 54: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER REGULIERUNG

Medienname Deutsche Medien

Pos.

Neg.

Insg.

Der Spiegel

2

6

11

FAZ

0

0

0

People’s Daily (Chinesisch)

5

1

8

Xinhua News Agency (Englisch)

0

0

0

7

7

19

Chinesische Medien Summe

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für positive BEWERTUNG DER REGULIERUNG: 162. Märkte können zum Beispiel ohne einen angemessenen Rechtsrahmen und einen Staat, der diesen auch durchsetzen kann, nicht funktionieren. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede?) AKTEUR der verbalen Handlung: Horst Köhler, Präsident der Osteuropabank 163. 过去 20 年的市场革命使政府的规模大大缩小了,但这并不意味着国家力量 的削弱。相反,政府现在应发挥的一项新职能就是确保市场机制有效和公 平合理地发挥作用。 Deutsche Übersetzung: Die Marktrevolution der vergangenen zwanzig Jahre lässt den Funktionsbereich der Regierung schrumpfen. Dies bedeutet jedoch nicht die Schwächung der Staatsmacht. Ganz im Gegenteil: Eine neue Funktion der Regierung sollte es sein, sicher zu stellen, dass die Marktmechanismen effizient und gerecht funktionieren. (People’s Daily, 08.08.1998, 从亚洲金融 危机看政府的作用, dt. Die Asienkrise: Zur Rolle der Regierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

121

Beispiele für negative BEWERTUNG DER REGULIERUNG: 164. Das ist jetzt wieder die Feuerwehr, die verhindert, daß spekulatives Geld in bestimmte Länder strömt oder von dort abfließt. Ich bin prinzipiell kein Freund davon. Die Kontrolle ist einfach zu schwierig. Es ist besser, dem Markt eine Orientierung zu geben und ihn dann laufenzulassen. (Der Spiegel, 12.10.1998, Eins auf die Nuß) AKTEUR der verbalen Handlung: Heiner Flassbeck, ökonomischer Berater von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 165. Wir müssen trotz der Krise die Stärke besitzen, schlechte Ideen zu vermeiden. Ein System von Kapitalkontrollen ist falsch. Die Probleme in den aufstrebenden Märkten kommen nicht von der Mobilität des Kapitals, sondern von der Kurzfristigkeit der Investitionen. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede?) AKTEUR der verbalen Handlung: Rudiger Dornbusch, US-Ökonom Beim dritten Prototyp der BEWERTUNG der Asienkrise – BEWERTUNG DER DEREGULIEstammen die meisten Rollenwerte (11 Codings) aus dem Spiegel und People’s Daily (siehe Tabelle 55).

RUNG –

Tab. 55: BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG (17 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

8

FAZ

1

People’s Daily (Chinesisch)

8

Xinhua News Agency (Englisch)

0

Chinesische Medien

9

8

Bei diesem Prototyp-Code wurden insgesamt 17 Codings in den untersuchten Medientexten zugewiesen – davon 13 negativ, 2 positiv. Die negative BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG erweist sich im Diskurs als dominant (siehe Tabelle 56).

122 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 56: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

Medienname Deutsche Medien Chinesische Medien

Pos.

Neg.

Insg.

Der Spiegel

2

5

7

FAZ

0

1

1

People’s Daily (Chinesisch)

0

7

7

Xinhua News Agency (Englisch)

0

0

0

2

13

15

Summe

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für positive BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG: 166. Die Politik, so das Credo der Chicago-Boys [Milton Friedman], solle sich so weit wie möglich aus der Wirtschaft heraushalten. Der entfesselte Markt werde es schon richten – er sei effizienter als der überforderte Staat. (Der Spiegel, 30.09.1996, Wie ein Staubsauger) AKTEUR der verbalen Handlung: Milton Friedman, US-Ökonom, Nobelpreisträger Beispiele für negative BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG: 167. Die asiatische Krise habe deutlich gemacht, daß rasche Liberalisierung ohne ein gesundes, robustes Banken- und Finanzsystem von Übel sei. (FAZ, 26.02.1998, Die Volksrepublik China kann ohne Abwertung überleben) AKTEUR der verbalen Handlung: Bruce Murray, Programmdirektor für China in der Asiatischen Entwicklungsbank 168. 国际金融自由化并不能自动地带来经济的可持续发展和人类社会的进步。 Deutsche Übersetzung: Die internationale Finanzliberalisierung kann nicht automatisch eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Fortschritte der menschlichen Gesellschaft mit sich bringen. (People’s Daily, 16.04.1998, 联合 国开发计划署强调各国加强金融管理, dt. Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen betont die Stärkung der Finanzverwaltung aller Staaten) AKTEUR der verbalen Handlung: Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

123

Beim vierten Prototyp der BEWERTUNG der Asienkrise – BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION – stammen die meisten Rollenwerte (11 Codings) aus der englischsprachigen chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua News Agency. Dieser BEWERTUNG-Prototyp spielt bei den deutschen Medien gar keine Rolle (siehe Tabelle 57). Tab. 57: BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION (16 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

0

FAZ

0

People’s Daily (Chinesisch)

5

Chinesische Medien

0

16 Xinhua News Agency (Englisch)

11

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION: 169. China received real recognition both for its active engagement in providing „tangible assistance“ to help regional economies recover, and for its willingness to make the „tough decision“ not to devalue its currency, he added.(Xinhua News Agency, 09.06.1998, George Bush says Asian economy will recover soon) AKTEUR der verbalen Handlung: George W. Bush, Präsident der Vereinigten Staaten 170. He said that since the outbreak of the Asian financial crisis, China has introduced measures to stimulate and promote domestic demand, and at the same time has paid attention to actually lessening the role of these measures, which is the right way to develop the economy. „The major economic measures adopted by the Chinese government, including the foreign exchange rate policy, have proved very successful,“ he said, adding that these measures not only helped stabilize and develop the domestic economy, but have also contributed significantly to the recovery of the Asian economy. (Xinhua News Agency, 20.05.1999, IMF official optimistic about China's economic prospects) AKTEUR der verbalen Handlung: Flemming Larsen, Vize-Direktor der Forschungsabteilung beim IWF

124 | Diskurslinguistische Analyse

Die Übersicht über die Verteilung der Codings von BEWERTUNG-Prototypen der Asienkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 58 dargestellt: Tab. 58: Prototypen von BEWERTUNG der Asienkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3 4 5

der Spiegel

FAZ

PD

XH

BEWERTUNG DER WESTL. KRISENREAKTION BEWERTUNG DER REGULIERUNG BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

31

4

26

1

11

0

8

0

8

1

8

0

BEWERTUNG DER CHI. KRISENREAKTION BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA

0

0

5

11

3

2

0

0

Summe

53

7

47

12

Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, dass im Diskurs Einigkeit darüber herrscht, dass BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION der wichtigste BEWERTUNG-Prototyp bei der Asienkrise ist. In den deutschen Medientexten wurde beim BEWERTUNG-Prototyp BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION gar keine Coding vorgenommen, während in den chinesischen Medientexten für die BEWERTUNG DER WIRTSCHAFTSREFORMEN IN CHINA keine Textstelle kodiert wurde.

4.3.4.3 BEWERTUNG der Weltfinanzkrise Die folgende Tabelle 59 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die BEWERTUNG der Weltfinanzkrise (ab 2007): Tab. 59: Prototypen von BEWERTUNG der Weltfinanzkrise

Rang

Code/Prototypen

1

3

BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION BEWERTUNG DER REGULIERUNG BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

4

BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION

2

Codings 87 64 41 6

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

125

Im Folgenden werden die drei wichtigsten BEWERTUNG-Prototypen der Weltfinanzkrise anhand von Beispielen erläutert. Ähnlich wie bei den BEWERTUNGPrototypen der Asienkrise (vgl. Tabelle 50) erweist sich BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION bei der Weltfinanzkrise ebenfalls als der wichtigste Prototyp. Dabei handelt es sich um die Bewertung der Krisenreaktionen von Politikern und Bankern sowie die Bewertung der zugehörigen Rettungsaktivitäten und Krisenmanagements von Staat, Notenbanken, Geschäftsbanken und Aufsichtsbehörden. Hier wurden insgesamt 87 Textstellen in den untersuchten Medientexten kodiert – davon 51 in den deutschen und 36 in den chinesischen Medien (siehe Tabelle 60). Tab. 60: BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (87 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

20

FAZ

31

People’s Daily (Chinesisch)

23

Xinhua News Agency (Englisch)

13

51

Chinesische Medien

36

Aus der Tabelle 61 ist zu entnehmen, dass sich negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION im Diskurs als dominierend erweist:

Tab. 61: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Pos. Neg.

Insg.

1

11

12

11

14

25

People’s Daily (Chinesisch)

1

17

18

Xinhua News Agency (Englisch)

0

7

7

13

49

62

FAZ Chinesische Medien Summe

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind:

126 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für positive BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION: 171. Erstens haben die Regierungen überall auf der Welt klar gezeigt, dass sie entschlossen handeln können und werden, um die globale Nachfrage zu stimulieren und die Stabilität des Finanzsektors zu bewahren. Letzteres dient nicht dazu, Bankmanagern aus der Not zu helfen, sondern die Arbeitsplätze und Ersparnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu sichern und zu verhindern, dass Betriebe vor dem Aus stehen. Ein rascher Kollaps des Finanzsystems wurde abgewendet, und es besteht kein Zweifel daran, dass es weiterhin unsere oberste Priorität bleiben muss, die Stabilität der Finanzinfrastruktur und die Belebung des Kreditflusses zu gewährleisten. (FAZ, 18.03.2009, Die Chance jetzt ergreifen) AKTEUR der verbalen Handlung: Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland (CDU) und Jan Peter Balkenende, Ministerpräsident der Niederlande 172. Wir sind dankbar für das schnelle und entschlossene Eingreifen der Staaten und Zentralbanken in der Finanzkrise. (Der Spiegel, 05.10.2009, Es hat alles einen Preis) AKTEUR der verbalen Handlung: Josef Ackermann, Vorstand der Deutschen Bank 173. 美国政府的金融救助方式值得借鉴。 Deutsche Übersetzung: Die Rettungsaktionen der US-Regierung sind lernenswert. (People’s Daily, 13.10.2008, 这场危机对中国金融业的影响如何, dt. Auswirkung der Krise auf Chinas Finanzbranche) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Beispiele für negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION: 174. [Ich misstraue] Den Rettungsaktionen nicht, aber ihrer langfristigen Wirkung. Sie bringen neue, zweifelhafte Grundsätze ins Finanzsystem hinein. So werden mit Leichtigkeit per Dekret hergebrachte Buchführungsstandards ausgehebelt. Der globale Aktionismus erschwert die Voraussehbarkeit des staatlichen und wirtschaftlichen Handelns sehr. (FAZ, 17.10.2008, „Das war die letzte Rettung“) AKTEUR der verbalen Handlung: Konrad Hummler, Privatbank Wegelin & Co.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

127

175. Dabei wurde die Krise bisher nur verlangsamt, nicht gestoppt. Der Krankheitserreger steckt weiter im System. Die staatlichen Hilfsgelder wirken wie Antibiotika. Sie unterdrücken die zerstörerische Wirkung des Erregers. Aber sie heilen nicht. (Der Spiegel, 14.09.2009, Der Erreger lebt weiter) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 176. The EU, together with the United States, has acted so far for the sake of their own interests, first at national level, then at the EU level. It would not work if these nations act only with their own interests in mind without taking into consideration those of developing countries, the innocent victims of this crisis, in overhauling the global financial system, analysts here say. (Xinhua News Agency, 17.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 177. Die derzeitige Art der Krisenbekämpfung schafft doch sogar neue Risiken. Jetzt wissen die Banker, dass die Regierung ihnen unter die Arme greift, wenn alles schiefläuft. Ökonomen nennen das „moral hazard“, den Anreiz zu rücksichtslosem Verhalten, weil es nicht bestraft wird. (Der Spiegel, 14.09.2009, Stärker als die Vernunft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 178. 他日前批评美国政府,认为其解决金融危机的方法并不正确,并指出贸易 保护主义是影响全球经济前景的头号负面因素。 Deutsche Übersetzung: Er [Soros] kritisierte vor einigen Tagen die USRegierung und meinte, dass die Methoden ihres Krisenmanagements nicht richtig sind. Er zeigte auch auf, dass der Handelsprotektionismus den negativsten Einfluss auf die globale Wirtschaftsperspektive habe. (People’s Daily, 25.03.2010, “金融大鳄”与金融监管, dt. Der „Finanzguru“ und die Finanzregulierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Beim zweiten Prototyp der BEWERTUNG der Weltfinanzkrise – BEWERTUNG DER REGULIERUNG – wurden in den deutschen Medien mehr Codings vorgenommen als in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 62).

128 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 62: BEWERTUNG DER REGULIERUNG (64 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

18

FAZ

28

People’s Daily (Chinesisch)

10

46

Chinesische Medien

18 Xinhua News Agency (Englisch)

8

Dabei wurden insgesamt 64 Codings in den untersuchten Medientexten vorgenommen – davon 19 negativ und 25 positiv (siehe Tabelle 63): Tab. 63: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER REGULIERUNG

Medienname Deutsche Medien

Pos. Neg.

Insg.

8

3

11

10

10

20

People’s Daily (Chinesisch)

6

1

7

Xinhua News Agency (Englisch)

1

5

6

25

19

44

Der Spiegel FAZ

Chinesische Medien Summe

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für positive BEWERTUNG DER REGULIERUNG: 179. Wachstum und Produktivität sind heute nicht höher als in den sechziger Jahren, als die Gewinne der Banken niedriger, die Finanzmärkte weniger komplex und viel stärker reguliert waren. Der Wohlstandsgewinn wurde damals sogar gleicher und gerechter verteilt. (FAZ, 18.05.2008, „Ich sehe keine Indizien für eine neue Weltwirtschaftskrise“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

129

180. „Von da an zählte der Spekulant mehr als der Unternehmer, der Rentier mehr als der Arbeitnehmer. Ohne die Eingriffe der Staaten wäre in der jüngsten Krise alles zusammengebrochen.“ (FAZ, 28.01.2010, Sarkozy will neues Weltwährungssystem) AKTEUR der verbalen Handlung: Nicolas Sarkozy, Staatspräsident der Französischen Republik 181. Die wechselseitige Abhängigkeit von Kapital und Staat ist doch in der Krise offenkundig geworden. Ohne staatliche Hilfe wäre das Finanzsystem zusammengebrochen, und dann wären auch die Regierungen am Ende. (Der Spiegel, 19.03.2012, „Gier ist der Anfang von allem“) AKTEUR der verbalen Handlung: Tomášder Sedláček, Tschechische Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater Beispiele für negative BEWERTUNG DER REGULIERUNG: 182. Auch andere Erfahrungen mit der Regulierung weisen darauf hin, dass Regulierung kein Allheilmittel ist. Sie kann durchaus neue Fehlanreize in das System bringen. (FAZ, 25.10.2008, Ein Regelwerk für die Finanzmärkte) AKTEUR der verbalen Handlung: Horst Siebert, Deutscher Ökonom, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 183. On the other, financial innovation should not be negated following the financial crisis. Excessive regulation can only throttle economic vitality. After all, market forces are the fundamental driving force of economic development. (Xinhua News Agency, 15.09.2009, News Analysis: Don't waste chance for reflecting on global financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Chen Zhiwu, US-Ökonom chinesischer Herkunft Beim dritten Prototyp der BEWERTUNG der Weltfinanzkrise – BEWERTUNG DER DE– stammen die meisten Fillers aus den untersuchten deutschen Medientexten (siehe Tabelle 64).

REGULIERUNG

130 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 64: BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG (41 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

14

FAZ

19

People’s Daily (Chinesisch)

7

Xinhua News Agency (Englisch)

1

33

Chinesische Medien

8

Insgesamt wurden 41 Textstellen als BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG im Untersuchungskorpus kodiert – davon 29 negative und 10 positive (siehe Tabelle 65): Tab. 65: POSITIVE VS. NEGATIVE BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

Medienname Deutsche Medien

Pos. Neg.

Insg.

Der Spiegel

4

9

13

FAZ

5

13

18

People’s Daily (Chinesisch)

1

6

7

Xinhua News Agency (Englisch)

0

1

1

10

29

39

Chinesische Medien Summe

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code BEWERTUNG markiert sind: Beispiele für positive BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG: 184. Auch China und Indien haben ihre Finanzmärkte dereguliert, und das hat zweifellos zu ihrem Wachstum beigetragen. Mit der weiteren Entwicklung ihrer Realwirtschaft werden sie sicher weiter deregulieren und daraus neuen Nutzen ziehen. (FAZ, 18.05.2008, „Ich sehe keine Indizien für eine neue Weltwirtschaftskrise“) AKTEUR der verbalen Handlung: Josef Ackermann, Vorstand der Deutschen Bank 185. Das provokante Ergebnis: Menschen in Staaten, die ihre Finanzmärkte liberalisiert haben und im Zuge dessen auch genötigt und bereit waren, regelmäßig Finanzkrisen zu erdulden, haben ein langfristig höheres Pro-Kopf-Einkommen

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

131

erzielt als Länder, die ihre Finanzmärkte geschützt haben. (FAZ, 29.03.2009, Ist der Kapitalismus noch zeitgemäß?) AKTEUR der verbalen Handlung: Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Beispiele für negative BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG: 186. Unregulierter Markt führt zu Abgründen zwischen Arm und Reich und zum Ausschluss breiter Schichten von Arbeit, gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. (FAZ, 02.07.2007, Die sichtbare Hand) AKTEUR der verbalen Handlung: Jürgen Trittin, früherer Bundesumweltminister (Bündnis 90/Die Grünen) 187. Once again, the market proved vulnerable to a situation leading to a suicidal path without efficient regulation. (Xinhua News Agency, 23.03.2009, Commentary: Financial regulation never too much for sound global economy) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 188. 过于放松金融监管,欲以此达到加强资本市场竞争力的目标无异于南辕北 辙。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzderegulierung mit dem Ziel der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Kapitalmarkt ist nicht anders als eine ihren eigenen Interessen entgegenlaufende Handlung. (People’s Daily, 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die Übersicht über die Verteilung der Codings von BEWERTUNG-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 66 dargestellt:

132 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 66: Prototypen von BEWERTUNG der Weltfinanzkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

PD

XH

1

BEWERTUNG DER WESTL. KRISENREAKTION

20

31

23

13

2

BEWERTUNG DER REGULIERUNG

18

28

10

8

3

BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG

14

19

7

1

4

BEWERTUNG DER CHI. KRISENREAKTION

3

0

2

1

Summe

55

78

42

23

Aus Tabelle 66 lässt sich ablesen, dass im Diskurs weitgehende Übereinstimmung darüber herrscht, dass die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – ähnlich wie bei der Asienkrise – die dominierende BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist. Darüber hinaus erweist sich dieser BEWERTUNG-Prototyp bei allen vier untersuchten Medien als der wichtigste Prototyp.

4.3.5 FORDERUNG-Prototypen Als Antworten auf die Frame-spezifische Frage nach FORDERUNG für die Zukunft wurden beispielsweise folgende Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen) in den Medientexten ermittelt. Darauf basierend wurden folgende Prototypen für die FORDERUNG gebildet: Makro-Rahmen/Matrixframe EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE Makro-Rolle, Prädikationstyp: FORDERUNG für die Zukunft Rollenwerte (nominalisierte Prädikationen): – ABBAU DES PROTEKTIONISMUS – DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE – GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION – KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER – REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS/BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

– – – – – – –

|

133

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG WIEDERGEWINNUNG DES VERTRAUENS IN WIRTSCHAFT UND POLITIK WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG

Für verschiedene Krisenperioden sind unterschiedliche FORDERUNG-Prototypen von wesentlicher Bedeutung. In den folgenden Abschnitten werden repräsentative Beispiele aus den untersuchten Medien für die jeweils wichtigsten Prototypen präsentiert.

4.3.5.1 FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa Die folgende Tabelle 67 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa: Tab. 67: Prototypen von FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa

Rang Code/Prototypen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

REFORM UND WESTÖFFNUNG LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG ABBAU DES PROTEKTIONISMUS GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE NEUE WELTORDNUNG STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL

Codings 115 60 26 17 16 10 4 3 2 2 2

Beim ersten Prototyp der FORDERUNG im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa – REFORM UND WESTÖFFNUNG – handelt es sich um die radikalen Forderungen des Umbaus, um die Forderungen nach extremer Privatisierung und sofortiger Einführung des marktwirtschaftlichen Kapitalismus, sowie um

134 | Diskurslinguistische Analyse

die Forderungen nach schrittweiser Transformation usw. Dieser FORDERUNGPrototyp erweist sich als dominant im gesamten Diskurs, wobei in den chinesischen Medien eher weniger ausgeprägt ist als in den deutschen Medientexten. Die meisten Rollenwerte stammen aus dem Spiegel (siehe Tabelle 68). Tab. 68: REFORM UND WESTÖFFNUNG (115 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

57

FAZ

29

People’s Daily (Chinesisch)

86

2

Chinesische Medien

29 Xinhua News Agency (Englisch)

27

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für REFORM UND WESTÖFFNUNG: 189. „So schnell wie möglich den Kapitalismus einführen.“ Das war – nach den ersten freien Wahlen in Ungarn seit der Machtübernahme der Kommunisten – die Antwort des Wahlsiegers, Professor Jozsef Antall, des Vorsitzenden des Demokratischen Forums Ungarn und heutigen Präsidenten Ungarns, auf die Frage, was nun das Wichtigste sei. (FAZ, 29.09.1990, Unter Schmerzen zum Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Jozsef Antall, Ministerpräsident Ungarns 190. Die Transformation kann nur ganz und mit höchstmöglicher Geschwindigkeit verwirklicht werden, eine graduelle Reformpolitik ist schmerzhafter und auf Dauer wenig erfolgreich…„Auf allen Ebenen muss man die maximale Geschwindigkeit erreichen“, fordert Balcerowicz. Das gelte für alle Reformstaaten. (FAZ, 29.12.1992, In Polen ist die Privatisierung weit fortgeschritten) AKTEUR der verbalen Handlung: Leszek Balcerowicz, früherer Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident Polens 191. 李鹏总理在政府工作报告中强调,我们要进一步解放思想,大胆创新,把 改革开放的步子迈得更大一些。

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

135

Deutsche Übersetzung: Der Premierminister Li Peng betonte im Arbeitsbericht der Regierung, dass wir das Denken weiter befreien, kühne Innovationen vorantreiben und größere Schritte zu Reform und Öffnung unternehmen sollten. (People’s Daily, 21.03.1992, 改革开放的步子迈得更大一些, dt. Größere Schritte zu Reform und Öffnung unternehmen) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China 192. Ich habe mir in Moskau und auch bei Kollegen im Westen manche Rüge eingehandelt, weil ich immer wieder gemahnt habe, den Prozeß langsamer, systematischer zu vollziehen. Die Perfektion, die ihr erreichen wollt, habe ich meinen sowjetischen Gesprächspartnern gesagt, können eure Menschen so schnell nicht schaffen. (Der Spiegel, 21.05.1990, Völlig aus den Fugen geraten) AKTEUR der verbalen Handlung: Friedrich Wilhelm Christians, Vorstand der Deutschen Bank Beim zweiten Prototyp der FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS – handelt es sich um die Forderungen nach Einführung kapitalistischer Mittel und Verfahrensweisen. In den deutschen Medientexten wurden ebenfalls mehr relevante Textstellen kodiert als in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 69). Tab. 69: LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS (60 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

24

FAZ

21

People’s Daily (Chinesisch)

7

Xinhua News Agency (Englisch)

8

Chinesische Medien

45

15

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind:

136 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS: 193. Mit seinem Überraschungsangriff aus dem Süden, der mit einem Paukenschlag in der Pekinger „Volkszeitung“ endete, hat Deng ein Tabu gebrochen, das seit dem Massaker in Peking niemand mehr anzutasten wagte: die Vorteile des Kapitalismus zu nennen und ihre Anwendung in China zu fordern. (FAZ, 14.03.1992, Deng und der Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Deng Xiaoping, Vorsitzender der Zentralen Militärkommissionen 194. Chinas Parteichef Jiang Zemin hat den Reformaufruf des Altpolitikers Deng Xiaoping unterstützt und dazu aufgefordert, vom Kapitalismus zu lernen. […] Er wiederholte die Aufforderung des Altpolitikers, China solle sich schneller reformieren und sich die nützlichen Dinge des Kapitalismus zu eigen machen. Es sei nicht notwendig, abstrakt darüber zu diskutieren, ob eine wirtschaftliche Maßnahme kapitalistisch oder sozialistisch sei, sagte der Parteichef unter Bezug auf Deng Xiaoping. Ferner machte der Parteichef deutlich, daß die chinesische Führung weiter nicht gewillt sei, Reform und Öffnung auch in ideologischen Fragen zuzulassen. Bei der Einführung „kapitalistischer Dinge“ handelt es sich nach Jiangs Erklärung um Technologie, Kapital und moderne Managementmethoden. (FAZ, 22.05.1992, „Vom Kapitalismus lernen“) AKTEUR der verbalen Handlung: Jiang Zemin, Staatspräsident der Volksrepublik China 195. Die Konstruktionszeichnungen für den notwendigen Umbau, die Entwürfe für eine freie und soziale Marktwirtschaft müssen aus dem Westen übernommen werden. (FAZ, 27.12.1991, Gorbatschow geht, Lenins Erbe bleibt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 196. Socialist countries should carry out reforms in the light of their own realities, he said. While conducting reforms, he added, china has always attached importance to adherence to the socialist direction, and to practising a combination of planned economy and market regulation, to bring the advantages of the two into full play. (Xinhua News Agency, 03.07.1990, Li Peng sums up China’ s reform experience) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

137

197. 利用资本主义还包括在国内适当发展资本主义经济,作为社会主义经济的 有益补充。 Deutsche Übersetzung: Nutzen des Kapitalismus beinhaltet die angemessene Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in China als sinnvolle Ergänzung zur sozialistischen Wirtschaft. (People’s Daily, 23.02.1992, 对外开放和利用资 本主义, dt. Öffnung nach Außen und Nutzen des Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim dritten Prototyp der FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE – stammen die meisten Fillers aus den Medientexten der englischsprachigen chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua News Agency. Dieser FORDERUNG-Prototyp ist in den untersuchten deutschen Medientexten viel weniger bemerkenswert als in den chinesischen Medientexten (siehe Tabelle 70). Tab. 70: REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (26 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

3

FAZ

3

People’s Daily (Chinesisch)

5

Chinesische Medien

6

20 Xinhua News Agency (Englisch)

15

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 198. Freilich redet er nicht einem völlig ungezügelten Kapitalismus das Wort; vielmehr müsse der Staat für die richtigen Regulationen, Einschränkungen und Ergänzungen vor allem im sozialen Bereich sorgen. (FAZ, 20.12.1993, „Den armen Ländern helfen nur Kapitalismus und Marktwirtschaft“) AKTEUR der verbalen Handlung: William Ryrie, Chef der Internationalen Finanzgesellschaft

138 | Diskurslinguistische Analyse

199. Strengthen the construction of the overall readjustment and control system by further reforming the systems of planning, finance and banking, and finally set up the kind of the overall regulation and control system that combines a planned economy with market regulation. (Xinhua News Agency, 29.10.1991, Senior official on six major economic reform tasks in 1990s) AKTEUR der verbalen Handlung: Gao Shangquan, Vizeminister der staatlichen Kommission für die Umstrukturierung der Wirtschaft 200.The guidelines of reform are as follows: […] follow a policy of combining economic planning with market regulation, so that the regulatory advantages of both may be given full play, and encourage some areas and people to become rich before others, while encouraging them to help the less prosperous ones, with the aim of gradually achieving common prosperity. (Xinhua News Agency, 30.01.1992, Chinese premier's speech at annual meeting of World Economic Forum) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China Beim vierten Prototyp der FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG – stammen die meisten Fillers aus dem Spiegel und aus den Texten der Xinhua News Agency (siehe Tabelle 71). Tab. 71: WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG (17 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

9

FAZ

1

People’s Daily (Chinesisch)

0

Xinhua News Agency (Englisch)

7

Chinesische Medien

10

7

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

139

Beispiele für WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG: 201. Schließlich genüge es nicht, einfach Geld in diese Staaten zu pumpen; der Westen müsse vor allem Experten, technisches Wissen und gezielte Ausbildungshilfen bereitstellen. (FAZ, 23.05.1991, Der Aufbau Osteuropas dauert Jahrzehnte) AKTEUR der verbalen Handlung: „The Transformation of Economies in Central and Eastern Europe: Issues, Progress and Prospects“, Studie der Weltbank 202. Was die Sowjetunion jetzt braucht, ist ein glaubhaftes Umstrukturierungskonzept. Aufgrund eines solchen Plans könnte internationale Hilfe gewährt werden. (Der Spiegel, 09.07.1990, Die können es packen) AKTEUR der verbalen Handlung: Horst Siebert, Deutscher Ökonom, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 203.Kohl said the generous aid program, which had U.S. president George Bush's full support, aimed to help Commonwealth of Independent States (cis) republics help themselves. The west should do everything in its power to help these republics continue economic reforms, check economic decline and create functioning market economies, he said. The offer was also an incentive to successfully implement brave reform programs, especially in Russia, he added. (Xinhua News Agency, 01.04.1992, G-7 offers Russia 24 billion Dollar aid package) AKTEUR der verbalen Handlung: Helmut Kohl, Bundeskanzler Beim fünften Prototyp der FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa – SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG – handelt es sich um die Forderung nach der Einführung des Modells der Sozialen Marktwirtschaft. Die meisten konkreten Füllwerte stammen aus der FAZ. Dieser FORDERUNG-Prototyp spielt in den chinesischen Medien fast keine Rolle (siehe Tabelle 72).

140 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 72: SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG (16 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel FAZ

2 13

People’s Daily (Chinesisch)

0

Xinhua News Agency (Englisch)

1

15

Chinesische Medien

1

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG: 204. Aus alledem sollten wir bei uns und in Europa den Schluß ziehen: Die Soziale Marktwirtschaft ist der „dritte Weg“, der zugleich die Fehler und Mängel eines ungebändigten Kapitalismus wie auch und erst recht einer sozialistischen Planwirtschaft vermeidet und den modernen Industriegesellschaften eine funktionsfähige, wohlstandsmehrende und zugleich menschenwürdige Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung beschert. Es gibt dazu keine Alternative, die Suche danach kann eingestellt werden. (FAZ, 03.03.1990, Ein Modell macht Karriere) AKTEUR der verbalen Handlung: Otto Schlecht, Deutscher Ökonom 205. Ich bin ständig auf der Suche nach einem Namen für diesen Begriff, der seiner Tiefe und seiner Kürze nach dem entsprechen könnte, was Ludwig Erhard erfunden hat. Ich meine die soziale Marktwirtschaft. Ich würde nur einige Buchstaben ergänzen: sozialistische Marktwirtschaft. (Der Spiegel, 13.08.1990, Die Leute haben Angst) AKTEUR der verbalen Handlung: Leonid Abalkin, Sowjetischer Vizepremier Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FORDERUNG-Prototypen der Transformation in Russland und Osteuropa auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 73 zusammengefasst:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

141

Tab. 73: Prototypen von FORDERUNG der Transformation in Russland und Osteuropa im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

der Spiegel

FAZ

XH

PD

1

REFORM UND WESTÖFFNUNG

57

29

2

2

LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE

24

21

7

8

3

3

3

5

15

4

WESTLICHE HILFE UND UNTERSTÜTZUNG

9

1

0

7

5

SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG ABBAU DES PROTEKTIONISMUS GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERA-

2

13

0

1

2

5

1

2

0

0

0

4

1

0

1

1

0

2

0

0

0

0

1

1

0

0

2

0

98

74

19

66

6 7

TION

8

VERANTWORTUNGSÜBERNAHME LICHEN INDUSTRIESTAATEN

9

DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE NEUE WELTORDNUNG STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL

10 11

Summe

DER WEST-

27

Aus Tabelle 73 ist ersichtlich, dass im Diskurs Einigkeit darüber herrscht, dass REFORM UND WESTÖFFNUNG die dominante FORDERUNG im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa ist. Darüber hinaus wurde LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS auch von den untersuchten Medien beider Länder für notwendig erklärt. In den deutschen Medien erweist sich die FORDERUNG nach SOZIALER MARKTWIRTSCHAFT als relevanter, während in den chinesischen Medien FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE als ein bedeutender Prototyp gilt.

4.3.5.2 FORDERUNG der Asienkrise Die folgende Tabelle 74 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FORDERUNG der Asienkrise:

142 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 74: Prototypen von FORDERUNG der Asienkrise

Rang Code/Prototypen

Codings

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS REFORM UND WESTÖFFNUNG

111

38

7

VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN

8

WIEDERGEWINNUNG DES VERTRAUENS IN WIRTSCHAFT UND POLITIK

10

9

ABBAU DES PROTEKTIONISMUS UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER ASIATISCHE WERTE, KEIN USA-STANDARD

7

DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL

5

1 2 3 4 5 6

10 11 12 13

65 48

31 18 16

7 5

3

Im Vergleich mit den kodierten FORDERUNG-Prototypen der Transformation in Russland und Osteuropa (siehe Tabelle 67) haben hier die FORDERUNGPrototypen REFORM UND WESTÖFFNUNG bzw. LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS ihre Relevanz verloren. Stattdessen erweisen sich die FORDERUNG-Prototypen – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – als definitiv dominant. Im Folgenden werden die fünf wichtigsten FORDERUNGPrototypen der Asienkrise an Beispielen erläutert. Beim ersten Prototyp der FORDERUNG der Asienkrise – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE – stammen die meisten Fillers aus dem chinesischen Staatsmedium People’s Daily. Es handelt sich um Forderungen nach besserer Bankenaufsicht, nach Reform der Finanzaufsicht bzw. nach Währungskontrollen und Kapitalkontrollen usw. Dieser FORDERUNG-Prototyp gilt als der wichtigste Prototyp bei People’s Daily und beim Spiegel (siehe Tabelle 75).

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

143

Tab. 75: REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (111 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel FAZ

Codings Insgesamt 34 2

People’s Daily (Chinesisch)

61

Xinhua News Agency (Englisch)

14

Chinesische Medien

36

75

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 206. Aber so, wie es jetzt funktioniert, ist das System nicht in Ordnung. Finanzmärkte brauchen Aufsicht und Kontrollen. Davon möchte ich die Welt überzeugen. (Der Spiegel, 14.12.1998, Die Märkte sind amoralisch) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 207.He [Lu] urged financial centers to establish sound and efficient financial institution system, financial market mechanism, and financial monitoring and supervisory framework. . (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, Chairman of the International Financial Centers Association 208. The leaders voiced strong support to the full implementation of the International Monetary Fund's (IMF) reform programs and stressed that policies should be implemented in an „open, transparent, and non-discriminatory manner.“ They called for a strengthened capacity of the IMF to respond to financial difficulties „in a timely and decisive manner,“ an enhanced and more transparent global IMF surveillance system, and strengthened cooperation, regulation and supervision in financial sectors. (Xinhua News Agency, 03.04.1998, ASEM leaders issue statement on asian financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: ASEM leaders

144 | Diskurslinguistische Analyse

209. 金融自由化不应完全排除政府干预。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzliberalisierung sollte staatliche Interventionen nicht vollständig ausschließen. (People’s Daily, 30.09.1998, 过度投机 害自己, dt. Übermäßige Spekulationen schaden einem selbst) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 210. 加强金融监管。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzregulierung muss gestärkt werden. (People’s Daily, 18.11.1997, 货币危机宏观危机银行危机, dt. Währungskrise, Makrokrise, Bankenkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der FORDERUNG der Asienkrise – REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – stammen die meisten Fillers ebenfalls aus der People’s Daily (siehe Tabelle 76). Es handelt sich um Forderungen nach Reform des internationalen Finanzsystems, wie z. B.: Umbau des Weltwährungssystems, Umbau internationaler Finanzinstitutionen sowie Schaffung neuer Finanzinstitutionen usw. Tab. 76: REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS (65 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel FAZ People’s Daily (Chinesisch)

Codings Insgesamt 13 6

19

37

Chinesische Medien

46 Xinhua News Agency (Englisch)

9

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind:

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

145

Beispiele für REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS: 211. Wir müßten meines Erachtens eine nichtkommerzielle Institution finden, die den Ländern an der Peripherie Kredite gibt. Der Marktmechanismus ist nicht geeignet, Kapital in einem Land für ein anderes bereitzustellen. Augenblicklich gibt es kein Kapital für die bedürftigen Länder. Deshalb müßte diese neue Institution Liquidität direkt in die Länder der Peripherie pumpen. (Der Spiegel, 14.12.1998, Die Märkte sind amoralisch) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 212. Heute hat der IWF keinerlei Funktion mehr, er hat viel Schaden angerichtet. Deshalb glaube ich, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, ihn abzuschaffen. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede) AKTEUR der verbalen Handlung: Milton Friedman, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 213. 维护世界金融安全,应当建立新的世界金融体制,加强国际合作,形成大 家都能接受的公平合理的全球金融监管机制和资本交易的国际规则。 Deutsche Übersetzung: Um die Weltfinanzsicherheit zu schützen, sollte ein neues Weltfinanzsystem aufgebaut werden. Die internationalen Kooperationen sollten gestärkt werden, damit ein faires und angemessenes, für alle akzeptables, globales Finanzmarktregulierungssystem und internationale Regeln des Kapitalverkehrs gebildet werden können. (People’s Daily, 21.10.1998, 经济全球化呼唤金融安全, dt. Die Globalisierung der Wirtschaft fordert Finanzsicherheit) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim dritten Prototyp der FORDERUNG der Asienkrise – REFORM UND WESTÖFFhandelt es sich um Forderungen nach Reformen des Finanzwesens und der Wirtschaftsstruktur, nach Reformen des Sozialsystems sowie nach schrittweiser Liberalisierung und Westöffnung.

NUNG –

146 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 77: REFORM UND WESTÖFFNUNG (48 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

11

FAZ

14

People’s Daily (Chinesisch)

25

6

Chinesische Medien

23 Xinhua News Agency (Englisch)

17

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für REFORM UND WESTÖFFNUNG: 214. China müsse wesentlich mehr für die Öffnung seiner Märkte tun. Die Öffnung der Märkte liege in Chinas eigenem Interesse und werde zu seiner Entwicklung beitragen, hob Santer mehrfach hervor. (FAZ, 31.10.1998, Santer fordert China zu Marktöffnung auf) AKTEUR der verbalen Handlung: Jacques Santer, Präsident der EUKommission 215. Die Asem-Staaten fordern von den von der Krise betroffenen Regierungen energische Reformen sowohl des Finanz- als auch des Sozialsystems. Einseitigkeiten müßten hier aber unbedingt vermieden werden. Ziel müsse der Erhalt oder die Schaffung bezahlbarer sozialer Sicherheitsnetze zugunsten der Armen sein. (FAZ, 04.04.1998, Asem-Gipfel beschließt Einrichtung eines Treuhandfonds) AKTEUR der verbalen Handlung: Asem-Staaten 216. Allerdings müssen die Reformen in Indonesien auf vier Beinen stehen: Das Banksystem muss modernisiert und für Ausländer geöffnet werden, die privaten Kreditgeber müssen freiwillig die Schulden umschichten, und die Regierung muss eine neue Wirtschaftspolitik anschieben. Das ist soweit geschehen. Aber das Land muss auch die Nachfolge von Präsident Suharto klären. Solange dieses vierte Bein fehlt, wird der Tisch wackelig sein. (Der Spiegel, 02.02.1998, Sie hofften auf ein Wunder) AKTEUR der verbalen Handlung: Michel Camdessus, Direktor des IWF

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

147

217. Financial markets in developing or transitional economies should be opened step by step in line with the economic development stage of those countries. „The opening of capital market should be extremely prudent,“ warned Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association. (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association 218. „If the Asian financial crisis has taught us anything, then it must surely be that the globalization and liberalization of markets require stronger, not weaker, domestic systems,“ he told the conference, whose theme is Hong Kong and Asia: Strategies for recovery. He noted that, as a positive outcome of the Asian financial crisis, economies all over the region were taking important steps toward reforming their financial systems. These reforms should leave Asia's financial systems in a much healthier condition and make them more resilient in the face of future financial crisis and more capable of exploiting new opportunities, he said. (Xinhua News Agency, 16.06.1999, Asian recovery should be balanced, sustainable) AKTEUR der verbalen Handlung: Beamter in Hongkong Beim vierten Prototyp der FORDERUNG der Asienkrise – VORBEUGUNG UND ABWEHR RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG – stammen die meisten Fillers ebenfalls aus der People’s Daily. Dieser FORDERUNG-Prototyp gilt in den untersuchten deutschen Medientexten als irrelevant (siehe Tabelle 78). VON

Tab. 78: VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG (38 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

3

FAZ

0

People’s Daily (Chinesisch)

3

29

Chinesische Medien

35 Xinhua News Agency (Englisch)

6

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind:

148 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG: 219. 这次危机所表现出来的连锁反应提醒人们,在分享经济全球化带来的好处 的同时,必须注意防范与之俱来的风险。 Deutsche Übersetzung: Die Kettenreaktion dieser Krise hat die Menschen darauf hingewiesen, dass man darauf achten muss, den Risiken der Finanzglobalisierung vorzubeugen, während man die Vorteile der Wirtschaftsglobalisierung nutzt. (People’s Daily, 22.08.1998, 东南亚金融危机研究述要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Chinesische Ökonomen 220. 去年爆发的东南亚金融动荡,使人们认识到强化现代金融风险管理的迫切 性。 Deutsche Übersetzung: Die südostasiatische Finanzunruhe letzten Jahres hat auf die Dringlichkeit der Stärkung des modernen Finanzrisikomanagements hingewiesen, (People’s Daily, 26.01.1998, 东亚金融动荡引发的思考, dt. Betrachtung der südostasiatischen Finanzunruhe) AKTEUR der verbalen Handlung: Qin Chijiang, Experte bei der Chinesischen Volksbank 221. China should take effective measures to prevent and ward off financial risks, according to a signed article in today's People’s Daily. „China's overall financial order is good but some financial risks have begun to crop up,“ the article by Wang Yu said. (Xinhua News Agency, 25.12.1997, Article calls for measures to prevent financial risks) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) der People’s Daily Beim fünften Prototyp der FORDERUNG der Asienkrise – GLOBALE KOORDINIERUNG stammen die meisten Fillers auch aus der People’s Daily. Für diesen FORDERUNG-Prototyp wurden in den untersuchten deutschen Medientexten nur wenige Textstellen kodiert (siehe Tabelle 79). UND KOOPERATION –

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

149

Tab. 79: GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION (31 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

3

FAZ

1

People’s Daily (Chinesisch)

4

19

Chinesische Medien

27 Xinhua News Agency (Englisch)

8

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION: 222. Die Europäer betonten bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Solidarität mit den betroffenen Ländern. Gemeinsam werde man die Krise überwinden können. Das sei nur auf der Grundlage freien Handels möglich. (FAZ, 06.04.1998, Europäer zeigen sich mit Asien solidarisch) AKTEUR der verbalen Handlung: Europäer 223. Chinese premier Li Peng said here today that China and countries of the Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) need to strengthen coordination and cooperation in the financial field. „We should intensify our coordination and cooperation in the field of finance and step up the exchange of information so as to ward off international financial speculation,“ Li told Singaporean businessmen in a speech. (Xinhua News Agency, 26.08.1997, Li calls for China- ASEAN financial cooperation) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China 224. 各国还应建立共同的金融防范机制和特别救汇基金,加强合作,互相支援, 共同对付货币投机活动。 Deutsche Übersetzung: Alle Staaten sollten gemeinsame Mechanismen zur finanz- und wirtschaftspolitischen Überwachung sowie Rettungsfonds etablieren, die Zusammenarbeit verstärken, sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam Maßnahmen gegen Währungsspekulation ergreifen. (People’s Daily, 16.09.1997, 吸取教训振兴经济, dt. Lehren aus der Krise ziehen und die Wirtschaft beleben) AKTEUR der verbalen Handlung: Thailandischer Ökonom

150 | Diskurslinguistische Analyse

Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FORDERUNG-Prototypen der Asienkrise auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 80 dargestellt: Tab. 80: Prototypen von FORDERUNG der Asienkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE

2

REFORM

DES INTERNATIONALEN

der Spiegel

FINANZ-

SYSTEMS

3

REFORM UND WESTÖFFNUNG

4

VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERA-

5

TION

6 7 8

9 10 11 12 13

WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN WIEDERGEWINNUNG DES VERTRAUENS IN WIRTSCHAFT UND POLITIK ABBAU DES PROTEKTIONISMUS UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER ASIATISCHE WERTE, KEIN USA-STANDARD DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL Summe

FAZ

PD

XH

34

2

61

14

13

6

37

9

11

14

6

17

3

0

29

6

3

1

19

8

5

0

9

4

0

0

12

4

1

3

4

2

0

2

5

0

1

0

6

0

2

0

0

3

1

1

3

0

1

0

0

2

75

29

191

69

Aus Tabelle 80 lässt sich ablesen, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE der wichtigste FORDERUNG-Prototyp der Asienkrise ist. In den chinesischen Medien wurden im Vergleich zu den deutschen Medien deutlich mehr konkrete Füllwerte für die FORDERUNG-Prototypen gefunden, wie z. B. für FORDERUNG nach VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG, für GLOBALE KOORDINIE-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

151

KOOPERATION, für VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN sowie für UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER. RUNG UND

4.3.5.3 FORDERUNG des Platzens der „Dotcom-Blase“ Die folgende Tabelle 81 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FORDERUNG beim Platzen der „Dotcom-Blase“: Tab. 81: Prototypen von FORDERUNG beim Platzen der „Dotcom-Blase“

Rang

Code/Prototypen

1

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS

2 3 4 5 6

DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄN-

Codings 15 13 7 5 4 2

DER

7

ABBAU DES PROTEKTIONISMUS

1

Aus Tabelle 81 lässt sich ablesen, dass der FORDERUNG-Prototyp REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE – ähnlich wie bei der Asienkrise – als die wichtigste FORDERUNG beim Platzen der „Dotcom-Blase“ gilt. Die FORDERUNG nach REFORM UND WESTÖFFNUNG spielt in dieser Krisenperiode gar keine Rolle mehr. Stattdessen ist die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL die zweitdominante FORDERUNG. Im Folgenden werden repräsentative Beispiele aus den einschlägigen Medien für die jeweils wichtigsten Prototypen präsentiert. Beispiele für REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 225. Damit der Neue Markt doch noch zum Qualitätsmarkt wird, muss die Börsenaufsicht mehr Biß und Schärfe zeigen. (FAZ, 06.03.2002, Zweite Chance für den Neuen Markt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

152 | Diskurslinguistische Analyse

226. Ich bin zum Beispiel mit Helmut Schmidt einer Meinung, dass die internationalen Finanzmärkte dringend eine Regelung brauchen. (Der Spiegel, 31.07.2000, Positive Zerstörung) AKTEUR der verbalen Handlung: Kurt Biedenkopf, Sächsischer Ministerpräsident 227. Aber man darf nicht, wie die Neoliberalen es wollen, alles dem Markt überlassen, sondern wir brauchen zusätzlich neue Institutionen, die Regeln setzen. (Der Spiegel, 30.07.2001, „Globalisierung von unten“) AKTEUR der verbalen Handlung: Sven Giegold, Mitbegründer von AttacDeutschland, Bündnis 90/Die Grünen Beispiele für STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL: 228. Einige Prinzipien für einen neuen moralischen Rahmen könnten dann wie folgt lauten. Erstens: Die bewußte Übernahme von Risiken, um an Innovation und Wachstum zu partizipieren, ist erwünscht, notwendig und lobenswert. Dazu darf aber nicht einfach nur ermuntert werden, sondern es gilt auch, die Risiken geschäftspolitisch unter Kontrolle zu halten.[…] Zweitens: Transparenz ist die wichtigste Tugend. Innovation ist kaum zu finanzieren, wenn die echten Risiken versteckt oder verharmlost werden. Deswegen ist Transparenz ein moralischer Imperativ für die „New Economy“. (FAZ, 12.03.2002, Das verdammte Wirtschaftswunder und die Rückkehr des Dr. Mabuse) AKTEUR der verbalen Handlung: Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG und Hans Joachim Voth, deutscher Ökonom 229. Es bedarf einer Börsen- und Anlegerkultur, in der nicht Gier, sondern Altersvorsorge das zentrale Motiv ist und in der nicht biedere Anleger in hochriskante Börsensegmente gejagt werden, die eigentlich den Profis vorbehalten sein sollten. (FAZ, 03.01.2003, Pioniere, Goldgräber und Raubritter – eine Ära wird beerdigt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 230.Rau forderte die Wirtschaftsführer auf, nicht länger eine Gewinnmaximierung um den Preis des Abbaus von Arbeitsplätzen zu betreiben. (FAZ, 06.09.2001, Rau warnt vor den Folgen der Globalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Johannes Rau, Bundespräsident

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

153

Beispiele für REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS: 231. Die gegenwärtige Weltordnung ist nicht nur mörderisch und absurd, wie wir gesehen haben. Sie bedeutet einen Zivilisationsbruch. Sie bedroht die Werte der Aufklärung, die Idee der Volkssouveränität, den Gesellschaftsvertrag, die Selbstbestimmung des Menschen als einziges Subjekt der Geschichte. […] Erst mal wissen wir, was wir abschaffen wollen: Auflösung des IWF, Auflösung der WTO, Aufhebung der Off-shore-Plätze, der Steuerparadiese, der Bankgeheimnisse. Abschaffung der Unabhängigkeit der Zentralbanken. Anerkennung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. (FAZ, 26.01.2003, „Der Kapitalismus ist wie eine Feuersbrunst“) AKTEUR der verbalen Handlung: Jean Ziegler, Schweizer Soziologe 232. [Und was ist die dritte Kernforderung?] Ein neues Weltfinanzsystem. Gerade für die Schwellenländer sind Finanzkrisen massive Risikofaktoren. Deshalb ist die vom Währungsfonds durchgesetzte generelle Öffnung der Kapitalmärkte falsch. (Der Spiegel, 30.07.2001, „Globalisierung von unten“) AKTEUR der verbalen Handlung: Sven Giegold, Mitbegründer von AttacDeutschland, Bündnis 90/Die Grünen Beispiele für DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE: 233. Eine Regierung kann viel leisten, indem sie einen Rahmen für das Wirtschaften schafft und Standards festlegt. Dazu zählen Eigentumsrechte und deren Durchsetzung. Darüber hinaus muss sie nicht viel tun; das regeln die Märkte selbst. (FAZ, 01.11.2002, „Den Homo oeconomicus habe ich noch nicht getroffen“) AKTEUR der verbalen Handlung: Vernon Smith, US-Ökonom, Nobelpreisträger 234. Sollen an diesem Wohlstand alle partizipieren, müssen wir im wohlverstandenen Sinne neoliberal werden. (FAZ, 28.08.2000, Wir müssen „neoliberal“ werden) AKTEUR der verbalen Handlung: Rainer Brüderle, deutscher Politiker der FDP

154 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS: 235. Der Kapitalismus ist ein gefräßiges Raubtier. Dieses System müsse man angreifen, hart und laut, notfalls mit Gewalt. (FAZ, 26.01.2003, „Der Kapitalismus ist wie eine Feuersbrunst“) AKTEUR der verbalen Handlung: Jean Ziegler, Schweizer Soziologe Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FORDERUNG-Prototypen beim Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 82 dargestellt: Tab. 82: Prototypen von FORDERUNG beim Platzen der „Dotcom-Blase“ im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2 3

4 5 6

7

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL REFORM DES INT. FINANZSYSTEMS, NEUE WELTFINANZORDNUNG

der Spiegel

FAZ

XH

PD

4

8

3

0

2

11

0

0

2

5

0

0

0

4

1

0

2

2

0

0

2

0

0

0

ABBAU DES PROTEKTIONISMUS

0

1

0

0

Summe

12

31

4

0

EINE

DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT, BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER

Die Tabelle zeigt, dass bei der Krisenperiode der „Dotcom-Blase“ in den chinesischen Medien deutlich weniger treffende Äußerungen vorkommen, die als FORDERUNG kodiert wurden. Dies liegt darin begründet, dass bei dieser Krisenperiode der übrige solide Wirtschaftsbereich in China nicht berührt war. Die wirtschaftlichen Folgen schienen nur begrenzt zu sein und die übrige Wirtschaft schien dabei kaum involviert.

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

155

4.3.5.4 FORDERUNG der Weltfinanzkrise Die folgende Tabelle 83 zeigt eine Liste der im Untersuchungskorpus kodierten Prototypen für die FORDERUNG der Weltfinanzkrise (ab 2007): Tab. 83: Prototypen von FORDERUNG der Weltfinanzkrise

Rang Code/Prototypen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Codings

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION

370

UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG

101

ABBAU DES PROTEKTIONISMUS KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS, BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS WIEDERGEWINNUNG DES VERTRAUENS IN WIRTSCHAFT UND POLITIK DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG

172 122

96 60 50 48 37 28 15 15 5

Aus Tabelle 83 geht hervor, dass sich die FORDERUNG-Prototypen REGULIERUNG FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – ähnlich wie bei der Asienkrise und beim Platzen der „Dotcom-Blase“ – als überwiegend erweisen. Weiterhin ist ersichtlich, dass die FORDERUNG-Prototypen GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION bzw. UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER während der globalen Finanzkrise erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Im Folgenden werden repräsentative Beispiele aus den untersuchten Medien für die fünf wichtigsten FORDERUNG-Prototypen der Weltfinanzkrise präsentiert. Beim ersten Prototyp der FORDERUNG der Weltfinanzkrise – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE – handelt es sich um die FORDERUNGEN nach mehr Staat, nach Reform der Finanzaufsicht sowie nach strenger globaler Regulierung usw. Mit 370 Codings erweist sich dieser FORDERUNG-Prototyp als eindeutig dominant im gesamten Untersuchungskorpus (siehe Tabelle 84). DER

156 | Diskurslinguistische Analyse

Tab. 84: REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (370 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Der Spiegel

Codings Insgesamt 77

FAZ

113

People’s Daily (Chinesisch)

62

Chinesische Medien

190

180 Xinhua News Agency (Englisch)

118

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE: 236. Transparenz, Verantwortlichkeit und sorgfältige Aufsicht müssen gestärkt werden. (FAZ, 26.11.2008, Der Aufschwung kann nicht warten) AKTEUR der verbalen Handlung: Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland (CDU) und Nicolas Sarkozy, Staatspräsident der Französischen Republik 237. In an article co-authored by British Prime Minister Gordon Brown and French President Nicolas Sarkozy, which was published on the Wall Street Journal on Thursday, the two European leaders called for a global regulation. „This crisis has made us recognize that we are now in an economy which is no longer national but global, so financial standards must also be global,“ they said. „It is clear the action that must be taken must be at a global level.“ „We need to enhance coordination at the global level so that foreign exchange volatility does not create a risk to the recovery.“ (Xinhua News Agency, 12.12.2009, News Analysis: U.S. financial regulatory overhaul still faces major hurdles) AKTEUR der verbalen Handlung: Gordon Brown, Premierminister des Vereinigten Königreichs und Nicolas Sarkozy, Staatspräsident der Französischen Republik 238. Wenn das Eigeninteresse bestimmte Grenzen überschreitet, bedroht es die Marktwirtschaft. Eine funktionierende Gesellschaft ruht auf drei Säulen: Moral oder Anstand, Wettbewerb und Konkurrenz, Regulierung und staatliche Rahmenbedingungen. Je schwächer die Moral ausgebildet ist, desto stärker muss der Staat eingreifen. (Der Spiegel, 19.03.2012, „Gier ist der Anfang von allem“) AKTEUR der verbalen Handlung: Tomášder Sedláček, Tschechische Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

157

239. 各国和各经济体应当从管理系统性风险的角度实施监管,并通过加强协调 来逐步完善监管体系。当然,加强监管并不意味着因噎废食,不是片面追 求金融业稳定而拒绝开放和创新 […] 关键在于把握自由化和金融管制之间 的平衡。 Deutsche Übersetzung: Alle Länder und Volkswirtschaften sollten Finanzmärkte aus der Perspektive der Verwaltung von Systemrisiken heraus regulieren und durch die Koordinierung allmählich das Regulierungssystem verbessern. Freilich bedeutet Stärkung der Regulierung nicht „Essen aufhören aus Angst vor dem Ersticken“. Sie ist nicht das einseitige Streben nach Finanzstabilität mit Offenheit- und Innovationsverweigerung. […] Es ist von entscheidender Bedeutung, Liberalisierung und Regulierung der Finanzmärkte ins Gleichgewicht zu bringen. (People’s Daily, 06.11.2008, 呼唤公平合理的国际 金融新秩序, dt. Forderung nach einer fairen und angemessenen neuen internationalen Finanzordnung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beim zweiten Prototyp der FORDERUNG der Weltfinanzkrise – REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – handelt es sich um FORDERUNGEN nach einer Reform des Weltwährungssystems bzw. nach einer Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen usw. Die meisten Fillers stammen aus den Medientexten der Xinhua News Agency (siehe Tabelle 85). Tab. 85: REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS (172 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

14

FAZ

31

People’s Daily (Chinesisch)

35

Xinhua News Agency (Englisch)

92

Chinesische Medien

45

127

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind:

158 | Diskurslinguistische Analyse

Beispiele für REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS: 240. Die Einrichtung einer Weltzentralbank hat die päpstliche Kommission „Gerechtigkeit und Frieden“ vom bevorstehenden G-20-Gipfel gefordert. Die vom Vatikan vorgeschlagene Institution soll die Finanzmärkte überwachen und für die Einhaltung von Grundregeln sorgen, die einen „minimalen Grundkonsens“ der Weltwirtschaft darstellen sollten. Die Logik der neu zu schaffenden Finanzbehörde entspreche derjenigen bei der Gründung des Weltwährungsfonds und der Währungsabkommen von Bretton Woods, die inzwischen ihre Bedeutung verloren hätten. (FAZ, 25.10.2011, Vatikan fordert Weltzentralbank) AKTEUR der verbalen Handlung: Der Vatikan, die päpstliche Kommission „Gerechtigkeit und Frieden“ 241. Der Weltbankpräsident plädierte für eine Neuordnung der globalen Finanzarchitektur, an der die Schwellen- und Entwicklungsländer ein großes Mitspracherecht haben müssten. „Wir müssen das multilaterale System modernisieren und Stimmen wie der brasilianischen mehr Gehör verschaffen.“ (FAZ, 10.11.2008, Schwellenländer fordern Einfluss auf Finanzsystem) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Zöllick, Präsident der Weltbank 242. China on Monday called on the international community to further advance the international financial system reform, and to build a new and more equal and balanced global partnership for development. „China hopes that the international community will work together to further advance the reform of the international financial system and move toward the establishment of a fair, just, inclusive and well-managed international financial order,“ President Hu Jintao said in his written interview with the Wall Street Journal and the Washington Post prior to his state visit to the United States. (Xinhua News Agency, 17.01.2011, China calls for further advancing int'l financial system reform) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China Beim dritten Prototyp der FORDERUNG der Weltfinanzkrise – GLOBALE KOORDINIEKOOPERATION – handelt es sich um FORDERUNGEN nach einer globalen Reaktion auf die Weltfinanzkrise bzw. nach mehr Kooperation und einer engen internationalen Zusammenarbeit zur Bewältigung der Finanzkrise. Für diesen FORDERUNG-Prototyp wurden in den chinesischen Medientexten viel mehr

RUNG UND

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

159

Codings als in den deutschen vorgenommen. Die meisten Fillers stammen auch aus den Medientexten der Xinhua News Agency (siehe Tabelle 86). Tab. 86: GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION (122 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

8

FAZ

13

People’s Daily (Chinesisch)

32

Xinhua News Agency (Englisch)

69

Chinesische Medien

21

101

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION: 243. Was wir sicher brauchen, ist eine wirksamere Finanzmarktregulierung, und da bedarf es internationaler Zusammenarbeit. Es sollte aber nicht zu einer Kontrolle kommen, die die Innovationskraft völlig erlahmen lässt. (FAZ, 29.03.2009, „Wir haben uns alle einlullen lassen“) AKTEUR der verbalen Handlung: John Lipsky, IWF-Vizechef 244. „Die Welt benötigt eine koordinierte Reaktion auf die Krise“, fordert der Berliner Ökonom Michael Burda. (Der Spiegel, 30.03.2009, Gipfel am Abgrund) AKTEUR der verbalen Handlung: Michael Burda, deutscher Ökonom 245. It needs to cooperate with both developed and emerging countries to get over the current crisis, as it has spilled over the world. (Xinhua News Agency, 12.10.2008, News Analysis: Why G20 shows up vital amid global financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 246.„As long as we strengthen confidence and work together, we will tide over the difficulties and achieve our shared goals,“ said the Chinese president. (Xinhua News Agency, 02.04.2009, Chinese president calls for concerted efforts to tide over crisis at G20 London summit) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China

160 | Diskurslinguistische Analyse

Beim vierten Prototyp der FORDERUNG der Weltfinanzkrise –UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER – handelt es sich um FORDERUNGEN nach mehr Unterstützung für Entwicklungsländer bzw. nach einer größeren Beteiligung der Entwicklungsländer an den Entscheidungsmechanismen der Weltwirtschaft usw. Dieser Anspruch ist in den deutschen Medien jedoch kaum ausgeprägt. Die meisten Fillers stammen auch aus den Medientexten der Xinhua News Agency (siehe Tabelle 87). Tab. 87: UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER (101 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

1

FAZ

8

People’s Daily (Chinesisch)

26

Xinhua News Agency (Englisch)

66

Chinesische Medien

9

92

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER: 247. Der Weltbankpräsident plädierte für eine Neuordnung der globalen Finanzarchitektur, an der die Schwellen- und Entwicklungsländer ein großes Mitspracherecht haben müssten. „Wir müssen das multilaterale System modernisieren und Stimmen wie der brasilianischen mehr Gehör verschaffen.“ (FAZ, 10.11.2008, Schwellenländer fordern Einfluss auf Finanzsystem) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Zöllick, Präsident der Weltbank 248.The document says emerging economies led by China and India should be given more say in the Group of Eight (G8) industrialized countries, a rich countries' club which dominates the IMF and other international financial institutions. „Further reform of the G8 should be considered to make this group more inclusive of emerging countries,“ says the document, adding that „further association of emerging and developing countries is essential“ to increase legitimacy of institutions like the IMF. (Xinhua News Agency, 03.11.2008, Roundup: Eurozone finance ministers to meet on global financial reform) AKTEUR der verbalen Handlung: EU leaders

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

|

161

249.President Hu also called for international efforts to help developing countries and the least developed countries cope with the global financial crisis.[…] It is necessary to help developing countries maintain financial stability and economic growth, sustain and increase assistance to developing countries, and maintain economic and financial stability in developing countries, he said. (Xinhua News Agency, 17.11.2008, Roundup: Chinese president calls for concerted efforts to tide over financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China Beim fünften Prototyp der FORDERUNG der Weltfinanzkrise – STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL – handelt es sich um FORDERUNGEN nach moralischer und sozialer Verantwortung von Bankern sowie nach einem moralisch erneuerten ethischen Kapitalismus usw. Dieser FORDERUNG-Prototyp erweist sich sowohl in den deutschen als auch in den chinesischen Medien als relevant (siehe Tabelle 88). Tab. 88: STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL (96 Codings)

Medienname Deutsche Medien

Codings Insgesamt

Der Spiegel

28

FAZ

29

People’s Daily (Chinesisch)

22

Xinhua News Agency (Englisch)

17

Chinesische Medien

57

39

Folgende Äußerungen stellen einen Beispielauszug all jener Textstellen dar, die als Code FORDERUNG markiert sind: Beispiele für STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL: 250.Der Papst ermahnt die Gläubigen, „sich nicht an die Ausbeutung des Menschen durch andere Menschen zu gewöhnen.“ (Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier) AKTEUR der verbalen Handlung: Papst Benedikt XVI.

162 | Diskurslinguistische Analyse

251. Gewinnstreben muss von Moral gesteuert werden, denn nicht alles, was der Markt für legal hält, ist auch legitim. Wenn man den Kapitalismus akzeptiert, muss man diese Herausforderung akzeptieren. Da setzt unter anderem Religion an. (Der Spiegel, 19.12.2009, Gewinne allein sind sinnlos) AKTEUR der verbalen Handlung: Stephen Green, Verwaltungsratschef der HSBC, ordinierter Priester der anglikanischen Kirche 252. Der Vatikan wendet sich an die Manager der ganzen Welt. Gier ist ein globales Problem. Im ersten Gebot heißt es: „Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft haben Zugriff auf umfangreiche Ressourcen. Der Herr fordert sie auf, Großes damit zu tun. Dies ist ihre Berufung.“ (Der Spiegel, 24.09.2012, Der Exorzist) AKTEUR der verbalen Handlung: Der Vatikan 253. We should call on all enterprises to take up their social responsibilities. Within the body of every businessman should flow the blood of morality. (Xinhua News Agency, 02.02.2009, Full text of Chinese premier's speech at University of Cambridge) AKTEUR der verbalen Handlung: Wen Jiabao, Ministerpräsident der Volksrepublik China Die Übersicht über die Verteilung der Codings von FORDERUNG-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) auf die vier untersuchten Medien ist in Tabelle 89 dargestellt: Tab. 89: Prototypen von FORDERUNG der Weltfinanzkrise im Kontrast zwischen den vier untersuchten Medien

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

1 2

der Spiegel

REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYS-

FAZ

PD

XH

77

113

62

118

14

31

35

92

8

13

32

69

TEMS

3

GLOBALE KOORDINIERUNG ON

UND

KOOPERATI-

Prototypen – quantitative und qualitative Analyse

163

|

Anzahl der Codings Rang Code/Prototypen

4 5 6

7 8 9 10 11 12 13

UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL WIRTSCHAFTLICHE GLOBALISIERUNG/FINANZGLOBALISIERUNG ABBAU DES PROTEKTIONISMUS KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS WIEDERGEWINNUNG DES VERTRAUENS IN WIRTSCHAFT UND POLITIK DEREGULIERUNG UND LIBERALISIERUNG DER MÄRKTE VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG Summe

der Spiegel

FAZ

XH

PD

1

8

26

66

28

29

22

17

4

12

5

39

3

3

12

32

12

32

1

3

14

15

6

2

1

7

8

12

7

5

1

2

1

0

7

7

0

2

2

1

170

270

219

460

Aus Tabelle 89 lässt sich ablesen, dass im Diskurs weitgehende Einigkeit darüber herrscht, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS die dominierenden FORDERUNG-Prototypen der Weltfinanzkrise (ab 2007) sind. Weiterhin ist erkennbar, dass in den untersuchten chinesischen Medien die FORDERUNG-Prototypen GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION, UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER, ABBAU DES PROTEKTIONISMUS bzw. VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) an Bedeutung gewonnen haben, während in den untersuchten deutschen Medien die FORDERUNGEN nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL, nach KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER und nach REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS wesentlich mehr relevant sind.

5 Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse In Kapitel 4 wurden mit dem Katalog von Makro-Rollen und den ihnen zugeordneten Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS Analysekategorien generiert und darüber vermittelt die Medientexte des Korpus untersucht. Die als konkrete Füllwerte in MAXQDA kodierten Textstellen wurden jahrgangsbezogen, länderbezogen und medienbezogen gruppiert und anhand von Relevanz und Häufigkeit verglichen. Die in den Texten am häufigsten präsentierten Prädikationen wurden nominalisiert und operational als Prototypen der Makro-Rollen – URSACHEN, AKTEURE, BEWERTUNG, FORDERUNG und FOLGEN – definiert. Die Werte für die Makro-Rollen wurden mit Beispielen von den untersuchten Medien veranschaulicht. Hierdurch wurden die speziellen Füllwerte der Frameslots spezifiziert. Die speziellen Füllwerte wurden in den obigen Abschnitten quantitativ ausgewertet. Dabei wurde gezählt, wie oft die zugehörigen Kategorien der Prototypen jeweils belegt sind. Durch die Quantifizierung der vorkommenden konkreten Füllwerte lassen sich Tendenzen über die Entwicklung der Antworten auf die Detailfragen im Diskurs ableiten. Aus der quantitativen Auswertung lässt sich ablesen, welche Prototypen der Makro-Rollen im Diskurs jeweils pro Zeitung und absolut quantitativ dominieren und welche weniger relevant sind. Im Folgenden werden die konkreten Füllwerte näher erörtert und auf Grundlage der in den obigen Abschnitten ermittelten Daten die Analyseergebnisse der untersuchten deutschen und chinesischen Medien pro Krise betrachtet, ausgewertet und diskutiert. Schließlich werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Relevanz und der Entwicklungstendenzen von Prototypen der Makro-Rollen zwischen beiden Kulturräumen herausgearbeitet. Betrachtet werden dabei insbesondere auch die speziellen Positionen der Medien im Einzelnen. Methodisch zum Einsatz kommt hier das analytische Konzept der intertextuellen thematischen Kohärenzbeziehungen nach Konerding (2005, 2007), das die dynamische Entwicklung von Subthematisierungen und damit von alternativen thematischen Entfaltungen pro Medium bzw. Land in ihrem zeitlichen Verlauf über die jeweiligen Krisen hinweg durch die vergleichende Belegung der Makro-Rollen bzw. Frame-Attribute ermöglicht. Hiermit verbunden ist zudem eine detaillierte qualitative Analyse repräsentativer Textstellen der zughörigen Prototypen. Schließlich werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich der Relevanz und der jeweiligen Entwicklungstendenzen von Prototypen der MakroRollen-Spezifikationen hinsichtlich der beiden Kulturräume herausgearbeitet. Damit werden die wichtigen Veränderungen in den Meinungsbildungsprozes-

Entwicklung in Deutschland

|

165

sen im Zusammenhang mit der massenmedial bestimmten sprachgetragenen Konzeptualisierung bzw. Darstellung der Ereignisse sowie der (Um-)Gestaltung politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Kontext der sogenannten Globalisierungsentwicklungen nachgezeichnet.

5.1 Entwicklung in Deutschland 5.1.1 Transformation in Russland und Osteuropa Wie zuvor bereits angedeutet, sind nicht in jedem Fall für alle Attribute pro Krise Werte nachweisbar. In Bezug auf die erste Krisenperiode – Transformation in Russland und Osteuropa – stellt sich das Bild in den untersuchten Medien als sehr begrenzt dar und im Diskurs wird nur selten auf URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN dieser Wirtschaftskrise eingegangen. In der medial-öffentlichen Auseinandersetzung wird das Wirtschaftsproblem während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa nahezu ausschließlich auf BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns bzw. FORDERUNG für die Zukunft beschränkt. Aus den konkreten Füllwerten für die Leerstelle BEWERTUNG lässt sich ableiten, dass in den untersuchten Medientexten keine Einigkeit darüber herrscht, welche die wichtigste BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa ist. Beim Spiegel überwiegt die BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION mit 31 konkreten Füllwerten, während sich bei der FAZ BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION mit 16 konkreten Füllwerten als dominant erweist (vgl. Tabelle 49). Beim Spiegel werden die Reformen der Sowjetunion meistens als negativ bewertet. Die Reformen der Sowjetunion werden nur an einer Stelle im Spiegel als positiv bewertet. Folgende Beispiele zeigen die Kritik im Spiegel an den Reformen der Sowjetunion: 254. Die Infrastruktur des Denkens kam einfach nicht nach. Um es in der Computersprache zu sagen: Gorbatschow hat ein neues Programm befohlen, doch mit einem Chip-Austausch allein war das nicht zu schaffen. Wir erleben derzeit auch in der DDR, daß der Prozeß des Bewußtseinswandels das Schwierigste ist. Zweifellos hat Gorbatschow die Menschen überschätzt. […]Die Menschen waren einfach nicht in der Lage, den Inhalt der Reformen so schnell zu begreifen und in Aktivitäten umzusetzen. Schließlich klappte das Neue noch schlechter als vorher die schlecht funktionierende Kommandowirtschaft. (Der Spiegel, 21.05.1990, Völlig aus den Fugen geraten) AKTEUR der verbalen Handlung: Friedrich Wilhelm Christians, Vorstand der Deutschen Bank

166 | Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse

255. Was die Regierung jetzt tut, ist Selbstmord, denn ohne Markt gibt es auch nicht mehr Waren. (Der Spiegel, 04.03.1990, Ein Selbstmord der Regierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Stanislaw Schatalin, Russischer Ökonom Aus den konkreten Füllwerten im Spiegel lässt sich ableiten, dass die Reformen der Sowjetunion von den Diskursakteuren insgesamt als zum Scheitern verurteilte Reformen wahrgenommen werden. Die Reformen seien ähnlich wie „Selbstmord“ und „Sisyphusarbeit“ und Gorbatschow habe versucht, „das Unreformierbare zu reformieren“ (Der Spiegel, 30.12.1991).1 Bezüglich der negativen BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION wird in der FAZ die Kritik an dem angelsächsischen Rezept für Russland und Osteuropa – „die private Marktwirtschaft in ihrer reinsten Form“2 – geäußert: 256. Das alleingültige Rezept für den Osten scheint die private Marktwirtschaft in ihrer reinsten Form zu sein. Ein ungarischer Minister bemerkte unlängst: „Die Dogmen haben sich geändert, aber die Dogmatiker sind geblieben.“ (FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel) AKTEUR der verbalen Handlung: Ein ungarischer Minister 257. Ebenso verwundert sind sie [Osteuropäer], daß sich auch die europäischen „Experten“ dem liberalistischen Extremismus der Amerikaner, der heute vor allem – oft nicht einmal ganz zu Recht – mit dem Namen des Professors Geoffrey Sachs in Zusammenhang gebracht wird, völlig unterordnen. Dabei hat in einigen Ländern, die sich durchaus „westlich“ und „kapitalistisch“ fühlen wie Frankreich, Österreich oder Italien, der Staat einen großen Anteil an der Wirtschaft, und das nicht im „Übergang“, sondern auf Dauer. (FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 258. Denn die Vorstellung westlicher Transformationstheoretiker, Demokratie bringe quasi automatisch eine rasche Wende zur Marktwirtschaft und damit Wachstumserfolge, hat sich als Illusion entpuppt. (FAZ, 03.05.1993, Rußland auf den chinesischen Weg?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

|| 1 Der Spiegel, 30.12.1991, Rußland ist wiedergeboren 2 FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel

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Das angelsächsische – vor allem aber amerikanische – Rezept führe zu rascher Liberalisierung und Privatisierung in Osteuropa. Die Medizin von Jeffrey Sachs, Erfinder der Schocktherapie, habe wie Gift gewirkt. Aber trotzdem verkünden die Kapitalisten „den Sieg eines schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus“ (FAZ, 02.03.1991).3 Privatisierung sei kein Allheilmittel und westlicher Radikalismus bei östlichen Wirtschaftsreformen könne schädlich sein (FAZ, 23.07.1991).4 Ähnlich wie beim Spiegel werden die Reformen der Sowjetunion bei der FAZ meistens ebenfalls als negativ bewertet:5 259. Jelzins bisherige Reformvorstellungen, angefangen von Schatalins 500-TagePlan bis zu seinen jüngsten angekündigten Maßnahmen, sind allenfalls ehrgeizige Visionen, aber keine realistischen Umbau-Konzepte. (FAZ, 27.12.1991, Gorbatschow geht, Lenins Erbe bleibt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 260. Das Experiment Perestrojka ist in der derzeitigen Verfassung zum Scheitern verurteilt. Es wird keine sozialistische Weltrevolution geben; daher ist es für die Sowjetunion nicht länger sinnvoll, deren ideologische Speerspitze zu sein; statt dessen [sic!] rückt die Beachtung nationaler Interessen in den Vordergrund. (FAZ, 24.02.1990, Die Weltrevolution fällt aus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Es herrscht in den beiden untersuchten deutschen Medien weitgehende Einigkeit darüber, dass REFORM UND WESTÖFFNUNG (mit insgesamt 86 konkreten Füllwerten) und LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS (mit insgesamt 45 konkreten Füllwerten) die zwei wichtigsten FORDERUNG-Prototypen im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa sind (vgl. Tabelle 73). Als bemerkenswerte FORDERUNGEN gelten radikaler Umbau des Wirtschaftssystems und sofortige Einführung des marktwirtschaftlichen Kapitalismus, wie folgende Beispiele zeigen: 261. „So schnell wie möglich den Kapitalismus einführen.“ Das war – nach den ersten freien Wahlen in Ungarn seit der Machtübernahme der Kommunisten – die Antwort des Wahlsiegers, Professor Jozsef Antall, des Vorsitzenden des

|| 3 FAZ, 02.03.1991, Der Charme der Heilsgewißheit 4 FAZ, 23.07.1991, Privatisierung kein Allheilmittel 5 Siehe z. B.: FAZ, 27.12.1991, Gorbatschow geht, Lenins Erbe bleibt; FAZ, 31.05.1990, Angst vor der Courage; FAZ, 24.02.1990, Die Weltrevolution fällt aus usw.

168 | Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse

Demokratischen Forums Ungarn und heutigen Präsidenten Ungarns, auf die Frage, was nun das Wichtigste sei. (FAZ, 29.09.1990, Unter Schmerzen zum Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Jozsef Antall, Ministerpräsident Ungarns 262. Die Transformation kann nur ganz und mit höchstmöglicher Geschwindigkeit verwirklicht werden, eine graduelle Reformpolitik ist schmerzhafter und auf Dauer wenig erfolgreich…„Auf allen Ebenen muss man die maximale Geschwindigkeit erreichen“, fordert Balcerowicz. Das gelte für alle Reformstaaten. (FAZ, 29.12.1992, In Polen ist die Privatisierung weit fortgeschritten) AKTEUR der verbalen Handlung: Leszek Balcerowicz, früherer Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident Polens 263. Eine ganz normale, demokratische Gesellschaft … muss entstehen, mit einer freien Wirtschaft, und zwar so schnell wie möglich. Der sogenannte humane, demokratische Sozialismus – das ist ein abgetragener, geflickter Anzug, der gehört auf den Müll. (Der Spiegel, 04.03.1990, Ein Selbstmord der Regierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Stanislaw Schatalin, Russischer Ökonom 264.Die „östlichen Länder müssen alle verschwommenen Ideen vom dritten Weg aufgeben“, verlangt Sachs. Hinweg mit „der Chimäre vom Markt-Sozialismus“. (Der Spiegel, 09.04.1990, Magier im brennenden Flugzeug) AKTEUR der verbalen Handlung: Jeffrey Sachs, US-amerikanische Ökonom 265. Für Ryrie, der die IFC nach neunjähriger Tätigkeit verläßt, führen nur Marktwirtschaft und Kapitalismus aus Unterentwicklung und Armut heraus. (FAZ, 20.12.1993, „Den armen Ländern helfen nur Kapitalismus und Marktwirtschaft“) AKTEUR der verbalen Handlung: William Ryrie, Chef der Internationalen Finanzgesellschaft Aus Textbelegen lässt sich ableiten, dass die sofortige Reform des Wirtschaftssystems und die Einführung des marktwirtschaftlichen Kapitalismus von den Diskursakteuren aus unterschiedlichen Sphären insgesamt als die wichtigste FORDERUNG angesehen werden. Auffällig ist jedoch, dass die FORDERUNG nach schrittweiser Transformation – „den [Transformations]Prozess langsamer, sys-

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169

tematischer zu vollziehen“ (Der Spiegel, 21.05.1990)6 – in den untersuchten deutschen Medientexten kaum Erwähnung findet. In den Medien wird vorwiegend hervorgehoben, dass die FORDERUNGEN – wie z. B. wirtschaftliche und politische Reformen durchzuführen, die freie Marktwirtschaft sofort einzuführen, den Markt zum Westen hin zu öffnen, Probleme nach westlichen Vorbildern zu lösen, den Kapitalismus so schnell wie möglich einzuführen – in Russland und Osteuropa umgehend umgesetzt werden sollten.7 Während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa werden weitere FORDERUNGEN für die Zukunft präsentiert: im Spiegel WESTLICHER HILFE UND UNTERSTÜTZUNG (mit 9 konkreten Füllwerten) und REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (mit 3 konkreten Füllwerten); in der FAZ SOZIALER MARKTWIRTSCHAFT ALS DRITTER WEG (mit 13 konkreten Füllwerten), ABBAU DES PROTEKTIONISMUS (mit 5 konkreten Füllwerten) und REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (mit 3 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 73). Des Weiteren haben die konkreten Füllwerte zur FORDERUNG der REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE gezeigt, dass diese vor allem von der sowjetischen/russischen Regierung gefordet wurde. Beispielsweise fordere der Generalsekretär Gorbatschow eine „regulierte Marktwirtschaft“ (Der Spiegel, 09.07.1990)8 und der Premier Ryschkow wolle weiterhin „regulativ“ bleiben (Der Spiegel, 28.05.1990).9 Insgesamt lässt sich festhalten, dass auf die Fragen nach den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa und auf die Fragen nach den FORDERUNGEN für die Zukunft im deutschen Mediendiskurs nicht viele Antworten gegeben werden. Der Spiegel hat mehr konkrete Füllwerte für die BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns als die FAZ angeboten, wobei die Reformen in der Sowjetunion und in Osteuropa – insbesondere die „Schocktherapie“ – meistens als negativ bewertet werden. Bei der FAZ überwiegt die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION. Hier-

|| 6 Der Spiegel, 21.05.1990, Völlig aus den Fugen geraten 7 Siehe z. B.: FAZ, 19.12.1989, Osteuropas Wirtschaft sucht Westanschluß; FAZ, 24.02.1990, Die Weltrevolution fällt aus; FAZ, 29.09.1990, Unter Schmerzen zum Kapitalismus; FAZ, 27.12.1991, Gorbatschow geht, Lenins Erbe bleibt; FAZ, 22.05.1992, "Vom Kapitalismus lernen"; FAZ, 03.05.1993, Rußland auf den chinesischen Weg? Der Spiegel, 04.03.1990, Ein Selbstmord der Regierung; Der Spiegel, 26.03.1990, Letzte Chance; Der Spiegel, 30.03.1990, Reform oder Untergang; Der Spiegel, 09.04.1990, Magier im brennenden Flugzeug; Der Spiegel, 28.05.1990, Mit dem Schlimmsten rechnen; Der Spiegel, 13.08.1990, Die Leute haben Angst; Der Spiegel, 02.03.1992, Vom Kapitalismus lernen; Der Spiegel, 20.12.1993, "Den armen Ländern helfen nur Kapitalismus und Marktwirtschaft". 8 Der Spiegel, 09.07.1990, Die können es packen 9 Der Spiegel, 28.05.1990, Mit dem Schlimmsten rechnen

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zu wird Kritik am angelsächsischen/amerikanischen Rezept der raschen Liberalisierung und Privatisierung für Russland und Osteuropa geäußert. Für die Leerstelle FORDERUNG im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa hat der Spiegel mehr konkrete Füllwerte als die FAZ aufzuweisen, wobei die FORDERUNGEN nach Reform des Wirtschaftssystems, nach Westöffnung sowie nach Einführung des marktwirtschaftlichen Kapitalismus in den beiden deutschen Medien als bemerkenswert gelten.

5.1.2 Asienkrise Im Rahmen der Asienkrise ergibt sich in den untersuchten Medien ein insgesamt umfassenderes Bild. Die Untersuchung in Kapitel 4.3 hat gezeigt, dass bei dieser Krisenperiode alle Werte für die Makro-Rollen des hier eingeführten Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE – als Antworten auf die Detailfragen nach den URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN, BEWERTUNG und FORDERUNG – von den untersuchten deutschen Medien präsentiert wurden. Bei der Asienkrise wird die URSACHEN-Leerstelle beim Spiegel mit auffällig vielen konkreten Füllwerten (72 Codings) bedient, umgekehrt bei der FAZ nur 21 (vgl. Tabelle 8). Mit 17 konkreten Füllwerten hat der Spiegel die Asienkrise hauptsächlich auf die FEHLER DER REGIERUNG der asiatischen Staaten zurückgeführt, wie z. B. Überregulierung, falsche staatliche Eingriffe und schlechte Wirtschaftspolitik: 266. Die enge Verstrickung von Staat und Wirtschaft und eine falsche Wirtschaftspolitik hätten zum Desaster geführt. (Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln) AKTEUR der verbalen Handlung: Michel Camdessus, Direktor des IWF 267. Aber im Grunde haben die Länder alle den gleichen Fehler gemacht: Aus Prestigegründen haben sie zu lange an einem falschen, zu hohen Wechselkurs festgehalten. Das halten sie zwei, drei Jahre durch, dann kracht es. (Der Spiegel, 12.10.1998, Eins auf die Nuß) AKTEUR der verbalen Handlung: Heiner Flassbeck, ökonomischer Berater von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

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268. Fast alle Länder, die heute in einer tiefen Krise stecken, hatten noch bis vor kurzem feste Wechselkurse. Es war genau diese Koppelung ungleicher Volkswirtschaften, die der Spekulation Tür und Tor geöffnet hat. (Der Spiegel, 05.10.1998, Es wird weh tun) AKTEUR der verbalen Handlung: Jeffrey Sachs, US-amerikanischer Ökonom 269.Verantwortlich dafür sei [sic!] die verfehlte Industriepolitik einer überheblichen und von Ehrgeiz getriebenen Politikerkaste und ein unterentwickeltes Bankensystem, das eine überzogene Immobilienspekulation finanzierte. (Der Spiegel, 05.01.1998, ... wenn der Taifun tobt) AKTEUR der verbalen Handlung: Experten Weiterhin gelten auch die URSACHEN wie AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN (mit 9 konkreten Füllwerten) und Verantwortung der USA (DIE USA SIND SCHULD, mit 9 konkreten Füllwerten) beim Spiegel als relevant (vgl. Tabelle 8), die die Asienkrise auf die „die Welt an den Rand einer Wirtschaftskrise geführte aberwitzige Spekulation“ (Der Spiegel, 12.10.1998) 10 von westlichen Banken und ausländischen Spekulanten sowie auf die „Intrigen […] und das eiskalte, brutale Vorgehen der Amerikaner“ (Der Spiegel, 09.11.1998)11 zurückführen. In den untersuchten Medientexten der FAZ werden das ASIATISCHE MODELL (mit 5 konkreten Füllwerten) und die BLASEN-WIRTSCHAFT (mit 5 konkreten Füllwerten) als die wichtigsten Ursachen der Asienkrise ausgemacht (vgl. Tabelle 8). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 270.Die politischen Ursachen der Asienkrise [sind] Korruption, mangelnde demokratische Kontrolle und Transparenz. (FAZ, 21.12.1999, Wider Korruption und Nepotismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 271. Die wenigsten scheinen jetzt schon dem amerikanischen Wirtschaftsfachmann Paul Krugman folgen zu wollen, der schon vor drei Jahren das asiatische „Wunder“ ein Märchen genannt hatte, als eine Folge von harter Arbeit und Injektionen von Kapital, nicht aber von wachsender Produktivität. Seine Schweißtheorie besagt, daß Asiaten härter, aber nicht notwendigerweise bes-

|| 10 Der Spiegel, 12.10.1998, Globaler Wahnsinn 11 Der Spiegel, 09.11.1998, Opfer der Amerikaner

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ser und intelligenter arbeiten als Menschen in anderen Regionen. (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Paul Krugman, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 272. Die Asienkrise im Sinne einer Finanzkrise findet sich insofern im Verwaltungsreformdiskurs wieder, als durch das Platzen der „Seifenblase“, also der überhöhten Immobilien- und Grundstückspreise, in Japan und durch das Zusammenbrechen der Finanzmärkte in mehreren Staaten Südostasiens abermals offenbar wurde, dass bestimmte strukturelle Gegebenheiten erheblich zur Intransparenz finanzpolitischer Vorgänge und zur Kumpanei von Regierungspolitik und Finanzwirtschaft beigetragen haben. (FAZ, 21.12.1999, Wider Korruption und Nepotismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 273. Daher neigen Finanzmärkte zu Instabilität, stärker als Gütermärkte. Im Überschwang neuer Innovationen neigen die Anleger zu Übertreibungen. Es bilden sich Blasen, die schließlich platzen. Auf den „Great Bull Market“an der Wall Street in den zwanziger Jahren folgte der Schwarze Freitag im Oktober 1929; auf die Boomjahre in den asiatischen Tigerstaaten folgte der Zusammenbruch 1997 und 1998. (FAZ, 20.09.2008, Der Kapitalismus und seine Krisen) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Nach diesen konkreten Füllwerten wurzeln die Ursachen der Asienkrise in den dunklen Seiten der asiatischen Tradition, wie z. B. politischer Korruption, Vetternwirtschaft und Mangel an demokratischer Kontrolle. Diese haben die Blasenwirtschaft ermöglicht, die zum Zusammenbruch der Finanzmärkte führt.12 Wie vorher schon erwähnt, wird die URSACHE-Leerstelle bei der FAZ mit insgesamt 21 konkreten Füllwerten bedient und ist damit im Vergleich mit dem Spiegel (72 Codings) von nachrangiger Bedeutung (vgl. Tabelle 8). Zur Detailfrage nach den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise haben die Spiegel-Texte insgesamt 44 konkrete Füllwerte angeboten. Dabei bezeichnen die meisten DISKURSAKTEURE im Spiegel die REGIERUNG UND ZENTRALBANK der asiatischen Staaten als Haupturheber der Asienkrise (19 Codings, vgl. Tabelle 22):

|| 12 Siehe z. B.: FAZ, 02.09.1998, Die Krise nach dem Wunder; FAZ, 21.12.1999, Wider Korruption und Nepotismus; usw.

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173

274. Vielen Thais gilt ihre Zentralbank nun als Versager, deren Devisenhändler als Verbrecher. „Wir sollten sie umbringen“, schimpft der Chefredakteur des Blattes „The Nation“, „niemals hätten sie das Geld verpulvern dürfen.“ (Der Spiegel, 25.05.1998, Blut im Haifischbecken) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 275. Es war doch pervers, dass die Regierung einfach per Anruf Banken zur Kreditvergabe an Firmen zwingen konnte und niemand sich um die Risiken scherte. Alle wussten, dass die indonesischen Monopole das Land ausbeuteten und ihre Prestigeprojekte weiße Elefanten waren. (Der Spiegel, 02.02.1998, Sie hofften auf ein Wunder) AKTEUR der verbalen Handlung: Michel Camdessus, Direktor des IWF Aus Textbelegen geht hervor, dass die Benennung der REGIERUNG UND ZENTRALasiatischen Staaten als Haupturheber der Asienkrise eng mit dem Zurückführen der Asienkrise auf die FEHLER DER REGIERUNGEN beim Spiegel verknüpft ist. Außerdem haben die konkreten Füllwerte zu den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise im Spiegel gezeigt, dass westliche Banken und ausländische Spekulanten (Code: FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN, mit 11 Codings) bzw. US-REGIERUNG UND FED (10 Codings) auch für die Asienkrise verantwortlich seien. Die Leerstelle AKTEURE als URHEBER der Asienkrise hat bei der FAZ mit insgesamt 13 konkreten Füllwerten eine untergeordnete Bedeutung (vgl. Tabelle 22). Zur Detailfrage nach den FOLGEN der Asienkrise haben die Spiegel-Texte mehr konkrete Füllwerte (70 Codings) angeboten als die FAZ (23 Codings, vgl. Tabelle 32). In den beiden untersuchten deutschen Medien herrscht keine Einigkeit darüber, welcher der wichtigste FOLGEN-Prototyp bei der Asienkrise ist. Beim Spiegel handelt es sich bei der Asienkrise um eine WELTREZESSION (33 Codings, vgl. Tabelle 32), die mehr als eine regionale Währungskrise sei, die gesamte Weltwirtschaft bedrohe und mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die ganze Welt habe: BANK der

276. Aus anfänglich regionalen Krisen ist ein globaler Flächenbrand geworden, der die gesamte Weltwirtschaft bedroht. (Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

174 | Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse

277. 19 Monate nachdem das Desaster mit der Abwertung des thailändischen Baht seinen Anfang nahm, ist noch kein Ende der globalen Krise in Sicht. Und so suchen sie in Davos wieder einmal verzweifelt nach Mitteln gegen das Virus, das fast den halben Globus infiziert hat: Rund 40 Prozent der Weltwirtschaft stecken inzwischen in der Rezession. (Der Spiegel, 01.02.1999, Ein Ort der Ratlosigkeit) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die Auswertung der Prädikationen belegt, dass im Spiegel die WELTREZESSION (mit 33 konkreten Füllwerten) als die wichtigste FOLGE der Asienkrise angesehen wird. Die zweitwichtigste Folge der Asienkrise, die im Spiegel dargestellt ist, ist GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS (mit 15 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 32) – asiatische Entwicklungsländer seien der globalen Finanzstrategie der Amerikaner zum Opfer gefallen (Der Spiegel, 09.11.1998)13 und in Asien wurde ein wachsender Antiamerikanismus durch die Finanzkrise ausgelöst: 278. Ja, so was schürt Anti-Amerikanismus. Ich halte diesen Trend für extrem gefährlich. … Wenn stattdessen diesen Ländern westliche Prinzipien einfach stur übergestülpt werden, dann kann es zu einem Anti-Amerikanismus kommen, wie er bei Malaysias Ministerpräsident Mahathir schon sichtbar wird. (Der Spiegel, 19.01.1998, Der Wandel ist zu abrupt) AKTEUR der verbalen Handlung: Heita Kawakatsu, japanischer Wirtschaftshistoriker 279. „Selten zuvor hat sich die Wut über die USA so aufgestaut und kracht nun an allen Fronten los wie ein Feuerwerk.“ (Der Spiegel, 01.09.1997, Baden wir in unserem Ruhm) AKTEUR der verbalen Handlung: US-Nachrichtenmagazin TIME (die europäische Ausgabe) Wie oben bereits erwähnt, hat die FAZ wenige konkrete Füllwerte (23 Codings) zur Detailfrage nach den FOLGEN der Asienkrise angeboten. Bei der FAZ erweist sich eine andere FOLGE als dominant in der Asienkrise: ENDE DES ASIATISCHEN

|| 13 Der Spiegel, 09.11.1998, Opfer der Amerikaner

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MODELLS – Die „Wunderkinder entdecken die Sterblichkeit“ (FAZ, 18.09.1997)14 (11 Codings, siehe Tabelle 32): 280. Indes könnten schlechte Zeiten gut sein für Reformen: Ende der staatlichen Interventionen in der Wirtschaft, der Kapital- und Währungskontrollen. (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 281. „Das asiatische Wunder war auf gute Politik gebaut und stolpert jetzt über schlechte“, schreibt die in Sydney erscheinende „Australian Financial Review“. Zweifel an der Weisheit der Politiker hätten die Märkte in Panik versetzt. „Die Wunderkinder entdecken die Sterblichkeit.“ (FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden) AKTEUR der verbalen Handlung: Australian Financial Review 282. […] Durch das Zusammenbrechen der Finanzmärkte in mehreren Staaten Südostasiens abermals offenbar wurde, dass bestimmte strukturelle Gegebenheiten erheblich zur Intransparenz finanzpolitischer Vorgänge und zur Kumpanei von Regierungspolitik und Finanzwirtschaft beigetragen haben. Die Asienkrise hat daher eindeutig die politische Reformdebatte beflügelt. (FAZ, 21.12.1999, Wider Korruption und Nepotismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Zur Frame-spezifischen Frage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in der Asienkrise haben die Spiegel-Texte mehr konkrete Füllwerte (53 Codings) angeboten als die FAZ (7 Codings). Insgesamt herrscht in beiden untersuchten deutschen Medien jedoch ein Konsens dazu, dass BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – mit insgesamt 35 konkreten Füllwerten – der wichtigste BEWERTUNG-Prototyp bei der Asienkrise ist (vgl. Tabelle 58). Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei den Texten der FAZ im Rahmen des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa. Im Rahmen der Asienkrise wurde die westliche Krisenreaktion in den untersuchten Medientexten vorwiegend negativ bewertet (vgl. Tabelle 52). Beim Spiegel überwiegt die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION mit 21 konkreten Füllwerten und bei der FAZ sind alle ermittelten Füllwerte (4 Codings)

|| 14 FAZ, 18.09.1997, Das Vertrauen ist geschwunden

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negative BEWERTUNGEN. Dabei handelt es sich sowohl im Spiegel als auch in der FAZ hauptsächlich um Kritik an der Krisenreaktion des Internationalen Währungsfonds während der Asienkrise:15 283. Der Weltwährungsfonds (IWF) hat in der Asienkrise die falsche Medizin verschrieben. (FAZ, 16.01.1998, Sachs: Falsche Medizin des IWF) AKTEUR der verbalen Handlung: Jeffrey Sachs, US-amerikanische Ökonom 284. Sie [IWF] wollen den Ländern einseitig den amerikanischen Standard aufzwingen. (Der Spiegel, 19.01.1998, Der Wandel ist zu abrupt) AKTEUR der verbalen Handlung: Heita Kawakatsu, japanischer Wirtschaftshistoriker 285. Seit über einem Jahr beraten nun schon die Direktoren des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit den Regierungen in Asien, Lateinamerika und Osteuropa – doch ihre Rezepte haben versagt. (Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Als weitere BEWERTUNGEN werden in beiden untersuchten deutschen Medien bei der Asienkrise BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG genannt. Bei der BEWERTUNG DER REGULIERUNG werden insgesamt 11 konkrete Füllwerte im Spiegel ermittelt, kein einziger Füllwert in der FAZ. Bei der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG werden insgesamt 9 konkrete Füllwerte in den deutschen Medien ermittelt – 8 davon im Spiegel und nur einer in der FAZ (vgl. Tabelle 58). Bezüglich der die BEWERTUNG DER REGULIERUNG in der Asienkrise wird im Spiegel ebenfalls häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen: insgesamt 6 konkrete Füllwerte für die negative und nur 2 für die positive BEWERTUNG DER REGULIERUNG (vgl. Tabelle 54). Hierbei handelt es sich hauptsächlich um die negative Bewertung zur Überregulierung – wie z. B. Kapitalverkehrskontrollen, die die Regierungen asiatischer Staaten eingeführt haben. Wie vorher schon erwähnt, wird in der FAZ kein einziger konkreter Füllwert für die BEWERTUNG DER REGULIERUNG in der Asienkrise ermittelt (vgl. Tabelle 58). Bezüg|| 15 Die DISKURSAKTEURE solcher negativen Bewertungen sind z. B. der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs, Chefökonom der Weltbank, Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der ehemalige Staatspräsident Frankreichs Jacques René Chirac, der australische Ex-Premierminister John Malcolm Fraser und der japanische Wirtschaftshistoriker Heita Kawakatsu.

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lich der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG in der Asienkrise wird in den beiden untersuchten deutschen Medien deutlich häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen – insgesamt 6 konkrete Füllwerte für die negative und nur 2 für die positive BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG (vgl. Tabelle 56). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine zu weit gehende Deregulierung und zu rasche Liberalisierung in den asiatischen Staaten von den Diskursakteuren insgesamt als schädlich für die Gesamtentwicklung kritisiert wurden.16 Im Vergleich mit der ersten Krisenperiode, nämlich der Periode der Transformation in Russland und Osteuropa, erfahren diese beiden BEWERTUNG-Prototypen eine zunehmende Bedeutung (vgl. Tabelle 49). Für die Detailfrage nach der FORDERUNG für die Zukunft im Rahmen der Asienkrise hat der Spiegel 75 konkrete Füllwerte angeboten, während bei der FAZ diese Leerstelle nur mit 29 konkreten Füllwerten bedient wird. Mit 34 konkreten Füllwerten überwiegt beim Spiegel die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE; umgekehrt wird REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE nur an zwei Stellen von der FAZ präsentiert (vgl. Tabelle 80). Die beiden im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa wichtigen FORDERUNGEN – REFORM UND WESTÖFFNUNG und LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS – nehmen im Spiegel bei der Asienkrise eine unbedeutende Stellung ein. Seit der Asienkrise ist die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE auf Rang eins gestiegen (vgl. Tabelle 80). Beim Spiegel hat diese FORDERUNG in der Asienkrise an Bedeutung gewonnen und bei der FAZ erst in der letzten Weltfinanzkrise (siehe Tabelle 90): Tab. 90: REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE in Spiegel und FAZ (244 Codings)

Medienname

Codings 1992

Codings 1997

Codings 2000

Codings 2009

Der Spiegel

3

77

118

3

34 2

4

FAZ

8

113

126

Summe

In den untersuchten deutschen Medientexten werden klare Forderungen nach Reform der Finanzaufsicht und Währungskontrollen sowie Kapitalkontrollen geäußert, um exzessive Spekulationen zu verhindern:

|| 16 Siehe z. B.: Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln; Der Spiegel, 03.03.1997, Tiefe Kluft; Der Spiegel, 09.02.1998, Wider die bösen Geister; FAZ, 26.02.1998, Die Volksrepublik China kann ohne Abwertung überleben.

178 | Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse

286. Aber so, wie es jetzt funktioniert, ist das System nicht in Ordnung. Finanzmärkte brauchen Aufsicht und Kontrollen. Davon möchte ich die Welt überzeugen. (Der Spiegel, 14.12.1998, Die Märkte sind amoralisch) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 287. Lehre Nummer zwei gilt für alle Schwellenländer: Sie müssen entweder die Höhe ihrer Auslandsschulden begrenzen – oder aber die Mobilitaet der internationalen Anleger durch Kapitalverkehrskontrollen teilweise einschränken. Ansonsten werden diese Länder weiterhin für eine plötzliche Kapitalflucht anfällig sein, und sie werden dadurch womöglich in eine Krise gestürzt, die wiederum die Kapitalflucht rechtfertigt. (Der Spiegel, 16.08.1999, „Wir brauchen Helden“) AKTEUR der verbalen Handlung: Paul Krugman, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger Die Auswertung der Prädikationen im Spiegel belegt, dass REGULIERUNG DER FIvon den Diskursakteuren insgesamt als die wichtigste FORDERUNG der Asienkrise angesehen wird. Die Diskursakteure stammen aus unterschiedlichen SPHÄREN. Nicht nur Diskursakteure aus den Bereichen der POLITIK und WISSENSCHAFT verlangten während der Asienkrise „ein Ende des wilden Treibens an den Finanzmärkten: Die Spekulation müsse kontrolliert werden.“ (Der Spiegel, 07.09.1998), 17 sondern der Spekulant wie Georg Soros forderte auch, mehr „Sand ins Marktgetriebe“ zu streuen (Der Spiegel, 04.05.1998):18 NANZMÄRKTE

288. Die Menschen vertrauen heute überwiegend einer Politik des Laisserfaire [sic!]; ich nenne das Markt-Fundamentalismus. Politische Eingriffe in die freien Märkte werden abgelehnt. Das ist meine größte Sorge. Obwohl ich mich selbst nach den Spielregeln verhalte, befürworte ich, daß diese Regeln geändert werden. (Der Spiegel, 14.12.1998, Die Märkte sind amoralisch) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 289.Finanzmärkte bergen die Gefahr selbstzerstörerischer Entwicklungen. Die „unsichtbare Hand“ muss nicht notwendigerweise ausgleichend eingreifen. Asien hat gezeigt, dass sie wie eine Abrissbirne wirken kann. Die Finanzmärk-

|| 17 Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung 18 Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln

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te brauchen Aufsicht und Regeln. (Der Spiegel, 06.04.1998, KAPITALISMUS. Die Reichen hauen ab) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant In der FAZ hat – ähnlich wie im Rahmen des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa – die FORDERUNG nach REFORM UND WESTÖFFNUNG während der Asienkrise immer noch den ersten Platz eingenommen (mit 14 Codings, siehe Tabelle 80). Dabei handelt es sich um Forderungen an die asiatischen Länder nach Reformen des Finanzwesens, Reformen der Wirtschaftsstruktur sowie Reformen des Sozialsystems: 290. Die Asem-Staaten fordern von den von der Krise betroffenen Regierungen energische Reformen sowohl des Finanz- als auch des Sozialsystems. Einseitigkeiten müßten hier aber unbedingt vermieden werden. Ziel müsse der Erhalt oder die Schaffung bezahlbarer sozialer Sicherheitsnetze zugunsten der Armen sein. (FAZ, 04.04.1998, Asem-Gipfel beschließt Einrichtung eines Treuhandfonds) AKTEUR der verbalen Handlung: Asem-Staaten 291. Aus der Asienkrise, aber auch aus dem in den letzten Jahren immer deutlicher gewordenen destabilisierenden Phänomen der Korruption hat die Parteiführung den Schluss gezogen, dass eine rationale und effiziente ökonomische Entwicklung begleitende politische Reformen, Rechtssicherheit und rechtliche Institutionalisierung erfordert. (FAZ, 21.12.1999, Wider Korruption und Nepotismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Als weitere FORDERUNG wird in beiden untersuchten deutschen Medien im Rahmen der Asienkrise die REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS genannt, eine FORDERUNG, die während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa noch nicht auftrat. Für diesen FORDERUNG-Prototyp hat der Spiegel 13 konkrete Füllwerte und die FAZ 6 konkrete Füllwerte angeboten (siehe Tabelle 80): 292. Heute hat der IWF keinerlei Funktion mehr, er hat viel Schaden angerichtet. Deshalb glaube ich, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, ihn abzuschaffen. (Der Spiegel, 12.10.1998, Sind Spekulanten Störenfriede) AKTEUR der verbalen Handlung: Milton Friedman, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger

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293. Auf der anderen Seite stehen Ökonomen wie der Japaner Mototada Kitsukawa von der Kanagawa Universität, der einen Paradigmenwechsel fordert: das Ende des „kasinomäßigen Spekulationskapitalismus und der DollarHerrschaft“. Ähnlich tönt es aus dem japanischen Finanzministerium. Dort sinniert Vizefinanzminister Eisuke Sakakibara, genannt „Mr. Yen“, darüber, ob die Zeit reif für eine neue Struktur à la Bretton Woods sei, also für weltweit feste Wechselkurse, wie es sie bis 1973 gab. (Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln) AKTEUR der verbalen Handlung: Mototada Kitsukawa, Japanischer Ökonom; Eisuke Sakakibara, Japanischer Vizefinanzminister 294. [Und was ist die … Kernforderung?] Ein neues Weltfinanzsystem. Gerade für die Schwellenländer sind Finanzkrisen massive Risikofaktoren. Deshalb ist die vom Währungsfonds durchgesetzte generelle Öffnung der Kapitalmärkte falsch. (Der Spiegel, 30.07.2001, „Globalisierung von unten“) AKTEUR der verbalen Handlung: Sven Giegold, Mitbegründer von AttacDeutschland, Bündnis 90/Die Grünen 295. Der fortschreitende Prozeß der Globalisierung und die jüngsten Ereignisse in Asien hätten eine „Anzahl von Schwachstellen in nationalen und internationalen Finanzsystemen enthüllt“, heißt es in der Erklärung. Daher seien Reformen unumgänglich. Im einzelnen formulierten die Finanzpolitiker konkrete Forderungen für fünf Bereiche: größere Transparenz und verbesserter Austausch von Wirtschaftsdaten, verstärkte Unterstützung von Ländern, die mehr am Kreislauf der Weltwirtschaft teilhaben wollen, Stärkung internationaler Finanzsysteme sowie die Einbeziehung des Privatsektors in die Krisenbewältigung. (FAZ, 10.05.1998, „Prinzipien“ gegen Krisen) AKTEUR der verbalen Handlung: G7-Staaten An diesen Beispielen wird deutlich, dass die FORDERUNGEN nach Reform des internationalen Finanzsystems, wie z. B. nach Umbau des Weltwährungssystems, nach Umbau internationaler Finanzinstitutionen, nach Schaffung neuer Finanzinstitutionen sowie nach Abschaffung des IWF im Rahmen der Asienkrise in den untersuchten Medien häufig ausführlich geäußert werden und damit von besonderer Bedeutung sind. Zusammenfassend betrachtet, werden in den deutschen Medien auf die Fragen nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Asienkrise sowie nach den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns und den FORDERUNGEN für die Zu-

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kunft viele Antworten gegeben. Für die Detailfrage nach den URSACHEN der Asienkrise bietet der Spiegel deutlich mehr konkrete Füllwerte als die FAZ an, wobei der Spiegel die Asienkrise hauptsächlich auf die FEHLER DER REGIERUNG der asiatischen Staaten zurückführt – wie z. B. Überregulierung, falsche staatliche Eingriffe, schlechte Wirtschaftspolitik usw. Dabei bezeichnen die meisten Diskursakteure der Spiegel-Texte die REGIERUNGEN UND ZENTRALBANKEN der asiatischen Staaten als Haupturheber der Asienkrise. Bei der FAZ werden das ASIATISCHE MODELL und die BLASEN-WIRTSCHAFT als wichtigste Ursachen der Asienkrise ausgemacht. Diese Ursachen wurzeln in den dunklen Seiten der asiatischen Tradition, wie z. B. politischer Korruption, Vetternwirtschaft und Mangel an demokratischer Kontrolle. Diese haben die Blasenwirtschaft ermöglicht, die zum Zusammenbruch der Finanzmärkte in Asien geführt hat. Dabei hält die FAZ die REGIERUNGEN UND ZENTRALBANKEN der asiatischen Staaten sowie ausländische Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten (AKTEURE-Prototyp FINANZINDUSTRIE) für die Haupturheber der Asienkrise. Zur Detailfrage nach den FOLGEN der Asienkrise bieten die Spiegel-Texte mehr konkrete Füllwerte als die FAZ. Beim Spiegel wird die WELTREZESSION als die wichtigste FOLGE der Asienkrise angesehen. Es handelt sich bei der Asienkrise um eine WELTREZESSION, die schwerwiegende Auswirkungen auf die ganze Welt hat. Die zweitwichtigste Folge der Asienkrise, die im Spiegel dargestellt ist, ist GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS. Bei der FAZ erweist sich eine andere Folge als dominant in der Asienkrise – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS. Zur Detailfrage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in Rahmen der Asienkrise bieten die SpiegelTexte ebenfalls deutlich mehr konkrete Füllwerte als die FAZ. In den beiden deutschen Medien werden die westlichen Krisenreaktionen – insbesondere die vom Internationalen Währungsfonds – insgesamt als negativ bewertet. Bezüglich der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG in der Asienkrise wird in beiden deutschen Medien deutlich häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen. Zu weit gehende Deregulierung und zu rasche Liberalisierung in den asiatischen Staaten wurden von den Diskursakteuren der beiden deutschen Medien insgesamt als schädlich für die Gesamtentwicklung kritisiert. Im Vergleich mit der ersten Krisenperiode, nämlich der Periode der Transformation in Russland und Osteuropa, erfahren die BEWERTUNG-Prototypen – BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG und BEWERTUNG DER REGULIERUNG – eine zunehmende Bedeutung. Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in Rahmen der Asienkrise bieten die Spiegel-Texte ebenfalls deutlich mehr konkrete Füllwerte als die FAZ. Beim Spiegel überwiegt die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE. Seit der Asienkrise ist die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE auf Rang eins gestiegen. Ähnlich wie beim Transformationsprozess in Russland und Osteuro-

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pa hält bei der FAZ die FORDERUNG nach REFORM UND WESTÖFFNUNG in der Asienkrise immer noch auf dem ersten Platz. Außerdem wird im Diskurs die FORDERUNG nach Reform des internationalen Finanzsystems während der Asienkrise häufig ausführlich geäußert und hat damit an Bedeutung gewonnen.

5.1.3 Das Platzen der „Dotcom-Blase“ In Bezug auf die dritte Krisenperiode – das Platzen der „Dotcom-Blase“ – stellt sich das Bild in den untersuchten Medien – wie im Rahmen des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa – ebenfalls als ziemlich beschränkt dar. Hier wurden nur jeweils wenige Werte für die Makro-Rollen URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN und FORDERUNG des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE von den untersuchten deutschen Medien präsentiert; im Diskurs wird auch nur selten auf BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns eingegangen. Wie bereits mehrfach erwähnt, liegt dies vermutlich daran, dass bei dieser Krise der übrige solide Wirtschaftsbereich nicht berührt war und die wirtschaftlichen Folgen nur sehr begrenzt in Erscheinung traten. Zur Detailfrage nach den URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ bietet die FAZ mehr konkrete Füllwerte (51 Codings) als der Spiegel (42 Codings) an. Mit 21 konkreten Füllwerten führt die FAZ das Platzen der „Dotcom-Blase“ vorwiegend auf die Internet-Spekulationsblase zurück, die zum Zusammenbruch der Aktienmärkte geführt hat (URSACHEN-Prototyp: BLASEN-WIRTSCHAFT, vgl. Tabelle 14). Der Glaube der Aktienmärkte an eine neue, bessere digitale Welt sei nur eine Internet-Spekulationsblase (FAZ, 13.05.2000),19 die sich an den Aktienmärkten herausgebildet und zur Wirtschaftskrise geführt habe. Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 296. Biggs gehört an der Wall Street zu den wenigen Geistern, die diese InternetHausse als eine Spekulationsblase betrachten. Damit ist er aber selbst in seinem eigenen Haus ein einsamer Warner. (FAZ, 15.12.1999, Das InternetFieber an der Wall Street ist höher denn je) AKTEUR der verbalen Handlung: Barton M. Biggs, der Chefinvestmentstratege von Morgan Stanley Dean Witter

|| 19 FAZ, 13.05.2000, Auf der Suche nach der Neuen Welt

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297. Dennoch ist vor dem Rückschluss zu warnen, Amerikas Aktienmarkt sei eine einzige Spekulationsblase. Zugegeben: Dieser Markt weist fast alle Anzeichen auf, die in der Vergangenheit Vorboten für klassische Spekulationsblasen waren: die generelle Euphorie gegenüber neuen Technologien, extreme Bewertungsrelationen, hohe Umsatzvolumina, starke Kursschwankungen und die magnetische Anziehungskraft von Aktien für relativ unbedarfte Anleger. (FAZ, 31.12.1999, Korrektur ja, Apokalypse nein) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Als weitere URSACHE wird in der FAZ der ÜBEROPTIMISMUS genannt (mit 11 konkreten Füllwerten), der mit 15 konkreten Füllwerten im Spiegel als die wichtigste URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“ angesehen wird (vgl. Tabelle 14). Die zu positiven Erwartungen, die zu positiv eingeschätzten Wirtschaftsaussichten und die zu positive Stimmung bei den Investoren, Anlegern, Finanzanalysten und Medien haben zum Platzen der „Dotcom-Blase“ geführt. Dies soll an folgenden Beispielen veranschaulicht werden: 298.[Die Anleger] sind zuversichtlich. Bloss: Diese Zuversicht hat nichts zu tun mit einem überzeugenden Geschäftsplan. Sie entsteht vielmehr aus einer Gemengelage, die praktisch die Haut der Spekulationsblase bildet, in der wir uns heute befinden. (Der Spiegel, 20.11.2000, „Wie ein Kettenbrief“) AKTEUR der verbalen Handlung: Robert Shiller, US-Ökonom 299.Die Internet-Manager waren damals ja so euphorisch, dass sie ihren eigenen Hype geglaubt haben. (Der Spiegel, 23.07.2001, „Das ist Irrsinn“) AKTEUR der verbalen Handlung: Meg Whitman, Chefin des OnlineAuktionshauses EBay 300. Ein Überoptimismus, geleitet von zu positiven Erwartungen. Es wurde zuviel investiert von den Unternehmen und die Wirtschaftsaussichten zu positiv eingeschätzt. Das hat natürlich auch die Investoren beflügelt, angetrieben letztendlich von der positiven Stimmung bei den Unternehmen, bei den Kapitalanlegern, bei den Medien. (FAZ, 06.09.2001, „Man muss auch nein sagen können“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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Ähnlich wie bei der Asienkrise wird die Verantwortung der USA (URSACHENPrototyp: DIE USA SIND SCHULD) im Diskurs als eine weitere wichtige URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“ genannt. Dafür bieten die FAZ 9 konkrete Füllwerte und der Spiegel 8 konkrete Füllwerte (vgl. Tabelle 14). Dabei wurden solche Aussagen zugewiesen, die besagen, dass das Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die US-Regierung, auf die amerikanische Geldpolitik der Fed, auf das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und auf die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage durch die amerikanischen Finanzanalysten und Medien zurückgeht. Die USA sind schuld an der „Dotcom-Blase“.20 Neben BLASEN-WIRTSCHAFT, ÜBEROPTIMISMUS bzw. der Verantwortung der USA (URSACHEN-Prototyp: DIE USA SIND SCHULD) gilt auch der MANGEL AN MORAL als eine weitere wichtige URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“. Dabei handelt es sich um die Gier und weitere menschliche Schwächen, die zum kollektiven Börsenwahn und schließlich zur Krise geführt haben.21 Für diesen URSACHEN-Prototyp werden vom Spiegel und von der FAZ jeweils nur 6 und 7 konkrete Füllwerte präsentiert und damit ist dieser URSACHEN-Prototyp beim Platzen der „Dotcom-Blase“ – wie bei der Asienkrise auch – von nachrangiger Bedeutung (vgl. Tabelle 14). Die Leerstelle AKTEURE als URHEBER wird beim Platzen der „Dotcom-Blase“ in den beiden untersuchten deutschen Medien mit insgesamt nur 37 konkreten Füllwerten bedient und spielt damit im Diskurs nur eine untergeordnete Rolle. Dabei bieten die FAZ 27 und der Spiegel 10 konkrete Füllwerte (vgl. Tabelle 24). Die konkreten Füllwerte von der FAZ haben gezeigt, dass ANLEGER (mit 7 konkreten Füllwerten) und MEDIEN (mit 6 konkreten Füllwerten) für das Platzen der „Dotcom-Blase“ verantwortlich gemacht werden. Im gesamten Untersuchungskorpus werden die ANLEGER als dominante AKTEURE beim Platzen der „Dotcom-Blase“ betrachtet. Die ANLEGER haben in erster Linie selbst Schuld. Die meisten DISKURSAKTEURE im Spiegel (mit 5 konkreten Füllwerten) bezeichnen – wie in der FAZ (mit 7 konkreten Füllwerten) – die ANLEGER als Haupturheber für das Platzen der „Dotcom-Blase“ (vgl. Tabelle 24). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 301. Schuld an diesem Desaster sind alle Beteiligten […] und nicht zuletzt die Anleger, die in ihrer Gier nach dem schnellen Geld sich auf jede Neuemission gestürzt haben. (FAZ, 06.03.2002, Zweite Chance für den Neuen Markt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

|| 20 Beispiele siehe Kap. 4.3.1.2. 21 Beispiele siehe Kap. 4.3.1.2.

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302.Vergleichbar mit der holländischen Spekulationsblase sind die Motive der heutigen Anleger, deren Wunsch nach raschem Reichtum die Sinne vernebelte und sie vergessen ließ, daß sie von Aktien und den dahinterstehenden Unternehmen eigentlich keinen blassen Schimmer hatten. (FAZ, 03.08.2001, Tulpenzwiebeln und das kleine Anlegerglück) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die oben genannten Beispiele haben verdeutlicht, dass die blinden und gierigen Anleger selbst schuld seien. Dabei spielt die Gier der Anleger eine wichtige Rolle. Viele Menschen haben gehofft, an der Börse viel Geld zu verdienen (FAZ, 01.11.2002).22 Um Gewinn zu machen, haben die Anleger einen Herdentrieb ausgelöst. Denn „Neid und Gier und die Angst vor Fehleinschätzung führen zu Urteilen nach dem Motto: Millionen andere können sich nicht irren.“ (Der Spiegel, 20.11.2000)23 Dadurch habe sich die Spekulationsblase aufgebaut, geplatzt und zur Wirtschaftskrise geführt. Eng damit verknüpft ist der URSACHE-Prototyp MANGEL AN MORAL. Darüber hinaus wird den MEDIEN das unbedachte Unterstützen der InternetEuphorie und den ÖKONOMEN UND FINANZANALYSTEN die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage von den Diskursakteuren vorgeworfen. Dafür werden von der FAZ insgesamt 9 und vom Spiegel insgesamt 5 konkrete Füllwerte präsentiert (vgl. Tabelle 24). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 303. Wahlweise sind auch die Analysten verantwortlich, die unschuldige Investoren zum Kauf der Aktien idiotischer Firmen berieten. Vor allem Analysten jener Banken, deren Investmentabteilungen wiederum die Dot.coms an die Börse gebracht haben. (Der Spiegel, 26.03.2001, Blues im Silicon Valley) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 304.Dr. Mabuse ist in den Augen vieler Beobachter wieder da – und zwar in Form unseriöser Unternehmensführungen, Aktienanalysten und TV-Börsengurus, die Internet-Unternehmen in den Himmel lobten, kurz bevor die Kurse einbrachen. (FAZ, 12.03.2002, Das verdammte Wirtschaftswunder und die Rückkehr des Dr. Mabuse) AKTEUR der verbalen Handlung: Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG und Hans Joachim Voth, deutscher Ökonom

|| 22 FAZ, 01.11.2002, "Den Homo oeconomicus habe ich noch nicht getroffen" 23 Der Spiegel, 20.11.2000, "Wie ein Kettenbrief"

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Im Vergleich mit den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise (vgl. Tabelle 22) werden bei der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ die AKTEURE aus dem Bereich der Politik wie REGIERUNG UND ZENTRALBANK bzw. die AKTEURE aus der FINANZINDUSTRIE wie BANKEN, INVESTOREN UND SPEKULANTEN zwar nicht ganz aus der Verantwortung ausgeklammert, jedoch sind sie im Diskurs von nachrangiger Bedeutung (mit insgesamt 11 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 24). Im Vergleich mit den FOLGEN der Asienkrise (vgl. Tabelle 32) haben bei der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ die FOLGEN-Prototypen WELTREZESSION und ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS an Relevanz verloren. Stattdessen ist der FOLGEN-Prototyp VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH relevanter geworden, der bei der Asienkrise im Diskurs keine Rolle spielt und dafür nur eine Textstelle im Spiegel belegt ist (vgl. Tabelle 32). Beim Platzen der „DotcomBlase“ besteht jedoch ein Konsens dahin gehend, dass die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH die wichtigste FOLGE des Platzens der „DotcomBlase“ ist. Diese wird im Spiegel mit 13 und in der FAZ mit 5 konkreten Füllwerten bedient (vgl. Tabelle 34). Die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH wird von den Diskursakteuren insgesamt als die wichtigste Folge des Platzens der „Dotcom-Blase“ angesehen. Einerseits profitierten vom NewEconomy-Boom vor allem die Spitzenverdiener (Der Spiegel, 29.05.2000).24 Andererseits haben Millionen Menschen nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ ihren Job verloren (FAZ, 06.09.2001).25 Infolgedessen herrschte eine „The winner takes it all“-Mentalität (Der Spiegel, 13.03.2000)26 und rasch wüchse die Kluft zwischen Arm und Reich.Als typische Beispiele können gelten: 305. Und in der Tat haben die Konzentration des Reichtums und die Armut in den Jahren des Internet-Booms zugenommen. (FAZ, 12.07.2000, Aus den Ruinen unserer Zeit wächst ein zweiter Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Jaron Lanier, US-amerikanischer Computertheoretiker

|| 24 Der Spiegel, 29.05.2000, Das Comeback Europas 25 FAZ, 06.09.2001, Rau warnt vor den Folgen der Globalisierung 26 Der Spiegel, 13.03.2000, "Es regiert die Gier"; FAZ, 16.11.2000, Selbstorganisation ersetzt den hoheitlichen Akt.

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306. Dazu müssen wir in Kauf nehmen, daß sich die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. (FAZ, 12.03.2002, Das verdammte Wirtschaftswunder und die Rückkehr des Dr. Mabuse) AKTEUR der verbalen Handlung: Werner G. Seifert, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG und Hans Joachim Voth, deutscher Ökonom 307. Rasch wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, selbst inmitten des kalifornischen Silicon Valley, der Reichtumsschmiede für die meisten InternetMillionäre. Während das Einkommen des oberen einen Prozents dort zwischen 1993 und 1997 um 57 Prozent nach oben schoss, stieg das Einkommen des unteren Fünftels lediglich um zehn Prozent – und liegt damit inflationsbereinigt sogar immer noch 13 Prozent unter dem Wert von 1989. (Der Spiegel, 13.03.2000, „Es regiert die Gier“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die FORDERUNG-Leerstelle wird bei der Krisenperiode des Platzens der „DotcomBlase“ mit insgesamt nur 47 konkreten Füllwerten bedient und ist damit im Vergleich mit den anderen drei Krisenperioden von nachrangiger Bedeutung. Für die Detailfrage nach der FORDERUNG bei der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ bietet die FAZ mehr konkrete Füllwerte an als der Spiegel. In der FAZ wird diese Leerstelle mit 31 konkreten Füllwerten und im Spiegel mit nur 12 konkreten Füllwerten bedient (vgl. Tabelle 82). Als die wichtigsten FORDERUNGEN gelten in der FAZ STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL mit 11 konkreten Füllwerten und REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE mit 8 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 82). Die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL ist seit dem Platzen der „Dotcom-Blase“ eine der wichtigsten FORDERUNGEN in beiden untersuchten deutschen Medien. Die folgenden Äußerungen sollen dies beispielhaft belegen: 308. Es bedarf einer Börsen- und Anlegerkultur, in der nicht Gier, sondern Altersvorsorge das zentrale Motiv ist und in der nicht biedere Anleger in hochriskante Börsensegmente gejagt werden, die eigentlich den Profis vorbehalten sein sollten. (FAZ, 03.01.2003, Pioniere, Goldgräber und Raubritter – eine Ära wird beerdigt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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309. Es bedarf aber auch einer Medienkultur, die sich einer allgemeinen Hysterie zu entziehen weiß und der Vernunft den Vortritt läßt vor den zugegebenermaßen auflagenträchtigeren 1000-Prozent-Schlagzeilen. (FAZ, 03.01.2003, Pioniere, Goldgräber und Raubritter – eine Ära wird beerdigt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 310. Rau forderte die Wirtschaftsführer auf, nicht länger eine Gewinnmaximierung um den Preis des Abbaus von Arbeitsplätzen zu betreiben. (FAZ, 06.09.2001, Rau warnt vor den Folgen der Globalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Johannes Rau, Bundespräsident Ähnlich wie bei der Asienkrise überwiegt beim Spiegel in der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ wiederum die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE mit 4 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 82). Wie die Tabelle 90 zeigt, hat die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE bereits in der Asienkrise – und daher auch in der Krisenperiode des Platzens der „DotcomBlase“ – an Bedeutung gewonnen und bei der FAZ erst in der letzten Weltfinanzkrise. Alles in allem werden auf die Fragen nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ sowie FORDERUNG für die Zukunft im deutschen Mediendiskurs wenige Antworten gegeben. Zur Detailfrage nach den URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ bietet die FAZ mehr konkrete Füllwerte als der Spiegel an und sie führt das Platzen der „Dotcom-Blase“ vorwiegend auf die BLASEN-WIRTSCHAFT zurück, die zum Zusammenbruch der Aktienmärkte geführt hat. Daneben gilt ÜBEROPTIMISMUS auch als eine relevante URSACHE, der von den Diskursakteuren im Spiegel als die wichtigste URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“ angesehen wird. Ähnlich wie bei der Asienkrise wird die Verantwortung der USA (URSACHEN-Prototyp: DIE USA SIND SCHULD) im deutschen Mediendiskurs als eine weitere relevante URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“ genannt. Die Leerstelle AKTEURE als URHEBER spielt beim Platzen der „Dotcom-Blase“ in den beiden untersuchten deutschen Medien eine untergeordnete Rolle. Die meisten Diskursakteure bezeichnen die blinden und gierigen ANLEGER selbst als Haupturheber für das Platzen der „Dotcom-Blase“. Außerdem wird den MEDIEN von den Diskursakteuren das unbedachte Unterstützen der Internet-Euphorie und den ÖKONOMEN UND FINANZANALYSTEN die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage vorgeworfen. Im Vergleich mit den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise haben bei der Krisenperiode des Platzens der „DotcomBlase“ die AKTEURE aus dem Bereich der Politik wie REGIERUNG UND ZENTRALBANK

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bzw. die AKTEURE aus der FINANZINDUSTRIE wie BANKEN, INVESTOREN UND SPEKULANTEN im deutschen Mediendiskurs an Relevanz verloren. Als die wichtigste FOLGE des Platzens der „Dotcom-Blase“ wird die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH von den Diskursakteuren betrachtet. Im Vergleich mit den anderen drei Krisenperioden ist die FORDERUNG-Leerstelle bei der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ von nachrangiger Bedeutung. Als wichtigste FORDERUNGEN gelten in den beiden deutschen Medien STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL und REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE. 5.1.4 Die Weltfinanzkrise Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) zeichnen die ermittelten Daten aus den untersuchten Medien ein insgesamt umfassenderes Bild von den verschiedenen Aspekten der Wirtschaftskrise. Wie in Kapitel 4.3 dargelegt, wurden für diese Krisenperiode alle Werte für die Makro-Rollen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE – als Antworten auf die Detailfragen nach den URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN, BEWERTUNG und FORDERUNG – von den untersuchten deutschen Medien präsentiert. Alle diese Aspekte treten im Diskurs mit spezieller inhaltlicher Füllung in Erscheinung. Zur Frame-spezifischen Frage nach den URSACHEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) bieten die FAZ-Texte besonders viele konkrete Füllwerte (209 Codings), während diese Leerstelle im Spiegel mit 177 konkreten Füllwerten bedient wird (vgl. Tabelle 20). Die in der FAZ genannte wichtigste URSACHE für die Weltfinanzkrise (ab 2007) ist DEREGULIERUNG DER MÄRKTE (64 Codings, vgl. Tabelle 20). Damit sei die Verursachung der letzten Weltfinanzkrise bei der FAZ hauptsächlich der erfolgten Deregulierung der globalen Finanzmärkte zuzuschreiben. Die Finanzkrise sei somit die Folge der mangelhaften Regulierung und die Folge des blinden Glaubens an die Selbstregulierung der Finanzmärkte. Es habe zu viel Deregulierung gegeben (FAZ, 05.11.2008)27 und Märkte tendieren ohne angemessene Regulierung zu Exzessen (FAZ, 18.01.2010).28 Als typische Beispiele können gelten: 311. Jahrzehnte der Deregulierung haben der Welt die Diktatur der Finanzmärkte beschert. (FAZ, 11.09.2012, Warum die Linke oft recht hat, es aber nur selten bekommt) AKTEUR der verbalen Handlung: Oskar Lafontaine, SPD-Chef

|| 27 FAZ, 05.11.2008, Starker Staat, schwacher Staat 28 FAZ, 18.01.2010, Marktwirtschaft gibt es nicht ohne Haftung

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312. Der Finanzindustrie wurde es durch fehlende Regulierung erlaubt, „viel zu profitabel und viel zu groß zu werden“, sagt George Soros. (Der Spiegel, 09.06.2008, Die Preistreiber) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 313. Der EZB-Präsident beschrieb die Finanz- und Wirtschaftskrise als das Ergebnis von Übertreibungen und Ungleichgewichten, die sich als Folge der Deregulierung der Finanzmärkte in den achtziger und neunziger Jahren aufgebaut hätten. (FAZ, 30.08.2010, EZB-Präsident warnt vor verlorenem Jahrzehnt) AKTEUR der verbalen Handlung: Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) 314. Zu den Ursachen der Krise zähle, dass die moderne Art der Bankregulierung, namentlich die neuen Eigenkapitalvorschriften „Basel II“, zu stark auf Selbstregulierung setzten. (FAZ, 22.08.2008, Nobelpreisträger halten das ganze Finanzsystem für mangelhaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger Die DISKURSAKTEURE, die die URSACHE DEREGULIERUNG DER MÄRKTE genannt haben, stammen aus allen wichtigen Bereichen der Gesellschaft, wie z. B. der USFinanzinvestor Georg Soros aus der Sphäre WIRTSCHAFT, der SPD-Chef Oskar Lafontaine und Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva aus der Sphäre POLITIK, der Vatikan aus der Sphäre RELIGION und der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz aus der Sphäre WISSENSCHAFT. Des Weiteren werden MANGEL AN MORAL (mit 38 konkreten Füllwerten) und die Verantwortung der USA (Ursachen-Prototyp: THE MADE-IN-AMERICA CRISIS, mit 35 konkreten Füllwerten) in der FAZ als wichtige Ursachen ausgemacht (vgl. Tabelle 20). Ähnlich wie in der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ spielt der URSACHEN-Prototyp MANGEL AN MORAL bei den Erklärungen zur letzten Weltfinanzkrise in der FAZ auch eine wichtige Rolle. Dabei werden die Anreizmechanismen der Investmentbanken, Gier-Mechanismus, menschliches Versagen, Kultur der Gier und Maßlosigkeit sowie strukturelle Nichtverantwortlichkeit als Ursachen der Weltfinanzkrise ausgemacht. Als typische Beispiele können gelten:

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315. „Egoismus und kollektive Gier“ sowie ein „Wirtschaftsliberalismus ohne Regeln und ohne Kontrolle“ hätten zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise geführt. (FAZ, 11.10.2008, Was wird morgen sein) AKTEUR der verbalen Handlung: Der Vatikan 316. Das Risiko der strukturellen Nichtverantwortlichkeit ist das Kernproblem unseres Krisenszenarios. (FAZ, 28.05.2009, Der Schaden der anderen) AKTEUR der verbalen Handlung: Paul Kirchhof, deutscher Verfassungs-und Steuerrechtler 317. Was die tieferen Ursachen sind, daran scheiden sich die Geister. Viele der Übertreibungen, die zur Krise geführt haben, sind nicht ohne die Gier vieler Marktteilnehmer zu erklären und auch nicht ohne die Gier der Anleger, die sich die Chance auf Traumrenditen nicht entgehen lassen wollten – von Investmentfonds über Kleinsparer bis zu klammen Kommunen. (FAZ, 27.08.2009, Ohne Maß ist die Freiheit der Ruin) AKTEUR der verbalen Handlung: Wolfgang Schäuble, CDU, Finanzminister Im Vergleich mit den URSACHEN der Asienkrise und der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ rückt der URSACHEN-Prototyp MANGEL AN MORAL während der Weltfinanzkrise (ab 2007) immer stärker ins öffentliche Bewusstsein und ist ein rasanter Anstieg an konkreten Füllwerten zu verzeichnen (vgl. Tabelle 8, 14 und 20). Ähnlich wie bei der Asienkrise führt der Spiegel die Hauptursachen der letzten Weltfinanzkrise auf die Verantwortung der USA zurück (URSACHEN-Prototyp: THE MADE-IN-AMERICA CRISIS, mit 75 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 20). Dabei geht die Weltfinanzkrise (ab 2007) auf die US-Regierung, auf die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, auf ihre billige Geldversorgung und ihren Trugschluss der Risikoverteilung, auf das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und auf die Blase der Subprime-Kredite sowie auf die amerikanische kreative Zerstörung finanzmarktbezogener Innovationen zurück. Kurz und bündig: Die USA sind schuld an der Weltfinanzkrise:29

|| 29 Siehe z. B. im Spiegel: 20.08.2007, Amerikanischer Alptraum; 28.01.2008, Der kranke Gorilla; 09.06.2008, Die Preistreiber; 13.10.2008, FINANZKRISE Der Schwarze Herbst; 14.09.2009, Der Erreger lebt weiter; 06.04.2009, Ich übernehme die Verantwortung; 27.04.2009, Unheimliche Parallelen; 11.05.2009, Lob der Gier; 23.11.2009, Wahnsinn 2.0; 22.08.2011, Märkte außer Kontrolle.

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318. Ursprung und Schwerpunkt der Probleme liegen eindeutig in den USA. Die Ursachen sind vielfältig: Nach 9/11 wurde sehr viel billiges Geld auf den Markt geworfen. Das bekamen offenkundig auch Leute mit einer schlechten Bonität. So schwoll die Immobilienblase an. Bei den Banken begann ein Rattenrennen um Gewinnmargen. Die Spekulation ist dann komplett aus dem Ruder gelaufen. (Der Spiegel, 29.09.2008, „In einen Abgrund geblickt“) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister 319. Die aktuelle globale Finanzstruktur ist nicht nur mangelhaft, sie ist auch ungerecht, insbesondere gegenüber den Entwicklungsländern. Sie gehören zu den unschuldigen Opfern dieser weltweiten Krise, die von den USA geschaffen wurde. Selbst Länder, die alles richtig machten – ihre Wirtschaft besser regulierten und makroökonomische Vorsicht walten ließen – werden von den Fehlern der Vereinigten Staaten in Mitleidenschaft gezogen. (Der Spiegel, 10.11.2008, Neues Denken nötig) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 320. Keine Krise der Marktwirtschaft kann er erkennen, weil die Krise ja aus den USA über die Welt gekommen sei, aus „dem Land des Raubtierkapitalismus“, in dem die Banken machen konnten, was sie wollten, die Politiker sie nicht kontrollierten und auch solchen armen Leuten Häuser versprachen, die sie sich gar nicht leisten konnten. (Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier) AKTEUR der verbalen Handlung: Hans-Werner Sinn, deutscher Ökonom Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) wurden insgesamt 198 Codings für den URSACHEN-Prototyp THE MADE-IN-AMERICA CRISIS (DIE USA SIND SCHULD) im Untersuchungskorpus vorgenommen – davon 110 Codings in den deutschen Medientexten. Mit 75 konkreten Füllwerten erweist sich DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS beim Spiegel als der dominante URSACHEN-Prototyp für die letzte Weltfinanzkrise. Im Vergleich mit den URSACHEN der Asienkrise und der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ rückt dieser URSACHEN-Prototyp in der letzten Weltfinanzkrise verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Es ist ein rasanter Anstieg an konkreten Füllwerten zu verzeichnen und dieser URSACHENPrototyp weist damit eine zunehmende Bedeutung auf (vgl. Tabelle 8, 14 und 20).

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Die Leerstelle AKTEURE als URHEBER wird bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) in den beiden untersuchten deutschen Medien mit insgesamt 253 konkreten Füllwerten bedient – 132 im Spiegel und 121 in der FAZ (vgl. Tabelle 26). Insgesamt herrscht im Diskurs ein Konsens dazu, dass die FINANZINDUSTRIE wie BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN (127 Codings), die US-REGIERUNG UND FED (89 Codings) sowie die REGIERUNG UND ZENTRALBANK (71 Codings) die drei Haupturheber der letzten Weltfinanzkrise sind (vgl. Tabelle 25). Als Beispiele für FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN dienen folgende Äußerungen: 321. Kriminelle Finanzjongleure, destruktive Banker und verantwortungslose Geldpolitiker haben sich offenbar verschworen, die Welt in den Untergang zu treiben. (FAZ, 21.12.2008, Nichts Neues unter der Sonne) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 322. „Die Zocker in den Banken und an den Börsen haben die Krise maßgeblich verursacht, sie müssen auch an den Kosten beteiligt werden.“ (FAZ, 27.09.2012, SPD lobt Steinbrück-Pläne) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister Die daraus erwachsene FORDERUNG – KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER: sie müssen auch an den Kosten beteiligt werden 323. „Es ist uns völlig klar, dass die breite Öffentlichkeit wütend auf unsere ganze Branche ist“, betonte Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs, in der vergangenen Woche bei der Anhörung vor dem Finanzausschuss des Repräsentantenhauses. „Viele Menschen glauben – und in vielen Fällen sogar berechtigt –, dass Wall Street den Blick für ihre öffentlichen Verpflichtungen verloren hat.“ (Der Spiegel, 16.02.2009, Schuld und Sühne) AKTEUR der verbalen Handlung: Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs Zudem werden REGIERUNG UND ZENTRALBANK – speziell die US-REGIERUNG UND FED – im Diskurs als die eigentlichen Krisenverursacher genannt. Dazu weist der Spiegel 58 und die FAZ 59 konkrete Füllwerte auf (vgl. Tabelle 26). Den Regierungen und Zentralbanken der westlichen Länder wurden von den Diskursakteuren der untersuchten deutschen Medien falsche Wirtschaftspolitik – z. B. die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank – vorgeworfen:

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324. Schuld habe auch die amerikanische Regierung von George Bush, die blind marktgläubig sei, sowie Alan Greenspan, der ehemalige Chef der Notenbank Fed. (FAZ, 23.08.2008, Die Olympier der Ökonomik) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger 325. Jetzt gilt die lange Zeit unumstrittene Politik von Greenspan und Co. als Krisenverursacher, und die Möglichkeiten der US-Währungsbehörde zum Gegensteuern sind auf ein Minimum begrenzt. (Der Spiegel, 28.01.2008, Der kranke Gorilla) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 326. Ein Grund dafür ist die mangelhafte Regulierung und die unzureichende Kontrolle durch den Staat oder auf internationaler Ebene durch die Staatengemeinschaft. Wir haben es also mit einem Versagen der Regulierung zu tun. Regulierungsversagen ist aber Staatsversagen, nicht Marktversagen. (FAZ, 03.11.2008, Gelegenheit macht Freiheitsdiebe) AKTEUR der verbalen Handlung: Hermann Otto Solms, Bundestagsvizepräsident und finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion Im Vergleich mit den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise ist im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) bei den Haupturhebern keine große Veränderung erkennbar. Sowohl für die Asienkrise als auch für die letzte Weltfinanzkrise sind die FINANZINDUSTRIE – BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN und die REGIERUNG UND ZENTRALBANK – insbesondere die US-REGIERUNG UND FED – verantwortlich (vgl. Tabelle 22 und 26). Neu genannte AKTEURE ALS URHEBER der letzten Wirtschaftskrise sind AUFSICHTSBEHÖRDEN/REGULATOR (24 konkrete Füllwerte), RATINGAGENTUREN (9 konkrete Füllwerte) sowie FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN (12 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 26). Aufgrund der geringen Vorkommenshäufigkeit befinden sich diese AKTEURE-Prototypen zwar eher im Hintergrund, jedoch handelt es sich um wichtige Mitverursacher. Den AUFSICHTSBEHÖRDEN wurde Untätigkeit vorgeworfen. Die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden der Finanzmärkte haben versagt (Der Spiegel, 10.11.2008). 30 Den sorglosen RATINGAGENTUREN wurde zum Vorwurf gemacht, dass sie die Krise durch viel zu freundliche Bewertungen amerikanischer Hypothekenpapiere mit

|| 30 Der Spiegel, 10.11.2008, Neues Denken nötig

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ausgelöst hätten; daher trügen sie eine erhebliche Mitschuld an der Finanzkrise (Der Spiegel, 15.08.2011).31 Die FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN tauchten bereits bei den AKTEUREN als Urheber des Platzens der „Dotcom-Blase“ auf, denen damals eine kollektive Fehleinschätzung der Sachlage vorgeworfen wurde (vgl. Tabelle 24). In der Weltfinanzkrise (ab 2007) wurde ihnen nun ebenfalls Unfähigkeit vorgeworfen, insofern sie die drohende Finanzkrise nicht prognostizieren konnten (Der Spiegel, 11.05.2009)32 und die Anzeichen der drohenden Finanzmarktkrise nicht erkennen konnten (FAZ, 17.09.2009).33 Außerdem wäre der öffentliche Diskurs bestimmt worden von Ökonomen, die sich eher wie Theologen aufgeführt hätten, indem sie bloße Glaubenssätze zur Deregulierung deklamierten: „Je weniger Staat, desto besser“ (Der Spiegel, 17.10.2011).34 Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: Beispiele für AUFSICHTSBEHÖRDEN/REGULATOR: 327. Die Banken- und Marktaufsicht hat an jedem einzelnen Finanzplatz katastrophal versagt. Weder die deutsche Bafin noch die britische FSA, die amerikanische Federal Reserve oder die SEC haben erkannt, dass es Geschäftsmodelle gab, die gefährliche Schneeballeffekte auslösen könnten. Die Aufsichtsbehörden haben die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vernachlässigt, sich teilweise sogar in Aufsichtsfragen blockiert. Kein Wunder, dass sie nicht gesehen haben, welch systemisches Risiko in den neuen technischen Kreditprodukten und ihrer Risikoverteilung auf den Markt schlummerte. (FAZ, 25.09.2008, Das Versagen der Aufsicht) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für RATINGAGENTUREN: 328. Als einen der Hauptschuldigen der Krise bezeichnete Sanio die Ratingagenturen. (FAZ, 29.05.2009, Finanzaufsicht gesteht Fehler) AKTEUR der verbalen Handlung: Jochen Sanio, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)

|| 31 Der Spiegel, 15.08.2011, Die Not mit den Noten 32 Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier 33 FAZ, 17.09.2009, Finanzminister Steinbrück rügt die Zunft der Ökonomen 34 Der Spiegel, 17.10.2011, "Ende einer Epoche"

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Beispiele für FINANZANALYSTEN UND ÖKONOMEN: 329. Deshalb macht er nicht nur die Akteure auf den Finanzmärkten, sondern auch die Ökonomen als Zunft für die Krise verantwortlich. Sie haben den Märkten zu viel Effizienz zugeschrieben und dem Staat zu wenig zugetraut und damit die Deregulierung geistig vorbereitet. (FAZ, 12.04.2010, Weltwirtschaft in der Krise) AKTEUR der verbalen Handlung: Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger Bei der Antwort auf die Frame-spezifische Frage nach den FOLGEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden untersuchten deutschen Medien. Beim Spiegel ist NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN der relevanteste FOLGEN-Prototyp der letzten Weltfinanzkrise (mit 46 konkreten Füllwerten). Stattdessen wird bei der FAZ der FOLGENPrototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS als die wichtigste FOLGE der letzten Weltfinanzkrise herausgestellt (mit 51 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 42). Als typische Beispiele für den FOLGEN-Prototyp NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN können gelten: 330. Es ist fast, als wäre nichts gewesen. Die alte Gier ist wieder da und die alte Hybris auch. (Der Spiegel, 23.11.2009, Wahnsinn 2.0) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 331. Durchwursteln, vertagen, schönreden - das Motto der Krisenbekämpfer diesseits wie jenseits des Atlantiks hat nicht nur die Börsen in Alarmstimmung versetzt. (Der Spiegel, 08.08.2011, Welt am Abgrund) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 332. Am Ende, so zeichnet sich schon jetzt ab, wird die neue Finanzordnung der bisher bestehenden verdächtig ähnlich sehen […] Arm in Arm mit ihrer global operierenden Finanzindustrie will die US-Regierung die geplante Kapitalmarktreform nach den Prinzipien der Schönheitschirurgie ausgestalten: Alles soll neu aussehen, aber unter der Oberfläche bleiben, wie es ist. (Der Spiegel, 10.11.2008, Gipfel ohne Aussicht) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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In der FAZ gibt es nur 4 konkrete Füllwerte für den FOLGEN-Prototyp NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN. Stattdessen wird die KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS als die wichtigste FOLGE der Weltfinanzkrise (ab 2007) herausgestellt (mit 51 konkreten Füllwerten). Mit insgesamt 115 konkreten Füllwerten in den vier untersuchten Medien überwiegt dieser FOLGEN-Prototyp auch im gesamten Diskurs bei der letzten Weltfinanzkrise (vgl. Tabelle 42). Bei der Asienkrise wurde die FOLGE KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS auch von den deutschen Medien benannt – aber nur mit 7 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 32). Bei dem FOLGE-Prototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS handelt es sich um die Korrektur des Verhältnisses von Markt und Staat. Überall werde auf der Welt der Kapitalismus infrage gestellt (FAZ, 29.03.2009).35 Die Weltfinanzkrise habe bestätigt, dass der Kapitalismus eine Wirtschaftsordnung der Gier, der Ausbeutung und des skrupellosen Suchens nach individuellen Vorteilen sei (FAZ, 16.12.2009).36 Die Finanzkrise biete eine Chance, das Verhältnis von Markt und Staat zu korrigieren (FAZ, 23.12.2008).37 Wir stehen jetzt vor einem Stilwechsel (FAZ, 29.03.2009).38 Die derzeitige Krise sollte als „Katharsis“ aufgefasst werden, aus der „eine neue Wirtschaftsordnung“ erwachsen werde, „die in bester Erhardscher Tradition wieder auf Wohlstand für alle ausgerichtet ist“ (FAZ, 30.04.2009).39 Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 333. Die Finanzkrise bestätigt uns darin, dass unsere Kritik am Kapitalismus richtig war und ist. Man kann sagen: Dieses System fährt vor die Wand. Das sieht man jetzt sehr deutlich. (FAZ, 10.10.2008, „Der Neoliberalismus ist am Ende“) AKTEUR der verbalen Handlung: Franziska Drohsel, Juso-Vorsitzende, SPD 334.Der Turbokapitalismus ist tot. (FAZ, 19.10.2008, Die neue Sehnsucht nach einem New Deal) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

|| 35 FAZ, 29.03.2009, „Wir haben uns alle einlullen lassen“ 36 FAZ, 06.12.2009, Eigennutz macht alle reich 37 FAZ, 23.12.2008, „Eigeninteresse ist sittlich nicht zu beanstanden“ 38 FAZ, 29.03.2009, Ist der Kapitalismus noch zeitgemäß? 39 FAZ, 30.04.2009, Wohlstand für alle

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335. „Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn hier erlebt haben mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selber auf“, sagt etwa Steinbrück. (FAZ, 19.10.2008, In welchem Staat leben wir eigentlich? Neoliberal war die Politik in Deutschland nie) AKTEUR der verbalen Handlung: Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister Im Vergleich mit den FOLGEN der Asienkrise (siehe Tabelle 32) und FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ (siehe Tabelle 34) sind während der Weltfinanzkrise (ab 2007) zwei neue relevante FOLGEN-Prototypen in Erscheinung getreten: ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG und SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE. Die Spiegel-Texte bieten mehr konkrete Füllwerte als die FAZ (40 Codings im Spiegel, 18 Codings in der FAZ, vgl. Tabelle 42). Als Beispiele für den Prototyp ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG dienen folgende Äußerungen: 336. „Die Finanzkrise wird die Welt so stark verändern wie der Fall der Mauer. Die Gewichte zwischen Amerika, Asien und Europa verschieben sich dramatisch. Und diese Entwicklung ist noch längst nicht zu Ende“, sagte Schäuble in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“. (FAZ, 23.11.2009, Schäuble vergleicht Finanzkrise mit Fall der Mauer) AKTEUR der verbalen Handlung: Wolfgang Schäuble, CDU, Finanzminister 337. Die Finanzkrise ist eine Zäsur. Sie hatte ihren Ursprung in der verantwortungslosen Verschuldung im Westen, der nun am meisten unter den Folgen leidet. Im Unterschied zu den vorherigen Finanzkrisen der Nachkriegszeit kann der Westen nicht mehr in der Rolle des Lehrmeisters auftreten. Ihm stehen jetzt selbstbewusste Länder wie China, Indien, Brasilien, Indonesien oder die Türkei gegenüber, die auf Basis wachsender und strukturell erneuerter Volkswirtschaften ihre Interessen durchzusetzen verstehen. Die neue Weltwirtschaftsordnung zeigt sich in der Reform des Internationalen Währungsfonds. Künftig sind neben den traditionellen G-7-Ländern die vier BRICStaaten Brasilien, Russland, Indien und China die elf größten Anteilseigner des IWF. (FAZ, 24.12.2010, Die Neuordnung der Welt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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338.Die jüngste Finanz- und Bankenkrise, so viel steht heute schon fest, wird die etablierten Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft erschüttern. (Der Spiegel, 28.01.2008, Der kranke Gorilla) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Wie zuvor schon erwähnt, wird SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE als eine weitere negative FOLGE genannt. Dabei handelt es sich um die FOLGE, dass die Bankenverluste zum Großteil von den Steuerzahlern getragen werden müssen. D. h. Gewinne werden privatisiert, aber Verluste sozialisiert. Diese FOLGE hat der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz einen „amerikanischen Sozialismus“ genannt (Der Spiegel, 11.05.2009),40 und der SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht hier in ähnlicher Weise von einem „Verlustsozialismus“ (Der Spiegel, 17.10.2011).41 Als typische Beispiele können gelten: 339. Die Banker kommen ungeschoren davon, auch die Aktionäre müssen kaum bluten. Aber die Zentralbanken oder der Staat müssen haften. Da kommt der alte Vorwurf in den Sinn: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. (FAZ, 18.05.2008, „Ich sehe keine Indizien für eine neue Weltwirtschaftskrise“) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 340.„Sie [die Eliten] sind durch die Aussicht auf schnelle, sichere Profite hoch motiviert, während sich die Verluste stets auf eine sehr große Zahl von Individuen verteilen.“ Das ist exakt das Kalkül, das der Kongressausschuss bei Lehman Brothers vorfand. In der mittleren Verlustzone, so Diamond, verzichtet der Einzelne auf juristische Aktionen, weil er angesichts der Masse an Betroffenen gar keine Chance auf Entschädigung sieht. In der großen Verlustzone trifft es dann alle, aber nun ist der ohnehin schon geschädigte Staat praktisch gezwungen, systemstabilisierend tätig zu werden, auch wenn es ihn selbst an den Rand des Abgrunds führt. (FAZ, 11.10.2008, Was wird morgen sein) AKTEUR der verbalen Handlung: Jared Diamond, US-amerikanischer Evolutionsbiologe, Physiologe und Biogeograf

|| 40 Der Spiegel, 11.05.2009, Lob der Gier 41 Der Spiegel, 17.10.2011, "Ende einer Epoche"

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341. Es sei diese Privatisierung der Gewinne bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährde. (Der Spiegel, 06.04.2009, Eine Form von Irrsinn) AKTEUR der verbalen Handlung: Nikolaus Läufer, deutscher Ökonom Für die Leerstelle BEWERTUNG lässt sich aus den konkreten Füllwerten ableiten, dass – ähnlich wie bei der Asienkrise – in beiden untersuchten deutschen Medien weitgehende Einigkeit darüber herrscht, dass die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (mit insgesamt 51 konkreten Füllwerten) die dominierende BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist; wobei die FAZ-Texte mehr konkrete Füllwerte (31 Codings) als der Spiegel (20 Codings) bieten (vgl. Tabelle 66). Dieser BEWERTUNG-Prototyp erweist sich als der wichtigste Prototyp für BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Rahmen der letzten Weltfinanzkrise bei allen vier untersuchten Medien (vgl. Tabelle 66). Es handelt sich um die Bewertung der Krisenreaktionen von westlichen Politikern und Bankern sowie die Bewertung der zugehörigen Rettungsaktivitäten und Krisenmanagements von Staat, Notenbanken, Geschäftsbanken und Aufsichtsbehörden usw. Dabei erweist sich – ähnlich wie während der Asienkrise – negative BEWERTUNG im Diskurs als vorwiegend (25 konkrete Füllwerte in den untersuchten deutschen Medien). Im Gegensatz dazu wird die westliche Krisenreaktion nur an 12 Stellen als positiv bewertet (vgl. Tabelle 61). Als typische Beispiele für die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION können gelten: 342. [Ich misstraue] Den Rettungsaktionen nicht, aber ihrer langfristigen Wirkung. Sie bringen neue, zweifelhafte Grundsätze ins Finanzsystem hinein. So werden mit Leichtigkeit per Dekret hergebrachte Buchführungsstandards ausgehebelt. Der globale Aktionismus erschwert die Voraussehbarkeit des staatlichen und wirtschaftlichen Handelns sehr. (FAZ, 17.10.2008, „Das war die letzte Rettung“) AKTEUR der verbalen Handlung: Konrad Hummler, Privatbank Wegelin & Co. 343.Dabei wurde die Krise bisher nur verlangsamt, nicht gestoppt. Der Krankheitserreger steckt weiter im System. Die staatlichen Hilfsgelder wirken wie Antibiotika. Sie unterdrücken die zerstörerische Wirkung des Erregers. Aber sie heilen nicht. (Der Spiegel, 14.09.2009, Der Erreger lebt weiter) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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344. Die derzeitige Art der Krisenbekämpfung schafft doch sogar neue Risiken. Jetzt wissen die Banker, dass die Regierung ihnen unter die Arme greift, wenn alles schiefläuft. Ökonomen nennen das „moral hazard“, den Anreiz zu rücksichtslosem Verhalten, weil es nicht bestraft wird. (Der Spiegel, 14.09.2009, Stärker als die Vernunft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die oben genannten Beispiele haben verdeutlicht, dass die Krisenreaktion von Politikern und Bankern sowie die Rettungsaktionen und das Krisenmanagement von Staat und Notenbanken neue Risiken schaffen und eine Kultur der Verantwortungslosigkeit erzeugen können. Die Ökonomen nennen dies „Moral hazard“, den Anreiz zu rücksichtslosem Verhalten, weil es nicht bestraft wird (Der Spiegel, 14.09.2009),42 „weil sich plötzlich derjenige rational verhält, der hohe Risiken eingeht“ (Der Spiegel, 14.09.2009).43 Ökonom Joachim Starbatty versteht „Moral hazard“ als die Einstellung „nach mir die Sintflut“ (FAZ, 18.01.2010).44 Als weitere BEWERTUNGEN werden in beiden untersuchten deutschen Medien im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) – ebenfalls wie bei der Asienkrise – BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG genannt. Bei der BEWERTUNG DER REGULIERUNG werden insgesamt 18 konkrete Füllwerte im Spiegel ermittelt, 28 konkrete Füllwerte in der FAZ. Bei der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG werden insgesamt 33 konkrete Füllwerte in den beiden deutschen Medien ermittelt – davon 14 im Spiegel und 19 in der FAZ (vgl. Tabelle 66). Im Vergleich zur Asienkrise wird bezüglich der BEWERTUNG DER REGULIERUNG in der letzten Weltfinanzkrise im Spiegel häufiger von positiven als von negativen BEWERTUNGEN gesprochen: mit insgesamt 8 konkreten Füllwerten für die positive BEWERTUNG und nur 3 für die negative BEWERTUNG DER REGULIERUNG. Hingegen bleibt in der FAZ die Anzahl von konkreten Füllwerten der negativen und positiven Bewertung der Regulierung gleich (jeweils 10 Codings, vgl. Tabelle 63). Bei der positiven BEWERTUNG DER REGULIERUNG handelt es sich hauptsächlich um die positive Funktion der Regulierung, die zu einem gerechter verteilten Wohlstandsgewinn und Wachstum führen und zukünftige Krisen verhindern soll. Im Gegensatz dazu äußert sich in den konkreten Füllwerten der negativen BEWERTUNG DER REGULIERUNG der Gedanke, dass die Regulierung kein Allheilmit-

|| 42 Der Spiegel, 14.09.2009, Stärker als die Vernunft 43 Der Spiegel, 14.09.2009, Der Erreger lebt weiter 44 FAZ, 18.01.2010, Marktwirtschaft gibt es nicht ohne Haftung

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tel sei (FAZ, 25.10.2008),45 die Systemkrise nicht verhindern könne; zudem seien die Marktakteure so listig, dass sie Regulierungen prinzipiell unterlaufen können (FAZ, 22.02.2009). 46 Liberalisierung und Regulierung der Finanzmärkte seien ins Gleichgewicht zu bringen. Infolgedessen wird in den deutschen (und chinesischen) Medien auch ein Ausbalancieren von Regulierung und Liberalisierung gefordert. Ähnlich wie bei der Asienkrise wird bezüglich der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) in den beiden untersuchten deutschen Medien deutlich häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen – mit insgesamt 22 konkreten Füllwerten für die negative BEWERTUNG und 9 für die positive BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG (vgl. Tabelle 65). Zu der positiven BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG wird ausgesagt, dass die Deregulierung der Finanzmärkte zu Innovation und mehr wirtschaftlicher Effizienz führe und somit der stagnierenden Realwirtschaft Wachstumsimpulse gebe.47 Zu den negativen BEWERTUNGEN wird ausgesagt, dass die einseitige Entfesselung globaler Marktdynamik zerstörerisch wirke und zu Abgründen zwischen Arm und Reich führe (FAZ, 22.02.2009).48 Im Vergleich mit der Krisenperiode der Transformation in Russland und Osteuropa sowie im Vergleich mit der Asienkrise erfahren diese beiden BEWERTUNG-Prototypen – BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG – eine zunehmende Bedeutung (vgl. Tabelle 49, 58 und 66). Für die Detailfrage nach FORDERUNG im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) bieten die FAZ-Texte 270 konkrete Füllwerte, während im Spiegel diese Leerstelle mit 170 konkreten Füllwerten bedient wird. Es herrscht im gesamten Diskurs ein Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG der letzten Weltfinanzkrise ist. Mit 113 konkreten Füllwerten überwiegt die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE bei der FAZ und mit 77 beim Spiegel (vgl. Tabelle 89). Dieser FORDERUNG-Prototyp ist seit der Asienkrise auf Rang eins gestiegen (vgl. Tabelle 80). Beim Spiegel hat diese FORDERUNG in der Asienkrise an Bedeutung gewonnen und bei der FAZ erst in der letzten Weltfinanzkrise. Als typische Beispiele können gelten:

|| 45 FAZ, 25.10.2008, Ein Regelwerk für die Finanzmärkte 46 FAZ, 22.02.2009, Eine neue Weltfinanzordnung 47 Siehe z. B.: FAZ, 22.02.2009, Eine neue Weltfinanzordnung; FAZ, 27.08.2009, Ohne Maß ist die Freiheit der Ruin; FAZ, 29.03.2009, Ist der Kapitalismus noch zeitgemäß?; Der Spiegel, 09.01.2012, FINANZKRISE Wenn die Bazooka ruft. 48 FAZ, 02.07.2007, Die sichtbare Hand

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345. Transparenz, Verantwortlichkeit und sorgfältige Aufsicht müssen gestärkt werden. (FAZ, 26.11.2008, Der Aufschwung kann nicht warten) AKTEUR der verbalen Handlung: Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland (CDU) und Nicolas Sarkozy, Staatspräsident der Französischen Republik 346. Was wir sicher brauchen, ist eine wirksamere Finanzmarktregulierung, und da bedarf es internationaler Zusammenarbeit. (FAZ, 29.03.2009, „Wir haben uns alle einlullen lassen“) AKTEUR der verbalen Handlung: John Lipsky, IWF-Vizechef 347. Wenn das Eigeninteresse bestimmte Grenzen überschreitet, bedroht es die Marktwirtschaft. Eine funktionierende Gesellschaft ruht auf drei Säulen: Moral oder Anstand, Wettbewerb und Konkurrenz, Regulierung und staatliche Rahmenbedingungen. Je schwächer die Moral ausgebildet ist, desto stärker muss der Staat eingreifen. (Der Spiegel, 19.03.2012, „Gier ist der Anfang von allem“) AKTEUR der verbalen Handlung: Tomášder Sedláček, Tschechische Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater Die hohe Anzahl von konkreten Füllwerten zur FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE in der Weltfinanzkrise (ab 2007) hat gezeigt, dass über diese FORDERUNG im Diskurs sehr häufig und ausführlich diskutiert wird. Während der letzten Weltfinanzkrise wird REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE nicht nur von AKTEUREN aus den Sphären POLITIK und WIRTSCHAFT, sondern auch von AKTEUREN aus den Sphären MEDIEN, WISSENSCHAFT und RELIGION gefordert. Bei der Sphäre POLITIK handelt es sich um Staaten/Regierungen bzw. internationale Kooperationsforen, wie z. B. G-20-Staaten, G-7-Staaten, ASEM-Staaten, ASEAN usw. In beiden untersuchten deutschen Medien wird die Hälfte der FORDERUNGEN der REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (49 von 94 konkreten Füllwerten) von Regierungen der westlichen Industrieländer verlangt. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen wichtige Elemente einer neuen Finanzmarktregulierung. Dazu zählen schärfere Vorschriften für Eigenkapital und Liquiditätsreserven von Banken und anderen Marktakteuren sowie eine Regelung zur Begrenzung von Bonuszahlungen in der Kreditwirtschaft.49 Nach der Ausbreitung der letzten Weltfinanzkrise

|| 49 FAZ, 28.09.2009, Wenig Begeisterung für G-20-Beschlüsse

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haben die meisten deutschen politischen Parteien eine REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE gefordert. Die SPD war eine der lautesten Stimmen bei der FORDERUNG REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE, deren Vertreter der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist. „Nur eine knallharte Regulierung kann zukünftige Krisen verhindern“, sagte Steinbrück (FAZ, 27.09.2012).50 Nach der pessimistischen Anschauung von Oskar Lafontaine jedoch, der schon früh vor Fehlentwicklungen am Finanzmarkt gewarnt hat, haben Jahrzehnte der Deregulierung der Welt „die Diktatur der Finanzmärkte beschert“ und die Banken sind so mächtig geworden, „dass die Regierungen und Parlamente Gesetze zum Schutze der Schwachen, also der Mehrheit der Bevölkerung, nicht mehr durchsetzen können.“ (FAZ, 11.09.2012)51 Die Grünen forderten Regulierung auf internationaler Ebene und richten sich gegen das bisherige System, das „die sichtbare Hand demokratischer Regulierung“ benötige (FAZ, 02.07.2007).52 Eine neue und kluge ReRegulierung des Marktgeschehens im globalen Maßstab sei die große politische Gestaltungsaufgabe unserer Zeit. Sie müsse auf allen Ebenen der Politik ansetzen, regional und nationalstaatlich (FAZ, 02.07.2007).53 Die Linke hat vor den Auswüchsen des ungebändigten Kapitalismus gewarnt und hat gefordert, der Finanzmarkt müsse reguliert werden (FAZ, 10.10.2008).54 Für die FDP ist die Regulierung eines dynamischen Systems „ein Prozess, der nie abgeschlossen ist.“ Zukünftig muss man dafür sorgen, „dass die Regulierung besser auf Ballhöhe bleibt.“ Hermann Otto Solms hält den Staat für einen Schiedsrichter, der ständig wachsam bleiben und prüfen muss, ob die Regeln befolgt werden. „Wir brauchen nicht notwendigerweise mehr Regeln. Wir brauchen zeitgemäße Regeln.“ (FAZ, 03.11.2008)55 Bei der Sphäre WIRTSCHAFT handelt es sich um Diskursakteure der Kapitalseite – wie z. B. Investmentbanker, Spekulanten, Eigentümer usw. Die Forderung nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE wurde relativ selten von den Diskursakteuren der Kapitalseite ausgesprochen. Auffällig ist jedoch, dass seit der Asienkrise der US-Finanzinvestor Georg Soros die REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE mehrfach nachdrücklich gefordert hat. Dafür wurden im Rahmen der drei Krisenperioden (von Asienkrise bis zur letzten Weltfinanzkrise) insgesamt 27 be-

|| 50 FAZ, 27.09.2012, SPD lobt Steinbrück-Pläne 51 FAZ, 11.09.2012, Warum die Linke oft recht hat, es aber nur selten bekommt 52 FAZ, 02.07.2007, Die sichtbare Hand 53 FAZ, 02.07.2007, Die sichtbare Hand 54 FAZ, 10.10.2008, "Der Neoliberalismus ist am Ende" 55 FAZ, 03.11.2008, Gelegenheit macht Freiheitsdiebe

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treffenden Textstellen kodiert, meistens in den Spiegel-Texten.56 Während der letzten Weltfinanzkrise kritisierte Soros zunehmend den Marktfundamentalismus. Die Propaganda der Deregulierung sei so erfolgreich, dass sie „unserer Gesellschaft nicht gut getan“ habe. Und er forderte daher – „überall, wo geliehenes Geld im Spiel ist“ – eine Regulierung der Märkte (Der Spiegel, 24.11.2008).57 Die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL ist die zweitwichtigste FORDERUNG in den beiden untersuchten deutschen Medien während der letzten Weltwirtschaftskrise. Dafür weist die FAZ 29 und der Spiegel 28 konkrete Füllwerte auf (vgl. Tabelle 89). Wie zuvor bereits erwähnt, ist diese FORDERUNG seit dem Platzen der „Dotcom-Blase“ eine der wichtigsten FORDERUNGEN in beiden untersuchten deutschen Medien (vgl. Tabelle 82). Es handelt sich um Forderungen nach moralischer und sozialer Verantwortung von Bankern und Managern, die als Urheber der Wirtschaftskrise gelten; und um Forderungen nach einem moralisch erneuerten ethischen Kapitalismus, damit Wirtschaft sich nachhaltig entwickelt. Als typische Beispiele können gelten: 348. Gewinnstreben muss von Moral gesteuert werden, denn nicht alles, was der Markt für legal hält, ist auch legitim. Wenn man den Kapitalismus akzeptiert, muss man diese Herausforderung akzeptieren. Da setzt unter anderem Religion an. (Der Spiegel, 19.12.2009, Gewinne allein sind sinnlos) AKTEUR der verbalen Handlung: Stephen Green, Verwaltungsratschef der HSBC, ordinierter Priester der anglikanischen Kirche 349. Der Vatikan wendet sich an die Manager der ganzen Welt. Gier ist ein globales Problem. Im ersten Gebot heißt es: „Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft haben Zugriff auf umfangreiche Ressourcen. Der Herr fordert sie auf, Großes damit zu tun. Dies ist ihre Berufung.“ (Der Spiegel, 24.09.2012, Der Exorzist) AKTEUR der verbalen Handlung: Der Vatikan

|| 56 Siehe z. B.: Der Spiegel, 02.02.1998, Sie hofften auf ein Wunder; Der Spiegel, 06.04.1998, KAPITALISMUS. Die Reichen hauen ab; Der Spiegel, 04.05.1998, Wir brauchen neue Spielregeln; Der Spiegel, 07.09.1998, Die globale Ernüchterung; Der Spiegel, 14.12.1998, Die Märkte sind amoralisch; Der Spiegel, 23.07.2001, Die Ohnmacht der Mächtigen; Der Spiegel, 24.11.2008, "Ich spiele immer nach den Regeln"; Xinhua News Agency, 27.10.2009, Soros: A new economic system is required. 57 Der Spiegel, 24.11.2008, "Ich spiele immer nach den Regeln"

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350. Ich habe zum Beispiel einen „hippokratischen Eid“ für Manager vorgeschlagen, mit dem sie sich zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung verpflichten. Verantwortung heißt dabei nicht nur Rücksichtnahme auf die Aktionäre, sondern ein nachhaltiges Wirtschaften zum Nutzen aller, die mit dem Unternehmen in einer Verbindung stehen. Wir brauchen eine moralische Reformation oder, wenn Sie so wollen, einen Wechsel vom Ego-Kapitalismus zum Öko-Kapitalismus. (FAZ, 28.01.2009, „Ein hippokratischer Eid für Manager“) AKTEUR der verbalen Handlung: Klaus Schwab, Deutscher Ökonom, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums Ähnlich wie bei der FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE wird die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL während der Weltfinanzkrise (ab 2007) auch von den Diskursakteuren aus verschiedenen gesellschaftlichen Sphären gefordert. In beiden untersuchten deutschen Medien wird die STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL viel mehr von den AKTEURE-Sphären WISSENSCHAFT und RELIGION gefordert, während FORDERUNGEN nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE meistens aus den AKTEURE-Sphären POLITIK und MEDIEN stammen. Bei der FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL ist beispielsweise Papst Benedikt XVI. ein relativ aktiver Diskursakteur. Der Vatikan trat den Managern der ganzen Welt entgegen und betrachtete Gier als ein globales Problem. Papst Benedikt XVI. kritisierte die Praktiken an den Finanzmärkten scharf und forderte sie zu einer menschenfreundlichen Ethik (FAZ, 07.07.2009) auf:58 351. Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft haben Zugriff auf umfangreiche Ressourcen. Der Herr fordert sie auf, Großes damit zu tun. Dies ist ihre Berufung. (Der Spiegel, 24.09.2012, Der Exorzist) AKTEUR der verbalen Handlung: Der Vatikan 352. Die Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, um nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu missbrauchen, die dazu dienen können, die Sparer zu betrügen. (FAZ, 28.01.2009, „Wirtschaft braucht Ethik“) AKTEUR der verbalen Handlung: Papst Benedikt XVI.

|| 58 FAZ, 07.07.2009, "Wirtschaft braucht Ethik"

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Der katholische Bischof Reinhard Marx zieht folgende Schlussfolgerung aus der Weltfinanzkrise (ab 2007): Ein Kapitalismus ohne ethischen und rechtlichen Ordnungsrahmen sei menschenfeindlich und er fordert – so kapitalismuskritisch wie der Papst – dass die Wirtschaft nach ethischen Prinzipien gestaltet werden müsse (Der Spiegel, 27.10.2008):59 353. Genauso wichtig wie marktkonforme Regeln sei es, dass Wirtschaftsakteure ihr Handeln an ethischen Prinzipien ausrichteten. […] Verantwortung zu übernehmen, an die Folgen des eigenen Handelns zu denken, andere zu respektieren, nach der goldenen Regel zu leben: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ – das ist Grundlage für jedes Zusammenleben. (Der Spiegel, 23.12.2008, „Eigeninteresse ist sittlich nicht zu beanstanden“) AKTEUR der verbalen Handlung: Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, katholischen Sozialethiker Der deutsche Ökonom Klaus Schwab – Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums, als AKTEUR aus der Sphäre WISSENSCHAFT – forderte eine moralische Reformation, mehr Kooperation, ein nachhaltigeres Wirtschaften sowie einen Wechsel vom Ego-Kapitalismus zum Öko-Kapitalismus.60 Wie das Beispiel oben zeigt, hat Schwab einen „hippokratischen Eid“ für Manager vorgeschlagen, mit dem sie sich zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung verpflichten sollten. Verantwortung heißt dabei „ein nachhaltiges Wirtschaften zum Nutzen aller, die mit dem Unternehmen in einer Verbindung stehen“ (FAZ, 28.01.2009).61 Wie zuvor bereits erläutert, sei MANGEL AN MORAL eine der wichtigsten Ursachen der Weltfinanzkrise (ab 2007); dies erzeuge eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. Die SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE bedinge eine der wichtigsten Folgen der letzten Weltfinanzkrise, von den Ökonomen „Moral hazard“ genannt, nämlich den Anreiz zu rücksichtslosem Verhalten. Der deutsche Ökonom Joachim Starbatty vertritt daher die Meinung, dass die Therapie bei der Beseitigung des Moral-Hazard-Verhaltens einsetzen müsse, indem modifizierte Spielregeln das konstituierende Prinzip „Haftung“ wieder zur Geltung bringen (FAZ, 18.01.2010).62 Der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Tomáš

|| 59 Der Spiegel, 27.10.2008, "Wilde Spekulation ist Sünde" 60 FAZ, 28.01.2009, "Ein hippokratischer Eid für Manager" 61 FAZ, 28.01.2009, "Ein hippokratischer Eid für Manager" 62 FAZ, 18.01.2010, Marktwirtschaft gibt es nicht ohne Haftung

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Sedláček rief zur Mäßigung und Selbstbeherrschung auf. Denn Marktwirtschaft ohne Moral sei ein „Zombie-System“ (Der Spiegel, 19.03.2012).63 Mit der Forderung nach Stärkung der Wirtschaftsmoral eng verbunden sind die Forderung nach Kostenbeteiligung der Banker und die Forderung nach Reform des kapitalistischen Systems, Bändigung des Kapitalismus, die in beiden untersuchten deutschen Medien relativ oft angesprochen werden (vgl. Tabelle 89). Bei der Forderung nach Kostenbeteiligung der Banker bietet die FAZ mehr konkrete Füllwerte (32 konkrete Füllwerte) als der Spiegel (12 konkrete Füllwerte) an (vgl. Tabelle 89). Dabei handelt es sich um die Forderung nach Reaktivierung und Durchsetzung des Prinzips „Haftung“ der Verantwortlichen sowie um die Forderung nach Kürzung der Bonuszahlungen der Banker.64 Bei der Forderung nach der Reform des kapitalistischen Systems, Bändigung des Kapitalismus weist die FAZ 15 und der Spiegel 14 konkrete Füllwerte auf (vgl. Tabelle 89). Dabei handelt es sich um die Forderungen, im künftigen globalen Finanzsystem Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu verankern, eine nachhaltige Globalisierung mit wachsendem Wohlstand für alle zu sichern, nach einem Systemwandel fort vom ungebändigten angloamerikanischen Kapitalismus, dessen Versagen auch zu den wichtigsten Ursachen der Finanzkrise gehört, hin zum grünen Kapitalismus bzw. Öko-Kapitalismus. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auf die Frame-spezifischen Fragen nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) sowie nach den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns und den FORDERUNGEN für die Zukunft werden in den deutschen Medien viele Antworten gegeben. Die Verursachung der letzten Weltfinanzkrise sei bei der FAZ hauptsächlich der erfolgten Deregulierung der globalen Finanzmärkte zuzuschreiben. Der Spiegel führt die Hauptursachen der letzten Weltfinanzkrise auf die Verantwortung der USA zurück (URSACHEN-Prototyp: THE MADE-IN-AMERICA CRISIS). Dabei geht die letzte Weltfinanzkrise auf die US-Regierung, auf die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, auf ihre billige Geldversorgung und ihren Trugschluss der Risikoverteilung, auf das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und der amerikanischen Banken, auf die Blase der sogenannten Subprime-Kredite

|| 63 Der Spiegel, 19.03.2012, "Gier ist der Anfang von allem" 64 FAZ, 12.02.2008, Hohe Bonuszahlungen trotz Krise; FAZ, 25.09.2008, Das Versagen der Aufsicht; FAZ, 31.01.2009, Obama verdammt Bonuszahlungen an Wall Street; FAZ, 15.09.2009, Politiker dringen auf Änderungen; FAZ, 24.09.2009, Vor Pittsburgh Rufe nach Mut, Elan und Härte; FAZ, 01.07.2010, EU begrenzt Bonuszahlungen für Banker; Der Spiegel, 04.05.2009, "Mitgefangen, mitgehangen"; Der Spiegel, 21.09.2009, Auflaufen in Pittsburgh; Der Spiegel, 05.10.2009, Es hat alles einen Preis; Der Spiegel, 14.09.2009, Der Erreger lebt weiter.

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und auf die amerikanische kreative Zerstörung finanzmarktbezogener Innovationen zurück. Kurz und bündig: Die USA seien schuld an der Finanzkrise. Die konkreten Füllwerte für den URSACHEN-Prototyp DIE USA SIND SCHULD/THE MADEIN-AMERICA CRISIS werden im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) im Diskurs sehr häufig genannt. Im Vergleich mit den URSACHEN der Asienkrise und der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ rückt dieser URSACHEN-Prototyp in der letzten Finanzkrise verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Es ist ein rasanter Anstieg an konkreten Füllwerten zu verzeichnen und dieser URSACHENPrototyp weist damit eine zunehmende Bedeutung auf. Zu den wichtigen Ursachen der Weltfinanzkrise (ab 2007) zählen auch MANGEL AN MORAL, FEHLER DER REGIERUNG und VERSAGEN DES (GLOBALEN, ANGLOAMERIKANISCHEN) KAPITALISMUS in den beiden untersuchten deutschen Medien. Im Vergleich mit der Asienkrise ist in der letzten Weltfinanzkrise bei den Haupturhebern keine große Veränderung erkennbar. Sowohl für die Asienkrise als auch für die Weltfinanzkrise (ab 2007) sind im deutschen Mediendiskurs FINANZINDUSTRIE – wie BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN – und REGIERUNG UND ZENTRALBANK (inklusive US-REGIERUNG UND FED) verantwortlich. KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS wird als die wichtigste FOLGE der Weltfinanzkrise (ab 2007) von den Diskursakteuren der FAZ genannt, während beim Spiegel NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN der wichtigste FOLGEN-Prototyp der letzten Weltfinanzkrise ist. Im Vergleich zu den FOLGEN der Asienkrise und FOLGEN des Platzens der „DotcomBlase“ sind im Rahmen der letzten Weltfinanzkrise zwei neue relevante FOLGENPrototypen in Erscheinung getreten: ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG und SOZIALISIERUNG DER VERLUSTE. Die Spiegel-Texte bieten dabei mehr konkrete Füllwerte als die FAZ. In den untersuchten deutschen Medien wurden die westlichen Krisenreaktionen von Politikern und Bankern, die zugehörigen Rettungsaktivitäten und das Krisenmanagement von Staat, Notenbanken, Geschäftsbanken und Aufsichtsbehörden insgesamt als negativ bewertet. Des Weiteren herrscht Einigkeit darüber, dass anteilig deutlich häufiger negative BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG als positive BEWERTUNGEN ausgesprochen werden. Es besteht im Diskurs offensichtlich ein Trend hin zu mehr negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG im Lauf der Zeit und zu einem starken Anstieg der negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG in der letzten Krisenperiode. Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in der letzten Weltfinanzkrise bietet besonders die FAZ mehr konkrete Füllwerte als der Spiegel an. In beiden deutschen Medien besteht jedoch ein weitgehender Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist, die von den Diskursakteuren aus verschiedenen gesellschaftlichen Sphären gefordert wird. Die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL ist die zweitwichtigste

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FORDERUNG in den beiden Medien während der letzten Weltwirtschaftskrise, die seit dem Platzen der „Dotcom-Blase“ eine der wichtigsten FORDERUNGEN in beiden untersuchten deutschen Medien ist. Auffällig ist jedoch, dass in beiden Medien STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL viel mehr von den AKTEUREN aus Sphären WISSENSCHAFT und RELIGION gefordert wird, während die meisten FORDERUNGEN nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE aus den AKTEURE-Sphären POLITIK und MEDIEN stammen. Mit der FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL eng verbunden sind die FORDERUNG nach KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER und die FORDERUNG nach REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS, BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS, die in beiden untersuchten deutschen Medien ebenfalls relativ oft angesprochen werden. Nachdem in diesem Kapitel die Entwicklung der konkreten Füllwerte der Makro-Rollen für die Detailfragen des Matrixframes EREIGNIS in den untersuchten deutschen Medien vorgestellt und diskutiert wird, gehe ich jetzt auf die Entwicklung der konkreten Füllwerte der Makro-Rollen in den untersuchten chinesischen Medien ein, um im Abschnitt 5.3 die Ergebnisse zwischen beiden Ländern vergleichen zu können.

5.2 Entwicklung in China 5.2.1 Transformation in Russland und Osteuropa Wie zuvor bereits angedeutet, sind nicht in jedem Fall für alle Attribute pro Krise Werte nachweisbar. In Bezug auf die erste Krisenperiode – Transformation in Russland und Osteuropa – stellt sich das Bild in den untersuchten chinesischen Medien ebenfalls als sehr begrenzt dar und im Diskurs wird nur selten auf URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN dieser Wirtschaftskrise eingegangen. In der medial-öffentlichen Auseinandersetzung wird das Wirtschaftsproblem während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa nahezu ausschließlich auf BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns bzw. FORDERUNG für die Zukunft beschränkt. Für die Leerstelle BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns hat die People’s Daily 29 konkrete Füllwerte aufzuweisen. In der People’s Daily überwiegen vier BEWERTUNG-Prototypen – die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG, die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION, die BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION sowie die BEWERTUNG DER TRANSFORMATION UND REFORMEN IN OSTEUROPA – mit insgesamt 26 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 49). Dabei werden die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte bzw. die Reformen in der Sowjetunion und in

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Osteuropa sowie die westlichen Reaktionen meistens als negativ bewertet. Im Fokus steht die Kritik an der „Schocktherapie“, wie folgende Beispiele zeigen: 354. 苏 联 解 体 后 , 俄 罗 斯 推 行 新 自 由 主 义 “ 休 克 疗 法 ” 式 改 革 , 结 果导致国民经济和工业生产下降了 50%,综合国力大大削弱。 Deutsche Übersetzung: Nach der Auflösung der Sowjetunion hat Russland die neoliberalistische Reform der „Schocktherapie“ durchgeführt, die dazu geführt hat, dass die Volkswirtschaft und die Industrieproduktion um 50 Prozent zurückgingen und die nationale Stärke deutlich abgeschwächt wurde. (People’s Daily, 17.05.2012, 从国际金融危机看西方新自由主义, dt. Der westliche Neoliberalismus aus Sicht der Weltfinanzkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 355. 俄罗斯一度推行的“休克疗法”也以“一场浩劫”而告终。 Deutsche Übersetzung: Die von Russland betriebene „Schocktherapie“ endete auch in einer Katastrophe. (People’s Daily, 02.02.2012, “ 市 场 原 教旨主义”行不通, dt. Ein „Marktfundamentalismus“ ist undurchführbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 356. 俄国曾按美国药方搞“休克疗法”,结果是“有休克、无治疗”。 Deutsche Übersetzung: Russland hat die „Schocktherapie“ nach amerikanischem Rezept durchgeführt, das Ergebnis lautet: Nur Schock, keine Heilung. (People’s Daily, 05.03.1999, 美式资本主义招怨, dt. Der amerikanische Kapitalismus ruft Abneigung hervor) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Aufgrund der geringen Vorkommenshäufigkeit (nur 8 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 49) spielt die BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in den XinhuaTexten nur eine untergeordnete Rolle. Dafür bieten sie für die Leerstelle FORDERUNG jedoch wesentlich mehr konkrete Füllwerte (66 konkrete Füllwerte) als People’s Daily (19 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 73). Während des Prozesses der Transformation in Russland und Osteuropa ist in den chinesischen Medien – insbesondere in den Xinhua-Texten – die FORDERUNG nach REFORM UND WESTÖFFNUNG die wichtigste FORDERUNG (mit 27 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 73). Dabei handelt es sich nicht nur um Selbstverpflichtungen der chinesischen Regierung, das Denken im eigenen Land weiter zu befreien, kühne Innovationen voranzutreiben und „größere Schritte zu Reform und Öffnung zu

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unternehmen“,65 sondern auch um direktive Forderungen an Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa, wirtschaftliche und politische Reformen durchzuführen, die freie Marktwirtschaft einzuführen und den Markt zum Westen hin zu öffnen; dies jedoch nicht wie in den deutschen Medien vorgeschlagen „direkt und einfach nach westlichen Vorbildern“, sondern nach ihren jeweils eigenen konkreten Realitäten und zu eigenen Bedingungen: 357. Chinese communist party general secretary Zhao Ziyang told visiting soviet leader Mikhail Gorbachev here today that socialism is now facing serious challenges and reform is the only way out. „Entering a critical stage, the socialist movement in various countries are confronted with many problems that call for serious consideration and solution,“ said Zhao Ziyang while meeting his soviet counterpart. Existing structures and policies must undergo reform, Zhao noted, adding that only reform can provide benefits for the general public to see the advantages of the socialist system. (Xinhua News Agency, 16.05.1989, Zhao highlights reforms at meeting with Gorbachev) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhao Ziyang, Premierminister der Volksrepublik China 358. Socialist countries should carry out reforms in the light of their own realities, he [Li Peng] said. While conducting reforms, he added, China has always attached importance to adherence to the socialist direction, and to practising a combination of planned economy and market regulation, to bring the advantages of the two into full play. (Xinhua News Agency, 03.07.1990, Li Peng sums up China's reform experience) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China Während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa werden weitere FORDERUNGEN für die Zukunft in den chinesischen Medientexten präsentiert: in den Xinhua-Texten REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE (mit 15 konkreten Füllwerten) bzw. LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS (mit 8 konkreten Füllwerten). Die meisten konkreten Füllwerte für den FORDERUNG-Prototyp REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE beim Transformationsprozess in Russland und Osteuropa stammen aus den Xinhua-Texten. Dieser FORDERUNG-Prototyp ist in den deut-

|| 65 People’s Daily, 21.03.1992, 改革开放的步子迈得更大一些, dt. Größere Schritte zu Reform und Öffnung unternehmen

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schen Medien weniger relevant als in den chinesischen (siehe Tabelle 70). Als typische Beispiele dafür können gelten: 359. Strengthen the construction of the overall readjustment and control system by further reforming the systems of planning, finance and banking, and finally set up the kind of the overall regulation and control system that combines a planned economy with market regulation. (Xinhua News Agency, 29.10.1991, Senior official on six major economic reform tasks in 1990s) AKTEUR der verbalen Handlung: Gao Shangquan, Vizeminister der staatlichen Kommission für die Umstrukturierung der Wirtschaft 360. The guidelines of reform are as follows: […] follow a policy of combining economic planning with market regulation, so that the regulatory advantages of both may be given full play, and encourage some areas and people to become rich before others, while encouraging them to help the less prosperous ones, with the aim of gradually achieving common prosperity. (Xinhua News Agency, 30.01.1992, Chinese premier's speech at annual meeting of World Economic Forum) AKTEUR der verbalen Handlung: Li Peng, Ministerpräsident der Volksrepublik China Bei der FORDERUNG nach LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS bietet die People’s Daily 7 und die Xinhua News Agency 8 konkrete Füllwerte an. Dieser FORDERUNGPrototyp ist die wichtigste FORDERUNG bei der People’s Daily (vgl. Tabelle 73). Dabei handelt es sich hauptsächlich um die Selbstverpflichtung der chinesischen Regierung, vom Kapitalismus zu lernen, die Vorteile des Kapitalismus zu benennen, und ihre Umsetzung in China zu fordern, kapitalistische Mittel und Verfahrensweisen, wie z. B. westliches Kapital, moderne Technologien und moderne Managementmethoden, in China schrittweise einzuführen.66 Als Beispiele dienen folgende Äußerungen:

|| 66 Siehe z. B. in der People’s Daily: 23.02.1992, 对外开放和利用资本主义, dt. Öffnung nach Außen und Nutzen vom Kapitalismus; In der Xinhua News Agency: 05.12.1989, News Analysis: A summit on rough seas; 02.03.1991, Li Peng calls for intensifying reform; 17.05.1991, Jiang Zemin talks about China's reform; 14.10.1991, New SCRE minister on China's economic reform; 09.07.1992, News Analysis: Small carrot put in bottomless pit – a view from G-7 Munich Summit.

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361. 利用资本主义还包括在国内适当发展资本主义经济,作为社会主义经济的 有益补充。 Deutsche Übersetzung: Nutzen des Kapitalismus beinhaltet die angemessene Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in China als sinnvolle Ergänzung zur sozialistischen Wirtschaft. (People’s Daily, 23.02.1992, 对外开放和利用 资本主义, dt. Öffnung nach Außen und Nutzen des Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 362. [我们应该]通过改革,消除弊端,有效地利用资本主义。 Deutsche Übersetzung: [Wir sollten] durch Reformen die Nachteile des Kapitalismus beseitigen und den Kapitalismus effektiv nutzen. (People’s Daily, 20.04.1992, 再论对外开放和利用资本主义, dt. Ein weiterer Kommentar zur Öffnung nach Außen und Nutzen des Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Insgesamt lässt sich feststellen, dass auf die Fragen nach BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa und auf die Fragen nach FORDERUNGEN für die Zukunft im chinesischen Mediendiskurs nicht unbedingt sehr viele Antworten gegeben werden. Die People’s Daily hat mehr konkrete Füllwerte für die BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns als die Xinhua News Agency angeboten, wobei die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte bzw. die Reformen in der Sowjetunion und in Osteuropa meistens als negativ bewertet werden. Für die Leerstelle FORDERUNG im Transformationsprozess in Russland und Osteuropa hat die Xinhua News Agency mehr konkrete Füllwerte als die People’s Daily aufzuweisen, wobei die FORDERUNGEN nach REFORM UND WESTÖFFNUNG an die Regierungen von Russland und den früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa gestellt werden und die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE an Bedeutung gewonnen hat.

5.2.2 Asienkrise Im Rahmen der Asienkrise ergibt sich in den untersuchten chinesischen Medien ein reichhaltigeres Bild. Wie in Kapitel 4.3 gezeigt, wurden bei dieser Krisenperiode alle Werte für die Makro-Rollen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE – als Antworten auf die Detailfragen nach URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN, BEWERTUNG und FORDERUNG – von den untersuchten chinesischen Medien präsentiert.

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Zur Detailfrage nach den URSACHEN der Asienkrise bietet die People’s Daily die meisten konkreten Füllwerte im gesamten Diskurs (127 konkrete Füllwerte) an; umgekehrt sind bei der Xinhua News Agency nur 5 Textstellen für die URSACHEN der Asienkrise belegt. People’s Daily führt die Asienkrise hauptsächlich auf die GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE (mit 41 konkreten Füllwerten) zurück (vgl. Tabelle 8). Bei diesem URSACHEN-Prototyp der Asienkrise handelt es sich um die Kehrseite der Globalisierung, die Gefahren des globalen Geldgewerbes bzw. die negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung, die zur Entstehung der Asienkrise führten: 363. 亚洲金融危机是经济全球化所产生负面影响的表现,是在全球化过程中世 界经济潜在危机的大爆发。 Deutsche Übersetzung: Die Asienkrise ist ein Ausdruck der negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung, sie ist der große Ausbruch der latenten Krise der Weltwirtschaft im Globalisierungsprozess. (People’s Daily, 03.07.2000, 发挥经济新潜能, dt. Nutzen der neuen wirtschaftlichen Potenziale) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 364. 在金融体制尚不完善和金融监管能力不强的情况下,发展中国家盲目开放 国内的金融市场,金融全球化的负面影响就会凸现出来。1997 年亚洲金融 危机的爆发就是一个有力的例证。 Deutsche Übersetzung: Das Finanzsystem der Entwicklungsländer ist noch nicht vollkommen und die Fähigkeiten der Finanzaufsicht sind nicht stark. Wenn die Entwicklungsländer unter diesen Umständen ohne Überlegung den heimischen Finanzmarkt öffnen, dann werden die negativen Auswirkungen der Finanzglobalisierung offensichtlich. Die Asienkrise von 1997 ist ein exzellentes Beispiel dafür. (People’s Daily, 12.12.2000, 世界需要“共赢”的经济 全球化, dt. Die Welt braucht eine Win-Win-Wirtschaftsglobalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Aus den konkreten Füllwerten für die Leerstelle URSACHEN der Asienkrise lässt sich ableiten, dass die Globalisierung des Finanzsystems sich mit beispielloser Geschwindigkeit ausgebreitet habe und die global verfügbare Liquidität ein treibender Faktor der Spekulation sei. Das globale Geldgewerbe und exzessive Kapitalströme seien für die Entwicklungsländer besonders gefährlich, da sie den heimischen Finanzmarkt ohne Überlegung geöffnet haben und die Regulie-

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rungs- und Aufsichtssysteme damit nicht Schritt halten konnten. Die ausländischen Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten haben diese Schwächen genutzt und die Währungen der südostasiatischen Länder attackiert.67 Als weitere wichtige Ursache werden in der People’s Daily die AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN genannt (mit 21 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 8). Hier handelt es sich um spekulative Attacken der westlichen Spekulanten, die als eine wesentliche Ursache der Asienkrise gesehen wird: 365. 记者采访一些泰国经济学家和企业家时,他们都指出,国际金融投机集团 的恶性投机活动是这场金融动荡的直接原因。 Deutsche Übersetzung: Als unsere Journalisten einige thailändische Ökonomen und Unternehmer interviewten, wiesen diese darauf hin, dass die bösartigen Spekulationen der internationalen Kapitalspekulanten die direkten Ursachen der Asienkrise sind. (People’s Daily, 16.09.1997, 金融动荡中的泰国, dt. Thailand in Finanzunruhen) AKTEUR der verbalen Handlung: thailändische Ökonomen und Unternehmer Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZBANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: die internationalen Kapitalspekulanten INDUSTRIE:

366. 国际游资的投机活动与国际货币炒家的兴风作浪,是危机爆发的外部原因。 Deutsche Übersetzung: Die internationalen Spekulationen des heißen Geldes und das Unruhe-Stiften von internationalen Spekulanten sind die äußeren Ursachen der Asienkrise. (People’s Daily, 22.08.1998, 东南亚金融危机研究述要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – FINANZBANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN: die internationalen Kapitalspekulanten INDUSTRIE:

|| 67 Siehe z. B. in der People’s Daily: 04.08.1997, 就东南亚金融风暴访人行金融所所长, dt. Interview mit dem Leiter der Finanzabteilung der Chinesischen Volksbank zur Asienkrise; 16.09.1997, 吸取教训振兴经济, dt. Lehren aus der Krise ziehen und die Wirtschaft beleben; 05.01.1998, 苍蝇不叮无缝的蛋, dt. Eine Fliege sticht nicht ein Ei ohne Riss; 16.01.1998, 东亚金 融险象环, dt. Ostasien Finanzen: Überall erscheinen Anzeichen von Gefahr; 22.08.1998, 东南 亚金融危机研究述要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise.

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In diesen Beispielen wird deutlich, dass der URSACHEN-Prototyp AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN häufig mit dem AKTEUR-Prototyp – FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN – verbunden ist. Daher halten die chinesischen Staatsmedien – insbesondere People’s Daily – ausländische Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten für die Haupturheber der Asienkrise (mit insgesamt 22 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 22). Neben der GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE und der AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN gelten auch DEREGULIERUNG DER MÄRKTE und RASCHE LIBERALISIERUNG als wichtige URSACHE der Asienkrise in der People’s Daily (mit 14 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 8). Dabei handelt es sich um Deregulierung bzw. rasche Liberalisierung der Finanzmärkte, die zur Finanzkrise geführt haben. Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 367. 金融监管不力等问题是引发危机的根本原因。 Deutsche Übersetzung: Probleme wie die Unwirksamkeit der Finanzaufsicht sind die wesentliche Ursache der Krise. (People’s Daily, 05.01.1998, 苍蝇不叮 无缝的蛋, dt. Eine Fliege sticht nicht ein Ei ohne Riss) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 368. 经济高速度发展并伴随金融自由化。 Deutsche Übersetzung: [Die Ursache ist] die rasante Wirtschaftsentwicklung, die mit der Finanzliberalisierung einhergeht. (People’s Daily, 18.11.1997, 货币 危机宏观危机银行危机, dt. Währungskrise, Makrokrise, Bankenkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Zur Frame-spezifischen Frage nach den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise bietet die People’s Daily (43 Codings) ebenfalls mehr konkrete Füllwerte als Xinhua News Agency an (2 Codings, vgl. Tabelle 22). Wie zuvor bereits erwähnt, bezeichnen die meisten DISKURSAKTEURE der People’s Daily die FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN als Haupturheber der Asienkrise (mit 21 konkreten Füllwerten, vgl. Tabelle 22): 369. 这次东南亚金融危机首先是由国际炒家冲击泰铢引发的。 Deutsche Übersetzung: Die Asienkrise wurde zunächst durch den Angriff internationaler Spekulanten auf den thailändischen Baht verursacht. (People’s Daily, 05.01.1998, 苍蝇不叮无缝的蛋, dt. Eine Fliege sticht nicht ein Ei ohne Riss) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur)

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370. 国际游资的投机活动与国际货币炒家的兴风作浪,是危机爆发的外部原因。 Deutsche Übersetzung: Die internationalen Spekulationen des heißen Geldes und das Unruhe-Stiften von internationalen Spekulanten sind die äußeren Ursachen der Asienkrise. (People’s Daily, 22.08.1998, 东南亚金融危机研究述要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Darüber hinaus haben die konkreten Füllwerte zu den AKTEUREN als URHEBER der Asienkrise in der People’s Daily gezeigt, dass REGIERUNG UND ZENTRALBANK der asiatischen Staaten (mit 16 konkreten Füllwerten) neben der FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN auch für die Asienkrise verantwortlich seien (vgl. Tabelle 22): 371. 市场中留有投机的空间是各国政府的错误。 Deutsche Übersetzung: Es war der Fehler der Regierungen, Raum für Spekulation am Finanzmarkt zuzulassen. (People’s Daily, 04.08.1997, 就东南亚金 融风暴访人行金融所所长, dt. Interview mit dem Leiter der Finanzabteilung der Chinesischen Volksbank zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant 372. 政府对经济活动的干预过度。 Deutsche Übersetzung: Die Regierung hat in den wirtschaftlichen Aktivitäten übermäßig interveniert. (People’s Daily, 22.08.1998, 东南亚金融危机研究述 要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Zur Detailfrage nach den FOLGEN der Asienkrise bieten die People’s Daily-Texte ebenfalls mehr konkrete Füllwerte (81 Codings) als die Xinhua News Agency (11 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 32). Ähnlich wie in den deutschen Medien herrscht in den untersuchten chinesischen Medien auch keine Einigkeit darüber, welche die wichtigsten FOLGEN der Asienkrise sind. In der People’s Daily sind die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH (mit 17 konkreten Füllwerten) und die NEGATIVEN FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER (mit 14 konkreten Füllwerten) die zwei wichtigsten FOLGEN der Asienkrise, während diese zwei FOLGEN-Prototypen bei den Xinhua News Agency-Texten überhaupt nicht auftreten (vgl. Tabelle 32). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen:

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Beispiele für VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH: 373. 在穷国与富国之间以及在一个国家内部富人与穷人之间,出现了巨额贸易 利润分配极不平衡的现象。 Deutsche Übersetzung: Zwischen den armen und reichen Ländern bzw. zwischen armen und reichen Menschen in einem Land, gibt es ein riesiges Handelsdefizit und eine unausgewogene Gewinnverteilung. (People’s Daily, 22.06.2000, 经济全球化—亚洲与中国, dt. Wirtschaftliche Globalisierung – Asien und China) AKTEUR der verbalen Handlung: Virabongsa Ramangkura, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister Thailands 374. 第三世界与西方发达国家的贫富差距进一步扩大了。 Deutsche Übersetzung: Die Kluft zwischen reichen Ländern des Westens und armen Ländern der Dritten Welt hat sich weiter vergrößert. (People’s Daily, 10.10.1998, 经济全球化与第三世界, dt. Wirtschaftliche Globalisierung und die Dritte Welt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER: 375. 80 年代拉美国家发生的债务危机与 1997 年发生的亚洲金融危机,都曾给发 展中国家带来灾难性的后果。实践已经证明,并非所有国家都能在全球化 当中获取利益。 Deutsche Übersetzung: Die Lateinamerika-Krise der 80er Jahre und die Asienkrise von 1997 haben verheerende Folgen für die Entwicklungsländer. Die Praxis hat bewiesen, dass nicht alle Länder von der Globalisierung profitieren können. (People’s Daily, 01.02.2000, 融入经济全球化潮流, dt. Teilnahme an der wirtschaftlichen Globalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 376. 东亚金融危机显示,[…]发达国家正更多地享受全球化的利益,发展中国家则 更多地为全球化付出代价。 Deutsche Übersetzung: Die Asienkrise hat gezeigt, […] dass die entwickelten Länder die Vorteile der Globalisierung genießen, während die Entwicklungsländer den größeren Preis für die Globalisierung zahlen. (People’s Daily,

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21.10.1998, 经济全球化呼唤金融安全, dt. Die Globalisierung der Wirtschaft fordert Finanzsicherheit) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) People’s Daily hat darauf hingewiesen, was von besonderer Wichtigkeit ist, dass die Asienkrise zu einer unausgewogenen Gewinnverteilung zwischen den armen und reichen Ländern bzw. zwischen armen und reichen Menschen in einem Land führte,68 wodurch sich die Probleme sozialer Ungleichheit verschärft haben. Vor allem die Entwicklungsländer seien besonders von wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen betroffen und häufig deren Hauptleidtragende.69 Im Gegensatz zur pessimistischen FOLGE – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS, deren korrespondierende Textsegmente viel mehr in den deutschen Medien gefunden wurden, ist in den chinesischen Medien die optimistische FOLGE des asiatischen Modells – EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MODELLS – von Relevanz, wobei insgesamt 12 Codings in den chinesischen Medientexten vorgenommen wurden (vgl. Tabelle 32). Z. B.: 377. The Southeast Asian financial crisis in 1997 has created a lot of uncertainty for the economic future of Asia, but the „Asian economic miracle“ is not over, as the region could still achieve steady, though slower, growth in the years ahead. (Xinhua News Agency, 05.12.1997, Yearender: Slower growth expected, but „Asian miracle“ not over) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 378. 经过一段时间的调整和改革,“东亚模式”将得到更新和完善,东亚定能重 新焕发活力与生机,在 21 世纪的全球经济中发挥重要作用。 Deutsche Übersetzung: Nach einer Zeit der Anpassungen und Reformen wird das „ostasiatische Modell“ aktualisiert und optimiert. Ostasien wird neue Kraft und Vitalität erlangen und eine wichtige Rolle in der globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts spielen. (People’s Daily, 02.02.1999, 在达沃斯论坛年会 上汪道涵说经济全球化是双刃剑, dt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Da-

|| 68 People’s Daily, 22.06.2000, 经济全球化—亚洲与中国, dt. Wirtschaftliche Globalisierung – Asien und China 69 Siehe z. B. in der People’s Daily: 22.06.2000, 经济全球化—亚洲与中国, dt. Wirtschaftliche Globalisierung – Asien und China; 01.02.2000, 融入经济全球化潮流, dt. Teilnahme an der wirtschaftlichen Globalisierung.

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vos sagte Wang Daohan, dass die wirtschaftliche Globalisierung ein zweischneidiges Schwert ist) AKTEUR der verbalen Handlung: Wang Daohan, Präsident der Association for Relations Across the Taiwan Strait (ARATS) Zur Detailfrage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in der Asienkrise bieten die Texte der People’s Daily mehr konkrete Füllwerte (47 Codings) als die Xinhua News Agency (12 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 58). Es herrscht in beiden untersuchten chinesischen Medien kein Konsens dazu, welcher BEWERTUNG-Prototyp die wichtigste BEWERTUNG der Asienkrise ist. Die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION ist mit 26 konkreten Füllwerten der wichtigste Bewertung-Prototyp bei der People’s Daily, während sich die BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION in der Asienkrise mit 11 konkreten Füllwerten als dominant in den Texten der Xinhua News Agency erweist (vgl. Tabelle 58). In der People’s Daily überwiegt die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION mit 20 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 52). Dabei handelt es sich – ähnlich wie bei den deutschen Medien –hauptsächlich um die Kritik an der Krisenreaktion des Internationalen Währungsfonds während der Asienkrise. Die Krisenreaktion des IWF während der Asienkrise wird von den Diskursakteuren insgesamt als negativ bewertet und die Rezepte des IWF hätten kaum Erfolg gehabt: 379. 他认为国际货币基金组织的一些传统做法已经“过时”,应该加以改变,因 为它现在提出的许多建议往往妨碍有关国家的经济发展。 Deutsche Übersetzung: Er vertritt die Meinung, dass die traditionellen Methoden des IWF bereits veraltet sind und verändert werden sollten. Denn viele Vorschläge des IWF verhindern die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder. (People’s Daily, 28.09.1998, 希拉克要求加强国际金融体制, dt. Chirac fordert Verstärkung der internationalen Finanzstruktur) AKTEUR der verbalen Handlung: Jacques René Chirac, Staatspräsident Frankreichs 380.国际货币基金组织开列的“猛药”,[…]必然造成经济增长率迅速下滑和失业 激增的苦果。 Deutsche Übersetzung: Die vom IWF verschriebene „starke Medizin“ wird unweigerlich zu dem raschen Rückgang des Wirtschaftswachstums und der Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen. (People’s Daily, 26.01.1998, 东亚金融 动荡引发的思考, dt. Betrachtung der südostasiatischen Finanzunruhe)

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AKTEUR der verbalen Handlung: Gu Yuanxiang, Mitglied der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) Als weitere BEWERTUNG wird in den untersuchten chinesischen Medien BEWERKRISENREAKTION während der Asienkrise genannt, die in den untersuchten deutschen Medientexten jedoch gar keine Erwähnung findet. Dabei werden insgesamt 11 konkrete Füllwerte von der Xinhua News Agency angeboten, und 5 von der People’s Daily (vgl. Tabelle 58). Die Krisenreaktion der chinesischen Regierung während der Asienkrise wurde von den Diskursakteuren in den chinesischen Medien insgesamt als positiv bewertet. Als typische Beispiele können gelten: TUNG DER CHINESISCHEN

381. China received real recognition both for its active engagement in providing „tangible assistance“ to help regional economies recover, and for its willingness to make the „tough decision“ not to devalue its currency, he added.(Xinhua News Agency, 09.06.1998, George Bush says Asian economy will recover soon) AKTEUR der verbalen Handlung: George W. Bush, Präsident der Vereinigten Staaten 382. He said that since the outbreak of the Asian financial crisis, China has introduced measures to stimulate and promote domestic demand, and at the same time has paid attention to actually lessening the role of these measures, which is the right way to develop the economy. „The major economic measures adopted by the Chinese government, including the foreign exchange rate policy, have proved very successful,“ he said, adding that these measures not only helped stabilize and develop the domestic economy, but have also contributed significantly to the recovery of the Asian economy. (Xinhua News Agency, 20.05.1999, IMF official optimistic about China's economic prospects) AKTEUR der verbalen Handlung: Flemming Larsen, Vize-Direktor der Forschungsabteilung beim IWF Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in der Asienkrise bietet die People’s Daily 191 konkrete Füllwerte an, während diese Leerstelle in den Texten der Xinhua News Agency mit 69 konkreten Füllwerten bedient wird. Mit 61 konkreten Füllwerten überwiegt bei der People’s Daily die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE. REFORM UND WESTÖFFNUNG – die im Transformationsprozess in

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Russland und Osteuropa dominante FORDERUNG – erweist sich mit 17 konkreten Füllwerten weiter als die wichtigste FORDERUNG in den Texten der Xinhua News Agency während der Asienkrise (vgl. Tabelle 80). Wie vorher bereits erwähnt, ist die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE seit der Asienkrise auf Rang eins gestiegen (vgl. Tabelle 80, 82 und 89). Es handelt sich um Forderungen nach Reform der Finanzaufsicht bzw. nach Währungskontrollen und Kapitalkontrollen, um die exzessiven Spekulationen zu verhindern. Dieser FORDERUNG-Prototyp erweist sich als dominierend bei People’s Daily und ebenso beim Spiegel (vgl. Tabelle 80). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 383.金融自由化不应完全排除政府干预。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzliberalisierung sollte staatliche Interventionen nicht vollständig ausschließen. (People’s Daily, 30.09.1998, 过度投机 害自己, dt. Übermäßige Spekulationen schaden einem selbst) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 384. 加强金融监管。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzregulierung muss gestärkt werden. (People’s Daily, 18.11.1997, 货币危机宏观危机银行危机, dt. Währungskrise, Makrokrise, Bankenkrise) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 385. He [Lu] urged financial centers to establish sound and efficient financial institution system, financial market mechanism, and financial monitoring and supervisory framework. (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, Chairman of the International Financial Centers Association 386. The leaders voiced strong support to the full implementation of the International Monetary Fund's (IMF) reform programs and stressed that policies should be implemented in an „open, transparent, and non-discriminatory manner.“ They called for a strengthened capacity of the IMF to respond to financial difficulties „in a timely and decisive manner,“ an enhanced and more transparent global IMF surveillance system, and strengthened cooperation,

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regulation and supervision in financial sectors. (Xinhua News Agency, 03.04.1998, ASEM leaders issue statement on asian financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: ASEM leaders Der FORDERUNG-Prototyp REFORM UND WESTÖFFNUNG wird mit 17 konkreten Füllwerten in den Medientexten der Xinhua News Agency bedient und ist damit von wesentlicher Bedeutung (vgl. Tabelle 80). Dabei handelt es sich um Forderungen nach Reformen des Finanzwesens und der Wirtschaftsstruktur, nach Reformen des Sozialsystems sowie nach schrittweiser Liberalisierung und Öffnung: 387. Financial markets in developing or transitional economies should be opened step by step in line with the economic development stage of those countries. „The opening of capital market should be extremely prudent,“ warned Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association. (Xinhua News Agency, 03.12.1997, Roundup: Prudent opening of financial market urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Lu Hongjun, chairman of the international financial centers association 388. „If the Asian financial crisis has taught us anything, then it must surely be that the globalization and liberalization of markets require stronger, not weaker, domestic systems,“ he told the conference, whose theme is Hong Kong and Asia: Strategies for recovery. He noted that, as a positive outcome of the Asian financial crisis, economies all over the region were taking important steps toward reforming their financial systems. These reforms should leave Asia's financial systems in a much healthier condition and make them more resilient in the face of future financial crisis and more capable of exploiting new opportunities, he said. (Xinhua News Agency, 16.06.1999, Asian recovery should be balanced, sustainable) AKTEUR der verbalen Handlung: Beamter in Hongkong Als weitere FORDERUNG der Asienkrise wird in den untersuchten chinesischen Medien die REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS genannt – eine FORDERUNG, die während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa noch nicht auftrat. Für diese FORDERUNG bietet die People’s Daily 37 konkrete Füllwerte und die Xinhua News Agency 9 konkrete Füllwerte an (vgl. Tabelle 80). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen:

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389. 维护世界金融安全,应当建立新的世界金融体制,加强国际合作,形成大 家都能接受的公平合理的全球金融监管机制和资本交易的国际规则。 Deutsche Übersetzung: Um die Weltfinanzsicherheit zu schützen, sollte ein neues Weltfinanzsystem aufgebaut werden. Die internationalen Kooperationen sollten gestärkt werden, damit ein faires und angemessenes, für alle akzeptables, globales Finanzmarktregulierungssystem und internationale Regeln des Kapitalverkehrs gebildet werden können. (People’s Daily, 21.10.1998, 经济全球化呼唤金融安全, dt. Die Globalisierung der Wirtschaft fordert Finanzsicherheit) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 390. Malaysian foreign minister Abdullah Badawi said, „Significant changes should be made to the international financial architecture.“ Complaining that the international financial markets lack transparency, he called for rules governing the currency transactions. (Xinhua News Agency, 28.09.1998, International financial market urged to be reformed) AKTEUR der verbalen Handlung: Abdullah Badawi, malaysischer Außenminister 391. The leaders voiced strong support to the full implementation of the international monetary fund's (imf) reform programs and stressed that policies should be implemented in an „open, transparent, and non-discriminatory manner“. They called for a strengthened capacity of the imf to respond to financial difficulties „in a timely and decisive manner,“ an enhanced and more transparent global imf surveillance system, and strengthened cooperation, regulation and supervision in financial sectors. (Xinhua News Agency, 03.04.1998, ASEM leaders issue statement on asian financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: ASEM leaders Ähnlich wie bei den deutschen Medien wurde die FORDERUNG REFORM DES INTERFINANZSYSTEMS – wie z. B. Umbau des Weltwährungssystems und Internationaler Finanzinstitutionen sowie Schaffung neuer Finanzinstitutionen u. a. – in und nach der Asienkrise häufig ausführlich geäußert und damit von wesentlicher Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf die Frame-spezifischen Fragen nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Asienkrise sowie nach den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns und den FORDERUNGEN für die Zu-

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kunft in den chinesischen Medien viele Antworten gegeben werden. Dabei hat die People’s Daily deutlich mehr konkrete Füllwerte als die Xinhua News Agency angeboten. People’s Daily führt die Asienkrise hauptsächlich auf die GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE, die AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN, DEREGULIERUNG DER MÄRKTE sowie RASCHE LIBERALISIERUNG zurück. Daher halten die chinesischen Staatsmedien – insbesondere People’s Daily – ausländische Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten (AKTEURE-Prototyp FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN) für die Haupturheber der Asienkrise. Die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH und die NEGATIVEN FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER werden als die zwei wichtigsten FOLGEN der Asienkrise von den Diskursakteuren der People’s Daily genannt. In den beiden chinesischen Staatsmedien werden die westlichen Krisenreaktionen – insbesondere die vom Internationalen Währungsfonds – insgesamt als negativ bewertet. Auffällig ist jedoch, dass die Krisenreaktionen der chinesischen Regierung während der Asienkrise von den Diskursakteuren der chinesischen Medien insgesamt als positiv bewertet werden. Diese BEWERTUNG DER CHINESISCHEN KRISENREAKTION wurde in den untersuchten deutschen Medientexten jedoch gar nicht erwähnt. Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in der Asienkrise bietet die People’s Daily ebenfalls mehr konkrete Füllwerte als Xinhua News Agency an, wobei die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE bei der People’s Daily überwiegt und REFORM UND WESTÖFFNUNG sich als der wichtigste FORDERUNG-Prototyp in den Texten der Xinhua News Agency erweist.

5.2.3 Das Platzen der „Dotcom-Blase“ In Bezug auf die dritte Krisenperiode – das Platzen der „Dotcom-Blase“ – stellt sich das Bild in den untersuchten chinesischen Medien – wie im Rahmen des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa – ebenfalls als ziemlich beschränkt dar. Hier wurden nur jeweils wenige Werte für die Makro-Rollen URSACHEN und FOLGEN des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE von den untersuchten chinesischen Medien präsentiert; im Diskurs wird auch nur selten auf AKTEURE als URHEBER der Wirtschaftskrise, BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns und FORDERUNG für die Zukunft eingegangen. Wie bereits mehrfach erwähnt, liegt dies vermutlich daran, dass bei dieser Krise der übrige solide Wirtschaftsbereich nicht berührt war und die wirtschaftlichen Folgen nur sehr begrenzt in Erscheinung traten. Zur Detailfrage nach den URSACHEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ bietet die People’s Daily mehr konkrete Füllwerte (18 konkrete Füllwerte) als die Xinhua

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News Agency (4 konkrete Füllwerte) an (vgl. Tabelle 14). Im Vergleich mit der Asienkrise wird die URSACHE-Leerstelle beim Platzen der „Dotcom-Blase“ deutlich weniger bedient und hat somit eine untergeordnete Bedeutung. Für das Platzen der „Dotcom-Blase“ spielt der URSACHEN-Prototyp GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE, der während der Asienkrise in den untersuchten chinesischen Medien der wichtigste URSACHEN-Prototyp war, keine Rolle mehr. Mit insgesamt 12 konkreten Füllwerten führen die chinesischen Medien – wie die FAZ – das Platzen der „Dotcom-Blase“ in erster Linie auf die BLASEN-WIRTSCHAFT zurück, die sich an den Aktienmärkten herausgebildet und zum Zusammenbruch der Aktienmärkte geführt hat (vgl. Tabelle 14). Als Beispiele dienen folgende Äußerungen: 392. 网络公司的股票价格存在严重的泡沫。 Deutsche Übersetzung: Die Aktienkurse der Internet-Unternehmen haben eine riesige Blase gebildet. (People’s Daily, 04.04.2000, 美网络经济迅猛发展, dt. Die rasante Entwicklung der amerikanischen Internet-Wirtschaft) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 393. There is wide speculation that Internet is overvalued and it may be a bubble that could break any time. (Xinhua News Agency, 30.05.2000, Analysis: Internet More Trend Than Bubble) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Als eine weitere wichtige URSACHE wird in den chinesischen Medien – wie in den deutschen Medien auch – der ÜBEROPTIMISMUS genannt, jedoch nur mit 6 konkreten Füllwerten (vgl. Tabelle 14). Dies soll an folgenden Beispielen veranschaulicht werden: 394. „Many of the dotcom companies cannot answer the very simple question of business strategy, which is what we sell, to whom and where to sell. They are overvalued just because people do not quite understand the Internet world,“ said Haybyrne. (Xinhua News Agency, 30.05.2000, 20000530 Analysis: Internet More Trend than Bubble) AKTEUR der verbalen Handlung: James B. Haybyrne, Chairman of the Hong Kong-based Strategic Thinking Group

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395. 人们对于高技术产业的市场期望过高。 Deutsche Übersetzung: Die Leute haben zu hohe Erwartung in den Markt der High-Tech-Industrie gesetzt. (People’s Daily, 17.01.2001, 新经济怎么了, dt. Was ist denn los mit der New Economy) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Zur Frame-spezifischen Frage nach den FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ bietet die People’s Daily mehr konkrete Füllwerte (29 Codings) an als die Xinhua News Agency (3 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 34). Im Vergleich mit den FOLGEN der Asienkrise haben in der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“ die zwei FOLGEN-Prototypen – VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH, NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER – die von den Diskursakteuren der People’s Daily als die wichtigsten Folgen der Asienkirse angesehen wurden, an Relevanz verloren. Stattdessen sind in der People’s Daily GLOBALISIERUNGSSKEPSIS und GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS die wichtigsten FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ (vgl. Tabelle 34), die bei der Asienkrise im Diskurs weniger relevant sind (vgl. Tabelle 32). Die wirtschaftliche Globalisierung sei ein zweischneidiges Schwert.70 Durch die Globalisierung beherrsche die westliche Weltordnung den Weltmarkt.71 Im Prozess der Globalisierung sei Amerika zur Supermacht und zum Führer der Welt geworden und präsentiere sich als der Sieger der Globalisierung. Folglich habe Amerika starke Abneigungen hervorgerufen und der Antiamerikanismus entstände.72 Als Beispiele dienen folgende Äußerungen:

|| 70 People’s Daily, 02.02.1999, 在达沃斯论坛年会上汪道涵说经济全球化是双刃剑, dt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte Wang Daohan, dass die wirtschaftliche Globalisierung ein zweischneidiges Schwert ist. 71 Siehe z. B. in der People’s Daily: 12.12.2000, 世界需要“共赢”的经济全球化, dt. Die Welt braucht eine Win-Win-Wirtschaftsglobalisierung; 01.02.2000, 融入经济全球化潮流, dt. Teilnahme an der wirtschaftlichen Globalisierung; 17.08.2001, 反全球化不是反对全球化本身,而是反 全球化带来的各种问题, dt. Anti-Globalisierung ist nicht gegen die Globalisierung an sich, sondern vielmehr gegen die durch Globalisierung entstandenen Probleme. 72 Siehe z. B. in der People’s Daily: 05.03.1999, 美式资本主义招怨, dt. Der amerikanische Kapitalismus ruft Abneigung hervor; 05.02.1999, 全球化与负责态度, dt. Globalisierung und Verantwortungsbewusstsein.

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Beispiele für GLOBALISIERUNGSSKEPSIS: 396. 经济全球化对发展中国家也有负面的冲击和影响。它加剧了世界经济发展 的不平衡,使发达国家和发展中国家的贫富差距拉大,也使发展中国家和 发达国家内部的贫富两极分化加剧。 Deutsche Übersetzung: Die wirtschaftliche Globalisierung hat auch negative Auswirkungen und Folgen für die Entwicklungsländer. Sie verschärft das Ungleichgewicht in der Weltwirtschaftsentwicklung, vergrößert die Kluft zwischen den Industrieländern und Entwicklungsländern sowie zwischen den armen und reichen Menschen innerhalb der Industrieländer und Entwicklungsländer. (People’s Daily, 12.12.2000, 世界需要“共赢”的经济全球化, dt. Die Welt braucht eine Win-Win-Wirtschaftsglobalisierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Beispiele für GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS: 397. 对西方资本主义,尤其是对作为西方资本主义典型的美国人的强烈反感日 益明显。 Deutsche Übersetzung: Die starke Abneigung gegen den westlichen Kapitalismus, insbesondere gegen dessen klassischen Vertreter – die Amerikaner, wird von Tag zu Tag offensichtlicher. (People’s Daily, 05.03.1999, 美式资本主 义招怨, dt. Der amerikanische Kapitalismus ruft Abneigung hervor) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf die Frame-spezifischen Fragen nach den URSACHEN und FOLGEN des Platzens der „Dotcom-Blase“ im Diskurs wenige Antworten gegeben werden. Dabei hat die People’s Daily deutlich mehr konkrete Füllwerte als die Xinhua News Agency angeboten. Die chinesischen Medien führen das Platzen der „Dotcom-Blase“ in erster Linie auf die BLASENWIRTSCHAFT zurück. Daneben gilt jedoch ÜBEROPTIMISMUS als eine andere wichtige URSACHE. Als konkrete negative FOLGEN werden GLOBALISIERUNGSSKEPSIS und GEWINNER USA/ANTIAMERIKANISMUS genannt. Im Vergleich mit den Ergebnissen im Rahmen der Asienkrise sind der URSACHEN-Prototyp GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE bzw. die FOLGEN-Prototypen VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH und NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER weniger relevant geworden.

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5.2.4 Die Weltfinanzkrise Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) zeichnen die ermittelten Daten aus den untersuchten chinesischen Medien ein insgesamt umfassenderes Bild von den verschiedenen Aspekten der Wirtschaftskrise. Wie in Kapitel 4.3 dargelegt, wurden für diese Krisenperiode alle Werte für die Makro-Rollen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE – als Antworten auf die Detailfragen nach den URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN, BEWERTUNG und FORDERUNG – von den untersuchten chinesischen Medien präsentiert. Alle diese Aspekte treten im Diskurs mit spezieller inhaltlicher Füllung in Erscheinung. Zur Detailfrage nach den URSACHEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) bietet die People’s Daily 146 konkrete Füllwerte an, während diese Leerstelle in den Xinhua News Agency-Texte mit 126 konkreten Füllwerten bedient wird (vgl. Tabelle 20). Es herrscht in den beiden untersuchten chinesischen Medien Einigkeit darüber, dass die Verursachung der Weltfinanzkrise (2007–2012) überwiegend dem wirtschaftspolitischen Handeln der US-amerikanischen Regierung, der laxen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (URSACHEN-Prototyp THE MADEIN-AMERICA CRISIS mit insgesamt 88 konkreten Füllwerten) sowie der Deregulierung der globalen Finanzmärkte (URSACHEN-Prototyp DEREGULIERUNG DER MÄRKTE mit insgesamt 73 konkreten Füllwerten) zuzuschreiben sei (vgl. Tabelle 20). Für den URSACHEN-Prototyp THE MADE-IN-AMERICA CRISIS hat die People’s Daily 45 und die Xinhua News Agency 43 konkrete Füllwerte aufzuweisen. Als typische Beispiele können gelten: 398. Obama said it was a „collective failure of responsibility in Washington, on Wall Street, and across America that led to the near-collapse of the financial system one year ago.“ (Xinhua News Agency, 15.09.2009, Obama pushes for regulation reform on Lehman collapse anniversary) AKTEUR der verbalen Handlung: Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten 399. Improper macro-economic policies by the U.S. government were also considered a trigger of the crisis. In a bid to stimulate economic growth, the Federal Reserve drastically reduced its benchmark rates when the U.S. economy sank into recession in 2001 following the internet bubble burst. (Xinhua News Agency, 06.01.2010, Commentary: Look for solutions, not scapegoats) Akteur der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Genannt wird hier auch AKTEUR ALS URHEBER DER WIRTSCHAFTSKRISE – USREGIERUNG UND FED: the U.S. government, Alan Greenspan, the Federal Reserve

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400. 本轮金融危机的起因是美国华尔街金融界的贪婪和监管失控,[…]是美国金 融管理机构监管不到位和美国政府长期操纵美元。 Deutsche Übersetzung: Die Ursachen dieser Finanzkrise sind die Gier und das Versagen der Bankenaufsicht der Wall Street bzw. das Regulierungsversagen der Finanzaufsichtsbehörde sowie die langfristige US-Dollar-Manipulation durch die US-Regierung. (People’s Daily, 27.07.2010, 警惕“中国经济责任论”, dt. Vorsicht vor der „Theorie der wirtschaftlichen Verantwortung Chinas“) AKTEUR der verbalen Handlung: Huo, Jianguo, Leiter der Chinese Academy of International Trade(CAITEC) 401. 美国的经济政策、金融监管和金融市场的多重失误,才是造成危机的根本 原因。 Deutsche Übersetzung: Das multikausale Versagen der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik, der Finanzaufsicht und des Finanzmarktes sind die wesentlichen Ursachen der Krise. (People’s Daily, 14.01.2009,“中国责任论” 站不住脚, dt. Die „Theorie der Verantwortung Chinas“ ist unhaltbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhang Jianhua, Leiter des Forschungsbüros bei der chinesischen Volksbank Neben dem URSACHEN-Prototyp THE MADE-IN-AMERICA CRISIS gilt auch DEREGULIERUNG DER MÄRKTE – ähnlich wie bei der Asienkrise – als eine wichtige URSACHE der letzten Weltfinanzkrise in den untersuchten chinesischen Medien. Hier sind 41 konkrete Füllwerte in der People’s Daily und 32 in den Xinhua-Texten gefunden (vgl. Tabelle 20). Dabei handelt es sich um die Deregulierung und Liberalisierung der globalen Finanzmärkte. Die Finanzkrise sei somit die Folge des blinden Glaubens an die Selbstregulierung der Märkte. Als typische Beispiele können gelten: 402. 周正庆认为,近 30 年来盛行的新自由主义经济学理论和金融自由化,导致 了这些后果。 Deutsche Übersetzung: Zhou Zhengqing ist der Meinung, die in den letzten drei Jahrzehnten beliebte ökonomische Theorie des Neoliberalismus und die Finanzliberalisierung haben zu diesen Folgen [Finanzkrise] geführt. (People’s Daily, 29.10.2009, 发展资本市场不能照搬国外的东西, dt. Beim Entwickeln der Kapitalmärkte darf man nicht einfach ausländische Dinge nachahmen) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhou Zhengqing, Ex-Vorsitzender der CSRC (China Securities Regulatory Commission)

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403.The international financial crisis once again shows how dangerous a market economy without regulation can be. Since the 1990s, some profit-driven financial institutions in economies lacking effective regulation have raised massive capital with a leverage of dozens of times. While they reaped huge profits, the world was exposed to enormous risks. This fully demonstrates that a totally unregulated market economy cannot work. (Xinhua News Agency, 02.02.2009, Full text of Chinese premier's speech at University of Cambridge) AKTEUR der verbalen Handlung: Wen Jiabao, Ministerpräsident der Volksrepublik China 404. One of the many root causes of the current global financial crisis originated from the deregulation process that started in the early 1980s. (Xinhua News Agency, 23.03.2009, Commentary: Financial regulation never too much for sound global economy) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Die Diskursakteure in den untersuchten chinesischen Medien, die die URSACHE DEREGULIERUNG DER MÄRKTE genannt haben, stammen aus allen Sphären. Die Xinhua News Agency hat beispielsweise Soros zitiert: „Hungarian-born investor and philanthropist George Soros said in Budapest, Hungary, on Tuesday that the entire edifice of global financial markets that has been erected on the false premise that markets can be left to their own devices has to be rebuilt from the ground up and that a new economic paradigm is required.“73 Zudem werden in den chinesischen Medien das Versagen des globalen angloamerikanischen ungebändigten Kapitalismus, des Neoliberalismus und der ungezähmten Märkte (VERSAGEN DES GLOBALEN, ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS, 38 konkrete Füllwerte), der MANGEL AN MORAL (28 konkrete Füllwerte) und die GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE (24 konkrete Füllwerte) als Ursachen für die letzte Weltfinanzkrise angegeben (vgl. Tabelle 20). Die Leerstelle AKTEURE ALS URHEBER wird bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) in den beiden untersuchten chinesischen Medien mit insgesamt 125 konkreten Füllwerten bedient – davon 56 in der People’s Daily und 69 in den Texten der Xinhua News Agency (vgl. Tabelle 26). In der Diskursgemeinschaft der chinesischen Medien herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass FINANZINDUSTRIE wie BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN die wichtigsten AKTEURE ALS URHEBER der || 73 Xinhua News Agency, 27.10.2009, Soros: A new economic system is required

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letzten Weltfinanzkrise seien und mit ihrem Handeln das EREIGNIS Wirtschaftskrise verursachen und beeinflussen: 405. Moreover, the greediness of the financial sector in some western countries was also to blame. Driven by profit, „financial innovators“ were busy introducing to clients newer and more complicated financial derivatives, which only made matters worse when risks emerged. Therefore, the fury of U.S and European citizens toward Wall Street after the outbreak of the crisis was not unfounded. (Xinhua News Agency, 06.01.2010, Commentary: Look for solutions, not scapegoats) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 406. WALL STREET IS RESPONSIBLE. It was Wall Street that possessed the most wealth, stained with greed and corruption. It was Wall Street greed that, at least partly, led to the financial crisis and economic recession in 2008. It was giant bailout of Wall Street that, at least partially, led to a record-high government debt level. It was Wall Street's „fat cats“ who took taxpayers' aid money as their own whopping bonus. (Xinhua News Agency, 06.10.2011, News Analysis: What leads to „Occupy Wall Street“?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 407. 参加“占领华尔街”抗议活动的人们对银行家表示了愤怒,他们认为银行家 是国际金融危机的罪魁祸首. Deutsche Übersetzung: Die Demonstranten an der Protestbewegung „Occupy Wall Street“ haben ihren Zorn auf Banker ausgedrückt. Sie meinen, dass die Banker die Verursacher der internationalen Finanzkrise sind. (People’s Daily, 18.11.2011, 改革资本主义体系的三个原因, dt. Drei Gründe, warum das kapitalistische System reformiert werden muss) AKTEUR der verbalen Handlung: Die Demonstranten der Protestbewegung „Occupy Wall Street“ Als weitere AKTEURE ALS URHEBER der Weltfinanzkrise (ab 2007) werden in den untersuchten chinesischen Medien die AUFSICHTSBEHÖRDEN/REGULATOR (29 konkrete Füllwerte) sowie die US-REGIERUNG UND FED (28 konkrete Füllwerte) genannt (vgl. Tabelle 26). Nicht nur die Finanzindustrie, die Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten, sondern auch die Regulatoren, Aufseher und Rating-Agenturen seien verantwortlich für die Entstehung der Weltfinanzkrise:

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408. Obama said one of the main reasons this crisis could take place is that many agencies and regulators were responsible for oversight of individual financial firms and their subsidiaries, but no one was responsible for protecting the whole system. (Xinhua News Agency, 15.09.2009, Obama pushes for regulation reform on Lehman collapse anniversary) AKTEUR der verbalen Handlung: Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten 409. 金融危机的根源是西方国家金融创新与房产泡沫交互作用,企业普遍忽略 风险,而监管者没有尽到责任。 Deutsche Übersetzung: Die Ursachen der Finanzkrise sind das Zusammenspiel von Finanzinnovationen der westlichen Staaten und der Immobilienblase, die Risikoignorierung der Unternehmen und die Unverantwortlichkeit der Regulatoren. (People’s Daily, 10.01.2008, 巴西总统卢拉一针见血地指出金融 危机起源于发达国家心脏地带, dt. Der brasilianische Staatspräsident Lula hat treffsicher darauf hingewiesen, dass die Finanzkrise aus dem Kerngebiet der Industriestaaten stammt) AKTEUR der verbalen Handlung: Brookings Institution, US-amerikanische Denkfabrik 410. 评级机构问题重重,是引发和恶化全球金融危机的又一重要原因。 Deutsche Übersetzung: Die Ratingagenturen sind sehr problematisch. Dies ist noch eine wichtige Ursache für die Entstehung und Verschlimmerung der globalen Finanzkrise. (People’s Daily, 14.01.2009,“中国责任论”站不住脚, dt. Die „Theorie der Verantwortung Chinas“ ist unhaltbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhang Jianhua, Leiter des Forschungsbüros bei der chinesischen Volksbank Zudem werden die REGIERUNG UND ZENTRALBANK – speziell die US-REGIERUNG UND FED – im Diskurs als wichtige Krisenverursacher genannt. Dazu weist die Xinhua News Agency 28 und die People’s Daily 15 konkrete Füllwerte auf (vgl. Tabelle 26). Den Regierungen und Zentralbanken der westlichen Länder wurde von den Diskursakteuren der chinesischen Medien eine falsche Wirtschaftspolitik – wie z. B. die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank – vorgeworfen:

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411. The global financial crisis is blamed on the laissez-faire economic policy adopted by the U.S. government and its failure to exercise effective financial regulation amid the dramatic expansion of financial derivative products since early this century. (Xinhua News Agency, 28.12.2008, Yearender: Marked changes in world's political, economic landscape (part II)) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 412. 美国的经济政策、金融监管和金融市场的多重失误,才是造成危机的根本 原因。 Deutsche Übersetzung: Das multikausale Versagen der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik, der Finanzaufsicht und des Finanzmarktes sind die wesentlichen Ursachen der Krise. (People’s Daily, 14.01.2009,“中国责任论” 站不住脚, dt. Die „Theorie der Verantwortung Chinas“ ist unhaltbar) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhang Jianhua, Leiter des Forschungsbüros bei der chinesischen Volksbank Bezüglich der Antwort auf die Detailfrage nach den FOLGEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden untersuchten chinesischen Medien. In der People’s Daily ist KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS der wichtigste FOLGEN-Prototyp der letzten Weltfinanzkrise (29 konkrete Füllwerte); stattdessen wird in den Texten der Xinhua News Agency der FOLGEN-Prototyp NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER als die dominierende FOLGE der letzten Weltfinanzkrise herausgestellt (22 konkrete Füllwerte, vgl. Tabelle 42). Mit 29 konkreten Füllwerten überwiegt der FOLGEN-Prototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS bei der People’s Daily, für den die Texte der Xinhua News Agency 12 konkrete Füllwerte bieten (vgl. Tabelle 42). Auffällig ist jedoch, – anders als bei der Asienkrise und beim Platzen der „DotcomBlase“ – dass die beiden chinesischen Staatsmedien diesmal die Wirtschaftskrise unter dem ideologischen Aspekt betrachtet haben:74

|| 74 Siehe z. B. in der People’s Daily: 27.08.2009, “海啸”起处神话灭, dt. Als der Tsunami kam, wurde der Mythos zerstört; 23.03.2010, 国际金融危机下的经济全球化思, Eine Reflexion über die Wirtschaftsglobalisierung vor dem Hintergrund der Weltfinanzkrise; 22.12.2011, 透视美欧制 度性问题, Einsicht in die westlichen Systemprobleme; 30.01.2012, 资本主义需要怎样的变革, Was für eine Reform ist vom Kapitalismus benötigt; 17.05.2012, 从国际金融危机看西方新自由 主义, dt. Der westliche Neoliberalismus aus Sicht der Weltfinanzkrise.

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413. 国际金融危机宣告了新自由主义的破产。 Deutsche Übersetzung: Die internationale Finanzkrise hat den Bankrott des Neoliberalismus erklärt. (People’s Daily, 30.07.2010, 揭开经济危机的底牌, dt. Die unterste Karte der Wirtschaftskrise wird aufgedeckt) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 414. 只重视增长的资本主义制度将走向自我毁灭。 Deutsche Übersetzung: Der Kapitalismus, der nur auf das Wachstum Wert legt, wird sich in Richtung Selbstzerstörung bewegen. (People’s Daily, 16.01.2012, 金 融危机催生变革资本主义思潮, dt. Finanzkrise bringt dem Trend zur Revolution des Kapitalismus) AKTEUR der verbalen Handlung: André Gorz, französischer Soziologe 415. In the context of failing to learn lessons from the crisis of 2009, capitalism, in its current form, no longer fits the world around us, said Klaus Schwab, founder and executive chairman of the World Economic Forum (WEF) here on Wednesday. (Xinhua News Agency, 18.01.2012, Capitalism in current form no longer fits world: WEF's Schwab) AKTEUR der verbalen Handlung: Klaus Schwab, Deutscher Ökonom, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums Mit 22 konkreten Füllwerten erweist sich der FOLGEN-Prototyp NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER bei der Xinhua News Agency als der wichtigste (vgl. Tabelle 42). Während der Weltfinanzkrise (ab 2007) betrachtet sich die Xinhua News Agency als Vertreter der Entwicklungsländer – ähnlich wie die People’s Daily bei der Asienkrise (vgl. Tabelle 32) – und weist darauf hin, dass „the global financial crisis has brought more severe damage to the less-developed countries, citing Africa as the biggest victim.“ 75 „Though developing countries did not cause this crisis, they have turned out to be the hardest hit.“76 Als Beispiele dienen folgende Äußerungen:

|| 75 Xinhua News Agency, 08.07.2009, China calls for concerted efforts among G5 to tackle global challenges 76 Xinhua News Agency, 24.06.2009, Chinese FM calls for int'l cooperation on development to address global financial crisis

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416. „The developing countries will suffer for no fault of theirs. They did not cause the contagion. Many are not well-equipped to face the consequences,“ Indian Finance Minister Palaniappan Chidambaram told the Development Committee of the IMF and the World Bank. (Xinhua News Agency, 14.10.2008, Roundup: Internationally coherent actions urged) AKTEUR der verbalen Handlung: Palaniappan Chidambaram, Finanzminister Indiens 417. Developing countries have been hit hard as well, even harder, by the crisis because their hard-won achievements in development have been nearly wiped out. Besides, poor nations would suffer a double blow, developing nations say. On the one hand, it would be more difficult for developing or poor nations to get financing in global financial markets as a result of capital flow to developed countries due to bailout measures. (Xinhua News Agency, 17.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 418. „They are being hard hit by the made-in-America crisis, as turmoil in the financial markets weakens economies worldwide, threatening vital trade,“ it said. „These countries deserve a voice in any long-term solution.“ (Xinhua News Agency, 15.11.2008, G20 summit: Great expectations, but will it deliver?) AKTEUR der verbalen Handlung: Institute of International Finance (IIF) Für die Leerstelle BEWERTUNG lässt sich aus den konkreten Füllwerten ableiten, dass – ähnlich wie bei der Asienkrise – in beiden untersuchten chinesischen Medien Einigkeit darüber herrscht, dass die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (36 Codings) die dominante BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist; wobei die People’s Daily mehr konkrete Füllwerte (23 konkrete Füllwerte) als die Xinhua News Agency (13 konkrete Füllwerte) anbietet (vgl. Tabelle 66). Wie zuvor bereits erwähnt, erweist sich dieser BEWERTUNG-Prototyp in allen vier untersuchten Medien als dominant (vgl. Tabelle 66). Es handelt sich um die Bewertung der Krisenreaktionen von Politikern und Bankern, die Bewertung der zugehörigen Rettungsaktivitäten und Krisenmanagements von Staat, Notenbanken, Geschäftsbanken und Aufsichtsbehörden usw. Dabei erweist sich – ähnlich wie bei der Asienkrise – die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION im Diskurs als dominierend

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(24 konkrete Füllwerte in den untersuchten chinesischen Medien, vgl. Tabelle 61). Im Gegensatz dazu wird die westliche Krisenreaktion nur an einer Stelle in den beiden chinesischen Medien als positiv bewertet (siehe Tabelle 61). Als Beispiele für die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION dienen folgende Äußerungen: 419. The EU, together with the United States, has acted so far for the sake of their own interests, first at national level, then at the EU level. It would not work if these nations act only with their own interests in mind without taking into consideration those of developing countries, the innocent victims of this crisis, in overhauling the global financial system, analysts here say. (Xinhua News Agency, 17.10.2008, News Analysis: Interests of developing countries need to be taken into account in new global financial system) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 420. 他日前批评美国政府,认为其解决金融危机的方法并不正确,并指出贸易 保护主义是影响全球经济前景的头号负面因素。 Deutsche Übersetzung: Er [Soros] kritisierte vor einigen Tagen die USRegierung und meinte, dass die Methoden ihres Krisenmanagements nicht richtig sind. Er zeigte auch auf, dass der Handelsprotektionismus den negativsten Einfluss auf die globale Wirtschaftsperspektive habe. (People’s Daily, 25.03.2010, “金融大鳄”与金融监管, dt. Der „Finanzguru“ und die Finanzregulierung) AKTEUR der verbalen Handlung: Georg Soros, US-amerikanischer Spekulant Aus den konkreten Füllwerten für die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRIlässt sich ableiten, dass während der letzten Weltfinanzkrise die Geldpolitik der Zentralbanken der westlichen Länder, wie z. B. Quantitative Lockerung, und das Reformpaket Basel III, von den untersuchten chinesischen Medien stark kritisiert wurden.77 Die Quantitative Lockerung der westlichen Länder habe den wirtschaftlichen Interessen der Entwicklungsländer geschaSENREAKTION

|| 77 Siehe z. B. in der People’s Daily: 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng? ; 18.06.2009, 强调系统风险监管, dt. Betonung der Aufsicht für systematische Risiken; 13.05.2011, 金融体系改革与国际分工利益调整, dt. Reform des Finanzsystems und Umstellung der Interessen der internationalen Arbeitsteilung; 13.03.2012, 美国和欧洲竞相实施量化宽松 新兴国 家调整政策应对“货币海啸”, dt. USA und Europa: Quantitative Lockerung, Schwellenländer: Anpassungspolitik gegen „Währungstsunami“.

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det78 und das Reformpaket Basel III habe das Problem „too big to fail“ offenbar nicht berücksichtigt und Banken seien immer noch zu groß, um pleitegehen zu können. Das Problem sei seither noch gewachsen. Die Krise habe die Großen größer gemacht. Es bleibe immer noch unklar, wie groß Finanzinstitute noch sein dürfen, um nicht „too big to fail“ zu sein, nicht zu groß, um den Staat erpressen zu können.79 Für die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG hat die People’s Daily 7 konkrete Füllwerte und die Xinhua News Agency nur einen konkreten Füllwert angeboten (vgl. Tabelle 66). Ähnlich wie bei den deutschen Medien herrscht in beiden untersuchten chinesischen Medien Einigkeit darüber, dass anteilig deutlich häufiger negative BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG als positive BEWERTUNGEN ausgesprochen werden. Die folgenden Äußerungen stellen einen Beispielauszug für die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG dar: 421. Once again, the market proved vulnerable to a situation leading to a suicidal path without efficient regulation. (Xinhua News Agency, 23.03.2009, Commentary: Financial regulation never too much for sound global economy) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 422. 过于放松金融监管,欲以此达到加强资本市场竞争力的目标无异于南辕北辙。 Deutsche Übersetzung: Die Finanzderegulierung mit dem Ziel der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Kapitalmarkt ist nicht anders als eine ihren eigenen Interessen entgegenlaufende Handlung. (People’s Daily, 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Es besteht im Diskurs offensichtlich ein Trend hin zu mehr negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG im Lauf der Zeit und zu einem starken Anstieg der negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG in der letzten Krisenperiode. Vom Transformationsprozess nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, über Asienkrise und bis hin zur letzten Weltfinanzkrise findet man immer wieder Kritik an der zu schnellen Deregulierung in den Entwicklungsländern, die den

|| 78 People’s Daily, 13.03.2012, 美国和欧洲竞相实施量化宽松 新兴国家调整政策应对“货币海 啸”, dt. USA und Europa: Quantitative Lockerung, Schwellenländer: Anpassungspolitik gegen „Währungstsunami“ 79 People’s Daily, 13.05.2011, 金融体系改革与国际分工利益调整, dt. Reform des Finanzsystems und Umstellung der Interessen der internationalen Arbeitsteilung

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westlichen Spekulanten Chancen gegeben hat, dort gegen die Währung zu spekulieren und folglich die Finanzkrisen zu verursachen.80 Für die BEWERTUNG DER REGULIERUNG haben die People’s Daily 10 und die Xinhua News Agency 8 konkrete Füllwerte angeboten (vgl. Tabelle 66). Wie in Abschnitt 5.1 bereits erläutert, ist im gesamten Diskurs über alle Krisen hinweg der Anteil der negativen und positiven BEWERTUNGEN DER REGULIERUNG gleichmäßig verteilt (jeweils ca. 35 %). Dabei werden in der People’s Daily anteilig deutlich häufiger positive BEWERTUNGEN DER REGULIERUNG ausgesprochen als negative Bewertungen. Es gibt insgesamt nur 8 konkrete Füllwerte in den untersuchten Texten der People’s Daily und der Xinhua News Agency für die Rollenwerte der negativen BEWERTUNG DER REGULIERUNG (siehe Tabelle 63). Ähnlich wie bei der FAZ handelt es sich dabei hauptsächlich um eine Bewertung der Überregulierung:81 423. On the other, financial innovation should not be negated following the financial crisis. Excessive regulation can only throttle economic vitality. After all, market forces are the fundamental driving force of economic development. (Xinhua News Agency, 15.09.2009, News Analysis: Don't waste chance for reflecting on global financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Chen Zhiwu, US-Ökonom chinesischer Herkunft 424. 其在金融监管的道路上走得太远,长期而言可能损害市场的应变能力. Deutsche Übersetzung: Zu weit auf dem Weg der Finanzmarktregulierung zu gehen könnte auf lange Sicht die Widerstandsfähigkeit des Marktes gefährden.

|| 80 Siehe z. B. in der People’s Daily: 04.06.1992, 发展中国家为发展而努力, dt. Entwicklungsländer streben nach Entwicklung; 04.08.1997, 就东南亚金融风暴访人行金融所所长, dt. Interview mit dem Leiter der Finanzabteilung der Chinesischen Volksbank zur Asienkrise; 25.09.1997, 迎接挑战稳定金融, dt. Bewältigung der Herausforderungen der finanziellen Stabilität; 26.01.1998, 东亚金融动荡引发的思考, dt. Betrachtung der südostasiatischen Finanzunruhe; 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng? ; 09.02.2010, 全球化资本 主义寻找新方向, dt. Der globalisierte Kapitalismus sucht nach neuer Richtung. 81 Siehe z. B. in der People’s Daily: 08.08.1998, 从亚洲金融危机看政府的作用, dt. Die Asienkrise: Zur Rolle der Regierung; 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng?; 09.02.2010; In der Xinhua News Agency: 02.08.2007, China should relax financial regulations; 23.03.2009, Commentary: Financial regulation never too much for sound global economy; 15.09.2009, News Analysis: Don't waste chance for reflecting on global financial crisis; 07.04.2010, Greenspan defends his role in financial crisis.

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(People’s Daily, 03.04.2008, 有人说过松有人嫌太严, dt. Zu locker oder zu streng?) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in der Weltfinanzkrise (ab 2007) bietet die People’s Daily 219 konkrete Füllwerte an, während in den Xinhua-Texten diese Leerstelle sogar mit 460 konkreten Füllwerten bedient wird (vgl. Tabelle 89). Diese Leerstelle nimmt somit im Diskurs eine bedeutende Stellung ein. Ähnlich wie bei den beiden deutschen Medien herrscht auch in beiden untersuchten chinesischen Medien ein weitgehender Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG der letzten Weltfinanzkrise sei. Mit 118 konkreten Füllwerten überwiegt die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE bei den Xinhua-Texten und mit 62 bei der People’s Daily. Dabei handelt es sich um Forderungen nach mehr Staat, nach Reform der Finanzaufsicht, nach besseren und schärferen Aufsichten, nach mehr Kontrollen und größerer Transparenz im Bankgeschäft; um Forderungen nach einer globalen Regulierung, nach weltumspannender Aufsicht, nach einer globalen Aufsichtsbehörde für die globale Finanzinstitution; um Forderungen nach einer strengeren Regulierung der Ratingagenturen, der Hedgefonds bzw. um Forderungen nach Ausbalancieren von Regulierung und Liberalisierung. Die folgenden Äußerungen aus den beiden chinesischen Medien stellen einen Beispielauszug für die FORDERUNG nach der REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE dar: 425. In an article co-authored by British Prime Minister Gordon Brown and French President Nicolas Sarkozy, which was published on the Wall Street Journal on Thursday, the two European leaders called for a global regulation. „This crisis has made us recognize that we are now in an economy which is no longer national but global, so financial standards must also be global,“ they said. „It is clear the action that must be taken must be at a global level.“„We need to enhance coordination at the global level so that foreign exchange volatility does not create a risk to the recovery.“ (Xinhua News Agency, 12.12.2009, News Analysis: U.S. financial regulatory overhaul still faces major hurdles) AKTEUR der verbalen Handlung: Gordon Brown, Premierminister des Vereinigten Königreichs und Nicolas Sarkozy, Staatspräsident der Französischen Republik

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426.各国和各经济体应当从管理系统性风险的角度实施监管,并通过加强协调 来逐步完善监管体系。当然,加强监管并不意味着因噎废食,不是片面追 求金融业稳定而拒绝开放和创新 […] 关键在于把握自由化和金融管制之间 的平衡。 Deutsche Übersetzung: Alle Länder und Volkswirtschaften sollten Finanzmärkte aus der Perspektive der Verwaltung von Systemrisiken heraus regulieren und durch die Koordinierung allmählich das Regulierungssystem verbessern. Freilich bedeutet Stärkung der Regulierung nicht „Essen aufhören aus Angst vor dem Ersticken“. Sie ist nicht das einseitige Streben nach Finanzstabilität mit Offenheit- und Innovationsverweigerung. […] Es ist von entscheidender Bedeutung, Liberalisierung und Regulierung der Finanzmärkte ins Gleichgewicht zu bringen. (People’s Daily, 06.11.2008, 呼唤公平合理的国 际金融新秩序, dt. Forderung nach einer fairen und angemessenen neuen internationalen Finanzordnung) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) Wie zuvor bereits angedeutet, werden seit der Asienkrise in den chinesischen Medien gegenüber den deutschen Medien deutlich mehr konkrete Füllwerte für die folgenden FORDERUNG-Prototypen angeboten: REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS, VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG, GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION, VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN und UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER. Dabei handelt es sich um die Forderungen, das internationale Finanzsystem zu reformieren, das Weltwährungssystem umzubauen, den Risiken der Finanzglobalisierung vorzubeugen, das moderne Finanzrisikomanagement zu verstärken, die Zusammenarbeit aller Staaten zu intensivieren, sich gegenseitig zu unterstützen, mehr Verantwortung von den westlichen Staaten zu übernehmen und besonders die Entwicklungsländer zu unterstützen.82 Diese Forderungen wurden in der letzten Weltfinanzkrise ebenfalls von den chinesischen Medien betont. Beispielsweise ist die FORDERUNG nach der REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS die zweitwichtigste FORDERUNG und die FORDERUNG nach der GLOBALEN KOORDINIERUNG UND KOOPERATION die drittwichtigste FORDERUNG in bei-

|| 82 Siehe z. B. in der People’s Daily: 16.09.1997, 吸取教训振兴经济, dt. Lehren aus der Krise ziehen und die Wirtschaft beleben; 26.01.1998, 东亚金融动荡引发的思考, dt. Betrachtung der südostasiatischen Finanzunruhe; 22.08.1998, 东南亚金融危机研究述要, dt. Eine Übersicht der Forschungen zur Asienkrise; 05.02.1999, 全球化与负责态度, dt. Globalisierung und Verantwortungsbewusstsein.

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den untersuchten chinesischen Medien während der letzten Weltwirtschaftskrise (vgl. Tabelle 89). Für die REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS weist die People’s Daily 35 und die Xinhua News Agency 92 konkrete Füllwerte auf (vgl. Tabelle 89). Es handelt sich um Forderungen nach Reform des internationalen Finanzsystems, wie z. B.: Umbau des Weltwährungssystems, Umbau internationaler Finanzinstitutionen und Schaffung neuer Finanzinstitutionen: 427. China on Monday called on the international community to further advance the international financial system reform, and to build a new and more equal and balanced global partnership for development. „China hopes that the international community will work together to further advance the reform of the international financial system and move toward the establishment of a fair, just, inclusive and well-managed international financial order,“ President Hu Jintao said in his written interview with the Wall Street Journal and the Washington Post prior to his state visit to the United States. (Xinhua News Agency, 17.01.2011, China calls for further advancing int'l financial system reform) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China 428. Zhou Xiaochuan, China’s central bank governor, published two articles earlier this week, pointing out defects and systematical risks in the current international currency system. Zhou’s articles also call for creative reforms to improve the system. Zhou said the ongoing financial crisis is a testimony to the inherent deficiencies of the world’s current monetary system, and proposed to create a super-sovereign reserve currency as part of the reform. In a clear reference to the U.S. dollar, Zhou said the desirable goal of the international monetary system is to „create an international reserve currency that is disconnected from individual nations and is able to remain stable in the long run, thus removing the inherent deficiencies caused by using credit-based national currencies.“ (Xinhua News Agency, 26.03.2009, News Analysis: Dollar's dominance to be challenged at G20 summit) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhou Xiaochuan, Gouverneur der Chinesischen Volksbank 429. 金融体制改革要推进,一些相关的国际金融组织要改变形象和功能势在必行。 Deutsche Übersetzung: Die Reform des internationalen Finanzsystems soll gefördert werden; die Veränderung des Bildes und der Funktion der einschlä-

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gigen internationalen Finanzinstitutionen ist erforderlich. (People’s Daily, 18.03.2009, 中外专家谈——推动国际金融体系改革, dt. Gespräche mit chinesischen und ausländischen Experten - Die Reform des internationalen Finanzsystems soll gefördert werden) AKTEUR der verbalen Handlung: Edwin M. Truman, Forscher beim Peterson Institute for International Economics Für die GLOBALE KOORDINIERUNG UND KOOPERATION bietet die People’s Daily 32 und die Xinhua News Agency 69 konkrete Füllwerte an (vgl. Tabelle 89). Seit der Asienkrise hat dieser FORDERUNG-Prototyp in den chinesischen Medien zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um Forderungen nach einer globalen Reaktion auf die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, nach mehr Kooperation und nach Intensivierung einer engen internationalen Zusammenarbeit zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise: 430.It needs to cooperate with both developed and emerging countries to get over the current crisis, as it has spilled over the world. (Xinhua News Agency, 12.10.2008, News Analysis: Why G20 shows up vital amid global financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Textautor (Redakteur) 431. „As long as we strengthen confidence and work together, we will tide over the difficulties and achieve our shared goals,“ said the Chinese president. (Xinhua News Agency, 02.04.2009, Chinese president calls for concerted efforts to tide over crisis at G20 London summit) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China 432. 国 际 金 融 危 机 是 一 场 全 球 性 的 挑 战 。 战 胜 这 场 危 机 要 靠信心、合作和责任。 Deutsche Übersetzung: Die internationale Finanzkrise ist eine globale Herausforderung. Die Überwindung der Krise hängt von dem Vertrauen, der Kooperation und der Verantwortung ab. (People’s Daily, 29.01.2009, 坚定信心 加强合作 推动世界经济新一轮增长, dt. Das Vertrauen befestigen und die Zusammenarbeit verstärken, um eine neue Runde von Weltwirtschaftswachstum zu fördern) AKTEUR der verbalen Handlung: Wen Jiabao, Ministerpräsident der Volksrepublik China

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Wie in Kapitel 4.3.5.4 bereits erläutert ist der FORDERUNG-Prototyp UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER in den deutschen Medien weniger relevant als in den chinesischen Medien. Die meisten Fillers stammen aus der Xinhua News Agency (vgl. Tabelle 89). Es handelt sich um Forderungen nach mehr Unterstützung für Entwicklungsländer, nach mehr Einfluss und Mitsprache der Schwellen- und Entwicklungsländer auf internationalem Parkett und nach einer größeren Beteiligung der Entwicklungsländer an den Entscheidungsmechanismen der Weltwirtschaft: 433. The document says emerging economies led by China and India should be given more say in the Group of Eight (G8) industrialized countries, a rich countries' club which dominates the IMF and other international financial institutions. „Further reform of the G8 should be considered to make this group more inclusive of emerging countries,“ says the document, adding that „further association of emerging and developing countries is essential“ to increase legitimacy of institutions like the IMF. (Xinhua News Agency, 03.11.2008, Roundup: Eurozone finance ministers to meet on global financial reform) AKTEUR der verbalen Handlung: EU leaders 434. President Hu also called for international efforts to help developing countries and the least developed countries cope with the global financial crisis.[…] It is necessary to help developing countries maintain financial stability and economic growth, sustain and increase assistance to developing countries, and maintain economic and financial stability in developing countries, he said. (Xinhua News Agency, 17.11.2008, Roundup: Chinese president calls for concerted efforts to tide over financial crisis) AKTEUR der verbalen Handlung: Hu Jintao, Staatspräsident der Volksrepublik China 435. 首先要做的就是让发展中国家公平地加入到国际金融体制改革的进程中来, 发展中国家应该被赋予更多发言权。 Deutsche Übersetzung: Das erste, was zu tun ist, ist die Entwicklungsländer dem Reformprozess des internationalen Finanzsystems gerecht beitreten zu lassen und ihnen mehr Mitsprache zu geben. (People’s Daily, 18.03.2009, 中 外专家谈——推动国际金融体系改革, dt. Gespräche mit chinesischen und ausländischen Experten – Die Reform des internationalen Finanzsystems soll gefördert werden) AKTEUR der verbalen Handlung: Zhang Bin, Mitglied der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS)

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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf die Fragen nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Weltfinanzkrise (ab 2007) sowie nach den BEWERTUNGEN des wirtschaftlichen Handelns und den FORDERUNGEN für die Zukunft in den chinesischen Medien besonders viele Antworten gegeben werden. Die beiden chinesischen Medien führen die letzte Weltfinanzkrise hauptsächlich auf die US-amerikanischen Regierung, die laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank sowie die Deregulierung der globalen Finanzmärkte zurück. Ähnlich wie bei der Asienkrise halten die beiden chinesischen Staatsmedien die FINANZINDUSTRIE, d. h. Banken und Hedgefonds, Investoren und Kapitalspekulanten für die Haupturheber der Weltfinanzkrise (ab 2007). Zudem tragen die Regulatoren, Aufseher, Rating-Agenturen sowie die Regierung und Zentralbank – speziell die US-Regierung und FED – auch Verantwortung. KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS wird als die wichtigste FOLGE der letzten Weltfinanzkrise von den Diskursakteuren der People’s Daily genannt, während bei der Xinhua News Agency die NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER als die wichtigste FOLGE der Weltfinanzkrise (ab 2007) herausgestellt wird. Anders als bei der Asienkrise und dem Platzen der „Dotcom-Blase“ betrachteten die beiden chinesischen Staatsmedien diesmal die Wirtschaftskrise unter dem ideologischen Aspekt; und die beiden chinesischen Staatsmedien sehen sich während der letzten Weltfinanzkrise als Vertreter der Entwicklungsländer. In beiden chinesischen Staatsmedien werden die westlichen Krisenreaktionen von Politikern und Bankern, die zugehörigen Rettungsaktivitäten und das Krisenmanagement von Staat, Notenbanken, Geschäftsbanken und Aufsichtsbehörden insgesamt als negativ bewertet. Ähnlich wie bei den deutschen Medien, herrscht in beiden untersuchten chinesischen Medien weitgehende Einigkeit darüber, dass anteilig deutlich häufiger negative BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG als positive BEWERTUNGEN ausgesprochen werden. Es besteht im Diskurs offensichtlich ein Trend hin zu mehr negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG im Lauf der Zeit und zu einem starken Anstieg der negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG in der letzten Krisenperiode. Für die Detailfrage nach der FORDERUNG in der Weltfinanzkrise (ab 2007) bietet die Xinhua News Agency besonders mehr konkrete Füllwerte als People’s Daily an. Diese Leerstelle nimmt somit im Diskurs eine bedeutende Stellung ein. Ähnlich wie bei den beiden deutschen Medien herrscht auch in beiden untersuchten chinesischen Medien ein Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist; die FORDERUNGEN nach der REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS, nach der GLOBALEN KOORDINIERUNG UND KOOPERATION sowie nach der UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER werden in der Weltfinanzkrise (ab 2007) von den chinesischen Medien betont.

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5.3 Entwicklung im Vergleich zwischen Deutschland und China im Überblick Nachdem im vorherigen Kapitel die Analyseergebnisse der untersuchten deutschen und chinesischen Medien jeweils separat betrachtet und diskutiert wurden, wurde die Grundlage geschaffen, die Entwicklung in Deutschland und China im Vergleich zu betrachten. Es stellt sich das Bild in den untersuchten Medien in Bezug auf die verschiedenen Krisenperioden unterschiedlich dar: Das Bild der Transformation in Russland und Osteuropa bzw. das Bild des Platzens der „Dotcom-Blase“ ist jeweils verhältnismäßig begrenzt. Bei der Krisenperiode der Transformation in Russland und Osteuropa werden nur jeweils wenige Füllwerte für die Makro-Rollen BEWERTUNG und FORDERUNG des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE von den untersuchten Medien präsentiert; im Diskurs wird auch nur selten auf URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN während der Transformation in Russland und Osteuropa eingegangen. Und im Rahmen des Platzens der „Dotcom-Blase“ werden nur jeweils wenige Füllwerte für die Makro-Rollen URSACHEN, AKTEUREN, FOLGEN und FORDERUNG von den Medien präsentiert; im Diskurs wird auch nur selten auf BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns eingegangen. Es liegt zudem die intertextuelle thematische Kohärenzbeziehung thematische Variation (vgl. Konerding 2005, 2007) zwischen den betreffenden Texten (bzw. Textsegmenten) vor, da von den betrachteten diskurskonstitutiven Texten (bzw. Textsegmenten) wechselseitig verschiedene „Aspekte“/Leerstellen eines gemeinsamen Themas bzw. des zugehörigen Matrixframes behandelt werden. Im Rahmen der Asienkrise und der Weltfinanzkrise (ab 2007) hingegen ergibt sich ein wesentlich umfassenderes Bild. Hierbei sind viele konkrete Füllwerte für alle Makro-Rollen bzw. Leerstellen des Matrixframes EREIGNIS/ WIRTSCHAFTSKRISE in den untersuchten Medien zu finden. Es liegt die thematische Kohärenzbeziehung thematische Kongruenz zwischen den betreffenden Texten (bzw. Textsegmenten) vor, da von den betrachteten diskurskonstitutiven Texten (bzw. Textsegmenten) die gleichen „Aspekte“/Leerstellen eines Themas bzw. des zugehörigen Matrixframes behandelt werden (vgl. ebd.). Es soll weiterhin untersucht werden, welche weitere intertextuelle thematische Kohärenzbeziehung zwischen den Texten (bzw. Textsegmenten) vorliegt – thematische Elaboration (die gleichen „Aspekte“/Leerstellen, jedoch jeweils verschieden ausführlich und detailliert präsentiert) oder thematische Kontrastierung (die gleichen „Aspekte“/Leerstellen, jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen angeboten).

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BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns Die Frame-spezifische Frage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns wird von den untersuchten deutschen und chinesischen Medien in den verschiedenen Krisenperioden – außer der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“, bei der im Diskurs nur selten auf BEWERTUNG eingegangen wird – jeweils unterschiedlich beantwortet. Aus den konkreten Füllwerten für die Leerstelle BEWERTUNG in den verschiedenen Krisenperioden ergibt sich insgesamt eine deutliche Änderung der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns im Laufe der Zeit. Zum Transformationsprozess in Russland und Osteuropa wird die BEWERTUNG-Leerstelle bei den deutschen Medien mit auffällig mehr konkreten Füllwerten bedient als bei den chinesischen Medien. Da diese Filler zudem wesentlich ausführlicher und detaillierter realisiert sind, liegt hier eine thematische Elaboration der deutschen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. Zu dieser Krisenperiode herrscht im Diskurs keine Einigkeit darüber, welche BEWERTUNG des wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Handelns dominant ist. Bei den deutschen Medien überwiegen die negative BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION und die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION; bei den chinesischen Medien ist die negative BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG die wichtigste, wobei der Deregulierungs- und Liberalisierungsprozess in der Sowjetunion und in Osteuropa meistens negativ bewertet wird. Entsprechend liegt hier eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor, da von den betrachteten diskurskonstitutiven Medientexten (bzw. Textsegmenten) beider Länder die gleiche Leerstelle BEWERTUNG behandelt wird, jedoch wechselseitig verschiedene Informationen angeboten werden. Zur Detailfrage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in der Asienkrise herrscht in den Medien beider Länder ein Konsens dahin gehend, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION die wichtigste BEWERTUNG in der Asienkrise ist. Dabei handelt es sich in allen Medien hauptsächlich um eine Kritik an der Krisenreaktion des Internationalen Währungsfonds. Die Krisenreaktion des IWF während der Asienkrise wird von den Diskursakteuren insgesamt als negativ bewertet und die Rezepte des IWF hätten kaum Erfolg gehabt. Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) herrscht in den Medien beider Länder ebenfalls Übereinstimmung darüber, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION, die BEWERTUNG DER REGULIERUNG und die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG die drei wichtigsten BEWERTUNGEN sind. Dabei gibt es keinen wesentlichen Meinungsunterschied zwischen den Diskursakteuren der deutschen und chinesischen Medien. Beide Seiten sind sich darin einig, dass

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schrankenlose Privatisierung, die Deregulierung und Liberalisierung kein Allheilmittel für die Wirtschaftskrisen seien. Im gesamten Diskurs über alle Krisen hinweg herrscht auch Übereinstimmung darüber, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION (mit insgesamt 174 konkreten Füllwerten) die wichtigste BEWERTUNG ist. Dabei handelt es sich während des Transformationsprozesses nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hauptsächlich um die negative Bewertung des amerikanischen Rezepts „Schocktherapie“; während der Asienkrise hingegen um die Kritik an der durch den Neoliberalismus geprägten Krisenreaktion des Weltwährungsfonds. Der genauere Unterschied wird während der Weltfinanzkrise (ab 2007) deutlich. In den untersuchten chinesischen Medien wird nach der letzten Weltfinanzkrise mehr die Geldpolitik der Zentralbanken der westlichen Länder wie z. B. die quantitative Lockerung, die den wirtschaftlichen Interessen der Entwicklungsländer geschadet habe, und das Reformpaket Basel III kritisiert, während in den deutschen Medien mehr Kritik an der durch den angloamerikanische Turbokapitalismus entstandenen Finanzliberalisierung bzw. Deregulierung geübt wird. Es liegt hier entsprechend eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor, da die Realisierung bzw. Füllung der gleichen Makro-Rollen des zugehörigen Makro-Rahmens durch text- sowie länderspezifische Prädikationen erfolgt, die jeweils wechselseitig verschiedene Informationen präsentieren. Als weitere relevante BEWERTUNGEN werden in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG genannt. Im Vergleich zur Krisenperiode der Transformation in Russland und Osteuropa erfahren diese beiden BEWERTUNG-Prototypen seit der Asienkrise eine zunehmende Bedeutung. Sie spielen bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) wiederum eine wichtige Rolle. Bezüglich der BEWERTUNG DER REGULIERUNG in der Asienkrise wird in den deutschen Medien – insbesondere im Spiegel – häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen, während in den chinesischen Medien – insbesondere in der People’s Daily – umgekehrt häufiger von positiven als negativen BEWERTUNGEN die Rede ist. Bei der negativen BEWERTUNG DER REGULIERUNG im Spiegel handelt es sich hauptsächlich um die Bewertung der Überregulierung. Beispielsweise werden die Kapitalverkehrskontrollen, die von den Regierungen asiatischer Staaten eingeführt wurden, von den Diskursakteuren im Spiegel kritisiert. Im Vergleich dazu werden Finanzmarktregulierung und Staatsintervention der asiatischen Regierungen von den Diskursakteuren der People’s Daily für gut geheißen. Erst während der letzten Weltfinanzkrise bewerten die deutschen Medien Finanzmarktregulierung und Staatsintervention auch als positiv, da diesmal die westlichen Länder von der Finanz-

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krise stark betroffen sind. Es liegt hier also eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor, da in den Medientexten (bzw. Textsegmenten) beider Länder über die gleichen „Aspekte“ eines Themas gesprochen wird, jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen angeboten werden. Bezüglich der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG – sowohl bei der Asienkrise als auch bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) – wird in den deutschen und chinesischen Medien deutlich häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen. Beide Seiten sind sich darin einig, dass zu weit gehende Deregulierung und zu rasche Liberalisierung problemgenerierend wirksam waren. Für den gesamten Diskurs über alle Krisen hinweg ist zu verzeichnen, dass im Lauf der Zeit ein Trend hin zu mehr negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG stattfindet und dass in der letzten Krisenperiode die Zahlen der negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG stark ansteigen. Zu der positiven BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG wird ausgesagt, dass die Deregulierung der Finanzmärkte zu Innovation und mehr wirtschaftlicher Effizienz führe und somit der stagnierenden Realwirtschaft Wachstumsimpulse gebe. Zu den negativen BEWERTUNGEN lässt sich insgesamt festhalten, dass die einseitige Entfesselung globaler Marktdynamik zerstörerisch wirke und zu Abgründen zwischen Arm und Reich führe. Im Vergleich mit der Krisenperiode der Transformation in Russland und Osteuropa sowie im Vergleich mit der Asienkrise erfahren diese beiden BEWERTUNGPrototypen – BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG – während der Weltfinanzkrise (ab 2007) eine stark zunehmende Bedeutung. Da die BEWERTUNG-Leerstelle im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) bei den deutschen Medien mit auffällig mehr konkreten Füllwerten bedient wird als bei den chinesischen Medien und da diese Filler zudem wesentlich ausführlicher und detaillierter realisiert sind, liegt hier eine thematische Elaboration der deutschen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. Zusammenfassend ist zu vermerken, dass sich bezüglich der Leerstelle BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns die chinesische Entwicklung in Teilen von der deutschen oder westeuropäischen Sicht unterscheidet. Die grundlegenden Gemeinsamkeiten sind im Rahmen der Wirtschaftskrisen historisch gesehen folgende: Die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION erweist sich als dominant im Diskurs; BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG erfahren im Lauf der Zeit eine stark zunehmende Bedeutung. Auffällig ist jedoch, dass hinsichtlich der Leerstelle BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns, die intertextuellen thematischen Kohärenzbeziehungen thematische Elaboration und thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vorliegen.

Entwicklung im Vergleich zwischen Deutschland und China im Überblick

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FORDERUNG für die Zukunft Die Antworten zur Detailfrage nach der FORDERUNG für die Zukunft ändern sich auch im Lauf der Zeit. Zum Transformationsprozess in Russland und Osteuropa wird die FORDERUNG-Leerstelle bei den deutschen Medien mit auffällig mehr konkreten Füllwerten bedient als bei den chinesischen Medien. Da diese Filler zudem wesentlich ausführlicher und detaillierter realisiert sind, liegt hier eine thematische Elaboration der deutschen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. In dieser Krisenperiode sind bei den untersuchten deutschen Medien REFORM UND WESTÖFFNUNG und LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS die zwei wichtigsten FORDERUNGEN, während bei den chinesischen Medien REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG ist. Hier liegt bezüglich FORDERUNG zum Transformationsprozess in Russland und Osteuropa wiederum eine thematische Kontrastierung vor, da die Realisierung bzw. Füllung der gleichen MakroRollen des zugehörigen Makro-Rahmens durch text- sowie länderspezifische Prädikationen erfolgt, die jeweils wechselseitig verschiedene Informationen präsentieren. Ein Vergleich der konkreten Füllwerte zur REFORM UND WESTÖFFNUNG sowie zum LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS in den deutschen und chinesischen Medien ergibt folgendes Bild: In den deutschen Medien handelt es sich bei diesen FORDERUNGEN hauptsächlich um direktive Forderung an Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa wirtschaftliche und politische Reformen durchzuführen, die freie Marktwirtschaft einzuführen und den Markt zum Westen hin zu öffnen sowie den Kapitalismus einzuführen – direkt und einfach nach westlichen Vorbildern. In den chinesischen Medien hingegen handelt es sich bei diesen FORDERUNGEN nicht nur um direktive Forderung an Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa, sondern auch um kommissive Forderung, d. h. die Selbstverpflichtung der chinesischen Regierung, das Denken im eigenen Land weiter zu befreien, kühne Innovationen voranzutreiben und größere Schritte zu Reform und Öffnung zu unternehmen, vom Kapitalismus zu lernen, die Vorteile des Kapitalismus zu benennen, und ihre Umsetzung in China zu fordern, sowie kapitalistische Mittel und Verfahrensweisen, wie z. B. westliches Kapital, moderne Technologien und moderne Managementmethoden, in China schrittweise einzuführen. Bei den Forderungen mit Blick auf Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa empfehlen die chinesischen Medien, nicht wie in den deutschen Medien vorgeschlagen, direkt und einfach nach westlichen Vorbildern, sondern nach ihren jeweils eigenen konkreten Realitäten und zu eigenen Bedingungen zu reformieren. Effektiver Gebrauch von Mitteln und Verfahrensweisen des marktwirtschaftlichen Kapitalismus bedeutet danach die behutsame Einführung der

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maktwirtschaftlichen Verfahrensweisen im Rahmen der sozialistischen Wirtschaftsprinzipien im Sinne einer kontollierbaren Weiterentwicklung. Entsprechend lässt sich anhand der chinesischen Medientexte nachzeichnen, dass die Übernahme westlicher Konzepte der wirtschaftspolitischen Gestaltung (Öffnung und Liberalisierung der nationalen Märkte) in China durch einen spezifisch chinesischen Weg gestaltet werden soll. Des Weiteren haben die konkreten Füllwerte in den deutschen Medien zur FORDERUNG der REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa gezeigt, dass die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE in den deutschen Medien in erster Linie von der sowjetischen/russischen Regierung – wie z. B. Generalsekretär Gorbatschow oder Premier Ryschkow – gefordert wurde, aber nicht von den westlichen Diskursakteuren. Erst seit der Asienkrise (und bis hin zur letzten Weltfinanzkrise) wurde diese FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE auch von den westlichen Diskursakteuren – aus verschiedenen gesellschaftlichen Sphären – erhoben. Denn erst mit der Asienkrise wurde in den Medien die Einsicht manifest, dass radikale Deregulierung und Liberalisierung zu einer Wirtschaftskrise auf den westlichen und globalen Finanzmärkten führen könne. Bezüglich der Asienkrise bieten die chinesischen Medien deutlich mehr konkrete Füllwerte für die Detailfrage nach der FORDERUNG für die Zukunft als die deutschen Medien. Zudem werden die Filler-Texte für die FORDERUNGLeerstelle in dieser Krisenperiode in den chinesischen Medien wesentlich ausführlicher und detaillierter realisiert; entsprechend liegt hier eine thematische Elaboration der chinesischen Medientexte gegenüber den deutschen Medientexten vor. In der Diskursgemeinschaft der untersuchten Medien beider Länder besteht jedoch ein Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS die zwei definitiv dominanten FORDERUNGEN nach der Asienkrise sind. Zu dem gleichen Ergebnis gelangen die Medien auch beim Platzen der „Dotcom-Blase“ und während der letzten Weltfinanzkrise. Im Vergleich mit den FORDERUNGEN der Transformation in Russland und Osteuropa sind nun REFORM UND WESTÖFFNUNG sowie LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS nicht mehr so relevant wie zuvor. Seit der Asienkrise ist die FORDERUNG nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE auf Rang eins gestiegen. Im Diskurs werden klare Forderungen nach Reform der Finanzaufsicht und Währungskontrollen sowie Kapitalkontrollen geäußert, um exzessive Spekulationen zu verhindern. Die Auswertung der Prädikationen belegt, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE von den aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären stammenden Diskursakteuren insgesamt als die wichtigste FORDERUNG während der Asienkrise, beim Platzen der „Dotcom-Blase“ und während der letzten Welt-

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finanzkrise betrachtet wird. Dabei handelt es sich um Forderungen nach „mehr Staat“, nach Reform der Finanzaufsicht, nach besseren und schärferen Aufsichten, nach mehr Kontrollen und größerer Transparenz im Bankgeschäft, um Forderungen nach einer globalen Regulierung, nach weltumspannender Aufsicht, nach einer globalen Aufsichtsbehörde für die globale Finanzinstitution, um Forderungen nach einer strengeren Regulierung der Ratingagenturen, der Hedgefonds bzw. um Forderungen nach Ausbalancieren von Regulierung und Liberalisierung. Als weitere relevante FORDERUNG wird in den untersuchten Medien beider Länder bei der Asienkrise die REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS genannt – eine FORDERUNG, die während des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa noch nicht auftrat und während der Weltfinanzkrise (ab 2007) ebenfalls als eine der wichtigsten FORDERUNGEN benannt wird. Es handelt es sich bei der Asienkrise um Forderungen nach Reformen des Finanzwesens und der Wirtschaftsstruktur, wie z. B. Umbau des Weltwährungssystems, Umbau internationaler Finanzinstitutionen, Schaffung neuer Finanzinstitutionen sowie Abschaffung des IWF. Beim Platzen der „Dotcom-Blase“ bieten die deutschen Medien deutlich mehr konkrete Füllwerte für die Detailfrage nach der FORDERUNG für die Zukunft als die chinesischen Medien. Zudem wird die FORDERUNG-Leerstelle in dieser Krisenperiode in den deutschen Medien mit Filler-Texten ausführlicher und detaillierter bedient und liegt somit eine thematische Elaboration in den deutschen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. In beiden untersuchten deutschen Medien ist die FORDERUNG nach STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL seit dem Platzen der „Dotcom-Blase“ bis zur Weltfinanzkrise (ab 2007) eine der wichtigsten FORDERUNGEN (die in den chinesischen Medien in dieser Form nicht verzeichnet werden kann). Es handelt sich dabei um Forderungen nach moralischer und sozialer Verantwortung von Bankern und Managern, die als Urheber der Wirtschaftskrise gelten, und um Forderungen nach einem moralisch erneuerten ethischen Kapitalismus, damit die Wirtschaft sich nachhaltig entwickelt. Während der Weltfinanzkrise (ab 2007) werden in beiden deutschen Medien relativ oft die folgenden FORDERUNGEN präsentiert: – STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL – KOSTENBETEILIGUNG DER BANKER – REFORM DES KAPITALISTISCHEN SYSTEMS UND BÄNDIGUNG DES KAPITALISMUS Im Kontrast dazu werden in den chinesischen Medien seit der Asienkrise deutlich mehr konkrete Füllwerte für die folgenden FORDERUNG-Prototypen angeboten, die während der Weltfinanzkrise (ab 2007) von den chinesischen Medien ebenfalls betont werden:

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REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG GLOBALEN KOORDINIERUNG UND KOOPERATION VERANTWORTUNGSÜBERNAHME DER WESTLICHEN INDUSTRIESTAATEN UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER

Dabei handelt es sich um die Forderungen der chinesischen Seite, das internationale Finanzsystem zu reformieren, das Weltwährungssystem umzubauen, den Risiken der Finanzglobalisierung vorzubeugen, das moderne Finanzrisikomanagement zu verstärken, die Zusammenarbeit aller Staaten zu intensivieren, sich gegenseitig zu unterstützen, mehr Verantwortung von den westlichen Staaten zu übernehmen und besonders die Entwicklungsländer zu unterstützen. Dies zeigt, dass die chinesischen Medien sich seit der Asienkrise als Vertreter der Entwicklungsländer betrachten. Bezüglich der Leerstelle FORDERUNG liegt also eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor. D. h. in den deutschen und chinesischen Medientexten wird über die gleiche Leerstelle FORDERUNG gesprochen, es werden jedoch wechselseitig verschiedene Informationen angeboten. Zusammenfassend ist zu vermerken, dass sich bezüglich der Leerstelle FORDERUNG für die Zukunft die Entwicklung der Mediendarstellung beider Länder erheblich unterscheidet. Hinsichtlich der Leerstelle liegen die intertextuellen thematischen Kohärenzbeziehungen thematische Elaboration und thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor. Die grundlegende Gemeinsamkeit im Rahmen aller Wirtschaftskrisen ist, historisch gesehen, die folgende: Im gesamten Diskurs besteht ein Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE definitiv die wichtigste FORDERUNG im gesamten Untersuchungskorpus ist. URSACHEN der Wirtschaftskrise Die Detailfrage nach den URSACHEN der Wirtschaftskrise wird von den untersuchten deutschen und chinesischen Medien im Lauf der Zeit unterschiedlich beantwortet. Hier liegt bezüglich der Leerstelle URSACHEN der Asienkrise eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor. D. h. in den deutschen und chinesischen Medientexten wird über die gleiche Leerstelle URSACHEN der Asienkrise gesprochen, es werden jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen angeboten. Während die deutschen Medien die Asienkrise hauptsächlich auf die FEHLER DER REGIERUNG der asiatischen Staaten sowie das damit verbundene ASIATISCHE MODELL und die BLASEN-WIRTSCHAFT zurückführen, schreiben die chinesischen Medien die Ursa-

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chen hauptsächlich der GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE, den AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN und der DEREGULIERUNG DER MÄRKTE bzw. der RASCHEN LIBERALISIERUNG in den asiatischen Ländern zu. Der Unterschied ist offensichtlich: Betont werden in den deutschen Medien die inneren Ursachen der Asienkrise, die bei den asiatischen Staaten selbst lägen; im Gegensatz dazu werden in den chinesischen Medien die äußeren Ursachen der Asienkrise herausgestellt. Für die deutschen Medien ist die schlechte Wirtschaftspolitik der asiatischen Staaten, wie z. B. falsche Regulierung, Überregulierung und Scheitern des staatlichen Eingriffs für die Asienkrise hauptverantwortlich. Sie wurzelten in den dunklen Seiten der asiatischen Tradition, wie z. B. politischer Korruption, Vetternwirtschaft und Mangel an demokratischer Kontrolle. Diese hätten dann die Blasenwirtschaft ermöglicht, die durch Bildung und Platzen von Spekulationsblasen zum Zusammenbruch der asiatischen Finanzmärkte geführt hätten. Dabei bezeichnen die meisten DISKURSAKTEURE in beiden deutschen Medien die REGIERUNG UND ZENTRALBANK der asiatischen Staaten als Haupturheber (URHEBERAKTEURE) der Asienkrise. Die REGIERUNG UND ZENTRALBANK werden während der letzten Weltfinanzkrise ebenfalls als relevante URHEBER-AKTEURE benannt, jedoch nicht die REGIERUNG UND ZENTRALBANK der asiatischen Staaten, sondern speziell die US-REGIERUNG UND FED. Im Vergleich zu den deutschen Medien führen die beiden chinesischen Medien die Asienkrise auf die GLOBALISIERUNG, DEREGULIERUNG und RASCHE LIBERALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE sowie die AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN zurück. Die GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE hat sich mit beispielloser Geschwindigkeit ausgebreitet und die dadurch entstehende global verfügbare Liquidität sei ein treibender Faktor der Spekulation. Für die Entwicklungsländer in Asien sind das globale Geldgewerbe und exzessive Kapitalströme besonders gefährlich, da sie den heimischen Finanzmarkt ohne Überlegung geöffnet hätten und wegen der politisch gewollten Deregulierung und raschen Liberalisierung der Finanzmärkte die Regulierung der Finanzbranche im südostasiatischen Krisengebiet nicht ausreichend gewesen sei. Die ausländischen Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten hätten diese Schwächen genutzt und die Währungen der südostasiatischen Länder attackiert. Daher halten die chinesischen Medien – insbesondere People’s Daily – ausländische Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten für die Haupturheber der Asienkrise. Beim Platzen der „Dotcom-Blase“ bieten die deutschen Medien deutlich mehr konkrete Füllwerte für die Detailfrage nach den URSACHEN der Wirtschaftskrise als die chinesischen Medien. Somit wird die URSACHEN-Leerstelle in dieser Krisenperiode in den deutschen Medien wesentlich ausführlicher und detaillierter präsentiert; entsprechend liegt hier eine thematische Elaboration der deut-

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schen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. Es herrscht in den Medientexten beider Länder ein Konsens dazu, dass die Internet-Spekulationsblase zum Zusammenbruch der Aktienmärkte geführt hat. Der URSACHEN-Prototyp BLASEN-WIRTSCHAFT ist dabei der wichtigste URSACHEN-Prototyp für das Platzen der „Dotcom-Blase“. Als eine weitere relevante URSACHE für das Platzen der „Dotcom-Blase“ wird in den Medien der ÜBEROPTIMISMUS genannt. Die zu positiven Erwartungen, die zu positiv eingeschätzten Wirtschaftsaussichten und die zu positive Stimmung bei den Unternehmen, Investoren, Anlegern, Finanzanalysten und Medien haben zum Platzen der „Dotcom-Blase“ geführt. Ähnlich wie bei der Asienkrise wird die Verantwortung der USA (URSACHEN-Prototyp: DIE USA SIND SCHULD) im Diskurs als eine weitere wichtige URSACHE genannt. Damit geht das Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die US-Regierung, die amerikanische Geldpolitik der Fed, das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und amerikanischen Banken, die Tendenz der amerikanischen Medien, Luftschlösser zu errichten, die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage durch die amerikanischen Finanzanalysten, die amerikanische kreative Zerstörung von finanzmarktbezogenen Innovationen bzw. auf den allgemeinen irrationalen Überschwang zurück. Dieser URSACHEN-Prototyp – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-INAMERICA CRISIS – wird in der Weltfinanzkrise (ab 2007) als die wichtigste URSACHE von den Diskursakteuren der deutschen und chinesischen Medien benannt. Bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) herrscht in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien wiederum Einigkeit darüber, dass die Verursachung der Weltfinanzkrise von 2008 überwiegend dem wirtschaftspolitischen Handeln der US-amerikanischen Regierung, der laxen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (URSACHEN-Prototyp THE MADE-IN-AMERICA CRISIS) sowie der Deregulierung der globalen Finanzmärkte (URSACHEN-Prototyp DEREGULIERUNG DER MÄRKTE) zuzuschreiben sei. Als weitere relevante URSACHE der letzten Weltfinanzkrise werden in den deutschen Medien mehr konkrete Füllwerte für den URSACHENPrototyp MANGEL AN MORAL angeboten, während in den chinesischen Medien häufiger von der GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE gesprochen wird. Somit liegt hier bezüglich der Leerstelle URSACHEN der letzten Weltfinanzkrise eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor. Die meisten Diskursakteure bezeichnen ANLEGER und MEDIEN als Haupturheber für das Platzen der „Dotcom-Blase“. Zudem wird den MEDIEN das unbedachte Unterstützen der Internet-Euphorie und den ÖKONOMEN UND FINANZANALYSTEN die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage vorgeworfen. Während der Weltfinanzkrise (ab 2007) werden die REGIERUNG UND ZENTRALBANK – speziell die USREGIERUNG UND FED – und die FINANZINDUSTRIE, wie z. B. Banken, Hedgefonds,

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Investoren und Spekulanten, nicht nur von den chinesischen, sondern auch von den deutschen Medien als die relevantesten HAUPTURHEBER-AKTEURE benannt. Bezüglich der Leerstelle URHEBER-AKTEURE besteht daher kein wesentlicher Unterschied zwischen den deutschen und chinesischen Medien. FOLGEN der Wirtschaftskrise Die Detailfrage nach den FOLGEN der Wirtschaftskrise wird von den untersuchten deutschen und chinesischen Medien im Lauf der Zeit ebenfalls unterschiedlich beantwortet. Dazu lässt sich sagen, dass bezüglich der FOLGEN der Asienkrise eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vorliegt. D. h., die Realisierung bzw. Füllung der gleichen MakroRollen FOLGEN der Asienkrise erfolgt durch text- sowie länderspezifische Prädikationen, die jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen präsentieren. In den deutschen Medien werden die folgenden FOLGEN als die wichtigsten FOLGEN der Asienkrise dargestellt: – WELTREZESSION – ANTIAMERIKANISMUS – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS In den chinesischen Medien erweisen sich hingegen folgende FOLGEN als dominant nach der Asienkrise: – VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH – NEGATIVEN FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER – EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MODELLS Im Gegensatz zur pessimistischen FOLGE – ENDE DES ASIATISCHEN MODELLS – die in den deutschen Medien erscheint, ist in den chinesischen Medien, die optimistische FOLGE des asiatischen Modells – EIN NEUER ANFANG DES ASIATISCHEN MODELLS – relevanter. Auf die negativen Folgen für die gesamte asiatische Gesellschaft haben die chinesischen Medien nachdrücklich hingewiesen. Von besonderer Wichtigkeit sei, dass die Asienkrise zu einer unausgewogenen Gewinnverteilung zwischen den armen und reichen Ländern bzw. zwischen armen und reichen Menschen in einem Land führt und sich dadurch die Probleme sozialer Ungleichheit verschärft haben. Die Entwicklungsländer seien häufig die Hauptleidtragenden der wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen. In den deutschen Medien findet die negative Folge der Asienkrise für die Entwicklungsländer zwar auch Erwähnung, aber nicht so ausführlich wie in den chinesischen

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Medien. Betont werden in den deutschen Medien GEWINNER USA und ANTIAMERIKANISMUS. Die asiatischen Entwicklungsländer seien der globalen Finanzstrategie der Amerikaner zum Opfer gefallen. In Asien wurde daher ein wachsender Antiamerikanismus durch die Finanzkrise ausgelöst. Interessant ist, dass beim Platzen der „Dotcom-Blase“ die Ergebnisse „vertauscht“ sind: Die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH erweist sich in den deutschen Medien – jedoch nicht in den chinesischen Medien – als dominant, während GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS in den chinesischen Medien – jedoch nicht in den deutschen Medien – am nachdrücklichsten erscheinen. Somit liegt bezüglich der FOLGEN nach dem Platzen der „DotcomBlase“ wiederum eine thematische Kontrastierung zwischen den deutschen und chinesischen Medientexten vor. Wesentliche Ursache dafür ist, dass bei der Asienkrise nur Ostasien von diesem Gesellschaftsproblem VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH betroffen ist, beim Platzen der „Dotcom-Blase“ jedoch auch die westliche Gesellschaft Amerikas und Europas. Nach dem NewEconomy-Boom bzw. Platzen der „Dotcom-Blase“ ist die Kluft zwischen Arm und Reich in der westlichen Gesellschaft rasch gewachsen, aber Ostasien ist diesmal nicht davon betroffen. Daher richteten die deutschen Medien ein besonderes Augenmerk auf die VERSCHÄRFUNG DER KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH in der westlichen Gesellschaft. Der Fokus der chinesischen Medien liegt hingegen auf GEWINNER USA UND ANTIAMERIKANISMUS. Es wird darauf hingewiesen, dass Amerika zum Hauptnutznießer der Globalisierung wurde und damit starke Abneigung hervorgerufen habe. Auffällig ist jedoch auch, dass der FOLGENPrototyp KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS, für den von den deutschen Medien Füllwerte angeboten werden, in den chinesischen Medien gar keine Erwähnung findet. Damit wird angedeutet, dass die chinesischen Medien die Asienkrise nicht unter dem ideologischen Aspekt betrachten. Erst im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) wird die FOLGE KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS als die wichtigste FOLGE von den Diskursakteuren der deutschen (FAZ) und auch chinesischen Medien (People’s Daily) genannt. Anders als bei der Asienkrise und dem Platzen der „Dotcom-Blase“ betrachtet die Diskursgemeinschaft der chinesischen Staatsmedien erst während der letzten Weltfinanzkrise die Wirtschaftskrise auch unter dem ideologischen Aspekt: Für die Diskursakteure gilt die Weltfinanzkrise (ab 2007) als kapitalistischer Krisenzyklus, dem die kapitalistische Wirtschaft in ihrer gesamten Entwicklung unterliegt, dies wird für Asienkrise und das Platzen der „Dotcom-Blase“ jedoch so nicht festgestellt. Im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007) wird die FOLGEN-Leerstelle bei den deutschen Medien mit deutlich mehr konkreten Füllwerten bedient als bei den

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chinesischen Medien. Da diese Fillers zudem wesentlich ausführlicher und detaillierter realisiert sind, liegt hier eine thematische Elaboration der deutschen gegenüber den chinesischen Medientexten vor. Dabei bestehen jedoch auch wesentliche Unterschiede zwischen den untersuchten Medien. In den deutschen Medien werden die folgenden FOLGEN als die wichtigsten FOLGEN der letzten Weltfinanzkrise dargestellt: – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN – AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT: DEPRESSION UND ZORN – ÄNDERUNG DER WELTORDNUNG In den chinesischen Medien erweisen sich hingegen folgende FOLGEN als dominant nach der letzten Weltfinanzkrise: – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – NEGATIVE FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER Dazu ist zunächst festzustellen, dass in den deutschen und chinesischen Medien ein Konsens dazu besteht, dass KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS die wichtigste Folge der Weltfinanzkrise (ab 2007) ist. Bezüglich der übrigen FOLGEN-Prototypen liegt hier jedoch eine thematische Kontrastierung vor. Die Realisierung bzw. Füllung der gleichen Makro-Rollen FOLGEN erfolgt durch textsowie länderspezifische Prädikationen, die jedoch wechselseitig verschiedene bzw. konträre Informationen präsentieren. Es lässt sich insgesamt feststellen, dass die betrachteten Medientexte der beiden Länder sich anhand der Erfassung der Angaben zu den konkreten Füllwerten bei den Makro-Rollen URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Wirtschaftskrise, BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns sowie FORDERUNG für die Zukunft des zugehörigen Matrixframes EREIGNIS vergleichend gegenüberstellen lassen. Die Analyseergebnisse zeigen deutlich, dass sich eine größere, durch ein gemeinsames Thema (oder einen gemeinsamen thematischen Komplex) miteinander verbundene Anzahl von Texten hinsichtlich ihrer thematischen Konstitution rahmengeleitet miteinander vergleichen und aufeinander beziehen lässt. Wie bereits in Konerding (1993) vorgesehen, lassen sich für die jeweiligen Füllwerte der Makro-Rollen (Leerstellen) – URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN der Wirtschaftskrise, BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns sowie FORDERUNG für die Zukunft – über den gesonderten Matrixframe EREIGNIS separat erfassen und in die vergleichende Betrachtung einbeziehen. Zusammenfassend ist zu vermerken, dass sich bezüglich der Makro-Rollen – URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN der Wirtschaftskrise, BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns sowie FORDERUNG

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für die Zukunft – die Entwicklung der Mediendarstellung beider Länder tendenziell sehr unterscheidet. Die Ursachen, Folgen, Bewertungen von Finanzkrisen und die aus ihnen erwachsenen Forderungen sind Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen in der wirtschaftshistorischen Literatur. In den obigen Abschnitten sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Relevanz von Prototypen der Makro-Rollen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE zwischen den beiden Kulturräumen herausgearbeitet worden. Ebenso wurden die wichtigen Veränderungen in den Meinungsbildungsprozessen im Zusammenhang mit der Geschichte der (Um-)Gestaltung politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der weiteren Ereignisgeschichte im Kontext der Globalisierungsentwicklungen nachgezeichnet. Ergänzend zu den vorliegenden Ergebnissen soll abschließend ein kurzer Blick auf exemplarisch ausgewählte wissenschaftliche Ex-post-Konzeptualisierungen bzw. Darstellungen zur Ereignisgeschichte geworfen werden. Dies geschieht zu dem Zweck, der massenmedial und historisch momentan reflektierten Abbildung und Kommentierung der jeweiligen Ereignisse, die zudem jeweils regional und kulturell gebunden ist (Deutschland vs. China), eine Betrachtung, Darstellung und Interpretation der Ereignisse an die Seite zu stellen, die zum einen weniger momentan und ideologisch bestimmt ist, zum anderen übergreifend und ex post auf wissenschaftlicher Grundlage und entsprechenden Standards erarbeitet wurde. Als URSACHEN der Wirtschaftskrisen konnten, wie zuvor ausgeführt, in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien insgesamt folgende Spezifikationen gefunden werden (hier seien nur die allgemeinen Typen genannt): – DEREGULIERUNG DER MÄRKTE – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS – MANGEL AN MORAL – GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE – AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN – FEHLER DER REGIERUNG Die in den chinesischen Medien dominante URSACHE der Asienkrise – GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE – wird nun gerade auch in der wirtschaftshistorischen Literatur sehr häufig genannt. Werner Plumpe (2012) stellt in seiner Geschichte der Wirtschaftskrise fest, dass sich durch die Globalisierung weltweit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen änderten: Die Jahre seit dem Durchbruch der Globalisierung, also etwa seit der Mitte der 1980er Jahre, haben bezüglich der Geschichte der Wirtschaftskrisen ein ambivalentes Gesicht. Zum einen hatte die Weltwirtschaft zwischen 1991 und 2007 einen langen, 2000/2001 nur kurz

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unterbrochenen Prosperitätsschub, der mit dem Aufstieg Chinas ebenso korrespondierte wie mit der Ausnutzung der neuen technologischen Möglichkeiten im Bereich der Mikroelektronik, der von der ungeheuer gewachsenen Effizienz der global und elektronisch transparent gewordenen Kapital- und Warenmärkte. Ermöglicht wurde dieser Aufschwung überdies erst durch die weltweite Vernetzung der Finanzmärkte, womit freilich auch die Spekulationsmöglichkeiten drastisch zunahmen. Die Spekulation blieb dabei, was sie immer war: janusköpfig. Einerseits trieb sie den Strukturwandel im positiven Sinne an, andererseits eröffnete sie Hasardeuren ein scheinbar unbegrenztes Spielfeld, ohne dass man im Vorhinein wusste, was positiv wirkte und was Waghalsigkeit war. Das alles hat zur Rückkehr des Phänomens der spekulativ geprägten Krisen geführt, die in den Jahren zwischen 1945 und 1985 ausgestorben zu sein schienen, die insofern auch jene notwendige Korrektur sind, die auf spekulative Übertreibungen folgt. (Plumpe 2012: 115f.)

Paul Krugman (2008) hat darauf hingewiesen, dass die finanzielle Globalisierung tatsächlich sehr gefährlich sei. Durch die Öffnung der Finanzmärkte der asiatischen Krisenländer schufen wachsende internationale Kapitalströme die Bedingungen für verheerende Währungskrisen und für eine globalisierte Finanzkrise (Krugman 2008: 118ff.). Nach der letzten Weltfinanzkrise hat KarlPeter Schackmann-Fallis (2012) die Situation wie folgt kommentiert: „ Ein bis dahin schönes Wort für die Lehrbücher hieß Globalisierung. Aber was Globalisierung in Krisenzeiten bedeutet, haben wir meiner Einschätzung nach jetzt – sehr schmerzlich – erlebt. Die Verflechtungen national und international zeigen sich ja bei den Geschäftsbeziehungen. Vorher wollte das niemand glauben.“ (Schackmann-Fallis 2012: 100) Die in den chinesischen Medien drittwichtigste URSACHE der Asienkrise, die DEREGULIERUNG DER MÄRKTE bzw. die RASCHE LIBERALISIERUNG – die auch als die zweitwichtigste URSACHE der Weltfinanzkrise (ab 2007) in den deutschen und chinesischen Medien benannt wird – lässt sich ebenfalls in der wissenschaftlichen wirtschaftshistorischen Literatur finden. Krugman (2008) sieht die Ursachen der Asienkrise in der mangelhaften Regulierung des Finanzsektors und weist darauf hin, dass das Wachstum des Schattenbankensystems ohne eine entsprechend erweiterte Regulierung die Bedingungen für moderne Bankenkrisen gewaltigen Ausmaßes schuf (Krugman 2008: 220). Glebe hebt hervor, dass es in den meisten Ländern keine oder eine nur unzureichend funktionierende Aufsichtsbehörde gab (Glebe 2008: 39). Für die letzte Weltfinanzkrise stellt Plumpe (2012) fest, dass weltweit liberalisierte Waren- und Kapitalmärkte, niedrige Zinsen und hohe Liquidität schon an sich genügend Anlass waren, den konjunkturellen Prozess spekulativ zu überhöhen, wobei ein dereguliertes liberales wirtschaftliches Umfeld die Entstehung spekulativer Blasen begünstigte (Plumpe 2012: 102 und 115). Reifner (2010) vertritt die Meinung, dass der NeoLiberalismus und die Finanzkrise miteinander zusammenhängen (Reifner 2010:

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327). Viele Wirtschaftshistoriker sind sich zudem darin einig, dass der Abbau von Regeln auf den Finanzmärkten und die Deregulierung sowie Liberalisierung wesentlich dazu beigetragen haben, dass maßgeblichen großen Wirtschaftskrisen der letzten 20 Jahre – sowohl Asienkrise als auch die Weltfinanzkrise (ab 2007) – aufgetreten sind. Die in den chinesischen Medien zweitwichtigste URSACHE der Asienkrise ist AKTION INTERNATIONALER SPEKULANTEN. In ähnlicher Weise vertritt auch Krugman (2008) die Ansicht, dass man die Rolle der Hedgefonds in der Tat sehr ernst nehmen müsse – daher ist ihr ein ganzes Kapitel seines Buches gewidmet – allerdings haben diese Fonds ihre Bedeutung im Wesentlichen erst 1998 erlangt (Krugman 2008: 116 und 142ff.). Heribert Dieter (1998) sieht im Herdenverhalten der Akteure auf den internationalen Finanzmärkten einen Grund für die Asienkrise. Er weist darauf hin, dass sich in der Asienkrise allerdings eine neue Form der Spekulation gezeigt habe, die dadurch gekennzeichnet sei, dass international operierende Akteure in konzertierter Form gegen eine Währung spekulieren. Die Spekulation könne die Abwertung nahezu jeder Währung erzwingen. Nicht nur Hedgefonds, sondern auch die jeweils kooperierenden großen Banken seien als wesentliche Akteure für diese Spekulationen verantwortlich (Dieter 1998: 43f.). Das sei ein „gemeinsames Handeln“ (Dieter 1998: 43f.). Glebe (2008) vertritt die gleiche Meinung wie Dieter (1998): Die Krise wurde besonders verstärkt oder sogar erst herbeigeführt durch ausländische Spekulanten, die im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Finanzkrise auf eine Währungskrise setzten (Glebe 2008: 39). Dabei bezeichnen die meisten Wirtschaftshistoriker die ausländischen Spekulanten sowie institutionellen Investoren83 als Haupturheber der Asienkrise. Dies stimmt mit den Ergebnissen der vorliegenden Mediendiskursanalyse (FINANZINDUSTRIE: BANKEN, HEDGEFONDS UND SPEKULANTEN als URHEBERAKTEURE) überein. Die deutschen Medien führen die Asienkrise hauptsächlich auf die FEHLER DER REGIERUNG der asiatischen Staaten sowie das damit verbundene ASIATISCHE MODELL (d. h. Mangel an Demokratie, Vetternwirtschaft, Korruption, Nepotismus, Patronage usw.) zurück. Im Gegensatz dazu betont Krugman (2008) in seinem Buch zur Weltwirtschaftskrise, dass die Asienkrise im Kern jedenfalls nicht die Folge für früheres Fehlverhalten sei. Der Grund war weder die Vetternwirtschaft noch eine im üblichen Sinne schlechte Politik (Krugman 2008: 117f.). Seiner Meinung nach sind die Ursachen vor allem in der DEREGULIERUNG

|| 83 Zur Kategorie institutionelle Investoren werden Pensionsfonds, Versicherungen und Investitionsfonds gerechnet. Fast zwei Drittel der globalen Kapitalanlagen von Pensionsfonds (62%) stammten 1995 aus den USA (Dieter 1998: 47f.).

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DER MÄRKTE und

in den AKTIONEN INTERNATIONALER SPEKULANTEN zu finden, was der Position der chinesischen Medien korrespondiert. Als eine weitere wesentliche makroökonomische URSACHE für die Wirtschaftskrisen wird im Mediendiskurs die Verantwortung der USA (URSACHENPrototyp: DIE USA SIND SCHULD) genannt – dies vom Platzen der „Dotcom-Blase“ bis zur letzten Weltfinanzkrise. Damit geht das Platzen der „Dotcom-Blase“ auf die Politik der US-Regierung, die amerikanische Geldpolitik der Fed, das blinde Vertrauen der amerikanischen Anleger und amerikanischen Banken, die Rolle der amerikanischen Medien, die kollektive Fehleinschätzung der Sachlage durch die amerikanischen Finanzanalysten, die amerikanische kreative Zerstörung von finanzmarktbezogenen Innovationen bzw. auf den allgemeinen irrationalen Überschwang zurück. Dieser URSACHEN-Prototyp – DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS – wird in der Weltfinanzkrise (ab 2007) als die wichtigste URSACHE von den Diskursakteuren der deutschen und chinesischen Medien benannt. Viele Wirtschaftshistoriker sind sich darüber einig, dass Auslöser der letzten Weltfinanzkrise hohe Ausfallraten im Bereich der SubprimeKredite im US-Immobilienmarkt waren; die Finanzkrise gehe direkt auf die Politik der amerikanischen Notenbank und der amerikanischen Regierung (wie z. B. niedrige Zinsen und hohe Liquidität) zurück; und die Finanzkrise in den USA habe sich aufgrund der globalen wirtschaftlichen Verflechtungen geradezu zwangsläufig zu einer Weltwirtschaftskrise ausweiten können, mit der Folge, dass sich die Konjunktur weltweit abrupt verschlechterte (vgl. dazu Michler/ Smeets 2011: 6, Plumpe 2012: 102ff., Dombret 2012: 64). MANGEL AN MORAL ist eine der wichtigsten URSACHE der Wirtschaftskrisen, die von den untersuchten deutschen Medien benannt wird. Diese findet in der wirtschaftshistorischen Literatur keine Erwähnung. Ganz im Gegenteil hat Plumpe (2012) am Ende seines Buches Folgendes herausgestellt: Und auch die letztlich nur noch moralisch nachvollziehbare Vorstellung, es sei die Habgier bestimmter Menschen oder Berufsgruppen, die uns in das Elend der Krise hineingestoßen habe, verkennt nicht nur die historische Rolle der Spekulation; sie ist auch einfach nicht plausibel, wie kein Geringerer als Marx betonte: „Gerade das wiederholte Auftreten von Krisen in regelmäßigen Abständen trotz aller Warnungen der Vergangenheit schließt indessen die Vorstellung aus, ihre letzten Gründe in der Rücksichtslosigkeit einzelner zu suchen“, schrieb er am 15. Dezember 1857 in der „New York Daily Tribune“. Dem ist nichts hinzuzufügen. (Plumpe 2012: 121)

Auf die Frage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns werden von den untersuchten deutschen und chinesischen Medien folgende relevante Antworten gegeben:

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– – –

BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG BEWERTUNG DER REGULIERUNG BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION

Zur Detailfrage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns in der Asienkrise herrscht in den Medien beider Länder ein Konsens dahin gehend, dass die BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION die wichtigste BEWERTUNG in der Asienkrise ist und die meisten konkreten Füllwerte dazu negative BEWERTUNGEN sind. Zu dem gleichen Ergebnis gelangen alle Medien auch bei der letzten Weltfinanzkrise. Bei der Asienkrise handelt es sich in allen Medien hauptsächlich um die Kritik an der Krisenreaktion des Internationalen Währungsfonds. Dieses Ergebnis stimmt mit den Vorstellungen der wirtschaftshistorischen Literatur überein. Glebe (2008) weist darauf hin, dass der IWF seine Maßnahmen als erfolgreich und notwendig bezeichnet hat, trotzdem ist die Rolle des IWF bis heute sehr umstritten, und die Aktionen des IWF während und nach der Asienkrise sind auf zahlreiche Kritik gestoßen (Glebe 2008: 52). So weist Krugman (2008) darauf hin, dass es schon seit Beginn der Asienkrise Kritik an der Rolle des IWF gebe. Die Vorwürfe träfen im Wesentlichen zu und der Hilfsplan des IWF sei dilettantisch gewesen (Krugman 2008: 138ff.). Allerdings bemerkt er einschränkend, dass es eine einfache Lösung der Problematik auch nicht geben konnte. Die Regeln des internationalen Finanzsystems ließen den Entwicklungsländern einfach keine Chance, ungeschoren davonzukommen (Krugman 2008: 141). Ähnlich wie Krugmann nimmt Dieter (1998) an, dass der IWF die drohende Krise nicht gesehen, die wirtschaftliche Entwicklung in den Krisenländern zu positiv eingeschätzt (Dieter 1998: 27) und während der Asienkrise die „falsche Medizin verschrieben“ habe (Dieter 1998: 87ff.). Glebe (2008) hat die Kritik am IWF wie folgt zusammengefasst: Induzierung von „moral hazard“ seitens des IWF. Die auferlegten Maßnahmen im Rahmen der Asienkrise waren falsch; die IWF-Agenda setze die Souveränität und die demokratische Kontrolle der abhängigen Staaten außer Kraft (Glebe 2008: 52). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die meisten wirtschaftshistorischen Ansätze im Prinzip mit den Ergebnissen der Mediendiskursanalyse zur BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION übereinstimmen (sieht man einmal von dem Argument mangelnder Moral, wie speziell in den deutschen Medien während der Weltfinanzkrise verzeichnet, einmal ab). Als weitere BEWERTUNGEN werden in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG genannt. Diese Bewertungen erlangen im Zusammenhang mit der Asienkrise

Entwicklung im Vergleich zwischen Deutschland und China im Überblick

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zunehmende Bedeutung. Bei der Weltfinanzkrise (ab 2007) spielen sie wiederum eine zentrale Rolle. In der wirtschaftshistorischen Literatur lässt sich die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG finden. Die BEWERTUNG DER REGULIERUNG ist dort hingegen nicht nachzuweisen. Beispielsweise hat Glebe (2008) angedeutet, dass sich durch die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte die asiatischen Krisenländer vollständig dem Weltmarkt ausgeliefert hätten. Zur Verhinderung von Kapitalflucht bei einer Krise oder zur Verteidigung ihrer Währung gegen Spekulationen könnten sich diese Staaten nicht durch gesetzliche Regelungen, sondern nur durch eigenes Agieren am Markt helfen (Glebe 2008: 52). Plumpe (2012) umreißt dies in groben Zügen wie folgt: Die Deregulierung der Kapital- und Finanzmärkte spätestens seit den 1990er Jahren beseitigte zudem die bis dahin bestehenden Barrieren der Kapitalmobilität, sodass erstmals ein weltweiter Kapital- und Finanzmarkt entstand, auf dem global agierende Akteure unter Nutzung moderner Techniken in kürzester Zeit auf Preisunterschiede reagieren konnten. Diese Öffnung schuf wirtschaftliche Chancen ungeahnten Ausmaßes, erleichterte aber auch spekulativen Übertreibungen das Geschäft; das eine war ohne das andere nicht zu haben. (Plumpe 2012: 101)

Auf die Frage nach der FORDERUNG für die Zukunft sind in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien folgende relevante Antworten zu finden: – REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS – REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE – STÄRKUNG DER WIRTSCHAFTSMORAL – UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER – VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG In der Diskursgemeinschaft der untersuchten Medien beider Länder besteht ein Konsens dahin gehend, dass REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS die zwei definitiv wichtigsten FORDERUNGEN nach der Asienkrise sind. Zu dem gleichen Ergebnis gelangen die Medien auch beim Platzen der „Dotcom-Blase“ und im Rahmen der Weltfinanzkrise (ab 2007). Diese beiden FORDERUNGEN lassen sich wiederum häufig in der wirtschaftshistorischen Literatur finden. Nach der letzten Weltfinanzkrise wird von Krugman (2008) auf die REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE aufmerksam gemacht: Wir müssen ohne Frage erneut die Lektionen lernen, die unseren Großvätern durch die Große Depression erteilt wurden. Auf die Einzelheiten eines neues Regulierungssystems werde ich hier nicht eingehen, aber das Grundprinzip sollte klar sein: Alles, was in einer Finanzkrise gerettet werden muss, weil es im Finanzsystem eine wesentliche Rolle spielt, sollte, wenn keine Krise da ist, reguliert sein, damit es keine maßlosen Risiken eingeht. (Krugman 2008: 220)

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Schon in der Folge der Asienkrise forderte Dieter (1998) eine Regulierung der Währungsbeziehungen, um die Krise zu überwinden (Dieter 1998: 101ff.). Nach der letzten Weltfinanzkrise hat Reifner (2010) in seinem Buch eine Vielzahl von Vorschlägen für Reformen des Finanzsystems gemacht. Dabei wird Bankenüberwachung und Bankensicherheit als die wichtigste Forderung angesehen (Reifner 2010: 448). Dies stimmt wiederum mit dem Ergebnis der Mediendiskursanalyse überein. Dombret (2012) unterbreitet fest umrissene Ansichten, die besagen, dass die Regulierung und die Bankaufsicht zu verbessern sein werden und zur Vermeidung von Regulierungsarbitrage ihre Maßnahmen international abgestimmt sein müssen; zudem sollte eine erhöhte Transparenz, eine stärkere Vereinheitlichung strukturierter Produkte sowie eine Einschränkung des „Originate to Distribute“- Modells durchgesetzt werden (Dombret 2012: 69). Die zweite dominante FORDERUNG im Mediendiskurs ist REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS, die ebenfalls in der wirtschaftshistorischen Literatur eindeutig und übereinstimmend dargestellt wird. Dieter (1998) vertritt die Auffassung, dass ein Umbau des Weltfinanzsystems nach der Asienkrise gefordert werden solle. Um zukünftige Finanzkrisen zu verhindern, bedürfe das internationale Finanzsystem einer neuen Architektur. Die Maßnahmen umfassen eine grundsätzliche Umgestaltung sowie die Reformierung und Regionalisierung der globalen Finanzinstitutionen wie z. B. des IWF. Denn die Asienkrise habe gezeigt, dass in einer globalisierten Welt nicht immer „globalisierte“ Organisationen helfen können, Probleme zu lösen (Dieter 1998: 110ff., 130ff.). Zur letzten Weltfinanzkrise stellt Dombret (2012) fest, dass eine große Herausforderung darin bestehe, das Weltfinanzwesen so zu reformieren, dass es künftig deutlich weniger anfällig ist als bisher (Dombret 2012: 63). Reifner (2010) hat in seinem Buch eine Vielzahl von Vorschlägen für Reformen des Finanzsystems gemacht, angefangen von der Forderung nach rechtlicher und moralischer Rückbesinnung auf Wucher- und Wettbeschränkungen über das Verlangen nach mehr Transparenz bei den sozialen Zwecken von Finanzprodukten bis hin zu einem neuen Steuersystem (Reifner 2010: 448). Weiterhin werden in den chinesischen Medien – im Kontrast zu den deutschen Medien – seit der Asienkrise in besonderem Maße mehr konkrete Füllwerte für die FORDERUNG nach der VORBEUGUNG UND ABWEHR VON RISIKEN DER FINANZGLOBALISIERUNG und UNTERSTÜTZUNG UND MITSPRACHE FÜR SCHWELLENLÄNDER angeboten. Diese Forderungen sind in der wirtschaftshistorischen Literatur ebenfalls zu verzeichnen. Beispielsweise hat Krugman (2008) darauf aufmerksam gemacht, dass ein globaler Rettungsplan für Entwicklungsländer ebenfalls zur Lösung der Krise gehöre, weil die Finanzkrise auch Schwellenländer erfasst

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habe (Krugman 2008: 217). Um den Risiken der Finanzglobalisierung auch zukünftig vorzubeugen, hat Krugman (2008) auf Folgendes hingewiesen: Außerdem werden wir uns sehr genau überlegen müssen, wie wir mit der finanziellen Globalisierung umgehen. Nach der Asienkrise der neunziger Jahre wurde von verschiedenen Seiten gefordert, internationale Kapitalströme langfristig zu beschränken und nicht nur in Krisenzeiten vorübergehend zu kontrollieren […] Aber auf jeden Fall hat sich gezeigt, dass wir nicht erkannt haben, wie gefährlich die finanzielle Globalisierung tatsächlich ist. (Krugman 2008: 221)

Auf die Frage nach den FOLGEN von Wirtschaftskrisen werden in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien folgende relevante Antworten gegeben: – AUSWIRKUNG AUF DIE REALWIRTSCHAFT – WELTREZESSION – AUSWIRKUNG AUF DIE GESELLSCHAFT: SOZIALE KONFLIKTE – KRISE DES ANGLOAMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN In der wirtschaftshistorischen Literatur werden als konkrete Folgen von Wirtschaftskrisen ebenfalls Auswirkungen auf die Realwirtschaft, Weltrezession, Auswirkung auf die Gesellschaft sowie Krise des Kapitalismus genannt. Glebe (2008) hält für gewiss, dass die Marktprognosen beim Ausbruch der Asienkrise denkbar schlecht waren und einen gravierend negativen Effekt auf die gesamte Weltproduktion verhießen (Glebe 2008: 47). Plumpe (2012) stellt fest, dass der Absturz des Neuen Marktes im Jahr 2000 in eine allgemeine wirtschaftliche Abkühlung mündete und das Zerplatzen der „Dotcom-Blase“ mithin mit dem oberen Wendepunkt eines Konjunkturzyklus mehr oder weniger direkt zusammenfiel und daher den Abschwung beschleunigt haben dürfte (Plumpe 2012:110). Während der Weltfinanzkrise (ab 2007) waren die Auswirkungen auf die Realwirtschaft gravierend: Weltweit schrumpften im Herbst 2008 die Absatzmärkte; selbst in den boomenden Regionen mussten die Wachstumsziffern für 2009 zurückgenommen werden; in diesem Jahr rutschte die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession; erstmals seit dem 2. Weltkrieg ging das Sozialprodukt global gesehen zurück (Plumpe 2012:113). Ähnlich wie die Ergebnisse der Mediendiskursanalyse konstatieren die Wirtschaftshistoriker, dass die Finanzkrisen negative Folgen auf die Gesellschaft haben: Auch die Krise des Sozialstaats hat mit dem Finanzsystem zu tun. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. …Erheblich verändert haben sich, auch in Deutschland, die Lebensbedingungen – nahezu ein Drittel unserer Kinder wächst in Armut auf. So etwas hat es in der Geschichte Deutschlands noch nicht gegeben. Der Kapitalismus ist hier

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Wegbereiter. Es hat sich allerdings etwas geändert. Die neue Armut betrifft heute auch die Reichen unmittelbar. Sie lässt sich nicht mehr wegsperren, in Ghettos abdrängen (Reifner 2010: 19).

Weiterhin wird von vielen Wirtschaftshistorikern festgestellt, dass mit der sozialen Krise auch das politische System in die Krise geraten sei (Reifner 2010: 20). Beim Spiegel ist NUR LEERE WORTE UND SCHÖNREDEN, KEINE ÄNDERUNGEN die relevanteste FOLGE der Weltfinanzkrise (ab 2007), eine Folge, die in der Darstellung der wirtschaftshistorischen Literatur ebenfalls in Erscheinung tritt: Doch während Politiker und Banker öffentlich nach mehr Regulierung rufen, arbeitet der auf Deregulierung programmierte Staatsapparat im Stillen unvermindert weiter. Keine der Institutionen wie Lamfalussy-Komitee, Entbürokratisierungsgremien oder Institutionen, deren Namen für die Versäumnisse der Vergangenheit im politischen Prozess auf den verschiedenen Ebenen standen, sind bisher auf- bzw. abgelöst worden. Es gibt auch bisher noch kein neues Gremium, das die bisherigen Deregulierungen aufarbeitet und an einem Konzept für eine Neuordnung der Finanzmärkte im Verhältnis zum Endverbraucher arbeitet. Slogans für mehr Kontrolle und Disziplin werden auf den diversen Weltwirtschaftsgipfeln so abstrakt verkündet, dass ihre praktische Bedeutung kaum über die einer Begleitmusik zu den staatlichen Subventionen im Banksektor hinausgeht. (Reifner 2010: 327)

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die diachrone wissenschaftliche Ex-postKonzeptualisierung der Ereignisse eine weitgehende Übereinstimmung mit den zeitlich synchron bestimmten Positionen in den Medien sowohl in China wie auch in Deutschland aufweist. Die Sachargumente, die von den Diskursakteuren der Medien synchron eingebracht wurden, gehen weitgehend mit den Expost-Konzeptualisierungen der Wirtschaftshistoriker konform. Dies überrascht zumindest insofern, als nicht direkt unterstellt werden kann, dass insbesondere die chinesischen staatlich kontrollierten Medien einen intensiven und kontinuierlichen kommunikativen (Beratungs-)Austausch mit westlichen Wissenschaftlern gepflegt haben dürften. Auch kann nicht unterstellt werden, dass die Expost-Konzeptualisierungen der hier exemplarisch betrachteten wissenschaftlichen Positionen aus den Jahren 2008 folgende in der gleichen Form bereits in den Jahrzehnten zuvor (ab 1990 folgende) bestanden hätten. Insofern ist die Erkundung der Gründe für die nicht unbedingt selbstverständliche Konvergenz ein Desiderat für die weitere Forschung.

6 Zusammenfassung und Ausblick Die Diskursanalyse ist heute ein bedeutendes transdisziplinäres Paradigma, das sich rasch weiter entwickelt. Gleiches gilt für das Forschungsfeld, das die Linguistik hierzu beisteuert, die Diskurslinguistik, in dem die vorliegende Abhandlung lokalisiert ist. In der vorliegenden Untersuchung, die sich im Wesentlichen auf die innovativen methodischen Ansätze von Konerding, Ziem und Wengeler im Rahmen der Diskurslinguistik stützt, wurden zentrale Grundzüge zum massenmedialen Diskurs über global relevante Wirtschaftskrisen in Deutschland und in China kontrastiv erfasst und analysiert. Dazu wurde der kommunikativen und mentalen Resonanz der im Diskurs thematisierten Ereignisse nachgespürt, wie diese an öffentlich prominenter Stelle Deutschlands und Chinas in exemplarisch ausgewählten überregionalen Massenmedien jeweils manifest wird. Praktisch wurde dies anhand einer vergleichenden Untersuchung einschlägiger Texte jeweils zweier prominenter Printmedien aus dem Zeitraum 1990–2012 realisiert. Nach der Erörterung der grundlegenden diskurslinguistischen Ansätze und der zugehörigen Methoden sowie der Erläuterung des Frame-Begriffs und der Ansätze zur linguistischen Operationalisierung des Frame-Begriffs für die Diskursanalyse (hier nach Konerding) wurde der theoretische Bezugsrahmen für die vorliegende Arbeit vorgestellt. Im Teil für das Untersuchungskorpus wurde die Materialerhebung und Konstituierung des Korpus erläutert. Anhand der Darlegungen wurden die Textquellen, die Kriterien der Textauswahl und die Korpuskonstitution eingehend verdeutlicht. Im Weiteren wurden die einzelnen Analyseschritte auf der Grundlage der praktischen Handlungsanweisungen für Diskursanalyse nach Konerding (2005, 2007) vorgestellt und im Anschluss die Entwicklung der Analysekategorien für die vorliegende Untersuchung dargestellt. Letztere wurden unter Rückgriff auf den framespezifischen Katalog von Makro-Rollen und auf die ihnen zugeordneten offenen Propositionen und heuristischen Detailfragen (nach den URSACHEN, AKTEUREN und FOLGEN der Wirtschaftskrisen sowie nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns und der FORDERUNG für die Zukunft) des Matrixframes EREIGNIS im Sinne der Inhaltsanalyse bzw. Grounded Theory generiert. Mithilfe dieser Kategorien wurden die Medientexte des Korpus untersucht und die zugehörigen Textausschnitte ermittelt. Im Anschluss wurden die Prototypen/Rollenwerte für die Detailfragen/ Makro-Rollen des Matrixframes EREIGNIS/WIRTSCHAFTSKRISE anhand von typischen deutschen und chinesischen Beispielen für Textausschnitte illustriert. Es hat sich deutlich gezeigt, dass die offenen Propositionen der Suchraster, näm-

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lich die Präsuppositionen der framespezifischen Fragen, mit spezifischen Typen von Inhalten aus den einschlägigen Korpustexten gefüllt werden können. Anschließend wurden auf der Grundlage der ermittelten Daten die Analyseergebnisse der untersuchten deutschen und chinesischen Medien pro Krise betrachtet, ausgewertet und diskutiert. Unter Rückgriff auf die ursprünglichen forschungsleitenden Fragen (vgl. Abschnitt 1.2) ergibt sich folgendes Bild: Vor dem Hintergrund der wesentlichen Finanzkrisen in Asien und der Welt ändert sich deutlich die Bewertung des wirtschaftlichen Handelns im Kontext der globalen ökonomischen und politischen Ereignisgeschichte im Laufe der Zeit – im Spiegel ausgewählter Medientexte im Chinesischen und Deutschen. Die Detailfrage nach der BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns wird von den untersuchten deutschen und chinesischen Medien in den verschiedenen Krisenperioden – außer der Krisenperiode des Platzens der „Dotcom-Blase“, bei der im Diskurs nur selten auf BEWERTUNG eingegangen wird – jeweils auch unterschiedlich beantwortet. Zum Transformationsprozess in Russland und Osteuropa überwiegen bei den deutschen Medien die negative BEWERTUNG DER REFORMEN DER SOWJETUNION und die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION; bei den chinesischen Medien ist die negative BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG die wichtigste, wobei der Deregulierungs- und Liberalisierungsprozess in der Sowjetunion und in Osteuropa meistens negativ bewertet wird. In der Asienkrise herrscht in den Medien beider Länder ein Konsens dahin gehend, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION – hauptsächlich Kritik an der Krisenreaktion des Internationalen Währungsfonds – die wichtigste BEWERTUNG in der Asienkrise ist. Im Rahmen der letzten Weltfinanzkrise herrscht in den Medien beider Länder ebenfalls Übereinstimmung darüber, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION, die BEWERTUNG DER REGULIERUNG und die BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG die drei dominanten BEWERTUNGEN sind. Beide Seiten sind sich darin einig, dass schrankenlose Privatisierung, die Deregulierung und Liberalisierung kein Allheilmittel für die Wirtschaftskrisen seien. Zusammenfassend ist zu vermerken, dass die negative BEWERTUNG DER WESTLICHEN KRISENREAKTION als die wichtigste BEWERTUNG aller untersuchten Krisenperioden gilt. Als weitere relevante BEWERTUNGEN werden in den untersuchten Medien BEWERTUNG DER REGULIERUNG und BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG genannt, die seit der Asienkrise zunehmende Bedeutung aufweisen. Bezüglich der BEWERTUNG DER DEREGULIERUNG wird im gesamten Diskurs deutlich häufiger von negativen als positiven BEWERTUNGEN gesprochen. Beide Seiten sind sich darin einig, dass eine zu weit gehende Deregulierung und zu rasche Liberalisierung problemgenerierend wirksam waren. Im Laufe der Zeit war ein Trend hin zu mehr negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG zu verzeichnen, weiterhin stiegen

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während der letzten Weltfinanzkrise die Zahlen der negativen BEWERTUNGEN DER DEREGULIERUNG in allen Medien, in Deutschland wie in China, einheitlich stark an. Die weiteren forschungsleitenden Fragen, die die vorliegende linguistische Analyse des Wirtschaftskrisen-Diskurses zu beantworten sucht – wie z. B.: Welche Akteure oder Akteursgruppen werden thematisiert und welche Forderungen für die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns durch administrative Regulation und Deregulation ergeben sich daraus? – wurden im Schwerpunktkapitel Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse der kontrastiven Untersuchung dieser Arbeit beantwortet. Bezüglich der Makro-Rollen bzw. Leerstellen – URSACHEN, AKTEURE und FOLGEN der Wirtschaftskrise, BEWERTUNG des wirtschaftlichen Handelns sowie FORDERUNG für die Zukunft – die Entwicklung der Mediendarstellung beider Länder unterscheidet sich. Schließlich wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich der Relevanz und der Entwicklungstendenzen von Prototypen der jeweiligen Makro-Rollen-Filler zwischen den beiden Kulturräumen herausgearbeitet. Damit wurden die wichtigen Veränderungen in den Meinungsbildungsprozessen im Zusammenhang mit der Geschichte der (Um-)Gestaltung politisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der weiteren Ereignisgeschichte im Kontext der sogenannten Globalisierungsentwicklungen nachgezeichnet. Bezüglich der Makro-Rolle FORDERUNG für die Zukunft die Entwicklung der Mediendarstellung beider Länder unterscheidet sich – insbesondere seit der Krisenperiode des Transformationsprozesses in Russland und Osteuropa. Dabei sind bei den untersuchten deutschen Medien REFORM UND WESTÖFFNUNG und LERNEN UND NUTZEN VOM KAPITALISMUS die zwei wichtigsten FORDERUNGEN, während bei den chinesischen Medien REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE die wichtigste FORDERUNG ist. In den deutschen Medien handelt es sich bei diesen FORDERUNGEN hauptsächlich um direktive Forderung an Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa wirtschaftliche und politische Reformen durchzuführen, die freie Marktwirtschaft und Kapitalismus einzuführen sowie den Markt zum Westen hin zu öffnen – direkt und einfach nach westlichen Vorbildern. In den chinesischen Medien hingegen handelt es sich bei diesen FORDERUNGEN meistens um kommissive Forderung, d. h. die Selbstverpflichtung der chinesischen Regierung, größere Schritte zu Reform und Öffnung zu unternehmen, vom Kapitalismus zu lernen, sowie kapitalistische Mittel und Verfahrensweisen, wie z. B. westliches Kapital, moderne Technologien und moderne Managementmethoden, in China schrittweise einzuführen. Bei den Forderungen mit Blick auf Russland und die früheren sozialistischen Staaten in Osteuropa empfehlen die chinesischen Medien, nicht wie in den deutschen Medien vorgeschlagen, direkt und einfach nach westlichen

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Vorbildern, sondern nach ihren jeweils eigenen konkreten Realitäten und zu eigenen Bedingungen zu reformieren. Effektiver Gebrauch von Mitteln und Verfahrensweisen des marktwirtschaftlichen Kapitalismus bedeutet danach die behutsame Einführung der marktwirtschaftlichen Verfahrensweisen im Rahmen der sozialistischen Wirtschaftsprinzipien im Sinne einer kontrollierbaren Weiterentwicklung. Entsprechend lässt sich anhand der chinesischen Medientexte nachzeichnen, dass die Übernahme westlicher Konzepte der wirtschaftspolitischen Gestaltung (Öffnung und Liberalisierung der nationalen Märkte) in China durch einen spezifisch chinesischen Weg gestaltet werden soll. Im gesamten Diskurs besteht jedoch ein Konsens dazu, dass seit der Asienkrise REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE definitiv die wichtigste FORDERUNG im gesamten Untersuchungskorpus ist. Für die zukünftige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns durch administrative Regulation und Deregulation ergeben sich daraus die Forderungen nach REGULIERUNG DER FINANZMÄRKTE und REFORM DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS. Bezüglich der Makro-Rolle URSACHEN der Wirtschaftskrisen unterscheidet sich die Entwicklung der Mediendarstellung beider Länder ebenfalls. Ursachen und Verursacher (als URHEBER-AKTEURE) werden erst mal im Zusammenhang der Asienkrise thematisiert. Während die deutschen Medien die Asienkrise hauptsächlich auf die FEHLER DER REGIERUNG der asiatischen Staaten sowie das damit verbundene ASIATISCHE MODELL zurückführen, schreiben die chinesischen Medien die Ursachen hauptsächlich der GLOBALISIERUNG DER FINANZMÄRKTE, den AKTIONEN INTERNATIONALER SPEKULANTEN und der DEREGULIERUNG DER MÄRKTE in den asiatischen Ländern zu. Der Unterschied ist offensichtlich: Betont werden in den deutschen Medien die inneren Ursachen der Asienkrise, die bei den asiatischen Staaten selbst lägen; im Gegensatz dazu werden in den chinesischen Medien die äußeren Ursachen der Asienkrise herausgestellt. Thematisch werden in beiden deutschen Medien die REGIERUNG UND ZENTRALBANK der asiatischen Staaten, die als Haupturheber (URHEBER-AKTEURE) der Asienkrise bezeichnet werden. Für die deutschen Medien ist die schlechte Wirtschaftspolitik der asiatischen Staaten, wie z. B. Überregulierung und Scheitern des staatlichen Eingriffs für die Asienkrise hauptverantwortlich. Sie wurzelten in den dunklen Seiten der asiatischen Tradition, wie z. B. politischer Korruption, Vetternwirtschaft und Mangel an demokratischer Kontrolle. Diese hätten dann die Blasenwirtschaft ermöglicht, die durch Bildung und Platzen von Spekulationsblasen zum Zusammenbruch der asiatischen Finanzmärkte geführt hätten. Im Vergleich zu den deutschen Medien werden in den chinesischen Medien die ausländischen Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten thematisch, die die Schwächen des globalisierten Geldgewerbes genutzt und die

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Währungen der südostasiatischen Länder attackiert haben. Entsprechend halten die chinesischen Medien ausländische Banken, Investmentfonds und Kapitalspekulanten für die Haupturheber (URHEBER-AKTEURE) der Asienkrise. Beim Platzen der „Dotcom-Blase“ sowie während der letzten Weltfinanzkrise werden als relevante URHEBER-AKTEURE in den deutschen und chinesischen Medien speziell die US-REGIERUNG UND FED (= US-Notenbank) benannt. Bezüglich der Leerstelle URHEBER-AKTEURE besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen den deutschen und chinesischen Medien. Für das Platzen der „Dotcom-Blase“ werden die US-Regierung, und die amerikanische Geldpolitik der Fed verantwortlich gemacht. Der URSACHEN-Prototyp DIE USA SIND SCHULD/THE MADE-IN-AMERICA CRISIS wird in der letzten Weltfinanzkrise ebenfalls als die wichtigste URSACHE von den Diskursakteuren der deutschen und chinesischen Medien thematisiert. Es herrscht in den untersuchten deutschen und chinesischen Medien wiederum Einigkeit darüber, dass die Verursachung der Weltfinanzkrise von 2008 überwiegend dem wirtschaftspolitischen Handeln der US-amerikanischen Regierung, der laxen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (URSACHEN-Prototyp THE MADE-INAMERICA CRISIS) sowie der Deregulierung der globalen Finanzmärkte (URSACHENPrototyp DEREGULIERUNG DER MÄRKTE) zuzuschreiben sei. Ergänzend lässt sich aus dem Vergleich der Mediendarstellung mit der wissenschaftlichen wirtschaftshistorischen Literatur als wesentliche Konsequenz gewinnen, dass die synchron bestimmten jeweiligen Positionen der Mediendarstellungen gar nicht so weit von den ex-post erstellten diachronen wissenschaftlichen Konzeptualisierungen der westlichen Hemisphäre entfernt sind. Es findet sich im Wesentlichen eine wissenschaftliche Ex-post-Bestätigung der vorausgehenden synchron-punktuellen Charakterisierung der Ereignisse in den Medien. Damit wird die Vermutung einer möglichen starken Ideologie- oder Kulturgebundenheit und auch Augenblicksorientierung der betrachteten Pressemedien, die eigentlich nahelag und vermutet werden durfte, infrage gestellt. Die genaueren Gründe für diese konstatiertbare Konvergenz bedürfen noch tiefgreifenderer diskursanalytischer Untersuchung und Bestimmung. Zur Methode: Der Ertrag des Einsatzes der Frameanalyse hat ein sehr klares und differenziertes Ergebnis ermöglicht. Das zugehörige Instrumentarium, das sich im Rahmen der vorliegenden Studie als sehr erfolgreich erwiesen hat, sollte im Zusammenhang mit den weiteren Zielsetzungen der Diskurslinguistik eine weitere Entwicklung bzw. einen Ausbau erfahren können, wie im Zusammenhang der praktischen Untersuchungen deutlich geworden ist. Eine Erweiterung der vorliegenden Untersuchung auf empirischer Grundlage erscheint ebenfalls als sehr sinnvoll und fruchtbar: Der vorliegende Diskursausschnitt, der hier analysiert werden konnte, war aus forschungspraktischen

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Gründen noch relativ beschränkt. Zum einen liegt es nun entsprechend nahe, weitere wichtige Medien aus den genannten Ländern in die Untersuchung einzubeziehen. Zum anderen wäre es lohnenswert, die Untersuchung auf Medien aus den USA und aus anderen wirtschaftlich gewichtigen Staaten, etwa aus dem Bereich der G-7 oder der BRIC, zu erweitern. Da im Rahmen der bisherigen, beschränkten Analyse nur wenig an Fakten zu den kulturell verankerten Traditionen und ethischen Einstellungen sowie den betroffenen Werthorizonten (unter Bezug auf wirtschaftliches Handeln) bestimmt werden konnte, wäre zudem eine entsprechend orientierte erweiterte diskurslinguistische Analyse ebenso wünschenswert wie sinnvoll.

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Index Akteur 4, 43, 70, 71ff. Argumentation 16 Argumente 23 Aussagengeflecht 12 Aussagenkorpora 9, 12, 13, 23 Basiswissengeleitete offene Kategorienfindung 24–26, 30 Close Reading 29, 32 corpus-based 25, 26 corpus-driven 25, 26 Deutungsmuster 2 Deutungsrahmen 14 Diskursakteur 43 Diskursbegriff 7–14, 22 Diskursentwicklung 16 Diskurslinguistik 20, 25, 269, 273 Diskursthema 28, 30, 32 énoncé 12 epistemologisch 19 Ereignis 18, 23 Ereigniskonzeptualisierungen 4 Faktizität 4 Frameanalyse 1, 5, 14, 17, 20, 273 Frame-Attribute 6, 18, 33, 34 Framebegriff 5, 12, 14–20, 24 FrameNet-Projekt 17 frame-semantisch 11 Frametheorie 15, 16 Füllwerte/Fillers 12, 17–19, 23, 38, 63, 65

Hyperonymtypenreduktion 17f., 20, 37 Hypertext 8 Hyponym 38 intertextuelle thematische Kohärenzbeziehungen 16, 22, 28, 164, 250, 254 Kasusrahmen-Theorie 16 Kategorienbildung 9, 24f., 33f., 36, 41 kognitive Konzeptstrukturen 14f. Kognitive Linguistik 2, 14 Kognitive Psychologie 15f., 22 kognitive Schemata 20 Kommunikate 3 Kommunikationsprozesse 2 Konzeptualisierung 3–6, 165, 260, 268, 273 konzeptuelle Wissenslücken 15, 18 Korpus 10–13, 20–23, 25 Korpusanalyse 11, 19 Korpussuchanfragen 29–31 Kritischen Diskursanalyse 20 Künstlichen-Intelligenz-Forschung 15 Leerstellen/Slots 12, 15, 17–19, 23, 34, 37ff. Makro-Proposition 22, 28, 32–34, 40 Makro-Rahmen 14, 17, 23f. Makro-Rollen 6, 14, 18, 22–24, 33–36, 40–46 Matrixframe 18–24, 33–37, 40, 47, 71, 85, 109, 132 Mediendiskurs 3, 7, 28, 169, 188, 209, 214, 263, 266

Grounded Theory 34, 40

offene Propositionen 18f. Ontologien 15, 29

Handlungsanweisungen für Diskursanalyse 6 Hyperonym 37 Hyperonymketten-Beziehungen 34 Hyperonym-Relationen 17f. Hyperonymtypen 18

Prädikaten 19 Prädikation 18, 23, 34 Prädikationsrahmen 15 Prädikationsschemata 18 Prädikationstypen 24, 33f., 43, 46

288 | Index

Prädikatorenklassen 19 Prototypen 33, 35, 36, 41ff. prototypisches Wissen 14

thematische Makrostrukturen 16 Topoi 16 Transformationsprozesse 2

Quaestio-Konzept 21 Qualitative Inhaltsanalyse 21, 24f., 29

Valenzleerstellen 17 vorgeschaltete Explorationsphase 24, 29

Rahmen 7, 8, 14–16, 18, 21

Wissen 15–19, 20 Wissensbegriff 21 Wissensbestände 21 Wissenskomponenten 16 Wissensrahmen 14 Wissensstruktur 15, 16 Wissenssysteme 16

Schema 19 Standardwerte/default values 15, 19 stereotypisches Wissen 14–17, 19 Textlinguistik 12f. Themabegriff 9–15, 21–23, 28, 32