Wirtschaft USA: Strukturen, Institutionen und Prozesse [2. Aufl. (Unveränd. Nachdr. der 1. Aufl.). Reprint 2018] 9783486800029, 9783486250640

Dieses Buch ist für Studenten, Praktiker der Wirtschaft und der Politik, Schüler und die interessierte Öffentlichkeit ge

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Wirtschaft USA: Strukturen, Institutionen und Prozesse [2. Aufl. (Unveränd. Nachdr. der 1. Aufl.). Reprint 2018]
 9783486800029, 9783486250640

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Schaubilder
Vorwort
Teil 1. Strukturen der Wirtschaft
A. Sektorale Strukturen
B. Regionale Strukturen
Teil 2. Strukturen des politischen Systems
C. Föderalismus
D. Parteien und Wahlsystem
E. Lobbyismus und Verbändewesen
F. Entscheidungsstrukturen der Wirtschaftspolitik
Teil 3. Sozialpolitik
G. Sozialversicherung und Sozialfürsorge
H. Armutsstatistik
Teil 4. Bildungssystem
I. Schul- und Hochschulwesen
J. Berufliche Bildung
Teil 5. Arbeitsmarkt und Schäften Gewerkschaften
K. Arbeitsmarkt
L. Gewerkschaftsbewegung und Arbeitsbeziehungen
Teil 6. Fiskalpolitik
M. Bundeshaushalt
N. Steuersystem
Teil 7. Schlüsselbereiche der Wirtschaft
O. Bankensystem
P. Verkehrswirtschaft
Q. Telekommunikation
Teil 8. Außenwirtschaft Teil 8 Außenwirtschaft
R. Strukturen und Regulierungsinstrumente
Literatur- und Autorenverzeichnis
Stichwortverzeichnis (deutsch)
Stichwortverzeichnis (englisch)

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Wirtschaft USA Strukturen, Institutionen und Prozesse

Herausgegeben von

Carl-Ludwig Holtfrerich unter Mitarbeit von Willi Paul Adams, Lutz Frühbrodt, Peter Jaschner, Boy Lüthje, Monika Medick-Krakau, Axel Murswieck, Andreas und Marlies Quint, Christoph Scherrer, Rita Schneider-Sliwa und Hans Otto Schötz

2. Auflage (Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage)

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wirtschaft USA : Strukturen, Institutionen und Prozesse / hrsg. von Carl-Ludwig Holtfrerich unter Mitarb. von Willi Paul Adams ... - 2. Aufl. (unveränd. Nachdruck d. 1. Aufl.) München ; Wien : Oldenbourg 2000 ISBN 3-486-25064-7 NE: Holtfrerich, Carl-Ludwig [Hrsg.]

© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Layout: Peter Jasohner, Berlin Gesamtherstellung: Huber KG, Dießen ISBN 3-486-25064-7

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Tabellen Verzeichnis der Schaubilder Vorwort Teil 1. Strukturen der Wirtschaft A. Sektorale Strukturen 1. Das Konzept der sektoralen Struktur einer Volkswirtschaft 2. Kennzahlen der sektoralen Struktur der US-Wirtschaft 2.1. Bruttosozialprodukt 2.2. Beschäftigte 2.3. Außenhandel Literaturangaben

XII XIV XVII 1 1 1 3 3 4 5 421

B. Regionale Strukturen 1. Postindustrielle wirtschaftsgeographische Strukturen 2. Der Industriesektor 2.1. Der manufacturing belt als wirtschaftliches Kernland 2.2. Gegenwärtige Bedeutung des manufacturing belt 2.3. Industriezentren außerhalb des manufacturing belt 3. Der Tertiärsektor 4. Der Agrarsektor 5. Zusammenfassung Literaturangaben

6 6 7 7 10 11 21 30 44 422-425

Teil 2. Strukturen des politischen Systems C. Föderalismus 1. Die föderale Grundstruktur 2. Die Befugnisse des Bundes 3. Die Kompetenzen der Einzelstaaten 4. Die Aufgaben der Kommunen 5. Anpassungsfähiger Föderalismus Literaturangaben

45 45 45 47 49 52 55 426-431

D. Parteien und Wahlsystem 1. Historisch entwickelte Parteimerkmale 1.1. Demokratische Partei 1.2. Republikanische Partei 2. Der Funktionswandel der Parteien 3. Die Organisationsstruktur der Parteien 4. Die Parteien im Kongreß 4.1. Repräsentantenhaus 4.2. Senat 5. Wahlgesetzgebung 5.1. Bundeswahlgesetzgebung 5.2. Einzelstaatliche Wahlgesetze 6. Vorwahlen 7. Wahlen zum Kongreß

58 59 59 60 61 62 64 64 65 66 67 67 68 70

V

Inhaltsverzeichnis

8. Präsidentschaftswahlen 8.1. Nominierungsverfahren 8.2. Das electoral College 9. Wahlkampffinanzierung Literaturangaben

71 71 72 73 432-433

E. Lobbyismus und Verbändewesen 1. Die Problematik 2. Definition 3. Zahl, Art, Organisation 4. Strategien und Taktiken 5. Noch einmal: die Problematik Literaturangaben

77 77 78 80 83 85 434-435

F. Entscheidungsstrukturen der Wirtschaftspolitik 1. Der Verfassungsrahmen 2. Interventionsstaat und Präsidialdemokratie 3. Akteure und Entscheidungsprozesse in der Wirtschaftspolitik 3.1. Organisationsstrukturen 3.2. Entscheidungsprozesse 3.2.1. Der Gesetzgebungsprozeß 3.2.2. Der Budgetprozeß Literaturangaben

88 88 89 92 92 97 98 101 436-437

Teil 3. Sozialpolitik 105 G. Sozialversicherung und Sozialfürsorge 105 1. Grundzüge der historischen Entwicklung 105 2. Ideologische Positionen in der öffentlichen Meinung zum Wohlfahrtsstaat 109 3. Die Sozialversicherungsprogramme — Struktur, Finanzierung, Leistungen und Problembestand 113 3.1. Die Rentenversicherung 113 3.2. Die Krankenversicherung 117 3.3. Unfall- und Arbeitslosenversicherung 120 4. Die Fürsorgeprogramme — Struktur, Leistungen und Problembestand 122 4.1. Die Familienbeihilfe — Das AFDC-Programm 124 4.2. Krankenhilfe für die Armen — Medicaid 126 4.3. Ernährungsbeihilfen — Das Food Stomp-Programm 127 4.4. Die ergänzende Einkommenssicherungshilfe — Supplemental Security Income (SSI) 127 5. Tendenzen und Perspektiven der Reformentwicklung 128 Literaturangaben 438-440 H. Armutsstatistik 1. Die Meßmethode 2. Schwächen der Meßmethode 3. Statistische Ergebnisse Literaturangaben Teil 4. Bildungssystem I. Schul- und Hochschulwesen 1. Das US-Bildungssystem in der Krise 2. Das Schulwesen 2.1. Überblick 2.2. Die Verteilung der politischen Kompetenzen VI

131 131 133 138 441-442 143 143 143 144 144 147

Inhaltsverzeichnis

2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 3. Das 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

Finanzierung Das Curriculum A Nation at Risk? Der Schullehrer Hochschulwesen Überblick Die Verteilung der politischen Kompetenzen Finanzierung Lehre Forschung Das amerikanische Hochschulwesen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft 3.7. Der Hochschullehrer 4. Schlußbemerkung Literaturangaben

149 149 151 154 155 155 160 163 165 169 171 174 175 443-446

J. Berufliche Bildung 1. Schulische Rahmenbedingungen 2. Die Organisation beruflicher Bildung 3. Schulische Berufsbildung 3.1. Träger der schulischen Berufsbildung 3.1.1. Berufliche Bildung in der Sekundarstufe 3.1.2. Berufliche Bildung im tertiären Bereich 3.2. Inhalte der schulischen Berufsbildung 3.3. Nutzen der schulischen Berufsbildung 4. Betriebliche Ausbildung 4.1. Lernen-am-Arbeitsplatz (on-the-job-training) 4.2. Formale Ausbildungsarten 4.3. Lehrlingsausbildung (apprenticeship) 4.4. Kooperative Ausbildungsformen 5. Legislative Geschichte der Berufsbildung 6. Schlußbemerkungen Literaturangaben

177 177 178 181 181 181 182 186 190 192 193 193 194 205 206 209 447-450

Teil 5. Arbeitsmarkt und Gewerkschaften 213 K. Arbeitsmarkt 213 1. Definitionen 213 215 2. Die statistische Erfassung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 2.1. Wo findet man Informationen? 216 2.2. Probleme 217 3. Arbeitslosenversicherung 218 3.1. Die Bundesgesetzgebung 219 3.2. Die Staatsgesetze 223 3.3. Probleme 224 4. Strukturen und Trends am Arbeitsmarkt 225 4.1. Die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots 225 4.2. Die Veränderung der Arbeitsplatzstruktur 229 5. Zusammenfassung 232 Literaturangaben 451-454 L. Gewerkschaftsbewegung und Arbeitsbeziehungen 1. Geschichte der Gewerkschaftsbewegung 2. Arbeitsrecht 2.1. Das Tarifvertragswesen 2.2. Individualrechtliche Bestimmungen

234 234 239 239 242 VII

Inhaltsverzeichnis

3. Formen der Arbeitsbeziehungen 3.1. Der job control unionism der Industriegewerkschaften 3.1.1. Lohn und Sozialleistungen 3.1.2. Produktionsorganisation 3.2. Die Kontrolle des Arbeitsmarktes durch die Facharbeitergewerkschaften 3.3. Mißerfolge bei den Angestellten und Erfolge im öffentlichen Dienst 3.4. Der gewerkschaftsfreie Sektor 4. Der Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades und seine Ursachen 5. Gewerkschaften in den 80er Jahren Literaturangaben Teil 6. Fiskalpolüik M. Bundeshaushalt 1. Überblick 2. Die Struktur des Bundeshaushalts 2.1. Struktur der Einnahmen 2.1.1. Bereits Geschichte: Zölle 2.1.2. Einkommensteuer 2.1.3. Körperschaftsteuer 2.1.4. Sozialversicherung 2.1.5. Verbrauchsteuern 2.1.6. Andere Einnahmen 2.2. Struktur der Ausgaben 2.2.1. Verteidigungsausgaben 2.2.2. Sozialausgaben 2.2.3. Bundesfinanzzuweisungen 2.2.4. Zinsausgaben 2.2.5. Andere Ausgaben 2.3. Staatsquote 3. Die Verschuldung des Bundes 3.1. Bundeshaushaltsdefizite 3.1.1. Entwicklung 3.1.2. Unmittelbare Ursachen 3.1.3. Mittelbare Ursachen 3.1.4. Wirkungen 3.1.5. Bewertungen 3.1.6. Lösungsansätze 3.2. Bundesschuld 3.2.1. Entwicklung 3.2.2. Ursachen 3.2.3. Wirkungen 3.2.4. Bewertungen 3.2.5. Lösungsansätze 4. Das Budgetierungsverfahren 4.1. Grundlagen 4.2. Budgetierungsprozeß nach Gramm-Rudman-Hollings 4.2.1. Budget 4.2.2.Budget Resolution 4.2.3. Authorization/Appropriation 4.2.4. Reconciliation 4.2.5. Sequestration 4.2.6. Impoundments VIII

242 243 244 244 246 247 249 250 252 455-459 255 255 255 256 256 256 257 259 260 261 261 263 263 264 265 266 268 268 270 270 270 270 272 273 275 276 277 277 278 278 279 280 280 280 281 281 282 282 283 283 285

Inhaltsverzeichnis

4.3. Zukünftige Entwicklungen Literaturangaben

285 460-461

N. Steuersystem 1. Die Grundmerkmale des Steuersystems 2. Die Bundesebene 2.1. Einkommensteuer 2.2. Körperschaftsteuer 2.3. Andere Steuern 3. Die Staaten- und Gemeindeebene 3.1. Verkauf- und Verbrauchsteuern 3.2. Grundvermögensteuern 3.3. Einkommen- und Körperschaftsteuern 4. Die Perspektiven des Steuersystems Literaturangaben

287 287 288 288 294 297 298 298 299 300 301 462-463

Teil 7. Schlüsselbereiche der Wirtschaft O. Bankensystem 1. Überblick 1.1. Beispiel marktwirtschaftlicher Ordnung 1.2. Notwendige Rahmenbedingungen 1.3. Vielfalt des Bankwesens 2. Die Rahmenbedingungen der Banken 2.1. Wirtschaftliche und administrative Rahmenbedingungen 2.1.1. Zentralbank 2.1.2. Bankenaufsicht 2.1.3. Einlagensicherung 2.2. Strukturbestimmende Einzelmaßnahmen 2.2.1. Trennbankensystem 2.2.2. Filialgesetzgebung 2.2.3.Regulation Q 3. Der Markt der Banken 3.1. Der nationale Markt 3AA.Banks 3.1.2. Near-Banks 3.1.3. Nonbank-Banks 3.2. Das internationale Bankgeschäft 3.2.1. Ausländische Banken in den USA 3.2.2. US-Banken im Ausland 3.2.3. Supranationale Finanzmärkte Literaturangaben

303 303 303 303 303 305 306 306 306 310 312 314 314 316 318 319 319 319 320 323 324 324 324 325 464-465

P. Verkehrswirtschaft 1. Die Bedeutung des Verkehrswesens in der Wirtschaft 2. Entwicklung des Verkehrsaufkommens und seine Verteilung in der Nachkriegszeit 3. Regulierung der Verkehrswirtschaft 3.1. Genese des Interstate Commerce Act 3.2. Geschichte der Interstate Commerce Commission 3.3. Arbeitsweise der Interstate Commerce Commission 3.4. Ökonomische Theorien der Regulierung 3.5. Deregulierung

327 327 327 330 330 331 332 335 336

IX

Inhaltsverzeichnis

4. Strukturen der einzelnen Verkehrsträger 4.1. Eisenbahnen 4.1.1. Faktoren des Niedergangs 4.1.2. Reform der Regulierung 4.1.3. Arbeitsgesetzgebung im Schienenverkehr 4.2. Straßengüterverkehr 4.2.1. Genese der Regulierung 4.2.2. Ausmaß der staatlichen Regulierung 4.2.3. Teilweise Deregulierung 4.3. Öl-Pipelines 4.4. Wasserstraßen 4.5. Flugverkehr Literaturangaben

338 338 339 340 341 342 343 344 345 347 348 349 466-469

Q. Telekommunikation 1. Grundstrukturen 2. Genese der Regulierung 3. Deregulierung und Entflechtung des ße//-Systems Literaturangaben

353 353 354 357 470-471

Teil 8. Außenwirtschaft R. Strukturen und Regulierungsinstrumente 1. Eine historische Perspektive zur aktuellen Struktur 2. Struktur der US-Außenwirtschaft 2.1. Außenhandel 2.2. Internationale Vermögensposition 3. Entscheidungsträger der US-Außenwirtschaftspolitik 3.1. Die Exekutive 3.2. Die Legislative 3.3. Unabhängige staatliche Einrichtungen 3.4. Beratungsgremien mit Experten der Privatwirtschaft 4. Instrumente der US-Außenwirtschaftspolitik 4.1. Zölle und Zollsystem 4.2. "Freiwillige" Exportbeschränkungen 4.3. Schutzmaßnahmen bei "fairen" Handelsbedingungen (import relief) 4.3.1. Sektion 201 des Trade Act von 1974 (= escape clause) 4.3.2. Sektion 406 des Trade Act von 1974 (Importe aus kommunistischen Ländern) 4.3.3. Sektion 221-264 des Trade Act von 1974 ( Trade Adjustment Assistance) 4.4. Schutzmaßnahmen gegen "unfaire" Handelspraktiken des Auslands beim Export in die USA 4.4.1. Sektion 731 des Tariff Act von 1930 (Antidumping) 4.4.2. Sektion 701 und Sektion 303 des Tariff Act von 1930 (Countervailing Duty) 4.4.3. Sektion 337 des Tariff Act von 1930 ("unfairer" Wettbewerb)

X

361 361 361 365 365 368 371 371 374 375 376 378 378 383 384 384 387 387 388 388 389 390

Inhaltsverzeichnis

4.5. Schutzmaßnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit sowie der Zahlungsbilanzlage 392 4.5.1. Sektion 232 des Trade Expansion Act von 1962 (nationale Sicherheit) 392 4.5.2. Sektion 122 des Trade Act von 1974 (Zahlungsbilanzprobleme) 393 4.6. Schutzmaßnahmen auf der Basis sektorspezifischer Gesetze und andere Einfuhrbestimmungen 393 4.6.1. Ermächtigungen des Präsidenten zu Importbeschränkungen durch sektorspezifische Gesetze 393 4.6.2. Gesetzlich festgelegte Importrestriktionen 395 4.6.3. Importdiskriminierung im öffentlichen Beschaffungswesen 396 4.7. Importrestriktionen als Druckmittel zur Öffnung ausländischer Märkte für US-Exporte 398 4.7.1. Sektion 301 des Trade Act von 1974 (Verletzung von Handelsabkommen oder -regeln) 398 4.7.2. "Super 301", "Special 301" und "Telecommunication 301" des Omnibus Trade and Competitiveness Act von 1988.... 399 4.8. Exportförderung und Exportkontrollen 401 4.8.1. Exportfinanzierung 401 4.8.2. Steuer- und wettbewerbsrechtliche Exportförderung 404 4.8.3. Exportkontrollen und Notstandsgesetze 405 5. Der US-Dollar und sein Wechselkurs 407 5.1. Die besondere Rolle des Dollars im Weltwährungssystem 407 5.2. Veränderungen des Dollarwechselkurses und verschiedene Meßmethoden 413

Literaturangaben

472-475

Literatur- und Autorenverzeichnis

421

Stichwortverzeichnis (deutsch und englisch)

476

XI

Verzeichnis der Tabellen B-l

Regionale Anteile an den Beschäftigten und an der Wertschöpfung in der Industrie B-2 Anteil der unselbständig Beschäftigten in Dienstleistungssektoren 1985 B-3 Regionale Anteile an den Beschäftigten in ausgewählten steuerpflichtigen Dienstleistungen: business services, personal services, automotive repair, 1982 B-4 Regionale Verteilung und Nettowert von Aufträgen des Verteidigungsministeriums für Forschung, technologische Entwicklung, Tests und Auswertung an die 50 größten Vertragspartner, Fiskaljahr 1985 B-5 Anteil der steuerfreien Dienstleistungsbetriebe in geographischen Regionen 1982 B-6 Anzahl der Konzernverwaltungen in ausgewählten Städten im Süden 1960-1980 B-7 Führende Bundesstaaten in ausgewählten Hochtechnologiebereichen 1985 B-8 Anzahl, Verteilung und prozentuale Abnahme der Farmen 1980-1988 B-9 Ertragssteigerung ausgewählter Anbauprodukte 1920-1981 B-10 US-Farmland, tatsächlich kultiviertes Land und Ertragsindex B-l 1 Veränderung in der Durchschnittsgröße der Farmen 1980-1988 B-12 Farmklassen und ihr Anteil am Gesamtfarmeinkommen in den USA 1985 B-l3 Durchschnittswert von Nutzland und Wirtschaftsgebäuden 1984, 1986 und 1988 pro acre B-14 Agrarprodukte mit dem höchsten Verkaufserlös 1985 B-l5 Anteil am Verkaufserlös für Agrarprodukte 1987 C-l Ausgaben von Bund, Einzelstaaten und Kommunen 1984/85 C-2 Bundeszuschüsse an Einzelstaaten und Kommunen {Federal grants-in-aid) Anteil der Sozialversicherungsausgaben und der Sozialhilfeausgaben des Bundes am Bundeshaushalt in Prozent 1960-1988 G-2 Empfänger von AFDC-Leistungen nach ausgewählten Merkmalen 1975-1986

11 22 23

25 26 27 28 31 32 32 33 33 36 38 43 51 54

G-l

H-l

Die Entwicklung der Armutsrate: Gesamt sowie nach Hautfarbe und Alter 1950 bzw. 1959 bis 1988 H-2 Das Sozialprofil der Armut 1988 1-1

XII

Das amerikanische Hochschulwesen nach Zahl der Institutionen und immatrikulierten Studenten 1985

110 124

139 141

159

1-2

Die Einnahmequellen US-amerikanischer Hochschulen 1975/76 und 1984/85 (nach prozentualem Anteil an Gesamteinnahmen) aufgegliedert nach öffentlichen und privaten Hochschulen

K-l

Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung nach ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht von 1950 bis 1988 in Prozent K-2 Anteil der den Erwerbspersonen zugehörigen Frauen in Prozent der jeweiligen Gruppe K-3 Von 100 Arbeitslosen suchten Arbeit K-4 Jährliche Zu- oder Abnahme von Arbeitsplätzen in Prozent L-l L-2

Die Mitgliederzahlen der 14 wichtigsten Gewerkschaften 1989 Gewerkschaftlicher Organisationsgrad in einzelnen Sektoren, ausgewählte Jahre

M-l Struktur der Einnahmen des Bundeshaushalts der USA als Anteil der Gesamteinnahmen und als Anteil des Bruttosozialprodukts M-2 Struktur der Ausgaben des Bundeshaushalts der USA als Anteil der Gesamtausgaben und als Anteil des Bruttosozialprodukts M-3 Bundeshaushaltsdefizite und Bundesschuld

164

226 226 229 230 239 243

262 267 279

R-l Die Güterstrukturen des US-Außenhandels 1980 und 1988 366 R-2 Die regionale Struktur des US-Außenhandels 1970-88 367 R-3 Die internationale Vermögensposition der USA 1945-1988 369 R-4 Die Verteilung der US-Direktinvestitionen im Ausland auf Länder und Ländergruppen 1950-1988 370 R-5 Die ausländischen Direktinvestitionen in den USA nach Herkunftsgebieten 1950-1988 370 R-6 Entwicklung und Zusammensetzung der Weltwährungsreserven 1950-1988 411 R-7 Anteil der offiziellen Dollarreserven an den Weltwährungsreserven ....412 R-8 Die drei wichtigsten nach Außenhandelsanteilen gewogenen US-Dollarwechselkursindizes 416 R-9 Drei Indizes für den gewogenen Außenwert des US-Dollar 1970-1989 417

XIII

Verzeichnis der Schaubilder A-l

Das Fourastiesche Gesetz

B-1 B-2 B-3 B-4

Der manufacturing belt 8 Die landwirtschaftliche Kernregion der USA 9 Bundesstaaten, Cenms-Regionen und geographic divisions der USA .... 12 Veränderung der industriellen Arbeitsplätze in den Bundesstaaten von 1980-1985 14 Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer in den 16 Bundesstaaten 1975 und 1982 Pro-Kopf-Einkommen in den Bundesstaaten 1986 17 Anteil der Sozialhilfeempfanger in den Bundesstaaten 1985 19 Arbeitslosenquote 1986 und Differenz der Arbeitslosenquote 1980-1986 in den Bundesstaaten 20 Anzahl der Mitglieder in Farmer-Genossenschaften 1985 35 Nettofarmeinkomen in den Bundesstaaten 1983 37 Agrarprodukte mit den höchsten Anteilen am Gesamtwert der Agrarproduktion 1985 40 Agricultural belts nach Haystead und Fite 42

B-5 B-6 B-7 B-8 B-9 B-10 B-l 1 B-l2 F-l F-2

Wirtschaftspolitische Entscheidungsstrukturen in Legislative und Exekutive Eine Vorlage wird Gesetz

G-l

2

94 99

Verwaltungs- und Finanzierungsstruktur sowie Ausdehnung der bundesstaatlichen Sozialleistungsprogramme in den USA G-2 Übersicht über das amerikanische Rentenversicherungssystem G-3 Prozentuale Verteilung der Gesundheitsausgaben nach Art und Herkunft 1987

118

1-1

Die Struktur des amerikanischen Bildungssystems

145

J-l J-2

Berufliche Bildung in den USA Muster für die amtliche Registrierung eines Lehrlingsprogramms und für ein Abschlußzeugnis Muster eines Lehrlingsvertrages

180

J-3

K-1 CPS-Standardfragebogen K-2 Die Verwaltung der Finanzen des Arbeitslosenversicherungssystems K-3 Arbeitslosenversicherung — Einnahmen, Ausgaben, Überschüsse und Defizit in Prozent vom BSP, Fiskaljahre 1962-87 K-4 Anteil der den Erwerbspersonen zugehörigen Frauen in Prozent der jeweiligen Gruppe K-5 Gesamtwirtschaftliche Produktion, Arbeitsproduktivität und Erwerbstätigkeit in den USA und der BRD

XIV

112 114

197 200 214 220 222 227 231

L-l

Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades, private Wirtschaft und öffentlicher Dienst, 1950-1985

P-l

Anteile der Verkehrsträger an der US-Verkehrsleistung (Tonnen-Meilen) im Güterfernverkehr 1980-88 Anteile der Verkehrsträger an den gesamten US-Ausgaben für Güterfernverkehr 1960-88

P-2

R-l

Die Struktur außenhandelspolitischer Entscheidungsprozesse in den USA R-2 Die Indizes für den gewogenen Außenwert des US-Dollar 1970-1989

250

328 329

372 419

XV

Vorwort

Dieses Buch ist für Studenten, Praktiker der Wirtschaft und der Politik, Schüler und die interessierte Öffentlichkeit geschrieben, die aus beruflichen oder privaten Motiven eine Einführung in die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik der USA benötigen. Darin sind auch angrenzende Fachgebiete mitbehandelt, insoweit sie für das Verständnis ökonomischer und wirtschaftspolitischer Zusammenhänge wichtig sind, wie etwa das politische System, die Sozialpolitik und das Bildungssystem. Andererseits konnten vom umfassenden Gegenstandsbereich Wirtschaft USA nur solche Teile in die Darstellung aufgenommen werden, die als besonders wichtig für das Verständnis der Zusammenhänge gelten und auch deshalb als exemplarisch anzusehen sind. So werden z.B. in Teil 7: Schlüsselbereiche der Wirtschaft nur drei, allerdings zentrale Dienstleistungssektoren behandelt. Das Buch ist ein Beispiel für die interdisziplinäre Lehre, die im John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin stattfindet. Fast alle, die zur Entstehung des Buches beigetragen haben, sind oder waren dort tätig. In der Abteilung für Wirtschaft dieses Instituts wurden mehijährige Erfahrungen mit einer dem Stoff des Buches entsprechenden Lehrveranstaltung gesammelt, bevor und während die Produktion anlief. Zu den Vorgaben, die dem Entstehen der einzelnen Kapitel zugrunde lagen, gehörte es, der Darstellung der aktuellen Strukturen, Institutionen und Prozesse eine historische Dimension beizufügen, weil viele amerikanische Eigenarten ohne einen solchen Rückblick nur schwer verständlich sind. Um dem deutschen Leser mit seinem Vorverständnis der hiesigen Verhältnisse die amerikanischen Besonderheiten noch einprägsamer zu machen, sind an geeigneter Stelle Vergleiche mit entsprechenden Zuständen, Einrichtungen und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland gezogen. Ich danke allen, die als Verfasser der einzelnen Kapitel zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Herzlich danke ich auch denjenigen, die die redaktionelle Bearbeitung bzw. graphische Gestaltung des Textes mit mir geteilt haben: Barbara Spannagel, Burkhard Wilke, Michael Fabricius, Dr. HansJoachim Kämmer (Schaubilder) und vor allem Peter Jaschner (Satz und Layout).

Carl-Ludwig Holtfrerich

XVII

Teil 1 Strukturen der Wirtschaft A. Sektorale Strukturen 1. Das Konzept der sektoralen Struktur einer Volkswirtschaft In den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts ist, teilweise auch als Reaktion auf den tiefen Einschnitt der großen Weltwirtschaftskrise, von Wirtschaftswissenschaftlern wie Allan G.B. Fisher und Jean Fourastie das Konzept der Einteilung der Volkswirtschaft in Sektoren entwickelt worden. Diese Einteilung erfolgt traditionellerweise in drei Sektoren. Dabei umfaßt der primäre Sektor vor allem die Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, der Produktionsfaktor Boden spielt eine besondere Rolle. Der sekundäre Sektor umfaßt vor allem Industrie und Handwerk, auch der mitunter dem primären Sektor zugerechnete Bergbau wird im folgenden dem sekundären Sektor zugerechnet, für den der Produktionsfaktor Kapital besonders bedeutend ist. Im tertiären Sektor werden Dienstleistungen produziert, wobei der Mensch von besonderer Bedeutung ist. Im folgenden werden auch die mitunter dem sekundären Sektor zugerechneten Versorgungs-, Verkehrs- und Nachrichtenbetriebe dem tertiären Sektor zugerechnet, der vor allem aus Handels- und Finanzdienstleistungsbetrieben besteht. Von sehr großer Bedeutung sind im tertiären Sektor auch die staatlichen Dienstleistungen (Holtfrerich 1980: 418). Im Zuge des Wachstums der Volkswirtschaften sind Verschiebungen zwischen den Sektoren der Wirtschaft, aber auch innerhalb der die einzelnen Sektoren bildenden Wirtschaftszweige zu beobachten. Dabei wird traditionellerweise der Anteil jedes Sektors am Bruttosozialprodukt und an den Beschäftigten betrachtet, im folgenden wird diese Betrachtungsweise um den Anteil am Außenhandel erweitert. Mit dem Konzept der sektoralen Struktur der Volkswirtschaft kann unter anderem das Fehlen oder Vorhandensein von wirtschaftlicher Entwicklung erfaßt werden. Die Erklärung der Verschiebungen zwischen den einzelnen Sektoren erfolgt angebots- und nachfrageseitig. Einerseits kommt es durch die in den einzelnen Sektoren angewandte unterschiedliche Technologie auch zu unterschiedlichen Produktivitätssteigerungen und in der Folge zu Veränderungen der Ange1

Strukturen der Wirtschaft

botsstruktur, die die Anteile der einzelnen Sektoren am Bruttosozialprodukt, an den Beschäftigten und am Außenhandel verändern. Andererseits ist, entsprechend den Bedürfnissen der Menschen, bei steigenden Einkommen ein relatives Sinken der Nachfrage nach Gütern aus primärer Produktion, ein vorübergehendes relatives Steigen der Nachfrage nach Gütern aus sekundärer Produktion und eine nahezu unstillbare Nachfrage nach Gütern aus tertiärer Produktion zu verzeichnen; die Anpassung an diese sich verändernden Nachfragestrukturen führt ebenfalls zu Verschiebungen zwischen den einzelnen Sektoren. Beschleunigt wird der sektorale Wandel zusätzlich dadurch, daß die Produktivitätssteigerungen in den Sektoren am höchsten sind, in denen die Nachfrage relativ sinkt oder nur relativ langsam steigt und umgekehrt (Holtfrerich 1980: 418-421). Schaubild A-l: Das Fourastiösche Gesetz vH

Quelle: Holtfrerich 1980: 421. Das Konzept der sektoralen Struktur der Volkswirtschaft ist nicht unumstritten, so wird z. B. die Einteilung der Sektoren kritisiert oder die gegenseitige Abhängigkeit der Sektoren betont. Da von den Vertretern des Konzeptes des sektoralen Strukturwandels der Volkswirtschaft in der Regel letztlich eine nahezu vollständige Konzentration der wirtschaftlichen Aktivität im tertiären Sektor vorausgesagt wird, ist dieses Konzept in der Diskussion über die USA als postindustrielle Gesellschaft wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

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Sektorale Strukturen

Hierbei stehen sich — ähnlich wie in den Zeiten der Diskussion über die postagrarische Gesellschaft — zwei Gruppen gegenüber. Die einen vertreten die Ansicht, die Industrie, der sekundäre Sektor, sei das Herz der Volkswirtschaft, daneben seien viele Dienstleistungen industriebezogen und könnten ohne industriellen Sektor nicht existieren (Cohen/Zysman 1987); die anderen argumentieren, die Dienstleistungen, der tertiäre Sektor, könnten eigenständig bestehen, da in diesem Sektor selbst Nachfrage nach Dienstleistungen entstehe und bereits heute viele Tätigkeiten des sekundären Sektors eigentlich Dienstleistungen seien (Riddle 1986). Historisch besonders bemerkenswert ist es, daß der für die wirtschaftliche Entwicklung der USA im 19. Jahrhundert bedeutendste Wirtschaftszweig, die Eisenbahn, eine Dienstleistung anbietet und in der Regel zum tertiären Sektor gerechnet wird. Im folgenden wird die sektorale Struktur der USA an den Kennzahlen Bruttosozialprodukt, Beschäftigte und Außenhandel dargestellt.

2. Kennzahlen der sektoralen Struktur der USWirtschaft 2.1. Bruttosozialprodukt Der Anteil des primären Sektors am Bruttosozialprodukt der USA lag 1987 bei 2,1%, der des sekundären Sektors bei 25,7% und der des tertiären Sektors bei 72,2%. Der im tertiären Sektor enthaltene Anteil staatlicher Dienstleistungen am gesamten Bruttosozialprodukt betrug 11,9% (errechnet nach U.S. Bureau of the Census 1990: 426). Die entsprechenden Zahlen für 1950 verdeutlichen den sektoralen Strukturwandel. Der primäre Sektor war damals mit 7,3%, der sekundäre mit 38,4% und der tertiäre mit 54,1% am Volkseinkommen beteiligt; der Anteil staatlicher Dienstleistungen betrug 9,8% (U.S. Bureau ofthe Census 1953: 283). Den weitaus größten Teil des primären Sektors der USA bildet die Landwirtschaft. Die bedeutendsten Anteile am Bruttosozialprodukt des sekundären Sektors werden von der Investitionsgüterindustrie vor der Konsumgüterindustrie und der Bauwirtschaft erbracht, der Bergbau macht weniger als ein Zehntel dieses Sektors aus. In der Bruttosozialproduktsstatistik des tertiären Sektors der Volkswirtschaft der USA sind die sogenannten Anderen Dienstleistungen, in der zahlreiche Aktivitäten dieses heterogenen Sektors zusammengefaßt werden, die größte Position, darunter besonders die Gesundheitsdienstleistungen. Es folgen die Finanzdienstleistungen, die staatlichen Dienstleistungen und der Einzelhandel, etwas kleiner als dieser ist der Großhandel (U.S. Bureau of the Census 1990: 426). Verglichen mit anderen wichtigen OECD-Ländern ist die Größe des primären Sektors der USA mit 2% nicht ungewöhnlich. In der Bundesrepublik 3

Strukturen der Wirtschaft

Deutschland und Großbritannien ist dieser ebenso groß, in Japan macht der primäre Sektor 3%, in Kanada und Frankreich 4% aus. Allerdings ist der sekundäre Sektor der USA im internationalen Vergleich mit 26% auffallig klein, die entsprechenden Werte lauten für Kanada 31 %, Frankreich 35%, Japan 36%, Großbritannien 37% und Bundesrepublik Deutschland sogar 40%. Demzufolge ist der tertiäre Sektor der USA mit 72% besonders groß, den größten tertiären Sektor der erwähnten anderen Länder hat Kanada mit 65%, den kleinsten die Bundesrepublik Deutschland mit 58% (errechnet nach U.S. Bureau of the Census 1990: 426 und nach Blades 1987: 162). Daß sich die Diskussion über Erscheinungen wie Deindustrialisierung am Beispiel der USA entzündet hat, ist nach Betrachtung dieser Zahlen wenig erstaunlich.

2.2. Beschäftigte Der Anteil der Beschäftigten im primären Sektor der USA lag 1988 bei 2,8%, der Anteil des sekundären Sektors betrug 25,8% und der des tertiären Sektors 71,4%. Der Anteil der Beschäftigten in den einzelnen Sektoren stimmt also etwa mit den jeweiligen Anteilen am Bruttosozialprodukt überein (errechnet nach U.S. Bureau of the Census 1990: 394). Also ist die Produktivität je Beschäftigtem in den beiden großen Sektoren der Volkswirtschaft etwa gleich hoch. Während der Anteil der Beschäftigten innerhalb der Wirtschaftszweige des primären und sekundären Sektors der USA kaum von den entsprechenden Anteilen am Bruttosozialprodukt abweicht, ergibt sich innerhalb des tertiären Sektors ein anderes Bild. Zwar sind die meisten Beschäftigten des tertiären Sektors ebenfalls dem Bereich der Anderen Dienstleistungen zuzurechnen, doch folgen dann der Einzelhandel sowie die Versorgungs-, Verkehrs- und Nachrichtenbetriebe; im Bereich der Finanzdienstleistungen, der staatlichen Dienstleistungen und des Großhandels sind dagegen im Vergleich zum dort erwirtschafteten Bruttosozialprodukt nur verhältnismäßig wenig Beschäftigte tätig (U.S. Bureau of the Census 1990: 394). Im primären und sekundären Sektor der US-Wirtschaft sind unterdurchschnittlich viele Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten beschäftigt, im tertiären Sektor demzufolge überdurchschnittlich viele dieser Beschäftigten. Umgekehrt verhält es sich mit dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen je Stunde, dieses liegt im sekundären Sektor höher als im tertiären. So wurden 1988 in der Industrie durchschnittlich 10,18 $ je Stunde gezahlt, in der Bauwirtschaft sogar 13,01 $. In den Anderen Dienstleistungen wurden dagegen durchschnittlich nur 8,91 $ je Stunde erzielt, im Einzelhandel sogar nur 6,31 $ und selbst im Bereich der Finanzdienstleistungen lag der Wert mit 9,09 $ noch unter dem der Industrie (U.S. Bureau of the Census 1990: 394, 407). Da auch in anderen wichtigen OECD-Ländern die Anteile der Beschäftigten in den Sektoren von den Anteilen der Sektoren am Bruttosozialprodukt nur wenig abweichen, liegt der Anteil der im sekundären Sektor Beschäftigten im 4

Sektorale Strukturen

internationalen Vergleich in den USA sehr niedrig und der Anteil der im tertiären Sektor Beschäftigten sehr hoch (Blades 1987: 174).

2.3. Außenhandel Der Anteil des primären Sektors an den Exporten der USA betrug 1988 6,3%, der Anteil des sekundären Sektors 55,1% und der Anteil des tertiären Sektors 38,6%. Die entsprechenden Werte für die Importe lauten für den primären Sektor 4,0%, für den sekundären Sektor 67,2% und für den tertiären Sektor 28,8% (errechnet nach U.S. Bureau of the Census 1990: 790). Im selben Jahr lag der Überschuß der Agrarteilbilanz der Handelsbilanz bei 8 Mrd. $ und der Fehlbetrag der Industrieteilbilanz bei 135 Mrd. $, d. h. der Außenhandel in Gütern des primären und sekundären Sektors führte zu einem Handelsbilanzdefizit von 127 Mrd. $. Dagegen wies gleichzeitig die Dienstleistungsbilanz, also das Außenhandelsergebnis des tertiären Sektors, einen Überschuß von 20 Mrd. $ auf (errechnet nach U.S. Bureau of the Census 1990: 790). Verglichen mit dem Anteil der jeweiligen Sektoren am Bruttosozialprodukt sind der primäre und sekundäre Sektor am Außenhandel der USA weitaus stärker, der tertiäre Sektor demzufolge weitaus schwächer vertreten. Ursächlich dafür ist unter anderem, daß zahlreiche Dienstleistungen, z. B. die staatlichen Dienstleistungen, weitgehend nicht exportfähig sind und daß der Absatz von Dienstleistungen im Ausland häufig nicht über Exporte, sondern über Direktinvestitionen erfolgt. Andererseits erreicht der sektorale Wandel der Bruttosozialproduktsstruktur die Außenhandelsstruktur möglicherweise erst mit zeitlicher Verzögerung. Gelingt es, den Anteil des tertiären Sektors am Außenhandel zu erhöhen und gleichzeitig einen nennenswerten Dienstleistungsbilanzüberschuß zu wahren, würde auf diesem Wege das Leistungsbilanzdefizit der USA sinken (McCulloch 1988: 367-406). Lagen die USA im Vergleich mit anderen wichtigen OECD-Ländern hinsichtlich der Entwicklung des tertiären Sektors bisher stets an der Spitze, so ergibt ein Vergleich der Anteile des tertiären Sektors an den Exporten aller drei Sektoren zusammen jedoch ein anderes Bild. Dieser Anteil lag 1985 in Großbritannien bei 49,9%, in Frankreich bei 37,9%, in der Bundesrepublik Deutschland bei 22,2%, in Japan bei 20,8% und in Kanada bei 14,1%; die USA lagen hinter Großbritannien mit 38,4% an zweiter Stelle, nur knapp vor Frankreich (errechnet nach Schultz 1987: 228). Hier zeichnet sich ein Nachholbedarf und Entwicklungspotential in der Entwicklung der sektoralen Struktur des Außenhandels der USA ab.

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B. Regionale Strukturen 1. Postindustrielle wirtschaftsgeographische Strukturen In nur rund 100 Jahren vollzog sich die Entwicklung der USA von einer Agrarnation zur führenden Industriemacht bis hin zur "postindustriellen" Dienstleistungsgesellschaft, deren Ende bereits vorausgesagt wird (Thurow 1989). Diese Wirtschaftsentwicklung hat das Bild Amerikas entscheidend verändert. So wie sich im Industriezeitalter ein zentral-peripheres wirtschaftsgeographisches Gefüge herausbildete, in dem der manufacturing belt das wirtschaftliche "Zentrum" und der Rest der USA die strukturschwache "Peripherie" (vgl. dazu Schätzl 1981: 123) darstellten, so kennzeichnet die postindustrielle Ära seit ungefähr 1950 eine neue Wirtschaftsgeographie (vgl. Sternlieb/Hughes 1978). Ihre wichtigsten Merkmale sind: (1) eine industrielle Mehrkernstruktur, d.h. die Ausbildung neuer Industrieregionen außerhalb des klassischen "altindustrialisierten" manufacturing belt, (2) der Aufschwung des tertiären Sektors in alt- und neuindustrialisierten städtischen Ballungsräumen, sowie aufgrund staatlicher Maßnahmen in einigen ländlichen, dünner besiedelten, strukturschwachen Regionen und (3) im Agrarsektor regional verschiedene Anpassungen an die "Farmkrise" durch Änderung der Betriebsgrößen, Organisationsformen und regionale Verlagerung von Produktionsschwerpunkten. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, diese regionalen Strukturen der USWirtschaft mit Ausnahme von Alaska, Hawaii und anderer US-Territorien aufgrund der Literatur und neuester Statistiken zusammenzufassen. Schwerpunktmäßig behandelt werden: (1) die Ausbildung des manufacturing belt zum wirtschaftlichen Zentrum der USA im Industriezeitalter sowie der postindustrielle Wandel zu einer industriellen Mehrkernstruktur, (2) die Tertiarisierung der US-Wirtschaft sowie die geographische Verteilung und Konzentration ausgewählter Dienstleistungsbereiche und (3) postindustrielle sektorale und regionale Strukturen in der Landwirtschaft. Diese Thematik ist nicht neu, da es ein Grundgedanke der Wirtschaftsgeographie ist, daß die jeweilig feststellbaren geographischen Verteilungsmuster nicht endgültig sind, Geographical distributions are brought about by processes that are an integral part ofthe economy and society, indeed they reflect and 6

Regionale Strukturen

maintain these processes. ... as social and economic development proceeds, so the social formation changes and, in consequence new and different geographical patterns and distributions are created (Clark 1985: 3). Generationen von Wirtschaftsgeographen und anderen Sozialwissenschaftlern befaßten sich daher mit der regionalen Ausbildung von Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, der Verlagerung von Standorten, dem Ausbau oder dem Abbau von Arbeitsplätzen in Räumen, die von der Infrastruktur erschlossen oder vom technischen Fortschritt überholt wurden. Die regionalen Schwerpunkte von Industrie, Dienstleistungen und der Landwirtschaft sind in jüngster Zeit von einer großen Anzahl von Autoren behandelt worden (s. Literaturverzeichnis, wovon Birdsall/Florin (1981), Clark (1985), Malecki (1980, 1981, 1984, 1985) und Windhorst (1986, 1987) für das vorliegende Kapitel eine besonders wichtige Grundlage bilden). Im folgenden werden alte und neue Verteilungsmuster des Industriesektors angesprochen. Dabei, wie auch bei der Betrachtung des Dienstleistungsund Agrarsektors wird versucht, die wirtschaftliche, politische und soziale Gesamtsituation in die spezifisch geographische, raumbezogene Betrachtungsweise einzubeziehen.

2. Der Industriesektor 2.1. Der manufacturing belt als wirtschaftliches Kernland Die rasche Entwicklung der USA von einer Agramation zur führenden Industriemacht wurde durch das Bevölkerungswachstum beschleunigt. Während 1820 9,6 Mio. Menschen im Census erfaßt wurden, waren es 1920 schon 105,7 Mio., 1970 rund 203,3 Mio. und 1980 über 226,5 Mio.; allein durch Einwanderung stieg die Bevölkerung zwischen 1820 und 1988 um 54,4 Mio. an (U.S. Bureau of the Census 1990: 7,9). Der Bevölkerungsanstieg garantierte eine große Nachfrage und sichere Absatzmärkte für die Wirtschaft und ermöglichte so die Industrialisierung, die sich später aufgrund von staatlicher Protektion eine führende Stellung auf dem Binnenmarkt sowie auf dem Weltmarkt aufbauen konnte (Holtfrerich 1987). Frühes industrielles Wachstum und Ausbildung des Handels waren zuerst in den Metropolen der Ostküste zu verzeichnen, weil dort das größte Bevölkerungswachstum stattfand. Es ist die Gegenküste zu Europa, der Großteil der Einwanderer landete dort, brachte Arbeitskraft, Erfahrung und Ideen. Die weitere Industrialisierung im Hinterland der Ostküste bis in den Mittelwesten wurde durch sukzessive Westwärtswanderungen der Bevölkerung und punktuelle Erschließung der Ressourcen (industrial nucleation) eingeleitet (Perloff u.a. 1960). Wichtig dabei war auch die symbiotische Beziehung der neuen Industrien mit der Landwirtschaft: ... success in agriculture supported the region 's early market Centers, but it was the gradual mechanization of agriculture that de1

Strukturen der Wirtschaft manded diversified manufacturing support. Mechanical reapers, winnowing machines and cultivating implements by the tens of thousands were required even before the turn of the century ... increasingly specialized farm machinery continued to be important local sources of industrial demand during the first half of this century. And transportation lines were improved and expanded to carry the tremendous volume of agricultural products that were produced on the region's farms. Thus, agriculture stimulated early industrial and urban growth and successfiil manufacturing and rapidly growing urban centers continued intensification and improvement in agriculture (Birdsall/Florin 1981: 93). Es entstand die duale Wirtschaftsstruktur des amerikanischen Nordostens, der neben dem manufacturing belt von jeher wesentliche Teile des landwirtschaftlichen Kernlandes der USA einschloß (Birdsall/Florin 1981: 93 und Schaubilder B-l und B-2). Schaubild B-l: Der manufacturing belt Oberer

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Quelle: Nach Birdsall/Florin 1981: 92; Clark 1985: 82. Die industrielle Entwicklung fand also nicht in einem ununterbrochenen Gürtel, sondern in wenigen Teilgebieten statt (vgl. Schaubild B-l), die sich durch ihre Häfen, allgemeine Verkehrsgunst oder Ressourcen auszeichneten, jedoch hinsichtlich ihrer Spezialisierung und Anpassungsfähigkeit an neue wirtschaftliche Gegebenheiten erhebliche Unterschiede aufwiesen (Clark 1985: 8192). Zu den regionalen Standortschwerpunkten gehören die Industrieagglome8

Regionale Strukturen

rationen an der atlantischen Küste, vor allem die Großräume Boston, New York/New Jersey, Philadelphia und Baltimore, die schon vor der Industrialisierung als dichtbesiedelte Räume und wegen ihrer Häfen eine gute Grundlage für Handel und Gewerbe boten, sowie die Industriezentren im Innern des Landes zwischen dem Ohio River und den südlichen Großen Seen. Die Entwicklung dieser Teilräume ist ausführlich in Birdsall/Florin (1981), Clark (1985) und Blume (1987, Bd. 1) dargestellt, so daß hier nur ein kurzer Abriß der heutigen Struktur erfolgt. Schaubild B-2: Die landwirtschaftliche Kernregion der USA 100

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Quelle: Birdsall/Florin 1981: 270. Im südlichen Neuengland wurde nach dem Rückgang traditioneller Industrien, wie z.B. Metallverarbeitung, Maschinenbau, Holzwirtschaft und Textilindustrie, das Arbeitsplatzwachstum in neuartigen Industrien angeregt (Breuer 1984). Seit den 50er Jahren gibt es im Raum Boston, vor allem entlang des electronics highway (Route 128) eine starke Konzentration der Elektronikund Hochtechnologiebranchen, die durch die Forschungseinrichtungen und bedeutenden Universitäten angezogen wurden, z.T. sogar deren spin-offs sind (Hall/Markusen 1985). Der Großraum New York ist zwar nach Anzahl und Vielfalt der Industriebetriebe der bedeutendste Industriestandort im manufacturing belt, hat aber in der Beschäftigung einen Schwerpunkt auf Textil- und 9

Strukturen der Wirtschaft

Bekleidungsindustrie sowie Verlags- und Druckereiwesen. Seit den 70er Jahren wurden femer mit gutem Erfolg Anreize für die wachstumversprechende Computer- und Elektronikindustrie geschaffen; die Stadtlandschaft ist heute weitgehend tertiär wirtschaftlich, d.h. von den office industries, wie z.B. Konzemverwaltungen, Banken und Versicherungen von internationaler Bedeutung, geprägt (Birdsall/Florin 1981: 105). Die Großräume New Jersey, Philadelphia und Baltimore weisen auch in den 80er Jahren trotz wiederholter konjunktureller Einbußen bedeutende Konzentrationen der petrochemischen Industrie, Eisen- und Stahlverarbeitung, sowie des Maschinen-, Werkzeug- und Schiffsbaus auf. Hinsichtlich der letztgenannten Industriezweige erfuhren diese Standorte auf der Grundlage von billigen importierten Erzen gerade in der postindustriellen Zeit einen wichtigen Aufschwung. Preispolitik, wie z.B. das Basing Point Price System und sein Vorläufer, das Pittsburgh Plus System hatten vorher Standortverlagerungen der Eisen- und Stahlindustrie an die Ost-, Westund Südküste erschwert (Clark 1985: 89). Der Großraum Pittsburgh, in dem man seit Mitte der 40er Jahre gezielt versuchte, eine neue wirtschaftliche Basis zu schaffen, gilt seit Mitte der 80er Jahre nicht länger als smoke city sondern als Software city (Deysson 1988; Economou 1987), wie weiter unten dargelegt wird. Die Stadträume Chicago-Gary und Detroit, die aufgrund von Eisenerz und Kohle eine bedeutende Stahlproduktion und als deren Hauptabnehmer die Automobilindustrie ausgebildet hatten, konnten ihre Bedeutung in der postindustriellen Zeit weiter ausbauen bzw. trotz Konjunkturschwankungen aufrechterhalten (Friese/Hofmeister 1983: 72). Im Gegensatz zu Detroit aber war Chicagos wirtschaftliche Basis sehr früh diversifiziert und weist heute u.a. eine bedeutende Elektroindustrie, Apparatebau, Maschinenbau und Metallverarbeitung, chemische Industrie, Möbel- und Lebensmittelproduktion, Druckerei- und Verlagswesen auf. Diversifiziert sind auch die Industrieregionen in Süd-West Ohio, Süd-Ost Indiana und angrenzenden Gebiete in Kentucky, die neben Eisen- und Stahlindustrie den Bau von Maschinen, Werkzeugen, Computern, Flugzeug- und Raketenteilen sowie von anderen strategisch wichtigen Produkten aufweisen und daher ganz wesentlich durch Regierungsaufträge gestärkt werden (Clark 1985; U.S. Department of Defense 1985). Die Industriestädte des Mohawk Valley haben mit Textilindustrie, Metallverarbeitung und Maschinenbau, Elektronik- und Optikindustrie eine breite wirtschaftliche Grundlage geschaffen; die Städte zwischen Pittsburgh und Cleveland sind dagegen einseitiger auf Stahl und Automobilteile sowie Industrie der Steine und Erden ausgerichtet (Clark 1985: 87-88).

2.2. Gegenwärtige Bedeutung des manufacturing

belt

Der manufacturing belt hat mit der Entwicklung der USA zu einer Dienstleistungsgesellschaft einen allgemeinen und in den 70er Jahren besonders starken Rückgang hinsichtlich der Bevölkerung und der Arbeitsplätze erfahren (Voll10

Regionale Strukturen

mar/Hopf 1987: 468; Clark 1985: 100-107; Crandall 1988). Trotz des Rückgangs bleibt der manufacturing belt aber auch in den 80er Jahren nicht nur die bedeutendste Industrieregion der USA, sondern erfährt teilweise sogar einen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich in stark sinkenden Arbeitslosenquoten, Arbeitsplatzwachstum bei Hochtechnologieindustrien und ausgewählten Dienstleistungen sowie im z.T. stark steigenden Realeinkommen manifestiert (Schneider-Sliwa 1989). Tabelle B-l zeigt, daß die Regionen (im Census als geographic divisions bezeichnet), die den manufacturing belt ausmachen — das sind New England, East North Central und Middle Atlantic (vgl. Schaubild B-3) — 1977 zusammen 51,0% (10 Mio.) und 1986 45,9% (8,4 Mio.) der industriellen Arbeitsplätze sowie 1977 insgesamt 51,1% und 1986 46,4% der industriellen Wertschöpfung der USA auf sich vereinten; Schwerpunkte liegen dabei auf der Metallverarbeitung, dem Maschinen- und Werkzeugbau, dem Fahrzeug-, Flugzeugteile-, Schiffs- und Eisenbahnbau, der Raumfahrtausrüstung sowie der Elektronik und Elektrotechnik. Tabelle B-l: Regionale Anteile an den Beschäftigten und an der Wertschöpfung in der Industrie (in %) Regiona

New England Middle Atlantic East North Central West North Central South Atlantic East South Central West South Central Mountain Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

Beschäftigte 1977 1986 (19,59 Mio.) (18,37 Mio.) 7,1 18,5 25,4 6,6 14,4 6,8 7,4 2,4 11,3

7,4 16,3 22,2 6,9 16,2 6,7 7,7 3,1 13,3

Wertschöpfung 1977 1986 6,1 17,6 27,4 6,9 12,4 6,2 8,9 2,3 12,0

6,9 15,8 23,7 7,4 15,1 6,2 8,4 3,1 13,4

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1989: 726, Tab. 1268 (veränd., eig. Berechnung). a

Region bezeichnet hier, in den folgenden Tabellen sowie im Text die in Schaubild B-3 dargestellten geographic divisions des Census.

2.3. Industriezentren außerhalb des manufacturing belt Die Herausbildung wichtiger Industriezentren außerhalb des manufacturing belt in den vergangenen 40 Jahren war von mehreren Faktoren beeinflußt (Berentsen 1987: 465; Friese/Hofmeister 1983: 73), vor allem: 11

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(1) Verkehrsverbesserungen im Süden und Westen, z.B. dem Ausbau des Highway-Systems und nachfolgender Ansiedlung von Industriebetrieben, (2) Nutzung neuer Energiequellen, die zu einem Bedeutungsverlust des Standortfaktors Kohle führte, (3) Mechanisierung der Agrarwirtschaft mit Freisetzung von billigen und gewerkschaftlich weniger organisierten Arbeitskräften, (4) Subventionen und Regierungsaufträgen in Gebieten mit freundlicherem Geschäftsklima (niedrigen Löhnen, Steuervorteilen, geringerer Gewerkschaftsmitgliedschaft) , (5) ökologischer Überbelastung des manufacturing belt, erhöhtem Stellenwert des Klimas und der Natur, was die Migrationsbereitschaft der Erwerbstätigen und die Verlagerung von Spezialindustrien begünstigte. Aufgrund dieser Faktoren entstand im Pazifischen Nordwesten, im Südwesten und im Süden seit dem Zweiten Weltkrieg ein wirtschaftliches, politisches und kulturelles Gegengewicht zum industriellen Kernland. Dies wurde durch Investitionen in Branchen erreicht, die seither zu den "basic pillars ofthe cowboy ecowtny" wurden, z.B. Rüstungsindustrie, Flugzeugbau und Weltraumtechnik, Elektronik, Öl- und Erdgasförderung, petrochemische Industrie, Tourismus sowie Agrarwirtschaft (Vollmar/Hopf 1987: 468; Sale 1975). Infolge des verbesserten, unternehmerfreundlichen Klimas im subventionierten, ökologisch sauberen pazifischen Nordwesten und dem sunbelt verzeichneten diese Regionen vor allem in den 70er Jahren ein starkes prozentuales Wachstum der Industriebeschäftigten, der Nordosten dagegen einen Rückgang. In den 80er Jahren allerdings zeigen sich auch im sunbelt Stagnation und Einbußen im Beschäftigungsbereich (z.B. Texas, vgl. Schaubild B-4; Sternlieb 1986; Schneider-Sliwa 1989). Betrachtet man die postindustrielle Entwicklung des sunbelt, so fallen drei Teilstücke auf, die sich hinsichtlich der Art der Industrialisierung, des Lohnniveaus und der Stabilität des Wachstums unterscheiden: Der Golfküstenraum westlich des Mississippi, der "Alte Süden" und Kalifornien. Die industrielle Entwicklung des Golfküstenraums ist eng mit direkten und indirekten staatlichen Maßnahmen verbunden, z.B. Steuererleichterungen oder der Verlagerung von Produktionsstätten im Zweiten Weltkrieg, der Verkehrserschließung durch den Küstenwasserweg, der eine Verbindung über den Mississippi und den Ohio zu den Großen Seen ermöglicht. Trotz der Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand, bei der auch einzelstaatliche und lokale Verwaltungsebenen eine Rolle spielen, ist diese Region, die hinsichtlich der Branchen, der Produktivität und der Lohnraten in den siebziger Jahren ein starkes Wachstum zeigte, mit der Problematik einer monostrukturierten Wirtschaft belastet, wie sich zu Anfang der 80er Jahre zeigte (Friese/Hofmeister 1983: 75; Blume 1987, Bd. 1 und Schaubild B-4). 13

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Teile des Alten Südens zeigen in den 70er und 80er Jahren ein markantes Wachstum industrieller Arbeitsplätze (vgl. Schaubild B-4), das sich vor allem im nichtmetropolitanen Raum in vielen Kleinbetrieben vollzieht, die hinsichtlich ihrer Produktionsfaktoren nicht standortgebunden sind, wie z.B. Lebensmittelproduktion, Textil- und Bekleidungsindustrie, Holz- und Möbelverarbeitung sowie die Elektroindustrie. Es ist weniger die staatliche Förderung als die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte, die das Aufkommen dieser Industrien im ländlichen Bereich erklärt, denn für relativ arbeitsintensive Betriebe mit hohem Bedarf an ungelernten oder angelernten Arbeitskräften sind die Voraussetzungen dort günstiger (Birdsall/Florin 1981: 237). Das niedrige Lohnniveau im Südosten erklärt sich z.T. aus der traditionell mangelhaften gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeitnehmerschaft, die in jüngster Zeit noch abnimmt (vgl. Schaubild B-5 und das Kapitel L. Gewerkschaftsbewegung und Arbeitsbeziehungen in diesem Buch). Für die Ansiedlung der Stahlindustrie ("mini-mills") war dies ein besonders wichtiger Faktor (Scherrer 1987). Hinsichtlich des Wohlstands ist der Alte Süden trotz der neuen Industrialisierung auch in den 80er Jahren immer noch eine der ärmsten Regionen der USA; das Pro-Kopf-Einkommen liegt in fast allen Staaten unter dem nationalen Durchschnitt (vgl. Schaubild B-6), es ist sogar eine neue Nord-Süd-Polarisierung hinsichtlich der Realeinkommen festzustellen (Schneider-Sliwa 1989), und der Anteil der Sozialhilfeempfanger im Süden liegt über dem nationalen Mittelwert (vgl. Schaubild B-7). Auch in den achtziger Jahren gilt die folgende Aussage über den Süden: ... the rural South's attractiveness seems to lie largely in itspool of underemployed and relatively unskilled labor, the growth of laborintensive and low-wage sectors will not bring the incomes of rural Southerners to the level ofthe nation as a whole (Hansen 1974, zit. bei Birdsall/Florin 1981: 40). Die Arbeitslosenquoten (für die civilian, non-institutionalized Bevölkerung) lagen in Teilen des Alten Südens 1986 noch weit über dem nationalen Mittelwert von 7,0% oder stiegen an, obwohl sie zwischen 1980 und 1986 (vor allem ab 1982/83) in fast allen übrigen Bundesstaaten sanken (Schaubild B-8). Dies weist auf die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit der Region hin. Kalifornien, das schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts Erdöl-, Rüstungsindustrie und Flugzeugbau aufwies, erhielt in der postindustriellen Ära einen starken Impuls durch die Konzentration von Hochtechnologiefirmen im Silicon Valley südlich von San Francisco. Dort wuchs die Beschäftigtenzahl zwischen 1949 und 1980 um 1000% (von rund 60.000 auf ca. 652.000) in den Firmen der Halbleiterund Elektronikindustrie und bei den Herstellern von Laser- und Mikrowellengeräten, Computern und Hochpräzisionsinstrumenten (Saxenian 1983). Trotz des beeindruckenden Arbeitsplatzwachstums wurde die Regionalentwicklung nicht immer in der Weise beeinflußt, wie es die Strukturpolitik vorsah (dazu U.S. Congress. Congressional Budget Office 1985). 15

Strukturen der Wirtschaft

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Regionale Strukturen

Strukturen der Wirtschaft

Obwohl Hochtechnologieindustrien weder hinsichtlich der Produktionsfaktoren noch des Marktes ortsgebunden sind, treten sie oft nur als spin-off von regierungseigenen Forschungszentren, Laboratorien und berühmten Universitäten in deren Umgebung auf, vor allem wegen des dort verfügbaren Pools von hochqualifizierten Technikern und Wissenschaftlern, Ausbildungsstätten und Faktoren der Lebensqualität (Premus 1982; Farrell 1982; Markusen/Hall/ Glasmeier 1986). Als Industrien mit dualem Arbeitskräftebedarf (in der Fertigung Billiglohnarbeiter, in der Forschung und Entwicklung wenige hochqualifizierte und hochbezahlte Fachkräfte) kann der direkte Einfluß der Hochtechnologiekolonien auf die Prosperität der Gesamtregion relativ gering sein. Ihr wichtigster multiplier effect ... may be in the form of jobs directly created through the demands of high technology employees ... failing some positive state intervention, a relatively few favored places will generate a modest number of high technology jobs and a much larger number of service jobs dependent on them (Hall/Markusen 1985: 144). Als footloose industries (Premus 1982; Armington/Harris/Odle 1983) mit relativ hohem Mobilitätsgrad können sie außerdem je nach Gegebenheit ebenso leicht einen positiven, wie einem negativen multiplier effect herbeiführen, wie es gegenwärtig in einigen Städten des sunbelt der Fall ist (Stemlieb 1986: 211220). Abschließend lassen sich drei Tatsachen herausstellen: (1) Die gegenwärtige industriegeographische Struktur zeigt einen relativ bedeutenden Nordosten, dessen traditionelle Industrien zwar hinsichtlich der Wertschöpfung und der Beschäftigtenzahl rückläufig sind, der aber in anderen Wirtschaftszweigen einen Aufschwung erlebt; der pazifische Nordwesten, der Westen und der Südwesten weisen verstärkt sog. Wachstumsindustrien auf, die Spitzenverdienste und eine regionale Einkommenssteigerung erlauben, deren Haupteffekt aber vor allem in der Schaffung von Arbeitsplätzen in den Billiglohnkategorien des Tertiärsektors liegen kann. Tatsächlich zeigen die 80er Jahre hier ein z.T. stark verlangsamtes Wachstum der Realeinkommen (Schneider-Sliwa 1989). Der Alte Süden ist in erster Linie durch arbeitsintensive Niedriglohnindustrien ausgewiesen, die das Bild vom sunbelt zu sun spots reduzieren können (Berentsen 1987: 467 und Schaubilder B-6 und B-7). (2) Bemerkenswert bei der Ausbildung neuer industrieller Standorte ausserhalb des manufacturing belt ist, daß es sich dabei größtenteils nicht um das Abwandern von Industrien aus dem Nordosten in diese Gebiete handelt (Clark 1985: 104f; Rees 1978, 1979; Rees/Weinstein 1983). Untersuchungen von Standortentscheidungen und Firmenneugründungen ergeben, daß ... locally based firms and new firms, as opposed to external sources were responsible for most of the manufacturing 18

Regionale Strukturen

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§

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b 1985 B. Halbleiter

A. Computer Anzahl der Firmen Beschäftigten Kalifornien 613 Massachusetts 153 New York 96 Texas 80 52 Minnesota 24 Arizona 34 Colorado North Carolina 26 Pennsylvania 51

157 063 50 924 32 303 26 692 27 831 19 618 16 522 16 299 9 850

% US 34,8 11,3 7,2 6,6 6,2 4,3 3,7 3,6 2,2

Kalifornien New Jersey Ohio Massachusetts Illinois New York Pennsylvania Utah Connecticut Colorado Florida Missouri Texas Washington Indiana

140 51 14 48 41 46 41 6 29 19 19 18 26 10 16

15 215 7 789 6 093 5 796 5 666 5 055 4 283 3 965 3 828 3 331 2 757 2 459 2 449 2 221 1 857

Kalifornien 365 Texas 56 Arizona 29 Florida 33 Pennsylvania 33 Massachusetts 72 Colorado 28 4 Oklahoma 17 Ohio New York 95

72 303 39 540 17 348 9 843 9 589 9 134 6 270 6 100 3 629 5 337

% US 35,0 19,2 8,4 4,8 4,6 4,4 3,0 3,0 2,7 2,6

D. Programmierung und Software

C. Chirurgische und medizinische Instrumente Anzahl der Firmen Beschäftigten

Anzahl der Firmen Beschäftigten

% US 18,8 9,6 7,5 7,2 7,0 6,2 5,3 4,7 4,7 4,1 3,4 3,0 3,0 2,7 2,3

Anzahl der Firmen Beschäftigten Kalifornien 578 237 Texas Virginia 128 Massachusetts 166 New York 227 Florida 97 101 Maryland New Jersey 132 Illinois 147 Pennsylvania 100 Georgia 79 84 Ohio Michigan 68 74 Colorado

22 937 10 685 9 304 8 712 8 231 5 982 5 684 4 578 4 197 3 467 3 402 3 385 3 306 2 691

% US 20,2 9,4 8,2 7,7 7,2 5,3 5,0 4,0 3,7 3,1 3,0 3,0 2,9 2,4

Quelle: Nach Malecki 1985: 364f. Die vier Hochtechnologiebereiche fallen sowohl unter die Definition einer Industrie als auch unter die Kategorie der Dienstleistungen aufgrund ihrer R&D-Intensität, Prozentsatz der Wissenschaftler und Ingenieure und Anteil der Einnahmen, die in R&D investiert sind. Für eine Diskussion über die Definition von Hochtechnologiebetrieben vgl. Malecki (1985) und Glasmeier (1987). Da nur die Staaten mit über 25% der Beschäftigten in diesem Sektor eingeschlossen sind, liegt die Summe der Prozente unter 100%.

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Regionale Strukturen

derartige Zentren, wie in Lafayette (Indiana), Madison (Wisconsin), Denver/ Boulder (Colorado), San Francisco/San Jose und Los Angeles/San Diego (Kalifornien) und dem research triangle Raleigh/Durham/Chapel Hill (North Carolina) (Malecki 1980, 1981, 1985). Hinsichtlich der Computetproduktion und -entwicklung weisen altindustrialisierte Staaten (z.B. Massachusetts, New York, Pennsylvania) zusammen 20,7% der Gesamtbeschäftigung auf, bei der Erstellung von Software insgesamt 44,8% (Virginia, Massachusetts, New York, Maryland, New Jersey, Illinois, Pennsylvania, Ohio und Michigan) und bei der Entwicklung von chirurgischen und medizinischen Instrumenten 44,8% (vgl. Tabelle B-7). Hinsichtlich dieser vier Hochtechnologiebranchen zählt mindestens eine altindustrialisierte Region neben Kalifornien und Colorado zu einer incubator area, von der wichtige Innovationen und Impulse für die Weiterentwicklung und Produktion ausgehen (Malecki 1985 : 361-365). Insgesamt aber verlor der Nordosten zwischen 1973 und 1983 in diesen Bereichen Arbeitsplätze, wobei sich der Zuwachs auf den Westen konzentrierte. In der Computer- und Halbleiterentwicklung und -herstellung vereinte Kalifornien 1983 allein 34,8% bzw. 35% der gesamten Beschäftigung, bei medizinischen Instrumenten 18,8% und in der Softwareentwicklung 20,2% (vgl. Tab B-7). Man kann daher zwar einen relativ starken Hochtechnologiedienstleistungssektor in altindustrialisierten Gebieten beobachten, aber auch eine regionale Verschiebung dieser Branchen in den sunbelt, vor allem nach Kalifornien. Dies muß jedoch nicht auf einen echten Bedeutungsverlust des Nordostens hinweisen, da die high-tech-Betriebe im sunbelt zu einem größeren Teil Filialen oder Auslagerungen von Firmen (,branch plants) sind, die im Nordosten ihre Stammsitze haben (Koch u.a. 1983; Malecki 1985). Dies ist z.B. bei Computerfirmen der Fall, während die Firmen, die medizinische Instrumente entwickeln und herstellen, im altindustrialisierten Nordosten verbleiben (Malecki 1985: 358-361). Beachtenswert ist, daß die R&D-Stätten, die überwiegend durch die Privatwirtschaft finanziert und initiiert sind (ca. 50% der gesamten R&D-Ausgaben in den USA), sich vorwiegend im Nordosten und Westen der USA konzentrieren, während R&D, das in bundeseigenen Zentren oder durch Vertragsvergabe der öffentlichen Hand getätigt wird, generell breiter gestreut ist, vor allem stadtspezifisch in den peripheren Räumen, die man im Rahmen der Regionalplanung nach einem gesamtstaatlichen Dispersionsverfahren fördern wollte. Neben Washington, D.C. mit einer großen Anzahl von R&D-Beschäftigten in seinen Bundesbehörden und bundeseigenen Forschungszentren gibt es weitere Konzentrationen von regierungseigener R&D im "space triangle" Houston (Texas)/Huntsville (Alabama)/Titusville-Cocoa Beach (Florida), ferner New Orleans (Louisiana), Oak Ridge-Knoxville (Tennessee) und Albuquerque (New Mexico) auf dem Energiesektor, in Pennsacola (Florida), Newport News/Hampton (Virginia) im Verteidigungssektor, in Dayton (Ohio) in der Luft- und Raumfahrt (Clark 1985: 95). Da Regierungsverträge aber auch "außer 29

Strukturen der Wirtschaft

Haus" an Universitäten und die Industrie vergeben werden, sind bundesfinanzierte R&D-Aktivitäten und -Angestellte ebenfalls in den großen Städten des Nordostens, des Mittelwestens und der Westküste vertreten, vor allem im Umfeld der wichtigsten Universitäten wie dem Massachusetts Institute of Technology, Harvard, Columbia, Johns Hopkins, Cornell, den Universitäten von Chicago, Wisconsin, Minnesota, Michigan, dem Staat Washington und in Kalifornien Berkeley, Stanford und UCLA (Clark 1985: 95-97). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Standorte der privatwirtschaftlichen R&D-Aktivitäten in erster Linie von Marktprinzipien bestimmt sind, d.h. von Faktoren, die die Profitabilität beeinflussen, z.B. bestehenden Konzentrationen von Wissenschaftlern und Ingenieuren, Universitäten und Konzernverwaltungen (Malecki 1981; Massey 1984; Glasmeier et al. 1984: 166). Wo diese Faktoren in altindustrialisierten Regionen gegeben sind, finden sich Hochtechnologiekonzentrationen ebenso wie in den neuindustrialisierten Regionen des sunbelt. Das Verteilungsmuster der bundeseigenen und -finanzierten R&D-Standorte zeigt neben den Marktprinzipien auch regionalplanerische Prinzipien, bei denen bevorzugt strukturschwache Räume gefördert wurden, sowie strategische bzw. verteidigungspolitische Aspekte, wonach sowohl Standorte in entlegenen Teilen des Landesinnern als auch an der Küste ausgebaut wurden.

4. Der Agrarsektor Mit der Tertiarisierung der Wirtschaft verringerte sich auch die Bedeutung des Agrarsektors an der Gesamtbeschäftigung. Während 1960 noch 3,963 Mio. Farmen im Census erfaßt wurden, waren es 1974 nur noch 2,795 Mio. Nach der 1974 erfolgten Neudefinition von Farmbetrieben (alle Einheiten mit einer Agrarproduktion von mindestens $ 1.000 jährlich) gab es 1975 2,521 Mio. Betriebe, 1985 2,275 Mio. und 1988 2,159 Mio. Farmen. Die Farmbevölkerung verringerte sich von 15,635 Mio. (1960, nach der 1969er Definition) auf 6,241 Mio. (1979, nach der 1974er Definition) und bis 1988 auf 4,951 Mio. Die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten sank von 3,774 Mio. (1979) auf 2,954 Mio. (1988). Wie Tabelle B-8 zeigt, erfolgte die Abnahme der Farmen nicht gleichmäßig, so waren die Regionen Mountain und Pacific im Zeitraum von 1980 bis 1988 nicht betroffen, während die traditionellen Farmgebiete East und West North Central sowie Middle und South Atlantic, East und West South Central die stärksten Einbußen erfuhren (Windhorst 1987; U.S. Bureau of the Census 1987: 620, 1989: 628, 1990: 637). Zu den Faktoren, die in den einzelnen Regionen den Rückgang beschleunigten, gehören in East South Central und South Atlantic die schon angesprochene Neuindustrialisierung durch Niedriglohnbranchen, in West South Central der hohe Mechanisierungsgrad der Landwirtschaft, verbunden mit besser bezahlten Arbeitsplätzen in den übrigen Branchen. In den nördlichen Agrar30

Regionale Strukturen

regionen wiegen neben der allgemeinen Mechanisierung der Landwirtschaft die damit verbundene Überschuldung der Farmen, schlechte Absatzmöglichkeiten oder Weltmarktpreise und Wertverlust des landwirtschaftlichen Grundbesitzes und niedrige Farmeinkommen besonders schwer (Windhorst 1987). Ferner trug in fast allen Regionen direkte oder indirekte Farmpolitik seit den 30er Jahren mit dazu bei, daß Farmen aufgegeben wurden, z.B. durch staatliche Bodenerhaltungsmaßnahmen in erosionsgefährdeten Gebieten. In jüngerer Zeit wurden vor allem marginalwirtschaftende Farmen, d.h. solche, die ohne Gewinn produzierten und durch staatliche Unterstützungsprogramme subventioniert worden waren, nach Absetzen dieser Programme verstärkt aufgegeben (Lutrell 1984; Clark 1985; Blume 1987, Bd. 1). Dieses "Farmsterben" ... masks the continuing, indeed increasing importance of agriculture in absolute terms. An expanding domestic population with sophisticated and varied eating habits imposes heavy demands upon the food producing sector. Moreover, agricultural products are of strategic importance in a world plagued by shortages and starvation. Although much diminished in relative terms, the agricultural sector forms a cornerstone of the post-industrial economy (Clark 1985: 143). Tabelle B-8: Anzahl, Verteilung und prozentuale Abnahme der Farmen 1980-1988 1980 Zahl (2,43 Mio.) New England Middle Atlantic East North Central West North Central South Atlantic East South Central West South Central Mountain Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

30 000 118 000 447 000 562 000 327 000 312 000 357 000 123 000 154 000

1988 %

1,2 4,9 18,4 23,1 13,5 12,8 14,7 5,1 6,3

Zahl % (2,159 Mio.) 29 000 103 000 379 000 506 000 275 000 285 000 307 000 119 000 153 000

1,3 4,8 17,6 23,4 12,7 13,2 14,2 5,5 7,0

Abnahme (%) -3,39 -12,7 -15,2 -10,0 -15,9 -8,6 -14,0 -3,2 -0,01

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1989: 628, Tab. 1079 (veränd., eig. Berechnung). Trotz der hohen Konzentrationsrate der Farmen sind dauerhafte und beträchtliche Ertragssteigerungen festzustellen (vgl. Tabelle B-9). Wie der Ertragsindex in Tabelle B-10 zeigt, ist dieses Wachstum in erster Linie auf Produktivitätssteigerungen und nicht auf die Ausweitung der Anbaufläche zurück31

Strukturen der Wirtschaft

zuführen. Weniger als die Hälfte der Landfläche der USA ist je landwirtschaftlich genutzt worden oder gilt als Farmland, davon wurden nur rund ein Drittel als Anbaufläche kultiviert, während der Rest unter bestimmten Marktbedingungen als Anbaufläche verfügbar wäre (Lutrell 1984: 34). Tabelle B-9: Ertragssteigerung ausgewählter Anbauprodukte 1920-19813 Anbauprodukt Weizen (bushels)0 Mais (bushels) Sojabohnen Baumwolle (Pfund)

1920 (pro acrey3

1981 (pro acre)

Steigerung (1920=100)

14,0 26,8 12,7 154,0

34,5 109,9 30,4 546,0

246% 410 239 355

Quelle: Nach Schultz 1984: 48. Einzelne Jahre können "Zufalle" sein, d.h. bes. gute oder schlechte Ernten anzeigen. Die hier aufgeführten Jahre sollen nur die Tendenz darstellen. Ein acre entspricht 0,41 ha. Ein bushel entspricht 36,35 1. Tabelle B-10: US-Farmland, tatsächlich kultiviertes Land (Mio. acres) und Ertragsindex Jahr 1910 1930 1950 1964 1974 1980 Gesamtfläche USA

Farmland

Tatsächliche Anbaufläche

Ertragsindex (1967=100)

879 990 1161 1110 1017 1042 2316

317 360 336 292 332 341

56 53 69 95 104 115

Quelle: Nach Lutrell 1984: 34. Produktivitätssteigerungen sind auf den höheren Kapitaleinsatz zurückzuführen, der sich in verstärkter Automation und Anwendung neuester wissenschaftlicher und technologischer Erkenntnisse manifestiert. Zwischen 1950 und 1980 versechsfachte sich der Gebrauch von Agrochemikalien und trug damit wesentlich zur Ertragssteigerung bei, ebenso wie gentechnologische Entwicklungen, die bei einer Vielzahl von Anbaupflanzen (Tomaten, Bohnen, Salat u.a.) die automatisierte Ernte ermöglichten (Clark 1985: 148). Der wachsende Kapitaleinsatz in der Landwirtschaft ist von einem Ansteigen der durchschnittlichen Farmgrößen und der Ausbildung einer dualen Struktur begleitet, d.h. einem relativ kleinen Prozentsatz sehr großer "Megafarmen", die vertikalintegrierten Unternehmen angeschlossen sind, und einen großen Anteil von kleinen, oft marginalwirtschaftenden Farmen (Windhorst 1987: 474f.). Zwi32

Regionale Strukturen

sehen 1940 und 1980 stieg die Durchschnittsgröße der Farmen von 67,5 auf 173,7 ha (167 bzw. 430 acres) durch Erwerb von Ländereien aufgegebener Farmen. Dieser Trend setzte sich in jüngerer Zeit in allen Regionen fort (vgl. Tabelle B-ll). Tabelle B - l l : Veränderung in der Durchschnittsgröße der Farmen (in acres) 1980-1988* 1980 Min. New England Middle Atlantic East North Central West North Central South Atlantic East South Central West South Central Mountain Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

87 109 171 261 126 142 273 623 417

Max. 226 200 269 1169 344 265 731 5080 517

1988 Min. Max. 96 112 186 9 150 136 279 609 411

223 215 345 1278 325 314 846 4506 488

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1989: 628, Tab. 1079 (veränd.). a

Die hier angegebenen Werte sind die höchsten bzw. niedrigsten state-leve/-Durchschnittsgrößen innerhalb der Region.

Tabelle B-12: Farmklassen und ihr Anteil am Gesamtfarmeinkommen in den USA 1985 Farmklassen (Marktabsatz in Tsd. $) unter 19 999 20 000 - 99 999 100 000 - 249 999 250 000 - 499 999 500 000 und mehr USA gesamt

% des BruttoFarmeinkommens 9,4 19,3 22,2 16,9 > 4 9 j % 32,2 ' 167,7 Mrd. $

% der Farmen

63,5 22,8 9,3 3,2 1,3 100%

} 4

5%

Quelle: U.S. Bureau of the Census 1989: 635, Tab. 1098 (veränd., eig. Berechn.).

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Strukturen der Wirtschaft

Die Unterschiede zwischen den Regionen reflektieren allerdings in erster Linie agrarökologische und historische Entwicklungen (wie z.B. größere Landzuteilungen durch die Heimstättengesetzgebung von 1862 in ariden Gebieten westlich des 100. Längengrades) und weniger den postindustriellen Wandel zu einer dualen Struktur. Dieser Wandel ist in den Größenveränderungen innerhalb der jeweiligen Region angedeutet und für die USA als Ganzes in Tabelle B-12 dargelegt. Demnach hat eine große Anzahl von Farmen nur einen geringen Anteil an der Agrarproduktion, und ein kleiner Prozentsatz großer Farmen vereint den überwiegenden Teil der Erzeugung und des Farmeinkommens auf sich (Windhorst 1987: 474). Der Rückgang der Klein- und Kleinstfarmen wird als direkte Voraussetzung angesehen, um die Leistungsfähigkeit des Farmsektors zu steigern, wobei der Größenmaßstab der Farmen von besonderer Bedeutung ist (Birdsall/Florin 1981: 283-287). In den Regionen mit hohem Anteil an Kleinfarmen haben sich im Trend zur automatisierten, rentableren Großfarm die genossenschaftliche Organisation und die Vergrößerung durch Miete und Pacht von Land und Wirtschaftsgebäuden aufgegebener Farmen durchgesetzt (Windhorst 1987). Die Farmergenossenschaften mit 4,8 Mio. Mitgliedern 1985 entstanden ... als ein Korrektiv gegenüber der Konzentration der ökonomischen Macht und als Anwalt bzw. Selbsthilfeorganisation für die Schwachen im ökonomischen Wettbewerb (Klohn 1987: 36 und Klohn 1990). Die regionale Verteilung der Genossenschaftsmitglieder zeigt Schwerpunkte in den Regionen East und West North Central, Middle und South Atlantic und East South Central (vgl. Schaubild B-9 und Klohn 1987: 43). Farmen, die sich durch Anmietung aufgegebener Betriebe vergrößern, sind oft stark fragmentiert, wobei Distanzen von 8 bis 25 Meilen zu einzelnen Parzellen keine Seltenheit sind. Die weite Streuung der Felder ist in vielen Fällen angestrebt, um bei schweren Unwettern nicht die gesamte Ernte einbüßen zu müssen. Dabei wird der Farmer oft zum suitcase farmer oder sidewalk/armer, der von seinem Wohnsitz in der nahe gelegenen Kleinstadt zu seinen verschiedenen Arbeitsplätzen pendelt. Suitcase farming ist vor allem in den Weizenanbaugebieten von Dakota bis Texas verbreitet (Smith 1975 und Birdsall/Florin 1981: 289). Trotz solcher Betriebsvergrößerungen, die eine stärkere Automatisierung erlauben und teilweise erhebliche Steigerungen des Marktwerts der Farmen mit sich brachten, verlief das Farmsterben insgesamt von 1982 bis 1987 mit einer Abnahme von 2,241 Mio. auf 2,088 Mio. Farmen schneller als z.B. zwischen 1974 und 1982 mit einer Abnahme von 2,314 Mio. auf 2,241 Mio., wobei die traditionellen Farmstaaten besonders betroffen waren (U.S. Bureau of the Census 1990: 639, Tabellen 1102 und 1108; McKinzie/Baker/Tyner 1987).

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Regionale Strukturen

Strukturen der Wirtschaft

Obwohl auf bundes- und agrarpolitischer Ebene die Farmkrise einerseits als Gesundschrumpfung des Farmsektors begrüßt wird und einige Unterstützungsprogramme ausliefen oder drastisch gekürzt wurden, bleiben einige Förderungsmaßnahmen bestehen (oft wegen der wahlpolitischen Bedeutung der Farmregionen). Dazu gehören Ausgleichszahlungen, die die Bundesregierung dann gewährt, wenn die Preise für Agrarprodukte unter ein festgesetztes Preisniveau fallen (Windhorst 1986). Tabelle B-13: Durchschnittswert (in $) von Nutzland und Wirtschaftsgebäuden 1984, 1986 und 1988 pro acre

New England Middle Atlantic East North Central West North Central South Atlantic East South Central West South Central Mountain Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

1984

1986

1988

1785 1906 1421 77 1332 950 854 381 1192

2360 2062 972 477 1198 844 683 300 968

3218 2988 914 462 1249 819 560 278 853

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1987: 626, Tab. 1110 und 1989: 631, Tab. 1088. 1985 machten die staatlichen Ausgleichszahlungen an Farmer 5% des gesamten Farmeinkommens aus, in den von der Farmkrise am stärksten betroffenen Regionen West und East North Central waren es rund 8%, in Mountain und West South Central sogar 16% und 22% (U.S. Bureau of the Census 1987: 633). Während Miet- und Pachtarrangements im Mittelwesten zur Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und damit dem besseren Kapitaleinsatz dienen, versuchen Farmen im Einzugsbereich städtischer Verdichtungsräume eher durch Änderung der Betriebsorganisation die Vorteile von Großfarmen zu erhalten. Zum einen lassen sich viele Familienfarmen als selbständige corporations eintragen, um die Kreditfähigkeit und Möglichkeiten steuerlicher Abschreibung zu steigern. Zum anderen werden viele Familienfarmen Vertragspartner (subcontractors) und Zulieferbetriebe für vertikalintegrierte Agrarkonzerne, die vom Saatgut bis zum Supermarkt das gesamte Lebensmittelangebot erstellen (Windhorst 1987; Clark 1985: 151). Der Anteil der corporate farms an allen Farmen betrug 1987 3,2%, wovon 86,7% noch Familienbetriebe und 9,6% den vertikalintegrierten Unternehmen angeschlossen waren. Corporate 36

Regionale Strukturen

Strukturen der Wirtschaft

farms besaßen 1987 11,4% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen und Wirtschaftsgebäude der USA und erzeugten 25,6% des Verkaufswertes der USAgrarproduktion (U.S. Bureau of the Census 1990: 641, Tabelle 1107). Corporate farms sind oft produktkonzentriert, z.B. bei Geflügel, Eiern, Gemüse, Zitrusfrüchten und Rindfleisch. Daher dominieren sie auch in einigen geographischen Regionen. Schon 1969 lieferten Corporate farms über die Hälfte der kalifornischen Agrarprodukte, in einigen ausgewählten Gemüse- und Obstsorten sogar 90% (Parsons 1977; Clark 1985: 152). Agroindustrielle Unternehmen stellen seit Beginn der 80er Jahre auch 60% der US-Rindfleischproduktion, wobei Texas und Kalifornien Hauptstandorte sind. Auch die Geflügelproduktion, die größtenteils in fabrikähnlichen, fließbandbetriebenen Anlagen oder in kleineren Vertragsfarmen betrieben wird, ist geographisch konzentriert, und zwar halbkreisförmig um die "Megalopolis" Boston-Washington und die Großstädte an der Westküste herum sowie im Alten Süden (Windhorst 1987). Tabelle B-14: Agrarprodukte mit dem höchsten Verkaufserlös 1985a New England

Milch und Molkereiprodukte, Rindfleisch, Treibhauskulturen, Kartoffeln, Äpfel

Middle Atlantic

Milch und Molkereiprodukte, Rindfleisch, Eier, Treibhaus- und Sonderkulturen

East North Central

Mais, Sojabohnen, Milch und Molkereiprodukte, Rind- und Schweinefleisch

West North Central

Rindfleisch, Milch und Molkereiprodukte, Schweinefleisch, Mais, Weizen, Roggen, Hirse

South Atlantic

Geflügel, Rindfleisch, Milch und Molkereiprodukte, Mais, Sojabohnen, Schweinefleisch, Tabak, Eier, Erdnüsse, Zitrusfrüchte, Treibhaus- und Sonderkulturen

East South Central

Rindfleisch, Tabak, Geflügel, Sojabohnen, Milch und Molkereiprodukte

West South Central

Rindfleisch, Geflügel, Sojabohnen, Reis, Baumwolle, Weizen

Mountain

Rindfleisch, Weizen, Kartoffeln, Milch und Molkereiprodukte, Baumwolle, Schafe, Gerste, Mais

Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

Weizen, Milch und Molkereiprodukte, Rindfleisch, Treibhaus- und Sonderkulturen

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1987: 633, Tab. 1125. Zusammengestellt aufgrund der drei führenden Produkte in den einzelnen Bundesstaaten der jeweiligen Region.

a

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Regionale Strukturen

Die regionalen Schwerpunkte in der Erzeugung anderer Produkte sind aus Tabelle B-14 zu entnehmen. Insgesamt ergibt sich, den Thttnenschen Intensitätskreisen nicht unähnlich, eine halbkreisförmige Einteilung in Produktzonen um städtische Ballungszentren. Die sehr profitablen, aber leicht verderblichen Molkereiprodukte, Treibhauskulturen, Obst-, Geflügel- und Eierproduktionen befinden sich im unmittelbaren Hinterland der Großstädte. Die Produktion erstreckt sich insgesamt um die südlichen Großen Seen, um den Verdichtungsraum Boston-Washington und die kalifornischen Städte herum. Viehhaltung und gemischter Pflanzenbau (bei Mais, Sojabohnen und Hirse zum großen Teil für die Viehmast) befinden sich weiter entfernt in den Regionen East und West North Central, East und West South Central und Mountain. Welche Produkte in den einzelnen Bundesstaaten in der Agrarproduktion führend sind, ist aus Schaubild B-10 ersichtlich. Eine genaue Betrachtung der relativ spezialisierten Agrarregionen zeigt, daß die Anwendung des traditionellen Äeft-Konzeptes für die amerikanische Landwirtschaft keine Gültigkeit mehr besitzt. Seit dem ersten klassischen Modell nach Baker (1926) sowie Haystead und Fite (1963, vgl. Schaubild B-12) sind regionale Schwerpunktverlagerungen eingetreten. Dazu gehören z.B. die Ausdehnung des Hybridenmaisanbaus in den Norden, eine Verdrängung des Maisanbaus im ehemaligen Com Bell durch die ertragreichere und profitablere Sojabohne, die eine breite Anwendung in der Milch- und Fleischproduktion, der Viehmast, Herstellung von Plastik und Farben und in anderen industriellen Produktionsprozessen hat (Clark 1985: 169). Ferner erfolgten eine Ausdehnung des Hirseanbaus in den Weizengürtel, der Rindermast in den Süden, nach Kalifornien und in den Nordosten, hervorgerufen durch steigende Rindfleischpreise auf dem Binnenmarkt und in den Handelspartnerländern der USA (z.B. Japan). Die ursprünglich im Mittelwesten gelegene Geflügelhaltung verlagerte sich in den Süden sowie an die atlantische Küste und der Baumwollanbau vom Alten Süden nach Texas, Arizona, New Mexico und Kalifornien (Windhorst 1986). Im Gegensatz zum althergebrachten Beltkonzept, das die Ausbildung von Anbaugürteln aufgrund von Klima, Vegetations- und Bodenzonen nachzeichnet, reflektieren die postindustriellen Agrarräume oder Schwerpunktgebiete nur noch teilweise agrarökologische Bedingungen und in nicht unbedeutender Weise staatliche Intervention. Umfassende staatliche Maßnahmen (z.B. Bodenberatungsdienst, Anbaubeschränkungen durch den Agricultural Adjustment Act I von 1933, Preisgarantien durch den Agricultural Adjustment Act II von 1953, Eindämmung der Erosionsanfälligkeit und staatlich geförderte Diversifikation der Farmproduktion durch den Agricultural Stabilization Act von 1965, das Emergency Feed Grain Program von 1961 und das Cropland Adjustment Program von 1966 und andere Maßnahmen) führten zur Verschiebung von Anbauarealen bestimmter Pflanzen oder von Mastgebieten für Vieh (Blume 1987, Bd. 1). Vor 39

Strukturen der Wirtschaft

Schaubild B-ll: Agrarprodukte mit den höchsten Anteilen am Gesamtwert der Agrarproduktion 1985

W i^M.SS. pss.PP^s

Agrarprodukte V / / A Rindvieh Iii II Ii III Mastschweine j^N^ss] Masthahnchen |

[ Pferde Maultiere

¡888 SM.

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Kartoffeln

g§§g§gjg Preiselbeeren Orangen

Quelle: U.S. Bureau of the Census 1987: 633, Tab. 1125.

61111

Erdnüsse T.b.k | Baumwolle Heu

Regionale Strukturen

allem die Maßnahmen von 1961 und 1966 schufen finanzielle Anreize, Maisund Hirseanbauareale zugunsten anderer Produkte zu reduzieren oder das so freigewordene Land in einer staatlichen Bodenbank für handelspolitische Zwecke verfügbar zu machen (Estall 1980). Der direkte oder indirekte Effekt eines anderen Gesetzes, des Public Law 480, war z.B., den Anbau von Weizen und die Ausdehnung des Weizenanbauareals zu fördern, nachdem die Farmer für ihren "P.L. 480 Weizen" seit Mitte der 50er Jahre einen gesicherten Absatzmarkt in Ländern der Dritten Welt erhielten. Ähnliche Auswirkungen hatten verstärkte Handelsbeziehungen mit der UdSSR seit Beginn der 70er Jahre. Bis auf das mediterran-klimatische Kalifornien, das subtropische Florida und den ariden Westen — Regionen, deren Landwirtschaft sehr stark klimaabhängig ist — stellen die postindustriellen Agrarzonen nicht mehr nur agrarökologische Gegebenheiten, sondern eine durch staatliche Eingriffe beeinflußte Landwirtschaft dar. Zumindest in den Übergangszonen agrarökologischer Anbaugürtel wird die tatsächliche Nutzung oft durch eine Kombination von Technik, Kommunikation und Politik bestimmt. Mit Hilfe der Erdfernerkundung kann das amerikanische Landwirtschaftsministerium Anbau, Erntevolumen, Ausmaß des Schädlings- oder Krankheitsbefalls in anderen Ländern einschließlich der Entwicklungsländer genauestens verfolgen und eingrenzen. Nur wenige Tage nach der Aussaat von Getreide in der UdSSR z.B. kann man mit Hilfe der Satellitendaten ermitteln, ob und in welcher Höhe sich Fehlschläge abzeichnen. Dem kann man durch einen sehr effektiven, staatlichen landwirtschaftlichen Beratungsdienst (viele Megafarmen haben ihren eigenen inhouse-Berater des Agricultural Extension Service) zum Teil noch in derselben Anbausaison durch verstärkten Anbau von Getreide in einigen Agrarstaaten der USA begegnen. Die heutigen technischen Möglichkeiten verleiten zu der provokativen Aussage, daß eine Übereinstimmung der gegenwärtigen mit den klassischen (klima- und bodenabhängigen) Anbauarealen eher zufällig ist. Auf jeden Fall können sich Anbaugürtel mit neuen Preissignalen und Subventionen aus Washington sowie mit der jeweiligen Außenhandelspolitik ändern. Während die Landwirtschaft niemals footloose sein kann wie verschiedene Sekundär- und Tertiärbereiche, ist sie doch im hohen Maße anpassungsfähig geworden, wobei die jeweilige geographische Anbauzone nicht mehr nur vom physischen, sondern auch stark vom politischen Klima geprägt ist. Einige Anbaugebiete haben sich als besonders anpassungsfähig erwiesen und gewinnen daher gesamtstaatlich an Bedeutung. Tabelle B-15 zeigt die Bedeutung einzelner Regionen in der Agrarproduktion. Der Mittelwesten (East und West North Central) ist mit 41,2% Anteil am Gesamtverkaufserlös der Agrarproduktion noch die wichtigste Anbauregion der USA, der Süden (vor allem East und West South Central) und der Westen (Mountain und Pacific) folgen mit 18,0% bzw. 22,6%.

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Strukturen der Wirtschaft

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Regionale Strukturen

Tabelle B-15: Anteil am Verkaufserlös für Agrarprodukte 1987 Region New England Middle Atlantic East North Central West North Central South Atlantic East South Central West South Central Mountain Pacific (ohne Alaska und Hawaii)

% 1,3 4,6 15,2 26,0 11,9 6,1 11,9 8,0 14,6

Führende Bundesstaaten Kalifornien Texas Iowa Illinois Nebraska Minnesota Kansas Wisconsin Florida Indiana Ohio zusammen

% 11,2 6,6 6,4 4,5 4,9 4,2 4,1 3,6 3,8 2,8 2,5 59,6

Quelle: Nach U.S. Bureau of the Census 1989: 637, Tab. 1100 (verand., eig. Berechn.). Eine Betrachtung der führenden Bundesstaaten zeigt jedoch eine ähnliche postindustrielle Entwicklung, wie sie auch im Industriesektor zu beobachten war: ein relativer Bedeutungsverlust der "altagraren" Produktionsgebiete wie Ohio, Indiana, Wisconsin, Kansas, Nebraska und Illinois bei gleichzeitigem Aufschwung "neuagrarer" Kernländer wie Texas und Kalifornien, die sich im Gegensatz zur einseitigen Produktionsausrichtung altagrarer Regionen durch eine Vielzahl von teuren Spezialkulturen auszeichnen, wie z.B. Früchte, Nüsse, Gemüse, Wein und Obst. Beachtenswert bei den neuagraren Gebieten, die in der postindustriellen Phase zu den wichtigsten Anbauregionen wurden, ist nicht nur die Kombination der angebauten Produkte. Diese wurden z.T. schon Ende des 19. Jahrhunderts in regionalen Studien der USA registriert und später zum subtropical crop bell zusammengefaßt. Auffallend ist vielmehr der hohe Anteil, den diese Produkte am Verkaufserlös haben. Dies spiegelt sicher auch die Präferenz der amerikanischen Konsumenten wider, die in den letzten Jahrzehnten mit steigendem Einkommen weniger Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln, sondern mehr nach Nahrungsmitteln gehobener Preisklassen zeigten. Der relative Bedeutungsverlust altagrarer Regionen ist ebenso damit in Verbindung zu bringen wie mit den schon erwähnten Faktoren (Preisentwicklung auf dem Weltmarkt, finanzielle Überlastung, Mißernten, Limitierung staatlicher Subventionen). Da das alte landwirtschaftliche Kernland als Kornkammer der USA stark exportorientiert ist, kann es j e nach Außen- und Handelspolitik wieder stark an Bedeutung gewinnen:

... agriculturalproducts increased in Strategie importance as President Carter's grain embargo of 1979 emphasized. The prosperity of 43

Strukturen der Wirtschaft

American agriculture is likely to be determined by foreign policy in the future as it was by price supports and acreage control provisions in the past (Clark 1985: 157).

5. Zusammenfassung Die im Industriezeitalter entstandene regionale Struktur der US-amerikanischen Wirtschaft unterliegt seit Mitte des 20. Jahrhunderts verstärkt einem Wandel, und zwar findet eine Ablösung des alten zentral-peripheren Gefüges durch ein Muster mit mehreren Wirtschaftszentren statt, das bedeutet postindustrielles Wirtschaftswachstum in ehemals strukturschwachen peripheren Räumen sowie Funktionseinbußen des altindustrialisierten und altagraren Kernlandes. Der starke Aufschwung des tertiären Sektors, soziale Entwicklungen und Änderungen im demographischen Verhalten, Fortschritte im Kommunikationswesen und andere technische Neuerungen sowie die Wirtschafts- und Strukturpolitik der öffentlichen Hand sind einige der Ursachen. Bundes- und einzelstaatliche Maßnahmen, wie z.B. Investitionen im Transportsektor ebneten der Industrialisierung peripherer Räume den Weg, Vertragsvergabe an Hochtechnologieindustrien und -dienstleistungsbetriebe begünstigten neue Standortschwerpunkte, agrarpolitische Maßnahmen beeinflußten Agrarproduktion und Anbauareale. Nicht selten haben diese Veränderungen zu Krisen geführt, die alt- und neuindustrialisierte Gebiete, klassische und neue Standortschwerpunkte des Agrarsektors, sowie die tertiärwirtschaftlich bedeutenden städtischen Ballungszentren und auch die Hochtechnologieenklaven betreffen. Diese Krisen ihrerseits haben zu weiteren bundes- und einzelstaatlichen Maßnahmen geführt, die unterschiedlichen Einfluß auf das regionale Wirtschaftswachstum haben. Insgesamt läßt sich daher sagen, daß bundes- und einzelstaatliche Maßnahmen die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Regionen in entscheidender Weise geprägt haben und als ein Leitmotiv im Wandel der wirtschaftsgeographischen Struktur anzusehen sind.

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Teil 2 Strukturen des politischen Systems C. Föderalismus 1. Die föderale Grundstruktur Das föderale amerikanische Regierungssystem ist gekennzeichnet durch (a) die Gewaltenteilung auf Bundesebene, also die von der Verfassung verlangte Zusammenarbeit von Legislative (in sich wiederum geteilt in Repräsentantenhaus und Senat), Exekutive (Präsident und seine departments) und Judikative (Oberstes Bundesgericht und die ihm untergeordneten Bundesgerichte) und (b) die Arbeitsteilung zwischen dem Bund und den jetzt 50 Einzelstaatsregierungen auf zahlreichen Gebieten in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Diese Arbeitsteilung ist weder eindeutig hierarchisch noch ausschließlich; vielmehr üben auf dem gleichen Territorium gleichzeitig zwei Regierungen jeweils originäre Regierungsgewalt aus. Die Bundesverfassung definiert zwar — unter sorgfältiger Vermeidung des Begriffs 'souverän' — ein "oberstes Gesetz des Landes". In Artikel 6, Sektion 2 heißt es: The Constitution, and the laws of the United States which shall be made in pursuance thereof; and all treaties made, or which shall be made, under the authority of the United States, shall be the supreme law of the land; and the Judges in every State shall be bound thereby. Aber eben nur in ihrem durch die Verfassung definierten Zuständigkeitsbereich können Kongreß, Präsident und Oberstes Gericht ihren Willen direkt gegenüber dem einzelnen Bürger durchsetzen. Unverhohlenes Mißtrauen gegenüber einer machthungrigen Unionsregierung drückt die Generalklausel des 10. Verfassungsänderungsartikels von 1791 aus: die dem Bund nicht übertragenen Rechte (powers) verbleiben bei den Einzelstaaten oder dem Volk. In Anerkennung der Ambivalenz der Kompromisse von 1787 und ihrer Folgen charakterisieren heutige Handbuchdarstellungen des amerikanischen Regierungssystems die Einzelstaaten mit dem in sich widersprüchlichen Kunstwort semisovereign (Patterson 1989: 90).

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Strukturen des politischen Systems

Die Einzelstaaten haben ihrerseits durch ihre Verfassungen und Gesetze ganze Aufgabenbereiche an regionale und lokale Instanzen übertragen. Nicht weniger als 83.166 local governments unterhalb der Einzelstaatsebene hat das statistische Bundesamt der USA 1987 registriert. Sie alle erfüllen die Definitionsmerkmale der organized existence, des governmental character und der substantial autonomy, womit meist das Recht auf Einzug einer Steuer oder Benutzungsgebühr gemeint ist. Davon sind 3.042 counties, 19.205 municipalities, 16.691 townships and towns, 14.741 Schulbezirke und 29.487 special districts wie z.B. Landschaftsschutzbezirke, Stromversorgungsbezirke und die überregionale Hafenverwaltung von New York (U.S. Bureau of the Census 1988: 274). Obwohl die Existenz der Einheiten unterhalb der Einzelstaatsebene nicht durch die Bundesverfassung geschützt ist und sie durch Einzelstaatsgesetz bzw. -Verfassungsänderung in ihren Kompetenzen eingeschränkt und ganz aufgehoben werden können, haben sie sich seit dem sozialreformerisehen Progressive Movement des Jahrzehnts vor dem Ersten Weltkrieg zu wesentlichen Bestandteilen der amerikanischen Regierungspraxis und Demokratie entwickelt. Das tägliche Leben des Durchschnittsamerikaners bestimmen die Einzelstaatsregierungen in Zusammenarbeit mit den verschiedenen local governments wahrscheinlich öfter und direkter als die Bundesregierung — mit Ausnahme natürlich des U.S. Post Office. Einzelstaatsgesetze und lokale Vorschriften regeln weitgehend Fragen des Gesundheitswesens, des Erziehungswesens, der Besitzverhältnisse und Grundstückssteuern, der Bebauungs- und Flächennutzungspläne, der Verbrechensbekämpfung und des Strafvollzugs, des Scheidungsrechts, des Straßenverkehrs, der Verkaufssteuern u.v.a.m. Im Vergleich zur ebenfalls föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland verfügen in den USA die regionalen und örtlichen Verwaltungseinheiten über insgesamt umfassendere Selbstregierung skompetenzen. Eine Zentralregierung im Sinne eines unitarischen Staates konnte sich in den USA schon deshalb nicht entwickeln, weil bereits 1776 die Unabhängigkeit von 13 united aber keineswegs zu einer administrativen Einheit verschmolzenen states erklärt worden war. Deren politische Führungsschichten hatten im Laufe ihrer z.T. über 150-jährigen Existenz als Kolonien mit jeweils eigener Legislative, eigenem Gouverneur und eigenen Gerichten ein starkes politisches Identitätsgefühl entwickelt. Aus der revolutionären Gründungssituation gingen Konföderation und Einzelstaaten jedenfalls als gleichzeitig nebeneinander existierende und einander gegenseitig ihre Existenz sichernde politische Organisationseinheiten hervor. Die Niederlage der Rebellen im Sezessionskrieg (1861-65) beantwortete die verfassungstheoretisch nicht zu entscheidende Frage, ob ein Einzelstaat seine 1788 freiwillig beschlossene Ratifizierung der Bundesverfassung rückgängig machen und aus der Union austreten könne. Die endgültige Verneinung des Rechts eines Einzelstaats auf Austritt und die Verweige46

Föderalismus

rung seines Rechts auf Suspendierung einzelner Bundesgesetze (nullification), so die Puristen unter den Föderalismustheoretikern, hat die Epoche des wahren Föderalismus bereits 1865 in den USA beendet. Die seither fortschreitende Machtverlagerung zugunsten des Bundes ist durch eine weitere Systemkrise beschleunigt worden: die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1939. Mit Präsident Franklin D. Roosevelts (1933-45) New-Deal-Gesttzen und der Billigung ihrer Verfassungsmäßigkeit durch den Supreme Court ab 1937 haben die Bundesorgane im Prinzip die Verantwortung für das soziale Wohlergehen der Bürger, den sozialen Wohlfahrtsstaat im heutigen Wortsinn und die ihm zugrunde liegende Sozial- und Wirtschaftspolitik übernommen. Dem neuen "kooperativen Föderalismus" unter Führung des Bundes hat das Oberste Bundesgericht 1937 die Verfassungsmäßigkeit mit der schlichten Feststellung bescheinigt, die Vereinigten Staaten und der Staat von Alabama seien keine "alien govemments", sondern sie koexistierten auf dem gleichen Territorium. Konkret: Arbeitslosigkeit sei "their common concem" und Arbeitslosenunterstützung aus zwei Kassen, der des Bundes und der Alabamas, sei zulässig. Prinzipiell: die beiden dem Gericht zur Überprüfung vorliegenden Gesetze verkörperten "a cooperative legislative effort" der Einzelstaats- und der Bundesregierung bei der Ausführung eines "public purpose common to both den keine Seite alleine, ohne die Kooperation der anderen erfüllen könne. Dieser Zusammenarbeit stehe die Bundesverfassung nicht im Wege (Fall Carmichael gegen Southern Coal Company 1937; siehe Ehringhaus 1971: 51; Kewenig 1968: 436). Seine Abkehr vom Konzept des antagonistischen dual federalism bekräftigte der Supreme Court im Fall Stewart Machine Company gegen Davis (1937). Diese neue Grundstruktur konnte auch nicht mehr rückgängig gemacht werden durch Initiativen der Präsidenten Richard Nixon (1969-74) und Ronald Reagan (1981-89), die wiederholt einen New Federalism mit weniger Kompetenzen und Ausgaben des Bundes propagierten.

2. Die Befugnisse des Bundes Die Rechts- und Verfassungshistoriker haben bei ihren Versuchen, zumindest begriffliche Klarheit zu schaffen, zur Bezeichnung der Bundes- und der Einzelstaatskompetenzen acht Kategorien entwickelt (nach Peltason 1985: 20): (1) Enumerated powers sind die dem Bund in der Verfassung explizit zugesprochenen Aufgaben (z.B. eine Kriegsmarine aufzubauen). (2) Implied powers ergeben sich logisch zwingend aus den explizit Genannten (z.B. Matrosen für die Kriegsmarine anzuheuern). (3) Resulting powers ergeben sich aus dem Zusammenwirken mehrerer ausdrücklich genannter Rechte (z.B. die Erklärung von Papiergeld zum rechtlichen Zahlungsmittel). (4) Jnherent powers ergeben sich aus der bloßen Existenz des Nationalstaats, insbesondere im Verhältnis zu anderen Nationalstaaten (z.B. die Erklärung, im Ausland geborene Kinder amerika47

Strukturen des politischen

Systems

nischer Bürger seien von Geburt an amerikanische Staatsbürger). (5) Exclusive powers sind die ausschließlich vom Bund wahrgenommenen Kompetenzen (z.B. das Entsenden von Botschaftern). (6) Concurrent powers sind von Bund und Einzelstaaten anteilig wahrgenommene Rechte (z.B. Verbrauchssteuern, Regelung der Küstenschiffahrt); im Konfliktfall setzt eine Bundesregelung die Einzelstaatsregelung außer Kraft. (7) Expressly forbidden powers sind im Verfassungstext dem Bund ausdrücklich untersagte Maßnahmen (z.B. die Erhebung eines Ausfuhrzolls). (8) Implied limitations on national power ergeben sich aus der Natur des Bundesstaates (z.B. darf der Bund nicht durch eine Steuer die wirtschaftliche Existenz eines Einzelstaates gefährden). Den Zuständigkeitsbereich des Bundes haben der Verfassungstext von 1787 und alle seitherigen Verfassungsänderungen nicht präzise und erschöpfend definiert. Die necessary-and-proper-Klausel der Bundesverfassung (Artikel 1, Sektion 8) spricht dem Kongreß vielmehr alle Kompetenzen zu, die zur Wahrnehmung der namentlich aufgezählten delegated powers "nötig und angemessen" sind. In der Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts ist die kontinuierliche Ausweitung dieser "implizierten Befugnisse" seit 1819 als verfassungsmäßig anerkannt worden. Über die verbleibende Grauzone bestimmt die 10. Verfassungsänderung (1791) lediglich: The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people. Viel Spielraum war also von Anfang an vorhanden, um strittige Fälle der Kompetenzabgrenzung im Rahmen politischer Kompromisse und der Verfassungsrechtsprechung zu lösen. Klar definiert sind die Kompetenzen des Bundes in der Verfassung oder durch Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichts für die alleinige Außenvertretung der USA durch den Präsidenten; die Landesverteidigung; die Regelung des Außenhandels sowie des Handels und Verkehrs zwischen den Einzelstaaten; die Erhebung von Steuern und Einfuhrzöllen; die Kreditaufnahme; das Prägen der Landeswährung; die Einführung einheitlicher Maße und Gewichte; den Postdienst; das Copyright und Patentrecht; die Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Einzelstaaten durch das Oberste Bundesgericht; den Schutz der (nicht abschließend definierten) "Rechte und Privilegien" aller Bürger eines Staates; den Schutz der Einzelstaaten vor einer Invasion und vor einer Bedrohung der (Undefinierten) "republikanischen Regierungsform"; die Aufnahme neuer Einzelstaaten in die Union; die Verwaltung der keinem Einzelstaat unterstellten Hauptstadt; und schließlich die Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Regelung der Einwanderung. Dem Obersten Bundesgericht fiel die Rolle des Hüters der Verfassung als "law of the land" zu und damit auch die Aufgabe, im Verfassungstext offen gelassene Fragen der Kompetenzverteilung verbindlich zu klären. Mit Hilfe 48

Föderalismus

"sinngemäßer" Interpretation (broad construction) hat der Supreme Court in den fünf Jahrzehnten seit 1937 so gut wie alle Bereiche des menschlichen Lebens der Beeinflussung durch die Bundesregierung zugänglich gemacht.

3. Die Kompetenzen der Einzelstaaten Seine Verfassung, einschließlich einer Grundrechteerklärung, bestimmt die Wählermehrheit eines jeden Einzelstaats selbst. Ob z.B. das Parlament aus einer oder aus zwei Kammern besteht, ist Einzelstaatsentscheidung. Der Bund wacht nur darüber, daß eine "republican form of government" gewahrt bleibt, die allerdings nirgends verbindlich definiert ist (Artikel 4, Sektion 4 der Bundesverfassung). Die wichtigste Kompetenz der Einzelstaatslegislativen ist es, ebenso autonom wie die Bundesregierung Steuern zu erheben. Ihr Besteuerungsrecht ist theoretisch unbegrenzt; nur Besitz und Organe der Bundesregierung sind vor ihm sicher, und auf dem Weg ins Ausland befindliche Ware darf nicht mit einer Exportsteuer belastet werden. Die inhaltlich umfassendste Befugnis der Einzelstaaten ist die existenzsichernde, Gefahren für Leib und Leben abwendende police power, die vom Schutz der Moral (z.B. Prostitutionsregelung) und Sicherheitsvorschriften für Bergwerke bis zum Seuchenschutz reicht. Sie muß allerdings unter Beachtung der auch vom Bund geschützten Grundrechte, insbesondere der Gleicheit vor dem Gesetz und unter Anwendung rechtsstaatlicher Verfahren (due process of law) erfolgen. Schiedsrichter im Konfliktfall ist das Oberste Bundesgericht. Auch in Bereichen seiner alleinigen Kompetenz, z.B. bei der Einrichtung öffentlicher Schulen und Universitäten, muß der Einzelstaat die Grundrechte der Bürger so beachten, wie das Oberste Bundesgericht es für nötig hält, also z.B. unter Berücksichtigung des Gleichheitspostulats nach dem 14. Verfassungsänderungsartikel. Die Gerichte der Einzelstaaten bewältigen den umfangmäßig größten Teil der Rechtsprechung. Sie sind ebenso hierarchisch gegliedert wie die Bundesrechtsprechung. Auf Stadt- und County-Ebene bestrafen einzelne Richter Verkehrsdelikte und Kleinkriminalität. Gerichte der mittleren Ebene, meist ein Richter mit Geschworenen (jury), erledigen das Gros der Strafrechtsfälle und Zivilprozesse für jeweils ein oder zwei counties. Berufungsinstanzen sind einige wenige appellate courts und der supreme oder superior court des jeweiligen Einzelstaats, meist eine Kammer von 5 bis 9 Richtern, die unter anderem die Verfassungsmäßigkeit von Einzelstaatsgesetzen beurteilt. Nur wenn Bundesrecht berührt wird, steht der weitere Weg in die Gerichte des Bundes bis hin zum Obersten Bundesgericht offen. Nicht nur die Aufgaben und Dienstleistungen des Bundes, auch die der Einzelstaaten, counties und Gemeinden haben in den vergangenen Jahrzehnten an Umfang und Bedeutung für den einzelnen Bürger kontinuierlich zugenom49

Strukturen des politischen Systems

men. Die Ausgaben der Einzelstaatsregierungen und Lokalregierungen zusammen stiegen von 1970 bis 1985 von 148 auf 658 Milliarden Dollar, die der Bundesregierung im gleichen Zeitraum von 208 auf 1.032 Milliarden. Die Bundesausgaben machen heute (1985) also bereits 65% der gesamten staatlichen Ausgaben der USA aus (U.S. Bureau of the Census 1988: 257). Die Aufgabengebiete und ihre relative Bedeutung im Haushalt der Einzelstaaten und der lokalen Instanzen lassen sich an den wichtigsten Ausgabenposten im Haushaltsjahr 1984/85 ablesen: Zur Veranschaulichung der Größenordnung dieser Summen: Das Verteidigungsministerium hat im Haushaltsjahr 1985 für 140 Milliarden Dollar Aufträge an Unternehmen in den USA vergeben, also acht Milliarden Dollar mehr als Einzelstaaten und Kommunen zusammen für die öffentlichen Schulen ausgegeben haben (U.S. Bureau of the Census 1988: 316). Für die Kommunen sind die Schulen die bei weitem größte Ausgabe, mit Abstand gefolgt von der Bereitstellung von Wasser, Strom, Gas und dem öffentlichen Nahverkehr (52 Milliarden), Gesundheitswesen (26), Polizei (18) und Straßenbau (18). Für die Einzelstaaten steht die Sozialhilfe, d.h. alle Formen der public welfare, mit 53 Milliarden an der Spitze der Ausgaben, gefolgt von den staatlichen Universitäten (44), den Pensions- und Versicherungsfonds (38), dem Straßenbau (27) und dem Gesundheitswesen (27 Mrd. Dollar). Mit dem Ausbau der öffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Hochschule ist der Anteil der diesbezüglichen Ausgaben in den Einzelstaatshaushalten zum größten Einzelposten auf nun etwa 40% angewachsen. Die Ausgaben der Kommunen für ihre öffentlichen Schulen werden inzwischen nicht mehr nur aus Grundstückssteuern, sondern zu 43% aus Zuschüssen der Einzelstaaten gedeckt. Für Sozialprogramme der verschiedensten Art, von der Armenfürsorge bis zur Blindenhilfe, werden etwa 20% der Einzelstaatsetats verwandt. Krankenhäuser und das Gesundheitswesen bis hin zur Fleischbeschau und Luftqualitätskontrolle verursachen insgesamt etwa 14% der Einzelstaatsausgaben. Der Straßenbau ist eine weitere traditionelle und zentrale Domäne der Einzelstaaten. Sie haben diese Aufgabe in unterschiedlichem Umfang an die counties und Gemeinden delegiert. Natur- und Umweltschutz, Landschaftspflege in Form von State Parks und landwirtschaftliche Experimentierstationen belasten die Einzelstaatshaushalte nur zu 3% (Böllens 1983: 639-40). Für die Einnahmenseite interessant ist das alleinige Recht der Einzelstaatslegislativen, durch Erteilung einer Gründungslizenz (charter), ein Privatunternehmen (Corporation) zur juristischen Person zu machen. Die Aussicht auf Arbeitsplätze und Steueraufkommen hat dabei des öfteren zu heiklen Zielkonflikten zwischen Wirtschaftspolitik und Umwelt- und Sozialpolitik geführt. Der früher risikofreudigen bis hemmungslosen Konkurrenz der Einzelstaaten um die Ansiedlung von Großunternehmen wird heute durch vom Bundesrecht gesetzte Rahmenbedingungen auf den verschiedensten Gebieten (Umweltschutz, Sicherheitsvorschriften, Aktienrecht) entgegengewirkt. 50

Föderalismus

Tabelle C-l: Ausgaben von Bund, Einzelstaaten und (in Milliarden Dollar, aufgerundet) Ausgabenbereich Grund- u. Oberschulen Hochschulen etc. Sozialhilfe (public welfare) Gesundheitswesen Straßenbau Polizei Feuerwehr Gefangniswesen Naturschutz, Parks (natural resources) Abwässer Sozialer Wohnungsbau Öffentliche Versorgungsunternehmen (Wasser, Strom, Gas, Nahverkehr) Versicherungsfonds für Renten, Arbeitslosen- und andere Sozialprogramme

Gesamtausgaben (einschl. oben nicht genannter Ausgaben)

Bund -

25 14 0,8 3 -

0,7 54 -

8 -

Kommunen

1984/85

Einzelstaaten

Kommunen

1 44 53 23 27 3 8 8

131 8 17 26 18 18 9 4 10

0,3 1 5

17 9 52

-

285

38

6

1032

390

390

Quelle: U.S. Bureau of the Census: Statistical Abstract 1988: 258 Die politisch folgenschwerste Kompetenz der Einzelstaaten war es bis 1964, die Bedingungen für die Ausübung des Wahlrechts auch für Bundeswahlen festlegen zu können. Die Einzelstaaten im Süden trugen daher 100 Jahre lang die Verantwortung für die massive Behinderung der Ex-Sklaven bei der Ausübung des Stimmrechts. Ab 1964 setzten der 24. Verfassungsänderungsartikel, das Civil-Rights-Geselz von 1964 und das Wahlrechtsgesetz von 1965 detaillierte Rahmenbedingungen fest, die für eine materielle Einschränkung des Wahlrechts durch die Einzelstaatslegislativen keinen Raum mehr ließen. Erst diese Kompetenzverlagerung von Einzelstaats- auf Bundesebene hat den Erfolg der CmV-ÄigAfs-Bewegung der Afroamerikaner in den 1960er und 1970er Jahren ermöglicht.

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Strukturen des politischen Systems

4. Die Aufgaben der Kommunen Die Formen von local government unterhalb der Einzelstaatsebene variieren von Staat zu Staat. Überall findet sich jedoch eine regionale Abstufung von county, township oder town und city. Für alle Sachbereiche außer der Feuerwehr sind, wie Tabelle C-l ausweist, mehrere staatliche Institutionen zuständig. Zuständigkeitsstreitigkeiten haben folgerichtig zur Entwicklung des Rechtsgebiets State and local government law geführt (Fallsammlung: Sato 1977). Insbesondere das zunächst ungeplante Zusammenwachsen von Großstädten mit ihrem Umland zu metropolitan areas hat zu erheblichen Koordinationsschwierigkeiten von Selbstverwaltungseinheiten geführt. Deren Ausmaß wird deutlich, wenn man bedenkt, daß in den 1970er Jahren die statistische Standard metropolitan area (über 50.000 Einwohner) die Zuständigkeitsbereiche folgender Selbstverwaltungseinheiten berührte: 2 counties, 13 townships, 21 municipalities, 18 Schulbezirke und 31 special districts (Sato 1977: 21). Alle 50 Einzelstaaten sind in counties unterteilt (in Louisiana parishes, in Alaska boroughs genannt), die meist von einem Ausschuß gewählter councillors oder commissioners regiert werden. Nur wenige Staaten lassen die counties auch von einem gewählten executive officer oder einem vom council eingesetzten county-manager leiten. Die counties sind von höchst unterschiedlicher Größe und Einwohnerzahl, die Mehrzahl hat weniger als 25.000 Einwohner und ist ländlicher Natur. Die counties erwachten in den 1950er Jahren zu neuem politischem Leben, als sich ihre Nützlichkeit zur Verwaltung der um die Großstädte herum wuchernden, rechtlich nicht "inkorporierten" suburbs erwies. In Absprache mit der jeweiligen Großstadt übernahm die county nun die klassischen kommunalen Dienstleistungen für die in der Stadt Arbeitenden und im Umland Wohnenden: Elektrizität, Wasser, Kanalisation, Müllabfuhr, Feuerwehr, Straßenbau, Krankenhäuser, Sozialhilfe und Schulwesen. Einige Großstädte wie Philadelphia, New York und San Francisco haben Stadtverwaltung und Cowwfy-Verwaltung(en) zusammengelegt und metropolitan governments geschaffen, die allerdings in ihrem Bereich hunderte funktional autonomer Untereinheiten bestehen ließen. Der (gewählte) Sheriff, der (gewählte) Staatsanwalt, der (gewählte) Richter und das County-Gefängnis sorgen für Strafverfolgung und -Vollzug vor Ort. Rechtsprechung in erster Instanz und die Führung von Katastern und andere Beurkundungen gehören heute zu den täglichen Aufgaben der counties. Auch für zahlreiche andere Aufgaben, für die Bund und Einzelstaaten verfassungsmäßig zuständig sind, wurden die counties die im Sinne einer Auftragsverwaltung tatsächlich ausführende Instanz. Das Medicaid-Programm des Bundes z.B. wird in etlichen Staaten von den County-Verwaltungen abgewickelt. Umweltschutz, Naturschutz und Landschaftspflege werden ebenfalls zunehmend auf County-Ebene durchgeführt. 52

Föderalismus

Die drei Finanzquellen der counties sind die Grundstückssteuer (zu etwa einem Drittel), von der Einzelstaatslegislative umverteiltes Steuergeld und in zunehmendem Maße Bundeszuschüsse (grants-in-aid, siehe unten). Townships sind in 20 Staaten die Untereinheit einer county. In Stadtnähe haben sie in einigen Staaten die Funktion der county übernommen und bieten die Dienstleistungen einer großräumigen Stadt. Die towns in Neuengland (heute insbesondere in Vermont und Maine) nehmen Aufgaben wahr, die in den anderen Staaten von counties, Kommunen und Schulbezirken erledigt werden. Die Wahlberechtigten versammeln sich dort ein oder zwei Mal im Jahr zum town meeting, um in direkter Demokratie nach öffentlicher Diskussion Bebauungspläne, Grundstückssteuern und Schulfragen zu beschließen und für den Rest des Jahres selectmen zur Erledigung verbleibender Aufgaben einzusetzen. Wegen mangelnder Effizienz sind die town meetings heute auch in Neuengland vom Aussterben bedroht. Die town Neuenglands hat nichts mit einer "Stadt" zu tun. Ihre zentrale Siedlung heißt village und kann als eigene Rechtseinheit Polizeigewalt ausüben und Steuern erheben. Allerdings sind auch auf über 20.000 Einwohner angewachsene Kleinstädte der Rechtsform nach oft noch ein village. Die amerikanischen Städte haben sich von dem politischen Übergewicht der Landbezirke in der Einzelstaatsregierung und örtlichen Selbstverwaltung erst befreien können, als das Oberste Bundesgericht 1962 und 1964 numerisch annähernd gleichgewichtige Wahlkreise vorschrieb und eine entsprechende Neuverteilung (reapportionment) von Sitzen in den Einzelstaatslegislativen bzw. Wahlkreisveränderungen zugunsten der Städter auslöste. Die Abhängigkeit der Städte von den Einzelstaatslegislativen bestand und besteht darin, daß die Legislative die Stadt als Rechtsperson, als eine public Corporation schafft. Die Legislative fixiert ihre Grenzen und delegiert ihr Befugnisse, zu denen allerdings das Recht auf Selbstbestimmung der Form der Stadtregierung gehören kann. Nicht mehr der Bürgermeister (mayor), sondern ein vom Stadtrat (city council mit meist weniger als 10 councillors) eingesetzter Stadtdirektor (city-manager) leitet in der Mehrzahl der Städte mit über 25.000 Einwohnern die Verwaltung, führt die Beschlüsse des Stadtrats aus, bereitet Haushaltspläne vor und entwikkelt planerische Initiativen. Nur Metropolen wie Chicago und New York City wählen Stadträte mit 50 bzw. 25 Mitgliedern und übertragen ihrerseits Befugnisse an mehrere Stadtbezirke (wards oder boroughs). Die Aufgabenbereiche der meisten Stadtregierungen sind die gleichen wie die der counties, angereichert um spezielle Stadtprobleme, wie öffentlicher Nahverkehr und Stadtparks, sozialer Wohnungsbau und Institutionen des kulturellen Lebens wie Hochschulen und Museen. Von der Stadtbevölkerung gewählte Richter ahnden Verstöße gegen städtische Vorschriften und bestimmte, ihnen überlassene Bereiche der Einzelstaatsgesetzgebung. Finanzielle Basis der amerikanischen Städte ist ihr Recht, Steuern zu erheben, insbesondere Grundstückssteuer und verschiedene Arten von Gewer53

Strukturen des politischen Systems

be- und Verkaufssteuern. Ohne direkte Zuschüsse von der Bundesregierung könnten viele Einzelstaaten und Kommunen heute aber ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Schon seit 1911 hat die Bundesregierung Zuschüsse (grants-inaid) an Einzelstaaten und Kommunen zur Förderung von Aufgaben gezahlt, für die der Bund vom Verfassungsauftrag her gar nicht zuständig ist: vom Aufbau der Berufsschulen bis zur Waldbrandbekämpfung und zum Straßenbau. Den systemverändernden Durchbruch aber brachten erst die Wirtschaftsregulierenden Gesetze und Sozialgesetze des New Deal, insbesondere der Social Security Act von 1935. Als Folge stiegen die als grants-in-aid vom Bund vergebenen Mittel auf bereits 2,9 Milliarden Dollar i.J. 1939. Tabelle C-2 zeigt die unaufhaltsame Zunahme der grants-in-aid seit 1964; ihr Anteil am Bruttosozialprodukt fiel jedoch unter Reagan von 3,4% (1980) auf 2,4% (1988). Tabelle C-2: Bundeszuschüsse an Einzelstaaten grants-in-aid)

Bundeszuschüsse in Mrd. $

1965 1970 1975 1980 1985 1988

10,9 24 49,8 91,5 105,9 115,2

Anteil (%) am Bruttosozialprodukt

1,6 2,4 3,3 3,4 2,7 2,4

und Kommunen

Anteil (%) an Bundesausgaben

9,2 12,3 15 15,5 11,2 10,8

(Federal

Anteil (%) an Einzelstaatsund Kommunal ausgaben 15,1 19 22,6 25,8 20,9 18,2

Quelle: U.S. Bureau of the Census: Statistical Abstract 1990: 276; U.S. Bureau of the Census: Historical Statistics 1975: Series Y 671; dort auch Definitionsfragen, Bd. 2: 1099. Auch in konstant gehaltenen Dollars stellt dies eine knappe Verdreifachung der Bundeszuschüsse in zwanzig Jahren dar. Die Ausgaben der Einzelstaaten und Kommunen stammten 1985 insgesamt zu 21% aus den direkten Bundeszuschüssen. Eine Trendwende erzielte die Regierung Reagan unter der Parole des "Neuen Föderalismus" mit der anteilmäßigen Verringerung der Zuschüsse an ihren Gesamtausgaben von 15,5% (1980) auf 10,3% (1986), in konstanten Dollars um etwa ein Siebtel. Um dies zu erreichen, beendete sie z.B. 1986 das 1970 vom New Yorker Gouverneur Nelson Rockefeiler geforderte, von Präsident Nixon zwei Wochen vor seiner Wiederwahl 1972 unterschriebene Revenue-Sharing-Programm, dessen insgesamt 85 Milliarden Dollar vielen 54

Föderalismus

Städten den Ausbau ihrer Dienstleistungen von Polizei und Feuerwehr bis zur Obdachlosenfürsorge ermöglicht hatten. Die ersatzlose Streichung zwang die Gemeinden in kurzer Zeit zur Reduzierung dieser Dienstleistungen oder zur Erhöhung der Grundstücks- oder der örtlichen Verkaufssteuern, oder zur Erhöhung der Zinsen für Kommunalanleihen (Gruson 1987; U.S. Bureau of the Census 1988: 260; weitere Angaben für den Zeitraum 1902 - 1986 bei Werner 1987: 12-13). Der direkte Zugriff des Bundes auf die Gemeindeebene hatte einen vorläufigen Höhepunkt bereits mit dem von Präsident Johnson 1964 ausgerufenem "Krieg gegen die Armut" erreicht. Präsident Nixon setzte den Trend auf seine Art mit dem State and Local Fiscal Assistance-Gesetz 1972 fort, durch das jährlich etwa 6 Milliarden Dollar Bundesmittel an 38.000 Einzelstaats- und Gemeindeprojekte gezahlt wurden. Präsident Nixon ließ ab 1972 zwar immer mehr Bundeszuschüsse ohne detaillierte Zweckbindung als block grants unter dem Motto des revenue sharing an Einzelstaaten und Kommunen überweisen. Der überwiegende Teil der Bundeszuschüsse ist aber weiterhin zweckgebunden. Insbesondere die verfallenden, oft von Schwarzen bewohnten Innenstädte erhielten 1979 über 30% ihrer Einnahmen direkt vom Bund (Teaford 1984: 788). New York City konnte 1975 seinen Bankrott nur noch mit Hilfe und unter Bedingungen der Bundesregierung abwenden. Zur Beeinflussung des Kongresses bei der Vorbereitung der nächsten Bundeszuschüsse unterhalten die Einzelstaaten und Kommunen inzwischen Lobbyistenbüros in Washington, um ihre Anliegen wie andere private und öffentliche Interessengruppen in den departments und den zuständigen Ausschüssen von Repräsentantenhaus und Senat zu Gehör zu bringen, die öffentliche Meinung und Wähler zu beeinflussen und notfalls Musterprozesse zu führen. Zu diesen intergouvernementalen Interessenvertretungen gehören die U.S. Conference ofMayors, die National League of Counties, die National Conference of State Legislatures und die National Governors' Association. Eine große und zunehmende Zahl der special districts dient seit den 1960er Jahren meist nur der Durchführung eines Projektes (z.B. der Moskitovernichtung), das ein department der Bundesregierung (z.B. das Gesundheitsministerium) bezahlt und nach seinen Richtlinien ausführen läßt. Der Kontrolle örtlicher gewählter Volksvertreter können sich daher viele dieser special districts entziehen, obwohl sie konkret lokale Aufgaben wahrnehmen (Sato 1977: 892).

5. Anpassungsfähiger Föderalismus Der heute in den USA praktizierte Föderalismus ist vorbildlich, nicht wegen irgendeiner bestimmten Organisationsform oder Verfahrensregel, sondern wegen seiner prinzipiellen Lern- und Anpassungsfähigkeit. Voraussetzung der Anpas55

Strukturen des politischen Systems

sungsfähigkeit war der Verzicht auf eine monolithische, in der Theorie widerspruchsfreie Souveränitätsvorstellung zugunsten einer Regierungspraxis, die in einem zweihundertjährigen Prozeß lokale und regionale Selbstbestimmung und nationale Steuerung gegeneinander abgewogen hat. Nach einem Sezessionskrieg, einem wirtschaftlichen Zusammenbruch nach 1929 und einer Bürgerrechts-"Revolution" der Afroamerikaner zwischen 1945 und 1975 hat die Bundesregierung heute alle Kompetenzen, die sie braucht, um die general welfare der Verfassungspräambel zu sichern. Als eine längst nicht mehr zutreffende Fiktion hat Bundesrichter Rehnquist es 1981 bezeichnet, daß der Kongreß nur Rechte ausübe, die ihm die Verfassung 1788 übertragen habe (Peltason 1985: 22). Zu guter Letzt kann der Kongreß die Einzelstaatsgesetzgeber immer noch mit Bundeszuschüssen locken oder erpressen, so zum Beispiel wenn er Geld für den Fernstraßenbau abhängig macht von der Änderung des Jugendschutzgesetzes des jeweiligen Einzelstaats im Sinne der Erhöhung des Mindestalters für Alkoholkäufer. Die heute in der Tat erreichte Verwobenheit von Bundes-, Einzelstaatsund Kommunalaktivitäten wird gerne mit dem anschaulichen Bild vom Marmorkuchen im Gegensatz zur Schichttorte ausgedrückt, der auch keine säuberliche Trennung von (Kuchen-) Ebenen mehr zulasse. Angemessener als diese statische Metapher ist dem tatsächlichen politischen Prozeß das Bild von der zunehmenden regionalen wie funktionalen Vernetzung von Entscheidungszentren, deren relative Selbständigkeit sich nur noch daraus ableitet, daß sie besser als eine andere Instanz bestimmte Dienstleistungen erbringen. Die Machtfrage ist längst von den Fragen der Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit abgelöst worden. Nebeneinander bestehen bleiben werden auch in Zukunft die gleichberechtigten, aber widersprüchlichen Ideale einer möglichst örtlichen, "demokratischen" Selbstregierung von möglichst kleinen Einheiten einerseits und nationale Solidarität sowie überregionale Steuerung zum Wohl des Ganzen andererseits. Umfang und Schwierigkeit der Steuerungsaufgabe staatlicher Einrichtungen werden weiterhin zunehmen. Ihre auch nur annähernde Lösung insbesondere auf Gebieten der Sozial- und Wirtschaftspolitik bedarf mit Sicherheit eines noch kooperativeren Föderalismus, des noch engeren und besser koordinierten Zusammenwirkens von Kommunen, Einzelstaaten und Bundesregierung, und eventuell auch der Einrichtung zusätzlicher, spezieller interregionaler Körperschaften mit Entscheidungskompetenzen wie der erfolgreichen, seit 1933 bestehenden Tennessee Valley Authority. Die vorgeblich demokratische Selbstbeschränkung des Bundes zugunsten eines "kompetitiven Föderalismus" (Shannon 1989: 5) reicht zur Lösung der anstehenden Probleme nicht aus. Auch die 1988 von der National Governors' Association erhobene Forderung, auf dem Wege einer Verfassungsänderung zu garantieren, daß der Bund Einzelstaatseinnahmen auch auf indirektem Weg nicht besteuern könne, ist kein gutes Omen für kreative Kooperation.

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Föderalismus

Der 1787 konzipierte Föderalismus war kein Selbstzweck, sondern lediglich Ausdruck des in der Gründungssituation erreichbaren Kompromisses zwischen Einzelstaatsrechten und Bundeskompetenzen. Die Machtverteilung wurde dann zugunsten des Bundes durch die Niederlage der Südstaaten im Sezessionskrieg und durch den Zusammenbruch des Alten Regimes des "dualen", die Einzelstaatskompetenzen weitgehend verteidigenden Föderalismus im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1937 entschieden. Heute verlangen die Weltmachtrolle im internationalen System und die Bewältigung der nicht minder interdependenten sozio-ökonomisehen Probleme in den 50 Einzelstaaten naturgemäß mehr überregionale Steuerung, als James Madison und die anderen Verfassungsväter für erforderlich gehalten haben. Das in den Vereinigten Staaten vor 200 Jahren begonnene Experiment der föderalen Verfassung eines aus heterogenen Wirtschafts- und Kulturregionen bestehenden, sich über die Breite eines Kontinents ausdehnenden Großflächenstaates war deshalb insgesamt erfolgreich, weil das Regierungssystem nicht erstarrte, sondern den sich wandelnden Bedürfnissen der Menschen durch Verfassungsänderungen, Gesetzgebung und Rechtsprechung angepaßt wurde.

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Strukturen des politischen Systems

D. Parteien und Wahlsystem Das Parteiensystem in den Vereinigten Staaten besteht heute aus Demokraten und Republikanern. Andere Parteien konnten sich entweder nicht von den historischen Volksbewegungen lösen, aus denen heraus sie entstanden — gingen also mit ihnen wieder unter — oder haben nur regionale Bedeutung erlangt. Im Unterschied zu Europa, wo Parteien als mehr oder weniger private Vereinigungen angesehen werden, regeln in den USA weitgehend die Einzelstaaten die Parteistatuten, insbesondere die innerparteilichen Nominierungsprozesse. Amerikanische Parteien verstehen sich als Wahlkampfinstrumente zur Besetzung öffentlicher Ämter. Ihre Organisation ist ausschließlich auf dieses Ziel hin ausgerichtet und ruht nach dem Ausgang der Wahl. Es gibt kein dem europäischen Parteivorsitzenden vergleichbares Amt und keine formelle Parteimitgliedschaft. Die Frage nach der Parteizugehörigkeit kann von jedem US-Bürger aufrichtig heute so und morgen anders beantwortet werden (membership by self-identiflcation). Parteibücher und -mitgliedsbeiträge sind nicht üblich, die Organisationen finanzieren sich über Spenden. Trotzdem rechnet sich ein auf etwa 70% geschätzter Teil der Wähler relativ unbeirrbar nur einer der beiden Parteien zu (Helms 1985: 100). Die Größe der beiden Parteien und die Vielfalt der von ihnen abzudekkenden Interessen — die naturgemäß in innenpolitischen Angelegenheiten sehr viel heterogener ausfallen als in der dem europäischen Beobachter näherstehenden Außenpolitik — hat fast zwangsläufig eine gewisse Unverbindlichkeit in der landesweiten politischen Selbstdarstellung zur Folge. Kritische Zeitgenossen wollen deshalb zwischen den Parteien überhaupt keine Unterschiede mehr erkennen können. Was für das äußere Bild der Programme zutreffen mag, gilt aber nicht für die innere Zusammensetzung der Parteien. Infolge der Integrationskraft des Zweiparteiensystems — angesichts der Wahlgesetzgebung mit ihren hohen Erfolgshürden könnte man ebensogut von Integrationszwang sprechen — haben sich politische Gegensätze ins Parteieninnere verlagert. Demokraten und Republikaner sind organisatorisch und inhaltlich in außerordentlich heterogene Flügel unterteilt: Bundes-, Staats- und lokale Parteiorganisationen existieren parallel zur föderalistischen Gewaltenstruktur der Vereinigten Staaten. Ihre Zusammenfassung zur "Partei" gibt aber keinerlei Auskunft über die konkrete Politik, die die diskreten Parteikörper verfolgen. Daneben werden in den Parteien analog der Gewaltenteilung "legislative" und "exekutive" Flügel, im Kongreß ein congressional und ein presidential wing unterschieden (in der Regel sind die "legislativen" Flügel die konservativeren, weil direkter abhängig von den Wählerstimmen). In Anbetracht der innerparteilichen Heterogenität muß also beachtet werden, daß die Parteiführungen in Fragen des Partei- beziehungsweise Fraktions58

Parteien und Wahlsystem

Zusammenhalts in den Parlamenten permanent gefordert sind, einheitliche Meinungsprofile herzustellen und durchzusetzen.

1. Historisch entwickelte Parteimerkmale 1.1. Demokratische Partei In der amerikanischen Geschichte lassen sich vier Epochen mit fünf Parteisystemen unterscheiden (Crittenden 1982: 20f.). Die Geschichte der Demokraten als Partei im weitesten Sinne reicht zurück bis zum zweiten Parteisystem in der Epoche der Frühen Republik. Sie begann etwa 1830 mit der politischen Führung durch Andrew Jackson, einen populären Kriegshelden. Jackson machte sich zum Fürsprecher des "kleinen Mannes" und gab dem verbreiteten US-amerikanischen Anti-Etatismus, der noch heute in Werten wie Individualismus und Bürgerrechten fortlebt, eine politische Verlaufsform. Er demokratisierte das Wahlsystem, indem er die Wahlmänner direkt vom Volk wählen ließ und die Aufstellung der Präsidentschaftskandidaten den Parteikonventen übertrug (Jacksonian Revolution). Er erhob aber auch die Vergabe öffentlicher Ämter als Pfründe durch den jeweiligen Wahlsieger zur Regel (Jacksonian Democracy bzw. spoils system). Leitfigur der Demokraten ist Thomas Jefferson, Verkünder der Virginia Bill of Rights von 1776, unter dessen Präsidentschaft in Reaktion auf die zentralistische Politik Alexander Hamiltons zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Rechte der Einzelstaaten gegen die Zentralgewalt betont wurden. Die ältere der beiden großen Parteien hatte schon immer eine sehr heterogene Anhängerschaft. Im Norden stellten Städter, Handwerker und kleine Kaufleute die wichtigsten Wählerpotentiale, im Westen Pioniere (die Neuland erschließenden Siedler), im Süden ländlich geprägte Konservative. Derartige Gegensätze lassen erahnen, warum gerade die Partei der kleinen Leute eine ausgeprägte Vorliebe für charismatische Führerpersönlichkeiten wie W. Wilson, der den Waffenstillstand am Ende des Ersten Weltkriegs vermittelte, F.D. Roosevelt, den einzigen US-Präsidenten, der für vier Amtszeiten hintereinander gewählt wurde, und J.F. Kennedy, der für Bürgerrechte und ein sozialverantwortliches Staatsprogramm stand, entwickelt hat (der Makel der Führungsschwäche hat den letzten demokratischen Präsidenten, Carter, 1980 den Wahlsieg gekostet). Das heutige Ansehen der Demokraten ist auf den New Deal zurückführbar. Der dem Pokerspiel entlehnte Begriff — wörtlich: neue Ausgabe der Karten — faßt die gesetzlichen Maßnahmen der Roosevelt-Administration zur Überwindung der Großen Depression in den dreißiger Jahren zusammen, von denen viele — wenn auch in novellierter Form — noch heute in Kraft sind. Mit dem New Deal werden erhebliche Kompetenzausweitungen der Bundesregierung zu Lasten der Einzelstaaten, aber auch Errungenschaften wie Sozialver59

Strukturen des politischen Systems

Sicherung, staatliches Bildungs- und Gesundheitswesen, Mindestlohngesetzgebung etc. verbunden. Die demokratische Partei steht seitdem — in bemerkenswertem Kontrast zu ihrem historischen anti-etatistischen Ursprung — für das Prinzip des staatlichen Interventionismus zum Schutz des Individuums.

1.2. Republikanische Partei Ideologische Leitfigur der Republikaner ist Alexander Hamilton, der um die Wende zum 19. Jahrhundert mit einem nationalen Industrialisierungsprogramm die Wirtschaft förderte und eine betont zentralistische Staatsorganisation und -führung befürwortete. Eine Volksbewegung gegen den Kansas-Nebraska Act von 1854, mit dem die Demokraten die Legalisierung der Sklaverei auch im Norden voranzutreiben beabsichtigten, führte zur Gründung der Republikanischen Partei. Der anschließende Wahlsieg mit Lincoln an der Spitze spaltete die Nation und zementierte bis zum New Deal die politische Trennung der Union in einen republikanischen Norden und einen demokratischen Süden. Nach dem Bürgerkrieg wandelte sich das Bild der Partei relativ schnell. Im Zuge der industriellen Revolution standen erfolgreiche Geschäftsleute und Bankiers im Mittelpunkt des Zeitgeschehens, und die anfangliche Reformpartei avancierte zur Partei des big business, die die Entwicklung des Kapitalismus rückhaltlos förderte. Ökonomische Erfolge und der Umstand, daß die alternativlosen Demokraten mit der Bürgerkriegspartei im Süden in Verbindung gebracht werden konnten, machten die Epoche von 1868-1932 zu einer Ära, in der — mit Ausnahme von G. Cleveland (1885-89, 1893-97) und W. Wilson (1913-21) — die Republikaner die Präsidenten stellten. Vermutlich infolge des Eintretens für das freie Spiel der Marktkräfte und der daraus folgenden staatlichen Zurückhaltung finden sich in diesem Zeitraum unter den Republikanischen Präsidenten aber kaum populäre oder gar charismatische Staatsmänner. Das gilt zwar nicht für T. Roosevelt, der eine imperialistische Außenpolitik verkörperte, wohl aber für Harding, Coolidge und Hoover, die dem Demokraten Wilson folgten. Die der klassischen Doktrin verpflichtete Wirtschaftspolitik führte die Grand Old Party (GOP) schließlich in der Großen Depression in ihre schwerste Krise, da sie dem populären, weil wenigstens Hoffnung verbreitenden New Deal F.D. Roosevelts nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen hatte. Das für lange Zeit erfolgreiche Rezept der Identifikation mit big business kompromittierte die Partei nun. Selbst Republikanische Präsidenten wie D.D. Eisenhower — vor allem vor dem Hintergrund seiner militärischen Erfolge als Oberbefehlshaber der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges sehr beliebt — konnten ihre Popularität nicht an die Partei weitergeben, die in Opposition zur Linie der Demokraten öffentliche, insbesondere sozialstaatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben zurückdrängen wollte. Nach Kennedy und Johnson trat 1968 der Republikaner Nixon an, der 60

Parteien und Wahlsystem

den Vietnam-Krieg beendete, jedoch 1974 infolge der Watergate-Affäre zum Rücktritt veranlaßt wurde. Sein Vizepräsident und Nachfolger G. Ford verlor die Wahl 1976 gegen J. Carter. Bis 1978 blieben die Republikaner, trotz der Erfolge Republikanischer Präsidentschaftskandidaten, im Kongreß die Minderheitspartei. Nachdem auch die Sozial- und Wirtschaftspolitik der infolge des anhaltenden Geiseldramas in Teheran diskreditierten Carter-Administration unter dem Eindruck zweistelliger Inflationsraten und ausufernder Bürokratisierung als gescheitert empfunden wurde, gelang 1981 dem Republikaner R. Reagan der Einzug ins Weiße Haus. Unter der plakativen Formel Reaganomics verfolgte die neue Administration einerseits eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik mit einschneidenden Steuersenkungs- und Deregulierungsmaßnahmen und andererseits eine von extensiven Budgetsteigerungen begleitete Aufrüstungspolitik, die die scharfe Wirtschaftskrise von 1982 zu überwinden half. Unter Reagan, der 1984, auf dem Höhepunkt der ihm zugeschriebenen Erfolge, seinen Demokratischen Gegenkandidaten in 50 von 51 Staaten schlug, gewann die Republikanische Partei beträchtlich an Ansehen. Insofern stellt seine Amtszeit eine Zäsur dar. Ob sie aber — wie Republikanische Rhetorik behauptet — endgültig das Ende der New-Deal-Äva. eingeläutet hat, wird nicht zuletzt vom Erfolg der Maßnahmen abhängen, die George Bush — unter Reagan Vizepräsident und 1988 gewählt — zur Bewältigung des von seinem Vorgänger hinterlassenen wirtschaftspolitischen Erbes mit dem wieder mehrheitlich Demokratisch dominierten Kongreß abstimmen muß.

2. Der Funktionswandel der Parteien In den Jahren ihrer Gründung lag das politische Machtzentrum der Parteien auf lokaler und regionaler Ebene. Die Jacksonian Democracy kann im 19. Jahrhundert als typisch für das amerikanische Parteiwesen gelten. Die Patronagepartei bedankte sich bei ihren Wählern — bei Abwesenheit jeder staatlichen Sozialgesetzgebung — mit Hilfsprogrammen und versorgte ihre Aktivisten mit politischen Ämtern und Pfründen. Um die Jahrhundertwende setzte in Reaktion auf diese Mißstände ein Prozeß der Schwächung des Parteiwesens ein, in dem zunächst die politische Strömung der Progressiven (geführt von der People's Party) legislative Maßnahmen zur Beschränkung der Macht und des Einflusses der Parteifunktionäre durchsetzte. Die Einführung von Volksentscheiden, die staatliche Überwachung der Wählerregistrierung und die legislative Verbreitung von Vorwahlen — primaries —, die das gesamte Elektorat über die Aufstellung der Kandidaten einer Partei mitbestimmen ließen, drängten den Einfluß der Parteiführungen auf das politische Geschehen zurück.

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Strukturen des politischen Systems

Mit dem New Deal und der Übernahme sozialpolitischer Aufgaben durch die Bundesregierung nahm die Bedeutung der Parteien als materielle Versorgungsinstanz noch weiter ab. Die Gesetzgebung der 1970er Jahre schwächte die Parteien dann insofern empfindlich, als die Wahlkampffinanzterungsgesetze jeden Bewerber für ein Bundesamt verpflichteten, ein eigenes unabhängiges Wahlkampfkomitee — principal campaign committee — zur Überwachung und Verwaltung seiner Einnahmen und Ausgaben zu errichten. Damit wurde die Trennung von Kandidat und Partei zum gesetzlichen Prinzip erhoben. Verstärkt traten parteiunabhängige Political Action Committees (PACs) als Wahlkampffinanciers von Kandidaten für politische Ämter im Kongreß und im Weißen Haus in Erscheinung. Langfristig gerieten die Parteien aber auch mit dem Aufkommen der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens seit den 50er Jahren, in eine zusätzliche Funktionskrise. Bei hoher Personalisierungstendenz politischer Themen und vor dem Hintergrund sich in erster Linie als Wahlkampfinstrumente definierender Parteiorganisationen wurden die Kandidaten immer unabhängiger von der parteilichen Wahlkampfhilfe. Die Vorgänger Bush's, Carter und Reagan, verdankten ihre Wahlerfolge in erster Linie der geschickten Benutzung des Fernsehens (Carter reüssierte als krasser Außenseiter in den Vorwahlen an allen Demokratischen Kandidaten vorbei mithilfe des günstigen Eindrucks, den er beim Elektorat erwecken konnte; Reagan erhielt von der Öffentlichkeit den bezeichnenden Beinamen great communicator verliehen, womit sein Geschick im Umgang mit den Medien — wiederum in erster Linie dem Fernsehen — gemeint war). Auch im Wahlkampf von 1988 überlagerten Fragen des Geschmacks und der fernsehgerechten Präsentation politischer Werte die sachlichen Differenzen der Kandidaten. Die Krise des Parteiensystems an sich scheint mittlerweile aber überwunden zu sein. Infolge ihrer Niederlagen aufgeschreckt, unternahmen zunächst die Demokraten seit den 60er Jahren eine Reihe von Reformen, um die Einbindung ihrer stark heterogen zusammengesetzten Anhängerschaft in die Partei effektiver zu gestalten (Brinkmann 1984: 176-188). Obwohl die Republikaner mit ihrer einheitlicheren Gefolgschaft dieses Problem so nicht teilten, zogen sie mit eigenen Reformansätzen nach (Brinkmann 1984: 188-189). Vereinzelt wird deshalb schon von einer "Revitalisierung" der Parteien in den 80er Jahren gesprochen (Welz 1986: 36).

3. Die Organisationsstruktur der Parteien Entsprechend der föderativen Struktur des amerikanischen Staatswesens gliedern sich auch die beiden großen Parteien in lokale, einzelstaatsweite und nationale Parteiorganisationen. Der Einfluß der nationalen Führung auf die

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Parteien und Wahlsystem

Staats- und Kommunalorganisationen darf aber, aller Reformversuche in letzter Zeit ungeachtet, nicht überschätzt werden (Hübner 1989: 65-67). Die kleinste Einheit im Parteigefüge ist der Wahlbezirk — precinct — einer Stadt oder ländlichen Gemeinde, der von einem oder mehreren Wahlbezirksleitern betreut wird. Der precinct leader verkörpert die Partei im entsprechenden Gebiet. Nächsthöhere Organisationsstufe ist die der county, in etwa dem deutschen Begriff des Regierungsbezirks entsprechend (in einigen Staaten gibt es eine Zwischenstufe, den ward). Die counties werden von county committees geleitet, deren Miglieder sich aus den Wahlbezirksleitern und anderen Parteifunktionären rekrutieren. Der Einzelstaatsebene entspricht im Parteigefüge das State committee, das in der Regel aus den Vorsitzenden der county committees gebildet ist. Auf dieser Parteiebene werden die Wahlkämpfe für Ämter im Einzelstaat sowie für Sitze im Kongreß organisiert und die Wahlmänner zur Präsidentenwahl aufgestellt. Auf Bundesebene bilden die Parteivertreter aller Staaten das national committee, das den Präsidentschaftswahlkampf führt, die Parteigeschäftsführung betreibt und alle vier Jahre die national Convention ( = Bundeswahlparteitag) einberuft. Das national committee besteht aus jeweils einer Frau und einem Mann aus jedem Staat, die formal von der national Convention gewählt, tatsächlich aber nur akklamiert werden — die Aufstellung obliegt den Einzelstaatsdelegationen. Das national committee wählt einen Vorsitzenden, der ihm vom Präsidentschaftskandidaten vorgeschlagen wird. Kandidatennominierung und Entsendung von Delegationen zu den entsprechenden Conventions sind die wichtigsten Aufgaben der regionalen committees. In den Staaten, die Vorwahlen angeordnet haben, organisieren sie ihre Durchführung gemäß den staatlichen Vorschriften. Die Verdrängung der Wahlparteitage — Conventions — durch Vorwahlen hat die committees hier zu halbstaatlichen Instrumenten degradiert. Die Parteiaktivisten in den committees diskutieren und formulieren aber auch die programmatischen Zielvorstellungen, die von den Delegierten und Kandidaten in den Wahlkämpfen zu vertreten sind. In der quasi-hierarchischen Parteiorganisation waltet als Prinzip der Bezug auf die vorhandene staatliche Struktur: Für jede Verwaltungsebene existiert eine Entsprechung auf Parteiebene, die Wahlkämpfe um die Besetzung der vorgesehenen Ämter führen kann. Sie sollte nicht mit einer wirklichen Hierarchie verwechselt werden, in der die regionalen Organisationen den nationalen gegenüber weisungsgebunden wären. Dem Democratic National Committee wird zwar ein weitergehender Führungsanspruch gegenüber den einzelstaatlichen Parteikörpern zugesprochen als seinem Republikanischen Gegenstück. Untersuchungen erbrachten aber den Befund, daß die Entscheidungen auf der Ein63

Strukturen des politischen Systems

zelstaatsebene gewöhnlich in einem Beziehungsgeflecht zwischen einem Gouverneur, zwei Senatoren, der Kongreßdelegation, den Parteileuten in den Kammern des Staatsparlaments, dem Staatskomitee, aber auch der Presse, Lobbyisten, Bürgerinitiativen und nicht zuletzt der Bürokratie gefällt werden. Erst danach kommen Parteiführer auf regionaler oder bundesweiter Ebene zum Zuge (Goldman 1986: 198).

4. Die Partei im Kongreß Der Kongreß ist eines der mächtigsten Parlamente der Welt. Da nächst der Exekutive die Parteiangehörigen im Kongreß die tagtägliche Politik der Vereinigten Staaten am kontinuierlichsten beeinflussen, soll der Darstellung ihrer Positionen hier relativ breiter Raum eingeräumt werden. Dabei muß aber auch davor gewarnt werden, den Parteieneinfluß auf die Politik zu überschätzen. Viele nationale Belange — etwa die Strategie Defense Initiative (SDI) oder die Abrüstungsverträge mit der UdSSR — finden Gegner und Unterstützer quer durch die Parteienfronten, und bei Abstimmungen weicht der Fraktionszusammenhalt — party Une voting — regelmäßig dem Personalprinzip bzw. den Interessenkoalitionen quer durch die Fraktionen. Fast institutionellen Charakter hat die sogenannte conservative coalition, die in beiden Kammern eine Koalition von Republikanern und Südstaaten-Demokraten gegen die liberaleren Nordstaaten-Demokraten bezeichnet. Eine conservative coalition kommt mittlerweile zwar nur noch relativ selten zustande (1985 in 14% aller Abstimmungen gegenüber 1975 28%), ist dann aber relativ erfolgreich: 1985 obsiegte sie in 89% aller Fälle, in denen sie angestrengt worden war (Elections 1986: 116). Auch die Unterscheidung von "legislativen" und "exekutiven" Parteiflügeln (im Kongreß presidential bzw. congressional wing) trägt den häufigen Konflikten zwischen Vertretern von Exekutive und Legislative innerhalb der Partei Rechnung (Sorauf 1976: 362 ff.).

4.1. Repräsentantenhaus Das wichtigste Amt im Repräsentantenhaus ist der Speaker (die Bezeichnung ist dem britischen Vorbild entlehnt, bei dem das Parlament seinen Führer mit dem Auftrag to speak before the king wählte), der von allen Repräsentanten gewählt, also von der Mehrheitsfraktion bestimmt wird. Die politische Bedeutung des Speaker steigt und fallt je nachdem, ob er der im Weißen Haus regierenden oder der Oppositionspartei angehört. Der Präsident wird den Sprecher des traditionell unbequemen Repräsentantenhauses, vor allem, wenn dort die Oppositionspartei die Mehrheit hat, zu allen wichtigen Entscheidungen mit heranziehen und versuchen, schon im Vorfeld des Entscheidungsprozesses seine Zustimmung zu gewinnen (bis 1986 war Thomas P. "Tip" O'Neill, Repräsentant von Massachus64

Parteien und Wahlsystem

setts, als rfe-/acio-Oppositionsführer in diesem Amt der nach Reagan bekannteste Politiker im Land; der Speaker ist seit 1989 der Demokrat Thomas S. Foley). Die zweitwichtigste Position in der Parteihierarchie im Repräsentantenhaus ist der Fraktionsführer. Bei der Mehrheitspartei — majority leader — vertritt er den Sprecher und arbeitet ihm direkt zu (Richard Gephardt, Dem.). Die Bedeutung des minority leader ist wieder abhängig von seiner Stellung zur Präsidentenpartei. Da die Republikaner in den letzten Jahren den Präsidenten stellten, erfreute sich der Fraktionsführer der Republikanischen Minderheit im Repräsentantenhaus (Robert H. Michel) keiner gesteigerten öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Fraktionsführer arbeiten mit den Fraktionskomitees zusammen, dem Democratic Steering and Policy Committee und dem Republican Policy Committee, die ihrerseits wiederum Einfluß auf Besetzung und Arbeit der wichtigsten Kongreßausschüsse nehmen. Die nächstwichtigen Fraktionsfunktionen nehmen die whips wahr (whipper-in ist in der britischen Fuchsjagd die Bezeichnung für den Rottenführer, der darauf achten muß, daß kein Hund die Meute verläßt). Ein whip ist zuständig für die innerparteiliche Kommunikation von oben nach unten. Er organisiert die Anwesenheit der Repräsentanten bei wichtigen Abstimmungen, trägt den Führern Informationen über die Stimmung in der Fraktion zu und ist um die Wahrung der Fraktionsdisziplin bemüht. Die Verbindung zu den Parteiorganisationen außerhalb des Kongresses halten die Vorsitzenden der Parteiversammlungen der Kongreßmitglieder (Democratic caucus, Republican conference). Es handelt sich dabei im wesentlichen um innerparteiliche Aufsteigerpositionen, die nach einer gewissen Zeit für die Wahrnehmung wichtigerer Aufgaben qualifizieren.

4.2. Senat Die höchste Parteifunktion im Senat nimmt der Senatspräsident ein. Nach der Verfassung fällt dieses Amt dem jeweils gewählten Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, also immer der Regierungspartei zu. Der Senatspräsident verfügt in der Regel über kein Stimmrecht, gibt aber bei einem Patt den Ausschlag. Der Vizepräsident wird bei Abwesenheit vom President pro tempore vertreten. Im Präsidenten auf Zeit verkörpern sich sowohl das Mehrheits- als auch das für den Senat charakteristische Senioritätsprinzip: Der amtsälteste Senator der Mehrheitsfraktion nimmt diese Funktion ein, ohne daß eine Abstimmung darüber erforderlich wäre. Entsprechend den Mehrheits- und Minderheitsführern im Repräsentantenhaus sind es die Fraktionsführer im Senat — floor leaders —, deren Ämter den meisten Einfluß verschaffen (Robert Dole bei den Republikanern und Ge65

Strukturen des politischen Systems

orge Mitchell bei den Demokraten). Dem floor leader steht das Recht auf die Erstrede zu, er bestimmt mit über die Redeordnung und ist das Zentrum der Parteikommunikation. In der Praxis wird keine Entscheidung in der Partei ohne ihn gefallt (als Beispiel eines erfolgreichen Fraktionsführers im Senat gilt Lyndon B. Johnson, der spätere Vizepräsident und Nachfolger des ermordeten John F. Kennedy). Auch im Senat gibt es das Amt der whips. Ihre Aufgaben sind dieselben wie diejenigen ihrer Kollegen im Repräsentantenhaus. Da aber die Fraktionen im Senat wesentlich kleiner sind und noch deutlicher persönlichkeitsorientiert arbeiten, wird der Arbeit der whips im Senat praktisch weniger Bedeutung beigemessen.

5. Wahlgesetzgebung Wahlen werden in den Vereinigten Staaten im allgemeinen weniger von den Parteiorganisationen durch Nominierungen personell vorstrukturiert, als es in Europa der Fall ist. Nach dem Willen der einzelstaatlichen Gesetzgeber entscheidet das Elektorat in vielen Fällen selbst in primaries darüber, welcher Kandidat zu den späteren Wahlen aufgestellt wird. Das Mehrheitsprinzip: Der Kandidat mit der relativen Mehrheit (pluraüty) aller Stimmen gewinnt, alle anderen Stimmen sind verloren — zwingt Kandidaten und Parteien ständig zu Bündnissen und Kompromissen. Besondere politische Anliegen mindern die Erfolgschancen einer Partei und werden deshalb möglichst vermieden (Merkl/Raabe 1977: 83). Über die Wahlberechtigung der Bürger entscheiden, mit Ausnahme einiger Rahmenbestimmungen in der Bundesverfassung, die Verfassungen der Einzelstaaten. Die Wahlverfahren in den einzelnen Staaten und die Bundeswahlen werden zwar grundsätzlich von den einzelstaatlichen Legislativen geregelt, die Verfassung hat dem Kongreß aber das Einspruchsrecht vorbehalten. Laut Bundesverfassung darf seit 1971 jeder geistig gesunde US-Bürger nach der Vollendung seines 18. Lebensjahres an den Kommunal-, Staats- und Bundeswahlen aktiv teilnehmen (26. Verfassungszusatz; davor lag die Grenze bei 21 Jahren). Die Verfassungen der Einzelstaaten schreiben darüber hinaus eine oft relativ lange vor der Wahl erforderliche Registrierung vor. Im Unterschied zur BRD, in der der Wähler amtlich ermittelt und benachrichtigt wird, muß der US-Wähler aus eigener Initiative einer Kommission seine Wahlberechtigung nachweisen. Obwohl viele an die Registrierung geknüpfte diskriminierende Einzelstaatsgesetze (Lese- und Schreibtests, Wahlsteuem) mittlerweile unzulässig sind, wird häufig in dem mit der Registrierung verbundenen Aufwand eine Ursache der vergleichsweise niedrigen durchschnittlichen Wahlbeteiligung in den USA gesehen. Die Beteiligung an den im vieijährigen Turnus stattfindenden Präsidentschaftswahlen lag 1988 in Prozent aller Wahlberech66

Parteien und Wahlsystem

tigten bei 50,2 (1984: 53,1). Bei den Wahlen nur zu den Kongreßkammern ist sie regelmäßig noch geringer: 1982 bei 38,0 und 1986 bei 33,4% (U.S. Bureau of the Census 1990: 264, No. 443).

5.1. Bundeswahlgesetzgebung Die Bundesverfassung bestimmt, daß jeder Wahlberechtigte eines Staates der Union auch berechtigt ist, an den Wahlen zum Kongreß teilzunehmen. Die Bundesregierung muß also keine eigenen Wahlregister führen. Sie gibt aber den gesetzlichen Rahmen vor, den die Einzelstaaten in ihren Wahlgesetzen beachten müssen. In Verfassungszusätzen — amendments — wird den Einzelstaaten untersagt, die Wahlberechtigung von Rasse und Hautfarbe (15. Zusatz 1870), Geschlecht (19. Zusatz 1920) und Wahlsteuern (24. Zusatz 1964) abhängig zu machen. Der Voting Rights Act von 1965 verbietet den Staaten, Lese- und Schreibtests der Wahlberechtigung vorauszusetzen (die inzwischen mehrmals verlängerte Befristung des Gesetzes ist vermutlich als Aufforderung zur Beseitigung des Analphabetismus zu verstehen). Die Bundesverfassung räumt dem Kongreß — bei grundsätzlicher Zuständigkeit der Einzelstaaten — ein Einspruchsrecht in Bezug auf die staatlichen Verfahren bei Wahlen zum Kongreß ein, das jedes Staatsgesetz bricht. Kongreßgesetze garantieren geheime Wahlen, verfügen die Abwendung von Korruption und Wahlfälschungen und setzen die Wahltermine fest.

5.2. Einzelstaatliche Wahlgesetze Mit wenigen Ausnahmen sind die Wahlen Angelegenheit der einzelnen Staaten. Ihre Verwaltungen überwachen und führen auch die Wahlen zum Kongreß durch. Die Wahl zu einer der beiden Kongreßkammern muß von einem einzelstaatlichen Aufsichtsbeamten — State election officer — amtlich bestätigt werden. Das Wahlergebnis kann aber bei der dafür zuständigen Kommission im Kongreß — Federal Election Commission — angefochten werden. Die Unterschiede der einzelstaatlichen Wahlgesetzgebungen können einen gewissen Einfluß auf das einzelne Wahlergebnis ausüben, so z.B. in bestimmten Fällen Minderheitsparteien und unabhängige Kandidaten mehr oder weniger benachteiligen. Die Verfassungen der Einzelstaaten regeln die Voraussetzungen zur Wahlberechtigung in dem Rahmen, den die Bundesverfassung setzt (teilweise erhebliche Unterschiede von Staat zu Staat bezüglich der Mindestdauer der Ansässigkeit wurden 1971 vom Obersten Gerichtshof beseitigt, der jede Frist über 30 Tagen für unzulässig erklärte). Über die Art und Weise der Wählerregistratur, die Struktur des Stimmzettels — ballot, ticket — (z.B., ob Listen- oder Personenwahl erfolgt, ob Automaten — ticket machines — den Wahlvorgang per Knopfdruck ermöglichen dürfen), die Nominierung der Kandidaten und die 67

Strukturen des politischen

Systems

Regelung des Zugangs zur Wahlurne bzw. -kabine entscheiden Einzel staatsgesetze. In jenen Gesetzen wird auch festgehalten, welche Parteien ihre Kandidaten für die öffentlichen Ämter ohne weiteres auf die Stimmzettel für die allgemeine Wahl setzen dürfen. Dies ist abhängig von einem Minimum an Stimmen bei der letzten Wahl, das durchschnittlich bei 15% liegt. Diese Fünfzehnprozentklausel ist der Fünfprozentklausel der Bundesrepublik vergleichbar, mit dem offensichtlichen Unterschied, daß kleinen Parteien der Zugang zu öffentlichen Ämtern in den USA erheblich schwerer gemacht wird (Lawson 1987).

6. Vorwahlen Vorwahlen — primary elections, kurz: Primaries — sind eine einzigartige amerikanische Einrichtung mit dem Ziel, den Einfluß der Parteiführung auf das Wahlergebnis zu beschneiden. Sie stehen am Ende eines historischen Prozesses der Öffnung der Parteien: vom caucus (ein vermutlich indianisches Wort für Stammesversammlung) über die Convention (Wahlparteitag zur Nominierung von Kandidaten) bis hin zur Ausdehnung der staatlichen Wahlaufsicht in die Parteien hinein. Um 1890 in South Carolina praktiziert, wurden direkte Vorwahlen bereits 1901 in Minnesota und 1903 in Wisconsin staatsweit verbindlich vorgeschrieben. Sie sind auf das Progressive movement zurückzuführen, deren Opposition gegen die Macht der Parteibosse und ihrer Apparate, d.h. der die Parteikonvente dominierenden machines, in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte. Die Progressives forderten staatliche Eingriffe und Überwachung von Parteiführung und Wahlgesetzgebung. Schon 1917 wurde die primary in den meisten Staaten der Union praktiziert. Auf Einzelstaatsebene hat sie sich in der Folge immer mehr gegen die Methode, Kandidaten auf Konventen aufzustellen, durchgesetzt. Jeder wählbare Bürger kann in der Vorwahl einer Partei kandidieren, ohne deswegen dieser Partei angehören oder die Zustimmung ihrer Führung haben zu müssen. Die Vorwahlen werden durchgeführt wie andere allgemeine Wahlen: Jeder Wähler gibt seine Stimme geheim ab; teilnehmen müssen alle Parteien, die schon gewisse Wahlerfolge vorweisen können. Nur Parteien, die die Mindestklausel nicht erfüllen, dürfen ihre Kandidaten auf einer Parteiversammlung wählen lassen oder einfach nominieren. Sollten diese Parteien mit ihren Kandidaten erfolgreich sein, fallen sie bei der nächsten Wahl ebenfalls unter die Vorwahlgesetzgebung, in der der breiten Öffentlichkeit die Mitbestimmung über die innere Struktur der Partei eingeräumt wird. In der Regel können und müssen sich infolge der Mindestklausel aber nur die beiden größten Parteien, Demokraten und Republikaner, an den staatlich organisierten Vorwahlen beteiligen. 68

Parteien und Wahlsystem

Im Unterschied zur Endwahl wird der Zeitpunkt jeder Vorwahl von den betreffenden Staaten festgelegt. Die Vorwahlen können also zu ganz unterschiedlichen Terminen in einem größeren Zeitraum vor den eigentlichen Wahlen stattfinden, wohingegen die Bundeswahlen in der ganzen Nation zum gleichen Zeitpunkt durchgeführt werden (im Zuge ihrer Reformanstrengungen, und mit Rücksicht auf die Wahlkampffmanzierungsgesetze haben die Demokraten 1988 die Präsidentschaftsvorwahlen von 20 Demokratisch regierten Staaten — vorwiegend im Süden der USA — gemeinsam auf einen Termin im Frühjahr gelegt, den sogenannten Super Tuesday. Die erhoffte Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit hat sich aber nicht nachweislich zugunsten der Demokratischen Kandidaten Dukakis und Jackson ausgewirkt, so daß die Zukunft des Super Tuesday als bleibende Einrichtung ungewiß ist). Es gibt drei Arten von Vorwahlen: geschlossene (closed), offene (open) und verdeckte (blanket) primaries. In 39 Staaten wird die geschlossene Vorwahl praktiziert. Hier werden nur diejenigen, die sich als Anhänger der betreffenden Partei vorregistrieren ließen, als aktive Wähler zugelassen. Die Erklärung der Parteipräferenz bei der Wahlregistratur ist aber nicht mit einer wie auch immer gearteten Parteimitgliedschaft zu verwechseln. Der Sinn dieser Erklärung (enrollment), bei der der Wähler formell bekundet, für eine bestimmte Partei zu sein, besteht nur darin zu vermeiden, daß derselbe Wähler gleichzeitig bei verschiedenen Parteien die Kandidatenaufstellung beeinflußt. Sonst könnte ein Kandidat seine Anhänger zur Vorwahl der Gegenpartei schicken mit dem Auftrag, den Kandidaten mit den geringsten Erfolgschancen zu wählen, um derart die eigenen Chancen zu erhöhen. Da die Gegenseite ähnlich operieren würde, wäre der Sinn der Wahl an sich gefährdet. Acht Staaten praktizieren die offene Vorwahl. Hier erhält jeder Wähler die Nominierungsvorschläge der beiden großen Parteien und muß sich erst in der Wahlkabine für einen zwischen beiden entscheiden. Der Übergang von der geschlossenen zur offenen Vorwahl ist insofern fließend, als die staatlichen Registrierungsgesetze in den Detailvorschriften weit variieren (die Demokratische Partei hat 1978 offene Vorwahlen zur Bestimmung der Delegierten zum Präsidentschaftswahlparteitag untersagt und liegt darüber in Konflikt mit den Staaten, die diese Vorwahlform vorschreiben). Nur drei Staaten — Washington, Louisiana und Alabama — praktizieren die verdeckte Vorwahl. Der Wähler darf hier kreuz und quer zwischen den Wahlvorschlägen entscheiden, kann also etwa für den Senat einen Republikaner und für das Haus einen Demokraten ankreuzen. Bei fast allen Vorwahlen entscheidet die einfache Mehrheit über den Erfolg der Kandidaten. Immerhin haben 11 Staaten eine Stichwahl — run-off-primary — für den Fall vorgesehen, daß kein Kandidat eine eindeutige Mehrheit erreicht. 69

Strukturen des politischen Systems

Die Art der Vorwahl kann einen gewissen, wenn auch begrenzten Einfluß auf die Erfolgsaussicbten der Kandidaten ausüben. In der Regel setzen sich in den Staaten mit geschlossenen Vorwahlen Kandidaten durch, die bereits über längere Amts- oder Dienstzeiten in öffentlichen Ämtern bzw. in Parteiapparaten verfügen. Man wird also in dieser Vorwahlform den relativ noch größten Einfluß der Parteiführungen vermuten dürfen. Aus dem System der Vorwahlen entspringen einige Besonderheiten, die in Staaten ohne Vorwahlsystem nicht denkbar wären. So setzt das Elektorat im Verbund mit der regionalen Parteiorganisation gegen den Wunsch der Parteiführung manchmal die Aufstellung krasser Außenseiter durch (1980 etwa kandidierte im Süden — gegen den Widerstand Carters — ein Ku-Klux-Klan-Mitglied für die Demokraten; im Februar 1989 wurde — gegen den Willen Bushs — in Louisiana ein ehemaliger Ku-Klux-Klan-Führer als republikanischer Abgeordneter im Parlament vereidigt). Auf der anderen Seite führt mancher Vorwahlkandidat seinen Wahlkampf explizit gegen die "Bonzen" in der Parteiführung, "against the bosses, the politicians", ohne sich damit — wie etwa unter deutschen Verhältnissen ziemlich wahrscheinlich — seine Parteikarriere zu ruinieren. Die Wahlbeteiligung bei den Vorwahlen ist jedoch, ungeachtet ihrer großen Bedeutung, noch geringer als die der eigentlichen Entscheidungswahlen. Ob die Vorwahlen nun Ursache oder Symptom der Schwäche der Parteien sind, ist umstritten (Crittenden 1982: 196 ff.). Kritiker beklagen die Verstärkung der ohnehin vorhandenen Tendenz zur Personalisierung und die Kosten, die den üblichen Materialschlachten eine zusätzliche Etappe hinzufügen (Merk!/ Raabe 1977: 100; Crotty/Jackson 1985: 63).

7. Wahlen zum Kongreß Der Senat ist die Vertretung der Einzelstaaten, die jeweils — ungeachtet der Größe ihrer Bevölkerung — zwei Vertreter in ihn entsenden. Es gibt also zur Zeit 100 Senatorensitze (der District of Columbia, die Bundeshauptstadt, ist rechtlich gesehen kein Staat und im Kongreß nicht vertreten). Ursprünglich von der Verfassung als Gegengewicht zum volksnäheren Repräsentantenhaus gedacht, wurden die Senatoren bis 1913 von den staatlichen Legislativen eingesetzt. Seitdem werden aber auch sie direkt von den Wahlberechtigten gewählt. Ein Kandidat für das Senatorenamt muß mindestens 30 Jahre alt und neun Jahre lang Bürger der Vereinigten Staaten gewesen sein. Er wird für sechs Jahre gewählt. Das Repräsentantenhaus — kurz: House — ist dagegen in der Verfassung von Anfang an als die Vertretung des Volkes vorgesehen gewesen. Ein Repräsentant wird direkt gewählt. Er muß mindestens 25 Jahre alt und sieben Jahre lang Bürger der Vereinigten Staaten gewesen sein. Sein Wohnsitz muß in dem Staat, dessen Wähler er repräsentiert, liegen. Mit nur zwei Jahren ist seine Amtszeit zu kurz, um die Verbindung zu den Wählern möglichst eng zu halten. 70

Parteien und Wahlsystem

Die Wahlberechtigten in jedem Staat entsenden — ihrer Zahl entsprechend — eine Anzahl von Vertretern ins House, das insgesamt 435 Mitglieder hat (beispielsweise ist die Repräsentantenzahl des bevölkerungsreichen Kalifornien ein Vielfaches derjenigen des nur spärlich besiedelten Montana). Die Senatoren werden im Sechsjahresrhythmus, aber nicht gleichzeitig gewählt. Bei den im Zweijahrestumus stattfindenden Kongreßwahlen steht deshalb immer nur etwa ein Drittel der Senatorensitze zur Besetzung an. Die weniger prestigeträchtigen 435 Repräsentantensitze werden dagegen alle zwei Jahre neu besetzt. In aller Regel ist jedes Kongreßmitglied — ob Senator oder Repräsentant — von einer Partei für sein Amt nominiert worden. Die Parteinominierung findet in der Mehrheit aller Fälle, obwohl sie ja in der Vorwahl vom Elektorat bestätigt werden muß, ohne eine Gegenkandidatur statt (Harris/Hain 1983: 90). Der Einfluß der nationalen Parteiführer auf die Nominierung ist nicht übermäßig groß, weil die Bundeszentrale einer Partei der staatlichen bzw. regionalen Parteiorganisation nicht in ihre Nominierungspolitik hineinreden kann.

8. Präsidentschaftswahlen 8.1.

Nominierungsverfahren

Den Präsidentschaftswahlen, die regelmäßig im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen, wird auch in der Bundesgesetzgebung ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Der Präsidentschaftswahlkampf beginnt im März des Wahljahres. Bis zum Sommer ist über die Aufstellung der Delegierten für die jeweiligen Bundeswahlparteitage — national Conventions — entschieden worden (Welz 1984: 5-6). Die hierbei angewandten komplizierten Verfahren unterscheiden sich von Staat zu Staat und sind Mischformen von Vorwahl- und Parteitags(icaucus- bzw. Convention-)methoden (Übersichten für 1984 bei Ranney 1985: 330-332). In den Staaten, die presidentialprimaries abhalten, lassen sich drei Verfahren unterscheiden: Die Delegierten werden entweder a) direkt gewählt (wobei auf dem Wahlzettel kenntlich gemacht ist, ob der Delegierte sich auf einen bestimmten Kandidaten festlegt), oder es werden b) indirekte, bindende Präferenzwahlen durchgeführt (in denen der Wähler sich für einen Kandidaten erklärt), oder der Wähler bekundet seine c) nicht-bindende Präferenz für einen Kandidaten (entspricht etwa einer Meinungsumfrage). In vielen — 1984: 28 — Staaten wurde aber das Parteitagsprinzip beibehalten, wonach die Delegierten für die national Convention von regionalen Parteiversammlungen aufgestellt werden. 71

Strukturen des politischen Systems

Hier kann der Bürger die Nominierung beeinflussen, indem er an einem caucus, der untersten Versammlungsstufe im precinct, teilnimmt. Vom caucus werden die Delegierten für die county-Versammlung gewählt, die wiederum Delegierte zur nächsthöheren Versammlungsebene entsendet. Als Gegengewicht zu den einzelstaatlichen Parteigremien bestimmt der Congressional Caucus, eine Parteiversammlung aller Senatoren und Repräsentanten, etwa ein Drittel der Delegierten. Die Delegierten der Bundeswahlparteitage, die in der Regel im Juli stattfinden, nominieren die offiziellen Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei. Die presidential primaries haben zwar in Zusammenwirkung mit den Massenmedien die Erfolgschancen von Außenseitern erhöht, die Bedeutung der Bundeswahlparteitage für die endgültige Nominierung aber nicht geschmälert (Crittenden 1982: 215 ff.). 1984 waren nur 36% der Demokratischen und 24% der Republikanischen Delegierten durch eine Vorwahl bestellt worden (Welz 1984: 7). An einen Ersatz der Bundeswahlparteitage durch nationale Präsidentschaftsvorwahlen wird zur Zeit nicht gedacht. Die zweite wichtige Aufgabe der national Convention jeder Partei ist die Verabschiedung des Wahlprogramms, der platform. In der platform müssen "die divergierenden programmatischen Forderungen der heterogenen Delegiertengruppen" angemessen berücksichtigt werden, damit die Kandidaten im Hauptwahlkampf eine geschlossene Partei hinter sich wissen (Welz 1984: 10). Für die tatsächliche spätere Regierungspolitik haben sie dagegen kaum Bedeutung.

8.2. Das electoral College Der Kongreß hat als Bundeswahltag — federal election day — den ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November deijenigen Jahre bestimmt, deren Zahl teilbar durch vier ist. An diesem Tag wählt das Elektorat die Wahlmänner, das Electoral College, dessen Existenz und Funktion als in der Verfassung verankertes Zwischengremium historisch bedingt ist. Die Wahlmänner werden nach Staatsgesetzen aufgestellt und üblicherweise in den Vorwahlen oder von den Parteien nominiert. Ihre Zahl beträgt 538, entsprechend der Zahl von Repräsentanten (435) und Senatoren (100) sowie 3 Wahlmännem für den im Kongreß nicht vertretenen District of Columbia (23. Verfassungszusatz 1961). Jeder Staat stellt also mindestens drei Wahlmänner. Bevölkerungsreiche Staaten haben in der Präsidentschafts wähl, gerade im Verbund mit dem geltenden Mehrheitswahlrecht, ein größeres Gewicht als bevölkerungsarme, was wahlkampftaktisch gesehen eine gewisse Rolle spielt: Gewinnt nämlich ein Kandidat die Mehrheit der Wahlmänner eines Staates für sich, so fallen alle Wahlmänner des Staates an ihn. Da Kalifornien als 72

Parteien und Wahlsystem

größter Staat 47 Wahlmänner stellt, überwiegt der Gewinn von 24 Wahlmännern in diesem Staat (weil der Kandidat dann alle 47 Stimmen zugeschlagen bekommt) den Gewinn der 13 bevölkerungsärmsten Staaten bzw. Gebiete zusammen (Alaska 3, Delaware 3, D.C. 3, Hawaii 4, Idaho 4, Maine 4, Montana 4, Nevada 4, New Hampshire 4, North Dakota 3, South Dakota 3, Vermont 3 und Wyoming 3), wobei für den Gewinn dieser insgesamt 45 Wahlmänner in den 13 Staaten mindestens 32 Wahlmänner gewonnen werden müßten. Das Electoral College tritt Anfang Dezember des Wahljahres jeweils in der Hauptstadt des betreffenden Staates zusammen und gibt seine Stimmen ab. Es handelt sich dabei, wie auch bei der am 6. Januar des folgenden Jahres im Kongreß vorzunehmenden Stimmenauszählung, um eine Formalität. De facto werden Präsident und Vizepräsident vom allgemeinen Elektorat am election day bestimmt. Die Verfassung verpflichtet die Wahlmänner zwar nicht dazu, ihre Stimme den Kandidaten der eigenen Partei zu geben; tatsächlich ist das aber stillschweigend unterstellt. Die Geschichte kennt ganze vier — folgenlose — Fälle, in denen einzelne Wahlmänner ihr Recht auf Abweichung vom Wählerauftrag wahrnahmen. In der Geschichte der USA stellte das Wahlmännergremium ursprünglich die Verkörperung des Mißtrauens des oligarchischen Systems gegen das allgemeine Wahlrecht und die sich formierenden Parteien dar. Nur vermögende Männer sollten in dieses Gremium gelangen und sicherstellen, daß die Zentralgewalt entsprechend den Interessen eines engen Kreises wohlhabender Grundbesitzer gelenkt wurde (Merkl/Raabe 1977: 81; Crittenden 1982: 342 ff.). Kritiker der Institution wenden ein, daß man Präsidenten und Vizepräsidenten genausogut direkt wählen lassen könnte. Ihr wichtigstes Argument ist aber die Bestimmung, daß im Falle eines Patts im Electoral College die Verfassung vorsieht, die Wahl des Präsidenten dem Repräsentenhaus und die des Vizepräsidenten dem Senat anheimzustellen. Neben der Verzögerung der Wahl könnte sich ergeben, daß Präsident und Vizepräsident aus verschiedenen Parteien gewählt würden.

9. Wahlkampffinanzierung Die Wahlfinanzierung ist ein in den USA stark beachtetes und umstrittenes Thema. Obwohl die finanziell bessergestellten Republikaner seit 1930 mehr Wahlen verloren haben als die Konkurrenzpartei, ist für viele Amerikaner der Gedanke unerträglich, daß big money den Ausgang der Wahlen herbeimanipulieren könnte. Die Öffentlichkeit erhebt deshalb Anspruch auf rückhaltlose Information über die Quellen und die Höhe von Einnahmen und Ausgaben, mit denen ein Kandidat seinen Wahlkampf finanziert. Seit 1971 unterliegt die Finanzierung von Bundeswahlkämpfen der öffentlichen Aufsicht. Der Federal Election Campaign Act (mit amendments von 73

Strukturen des politischen Systems

1974, 1976 und 1979) hat einen Wahlkampfausschuß im Kongreß installiert, der die Einhaltung des Wahlgesetzes überwacht. Politische Komitees und Kongreßkandidaten müssen ihre Wahlkampfaufwendungen belegen. Kopien der Nachweise müssen den Wahlaufsehern der Einzelstaaten zugestellt werden, um die Zugänglichkeit vor Ort zu erleichtern. In Reaktion auf den Watergate-Sksmda\ limitierte der Kongreß die Ausgaben der Präsidentschaftskandidaten 1974 auf 10 Mio. $ für den Nominierungs- beziehungsweise 20 Mio. $ für den Hauptwahlkampf. Ein Inflationsausgleich wurde mittels Anpassung an den consumer price index (CPI) zugestanden: 1979/80 durften die beiden Kandidaten allein im Hauptwahlkampf jeweils höchstens knapp 30 Mio. $ ausgeben, 1983/84 rund 40 Mio. $; 1987/88 verausgabten Bush und Dukakis je rund 46 Mio. $ (U.S. Bureau of the Census 1990: 268, No. 450). Es liegt auf der Hand, daß derartige Vorschriften Definitionsprobleme aufwerfen, welche Ausgaben unter Wahlkampfmittel im engeren Sinne fallen und welche nicht. Die Einkünfte (Spenden, öffentliche Zuschüsse) und Ausgaben von Kandidaten, Parteien und Komitees müssen veröffentlicht werden. In den Präsidentschaftswahlkämpfen von 1979/80 gaben die Demokraten 35,6, die Republikaner 56,7 Mio. $, 1983/84 die Demokraten 77,4, die Republikaner 25,9 Mio. $ und 1987/88 die Demokraten 83,5, die Republikaner 109,9 Mio. $ im Vorwahlkampf aus (die Schwerpunktverschiebungen ergeben sich aus dem Umstand, daß sich für die Amtsinhaber die Nominierungsprozedur vereinfacht; U.S. Bureau of the Census 1990: 268, No. 451). Speziell in den Präsidentschafts-Nominierungskämpfen erhält ein Kandidat, der in mindestens 20 Staaten mindestens jeweils 5.000 $ an Spenden, zusammengesetzt aus Einzelbeiträgen unter 250 $, nachweisen kann, bis zu fünf Mio. $ an öffentlichen Geldern aus dem Presidential Campaign Fund. Sofern sie nicht gegen die Regeln der Federal Election Commission verstoßen, erhalten die Kandidaten im Hauptwahlkampf ihre Ausgaben ganz ersetzt. Kandidaten für Sitze der beiden Kongreßkammern sind keinen Ausgabenbeschränkungen unterworfen. Die Kosten der Wahlkampagnen stiegen 19721984 insgesamt von nominal 77,3 auf 374,1 Mio. $ (Alexander/Heggerty 1987: 90). Ein Senator benötigte 1976 zum Gewinn seines Wahlkampfes durchschnittlich 638.000 $, wobei die tatsächlichen Ausgaben aber weit auseinandergingen (zwischen 700 und 3.000.000 $; Alexander/Heggerty 1980). 1984 kostete der Gewinn eines Senatorensitzes durchschnittlich schon fast 3 Mio. $; den Rekord hielt der Republikaner J. Helms (NC), der 16,5 Mio. $ ausgab, um seinen Herausforderer zu schlagen (Alexander/Heggerty 1987: 94-95). Da fast alle Kandidaten für Sitze im Repräsentantenhaus um weniger Wähler werben müssen als Senatskandidaten, sind ihre Wahlkämpfe weniger 74

Parteien und Wahlsystem

kostspielig. Die Kosten eines Sitzes im Repräsentantenhaus lagen 1976 durchschnittlich bei 73.000 $ (Maximum: 637.000 $), 1984 bei 289.000 $ (Maximum: 1.800.000 $). Die Steigerungsrate ist in den vergangenen Jahren — nicht zuletzt der niedrigeren Geldentwertungsrate wegen — deutlich zurückgegangen (Alexander/Heggerty 1987: 96). Der Beitrag der Parteien und Parteikomitees zur Finanzierung von Wahlkämpfen ist jedoch — im Unterschied etwa zu deutschen Verhältnissen — sehr gering (1984: 3-13% der Gesamtausgaben) und liegt wesentlich unter den Aufwendungen der personenbezogenen Polüical Action Committees (PACs) (vgl. Kapitel E. Lobbyismus und Verbändewesen in diesem Band), die 1984 zwischen 18 und 45% der Ausgaben aufbrachten (Alexander/Heggerty 1987: 93). Auch das Spendenaufkommen wird — unterschieden nach Individuen, Parteien und unabhängigen Wahlkampfkomitees — überwacht. Komitees und Kandidaten müssen den vollen Namen, die Adresse, den Beruf und den Hauptgeschäftsort jedes Spenders von Beträgen über 200 $ angeben. Seit 1974 ist der Gesamtbetrag, den eine Person einem Kandidaten für ein Bundesamt in einer Wahl oder Vorwahl spenden darf, auf 25.000 $ beschränkt. Die Ausgaben eines Kandidaten für die eigene Wahl sind nach wie vor unbegrenzt. Jeder Steuerzahler kann für Wahlspenden wahlweise im voraus einen Freibetrag von maximal 25 $ in seiner Einkommensteuererklärung beanspruchen oder nachträglich bis zu 100 $ absetzen (bei gemeinsamen Steuererklärungen von Ehepartnern verdoppeln sich die Beträge). Zur Finanzierung des Presidential Campaign Fund kann jeder Steuerzahler mittels eines Kreuzchens auf dem Formular zur Einkommensteuererklärung einen Dollar seiner Steuerschuld zur Einzahlung in den Fonds bestimmen (federal income tax checkofj). 1985 kamen aus dieser Quelle rund 34,7 Mio. $ zusammen (Alexander/Heggerty 1987: 89). Versuche, die Wahlkampfgesetzgebung zu erweitern, insbesondere auch für Senatswahlkämpfe Ausgabenbeschränkungen einzuführen und die außerparteilich finanzierten PACs effektiver zu überwachen, scheiterten bisher am Widerstand der Republikaner (Congressional Quarterly 1987: 2194). Die allgemeine Höhe der Wahlkampfkosten ist eine Konsequenz des Trends zur personenbezogenen Werbung, die inhaltliche Gegensätze überlagern soll. Die gesetzlichen Beschränkungen für Präsidentschaftswahlkämpfe haben angesichts der anhaltenden Personalisierungstendenz zwar die Gesamtkosten limitiert, immanent aber eine Verlagerung der Ausgabenschwerpunkte auf die bevölkerungsreichen Staaten und die Medien bewirkt (Fürst 1985: 11617). Den außenstehenden Betrachter wird gerade angesichts des ungeheuren Aufwands an Mitteln und Personal die notorisch niedrige Wahlbeteiligung ver75

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wundern. Obschon mangelnde Alternativen in Verbindung mit komplizierten Nominierungs- und Wahlmethoden vermutlich zur Demotivation der Wahlberechtigten beitragen, gibt es keine insgesamt befriedigende Erklärung für dieses Phänomen (Burnham 1982, 1987).

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Lobbyismus und Verbändewesen

E. Lobbyismus und Verbändewesen 1. Die Problematik Wie unabhängig ist ein Politiker in seinen Entscheidungen? Wie stark beeinflussen einzelne Personen, Gruppen oder Organisationen politische Mandatsträger zu ihren Gunsten und so auf Kosten breiterer Bevölkerungskreise, der sog. Allgemeinheit? Diese Fragen werden bereits seit Jahrzehnten in den Sozialwissenschaften und nicht zuletzt auch in der Öffentlichkeit der USA und der Bundesrepublik diskutiert. Doch während sich hierzulande das Hauptaugenmerk der interessierten Beobachter bislang auf die vermeintlich übermächtigen Bundestagsparteien gerichtet hat, stehen in den Vereinigten Staaten vor allem die Interessengruppen, die lobbies — mitunter auch abwertend pressure groups oder special interests genannt — im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Lobbies gelten als ein integraler Bestandteil der politischen Kultur Nordamerikas, zumal auch das Erste Amendment der US-Verfassung jedem {"...the right of the people..."), also auch Gruppen, das Recht auf Petition und freie Meinungsäußerung gewährt. Deshalb wird die Existenzberechtigung der Interessengruppen kaum in Zweifel gezogen. Die meist liberal orientierten Kritiker eines vermeintlich kaum kontrollierten lobbying, wie es in den USA praktiziert wird, führen vor allem an, Lobbies verfolgten Partikularinteressen, die dem "Allgemeinwohl" schadeten. Wenn z.B. amerikanische Fahrzeughersteller im Kongreß protektionistische Maßnahmen gegen japanische Autoimporte durchsetzten, ginge dies auf Kosten Millionen einheimischer Konsumenten (Berry 1984: 1). Eindeutig im Vorteil beim Widerstreit der verschiedenen Einzelinteressen befänden sich finanzkräftige Eliten wie die Großunternehmer, während andere gesellschaftliche Gruppen, etwa die Minderbemittelten, teilweise noch nicht einmal organisiert seien. Bei alledem, so ein weiterer Kritikpunkt, seien die Lobbies im Gegensatz zu den Parteien nicht bereit, politische Verantwortung zu übernehmen. Lobbyisten strebten keine politischen Ämter an, sondern wollten allein Einfluß auf diese ausüben. Und dies täten sie auch meist mit Erfolg. Aus Sicht der Kritiker stehen politische Macht einerseits und politische Verantwortung der Lobbies andererseits deshalb in einem für den demokratischen Prozeß gefährlichen Mißverhältnis (Greenwald 1977:4). Auf der Seite der Befürworter eines 'freien' Lobbying argumentiert David B. Truman in seinem Standardwerk über den Lobbyismus, The Governmental Process, die Bildung von Gruppen läge in der menschlichen Natur. In komplexen, von verschiedensten, oftmals antagonistischen Interessen geprägten sozialen Gebilden wie der modernen westlichen Industriegesellschaft seien Gruppen ein fast zwangsläufiges Phänomen, um als Bindeglied zwischen Bürgern und Politikern zu fungieren (Truman 1951: 42-54). Mit der stärkeren Partizipation des Einzelnen durch seine Aktivität in einer oder mehreren Interes77

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sengruppen, so wurde dieses Argument später fortgeführt, werde die politische Macht nicht allein den staatlichen Institutionen und deren Funktionsträgern überlassen. Vielmehr werde so die "Demokratisierung" des politischen Prozesses gefördert (Hrebnar/Scott 1982: 257; Merkl/Raabe 1977: 105). Schließlich machen die Befürworter des 'freien' Lobbying geltend, daß die Interessengruppen durch ihre Bereitstellung von Sachinformationen und ihrer Expertise die Politiker in ihrer Arbeit entlasteten und ihnen wertvolle Orientierungshilfen anböten (Berry 1984: 6-7; Hrebnar/Scott 1982:196). Die Diskussion um die Rolle bestimmter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Gruppen im Staate ist keineswegs neu. Bereits der 'Gründervater' James Madison reflektierte im Federalist Paper No. 10 über die Rolle von /actions, Parteiungen, in der jungen Republik (Cooke 1967: 129-136). Lobbies in ihrer heutigen Form existierten damals freilich noch nicht. Erste Interessengruppen mit professionellen Mitarbeiterstäben entwickelten sich unter der Präsidentschaft Andrew Jacksons (1828-1836), ehe mit der Industrialisierung eine bis 1920 anhaltende Welle von Verbands-, Vereins- und Organisationsgründungen einsetzte (Wilson 1973: 198-201). Seit Mitte der 1950er Jahre ist die Zahl der Lobbies noch einmal rapide angestiegen — zum einen, weil sich die zahlreichen sozialen Bewegungen, die seitdem entstanden sind, einen organisatorischen Rahmen geben wollten (z.B. das Civil Rights Movement)-, zum anderen, weil die Bundesregierung in Washington — besonders in den siebziger Jahren — in zunehmendem Maße regulierend in den Wirtschaftsprozeß eingriff und die betroffenen Gruppen einen Weg suchten, diese staatlichen Interventionen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

2. Definition Was genau ist unter einer lobby zu verstehen? Ursprünglich bezeichnet der Begriff die Wandelhalle eines Parlaments. Bereits im England des frühen 17. Jahrhunderts paßten Bittsteller in den Vorräumen des Unterhauses Abgeordnete auf dem Weg in den Plenarsaal ab, um ihre Anliegen vorzubringen. Damit war der Terminus des lobbyist geboren. Heute verlangen die Begriffe lobbyist und lobby freilich nach einer weit umfassenderen Definition. David B. Truman bezeichnet im allgemeinen "jede Gruppe" als Lobby, "die auf der Grundlage einer oder mehrerer gemeinsamer Einstellungen Ansprüche gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen oder Organisationen erhebt". (Truman 1951: 33) Diese Ansprüche versucht die Gruppe mittels einer Reihe gemeinsamer Aktivitäten durchzusetzen, die in der Regel durch eine Organisation koordiniert werden (Greenwald 1977: 15). Als Lobbyisten bezeichnet man folglich den Vertreter einer solchen Organisation. Für die Politik gilt es, diese Definition weiter zu präzisieren. Im folgenden werden deshalb all jene Gruppen und Organisationen Lobbies genannt, 78

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die zwar kein verfassungsmäßiger Bestandteil der staatlich-institutionellen politischen Gewalten sind, aber auf lokaler, einzel- oder bundesstaatlicher Ebene versuchen, am politischen Prozeß beeinflussend mitzuwirken (Hrebnar/Scott 1982: 4). Im Unterschied zu den Parteien in den Vereinigten Staaten sind die Aktivitäten von Lobbies nicht primär darauf ausgerichtet, öffentliche Ämter mit ihren Mitgliedern zu besetzen (vgl. Kapitel D. Parteien und Wahlsystem in diesem Band). Ein wesentliches Anliegen der Lobbies besteht vielmehr darin, daß die entprechenden Positionen von Politikern eingenommen werden, die ihren Interessen gegenüber aufgeschlossen sind. Ihre Aktivitäten richten die Lobbies dabei weniger auf die Judikative als vielmehr auf die Legislative und die Exekutive. Nur sehr wenige Lobbies verfügen über direkten Zugang zum Präsidenten, zu den Kabinettsmitgliedern oder zumindest deren engsten Beratern. Kontakte zur Leitungsebene der Exekutive können von Vorteil sein, wenn eine Lobby z.B. ein vermeintliches Mitspracherecht bei der Besetzung hoher politischer Ämter geltend machen will, sie sind aber keineswegs immer notwendig. Die geeigneten Ansprechpartner finden die Lobbies meist schon in den leitenden (politischen) Beamten der Regierungsbürokratie. Zahlreiche wirtschaftliche Interessengruppen konzentrieren ihre Lobby-Anstrengungen auch auf die als industrienah geltenden Regulierungskommissionen, die regulatory agencies (Berry 1984: 189 u. 196; Hrebnar/Scott 1982: 151-163). Ähnlich wie in der Bundesrepublik (Alemann 1987: 175-76) haben auch die amerikanischen Interessengruppen während der letzten Jahrzehnte ihre Lobby-Aktivitäten zunehmend auf die Exekutive konzentriert. Traditionell hat bislang jedoch der Kongreß im Mittelpunkt des lobbying gestanden. Beim legislative lobbying zeigen Interessengruppen in der Regel allerdings wenig Initiative, vollständig neue Gesetzesentwürfe zu formulieren oder wesentlich an ihrer Ausarbeitung mitzuwirken und diese dann mit Hilfe sympathisierender Kongreßabgeordneter in den Gesetzgebungsprozeß einzubringen. Die meisten Lobbies beschränken sich vielmehr darauf, für sie relevante Zusätze oder einzelne Bestimmungen in Gesetzesvorlagen einzubringen, die zumindest in ihrer "Rohfassung" bereits im Kongreß behandelt werden. Noch häufiger konzentrieren sich die Lobbies in ihrer Arbeit auf dem Capitol Hill allerdings auf die Verhinderung von Gesetzen oder zumindest von Teilen neuer Gesetzesvorlagen, gilt es doch gemeinhin als einfacher, eine bill zu torpedieren als sie ohne wesentliche Abstriche durch alle Gremien des Parlaments bis hin zur erfolgreichen Abstimmung im Plenum zu schleusen (Hrebnar/Scott 1982: 197). Die Vorteile, die sich Lobbies von ihren Bemühungen versprechen, können einerseits nur ihren Mitgliedern zugute kommen. Sie können sich andererseits aber auch auf Außenstehende erstrecken. Die Vorteile können materieller Art sein, sie können aber ebenso gut in der erfolgreichen Durchsetzung politischer oder sozialer Ziele bestehen (Eine umfassende Zieltypologie bei Wilson 1973: 33-51).

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Im Fadenkreuz des legislative lobbying stehen zweifellos der einzelne Kongreßabgeordnete und sein Mitarbeiterstab. Besondere Aufmerksamkeit schenken die Lobbies Repräsentanten und Senatoren, die Mitglieder oder gar Vorsitzende für sie relevanter Kongreßausschüsse bzw. -unterausschüse sind, denn in diesen Gremien werden Gesetze vorbereitet und wird darüber entschieden, ob diese überhaupt zur Plenumsabstimmung gelangen (Berry 1984: 183; Merkl/Raabe 1977: 107; relativierend dazu Ornstein/Elder 1978: 80-82).

3. Zahl, Art, Organisation Weder für die USA noch für die BRD läßt sich die genaue Zahl politisch aktiver Interessengruppen bestimmen. Einen ersten Anhaltspunkt für die Bundesrepublik gibt immerhin die sog. "Bonner Lobbyliste", in die sich in jährlichen Intervallen allerdings nur diejenigen Organisationen eintragen müssen, die an Anhörungen von Parlament und Regierung teilnehmen wollen. Für das Jahr 1988 waren rund 1370 Interessengruppen in der Lobbyliste verzeichnet (Bundesmin. d. Justiz 1988; vgl. auch Alemann 1987: 59-61). In der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington, D.C., hatten sich Ende 1987 rund 3.500 Lobbies registrieren lassen (Congressional Quarterly Weekly Report, July-Dec. 1987, Index: 61-80), die — wie J. U. Berry schätzt — in der Regel über vier bis fünf hauptberufliche Mitarbeiter verfügten (Berry 1984: 99). Diese Zahl dürfte jedoch nur einen Bruchteil der Gesamtzahl aller tatsächlich aktiven Interessengruppen ausmachen, denn ein gesetzlicher Zwang zur Registrierung besteht ausschließlich für Organisationen, deren Hauptzweck im Lobbying besteht. Einen regelrechten Anreiz für Lobbies, "inoffiziell" zu wirken, bietet zudem die amerikanische Steuergesetzgebung. Der § 501 (c) (3) des Internal Revenue Code gewährt nämlich nur solchen Organisationen Steuerfreiheit, die weder Propaganda betreiben, noch sich an Wahlkämpfen aktiv beteiligen, noch auf andere Weise den Gesetzgebungsprozeß zu beeinflussen suchen (U.S. Code. Internal Revenue Code 1987: 669). Registrierte Lobbies können diese Bedingungen nicht erfüllen. Den Rang der größten, wenn auch damit nicht zwangsläufig mächtigsten Interessengruppe der USA nimmt mit seinen rund 13 Millionen Mitgliedern der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO ein. Orientiert man sich an den wiederholten Einschätzungen von Abgeordneten, gelten die Unternehmerverbände als die politisch einflußreichsten Lobbies in den Vereinigten Staaten (Hrebnar/Scott 1982: 198). Fest steht zumindest, daß es den Wirtschaftsverbänden seit Mitte der 1970er Jahre gelungen ist, wieder in die politische Offensive zu gehen und ihr angeschlagenes Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren (Berry 1984: 38-39; Levitan/Cooper 1984: 137-142). Wichtige Arbeit hat hierbei vor allem der Business Roundtable geleistet, eine elitäre Verbindung von Aufsichtsratsvorsitzenden großer US-Unternehmen. Die zahlenmäßig größten Unternehmerverbände des Industrie- und Dienstleistungsgewerbes sind die National /Isso-

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ciation of Manufacturers (NAM) und die U.S. Chamber of Commerce. Obwohl das Gros der selbständigen Farmer nicht organisiert ist, gelten die Landwirtschaftsorganisationen American Farm Bureau Federation und der National Council of Farmer Cooperatives als überaus einflußreich (Merkl/Raabe 1977: 107). Auch die einzelnen Branchen der Wirtschaft wie etwa die American Bankers Association oder die Chemical Manufacturers Association lassen ihre Interessen in Washington durch Lobbies repräsentieren, während mächtige Konzerne wie Standard Oil oder Procter and Gamble freilich mit eigenen Vertretungen in der Bundeshauptstadt aufwarten können. Ebenso richten oftmals größere ausländische Firmen und z.T. sogar Regierungen Lobbybüros in der Nähe des Washingtoner Regierungsviertels ein, um vor allem auf handelspolitische Entscheidungen der USA einzuwirken. So gibt es in Washington z.B. Vertretungen Japans und der Europäischen Gemeinschaft. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sind mit einem gemeinsamen Büro ebenfalls vertreten. Neben den genannten Organisationen existiert geradezu ein Wust von Gruppen unterschiedlichster Interessen. Das Spektrum reicht von Berufsverbänden wie der einflußreichen American Medical Association (AMA) oder der National Education Association (NEA) über bundesweite Kirchenorganisationen (National Council of Churches — NCC) bis hin zu den sog. Single Issue Groups, die allein ein spezielles Anliegen durchsetzen wollen — sei es nun eine in Washington tätige Gruppe, die sich für weniger Sex und Gewalt im Fernsehen einsetzt, oder sei es eine ausschließlich lokal engagierte Bürgerinitiative, die eine Ampelanlage für eine gefahrliche Kreuzung in Germantown, Arkansas, erstreiten will. Eine prominente Stellung unter den zahllosen Interessengruppen nehmen die Public Interest Groups (PIGs) ein, die den Anspruch erheben, im Gegensatz zu herkömmlichen Lobbies keine Partikularinteressen zu verfolgen, sondern latente — also bislang unorganisierte — Interessen zugunsten breiterer Bevölkerungskreise zu vertreten (Brinkmann 1984: 37-38). Während bis Mitte der siebziger Jahre vor allem liberale, reformorientierte PIGs wie Common Cause, der Sierra Club oder Ralph Naders Public-Citizen-Gruppen die öffentliche Aufmerksamkeit für sich gewinnen konnten, sind seitdem zunehmend konservative und religiös-fundamentalistische Organisationen wie die Moral Majority/Liberty Federation in den Vordergrund getreten (Berry 1984: 33-34). Von wesentlicher Bedeutung für die erfolgreiche Arbeit einer Lobby sind ihre Führung und Organisation, denn die Organisationsstruktur einer Interessengruppe bildet den Rahmen für alle zu treffenden Entscheidungen: Welchen Themen wendet sich die Lobby zu? Wie verwendet sie ihre finanziellen Mittel? Wie und wozu werden die Mitarbeiter eingesetzt? Welche Strategien oder Taktiken sollen angewendet werden (Berry 1984: 92)? 81

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Für neuere Lobbies ist es oftmals von Vorteil — ja kann manchmal zur Überlebensfrage werden —, daß an ihrer Spitze eine charismatische Führungspersönlichkeit steht, die wichtigen Rückhalt in der Öffentlichkeit zu gewinnen versteht. Je älter und damit etablierter eine Lobby im politischen System und in der Gesellschaft ist, desto stärker wird sie geneigt sein, einem effizient arbeitenden Manager mit Führungsqualitäten (manager-leader) die Leitung der Organisation anzuvertrauen (Hrebnar/Scott 1982: 37). Die Organisationsformen amerikanischer Interessengruppen sind äußerst uneinheitlich. In jedem Fall ist es jedoch unabdingbar, daß Lobbies ihren demokratischen Aufbau nachweisen können oder sich zumindest den Anschein eines solchen zu geben vermögen, denn in einer Gesellschaft wie der US-amerikanischen werden Verstöße gegen den "demokratischen Prozeß" geradezu als Sakrileg geahndet und können die öffentliche Glaubwürdigkeit einer Gruppe in Frage stellen (Hrebnar/Scott 1982: 41). In aller Regel versehen sich in den USA Lobbies deshalb mit Statuten, die eine demokratische Funktionsweise, also die Möglichkeit einer angemessenen Partizipation aller Mitglieder am Wirken und an den Entscheidungen der Gruppe, gewährleisten sollen. Nicht selten herrschen in den Gruppen jedoch oligarchische Machtstrukturen. James Q. Wilson hat zur Einschätzung des jeweiligen Grades an verbandsinterner Demokratie die folgende Faustregel entwickelt: In general, larger organizations seem less democratic than smaller ones, older ones less democratic than younger ones, and those created from top down less democratic than those built from the botton up (Wilson 1973: 244). Ein zu hohes Maß an verbandsinterner Demokratie — beispielsweise in Form häufiger Urabstimmungen — kann allerdings auch die Manövrierfähigkeit und damit die politische Schlagkraft einer Interessengruppe beeinträchtigen (Hrebnar/Scott 1982: 45). Ohnehin dürfte die Führung einer Lobby kein Interesse daran haben, politische Positionen einzunehmen oder Maßnahmen zu treffen, die die breite Mitgliedschaft von ihr entfremdet. Das einzelne Mitglied kann immerhin aus der Organisation austreten (die Gewerkschaften mit ihren zahlreichen union shops bilden hier eine Ausnahme, vgl. Kapitel L. Gewerkschaftsbewegung und Arbeitsbeziehungen in diesem Band) oder seine Spenden an die Gruppe einstellen. Austritte können durchaus empfindlich treffen, decken die Lobbies doch zwischen einem Drittel und drei Viertel ihrer Budgets mit Mitgliedsbeiträgen oder freiwilligen Mitgliederspenden ab. Weitere Einnahmequellen von Lobbies sind kleinere Spendenbeiträge von Nichtmitgliedern, die per direct mail angeschrieben werden, sowie größere Summen von ihnen politisch nahestehenden Stiftungen oder einzelnen wohlhabenden Gönnern. Zahlreiche Interessengruppen bieten gegen Entgeld auch diverse Dienstleistungen an oder verkaufen Seiten ihrer Zeitschriften für Anzeigen. Schließlich stellt die Bundesregierung in bescheidenem Umfang Förderungsmittel vor allem für Interessengruppen zur 82

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Verfügung, die bildungspolitische Aufgaben wahrnehmen (Berry 1984: 86-90, 95).

4. Strategien und Taktiken Vielleicht der entscheidende Garant für den Erfolg einer Lobby ist die Anwendung der "richtigen" Strategie. Dabei wird im wesentlichen zwischen direktem und indirektem lobbying unterschieden. Bei den direkten Strategien tritt der Lobbyist in persönlichen Kontakt mit dem politischen Mandatsträger bzw. dem zuständigen Verantwortlichen der Exekutive. Persönliche Gespräche gelten für die Lobbies als wichtigste Einflußmöglichkeit, da Politiker — wenn sie dem Anliegen der Lobby nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen — oftmals vor Entscheidungen noch unschlüssig sind oder noch einmal in ihrer Meinung bestärkt werden müssen (Berry 1984: 186-188). Überzeugen kann der Lobbyist allerdings nur, wenn er seine Argumente auch mit harten Fakten zu untermauern versteht. Die wichtigste "Waffe" des Lobbyisten sind ohnehin glaubwürdige, überprüfbare Informationen, vor allem wenn sie dem überlasteten Politiker bei der Lösung schwieriger Detailprobleme dienlich sein können. Damit ist jedoch noch längst kein Erfolg garantiert: Neben einer hohen persönlichen Integrität muß der versierte Lobbyist über Kompromißbereitschaft verfügen, sich sowohl im politischen Geschäft als auch in der Rechtssprechung auskennen sowie verschiedenste PR-Techniken beherrschen und somit auch fähig sein, gute Kontakte mit dem politischen Gegner von heute, der der politische Freund von morgen sein kann, zu pflegen. Neben Lobbyisten, die hauptberuflich im Auftrag ausschließlich einer Interessengruppe arbeiten, ist vor allem in Washington eine Reihe freiberuflicher Lobbyisten tätig — meist für mehrere Interessengruppen zugleich. Rund ein Drittel dieser Washington representatives, wie sie sich wegen der mitunter abwertenden Verwendung des Begriffs Lobbyist bevorzugt nennen, war selbst einmal in der Politik aktiv. Meist handelt es sich um ehemalige Kongreßabgeordnete, die — nicht selten auch im Auftrag ausländischer Regierungen — ihren 'guten Draht' zum Kapital nutzen wollen. Als gute Adresse im Washingtoner Lobbygeschäft gelten zudem einige renommierte Anwaltbüros und PublicRelations-Firmen (Berry 1984: 119-123; Hrebnar/Scott 1982: 62-64). Direkten Kontakt zu Politikern können Lobbyisten auch über die congressional Hearings herstellen. Dabei handelt es sich um von den Ausschüssen und Unterausschüssen des Kongresses organisierte Anhörungen, zu denen Gruppen geladen werden, die von bevorstehenden politischen Entscheidungen betroffen sind. Lobbies können auch selbst beantragen, zu den in der Regel öffentlich abgehaltenen hearings zugelassen zu werden. In der Bundesrepublik existieren vergleichbare Anhörungsverfahren (Alemann 1987: 175-76; Ellwein/Hesse 1987: 616). 83

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Zum direkten Lobbying zählen auch die sog. wegbereitenden Taktiken. Lobbies organisieren beispielsweise Galadiners und Wohltätigkeitsbälle, um sich im Rahmen dieser 'sozialen Anlässe' Gehör bei den geladenen Politikern zu verschaffen. Zu den wegbereitenden Techniken gehört freilich auch die finanzielle Unterstützung, wobei Wahlkampfspenden zweifellos den größten Stellenwert besitzen. Seit 1907 bzw. 1943 ist es allerdings sowohl Unternehmen als auch Gewerkschaften untersagt, auf Bundesebene direkte Wahlkampfspenden zu tätigen. Um dieses Verbot zu umgehen, haben die entsprechenden Interessengruppen sog. Political Action Committees (PACs) gegründet (Congressional Quarterly 1987: 9-10). Diese organisatorisch vermeintlich unabhängigen, aber in der Regel zumindest personell mit der jeweiligen Interessengruppe verflochtenen politischen Ausschüsse sammeln freiwillig getätigte Spenden aus den Reihen ihrer Dachorganisationen (Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Konzerne und andere Mitgliederorganisationen) in separaten Fonds, um sie dann für Wahlkampfzwecke an ihnen politisch nahestehende Kandidaten für den Kongreß weiterzuleiten {V/hat Price PACs? 1984: 31). Bei jeder Wahl (Vorwahlen zählen extra) dürfen die steuerbegünstigten PACs einen Kandidaten mit maximal 5.000 Dollar unterstützen, vorausgesetzt sie fördern jeweils insgesamt mindestens fünf Wahlbewerber. In der Gesamtheit betrachtet kommen dadurch beträchtliche Summen zum Fluß: Beim Wahlkampf für den Kongreß im Jahre 1986 unterstützten 4.092 registrierte Political Action Committees (1974: 608) — davon knapp 2.000 von Unternehmen gelenkte PACs — insgesamt 956 Bewerber um Kongreßmandate mit knapp 80 Millionen Dollar. Diese Summe machte immerhin rund 30% aller Spenden für den Kongreßwahlkampf 1986 aus (Limiting PACs 1987: 38). Ein weiterer wichtiger Aspekt: PACs tätigen auch noch nach der erfolgreichen Wahl eines Abgeordneten Zahlungen in dessen Wahlkampfkasse, mitunter vor für die Dachorganisation wichtigen Entscheidungen im Kongreß. Im Klartext: zu Lobbyzwecken. Über den Einfluß dieser Zuwendungen auf das Stimmverhalten von Abgeordneten gehen die Meinungen in der Wissenschaft allerdings auseinander. Genauso, wie sich Fälle benennen lassen, die auf einen kausalen Zusammenhang zwischen PAC-Spenden und Stimmverhalten hindeuten, lassen sich auch zahlreiche andere politische Entscheidungen im Kongreß aufführen, bei denen Abgeordnete, obwohl sie Empfänger höherer PAC-Summen waren, gegen das Anliegen der Spender-PAC votierten (Sabato 1984: 122140; What Price PACs? 1984: 90-91). Beim indirekten lobbying (gross roots) gilt es, entweder die Mitgliedschaft der Interessengruppe bzw. breite Wählerschichten für das Anliegen der Lobby zu aktivieren (shotgun-Methode) oder einzelne, wichtige Wähler zu mobilisieren (n/fe-Methode). Ihre Klientel erreichen die Interessengruppen mit Hilfe computergespeicherter Adressenverzeichnisse, sog. mailing lists. Wenn die "Basis" einer Interessengruppe aktiv wird, indem Mitglieder z.B. Briefe an ihre Abgeordneten schreiben, muß zumindest der Anschein einer spontanen, 84

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aus den Reihen der Mitgliedschaft geborenen Aktion entstehen und keinesfalls der einer Steuerung von "oben". Das gross roots lobbying kann dann seine Wirkung umso besser entfalten, denn der Abgeordnete fühlt sich in allererster Linie seiner constituency, den Bürgern in seinem Wahlbezirk, verpflichtet (Berry 1984: 151). Zu den indirekten Taktiken sind außerdem zu zählen: Medienkampagnen, Demonstrationen, öffentliche Versammlungen sowie Boykotte — häufig nach Absprache und in Zusammenarbeit mit anderen Interessengruppen. Wenn Bemühungen, Legislatoren zu beeinflussen, gänzlich fehlschlagen, wählen Lobbies mitunter auch sog. "Umgehungstaktiken". Hierzu werden die in 21 Bundesstaaten verfassungsrechtlich möglichen Referenden gerechnet. Seit den siebziger Jahren hat eine Vorgehensweise bei den Lobbies aber ganz besonders an Popularität gewonnen: Die Anrufung der dritten Gewalt im Staate, der Gerichtsbarkeit. Mit Hilfe dieser — im Falle des Mißerfolgs — sehr kostspieligen Methode sollen bereits gefällte Entscheidungen durch die Aufdeckung möglicher juristischer Mängel zu Fall gebracht werden. Von einer gerichtlichen Klage versprechen sich Lobbies, die Implementierung eines neuen Gesetzes oder einer Bestimmung zumindest hinauszuzögern — in der Hoffnung, in der Zwischenzeit könnte sich die öffentliche Meinung so stark zu ihren Gunsten wenden, daß sich Parlament bzw. Regierung gedrängt fühlen, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken (Berry 1984: 198; Hrebnar/Scott 1982: 122-124, 140-148). Für welche der zahlreichen Strategien und Taktiken sich eine Lobby entscheidet, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von ihren Ressourcen, von ihrem Zugang zu den entscheidenden politischen Instanzen und schließlich davon, wie weit beispielsweise ein Gesetz im politischen Prozeß vorangeschritten ist — ob ein Unterausschuß noch an seinen Formulierungen feilt, ob es zur Plenumsabstimmung vorliegt oder ob es bereits von der Exekutive implementiert wird (Berry 1984: 205-207).

5. Noch einmal: die Problematik Auch mit Hilfe einer detaillierten Analyse des breitgefächerten Strategieinstrumentariums, das den Interessengruppen für ihre Arbeit zur Verfügung steht, ließe sich eine präzise Messung der Macht und des Einflusses der Lobbies in der amerikanischen Politik kaum durchführen. Selbst im konkreten Einzelfall ist Lobbyeinfluß, wenn überhaupt, nur schwer nachweisbar, zumal den Politiker in seinen Entscheidungen zusätzliche Faktoren bestimmen, deren Bedeutung bei jedem politischen Akteur, aber möglicherweise auch bei jeder einzelnen politischen Entscheidung unterschiedlich zu gewichten sind: das "nationale Interesse" , die Interessen der Partei, der der Politiker angehört, und nicht zuletzt auch die persönlichen Neigungen des Entscheidungsträgers. Abgeordnete werden sich zudem stets an den Anliegen ihrer Wählerschaft orientieren, während Mitglieder der Exekutive Rücksichten gegenüber ihren Vorgesetzten nehmen müssen. Bei 85

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aller gebotenen kritischen Aufmerksamkeit gegenüber dem Wirken der Interessengruppen gilt es zudem zu beachten, daß die Lobbies durch den Einsatz von Massenkommunikationsmitteln zwar allseits öffentlich präsent, damit aber noch längst nicht auch politisch potent sind (Hrebnar/Scott 1982: 257). Außerdem: Wenn politische Entscheidungen zu ihren Gunsten fallen, neigen Lobbies dazu, ihre Rolle dabei besonders hervorzuheben. Im Falle des Mißerfolgs schweigen sie hingegen (Berry 1984: 210; Greenwald 1977: 334337). In Anbetracht dieser Faktoren müssen Einschätzungen und Bewertungen über die Auswirkungen des lobbying auf das Verhalten von Politikern deshalb im Endeffekt immer Spekulation bleiben. Wollte man dennoch den Versuch unternehmen, die "Macht der Verbände" unter den bestehenden politischen und gesetzlichen Gegebenheiten zu taxieren, so sollte sich eine Analyse nicht auf die Gesamtheit der Lobbies, sondern auf einzelne Interessengruppen konzentrieren. Ein Katalog zu berücksichtigender Determinanten politischen Einflusses bestünde beispielsweise aus — der Größe, den finanziellen Ressourcen und dem Zusammenhalt der zu untersuchenden Gruppe, — der Quantität und Qualität der Informationen, mit denen sie Politiker versorgt, — der Fähigkeit der Lobby, ihre speziellen Interessen mit dem gesellschaftlichen 'Allgemeinwohl' zu verknüpfen, — der Intensität, mit der eine Lobby gegenüber anderen Interessengruppen im Wettbewerb steht, sowie — der Stärke der politischen Parteien auf bundes- bzw. einzelstaatlicher Ebene (Berry 1984: 219-220; Greenwald 1977: 330-331; Hrebnar/Scott 1982: 197; Merkl/Raabe 1977: 113). Daß das Lobbying einen Komplex der Undurchschaubarkeit bildet, führen Kritiker häufig auf die lückenhafte Gesetzgebung in den USA zurück (Überblick in Congressional Quarterly 1987: 33-46). Obwohl in allen 50 Einzelstaaten eine Registrierungspflicht für Lobbyisten besteht, unterliegen die Lobbies dort kaum einer Kontrolle staatlicher Instanzen (Hrebnar/Scott 1982: 188; Merkl/Raabe 1977: 116). Ein ähnliches Bild zeigt sich auf bundesstaatlicher Ebene: Mit dem nur vier Seiten umfassenden Kerngesetz zum lobbying, dem Federal Regulation of Lobbying Act aus dem Jahre 1946, wurde zwar eine allgemeine Registrierungs- und Rechenschaftspflicht für Lobbies eingeführt, aber bereits 1954 wurden die 'Schlupflöcher' des Gesetzes durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA offensichtlich. Der Supreme Court verfügte, daß sich fortan allein Gruppen registrieren lassen müßten, deren "primäre Absicht" (principal purpose) in der gezielten Beeinflussung des politischen Prozesses bestünde. Darüber hinaus, so die Richter, wären ausschließlich Personen registrierungspflichtig, die zu Lobbyzwecken selbst Geld bezahlt oder empfangen hätten 86

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und/oder die in direktem Kontakt mit Kongreßmitgliedern stünden (347 U.S. 612: United States v. Harriss et al. (1954) Supreme Court Reporter 74, S. 808821). Insbesondere in den siebziger Jahren, bedingt durch die Watergate-Empörung im Lande und den gleichzeitigen Lobbyboom, gab es vor allem von liberalen Kongreßabgeordneten zahlreiche, intensive Bemühungen, die bestehenden Lobbybestimmungen zu erweitern oder durch ein völlig neues Gesetz, das beispielsweise strengere Finanz- und Kommunikationskontrollen vorsah, zu ersetzen. Alle derartigen Reformversuche scheiterten jedoch. Bei den entscheidenden Abstimmungen erinnerten sich offenbar selbst kritische Parlamentarier daran, daß ihnen die Interessengruppen wertvolle Dienste als — wenn auch parteiische — Informationslieferanten und mitunter spendable Wahlkampfhelfer leisteten. Zum anderen begegneten zahlreiche große Lobbies den Reformvorhaben mit erbittertem Widerstand, der angesichts der akuten Gefahr sogar zu einem vorübergehenden Schulterschluß zwischen politischen Gegnern wie der AFL-CIO und der National Association of Manufacturers führte (Ornstein/Elder 1978: 95, 106-110). Die Chancen für eine Reform der Lobby-Gesetzgebung müssen nach der bisherigen Entwicklung deshalb eher negativ beurteilt werden. Die Tatsache, daß alle Versuche einer Neuregelung des amerikanischen Lobbywesens bislang gescheitert sind, vermag aber immerhin einen Eindruck von der Macht der Interessengruppen zu vermitteln, wie auch von der Wertschätzung, die sie zumindest bei den Politikern erfahren.

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F. Entscheidungsstrukturen der Wirtschaftspolitik Wie in den demokratisch verfaßten Industriestaaten generell, so besitzt auch in den USA die Wirtschaft ein großes Maß an Autonomie; im historischen Vergleich war (und ist) sie sicherlich größer als z.B. in Deutschland. Wirtschaftspolitik hat jedoch im 20. Jahrhundert immer mehr an Umfang und Bedeutung zugenommen. Der Impuls dazu kam aus der Gesellschaft. Schutz vor unlauterem Wettbewerb, Verbot von Monopolbildung, Arbeitsschutz, schließlich staatliche Garantie der Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Stabilität und Prosperität — sie wurden in erster Linie von betroffenen gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Verfahren und Inhalte wirtschaftspolitischer Entscheidungen sind aber nicht nur ein Produkt der Interessengruppenpolitik. Sie hängen vielmehr auch von den spezifischen Charakteristika der Verfassungsordnung und des politischen Systems der USA ab, und sie werden geprägt von den Traditionen des Verhältnisses von Politik und Gesellschaft, die die ungeschriebenen Spielregeln politischer Auseinandersetzungen bestimmen. Zu diesem Bedingungsrahmen, der den Gegenstand der nachfolgenden Abschnitte 1 und 2 bildet, gehört erstens die Verfassungsordnung. Die Verfassung der Vereinigten Staaten ist explizit dazu eingerichtet, politische Macht zu beschränken und zu kontrollieren. Sie erfüllt diesen Zweck auch in der Gegenwart (trotz erheblicher Ausweitung der Regierungstätigkeit) so gut, daß ihre Kritiker häufig Anlaß haben, Kompetenzwirrwarr und Handlungsunfähigkeit im politischen System zu beklagen. Zweitens hat sich unter dem Dach der eindrucksvollen 200jährigen Verfassungskontinuität ein Wandel des Regierungssystems vollzogen: von der beschränkten Regierungstätigkeit der Repräsentativen Republik zum Modelltypus Präsidialdemokratie, d.h. zu einer aktiven, interventionistischen Bundesregierung mit dem Präsidentenamt als Gravitationszentrum. Drittens gehört zu den Rahmenbedingungen der Wirtschaftspolitik die relativ (d.h. gemessen an kontinental-europäischen Standards) untergeordnete Rolle, die das politische System in Gesellschaft und Wirtschaft der USA spielt.

1. Der Verfassungsrahmen Die Prinzipien der amerikanischen Verfassung von 1787 spiegeln die Überzeugung wider, daß es die wichtigste Aufgabe der Regierung sei, den einzelnen Bürger in seinen Rechten zu schützen und seine freie wirtschaftliche Entfaltung zu ermöglichen. Die Verfassungsväter fürchteten vor allem zwei Gefahren: eine allmächtige Zentralregierung und eine Tyrannei der Mehrheit. Um diese zu bannen, verankerten sie das Prinzip der Gewaltentrennung sowohl vertikal — zwischen der Bundesregierung und den Staaten — als auch horizontal, d.h. zwischen den Organen der Bundesregierung. Die vertikale Gewaltenteilung geht 88

Entscheidungsstrukturen der Wirtschaftspolitik

viel weiter als im föderativen System der Bundesrepublik; alle Rechte, die die Verfassung nicht ausdrücklich den Bundesorganen überträgt, verbleiben den Einzelstaaten bzw. den Bürgern (10. Zusatzartikel 1787). Für Gewaltenteilung auf Bundesebene sorgt die strikte organisatorische und personelle Trennung von Exekutive (Präsident), Legislative (Kongreß, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus) und rechtsprechender Gewalt. Legislative und Exekutive gehen aus unterschiedlichen Wahlakten hervor; exekutives Amt und Kongreßmandat sind nach den Bestimmungen der Verfassung unvereinbar. Es gibt weder ein Mißtrauensvotum, noch hat der Präsident die Möglichkeit, den Kongreß aufzulösen (gute deutschsprachige Einführungstexte: Mewes 1986; Shell 1975). Neben der institutionalisierten Gewaltentrennung steht jedoch das Prinzip der Gewaüenverschränkung; das amerikanische System läßt sich treffend als "government of separated institutions sharing powers" kennzeichnen (Neustadt 1976: 101). Der Präsident besitzt durch sein suspensives Vetorecht (das der Kongreß mit Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern überstimmen kann) Eingriffsmöglichkeiten im Gesetzgebungsprozeß; der Senat wirkt bei den Personalentscheidungen der Exekutive mit; und Präsident und Kongreß teilen sich die grundlegenden außenpolitischen Kompetenzen (war power, treaty power). Innerhalb dieses stabilen Verfassungsrahmens hat sich das amerikanische politische System im 20. Jahrhundert in Richtung auf ein Modell entwickelt, das man am besten als Präsidialdemokratie bezeichnen kann. Die Präsidialdemokratie war die politische Antwort auf tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel (Masseneinwanderung, Urbanisierung, Industrialisierung, Konzentration wirtschaftlicher Macht) seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Erschütterungen der Weltwirtschaftskrise verhalfen ihr endgültig zum Durchbruch. Mit Präsident Franklin D. Roosevelts (1933-1945) New Deal begann die Periode der aktiven, interventionistischen Regierung.

2. Interventionsstaat und Präsidialdemokratie Für die Rolle des politischen Systems in der Wirtschaft und die Ausgestaltung der wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozesse, wie wir sie in den USA in der Gegenwart vorfinden, waren zwei Entwicklungen von grundlegender Bedeutung: der Durchbruch zum Interventions- und Wohlfahrtsstaat auf der Ebene des Zentralstaates (der Wohlfahrtsstaat ist allerdings nach europäischen Standards unvollständig ausgestaltet) und die Institutionalisierung des Präsidentenamtes. Beide sind eng miteinander verknüpft. Die Konzeption des Präsidentenamtes als Initiator nationaler Politik konnte zwar auf Ansätze in der Ära des Progressivismus [Präsidenten Theodore Roosevelt (1901-09) und Woodrow Wilson (1913-21)] zurückgreifen, doch war die Kompetenzerweiterung, die Franklin D. Roosevelt für das Präsidentenamt reklamierte, angesichts der Traditionen des limited government, des Föderalis89

Strukturen des politischen Systems

mus und der starken Stellung des Kongresses fast revolutionär zu nennen. Ihre Durchsetzung erforderte — neben der Neuinteipretation der einschlägigen Verfassungsbestimmungen (s.u.) — die Schaffung eines bürokratischen Apparats, der es dem Präsidenten ermöglichte, Wirtschafts- und Sozialpolitik auf breiter Front zu initiieren und mitzugestalten. Eine Kabinettsregierung europäischen Zuschnitts schied als Lösung der Organisationsprobleme der Exekutive aus verfassungsrechtlichen und politischen Gründen aus. Daher blieb als Ausweg der Ausbau des Präsidentenamts zu einem zweiten bürokratischen Apparat neben der Ministerialbürokratie, ein Weg, der zum organisierten Chaos des exekutiven Entscheidungsprozesses unserer Tage führte (grundlegend Hess 1976; Pious 1979; Koenig 1981). 1939 wurde das Präsidialamt (Executive Office of the President) institutionalisiert, 1949 das Büro des Weißen Hauses (White House Office) als sein organisatorisches Zentrum eingerichtet. Mitte der 30er Jahre besorgte Präsident Roosevelt seine Amtsgeschäfte mit weniger als 40 Mitarbeitern, heute zählt allein das White House Office mehr als 600, das Executive Office über 5000 Mitarbeiter. Der Präsident führt heute einen dreigeteilten exekutiven Apparat: Departments ( = Ministerien) und Regierungsbehörden (independent agencies) stehen unabhängig neben der Präsidialbürokratie des Executive Office. Die Verfassung verteilt die Kompetenzen der Bundesorgane auf wirtschaftlichem Gebiet sehr einseitig, nämlich ausschließlich an die Legislative. Der Kongreß besitzt das Steuer- und Haushaltsrecht [Art 1 See. 8 und See. 9 (7)], entscheidet über Geld- und Kreditwesen sowie die Regulierung des Außen und des zwischenstaatlichen Handels (sog. commerce clause)', und ihm obliegen weitere spezifische Aufgaben (Maße und Gewichte, Post, Urheberrechte und Patente, Bankrotte) [alle Art. 1, See. 8]. Im Bereich der Steuer- und Ausgabengesetzgebung besitzt das Repräsentantenhaus die Vorrangstellung [Art. 1 See. 7 (1)] (allgemein Corwin 1973; Congressional Quarterly 1982). Zu gesamtwirtschaftlich bedeutsamen Steuerungsinstrumenten wurden Steuer- und Haushaltsrecht erst im 20. Jahrhundert; der 16. Verfassungszusatz von 1913, der die Erhebung einer Bundeseinkommenssteuer autorisierte, bildete die Voraussetzung. Die institutionelle Grundlage für eine integrierte Haushaltsplanung wurde 1921 mit der Einrichtung des Bureau of the Budget, des heutigen Office of Management and Budget (OMB), gelegt (Budget and Accounting Act of 1921). Einen begrenzten wirtschaftspolitischen Aktivismus, der allerdings in erster Linie vom Kongreß getragen wurde, gab es aber auch im 19. Jahrhundert (Goodrich 1967). Die commerce clause, das Verfügungsrecht über die Territorien [nach Art. IV See. 3 (2) der Verfassung] und die Zollhoheit ermöglichten dem Kongreß die Finanzierung bzw. Förderung von Verkehrserschließungsmaßnahmen (Wasserwege, Häfen, Poststraßen, Eisenbahnen), die Stimulierung der Besiedelung des Westens (durch Landschenkungen) und der Industrialisierung (durch Schutzzölle). 90

Entscheidungsstrukturen der Wirtschaftspolitik

Zu diesen überwiegend distributiven wirtschaftspolitischen Entscheidungen trat seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (Interstate Commerce Act 1887) mehr und mehr die Regulierung der Wirtschaft (Lowi 1972), sei es in Form materieller Gesetzgebung (Sherman Antitrust Act 1890), sei es in Form von Organisationsentscheidungen. Die letzteren schufen eine Reihe 'unabhängiger Regulierungskommissionen', die für ihren Zuständigkeitsbereich quasi-judikative Funktionen erhielten [Interstate Commerce Commission (1887), Federal Reserve Board (1914), Tariff Commission (1916), Securities and Exchange Commission (1934)]. Der Durchbruch auf dem Felde redistributiver Politik (Social Security Act 1935) erfolgte erst in der Ära des New Deal, gleichzeitig mit der Übernahme makroökonomischer Steuerungsfunktionen durch die Bundesregierung. Voraussetzung für die Durchsetzung der erweiterten wirtschafts- und sozialpolitischen Rolle der Bundesregierung waren jedoch nicht nur sichere Mehrheiten im Kongreß, über die Roosevelt dank seines überwältigenden Wählermandats verfügte. Unabdingbar war vielmehr auch die Anerkennung der rechtlichen Suprematie des Bundes gegenüber den Einzelstaaten in der Wirtschaftspolitik. Dazu entschloß sich der Supreme Court erst zwischen 1937 und 1942, nach einer Reihe aufsehenerregender Urteile, die — gestützt auf eine enge Auslegung der commerce clause — Kernstücke der New-Deal-Gesetzgebung für nicht verfassungskonform erklärt hatten. Mit den späteren Urteilen hob das Gericht die Unterscheidung zwischen Handel und Produktion ebenso auf wie die Abgrenzung von inner- und zwischenstaatlichem Handel (Shell 1975: 50-52). Die Ratifizierung des neuen interventionsstaatlichen Konsensus durch die Minderheitspartei, die Republikaner, läßt sich auf den Employmetu Act von 1946 datieren, der der Bundesregierung die Verantwortung für wirtschaftliche Prosperität und ein hohes Beschäftigungsniveau zuweist. Dieses Gesetz schuf im Executive Office den Council of Economic Advisers (vergleichbar etwa dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik). Im 20. Jahrhundert hat die Verlagerung der Gewichte zwischen den Trägern politischer Macht — von den Einzelstaaten nach Washington und innerhalb der Bundesregierung vom Kongreß zum Präsidenten — das politische System tiefgreifend verändert, jedoch eines nicht bewirkt: Es ist in den Vereinigten Staaten kein zentralisiertes, hierarchisch durchorganisiertes politisches System nach kontinentaleuropäischem Muster entstanden. Unabhängigkeit der Regierungsgewalten, Fragmentierung statt Integration politischer Macht, Kompetenzüberschneidung und -Zersplitterung statt klarer, hierarchischer Zuordnung — sie sind das Erbe der Verfassung, die die Kontrolle und Beschränkung der Macht, nicht ihre effektive Ausübung sicherstellen sollte. Das Nebeneinander von Präsidialbürokratie, Departments und Behörden schafft für den Präsidenten vielfältige Probleme der Koordination und Kontrolle. Verhandlungen, Tausch, Kompensationsgeschäfte und langwierige Abstimmungspro91

Strukturen des politischen Systems

zesse kennzeichnen den politischen Stil innerhalb der Exekutive, aber auch im Verhältnis zum Kongreß.

3. Akteure und Entscheidungsprozesse in der Wirtschaftspolitik 3.1. Organisationsstrukturen Entscheidungskompetenzen in der Wirtschaftspolitik sind im politischen System der USA breit gestreut. Auf exekutiver Seite finden sich die Hauptakteure im Executive Office und unter den Departments und unabhängigen Regierungsbehörden. Im Kongreß teilen sich eine Reihe ständiger Ausschüsse die wirtschaftspolitischen Zuständigkeiten. Zu den "Großen" unter den Departments zählen Landwirtschafts-, Handels- und Finanzministerium (Agriculture, Commerce, Treasury), die beiden letztgenannten einerseits für Industrie und Binnenhandel, andererseits für Haushalts- und Finanzpolitik, auch internationale Finanzen verantwortlich. Der Finanzminister ist nach den gesetzlichen Regelungen gleichzeitig Chefberater des Präsidenten in wirtschaftspolitischen Fragen. Im Executive Office stehen in vorderster Front das Office of Management and Budget (OMB), das — zuständig für die exekutive Haushaltsplanung und die jährliche Budgetvorlage des Präsidenten im Kongreß — zumindest zeitweilig Planungs- und Managementzentrum der Exekutive in innenpolitischen Fragen gewesen ist; der Council of Economic Advisers (CEA), für die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Beratung des Präsidenten in den damit zusammenhängenden Fragen verantwortlich; und das Büro des U.S. Trade Representative (USTR), der als Präsidentenberater und Verhandlungsführer in der internationalen Handelspolitik fungiert. Mit Abstand die wichtigste unter den unabhängigen Behörden ist das Federal Reserve System (FED), dessen Board of Governors die Geldpolitik bestimmt, das Bankensystem überwacht und die Geldmengen- und Zinsentwicklung und andere Rahmenbedingungen von Geld und Kredit kontrolliert. Im Kongreß sind die wirtschaftspolitischen Kompetenzen womöglich noch breiter gestreut. Die wichtige legislative Arbeit findet in beiden Häusern in den ständigen Ausschüssen statt; sie beraten Gesetzesvorlagen, verändern sie in der Regel und geben eine Empfehlung (report) ab, die die Voraussetzung für die Verabschiedung einer Vorlage im Plenum des Senats oder Repräsentantenhauses bildet. Sachgesetzgebung (authorization) und Mittelzuweisung (appropriatiori) erfolgen getrennt. Die Hauptzuständigkeiten in der Wirtschaftspolitik liegen im Repräsentantenhaus und im Senat bei je sechs der ständigen Ausschüsse. Es sind dies in beiden Häusern die Committees on Agriculture, Appropriations (Bewilligungen), 92

Entscheidungsstrukturen

der

Wirtschaftspolitik

Banking, Budget (zuständig für die Budgetresolutionen, vgl. Abschnit 3.2. Entscheidungsprozesse), Government Operations/Governmental Affairs\ und die Committees on Ways and Means im Repräsentantenhaus und Finance im Senat [beide verantwortlich für staatliche Einnahmequellen (Steuern, Zölle) und daher auch für den Außenhandel]. Einzelne wirtschaftspolitische Kompetenzen besitzen darüber hinaus im Repräsentantenhaus 9, im Senat 7 Ausschüsse, so daß 15 von 22 ständigen Ausschüssen im House und 13 der 16 Senatsausschüsse in größerem oder geringerem Umfang an wirtschaftspolitischen Entscheidungen mitwirken. Unter den gemeinsamen Ausschüssen beider Häuser ist das Joint Economic Committee als legislativer Gegenpart des CEA (und wie dieser 1946 mit dem Employment Act geschaffen) für die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und für Empfehlungen zur wirtschaftlichen Globalsteuerung zuständig. Das Schaubild F-l führt die wichtigsten Akteure in Legislative und Exekutive auf, die an wirtschaftspolitischen Entscheidungen beteiligt sind (s. auch die Erläuterungen). Die Organisationsmuster und -probleme wirtschaftspolitischer Entscheidungen sind einerseits von den Machtverhältnissen zwischen Legislative und Exekutive, andererseits von der Bewältigung der notorischen Koordinationsund Kontrollprobleme in der Exekutive abhängig. Alle Präsidenten seit Truman (1945-53) sahen sich durch die Erwartungen der Öffentlichkeit unter erheblichen wirtschaftspolitischen Erfolgsdruck gesetzt; für die Reputation eines amtierenden Präsidenten und in Wahlkämpfen spielt seitdem die Wirtschaftsentwicklung eine große Rolle. Aber der Präsident und seine Berater im White House Office haben in der Wirtschaftspolitik eine organisatorisch und politisch relativ schwache Position inne (Stein 1981). Der Vergleich mit anderen Politikbereichen, z.B. der Sicherheitspolitik, macht dies ohne weiteres deutlich. In dieser Schwäche spiegelt sich zweierlei: die traditionell untergeordnete Rolle des politischen Systems (das in Fragen der auswärtigen Sicherheit praktisch das Handlungsmonopol besitzt) in der Wirtschaft und die verfassungsmäßige Vorrangstellung des Kongresses. Trotz der Expansion der wirtschaftlichen Interventionstätigkeit, trotz des Aufbaus großer bürokratischer Apparate zu diesen Zwecken und obgleich die Exekutive weitgehend die Rolle des Initiators im Gesetzgebungsprozeß übernommen hat, sind der Fähigkeit des Präsidenten, seine Programme in praktische Politik umzusetzen, nach wie vor enge Grenzen gesetzt. Der Präsident kann fordern und Unterstützung in der Öffentlichkeit mobilisieren, der Kongreß aber bewilligt die Mittel und verabschiedet die Gesetze. Es gilt das alte: The President proposes, Congress disposes (Koenig 1981: 278). Wirtschaftspolitik wird entscheidend durch ein organisatorisches Grundproblem der Exekutive geprägt. Es hat sich, da es aus der Fragmentierung des dreigliedrigen exekutiven Apparats resultiert, gegenüber periodischen Reformbemühungen als weitgehend resistent erwiesen: die Koordination und Kontrolle 93

Strukturen des politischen Systems

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Arbeitsmarkt

2. Die statistische Erfassung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit Die Beschäftigungsstatistik fußt auf dem Current Population Survey (CPS), der vom Bureau ofthe Census monatlich für das Bureau of Labor Statistics (BLS) im U.S. Department of Labor (Arbeitsministerium) durchgeführt wird: Darin werden 65.000 als repräsentativ angesehene Haushalte befragt. Jede Person wird als beschäftigt, arbeitslos oder nicht erwerbstätig — not in the labor force — eingestuft. Als erwerbstätig zählt, wer in der Woche der Untersuchung überhaupt — selbständig oder unselbständig — zur Erzielung eines Einkommens gearbeitet hat. Wer auch nur für eine Stunde in der Woche der Befragung eine einmalige, bezahlte Arbeit verrichtet hat, wird als Beschäftigter angeführt. Als unemployed zählt hingegen, wer in der Woche vor der Befragung überhaupt keine Beschäftigung hatte und a) entweder in den vergangenen 4 Wochen aktiv eine Arbeitsstelle gesucht hat oder b) nur vorübergehend entlassen wurde oder c) darauf wartet, innerhalb der nächsten 30 Tage einen neuen Arbeitsplatz anzutreten. Als Beweis für aktive Arbeitssuche genügt die mündliche Angabe über Eintragungen bei öffentlichen oder privaten Arbeitsvermittlungen, Gewerkschaften oder Berufsverbänden; Gespräche mit Arbeitgebern; Anfragen im Familien- und Bekanntenkreis; Aufgabe und Beantwortung von Annoncen, Bewerbungsschreiben. Da von den Antworten keinerlei Vor- oder Nachteile abhängen (ob jemand Arbeitslosenunterstützung erhält, wird von anderen Behörden aufgrund anderer Unterlagen entschieden), rechnet die Behörde offenbar mit einer geringen Fehlerquote. Die mangelnde Überprüfbarkeit ist eine Abweichung von den Richtlinien der International Labour Organisation (ILO) (OECD 1985: 32). Die Daten werden in der Kalenderwoche erhoben, in die der Monatszwölfte fällt. Im Bureau of the Census werden die Zwischenergebnisse gewichtet, um Mißverhältnisse zwischen der Zusammensetzung der Stichprobe und der Gesamtwohnbevölkerung auszuschalten. Die schließlich veröffentlichten Zahlen sind also Schätzungen, die auf statistischen Stichproben fußen. Wer sich mit dem US-Arbeitsmarkt befaßt, sollte die im amerikanischen Begriff employment unscharfe Trennung von Erwerbstätigkeit und (unselbständiger) Arbeit berücksichtigen. Zunächst ist immer zu klären, welche Bezugsgröße den jeweiligen Angaben zugrundeliegt: Die (civilian) unemployment rate (UR) — Erwerbslosenquote — mißt die absolute Anzahl aller (auch der selbständigen) Erwerbslosen in Prozent der zivilen Erwerbspersonen. Sie ist die bislang wichtigste amtliche Kennzahl der Erwerbslosigkeit. Darüber hinaus bietet das BLS auch präzisere Daten an, die detaillierte Informationen zu speziellen Fragestellungen enthalten. (Die Bundes215

Arbeitsmarkt und Gewerkschaften

anstalt für Arbeit in Nürnberg gibt seit 1986 zwei Arbeitslosenquoten bekannt; die Arbeitslosenquote II ist international vergleichbar). Seit 1983 wird mitunter statt der civilian labor force die national labor force als Bezugsgröße herangezogen. Sie enthält die in den USA stationierten Streitkräfte. Die darauf bezogene Erwerbslosenquote heißt Overall unemployment rate (Handbook 1989: 2). Entsprechendes gilt für die civilian labor force participation rate (Erwerbsquote), das Verhältnis der zivilen Erwerbspersonen zur zivilen Wohnbevölkerung. Fehlt das Adjektiv civilian, ist auch hier das in den USA stationierte Militär eingeschlossen. Die insured unemployment rate (IUR) — versicherte Arbeitslosenquote — ist das Verhältnis der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung zu den versicherten Arbeitsplätzen (siehe Abschnitt 3.). Zur Unterscheidung der Erwerbslosen- von der (versicherten) Arbeitslosenquote wird gelegentlich der Begriff total unemployment rate (TUR) — Gesamterwerbslosenquote — benutzt. Die employment rate (Beschäftigten-, nicht Erwerbsquote!) dagegen ist nicht die spiegelbildliche Ergänzung zur unemployment rate. Ihre korrekte amtliche Bezeichnung lautet employment-population-ratio (Handbook 1989: 2). Sie ist das Verhältnis von den Beschäftigten zur Wohnbevölkerung, überschneidet sich also teilweise mit der labor force participation (schließt aber die Erwerbslosen aus). Da sich die Wohnbevölkerung aus Erwerbslosen, Beschäftigten und Nichterwerbstätigen zusammensetzt, sagen Veränderungen der Beschäftigungsquote nichts über das Verhältnis von Arbeitsangebot und -nachfrage aus.

2.1. Wo findet man Informationen? Definitionen und Kriterien der Datenerhebung durch den CPS sind dargestellt u.a. in How the Government Measures Unemployment (U.S. Bureau of Labor Statistics 1987) und bei Hoel/Clarkson/Miller (1983: 191-203). Deutsche Übersetzungen der wichtigsten amerikanischen Arbeitsmarktbegriffe und hilfreiche Kurzdefinitionen findet man bei Werner/Bennett/König (1986). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg stellt Bibliographien der USamerikanischen Arbeitsmarktliteratur zusammen (Dokumentationsprofile 1987). Den allgemeinen Nachweis für offizielle und aktuelle statistische Einzeluntersuchungen enthält der monatlich erscheinende American Statistics Index (ASI). Das Werk ist unterteilt in jeweils einen Schlagwort- und einen Referenzband: Im Schlagwortband findet man etwa unter Labor eine Reihe von numerierten Kurztiteln; unter der einem Kurztitel zugeordneten Bestellnummer führt der Referenzband den vollen Titel und Hinweise zu Inhalt, Erscheinungsdatum und herausgebender Behörde auf. Daten über Erwerbsbevölkerung, Erwerbsquote, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit werden von der Division of Employment and Unemployment Anal216

Arbeitsmarkt

ysis im BLS beim Department of Labor bearbeitet und veröffentlicht. Die hierfür wichtigsten Publikationen sind Monthly Labor Review (MLR) und Employment and Earnings, herausgegeben vom BLS. Informationen über den Arbeitsmarkt enthalten auch die monatlichen Economic Indicators, die vom Council of Economic Advisers zusammengestellt und vom Joint Economic Committee im Kongreß herausgegeben werden. Eine weitere Publikation mit Daten zum Arbeitsmarkt ist der Annual Report des Council of Economic Advisers, den der jährliche Economic Report of the President enthält. Im allgemeinen werden Angaben über Alter, Rasse, Geschlecht, Stand, Beruf und Branchenzugehörigkeit zur Verfügung gestellt. Speziellere Untersuchungen behandeln Gründe und Dauer der Arbeitslosigkeit, Methoden und Ziele der Arbeitssuche u.a.m. Auch Einzelstaaten und Regionen stellen jährlich spezielle Arbeitsmarktdaten zusammen, die im ASI nachgewiesen sind. Gegenwärtig wird im BLS eine gründliche Revision der Datenerhebung und -auswertung durch den CPS geplant. Sobald die Daten des Census von 1990 verfügbar sind, soll der CPS hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation in den Einzelstaaten wie auch der Langzeittrends am Arbeitsmarkt auf Bundes- und Regionalebene informativer werden (Norwood 1988).

2.2. Probleme Die Ausführungen über die im Amerikanischen ungenaue Terminologie zur Unterscheidung von Erwerbs- und Arbeitlosen sollten klargestellt haben, daß internationale Vergleiche ohne klare Definition der Begriffe problematisch sind. Selbst bei übereinstimmenden Begriffsdefinitionen differieren die zugrundeliegenden Bezugsgrößen teilweise erheblich voneinander. Das vom Statistischen Büro der Vereinten Nationen in New York herausgegebene Monthly Bulletin of Statistics veröffentlicht monatliche und jährliche Vergleichszahlen zur Arbeitslosigkeit von 53 Ländern. Auch im amerikanischen Statistical Abstract, herausgegeben vom U.S. Bureau of the Census, sind jährliche internationale Vergleichsdaten zu finden. Um daraus weiterverwertbare Informationen gewinnen zu können, muß man die Erhebungskriterien kennen (Klös 1989). Kriterien zur Anpassung der nationalen Erhebungen an den Standard der International Labour Organisation (ILO) bietet die OECD an. Auch die von der Bundesanstalt für Arbeit seit 1986 monatlich veröffentlichte zweite Arbeitslosenquote wird nach internationalen Kriterien erstellt. Da aber strukturelle Unterschiede der nationalen Arbeitsmärkte letztlich auch auf die Beschäftigungspolitik der Unternehmen durchschlagen (Ochel/Schreyer 1988a und 1988b), bleibt es empfehlenswert, Vergleiche — unter allen Vorbehalten — auf die relativen Entwicklungen zu beschränken.

217

Arbeitsmarkt und Gewerkschaften

Eines der Probleme der Erwerbslosenquote ist sicherlich die Bestimmung, jede Person, die überhaupt eine Arbeitsgelegenheit in der letzten Woche vor der Befragung hatte, aus dem Kreis der Erwerbsuchenden auszuschließen. Wenn die unemployment rate über die Auslastung des Produktionsfaktors Arbeit informieren soll, wäre es überlegenswert, eine Trennlinie für Teilzeitarbeiter einzuführen, die erst ab einer bestimmten Anzahl regelmäßig verrichteter Wochenarbeitsstunden eine Person als "beschäftigt" einzuordnen gestattet. Die wissenschaftliche Kritik reicht — nach Ansatz und Zweck unterschieden — vom Bemühen, Modelle zur Erfassung "unsichtbarer Unterbeschäftigung" zu entwickeln (Clogg 1979) bis zu Vorschlägen, die employment rate als Wirtschaftsindikator einzuführen (Smith 1986). Entgegen dem populären Mißverständnis, die unemployment rate sei der entscheidende Indikator der sozialen Lage der Bevölkerung, gilt, daß "anhand der Arbeitslosigkeits-Reihen allein in den seltensten Fällen ... eine Situationsbeschreibung" möglich ist (OECD 1987: 219). Zum einen könnte auch eine verhältnismäßig wohlhabende Person auf Suche nach einem Erwerb sein. Zum anderen impliziert ein Arbeitsplatz nicht, daß sein Inhaber auch ein erträgliches Auskommen hat: Die Stagnation des seit 1981 bestehenden gesetzlichen Mindestlohns, der real erheblich gefallen ist, hat zur Verarmung eines Teils der Beschäftigten geführt. Schließlich bilden diejenigen, die gänzlich aus der labor force herausfallen, eine nur schwer wägbare Grauziffer: eine Abnahme der unemployment rate kann daher rühren, daß — ceteris paribus — viele Arbeitslose die Suche aufgegeben haben (McClelland 1988: 41-42; OECD 1987: 236-271). Wer Informationen über die soziale Lage der Bevölkerung sucht, ist also gut beraten, zunächst die Einkommensstatistiken (vgl. das Kapitel H. Armutsstatistik in diesem Band) zu betrachten und allenfalls im Zusammenhang mit deren Auskünften und unter Vorbehalt der oben beschriebenen Irrtumsmöglichkeiten die amtlichen Erwerbs- und Arbeitslosenquoten heranzuziehen.

3. Arbeitslosenversicherung Im Unterschied zur deutschen wird die amerikanische Arbeitslosenversicherung aus einer Kombination von Bundes- und Staatssteuern finanziert, die ausschließlich von der Arbeitgeberseite zu tragen sind. Während das Department of Labor — Arbeitsministerium — für die Überwachung des Systems und seiner gesetzlichen Grundlagen zuständig ist, obliegt die finanzielle Verwaltung dem Department ofthe Treasury — Finanzministerium (vgl. auch Abschnitt 3.3 des Kapitels G. Sozialversicherung und Sozialfürsorge in diesem Band). Umfang und Beanspruchung der Arbeitslosenversicherung ergeben sich nicht aus tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen nach Unterstützung, sondern aus den Kriterien, die die einzelnen Staaten in ihren Gesetzen zur Ar218

Arbeitsmarkt

beitslosenversicherung anerkannt haben. So ist die Anzahl der Arbeitslosenunterstützung — unemployment compensatio/! (UC) — beantragenden und erhaltenden Personen viel geringer, als es die Zahl der versicherten Arbeitsplätze zunächst vermuten läßt. Die Daten über die versicherte Arbeitslosigkeit — State insured unemployment — werden nach den Meldungen der State Employment Security Agencies im Department of Labor zusammengestellt; es sind also keine Schätzungen, sondern gesicherte Zahlen. Die mit etwa 10 Tagen Verzögerung wöchentlich ausgewiesene Insured Unemployment Rate (Quote versicherter Arbeitsloser) ist die aktuellste und genaueste offizielle Information zur Arbeitslosigkeit. Sie ist das Verhältnis der Versicherten, die einen (fortgesetzten) Antrag auf Leistungen stellen, zu den versicherten Arbeitsplätzen (Blaustein 1980: 202; Burtless 1983: 225-26).

3.1. Die Bundesgesetzgebung Die amerikanische Arbeitslosenversicherung besteht aus einer Mischung von Bundes- und Staatsgesetzen. Der Social Security Act (Sozialversicherungsgesetz) von 1935, mit dem die Bundesregierung unter F.D. Roosevelt auf die sozialen Auswirkungen der Großen Depression reagierte, formulierte einen Rahmen für die Legislativen der Einzelstaaten. Neben der Anregung zur Gründung von staatlichen Arbeitslosenversicherungen war sein Zweck, ein Minimum an Einheitlichkeit sicherzustellen. Dies führte dazu, daß bereits 1937 jeder Bundesstaat Gesetze zur Arbeitslosenversicherung verabschiedet hatte. Im Rahmen der ambitionierten Sozialgesetzgebung des "Great-Society"Programms der Johnson-Administration verabschiedete der US-Kongreß 1970 einige Employment Security Amendments — Zusätze zur Arbeitsgesetzgebung —, die u.a. den Kreis der Leistungsberechtigten erweiterten, die Verlängerung der Höchstanspruchsdauer in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ermöglichten und Fortbildungsmaßnahmen begünstigten. Im Einzelnen verpflichtet der Federal Unemployment Tax Act jeden Arbeitgeber mit mehr als vier Beschäftigten, eine direkte (Bundes-)Steuer von 3,2% auf die Bruttolohnsumme abzuführen. Von dieser Steuerschuld darf der Arbeitgeber bis zu 90% der Beträge abziehen, die er in den Arbeitslosenfonds des jeweiligen Einzelstaates entrichtet. Das gilt allerdings nur, wenn das Versicherungssystem des betreffenden Einzelstaates folgende federal provisions — Bundesvorschriften — durchgängig erfüllt: (1) das Leistungsprinzip (Einkommen bestimmt Höhe der Leistungen); (2) das Prinzip der Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden für öffentliche Aufträge (betrifft Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung); (3) die Abgabe regelmäßiger Rechenschaftsberichte für die Bundesverwaltung; 219

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(4) die Registrierung abgelehnter Antragsteller mithilfe der Sozialversicherungsnummer (um Leistungserschieichung zu verhindern); (5) das Sparsamkeitsprinzip, um jederzeit aus den Vorschriften resultierende finanzielle Ansprüche abgelten zu können (damit Staaten nicht mit großzügigen Leistungen, die letztlich aus der Bundeskasse finanziert werden müßten, gegeneinander konkurrieren). Die Erfüllung all dieser Bedingungen ist die Voraussetzung für das Versicherungssystem jedes Bundesstaates, um in den Genuß etwaiger Zuschüsse aus Bundesmitteln kommen zu können. Sowohl die Bundessteuer als auch die Beiträge aus den Einzelstaaten werden direkt an das Finanzministerium in Washington abgeführt, wo sie dem Unemployment Trust Fund gutgeschrieben werden. Sie werden hier zwar unter Bundesregie verwaltet, aber in Konten der Einzelstaaten geführt, so daß die Staaten nominell die Eigentumstitel auf "ihre" Beiträge behalten. Die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung ist formalrechtlich also keine Bundesangelegenheit, was für die unter dem Schlagwort New Federalism eingeleitete Bundespolitik des Rückzugs aus kostspieligen sozialpolitischen Engagements eine Rolle spielt. Ein unmittelbarer Finanzausgleich zwischen den Staaten findet nicht statt. Jeder Staat mit defizitärer Versicherung konnte bis 1982 zinslose Darlehen aus Bundesmitteln aufnehmen. Seitdem wird für diese Darlehen ein Zinssatz von 10% berechnet, der nur unter der Bedingung entfällt, daß Maßnahmen zum Budgetausgleich stattfinden. Auch diese Neuerung veranlaßt die Einzelstaaten zu Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen (Murswieck 1988: 90). Für das Fiskaljahr 1988 werden die Einzahlungen auf 23 Mrd. $, die Auszahlungen hingegen auf 13,6 Mrd. geschätzt (Storey 1988: 31). Die Bundesvorschriften geben auch Richtlinien zur Gewährung der UC vor: Anspruchsberechtigt ist, wer dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung steht, bei einer Niederlassung der einzelstaatlichen Arbeitslosenversicherung registriert ist und jede zumutbare Arbeit annimmt. Wer seinen Job aus eigenem Antrieb gekündigt hat, wegen ungehörigen Verhaltens oder aufgrund eines Streiks entlassen wurde oder Arbeit ohne guten Grund zurückweist, verliert seine Ansprüche. Bleibt die genauere Auslegung dieser Bestimmungen den Legislativen der Einzelstaaten überlassen, so legen die federal provisions allerdings fest, daß Personen nicht benachteiligt werden dürfen, wenn sie eine Arbeit aus folgenden Gründen ablehnen: (1) wenn sie während eines Streiks angeboten wird; (2) wenn Entlohnung und Arbeitsbedingungen wesentlich schlechter sind, als in der entsprechenden Region üblich; 221

Arbeitsmarkt und Gewerkschaften

(3) wenn sie den Eintritt in oder den Austritt aus einer rechtmäßigen Gewerkschaft erfordert (union shop). Zunächst waren Hausangestellte, bestimmte Land- und Gelegenheitsarbeiter, die öffentlichen Angestellten auf Staats- und Kommunalebene sowie Eisenbahner von der Versicherung ausgeschlossen (letztere haben im federal railroad unemployment act von 1938 eine eigene Versicherung). Von den ursprünglich ausgeschlossenen Berufsgruppen wurden im Laufe der Zeit immer mehr in die Versicherung aufgenommen. Aufgrund der letzten großen Erweiterung des Rahmens vom 1. Januar 1978 wurden fast 10 Millionen Neuversicherte zusätzlich registriert (U.S. Department of Labor 1978: 5). Schaubild K-3: Arbeitslosenversicherung — Einnahmen, Ausgaben, Überschüsse und Defizit in Prozent vom BSP, Fiskaljahr 1962-87 Prozent vom BSP

Quelle: Storey (1988: 32). Da das System in der Rezession der zweiten Hälfte der 70er Jahre größere Defizite aufbaute (vgl. Schaubild K-3), begann der Kongreß 1978, die UC zu besteuern (seit 1986 zu 100%) und bestimmte Gruppen (Rentner, gerade entlassenes Militärpersonal) von ihr auszuschließen. Die Unterstützungsfrist von durchschnittlich 26 Wochen wird seit 1971 für Staaten, deren Arbeitslosenquote ein bestimmtes Niveau übersteigt, für 13 Wochen vom Bund um extended benefits — Anschlußleistungen — ergänzt. Darüber hinaus gab es Sonderprogramme aus Bundesmitteln für spezielle Grup222

Arbeitsmarkt

pen wie etwa Langzeitarbeitslose, die aber 1981 vom Kongreß drastisch eingeschränkt wurden. Mit Rücksicht auf die rezessionsbedingte Langzeitarbeitslosigkeit (festgestellt anhand der insured unemployment rate, nicht etwa der Erwerbslosenquote) beschloß der Kongreß 1982 wieder eine Federal Supplementary Compensation (FSC). Dieses Bundesprogramm finanzierte für die Dauer von 8 bis 14 Wochen eine Anschlußunterstützung für Langzeitarbeitslose, deren regulärer Anspruch abgelaufen war (FSCs vorhergehender Rezessionen waren wesentlich umfangreicher — Murswieck 1988: 89). Derartige Aktionen haben aber Ausnahmecharakter und begründen keine fortdauernden Ansprüche. Die gesetzliche Grundlage der FSC von 1982 erlosch ersatzlos im März 1985.

3.2. Die Staatsgesetze Die Vorschriften der Bundesgesetzgebung stecken den Ratamen ab, in dem die einzelnen Staatslegislativen walten können. Da keine zwei Staatsgesetze identisch und Revisionen die Regel sind, werden hier nur wenige Beispiele angeführt. Die Änderungen einzelstaatlicher Versicherungsgesetze werden fortlaufend jeweils in den ersten Monaten des folgenden Jahres in der MLR bilanziert (zuletzt Runner 1990). Über das Bundesgesetz hinaus verpflichten viele Staaten auch Arbeitgeber, die weniger als vier Arbeitskräfte beschäftigen, zur Abführung von Beiträgen an die Arbeitslosenversicherung. Ausnahmslos alle Staaten gestatten Arbeitgebern, freiwillig Beiträge zu entrichten. Bei der Festsetzung der individuellen Beitragshöhe befolgen alle Staaten das Prinzip des experience rating, d.h. der Beitrag des einzelnen Arbeitgebers steigt oder sinkt im Verhältnis zur Zahl der Entlassungen oder lay-offs, mit denen er die jeweilige Versicherung zuvor belastet hat. Der Landesdurchschnitt für Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stieg von 1,3% (1970) über 2,5% (1980) auf 3,2% des zu versteuernden Lohns im Jahre 1984. Seitdem sank er wieder auf 2,5% 1988 (U.S. Bureau of the Census 1990: 362, Tab. 597). 1985, im letzten nach Einzelstaaten aufgeschlüsselten Jahr, zahlten bei einem Bundesdurchschnitt von 3,1% die Arbeitgeber in Michigan mit durchschnittlich 5,9% die höchsten, in Florida mit 1,2% die relativ niedrigsten Beiträge (U.S. Bureau of the Census 1987: 361). Die meisten Staaten folgen den Bundesvorschriften darin, nicht zu Industrie und Handel gehörende Berufsgruppen von der Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung auszuschließen. Ausnahmen sind New York, wo Haushaltsangestellte, Wisconsin, wo in Familienbetrieben Beschäftigte, und Hawaii, wo Landarbeiter in die Arbeitslosenversicherung eingeschlossen sind. Zur Erlangung des Anspruchs auf Unterstützung muß ein Arbeitsloser zuvor entweder eine bestimmte Zeit lang gearbeitet oder einen bestimmten Mindestlohn verdient haben. Manchmal sind beide Vorbedingungen miteinander verbunden (Übersichten bei Blaustein 1980: 214-219; Comparison 1985).

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In fast allen Staaten ist eine Warteperiode von normalerweise sieben Tagen vorgeschrieben, die zwischen Antragstellung und der ersten Unterstützungszahlung verstreichen muß. In dieser Karenzwoche erhält der Antragsteller keine Hilfe. Wird der Erstantrag — initial claim — bewilligt, muß der Arbeitslose die Genehmigungsprozedur in wöchentlich neu auszufüllenden Anschluß-Anträgen — continued Claims — wiederholen (Blaustein 1980: 202). Die Unterstützungen werden bei den Niederlassungen der einzelstaatlichen Arbeitslosenversicherungen beantragt und gemäß den Staatsgesetzen ausgezahlt. Der Arbeitslose beantragt die UC am aktuellen Wohnort, erhält sie aber von demjenigen Staat ausgezahlt, an den sein früherer Arbeitgeber Beiträge entrichtet hat. Die Unterstützungshöhe hängt ab vom zuvor erzielten Einkommen, der Zahl abhängiger Angehöriger und den besonderen Staatsgesetzen. Im Landesdurchschnitt wurden 1988 wöchentlich 145 $ 13,8 Wochen lang ausgezahlt. Die geringste UC zahlten Alabama und Mississippi (101 $), die höchste Massachusetts (198 $) (U.S. Bureau of the Census 1990: 362, Tab. 597 u. 598). Sie wird, je nach Staatsgesetz, für einen Zeitraum von höchstens 39 Wochen gewährt; in der Regel ist sie auf 26 Wochen befristet (Blaustein 1980: 213, 218). An der oberen Grenze der tatsächlichen durchschnittlichen Leistungsdauer lagen 1985 New York und Louisiana mit etwa 18 Wochen, an der unteren New Hampshire mit 6 Wochen (U.S. Bureau of the Census 1987: 361). Im vergangenen Jahrzehnt haben zahlreiche Staaten die Leistungen gekürzt. Andere unterließen die Anpassung der Obergrenzen an die Inflationsrate und benachteiligten damit die relativ besser gestellten Unterstützungsberechtigten. Der größere Teil der Einsparungen wurde aber durch Einschränkung von Bewilligungskriterien, nicht durch Kürzung der ohnehin schmalen Unterstützungsbeträge realisiert (Storey 1988: 33).

3.3. Probleme Obwohl die Erhebung der insured unemployment rate der amtlichen Ermittlung der bundesdeutschen Arbeitslosenquote ähnelt, ist der sehr unterschiedlichen Versicherungs- und Leistungskriterien wegen ein direkter Größenvergleich nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Das anders geartete Versicherungssystem beeinflußt die Personalkalkulation der Unternehmen sowie das Verhalten der Arbeitslosen in einer Weise, die die Unterschiede zwischen amerikanischem und deutschem Arbeitsmarkt noch vertieft (Ochel/Schreyer 1988a; Katz/Meyer 1988). Die Daten zur versicherten Arbeitslosigkeit sind gegenüber den Schätzungen der Erwerbslosigkeit wesentlich genauer und zuverlässiger (Blaustein 1980: 207-08). Allerdings liegen ihnen auch andere Bezugsgrößen zugrunde. Aus der insured unemployment rate fallen gerade die zuerst und am härtesten von Arbeitslosigkeit Betroffenen heraus: die Nichtanspruchsberechtigten, die in unterbezahlten und unregelmäßigen Jobs beschäftigt sind. 224

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Mittlerweile sind zwar ca. 97% aller abhängig Beschäftigten gegen Arbeitslosigkeit versichert (Blaustein 1980: 201), während sich dieser Anteil vor den Employment Security Amendments, von 1949 bis 1970, zwischen 37 und 55% bewegte (Green 1971: 38); zur Bewertung der Zahlen muß aber beachtet werden, daß die Versicherung an sich noch keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung begründet, sondern lediglich die Voraussetzung für einen Antrag auf Versicherungsleistungen darstellt. Da diese nur für einen begrenzten Zeitraum in Anspruch genommen werden können, fallt Langzeitarbeitslosigkeit zudem in der Regel mit dem Verlust aller Leistungen zusammen: 1986 etwa schöpfte ein Drittel der Antragsteller — 2,6 Millionen — seinen Anspruch auf Unterstützung restlos aus, was durchaus dem Durchschnitt eines konjunkturell guten Jahres entspricht (Storey 1988: 32). Die Zahl der Arbeitslosen, die tatsächlich in den Genuß von Versicherungsleistungen kommen, ist infolge von Verschärfungen der Bewilligungskriterien seit Beginn der 80er Jahre drastisch gesunken: Lag die Quote der Unterstützungsempfänger von allen statistisch erfaßten Arbeitslosen noch in der Rezession von 1975-77 bei bis zu 75%, so sank sie über 1982 45% (Murswieck 1988: 89) 1984 auf den historischen Tiefpunkt von 28,5% (U.S. Bureau of the Census 1987: 393). Seitdem nahm sie wieder auf knapp über 30% zu (U.S. Bureau of the Census 1990: 399, Tab. 658). Die Durchschnittsdauer der Inanspruchnahme von Unterstützung lag in den 80er Jahren bei 15,6 Wochen (Storey 1988: 32).

4. Strukturen und Trends am Arbeitsmarkt 4.1. Die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots Tabelle K-l zeigt die Entwicklung des Arbeitsmarktes seit 1950 unter Berücksichtigung der relativen Anteile von Gruppen mit besonderen Merkmalen. Die Struktur des amerikanischen Arbeitskräfteangebots hat sich in den vergangenen Jahrzehnten merklich verändert. Am deutlichsten nahm die Einbeziehung der Frauen in die Berufstätigkeit zu. 1988 waren 56,6 Prozent aller amerikanischen Frauen erwerbstätig oder erwerbsuchend. Die Zunahme von Doppelbelastung durch Haushalt und Berufstätigkeit vieler amerikanischer Frauen wird in Tabelle K-2 belegt. Für die unmittelbare Nachkriegszeit bis etwa 1965 wird die Zunahme des Anteils weiblicher Arbeitskräfte auf die Altersgruppe ab 35 Jahren zurückgeführt, die nach dem Abschluß der Kindererziehung auf den Arbeitsmarkt drängte. Seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre stellen jedoch jüngere Frauen den größeren Anteil der Zunahme. Beide Entwicklungen werden von konservativen Wissenschaftlern mit der Änderung sozialer Verhaltensweisen erklärt: Der Nachkriegs-Babyboom habe viele Mütter dem Arbeitsmarkt ferngehalten, wäh225

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