Wir sind alle »andere«: Schule und Religion in der Pluralität
 9783666702105, 9783647702100, 9783525702109

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Henning Schluß / Susanne Tschida /  Thomas Krobath / Michael Domsgen (Hg.)

Wir sind alle »andere« Schule und Religion in der Pluralität

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit drei Abbildungen, einer Grafik und fünf Tabellen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-70210-0 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Henning Schluß Warum wir alle andere sind – pädagogische Perspektiven von Pluralität im religiösen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Systematische Perspektiven Joachim Willems Interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Bernhard Dressler Schule im Spannungsfeld von religiöser und kultureller Pluralität . . . . . . . 37 Regina Polak Schule im Spannungsfeld sozioreligiöser Transformationsprozesse . . . . . . 49 Martin Jäggle (Schul-)Kultur der Anerkennung im Spannungsfeld von Pluralität und Alterität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Henning Schluß Erforschung (inter-)religiöser Kompetenz. Konzepte – Probleme – neue Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Inhalt

Fallbeispiele Thomas Krobath/Georg Ritzer LehrerInnenbildung im Kontext religiöser Pluralität. Konzepte – Erfahrungen – Perspektiven an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Amena Shakir »Auch sie sind gläubige Menschen.« Anerkennung lernen in interreligiösen Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Alfred Garcia Sobreira-Majer »Das Kennenlernen des Fremden baut Vorurteile ab«. Interreligiöse Studierenden-Begegnungen an der KPH Wien/Krems und der IRPA . . . . . 139 Michael Domsgen Religiöse Pluralität anders wahrnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Ednan Aslan Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Susanne Tschida Ethikunterricht für alle? Einige »vielleicht diversifizierende« Überlegungen zur Einführung eines verpflichtenden Unterrichtsfachs Ethik in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Edda Strutzenberger-Reiter »Also ich habe kein Problem damit.« – Religiöse Pluralität in der Schule aus Sicht katholischer ReligionslehrerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Anne-Kathrin Wenk Schulpastoral und Schulseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Vorwort

Der Blick auf das Verhältnis von Schule und Religion eröffnet vielfältige Zugänge zu zentralen Nervensträngen der gegenwärtigen sozialen, kulturellen, pädagogischen und religiös-weltanschaulichen Entwicklungen in den Gesellschaften Mittel- und Westeuropas. Schulen sind Orte, in denen sich alle diese Tendenzen widerspiegeln, denn nahezu alle durchlaufen die Schule. Kinder, Eltern und LehrerInnen aus unterschiedlichen Herkunftsmilieus und unterschiedlichen soziokulturellen Zuordnungen treffen in der Schule aufeinander. Das Verhältnis von Schule und Religion unterliegt einem vielschichtigen Wandel von der Dominanz christlicher Kirchen über die Schulen in Europa über eine zunehmende Verdrängung der religiösen Dimensionen des Lebens aus der Schule und ihrer Engführung auf das Schulfach Religion hin zu einer Wiederkehr religiöser Vielfalt in den Schulen vor allem der Ballungszentren. Das Verhältnis von Schule und Religion ist mit Ambivalenzen und Spannungen aufgeladen. Es ist ein Brennglas der Pluralität, deren Verflechtungen im Raum der Schule kaum angesprochen und bearbeitet werden. Die internationale Tagungsreihe, ausgerichtet von der Universität Wien, dem Comenius Institut Münster, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems greift die Themenstellung in unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen auf. Die erste Tagung 2011 in Halle hatte den kontextuell nahe liegenden Fokus auf Säkularität und Konfessionslosigkeit.1 Die Folgetagung 2012 widmete sich einigen durch die Großstadtsituation in Wien repräsentierten Aspekten von Pluralität anhand zentraler inhaltlicher Perspektiven und innovativer Projekte. Tagungsort war die Kirchliche Pädagogische Hochschule (KPH) Wien/Krems, die als ein von unterschiedlichen Kirchen getragenes ökumenisches Projekt ein Beispiel für einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt darstellt. 1

Michael Domsgen/Henning Schluß/Matthias Spenn (Hg.): Was gehen uns »die anderen« an? – Schule und Religion in der Säkularität. Göttingen 2012.

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Vorwort

Viele KollegInnen, Studierende und MitarbeiterInnen haben durch ihr Mitwirken inhaltlicher, organisatorischer und redaktioneller Art zum Gelingen der Fachtagung und ihrer vorliegenden Dokumentation in Buchform beigetragen. Wir bedanken uns herzlich bei ihnen und bei den für das organisatorische Zusammenwirken von Universität Wien und KPH Wien/Krems Verantwortlichen. Für die heikle Arbeit an der Druckvorlage bedanken wir uns besonders bei Harald Hofer. Den Autorinnen und Autoren danken wir für das zusätzliche Mittragen der Buchwerdung bis zuletzt.

Wien und Halle, im Oktober 2014 Thomas Krobath, Michael Domsgen, Susanne Tschida, Henning Schluß

Warum wir alle andere sind – pädagogische Perspektiven von Pluralität im religiösen Feld Henning Schluß

Hintergründe 2012 gaben Michael Domsgen, Matthias Spenn und ich einen Tagungsband mit dem Titel Was gehen uns »die anderen« an? heraus. Das Verhältnis von Schule und Religion in der Säkularität war das Thema des Buches und der Tagung, die den säkularen Genius Loci aufnehmend, in Halle an der Saale stattfand. Schon in der mit der Ironie spielenden Titelei wurde deutlich, dass es die Konstruktion, die die irgendwie religiös musikalischen von »den anderen« unterschied, so nicht gab. In der Folgetagung, die 2012 in der religiös höchst pluralen Stadt Wien stattfand, wurde diese Diagnose vertieft und nun auch im Titel des Tagungsbandes ausgedrückt. Wir sind alle »andere« spielt nicht nur darauf an, dass wir aus der Perspektive des »Andersgläubigen« oder »Nichtgläubigen« selbst andere sind, sondern in den systematischen Eingangsbeiträgen wie in den eher praktisch ausgerichteten Beispielen im zweiten Teil wird deutlich, dass diese schlichten Zuordnungen zu Religionen oder zum Status der Konfessionslosen die Möglichkeiten der Situierung »im Feld des Religiösen« (Polak, in diesem Band) eher verdunkeln als erhellen.

Einleitung Joachim Willems arbeitet am Beispiel der Beschneidungsdebatte von 2012 in seinem Eingangsbeitrag »religiöse Überschneidungssituationen« heraus. Diese zeichnen sich nicht etwa dadurch aus, dass sich hier lediglich die Bezüge verschiedener Religionen oder verschiedener religiöser Standpunkte überschnitten, sondern immer sind auch andere Dimensionen menschlicher Praxis mit im Spiel. Religiös kompetente Personen zeichneten sich gerade dadurch aus, dass sie unterscheiden könnten, welche Dimension in welchem Maße wie in die konkrete Situation involviert ist bzw. welche in dieser Situation vorgetragenen Argu-

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mente welche Praxis besonders stark akzentuieren. Dass z. B. neben einer theologischen die rechtliche Dimension in der Beschneidungsdebatte ebenso stark bemüht wurde wie eine historisch vergleichende, liegt auf der Hand. Gleichwohl zeigt Willems, dass in unterschiedlichen Äußerungen zum Thema, die alle von jüdischen Deutschen stammen, diese Dimensionen unterschiedlich wichtig werden. Darüber hinaus kann Willems aber auch zeigen, dass selbst da, wo hauptsächlich in der gleichen Dimension menschlicher Praxis argumentiert wird, keineswegs Einigkeit garantiert ist. Bei all dem bleibe der rationale Diskurs der Gegenstand dieses religiösen Überschneidungsfeldes, in dem sich einigermaßen sicher zu bewegen, religiöse Kompetenz erfordere. Willems spricht keinem der derzeit in Europa praktizierten oder diskutierten Modelle religionsbezogener Unterweisung an der öffentlichen Schule ein Primat zu, allerdings fordert er von allen Konzepten, solche Überschneidungssituationen angemessen verstehen zu lehren. Unterscheidungen sind das Thema des grundlegenden Beitrags von Bernhard Dressler. Er erinnert nicht nur an die Unterscheidung von Religion und Theologie, die in manchen Debatten wieder verloren zu gehen drohe, sondern macht den Unterschied zwischen dem sozialen Phänomen »Religion« und dem individuellen »Glauben« stark. Die Signatur unserer Zeit, gleich ob sie als Postmoderne oder reflexive Moderne bezeichnet würde, zeichne sich vor allem dadurch aus, dass Möglichkeiten des Sich-Verhalten-Könnens zu unserer Welt (als natürliches wie als soziales Phänomen) wie auch die Uneindeutigkeit der Lebensbezüge nicht nur ein theoretisch von wenigen antizipierbares Muster sei, sondern als lebenspraktisch gewendeter Anspruch an nahezu alle Menschen, zumindest in den Industrienationen, erfahrbar werde. Unter solchen Bedingungen spätmoderner Kultur könne, so Dressler, Religion nur so erlebt und unterrichtlich thematisiert werden, »als ob wir sie ergriffen hätten«. Hiermit ist nicht so sehr das Wagnis gemeint, das bei Kierkegaard mitschwingt oder noch bei Heinz Zahrnt »Leben als ob es Gott gibt« unter Berufung auf Vaihingers »Philosophie des als ob«, sondern es ist der einzig mögliche Modus des jedenfalls unterrichtlich zu rechtfertigenden Weltbezuges, der auch nicht zugunsten einer dahinterliegenden Wahrheit oder auch nur einer verbindlichen Nützlichkeit oder allgemeinverbindlichen Viabilität aufgegeben werden kann. Jede Art religionsbezogenen Unterrichts, die diese Differenzierungen ignoriere, und nicht nur die, die zu einer Glaubensunterweisung zurückkehren wollen, sondern auch solche Formen, die lediglich Kenntnisse über Religionen vermitteln wollen und dabei das probabilisitische Eintauchen in die unterschiedlichen Modi der Welterschließung verabsäumten, griffen viel zu kurz um einem Bildungsauftrag gerecht zu werden, der eben diese mannigfaltigen Möglich-

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keiten der Welterschließung zum Beruf hat. Dressler sieht hier keine Sonderstellung der Religion, denn auch andere Modi der Welterschließung müssten in gleicher Weise vermittelt werden. Regina Polak drängt aus religionssoziologischer Perspektive ebenfalls auf Differenzierungen. Ohne die Befunde der Säkularisierung zu leugnen zeigt sie auf, dass das Säkularisierungskonstrukt eher eine These als eine Theorie sei, die in der letzten Zeit erhebliche Korrekturen, Ergänzungen und Widersprüche erfahren habe. Polak geht es nicht darum, die Säkularisierungsthese zu widerlegen, aber sie macht auf Phänomene im religiösen Feld, nicht nur weltweit, sondern auch in Europa, aufmerksam, die mit der Annahme immer weiter fortschreitender Säkularisierung nicht zu erklären sind. Insbesondere der Transformationsbegriff scheint ihr geeignet, die Vielfalt dieser Prozesse angemessener als im Säkularisierungsbegriff zu beschreiben. Sie plädiert somit für eine Vielfalt der Konzepte zur Beschreibung der Prozesse im religiösen Feld, weil jeder Ansatz Spezifisches sichtbar mache, aber für anderes blind sei. An mehreren religionssoziologischen Ansätzen kann Polak den Gewinn eines solchen Methodenmixes veranschaulichen. Martin Jäggle nähert sich dem Themenkomplex von einer anderen Seite, ist aber nicht weniger um Differenzierungen bemüht. Sein Thema ist Anerkennung und ihre Bedeutung im pädagogischen und theologischen Zusammenhang. Er geht von den Fragen aus, wie wir in der Schule mit Vielfalt und Diversität umgehen und wie junge Menschen Selbstwert vor jeder Bewertung gewinnen können. Jäggle warnt vor einer leichtfertigen Antwort, hier einfach »Anerkennung« als Allheilmittel zu verkünden. Stattdessen nimmt er vier Unterscheidungen des Gebrauchs des Begriffs und Konzepts der Anerkennung auf, die Nicole Balzer und Norbert Ricken vorgeschlagen haben. Andererseits weist Jäggle darauf hin, dass das bloße Betonen von Unterscheidungen und Unterschieden zur Aufgabe des Gleichheitsanspruches führen könne, der demokratische Gesellschaften seit der Französischen Revolution kennzeichne. Die schulische Herausforderung sieht Jäggle darin, mit Differenz so umzugehen, dass nicht-diskriminierende Kommunikationsformen entwickelt werden, was insbesondere angesichts einer institutionellen und sogar räumlich nachweisbaren Tendenz zur Entmündigung in der Schule bewusster Anstrengung bedürfe. Religion, die es nur im Plural gebe, sei trotz ihrer Privatheit aufgrund ihrer Pluralität gewissermaßen der Ernstfall einer Kultur der Anerkennung an der Schule. Sie auszublenden oder zu verdrängen sei zwar der Normalfall an der Schule, wirke jedoch abwertend, weil somit bestimmte Lebensentwürfe aus dem Diskurs ausgeschlossen würden. Als Religionspädagoge reflektiert Jäggle diesen Zusammenhang auch theologisch, bevor er mit einer Vision von einer lebenswerten Schule endet.

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Henning Schluß schlägt einleitend eine Beschreibung des Verhältnisses von religiöser und interreligiöser Kompetenz vor, in der beide nicht voneinander zu trennen sind, sondern interreligiöse Kompetenz notwendige Ausprägung religiöser Kompetenz in der pluralen Welt ist. Die Frage, wie angesichts der in den ersten Beiträgen angemahnten notwendigen Differenzierungen (inter-) religiöse Kompetenz als eine unterrichtlich zu vermittelnde und domänenspezifisch zu verstehende Kompetenz empirisch zu erheben sei, wird daraufhin erörtert. Wenn es stimme, dass diese Kompetenzen für das Zusammenleben in der pluralen Gesellschaft notwendig sind, sie gleichwohl nicht einfach lebensweltlich erlernt werden, dann liegt in deren Vermittlung und kritischer Reflexion eine Aufgabe der öffentlichen Schule. In der Erhebung dieser Kompetenzen können einfache Leistungstests, die Merksätze abfragen, angesichts der angemahnten Differenzierungen nicht ausreichen. Andererseits darf auch das Bemühen, den individuellen Glauben festzustellen und zu bewerten nicht Ziel empirischer Tests (inter-)religiöser Kompetenz sein. Schluß arbeitet deshalb Elemente heraus, die bei der Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz zu berücksichtigen sind. Er zeigt aber auch bislang ungelöste Probleme in der fachspezifischen (inter-)religiösen Kompetenzforschung auf, wie die Abhängigkeit von der Lesekompetenz, die Unsichtbarkeit der den Outputs zugrundeliegenden Überlegungen und die Unterschiedlichkeit der religiösen Traditionen und der jeweiligen Unterrichte, die es schwer macht, für alle verbindliche Vergleichsverfahren zu finden. Schluß entwickelt Ansätze zu Lösungen dieser Probleme, die neben ergänzenden qualitativen Erhebungsverfahren vor allem eine Alternative zur Schriftlichkeit des Tests beschreibt. Mit dem Vorschlag, interpretative religiöse Kompetenz auch an fiktionalen Religionen zu entwickeln und zu testen, wird ein neuer Weg der Konstruktion von Vignetten vorgeschlagen, der sicherlich kontrovers diskutiert werden wird. Der zweite Teil des Buches arbeitet am Beispiel konkreter Projekte, Institutionen oder Fächer. Thomas Krobath und Georg Ritzer leiten diesen Teil mit ihrem Beitrag ein, in dem sie von Konzepten und Erfahrungen der ReligionslehrerInnen-Ausbildung an einer mindestens im deutschen Sprachraum einzigartigen Institution, einer Pädagogischen Hochschule in ökumenischer Trägerschaft berichten. Krobath und Ritzer beschreiben die nicht spannungslose Konstruktion der Hochschule, die institutionell ein der religiösen Pluralität angemessenes Konzept sucht. Die Grundlage des christlichen Menschenbildes wird an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH) nicht monolithisch verstanden, sondern ist konstitutionell vom Konzept der Differenz gekennzeichnet. Dabei bieten nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle, politische und regionale Differenzen der Hochschule, die sich auch

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über zwei Bundesländer und zwei katholische Diözesen erstreckt, die Voraussetzung für eine produktive Dynamik gemeinsamen Lehrens und Lernens. Der dreifache Anspruch einer Kultur der Anerkennung, der Inklusion und des Dialogs sei eine Grundlage dieser gemeinsamen Arbeit und in die Gründungsakten eingeschrieben. Bemerkenswert ist, dass in diesem Umfeld nicht nur die künftigen ReligionslehrerInnen mit religiöser Pluralität schon in der Ausbildung sich produktiv auseinanderzusetzen lernen, sondern auch für LehrerInnen der anderen Fächer der Erwerb von interreligiöser Kompetenz zum Kanon gehört. Amena Shakir berichtet von einem interreligiösen Begegnungsprojekt zwischen Wiener Hochschulen im Bereich der ReligionslehrerInnen-Ausbildung. Während an der KPH Wien/Krems ReligionslehrerInnen verschiedener christlicher Konfessionen ausgebildet werden, ist die IRPA für die Ausbildung der muslimischen ReligionslehrerInnen zuständig. Durchaus vergleichbar zur KPH ist dabei die intrareligiöse Vielfalt der IRPA, die nicht nur vier sunnitische, sondern auch schiitische Rechtsschulen im Lehrpersonal berücksichtigt. Neben der interreligiösen Dimension kommt also auf beiden Seiten der Begegnung auch der intrareligiösen Vielfalt eine maßgebliche Bedeutung zu. Die zu überwindenden Anlaufschwierigkeiten und mentalen Hürden sind ebenso Gegenstand ihres Berichts, wie die Ergebnisse, die im Konzept des »Lernens durch Begegnung« einen Ausdruck finden. Die interreligiöse Studierendenbegegnung von Studierenden der KPH Wien/ Krems und des Privaten Studiengangs für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen (IRPA) ist auch Gegenstand des Berichts von Alfred Garcia Sobreira-Maier. Neben den Grundsätzen, die für diese Begegnungen gelten, aber auch darüber hinaus für interreligiöse Kontakte bedeutsam sind, werden erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts vorgestellt. Fragebogenerhebung und Gruppeninterview lassen dabei auf einen deutlichen interreligiösen Kompetenzerwerb der Teilnehmenden schließen. Nicht nur Wissen, sondern auch Interesse an der anderen Religion nahm zu und Vorurteile konnten abgebaut werden. Unter ganz anderen Bedingungen findet die ReligionslehrerInnen-Ausbildung an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale statt, von der Michael Domsgen berichtet. Mit diesem Beitrag wird auch die Brücke zur ersten Tagung geschlagen, die das Verhältnis von Schule und Religion unter Bedingungen der Säkularität in Halle diskutierte. Domsgen betont eingangs, dass die kontextuellen Bedingungen des Lernens sich auf das Lernen selbst auswirken, insofern diese Kontexte zu analysieren, zu reflektieren und zu gestalten seien. In dieser Analyse sieht Domsgen, dass Säkularität keineswegs gleichbedeutend ist mit religiöser Uniformität, sondern sich auch hier Pluralität findet, wenn

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auch eine andere als z. B. unter den Bedingungen der KPH in Wien. Zahlenmäßig klein, aber insbesondere im urbanen Raum nicht zu vernachlässigen seien die vielen religiösen Gemeinschaften neben den großen Kirchen. Prägend sei dennoch das Phänomen der Konfessionslosigkeit der Mehrheitsgesellschaft. Religionssoziologische Untersuchungen zeigten, dass ein persönlicher »Glauben« (Dressler) stärker als im Westen Deutschlands mit institutioneller Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft korreliert. In der konfessionslosen Mehrheitsgesellschaft hätten sich jedoch Praktiken und Sinndeutungen herausgebildet, die an die Stelle der Angebote traditioneller Religionen getreten sind. Im Unterschied zu Polak in diesem Band spricht Domsgen in der Würdigung dieser weitgehenden Konfessionslosigkeit deshalb auch nicht von einem religiösen Feld, sondern vom religiös-weltanschaulichen Feld. Diese Sinndeutungen und Praktiken, die nicht nur individuell, sondern wenn auch oft nicht institutionell, so doch kollektiv erwirtschaftet sind, zu identifizieren sei eine wichtige Aufgabe zum Verstehen des Kontextes der ReligionslehrerInnen-Ausbildung in SachsenAnhalt. Insbesondere die Ausbildung der interreligiösen Kompetenzen hat aber auf diese Situation zu reagieren, in der VertreterInnen anderer Religionsgemeinschaften vor Ort kaum zu finden sind. Domsgen beschreibt Ansätze, darauf didaktisch zu reagieren, die nicht nur im Studium, sondern auch in der späteren Praxis der LehrerInnen hilfreich sein können. Aber auch an die unter den Studierenden selbst vorhandene Pluralität kann didaktisch angeknüpft werden. Für Außenstehende mag besonders überraschend sein, dass ein Großteil der Studierenden des Lehramts Religion konfessionslos ist. Insofern ist die Pluralität im religiös-weltanschaulichen Feld im Studiengang selbst vertreten und daran kann produktiv und wertschätzend angeknüpft werden, wenn auch in ganz anderer Weise als unter den Bedingungen der KPH Wien/Krems. Am Beispiel der muslimischen Geschichte in Österreich macht Ednan Aslan an einem Fallbeispiel deutlich, dass Pluralität nicht erst ein Phänomen der jüngeren Zeitgeschichte ist, sondern dass der Islam lange schon zu Österreich gehörte. Gleichwohl kann Aslan zeigen, dass diese Geschichte alles andere als spannungsfrei war. Der Schwerpunkt seiner Untersuchung liegt auf dem pädagogischen Bereich. Anhand von numerischen Entwicklungen kann Aslan durchaus Normalisierungsprozesse in unterschiedlichen pädagogischen Bereichen, von muslimischen Privatschulen bis hin zum islamischen Religionsunterricht, nachweisen. Aslan schließt mit einem engagierten Plädoyer für den islamischen Religionsunterricht als dem Ort, der auch zur Beheimatung von in erster und zweiter Generation Migrierter in Österreich führen könne, einerseits dadurch, dass die Kinder hier erfahren, dass der Islam zu Österreich gehöre, andererseits aber auch dadurch, dass in der Islamischen Religionspädagogik

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der Keim einer Auslegung des Islam liege, der kompatibel mit der pluralen Demokratie sei. Im Anschluss an den Workshop »Ethikunterricht für alle« auf der Tagung »Schule und Religion im Kontext von Pluralität« stellt Susanne Tschida, die den Workshop moderiert hatte, eigene Überlegungen zum Thema an. In einem ersten Zugriff rekapituliert sie knapp die Diskussion um die Einführung des Ethik-Unterrichts in Österreich und zieht zum Vergleich den Berliner Lehrplan des für alle SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7–10 verbindlichen EthikSchulfaches heran. In einem zweiten Teil arbeitet sie kontroverse Statements am Diskurs beteiligter Akteure wie der katholischen Kirche und der politischen Partei »NEOS«, heraus und diskutiert diese vor dem Hintergrund eigener bildungstheoretischer Überlegungen. Dabei weist sie unter anderem auf Differenzen zwischen den konzeptionellen Ansprüchen und deren vorfindlicher Praxis von Unterrichtsfächern im Bereich des »moralisch-evaluativen Feldes« (Leschinsky) hin. In einem dritten Teil entwickelt Tschida in Anlehnung an eine Argumentation Judith Butlers ein Plädoyer für einen »ethischen Ethikunterricht«, der insbesondere Formen der Ideologiekritik aufnimmt und so weder wertneutral noch indoktrinierend konzipiert werden könne. Den Blick von der Ausbildung auf die Schule hin richtet Edda StrutzenbergerReiter. In einer Untersuchung, die ein Team um Monika Jakobs in 2006/7 in der Schweiz durchgeführt hat, sagen die befragten Religionslehrkräfte von sich selbst, dass sie andere Religionen vorurteilsfrei unterrichten würden, zugleich aber auch mit ihrer eigenen Konfession vertraut machen. Die Differenzen zur sachsen-anhaltischen Situation, wo ein Großteil der TeilnehmerInnen am RU selbst konfessionslos ist, sind dabei mit Händen zu greifen. Gleichwohl bestätigte sich die Annahme des ForscherInnenteams nicht, dass die religiöse Pluralität zu Ambivalenz bei den ReligionslehrerInnen führen würde, vielmehr stellte das Team weithin eine »reflexionsfreudige Religiosität« fest. Strutzenberger-Reiter hat in Österreich neun katholische ReligionslehrerInnen interviewt, die an Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS – vergleichbar Gymnasien) arbeiten. Die Ergebnisse sind höchst aufschlussreich: Alle LehrerInnen würden zwar die interreligiöse Kooperation wünschen, sehen sich aber aufgrund struktureller Schwierigkeiten nicht in der Lage, diese auch zu praktizieren. Vonseiten der Schule würde kaum auf die kulturelle und religiöse Pluralität reagiert, die doch das Schulleben erheblich verändert habe. Anne-Kathrin Wenk berichtet vom Workshop »Schulpastoral – Schulseelsorge«. Schulpastoral ist deshalb ein so spannendes Feld, weil es eine Form religiöser Artikulation an der Schule außerhalb des Unterrichts bietet und damit der Logik des Unterrichts, bis hin zur Bewertung, nicht unterliegt, sondern die

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Schule als Lebensraum wahrnimmt und mitgestaltet. Die Erfahrungen im Feld sind bei den Teilnehmerinnen und Organisatorinnen des Workshops durchaus unterschiedlich. Während mancherorts die Schulseelsorge etabliert und willkommen ist, stößt sie andernorts auf Ablehnung oder findet zumindest keine institutionelle Unterstützung. Deutlich ist überall, dass es Refinanzierungsvereinbarungen für diese kirchlichen Dienstleistungen kaum gibt, sondern dass es weithin freiwilliges Engagement der Religionslehrkräfte oder gemeindlicher MitarbeiterInnen oder z. B. von Ordensmitgliedern ist, die z. B. Schulgottesdienste und Seelsorge an der Schule anbieten. Anders als beim Religionsunterricht wird bei aller konfessionellen Unterschiedlichkeit festgehalten, dass Schulpastoral und Schulseelsorge ein offenes Angebot an alle Menschen im Lebensraum Schule darstellt. Mit diesen Einblicken sind unterschiedliche, aber bei Weitem nicht alle pädagogischen Perspektiven von Pluralität im religiös-weltanschaulichen Feld angesprochen. Auch wenn die Literatur zum Thema selbst vielfältig ist und weiter wächst, so scheint mir doch, dass es der hier dokumentierten Wiener Tagung gelungen ist, spezifische Perspektiven mit Bezug auf die urbane Kultur Wiens, die multikulturelle und multireligiöse Tradition des Vielvölkerstaates Österreich aufzunehmen. Dazu beigetragen hat auch der konfessionell plurale Tagungsort, die KPH Wien/Krems, der an dieser Stelle noch einmal besonders gedankt sein soll.

Systematische Perspektiven

Interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule1 Joachim Willems

1 Situative Verortung Über das männliche Geschlechtsteil dürfte in den deutschen Zeitungen in keinem anderen Jahr so viel geschrieben worden sein wie im Jahr 2012. Grund dafür ist ein Urteil des Landgerichts Köln, das Beschneidungen von Jungen aus religiösen Gründen als strafbar ansieht. In der Folge diskutierte die deutsche – und nicht nur die deutsche – Öffentlichkeit über die Grenzen von Religionsfreiheit und den Sinn religiöser Rituale und Gebote. An dieser Diskussion beteiligten sich Juden und Muslims, Christen und Agnostikerinnen, Theologinnen und Juristen, Medizinerinnen und Politiker. In den letzten Jahren haben schon andere religionspolitische ›Fälle‹ Gerichte, Politik und Öffentlichkeit beschäftigt: Dürfen oder müssen Kruzifixe in Klassenzimmern hängen oder nicht? Ist es einer muslimischen Lehrerin erlaubt, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen? Darf ein muslimischer Jugendlicher in der Pause auf dem Schulflur beten? Wohl nicht zufällig sind dies Fälle, in denen es um religiöse Pluralität, um die heranwachsende Generation und somit um Bildungsfragen geht: Kinder und Jugendliche sind der Schulpflicht unterworfen, so dass sich hier die Frage nach der Religionsfreiheit in einem religiös pluralen Umfeld besonders dringlich stellt, denn eine Schülerin kann sich dem Einfluss nicht entziehen, den das Kopftuch ihrer Lehrerin oder das Kruzifix an der Wand tatsächlich oder angeblich ausübt. Und der Schüler, der sein täglich fünfmaliges Gebet als seine religiöse Pflicht ansieht, muss das Gebet mit seinem Stundenplan vereinbaren. Diese Beispiele zeigen, dass religiöse Pluralität eine Herausforderung für das Bildungswesen auf unterschiedlichen Ebenen ist: 1

Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts REVIER, gefördert durch ein Heisenberg-Stipendium und eine Sachbeihilfe der DFG, GZ: WI 2715/1–1 und WI 2715/2–1. REVIER steht für ›Religiöse Vielfalt erleben – deuten – bewerten‹. Vgl. auch die Projektdarstellung im Internet unter http://zope.theologie.hu-berlin.de/relpaedagogik/mitarbeiter/revier.

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ȤȤ Auf der nationalstaatlichen Ebene, auf der Ebene von Bundesländern und im internationalen Kontext muss angesichts gesellschaftlicher Veränderungen immer wieder geklärt werden, wie das Recht von Schülerinnen und Schülern, von Eltern und von Lehrerinnen auf positive und negative Religionsfreiheit garantiert werden kann. ȤȤ Solche Regelungen müssen dem Kontext angemessen in den einzelnen Schulen umgesetzt werden. ȤȤ Damit dies gelingt, muss religiöse Pluralität ein Thema der Lehramtsausbildung sein. ȤȤ Und schließlich ist es eine Aufgabe der Schule, die Kinder und Jugendlichen zum Umgang mit religiöser Pluralität zu befähigen. Das ist gemeint, wenn von interreligiöser Kompetenz die Rede ist. Die Förderung von interreligiöser Kompetenz ist also nur ein Teil der Herausforderung, vor die uns eine religiös zunehmend plurale Situation stellt.

2 Was meint ›interreligiöse Kompetenz‹? – Erste Klärungen Die deutsche bildungspolitische Diskussion um Kompetenzen bezieht sich seit mehr als zehn Jahren auf die Definition von Franz Weinert, wie sie in der sog. Klieme-Expertise zitiert wird. Danach sind Kompetenzen bezogen auf die Lösung bestimmter Probleme und »die damit verbundenen […] Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können«2. Kompetenz bezieht sich somit auf die Fähigkeit, »konkrete Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen«3. Wichtig ist dabei, dass Kompetenz domänenspezifisch definiert wird. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass man unterschiedliche Modi der Welterschließung und fachspezifische Rationalitäten unterscheiden kann, und dass man jeweils wissen muss, innerhalb welcher dieser Modi und Rationalitäten man sich bewegt. Im Alltag ist das meist kein Problem: Ist mein Klo verstopft, gehe ich nicht zum Pfarrer; erhoffe ich mir Segen für meine bald zu schließende Ehe, so rufe ich nicht die Versicherungsmaklerin an; möchte ich finanziell fürs Alter vorsorgen, nicht den Sanitärfachmann. Die Fächer in der Schule bilden grundlegende Modi der Welterschließung ab und üben deren Rationalitäten 2 Klieme et al. 2003, 72; Hervorgehoben im Original. 3 Ebd.

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ein. Dazu deuten sie Situationen fachspezifisch und ermöglichen so erst fächerübergreifenden Unterricht. Denn auf ein und dieselbe Situation, auf ein und dasselbe Problem kann man aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven schauen: Die Frage nach dem Ursprung der Welt stellt sich religiös anders als naturwissenschaftlich, und beide Perspektiven sind legitim, notwendig und nicht wechselseitig substituierbar. Ist deshalb davon die Rede, dass Kompetenz domänenspezifisch konzeptualisiert wird, dann bedeutet das eben nicht allein, einen Wissenskanon oder ein Set an Methoden zu definieren. Vielmehr ist jemand domänenspezifisch kompetent, der im Sinne der Rationalitätsform eines Faches diejenigen Situationen identifizieren kann, für deren Bearbeitung diese Rationalitätsformen angemessen sind, und der dann in der Lage ist, für das Fach typische Kenntnisse und Methoden zu dieser Bearbeitung anzuwenden. Wer deshalb eine fachspezifische Kompetenz beschreiben und unterrichtlich fördern will, muss zunächst theoretisch definieren und empirisch erheben, welche Situationen in den Zuständigkeitsbereich des Faches fallen. Dann gilt es, diejenigen dieser Anforderungssituationen zu identifizieren, die auf eine Art und Weise exemplarisch sind, dass man an ihnen seine Kompetenz so schulen kann, um auch andere Anforderungssituationen bearbeiten zu können. Was aber sind das für Anforderungssituationen, auf die sich interreligiöse Kompetenz bezieht? Allgemein geantwortet: Situationen, in denen religiöse Pluralität zur Herausforderung wird. Dies können Situationen sein, in denen der eigene Glaube durch eine davon abweichende religiöse Überzeugung oder religiöse Praxis in Frage gestellt wird, so dass jemand zu einem learning from religion(s) herausgefordert wird oder zu einer Klärung und Vergewisserung in der eigenen Tradition. Andere Situationen, in denen religiöse Pluralität zur Herausforderung wird, sind interreligiöse Überschneidungssituationen.

3 Interreligiöse Überschneidungssituationen Unter einer interreligiösen Überschneidungssituation verstehe ich eine Interaktion von Personen, deren Deutungshorizonte und Handlungsmuster von unterschiedlichen religiösen oder weltanschaulichen Traditionen geprägt sind, insofern diese unterschiedlichen Deutungshorizonte und Handlungsmuster in der gegebenen Situation von Bedeutung sind. Denn natürlich ist nicht jede Interaktion beispielsweise eines Christen und eines Moslems interreligiös bedeutsam. Ein Beispiel für eine interreligiös nicht bedeutsame Interaktion zwischen

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einem Christen und einem Moslem könnte sich etwa so anhören: »Bitte drei Kilo Tomaten.« – »Macht 5,97 Euro.« – »Bitte sehr.« – »Danke schön.« – »Schönes Wochenende!« – »Wünsche ich auch.« Damit orientiert sich das hier vertretene Konzept interreligiöser Überschneidungssituationen an bestimmten Richtungen der interkulturellen Pädagogik und an Theorien interkultureller Kommunikation, in denen kulturelle bzw. interkulturelle Überschneidungssituationen und Critical Incidents analysiert und als Material für interkulturelle Trainings verwendet werden.4 Wichtig sind an dieser Stelle einige Bemerkungen zum Begriff der Kulturund Religionszugehörigkeit.

4 Die Begriffe Kultur- und Religionszugehörigkeit Es ist innerhalb der Kulturwissenschaften weitgehender Konsens, dass Kulturen als symbolische Ordnungen und »kollektive handlungskonstituierende Sinnsysteme«5 zu verstehen sind. Eine Kultur entsteht als Folge menschlichen Handelns und beeinflusst dieses zugleich: Wächst eine Person in eine Kultur hinein, ist diese Kultur ihr zunächst einmal vorgegeben. Da eine Kultur aber das Handeln und Denken nicht determiniert, sondern den Rahmen des Handelns und Denkens bildet, kann sich Kultur verändern – und wird dann in dieser neuen Gestalt von der kommenden Generation internalisiert. Kultur in diesem Sinne ist »ein struktureller Komplex möglicher Bestimmungsgründe von Handlungen« und stellt den Menschen »Ordnungsformen und Deutungsmuster für die kognitive und rationale, emotionale und affektive Identifikation, Evaluation und Strukturierung von Gegebenheiten und Geschehnissen in der Welt sowie Prinzipien und Paradigmen der Handlungsorientierung und Lebensführung« bereit.6 Der Begriff Kultur, auch das ist weitgehender Konsens innerhalb der Kulturwissenschaften, bezieht sich nicht nur auf sogenannte Hoch- oder Nationalkulturen, sondern allgemein »auf die verbindende Kraft von partialen, regionalen oder lokalen, also auch flüchtigeren kulturellen oder subkulturellen Lebenszusammenhängen«7. Kulturen sind somit zum einen als geschichtet zu verstehen: Jede Kultur besteht aus unzähligen Subkulturen, die jeweils für sich wieder als Kulturen (mit zahlreichen eigenen Subkulturen) beschrieben werden können. Zum anderen 4 5 6 7

Vgl. z. B. Heringer 2007, 218–235. Straub 2004, 580. Ebd., 581. Ebd., 582.

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weisen Subkulturen möglicherweise Bezüge zu ähnlichen Subkulturen innerhalb anderer kultureller Systeme auf.8 Für eine Theorie interreligiöser Kompetenz ist es sinnvoll, von einem ähnlichen Verständnis von Religion auszugehen: a) Auch jede Religion ist in sich heterogen. Christen etwa gehören unterschiedlichen Konfessionen an. Es gibt unterschiedliche nationale Traditionen, so dass sich polnischer Katholizismus von österreichischem Katholizismus unterscheidet. Auch gibt es Strömungen, die quer stehen zu konfessionellen oder nationalen Grenzen, so dass französische Katholiken und deutsche Protestanten in Taizé möglicherweise mehr Gemeinsamkeiten miteinander entdecken als mit einigen der Glaubensgeschwister in ihren Heimatkirchen. b) Das Verhältnis von Religion und Individuum ist nicht deterministisch, sondern probabilistisch, das heißt: Die Religionszugehörigkeit gibt nicht vor, wie eine Person denkt, etwas beurteilt oder handelt. Die religiöse Überzeugung bildet aber einen Rahmen, der bestimmte Handlungsweisen oder Denkmuster mehr oder weniger wahrscheinlich macht. Sehe ich zum Beispiel einen Mann mit schwarzem Kaftan, Schläfenlocken und Hut, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich dieser Mann als Jude versteht. Ohne dass ich mehr über ihn weiß, kann ich begründet vermuten, dass er darauf achten wird, nur koscher zu essen. Und zwar nicht, weil er Jude ist, sondern weil er ein Jude mit einer bestimmten äußeren Erscheinung ist. Der Umkehrschluss ist nicht möglich: Erfahre ich über jemanden, dass er Jude ist, kann ich nicht wissen, wie er gekleidet ist und sich ernährt, was er denkt und was er glaubt. Ich kann allenfalls mehr oder weniger plausible Vermutungen über ihn anstellen, zumal dann, wenn ich bestimmte Zusatzinformationen erhalte. c) Weil niemand ausschließlich Jude, Christ, Moslem, Atheist oder was auch immer ist, kann ich aus der Religionszugehörigkeit einer Person nur wenig über sie ableiten. Religiöse Prägungen überlagern und überschneiden sich nämlich mit anderen kulturellen und subkulturellen Prägungen, stehen manchmal zu diesen auch in Spannung. Weiß ich von jemandem, dass er Moslem ist, weiß ich noch nicht, ob er muslimischer Punk ist oder Salafist, Fan von Galatasaray Istanbul oder Rapid Wien oder an Sport gänzlich uninteressiert, politisch links oder rechts, Anarchist oder Nationalist. d) Weil das so ist, ist eine umfassende, gar vollständige Beschreibung einer Kultur, auch einer Religionskultur nicht möglich. Auch der Versuch, Standards zu beschreiben, die angeblich in einer Kultur oder Religions8 Vgl. Willems 2011, 65–70.

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kultur wirksam sind, ist zumindest dann problematisch, wenn der Anspruch erhoben wird, mithilfe dieser ›Kulturstandards‹ vorhersagen zu können, wie sich jemand in einer bestimmten Situation verhalten wird.9 Bei solchen Versuchen würde übersehen, dass das Verhältnis eines Menschen zu seiner Religion, seiner Kultur (oder besser: zu seinen Kulturen) eben nicht deterministisch ist, sondern probabilistisch. Stattdessen sind Beschreibungen von Kulturen und Religionen angemessener, die in der Tradition von Clifford Geertz anstreben, ›dichte Beschreibungen‹ zu sein. ›Dicht‹ ist nach Geertz eine Beschreibung dann, wenn einzelne Handlungen oder Situationen in Deutungshorizonte der an ihnen Beteiligten eingeordnet und vor diesem Hintergrund erläutert werden.10 Solche ›dichten Beschreibungen‹ ermöglichen es, auch unterschiedliche kulturelle oder religiöse Perspektiven in einer Überschneidungssituation zu benennen und auf dieser Grundlage eine Situation zu analysieren.

5 Ein Beispiel: Die Diskussion um religiöse Beschneidungen in Deutschland 2012 Es ist schwierig, interreligiöse Überschneidungssituationen zu interpretieren, weil es ein Defizit an gründlich dokumentierten interreligiösen Überschneidungssituationen gibt.11 Deshalb soll hier eine interreligiöse Überschneidungssituation konstruiert werden, und zwar unter Rückgriff auf authentisches Material, nämlich auf Zeitungsartikel zum Kölner Beschneidungsurteil, die zwischen Juli und Oktober 2012 erschienen sind. Die dort vertretenen Positionen werden an dieser Stelle miteinander ins Gespräch gebracht.12 Da ist zunächst Familie Rubin. Hannah, Mutter eines kleinen Sohnes, meint: »Die Debatte ist nicht neu.« Sie sieht die gegenwärtige Diskussion in einer langen Reihe von Versuchen, »die Beschneidung zu verbieten und jüdisches Leben damit unmöglich zu machen. So begreift sie es noch immer. Als Angriff auf jüdische Identität.«13   9 Vgl. z. B. Thomas 2005, 45. 10 Vgl. Geertz 1987. 11 Deshalb hat sich das in Fußnote 1 erwähnte Forschungsprojekt REVIER zur Aufgabe gesetzt, interreligiöse Überschneidungssituationen theoretisch und empirisch zu untersuchen. 12 Um das Thema ein wenig einzugrenzen, verzichte ich darauf, muslimische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass diese Stimmen nicht wert wären, gehört zu werden, sondern ist allein dem Umfang dieses Beitrags geschuldet. 13 Gennies 2012; Alle Aussagen der zitierten Personen entstammen den jeweils angegebenen Zeitungsartikeln und werden deshalb nur jeweils einmal belegt.

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Ähnlich sieht das Gil Bachrach, Filmproduzent und Journalist: »Die Beschneidung ist für jüdische Familien so selbstverständlich wie die Trennung der Nabelschnur. Meine Frau und ich haben in Deutschland eine Familie gegründet. Wir sind nicht fromm, aber wir lieben die jüdischen Feiertage, unsere Familienfeste und das ganze Drumherum. Die Beschneidung unseres Sohnes stand nie infrage (obwohl wir, wie in allen jüdischen Familien üblich, nichts mehr lieben als das Debattieren).«

Er wolle weiterhin mit seiner Familie als Jude in Deutschland leben und sieht »keinen Grund dafür, dass dieser Plan bedroht wäre«. Zwar ärgere er sich über »Säkularfundamentalisten und die plötzlich auftauchenden, selbst ernannten Retter der Unversehrtheit unserer jüdischen Kinder«, die »eine harmlose, friedliche, Jahrtausende währende Tradition an den Pranger« stellen würden. Aber: »wegen solcher Leute verlasse ich ganz sicher nicht mein Heimatland.«14 Auch Familie Rubin möchte ihr Heimatland nicht verlassen, aber sie wollen ihre Kinder in Deutschland beschneiden lassen dürfen. Notfalls würden sie »bis vors Verfassungsgericht« ziehen: »Wenn das Verfassungsgericht dann ebenfalls gegen die Beschneidung urteilt, weiß ich nicht, ob ich hier in diesem Land weiterleben möchte.« Diese Einstellung kann der Journalist Peter Monnerjahn nicht nachvollziehen: »Eigentlich sollte aber schon das papageienhafte Wiederholen des Mantras, ›jüdisches Leben‹ werde im Falle eines Beschneidungsverbots in Deutschland ›unmöglich‹, peinlich genug sein. Niemandes Leben würde dadurch bedroht, und alle Beteiligten wissen das nur zu gut – hoffen aber darauf, dass unkritische Medien die Behauptung ohne Nachfragen weiterverbreiten und das dumme Volk schon nicht aus dem von ihren Eliten vorgegebenen gedanklichen Gleichschritt ausbricht. Dabei ist die Behauptung auf allen denkbaren Ebenen absurd.«

Es gebe doch auch unbeschnittene Juden. »Und die haben nicht das geringste Problem, als Juden zu leben – weder in ihren Gemeinden noch in ihrer Gesellschaft.« Monnerjahn empfiehlt den Juden deshalb, sich am »Fortschritt von Wissen und Vernunft« zu orientieren. Denn »nur weil etwas eine religiös angestrichene Tradition ist, muss sie noch lange nicht bewahrt werden – sonst würden auch deutsche Christen noch heute Sklaven halten und Hexen, Ehebrecherinnen und Schwule umbringen, weil das nun mal auch in der Bibel steht.«15 In einem Punkt könnte Michael Wolffsohn, Professor i.R. für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München, »als jüdischer Deutscher« dem Beschneidungskritiker Monnerjahn zustimmen:

14 Bachrach 2012. 15 Monnerjahn 2012.

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»Nicht von der Vorhaut hängt das Judentum ab. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, ist eindeutig: Ein unbeschnittener Jude ist Jude, sofern er Sohn einer jüdischen Mutter ist. Zwar erweckten die meisten deutsch-jüdischen und israelischen Debattenbeiträge den gegenteiligen Eindruck, doch Wortmeldungen ersetzen keine Wissenschaft. Dass einige politisch-jüdische und rabbinische Repräsentanten den Bogen zum Holocaust schlugen oder mit Auswanderung drohten, war, bezogen auf die bewährte bundesdeutsche Demokratie, substanz- und taktlos.«

Auch die Bibel zeige, dass die Beschneidung umstritten gewesen sei. Im Deuteronomium (Dtn. 10, 16) und bei Jeremia (4, 4) sei von der Beschneidung des Herzens die Rede. »Die Botschaft ist eindeutig: Die Beschneidung – als Gebot, nicht als Ritual – ist rein symbolisch, nicht körperlich zu verstehen.« Auf dieser Linie argumentiere auch Paulus im Römerbrief: »Die Beschneidung ist nützlich, wenn du das Gesetz befolgst; übertrittst du jedoch das Gesetz, so bist du trotz deiner Beschneidung zum Unbeschnittenen geworden.« (Röm. 2,25) Wolffsohn fragt: »Sollte nicht auch diese paulinische Variante von Juden bedacht werden? Beschneidung sei ›was am Herzen durch den Geist, nicht durch den Buchstaben geschieht.‹« Deshalb hätten »Juden, Christen, sogar Atheisten […] die Grundsatzfrage stellen sollen: Wie viel Krücken braucht der Mensch, um zu Gott zu gelangen?«16 Die Antwort lässt Wolffsohn freilich offen. Reinhard Merkel, Jura-Professor und Mitglied im Deutschen Ethikrat, hätte vermutlich nichts gegen ›Krücken‹, mit denen der Mensch zu Gott zu gelangen versucht. Er hält es aber für unverzichtbar, dass eine Beschneidung, wenn sie denn überhaupt durchgeführt werden soll, das Kindeswohl berücksichtigen muss. »Natürlich sind Akte der Integration in eine religiöse Gemeinschaft grundsätzlich vom elterlichen Sorgerecht gedeckt. Aber die Beschneidung ist eben mehr als das, nämlich auch ein gewaltsamer Eingriff in den kindlichen Körper. Es geht hier innerhalb des elterlichen Sorgerechts um eine abwägende Grenzziehung: Das Gewaltverbot gegen Kinder hat einen hohen, grundrechtlich fundierten Rang. Hätte es historisch niemals eine religiöse Begründung für die Beschneidung gegeben, würde die Prozedur hierzulande ganz gewiss verboten und strafrechtlich verfolgt.«

Deshalb wünscht er sich, der Gesetzgeber möge »einen leisen Druck auf die Religionsgemeinschaften ausüben«. Der (mittlerweile verabschiedete) Gesetzentwurf aber erscheint ihm »eher wie eine Kapitulation vor jeder noch so moderaten Zumutung an die Religionsgemeinschaften«. Das Argument, die Beschneidung könne einen psychologisch positiven Effekt haben, da das Kind so in eine Gemeinschaft integriert werde, hält Merkel nicht für überzeugend. Die Beschneidung sei etwas anderes als beispielsweise das chirurgische Anlegen

16 Wolffsohn 2012.

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abstehender Ohren, wenn eine medizinisch-psychologische Indikation vorliege.17 Das Ehepaar Rubin würde das sicherlich anders sehen. Die Beschneidung sei doch nicht schlimmer, als ein Ohrloch zu stechen. Und mit Blick auf ihren Sohn meinen sie, der habe auf die Impfungen »viel stärker reagiert als auf die Beschneidung.« Gil Bachrach macht noch eine andere Rechnung auf: »Kein jüdischer Mann, jedenfalls keiner, den ich kenne, ist wegen seiner Beschneidung traumatisiert. Wenn überhaupt, sind es die jüdischen Mütter, die nach der Beschneidung ihrem Sohn ein Leben lang alles durchgehen lassen. Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, die Bereitschaft, seinen Sohn physisch leiden zu lassen, erscheint mit der Beschneidung aufgebraucht. Vielleicht gibt es ja auch deswegen viel mehr jüdische Nobelpreisträger als jüdische Olympiasieger […]. […] Wenn sich allerdings die selbst ernannten Kreuzritter im Namen der Kinder dieser Erde mit der Forderung durchsetzen sollten, deutsche Kinder zukünftig zu allen, ihnen möglicherweise irreparable Schäden zufügenden elterlichen Entscheidungen vorher zu befragen, dann fragt sie bitte auch vorher, ob ihr euch scheiden lassen dürft.«

6 Überlegungen zu einem interreligiös kompetenten Umgang mit religiöser Beschneidung Am Beispiel der hier wiedergegebenen Äußerungen zur Beschneidung lassen sich gut Dimensionen interreligiöser Kompetenz unterscheiden.18 6.1 Fähigkeit, interreligiöse Überschneidungssituationen als solche wahrzunehmen Zunächst müssen interreligiöse Überschneidungssituationen als solche wahrgenommen werden. So wie jemand, der mathematisch kompetent ist, zur mathematischen Modellierung eines Problems fähig ist, so muss eine interreligiös kompetente Person eine Situation als interreligiös relevant erkennen und ›modellieren‹. Die zitierten Äußerungen erlauben nur in Grenzen Rückschlüsse auf die Kompetenzen der zitierten Personen. Wenn der Jurist Reinhard Merkel im Interview die religiöse Beschneidung als mehr oder weniger ausschließlich juristisches Problem betrachtet, so hängt das vermutlich damit zusammen, dass er in seiner Rolle als Jurist um seine fachliche Einschätzung gebeten wird. Deshalb ist von 17 Vgl. Schwarze 2012. 18 Vgl. dazu ausführlich Willems 2011, 165–176.

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ihm an dieser Stelle auch nicht unbedingt interreligiöse Kompetenz zu fordern. Sollte aber jemand nicht fähig sein, die interreligiöse Dimension einer Situation zu erkennen, zeigt er oder sie selbstverständlich einen Mangel an interreligiöser Kompetenz. Das wäre etwa dann der Fall, wenn eine Schulleiterin das Ansinnen muslimischer Schüler, im Schulgebäude zu beten, nur unter einer juristischen und organisatorischen Perspektive zu betrachten vermag, oder wenn ein Gastgeber das Verhalten seines muslimischen Gastes, der den Sonntagsbraten zurückweist, nur in der Kategorie ›höflich/nicht höflich‹ interpretiert. Umgekehrt wäre es allerdings auch nicht ausreichend, jede interreligiös relevante Situation ausschließlich als interreligiöse Situation zu betrachten. Dazu später mehr. 6.2 Fähigkeit, mögliche Kontexte für religiös begründete divergierende Handlungen und Deutungen in einer Situation zu erkennen Wer erkannt hat, dass eine Situation eine interreligiöse Dimension hat, macht schon den ersten Schritt einer Deutung der Situation. Ihm oder ihr ist klar, dass zwei Deutungs- oder Handlungsmuster aufeinandertreffen, die sich unterscheiden können. In unserem Beispiel wird das etwa bei der Frage deutlich, was das Kölner Urteil für jüdisches Leben in Deutschland bedeutet. Ist es ein Angriff auf jüdische Identität und Religionsausübung oder nicht? Ist Beschneidung wesentlich für eine jüdische Identität? Die zitierten Äußerungen zeigen, dass diese Fragen nicht so einfach mit ›richtig‹ oder ›falsch‹ beantwortet werden können. Auch die jüdischen Diskussionsteilnehmer sind hier ja nicht einer Meinung. Während für Familie Rubin jüdische Identität ohne physische Beschneidung nicht denkbar ist, scheint Wolffsohn sie für verzichtbar zu halten, wenn man ›am Herzen beschnitten‹ ist. Eine kompetente Deutung der Diskussion könnte zunächst genau das herausarbeiten: Es gibt nicht ›die jüdische‹ Deutung, so wenig, wie es ›die nichtjüdische‹ oder ›die juristische‹ Deutung gibt, sondern allenfalls innerhalb einer Religions- oder Konfessionsgemeinschaft vorherrschende Deutungen und Überzeugungen, solche, die diskursiv an den Rand gedrängt oder von wie auch immer legitimierten Autoritäten für verpflichtend erklärt werden, die nach den (von nicht allen im gleichen Maße anerkannten) theologischen Kriterien mehr oder weniger überzeugend sind. Selbst dann, wenn Deutungen in einem bestimmten Punkt gleich sind, können sie es aus unterschiedlichen Gründen sein: Ehepaar Rubin argumentiert mit seinem Glauben und der Bibel, Gil Bachrach bezeichnet sich als »nicht fromm«.

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Dennoch äußern sich die zitierten Personen jeweils vor einem je spezifischen Hintergrund: Der Historiker Wolffsohn argumentiert theologisch, wenn er die Relevanz der Beschneidung relativiert, der Journalist Monnerjahn dagegen säkularistisch. Wenn Gil Bachrach meint, es gebe keinen Grund für Juden, wegen des Kölner Urteils eine Auswanderung aus Deutschland in Betracht zu ziehen, dann stimmt er darin zwar mit Monnerjahn überein. Aber dennoch unterscheidet sich der Kontext einer solchen Einschätzung. Denn für Bachrach hat die Beschneidung eine hohe Relevanz: »Ich bin Sohn eines beschnittenen Vaters, Vater eines beschnittenen Sohnes und natürlich selber beschnitten. […] Jüdische Kinder sollen auf dem Boden ihrer jüdischen Tradition, verbunden mit ihrer jüdischen Geschichte, über die wichtigen Fragen in ihrem Leben unabhängig und eigenständig entscheiden können. Die Frage nach ihrer Beschneidung gehört nicht dazu. Die Beschneidung ist für jüdische Familien so selbstverständlich wie die Trennung der Nabelschnur.«

Monnerjahn verbindet mit der Beschneidung nicht dieselben Emotionen wie Bachrach oder die Rubins, und anscheinend kann er auch nicht nachvollziehen, warum es hier um ein in dieser Form emotional aufgeladenes Thema geht und die Frage nach der Beschneidung etwa für Familie Rubin von hoher existentieller Relevanz ist. Das zeigt die lapidare Feststellung, das Leben von Unbeschnittenen sei doch nicht bedroht, sie hätten nicht einmal in ihren Gemeinden Ausgrenzung zu befürchten. Vermutlich sind es nicht zuletzt biographische Erfahrungen und mit dem Thema verbundene Emotionen, die zu grundsätzlich unterschiedlichen Einschätzungen führen, wie gravierend eine Beschneidung überhaupt in medizinischer Perspektive ist. Dadurch fällt dann auch die Antwort auf die Frage unterschiedlich aus, unter welchen Bedingungen eine Beschneidung als Eingriff in die Rechte des Kindes zu rechtfertigen ist: Ist eine Beschneidung harmlos wie das Stechen eines Ohrlochs oder ist die rechtliche Freigabe religiöser Beschneidungen, wie der deutsche Kinderschutzbund meint, ein »Blankoscheck für religiös motivierte Kindesmisshandlungen?«19 6.3 Fähigkeit, spontane eigene Deutungen zu explizieren und zu hinterfragen Jede Deutung einer Situation wird vollzogen anhand der Deutungsmuster, die der deutenden Person zur Verfügung stehen. Dabei ist es in den meisten Fällen den deutenden Personen nicht bewusst, dass sie nicht ›die Wirklichkeit‹ sehen, sondern ›ihre Wirklichkeit‹, das Ergebnis ihres Deutungsprozesses, das sich 19 Kinderhilfe 2012.

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wesentlich von derjenigen Wirklichkeit unterscheiden kann, die eine andere Person wahrnimmt. In Grenzen ist es möglich, ›blinde Flecken‹ bei solchen Deutungsprozessen zu reflektieren. Voraussetzung dafür ist, dass spontane eigene Deutungen nicht als zutreffende Abbildungen von Wirklichkeit aufgefasst werden, sondern als mögliche Deutungen einer Situation. Geschieht das, dann kann es möglich werden, diese Deutungen zu hinterfragen und die Viabilität der eigenen Deutungen zu prüfen. In den zitierten Äußerungen zur religiösen Beschneidung finden sich mehrere Aussagen, die so hinterfragt werden könnten: Ist Beschneidung tatsächlich medizinisch nicht problematischer als das Stechen von Ohrlöchern? Sind Vernunft und Wissen, wie Monnerjahn meint, tatsächlich die einzige Quelle von Humanität, und kann Religion nur ›von außen humanisiert‹ werden? Interreligiös relevant sind vor allem solche spontane Deutungen und Annahmen, die Aussagen über eine andere Religion implizieren: Sind die Forderungen von Merkel tatsächlich nur eine ›moderate Zumutung‹ für Juden und Muslime? Ein Zeichen für interreligiöse Kompetenz wäre es zu erkennen, warum viele (nicht alle) Juden und Muslime das anders empfinden. Dazu müsste man die juristische Betrachtungsweise verlassen und sich auf die religiösen Weltsichten der anderen einlassen. Ähnliches gilt, wenn Reinhard Merkel meint, der Gesetzgeber möge »einen leichten Druck auf die Religionsgemeinschaften ausüben«. Denn was die religiös Unmusikalischen oder Schwerhörigen noch als zu leise empfinden, ist einigen Religiösen schon zu laut. 6.4 Interreligiöse Überschneidungssituationen auch unter anderen Gesichtspunkten betrachten Paradoxerweise gehört es zur interreligiösen Kompetenz, eine interreligiös relevante Situation auch unter anderen Gesichtspunkten als religiösen oder interreligiösen betrachten zu können. Ähnliches gilt für jede fachspezifische Kompetenz: Natürlich geht es darum, fachspezifische Methoden und fachspezifisches Wissen anwenden zu können, es geht aber auch darum, die Grenzen des fachspezifischen Zugangs zu reflektieren. Insofern gehört zum kompetenten Umgang mit interreligiösen Überschneidungssituationen, solche Situationen auch in einer rechtlichen, politischen, historischen, medizinischen (oder sonstigen naturwissenschaftlichen) Per­spek­ tive zu betrachten. Am Beispiel der religiös motivierten Beschneidung: Um kompetent mit dieser Frage umgehen zu können, muss man zumindest in Grundzügen nachvollziehen, was aus medizinischer Sicht bei der Beschneidung geschieht und welche Risiken mit verschiedenen Beschneidungspraktiken ver-

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bunden sind. In der juristischen Perspektive benötigt man für die angemessene Einschätzung der Debatte Grundkenntnisse darüber, wie die rechtliche Lage überhaupt momentan ist und welche Spielräume unser Rechtssystem im Umgang mit religiösen Beschneidungen bietet. Solche anderen Perspektiven werden dann zu einem Teil interreligiöser Kompetenz, wenn es gelingt, zur Deutung einer interreligiös bedeutsamen Situation diese unterschiedlichen Perspektiven miteinander zu verschränken. Solche Bezüge fehlen weitgehend in der rein juristischen Betrachtung Merkels, während der Historiker Wolffsohn eine historische Betrachtung mit theologischen Überlegungen verbindet. So gelingt es ihm, das historisch Gewordene der heutigen Praxis und der heutigen Deutung von Beschneidung herauszuarbeiten und aus der eigenen Geschichte heraus alternative Formen des Umgangs mit Beschneidung zu entwickeln. 6.5 Fähigkeit, die Relevanz einer interreligiösen Überschneidungs­ situation für die eigene Religiosität oder, allgemeiner, Weltanschauung und Haltung zum Leben zu erkennen Bildung geht nicht auf im ›Lernen über‹, in der distanzierten Interpretation von Phänomenen, sondern ist als ›Lernen von‹ immer auch auf das sich bildende Individuum bezogen. Bildungstheoretisch wäre es deshalb zu wenig, interreligiöse Kompetenz ausschließlich zu beschreiben als die kompetente Deutung interreligiöser Überschneidungssituationen. Zur interreligiösen Kompetenz gehört insofern auch die Fähigkeit, für die eigene Haltung zum Leben und für die Gestaltung des eigenen Lebens von Religionen oder interreligiösen Überschneidungssituationen zu lernen. Die zitierten Aussagen zeigen, wie das gelingen kann: Wenn Wolff­sohn die »Grundsatzfrage« stellt, wie viele »Krücken« der Mensch brauche, »um zu Gott zu gelangen«, dann eröffnet er damit die Dimension der existentiellen Auseinandersetzung mit dem Thema der Beschneidung. Natürlich ließe sich auch diese Frage wieder distanziert bearbeiten, etwa durch den Ethnologen, der zunächst das Konzept ›Krücken‹ definiert und einen wissenschaftlich klingenden Begriff dafür einführt, und der dann eine kulturanthropologisch überzeugende Antwort formuliert. Die Frage von Wolffsohn fordert aber auch zu einer eigenen Stellungnahme heraus: Wie viele ›Krücken‹ brauche ich? Was ist für mich eine ›Krücke‹? Und auf dem Weg wohin nutze ich sie – zu Gott, zum individuellen Glück, zum guten Leben, zum ultimativen Spaß? Die letzte Frage führt dann fast automatisch weiter zur Überlegung, warum ich Sinn, Ziel und Zweck meines Lebens ausgerechnet so und nicht anders definiere.

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6.6 Interreligiöse Partizipations- und Handlungskompetenz Die Ebene der interreligiösen Deutungen wird ebenso überschritten, sobald es um kompetente Handlung geht. Im Bereich des Interreligiösen zielt der Begriff der kompetenten Handlung weniger auf motorische Fähigkeiten ab (z. B. muslimische Gebetshaltungen einnehmen oder gar eine Beschneidung vornehmen zu können), sondern auf die Fähigkeit, Handlungsoptionen zu reflektieren und die jeweils situationsangemessen geeigneten umzusetzen. Der Begriff der Partizipationskompetenz ist gleichwohl noch weiter gefasst als der Begriff der Handlungskompetenz: Bildungstheoretisch begründet Dietrich Benner, inwiefern Urteils-/Deutungs-/Interpretationskompetenz einerseits und Partizipationskompetenz andererseits als allgemeine, domänenspezifisch auszulegende Teilkompetenzen zu verstehen sind:20 »Sie setzen bereits erworbene lebensweltliche Erfahrungen und alltägliche Formen des zwischenmenschlichen Umgangs voraus und sind daran zurückgebunden, dass die ihnen vorausgehenden Horizonte von Erfahrung und Umgang verlassen und Formen der Rückkehr in diese parallel kultiviert werden. Urteilskompetenz meint die Fähigkeit, alltägliche Welterfahrungen mit Hilfe von im Unterricht erworbenem Wissen klären und interpretieren zu können, Partizipationskompetenz die Fähigkeit, solche Deutungen in außerunterrichtliche Diskurse und Verständigungsprozesse einbringen zu können.«21

Insofern gehören zur Partizipationskompetenz dann auch die folgenden Komponenten: ȤȤ die Fähigkeit, die eigene religiös-weltanschauliche Position in einer interreligiösen Überschneidungssituation auszudrücken und sie vor dem Hintergrund der Begegnung mit Personen anderer religiös-weltanschaulicher Überzeugung oder der Begegnung mit Phänomenen aus anderen Religionen zu reflektieren; ȤȤ die Fähigkeit, in einer interreligiösen Überschneidungssituation die religiösweltanschauliche Position des oder der anderen wahrzunehmen und sie sich zu erschließen, auch durch geeignete Nachfragen; ȤȤ die Fähigkeit zur Empathie; ȤȤ Frustrations- und Ambiguitätstoleranz; ȤȤ die Fähigkeit zur Metakommunikation über Deutungen von bzw. Hypothesen zu interreligiösen Überschneidungssituationen.

20 Benner 2008, 240 f. 21 Benner 2008, 241.

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6.7 Interreligiös relevante Kenntnisse Kompetenz ist mehr als Wissen. Wer über viele Kenntnisse verfügt, ist weder in jedem Falle gebildet, noch ist er oder sie unbedingt kompetent. Im Umkehrschluss aber gilt: Keine Kompetenz ohne Kenntnisse. So zeigen die Zitate aus der Beschneidungsdebatte, dass die verschiedenen Personen jeweils in unterschiedlicher Weise über Kenntnisse verfügen, die in diesem Kontext von Relevanz sind: Kenntnisse über die Geschichte des Judentums und seine Heiligen Schriften, Kenntnisse über das bundesdeutsche Rechtssystem, Kenntnisse über jüdische Lebenswelten.

7 Interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule Die skizzierte Debatte zur religiösen Beschneidung könnte zum Thema im Schulunterricht werden. Da die meisten Schülerinnen und Schüler in alltäglicher Face-to-Face-Kommunikation wenig mit religiöser Praxis einer anderen Religionsgemeinschaft in Berührung kommen, bietet es sich an, den Umgang mit interreligiösen Überschneidungssituationen am Beispiel von Fällen einzuüben, die in den Massenmedien diskutiert werden. Alle, die in religiös pluralen Kontexten leben, benötigen interreligiöse Kompetenz. Deshalb soll abschließend die Frage gestellt werden, wie interreligiöse Bildung im öffentlichen Schulsystem organisiert werden könnte und sollte. 7.1 Interreligiöse Kompetenzförderung im Religionsund/oder Ethikunterricht? In vielen europäischen Ländern wird darüber debattiert, ob interreligiöse Kompetenzen besser in einem konfessionellen Religionsunterricht gefördert werden können oder in einem Unterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler im Klassenverband unterrichtet werden – sei es ein allgemeiner (nichtkonfessioneller) Religionsunterricht oder Ethikunterricht. Dabei ist es zunächst einmal verblüffend, dass in den Ländern, in denen eine Wahlmöglichkeit oder eine Ersatzfachregelung besteht, so selbstverständlich Religion und Ethik parallel gesetzt werden. Denn Religion und Ethik sind nicht dasselbe. Es käme ja auch niemand auf die Idee, Eltern oder Jugendliche zwischen Religionsunterricht und Jura-Unterricht wählen zu lassen – wer das eine nicht belegt, muss das andere wählen. Dass Religionen Moral vermitteln, dass es theologische Ethik gibt und dass deshalb der Religionsunterricht einen Beitrag zur Werteerziehung leistet, ist kein hinreichender Grund dafür, gerade

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Ethik zum Ersatz- oder Alternativfach für Religion zu machen. Denn zum einen tragen hoffentlich auch die anderen Schulfächer etwas zur ethischen Urteilsbildung bei, zum anderen ließe sich ebenso plausibel für Jura als Alternativfach argumentieren, geht es doch in den meisten Religionen auch um Gebote, Verbote, Regeln, Vorschriften und so weiter. Da sich – gerade im Blick auf die Förderung interreligiöser Kompetenzen – die Fächer Religion und Ethik mit ihren jeweiligen und je unterschiedlichen Perspektiven ergänzen können, wäre ein Ethikunterricht für alle und gleichzeitig Religionsunterricht für alle wünschenswert. Ob und wie ein solcher Religionsunterricht binnendifferenziert unterrichtet werden könnte, ist dann eine andere Frage. Möglich wäre entweder, konfessionelle Formen des Religionsunterrichts zu ergänzen durch einen allgemeinen Religionsunterricht für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die an keinem konfessionellen Fach teilnehmen wollen. Oder man könnte ausschließlich einen Religionsunterricht für alle einführen, der dann entweder distanziert-religionskundlich wäre oder interreligiös und in Kooperation mit verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Beide Organisationsformen von religiöser Bildung haben ihre Vor- und Nachteile, die in der Religionspädagogik der letzten Jahrzehnte ja umfassend diskutiert wurden. Im Blick auf die Förderung interreligiöser Kompetenzen ist ein Vorteil eines ›allgemeinen‹ Religionsunterrichts im Klassenverband sicherlich, dass – zumindest in vielen regionalen Kontexten – die zu reflektierende Pluralität in der Lerngruppe selbst gegeben ist und interreligiöse Interaktionen erfahren, eingeübt und dann analysiert werden können – Sprachfähigkeit der Lernenden und umfassende religionswissenschaftliche Fähigkeiten und Kenntnisse der Lehrenden vorausgesetzt. Ein Vorteil des konfessionellen Religionsunterrichts dagegen ist, dass hier die Lernenden exemplarisch an einer Religion lernen können, spezifisch religiöse Perspektiven zu erschließen, auszuprobieren und zu reflektieren. Im Idealfall stehen die Lernenden zu dieser Religion aufgrund der Wahlmöglichkeit in einem besonderen Verhältnis. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit dafür höher, als im ›allgemeinen‹ Religionsunterricht. Für den Erwerb interreligiöser Kompetenzen bietet dies die Chance, religiöse Sprachfähigkeit effektiver zu schulen, die eine Voraussetzung für interreligiöse Gespräche und Partizipationskompetenz ist. Außerdem ermöglicht konfessioneller Religionsunterricht ein hohes Maß an Transparenz im Blick auf die Positionalität des Unterrichts.22 Eine transparente Positionalität aber wirkt tendenziell indoktrinationshemmend.23 22 Vgl. zum Begriff der Positionalität: Willems 2006, 13–30 und 140 f. 23 Vgl. Willems 2007.

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7.2 Kriterien für einen Unterricht, der interreligiöse Kompetenz fördern soll Im Blick auf die Förderung interreligiöser Kompetenz erscheinen die genannten organisatorischen Fragen gleichwohl als nicht entscheidend. Denn egal, ob ein Unterricht konfessionell getrennt erteilt wird oder nicht, ergeben sich im Wesentlichen dieselben Anforderungen an interreligiöses Lernen: ȤȤ Es muss Wissen über Religionen vermittelt werden, und zwar auf nicht tendenziöse Weise. Soweit es um interreligiöses Lernen geht, unterscheiden sich die Kriterien für die Definition des erforderlichen Wissens in einem konfessionellen Unterricht nicht vom allgemeinen Religionsunterricht: In beiden Fällen ist fachdidaktisch zu entscheiden, welche Stoffe exemplarisch sind, um diejenigen Religionen bzw. deren Erscheinungsformen zu erschließen, die den Schülerinnen und Schülern begegnen – in ihrem heutigen und ihrem zukünftigen Alltag, in den Medien, im Beruf, im Urlaub – und die ihnen Gelegenheiten bieten zur Klärung und Erweiterung der eigenen Religiosität oder Weltanschauung. ȤȤ Es müssen Perspektiven verschiedener, für eine Religionsgemeinschaft exemplarischer Personen rekonstruiert werden, und zwar so, dass sich diese Personen in der Rekonstruktion wiedererkennen könnten. Ein konfessioneller Unterricht, der den Islam aus einer christlichen Perspektive wertend darstellt, wäre unzulässig (›der Islam ist eine religiöse Irrlehre, die zwar den Polytheismus überwunden hat, aber nicht zur Erkenntnis der Trinität vordringen konnte‹). Ebenso unzulässig wäre ein ›allgemeiner‹ Religionsunterricht, in dem keine Perspektiven religiöser Personen dargestellt würden aus Sorge, damit die religiöse Neutralität des Staates zu verletzen oder die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler. ȤȤ Jede Form von interreligiösem Unterricht muss Außenperspektiven einnehmen und damit die rekonstruierten Binnenperspektiven verschiedener (für eine Religion oder ein Thema exemplarischer) Personen reflektieren. Da es nicht ›die‹ objektive Außenperspektive gibt, geht es auch hier um Perspektivenwechsel, darum, Situationen multiperspektivisch zu erschließen und jeweils die eingenommenen Perspektiven zu benennen – und damit ihre Begrenztheiten zu reflektieren: Perspektiven unterschiedlicher Religionen, unterschiedliche Perspektiven innerhalb jeweils einer Religion, und nichtreligiöse bzw. nicht-interreligiöse Perspektiven (sondern historische, politische, naturwissenschaftliche, juristische Perspektiven und so weiter).

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Schule im Spannungsfeld von religiöser und kultureller Pluralität1 Bernhard Dressler

1 Ausdifferenzierungsdynamiken und Unterscheidungsmöglichkeiten Religiöse Pluralität, so hat es der protestantische Soziologe Peter L. Berger immer wieder eingeschärft, relativiert die religiösen Bekenntnisse. Religion wird unter dem »Zwang zur Häresie« optional.2 Dagegen hat der katholische Soziologe Hans Joas eingewandt, Religion würde eher die Menschen ergreifen, als dass die Menschen die Religion ergriffen.3 Mit Niklas Luhmann könnte man zudem sagen, religiöse Pluralität steigere geradezu die »Überzeugtheitserwartungen« von Individuen, wenn sie nicht indifferent bleiben.4 Unabhängig davon, ob die Kontroverse zwischen Berger und Joas empirisch entscheidbar ist, würde ich allerdings sagen, dass wir unter den Bedingungen spätmoderner Kultur auch dann Religion nur so erleben und vor uns rechtfertigen können, als ob wir sie ergriffen hätten. Ich halte also Optionalität nicht für einen empirischen Sachverhalt, sondern für einen Mentalitätsmodus. Dass das Konsequenzen nicht nur für religiöse Bildungsprozesse, sondern für schulische Lernprozesse generell hat, liegt auf der Hand. Ich will mich allerdings bei diesem eigentlich zur Genüge bekannten Sachverhalt nicht lange aufhalten, weil ich einen anderen Aspekt für viel bedeutsamer halte: Der Begriff »Pluralität« greift zu kurz, wenn er sich auf die Oberfläche unterschiedlicher Meinungen, Werthaltungen, Herkünfte etc. beschränkt. Gewiss ist in den letzten Jahrzehnten die Präsenz unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Orientierungen dramatisch angewachsen. Das liegt an der Zunahme von Migrationsbewegungen wie an der Erosion und dem 1

Ich stelle hier zusammenfassend einen Gedankengang dar, der ausführlicher dargelegt ist in Dressler 2012. 2 Berger 1992. 3 Vgl. Joas 2012. 4 Luhmann 2000, 145f, 203, 206 ff.

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Bindungskraftverlust vormals stabiler sozialer und kultureller, nicht zuletzt religiöser Milieus. Man muss aber den Pluralismus gleichsam »tiefer legen«, um zu verstehen, worauf das Gefühl grundlegender Orientierungsunsicherheit gründet. Dabei zeigt sich das grundlegende Muster moderner Gesellschaften, die funktionale Ausdifferenzierung unterschiedlicher Teilsysteme und, damit verbunden, die Pluralisierung von Rationalitätsformen: Politik, Ethik, Ökonomie, Ästhetik, Pädagogik, Religion usw. – in all diesen kulturellen Praxen gelten jeweils eigene, nicht, jedenfalls nicht vollständig kompatible Regeln. Diese Ausdifferenzierungsdynamik ist im Blick auf die Pluralität religiös-weltanschaulicher Optionen der grundlegendere Sachverhalt. Die Religion ist davon besonders gravierend betroffen, was sich vor allem im Verlust ihres Monopols in ethischen und kulturellen Diskursen und im Verlust ihrer Kompetenz in kosmologischen Fragen zeigt. Freilich: Der mit der Ausdifferenzierungsdynamik moderner Gesellschaft verbundene Verlust einer gesellschaftlichen Zentralperspektive stimuliert immer wieder den Bedarf nach einer solchen (Meta-)Perspektive. Doch besteht die Zumutung, die mit der Ausdifferenzierung subsystemischer Rationalitätsformen und kultureller Wertsphären verbunden ist, gerade darin, dass sich keine Rationalitätsform über andere oder an die Stelle anderer Rationalitätsformen stellen darf. Keine dieser Perspektiven hat einen konstitutiven Geltungsvorrang, keine erschließt die Welt »besser« als die andere, sondern immer nur »anders«. Relativ besser ist eine Welterschließungsperspektive nur jeweils in bestimmten Frage- oder Handlungskontexten. Die Naturwissenschaft hat weder einen Vorrang vor Ästhetik und Religion, noch kann sie an deren Stelle treten. Hermeneutische Disziplinen sind für das Verstehen sprachlicher oder ästhetischer Kommunikation unverzichtbar, aber sie ersetzen kein naturwissenschaftliches oder technisches Wissen. Die chemische Analyse seines Farbmaterials ist für die ästhetische Beurteilung eines Gemäldes von geringem Wert, wird aber bei der Expertise zu einem Fälschungsverdacht gebraucht. Die Evolutionstheorie wird übergriffig, wenn sie über die Erklärung der Entwicklung des Lebens hinaus auch moralische oder kulturelle Probleme zu lösen vorgibt, was ihre Bedeutung für die Erforschung der Artenvielfalt nicht schmälert. Die Schule ist also nicht nur davon betroffen, dass sich in ihr gegenwärtig Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser und sozialer Herkunft wie in keiner anderen Institution begegnen. Vielmehr geht es in Bildungsprozessen immer um das kognitive und epistemische Zusammenspiel unterschiedlicher Weltwahrnehmungs- und Weltgestaltungsperspektiven. Es geht dabei auch um die Einsicht, dass mit jeder Weltwahrnehmung die Welt modelliert wird, dass uns die Wirklichkeit also nie unmittelbar zugänglich ist. Nun ist die Einsicht in die

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Vielfalt inkompatibler Rationalitätsformen und in die Konstruiertheit unserer Weltwahrnehmung keineswegs neu. Diese Einsicht drängt aber in der Gegenwart aus den Reservaten und Wolkenregionen theoretischen Wissens in die Niederungen des alltagspraktischen Wissens der Menschen. Es ist nicht zuletzt dieser Vorgang, der in den 1980er-Jahren, zeitgleich mit der Entdeckung der »neuen Unübersichtlichkeit«, mit dem griffigen, wenn auch nicht unumstrittenen Etikett der »Postmoderne« belegt wurde. Die Möglichkeit, die soziale und kulturelle Evolution von Gesellschaften als Prozess ihrer wachsenden Ausdifferenzierung zu verstehen, bestätigt sich auch (und geradezu exemplarisch) im Blick auf die Religion5, die in diesem Ausdifferenzierungsprozess in den modernen westlichen Gesellschaften ihre kulturelle Hegemonie an die Subsysteme Politik und Wirtschaft verliert und zugleich von Phänomenen religionsinterner Ausdifferenzierung betroffen ist. Im mittelalterlichen Investiturstreit zeichnet sich bereits die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen politischer und religiöser Macht ab. Im neuzeitlichen Europa verliert die christliche Religion dann nach und nach ihre dominante Funktion für die Legitimierung und Steuerung von Staat und Ökonomie. Indem der Eigensinn von Politik, Recht und Wirtschaft anerkannt wird, kann freilich auch der Eigensinn der Religion erst recht hervortreten. Zugleich wird damit – zunächst im Protestantismus – die Unterscheidung von Theologie und Religion möglich.6 Theologie ist als Reflexionswissenschaft nicht mit der kulturellen Praxis der Religion identisch, auf die sie sich bezieht. Vor dem Hintergrund dieser – in den nachreformatorischen Konfessionskonflikten leidvoll erkämpften – Differenzierungen kann Niklas Luhmann eine der wichtigsten kulturellen Errungenschaften der neuzeitlichen Christentumsgeschichte darin sehen, dass man sich »über Religion« verständigen kann, ohne sich »religiös« verstehen zu müssen. Man kann die Perspektive wechseln und religiös kommunizieren, d. h. die Welt religiös deuten und beobachten – Luhmann sagt: als Religion kommunizieren – und zugleich beobachten, wie Religion die Welt beobachtet, also »über Religion« kommunizieren.7 Was aber über lange Zeit nur eine Fähigkeit kultureller Eliten war, wird gegenwärtig in der »zweiten«, der reflexiv gewordenen Moderne zu einer generellen Anforderung an religiöse Mündigkeit, nicht zuletzt auch angesichts der Pluralisierung von Religion.8 Religiöse Bildung zielt auf die Fähigkeit, die Binnenperspektive des Vollzugs einer Religion und die Außen5 6 7 8

Vgl. Luhmann 2000. Vgl. Ahlers 1980. Vgl. Luhmann 1996. Beck/Giddens/Lash 1996.

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perspektive des distanzierten Nachdenkens über Religion ins Verhältnis setzen zu können, ohne dass das eine das andere dementiert. Die bleibende Differenz kann dann als eine Bedingung und nicht als Defizit religiöser Verständigung anerkannt werden. Damit sind im Übrigen auch dem interreligiösen Dialog genügend anspruchsvolle, aber realistischere Ziele gesetzt, als es häufig unter Einheitsetiketten (etwa: »abrahamitische Ökumene« zwischen Christen, Juden und Muslimen) geschieht. Fremdheit muss nicht ins Vertraute aufgelöst oder ans Eigene angeglichen werden, um über Religion kommunizieren zu können. Das gilt nicht nur für fremde Religionen, sondern auch für die eigene, fremd gewordene christliche Religion, also für den Regelfall der Kommunikation im schulischen Religionsunterricht. Vor diesem Hintergrund mache ich neben der Unterscheidung von Theologie und Religion eine weitere Unterscheidung stark, nämlich die zwischen Glaube und Religion.9 Analytisch ist zu unterscheiden zwischen der Religion als dem – erlernbaren – kulturellen Zeichensystem, in dem ein Glaube intersubjektiv kommunikabel wird, und dem Glauben als einem individuell gewissen Gottvertrauen. Wenn es nicht schon andere religionstheoretische Gründe für diese Unterscheidung gäbe, so müsste sie im Interesse einer Theorie religiöser Bildung allererst eingeführt werden. Mit dieser Unterscheidung werden religiöse Lernprozesse denkbar, in denen religiöse Überzeugungen begegnen können, ohne auf diese Überzeugungen zu verpflichten. Dass der Glaube im Unterschied zum kulturellen Zeichensystem der Religion nicht als Resultat eines intentionalen Lernprozesses lernbar ist, ist auch an dem analogen Sachverhalt abzulesen, dass mentale Zustände ganz generell bewussten Willensakten entzogen sind. Sie sollen auch nicht das Ziel pädagogischer Interventionen sein, sofern diese nicht in indoktrinierender Absicht die Freiheit der Edukanden unterlaufen. Man kann sich weder dazu entschließen, zu glauben, oder dieses Glaubenwollen zum Ausgangspunkt eines individuell gesteuerten Lernprozesses zu machen, noch kann Glaube als operationalisierbares Resultat einer didaktischen Anstrengung durch eine Lehrperson »erzeugt« werden. Theologisch hat das seinen Grund in der protestantisch akzentuierten Unverfügbarkeit des Glaubens: »Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann« (Martin Luther). Freilich sollte dieser pneumatologische Vorbehalt nicht vorschnell erhoben werden, 9 Vgl. Dressler 2006; Die internen Ausdifferenzierungen des Religionssystems lassen sich u. a. bis auf Luthers Theologie der Unterscheidungskunst zurückverfolgen: Der Christ – simul iustus et peccator – weiß sich in seinem Glauben als von sich selbst unterschieden, und als theologisch reflektierter Christ weiß er seinen individuellen Glauben als von dessen kirchlich-religiösen Kommunikationsformen unterschieden.

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um religiöse Lernprozesse nicht in die Grauzone einer Mystifikation zu rücken. Emotionen und psychische Tiefenstrukturen sind dabei auf komplexe Weise mit Erfahrungen und Kognitionen verwoben. Pädagogisch hat diese Einsicht ihr Äquivalent in der Erfahrung, dass Gefühle, moralische Präferenzen oder Gesinnungen – wie gesagt – zwar erzieherisch angestrebt werden können, aber nicht didaktisch erzeugt werden können. Das gilt besonders für das elementare, dem Glauben zugrundeliegende Gefühl eines Selbst- und Weltvertrauens. Ohne dass der Glaube als durch Religion erzeugt gelten könnte, wirkt die Fähigkeit zur religiösen Expression und Kommunikation von Glaubensgewissheiten allerdings stärkend auf den Glauben zurück.

2 Bildung als Differenzkompetenz: Weltverstehen und Integrität der Lebensführung In der Bildungstheorie ist gegenwärtig eine mit dem gerade skizzierten Sachverhalt verbundene grundlegende Umstellung zu beobachten: Das Programm der Vermittlung von Problemlösungsfähigkeiten im Blick auf »epochaltypische Schlüsselprobleme« wird abgelöst vom Paradigma der Erschließung von Orientierungswissen, mit dem die Welt in der Vielperspektivität unterschiedlicher »Modi der Welterschließung« allererst verstanden werden soll.10 Zur Diskussion steht das von Jürgen Baumert vorgeschlagene Tableau unterschiedlicher Modi der Welterschließung: 1. »Kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt« (Mathematik, Naturwissenschaften), 2. »Ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung« (Sprache/Literatur, Musik/Malerei/Bildende Kunst, Physische Expression), 3. »Normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft« (Geschichte, Ökonomie, Politik/Gesellschaft, Recht), 4. »Probleme konstitutiver Rationalität« (Religion, Philosophie).11 Allerdings reagiert die deutschsprachige bildungstheoretische Tradition von Anfang an auf die sich am Beginn des 19. Jahrhunderts abzeichnende Signatur der Moderne, die wir heute als Ausdifferenzierung unterschiedlicher Formen praktischer und theoretischer Rationalität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen verstehen können. Darin besteht die unabgegoltene Aktualität der bildungstheoretischen Tradition. Lebensführungskompetenz kann unter den Bedingungen moderner Lebensverhältnisse nur dann entstehen, wenn man sich darüber klar wird, dass man jeweils in einer bestimmten Perspektive zwar keine andere Welt, aber 10 Vgl. Klafki 1994. 11 Baumert 2002, 113.

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immer die eine Welt als eine andere wahrnimmt.12 Das Problem von Bildung spitzt sich darauf zu, wie man die Anerkennung der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Rationalitäts- und Handlungsmuster, in die sich das je eigene Leben unweigerlich verstrickt sieht, mit einer bewussten Lebensführung verbinden kann, anders gesagt: Wie man Weltverstehen mit Daseinshermeneutik verbinden kann. Als Klienten des Rechtssystems, als Kunden der Freizeitindustrie und insgesamt als Marktteilnehmer, als Ausübende unterschiedlicher Berufe, als Familienangehörige in der Intimität des Privatlebens, aber eben auch als Teilnehmende an der religiösen Praxis einer Glaubensgemeinschaft stellt sich uns diese Frage zugleich mit der Frage, wie es uns gelingt, in dieser Verstrickung nicht zerrissen zu werden. Für die Religion bedeutet das, dass sie nurmehr als ein keineswegs privilegierter Modus des Weltverstehens gelten kann. Aber Religion leistet nicht wenig, wenn sie die Erfahrungen von Unverfügbarkeit und Unbedingtheit zu einer Welt- und Selbstdeutung verbindet, die die Erkenntnisse und Regeln anderer (z. B. wissenschaftlicher, rechtlicher oder ästhetischer) Weltzugänge zwar nicht dementiert, aber in einen übergreifenden Sinnhorizont rückt. Religiöse Bildung, die über Religion nur informieren will, ohne ihre Leistung für diese Verbindung von Weltdeutung und Daseinshermeneutik zu erschließen, unterbietet die Bedeutung von Religion so weit, dass damit nicht nur ein unzureichendes, sondern geradezu ein falsches Verständnis von Religion vermittelt wird. Ersichtlich gehört es in diesem Zusammenhang auch zur Bildung, unmittelbare Umgangsformen unserer Alltagspraxis von szientifisch orientierten Kommunikations- und Handlungsmustern zwar unterscheiden, aber aufeinander beziehen zu können. Die in den Schulfächern repräsentierten wissenschaftlichen Disziplinen behalten ihren zivilisatorischen Wert nur dann, wenn sie in ihrer Bedeutung für die Lebenswelt sichtbar und anerkannt werden. Systemisch ausdifferenzierte kulturelle Praxen dürfen nicht nur ihren Bezug zur Lebenswelt nicht verlieren, sondern sollen auch die Lebenswelt nicht überwältigen, in der Metaphorik von Jürgen Habermas: nicht »kolonialisieren«.13 Diese Problematik spiegelt sich in der Erwartung an »gebildete Experten« in akademischen Berufen, dass sich deren Kompetenzen in einem zugleich reziproken und dialektischen Verhältnis zu gebildeten Laien zeigen. Für den Lehrberuf ist dieser Zusammenhang deshalb besonders bedeutsam, weil allgemeinbildende Schulen entgegen ihrem verbreiteten Selbstmissverständnis 12 Vgl. Waldenfels 1985, 231 ff. 13 Die Metapher der »Kolonialisierung der Lebenswelt« durch die Sachzwanglogiken der Systeme hat Jürgen Habermas ausgeführt in seinem Hauptwerk: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1981, Bd. II, 171–293.

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als Dienstleistungsunternehmen für den Arbeitsmarkt gerade nicht fachliche Expertise zum Ziel haben. Es geht an den Schulen um das, was Schleiermacher »Mitgesamttätigkeit« genannt hat, um die urteilsfähige Partizipationskompetenz am kulturellen Gesamtleben, also um die Bildung von Laien im Sinne einer »Kommunikationsfähigkeit mit Experten«.14 Der Regelfall dafür ist, auch dann über Expertise urteilen zu müssen, wenn man weniger als die Experten versteht. Allgemeingebildete Laien sind anders als Experten nicht an den operativen Kompetenzen der hinter den Bildungsgängen stehenden Fachwissenschaften interessiert, sondern an allgemeinen, sie selbst oder die Gesellschaft betreffenden Fragen. Sie müssen anders als Experten nicht über fachliche Problemlösungskompetenz verfügen. Sie müssen wissen, was sie von fachlicher Expertise dazu erwarten können und was nicht. Um diese Grundstruktur der Allgemeinbildung zu verstehen und professionell zu beherrschen, gilt es für den Lehrberuf auf besondere Weise, dass die Professionalität akademischer Berufe ein Resultat von Bildung und Ausbildung zugleich sein muss. Das hat selbstverständlich Rückwirkungen auf das Verständnis der für diese Berufe konstitutiven Fachlichkeit. Ernst Troeltsch hat das Problem der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Praxen und Rationalitätsformen im Übergang vom 19. auf das 20. Jahrhundert hinsichtlich der Religion pointiert mit der Frage nach der Möglichkeit der »Zusammenbestehbarkeit« von Christentum und moderner Kultur charakterisiert.15 Ich sehe darin den Anspruch, die Integration der unterschiedlichen kulturellen Praxen der modernen Gesellschaft in eine Lebensführung so zu ermöglichen, dass das Gottesverhältnis die Lebensgeschichte auch unter Bedingungen einer funktional ausdifferenzierten modernen Gesellschaft begleiten und tragen kann. Wenn das Troeltsch’sche Programm auf die Fähigkeit zur »Zusammenbestehbarkeit« der Verwicklung in unterschiedliche funktionale Subsysteme ohne Verlust der persönlichen Integrität abzielt,16 dann 14 Fischer 2003. 15 Vgl. Troeltsch 1922. 16 Das Problem (von dem u. a. auch die künftige Denkbarkeit eines emphatischen Begriffs von Bildung abhängt) besteht darin, ob und wie die Menschen als die Grenzen der Systeme verstanden werden können, in die sie gleichwohl in ihrem Leben auf vielfältige Weise verstrickt sind. Jürgen Habermas charakterisiert dieses Problem mit der Metapher der »Kolonialisierung der Lebenswelt« durch die Großsysteme Macht und Markt. (Habermas 1981) Habermas veranschlagt die Ausdifferenzierungsgewinne moderner Gesellschaften vor allem im Blick auf die Expertenkulturen. Der normative Impetus seiner Theorie kommunikativen Handelns zielt demgegenüber darauf ab, das lebensweltliche »Zusammenspiel« von Kognition, Moral und Ästhetik nicht aufzusprengen. Freilich kann die Charakterisierung funktionaler Systeme als reduktiv nur auf dem Boden und im Horizont der Lebenswelt sowie gegen einen ungeschichtlichen und reifizierenden Vernunftbegriff gelingen. Von der Lebenswelt her ist zu zeigen, dass im Leben mit mehr gerechnet werden muss (und wird!) als in funktionalen Systemen. Systeme

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bedeutet das zugleich auch den Abschied von starken Identitäts-Konzepten.17 An deren Stelle treten Konzepte einer – gleichsam »schwächer« gedachten – Kohärenz von Lebensgeschichten, die nicht mehr auf Begriffe zu bringen ist, sondern nur narrativ – als biographische »Erzählbarkeit« – zu bewähren ist. Ebenso kommen, jedenfalls in christlicher Perspektive, die poetisch-narrativen Sprachmuster der Religion zur Geltung.

3 Darstellung und Mitteilung der christlichen Religion in Bildungsprozessen Eine pluralitätsfähige Religionspädagogik hat nicht nur die Förderung des Unterscheidungsvermögens zur Absicht, sondern auch, einen Begriff religiöser Bildung zur Geltung zu bringen, der allgemein genug ist, um als im öffentlichen Interesse liegend anerkannt zu werden, und der spezifisch genug entfaltet werden kann, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es kein religiöses Esperanto gibt.18 Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel – zwischen religiöser Kommunikation und Kommunikation über Religion; zwischen Teilnahme an und Beobachtung von religiöser Praxis – wird didaktisch nicht möglich sein, wenn ein Perspektivenwechsel in den bildungstheoretischen Begründungsrahmen der Religionsdidaktik nicht selbst schon eingebaut ist. Deshalb haben im Hinblick auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen religionstheoretische – in katholischer Terminologie: fundamentaltheologische – Begründungsfiguren systematischen Vorrang, die die Religion als eine besondere kulturelle Praxis zugleich kulturtheoretisch in den Blick nehmen.19 Freilich: Solche Begründungen sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Sie bedürfen, solange das Modell der religionsunterrichtlichen Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften nicht aufgegeben wird, der Ergänzung durch theologische Überlegungen, in denen die Binnenperspektive der jeweiligen wurzeln in der Lebenswelt und müssen rückgekoppelt werden können. Sprachtheoretisch gewendet: Die analoge Dimension der lebensweltlichen Sprache bildet im Gegensatz zu digitalen Zeichen und univoken Begriffen den Boden von Religion. 17 Vgl. Keupp u. a 1999; Prange 1997; vgl. dazu auch Dalferth 2004, 23 ff. Vgl. hierzu auch das Themenheft »Identität«: ZPT 2/2012. 18 Vgl. hierzu meine Auseinandersetzung mit den Überlegungen Johannes Bellmanns zu einem obligatorischen Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach für alle (Dressler 2010, 121 ff.). 19 Ich verstehe unter Religionstheorie (im Unterschied zur deskriptiven oder Funktionszusammenhänge erhellenden Religionswissenschaft) jene v. a. wissenschaftstheoretischen Überlegungen, mit denen Religion zu anderen »Modi der Welterschließung« ins Verhältnis gesetzt wird und die zugleich an fundamentaltheologische Überlegungen anschlussfähig sind.

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Religion zur Geltung kommt, aber freilich immer schon reflektiert und nicht in der Unmittelbarkeit religiösen Redens und Empfindens! Diese theologischen Überlegungen kommen vor allem bei der Bestimmung exemplarischer Inhalte zum Zuge. Welche Aspekte des Religionsunterrichts sind nun vom Gedanken des Perspektivenwechsels berührt? Zunächst: Im Religionsunterricht, das sollte im zweiten Abschnitt gezeigt werden, soll gelernt werden können, dass Religion nicht – wie es ein weit verbreiteter Irrtum unterstellt – im Fürwahrhalten vorwissenschaftlicher Sachverhalte besteht; dass vielmehr der kommunikative Modus, in dem religiöse Wahrheitsansprüche erhoben werden, sich ganz grundsätzlich von Sachverhaltsbehauptungen unterscheidet; und dass es einen Gewinn für die eigene Lebensorientierung bedeuten kann, über mehr als Tatsachenwissen zu verfügen und sein Leben in einem transzendenten Horizont deuten zu können. Damit ist zugleich gesagt, dass Information über Religion(en) ein viel zu unterbestimmtes Ziel religiöser Bildung ist. Religion lässt sich eben nicht einfach mittels des Erlernens religiösen Wissens verstehen. Zudem ist die Annahme naiv, solche Informationen könnten zum Religionsfrieden nennenswert beitragen. Wem sich die kategoriale Differenz einer religiösen Weltdeutung gegenüber anderen »Modi der Weltwahrnehmung« nicht erschlossen hat, der wird nicht in der Lage sein, seine eigene Religion auf nichtfundamentalistische und nichtrelativistische Weise mit der Involviertheit in vielfältige gesellschaftliche Funktionssysteme »zusammenbestehen« können. Er wird aber ebenso wenig in der Lage sein, als religiös abstinenter Mensch religiösen Orientierungen Anderer unverächtlich zu begegnen. Und indem religiöse Bildung ein fundamentales Unterscheidungsvermögen wach hält, ermöglicht sie nicht nur einen – teilnehmenden oder distanzierten  – urteilsfähigen Blick auf religiöse Praxis, sondern fundiert das ideologiekritische Urteil über alle (auch religiöse!) Arten des Totalitätsdenkens. Das Missverständnis, Religion sei mit der Zumutung verbunden, wissenschaftlich widerlegte Tatsachen für wahr halten zu sollen, tritt immer dann auf, wenn der Religion ihre spezifische Differenz zu anderen Formen der Welterschließung und zu anderen kulturellen Praxen abgesprochen wird. Diese Differenz enthält doch aber gerade die Bedingung der Möglichkeit, unter den Bedingungen der kulturellen Moderne religiös zu sein. Didaktisch und methodisch ist zu bedenken: Wenn Religion vermittels ihrer spezifischen Differenz gegenüber anderen Modi des Weltzuganges wahrgenommen und dargestellt werden soll, dann gehören dazu auch ihre genuinen Formen des Zeichengebrauchs, die Sprachformen symbolisch-metaphorischer Kommunikation. Deshalb kann Religion – und das gilt in besonderer Hinsicht für die christliche

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Religion20 – nicht mitgeteilt werden, ohne zugleich dargestellt zu werden.21 Vorstellungsgehalte und Vollzugsformen religiöser Kommunikation sind zwar zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Anders gesagt: Im Religionsunterricht kann nicht sachgerecht »über Religion« geredet werden, ohne dabei den Bezug auf und die Differenz zu »religiösem Reden« bewusst zu halten.22 Im Religionsunterricht müssen, wenn er sich nicht in die unfruchtbaren Abstraktionen des berühmt-berüchtigten »Laberfachs« auflösen soll, die bei den meisten Schülern immer unvertrauteren genuinen Formgestalten religiösen Redens elementar und  – vor allem aus der Sicht einer religiös heterogenen Lerngruppe – experimentell erschlossen werden. Das setzt bei den Unterrichtenden das vermutlich nur durch eigene religiöse Erfahrungen mögliche Bewusstsein voraus, dass die semantischen Überschüsse religiöser Kommunikation diskursiv nicht einholbar sind, dass also ihr Gehalt nicht ohne ihre Gestalt zu verstehen und zu kommunizieren ist. Im Religionsunterricht sollen also (nicht nur verbale) Formen symbolischer Kommunikation in ihrer Differenz zu diskursiv-argumentierender Sprache in Gebrauch genommen werden – aber immer wieder im Anschluss an und im Übergang zu diskursiver Sprache. Zu lernen ist dann z. B., dass in den Sprechakten der Bitte, des Danks und der Klage der Welt anders begegnet wird und die Welt sich anders darstellt, als wenn man ihr nur mit Erkenntnisinteressen oder mit Forderungen begegnet. Hier ist nun abschließend noch eine Klärung notwendig: Die griffige »InnenAußen«-Metaphorik darf im Blick auf die Religion nicht zu Vereinfachungen führen. Es ist die Frage, ob es in der christlichen Religion überhaupt jemals die Beschränkung auf eine reine Binnenperspektive (die sich als solche ja gar nicht bewusst sein könnte!) gegeben hat. Eine vollständige Trennung von »außen« und »innen« – von interner Partizipantenperspektive und externer Beobachterperspektive – ist jedenfalls nicht möglich. Die Anforderung an die Religionsdidaktik lautet präziser, eine Spannung zwischen Teilnahme und 20 Möglicherweise ist hier eine spezifische Differenz des Christentums gegenüber dem Islam zu beachten, für den die Unterscheidung zwischen symbolisch-metaphorischer (narrativer, poetischer und liturgisch-sakramentaler) und diskursiver Sprache nicht die gleiche Bedeutung zu haben scheint, was von erheblichem Belang für eine islamische Religionspädagogik wäre. 21 Dressler 2002; Das von Schleiermacher für die Gottesdienst veranschlagte Ineinander von Mitteilung und Darstellung gilt für jede Form christlichen Glaubensausdrucks. 22 Der Religionspädagogik stellt sich in dieser Hinsicht keine andere Aufgabe als der Praktischen Theologie generell: »Die Theologie allgemein ist am kürzesten als diejenige Theorie zu beschreiben, welche die Theorie der Rede über Religion und die Theorie der religiösen Rede voneinander zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen weiß … Praktische Theologie ist der Vollzug eines theoretisch unterscheidenden, eines gebildeten Verhältnisses zur Sache von Glauben und Theologie und umfasst darum Kunstregeln sowohl für das Reden über Religion als auch für die religiöse Rede« (Meyer-Blanck 2007, 353 f.; vgl. dazu auch: Meyer-Blanck 2001).

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Beobachtung zu inszenieren und ein Spektrum unterschiedlicher Distanzspielräume zwischen teilnehmender Beobachtung und beobachtender Teilnahme zu öffnen.23 So ist der Irrtum zu vermeiden, das »Innen« sei durch Einfühlungsqualitäten und psychische Beteiligungen, das »Außen« demgegenüber als Handeln charakterisiert. Im Licht der Unterscheidung von Beobachtung und Teilnahme ist Religion als kulturelle Praxis das »Innen«. Die Umstellung der Didaktik auf den Kompetenzbegriff (d. h. auf die Verbindung von Wissen und Können) kann genau dieses berücksichtigen und als Religionsdidaktik zumal Abstand gewinnen von dem  – niemals evaluierbaren und ethisch problematischen – Versuch, Gesinnungen zu erzeugen. Zwar impliziert Teilnahme immer auch Stellungnahme. Doch darf in didaktischer (wie auch in wissenschaftlicher) Hinsicht die Berücksichtigung von Teilnehmerperspektiven nicht als deren Übernahme missverstanden werden. Verstehen unterliegt keinem Zwang zum Einverständnis. Jede Teilnahme an einer kulturellen Praxis bedarf, wenn sie unter den Bedingungen der modernen Kultur urteilsfähig sein soll, der (Selbst-)Beobachtung, also einer gewissen Distanzierungsfähigkeit. Wer Religion ohne Selbstdistanz und ohne Anerkennung religiöser Pluralität praktiziert, verengt seinen Glauben fundamentalistisch. Indem Menschen sich bei ihrer Teilnahme an kulturellen Praxen (nicht nur der Religion!) selbst beobachten können, können sie zugleich die Unterscheidungen treffen, ohne die sie der Ausdifferenziertheit von Rationalitätsmustern und Handlungslogiken, in die ihr Leben eingespannt ist, nicht gerecht werden könnten. Damit sind nicht nur dem Religionsunterricht, sondern der Schule in der ausdifferenzierten und pluralistischen Kultur der Gegenwart insgesamt anspruchsvolle Aufgaben gestellt. Für alle schulischen Fächer gilt die Forderung, Laien so zu bilden, dass sie über Expertenwissen urteilen können, ohne selbst über Expertise zu verfügen, und dass sie, nach der Schule, gebildete Experten werden können, die die Expertise ihres jeweiligen Faches den Laien verständlich machen und so für die Lebenswelt bedeutsam machen können. Das kann nicht gelingen, wenn die geforderte Unterscheidungsfähigkeit nicht in allen schulischen Fächern angestrebt wird und wenn der Zusammenhang von Teilnahme und Beobachtung, wie ich ihn für religiöse Bildung eingefordert habe, nicht auf je spezifische Weise in der Didaktik aller Fächer zum Zuge kommt.

23 Damit wären auch beweglichere Unterscheidungskriterien zwischen dem an Schulen üblichen konfessionellen Religionsunterricht und den religionskundlichen Sequenzen im Ethikunterricht oder im Fach LER ermöglicht.

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Bernhard Dressler

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Schule im Spannungsfeld sozioreligiöser Transformationsprozesse Regina Polak

1 Einleitung Als katholische Pastoraltheologin, die die Bedeutung, die Rolle und die Aufgabe von Kirche und Pastoral in der Welt von heute reflektiert, frage ich auch nach den »Zeichen der Zeit«1: nach jenen Ereignissen und Prozessen, die Bewusstsein und Praxis von Gesellschaft nachhaltig verändern und die aus theologischer Perspektive als Anwesenheits-, Handlungs- und Wirkungsräume Gottes verstanden werden können. Dazu gehört auch die kritische Analyse und Reflexion der sozioreligiösen Situation der Gegenwart – aus sozialwissenschaftlicher und theologischer Sicht. Denn die Qualität von konkreten Handlungsoptionen und -perspektiven für Kirche und Pastoral (und dann wohl auch Schule?) hängt untrennbar mit der Qualität der diesen zugrundeliegenden Zeitdiagnosen zusammen. Dieser Zusammenhang liegt auch dann vor, wenn diese Zeitdiagnosen auf nicht-wissenschaftlicher Basis, mehr oder weniger intuitiv oder bloß implizit erfolgen. Diesen Nexus kann man z. B. an der Entwicklung der pastoralen Prioritäten, wie sie die Kirchenleitung der Katholischen Kirche in jüngerer Zeit formuliert, gut beobachten. So ist die aktuelle Forderung nach (Neu-)Evangelisierung und Mission in Europa durch die europäischen Bischöfe eng verbunden mit der Einschätzung der sozioreligiösen Situation dieser Region.2 Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) ermöglichte  – insbesondere mit seiner Pastoralen Konstitution Gaudium et Spes über die Kirche in der Welt von heute – eine zwar durchaus kritische, aber im Grundtenor wertschätzende Wahrnehmung sowie

1 2

Vgl. Polak/Jäggle 2012. Ausführlich Regina Polak: Mission in Europa. Auftrag – Herausforderung – Risiko, Innsbruck 2012.

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sogar theologische Würdigung3 der Entwicklungen in der Welt. Damit konnte Pastoral als Dienst in und an der Welt in den Blick kommen – vor allem mit einem Bewusstsein für die Verantwortung der Kirche für Gerechtigkeit. Diese Sichtweise ändert sich spätestens mit Papst Johannes Paul II. Die Geschichte Europas wird nun als Dekadenzgeschichte wahrgenommen.4 Europa hat sich von seiner christlichen Kultur entfremdet. Säkularismus und Atheismus sind dafür die zentralen Zeichen: »Die europäische Kultur erweckt den Eindruck einer ›schweigenden Apostasie‹ seitens des satten Menschen, der lebt, als ob es Gott nicht gäbe.«5 So wird eine restaurative Remissionierung zur pastoralen Priorität. Zugrunde liegt eine Zeitdiagnose: Die sozioreligiösen Entwicklungen werden mithilfe der Säkularisierungsthese interpretiert. Säkularisierung wird mit der Erosion traditioneller Kirchlichkeit und dem kirchlichen Relevanzverlust identifiziert. Diese Phänomene wiederum werden als umfassender Glaubens- und Gottesverlust interpretiert. Eine differenzierte Würdigung der europäischen Gegenwartskultur lässt sich in diesen Diagnosen ebenso wenig finden wie eine solide Ursachenforschung. Auch wenn viele Bischöfe zwischenzeitlich ein differenzierteres Verständnis von Säkularisierung haben,6 ist diese holzschnittartige Einschätzung Europas bis heute anzutreffen. So bezeichnete der US-amerikanische Kardinal Donald William Wuerl in seinem Eröffnungsreferat auf der Weltbischofssynode der Römisch-Katholischen Kirche im Oktober 2012 die Säkularisierung in Europa als »Tsunami«7, der die westlichen Gesellschaften Europas und Nordamerikas erfasst und einen drastischen Einbruch des kirchlichen Lebens in den westlichen Gesellschaften ausgelöst habe.8 Im Hintergrund solcher und ähnlicher Einschätzungen, wie sie übrigens 3 So spricht Gaudium et Spes angesichts der Weltprobleme z. B. von einer Wachstumskrise, keinesfalls von einem Verfall: vgl. GS 4, URL: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_ 19651207_gaudium-et-spes_ge.html, 12. Februar 2013. 4 Eine ausgezeichnete Analyse dieser Entwicklungen: Arnd Bünker: Missionarisch Kirche sein? Eine missionswissenschaftliche Analyse von Konzepten zur Sendung der Kirche in Deutschland, Münster 2004. 5 Ecclesia in Europa 9: URL:http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/apost_exhortations/ documents/hf_jp-ii_exh_20030628_ecclesia-in-europa_ge.html, 14. Februar 2013. 6 Nicht zuletzt auch durch die Interventionen von Kardinal Basil Hume, der soziologische Studien verlangte und Kardinal Franz König, der Europa zwar als »postchristlich«, aber zugleich als religionsproduktiven Ort bezeichnete und auf die religiöse Pluralität in Europa verwies. 7 US-Kardinal Wuerl: Säkularisierung wie ein »Tsunami«, URL: http://www.kathpress.at/site/ focus/meldungen/synode/database/49769.html, 14. Februar 2013. 8 Die »58 Propositiones«, das Abschlussdokument der Weltbischofssynode, greifen diese Hermeneutik dann nicht auf, sind wesentlich differenzierter und begreifen Säkularisierung als Chance und Herausforderung. Selbstkritik an der zeitgenössischen Situation findet sich

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auch sogenannte Laien oder Religionssoziologen vertreten, steht die idealisierte Vorstellung einer christlichen Vergangenheit Europas. Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte werden als Folge einer kollektiven Abkehr Europas von Gott interpretiert. Entkirchlichung und Glaubensabfall werden gleichgesetzt. Demgegenüber stellt der Religionssoziologe Hans Joas kritisch fest: »Die Vertreter der Säkularisierungsthese gehen meist von einer völligen Überschätzung der tatsächlichen Religiosität in Europa vor dem Beginn der Prozesse aus, die als Säkularisierung beschrieben werden. Dabei ist nicht zu leugnen, dass es immer wieder historische Phasen äußerster Glaubensintensität gab. Aber ebenso trifft zu, wie zahllose Quellen belegen, dass das christliche Glaubenswissen oft sogar beim Klerus, erst recht aber bei den Laien sich in einem beklagenswerten, um nicht zu sagen grotesk unterentwickelten Zustand befand. Viele Kontroll- und Bildungsanstrengungen der sogenannten Gegenreformation sind überhaupt nur wegen dieser Defizite verständlich. Gottesdienstbesuch und Erreichbarkeit von Kirchen waren oft gering. Rechtliche Vorschriften zur Teilnahme am Gottesdienst wären überflüssig gewesen, wenn die Menschen aus eigenem Antrieb gekommen wären. Hass auf wirkliche oder angebliche Privilegien des Klerus, weit von der offiziellen Lehre abweichende Meinungen, magische Umdeutungen der Sakramente, religiöse Apathie waren gerade auch auf dem Land weit verbreitet. Das Bild von einer braven und einfältigen Volksfrömmigkeit ist eine romantische Vergangenheitsidealisierung. Immer wieder wurde bezweifelt, dass Europa so stark entchristlicht werden konnte, wie es die Säkularisierungsthese behauptet, da es in vielerlei Hinsicht nur oberflächlich und unvollständig christianisiert worden sei und vorchristliche Formen häufig überlebten.«9

Wer die heutige Situation von Glaube und Religion in Europa angemessen einschätzen möchte, ist daher gut beraten, einen (selbst)kritischen Blick in die Geschichte zu werfen. Welchen Einfluss auf die zeitgenössischen Erosionsprozesse traditioneller Kirchlichkeit haben die historischen Verirrungen einer Kirche, die sich immer wieder auf die Seite autoritärer politischer Ordnungsmächte gestellt hat? Und wenn das Christentum in Europa so stark war, wie konnte es das millionenfache Blutvergießen des Ersten und Zweiten Weltkrieges zulassen? Warum war der Widerstand gegen die Faschismen und Totalitarismen des 20. Jahrhunderts so schwach? Wie konnte es in angeblich christlichen Ländern zur Shoa kommen? War nicht schon damals das sog. »christliche Europa« so ausgehöhlt, zusammengehalten von autoritären Ordnungsvorstellungen, dass z. B. ein parareligiöses System wie der Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden fallen konnte? Bereits führende katholische Denker des 20. Jahrhunderts wie Max Scheler oder protestantische Theologen wie Dietrich Bonhoeffer erkannten, »dass die Geschichte der Säkularisierung immer auch eine Geschichte der Schuld und der verweigerten Verantwortung von Christen ist«10. Das bedeutet nicht, dass ChristInnen alleinverantwortlich sind für Kriege, aber in dem Text kaum; vgl. URL: http://www.kathpress.at/site/focus/meldungen/synode/ database/50234.html 14. Februar 2013.   9 Vgl. Hans Joas: 2012, 40 f. 10 Vgl. Hans Joas: 2012, 85.

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Gewalt und Verbrechen, von denen sie oft selbst als Opfer betroffen waren. Aber die Verstrickungen in diese Geschichte müssen mitbedacht werden, ehe man die Gottlosigkeiten der Gegenwart beklagt. So richtet sich Hans Joas mit folgenden Worten an die Adresse der Gläubigen: »Die Geschichte der Säkularisierung sollte nicht so geschrieben werden, als seien eines Tages aus dem Nirgendwo kommende atheistische Ideologen über unschuldige religiöse Gemeinschaften hereingebrochen.«11 Auch die heutigen Entwicklungen verlangen aus dieser Perspektive nach einer selbstkritischen Analyse der Situation. Intransparente und feudal-autoritäre Bischofsernennungen, Missbrauchsskandale, verweigerte theologische oder strukturelle Reformen sind sicherlich nicht die einzigen, aber wesentliche Ursachen für die gegenwärtige Auswanderung vieler Gläubiger aus der Kirche. Erfreulich wäre zugleich, bei Zeitdiagnosen die Aufbrüche insbesondere junger Menschen in Europa, wahrzunehmen: Im Erwachen eines globalen Solidaritätsbewusstseins, im Ringen um Menschenrechte und friedliches Zusammenleben in religiöser und kultureller Vielfalt, in der Suche nach alternativen Lebensstilen im Horizont sozialer und ökologischer Gerechtigkeit und in der Frage nach einer humanen und lebensnahen Spiritualität zeigen sich Entwicklungen, die für eine angemessene Einschätzung der sozioreligiösen Situation von großer theologischer Relevanz sind. Ich möchte im Folgenden aus einer primär religionssoziologischen Perspektive einige Theorie-Bausteine zur Diskussion stellen, um die Veränderungsprozesse im Europa der Gegenwart etwas differenzierter wahrnehmen und deuten zu können. In der Religionssoziologie finden dazu derzeit heftige Debatten statt. Meine These: Europa befindet sich in einem Prozess umfassender sozioreligiöser Transformation. Diese wurzelt in globalen Umbrüchen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, Wissenschaft, Technik und Kultur und einem auch in empirischen Studien wahrnehmbaren Wandel der (religiösen) Werte und Einstellungen. Transformation hat zudem historische Ursachen, die oft viel zu wenig bedacht werden. Sie zu erforschen, wäre ein spannendes interdisziplinäres Projekt. Eine Frage, die mich dabei bedrängt: Wie könnte denn ein Europa nach dem 20. Jahrhundert, ein Friedhof mit Millionen toten und ermordeten Menschen, unverändert und ungebrochen christlich oder gar kirchlich sein? Darf es das überhaupt? Ich konzentriere mich im Folgenden auf die soziologische Perspektive und werde dazu zunächst exemplarisch drei Zugänge darstellen: ȤȤ Die Europäische Wertestudie 2008–2010, 11 Ebd., 84.

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ȤȤ Hermeneutische Zugänge der Religionssoziologie, ȤȤ Die Theorie der französischen Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger zu den Ursachen der Erosion traditionell-kirchlich formatierten Christentums. Zum Abschluss möchte ich skizzieren, was ich im Unterschied zur Säkularisierungstheorie mit Transformation des »religiösen Feldes« (Pierre Bourdieu) meine.

2 Die Europäische Wertestudie 2008–2010 Der Glaube an Gott gilt in Europa, einer monotheistisch geprägten religiösen Kultur, als ein zentraler Indikator für Religiosität. Die Europäische Wertestudie zeigt: Von einer umfassenden Säkularisierung – im Sinne eines völligen Verlustes des Gottesglaubens – kann in Europa nicht gesprochen werden. Die folgende Grafik zeigt, dass sich der Glaube an Gott über einen Zeitraum von zwanzig Jahren – mit einigen Ausnahmen – auf einem länderspezifisch konstanten Niveau gehalten hat.12

Grafik 1: Glaube an Gott nach Ländern im Zeitvergleich, geordnet nach %. Quelle: EVS 1990– 2008. 12 Vgl. Polak/Schachinger 2011.

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Es lassen sich drei Gruppen unterscheiden: a) Länder, in denen 2008 unter 50 % der Befragten an Gott glauben; b) Länder, in denen über 75 % an Gott glauben; c) die große Mehrheit der Länder, in denen mehr als die Hälfte bis drei Viertel an Gott glauben. Im »hochreligiösen« Bereich finden sich so gut wie immer die orthodoxen Länder, in denen Kirche und Nation eng verbunden sind und Religion zum kulturellen Grundbestand gehört sowie jene katholischen Länder, in denen Religion und Nationalität ebenfalls eng verbunden sind bzw. (noch?) eine intensive Volksfrömmigkeit anzutreffen ist. Im »mittelreligiösen« Bereich siedeln sich die übrigen katholischen sowie die katholisch-protestantischen Länder an; am unteren Ende das laizistisch-säkulare Frankreich. »Niedrigreligiös« sind die protestantischen Länder sowie die Länder jener ehemals kommunistischen Regionen, in denen schon vor dem Kommunismus massive Säkularisierungsprozesse stattfanden. Trotz länderspezifischer Unterschiede lässt sich ein radikaler Gottesverlust in Europa jedoch nicht feststellen. Freilich ist damit noch nichts über die Qualität des Gottesglaubens gesagt. Tiefenanalysen lassen durchaus eine Gottes-Krise vermuten: An Gott zu glauben verbindet sich nicht automatisch mit einer spezifisch religiösen oder gesellschaftlichen Praxis. Menschen, die an Gott glauben, unterscheiden sich in ihren Werthaltungen nicht signifikant von jenen, die nicht glauben. Unterschiede werden erst erkennbar ab einer bestimmten Intensität dieses Glaubens.13 Für die Mehrheit scheint der Glaube an Gott eine Art ›Platzhalter‹ für die Frage, den Wunsch oder die Sehnsucht nach einer ›höheren‹, transzendenten Wirklichkeit zu sein, oder er dient als weltanschauliches Erklärungsmodell. Offen bleiben in der Europäischen Wertestudie die Frage nach der Art der Gottesbeziehung und die Frage nach der Alltags- und Lebensrelevanz des Gottesglaubens. Eine von spiritueller Erfahrung getragene Gottesbeziehung scheint ein Minderheitenphänomen zu sein – wenngleich es Anzeichen eines Wachstums der Sensibilität für die transzendente Dimension gibt. Mehrheitlich scheint der

13 Vgl. dazu z. B. die Ergebnisse der EVS, die in Österreich ergänzend zur Glaubensfrage auch nach Erfahrung gefragt hat: So erleben 2 % der ÖsterreicherInnen 2008 sehr oft das Gefühl, »mit allem eins« zu sein; 10 % erleben das oft, 36 % gelegentlich, 30 % selten und 19 % nie; 53 % sagen, dass man von Gott wenig spürt; 3 % machten dazu keine Angabe (vgl. Zulehner/Polak 2009, 155). Zulehner berichtet in seiner Studie »Religion im Leben der ÖsterreicherInnen 2010« von der Zunahme außergewöhnlicher Erfahrungen: 28 % der Befragten hatten schon einmal das Gefühl der Gegenwart Gottes (2000: 20 %), 26 % haben schon einmal eine heilige Macht in der Natur empfunden (2000: 18 %), 30 % haben das Gefühl, schon einmal durch Gebete Hilfe bekommen zu haben (2000: 29 %). Ein Großteil dieser Erfahrungen wird von der Mehrheit religiös gedeutet (vgl. Paul Zulehner 2011, 47). Die spirituelle Sensibilität scheint also zu wachsen, ist aber ein Minderheitenphänomen.

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Gottesglaube nur für eine Minderheit erfahrungsgesättigt14 zu sein. Er ›hängt‹ in gewisser Weise für viele als Abstraktum – zur Welterklärung, zur Problemlösung u. ä. – »in der Luft«; die Beziehung zu ihm erschließt aber nur für Wenige das persönliche Leben im Alltag, geschweige denn in der gesellschaftlichen Situation. Auffällig an den Ergebnissen ist der enge Zusammenhang des Glaubens an Gott mit der Konfessionalität: Die mitunter gravierenden Unterschiede zwischen den Regionen lassen sich soziologisch vor allem durch die historisch und kulturell dominante Konfession eines Landes erklären. Geschichte und die damit verbundenen Machtverhältnisse sowie die Rolle der Kirchen in diesen Konstellationen haben maßgeblichen Einfluss auf den Gottesglauben. Religionsrechtliche Gegebenheiten oder das jeweilige Zusammenspiel zwischen Kirchen und Staat lassen die religiöse Lage eines Landes wesentlich angemessener verstehen als eine platte Säkularisierungstheorie. Religionsökonomische Theorien, die die Religiosität in einem Land nach der Dynamik von Angebot und Nachfrage erklären möchten, erhellen wenig. Europa ist kein »religiöser Markt«. Das bedeutet freilich nicht, dass sich im Kontext des globalen Kapitalismus nicht auch Religion schrittweise zur Ware verändern kann, die religiöse Bedürfnisse befriedigt. Auch wenn demographische Faktoren die religiöse Intensität eines Landes teilweise erklären,15 ist der stärkste Erklärungsfaktor sowohl für das Länder-Ranking als auch für ein religiöses Selbstverständnis die Konfession: Auf einen Katholiken, der an Gott glaubt, kommen 0,25 Protestanten und 2,5 Orthodoxe. Orthodoxe glauben signifikant häufiger an Gott als KatholikInnen, diese wiederum häufiger als ProtestantInnen. Diese Reihenfolge findet sich auch beim Kirchgang und beim Gebet wieder. Religiosität in ihrer konfessionell-christlichen Ausprägung ist in Europa demnach keinesfalls bedeutungslos. Sie entkoppelt sich allerdings kontinuierlich von institutioneller Anbindung und traditionellen Praxisformen. Dieser Entkoppelungsprozess ist aber nicht, wie oft behauptet, charakteristisch für die heute junge Generation, sondern »startet« europaweit (außer in Kroatien) mit einem statistisch signifikanten Einbruch der Zahlen bei der Generation der vor 1948 Geborenen. Junge Menschen setzen diese Entwicklung bloß kontinuierlich 14 »Erfahrungssättigung« meint hier keinesfalls primär oder ausschließlich Erfahrungen des Glücks oder der Erfüllung; auch Erfahrungen der Ohnmacht, des Zweifels, der Leere können damit beschrieben werden. Der Begriff bezieht sich auf das Zueinander von »theoretischer Weltanschauung« und authentischer Integration des Geglaubten im persönlichen Leben: z. B. wie verbinden sich religiöse Begriffe und Deutungen mit persönlichen Lebensereignissen, wie steht es um die »ganzheitliche« Aneignung von Glaubenslehren, u. ä. 15 So glauben ältere Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit an Gott als jüngere, Frauen eher als Männer, Menschen aus ruralem Raum eher als StädterInnen, weniger gebildete Menschen eher als höher Gebildete.

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fort. Zugleich lässt sich europaweit ein weit verbreitetes konfessionell geprägtes Gedächtnis wahrnehmen. Selbst in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, wo man einen regelrechten Zusammenbruch praktischer Religionsausübung konstatieren kann, spiegeln sich konfessionell-christlich geprägte Vorstellungen in ethischen und politischen Einstellungen wieder. So wirkt sich konfessionell geprägte Religiosität auf andere Werthaltungen deutlich aus:16 Die sog. »normativ-religiöse« Komponente ist ein zentraler Erklärungsfaktor für das Antwortverhalten bei der Europäischen Wertestudie. Personen, die hier hohe Werte haben, sind überdurchschnittlich religiös, d. h. sie glauben an Gott, gehen regelmäßig in die Kirche und beten häufig. Zugleich haben sie hohes Vertrauen in autoritative Institutionen wie die Armee und die Kirche, geben in ihren Erziehungswerten der Autorität Vorrang gegenüber der Autonomie, sind intolerant gegenüber ethnischen oder sozialen Minoritäten wie z. B. Migranten und Homosexuellen, halten kulturelle Homogenität für einen hohen Wert, bevorzugen materialistische gegenüber postmaterialistischen politischen Zielen, sprechen sich gegen erwerbstätige Mütter aus und haben eine stark regional dominierte Identität gegenüber einem europäischen oder gar globalen Selbstverständnis. Demgegenüber sind Menschen, die hohe Werte auf der Komponente eines »autonom-sozialen Liberalismus« haben, eher bereit, finanzielle Opfer zugunsten von Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung zu erbringen, betonen den Selbstverwirklichungscharakter der Arbeit, weisen unrechtes und unethisches egoistisches Verhalten zurück, vertrauen eher dem Bildungssystem, dem Parlament, der Presse und internationalen Organisationen. Das »normativ-religiöse« Modell findet sich vor allem dort, wo Kirche immer noch große politische Macht hat und wirft überhaupt die Frage auf, wie es sich mit einem biblisch orientierten christlichen Glauben vereinbaren lässt. Es spiegelt eher die lange Geschichte von Kirchen wider, die im Dienste staatlicher Ordnungsvorstellungen agierten. An seine Stelle tritt gegenwärtig eine stark ethisch-geprägte Wertewelt, die sich durchaus mit einem Glauben an Gott und einem konfessionellen Selbstverständnis, aber zunehmend weniger mit der Zugehörigkeit zu einer Kirche verbindet. Wie stark sich Konfessionalität auf Moralität und Weltbilder auswirkt hat übrigens bereits der Soziologe Andrew Greeley nachgewiesen.17 Differenzen zwischen Weltanschauungen und ethischen Konzeptionen lassen sich ihm zufolge auf tieferliegende »imaginations« zurückführen, auf konfessionell geprägte Weltbilder. Mit dem Chicagoer Theologen David Tracy unterscheidet Greeley zwischen, »analogischen« (katholischen) und »dialektischen« (protestantischen) 16 Vgl. Arts/Halman 2012, 89. 17 Vgl. Greeley 1989, 50 ff.

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Weltsichten: Während die »analogische« Weltsicht einen Gott annimmt, der sich in und durch seine Schöpfung zeigt, wodurch alles in der Welt am Göttlichen partizipiere, sieht die dialektische Weltsicht die Welt als radikal von Gott unterschieden, wodurch sich Gott nur selten, insbesondere in Jesus Christus, in der Welt offenbare. So sind dann für Katholiken soziale Beziehungen selbst Zeugnisse der Gottespräsenz in der Welt, während für Protestanten nur das Individuum in seiner frei gewählten Beziehung zu Gott ganz Mensch sein kann, die Gesellschaft aber gottfern ist. Praktisch führt dies zu stark verschiedenen Einstellungen zu institutionalisierter Religion, zu Ethik und Politik. Während Protestanten in der Kindererziehung Wert auf Eigeninitiative, Rechtschaffenheit, Arbeitseifer und Sparsamkeit legen, betonen Katholiken Loyalität, Gehorsam und Geduld. Schwächungen von Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und Pflichtbewusstsein sind für Protestanten Untugenden, während Katholiken alle Handlungen beklagen, die Beziehungsnetzwerken schaden, wie Ehebruch, Prostitution oder Selbstmord. Selbst bei jüngeren Befragten, bei denen konfessionelle Bindungen verschwunden sind, bleiben diese Differenzen erhalten: protestantisch geprägte Menschen betonen eher Freiheit und Individualismus, katholische eher Gleichheit und Fairness. Die quantitativen Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass in Europa zwar massive Erosionsprozesse traditionell-kirchlicher Religiosität stattfinden, von »Gottlosigkeit« aber keine Rede sein kann und die konfessionelle Prägung sich bis heute auf der Ebene der Werte widerspiegelt.

3 Hermeneutischer Zugang Was verbirgt sich hinter diesen quantitativ wahrnehmbaren Tendenzen? Lassen sich diese – wie bis in die 90er-Jahre üblich – als Säkularisierungsprozesse verstehen? Und was ist damit gemeint? Die abnehmende Bedeutung des christlichen Glaubens, der Kirchen oder von Religion überhaupt? Der Rückgang der Mitgliedszahlen von Kirchen und Religionsgemeinschaften? Die abnehmende Teilnahme an religiösen Ritualen oder die sinkende Zahl jener, die bestimmte Glaubensinhalte einschränkungslos bejahen? Die Privatisierung von Religion? Und bedeutet dies den Rückgang der Verbindungen zwischen Kirche und Staat, den Rückzug der Religion aus dem politischen Leben, der öffentlichen Kommunikation oder sogar aus den Familien und Kleingruppen in die Innerlichkeit der Individuen?18 18 Vgl. Joas, Glaube als Option, 27.

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In der religionssoziologischen Forschung sucht die Mehrheit der ForscherInnen heute nach alternativen Modellen und Theorien für das Verständnis des sozioreligiösen Wandels und der sozioreligiösen Situation der Gegenwart. Nur mehr eine Minderheit der einschlägigen WissenschaftlerInnen – Ronald Inglehart, Steven Bruce und Detlef Pollack – halten an der klassischen Form der Säkularisierungsthese fest.19 Damit ist diese nicht obsolet, aber sie verlangt nach kritischer Revision und neuen, ergänzenden Konzepten. So spricht man z. B. von Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen. Gemeint ist damit, dass in postmodernen Gesellschaften Einzelne ihre religiöse Identität nicht mehr durch selbstverständliche Identifikation mit vorfindbaren religiösen Institutionen und deren Lehren und Praktiken erwerben, sondern auf der Basis von Freiheit und Autonomie religiöse Identitäten und Zugehörigkeiten selbstbestimmt wählen und weiterentwickeln. Das Schwergewicht des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Individuum hat sich in Sachen Religion auf die Seite des Individuums verlagert. Der »Pilger«, der seinen persönlichen spirituellen Weg von einer Station zur nächsten geht, und der »Konvertit«, der sich seine Glaubensvorfahren wählt,20 sind so die typischen religiösen Zeitgenossen: Menschen, die auf der Suche nach Sinn durchaus in religiösen Traditionen Orientierung suchen, Menschen, die auf ihrem Lebensweg an verschiedenen Stationen innehalten und sich für eine andere oder neue religiöse Lebensform entscheiden. Sie bringen die traditionellen Formen der Weitergabe von Religion – durch Gemeinden und Familie – gewaltig aus den Fugen. Individualisierung forciert die Pluralisierung religiöser Biographien. Die Schein-Sicherheit überlieferter religiöser Denk- und Verhaltensformen geht verloren. Das bezeugen auch die gegenläufigen Versuche, solche Sicherheit wiederherzustellen: in homogenen Gruppen inner- und außerhalb der Kirche oder durch restaurative Maßnahmen in Leitung und Lehre von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dies sind verzweifelte Unternehmungen, der global anstehenden Herausforderung, wie Menschen in einer sozial, kulturell und religiös pluralen Welt miteinander leben können, auszuweichen. Gesellschaftlich brisant sind diese Fluchtversuche allemal – da sie mit fragwürdiger Identitätspolitik in einer zum Zerreißen angespannten Welt Konflikte verschärfen. Spätestens mit dem Ende des 20. Jahrhunderts erfährt Religion auch im öffentlichen Raum verstärkte Aufmerksamkeit. Diese »Wiederkehr der Religion«, wie ich dieses Phänomen in meiner Dissertation21 selbst bezeichnet habe, 19 Ebd., 69. 20 Vgl. Hervieu-Léger 2007, 84. 21 Vgl. Polak 2005.

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ist ein umstrittenes Phänomen, das sich auf individueller, öffentlicher und politischer Ebene höchst unterschiedlich darstellt. Auch wenn ich heute die damit beschriebenen Phänomene nicht mehr so bezeichnen würde, da ich mit Hans Joas die Meinung teile,22 dass es problematisch ist, den Religionsbegriff zu rasch auf die Vielfalt religoider Phänomene auszuweiten und empirisch von einem quantitativ relevanten Qualitätsgewinn von Religion wenig zu beobachten ist, so sind die qualitativen Veränderungen im »religiösen Feld« ebenso wenig zu vernachlässigen wie die (neue und problematische) politische Relevanz von Religion – mag dies auch der politischen Instrumentalisierung von Religion geschuldet sein. Auf allen Ebenen – individuell, gesellschaftlich, politisch – kommt es zu Resignifikationsprozessen von Religion: zu einem intensiven und konfliktiven Diskurs um Sinn und Bedeutung von Religion. Die traditionellen Formen und Inhalte von Religion erleiden Ab- und Umbrüche, entwickeln sich aber auch auf vielfältigen Wegen weiter. Um neue Weisen des Wahrnehmens, Denkens und Handelns im Horizont von Glaube und Religion wird gerungen. Kreative Neuaneignungen, Reinterpretationen und Umstrukturierungen sind die Folge. Einzelpersonen sind davon ebenso betroffen wie religiöse Gemeinschaften oder Institutionen sowie Staat, Politik und Recht. Auf der Mikroebene führen die Erosionsprozesse der christlichen Kirchen des Westens zu einem radikalen Bedeutungsverlust traditionell-gelebter Alltagsreligion. In den ehemals kommunistischen Ländern konnten sich die Kirchen anfangs erholen und verlieren derzeit an Bedeutung. Europaweit verabschieden sich unzählige Menschen von formalen Zugehörigkeiten zu einer Kirche – ohne dabei notwendigerweise ihren Glauben oder ein konfessionelles Selbstverständnis zu verlieren (»Believing without belonging«). Andere wiederum verweilen in den Kirchen, ohne zu glauben (»Belonging without believing«). Zeitgleich lassen sich neureligiöse und spirituelle Experimentier-, Such- und Wanderbewegungen beobachten – außer-, aber auch innerhalb der Kirchen. Fluide, alternative und informell institutionalisierte Religiositätsformen prägen das Feld. In den gebildeteren Schichten boomt das Interesse an fernöstlichen Religionen. Die christlichen Kirchen reagieren höchst heterogen. Restaurative bis hin zu fundamentalistischen Entwicklungen prägen das kirchliche Feld ebenso wie zahlreiche Versuche biblisch-spiritueller Neubesinnung und organisatorischer Restrukturierung, vor allem in den Orden. Neue religiöse Gemeinschaften bilden sich innerhalb und außerhalb der Kirchen; Etiketten wie »traditionell«, »liberal«, »progressiv« oder »konservativ« werden der damit verbundenen Vielfalt nicht mehr gerecht. 22 Vgl. Joas 2012, 69.

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Das Judentum und der Islam – immer schon Teil Europas – werden öffentlich sichtbarer und lassen ihrerseits eine hoch ausdifferenzierte Binnenpluralität erkennen. Migration dynamisiert diese Pluralisierungsprozesse innerhalb der Gesellschaften und innerhalb der Religionen. Viele MigrantInnen gehören einer anderen Konfession oder Religion an als die Mehrheit des Aufnahmelandes. Die Religion der Zugewanderten wird im öffentlichen Raum deutlicher sichtbar, denn die zweite Generation zeigt ihre Zugehörigkeit zur neuen Heimat durch das Gründen religiöser Vereine und die Errichtung religiöser Institutionen und Orte. Wie die Religion der Zuwanderer die religiöse Landschaft verändern wird, ist empirisch noch nicht absehbar. Im Zuge des ReligionsRevivals kehren auch Säkularismus, Atheismus und Agnostizismus verstärkt wieder. Auch die »Gläubigen« unter ihnen organisieren und institutionalisieren sich. In diesem unüberschaubaren Feld entstehen neue Bedeutungen von Religion, neue religiöse Sozialformen und Institutionen, aber auch zahlreiche Konflikt- und Friktionslinien. Die neue Aufmerksamkeit für Religion führt aber weder zwangsläufig zu einem quantitativ messbaren Religionsboom, zu einem besseren Image von Religion und schon gar nicht von selbst zu einer qualitativen Weiterentwicklung von Glaube und Kirche. So wird Religion seit 9/11 primär im Kontext von Gewalt und Krieg diskutiert und als gesellschaftliches und soziales Problem wahrgenommen. Dies hängt zum einen mit der diskriminierten sozialen Stellung der MuslimInnen in Europa zusammen und führt zur Religionisierung sozialer und politischer Probleme. Aber auch die Krisen und Skandale der Katholischen Kirche lassen institutionalisierte Religion als verdächtig erscheinen. Die Österreichische Jugendwertestudie 200623 verdeutlicht die Widersprüchlichkeit der Entwicklungen in folgenden Ergebnissen: 2/3 der österreichischen Jugendlichen glauben an Gott; dass er ein Gott aller Menschen ist und dass er sich im Inneren des Menschen und in der Natur finden lässt; ca. 2/3 wünschen sich mehr Informationen über Religion und Ethik sowie einen intensiveren öffentlichen Diskurs über Religion. Und ebenso viele sehen in den institutionalisierten Religionen Störfaktoren des Friedens.

23 Vgl. Polak 2008.

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4 Ein Ursachenmodell Die französische Soziologin Hervieu-Léger nennt drei Ursachen für den Verlust des traditionellen christlichen Erbes in Europa:24 Diese lassen die soziologischen Ergebnisse nochmals in verändertem Licht erscheinen. 1) Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit lebt im ökonomisch und politisch privilegierten westeuropäischen Raum eine Gesellschaft ohne Hunger. Gesicherte Ernährung ist für die Mehrheit selbstverständlich. Wenn es Hunger gibt in Europa, liegt dies nicht an Nahrungsmittelmangel und Hungerkatastrophen, sondern an sozialen Ungerechtigkeiten. Auch das Kindergebären ist keine Frage auf Leben und Tod mehr. Ein ausgebautes Gesundheitssystem ermöglicht grundsätzlich Lebenssicherheit. Diese generationale Erfahrung verändert das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv. Freilich gibt es neue Unsicherheiten – Arbeitslosigkeit, soziale Segregation, Umweltprobleme, Gewalt – aber diese können nur auf der Basis dieser elementaren Sattheit Entrüstung hervorrufen. Hunger und Angst vor Hunger hat zahllose Generationen schwach, unfrei und manipulierbar gemacht. Eine satte Gesellschaft ermöglicht Individuen eine stärkere Konzentration auf die Suche nach innerweltlichem persönlichem Glück und Sinn. Sie ermöglicht Menschen mehr Selbstbewusstsein und Autonomie – auch in religiösen Belangen und gegenüber religiösen Institutionen. Das ist ungewohnt für die machtgewohnten Kirchen in Europa. 2) Die demokratische Kultur ist über die politische Sphäre hinausgewachsen und in alle Bereiche und Institutionen menschlichen Lebens eingedrungen: in die Schule, in Unternehmen, in die Universität, in Kirchen usw. Damit sind alle »naturalisierten« Formen von Autorität, traditionelle Pflichtvorstellungen und »natürliche« Rollenverteilungen zur Disposition gestellt und rechenschaftspflichtig geworden. Allem voran betrifft dies die traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie. Protestantische Kulturen reagieren darauf eher mit Öffnung und Liberalisierung, katholische mit defensivem Rückzug. 3) Das Verhältnis der EuropäerInnen zur Natur hat sich radikal verändert. Sie wird nicht mehr als eine vorgegebene Ordnung mit unwandelbaren und ewigen Prinzipien wahrgenommen, sondern sie lässt sich gestalten, manipulieren, demontieren, zusammensetzen und ändern. Grunderfahrungen mit dem Leben – sich ernähren, sich fortpflanzen, sich gesundhalten, sich verständigen – werden durch wissenschaftliche und technische Entwicklungen völlig neu definiert: Gentechnik, Reproduktionsmedizin, Kognitionswissenschaften, neue Technologien verändern das Leben von Grund auf. Selbst dort, wo »Natur« heute als 24 Vgl. zum Folgenden Hervieu-Léger 2007, 90–94.

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Eigenmacht wieder als bedrohlich erlebt wird – als Folge des Klimawandels – steht der Mensch vor der Tatsache, dass er selbst für diese Entwicklungen verantwortlich ist. Diese drei Entwicklungen sind in ihren Auswirkungen hochgradig ambivalent. Sattheit kann individuellen Freiheitsgewinn ebenso wie Konsum-Übersättigung bedeuten. Demokratisierung fördert Teilhabe und Egalität, kann aber auch in Beliebigkeit enden und neue, verschleierte Machtverhältnisse entstehen lassen. Das veränderte Verhältnis zur Natur befreit von schicksalhaft vorgegebenen Lebensläufen und macht bewusst, dass Menschen Natur immer schon kulturell formen. Es kann aber auch zum Verlust des Menschlichen führen, indem es den Machbarkeitswahn fördert – aktuell sichtbar in der Bioethikdebatte –, die biologischen Grundlagen des Menschseins entweder vernachlässigt (Radikalkonstruktivismus) oder, z. B. im Körperkult, sakralisiert. Diese epochalen Transformationen, deren Auswirkungen sich in den religionssoziologischen Studien längst andeuten, harren ihrer vertieften interdisziplinären Erforschung.

5 Säkularisierung oder Transformation? Es gibt nicht die eine wahre und richtige Theorie zur Deutung sozioreligiöser Transformationsprozesse. Jeder Zugang erschließt bestimmte Phänomene und macht andere unsichtbar. Die Vielfalt der Theorien dient dazu, Veränderungsprozesse im »religiösen Feld« aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und in ihrer Bedeutung und Tiefe besser auszuloten. Das »religiöse Feld« ist jener Kommunikationsraum, in dem verschiedene ProtagonistInnen – religiöse und nicht-religiöse Individuen, religiöse Institutionen, aber auch Wissenschaft, Politik oder das Recht – darüber verhandeln, was denn »Religion« bedeutet. »Religion« ist dabei nur ein abstrakter Sammelname. Je nachdem, was als »Religion« bezeichnet wird, machen Theorien bestimmte Phänomene sichtbar, andere bleiben unsichtbar. Denn Religion ist das, was eine Gesellschaft oder eine Wissenschaft als solche bezeichnet. Zudem gibt es »Religion« als abstraktes Phänomen überhaupt nicht, sondern immer nur konkrete Religionen oder Menschen, die sich als religiös bezeichnen. Auch konkrete Religionen sind keine in sich homogenen und zeitlosen Gebilde, sondern realisieren sich in entsprechender innerer Pluralität in konkreten historischen Situationen. Theorien über den sozioreligiösen Wandel hängen von all diesen begrifflichen Vorentscheidungen ab.

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5.1 Säkularisierung So komme ich nun nochmals auf die Säkularisierungsthese25 zurück. Diese ist keinesfalls »überholt«, noch kann oder soll sie zur Gänze abgeschafft werden. Selbstverständlich sind heute beträchtliche Teile Europas und auch einige wenige nicht-europäische Gesellschaften zutiefst säkular. Kritische Religionssoziologen zeigen jedoch die Vielgestaltigkeit und Komplexität der Säkularisierung, differenzieren sie in ihren Bedeutungsnuancen, arbeiten an Theoriesystemen, in denen Säkularisierung den ihr angemessenen Platz bekommt, und entideologisieren sie.26 So unterscheidet z. B. José Casanova verschiedene Dimensionen von Säkularisierung:27 1) die Ausdifferenzierung zwischen weltlicher und religiöser Sphäre, die mit der Trennung von Religion und Staat untrennbar mit der Moderne verbunden ist, aber nicht automatisch den Bedeutungsverlust von Religion beinhaltet;28 2) den Niedergang religiöser Überzeugungen und Verhaltensweisen, der – wie man im Vergleich mit den USA erkennen kann – ebenfalls keine moderne Notwendigkeit ist, sondern im absolutistischen Cäsaro-Papismus wurzelt; 3) die Privatisierung der Religion, die in der Entgegensetzung von privat und öffentlich gründet und ebenfalls nicht zwingend modern ist, wenn man im öffentlichen Raum zwischen Staat, Politik und Zivilgesellschaft unterscheidet. Zudem zeigt er, dass Säkularität überhaupt erst Religionsfreiheit ermöglicht. Der Anthropologe Charles Taylor wiederum beschreibt Säkularität als spezifisch neuzeitliche Weltsicht, die die Bedingungen des Glaubens für religiöse wie nicht-religiöse Menschen gleichermaßen umformt.29 So hat sich gegenüber der Vormoderne die Wahrnehmung der Wirklichkeit, des Selbst und der Transzendenz radikal verändert. Das moderne Selbst erlebt sich nicht mehr eingebunden in einen Kosmos und ein Kollektiv, an deren »Spitze« unhinterfragt Gott steht. Der Glaube an Gott ist nicht mehr zwingend notwendig, sondern nur 25 Ich folge hier Hans Joas, der nachweist, dass die Säkularisierung lange Zeit für so selbstverständlich gehalten wurde, dass sie auf so gut wie keine theoretischen Herleitungen oder empirische Evidenzen zurückgegriffen hat, und daher eher eine These als eine Theorie ist (vgl. Joas 2012 31f). 26 So weist Hans Joas z. B. nach, das im Hintergrund der Säkularisierungsthese geschichtsphilosophische Theorien (wie z. B. Modernisierung, das Projekt der Moderne) zu finden sind, die die sozioreligiöse Situation weniger beschreiben als normativ vorgeben. 27 Vgl. Casanova 1994. 28 In Europa konkretisiert sich die »Trennung« überdies auf vielfältige Weise, z. B. im Staatskirchentum Nordeuropas, im Laizismus Frankreichs oder in den korporativen Modellen in Österreich und Deutschland. 29 Vgl. Taylor 2009.

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mehr eine von vielen Optionen. Er ist zudem gegenüber einer szientistischen Weltsicht rechenschaftspflichtig geworden. Säkularisierungstheorien ignorieren nicht selten die Realität anderer religiöser Traditionen, wie sie in Europa verstärkt durch Migration zwischenzeitlich zur Normalität geworden sind. Auch die Entstehung neuer spiritueller Lebensformen oder Erfahrungsweisen wird in quantitativen Studien nicht angemessen erfasst, wenn man banal und unterscheidungslos nach der Intensität der Praxis von Astrologie und Zen-Buddhismus fragt. So identifiziert der Soziologe Detlef Pollack den Rückgang traditioneller christlich-kirchlicher Formen und Überzeugungen mit einem generellen Verschwinden von Religion. An deren Stelle treten Sinnkonstruktionen, denen aber seiner Ansicht nach kein religiöser Charakter mehr eignet.30 Hervieu-Léger wiederum erkennt parallel zum Zusammenbruch der traditionellen Formen durchaus einen ungeheuer »vitalen Glauben« in den von der »symbolischen Bevormundung durch die großen religiösen Institutionen emanzipierten europäischen Gesellschaften«.31 Religiöse Überzeugungen werden vom Einzelnen zu »subjektiven Utopien« entwickelt. Diese lauten »›Selbstverwirklichung‹, ›Umsetzung der eigenen Möglichkeiten‹, persönlicher Zugang zu ›Weisheit‹, ›Gleichgewicht‹ oder ›innerer Frieden‹«.32 Die großen religiösen Traditionen mutieren dabei zu symbolischen Werkzeugkästen und dienen als Reservoir von Bedeutungen, die für die individuellen Zwecke neu rekombiniert werden. Je nach Religionsverständnis der ForscherInnen wird die Situation also auch von SoziologInnen verschieden bewertet. Mit seiner Theorie der Kontingenz hat Hans Joas jüngst ein überaus differenziertes Modell sozioreligiösen Wandels vorgelegt, in dem Säkularisierung nach wie vor einen wichtigen »Baustein« darstellt. Allerdings hat er sich dabei von jeglicher übergreifender geschichtsphilosophischer »Metaerzählung« verabschiedet. Stattdessen analysiert er Religion im Kontext der institutionellen Arrangements zwischen Staat, Wirtschaft, Politik und Religionsgemeinschaf­ ten.33 Dies ermöglicht ihm, die Vielfalt und Eigenarten verschiedener Säkularisierungen ebenso zu beschreiben wie die »Wellen«,34 in denen diese in Eu30 31 32 33 34

Vgl. Pollack 2009. Vgl. Hervieu-Léger 2007, 83. Ebd., 91. Vgl. Joas 2012, 70 ff. Ebd., 66–85: Die erste Welle beginnt im Zuge der Französischen Revolution in Frankreich und bahnt sich von dort aus von 1791–1803 transnational bis in die USA Bahn. Die zweite Welle findet in unterschiedlichen Mustern und Verläufen im 19. Jahrhundert als Folge von Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozessen statt. Die dritte Welle lässt sich in Westeuropa zwischen 1969 und 1973 feststellen und bringt mit dem »expressiven Individualismus«

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ropa stattgefunden haben. Dabei entwickelt er »Kontingenz« als zentrales heuristisches Instrument zum angemessenen Verständnis der Entwicklungen. Damit ist nicht gemeint, dass sozioreligiöse Entwicklungen »zufällig« oder »willkürlich« sind. Aber es sind je spezifische gesellschaftliche, politische, ökonomische Bedingungen, die zu bestimmten Ausformungen von Säkularität führen. Es gibt keine unilineare, einheitliche Modernisierung mit zwingender Säkularisierung im Gefolge. Stattdessen führt eine Vielzahl von selbständigen, aber voneinander abhängigen und einander bedingenden Prozessen (wirtschaftlicher und technischer Fortschritt, Demokratisierungsprozesse, soziale und kulturelle Entwicklungen uvm.) zu verschiedenen Konstellationen. Entgegen funktionalistischen Ganzheitsvorstellungen nennt Joas diese »kontingent«, also von Bedingungen abhängig. Dabei untersucht Joas, ob man die zeitgenössische Situation über eine Zunahme individueller Handlungsoptionen charakterisieren kann und wie sich das Bewusstsein historischer Kontingenz dabei herausbildet.35 Diese Optionsvervielfältigung mit all den damit verbundenen Risiken und Chancen führt durch das Zusammenleben von Menschen gegenwärtigen zu quantitativen und qualitativen Veränderungen, die empirisch erst eingeholt werden müssen. Die genuin theologische Frage, ob und wie sich in Säkularisierungsprozessen die Frage nach Gott zeigt, kann mit diesen Theorien gar nicht beantwortet werden. Keine empirische Studie lässt erkennen, ob ein Mensch jenen Glauben hat, der aus theologischer Sicht heilsnotwendig ist. Dieses Urteil obliegt Gott allein. Säkularität schließt Glaube jedenfalls nicht automatisch aus. Säkularisierung kann auch ein Befreiungsgeschehen aus erstarrten Glaubensformen sein. 5.2 Transformation Ich selbst bevorzuge den Begriff der Transformation, um die zeitgenössischen Entwicklungen zu beschreiben. Säkularisierung in ihrer Vielfalt ist darin eine Dimension, erschöpft aber nicht die Vielfalt der Prozesse. Der Begriff Transformation – nicht nur ein Synonym für Veränderung – stammt aus der Politikwissenschaft und meint dort jenen politischen Systemwechsel, der nach den epochalen Zäsuren von 1989 (Fall der Berliner Mauer) und 1991 (Implosion und Selbstauflösung der Sowjetunion) zur Neuordnung aller Strukturen und Institutionen in Osteuropa geführt und im Weiteren das Ringen um eine ein neues Element ins Spiel, demzufolge es nicht mehr nur um Befreiung von Religion geht, sondern auch um den selbstbestimmten, erfahrungsnahen und authentischen Ausdruck von Religion (vgl. Joas 2012, 73 f.). 35 Vgl. Joas 2012, 112 ff.

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neue, globale Weltordnung ausgelöst hat.36 Transformation bedeutet daher zunächst Systemwechsel: den Umbau von Strukturen und Institutionen in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, Bildung, Religionsgemeinschaften und Kirche. Dieser umfassende Systemwechsel wirkt sich auch auf die Religiositäten der Menschen aus und ist unter dieser Perspektive m. W. nach nicht empirisch erforscht. Transformation bedeutet zugleich auch Bewusstseinswandel. Damit meine ich vor allem paradigmatische Veränderungen, Umbrüche, Neukonstruktionen im Bereich der Wahrnehmung von Wirklichkeit, von Formen des Fühlens und Denkens und von Handlungsorientierungen. Weltanschauungen, Werthaltungen, Lebensweisen werden dabei radikal »umgeformt«. (Beispiele: Entwicklung globaler Solidarität und eines Gerechtigkeitsbewusstseins, Diversität und Differenzsensibilität als handlungsleitendes Prinzip usw.) Auch diese Dimension der Transformation betrifft Religion und Glaube. In der unüberschaubaren Fülle qualitativ-empirischer Studien deuten sich diese Entwicklungen ebenso an wie in den quantitativen Wertestudien, wenn es sich in den jüngsten Untersuchungswellen als zunehmend schwieriger erweist, die empirischen Daten zu interpretieren und typologisch zu ordnen. Die Zusammenführung dieser Forschung liegt deshalb als Aufgabe vor der Religionssoziologie. Eine Transformationstheorie sozioreligiöser Veränderungen betrachtet Religion demnach nicht als isolierte Sonderzone oder funktionales Teilsystem, sondern bettet sie konstitutiv in politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Prozesse ein. Sie fragt immer auch nach dem Zusammenhang von Religion und Religiosität mit anderen menschlichen Lebensbereichen. Religiosität wird dabei als spezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweise beschrieben; Religion als deren institutionalisierter Ausdruck. Wir leben in einer Wendezeit der Geschichte, in der sich die Welt von Grund auf ändern wird.37 Gerungen wird um materielle Ressourcen, politische und ökonomische Macht, aber auch um neue Konzepte, wie diese Prozesse zu mehr Humanität und Gerechtigkeit führen können. Auch Religion aller Art ringt 36 Vgl. Merkel 2010; Faßmann/Müller-Funk/Uhl 2009, 9. 37 Hans Joas würde mich mit dieser Zeitdiagnose dem Typus »Erklärungen eines Epochenbruchs« zuordnen, deren Risiko darin besteht, die Balance zwischen zeitlichen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu wenig zu berücksichtigen. Das ist für zukünftige Forschung zu berücksichtigen. Allerdings habe ich im Unterschied zu den von ihm aufgezählten Vertretern noch keine, auch keine »monothematische Diagnose«, da es schlicht zu wenig empirische Forschung im Kontext einer solchen Transformationstheorie gibt. Vorläufig kann ich meine Diagnose angesichts der »Zeichen der Zeit« nur mit einer biblischen Hoffnung begründen: »Seht her, nun mache ich etwas Neues, spricht der Herr, schon kommt es zum Vorschein.« (Jes 43,18) Worin das Neue besteht, muss empirisch gesucht werden.

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um ein neues Selbst- und Weltverständnis, das ich hier gleichfalls als Transformation bezeichne. Weltweite Wirtschaftskrisen, spätestens seit 2008, in deren Gefolge die Schulden- und Bankenkrisen in den USA und in Europa, die globale Armut und Ungerechtigkeit machen deutlich, wie notwendig eine spirituell, ethisch und politisch verantwortete Transformation ist. Krisen in der Politik, die rasanten Entwicklungen in Wissenschaft und Technik werfen völlig neue Fragen auf. Demographische Entwicklungen und Migration stellen die Frage nach dem Zusammenleben in Verschiedenheit und Frieden immer schärfer. Die sozioreligiösen Transformationen sind Ausdruck und Folge der globalen Transformation – die fundamentalistischen Entwicklungen ebenso wie die innovativen Reformbewegungen in allen Religionen oder die individualisierte Spiritualitäts-Szene. Transformation ist kein schicksalshaft stattfindender linearer Prozess. Auch wenn z. B. ChristInnen Transformation schöpfungstheologisch und heilsgeschichtlich als Verwandlung verstehen dürfen, bedarf sie philosophischer, ethischer und theologischer Reflexion und verantworteter Gestaltung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. In welche Richtung sollen die Transformationsprozesse gehen? Welche Zukunftsbilder sollen leitend sein? Wie können die negativen Auswirkungen der Transformation begrenzt werden? Transformation bedeutet auch Krise. Das »religiöse Feld« befindet sich in einer umfassenden Krise. Menschen suchen auf verschiedenste Weise nach neuen religiösen und spirituellen Lebensformen. Kirchen und Religionsgemeinschaften suchen nach einem neuen Ort in der Gesellschaft. Aber die Krise, in der sie sich befinden, ist nicht bloß ein Problem, das man durch ein paar Umjustierungen oder neue Verpackungen des Alten verändern kann. Ich denke, dass die Paradigmen des Religiösen selbst zur Disposition stehen und die Frage nach Gott im Horizont der Gegenwart nicht nur neu und anders beantwortet, sondern anders gestellt werden muss. Religionen und religiöse Menschen stehen vor großen praktischen und intellektuellen38 Herausforderungen. Krise meint einen Prozess, in dem die Grundlagen des Selbst- und Weltverhältnisses selbst zur Disposition stehen39 – und damit auch das Verhältnis zu Religion und Gott und alle Strukturen, in denen sich dieses Verhältnis realisiert. Diese Art von 38 Joas nennt in diesem Zusammenhang für das Christentum das Liebesethos, die Personalität, Spiritualität und Transzendenz (vgl. Joas 2012, 201 ff.). Im Unterschied zu ihm glaube ich allerdings, dass die globalen ökonomischen, politischen, ökologischen Herausforderungen nicht nur Nebenthemen sind, sondern vielmehr der theologische Ausgangsort christlicher Neuorientierung. 39 Vgl. Karl Baier: Spirituelle Krisen. Eine Einführung, URL: http://homepage.univie.ac.at/karl. baier/texte/pdf/SpirituelleKrisen.pdf, 16. Februar 2013.

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Krise ist gefährlich, weil vom Scheitern bedroht – und kann zugleich »Geburtsort« des Neuen werden. Damit ist auch die Qualität dieser Krise neu: Sie ist aufgrund ihrer globalen Dimension nicht mit den bisher zur Verfügung stehenden Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten lösbar. Auch ist diese Art von Krise nicht durch eine Rückkehr in den alten Zustand vor der Krise bewältigbar. Die Transformationskrise wirft traditionelle Lösungsvorstellungen über den Haufen und verlangt von der ganzen Menschheit Umdenken und Kooperation. Die große Chance der Gegenwart, zu einer Menschheit zusammenzuwachsen, und die vielen hoffnungsvollen Aufbrüche sind von Gefahren begleitet, von Konflikten, Kriegen und neuen Totalitarismen. Europa spielt aufgrund seiner Macht, seines Reichtums, auch seiner spezifischen geschichtlichen Erfahrungen und Schuld in dieser Transformationskrise eine zentrale Rolle. Religion ist dabei ein maßgeblicher Faktor: Sie kann die Krise verstärken, verschleiern oder zu deren Lösung beitragen. Sozioreligiöse Transformation bedeutet also: Wahrnehmen, Denken und Handeln im Horizont des »Religiösen« befinden sich in einem radikalen Umbruch und Paradigmenwechsel. Das religiöse Bewusstsein, die Wahrnehmung Gottes z. B. verändert sich von Grund auf. Ein Gott, an den man als Baustein einer Weltanschauung glaubt oder nicht glaubt, reicht nicht mehr aus, um die anstehenden Herausforderungen zu bestehen. Eine religiöse Weltanschauung als Sonderbereich von Individuen oder Institutionen wird vielen fragwürdig und sie suchen nach neuen Wegen. Sozioreligiöse Transformation bedeutet schließlich den Umbau aller Institutionen im Horizont der Frage nach der Bedeutung von Religion. Das betrifft natürlich zunächst Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem Inneren. Es betrifft aber alle Institutionen – auch die Schule: Welche Rolle kann, darf und soll Religion in ihnen (nicht) spielen? Taugen die Strukturen gesellschaftlicher Institutionen, um den sozioreligiösen Transformationsprozessen gerecht zu werden? Dienen sie dazu, diesen Prozess angemessen wahrzunehmen, zu verstehen, kritisch zu begleiten und zu unterstützen?

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Literatur Arts, Will/Halman, Loek (2012): Value Research and Transformation in Europe, in: Regina Polak (Hg.): Zukunft. Werte. Europa: Die Europäische Wertestudie 1990–2010: Österreich im Vergleich, Wien, 79–102 Casanova, José (1994): Public Religions in the Modern World, Chicago Faßmann, Heinz/Müller-Funk, Wolfgang/Uhl, Heidemarie (Hg.) (2009): Kulturen der Differenz – Transformationsprozesse in Zentraleuropa nach 1989. Transdisziplinäre Perspektiven, Wien Greeley, Andrew (1989): Protestant and Catholic. Is the Analogical Imagination Extinct?, in: American Sociological Review 54, 485–502 Hervieu-Léger, Danièle (2007): Religion und sozialer Zusammenhalt in Europa, in: Krzystof Michalski (Hg.): Woran glaubt Europa? Religion und politische Kultur im neuen Europa, Wien, 81–99 Joas, Hans (2012): Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg Merkel, Wolfgang (2010): Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Wiesbaden Pollak, Detlef (2009): Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und in Europa II, Tübingen Polak, Regina (2005): Religion kehrt wieder. Handlungsoptionen in Kirche und Gesellschaft, Ostfildern Polak, Regina (2008): Lebenshorizonte: Religion und Ethik, in: Christian Friesl/Ingrid Kromer/ Regina Polak (Hg.): Lieben. Leisten. Hoffen. Die Wertewelt junger Menschen in Österreich, Wien, 126–169 Polak, Regina/Jäggle, Martin (2012): Gegenwart als locus theologicus. Für eine migrationssensible Theologie im Anschluss an Gaudium et Spes, in: Jan-Heiner Tück (Hg.): Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg, 550–580 Polak, Regina/Schachinger, Christoph (2011): Stabil in Veränderung: Konfessionsnahe Religiosität in Europa, in: Regina Polak (Hg.): Zukunft. Werte. Europa. Die Europäische Wertestudie 1990–2010: Österreich im Vergleich, Wien, 191–222 Taylor, Charles (2009): Ein säkulares Zeitalter. Frankfurt/M. Zulehner, Paul (2011): Verbuntung. Kirchen im weltanschaulichen Pluralismus. Religion im Leben der Menschen 1970–2010, Ostfildern Zulehner, Paul/Polak, Regina (2009): Von der »Wiederkehr der Religion« zur fragilen Pluralität, in: Christian Friesl/Regina Polak/Ursula Hamachers-Zuba (Hg.): Die Österreicher/-innen. Wertewandel 1990–2008, Wien, 143–206

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1 Vorbemerkung Den Hintergrund der nachfolgenden Überlegungen bildet die ökumenische Initiative lebens.werte.schule1 der Katholisch-Theologischen sowie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH Wien/Krems). Die Letztere ist selbst eine europaweit einmalige ökumenische Einrichtung der LehrerInnenbildung, innerhalb derer die gemeinsame Ausbildung konfessioneller ReligionslehrerInnen besonders herausragt. Sie wird von der Erzdiözese Wien gemeinsam mit der Diözese St. Pölten und der Evangelischen2, der GriechischOrientalischen3, den Orientalisch-Orthodoxen4 und der Altkatholischen Kirche Österreichs getragen und erhalten.5 Die Initiative lebens.werte.schule will für das Wahrnehmen religiöser Dimensionen in Schulkultur und Schulentwicklung sensibilisieren.6 Schulentwicklung eröffnet die Möglichkeit von Reifung und Wachstum. Ihr Erfolg beruht darauf, wie individuelle, soziale, kulturelle und religiöse Unterschiede wahrgenommen werden. Jede Schulgemeinschaft muss sich der Herausforderung stellen, die an der Schule vorhandene Vielfalt fruchtbar zu machen, denn die Schule ist ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtige Ort, an dem die Pluralität unserer Gesellschaft bearbeitet wird – oder eben auch nicht. Da die Schulautonomie der einzelnen Schule die Chance auf eigenständige Entwicklung und Profilbildung eröffnet, ist die für jede Schule spannende Frage »Welche 1 www.lebenswerteschule.at. 2 Evangelische Kirche A.B. (Augsburgisches Bekenntnis) und H.B. (Helvetisches Bekenntnis). 3 Bulgarisch-Orthodoxe Kirche, Griechisch-Orthodoxe Kirche, Rumänisch-Orthodoxe Kirche, Russisch-Orthodoxe Kirche, Serbisch-Orthodoxe Kirche. 4 Armenisch-apostolische Kirche, Syrisch-orthodoxe Kirche, Koptisch-orthodoxe Kirche. 5 Mehr dazu siehe den Beitrag von Krobath/Ritzer in diesem Band. 6 Jäggle/Krobath/Schelander (Hg.) 2009.

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Werte und Normen sollen der Bezugsrahmen sein?« Dabei kann es nicht darum gehen, bestimmte Überzeugungen durchzusetzen, vielmehr müssen Grundsätze gefunden werden, die für alle trag- und lebbar sind, Grundsätze, die ›das Andere‹ in seiner ganzen Würde anerkennen. Dafür ist es notwendig, sich an der konkreten Schule gemeinsam zu verständigen und auch religiöse Traditionen darauf hin zu prüfen, was sie zu einem friedlicheren und gerechteren Zusammenleben beitragen können. Angesichts der wachsenden Heterogenität kann dieses Zusammenleben nur gelingen, wenn es durch Anerkennung von Differenzen und im inklusiven Umgang mit Diversität gestaltet wird. Das Kriterium für eine gute Schule sieht die Initiative daher im Umgang mit kultureller und religiöser Pluralität, und ihr Ziel ist eine demokratiefähige Schule sowie ein Beitrag zur menschengerechten Bildung. Die angemessenen Perspektiven für Schulentwicklung bündeln sich in den beiden Fragen: ȤȤ »Wie gehen wir in der Schule mit Vielfalt und Diversität um? ȤȤ Wie gewinnen junge Menschen Selbstwert vor jeder Bewertung?«7 Die Schule ist herausgefordert, »das Zusammenleben einer größer werdenden Heterogenität zu gestalten«, und braucht dafür »neue Formen des Miteinanders verschiedener kultureller und religiöser Beheimatungen und sozialer Herkünfte.« Denn es ist nicht das Vereinheitlichen, das eine gute Schulkultur fördert, sondern dies gelingt erst, wenn Diversität als Ressource wahrgenommen wird, besonders oder gerade auch religiöse Diversität. »Jenseits aller Postulate einer abstrakten Gleichheit entscheidet sich die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft am konkreten Umgang mit Verschiedenheit und mit Minderheiten.« Notwendig ist »eine Schule des gemeinsamen Lernens an Unterschieden«, wofür nicht-diskriminierende Formen der Kommunikation entwickelt werden müssen, damit wir »den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann«8. Die Intention der Initiative lebens.werte.schule ist eine Schulentwicklung für eine Kultur der Anerkennung.9

7 Jäggle/Krobath 2009, 27 (ebenso die folgenden Zitate). 8 Adorno 1951, 114. 9 Jäggle/Krobath 2009, 54 f.

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2 Kultur der Anerkennung Der Auseinandersetzung mit und Weiterentwicklung einer »Kultur der Anerkennung« diente der Internationale Kongress »Kultur der Anerkennung«10 im Mai 2012 in Wien, der von der Initiative lebens.werte.schule getragen war. »Aus der Sicht der Kongressverantwortlichen würdigt eine Kultur der Anerkennung die Person vor jeder Leistung, prägt die konkrete Gestalt des Schullebens, die Haltung aller Beteiligten, die Kommunikationsformen in der Schule, das Leiten der Schule, die Prozesse der Selbstreflexion und Erneuerung und ist auch mit Konflikten verbunden. Die für die Konzeption des Kongresses wichtigen Merkmale einer Kultur der Anerkennung sind: ȤȤ Wege inklusiven Umgangs mit Diversität in Unterricht und Schulleben, ȤȤ Mitgestaltung von demokratischen Strukturen in der Schule, ȤȤ strukturelle Formen der Wertschätzung und Würdigung aller Beteiligten, ȤȤ ein konstruktiver Umgang mit Konflikten.«11 Was in der Kongressausschreibung programmatisch zusammengefasst ist, bedarf hier der Ausdifferenzierung.12 »Anerkennung ist der Schlüsselbegriff unserer Zeit.«13 Margalit14 und Taylor15 begründen »die Erfüllung von Anerkennungsbedürfnissen« als »eine notwendige Bedingung für die Ausbildung personaler Identität sowie unbeschädigter intersubjektiver Beziehungen«16. Für Honneth17 macht der gegenwärtige Strukturwandel Anerkennung zwar »unsicher und fragil«, doch sind für ihn zugleich Prozesse der »Re-Institutionalisierung von Anerkennung in unsicheren Zeiten erkennbar«. Die gesellschaftliche Relevanz von Anerkennung bzw. ihrer Verweigerung zeigt etwa das von Heitmeyer geleitete Forschungsprojekt »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMFSurvey 2002–2012)«18. In der Erfahrung entscheidender Anerkennungsdefizite wird die Würde der Person angreifbar, ein »Leben in Anerkennung und möglichst frei von Angst« ist dann nicht mehr möglich.19 10 Dokumentiert in: Jäggle u. a. (Hg.) 2013. Vielfältig interdisziplinär weitergeführt wird der Diskurs in Krobath/Lehner-Hartmann/Polak (Hg.) 2013. 11 Jäggle u. a. (Hg.) 2013, Vorwort 5. 12 Die weiteren Überlegungen dieses Abschnittes orientieren sich an Jäggle/Krobath 2013, 11–15. 13 Voswinkel/Lindemann 2013, 7. 14 Margalit 1997. 15 Taylor 1993. 16 Voswinkel/Lindemann 2013, 7. 17 Honneth u. a. 2013. 18 vgl. http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/[24. 02. 2014]. 19 Heitmeyer 2002–2011.

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Die Forderung nach einer »Kultur der Anerkennung« wird aus ganz unterschiedlichen Disziplinen immer stärker, wobei das Verständnis einer Kultur der Anerkennung divers ist. Da diese dem Forschungsstand entsprechend keinesfalls mehr auf pädagogische Haltungen oder Handlungen begrenzt werden kann, muss sich jede pädagogische Einrichtung umfassend mit der Frage der Anerkennung und ihrer Anerkennungspraxis, die sich besonders in ihrer Schulkultur und Organisationskultur manifestiert, auseinandersetzen. Eine systematische, kritische Analyse des Begriffs der Anerkennung haben Balzer und Ricken20 vorgelegt, die vier einander ergänzende Praktiken der Anerkennung unterscheiden. 2.1 Anerkennung als »moralische Praxis« Eine normative Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen hat Anerkennung nach Honneth21 in den drei Anerkennungssphären (Liebe, Recht und Solidarität bzw. Wertschätzung). Die Beziehung von Subjektwerdung und Anerkennung, also wie Identität aus ungestörter Intersubjektivität entsteht, steht dabei im Zentrum. Er sieht gemeinschaftlich-gesellschaftliche Bezüge als Bedingungen der »Möglichkeit einer ungestörten gelingenden Selbstbeziehung«22, wobei es um emotionale Zuwendung und Bestätigung, kognitive Achtung und soziale Wertschätzung23, deren jeder Mensch bedarf, geht. Anerkennung wird zum Inbegriff moralischen Handelns im Sinne wertschätzenden Handelns und positiver Bestätigung des Anderen. Die Engführung auf positives Anerkennen als Mittel pädagogischen Handelns ist problematisch, weil dabei der kritische Blick auf strategisch eingesetzte Anerkennung und das Wahrnehmen der Widersprüche von Anerkennung verloren gehen, weshalb die moralisch-ethische Lesart von Anerkennung zu erweitern ist. 2.2 Anerkennung als »kulturelle Praxis« Der von Taylor geforderten »Politik der Anerkennung«24 geht es um die Anerkennung der »Besonderheit«25 und der »Gleichwertigkeit«26 kollektiver Identitäten, 20 21 22 23 24 25 26

Balzer/Ricken 2010, 48–78. Honneth 1992. Honneth 1992, 8. Vgl. Honneth 1992, 211. Taylor 1993. Taylor 1993, 31. Taylor 1993, 70.

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Gruppen und Kulturen, um »den bisher Ausgeschlossenen die ihnen gebührende Anerkennung zuteilwerden zu lassen«27. Auf »der Basis anerkannter Differenzen (werden) gesellschaftliche Gleichheit, Partizipation und Gerechtigkeit« ermöglicht.28 Doch die positive Anerkennung von Differenz forciert zugleich Homogenisierung, unterliegt der Gefahr, auf Differenz festzulegen, und kann auch ein »Repressionsinstrument« sein, insofern die »Gewährung« von Anerkennung selbst problematisch sein kann.29 Die »Pädagogik der Anerkennung«30 ist prinzipiell von einer »Anerkennung von Differenz« bestimmt, während eine »Pädagogik der Gleichheit« Differenz primär mit Defizit gleichsetzt. Dagegen macht die Kritik von Mecheril, wonach Anerkennung »die Anderen erneut als Andere und nur als Andere zur Geltung bringt«, auf das Dilemma aufmerksam, dass die Anerkennung als auch die Nichtanerkennung von Differenzen in Bildungsprozessen Ungleichheit produziert und zugleich reproduziert.31 2.3 Anerkennung als »paradoxe Praxis« Gemäß der Erkenntnis von Buber »Ich werde am Du« ist man »nicht erst jemand, der dann auf andere stößt, sondern man wird erst jemand durch andere und von anderen her – ohne dass man deswegen vorher niemand war.«32 In Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Jessica Benjamin und Judith Butler wird der Doppelcharakter von Anerkennung »als Unterwerfung und Überschreitung deutlich«. Pädagogisches Handeln wäre u. a. als ambivalentes, »ermöglichendes als auch einschränkendes (…) zu begreifen«.33 2.4 Anerkennung als eine »Dimension von Praktiken« Balzer und Ricken schlagen vor, »Anerkennung als Adressierungsproblematik« zu verstehen, »als wer jemand von wem und vor wem wie angesprochen und adressiert wird und zu wem er/sie dadurch vor welchem (normativen) Horizont (…) gemacht wird.«34 Für Todorov sind die »Anerkennung unseres Seins und die Bestätigung unseres Wertes (…) der Sauerstoff unseres Daseins.«35 Da es 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Taylor 1993, 62. Balzer/Ricken 2010, 58. Balzer/Ricken 2010, 60. Prengel 2006. Mecheril 2005, 325. Balzer/Ricken 2010, 63. Balzer/Ricken 2010, 70. Balzer/Ricken 2010, 72 f. Todorov 1996, 107.

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hier um die »Sichtbarkeit für andere, des Wahrgenommenwerdens von anderen geht, gehören auch sowohl Missbilligung und Entwertung, als auch Gleichgültigkeit und Unsichtbarkeit für andere zum Phänomenbereich des Anerkennens«.36 Im Anschluss an Butler, die Anerkennung im Angesprochenwerden selbst festmacht, ob dies nun positiv oder negativ erfolgt, sind für Balzer und Ricken pädagogische Einrichtungen wie Schulen immer schon Orte der Anerkennung. »Entscheidend aber wäre dabei, die Heterogenität der Adressierungen (…) in den Blick zu nehmen«.37 Die ständige Reflexion der Vielschichtigkeit im Gebrauch des Anerkennungsbegriffs ist unerlässlich, da oft mit Anerkennung eine einfache Formel zur Lösung pädagogischer und schulischer Probleme suggeriert wird. Hilfreich ist hier die These von Bedorf, dass Anerkennung nur als Verkennung möglich sei.38 Für ihn ist das Moment der Verkennung konstitutiver Bestandteil der dreistelligen Struktur von Anerkennung, in der es immer um Anerkennung von jemandem durch jemanden als jemand (oder etwas) geht. In diesem Anerkennungsmedium als etwas Bestimmtes (als jemand Bestimmter) wird das unbestimmte Andere ausgeblendet, der Prozess der Identifizierung gerinnt zu einem scheinbaren Resultat. »Mit Verkennung ist jedoch gemeint, dass auch die erfolgreiche Anerkennung den Anderen zu einem identifizierbaren Anderen macht und diese Identität die Andersheit des Anderen notwendigerweise limitiert«.39 Um Kultur der Anerkennung in schulentwicklerischer Absicht zu the­ma­ tisieren, ist die Begriffsdifferenzierung auch organisationstheoretisch aufzunehmen. Das Bedorf ’sche Anerkennungsmedium wäre – mit dem Hinweis auf den normativen Horizont durch Balzer und Ricken – auf konkrete Rahmenbedingungen und Prägungseinflüsse einer bestimmten Schule hin zu reflektieren. Pädagogisches Anerkennungshandeln kann explizit oder implizit erfolgen, es erfolgt aber jedenfalls unter den Ermöglichungsbedingungen und Prägungskontexten schulischer Anerkennungsverhältnisse. Diese können phänomenologisch entschlüsselt, differenztheoretisch problematisiert und normativ in ihrem Stellenwert für Schulentwicklung als Veränderungsprozess reinterpretiert werden. Eine Kultur der Anerkennung ist in einer schulischen Organisationskultur der Anerkennung fundiert, denn diese prägt als Systemqualität alle Dimensionen einer Schule und materialisiert, was oft als »Geist« einer Organisation bezeichnet wird. So wird eine Vielfalt an Wegen zur Wahrnehmung und Erforschung 36 37 38 39

Balzer/Ricken 2010, 74. Balzer/Ricken 2010, 77. Bedorf 2010, 144. Bedorf 2010, 146.

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schulischer Anerkennungsrituale und Anerkennungsverhältnisse eröffnet. Im Blick auf Zweck und gesellschaftlichen Auftrag schulischer Bildung unterliegen schulische Anerkennungsphänomene moralischen Beurteilungen durch die Betroffenen und Beteiligten, die sich an der Würde der Personen orientieren und als Gegengewicht zu entwürdigenden Demütigungserfahrungen eine sorgende Kultur der Anerkennung setzen. »Eine sorgende Organisationskultur der Anerkennung prägt die Kommunikationsformen und Entscheidungsprozesse dadurch, dass die jeweils Betroffenen als die zumeist ausgeschlossenen Anderen einbezogen, gehört und beteiligt werden: in direkter oder in stellvertretend-parteilicher Weise. Eine solche Kultur ist heterogen und konfliktreich, sie kennt keine glatten Lösungen und ebnet nicht ein. Sie würdigt Vielfalt und Auseinandersetzung und sorgt, dass alle daran beteiligt werden und darin zur Geltung kommen. Sie ist kein Gegenkonzept zu Asymmetrie, Heterogenität oder absoluter Singularität, sondern geht davon aus, dass ›Bildungsprozesse (…) von asymmetrischen Anerkennungsverhältnissen (…) leben‹.40 Niemand soll aus der Kultur der Anerkennung heraus fallen.«41

Paul Ricoeur zeichnet den Weg der Anerkennung vom Erkennen über das Wiedererkennen zum Anerkanntsein nach und verweist auf die »originäre Asymmetrie«, die mit der Betonung der Wechselseitigkeit der Anerkennung sehr schnell vergessen wird, während jene doch »vor den Fallen der Verschmelzungseinheit (…) schützt«.42 Er teilt die Bedeutung von Anerkennung für Identität, sein Zweifel nimmt »die Gestalt einer Frage an: Löst sich das Verlangen nach emotionaler, rechtlicher und gesellschaftlicher Anerkennung wegen seines militanten, konfliktträchtigen Stils nicht in ein unbegrenztes Verlangen, eine Form des ›schlechten Unendlichen‹ auf? Die Frage betrifft nicht nur die negativen Gefühle, den Mangel an Anerkennung, sondern auch die errungenen Fähigkeiten, die dergestalt einer unersättlichen Suche überlassen wären.« Er sieht hier als Versuchung »eine neue Form von ›unglücklichem Bewusstsein‹ in Gestalt eines unheilbaren Gefühls, Opfer zu sein, oder in Gestalt einer unermüdlichen Forderung nach unerreichbaren Idealzuständen.«43 Ricoeur schlägt vor, zur Idee des Kampfs im Prozess der wechselseitigen Anerkennung die Alternative »in befriedeten Erfahrungen wechselseitiger Anerkennung zu suchen, die auf symbolischen Vermittlungen beruhen, die sowohl der Rechtssphäre als auch derjenigen des Warenaustausches entzogen sind.«44 Resümierend meint er:

40 41 42 43 44

Micus-Loos 2012, 317. Jäggle/Krobath 2013, 15. Ricoeur 2006, 324. Ricoeur 2006, 273. Ricoeur 2006, 274.

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»Vielleicht bleibt der Kampf um Anerkennung unendlich: doch die Erfahrungen tatsächlicher Anerkennung im Austausch von Gaben, vor allem in ihrer festlichen Gestalt, bringen dem Kampf um Anerkennung die Gewissheit, dass seine Motivation, die ihn vom Machthunger unterscheidet und vor der Faszination der Gewalt schützt, weder Schein noch eitel ist.«45

3 Pluralität und Alterität Das Handbuch der Geschichte des Hochmittelalters hat den treffenden Titel Europa entdeckt seine Vielfalt46 und behandelt doch auch zugleich die Geschichte der Unmöglichkeit, als religiös Verschiedene zusammenleben zu können. Die Geschichte Europas ist seit dem Hochmittelalter eine blutige Geschichte im Umgang mit religiöser Verschiedenheit, es ist eine Geschichte der Unterwerfung, der Vertreibung und der Ermordung »der Anderen«, die ihren Tiefpunkt in der Shoa gefunden hat. Deshalb ist der Neubeginn nach 1945 so hoffnungsvoll, wovon hier nur drei Dokumente erwähnt seien, die die Würde der Einzelnen und der Vielfalt sichern: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die alle Staaten verpflichtet, der Vertrag von Lissabon, der die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet, und die UN-Kinderrechtskonvention, die jene Staaten verpflichtet, die diese als Rechtsnorm in Kraft gesetzt haben. »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« (AEM, Art. 1). Die Präambel begründet dies, weil »die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt« bildet und »die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt« haben. Diese Würde kann humanistisch – oder wie das II. Vatikanische Konzil formuliert – durch »Menschen guten Willens«47 oder religiös begründet werden. Um die Respektierung dieser Würde der besonderen Situation von Kindern entsprechend zu sichern, wurde 1989 die »UN-Konvention über die Rechte des Kindes« beschlossen. Das EU-Motto im Vertrag von Lissabon ist »In Vielfalt geeint«, als die EU verbindenden Werte werden u. a. ausdrücklich »Menschenwürde« und »Pluralität« genannt. Mit Pluralität sind allerdings notwendigerweise Konflikte verbunden, weshalb es gesellschaftlich und politisch primär nicht um Konfliktvermeidung, sondern um die Etablierung eines angemessenen, nach Möglichkeit produktiven 45 Ricoeur 2006, 306. 46 Borgolte 2002. 47 Gaudium et spes 22.

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Umgangs mit Konflikten geht. Gilt Pluralität als bedrohlich, bedrohlich für Identität, für Glaube, für Gesellschaft, für alles, was »heilig« ist, dann bleibt nur Verstörung, Rückzug, Verteidigung, Abgrenzung und Ausgrenzung. Wird Pluralität harmlos gedacht, gleichsam als bunte Blumenwiese, hat sie keine ernsthaften Konsequenzen. Die Blumen, die den Kampf auf der bunten Blumenwiese verloren haben, können ja nicht gesehen werden. So bleiben die Fragen nach Macht und Ohnmacht, die Fragen nach Einheit und Wahrheit ausgeklammert. (Religions-)pädagogisches Handeln in der Pluralität ist abhängig von Pluralismuskonzepten, die diese Pluralität interpretieren, wie sie etwa Lyotard, Habermas, Taylor u. a. vorgelegt haben. Dies trifft auch darauf zu, was jeweils unter Pluralitätsfähigkeit oder pluralitätstauglich verstanden wird. Letztlich geht es darum, (religions-)pädagogisch stets eine Balance zwischen Gleichheit und Verschiedenheit zu suchen und – um der Würde konkreter Menschen willen – nicht in der Sackgasse der Gleich-Gültigkeit zu landen. Die Kritik von Steven Vertovec, Direktor des Max-Planck Institut für multireligiöse und multiethnische Gesellschaften, ist berechtigt, wenn er fragt, ob nicht das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft in das Stadium eines »PostMultikulturalismus« getreten sei. Denn die »Differenzorientierung der Ideologie des Multikulturalismus« schaffe nicht Gleichheit, sondern fördere »eher einen ›uneven pluralism‹« und verschärfe soziale Unterschiede. Die Betonung der Differenz verstärke Zuschreibungsprozesse, »welche Minderheiten von wirklich mächtigen Positionen fernhielten, gerade indem sie in ihrer kulturellen Eigenart bestätigt würden. Das Zelebrieren kultureller Unterschiede würde oftmals die Diskriminierung in struktureller Hinsicht kompensieren.«48 Pluralität hat die Frage nach Alterität zur Folge. (Religions-)pädagogisch wäre die Rezeption des Alteritätsdiskurses für das Verständnis von Pluralität und Handeln in der Pluralität in Anerkennung von Differenz hilfreich.49 Ohne dies hier leisten zu können, scheinen mir aber folgende Hinweise wichtig. Emmanuel Levinás als Philosoph einer radikalen Alterität tritt gegen die Zentralstellung des Ich als Subjekt für dessen Unterworfensein (sub-iactum) unter den uneinholbaren Anspruch »des Anderen« ein. Keinesfalls ist »der Andere« komplementär zum Subjekt, sondern absolut anders und kein alter ego. Alterität, die Begegnung mit »dem Anderen« verlangt Verantwortung und ermöglicht Subjektivität.50 Es würde lohnen, unter dieser Perspektive Schulkultur und Schulentwicklung ethisch zu reflektieren. 48 Schweiger/Casper-Hehne 2009, 5. 49 Den Alteritätsansatz macht Grümme (2007) mittels der Konturierung eines alteritäts­theo­ retischen Erfahrungsbegriffs für eine alteritätstheoretische Didaktik fruchtbar. 50 Levinás 1992.

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Innerhalb poststrukturalistischer Theorien verweist der Begriff der Alterität »auf die Dichotomie von Alterität und Identität als einander bedingende Momente. Alter ist kein beliebiger Anderer, alter ist der zweite von zwei gleichartigen und einander zugeordneten Identitäten«, wovon alius oder xenos zu unterscheiden wären. Der dekonstruktivistische Diskurs sieht in der Herstellung von Identitäten einen Prozess der »Abgrenzung und Ausgrenzung«. Demnach ist das »konstitutive Außen« (Derrida, Butler) »nicht nur Bedingung der Möglichkeit von Identität, sondern zugleich immer Teil derselben«. Alterität denken bedeutet, das »Mit-sich-selbst-Identische in seiner Angewiesenheit auf und Kontaminierung durch sein vermeintlich Anderes zu lesen«.51 Wie Alterität als Kontrastfolie zur Konstituierung des Eigenen dient, versucht Said in seiner umstrittenen Studie Orientalism52 zu zeigen. Er verwendet dabei den Begriff des »Other« als Kategorie zur Beschreibung des Orientalischen. »Durch den Prozess des othering« wird nach Said »dem Anderen vor der Folie des ›weißen, männlichen, heterosexuellen‹ Subjekts jede Identität abgesprochen«, was »die europäische Identität erst erzeugt und bestätigt«.53 Während der französische Feminismus im Gefolge von Simone de Beauvoir dem so genannten ›anderen Geschlecht‹ ein kreatives Potential zuschreibt, geht es im »dekonstruktiven Feminismus, wie bei Gayatri Spivak, (…) letztendlich darum, die Geschlechterdifferenz bzw. Differenzen überhaupt within und nicht between zu denken. Innerhalb und nicht dazwischen ist die radikale Alterität angesiedelt.«54

4 Die Bedeutung von Differenz Differenz bewirkt Irritationen und Widerständigkeit, ist Ermöglichungsgrund für Denken und ein Zeichen für die Einzigartigkeit des Menschen, seine Alterität und seine Teilnahme am Projekt ›Humanität‹. Der Umgang mit Differenz kann als Knoten des Pluralismusproblems angesehen werden und ist zugleich die Mitte des ethischen Problems. Zum Menschsein gehört wesentlich, sich als Differenzwesen zu erfassen. Die Dynamik der Homogenisierung, die Fiktion einer homogenen Klasse, ignoriert die reale Heterogenität und blendet Differenz aus. Werden aber identitätsstiftende Differenzen ausgeblendet, wird Anerkennung verweigert, wird der oder die Einzelne missachtet, gedemütigt oder gar verspottet. Es geht darum, im Aushalten oder gar in der Versöhnung 51 Batka 2003. 52 Said 2003. 53 Batka 2003. 54 Ebd.

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der Differenzen das Allgemeine verwirklichen. »Normal ist, verschieden zu sein.« Dieser Grundsatz der in den neunziger Jahren sogenannten Integrationspädagogik wäre das zentrale Leitmotiv. Begegnung und Auseinandersetzung mit Differenz erfordern jedoch Zeit und Geduld. Eine vorschnelle Idealisierung oder ein rascher Perspektivwechsel sind hier keinesfalls hilfreich. Die Verletzung der Würde des und der Einzelnen ist Teil schulischer Normalität. Prengel und Heinzel55 machen darauf aufmerksam, wie die Schule systematisch Formen der Missachtung inszeniert und verweisen auf die Bedeutung der räumlichen Inszenierung: sich in einer absehbar ausweglosen Situation vor der Klasse exponieren zu müssen, angesichts des vorprogrammierten Scheiterns Scham und Ausgrenzung erdulden zu müssen. Die Betroffenen werden in Verlegenheit gebracht, fühlen sich klein und fehl am Platz. Ihre besondere Brisanz erhalten jene Rituale, die einen expliziten Bezug auf Leiblichkeit haben, was etwa im Sportunterricht der Fall ist. »Die existentiell bedeutsamen Anerkennungs- und Missachtungserfahrungen werden, wenn sie körperlich, vor allem sexuell konnotiert sind, als besonders intensiv, sei es als beglückend oder als kränkend, erlebt.«56 Nach Margalit ist die Schule eine gesellschaftliche Institution mit de­mü­ti­ gender Wirkung, die die Selbstachtung zu vieler eher verletzt, als sie vermehrt zu fördern. Das Ziel einer »Politik der Würde«57 wäre eine »anständige Gesellschaft«, deren »Institutionen die Menschen nicht demütigen« und jene identitätsstiftenden Gruppen, die eine moralische Legitimität beanspruchen können, nicht ausschließen. Drei Formen »institutioneller Demütigung« werden von Margalit identifiziert: (1) der Selbstkontrolle durch »institutionelle Übergriffigkeit« beraubt werden, (2) als »Nicht-Mensch« behandelt werden, (3) die identitätsbildende Gruppe wird zurückgewiesen.58 Es sind (1) die Erfahrung des Ausgeliefertseins, die Erfahrung des Verlustes der Selbstbestimmung, (2) die Erfahrung, Mensch zweiter Klasse, ein unmündiges Kind zu sein, und (3) die Erfahrung der Entwürdigung »meiner Gruppe«, die demütigend sind. Eine demokratiefähige und -befähigende Schule nimmt kulturelle, soziale und religiöse Differenzen ernst und berücksichtigt marginalisierte Gruppen. Der wertschätzende und fördernde Umgang mit Minderheiten ist ein Qualitätsmerkmal demokratischer Zustände. Daraus ergeben sich wichtige Fragen an die Schule:

55 56 57 58

Prengel/Heinzel 2004. A.a.O., 117. Margalit 1997. Vgl. Nothdurft 2007, 116.

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ȤȤ »Wie werden Menschen (Schüler/innen, Lehrer/innen, Bedienstete, Leiter/ innen, Eltern) von/in der Schule wahrgenommen? ȤȤ Welche Formen von Demütigung werden in der Schule durch wen erfahren? ȤȤ Wer wird/welche Gruppen werden in der Schule übersehen, nicht berücksichtigt? ȤȤ Wessen identitätsbildende Selbstachtung wird in der Schule verletzt? ȤȤ Welche nicht-diskriminierenden Kommunikationsformen sind entwickelt worden?«59 Jedenfalls ist es die Aufgabe von Schulentwicklung, Differenz und Differenzen produktiv werden zu lassen im Blick auf die Förderung einer Kultur der Anerkennung.

5 Und Religion? Religion ist gegenwärtig durch die Menschen an der Schule, wie immer die sich zu Religion verhalten, die Schüler und Schülerinnen, die Lehrer und Lehrerinnen und die Eltern, durch ihre Fragen, Ängste und Hoffnungen. Religion ist gegenwärtig in alltäglichen Ritualen, in der Raumgestaltung, in gemeinsamen Morgenstunden, den Feiertagen und Festen, in unvorhergesehenen Ereignissen. Religion beeinflusst Entscheidungen über Schüler und Schülerinnen, die Art des Gesprächs und des Umgangs miteinander.60 »Religion ist Privatsache.« Das gilt es natürlich unbedingt zu respektieren. Wenn Religion »nur« Privatsache wäre, dann könnte sie auch kein Thema der Bildung sein. Allein dadurch, dass Religion unbestritten gesellschaftlich höchst relevant ist, wird »Religion ist Privatsache« relativiert. Religion hat aber auch ein spezifisches Potential in die Schule und Schulkultur einzubringen, das es fruchtbar zu machen gilt. Die Schule als Teil der Gesellschaft neigt dazu, besonders religiöse Differenz zu privatisieren, zu verdrängen oder auszublenden. Wäre sie nicht auch um der Identitätsfindung und der gegenseitigen Verständigung sowie um der religiösen Bildung willen jedoch verpflichtet, gerade religiöser Differenz Raum zu geben? Jedoch gilt Religion, weil es sie nur plural gibt, als Störung. Religion bedeutet notwendigerweise Differenz, und der Umgang mit religiöser Differenz ist gewissermaßen ein Ernst- und Härtefall einer Kultur der Anerkennung. Daher 59 Jäggle/Krobath 2013, 24. 60 Vgl. Fischer 2008.

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lautet eine, vielleicht die entscheidende Frage: »Wie nimmt eine Schule religiöse Diversität wahr?« Die Bedeutung dieser Frage aus europapolitischer Sicht zeigen die Dokumente der OSZE und des Europarates zu Bildungsfragen angesichts religiöser Diversität.61 Der letztere bietet den Schulen sogar eine Checkliste, damit diese überprüfen können, inwieweit ihr Umgang mit religiöser Differenz entwicklungsbedürftig ist.62 Aus der Sorge, junge Menschen könnten diskriminiert werden, oder aus persönlich-biographisch oder professionell bedingter Unsicherheit heraus vermeiden manche Lehrpersonen die Thematisierung von (religiöser) Differenz, andere sehen in der Integration von (religiöser) Differenz in die Schule sogar den Schulfrieden bedroht. Wird nicht in beiden Fällen eine Atmosphäre der Assimilierung verstärkt – im Sinne eines religiös wertfrei gedachten, religiöse Traditionen aber tatsächlich abwertenden Säkularismus? Jedenfalls ist religiöse Diversität als zumeist ausgeblendete oder verdrängte Differenz das Nadelöhr des Diversitätsdiskurses. Die religiöse Vielfalt, die etwa Wien mittlerweile auszeichnet, ist für viele faszinierend und eröffnet auch großartige Möglichkeiten. Zugleich zeigt nicht nur die politische Auseinandersetzung, wie sehr Antisemitismus und Islamfeindlichkeit inmitten dieser religiösen Pluralität aufblühen. Bei allem besonderen Wiener Klima der Zusammenarbeit der Kirchen und Religionsgesellschaften verursacht religiöse Vielfalt auch Konflikte sowie Konkurrenz an Werten und Lebensformen. Religiöse Pluralität bedeutet eben nicht Idylle, sondern ist möglicherweise nur dort keine Quelle von Konflikten, wo vielleicht Religionen gesellschaftlich gleichgültig und letztlich bedeutungslos geworden sind. Auch im Dialog wird nicht die Harmonie des Einander-Verstehens erreicht werden, sondern vielleicht eher das Einanderin-der-Fremdheit-Begleiten als fruchtbare Lösung anzusehen sein.

6 Theologische Reflexionen Schule und Schulkultur »religionspädagogisch ernst nehmen bedeutet, sie in den Horizont theologischen Nachdenkens zu rücken, reales Kommunikationsgeschehen in der Schule als einen theologischen Ort zu würdigen.«63 Die ReichGottes-Perspektive, deren Elemente Eigenmann differenziert darstellt und in eine »Reich-Gottes-Verträglichkeitsprüfung« für Gemeinden vermittelt hat,64 61 62 63 64

Jackson 2014. Keast 2008. Krobath/Schwarz 2013, 317. Vgl. Scharer 1999. Eigenmann 1998.

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bietet einen utopischen Horizont als Kritik und Kriterium für die »gute Schule«, wobei »Reich Gottes« als Verheißungsmetapher verstanden wird. »Welchen Minimalanforderungen muss z. B. eine Schule genügen, um ›Reich-GottesPraxis‹ zuzulassen, vielleicht aufleuchten zu lassen oder gar erkennbar werden zu lassen?«65 Es ginge darum »eine schöpferische Umsetzung der jesuanischen Reich-Gottes-Praxis in heutigen Lebenskontexten möglich (zu) machen« und dabei stets »die bleibende Spannung zwischen ›schon jetzt‹ und ›noch nicht‹« zu beachten. So könnten qualitative Minimalanforderungen für eine »gute Schule« gewonnen werden, wie die von Jesus entwickelten »Visionen nicht diskriminierender, auf Anerkennung beruhender Sozialformen und eines Lebens in Fülle«. Eine »Reich-Gottes-Verträglichkeitsprüfung« mit einem von Schülerinnen und Schülern gemeinsam entwickelten Reflexionsleitfaden »eröffnet eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Schule auf der Basis des christlichen Hoffnungsglaubens«.66 Theologisch wäre eine »Kultur der Anerkennung vor jeder Leistung« in der christlichen Botschaft der Rechtfertigung grundgelegt, wie Thomas Krobath sehr genau herausarbeitet, und zugleich böte die Rezeption des Anerkennungsdiskurses – ergänzt um den Gedanken der Gabe – ein kreatives Potential für theologische Innovation. »Theologie der Gerechtmachung bringt als Theologie der Anerkennung deutlicher und neu zum Ausdruck, worum es der Rechtfertigungslehre geht: dass Gott den Menschen Liebe, Anerkennung und Freiheit schenkt und sie dieses Geschenk im Glauben annehmen und in menschlichen Sozialbezügen leben können, ›dass die Gerechtigkeit Gottes das Recht und die Anerkennung des Anderen fundiert‹.«67 Eine »Kultur der Anerkennung vor jeder Leistung« könnte zur Förderung menschengerechterer Lebensformen beitragen.

7 Als Ausblick ein Traum »Ich träume von einer Schule, die ein ›Haus des Lebens und Lernens‹ ist, von einer Schule, in der es Anerkennung vor jeder Leistung gibt, in der es möglich ist, Mensch zu sein und Mensch zu werden, die Angst mindert und zu ungeahnten Leistungen herausfordert, die Kooperation fördert und Konkurrenz nicht benötigt, die die Neugier, das Bedürfnis nach Erkenntnis, das Fragen und 65 Krobath/Schwarz 319. 66 Ebd. 67 Michael Moxter: Rechtfertigung und Anerkennung, 35, zit. n. Krobath 2013, 309.

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Forschen fördert, in der eine Balance besteht zwischen Arbeit und Spiel, Aktivität und Gebet, Alltag und Fest, in der Konflikte möglich sind, von einer Schule, die fehlerfreundlich ist und nicht alles kann, die um ihre Grenzen weiß und diese auch anerkennt, von einer Schule, für die man nicht lebt, sondern in der man – befristet – leben kann. Denn sie ist nicht das Leben und nicht das ›Ein und Alles‹. Von ihr soll niemand besessen sein.«68

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Todorov, Tzvetan (1996): Abenteuer des Zusammenlebens. Versuch einer allgemeinen Anthropologie. Übers. von Wolfgang Kaiser, Berlin II. Vatikanisches Konzil (1965): Pastorale Konstitution Gaudium et spes. Über die Kirche in der Welt von heute, Rom Ziebertz, Hans-Georg (1995): Religiöse Identitätsfindung durch interreligiöse Lernprozesse, in: Religionspädagogische Beiträge 36, S. 83–104

Erforschung (inter-)religiöser Kompetenz Konzepte – Probleme – neue Ideen Henning Schluß

1 (Inter-)religiöse Kompetenz in vivo Im September 2014 machte in Wuppertal eine sogenannte »Scharia-Polizei« von sich reden.1 Junge Männer die den Salafisten zugerechnet wurden, zogen mit orangenen Westen mit der Aufschrift »Scharia-Police« durch die Wuppertaler Innenstadt und machten die Passanten auf nach ihrer Ansicht verwerfliche Verhaltensweisen aufmerksam. Die Satiresendung »Heute-Show« nahm diese Ereignisse in eigener Weise auf und schickte zwei junge Männer und Ralf Kabelka mit angeklebten Bärten in orangenen Warnwesten als »Scharia-Ordnungsamt« durch Leverkusen. Nach einigen Bürgerdialogen trifft Kabelka auf eine Gruppe junger (männlicher) Jugendlicher, die dem Äußeren nach türkischen Migrationshintergrund haben könnten. Es entspinnt sich folgender Dialog: Kabelka (K): Hallo Brüder, ihr wisst, warum wir hier sind? – Wir wollen ein bisschen nach dem Rechten schauen. Jugendlicher (J1): Wir haben Polizisten hier, brauchen wir nicht. J2: Wir haben hier Polizei, die regelt alles. J1: Religion ist für jeden selbst. Das ist nichts, was man nach außen tragen muss. Jeder, der seine Religion nach außen trägt, ist ein Trottel in meinen Augen. K: Ja, Ja. J1: Ja. Wer hat das noch mal gesagt, Goethe oder so? »Religion ist das Gefängnis für dumme Menschen.« Heutzutage gibt’s Bücher, man kann alles lesen. K: (wendet sich ab) Was ist das denn für eine Welt, jetzt fangen die Brüder schon mit Goethe an?

Später gibt es noch einen Dialog mit einem Jugendlichen, bei dem man vom Äußeren her auch einen türkischen Migrationshintergrund annehmen könnte.

1 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/salafisten-in-deutschland-islamisten-ziehen-alsscharia-polizei-durch-wuppertal-13137196.html (zuletzt 15. 09. 2014).

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K: Wir sind zwar Scharia, aber wir sind das Scharia Ordnungsamt. Wir sind die Soften, die Lieben, wir sind die sympathischen Salafisten. J3: Ihr seid die sympath …? Gibt’s sympathische Salafisten?? K: Ja schau mich doch mal an; (wippt in der Hüfte) »lockere Type …« J3: (Blickt skeptisch, schüttelt den Kopf) »Gott segne Dich, im Namen Jesus Christus, mein Kind.«2

Diese kurzen Szenen verdeutlichen verschiedene Aspekte dessen, was in den vorangegangenen Beiträgen als (inter-)religiöse Kompetenz beschrieben wurde. Insbesondere sind die Jugendlichen in der Lage, verschiedene Dimensionen voneinander zu unterscheiden. Sie sind in der Lage, über das Konzept von Privatheit und Öffentlichkeit der Religion zu diskutieren. Sie unterscheiden den Bereich des öffentlichen Lebens und des Politischen vom Religiösen. Sie weisen dabei nicht die Religion per se zurück, aber ihren Anspruch, als staatliche Ordnungsmacht aufzutreten und anderen ihre Lebensweise vorschreiben zu wollen. Es handelt sich somit um eine (inter-)religiöse Überschneidungssituation (Willems, in diesem Band). Ein Argument aus dem literarischen Zusammenhang wird als Autorität in den Diskurs eingeführt. Aber nicht weil Goethe die unhinterfragte Autorität ist, berufen sich die Jugendlichen auf ihn, sondern weil er etwas formuliert habe, das ihrer Sicht der Dinge entspricht. Dies alles kann als innerislamisches Gespräch verstanden werden. Eine interreligiöse Nuance kommt in dem zweiten Gespräch zum Ausdruck. Auch hier wird mit der Erwartung gespielt, dass der Jugendliche sich auch als Moslem versteht. Der Jugendliche weist diese Erwartung nicht zurück. Allerdings identifiziert er problemlos verschiedene Strömungen des Islam und dass die salafistische Strömung sympathisch sein könnte, scheint für ihn eine befremdliche Vorstellung zu sein. Er reagiert darauf mit einer interreligiösen Intervention, die wertschätzend bleibt und gleichzeitig eine ganz andere Position verrät und auch bedauernd daherkommt: »Gott segne Dich, im Namen Jesus Christus, mein Kind«. Es ist nicht anzunehmen, dass der Jugendliche Christ ist, weil er im Namen Jesu Christi segnet. Vielmehr macht er durch diesen Perspektivenwechsel deutlich, dass der Segen Gottes, den er wünscht, durch verschiedene seiner Boten gespendet werden kann. Indem er den Segen Gottes im Namen Jesu Christi wünscht, erklärt er sich nicht einverstanden mit einem salafistischen Monopolanspruch auf wahre Religion. Der Segen Gottes könne im Namen unterschiedlicher seiner Vermittler geäußert werden, das solle doch auch der Salafist vom Scharia-Ordnungsamt begreifen, so impliziert der leicht bedauernde Tonfall dieses Segens. 2 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2237196/heute-show-vom-12. 09. 2014? setTime=1085.709#/beitrag/video/2237196/heute-show-vom-12. 09. 2014.

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Zugegeben, dies ist nur eine mögliche Interpretation und sicher sind auch andere Deutungen dieser Szene möglich, z. B. dass der letzte Gesprächspartner nicht Moslem ist, sondern Christ und deshalb nicht im Perspektivwechsel eine andere Position als die eigene einnimmt, um die Pluralitätsmöglichkeit der Religion performativ zu behaupten, sondern die eigene christliche Überzeugung auszudrücken. Ich gebe zu, dass mir die erste Deutung besser gefällt. Zugleich macht diese Szene eine Schwierigkeit deutlich, die die Erhebung religiöser Kompetenz mit sich bringt. Wir wissen in der Regel nicht, was die Aussagen eigentlich bedeuten, die wir erheben. Denn immer wieder zeigt sich in den Erhebungen von Kompetenzen – in der Regel über Testhefte –, dass oft nicht so sehr die Outputs, die Ergebnisse der Denkprozesse aufschlussreich sind, sondern die Denkprozesse selbst, die zu den Ergebnissen führen. So kann das für richtig gehaltene Ergebnis aus den falschen Gründen angekreuzt werden oder tiefsinnige Überlegungen können zu einem anderen Ergebnis führen als dem vom Kompetenztest als richtig vorgesehenen.

2 Religiöse Kompetenz oder interreligiöse Kompetenz? Zur religiösen Kompetenz gibt es nicht nur in Deutschland bereits eine breite Debatte und empirische Forschung, sondern es wird vor allem auch kompetenzorientiert unterrichtet (vgl. Obst 2009). »Interreligiöse Kompetenz« ist dagegen noch ein jüngerer Terminus, wenngleich auch hierzu bereits profunde Veröffentlichungen vorliegen.3 Erläutert werden muss, in welcher Beziehung religiöse Kompetenz und interreligiöse Kompetenz stehen. Hier soll die These vertreten werden, dass religiöse Kompetenz unvollständig ist, wenn sie interreligiöse Kompetenz nicht umfasst. Interreligiöse Kompetenz ist damit ein Teil religiöser Kompetenz. Das bedeutet nicht, dass interreligiöse Kompetenz nicht auch gesondert erforscht werden könnte. Sie steht aber nicht gleichberechtigt neben der religiösen Kompetenz insgesamt, sondern ist eine Teilkompetenz, die insbesondere in Bezug auf religiöse Pluralität wichtig ist. Interreligiöse Kompetenz zielt damit vor allem auf die Aspekte religiöser Kompetenz, wie die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, zum Verständnis des Anderen und der Möglichkeit der In-Beziehung-Setzung zu eigenen Überzeugungen, zum eigenen Glauben und zur Religion, der man sich zugehörig fühlt, aber auch zu anderen Bereichen 3 Vor allem freilich die Habilitationsarbeit Joachim Willems, auf die auch im Beitrag von Willems in diesem Band Bezug genommen wird, aber z. B. auch Schreiner/Sieg/Elsenbast 2005; Altmeyer 2010; Bernlochner 2013 oder Schweitzer 2014.

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des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die selbst nichtreligiös konnotiert sind (vgl. Heimbrock 2001). Somit ist interreligiöse Kompetenz nicht denkbar, ohne dass Aspekte religiöser Kompetenz in ihr zum Zuge kommen, sondern sie soll hier verstanden werden als der Anwendungsfall von religiöser Kompetenz in der pluralen Welt und damit der Welt, in der wir leben (vgl. Zieberts 2007; Butler/ Habermas/Taylor 2011).

3 Beispiele zur Erforschung (inter-)religiöser Kompetenz Während 2011 die Expertengruppe der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) noch konstatierte: »Im Bereich des Religionsunterrichts fehlt es bislang vor allem an empirisch geprüften Erkenntnissen dazu, welche Kompetenzniveaus Schülerinnen und Schüler […] tatsächlich erreichen« (EKD 2011), gibt es mittlerweile einige wegweisende Entwicklungen und Projekte auf diesem Gebiet. Im Zuge der Bildungsreformen wurden Standards und Kompetenzmodelle für die Kernbereiche des Unterrichts in der Schule eingeführt (Specht 2009 a+b). Dagegen wurde ähnlich wie z. B. in musischen Unterrichtsfächern lange auch von Fachdidaktikern die Position vertreten, der Religionsunterricht lasse sich nicht im Kompetenzmodell beschreiben (Tenorth 2008 und Thementeil Z.f.Päd. 2/2008; für den RU vgl. die Diskussion in den Bänden Fischer/Elsenbast 2006 und Elsenbast/Fischer 2007, Feindt/Elsenbast/Schreiner et al. 2009). Deshalb bestand die erste Aufgabe darin, plausible und praktisch einsetzbare Modelle fachspezifischer Kompetenz des schulischen Unterrichtsfaches zu entwickeln. Dabei kam es darauf an, den Anspruch an fachspezifische Kompetenzen als das Fach zentral inhaltlich bestimmende Fähigkeiten zu beschreiben (Klieme/ Avenarius/Blum et al. 2003) und darüber hinaus im sensiblen Bereich von Wertüberzeugungen das schulische Indoktrinationsverbot (Schneider 1999, Willems 2007) so zu respektieren, dass individuelle Glaubensüberzeugungen nicht Teil dieser Kompetenzbeschreibungen werden (vgl. Dressler in diesem Band). Die für die Weinert’sche Kompetenzdefinition zentralen »motivationalen und volitionalen Aspekte« (vgl. Weinert 2001, 207) dürfen folglich nicht Teil des fachspezifischen Kompetenzbegriffs sein (vgl. Schluß 2010a, Willems in diesem Band), sondern dieser muss auf den kognitiven Bereich beschränkt bleiben. Insofern bleibt zu fragen, ob ein aus schulpädagogischen Gründen eng gefasster fachspezifischer Kompetenzbegriff nicht zu weit hinter dem zurückbleibt, was Dressler in diesem Band als essentielle Bereiche religionsbezogenen Unterrichts beschreibt. Deshalb ist entscheidend, dass der Kompetenzbegriff nicht zu eng gefasst wird und sich somit lediglich auf die Wiedergabe von Kennt-

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nissen beschränkt (vgl. Baumert/Stanat/Demmrich 2001). Im Kontext religiöser Kompetenz muss es deshalb um ein reflexives Kompetenzmodell gehen, das den Umgang mit erworbenem Wissen mit erfasst (Krause/Nikolova/Schluß et al. 2008) und an die SchülerInnen die Anforderung stellt, die Spezifik des Modus des religiösen Weltzuganges – oder der religiösen Weltzugänge – von anderen, z. B. wissenschaftlichen, technischen oder ökonomischen unterscheiden und sich auch probabilistisch darin bewegen zu können. Religiöse Deutungskompetenz, wie sie durch schulischen Unterricht zu fördern ist, kann sich deshalb nie nur auf die Bezugsreligion4 des jeweiligen konfessionellen Unterrichts beschränken, sondern muss sich ebenso auf andere Religionen und auf religiöse Aspekte in Kultur und Gesellschaft beziehen. Dieser dreifache Ansatz religiöser Deutungskompetenz war bereits für das sogenannte »Berliner Kompetenzmodell«, wie es in den DFG-Projekten RU-Bi-Qua und KERK entwickelt wurde, konstitutiv (Benner/Schieder/Schluß/Willems 2011) und wurde in Berlin und Brandenburg auch in den Lehrplan des Religionsunterrichts übernommen (EKBO 2007). Im Europäischen Forschungskontext finden sich sowohl deskriptive als auch analytische Zugänge zum Bereich religionsbezogener Unterweisung (OSCE – Toledo Guidelines 2007; European Council 2007, 2008). Die Ergebnisse zweier europaweiter Projekte (REDCo und TRES) liegen vor: Jackson/Miedema/Weisse et al. 2007, Knauth/Bertram-Troost/Ipgrave et al. 2008, Valk/Bertram-Troost/ Friederici et al. 2009, Ziebertz/Riegel 2009. REDCo erbrachte unter anderem zwei zentrale Befunde: 1. Die Mehrheit der Studierenden schätzen die religiöse Heterogenität in ihren Gesellschaften, obwohl eine Reihe von Vorurteilen zum Ausdruck gebracht wurden 2. Die wichtigste Quelle für Informationen über Religionen und Weltanschauungen ist in der Regel die Familie, gefolgt von der Schule. In der kompetenzorientierten Unterrichtsforschung zum Schulfach Religion beziehen sich einige Projekte auf den von Baumert 2002 beschriebenen Bereich der »Probleme konstitutiver Rationalität« für den die Schule neben anderen auch zuständig sei (Baumert 2002, 113). Die DFG-Projekte RU-Bi-Qua und KERK, die in Berlin und Brandenburg eine Vollerhebung in Bezug auf religiöse Kompetenz bei Schülerinnen und Schülern, die am Ev. Religionsunterricht in 4 Der Begriff der Bezugsreligion wird hier, statt des weithin noch verbreiteten Terminus der »eigenen Religion« verwendet, um die Differenz von persönlichem Glauben und Konfession des Religionsunterrichts deutlich zu machen. Keineswegs kann die Religion/Konfession des Religionsunterrichts mit der Konfession/Religion der SchülerInnen identifiziert werden, sondern die Konfessionalität bezieht sich erst einmal auf das Unterrichtsfach, und höchstens im Sinne nomineller Zugehörigkeit auf seine TeilnehmerInnen, oft aber nicht einmal das.

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der 8. Schulstufe teilnahmen, durchführten, knüpften an diese im Rahmen der PISA-Untersuchung vorgestellte Unterscheidung an (vgl. Benner et al. 2011). Hier wurde religiöse Kompetenz in den Teilkompetenzen ›religiöse Deutungskompetenz‹ und ›religiöse Partizipationskompetenz‹ (was die Fähigkeit zur In-Beziehung-Setzung zu religionsbezogenen Handlungen, Institutionen und Situationen meint und nicht die tatsächlich praktizierte oder angezielte Teilnahme) beschrieben. Darüber hinaus wurden als gesonderte Teildimension ›Kenntnisse über religiöse Phänomene und Zusammenhänge‹ erfragt. Die empirische Erhebung zeigte, dass der Bereich der Kenntnisse und der Bereich der Deutungskompetenz trennscharf in eigenen Rasch-Skalen abgebildet werden konnte. Eine gesonderte Skalenbildung im Bereich der religiösen Partizipationskompetenz war nicht möglich, was auch an den zu wenigen geeigneten Testaufgaben gelegen haben mag. Insofern sich die Lösung der wenigen Aufgaben zur religiösen Partizipationskompetenz nicht trennscharf von denen zur religiösen Deutungskompetenz unterschied, wurden beide Teildimensionen religiöser Kompetenz in der empirischen Auswertung zu einer Skala zusammengefasst. Letztlich bestätigte sich damit eine Erfahrung, die schon im Rahmen von PISA 2000 gemacht wurde: »Die Erfassung solcher Handlungskompetenzen ist vergleichsweise schwierig und wird sich in der Regel auf Teilaspekte konzentrieren müssen« (Baumert/Stanat/Demmrich 2001, 22). Damit lässt sich konstatieren, dass es durchaus Konzepte zur empirischen Erhebung religionsbezogener schulischer Bildung gibt und auch erste Erfahrungen mit der Erhebung religiöser Kompetenz in einem konfessionellen Religionsunterricht vorliegen. Allerdings hat die kompetenzorientierte Unterrichtsforschung im RU die interreligiöse und interkonfessionelle Perspektive sowohl auf der Ebene der Forscherkooperation als auch auf der Ebene der untersuchten Religionsunterrichte bislang nur sehr unzureichend im Blick. Hier wären in der Weiterentwicklung der vorhandenen Instrumente (internationale) Kooperationen von Religionspädagogiken der Religionsunterrichte unterschiedlicher Konfessionen und Religionen hilfreich. Aber nicht nur eine Auslegung des Modells zur religiösen Kompetenz im Ev. Religionsunterricht auf andere Religionsunterrichte wäre ein wichtiges Forschungsdesiderat, sondern vor allem die stärkere Herausarbeitung der interreligiösen Komponente. Hier wäre insbesondere zu prüfen, ob die Perspektivübernahme (Flavell 1975), die nach Gadamer eine Voraussetzung der Möglichkeit von Verstehen überhaupt ist (Gadamer 1990), nicht als eine eigene Teilkompetenz der (inter-)religiösen Kompetenz gefasst werden sollte (vgl. Kenngott 2011) und ob sich empirisch erhärten ließe, dass die Fähigkeit zur Perspektivübernahme trennscharf als Skala von den anderen

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Teilkompetenzen (inter-)religiöser Kompetenz unterschieden werden kann. Anregungen für die Erhebung interreligiöser Kompetenz können durch die Skalen zur Perspektivenübernahme, wie sie in der BIJU-Längsschnittstudie entwickelt wurden, aufgenommen werden (vgl. z. B. Lüdtke/Köller 2002). Mindestens also sind es die folgenden Elemente, die in ein empirisch überprüfbares Modell interreligiöser Kompetenz einfließen müssen: (Inter-)religiöse Kompetenz als fachspezifische Kompetenz eines schulischen Unterrichtsfaches muss sich erstrecken auf die Bereiche der Bezugsreligion/ Konfession, andere Religionen/Konfessionen und Religion im Verhältnis zum interkulturellen und sozialen Raum. Zentral wird es darum gehen, in diesen Bereichen a) die religionsbezogenen Phänomene, Prozesse, Handlungen und Interaktionen angemessen deuten zu können oder kulturelle Phänomene, Prozesse, Handlungen und Interaktionen religionsbezogen deuten zu können, b) sich in eine andere Religion oder Weltanschauung, auch in ein agnostisches Weltbild hineinversetzen zu können (Perspektivübernahme) und c) schließlich Handlungsmöglichkeiten in den entsprechenden Institutionen und Kontexten zu antizipieren, zu entwerfen und diskursiv zu vertreten. Auch wenn diese drei Aspekte theoretisch sinnvoll zu trennen sind, weisen sie doch sehr enge Bezüge auf, die es erlauben, sollte sich empirisch eine trennscharfe Unterscheidung dieser Aspekte nicht erhärten lassen, sie unter dem Oberbegriff »religiöse Interpretationskompetenz« zusammenzufassen. Ein fachspezifischer Kompetenzbegriff eines Unterrichtsfaches ist nicht sinnvoll vorstellbar, ohne dass in ihm auch fachbezogene Kenntnisse impliziert sind. Auch wenn das Abprüfen von Kenntnissen den Kompetenzbegriff unterbietet, der ja gerade auf den Umgang mit den erworbenen Kompetenzen zielt, so bleibt die Voraussetzung, um mit Kenntnissen kompetent umgehen zu können doch, über diese Kenntnisse allererst zu verfügen. Um das Verhältnis von religiöser Interpretationskompetenz und religionsbezogenen Kenntnissen feststellen zu können, bleibt es unerlässlich, diese Kenntnisse auch zu erheben. Die gesonderte Erfassung von Kenntnissen ist im Bereich (inter-) religiöser Kompetenz auch deshalb bedeutsam, weil plausibel ist, dass Kenntnisse und Interpretationskompetenz weit auseinanderliegen. So ist es vorstellbar, dass zwar heilige Texte auswendig aufgesagt, sie aber kaum reflexiv und diskursiv interpretiert werden können. Auch andersherum ist denkbar, dass kaum Kenntnisse, aber erhebliche Interpretationsfähigkeiten vorhanden sind. Um diese Verhältnisse herauszuarbeiten ist es nötig, beide Aspekte gesondert zu erheben.

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Religionsbezogene Einstellungen, zu denen auch der persönliche Glaube gehört (Dressler in diesem Band), sind kein Teil einer abzuprüfenden und zu bewertenden fachspezifischen Kompetenz, die den Kern eines Unterrichtsfaches wiedergibt (Klieme et al. 2003; Schluß 2011). Gleichwohl gehören sie zu den Anteilen eines allgemeinen Kompetenzbegriffs, den Weinert als »motivational und volitional« (Weinert 2001, 207) beschreibt. Sie bilden insofern eine wichtige Voraussetzung für den unterrichtlich relevanten fach- oder domänenspezifischen Kompetenzbegriff, die in gewissen Grenzen erhoben werden können, um die jeweilige Ausprägung der religiösen Interpretationskompetenz besser verstehen zu können. Sie sind zwar Bestandteil eines allgemeinen Kompetenzbegriffs, aber eben nicht des – in Standards definierten und zu bewertenden – fachspezifischen Kompetenzbegriffs des Religionsunterrichts.5 Damit ließe sich ein Tableau zur Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz in etwa folgendermaßen darstellen: (Inter-)religiöse Kompetenz Voraussetzungen und Einflussfaktoren

Religiöse Interpretationskompetenz

Religionsbezogene Einstellungen

Religionsbezogene Kenntnisse

Religiöse Deutungskompetenz

Perspektivübernahme

Religiöse Partizipa­ tions­ kompetenz

Bezugsreligion/ Konfession Andere Religionen/Konfessionen Religion im interkulturellen und sozialen Raum Tableau zur Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz

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Ein geplantes internationales Forschungsprojekt von Friedrich Schweitzer (Tübingen), Thomas Schlag (Zürich), Christiane Spiel, Barbara Schober, Martin Rothgangel und dem Autor (Wien) hat zum Ziel, insbesondere dieser Frage nachzugehen und ein Modell zur Erhebung von (inter-)religiöser Kompetenz zu entwickeln und in den beteiligten Ländern bis zum Pretest zu führen.

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4 Probleme der Erforschung (inter-)religiöser Kompetenz Nicht zu vernachlässigen sind, insbesondere bei internationalen und interreligiösen Projekten zur Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz, die praktischen und pragmatischen Probleme, wie z. B. die Mittelbeschaffung. Solche Projektanträge geraten schnell sehr groß und haben deshalb mit besonders großen Hürden im kompetitiven Verfahren der Mitteleinwerbung zu rechnen (Zierer 2011). Darüber hinaus ist der Umgang mit den unterschiedlichen kulturellen, religiösen, unterrichtsfachspezifischen Voraussetzungen noch weithin ungeklärt. Dabei ist einerseits deutlich, dass ein interreligiöses Projekt einen Vergleichsmaßstab braucht6 – andererseits zeigt der Blick auf die religionspädagogische Unterweisung allein in Europa (Jäggle/Rothgangel/Schlag 2012), dass die Modelle höchst unterschiedlich sind und nicht, wie z. B. PISA, entsprechende Unterrichtsfächer voraussetzen können. So ist es auch nicht unproblematisch, eine Hierarchie der erfolgreichen und weniger erfolgreichen Konzepte religionsbezogener Unterweisung zu erstellen, weil Ergebnisse z. B. lauten würden, »islamische SchülerInnen sind interreligiös weniger kompetent als jüdische«. Solche Ergebnisse würden im gesellschaftlichen Umfeld kaum neutral diskutiert werden (vgl. die Diskussion um die Dissertation von Mouhanad Khorchide 2009). Wie ist also eine seriöse vergleichende Erhebung interreligiöser Kompetenz möglich, die einerseits auch bildungspolitisch nutzbare Erkenntnisse zu liefern vermag, aber andererseits nicht populistischer Instrumentalisierung Vorschub leistet? Dazu wird es nötig sein, Frageformate zu entwickeln, die die jeweiligen religionsspezifischen Stärken entsprechend im Kompetenzmodell berücksichtigen. Wie damit umzugehen ist, dass die Teilbereiche religiöser Kompetenz innerhalb der Religionen durchaus unterschiedlich gewichtet werden können, ist eine offene Frage. Gibt es hier einen allgemeinverbindlichen Maßstab, der die reflexive Deutungskompetenz tatsächlich zur eigentlichen fachspezifischen religiösen Kompetenz macht? Mit Cassirer ließe sich dies so beschreiben, dass den unterschiedlichen religiös-kulturellen Praxen unterschiedliche symbolische Formen zugrunde liegen, die nicht verlustlos ineinander zu übersetzen sind, sondern die je ihrer eigenen symbolischen Prägnanz verpflichtet bleiben (vgl. Cassirer 198, S. 235 ff.). Dabei ist es uns vielleicht noch deutlicher als Cassirer, dass auch innerhalb bestimmter symbolischer Formen (wie Religion oder Recht) erhebliche Übersetzungsprobleme auftreten und was in der christlichen 6 Projekte wie REDCo sind davon weniger betroffen, weil sie bestehende Unterrichtspraxen und Konzepte vergleichen.

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Tradition z. B. innerhalb der Form ›Religion‹ verhandelt wird, im Islam eher unter die Form ›Recht‹ fallen könnte und Recht und Religion somit durchaus unterschiedlich konnotiert sind. Was bedeutet es dann für die Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz, wenn z. B. nicht die Reflexionsfähigkeit als zentrales Moment der Mündigkeit im Glauben gesehen wird, sondern die richtige und sachgerechte Wiedergabe heiliger Texte oder eine korrekte Ausführung einer bestimmten religiösen Praxis den Kern der religiösen Konzeption bildet? Bei den Erhebungen im Zuge von Ru-Bi-Qua und KERK zeigte sich immer wieder als Problem, dass in Anlehnung an das PISA-Konzept gezeigte SchülerInnenleistungen als Outputs erhoben worden sind (Benner et al. 2011), aber in der Regel kein Einblick darin möglich war, welche Überlegungen gerade zum Ankreuzen dieser Lösung geführt hatten und ob diese Überlegungen bei der Aufgabenstellung so erwartet wurden. Wenn das nicht der Fall ist, kann im Testheft eine Lösung angekreuzt werden, die in der Auswertung als falsch erscheint, obschon die dahinterliegende Überlegung durchaus stichhaltig sein kann. Andersherum ist denkbar, dass eine falsche Überlegung zu einer richtigen Antwort führt. Solche Effekte können durch sorgfältige Aufgabenkonstruktion mit aufwendigen Pretests und zuerst offenen Antworten einerseits und andererseits durch eine größere Zahl an Aufgaben, die funktional äquivalent sind, in gewissem Maße aufgefangen werden. Letztlich bleibt aber unbefriedigend, dass man mit Kompetenztests nur etwas über die gezeigte Leistung, nicht aber über die hinter diesen Ergebnissen stehenden Überlegungen erfährt. So problematisch die Kohlberg’schen Untersuchungen zur Stufenfolge der moralischen Entwicklung auch gewesen sein mögen (vgl. Garbarino/ Bronfenbrenner 1986), so ist an seinem Verfahren doch beachtenswert, dass für ihn nicht die gegebene Antwort auf die moralischen Dilemmata entscheidend ist, sondern die Begründung dieser Antwort (vgl. Colby/Kohlberg 1986). Ganz allgemein gilt für die Erhebung fachspezifischer Kompetenzen von Unterrichtsfächern das Problem, dass diese in hohem Maße von grundlegenderen Fähigkeiten abhängen. So ist z. B. die Lesefähigkeit zu Recht als basale Kompetenz bezeichnet worden, weil sie nicht nur eine wesentliche Grundlage zur Teilhabe an der Gesellschaft und einer befriedigenden Lebensführung in modernen Gesellschaften ist, sondern auch die Erfassung anderer fachlicher Kompetenzen von der Lesefähigkeit weithin abhängig bleibt. Das ist bei der Erhebung literaturgeschichtlicher Kompetenz relativ leicht einsichtig, denn Literaturgeschichte bedarf der Lesekompetenz. Aber selbst die Erhebung mathematischer Kompetenz bleibt dann von der Lesefähigkeit abhängig, wenn die Aufgaben nicht im Modus von Ziffern, sondern als Sachaufgaben in Textform gestellt werden. Gerade dies ist aber bei der zeitgenössischen Erhebung

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mathematischer Kompetenz gefragt, weil es um die Anwendung des gelernten Wissens in neuen und alltagsnahen Zusammenhängen geht (vgl. Klieme 2003 et al., S. 72), so dass sich hier ausformulierte Sachaufgaben anbieten. Zwar verfügt die Mathematik über eine eigene »Sprache«, die Erhebung mathematischer Kompetenz erfolgt dennoch weithin über die domänenspezifische Kompetenz des Lesens. Insofern bleibt häufig unklar, ob eine gezeigte Fehlleistung eigentlich mangelnder mathematischer Kompetenz oder mangelnder Lesekompetenz geschuldet ist (vgl. Prediger/Wittmann 2014). Gleiches gilt für musikalische Kompetenz immer dann, wenn die Aufgaben nicht auf der Basis von Noten oder Hörerlebnissen oder selbständigen Musizierens formuliert wurden, sondern Textanteile beinhalten. Selbst in den Fächern also, in denen es ein von der Schriftsprache unabhängiges Zeichensystem gibt, besteht das Problem der Abhängigkeit der Erhebung von der Lesekompetenz. Diese kann in gewissem Maße kontrolliert werden, indem ein Lesekompetenztest parallel durchgeführt wird, damit Informationen darüber erhoben werden, ob die Person, die die Aufgabe X nicht gelöst hat, überhaupt über die Fähigkeiten des Textverstehens verfügt, die notwendig sind, um diese Aufgabe lösen zu können. Wenn die Aufgabe nicht gelöst ist und die Person auch nicht in der Lage ist, die Aufgabenstellung überhaupt zu verstehen, ist es freilich auch nicht möglich zu erfahren, ob sie über die fachspezifische Kompetenz verfügen würde, diese Aufgabe zu lösen.

5 Konsequenzen – Drei Thesen 1. Der Frage, inwiefern richtige Denkbewegungen zu falschen und falsche Überlegungen zu richtigen Lösungen führen können, geht das Teilprojekt unter Leitung von Ines Maria Breinbauer des Wiener ETIK-Projekts (unter der Gesamtleitung von Georg Ritzer) nach. Es untersucht, welche Überlegungen die Schülerinnen und Schüler, die den ETIK-Test bearbeiten (Benner et  al. 2010), veranlassen, eine bestimmte Lösung anzukreuzen. Dazu werden die Schülerinnen und Schüler gebeten, ihre Überlegungen exemplarisch zu protokollieren. Denkbar, aber technisch aufwendiger, wären auch Verfahren des »lauten Denkens« in denen die sonst stummen Überlegungen ausgesprochen und aufgezeichnet werden. Alternativ, aber noch weiter weg von der Überlegungen im Test – und insofern von nachträglichen Einträgen noch stärker beeinflusst – wären Verfahren des nachträglichen lauten Denkens, bei denen Testpersonen nach dem Ausfüllen ihr Test zurückgegeben wird und sie gebeten werden zu erläutern, welche Überlegungen sie zu dem angekreuzten Ergebnis geführt haben. Solche (nachträglichen) Denk-

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bewegungen und Argumentationsgänge ließen sich auch durch Gruppendiskussionen hervorrufen, wie sie Bohnsack beschrieben hat (Lamneck 2005). Diese Verfahren können die Methoden der quantitativen Erhebung von Kompetenzen als gezeigter SchülerInnenleistung nicht ersetzen, aber sie können sie sinnvoll ergänzen. Für die Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz scheinen solche interpretativen Verfahren deshalb besonders bedeutsam zu sein, weil der Kreis der am Test Teilnehmenden heterogen ist und nicht erwartet werden kann, dass vor dem Hintergrund unterschiedlicher religiöser und kultureller Konzepte die Schülerinnen und Schüler die gleichen Überlegungen anstellen werden. 2. Bereits bei Kohlberg wurden die Stufen der moralischen Entwicklung mit Hilfe von Dilemma-Geschichten erhoben. RU-Bi-Qua und KERK orientierten sich an diesem Verfahren und wählten Gleichnisse und andere Texte zur Grundlage der Fragekomplexe. Dieses Verfahren der »Vignetten« (Atria et al. 2006) erlaubt es, komplexe Handlungsabläufe zu imaginieren und die Testpersonen aufzufordern, aus einer bestimmten Perspektive zu antworten und insofern Perspektiven zu übernehmen. Auf die Frage der Abhängigkeit der Erhebung (inter-)religiöser Kompetenz von der Lesekompetenz kann damit aber noch keine Antwort gegeben werden, denn die Vignetten sind in aller Regel zu lesen. Möglich scheint deshalb, insbesondere in Bezug auf Erhebungen (inter-)religiöser Kompetenz, das Ausweichen auf Bilder, die im Test zu interpretieren sind. In der Interpretation von Bildern verfügten die Testpersonen gleichsam über eine internationale Sprache, ein eigenes Zeichensystem, das der Verkehrssprache nicht bedarf. Allerdings leiden Bildinterpretationen häufig unter dem Problem mangelnder Eindeutigkeit. Zwar gibt es plausible Interpretationen, oft aber sind andere ebenso plausibel, was für einen Test, der eindeutig richtigere von falscheren Antworten7 unterscheiden können muss, nicht hilfreich ist,8 zumal die Bildinterpretationen, zwischen denen sich die Testpersonen entscheiden müssten, dann wieder in der Verkehrssprache vorliegen müssten und somit eine erhebliche Lesekompetenz nötig wäre, um diese Interpretationen allererst zu verstehen, um sodann zutreffende von weniger zutreffenden unterscheiden zu können. 7 Die Formulierung ist ein Reflex darauf, dass es ›richtige‹ und ›falsche‹ Antworten im Bereich der Religion und Theologie häufig nicht gibt. Der Anspruch eines geschlossenen Tests muss es aber sein, die richtigere Antwort eindeutig von den falscheren Antworten abzuheben, so dass von den SchülerInnen erwartet werden kann, ›die richtigste‹ Antwort anzukreuzen. 8 Ein Beispiel für die Schwierigkeit einer Bildinterpretation als Grundlage eines Fragekomplexes religiöser Kompetenz findet sich am Beispiel der Interpretation eines Bilder der Köthener Historien Bibel in Benner et al. 2011, S. 35 ff.

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An den Anfang dieses Textes zurückkehrend, wäre jedoch eine Möglichkeit, statt Vignetten in schriftlicher Form Vignetten in Form von Videos einzuspielen. Damit soll nicht verkannt werden, dass auch das Verständnis von Video-Vignetten der Sprachkompetenz in der Verkehrssprache bedarf. Allerdings stellt die gesprochene Sprache eine deutlich kleinere Hürde dar als die geschriebene. Das Problem, dass mithilfe textlich anspruchsvoller Vignetten weniger (inter-)religiöse Kompetenz als vielmehr Lesekompetenz oder, noch fataler, Hochkulturkompetenz erfasst wird, kann damit vermieden werden. Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund im eingangs zitierten Beispiel des Scharia-Ordnungsamts in Leverkusen haben zweifellos (inter-)religiöse Kompetenz gezeigt. Ob sie dazu in gleichem Maße auch in einem Text mit einer halbseitigen schriftlichen Vignette in der Lage gewesen wären, darf bezweifelt werden. Es gilt also Methoden zu entwickeln, die die Erhebung (inter-)religiöser Kompetenzen weitgehend von vermeintlich zugrundeliegenden Kompetenzen abkoppeln. Videovignetten scheinen dazu besonders geeignet zu sein, weil sie in der Lage sind, komplexe Sachverhalte zu schildern, ohne komplexes Leseverstehen vorauszusetzen. Darüber hinaus scheint es so möglich zu sein, an der Lebenswelt der Jugendlichen anzuknüpfen und nicht nur eine Kompetenz in »Hochkultur« zu erfragen. (Inter-)religiöse Kompetenz selbst ist nämlich keineswegs im Gebiet der Hochkultur erforderlich, sondern bezieht sich in der pluralen Gesellschaft auf viele Bereiche des Zusammenlebens (vgl. Schluß 2010b). Damit soll nicht gefordert sein, die Schriftlichkeit der Tests oder gar des Unterrichts gänzlich aufzugeben, aber die Schriftlichkeit um andere Formen der Kommunikation zu ergänzen ist notwendig, damit die (inter-)religiöse Kompetenz auch losgelöst von der Lesekompetenz erarbeitet und erhoben werden kann und sie nicht nur auf die Hochkultur bezogen bleibt, sondern ihre Alltagsrelevanz Gegenstand des Unterrichts und der Tests wird. 3. Am schwersten scheint es zu sein, die Befangenheit in Gebräuchen der vertrauten Religion/Konfession aufzubrechen und die Perspektivübernahme unter Hintanstellung von Stereotypen, Vorurteilen und aktuellen Konflikten zu vollziehen. Dabei ist einerseits deutlich, dass eben diese Aufgeladenheit des interreligiösen und interkulturellen Feldes eine besondere Schwierigkeit dieses Diskurses darstellt, der keine neutralen Positionen kennt. Auch die atheistische Position ist eben keine neutrale (wissenschaftliche) Position im religiös-weltanschaulichen Feld (siehe Tschida in diesem Band), sondern sie ist auch eine Position (und häufig genug eine ausgesprochen explizite, die den religiösen Positionen ihre Positionalität vorhält und sich selbst Objektivi-

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tät zuspricht und damit höchstens die eigene Positionalität missversteht oder verkennt).9 Einerseits scheint in dieser aufgeladenen Atmosphäre der rationalitätsbezogene Diskurs besonders nötig (Habermas 2005; Albert 2006), andererseits scheint er gerade hier besonders gefährdet zu sein. Wie ist es also zu leisten, die »motivationalen und volitionalen« (Weinert 2001) Aspekte des Kompetenzbegriffs bei der Erhebung des fachspezifischen Kompetenzbegriffs als einer bestimmten Fähigkeit zumindest probabilistisch außen vor zu lassen? Eine Möglichkeit schiene mir, diese Kompetenzen nicht nur an vorfindlichen positiven Religionen zu entwickeln und zu testen, sondern auch an fiktionalen Religionen. Dabei ist weniger an Religionen wie die des sogenannten »fliegenden Spaghettimonsters«10 gedacht, die etabliert wurden, um positive Religionen lächerlich zu machen, indem sie zeigen, wie willkürlich eine Religion von Menschen erzeugt werden kann und dass es dazu keines ›wirklichen‹ höheren Wesens bedarf.11 Gedacht ist hier vielmehr an religiöse Konzepte, die in einem fiktionalen Umfeld durchaus ernsthaft geschildert werden. Als Beispiel soll der Religionskonflikt zwischen den Anhängern der »Religion der Sieben« und dem »Feuergott« gelten, der sich in der zweiten Staffel des Fantasy-Epos Games of Thrones von David Benioff und D. B. Weiss entwickelt. Diese unter älteren Jugendlichen und (nicht nur) jungen Erwachsenen populäre und aufwendig verfilmte Fernsehserie beruht auf den Romanen Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin.12 Es geht in einer an das Mittelalter erinnernden Fantasiewelt um den Konflikt verschiedener Familien und ihrer jeweiligen Vasallen um den Thron der »sieben Königreiche«. Nachdem in der ersten Staffel die religiöse Dimension lediglich angedeutet wird, wird sie in der zweiten Staffel zu einem zentralen Handlungselement. Neben die weithin etablierte Religion, den Glauben an die »Sieben«, tritt nun ein neuer, offenbar weit mächtigerer Glaube an den »Herrn des Lichts«, der seinen Anhängern jedenfalls vorübergehendes Kriegsglück beschert. Gleichzeitig zeichnet sich die Priesterin dieses neuen Gottes durch ein geringeres Maß an religiöser Toleranz aus, indem sie von den Anhängern ihres Kriegsherrn den Glauben an den neuen Gott mehr und   9 Ein Beispiel für einen solchen leidenschaftlichen Diskurs um die vermeintliche wissenschaftliche Nichtpositionalität des Atheismus findet sich in der Ausgabe 1/2014 der EWE, in der Auseinandersetzung mit dem Hauptartikel von Günther Kehrer (Kehrer 2014). 10 http://www.pastafari.eu/. 11 Gleichwohl besteht (inter-)religiöse Kompetenz auch darin, sich mit solchen Provokationen des Religiösen auseinandersetzen zu können. 12 Aufgrund der oben angeführten Abhängigkeit von der Lesekompetenz soll in diesem Beispiel jedoch nicht auf die Romanvorlage, sondern auf die verfilmte Version zugegriffen werden.

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mehr einfordert. In der dritten Staffel werden einige Zweifler und Ungläubige gar verbrannt, wobei letztlich nicht klar ist, ob das fehlende Bekenntnis zum neuen Gott den Grund zur Hinrichtung gab oder nur ein zusätzliches Motiv. So bleibt der erste Gefolgsmann dieses Kriegsherrn weiterhin dem neuen (und wohl auch dem alten) Glauben gegenüber skeptisch. Einerseits scheint diese neue Religion in der Tat starke magische Kräfte zu besitzen, in der vierten Staffel lüftet die Priesterin aber das Geheimnis, dass sie mit Tricks arbeitet, um die Zweifelnden von der Wirkmächtigkeit des neuen Gottes zu überzeugen. Insbesondere im Norden des Landes ist auch noch ein Glauben an die »alten Götter« verbreitet, eine animistisch anmutende Religion, in der insbesondere alte Bäume verehrt werden. Der Glaube an die »Alten Götter« und die etablierte Religion der »Sieben« gehen weithin konfliktfrei miteinander um und können nebeneinander koexistieren, auch wenn deutlich wird, dass die Religion der Sieben die fortschrittlichere Religion ist und nur noch die Alten und die Traditionsverbundenen aus dem Norden den alten Göttern anhängen. Auch wenn es sich dabei eindeutig um Phantasiereligionen handelt, so enthalten die vorgestellten Religionen Momente, die in den vorfindlichen positiven Religionen vorkommen und auch zwischen ihnen zu Konflikten führen. Nicht nur für Tests in (inter-)religiöser Kompetenz, sondern auch für didaktische Prozesse des Lehrens und Lernens kann es daher sinnvoll sein, die Fähigkeit zur Perspektivübernahme oder zur Deutung an solch einer oder mehreren fiktionalen Religionen zu stärken, zu erproben und zu testen. Dass persönliche Eingebundenheit mit den damit möglicherweise verbundenen Affekten hier eine untergeordnete Rolle spielt, kann ein entscheidender Vorteil eines solchen Verfahrens sein. Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass auch im probabilistischen Verhältnis von Phantasiereligionen religiöse Affekte eine Rolle spielen, z. B. dann, wenn SchülerInnen die bloße Behandlung einer Phantasiereligion schon für blasphemisch halten. Gerade das kann aber wiederum ein didaktischer Anlass sein, indem zum Thema gemacht wird, dass es in der (inter-)religiösen Kompetenz auch um die Fähigkeit geht, eine religiöse Position antizipieren zu können, die einem selbst höchst fremd, möglicherweise absonderlich und ausgedacht erscheint. Dies lässt sich möglicherweise sogar leichter an klar deklarierten Phantasiereligionen erarbeiten als an wirklichen Religionen, zumal wenn Gläubige dieser Religionen anwesend sind und sich persönlich verletzt fühlen. Die didaktische Herausforderung besteht darin, dass das Moment des »als ob« (Dressler in diesem Band), anders als bei Vaihinger (1911), keine Annäherung

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an eine Wirklichkeit erlaubt, sondern im Fiktionalen verbleibt, gerade so aber Praxen einzuüben und zu testen ermöglicht, die im Umgang mit vorfindlichen positiven Religionen (inter-)religiöse Kompetenz ausmachen. Nicht soll damit plädiert werden für eine Religionspädagogik, deren Gegenstand nur noch fiktionale Religion ist, damit die wirklichen Religionskonflikte ausgespart bleiben. Plädiert werden soll hier vielmehr für ein gelegentlich ergänzendes Konzept – sowohl für didaktische Prozesse des Lehrens und Lernens als auch für Testverfahren – die es erlauben, von gewissen Affektbehaftetheiten im Umgang mit gelebter Religion (Glauben) dadurch zu abstrahieren, dass auf fiktionale Religionen zurückgegriffen wird, denen man leidenschaftsloser begegnen kann, weil alle Beteiligten um deren Fiktionalität wissen und keine Wahrheitsansprüche im Spiel sind, oder besser, die Wahrheitsansprüche der fiktionalen Religion Teil des Spiels, aber eben nicht Teil des Lebens sind. Die Abstinenz von Wahrheitsansprüchen ermöglicht ein affektärmeres Einüben von Fähigkeiten, die im Umgang mit unterschiedlichen vorfindlichen Religionen bedeutsam sein können.

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Fallbeispiele

LehrerInnenbildung im Kontext religiöser Pluralität Konzepte – Erfahrungen – Perspektiven an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems Thomas Krobath/Georg Ritzer

Die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems (im Folgenden: KPH) ist die zweitgrößte Pädagogische Hochschule Österreichs. Wie die anderen auch bildet sie LehrerInnen für den Pflichtschulbereich aus, also für die Volksschule (Grundschule), Sekundarstufe I (Hauptschule, Neue Mittelschule) und Sonderschule.1 Sie ist eine private Hochschule in kirchlicher Trägerschaft und unterscheidet sich von den anderen konfessionellen privaten Pädagogischen Hochschulen durch ihre ökumenische Ausrichtung.2 Die Erzdiözese Wien hat die KPH Wien/Krems errichtet und erhält diese gemeinsam mit der Diözese St. Pölten

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Der Beitrag ist in der Perspektive der LehrerInnenbildung seit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen 2007 verfasst. Er bezieht sich noch nicht auf die Perspektiven des österreichischen Reformprogramms der PädagogInnenbildung NEU, die ab 2015/2016 zu anderen curricularen Konstruktionen in engerer Zusammenarbeit zwischen Pädagogischen Hochschulen und Universitäten führen sollen (siehe www.bmukk.gv.at/lbneu). Zur Geschichte der LehrerInnenbildung in Österreich und der Pädagogischen Hochschulen bis zur PädagogInnenbildung NEU siehe Grimm/Bali/Pirka 2012. 2 Es gibt in Österreich neun bundesstaatliche und fünf private pädagogische Hochschulen. Von den privaten sind drei katholisch, eine in gemischter Trägerschaft zwischen Bund, Land Burgenland und katholischer Diözese Eisenstadt, und die KPH Wien/Krems als eine Einrichtung der Hochschulstiftung der Erzdiözese Wien in ökumenischer Trägerschaft (siehe das Statut der KPH: www.kphvie.ac.at/fileadmin/Mitteilungsblatt/140409_StatutKPH_2013_ End__2_.pdf.). Die Errichtung durch eine katholische Stiftung und die gemeinsame Erhaltung und Führung durch alle Partnerkirchen im Hochschulrat sind juristisch zu trennen (siehe Hagel/Kneucker 2008, 263). Jedoch sitzen die VertreterInnen der beteiligten Kirchen sowohl im ökumenischen Hochschulrat als auch im erzdiözesanen Stiftungsrat. Siehe dazu genauer Krobath/Ritzer 2014, 13 ff.

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und der Evangelischen,3 der Griechisch-Orientalischen,4 den OrientalischOrthodoxen5 und der Altkatholischen Kirche(n) Österreichs.

1 Eine ökumenisch getragene Pädagogische Hochschule Wie kommt es zu dieser europaweit einzigartigen Kooperation christlicher Kirchen6 im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung7 von LehrerInnen? Sie wird immer wieder in einer sehr positiven Zuschreibung8 auf »die oft zitierte besondere Situation der Ökumene in Österreich«9 zurückgeführt. Im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich arbeiten 16 Kirchen10 auf Augenhöhe miteinander zusammen. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist der 1994 erfolgte Beitritt der Römisch-Katholischen Kirche als Vollmitglied.11 Die Grundlage der guten Zusammenarbeit ist ein gegenseitiges Vertrauen,12 das über konkrete Projekte mit genügend Raum für Beteiligungen und Auseinandersetzung wachsen konnte. Es führte nicht nur zur gemeinsamen Beteiligung an der

  3 Die Evangelische Kirche A.B. (lutherisch) und die Evangelische Kirche H.B. (reformiert) in Österreich treten für gemeinsame Belange wie Religionsunterricht und Schule unter der Rechtsform »Evangelische Kirche A. und H.B. in Österreich« auf, wobei die konfessionelle Selbständigkeit gewahrt bleibt. Zu diesem staatskirchenrechtlichen Kuriosum siehe Schwarz 1988.   4 Unter diesem Titel treten die Bulgarisch-Orthodoxe Kirche, die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die Rumänisch-Orthodoxe Kirche, die Russisch-Orthodoxe Kirche und die Serbisch-Orthodoxe Kirche in Österreich in gemeinsamen Angelegenheiten dem Staat gegenüber auf.   5 Umfassen die Armenisch-apostolische Kirche, die Syrisch-orthodoxe Kirche und die Koptischorthodoxe Kirche in Österreich.   6 Siehe Jäggle/Klutz 2013, 82. Als »jüngste und spektakulärste« ökumenische Kooperation wird die KPH von Hagel/Kneucker bezeichnet: »sie ist die erste Institution dieser Art in Europa« (Hagel/Kneucker 2008, 261).   7 Mit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen 2007 wurden in Österreich die »verschiedenen Lehrerbildungsagenturen« (Fischer 2000, 137) für Ausbildung und für Fortbildung in die Hochschulen zusammengeführt. Unter »Weiterbildung« wird in Österreich ein Fortbildungsangebot in Form von Lehrgängen verstanden, die neue Qualifikationen vermitteln und zertifizieren.   8 Siehe z. B. Schwarz 2014, 243 oder Gleixner 2008, 28: »Man spricht nicht übereinander, sondern miteinander, beseitigt auf diesem Wege manches Fehl- und Vorurteil und schafft eine vertrauensvolle Basis für das weitere Ausloten von Konsens und Differenz«.   9 Bünker 2008, 273. 10 www.oekumene.at/(9. 12. 2013). 11 Nausner 2008, 20. 12 A.a.O., 18.

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Abfassung der Charta Oecumenica,13 sondern auch zu zahlreichen öffentlichen Erklärungen, von denen besonders das von allen (damals 14) Mitgliedskirchen mitgetragene und unterzeichnete Sozialwort 200314 eine breite Aufmerksamkeit erlangte. Ein wichtiger Meilenstein des »ökumenischen Laboratoriums« Österreich15 ist der Entwicklungsprozess eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts (KoKoRu), der ab dem Schuljahr 2002/03 von der Katholischen, Evangelischen, Orthodoxen und Altkatholischen Kirche gemeinsam an ausgewählten Schulen in Wien durchgeführt wird.16 Das Projekt KoKoRu gilt mittlerweile als Meilenstein für das noch größere Wagnis einer gemeinsamen Kooperation und Verantwortung für eine Pädagogische Hochschule.17 Das Wagnis besteht nicht nur in der vor dem Hintergrund bisheriger konfessioneller Abgrenzungserfahrungen weitgehenden Kooperation zwischen den Kirchen, sondern auch in der weitergehenden Positionierung der Kirchen in der LehrerInnenbildung in einer Zeit, in der die scheinbare Selbstverständlichkeit einer Verbindung von Schule und Kirche18 als Relikt einer inkonsequenten Säkularisierung in Frage gestellt oder dem Verdacht einer kirchlichen Einflussnahme auf das Schulsystem ausgesetzt wird.19 Die Kirchen sind aus ihrer starken historischen Rolle in den europäischen Schulsystemen heraus nach wie vor im Schulbereich aktiv und somit auch in der Professionalisierung von Lehrkräften. Der Aufstieg des konfessionellen Privatschulwesens in den letzten Jahren verleiht dem Aus- und Fortbildungsbereich eine weitere Bedarfslegitimation. 13 www.ceceurope.org/introduction/charta-oecumenica/(9. 12. 2013). Laut Präambel des Statuts der KPH »realisiert sich hier [gemeint ist die KPH] ein wesentlicher Teil des von den Kirchen geleisteten Engagements im Bereich von Bildung im Sinne der Charta Oecumenica (II/3)«, siehe www.kphvie.ac.at/fileadmin/Mitteilungsblatt/140409_StatutKPH_2013_End_2_pdf (9. 12. 2013). 14 Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich 2003. Text und Prozess finden sich unter www. sozialwort.at/. Inhaltliche Bezüge zwischen Sozialwort und KPH arbeitet Jäggle 2014, 41, heraus. Seit November 2013 wird das Sozialwort einer Relektüre und Aktualisierung unterzogen, Informationen zum Projekt »sozialwort10+« gibt es unter http://sozialwortzehnplus. org/(9. 12. 2013). 15 Staikos 2008, 31. 16 Alle Projektdimensionen sind dargestellt und reflektiert in Bastel/Göllner/Jäggle/Miklas (Hg.) 2006. Dem Unterfangen wird mittlerweile eine gewisse Stagnation attestiert (Miklas 2008, 254). 17 Siehe auch Miklas ebd. 18 Siehe z. B. Fischer 2009; Nipkow 1998, 47 ff.; Schweitzer 2004. 19 Symptomatisch dafür z. B. der Einstieg in den Artikel »Religion und Staat: Was soll die Kirche in der Schule?« im österreichischen Nachrichtenmagazin »profil« am 4. 6. 2013: »In Österreich existieren Schule und Kirche traditionell in einer engen Symbiose. Doch immer mehr Eltern verwehren sich gegen die Präsenz klerikaler Inhalte und Symbole im öffentlichen Bildungssystem. Was hat Gott im Jahr 2013 nach Christus noch in der Schule verloren?«, siehe: www. profil.at/articles/1322/560/359373/religion-staat-was-kirche-schule (9. 12. 2013).

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Eine markante demographische Verschiebung von konfessionell abgegrenzten Lebensräumen in Europa hin zu kulturell und religiös pluralen gesellschaftlichen Kontexten20 bringt zusätzliche neue soziale Herausforderungen und Bildungsanforderungen mit sich. Sie führt unter anderen sozioreligiösen Vorzeichen zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Kirchen und Schule als der Beziehung von Schule und Religion. »Religion« ist hier in einem offenen, über die christlich-konfessionell geprägten Traditionen und deren Institutionen hinausgehenden Sinn aufzufassen. Nachdem traditionell christlich-konfessionelle »Religion« in der Schule kaum noch präsent ist bzw. als Nischenfach Religionsunterricht »an den Rand schulischer Wahrnehmung gerät«,21 nimmt die Präsenz »religiöser« Phänomene sowohl in gesellschaftlichen Lebenswelten wie auch im Mikrokosmos Schule in einer bislang nicht gekannten Pluralität religiöser Bezugssysteme und in einer traditionelle Kirchlichkeit irritierenden Pluriformität religiös-kultureller Praxen deutlich zu. Daran können Schulentwicklung und LehrerInnenbildung (als Teil schulbezogener Personalentwicklung) nicht mehr vorbei gehen. Als kirchlich verantwortete LehrerInnenbildung steht sie vor der grundlegenden Herausforderung, aus den Wurzeln der eigenen Überzeugungen heraus für einen Umgang mit Unterschieden und Vielfalt zu qualifizieren, wenn sie der Würde der SchülerInnen und der Eröffnung von Zukunftsoptionen für sie gerecht werden will. Im Ernstnehmen der Abbildung gesellschaftlicher Pluralität in der Schule und des pädagogisch notwendigen Umgehens mit Diversität erfährt die Verhältnisbestimmung von Religion und Schule neue, differenzierte Perspektiven und eine die ganze Schule betreffende Relevanz.22

2 Aspekte einer christlichen LehrerInnenbildung Wie wird LehrerInnenbildung ökumenisch und im Kontext religiöser Pluralität konzipiert? Konfessionelle Institutionen der Aus- und Fortbildung von LehrerInnen haben Tradition. Gibt es eine konfessionsübergreifende christliche Pädagogik23 als konzeptionellen Orientierungsrahmen? 20 Die aktuellen Tendenzen und religionssoziologischen Daten für Österreich sind im Überblick dargestellt bei Klutz 2014. 21 Jäggle/Klutz (2013), 79. 22 Siehe dazu die Beiträge in den Sammelbänden Jäggle/Krobath/Schelander (Hg.) 2009 und Jäggle/Krobath/Stockinger/Schelander (Hg.) 2013 sowie Domsgen/Schluß/Spenn (Hg.) 2012. 23 »Christliche Pädagogik« ist kein durchgängig etablierter und jedenfalls ein diskussionswürdiger Begriff. In den beiden großen Kirchen in Deutschland sind kirchlich-konfessionelle Stellungnahmen zu Bildungsfragen aktuell von großer Bedeutung. Der Begriff »christliche Pädagogik« ist tendenziell mehr in katholischen Diskussionen gebräuchlich. Die katholisch

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Auf der Website der KPH Wien/Krems verbindet der Begrüßungssatz die christliche Verwurzelung mit einer interreligiösen Ausrichtung: »Wir stehen für eine christliche LehrerInnenbildung, die ein interkulturelles, interreligiöses und interkonfessionelles Lernen in Europa einzigartig möglich macht.«24 Zwei Basistexte der KPH führen das näher aus, ohne jedoch die oben gestellten Fragen in begründender Weise beantworten zu können. Im Leitbild heißt es unter dem Leitsatz: »Das christliche Bild vom Menschen ist unsere Basis«: »Bildung hat wesentlich auch eine religiöse Dimension, in der die Fragen nach Sinn, nach dem Woher, dem Wohin und dem Wozu zur Sprache kommen. Die traditionsreiche christliche LehrerInnenbildung wird auch heute an einem Bündel von Visionen, Grundlinien und Erfahrungen sichtbar. Die Überzeugung, dass Gott einem jeden Menschen eine unverlierbare Würde geschenkt hat, die sich auch in der schöpfungsgemäßen Gleichwertigkeit von Mann und Frau ausprägt, leitet uns.   Das Wissen über den eigenen Glauben und über das christliche Grundverständnis von Pädagogik ist daher Sache aller Lehrenden der KPH Wien/Krems, nicht nur der theologischen ExpertInnen.«

Der nächste Leitsatz »Reflektierte Vielfalt ist unsere Stärke« wird wie folgt ausgeführt: »Christliche LehrerInnenbildung an der KPH Wien/Krems ist ökumenisch ausgerichtet. Viele Traditionsstränge und Kulturen des Lehrens und Lernens kommen hier zusammen. Unsere Kompetenz ist der qualifizierte Umgang mit Gemeinsamkeiten, mit Unterschieden und insgesamt mit Vielfalt. Dabei geht es um die Stärkung eigener Identität von Lehrenden und Studierenden und zugleich um eine verstehende Öffnung auf das Andere hin.   Interkonfessionelles Lernen wird bereichert durch interreligiöses/interkulturelles Lernen sowie durch Kooperationen auch mit anderen Religionen. So werden weitere religionspädagogische Entwicklungen angestoßen.«25

Ähnlich lautende programmatische Sätze prägen auch die Präambel des Hochschulstatuts. Das Spezifikum christlicher Bildung wird in einem ganzheitlichen Ansatz mit dem Ziel »umfassender Entfaltung des Menschseins im Sinn einer Befähigung zu verantwortlicher Selbstbestimmung« gesehen. »Christliche Werte, gelebt und gelehrt, geben dem Bildungskanon Sinn und Leben.« Die Zielsetzung wird kontextuell eingebettet: geführten »Christlich-pädagogischen Blätter« wurden 2011 mit dem 124. Jahrgang eingestellt. Evangelischerseits wurde »Christliche Pädagogik« jüngst von Manfred Pirner in Form einer empirischen und konzeptionellen Studie für einen überkonfessionellen christlichen Bildungsträger thematisiert. Von christlichen Trägern, die nicht konfessionell gebunden sind und für die sich dieser Begriff nahe legt (Pirner 2008, 24), unterscheidet sich die KPH durch ihre multikonfessionellen Bindungen, die der Inanspruchnahme einer »christlichen Pädagogik« eine ökumenisch perspektivierte Ausrichtung geben müsste, wie sie denn auch im Leitbild explizit als solche angesprochen wird. 24 www.kphvie.ac.at (9. 12. 2013). 25 www.kphvie.ac.at/fileadmin/Dateien_KPH/News/Leitbild_KPH_2013.pdf (9. 12. 2013).

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»Eine solche Zielsetzung für Bildung und Weiterbildung aufgrund des christlichen Menschenbildes wird angesichts einer pluralistischen Gesellschaft notwendig sein, die ein hohes Maß an Verständigung über die Grundfragen des Menschseins, an Bereitschaft und Kompetenz zu integrativem pädagogischen Handeln mit Bezug auf Multireligiosität und Multikulturalität erfordert und einer nachhaltigen Sicherung der gemeinsamen Wertebasis bedarf.   Das christliche Menschenbild umfasst auch die Verpflichtung, Frauen und Männern die gleichen Rechte in allen Bereichen der Pädagogischen Hochschule zu sichern.«26

Christliche LehrerInnenbildung, christliches Menschenbild, christliche Werte – Begriffe, für umfassende Anliegen und hehre Ansprüche – stehen als abstrakte Leitbegriffe27 ohne konkrete Handlungsweisen aber auch in der Gefahr, ein typisches Leitbildschicksal zu erleiden, in dem sie unverbindlich und folgenlos bleiben. In beiden Texten werden zumindest einige wichtige Topoi genannt, die als zentrale Bestimmungen in der Explikation eines christlichen Verständnisses vom Menschsein gelten können: eine ganzheitliche Sicht und die Voraussetzung einer unverlierbaren Würde. Drei Konkretionen werden direkt angesprochen: 1. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die aus einer auf der geschenkten Menschenwürde beruhenden Gleichwertigkeit der Geschlechter folgt. 2. Die geteilte Verantwortung für die christliche Prägung der LehrerInnenbildung durch alle an der KPH beteiligten Lehrenden. 3. Der bewusste Umgang mit Differenz in der Förderung von eigener Identität und Öffnung für Andere führt zu Begegnungserfahrungen und zur Zusammenarbeit. Welchen Stellenwert haben die drei handlungsbezogenen Leitbildwerte und wie werden sie in der Umsetzung gestaltet?

26 Siehe www.kphvie.ac.at/fileadmin/Mitteilungsblatt/140409_StatutKPH_2013_End_2_pdf (9. 12. 2013). 27 Eine mögliche Schwierigkeit der näheren Bestimmungen eines christlichen Menschenbildes und der Auslotung ihrer Konsequenzen für die Arbeitszusammenhänge in der KPH mag auch der Umstand sein, dass damit konfessionelle theologische Differenzen angesprochen werden könnten oder müssten, die eine pragmatisch ausgerichtete konfessionelle Kooperation irritieren könnten. Konfessionelle Kooperation beruht nicht auf einem bestimmten Level theologischen Konsenses, sondern stellt eine Möglichkeit der Zusammenarbeit angesichts von Differenzen dar, für die die Gewissheit ausreichender Gemeinsamkeiten als Basis dient. Diese Gewissheit kann sich im konkreten Beispiel auf die oben angesprochenen guten Erfahrungen in den Kooperationen im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich stützen.

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2.1 Christliches Menschenbild als Grundlage Ad 1. Christliche LehrerInnenbildung orientiert sich an einem christlichen Menschenbild. Dieses zeigt den Menschen als die von Gott geschaffene und geliebte Person, die zur Verbundenheit mit Gott und mit der ganzen Schöpfung bestimmt ist. Von Gott her hat jeder Mensch seine unverlierbare Würde und Einmaligkeit, die niemand antasten oder verletzen darf. Von Gott her sind ihm viele Begabungen gegeben und ist ihm die Freiheit geschenkt, diese zu entwickeln und sein Leben in Verantwortung und Liebe zu gestalten. Von Gott her sind die Menschen nicht als Einzelwesen oder als geschlechtliches Neutrum geschaffen, sondern in geschlechtlicher Differenz, männlich und weiblich und insofern berufen, »Abbild Gottes« zu sein und darin völlig gleichwertig. Das Erscheinungsbild des Lehrberufes ist durch einen deutlichen Überhang an Lehrerinnen geprägt. Das spiegelt sich in den Studierendenzahlen28 und unter den HochschullehrerInnen wider, nicht in denselben Ausmaßen in den Leitungsstrukturen. Das Hochschulgesetz schreibt die Bestellung von Gender-Mainstreaming-Beauftragten vor. Das Projekt »Männer in der Grundschule« in der allgemeinen Ausbildung von GrundschullehrerInnen widmet sich besonders dem Umstand eines mittlerweile unter 9 % gesunkenen Anteils männlicher Lehrpersonen im Primarstufenbereich und setzt persönlichkeitsstärkende Maßnahmen für männliche Studierende an der Hochschule.29 2.2 Christliche LehrerInnenbildung in hochschulischer Verantwortung Ad 2. Eine geteilte Verantwortung für die christliche Prägung der Lehrer­Innen­ bildung betrifft alle Lehrenden an der KPH, nicht nur die TheologInnen unter ihnen. Es ist ein formales Anstellungserfordernis für Hochschullehrende an der KPH, dass sie einer der Trägerkirchen der KPH angehören. Damit ist aber noch keine Antwort auf ein zentrales Problem aller Institutionen im Bereich der christlichen Kirchen gegeben, die in den letzten Jahrzehnten einen Weg suchen, wie ihre Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Bildungseinrichtungen etc. in sich entkirchlichenden Verhältnissen überleben und ihre Arbeit in Übereinstimmung mit den Gründungsintentionen und der Wertebasis ihrer Organisationskulturen weiterführen können. Ihnen fehlt zunehmend das Personal, das eine

28 Die veröffentlichte Statistik weist keine geschlechtsbezogenen Zahlen aus (siehe Klein 2013). 29 Feldl/Schuster 2013.

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entsprechende Sozialisation durchlaufen hat und dessen Commitment mit der »Mission« der jeweiligen Einrichtung leicht herzustellen war.30 Die Organisationskulturen solcher Einrichtungen stellen sich heute sehr differenziert dar und erfordern einen hohen Aufwand an internen Programmen für MitarbeiterInnen, um sie für die Ziele der Organisationen zu gewinnen. In einschlägigen Organisationsentwicklungsprojekten in kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen konnte gelernt werden, dass diese Maßnahmen nur in partizipativen Prozessen einigermaßen zur Wirkung gelangen können.31 Das setzt voraus, dass die MitarbeiterInnen in ihren Kompetenzen, Haltungen und Sichtweisen zum Auftrag der KPH ernst genommen und respektiert werden. Nur so können sie ihre eigene grundsätzliche Wertschätzung dem christlichen Glauben, dem christlichen Menschenbild gegenüber einbringen, so sie es nicht selber aus voller Überzeugung vertreten. Das bedeutet, sich auch explizit mit der Differenz religiös – nicht religiös in der eigenen Organisation, die sich kirchlichreligiös gebunden weiß, in einer die eben genannte plakative Gegenüberstellung differenzierenden Weise auseinanderzusetzen. Über jede formale Kirchenzugehörigkeit hinweg sind auch KPH-Lehrende ein Spiegelbild der Gesellschaft. Selbst im Kollegium der Lehrenden sind Personen zu finden, die mit den Kirchen immer weniger anzufangen wissen. Was brauchen MitarbeiterInnen, um aus ihrer jeweiligen Erfahrung und Haltung heraus an den Zielen der KPH mit möglichst hoher intrinsischer Motivation mitzuwirken?32 »Religion« hat im Kontext unseres Schulsystems die eindeutige Konnotation »Religionsunterricht« erhalten. Ist von »Religion« die Rede, ist meistens der »Religionsunterricht« gemeint. Alles, was mit »Religion« zu tun hat, wird oft vorschnell auf den Religionsunterricht bzw. auf die Religionslehrkraft abgeschoben.33 Tendenziell ist »Religion« an der KPH ein Minderheitenprogramm, nämlich derjenigen, die sich zu ReligionslehrerInnen ausbilden lassen bzw. der fachtheologischen Lehrenden. Von 2.379 Studierenden im Studienjahr 2012/2013

30 Dazu bereits Zerfaß 1992; neuerdings bes. Albrecht 2013. 31 Siehe dazu Heller/Krobath 2003. 32 Pirner greift das Dilemma der Personalentwicklung in christlichen pädagogischen Einrichtungen auf. Eine weiterführende Lösung sieht er in einem expliziten Konzept einer christlichen Pädagogik, das die orientierenden Grundsätze einer christlich ausgerichteten Schule (Hochschule) darlegt, begründet und vermittelt. »Potentielle MitarbeiterInnen können nicht verpflichtet werden, den christlichen Glauben ›anzunehmen‹, aber sie können auf ein pädagogisches Konzept verpflichtet werden, das sich zwar aus einer christlichen Perspektive speist, aber […] auch für Nicht-Glaubende zugänglich und zustimmungsfähig ist« (Pirner 2008, 80). 33 Siehe Jäggle/Krobath 1999, 48 ff.

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in der Ausbildung waren 264 in den Studiengängen der Ausbildung zur/zum ReligionslehrerIn,34 das sind 11 % der Studierenden. Eine von allen Lehrenden geteilte Verantwortung für die christliche Grundlegung der Pädagogik muss sich an den Lehrplänen der Ausbildung erweisen. Sie sind vor allem durch ein Augenmerk auf die Persönlichkeitsbildung künftiger LehrerInnen gekennzeichnet, das sich einer ganzheitlichen Sicht auf die Menschen zuordnen lässt. Die KPH braucht ein ausdifferenziertes Konzept christlicher LehrerInnenbildung in ökumenischer Perspektive, um ihre Leitbildansprüche nachhaltig umzusetzen. 2.3 Christliche LehrerInnenbildung als transkultureller Raum Ad 3. In den beiden ersten Gesichtspunkten wird schon exemplarisch deutlich, dass Differenz eine tragende Kategorie für das institutionelle Selbstverständnis der KPH bildet. Der Umgang mit Differenz ist der KPH strukturell eingeschrieben und wird in unterschiedlichen Formen interner und externer Kooperation mehr oder weniger bewusst bearbeitet. Die KPH wurde aus acht Vorgängerinstitutionen aus zwei verschiedenen Konfessionen (aus sechs katholischen und zwei evangelischen Akademien bzw. Instituten) zusammengesetzt. Die anderen Konfessionen kamen ohne eigene Vorgängerinstitution in der Gründungsphase mit in die Hochschule hinein. Zu den konfessionellen Prägungen kamen unterschiedliche Organisations- und Arbeitskulturen, die besonders zwischen Ausbildung und Fortbildung markant und bis heute wirksam sind. Die stärkste Dynamik entfalten die regionalen Differenzen durch die beiden standortbedingten Kontexte der KPH in Wien und in Krems, die weitere Differenzen mit sich bringen, besonders politisch unterschiedliche Interessen zweier Bundesländer (Niederösterreich und Wien) und die kirchenpolitische Konstellation zweier katholischer Diözesen (Bistum St. Pölten und Erzbistum Wien). In dieser Konstellation spielen nicht nur Aspekte des immer wieder aufbrechenden Gegenübers unterschiedlicher Verfasstheiten sozialer Systeme eine Rolle, sondern auch Entwicklungen der Überschreitung und der Grenzverschiebung der in die Hochschule eingebrachten Systemkulturen, wie es an Orten der Begegnung auch erwartet werden darf. Die Dynamik der Grenzüberschreitungen35 verändert auch die KPH schrittweise von einem interkulturellen Raum der Begegnung zwischen sich als eigenständig verstehenden Traditionen 34 Siehe Klein 2013, 79. 35 Das erste Leitbild der KPH Wien/Krems, das 2013 durch ein neues ersetzt wurde, hatte noch die Wortfolge »lebendig – leidenschaftlich – grenzüberschreitend« als Slogan vorangestellt.

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und Organisationskulturen hin zu einem transkulturellen Raum.36 In einem solchen überschreiten Begegnungen mitgebrachte Grenzen als vorläufige, verschieben herkömmliche Abgrenzungen und lassen gegenseitige Beeinflussung als Bereicherung erfahren. Ohne eine »Öffnung auf das Andere hin« verbleibt die »Stärkung eigener Identität« im Modus eines negativen Umgangs mit Differenz.

3 Gestaltwerdung christlicher LehrerInnenbildung Die konfessionell-kooperative Struktur sowie die institutionell komplexe Zusammensetzung der KPH bringen Implikationen für die Organisation des Umgangs mit Vielfalt sowie für die konzeptionelle Ausrichtung einer im Kontext sich überlagernder (nicht nur religiöser) Pluralitäten anzusiedelnden »Christlichen LehrerInnenbildung« mit sich.37 Sie formuliert den Anspruch einer ökumenisch verantworteten Hochschule und braucht einen konfessionsübergreifenden Begriff ihrer Ausrichtung. Dieser beinhaltet notwendigerweise einen qualifizierten Umgang mit Unterschieden und Vielfalt auf der Basis interkonfessionellen Lernens als dem ureigenen Lernfeld in der Kooperationsstruktur, das interkulturelles und interreligiöses Lernen impliziert und als explizite weitere Aufgaben der KPH zur Konsequenz hat. Die konfessionell-kooperative Besonderheit der KPH Wien/Krems weist »christliche LehrerInnenbildung« als eine pluralitätsfähige aus. Das beinhaltet die Reflexion und Vertiefung der eigenen Identität und die »Öffnung auf das Andere hin« sowohl nach innen als auch nach außen. Diese Offenheit setzt eine Grundentscheidung voraus, sich dem Anderen auszusetzen. Der christliche Glaube führt zu Grundentscheidungen, die als handlungsleitende Optionen für die KPH Wien/Krems wirksam werden: für die Würde und Rechte der Kinder und SchülerInnen, für die Anerkennung unvollkommenen Menschseins in Freiheit, für einen wertschätzenden Umgang miteinander, mit Unterschieden und Differenzen, auch hinsichtlich religiösem und nicht religiösem Selbstverständnis. Die Entfaltung solcher anspruchsvoller und ethisch fundierter Optionen setzt eine hohe Quali36 Siehe dazu Darowska/Machold 2010. Weitere Elemente der Transkulturalität in der KPH sind über die heterogene Zusammensetzung der Studierenden hinaus die internationalen Studierenden- und Lehrendenmobilitätsprogramme über ERASMUS und die internationalen Vernetzungen, die die in der Trägerschaft beteiligten Kirchen einbringen. 37 Für den Kontext von Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft postuliert Pirner den konzeptionellen Anspruch: »Christliche Pädagogik lässt sich hier verstehen im Sinne von christlichen Perspektiven von Bildung und Erziehung im Rahmen einer christlichen, aber gegenüber dem gesellschaftlichen Pluralismus offenen Institution« (Pirner 2008, 22).

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tät an Persönlichkeitsbildung, fachlichen und pädagogischen Kompetenzen, also eine gute und wissenschaftsbasierte LehrerInnenbildung, voraus. Die strukturelle und konzeptionelle Ausgangslage der KPH lädt zur Reflexion weiterer Konsequenzen ein, die die Grundimplikationen visionär auszeichnen. Der Wiener Religionspädagoge Martin Jäggle, der in unterschiedlichen Rollen auch an KPH mitwirkt, nannte die KPH bei einer Gründungsveranstaltung eine »europäische christliche Zukunftswerkstatt« oder »Zukunftsbaustelle«.38 Sie liegt in einer sich aus der Struktur ergebenden »Kultur der Inklusion«, die Jäggle mit zwei Konsequenzen versieht, einer »Kultur des Dialogs« und einer »Kultur gegenseitiger Anerkennung«.39 Die Gründungsrektorin Ulrike Greiner verbindet damit die »Würde und Exzellenz einer Hochschule als tertiärer Bildungsinstitution«, die sich darin zeigt, »ob sie sich als Ort begreift, an dem Lehrerbildung als Form und Ausdruck sozial-kultureller Praxis in Diskurs und Dialog vermittelt und gelebt wird.«40 Im Leitbild der KPH schlagen sich diese programmatischen Überlegungen im Leitsatz »Wertschätzung prägt unsere Organisationskultur« nieder. Diese Organisationskultur »drückt sich in einer umfassenden und ausgedrückten gegenseitigen Wertschätzung auf allen Ebenen« aus.41 Um diese Kultur als Konkretion und Umsetzung der Perspektiven einer christlichen Pädagogik und LehrerInnenbildung42 zu leben, braucht es unterstützende Begleitprozesse und ein Monitoring, denn wie Wertschätzung jeweils wahrgenommen und kommuniziert wird, ist bislang eher der informellen Seite einer Organisationsdynamik überlassen worden.43

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Jäggle 2014, 35. A. a. O., 37 f. Greiner 2008, 50. www.kphvie.ac.at/fileadmin/Dateien_KPH/News/Leitbild_KPH_2013.pdf (9. 12. 2013). Für Pirner umfasst die Reichweite einer christlichen Pädagogik auch eine Organisationsgestaltung, die die christlich-pädagogischen Grundsätze aufnimmt (Pirner 2008, 113). Als eine wichtige Brücke zwischen Pädagogik und Organisation macht er aufgrund seiner empirischen Untersuchung Fragen der Kommunikation aus. »Offenheit, Transparenz und Wertschätzung im kommunikativen Umgang sind Schlüsselaspekte einer christlich-ethisch verantworteten Kommunikationskultur, die kompatibel mit den Grundsätzen einer christlichen Pädagogik ist.« (A. a. O., 83). Weiter wäre auch die kritische Bestimmung kirchlicher LehrerInnenbildung als »Gegengewicht gegen funktionalisierende Tendenzen« bei Fischer (2000, 131) aufzugreifen und selbstkritisch in die Reflexion der Funktion der KPH einzubringen. 43 Siehe dazu auch: Deissler/Gergen 2004.

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4 Der Stellenwert von »Religion« in der LehrerInnenbildung der KPH Für eine christliche LehrerInnenbildung im Kontext religiöser Pluralität sind eine Sensibilisierung für die Wahrnehmung von Religion und von Differenz sowie ein konstruktiver Umgang mit ihnen unausweichlich. Für die Hochschule kommt es daher entscheidend darauf an, wie Religion und Differenz wahrgenommen und im Ausbildungsbetrieb sowie im Hochschulleben zur Sprache gebracht werden. Für eine religions- und differenzsensible christliche LehrerInnenbildung lassen sich folgende Leitsätze formulieren: ȤȤ Alle Studierenden an der KPH Wien/Krems erwerben Pluralitätskompetenz am Beispiel konfessioneller und religiöser Differenz, indem sie auf einer wissenschaftsbasierten Grundlage Formen des Umgangs mit Unterschieden und Konflikten lernen. ȤȤ AbsolventInnen der literarischen (allgemeinen) Ausbildung an der KPH Wien/Krems sind sensibel für die unterschiedlichen religiösen Wahrnehmungen und für die verschiedenen religiösen Herkunftstraditionen der SchülerInnen sowie für eine positive Wahrnehmung der religiösen Dimensionen im Schulleben. Ohne Bekenntniszwang gewinnen sie Gestal­ tungs­kompetenz für religiöse Ausdrucksformen in der Schule. ȤȤ AbsolventInnen der religionspädagogischen Ausbildung an der KPH Wien/ Krems sind darüber hinaus fähig zur interkonfessionellen Kooperation im Bereich des Religionsunterrichts und zu interreligiösen Begegnungen in der Schule. In der ReligionslehrerInnenausbildung wird der Differenzaspekt von Religion in konfessionell-kooperativen Modulen in einer besonderen Weise zur Sprache gebracht. Sie bilden das am weitesten gehende innovative Element in der religionspädagogischen Ausbildung für katholische, evangelische und orthodoxe Studierende gemeinsam. Nicht die prinzipielle Einheit ist dabei das Ziel, sondern vielmehr die Differenz – in ihrer Fruchtbarkeit, aber durchaus auch in ihrer schmerzhaft empfundenen Realität der Trennung. Studierende und Lehrende unterschiedlicher Konfessionen erarbeiten in gemeinsamen Lehrveranstaltungen das Besondere ihrer Konfession und ihrer persönlichen Religionsbiografien. Das Eigene und das Fremde werden dabei explizit thematisiert. Diesem Kernelement der religionspädagogischen Ausbildung widmet sich eine Evaluationsstudie,44 die im nächsten Kapitel auszugsweise dargestellt wird. 44 Siehe Bastel et al 2011.

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Wie wird Religion in der allgemeinen LehrerInnenbildung, die 90 % der Studierenden betrifft, zur Sprache gebracht?45 Es gibt für alle literarischen Lehramtsstudierenden verpflichtende religionspädagogische Lehrveranstaltungen im Gesamtausmaß von sieben Credits. »Religionspädagogik« gilt in diesem Zusammenhang als humanwissenschaftliche Lehrveranstaltung und ist wie der schulische Religionsunterricht konfessionsgebunden. Für muslimische Studierende gibt es islamische Religionspädagogik. Diese Lehrveranstaltungen sind in thematische Module integriert. Die ersten beiden Leitsätze zur religionssensiblen LehrerInnenbildung werden besonders in Wahlpflichtmodule konkretisiert. Aus dem Angebot der explizit religiösen Themen sei hier exemplarisch auf folgende drei Beispiele hingewiesen. Im Wahlpflichtmodul »Sterben und Tod im Leben von Kindern und Jugendlichen«, welches im 5. und alternativ im 6. Semester angeboten wird, werden Studierende mit existenziellen Fragen konfrontiert. Das Modul bereitet Studierende darauf vor, wie sie in der Klasse mit den Fragen von Tod und Sterben umgehen können. Es geht darum, Unsagbares zu sagen, für Unartikuliertes eine Sprache zu finden. In der Intention der Lehrenden liegt auch, dass sie ihre eigene gelebte christliche Hoffnung auf Auferstehung zur Sprache bringen, immer in Respekt vor anderen Sichtweisen der Studierenden. Im Wahlpflichtmodul »christliches Menschenbild und Leistungskultur« geht es um die Frage, welche Verpflichtung ein christlich-humanistisches Menschenbild für eine pädagogische Leistungskultur mit sich bringt und was das in Bezug auf Leistungsbeurteilung, Begabungsförderung und Bildungsstandards bedeuten kann. In diesem Modul liegt die besondere Perspektive einer religiösen Kommunikation darin, Themen wie Schuld und Scheitern ausdrücklich zur Sprache zu bringen. Es geht um Grenzen des Möglichen, um Spannungsfelder und Antinomien und darum, sie pädagogisch-theologisch fruchtbar zu machen. Einen wichtigen Stellenwert hat das Wahlpflichtmodul »interkulturelles und interreligiöses Lernen – muslimische Schülerinnen und Schüler im Unterricht«. Es soll Lehramtsstudierende optimal auf die interkulturelle Realität im Bereich der Pflichtschulen, wo sie vor allem im Großraum Wien vermehrt mit muslimischen SchülerInnen in der Klasse zu tun haben, vorbereiten. Hierzu wurde in Zusammenarbeit mit islamischen Lehrenden ein besonderes Wahlpflichtmodul entwickelt. Es werden Themen wie »Dimensionen muslimischen Glaubens und Lebens«, »muslimische Kulturen«, »Frauen und Islam«, »Schule als Lern- und Erfahrungsraum verschiedener Kulturen und Religionen«, »Feste und Feiern im Jahreskreis« bearbeitet. Im Sinne der Selbstexplikationsregel 45 Siehe dazu ausführlicher die Beiträge von Miklas 2011 und Krobath/Miklas 2012.

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des interreligiösen Lernens sind islamische KollegInnen aus der Ausbildung islamischer ReligionslehrerInnen (IRPA)46 als Lehrende einbezogen. Gleichzeitig unterrichten christliche Lehrende der KPH im Modul »Christentum für islamische ReligionslehrerInnen« an der IRPA. Weiters gibt es in diesem Zusammenhang zwei Begegnungstreffen zwischen Studierenden der KPH und der IRPA im Wintersemester. Hierbei treffen sich Studierende der dritten Semester einmal in den Räumlichkeiten der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule und ein anderes Mal am Standort der IRPA. Neben Inputs durch Lehrende steht der Austausch zwischen den Studierenden im Vordergrund.47 Eine weitere Besonderheit der KPH ist die ökumenische Hochschulpastoral. Dieser Dienst wird im Auftrag des Rektorats von einem gemischt-konfessionellen Pastoralteam aus katholischen SeelsorgerInnen (davon ein Priester) und je einer evangelischen Pfarrerin und einem orthodoxen Priester wahrgenommen, die auch Lehrende der Hochschule sind. Kritisch ist hier zu vermerken, dass die mit den wöchentlich abgehaltenen Kurzandachten angebotene explizite Spiritualität in der allgemeinen LehrerInnenbildung kaum wurzelt. Sie wird von den Studierenden tendenziell der ReligionslehrerInnen-Ausbildung zugeschrieben (siehe dazu die Analysen bei Strutzenberger 2014).

5 Ökumenisches Lernen in den interkonfessionellen Modulen der Ausbildung von ReligionslehrerInnen – Ausgewählte Ergebnisse einer Evaluationsstudie Wie bereits dargelegt, ist die ökumenische Konzeption der KPH Wien/Krems eines der Alleinstellungsmerkmale dieser Bildungsinstitution. Das Institut der ReligionslehrerInnenausbildung (R-Institut) kann in dieser Hinsicht als Kernstück der Hochschule gesehen werden, in der die interkonfessionelle Begegnung auch tatsächlich gelernt und gelebt wird. Nachstehend werden ausgewählte Ergebnisse einer Evaluationsforschung vorgestellt, die sich mit Studierendenmeinungen zu konfessionell-kooperativ konzipierten Lehrveranstaltungen beschäftigt. Bevor die Aussagen der Stu­die­ ren­den teilweise zusammenfassend, teilweise in O-Ton zur Sprache kommen, 46 Der »Private Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen« ist eine von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich getragene und durch das Hochschulgesetz 2005 für Pädagogische Hochschulen anerkannte (HSG 2005 § 1 (2); § 4) Ausbildungseinrichtung, siehe: www.irpa.ac.at/beta/index.php (9. 12. 2013). 47 Näheres dazu wird in den Beiträgen von Garcia Sobreira-Majer und Shakir in diesem Band ausgeführt. Siehe auch die Beiträge in Krobath/Ritzer 2014.

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wird hinführend auf curriculare Voraussetzungen und die Fragestellung der zugrundeliegenden Studie eingegangen.48 5.1 Vorbemerkung zur Ausbildung von ReligionslehrerInnen an der KPH Wien/Krems Für die Ausbildung zum Religionslehrer/zur Religionslehrerin werden an der KPH Wien/Krems zwei Varianten angeboten. Die Kurzform dauert sechs Semester und die berufsbegleitende Langform ist auf neun Semester angelegt. Innerhalb der angebotenen Module kann – was die Zusammensetzung der Studierenden betrifft – zwischen drei Bereichen unterschieden werden: In den humanwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen werden die Studierenden der unterschiedlichen Konfessionen meist gemeinsam unterrichtet. Diese Lehrveranstaltungen werden von einer einzelnen Lehrperson verantwortet, ohne dass deren Konfessionalität ausschlaggebend für die Erteilung des Unterrichts wäre. Die konfessionell gebundenen theologischen Lehrveranstaltungen werden konfessionell getrennt angeboten und die interkonfessionellen Module bzw. Lehrveranstaltungen werden im Teamteaching von zwei bzw. drei Lehrenden geleitet, die sich ökumenisch aus evangelischen, orthodoxen und katholischen LehrveranstaltungsleiterInnen zusammensetzen.49 In der Folge geht es ausschließlich um jene Lehrveranstaltungen, die konfessionell-kooperativ konzipiert sind. Dies sind Lehrveranstaltungen der Module »Religion wahrnehmen  – deuten  – erschließen«, »Persönlichkeitsbildung und interkonfessionelles Lernen«, »Interkulturelles und interreligiöses Lernen«, »LehrerInnenprofessionalisierung zwischen Kreativität und Leistungskultur«, »Konfessionelle Kooperation im Kontext religionspädagogischer und didaktischer Theoriebildung«, »Aufwachsen in einer globalisierten Welt« und »Einführung in Theorie und Praxis von Schulentwicklung«.50 5.2 Theoretische Vorannahmen und Fragestellung Die methodische Ausrichtung des Unterrichts in der LehrerInnenausbildung folgt den gleichen Grundsätzen, wie diese für konfessionell kooperativen Unter48 Ausführlicher dargestellt in Ritzer u. a. 2014. 49 Im Studienjahr 2012/13 waren von den 264 Studierenden des R-Institutes (= Religions­lehrer­ Innenausbildung) 62 % katholisch, 20 % evangelisch und 17 % orthodox. 50 Die Curricula der Ausbildung zum Religionslehrer/zur Religionslehrerin an der KPH Wien/ Krems sind zu finden unter: www.kphvie.ac.at/ausbildungstudium/ausbildung-religion.html (7. 12. 2013).

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richt an den Schulen formuliert sind.51 Die Vielzahl curricular formulierter Kompetenzen, wurde auf dem Hintergrund eines religionspädagogischen Kompetenzmodells für ReligionslehrerInnen analysiert. Dieses Kompetenzmodell differenziert auf der materialen Ebene zwischen pädagogischer Kompetenz, ethischer Kompetenz, der Fähigkeit mit Kontingenz umzugehen und Pluralitätskompetenzen. Letztere war Thema der empirischen Untersuchung. Auf der formalen Ebene differenziert das angesprochene Modell zwischen Interesse, Wissen und der Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung (Interrelation).52 Die Zentralität der Pluralitätskompetenz zeigt sich, wenn z. B. Dominik Helbling in seiner Dissertation »Religiöse Kompetenz […] als selbst bestimmte Handlungsfähigkeit im Kontext religiöser Pluralität« versteht, womit verbunden ist »den eigenen religiösen Hintergrund (Religion, Religiosität, Kultur) sowie den von anderen bewusst und verantwortet wahrzunehmen, sich darin zu orientieren und sich mit anderen darüber zu verständigen«.53 Diese Kompetenz wird in der Begegnung mit anderen Konfessionen und Religionen, im Wissen über die Anderen und durch die Fähigkeit der Perspektivenübernahme gefördert. Ähnliches drückt Hans Mendl im interreligiösen Kontext aus, der fordert, dass »in Auseinandersetzung mit fremden religiösen Konstruktionen und unterstützt mit dem Deutungsangebot christlicher Tradition je eigene religiöse Spuren« 54 entwickelt werden. Auf dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen und den curricular formulierten Vorgaben, die für die ReligionslehrerInnenausbildung verbindlich sind, wurden folgende drei Fragestellungen formuliert: 1. Finden Studierende ihre eigene Spiritualität in der Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen? 2. Entwickeln Studierende eine anerkennende Haltung zu den anderen Konfessionen? 3. Erkennen Studierende die Chancen konfessioneller Kooperation im Unterricht und können sie einen solchen durchführen? Nachdem in der Folge kurz auf die Untersuchungsmethode eingegangen wird, werden ausschließlich Ergebnisse zur zweiten Fragestellung präsentiert.

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Siehe Jäggle 2006, 31–42. Siehe Ritzer 2010, 416–423. Helbling 2010, 113. Mendl 2005, 45.

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5.3 Methodisches Die gesamte Untersuchung zur Evaluierung der konfessionell-kooperativen Module der KPH Wien/Krems war mehrperspektivisch angelegt. Es wurden mittels halbstrukturierter Interviews Lehrende in Form einer Fremdeinschätzung gefragt, wie sie die Pluralitätskompetenz in der hier vorgestellten Form bei den Studierenden realisiert sehen. Auf diese Interviews wird im vorliegenden Beitrag nur am Rande eingegangen. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Gruppengesprächen, die mit den konfessionellen Realgruppen durchgeführt wurden.55 Hierbei wurden alle 26 Studierenden des Abschlusssemesters 2010/11 in die Untersuchung einbezogen. Anzumerken ist noch, dass die Studierenden des befragten Semesters die ersten waren, die das Curriculum durchlaufen haben. Die Absolvierung einiger Module lagen bei der Befragung bereits drei Jahre zurück. Die gewonnenen Daten wurden in Anlehnung an die kategorisierende Methode der Grounded Theory, wie sie Strauss, Anselm L. und Corbin Juliet vorschlagen,56 analysiert. 5.4 Entwickeln Studierende eine anerkennende Haltung zu den anderen Konfessionen? Auf die Frage, ob Studierende eine anerkennende Haltung zu den anderen Konfessionen entwickeln, kommt häufig die Antwort, dass eine Haltung der Anerkennung bereits vor dem Beginn des Studiums gegeben war: »Anerkennende Haltung konnte ich jetzt mehr oder weniger entwickeln, aber das hab ich sowieso, da brauch ich kein Extramodul.«57 So wird von den Studierenden vermutet, dass eine Haltung der gegenseitigen Wertschätzung in der Primärsozialisation grundgelegt ist: »Für mich persönlich ist es im Vorhinein so eine Haltung, die man mitbringen muss, dass man nicht unbedingt alles erlernen kann […] es ist schon etwas Erzieherisches für mich persönlich.« Jedoch auch bei Studierenden, die von sich sagten, dass sie eine Haltung der Anerkennung gegenüber anderen Konfessionen bereits vor dem Studium 55 Zu den Termini »Gruppengespräch« und »Realgruppe« siehe Porzelt 1999, 68. 56 Siehe Strauss/Corbin 1999. 57 Da – besonders bei den Interviews mit den Lehrenden – eine durchgehende Angabe der Belegstellen die Gefahr einer De-facto-Aufhebung der zugesicherten Anonymität darstellen würde, wurde auf die Angabe von Belegverweisen verzichtet. Diese Vorgangsweise ist auch durch die Methode der Grounded Theory gerechtfertigt, die das Datenmaterial von der individuellen Meinung zu entkoppeln und aufzubrechen versucht (siehe Strauss/Corbin 1999, 43).

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hatten, finden sich Aussagen, die als Indizien für eine (Weiter)entwicklung einer anerkennenden Haltung sprechen. ȤȤ Indizien für die Entwicklung anerkennender Haltung Studierende sprechen in den Interviews davon, dass sie sich innerlich gegenüber anderen Konfessionen geöffnet hätten, dass sich das Verständnis und die Wertschätzung gesteigert hätte, dass Vorurteile abgebaut worden wären und dass der Wunsch nach Einheit gewachsen sei. Den Studierenden ist im ökumenischen Dialog ein Anliegen, dass  Gemeinsamkeiten über die Unterschiede gestellt werden. »Die große Gemeinsamkeit ist die Bibel, der Glaube an Gott und Jesus Christus … Was anders ist, sind Nebensächlichkeiten«. Das gipfelt in folgender Aussage: »Es trennt uns so wenig, wenn ich mir überlege, dass sich alle Kirchen den Frieden auf die Fahnen schreiben, da frag ich mich, wie viele Jahre es noch dauern wird, bis endlich diese winzigen Unterschiede auch aufgelöst sind. Meine Vision, dass es ein Ende hat. Dass es im christlichen Bereich wieder eine Einheit gibt. Viele haben sich verabschiedet von dem Gedanken, aber ich noch nicht.«. Besonders durch die Möglichkeit von persönlichen Begegnungen war es einer Studierenden möglich offener zu werden: »Ich habe mich mehr geöffnet. Ich hatte noch konservative Einstellungen gehabt. Mir war wichtig, ich bin Evangelische, diese Abgrenzung, habe aber gemerkt, es ist in vielen Bereichen gar nicht so wichtig. Die gegenseitige Wertschätzung ist wichtiger zum Teil.« Besonders durch Wissensinhalte konnten nach Aussagen der Studierenden Vorurteile abgebaut werden. »Mich hat es gestärkt, ich verstehe jetzt viel besser, was für mich vorher fremd war. Ich habe es nur grob gewusst, Protestanten – Katholiken. Ich hab das Gefühl, dass eine Tür geöffnet ist und jetzt kann ich es besser sehen und verstehen.« Diese Interviewpassage leitet bereits über zum nächsten Abschnitt, der sich damit beschäftigt, wodurch die (Weiter) Entwicklung einer anerkennenden Haltung positiv beeinflusst wird. Hier wurde das Wissen angeführt, das auch in anderen Gesprächen als zentraler Faktor genannt wurde. ȤȤ Aneignung von Wissen, persönliche Begegnungen, liturgische Vollzüge und Vorbildlernen als zentrale Bereiche zur Entwicklung anerkennender Haltung Eine Studentin formuliert, dass das Wissen Übereinander hilft, das Gegenüber besser zu verstehen: »Ich weiß mehr und kann das eine oder andere besser verstehen und nachvollziehen.« Wissen wirkt Vorurteilen entgegen. So schlägt eine andere Studentin vor, das konfessionell kooperative Konzept auf andere Unterrichtsfächer auszudehnen: »Ich würde vorschlagen, dass man das auch auf der Theologie machen könnte, Konfessionen gemeinsam zu erarbeiten, damit diese Vorurteile verschwinden. Vorurteile entstehen, wenn

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man die anderen nicht kennt durch Ängste.« Die Veränderung durch das dazukommende Wissen wurde von den Studierenden am häufigsten wahrgenommen. In diesem Zusammenhang wurde einmal auch differenziert, dass Anerkennung eine andere Qualität bekomme, wenn sie mit dem Wissen über die Unterschiede geschieht. »Anerkennend kann ich denen gegenüber treten, aber anerkennend mit diesen Informationen wäre eine andere Haltung.« Ein Lerneffekt kann auch ein Wissen im sokratischen Sinn sein, dass Studierende erkennen, dass sie (zu) wenig wissen, so lautet ein Zitat: »Es hat sich etwas verändert bei mir. Dass wenn mich wer fragt, ich bewusst verweise, ich weiß es nicht … Dass ich vorsichtiger bin.« Wenn man konkret nach der Beschäftigung mit Inhalten fragt, die für ein gegenseitiges Verständnis wichtig waren, kommen folgende Antworten: »In den Sakramenten. Auch in der Theologie. Dogmen gibt es z. B. nicht in der evangelischen Kirche«. »Wir haben den Papst, die Hierarchie herunter, das gibt es bei den Evangelischen nicht.« »Vielleicht auch die Auslegung der Bibel, andere Interpretation« »dass die Evangelischen kein Kreuzzeichen machen, … dass eben Himmel und Engel bei den Orthodoxen ganz anders gesehen werden, als bei uns …« »Maria und der Papst« »Sakramente oder die Frage des Amtes … Zölibat«, »Aschermittwoch und die Heiligen«. Die Einschätzung, ob man genug über die Spezifika der Konfessionen gelernt hätte, ist unterschiedlich. So resümiert eine Studentin: »Ich glaube, wenn man mehr über den anderen weiß, desto weniger kann ich mir Gehirngespinste zusammen bilden. Ich glaube, das ist in den letzten drei Jahren entstanden, dass wir Bescheid wissen zum Großteil.« Eine andere Meinung lautet jedoch: »Ich wüsste nicht, dass wir Bibelstellen gelesen hätten, wie es die anderen auslegen.« »Ich hätte gern mehr Fakten gehabt von den anderen Konfessionen. Ein Basiswissen schaffen, was andere Konfessionen anlangt«. »Da schließe ich mich an. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind für mich auch zu wenig herausgekommen.« Mehrmals wird der Wunsch nach einem Basisskriptum zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden geäußert. Dabei scheuen die Studierenden nicht die Erarbeitung, sondern sie hätten gerne eine Übersicht: »Dieses Basisskriptum, es muss jetzt nicht ein vorgesetztes Skriptum sein, sondern gemeinsam erarbeitet.« Abgesehen von der Beschäftigung mit kognitiven Inhalten wurden weitere Bereiche genannt, die der Entwicklung anerkennender Haltungen zuträglich sind. Als ein zentrales Element wird die Möglichkeit der persönlichen Begegnung angeführt: »Man lernt die Person schätzen und mit ihr auch die Konfession.« In

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den Interviews kam der ganz konkrete Umgang mit einander zur Sprache: Hier wird mehrmals auf die sehr positive Art und Weise des Umgangs hingewiesen: »Es war nie ein Problem, diese Diversität. Es hat nie jemand irgendwen beleidigt.« »Es haben sich auch über die religiöse Gesinnung hinweg Freundschaften gebildet.« Positiv klingen auch Aussagen, wie »Wir wollten niemanden auf den Schlips treten.« »Soll jeder nach seiner Auffassung glücklich leben!«, auch wenn das eher nach Konfliktvermeidung klingt als nach Wertschätzung der Vielfalt. Trotz dieser eher positiven Einschätzung des sich gegenseitig Begegnens bleiben für einige Studierende Einschränkungen, deren Begründung wohl in gruppendynamischen Prozessen zu suchen sind: »Trotzdem hab ich das Gefühl, ganz angenähert haben wir uns nicht evangelisch – katholisch. Für mich ist es ganz deutlich, dass es einen evangelischen Kern gibt und einen katholischen.« Aus dem Interviewkontext wird klar, dass mit »Kern« eine Gruppe von Personen gemeint ist. Ein weiterer Bereich, der die Entwicklung anerkennender Haltungen unterstützt, sind gemeinsame liturgische Vollzüge und kirchenraumpädagogische Aktivitäten (wie das Besuchen von Kirchen der unterschiedlichen Konfessionen). »Was es auch gefördert hat, ist zu Mittag der Gottesdienst, wie die Orthodoxen den Gottesdienst gesehen haben oder die Evangelischen. Es waren alle gleichberechtigt, man hat das gesehen, dass das reibungslos funktioniert. Oft ist man runter gekommen [in die Kapelle – erg.], ohne dass man geschaut hat, was ist heute [Gottesdienst welcher Konfession – erg.], es war selbstverständlich«. Bei den berufsbegleitenden Kursen wird beklagt, dass es keine gemeinsamen Feiern gegeben hat. Dies steht mit dem oben beklagten Mangel an Begegnungen zwischen den Konfessionen in Zusammenhang: »Es hat keine gemeinsame Feier gegeben. Das hat mir sehr gefehlt. Wir wurden zwar ab und zu gemeinsam unterrichtet, aber wir haben nie gemeinsam gefeiert.« »Sogar in Gersthof selbst, wie wir gemeinsam waren, bei einem Modul, sogar da sind wir extra in einem Kirchenraum gestanden, da wir und die Evangelischen wo anders.« Die konfessionelle Kooperation wird nicht als gänzlich konfliktfrei beschrieben, so klagen zwei Studierende darüber, dass die Bereitschaft des sich Öffnens hin zu anderen Konfessionen nicht von allen Beteiligten in gleicher Weise gegeben war. Zwei Studierende machen dies konfessionsspezifisch fest und beklagen, dass KollegInnen sich in ihrer eigenen Muttersprache (nicht Deutsch) unterhalten. In den berufsbegleitenden Kursen wird mehrmals bedauert, dass es zu wenig Austauschmöglichkeiten gab. »Es war zu wenig Austausch da. Die Tiefe hat gefehlt. Und wenn es gemeinsame Veranstaltungen gab, blieb man in Pausengesprächen oft innerhalb der konfessionellen Gruppen.«

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Wirft man einen kurzen Blick auf die acht Einzelinterviews mit in den Modulen Lehrenden, so decken sich deren Einschätzungen mit den Erfahrungen der Studierenden, dass sowohl Wissen, als auch die persönlichen Begegnungen zwischen den Studierenden unterschiedlicher Konfessionen für die Entwicklung anerkennender Haltungen zentral sind. Wenngleich die Lehrenden den Modulen deutlich mehr persönliches Entwicklungspotential zuschreiben als die Studierenden. Einig sind sich Studierende und Lehrende, dass die Art und Weise, wie sich die Lehrenden in den Lehrveranstaltungen begegnen, auch auf den Lernertrag auswirkt. So formuliert eine Studentin: »Ich glaube, man hat auch den Respekt gelernt bei den Professoren, weil die immer respektvoll mit einander umgegangen sind. Wenn sie etwas über die anderen Konfession gesagt haben, dann nicht ohne Rücksprache.« Diese Vorbildwirkung scheint den Lehrenden bewusst zu sein: »Es hängt auch davon ab, wie die Lehrenden miteinander umgehen, das merken die Studierenden. Es hat wenig Sinn, wenn wir […] ›ausgeklügelte‹ Modelle präsentieren und die Studierenden das Gefühl haben, dass wir […] nichts miteinander zu tun haben. Es hängt schon stark ab von der Haltung der Lehrenden«.

6 Zusammenfassung und Ausblick Die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems wurde hier als eine Frucht der gewachsenen ökumenischen Beziehungen in Österreich (speziell im Großraum Wien) vorgestellt. Ob sie eines Tages »so etwas wie eine reife Frucht gewachsener ökumenischer Beziehungen und gegenseitiger Öffnung«58 darstellen wird, bleibt eine spannende Frage. Martin Jäggle gab der KPH als Gründungsvision die »europäische christliche Zukunftswerkstatt« oder »Zukunftsbaustelle«59 mit auf den Weg. Auf dieser Baustelle ist einiges voran gegangen. Als zweitgrößte Pädagogische Hochschule Österreichs hat sich die KPH für die bevorstehenden Neuerungen in der LehrerInnenbildung gut aufgestellt. Zugleich ist die Pionierphase vorüber und es gilt, die Konzepte der KPH weiterzuentwickeln. Es taucht immer wieder die Frage auf, was denn das Proprium einer christlichen LehrerInnenausbildung sei. (Wie) Unterscheiden sich Studierende kirch58 Rahner (2014, 5) zum Projekt eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, Hervorhebung durch die Verfasser. 59 Jäggle 2014, 35.

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lich verantworteter Hochschulen von Studierenden anderer Hochschulen? Hierzu gibt es erste konzeptionelle Ansätze, die sowohl theoretisch als auch empirisch weiter zu verfolgen sind. Eine zentrale Aufgabe christlicher LehrerInnenausbildung ist, für Religion zu sensibilisieren – in der Differenz zwischen religiös und nicht religiös, in der Differenz verschiedener Konfessionen und Religionen, in der Differenz innerhalb der jeweiligen Bezugsreligionen und Konfessionen, identitätsfördernd und offen für das Andere. Die Evaluationsergebnisse konfessionell-kooperativer Lehrveranstaltungen geben Mut. Sie sprechen für einen Ausbau der Kooperationsformen. Dies betrifft nicht nur die Kooperationen zwischen den Konfessionen, sondern geht hinaus in Richtung anderer Religionen. Hohe Ansprüche führen schnell in die Glaubwürdigkeitsfalle, besonders bei kirchlichen Einrichtungen. Sie werden heute strenger an ihren eigenen Maßstäben gemessen und können nur durch erstklassige Qualität überzeugen. Dafür müssen die Ansprüche einerseits realistisch präzisiert und differenziert werden. Andererseits müssen sie in ihrer Umsetzung präzise beobachtet werden.

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LehrerInnenbildung im Kontext religiöser Pluralität

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Eine

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Evaluierung an der KPH Wien/Krems, in: Krobath, Thomas/Ritzer, Georg (Hg.), Ausbildung von ReligionslehrerInnen: konfessionell-kooperativ-interreligiös-pluralitätsfähig, Wien-Berlin, S. 133–153 Zerfaß, Ralf (1992): Lebensnerv Caritas. Helfer brauchen Rückhalt, Freiburg i. Br.

»Auch sie sind gläubige Menschen.« Anerkennung lernen in interreligiösen Begegnungen Amena Shakir

1 Intra- und interreligiöse Begegnungen Beim Herausgehen aus dem Gebäude unseres Hochschulstudiengangs kam ein orthodoxer Student schnellen Schrittes auf mich zu und verabschiedete sich mit folgenden Worten: »Ich danke Ihnen sehr, dass ich heute Ihr Gast sein durfte – mein Professor weiß, dass es mich sehr große Überwindung gekostet hat, hierher zu kommen. Ich wollte ursprünglich nicht an dieser Begegnung teilnehmen. Aber nun muss ich sagen, dass ich dankbar bin dafür, dass ich muslimische Studierende kennen lernen konnte, denn ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass auch sie gläubige Menschen sind. Und dies hat mein Herz sehr beruhigt.«

Diese Begegnung mit dem aus Serbien stammenden angehenden orthodoxen Religionslehrer hat mich sehr überrascht – und gleichzeitig in meiner Arbeit bestätigt. Er hat in wenigen Worten das Ziel unseres Studienprojektes1 in recht emotionaler Weise ausgedrückt und betont, dass unser Weg der gezielten, reflektierten und begleiteten Begegnung ein richtiger und erfolgreicher Weg ist. In unserer Lehrveranstaltung, die nun schon im fünften Jahr stattfindet und inzwischen eine Zusammenkunft in den Räumlichkeiten der KPH Wien/ Krems und eine weitere in denen der IRPA2 umfasst, erleben wir als beteiligte Lehrende immer wieder den greifbaren Nutzen dieser Begegnungen und den fast unmittelbaren Wissens- und Erkenntnisgewinn unserer Studierenden. Beide Institutionen bilden Religionslehrerinnen und Religionslehrer für den Pflichtschulbereich aus – und in beiden Institutionen wird neben dem Vollzeitstudium ein berufsbegleitendes Studium angeboten, so dass auch Lehrerinnen und Lehrer in ganz Österreich qualifiziert werden. 1 2

Zur Theorie und Praxis dieses interreligiösen Begegnungslernens siehe den folgenden Beitrag von Garcia Sobreira-Majer. KPH (Kirchliche Pädagogische Hochschule) Wien/Krems, IRPA (ehemals Islamische Religionspädagogische Akademie, nun: Privater Hochschulstudiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen).

»Auch sie sind gläubige Menschen.«

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Ähnlich wie die KPH Wien/Krems, die interkonfessionell konzipiert ist und Religionslehrerinnen und Religionslehrer für mehrere christliche Konfessionen ausbildet, hat die IRPA eine deutlich integrative Wirkung im innerislamischen Kontext, einerseits da die vier sunnitischen Rechtsschulen wie auch die schiitische sowohl in der Lehre als auch im Lehrpersonal berücksichtigt sind, andererseits in Folge der Bezugnahme auf Österreich als Lebensmittelpunkt aller dort Wirkender sowie der Vermittlung aller Lehrgegenstände in deutscher Sprache. Intrareligiöse und interkulturelle Begegnungen gehören damit (in bewusster wie in unbewusster Form) zum Alltag der IRPA, während eine interreligiöse Begegnung in erster Linie in der Kooperation mit der KPH Wien/ Krems und der hier dargestellten Begegnung, darüber hinaus in Exkursionen und Führungen in Stephansdom und Synagoge, stattfindet. Es erfolgt demnach zunächst im intrareligiösen Bereich eine Begegnung, ein Kennenlernen und ein gegenseitiges Anerkennen und Verstehen, welches zulässt, dass die eigene Kultur, das eigene Verständnis angenommen werden und dabei dem Anderen zugestanden wird, auch kritische Fragen zu stellen bzw. Antworten zu hinterfragen, bevor dies (in institutionalisierter Weise) im interreligiösen Rahmen erfolgt. Begründet wird die Bemühung um interreligiöse Begegnung ursprünglich theologisch – abgeleitet etwa aus den Versen 29/463 und ähnlichen Versen (2/139; 16/125 u. a.), welche einerseits die Notwendigkeit des Dialoges zwischen den Anhängern unterschiedlicher Religionen betonen, andererseits die Verantwortlichkeit eines jeden Menschen für sein eigenes Leben und seine darauf aufbauende uneingeschränkte Religionsfreiheit garantieren. Diese theoretische Fundierung führte zur Verankerung des interreligiösen Dialogs im Curriculum der IRPA: Zu den zu vermittelnden Kernkompetenzen zukünftiger islamischer Religionslehrerinnen und Religionslehrer zählt die interreligiöse Kompetenz, die sich u. a. darin äußern sollte, dass islamische Religionslehrerinnen und Religionslehrer »Religionen im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses wahrnehmen« und Gemeinsamkeiten und Unterschiede auch theologisch reflektieren.4 Darüber hinaus wird der interreligiöse Dialog von muslimischen Denkern, wie etwa von Abdoljavad Falaturi, als Motor jeglicher menschlicher Entwicklung betrachtet: 3

»Und streitet nicht mit den Anhängern früherer Offenbarung anders als auf die gütigste Weise – außer es seien solche von ihnen, die auf Übeltun aus sind – und sagt: ›Wir glauben an das, was uns von droben erteilt worden ist, wie auch an das, was euch erteilt worden ist: denn unser Gott und euer Gott ist ein und derselbe, und Ihm ergeben wir (alle) uns.‹« (29/46, übersetzt nach Asad 2009). 4 Curriculum der IPRA 2013, 19.

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»Jeder epochemachenden Neuerung und einer dementsprechenden Entwicklung der beiden Kulturen ist stets eine Begegnung mit einer fremden Kultur vorausgegangen, ungeachtet der Tatsache, ob die sich begegnenden Kulturen ihrem Wesen nach übereinstimmten oder nicht.«5

Begegnungen, die in einem institutionellen und doch recht formal geprägten Rahmen stattfinden, sollten sich möglichst von zufälligen und alltäglichen interreligiösen bzw. interkulturellen Begegnungen qualitativ deutlich unterscheiden, sie sollten im Kontext einer z. B. von Lähnemann (2009) geforderten innovativen Lehrerausbildung eine bedeutende Erfahrung darstellen und einen kontinuierlichen Lernprozess mit allen Sinnen in Gang setzen, indem sie ȤȤ bewusst und gezielt organisiert werden (fruchtbar wird Dialog, wenn »die jeweiligen Kulturträger sich bewusst mit der übernommenen Kultur auseinandergesetzt und das Beste daraus gewonnen haben«6; ȤȤ begleitet werden (Rückfragen und Vergewisserung müssen zulässig, möglich und auch erwünscht sein); sie müssen anschließend ȤȤ reflektiert werden (ein Nachdenken über die erfolgte Begegnung und der Transfer des Erfahrenen in mögliche zukünftige Zusammenhänge). 1.1 Gezielte interreligiöse Begegnung Die interreligiöse Begegnung muss – soll sie einen nachhaltigen Lernprozess in Gang setzen, genau wie ein nachhaltiger Unterricht gut inszeniert7 werden, d. h. es sollte eine sorgfältige Planung stattfinden. Das umfasst einerseits die inhaltliche Vorbereitung, so dass die beteiligten Lehrenden einerseits zu behandelnde Themen festlegen und ev. einen Input oder geeignete Literaturvorschläge vorbereiten. Andererseits sollten auch die Studierenden sich nach Möglichkeit im Vorhinein mit der Begegnung auseinandersetzen, mögliche (auch kritische) Fragestellungen formulieren und ihre Erwartungen an den Austausch schriftlich festhalten. 1.2 Begleitung der Begegnung Die Studierenden sollten in ihrer Begegnung begleitet werden, so dass mögliche Sorgen oder Ängste unmittelbar abgebaut werden können. Indem Rückfragen und Vergewisserungen zulässig und sogar erwünscht sind, werden bestehende Hemmschwellen in der tatsächlichen Auseinandersetzung während 5 Falaturi 1992, 58. 6 Falaturi 1992, 58. 7 Zum Begriff der Inszenierung vgl. Meyer 2002, 109.

»Auch sie sind gläubige Menschen.«

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der Begegnung niedrig gehalten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass eine Begegnung der Form nach zwar stattfindet, die innere Verschlossenheit und Distanz der teilnehmenden Personen aber keine echte Begegnung des Geistes und der Emotionen zulässt. 1.3 Reflexion Damit ein nachhaltiger Lernprozess in Gang gesetzt werden kann, bedarf es der Reflexion über die Begegnung – auch hier wieder wie in den vergangenen Phasen durchaus (selbst-)kritisch. Ohne – auch schriftliche – Reflexion kann keine Vertiefung der Auseinandersetzung erfolgen. Diese Reflexion sollte dann in einem gemeinsamen Plenum besprochen und mögliche zukünftige Handlungsfelder für interreligiöses Lernen eröffnet werden. Besonders der letzte Schritt rückt die Nachhaltigkeit des Lernprozesses in das Zentrum der Begegnung.

2 Lernen durch Begegnung Insgesamt kann aus dem gemeinsamen interreligiösen Projekt der KPH-Wien/ Krems und IRPA, welches seit zwei Jahren auch wissenschaftlich evaluiert wird,8 Lernen durch Begegnung folgendermaßen definiert werden. Lernen durch Begegnung heißt: 2.1 Lernen aus erster Hand/Lernen von der Quelle Gerade in Bezug auf Lernen über Religion kann festgehalten werden, dass das direkte Lernen aus erster Hand und mit Belegen, die den grundlegenden Quellen zu entnehmen sind, viel aussagekräftiger und wirkungsvoller ist als das Lernen rein aus textlichen Quellen. Die von Ziebertz als zentrale Grundlage interreligiösen Lernens betrachtete Fähigkeit zum Perspektivwechsel stellt (wenn die persönliche Bereitschaft für die Begegnung mit dem Anderen vorhanden ist) eine logische Folge der persönlichen Begegnung dar. 2.2 Lernen mit allen Sinnen (Kopf, Herz, Hand) In der direkten, persönlichen Begegnung kommt nicht nur ein theoretisches Verständnis von Religion zum Ausdruck, vielmehr erfolgt in natürlicher Weise aus 8 Vgl. Abuzahra/Garcia Sobreira-Majer/Hafez/Ritzer 2014.

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der Situation heraus ein Lernen mit allen Sinnen, unter bewusster Einlassung auf Emotionen und Gefühle. Dies wurde in unserem Projekt sichtbar in einer gegenseitigen Einladung zu einem kleinen Buffet, welches die Studierenden selber gestaltet hatten und in welchem sie sich z. B. ganz selbstverständlich Kenntnisse über Essensvorschriften und Essensregeln aneigneten, aber auch Wissen über religiöse Riten: Es bestand für die Studierenden der IRPA die Möglichkeit, einen christlichen Gottesdienst zu erleben, während die Besucher der KPH ein muslimisches Mittagsgebet erleben konnten. 2.3 Nachhaltiges Lernen – Lernen fürs Leben Für viele Studierende stellte die Begegnung den ersten Austausch und das erste Gespräch mit einer Muslimin, einem Muslim bzw. mit einer Christin oder einem Christen über die jeweils eigene Religion dar. Was in dieser persönlichen Begegnung wahrgenommen und gelernt wurde, ist wesentlich nachhaltiger als jegliche nur intellektuelle Auseinandersetzung mit Texten. Deutlich wurde dies in der Forderung einiger Studierender, doch gemeinsame Unterrichtsprojekte für die Zukunft zu planen – ein sicheres Zeichen dafür, das Berührungsängste wohl abgebaut werden konnten. 2.4 Ein Muss für die lebenswerte Schule9 Soll Schule nicht nur die Vermittlung abstrakten Wissens anstreben, sondern zu einer lebenswerten Schule werden, in der unterschiedliche Menschen einander begegnen, miteinander diskutieren und einander wertschätzen – nicht aufgrund erbrachter Leistungen oder angeborener Zugehörigkeiten, auch nicht aufgrund von Einstellungen und Haltungen, sondern einfach infolge ihrer menschlichen Würde, dann ist es unerlässlich, dass sich die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer auf unterschiedlichen Ebenen ihrer Persönlichkeit begegnen: nicht nur auf der Ebene ihres Schüler- bzw. Lehrerdaseins, sondern mit ihren persönlichen Einstellungen, ihren Vorlieben, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihren (Sprach-)Kenntnissen, ihren Wünschen und Hoffnungen – und selbstverständlich auch mit ihren religiösen Bekenntnissen und Nichtbekenntnissen.

9 Vgl. die Initiative lebens.werte.schule, www.lebenwerteschule.univie.ac.at, die vom katholischen Theologen Martin Jäggle ins Leben gerufen wurde.

»Auch sie sind gläubige Menschen.«

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2.5 Die beste Vorbereitung für das »echte Leben« Unsere Welt ist nicht mehr zu denken ohne die Folgen der Globalisierung und der »Verbuntung«10: Es führt kein Weg mehr vorbei an der alltäglichen und rein zufälligen Begegnung mit fremden Menschen – wie ihr Fremdsein auch definiert sein mag. Je mehr gezielte und reflektierte Begegnungen stattfinden, desto besser das gegenseitige Verständnis füreinander. Findet in der Schule gezielte, begleitete und reflektierte interreligiöse Begegnung auf gleicher Augenhöhe statt, dann sind die Schülerinnen und Schüler bestens vorbereitet auf das »echte« Leben: auf das aktive, konstruktive Gestalten (in) einer pluralen, multireligiösen Gesellschaft. In diesem Sinne möchte ich meine Überlegungen mit einem Zitat von Prof. Abdoljavad Falaturi, der bekannt war für sein außerordentliches En­ga­ ge­ment im interreligiösen Dialog, abschließen: »Zweifelsfrei bildet das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden und in diesem Sinne die Bewahrung und der Schutz der Rechte der Menschen den Kern der Botschaft der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam. Dieser Wert bleibt unberührt, selbst dann, wenn er immer wieder von Anhängern jeder dieser Religionen verletzt wurde. Es ist die Aufgabe der heutigen Generation von verantwortungsbewussten Juden, Christen und Muslimen, sich gegenseitig im Sinn der Verwirklichung der Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt zu bestärken, anstatt die Verletzung dieser Kardinalwerte zum Anlass für neue Streitigkeiten zu nehmen. Ansätze für diese gemeinsame Verantwortung gibt es zahlreiche in den Schriften der Religionen. Es gibt keinen Frieden in der Welt, ohne den bewussten Einsatz der Anhänger der großen Religionen für den Weltfrieden.« Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Literatur Abuzahra, Amani/Garcia Sobreira-Majer, Alfred/Hafez, Farid/Ritzer, Georg (im Druck): Interreligiöses Lernen in der ReligionslehrerInnen-Ausbildung  – Evaluation von christlichislamischen Studierendenbegegnungen an der KPH Wien/Krems und der IRPA Asad, Muhammad (2009): Die Botschaft des Koran. Düsseldorf Baumann, Ulrike (2009): Gottesglaube und interreligiöses Lernen, in: Ulrike Baumann u. a. (Hg.): Religionsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin, S. 96–116 Curriculum des Privaten Hochschulstudienganges für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen 2013 (hier zitiert nach: http://www.irpa.ac.at/sekretariat/Rechtliches/ Curriculum%202013.pdf, zuletzt abgerufen am 11. Dezember 2013) 10 Zum Begriff »Verbuntung« vgl. Zulehner und seine empirischen Studien zum religiösen Leben in Österreich: Zulehner 2011.

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Falaturi, Abdoljavad (1992): Der Islam im Dialog. Köln: Islamische Wissenschaftliche Akademie Garcia Sobreira-Majer, Alfred: Interreligiöses Lernen durch Begegnung. Erfahrungen in der ReligionslehrerInnen-Ausbildung an der KPH Wien/Krems und an der IRPA und einige Grund-Sätze zu interreligiösen Begegnungen (in diesem Band) Lähnemann, Johannes (2006): Interreligiöses Lernen: Islam, in: Gottfried Bitter, Rudolf Englert, Gabriele Miller und Karl Ernst Nipkow (Hg.): Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe. München, S. 283–287 Meyer, Hilbert (2002): Unterrichtsmethoden, in: Hanna Kiper/Hilbert Meyer/Wilhelm Topsch (Hg.): Einführung in die Schulpädagogik. Berlin, S. 109–121 Sajak, Clauß Peter (2008): Interreligiöses Lernen an Zeugnissen fremder Religionen, in: Ludwig Rendle (Hg.): Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht. München, S. 342–351 Stöger, Peter (2004): Interreligiöser Dialog in Zeiten der Globalisierung und des Fundamentalismus. In: Peter Graf (Hg.): Der Islam im Westen – der Westen im Islam. Positionen zur religiösethischen Erziehung von Muslimen. Göttingen, S. 149–162 Tosun, Cemal (2004): Islamischer Religionsunterricht in interkultureller und interreligiöser Perspektive, in: Peter Graf (Hg.): Der Islam im Westen – der Westen im Islam. Positionen zur religiös-ethischen Erziehung von Muslimen. Göttingen: V&R unipress, S. 113–131 Ziebertz, Hans-Georg/Leimgruber, Stefan (2010): Interreligiöses Lernen, in: Georg Hilger, Stephan Leimgruber, Hans-Georg Ziebertz (Hg.): Religionsdidaktik. München, S. 462–471 Zulehner, Paul (2011): Verbuntung. Kirchen im weltanschaulichen Pluralismus. Ostfildern

»Das Kennenlernen des Fremden baut Vorurteile ab« Interreligiöse Studierenden-Begegnungen an der KPH Wien/Krems und der IRPA1 Alfred Garcia Sobreira-Majer

Seit der Eröffnung der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH Wien/Krems) im Studienjahr 2007/08 gibt es im Rahmen der ReligionslehrerInnen-Ausbildung Begegnungen der Studierenden der KPH mit Stu­die­ ren­den des Privaten Studiengangs für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen (IRPA). Nach ihrem ersten Anfang im November 2007 sind sie Schritt für Schritt weiterentwickelt worden und bilden einen festen Bestandteil im Lehrangebot. Ab dem WS 2012/13 werden sie auch in Kooperation mit der IRPA im Rahmen eines Forschungsprojekts evaluiert. Die Begegnungen finden an der KPH im Rahmen des Moduls »Interreligiöses und interkulturelles Lernen« im 2. Studienabschnitt statt. Es hat zum Ziel, dass die Studierenden befähigt werden, in ihrem zukünftigen Berufsfeld als ReligionslehrerInnen interreligiöse Lernprozesse im Unterricht zu ermöglichen und für die Gestaltung von religiösen Feiern und Veranstaltungen unter Beteiligung mehrerer Religionsgemeinschaften kompetent zu sein. Im Mittelpunkt jeder Begegnung, die heute als »Königsweg« interreligiösen Lernens gilt (Leimgruber 2007, 101 f.), stehen Gespräche in gemischt-religiösen Kleingruppen. Dazu kommen Referate zu theologischen Fragen aus christlicher und aus islamischer Perspektive, Plenumsdiskussionen und – last, but not least – informelle Gespräche beim Buffet. Auf besonderes Interesse stieß auch die Möglichkeit der »teilnehmenden Beobachtung« eines islamischen Mittagsgebets bzw. einer katholischen Messe.

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Dieser Artikel versteht sich als ein Rückblick aus der Perspektive der KPH auf die Studierendenbegegnungen seit 2007/08. Die Perspektive der IRPA ist im vorstehenden Beitrag von Amena Shakir dargestellt. Genaueres zur Entwicklung und Konzeption des Projektes ist nachzulesen in: Garcia Sobreira-Majer, Alfred (2015): Interreligiöses Lernen durch Begegnung. Erfahrungen in der ReligionslehrerInnen-Ausbildung an der KPH Wien/Krems und an der IRPA und einige Grund-Sätze zu interreligiösen Begegnungen.

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1 Grund-Sätze für die interreligiöse Begegnung Zur Vorbereitung auf die Begegnungen haben sich die Studierenden mit Regeln für interreligiöse Begegnungen und Zielen des Dialogs beschäftigt.2 Dazu sind besonders folgende Aspekte zu nennen:3 ȤȤ Verstehen lernen: Das wichtigste Ziel von interreligiösen Begegnungen ist das Verstehenlernen. Es geht darum die Angehörigen der anderen Religion in ihrer Glaubenshaltung, religiösen Praxis und Lebenswirklichkeit kennenzulernen und wahrzunehmen, wie sie ihre Religion leben und was sie für ihre Motivation bedeutet. Verstehen meint hier, die anderen von ihren eigenen Voraussetzungen her zu verstehen und daher auf ihre Selbstexplikation zu hören. Verstehenlernen bedeutet aber nicht ein Einverständnis oder Teilen der Glaubenswahrheit der anderen. ȤȤ Aufeinander in Offenheit zugehen: Voraussetzung für Verstehen ist die Bereitschaft, sich auf das Anderssein der anderen einzulassen, in Offenheit aufeinander zuzugehen und sich – so weit als möglich – von vorgefassten Meinungen zu verabschieden. ȤȤ Einander anerkennen: Interreligiöse Begegnung kann nur auf derselben Augenhöhe geschehen, das heißt, sie ist nur unter Gleichgestellten möglich. Jede Haltung der Abwertung oder Überheblichkeit zerstört sie. Deshalb ist der gegenseitige Respekt gegenüber allen TeilnehmerInnen der Begegnung unabdingbare Voraussetzung. Das ist dann nicht leicht durchzuhalten, wenn man sich selbst mit seinen religiösen Einstellungen in Frage gestellt sieht: »Es ist gar nicht leicht tolerant zu sein, wenn man emotional ist«, bemerkte eine Studierende treffend. ȤȤ Nicht »missionieren« wollen: Verstehen-Wollen schließt »Missionierung« aus. Mit »Missionierung« ist hier (im Sinne eines überkommenen Missionsverständnisses) ein Reden gemeint, das den anderen die eigene Wahrheitsauffassung aufzwingen möchte und sie mit allen Mitteln der Überredung zur Annahme dieser Auffassung bewegen will. Es geht um eine argumentative »Überwältigung« der anderen, die meistens mit Abwertung und Polemik gegen deren Religion verbunden ist. ȤȤ Den eigenen Glauben verständlich machen: Der Verzicht auf »Missionierung« bedeutet nicht den Verzicht darauf, den eigenen Glauben zu bezeugen, d. h. ihn verständlich zu machen und zu zeigen, wie er für das eigene Leben und Selbstverständnis Relevanz hat und wie er in der (den) Kirche(n) gelebt 2 Vgl. Renz/Leimgruber (2005), Nipkow (2005a). 3 Siehe dazu ausführlich: Garcia Sobreira-Majer (2015).

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wird. Ohne Darstellung des eigenen religiösen Standpunktes ist interreligiöse Begegnung unmöglich. Es war gerade dieser Aspekt, durch den sich die Studierenden besonders herausgefordert gefühlt haben. ȤȤ Darüber hinaus ist zu beachten, dass man die Pluralität innerhalb der eigenen Religion nicht verschweigen darf, da es den einen Islam oder das eine Christentum nicht gibt und Differenzierungen notwendig sind. Das kann im Dialog auch Verwirrung stiften, wie sich vor allem im Zusammenhang mit den christlichen Konfessionen gezeigt hatte. ȤȤ Auch der kritische Blick auf die eigene Tradition ist nötig, damit nicht die Ideale der einen Religion mit der »schlechten« Praxis der anderen verglichen werden und umgekehrt. Nur kann diese Selbstkritik nicht von den anderen verlangt oder »eingeklagt« werden, weil sie zum Recht auf Selbstexplikation des Eigenen gehört und nur in einer Atmosphäre des Vertrauens wachsen kann.

2 Erste Forschungsergebnisse Im WS 2012/13 wurden die Begegnungen erstmals in Rahmen eines Forschungsprojektes der KPH und der IRPA genauer untersucht und es wurde geforscht, welche interreligiösen Kompetenzen dabei von den beteiligten christlichen und muslimischen Studierenden erworben wurden.4 In der methodischen Herangehensweise wurde eine additive Form der Triangulation gewählt. Dabei kam sowohl ein qualitatives (Gruppeninterviews) als auch ein quantitatives Verfahren (Fragebogenerhebung) zum Einsatz. Erste Ergebnisse liegen in der Zwischenzeit vor.5 2.1 Lernerfahrungen Die Begegnungen haben Lernerfahrungen bewirkt –sowohl bezüglich der anderen Religion als auch der eigenen. Das erworbene Wissen über die andere Religion bezieht sich auf konkrete Inhalte (z. B. Koran bzw. Bibel, Jenseitsvorstellungen, Bekleidungsvorschriften) und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Religionen. Das heißt, die jeweiligen Inhalte der anderen Religion werden zur eigenen in Beziehung gesetzt und auf Übereinstimmung und Differenz hin beleuchtet. So stellten die Studierenden z. B. fest, 4 Vgl. Garcia Sobreira-Majer/Abuzahra/Hafez/Ritzer (2014). 5 Siehe genau dazu: ebd.

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dass in der Bibel und im Koran zum Teil dieselben Personen genannt werden, sich aber ihre Deutung oft deutlich unterscheidet (Jesus, Abraham, Propheten). Nach ihrer eigenen Einschätzung erwerben sie ein differenziertes Bild von der anderen Religion, die sich ihnen als in sich plural darstellt. Dabei bereitet das Thema Einheit und konfessionelle Vielfalt im Christentum für die muslimischen Studierenden besondere Verständnisschwierigkeiten. Lernerfahrungen bezüglich der eigenen Religion werden gemacht, weil die Studierenden einerseits mit einem Blick von außen konfrontiert sind (und diesen auch zulassen) und weil sie andererseits ihren Glauben verständlich darstellen wollen. Das löst des Öfteren Verunsicherung aus, die aber auch als produktiv erlebt wird. Sie gibt den Anstoß, über die eigene Religion nachzudenken, sich über sie besser informieren und offene Fragen klären zu wollen. Das trägt zur eigenen religiösen Identitätsbildung bei – oder wie ein Originalzitat lautet: »Man kommt seinem Glauben näher.« Außerdem lernen die Studierenden bezüglich des interreligiösen Dialogs, dass Dialog bedeutet, sich auf andere Verstehensvoraussetzungen einzulassen, um die Inhalte der eigenen Religion verständlich zu machen. Sie lernen, dass man fremde Glaubensvorstellungen verstehend nachvollziehen kann, ohne sie selbst teilen zu müssen und dass das nicht zu Abwertung führen muss. 2.2 Interesse an der anderen Religion Mit dem erworbenen Wissen steigt auch das Interesse an der anderen Religion. Das Interesse nimmt nicht etwa ab, weil »man sowieso schon genug weiß«, sondern es nimmt zu, weil sich die andere Religion und ihre Mitglieder als interessant erwiesen haben. Die Begegnungstreffen selbst sind von den Studierenden einhellig als »interessant« qualifiziert worden, ja sie hätten sich noch mehr Zeit für ausführliche Gespräche gewünscht. Etliche nehmen sich vor, jetzt mehr über die andere Religion lesen zu wollen bzw. den Kontakt und den Austausch mit den andersreligiösen Studierenden weiterzupflegen. Die Begegnung fordert die christlichen und muslimischen Stu­die­ren­den zum Perspektivenwechsel bzw. zur Perspektivenübernahme her­aus und sie vollziehen das auch, ohne es oft explizit zu artikulieren.Das zeigt sich dort, wo Studierende nach den Verstehensvoraussetzungen der jeweils andersreligiösen Studierenden fragen und versuchen, sich darauf einzulassen und ihre Erklärungen darauf abzustimmen. Ebenso deutlich wird es in den Aussagen, die sich auf die Glaubensüberzeugungen und die Frömmigkeitspraxis der »anderen« beziehen und versuchen, diese verstehend nachzuvollziehen und sich empathisch in die andere »Glaubenswelt« hineinzuversetzen. Der

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Perspektivenwechsel ereignet sich darüber hinaus dort, wo ein Klischee von der jeweils anderen Religion einem differenzierteren Bild weicht oder wo es gelingt, zwischen religiöser und kultureller Tradition zu unterscheiden, wie mehrfach angesprochen wird. 2.3 Abbau von Klischees – Förderung von Respekt Die Studierenden nehmen sowohl bei sich selbst als auch bei ihren Gesprächs­ partnerInnen den Abbau von verzerrenden Klischees oder negativen Vorurteilen wahr und verstehen das als Voraussetzung für eine Haltung der Toleranz und des Respekts. Es wird öfters angesprochen, dass ein Abbau von Vorurteilen durch die Begegnung stattgefunden hat oder dass eine bestehende Skepsis überwunden wurde. Das begründen die Studierenden damit, dass in den Begegnungen eine geistige Nähe entstanden sei, die eine andere Sichtweise möglich gemacht habe. Als eine Äußerung für einige andere: »… wenn ich z. B. in Wien in der U-Bahn bin und ich sehe Mädchen mit Kopftüchern, die sehe ich jetzt ganz anders, es fällt mir viel mehr auf.« Andererseits hat einmal eine Studierende/ein Studierender den Eindruck, dass ihr/ihm bei seinem/ihrem Gegenüber Vorurteile begegnen. Zum Stichwort Toleranz äußern die Studierenden, dass durch die Begegnungen das Verständnis für die andere Religion und deren Mitglieder gewachsen sei und meinen, dass ein Mehr an solchen Begegnungen und Kontakten zur Vermeidung von Missverständnissen und Vorurteilen führen würde. In zwei Äußerungen wird deutlich, dass aus einer allgemeinen Toleranz im Sinne von Duldung jetzt eine anerkennende Toleranz als Folge von vertieftem Verständnis entstanden sei. Mit dem Rückblick darauf, was in diesen Begegnungen erfahren und gelernt wurde, scheint die Zuversicht berechtigt, dass die christlichen und muslimischen Studierenden hier Kompetenzen erworben haben, um in der Zukunft ihren SchülerInnen interreligiöses Lernen zu ermöglichen und es einen gegenseitigen Austausch und eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen römisch-katholischen, orthodoxen, evangelischen und muslimischen ReligionslehrerInnen geben kann.

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Literatur Baumann,Ulrike (2005): Interreligiöses Lernen in der Aus- und Fortbildung von Pädagoginnen und Pädagogen, in: Schreiner, Peter/Sieg, Ursula/Elsenbast, Volker (Hg.); Handbuch Interreligiöses Lernen. Eine Veröffentlichung des Comenius-Instituts, Gütersloh, S. 533–542 Garcia Sobreira-Majer, Alfred: Interreligiöses Lernen durch Begegnung. Erfahrungen in der ReligionslehrerInnen-Ausbildung an der KPH Wien/Krems und an der IRPA und einige Grund-Sätze zu interreligiösen Begegnungen. In: IRPA 2014 Garcia Sobreira-Majer, Alfred/Abuzahra, Amani/Hafez, Farid/Ritzer, Georg (2014): In­terreligiöses Lernen in Begegnung – Evaluation von Begegnungslernen in der Reli­gions­lehrer­In­nen­aus­ bildung, in: Krobath, Thomas/Ritzer, Georg (Hg.): Ausbildung von ReligionslehrerInnen. Konfessionell – kooperativ – interreligiös – pluralitätsfähig. Wien/Berlin, S. 155–184 Leimgruber, Stephan (2002): Die gesellschaftliche und religionspädagogische Bedeutung interreligiösen Lernens, in: Renz, Andreas/Leimgruber, Stephan (Hg.): Lernprozess Christen Muslime: Gesellschaftliche Kontexte – Theologische Grundlagen – Begegnungsfelder, Forum Religionspädagogik interkulturell 3, Münster, S. 5–16 Leimgruber, Stephan (2007): Interreligiöses Lernen, München Nipkow, Karl-Ernst (2005a): Ziele interreligiösen Lernens als mehrdimensionales Problem, in: Schreiner, Peter/Sieg,Ursula/Elsenbast, Volker (Hg.): Handbuch Interreligiöses Lernen. Eine Veröffentlichung des Comenius-Instituts, Gütersloh, S. 362–380 Nipkow, Karl-Ernst (2005b): Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert, Band 2: Christliche Pädagogik und Interreligiöses Lernen – Friedenserziehung – Religionsunterricht und Ethikunterricht, Gütersloh Renz, Andreas/Leimgruber, Stephan (2005): Christen und Muslime. Was sie verbindet – was sie unterscheidet, München Rickers, Folkert (2001): Art. Interreligiöses Lernen, in: Mette, Norbert/Rickers, Folkert (Hg.): Lexikon der Religionspädagogik. Band I, S. 874–881 Ziebertz, Hans-Georg (2002): Interreligiöses Lernen und die Pluralität der Religionen, in: Schweitzer, Friedrich/Englert, Rudolf/Schwab, Ulrich/Ziebertz, Hans-Georg (Hg.): Entwurf einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik, Gütersloh, S. 121–156

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Bildungsprozesse sind immer auch kontextuell bestimmt. Dies lässt sich lerntheoretisch gut aufzeigen. Alle Lebewesen müssen sich den Erfordernissen ihrer Umwelt anpassen, um überleben zu können. Diese Fähigkeit »zur dauerhaften Zustandsveränderung können wir als den allgemeinsten Begriff des Lernens festhalten«1. Deshalb spielt bei Lernprozessen die Auseinandersetzung in und mit der Umwelt eine grundlegende Rolle. Vor allem in konstruktivistischer Perspektive ist zu Recht betont worden, dass Lernen als Konstruktion von Wissen an einen räumlichen und sozialen Kontext gebunden ist. Lernende verarbeiten die ihnen gegebenen Informationen nie nur für sich, sondern immer »zusammen mit dem Kontext, aus dem diese Informationen stammen«2 und in dem sie in Anschlag gebracht werden sollen. Insofern sind Bildungsinhalte immer auch hinsichtlich der Kontexte zu profilieren, in denen sie zur Sprache gebracht werden. Das gilt auch für die hier interessierende Frage nach dem Verhältnis von Schule und Religion in der Pluralität. Insofern ist es unerlässlich, auch in der Frage der Lehrerbildung von vornherein die unterschiedlichen Ausprägungen religiöser Pluralität zu berücksichtigen. Ein Blick auf Sachsen-Anhalt als Beispiel eines Kontextes mehrheitlicher Konfessionslosigkeit kann helfen, die dabei zu berücksichtigenden Herausforderungen und Problemlagen zu erkennen und als Anregungen für die eigene Lehrerbildung zu verstehen. Dies soll in drei Schritten geschehen. An erster Stelle steht der Versuch, religiöse Pluralität in Ostdeutschland schlaglichtartig zu beschreiben. Danach soll es um die Herausforderungen im Feld der LehrerInnenbildung an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gehen. Auf dieser Grundlage werden abschließend Eckpunkte zur Profilierung einer LehrerInnenbildung im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit skizziert. 1 Treml/Becker 2010, 104. 2 Mietzel 2007, 50.

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1 Kontextuelle Gegebenheiten 1.1 Anders heterogen – religiöse Pluralität inmitten multipler Säkularitäten Auch im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit ist von einer religiösen Pluralität auszugehen. Allerdings ist sie anders akzentuiert, wie ein Blick auf Sachsen-Anhalt gut zeigen kann. Von den 2.253.000 Einwohnern dieses Bundeslandes sind 321.964 evangelisch (13,9 %) und 80.643 katholisch (3,5 %). Ca. 80.000 gehören anderen religiösen Gemeinschaften an (3,5 %). Die überwiegende Mehrheit ist also konfessionslos. Allerdings bedarf dieses Bild in zweierlei Richtung einer Feinjustierung. Zum einen ist es keineswegs so, dass die rapide Abnahme der Kirchenzugehörigkeit mit einer Reduktion des religiösen Spektrums einherginge. Wie Mikroanalysen, beispielsweise diejenige für Halle an der Saale, zeigen, bildet die amtliche Statistik das Spektrum der Religionsgemeinschaften kaum ab, so dass sie in dieser Hinsicht »praktisch nicht aussagefähig«3 ist. Für Halle bedeutet dies, dass neben ca. 20.000 evangelischen (8 %) und ca. 8.500 katholischen (3,5 %) Kirchenmitgliedern von ca. 3.400 Bewohnern (1,4 %) zu reden ist, die 25 verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören.4 Das heißt: Neben dem Feld mehrheitlicher Konfessionslosigkeit findet sich eine religiöse Landschaft, die sich in ihrer Vielfalt sehen lassen kann. Allerdings wird sie kaum wahrgenommen, da sie quantitativ stark eingeschränkt ist. Die mehrheitliche Konfessionslosigkeit geht also in qualitativer Hinsicht nicht mit einer Reduktion der Vielfalt einher, wohl aber hinsichtlich ihrer quantitativen Ausdehnung. Dies wiederum hat Auswirkungen auf ihre Wahrnehmung. Allerdings gilt das hauptsächlich für den urbanen Bereich. In ländlichen Gebieten finden sich neben den beiden christlichen Konfessionen deutlich weniger andere Religionsgemeinschaften. Das betrifft vor allem die Präsenz von Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus, was zu einem großen Teil mit dem geringen Ausländer- und Migrantenanteil zusammenhängt. Zum anderen ist zu beachten, dass der Begriff Konfessionslosigkeit ein Leitbegriff in Ermangelung eines besseren ist. Die Konfessionslosigkeit gibt es ebenso wenig wie die Konfessionslosen. Das Spektrum weltanschaulicher und religiöser Positionen unter Konfessionslosen könnte nur auf einen Nenner gebracht werden, wenn man Grundlegendes ausblenden würde. Dazu kommt, 3 Cyranka 2001, 15. 4 Die Zahlen beziehen sich auf die Erhebung im Jahr 2000. Vgl. a. a. O., 15 und 17.

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dass die Nichtmitgliedschaft in der Kirche als grundlegendes Kriterium nicht ausreichend ist, weil sie zwar eine »Position über die Abwesenheit von etwas beschreibt«5, jedoch per se nichts aussagt über Orientierungen und Lebensentwürfe. Auch in Ostdeutschland gibt es Kirchenmitgliedschaft ohne Glauben (ca. 10 % der Evangelischen sagen von sich selbst, nicht an Gott zu glauben) wie auch umgekehrt Glauben ohne Kirchenmitgliedschaft (ca. 7 % sagen, wenn auch zweifelnd, an Gott zu glauben). Trotzdem ist es durchaus sinnvoll, am Begriff der Konfessionslosigkeit festzuhalten. Einerseits liegen die religiösen Orientierungen in Ostdeutschland enger beieinander. Religiosität korreliert deutlich stärker mit Kirchlichkeit als in Westdeutschland. Andererseits lässt sich mit diesem Begriff schlagwortartig eine Tendenz beschreiben, die grundlegend ist. In Ostdeutschland haben wir es mit der Situation einer weitgehend kulturellen Verdrängung der christlichen Religion zu tun. Sie ist vor allem auch in den Familientraditionen nur bei einer Minderheit der Bevölkerung präsent. Zugleich lässt sich mit der Abkehr vom Christentum auch eine gewisse Distanz allem Religiösen gegenüber aufzeigen. Insgesamt kann man sagen, dass der Kirchenaustritt in Ostdeutschland einen viel deutlicheren Abschied aus dem religiösen Kontext bedeutet als in Westdeutschland oder Österreich: Man hält Religion häufiger für unnütz und setzt sich auch weniger kritisch mit der Kirche auseinander. 65 % der Ausgetretenen im Osten und 82 % der schon immer Konfessionslosen glauben weder an Gott noch eine höhere Macht oder sind überzeugt, dass es keinen Gott gibt.6 Zwei Drittel der Konfessionslosen in Ostdeutschland waren schon immer konfessionslos. Das heißt, für sie ist vermutlich jede Art religiöser Sozialisation ausgefallen. Wohl vor allem deshalb zeigt sich mit Blick auf explizite Religiosität ein deutlicher Unterschied zwischen Evangelischen und Konfessionslosen. Im Hinblick auf die Wertorientierungen jedoch ist das Profil der Konfessionslosen von dem der Evangelischen in Ostdeutschland längst nicht so deutlich unterschieden. Das zeigen die Ergebnisse aus der vierten EKD-Mitgliedschaftsumfrage, in der die Weltsichten von Kirchenmitgliedern und Konfessionslosen miteinander verglichen wurden.7 5 Fincke 2004, 5. 6 Berücksichtigt man dabei noch, dass die Konfessionslosen in Ostdeutschland die übergroße Mehrheit der Bevölkerung stellen, lässt sich festhalten, dass über die Hälfte aller Ostdeutschen den Items zustimmen, weder an Gott noch an eine höhere Macht zu glauben bzw. sogar davon überzeugt zu sein. Im Jahr 2000 waren 71 % der ostdeutschen Bevölkerung konfessionslos. Unter den Jugendlichen liegt dieser Anteil deutlich höher. 7 Dort heißt es resümierend: »Die ostdeutschen Konfessionslosen teilen mit den ostdeutschen Evangelischen eine Weltsicht, in der persönliche Anstrengung, Aufgabenerfüllung, Selbstverantwortung, die hohe Relevanz von Arbeit für das Leben, die Bedeutung des Maßhaltens

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Deutlich wird hier, dass die spezielle Form der Konfessionslosigkeit in Ostdeutschland mit der speziellen Ausformung von Religion in diesem Kontext zusammenzudenken ist. Beides ist aufeinander bezogen, wobei die mehrheitliche Konfessionslosigkeit in vielen Bereichen mit einem Normalitätsanspruch einhergeht. Letztlich dominieren in Ostdeutschland »multiple Säkularitäten«8. Die Verbindung von Konfessionslosigkeit mit dem Begriff der Säkularität bringt einerseits zum Ausdruck, dass eine Distanz nicht nur den verfassten Kirchen, sondern auch allem explizit Religiösen gegenüber zu beobachten ist. Zum anderen vermeidet sie eine vorschnelle Positionierung im Diskurs um die Säkularisierungsthese. Auf diese Weise kann deutlich werden, dass es sich bei der Konfessionslosigkeit in Ostdeutschland um eine spezifische Art und Weise in der Lebensgestaltung und -deutung handelt, die von einer bewussten oder auch unbewussten Distanz gegenüber der expliziten Religiosität geprägt ist. Zudem wird von vornherein berücksichtigt, dass diese Distanz ganz unterschiedlich profiliert und ausgestaltet wird. Religiöse Pluralität in Ostdeutschland ist in ihrer spezifischen Ausformung nur dann vollständig zu begreifen, wenn man sie im Gesamtzusammenhang mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und damit im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Facetten der Lebensdeutung und -gestaltung sieht. Damit wird der Blick auch auf diejenigen Bereiche gelenkt, die traditionell mit Religion verbunden waren, es in Ostdeutschland für die meisten Menschen jedoch nicht mehr sind. Dabei gilt von vornherein zu beachten, dass nicht von einem Vakuum im weltanschaulich-religiösen Feld ausgegangen werden kann. Vielmehr haben sich spezifische Prägungen herausgebildet, die es zu finden und zu verstehen gilt. 1.2 Spezifisch geprägt – Lebensbewältigung außerhalb des Gegensatzes von Glaube und Unglauben Die Mehrheit der ostdeutschen Konfessionslosen greift für die Bewältigung persönlicher Krisen ausschließlich auf praktische und diesseitige Lösungsstrategien zurück. Die weit verbreitete religiöse Indifferenz »befindet sich außerhalb des Gegensatzes von Glauben und Unglauben, da sie die Frage nach und die Notwendigkeit äußerer Grenzen für menschliche Entscheidungsfreiheit relativ hoch bewertet werden.« (Kirchenamt der EKD 2003, 39) Unterschiede ergeben sich dann, wo es um die grundlegende Infragestellung einer solchen verstandesorientierten Leistungsund Verantwortungsethik geht und vor allem dort, wo explizite religiöse Deutungsmuster dazu kommen. Eine religiöse Sprache ist für die große Mehrheit der Konfessionslosen nicht akzeptabel. 8 Wohlrab-Sahr 2012, 30.

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der Existenz Gottes gar nicht aufwirft.«9 Werte, die in dieser Welt liegen, wie Familie, Freunde, Liebe, die eigene Person, der eigene Verstand, persönliche Vorstellungen und Stärken, fungieren als Ankerpunkte. Darin zeichnet sich »eine spezifische Sinnstruktur«10 ab. Monika Wohlrab-Sahr verweist hier auf »eigene Transzendenzen«11, wobei Semantiken der Gemeinschaft und Ehrlichkeit, aber auch der Arbeit eine große Rolle spielen. Unter Bezug auf Luckmann spricht sie dabei von »mittleren Transzendenzen«, mit denen der eigene Habitus überhöht wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die uns vorliegenden Kategorien von gläubig und ungläubig, von religiös und atheistisch kaum dazu geeignet, das Erleben der Menschen adäquat abzubilden. Vielmehr benötigen wir neue Kategorien, um den Zwischenbereich zu erfassen und zu verstehen. Ein Beispiel dafür ist das Konzept der agnostischen Spiritualität, das Monika Wohlrab-Sahr, Uta Karstein und Christine Schaumburg entwickelt haben, nachdem sie Interviews mit ostdeutschen Familien zum Thema Tod und Leben nach dem Tod geführt haben.12 Die Auswertung der Interviews zeigte deutlich, dass christliche Deutungsmuster nicht anschlussfähig sind. Zugleich nahmen die Interviewten auch den reinen Atheismus als unbefriedigend wahr. Vielmehr verfolgen sie eine Haltung, die über das Immanente hinausweist, ohne jedoch inhaltlich religiöse Füllungen vorzunehmen. Agnostische Spiritualität kann dabei als Versuch verstanden werden, in einem durch wissenschaftliche Rationalität und Atheismus geprägten Umfeld Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod rational zu begründen, ohne auf tradierte religiöse Deutungen zurückzugreifen. Letztlich lässt sich hier »eine Art synkretistische Spiritualität« beobachten, die »auf Elemente neuer und alter Denksysteme zurückgreift (wie Religion, Magie, Parapsychologie, Humanismus, Wissenschaft, Film) und mit diesen experimentell umgeht. Diese seien nicht überholt wie christlich-theologische Vorstellungen und würden der irrationalen Vorstellung eines Lebens nach dem Tod eine neue Rationalität verleihen.«13 Diese Denkfiguren werden als besser integrierbar erlebt als christlich-theologische Vorstellungen. Allerdings ist zu bedenken, dass »für einen Teil der Befragten die rein naturwissenschaftliche Betrachtung des Todes durchaus tragfähig ist«14. Insofern ist bereits an dieser Stelle Vorsicht geboten vor unzulässigen Verallgemeinerungen.   9 10 11 12 13 14

Kleinsorge 2008, 148. Wohlrab-Sahr 2012, 29. A. a. O., 46. Vgl. Wohlrab-Sahr/Karstein/Schaumburg 2005. Murken 2008, 256. Wohlrab-Sahr/Karstein/Schaumburg 2005, 173.

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Dass Konfessionslosigkeit mit Interpretationen an der Grenze von Immanenz und Transzendenz einhergeht, gilt nur für einen Teil. Genaue Quantifizierungen sind schwierig, da entsprechende Untersuchungen fehlen. Zu beachten bleibt jedoch, dass bei Weitem nicht alle Konfessionslosen eigene Transzendenzen entwickeln, die über die immanenten Interpretationsmuster hinausgehen. Ein nicht kleiner Teil bleibt auch bei den großen Fragen des Lebens gänzlich in immanenten Interpretationsräumen.

2 Herausforderungen der LehrerInnenbildung in Sachsen-Anhalt im Blick auf religiöse Pluralität LehrerInnenbildung in Sachsen-Anhalt findet an den beiden Universitäten in Magdeburg und Halle statt, wobei das Lehramt Evangelische Religion nur an der Martin-Luther-Universität in Halle studiert werden kann.15 An der Hallenser Theologischen Fakultät werden neben den Lehramtsstudiengängen für die Schulformen Grund-, Förder-, Sekundarschule und Gymnasium auch ein Studiengang für Diplom bzw. Kirchliches Examen, drei verschiedene Bachelorstudiengänge sowie ein Masterstudiengang angeboten. Das Lehramt wird in der Regel in einer Zwei-Fach-Kombination studiert. Seit dem Wintersemester 2007/08 ist das Lehramtsstudium an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg modularisiert, aber nicht gestuft. Der Abschluss des Ersten Staatsexamens wurde beibehalten. Im Folgenden soll die LehrerInnenbildung in Sachsen-Anhalt im Blick auf religiöse Pluralität beschrieben werden. Dies geschieht in einer doppelten Perspektive. Zuerst wird – eher konzeptionell orientiert – auf diejenigen Herausforderungen eingegangen, die sich aus dem Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und die – ihm korrespondierende – Form religiöser Pluralität ergeben. Anschließend wird der Blick auf die Studierenden selbst gelenkt, indem Ergebnisse einer empirischen Untersuchung vorgestellt werden und nach den Chancen gefragt wird, die sich daraus ergeben. Hier steht die professionstheoretische Perspektive im Vordergrund mit der Frage nach den personalen Voraussetzungen.

15 Nach der wissenschaftlichen Ausbildung in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften erfolgt die Ausbildung im Vorbereitungsdienst (Referendariat).

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2.1 Pluralitätsfähigkeit entwickeln Hans-Georg Ziebertz betont im Rahmen seiner Überlegungen zu einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik zu Recht die Notwendigkeit eines Öffentlichkeitsbezuges. Eine »Konzentration der Religionspädagogik auf ihren Gegenstand« greift zu kurz, »wenn nicht die ›Öffentlichkeit‹ mitbedacht wird, mit der dieser in Beziehung steht«16. Das gilt auch für die hier interessierende Frage nach dem Verhältnis von Schule und religiöser Pluralität. Dabei ergeben sich drei Problemlagen, wobei die erste auf die Wahrnehmungs- und die beiden folgenden auf die Handlungsperspektive zielen. 2.1.1 Religiöse Pluralität neu denken

Der Begriff der religiösen Pluralität bezieht sich auf die Vielfalt unter den Religionen. Die sich daraus ergebene Heterogenität wird vor allem auf unterschiedliche Facetten von inhaltlich zu bestimmender Religiosität bezogen, wobei  – vor allem mit Blick auf schulische Vollzüge  – der organisationssoziologischen Perspektive ein größerer Stellenwert beigemessen wird als der individualpsychologischen. Für den Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit geht eine solche Sichtweise mit der Tendenz einher, religiöse Pluralität von vornherein auf ein sehr kleines Spektrum der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu reduzieren.17 Areligiosität, Indifferentismus, Gewohnheitsatheismus oder wie auch immer versucht wird, die religiöse Position vieler Ostdeutscher begrifflich zu fassen, werden hier in aller Regel ausgeblendet. Auch diejenigen Interpretationsmuster, die man als auf mittlerer Ebene transzendent bezeichnet, ließen sich damit nicht aufnehmen. Eine problematische Nebenwirkung davon wäre die Verfestigung einer Diastase zwischen religiösen und nicht-religiösen Positionen. Nun kann es nicht darum gehen, mit einem weiten Religionsbegriff möglichst viele Positionen zu vereinnahmen. Vielmehr sollte der Blick primär auf die Vielfalt vorhandener Lebensinterpretationen gelenkt werden. Die Frage nach der explizit religiösen Profilierung könnte dabei zu allererst einmal zurücktreten. Hilfreich dafür kann der Gedanke der Heterogenität sein, der auch im weltanschaulich-religiösen Feld in Anschlag zu bringen ist. Selbst dann, wenn Menschen sich selbst nicht als religiös verstehen, sind deren 16 Ziebertz 2002, 225. 17 Dass damit auch eine Tendenz zur Marginalisierung religionspädagogischer Überlegungen einhergeht, soll hier wenigstens kurz angedeutet werden. Vgl. Domsgen/Spenn 2012.

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Positionen von vornherein im Spektrum möglicher Welt- und Lebensdeutungen zu berücksichtigen und zwar als Ausdruck »legitimer Heterogenität«18. Bisher ist dies weder im Fachdiskurs noch an den Schulen vor Ort ausreichend berücksichtigt worden.19 Ausdrücklich ist festzuhalten, dass religiöse Pluralität »sowohl die Präsenz verschiedener Konfessionen und Religionen« umfasst, »als auch das Phänomen, dass sich Menschen keiner religiösen Tradition zugehörig wissen oder religiös ›unmusikalisch‹ sind, um es mit einer Metapher auszudrücken«.20 Eine solche Perspektive verhilft dazu, die regionalen Unterschiede präziser zu beschreiben. Es ist keineswegs so, dass religiöse Pluralität beispielsweise nur in Westdeutschland oder Österreich und sehr vereinzelt in einigen Städten Ostdeutschlands anzutreffen wäre. Sie findet sich vielmehr überall, ist aber inhaltlich unterschiedlich bestimmt, insofern die einzelnen Aspekte im gesamten Möglichkeitsspektrum unterschiedlich stark vertreten sind. Begrifflich könnte man das mit einer Differenzierung zwischen religiöser Pluralität im engeren und weiteren Sinne aufnehmen. 2.1.2 Religiöse Pluralität im engeren Sinne in absentia bearbeiten

Dass mehrheitliche Konfessionslosigkeit nicht per se mit einer eingeschränkten religiösen Pluralität im engeren Sinne einhergeht, lässt sich – wie bereits dargestellt – am Beispiel Halles gut aufzeigen. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich ein breites Spektrum religiöser Gemeinschaften. Dies gilt jedoch in aller Regel fast ausschließlich für urbane Strukturen. In der Fläche führt nicht zuletzt der geradezu verschwindend geringe Ausländeranteil und ein ebenso geringer Anteil von Personen mit Migrationshintergrund dazu, dass vor allem Vertreter anderer Weltreligionen kaum anzutreffen sind. Das lässt sich mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler in den Schulen, aber auch darüber hinaus für die Zusammensetzung der Bevölkerung insgesamt aufzeigen. Insofern ergibt sich hier ein deutlicher Unterschied zwischen der Situation in größeren Städten (zu denen in Sachsen-Anhalt lediglich Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau zu zählen sind) und den übrigen kleinstädtischen und dörflichen Regionen. Größere Anteile von Schülerinnen und Schülern, die Ausländer sind oder einen Migrationshintergrund haben, sind in der Gesamtheit aller sachsen-anhaltischen Schulen eher die Ausnahme. 18 Ziebertz/Kalbheim/Riegel 2003, 32. 19 Eine der wenigen Ausnahmen bildet hier Jäggle 2009. Ich selbst habe – unabhängig von ihm – die Weitung der Wahrnehmungsperspektive verschiedentlich angemahnt, vgl. z. B. Domsgen 2008. 20 Jäggle 2009, 265.

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Dies stellt vor allem das interreligiöse Lernen vor Herausforderungen. Da authentische Vertreter der Religionen vor Ort in der Fläche kaum zu finden sind, sind Studierende dazu zu befähigen, bei dem von ihnen später zu erteilenden Religionsunterricht weiterhin über die »traditionelle Behandlung von Weltreligionen im RU«21 hinauszukommen, obwohl die aus konzeptionellen Überlegungen mit guten Gründen geforderte Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Religionen22 nicht stattfinden kann. Für die LehrerInnenbildung bedeutet dies zum einen, verstärkt auf die Möglichkeit der authentischen Begegnung mit Vertretern anderer Religionen zu achten. Es ist davon auszugehen, dass die Studierenden in ihrer Biografie kaum auf selbst erlebte Begegnungen dieser Art zurückgreifen können. Hier wäre dann auch der Blick auf die vorhandenen religiösen Diversitäten zu lenken und die Fähigkeit zur Kontaktaufnahme und Gesprächsführung mit diesen Religionsvertretern einzuüben. Zum anderen ergibt sich  – vor allem hinsichtlich der unterrichtlichen Thematisierung von Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus – die Herausforderung, Schülerinnen und Schüler zum Verstehen führen zu können, also unterrichtlich nicht auf der Informationsebene stehen zu bleiben. Dazu sind die vorliegenden Ansätze interreligiösen Lernens aufzunehmen und an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen. Von der Grundtendenz können dabei solche Ansätze wie »A gift to the child« von John Hull23 hilfreich sein. Hull will sowohl dem inhaltlichen Ansatz und Anspruch der Religion als auch der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Dies versucht er durch den Einsatz von sog. numen, die exemplarisch für Leben und Glauben der jeweiligen Religionsgemeinschaft stehen und zugleich bedeutsam für die Entwicklung und den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler sind. »Durch die Beschäftigung mit einem Gegenstand aus den Religionen übt der Unterricht religiöse und existentielle Denkbewegungen ein. Ein Thema des Zeugnisses kann zu vorläufigen Antworten auf letzte Fragen (ultimate questions) herausfordern und übt so die Kompetenz ein, eigene Erfahrungen und Überlegungen, aber auch Vorbehalte zum Ausdruck zu bringen.«24 Hulls Ansatz ist bei jüngeren Schülerinnen und Schülern erfolgreicher als bei älteren und könnte in den weiterführenden Schulen nur in modifizierter Weise zum Einsatz kommen. Außerdem besteht immer auch die Gefahr der Vereinnahmung von Zeugnissen fremder Religionen, wenn diese nicht mit entsprechenden Begegnungen einhergehen können. Dafür sind angehende Lehrerinnen und Lehrer zu sensibilisieren. 21 22 23 24

Rickers 2001, 875. Vgl. a. a. O., 874. Vgl. Hull 1996. Meyer 1999, 305.

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Sie sollen Schülerinnen und Schüler zum Verstehen fremder Religionen und zur Begegnung mit ihnen befähigen können, auch wenn im momentanen unmittelbaren Lebensumfeld keine direkte Auseinandersetzung damit möglich ist. 2.1.3 Vorhandene Diversitäten als Ressource für Pluralitätsfähigkeit aufnehmen

Die bereits angesprochene Weitung der Wahrnehmungsperspektive ist nicht nur hinsichtlich einer religiösen Pluralität im engeren Sinne anzubahnen, sondern auch mit Blick auf das große Spektrum weltanschaulich-religiöser Orientierungen im Allgemeinen. Damit treten die multiplen Säkularitäten in den Blickpunkt des Interesses. Letztlich ist es in Ostdeutschland nur auf diese Weise sinnvoll, von Diversitäten im weltanschaulich-religiösen Bereich zu sprechen. Sie können dann dazu dienen, Unterschiede zu benennen, die hinsichtlich einer religiösen Pluralität im engeren Sinne vor Ort selten personal zum Ausdruck gebracht werden können. Gerade weil in Ostdeutschland der Ausländeranteil gering ist und deshalb offensichtliche Differenzen seltener zu bearbeiten sind, wird es darauf ankommen, vorhandene Diversitäten zur Sprache zu bringen und an ihnen zu erleben, dass Unterschiede bereichernd sein können. Dies ist nur möglich, wenn Differenz sichtbar wird und werden darf. Die Thematisierung der religiösen Pluralität im weiteren Sinne könnte somit in gewisser Weise auch kompensierend wirken. An den hier angebahnten und gestalteten Begegnungen könnten Spielregeln des Dialogs eingeübt werden, die zwar nicht direkt, aber in modifizierter Weise im Feld religiöser Pluralität im engeren Sinne in Anschlag gebracht werden könnten. Weltanschaulich-religiöse Unterschiede könnten hier zu einer Ressource für Pluralitätsfähigkeit werden. Die vorhandene Pluralität im weltanschaulichreligiösen Bereich kann in einer solchen Perspektive als »Lernchance«25 verstanden werden. Notwendig dafür sind Kommunikationsräume. Leider gibt es davon nur wenige. Allerdings sind gemeinsam besuchte Seminare von Lehramtsstudierenden für die Fächer Ethik und Religion, die in Halle initiiert wurden, sehr ermutigend. Die Studierenden gehen interessiert aufeinander zu und lernen auf diese Weise die Grundlagen einer »differenzsensiblen Verständigung«26. Auf dieser Basis wäre dann nach Wegen zur Umsetzung eines solchen Ansatzes im schulischen Bereich zu suchen. Schulische Projekte für alle Schülerinnen und Schüler, wie beispielsweise die religionsphilosophischen Schulprojektwochen,

25 Jäggle 2009, 275. 26 Schweitzer 2008, 36.

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bieten großes Potenzial,27 das in der Praxis momentan jedoch nur selten ausgeschöpft wird. Die Sensibilisierung für diese Aufgaben ist ebenso wichtig wie die Vermittlung fachdidaktischer Grundlagen, die sich auf den Religionsunterricht im herkömmlichen Sinne beziehen. Ein solches Vorgehen steckt momentan noch in den Anfängen. Allerdings ergeben sich dafür Impulse aus einer Richtung, mit der nicht gerechnet werden konnte. Die Gruppe der Lehramtsstudierenden selbst erweist sich nämlich als deutlich heterogener als bisher angenommen. 2.1.4 Neue Chancen zur Entwicklung von Pluralitätsfähigkeit wahrnehmen

Wie eine kleine empirische Untersuchung an der Forschungsstelle Religiöse Kommunikations- und Lernprozesse zeigt, sind es vor allem die Lehramtsstudiengänge, die an der Theologischen Fakultät Halle in wachsendem Maß auch bei konfessionslosen Studienbewerberinnen und -bewerbern Anklang finden.28 Von den für das Lehramt Religion an Gymnasien im Wintersemester 2011/12 neu Immatrikulierten ist ein Drittel, von den für das Lehramt Religion an Sekundarschulen Immatrikulierten, eine knappe Hälfte, konfessionslos.

Abb. 1: Im WS 11/12 neu immatrikulierte Studierende an der Theologischen Fakultät Halle – nach Taufe

Angaben zur Studienmotivation machen deutlich, dass für konfessionslose Studienbewerber insbesondere der erlebte Religionsunterricht bei der Studien27 Vgl. Passin 2012; Bucher/Domsgen 2012. 28 Zu den Untersuchungsergebnissen vgl. die Zusammenfassung, die Frank Lütze erstellt hat, unter: http://www.theologie.uni-halle.de/pt_rp/rkl/erstsemesterbefragung/. Die Untersuchung ist im Wintersemester 2012/13 repliziert worden. Leider war der Rücklauf sehr gering. Die dabei gewonnenen Ergebnisse liegen von der Tendenz her auf derselben Richtung wie die Ergebnisse, die hier dargestellt werden.

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fachentscheidung eine wichtige Rolle spielt. Wahrscheinlich hängt damit auch zusammen, dass bei den Erwartungen an das Studium der Wunsch nach einem persönlichen Ertrag von Konfessionslosen deutlich weniger geäußert wird als von Studierenden, die das Pfarramt anstreben. Primär geht es um den Wissenserwerb, erst danach um den persönlichen Ertrag und berufliche Kompetenzen. Zu vermuten ist, dass die konfessionslosen Studierenden ihren Zugang zu Religion primär im Modus der Wissensvermittlung in der Schule gefunden haben. Von dort beziehen sie im Übrigen auch ihr Vorwissen. Ihre Familien oder die Kirchengemeinden spielen hier eine deutlich geringere Rolle. Auch deshalb wird die Frage des persönlichen Ertrages zu Studienbeginn nicht so stark gewichtet. Religion wird vielmehr als interessantes Feld wahrgenommen, über das man möglichst viel wissen will. Perspektiven wie die Stärkung des eigenen Glaubens oder die Aussicht auf ein interessantes Studium spielen so gut wie keine Rolle. Im Mittelpunkt steht der Wissenserwerb.

Abb. 2: Erwartungen an das Studium – Differenzierung nach Konfessionszugehörigkeit

Interessant ist, dass der Wunsch nach eigener religiöser Klärung unabhängig von konfessioneller Bindung gleich häufig genannt wird. Darin wird der Ertrag für die eigene Person gesehen. Es geht um Klärungen im religiösen Feld, wobei die Zielrichtung offen zu sein scheint. Bei konfessionslosen Studierenden spielt so etwas wie Glaubensstärkung nur für eine Minderheit eine Rolle. Schließlich würde das ja voraussetzen, dass man bereits zu einer Positionierung in diesem Feld gelangt ist. Bei Pfarramtsstudierenden sieht das anders aus. Die religiöse Klärung geht hier mit einer gewünschten Glaubensstärkung einher.

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In der Summe bleibt zu konstatieren, dass das Spektrum religiös-weltanschaulicher Orientierungen von Theologiestudierenden deutlich breiter geworden zu sein scheint. Dazu tragen in erster Linie die Lehramtsstudierenden bei, die zu einem großen Teil aus studienpragmatischen Erwägungen heraus zum Theologiestudium kommen. Dabei hat sich die Vermutung, die Studierenden würden nach ein bis zwei Semestern erneut den Studiengang wechseln, für den größten Teil nicht bestätigt. Vielmehr scheint sich hier ein neuer Weg zum Lehramt Religion abzuzeichnen.

Abb. 3: Ausgewählte Motive zur Wahl des Studienfaches – nach Konfessionszugehörigkeit

3 Eckpunkte einer LehrerInnenbildung im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit unter der Perspektive einer zu entwickelnden Pluralitätsfähigkeit Sowohl der gesellschaftliche Kontext als auch die unterschiedliche religiöse Sozialisation der Studierenden markieren grundlegende Herausforderungen, die bei der Profilierung einer LehrerInnenbildung berücksichtigt werden müssen. Dass dabei der Entwicklung von Pluralitätsfähigkeit ein grundlegender Stellenwert zukommt, wäre selbst dann zu fordern, wenn man religiöse Pluralität lediglich im engeren Sinne verstehen würde. LehrerInnenbildung hat zwar die regionalen Herausforderungen aufzunehmen, kann aber nie darin aufgehen. Sonst stünde sie in der Gefahr provinziell zu sein, weil Menschen in Zeiten großer Mobilität dazu zu befähigen sind, den daraus resultierenden unterschiedlichen Herausforderungen zu begegnen. Für den Kontext mehrheit-

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licher Konfessionslosigkeit heißt dies, trotz der in weiten Teilen eingeschränkten Präsenz fremder Religionen, die Begegnung und den Umgang mit ihnen anzubahnen. Für den Kontext religiöser Pluralität im engeren Sinne bedeutet es, sich nicht nur darauf zu beschränken, sondern auch religiöse Pluralität im weiteren Sinne zu bedenken. Nur so kann LehrerInnenbildung vor Provinzalität bewahrt werden. Unter dieser Prämisse ergibt sich in Sachsen-Anhalt aufgrund der Disparatheit in den Ausgangslagen der Studierenden eine grundlegende Aufgabe, deren Bearbeitung noch nicht abgeschlossen ist. Nipkows Unterscheidung zwischen einer »Hermeneutik des schon gegebenen und des erst zu suchenden Einverständnisses«29 bringt dabei die Problemlage gut auf den Punkt. Das Lehramtsstudium ist auf einen schulischen Religionsunterricht ausgerichtet, dessen Konfessionalität nach evangelischem Verständnis zu einem großen Teil durch die Positionalität der Lehrperson bestimmt wird. Der Religionsunterricht in der herkömmlichen Konstruktion lebt also vom gegebenen und bisweilen auch offen kommunizierten Einverständnis der Lehrperson. In aller Regel fällt Studierenden, die religiös sozialisiert wurden, die Einsicht in eine solche Konstruktion deutlich leichter als denjenigen, die keine entsprechende familiale und kirchliche Prägung erfahren haben. Insofern liegen die größten Herausforderungen für die LehrerInnenbildung im Feld des nicht vorhandenen und erst zu suchenden Einverständnisses. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, soll im Folgenden auf vier Punkte hingewiesen werden, die dabei in besonderer Weise beachtet werden müssen. 3.1 Wissenserwerb im Wechselspiel von Innen- und Außenperspektive Dass Wissenserwerb ein grundlegender und zentraler Bestandteil des Studiums ist, wird niemand ernsthaft bestreiten. Herausfordernd ist vielmehr, dass der Modus der Information nicht ausreichend ist, um die Spezifik christlicher Religion zu verstehen. Die religiöse Weltsicht gibt es nicht auf der Metaebene, sondern nur als Weltsicht einer bestimmen, exemplarischen Religion. Wer religiös kompetent sein will (und zwar unabhängig, ob er sich diese Weltsicht zu eigen macht oder nicht), braucht Erfahrungen mit dem Gegenstand. Religiöse Kompetenz und religiöse Erfahrung lassen sich nicht voneinander trennen. Aus diesem Grund wird auch eine Universität aus pädagogischen Gründen heraus Räume bereitstellen müssen, in denen Studierende religiöse Erfahrungen 29 Nipkow 1992, 383.

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machen können. Innen- und Außenperspektive gehören zusammen. Nur in ihrem wechselseitigen Bezug ist Wissenserwerb sinnvoll möglich. Bezüglich des Umgangs mit religiöser Pluralität bedeutet dies ganz praktisch, auf Möglichkeiten der Begegnung mit authentischen Religionsvertretern zu achten und diese immer wieder anzubahnen. Daneben sind auch die Lehrenden neben ihrer Funktion als Fachwissenschaftler in der Dimension der persönlichen Relevanz gefragt. Dass dies nur kommunikativ vermittelt sinnvoll geschehen kann, versteht sich von selbst. Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen zum Verhältnis von Innenund Außenperspektive zeigen sich Probleme auf der Verständnisebene, die damit zusammenhängen, aber nicht darauf zu beschränken sind. Im direkten Gespräch zeigt sich nämlich, dass grundlegende Begriffe von konfessionslosen Studierenden ganz anders gebraucht und verstanden werden als dies im Fachdiskurs der Fall ist. Hier stellt sich die Herausforderung, die Sprachspiele der Studierenden aufzunehmen und sie mit traditionellen christlichen Sprachspielen in Beziehung zu setzen, um auf diese Weise überhaupt einen Diskurs initiieren zu können. Anregend dafür können Überlegungen des Pädagogen Heinrich Roth sein, der schon 1949 unter dem Leitgedanken der »Rückführung in die Originalsituation« betonte: »Alle methodische Kunst liegt darin beschlossen, tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind: Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, Werke in Schöpfungen, Pläne in Sorgen, Verträge in Beschlüsse, Lösungen in Aufgaben, Phänomene in Urphänomene.«30 Ein Großteil der biblischen Texte, theologischen Denkfiguren oder bildlichen Darstellungen lässt sich als Resultat von Deutungsprozessen verstehen. Mit Roth könnte man sie als geronnene Lösungen bezeichnen. Für viele bleibt dabei nicht selten unklar, auf welche Frage, auf welches Lebensproblem oder Dilemma, auf welche Erfahrung von Glück oder Schicksal diese Lösungen eine Antwort suchen.31 Hier wird stärker darauf zu achten sein, die hinter den Texten stehenden Deutungsprozesse zu thematisieren und auf diese Weise deutlich zu machen, dass theologische Aussagen Modellcharakter haben. 3.2 Persönlichkeitsentwicklung über den Wissenserwerb hinaus Christsein beschränkt sich nicht nur auf die kognitive Ebene, sondern bezieht den Bereich der Lebensgestaltung konstitutiv mit ein. Allerdings gibt es nicht 30 Roth 1949, 108. 31 Vgl. Domsgen/Lütze 2013, 155. Die Hilflosigkeit im Umgang mit Lösungen auf nicht identifizierte Probleme zeigt sich deutlich in einigen Schüleraufsätzen zum Tod Jesu. Vgl. Schubert 2013.

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die eine Form christlicher Praxis, auf die alles hinauslaufen würde. Sie lässt sich nicht »normativ vorschreiben«, sondern muss »in einem auf die verbindlichen Traditionen bezogenen Aushandlungsprozess situativ«32 herausgefunden werden. Dafür bedarf es unterschiedlicher Impulse. Die Thematisierung religiöser Pluralität kann hier sehr produktiv sein, indem die unterschiedlichen religiösen Orientierungen hinsichtlich ihres »Dienstes am ›Lebensglauben‹ (Fowler: ›Faith‹) der Menschen heute«33 betrachtet werden. Der Bezug auf andere Religionen lässt sich damit »als Medium der Identitätsfindung begreifen«34 und richtet somit den Blick auf die Unabschließbarkeit religiöser Lernprozesse sowie deren ganzheitliche Ausrichtung. Eigene »Formen religiöser Identität« sind »nicht mehr in selbstverordneter Abschließung, sondern nur mehr in der Auseinandersetzung mir religiöser Vielfalt«35 zu gewinnen. Zu dieser Vielfalt gehören auch die nicht religiösen Interpretationen. Auf diese Weise können Lebensentwürfe gleichberechtigt zur Sprache gebracht werden. Das eröffnet den Raum für einen Austausch, in dem die eigene Lebensgeschichte zumindest potenziell mit eingebracht werden kann. Letztlich ist den Studierenden die Möglichkeit einzuräumen, »Christsein als eine attraktive Form, das Leben in umfassender Weise erschließende Praxis«36 kennenzulernen und sich damit auseinanderzusetzen. Dabei sind sie dazu zu befähigen, sich einerseits »verantwortlich hinsichtlich ihrer Daseins- und Wertorientierung zu entscheiden, zum anderen andere Menschen zu verstehen, die ihr Leben wesentlich aus christlichen, ja im weiteren Sinne religiösen Motiven gestalten.«37 Dass damit Zielformulierungen aufgenommen werden, die für den schulischen Religionsunterricht insgesamt ausgearbeitet wurden, ist wohl nicht zufällig. Letztlich spiegelt die Zusammensetzung der Studierenden die Unterschiedlichkeit der Schülervoraussetzungen wider. Deshalb rücken die Zielformulierungen religiöser Bildung näher zusammen. Was Schülerinnen und Schüler gelernt haben sollen, wäre bei den Lehrkräften vorauszusetzen. 3.3 Vernetzung innerhalb und außerhalb der Universität Die in den letzten beiden Abschnitten beschriebenen Herausforderungen markieren Aufgabenbereiche, die eine staatliche Universität in ihren Möglich32 Englert 2002, 105. 33 A. a. O., 96. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Grethlein 2005, 272. 37 Ebd.

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keiten an ihre Grenzen bringt. Es ist vor allem die Dimension der gelebten Religion, die beachtet werden muss, aber nur sehr begrenzt integriert werden kann. Für die Studierenden, die in ihrer Lebensgeschichte bisher keine religiöse Sozialisation erfahren haben, ist es grundlegend, Orte gelebter religiöser Praxis kennenzulernen und aufzusuchen. Dies kann in einem universitären Studienprogramm nur ansatzweise geleistet werden. Aus diesem Grund sind Vernetzungen notwendig. Durch sie können Studentinnen und Studenten der Dimension religiöser Praxis begegnen. Dabei ist die Möglichkeit einer selbstbestimmten und freien Begegnung von großer Bedeutung. Abhängigkeiten sind hier zu vermeiden. Auch deshalb ist auf eine klare Unterscheidung vom universitären Lehrbetrieb zu achten. Zugleich ergibt sich die Notwendigkeit zur Vernetzung noch aus einer anderen Richtung. Religion als spezifische Interpretationspraxis durchdringt die unterschiedlichsten Bereiche des Lebens und lässt sich nicht auf ein klar umgrenztes Feld beschränken. Um dies auch im Lehrbetrieb abzubilden, ist verstärkt auf die Vernetzung der einzelnen theologischen Fachdisziplinen untereinander und – wenn möglich – darüber hinaus auch mit nicht-theologischen Disziplinen zu achten. Damit würde eine Herausforderung aufgenommen, vor der Lehramtsstudierende aufgrund der Zwei-Fach-Kombination ohnehin stehen. Interdisziplinäre Veranstaltungen oder Verbindungen (z. B. bei Themenstellungen in Examensarbeiten) können dazu helfen, dass es hier zu einer Durchdringung und gegenseitigen Bereicherung der unterschiedlichen Perspektiven kommen kann. 3.4 Kommunikationsfähigkeit als grundlegende Voraussetzung für Pluralitätsfähigkeit Die bisher skizzierten programmatischen Eckpunkte können nur in einer Lernatmosphäre verwirklicht werden, die durch gegenseitige Anerkennung und die damit verbundene Möglichkeit des Offenbarwerdens von Diversitäten gekennzeichnet ist. »Pluralität ist in ihrem Kern Differenz.«38 Entscheidend ist es, damit umgehen zu lernen. Dies jedoch ist nur möglich, wenn sie nicht von vornherein ausgeblendet wird. Dass sich an dieser Stelle in Institutionen formaler Bildung Spannungen auftun, insofern diese Einrichtungen in ihrer Organisation von einer klaren Unterscheidung zwischen Lehrenden und Lernenden leben, ist im Blick zu behalten und markiert zugleich eine Herausforderung, der die Studierenden in 38 Nipkow 1998, 176.

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ihrer späteren beruflichen Tätigkeit auch begegnen werden. Allerdings schließt dies nicht aus, im Rahmen der Möglichkeiten eine Lernatmosphäre zu schaffen, die durch gegenseitige Anerkennung geprägt ist. Denn ohne eine solche gegenseitige Anerkennung ist eine differenzsensible Verständigung letztlich nicht möglich. Notwendig dafür sind weitgehend symmetrische kommunikative Grundstrukturen, damit eigene Positionen artikuliert werden können und zugleich die Bereitschaft wächst, andere Positionen nachzuvollziehen. Auf diese Weise können Diversitäten fruchtbar gemacht werden. Pluralitätsfähigkeit ist dann keine Kompetenz, die erst später und nur punktuell gebraucht werden würde, sondern notwendige Grundlage des Studierens selbst. Eine solche Ausrichtung lässt sich besonders gut in Blockveranstaltungen umsetzen, in denen die Teilnehmenden längere Zeit miteinander verbringen und Phasen der Arbeit und Freizeit, der Anspannung und Entspannung miteinander verbringen. Von der Grundtendenz gilt das aber auch für die wöchentlichen Lehrveranstaltungen. Eine solche kommunikative Grundstruktur ist vor allem für diejenigen wichtig, die sich mit ihren Positionen aufgrund ihrer Sozialisation in der Minderheit fühlen. Damit in ihnen Bildungsprozesse initiiert werden können, bedarf es einer Gesprächsatmosphäre, in der »das Andere« sich auch dann artikulieren darf, wenn es in den Augen der Anderen banal erscheinen mag. Pluralitätsfähigkeit als grundlegende Kompetenz entsteht nur im Umgang mit Differenzen. Dies ist bereits im Studium einzuüben. Die skizzierten Voraussetzungen an der Hallenser Universität sind dafür in besonderer Weise geeignet. Bildungsprozesse sind immer auch kontextuell bestimmt. Am Beispiel religiöser Pluralität lässt sich das gut aufzeigen. Bildung muss regional bezogen, darf aber nicht provinziell sein. Das gilt für Ostdeutschland, insofern religiöser Pluralität auch dann ein großer Stellenwert einzuräumen ist, wenn sie im engeren Sinne kaum anzutreffen ist. Das gilt aber auch für andere Regionen, in denen zum Beispiel Positionen multipler Säkularitäten in deutlich geringerem Ausmaß anzutreffen sind. Die vergleichende Perspektive kann dazu verhelfen, das eigene Profil wahrzunehmen, ohne der Gefahr eines verengten Blicks zu erliegen.

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Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem Ednan Aslan

Nach der kurzen Darstellung der muslimischen Geschichte in Österreich werden die Zahlen und Fakten über die muslimische Präsenz und daraus resultierende Herausforderungen an die Gesellschaft erörtert. In dieser Darstellung steht neben der besonderen Situation der muslimischen Kinder in den öffentlichen Schulen auch die Rolle des islamischen Religionsunterrichtes im Prozess der Beheimatung muslimischer Kinder im besonderen Fokus.

1 Geschichte des Islam in Österreich Wenn auch die Geschichte des Islam in Österreich viel älter ist, als die Geschichte der muslimischen Migration nach Österreich, fing die Debatte über die Präsenz der Muslime in Österreich erst nach der Rekrutierung der muslimischen ArbeitnehmerInnen aus unterschiedlichen islamischen Ländern an. Mit der öffentlichen Wahrnehmung der muslimischen Symbole in der Gesellschaft rücken die Muslime immer mehr ins Zentrum der politischen Debatte, ob Europa vor einer neuen islamischen Invasion stünde oder ob der Politik gelingen wird, die hier aufgewachsenen Muslime als Teil dieser Gesellschaft zu integrieren. Nach einem historischen Rückblick über die Migrationsgeschichte der Muslime in Österreich werde ich versuchen, die Herausforderungen einer gelungenen Integration der muslimischen Kinder darzustellen. 1.1 Zuwanderung der muslimischen Arbeitsmigranten Die eigentliche Zuwanderung der Muslime nach Österreich ging mit der Rekrutierung der Arbeitsmigranten aus der Türkei (1964) und deren Familien sowie Kriegsflüchtlingen oder politischen Flüchtlingen einher. Dazu kommen noch muslimische StudentInnen aus islamischen Ländern.

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Ednan Aslan

Durch die Zuwanderung der muslimischen ArbeitsmigrantInnen erreichte die Zahl der muslimischen Einwanderer bis Anfang der 80er-Jahre bis zu 200.000. Die Zuwanderung der Muslime nach Österreich geschah in zwei Wellen: Im Zuge der wirtschaftlichen Hochkonjunktur der sechziger Jahre kamen erstmals größere Gruppen von Einwanderern nach Österreich. Die zweite Welle der ArbeitsmigrantInnen reicht von 1986 bis 1992, wo stärker als in der ersten Welle vor allem jugoslawische und türkische Muslime nach Österreich kamen. Die Migrationsbewegungen der Muslime wurden während dreier wirtschaftlicher Rezessionen gebremst: 1974–1979 wegen des Ölschocks, zu Beginn der 80er-Jahre, 1981–1984, und in jüngster Zeit, 1993–1994. Die Flüchtlingswelle aus Bosnien stärkte auch die Präsenz der Muslime in Österreich. Schätzungsweise gehörten von den 70.000 bosnischen Flüchtlingen 60.000 dem islamischen Glauben an. (Schuster 1994, 65). In Österreich ist die Anzahl der Muslime in den letzten 10 Jahren deutlich gestiegen. Nach der letzten Volkszählung von 2001 erhöhte sich die Anzahl der muslimischen Bevölkerung auf 49 % und betrug im Jahr 2009 515.914 Muslime. Das bedeutet einen Anteil von 6,2 % an der Gesamtbevölkerung. Nach Frankreich ist das der höchste muslimische Bevölkerungsanteil in einem europäischen Land (Janda 2010, 51 ff.). Nach der neuesten Veröffentlichung des österreichischen Integrationsfonds wird die Islamszene in Österreich überwiegend von türkischstämmigen Muslimen geprägt: »Unter der ausländischen Bevölkerung islamischen Glaubens stellten türkische Staatsangehörige 2009 mit rund 109.000 Personen (21 %) die größte Gruppe, gefolgt von Personen aus Bosnien und Herzegowina mit rund 52.000 Personen (10 %). Danach folgten Staatsangehörige von Serbien, Montenegro und dem Kosovo mit etwa 34.000 Personen (7 % der muslimischen Bevölkerung in Österreich) sowie russische Staatsangehörige mit ca. 18.000 Personen (4 %). Mit knapp 14.000 Personen (3 %) ebenfalls recht bedeutend waren mazedonische Staatsangehörige.   Im Vergleich zu 2001 nahm einerseits die muslimische Bevölkerung mit türkischer (−13 %) und bosnischer (−22 %) Staatsangehörigkeit durch Einbürgerungen sehr stark ab. Zugleich kam es zu einem deutlichen Anstieg russischer und serbisch/montenegrinisch/kosovarischer Staatsangehöriger mit islamischem Glaubensbekenntnis. So erhöhte sich die Zahl der (vermutlich) tschetschenischen Bevölkerung in Österreich von 2001 bis 2009 um etwa 18.000 Personen, jene der Bevölkerung aus dem Kosovo um rund 11.000 (+50 %).   Im Gegensatz zur Bevölkerungsentwicklung Österreichs, die weitgehend durch Zuwanderung gesteuert wurde, war die Zunahme der muslimischen Bevölkerung im Zeitraum 2001–2009 in wesentlich stärkerem Ausmaß auf Geburten als auf Zuwanderung zurückzuführen. Der Zuwachs der muslimischen Bevölkerung machte rund 53 % des gesamten Bevölkerungswachstums Österreichs in dieser Periode aus.« (Vgl. Marik-Lebeck 2010)

Mit dem nächsten Abschnitt werde ich zu zeigen versuchen, wie die Bevölkerungsentwicklung in den Organisationsstrukturen der Muslime in Österreich ihre Wirkung zeigt.

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

167

1.2 Muslimische Organisation in Österreich Eine der wichtigsten Institutionen, die die Muslime sogar in Europa bilden konnten, ist sicherlich die Gründung der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich genießt den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und ist schon seit dem Jahr 1912 in Österreich eine gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft. Seit den 1970er-Jahren verzeichnete die Islamische Glaubensgemeinschaft den stärksten Zuwachs aller Religionsgemeinschaften im Land, und heute ist der Islam unter den in Österreich lebenden AusländerInnen das am weitesten verbreitete Glaubensbekenntnis. (Janda 2010, 1) Die vollständige Anerkennung des Islams als öffentlich-rechtliche Körperschaft erfolgte im Jahr 1979 mit einem erlassenen Bescheid des Bundesministeriums für Unterricht und Kultur. Österreich war damit das erste europäische Land, das den Islamunterricht noch im Schuljahr 1982/83 an öffentlichen Schulen einführte. Die Zahl der muslimischen SchülerInnen, die den IRU besuchen, ist im Jahr 2009 auf über 55.000 Kinder angestiegen. Die Zahl der Kinder, die im Schuljahr 2011/12 islamischen RU besuchen, wird auf über 60.000 geschätzt.1 Neben einer privaten Berufsschule hat die IGGiÖ eine private Hochschule zur Ausbildung der ReligionslehrerInnen für die Pflichtschulen. Nach dem Abschluss dieser Hochschule haben die AbsolventInnen die Möglichkeit an der Universität Wien mit einem Masterstudium als Lehrer sich für die höheren Schulen zu qualifizieren. Imame werden nicht in Österreich ausgebildet, die Imame, die aus dem Ausland nach Österreich kommen, brauchen eine Bestätigung der IGGiÖ. Erst nach dieser Bestätigung erhalten solche Imame eine Arbeitsgenehmigung. Die Voraussetzung dafür ist der Erhalt einer entsprechenden Aufenthaltsbewilligung in Österreich (vgl. Heine and Syed 2005). Diese Imame werden jedoch weder von der IGGiÖ beaufsichtigt noch fortgebildet. 1.3 Die weiteren islamischen Organisationen und Moscheen in Österreich Nach einer Umfrage bezeichnen sich 68 % der Muslime als »gläubige Muslime« (vgl. Ulram 2010). Nach diesen Zahlen hat der Islam eine aktive Anhängerschaft in Europa bzw. in Österreich. Der Organisationsgrad der Muslime ist verhältnismäßig viel höher als der anderer Religions- und Migrantengruppen. 1

Nach den nicht veröffentlichten Informationen der IGGiÖ.

168

Ednan Aslan

Rund jeder fünfte befragte Türke (19,5 %) aus Oberösterreich gab an, Mitglied in einem oder mehreren Vereinen zu sein. Bei diesen Vereinen handelt es sich meistens um die islamischen Vereine. Diese Moschee-Vereine nehmen eine äußerst wichtige Funktion im sozialen Gefüge des Islam in Österreich ein und erfüllen verschiedene Funktionen: Gebetsräume, Informations- und Erfahrungsaustausch, politische Meinungsbildung, Versorgung mit religiöser Literatur, Identitätsfindung, Organisation des religiösen Lebens, Überwachung der HalalGebote (besonders die Einhaltung der Schlachtvorschriften für Rinder und Schafe), Verbreitung und Aufrechterhaltung der rituellen Regeln, Koranlesekurse (vgl. Bihl und Aslan 2009). Hinsichtlich der Zahl der Imame und Moscheen existieren keine genaueren Zahlen und Fakten. Die IGGiÖ, welche die Qualifikationsnachweise für die Imame ausstellt, führt keine Statistiken über die ausgestellten Bescheinigungen. Aus Mangel an sicheren Zahlen wird die Zahl der Moscheen bzw. Gebetsräume in Österreich auf über 300 geschätzt. Noch schwieriger ist die Einschätzung der Zahl der Imame und SeelsorgerInnen, weil nämlich die IGGiÖ selbst keinen Imam beschäftigt. 1.4 Muslimische Privatschulen In Österreich gibt es derzeit sechs islamische Privatschulen, die von verschiedenen Vereinen gegründet worden sind. In der ersten Gruppe der Schulen befinden sich die Volkschulen mit Öffentlichkeitsrecht. Dazu gehören die private Muhammad Asad Volksschule vom Verein International Organisation for Sience and Education, die private Islamische Volksschule Wien des islamischen Bildungs- und Kulturzentrums Österreich, die Österreichisch-Ägyptische Privatschule und die Privatvolksschule Al-Andalus. In der zweiten Gruppe sind die konfessionellen Gymnasien mit Öffentlichkeitsrecht. Dazu gehören das Islamische Realgymnasium Wien (IRGW) vom Verein Solmit und die AlAzhar International School. Die muslimischen Schulen sind in Österreich überwiegend zweisprachige Schulen, in denen die Kinder neben Deutsch hauptsächlich auf Arabisch unterrichtet werden. Hierin liegt auch der Hauptgrund für die Eltern, ihre Kinder in diese Schule zu schicken. Ein weiterer Grund ist, dass diese Schulen von ihnen als Garant moralischen Schutzes für ihre Kinder betrachtet werden, die von der modern-materialistisch und weltlich gestalteten österreichischen Gesellschaft schlecht beeinflusst werden könnten.

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

169

»Wir sind uns alle einig, dass unseren Kinder von klein auf grundlegende Werte und eine gehobene Ausbildung vermittelt werden sollten. Dafür hat das ›Integrative Bildungs- und Informationszentrum‹ mit einer Reihe von Kindergärten in Wien (Iqra, Yasin, Furqan, Baraka) bereits eine gute Grundlage gelegt: Mehr als 1000 Kinder im Alter von 2–6 wurden in diesen Einrichtungen betreut, erzogen, islamisch ausgebildet und mit großen Erfolg auf die Schule vorbereitet, al hamdulillah. Leider fehlt vielen unserer Kinder eine geeignete Förderung, welche ihre sprachlichen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen fördert. Unser Ziel ist es, die muslimischen Kinder auch nach dem Kindergarten und ganz speziell im pubertären Alter zu betreuen und sie mit Allahs Hilfe auf ihr weiteres Leben vorzubereiten.« (Asad-Schule, Wien)

Aus dem Werbeprospekt der Muhammad Asad Schule ist auch zu entnehmen, dass die muslimischen Eltern den Einfluss der österreichischen Gesellschaft auf ihre Kinder möglichst niedrig halten möchten, um eine islamische Identität fördern zu können. Auch aus dem Leitbild des islamischen Gymnasiums kommt der Wunsch der muslimischen Eltern zum Schutz der islamischen Identität und Kultur zum Ausdruck: »Die Integration muslimischer Jugendlicher in die österreichische Gesellschaft bei Bewahrung und Stärkung des islamischen Selbstverständnisses sowie die Aufrechterhaltung der islamischen Kultur und Identität ist ein besonderes Anliegen.« (SOLMIT-Verein)

Es sind zwar Wünsche zum Schutz der muslimischen Identität und Kultur vorhanden, aber in keiner Schule wird diese Identität und Kultur definiert, oder anders formuliert: Welche Gefahren in dieser Gesellschaft da eigentlich sind, die sich ganz besonders dekadent gegen die Moral der Muslime richtet, die zum Beispiel die Juden oder Christen nicht beträfen? Auf jeden Fall besteht das Lehrpersonal an diesen Schulen bis auf das für den Religionsuntericht in der Regel aus nicht muslimischen LehrerInnen. Einige dieser Schulen werden auch von nicht muslimischen Direktoren geleitet. Hier fehlt den Muslimen anscheinend noch das ausgebildete Lehrpersonal aus ihren eigenen Reihen. Nicht nur an den amerikanischen, auch an den Schulen Österreichs konnte immer die Antwort auf die Frage: »Was macht eine Schule eigentich islamisch?« nicht beantwortet werden. In keiner Veröffentlichung dieser Schulen habe ich diese Definition finden können, wie eigentlich eine islamische Erziehung und Bildung sein soll. Eltern schätzten jedoch die Atmosphäre der Schule, die auf die islamischen Feste und Gepflogenheiten anscheinend mehr Wert legen als staatliche Schulen. Darüber hinaus legen die Eltern großen Wert darauf, dass ihre Kinder an den islamischen Schulen wegen ihrer islamischen Bekleidung nicht diskrimiert werden. Diese Schulen bieten mehr Schutz für die islamische Lebensweise als in den staatlichen Schulen. Eine Mutter beschrieb ihre Gründe, warum sie ihre Tochter zum islamischen Gymasium schickte wie folgt:

170

Ednan Aslan

»Meine Tochter musste sich an den staatlichen Schulen immer rechtfertigen, warum sie Kopftuch trägt, warum sie nicht zu den Schulausflügen mitgeht usw., nun habe ich das Problem an dieser Schule nicht. Jeder weiß in dieser Schule, warum eine muslimische Frau Kopftuch tragen muss«. (Tosun 2009)

Die Eltern sind mehrheitlich davon überzeugt, dass die staatlichen Schulen die muslimischen Kinder benachteiligen und nicht ausreichend fördern würden. Das bietet ihnen weitere Gründe, ihre Kinder in die islamischen Schulen zu schicken. Die Eltern beklagen sogar die schlechte Qualität der islamischen Schulen, aber es ist ihnen wichtiger ihre Kinder in einer schlechteren Schule ausbilden zu lassen als in einer Schule, die nicht von islamischen Werten geprägt ist. Tabelle 1: Islamische Kindergärten & Privatschulen. Quelle: Antworten der einzelnen Schulleiter, eigene Darstellung Islamische Kindergärten & Privatschulen

An­ zahl

Kindergärten/Horte

Es liegen keine konkreten Angaben vor.

Private Islamische Volksschule Wien des Islamischen Bildungs- und Kulturzentrums

1

2003

852

Austrian International School, Volksschule3

1

2002

894

Volksschule Al-Andalus

1

2004

1505

isma Private Gesamtschule Muhammad Assad (isma Private Gesamtschule Muhammad Asad)

1

2009

-

Austrian International School, Sekundarstufe I

1

2002

71

Islamisches Realgymnasium Wien (IGW)

1

1999

2806

Berufsorientierte Islamische Fachschule für soziale Bildung

1

2002

1407

2 3 4 5 6 7

Grün­ dungsjahr

Schülerzahl zum Schuljahr 2012/13

Anfragebeantwortung durch den Schulleiter zum Thema Islamische Schulen in Österreich vom 27. 09. 2012. Hierbei handelt es sich um die Al Azhar Schulen, die seit laufendem Schuljahr in Austrian International Schools umbenannt wurde. Anfragebeantwortung durch die Schulleiterin zum Thema Islamische Schulen in Österreich vom 02. 10. 2012 Anfragebeantwortung durch den Schulleiter zum Thema Islamische Schulen in Österreich vom 26. 09. 2012 Anfragebeantwortung durch den Schulleiter zum Thema Islamische Schulen in Österreich vom 26. 09. 2012. Anfragebeantwortung durch die Schulleiterin zum Thema Islamische Schulen vom 27. 09. 2012.

171

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

2 Muslimische Kinder an den öffentlichen Schulen Laut Statistik gab es im Schuljahr 2010/11 insgesamt 101.350 muslimische SchülerInnen. Die meisten davon (44.494) leben in Wien; knapp 35.000 hiervon besuchten die Pflichtschule. Des Weiteren gibt es die meisten SchülerInnen in Oberösterreich (16.967) und Niederösterreich (10.328). In Oberösterreich sind 14.026 von insgesamt 16.967 SchülerInnen auf der Pflichtschule. Ein Vergleich mit den anderen Bundesländern zeigt, dass die Muslime und Musliminnen überwiegend auf der APS vertreten sind. Burgenland weist die wenigsten muslimischen Schülerzahlen auf. 8.859 die AHS bzw. BMHS verfügen über 4.485 bzw. 8.800 muslimische SchülerInnen, von denen die meisten in Wien leben. Generell gibt es weniger muslimische SchülerInnen auf den höheren Schulen; die meisten SchülerInnen für den BMHS haben Wien und Oberösterreich. Tabelle 2: Muslimische Schülerzahl im Schuljahr 2011/12 im Vergleich zu den gesamten SchülerInnen; Quelle: Landesschulräte der einzelnen Bundesländer und IGGiÖ Schultypen

APS

Gesamt

Burgen­ land

Nieder­ öster­ reich

Vor­ arlberg

18.487 112.048

Oberöster­ reich – 107.883

Steier­ mark

Wien

78.287 103.177

Kärnten

36.329

Muslime

934

10.626



14.446

5.576

28.942

2.319

Gesamt

5.885



7.865

28.289



61.570

12.483

Muslime

128



461

1.260



4.615

120

BMHS Gesamt

7.993



8.274

31.176



26.511

14.581

Muslime

244



845

2.222



1.482

75

AHS

Tirol

54.501

Salzburg

39.948 4.929

28.511

– –

15.422

– –

Vergleicht man den Anteil der muslimischen SchülerInnen im Verhältnis zu der GesamtschülerInnenzahl, ergibt sich folgende Sachlage: In Wien sind auf der APS 28.1 % der SchülerInnen muslimischen Glaubens. An den höheren Schulen beträgt diese Zahl für die AHS 7.5 % und 5.6 % für die BMHS (hier ist festzuhalten, dass die Zahlen für die muslimischen SchülerInnen nicht die Schulstufen ab der 9.  Klasse inkludieren, so dass in der Gesamtbetrachtung eventuell mit höheren Werten zu rechnen ist). In Oberösterreich, dem Bundesland, in dem abgesehen von Wien die meisten muslimischen Kinder und Jugendlichen leben, ergibt ein Ge­samt­ schülerInnenvergleich, dass auf den APS etwa 13.4 % muslimischen Glaubens sind. In den höheren Schulen ergibt sich ein Anteil von 4.5 % (AHS) bzw. 7.1 % (BMHS). In Niederösterreich, der Steiermark und Salzburg beträgt der Anteil der MuslimInnen (APS) 9.5 %, 7.1 % bzw. 12.3 % der gesamten SchülerInnenschaft.

172

Ednan Aslan

Eine interessante Statistik liefert auch Vorarlberg: Hier sind an den BMHS 10.2 % muslimisch. Allgemein lässt sich für die Bundesländer Oberösterreich, Vorarlberg und Burgenland feststellen, dass mehr SchülerInnen die BMHS besuchen als die AHS. Im Pflichtschulbereich tritt vor allem Wien hervor; hier sind fast ein Drittel der SchülerInnen muslimischen Glaubens. Ebenfalls fällt in der vergleichenden Betrachtung auf, dass die muslimischen SchülerInnen im Pflichtschulbereich höher repräsentiert sind als in anderen Schulbereichen. 2.1 Der Islamische Religionsunterricht in Österreich Gemäß Artikel 17 Abs. 4 StGG fällt der Religionsunterricht an den Schulen in den Zuständig­keitsbereich der Religionsgemeinschaften. Die Grundlage liegt in Artikel 1 Abs. 1 RelUG, wonach allen SchülerInnen, die einer Kirche oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören und eine öffentliche oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule besuchen, Religionsunterricht ihres Bekenntnisses erteilt werden muss (Gampl 1971, 103). Der Islamischen Glaubensgemeinschaft liegt durch das Islamgesetz von 1912 die gesetzliche Grundlage vor, als Religionsgemeinschaft [u. a.] auch Verantwortung für den Islamischen Religionsunterricht zu tragen. Dieser wird in Österreich seit dem Schuljahr 1982/83 erteilt. Muslimische SchülerInnen haben genauso wie andere das Recht, sich vom Religionsunterricht abzumelden. SchülerInnen, die noch nicht religionsmündig sind, also das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, können von ihren Eltern zu Beginn eines jeden Schuljahres schriftlich davon befreit werden. Dagegen können SchülerInnen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, dies selbst vornehmen. Erteilt wird der Religionsunterricht in einem Wochenumfang von zwei Unterrichtsstunden (Potz und Schinkele 2005, 37). Die Festlegung der Lehrinhalte sowie die Einstellung von ReligionslehrerInnen liegen im Kompetenzbereich der Religionsgemeinschaft und entziehen sich somit der gesetzlichen Regelung (Kalb 2004, 209; 224). Lehrmittel und Lehrbücher dürfen jedoch nicht im Widerspruch zur demokratisch-staats­bürgerlichen Erziehung stehen. In diesem Rahmen dürfen nur solche Personen diesen Beruf ausüben, die eine entsprechende Befugnis von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Öster­reich erhalten haben. Die Tabelle gibt einen Überblick über den Besuch des IRU im Schuljahr 2011/12 und vermittelt einen Einblick in Teilnahme- bzw. Abmeldequoten.

173

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

Tabelle 3: TeilnehmerInnenzahl am IRU für das Schuljahr 2010/11; Quelle: Anfragebeantwortung der IGGiÖ Schultypen

Öster­ reich

Wien

Vorarl­ berg

Tirol

Steier­ mark

Salz­ burg

Ober­ Nieder­ Kärnten Burgen­ österreich österreich land

APS

43.355

15.154

3.236

3.439

3.785

3.281

5.844

6.593

1.406

617

AHS

5.159

3.043

185

299

547

294

348

370

12

61

BMHS

5.703

2.177

303

464

525

448

642

972

8

164

54.217

20.374

3.724

4.202

4.857

4.023

6.834

7.935

1426

842

Ges.

Laut dieser Tabelle gab es insgesamt 54.217 SchülerInnen die im genannten Schuljahr den IRU besuchten. Dies entspricht im Vergleich zur GesamtschülerInnenzahl (Tabelle 2) einer 53.5 % Teilnahme insgesamt. Verteilt auf die Schultypen ergibt sich für die APS 51.8 %, AHS 58.2 % und BMHS 64.8 % Inanspruchnahme insgesamt. In den einzelnen Bundesländern sind sehr unterschiedliche Quoten zu beobachten: Eine schwache Teilnahme ist in Oberösterreich und Kärnten festzustellen; hier nehmen durchschnittlich 33.3 % bzw. 46.8 % am IRU teil. Insbesondere in Kärnten herrscht eine sehr schwache Inanspruchnahme; auf der BMHS nehmen 1.6 % der insgesamt 481 und 3.1 % von 386 S (AHS) an einem IRU teil. Im Pflichtschulbereich sind es dagegen 64.5 %. Die besten durchschnittlichen Quoten werden in der Steiermark 68.6 %, im Burgenland (66.2 %) und in Salzburg 67.5 % erreicht. In der Hauptstadt nehmen durchschnittlich 45.8 % am Religionsunterricht teil. Die Spanne liegt zwischen 1.6 % (in Kärnten auf der BMHS) und 94.1 % (Tirol BMHS). Tabelle 4: TeilnehmerInnenzahl am IRU für das Schuljahr 2011/12;Quelle: Anfragebeantwortung der IGGiÖ Schul­typen

Öster­ reich

Wien

Vorarl­ berg

Tirol

Steier­ mark

Salz­ burg

Ober­ Nieder­ Kärnten Burgen­ österreich österreich land

APS

47.139

17.040

3.317

3.344

4.273

3.414

6.426

7.091

1.620

614

AHS

6.385

3.639

207

324

744

375

459

455

110

72

BMHS

6.362

2.518

356

574

625

406

566

1.053

90

174

59.886

23.197

3.880

4.242

5.642

4.195

7.451

8.599

1.820

860

Ges.

174

Ednan Aslan

Die obige Tabelle zeigt die Zahl der muslimischen SchülerInnen, die im vorangegangen Schuljahr 2011/12 bundesweit den Islamischen Religionsunterricht in Anspruch genommen haben. Demnach waren im erwähnten Schuljahr rund 59.886 von insgesamt 79.029 muslimischen SchülerInnen im IRU. Das entspricht etwa 75.8 %. Ein bundesweiter Vergleich mit der AHS und BMHS ist insofern nicht sinnvoll, da für Wien, dem Bundesland mit den meisten muslimischen SchülerInnen, genaue Zahlen nur bis zur 9. Schulstufe vorliegen, der Rest wird nicht mit einbezogen. Der IRU schließt aber alle SchülerInnen, die den IRU besuchen, ein, so dass letzten Endes mehr Schüler am Religionsunterricht teilnehmen als von den Landesschulräten erfasst wurden. Im Bundesland Vorarlberg werden religionsspezifische Daten für den Allgemeinen Pflichtschulbereich nicht erfasst, deshalb liegen dort keine Angaben vor. Des Weiteren zeigt die Betrachtung der Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), dass 44.9 %% der muslimischen SchülerInnen am IRU teilnehmen; an den Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen (BMHS) beträgt die Zahl 42.1 %. In Kärnten hingegen nehmen überdurchschnittlich viele SchülerInnen am IRU teil: In der APS beläuft sich diese Quote auf 76.3 %; in den AHS sogar 91.7 %. Die Zahl der IRU-Teilnehmenden an BMHS ist sogar höher als die vom Landesschulrat angegebene Gesamtzahl muslimischer SchülerInnen. Somit nehmen in Kärnten durchschnittlich 78.5 % der Schüler am IRU teil. In Oberösterreich dagegen zeichnet sich im Vergleich zu anderen Bundesländern eine eher schwache Tendenz ab. Im Pflichtschulbereich liegt die Teilnahmequote bei 44.4 %; ein ähnliches Bild ist mit 36.4 % im AHS zu beobachten. Auch an den höheren Schulen herrscht sichtlich wenig Interesse; lediglich knapp ein Viertel der Schüler besuchen den IRU (ca. 75 % besuchen ihn demzufolge nicht). Im Durchschnitt haben in Oberösterreich somit 41.6 % der SchülerInnen Interesse an einem Islamischen Religionsunterricht. Im Burgenland liegt diese Quote bei 65.7 % für die APS bzw. bei 56.3 % an AHS und 71.3 % für die BMHS. Die durchschnittliche TeilnehmerInnenquote liegt demnach bei 65.8 %. Für Niederösterreich und Steiermark liegen hingegen nur die Schüler­In­ nen­zahlen vom Allgemeinen Pflichtschulbereich vor: Hier zeigen 66.7 % bzw. 76.6 % der Kinder und Jugendlichen Interesse am IRU. In Salzburg nahmen von 4.929 muslimischen SchülerInnen 3.414 am IRU teil, dies entspricht etwa 69.3 % (APS). Für das Bundesland Tirol sind leider keine Angaben möglich, da die Werte für die Vergleichsjahre nicht vorliegen. Verlässliche Aussagen über mögliche Gründe für bzw. gegen eine Teilnahme am IRU zu treffen, ist an dieser Stelle schwer. Vielfach finden Abmeldungen auf-

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

175

grund der heterogenen Strömungen innerhalb der Religion statt. Eine andere wichtige Rolle könnte auch die Angebotsdichte spielen: Sobald es mehrere Möglichkeiten gibt, auch im außerschulischen Bereich eine religiöse Unterweisung zu erhalten, streut sich auch die Zielgruppe. So könnte sich die Nachfrage in einigen Fällen z. B. auf die Moscheevereine verlagern. Weiter liegen vermutlich auch organisatorische Gründe vor, den IRU nicht zu besuchen; so kommt es vor, dass der IRU in einigen Fällen am Nachmittag stattfindet. Da dies unter Umständen mit zusätzlichem Aufwand für die Eltern verbunden ist, wird das Kind in solchen Fällen abgemeldet. Teilweise empfinden Eltern den IRU als zu traditionell bzw. als zu liberal orientiert und verweigern deshalb die Teilnahme ihrer Kinder am Unterricht (Khorchide 2010, 68). Beide Schuljahre im Vergleich zeigen auf, dass die Teilnahmequote seit dem Schuljahr 2010/11 angestiegen ist. Waren es 2010/11 nur 53.5 % die am IRU teilnahmen, stieg dies im Schuljahr 2011/12 auf bereits 75.8 % an. Insbesondere in Kärnten hat sich die Teilnehmerzahl am IRU von 46.8 % (2010/11) auf 78.4 % (2011/12) erhöht. Auch die restlichen Bundesländer zeigen mehr Nachfrage am IRU. Wie bereits eingangs erwähnt, liegt die Teilnahmequote 2011/12 auf Bundesebene bei 73.9 %. Hinzu kommen die oben beschriebenen Fälle, für die keine Daten vorliegen und die daher nicht in die Auswertung einbezogen werden konnten. Dennoch ist dies ein repräsentatives Ergebnis und zeugt davon, dass der IRU in Österreich überdurchschnittlich gut angenommen wird, wovon ein Vergleich mit dem Vorjahr ebenfalls zeugt. Fakt ist in diesem Zusammenhang, dass die Debatte um den IRU in Österreich – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – mittlerweile weit fortgeschritten und gereift ist und beginnt, einen eigenen Charakter zu entwickeln. Diese Beobachtung betrifft sowohl den Ausbildungs- als auch den Gestaltungsbereich und schlägt sich in der bundesweiten Teilnahmequote wider. Wie in jedem anderem Unterrichtsfach spielt auch beim IRU eine qualitative Ausbildung der Lehrenden eine besondere Rolle. Deshalb werden im folgenden Teil die Ausbildungsorte der islamischen LehrerInnen vorgestellt. 2.2 Die Ausbildung von muslimischen ReligionslehrerInnen Die LehrerInnen für den Islamischen Religionsunterricht werden in Österreich an zwei Einrichtungen aus­gebildet: ȤȤ Der »Private Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen« (kurz: IRPA) bietet die Ausbildung für LehrerInnen an Pflichtschulen an.

176

Ednan Aslan

ȤȤ Der MA-Studiengang Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien bildet LehrerInnen für höhere Schulen aus. Mit der offiziellen Einführung des Islamunterrichts im Schuljahr 1982/1983 an den österreichischen Schulen stieg auch die Nachfrage rasant an. Aufgrund der Neuetablierung des Faches wurde dringend nach qualifiziertem Personal gesucht. Um diesen Lehrermangel zu befriedigen, wurden zunächst in Österreich lebende MuslimInnen, und anschließend auswärts ausgebildete LehrerInnen (zumeist aus der Türkei) herangezogen. Doch fiel mit der Zeit auf, dass es dem Personal neben theologischen und pädagogischen Kenntnissen auch an sprachlichen Fähigkeiten mangelte (Khorchide 2009, 22). Daraufhin wurde im Jahre 1998 die IRPA gegründet. Mit dem Bescheid des Bundesministeriums für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten vom 23. 04. 1998 wurde sie als konfessionelle Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht zugelassen (Baumann 2001, 186). Später wurde die IRPA aufgelöst und am 30. 09. 2007 als »Privater Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen« (Volks,- Haupt,- Sonder- und Polytechnische Schule) neu gegründet. Anfangs lag der Fokus auf theologischen Fächern in arabischer Sprache, welche von Al-Azhar-Dozenten gelehrt wurden. Den pädagogischen Teil betreffend, mussten die Studierenden an eine entsprechende Fakultät verwiesen werden. Erst mit dem Schuljahr 2003/04 wurden Fächer in Deutsch eingeführt. Die Personalkosten vom IRPA-Lehrpersonal werden vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur übernommen (Khorchide 2010, 66). Eine Ausbildung für die höheren Schulen (Allgemeinbildende Höhere Schulen und Berufsbildende Höhere Schulen) findet am Fachbereich »Islamische Religionspädagogik« an der Universität Wien statt. Sie ist in ein Masterstudium eingebettet und umfasst in der Regel vier Semester. Auch nach erfolgreichem Abschluss des Studiums sind die islamischen Religionslehrkräfte dazu verpflichtet, jährlich an gesetzlich festgelegten Fortbildungen teilzunehmen. Diese finden am Privaten Hochschullehrgang für Islamische Religionspädagogische Weiterbildung (IHL) statt. Interessant ist an dieser Stelle ein Überblick über die Anzahl der Lehrenden, Schulen und Schultypen sowie dem Wochenstundenumfang in den Bundesländern. Dieser Themenkreis wird im folgenden Abschnitt behandelt.

177

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

2.3 Anzahl der LehrerInnen und Schulen für den IRU Im Folgenden werden der bundesweite LehrerInneneinsatz in den verschiedenen Schulbereichen und Schulen sowie die Wochenstunden und die Anzahl der Schulen für den IRU in den Bundesländern beschrieben. Tabelle 5: LehrerInnenzahl für IRU, Schulen und Wochenumfang des Unterrichts für das Schuljahr 2010/11; Quelle: Schulamt der IGGiÖ Wien Bundesland

Lehrerzahl APS

Wien

Schulen

AHS

BMHS

APS

Wochenstunden

AHS

BMHS

APS

AHS

BMHS

136

26

13

360

50

28

2.305

501

330

Vorarlberg

22

1

2

108

9

8

475

35

50

Tirol

30

8

8

212

17

22

552

49

65

Steiermark

29

7

5

139

9

10

539

55

58

Salzburg

31

7

10

163

16

22

530

56

62

Oberösterreich

42

3

2

245

12

18

815

46

89

Niederösterreich

59

10

11

378

34

33

1.145

49

107

Kärnten

11

1

1

93

2

3

262

2

3



3

3



4

6

114

9

21

Burgenland Insgesamt

481

2.001

8.324

Von den insgesamt 481 islamischen Lehrkräften wird der Großteil im Allgemeinen Pflichtschulbereich in Wien eingesetzt. An zweiter und dritter Stelle folgen Niederösterreich und Oberösterreich mit 59 bzw. 42 Lehrenden im Pflichtschulbereich. In Kärnten und Vorarlberg werden die wenigsten IslamlehrerInnen eingesetzt. Es lässt sich feststellen, dass im Pflichtschulbereich generell die meisten Lehrenden benötigt werden; an den Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen hingegen die wenigsten. Des Weiteren fällt auf, dass in Niederösterreich und Oberösterreich (im Vergleich zu Wien) nur wenige Lehrkräfte für zahlreiche Schulen zuständig sind. Auffallend sind diesbezüglich die Zahlen in Kärnten: Dort sind im Pflichtschulbereich 11 Lehrer für 93 Schulen zuständig. An den AHS und BMHS ist dieser Unterschied generell nicht so groß.

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3 Öffentliche Schulen als Ort der Begegnung mit der Gesellschaft Die Mehrheit der muslimischen Kinder kommt mit den Vorurteilen und der Weltsicht ihrer Eltern in die öffentlichen Schulen und begegnet der Schule mit großer Zurückhaltung. In dieser Begegnung werden das Verhalten der LehrerInnen und MitschülerInnen immer aus dieser Opferrolle heraus verstanden bzw. interpretiert. Aus einem Hospitationsbericht einer Projektmitarbeiterin ist zu entnehmen, wie die Kinder in dieser suggestiven Rolle die Schule wahrnehmen: »Sie besucht das Gymnasium seit vier Jahren. Das Fach Deutsch wird ungern besucht, da der Lehrer ›komisch‹ ist. Der Lehrer mag keine Ausländer, sagt A. Er ist so eigenartig und unfair zu ihr. Er hält nicht sein Wort und sie durfte keine Nachprüfung machen, deswegen hat sie nun einen 5er. Folglich hat A’s Mutter einen Brief an den Lehrer verfasst. A ist stolz, dass die Mutter sich einsetzt. Sie lacht beim Erzählen. Ich frage sie, ob der Lehrer zu allen ›Ausländern‹ so ist oder nur zu ihr? Ob ihr aufgefallen ist, warum er sie nicht mag? Sie sagte nein, vielleicht weil ich Türkin bin, aber sicher bin ich nicht – sagt sie. Sie spricht weiter über seine Gewohnheiten und das er langweilig ist und streng. Sie sagt dann, nein, ich denke er ist einfach so, also nicht rassistisch. Vielleicht ein bisschen ausländerfeindlich. In der Schule sind fast nur Österreicher, erzählt A, deswegen ist es eigentlich schwer zu sagen ob es daran liegt, dass sie Ausländerin ist. Sie glaubt nicht, dass es damit zu tun hat, dass sie Muslimin ist.« (Hospitationsbericht 2014)

Erfahrungen wie diese führen dazu, dass die Kinder sich kaum mit der Gesellschaft identifizieren können. Aus dem Bericht der Projektmitarbeiterin lesen wir weiter: »B. verbringt ihre Zeit nach der Schule entweder mit ihren Freundinnen oder mit ihren Cousinen. Sie ist lieber mit türkischen Freundinnen zusammen, obwohl sie auch österreichische hat. Die türkischen Jugendlichen verstehen sie besser, sie muss sich nicht erklären und alle verstehen sie, wenn sie spricht. … Sie hat das Gefühl, dass die Muslime in Österreich nicht gerne gesehen sind, vor allem die Türken und Araber …« (Hospitationsbericht 2014)

Die Eltern sind nicht in der Lage, unter diesen besonderen Bedingungen ihre Kinder ausreichend zu unterstützen. In den meisten Fällen können die Eltern nur ihre Vorurteile bzw. eigenen Erfahrungen an ihre Kinder weitergeben, die den Kindern an den öffentlichen Schulen die Identifikation mit der Schule enorm erschweren. »Sie mag Österreich, es ist schön hier, sagt sie, genau kann sie nicht sagen, was ihr am besten gefällt. Aber sie mag die Türkei lieber, denn dort sprechen sie ihre Sprache. Obwohl B sehr gut deutsch spricht, bis auf sehr wenige grammatikalische Fehler. Am meisten stört sie in Österreich, dass man an der Politik sieht, wie sehr sie die Türken oder Araber und den Islam nicht mögen. Das hat sie sehr verletzt, sagt sie.« (Hospitationsbericht 2014)

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

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3.1 Religiöse Erziehung als Beitrag zur Integration der muslimischen Kinder Unter besonderen Bedingungen der muslimischen Kinder an den öffentlichen Schulen kommt der religiösen Erziehung muslimischer Kinder im Prozess der Beheimatung in Österreich eine besondere Bedeutung zu, damit die hier heranwachsenden Muslime mit dieser neuen Heimat verwachsen können. Ohne das Gefühl einer inneren Verbundenheit kann man der Gesellschaft nicht wirklich dienlich sein. Islamische Erziehung hat die Aufgabe den Kindern diesen Wandel deuten zu helfen, so dass eine verbindende Identität in einer pluralistischen Gesellschaft in einem offenen Dialog mit eigener Tradition möglich sein wird. Anknüpfend daran, möchte ich auf die Rolle des islamischen Religionsunterrichtes hinweisen und verdeutlichen, welchen Beitrag er leisten kann bzw. soll, damit die Kinder die Schule nicht als Ort bedrohlicher Entfremdung erfahren müssen. 3.1.1 Heimat finden

Islamischer Religionsunterricht (IRU) in Europa ist der Lernort der »Selbstverortung«, Identität und innerer Heimat der muslimischen Kinder in Europa. In dieser Heimat erwerben die Kinder die Kompetenz, mit Zuversicht, Zutrauen und Gewissheiten der Gesellschaft zu begegnen. In Situationen, die als bedrohlich und ungewiss empfunden werden, braucht der Mensch diese innere Heimat mit inneren Gewissheiten, Zuversicht und Zutrauen. Um Österreich als Heimat annehmen zu können, benötigen die Kinder eine innere Bereitschaft. IRU als Ort des Vertrauens, kann die Kinder zur friedlichen Begegnung mit der Schule vorbereiten bzw. ermutigen oder zumindest einen Ausgleich zur inneren Spannung leisten und auf dieser Ebene psychosoziale Aufgaben wahrnehmen. IRU hat die Aufgabe, dass die SchülerInnen durch das Hineinnehmen in die Erfahrungen mit Gott in der Tradition des Islam, die der Unterricht bietet, ihre innere Heimat finden. Durch diese Heimat können die SchülerInnen einen Bezug zu ihrer Lebenswelt erschließen und fühlen sich auf der Erde Gottes nicht fremd, sondern gewollt – und zwar dort, wo sie sind. Ihren Wert können sie somit heilsam in ihrem Glauben erfahren und sind nicht auf die wankelmütigen, subjektiven Wahrnehmungen menschlichen Ermessens angewiesen, welche sich in sozialen, ethnischen oder politischen Empfindungen äußern. Heimat wird somit etwas Universelles, sie wird großräumiger als nur national beschränkte Heimat, sie wird zu einem inneren Raum der gesunden Selbstwahrnehmung, in der sich gläubige SchülerInnen angenommen fühlen.

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3.1.2 Theologische Begründung der neuen Heimat

MuslimInnen tun sich damit sehr schwer, die neue Heimat zu definieren und theologisch zu begründen. Hier bietet der Islam eine gute Grundlage, dass nämlich die Erde Gottes keine Grenzen kennt. Die Grenzen sind menschliche Erfindungen, damit wir uns als BürgerInnen identifizieren können. Als Geschöpf Gottes jedoch werden wir anderes gelehrt. In unserem Kontext ist die Theologie herausgefordert, den Wandel wahrzunehmen und die »Heimat-Definition« zu entpolitisieren und zum Ursprung zurückzukehren. Der Islam und die Lebensweise des Propheten bieten dazu ausreichende Grundlagen. »Die in Österreich geborenen Generationen von Muslimen brauchen eine islamische Identität, die sie von der Unsicherheit des Fremdseins befreit und ihnen die Fähigkeit verleiht, sich in Österreich heimisch zu fühlen. Der Glaube kann die Lebenssituation der Muslime in Österreich deuten und bewältigen helfen. Der islamische RU soll zur Entwicklung einer solchen Identität in einer nichtmuslimischen Gesellschaft einen Betrag leisten, so dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft in Gleichberechtigung, und gegenseitiger Zuwendung gelingt.« (Lehrplanentwurf der IGGiÖ von 2009)

3.1.3 Widersprüche klären und eine gemeinsame Sprache finden

Der Islam in Österreich braucht eine neue Sprache, die für MuslimInnen und NichtmuslimInnen verständlich ist. Die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Begriffe, die die Grundeigenschaften europäischer Gesellschaften beschreiben, haben im islamischen Kontext in der Regel immer einen negativen, religionsfeindlichen Beigeschmack. Das führt zu verschiedenen Missverständnissen und Kommunikationsschwierigkeiten. IRU bietet die Chance, dass die SchülerInnen im Kontext und Rahmen des Religionsunterrichtes diese Begriffe verstehen lernen. RU leistet dabei nicht nur einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration der SchülerInnen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Sprachförderung der Kinder, damit sie mehr Freude an ihrer neuen Schulsprache empfinden. Die Sprachprobleme der MigrantInnenkinder dürfen nicht nur auf die Mängel der Sprachförderkurse reduziert werden. Das Hauptproblem besteht nämlich darin, dass die Kinder sich mit der Sprache nicht identifizieren können. Sie verlieren immer mehr ihre ursprüngliche Spracherwerbsmotivation und die Freude ihre linguistischen Kenntnisse anzuwenden und zu perfektionieren. IRU fördert die Sprachfreude und bereitet Identitätsgrundlagen für die Sprache, nicht zuletzt berührt der IRU auch tiefe, emotionale Schichten, in der sich die Kinder gern ausdrücken und mitteilen möchten. Hier wären gute Sprachintentionen gegeben.

Muslimische Geschichte in Österreich und muslimische Kinder im Bildungssystem

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3.2 Im Dialog bleiben IRU ist der Ort, von dem die ersten Akzente des Dialoges ausgehen. In einer gleichberechtigten Atmosphäre der Begegnung wird miteinander kommuniziert. Das ist keine organisierte Kommunikation, sondern ein selbstverständlicher, natürlicher Austausch unter den SchülerInnen. Dialog in der Schule dient dazu, dass die Spannung unter den SchülerInnen abgebaut wird und daraus Vertrauen in das Instrument einer reichen, gepflegten Sprache und ihrer friedlichen und nicht aggressiven Anwendung entsteht. Eine Kultur des Dialoges in der Schule führt auch zu einem innergemeinschaftlichen Diskurs, der die muslimischen Gemeinschaften mit den Fragen des Kontextes konfrontiert und weitere Gespräche notwendig macht.

4 Fazit Österreich als Einwanderungsgesellschaft steht mit der wachsenden Zahl der Muslime an den öffentlichen Schulen vor Herausforderungen, die die Gesellschaft aus ihrer bisherigen Geschichte nicht kennt. Gleichermaßen sind die Muslime in einer pluralen Gesellschaft mit Fragen konfrontiert, die sie aus ihren herkömmlich traditionellen Verhältnissen heraus nicht beantworten können. In diesem Prozess kommt es entschieden darauf an, wie die hier heranwachsenden Generationen in Österreich heimisch verwachsen können, damit sie an der Gesellschaft partizipieren und die Fremdheit ihrer Eltern überwinden. Die Schulen als erster Ort gesellschaftlicher Begegnung für die muslimischen Kinder können einen wichtigen Beitrag leisten, da hier die Kinder mit besonderen pädagogischen Maßnahmen für die Gesellschaft vorbereitet werden. In den meisten Fällen sind die Schulen leider mit dieser Aufgabe überfordert, wodurch die muslimischen Kinder dadurch nur die Vorurteile ihrer Eltern bestätigen können. Islamischer Religionsunterricht als Ort der vertrauensvollen Begegnung kann die Kinder für eine friedliche Begegnung mit den Schulen vorbereiten und Grundlagen für eine innere Bereitschaft für die Beheimatung der Kinder leisten.

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Literatur Asad-Schule-Wien, www.is-ma.at (Zugriff am 03. 03. 2014) Aslan, Ednan (2002): Religiöse Erziehung muslimischer Kinder in Deuschland und Österreich. Stuttgart: Institut für islamische Erziehung Bihl, Wolfdieter (1991): Zur Stellung des Islam in Österreich. Österreichische Osthefte 3. Wien: Demographisches Jahrbuch Wien Gampl, Inge (1971): Österreichisches Staatskirchenrecht. Rechts- und Staatswissenschaften. Bd. 23. Wien Janda, Alexander/Vogl, Mathias (2010): Islam in Österreich. Wien: Österreichischer Integrationsfond Khorchide, Mouhanad (2010): Der islamische Religionsunterricht in Österreich. Wien: Inte­gre­ tions­fond Khorchide, Mouhanad (2009): Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Paralelgesellschaft – Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen. Darmstadt Marik-Lebeck, Stehpan. http://www.integrationsfonds.at. Herausgeber: Mathias Vogl Alexander Janda. Österreichischer Integrationsfond. Februar 2010 (Zugriff am 31. 12. 2014) Schuster, Andreas (1994): Islam in Wien. Wien: Diplomarbeit, Universität Wien SOLMIT-Verein. http://www.igwien.com/ (Zugriff am 03. 01. 2014) Tosun, Ayse, Interview geführt von Ednan Aslan. Isamische Schulen (09.02.2009) Ulram, Peter A. (2010): Integration in Österreich. Studie der GfK Austria GmbH, Wien: Bundesministerium für Inneres

Ethikunterricht für alle? Einige »vielleicht diversifizierende«1 Überlegungen zur Einführung eines verpflichtenden Unterrichtsfachs Ethik in Österreich2 Susanne Tschida

Man müsste hören, wie das Gesicht anders als in einer Sprache spricht, um die Gefährdetheit des Lebens zu erkennen, um die es geht. Judith Butler3

1 Vorbemerkungen Der hier vorliegende Text setzt sich aus drei Teilen zusammen: Im ersten Teil werden systematische Überlegungen zur Frage des Verhältnisses von Ethik- und Religionsunterricht formuliert. Dabei rekurriere ich zum einen auf die öffentliche Diskussion in Österreich, zum anderen – in Ermangelung eines verbindlichen Lehrplans für das Unterrichtsfach4 Ethik in Österreich – exemplarisch auf den Berliner Rahmenlehrplan zum Ethikunterricht. Teil Zwei versucht zentrale Argumente der DiskussionspartnerInnen im Rahmen der Tagung »Schule und Religion im Kontext von Pluralität« zu rekonstruieren, wobei hier aufgrund fehlender Dokumentation mittels Diktaphon/Videoaufzeichnung vor allem auf die im öffentlichen Diskurs vorgebrachten Argumente von Seiten des Katholischen Schulamts und der Jungen Liberalen verwiesen wird. Im dritten Teil formuliere ich einige unsystematische Überlegungen, die sich im Schreiben dieses Berichts in der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Forschungsarbeit zur politischen Theorie der Philosophin Judith Butler ergeben haben. Ich gehe der Frage nach, inwiefern mit Judith Butlers Entwurf einer Ethik der Gewaltlosigkeit (Butler 2005, 157) in ihrem Text Gefährdetes Leben (2005) 1 Sattler 2003. 2 Die nachfolgenden Überlegungen nehmen ihren inhaltlichen Ausgangspunkt von einer Podiumsdiskussion zum Thema »Ethikunterricht für alle?« im Rahmen der Tagung »Schule und Religion in der Pluralität«. 3 Butler 2005, 177. 4 Ethik wird hier immer noch (nur) an einigen ausgewählten Schulen im Rahmen eines Schulversuchs durchgeführt.

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für einen ethischen Ethikunterricht plädiert werden kann, mithin also einen, der Heranwachsende einer verantwortbaren (Handlungs-)Praxis entgegenführt. Ein solcher Ethikunterricht muss dann jedenfalls einer sein, der auf bestimmten Handlungsprinzipien fußt und sich damit zwar keiner Weltanschauung ausschließlich verpflichtet fühlt, aber eben auch nicht wertneutral sein kann – eine Schwierigkeit, die beispielsweise im BRLP5 (2012) sehr wohl angesprochen wird. Meine Überlegungen sollen hier allerdings thesenhaft andeuten, dass das Verhältnis von Weltanschauung respektive Ideologie und Wertorientierung als immanent verwobenes verstanden werden muss. Gerade deswegen, so meine These, braucht es in einem ethischen Ethikunterricht Formen der Ideologiekritik, die vorbehaltslos die den jeweiligen Handlungspraxen zugrundeliegende(n) Ideologie(n) kritisch in den Blick nehmen, ohne dabei allerdings auf eine zugrundeliegende Ideologie abzuheben. Der inhaltliche Rekurs auf die Philosophie/politische Theorie Butlers bietet sich insofern an, als bereits der Titel des hier vorliegenden Sammelbands auf das Subjektverständnis Butlers abhebt: Wir sind eben alle »andere«. Uns selbst und dem Anderen niemals völlig transparent, vielmehr unsouverän und fragil. Warum ein solches Subjektverständnis notwendig ist, um ethisch handlungsfähig zu werden, soll im dritten Teil meiner Überlegungen eröffnet werden.

2 Ausgangslage Ein wenig fühlt man sich an die Szenerie in »Und täglich grüßt das Murmeltier«6 erinnert: Knapp ein Jahr nach einer hitzigen medialen politischen Debatte zur (Nicht-)Einführung des Ethikunterrichts für alle SchülerInnen in Österreich scheint es, als wäre alles beim Alten. Nach wie vor läuft der seit 1997 eingeführte alternative Schulversuch »Ethik« für die Sekundarstufe II,7 wobei dieses Unterrichtsfach derzeit (noch immer ausschließlich) von jenen SchülerInnen verpflichtend zu besuchen ist, die zwar einer gesetzlich anerkannten Kirche bzw. Religionsgemeinschaft angehören, allerdings an keinem konfessionellen Religionsunterricht partizipieren. Ebenso müssen konfessionslose SchülerInnen sowie SchülerInnen, die einer »religiösen Bekenntnisgemein­schaft«8 angehören, 5 Berliner Rahmenlehrplan für das Unterrichtsfach Ethik. 6 Immerhin ist die Einführung des Schulversuchs fast so alt wie der Film selbst (Produktionsjahr: 1993). 7 Vgl. dazu insbesondere: Bucher, Anton A. (2001): Ethikunterricht in Österreich. Innsbruck: Tyrolia. 8 Bm:ukk, 4.

Ethikunterricht für alle?

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die staatlich anerkannt ist, an einem solchen Unterricht teilnehmen. Eine NichtTeilnahme ist für diese SchülerInnen nur dann möglich, wenn sie an einem Religionsunterricht einer (für den Gesetzgeber: beliebigen) staatlich anerkannten Kirche/Religions­gemeinschaft teilnehmen (vgl. bm:ukk: 4 f.). Dieses Modell stellt im europäischen Vergleich kein Alleinstellungsmerkmal Österreichs dar; in Deutschland ist die Entscheidung für oder gegen die Einführung eines Ethikunterrichts nicht bundesweit geregelt, sondern obliegt den einzelnen Bundesländern. Dennoch ist die Regelung in den meisten Bundesländern die gleiche wie in Österreich: bei Nicht-Teilnahme am Religionsunterricht ist Ethik als Pflichtgegenstand zu wählen. Eine9 prominente Ausnahme stellt dabei Berlin dar, hier gibt es seit dem Schuljahr 2006/2007 ein verpflichtendes, »ordentliches« Schulfach Ethik, das allerdings auf die Sekundarstufe I (Jahrgangsstufen 7–1010) beschränkt bleibt. Um nachvollziehen zu können, weswegen ein erbitterter (ideologischer) Streit um die (Nicht-)Einführung von Ethik in Österreich geführt wird, kann sich in gewisser Hinsicht ein vergleichender Blick nach Berlin als lohnend erweisen, das als Bundesland ein eigenständiges Unterrichtsfach »Ethik« begründet hat.11 Als grundlegendes Verständnis dieses Ethikunterrichts wird dabei im Berliner Rahmenlehrplan der Sekundarstufe I folgendes einleitend formuliert: »Im Mittelpunkt der Ethik steht das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zur Mitwelt und zur Umwelt und damit die Frage: ›Was ist ein gutes Leben und wie kann man es führen?‹ Die Ethik geht davon aus, dass alle Menschen ein grundlegendes Interesse daran haben, dass ihr Leben gelingt und dass sie das Recht haben, selbstständig und bewusst entscheiden zu können, was das eigene Leben zu einem guten, sinnvollen und wertvollen, kurz: zu einem gelingenden Leben macht.« (Berliner Rahmenlehrplan [BRLP] 2012, 9)

In diesem Verständnis kann die Sorge von VertreterInnen bestimmter Religionsgemeinschaften nachvollzogen werden, die im öffentlichen Diskurs davor warnen, den Religionsunterricht einem allgemein verpflichtenden Ethikunterricht unterzuordnen, indem dieser freiwillig zusätzlich zum Ethikunterricht besucht werden kann. In dem im BRLP angelegten Verständnis von Ethik bietet Religion nur eine mögliche Antwort auf die Frage nach einem guten, d. h.   9 Neben anderen wie beispielsweise Hamburg, Bremen oder Brandenburg. 10 Das entspricht der 4.–6. Klasse der weiterführenden Schulen in Österreich. 11 Ethik hat als Unterrichtsfach in Österreich schulrechtlich immer noch den Charakter eines Schulversuches. Damit gibt es auch keinen einheitlichen verbindlichen Lehrplan, sondern insgesamt neun verschiedene der teilnehmenden Schulen, wobei Bucher darauf verweist, dass am häufigsten der Lehrplan aus Salzburg angewendet wird. (Vgl. Bucher 2001, 24 ff.) Umstritten ist aber, wie viele Lehrpläne an den 194 Schulen faktisch zum Einsatz kommen. (Vgl. http:// lg-ethik.tsn.at/content/schullehrpl%C3%A4ne-ahs-und-bhms, letzter Zugriff: 03. 12. 2013)

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gelingenden Leben, nicht aber die zentrale. Wenn Religion und damit auch der Religionsunterricht in letzter Konsequenz (bei allem öffentlichen Eintreten für einen interreligiösen Dialog) einen Deutungsanspruch stellen, der hegemonial anderen Deutungsansprüchen vorgelagert ist – und den man dann glauben kann oder eben nicht12 –, dann stellt sich gerade vor diesem Hintergrund die Frage nach einer verpflichtenden Einführung des Ethikunterrichts. Der fachliche Anspruch des Ethikunterrichts wird nun im Berliner Rahmenlehrplan folgendermaßen gefasst: »Das Fach Ethik wird bekenntnisfrei – also religiös und weltanschaulich neutral – unterrichtet. Eine festlegende oder indoktrinierende Darstellung einer einzelnen Position hat zu unterbleiben. Dennoch ist der Unterricht nicht wertneutral. Die Jugend soll im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit erzogen werden. […] Was in der Realität kontrovers ist, muss auch im Unterricht als Kontroverse wiederkehren. Vom Unterrichtenden wird erwartet, dass er zu den angesprochenen Fragen und Wertkonflikten einen eigenen Standpunkt einnimmt und diesen glaubwürdig vertritt.« (Ebd., 10)

Der Verweis auf dieses Zitat erscheint mir insbesondere deswegen von großer Bedeutung, weil damit nochmals die zentrale Schwierigkeit eröffnet wird, um die Kirche und Staat im Streit um die Einführung von Ethik als eigenem Unterrichtsfach ringen. Der Ethikunterricht in seiner Durchführung soll demnach also zu allererst »religiös und weltanschaulich neutral (Hervorh. ST; ebd.)« vollzogen werden. Nun könnte es mit einem Alltagsverständnis naheliegen, davon auszugehen, dass ein Religionsunterricht auch religiös sei und damit – für Nicht-Gläubige – in gewisser Weise tendenziös.13 Vielmehr noch: Um als Unterricht an staatlichen Schulen statthaben zu dürfen, muss der Religionsunterricht ein konfessioneller sein, und damit ein positioneller. Wenngleich sich im religionspädagogischen Kontext durchaus wissenschaftlich fundierte Ansätze finden lassen, die genau dieses zurückweisen würden, so wird sich allerdings in letzter Instanz nicht leugnen lassen, dass in einer Religion wenigstens ein bestimmtes Bild von der Welt nicht gänzlich geleugnet werden kann; dies ist 12 So können die von der Leiterin des Wiener Schulamts, Christine Mann, geäußerten Bedenken gegenüber einem verpflichtenden Ethikunterricht für alle SchülerInnen parallel zu einem konfessionellen Religionsunterricht auf dieses Ringen um einen hegemonialen Deutungsanspruch verweisen (vgl. dazu http://www.schulamt.at/index.php/aktuelles/pressespiegel/ 964-kirche-unterstuetzt-positionspapier-des-staatssekretariates-fuer-integration-fuerverpflichtenden-ethikunterricht-alternativ-zum-konfessionellen-religionsunterricht, letzter Zugriff am 09. 12. 2013). 13 In diesem Zusammenhang erscheint die im Bundesverfassungsgesetz verankerte negative Religionsfreiheit nachvollziehbar, die eine umfassende »Glaubens- und Gewissensfreiheit« für alle Menschen gewährleisten soll (Vgl. dazu http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe? Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000006). Hier müsste m. E. eine Evaluierung von Religionsunterricht gewährleistet werden, die genau das sicherstellt.

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wenigstens dann nicht problematisch, solange diese (bestimmte) Position nicht indoktrinierend vermittelt wird. Wie es aber um die weltanschauliche Neutralität in anderen Fächern bestellt ist, also auch in dem Konzept des Ethikunterrichts, wie es sich in Berlin finden lässt, muss hinterfragt werden, denn das Vertreten bestimmter Werte und Anschauungen kann durchaus problematisierend als Form der Ideologie14 interpretiert werden. Kurzum: Es braucht an dieser Stelle insbesondere im öffentlichen Diskurs nochmals eine problematisierende und differenzierte Analyse zentral verwendeter Begrifflichkeiten wie eben Weltanschauung15, (weltanschauliche) Neutralität oder wertorientierter Unterricht16, die sich zuspitzen lassen könnte in der Frage, ob und inwiefern Unterricht überhaupt (unabhängig vom jeweiligen Fach) auch weltanschaulich neutral gestaltet sein könne oder gar müsse und ob dies überhaupt Ziel eines jeden Unterrichts sein solle bzw. wenn ja, was dies in concreto für die jeweilige Unterrichtspraxis bedeuten müsse. Vielmehr wird der Anspruch von Unterricht (sowohl im Religionsunterricht wie auch im Ethikunterricht) in den Lehrplänen dahingehend formuliert, eine (selbst-)kritische Praxis17 zu etablieren, die SchülerInnen dazu befähigt, Weltanschauungen18 (in

14 Ich rekurriere hier auf ein bestimmtes Verständnis von Ideologie, wie sie auch von Vertretern der Frankfurter Schule, insbesondere Theodor Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (2010 [1969]) gefasst wird. 15 Zu fragen ist m. E. danach, ob bestimmte Werte/Werthaltungen nicht Grundlage bestimmter Weltanschauungen sind – damit wäre eine geforderte Neutralität zum einen nicht gegeben und zum anderen muss es in einem demokratisch ausgerichteten Gesellschaftssystem freilich Werte (und damit Weltanschauungen) geben, die strikt abgelehnt werden, und die wohl auch nicht »neutral« vermittelt werden dürfen! Zu Recht betont hier der BRLP »Menschlichkeit«, »Demokratie« und »Freiheit« (ebd., 10), wenngleich an der Stelle des Lehrplans noch recht vage bleibt, worin sich diese Ideale in concreto unterrichtlich vermitteln oder anstreben ließen. 16 Vgl. dazu insbesondere Schluß 2007. 17 Vgl. dazu v. a. Bünger; Trautmann 2012. 18 Es scheint – auch in der sprachlichen Betonung im BRLP – nämlich die implizite Sorge deutlich zu werden, dass – hier mahnt zu Recht die Geschichte – im Unterricht Weltanschauungen möglicherweise indoktrinierend verbreitet werden. Problematisch ist aber dabei nicht bloß die Weltanschauung an sich (meine These ist hier, dass jedem öffentlichen Diskurs bestimmte Weltanschauungen notwendigerweise implizit zugrunde liegen), sondern problematisch wird, wenn eine bestimmte Weltanschauung dogmatisch und absolut, d. h. ohne Möglichkeit der Problematisierung und Kritik an ihr, Anderen aufgezwungen wird, wenn also über Herrschaftsstrukturen bestimmte Weltanschauungen verabsolutiert werden.

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ihrer Omnipräsenz) zu durchdringen und zu problematisieren19 – ohne dass eine Fiktion von weltanschaulich-wertfreiem20 Unterricht beschworen wird. Gleichwohl wird von Seiten der Religionsgemeinschaften die Befürchtung geäußert, dass unter Religion bloß eine bestimmte Art der Weltanschauung unter vielen verstanden wird, deren Positionalität sich unter vielen anderen behaupten muss. Manche Religionspädagogen (vgl. Schluss 2007, 70 f.) verweisen darauf, dass sowohl Ethikunterricht als auch ein Religionsunterricht den (immanenten) Anspruch haben, im Unterricht kontrovers zu diskutieren, was sich im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs als kontrovers erweise.21 Inwieweit ein solcher (hehrer) Anspruch in der schulischen Realität des Religionsunterrichts22 in Österreich umgesetzt wird, müsste jedenfalls empirisch untersucht werden.

19 Eine ähnliche Argumentation verfolgt Roland Reichenbach (2007) in seiner Kritik an den Ismen der Wissenschaft; auch dort werde deutlich, dass die Problematik zunächst sich nicht daraus ergebe, dass es bestimmte Ismen gebe, sondern vielmehr würden diese dann fragwürdig, wenn sie in verabsolutierter Weise in einem dogmatischen Allheitsanspruch versuchten, ihre Deutung der Welt als einzig angemessene zu beanspruchen (vgl. dazu insbesondere Reichenbach 2007). 20 An dieser Stelle sei mit Nachdruck darauf verwiesen, dass die Begriffe »weltanschaulich« und »wertneutral« nicht synonym verwendet werden, gleichwohl aber ihr immer auch verwobenes Verhältnis problematisiert werden soll. 21 Hier wird also ein zentrales Prinzip des Beutelsbacher Konsenses (Politische Bildung) (vgl. Wehling 1977) auf die Religionspädagogik übertragen. Dieser Konsens umfasst für den Bereich der Politischen Bildung drei zentrale Grundprinzipien: Zum ersten das »Überwältigungsverbot« (Wehling 1977, 179), das verhindern soll, dass SchülerInnen bestimmte Meinungen so aufoktroyiert werden, dass sie keinerlei Möglichkeit haben, sich ein selbstständiges Urteil zu bilden. Zum zweiten, dass das, »was in Wissenschaft und Politik kontrovers (Hervorhebung im Original, ST) ist, […] auch im Unterricht kontrovers erscheinen [muss]« (ebd.) sowie zum dritten, dass SchülerInnen befähigt werden sollen, sich zu politischen Situationen und ihren eigenen Interessenslagen zu verhalten (vgl. ebd., 180). Vgl.auch BRLP 2012, 9. 22 Bisweilen erscheint ja gerade diese kontroverse öffentliche Debatte in der Religionsgemeinschaft selbst der springende Punkt zu sein, man beachte beispielsweise die fehlende öffentliche, kontroverse Debatte der katholischen Kirche zu Fragen von Abtreibung, HIV-Prävention, etc … Hier kann nun in der Tat nicht behauptet werden, dass diese gesellschaftspolitisch brisanten Fragen öffentlich kontrovers diskutiert werden, wenngleich es wohl eine kontroverse innerkirchliche Diskussion geben mag. Man kann eine gewisse Öffnung erkennen, allerdings bleibt wenigstens die katholische Kirche in diesen entscheidenden Fragen argumentativ letztendlich dogmatisch. Bemerkenswert erscheint dabei auch, wie der neue Papst in der öffentlichen Debatte diesbezüglich als »modern« und »fortschrittlich« und »tolerant« imaginiert wird, wo doch in den entscheidenden Fragen eine völlig unveränderte Härte in der Argumentation deutlich wird. (Vgl. dazu http://diestandard.at/1388650950310/Papst-holt-gegen-Abtreibung-aus) Einmal mehr zeigt sich in der hier beschriebenen Argumentationslinie der herrschaftliche Gestus von Toleranz.

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3 Diskussionsergebnisse Die nun folgenden Ausführungen versuchen im Einzelnen die durchaus kontroversen Standpunkte der beiden DiskussionspartnerInnen in der Podiumsdiskussion im Rahmen der Tagung »Schule und Religion in der Pluralität« nachzuzeichnen.23 Die Diskussion wurde mit dem Titel »Interreligiöse Kompetenz für alle? Ethik-Unterricht« überschrieben; als GesprächspartnerInnen fungierten MoserZoundjiekpon24 als Vertreterin des katholischen Schulamts und Nikolaus Scherak25 als Vertreter der Jungen Liberalen (JULIS). Der Standpunkt der Katholischen Kirche in Österreich zur Frage des Ethikunterrichts kann (bis heute26 unverändert) folgendermaßen charakterisiert werden: Für Schulfragen zuständige VertreterInnen der katholischen Kirche in Wien, so auch Moser-Zoundjiekpon, plädieren für einen verpflichtenden Ethikunterricht, der von jenen Kindern/Jugendlichen besucht werden muss, die nicht am Religionsunterricht (welcher Konfession auch immer) teilnehmen.27 Die Leiterin des Wiener Schulamts, Christine Mann, begründet dies im öffentlichen Diskurs so: »Das Ziel ist ein guter und profilierter Religionsunterricht und ein ebensolcher Ethikunterricht.28 Mit verwaschenen Zwischenformen, einem Religionsunterricht, der unauffällig zu einem unver-

23 Als Grundlage dieser Wiedergabe dienen neben einem Gedächtnisprotokoll der Diskussionsleiterin Beiträge der jeweiligen Partei im öffentlichen medialen Diskurs, sowie Parteipapiere der JULIS (Junge Liberale), die zum heutigen Zeitpunkt (2013) durch ihre Assoziation mit den NEOS und dem Liberalen Forum umbenannt wurden in JUNOS. Da sich der vorliegende Text allerdings auf die Diskussion von vor zwei Jahren bezieht, spreche ich weiterhin bewusst von den JULIS. 24 Dr. Birgit Moser-Zoundjiekpon ist Leiterin der Abteilung für Rechtsangelegenheiten des Erzbischöflichen Amtes für Unterricht und Erziehung und damit insbesondere für die Begutachtung einschlägiger Gesetzes- und Verordnungsentwürfe sowie die Zusammenarbeit mit den staatlichen Schulbehörden zuständig. 25 Mag. Nikolaus Scherak ist seit 2010 Bundesvorsitzender der JULIS (Junge Liberale) sowie seit 29. 10. 2013 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS (Das Neue Österreich). 26 Aktueller Recherchestand: Dezember 2013. 27 Vgl. insbesondere http://www.dioezese-linz.at/redaktion/index.php?action_new=Lesen& Article_ID=58926 (letzter Zugriff: 09. 12. 2013). 28 Schluß (2001) verweist in seinen Überlegungen zum LER-Unterricht darauf, dass die Unterschiede zwischen einem Religionsunterricht (der säkularisiert ist) und einem Ethikunterricht längst nicht so groß seien, wie immer behauptet werde (vgl. ebd., 395). Zu (hinter-)fragen ist an dieser Stelle schon, inwieweit diese Diagnose empirisch in einem durchwegs katholischen Land wie Österreich haltbar bleibt, oder ob sich hier nicht noch immer Formen von Religionsunterricht finden lassen, die sehr wohl zentral auf »Gebet und Sündenfall« (ebd.) fußen.

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bindlichen Ethikunterricht mutiert, ist ebenso wenig gedient wie mit einem Ethikunterricht, der eigentlich ein verkappter oder verschämter Religionsunterricht ist.«29

Was denn unter einem »unverbindlichen Ethikunterricht«30 verstanden werden kann, bleibt in dieser Formulierung offen, erweckt aber ein wenig den Eindruck, als wäre Ethik als Fach weniger gewissen Grundwerten verbunden als der Religionsunterricht. Interessant scheint insgesamt die öffentliche Darstellung der eigenen Argumentation: Von Seiten der Kirche wird dabei nämlich auf die Betonung der Notwendigkeit eines eigenständigen Ethikunterrichts hingewiesen – der Nachsatz, dass dieser aber bitte nur von jenen SchülerInnen in Anspruch genommen werden solle, die nicht an einem konfessionellen Unterricht teilnehmen, wird ggf. auch vorgebracht, insgesamt entsteht dennoch der Eindruck, als würde im Öffentlichen dieser Teil des Argumentes eher ausgespart. Deutlicher wird Mann in öffentlichen Aussendungen zur Frage des Ethikunterrichts ein Jahr später: Als der Integrationssekretär Sebastian Kurz der (ÖVP) im Zuge des Wahlkampfs 2013 mit einem Vorschlag zum verpflichtenden Ethikunterricht für eben jene nicht am Religionsunterricht teilnehmenden SchülerInnen aufhorchen lässt,31 formuliert Mann in einer Aussendung nochmals explizit zum Vorschlag der Bundesministerin Schmied: »Dem seinerzeitigen Vorschlag der Bundesministerin32 eines Ethikunterrichts für alle, der letztlich eine Schwächung des konfessionellen Religionsunterrichts bedeutet, könne [sic!] man seitens der Kirchen und Religionsgesellschaften nicht beitreten, denn der Religionsunterricht leistet eben etwas, was kein Ethikunterricht leisten kann und darf. Die Vielfalt ist seine Stärke, und erst in jüngster Zeit wurden zwei weitere Kirchen und Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt.«33

Zum einen also liege die Gefahr eines verpflichtenden Ethikunterrichts für alle in einer (vermuteten?) Schwächung des Religionsunterrichts. Ein wenig alarmistisch mutet dieses Argument insofern an, als zum einen nicht klar wird, worin faktisch eine Schwächung des Religionsunterrichts durch den Ethikunterricht bestehen könnte und zum anderen, ob diese befürchtete Schwächung

29 Zit. nach http://www.dioezese-linz.at/redaktion/index.php?action_new=Lesen&Article_ ID=58926 (letzter Zugriff: 09. 12. 2013). 30 Ebd. 31 http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130701_OTS0013/sebastian-kurz-und-diestaatskunde-oevp-paradigmenwechsel-beim-ethikunterricht (letzter Zugriff: 09. 12. 2013). 32 Hier rekurriert Mann auf den von Claudia Schmied ausgearbeiteten und dem Parlament vorgelegten Bericht, vgl. dazu Schmied 2012. 33 http://www.schulamt.at/index.php/aktuelles/pressespiegel/964-kirche-unterstuetztpositionspapier-des-staatssekretariates-fuer-integration-fuer-verpflichtenden-ethikunterrichtalternativ-zum-konfessionellen-religionsunterricht (letzter Zugriff: 09. 12. 2013).

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tatsächlich eintreten wird. Denn immerhin: »Die Zukunft ist offen« (Popper/ Lorenz/Kreuzer, 6. Aufl. 1995). Vielmehr noch spricht aus dieser Begründung Sorge. Sorge davor, dass nicht mehr genügend SchülerInnen einen konfessionellen (vor allem wohl: den katholischen) Religionsunterricht besuchen. Ob dann aber diese Angst als sachlich-inhaltlicher Grund herangezogen werden kann, einen Ethikunterricht für alle grundsätzlich abzulehnen, bleibt fraglich. Eher scheint es angebracht, selbstkritisch den Gründen dieser Sorge nachzuspüren. Ein Religionsunterricht, der an der Zeit ist, der also in den Worten Manns gut und profiliert ist (ebd.), und das muss heißen, der vor allem kontrovers diskutiert, was sich im gesellschaftlichen Diskurs als kontrovers erweist, braucht sich nicht vor der Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für alle SchülerInnen zu fürchten (vgl. Dressler 2010, 113). Auch der Hinweis darauf, dass Religionsunterricht etwas leisten könne, »was kein Ethikunterricht leisten kann und darf«34 – eine wohl etwas nebulös anmutende Formulierung, die auf die offenkundige Positionalität (vgl. Dressler 2010, 113) des Religionsunterrichts abheben könnte – lässt sich dahingehend interpretieren, dass Religionsunterricht offensichtlich etwas vermittelt, was bei Modellen des Ethikunterrichts immer als große Gefahr wahrgenommen wird35: der Vermittlung von gewissen (dogmatischen) Glaubensinhalten. Zu Recht weist Mann darauf hin, dass Ethikunterricht dies nicht leisten dürfe und wohl im fachlichen Selbstanspruch36 in einem demokratischen Gesellschaftssystem nicht leisten soll. Gleichermaßen kann aber rückgefragt werden, wieso Religionsunterricht dies leisten solle und vor allem, worin dann tatsächlich dessen behauptete Stärke liegen mag. Das mag nun ideologisch be- und umstritten werden, inhaltlich überzeugend begründet wird diese Stärke von Dressler (2010). Dieser betont, dass die notwendige Positionalität des Religionsunterrichts insofern eine Stärke gegenüber der notwendigen weltanschaulichen Neutralität des Ethikunterrichts darstelle, wenn sich in diesem weniger

34 http://www.schulamt.at/index.php/aktuelles/pressespiegel/964-kirche-unterstuetztpositionspapier-des-staatssekretariates-fuer-integration-fuer-verpflichtenden-ethikunterrichtalternativ-zum-konfessionellen-religionsunterricht (letzter Zugriff: 09. 12. 2013). 35 Vgl. beispielsweise Berliner Rahmenlehrplan (BRLP) 2012, 10. 36 Ähnlich problematisch wäre ja eine politische Bildung, die dogmatisch Inhalte vermittelte. Dennoch denkt niemand mehr daran, das Fach »Politische Bildung« abzuschaffen. M. E. wäre hier eher zu fragen, welche Möglichkeiten der Kontrolle es gibt, um Tendenzen der Indoktrination im Unterricht (unabhängig vom jeweiligen Fach) aufzuzeigen und zu problematisieren und ggf. auch zu unterbinden.

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»ein[] Bekenntnismodus [oder gar, ST] ein Gesinnungsprofil« (vgl. Dressler 2010, 116) explizieren lässt, sondern »ein[] Angemessenheitsmodus: Um die Spezifik und die Erkennbarkeit einer bestimmten Religion (weil es kein religiöses Esperanto gibt) in der Pluralität [Hervorh. ST] unterschiedlicher Weltwahrnehmungen und Weltgestaltungen. Dazu sind Lehrpersonen geeignet, die nicht nur Kenntnisse über Religion(en) vermitteln können, sondern die selber ›Sinn und Geschmack für das Unendliche‹37 besitzen und eine religiöse Binnenperspektive erschließen können, also Erfahrungen und Urteilskraft aus der Teilnahme an der kulturellen Praxis einer Religion einbringen können.« (ebd., 116 f.)

M.E. kann dieses Argument inhaltlich gewinnbringend die Bedeutung des Religionsunterrichts gegenüber einer bloßen Religionenkunde (wie sie einen Teil des Ethikunterrichts darstellt [ebd., 112]) fokussieren, was allerdings in der Betonung der Pluralität erst recht für einen (zusätzlichen) eigenständigen Ethikunterricht spricht, der eben diese pluralen Perspektiven38 wissenschaftlich-kritisch in den Blick zu nehmen sucht. Gleichermaßen kann aber der Perspektive der JULIS eine gewisse Dogmatik angelastet werden, die sich darin äußert, dass die Jungen Liberalen überhaupt für eine umfassende Abschaffung des (staatlichen) Religionsunterrichts in einer säkularisierten Gesellschaft plädieren. In der Diskussion wurde von Nikolaus Scherak strikt zwischen privater und öffentlicher Sphäre unterschieden: so sei er selbst im Privaten zwar gläubig, plädiere aber in der öffentlichen Sphäre für eine (strikte) Trennung von Kirche und Staat. Diese sei eben nur dann gewährleistet, wenn die eigene Religion(sausübung) zur reinen Privatsache werde.39

37 Quelle dieses Zitats wird im Originaltext nicht entsprechend ausgewiesen (Anm. ST). 38 Es ist wohl notwendig, die Beiträge des Religionspädagogen Schluß (2010) historisch zu kontextualisieren. Eingedenk des Verbots eines Religionsunterrichts in der DDR mag die Sorge groß sein, wenn die Einführung eines Ethikunterrichts anstelle eines Religionsunterrichts befürchtet wird. Im (überwiegend) katholisch geprägten Österreich muss – ebenso historisch kontextualisiert – das Verhältnis von Kirche und Staat nochmals anders problematisiert werden (vgl. dazu u. a. Köchler 2012, 2). 39 Dies wird auch von der Initiative http://www.religion-ist-privatsache.at/ethik-fuer-alle/ forciert und politisch eingefordert. Allerdings wird bei der Sichtung der Positionen und des Positionspapiers dieser Initiative deutlich, dass auch hier eine sachorientierte Grundlage in der Argumentation für einen Ethikunterricht für alle bisweilen fehlt und zu Recht vermisst werden darf. Zwar fordert die Initiative laut Eigenauskunft »die Religionsfreiheit in einem säkulären Staat«, wenngleich deutlich wird, dass diese Religionsfreiheit ein ausschließlich privates Recht werden solle, das unabhängig von säkularisierten Vorgängen innerhalb des Staates Österreich dem einzelnen Individuum ermöglicht werde – ein klassisch liberales Argument. (Vgl. http:// www.religion-ist-privatsache.at/ethik-fuer-alle/, letzter Zugriff am 11. 09. 2014). Problematisch erscheint mir an diesem Argument, dass möglicherweise über das Zurückdrängen der Religion in die private Sphäre des Einzelnen justament wiederum jene Dogmatismen und Radikalismen erst ermöglicht werden, die BefürworterInnen der »Privatisierung« der Religionsausübung

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Vieles erinnert hier an die Überlegungen Hannah Arendts, die in Vita Activa zeigt, wie die privaten Angelegenheiten des Haushalts (der oikonomia), die in der griechischen Polis dem öffentlichen Bereich des Politischen gegenüberstanden, sich im Laufe der Geschichte in öffentlichen Angelegenheiten transformierten. (Vgl. Benhabib 1991, 148f) Ähnlich zu den konservativ anmutenden (und damit auch falsch verstandenen) Forderungen Arendts für den Bereich der Erziehung, der eben zunächst ein privater bleiben solle (vgl. Arendt 1994), wird hier für die Religion eine Zurückdrängung in den Bereich des Privaten eingefordert, wenngleich mit völlig anderen Motivationen. Während Arendt die Notwendigkeit einer Erziehung fernab der öffentlichen Sphäre damit begründet, dass die Heranwachsenden den Schutz des Privaten brauchten, um sich überhaupt im Anschluss neu und anders im Bereich des Öffentlichen behaupten zu können (vgl. Hermenau 2003), plädieren VertreterInnen der Initiative »Religion ist Privatsache« dafür, Religion als Teil des Öffentlichen gerade deswegen zu bekämpfen, weil diese keine gültige Wertegrundlage für einen säkularisierten Staat anbiete. Nun stellen Religion und Erziehung jedenfalls unterschiedliche Kategorien dar, beide können aber der Sphäre des Öffentlichen zugerechnet werden, und für beide gibt es gute Gründe, sie diesem Bereich des Öffentlichen zu entziehen. Dass hier allerdings tendenziös argumentiert wird, wird deutlich, wenn religiöse Inhalte verkürzt, verfälschend und ideologisierend eingesetzt werden. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn davon die Rede ist, dass »[d]ie Schöpfungsgeschichte keine Alternative zum Biologieunterricht [liefert], keine allgemeingültigen juristischen Erkenntnisse dem Studium der Scharia [entspringen] und biblische Überlieferungen oft in Konflikt mit dem [stehen], was uns die moderne Zeitgeschichte lehrt. Entsprechend kann in einer säkularen und aufgeklärten Gesellschaft auch der Religionsunterricht keinen Ersatz zu einem fundierten, weltanschaulich neutral konzipierten und entsprechend präsentierten Ethikunterricht liefern. Und schon gar nicht, wenn der zwingende Besuch des Ethikunterrichtes erst durch den Nichtbesuch des Religionsunterrichtes zustande kommt.«40

Zu hinterfragen ist nämlich, auf welcher gesicherten Grundlage die Initiative zu behaupten in der Lage ist, dass im Religionsunterricht wissenschaftlich gesicherte Tatsachen von Glaubensinhalten gewissermaßen »unterwandert« würden. Es bleibt also bei der Sichtung der Argumente liberaler politischer Statements zur Frage des Ethikunterrichts ebenso der Eindruck zurück, als würde die – beim politischen Gegner geortete fehlende – Sachlichkeit auch in der ausschließlich im Konnex von Kirche und Staat sehen; offen bleibt hier aber, ob dieser Konnex nicht ein immanenter ist, und vielmehr noch sein muss, wenn der Staat eine gewisse Kontrollinstanz innehaben will. 40 http://www.religion-ist-privatsache.at/ethik-fuer-alle/(letzter Zugriff: 11. 09. 2014).

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eigenen Argumentation fehlen, was insofern problematisch ist, als damit eine eingeforderte sachliche Begründung des Ethikunterrichts für alle eher geschwächt als gestärkt wird.

4 Für einen ethischen Ethikunterricht? Perspektiven auf Judith Butlers Subjektverständnis als Grundlage eines ethischen Ethikunterrichts Womit kann das télos einer jeden Ethik bezeichnet werden, worauf zielt sie ab? Hier lohnt sich ein Rückgriff auf die Kantsche Frage des »Was soll ich tun?«. Ethik sucht also nach Antworten auf die Frage, wie denn (ethisch) richtig zu handeln sei. Das impliziere, so Sattler (2006) zum einen, dass es möglich sei, etwas zu tun, und dass es zum anderen jemanden gebe, der absichtsvoll, also intentional, etwas tue. Mithin impliziert ein solches Verständnis der Zielgerichtetheit jedes ethischen menschlichen Handelns ein Subjektverständnis, welches das Subjekt als starkes, souveränes, als selbstidentes denkt. Im Gegensatz dazu konstituiert sich das Subjekt bei der Philosophin und Gesellschaftstheoretikerin Judith Butler als nicht-souveränes, vielmehr noch als »fragiles und fehlbares« (Sattler 2006, 179). Inwiefern kann dies nun in der Frage nach Möglichkeiten eines ethischen Ethikunterrichts weiterhelfen? So könnte doch mit guten Gründen behauptet werden, dass ein Subjekt einer Ethik, das sich selbst als fehlbares, brüchiges, jedenfalls nicht als vollständig intentional handelbares erlebt, in weitaus geringerem Maße (ethisch) wirksam handlungsfähig, als ein Subjekt, das sich zu allererst als souverän in seiner Handlungsmöglichkeit erlebe. Für Butler ist die Figur des nicht-souveränen Subjekts eine allererste Verhinderung ethischer Gewalt, die von der Philosophin bereits dort identifiziert wird, wo das Subjekt als starkes, selbstidentisches angerufen wird. Jedes Denken eines starken Subjekts ist damit bei Butler bereits eine Form ethischer Gewalt, und zwar deswegen, weil es den Anderen, den ›ich‹ adressiere, in systematischer Art und Weise verkennt. Für Butler stelle diese Fokussierung auf die Beschränktheit menschlichen Handelns (im Sinne eines souveränen Handelns) jedoch keine Begründung von Indifferenz gegenüber moralischer Verantwortung dar, sondern dieses Anerkennen sei die notwendige Voraussetzung dafür, zuallererst menschlich zu werden (Vgl. Sattler 2006, 180 ff.). Vielmehr erhöhe der Verlust der eigenen Souveränität die Handlungsmacht des Subjekts, so Butler, und zwar deswegen, weil

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»[der_die Handelnde, Einf. ST] (d. h. gerade nicht das souveräne Subjekt), handelt genau in dem Maße, wie er oder sie als Handelnde und damit innerhalb des sprachlichen Feldes konstitutiert wird, das von Anbeginn an durch Beschränkungen, die zugleich Möglichkeiten eröffnen [Hervorh. ST], eingegrenzt wird.« (Butler 2006, 32)

Im Wissen um diese eigene Nicht-Souveränität könne dem Anderen im Akt der Anerkennung ebendiese zugestanden werden und damit auch die »Forderung nach kohärenter Selbstidentität ausgesetzt werden« (Sattler 2006, 183) »Anerkennung verpflichtet in so manchem Fall das Aussetzen eines Urteils, um den Anderen erst einmal überhaupt zu erfassen« (ebd., 184). Damit betont Sattler die Bedeutung der Butler’schen Ethik dahingehend, dass diese Fragen von Verantwortung in weitaus höherem Maße hinsichtlich der Bedeutung des Anderen fokussierte als Ethiken, die auf ein starkes, mit sich selbst kohärentes Subjekt abheben. Mithin kann also Butlers Ethik als tatsächlich politische, und nicht bloß narzisstische, bloß die Sorge um sich selbst fokussierende, und damit tatsächlich ethische verstanden werden. Eine so verstandene Ethik könnte für praktisches Handeln gewendet auch sensibel machen für die Nicht-Souveränität des Anderen, weil ›ich‹ um ›meine‹ eigene Nicht-Souveränität weiß. Diese Sensibilität, das Anerkennen der eigenen Undurchsichtigkeit ermöglicht notwendig, dass Subjekte in der Lage sind, andere als das zu sehen, was sie (nie) sind, jedenfalls aber sich diesen Anderen im Bewusstsein zu nähern, sie und sich selbst niemals vollständig transparent machen zu können. So kann dieses Fokussieren der eigenen und fremden Nicht-Souveränität ein möglicher Einspruch gegen jene Argumente sein, die sich gegen einen EthikUnterricht vor allem aus Sorge um mögliche Tendenzen der Indoktrination aussprechen. Eine LehrerInnenausbildung, die Sorge für die Reflexion der eigenen Möglichkeiten und Grenzen des LehrerInnensubjekts bezüglich seiner Handlungsfähigkeit trägt, könnte, wenn auch nicht kausal notwendig, sensibel machen für den eigenen (ethischen) Dogmatismus. Judith Butler rekurriert in ihrem Essay Gefährdetes Leben (2005) auf Überlegungen des französischen Philosophen Emmanuel Lévinas, und begründet diesen Rekurs inhaltlich damit, dass er über die Figur des Gesichts (visage oder face) einen Ansatz für das Verhältnis von Gewalt und Ethik eröffne, den Butler wiederum für ihre Ethik der Gewaltlosigkeit nutzt. Um dieser Überlegung inhaltlich folgen zu können, sind zunächst einige Vorbemerkungen notwendig: Butler vertritt die These, dass sich menschliche Existenz erst im Moment der Anrede durch andere zeige, das menschliche Subjekt werde erst über diese

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Anrede konstituiert, und zwar noch bevor dieses einen eigenen Willen ausbilden könne.41 Lévinas formuliere dabei in seinen Überlegungen die These, dass der Andere über sein Gesicht ethische Forderungen an das Ich, das Individuum stelle. Dabei liege dem Gesicht in seinen Forderungen allerdings kein impliziter Sinn zugrunde, »der Imperativ, den es übermittelt, ist nicht unmittelbar in eine Vorschrift übersetzbar, die sprachlich formuliert und befolgt werden könnte.« (Butler 2005, 157) Für Lévinas liege in dieser Annäherung an das Gesicht eine grundlegende, geradezu notwendige Form von Verantwortung, die das einzelne Subjekt damit übernehme. Die Bedeutung des Gesichts sieht Butler vermittelt durch das Gebot »Du sollst nicht töten«, ohne dass dieses Gebot tatsächlich zur Sprache gebracht werde. Im Gegenteil: Das »Gesicht [ist] […] am Ende […] gerade die wortlose Vokalisierung des Leidens« (ebd., 159), die gerade nicht sprachlich übersetzt werden könne. Wenn nun auf das Gesicht reagiert werde, so bedeutet dies für Butler »wach zu sein für das, was an einem anderen Leben gefährdet ist, oder vielmehr wach zu sein für die Gefährdetheit des Lebens an sich.« (ebd., 160) Dabei stehe weniger die Sorge um das eigene Leben, sondern die Sorge um das Leben des Anderen beziehungsweise die Gefährdetheit des Anderen im Zentrum. Das Gesicht zeuge von zwei Äußerungen: zum einen von der Offenbarung der Verletzbarkeit und zum anderen verkünde es das Verbot des Tötens. Ethische Sorge als Ursprung der Gewaltlosigkeit konstituiere sich nun aus einem Dilemma. Den Ursprung denkt Butler dabei gerade nicht als friedvollen Ort, sondern vielmehr als Spannungsverhältnis zwischen Angst und Furcht. (Vgl. ebd., 163) Das Dilemma bestehe darin, dass das einzelne Subjekt von der Angst um das eigene Leben und Überleben getrieben sei und gleichzeitig verspüre es Furcht davor, den Anderen zu verletzen. Innerhalb dieses Dilemmas könne sich also etwas wie ethische Sorge ausbilden, die allerdings als solche keine statische Größe darstellt, sondern immer 41 Hier ist ein Exkurs auf Butlers Überlegungen zur Subjektkonstitution qua Anerkennung notwendig. Sie rekurriert dabei grundsätzlich auf die Überlegungen Foucaults, der die Konstruktion von Subjekten in Bezug auf bestimmte moralische Codes denkt. Dabei stelle sich für ihn immer die Frage, »wie bestimmte historisch gegebene präskriptive Codes eine ganz bestimmte Art der Subjektformierung [erzwingen]« (Butler 2007, 26). Die Selbstwerdung sei damit immer im Rahmen bestimmter Normierungen zu denken, womit Butler die Aufgabe der Kritik darin sieht, »die Grenzen des historischen Rahmens […] offen zu legen, vor dem überhaupt Subjekte entstehen.« (ebd., 28) Innerhalb der Anredeszene bestimmten von außen vorgegebene Normen, ob das Subjekt ein anerkennungsfähiges sei. Anerkennung müsse damit immer in Bezug zu diesen Rahmen gesetzt werden, ohne dass die Form der Anerkennung eine determinierte sei (vgl. Butler 2007, 33 ff.).

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ein Ringen um Gewaltlosigkeit im Angesicht möglicher Gewalt. Zwar könne, so Rieger-Ladich (2012), die Verletzbarkeit des Anderen als conditio humana angenommen werden, nur ergebe sich daraus noch nicht zwangsläufig »eine Kultur wechselseitiger Anerkennung.« (Rieger-Ladich 2012, 67) Die Verletzbarkeit des Anderen anzuerkennen, erfordert damit zum einen Bewusstsein für diese als menschliche Conditio, zum anderen ein beständiges Einfordern der Sichtbarmachung dieser grundlegenden Verletzbarkeit innerhalb gesellschaftlicher Strukturen, die durch ihre normativen Rahmungen (frames [vgl. Butler 2010, 9]) nur allzu oft verschleiern, dass diese Verletzbarkeit nicht grundsätzlich allen Menschen zugesprochen wird. Vielmehr werden über die Art und Weise der Rahmungen eben bestimmte Subjekte als verletzbare anerkannt und andere nicht. Ein Ethikunterricht, der sensibel macht für die umfassende Verletzbarkeit des Menschen und der auch sensibel macht für die Hegemonien, die gesellschaftlich wirksam sind respektive werden, und damit bestimmten Menschen einen anerkennbaren Subjektstatus systematisch verwehren, könnte – so meine Überlegungen – einer sein, der zu Recht als ethischer Ethikunterricht bezeichnet wird. Ob er damit weltanschaulich neutral ist, kann in der Kürze meiner Überlegungen hier nicht beantwortet werden und müsste auch zur Diskussion gestellt werden, meine These aber ist vielmehr, dass er – aus guten (ethischen) Gründen – ein positioneller sein muss. Judith Butler liefert in ihren Überlegungen Positionen, die einen solchen Unterricht denk- und umsetzbar werden lassen. »Großmutter gibt mir mit der Hand zu verstehen, dass ich leise sein soll. Nicht so laut, sagt sie, sonst kann man nichts hören.« Maja Haderlap42

Literatur Arendt, Hannah (1994): Die Krise der Erziehung. In: dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken. München, S. 255–276 Benhabib, Seyla (1991): Modelle des öffentlichen Raums. Hannah Arendt, die liberale Tradition und Jürgen Habermas. In: Soziale Welt. Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis. 42. Jahrgang, Heft 2, S. 147–165 Bucher, Anton (2001): Ethikunterricht in Österreich. Bericht der wissenschaftlichen Evaluation der Schulversuche »Ethikunterricht«. Innsbruck Butler, Judith (2005): Gefährdetes Leben. In: dies., Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt am Main, S. 154–178 42 Haderlap 2010, 287.

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Butler, Judith (2006): Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt/M. Butler, Judith (2007): Kritik der ethischen Gewalt. Adorno-Vorlesungen 2002. Erweiterte Ausgabe. Aus dem Englischen von Reiner Ansén und Michael Adrian. Frankfurt/M. Butler, Judith (2010): Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Frankfurt am Main/New York Bünger, Carsten/Trautmann, Felix (2012): »Demokratie der Sinne« – Judith Butlers Kritik der Gewalt als politische Bildung der Empfänglichkeit. In: Norbert Ricken/Nicole Balzer (Hg.), Judith Butler – Pädagogische Lektüren. Wiesbaden, S. 399–412 Köchler, Hans (2012): Das Verhältnis von Religion und Politik in Österreich und Europa. Vortrag anlässlich der landeskundlichen Schulung türkischer Religionsbeauftragter. Online verfügbar unter: http://hanskoechler.com/Koechler-Religion-Politik-%C3%96sterreich-ATIB25Mar2012-V5.pdf Hermenau, Frank (2003): »Im Grunde erziehen wir immer schon für eine aus den Fugen geratene Welt«. Zum Verhältnis von Politik und Erziehung bei Immanuel Kant und Hannah Arendt. In: Praktische Philosophie und Pädagogik. Kasseler Philosophische Schriften 37. Herausgegeben von Heinz Eidam und Frank Hermenau. Kassel, S. 146–155 Haderlap, Maja (2010): Engel des Vergessens. München Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (192010): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. Popper, Karl R./Lorenz, Konrad/Kreuzer, Franz (61994): Die Zukunft ist offen: das Altenberger Gespräch. München Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I – Ethik (2012). Herausgegeben von Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Reichenbach, Roland (2007): Philosophie der Bildung und Erziehung. Eine Einführung. Stuttgart Rieger-Ladich, Markus (2012): Judith Butlers Rede von Subjektivierung. Kleine Fallstudie zur »Arbeit am Begriff«. In: Ricken, Norbert; Balzer, Nicole (Hg.), Judith Butler: Pädagogische Lektüren. Wiesbaden, S. 57–74 Sattler, Elisabeth (2003), Bildung, die an der Zeit ist. Diverse, vielleicht diversifizierende Bemerkungen zu bildungstheoretischen Entwürfen. Wien Sattler, Elisabeth (2006): Zur Ethik eines nicht-souveränen Subjekts. Judith Butlers Einsätze für Anerkennung, Verantwortung und Menschlich-Werden. In: Dörpinghaus, Andreas; Helmer, Karl (Hg.), Ethos – Bildung – Argumentation. Würzburg, S. 177–188 Schluß, Henning (2001): Vom Einfachen, das schwer zu machen ist. Eine Antwort auf Friedrich Schweitzer. In: Neue Sammlung. Vierteljahresschrift für Erziehung und Gesellschaft, Heft 3, 41. Jahrgang, S. 393–397 Schluß, Henning (2007, Hg.): Indoktrination und Erziehung – Aspekte der Rückseite der Pädagogik. Wiesbaden Schmied, Claudia (2012): Bericht gemäß Entschließung des Nationalrates vom 19. 01. 2012 betreffend Ethik-Unterricht (221/E XXIV.GP). Online verfügbar unter: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/III/III_00357/imfname_270888.pdf (letzter Zugriff: 03. 12. 2013) Wehling, Hans-Georg (1977): Konsens à la Beutelsbach? In: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, S. 173–184

»Also ich habe kein Problem damit.« – Religiöse Pluralität in der Schule aus Sicht katholischer ReligionslehrerInnen Edda Strutzenberger-Reiter

1 Einleitung »Welche Bedeutung haben Religion und religiöse Pluralität in der Schulentwicklung?«1 ist die grundlegende Frage meiner Dissertation. Da sich der religionspädagogische Diskurs immer wieder auf religiöse Phänomene und Pluralisierungstendenzen in der Schule bezieht, allerdings kaum empirische Untersuchungen dahingehend vorhanden sind, wie die am Schulleben beteiligten Personen diese wahrnehmen,2 wählte ich einen qualitativ-empirischen Zugang, um meine Forschungsfrage zu beantworten. So können die Beteiligten selbst zu Wort kommen. Der Workshop konzentrierte sich auf die Rollen und Funktionen, welche die ReligionslehrerInnen im Schulleben und der Schulentwicklung innehaben, ebenso ihren Umgang mit religiöser Pluralität innerhalb der Schulentwicklung. Im ersten Teil des Artikels referiere ich exemplarisch eine empirische Untersuchung, die sich mit der Situation von ReligionslehrerInnen in einer pluralen Gesellschaft auseinandersetzt, um danach darauf einzugehen, was die Befragten meiner Forschungsarbeit zum Thema religiöse Pluralität in der Schulentwicklung zu sagen haben.3

1 Unter Schulentwicklung verstehe ich die Entwicklung einzelner Schulen. »Schulentwicklung im Sinne der Entwicklung der einzelnen Schule ist das Bemühen der an der Schule Beteiligten, das Lernen, Arbeiten und Leben in der Schule systematisch, zielgerichtet und kontinuierlich zu verbessern. Dazu werden die wesentlichen Orientierungsgrößen des Handelns in der Schule gemeinsam geprüft, die Ziele geklärt, die überfachliche Kooperation der Lehrer und Lehrerinnen gesichert und die Leistungen der Schule als Ganzer an pädagogischen Standards ausgewiesen.« (Schönig 2002, 261) 2 Jäggle/Krobath/Schelander 2009. 3 Aufgrund der gebotenen Kürze ist das nur ein sehr kleiner Ausschnitt meiner Forschungsarbeit. (Vgl. Strutzenberger 2012)

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2 ReligionslehrerInnen in pluraler Gesellschaft Im Folgenden beziehe ich mich auf die Untersuchung von Monika Jakobs, Ulrich Riegel, Dominik Helbling und Thomas Engelberger,4 die in der deutschsprachigen Schweiz im Jahr 2006/07 durchgeführt wurde. Sie nimmt die Bedingungen des Religionsunterrichts in einer von Pluralität gekennzeichneten Situation und die Einstellungen und Antworten der ReligionslehrerInnen darauf in den Blick. Befragt wurden Religionslehrkräfte aus unterschiedlichen Kantonen, 560 Fragebögen wurden insgesamt ausgewertet.5 Die befragten Lehrkräfte sind offen gegenüber anderen religiösen Traditionen und erachten es als selbstverständlich, jede Religion vorurteilsfrei in ihrem Unterricht zu behandeln. Es ist ihnen aber auch wichtig, die SchülerInnen mit der eigenen Konfession vertraut zu machen. Die Verschränkung dieser beiden Zielperspektiven kann pädagogisch erklärt werden: Im Zentrum des Religionsunterrichts befinden sich die SchülerInnen und sowohl die neutral informierende als auch konfessionelle Zielsetzung stehen im Dienst am Subjekt.6 Das Forschungsteam war davon ausgegangen, dass die ReligionslehrerInnen religiöse Pluralität ambivalent beurteilen würden. Diese Hypothese hat sich nicht bestätigt, denn es wurde deutlich, dass die Lehrkräfte eher eine »reflexionsfreudige Religiosität« vertreten, die Religion sowohl als Gegenstand persönlicher Beschäftigung als auch intellektueller Auseinandersetzung auffasst.7 Dementsprechend sind die befragten Lehrkräfte der Ökumene und dem interreligiösen Dialog gegenüber aufgeschlossen und lehnen Absolutheitsansprüche der je eigenen Religion ab. So wird von Seiten der Befragten der konfessionelle Religionsunterricht als ein Ort von religiöser Bildung in einem pluralen Kontext verstanden.8 Es geht ihnen darum, SchülerInnen zu helfen, Sinn und Orientierung in ihrem Leben zu finden.9 Diese Studie zeigt, dass die ReligionslehrerInnen – zumindest in der Selbstbeschreibung – positiv auf religiöse Pluralität reagieren und ihren Unterricht dementsprechend ausrichten und gestalten. Damit tragen sie zur Entwicklung von Pluralitätsfähigkeit bei den SchülerInnen bei und unterstützen es, Schule als einen Ort zu gestalten, der dieser Pluralität Rechnung trägt. 4 5 6 7 8 9

Vgl. Jakobs 2009. Vgl. ebd., S. 39. Vgl. ebd. S. 54. Vgl. ebd. S. 74. Vgl. ebd. S. 100 f. Vgl. ebd. S. 103.

»Also ich habe kein Problem damit.«

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Zwar wurde die Studie in der Schweiz und dadurch unter anderen Bedingungen als in Österreich durchgeführt, doch ging ich – auch aufgrund einer österreichischen Forschungsarbeit von Anton Bucher und Helene Miklas10 – davon aus, dass Ähnliches für die ReligionslehrerInnen in Österreich gilt: Sie stellen in ihrer Tätigkeit die Kinder und Jugendlichen in das Zentrum des pädagogischen Geschehens, lehnen Indoktrination ab und versuchen, die SchülerInnen bei der Entwicklung ihrer je eigenen Religiosität unter Achtung ihrer Autonomie zu unterstützen. In Bezug auf die Situation religiöser Pluralität scheint es den Religions­ lehrerInnen wichtig zu sein, die SchülerInnen mit der je eigenen Konfession vertraut zu machen – bei gleichzeitiger Information über andere Religionen. So werden diese bei der Positionierung in einer pluralen Gesellschaft unterstützt. Ich komme nun exemplarisch auf die Ergebnisse meiner Dissertation in Bezug auf die Rolle religiöser Pluralität in der Schule und Schulentwicklung zu sprechen.

3 Forschungsergebnisse: Religiöse Pluralität als Problem? Für meine Forschung interviewte ich neun katholische ReligionslehrerInnen, die an Wiener AHS tätig und in Schulentwicklungsprozesse involviert sind, mittels problemzentrierter Interviews nach Andreas Witzel.11 Die Auswertung und methodologische Grundlegung folgte den Grundsätzen der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack.12 Ein Themenkreis der Interviews betraf die Wahrnehmung von religiöser Pluralität durch die ReligionslehrerInnen und ihren Umgang damit in der Schulentwicklung. Die drei wichtigsten Ergebnisse stelle ich im Folgenden vor: 1. Vor allem der Dimension des Wunsches kommt eine große Bedeutung zu, wenn es um interreligiöse Zusammenarbeit geht. Fast alle der Interviewten äußerten von sich aus, dass sie sich intensiveren Kontakt mit VertreterInnen anderer Religionen und Konfessionen wünschen würden, dieser aber strukturell verhindert wird. So meint eine Interviewpartnerin: »Also mir ist das trotzdem sehr, sehr wichtig, weil ich merke schon beim islamischen Unterricht, der ist nachmittags, das kriegen wir schon sehr wenig mit. (…) Ich sehe ihn auch nie, wenn er am Nachmittag kommt, na, und also ich glaube zur Kommunikation und eben zur 10 Vgl. Bucher/Miklas 2005. 11 Vgl. Witzel, Andreas: Das problemzentrierte Interview [25 Absätze], in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research, 1 (2000), URL: http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:0114-fqs0001228 (Stand: 17. 01. 2012). 12 Vgl. Bohnsack 2007.

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Schulentwicklung, dass man da mitmacht (…) ist der Kontakt vormittags mit den Kollegen einfach wichtig.«13 Ein wichtiger Faktor, der Kontakt verhindert, sind also Unterrichtszeiten, die am Nachmittag stattfinden. Das trifft vor allem den islamischen Religionsunterricht. Eine Möglichkeit, die Kontaktaufnahme zwischen den ReligionslehrerInnen zu erleichtern, ist bspw. die zeitliche Gleichschaltung der Religionsstunden, wie das eine Interviewpartnerin für ihre Schule schildert.

2. In Bezug auf die strukturellen Schwierigkeiten wird der Ruf nach Unterstützung von Seiten der Kirchenleitungen laut: »Und da denke ich mir, da haben wirklich die Kirchen und Religionsgemeinschaften eine schwere Verantwortung.« Interreligiöse Zusammenarbeit beruht im Schulalltag auf der Initiative Einzelner und kommt, so sie nicht strukturell abgesichert ist und sich beide Seiten mit gleichem Arbeitsaufwand einbringen können, schnell an ihre Grenzen. Wie fragil sich diese Kooperationen gestalten, wenn keine strukturelle Unterstützung vorhanden ist, lässt sich aus dem Bericht einer Interviewpartnerin ablesen. Sie beendete ein interreligiöses Projekt deswegen, weil es rein auf ihrem individuellen Engagement beruhte und sie zu wenig Unterstützung erfuhr. 3. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Pluralität als Problemfall spiegelt sich in den Schulen wider. Eine Religionslehrerin antwortet auf Vielfalt in der Schule angesprochen: »Also ich habe kein Problem damit. Die Schüler glaub ich auch nicht. Es sind eben die Klassen multikulturell und sehr multireligiös.« Hier betont sie, eben kein Problem mit Pluralität zu haben, was aber darauf hinweist, dass das von anderen Seiten nicht so wahrgenommen wird. Auch Schulen reagieren kaum auf die veränderte gesellschaftliche Situation. Sie blenden Fragen der Vielfalt aus und bieten wenig bis keine Unterstützung für interreligiöse Kooperationen. Als einzige Reaktion auf religiöse Diversität schildern die Interviewten die Einführung des islamischen Religionsunterrichts. Diese wird auf der einen Seite positiv aufgenommen, auf der anderen Seite wiederum werden die Angehörigen unterschiedlicher Religionsgesellschaften segregiert und noch dazu die Kontaktaufnahme zwischen den ReligionslehrerInnen erschwert.

4 Perspektiven und weiterführende Fragestellungen Insgesamt gesehen ergibt sich also ein disparates Bild, wenn es um Fragen der Vielfalt und religiösen Pluralität in der Schule geht. Alle befragten LehrerInnen 13 Der guten Lesbarkeit halber wurden die Zitate aus den Interviews hier in Schriftdeutsch übersetzt.

»Also ich habe kein Problem damit.«

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signalisierten Bereitschaft und Interesse an interreligiösen Projekten, die auch über den Unterricht hinauslaufen, berichteten aber geschlossen von einer Situation, in der dieses Handeln erschwert wird. Gleichzeitig scheint es den am Schulleben beteiligten Personen schwerzufallen, religiöse Pluralität nicht nur in Form von interreligiösem Kennenlernen zu verstehen, sondern auch als Möglichkeit zur Gestaltung des Schullebens anzusehen. Aus diesen Ergebnissen ergaben sich weiterführende Fragestellungen und Perspektiven, die auch im Workshop diskutiert wurden: »Wie können ReligionspädagogInnen heute Deutungskompetenzen für Religion erwerben? Wo erfolgt eine Sensibilisierung für religiöse Dimensionen in der Welt von heute? Welche Möglichkeiten haben die zukünftigen LehrerInnen, diversitäts- und pluralitätskompetent zu werden? Inwiefern ermöglichen die ausbildenden Institutionen interreligiöse Kontakte unter den Studierenden bzw. mit VertreterInnen anderer Religionen? Wie werden die angehenden LehrerInnen auf den Umgang mit religiöser Pluralität vorbereitet?« Dies sind wohl zentrale Fragen, welche die Zukunftsfähigkeit von Theologie und Religionspädagogik mitbestimmen werden.

Literatur Bohnsack, Ralf (2007): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen Bucher, Anton/Miklas, Helene (Hg.) (2005): Zwischen Berufung und Frust. Die Befindlichkeit von katholischen und evangelischen ReligionslehrerInnen in Österreich, Wien Jakobs, Monika/Riegel, Ulrich/Helbling, Dominik/Englberger, Thomas (2009): Konfessioneller Religionsunterricht in multireligiöser Gesellschaft, Zürich Jäggle, Martin/Krobath, Thomas/Schelander, Robert (2009): Religiöse Dimensionen in der Schule. Vom scheinbaren Randthema zu zentralen Fragen der Schulentwicklung, in: dies. (Hg.): lebens. werte.schule. Religiöse Dimensionen in Schulkultur und Schulentwicklung, Berlin/Wien Schönig, Wolfgang (2002): Schulentwicklung. Über eine »terminologische Nebelbombe« und das »Religiöse« im Schulkonzept, in: Achim Battke/Thilo Fitzner/Rainer Isak/Ullrich Lochmann (Hg.): Schulentwicklung – Religion – Religionsunterricht. Profil und Chance von Religion in der Zukunft der Schule, Freiburg im Breisgau Strutzenberger, Edda (2012): »Dass Religion auch hier mitspielt …«: zur Bedeutung von Religion in der Schulentwicklung. Eine empirische Studie. Dissertationsschrift eingereicht an der Universität Wien Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview [25 Absätze], in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research, 1 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114fqs0001228, zuletzt abgerufen am 17. 01. 2012)

Schulpastoral und Schulseelsorge Anne-Kathrin Wenk

Die TeilnehmerInnen des Workshops »Schulpastoral – Schulseelsorge«, der von Anton Salomon, Anne-Kathrin Wenk, Heike Wolf und Monika Zotter verantwortet wurde, nehmen im Stuhlkreis Platz. Sie werden von einem ökumenischen Team aus Lehrerinnen einer Schule in evangelischer bzw. katholischer Trägerschaft und Verantwortlichen der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems für das katholische Privatschulwesen und der Evangelischen Kirche in Österreich für die evangelischen Schulen begrüßt. Auf einem Tuch in der Mitte liegen unterschiedliche Gegenstände, die für das Schulpastoral/die Schulseelsorge stehen können: ein Kreuz, eine Bibel, Muscheln, Steine und Blumen, Kerzen, verschiedene Postkarten, ein kleines leeres Buch, ein Rosenkranz … Die TeilnehmerInnen werden eingeladen, sich einen Gegenstand auszusuchen und ihr eigenes Verständnis von Schulpastoral/Schulseelsorge vorzustellen. In dieser ersten Runde des Gespräches wird die Unterschiedlichkeit des Verständnisses aufgrund der Herkunft deutlich: Den deutschen evangelischen TeilnehmerInnen ist die Schulseelsorge seit Ende der 1980er-Jahre bekannt. Sie beschreiben Schulseelsorge als weitgehend festen Bestandteil vieler, auch öffentlicher Schulen  – zunehmend mehr auch im Osten Deutschlands. In Österreich arbeiten an derzeit 37 evangelischen Schulen nur drei ehrenamtliche SchulseelsorgerInnen, an öffentlichen Schulen keine. An den evangelischen Schulen in Österreich wird ganz besonders die Minderheitensituation der Evangelischen deutlich: Ca. die Hälfte der SchülerInnen sind Katholiken; Evangelische und SchülerInnen ohne religiöses Bekenntnis halten sich mit weniger als 20 % die Waage. D. h., die Konfessionalität einer evangelischen Schule ergibt sich immer weniger aus der Konfessionalität ihrer LehrerInnen und SchülerInnen. Schulseelsorge kann hier einen wesentlichen Beitrag zur Profilstärkung als evangelische Schule leisten. An den katholischen Schulen wurden in den letzten Jahren Aufgaben der Schulpastoral vielfach von ReligionslehrerInnen übernommen  – zum Teil

Schulpastoral und Schulseelsorge

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ergänzend zu den Ordensangehörigen des Schulerhalters, mehr und mehr auch ersetzend. Mit dem Rückgang der Ordensmitglieder stellte sich vermehrt die Frage nach der Zukunft der Ordensschulen. Wie kann eine Ordensschule ohne Ordensschwestern und -männer bestehen, wie die Schule im Geist ihrer GründerInnen weitergeführt werden? An vielen katholischen Schulen wurde in den letzten Jahren Schulpastoral in das Zentrum des Schulprofils gestellt: Eine gute Schule zeichnet sich durch soziale/emotionale Qualität und spirituelle Kompetenz aus. Die langfristig aufgebauten Schulpastoralteams, in letzter Zeit besonders verstärkt durch SchulsozialarbeiterInnen und Nicht-ReligionslehrerInnen, nehmen ihre Beauftragung bewusst wahr. Trotz der Unterschiedlichkeit der historischen und gegenwärtigen Situation treffen sich beide Seiten im gemeinsamen Verständnis von Schulpastoral/Schulseelsorge: Für die katholische Schulpastoral gilt damit, was für die evangelische Schulseelsorge im EKD Orientierungsrahmen beschrieben ist. Sie »ist ein durch den christlichen Glauben motiviertes und von der Kirche getragenes offenes Angebot an alle Menschen im Lebensraum Schule (SchülerInnen, LehrerInnen, Mitarbeitende an der Schule, Eltern). … (Sie) ist im Raum der Schule präsent: Sie nimmt wahr und hört zu, bietet Rat, Hilfestellungen und religiös-ethische Begleitung in den Herausforderungen des alltäglichen Lebens an. … (Sie) unterbreitet Gesprächsangebote für Einzelne und Gruppen, begleitet Gruppen in liturgischen und spirituellen Formen, vermittelt Hilfe und vernetzt sich mit anderen Diensten. Sie ist auch Partner in Kriseninterventionen. Damit leistet sie neben anderen einen Beitrag zu einer lebendigen und menschenfreundlichen Schulkultur und kann so Teil einer ›caring community‹ werden.« (EKD 2013) Aufbauend auf diesem gemeinsamen Verständnis wird derzeit eine ökumenische Modulreihe »Ermutigung zur Lebensbegleitung. Kompetent Beraten und Begleiten aus christlicher Perspektive« an der KPH Wien-Krems entwickelt. Begleitend dazu werden die Rahmenbedingungen (Seelsorgegesetz, kirchliche Beauftragung, finanzielle und organisatorische Unterstützung durch die Träger der konfessionellen Schulen) vorbereitet. Mit einem alten irischen Segen verabschieden sich die TeilnehmerInnen des Workshops voneinander: »Mögest du schon am Morgen der Hilfe des Himmels gewiss sein und über den Tag in der Sicherheit leben, den rechten Weg zu gehen.«

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Anne-Kathrin Wenk

Literatur Dam, Harmjan (2011): Schulseelsorge. Tragendes Element in der Schulkultur einer evangelischen Schule, in: Martina Kumlehn (Hg.): Protestantische Schulkulturen. Profilbildung an evangelischen Schulen, Stuttgart, S. 191–200 Dam, Harmjan/Spenn, Matthias (Hg.) (2007): Evangelische Schulseelsorge. Hintergründe, Erfahrungen, Konzeptionen, Münster Dam, Harmjan/Spenn, Matthias (Hg.) (2009): Qualifizierung Schulseelsorge, Münster Dam, Harmjan/Spenn, Matthias (Hg.) (2011): Seelsorge in der Schule  – Begründungen, Bedingungen, Perspektiven, Münster Dam, Harmjan/Zick-Kuchinke, Heike (1996): Evangelische schulnahe Jugendarbeit, Neukirchen EKD (2013): Orientierungsrahmen für die Evangelische Schulseelsorge in der EKD, Hannover

Die Autorinnen und Autoren

Dr. Ednan Aslan ist Professor für islamische Religionspädagogik am Zentrum für LehrerInnenbildung und Leiter des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien. Dr. Michael Domsgen ist Professor für Evangelische Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dr. Bernhard Dressler ist Professor i. R. für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Marburg. Dr. Martin Jäggle ist Professor i. R. für Religionspädagogik und Katechetik, Institut für Praktische Theologie, Katholisch-Theologischen Fakultät, Universität Wien. Dr. Thomas Krobath ist Vizerektor für Forschung & Entwicklung, Internationalisierung und Ökumene an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Dr. theol. Mag. phil. Regina Polak, MAS ist Assoziierte Professorin am Institut für Praktische Theologie (katholisch) der Universität Wien. PD Dr. Georg Ritzer ist Religionslehrer und Lehrbeauftragter an der Universität Salzburg. Dr. Henning Schluß ist Professor für Bildungsforschung und Bildungstheorie am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.

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Die Autorinnen und Autoren

Mag. Amena Shakir ist Lehrende der islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik am Hochschulstudiengang für das Lehramt für Islamische Religion (IRPA) und Leiterin desselben. Forschungsschwerpunkte: Entwicklung der Islamischen Religionspädagogik im deutschsprachigen Raum, Didaktik und Methodik des Islamischen Religionsunterrichtes, Frau im Islam. Mag. Dr. Alfred Garcia Sobreira-Majer unterrichtet Evangelische Dogmatik, Ökumenische Theologie und Religionspädagogik an der Kirchlichen Pä­da­ gogischen Hochschule Wien/Krems und ist dort Co-Leiter des Kompetenzzentrums für interkulturelles, interreligiöses und interkonfessionelles Lernen. Dr. Edda Strutzenberger-Reiter ist Religionspädagogin an der KPH Wien/Krems, Trainerin und Beraterin. Mag. Susanne Tschida ist Pädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin (praedoc) am Institut für Bildungswissenschaft. Mag. Anne-Kathrin Wenk ist Referentin für Schul- und Bildungsfragen der Evangelischen Kirche in Österreich. PD Dr. Dr. Joachim Willems verwaltet die Professur für evangelische Religionspädagogik der Universität Oldenburg.