Wilhelm von Humboldts Sonettdichtung [Reprint 2020 ed.] 9783111489810, 9783111123301

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Wilhelm von Humboldts Sonettdichtung [Reprint 2020 ed.]
 9783111489810, 9783111123301

Table of contents :
Inhalt
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Anmerkungen
Anhang

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WILHELM VON HUMBOLDTS

SONETTDICHTUNG VON

ALBERT LEITZMANN

BONN 1912 / A. MARCUS & E. WEBERS VERLAG

DRÜCK DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKERET IN LEIPZIG

BERTHOLD DELBRÜCK ZUM

SIEBZIGSTEN GEBURTSTAG

Inhalt. Seite

3 Alexander von Humboldts Auswahl aus den Sonetten seines Bruders 3. — Poetischer und persönlicher Wert der Sonette 5. — Humboldts Beurteilung seiner Dichtungen 6. — Sein dauernder Trieb zu poetischer Produktion 9. 2

10

Humboldt in Göttingen Zeuge der Wiedergeburt des deutschen Sonetts durch Bürger und Schlegel 11. — Canzone an Schiller 12. — Distichische Gedichte i3. — Sonett an Moltke, Gedicht über Rom i4* — Gedichte in Canzonenform 16. — Sonettkrankheit in Weimar 17. — Königsberger Sonette, „Weibertreue" 18. — Sonette zwischen 1809 und i83o 21. 3

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Alterssonette 22. — Spaziergänge 24. — Sonette als Abschluß des Tages 25. — Vierjährige Sonettperiode 26. 4

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Schlegels Bedeutung in der Geschichte des deutschen Sonetts 28. — Formelle Forderungen des Idealschemas 3o. — Humboldts Verhältnis zu ihnen 31. — Trochäensonette und ihre Quelle 32. — Reimstellung 33. — Reimgeschlecht: Schlegel 36, Chamisso, Humboldt 37. — Kritik von Schlegels Forderung des ausschließlich weiblichen Reims 3 8 . — Sprachwidrige Archaismen 4o. 5 Innere Form des Sonetts als Mustergattung der Gedankenlyrik 43. — Dialogisches Sonett 45. — Rätsel in Sonettform 47. — Satz und Gegensatz 49-

43

6 Gedankengehalt der Sonette 5o. — Naturbilder 51. — Tiere, Sternenhimmel 53. — Erinnerungen an die Vergangenheit 55. —Sprachstudium 56.—Indische Motive 57. — Völkertypen 58. 7

Verhältnis zur Antike 60. — Griechische Göttinnen 62. — Griechische Sage und Dichtung 63. — Liebe zur Plastik, geringes Verhältnis zur Musik 64. — Plastische Werke in Tegel 65. 8 Künstlerisches Porträt im Sonett 66. — Karoline von Humboldt 68. — Rahel 69. — Verstecknamen 70. — Napoleon, Schiller, Goethe 7 1 . — Tieck 72. — Schlegel 73. — Bettina, Polemik gegen Chamisso 74. 9

Rollensonette 75. — Humboldts plastische Phantasiewelt 76. — Stella 77. — Fatme, Hulda, andre weibliche Gestalten 78. — Schauspielerin 79. Anmerkungen Anhang Nr. 1—10 Porträts, Nr. 11 — (3 Selbstcharakteristiken.

WILHELM VON HUMBOLDTS

SONETTDICHTUNG Ists kein jauchzend Volk, Poet, ists ein Freund, der dich versteht

I s in den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die gesammelten Werke Wilhelm von Humboldts unter der maßgebenden Mitarbeit seines Bruders Alexander zuerst hervortraten, dem es daran lag, von dem geistigen Wesen des Verewigten ein möglichst vollständiges Bild darin erscheinen zu lassen, war es eine Überraschung selbst für solche, die ihm im Leben nahegestanden hatten, am Schlüsse jedes der sieben Bände der Sammlung eine Reihe gedankentiefer, in der äußeren Form nicht immer ganz einwandfreier Dichtungen abgedruckt zu finden, die ihn als leidenschaftlichen Liebhaber der Sonettform zeigten. Von diesen Dichtungen, die Alexander damals als eine Art Tagebuch bezeichnete, in dem ein edles, stillbewegtes Seelenleben sich abspiegele, 1 wurde dann i853 nach dem Abschluß der Werke eine besondere, zierlich ausgestattete Ausgabe veranstaltet, die der überlebende Bruder mit einer warm empfundenen Einleitung ausstattete, deren stilistische Formung im einzelnen von den Batschlägen seines Freundes Varnhagen beeinflußt worden ist. 2 Aus einer Sammlung von fast zwölfhundert Sonetten, die sich im Nachlaß Humboldts gefunden hatten, waren diese dreieinhalbhundert durch Alexander ausgewählt worden, eine schwierige und verantwortungsvolle Arbeit, bei der er, wie ich aus ungedruckten Briefen feststellen konnte, von dem poetischen Feingefühl der Frau Hedwig von Olfers unterstützt wurde, deren Vater Staegemann selbst ein fruchtbarer Sonettist gewesen war, 3

— 3

deren unfehlbaren Blick füir alles wahrhaft Poetische, deren innere geistige Verwandtschaft mit den Ideen Humboldts Hermann Grimm in seinem bekannten Nachruf gerühmt hat. 4 Ob die Beteiligten bei allem zweifellos vorhandenen guten Willen sich die Schwierigkeiten der ihnen auferlegten Pflicht der Auswahl genügend klar gemacht, ja ob sie überhaupt, was eine zwar entsagungsvolle und zeitraubende, aber doch ganz unumgängliche Aufgabe für die Verwalter dieses Teils des Nachlasses war, alle Sonette ganz durchgelesen haben, darf billig bezweifelt werden: wer den gesamten Schatz überblickt, sollte meinen, die Wahl hätte dann nach beiden möglichen Richtungen hin vielfach anders ausfallen müssen, als geschehen ist, manche minder bedeutende Nummer hätte wichtigeren, beziehungsreicheren den Platz räumen sollen. Für den neunten, die Gedichte umfassenden Band der neuen Gesamtausgabe von Humboldts Werken, die die königlich preußische Akademie der Wissenschaften veranstaltet und deren Bearbeitung sie in meine Hände gelegt hat, lag es mir ob, das gesamte Sonettmaterial einer erneuten Durchsicht zu unterziehen und auf Grund von literarhistorischen und psychologischen Gesichtspunkten und Motiven eine neue, erweiterte Auswahl zu treffen, da einen vollständigen Abdruck der ganzen Masse wohl niemand ernstlich verteidigen wird. Der betreffende Band hat vor kurzem die Presse verlassen 5 und wird das Bild Humboldts als Dichters in einem wesentlich andern Sinne unsrer Zeit und den Freunden und Ver-

ehrern seiner Persönlichkeit lebendig werden lassen, als das bisher geschehen konnte. Das grundlegende Prinzip, nach dem bei der neuen Auswahl zu verfahren war, war durch folgende Überzeugung gegeben: Humboldts Sonette haben keinen poetischen Wert an sich selber, wenn man von einzelnen Ausnahmen absieht, dagegen den allerhöchsten für die Erkenntnis seiner geistigen Persönlichkeit, seiner Denk- und Empfindungsweise, sozusagen der leisen täglichen Bewegung seines innersten Lebens in den letzten Altersjahren. Poetisch - künstlerischen Wert an sich selber haben seine Sonette schon darum nicht, weil ihnen fast durchweg jene geheimnisvolle Harmonie zwischen Inhalt und Form mangelt, deren mit überwältigender Wirkung sich unmittelbar kundgebendes Vorhandensein das sicherste Kriterium jeder echten poetischen Leistung im höchsten Sinne ist. Bei einer so massenhaften Produktion mußte notwendigerweise die Form zum gleichgültigen Schema werden, in das der augenblicklich lebendige Ideengehalt so gut oder so schlecht eingekleidet wurde, als es eben ging. Hierdurch naturgemäß entstehende Mängel und Unstimmigkeiten nachträglich zu beseitigen und so auf dem Wege kritischer Reflexion den Kunstwert einzelner dieser Schöpfungen zu steigern, wäre nur einer hart und genau bis ins kleinste hinein ausfeilenden Nacharbeit und auch dieser in manchen Fällen nicht oder doch nicht vollständig gelungen, an die Humboldt niemals eine Hand angelegt, die er niemals auch nur beabsichtigt

hat. Daß jene Immanenz des Inhalts in der Form in einzelnen Gedichten ganz oder nahezu erreicht worden ist, ändert an der Berechtigung des hiermit der überwiegenden Mehrzahl gespendeten Vorwurfs nicht das mindeste. Natürlich ist auch schon Alexander diese Disharmonie und die für die Wirkung der Sonette darin liegende Gefahr nicht einen Augenblick verborgen geblieben: er spricht in seiner Vorrede von der minderen auf die Form dieser Gedichte gewandten Sorgfalt, die leicht Störungen des Eindrucks zu verursachen vermöge, Störungen, die allerdings nach seiner Ansicht mehr bei der Vereinzelung als bei der Aneinanderreihung der Sonette sich fühlbar machten. 6 Ich kann ihm in dieser milde entschuldigenden Anschauung nicht beitreten: formelle Mängel dieser Art bemerkt man vielleicht bei längerem Lesen nicht mehr so scharf, aber doch n u r , weil das dichterische Feingefühl sich zeitenweise abstumpfen und in seiner feineren Reizbarkeit verschiedenen Graden der Intensität seiner Bereitschaft unterworfen sein mag, nicht daß die Inkongruenzen selbst dadurch ihren Charakter als Inkongruenzen jemals verlieren könnten. Nur den größten Sonettisten, Petrarca, Camoens, Shakespeare, Goethe, Platen, Rückert, Elisabet Browning, war jene höchste Vollendung zu erreichen vergönnt, weil sie Dichter von Gottes Gnaden waren. Daß Humboldt das nicht war, darüber hat er, der kongeniale Vertraute und Beurteiler der größten echt dichterischen Genien seinerzeit, Schillers und Goethes,

sich niemals irgendwelchen Illusionen hingegeben, so wenig er andrerseits den Gipfel allseitiger humaner Geistesbildung hätte erklimmen können, wenn er der klaren Anschauung und individuellen Erfahrung des dichterischen Prozesses nur an andern teilhaftig geworden wäre und sie nicht als Erlebnis des eigenen Geistes in sich getragen hätte. Am eingehendsten spricht er sich darüber in einem Brief an Goethe aus dem April 1806 aus, als er gerade sein Stanzengedicht über Rom vollendet hatte. 7 Er sagt dort, er sei der Theorie des wahrhaft Poetischen durch Studium und Analyse Goethischer und Schillerscher Arbeiten sehr nahegekommen; praktisch werde ihm ein radikales Unglück seiner Natur, wie er es nennt, stets im Wege stehen, da er zum Poetischen immer nur durch den Stoff, niemals oder wenigstens nicht rein durch die Form gelange, was das Charakteristikum der prosaischen Natur sei, der direkten Umkehrung der poetischen: während man bei jener aus einem nach und nach zusammengetragenen Stoffe eine Form willkürlich aufbaue, springe bei dieser aus einer wie durch ein Ungefähr sich darbietenden Form ein Stoff, oft unerwartet, hervor. Man fühlt sich bei dieser Auseinandersetzung an jenen berühmten Ausspruch Mercks erinnert, den er dem jungen Goethe entgegenhielt: seine unverrückbare Richtung sei die, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zugeben, während die andern nur immer das Imaginative zu verwirklichen suchten. 8 Das klingt anders und ist doch im Innersten verwandt. Beide Sätze meinen 7

doch im Grunde nichts andres als das: der wahrhaft dichterische Genius verdankt seine Offenbarungen der im eigenen Inneren ewig lebendigen poetischen Kraft, während der prosaische Mensch, auch wo er dichtet, der starken Wirkung des Stofflichen nicht entraten kann, das seine Phantasie befruchtet und beflügelt. Dies Bewußtsein jenes radikalen Unglücks, zu der letzteren Menschenklasse zu gehören, sicherte Humboldt, den Mann der klaren Selbsterkenntnis und strengen Selbstzucht, vor jeder blinden Verkennung und Überschätzung des Wertes seiner dichterischen Erzeugnisse. Um so höher hat ihn immer und mit vollem Recht der subjektiv-psychologische Wert seiner Dichtungen gedünkt als naturnotwendiger, frei erwachsener Blüten seiner eigenartigen intellektuellen und sittlichen Persönlichkeit, ein Wert, der für uns spätere Betrachter, die wir in das Wesen dieses merkwürdigen Geistes tiefer und tiefer eindringen wollen, noch unverhältnismäßig viel größer geworden ist. F ü r uns sind die Alterssonette zusammen mit den Briefen an Charlotte Diede, die Freundin der Jugend, die ihnen Jahre hindurch zeitlich genau parallel laufen, die reichste Quelle der Gedanken, Bilder, Stimmungen, die den Weisen von Tegel in der Zeit seiner letzten, wehmütigen Einsamkeit in unerschöpflicher Fülle wechselnd bewegten. Und noch ein Weiteres kommt hinzu: da die wunderbare, einzigartige Struktur dieses Geistes, von früh auf in konsequenter Weise herangebildet, in vielen Gebieten des Nachdenkens wie

des Empfindens feste und unabänderliche Umrisse angenommen hatte, die sich in allen Lebensaltern trotz der verschiedenen, durch diese bedingten Färbungen gleich blieben, so daß Rahel mit einem gewissen Recht von Humboldt sagen konnte, daß er von keinem Alter gewesen sei,9 so lassen uns diese Gedichte eben in jene Struktur im einzelnen die eigenartigsten und aufschlußreichsten Einblicke tun. Mit Naturprodukten vergleicht er selbst mit Vorliebe seine poetisch geformten Stimmungsbilder: wie Gräser und Blumen auf der Wiese, wie Wolken und wie Träume kommen sie ihm vor, wie sie sich in den wechselvollen Stunden des Lebens erzeugen und wieder vergehen; nicht um Beifall, auch nicht um den der Freunde sind sie gesungen, wie die herrlichen Gewächse des Urwalds für niemand blühen. 1 0 Sich selbst strebte er auszusprechen, wie er es einmal brieflich Körner gegenüber als Sinn aller und jeder Dichtung bezeichnet, 11 oder, wie es ein Sonett ausspricht, er gab dem Triebe nach, „in leichte Schranken zu heften freihinströmende Gedanken". 1 2 Kaum ließe sich eine poetische Form denken, geeigneter für diese Art stark didaktisch gefärbter Stimmungslyrik auf intellektuellem Hintergrunde, bei der das zum gewohnheitsmäßigen Rhythmus der Gedankenbewegung gewordene formale Schema im besten Sinne wieder befruchtend und anregend auf den Fluß und die Konsolidierung der Vorstellungen selbst einwirken mußte. 1 3 Die schmerzlich tiefe, ewig ungestillte Sehnsucht

nach dichterischer Bezwingung und künstlerischer Formung der reichen Bilder- und Ideenwelt seines Inneren hat bei Humboldt nie ergreifenderen und gewaltigeren Ausdruck gefunden als in folgendem Sonett: 14 „Gern wohl der Nachwelt möcht' ich hinterlassen, was sich im Innersten so tief mir reget, doch zu der Nachwelt feste Form nur träget, in die mir nicht gelinget es zu fassen. An sich läßt es sich Worten nicht anpassen, in Dichtung würde klar es dargeleget: doch wo ist Dichtung, die sich frei beweget in so unzählig wundervollen Massen? Es müßten jene Bildermyriaden, die sich mir nahen auf der Dichtung Pfaden, um e i n e n Stoff Krystallen gleich anschießen, und diesen müßte wie in Erz ich gießen, damit aus ihm in frei geschiednen Klängen die Myriaden wieder lebend sprängen." 2 icht im Alter erst hat sich Humboldt der Sonettform als eines willkommenen Gefäßes für die Aufnahme seiner poetischen Stimmungen bedient: ein kurzer Überblick über seine früheren Dichtungen in dieser Form mag unsre späteren Betrachtungen vorbereiten und wird für ihr historisches Verständnis nicht ganz bedeutungslos sein. Durch Zufall ist es dem jungen Humboldt, der in den Tagen seiner jugendlichen berliner Aufklärungs-

N

zeit hie und da Verschen im Stile Göckingks und Gellerts gemacht oder zierliche französische Reime zusammengefügt hatte, 15 in Göttingen als Student, wo er zuerst den Geist zu freierem Flügelschlag erheben lernte, vergönnt gewesen, die Wiedergeburt des deutschen Sonetts als Zuschauer und Kritiker unmittelbar mitzuerleben. Gerade in jenen Jahren 1788 und 89, als er zusammen mit dem gleichaltrigen August Wilhelm Schlegel unter Heynes Leitung klassisch-philologische Studien betrieb und in häufigen Diskussionen Wert und Unwert der neueren Erscheinungen der deutschen Literatur erörterte, schuf Bürger, dem beide junge Männer auch persönlich nahetraten, die ersten deutschen Sonette, die den Namen wirklicher Dichtungen verdienen und deren Wert von der späteren romantischen Kritik ungerechterweise viel zu gering angeschlagen wurde, woran Bürgers eigene, mit seiner dichterischen Praxis in starkem Widerspruch stehende Theorie dieser Dichtungsform wohl die Hauptschuld trug. 18 Während Schlegel sich schon damals auch selbst in Sonetten versuchte, deren zwei durch Bürger sogar in die literarische Welt eingeführt wurden, und von diesem in neidloser Bewunderung schon im Winter 1788 in einem Sonett als junger Aar begrüßt wurde, dessen königlicher Flug den Druck der Wolken überwinden, dem einst ein besserer Dichterkranz als ihm selbst beschert sein werde, 17 scheint Humboldt, soweit wir wenigstens sehen können, sein Interesse an der Form nur in Genuß und Kritik bewährt zu haben. Jeden-

falls wurde er in jenen bedeutungsvollen Tagen rascherer individueller Entwicklung zum erstenmal energisch auf die Dichtungsart hingewiesen, die ihm später so bedeutungsvoll werden sollte. Daß er damals auch von Petrarcas Dichtungen, den Urbildern aller späteren abendländischen Sonettkunst, zuerst Notiz genommen hat, ist nicht aus Zeugnissen beweisbar, aber sehr wahrscheinlich, da Schlegels älteste Übersetzungen aus Petrarca kaum in eine viel spätere Zeit gesetzt werden können und bei den engen Beziehungen beider Männer ihm schwerlich ganz unbekannt geblieben sein werden. Um Verdeutlichung einer andern Lieblingsform des Petrarca, der Canzone, handelte es sich im Jahre 1794» Humboldt, einem Wunsche Schillers entsprechend, der wohl seinerseits durch einen Aufsatz im letzten Bande der NeueD Thalia angeregt worden war, diesem den Bau dieser metrischen Form durch ein deutsches Gedicht zu erläutern versuchte, das einen seiner Lieblingsgedanken behandelt: den Wunsch, im Momente des Todes noch einmal in voller und deutlicher Anschaulichkeit alle lieblichen Gestalten des vergangenen Lebens in reizendem Wechsel an sich vorüberziehen zu sehen, um so durch die höchste Expansion der Lebenskraft gewissermaßen sich die Bürgschaft ihrer lebendigen Fortdauer zu erringen. 18 In mehreren Sonetten des Alters kehrt dieser Gedanke wieder, zu dem wohl eine individuelle Erfahrung, die Empfindungen bei jenem gefahrvollen Bade in der Leine, bei dem Humboldt und sein Freund Stieglitz nahe am Er-

trinken waren, den ersten Anstoß gegeben haben dürften. 19 Die enge Verbindung Humboldts mit Schiller und Goethe, die mit der Wärme der Gegenwart seine jenaer Jahre erfüllt und den farbigen Glanz der Erinnerung und der Sehnsucht über die Jahre seines Aufenthalts in Frankreich und Spanien breitet, läßt ihm in dieser Zeit für dichterische Formung von Gedanken das Distichon am geeignetsten erscheinen, das jene beiden Dichter für Poesien kleineren und größeren Umfangs zu so hoher Vollendung ausgebildet hatten. In Distichen hat Humboldt im Januar 1800 in der Gebirgseinsamkeit der Sierra Morena den erwarteten Sohn begrüßt: man fühlt sich hier lebhaft an Schillers „Spaziergang" erinnert, mit dem der Dichter an Energie der Einbildungskraft allerdings nicht wetteifern konnte, den er aber in der Vertiefung in die Abgründe des reinen Gedankens und der von Ideen befruchteten Empfindung fast übertrifft, indem er hier sein Glaubensbekenntnis über den Sinn und Wert des Lebens dem noch Ungeborenen in die Wiege legte.20 Wiederum an die kleinen distichischen Meisterwerke Goethes, die antiker Form sich nähern, gemahnen uns die schönen kleinen Gedichte der ersten römischen Jahre, in denen Lokalitäten und Denkmäler der ewigen Stadt, wie die Rossebändiger auf dem Monte Cavallo, der publicische Weg mit dem von Camillus erbauten Tempel der Juno Regina, das Haus des Sura mit dem Blick auf den Circus Maximus, stimmungsvoll beschrieben werden, ein hoher Lorbeerbaum mit dem

schlanken Wuchs und der hellen Gestalt des frühverklärten Sohnes Wilhelm sinnig verglichen, die wehmütig-schmerzliche Ruhe gefeiert wird, in die das Leben auf römischem Boden, seit der Sohn zu den Schatten ging, den Dichter einwiegt. 21 Diese reizvollen Schöpfungen sind in ihrer restlosen Harmonie von Form und Inhalt selbst kleine Meisterstücke, die uns einen gelegentlichen brieflichen Ausspruch Humboldts bestätigen, daß die Wehmut bei ihm der beste Nährboden für poetische Stimmungen gewesen sei. 28 Das einzige Sonett, das die römischen Tage hervorriefen, entstammt dem Jahre 1804: Graf Adam Moltke, der Jugendfreund Niebuhrs, hatte nach längerem Aufenthalt in Rom an Humboldt eine Ode in alcäischem Versmaß gerichtet, in dem er ihn als Übersetzer Pindars pries; Humboldt antwortete mit einem Sonett, das für des Grafen anregendes Interesse an diesen Bemühungen, die Siegesgesänge des Thebaners dem Verständnis und der Liebe der gegenwärtigen Generation entgegenzuführen, warmen Dank ausspricht. 23 Die Sehnsucht, jene unermeßliche Fülle von Gedanken, Empfindungen, Stimmungen und Bildern, die das Leben in Rom mitten unter den Ruinen des Altertums in ihm ausgelöst und zu einer Gesamtheit krystallisiert hatte, zu dem Ganzen einer wohlgegliederten poetischen Einheit zu gestalten, trieb Humboldt naturgemäß dazu, sich in größeren Formen zu versuchen. In stetem Hinblick auf Schiller, den Menschen, den Humboldt nach seiner Gattin am wärm-

sten und innigsten geliebt hat, der ihm, auch abwesend, fortdauernd geistig nahe geblieben war, war diese innere Welt entstanden und gepflegt worden: in freien, an Schiller gerichteten poetischen Bruchstücken sollte sie geschildert werden. Schillers unerwarteter Tod machte allen diesen Plänen ein plötzliches Ende: in dem schmerzlichen Bewußtsein, diesem höchsten Richter, der zugleich der verstehendste Freund gewesen war, sein Werk nicht mehr vorlegen zu können, schwanden Humboldt Stimmung und Kraft, den riesenhaften Plan ernstlich in Angriff zu nehmen.24 Über die beabsichtigte Form dieser großen Konfession kann man nur Vermutungen haben: wenn ich ein erhaltenes Bruchstück der römischen Zeit, das von der Gegenüberstellung des Römers und des Germanen ausgeht, richtig zu dem eben besprochenen Plane in Beziehung gesetzt habe, sollte das Werk in Terzinen gegossen werden, für die natürlich Dantes Göttliche Komödie, die Humboldt in den ersten römischen Jahren eifrig las, das unerreichte Vorbild abgab. 85 Einen Teil der für dies Werk bestimmten Gedanken hat dann Humboldt in seinem 1806 vollendeten, der Jugendfreundin Karoline von Wolzogen, der Schwägerin Schillers, gewidmeten Gedicht „Rom" in der Form der Stanze behandelt: es trat in einer von der gewöhnlichen Stanzenform abweichenden metrischen Gestalt an die Öffentlichkeit, indem alle Verse nicht, wie sonst üblich, mit der Senkung, sondern mit der Hebung beginnen; eine spätere Umarbeitung, die das geläufige metrische

Schema einführt, ist handschriftlich erhalten und erst in der neuen Ausgabe der Gedichte verwertet worden.86 Ein zweites größeres Gedicht, das Humboldt im September 1808 kurz vor seiner Abreise nach Deutschland seinem Bruder Alexander zum Dank für dessen Widmung seiner „Ansichten der Natur" zugeeignet hat, zeigt eine zehnzeilige Ganzonenstrophe mit nachfolgendem Geleit, die an manche Formen Petrarcas erinnert: sie scheint in der Durchführung gleichlanger Zeilen und dem an die normale Stanze erinnernden regelmäßigen Wechsel weiblicher and männlicher Reime auf freier Erfindung zu beruhen, wenigstens ist es mir bisher nicht gelungen, ein genau entsprechendes Vorbild aufzufinden. 27 Eine noch kompliziertere Ganzonenform, aus vier sechzehnzeiligen Systemen und nachfolgendem Geleit bestehend, hat Humboldt im folgenden Jahre in dem für Julie von Scharnhorst und Karl Friedrich von Dohna bestimmten Verlobungslied verwendet.28 Im Herbst 1808 verläßt Humboldt Rom, das er niemals wiedergesehen hat, um sich in den Dienst der Wiedergeburt des Vaterlandes zu stellen. Durch einen Zufall wird ihm jetzt wieder die Sonettform auf entscheidende Weise nahegebracht, so daß sie nun den größten Teil seiner an poetischen Stimmungen und Produktionen reichen königsberger Zeit, den Sommer 1809, maßgebend beherrscht. Bei mehreren Besuchen in Weimar, die er von Erfurt, dem Wohnort seines kränkelnden Schwiegervaters aus unternahm, kam er im November und Dezember

1808 und im Januar 1809 mit seinen alten Freunden Goethe und Karoline von Wolzogen und durch sie mit den andern geistig interessierten Persönlichkeiten der Stadt öfter zusammen, die er von einer wahren Sonettkrankheit befallen fand. 29 Alles dichtete oder schmiedete Sonette, was nicht für gesellschaftlich unzulänglich gelten wollte: wie es schon früher dort gebräuchlich gewesen war, die gebildete Sprache, mit Schiller zu reden, für sich dichten und denken zu lassen, so war nun für Talente wie für Dilettanten gerade diese metrische Form das Lieblingsgefaß für poetische Ergüsse geworden. Männer wie z. B. der steifleinene Riemer konnten sich in solchen Schöpfungen nicht genugtun: dreiviertel seiner später in zwei Bänden gesammelten Gedichte 30 sind Sonette strengster schematischer Form, und die Verkoppelung zweier Quartette mit zwei Terzetten beherrscht auch seine Dichtungen in andern Versmaßen großenteils wie eine Art Zwangsvorstellung. Mit der Jahrhundertwende, besonders seit den mit recht berühmten Gemälde- und Dichtersonetten August Wilhelm Schlegels 31 und den nicht minder wirkenden, wenn auch weniger gelungenen musikalischen Sonetten Tiecks 32 begann diese Bevorzugung einer Form, die doch nur in den Händen der Besten ihre hohe Aufgabe voll erfüllen konnte und als rasch abgespieltes Instrument leider bald einem tötlichen Mißkredit verfallen mußte. Der alternde Goethe selbst, der in den ersten Jahren nach Schillers Tode der Dichtung der Romantiker so sympathisch wie nie gegenüber-

stand, dichtete, angeregt durch erneuerte Lektüre Petrarcas und besonders durch Zacharias Werners ersten weimarischen Aufenthalt zu Ende des Jahres 1807, dessen Sonette er dem Besten zurechnete, das in deutscher Sprache überhaupt gedichtet worden sei, damals seine siebzehn herrlichen Liebessonette auf Minna Herzlieb, die Ottilie der Wahlverwandtschaften, und auf Bettina, die die Aureole dieser Dichtungen gern ganz auf ihr eigenes Haupt hinüberversetzt hätte.83 Ende 1808, zu derselben Zeit als auch Humboldt in Weimar eintraf, war Werner zum zweiten Male dort, und wenn auch sein Einfluß nicht mehr der gleiche war, ja das Urteil Goethes über ihn, woran vorübergehende Verstimmungen nicht ausschließlich die Schuld trugen, sich bedeutend abgekühlt hatte, so blieb doch die Sonettenwut nach wie vor in Kraft und ist für Humboldts kurz darauf entstandene königsberger Sonette jedenfalls in erster Linie verantwortlich zu machen, wenn dieser auch z. B. Riemers Machwerke größtenteils sehr fade fand. 34 In diesen königsberger Sommer fallen zwei einzelne Sonette und eine sehr merkwürdige Komposition mit dem Titel „Weibertreue", ein epischdialogischer Zyklus von vierzehn Sonetten, eingeleitet durch zwei für sich stehende Widmungssonette, ausklingend in ein auch inhaltlich gesondertes episches Schlußstück in Terzinen: 35 schon diese sonderbar wirkende Mischung kontrastierender romanischer Formen zeigt den maßgebenden Einfluß romantischer

Doktrin und Praxis. Das erste der Einzelsonette, für das Stammbuch eines römischen Freundes, des Grafen Alexander Strogonow bestimmt, gibt der sehnsüchtigen, ganz religiös gefärbten Erinnerung an die Stadt der sieben Hügel Ausdruck, 36 nimmt also ein seit lange beliebtes Thema der Sonettdichtung seit Joachim du Beilay in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wieder auf: 37 schon Andreas Gryphius hatte als erster Deutscher Rom beim Abschied ein Sonett gewidmet, dem „Begriff der Welt", der Stadt, „der nichts gleich gewesen und nichts zu gleichen ist", deren Wunder man „nicht satt mit zwei Augen schauen " könne; 8 8 aus neuerer Zeit fallen Paul Heyses ergreifende Sonette 39 aus Rom jedem Kenner unsrer Literatur als Meisterwerke dieser Sonettgattung ein. Aus leidenschaftlicher Gegenwartsempfindung ist das zweite Sonett geboren, das in den Tagen des Abschieds von Johanna Motherby wenige Tage vor Humboldts Abreise von Königsberg entstand und dem Schmerz darüber Ausdruck gibt. 40 Der eigenartige Sonettzyklus „Weibertreue" soll hier nicht eingehend analysiert und besprochen werden. In einem Briefe an seine Gattin Karoline nennt Humboldt diese Dichtung das Poetischste, was er je gemacht habe; aber es herrsche etwas so Trübes und Dunkles in dieser Komposition, die er mit beängstigenden Gespenstern vergleicht, daß er sich nicht dazu habe entschließen können, sie ihr zuzuschicken. 41 Entstanden war sie, wie wir an derselben Stelle erfahren, nach einer Lektüre von Goethes „Klaggesang

von der edeln Frauen des Asan Aga", jener serbischen Romanze, die er nach Werthes' Übersetzung in seinen „Sitten der Morlacken" wohl noch in der letzten frankfurter Zeit bearbeitet hatte. 42 Eigenartige Vorstellungen vom Verhältnis der beiden Geschlechter durchziehen das Ganze, die nicht ohne Härte und Grausamkeit vorgetragen werden und in eine Konsequenz hinein verfolgt sind, die etwas höchst Unbefriedigendes, um nicht zu sagen Unsympathisches hat: 4 8 „Das Weib m u ß dienen und gehorchen, scheiden von jeder eignen Lust und sonder Klage im sauren Dienst der Stirne Schweiß vergeuden . . . Vergiß es nie: zu dulden und zu lieben den, dem sie dienet, ist das Weib geboren; denn sie ist nicht zum Glück nach eignen Trieben, zu fremden Vorteils Werkzeug nur erkoren." Wer Humboldt genauer kennt, weiß, daß sich auch sonst ähnliche Anschauungen, mit mehr oder weniger Schroffheit ausgesprochen, bei ihm wiederfinden, so sehr sie seiner sonst so warm geäußerten und in der Praxis des eigenen Lebens immer aufs neue bewährten hingebenden Verehrung des weiblichen Seins zuwiderlaufen, die ihn schon in den Horenaufsätzen über den Geschlechtsunterschied 44 erst durch die harmonische Vereinigung und lebendige Wechselwirkung des männlichen und weiblichen Elements die letzte Vollendung der Natur erreicht werden ließ. Sein Verhältnis zur Frau verdiente einmal eine eigene ausführliche Behandlung, in der die feinsten Blüten

seiner seelischen Struktur sich erschließen würden, eine Aufgabe, auf die wir uns hier nicht einlassen dürfen. Für die eigentümliche Verwendung der Sonettform in zyklischer Gruppe zu einer episch-dialogischen fortschreitenden Erzählung, wie sie uns in dieser Dichtung entgegentritt, lagen damals in der berühmten Sonettenfehde zwischen Voß, Baggesen und den Häuptern der jüngeren Romantik Arnim und Görres eine Reihe von Musterbeispielen vor, die Humboldt vielleicht bekannt gewesen sind; später ist derartiges häufiger versucht worden. 4 5 Auch in den folgenden zwanzig Jahren bis zur Schwelle der Dreißiger, wo die Sonettdichtung des Alters einsetzt, der unsre Hauptbetrachtung gewidmet sein soll, finden wir vereinzelte Sonette unter Humboldts kleineren Dichtungen. Die einzige größere Schöpfung dieser Jahre, das im griechischen Befreiungskampfe spielende, 1822 vollendete Epos „Die Griechensklavin", bedient sich wieder der regelmäßigen Stanze, 46 die neben dem Distichon und mannigfach gebauten einfachen Reimpaaren auch in den kleinen Gedichten dieser ganzen Zeit auftritt. Der Sonette aus diesen Jahren sind acht: zwei davon entstammen den Jahren 1809 und 10, vier dem Jahre 1814, eins dem Jahre 1827, das letzte dem Herbst i83o. Die beiden ersten gelten persönlichen Erinnerungen, eines den freundlichen Hügeln von Burgörner, die das Glück der Liebe entstehen und wachsen sahen, ein andres dem malerischen Schlosse Schwarzburg und der Erinnerung an die lange und vertraute Freund-

schaft mit dem rudolstädter fürstlichen Hause. 47 Die vier im Frühjahr 1814 gedichteten stimmen schon ganz zu dem Tone der späteren Altersdichtungen, indem sie ein einzelnes bildliches oder gedankliches Erlebnis einfach darzustellen versuchen. 48 Die beiden letzten gehören wohl zu den tiefsinnigsten und ergreifendsten Schöpfungen, die Humboldt in dieser Form gelungen sind: in dem einen schildert er die schmerzvolle Wonne der immer strebenden geistigen Regsamkeit, die sich in ihrer eigenen Flamme verzehren muß, und vergleicht sich mit Phaethon im Sonnen wagen, in dem andern die Seligkeit der Versenkung in die alten Briefe seiner Gattin an ihn, aus denen ihm der vergeistigte Klang ihrer Stimme entgegentönt und ihn mit dem beglückenden Bewußtsein gemeinsamer Unsterblichkeit erfüllt. 49 3 ie Sonettdichtung des Alters umfaßt Humboldts letzte Lebensjahre: siebeginntNeujahr1832, nicht, wie Alexander in seiner Vorrede zu der Einzelausgabe der Sonette irrtümlich angibt, 50 im September i 8 3 i , und reicht in ununterbrochener täglicher Abfolge bis zum 28. März i835, also bis wenige Tage vor seinein Tode, der nach kurzer Krankheit am 8. April dieses Jahres eintrat. So ist in langsamem, gleichmäßigem Tempo die Zahl dieser kleinen Dichtungen, die der Nachlaß, sorgsam in Päckchen zu hundert geordnet, von der Hand des langjährigen letzten Sekretärs Ferdinand Schulz nach Diktat niedergeschrieben und

dann von Humboldt selbst eigenhändig durchkorrigiert und numeriert, noch heute enthält, auf die respektable Höhe von I x 83 Nummern gelangt. Dem einmal gefaßten Entschluß, auf eine längere Zeit hinaus je eine hervorragende Stimmung, einen Gedanken, ein Bild regelmäßig täglich in Sonettform festzuhalten und niederzuschreiben, wird natürlich eine längere, mehr unabsichtliche und unbewußte Gewöhnung und Übung vorangegangen sein, die dem Dichter allmählich einen solchen größeren Plan näher und näher geführt und ihn schließlich dazu vermocht hat, den Versuch mit einiger Hoffnung des Gelingens zu wagen. Humboldts Lebensgang in den letzten Jahren seiner einsamen Muße, seit er sich dauernd auf sein Landgut Tegel zurückgezogen hatte und es auch im Winter nie mehr verließ, während er doch früher zu Lebzeiten seiner Gattin häufig für längere oder kürzere Zeit in Berlin sich aufgehalten hatte, war, abgesehen von den großen Badereisen, die aber auch mit dem Jahre i833 ihr Ende fanden und nicht wiederholt wurden, in ein festes System gegossen worden, das mit eiserner Konsequenz durchgeführt wurde, so daß jeder einzelne Tag dem andern möglichst gleichmäßig verlief und alle etwa sich notwendig machenden Abweichungen von dem üblichen Schema als mehr oder weniger störend empfunden wurden. 5 1 Nur ein kleiner Einzelfall dieser systematischen Uniformierung des gesamten Ablaufs des täglichen Daseins ist nun diese regelmäßig wiederkehrende Meditation über irgendeine Idee, ein Bild oder

eine Stimmung, aus welcher schließlich das Sonett des Tages als Endresultat sich ergab. Und hatte einmal das Gefühl und die Gedankenbewegung in diesen Zeiten des Sinnens gewissermaßen selbst schon den Rhythmus des Sonetts angenommen, so mußten sie immer leichter und leichter seiner Wellenbewegung sich fügen, und die Verse und Versgruppen fanden sich fast von selbst in dem vorgeschriebenen Ausmaß zusammen, ohne dem gedanklichen Gehalt Eintrag zu tun, dem sie vielmehr im Gegenteil zur vollkommeneren Entfaltung verhalfen. 52 Seit seiner römischen Zeit hatte sich Humboldt an regelmäßige tägliche Spaziergänge gewöhnt, die besten Beförderungsmittel für den inneren Umschwung und die Fruchtbarkeit der Gedankenwelt, und mit zunehmenden Jahren war ihm der Genuß des freien Wanderns in der Natur ohne Begleitung eines andern Menschen und die Freude an dem ungehinderten, nur von den Anregungen des Moments abhängigen Ideenspiel immer unentbehrlicher geworden. Die liebste Zeit des Tages für den Naturgenuß war ihm seit früher Jugend die Zeit um den Sonnenuntergang, den er häufig das ergreifendste und schönste Naturschauspiel genannt hat: so hatte er es, wenn ihm das irgend möglich war, stets so eingerichtet, um diese Zeit im Freien zu sein, um das allmähliche Verglühen und Abklingen der Farben, das Ersterben des lichten Glanzes, der zuletzt, noch ehe er der vollen Dunkelheit Platz macht, von einem falben Grau überzogen wird, mit zu erleben. 53 Auch im

Alter fand ihn jeder Tag um diese Zeit auf einsamer Wanderung im Park des Tegeler Schlosses, am Grabe der Gattin, das er ihr und den Seinigen zur Wiedervereinigung der Familie im Tode hatte anlegen lassen, in den an den Park sich unmittelbar anschließenden größeren Wäldern, an den Ufern des Sees mit seinen bewachsenen Inseln. Der eigentümliche ernste Zauber der märkischen Natur behielt für ihn, der Frankreich, Spanien und Italien, die schweizer Alpen und beide deutschen Meere gesehen hatte, zeitlebens die mächtige Wirkung, die er einst auf den reizbaren Knaben ausgeübt hatte, die bei seinen eigenen Kindern nicht in gleichem Maße wiederzufinden ihm schmerzlich war. 54. Auf diesen einsamen Wanderungen, die in gleicher Weise im Winter wie im Sommer und ohne jede Rücksicht auf das Wetter unternommen wurden, formte sich die auf- und abflutende Ideenwelt um das gerade lebendige Zentrum eines Gedankens, einer Empfindung, eines Bildes in den Rhythmen des Sonetts. Die Aufzeichnung der so entstandenen Dichtung geschah am späten Abend, nachdem die Geschäfte des späteren Nachmittags und Abends, die ausgedehnte Korrespondenz, die Durchsicht und Prüfung der Rechnungen, eine Vorlesung irgendwelcher Art, erledigt waren, was oft nicht vor ein oder zwei Uhr nachts eintrat. „Als letzte Geistestätigkeit", erzählt uns Karl Schulz, der Bruder des obengenannten Sekretärs, „diktierte er jeden Abend, selbst auf Reisen, ein Sonett, wozu stets ein Quartblatt verwendet wurde. Es war ihm Gewohn-

heit geworden, allabendlich zu meinem Bruder zu sagen: Nun, mein Lieber, nehmen Sie ein Quartblatt ! und aus dieser Äußerung wußte mein Bruder, daß jetzt zum Sonett übergegangen werde. Jedes Sonett wurde, ohne anzuhalten, fließend diktiert und fast nie eine Änderung darin vorgenommen." 55 Seinen Kindern wie seinem Bruder Alexander waren diese Dichtungen Humboldts, ebenso wie die Korrespondenz mit der Freundin Charlotte Diede völlig ein Geheimnis geblieben: nur der Sekretär wußte darum; für alle seine Angehörigen bildeten sie eine Überraschung, die niemand geahnt hatte, als sie bei der Ordnung des handschriftlichen Nachlasses gefunden wurden. Wie die tägliche Sonettdichtung, wie wir oben sahen, um Neujahr i832 ihren bestimmten Anfang nahm, so war ihr auch von vornherein schon das künftige Ende vorausbestimmt: vier Jahre sollte sie fortgesetzt werden, so daß am Ende des Jahres 1835 die Gesamtzahl von 1461 Nummern, die eine tabellarische Übersicht aller Gedichte schon im voraus verzeichnet, erreicht worden wäre, wenn nicht der Tod schon am 8. April, wie den Lebensfaden des Dichters, so dies schier endlose Gespinnst von Reimen vor dem Abschluß zerschnitten hätte. Um die Jahreswende gedenkt zweimal ein Sonett des glücklich durchmessenen Bruchteils der Bahn: am 1. Januar i834 blickt der Dichter auf die halberledigte Aufgabe mit frohem Bewußtsein zurück, welches Glück ihm diese nicht für die Dauer oder den Ruhm ge-

borenen Verse bereitet haben; am 3. Januar 1835 sieht er die Möglichkeit voraus, daß nach Verlauf des vierten und letzten Jahres die Seele vielleicht auch weiterhin, wenn auch nicht in so strenger Form, Lust behalten könnte, auf der Dichtung Blumenwegen zu wandeln. 56 An Stoff zu poetischen Gebilden konnte es dem innerlich Vollendeten nicht mangeln, und mit neuer leidenschaftlicher Wärme umfaßt er jetzt wieder den nach Schillers Hinscheiden ihm still aus den Händen geglittenen Gedanken einer größeren philosophisch-poetischen Schöpfung, deren Gelingen er nun an der Schwelle des Todes mit Sicherheit erhofft: 5 7 „Seit Jahren strebe ich hervorzubringen, was tief verwebet mir im Busen lieget; den ernsten Vorsatz Trägheit nicht besieget, doch wollte nie bis jetzt das W e r k gelingen. Oft Ahndungen daraus mich klar durchdringen, daß süß das Herz in Hoffnungen sich wieget; doch bald wie Duft der zarte Stoff verflieget, eh ihm Gestaltung ab das Wort kann zwingen. Allein ihn jetzt mit kräftgen Armen fassen, wie Menelaus Proteus einst umstrickte, will ich und nicht entfliehn ihn wieder lassen; die deutlich ausgesprochenen Gedanken mich führen reicher, wenn der Vorsatz glückte, hinüber aus der Erde dumpfen Schranken."

4 E h e wir uns zu einer Darstellung und Analyse der Gedanken- und Stimmungswelt dieser Humboldtschen Altersdichtung wenden, sollen einige die äußere und innere Form betreffende Fragen besprochen werden, ohne daß ich die Absicht hätte, in philologische Einzelheiten oder in Spezialprobleme der Metrik und Stilistik allzutief einzutauchen. Nicht mit Unrecht hat man uns Deutschen Mangel an Formgefühl und Unterschätzung alles Formellen in der Kunst zugunsten einer außerordentlich starken Betonung des Inhaltlichen vorgeworfen und darin etwas Barbarisches sehen wollen. Wie wichtig die formelle Seite der Kunst sein kann, das lehrt eine Geschichte des Sonetts, wie sie uns Heinrich Welti gegeben hat, vielleicht deutlicher und eindringlicher als die Betrachtung andrer poetischer Formen. In längerer Entwicklung hat sich in der neueren deutschen Dichtung bis zur Wende des 18. und 19. Jahrhunderts hin eine Idealform des Sonetts herausgebildet, die sich aufs engste an die Schöpfungen der großen romanischen Sonettisten anlehnt. Es sind die älteren Romantiker, denen wir die Wiedergewinnung dieser Dichtungsform wie so mancher andern zu verdanken haben: August Wilhelm Schlegel in erster Linie hat die deutsche Sprache in dem Rhythmus einherschreiten gelehrt, der in den Gesängen des Dante, Petrarca, Tasso, Guarini, Cervantes, Camoens lebt und dem auch nur nahezukommen bis dahin keinem Deutschen gelungen war. Die ältere

Geschichte des deutschen Sonetts krankte daran, daß man sich nicht an diese echtesten Quellen der Sonettdichtung gewendet hatte, als man nach Mustern umhersuchte, sondern sich durchweg nachahmend an französische Vorbilder anschloß und durch mangelhafte eigene Erfindungen die ganze Gattung noch mehr auf einen falschen Weg hinüberdrängte. Schlegel selbst, der mit sehr freien und mannigfach willkürlichen Formen als Schüler Bürgers und Klamer Schmidts begonnen hatte, kam sehr bald durch eingehendere Versenkung in die Sonettdichtung der großen romanischen Meister, besonders Petrarcas, und durch unermüdliche Selbstkritik und Übung zu einem radikalen Bruch mit der früher geübten Praxis und zu einer fundamentalen Reform, als deren Charakteristika größte Formenstrenge, Streben nach Vertiefung des Inhalts und Würde des poetischen Stils wie der Sprache zu nennen sind.58 Auf Grund dieser Reform war dann das Sonett geeignet, die durch Philosophie gesteigerte und so auch in die Poesie übergehende Selbstanschauung des Geistes zum Ausdruck zu bringen und zunächst für die romantischen, dann auch für die daran sich anschließenden geistigen Bestrebungen eine kongeniale Form zu werden, in der die ästhetischen, philosophischen und sittlichen Überzeugungen und Ideen künstlerisch vollendet hervortreten konnten, eine Form, die für die Romantiker so charakteristisch war wie für unsre klassischen Dichter das Distichon. Nicht minder bedeutend, als Schlegels maßgebender Einfluß für die

innere Form des Sonetts geworden ist, das dadurch für alle Zeiten den kleineren Formen der Dichtung entrückt und in die Sphäre der höchsten lyrischen Didaktik gehoben worden war, war seine Reform auf dem Gebiete der äußeren Form, der metrischen Gestaltung des Sonettschemas im engeren Sinne. 59 Eine Reihe von grundlegenden Forderungen gellen uns seitdem als absolut unerläßlich, wenn wir einem Sonett äußere Vollendung zuerkennen sollen: der Sonettvers ist der fünffüßige Jambus, Alexandrinerund Trochäensonette sind verpönt; in den beiden Quartetten ist der umschließende Reim, nicht der gekreuzte zu verwenden; n u r weibliche Reime, keine männlichen sind gestattet; eine Zweiteilung des Gedankens, entsprechend dem Doppelquartett und Doppelterzett der Sonettform, und daher ein starker Sinneseinschnitt nach dem achten Verse ist eine Notwendigkeit. Ausnahmen von diesen Grundgesetzen, die sich natürlich hie und da bei großen Dichtern aus gewissen besonderen Ursachen finden, bestätigen im allgemeinen n u r die Regeln. Eigenmächtiger, prinzipieller Widerstand dagegen dürfte sich, da jene Forderungen (bis auf eine einzige, wie sich zeigen wird) ja nicht willkürliche Dekrete, sondern dem Wesen der metrischen Form im Zustande ihrer höchsten Vollendung immanente Eigenschaften darstellen, meist an den Dichtungen selber dadurch rächen, daß ihnen eben ein dem formellen Feingefühl, das freilich nicht jeder besitzt, unmittelbar merkbarer Makel anhaftet. Zum Vergleich darf man eine be-

kannte Episode aus der Geschichte des deutschen Distichons heranziehen: in der ersten Ausgabe seiner Epigramme hatte Hebbel eine große Zahl dieser seiner inhaltlich so hervorragenden Gedichte wahrhaft schändlich dadurch verunstaltet, daß er durch massenhafte falsch gebaute Pentameter mit Spondeen oder Trochäen statt der unumgänglichen Daktylen in der zweiten Hälfte einem rhythmisch feinhörenden Leser wahre Qualen zubereitete; von Rüge brieflich in aller Ruhe darauf aufmerksam gemacht, entblödete er sich nicht, im persönlichen Arger seine metrische Hart- oder Stumpfhörigkeit hinterdrein noch theoretisch durch die Souveränität des Genies zu rechtfertigen, hat aber dann später alle diese schlechten Verse, an die er nun gar nicht mehr denken mochte, im Sinne der der Form immanenten Regel sorgfältig verbessert, wahrlich nicht zum Schaden seiner Schöpfungen. 6 0 Dieses Beispiel eines unsrer Großen sollte doch zu denken geben. Wie hat sich nun Humboldt diesen Grundgesetzen der Sonettform gegenüber verhalten? Was die Ausschließlichkeit des jambischen Rhythmus und das Verbot der Alexandriner und Trochäen betrifft, können wir eine Entwicklung zu dem Idealschema hin beobachten. Von Alexandrinern ist natürlich keine Rede, da dies Maß um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts fast ganz aus dem allgemeinen poetischen Gebrauch bei uns verschwunden war und höchstens ausnahmsweise zur Erreichung bestimmter künstlerischer Absichten verwendet wurde, wie z. B. Goethe

zwei ursprünglich in Knittelversen verfaßte, den Stil der hohen französischen Tragödie parodierende Szenen im Jahrmarktsfest zu Plundersweilern später mit tendenziösem Zweck in diesem Sinne umgeformt hat. 6 1 Anders steht es mit dem Trochäensonett: sowohl die vierzehn Sonette des Zyklus „Weibertreue", als das im folgenden Jahre entstandene auf Schwarzburg weisen diese Form auf. 62 W i r sahen oben, daß Bürgers und seines Schülers Schlegel älteste Sonette Trochäensonette gewesen sind, und daß Humboldt diese erste Wiedergeburt des neueren deutschen Sonetts sozusagen mit erlebt hat, und man könnte daher versucht sein, in diesen älteren Dichtungen die formell maßgebenden Vorbilder zu suchen. Die oben angedeuteteEntstehungsgeschichte der „Weibertreue" lehrt uns aber mit voller Deutlichkeit, daß diese Kombination irrig sein würde: durch Goethes „Klaggesang von der edeln Frauen des Asan Aga" war Humboldt zu seinem Sonettzyklus angeregt worden, und er hat sich nicht nur inhaltlich, sondern auch formell dadurch zwingend beeinflussen lassen. Er hat den trochäischen Vers der serbischen Romanze, den Goethe durch rhythmische Einfühlung aus dem slavischen Urtext, ohne diesen Wort für W o r t verstehen zu können, gewonnen und an Stelle der Jamben von Werthes eingeführt hatte, 6 3 unverändert übernommen und ist so, indem er nur das Schema des Doppelquartetts und -terzetts hinzufügte, zu seiner Sonettgruppe in Trochäen gekommen. Der Goethische Versrhythmus :

„Was ist Weißes dort am grünen Walde? ist es Schnee wohl oder sind es Schwäne?" klingt wieder in dem Humboldts: 6 4 „Meiden kann nicht gegen Liebe frommen und, was eins ist, findet sich hienieden." Dies Trochäenschema ist nun aber nicht ausschließlich bei Humboldt in Gebrauch, woraus sich noch deutlicher ergibt, daß eine bewußte Anlehnung an die ihm durch Goethe vermittelten slavischen Trochäen vorliegt: die beiden Einleitungssonette zu der trochäischen „ Weibertreue" haben jambischen Rhythmus; ebenso steht neben den trochäischen Sonetten an den Grafen Strogonow und auf Schwarzburg das jambische auf Burgörner. 65 Dieser Wechsel setzt sich in den folgenden Dezennien fort: neben den jambischen Formen, die bis zum Beginn der Altersdichtungen bei weitem in der Überzahl sind, steht das Trochäensonett vom September i83o „Nach dem Lesen einiger Briefe meiner Frau", 6 6 und selbst in das erste Dutzend der großen Sonettmasse, die mit Neujahr i83a beginnt, haben sich noch zwei trochäische Eindringlinge verirrt. 6 7 Sonst ist hier der trochäische Silbenfall ausnahmslos vermieden und hat dem jambischen Idealrhythmus endgültig Platz gemacht. In Hinsicht auf die Stellung der Reime hat sich Humboldt niemals ganz streng an ein ideales Sonettschema angeschlossen, sondern vorgezogen, sich eine ziemlich weitgehende Freiheit der Bewegung zu bewahren. Das Schema verlangt hier in den Quartetten

umschließende Reime (abba, abba) und verbietet gekreuzte (abab, abab), obwohl diese Reimstellung im Italienischen die ältere ist, oder irgendwelche andre Bindungen, in den Terzetten, wenn auch nicht mit derselben Strenge, die Reimfolge cde, cde oder cde, edc. Auch diese Vorschriften sind natürlich keine willkürlichen Einfalle ohne Sinn, sondern wachsen in historischer Entwicklung aus dem Bilde der Sonettform und ihrer Teile bei wirklich genialen Sonettisten als architektonische Symbole gefühlsmäßig hervor, um dann von der künstlerischen Reflexion als zweckentsprechend und wirkungsvoll anerkannt zu werden. So findet sich z. B. in den siebzehn Liebessonetten Goethes diese Reimstellung in den einzelnen Sonetteilen streng und ohne jede Ausnahme durchgeführt. Freilich kann und wird, was der Genius mit göttlicher Leichtigkeit und Anmut meistert, dem Talent zur beengenden und störenden Fessel werden und von diesem daher eine größere Bewegungsfreiheit vorgezogen werden. Für Humboldt war ein mehr lockeres Schema, das nur an der Vierzehnzeiligkeit und an der notwendigen Grenzscheide zwischen dem Doppelquartett und dem Doppelterzett, abgesehen von einigen wenigen begründeten Ausnahmen, als an den fundamentalen Forderungen festhielt und sich im übrigen von den strengeren Gesetzen der Reimstellung lieber emanzipierte, um individueller bleiben zu können, willkommener, schon weil es dem freien Fluß der Stimmungen, Gefühle und Gedanken mehr Rechnung zu tragen vermochte

und es ihm, was nie vergessen werden darf, um reine Kunstwerke im höchsten Sinne bei diesen Dichtungen niemals zu tun war und auch nicht zu tun sein konnte. Wenn wir uns der Kürze halber auf die Betrachtung der Quartette bei Humboldt beschränken und die Frage, wie- sich bei ihm in den Terzetten der dem Schema entsprechende dreifache und der daneben bei ihm und andern häufige zweifache Beim zueinander verhalten, hier gänzlich beiseite lassen, auch auf die Frage der Beimstellung in den Terzetten nicht eingehen, so zeigt schon der Zyklus „Weibertreue" die allergrößte Mannigfaltigkeit. Nur vier von den sechzehn Sonetten dieser Gruppe zeigen das regelmäßige Schema; im übrigen finden wir durch ein oder mehrere Beispiele vertreten: umschließenden Beim im einen Quartett mit gekreuztem im andern (abba, abab), doppelte Beimpaare (aabb, aabb), doppelte umschließende Beimpaare, die also dem Doppelquartett dieselbe Architektonik geben, die sonst jedes einzelne zeigt [aabb, bbaa), doppelte Vierreime (aaaa, bbbb), umschließenden Beim mit Umkehrung im zweiten Quartett {abba, baab), endlich völlig freie und gesetzlose Vermischung der Beimzeilen. In dem letzten Falle finden sich wie in der Beimstellung der Terzette alle möglichen Kombinationen, die mathematisch denkbar sind, was natürlich zu einer mehr oder weniger fühlbaren Auflösung der architektonischen Form führt. Diese Lockerheit des Baus geht als charakteristische Eigentümlichkeit durch die ganze Sonettmasse hindurch bis in die allerletzte Zeit, immer

untermischt mit strenger gebauten Formen, die aber nie auch nur die Tendenz zur Alleinherrschaft erkennen lassen. Ich stehe nicht an, die Gesetzlosigkeit in der Ausdehnung, wie sie uns hier entgegentritt, als einen schwerwiegenden formalen Mangel der Sonette Humboldts zu bezeichnen. Wie steht es endlich, womit wir diese Analyse der äußeren Form abschließen wollen, mit dem Geschlecht der Reime? Im Italienischen ist der Reim des Sonetts immer weiblich; ein Wechsel zwischen weiblichen und männlichen Reimen wurde zuerst in Frankreich eingeführt und dort im 17. Jahrhundert Gesetz; durch die Abhängigkeit unsrer deutschen Dichtung desselben Jahrhunderts von der französischen kam dieser Usus auch in das deutsche Sonett des 17. sowie des 18. Jahrhunderts hinein.68 Noch Schlegel hat, auch hierin getreu seinem Lehrer und Vorbild Bürger, sich in seinen älteren Sonetten aus dem Wechsel der Reimgeschlechter kein Gewissen gemacht. Durch den strengeren Anschluß an die italienischen Vorbilder kam er aber zu Ende der neunziger Jahre zu dem Prinzip, nur noch weibliche Reime im Sonett zuzulassen, und behauptete nun, daß beim Sonett, der Canzone und der lyrischen Terzine und Stanze die Ausschließung der männlichen Reime durchaus mit zum großen Stil gehöre; die gegenteilige Ansicht gewisser Runstrichter könne getrost ignoriert werden.69 Einige der größten deutschen Sonettdichter, wie Goethe, Platen in seiner Reifezeit, Rückert, haben sich dieser durch Schlegel festgestellten Gesetzlichkeit des 36

Reimgeschlechts bedingungslos unterworfen, andre hielten an dem Wechsel der Reimgeschlechter fest, worauf hier nicht genauer eingegangen werden soll. Am heftigsten hat Chamisso gegen das Gesetz polemisiert, indem er an Gustav Schwab schreibt: „ Liegt nicht ein Teil unsres Geheimnisses darin, daß wir das Joch der italienischen weiblichen Reime abgeschüttelt haben? Ich wünsche uns Glück dazu, daß wir es getan haben. Ich werde mir nie in diesem Silbenmaße die freie gesetzlose Abwechslung der männlichen und weiblichen Reime abschwatzen lassen. Das gibt uns gar köstliche Farben auf unsre Palette: in der Regel ist die gefallige Sprache für uns witzig, schlägt mit harten männlichen Reimen darein, wo es trefflich frommt, und zerschmilzt von selbst in weibliche, wo es am besten angebracht." 70 Humboldt hat sich, zwar nicht in der „Weibertreue", wo die enge Anlehnung an den serbischen Trochäus von selbst den männlichen Reim ausschloß, aber in manchen seiner Einzelsonette der früheren Zeit und noch in dem letzten vom September 183o beider Reimgeschlechter wechselnd bedient, hält sich aber in der zusammenhängenden Sonettdichtung der letzten Jahre durchgängig und ausnahmslos an Schlegels Forderung des ausschließlich weiblichen Reims. Dieser Zwang ist aus zwei Gründen bedauerlich: einmal weil sich Schlegel bei der Aufstellung dieses Gesetzes einer Verkennung des fundamentalen Unterschiedes zwischen der italienischen und der deutschen Sprache schuldig gemacht hat, für den Chamisso, obwohl er geborener

Franzose war, ein unbewußtes, aber feines Gefühl bewies; dann weil sich Humboldt dadurch zu sprachlichen Gewaltsamkeiten verfuhren ließ, die viele seiner kleinen Dichtungen direkt formell verunstalten. Daß er, der feinfühlige Erforscher der Sprachen, der eigentliche Entdecker ihrer nationellen Individualität, der besonnene und kluge Beurteiler deutscher Hexameter und Pentameter, auf dessen metrische Einwände gegen einzelne Verse in „Hermann und Dorothea" Goethe mehr hätte hören sollen, hier so ganz im Banne Schlegels verharren konnte, zeigt nur aufs neue, wie abhängig er als reifer Mann von der romantischen Doktrin gewesen ist. Ich kann die beiden angeführten Momente hier nur ganz kurz erörtern. Schlegels Forderung des ausschließlich weiblichen Reims ist nicht, wie es die vorher besprochenen formalen Gesetze zweifellos sind, eine der Sonettform oder ihrem architektonischen Bau immanente und deshalb unerlässliche Forderung, sondern eine äußerliche und darum fehlerhafte Übertragung eines für die italienische Sprache durchaus naturgemäßen Prinzips auf die deutsche Sprache, auf die es ihrem nun einmal gegebenen, andersartigen rhythmischen Charakter nach nicht paßt. Der italienische Dichter kann gar nicht anders als den weiblichen Versausgang bevorzugen, weil die italienischen Worte in der erdrückenden Mehrzahl nun einmal weibliche Endungen zeigen oder, anders ausgedrückt, der gewöhnlich betonten vorletzten Silbe eine unbetonte als letzte folgen lassen. Man kann jeden beliebigen

italienischen poetischen oder prosaischen Text hernehmen, um sich von dieser Sachlage zu überzeugen: ich spreche natürlich von der Schrift- oder Literatursprache, nicht etwa von den Dialekten. Im Deutschen, überhaupt in den germanischen Sprachen liegt die Sache ganz anders: hier kann von einem Übergewicht weiblicher Wortausgänge gar keine Rede sein, es halten sich vielmehr weibliche und männliche Ausgänge oder, anders ausgedrückt, betonte letzte und betonte vorletzte Silben etwa die Wage, und der ständig zunehmende Verfall der unbetonten Silben, wie er seit der urgermanischen Zurückziehung des Wortakzents auf die Stammsilben der Wörter als einheitliche Tendenz unsre gesamte Lautgeschichte beherrscht, hat es mit sich gebracht, daß jedes männlich ausgehende Substantiv bei der Pluralbildung, viele schon in der Singularflexion weiblichen Tonlall, jede weiblich ausgehende erste Yerbalperson in der weiteren Singularflexion mit wenigen Ausnahmen männlichen Tonfall erhält. Der dadurch bedingte rhythmische Charakter der Worte ist demnach im Deutschen ein ganz andrer als im Italienischen: was sollte uns also dazu vermögen, auf diesen in der Sprache gegebenen Wechsel, an dessen Wohlklang wir gewöhnt sind, zu verzichten zugunsten eines fremden Sprachcharakters? Im Englischen, wo durch die noch weiter als im Deutschen vorgeschrittene Zerrüttung der Endsilben die männlichen Wortausgänge überwiegen, ist ein Sonett mit nur weiblichen Reimen eine große Seltenheit, fast ein Ding der Un-

möglichkeit, weshalb denn auch fast jedes Sonett von Shakespeare oder Elisabet Browning naturgemäß viele, zuweilen ausschließlich männliche Reime aufweist, ohne daß sein künstlerischer Wert irgend darunter leidet. Ich kann nicht anders als Ghamissos Protest gegen die Aufpfropfung der italienischen Reimgeschlechtsregel auf das deutsche Sonett für durchaus berechtigt halten. Natürlich kann man auch hier wieder sagen, daß der Genius auch unter dem Zwange dieser Regel Vollendetes schaffen k a n n , denn eine solche Einwendung, daß das Idealsonett eine Art Bett des Prokrustes sei, nach dessen Maß der Gedanke verstümmelt oder ausgereckt werden müsse, paßt, wie Schlegel in seinen berliner Vorlesungen über die Geschichte der romantischen Literatur treffend bemerkt, auf alle und jede Versifikation, und ein Gedicht ist doch kein Exerzitium, das zuerst formlos in Prosa entworfen und nachher in Verse gezwungen wird. 7 1 Aber daß sich der deutsche Sonettist, der auf den männlichen Reim verzichtet, unläugbarer großer Vorzüge, die ihm seine Sprache entgegenträgt, freiwillig begibt und sich einer fremden Sprachindividualität dienstbar macht, ist sicher. Die bösen Folgen dieses Mißgriffs, die der Genius vermeidet, bleiben denn auch bei dem Talent nicht aus: dieses läßt sich dadurch zur häufigeren Anwendung sprachwidriger Archaismen verführen. Nun hat ja für unsre Empfindung innerhalb eines im wesentlichen modernen Sprachgebrauchs vorsichtig und sparsam verwandter Archaismus zuweilen etwas

Poetisches, eine gewisse Färbung an sich, die wir dann nicht als störend und fremd ansehen können: aber das feinere Gefühl wird doch immer die Dichtungen vorziehen, wo ohne solche Hilfsmittel ausgekommen wird, und wird sie überall da ablehnen, wo sie nicht der Färbung der Stimmung dienen, sondern deutliche Zeichen des ungeübten oder mangelnden technischen Geschicks des Dichters sind. In der Geschichte aller Literaturen lösen Epochen strengerer und solche laxerer Beurteilung derartiger sprachlicher Archaismen einander ab, wohl weil das Gefühl für die Form und ihre Reinheit selbst rhythmischen Schwankungen unterliegt. Beispiele für solche Sprachfehler, die durch den Archaismus entschuldigt werden sollen, sind überall mit Händen zu greifen, und man braucht nur irgendeine moderne Gedichtsammlung aufzuschlagen, um zu sehen, welche erlösende Rolle z. B. der berühmte Apostroph an den unmöglichsten Stellen spielt, wenn es gilt, eine metrisch überschüssige Silbe zu eskamotieren, was alles unsern ziemlich geduldigen Wortstellungsgesetzen zugemutet wird usw. Chamisso spottet in seinem schon oben zitierten Briefe an Schwab über die eigene Sonettsprache, die die jungen Mitglieder des Nordsternbundes sich neben der gewöhnlichen deutschen Sprache angewöhnt hatten, und hebt besonders die Unsitte der übermäßigen Verwendung der Hilfsverba „müssen, wollen, mögen" hervor, die es ermöglichte, mit dem weiblich fallenden Infinitiv zu reimen und damit den so häufig männlich ausgehenden Präsens- und Präteritalformen

listig zu entgehen. 72 Der Germanist erinnert sich dabei, daß schon den mittelhochdeutschen Dichtern bei ihren riesengroßen Werken in Reimpaaren eine ähnliche Verlegenheit kein unbekannter Gast war, daß z. B. der größte unter ihnen, Wolfram von Eschenbach, die Umschreibung eines Verbums durch „können" mit dem Infinitiv aus Reimnot zur ganz inhaltsleeren Manier hat werden lassen. 73 Einen andern Ausweg aus einer ähnlichen Verlegenheit hat die deutsche Sonettdichtung beschritten, um zu den ersehnten weiblichen Reimen für Präsensformen des Singulars ohne jene Umschreibungen zu gelangen: sie nimmt einfach statt der seit langen Zeiten einzig geltenden Formen „lebt, gibt, macht, ruft, hört" die archaischen zweisilbigen Formen „lebet,giebet,machet,rufet,höret" her, die uns zwar aus Luthers Bibel geläufig, aber in der lebendigen Umgangssprache längst unerhört sind, und ist gerettet. Da unsre besten Sonettisten nicht ohne diese hässliche Krücke auskommen konnten, da sich Schlegel, Zacharias Werner, Platen ihrer bedienten, selbst Goethe in zweien seiner siebzehn Liebessonette, den ersten Versuchen allerdings, sie nicht verschmäht hatte, 74 so kann es nicht wundernehmen, wenn wir sie auch bei Humboldt in reichster und häufigster Verwendung wiederfinden, der sogar hie und da in seilten Altersbriefen solche Formen schreibt, die er sicherlich niemals gesprochen hat. Diese Präsensformen sind mit ihrem fortwährenden Ubelklang in seinen Gedichten ein unvermeidlicher Stein des Anstoßes und ein durchstehender formeller Makel,

der es nirgends zu einem reinen künstlerischen Eindruck kommen läßt. Diese sprachliche Eigentümlichkeit, die uns bei Humboldt in breiterem Strome entgegentritt als sonstwo, hat es wohl zusammen mit der oft recht verzwickten und doch meist so leicht zu glättenden Wortstellung verschuldet, daß seine Sonette die Beachtung nicht gefunden haben, die sie inhaltlich verdienen. Hätte er hier radikal durchgegriffen und wäre mit dem Genius der lebendigen deutschen Sprache, nicht mit der Praxis und Doktrin der Romantiker gegangen, so hätte er zusammen mit Chamisso die Bahn gebrochen, auf der das einzige Heil des deutschen Sonetts zu finden ist. • •

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ber die innere Form des Sonetts hat niemand geistreicher gesprochen als August Wilhelm Schlegel in seinen oben zitierten Vorlesungen,' 5 die man ebenso wie seine meisterhaften Rezensionen aus den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts mit immer neuer Bewunderung liest. Gehen auch seine Betrachtungen über die äußere Form und den architektonischen Bau dieser Dichtungsart, wie Welti mit Recht bemerkt, 76 in einen etwas unfruchtbaren Formalismus über, der fast zu einer Metaphysik des Sonetts wird, so bleibt doch seine Behandlung der inneren Form das beste, was bisher darüber gesagt worden ist, und ist von dem Historiker des Sonetts, wie mir vorkommt, nicht unerheblich unterschätzt worden. Nach Schlegel wird das Sonett schon durch seine be43

stimmte Gliederung und die Festigkeit seines Aufbaus aus der Region der rein lyrischen, schwebenden Empfindung in das Gebiet des entschiedenen Gedankens hinübergezogen. Die unbestimmte, ohne Grenze hinund herwogende Bewegung der Gefühlsmasse, wie sie der reinen Lyrik eignet, erscheint hier durch eine vollständig geschlossene Form abgeschnitten, die daher ganz besonders dazu bestimmt ist, das Höchste in der Konzentration des poetischen Stoffes zu leisten. So wird das Sonett zur eigentlichen Mustergattung der lyrischen Didaktik oder besser Gedankenlyrik, die danach strebt, die von dem Atem wahren Gefühls und tiefinnerlicher Überzeugung belebten Anschauungen des Dichters voll lebendig werden zu lassen.77 Ganz in diesem Sinne erscheint es auch bei Humboldt: von irgend einem einzelnen Bilde geht der Dichter aus, um tiefere und tiefere gedankliche Beziehungen und Zusammenhänge daran anzuknüpfen oder auch um sich an der einfachen Auseinanderlegung des Bildes in seine einzelnen Teile, die uns mit liebevoller Versenkung vor Augen gestellt werden, genügen zu lassen. Die gewöhnlichste Form, in die sich diese mit Reflexionen verschmolzenen und durchsetzten Gefühlsergüsse kleiden, ist naturgemäß die des lyrischen Monologs. Aber auch mannigfache andre Formen der Darbietung finden sich bei Humboldt und natürlich nicht bei ihm zuerst: die geschichtliche Entwicklung des Sonetts zeigt schon von frühen Epochen an auf diesem Gebiete den lebendigsten Wechsel. Neben den rein lyrisch gehaltenen

Sonetten, die immer, wie es auch zu erwarten ist, den Hauptstock aller Sonettdichtung gebildet haben, finden bald auch epische und dramatische Dichtungen der Art Platz; neben die rein den individuellen Gedanken- und Gefühlskreis schildernden Gedichte treten die eine Persönlichkeit, ein Kunstwerk, eine Landschaft, ein Volkstum mehr objektiv charakterisierenden, die epistolarischen, die auf Erregung politischer Leidenschaften gerichteten; selbst das Rätsel verschmäht es nicht sich in die Sonettform zu kleiden. Einige besonders wichtige unter diesen Gruppen sollen, soweit sie für Humboldt in Betracht kommen und unter seinen Gedichten vertreten sind, an späterer Stelle behandelt werden: hier seien nur noch einige kurze Bemerkungen über die dramatischen Elemente seiner Sonette und über die Rätsel angefügt. Das Sonett in dialogischer Form, in dem die einzelnen Verse oder Abschnitte auf verschiedene sprechende Personen, seien es nun zwei oder mehrere, verteilt sind und so eine dramatische Szene vorgeführt wird, stellt sich ganz unabsichtlich ein, wenn eine mehr oder weniger scharfe und deutliche Antithese den gedanklichen Kern des Gedichtes bildet. Es wurde eine Lieblingsform der romantischen Dichter: schon August Wilhelm Schlegel führt in einem seiner Sonette der Reifezeit („Die Flucht der Stunden") sich selbst mit den zu rasch dahineilenden Schäferstunden in Rede und Gegenrede ein; 78 Tieck, der schon früher die Musiker Palestrina, Marcello und Pergolese dialogisch zusammengebracht hatte,

läßt im Prolog zur schönen Magelone die Sonne, das Wasser, die Blumen und den Wald in einem Sonett sich unterreden. 79 Bis zum Geschmacklosen ist die Dramatisierung der Form bei Zacharias Werner vorgeschritten, der sich darin gar nicht genugtun kann und die unmöglichsten Dinge, um sie redend und reflektierend einführen zu können, personifiziert: bei ihm unterhalten sich nicht nur Passagier und Postillon in der vom weimarischen Plateau nach Jena hinabfahrenden Postkutsche, Pallas und der Kosmopolit, Faust, Gretchen, der Engel und Mephistopheles, was noch angehen würde, sondern z. B. ein Pilger mit einem geflößten Baumstamm, dem Stephansturm in Wien, den Pflanzen im göttinger botanischen Garten, den Springbrunnen auf dem Petersplatz in Rom, oder noch absonderlicher Epheustaude, Wartturm, Pfalzgraf und Engel am heidelberger Schloß und gar Witwer, Betsaal, Kerzenflammen, Orgelton, Brüderund Schwesternchor und Heiland in der neudietendorfer Herrnhutergemeinde. 8 0 Die Architektonik der Sonettform zerfließt hier völlig und es bleiben vielfach nur zusammenhangslose Atome zurück: kann man es sich noch gefallen lassen, wenn einzelne Quartette oder Terzette verschiedenen Sprechern zugeteilt werden, so verteilt Werner bei der großen Zahl seiner Sprecher einzelne Verse oder sogar halbe Verse auf seine redenden Phantasmen, wodurch alle künstlerische Form vernichtet wird. Unter Werners unmittelbarem maßgebendem Einfluß standen, wie wir oben sahen, Goethes Liebessonette: auch er hat sich

zweimal der Dialogform, allerdings in durchaus maßvoller Weise bedient, indem er die Zweifelnden und die Liebenden, das Mädchen und den Dichter sich unterredend einführt. 81 Das romantische Vorbild, dem Goethe sich anschloß, ist auch für Humboldt maßgebend, zumal er, wie wir uns erinnern, Ende 1808 die durch Werner hervorgerufene Sonettinfektion in Weimar aus nächster Nähe kennen lernte und den Keim der Ansteckung von dort mitnahm. Die dialogische Form erfreut sich bei ihm einer gewissen Beliebtheit, wenigstens in den Altersgedichten, und hie und da ist er wohl auch etwas über das erlaubte Maß hinausgegangen, ohne doch je ins Geschmacklose sich zu verirren. In der Regel sprechen bei ihm zwei Personen miteinander: Hermes und Prometheus, Mutter und Kind, Schauspieler und Schauspielerin, Herzog und Herzogin, Dichter und Leser, Dichter und Schauspielerin, mehrfach auch zwei beliebige, nur mit den Ziffern 1 und 2 bezeichnete Sprecher; 82 weiterhin personifizierte Gegenstände oder Tiere: die Kuh und die Erde, der alte und der junge Esel, der Bach und der Strom, die Menschen und die Sonne.83 Entsprechend den vier Gliedern des Sonetts, die noch weiter dialogisch zu zerstückeln Humboldt ein feines Formgefühl abgehalten hat, finden sich zweimal je vier Sprecher: tragischer Schauspieler, komischer Schauspieler, Tänzer und Kunstreiter; Sonne, Sterne, Mond und Erde. 84 Für das Rätsel in Sonettform findet sich schon bei Petrarca ein berühmtes Beispiel, das allen ähnlichen

Versuchen der Romantiker und jüngerer Sonettisten zum Vorbilde gedient hat: sein fünftes Sonett umspielt den Namen Laura, der nicht genannt wird, sondern nur silbenweise versteckt als offenbares Geheimnis darin enthalten ist, und den lautlich anklingenden Lorbeer (lauro). Ein Gharadensonett auf Minna Herzlieb, das mit den beiden Teilen ihres Familiennamens spielt, ohne sie auszuprechen, haben wir von Goethe: es beschließt seinen Liebessonettzyklus und entstand, wie die gleichzeitigen, an dieselbe Dame gerichteten Sonette von Gries und Riemer, unter unmittelbarer Anregung eines ähnlichen von Werner, das das gleiche Motiv behandelte. 85 Auch für das Rätselsonett also sind Werner und Goethe Humboldts Vorgänger, dessen fünf dieser Gattung zuzurechnende Gedichte allerdings nicht so durchsichtig sind, sondern an einer bedauernswerten Dunkelheit leiden, die den Germanisten an die schwierigsten angelsächsischen Rätsel aus dem Exeterbuch gemahnen können. 86 Keines von ihnen hat sich mir Disher trotz energischer und zu wiederholten Malen versuchter Angriffe entschleiert, und fast schadenfroh heißt es in einem dieser Gedichte geradezu, daß man der Lösung vergebens nachfragen werde, da sie der einzig Wissende mit ins Grab genommen habe. 8 1 Ahnlich sagte einst Browning von einzelnen seiner Gedichte: „Als ich sie dichtete, wußten zv/ei den geheimen Sinn, ich und der allmächtige Gott; jetzt weiß ihn nur noch einer." Für die mannigfaltigsten rein formellen Spielereien

ist das Sonett in Frankreich und Deutschland immer ein beliebter Tummelplatz gewesen. Bei Humboldt ist nur eine zu belegen: zweimal hat er zwei aufeinander sich beziehenden, inhaltlich in einem Gegensatz zueinander stehenden Sonetten die gleichen Reimworte gegeben.88 Schon im 17. Jahrhundert begegnet uns ein solcher Satz und Gegensatz, wie der Dichter selbst es nennt, bei Johann Georg Schoch, der sich -überhaupt durch allerhand teilweise abenteuerliche Formkünsteleien auszeichnet.89 Ein schönes Beispiel gab dann Schlegel in seinen beiden Sonetten „Unkunde" und „Zuversicht". 90 Eins dieser Humboldtschen Sonettpaare sei hier zur Probe wiedergegeben : 9 1 „Mondesklagen. Wenn Helios weidet seine Sternenherde, muß ich, die mühereichste der Göttinnen, fern von des Himmelspols erhabnen Zinnen langweilig kreisen um die dunkle Erde. Es tanzt mit mir, daß frohe Lust mir werde, kein Schwesterchor, mich Nebel nur umrinnen; zwölfmal muß ich im Jahr den Lauf beginnen und tappen oft in Finsternisbeschwerde. Dabei die Menschen noch pedantisch spähen, die Flecke des Gesichts mir abzusehen, und machen Felder draus und Berg' und Meere, daß aus Verdruß, auf meinem Ätherwesen Gewirr von Namen aller Zeit zu lesen, ich ihnen zu nur e i n e Seite kehre."





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» Mondesfreuden, Ja, weide, Helios, nur die Sternenherde! Ich, die still freudenvollste der Göttinnen, fern von des Himmelspols erhabnen Zinnen, umkreise gern die schwesterliche Erde. Daß tieferes Gefühl des Glücks mir werde, des Weltraums Lüfte einsam mich umrinnen; mich freuts, der Erde Monde zu beginnen, und auch ihr Schatten bringt mir nicht Beschwerde. Dabei die Menschen wißbegierig spähen, nach meiner Scheibe Gegenden zu sehen, sie kennen Länder drauf und Berg' und Meere; ich freue mich, auf meinem Ätherwesen die großen Namen aller Zeit zu lesen, und ihnen stolz hin diese Seite kehre."

6 ach Erledigung der entstehungsgeschichtlichen und der formalen Fragen, die Humboldts Sonettdichtung anregt, steht uns nun der Weg zu unsrem eigentlichen Ziele, einer knappen Betrachtung und Analyse ihres Gedankengehalts offen, bei der der Schwerpunkt auf die psychologisch und die literarhistorisch interessantesten Gedichte zu legen sein wird. Aus dem Kreise des hier zu Behandelnden ausschließen möchte ich eine genauere Erörterung der religiösen und philosophischen Anschauungen Humboldts im engeren Sinne, also eine Besprechung seiner Vorstellungen etwa von Freiheit und Schicksal, Tod und Unsterblichkeit, männlichem und weiblichem Cha5o

rakter, Freundschaft und Liebe, Freisinn und Frömmigkeit, Gottheit und Allbeseelung, Pflicht und Glück usw. Obwohl auch für alle diese und verwandte Gedankenkreise natürlich eine Fülle von wertvollem Material, das die sonstigen Quellen, besonders die gleichzeitigen Briefe an die Freundin ergänzt, in den Sonetten enthalten ist, so gehören sie doch nicht zu dem für diese Gedichte eigentlich Charakteristischen. 98 Seit Eduard Spranger uns in seinem vortrefflichen Werke über Humboldt und die Humanitätsidee 9 3 ein lichtvolles und farbenfrisches Bild seiner gesamten geistigen Struktur gezeichnet h a t , ist es nicht schwer, die dort aufgenommenen Fäden überall eng mit dem zu verknüpfen, was uns in den Sonetten als Weltanschauung des Greises entgegentritt. In erster Linie fesselt uns die reiche Fülle der mannigfaltigsten Naturbilder, die sich, wenn auch oft nur flüchtig berührt und nur als Ausgangspunkte für daran angeknüpfte Reflexionen verwertet, wie ein glänzender Faden durch die ganze Sonettmasse hindurchziehen. Seit der frühsten Kindheit stand Humboldt im engsten Verkehr mit der Natur: durch sie bald leise, bald stürmisch angeregt, erging sich die durstige Seele im wehmütigen Genuß der eigenen Phantasien, für welche die märkische Ebene mit ihren intimen Reizen, die Wälder von Tegel und die stille Fläche seines Sees das Sprungbrett wurden in unbekannte, in Träumen ausgesponnene Regionen des Lebens. Etwas von der religiösen Andacht, mit der einst den Jüngling der Glaube an Leibnizens Monaden-

lehre bis zur schwärmerischen Selbstvergessenheit erfüllt hatte, 94 blieb seinem Verhältnis zur Natur durchs ganze Leben, und noch den Greis sehen wir in den Briefen an Charlotte Diede die einfachsten und alltäglichsten Naturvorgänge mit immer neuer Aufmerksamkeit und warmer Liebe betrachten und wie W u n d e r erleben. Alle Jahreszeiten, alle Abschnitte des Tages haben ihre besonderen Reize für ihn und werden mit nahezu gleicher Dankbarkeit durchgekostet und genossen ; ganz fremd sind ihm die üblichen Klagen über das Wetter, zu große Wärme oder zu große Kälte, zuviel Sonnenschein oder zuviel Regen, weil ihm die Natur in allen ihren Gestalten lieb und willkommen ist. Besonders empfanglich ist er immer für Abendstimmungen gewesen und für die Reize der Nacht, die in uns die bessre Seele weckt, die Raum gibt der Schwungkraft der tiefsten und innigsten Gedanken und Gefühle und dem bunten Spiel der Träume, die den funkelnden Teppich der Sterne über uns ausbreitet. Aus allen Gebieten des terrestrischen und atmosphärischen Lebens strömt ihm eine endlose Fülle von stimmungweckenden Bildern zu: 9 5 Bäume und Blumen, die deutsche Eiche und die italienische Pinie, Reben und Pappeln und des Weizenfelds bewegte Wogen, der klare blaue und der düstere graue Himmel, der wallende Nebel, der leise Sommerregen und die stillen, weichen Flocken des frischen Schnees, die wechselvollen Gebilde der Wolken, die wie von einem dichtenden Geiste erschaffen scheinen, 96 und der durch die Wälder brausende Sturm, die bewegte und

die stillruhende Wasserfläche, die erhabene Weite des unendlichen Meeres und die Starrheit des Eises, alles weckt in ihm die Rhythmen seines stillen Sinnens auf, in denen seine reichen Ideenschätze zu Krystallen zusammenschießen. Gewisse Vertreter der Tierwelt treten immer wieder auf: der Stier und die Kuh, die treuen Arbeits- und Wirtschaftsgenossen des Landmanns, der aus Italien her mit manchen Erinnerungen verflochtene Esel, der Schwan, der Kranich, besonders häufig das Reitpferd, die Krone der animalischen Schöpfung, das schönste aller Tiere, der treuste Freund seines Herren, dem leider die Sprache versagt ist (nur Xanthos, dem Rosse des Achill, löste ein freundliches Schicksal die Zunge), 97 dessen Augen so deutlich sprechen; daneben aus der fremdländischen Tierwelt der Elefant und der Strauß, das Kamel und die Gazelle, der Löwe und die Tigerin. Unter den Himmelskörpern wird der strahlenden Sonne gedacht, die sich untergehend in ihrer ergreifendsten Schönheit zeigt, der Nebelflecken am Nachthimmel, des Halleyschen Kometen (dessen Wiederkehr um die Mitte der dreißiger Jahre erwartet wurde, die aber Humboldt nicht mehr erlebte), 98 seltener des Mondes, am häufigsten der Sterne und einzelnen Sternbilder. Humboldts Kenntnis des gestirnten Himmels, von früh auf mit Liebe gepflegt, der Namen der Sternbilder und ihrer hauptsächlichsten Sterne ist, an dem heutigen Wissensstand der Durchschnittsgebildeten gemessen, bei denen man meist eine bodenlose Unwissenheit auf diesem Gebiete konstatieren

kann, phänomenal: eine Menge von einzelnen Sternen und Konstellationen werden hier wie auch überall in seinen Briefen erwähnt, dem Tierkreise ein eigenes Dutzend Gedichte gewidmet, eine Reihe persönlicher Erinnerungen mit den lichten Weltkörpern verknüpft, die mit einem tiefsinnigen Bilde das Gras der Nacht genannt w e r d e n . " Wie schon der Jüngling in einsamer Wanderung durch die nächtlich stillen Straßen Berlins viele Stunden bis zum Anbruch des Morgens in der Beobachtung des gestirnten Himmels und des Auf- und Niedergangs seiner Bilder verbringen konnte, 1 0 0 so trat auch der Greis in sternklaren Winternächten, das Bett verlassend, für lange Zeit ans Fenster 1 0 1 und hatte die strahlenden Wanderer tief in sein religiös gefärbtes Lebensgefühl und in die Ahnungen und Überzeugungen seiner Metaphysik verwebt. In einem der letzten Gedichte heißt es: 1 0 2 „Man kann die Blumen sie des Äthers nennen: dem Schoß sie wuchernd der Natur entkeimen, und müssen wir sie je für Schein erkennen, so kann ein Gott n u r solche Träume träumen; aus seiner Phantasie endloser Fülle hat er sie hingepflanzt in Weltraums Stille." Die beneidenswerte Gabe eines höchst treuen, auch die kleinsten Einzelheiten weit zurückliegender früherer Erlebnisse in farbiger Deutlichkeit reproduzierenden Erinnerungsvermögens war Humboldt verliehen und wurde ihm in den Tagen des vereinsamten Alters, das oft und gern in der Vergangenheit und mit denen

lebt, die damals atmeten und nun dahingegangen sind, eine unversiegliche Quelle des reinsten Glücks. So durchziehen auch die Sonette die lebendigen Erinnerungen an die eigene Vergangenheit. Die schrankenund gegenstandslose Sehnsucht der Kindheit in die Weite der unbekannten Welt, die Humboldt ebenso sehr wie seinem Bruder Alexander eigen war, bei dem sie zu gewaltigen Reiseplänen und ihrer endlichen Verwirklichung den Grund legte, das stundenlange stille Träumen des Knaben in irgend einem Winkel des Hauses oder an einer einsamen Stelle des Gartens, die schwärmerische Liebe des Jünglings für Henriette Herz, die ihn auf seiner Rheinfahrt beseligte, steigen vor dem rückschauenden Blick wieder auf. Dann ziehen in langer Reihe die von dem Strahlenkranz der liebsten Erinnerungen an das gemeinsame Leben mit seiner Frau umleuchteten Länder und Orte vorüber: die Landsitze Burgörner und Auleben und die Städte Erfurt und Rudolstadt, die das junge Liebesund Eheglück gesehen hatten, Paris im Gewoge seines großstädtischen Lebens, in dem Karoline sich immer so besonders wohlgefühlt hatte, der schneebedeckte Gipfel des Vignemale in den Pyrenäen, der Strand des Biskayischen Meeres bei Biarritz, der uns durch Bismarcks Briefe aus bedeutungsschwerer Zeit so ans Herz gewachsen ist, die Berge Kastiliens, die üppige Vegetation in den Palmenwäldern von Valencia und die Zinnen der maurischen Alhambra, der wunderbare Einsiedlerberg Montserrat bei Barcelona, der Humboldt wie der Schauplatz von Goethes tiefsinnigen

„Geheimnissen" erschien, 103 Rom mit seinen gewaltigen Überresten der antiken Welt, die Pyramide des Cestius mit den Gräbern der frühvollendeten Kinder, der Ort der ewigen und niegestillten Sehnsucht beider Eltern, das Albanergebirge mit den Seen von Albano und Nemi und den kleinen Landstädtchen ihrer Ufer, die alljährlich zum Sommeraufenthalte gedient hatten, 104 endlich aus späteren Jahren das schlesische Bergland am oberen Bober und die einsame Nordseeinsel Norderney. Mannigfache Reflexe werfen Humboldts wissenschaftliche Arbeiten in die Sonettdichtung der letzten Jahre. Seit er durch den Austritt aus dem Staatsdienst zu Neujahr 1820 ein unbeschränkter Herr seiner Zeit geworden ist, füllt andauerndes Studium des griechischen und indischen Altertums und die Beschäftigung mit den Problemen der Sprache, ihrem Wesen, ihrer Entwicklung und nationellen Besonderheit die Muße seiner Tage aus. Immer wieder und wieder ringt er mit diesen Problemen und das Schicksal vergönnt ihm das Glück, ans Ziel zu gelangen und eine systematische Darstellung seiner wichtigsten Forschungsresultate in der Abhandlung „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts' abzuschließen, die, während seiner letzten fünf Lebensjahre langsam entstanden, als erster, einleitender Band seines Werkes über die Kawisprache auf der Insel Java nach seinem Tode erschien und durch die er der Begründer der allge-

meinen Sprachwissenschaft geworden ist. 105 Hand in Hand mit diesen allgemeinen Forschungen über die Sprache ging ein tiefgreifendes empirisches Sprachstudium von staunenswerter Exaktheit, das sich allmählich über einen großen Teil der Sprachen der Erde erstreckte: neben die klassischen Sprachen traten früh die germanischen und romanischen, in Paris und Spanien das Baskische, in Königsberg das Litauische, während der wiener Gesandtenzeit die slavischen Sprachen und das Ungarische, daneben die Fülle der amerikanischen Idiome, zu deren Betrachtung von seinem Bruder Alexander aus Amerika mitgebrachte reiche Materialien die erste nachhaltigere Anregung gaben, in der Muße der ersten zwanziger Jahre das Sanskrit, endlich seit der Mitte der zwanziger Jahre das Chinesische und der große malaiisch-polynesische Sprachstamm, von andern nebenhergehenden Sprachstudien zu schweigen. Die allgemeineren Probleme blieben naturgemäß ihres stark abstrakten Charakters wegen der Sphäre der Dichtung fern, und es ist nur ein momentaner geistreicher Gedanke, wenn es in einem Sonett heißt, daß nur die Liebe es sei, die das Rätsel der Sprache und ihrer Individualität löse. 106 Dafür finden sich um so mehr Nachklänge aus dem Studium der einzelnen Sprachen und ihrer Literaturen, die hier und da durch die Verse hindurchtönen und nach Gestaltung ringen. Entsprechend der intensiven Versenkung in die Sanskritliteratur, deren älteste und wertvollste Denkmäler, die Hymnen des Veda, damals allerdings noch nicht bekannt waren, ergießt sich vor

allem ein breiter Strom indischer Motive und Gestalten in Humboldts Gedankenwelt und tritt uns auch in den Sonetten entgegen: die Göttertrias Brahma, Wischnu und Schiwa, der Weltherrscher Chakrawarti, Indra, einst in vedischer Zeit der gefeiertste der Götter, der Sonnengott Surya, Durga, die blutdürstige Gemahlin des Schiwa, der Götterberg Meru und die Himmelskuh, die beiden den Dioskuren entsprechenden Aschwinen, die sieben Rischis, die Seher und Sänger der Urzeit, Buddha; an der Seite von Orpheus und Homer erscheint Vyasa; die Motive der Seelenwanderung und der Witwenverbrennung werden mehrfach verwandt, den vier Kasten eigene charakterisierende Gedichte gewidmet, der Glaube an das sich in reinen Händen zur Kugel ballende Wasser, das uns aus Goethes herrlicher Parialegende 107 geläufig ist, in einer dramatisch zugespitzten Begegnung von Brahmin und Sudraweib verwertet. Allzu lange, klagt Humboldt ein paarmal, hält ihn sein wissenschaftliches Studium im Gebiete des malaiisch-polynesischen Inselmeeres fest, wo keine Najade in den Wellen spielt und nur barbarische Nomaden umherschwärmen, und n u r schwer bekämpft er die Sehnsucht nach Hellas. 108 Die einzelne Sprachindividualität versucht Humboldt überall als Ausdruck nationaler Eigenart zu verstehen, und so war ihm das Sprachstudium nur ein besonderer Fall des Studiums der verschiedenen Völkertypen, wie er es theoretisch und praktisch seit langer Zeit getrieben und besonders während seines langjährigen Lebens im Auslande stets in den

Vordergrund seiner Interessen gerückt hatte. So werden denn auch in einer Reihe von Sonetten Länder und Nationen charakterisiert, so das in den Fesseln uralter Traditionen eingerostete, im Dichten verschnörkelte, im Forschen beengte China und das aufstrebende Inselreich Japan. Eine kleine zusammengehörige Gruppe von Gedichten ist den Völkern Europas, soweit sie Träger der neueren Kultur sind, gewidmet: England, Portugal, Spanien, Frankreich, Irland, Schottland, Holland und der Schweiz; Italien und Deutschland sowie Griechenland fehlen hier, weil sie sonst schon vielfach in den Sonetten vorkommen, der germanische Norden und die slavischen Völker, weil sie in dem internationalen geistigen Austausch Europas damals noch keine Rolle spielten. England wird wegen der Reife seiner politischen Freiheit gepriesen, Portugal wegen der Entdeckung des Seeweges nach Indien und der sie feiernden Dichtung des Camoens, Schottland wegen der Gesänge Ossians, die sonst von Humboldt sehr selten erwähnt werden, 109 Holland wegen seines glorreichen Krieges gegen Spanien für seine Freiheit und seinen Glauben, an der Schweiz ihre politische Abhängigkeit von Frankreich scharf getadelt. In einer andern zusammengehörigen Gruppe von Sonetten werden die Römerin, die Griechin, die Jüdin, die Zigeunerin und die Deutsche kontrastierend charakterisiert: der entarteten Tochter des Quirinus tritt die kühn die Freiheit des Vaterlandes gegen die Türken verteidigende Griechin, die der Knechtschaft der Gottlosen und dem Erbfluch ihres Volkes verfallene

Jüdin gegenüber, und das deutsche Mädchen, dem die Ahnen ein freies Vaterland voll tiefen Sinnes und reiner Tugend hinterlassen haben, darf sich dreist neben die Schwestern vom Tiber und Ilissus stellen, während die braune Hexe von der Heide in der Enge ihres Stammesbewußtseins nur den braunen Mann zu lieben vermag. 7 it wahrhaft religiöser Innigkeit hat Humboldt zeitlebens die Antike umfasst: wie seine Auffassung des griechischen Altertums psychologisch in ihm erwuchs,wie siesich zuder idealistischen Griechenauffassung seiner bedeutendsten Zeitgenossen, Herders, Schillers, Friedrich Schlegels verhielt, wie endlich der Glaube unsrer klassischen Dichter und Denker an die einheitliche ISaivetät des Griechentums der modernen Erkenntnis einer Entwicklung der griechischen Kultur vom Naiven zum Sentimentalischen hat weichen müssen, alles das hat Spranger in seinem schon oben zitierten Buche ausgezeichnet auseinandergesetzt. 110 Für Humboldt persönlich, was uns hier besonders nahe angeht, war das Griechentum und seine glänzendsten Ausstrahlungen, seine Poesie und seine Plastik, so eng und untrennbar mit dem innersten individuellen Lebensgefühl verknüpft, daß es der beseligende Trost seiner Seele in allen Wechselfällen des Daseins und der feste Anker seiner gesamten Gedankenwelt war, eine Stimmung, deren Grundfarbe nur mit dem Ausdruck

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Religion einigermaßen adäquat charakterisiert wird. Schon die Seele des Knaben erfüllten die erhabenen Gestalten der griechischen Geschichte und der homerischen Poesie.111 Jahrelang ist ihm dann das Altertum nicht nur die wesentlichste und reichste Quelle seiner Selbstbildung, sondern ein Gegenstand des vielseitigsten und strengsten wissenschaftlichen Studiums gewesen, das seinerseits wieder eine Vertiefung auch des rein ästhetischen Genusses an den Werken der Alten hervorrief: in Rom in den glücklichsten Tagen seines Lebens erreicht diese Stimmung ihren Höhepunkt. Durch die ereignisreichen zehn Jahre der diplomatischen Geschäfte hindurch hat die griechische Literatur ihn beständig begleitet und war ihm, wenn auch täglich nur für wenige Stunden, der Hafen der Ruhe, in den er aus den Stürmen der Forderungen des Tages sich rettete und wo er sich selbst wiederfand. Und auch in den Jahren der Altersmuße, als ihn seine wissenschaftlichen Studien dauernd in andern Sprach- und Kulturgebieten festhielten, hat er das Griechentum nie aus den Augen verloren: in einer Reihe von Sonetten macht er sich selbst darüber Vorwürfe, daß dem so ist, und stellt die reifen Rlüten der griechischen Dichtung und Kunst in ihrer unübertrefflichen Vollkommenheit der erdrückend üppigen Bildermenge der indischen Phantasie gegenüber. 112 So sonderbar es klingen mag, es war für ihn tiefste Wahrheit, wenn er an Welcker schrieb, daß in jeder ernsthaftesten und heitersten, glücklichsten und wehmütigsten Katastrophe des Lebens, ja

im Momente des Todes einige Verse des Homer, und wenn sie aus dem Schiffskatalogus wären, ihm mehr das Gefühl des Überschwankens der Menschheit in die Gottheit geben würden als irgend etwas von einem andern Volke: 1 1 3 Verse aus Homer und Pindar auf den Lippen, ist er zu den Schatten hinübergegangen. 114 Eine fast endlose Reihe von Gestalten der griechischen Mythologie, Sage und Dichtung zieht durch dieSonetteder letzten Jahrehindurchals ein deutliches Zeichen dafür, wie sie Humboldt beständig gegenwärtig gewesen sind. Bei den Bildern der Götter und Göttinnen ist die poetische Anschauung häufig durch irgendein plastisches Bildwerk angeregt oder vermittelt: die weiblichen Bewohner des Olymp, von denen Humboldt schon in seiner jugendlichen Abhandlung über männliche und weibliche Form in Schillers Hören feine vergleichende Charakterbilder entworfen hatte, 115 erscheinen seiner dichterischen Phantasie weit häufiger als die männlichen, besonders Juno Ludovisi, deren Eindruck auf den Beschauer schon Goethe mit dem eines homerischen Gesanges verglich, 116 Aphrodite (für die höchste, sinnlichen Reiz und Gemütsschönheit vermählende Liebe sieht Humboldt übrigens weder in ihr noch in Eros ein adäquates Symbol) 117 und Mnemosyne, die Mutter der Musen; daneben aber auch Leto, Ate, Enyo, Tyro, Kymodoke und mit Vorliebe die gruppenweise auftretenden Mädchengestalten der Hören, Charitinnen, Nymphen, Dryaden, Oreaden, Najaden. Ünter den

Persönlichkeiten der Heldensage überwiegen die der homerischen Dichtung entlehnten: Achilleus, Telamon, die beiden Ajax, Agamemnon, Helena, Andromache, Briseis, Odysseus, Penelope; daneben begegnen Medea, Niobe, Klytämnestra, Alkmene, Ariadne, Prometheus, Orest, Philoktet, Oedipus, Sisyphus, die Danaiden, die Argonauten, die Amazonen. Eigenartig umspielt eine ganze Reihe von Gedichten jene sonderbare Mischung von Menschen- und Rossesnatur, der die antike Vorstellung den Namen Kentauren gegeben hat: wie in einer bekannten, häufig wiederholten antiken Plastik erscheinen sie mit dem Götterknaben Eros auf dem Rücken oder im Kampf mit den Lapithen, wie ihn Ovid bei der Hochzeit des Peirithoos uns schildert, die Kentaurenweiber Lieder singend und sich selbst auf der Leier begleitend, wozu antike Yasenbilder die Anregung gegeben haben dürften; wehmütige Trauer ist über sie ausgebreitet, da die Enge dumpfer Tierheit ihre höheren menschlichen Triebe und Neigungen schmerzvoll gefangen hält. Von den griechischen Dichtern und Schriftstellern kommen Hesiod,Theokrit, Pausanias nur gelegentlich und vereinzelt vor, ein paarmal Pindar, dessen pathetische Siegesgesänge nach Deutschland zu verpflanzen und durch Übersetzungen zu verbreiten Humboldt in früheren Jahren viel Mühe und Arbeit angewandt hat, am häufigsten Homer und in einem charakteristischen Gedicht die drei großen attischen Dramatiker Aeschylus, Sophokles und Aristophanes,

unter denen dem letzten die Palme höchster Poesie zugesprochen wird, da er es verstanden habe, in den „Vögeln" die Würdelosigkeit des Stoffes siegreich und ergreifend zu bezwingen.118 In drei aufeinanderfolgenden Gedichten der spätesten Zeit wird der Dichtergreis von Chios gepriesen, der, ewig neu wie die Sonne, durch alle Nachwelt leben wird, der für alles, was das Herz des Menschen bewegt, seine ergreifenden Töne fand, mit denen er* allen Schmerz und alle Seligkeit der Erde umschlossen hat; in der homerischen Frage bekennt sich Humboldt durch die versuchte Scheidung in einen Epiker und einen Hymnendichter nicht überzeugt, redet vielmehr der Einheit der homerischen Dichtungen das Wort, die., unbekümmert um die ihnen künstlich gelegten Schlingen der chorizontischen Philologen, der gelehrten Zertrümmerungsversuche spotten.119 Ging schon aus den oben kurz gemusterten Naturbildern der Humboldtschen Sonette mit aller Deutlichkeit hervor, daß das Auge, nicht das Ohr sein lebendigster Sinn, daß er weit mehr visuell als akustisch beanlagt war, so stimmt dazu seine außerordentlich starke Liebe zur Plastik und sein geringes Verhältnis zur Musik. Man darf darin einen antik-griechischen Zug seiner Sinnesart erkennen und daran erinnern, welche Rolle das plastische, überhaupt das visuelle Element in seiner ästhetischen Hauptschrift über Goethes Hermann und Dorothea spielt: hat er doch selbst an andrer Stelle die Plastik als die spezifisch antik-klassische, die Musik als die spezifisch

modern-romantische Kunst einander gegenübergestellt und ist so zu dem Gegensatz einer im Lichte der, Anschauung und einer im Helldunkel des Gefühls lebenden Epoche der menschlichen Entwicklung gekommen. 120 Von der Musik, deren Wirkungen auf die Gefühle des Menschen Humboldt nicht unterschätzte, wenn er auch selber ihnen weniger zugänglich war, handelt nur ein Sonett, das den stimmenden Eindruck des Orgelklanges auf das gläubige Gemüt schildert 121 : man wird an die Ideen erinnert, die Humboldt als Direktor der Kultussektion im preußischen Unterrichtsministerium im Jahre 1809 in einer eigenen Denkschrift über geistliche Musik entwickelt hat. 122 Auch die übrigen Künste finden nur flüchtige Erwähnung: der Malerei wird die Möglichkeit der Bewältigung der Farben- und Lichtwerte des hellen Mittagsglanzes bestritten, zweier vatikanischer Arbeiten Rafaels gedacht, der Rhythmus des Tanzes mit den Bahnen der Gestirne verglichen, die Baudenkmäler als Erreger und Träger unsrer Gedanken und Gefühle charakterisiert. Als die ergreifendste aller bildenden Künste, ja aller Künste überhaupt wird immer und immer wieder die Plastik gepriesen: in ihren Werken lebt die schönste und geistigste künstlerische Wirklichkeit, die Blüte der Bildhauerkunst ist die schönste in dem strahlenden Ruhmeskranze des griechischen Volkes, und das Scheiden von diesen schwärmerisch geliebten Gestalten wird dem aus dem Leben Gehenden besonders schwer. Eine Fülle der schönsten Antiken in Marmor und

Gips hatte sich Humboldt in den Räumen seines märkischen Tusculum gesammelt, und man muß Tegel besucht haben, um den vollen Eindruck der Stimmung sich vergegenwärtigen zu können, die das Leben des Tages mit und zwischen diesen Monumenten annimmt. Fast alle diese Werke der Plastik, von denen vor fünfzig Jahren Waagen, der damalige Direktor der berliner Gemäldegalerie, ein kleines beschreibendes Verzeichnis veröffentlicht hat, deren auch Fontane in seinen märkischen Wanderungen gedenkt, 123 kehren als Gegenstände von Sonetten wieder, sei es daß sie selbst geschildert oder nur als Ausgangspunkte für Reflexionen des Dichters benutzt werden. 124 So ist es nicht nur tief symbolisch, sondern auch im höchsten Sinne künstlerisch empfunden und gedacht, wenn Humboldt auf der Grabstätte seiner Gattin ein schönes Werk moderner Plastik von dem zeitgenössischen Meister aufstellen ließ, der in wahlverwandter Begabung auf den Wegen der Antike gegangen war und von beiden Gatten aufs höchste verehrt wurde: Thorvaldsens Hoffnung, eine Frauengestalt im altgriechischen Stil mit der Lotosblume in der Rechten. Daß dieses Bildwerk die Rhythmen der Sonette besonders häufig umspielen, bedarf keiner Versicherung. 8 olange das moderne Sonett gepflegt wird, gilt die persönliche und literarische Charakteristik, das künstlerische Porträt im weitesten Sinne als das eigentliche Hauptgebiet, auf dem diese Form ihre

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besten und hervorragendsten Erfolge aufzuweisen hat. Gleich einer der ersten bedeutenderen Sonettisten des 17. Jahrhunderts in Deutschland, Paul Fleming, hat uns in seiner bekannten Grabschrift auf sich selbst eine vortreffliche Charakteristik hinterlassen und damit eins der ersten glücklichen Muster des charakterisierenden Sonetts gegeben. 125 Andre sind ihm darin, wenn auch meist mit geringerem Glück gefolgt, und als letzter Ausläufer der älteren deutschen Sonettdichtung tritt uns um die Mitte des 18. Jahrhunderts in dem bremer Theologen Johannes Westermann eine Persönlichkeit entgegen, die ganze Reihen solcher Charakteristiken in Sonettform verfaßt hat, freilich oft ebenso langweilig als geschmacklos geraten, da er von wirklicher dichterischer Begabung kaum eine Spur besessen hat: hier werden nicht nur die Gestalten der antiken Mythologie, die Helden und Heldinnen der Metamorphosen des Ovid, einige griechische Philosophen, die Reihe der römischen Kaiser von Caesar bis auf Theodosius in Sonetten, wie man sagen muß, verarbeitet, sondern auch vierzehnzeilige Beschreibungen aus dem Gebiete der Botanik, Zoologie und Geographie vorgeführt. 126 Auf die Höhe gelangt dann das charakterisierende Sonett durch August Wilhelm Schlegel, der die verschiedensten literarischen und künstlerischen Porträts mit Meisterhand entworfen hat: die großen italienischen Dichter von Dante bis zu Tasso und Guarini, Cervantes, Shakespeare, Paul Fleming, Goethe, Schelling, Friedrich Schlegel, Tieck, Bürger, ebenso eine Reihe be-

rühmter Gemälde, den mailänder Dom usw. 187 Auch Humboldt hat sich häufig in dieser Sonettgattung versucht: wir scheiden die hierhergehörigen Gedichte in persönliche und literarische Porträts. Zweifellos bilden diese Charakteristiken die allerinteressanteste und wertvollste Gruppe der gesamten Sonettmasse. An vorderster Stelle steht hier, wie billig, Karoline von Humboldt, nach deren Tode dem zurückgebliebenen Gatten, der alles, was ihn innerlich beschäftigte und berührte, mit ihr zu teilen und dadurch erst die rechte Weihe für ihn selbst empfangen zu lassen gewohnt gewesen war, das Leben in und mit der Welt verödet und die absoluteste und tiefste Einsamkeit zum einzigen Trost geworden war. Ihre heißersehnte, schmerzlich vermißte und doch für immer verlorene Gestalt, ihr seelenvolles Auge, der Klang ihrer Stimme kam ihm niemals aus den Gedanken, sie beherrschte als glänzender Mittelpunkt alle seine Gefühle und Erinnerungen, war bei ihm in den Stunden des täglichen stillen Sinnens und lebte dem Tode zum Trotz in den beseligenden Träumen der Nächte, deren Abglanz noch die folgenden Tage wehmütig übergoß. Ich will hier nicht versuchen, diese Frau und ihr einzigartiges Verhältnis zu ihrem Gatten zu schildern, das beide ein langes gemeinsames Leben hindurch wie eine wunderbare Hirnrnelsgabe beglückt hat: was sie Humboldt gewesen ist, dafür sind die Urkunden, deren Veröffentlichung wir pietätvollstem Familiensinne nie genug verdanken können, in aller Händen und reden die deutlichste und ergreifendste

Sprache.128 In unendlichen, immer neuen Spiegelungen sieht uns auch aus den Sonetten Karolinens Bild entgegen: viele sind der Aussprache ihres Wesens in seiner Totalität oder in Einzelzügen gewidmet, bei vielen andern gehen die Wellen des Gedankenstroms von ihr aus oder münden in sie ein. Die Liebe zu ihr, die nimmer aufhört und durch ihre Stärke und Innigkeit auch die Pforten des Todes überwindet, einheimisch in beiden Welten, klingt als gewaltiger Orgelpunkt überall hindurch durch die reiche Symphonie von Klängen, die hier lebendig sind. Proben dieser Spiegelungen zu geben, muß ich mir aus Gründen des Raumes leider versagen: 129 denn wo wäre, wenn man einmal anfinge, Farben und Gebilde dieses reichen Teppichs im einzelnen zu betrachten, ein Aufhören möglich, bei dem nicht das Beste zurückbliebe? Von den übrigen persönlichen Porträts, die in den Sonetten enthalten sind, sind leider eine ganze Reihe, namentlich weibliche, nicht mit Sicherheit zu deuten; für andre kann man nicht einmal eine plausible Vermutung haben. Diese rätselhaften Gedichte, die ich im Anhang mitgeteilt habe, will ich hier mit Stillschweigen übergehen. Meist haben sie gar keine oder Verstecknamen als Überschriften, die wohl in Rücksicht auf den Sekretär gewählt wurden, dem Humboldt diktierte, um die Beziehungen nicht zu verraten. 130 In einem Falle allerdings ist der Versteckname sehr durchsichtig: schon Haym hat richtig erkannt, daß die Gedichte mit der Überschrift

„Lea" auf Rahel Varnhagen gehen. 131 Es sind ihrer sieben: fünf davon entstanden im September 1833 und sind der unmittelbare Reflex von Humboldts Lektüre der Briefe der Rahel, die ihr hinterlassener Gatte Varnhagen damals eben der Öffentlichkeit übergeben hatte, zwei sind spätere Nachzügler. Humboldt betont mit aller Schärfe den trotz häufiger persönlicher Beziehungen stets und unvermindert zwischen Rahel und ihm vorhandenen unüberbrückbaren Gegensatz und charakterisiert ihre spröde Natur als unbefriedigt aus sich hinausverlangenden und immer unbefriedigt zum eigenen Ich zurückkehrenden Subjektivismus, als im Innersten disharmonisch; in einzelnen Gedichten knüpft er erweiternd oder polemisierend an einzelne Aussprüche aus ihren Briefen an. 182 Die Überschrift „Corinna" läßt an Frau von Stael denken, doch will der Inhalt sich nur schwer fügen. Die Verstecknamen Fanny, Aline, Leontine bleiben ebenso dunkel oder doch unsicher wie zwei Gedichte ohne Titel, die Frauencharaktere schildern. Ein Sonett wird durch das Datum der Entstehung, das auf ihren Geburtstag fällt, als für Humboldts Tochter Adelheid bestimmt erhärtet; in einem andern darf man vielleicht auf Grund des gleichen Kriteriums Gabriele erkennen. 133 Ein schon länger bekanntes Gedicht mit der Überschrift „Wahre Größe" hat Varnhagen auf Friedrich Wilhelm III., Haym handschriftlich weit ansprechender auf den Freiherrn vom Stein gedeutet. 184 Zwei ziemlich scharfe Charakteristiken möchte ich auf Humboldts Bruder Alexander

und auf den eiteln, leicht gekränkten August Wilhelm Schlegel beziehen. Humboldts sehr absprechendes, seine Genialität stark verkennendes Urteil über Napoleon ist aus den Briefen an Karoline bekannt; 1 3 5 ähnliche Stimmung spricht aus zwei Sonetten, die sich auf ihn beziehen: eins wettert in heftigen W o r ten gegen die falsche Größe des Korsen, das andre gedenkt schamvoll der deutschen Fürsten, die auf seinen Befehl zu seiner Huldigung in Paris sich einfinden mußten. 1 3 6 Wenn wir uns zu den literarischen Porträts der Sonette wenden, so befremdet es uns billig, daß wir hier nirgends einer Charakteristik Schillers begegnen, der Humboldt von allen Menschen nächst seiner Gattin am nächsten gestanden hat, dessen frühen Tod er niemals verschmerzen konnte, dem er noch i83o eine seiner glänzendsten Abhandlungen gewidmet und darin eine aus dem Tiefsten schöpfende und das Innerste verstehende Würdigung seiner Eigenart gegeben hatte. 1 8 7 Nur zweifelnd wage ich eine Stelle, wo der Dichter unter der reichen Fülle von Gestalten, die ihm im Erdenleben begegneten, eine „mehr als erdengroße" vor allen besonders hervorhebt, auf Schiller zu beziehen. 138 Humboldts enge Freundschaft mit ihm und mit Goethe war das schönste Geschenk des Schicksals für die Jahre seiner reifenden Männlichkeit gewesen: in Wehmut gedenkt ein Sonett jenes glücklichen Lebensmorgens, der von der Liebe Karolinens und der Freundschaft der „beiden strahl verwandten Zwillingssterne" erhellt worden war. 1 3 9 Am

zweiten Teil des Faust, der Humboldt gleich nach dem Erscheinen Anfang Februar 1833 intensiv beschäftigte, ohne d a ß er doch eine ihm von Varnhagen angetragene Besprechung der Dichtung für die berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik übernehmen wollte, übt ein Sonett eine allzu kurze und darum nicht recht deutliche Kritik; aber Goethes im März I832 erfolgter Tod, der Humboldt Gelegenheit gab, in den Berichten des preußischen Kunstvereins in Worten der Verehrung und Weisheit des Dichters zu gedenken, hat keinen Reflex in der Sonettdichtung hervorgerufen. 1 4 0 Zwei Charakteristiken gelten den Häuptern der älteren Romantik, Tieck und August Wilhelm Schlegel, von denen jener Humboldt persönlich n u r sehr flüchtig nahe getreten ist, während ihn mit diesem seit der göttinger Studienzeit gemeinsame künstlerische, Dezennien später auch gemeinsame wissenschaftliche Interessen verknüpften, eng genug, um Epochen vertrauten Umgangs oder häufigerer Korrespondenz hervorzurufen, ohne d a ß man doch von einer eigentlichen Freundschaft sprechen könnte. 1 4 1 Auf keinen andern als Tieck kann folgendes Gedicht bezogen werden: 1 4 2 „Viel kennt er von den tief verborgnen Wegen, auf welchen R ü h r u n g in den Busen steiget, sich Herz zu Herz in stiller Schwermut neiget und Himmelsahndungen sich mächtig regen. Auch meisterhaft mit Laune darzulegen weiß er, was komisch sich am Menschen zeiget;

was in der Welt am feinsten sich verzweiget, muß, seiner Dichtung folgsam, sich bewegen. Er trifft die schmelzendsten der Harfenlaute, und was kein Blick in Mensch- und Tierheit schaute, daraus er sinnreich eigne Welt sich baute; doch weil ums wunderbar Gesuchte, Feine zu sehr er buhlet, wird das plastisch Reine, das idealisch Große nie das Seine." An Tiecks Sonett auf Schlegel, in dem er Shakespeare, Calderon, die Minnesänger, die italienischen und die indischen Dichter als ebensoviele glänzende Trophäen dankbar des Freundes Namen kränzen läßt, 1 4 3 werden wir gemahnt, wenn Humboldt ihn, etwas schärfer zugreifend und den Grundmangel seiner Dichtungen scharf beleuchtend, charakterisiert 1 4 4 : „Dank sollte Deutschlands Volk gerecht dem weihen, der in der Doppelkunst, sich Meister zeigte, den Vers nach seinem Willen herrisch beugte und freier Rede wußte Reiz zu leihen, der unsre Sprache lehrte Blumen streuen, die, Anmut duftend, fremder Himmel zeugte, den, wenn er auch zu scharf zum Spott sich neigte, man könnt 1 im Urteil keiner Fehle zeihen. Doch Dank aus der bewegten Brust nur quillet, wenn man sich fühlt auf des Gesanges Wogen in Wonn 1 und Schmerz vom Dichter fortgezogen. Wen hat Arions Eis mit Glut erfüllet? was kann das Herz bei Ion je empfinden? Kalt m u ß der Dank sich dem Verstand entwinden."

Auf Bettina von Arnim, deren eigenartiges Wesen auf Humboldt bei der Heimkehr aus Rom nach Deutschland im Jahre 1808 einen so tiefen Eindruck gemacht hatte, mit deren Persönlichkeit und erstem Werke sich noch sein letzter Brief an Charlotte Diede eingehend beschäftigt, 145 deute ich mit vollster Sicherheit folgendes Gedicht: 146 „Sophonisbe. Dein Geist zu dünn den Weltenteppich webet, die Dinge dir in Luftgestalt verfliegen, du fassest nicht die Wesenheit gediegen, zufrieden, wenn dich nur ihr Bild umschwebet. Doch ätherrein dein Sinn im Höchsten lebet und die Gestalten, wie sie vor dir liegen, verstehet in den Einklang fest zu fugen, nach welchem deine tiefe Sehnsucht strebet. Du alle die verschlungnen Fäden kennest, wo Himmlisches an Irdisches sich schließet; doch keine Frucht dir rein geschieden sprießet. Du sonderst nicht, was du verbunden nennest: drum pflückst du nicht der Kunst erschlossne Blüte, fühlst Wahrheit nicht als Wahrheit im Gemüte." Endlich enthält ein Sonett noch eine literarische Polemik. Ghamisso hatte 1828 eine Romanze in Terzinen „Der Stein der Mutter oder der Guahibaindianerin" veröffentlicht, 147 zu der eine etwas grausame und blutrünstige Geschichte aus den Zeiten der Missionierung der Eingeborenen des oberen Oriuoko die Anregung gegeben hatte, die Alexander von Humboldt im zweiten Bande seiner großen französischen

Reisebeschreibung erzählt. 148 Unser Humboldt tadelt den Dichter, der solche Greueltat mit grauser Lust besungen und in der Schilderung eines gegeißelten Weibes rohen Ungeschmack bewiesen habe: 149 fiel ihm nicht ein, daß er selbst ähnliche Greuel in seiner „Griechensklavin", jenem im griechischen Befreiungskampfe spielenden, Anfang der zwanziger Jahre gedichteten Stanzenepos, mit der gleichen Lust am Grausamen besungen hatte?

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ch eile zum Schluß der überlangen Betrachtung und widme nur noch einer letzten Gruppe von Sonetten einige Worte, für die ich die Bezeichnung Rollensonette vorschlagen möchte. Ich verstehe darunter einzelne oder zu zusammenhängenden Zyklen verbundene Gedichte, die aus bestimmten Rollen heraus empfundene Monologe darstellen oder aneinanderreihen; es liegt auf der Hand, daß diese Art Sonette sowohl den früher besprochenen dramatischen, als auch von einer andern Seite her den epischen Sonetten verwandt und benachbart sind. Auch das Rollensonett ist keine moderne Erfindung, begegnet vielmehr schon, wenn auch in nicht sehr zahlreichen Mustern, bei den deutschen Sonettisten des 17. Jahrhunderts: seit der Zeit der Romantiker ist es ganz allgemein üblich und auch bei Humboldt sehr beliebt. Nach allem, was wir wissen, dürfen wir Humboldt eine sehr lebendige und sehr reichhaltige plastische

Phantasie zuschreiben, die eine Fülle der buntesten Gestalten, Myriaden bewegter Bilder, wie er selbst einmal sagt, vor seinem inneren Auge vorüberzuführen imstande war und nicht nur im Traum, sondern auch im Zustande des wachen Lebens ihr Kaleidoskop unermüdlich spielen ließ, so oft Wille und Bewußtsein sich dem genußreichen Schauspiel hingaben. Schon als Kind konnte er stundenlang diesem Bilderspiele zuschauen, und wenn für den Jüngling und Mann dieses passive Schauen des inneren Reichtums vielleicht mehr zurücktrat, so gewann es für das Seelenleben des abgeklärten und sich gegen so viele äußere Eindrücke der Welt ohne Haß verschließenden Greises in beiden Hinsichten, in Traum und Wachen, wieder eine wesentlich erhöhte Bedeutung. Immer hat er diese Eigenschaft seiner Seele für ein großes Glück gehalten, das er dem Schicksal nie genug verdanken könne, und auch in den Sonetten wird er nicht müde, immer und immer wieder die eigenartige Seligkeit zu preisen, die ihn im Anschauen und gefühlsmäßigen Erfassen dieser Phantasiewelt überkommt. 150 Schon vor der Zeit der Alterssonette hat Humboldt diese Seligkeit poetisch zu schildern versucht: in einem ergreifenden Gedicht in Strophen aus dem September 1825 führt er aus, wie das Tiefste und Beste all seiner reichen Lebenserfahrung sich in diese wache Traumwelt herübergerettet habe, die seinen silbergrauen Haaren Jugendschimmer verleihe, und wie all diese Gestalten, „heiter, sonder Erdenschranken, ewig rein und hüllenlos", seine Gedanken-

weit erfüllen und ihn der niederen Wirklichkeit entheben. 1 5 1 So erklärt sich ohne jeden Zwang aus einer stark plastisch gerichteten und außergewöhnlich regen Phantasieanlage heraus die Tatsache, daß er sich rasch und leicht auch in den Rhythmen seiner Sonette in diese oder jene Phantasiegestalt hineinzuversetzen und aus ihrer Rolle und Empfindung heraus zu reden und zu dichten vermochte. Eine große Zahl dieser Rollensonette schließt sich zu zwei größeren Zyklen oder Gruppen zusammen, die stellenweise direkt ins Epische hinüberspielen und von denen der eine in Rom, der andre in Arabien lokalisiert erscheint. 152 Über den ersten will ich mich kurz fassen, da man aus den Andeutungen der einzelnen Gedichte, so zahlreich sie sind, nicht zu einem ganz klaren Bilde der Voraussetzungen kommen kann, unter denen das Ganze gedacht ist: einem schwärmerischen Liebhaber Dorotheus wird eine kühle, ablehnende, über die Erde hinweg nach den Sternen schauende Stella gegenübergestellt; beständig zieht ihn heiße Sehnsucht zu ihr hin und doch erfreut sie ihn niemals mit einem Zeichen ihrer Huld; er schaut, ein andrer Ritter Toggenburg, ganze Nächte lang zu ihren Fenstern hinauf oder m u ß zu andrer Zeit ihr stummer Begleiter durch die Ruinen der ewigen Stadt sein. W e r will sagen, ob hinter diesen symbolischen Bildern und Stimmungen persönliche Bezüge verborgen sind oder nicht? Ein für die erste Begegnung beider in einem Gedichte genanntes D a t u m 1 5 8 scheint darauf zu deuten, doch wage ich keinerlei

Vermutung, weil ich keine in irgend überzeugender Weise begründen kann. Der andre Zyklus besingt das Geschick einer Araberin Fatme: nach dem Tode ihres Geliebten ist sie in die Gewalt seines Mörders Achmet geraten, der sie in einem Turme gefangen hält, weil sie ihn nicht lieben will; allabendlich m u ß sie ihm beim Mahle Lieder singen; er ernennt sie für den Fall seines Todes zum Vormund seines Neffen Ibrahim und übergibt ihr einen versiegelten Brief, der, an Ibrahims Mündigkeitstage eröffnet, ihr ihren weiteren Lebensweg vorschreiben wird; durch diesen Spruch wird sie dann später das Weib des Gärtners Hassan, der sie gut behandelt; aber ihr Herz bleibt stets bei ihrem ersten Geliebten, auf dessen Grabe sie sich selbst den Tod gibt. Die einzelnen Gedichte dieses Zyklus sind teilweise durch Jahre getrennt: so hat die Phantasie die Geschicke ihrer Gestalten nach längeren Pausen immer wieder aufgenommen und weitergesponnen. Eine kleinere Monologreihe, in der jedes Stück die Überschrift „Hulda" führt, übergehe ich ganz, da sie über "die Anfange, wie es scheint, nicht hinausgekommen ist und diese weniger Interesse bieten. 154 Eine Menge der wechselndsten, besonders weiblichen Gestalten treten in dieser Humboldtschen Phantasiewelt vereinzelt oder auch wiederholt auf, um ihre Monologe zu halten: die meisten verschwinden bald wieder in den Myriaden ihrer Schwestern, um nie wieder aufzutauchen; andre haben größere Beharrlichkeit und zwingen den Dichter, öfter durch

seinen Mund sie sprechen zu lassen. Der Gegensatz von Sein und Schein, wie er die dramatische Kunst durchdringt und manchem Bühnenkünstler zu denken gegeben haben mag, kehrt häufig wieder in einer Gruppe von Gedichten, die ohne festen Zusammenhang untereinander der Schauspielerin oder seltener dem Schauspieler in den Mund gelegt sind: Bühnenrolle im Verhältnis zum wirklichen geistigen und sozialen Wesen der Künstler, Reflexe theatralischer Leidenschaften und Stimmungen ins Alltagsleben und umgekehrt, der Grad der Selbstentäußerungsfähigkeit und ihr Wert für die darstellende Kunst, die Möglichkeit einer inneren Welt, die von den Pflichten des Alltags und dem Spiel der Bühne gleich unberührt bleibt, das Verhältnis des Künstlers zum Publikum, diese und ähnliche Gedanken werden hier monologisch behandelt. In einem der späteren Sonette beklagt sich die Schauspielerin, daß sie so lange nicht vorgekommen sei. 135 Als häufiger wiederkehrend hebe ich noch die Rollen des Ritters, der Burgherrin, des Mönchs, der Nonne, der Sklavin, des armen Fischerweibes hervor. Wie bunt die Bilder sich zuweilen durch die Laune der Phantasie ordnen, beweise ein Gedicht, in dem das Motiv der Seelenwanderung verwertet ist: hier werden athenische Tempeljungfrau, Tatarenfürstin, arme nordische Christin, deutsche Burgherrin als einzelne Stadien einer weiblichen Entwicklung geschildert. 156 Ein so eigenartiges und selbständiges Leben haben diese T r a u m gestalten in der Seele ihres Dichters geführt.

Möchte der Weg durch das Labyrinth dieser Dichtungen, die sich nicht sogleich der ersten oberflächlichen Betrachtung erschließen, die aber als Reflexe einer wunderbaren geistigen Struktur das auf sie gewandte Studium lohnen, an meiner Hand nicht zu langwierig und zu finster gewesen sein!

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Anmerkungen. Das Motto der ganzen Arbeit ist einem Liede aus Ceibels ,,Spa't> herbstblättern" entnommen (Gesammelte Werke 4? io3). 1

Wilhelm von Humboldts gesammelte Werke, i , VI; ähnlich auch in Alexanders Briefen an Bunsen vom i . und 27. Oktober 1853 (Briefe von Alexander von Humboldt an Bunsen S. 169. 171). a Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen S. 270. 271. 273. 3 Seine Sonettsammlung „Erinnerungen an Elisabet" erschien als Handschrift gedruckt, Berlin i835. „Auch ich bin wie Sie tief angeregt von den Sonetten", schreibt Alexander von Humboldt am 20. März i 8 3 6 an Raroline von Wolzogen (Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung 1881 Nr. 44)? »und habe den W u n s c h , sie herauszugeben. Aber die eben erschienenen vielen hundert Sonette von Stägemann an sein gebleichtes Gerippe der Frau und die Furcht, die ich habe vor Erscheinungen, wenn man etwas gegen den Willen der Toten tut (sagen Sie das niemand!), machen mich bis jetzt schüchtern. Ich werde nichts hindern, aber wunderbar ist doch die Heimlichkeit, mit der der Verewigte diese tägliche Poesie betrieb, wie er dem Jäger immer aufs neue befahl, niemand von der Existenz der Sonette zu sprechen." Karoline antwortet am 18. November (Zwei Briefe von Karoline von Wolzogen an Alexander von Humboldt S. 7): „Von den Sonetten an Elisabet habe ich einige gelesen: ein künstlicher Springbrunn, der sich durch verschnörkelte Muscheln ergießt, da die unsres Wilhelms ein mächtig klarer Felsstrom sind, in dem sich das reine Sonnenlicht in allen Farben des Lebens bricht. Nur mit den Sonetts des Michelangelo kann ich sie vergleichen, die auch von wunderbarer Schönheit sind." 4

Deutsche Rundschau 70, 249 (Februar 1892). Wilhelm von Humboldts gesammelte Schriften, herausgegeben von der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, Erste Abteilung: Wilhelm von Humboldts Werke, herausgegeben von Albert Leitzmann, Neunter Band: Gedichte (Berlin 1912). • Wilhelm von Humboldt, Sonette S. VII (Gesammelte Schriften 9, i63). 5

' Der Brief ist vom 12. April 1806 (Goethejahrbuch 8, 72). W i e Goethe über die Stanzen seines Freundes geurteilt hat, ist ieider nicht bekannt, da seine Antwort vom 22. August, die zugleich über Steffens ausführlich handelte, verloren gegangen ist (Tagebücher 3, 162). 8

Dichtung und Wahrheit Buch 18 (Werke 29, g3). • Varnhagen in seinem wichtigen Essay über Humboldt (Vermischte Schriften 3 3, 213). 10 Sonett Nr. 108. 627. 5 8 i . Ich zitiere die Sonette durchgängig nach der aus den Handschriften in die akademische Ausgabe übernommenen authentischen Numerierung, die zugleich der Reihenfolge der Entstehung entspricht. 11 Der Brief ist vom 8. Juni i8o5 (Briefwechsel /.wischen Schiller und H u m b o l d t 3 S. 327). " Sonett Nr. 477. 13 Ich darf hier gleich im allgemeinen auf die einzige eingehende und verständnisvolle W ü r d i g u n g verweisen, die Humboldts Sonette erfahren haben, auf den betreffenden Abschnitt in Rudolf Hayms noch immer grundlegender Biographie (Wilhelm von Humboldt S. 618). 14 Sonett Nr. 393 vom 27. Januar 1833. 16 Gesammelte Schriften 9, 1. 19 Welti, Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung S. I 5 I . Ich bekenne dankbar, wie sehr ich dieser ebenso lichtvollen wie zu vertiefender Weiterforschung anregenden Jugendarbeit des bekannten Musikhistorikers und -kritikers im ganzen und einzelnen bei meinen Untersuchungen verpflichtet bin. — Bürgers Theorie des Sonetts findet sich in der Vorrede zu der Ausgabe seiner Gedichte von 1789 (Gedichte S. 9 Sauer), Schlegels Kritik der Sonette Bürgers in seinem 1800 erschienenen großen Aufsatz über den Dichter (Sämtliche Werke 8, i 3 2 ) . 17 Schlegels Sonette „Kleopatra von Guido Reni" und „An Bürger" erschienen im göttingischen Musenalmanach f ü r 1790 (ebenda 1, 328. 352); letzteres ist der Dank für Bürgers Sonett „An August Wilhelm Schlegel" (Gedichte S. 148 Sauer). 18

Gesammelte Schriften 9, 8. Die Neue Thalia hatte im vierten

Stück des Jahrgangs 1793 eine anonyme „Probe einer Erklärung und Übersetzung einiger vorzüglichen Gedichte des Petrarch" gebracht, in der eine Reihe Canzonen und Sonette des Dichters in prosaischer Übertragung enthalten sind. 19 Sonett Nr. 104. 179. 47^- Über seine Empfindungen in der Gefahr des Ertrinkens berichtet Humboldt in dem charakteristischen Briefe an Henriette Hera vom 2 1 . Juni 1788 (Briefe von Chamisso, Gneisenau, Haugwitz usw. I, 99). 80 Gesammelte Schriften 9, 9. 81 Ebenda 9, i5. 22 Seiner Frau schreibt Humboldt am 1. August 1809, daß „die W u t der Poesie" ihn am kalten Pregel so häufig ergreife, liege wohl hauptsächlich daran, daß er „reizbarer und unendlich wund gestimmt" sei (Wilhelm und Karoline von Humboldt 3, 206). 83 Gesammelte Schriften 9, 17. Moltkes Ode ist i8o5 gedruckt erschienen (Oden S. 278). 84 Von diesem Schicksal seiner dichterischen Pläne berichtet Humboldt eingehend in seinem Briefe an Körner vom 8. Juni 18o5 (Briefwechsel zwischen Schiller und Humboldt 3 S. 325). 85 Das Terzinenfragment steht in den Gesammelten Schriften 9, 18. Dantelektüre Humboldts wird durch einen ungedruckten Brief an Brinkmann vom 18. August 1804 bezeugt. 16 Gesammelte Schriften 9, a3. 87 Ebenda 9, 47- Über die deutschen Formen der Canzone orientiert Minor, Neuhochdeutsche Metrik 2 S. 478, woraus zu entnehmen ist, daß Humboldt sich nicht an die strikte romantische Observanz bindet. 88 Gesammelte Schriften 9, 64. 88 Über Humboldts Besuche in Weimar Ende 1808 und Anfang 1809 stelle ich alles vorhandene Material im Euphorion 17, 420 zusammen. Riemer braucht f ü r die Stimmung der weimarischen Kreise mit Recht den Namen „Sonettenwut" (Mitteilungen über Goethe 1, 35), den Goethe in seinem Sonett „Nemesis" auf sich selbst angewandt hatte (Werke 2, i3): in einem Briefe an Heinrich Voß vom 25. April 1808 spricht er von einer „Reaktion" gegen Zacharias Werners Sonette, die viele der seinigen erzeugt habe

(Goethejahrbuch 13, 142; vergl. auch seine Briefe an F r o m m a n n S. 107. 108. 109. i n . 1 1 7 ) . 30

Jena 1826.

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Sämtliche Werke 1, 3o5. 3 i 6 . 3 a 8 . 338. " Gedichte 2, 1. 33 Werke 2, 1. Zu Goethes Sonettdichtung vergl. Welti, Geschichte des Sonettes S. i 8 5 , Schippers Aufsatz im Goethejahrbuch 17, 157 und Kuno Fischer, Goethes Sonettenkranz, Heidelb e r g 1896 (dazu Düntzers Aufsatz in der Zeitschrift f ü r deutsche Philologie 29, 98 und Pniowers Rezension im Anzeiger f ü r deutsches Altertum 24, 179). Goethes Urteil über W e r n e r s Sonette steht in seinem Briefe an Cotta vom 9. April 1808 (Briefe 20, 45). 34 Goethes Stellung zu Zacharias W e r n e r charakterisiert Walzel, Goethe und die Romantik 2, XXI. Humboldts ablehnendes Urteil über Riemers Sonette steht in seinem Briefe an seine Frau vom 9. Januar 1809 (Wilhelm und Karoline von H u m b o l d t 3, 65). 35

Gesammelte Schriften 9, 72. Ebenda 9, 66. " Welti, Geschichte des Sonettes S. 109 Anm. 38 Gryphius, Sonette 4, 4 1 «Als er aus Rom geschieden" (Lyrische Gedichte S. l 5 i Palm). 39 In den „Versen aus Italien" (Berlin 1880). 40 Gesammelte Schriften g, 70. 41 Wilhelm u n d Karoline von Humboldt 3, 231. 42 W e r k e 2, 49- Werthes' Übersetzung des serbischen Urtextes, die Goethe als Vorlage gedient hat, ist jetzt in meiner Sammlung der Quellen von Schillers u n d Goethes Balladen (S. 3o) bequem zugänglich. W a s die Entstehungszeit von Goethes Bearbeitung a n g e h t , so schließe ich mich rückhaltlos den Darlegungen von Morris an (Der j u n g e Goethe 6, 5o8). 43 Gesammelte Schriften 9, 81. 44 Ebenda 1, 3 n . 335. 45 Welti, Geschichte des Sonettes S. 207. 2 1 1 . 2 i 5 . 2 1 6 . 2 2 1 . 49 Gesammelte Schriften 9, g3. 4 ' Ebenda 9, 82. 43 Ebenda 9, 88. 89. 36

" Ebenda 9, • 54- i58. ,0 Sonette S. V (ebenda 9, 162). 51 Humboldts strenge Tageseinteilung in seinen letzten Jahren beschreibt uns genauer Karl Schulz, der Bruder seines oben genannten letzten Sekretärs (Briefe von Charlotte Diede an Karl Schulz S. XXI). 12

„Doch sieh, mir steckt ein Fieber im Geblüte, das Fieber der Sonette, schwer zu heilen. Dies ist der Krankheit Merkmal, daß mit Eilen, was immer nur berühret mein Gemüte, verschlungen durch vierfachen Reimes Blüte, mir unbewußt sich fügt in vierzehn Zeilen." Mit diesen Versen schildert launig Geibel eine ahnliche Sonettenwut in seinem Sonett an Franz Kugler (Gesammelte Werke 2, 1 ¡4), die die zwölf machtvollen Sonette „Für Schleswig-Holstein" (ebenda 1, 337) entstehen ließ. 63

Humboldt an Charlotte Diede, i5. Mai 1825, 24. Dezember 1829, 5. März i83o, 6. April i 8 3 i , 3. März und November i832 (Briefe an eine Freundin I, 180. 2, 87. 98. 179. 2 1 7 . 261); Wilhelm und Raroline von Humboldt 2, 247. M Ebenda 1, 144. 460. 4, 434. " Briefe von Charlotte Diede an Karl Schulz S. XXII. 56 Sonett Nr. 732. 1099. " Sonett Nr. io5o vom i5. November 1834. 58 Welti, Geschichte des Sonettes S. 160. 59 Über die Formen des deutschen Sonetts im allgemeinen vgl. Minor, Neuhochdeutsche Metrik 8 S. 486 und Kauffmann, Deutsche Metrik' S. 226. 60 Patzak, Friedrich Hebbels Epigramme S. 4 4 - Buge erschien Hebbel wegen seiner durchaus berechtigten Einwände gegen die falschen Pentameter als „anmaßlicher Pedant", mit dem er nicht weiter in freundschaftlichen Beziehungen bleiben könne (Tagebücher 3, 289); nicht ganz vier Wochen später gab er Palleske brieflich die Inkorrektheit als solche zu (Briefe 4, 85) und schrieb am 19. März i855 an Uechtritz (ebenda 5, 222): „Die metrischen Bemerkungen unterschreibe ich unbedingt: an meine Pentameter

mag ich gar nicht mehr denken, sie sind in meinem Handexemplar aber schon alle verbessert, und die Epigramme werden sich, wie ich hoffe, in der neuen Gestalt nicht ganz übel ausnehmen." 6 1 Werke 16, 20. 3 i . 4 0 1 - 4°462 Gesammelte Schriften 9, 82. 83 Vergl. oben Anm. 4 2 64 Gesammelte Schriften 9, 76. 66 Ebenda 9, 72. 66. 82. 88 Ebenda 9, i58. 67 Sonett Nr. 5. 11. 68 Welti, Geschichte des Sonettes S. 5o. 62. 69 Sämtliche Werke 12, I32. 4i >29. 70 Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso 2, 193 Anm. 71 Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst 3, 208. Das Gleichnis vom Bett des Prokrustes braucht auch Humboldt einmal im Hinblick auf das Einpassen der Gedanken in das normale Reimgehäuse der Sonettform (Sonett Nr. 477)72 Vgl. oben Anm. 70. 78 Förster, Zur Sprache und Poesie Wolframs von Eschenbach S. 12. 74 „Weichet: zurückgedeichet" Werke 2, 3 ; „verhüllet: gewillet: enthüllet: gestillet u ebenda 4. 75 Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst 3, 207 (auch bei Welti, Geschichte des Sonettes S. 241 )• Im Rahmen ganz äußerlicher Betrachtungsweise hält sich Hügli, Die romanischen Strophen in der Dichtung deutscher Romantiker S. 12. 79 Welti, Geschichte des Sonettes S. 1 77 Hübsch sagt Geibel, was allerdings besonders von Petrarca und seinen unmittelbaren Nachfolgern gilt (Gesammelte Werke 5, 80): ,,Anior, der tiincL-lnae Gott, umarmte die ernste Scholastik und sie gebar ihm ein ernst tändelndes Kind, das Sonett." 78 Samtliche Werke 1, 336. 78 Gedichte 2, 21. 3, 3 i . 80 Ausgewählte Schriften 1, 147. 151. 2, 4 7 ; 137. 139. 159. 2, 6 2 ; 1, 142. 146.

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W e r k e 2, 16. 17.

82

Sonett N r . 49. 760. 199. 488. 53. i o o 5 ; 4 4 5 . 6 6 1 . 8o5. 86H.

83

Sonett N r . 792. 3 6 5 . 8o3. 4 8 5 .

84

Sonett N r . 699. 700. W e i t e r e Belege der Dialogform g i b t das

dem neunten Bande der H u m b o l d t a u s g a b e beigegebene Register zu den Sonetten u n t e r „ D i a l o g e " . 85

W e r k e 2, 19.

Griesens u n d Riemers Sonette auf M i n n a

lierzlieb sind, soviel ich sehe, n i c h t g e d r u c k t worden (vgl. auch Briefe Riemers

an

die

Familie F r o m m a n n

S. 1 0 9 ) ;

Werners

Sonett findet sich u n t e r dem Titel „ C h a r a d e " bei F r o m m a n n , Das F r o m m a n n s c h e Ilaus 2 S. 1 2 0 u n d d a h e r ü b e r n o m m e n a u c h bei Düntzer, Zwei Bekehrte S. 111. 84 87

Sonett N r . 5. 4 9 1 . 7 7 7 . 966. n 3 3 . „ E i n Rätsel ist d e m Hörer vorgeleget, u n d n a c h der L ö s u n g er vergebens

fraget,

da, der n i c h t ist m e h r , sie verborgen t r a g e t " Sonett Nr. 966. Ä h n l i c h a u c h in N r . 6 o 5 : „ I c h n u r allein doch kann enträtselnd deuten d e n Sinn, der oft liegt tief darin verborgen, u n d bin zufrieden, d a ß m i r der n u r bleibe." 88

Sonett N r . 3 o 8 . 3 0 9 u n d N r . 113g. 1140.

89

W e l t i , Geschichte des Sonettes S. 118.

90

Sämtliche W e r k e 1, 3 5 g . 36o.

91

Sonett N r . n 3 g . 1140 vom 1 2 . u n d i 3 . F e b r u a r i 8 3 5 .

93

Die f ü r diese Gebiete in Betracht k o m m e n d e n Sonette ergeben

sich leicht aus dem dem n e u n t e n Bande der H u m b o l d t a u s g a b e beigegebenen Register u n t e r den betreifenden Stichworten. 93

Berlin 1 9 0 9 ; hinzuweisen ist auch auf die Rezension Walzels

in den Kantstudien 14, 49$94

W i l h e l m u n d Karoline von H u m b o l d t 1, 2 8 1 .

95

I c h gebe im folgenden n u r ausnahmsweise direkte Hinweise

auf einzelne Sonette, n a m e n t l i c h d a n n , wenn es sich u m solche Stellen h a n d e l t , die sich aus dem soeben in A n m . 92 g e n a n n t e n Register n i c h t rasch identifizieren lassen; dieses wird im allgemeinen dem Suchenden ein sicherer Wegweiser zu den Quellen E r ö r t e r u n g e n sein.

meiner

96

Sonett N r . 8 1 9 .

Ä h n l i c l i singt Geibel in seiner „ M i t t a g s -

stille" ( G e s a m m e l t e W e r k e 2, i 3 4 ) : „ S i n d vielleicht die W o l k e n d r o b e n lichte T r ä u m e n u r des W e l t g e i s t s , w e n n er s c h l u m m e r t , G o t t g e d a n k e n , die in l u f t g e n Stoff g e b i l d e t d u r c h den klaren H i m m e l

fluten,

allzu schön f ü r u n s r e E r d e ? " 97

S o n e t t N r . 207. 7 4 3 . i o o 3 .

98

H u m b o l d t g e d e n k t seiner a u c h in Briefen an Charlotte Diede

vom 5. J a n u a r i 8 3 3 u n d 12. F e b r u a r 1834 (Briefe an eine F r e u n din 2, 265. 3 4 i ) . 99

Sonett N r . 4 8 3 .

too W i l h e l m u n d Karoline von H u m b o l d t

1, 354- 3 9 1 .

47>-

472. 480. 101

Briefe a n eine F r e u n d i n 1, 2 i 5 ; K a r o l i n e von H u m b o l d t ,

Briefe a n R e n n e n k a m p f f S. 183. 102

Sonett N r . 1156.

103

Gesammelte S c h r i f t e n 3, 3 3 .

io< w i e r ü h r e n d ist die E r i n n e r u n g an den kleinen Streit zwischen H u m b o l d t u n d K a r o l i n e i m W a l d e bei Lariccia, den einzigen ihres g l ü c k l i c h e n Z u s a m m e n l e b e n s (Sonett N r . 1131)! 105

Gesammelte S c h r i f t e n 7, 1. Ü b e r H u m b o l d t s B e d e u t u n g als

S p r a c h f o r s c h e r o r i e n t i e r t D e l b r ü c k in seiner E i n l e i t u n g in das Stud i u m d e r i n d o g e r m a n i s c h e n S p r a c h e n 5 S. 4 ' 196

Sonett N r . 3 5 1 .

107

W e r k e 3, 10.

108

Sonett N r . 786. 867.

109

I c h k a n n n u r auf eine Stelle (Gesammelte S c h r i f t e n 3, 116)

verweisen. 110 W i l h e l m von H u m b o l d t

und

die H u m a n i t ä t s i d e e S. 4^6*

4771,1

W i l h e l m u n d K a r o l i n e von H u m b o l d t 1, 4 6 0 .

113

S o n e t t N r . 2 i 3 . 786. 867.

1,3

In seinem Briefe a n W e l c k e r vom 1 8 . M ä r z 1823 (BriefeS. 1 0 2 )

114

Ü b e r H u m b o l d t s letzte S t u n d e n besitzen wir zwei ergreifende

Berichte seines Bruders Alexander in seinen Briefen an Varnhagen vom 5. und an August Wilhelm Schlegel vom 19. April 1835 (Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen S. 2 6 ; Klette, Verzeichnis der von A. W . von Schlegel nachgelassenen Briefsammlung S.V1). Seinen Tagebuchaufzeichnungen ist auch der zusammenhängende Bericht bei Schlesier, Erinnerungen an Wilhelm von Hnmboldt 2, 553 entnommen. 115

Gesammelte Schriften 1, 337» • W e r k e 3o, 244. 117 Sonett Nr. 363. 118 Sonett Nr. 910. 119 Sonett Nr. io3o—IO32. 130 In dem Entwurf einer A b h a n d l u n g „ Ü b e r den Charakter der Griechen, die idealische und historische Ansicht desselben" (Gesammelte Schriften 7, 615). 141 Sonett Nr. 28. 12ä Gesammelte Schriften 10, 73. 123 Waagen, Das Schloß Tegel und seine Kunstwerke, Berlin 185g; Fontane, W a n d e r u n g e n d u r c h die Mark Brandenburg 3, 161. 124

In den Anmerkungen zu den Sonetten im neunten Bande der Humboldtausgabe habe ich diese Beziehungen der Gedichte zu den plastischen Kunstwerken im einzelnen aufgezeigt: kaum eins der bedeutenderen W e r k e ist dabei ohne poetischen Reflex geblieben. 125 Sonette 2, 14 (Deutsche Gedichte S. 460 Lappenberg). 126 Welti, Geschichte des Sonettes S. i 4 5 . 12 ' Sämtliche W e r k e 1, 3 i 6 . 338. 337. 325. 326. 3 5 i . 353. 354. 367. 3 5 2 ; 1, 3o5. 328. 373. 188 Wilhelm u n d Karoline von H u m b o l d t in ihren Briefen, Berlin 1 9 0 6 — I i . Die bisher erschienenen fünf Bände reichen bis zu Humboldts Abreise nach London im Herbst 1817. Ich darf hier auch auf meine Besprechungen der einzelnen Bände verweisen, die den psychologischen u n d literargeschichtlichen E r t r a g übersichtlich zusammenzustellen versuchen (Euphorion 14, 365. 632. 17, 406. 18, •79)129 Das Register zu den Sonetten im neunten Band der H u m -

boldtausgabe gibt unter dem Stichwort Karoline ein Verzeichnis aller hierhergehörigen Gedichte. 130 Der Anhang sei in seinen ersten zehn Nummern, die diese rätselhaften Porträtsonette vollständig wiedergeben, dem Scharfsinn der Fachgenossen und der Freunde und Kenner Humboldts und seines Lebenskreises als Tummelfeld angelegentlich empfohlen. Ich habe ihn vor dem Druck Oskar Watzel, dem besten Kenner der Romantik und ihrer Persönlichkeiten, vorgelegt: bei den meisten wußte auch er keinen Hat, in andern Deutungen konnte ich mich einer unbefangenen und unbeeinflußten Übereinstimmung mit ihm erfreuen. Das Genauere füge ich den einzelnen Gedichten im Anhang selbst bei. » " Wilhelm von Humboldt S. 633. 132 Sonett Nr. 612—614. 618. 622. 919. 983. 133 Sonett Nr. 5o3. 879 ( = Anhang Nr. 5). 134 Sonett Nr. 455 ( = Anhang Nr. 4). Varnhagen fügt seiner Deutung die Notiz hinzu, Humboldt habe sich mündlich stets sehr geringschätzig über den König geäußert und ihn für einen rohen, beschränkten Menschen angesehen (Tagebücher 10, 256. 257); an einer andern Stelle (ebenda 1 o, 98) deutet er dasselbe Sonett gar auf Alexander von Humboldt, was mir ganz undiskutierbar erscheint. Über Humboldts Stellung zum Freiherrn vom Stein vgl. Euphorion 18, i 8 3 und Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann 2, 4451 3 t Ich bespreche die Stellen aus dem vierten Bande der Briefe im Euphorion 18, 184. » • Sonett Nr. 586. 1165. 137 Die Abhandlung „Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung" bildet die Einleitung zu der Ausgabe seines Briefwechsels mit Schiller (Gesammelte Schriften 6, 49 2 )138 Sonett Nr. 392. 130 Sonett Nr. 678. 1 , 0 Sonett Nr. 4 1 0 - Zur Ablehnung der Rezension vgl. Alexander von Humboldts Briefe an Varnhagen S. 13. Der Nachruf auf Goethe findet sich in den Gesammelten Schriften 6, 581. 141 Die Beziehungen beider Männer beleuchtet Delbrücks Einleitung in ihren von mir herausgegebenen Briefwechsel (Halle 1908).

142

Sonett Nr. 1109 vom i3. Januar i835. Gedichte 2, g3. 144 Sonett Nr. 1110 vom 14. Januar i835. 145 Wilhelm und Karoline von Humboldt 3, 9. 4i47^> Briefe an eine Freundin 2, 397. 146 Sonett Nr. 939 vom 27. Juli 1834- Das Gedicht dürfte durch die Lektüre der Druckbogen des ersten Bandes von „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" oder doch durch einen Bericht darüber angeregt sein: das Buch erschien zwar erst im Februar i835 und gehörte zu Humboldts letzten literarischen Eindrücken, aber Bettina las häufig und gern aus der Handschrift vor und der Druck war im Frühjahr 1834 bereits im Gange, wie denn auch die Widmung an den Fürsten Pückler schon vom August dieses Jahres gezeichnet ist (Pückler, Briefwechsel und Tagebücher 1, 242. 255. ">.Sg. 3, 178. 234; Briefwechsel des Freiherrn von Meusebach mit Jakob und Wilhelm Grimm S. 2o5). „Ich kannte fast alles schon' 1 schreibt Varnhagen an Scliefer beim Erscheinen des Buches (Pückler, Briefwechsel und Tagebücher 3, 285): daß er für Humboldt der Vermittler gewesen ist, halte ich für sehr wahrscheinlich. 113

14

' Werke 1, 324 Hempel. Relation histo7'u]ue du voyage aux regions equinoxiales »ouveau continent 2, 4 1 0 (in der deutschen Ausgabe 3, 296). 149 Sonett Nr. io35. 150 Ich habe im Register zu den Sonetten im neunten Bande Ilumboldtausgabe unter dem Stichwort „Phantasiegestalten" die treffenden Gedichte verzeichnet. 151 Gesammelte Schriften 9, i54152 Die hier in Betracht kommenden Gedichte sind in dem eben zitierten Register unter den Stichworten Stella und Fatme sammengestellt. 153 „So kehrt der ewig heiige Tag mir wieder, wo Stella ich zum erstenmal erblickte, der festlicher als jeder seiner Brüder sie mir fernher aus fremden Zonen schickte" heißt es im Sonett Nr. 216 vom 4- August i832. 154 Sonett Nr. 99—101. 125. 166. 200. 25o. 293. 148

du

der be-

so zu-

1 ( 5 Sonett Nr. ioo5. Im allgemeinen verweise ich für die in diesem Absatz erwähnten Gestalten der Sonette auf das schon mehrfach zitierte Register hin, das alle hier aufgeführten Stichworte aufweist. t s e Sonett Nr. 737.

Anhang

Si quid novisti rectius istis, Candidus imperti: si non, Ais lifere mecutn.

I.

(Nr. 326 vom 22, November 1832.) Sie knüpfte kühn Ideen schnell zusammen, die blöderm Sinne liegen weit geschieden. Bald trug sie in der Brust des Kindes Frieden, bald auf sie wallte in empörten Flammen. Gefühle, die aus tiefer Unschuld stammen, uns hielten jugendlich vereint zufrieden. In spätem Alter eher wir uns mieden, doch kann nichts meine Treue drum verdammen. In mir sie ewig hätte fest gewähret, des Herzens Irrtum hätte ich genähret, doch das Geschick schien mir sie zu entrücken. Da fiel wie Schuppen es mir von den Blicken und sonnenklar im Herzen ich erkannte, daß sich ein Engel liebend zu mir wandte. Ich wüsste keine andre Deutung als auf Charlotte Diede. Zur Beurteilung von Humboldts Verhältnis zu ihr sind die erst kürzlich bekannt gewordenen Stellen in den Briefen an seine Frau außerordentlich wichtig (Wilhelm und Karoline von Humboldt 4i 4°^* 408. 5, 18. 145. 36o).

95

(Nr. 409 vom 12. Februar i833.) Dem Höheren sie treu und rein sich weihte, doch ging durchs Leben in ungleichem Streite, zu eitlem Tande oft herabgezogen, da sie im Herzen Tiefrem war gewogen. So ward ums schöne Leben sie betrogen und kämpfte hart mit schweren Schicksalswogen. Eh sie sich günstigeren Umschwungs freute, ward sie des Schicksals früh entraffte Beute. Doch ward vielleicht durch Sorge sie von oben der irdisch drohenden Gefahr enthoben, daß in dem zarten, innren Heiligtume sich selbst entfärbte die erschlossne Blume, da dem, was schmeichlerisch gefallig rauschet, mit zu nachgiebgem Ohre sie gelauschet.

96

3. C o r i n n a . 2

vom

2 (Nr. 4 4 7- Februar 1833.) Sie lebet streng im Kreise ihrer Pflichten, sie weiß sie unverdrossen treu zu üben, fremd ist ihr eignes Hassen oder Lieben, sie hat nie Streit in ihrer Brust zu schlichten. Gediegen ist und tüchtig stets ihr Tichten, sie wird durch Hoffnung nie von Lohn getrieben; ihr gnüget, wenn sie vorwurfsfrei geblieben vor ihres eignen Busens ernstem Richten. Daß Demut rein aus ihrer Seele quille, ist sorgsam sie im einfachen Gemüte, sie freuet sich der anspruchlosen Blüte, die aus der Pflichterfüllung Ruhe sprießet, daß, wo sie hintritt, sich in ihr erschließet der Seele Frieden und der Glieder Fülle.

4(Nr. 455 vom 3o. März i833.) Wer nie die Trockenheit des Lebens fliehet, phantastisch nicht mit luftgen Bildern spielet, die aus sich selbst er sinnig webend ziehet, der doch des Menschen Dasein halb nur fühlte. Ihm nicht der Gluten zarter Funken sprühet, der lodernd Sehnsucht weckt und Sehnsucht kühlet. Er mit den Lasten sich des Lebens mühet und in dem harten Stoff der Dinge wühlet. Doch kann er bieder, wahr, gerecht, gediegen, durch jede Tugendübung mächtig siegen. Bewundernd ihn der Ruhm der Menge nennet: wer tiefer schaut, von Großem Größres trennet. So wärest du, den ich geehrt mit Schweigen, doch vor dem nie mein Geist sich konnte beugen. Das Gedicht bezieht sich wohl auf den Freiherrn vom Stein (vgl. oben S. 70).

5.

(Nr. 879 vom 28. Mai i834.) Wie schlanke Birke freudig aufwärts raget, wie scheues Reh zum Wiesenbache springet und aufgeschreckt durch Wald und Dickicht dringet und, wo es Mut erheischt, selbst furchtsam waget: so Fanny, frisch und tätig, wenn es taget, bis spät hin alles zur Vollendung bringet; was sie beginnt, ihr rasch und gut gelinget, und, hülfreich andren, sie für sich entsaget. Aus ihrem offnen Auge Wahrheit blicket und unerschütterlich bewahrte Treue mit Tüchtigkeit und klarer Sinneshelle. Doch innerlich strömt der Gefühle Quelle in ungetrübter, gottentstrahlter Weihe, die still ihr tiefergriffnes Herz entzücket. Das Datum ist der Geburtstag von Huitiboldts Tochter Gabriele, die vielleicht gemeint sein könnte.

6.

(Nr. 880 vom 29. Mai i834-) Wie breiter Strom in reiner Klarheit fließet, langsamen Zuges schwere Schiffe traget, der Mühlen fleißge Räder still beweget : und seine Ufer strömend freundlich grüßet: so sich Alinens Leben hin ergießet, von willger Herzensgüte angereget, die ein Bestreben nur mit Sorgfalt heget, daß einfach es der Kreis der Pflicht umschließet. Sie hascht genügsam niemals nach Genüsse, kein Erdenschicksal füllt sie mit Verdrusse, an keines Lohnes Hoffnung sie sich lehnet; sie wünscht dem Tag nicht mehr noch wenger Stunden, und wenn des Lebens Knaul sie abgewunden, ist Grabesruh ihr lieb, doch nicht ersehnet. Gemeint ist vielleicht Humboldts älteste Tochter Karoline.

7-

(Nr. 881 vom 3o. Mai i834.) Wie dunkle Myrte still bescheiden stehet, mit keiner bunten Farbenpracht sich schmücket, durch keiner Blüte Wohlgeruch entzücket, man weiß nicht wie, von Anmut doch umwehet: so Leontine durch das Leben gehet und unverwandt nur auf den Einen blicket, den jeder Erdenmühe sie entrücket und ihm den Himmel öffnet, sternbesäet. Als wäre sie in Nebelduft gehüllet, sie durch die Menschenmenge sich beweget; kein Wort aus ihren stillen Lippen quillet, das nicht sich an den Tiefverehrten wendet, in dessen Lebenskreis sie eingeheget, treu jeden Tag beginnt und jeden endet.

8. An *** (Nr. 1014 vom io. Oktober i834-) Gieb einen Ort außer des Erdballs Schranken mir, fest zu stehn, so will ich ihn bewegen! sprach Archimed, des grübelnde Gedanken : ihn führten zu der Schatten dunklen Wegen, Was du gefühlvoll sprichst, hast du zu danken der gleichen Kunst: Gefühle nie dich regen; du kannst, ergriffen nie von ihrem Schwanken, sie kalt und ruhig auseinander legen. Du spielst mit ihnen wie mit leichtem Balle, doch die da horchen deines Wortes Schalle, sind hingerissen wie von echter Wahrheit, indes du selbst in Wintersonnenklarheit in ihre Herzen deine Täuschung senkest und künstlich sie dir willig folgsam lenkest. Ich deute das Gedicht, ohne ganz sicher darin zu sein, auf Tieck in seiner Eigenschaft als Vorleser klassischer Dramen. Oskar Walzel hat dieselbe Vermutung ausgesprochen, hält aber auch die Beziehung auf einen Schauspieler oder Prediger für möglich.

9-

(Nr. io43 vom 8. November i834-) Wer nichts als ewig totes Wissen treibet, niemals Gedanken zur Idee verbindet, nie, was den Busen tief ergreift, empfindet, der doch nur in der Menschheit Vorhof bleibet. Er gegen alles Höhere sich sträubet, das Menschlichste vor ihm in nichts verschwindet, und was sein Scharfsinn wahr und fein ergründet, doch nur der Dinge Außeres umschreibet. Drum wählet, geistig stets mit ihr zu wohnen, er sich die trockenste der Nationen, die niemals hoher Dichtungssinn beseelet, da nie Begeisterung den Busen schwellet und nie ein Dunkel grübelnd wird erhellet, das zu durchdringen tiefre Sehnsucht quälet. Bedenkt man die teilweise recht scharfen Urteile, die Humboldt in den Briefen an seine Fran über seinen Bruder Alexander und seine entschiedenen französischen Neigungen fallt (vgl. Euphorion 17, 43a. 18, 202), so scheint es mir nicht zu gewagt, das Gedicht auf ihn zu deuten.

IO. (Nr. IO5I vom 16. November i834.) Von der Natur mit Witz und Geist beschenket, vom regen Feuer auch der Brust belebet, mit dem man aufwärts zu dem Bessren strebet, doch niemals er sein Schiff zum Ziele lenket. Denn jedesmal sich fühlend tief gekränket, wenn sich ein andrer neben ihm erhebet, er in dem ungewissen Zustand schwebet, wo bald er hofft, bald nie zu glücken denket. Geschleudert wird er so aus allen Bahnen, die zu dem schönen Gleichgewichte führen, das aus der Sicherheit der Kraft entspringet. Wer ewig mit verfehlter Hoffnung ringet und immer will Erbittrungsflammen schüren, der hört nicht auf der Weisheit stilles Mahnen. Ich beziehe das Gedicht auf August Wilhelm Schlegel und seine wissenschaftliche Eitelkeit, wie sie sich z. B. Franz Bopp gegenüber zeigte und wie sie Humboldt in seinem Briefe an Schlegel vom 16. Juni 1829 abfertigt (Briefwechsel S. a31).

I (.

(Nr. 1088 vom 23, Dezember i834.) Hell wie Dezembersonne sie mich nannten, weil sie in mir nicht an Gefühle glaubten; die mir so oft des Lebens Ruhe raubten, die innren Stürme sie in mir nicht kannten. Doch weil die Gluten, die verstohlen brannten, gedämpft vom Willen, immer mir erlaubten, Besonnenheit des Geistes zu behaupten, das Gleichnis doch auf mich sie wohl anwandten. Denn wie des Winters mitleidlose Hände der Sonne, daß ihr Strahlenball nicht blende, zurück das Haar am Haupt gebunden flechten, zwang ich, um jede Täuschung abzuschneiden, die Wahrheit selber noch sich zu entkleiden und haftete am Nackten nur und Echten. Der Anfang geht auf eine Stelle in Josef Görres' im Rheinischen Merkur erschienenen Aufsatz „Gang der Verhandlungen seit dem 10. September 1 8 1 5 " , wo es heißt (Politische Schriften 3, 273): „ W a s die handelnden Personen betrifft, so zeigte sich . . . . Humboldt kalt und klar wie die Dezembersonne."

io5

12. (Nr. 1089 vom 24» Dezember i8340 Sie sprachen von Gemüt und zu es schrieben bald dem, bald jenem, weil Gefühl er hegte, das auf der Seele Fläche sich bewegte, doch nie hatte gediegne Frucht getrieben. Ich ließ sie Ungerechtigkeit still üben; was mächtig sich in mir im Innren regte, nie um die Brust der Schwächlinge sich legte, die nicht zu hassen wußten noch zu lieben. Gern mich verschloß ich einsam in Gefilde, wo fern von blöden, ungeweihten Augen, die nicht zu schaun das Wesenhafte taugen, in phantasieerregtem, glühndem Herzen mit seiger Wonne und mit selgen Schmerzen begegneten mir himmlische Gebilde.

vv-wvvw

i3. (Nr. 1176 vom 21. März i835.) An Einem hab' ich immer fest gehangen in süßer Wonne und in bangem Leiden, von ihrem Schein die Dinge zu entkleiden, zu ihrer nackten Wahrheit zu gelangen. Wenn Großes Menschenkräfte auch errangen, sucht' ich doch die Empfindung abzuscheiden, um nur an reinem Umriß mich zu weiden, nicht im Gebiet der Tat allein befangen. Ich mehr das Sein als das Beginnen ehrte und gern darum mich zu Gemüte kehrte, wie es in edlen Frauen fein empfindet. Denn dies, dem Irdischen nur zugewendet, wo es das Zarteste dem Busen sendet, ist näher mit dem Himmlischen verbündet.

107