Wien: Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts 9783205100775, 3205000153, 9783205000150

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Wien: Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
 9783205100775, 3205000153, 9783205000150

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Η. B O B E K - E . L I C H T E N B E R G E R • W I E N

SCHRIFTEN DER

DER KOMMISSION

ÖSTERREICHISCHEN

FÜR

AKADEMIE 1

RAUMFORSCHUNG DER

WISSENSCHAFTEN

Altstadt und Ringstraße vom Südwesten gegen Wiener Pforte und Floridsdorf.

WIEN Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts

VON

HANS

BOBEK

UND

ELISABETH

LICHTENBERGER

1978

VERLAG H E R M A N N BÖHLAUS NACHF. / WIEN —KÖLN

ISBN 3-205-00015-3 1. Auflage 1966 2. Auflage 1978 Copyright © 1978 by Hermann Böhlaus Nachf., Graz Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Gerstmayer, 1120 Wien

INHALT Seite

Vorwort Einleitung 1. Die Stadtkartierung des Geographischen Instituts 2. Die Arbeitsgrundlagen a) Die Verarbeitung des Materials der Stadtkartierung b) Erweiterung der Fragestellung und notwendige Ergänzungen 3. Bemerkungen zur Literatur ERSTER

11 13 13 15 15 16 18

TEIL

DIE PERIODEN DER BAULICHEN E N T W I C K L U N G SEIT DER MITTE DES 19. J A H R H U N D E R T S A. Die Entwicklungsperioden Wiens in der Neuzeit 23 Umwandlung der gotischen Bürgerstadt zur barocken Residenz — Hochbarocke Bauperiode — Manufakturzeitalter — Gründerzeit — Zwischenkriegszeit — Nachkriegszeit B. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918) I. Die allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen 1. Bevölkerungsentwicklung und generative Struktur a) Bevölkerungszunahme b) Wandel der generative^ Struktur c) Haushaltsstruktur 2. Umschichtung der Sozialstruktur 3. Aufstieg und Wandel der Wirtschaft Π. Die besonderen Faktoren der Bautätigkeit 1. Die öffentliche Bautätigkeit 2. Wichtige Faktoren der privaten Bautätigkeit a) Der regelnde Eingriff der öffentlichen Hand: Bauordnungen, Stadtregulicrung b) Die Förderung durch die öffentliche Hand: Steuerbegünstigungen c) Die Bedeutung der administrativen Grenzen d) Der Einfluß der Bodenpreise und der innerstädtischen Verkehrsentwicklung . . 3. Die Träger der privaten Wohnbautätigkeit und die Anfange des kommunalen Wohnbaus a) Baugesellschaften — Hypothekenanstalten b) Ringen um neue Organisationsformen des Wohnbaus Bau von Werkswohnungen S. 54 — Anfänge der Bauvereine und Genossenschaften S. 55 — Öffentliche Stiftungen S. 56 — Kommunale Bautätigkeit S. 56 4. Die Bauleistung und die Wohnverhältnisse der Gründerzeit

30 30 30 30 32 34 35 39 41 41 45 45 47 48 50 51 52 54 57

6

Inhalt Seite

III. Bautypen und Verbauungsgebiete der Gründerzeit

61

1. Die Verbauung um 1840 — ein Rückblick a) Die Bautypen b) Die Verbauungsgebiete Die Altstadt S. 63 - Die Vorstädte S. 64 - Der Bereich der Vororte S. 67

61 61 63

2. Die Verbauung der Frühgründerzeit (1840—1870) a) Die Gesamtleistung b) Die Wohnbauten Teilweiser Umbau S. 69 — Vollständiger Umbau S. 70 — Erstverbauung S. 72 c) Die Nichtwohnbauten d) Die Verbauungsgebiete Die Altstadt S. 76 - Die Vorstädte S. 78 - Der Bereich der Vororte S. 79; Die Siedlungen auf der Stadtgemarkung S. 80; Die Gewerbevororte beiderseits des Wientals S. 81; Die Wohn- und Gewerbevororte nördlich des Wientals S. 82; Die in Verstädterung begriffenen Sommerfrischen S. 83; Die Bildung der Straßenvororte S. 83; Die äußeren Vororte S. 84

68 68 69

3. Die Verbauung der Hochgründerzeit (1870—1890) a) Die Gesamtleistung b) Die Wohnbauten Teilweiser Umbau S. 86 — Vollständiger Umbau S. 88 — Die Erstverbauung S. 90 c) Die Nichtwohnbauten d) Die Verbauungsgebiete Die Altstadt S. 95 — Die Vorstädte S. 97 - Der Bereich der Vororte S. 98; Der Saum flächenhafter Ausweitung der geschlossenen Verbauung S. 99; Die Wachstumsspitzen längs der Ausfallstraßen S. 100; Die Gestaltung des offenen Stadtrandes S. 102

85 85 86

75 76

94 95

4. Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890 —1918) 103 a) Die Gesamtleistung 103 b) Die Wohnbauten 104 Teilweiser Umbau S. 104 — Vollständiger Umbau S. 104 — Erstverbauung S. 108 c) Die Nichtwohnbauten 112 d) Die Verbauungsgebiete 114 Die Altstadt S. 114 - Innere Bezirke S. 115 - Äußere Bezirke S. 116 5. Die Stadtzonen am Ende der Gründerzeit a) Der geschlossene Stadtkern b) Der lückenhafte Rand des geschlossenen Stadtkerns c) Die Ansätze zur Bildung eines Gürtels offener Verbauung

119 119 123 124

C. Die bauliche Entwicklung in der Zwischenkriegszeit (1918 —1938)

126

I. Die allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen

126

1. Die politische Situation 2. Die Entwicklung der Wirtschaft

126 127

3. Der Wandel der Bevölkerungsstruktur

129

II. Die neuen Organisationsformen der Wohnbautätigkeit

132

Inhalt

7 Seite

ι. Die neuen rechtlichen Grundlagen des Wohnungswesens und ihre Auswirkungen 132 a) Der Mieterschutz und seine Folgen 132 b) Die Bedeutung der Bauordnung 1929 136 2. Die neuen Bauträger 136 a) Die Gemeinde Wien 137 b) Der Bund 139 c) Die genossenschaftliche Siedlungsbewegung 139 d) Der Eigenhausbau 140 e) Zusammenspiel und Konkurrenz der Bauträger 141 III. Bautypen und Verbauungsgebiete der Zwischenkriegszeit

141

1. Uberblick über die Bauleistung

141

2. Die Wohnbauten 144 a) Die kommunalen Wohnanlagen des geschlossenen Stadtkerns 144 b) Die Siedlungen im Weichbild 147 Standort der Siedlungen S. 148 — Geplante Siedlungen S. 149; Familienreihenhäuser S. 149; Siedlungshauskolonien S. 153; Nebenerwerbssiedlungen S. 153 — Private Einzelhaussiedlung S. 154; Der Villenbau S. 154; Der Siedlungshausbau S. 155; Übergangssiedlungen S. 155, Ackersiedlungen, Kolonistensiedlung, Rodungssiedlungen, Kleingartensiedlungen S. 156—162 3. Die Nichtwohnbauten

162

4. Die Verbauungsgebiete

162

D. Die bauliche Entwicklung in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1938 — 1962) .

.

.

I. Die allgemeinen sozialen und wirtscliaftlichen Voraussetzungen 1. 2. 3. 4.

Die Die Die Der

.165 165

politische Situation Entwicklung der Wirtschaft Bevölkerungsentwicklung Wohnungsbedarf

165 166 167 170

II. Die speziellen Faktoren der Wohnbautätigkeit

173

1. Die Finanzierung des Wohnbaus 2. Rechts- und Finanzierungsformen von Wohnungen

173 174

3. Die Bauordnung 4. Die Bauträger a) Unterschiede beim Wiederaufbau und Neubau b) Die Wohnbaupolitik der Gemeinde c) Die Bedeutung der Genossenschaften und die Konkurrenz der Bauträger . d) Die Änderung der Wohnungsstruktur III. Bautypen und Verbauungsgebiete der Nachkriegszeit

176

.

177 177 178 .181 182 184

1. Überblick über die Bauleistung 184 2. Die Wohnbauten 185 a) Der Wiederaufbau und Umbau 185 Der Wiederaufbau und Umbau im geschlossenen Stadtkern S. 186 — Die Umbautätigkeit im Weichbild S. 189

8

Inhalt Seite b) Die Neubautätigkeit 3. Die N i c h t w o h n b a u t c n

191 196

4. Die V e r b a u u n g s g e b i e t e

200

a) Geschlossene Verbauung Altstadt — Innere Bezirke — Außere Bezirke b) Das Wcichbild

200 202

ZWEITER TEIL STANDORTSFAKTOREN U N D TYPOLOGIE DER VERBAUUNG U N D FLÄCHENNUTZUNG A. W o h n v e r b a u u n g

207

1. D i e A u t s c h l i e ß u n g : Parzellen u n d Straßennetz

207

z. Das H ö h e n w a c h s t u m d e r Stadt

210

3. D e r S t a n i m b a u m der W o h n b a u t y p e n

212

4. D i e W o h n u n g s s t r u k t u r

217

5. Die A u s s t a t t u n g der W o h n u n g e n — der K o n i f o r t

218

B . N i c h t w o h n b a u t c n sowie sonstige städtische F l ä c h e n n u t z u n g e n

221

1. Öffentliche G e b ä u d e a) Regierungs- und Verwaltungsgebäude b) Kirchen und Klöster c) Schulen d) Kasernen e) Spitäler und verwandte Humanitätsanstalten f ) Märkte 2. Industriebauten

221 221 223 224 225 225 226 227

a) Die historische Typologie des Industriebaus b) Die Entwicklungsreihe v o m Manufakturhaus zur Hinterhoffabrik c) Die Entwicklungsreihe zur randständigen Industrie 3. Sonstige städtisch g e n u t z t e Flächen

228 232 233 236

a) Lagerplätze b) Friedhöfe c) Öffentliche Erholungsanlagen Grünflächen — Sportplätze — Bäder d) Schrebergärten und Sommerhüttengebiete

236 236 238 240

DRITTER TEIL DIE S T A D T R E G I O N E N A. F a k t o r e n u n d Prinzipien der G l i e d e r u n g 1. Einleitung

WIENS 242 242

2. Die Lage der Stadt in der Landschaft

243

3. Die Fernverkehrslinien u n d ihre A u s w i r k u n g

246

a) Die Fernstraßen b) Die Bahnlinien c) Der Strom

246 249 250

Inhalt

9 Seite

4. Der Einfluß der alten Siedlungen und Grenzen im Stadtgebiet 5. Prinzipien der Gliederung und Uberblick über die Verbauungsregionen B. Die historisch erwachsenen Stadtregionen

252 . . . 258 262

I. Die westliche Stadtregion 262 1. Überblick 262 2. Die Verbauungsbereiche des Wientals 265 a) Der Nordflügel des Wientales 266 Neubau und Mariahilf S. 266 — Der Fünfhauser Komplex S. 271 — Die Wachstumsspitze Breitensee—Baumgarten—Hütteldorf S. 273 b) Der Südflügel des Wientales 274 Alt-Margareten—Hundsthurm S. 275 — Meidling S. 275 — Die Altmannsdorfer Wachstumsspitze S. 276 3. Der Schönbrunner Komplex 277 4. Die Schmelz 280 5. Der Abschnitt der westlichen Lokalwege 282 Überblick S. 282 - Josefstadt S. 283 — Neulerchenfeld — HernalserAltbaugebiet S. 284 — Währing S. 286 — Ottakring— Gersthof S. 286 — Neuwaldegg—Dornbach-Pötzleinsdorf S. 287 II. Die nordwestliche Stadtregion 1. Überblick 2. Die vorstädtische Agglomeration Roßau S. 290 - Währingerstraße S. 291 - Lichtental S. 291 3. Die Wachstumsspitzen im Vorortbereich a) Das Verbauungsgebiet längs der Heiligenstädterstraße b) Der Döblinger Verbauungsbereich 4. Die Zone der Weinhauerorte

288 288 289 292 292 292 293

III. Die südwestliche Stadtregion

293

IV. Die südliche Stadtregion 1. Überblick 2. Die innere Zone der geschlossenen Verbauung Die Wieden S. 300 - Die Randzone S. 302 3. Die äußere Zone der geschlossenen Verbauung Favoriten S. 304 - Triesterstraße S. 306 4. Die innere Zone des Weichbildes Wienerberg S. 307 — Laaerberg S. 307 j . Die äußere Zone des Weichbildes

297 297 300 304 307 308

V. Die südöstliche Stadtregion 309 1. Überblick 309 2. Die innere Zone 313 Die Landstraße S. 313 — Fasangasscnvicrtcl S. 316 — Weißgerbervorstadt S. 316 — Erdberg S. 317

10

Inhalt Seite

3. Die mittlere Zone

317

4. Die äußere Zone

320

71. Die nordöstliche und östliche Stadtregion

321

1. Überblick

321

2. Die nordöstliche Stadtregion a) Die Stadtteile im Süden der Donau Die Leopoldstadt S. 325 — Die Brigittenau S. 328 — Das Viertel der Engerthstraße (Zwischenbrückcn) S. 329 — Das Bahnhofsgelände der Nordwest- und Nordbahn S. 330 b) Die Floridsdorfer Agglomeration 3. Die östliche Stadtregion a) Die Wurzel südlich des Stromes Die Jägerzeile S. 333 — Der Prater und das Viertel an der Reichsbrücke S. 333 b) Die Donaustadt Abschluß und Stellungnahme zum Grundkonzept der Wiener Stadtplanung . . . . Literaturverzeichnis Benutzte Karten

325 325

330 332 333 334 337 355 369

Unveröffentlichte Karten und Untersuchungen von Elisabeth Lichtenberger, welche in dieser Arbeit Verwendung fanden 369 Unveröffentlichte Untersuchungen Instituts Verzeichnis der Tabellen Verzeichnis der Figuien im Text

aus dem

Seminarbetrieb

des

Geograpliischen 369 371 371

Verzeichnis der Abbildungen Bildnachweis Verzeichnis der Kartentafel-Beilagen

372 374 374

Ortsverzeichnis Namen- und Sachverzeichnis

375 382

VORWORT Die vorliegende Arbeit erwuchs aus einem inx Rahmen des Geographischen Instituts der Universität Wien gemachten Versuch, die bauÜche Gestalt Wiens um die Mitte des 20. Jahrhunderts mit den Methoden moderner geographischer Stadtforschung festzuhalten. Bald zeigte sich jedoch, daß es nur einer historisch vertieften Betrachtung gelingen würde, das von Glanz und Elend gleichermaßen gezeichnete Anditz der Stadt einem wirklichen Verständnis zu erschließen, einer Betrachtung also, die das hochdramatische Auf und Ab ihres in die europäische Geschichte verwobenen Schicksals in all seinen Auswirkungen auf die körperliche Erscheinung der Stadt zu analysieren unternähme. Eben dies zu tun ist das Hauptanliegen des Buches. Während der Ausführung dieser Absicht erwies es sich, daß der tatsächliche Hergang des Geschehens, dessen tiefere Hintergründe und selbst das Ergebnis, der bauliche Ertrag nach Form, Charakter und Masse, keineswegs so offen zutage liegen, wie man es wohl anzunehmen geneigt sein könnte. Dies besonders auch deshalb, weil die heftigen Auseinandersetzungen, die das Geschehen begleiteten, das Bild dieses Geschehens und seiner Ergebnisse einseitig beleuchteten oder stark verzerrten. So möchte das Buch in erster Linie als ein Beitrag zur besseren Kenntnis der jüngeren Geschichte und zur Erkenntnis der Gegenwartsstruktur Wiens verstanden werden. Doch sind die Verfasser darüber hinaus der Meinung, daß ihrem Werke auch nicht unbeträchtliche praktische Bedeutung zukommen kann, nämlich als einer Grundlage für jene gesunde und umfassend engagierte Stadtplanung, die die Vorsorge für die Zukunft der Stadt immer dringender erfordert und die sich, wie die Verfasser glauben, nicht nur auf richtige Ideen und Gestaltungsprinzipien, sondern auch auf eine gründliche Kenntnis unseres gegenwärtigen „Standorts" im baulichen Geschehen stützen müßte. Die volle Erkenntnis eben dieses Standorts wird sich uns aber nur dann erschließen, wenn wir den Trend der verschiedenen, in der Praxis miteinander verflochtenen Entwicklungslinien in sauberer Analyse herausarbeiten. Muß eigens darauf hingewiesen werden, wieviele Quasi-Axiome heutiger Planungstheorien auf unbewiesenen Annahmen und unzulässigen Verallgemeinerungen fußen? Wie sehr es an nüchternen und unvoreingenommenen Studien gerade über die jüngere bauliche Vergangenheit unserer großen Städte mangelt; Was die Ausführung des Buches anlangt, so kam ihr die Doppelautorenschaft zweifellos zugute. Lag die sehr beträchdiche, über das ursprüngliche Erhebungsmaterial weit hinausführende, originale Forschungsarbeit ebenso wie auch die Zeichnung der Karten und die Abfassung der Textentwürfe so gut wie vollständig in der Hand des jüngeren Autors — Elisabeth Lichtenberger —, nahm der ältere Autor — Hans Bobek — entscheidenden Anteil

12

Vorwort

an der Planung und methodisch-sachlichen Ausformung des ganzen Werkes ebenso wie an der endgültigen Gestaltung des Textes und der Kartenentwürfe. Ersterer wurde mehrfachen Umarbeitungen unterzogen, die letzteren ausführlich gemeinsam beraten. Die Verfasser sind sich bewußt, daß in manchen Hinsichten das angestrebte Ziel nicht voll erreicht wurde, hoffen aber dennoch, daß das Werk in der vorliegenden Form, indem es eine bestehende Lücke ausfüllt, all denen, die an Wien und seiner jüngeren Entwicklung unmittelbar interessiert sind, etwas Wesentliches zu bieten vermag. Darüber hinaus hoffen sie, damit auch einen Beitrag zur Methodik der allgemeinen, insbesondere der geographischen Stadtforschung geleistet zu haben. Dank schulden die Autoren für laufende Subventionierung der Erhebungsarbeiten im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Großstadtprobleme dem Institut für Wissenschaft und Kunst, ferner dem ehemaligen Stadtplaner, Herrn Prof. R. RAINER, sowie seinem früheren Mitarbeiter und heutigen Stadtplaner, Herrn Arch. G. CONDITT, für Beiträge zu den Kosten der umfängreichen Kartierungsarbeiten, die der Stadtplanung für ihre Zwecke zur Verfügung gestellt wurden, weiters verschiedenen Dienststellen der Stadt Wien, wie namentlich dem Stadtvermessungsamt, der Plankanuner, dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek fur freundliches Entgegenkommen bei der Materialbeschaffung. Wesentliche Zuschüsse zu den erheblichen Kosten der Drucklegung leisteten das Kulturamt der Stadt Wien, der Österreichische Forschungsrat und das Institut fur Bauforschung. Ihnen gebührt der herzliche Dank der Autoren. Frl. cand. phil. D. Mühlgassner war beim Lesen der Korrekturen und bei der Abfassung des Registers sehr behilflich, wofür ihr herzlich gedankt sei.

Das Werk sei dem Gedenken an H U G O

HASSINGER

gewidmet

EINLEITUNG 1. DIE S T A D T K A R T I E R U N G DES G E O G R A P H I S C H E N

INSTITUTS

Knapp vor dem Ersten Weltkrieg schuf Hugo HASSINGER aus dem Erlebnis des Welcstadtwerdens seiner Vaterstadt in einem großangelcgten W u r f den Kunsthistorischen Adas von Wien und setzte damit dem älteren Baubestand der kaiserlichen Residenz ein Denkmal. An Hand eines reichen Anschauungsmaterials konnte er in intuitiver Schau die großen Linien der älteren Entwicklung Wiens aufzeigen. Anknüpfend an diese Tradition erscheint es heute nach Ablaufeines halben Jahrhunderts, wieder als eine reizvolle und dankbare Aufgabe, das Erscheinungsbild und die jüngere bauliche Entwicklung Wiens, dieses alten, glanzvollen, hart geprüften, zeitweise schon fast aufgegebenen und heute wieder erstarkten Gemeinwesens, einer Untersuchung zu unterziehen, bevor allzu nachhaltige Umwandlungen ältere Strukturen völlig auslöschen. In einer aufs Ganze gerichteten und den wahren Strukturlinien nachspürenden Sicht soll das bauliche Geftige der Stadt erneut in einem Querschnitt festgehalten werden, der die Situation um die Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentiert. U m zu einem tieferen Verständnis vorzudringen, wurde der W e g einer genetischen Analyse beschritten, die, ausgehend von der Gestalt Wiens am Ende der Biedermeierzeit, bis zur Gegenwart herauffuhrt und dabei die Zusammenhänge der baulichen Struktur mit dem Gesellschaftsaufbau und der W i r t schaftsordnung im Wandel dieses Zeitraumes verfolgt. Der Kunsdiistorische Atlas von Hugo HASSINGER steht am Anfang einer Reihe von älteren Versuchen, den Baubestand Wiens zu gliedern. Hugo HASSINCER hat die Altbauten der Stadt herauf bis zur Biedermeierzeit aufgenommen und in erster Linie nach kunsthistoriseben Prinzipien gegliedert. Dort allerdings, w o die architektonischen Kriterien fiir eine stilistische Zuordnung nicht ausreichten, wie bei den dörfischen Gehöften und ihren Übergangsformen zu den Stadthäusern, macht sich bereits das Bestreben nach Heraushebung konstruktiver Bautypen geltend. Der Text geht noch einen Schritt weiter in Richtung auf stärker auch vom Funktionellen geprägte Bezeichnungen. So werden in der Hauptsache öffentliche Gebäude, Paläste, Landhäuser, bürgerliche Handwerker- und Taglöhnerhäuser unterschieden. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwei Jahre nach der umfassenden Bestandsaufnahme HASSINGERS Schloß schlagartig die große Bauperiode der Gründerzeit ab und ließ damit den Kunsthistorischen Adas auch zu einem Dokument für die Umbauleistung dieser Zeit werden. In gewissem Sinn eine Fortsetzung HASSINGERS sind die von seinem späteren Mitarbeiter Adalbert KLAAR geschaffenen Baualterpläne für die inneren Bezirke, die ebenfalls die monumentale Arbeit eines einzelnen darstellen, aber leider nicht veröffentlicht wurden. Sie spiegeln

Einleitung

14

im großen ganzen den Baubestand von 1939—44 wider und bieten damit für das bearbeitete Gebiet einen Querschnitt am Ende der Zwischenkriegszeit. U n t e r B e n ü t z u n g der Pläne v o n H . HASSINGER u n d A . KLAAR hat R . WAGNER-RIEGER

im Jahre 1955 eine Neuaufnahme des alten Wohnhausbestandes von Wien durchgeführt, und zwar mit dem kunstgeschichtlichen Ziel, den Wandel der Fassadengestaltung aufzuzeigen. Die Publikation mußte aus Kostengründen auf eine Kartendarstellung verzichten. Gleichzeitig wurde vom Magistrat Wien im Zusammenhang mit der Stadtplanung ein Versuch unternommen, den Häuserbestand von Wien in einer Straßen- und Häuserkartei zu erfassen. Die verschiedenen Merkmale eines Hauses erhielten eine bestimmte Punktezahl und wurden gruppenweise hinsichtlich Lagequalität, Wohnwert, ästhetischer Bewertung, Vorhandensein von sanitären Einrichtungen und Bauzustand zusammengefaßt, woraus nach einer bestimmten Formel auf statistischem Wege ein „Sozialquotient" erreclinet wurde. Freilich setzte dieses Vorgehen die Verschiedenartigkeit der Faktoren nicht genügend in Rechnung, so daß die reale Aussagekraft des Sozialquotienten im Unsicheren bleibt. Daran ist das Unternehmen auch letztlich gescheitert. Ebenfalls im Jahre 1955 begann das Geographische Institut der Universität Wien im Rahmen der studentischen Ausbildung mit einer Stadtkartierung von Wien, die im Laufe von fünf Jahren nach verschiedenen Richtungen hin wesentlich erweitert und vertieft wurde. Als Gesamtzielsetzung lag die Erfassung der baulichen, funktionellen und sozialen Gliederung der Stadt zugrunde. Die i960 abgeschlossene Geländeaufnahme wurde durch Auswertung von statistischem Urmaterial ergänzt. Die Kartierung zielte auf die Erfassung der Verbauung und Landnutzung und bediente sich dabei des Feuerwehrplanes 1 : 3 500, wobei insgesamt 60 Blätter bearbeitet und ins reine gezeichnet wurden. Die Aufnahme der Verbauung erfolgte hausweise und war von dem Gesichtspunkt geleitet, den Baubestand Wiens in eine verhältnismäßig geringe Zahl von praktisch wichtigen konstruktiven Typen und, soweit physiognomisch möglich, nach verschiedenen Altersstufen entsprechend dem folgenden Schema zu gliedern: Bauperioden Wohnbautypen

Hohes Reihenmiethaus Niedriges Reihenmiethaus Landhaus, Ansitz Villa, Siedlungshaus Dörfisches Gehöft Behelfsheim Sommerhütte

Alter FrühHochSpätZwischen- NarhkriegsBaubestand Gründerzeit kriegszeit zeit bis 1840 1870 1890 1918 1938 XXX

XXX XXX

XXX.

XXX XXX

XXX

XXX XXX

XXX

XXX XXX

XXX

1 XXX XXX

Ohne zeitliche Differenzierung: Öffentliches Gebäude, Fabrik, Verkehrsanlage

Die Arbeitsgrundlagen

15

Gleichzeitig mit der Erhebung der Bautypen wurde die Zahl der Läden, Büros, Gewerbebetriebe,Magazine und die Art der Gewerbebetriebe in den Begehungsprotokollen festgehalten. Die Kartierung der Flur erfolgte parzellcnweise und unterschied folgende Nutzungen: Wald, Grünland, Ackerland, Weingärten, Obstgärten, Erwerbsgärtnereien, Hausgärten; Parkanlagen, Lagerplätze, Verkehrsanlagen, Friedhöfe, Schrebergärten, unorganisiertes Ernteland, Ödflächen. Zusätzlich wurde eine Auswertung des statistischen Urmaterials der Häuserzählung 1931 in Hinblick auf die Wohnungsstruktur durchgeführt und dabei, entsprechend den Wiener Verhältnissen, folgende Wohnungsgrößen unterschieden: Kleinstwohnungen ( % und 1 Wohneinheit) Kleinwohnungen (1 y 2 Wohneinheiten) Mittelwohnungen (2 bis 3 y 2 Wohneinheiten) Großwohnungen (ab 4 Wohneinheiten) Die Ergebnisse beider Auswertungen wurden im Maßstab des Feuerwehrplanes häuserweise graphisch festgehalten. An diesen Arbeiten, denen sich weitere, bisher noch nicht ausgewertete Erhebungen anschlossen, waren die Teilnehmer der kulturgeographischen Unterseminare der Jahre 1955 — 1958 beteiligt1). 2. DIE ARBEITSGRUNDLAGEN a) Die V e r a r b e i t u n g des Materials der S t a d t k a r t i e r u n g Die Stadtkartierung bildet eine wesentliche Grundlage der vorliegenden Darstellung der baulichen Entwicklung Wiens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Von ihrem reichhaltigen Material wurden hier jedoch nur die auf die bauliche Struktur bezogenen Daten bearbeitet, d. h. die Bautypenkartierung und die Feststellung der Wohnungsstruktur. Von den übrigen 1) Hierbei haben sich die folgenden Damen und Herren bewährt: Bruno Backi, Brigitte Bank, Friedrich Berger, Dieter Benidt, Herta Böcksteiner, Käthe Böhm, Christi Böhmert, Günther Bortot, Helmut Desoye, Engelbert Deusch, Christa Deutsch, Christa Eberl, Peter Eichinger, Maria Fesl, Johann Fischer, Ingeborg Fleischmann, Viktor Flieder, Bosiljka Fux, Hedwig GaUistl, Herwig Giesswein, Elisabeth Gollackner, Hildegunde Gross, Gertrude Gruber, Josef Hajda, Elisabeth Harsch, Waltraud Heszek, Brigitte Holicki, Josef Hotwagner, Ingrid Huska, Gertrude Jaksch, Irmtraud Jesser, Klaus Kahl, Hermine Kaltenbrunner, Eckhard Karner, Else Karner, Fran2 Keindl, Erich Kittel, Gertrude Köstenberger, Gustav Kramer, Maria Kress, Hans-Heinz Kraupa, Ingeborg Krömer, Walter Kurz, Kurt Ladstätter, Roswitha Laferl, Reinhild Langer, Anton Lechner, Josef I i i tinger, Erika Leutsch, Adolf Linner, Erich Litschauer, Herlinde Loidolt, Gottfried Loske, Edith Luitz, Franz Madl, Lothar Mandl, Johanna Müller, Maria Mylius, Erhard Nowak, Ernest Payer, Ulrike Pelzer, Wolfgang Pesendorfer, Silvia Petrin, Ferdinand Prochart, Gerlinde Proier, Helmut Priltz, Wilfried Reininger, Ingrid Reiter, Inge Richter, Helmut Riedl, Erika Roiss, Inge Scharmitzer, Wolfgang Schedl, Walter Scheichl, Elfriede Scheid], Dr. Erich Scheithauer, Peter Schlusche, Walter Schmidt, Irma Schmölzer, Erhard Schneider, Otto Sedlic, Auguste Seidicr, Fritz Seifert, Gerald Seiler, Oswalda Seiler, Hans Soukal, Arthur Spiegier, Franz Stelzer, Edith Stengel, Friederike Stepan, Hannelore Stepanitzka, Herwig Strejcha, N. Stych, Nikolaus Titz, Helmut Tietz, Alfred Toth, Paul Vallazza, Friederike Weber, Susanna Wenzel, Sieglinde Werner, Herbert Winterstein, Elisabeth Wöber, Gerhard Wyletal, Hern Zenner, Franz Zwittkovits.

Einleitung

16

Erhebungen wurden u. a. die zu Plänen ι : ioooo verarbeiteten Ergebnisse der Erhebung über den Entfremdungsgrad der Miethäuser dem ehemaligen Stadtplaner, Prof. Arch. Dr. R . RAINE», zur Verfügung gestellt. Die Verarbeitung des umfängreichen Kartierungsmaterials mit der Zielsetzung einer Strukturanalyse der gegenwärtigen Verbauung konnte nur in Form einer schrittweisen Generalisierung vor sich gehen. Eine erste Generalisierung erfolgte im Maßstab ι : ioooo und umfaßte die konstruktiven Bautypen, die Landnutzung und die Wohnungsstruktur der Miethäuser. Sie bestand in einer Vereinfachung des Verteilungsbildes unter Beibehaltung der Gliederungsprinzipien der Kartierung. N u r die Wohnungsstruktur erfuhr aus graphischen Gründen eine starke Generalisierung der Aussagen. D e r Ausschnitt des geschlossenen Stadtkerns wurde — verkleinert auf den Maßstab ι : 2 5 0 0 0 — in der ersten Lieferung des Österreich-Atlas bereits veröffentlicht. Diese Karte konnte dank dem Entgegenkommen des Verlags der Publikation beigegeben werden. Die Generalisierung des Weichbildes liegt gleichfalls in ins reine gezeichneten Plänen vor. Die gesamte Darstellung 1 : ioooo wurde der Stadtplanung zur Verfügung gestellt und fand vor allem bei der Erstellung des „Grundkonzepts" und neuen Flächenwidmungsplanes Verwendung. In einer Umzeichnung des Stadtmagistrats bildete sie, flankiert von den beiden Flächenwidmungsplänen, ein Kernstück der Ausstellung der Wiener Stadtplanung im Jahre 1961.

Seidier fand sie weitere Verwendung für Z w e c k e der Stadtplanung, vor allem im

R a h m e n des Instituts für Raumplanung, so für die Berechnung des noch verfügbaren Bauareals und scliließlich für eine Aufgliederung der Bezirke in kleinere stadtgeographische Einheiten (insgesamt rund 220), nach denen nunmehr das Material der letzten Volks- und Häuserzählung im Jahre 1961 aufgearbeitet wird. Der zweite Generalisierungsschritt v o m Maßstab 1 : ioooo auf 1 : 50000 war entscheidender und brachte die Einführung des Begriffesder „Verbauungstypen", d. h. von Komplexen mit charakteristischer Mengung von Bautypen und Landnutzung. Damit wurde bereits, zumindest am offenen Stadtrand, die Stufe einer Gebictsausgliederung erreicht, die auch g e wisse Aussagen über die funktionelle und soziale Wertigkeit enthält. M i t dieser Generalisierung, die gleichfalls in der ersten Lieferung des Österreich-Atlas veröffentlicht wurde, schien zunächst die ursprüngliche Absicht des ganzen Unternehmens, einen Überblick über die Verbauungsstruktur von W i e n zu erlangen, erreicht und eine A u f gabe befriedigend gelöst.

b) E r w e i t e r u n g d e r F r a g e s t e l l u n g u n d n o t w e n d i g e

Ergänzungen

Ein neuer Abschnitt der Untersuchung begann mit dem Versuch, das regionale N e b e n einander der Bautypen in ein Nacheinander aufzulösen und damit eine Erklärung für das oft recht zufällig wirkende Mosaik von Bautypen zu finden. Die Kenntnis der Wiener Entwicklung endet bei H . HASSINGER in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die darauf folgende Zeitspanne der Gründerzeit, die in entscheidender Weise in das B a u - und Funktionsgeftige der Stadt eingegriffen und dieses umgestaltet hatte, w a r

Die Arbeitsgrundlagen

17

bisher ebensowenig untersucht worden, wie der im ganzen geringere Beitrag der Zwischenund Nachkriegszeit. Der nächste Schritt der Arbeit konzentrierte sich daher auf die Gewinnung eines Uberblicks über die großen Entwicklungsperioden der Stadt und ihre Bauleistungen. Ausgehend von der Karte ι : 50000, wurden die Verbauungstypen der Gründerzeit, Zwischenkriegszeit und Nachkriegszeit voneinander abgehoben (Tafeln I—III). Allerdings war die S tadtkartierung in ihrer Anlage von vornherein nicht auf eine solche durchgreifende genetische Analyse zugeschnitten. Wie bereits oben angeführt, fehlt ihr eine zeitliche Einstufung bei allen Nichtwohnbautypen und ebenso bei der städtischen Flächennutzung; auch waren bei den meisten Wohnbautypen Zwischen- und Nachkriegszeit zusammengezogen worden. Es ergab sich somit die Notwendigkeit, durch geeignete Kartenunterlagen eine nachträgliche zeitliche Einreihung dieses genetisch nicht oder nur grob erfäßten Baubestandes durchzuführen. Der Baubestand zu Beginn der Gründerzeit konnte mit Hilfe des 1832 aufgenommenen Franziszeischen Katasters festgestellt werden. Schwierig war die Abtrennung der Gründerzeit von der Zwischenkriegszeit. Der 1912 vom Stadtbauamt herausgegebene Stadtatlas von Wien gibt einerseits den Stand vom Jahre 1906 wieder und reicht andererseits nur bis zur damaligen Stadtgrenze. Außerhalb des Stadtgebietes besteht keine einheitliche Katasteraufnahme. Die Zeitpunkte der Aufnahme variieren zwischen den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts bis herauf zum Ersten Weltkrieg. Eine neuerliche Erkundung konnte wohl Unklarheiten bei den Bauten beseitigen, jedoch nur annähernd die Ausdehnung der Nutzungen zum damaligen Zeitpunkt rekonstruieren. Die Abgrenzung der Zwischenkriegszeit gegenüber der Nachkriegszeit war dagegen verhältnismäßig einfach, da im Zusammenhang mit dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich Luftbildpläne im Maßstab 1 : 5000 von Groß-Wien angefertigt wurden, deren Auswertung eine Trennung der Verbauungstypen und Flächennutzung der Zwischen- und Nachkriegszeit ermöglichte. Mit diesem Arbeitsgang war ein Gesamtüberblick über die wesentlichen Verbauungsgebiete der drei genannten Perioden gewonnen, der für den Stadtrand bereits wichtige Aufschlüsse gab, dagegen für den geschlossenen Kern der Verbauung nur wenig an neuen Aussagen bot. Für das Verständnis der baulichen Entwicklung dieses Kerns wurde eine erneute Detailanalyse durchgeführt. Sie benutzte als Grundlage die vorhandene sozialwirtschaftliche Karte von Wien fur 1770 und unternahm als erstes eine hausweise Rekonstruktion des Baubestandes für 1840 mit Hilfe des Vergleichs von Katastern und Häuserverzeichnissen für den Raum der Altstadt und Vorstädte. Davon ausgehend, wurde mit ähnlichen Hilfsmitteln der Um- und Neubauvorgang der Gründerzeit in seinen einzelnen Phasen hausweise zu rekonstruieren versucht, wobei vor allem die Unterschiede der Wohnbautypen in bezug auf die Bauhöhe, Grundrißgestaltung und Wohnungsstruktur Berücksichtigung fanden. Der Raum der Vororte konnte begreiflicherweise in einem arbeitsmäßig derartig aufwendigen Verfahren nicht bewältigt werden. Hier wurde das Studium der historischen Stadtpläne mit einer stichprobenhaften Auswahl von Bauplänen gekoppelt. Einer Untersuchung leichter zugänglich waren die Bauobjekte der Zwischen- und Nachkriegszeit, da hier gut greifbares, amtliches Material 2 Bobek-Llchtenberger, Wien

Einleitung

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zur Verfügung stand. Doch mußten auch hier die Typen erst herausgearbeitet werden. Die Frage nach den bevölkerungsmäßigen und sozialwirtschaftlichen Hintergründen der baulichen Entwicklung stellte sich bereits von Anfang an, doch führte die immer stärker vertiefte Beschäftigung mit den Erscheinungen zu einer immer größeren Zahl von Fragen. Die in zahlreichen Aufsätzen und Monographien weit verstreute und sehr lückenhafte Literatur über Wien wurde herangeholt, um zumindest die wichtigsten beantworten zu können. Verschiedene kleine Studien, erneute Begehungen und Befragungen wurden gleichsam als Pfähle zur Abstützung des dadurch gewonnenen Wissens in den noch recht wenig aufbereiteten Boden der Stadtforschung von Wien getrieben. Große Schwierigkeiten entstanden bei der Verwertung von statistischem Material nicht nur durch die häufigen Verschiebungen der administrativen Grenzen in den letzten 100 Jahren, sondern vor allem durch den häufigen Wechsel der Begriffe (vgl. Anmerkungen). In dem Bestreben nach einer Quantifizierung der Erscheinungen wurde große, zum Teil vergebliche Mühe darauf verwendet, durch Umrechnungen und Interpolationen diese Mängel auszugleichen. Die regionale Besonderung der Entwicklung drängte sich bereits bei den ersten historischen Querschnitten und auch später bei der Einzelanalyse des Baugeschehens immer wieder auf. U m zu einer regionalen Gliederung der Stadt zu gelangen, war jedoch noch eine intensive Beschäftigung mit den älteren historischen Voraussetzungen vor allem im Vororteraum, mit historischen Verkehrswegen, Siedlungen, Nutzungen und Grenzen notwendig. Wenn man von den Heimatkunden und ihrem oft recht wertvollen Material absieht, fehlte auch hier eine brauchbare Grundlage. Sie in voller Breite zu schaffen war unmöglich. Mit Hilfe von Einzelstudien wurde versucht, zu den wesentlich scheinenden Strukturmerkmalen und Entwicklungsreihen der historisch erwachsenen Verbauungsgebietc vorzudringen2). Es ist begreiflich, daß bei einem so umfangreichen Untersuchungsobjekt, einer Millionenstadt, nicht allen Verbindungsfäden nachgegangen werden konnte. Eine weitgespannte Grundlagenforschung und viele Detailuntersuchungen — vor allem auch von Seiten der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte — wären noch notwendig, um unser noch sehr lückenhaftes Wissen von der neueren Entwicklung Wiens auf eine der Bedeutung der Stadt entsprechende, breite Basis zu stellen.

3. BEMERKUNGEN Z U R LITERATUR An die Spitze der Ceographen, die über Wien gearbeitet haben, muß der Name Hugo FIASSINGER gestellt werden. Uber ein halbes Jahrhundert verteilen sich die verschiedenen Arbeiten, in denen sich der langjährige Vorstand der Kulturgeographischen Lehrkanzel der Universität immer wieder im einzelnen oder im großen Überblick mit Wien auseinanderge2) Mit Rücksicht

darauf, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit im wesentlichen um die Dar-

stellung eigener Untersuchungsergebnisse handelt, lichen Apparat verzichtet werden. besprochenen Fakten.

konnte u. E. auf einen umfangreichen wissenschaft-

Die Fußnoten bringen also im allgemeinen Detailangaben zu den

Bemerkungen zur Literatur

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setzt hat. In der intimen Kenntnis der Stadt, ihres baulichen Gefuges, ihres Geistes, ihrer wirtschaftlichen Grundlagen, zu der ihn die Kartierung ihres alten Baubestandes geführt hatte, war HASSINGE» unübertroffen. Seine späteren Arbeiten über Wien stellen stärker die größeren historisch-politischen Zusammenhänge heraus und erörtern die einmalige Lage der Stadt in ihrer Landschaft und im mitteleuropäischen Raum. Die dem Besonderen und Individuellen zugewandte Betrachtungsweise HASSINGERS wird später durch die mehr formal-typologische Adalbert KLAARS ergänzt, der, gleichfalls aus reicher eigener Kartierungserfährung schöpfend, in mehreren Aufsätzen einen Aufriß der baulichen Entwicklung Wiens gab. Mit der Nennung dieser beiden Forscher ist bereits das wesentliche geographische Schrifttum über Gestalt und Werden der Stadt umrissen. Dazu tritt aber eine beachtliche Zahl von Arbeiten, die von verschiedensten Blickpunkten aus, von anderen Wissenschaften oder auch einfach von praktischen Bedürfnissen des Lebens her, zur jüngeren baulichen Entwicklung Wiens Stellung genommen haben. Häufig hat die aktuelle Problematik des Baugeschehens Darstellungen hervorgerufen, denen bedeutender Quellenwert zukommt. Überblickt man die Reihe der einschlägigen Arbeiten, deren Zusammenstellung im Literaturverzeichnis keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, so fallt sofort der tiefe Einschnitt des Ersten Weltkrieges als ein Wendepunkt auf, der sich in dem grundlegenden Wandel der Organisationsformen der Bautätigkeit deutlich ausprägt. Diese in erster Linie von Architekten, Statistikern, Volkswirtschaftlem, Nationalökonomen und Politikern stammenden Publikationen bilden ein recht heterogenes Material, aus dem man nur ein bruchstückhaftes Bild des baulichen Geschehens und seiner sozialwirtschaftlichen Hintergründe gewinnen kann. Manche Mängel der vorliegenden Darstellung ergeben sich daraus, daß ihr so gut wie jede Rückendeckung von Seiten der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fehlt. Auf diesem Felde gilt leider noch heute die von O. BRUNNER schon vor über drei Jahrzehnten getroffene Feststellung, „daß für die neuere und neueste Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wiens noch so gut wie alles zu tun sei." Das jüngste Handbuch zur Geschichte Wiens von O. WALTER 1940 läßt diese Tatsache deutlich erkennen und trägt ihr durch einen Rückzug auf die Ebene der Kulturgeschichte im engsten Wortsinn Rechnung. Der wissenschaftsoflene Geist der Gründerzeit hatte vor allem auf dem Gebiete der statistischen Dokumentation zu bedeutenden Leistungen gefuhrt. Man kann von einer Blütezeit der österreichischen Statistik sprechen. Es ist die Epoche, in der man sich bemüht — im Streben nach Gewinnung neuer Erkenntnisse, zum Teil wohl auch nur aus reiner Freude an der Erprobung von statistischen Verfahrensweisen — alle Korrelationsmöglichkeiten der statistischen Bestandsmassen auszuschöpfen. So entstand das Werk von A. SCHIMMER über die „Bevölkerung von Wien und seiner Umgebung nach dem Beruf und der Beschäftigung 1870", in dem dank der administrativen Selbständigkeit der Vorortgemeinden die großen sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede noch nicht durch die spätere bezirksweise Zusammenfassung verwischt sind. Die heute zu Unrecht vergessene Publikation stellt eine wahre Fundgrube fur die Zustände in Wien um die Wende der Früh- zur Hochgründerzeit dar.

20

Einleitung

In klassisch gewordenen Studien untersuchte ferner H. RAUCHBEBC die Herkunft der Wiener Bevölkerung 1890. In verschiedenen Schriften nahm er später auch zum Wohnungsproblem Stellung. In einer gleichfalls grundlegenden Untersuchung wurden die Wohnverhältnisse Wiens um 1890 von H. SEDLACEK studiert. Es ist sehr zu bedauern, daß diese höchst wertvollen Arbeiten, die auf dem Urmaterial des 1869 beginnenden Volkszählungswerkes beruhen, durchwegs ohne Nachfolge geblieben sind. Die weitere Literatur wurde hauptsächlich von Architekten, Nationalökonomen und Sozialpolitikem getragen. So fänden die großen öffentlichen Bauten der Glanzzeit Wiens durch die damit verknüpften Wettbewerbe ihren Niederschlag im Schrifttum. In den Diskussionen um die Bauordnungen wurden erste Ansätze einer Planung deutlich. Der Österreichische Ingenieur- und Architektenverein bildete dabei den Sammelpunkt aller mit der Stadtregulierung und dem Städtebau verbundenen Kreise. Das auf die Dauer nicht zu übersehende Problem der Wohnungsnot vor allem der unteren Bevölkerungsschichten wurde zu einem Hauptanliegen der Sozialpolitiker und Nationalökonomen, die sich wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in der Zentralstelle für Wohnungsreform in Österreich zusammenfanden. Ihre meist vor einem akademischen Forum vorgetragenen Konzepte konnten sich jedoch gegenüber dem im wesentlichen noch immer liberalen Wirtschaftsgeist nicht durchsetzen, und daher fand das den kommunalen Wohnbau der Zwischenkriegszeit so entscheidend befruchtende Programm des Arbeiterwohnbaues vor dem Ersten Weltkrieg nur eine bescheidene Verwirklichung. Die Diskussion über die Wohnungsnot verbindet als roter Faden das Schrifttum der Gründerzeit mit dem der Zwischenkriegszeit. Sie verlagert sich aber auf eine völlig andere Ebene, die auch das konkrete bauliche Geschehen wesentlich beeinflußt, nämlich auf die Bühne der politischen Auseinandersetzungen zwischen der eher konservativen christlichsozialen Richtung und der 1918 mit großer Mehrheit ins Rathaus einziehenden Sozialdemokratischen Partei. Ein großenteils polemisches Schrifttum erschöpft sich vor allem in positiver und negativer Stellungnahme zur Baupolitik der Gemeinde. Eine offizielle Dokumentation des „sozialen Wohnungsbaus" tritt ihm zur Seite, wir sind daher über dessen Bautypen und Wohnungsstruktur viel besser unterrichtet als über diejenigen der Gründerzeit. Die wirtschaftlichen und sozialen Phänomene der Zwischenkriegszeit, die Umstellungskrise der Wirtschaft, die völlige Ausschaltung des Adels, der Zusammenbruch des Bürgertums bzw. die Nivellierung des Mittelstandes, waren wohl als Schlagworte geläufig, fanden aber überhaupt keine Untersuchung. Das große Städtewerk über Wien, das die Gemeinde in 4 Bänden 1926 herausbrachte, ist bezeichnenderweise nicht eine Darstellung der Stadt, sondern eine der kommunalen Einrichtungen. Es drängt sich die Parallele mit dem Werk von P. KORTZ aus der Gründerzeit auf, in dem die großen öffendichen Anlagen, somit also die Leistungen des Staates in der Stadt, ihre Würdigung gefunden haben. Dieser Dokumentation von Leistungen der öffentlichen Hand bleibt auch das in der Nachkriegszeit erschienene umfangreiche Werk „Wien um die Mitte des X X . Jahrhunderts" treu. Auch hier liegt, abgesehen von heimatkundlichen und kunsthistorischen Abschnitten

Bemerkungen zur Literatur

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und dem Aufsatz von A. KLAAR über die bauliche Entwicklung Wiens, das Schwergewicht auf den Ausführungen über die kommunalen Einrichtungen. Ansonst wurde aber in der Naclikriegszeit ein neues Kapitel in der wissenschaftlichen Erforschung Wiens aufgeschlagen. Auf der einen Seite setzte sich bei der Stadtplanung allmählich d'e Einsicht von der Notwendigkeit einer Grundlagenforschung durch und führte zu einer Förderung von Arbeiten, die die Erhellung der gegenwärtigen Struktur Wiens zum Ziele haben. Andererseits entstanden, begünstigt von der wirtschaftlichen Konjunktur, neue Institute offiziöser Art, von denen gleichfalls Beiträge zu erwsrten sind. In diesem Zusammenhang müssen das Institut fiir Raumplanung, das Institut für katholische Sozialforschung und das Institut für Bauforschung genannt werden, die sich in ihren Untersuchungen auch mit Wien beschäftigen und zur Hoffnung Anlaß geben, daß in Zukunft wieder eine breitere und vielseitigere wissenschaftliche Bearbeitung unserer Stadt Platz greifen wird. Sehr zu begrüßen wäre auch, wenn die in der Zwischenkriegszeit von einer Arbeitsgemeinschaft von Lehrern begonnene Herausgabe einer Reihe von Bezirksheimatkunden eine Fortsetzung fände. Ungeachtet ihrer Uneinheitlichkeit hinsichtlich Grundlagen und Verarbeitung, stellen diese Bezirksheimatkunden doch wertvolle Beiträge, manchmal sogar ausgesprochene Fundgruben fur das Verständnis der regionalen Struktur Wiens dar und müssen daher auch in diesem Uberblick Erwähnung finden.

ERSTER

TEIL

DIE PERIODEN DER BAULICHEN ENTWICKLUNG SEIT DER MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS

A. DIE ENTWICKLUNGSPERIODEN WIENS IN DER NEUZEIT Die großen Perioden der neuzeitlichen Entwicklung Wiens werden teils durch die Zäsuren tiefgreifender politischer Ereignisse klar gesondert, teils fließen sie ohne scharfe Grenzen ineinander. Das mittelalterliche Werden der Stadt verdient mehr das Interesse des Historikers als des Geographen, denn nur das engmaschige Straßennetz der Altstadt, welches in unmittelbarer Anlehnung an den Mauerzug des römischen Castrums entstand, einige kunstgeschichtlich wertvolle Sakralbauten sowie die Mauerkerne weniger Häuser überdauerten die zahlreichen U m - und Neubauten der Neuzeit. Seit dem 16. Jahrhundert wurde die am Rande der Stadt gelegene ehemalige Babenbergerburg zum Ausgangspunkt einer Entwicklung, die mit dem Schlagwort Umwandlung der gotischen Bürgerstadt zur barocken Residenz gekennzeichnet werden kann. Dieser trotz mehrfacher späterer Uberschichtungen noch im heutigen Baubestand wesentlich nachwirkende, komplizierte Vorgang erfüllte die eineinhalb Jahrhunderte zwischen den beiden Türkenbelagerungen von 1529 und 1683, fand jedoch seine bauliche Krönung und Vollendung erst nach der zweiten, siegreich abgeschlagenen Invasion des Halbmonds. Verschiedene Faktoren begünstigten diese durchgreifende Umgestaltung. Bereits im 15. Jahrhundert hatte Wien viel von seiner einstigen Stellung im Fernhandel an die oberdeutschen Kaufleute verloren. Im 16. Jahrhundert war es im Begriff, zu einer „Stadt der Krämer und des Kleingewerbes" herabzusinken. Z u dem wirtschaftlichen gesellte sich auch der politische Abstieg. Nach generationenlangem ungleichen Ringen zwischen dem verarmenden Wiener Patriziat und dem Landesfürsten wurde 1522 mit dem Wiener Neustädter Blutgericht der Schlußstrich unter die Wiener Aspiration auf Reichsfreiheit gezogen. Die neue, von Ferdinand I. diktierte Stadtverfassung von 1525 besiegelte den Verlust der städtischen Autonomie und Bürgerfreiheit.

Α. Die Entwickjungsperioden Wiens in der Neuzeit

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Diese wirtschaftlich erschütterte, politisch gebrochene Stadt wählten nun die Habsburger, deren Dynastie inzwischen zur Weltgeltung aufgestiegen war, wohl ihrer vorzüglichen Lage wegen, 1533, nach fast ioo-jähriger Abwesenheit, zur Hauptresidenz ihres deutschen Zweiges und damit zum Zentrum ihres östlichen Machtbereichs. Die um diese Zeit in Mitteleuropa allgemein einsetzende Urbanisierung des Adels gewann damit für Wien, das bald auch Kaisersitz wurde, eine ganz besondere Bedeutung. Die immer prunkvoller sich entfaltende Hofhaltung sowie die an Gewicht und Umfang ständig zunehmenden Zentralstellen der Regierving zogen eine Menge von Angehörigen des hohen und niederen Adels, Mächtige und Glücksritter nicht nur der weitverstreuten habsburgischen Länder, sondern aus ganz Europa an sich und brachten der Stadt eine tonangebende Schicht von internationalem Charakter. Einen besonderen und wichtigen Beitrag hierzu lieferte die vom Geiste der Gegenreformation getragene „Klosteroffensive", welche die seit dem Mittelalter bestehende Zahl der Klöster, Kirchen und Stifte wesentlich vermehrte und deren deutschen Charakter zeitweise in einen vorwiegend italienisch-spanischen umwandelte. Im Zuge dieser beiden Vorgänge geriet die bürgerliche Schicht der Kaufleute und Gewerbetreibenden immer mehr ins Hintertreffen. Dies äußerte sich nicht nur in einer zunehmenden Umschichtung des Haus- und Grundbesitzes, sondern auch in einer damit Hand in Hand gehenden baulichen Umformung des Stadtkörpers, die dem Repräsentationsbedürfnis von Hof, Adel und Kirche Rechnung trug. Dabei kam auch der Geschmackswandel von der Gotik zum Barock voll zum Ausdruck. Die Perspektivansicht von HUFNAGEL aus dem Jahre 1609 zeigt zwar zum überwiegenden Teil noch schmale gotische Giebelhäuser, darwischen schieben sich aber gassenweise breitfrontige Vierkanter der Renaissance ein, die meist bereits Angehörige der neuen Oberschicht zu Bauherren hatten. Die neue Baugesinnung wie die neue soziale Schichtung gelangten aber erst nach 1683, d. h. nach der siegreichen Abwehr der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen, zur vollen Entfaltung. Das Jahr 1683 gilt nicht zu Unrecht als einer der wichtigsten Marksteine der Entwicklung Wiens in der Neuzeit. Die anderthalb Jahrhunderte ständiger Bedrohung durch die osmanischen Angriffe, während deren die ursprünglich nur von schwachen Mauern umgürtete mittelalterliche Stadt zur stärksten Festung des christlichen Abendlandes ausgebaut worden war, gehörten jetzt endgültig der Vergangenheit an. Durch den nun folgenden kraftvollen Ausgriff der Habsburger in das südliche Mitteleuropa wurde Wien aus seiner jahrhundertealten Grenzlage befreit und in den Mittelpunkt eines mächtig aufstrebenden Großstaates gerückt. Als glanzvolle Kaiserresidenz erlebte die Stadt in den anschließenden Dezennien politischer Machtentfaltung und wirtschaftlicher Blüte eine starke und kontinuierliche Bevölkerungsvermehrung und ihre große hochbarocke Bauperiode (1683 — ca. 1770). In diesen neunzig Jahren kam es zur Verdoppelung der Einwohnerzahl, die von 80000 auf mehr als 160000 anstieg. N u r in der kapitalistisch-liberalen Ära der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Intensität des Wachstums übertroffen. Man könnte fast sagen, daß die Stadt in diesem hochbarocken Jahrhundert „ v o m Bauen und für das Bauen" lebte.

Hochbarockc Bauperiode und Manufakturzcitaltcr

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Reihenweise wurden nun die schmalen gotischen Giebelhäuser abgetragen und auf den zusammengelegten Bauparzellen stattliche barocke Micthäuscr, prachtvolle Adelspaläste, Kirchen und Klöster errichtet. Mit dieser durchgreifenden Umwandlung der Altstadt verband sich ein Hinausdrängen der Gewerbetreibenden in die Vorstädte, deren Wachstum vor allem auch durch den stark anschwellenden Zuwandererstrom gespeist wurde. Wien verdankt dieser Epoche den Kranz seiner Vorstädte, die bisher wegen der ständigen Türkenbedrohung nur ein prekäres Dasein hatten führen können. Nun breiteten sie sich unglaublich rasch innerhalb des 1704 errichteten Linienwallcs (heute Gürtel) aus. Anläßlich der Konskription 1779 zählten sie bereits 3832 Häuser, d. h. mehr als das Dreifache des Bestandes der Altstadt, deren Häuserzahl sich freilich infolge der Umbautätigkeit nicht unbeträchtlich verringert hatte, und beherbergten einen hohen Anteil der auf 192000 Einwohner angewachsenen Gesamtbevölkerung (Abb. 20, 23). Ihre Ausgangssituation war recht unterschiedlich. Teils knüpften sie an die von den Türken zerstörten Vorläufer an, teils wurden sie auf grünem Anger neu gegründet oder entstanden spontan an den Ausfallstraßen. Dabei kam es zu einer baulichen und sozialwirtschafdichen Differenzierung, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts bereits recht ausgeprägt war und bis heute nachwirkt. Die Bautypen der Vorstädte spiegeln in ihrer Spannweite die ganze Hierarchie einer feudalen Gesellschaft mit dem kaiserlichen Hof an der Spitze deutlich wider. Neben den weiträumigen, von großen Parks umgebenen Sommerpalästen des Adels, denen in bescheidener Form auch manche bürgerliche Landsitze nacheiferten, drangen bereits die ersten mehrgeschossigen Mietobjekte in das sonst hauptsächlich von den Eigenhäusern der Handwerker und Gewerbetreibenden bestimmte Baugefuge ein. Abgeleitet v o m dörflichen Gehöft, entstand der heute noch in Resten erhaltene Grundtyp des barocken Vorstadthauses: Sein Straßentrakt hatte sechs bis sieben Fensterachsen, ein bis zwei Geschosse und eine Einfahrtstorhalle in der Mitte. Den tiefen Hofraum säumten schmale, vorwiegend ebenerdige Bauten, die Werkstätten und Ställe sowie Kleinstwohnungen der nichtbürgerlichen Handwerker, Gesellen und Arbeiter beherbergten (Abb. 21). Schon während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts warf die Stadt im Westen eine erste Welle der Bautätigkeit über den Linienwall hinaus. W o h n - und Gewerbesiedlungen entstanden hier im Bereich der späteren Vororte meist in direkter Nachbarschaft und in engem funktionellen Zusammenhang mit den anstoßenden Vorstädten, entweder spontan oder in Form von grundherrlichen Planungen, als Keimzelle künftiger Verbauung (Fünfhaus, Neulerchenfeld). — In dem Aufschwung der gewerbereichen Vorstädte zeichnete sich bereits der nächste Entwicklungsabschnitt Wiens ab, der, politisch mit dem aufgeklärten Absolutismus verbunden, in wirtschaftlicher Hinsicht auf der Blüte des staatlich geforderten Manufakturwesens im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert beruhte. Im Manufakturzeitalter (1770—1840) setzte sich das Wachstum Wiens nachdrücklich fort. Die Einwohnerzahl stieg von 160000 auf 440000 (im Jahrzehnt + 40000). Neue soziale Schichten betraten dieBühne des baulichen Geschehens. Reichgewordene Unternehmer

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A . Die Entwicklungspcrioden W i e n s in der Neuzeit

der Manufakturen und „Fabriken", Bankiers, Großhändicr und die Spitzen der Bürokratie wurden nun zu den Repräsentanten eines „großbürgerlichen" Wiens, das im klassizistischen und im Biedermeierstil des Vormärz auch einen eigenen architektonischen Ausdruck fand. Die Blütezeit der großen Adelspuläste näherte sich ihrem Ende, umsomehr als viele adelige Familien ihr Vermögen überbeansprucht hatten. Nüchterne staatliche Zweckbauten und einfache bürgerliche Wohn- und Miethäuser bestimmten mehr und mehr das Bild der kontinuierlich weiterwachsenden Vorstädte. Dabei kam es zu einem bezeichnenden Wandel in der Grundrißgestaltung der Wohnhäuser. Die bisher übliche mehr individuelle Anlage der R ä u m e und Wohnungen begann einer schematischen Anordnung zu weichen, wie sie der große Bedarf an Wohnungen ebenso wie die betont rationale Geistcshaltung fast zwangsläufig mit sich brachten. Der Ursprung des modernen Massenmiethauses liegt in dieser Zeit, in der auch die Unterschiede zwischen den Wohnbauten der Altstadt und der Vorstädte schrittweise ausgeglichen wurden. Allerdings reichte die bauliche Dynamik des Manufakturzeitalters doch nicht eigentlich zur Schaffung eines neuen Vorstadtringes außerhalb der Linie aus. Die Bautätigkeit blieb vielmehr überwiegend dem weitgespannten räumlichen Rahmen der verhaftet,

deren

Verbauung

aber

durch

die

Anlage

von

Barockvorstädte

Durchbruchsgassen

ver-

dichtet wurde. A u f dem Hintergrund einer alle bisherigen Größenordnungen sprengenden Bevölkerungszunahme vollzog sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der steile Aufstieg Wiens zur Weltstadt. Betrug die Einwohnerzahl der Agglomeration (Altstadt, Vorstädte und noch nicht eingemeindete Vororte) um 1840 erst rund 440000, so überschritt sie 1 9 1 0 die Zweimillionengrenze. Diese im Zeichen der uneingeschränkten Entfaltung Uberalistisch-kapitalistischer Ideen stehende Periode von etwa acht Jahrzehnten (1840 — 1918), unter deren Impulsen die Industrialisierung der Monarchie erfolgte, soll hier unter dem Namen ,,Gründerzeit" zusammengefaßt werden. Sie ist die bisher bedeutendste Bauperiode Wiens, als deren Hauptvertreter Massenzinshaus und Fabrik erscheinen. An den barocken, im Manufakturzeitalter kaum vergrößerten, sondern nur stark verdichteten Vorstadtkranz wurde nun ein zweiter und wesentlich breiterer R i n g gesclilossener Verbauung angegliedert, welcher einen Großteil der ehemaligen Vororte überwuchs. Gleichzeitig wurde auch der alte Baubestand in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß umgeprägt. Nicht weniger als drei Viertel des vor 1840 vorhandenen Bestandes an Wohnhäusern in der Innenstadt und den Vorstädten wurden abgerissen und neu aufgebaut. Z u m zweitenmal kam es zu einem Abströmen großer Bevölkerungsteile, die dem Druck der ansteigenden Bodenrente nicht gewachsen waren, aus der inneren Stadt in die neuerschlossenen peripheren Vorortbereiche, w o auf grünem Anger eintönige Mietskasernenviertel im Rasterschema entstanden, die überwiegend Kleinstwohnungen enthielten. Materialmäßig solide gebaut und daher noch nicht völlig abgewohnt, bilden sie heute als ein „würgender R i n g " ein schwieriges Erbe der Gründerzeit für die moderne Stadtplanung, umsomehr, als noch gegenwärtig zwei Drittel aller Wiener Wohnungen dieser Bauperiode entstammen.

Gründerzeit und Zerfall der Monarchie

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In dieser Zeit der liberalen Wirtschaftsauffassung wurde der Wohnhausbau, der schon bisher gelegentlich größeren Grundbesitzern als Einkommensquelle gedient hatte, vollends zum Spekulationsobjekt. Es waren nun vor allem kapitalstarke Baugesellschaften, die in den verschiedenen Phasen den Verbauungsgrad und die Geschoßhöhe laufend bis zur äußersten Grenze hinaufschraubten. Diese Grenze wurde schließlich von der öffentlichen Hand gesetzt. Die Bauvorschriften beschränkten sich allerdings hauptsächlich auf eine Reglementierung der Fluchtlinien, der Bauhöhen und Straßenbreiten und — dies war ein erster funktioneller Gesichtspunkt — ab 1893 auf die Ausgrenzung von Industriezonen im Süden, später im Osten der Stadt. Damit wurde der schon seit längerem im Werden begriffenen Schwerindustrie- und Lagerplatzzone an den äußersten Rändern des geschlossenen Wohngürtels teilweise Rechnung getragen. Die Schleifung der Basteien ab 1857 gab der staatlichen Repräsentation die Möglichkeit, im Rahmen der Ringstxaßenverbauung auf dem ehemaligen Festungsgelände großartige öffentliche Bauten zu errichten, in denen die glanzvolle Tradition des barocken Palastbaues, freilich unter anderen Vorzeichen, noch einmal auflebte. Die staatliche Verwaltung griff auch sonst mit großen technischen Anlagen sehr wesentlich in das Erscheinungsbild der Stadt ein. Sie wies namentlich durch die Anlage der Eisenbahnen und ihrer Bahnhöfe sowie durch die Donauregulierung dem künftigen Wachstum entscheidende Richtungen, zog aber gleichzeitig damit auch neue hemmende Schranken. Bei den verschiedenen städtischen Einrichtungen, dem innerstädtischen Verkehr, dem Gesundheitswesen, nicht zuletzt den kulturellen Institutionen, zehrt Wien noch heute von den großzügigen Investitionen dieser Epoche, die, viel gelästert, letztlich die Struktur und das Funktionsgefiige der Stadt bis in unsere Gegenwart hinein maßgebend bestimmt hat. Im Zuge des Aufschwungs der städtischen Verwaltung und Wirtschaft wurden übrigens in der Spätgründerzeit im Rahmen des vieldiskutierten „Munizipalsozialismus" unter Bürgermeister LUEGER auch bereits wesentliche Fundamente für die Wohnbaupolitik der Gemeinde nach 1918 gelegt. Der vorausschauenden Eingemeindungspolitik des Magistrats gelang es 1890, der Stadt die Wachstumsspitzen im westlichen und südlichen Vorortebereich einzuverleiben. 1904 wurden sogar ausgedehnte, damals noch rein agrarische Flächen des Marchfelds dem Verwaltungsgebiet der Stadt angeschlossen. Das Projekt des Ausbaus dieses neuen, jenseits der Donau gelegenen Stadtgeländes, in dem nach dem Generalregulierungsplan Raum für eine Million Menschen hätte geschaffen werden sollen, gelangte jedoch nicht mehr zur Ausführung. Mit einer einzigen städtischen Brückenkopfbildung am anderen Donauufer trat die Stadt in die unter völlig veränderten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen stehende Zwischenkriegszeit ein. Der Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie trennte Wien jäh und unvermittelt von dem größeren Teil seines ausgedehnten und mannigfach ausgestatteten Einflußgebietes. Die Haupt- und Residenzstadt eines Reiches von 52 Millionen sank über Nacht zur überdimensionierten, exzentrisch gelegenen Hauptstadt eines Kleinstaates herab. Die

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Α. Die Entwicklungsperioden Wiens in der Neuzeit

liierdurch bedingten Anpassungsschvvierigkeiten wurden durch den Umstand, daß die Zwischenkriegszeit größtenteils im Banne der Weltwirtschaftskrise stand, noch wesentlich verschärft. Ungeachtet eines zunächst beträchtlichen Bevölkerungsrückgangs durch Abwanderung fremdsprachiger Bevölkerungsteile blieb die Wohnungsnot weiterhin außerordentlich drückend, da die Zahl der Haushalte ständig zunahm. Neben der Arbeitslosigkeit, die in den Dreißigerjahren über ein Drittel aller Arbeiter ergriff, wurde sie zum Kardinalproblem der Stadt während der Zwischenkriegszeit. Das aus einer kriegsbedingten Verordnung hervorgegangene Mieterschutzgesetz (1922) schuf eine zunehmende Immobilität auf dem Wohnungsmarkt und der damit verbundene Mietenstopp — so wohltätig er zunächst empfunden werden mochte — lahmte und entwertete mit einem Federstrich das gewaltige im Hausbesitz steckende Kapital und erstickte jäh den privaten Miethausbau. Auf diese Weise wurde der „soziale Wohnungsbau" zum Programm Nr. 1 der ab 1918 sozialdemokratischen Stadtverwaltung. Die seit 1923 errichteten Groß wohnanlagen mit zum Teil jeweils über 1000 Wohnungen stellten in ihren Dimensionen die gründerzeitlichen Zinskasernen weit in den Schatten. Wohl brachten sie gewisse, zum Teil wesentliche Verbesserungen in der inneren und äußeren Ausstattung, blieben jenen aber durch die vorherrschende Kleinstwohnungsstruktur auf das engste verbunden. Sie waren zugeschnitten auf die breite, einkommensschwache Unterschicht der Bevölkerung, die gleichzeitig auch in einer spontanen, zum Teil in ungeregelten und behelfsmäßigen Formen erfolgenden Siedlungsbewegung von einer ausgedehnten Stadtrandzone Besitz ergriff. Im Zuge dieser aus Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot geborenen Bewegung breiteten sich Übergangsnutzungen verschiedener Prägung, Schrebergärten, Behelfs- und Kleinhausgebiete an fast allen Rändern der Stadt, vor allem aber im Osten der Donau, diffus aus. Das Ende des ZweitenWeltkriegs leitete eine neue Epoche ein. Die Nachkriegszeit brachte dem wieder erstandenen österreichischen Staate die erste echte Konjunktur seit dem Ende der Monarchie. Die damit erneut auflebenden Möglichkeiten privater Neubautätigkeit wurden indessen durch die damit zwangsläufig verbundene außerordentliche Steigerung der Grundverkehrswerte weitgehend eingeschränkt. Die Gemeinde beherrscht deshalb nach wie vor die bauliche Entwicklung der Stadt mit rund 75% des Neubauvolumens. Aber an die Stelle der „Baulückenpolitik" der Zwischenkriegszeit tritt nun unter der neuen Devise „vom sozialen Wohnungsbau zum sozialen Städtebau" zum Teil die Planung völlig neuer Stadtviertel vor allem im Süden am Laaerberg und rings um Floridsdorf. Im Vergleich zur Zwischenkriegszeit erfahren die verwendeten Wohnungstypen eine stärkere Differenzierung und gewisse Verbesserungen. Wohnblockverbände moderner Art treten an die Stelle der Wohnhöfe. Dank steigender Prosperität gelang es der Nachkriegszeit schon bisher, das Erscheinungsbild von Wien in erfreulicher Weise zu verbessern. So wurden erstens die vorhandenen Bombenlücken nahezu völlig geschlossen (Wien hatte am Wohnhausbestand 1 3 % , an den Industrieanlagen 25% Totalschäden erlitten) und zweitens verschiedene Sanierungen abbruchreifer Wohnviertel durchgeführt. Am offenen Stadtrand hat eine weitgehende

Nachkriegszeit

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Aufwertung der Behelfsheimquartiere der Zwischenkriegszeit als Ergebnis privater Initiative stattgefunden. Aus der Konjunktur empfing auch die Industrie, die während der Ersten Republik schwer darniedergelegen hatte, neue Impulse. Zahlreiche Umbauten sowie eine Reihe von Neugründungen von Betrieben, vor allem im Süden und Südwesten, zum Teil auch außerhalb der Stadtgrenze, bezeugen, daß Wien im Zuge dieser Konjunktur seine Stellung zu konsolidieren vermochte. Auch die wieder einsetzende Errichtung größerer öffentlicher Bauten, bei denen vor allem auf verschiedenen humanitären und kulturellen Feldern bereits ein dringender Nachholbedarf bestand und weiter besteht, mag ebenso wie einige Ansätze zur Verbesserung des innerstädtischen Verkehrs als begrüßenswertes Zeichen dieser Konsolidierung gewertet werden, die durch die Stagnation der Bevölkerungszahl zweifellos erleichtert wird. Dies bedeutet eine große Chance fiir die bauliche Ausgestaltung der Stadt, die in allen Bereichen auf eine Verbesserung der gegenwärtigen Verhältnisse abzielen kann.

Β. DIE BAULICHE ENTWICKLUNG IN DER GRÜNDERZEIT (1840—1918) I. DIE ALLGEMEINEN SOZIALEN UND WIRTSCHAFTLICHEN VORAUSSETZUNGEN Die bauliche Entwicklung Wiens in der Gründerzeit mit ihrem alle bisherigen Grenzen sprengenden Ausmaß beruhte auf der zunehmenden Durchsetzung der kapitalistischliberalis tischen Auffassungen in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Tätigkeit. Beim Abbau der alten sozialen Organisationsformen und Wirtschaftsweisen ging es nicht ohne schwere Krisen und Erschütterungen ab. A m stärksten war die Ubergangsphase der Frühgründerzeit (1840—1870) davon betroffen, in der sich die neue innenpolitische Linie des Liberalismus nach den blutigen Revolutionskämpfen von 1848 und der darauf folgenden Reaktionsperiode endgültig erst 1859 durchsetzte. Die klassische Form des liberalen Systems wurde in der Hochgründerzeit (1870—1890) erreicht, während sich in der Spätgründerzeit (1890 — 1918) bereits unverkennbar Reformbestrebungen abzeichneten, die auf eine Eindämmung gewisser Auswüchse des liberalen Wirtschaftsprinzips hinzielten. In den folgenden Ausführungen, die zum besseren Verständnis der Grundlagen der Bauentwicklung dienen mögen, soll unter Zugrundelegung dieser Gliederung in Früh(oder auch Vor-), Hoch-und Spätgründerzeit zunächst skizzenhaft der allgemeine Strukturwandel im Hinblick auf Bevölkerung, Gesellschaftsaufbau und Wirtschaft dargelegt werden. 1. BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG UND GENERATIVE S T R U K T U R a)

Bevölkerungszunahme

Als erste und wichtigste Tatsache muß wohl die Bevölkerungszunahme erscheinen, die ja den unmittelbaren Anlaß zur baulichen Entwicklung der Stadt gab (vgl. Tafel IX). Imlahre 1840 zählte Wien 440000 Menschen. Bereits in der Vorgründerzeit verdoppelte sich die Einwohnerzahl von Wien als Agglomeration, d. h. einschließlich der Vororte, aut 843 000 im lahre 1870. Bis zur Jahrhundertwende verdoppelte sich die Bevölkerung noch einmal (1900: 1 643 000Einwohner). Dabei verlagerte sich das Schwergewicht der Zunahme endgültig von den alten Vorstädten auf den Gürtel der Vororte. Gleichzeitig machte sich die Citybildung stärker bemerkbar. Dann ließ das Tempo des Wachstums etwas nach. Immerhin erreichte Wien im Jahre 1918, knapp vor dem Zusammenbruch der Monarchie und teilweise

Bevölkerungsentwicklung und generative Struktur

31

kriegsbedingt infolge des Zustroms von Flüchtlingen, mit 2 238 545 Einwohnern den absoluten Maximalstand seiner Bevölkerung. TABELLE X:

D a s B e v ö l k e r u n g s w a c h s t u m v o n W i e n in der G r ü n d e r z e i t Einwohnerzahl

Entwicklungsphasc

1840 1870 1890

440000

Frühgründerzeit Hochgründerzeit Spätgründerzeit

2,19 2,33 2,03 1,39

843000 1342000

1910

2 005000

1918

2 238000

Durchschnittliche jährL Wachstumsrate in %

TABELLE 2 :

Die

zonale Verschiebung

der B e v ö l k e r u n g w ä h r e n d

der

Gründerzeit Altstadt Einwohner 1870

64000

1890

67000

1910

53 0 0 0

% 7,6 5,0 2,6

Vorstädte Einwohner 537000 723000 941000

0/ /o

63,7 53,8 47,0

Vororte Einwohner 242000 552000 1011000

0/ /o

28,7 41,2 50,4

In unterschiedlichem Ausmaß trugen die zwei Komponenten Zuwanderung und Geburtenüberschuß im Laufe der Gründerzeit zu diesem Bevölkerungswachstum bei, wenn auch im ganzen doch die Zuwanderung den bedeutenderen Anteil stellte. Bis in das Eisenbahnzeitalter hinein war der süd- und mitteldeutsche Raum noch das Haupteinzugsgebiet und die Donaulinie die Hauptachse der Zuwanderung nach Wien. Erst mit der zunehmenden Abschließung des Kaisertums Österreich von den deutschen Ländern und der Erschließung der österreichischen Monarchie durch die großen Bahnbauten der Vorgründerzeit nahm die Bedeutung dieses ältesten Zuzugsgebietes rasch ab. Nun traten die Sudetenländer in den Vordergrund, während die Zuwanderung aus den Alpenländern bis zum Ersten Weltkrieg gering blieb. Eine Tatsache, die zweifellos—neben dem Unterschiede in der politischen Einstellung — nicht wenig zu der Zurückhaltung der Bundesländer gegenüber der Hauptstadt während der Zwischenkriegszeit beitrug. Die engere Verbindung Wiens mit den Sudetenländern ergab sich schon aus den erfolgreichen Bestrebungen der Zentralverwaltung seit Maria Theresia, die alten Erbländer mit Böhmen und Mähren zu einer engeren Einheit zu verklammern. Demgegenüber spielte Ungarn, das seine Sonderstellung im ganzen besser behaupten konnte, in der Zuwanderung

32

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

nach Wien eine wesentlich geringere Rolle. Der Ausgleich von 1867 hat die politische und zum Teil wirtschaftliche Sonderstellung der ungarischen Reichshälfte erst recht gefestigt und damit Budapest zu einer sehr erfolgreichen Konkurrentin Wiens gemacht, die ihr Einzugsgebiet bis vor die Tore der Reichshauptstadt erstreckte. Die Zuwanderung aus den Sudetenländem umfaßte fürs erste eine überwiegend bürgerliche Schichte der Sudetendeutschen, die in W i e n vor allem im gewerblich-industriellen Unternehmertum und im Kaufmannsstand, aber auch in der Beamtenschaft und Intelligenz sehr bedeutend hervortrat. Daneben gab es einen zahlenmäßig anschwellenden Strom von tschechischen, aber auch deutschen Zuwanderem aus den übervölkerten Agrargebieten • o n Südböhmen und Mähren, der teils in das Kleingewerbe, teils in die Arbeiterschaft der Stadt einging, auch den Großteil des Dienstbotenheeres stellte und so in den städtischen Sozialaufbau eingeschmolzen wurde. Die böhmischen Köchinnen, Hausmeister, Schuster, Schneider und subalternen Beamten sind fiir W i e n sprichwörtlich geworden. Ein drittes Element von ständig zunehmender Bedeutung stellte schließlich die jüdische Zuwanderung dar, die zuerst aus den Sudetenländern, dann aus Ungarn und schließlich aus Ostgalizien kam und einen beträchtlichen Teil des Handels und Geldgeschäftes an sich reißen konnte. Bald drang sie auch ins gebildete Bürgertum ein, w o sie vor allem unter den Ärzten und Rechtsanwälten eine rasch wachsende Rolle spielte. Unter diesen Umständen stieg der Anteil der fremdbürtigen Bevölkerung bereits in der Frühgründerzeit von 37,5% (1840) auf die Hälfte im Jahre 1870 und stellte am Ende der Hochgründerzeit (1890) mit 65,5% fast zwei Drittel der Wiener Bevölkerung. Hinsichtlich der Eingliederung der Zuwanderer in die städtische Wirtschaft wurden schon einige Angaben gemacht. Die Zahlen von R A U C H B E R G für 1890 zeigen jedenfalls sehr eindrucksvoll, daß die Zuwanderer keineswegs nur als Arbeiter in die neu entstandene Industrie gingen, sondern zu einem erheblichen Teil als Selbständige in den Handel und in das Gewerbe. Am stärksten bodenständig waren die Angestellten, während das damals noch zahlreiche Dienstpersonal zu 87,6% von Ortsfremden gestellt wurde. Hugo HASSINGER hat in dem Österreich-Artikel in BANSE'S Lexikon mit der ihm eigenen Gestaltungskraft ein Bild der österreichischen Bevölkerung vor dem Ersten Weltkrieg entworfen. Es gewährt eine Vorstellung von dem Reichtum an völkischen und ständischen Gruppen in der kaiserlichen Residenz. Erinnerungen an die Vielfalt der heute ausgestorbenen Berufstypen bewahrte auch die heimatkundliche Literatur.

b) W a n d e l

der generativen

Struktur

Neben der Zuwanderung besaß auch der Geburtenüberschuß eine erhebliche Bedeutung für die Bevölkerungszunahme. Bei einem jahresweisen Vergleich der Bevölkerungsbewegung von 1840 bis 1914 läßt sich der Wandel in der generativen Struktur der Bevölkerung in den drei Phasen der Gründerzeit deutlich erkennen. Die Zahlen der natürlichen Bevölkerungsbewegung schwankten vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge der immer wieder auftretenden Typhus-, R u h r - und

Bevölkerungsentwicklung und generative Struktur

33

Choleraepidemien sehr stark. Die drei Jahrzehnte von 1810 bis 1840, fur die bereits Zahlen zur Verfügung stehen, sind durch ein Geburtendefizit gekennzeichnet. Die mäßige Bevölkerungszunahme in dieser Zeit wurde also zur Gänze von der Zuwanderung getragen. Erst in der Frühgründerzeit stellte sich allmählich ein Geburtenüberschuß ein, doch traten beachtliche Rückschläge auf Grund der noch sehr schwankenden Sterblichkeit auf. Epidemien größeren Umfängs forderten noch bis in die Siebzigeijahre ihren Tribut. Erst den wesentlich verbesserten sanitären Einrichtungen der Hochgründerzeit gelang ihre endgültige Eindämmung. In manchen Jahren der Frühgründerzeit erreichte der Geburtenüberschuß sogar das Ausmaß der Zuwanderung. Die Geburtenziffern hielten sich mit 45—50%o auf ziemlich gleicher Höhe, während die Sterbeziffern auf 40—35%, absanken1). Die Schere der Bevölkerungsbewegung begann sich zu öffnen. In der Hochgründerzeit bahnte sich jedoch bereits ein Rückgang der Geburtenrate an, die »im 1890 nur mehr 35%,, betrug. Da aber inzwischen die Sterbeziffer viel stärker abgesunken war, blieb der Anteil des Geburtenüberschusses am Bevölkerungswachstum nach wie vor hoch. In dieser Zeit wuchsen die Vorstädte im wesentlichen nur mehr aus der Reproduktionskraft der ansässigen Bevölkerung, da sich die weiter anschwellende Zuwanderung bereits stärker nach den Vororten richtete. In der Spätgründerzeit verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum. Die Zuwanderung nahm relativ ab — eine auch von anderen mitteleuropäischen Großstädten bekannte Erscheinung. Noch rascher sank aber die Geburtenziffer. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg erreichte sie nur mehr i7,7%o· Wien war nun in die zweite Phase der Scherenbewegung eingetreten, in der sich die Geburten- und Sterbeziffern wieder mehr die Waage halten. Der Rückgang der Geburtenrate im Wien der Gründerzeit gewinnt jedoch einen interessanten und bisher wenig bekannten Aspekt, wenn man das Verhältnis zwischen ehelichen und unehelichen Geburten betrachtet. Die einschlägigen Zahlen beginnen 1810 und zeigen in der Biedermeierzeit das überraschende Verhältnis von 1 : 1 , das auch noch die ganze Frühgründerzeit kennzeichnet. Liest man die in der Josefinischen Zeit erlassenen Vorschriften fur die Waisenhäuser, die damals zu den bedeutendsten öffentlichen Bauten zählten, sowie Sittenschilderungen von der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, so wird man wohl mit Recht behaupten dürfen, daß dieser hohe Prozentsatz von unehelichen Geburten für die generative Struktur Wiens im Manufakturzeitalter kennzeichnend war und als Phänomen dieser Ubergangsepoche auch noch in die Frühgründerzeit hineinreichte. Erst in der Hochgründerzeit verschob sich infolge der zunehmenden Heiratshäufigkeit die Proportion auf 2 : 1 zugunsten der ehelichen Geburten. Vor dem Ersten Weltkrieg betrug sie 2,5:1. Der vorhin erwähnte Rückgang der Geburtenziffer, der schon mit der Hochgründerzeit einsetzt und auf den ersten Blick ziemlich beträchtlich erscheint, beruht somit zu einem guten Teil auf der Abnahme der außerehelichen Geburten. 1) Alle Zahlen bis 1890 bezichen sich auf die Altstadt einschließlich der Vorstädte. Erst nach 1890 umfassen sie auch den in diesem Jahr eingemeindeten westlichen Vorortbereich. Eine Berechnung der natürlichen Bevölkerungsbewegung der Vororte ist für die älteren Jahrgänge infolge der Erhebungsmethode der amtlichen Statistik nach Gcrichtsbezirken nicht möglich.

34

D. D i e b a u l i c h e E n t w i c k l u n g in d e r G r ü n d e r z e i t (1840— 1918)

Die inncreheliche Cebiirtigkeit blieb in der Hochgründerzeit mit 2,2 Kindern je Ehe im Durchschnitt der Jahrfünftc noch wenig verändert und ging erst nach 1905 auf 1,4 zurück. Die neue generative Struktur, in der die Kinderzahl die wichtigste Variable darstellt, zeichnete sich damit in Wien bereits vor dem Ersten Weltkrieg ab. Der von

der soziologischen

Bevölkerungstheorie

G.

MACKENROTHS

nicht

weiter

beachtete Faktor der unehelichen Geburten spielte also jedenfalls in der generativen Struktur Wiens während des 19. Jahrhunderts eine sehr bemerkenswerte Rolle. Es muß mangels entsprechender Untersuchungen offenbleiben, o b ihm auch in anderen Städten eine größere Bedeutung zukommt. Auch sonst erfüllt die Analyse mancher Bevölkerungszahlen nicht die Erwartungen, die man auf Grund der MACKENROTHschen Theorie hegen würde. Dies gilt ζ. B . für die Eheschließungszi/fer, die mit zunehmender Entfaltung des industriellen Systems größer werden sollte. Sie zeigt aber in W i e n keine beachtlichen Unterschiede in den drei Phasen. Stärker spiegelt sich in ihr das A u f und A b der wirtschaftlichen Konjunktur wider. So bewirkten ζ. B. die vielgenannten eigentlichen Gründerjahre zwischen 1869—1873 ein Hinaufschnellen dieser Ziffer bis auf 13,2%,, (im Jahre 1871), während die Mittelwerte für die verschiedenen Perioden wie folgt hegen: Biedermeierzeit 9,4%0, Vorgründerzeit 9,1 %,, Hochgründerzeit 9.5 %o. Spätgründerzeit 9,3%»· Das Ansteigen des Prozentsatzes der verheirateten Bevölkerung von 291 %0 im Jahre 1869 auf 347%„ 1910 läßt sich durch die längere Ehedauer infolge höherer Lebenserwartung der Bevölkerung erklären. Eine leichte Verschiebung des Altersaußaus

der Bevölkerung zugunsten der höheren

Altersklassen und auf Kosten der Kinderzahlen zeichnete sich bereits ab. Die Hypothek des Todes war aber erst aufgenommen worden. Sie zu begleichen blieb der Zwischen- und Nachkriegszeit vorbehalten. c) H a u s h a l t s s t r u k t u r Hinsichtlich der Haushaltsstruktur, die zum Verständnis der Entwicklung der W o h n u n g s verhältnisse recht wesentlich ist, fehlen leider durchgehend vergleichbare Ziffern für die Gründerzeit. Mit Hilfe von Einzelelementen gelingt es jedoch, einen gewissen Einblick in den Wandel der Haushaltsstruktur zu erlangen. Eine Vorstellung davon mag die folgende kleine Aufstellung vermitteln, die erkennen läßt, in welchem Maße in der Gründerzeit neue Formen des menschlichen Zusammenlebens zum Durchbruch kamen. V o n einer heute kaum mehr vorstellbaren Bedeutung waren die Untermieter und Bettgeher. Nach

SCHIMMER

betrug ihr Anteil 1869 in den Vorstädten und Vororten zusammen

23,4%, also nahezu Vi der Bevölkerung. Dies war eine Folge der starken Bevölkeriingszunahme, mit der der Wohnungsbau nicht Schritt halten konnte. Die Untermieter und Bettgeher hatten somit gegenüber der Zählung v o n 1856, w o sie mit 1 7 % für Altstadt und Vorstädte angegeben worden waren, beträchtlich zugenommen. Nach der Hochgründerzeit sank ihr Prozentsatz jedoch wieder ab: von 14,3% 1890 bis auf 8,5% im Jahre 1910.

Bevölkerungsentwicklung und generative Struktur

35

A u c h das Hauspersotial bildete in der Gründerzeit noch einen integrierenden und zahlenmäßig wesentlichen Bestandteil der Haushalte. SCHIMMER verwendet den Prozentsatz des Hauspcrsonals mit R e c h t zu einer sozialen Einstufung der Bezirke Wiens nach d e m Grade TABELLE 3:

%-Anteil

der

familienfremden

Hauspersonal 1869 1890

9,2 6,9

1910

5,i

Personen

sonstige Untermieter familicnfremde und Gettgeher Personen

23,4 14,3 8,5

10,0 6,6 4,1

in

den

Haushalten

zusammen

ohne Hauspersonal

42,6 27,8 17,7

33,4 20,9 12,6

des Wohlstands. Ähnlich dem Anteil der Untermieter wies derjenige der Dienstboten seit 1869, wo er 9,2% ausmachte, eine fallende Tendenz auf. 1890 betrug er 6,9%, 1910 nur mehr 5.1%· Schon 1890 bemerkte SEDLACEK, daß sich die Erhaltung der Dienstboten immer kostspieliger gestaltete. In den inneren Bezirken IV bis IX ließ sich jedoch noch zwischen 1880 und 1900 ein Ansteigen des Dienstpersonals beobachten, das offenbar durch die soziale Aufwertung im Zuge des Umbaus der Vorstädte (vgl. S. 59) bedingt war. In der Frühgründerzeit wirkten die patriarchalischen Verhältnisse des Manufäkturzeitalters inner- und außerhalb des bis 1859 zünftisch gebundenen Gewerbes hinsichtlich der Wohnverhältnisse der Gesellen und Lehrlinge stark nach. Noch 1869 wohnten 72% der Lehrlinge und 22,9% der Arbeiter im Hause des Unternehmers bzw. Meisters. Das bedeutet auf die Wohnbevölkerung bezogen rund 3% bzw. 7%. Die Zahlen von SCHIMMER gewähren somit fur die Wende der Früh- zur Hochgründerzeit wesentliche Einblicke in die Haushaltsstruktur. Der Anteil der familienfremden Personen in den Haushalten betrug 1869, auf die Gesamtbevölkerung bezogen, 42,6% — eine wahrlich gigantische Ziffer, die nur durch die zeitliche Überschneidung der auslaufenden FamilienStruktur der feudalen Gesellschaftsordnung mit den Erscheinungen der Frühphase der Industrialisierung zu erklären ist. Überlegt man ferner, daß die unehelichen Rinder rund 1 /io der Gesamtbevölkerung ausmachten, so gewinnt man eine weitere Abrundung des Bildes nach der sozialen Seite hin. Der schrittweise Abbau des Anteils der familienfremden Personen im Haushalt im Laufe der Gründerzeit entspricht der Entfaltung der industriellen Gesellschaftsstruktur. 2. U M S C H I C H T U N G

DER

SOZIALSTRUKTUR

Leider existiert kein entsprechendes statistisches Material, das die sozialen Umschichtungen während der Gründerzeit quantitativ erfassen läßt. Man kann nur versuchen, die Probleme von verschiedenen Blickpunkten aus anzuleuchten, eine völlige Erhellung ist nicht möglich.

Β. Die baulichc Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

36

Aus der geistigen Haltung des Liberalismus bezog SCHIMMER die Kriterien für die beruflich-soziale

Gliederung der Bevölkerung

Wiens und der angrenzenden Vororte, die er an

Hand der Volkszählungsrcsultate von 1869 näher untersuchte. Einkommen, Bildung und Güterproduktion sind die drei Aspekte, nach denen er „Kapitalisten", „Stände mit höherer Schulbildung" und „gewerblich- industrielle Stände" aussonderte, wobei er als einen weiteren, bis heute beibehaltenen Gesichtspunkt die selbständige oder abhängige Stellung im Beruf einführte, ein Kriterium, dessen Anwendung durch SCHIMMER allerdings nicht mit der heutigen Begriffsfassung übereinstimmt. Aus den Angaben von SCHIMMER wurde mit einigen Abänderungen für 1869 die folgende Tabelle zusammengestellt: TABELLE 4:

Beruflich-soziale Gliederung Stadt und Vorstädte Zahl

%

1869 Engerer Vorortebereich Zahl

%

Gesamtbevölkerung

607615

100,0

220505

100,0

Berufstätige Bevölkerung

401775

68,8

137128

62,1

Kapitalisten

22742

5,7

5102

3,7

Selbst. Gewerbetreibende

45484

11,4

15626

11,4

Stände m. höh. Schulbildg.

18828

4,7

3208

2,3

„Selbständige" insgesamt

87054

21,8

23936

17,4

Arbeiter der industriellen u. gewerblichen Stände

217753

54,4

89863

65,5

Dienstpersonal

83883

20,9

21713

15,9

Studierende

13085

2,9

1616

1,4

Eine starke Gruppe bildeten die Gewerbetreibenden, die seit je auf der Grundlage des Konsum- und Luxusgewerbes zahlenmäßig bedeutend gewesen waren. Noch 1869 überschritten nach den Angaben SCHIMMERS nur wenige Betriebe die Zahl von 10 Arbeitern. Die höchste durchschnittliche Beschäftigtenzahl besaßen die Bierbrauereien, denen erst mit Abstand andere Betriebszweige folgten. Die eigentliche Trägerin der Industrialisierung Wiens in der folgenden Hochgriinderzeit, die Eisen- und Metallindustrie, trat damals noch kaum in Erscheinung. Die gewerbliche Entwicklung hatte inzwischen auch die Vororte ergriffen und zeigte hier im ganzen den gleichen Charakter, j edoch w aren die durchschnittlichen Arbeiterzahlen pro Unternehmer in den Vororten etwas größer. Dies äußerte sich begreiflicherweise in einem höheren v. H.-Anteil der Arbeiter außerhalb der Linie (65 %). Damit zeichneten sich bereits damals die Ansätze zur Bildung eines Arbeiterwohngürtels und das bis heute nachwirkende soziale Gefälle zur Peripherie der Stadt ab, das nur in einzelnen Sektoren unterbrochen wird. Sehr bezeichnend fur die Situation um 1870 ist auch der hohe Prozentsatz des Dienstpersonals aller Art (20%), der erst im Verlauf der Gründerzeit stark reduziert wurde.

Umschichtung der Soziaistruktur

37

Erst die Volkszählung 1910 bietet wieder einen Querschnitt mit verläßlichen Daten. Sie fäßt die Berufstätigen bereits nach ihrer sozialen Stellung zusammen und kann nur beschränkt mit den Zahlen von 1869 verglichen werden. Trotzdem wurde in der folgenden Tabelle versucht, die Angaben von SCHIMMER in vergleichbare Form zu bringen. TABELLE 5 :

Berufstätige Bevölkerung Stadt, Vorstädte, Vororte

Insgesamt davon in % Selbständige Mithelf. Familienangehörige Angestellte Arbeiter Jährlinge

1869 und 1 9 1 0 1869

1910

524202*) 1195549 18,5

14,3

3,4

1J

}*» 5,8

ZV 5,0

Diese Zahlen reichen freilich nicht aus, um mehr als eine Andeutung der großen sozialen Umschichtungen zu geben, die im folgenden auf Grund weiterer Quellen, Hausbesitzerlisten, Gewerbeschemata und Literatur, skizziert werden sollen. Bereits in der Frühgründerzeit begann der allmähliche Abbau der Feudalgesellschaft und zwar im besonderen mit einem zwar nicht gesellschaftlichen, aber wirtschaftlichen Bedeutungsverlust des Hoch- und Niederadels, der mit seinen Einkünften in der grundherrlichen Ordnung verankert gewesen war und durch die Grundentlastung 1848 einen Großteil seines Grundbesitzes verlor. Von Ausnahmen abgesehen, ging er auch jetzt nicht daran, sich in den Aufbau der industriellen Wirtschaft stärker einzuschalten. Zwar stützte er sich auch weiterhin noch auf beträchtlichen Grund-, vorzüglich Waldbesitz, seine breite und außerordentlich kostspielige Lebensführung konnte er aber auf die Dauer nicht mehr aufrechterhalten. Schon um 1870 zeigte sich, daß er seine Paläste in der Innenstadt zunehmend den immer mächtiger sich entfaltenden neuen wirtschaftlichen Kräften, den Banken und Aktiengesellschaften, aber auch der Verwaltung und sonstigen hauptstädtischen Elementen, eben der Citybildung, opfern mußte. Geschäfte und Büros hieltenihren Einzug in die alten Paläste, soferne diese nicht der Spitzhacke anheimfreien. Die Schicht des Beamtenadels, die mit dem Aufbau der modernen Verwaltung entstanden war, hatte wohl im gesellschaftlichen, nicht aber im wirtschaftlichen Leben Bedeutung. Anders der neue Geldadel, der seit dem Toleranzedikt Josefs II. in immer stärkerem Maße vom Judentum durchsetzt wurde. Er spielte vor allem in der Hoch- und Spätgründerzeit die 2) Der Unterschied in der Summe der Berufstätigen zwischen Tab. 4 (538903) und Tab. 5 ergibt sich daraus, daß bei Tab. 5 die Studierenden nicht berücksichtigt wurden.

38

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen Führungsschichte Wiens, was sich auch darin äußerte, daß er, in Übernahme feudaler Repräsentation, noch als Bauherr für eine letzte Welle von neuen Palastbauten auftrat. Erst seit der Hochgründerzeit begann auch das industrielle Großuntemehmertum stärker hervorzutreten und einen wesentlichen Beitrag zur Zusammensetzung der Wiener Oberschicht zu leisten. Die Oberschicht war demnach am Ende der Gründerzeit außerordentlich mannigfaltig zusammengesetzt und spiegelte die ganze Breite der Entwicklung Wiens wider. Zu den Resten des alten Hoch- und Hofadels gesellte sich ein zum Teil nobilitiertes Großbürgertum, das aus den Vertretern der Hochfinanz und des Großhandels sowie den Unternehmern der Großindustrie bestand. Als dritte Gruppe schlossen sich die politisch einllußreiche höhere Bürokratie sowie einzelne erfolgreiche Angehörige der freien Berufe und der Gelehrtenwelt an. Im ganzen war diese Oberschicht aber zahlenmäßig schmal und wurde im Laufe der Gründerzeit infolge der fortschreitenden wirtschaftlichen Konzentrationsbewegung eher noch schmäler. Der Mittelstand setzte sich einerseits aus der breiten Schicht der Gewerbetreibenden (vgl. S. 36), andererseits aus der Masse der Angehörigen der freien Berufe sowie dem mittleren Beamtentum zusammen. Eine besondere Gruppe der Bevölkerung, die auch dem Mittelstand zuzurechnen ist, bildeten die „Hausbesitzer'1, die zum Teil ohne weiteren Beruf als Rentiers lebten und deren spezifische Rolle im Sozialaufbau der Gründerzeit keineswegs unterschätzt werden darf. Sie ist in dem vielumstrittenen, literarisch und politisch ausgewerteten Gegensatzpaar Hausherr und Wohnpartei deutlich genug festgehalten. Daß die Hausherren als eigener sozialer Stand betrachtet wurden, zeigt die Gliederung der Berufstätigen bei SCHIMMER, der sogar die Hausherren mit den übrigen Rentenbeziehern zur Gruppe der „Kapitalisten" vereinigte. U m diese Zeit warfen fast ein Fünftel (18,9 v. H.) aller Häuser in der Stadt und in den Vorstädten einen so hohen Ertrag ab, daß der Hauseigentümer ohne weiteres davon leben konnte. Leider stehen keine Daten zur Verfügung, die feststellen lassen, ob und wie stark sich dieser Prozentsatz in der Hoch- und Spätgründerzeit mit dem massenhaften Bau von Großmiethäusern noch weiter erhöhte. Zahlenmäßig, zum Teil aber auch in ihrer wirtschaftlichen Substanz, verloren Oberschicht und Mittelstand im Laufe der Hoch- und Spätgründerzeit gegenüber dem gewaltig anschwellenden Arbeiterstand an Boden. Jedenfalls scheint sich dies in der Abnahme des Prozentsatzes der Selbständigen von 1870 bis 1910 auszudrücken. In die gleiche Richtung weist auch der stetige Rückgang des Hauspersonals. Über die Entstehung des vierten Standes und Platz an der Sonne wurde viel geschrieben. Es wäre HerausdifFerenzierung dieses Bevölkerungsteils und quantitativ verfolgen könnte, doch fehlen dazu die

sein langwieriges Ringen um einen interessant, wenn man die allmähliche seine späteren Umschichtungen auch entsprechenden Unterlagen. Die her-

Aufstieg und Wandel der Wirtschaft

39

vorragende Arbeit von SCHIMMER vermittelt eine Vorstellung davon, in welchen Verhältnissen diese untere Schicht der unselbständig Berufstätigen am Beginn der Hochgründerzeit lebte und wie weit ihr Lebenszuschnitt von dem der selbständigen Gewerbetreibenden abwich. Besonders wichtig fur unser Thema sind die Wohnverhältnisse. Von den 179388 in der gewerblichen Wirtschaft beschäftigten unselbständigen Arbeitern und Bediensteten der Altstadt und der Vorstädte wohnten 1869 nur 44,9% in einer eigenenWohnung, hingegen 13,3% als Untermieter, 18,9% als Bettgeher, 22,9% beim Unternehmer, somit hatten 55,1% keine eigene Wohnung. Demgegenüber besaßen 94 % der selbständigen Gewerbetreibenden eine eigene Wohnung. Äußerst bemerkenswert ist die sehr geringe Heiratshäufigkeit bei den Unselbständigen. Einem Anteil von 86% Verheirateter und Verwitweter bei den selbständigen Gewerbetreibenden stand ein solcher von nur 28 % bei den Arbeitnehmern gegenüber. Aus einem Vergleich der Wohnungsverhältnisse mit dem Prozentsatz der Verheirateten und Verwitweten und aus der hohen Zahl unehelicher Geburten darf wohl der Schluß gezogen werden, daß damals ein bedeutender Teil der Arbeiter in wilder Ehe lebte, eine Tatsache, auf die auch die Sittenschilderungen der Gründerzeit immer wieder hinweisen. Im weiteren Verlaufe der Gründerzeit gelangte allmählich ein immer größerer Prozentsatz der Arbeiter in den Besitz einer eigenen Wohnung. Ob damit freilich immer auch eine wirkliche Verbesserung der Lebensverhältnisse verbunden war, muß dahingestellt bleiben (vgl. S. 60). Hand in Hand damit ging aber jedenfalls eine Zunahme der Heiratshäufigkeit und Abnahme der unehelichen Geburten, wie man aus den Gesamtzahlen fur Wien wohl schließen darf. Spezifische Angaben fehlen leider. 3. A U F S T I E G U N D W A N D E L D E R W I R T S C H A F T U m die Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Wien eine Nachblüte des Manufakturwesens. Der Kommerzkalender 1850 wies rund 20000 Gewerbebetriebe und Fabriken aus, die eine reiche Spezialisierung vor allem in der Herstellung von Mode- und Luxusartikeln erkennen lassen. Als „Fabrik" bezeichnete man damals eine Werkstätte, die von nichtzünftigen, sog. „befugten" Meistern betrieben wurde, ohne daß deshalb notwendig ein arbeitsteiliges Produktionsverfahren und mechanisierte Produktionsmittel angewendet worden wären. Im polizeilichen Stadtplan von 1833/34 heben sich nur wenige Fabriken physiognomisch aus den Wohnblöcken heraus. Die meist kleinen Werkstätten von „Fabrikanten" und Gewerbetreibenden waren vielmehr in den tiefen Hofflügeln der Wohngebäude untergebracht. Gerade dies unterschied die Vorstädte wesentlich von den schon seit der Jahrhundertwende (1800) industrialisierten Dörfern des Wiener Beckens (ζ. B. Kettenhof, Himberg, Rannersdorf, Atzgersdorf und Liesing am Südrand von Wien), in denen große Fabriken bestanden. In dem

40

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

in den Wiener Vorstädten und Vororten tonangebenden Textilgewerbe (Seidenerzeugungund -Verarbeitung, Bekleidungsgewerbe, Galanteriewaren) spielte das Verlagssystem mit Heimarbeitern eine große Rolle. Wie stark die kleingewerbliche Komponente der Wirtschaft die ganze Frühgründerzeit hindurch blieb, zeigt die Tatsache, daß sich die Zahl sämtlicher Gewerbe- und Handelsunternehmungen von 1851 (22000) bis 1871 (47200) verdoppelte, was der Bevölkerungszunahme entsprach. Hinter diesem Zuwachs verbargen sich gleichwohl Strukturwandlungen, für welche die neue Gewerbegesetzgebung von 1859 von entscheidender Bedeutung war. So trugen die Erleichterungen bei der Eröffnung eines selbständigen Gewerbebetriebes am meisten zu der genannten starken Vermehrung der Betriebsstätten bei. Seit Ende der Fünfzigerjahre begann ferner eine Kommerzialisierung gewisser Gewerbe, wie u. a. der Möbeltischlerei, Konfektion und Wäscheerzeugung; ferner kam es im Einzelhandel zur Zusammenfassung verschiedener Warengruppen, die nach den bisher gültigen Bestimmungen der Maria-Theresianischen Gesetzgebung nur in getrennten Geschäften angeboten werden durften. Schließlich kam die Seidenindustrie — bisher das wichtigste Exportgewerbe Wiens — weitgehend zum Erliegen, da mit der Aufhebung der Schutzzölle in den Fünfzigerjahren die ausländische Konkurrenz übermächtig auf den Plan trat. Dem Wettbewerb der französischen, italienischen und Schweizer Fabrikate war die in Kleinbetrieben zersplitterte Wiener Seidenindustrie nicht gewachsen3). So gingen die meisten kleinen und mittleren Betriebe zugrunde, während die größeren ihre Standorte aus Wien hinausverlegten. Wenn die Gremialliste von 1848 noch über 500 Seidenzeugmacherbetriebe auswies, so waren es 1869 nur mehr 177. Im gleichen Zeitraum festigte Wien aber entscheidend seine überragende Stellung als Handels- und Finanzzentrum. Namentlich das Bankenwesen erfuhr seit den Fünfzigerjahren durch eine beachtliche Zahl von Neugründungen einen starken Auftrieb. Gleichzeitig erfolgte auch der Wandel der unternehmerischen Organisationsform. Waren i860 erst 3 7 Aktiengesellschaften vorhanden, so gab es 1872 schon 275, darunter allein 175 für Kredit und Industrie. Vielen dieser neugegründeten Gesellschaften brachte allerdings der Börsenkrach von 1873 wieder den Untergang. Nach dieser Wachstumskrise ging aber in der Hochgründerzeit der Ausbau Wiens zum Finanz- und Organisationszentrum der Monarchie unaufhaltsam weiter, wenn sich auch seit dem Ausgleich von 1867 zunehmend Budapest als ernste Rivalin bemerkbar machte. Die schon in der Frühgründerzeit faßbare Citybildung schritt in dieser Periode weiter fort. 1883 schrieb L.WURM: „Die Verwertung der Räume in der Innenstadt zu diesem Zwecke steigt von Etage zu Etage. Bald werden alle Mezzanine und ersten Stockwerke und bald auch die zweiten davon eingenommen sein."4) Rasch ergriff diese Entwicklung auch die Hauptstraßen der Vorstädte, besonders die alten Ausfallstraßen, wodurch hier die Umbautätigkeit einen starken Auftrieb erfuhr. 3) Die Großindustrie Österreichs IV, S. 23. 4) L. W u r m : Wiener Westend-Bauten. Eine Darstellung zur Entwicklung der westlichen Vororte Wiens. Wien 1883.

Die öffentliche Bautätigkeit

41

Die Umschichtung im Gewerbe setzte sich in der Hochgründerzeit verstärkt fort. Der Niedergang der Seidenindustrie war trotz verschiedener Bemühungen nicht aufzuhalten; 1890 bestanden nur mehr 52 Samt- und Seidenfabriken. Ihre Werkstätten wurden zum Teil von neu aufkommenden Industriezweigen, darunter hauptsächlich solchen der Metallverarbeitung, eingenommen. Die stärksten wirtschaftlichen Impulse gingen von der Groß- und Schwerindustrie aus, die nun auch in Wien auftrat und sich infolge ihres großen Flächenbedarfs am Stadtrand, vorzüglich im Anschluß an die Eisenbahnlinien, niederließ. Der Brückenkopf Floridsdorf bildete einen wichtigen Ansatzpunkt, dem bald der südliche und der südöstliche Sektor der Stadt folgten. Im weiteren Ausbau der Großindustrie lag auch die wirtschaftliche H^uptleistung der Spätgründerzeit. Dabei machte sich der Zug zur Peripherie immer stärker bemerkbar. Die Firmengeschichte so mancher Großunternehmen berichtet von einem mehrmaligen Standortwechsel der sich vergrößernden Betriebsstätten während der Gründerzeit. Die alten Werkstätten und Fabrikstrakte wurden häufig als Niederlagen und Kanzleien eingerichtet. Es kam auch zu einer Abwanderung von Großbetrieben, die ebenfalls dazu beitrug, daß im großen und ganzen, wie die erste Betriebszählung Österreichs von 1902 beweist, doch die alte Struktur Wiens als einer Stadt des Konsumgüter- und Luxusgewerbes weiter bestehen blieb. 1902 wiesen von insgesamt 133870 Betrieben 87% nur 1 — 5 Beschäftigte auf. Nur 44j Betriebe besaßen mehr als 100 Beschäftigte und nur 8 überschritten die Tausendergrenze. In dieser Zeit entwickelte sich auch, vor allem in der Textilindustrie,eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit den Sudetenländem derart, daß die Büros und Niederlagen vieler Unternehmungen sich in der Hauptstadt, die Betriebe aber im Sudetengebiet befänden, wohin schon seit der Hochgründerzeit lohnintensive Betriebe — besonders Webereien — abzuwandern begonnen hatten. Hatte bereits die Hochgründerzeit die Bildung von Geschäftsstraßen in den Vorstädten mit sich gebracht, so entstanden nunmehr suburbane Geschäftszentren auch im Vorortebereich, meist ebenfalls längs der alten Ausfällstraßen. Die ansteigenden Bodenpreise spiegeln den Vorgang deutlich wider.

II. DIE

BESONDEREN

FAKTOREN

DER

BAUTÄTIGKEIT

Wurde bisher versucht, den allgemeinen bevölkerungsmäßigen und wirtschaftlichen Hintergrund der Bauentwicklung von Wien während der Gründerzeit zu zeichnen, so soll nunmehr jenen Kräften und Faktoren nachgegangen werden, die im besonderen die Bautätigkeit bestimmten oder beeinflußten. 1. D I E

ÖFFENTLICHE

BAUTÄTIGKEIT

Sie hat mit ihren Anlagen ganz entscheidend in das Gefüge der Stadt eingegrifFen, ihm neue Wachstumsrichtungen gewiesen, aber auch hemmende Schranken errichtet.

42

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840— 1918) Als einer der wichtigsten Faktoren erwies sich der Eisenbahnbau,

der, 1837 einsetzend

und zentralistisch geplant, die Haupt- und Residenzstadt Wien erst wahrhaft zum Zentrum der Monarchie machte. Der Ausbau des auf Wien ausgerichteten Eisenbahnnetzes hat alle Seiten des städtischen Lebens entscheidend befruchtet. Schlagartig wuchs der Bevölkerungszustrom, der rasche und billige Transport von Massengütern ermöglichte nicht nur die Ernährung dieser Einwohnermassen, sondern auch die Begründung von Großindustrien. Kohle, Rohstoffe, Lebensmittel und Baumaterialien konnten nunmehr in großen Mengen nach Wien gebracht werden. Die Anlage der Bahnhöfe und Trassen im Stadtgebiet beeinflußte das weitere Wachstum des Stadtkörpers sehr stark. Die Heranführung der Kopfbahnhöfe an den Linienwall ergab sich ganz natürlich, da dieser die Grenze des geschlossenen verbauten Gebietes bildete. Sie unterstrich diese alte Scheidelinie zwischen den Vorstädten und Vororten. Die zufuhrenden Schienenwege entwickelten sich im weiteren Verlaufe zu Strukturgrenzen erster Ordnung. Dies gilt im besonderen von der 1841 eröffneten Süd- und der 1845 nachfolgenden Ostbahn, die in ihrer geländebedingten Führung den südlichen Stadtsektor wohl abschnürten, ihm aber doch auch wirtschaftliche Impulse gaben. Die längs des Wientals hereingeführte Westbahntrasse (1856/57) gab den in diesem Stadtsektor bereits vorhandenen Gewerbesiedlungen neuen Auftrieb. Als Radiallinie veranlaßte sie keine tiefergreifende Störung des Wachstums. Dies gilt auch für die 1866 begonnene Franz-Josefs-Bahn, die knapp neben dem Donaukanal parallel zur nördlichen Ausfallstraße Wiens nach Norden führt. Der Franz-Josefs-Bahnhof wurde an der Stelle der kleinen Vorstadt Althan errichtet. Die Nordbahn, 1837, als erste Eisenbahnlinie, von Deutsch-Wagram bis Floridsdorf fertiggestellt und einige Jahre später bis zum Praterstern verlängert, erschloß größtenteils noch unverbautes Gelände und wurde zum Hauptträger der industriellen Brückenkopfbildung von Floridsdorf. Abgesehen von der erst in der Hochgründerzeit errichteten Aspangbahn, deren Trasse zum Teil dem ehemaligen Wiener Neustädter-Kanal folgte, waren vor der Weltausstellung 1873 alle bis heute wesentlichen Bahnhöfe und Gleisanlagen festgelegt. Daß mit dem Eisenbahnbau nicht nur wirtschaftlich-politische, sondern auch militärische Überlegungen verknüpft waren, erweist die zum Teil mit den Bahnhöfen gekoppelte Anlage von neuen großen Kasernen. Deren Versorgung war damit erleichtert, aber man wollte auch im Falle einer Revolution auf diese Weise schnell Soldaten aus den Provinzen heranziehen können. So entstanden der ausgedehnte Komplex des Arsenals neben dem Süd- und Ostbahnhof, die Franz-Josefskaserne (Roßauer Kaserne) in der Nähe des Franz-Josefs-Bahnhofes, die Rudolfskaserne an der Verbindungsbahn zwischen Nord- und Südbahnhof. Die Beseitigung der Basteien und die Anlage der Ringstraße

auf dem alten Glacis

(ab 1857) wurde gleichfalls von wesentlicher Bedeutung für das heutige Stadtbild. Bereits 1850 hatte man die Vorstädte eingemeindet, doch blieb der Verkehr zwischen der Altstadt und den Vorstädten auf die 12 Tore beschränkt und war daher entsprechend erschwert. Zwar

Die öffentliche Bautätigkeit

43

waren schon unter Josef II. und Franz I. Anregungen aufgetaucht, die militärisch längst wertlos gewordenen Basteien abzutragen. Die Angst vor den unmittelbar vor den Toren der Burg aufwachsenden Gewerbe- und Arbeitervorstädten mit ihrer unzufriedenen Arbeiterbevölkerung mag wohl ein Grund dafür gewesen sein, daß diese älteren Vorschläge nicht durchdringen konnten. Erst Ende 1856 gab Kaiser Franz Josef den Befelil zur Schleifung der Basteien und zur Verbauung des Glacis. Über die Gestaltung der dadurch freigewordenen Flächen wurde auf Grund von internationalen Wettbewerben entschieden. Das Ergebnis ist trotz einiger Schönheitsfehler ungewöhnlich glücklich zu nennen. Ein doppelter Straßenring, der von Anfang an die Funktionsteilung in Repräsentations- und Lastenstraße ermöglichen sollte, trennt Innenstadt und Vorstädte weiterhin deutlich, verklammert sie aber doch gleichzeitig verkehrsmäßig und baulich miteinander. Gerade diese Verklammerung ist allerdings nicht überall voll geglückt, da man von Durchbrüchen in die engverbaute Altstadt größtenteils absah. Diese städtebauliche Leistung gehört dennoch zu den bedeutendsten in Europa und ist mit ein Anstoß zu der hervorragenden Stellung Wiens im internationalen Städtebau geworden. Mit der Freigabe der Glarisflächen zur Verbaung wurde auch der privaten Bautätigkeit, die aus verschiedenen Gründen darniederlag, wieder ein starker Auftrieb gegeben. Eine Welle der Bautätigkeit ergriff die Vorstädte (siehe unten). Als dritte große Leistung der öffentlichen Bautätigkeit muß die Donauregulierung (1870—1874) genannt werden. Es ist rückblickend kaum zu entscheiden, ob und wieweit die heute wie damals sehr getadelte Abdrängung der Stadt vom Strome und damit auch die Entstehung einer der Donau zugewandten „Hinterfront" der Stadt überhaupt zu vermeiden gewesen wäre. Für die Absicht, im Zuge der Donauregulierung eine Parallele zu Budapest zu schaffen, spricht jedenfalls, daß erst 1879 die Errichtung von Fabriken im Kaigelände gestattet wurde. Man darf bei der Kritik dieser Entwicklung nicht übersehen, daß das Stromgebiet bei Wien sehr breit war und daß Wien über keine alte und kräftige Brückensiedlung am jenseitigen Donauufer verfugte, die zum Ansatzpunkt einer konzentrierten neuen Entwicklung hätte werden können. Die reizlose und rein agrarische Ebene des Marchfeldes bot jedenfalls zunächst keinerlei Voraussetzungen fur die Anlage von Repräsentationsbauten oder von anspruchsvolleren Wohnvierteln. Dagegen folgte die Entstehung eines industriellen Brückenkopfes (in Floridsdorf) geradezu zwangsläufig aus der Anlage der ersten, wirtschaftlich so wichtigen Bahnlinie und war überdies begünstigt durch die niedrigen Grundstückpreise. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu erwähnen, daß bis zu der erst im Zweiten Weltkrieg erfolgten Anlage des Ölhafens in der Lobau das Nordufer des Stromes jeglicher Hafeneinrichtungen entbehrte. Die staatliche Planung drückte den im ehemaligen Augelände neuentstehenden Stadtteilen einen unverkennbaren Stempel auf. Am rechten Ufer wurde ein Streifen der Donauregulierungsgründe zur Ausgestaltung eines 1 1 km langen Kais verwendet, auf dem die verschiedensten Schiffahrtsgesellschaften, allen voran die Erste Österreichische Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, ihre Landungs- und Umschlagsanlagen errichteten. Weitere große

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Β. Die baulichc Entwicklung in der Gründerzeit (1840- 1918)

Flächen g i n g e n aus der H a n d der D o n a u r c g u l i e r u n g s k o n i m i s s i o n an Ballgesellschaften über, die bei der S c h a f f u n g n e u e r W o h n v i e r t e l m a ß g e b e n d beteiligt w a r e n . Während bei den technischen Großanlagen der Früh- und Hochgriinderzcit der Staat als alleiniger Bauherr auftrat, begann in der Folge die bisher kaum beteiligte Gemeindeverwaltung in zunehmendem Maße Einfluß zu nehmen. Z u m erstenmal trat sie beim Projekt der Gürtelstraße, die nach 1890 den Linienwall ersetzte, gemeinsam mit dem Staat und dem Land Niederösterreich in Erscheinung. Der Aufgabenbereich der Gemeinde war bis dahin noch verhältnismäßig eng und umfaßte in erster Linie das Schulwesen und die Approvisionierung der Bevölkerung. Mit der Schaffung des neuen Gemeindestatuts erweiterte sich aber der kommunale Wirkungskreis und dies bildete die Voraussetzung für die Einschaltung der Gemeinde in die verschiedensten städtischen Belange. Die Einnahmen der Gemeinde erhöhten sich von 3 Millionen Gulden im Jahre 1847 auf 21 Millionen Gulden 1890. 1895 gewann die kleinbürgerliche Christlichsoziale Partei die Herrschaft im Gemeinderat und beschritt unter ihrem Führer LUEGER moderne W e g e der Gemeindeverwaltung. Der vielbestaunte und in Europa weitgehend neue ,,Munizipalsozialismus"

wurde geboren. Die

Versorgung Wiens mit Gas und Licht lag ebenso wie die innerstädtischen Verkehrsmittel bisher in den Händen privater, meist ausländischer Gesellschaften, die sich in ständigem Kleinkrieg mit der Stadtverwaltung befanden. Durch eine geschickte Politik gelang Bürgermeister LUEGER die Kommunalisierung dieser Unternehmungen. 1896 bzw. 1900 entstanden im Ziegelrohbau die gewaltigen Gebäudekomplexe der städtischen Gas- und Elektrizitätswerke in Simmering. 1903 gingen die Verkehrsbetriebe in das Eigentum der Stadt über und wurden wesentlich verbessert. Nahezu gleichzeitig standen der Bau der Stadtbahn und die Wienflußregulierung (1904) auf dem Programm der Gemeinde. Auch auf dem Gebiet des Neubaus von Schulen und Spitälern leistete sie Beispielgebendes. In 15 Jahren errichtete sie 70 neue Schulen und schuf die großen humanitären Anstalten am Westrand von Wien (Lainzer Krankenhaus, Steinhof u.a.). Auch auf dem finanziellen Sektor schaltete sich die Kommune durch die Begründung von Sparkassen und Versicherungsanstalten ein. Das Ergebnis dieser vielfältigen Betätigung mit gleichzeitiger Erschließung neuer Geldquellen war, daß schon vor dem Ersten Weltkrieg die Gemeinde nach dem Staat die größte Unternehmerin der Monarchie geworden war. Doch gingen die Projekte der Stadt über die Errichtung von Einzelobjekten hinaus. In einer weit vorausschauenden Eingemeindungspolitik wurden 1904 mit Floridsdorfauch weite Teile des linken Stromufers eingegliedert. Damit wurde in rein ländliche Gebiete ausgegriffen, um das Gelände für den geplanten Donau-Oder-Kanal zu sichern und weitere Voraussetzungen für den großzügigen Plan eines Wald-und Wiesengürtels (1904) zu schaffen, der vom Wienerwald aus in einem Bogen über die Höhen des Laaer- und Wienerberges zum Augelände der Donau führen und damit die Stadt fast völlig umfassen sollte — Pläne, von denen die gegenwärtige Stadtgemeinde nach einem halben Jahrhundert der Vernachlässigung zu retten sucht, was noch zu retten ist. Bereits 1905 wurde auch der Ausbau des östlich der Donau gelegenen Stadtraumes ins

Wichtige Faktoren der privaten Bautätigkeit

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Auge gefaßt, der nach dem General-Regulierungsplan Platz für eine Million Menschen hätte bieten sollen, aber nicht mehr zur Ausführung gelangte. 2. W I C H T I G E

FAKTOREN

DER

PRIVATEN

BAUTÄTIGKEIT

a) D e r r e g e l n d e E i n g r i f f der ö f f e n t l i c h e n

Hand:

B a u o r d n u n g e n und S t a d t r e g u l i e r u n g Die Bauordnungen wurden von entscheidendem Einfluß auf die Gestaltung der Stadt, nicht nur in bezug auf ihre formale, sondern auch im Hinblick auf ihre funktionelle Differenzierung. Sie bücken auf eine längere Tradition zurück und waren wie in anderen deutschen Städten aus den Feuerordnungen des Mittelalters hervorgegangen. Erste Anweisungen bezüglich der Baulinien sind bereits aus dem Jahre 1706 bekannt. Auch die josefinische Ära hat eine ganze Reihe von Bauvorschriften herausgebracht. Knapp nach der ersten Stadterweiterung wurde 1839 eine neue Bauordnung für die Altstadt und die 1850 eingemeindeten Vorstädte erlassen, die einem rein formalen Ordnungsprinzip folgend, für die neuen Straßen eine Mindestbreite von acht Klaftern und eine maximale Gebäudehöhe von dreizehn Klaftern vorschrieb. Eine verhängnisvolle Rolle spielte die Bestimmung, daß die Straßenzüge möglichst geradlinig angelegt werden sollten. Weder topographische noch funktionelle Gesichtspunkte fänden Berücksichtigung. Im einzelnen blieb die Regulierung der Innenstadt und der Vorstädte der Stadtverwaltung überlassen, wobei man in erster Linie an die allmähliche Verbreiterung der bestehenden sehr engen Straßenzüge beim jeweiligen Neu- und Umbau dachte. Das für Wien so charakteristische Vor- und Zurückspringen der Häuserfronten in den inneren Bezirken geht somit zum guten Teil auf die Bauordnung von 1859 zurück und bildet auch ein Hilfsmittel fur die Feststellung des Baualters der Häuser. Diese auf das Rasterschema eingeschworene Bauordnung stand auch noch Pate beim Beginn der Stadtplanung in der Hochgründerzeit. So wurde die Anlage von Favoriten undder Brigittenau von VAN DER N U L L und SICCARDSbzw. L. FÖRSTER, den bekannten Ringstraßenarchitekten, dem Rasterprinzip folgend proj ektiert, allerdings dann weniger schema tisch verwirklicht. Abweichend von den Planungen der Biedermeierzeit in den Vorstädten, sah man wenige öffentliche Plätze, dafür aber durchwegs verhältnismäßig breite Straßen vor, ohne noch an eine funktionelle Differenzierung zu denken. Diesen Vorbildern entsprechend, wurde das Schachbrett auch zur Grundlage der meist von Privatarchitekten und Geometern durchgeführten Parzellierungen in den westlichen Vororten, von Meidling bis Währing (Abb. 2). BURG

Es verdient vermerkt zu werden, daß bereits wenige Jahre nach den rein formalistischen Plänen für Favoriten und die Brigittenau in einer Denkschrift des Österreichischen Ingenieurund Architektenvereins (1877) funktionelle Gesichtspunkte auftauchten, die schon die Grundprinzipien moderner Stadtplanung vorwegnahmen. So wurden unter anderem Geschäftsviertel, der Berufsarbeit gewidmete Bezirke und sozial abgestufte Wohnviertel unterschieden und darauf hingewiesen, daß jede dieser Kategorien an die Art der Parzellierung und Verbauung, an die

46

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

Verkehrswege und die Umgebung ganz verschiedene Anforderungen stellt. Von da an riß die Diskussion über die Rolle funktioneller Gesichtspunkte im Städtebau nicht mehr ab. 1 ) Manche dieser Gedanken fanden im Bauzonenplan 1893 Verwirklichung. Vorerst wurde aber noch die Bauordnung 1883 erlassen, die in Verfolg der älteren Vorstellungen einen verpflichtenden Bezug zwischen Straßenbreite und Häuserhöhe herstellte und damit zu einer generellen Verbreiterung der Straßen führte. Ihre in der Grundhaltung wenig veränderte Novellierung

1893 umfaßte bereits die inzwischen eingemeindeten west-

lichen Vororte Wiens. Erstmals wurde nun ein Bauzonenplan erstellt, dessen Bestimmungen infolge ihrer bis zur Gegenwart heraufreichenden Bedeutung näher ausgeführt werden müssen. Sie sahen ein e grobe funktionelle Gliederung der Stadt in Gebiete vorherrschender W o h n - bzw. Industrienutzung vor und legten unter Berücksichtigung des erwünschten Bahnanschlusses der Fabriken eine Industriezone im Süden — von der Südbahntrasse bis zum Donaukanal — und eine im Norden — beiderseits des Donaukanals — fest. Diese Ausgliederung wurde durch Begünstigungen und Verbote unterbaut und hat dazu beigetragen, ein Weitergreifen der Industrialisierung in manchen westlichen Stadtrandgebieten zu verhindern. Gleichzeitig mit dieser ersten funktionellen Gliederung nahm man eine Zonierung der Stadt nach der Gebäudehöhe vor. Fünf Geschosse waren in der Innenstadt, den ehemaligen Vorstädten und in dem Teil des Bezirkes Favoriten zugelassen, der auf der alten Vorstadtgemarkung der Wieden erwachsen war, vier Geschosse in den westlichen Vororten bis knapp über die Vorortelinie hinaus. Jenseits derselben sollte vor allem im Nordwesten die offene Verbauung herrschen bzw. durften maximal dreigeschossige Häuser errichtet werden. A u f der Grundlage des Bauzonenplanes und der Bauordnung wurde im W e g e eines Preisausschreibens ein Generalregulierungsplan in Angriff genommen und 1898 v o m Gemeinderat genehmigt. Da aber seine Durchführung nicht durch entsprechende Enteignungsgesetze gesichert war, konnte er nur geringe praktische Bedeutung erlangen. Manche Paragraphen der Bauordnung erwiesen sich als hemmend für die Neuerschließung von Bauland, so die Bestimmung, daß bei der Trassierung neuer Straßen die Grundeigentümer einen breiten Streifen unentgeltlich abzutreten hatten. Da aber die Gemeinde die Straße erst bauen konnte, wenn alle Anrainer parzelliert hatten, blieben viele Straßenprojekte der Gründerzeit unausgeführt oder ein Stückwerk von Sackgassen. Wieweit der Generalregulierungsplan, der in erster Linie ein Straßenbauprogramm darstellte, von der Verwirklichung entfernt blieb, zeigt der Stadtatlas, das v o m Stadtbauamt !9i2herausgegebeneDokumentarwerkfür diebestehende und geplante Verbauung von Wien. Das Programm der Stadtregulierung hat große und heftige Diskussionen ausgelöst. B e greiflicherweise prallten hinsichtlich der Regulierung der Innenstadt die Meinungen am härtesten aufeinander. Die Zeitschrift des Osterreichischen Ingenieur- und Architektenvereines spiegelt die scharfen Gegensätze wider zwischen den Anhängern

radikaler Lösungen und der

mehr konservativen Richtung, die für die Erhaltung des kunsthistorisch wertvollen alten 1) Vgl. E. Fassbender: Städtebaukunde. Leipzig-Wien 1912.

Wichtige Faktoren der privaten Bautätigkeit

47

Baubestandes eintraten. Es erschienen die Flugschriften „ Z u r Rettung von A l t W i e n " , und das große W e r k v o n H. HASSINGER erwuchs aus diesem Geist des neuentstandenen Denkmalschutzes. In den verschiedenen Projekten, die vor allem dem wachsenden Durchgangsverkehr durch die Innenstadt R e c h n u n g tragen wollten, geisterten die Gedanken des HAUSSMANN'schen Planes v o n Paris. R e i n formal waren die Vorschläge recht unterschiedlich. Während der amtliche Regulierungsplan die Innenstadt mit Hilfe zahlreicher Durchbrüche einem Schachbrettschema angleichen wollte, projektierten der LOTZsche Plan und ähnlich auch der E n t w u r f v o n E. FASSBENDER Diagonallinien zwischen den alten Einfällspforten des innerstädtischen Verkehrs. In Ermangelung eines Enteignungsgesetzes mußte z u m Glück flir die Altstadt v o n W i e n auf radikale Lösungen verzichtet werden. So konnte selbst der vorgesehene geradlinige Straßendurchbruch zwischen Graben und Freyung wegen der enormen Ablösekosten nicht zur Durchführung gelangen. Ü b e r dem Projekt eines Paralleldurchbruchs östlich der Kärntnerstraße v o n der Akademiestraße einwärts brach der Erste Weltkrieg aus, und so blieb der alte Baubestand dieses östlichen Teils der Altstadt unangetastet. In den Vorstädten schuf man dagegen schon in der Hochgründerzeit zahlreiche Straßendurchbrüche, u m dem Ideal eines Rasterschemas näher zu kommen. Erste Ansätze einer Grünflächenpolitik zeichneten sich dabei ab, w e n n die Gemeinde Parkanlagen des Adels aufkaufte (ζ. B . Esterhazy, Schönbom) und in öffentliche Grünflächen verwandelte oder beim Abreißen der alten Kasernen und der Aufparzellierung ihres Geländes einen oder mehrere Baublöcke fur Grünanlagen vorbehielt. W ä h r e n d bis 1893 in den Vororten die Trassierung ohne Rücksicht auf das Gelände erfolgte — Gersthof ist ein Beispiel dafür — , so bemühte sich die Bauordnungsnovelle 1893, den Böschungsverhältnissen des Riedelgeländes am westlichen Stadtrand Rechnung zu tragen. Allerdings erwiesen sich die phantasievoll verschlungenen Straßen, die in der Spätgründerzeit im Villenviertel am Küniglberg, im Cottageviertel in Pötzleinsdorf oder am Heuberg südlich Dornbach entstanden, mit ihren unübersichtlichen Kurven für den Autoverkehr der Gegenwart ungünstiger als das Schachbrettnetz.

b) D i e F ö r d e r u n g

d u r c h die ö f f e n t l i c h e Η and:

Steuerbegünstigungen

In einer Zeit, in der die Wohnbaufinanzierung fast ausschließlich aus privaten Ersparnissen und den Mitteln des Kapitalmarktes gespeist wurde, erfolgte die Förderung des privaten Wohnbaus durch den Staat auf dem W e g e über Steuerbegünstigungen und Steuerfreijahre. Diese schon in alten Zeiten angewandten Mittel zur Heranziehung v o n Siedlern b z w . zur Ankurbelung der Bautätigkeit bewährten sich auch in der Gründerzeit, und dies ist nicht zu verwundern, betrug doch damals die Summe aller auf einem Haus lastenden Steuern fast 40 % des Bruttomietzinses. D i e Hauszinssteuer war nicht nur die tragende Säule des Wiener Gemeindebudgets, sondern ein Pfeiler des staatlichen Steueraufkommens schlechthin. Allein die Wiener Hauszinssteuer machte 1910 mit 100 Millionen Gulden 4 % des gesamten Staatsbudgets der österreichisch-ungarischen Monarchie aus.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918) Der Auftrieb der Bautätigkeit in der Frühgründerzeit beruhte zu einem guten Teil auf

einer 1859 gewährten Steuerbefreiung auf 18 Jahre für Häuser, die innerhalb der nächsten fünf Jahre vollendet wurden, und von 15 Jahren für die binnen einem Jahrzehnt fertiggestellten Wohnbauten. Den Neubauten auf dem ehemaligen Glacis wurde darüber hinaus eine besondere 25- bis 30-jährige Steuerbefreiung gewährt. Die große Neu- und Umbauwelle vor der Weltausstellung 1873 wurde durch die Ausdehnung der für Wien gewährten Steuerfreiheiten auf die Vororte ausgelöst (1868). Auch um die Bautätigkeit nach dem Börsenkrach 1873 wieder anzukurbeln, wurde eine auf zwei Jahre befristete 25-jährige Steuerfreiheit für Neu- und Umbauten bewilligt (1876) und in Zusammenhang damit die Verbrauchssteuer auf Baumaterialien innerhalb des Linienwalles aufgehoben, die bis dahin jeden über die Linie gebrachten Ziegel erfaßt hatte. Später ist man dann bei der Gewährung von Steuerfreijahren nicht mehr so großzügig vorgegangen. Nur im Zusammenhang mit der Novellierung der Bauordnung 1893 wurde fur 1263 speziell bezeichnete Häuser, deren Umbau für die Regulierung der Hauptstraßen von besonderer Wichtigkeit war, eine 18-jährige weitgehende Steuerfreiheit gewährt, von der 6 0 % der betroffenen Hausbesitzer Gebrauch machten. c) D i e B e d e u t u n g d e r a d m i n i s t r a t i v e n

Grenzen

Die allmählicheErweiterung des administrativen Stadtbereichs von Wien war von größter Bedeutung für das ganze städtische Gefüge, da hierdurch immer weitere Gebiete in den Geltungsbereich der Bauordnung und der sonstigen städtischen Regelungen kamen. Bis zum Jahre 1850 bestand Wien als administrative Einheit nur aus der Altstadt, die sich durch ihr enges und winkeliges Straßennetz noch heute deutlich von der Ringstraßenverbauung abhebt. Jenseits des 800 bis 1140 m breiten Glacis lagen insgesamt 34 vom Linienwall umschlossene Vorstädte, außerhalb desselben im Gebiet südlich der Donau weitere 21 Vororte. 1850 wurden in einer ersten Stadterweitemng die Vorstädte in den Verwaltungsbereich der Stadt einbezogen. Dies wirkte sich in baulicher Hinsicht rasch aus. Nahezu schlagartig setzte sich eine viergeschossige Verbauung im gesamten Vorstadtraum durch, der bisher eine recht unterschiedliche Bauhöhe aufgewiesen hatte. Die Vorstädte wurden zu sieben Bezirken zusammengezogen, wobei man ihre Grenzen und strukturellen Unterschiede weitgehend berücksichtigte. Diese Tatsache muß gebührend hervorgehoben werden. Die inneren Bezirke Wiens sind ebenso wie die meisten äußeren keineswegs nur zufällig entstandene und willkürlich unigrenzte Gebilde, sondern häufig historisch-topographisch erwachseneEinheiten, wobei die an den alten Ausfallstraßen gelegenen Vorstädte auch die Kerne oder Achsen der neuen Bezirke abgaben. Für die damalige Bedachtnahme auf soziale und wirtschaftliche Unterschiede spricht ζ. B., daß Margarethen 1861 als eigener Bezirk von der alten Vorstadt Wieden abgetrennt wurde, die sozial und baulich ein durchaus anderes Gepräge aufweist. Da diese erste Stadterwcitcrung von 18 so sich an die Ausdehnung des 1694 festgelegten Burgfriedensbezirkes hielt, kamen auch die außerhalb des Linienwalles gebliebenen Gemarkungsteile von Matzleinsdorf, Hundsthurm, der Wieden und der Landstraße zu Wien. A u f den

Wichtige Faktoren der privaten Bautätigkeit

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Gründen der Wieden entstand ohne dörfliche Vorsiedlung der Vorort Favoriten, der allerdings 1874, da er eine ausgesprochen eigenständige Entwicklung zu nehmen begann, als selbständiger X . Bezirk von der Wieden (IV) abgetrennt wurde. N o c h im Bauzonenplan 1893 wirkte sich aber sein Entstehen auf alten Burgfriedensgründen dahingehend aus, daß man ihm, anders als den westlichen Vororten, eine fünfgeschossige Verbauung zubilligte. Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß sich in der Hochgründerzeit das Hauptwachstum der Stadt in die noch selbständigen westlichen Vororte verlagert hatte, die im österreichischen Städtebuch 1887 daher auch als eigene Städte aufschienen. Das Problem ihrer Eingemeindung war keineswegs einfach zu lösen, da u. a. dem Vorteil des Anschlusses an städtische Einrichtungen (wie der Wasserleitung) der Nachteil der Einbeziehung in den Verzehrungssteuerbereich gegenüberstand. Erst 1890 erfolgte diese zweite Stadterweiterimg von Wien, die der Kemstadt mit einem Schlag einen Bevölkerungszuwachs von einer halben Million Menschen brachte. Sie war in städtebaulicher Hinsicht von wesentlicher Bedeutung. Bisher hatten die V o r orte ihre Regulierungsfragen und Assanierungsprobleme nach eigenem Gutdünken und meist ohne Koordinierung untereinander gelöst. Erst jetzt wurde eine einheitliche Ausgestaltung des Kanalnetzes, der Hauptsammeikanäle, der Trinkwasserversorgung, somit eine durchgreifende Assanierung des Wiener Agglomerationsbereiches möglich, welche auch eine der großen Leistungen der Spätgründerzeit darstellt. Mit der Novelle der Bauordnung 1893 traten zumindest formal einheitliche Normen für Bauhöhe und Straßenbreite für das ganze damalige Stadtgebiet in Kraft. Gleichzeitig stiegen auch die Bodenpreise in den Vororten sprunghaft an, und entsprechend wuchs auch die Stockwerkszahl der N e u - und Umbauten schlagartig. In dem gestaffelten Verlauf der Straßenfronten und im A u f und A b der Stockwerkszahl wirkt somit bis heute die Eingemeindung in den westlichen Vororten nach. Mit einer dritten Stadterweiterung griff Wien 1904 über die Donau aus. Der industrialisierte Brückenkopf Floridsdorf mit einem ausgedehnten Umland wurde eingemeindet. Die großzügigen Projekte des Donau-Oder-Kanals und des W a l d - und Wiesengürtels standen, wie bereits erwähnt, im Hintergrund dieses Vorstoßes der Stadt in rein agrarische Gebiete. Das Jahrzehnt bis zum Ersten Weltkrieg reichte nicht aus, um der erst im Werden begriffenen städtischen Agglomeration nordöstlich der Donau neue wesentliche Züge aufzuprägen und neue Viertel aufzubauen, im Gegenteil, das Unfertige der Verbauung wurde durch die vereinzelten Vorposten von drei- bis vierstöckigen Miethäusern, die bis zum Ersten Weltkrieg an den Ausfallstraßen inmitten landwirtschaftlicher Flächen entstanden, nur noch erhöht. Die bereits akute Krise der Ackerbaudörfer des Marchfeldes rings um Floridsdorf wurde durch die Eingemeindung sicher verschärft und damit die Freigabe von Gründen beschleunigt. Knapp vor dem Ersten Weltkrieg stießen verschuldete Bauern große Flächen an Industriebetriebe ab. In der Zwischenkriegszeit kamen sie für einen industriellen Ausbau nicht mehr in Betracht, sondern fanden für Stadtrandsiedlungen Verwendung. So entstand ζ. B. die Nebenerwerbssiedlung Leopoldau auf einer solchen Industriereservefläche. Die mit der zweiten und dritten Stadterweiterung geschaffene Gliederung der äußeren Bezirke konnte sich zum Großteil bereits auf Großgemeinden stützen, die seit der Frühgründer-

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840— 1918)

zeit nach dem Vorbild der inneren Bezirke entstanden waren. W i e bei diesen w u r d e dabei das Prinzip einer Scktorengliedcrung angewendet, d. h. die an einer Ausfallstraße oder einem Lokalweg hintereinander gereihten Siedlungen zu einer neuen Vcrwaltungseinheit zusammengeschlossen. Die bauliche Dynamik der Spätgründerzeit reichte aber zu einer einheitlichen Uberformung der Vororte nicht mehr aus. Die laut Bauordnung gestattete Bauhöhe und auch der mögliche Verbauungsgrad von 8 s % wurden ganz im Gegensatz zur geläufigen Vorstellung nur mehr selten wirklich ausgenützt. Die älteren Gemarkungsgrenzen schimmern durch das Muster des Straßennetzes, der Bauparzellen und Bautypen noch deutlich durch, und es wird auf sie im speziellen Teil noch einzugehen sein. d) D e r E i n f l u ß d e r B o d e n p r e i s e und der i n n e r s t ä d t i s c h e n

Verkehrsentwicklung

Die Bodenpreise bilden bekanntlich einen wichtigen Faktor sowie Indikator des baulichen Geschehens. P. SCHWARZ, der Direktor der Österreichischen Sparkassa, hat in einer verdienstlichen Arbeit die Bodenpreise in den wichtigsten Straßen Wiens von i860 bis 1899 zusammengestellt. Seine Angaben gestatten, die räumliche Verteilung der Grundpreise während der liberalen Ära in den Grundzügen für die Stichjahre 1860/66 und 1899 zu rekonstruieren. Es zeigt sich, daß in der Stadt, wie zu erwarten, ein Gefälle der Bodenpreise zur Peripherie bestand. Diese konzentrische Gliederung wurde aber überlagert von einer sektorenmäßigen Differenzierung derart, daß der ganze westliche und nordwestliche Sektor der Stadt zwischen Wiental und Donaukanal wesentlich höhere Bodenpreise aufwies als — in gleicher Entfernung — die entsprechenden Sektoren im Südosten und Nordosten. Schon damals strebte der Wiener in erster Linie dem Wienerwaldrande zu, den er entsprechend höher bewertete. Wenig gesucht war — den Bodenpreisen nach zu schließen — auch der in einem toten Winkel der Wachstumsspitzen gelegene Bezirk Margareten. Das Steigen der Bodenpreise in der Hochgründerzeit bewirkte ganz allgemein durch die Erhöhung der Grundrente eine Beschleunigung der Umbautätigkeit, da die alten, niedrigen und daher wenig ertragreichen Bürgerhäuser diesem Druck nicht lange standhalten konnten. Aus dieser sehr wesentlichen Tatsache der kapitalistischen Wohnungswirtschaft lassen sich regionale Unterschiede erklären. So läßt es ζ. B. die schlagartige Abnahme der Bodenpreise außerhalb des Linienwalles verständlich erscheinen, daß sich hier die alten Häuser besser als in den Vorstädten dem Umbau der Spätgründerzeit zu entziehen vermochten. Dieses unterschiedliche Verhalten wird besonders deutlich bei unmittelbar benachbarten und nur durch den Gürtel getrennten Vierteln, wie Alt- und Neulerchenfeld. Altlerchenfeld wurde in der Spätgründerzeit völlig umgebaut, Neulerchenfeld konnte seinen Baubestand weitgehend bewahren. Nicht nur die Lage, auch die Parzellenform hatte Einfluß auf die Bodenpreisgestaltung. Kleine und seichte Parzellen erzielten ζ. B. einen geringeren Verkaufserlös pro m 2 als breite, mitteltiefe Grundstücke, die zur Anlage von Doppeltraktem geeignet waren. Weniger begehrenswert erschienen dagegen wieder besonders tiefe Parzellen, weil dort das V e r -

Die Träger der Privatwohnbautätigkeit und die Anfange des Kommunalwohnbaus

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hältnis zwischen vollwertigen Vorderhaus- und minderbewerteten Hinterhauswohnungen ungünstiger wurde. Besonders anfällig für den Umbau waren alte Häuser, die noch größere Hausgärten besaßen, die überbaut werden konnten. Am raschesten fielen die Eckhäuser Neubauten zum Opfer, ganz besonders in den Hauptgeschäftsstraßen, wo ihre Lebensdauer oft weniger als 50 Jahre betrug. Bei ihnen kann man Beispiele für die Ersetzung etwa eines Frühgründerzeithauses schon um die Jahrhundertwende finden, eine Erscheinung, die sonst in Wien nirgends anzutreffen ist. Natürlich wurden die Hauptverkehrsachsen der Vorstädte, die am frühesten das Geschäftsleben an sich banden, auch als erste in die Umbauwelle hineingezogen. Das beste Beispiel dafür ist die Mariahilferstraße (Abb. 36). Interessante Wechselbeziehungen bestanden auch zwischen der Entwicklung des Baukörpers und dem innerstädtischen Verkehrsnetz. In der Frühgründerzeit existierten nochkeine öffentlichen Verkehrsmittel im Stadtbereich. Der gesamte innerstädtische Verkehr wurde durch Fiaker, Einspänner und sogenannte Zeiselwagen (Stellwagen) bestritten, die sich allerdings im Zeitraum von 1850 bis 1872 beachtlich vermehrten. 1850 gab es 700 zweispännige Mietwagen und 60 Stellwagen, 1872 aber bereits 900 Fiaker, 1100 Einspänner und 960 Omnibusse. Mit der Eröffnung der ersten Pferdebahnlinie (vom Schottentor nach Hernais) im Jahre 1865 durch eine belgische Firma begann der Ausbau der öffentlichen Verkehrsverbindungen, der damals noch zur Gänze in der Hand von privaten Gesellschaften lag. Bei der allmählichen Erweiterung des Verkehrsnetzes gewannen die westlichen Vororte bald einen Vorsprung, wobei Bautätigkeit und Verkehrsausbau sich wechselseitig förderten. Nicht nur alte Ausfällstraßen und Lokalwege, auch neu entstandene Rand- und Verbindungsstraßen der damaligen Verbauung wurden als Verkehrsstraßen gewählt. Dieses oft von Zufälligkeiten abhängige hochgründerzeitliche Verkehrsnetz wurde von entscheidender Bedeutung fur die spätere Ausbildung der Hauptgeschäftsstraßen. Nur so läßt sich verstehen, wie etwa die Reinprechtsdorferstraße im 5. Bezirk, die Wallensteinstraße im 20. Bezirk und die Thaliastraße im 16. Bezirk, die weder alte Ortskerne noch Ausfallstraßen sind, zu Hauptgeschäftsstraßen ihrer Bezirke wurden.

3. DIE T R Ä G E R DER PRIVATEN W O H N B A U T Ä T I G K E I T UND DIE ANFÄNGE DES K O M M U N A L E N W O H N B A U S Der Charakter der privaten Bautätigkeit wandelte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch von ihren Trägern her entscheidend. Im Zuge der Grundentlastung 1848 wurde der Boden aus der grundherrlichen Bindung gelöst. Er wurde damit zur Ware und unterlag hinfort den gleichen Gesetzen von Angebot und Nachfrage wie andere Güter. Aber auch das Haus selbst erfuhr einen Wertwandel. War es dem „behausten Bürger" einst die unentbehrliche Grundlage seiner ganzen Existenz gewesen, an die seine Privilegien geknüpft waren, die ihm Werkstätte, Verkaufsräume und Speicher ebenso wie die Wohnung bot,

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Β. Die bauliche E n t w i c k l u n g in der Gründerzeit (1840—1918)

vielfach auch noch in den Hinterflügeln die bescheidenen Quartiere seiner Hilfskräfte enthielt, so wurde es nun in erster Linie zu einer Einkommensquelle, zum Ertrag abwerfenden Miethaus. Miethäuser hat es in Wien freilich schon seit Jahrhunderten gegeben. In der drangvollen Enge, die innerhalb der Befestigungswälle herrschte, haben auch die Bürgerhäuser oft genug schon früh den Charakter von überfüllten „Logierhäusern" wider Willen der Besitzer angenommen. Nun aber entsteht der neue T y p des mittelständischen Hausbesitzer-Rentiers, der von dem Mietaufkonimen seines Hauses lebte, gleichgültig ob er daneben noch irgendwelche Tätigkeiten ausübte. Der Hausbesitz diente der begüterten Schicht der Bevölkerung zur Anlage des ersparten Einkommens und bildete damit eine Art Sparkasse. Allerdings besaß der gründerzeitliche Hausherr schon Vorläufer im 18. Jahrhundert, als das Miethaus nach 1770 auch in die Vorstädte seinen Einzug hielt, jedoch bestand in dieser Zeit des blühenden Gewerbe- und Manufakturwesens noch weithin die Koppelung von Hausbesitz und Gewerbe. Noch um 1840 gaben im Gesamtgefüge der Vorstädte die Wohnhäuser der Gewerbetreibenden — mit ihren zu Werkstätten und kleinen Mietwohnungen ausgebauten Hofflügeln — den Ton an. Gleichzeitig streifte nun das Baugewerbe die alten zünftischen Organisationsformen ab und nahm einen mehr industriellen Charakter an. Überdies schoben sich in das ursprünglich einfache Beziehungsdreieck von Grundherr — Baugewerbe — bürgerlicher Hauseigentümer alle mögüchen Zwischenstellen ein, die vom Grundstücksmarkt und der Kreditbeschaffung lebten: Realitätenbüros, Baugesellschaften, Agenten verschiedenster Art, Hypothekenanstalten und Sparkassen. a) B a u g e s e l l s c h a f t e n — H y p o t h e k e n a n s t a l t e n In der Frühgriinderzeit war die Baulust anfangs noch gering und den alten Organisationsformen verhaftet. Erst mit der Ringstraßenverbauung 1857 begannen Baugesellschaften aufzutreten, über deren Tätigkeit die Meinungen geteilt waren. Fest steht, daß sie, anstatt zu bauen, sich mehr mit der Bodenaufschließung bzw. Bodenspekulation beschäftigten und durch ihre Grundkäufe die Bodenpreise in schwindelnde Höhen trieben. Die private Hausbesitzerschicht stand diesen Baugesellschaften, die den Hauptgewinn bei den Parzellierungen einsteckten, keineswegs freundlich gegenüber, wie es etwa die Äußerungen im Hausherrenkalender für 1875 bezeugen. An der Wende zur Hochgründerzeit bestanden nicht weniger als 32 Baugesellschaften, die über das enorme Kapital von 250 Millionen Gulden verfügten und es vor allem für den Ankauf von Gründen und den Abbruch geeigneter Altbauten verwendeten. Bis 1875 waren nur 200 Häuser, in der Regel Nobelmiethäuser des Ringstraßenbereiches, von den Baugesellschaften selbst errichtet worden. Nur 23 Baugesellschaften überlebten die Krise von 1873. Dank dem noch immer beachtlichen in ihrer Hand vereinigten Kapital von 119,5 Millionen Gulden ging auch weiterhin der größte Teil des neu aufzuschließenden Baulandes durch ihre Hände. Nach der Parzellierung verkauften sie die Bauparzellen weiter, und die Bauten selbst wurden meist von kleinen, gelegentlich auch größeren Baumeistern ausgeführt. Wohl wurden dabei gewisse Grundformen immer wieder verwendet, doch wurde selten

Die Träger der Privatwohnbautätigkeit und die Anfange des Kommunalwohnbaus

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mehr als ein Häuserblock oder eine kurze Straße von einem Baumeister in einem Zuge erbaut. Das Rasterschema der Straßen täuscht daher einen Grad von Regelmäßigkeit vor, der in der inneren Gestaltung der einzelnen Häuser zumindest in der Hochgründerzeit noch nicht bestand. Als repräsentativ für die großen Baugesellschaften kann die Wiener Baugesellschaft gelten, über deren Tätigkeit während der Jahre 1869—1902 ein Geschäftsbericht Aufschluß gibt. In diesem Zeitraum gingen im geschlossenen Stadtkern rund 750 Bauparzellen und einschließlich des offenen Stadtrandes eine Fläche von 120 ha (die größer ist als der 8. Bezirk!) durch die Hände der Gesellschaft. Insgesamt wurden von der Gesellschaft in diesem Zeitraum nur 127 Häuser erbaut. Es wurden drei Arbeitsgebiete der Gesellschaft genannt: 1. Erwerbung, Aufteilung und Verwaltung von Grundkomplexen bzw. Gewinnung von Bauplätzen durch Ankauf und Abbruch alter Häuser. 2. Bauten nach eigenem Entwurf (siehe oben) und 3. Baumeisterarbeiten nach vorgelegten Entwürfen, unter denen sich bedeutende staatliche Bauten befanden. Mit der Entfaltung einer eigenen Bautätigkeit wich die Wiener Baugesellschaft von den Gepflogenheiten der meisten anderen Gesellschaften ab. Daher war es sehr bezeichnend, daß die Baugesellschaften, wie die Besitzverzeichnisse der Häuser u m 1870 erkennen lassen, im allgemeinen im Hausbesitz nur wenig in Erscheinung traten, wenn aber, dann bei solchen Objekten, die kurz vor dem Abbruch standen und durch ihr großes unverbautes Areal die Gewinnung von neuen zusätzlichen Bauplätzen ermöglichten. So erscheinen ζ. B. auf dem Stadtplan von Loos (1891) einige Realitätenverkehrs- und Baugesellschaften im Besitz von alten Ziegeleien auf der Höhe des Wienerberges! £rst gegen Ende des Jahrhunderts wandelten sich die Baugesellschaften mehr in Bauuntemehmungen um, indem sie ihr Terrain abstießen, ohne neues zu erwerben. Gleichzeitig dehnten manche von ihnen ihren Wirkungskreis auf die ganze Monarchie aus. Der Hausbesitz zeigt ein starkes Fluktuieren. U m 1870 gelangten jährlich 4,5% der Häuser zum Verkauf, was bedeutet, daß die Wiener Häuser im Durchschnitt innerhalb von 22 Jahren auf dem Verkehrswege ihre Besitzer wechselten. In der Spätgründerzeit lag die Bodenspekulation und der Parzellenhandel vorwiegend in den Händen von Einzelunternehmem, denen ein ganzes Netz von Agenten das parzellierte und unparzellierte Bauland zubrachte. Außerdem schalteten sich die neu entstandenen Hypothekenanstalten in der Form von Gewährung langfristiger Darlehen zur Endfmanzierung von Wohnneubauten ein. Vor allem im Vorortebereich hatten die niederösterreichischen Hypothekenanstalten große Bedeutung. 1914 entfiel auf sie über 50% der gesamten Belehnung. Die Belastung der Liegenschaften nahm überhaupt in der Spätgründerzeit immer mehr zu. 1904 betrug die Hypothekenbelastung des Wiener Hausbesitzes 956 Millionen Kronen (was annähernd einem Viertel des gegenwärtigen österreichischen Staatsbudgets entspräche!). Damit entfielen auf ein Haus im Durchschnitt 60000 Kronen. Die Folge dieser starken Verschuldung war, daß der Hausherr in vielen Fällen zum bloßen Hausverwalter herabsank.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918) b) R i n g e n um neue O r g a n i s a t i o n s f o r m e n des W o h n b a u s

Die verschiedenen Mißstände der kapitalistischen Wohnungswirtschaft riefen schon in der Hochgründerzeit Reformbestrebtingen hervor. Dieses Ringen um neue Organisationsformen des Wohnhaus äußerte sich in einer umfangreichen Literatur über die Wohnungsfrage, die, mit der sozialen Frage gekoppelt, zu einem Hauptanliegen der Sozialpolitiker und Volkswirtschaftler wurde. Vergleicht man diese Bestrebungen mit den Realisierungsmöglichkeiten, so erkennt man ihre Ohnmacht, solange die liberalistischen Wirtschaftsprinzipien herrschten. Im Wettlauf zwischen Bautätigkeit und Grundpreiserhöhung konnten im Rahmen der gegebenen Bauordnung und Besteuerung unter kapitalistischen Grundsätzen der Rentabilität keine gesunden und billigen Arbeiterwohnhäuser entstehen, noch weniger Einfamilienhäuser, fiir die in Wien auch die historischen Wurzeln schon früh abgestorben waren. W o h l versuchte der Staat, mit Steuerbefreiungen zugunsten des Baues von Arbeiterwohn-

häusem einzugreifen, aber hier versagte dieses sonst bewährte Mittel. Bereits 1892 wurde ein Gesetz erlassen, das für alle Wohngebäude, die Gemeinden, gemeinnützige Vereine, Genossenschaften und Arbeitgeber fiir die Arbeiter errichteten, eine 24-jährige Befreiung von der Staatssteuer gewährte. Da aber die vorgeschriebenen Mieten eine geringere Verzinsung des Baukapitals als auf dem freien Wohnungsmarkt erbrachten, hatte es keine nennenswerte Wirkung. 1902 folgte ein weiteres Förderungsgesetz, das die gleiche Steuerermäßigung an eine Ertragsbeschränkung auf 5% fiir den Hauseigentümer knüpfte. Aber bis 1917 waren in ganz Österreich nur 4800 Wohnungen mit Hilfe dieser Förderungsbestimmungen entstanden. 1910 wurde schließlich im Einvernehmen mit dem Ministerium fur öffentliche Arbeiten und Finanzen ein staatlicher Wohnungsfürsorgefonds für Kleinwohnungen mit einem Betrag von 1,5 Millionen Kronen, der bis 1921 auf 4 Millionen Kronen gesteigert werden sollte, ins Leben gerufen, aus dem Gemeinden, öffentlich-rechtliche Körperschaften und gemeinnützige Bauvereinigungen, sofern ihr Reingewinn satzungsgemäß auf 5% beschränkt war, eine Kredithilfe zum Bau von Kleinwohnungen in Anspruch nehmen konnten. Dieser Fonds stellte den direkten Vorläufer des bis heute wirksamen Bundeswohn- und Siedlungsfonds dar. Die Ansätze zu neuen Organisationsformen des Wohnbaues blieben in ihrem quantitativen

Beitrag zur gesamten Wohnbauleistung der Gründerzeit wohl bescheiden, verdienen aber doch als Verbindungsglieder zwischen der kapitalistischen Wohnungswirtschaft und dem sozialen Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit Erwähnung. Diese stehen keineswegs so abrupt nebeneinander, wie allgemein angenommen wird. Bau von Werkswohnungen In gewissem Sinn eine Fortführung der ständisch gebundenen Wohnungsordnung, in welcher der Meister verpflichtet war, fiir die Unterkunft seiner Gesellen und Lehrlinge zu sorgen, bildete der Bau von Werkswohnungen, den sich einige private und staatliche

Die Träger der Privatwohnbautätigkeit und die Anfänge des Kommunalwohnbaus

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Betriebe seit der Hochgriinderzeit zur Aufgabe setzten. Es waren zuerst die großen Industriebetriebe am Stadtrand in Floridsdorf, die für ihre Beschäftigten Wohnhäuser errichteten. So schuf z.B. schon 1871/73 die Wiener Lokomotivfabriks-AG frei stehende Wohnblöcke im Ziegelrohbau mit Zimmer—Küche- undZimmer—Küche—Kabinett-Wohnungen. Später folgten die Schrauben-und Schmiedewarenfabrik Brevillier AG und die Kabelfabrik SiemensHalske. Die Wienerberger Ziegel fäbriks- und Baugesellschaft errichtete gleichfalls bei ihren ausgedehnten Anlagen zahlreiche Arbeiterhäuser verschiedener Größe, darunter mehrere für so—66 Familien. Dem Beispiel folgten die Heiligenstädter Ziegelei und das Hofbräuhaus in Nußdorf. Von den verschiedenen Eisenbahndirektionen wurde schon ebenso früh der Bau von Personalhäusern begonnen. Seit 1870 besaß der Pensionsfonds für Beamte der Südbahngesellschaft Reihenhäuser auf Grundstücken, die von der Südbahngesellschaft kostenlos zur Verfugung gestellt worden waren. Auch von der Nord- und Nordwestbahn wurden 1873 beim Bahnhof Floridsdorf große Wohnhäuser errichtet, bei denen die Mieter zum Teil auch kleine Gartenbeete erhielten. Der Humanitätsfonds der Staatseisenbahnen finanzierte in verschiedenen Wiener Bezirken Wohnanlagen mit Grünflächen und Kinderspielplätzen. Fast alle Eisenbahnerhäuser wiesen ein ungefähres Verhältnis von 1:1 von Zimmer-Küche33 —44 m 2 ) und Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen (45—54 m 2 ) auf. Auch die Arbeiterunfällversicherungsanstalt flir Niederösterreich erbaute fiir ihre Angestellten im 21. Bezirk 13 dreistöckige Reihenhäuser mit fast 200 Wohnungen meist kleinsten Ausmaßes. Anfange der Bauvereine und Genossenschaften Die Anfange der Bauvereine und Genossenschaften reichen auch schon in die Hochgründerzeit zurück. Bereits 1883 wurde der Verein für Arbeiterhäuser gegründet, der nach dem Mühlhausener Vorbild Einfamilienhäuser fiir Arbeiter errichten wollte. Von diesen Bestrebungen konnte jedoch nur das Favoritener Cottage mit 18 Einfamilienhäusern und einer durchschnittlichen Wohnfläche von 67,3 —97,5 m 2 realisiert werden 2 ). Der Anzahlungspreis von 2 000 Kronen war fiir Arbeiter kaum erschwinglich. Der Hauptgrund fiir den mangelnden Erfolg des mit viel Begeisterung begründeten Vereins lag eben wohl darin, daß das aus Nordwesteuropa bezogene Ideal des Einfamilienhauses bei dem wesentlich tieferen Lohnniveau des österreichischen und Wiener Arbeiters unter den gegebenen Verhältnissen unerreichbar blieb. Mehr Erfolg war einer nach 1902 gegründeten gemeinnützigen Baugesellschaft für Arbeiterwohnhäuser beschieden, die sich die Aufgabe stellte, gesundheitlich einwandfreie Kleinwohnungen mit erschwinglichem Zins zu schaffen. In der Brigittenau entstand eine mehrtraktige Anlage mit 127 Wohnungen, Kinderkrippe und Kaufläden, die bereits als Vorläufer der Kommunalbauten der Zwischenkriegszeit bezeichnet werden kann, insoferne als jede, auch die kleinste Wohnung eine abgeschlossene selbständige Einheit darstellte, mit eigenem Keller, Dachboden und Klosett. Gegen billigen Pachtzins wurden auch Gartenbeete an die 2) X. Bezirk, Baublock zwischen Puchsbaumgasse und Kiesewettergasse im W der Ankerbrotfabrik.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

Mieter abgegeben. Eine ungewöhnliche Bestimmung der Hausordnung, das Verbot von Untermietern und Bettgehern, brachte es jedoch mit sich, daß vor allem die etwas größeren Wohnungen trotz der enormen Nachfrage nur schleppend vermietet werden konnten. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig es ist, die eingespielten Formen des Wohnungsmarktes, und sei es auch im Bestreben nach Verbesserungen, zu durchbrechen! Immerhin war die Mobilität der Parteien in diesen Bauten mit etwa 17% (zwischen 1907 und 1910) wesentlich geringer als im Stadtdurchschnitt (30%). Als erste Gesellschaft bezog die 1911 gegründete Bau- und Wohnungsgenossenschaft der Südbahnbediensteten in größerem U m f a n g auch Mittelwohnungen in ihr Bauprogramm ein. Sie errichtete in verschiedenen österreichischen Städten, darunter auch in Wien, W o h n häuser, die eine wesentliche Verbesserung gegenüber den bisher skizzierten Wohnbauten bedeuteten. In manchen Anlagen wurde den Wohnbedürfnissen der höheren Beamten auch in Form von Dienstboten- und Badezimmern Rechnung getragen. Öffentliche Stiftungen Als öffentliche Stiftung entstand 1898 die Kaiser Franz Josef I. Jubiläums Stiftung für Volkswohnungen und Wohlfährtseinrichtungen, die die Nachfolge des Vereins für Arbeiterhäuser antrat und u. a. aus dem Wiener Stadterweiterungsfonds Subventionen erhielt. Die beiden am Stadtrand in Breitensee ausgeführten Anlagen nahmen in Standortwahl, D i m e n sion und Gliederung die kommunalen W o h n b u r g e n der Zwischenkriegszeit vorweg. In je 16 Stiegenhäuser gegliederte Wohnhöfe umschlossen eine Grünfläche mit Kinderspielplätzen. Die verbaute Fläche betrug etwa 45%. In einem Stiegenhaus waren 15 Wohnungen untergebracht. Der ganze Komplex umfaßte ungefähr 480 Wohnungen, unter denen Kleinstwohnungen dominierten und nur knapp 20% der Wohnungen aus Zimmer-Küche-Kabinett bestanden. Ebenso wie in der Brigittenau war auch hier die Aufnahme von Untermietern verboten. Recht beachtlich war die Ausstattung mit verschiedenen Gemeinschaftsanlagen: Wäscherei, Bad, Ordinationsräume, Bibliothek, Vortragssaal. Kommunale Bautätigkeit Die kommunale Bautätigkeit begann in Parallele zu anderen Arbeitgebern mit der Schaffung von Werkswohnungen für die Angestellten der städtischen Betriebe, der Straßenbahn, Gas- und Elektrizitätswerke. Die größte Initiative entfaltete dabei die Straßenbahndirektion, die ihren Bediensteten bis I 9 i 7 ü b e r 2000 Kleinwohnungen — vor allem in Ottakring und Kagran—zur Verfügung stellte. Die Gemeinde selbst war von dem Gedanken eines sozialen Wohnbaues um die Jahrhundertwende noch weit entfernt, doch war sie grundsätzlich bereit, Bauland zu ermäßigtem Preis an Genossenschaften für die Errichtung von Arbeiterwohnhäusern abzugeben. In der Folge wurden auch 7,5 ha Baugrund abgetreten. Noch 1910 lehnte der Gemeinderat den Antrag des Abgeordneten M A L C H E R ab, daß die Gemeinde auf ihren Grundstücken Häuser in leichter Bauart, finanziert durch die städtischen Sparkassen, herstellen sollte. Erst um 1912 änderte sich die Einstellung der Gemeinde, und knapp vor dem Ersten Weltkrieg errichtete sie in einer ersten Aktion 250 Kleinwohnungen für kinderreiche

Die Bauleistung und die Wolinvcrhältnisse der Gründerzeit

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Familien im 10. und 16. Bezirk. Mit dieser Maßnahme begann die kommunale W o h n b a u politik Wiens, die sich unter anderen politischen Vorzeichen in der Zwischenkriegszeit mächtig entfaltete. In der Spätgründerzeit konzentrierten sich die Bestrebungen um eine Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in der 1907 gegründeten Zentralstelle für Wohmmgsreform, deren Vorschläge 111 vielen Punkten von der kommunalen Baupolitik in der Zwischenkriegszeit aufgegriffen wurden und daher verdienen, der Vergessenheit entrissen zu werden. H. RAUCHBERG, der Leiter der Zentralstelle, forderte ein stärkeres Eingreifen der öffentlichen Hand; sein Programm der Wohnungsreform umfaßte die folgenden fünf Hauptpunkte: I. Die räumliche Auflockerung des Siedlungswesens und die Förderung von Gartenstädten. Eine solche projektierte ζ. Β. M . WILLFORT im Anschluß an die Eisenbahnersiedlung Straßhof. Sie hat sich dann in der Zwischenkriegszeit als spontane Siedlung auf den zum Teil bereits aufparzellierten Gründen des Gutes Straßhof entwickelt. 2. Die Erschließung des Stadtrandes durch rasche und billige Verkehrsmittel. 3. Eine kräftige Bodenpolitik der Gemeinde, u m dadurch Einfluß auf die Bodenpreise und den Realitätenmarkt zu gewinnen. 4. Ein modernes Enteignungsgesetz und eine neue Bauordnung. 5. Kommunale Wohnungsämter zwecks Organisation des Wohnungsmarktes. In diesem Sinne sollte auch die Wohnungsfiirsorge aus der privaten karitativen Sphäre herausgehoben und zum Gegenstand der öffentlichen Verwaltung gemacht werden.

4. D I E B A U L E I S T U N G U N D D I E DER

WOHNVERHÄLTNISSE

GRÜNDERZEIT

Kapitalistische Organisationsformen und liberales Wirtschaftsdenken zeichnen fur die Wohnbauleistung der Gründerzeit verantwortlich, die mit rund 450000 Wohnungen einen bis heute wesentlichen Anteil des Wiener Wohnhausbestandes erstellte. Mit dem Erbe dieser Epoche mußten sich seither zwei Generationen der Wiener Bevölkerung auseinandersetzen, wobei im ganzen ein sehr abwertendes Urteil über diese wichtige Entwicklungsperiode der Stadt entstand und im Bewußtsein der Bevölkerung fixiert wurde, das aber der tatsächlichen Leistung nicht voll gerecht wird. Allerdings, wenn man die gesamte Wohnbauleistung dieser acht Jahrzehnte im Hinblick auf die Wohnungsgrößen betrachtet 3 ), so kann man das negative Vorzeichen der gründerzeitlichen Verbauung, nämlich die Erhöhung des Anteils der Kleinstwohnungen von rund einem Drittel 1857 auf die Hälfte aller Wiener Wohnungen 1917 nicht übersehen. Sie geht auf Kosten des Anteils der Kleinwohnungen einerseits und der größeren Mittel- und Groß3) Ein exakter Vergleich der Wohnungsgrößen stößt infolge der Änderung der statistischen Erhebungsmethode im Jahre 1917 auf gewisse Schwierigkeiten. Doch wurde mit Hilfe einer Umrechnung der Tabellen von Sedlacek für 1890 versucht, eine Brücke zwischen den Angaben der Früh-und Spätgründerzeit zu schlagen.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

Die Bauleistung und die Wohnverhältnisse der Gründerzeit

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Wohnungen andererseits. Die Gesamtzahlen verschleiern dabei die folgende räumliche Differenzierung, die sehr wesentlich auch in der Entwicklung der Bautypen eine Rolle spielt. In den alten Vorstädten verband sich nämlich mit dem gründerzeitlichen Umbau eine soziale Aufwertung, die schon in der Frühgründerzeit einsetzte und sich dann fortschreitend verstärkte. W ä h r e n d die Kleinst- und Kleinwohnungen relativ abnahmen, stieg der Anteil der Mittel- und Großwohnungen von 30 auf 43%. Die Herrschaftswohnungen mit zehn und mehr Wohnungsbestandteilen gingen im Verhältnis wieder etwas zurück. Die weit überwiegende Zahl aller in größeren Mittel- und Großwohnungen lebenden Haushalte verfugte über Dienstboten. In den Vororten (äußeren Bezirken) äußerte sich die gründerzeitliche Bautätigkeit dagegen in der Schaffung eines breiten Massenmiethausgürtels von Kleinst- und Kleinwohnungen (1917 84,5% oder rund 280000 Wohnungen). Diese Kleinst- und Kleinwohnungen mit ihrer für die heutigen Vorstellungen von Wohnhygiene ganz unzureichenden Ausstattung und Bauweise müssen freilich aus der damaligen Situation der Wohnungswirtschaft und vor allem — was kaum geschieht — auch von den damaligen Ansprüchen der Bevölkerung an die W o h n u n g her verstanden werden. Die Masse der nach W i e n einströmenden Zuwanderer stammte aus den übervölkerten Agrargebieten Mährens und Böhmens, aus bescheidensten Verhältnissen kleinbäuerlicher und gewerblicher Art. Aus ihr rekrutierte sich die geschilderte breite Unterschicht des industriellen Gesellschaftsaufbaus. Die Großstadt gewährte ihr die Möglichkeit einer Haushaltsgründung, wobei die Kleinst- und Kleinwohnungen in den Zinskasernen fiir die Masse dieser gewerblichen Hilfskräfte, Arbeiter und kleinen Angestellten eher sogar eine Verbesserung gegenüber ihren bisherigenWohnungsverhältnissen bedeuteten. Aufder anderen Seite belastete das hochkapitalistische Wirtschaftssystem mit all seinen Schattenseiten — der sozialen Unsicherheit, niedrigen Löhne, Arbeitslosigkeit usf. — die zahlreichen neu gegründeten Arbeiterhaushalte und Einzelpersonen schwer. Obdachlosenheime waren die einzige Hilfsmaßnahme des Staates, private karitative Vereine taten ein weiteres, u m die ärgsten Notstände zu lindern. Die Klagen über die schlechten Wohnverhältnisse und die Wohnungsnot des Arbeiterstandes ziehen sich als roter Faden durch das Schrifttum der Gründerzeit 4 ). 4) Allerdings war der Mangel an Wohnraum mit der Entwicklung Wiens in der Neuzeit untrennbar verbunden. Schon die zeitgenössischen Schilderungen der Barockzeit, als der Wohnungsbedarf des umfangreichen kaiserlichen Hofstaates noch vom Hofquartieramt geregelt wurde, Uberboten sich in Klagen über die beengten und schlechten Wohnungsverhältnisse vor allem in der Altstadt. Auch die Aufhebung dieser überholten Reglementierung durch Josef II. vermochte die Wohnungsnot, die auch in den Vorstädten herrschte, nicht zu beseitigen. Wir lesen Berichte über die große Zahl von Obdachlosen, die jeden Abend über die Linie „abgeschafFt"wurden. Zum guten Teil handelte es sich dabei freilich um Arbeitslose und Bettler, die bekanntlich die Kehrseite der glanzvollen Städte der ausgehenden Feudalzeit und beginnenden Manufakturperiode bildeten.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840 -1918) Bedauerlicherweise gestatten die Wohnungserhebungen vor 1917 nicht, die Dichte

pro WolineinJieit zu berechnen und zu einer exakten quantitativen Aussage zu gelangen, da die verschiedenen Wohnungsbestandteile wie Küchen, Nebenräume und dgl. gleichwertig gezählt wurden. Es stehen nur die Angaben der Wohnungsdichte zur Verfügung, die von 1857 — 1 9 1 7 deutlich ein Absinken des durchschnittlichen Belags sämtlicher Wohnungen erkennen lassen, was mit dem Abbau des familienfremden Anteils der Haushalte zusammenhängt (vgl. S. 35). Doch muß man sich hüten, hieraus auf eine allgemeine Verbesserung der Wohnverhältnisse zu scliließen. Eine solche war nicht eingetreten, denn das Absinken des durchschnittlichen Wohnbelags wurde, wie Tabelle 7 lehrt, durch das beträchtliche Ansteigen des Prozentsatzes der Kleinstwohnungen kompensiert, so daß sich letztlich sogar eine Verschlechterung des gewogenen Wohnungsbelags um 16,3% ergab. TABELLE 7: V e r ä n d e r u n g e n des W o h n u n g s b e l a g s i m Laufe der G r ü n d e r z e i t 1

2

Wohnungsbelag

Index (1857 = 100)

1857

5,3

100

32,4

100

10000

1890

4,4

83

43,1

138

11039

1917

4,0

76

49,6

153

11628

3 Prozentsatz der Kleinwohnungen

4 Index (1857 = 100)

2x4 Gewichtung des Wohnungsbelags

Die Stichprobenuntersuchung von E. PHILIPPOVICH 1894 in den Arbeitermietskasernen in Ottakring, Favoriten und der Brigittenau, in denen allerdings Extremfälle herausgesucht wurden, ergeben bei weitem ungünstigere Wohnverhältnisse. In diesen Arbeiterbezirken drängte sich die Masse der Untermieter und Bettgeher in den Klein- und Kleinstwohnungen, wobei der Anteil der Bettgeher sogar umgekehrt proportional zur Wohnungsgröße wuchs, ein Raumbelag von zehn Menschen keine Seltenheit war 5 ) und die Wohnbevölkerung zu einem Drittel aus Bettgehern bestand. Man versteht die Erschütterung des Verfassers über das fürchterliche Wohnelend der Arbeiterbevölkerung 6 ). Diese Wohnungsnot hat begreiflicherweise auch verschiedene andere soziale und hygienische Mißstände nach sich gezogen. Die Tuberkulose wurde geradezu als „Wiener Krankheit" bezeichnet. In direktem Zusammenhang mit dem Überbelag der Wohnungen stehend, forderte sie in den Arbeitervierteln, wie Favoriten, bis zu einem Drittel aller 5) So waren in Ottakring 1890 2 6 % sämtlicher Zi-Kü-Wohnungen mit 6 — 10 Personen belegt. 6) E. v. Philippovich schrieb dazu: „Man kann Wohnung für Wohnung abgehen, so fehlt alles, was wir als Grundlage gesunden bürgerlichen Lebens zu sehen gewohnt sind. Die Wohnung ist nur eine Schutzdecke vor den Unbilden der Witterung, ein Nachtlager, das bei der Enge, in der sich Menschen drängen, bei dem Mangel an R u h e und Luft und Reinlichkeit, nie dem erschöpften Körper zur Ruhestätte werden kann. Diese W o h n u n g e n bieten keine Behaglichkeit und keine Erquickung. Sie haben keinen Reiz für den von der Arbeit Abgemühten. W e r in sie hineingesunken ist oder in sie hineingeboren wurde, muß körperlich oder geistig verkümmern und verwelken oder verwildern."

Die Verbauung um 1840— Ein Rückblick

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Todesfälle. Das Wirtshaus wurde zum Hauptaufenthaltsort der meisten Arbeiter am Abend und am Wochenende. Die große Anzahl der Gasthäuser, der echten „Vorstadtbeisel", ist noch heute für die Kerne der Arbeiterbezirke, Neulerchenfeld, Meidling, Favoriten usf., sehr kennzeichnend. Erst unter den geänderten Lebensgewohnheiten der Gegenwart schmilzt ihre Zahl rasch zusammen. Die schon früh von der Volkswirtschaftslehre erkannte Regel der liberalen Wohnungswirtschaft, daß der Zinssatz pro m* Wohnfläche umgekehrt proportional zur Wohnungsgröße stehe, war auch für Wien gültig. Die Wohnungsnot forderte außerdem ein weiteres Ansteigen der Mietzinse, das sich wegen der größeren Nachfrage nach Kleinwohnungen bei diesen stärker auswirkte. So mußte selbst der keineswegs arbeiterfreundliche S. MAYER in einer Stellungnahme zur sozialen Frage zugeben, daß der Anteil der Miete am Arbeitslohn von ι j % um 1840 auf etwa 2$% 1870 gestiegen sei. Dagegen betrugen die Mietzinse nach RAUCHBERG beim Mittelstand nur etwa ein Sechstel des Einkommens, bei der Oberschicht ein Zehntel. Neben den hohen Mieten gehörte auch die hohe Mobilität der Mietparteien zum System der gründerzeitlichen Wohnungswirtschaft. Auch hierbei zeigte sich die Arbeiterbevölkerung schon infolge der unsicheren Einkommensverhältnisse besonders benachteiligt. Betrafen die jährlichen gerichtlichen Kündigungen im Stadtdurchschnitt der Spätgründerzeit rund ein Drittel der vorhandenen Wohnungen, so stieg dieser Anteil in den Arbeiterbezirken, wie Favoriten, auf nahezu die Hälfte, wobei die kurzfristigen 14-tägigen Kündigungen 90% ausmachten. Rund die Hälfte der Bevölkerung wechselte hier jährlich die Wohnung. Es ist begreiflich, daß die Generation, die im Fegefeuer der Wohnungsüberfullung und übergroßen Mobilität aufgewachsen war, nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung nicht nur als Träger eines neuen generativen Verhaltens auf den Plan trat, sondern auch in einer neuen Organisation der Wohnungswirtschaft alle liberal-kapitalistischen und marktwirtschaftlichen Prinzipien über Bord warf.

III.

BAUTYPEN DER

U N D

VERBAUUNGSGEBIETE

GRÜNDERZEIT

1. DIE VERBAUUNG UM 1840 - E I N RÜCKBLICK a) Die Bautypen Ein tieferes Verständnis der gründerzeitlichen Bauperiode vor allem im Hinblick auf die Umprägung des alten Baubestandes setzt eine Kennzeichnung der um 1840 vorhandenen Bautypen und Verbauungsgebiete voraus, die hiermit im Überblick geboten werden soll. Der Baubestand der Altstadt, Vorstädte und Vororte, deren scharfe Trennung damals noch bestand, wies vor allem im Wohnbau eine Vielzahl von Typen auf. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der baulichen Entwicklung Wiens, daß das Eigenhaus des Stadtbürgers schon früh durch das Miethaus verdrängt wurde. Die Residenzfunktion und das damit

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

verbundene Hofquartierwesen hatten hierbei einen maßgeblichen Einfluß ausgeübt. Schon in der Renaissance entstanden die ersten arkadengeschmückten Wohnhöfe, von denen über barocke Vertreter eine geschlossene Reihe bis zu den großen klassizistischen Wohnhöfen heraufführt, die vor allem den großen geistlichen Stiften ihre Entstehung verdanken und an die Stelle ehemaliger Wirtschaftshöfe traten (Heiligenkreuzerhof, Melkerhof, Schottenhof, Klostemeuburger Hof usw.). Der vor allem seit Mitte des 18. Jahrhunderts steigende Bedarf an Wohnungen fiir den Beamtenstand und eine im Manufakturwesen und Großhandel reichgewordene großbürgerliche Schicht wurde durch Großwohnhäuser befriedigt, als deren Musterbeispiel das Schubladlkastenhaus neben der Schottenkirche gelten kann. Die Gliederung dieser neu entstehenden hohen Reihenmiethäuser in zweihüftige Trakte ermöglichte seither die Anlage von mehreren gleichartigen Wohnungen in einem Stockwerk. Vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine beachtliche Zahl von großen Miethäusern, die alle in den unteren Geschossen sehr geräumige Wohnungen enthielten. Vermögende Bürgerfamilien bewohnten oft die ganze Zimmerflucht eines Stockwerkes. In den oberen Geschossen nahm die Zahl der Wohnungen zu, wobei nicht nur die Anzahl der R ä u m e , sondern meist auch deren Größe und Höhe abnahm (Abb. 7). Als ein bescheidener Vertreter dieses klassizistischen Großwohnhauses erscheint das drei-bis viergeschossige Biedermeier-Stutzflügelhaus1) in den Vorstädten, das aus einem zweihiiftigen Straßentrakt und zwei kurzen, einhüftigen Seitenflügeln besteht. Es ersetzt den ins Barock zurückreichenden Vorstadttyp des Seitenflügelhauses auf tiefer Parzelle, dem nun gleichsam die Seitenflügel abgeschnitten werden. Dieses meist nur zweigeschossige Seitenflügelhaus bildet um 1840 noch den wichtigsten Bautyp der Vorstädte und erscheint in verschiedenen Varianten: als Gewerbebürgerhaus mit Werkstättentrakt, als größeres Manufakturhaus, ferner ab Arbeiterwohnhaus mit Pawlatschen oder als bürgerliches Wohnhaus mit Hofstiegen (Wohnflügelhaus) (Abb. 24,25). Der ebenerdige Vertreter dieses Langflügelhauses läßt noch deutlich die Herkunft dieses Typs aus dem dörfischen Gehöft, dem Streck- oder Hakenhof erkennen, wobei als Zwischenglied der Verstädterung der Zwerchhof erscheint. Dem Charakter einer Residenzstadt entsprechend, stellten die Barockpaläste vor allem im Baubild der Altstadt ein wesentliches Element dar. Sie bezogen ihr architektonisches Vorbild aus dem italienischen Palastbau, wiesen fast immer einen Innenhof auf und ordneten sich—zum Unterschied vom französischen Ehrenhof-Typus — mit ihrer Front in die Reihe der Miethäuser ein. Dagegen konnten sich die Sommerschlösser in den Vorstädten als repräsentative Mittelpunkte weiträumiger Parkanlagen zur Geltung bringen. Dieses adelige Vorbild der Villegiatur hat dann im Biedermeierlandhaus — vor allem in den Vororten — eine bescheidene bürgerliche Nachahmung gefunden (Abb. 31, 32). Bedingt durch die Hauptstadtfunktion von Wien besaßen auch die verschiedenen öffentlichen Gebäude, Kirchen, Klöster, Verwaltungs-, Regierungsgebäude usf., eine große 1) Diese und weitere in diesem Abschnitt gebrauchte Bezeichnungen von Haustypen finden ihre Erklärung im Kapitel „Wohnverbauung" (S. 207).

Die Verbauung um 1840— Ein Rückblick

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Bedeutung im Stadtbild von 1840. Da der damalige Bestand auch heute noch zum Großteil vorhanden ist und einen wesentlichen Anteil der gegenwärtigen öffentlichen Einrichtungen ausmacht, soll er zur Vermeidung von Wiederholungen erst im Gesamtüberblick über die Nichtwohnbauten gewürdigt werden. Industriebetriebe traten dagegen um die Jahrhundertmitte in der städtischen Agglomeration überhaupt noch nicht hervor. b) Die V e r b a u u n g s g e b i e t e Die Altstadt Der Baubestand der Altstadt wies in der ausgehenden Biedermeierzeit ein viertelweise differenziertes Nebeneinander von öffentlichen Gebäuden, Barockpalästen, Resten alter Bürgerhäuser und Miethäuser hauptsächlich des 18. und der ersten Hälfte des 19Jahrhunderts auf. Das alte ständische Herrenviertel im Norden der Burg war längs seiner Achse, der Herrengasse, schon in zwei Hälften zerfallen, von denen die westliche hauptsächlich aus Regierungsbauten und Palais bestand, während in der östlichen die ehemaligen Feudalbauten zum Großteil bereits Mieter und Geschäfte aufgenommen hatten. Die 1816 an der Stelle der Paläste Auersperg, Kinsky und v. Gilleis errichtete Privilegierte Österreichische Nationalbank bildete den Ansatz eines Bankenviertels, das sich während der Vorgründerzeit in Richtung Am Hof ausweitete. Das Viertel des Hofadels im Osten der Burg hatte noch seinen alten Nobelcharakter bewahrt. Der baulich sehr heterogene Stadtteil im Bereich des einstigen römischen Lagers beherbergte im Westabschnitt noch einige große öffentliche Institutionen (Rathaus, Hofkanzlei, Kriegsministerium), die erst in der Hochgründerzeit in die neuen Monumentalbauten an der Ringstraße übersiedelten. Hoher Markt und Graben bildeten die Zentren des Geschäftslebens und Großhandels und waren in der klassizistischen Periode völlig umgebaut worden. Bezeichnenderweise hatte sich hier der Geldadel schon früh in den Hausbesitz eingeschaltet. Die Osthälfte der Stadt, jenseits des Zuges Kärntnerstraße—Rotenturmstraße, zeigte sich schon damals wie noch heute dem Geschäftsleben gegenüber viel weniger aufgeschlossen. In ihrem südlichen Teil bildeten die ζ. T. in Verwaltungsgebäude umgewandelten ehemaligen Palais und Klöster die ruhenden Pole. Sie setzten dem von der Kämtnerstraße hereinbrandenden Geschäftsleben eine Schranke und lenkten es gegen den Neuen Markt hin ab. Der nordöstliche Stadtteil war, vom Dom- und Universitätsviertel abgesehen, mehr ein bürgerliches Wohnviertel geblieben, in das nur die Wollzeile etwas Betriebsamkeit hineinbrachte. Im Norden des großen, stillen Wohnhofes des Stiftes Heiligenkreuz und der Universität lag die völlig andere Welt der orientalischen Händler und Geschäftsleute rings um den Fleischmarkt. Hinsichtlich der Ausnützung der Fläche wurde in der Altstadt bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Verbauungsgrad um 85% eine auch in der Folgezeit kaum mehr überschrittene Obergrenze erreicht. Nur durch weitere Aufstockung konnte noch eine Vermehrung der Geschoßflächendichte erfolgen. So sind die Häuser der Inneren Stadt von 1795 bis 1890 im Durchschnitt um ein Geschoß höher geworden.

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

64

Die Vorstädte Das stürmische Wachstum der Vorstädte nach der Türkenbelagerung 1683 war schon u m die Mitte des 18. Jahrhunderts abgeklungen. Der R a u m bis zum Linien wall (heute Gürtel), der 1704 zum Schutz gegen die Einfälle der Kuruzzen inmitten von Feldern und Gärten errichtet wurde und die vorgeschobenen Spitzen der Vorstädte umschloß, war um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer nicht zur Gänze aufgefüllt. Gemüsegärten besetzten noch die Gemarkungen von der Weißgerberlände und Erdberg, den zwischen Augarten und Prater hegenden Teil der Leopoldstadt, die R o ß a u sowie das Gelände im Süden des Wientales von Margareten bis gegen die Wiedner Hauptstraße hin. Bezeichnenderweise lag somit noch ein Großteil der zur Versorgung der Stadt dienenden Gemüsefelder innerhalb des Linienwalles, der gleichzeitig zur Einhebung der Verzehrangssteuer diente. Die Grundriß- und Aufrißgestaltung der Wohnhäuser sowie der Verbauungsgrad unterschieden sich in den einzelnen Vorstädten beachtlich. Besonders die Parzellengrundrisse wurden für die Verbauung der Gründerzeit von ausschlaggebender Bedeutung. Im großen ganzen ließen sich die folgenden Vorstadttypen und Parzellenformen unterscheiden: X. Die schmalen und besonders tiefen Bauparzellen, die durch lange Seitenflügel genutzt wurden, entstammten meist den ehemaligen Hausackergründen alter Dörfer. Sie haben in der Spätgründerzeit die Grundlage für eine in die Tiefe gegliederte Verbauung mit Hinterhäusern und Lichthöfen abgegeben, wie sie im Anschluß an das ehemalige D o r f Matzleinsdorf und die Vorstädte Altlerchenfeld, Mariahilf usf. zu finden ist. 2. Die ab 1700 gegründeten Taglöhnervorstädte, wie Spittelberg und Lichtental, besaßen kleine kurze Parzellen, auf denen vier- oder dreiseitige Gebäude errichtet wurden. Diese Komplexe zeigten trotz ihres hohen Alters oft eine erstaunliche Widerstandskraft jüngeren Umbauwellen gegenüber. Wahrscheinlich wirkte die Kleinheit und große Zahl der Parzellen ausgesprochen hindernd. 3. Ein formal zwischen den beiden genannten Parzellenformen stehender gedrungener T y p fand bei der Aufschließung von ausgedehnten geistlichen und weltlichen Herrschaftsäckern in den neu angelegten westlichen Vorstädten, wie Neubau und Schottenfeld, Verwendung. Er lieferte die Grundlage fur die Vorderhaus — Hinterhaus-Bildung der Gründerzeit, wie schon früher fiir die Hinterhofwerkstätten in den Vorstädten zwischen Mariahilfer- und Altlerchenfelderstraße. Diese Differenzierung zwischen dem Gassentrakt mit der Großwohnung des Hausbesitzers bzw. Gewerbetreibenden im ersten Stock und den Kleinstwohnungcn in den Seitentrakten lebte in der unterschiedlichen Wohnungsstruktur von Vorder- und Hinterhaus der Hochgründerzeit weiter. 4. Die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in größerer Zahl an der Stelle tiefer Hausgärten und Parkanlagen angelegten neuen Durchbruchsgassen schlossen seichte und

Die Verbauung um 1840— Ein Rückblick

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meist auch nur mäßig breite Bauparzellen auf. Vor allem die jüngeren haben sich oft bis zum letzten Krieg gut erhalten. 5. U m 1840 hatten auch ebenerdige Häuser in Streulage, die Gemüsegärtnern und Milchmeiern gehörten, auf verschieden großen und verschieden geformten Parzellen noch größere Verbreitung. Bei der Neuverbauung solcher Flächen, die sich häufig als sehr widerstandsfähig erwiesen, trat aber meist eine starke Umgestaltung der Parzellenformen ein, so daß eine Kontinuität des Grundrisses nur selten gewahrt wurde. Die Geschoßzahl zeigte um 1840 eine zonale Differenzierung. Im allgemeinen bestand ein deutliches Absinken der Bauhöhe vom Innenrand der Vorstädte, wo vier-, gelegentlich fünfgeschossige Bauten vorherrschten, gegen den Linienwall hin, wo zweigeschossige Häuser die Oberhand gewannen. Die Geschoßzahl war aber auch umgekehrt proportional dem Baualter, insoferne als jüngere Bauten in gleicher Lage stets mehr Geschosse aufwiesen als ältere. Das klassizistische oder Biedermeiermiethaus der Vorstädte mit 3 bis 4 Geschossen hat begreiflicherweise auch besser die gründerzeitliche Umformung des Baukörpers der Stadt überstanden als seine meist nur zweigeschossigen barocken Vorläufer. So blieben die im späten Biedermeier entstandenen Viertel gassenweise noch bis heute recht gut erhalten, während die damals niedrig und locker verbauten Gebiete der gewaltigen gründerzeitlichen Bauwelle kaum Widerstand entgegensetzen konnten. In dieser Hinsicht spielten aber auch andere Momente eine Rolle. So hemmte in vielen Fällen die Einheit von Hausbesitz und Gewerbebetrieb die Umbautätigkeit und ließ den alten Baubestand bestehen. Andererseits begünstigte der Niedergang der Seidenmanufäktur am Schottenfeld ab Mitte des 19. Jahrhunderts, da er meist mit einem Wechsel der Hauseigentümer verbunden war, die Ersetzung von alten Bauten durch höhere Gründerzeithäuser. Auf bereits älteren Grundlagen des Barock- und Manufakturzeitalters beruhend, bestand zu Beginn der Gründerzeit bereits eine ausgeprägte sozialwirtschaftliche und bauliche Differenzierung des Vorstadtkranzes. Sie muß zum Verständnis der gründerzeitlichen Entwicklung kurz gekennzeichnet werden: 1. Die alten Straßenvorstädte an den Fernverkehrswegen nach Norden, Südosten und Süden, wie die Leopoldstadt, die Landstraße und die Wieden, wiesen wohl ein recht individuelles Gepräge auf) besaßen aber als gemeinsame Note das spontan erwachsene Straßennetz und eine besonders bunte Mengung von Bautypen als Spiegelbild einer sehr vielfaltigen Entwicklung. Die Verkehrsfunktion äußerte sich in der überdurchschnittlichen Zahl von geräumigen Einkehrgasthöfen. Das reich differenzierte Gewerbe ließ schon im Barock zweigeschossige Handwerkerhäuser entstehen. Mehrstöckige Miethäuser gesellten sich im Manufakturzeitalter dazu und verdrängten allmählich die zum Teil schon länger funktionslosen Landhäuser und Paläste. 2. Die Peripherie dieser Vorstädte bildeten im Süden und Südosten Gemüsebaugebiete oder zum Teil schon verstädterte alte Dörfer, wieNikolsdorf, Matzleinsdorf, Reinprechtsdorf, in denen reihenweise dörfliche Gehöfte standen, deren längst funktionslos gewordene

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Β. Die baulichc Entwicklung in der Gründerzeit (1840— 1918)

Wirtschaftsteile zu primitiven U n t e r k ü n f t e n f ü r T a g l ö h n c r u n d Hilfsarbeiter adaptiert w o r d e n waren. Ein Gegenstück dazu stellte die A n s a m m l u n g v o n Taglöhnerquartieren an

der nördlichen Ausfallstraße dar (Lichtental, T h u r y -

u n d H i m m e l p f o r t g r u n d ) , in

d e n e n die mehrgeschossigen Kleinhäuser gleichfalls m i t H e i m a r b e i t e r n u n d dgl. vollgestopft w a r e n . 3. V o n den Straßenvorstädten unterschieden sich in G r u n d r i ß g e s t a l t u n g u n d Funktionsg e f ü g e nachhaltig die geplanten Vorstädte i m W e s t e n zwischen Mariahilfer- und Altlerchenfelderstraße. Ü b e r w i e g e n d auf stiftischen Ackerrieden in einzelnen E t a p p e n gegründet, z o g e n sie viertelweise die verschiedensten Gewerbe und Manufakturen

an sich, v o n denen

namentlich die privilegierten Seidenweber u n d v e r w a n d t e U n t e r n e h m e n der Textilbranche bald zu sprichwörtlichem R e i c h t u m gelangten ( „ B r i l l a n t e n g r u n d " ) . D e r R a s t e r g r u n d r i ß v e r b a n d sich m i t d e m verhältnismäßig einheitlichen B a u t y p eines breit z u r Straße gestellten Reihenhauses m i t tiefen Hofflügeln. 4. I m N o r d e n u n d Süden dieses G e w e r b e r a y o n s entstanden v o r w i e g e n d v o n Arbeitern bewohnte Vorstädte, die sich w o h l auch m i t G e w e r b e anreicherten, d o c h nicht in gleichem U m f a n g w i e die gegründeten Gewerbevorstädte. H i e r h e r g e h ö r t e das Gebiet v o n M a r g a rethen u n d H u n d s t h u r m i m Süden, die Vorstädte Alderchenfeld, Breitenfeld und Strozzigrund im Norden. Eine ausgesprochen bürgerliche Wohnvorstadt

w a r die nördlich anschließende Josefstadt,

in der eine ältere Schicht barocker Gartenpaläste n o c h nicht ganz v o m B i e d e r m e i e r w o h n b a u ausgelöscht w a r . 5. V o n d e m zur Barockzeit u m die alten Straßenvorstädte entstandenen Gürtel v o n herrschaftlichen Landhäusern u n d Sommerpalästen hatte sich das a m Abfall der Arsenalterrasse erwachsene Viertel um das Belvedere noch a m besten erhalten. Uberall sonst waren die Paläste mit ihren Gartenanlagen v o n der vorstädtischen V e r b a u u n g bereits m e h r oder m i n d e r vollständig überwuchert w o r d e n und ü b e r w i e g e n d funktionslos. 6. Eine Sonderstellung n a h m auch der N o r d w e s t e n m i t d e m g r o ß e n

Spitalskomplex

zwischen Aiser- und W ä h r i n g e r s t r a ß e ein, der v o n bürgerlichen W o h n v i e r t e l n eingefaßt wurde. U n t e r d e m Gesichtspunkt der B a u h ö h e und Verbauungsdichte k o n n t e m a n die Vorstädte u m 1840 in zwei Zonen gliedern: 1. D i e geschlossene, überwiegend h ö h e r e Verbauung

u m f a ß t e die

Gewerbevorstädte

auf d e n westlichen Terrassenriedeln sowie die K e r n e der Straßenvorstädte. E n g , aber niedrig v e r b a u t w a r die Vorstadt Lichtental. 2. D a r a n schlossen sich ausgedehnte weiträumig

oder lückenhaft

verbaute

Teile,

wie

die A u ß e n r ä n d e r der Straßenvorstädte, die bürgerlichen W o h n v i e r t e l a m Alsergrund, das in Aufparzellierung begriffene Acker- u n d Gartengelände beiderseits des Belvedere. Eine sperrende W i r k u n g übten g r o ß e öffentliche G e b ä u d e - u n d G r u n d s t ü c k s k o m p l e x e , w i e das Allgemeine Krankenhaus oder das Belvedere, aus. D i e auf der Karte der Verbauungstypen der Gründerzeit (Tafel I) angegebene V e r b a u ungsgrenze v o n 1833/34 trennt den geschlossenen u n d l ü c k e n h a f t v e r b a u t e n S t a d t k ö r p e r

Die Verbauung um 1840— Ein Rückblick

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von den nach außen anschließenden, von verstreuten kleinen Häuschen besetzten Gemüsebaubezirken. Diese bildeten zusammen mit den Vororten außerhalb des Linienwalles den damaligen „offenen Stadtrand". Der Bereich der Vororte Der Vorortebereich außerhalb des Linienwalles wies im Westen verschiedene Typen von Siedlungen auf, die sich in mehreren lockeren Zonen anordneten und zu verschiedenen späteren Entwicklungsreihen Anlaß gaben: 1. Dicht am Linien wall, vor den Ausfälltoren der gewerbereichen Vorstädte, hatten nach der zweiten Türkenbelagerung Grundherrschaften einige Vororte planmäßig angelegt (Neulerchenfeld, Braunhirschengrund), andere entstanden aus wilder Wurzel (Sechshaus, Fünfhaus). Sie zogen bald einen hohen Prozentsatz von Handwerkern an sich. Besonders im Falle von Fünfhaus begünstigte die grundherrliche Zusammengehörigkeit mit der gewerbereichen Vorstadt Gumpendorf innerhalb der Linie die Anreicherung mit zahlreichen Gewerbebetrieben sichtlich. Eine rege Pendelwanderung verband diese Vororte bald mit den Gewerbevorstädten. Erst im 19. Jahrhundert griff die Bildung von Handwerker- und Taglöhnerorten über den Wienfluß nach Süden aus. Gaudenzdorf entstand ab 1812, Wilhelmsdorf um 1834. Auf meist tiefen Parzellen wurden hier die gleichen zweigeschossigen Reihenhäuser mit schmalen Seitentrakten aufgeführt, wie sie auch in den Vorstädten üblich waren. 2. Ein baulich und auch sozial mehrschichtiges Gepräge wiesen die weiter entfernt gelegenen mittelalterlichen Dörfer, wie Hernais, Penzing und Meidling, auf, die aus Weinhauerorten zum Teil schon im 18. Jahrhundert zu Milchmeierdörfern, dann zu Sommerfrischen geworden waren, in denen aber schließlich eine oft bodenständige Schicht von Gewerbetreibenden und Großhändlern den Beginn der Industrialisierung einleitete. Alte Dorfhäuser, bürgerliche Landhäuser und zweigeschossige Vorstadthäuser stehen daher bunt nebeneinander. 3. Am Abfall des Wienerwaldes folgte schließlich ein Kranz von alten Weinhauerdörfern mit Haken- und Streckhöfen, von denen sich die beiderseits des Wientals gelegenen schon im 18. Jahrhundert stark auf Milchwirtschaft umgestellt hatten. Die meisten waren außerdem Sommerfrischen bürgerlichen oder adeligen Gepräges geworden und hatten durch die Ansiedlung ganzer Viertel von Biedermeierlandhäusern eine merkbare Urbanisierung erfahren, ζ. B. im Nordwesten Heiligenstadt, Grinzing, Nußdorf und Döbling. In Hietzing war im Anschluß an Schönbrunn ein Komplex von Biedermeierlandhäusern erwachsen, der sich nahezu unberührt von den großstädtischen Einflüssen bis heute erhalten hat. 4. Äußerste Vorposten der Stadt bildeten schließlich verschiedene Adelsschlösser, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Vorhöhen des Wienerwaldes besetzt hatten (Kobenzl, Am Himmel, Bellevue, Schloß Gallitzin, Hütteldorfer Schloß). Sie markieren noch heute die Außengrenze des offenen Stadtrandes. 5. Im Süden war die sich jenseits des Wiener- und Laaerberges hinziehende Ortsreihe

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

des Liesingtales zum Teil schon von der merkantilistischen

Industriegründungsperiode

erfaßt worden, wie ζ. B. Atzgersdorf, Liesing, Kettenhof, Schwechat. Ein entsprechender Ausbau der Dörfer durch Arbeiterkeuschen war die Folge gewesen. 6. An der Breitenfurter und der Simnieringer Ausfallstraße entstanden im Anschluß an die Dörfer Simmering und Altmannsdorf Verkehrssiedlungen mit Einkehrgasthöfen und Verkehrsgewerben, die mit ihren Reihenhäusern gleichfalls bereits vorstädtischen Charakter aufwiesen. 2. D I E V E R B A U U N G

DER

a) D i e

FRÜHGRÜNDERZEIT

(1840-1870)

Gesamtleistung

In der Entfaltung von Gesellschaft und Wirtschaft nimmt die Frühgründerzeit eine Übergangsstellung zwischen der Manufakturperiode und dem eigentlichen Industriezeitalter ein. Dies gilt auch für die private Bautätigkeit, die sich zunächst in den schon v o m späten Biedermeier vorgezeichneten Bahnen weiterbewegte und keine neuen Bautypen entwickelte. Überhaupt blieb anfangs aus verschiedenen innenpolitischen und wirtschaftlichen Gründen das Bauvolumen trotz der rasch anwachsenden Bevölkerungszahl gering. Erst die Schleifung der Basteien und die Verbauung der Ringstraße ab 1857 gaben im Verein mit den gewährten Steuerbegünstigungen dem Wohnungsbau einen entscheidenden Auftrieb. Es entstand eine neue kapitalistische Organisationsform der Bautätigkeit in Form der Baugesellschaften, die in den Sechziger] ahren bereits randlich in die Vorstädte ausgriff. Mit dem großbürgerlichen Miethaus der Ringstraße wurde hinsichtlich Vertikalgliederung und schmückendem Beiwerk der Fassaden ein Vorbild geschaffen, das in abgeschwächten Formen architektonischer Gestaltung auch bei den Arbeiterzinskasernen der Hochgründerzeit

Nachahmung

fand. Ebenso wurde die Rasteraufschließung mit gleich breiten Straßen, aber etwas kleineren Hausgrundstücken zum Leitmodell künftiger Neuparzellierungen. Weitgehend unbefriedigt blieb in dieser Phase das infolge der sich fast verdoppelnden Bevölkerungszahl (1840: 4 4 0 0 0 0 Einw., Bedürfiiis nach Arbeiterwohnungen,

1870: 815000 Einw.) sehr stark anschwellende

da noch keine entsprechende

Organisationsform

gefunden wurde. Immerhin entstanden in den Vororten in Anlehnung an ältere Vorstadttypen Kleinwohnungshäuser und außerdem — gleichsam als Ableger des kleinbürgerlichen, seit der Spätbiedermeierzeit gebräuchlichen mehrgeschossigen Straßentrakters und Stutzflügelhauses — das „Gangküchenmiethaus" (Bassena-Typ). Standardisiert und auf breiter Front fand es aber erst in der nächsten Phase Anwendung. Infolge der Beibehaltung älterer sozialwirtschaftlicher Strukturen blieb die Einheit von Wohnhaus und Betriebsstätte noch weithin gewahrt. Man kann sagen, daß die Fabrik als selbständiger Bautyp erst in den Siebzigerjahren in den Randgebieten der Stadt ihren Einzug hielt, wenn man von einigen älteren Vorläufern, wie Brauereien, Ziegelwerken, Spodiumfabriken 1 ) und dgl., absieht (vgl. S. 36). 1) Spodium ist Knochenkohle, die zur Entfärbung von Lösungen verwendet wurde.

Die Verbauung der Frühgründerzeit (1840-1870)

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Die großen Bauleistungen der Frühgründerzeit gingen nicht auf private Initiative zurück, sondern wurden vom Staat vollbracht. In der Ringstraße entstand die Prunkstraße der kaiserlichen Residenz, die dem Bedürfnis nach glanzvoller Repräsentation entsprach, nachdem eben erst die Furcht vor der Revolution auf demselben Glacis am Rand der Vorstädte große Kasernen hatte entstehen lassen. Noch entscheidender für das städtische Gefuge als die Ringstraße wurden die großen Bahnbauten, die der künftigen Entwicklung im Vorortbereich neue Leitlinien gaben, besonders aber auch Barrieren setzten. b) Die W o h n b a u t e n Hinsichtlich der Wohnbautätigkeit müssen — ebenso wie auch in den späteren Phasen — folgende Grundtypen unterschieden werden: 1. Der teilweise Umbau unter Verwendung des alten Baukörpers (Aufstockungen, Zu- und Anbauten, Ausfüllungen von Hof- und Gartenflächen, Adaptierungen aller Art). Er beschränkte sich im wesentlichen auf den Vorstadtraum. 2. Der vollständige Umbau, d. h. Neubau an der Stelle eines demolierten Altbaus. Er ist von Parzellenform und -gefuge abhängig und spielt zahlenmäßig in der Frühgründerzeit kaum eine Rolle. 3. Der Neubau auf bisher unverbautem Gelände („Erstverbauung"). Er hatte unter Verwendung recht unterschiedlicher Typen seine Standorte am Rande der Altstadt in der Ringstraßenverbauung, am Rande der Vorstädte gegen den Linienwall hin und in der anschließenden inneren Vorortzone. Er bestritt mengenmäßig den Hauptteil der Bautätigkeit dieser Phase. Teilweiser Umbau Der teilweise Umbau der Frühgründerzeit führte im wesentlichen das Werk weiter, das die vorangegangene, sehr umbaufreudige Biedermeierzeit in den Vorstädten begonnen hatte. Besonders in den gewerbereichen Vorstädten, wie Schottenfeld und Gumpendorf, kam es während dieser drei Jahrzehnte zu einer großen Zahl von Zubauten*) — oft mehrmals an einem Haus — .wobei es sich im wesentlichen um Vergrößerungen von Werkstätten und um Aufstockungen handelte. In letzterem Fall entstand öfters eine Übergangsform vom Eigenhaus des Gewerbetreibenden zum Miethaus. In peripheren Stadtvierteln, wie ζ. B. dem Paulusgrund an der Landstraße, läßt ein Vergleich der Kataster 1834 und 1869 auf tiefen Parzellen häufig eine Verlängerung der Seitenflügel erkennen, eine Erscheinung, die nichts anderes als ein Weiterlaufen der biedermeierzeitlichen Formgebung ist. Die Weiterbildung von alten Formen geht so weit, daß es dort, wo spätere Fassadenänderungen die Stilmerkmale beseitigten, schwierig ist, Biedermeier- und Frühgründerzeitbauten zu trennen. Aus der bescheidenen Zahl von frühgründerzeitlichen Umbauten wurde das abge2) Vgl. Baukoraeiuakten, bzw. Schlesinger, Häuserkataster.

70

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

bildete Beispiel (Fig. i) ausgewählt. Es zeigt die Erschließung des H o f - und Hintertraktes durch offene Holzgänge, wie sie schon seit dem Barock bei den tiefen, einhüftigen Seitenflügeln der einfachen Vorstadthäuser üblich war. Diese sogenannten Pawlatschen fanden

1. Frühgründerzeitlich aufgestocktes Handwerker-Kleinhofhaus. Vorstadt Magdalenengrund südlich Mariahilferstraße). Straßentrakt und Hintertrakt doppelhüftig; letzterer ebenso wie der einhüftige Seitentrakt nur durch Pawlatsche aufgeschlossen.

2. Hoher Straßentrakter der Frühgründerzeit. Hausherrnwohnung im ersten Stock, ansonst Kleinwohnungen. 0

.

.

Mm

Κ K ü c h e , Ζ Zimmer, V Vorzimmer, C Kabinelt, Α WC, H l ! ..Pawlatsche"

Durch

teilweise

eine Wohnung

Schraffierung als Beispiel

von Hausgrundrissen für

eine

bestimmte

wurde

jeweils

Wohnungsgroße

hervorgehoben.

also auch noch in der Frühgründerzeit Anwendung und wurden erst nach dem Ringtheaterbrand baupolizeilich verboten, aber keineswegs überall beseitigt. Die Wohnungen sind überwiegend klein, wobei ein gewisser Unterschied zwischen Straßen- und Hintertrakt zu bemerken ist, und zeigen infolge der Schmalheit des Grundstückes eine starke Verschachtelung. Außerhalb der Linie kam es im wesentlichen nur in den Gewerbevororten zu A u f stockungen niedriger Altbauten. Ansonsten treten diese wegen der noch billigen Bodenpreise zahlenmäßig gegenüber den Neubauten fast völlig zurück. Vollständiger Umbau Der vollständige Umbau hatte in dieser Phase geringe Bedeutimg. In der Altstadt kann man ihn gleichsam als ein Auslaufen der lebhaften Umbautätigkeit in der vorhergehenden klassizistischen Periode auffassen, ebenso in den Vorstädten. Hier hatte die gleiche Periode, deren bürgerlicher Wohnbau als Biedermeier bezeichnet wird, v o m Glacis ausgehend,

Die Verbauung der Frühgründerzeit (1840—1870)

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72

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

schon sehr gründlich mit den ebenerdigen Barockhäusem aufgeräumt und nur an der Peripherie noch Reste bestehen lassen, die nunmehr in der Frühgründerzeit zum Teil abgerissen und durch dreistöckige Neubauten ersetzt wurden. Erstverbauung Mustert man die Serie der Wohnbautypen, welche die Frühgründerzeit — abgesehen vom Nobelmiethaus der Ringstraße — auf neuparzelliertem Gelände zur Anwendung brachte, so muß man als erstes feststellen, daß neue Lösungen fehlen. Alle angewandten Typen waren bereits im Klassizismus—Biedermeier vorhanden, wenn auch vielleicht gelegentlich mit etwas weniger Komfort ausgestattet. Es sind im wesentlichen die folgenden: Der große Wohnhof erscheint in den Vorstädten nur mehr vereinzelt als letzter Ausläufer der während der Manufakturzeit in der Altstadt errichteten Zinshäuser. Als ein Beispiel wird hier der Mölkerhof in der Josefetadt abgebildet (Fig. 3), der an der Stelle einer feudalen Parkanlage vom Stift Melk errichtet wurde. Vier zweihüftige Trakte sind durch einhüftige Trakte verbunden. Sie umschließen drei große Höfe und bergen in vier Geschossen insgesamt 155 Wohnungen. Die teils in den Ecken, teils in der Mitte der Trakte angebrachten Stiegen gewähren über kurze Gänge Zutritt zu den drei Wohnungen in einem Stockwerk. Die verbesserte Ausstattung kommt darin zum Ausdruck, daß die Toiletten zum Teil bereits in den Wohnungsverband eingeschlossen sind. Es handelt sich vorwiegend um

4. Arbeitergroßwohnhof der Frühgründerzeit, sogenannter Rinnböckhof, Simmering.

Die Verbauung der Frühgründerzeit (1840 — 1870)

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Mittelwohnungen, die auf eine bürgerliche Schicht von Beamten, Offizieren u. a. zugeschnitten waren. Nur in den einhüftigen Trakten befinden sich Kleinwohnungen. Als ein in den Abmessungen vergleichbarer, gleichsam ins Arbeitermilieu übertragener Ausläufer des bürgerlichen Wohnhofes kann der Rinnböckhof in Simmering aufgefäßt werden. Er nimmt den Extremfall des „Gangküchenhauses" vorweg, das in den Sechzigerjahren beginnt, blieb jedoch hinsichtlich der Größenordnung ein Einzelfäll. Dreigeschossige zweihüftige Trakte umschließen drei große Innenhöfe, deren einen Fig. 4 zeigt. Lange hofseitige Gänge mit abschließenden Rondells gewähren zu insgesamt über 180 Klein- und Kleinstwohnungen Zutritt. Hohe Straßentrakter zweihüftiger Bauart mit sieben bis zehn Fensterachsen errichtete man in der Regel auf gedrungenen, eher quadratischen Parzellen, gegebenenfalls mit kurzen einhüftigen Hoftrakten, entsprechend dem schon dem Biedermeier geläufigen Stutzflügelhaus. Dahinter ließ man in Fortsetzung der Biedermeiertradition gelegentlich noch Platz für einen kleinen Hausgarten. Wie die Beispiele Fig. 5 u. 6 zeigen, erfolgte die Erschließung der Wohnungen, je nachdem ob eine oder zwei Stiegen vorhanden waren, ziemlich unabhängig von der Wohnungsgröße entweder durch einen Korridor (Fig. 6) oder vom Stiegenpodest aus. Hier waren auch die noch außerhalb des Wohnungsverbandes gelegenen Toiletten untergebracht. Stets war im ersten Stock mindestens eine größere Wohnung vorhanden, in der in der Regel der Hausherr wohnte (vgl. Abb. 8).

5. Hohes Stutzflügelhaus der Frühgründerzeit. 6. Hohes Stutzflügelhaus der Frühgründerzeit. Haushermwohnung und Kleinwohnungen; Gang Mittelwohnungen im Straßentrakt, Kleinwohnungen fehlt, da zwei Stiegen vorhanden. in den Seitentrakten. Aufschließung durch Gang. Durch eine spiegelbildliche Koppelung zweier Stutzflügelhäuser konnte auch eine Art kleiner Pseudo- Wohnhof entstehen, der sich aber von der älteren, in Wien fast nur bei Palästen vertretenen Zentralhofänlage durch die Doppelung der Parzellen grundlegend unterscheidet.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840— 1918)

Im allgemeinen fanden in einem dieser Häuser nicht mehr als zwanzig Woluiungen Platz, unter denen eine ziemliche Abstufung von Kleinst- bis zu größeren Mittelwohnungen bestand. Im ganzen gaben aber die Kleinwohnungen mit Zimmer-Küche-Kabinett, häufig auch noch Vorzimmer, den Ton an. Nicht selten bestanden zwischen dem Straßentrakt und den Hofflügeln beträchtliche Unterschiede hinsichtlich der Wohnqualität (Fig. 8). Noch machte sich kein Unterschied der Wohnungsstruktur zwischen umgebauten Häusern und Neubauten bemerkbar. Der mehrgeschossige Straßentrakter und das Stutzflügelhaus beherrschten die Neuverbauung der Vorstädte und drangen in den Sechziger]ahren auch in den westlichen Vorortbereich ein (Hernals, Währing). Hier wurden in dieser Phase auch noch folgende ältere Bautypen3) benützt, die innerhalb der Linie nicht mehr zur Anwendung gelangten: Vor allem in den Gewerbevororten fand das ziveigeschossige Seitenflügelhaus auf tiefer Parzelle noch häufig Verwendung. Es wurde hier — wie früher in den Vorstädten — meist als Eigenhaus von Gewerbetreibenden errichtet. Ebenfalls an barocke vorstädtische Bautypen, wie sie in den gegründeten Taglöhnerund Handwerkervorstädten Spittelberg und Lichtental vorkamen, knüpften Kümmerformen des zweigeschossigen Reihenmiethauses auf Kleinparzellen an (Kleinhofhaus). „Milchmeier" und Gemüsegärtner benützten häufig die ebenfalls schon alte Form des ebenerdigen Reihenhauses. W o bei diesen älteren Typen zwei- und mehrgeschossige Seitentrakte vorhanden waren, wurden bis in die Siebzigerjahre immer wieder auch bei Neubauten Holzgänge angewendet, während sie in den Vorstädten schon unterblieben. Die Aufzählung dieser in der Vergangenheit wurzelnden Bautypen könnte den Eindruck erwecken, daß es von dieser Seite aus gar nicht gerechtfertigt ist, die Frühgründerzeit von dem vorangegangenen Biedermeier abzuheben. Die Berechtigung zu dieser Abtrennung erwächst auch nicht aus einer wesentlichen Änderung der Bautypen oder der Bauhöhe, die nur im Vorstadtgebiet allgemein auf vier Geschosse gesteigert wurde, sondern vielmehr aus dem Wandel des Parzellierungssystems. Die Ringstraßenverbauung lieferte das Vorbild für die innerhalb der Linie nunmehr ausschließlich angewendete gedrungene bis quadratische Parzelle. Damit erscheint die sehr alte Tradition der tiefen, in gotischer Zeit meist schmalen, in barocker Zeit stark verbreiterten Parzelle endgültig aufgegeben und eine neue Form gefunden, die in den kommenden Phasen der Gründerzeit herrschend bleibt. In ihr kommt, im großen gesehen, der Wandel vom altartigen Bürgerhaus, das in Wien zuletzt noch bei den Gewerbehäusern vertreten war, zum Massenmiethaus deutlich zum Ausdruck. Die in allen Phasen zu beobachtende Entwicklungsverzögerung in den Vororten äußerte 3) Bei der Stadtkartierung des Instituts wir es notwendig, die niedrigen Reihenhäuser der Frühgründerzeit mit den Altbauten zu einer Gruppe zusammenzufassen, da mit den üblichen Stilkriterien in vielen Fällen eine Trennung bei einer im ganzen doch groben physiognomischen Aufnahme durch Studierende nicht möglich gewesen wäre.

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sich auch bei der Parzellierung. Fast die ganze Frühgründerzeit hindurch wurden hier noch tiefe Grundstücke und daneben auch noch altartige Kleinparzellen geschaffen. In dieser Phase schalteten sich bereits Baugesellschaften in die Aufschließung ein, und dann kam wie in der Rjngstraßenverbauung und bei einzelnen Durchbruchsgassen der Vorstädte ein regelmäßiges Parzellenmuster zustande (vgl. Fig. 42). Ansonst wurde die Parzellierung meist von Privatgeometern im Auftrag der Eigentümer vorgenommen, und dies erklärt die charakteristische Uneinheitlichkeit und teilweise Kleinzügigkeit des Straßen- und Parzellennetzes. Alte Raingrenzen und Feldwege wirkten nach und bedingten beachtliche Unterschiede in Größe und Gestalt der einzelnen Baugrundstücke. Im Vorstadtraum bietet die Weißgerberlände ein gutes Beispiel für die Weitervererbung des alten Feldwegenetzes in der Frühgründerzeit. In den westlichen Vororten gehen die Unterschiede so weit, daß man bei Beachtung des Straßen- und Parzellengefuges die alten Vorortgrenzen noch deutlich erkennen kann (Neulerchenfeld—Hernais—Währing). Die Wohnungsstruktur ist in der Frühgründerzeit, wenn man von den Nobelbauten der Ringstraße absieht, weitgehend unabhängig vom konstruktiven Bautyp. Dies gilt in besonderem Maße für die Straßentrakter und Stutzflügelhäuser in den Vorstädten. Hier kann man in den Neubauvierteln fast stets eine Mengung von Kleinst- bis Mittelwohnungen in einer Gasse und in demselben Häuserblock feststellen. Einheitlichkeit in dieser Hinsicht stellt die Ausnahme dar, und fast immer ließ sich in solchen Fällen nachweisen, daß die Aufparzellierung durch eine Baugesellschaft erfolgte (Π, Scholzgasse, ΠΙ, Barichgasse, Juchgasse). Es findet sich also die gleiche Mengung der Wohnungsgrößen in der Gewerbevorstadt Gumpendorf, in Durchbruchsgassen der Leopoldstadt und im ehemaligen Gemüsebaugebiet der Weißgerberlände. Im Gegensatz zu der im ganzen überwiegend kleinbürgerlichen Bautätigkeit in den Vorstädten bildeten sich in den Vororten einerseits ausgesprochene Arbeiterviertel mit Kleinstwohnungen, andererseits entstanden mehr bürgerliche Viertel mit entsprechend größeren Wohnungen (Währing). Im ersten Fall kamen so gut wie alle genannten Typen in Betracht, im zweiten dagegen nur der Straßentrakter und das Stutzflügelhaus. c) D i e N i c h t w o h n b a u t e n Die Nichtwohnbauten lieferten, abgesehen von den bereits genannten großen Leistungen der öffentlichen Hand, nur einen sehr bescheidenen Beitrag zur Bautätigkeit der Frühgründerzeit. In den Vorstädten vorhandene größere gewerbliche Objekte, wie ζ. B. Brauereien, begannen aus dem dicht verbauten Vorstadtraum zu verschwinden. Das gleiche galt flir die Ziegelöfen im Süden der Wiedner Hauptstraße. Dagegen entstand auf ehemaligen Gemüsegärten der Erdberger Lände 1861 eine große Gasfabrik als Ansatzpunkt einer späteren Industriezone. Weit abgesetzt von der Wohnverbauung, ließen sich mehrere Ziegeleien am Wienerund Laaerberg nieder, zu denen sich weitere Fabriken, wie Leimsiedereien, Teer-und Spodiumfabriken, gesellten. Auch an der Peripherie der westlichen Vororte bildeten sich erste Ansätze

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Β. D i e bauliche E n t w i c k l u n g in d e r G r ü n d e r z e i t ( 1 8 4 0 — 1 9 1 8 )

zu einem Industriegürtel in Form von Spodium-, Wachstuchfabriken und ähnlichem. Eine lockere Kette von Betrieben der Textilindustrie schob sich längs des Wienlaufes bis Hacking aufwärts. Die bereits im Vormärz begonnene Schaffung verschiedener öffentlicher Einrichtungen in den Vorstädten wurde fortgesetzt. Krankenhäuser, Schlachthäuser, Schulen und dgl. entstanden meist auf grünem Anger in der Randzone der Vorstädte oder traten an die Stelle von ehemaligen Palästen (ζ. B. ersetzte das Wiedner Krankenhaus das Palais Czernin). Die Bezirksbildung gab hierzu wesentliche Impulse. d) D i e V e r b a u u n g s g e b i e t e Die 1840 noch sehr akzentuierte Gliederung der Wiener Agglomeration in Altstadt, Vorstädte und Vororte war zwar durch die Schleifung der Basteien, die Ringstraßenverbauung und Eingemeindung der Vororte etwas gemildert worden. Trotzdem stand das Baugeschehen in den genannten Zonen auch weiterhin noch unter sehr verschiedenen Vorzeichen und bediente sich entsprechend verschiedener Bautypen. Die Altstadt Die charakteristischen Vorgänge dieser Zeit, der Abbau der Feudalgesellschaft und die Citybildung, setzten im Baugeschehen der Altstadt recht unauffällig ein. Nur vereinzelte Umbauten fanden statt, und die wenigen Neubauten, die in den Vierzigerjahren um den Fleischmarkt und Hohen Markt entstanden, kann man eher als auslaufende Welle der zu Unrecht unterschätzten Bautätigkeit des Manufakturzeitalters auffassen. Der Abbau der Feudalgesellschaft spiegelte sich in den Veränderungen des Hausbesitzes und im beginnenden Funktionswandel der ehemaligen Paläste wider. Mehr als die Hälfte der ehemaligen Paläste hatte gegen 1870, wie aus dem Häuserverzeichnis von CZAPEK hervorgeht, andere oder zusätzliche Funktionen übernommen. Der durch den teilweisen Verlust seiner Landrenten empfindlich getroffene Adel mußte seine aufwendige Haushaltsführung einschränken und vermietete daher einen Teil der Räumlichkeiten an Wohnparteien und Firmen. Selbst Paläste des Hochadels, wie die Palais Starhemberg und Dietrichstein, gingen bereits in bürgerliche Hände über. Das letztere wurde nach dem Verkauf 1862 zu einem Nobelmiethaus für dreißig Wohnparteien umgebaut. Nur mehr wenige Geschlechter des Hochadels, wie die Lobkowitz, Schwarzenberg, Liechtenstein, Palffy, Kinsky und Batthyany, vermochten ihre kostspieligen Paläste von Einquartierungen anderer Funktionen freizuhalten. Auch mehrere geistliche Zinshäuser verschiedener Art und Größe gingen in der Frühgründerzeit in Privatbesitz über. Auf die Dauer konnten sich nur die großen, reichbegüterten Stifte behaupten. Als erstes Anzeichen der Citybildung kann die Erbauung einer ganzen Reihe von Banken aufgefaßt werden. Es muß offen bleiben, ob damit bereits eine Abnahme der Wohnbevölkerung verbunden war, da die administrative Ausweitung der Inneren Stadt auf die R i n g straßenverbauung die tatsächliche Bevölkerungsbewegung des Stadtkerns zwischen den beiden Zählungen von 1856 und 1869 verschleiert. Immerhin ist die Stagnation der

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Bevölkerung zwischen 1850 und 1856 — vor dem Beginn der Glacisverbauung — auffällig und kann wohl als ein Anzeichen einer beginnenden Citybildung gedeutet werden. Die Durchsicht der Handels- und Gewerbeschemata von Wien und Umgebung 1840 und 1866 läßt die Zunahme der Handelsgeschäfte, Niederlagen und des Luxusgewerbes deutlich erkennen. Zahlreiche Fabrikanten, u. a. mailändische Seidenerzeuger, errichteten ihre Niederlagen bereits im ersten Stock von Häusern. Die Angaben der Bodenpreise von SCHWARZ FIIR i860 bzw. 1866 ermöglichen auch eine genaue Lokalisierung des Kerns der werdenden City. Diese entstand im Raum Stephansplatz—Graben—Hoher Markt und längs der alten Ausfällstraßen: Kärntner-, Rotentürm- und Wipplingerstraße. Hier waren die Bodenpreise 1866 schon auf 220 bis 380 Gulden pro m* gestiegen, während sie in den abgelegenen Seitengassen noch 55 Gulden betrugen. Im ganzen bereiteten diese Vorgänge den Boden fiir die baulichen Veränderungen, die in der nächsten Phase geradezu schlagartig einsetzen sollten. Wie bereits erwähnt, lag der Schwerpunkt der Bautätigkeit dieser Phase in der Glacisverbauung, die bis 1870 allerdings erst im Abschnitt zwischen Stadtpark und Museen annähernd fertiggestellt war. Hier kamen erstmals neue Formen der Wohnweise zum Durchbruch. Die Ringstraßenverbauung wurde nämlich von der Regierung in die Hände großer Baugesellschaften gelegt, die im Rahmen weiter Richtlinien Aufschließung und Parzellierung durchführten. So kam es, daß in manchen Teilen, ζ. B. in dem durch die Wiener Baugesellschaft angelegten Börseviertel, die Einbindung des Straßennetzes in die Altstadt zu wünschen übrig läßt. Neu war auch die Gestalt der großen Häuserblöcke und ebenso die Form des großbürgerlichen Zinshauses, das sich andererseits in Stockwerksgliederung und Fassadengestaltung an den alten Palasttypus anlehnte. Dabei bewegte man sich allerdings vorerst noch auf einem Experimentierfeld, wenn auch das Vorbild des Heinrichshofes rasch Nachahmung fand. Die Innenausstattung ließ bei diesen Frühgründerzeitbauten noch zu wünschen übrig. Bäder gehörten im allgemeinen erst seit den Siebzigerjahren zum festen Bestandteil selbst von Herrschaftswohnungen. Die Fassadengliederung mit der Betonung des Nobelstockes kennzeichnet schon nach außen hin die auch im Innern festgehaltene vertikale Abstufung der Wohnungsgrößen von den Herrschaftswohnungen im ersten Stock zu den Mittelwohnungen in den oberen Geschossen, eine Anordnung, die den Altstadtbauten schon seit dem Barock geläufig war. Es verdient festgehalten zu werden, daß darüber hinaus in der Ringstraßenverbauung noch einige Paläste zu finden sind, wobei unter den Bauherren allerdings der alte Feudaladel nur mehr mit wenigen Namen aufscheint. So ließ sich ζ. B. der Herzog von Württemberg ein Palais erbauen, das aber bereits wenige Jahre später in das Hotel Imperial umgewandelt wurde. Länger hielten sich die neuen Paläste der Erzherzöge Ludwig Viktor (Schwarzenbergplatz) und Wilhelm (Parkring). Die Nachfolge des Hochadels trat der zum Teil jüdische Geldadel an, der namhafte Architekten beschäftigte und dem alten feudalen Wohnideal noch eine kurze Gnadenfrist verschaffte, bevor es endgültig unterging.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918) Die Vorstädte

Die Bautätigkeit der Frühgründerzeit erfaßte vor allem die Außenränder der alten Vorstadtkeme, bei denen teils die vorhandenen barocken Kleinbauten ersetzt wurden, teils Neuparzellierungen stattfänden. Die bereits in der Biedermeierzeit baulich aufgewerteten Achsen erfuhren in dieser Phase nur verhältnismäßig untergeordnete Adaptierungen im Zuge der Entwicklung zu künftigen Geschäftsstraßen. Daneben ging die Auffüllung der peripheren, regelmäßig geplanten Anlagen aus der Biedermeierzeit weiter. Die erwähnten neueröflneten Durchbruchsgassen verketteten das Straßennetz der zum Teil unabhängig voneinander erwachsenen Vorstädte weiter miteinander. Der Wohnhausbau folgte den älteren Typen des Wohnhofs, des Straßen trakters und Stutzflügelhauses, nur mit dem Unterschied, daß nunmehr auf Grund der Bodenwertsteigerung seit der Eingemeindung fast der ganze Vorstadtgürtel in den Bereich viergeschossiger Verbauung geriet. Eine Ausnahme bildeten die Gemüsebaugebiete von Margarethen und Erdberg, in denen auch in der Frühgründerzeit nur zwei- und dreigeschossige Wohnhäuser entstanden. Durch die im ganzen verzettelte Bautätigkeit fand wohl eher eine Verwischung als Betonung des sozial-fiinktionellen Charakters der fur 1840 gekennzeichneten Vorstadtgebiete statt, die im einzelnen aber doch eine unterschiedliche Entwicklung nahmen. 1. Die Straßenvorstädte, wie die Wieden und die Leopoldstadt, boten mit ihrem unregelmäßigen, weitmaschigen Straßennetz reiche Möglichkeit zur Verdichtung. Man durchbrach weitläufige, niedrige Baublöcke mit neuen Wohngassen und erschloß so ausgedehnte Innengärten, wobei nicht selten eine Art „Bauhöhenumkehr" eintrat. 2. Die von vornherein planmäßig angelegten Gewerbevorstädte konnten sich nur durch Neuparzellierungen auf bisher noch freiem Gelände innerhalb des Linienwalls erweitern (ζ. B. im Süden der Mariahilferlinie). Eine gewerbliche Hintergassen verbauung umschloß die Idylle des ehemaligen Landhaus- und Weinhauerortes Gumpendorf und dehnte sich bis zur Wien und in einem Brückenkopf entlang der Pilgramgasse nach Margarethen hinüber in bisher dörfliche Gefilde aus. Damit war schon am Ende der Frühgründerzeit die bis heute gültige Begrenzung der Gewerbeviertel an derWien innerhalb der Linie festgelegt. 3. Die um die Jahrhundertmitte noch recht ländliche Peripherie der südlichen und südöstlichen Straßenvorstädte wurde nun verhältnismäßig stark von der Verstädterung erfaßt. In den ehemaligen Dörfern Matzleinsdorf, Nikolsdorf und Margarethen verschwanden die ebenerdigen Häuser bis auf spärliche Reste und mit ihnen auch das dörfische Familienhaus zugunsten von Neubauten. Hand in Hand mit der Umgestaltung der Dörfer vollzog sich die Verbauung ihrer von verstreuten Gemüsegärtnereien aus bewirtschafteten Gemarkungen. Die Weißgerberlände fiel zum Großteil der Parzellierung anheim, während das GemüsegärtnerdorfErdberg sich noch halten konnte. Somit setzte bereits in dieser Zeit die Verdrängung des Gemüsebaus über die Linie hinaus ein. Sie erfolgte im Südosten in Richtung Simmering, im Norden aus der Leopoldstadt in die Brigittenau und von der Roßau in die Spittelau. 4. Die vorstädtischen Palastviertel büßten infolge der Anlage von Durchbrüchen weiter an Fläche ein. Die großen Parkanlagen und Sommerschlösser wurden geradezu

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eingekesselt (ζ. B. Schaumburgergrund, Alsergrund usf.). Rascher ab in der Altstadt vollendete sich die schon in der josefinischen Zeit begonnene Umwandlung der Sommerpaläste und Landsitze in Zinshäuser. Häufiger als dort verband sich damit ein Besitzwechsel, dem meist schon nach wenigen Jahren die Demolierung und Neuverbauung folgte. In diesen Prozeß schalteten sich bereits Baugesellschaften ein4). Eine Ausnahme bildeten allein die Anrainergassen des Belvedere bis zur Favoritenstraße und am Rennweg. Hier entstanden jetzt noch einzelne Paläste des Hochadels und der Hochfinanz (z.B. Palais Modena, 4, Favoritenstraße). Im ganzen bestanden um 1870 innerhalb der Linie noch beachtliche freie Flächen, wie man — entgegen manchen irrtümlichen Auffassungen der Literatur — aus dem Katasterplan entnehmen kann. Der Bereich der Vororte Der Einfluß Wiens beschränkte sich in dieser Phase auf den Bereich der unmittelbar an den Linienwall anschließenden Vororte. Die Bautätigkeit nahm hier schlagartig zu, schloß die bisher klar abgesetzten Dörfer und Vororte mit ausgefransten Wachstumssäumen an den Stadtkörper an und schob längs einzelner Straßenzüge lockere Ausbauspitzen weit vor. Allerdings waren ihre Intensität und ihr Ausmaß in den einzelnen Abschnitten dabei sehr verschieden. Sie waren am stärksten in den Gewerbe- und Wohnsiedlungen westlich der Linie. Zwei umfängreiche Agglomerationen entstanden: die des Wientales und diejenige von Neulerchenfeld — Währing. Bereits der zweite Ring der westlichen Vororte erfuhr aber nur mehr eine verhältnismäßig geringe bauliche Beeinflussung. Als administrativ selbständige Ortsgemeinden unterlagen die Vororte wohl insgesamt den für das ganze Kronland Niederösterreich gültigen Bauvorschriften, doch war einer individuellen Regelung hierbei ein viel größerer Spielraum belassen, was vor allem im Zuschnitt der Parzellen und Baublöcke sowie in der Straßenführung zur Geltung kam. Das in der Frühgründerzeit im Vorstadtraum kaum mehr errichtete Eigenhaus des Gewerbetreibenden in Gestalt des zweigeschossigen Seitenflügelhauses bzw. des ebenerdigen Reihenhauses fand in den Vororten noch weite Verbreitung, wenn es auch ab den Sechzigerjahren immer stärker gegenüber dem zwei- bis dreigeschossigen Miethaus in Form des Straßentrakters bzw. Stutzflügelhauses ins Hintertreffen geriet. Eine überblicksweise typologische Behandlung des Vorortebereiches wird durch die starke Zerfaserung der Verbauung und ihre große Mannigfaltigkeit erheblich erschwert. Stärker als in den Vorstädten drängten sich die Besonderheiten der einzelnen Gebiete bei der Darstellung in den Vordergrund und verlangten ein Würdigung. Eine eingehendere Gliederung kann die folgenden Bereiche unterscheiden: 4) Ein charakteristisches Beispiel ist der ehemalige Althansche Sommerpalast auf der Landstraße in der Ungargasse. Graf Ludwig Joseph Gundacker von Althan erwarb einen bürgerlichen Weingartengrund und ließ durch Fischer von Erlach 1724 einen prachtvollen Sommerpalast erbauen, zu dem ein großer Landschaftspark gehörte. Nach mehrfachem Besitzwechsel gelangte diese Liegenschaft im Jahre 1839 in die Hand des Michael von Barich, eines Großhändlers, der sie nach Demolierung des Schlosses parzellieren ließ. Dabei schaltete sich eine Baugesellschaft ein. Die heutige Barichgasse entstand.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

1. Die Wohnsiedlungen ohne dörflichen Kern auf der alten Stadtgemarkung außerhalb des Linienwalles, die im wesentlichen in der Frühgründerzeit neu entstanden und sich durch ihre Regelmäßigkeit auszeichnen: Favoriten und die Brigittenau. 2. Die Gewerbevororte beiderseits des Wientals, die in engem Anschluß an die Gewerbevorstädte aufwuchsen. Dazu gehörten der Fünfhauser Komplex längs der Mariahilfer Ausfallstraße, ferner das ehemalige Dorf Meidling, auf das schon im Vormärz die Industrialisierung übergriff, wobei es auch zur Gründung der Gewerbe- und Taglöhnersiedlungen Gaudenzdorf und Wilhelmsdorf kam. 3. Die Wohn- und Gewerbevororte nördlich der Wientalagglomeration, die durch das Zusammenwachsen der Ortsgemeinden Neulerchenfeld, Ottakring, Hernais und Währing entstanden und in gewissem Sinne die anschließenden Vorstädte fortsetzten. 4. Die in Verstädterung begriffenen Sommerfrischenorte Döbling und Penzing. 5. Die Vorortbildungen an alten Ausfallstraßen, die etwas außerhalb der entsprechenden Vorstädte entstanden waren und denen zum Teil auch erste Ansätze der Industrialisierung einen Auftrieb gewährten: die Simmeringer Agglomeration an der Ungarischen Landstraße, Zwischenbrücken an der nordöstlichen Fernstraße, Heiligenstadt an der nordwestlichen Ausfallstraße, schließlich, an der Triesterstraße, die etwas weiter entfernte „Neustift" der sogenannten „Straßenhäuser". Die Siedlungen auf der Stadtgemarkung

Favoriten und die Brigittenau nahmen insofern eine Sonderstellung unter den Vororten ein, als sie sich auf dem alten, außerhalb der Linie gelegenen Burgfriedensbezirk der Stadt bildeten, der schon bei der ersten Stadterweiterung 1850 eingemeindet wurde. Die bis dahin geringen Siedlungsansätze gerieten dadurch in den Wirkungsbereich der Wiener Bauordnung. Die Tatsache der frühen Eingemeindung dieser Stadtbezirke wirkte sich insofern aus, als für sie von Anfang an die gleichen Bauvorschriften wie für die inneren Bezirke galten und damit eine größere Bauhöhe als in den anderen ehemaligen Vororten gestattet war. Überdies wurden fiir sie von den Ringstraßenarchitekten V A N DER N U L L und SICCARPSBURG großzügige Regulierungspläne ausgearbeitet, die allerdings, da sie mit keiner entsprechend organisierten Bautätigkeit gekoppelt waren, nur teilweise Verwirklichung fanden. Sieht man von diesen gemeinsamen Merkmalen ab, so bestanden zwischen der Brigittenau und Favoriten zumindest in den Anfängen beachtliche sozialwirtschaftliche Unterschiede, die sich später ausglichen. In der Brigittenau bemächtigten sich die aus der Leopoldstadt verdrängten Gemüsegärtner mit Hilfe von Pacht- oder Kaufverträgen der Aulandschaft, die dem Stift Klosterneuburg gehörte, und wandelten sie binnen kurzem in Gemüseflächen um. Einer Regulierung unterlag das Brigittaplatzviertel, das damals durch ein- und zweistöckige Reihenhäuser locker verbaut wurde und den Vorortkern bildete. In Favoriten waren die Wirtshäuser, die dem Ausflugsverkehr der südlichen Vorstädte dienten, die ersten Vorposten der Siedlung. Unmittelbar beim Gürtel am Beginn der

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Favoritenstraße konnte man bis vor kurzem ein altes Ausflugslokal sehen. Mit dem Bahnbau nach 1840 folgten die ersten Niederlassungen von Bahnbediensteten, Ziegelei- und Bauarbeitern. An der Parzellierung der Ackergründe beteiligten sich lokale Gewerbetreibende und Wiener Bürger. Ebenerdige bis zweistöckige Reihenmiethäuser kamen zur Anwendung und sind teilweise heute noch im Kerngebiet des Bezirks erhalten. Die Gewerbevororte beiderseits des Wientals Bereits um 1840 waren die grundherrschaftlich und sonst eng mit den Gewerbevorstädten verflochteten Vororte „an der Mariahilfer Linie" zu einem Siedlungskomplex zusammengewachsen. Auf engem Raum fand man hier nahezu alle Bautypen, die die Vorstädte zu bieten hatten: in Fünfhaus einzelne klassizistische Wohnhöfe und Landhäuser, in Sechshaus die langflügeligen Gewerbehäuser, aufdemBraunhirschengrund bescheidenere, oft nur ebenerdige Reihenhäuser von Taglöhnern und Handwerkern auf kleinen Grundstücken. Mit der Ausweitung der im Verlagssystem arbeitenden Schaf- und Baumwollweberei legte sich eine Schicht von Webern und anderen Textilarbeitern vereinheitlichend über diese Vororte. Die letzten Reste der älteren Landhaussiedlung wurden ausgelöscht. Die Nachfolge der einstigen Weinhauerbetriebe traten Ausflugslokale an, die bis tief in die Gründerzeit stadtbekannt waren. Wenn die bauliche Differenzierung in der Frühgründerzeit dennoch fortbestand, so war dafür nicht zuletzt die Tatsache verantwortlich zu machen, daß drei verschiedene Ortsgemeinden, nämlich Fünfhaus, Sechshaus und Rudolfsheim (dieses wurde aus Braunhirschengrund, Rustenfeld und Reindorf gebildet), den Siedlungskomplex verwalteten. Am stärksten wurde das an der Mariahilferstraße gelegene Fünfhaus vom vorstädtischen Miethaus überflutet. Hier entstanden zum Teil auf grünem Anger, zum Teil beim Umbau älterer ebenerdiger Bauten stattliche dreigeschossige Stutzflügelhäuser. So wich der letzte große Landhausbesitz (der des Baron Arnstein)5) dem Schachbrettviertel um den Henriettenplatz. In diesen Neubauten längs der Mariahilferstraße mengten sich Klein- und Mittelwohnungen wie in den anschließenden Gewerbevorstädten. In den anderen Vorortegemeinden, Sechshaus und Rudolfsheim, blieb dagegen die Kleinstwohnungsstruktur erhalten. In Sechshaus wurden auf der aufparzellierten Allmende längs der Wien noch tiefe zweigeschossige Seitenflügelhäuser errichtet, in Rudolfsheim die älteren ebenerdigen Häuser aufgestockt. Die Masse der Bevölkerung hauste hier in Ein- und Zweiraumwohnungen, zu denen man direkt vom Hof oder von Pawlatschen aus Zutritt hatte. Die extremsten Verhältnisse bestanden in Sechshaus, wo sich längs des Wienflusses verschiedenste Betriebe, Bleichereien, Druckereien, Appreturanstalten, Webereien und Spinnereien, aufreihten. Noch 1869 fristete hier über ein Drittel der Bevölkerung als Untermieter und Bettgeher sein Dasein (nach Schimmer) . Heute noch kann man sehr verwahrloste Reste von Altbauten und Miethäusern dieser 5) Dieses ursprüngliche Sommerpalais der Erzherzogin Christine (gestorben 1798) wurde von dem Bankier Arnstein, dem Teilhaber des 1773 begründeten Großhandlungshauses Arnstein &£skeles, erworben. 1868 wurde der Besitz samt dem dazugehörigen großen Park an die Gemeinde Rudolfsheim verkauft. Diese ließ das Grundstück parzellieren und verbauen.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

Zeit sehen, die uns die unvorstellbar schlechten Arbeits- und Wohnverhältnisse der Heimweber und Fabriksarbeiter anschaulich machen, deren Erbitterung sich in den Revolurionstagen 1848 in schweren Ausschreitungen gegen die Verleger und Fabriksbesitzer entlud. Auf der Südflanke des Wientals ging ein wichtiger Bauimpuls von der neuen Südbahnstation Meidling aus. Die Parzellen dieses Bahnhofsviertels waren kleinzügig und wurden mit ebenerdigen Eigenhäusern von Handwerkern und Milchmeiern 4 ) sowie kleinen zweigeschossigen Miethäusern besetzt, worin sich der Abfäll der Verbauungsintensität gegenüber der Nordflanke deutlich ausprägte. Natürlich herrschten hier überall Kleinstwohnungen vor. Die Wohn- und Gewerbevororte nördlich des Wientals Aus recht unterschiedlichen Elementen, dem im Barock gegründeten Vorort Neulerchenfeld und den Dörfern Hemals und Währing, wuchs in der Frühgründerzeit der Siedlungskomplex Neulerchenfeld-Währing zusammen, der 1840 18493, 1870 aber schon 80213 Einwohner zählte. Neulerchenfeld war ein Wohnvorort von Handwerkern und Arbeitern und überdies ein sehr beliebter Ausflugsort an der Linie mit über 150 Gasthäusern. Dagegen hatten die ehemaligen Weinhauerdörfer Hernais und Währing mehr den Charakter von bürgerlichen Sommerfrischen, der aber schon seit der Biedermeierzeit schrittweise verlorenging. Vor allem in Hernais setzte eine Industrialisierung ein, die von bodenständigen Unternehmern getragen wurde und die massenhafte Ansiedlung von Arbeitern zur Folge hatte. Die hierdurch ausgelöste Bauwelle erfäßte fast die ganze Hernalser Gemarkung sowie zum Teil noch diejenige des bereits zum zweiten Vorortering gehörigen Weinhauerdorfes Ottakring. Es bildete sich die Fabriksarbeitersiedlung Neuottakring, die Ottakring mit Neulerchenfeld verband. Damit sind die Grenzen eines verhältnismäßig großen, in der Frühgründerzeit allerdings erst lückenhaft verbauten Raumes abgesteckt. Dabei bewahrten die einzelnen Vorortgemeinden noch eindrucksvoller als im Wiental ihren unterschiedlichen baulichen und sozialen Charakter. Die verhältnismäßig kleine Hernalser Flur wurde nahezu zur Gänze aufparzelliert, wobei sich das Muster einer von privater Seite getragenen und nur mäßig regularisierten Aufschließung abzeichnete. Anfangs überwogen zweigeschossige Straßentrakter, zum Teil mit k u r ' i n Seitenflügeln. Das Winkelwerk von Werkstätten und Schuppen in den Höfen verriet den stark gewerblichen Charakter dieses Vorortes. Ende der Sechziger]ahre wurde die Zahl der Geschosse um eins erhöht. Auf der Währinger Gemarkung erfolgte die Verbauung von vornherein mit dreigeschossigen Straßentraktern und Stutzflügelhäusern vorstädtischer Art. Sie schlossen sich zu weiträumigen Baublöcken zusammen, in deren Innern recht ansehnliche Hausgärten noch an die ehemalige Sommerfrische erinnerten. Hier gab es auch einen höheren Anteil von Mittel6) Die sogenannten „Milchmeier" Wiens waren mindestens in den Vororten ganz Uberwiegend Kleinbetriebe, wie sich aus der Zahl der beschäftigten fremden Arbeitskräfte ergibt. 1869 gab es in den Vorstädten noch 798 Milchmeiereien mit 1714 Hilfskräften, in den Vororten 525 Milchmeiereien mit 987 Hilfskräften (•ach Schimmer).

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Wohnungen, w ä h r e n d i m Hernalser Bereich Klein- u n d Kleinstwohnungen vorherrschten. Neuottakring

entstand u m die 1836 g e g r ü n d e t e Brauerei u n d zeigte hinsichtlich der

Kleinheit der Parzellen u n d Häuser eine interessante Parallele zu Meidling. Pawlatschen u n d K l e i n s t w o h n u n g e n verrieten die soziale Deklassierung. Ein ähnlich dicht u n d regellos verbautes A r b e i t e r w o h n q u a r t i e r besetzte i m N o r d e n der Brauerei ein großes aufgegebenes Ziegeleigelände. Die in Verstädterung begriffenen

Sommerfrischen

Penzing u n d D ö b l i n g wiesen m a n c h e gemeinsame Z ü g e auf. Beide trieben ursprünglich W e i n b a u , der aber in Penzing schon E n d e des 18. Jahrhunderts erlosch, u n d entwickelten sich bereits in der späten Barockzeit zu Landhaus- u n d Ausflugsorten. N u n erfolgte die U m w a n d l u n g z u ständigen W o h n v o r o r t e n .

Sie brachte als B a u t y p e n einerseits z w e i -

geschossige R e i h e n h ä u s e r , die m i t Fassade u n d Nobelstock an das Biedermeierlandhaus a n k n ü p f t e n u n d v o n ein bis z w e i Familien b e w o h n t w u r d e n , daneben bescheidenere, ebenerdige Einfämilienreihenhäuser, d u r c h w e g s m i t g r o ß e n Gärten ausgestattet. D a b e i ergaben sich Unterschiede insofern, als Penzing in den Bannkreis der W i e n t a l industrie geriet u n d daher einen h o h e n Anteil v o n W e b e r n u n d Z e u g d r u c k e m e m p f i n g , die meist in d e n ebenerdigen K l e i n h ä u s e m der Hintergassen in U n t e r m i e t e lebten. D i e Eisenbahnstation P e n z i n g b r a c h t e einen starken Z u z u g v o n Bahnbediensteten. D ö b l i n g blieb dagegen frei v o n Fabriken u n d Industriearbeitern. D i e hier ansässige breite Schicht v o n w o h l h a b e n d e n B ü r g e r n f ü h r t e z u einer u n g e w ö h n l i c h starken A n r e i c h e r u n g m i t G e w e r b e . 1869 stellte das besitzende B ü r g e r t u m 2 0 % der Erwerbstätigen. A u c h die w e i t überdurchschnittliche Z a h l v o n 63 Hausangestellten auf 100 Haushalte dokumentierte die W o h l h a b e n h e i t dieses V o r o r t e s (SCHIMMER). Die Bildung der Straßenvororte D i e Bildung der S t r a ß e n v o r o r t e schritt in der Frühgründerzeit n u r zögernd voran. D i e B e d i n g u n g e n w a r e n nicht besonders günstig, da einerseits die n e u erbauten Eisenbahnen den Fernverkehr z u m Teil v o n d e n Straßen abzogen, andererseits die E n t w i c k l u n g des innerstädtischen Verkehrsnetzes, das den alten Radialstraßen wieder erneuten A u f t r i e b verleihen sollte, erst i n der H o c h g r ü n d e r z e i t einsetzte. Gemeinsam w a r e n den Straßenvororten, die auch in m a n c h e n Fällen erste Standorte einer Industrialisierung w u r d e n , die lockere u n d niedere V e r b a u u n g u n d die soziale Deklassierung. D i e günstigsten B e d i n g u n g e n wies die Simmeringer Agglomeration

an der Ungarischen

Ausfallstraße auf, die ihr W a c h s t u m drei F u n k t i o n e n verdankte. Das alte D o r f a m Terrassenr a n d w a r in erster Linie a u f G e m ü s e b a u u n d Milchwirtschaft eingestellt. Fuhrverkehr u n d Ochsentrieb bildeten die Lebensgrundlagen der seit A n f a n g des Jahrhunderts an der Femstraße n e u erwachsenen Siedlung. N u n verlieh die G r ü n d u n g v o n Maschinenfabriken der gesamten A g g l o m e r a t i o n einen industriellen C h a r a k t e r , der bald die anderen Wirtschaftszweige überlagerte. 1870 beschäftigten die Fabriken z u s a m m e n bereits 582 Arbeiter, eine Zahl, m i t der S i m m e r i n g eine Pionierstellung in d e r erst i m W e r d e n begriffenen Schwerindustrie

84

Β. D i e b a u l i c h e E n t w i c k l u n g in der G r ü n d e r z e i t ( 1 8 4 0 - 1918)

am Wiener Stadtrand einnahm. Für die Arbeiterbevölkerung crrichtete man ein- und zweigeschossige Reihenhäuser mit ebenerdigen Hoftrakten, in deren Einraumwohnungen sich die kinderreichen Familien drängten. Längs der nordwestlichen Ausfallstraße bildeten die Weinkeller und Ziegclgruben am Abfall der lößverkleideten höheren Pleistozänterrassen die Ansatzpunkte für eine lockere Siedlungszeile, die sich bei Heiligenstadt zu einem Arbeiterwohnviertel im Anschluß an teilweise schon ältere Industriebauten (Brauereien und dgl.) verdichtete. Als Straßenvororte an der nordöstlichen Ausfallstraße entstanden das äußere und innere Zwischenbrücken, v o m Straßen- und Stromgewerbe lebende Siedlungen, die dann der Donauregulierung weichen mußten. Jenseits des Stromes bewahrte der 1 7 8 6 von einem Klosterneuburger A b t an der Gabel v o n Brünner- und Pragerstraße gegründete Verkehrsort Floridsdorf noch seinen durch den Verkehr bestimmten Charakter. Gastwirte, Lebensrnittel- und Viehhändler erschienen als Besitzer der niedrigen Seitenilügelhäuser auf verhältnismäßig breiter und tiefer Parzelle und nahmen seit Begründung des Bahnhofs 1 8 3 7 Bahnbedienstete als Untermieter auf. Die entsprechende Straßensiedlung an der westlichen Fernstraße, der Linzer Straße, war bereits mit Penzing zu einem Siedlungskomplex verwachsen. Bemerkenswert erscheint das Fehlen einer eigendichen Vorortbildung an der südlichen Fernstraße unmittelbar v o r der Linie. Es ist auffällig, wie hartnäckig das damals noch stärker agrare Matzleinsdorf seine Flur auch innerhalb der Linie gegen die Überbauung verteidigte. D e r Schluß liegt nahe, daß Matzleinsdorf selbst bis zu einem gewissen Grade die Funktion einer solchen randlichen Verkehrssiedlung an sich gezogen hatte und daher das A u f k o m m e n einer entsprechenden Neusiedlung auf seiner Flur, die bis zur Höhe des Wienerberges reichte, verhinderte. D i e im ausgehenden 18. Jahrhundert gegründete Keuschler- und bald auch Arbeitersiedlung der „Straßenhäuser" im Süden des Wienerberges kann nicht als volles Äquivalent zu den anderen Straßenvororten betrachtet werden. Die äußeren Vororte Außerhalb des eben gekennzeichneten engeren Vorortgürtels lag eine baulich noch kaum umgestaltete Reihe von Dörfern, die aber nun während der Frühgründerzeit stärker in den Bannkreis der Großstadt geriet. Die Bevölkerung dieser Dörfer stellte sich in verschiedener Weise auf die Bedürfnisse der Großstadt ein, was im weiteren Verlaufe auch zu baulichen Veränderungen führte. Dank der Arbeit von SCHIMMER läßt sich die sozialwirtschaftliche Vielseitigkeit dieser äußeren Vororte recht gut erkennen. D i e Dörfer Breitensee und Baumgarten nördlich des Wientales entwickelten sich zu Arbeiterwohnvororten, die durch die Pendelwanderung aufs engste mit dem gewerblichen Zentrum im Wiental verbunden waren und diesem in Hinblick auf die Armseligkeit der Wohnverhältnisse in nichts nachstanden. U m 1870 hatten sie ihre einstige agrare Funktion schon größtenteils eingebüßt. Das Wäschergewerbe w a r in W i e n nicht so stark wie in anderen Städten an bestimmte Orte des Umlandes gebunden. In N e u w a l d e g g , Weinhaus und einigen weiteren D ö r f e r n

Die Verbauung der Hocfagründerzeit (1870-1890)

85

des westlichen Stadtrandes fand aber doch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung darin seinen Lebensunterhalt. Die ehemaligen Weinhauerdörfer in der Nachbarschaft des Wientals wurden vorzugsweise zu Milchmeierorten (ζ. B. Ober St. Veit, Hetzendorf), während andererseits auch in Simmering und anderen Gemüsedörfern Abmelkwirtschaft betrieben wurde. Milchmeier waren ebenso wie Wäscher auch in den näheren Vororten und sogar noch in den Vorstädten zu finden. Solche Betriebe bildeten sich mit dem Anwachsen der Bevölkerung häufig neu heraus. Nur in den nordwestlichen Weinhauerorten, wie Döbling, Grinzing, Sievering und Heiligenstadt, konnten sie nicht die gleiche Bedeutung erlangen. Einen Sonderfäll stellte Ober-Meidling dar, das eine überragende Stellung in der Geflügelversorgung der Stadt besaß und dessen Bevölkerung praktisch davon lebte (1869: 107 Geflügel- und Eierhändler). In den alten Sommerfrischen am Rande des Wienerwaldes und rings um Schönbrunn, wie Pötzleinsdorf, Hütteldorf, Hacking, Ober St. Veit und Hietzing, vermehrte sich die Zahl der Landhäuser. Doch blieb dieser Ausbau hinter dem der Biedermeierzeit zurück, damit dem Anbrach des Eisenbahnzeitalters der Radius des Sommerfrischenverkehrs sich beträchtlich zu erweitem begann, was sich allerdings erst später voll auswirken sollte. Auch in dieser Hinsicht bildete die Frühgründerzeit eine Übergangsperiode.

3. DIE VERBAUUNG DER H O C H G R Ü N D E R Z E I T (1870-1890) a) Die G e s a m t l e i s t u n g Gelingt es erst einer feineren Analyse, die Leistung der Frühgründerzeit aus dem vielfältigen Baubild herauszuschälen, so schiebt sich die Hochgründerzeit noch heute überall im geschlossenen Stadtkern und an seinen Rändern so beherrschend ins Blickfeld des Betrachters, daß ihre entscheidende Bedeutung in der baulichen Entwicklung Wiens sofort klar wird. Die Betrachtung der Fassaden allein erzeugt allerdings eher eine Überbewertung. Gerade im älteren Stadtkern, vor allem in den Vorstädten, aber auch in den ehemaligen Vororten, verbirgt sich hinter ihrem hochgründerzeitlichen Aufputz oft ein älterer Baubestand, der nur teilweise umgestaltet wurde. Die Hauptleistung der Hochgründerzeit hegt nicht so sehr im Umbau desselben, sondern in der Schaffung eines breiten Schachbrettgürtels von Reihenhäusern, der vor allem die ehemalige innere Vorortezone längs der Linie besetzte und mit seinen Vorposten nahezu den vor dem Ersten Weltkrieg gültigen Rahmen des geschlossenen Stadtkörpers absteckte. Im Hintergrund dieser eindrucksvollen Bautätigkeit standen die Baugesellschaften, die in den Jahren vor der Weltausstellung 1873 ihr Tätigkeitsfeld auch auf den Vorortebereich ausdehnten. Unter ihrem Einfluß gelangten die bisherigen Ansätze zur Ausbildung neuer Bautypen generell zu einer Normierung. Dies gilt nicht nur vom Miethaus für den Mittelstand, sondern auch von dem für die Arbeiter, das gleichsam in gestanzter Form massenhafte Anwendung fand. Am Stadtrand erschien als neuer Bautyp die Villa, welche die alte Tradition des Landhauses in neuem Gewand fortführte und das Ergebnis langer Diskussionen um die

86

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

großbürgerliche Wohnform war. Neben den neuen Bautypen lebten aber in Um- wie in Neubauten die älteren Formen weiter. Man muß feststellen, daß die Hochgründerzeit die größte Zahl von Bautypen im Rahmen der gesamten Periode zur Anwendung brachte. Der Ausbau der innerstädtischen Verkehrslinien gewährte den schon früher vorgezeichneten Geschäftsstraßen der Vorstädte starke Impulse, die sich in einem lebhaften Umbau äußerten und die Entstehung neuer Ladenstraßen im Vorortebereich förderten. Mit der Verstärkung der Citybildung in der Altstadt und einigen Vorstädten und dem Beginn der Hinterhofindustrie in den Gewerbebezirken legte die Hochgründerzeit zumindest innerhalb der Linie bis heute gültige funktionelle Differenzierungen fest. Im Zuge selektiver Aufwertung durch Umbauten, aber auch bei der Neuverbauung, sonderten sich Mittelstands- und Arbeiterwohnquartiere schärfer voneinander. Als weiteres wesentliches Kennzeichen dieser Phase verdient auch der beginnende Aufbau eines peripheren Industriegürtels hervorgehoben zu werden, dessen erste Ansatzpunkte die alten Wachstumsspitzen der Stadt waren, die sich nunmehr durchgehend industrialisierten und von denen aus vor allem im Süden bereits ein lockerer Industriering aufgebaut wurde. Durch die Überbauung des engeren Vorortbereiches wurde die einstige Ausflugszone der Vorstädte überfähren. Dank der Entwicklung des städtischen Verkehrsnetzes konnte eine neue Ausflugsperipherie aufgebaut werden, die bis zur Gegenwart herauf als Naherholungsraum der Stadt ihre Stellung behielt. Zukunftsweisende Bedeutung erlangte die Donauregulierung, die in diesem Entwicklungsabschnitt wohl gleichsam am Rande des sonstigen Baugeschehens blieb, aber den Ausgriff vonWien auf das linke Stromufer in der Spätgründerzeit vorbereitete. b) Die W o h n b a u t e n Wie bereits einleitend erwähnt, spielten in der Hochphase der Gründerzeit auch teilweise und völlige Umbauten neben dem Neubau eine beachtliche Rolle. Der teilweise Umbau hatte sein Hauptgebiet in den Vorstädten, in den Vororten besaß er geringere Bedeutung, in der Altstadt fehlte er überhaupt. Dagegen war dort der vollständige Umbau der charakteristische Vorgang, der praktisch die gesamte Bautätigkeit beherrschte. Unter bestimmten Bedingungen trat er auch in stärkerem Maße in den Vorstädten auf. Im Vorortebereich beschränkteer sich auf die altverstädterten, liniennahen Kerne. Die zahlenmäßig bedeutendere Erstverbauung füllte die noch offene Randzone der Vorstädte auf, fand aber ihr Hauptfeld im Vorortebereich. Teilweiser Umbau Der teilweise Umbau hatte in der Hochgründerzeit, verglichen mit den vorangegangenen und folgenden Jahrzehnten, die größte relative Bedeutung. Während die Frühgründerzeit noch nicht die bauliche Kraft zu einem teilweisen Umbau des Altbestandes besaß, hat dann die Spätgründerzeit viel radikaler in diesen eingegriffen und ihn fast immer vollständig umgestaltet.

Die Verbauung der Hochgründeizeit (1870—1890)

87

Die Gründe fiir dieses Hervortreten des teilweisen Umbaus sind vielfältig. In den Vorstädten sind sie wohl darin zu suchen, daß das industrielle Kleinunternehmertum noch nicht genügend Kapital besaß, u m die Altbauten radikal zu beseitigen, ganz abgesehen davon, daß auch der zeitliche Abstand zum Biedermeier noch zu kurz war, als daß der U m b a u bei der gegebenen Kapitaldecke rentabel erschienen wäre.

0

0

10m DZ

7. In der Hochgründerzeit aufgestocktes Biedermeier-Wohnflügelhaus. Altlerchenfeld.

· ' ' Dienerzimmer,

' Β

10m

1 " Badezimmer

8. Hochgründerzeitlicher Umbau auf breiter und tiefer Parzelle. Vorstadt Neubau; Vorder- und Hinterhaus mit differenzierter Wohnungsstruktur.

88

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

In den Vororten stand der teilweise U m b a u unter einem anderen Vorzeichen. Hier wurden meist ebenerdige und zweigeschossige Alt- und Frühgründerzeitbauten von ihm erfaßt. Es spiegelte sich darin die Umstellung v o m Eigenhaus zum Miethaus wider als ein schon aus den Vorstädten geläufiger, dort aber viel weiter zurückliegender Vorgang. Der teilweise U m b a u stellte in den Vorstädten nicht einfach eine Fortfuhrung der frühgründerzeitlichen Leitlinien dar, sondern vollzog sich zum Teil in anderer Form, nicht zuletzt deshalb, weil Pawlatschen nunmehr verboten waren und damit ein Aufstocken von langen, einhüftigen Seitentrakten kaum in Frage kam. N e u war derEinbau von hohen Hintertrakten, die zum Teil den Hausgarten verdrängten. Vielfach erhielten tiefe Seitenflügelhäuser des Biedermeier neue, höhere Straßentrakte vorgeschaltet. Aus der Vorstadt Alderchenfeld stammt das abgebildete Beispiel (Fig. 7) einer Aufstockung des Straßentraktes von zwei auf vier Geschosse und des gleichzeitigen Neubaus eines hofseitigen dreigeschossigen Quertraktes. Die durch je drei Stiegenhäuser erschlossenen langen zweigeschossigen Seitentrakte aus der Biedermeierzeit blieben unverändert. Die Haushennwohnung im Straßentrakt fehlt bereits. An ihrer Stelle befindet sich eine Klein- und eine Mittelwohnung. In manchen peripheren Vorstadtteilen, wie dem Paulusgrund, wurden noch in Beibehaltung einer älteren Baugesinnung Seitenflügel an die Straßentrakte angefügt. Im inneren Vorortbereich außerhalb der Linie vollzog sich der teilweise Umbau in ähnlicher Weise durch Anwendung von einhüftigen Seitentrakten, vor allem aber durch Aufstockung bisher ebenerdiger Häuser, wobei nach wie vor Pawlatschen die Stelle der Gänge einnahmen, da sie ja im Kronland Niederösterreich nicht verboten waren. Vollständiger U m b a u Bei völliger Demolierung von Altbauten beeinflußte die vorhandene Parzellenform notwendig die architektonische Gestaltung des neuen Hauses. Angesichts der mannigfaltigen Form der älteren Grundstücke ist es begreiflich, daß verschiedenste Lösungen gefunden w u r den, wobei bereits Anklänge an spätgründerzeitliche Bauformen auftauchen. Auf den sehr häufigen tiefen und breiten Parzellen der Vorstädte kam es meist zu einer charakteristischen Vorderhaus-Hinterhaus-Gliederung, wofür hier ein Beispiel aus der ehemaligen Vorstadt Neubau geboten wird (Fig. 8). Das soziale Gefalle vom Vorder- zum Hinterhaus äußert sich sinnfällig schon in der unterschiedlichen Aufwendigkeit der Stiegen. Die eigentümlich tiefe Ausbildung des Straßentraktes sowie die verschachtelte Raumanordnung erinnern bereits stark an spätgründerzeitliche Lösungen. Die kurzen Seitenflügel erscheinen hier auch mit dem Hintertrakt verbunden. Die Wohnungen des Vorderhauses — größere Mittelwohnungen gegen die Straße, kleinere gegen den Hof—, bei denen die Toiletten in den Wohnungsverband eingeschlossen sind, betritt man direkt vom Stiegenpodest aus, dagegen öffnet sich der Zugang zu den Kleinwohnungen des Hintertraktes von einem langen Korridor, auf dem die gemeinsamen Toiletten sowie der Wasserauslauf („Bassena") untergebracht sind. Von diesem Gange aus betritt man unmittelbar die Küchen der Klein- und Kleinstwohnungen („Gangküchentyp"). In dieser sozialen Differenzierung zwischen Vorder- und Hinterhaus erscheint in neuer Form ein schon sehr altes Prinzip, das besonders klar in den älteren Eigenhäusern der Gewerbetreibenden mit ihren tiefen Seitenflügeln verwirklicht wurde.

Die Verbauung der Hochgründerzeit (1870-1890)

89

In Fortführung von Ansätzen der Frühgründerzeit wurden lange Grundstücke durch spiegelbildlich zusammengefügte Hufeisentrakte auf Doppelparzellen verbaut, so daß ein ,,Pseudowohnhof" entstand. Auch unverbundene Paralleltrakter mit gegen die Hofseite hin vorspringenden Stiegenhäusern kamen vor, als Vorläufer des durch ein gemeinsames Stiegenhaus verbundenen Doppeltrakters, der in der Spätgründerzeit zu großer Bedeutung gelangte. Die für die Spätgründerzeit charakteristische Ausschrotung der Parzellen unter Verwendung von Lichthöfen zeichnete sich, vor allem auf kleinen Grundstücken, schon deutlich ab. Was die Wohnungsstruktur anlangt, so trat beim vollständigen Umbau fast immer eine soziale Aufwertung ein, indem die Mittelwohnungen im Vordertrakt vermehrt wurden. In den Seiten- und Hintertrakten verblieben wie schon bisher die Kleinwohnungen. Durch diesen Vorgang nahmen die Mittelwohnungen in den Vorstädten zwischen 1857 und 1890 um 5,5% zu, und es wurden viele kleine Leute gezwungen, in die Vororte auszuweichen. SEDLACEK (S. 41) kennzeichnete 1890 diesen Vorgang mit nachstehenden Worten: „Infolge zahlreicher Umbauten treten an die Stelle der alten Wohnhäuser mit einer großen Zahl von Kleinwohnungen Zinspaläste mit Komfortwohnungen, deren Mietpreise aber die Mittel weit übersteigen, welche der kleine Haushalt auf die Wohnungsmiete zu verwenden in der Lage ist." In der Altstadt war mit dem völligen Umbau auch ein Wandel des Parzellengefüges verbunden, indem besonders schmale Parzellen zusammengelegt und besonders breite geteilt wurden. Das Ausmaß der damit Hand in Hand gehenden Straßenregulierungen blieb aber bescheiden. Abschließend erhebt sich die Frage, welche Häuser dem Umbau anheimfielen. In der Altstadt kann man feststellen, daß in den Hauptgeschäftsstraßen bereits vier- bis fünfgeschossige josefinische Miethäuser demoliert und durch sechsgeschossige Neubauten ersetzt wurden. Tiefer lag die Rentabilitätsgrenze fur den Umbau in den Vorstädten. Hatte hier die Frühgründerzeit im wesentlichen nur ebenerdige und zweigeschossige Bauten der Barockzeit abgerissen, so kamen nun alle zweigeschossigen Objekte hierfür in Betracht. Sogar an der Peripherie der Vorstädte fielen solche selbst aus den Dreißigerjahren des Jahrhunderts der Demolierung zum Opfer. Bei dreigeschossigen Wohnhäusern erschien es immerhin schon rentabel, die stärker überalterten josefinischen Objekte zu ersetzen, während die Biedermeierhäuser dieser Geschoßhöhe sich noch halten konnten. An die Stelle der abgerissenen Altbauten traten bis in die Achtzigerjahre vier-, später fünfgeschossige Miethäuser. In den Vororten wurden im wesentlichen erst ebenerdige Objekte abgebrochen. Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß geräumige Mietobjekte meist viel rascher als kleine einem Umbau anheimfielen (vgl. S. 51). Dies fand in der Hochgründerzeit öfters Bestätigung. So wurde in der Altstadt der ausgedehnte, erst 1816 umgebaute Zinshauskomplex des Bürgerspitals im Süden des Neuen Marktes nunmehr durch eine Baugesellschaft abgerissen, wobei auch das alte Palais Schwarzenberg der Spitzhacke zum Opfer fiel. Nach der Neuparzellierung des gewonnenen Areals entstanden 22 Nobelmiethäuser und ein direkter Zugang zum Neuen Markt. Auch in den Vorstädten riß man einige große alte Zinshäuser ab und teilte die Grundstücke auf mehrere Häuserblöcke auf, z.B. das sogenannte Rote Haus auf dem Aisergrund, eine an der Stelle eines alten Meierhofes entstandene und dem Fürsten

Β. Die baulichc Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

90

F.stcrhäzy gehörende Zinskaserne mit 223 W o h n u n g e n , oder ein fast gleich großes, 1802 erbautes Miethaus auf der Wieden mit 176 W o h n u n g e n . Die Erstverbauung Die Erstverbauung zeigte einen entscheidenden Entwicklungsschritt gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten. Konstruktive Form

und Wohnungsgefüge, die bisher mehr

oder minder unabhängig nebeneinander standen, traten nunmehr in ein enges Verhältnis zueinander, so daß sich daraus baulich und sozial genormte Typen des Reihenmiethauses ergaben. A u f der einen Seite wurde das oben geschilderte Gangküchenhaus zum Arbeitermiethaus schlechthin, auf der anderen Seite wurde der unmittelbare Zutritt in die W o h n u n g e n v o m Stiegenpodest aus zu einem allgemeinen Merkmal des bürgerlichen Miethauses. Mit dieser klaren Trennung ist endgültig eine ältere Tradition abgerissen, derzufolge bis in die Frühgründerzeit auch bei Mittelstandshäusem längere Korridore zur Anwendung kamen. Bei Umbauten erscheinen beide Typen in der Form von Vorderhaus und Hinterhaus häufig miteinander verkettet, während sie sich bei der Neuverbauung nunmehr räumlich trennen.

S Salon

0

10m

9. Ringstraßenverbauung der Hochgründerzeit. Nobelmiethaus mit

Herrschaftswohnungen.

Gleichsam ein Stockwerk höher in der baulich-sozialen Stufenleiter steht das N o b e l miethaus der Ringstraße mit G r o ß - und Herrschaftswohnungen, das aber nach Fertigstellung derselben im geschlossenen Stadtkern kaum mehr gebaut wurde. Vielmehr trat in dieser Phase als neues Wohnideal der gehobenen Schichten die Villa a u f den Plan.

Die Verbauung der Hochgründerzeit (1870-1890)

91

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die ältere Tradition der Wohnhöfe in der Hochgründerzeit keine Nachfolge mehr fand, sondern im Gegenteil, wie schon erwähnt, ältere Großkomplexe dieser Art abgebrochen und aufparzelliert wurden. Die in starker Vereinfachung als wesentlich herausgestellten drei Grundformen des Reihenmiethauses sollen nun an Hand von Beispielen kurz erläutert werden. Das Nobelmiethaus der Ringstraße (Fig. 9) sondert sich schon durch den großzügigen Parzellenzuschnitt von den beiden anderen Typen (vgl. Abb. 22). In dem abgebildeten Beispiel umschließen drei zweihüftige Straßentrakte und ein einhüfbger Verbindungstrakt den Hof, gegen den die Wirtschafts- und Dienstbotenräume, aber auch die Schlafgemächer untergebracht sind, während eine Flucht von Durchgangszimmern die Straßenfront begleitet. Die Zahl und Größe der Räume entspricht der barocken Palasttradition, der dieser Typus entstammt. Der Repräsentationszwecken dienende Salon besitzt ein Ausmaß bis zu 60 m 1 . Den ersten Stock bewohnte in der Regel die Familie des Eigentümers, während im zweiten und dritten Stock je zwei bis drei weitere Großwohnungen urftergebracht waren. Erdgeschoß und Mezzanin waren ursprünglich für Ställe, Wirtschaftsräume, Dienerwohnungen und dgl. bestimmt. Natürlich waren die Stiegen für Herrschaft und Dienstpersonal getrennt.

2.Stock

10. Bürgerliches Miethaus der HochgrüniJerzeit. Variante mit zusammengehauten Seitenflügeln ( T-Form)

11. Arbeitermiethaus der Hochgründerzeit, „Bassenatyp".

Das bürgerliche Miethaus und das Arbeitermiethaus unterscheiden sich in der Fassade nicht wesentlich voneinander. Beide weisen sieben bis elf Fensterachsen und eine sehr ähnliche Gliederung auf. Betritt man aber das Haus, so ist die Einstufung einfach. Das bürgerliche Miethaus unterscheidet sich meistens schon durch den Hausflur mit seiner Portierloge sowie durch den reicher ausgestatteten Stiegenaufgang, immer aber — wenn man von Eckhäusern absieht — durch das Fehlen der Gänge vom Arbeitermiethaus.

92

Β . Die bauliche E n t w i c k j u n g in der Gründerzeit ( 1 8 4 0 - 1918)

Das abgebildete Beispiel des bürgerlichen Miethauses (Fig. ίο) nut T-förnugem Grundriß, bei dem die Nebenräumc gegen den H o f hin untergebracht sind, stellt nur eine Variante des nach wie vor häufigen einfachen Straßentrakters dar. In einem Stockwerk waren meist zwei Mittelwohnungen symmetrisch angeordnet und mit je einem Vorzimmer vom Stiegenpodest aufgeschlossen.

Der abgebildete Wohnungstyp

der

Dreizimmerwohnung

mit

Dienerzimmer, Vorzimmer und Küche kann als repräsentativ gelten. Das Arbeitermiethaus (Fig. 11) ist, wie im vorliegenden Fall, häufig ein Stutzflügelhaus. Es ist durch den Gang gekennzeichnet, von dem aus man die Zimmer-KücheWohnungen und die an beiden Enden gelegenen

Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen

direkt betritt. Die Toiletten und der Wasserauslauf liegen am Gang. Gegenüber den Vorstadthäusern der vorangegangenen Bauphase, die etwas stärker kleinbürgerlichen Charakter besaßen, muß dieser Typus als eine deutliche Verschlechterung betrachtet werden. Häufig fehlt auch die Hausherrnwohnung, worin die fortschreitende Akkumulierung des Hausbesitzes zum Ausdruck kommt. Die Zahl der Wohnparteien schwankt zwischen 20 und 30 und kann bei Eckhäusern bis zu 50 erreichen. Zwischen dem bürgerlichen Miethaus und dem Arbeitermiethaus klafft in der baulichsozialen Stufenleiter eine breite Lücke. Es fehlt ein in erster Linie auf die kleinbürgerliche Schichte abgestelltes Miethaus, wie es die Frühgründerzeit noch geschaffen hatte. Die Zweiund Zweieinhalbzimmerwohnungen, die der kleinbürgerlichen

Schichte

entsprachen,

wurden zum

Teil bei Umbauten zwischen Vorder- und Hinterhaus eingeschoben,

teils

als Eckwohnungen

im

Gangküchenhaus untergebracht. Erst die Spätgründerzeit entwickelte auch für sie eine Schablone.

Magazin I

Neben den genannten Typen konnten sich an Schuppen

der Peripherie der Vororte und in den Wachstumsspitzen

Z3

die älteren

Seitenflügelhauses

Formen

des

und des ebenerdigen

zweigeschossigen Reihenhauses,

das meist ein Einfamilienhaus war, erhalten (Fig. 12). Das ebenerdige Reihenhaus kennzeichnete vor allem die äußere Vorortezone, wo in der gleichen Zeit auch die Villa als neuer Bautyp auftrat. Die Diskussionen um die ideale bürgerliche Wohnform — ob

Miethaus oder Einfamilienhaus — beginnen

schon in der frühen Gründerzeit. Erst in der Hochgründerzeit setzte sich jedoch das immer wieder ins 10m

Treffen geführte Vorbild des englischen Familien-

hauses durch und fand im Rahmen des von FERSTEL 12. Niedriges Reihenhaus der Hochbegründeten Cottagevereins in Währing seine Vergründerzeit. Vororte, ursprünglich Milchwirklichung. meierhaus.

Die Verbauung der Hochgründerzeit (1870-1890)

93

1873 wurde der Grundstein zum ersten Wohnhaus gelegt. Allerdings sahen die Statuten von vornherein Einschränkungen bezüglich der Mitgliederaufnahme vor. Nur Beamte, Offiziere, Doktoren, Kaufleute und „andere gesellschaftlich gleichstehende Personen" konnten beitreten. Als Minimalausführung waren ursprünglich 1 Salon, 3 Zimmer, 2 Kabinette, 1 Veranda, dazu im Erdgeschoß 1 Küche, 2 Kabinette und sonstige Nebenräume vorgesehen. Allerdings setzten sich bald noch höhere Ansprüche durch, da auch Privatarchitekten die Möglichkeit erhielten, unabhängig vom Verein auf dem Areal Villen zu errichten. Grundriß- und Fassadengestaltung wurden aufwendiger und damit trat eine Zurückdrängung der Schichte des Mittelstandes ein, für den die Anlage ursprünglich geplant war. Auch im Anschluß an die Biedermeier-Landhausperipherie der Stadt entstanden neue Villenstraßen (vgl. Fig. 13, Abb. 33).

T H Turmhall«

13. Hochgründerzeitliche Villa. Villa Kuffner in Dombach. Die von vorausschauenden Sozialpolitikern aufgestellte Forderung, auch ftir die Arbeiterbevölkerung billige Einfamilienhäuser zu schaffen, konnte sich nicht durchsetzen. Doch ist es immerhin interessant zu erwähnen, daß vom Verein ftir Arbeiterhäuser 1883 ein derartiger Versuch gemacht wurde. Allerdings blieb es in diesem „Favoritener Cottage" beim Bau von 18 Einfamilienhäusern (vgl. S. 55). Die Hochgründerzeit ist außerdem die Phase, in der in größerem Umfang Werkswohnungen im Anschluß an randständige Industriebetriebe entstanden. Später, als die W o h n verbauung näher heranrückte, wurde dieser Werkswohnungsbau nicht in gleichem Maße weitergeführt. Die mehrstöckigen, meist im Ziegelrohbau errichteten Wohnhäuser entsprachen mit ihren Kleinst- und Kleinwohnungen dem geläufigen Typus des Arbeitermiethauses. Als neu ist zu vermerken, daß sie oft voneinander abgesetzt und blockförmig gruppiert wurden.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

Mit dem Ausgriff der Baugesellschaften über die Linie änderte sich auch im Vorortebereich das System der Aufschließungen. Die alten Gemarkungsgrenzen wurden nun bei großzügigen Neuparzellierungen (wie auf der Schmelz) ebenso überfahren wie alte Straßenzüge (ζ. B. Flötzersteig). Die private Einzelparzellierung trat im ganzen zurück, wenn auch in dieser Hinsicht Unterschiede bestanden. Manchenorts, ζ. B. in der Brigittenau, bildeten sich schachbrettartige und irreguläre Parzellengefüge nebeneinander.

c) D i e N i c h t w o h n b a u t e n Stand in der Frühgründerzeit die staatliche Bautätigkeit im Vordergrund, so lieferte in der Hochgründerzeit die Wirtschaft entscheidende Impulse. Die lebhafte Citybildung äußerte sich in einer starken Umbautätigkeit entlang der Hauptverkehrsachsen der Altstadt und strahlte von hier auch in die Vorstädte aus. Es entstanden die Hauptgeschäftsstraßen der heutigen inneren Bezirke. Einen entscheidenden Beitrag leistete die Industrialisierung. In den alten Gewerbevorstädten begann die Umwandlung der Werkstättentrakte in Fabrikshochbauten größeren Umfang anzunehmen. Weit abgesetzt von der Wohnverbauung, entstanden vorwiegend im Zusammenhang mit den Bahnlinien große Schwerindustriebetriebe, wobei neben Simmering vor allem Floridsdorf hervorzuheben ist. Daneben waren die Wachstumsspitzen der Stadt an den Ausfallstraßen Hauptschauplätze der Industrialisierung. Die Baukonjunktur bedingte eine starke Vergrößerung und Vermehrung der Ziegeleibetriebe am Wiener- und Laaerberg, von deren ausgedehnten Abbaugruben heute zum Großteil nur mehr Teiche und „Gstetten" übrig sind. Die Errichtung öffentlicher Gebäude beschränkte sich auf das Stadtgebiet innerhalb der Linie. Hier entstanden vor allem weitere Schulen und Spitäler. Damit war der Bedarf weitgehend gedeckt. Nach der Hochgründerzeit wurden in den inneren Bezirken nur mehr wenige öffentliche Gebäude errichtet. Über die Wiener Stadtgrenze griff die Stadtverwaltung nur mit der Neuanlage von Friedhöfen (seit 1874) in das Weichbild hinaus. Die immer enger werdende funktionelle Verbindung der verschiedenen Vorortgemeinden mit Wien äußerte sich nicht nur auf dem Felde der Bodenspekulation, sondern vor allem auch im Ausbau eines innerstädtischen Verkehrsnetzes, indem ungeachtet der Stadtgrenze längs der wichtigen Radialstraßen von verschiedenen privaten Gesellschaften Tramwaylinien in die Vororte eingerichtet wurden. Wie ein Blick auf den Tramwayplan von 1888 erkennen läßt, fehlten dagegen Querverbindungen zwischen den Vorortgemeinden nahezu völlig, ein Mangel, dem auch die Spätgründerzeit nur mehr zum Teil abhelfen konnte, so daß bis heute — trotz aller Projekte der Jahrhundertwende zur Schaffung eines „Volksringes" durch den Vorortbereich — der an der Stelle des Linienwalles errichtete Gürtel und der Ring die einzigen durchgehenden Halbkreisverbindungen Wiens gebheben sind. Die Erweiterung des Verkehrsnetzes führte dazu, daß die noch um die Jahrhundertmitte sehr wesentliche außerhalb der Linie gelegene Zone des Ausflugsverkehrs an Bedeutung verlor und ein neuer peripherer Gürtel von Gasthäusern und Restaurationen entstand. Diese

Die Verbauung der Hochgründerzeit (1870-1890)

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gesellten sich zu den schon älteren herrschaftlichen Meierhöfen und Wirtshäusern und zeichneten vor allem im Westen die Gemarkungsgrenzen nach (Ottakring, Hütteldorf). In starkem Maße verschob sich der Gemüsebau weiter stadtauswärts. Im Südosten weitete er sich vom Erdberger Mais über die Ostbahntrasse auf die Simmeringer Haide aus und erreichte längs des lokalen Verbindungsweges von der Simmeringer Hauptstraße aus auch KaiserEbersdorf. Im Südwesten wurde das Grundwasserquellgebiet von Erlaa zum Standort der aus dem Wiental (Margarethen) verdrängten Handelsgärtnereien. Von der Brigittenau her griff der Gemüsebau über die Donau auf die Flur von Leopoldau aus.

d) D i e V e r b a u u n g s g e b i e t e Die Altstadt Die Ringstraßenverbauung hatte in der Frühgründerzeit die Bautätigkeit von der Altstadt abgelenkt, nun wurde sie zum Anlaß für randliche Einbrüche. Die Salzgrieskaserne, die die Nordwestflanke der Stadt zu decken hatte, fiel der Demolierung anheim, Baugesellschaften parzellierten das Areal und gestalteten es unter Einbeziehung von Glacisflächen zum Börseviertel um. Die Niederlegung der Basteien brachte nicht nur die Elendsquartiere am Rande der Altstadt zum Verschwinden, sondern erforderte auch den Abbruch einiger Paläste, u. a. um dem Burgtheater Platz zu schaffen. Sie öffnete auch manchen bisherigen Sackgassen der Altstadt die Verbindung mit dem Straßennetz an der Ringstraße. Im übrigen blieben die Regulierungspläne, wie bereits erwähnt (vgl. S. 47), zum Glück fiir den wertvollen alten Baubestand, auf dem Papier stehen. Ein einziger wirklicher Straßendurchbruch wurde an der Nordflanke der Altstadt geschaffen, wo der Abbruch des weitläufigen alten Polizeihauses die Möglichkeit bot, eine der Via Prätoria des römischen Lagers annähernd parallele Verbindung, die heutige Marc Aurel-Straße, vom Hohen Markt zum Kai herzustellen. Die fortschreitende Citybildung gibt sich in der Abnahme der ausschließlich W o h n zwecken dienenden Wohnungen von 83% 1880 auf rund 75% 1890 deutlich zu erkennen. Hinzugewachsen sind in erster Linie Wohnungen, die gleichzeitig auch geschäftlichen Zwecken dienten. Schon 1890 hatte die Citybildung fast durchgehend bereits das zweite Stockwerk ergriffen. Geschäftslokale nahmen 12% der I. Stockwerke und 8% der Π. Stockwerke ein, während Büros, die gleichzeitig Wohnzwecken dienten, 13,7% bzw. 19,6% beanspruchten. Die gigantische Steigerung der Bodenpreise im Kern der City zwischen Stephansplatz — Graben—Tuchlauben und Hohem Markt hatte eine völlige Umgestaltung des Straßennetzes und Häuserbestandes zur Folge. Damit vollzog die Hochgründerzeit den ersten Eingriff in das mittelalterliche Straßennetz, das bisher alle Umbauperioden überdauert hatte. Ein Blocknetz von sechsgeschossigen Häusern ersetzte das Winkelwerk der Gassen und die in den Baukernen zum Teil noch auf die Renaissance zurückgehenden geräumigen Hofhäuser.

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Die von diesem Citykern ausstrahlenden Hauptgeschäftsstraßen wurden zu wichtigen Leitlinien des Umbaus (Graben, Kärntnerstraße, Rotenturmstraße, Wipplingerstraße). Hier blieb kein älterer Wohnbau, gleichgültig ob barock oder klassizistisch, erhalten. Dabei betrug der Raumgewinn in der dritten Dimension entsprechend der in der Bauordnung enthaltenen Begrenzung auf sechs Geschosse meist nur ein, höchstens zwei Geschosse, da die abgerissenen Häuser fast durchwegs bereits vier bis fünf besessen hatten. Abseits dieser Hauptachsen beschränkte sich der U m b a u im wesentlichen auf die mehr als hundertjährigen Häuser. Hierbei kam die seit der Barockzeit wirksame Tendenz zur Zusammenlegung der schmalen mittelalterlichen Bauparzellen in verstärktem Maße zur Geltung. So entstanden ζ. B. im Westen des Hohen Marktes aus zehn drei- und vierstöckigen Häusern eines Blocks drei fünfstöckige. D a es jedoch recht schwierig war, zugleich mehrere nebeneinander liegende Grundstücke zu erwerben, konnten sich die alten schmalen Häuser in den engen Seitengassen zum Teil auch weiterhin behaupten, zumal der in Aussicht stehende W e r t z u wachs hier nicht so beträchtlich war. Durch die Erbauung der Börse an der Einmündung der Wipplingerstraße in die R i n g straße verlagerte sich das bisher zwischen Herrengasse und Freyung gelegene Bankenviertel stärker nach dieser Richtung. Abgesehen von den Banken, entstanden jedoch durch den U m b a u damals noch keine richtigen Büro- und Geschäftshäuser. Man verlegte die Büros in die unteren Stockwerke der Wohnhäuser (vgl. o.). Auch im Bereich der Ringstraße wurden Nobelmiethäuser und Mietpalais rasch von der Citybildung ergriffen, so besonders im Salzgries- und Kaiviertel, das hinsichtlich des Großhandels mit Textilerzeugnissen die Rolle des alten jüdischen Handelsviertels um die Ruprechtskirche übernahm. Die Verlagerung der repräsentativen Funktionen an die Ringstraße fand im ersten Jahrzehnt der Hochgründerzeit ihren Abschluß, wobei vor allem kulturelle Bauten, wie Oper, Burgtheater, Hofmuseen und Universität, Zeugnis vom Aufstieg der Kaiserstadt ablegten. Dadurch erlitten einige Teile der Altstadt einen empfindlichen Funktionsverlust, in besonderem Maße das alte Universitätsviertel, das wegen seiner Verkehrsabgelegenheit keine wirtschaftlichen Ersatzfunktionen an sich ziehen konnte und zu einem Wohnviertel minderer Qualität herabsank. Geringer war der Verlust im ehemaligen Rathaus- und Hofkanzleiviertel an der Wipplingerstraße. Auch hier drangen vielfach Wohnungen in die öffentlichen Gebäude ein. O b und wie der U m b a u die Wohnungsstruktur veränderte, läßt sich für den Stadtkern leider nicht mehr feststellen. Das beachtliche Anschwellen des Bestandes an Groß- und größeren Mittelwohnungen kann man sicher zum überwiegenden Teil auf das Konto der Nobelmiethäuser der Ringstraße buchen, die in den Zählungen von der Altstadt nicht abtrennbar sind. Auch das Dienstpersonal nahm zu (1870 27,6%, 1890 30,3% der Gesamtbevölkerung), während sonst in den Vorstädten bereits ein Rückgang zu verzeichnen war.

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Die Vorstädte In den Vorstädten traten die durch wirtschaftliche Kräfte bedingten Wandlungen gegenüber dem Bestreben, den Wohnraum zu vermehren, im allgemeinen zurück. Das prägte sich darin aus, daß die durch Einzelhandel, Gewerbe und Industrie bedingten Veränderungen sich im wesentlichen auf Adaptierungen, Aufstockungen, Zubauten und dgl., also auf einen teilweisen Umbau, beschränkten. Dieser spielte auch im Wohnbau eine große Rolle. Die einzelnen Verbauungsgebiete der Vorstädte sonderten sich auch in dieser Phase deutlich durch Umfang und Art der Bautätigkeit voneinander. 1. Unter den Straßenvorstädten wiesen die Wieden und die Leopoldstadt in erster Linie ein randliches Wachstum auf Kosten von Gartengründen des Adels und Bürgertums auf, während die viel weiträumiger verbaute Landstraßer Vorstadt eine stärkere innere Umgestaltung erlebte. Reihenweise parzellierte man hier die feudalen Parkanlagen zwischen Rennweg und Landstraße und erschloß die tiefen Hausgartengründe beiderseits der Hauptstraße durch Quer- und Längsgassen. Es entstanden Schachbrettviertel, wie der Völkert in der Leopoldstadt, das Fasangassenviertel und die Häuserblöcke an der Stelle des ehemaligen Liechtensteinschen Gartens auf der Landstraße, das „Blecherne Turmfeld" (Blechturmgasse) auf der Wieden. 2. Die dicht verbauten Gewerbevorstädte waren im Gegensatz dazu auf ein Ausweichen in die Höhe angewiesen. Namentlich die Mariahilferstraße, als Hauptachse dieses ganzen Bereiches, erlebte im Zuge ihres lebhaften Aufschwungs zur erstrangigen Geschäftsstraße einen intensiven Umbau. Auch nördlich von ihr war die Bautätigkeit rege, während sich die erst in der Biedermeierzeit stärker umgestalteten Vorstädte südlich von ihr weniger umbaufreudig verhielten. 3. Die Gemüsebaugebiete wurden nun weitgehend verbaut, da die steigenden Bodenpreise einen großen Anreiz fur den Verkauf von Betriebsflächen boten und die Möglichkeit zur günstigen Ansiedlung in der weiteren Peripherie gaben. Die Weißgerberlände wurde nahezu völlig verbaut und die Fluren von Hundsthurm und Margarethen als Bauland aufgeschlossen. Hohe Reihenmiethäuser schoben sich als Vorposten an das alte Gemüsegärtnerdorf Erdberg heran. Auf dessen Gemarkung hatte sich schon in den Sechzigerjahren Großindustrie festgesetzt, ein Ausnahmsfall angesichts der Tatsache, daß sonst überall innerhalb der Linie die Industrie, soweit sie größere Raumanspriiche stellte, im Weichen war (so ζ. B. die Brauhäuser, das kaiserliche Gußhaus auf der Wieden — „Gußhausstraße" usf.). In den anderen Gemüsebaugebieten, so auch in der Roßau, waren die Grundpreise inzwischen so hoch gestiegen, daß eine Industrieansiedlung kaum mehr in Betracht kam. Hier wich der Gemüsebau der Anlage von Wohnhäusern. 4. Während sonst fast überall die längst funktionslos gewordenen Paläste demoliert und ihre Gärten parzelliert wurden, erlebte das Palastviertel um das Belvedere eine bescheidene Nachblüte. Sie ging mit wenigen Ausnahmen nicht mehr auf die Initiative des alten

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Hochadels zurück, sondern wurde vom Geldadel (Rothschild) und den ausländischen Botschaften der Großmächte getragen7). Ebenso wahrte das Viertel um das Allgemeine Krankenhaus seinen Charakter und vergrößerte sich durch die Ansiedlung von verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen, die mit ihrem Parkgelände den Raum bis zum Linienwall besetzten. Bis zum Ende der Hochgriinderzeit hatten sich die inneren Bezirke fast vollständig gefüllt. Unverbaute Ackerflächen und „Gstetten" fänden sich noch im toten Winkel zwischen Ost- und Aspangbahn, Reste von Gemüsegärten auf der Erdberger Lände, in der Roßau und am Außenrand der Leopoldstadt. Überdies war der Linienwall noch von einem Streifen Ödland begleitet, auf dem Bauverbot lag, das erst durch die Eingemeindung der Vororte 1890 hinfallig wurde. Darüber hinaus gab es noch private Hausgärten, namentlich in den längst verstädterten alten Dörfern Lerchenfeld, Matzleinsdorf, Erdberg und auf der Landstraße, die Raum für weitere Durchbruchsgassen bieten konnten. Alles in allem waren es nur mehr sehr bescheidene Flächen, und es nimmt nicht wunder, daß die Bautätigkeit der Spätgründerzeit im allgemeinen in die Höhe ausweichen mußte und damit die Umbauintensität sprunghaft anstieg. Der Bereich der Vororte Der Beginn der Hochgründerzeit stellte insofern eine wichtige Marke in der Stadtentwicklung dar, als sich nun der Schwerpunkt der Bautätigkeit über die Linie hinaus verlagerte und vor allem im Westen und Süden eine breite Zone lückenhafter Reihenhausverbauung schuf. Gleichzeitig ergriff die bauliche U m - u n d Neugestaltung auch den äußeren Kranz der Vororte. Die Intensitätsunterschiede der Bautätigkeit in den einzelnen Agglomerationen blieben vorerst bestehen. Darüber hinaus begann sich bereits der ganze Rahmen des spätgründerzeitlichen Wachstumsringes von Wien durch weitflächige Parzellierung und einzelne Vorposten abzuzeichnen. Im Vorortbereich kann man demnach folgende Verbanurtgsgebiete unterscheiden: 1. Den Saum flächenhafter Ausweitung überwiegend geschlossener Reihenhausverbauung, der die regularisierten Siedlungen auf der Stadtgemarkung, die Gebiete der Donauregulierung und die längs des Linienwalles erwachsenen Gewerbe- und Wohnvororte im Westen umfäßte. 2. Die baulich bunten Wachstumsspitzen längs der Ausfallstraßen, die in den früheren Vorortebereich ausgriffen und zu denen man auch Floridsdorf zählen muß. Zum Teil mit ihnen identisch sind die Ansätze zu einer randlichen Industriezone. 7) Z.B. Palais Wittgenstein, 4, Argentinierstraße 16,1871 - 7 3 ; — Palais Alfons Rothschild, 4, Theresianumgasse 18, 1879, im Krieg zerstört, heute Franz Domes-Lehrlingheim; — Palais Albert Rothschild, 4, Prinz Eugen-Straße 22, 1879-84, 1954-55 abgetragen, heute Arbeiterkammer. Entstehung eines Gesandtschaftsviertels in Wien 3: zum Großteil auf den Gründen des ehemaligen Dietrichstemschen Gartenpalais, Hauptachse ist die Reisnerstraße: Palais der russischen Botschaft, 3, Reisnerstraße 47, 1872 —73 fUr den Herzog von Nassau erbaut, heute Botschaft der UdSSR; — Palais der großbritannischen Botschaft, 3, Metternichgasse 6,1875; — Palais der deutschen Botschaft, 3, Metternichgasse 3,1877 —79.

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3. Eine Randzone weiträumiger und offener Siedlungsgebiete, die teils im Anschluß an alte Dörfer, teils auch abseits der Verkehrsstränge zu entstehen begann und wesentliche Bausteine für die Gestaltung des gegenwärtigen offenen Stadtrandes von Wien lieferte. Der Saum flächenhafter Ausweitung der geschlossenen Verbauung Die weitere Entwicklung der alten Vororte auf der Stadtgemarkung, Favoriten und Brigittenau, stand unter recht verschiedenen Vorzeichen. Der Vorort Favoriten war zwar nur durch den schmalen Eisenbahndurchlaß beim Südbahnhof mit der Stadt verbunden, erfuhr aber trotzdem eine lebhafte Ausdehnung. Die Zugehörigkeit des weiten Gebietes zwischen den Trassen der Ost- und Südbahn zu verschiedenen Gemarkungen wirkte sich dabei stark aus. Die Bautätigkeit beschränkte sich im großen und ganzen auf den Fluranteil der Wieden, während sie die mehr abseitigen Anteile der Landstraße bzw. Matzleinsdorfs kaum ergriff. Hierdurch erhielt der zentrale Teil einen Vorsprung, der bis heute nachwirkt. W o die Verbauung auf der Höhe des Wienerberges über die Stadtgrenze hinaus auf das Gemeindegebiet von Inzersdorf übergriff, kam es zu einem plötzlichen Absinken der Bauhöhe. Hier entstanden nur ein- und zweigeschossige Reihenhäuser, unter denen sich bis heute viele Eigenheime befinden, während auf dem alten Stadtgebiet drei- und viergeschossige Zinskasernen das Verbauungsbild dieses Arbeiterbezirks beherrschten. Von allen Vororten wurde Favoriten in der Hochgründerzeit am stärksten von Industrieanlagen durchsetzt, die sich am Rande und in den Lücken der Verbauung niederließen. Neben dem Bahnanschluß waren es die im Vergleich zu den westlichen Vororten niedrigeren Bodenpreise, die diese Industrialisierung begünstigten. In der Brigittenau kam die Verbauung wenig außerhalb der alten Linie zum Stillstand, wobei Klosterneuburger Bodenbesitz, intensiver Gemüsebau und die Eröffnung neuen Baulandes im Zuge der Donauregulierung wohl zusammenwirkten. Das Gelände der Donaustadt8) fiillte sich aber — trotz Steuerbegünstigung und staatlicher Vorplanung verschiedener Art — nur zögernd mit Häusern, da es durch zwei Bahnhöfe (Nord- und Nordwestbahnhof) von der Leopoldstadt abgeschnürt wurde. Mit Resignation vermerkten verschiedene Autoren, daß in diesem auf dem Reißbrett aufparzellierten und von der Stadtgemeinde erschlossenen Gelände sich keine rechte Bautätigkeit entfalten wollte, während die westlichen Vororte zum Teil ungeplant und überstürzt wuchsen. Im Westen der Stadt machte die Ausdehnung der geschlossenen Verbauung in den zwei Jahrzehnten der Hochgründerzeit ganz wesentliche Fortschritte. Die beiden großen westlichen Vorortbildungen verwuchsen längs des Linienwalles miteinander. Die Wientalagglomeration wahrte ihren Vorsprung an Verbauungsdichte und -höhe, nicht zuletzt deswegen, weil ihr durch Westbahn und Schönbrunner Vorpark eine unmittelbare Ausweitung versagt war. Dabei zeigte sich auch hier der Einäuß alter Gemarkungsgrenzen. Außerhalb 8) Diese nie volkstumlich gewordene Bezeichnung flir das stromnahe Gelände zwischen Brigittenau und Prater wurde nach dem letzten Krieg auf den 22. Gemeindebezirk östlich Floridsdorf Ubertragen.

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des Linienwalles befand sich nämlich—südlich des Wientals — ein Stück der ehemaligen Hundsthurmer Gemarkung, die seit 1850 zu Wien gehörte. Hier erhoben sich in der Hochgründerzeit nur mehr dreigeschossige Straßentraktcr, während auf der anschließenden, billigeren Meidlinger Gemarkung noch zweigeschossige Häuser entstanden. Die Wohnungsstruktur allerdings war gleichmäßig auf die untere Schicht der Bevölkerung zugeschnitten, so daß sich Untermeidling bei der Wohnungszählung 1890 mit 88% Kleinst- und Kleinwohnungen mit Favoriten, Ottakring und Simmering den traurigen Ruhm teilen konnte, die schlechtesten Wohnverhältnisse der Vororte zu besitzen. Nördlich des Westbahnhofes waren die meist von Ausmärkern (Gemeindefremden) bewirtschafteten Ackerriede von Fünfhaus, Rustenfeld und Breitensee schon früh ein Spekulationsobjekt von Baugesellschaften geworden und wurden — von der Aussparung des Exerzierplatzes auf der Schmelz abgesehen — zwischen Westbahn und Thaliastraße in einem recht einförmigen Schachbrettsystem aufgeschlossen. Die schräg durch die alten Flurbezirke von Fünfhaus und Rustenfeld und quer zur Linzer Ausfällstraße angelegte Westbahntrasse trug dazu bei, daß in dieser Agglomeration die Zusammenfassung der alten Vorortgemarkungen zu Bezirken wenig befriedigend war und bis zur Gegenwart herauf Revisionen zur Folge hatte. Ganz anders verhielt sich die nordwestliche Agglomeration Ottakring—Hernais — Währing, wo die Gemeinden sich viel stärker als lebensräumliche Einheiten bewahrten und zu recht unterschiedlicher Verbauung in der Hochgründerzeit Anlaß gaben. A m intensivsten wurde die verstädterte Sommerfrische Währing in die Reihenhausverbauung einbezogen. Selbst der alte Ortskern wurde hier von viergeschossigen Miethäusern besetzt. In Hernais brachte die bodenständige Schichte der Gewerbetreibenden in unserer Periode eine ganze Reihe von Unternehmerpersönlichkeiten hervor, was dazu beitrug, daß Hernais in der industriellen Entwicklung Ottakring voranschritt. Letzteres industrialisierte sich erst in der Spätgründerzeit im Anschluß an den Bau der Verbindungsbahn. Auf der Gemarkung des noch teilweise aktiven Acker- und Weinbauortes Ottakring entstand in erster Linie eine Wohnverbauung, die, großflächig angelegt, einen beachtlichen peripheren Abfall der Baudichte und -höhe aufwies. A m Rande der geschlossenen Verbauung entstand hier eine große Zahl von ebenerdigen und einstöckigen Häusern, während auf der Hernalser und Währinger Gemarkung zur gleichen Zeit fast nur mehr drei- und viergeschossige Zinshäuser errichtet wurden. Der Anteil der Kleinstwohnungen um 1890 läßt das soziale Gefalle von Währing (48%) über Hernais (59 %)nach Ottakring (68%) klar erkennen, das sich auch in einer verschieden starken Aufwertung beim Umbau der alten Ortskerne äußerte. Die Wachstumsspitzen längs der Ausfallstraßen In lebhaftem Gegensatz zu diesen geschlossenen Vierteln von einförmigen Reihenmiethäusern standen die Wachstumsspitzen längs der Ausfallstraßen mit ihrem bunten baulichen Gepräge. Sie verklammerten den Großteil des äußeren Vorortbereiches mit der städtischen Agglomeration. Nur vereinzelt traten hier hohe Reihenmiethäuser auf, vielmehr herrschten

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ebenerdige und einstöckige Reihenhäuser vor. Die Industrialisierung war fur alle charakteristisch, ebenso auch das irreguläre Parzellengefuge und das häufige Auftreten von Sackgassen. Am weitesten stieß die Wachstumsspitze ins Wiental vor, wobei der nördliche Flügel durch die Linzer Poststraße stärkere Antriebe erhielt als der südliche. Die alten Ortskeme Penzing, Breitensee und Baumgarten wurden in lockerer Form miteinander verknüpft, wobei die Bauhöhe von drei Geschossen in Penzing auf ein Geschoß in Baumgarten abnahm. Breitensee entwickelte von sich aus ein stadtwärtiges Wachstum aufseiner alten Gutsblockflur, wobei neben zweigeschossigen bereits einige dreigeschossige Häuser, zum Teil mit Hintertrakten, entstanden. Es waren hauptsächlich Arbeiter, die sich hier niederließen. Die Wohnungszählung 1890 ergab einen Anteil von rund 80% Klein- und Kleinstwohnungen. Nur der Kern von Penzing konnte den Charakter eines Mittelstandswohnviertels wahren. Verschiedene industrielle Neuanlagen verstärkten die Eigenart des Wientals als alte Gewerbegasse. Dies war auch in Ober- und Unter St. Veit der Fall, wo neben einzelnen Miethäusern eine größere Zahl ebenerdiger Arbeiterhäuser entstand. An der nach Südwesten fuhrenden Breitenfurter Aurfallstraße entstanden ebenfalls niedrige Reihenhäuser, die aber meist Gewerbetreibenden gehörten und sich durch geräumigere Grundrißgestaltung und große Einfährtstore von den üblichen Arbeiterwohnhäusern unterschieden, die auch in Hetzendorf und Altmannsdorf auftraten. Die nordwestliche Wachstumsspitze wies die bunteste Mischung von Bautypen auf. Im Alluvialgelände der Donau siedelten sich auf der Heiligenstädter und Nußdorfer Gemarkung neben dem Gemüsebau einzelne Industriebetriebe an, die ebenso wie die schon älteren Ziegeleien am Lößterrassenrand Arbeiterhäuser nach sich zogen. Ein Arbeiter- und Industrieviertel entwickelte sich auf der Allmende von Ober-Döbling. Es kam unter dem Namen „die Krim" bald in schlechten Ruf. Eine weitere Wachstumsspitze mit Miethäusern des Gangküchentyps überwucherte dann auch den Südteil der einstigen Sommerfrische Döbling. In der südöstlichen Agglomeration längs der Ungarischen Landstraße trat die Wohnverbauung hinter dem Industrieausbau zurück. Daher behielt das Bevölkerungswachstum nicht das Tempo der Frühgründerzeit bei. Vor allem im Raum zwischen Ost- und Aspangbahn ließen sich neue Fabriken nieder. Auch hier erreichten die Reihenmiethäuser meist nur zwei Geschosse, und Kleinstwohnungen gaben den Ton an. Sehr bescheiden blieb der Ausbau längs der südlichen Ausfallstraße der Stadt. Er beschränkte sich auf eine Verlängerung der Neustift an der Triesterstraße durch ebenerdige Häuser. Donauregulierung und Bahnbau hatten für die städtische Entwicklung jenseits der Donau neue Grundlagen geschaffen und die alte, an der Floridsdorfer Ausfallstraße gelegene Straßensiedlung Zwischenbrücken ausgelöscht. Im ganzen ging dabei die Industrialisierung dem Wohnbau voran. Der Brückenkopf Floridsdorf bekam einen gewaltigen Auftrieb, als 1869 die Werkstätten der Nord- und Nordwestbahn und die Lokomotivfabrik vom Tabor

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hierherverlegt wurden und damit den Auftakt für die Niederlassung weiterer Industriebetriebe gaben. Hierdurch wurde die Struktur der ursprünglichen Verkehrssiedlung völlig verändert. Die Floridsdorfer Agglomeration wuchs bald über die kleine eigene Gemarkung hinaus, wobei sich die von N o r d - und Nordwestbahn flankierte Brünnerstraße zur Hauptachse der Industrieanlagen entwickelte. Hier entstanden auch die frühesten Werkswohnungen auf Wiener Boden, während sich die privaten Wohnsiedlungen entlang der Kagranerstraße nach Osten hin ausbreiteten. Bis 1890 wurde dieses als Donaufeld bezeichnete, etwas unregelmäßig angelegte Wohngebiet jedoch nur sehr lückenhaft mit niedrigen, großenteils nur ebenerdigen Häusern verbaut. Gleichzeitig wurde der südlich davon liegende Mühlschüttel durch den Zuzug der obdachlos gewordenen Leute aus Zwischenbrücken in einer spontanen Siedlung ausgebaut und kann als die älteste noch heute i m Stadtgebiet von W i e n bestehende Behelfssiedlung gelten. Durch den Bau der Reichsbrücke (1874) und der Stadlauer Ostbahnlinie (1874) gerieten die Marchfelddörfer Kagran und Stadlau in den direkten Einflußbereich der Großstadt. Doch k a m es in der Hochgründerzeit nur zu einer bescheidenen stadtwärtigen Erweiterung in Kagran und zur Erbauung einiger Miethäuser und Werkswohnungen im Anschluß an erste Vorposten der Industrialisierung in Stadlau. Dagegen wurde das durch die Donauregulierung an das linke Stromufer verlegte, auf eine ältere Stromsiedlung zurückgehende Kaisermühlen verhältnismäßig rasch von wassergebundenen Fabriken (u. a. Färbereien) und Arbeitermiethäusern besetzt. Die Gestaltung des offenen Stadtrandes Die Hochgründerzeit legte nicht nur in vieler Hinsicht den R a h m e n der geschlossenen Verbauung fest, sondern lieferte auch den ersten Beitrag zur Gestaltung des offenen Stadtrandes von heute. Neue Wohnbauten, Villen, Reihenvillen und niedrige Reihenhäuser entstanden vereinzelt und in lockeren Gruppen im äußeren Vorortebereich der Frühgründerzeit meist im Anschluß an alte Ortskerne. Dabei kam es häufig zu einer räumlichen Mengung von Formen, nicht nur durch das bereits geschilderte Vordringen industrialisierter Wachstumsspitzen in den ehemaligen Sommerfrischenbereich des Wienerwaldrandes, sondern vermutlich auch durch die unterschiedlichen Bedürfnisse der ortsbürtigen Bevölkerung sowie des an die Peripherie ziehenden Wiener Bürgertums. Das westliche Weichbild von Wien ist durch das Auftreten von Villen gekennzeichnet, die im Süden und Osten fehlen. Dabei wurde die Familienhäuseranlage des Cottagevereins in Währing ein Vorbild für die meisten größeren Villenanlagen, da nach ihrem Muster später in Hütteldorf, Hetzendorf, St. Veit und Meidling ähnliche Vereine und Heimstättengesellschaften ins Leben gerufen wurden. Nicht vereinsmäßig organisiert war die villenmäßige Erschließung einiger Wienerwaldtäler, wie des Halterbachtales in Dombach, des Schweizertales in Ober St. Veit usf. In den Dörfern am Rande der Wientalagglomeration (Baumgarten, Hütteldorf, Hacking) und südlich von Schönbrunn (Hetzendorf, Lainz) entstand ein charakteristisches gassenweises Nebeneinander von Villengruppen und niedrigen Reihenhäusern, das aber auch den alten

Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890—1918)

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Weinhauerdörfern des Nordwestens, Neustift, Salmannsdorf, Sievering und Grinzing, nicht völlig fehlte. Das in Wien seltene Beispiel einer Reihenvillenverbauung bot Gersthof. Hier bedeckten 1870 noch zum Gutteil Weinriede die Gemarkung dieses ehemaligen Weinhauerortes westlich Währing, die 20 Jahre später regelmäßig aufparzelliert und teilweise von niedrigen Reihenhäusern und Reihenvillen besetzt war. Eine vereinsmäßige Organisation führte zur Einheitlichkeit im Parzellengefiige, nicht aber in den Bauformen. In der dörflichen Randzone im südlichen Wiener Becken und im Marchfeld erfolgte der Ausbau der alten Ortskeme ausschließlich durch ebenerdige Reihenhäuser einer meist ortsständigen Arbeiterbevölkerung. 4. DIE V E R B A U U N G D E R S P Ä T G R Ü N D E R Z E I T

(1890-1918)

a) D i e Gesamtleistung Die Spätgründerzeit stellt den Höhepunkt der baulichen Entwicklung Wiens unter den Bedingtingen einer prosperierenden Reichshaupt- und Residenzstadt dar, deren starke Bevölkerungszunahme sich weiter fortsetzte (1890: 1342 000,1918:2 238 000). Die bauliche Leistung dieser Phase liegt in einem durchgreifenden Umbau des älteren Baubestandes und in der weiteren Ausdehnung des Stadtkörpers. Bei der baulichen Erneuerung der inneren Bezirke kam unter dem Einfluß der weiter expandierenden Wirtschaft und Verwaltung eine grundsätzlich neue Bauweise zur Anwendung, die städtebaulich keineswegs erfreulich war, da sie als Folge der gewaltig angestiegenen Bodenpreise die höchste Intensität der Bodenausnützung anstrebte. Um die Jahrhundertwende drang sie über den Gürtel in die äußeren Bezirke vor. Zur gleichen Zeit fligten sich die in der Hochgründerzeit noch isolierten Industrieanhäufungen des Weichbildes infolge zahlreicher Neugründungen zu einer regelrechten Industriezone zusammen. Dieser Höhepunkt der kapitalistischen Epoche bot gleichzeitig dem beginnenden Munizipalsozialismus die Mittel für eine staunenswert moderne und großzügige Ausstattung der Stadt mit öffentlichen Einrichtungen der Wohlfahrt, Hygiene und Bildung, mit denen Wien auf dem Kontinent voranging. Eine Voraussetzung dieser Leistung war die weit ausgreifende zweite Stadterweiterung des Jahres 1890, die sich als eine viel bedeutsamere Zäsur in der baulichen Entwicklung Wiens erwies als der wenige Jahre später erfolgende Wandel der architektonischen Form vom historischen Stil zur „Sezession" und die daher auch als Marke zur Abgrenzung der Hoch- gegen die Spätgründerzeit gewählt wurde. Die in Erwartung des weiteren Wachstums zur Viermillionenstadt vorgenommene dritte Stadterweiterung 1904, die das linke Donauufer erfaßte, konnte sich in dem Jahrzehnt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nur mehr in verstreuten Ansätzen städtischer Bauentwicklung auswirken.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918) b) D i e W o h n b a u t e n

Unter dem Einfluß der ständig steigenden Bodenpreise nahm die Intensität des Umbaus in dieser Bndphase der Gründerzeit schlagartig zu. Die geänderten bautechnischen und architektonischen Prinzipien sowie die gestiegenen Komfortansprüche ließen den bisher häufig geübten teilweisen Umbau als unzulänglich erscheinen. Demgemäß beherrscht in dem vor 1840 verbauten Stadtgebiet nunmehr der völlige Umbau das Feld. Für Neubauten standen innerhalb des Gürtels nur mehr wenige freie Flächen, hauptsächlich Durchbruchsgassen, zur Verfiigung. Das Hauptgebiet der Neubautätigkeit lag begreiflicherweise an der Peripherie des geschlossenen Stadtkerns. Teilweiser Umbau Der teilweise Umbau beschränkte sich in den inneren Bezirken im wesentlichen auf das Hineinstellen von hohen Miethaus- und Fabrikstrakten in tiefe Hinterhöfe, besonders in den Gewerbevorstädten. Im ganzen trat er aber aus den oben angedeuteten Gründen vor allem in den äußeren Bezirken auf, wobei auch hier hauptsächlich neue Hintertrakte angefugt wurden. Aufbauten beschränkten sich dagegen in diesem Zeitraum überwiegend auf die dörfliche Randzone. Hier entstand durch die Aufstockung von dörfischen Zwerchhöfen derselbe Typ des zweigeschossigen Seitenflügelhauses, der seit dem Barock in den Vorstädten üblich war. Vollständiger Umbau Wenn man von der gründerzeitlichen Umgestaltung des Altbestandes spricht, so muß man wohl den Löwenanteil daran der Spätgründerzeit zumessen. In dieser Phase war die Kapitalanreicherung bereits so weit fortgeschritten, daß in den inneren Bezirken die erforderliche Anpassung des Altbestandes ganz überwiegend durch Demolierung und Neubau vollzogen wurde. Welche Wohnhäuser fielen nun dem Umbau zum Opfer ? Dem Alter nach rückten generell die klassizistischen bzw. Biedermeierhäuser in das abbruchreife Alter vor. Nur in den Zentren der Citybildung wurden auch gelegentlich schon frühgründerzeitliche Häuser abgetragen. Ansonst blieb der gründerzeitliche Baubestand unangetastet. Das bedeutet weiterhin, daß das Alter der abgebrochenen Häuser im allgemeinen mindestens 80 Jahre betrug und sich nur in den genannten Geschäftszentren bis auf jo Jahre senkte. Im Zusammenhang damit kam es in der Altstadt zum Abbruch von vier- bis fünfgeschossigen Bauten, während die Geschoßzahl in den Geschäftsstraßen der Vorstädte auf drei bis vier, in den stillen Seitengassen auf zwei bis drei herabsank. Der reihenweise Abbruch reizvoller Schlößchen und Bürgerhäuser des Biedermeier rief den Denkmalschutz auf den Plan. Wie in der Hochgründerzeit zeigte sich auch jetzt, daß mit der Größe der Bauobjekte der Anreiz zum Abbruch und Neubau zunahm. So mußte ζ. B. der frühgründerzeitliche Schoellerhof 9 ) in der'Leopoldstadt 9) Der Schoellerhof wurde von der Familie Schoeller erbaut, die in der Eisenindustrie und im Großhandel Österreichs führend war. Der Rheinländer Alexander Schoeller erhielt 1833 das Privileg zur Errichtung eines Großhandelshauses in Österreich.

Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890-1918)

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teilweise einem Straßendurchbruch und modernen Zinspalästen Platz machen. In den Vororten fielen in dieser Phase hauptsächlich ebenerdige und zweigeschossige Altbauten dem Umbau anheim. Schon dreigeschossige Biedermeierhäuser konnten sich halten.

14. Baublöcke der Ringstraßenverbauung aus der Hoch- und Spätgründerzeit. Die an die Stelle der abgebrochenen Objekte gesetzten Neubauten waren in der Regel um zwei Geschosse höher. Entsprechend der Bauordnung errichtete man in der Altstadt zunächst sechsgeschossige, in den übrigen inneren Bezirken fünfgeschossige Häuser. Seit Beginn dieses Jahrhunderts wurden sie durch die Schaffung eines Tiefparterres bzw. eines Dachgeschosses praktisch auf sieben bzw. sechs Geschosse ausgebaut. In den 1890 eingemeindeten äußeren Bezirken stieg die Bauhöhe der Umbauten und meisten Neubauten gleichfalls bis zur zulässigen Grenze von vier Geschossen an. Für die beim Umbau verwendete Bauweise der Spätgründerzeit ist das Bemühen um eine maximale Flächenausnützung charakteristisch, deren Grenze durch die Bauordnung von 1893 generell auf 85% festgelegt worden war. Das genannte Ziel wurde in den inneren

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

Bezirken auf sehr verschiedene Weise erreicht, wobei man sich von den verfügbaren Parzellenformen leiten Heß. W o ein Zcntralhof noch beibehalten wurde, baute man die Seitentrakte mit Hilfe eines Winkelwerks von Lichthöfcn zweihüftig aus, oder man stellte Trakte hintereinander und verband sie durch Stiegenhäuser. Schließlich überbaute man nahezu die ganze Fläche und sparte nur mehr eine Anzahl von Lichthöfen aus. Immer krampfhaftere und verschachteltere Grundrisse wurden entworfen, die sich kaum in ein Schema bringen lassen. A m häufigsten erscheint der Doppeltrakter. Die Unterschiede gegenüber der Hochgründerzeit läßt ein Vergleich der Hausgrundrisse aus der Ringstraßenverbauung erkennen (vgl. Fig. 14). O b w o h l gleichzeitig verschiedene Verbesserungen, vor allem durch Einbeziehung sanitärer Anlagen (Badezimmer), vorgenommen wurden, werden heute — unter modernen Gesichtspunkten — diese Bestrebungen nach möglichster Ausnützung der Grundstücke mit Recht verurteilt. Die unausgewogene Anordnung der R ä u m e , die vielen unbelichteten und schlecht belüfteten Nebenräume, die Verwendung zahlreicher Lichtschächte und der mangelnde freie Ausblick der meisten W o h n r ä u m e können keineswegs mehr modernen W o h n ansprüchen genügen, sondern stellen wenig erfreuliche Erscheinungen einer allzusehr dem Rentabilitätsdenken verfallenen Zeit des Miethausbaues dar. Aus der großen Fülle verschiedener Grundrißlösungen beim U m b a u wurde das Beispiel eines von' O . W A G N E R auf tiefer und breiter Parzelle errichteten Mittelstandshauses gewählt (Fig. 15). Der Straßentrakt ist mit einem anschließenden Viertrakter durch ein frei stehendes Stiegenliaus verbunden. Vergleicht man diese U m b a u f o r m mit dem nur ein Jahrzehnt vorher gleichfalls auf einer ähnlich tiefen und breiten Parzelle entstandenen Miethaus (Fig. 8), so erkennt man rasch folgenden Hauptunterschied: Das viertraktige Hinterhaus hat deutlich an Anwert gewonnen, und auf den bisher bei den Miethäusern deklassierten Hofraum blicken nunmehr die Zimmer der Mittelwohnungen. Das folgende Beispiel zeigt, welch geringe Bedeutung man dem freien Ausblick und dem Lichtzutritt beimaß und daß man die W o h n u n g gleichsam als Insel für sich plante und baute. Wertunterschiede zwischen Straßen- und Hoftrakten bleiben nur mehr in abgeschwächtem Maße bestehen und äußern sich weniger in der Größe der W o h n u n g e n als in einer ungünstigeren Anordnung, Belichtung und Belüftung der R ä u m e . Die Gruppierung der R ä u m e innerhalb der W o h n u n g hat sich ganz allgemein gegenüber der vorangegangenen Phase geändert. Die einzelnen R ä u m e werden nun durch ein sehr langes, an der Mittelmauer geführtes, gangartiges Vorzimmer erschlossen. Entsprechend den gestiegenen Komfortansprüchen des Mittelstandes vergrößerte sich die Zahl der Nebenräume und Kabinette. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg fehlte in keiner Mittelwohnung (ab zweieinhalb Zimmer) das Bad. Im weiteren Verlauf der Spätgründerzeit erschien in den inneren Bezirken bei völligen Umbauten auf tiefen und breiten Parzellen ein neuer Bautyp, der Straßenhof, bei dem die Straßenfront durch eine kurze, sackartige, nicht selten durch ein Gittertor abgeschlossene Privatstraße eingebuchtet und damit verlängert ist (vgl. Fig. 16). N u r vereinzelt k o m m t er

Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890-1918)

0 5S;S-?S B a l k o n

107

10m

||||| I|||I Klopfbalkon

15 Spätgründerzeitlicher Umbau auf breiter und tiefer Parzelle. Unke IVienzeile; großbürgerliches Miethaus von O. Wagner mit Groß- und Mittelwohnungen. (Vgl. Abb. 9)

108

Β . Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840— 1918)

auch bei Erstverbauungen vor. Er erinnert in seinen Dimensionen an die Großwohnbauten der älteren Zeit und nimmt in manchem die architektonische Gestaltung der ersten Gemeindebauten vorweg. Seine Wohnungsstruktur entsprach den Bedürfnissen des Mittelstandes.

Rudolf

von

Altplatz

0

50m

16. Beispiele des spätgründerzeitlichen Straßenhofes. Auch die besonders tiefen Parzellen einstiger Dörfer in den inneren Bezirken, auf denen meist noch niedrige, alte Häuser standen, gewannen erneuten Anwert und wurden unter Zusammenlegung intensiv ausgenützt (Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Altlerchenfeld). Dabei fand in der Regel der durch ein frei stehendes Stiegenhaus verbundene Doppeltrakter Anwendung, der übrigens auch die meisten Umbauten in den äußeren Bezirken kennzeichnet. Der völlige Umbau bewirkte durch Berücksichtigung der in der neuen Bauordnung verankerten größeren Straßenbreite ein Zurückrücken der Neubauten gegenüber den älteren Häusern und damit überall dort, wo daneben solche erhalten blieben, einen gestaffelten Verlauf der Straßenfronten, besonders in den alten Lokalstraßen der Vororte (Ottakringerstraße, Linzerstraße). Die fiir die inneren Bezirke so kennzeichnende Aufwertung im Zuge des Umbaus trat in zunehmendem Maße auch in den äußeren Bezirken ein. A m wenigsten konnte sie sich in den ausgesprochenen Arbeitervierteln durchsetzen, so daß hier auch noch beim Umbau der Gangküchentyp Verwendung fand (Ottakring, Meidling). Erstverbauung Die beim Umbau und bei der Erstverbauung in der Spätgründerzeit zur Anwendung gelangenden Bautypen sondern sich nicht so deutlich voneinander, wie dies noch in der

Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890—1918)

109

Hochgründerzeit der Fall war. Vor allem der Doppeltrakter wurde bei beiden verwendet. Beim Umbau entfiel auf ihn nahezu die Hälfte, in den äußeren Bezirken die überwiegende Mehrheit aller Fälle. Beim Neubau spielte er in den inneren Bezirken die Hauptrolle, während er sich außerhalb des Gürtels nicht in dem Maße durchsetzen konnte, wie in der wohnungswirtschaftlichen Polemik meist behauptet wird. Wohl hatte er auf den Donauregulierungsgriinden nahezu die Alleinherrschaft und besetzte im Westen der Stadt einen Randstreifen beiderseits der Schmelz, sonst aber trat er zahlenmäßig gegenüber dem einfachen Straßentrakter zurück.

0

10m

ι ι ι ι ι ι 47. Typischer Doppeltrakter der Spätgründerzeit mit ^homogener Wohnungsstruktur im Straßen- und Hintertrakt.

Das dargestellte Beispiel eines Doppeltrakters (Fig. 17) weist größere, gut ausgestattete Mittelwohnungen auf. Straßen- und Hintertrakt sind spiegelbildlich angeordnet, obwohl die rückwärtige Hausfront nur durch einen schmalen Hofraum von der anschließenden Bauparzelle getrennt ist. Man kann sagen, daß die in der Hochgründerzeit noch häufig anzutreffende horizontale Abstufung der Wohnungsgrößen zwischen Vorder- und Hinterhaus nun stark zurücktritt. Ebenso vermißt man in der Regel eine Differenzierung der Wohnungen nach den Stockwerken. Es macht sich also eine deutliche Tendenz zur homogenen Wohnungsstruktur bemerkbar, indem einerseits Doppeltrakter mit Mittelwohnungen, andererseits solche mit Gangküchenwohnungen auftreten.

110

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918)

18. Spätgründerzeitlicher Stiftungshof. Lobmeyerhof der Kaiser-Frarz-Josefs-Stiftung,

Breitensee.

Die Verbauung der Spätgründerzeit (1890—1918)

111

Neben den geschilderten Doppeltraktern errichtete man in den äußeren Bezirken nach wie vor einfache Straßentrakter, gelegentlich mit kurzen Seitenflügeln und ähnlicher Wohnungsstruktur wie die Doppeltrakter. In der Spätgründerzeit sind Ansätze zu einem Typ von kleinen Mittelwohnungen (zwei Zimmer, Küche, Vorzimmer) zu bemerken, die nunmehr ebenso wie die größeren Mittelwohnungen der Hochgriinderzeit direkt vom Stiegenpodest aus zugänglich sind und gleichfalls Toiletten und Wasserleitung im Wohnungsverband besitzen. Damit schuf die Spätgründerzeit einen wichtigen und in die Zukunft weisenden neuen Wohnungstyp, der schon in der Zwischenkriegszeit stärker in Erscheinung trat, vor allem aber die Bautätigkeit der Gegenwart beherrscht. Die gleiche Verbesserung konnte man auch bei den Kleinwohnungen fur Arbeiter beobachten, die seit der Jahrhundertwende einerseits von öffentlichen Stiftungen, wie der Kaiser Franz Josefs Jubiläumsstiftung, andererseits von gemeinnützigen Baugesellschaften in Form großer Wohnhöfe (Fig. 18) errichtet wurden. Hier ging man erstmals von dem Prinzip des Gangküchenhauses ab und gestaltete jede Klein- und Kleinstwohnung als abgeschlossene selbständige Einheit, die vom Stiegenpodest aus betreten wurde. Auch hinsichtlich ihres Ausmaßes und ihrer Gliederung stellen diese Großanlagen (vgl. S. 56) Vorläufer des kommunalen Wohnbaus der Zwischenkriegszeit dar. Als neuer Typ und als Übergangsform zur offenen Verbauung trat an den Rändern des Stadtkerns die Mietvilla auf, die einerseits eine Popularisierung des Villengedankens, andererseits eine Vorläuferin der Wohnblöcke der Gegenwart darstellt. Häufig erscheint sie als viergeschossige Reihenmietvilla, bei der entweder eine Großwohnung oder zwei kleinere Mittelwohnungen ein Stockwerk einnahmen (vgl. Fig. 19). Viele der heutigen Mietvillen sind freilich erst durch jüngere Teilungen entstanden. Die zum Großteil bereits früher parzellierten und aufgeschlossenen Cottageviertel füllten sich weiter mit großen Villen. Ansitze mit weitflächigen Parkanlagen, wie sie in den Siebzigerjahren als Ausläufer der feudalen Lebensform noch häufig waren, traten nun sehr zurück. Einzelne Beispiele finden sich in Hütteldorf, 19. Spätgründerzeidiche Reihen- Dornbach und Ober St. Veit, mietvilla. Hietzing. Daneben erschien an der westlichen Peripherie außerhalb der Stadtgrenze das Einzelhaus bescheidener Prägung (Purkersdorf, Klosterneuburg, Perchtoldsdorf), das seine Verwandtschaft mit dem ebenerdigen Reihenhaus nicht immer leugnen kann.

112

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

Das ebenerdige Reihenhaus, ein kennzeichnender Typ der hochgründerzeitlichen Wachstumsspitzen, verschwand nahezu vollständig aus dem unmittelbaren Agglomerationsbereich und rückte weiter hinaus in die dörfliche Randzone, in die Marchfeldorte (Stammersdorf, Jedlersdorf) und an den Stadtrand gegen das südliche Wiener Becken (Atzgersdorf, Liesing, Rothneusiedl). Es löste sich hier überall fast vollständig aus der älteren Verknüpfung mit einem kleinlandwirtschaftlichen Betrieb. Dies äußerte sich deutlich darin, daß nunmehr Eingangstüren an die Stelle der Einfahrtstore traten. Hinsichtlich der Gestaltung des Straßennetzes hatte die Spätgründerzeit innerhalb des Gürtels nur mehr sehr wenig Spielraum für eigenständige Lösungen. Hierbei zeigte sie eine Vorliebe fur kleine, sackförmige Platzanlagen, die mit ihrer Umrahmung an der Stelle größerer alter Gartenkomplexe oder abgerissener Kasernen und dgl. gebildet wurden. Auch einige weitere Durchbruchsgassen wurden noch angelegt, keineswegs aber alle auf dem Regulierungsplan vorgesehenen Straßendurchbrüche verwirklicht. Die Masse der Neuverbauung in den äußeren Bezirken erfolgte auf in der Hochgründerzeit aufparzelliertem, aber nur lückenhaft verbautem Gelände. Ihre eigenständigen Aufschließungsformen hat die Spätgründerzeit erst weiter außen im Weichbild der Stadt verwirklichen können, freilich überwiegend nur in den Plangrundrissen, da es zur projektierten Verbauung nicht mehr kam. Dabei ging man im westlichen Tertiärgelände, das fur eine offene Verbauung vorgesehen war, vom bisher üblichen Schachbrett zu einer geschwungenen Straßenftihrung über. Man zog dabei teils bereits vorhandene Feldwege nach, teils projektierte man quer über die alten Gewannfluren hinweg. Nur Teile des südwestlichen und nordwestlichen Weichbildes, in denen Weinriede überwogen, blieben außerhalb der Planung. Im heutigen Straßennetz stoßen an mehreren Stellen die verschiedenen Erschließungssysteme der Hoch- und Spätgründerzeit hart aneinander: am Westrand von Gersthof gegen Pötzleinsdorf hin oder am Küniglberg in Lainz gegen das Hietzinger Cottageviertel usw. Der Stadtatlas 1912 bildet ein Dokument für die weit ausgreifende Projektierung des Straßennetzes, wie es damals vom Stadtbauamt vorgesehen war. Die Zeitspanne bis zum Ersten Weltkrieg war zu kurz zur Ausführung aller Pläne. Es blieben daher manche Stadtränder im Stadium einer älteren, spontanen Aufsiedlung stecken. Vor allem im westlichen Hügelgelände bildet das noch heute unbewältigte Problem einer zureichenden Aufschließung eine immer dringlicher werdende Aufgabe für die Stadtplanung der Gegenwart. c) D i e N i c h t w o h n b a u t e n Der durchgreifende Umbau der Spätgründerzeit zog einen Schlußstrich unter die starke gewerbliche Durchsetzung der meisten Vorstädte. Dies äußerte sich darin, daß die alten, tiefen Seitenflügelhäuser, in denen viele kleine Gewerbetreibende unter einem Dach hausten und den geräumigen Hofraum als Lagerplatz und Werkstätte zugleich benutzten, Mittelstandswohnhäusern weichen mußten. Diese Tatsache fand in beredten Klagen über

1

Ringstraße mit Parlament (vorne links), Rathaus, Universität (hinten Mitte) und Burgtheater

(rechts).

2

Gründerzeitliches Rasterviertel westlich des Gürtels. Maßstab ca. 1: 10.000 (vgl. Karte 1:

25.000).

1 Völlig überbauter alter Dorfkern Hernals - 2 Teilweise umgebauter Vorort Neulerchenfeld - 3 Frühgründerzeitliches Brauhausviertel Neu-Ottakring - 4 Frühgründerzeitlicher Ausbau von Neulerchenfeld und Hernals - 5 Hochgründerzeitliche Verbauung eines Exerzierplatzes - 6 Früh- und hochgründerzeitliche Verbauung nördlich Hernals - 7 Lagerplätze, Werkstätten u. dgl. an der Stelle ehemaligen Ziegeleigeländes - 8 Hochgründerzeitliches Viertel Ottakring - 9 Kleingartenanlage Schmelz - 10 Sporthalle und Sportplatz - 11 Gürtel - 12 Hochgründerzeitliches Rasterviertel Schmelz - 13 Lückenhafter gründerzeitlicher Stadtrand mit Lagerplätzen, neuen Wohnanlagen u. dgl.

3

Frühgründerzeitliches Miethausviertel Hernais; teilweise noch Seitenflügel den Hofräumen.

mit Pawlatschen.

Werkstätten

4

Spätgründerzeitlichc ü b e r b a u u n g des ehemaligen Vorortes Neulerchenfeld; an) tiefen Parzellen ander von Seitenfliigelhänsern und spätgiiiiiderzeillichcn Doppeln aktern.

in

Xcbenein-

5

Gründerzeidich überfahrene ältere Peripherie mit den großen sperrenden Blöcken des Arsenals und SüdOstbahnhofes. Maßstab ca. 1: 10.000. 1 Süd-Ostbahnhof - 2 Arsenal - 3 Aufgelassener St. Marxer Friedhof - 4 St. Marxer Schlachthof - 5 Schweizergarten - 6 Wachstumsspitze Simmeringer Hauptstraße - 7 Aspangbahnlinie - 8 Rasterviertel Favoriten, Mengung von gründerzeitlichen und jüngeren Wohnblöcken - G W Gründerzeitliche Wohnviertel - I Industrieanlagen - Κ Kleingartenanlagen - L W Lagerplätze, Werkstätten - S Sportplätze - W Wohnanlagen der Zwischen- und Nachkriegszeit

Die Nichtwohnbauten

113

die wachsende Werkstättennot des Kleingewerbes in den inneren Bezirken Ausdruck und löste auch eine Hilfsaktion in Form der Errichtung von Gewerbehöfen aus (ζ. B. Werkstättenhof im Anschluß an die gewerbliche Fortbildungsschule in Mariahilf). Das Abgehen von der bisherigen Mengung von Wolinungen und Werkstätten äußerte sich bereits nach außen hin durch das Verschwinden der breiten Toreinfahrt mit den Prellsteinen an beiden Seiten und in der Anbringung eines Stiegenabsatzes im Hausflur. Die Werkstätten fanden zum Teil noch eine Zuflucht in einem halb über dem Straßenniveau gelegenen Kellergeschoß, das als sogenanntes „Tiefparterre" zum Großteil auch Wohnzwecken diente. Während die kleingewerblichen Betriebe durch den Umbau teilweise aus den inneren Bezirken in die Vororte verdrängt wurden oder auch zugrundegingen, konnten sich die größeren Betriebe halten. In der Spätgründerzeit entstand die Hinterhofindustrie im modernen Wortsinn. Vorwiegend hohe Fabriksobjekte traten an die Stelle der alten tiefen Werkstättentrakte (vgl. S. 231). Das Luftbild von einem Teil des Schottenfeldes soll eine Vorstellung von dieser £inschachtelung von Fabriken in die Hinterhöfe vermitteln (vgl. Abb. 41). Auch der Aufbau des randlichen Industriegürtels nahm seinen Fortgang, vor allem durch die Gründung weiterer Industrien im Anschluß an die weitflächigen Arbeiterwohnviertel in Favoriten, Ottakring und Meidling, während im Wiental und im Nordwesten durch das Zusammenwirken von Bauordnung und stark ansteigenden Bodenpreisen die industrielle Entwicklung abgestoppt wurde. Der Fabrikshochbau — in Bauhöhe und Grundriß in das Straßennetz der Wohnverbauung eingepaßt — und die weiträumige Werksanlage waren die dabei angewandten Formen. Werkswohnungen traten zurück, und auch die Herrenhäuser verschwanden. Hinsichtlich der Ausstattung mit öffentlichen Einrichtungen und im Ausbau von suburbanen Zentren hatte schon die Hochgründerzeit Wesentliches zum gegenwärtigen Funktionsgefiige der inneren Bezirke beigetragen. In den äußeren Bezirken fiel die gleiche Aufgabe nunmehr der Spätgründerzeit zu. Die durch die Eingemeindung der Vororte stark vergrößerte Stadt verlagerte verschiedene öffentliche Einrichtungen, wie Kasernen, an die neu zugewachsene Peripherie (Breitensee, Kaiser Ebersdorf, Meidling), während die älteren Objekte in den inneren Bezirken abgerissen wurden. Die großen Wohlfahrtseinrichtungen fänden vor allem beiderseits des Wientals ihren Standort. Durch die Neukonstituierung der äußeren Bezirke wurden Bezirkseinrichtungen verschiedener Art, vor allem Magistratsgebäude und dgl., notwendig. Schulen entstanden gleich in den Neunzigerjahren oft als Vorposten einer Wohnverbauung selbst in Gebieten, in denen diese dann nicht reüssierte, wie in der Unteren Donaustadt im Prater, wo noch heute unweit des Lusthauses ein altes Schulgebäude steht. Die kirchliche Organisation mußte neue Pfarrsprengel in das bestehende Netz einbauen. Die zahlreichen neugegründeten Kirchen, meist auf Plätzen angelegt, die man aus dem Straßenraster aussparte, konnten jedoch in funktioneller Hinsicht keine weitere Attraktion entfalten. Die Klöster erlebten teils im Zusammenhang mit dem Privatschulwesen, teils als Seitenzweig der christlich-sozialen Bewegung eine bescheidene Gründungswelle am Stadtrand (Stadlau, Laaerberg, Breitensee). 8 Bobek-Lichtenberger, Wien

114

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840—1918) Die alten Radialstraßen der äußeren Bezirke, die schon in der Hochgründerzeit Verkehrs-

linien an sich gezogen hatten, entwickelten sich zu Hauptgeschäftsstraßen, wobei ähnlich wie innerhalb des Gürtels so auch außerhalb nahezu in jedem Bezirk zumindest eine bedeutende Geschäftsstraße entstand. Darin kam die Tatsache zum Ausdruck, daß die Bezirke nicht zufällig abgegrenzte administrative Gebilde darstellten, sondern meist aus historisch-topographischen Einheiten hervorgegangen waren. Bei dem schon geläufigen Element des Weichbildes, den Ziegeleien, erfolgte eine Konzentration auf den südlichen Stadtrand, während die Abbaue im Westen (Hernais, Heiligenstadt, Ottakring) eingestellt wurden. Entsprechend dem Wachstum der Bevölkerung vergrößerte sich das Gemüsebaugebiet. Die Gärtnereien okkupierten die Ackergemarkungen von Kaiser Ebersdorf und Erlaa nahezu zur Gänze und dehnten sich im Marchfeld von Leopoldau nach Osten ungefähr bis Aspem aus. Bereits in der Einleitung wurde auf den 1904 von Bürgermeister LUEGER gefaßten Plan hingewiesen, der wachsenden Großstadt einen Wald- und Wiesengürtel zu erhalten bzw. die noch vorhandenen Lücken zu füllen. Dieser Plan erscheint durchaus einleuchtend, wenn man die damalige Verteilung des Waldes betrachtet. Im Hömdlwald sprang noch ein Sporn des Lainzer Tiergartens in Richtung Lainz vor. Nur über die Höhe des Laaer- und Wienerberges wäre noch ein grünes Band bis zur damals noch unberülirten Aulandschaft der Donau zu schaffen gewesen, um den Kreis zu schließen.

d) D i e

Verbauungsgebiete Die Altstadt

Die bauliche Entwicklung der Altstadt stand in der Spätgründerzeit im Zeichen der sich beschleunigenden Citybildung. Im Zeitraum von 1890 bis 1910 nahm die Wohnbevölkerung des ersten Bezirkes von 67029 auf 53100, d. h. um 2 1 % , ab, entsprechend verringerten sich die nur Wohnzwecken dienenden Wohnungen um 1 9 % , von 13 178 auf 1 0 6 1 6 . Die Bautätigkeit wurde in erster Linie von Banken, Geldinstituten und Baugesellschaften getragen. Man kann sagen, daß jedes alte Bauobjekt, das in solche Hände geriet, einem Neubau weichen mußte. Es waren dies vorwiegend Besitztümer von adeligen Familien, die ihren Bestand nicht halten konnten, sowie einige alte Baulichkeiten der öffentlichen Hand, wie ζ. B . das Kjiegsministerium. Geistliche Stifte und Orden konnten ihren Hausbesitz dagegen nahezu vollständig wahren. Als Bauherren traten diese Schichten nur ausnahmsweise in Erscheinung, wie die Familie Herberstein, die ihr Palais zu einem Nobelmiethaus umbauen ließ, oder das Stift Lilienfeld, das sein altes Zinshaus völlig umgestaltete. Soweit Adel, Geistlichkeit und öffentliche Hand ihren Besitz behaupten konnten, wirkten sie konservierend auf den alten Baubestand. Die Bautätigkeit dieser Periode in der Altstadt ist verhältnismäßig verzettelt und weist keine so klaren Leitlinien wie diejenige der Hochgründerzeit auf. Im folgenden seien einige wichtigere Punkte herausgegriffen:

Die Verbauungsgebietc

115

Ein Schwerpunkt der Bautätigkeit lag Am Hof, wo durch die Verlegung des Kriegsministeriums an die Ringstraße ein besonderer Anstoß gegeben war. Ebenso bewirkte die Demolierung eines ärarischen Objekts am Ostrand der Altstadt im Bereich der Riemergasse einen besonders tiefen Einbruch in den alten Baubestand. In der Hcrrcngasse wurde der große, dem Fürsten Esterhazy gehörende Gebäudekomplex, der schon 1870 als Miethaus diente, abgerissen. Der Ausbruch des Weltkrieges verzögerte den Neubau, und das geplante Hochhaus, das erste auf Wiener Boden, entstand mit seinen vierzehn Stockwerken erst in der Zwischenkriegszeit. Durch verschiedene Geldinstitute erfuhr das schon im Spätbiedermeier zur Gänze umgebaute Viertel um den Fischhof und Fleischmarkt eine neuerliche Umgestaltung. Auf den nochmals stark zusammengelegten Parzellen erhoben sich anstelle der drei- und vierstöckigen Bauten nunmehr sechsstöckige. An der Ringstraße gab die Niederlegung einer erst in den Fünfzigeijahren errichteten Kaserne Raum zur Anlage des Postsparkassenviertels und des Kriegsministeriums. Ansonst hat die Ringstraße in dieser Spätphase der Gründerzeit keine baulichen Veränderungen erfahren. Die Citybildung machte allerdings beachtliche Fortschritte. Hinsichtlich der Wohnungsstruktur ergab sich als Gesamtresultat eine Abnahme der Herrschaftswohnungen und Kleinstwohnungen. Dafür trat nun auch hier ein neuer, mit Komfort ausgestatteter Typ von Zweizimmerwohnungen in Erscheinung. Mit all diesen Veränderungen zeichnete sich eine neue Entwicklungstendenz ab, die dann in der Zwischenkriegszeit weiteren Auftrieb erhalten sollte. Innere Bezirke Hinsichtlich der Umbautätigkeit sondern sich die alten Vorstädte voneinander. Bei den ehemaligen Straßenvorstädten kann man im Hinblick auf das Ausmaß der Umgestaltung eine Abstufung von der Leopoldstadt über die Wieden zur Landstraße verfolgen. In der Leopoldstadt erhielten sich die Altbauten am schlechtesten. Selbst das Judenviertel, das seine zum Teil noch barocken Häuser auf den schmalen Parzellen bisher gut zu behaupten vermochte, wurde nun stark in den Umbau einbezogen. Hingegen war auf der Landstraße die Umbauintensität am geringsten. Von den beiden Flügeln des Gewerbeviertels beiderseits der Mariahilferstraße erfuhr der südliche eine stärkere Umgestaltung. Die von dieser Hauptachse in die Seitengassen ausstrahlende Citybildung gab Anlaß zur Sanierung und Aufwertung der Elendsquartiere des Magdalenengrundes, der Windmühle und der Laimgrube. Im Norden bewirkte sie die völlige Umgestaltung der Neubaugasse. Eine schwächere Umbauwelle erreichte das Schottenfeld. Dazwischen blieb in den stillen Seitengassen älterer Baubestand kaum angetastet erhalten. Im Viertel um das Belvedere prägte sich auch jetzt die ältere Tradition durch die Errichtung vornehmer Mietpalais und von Botschaften aus10). Ahnlich wahrte auch der Spitalskomplex im Nordwesten seinen Charakter, indem neue Pavillons gebaut wurden. Die ehemaligen Dörfer innerhalb der Linie, Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Hundsthurm, Margarethen, Altlerchenfeld, wurden mit Ausnahme einzelner Häuser und Parzellengrenzen 10) Im 3.Bezirk(u.a.): Palais der Fürstin Mettemich-Sandor, 3, Jacquingasse35,1895—96; — Palais Theodor Redlich, 3, Richardgasse 3, 1900—10; — im 4. Bezirk: eine Anzahl kleinerer Palais in der Argentinierstraße, Theresianumgasse, Prinz-Eugen-Straße.

116

Β. Die bauliche E n t w i c k l u n g in der G r ü n d e r z e i t (1840— 1918)

nahezu völlig ausgelöscht. Allein Erdberg konnte sich, wenn auch eingekesselt durch hohe Sezessionsbauten, dank dem Beharrungsvermögen einiger Milchmeierbetriebe und der funktionellen Verbindung mit den Gemüsegärtnern im Erdberger Mais noch erhalten. Als Ergebnis dieser Umbautätigkeit kann im ganzen eine Verbesserung der Wohnungsgrößen verzeichnet werden, wobei auch noch Hcrrscha its Wohnungen in dem alten Nobelviertel um das Belvedere, im übrigen hauptsächlich Mittelwohnungen entstanden. Weitaus am besten schnitten dabei die Wieden und die Josefstadt ab. Man kann in diesen beiden Bezirken, wenn man ein Spätgründerzeithaus sieht, sicher sein, daß es sich um ein Haus mit Mittel Wohnungen handelt. In den Gewerbebezirken Mariahilf und Neubau entfielen rund 8o% der vollständigen Umbauten auf Mittelwohnungen, in der Alservorstadt etwa 70%. Eine Neubautätigkeit konnte in dieser Phase in eingeschränktem Maße nur noch auf den nunmehr endgültig verschwindenden Gemüsebauflächen und auf sonstigem Freigelände stattfinden. Sie bediente sich hierbei zum Gutteil des Gangküchentyps der Hochgründerzeit (Volkert in der Leopoldstadt, Fasangassen viertel auf der Landstraße, Margareten). Im ganzen kam es durch das Nebeneinander von aufgewerteten alten Vorstädten und neuen Arbeiterwohngassen in der ehemaligen Vorstadtperipherie zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze. Äußere Bezirke Die zweite Stadterweiterung verschob die administrative Stadtgrenze bis zum Wienerwald im Westen, zum Fuß des Laaerberges im Süden und griff damit weit in den äußeren Vorortebereich von Wien aus. Diese gründerzeitliche Stadtgrenze von Wien wird noch heute durch die damals an allen Ausfallstraßen neu errichteten Linienamtsgebäude markiert. Die eingemeindeten Vororte wurden zu den Bezirken XI bis X I X zusammengefaßt und erhielten 1893 eine neue einheitliche Bauordnung, deren Bestimmungen bezüglicli Straßenführung, Bauhöhe und Flächenwidmung von großer Bedeutung wurden (vgl. S.46). Die regionale Besonderung der Entwicklung vollzog sich nach den schon für die Hochgründerzeit gekennzeichneten drei Zonen: a) als Ausweitung des geschlossenen Stadtkerns, b) in Form von Wachstumsspitzen und -säumen, die den lückenhaften Rand des geschlossenen Stadtkerns darstellen, und c) in der Differenzierung des offen verbauten Stadtrandes. Die Ausweitung des geschlossenen Stadtkerns stand — durch das Emporschnellen der Bodenpreise nach der Eingemeindung bedingt— im Zeichen des dreistöckigen Reihenmiethauses. Es drängt sich die Parallele zu jenen baulichen Vorgängen auf, die durch die Eingemeindung der Vorstädte in der Vorgründerzeit ausgelöst wurden, als die Bauhöhe dort ebenfalls auf drei Stockwerke anstieg. Nur in der Brigittenau und in Favoriten war auf den schon früher eingemeindeten Bezirksteilen eine vierstöckige Bauweise zugelassen, von der man jedoch bloß in einem Drittel der Fälle Gebrauch machte, da wegen der Verkehrsabgelegenheit und der entsprechend geringeren Nachfrage kein Anreiz dazu bestand.

Die Verbauungsgebiete

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Die Wohnungsstruktur dieser neu entstehenden Massenmiethäuser mit 30—50 Wohnparteien zeigte eine ausgeprägtere gebietsweise Differenzierung als in der vorangegangenen Phase. Arbeiter- und Mittelstandsquartiere sonderten sich schärfer voneinander. Einerseits erfolgte in den Arbeiterbezirken eine weitere Zunahme der Klein- und Kleinstwohnungen — in Favoriten, Ottakring und Simmering überstieg der entsprechende Anteil vor dem Ersten Weltkrieg 90% aller Wohnungen—, andererseits nahmen im Nordwesten (Währing, Döbling) und Südwesten (Hietzing) die Mittelwohnungen aufKosten der Kleinwohnungen zu. Die Vergrößerung des geschlossenen Stadtkerns vollzog sich trotz der Einheitlichkeit des Bautyps keineswegs gleichmäßig. A m geringsten war sie im Nordwesten, w o die großen Cottageviertel von Währing und auf der Hohen Warte gleichsam eine Sperre bildeten, die auch in der Bauordnung selbst verankert war. Ebenso konnte sich der Südosten längs der Ungarischen Landstraße nicht über das Stadium einer Wachstumsspitze hinaus entfalten. Auch in der Brigittenau blieb die Reihenhausverbauung wegen des Widerstands der Gemüsegärtnereien und Lagerplätze stecken und verlagerte sich von hier auf die Regulierungsgründe der Donaustadt, wobei allerdings beachtliche Unterschiede auffallen. Die obere Donaustadt (Viertel Engerthstraße) wurde zu einem fäbriksdurchsetzten Arbeiterwohnquartier mit besonders tristen Wohnverhältnissen und einem durch die Nähe der großen Bahnhöfe bedingten besonders hohen Prozentsatz von Untermietern. Die untere Donaustadt zwischen Reichsbrücke und Augartenstraße und längs des Praters entwickelte sich zu einem mehr kleinbürgerlichen Wohnviertel, in dem Fabriken zurücktraten. A m breitesten schob sich die Verbauung im Westen vor und füllte das schon früher angelegte Schachbrett der Straßen beiderseits der Schmelz. In der Mengung von hoher und niedriger Reihenhausverbauung äußert sich noch heute das Nebeneinander von hochund spätgründerzeitlichen Vierteln rings um Breitensee und in Ottakring (vgl. Karte ι : 25000). Im Norden des Wientals rückte die Verbauungsfront bis an das alte Dorf Baumgarten heran, das noch heute mit seinen physiognomisch gut erhaltenen Streckhöfen in merkwürdigem Kontrast zu den hohen Doppeltraktern der Sezession und den Industriebauten steht, die nach Osten hin anschließen. Die Grenze der alten Stadtgemarkung in Favoriten und Meidling wurde durch den Bautypenwechsel der Spätgründerzeit gleichsam konserviert. In Favoriten entstanden auf den 1890 neu eingemeindeten Flurteilen von Inzersdorf und Oberlaa nunmehr dreistöckige Miethausblöcke und Industriehochbauten, die zu den ebenerdigen Reihenhäusern der Siebzigerjahre in scharfem Kontrast stehen. Recht unterschiedlich verhielten sich die Wachstumsspitzen des Stadtkerns, die ja in der Hochgründerzeit durchwegs Träger der Industrialisierung waren. In manchen von ihnen wurde diese Entwicklung durch den Flächenwidmungsplan von 1893 abgebrochen, nämlich dort, wo diese industrialisierten Wachstumsspitzen in die für eine Einzelverbauung vorgesehene westliche Randzone vordrangen. Dies war im Wiental und bei der nordwestlichen Wachstumsspitze der Fall. Im Wiental wurde westlich von Schönbrunn im Süden des Flusses die weitere Niederlassung von Fabriken überhaupt unterbunden. Nördlich des

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

Flusses wurde diese Sperre erst westlich Baumgarten wirksam. Im Nordwesten ließen sich nur mehr einzelne Industriebetriebe in der Krim und im Heiligenstädter Augelände im Anschluß an ältere Fabriken nieder, blieben aber samt den dazugehörigen Arbeiterzinshäusern isolierte Erscheinungen. Die Industrieansätze im Südwesten an der Breitenfurterstraße und im Südosten an der Simmeringer Straße wurden dagegen entsprechend der Flächenwidmung und der damit verbundenen steuerlichen Begünstigung gefördert. Die Wohnbautätigkeit geriet ins Hintertreffen, so daß sich hier echte Industriebezirke bildeten. Der alte D o r f k e r n von Altmannsdorf wurde geradezu von Fabriken eingekapselt. Der weitere industrielle Ausbau ging hier längs der Südbahntrasse in Fichtung Atzgersdorf bis über die Stadtgrenze hinaus und traf sich in Liesing mit einer schon älteren Industrieansammlung. Ein Gegenstück hiezu bildete die südöstliche Wachstumsspitze, in der sich Großanlagen, darunter das städtische Elektrizitäts- und Gaswerk, längs der Aspang- und Ostbahngeleise niederließen. Die Wohnverbauung erreicht hier mit viergeschossigen Reihenmiethäusern eine größere Bauhöhe als im Südwesten. Auch Floridsdorf wurde von der peripheren Verlagerung der Industrie betroffen. Außerhalb der älteren Ansätze entwickelte sich hier ein zweiter, lockerer Industriegürtel einerseits an der Brünnerstraße (außerhalb der Verbindungsbahn), andererseits längs der Pragerstraße. Ansonst blieb die Verstädterung, gemessen an den verwendeten Wohnbautypen, noch weiter hinter der Kernstadt zurück. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, daß das linke Donauufer erst 1904 eingemeindet wurde. Das Jahrzehnt bis zum Ersten Weltkrieg reichte nicht aus, u m die neu aufgeschlossenen Stadtteile im Süden von Jedlersdorf und das schon ältere Straßengitter von Donaufeld zu füllen. Städtische Vorposten entstanden an den Ausfallstraßen im Anschluß an alte Dörfer (Stammersdorf, Jedlersdorf, Kagran usf.). Im Weichbild blieb die Wohnverbauung im Vergleich zu anderen städtischen Bautypen und Nutzungen flächenmäßig zurück. Die Zeit der großzügigen Aufschließung von Villenvierteln gehörte der Hochgründerzeit an, den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg blieb es im wesentlichen überlassen, die bereits angelegten Cottageviertel in Wäliring, Hietzing usf. aufzufüllen. In Streulage wurden Villen auf Gemarkungen errichtet, die einen Rückgang des Weinbaus zu verzeichnen hatten (Salmannsdorf, Sievering, Kaasgraben, Meiselberg, Schafbergnordhang auf der Pötzleinsdorfer Flur, Liebhartstal in Ottakring usf.). Große repräsentative Parkanlagen sind damit nur mehr selten verbunden. Über die bereits von der Hochgründerzeit gesetzten Marken griff der Villenbau nicht hinaus, sondern endete am R a n d des Wienerwaldes in der Linie alter Sommerfrischenorte, wie Hütteldorf und Dornbach. Erfolgte in der Hochgründerzeit im weiteren Bereich des Villenbaus westlich der Stadt noch ein Ausbau der Dörfer in Form von niedrigen Reihenhäusern, so trat diese von einer bescheidenen, vermutlich bodenständigen Bevölkerungsgruppe getragene Bautätigkeit in den Kerngebieten des spätgründerzeitlichen Villenbaus im Nordwesten (Döbling, Währing, Pötzleinsdorf, Neuwaldegg) und im Südwesten (Ober St. Veit, Hietzing) völlig zurück. Man kann darin die Auswirkung der steigenden Bodenpreise erblicken. So waren ζ. B. auch

Die Stadtzonen am Ende der Gründerzeit

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auf der Gersthofer Gemarkung in der Hochgründerzeit noch gassenweise Kleinwohnungshäuser errichtet worden, während die Spätgründerzeit hier nur mehr Villen- und Reihenvillen entstehen sieht. Häufig erschienen im Berührungsgebiet zwischen Arbeitermiethausquartieren und Villenvierteln Streifen von Mietvillen gewissermaßen als vermittelnde Ubergangserscheinung, so im Liebhartstal in Ottakring, zwischen Hetzendorf und Altmannsdorf, am Rand der industrialisierten Wachstumsspitze des Wientales in Baumgarten, Unter St. Veit, in Döbling usf. Neben der Villenverbauung traten an der westlichen Peripherie meist schon außerhalb der Stadtgrenze und auf billigeren Baugründen Einzelhäuser bescheidener Prägung auf, wie ζ. B. in den Wienerwaldtälem bei Klosterneuburg und im Südwesten von Mauer bis Perchtoldsdorf, die an die Siedlungshäuser der Zwischen- und Nachkriegszeit erinnern. Die ebenerdigen Reihenhäuser blieben das Kennzeichen des Siedlungsausbaus der Dörfer im Marchfeld und im Süden von Wien im Liesingtal. Auf dem Wiesengelände einer früheren inneren Milchmeierzone entstanden beiderseits des Wientals die großen öffentlichen Wohlfährtseinrichtungen, von denen die wichtigsten, die Nervenheilanstalt Steinhof auf der Baumgartner und Hütteldorfer Gemarkung im Norden des Wientals und das Lainzer Versorgungs- und Krankenhaus im Süden, dem Mittelabschnitt des westlichen Stadtrandes ein besonderes Gepräge gaben (Abb. 56). Im östlichen Stadtraum datieren aus dieser Zeit die Anfange einer spontanen Siedlung an der Wagramer Ausfallstraße und auf dem Lettenhaufen in Form von Gasthäusern und Gewerbebetrieben, an die sich später in der Zwischenkriegszeit wilde Siedlungen anschließen sollten. Teils in der Aulandschaft im Norden der Alten Donau, teils an der Erzherzog Karl-Straße, der neuen Verbindungsstraße nach Stadlau, entstanden Lederfabriken mit vereinzelten Wohnblöcken. Stadlau selbst wuchs erst jetzt durch die Niederlassung großer Industriebetriebe (wie Waagner-B iro) an der Bahn aus dem dörflichen Stadium heraus.

5. DIE S T A D T Z O N E N AM ENDE DER G R Ü N D E R Z E I T Das Ergebnis der Bauentwicklung der Gründerzeit wurde auf Tafel I festgehalten, die in generalisierter Form die Verbreitung der wichtigsten Verbauungstypen dieser Periode wiedergibt und vom älteren Baubestand (vor 1840) abhebt. Als lückenhafter Stadtrand wurde der Wachstumsring der Spätgründerzeit bezeichnet, in dem recht heterogene Elemente, lückenhafte Reihenhausverbauung, Industrieanlagen, Lagerplätze, Gemüsegärten und sonstige Übergangsnutzungen, enthalten sind. a) Der geschlossene Stadtkern W o lag nun die Grenze des geschlossen verbauten Gebietes beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Wenn man dabei die Ausdehnung des Stadtkerns um 1840 im Auge behält, so ist die erste Feststellung die einer recht ungleichmäßigen Breitenentwicklung des Wachstumsringes. Die größte Ausweitung vollzog sich nach Westen. Von Meidling bis Währing hatte sich die Front der geschlossenen Verbauung um etwa zwei bis zweieinhalb km vorge-

Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit (1840-1918)

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schoben, u n d zwar ungefähr bis zur Vorortelinie i m W e s t e n u n d z u m Bausperrgebiet von S c h ö n b r u n n i m Südwesten. D i e einzige bedeutende U n t e r b r e c h u n g e r f u h r h i e r das nahezu geschlossene Bauareal durch den großen Exerzierplatz auf der Schmelz. Der südliche Sektor der Reihenmiethausverbauung, Favoriten, w a r d u r c h d i e sperrenden Anlagen der Süd- u n d Ostbahn und die z u m Teil stadtnahe Etablierung v o n Fabriken und Lagerplätzen auf den billigen Schotterböden der Arsenal- u n d der Laaerbergterrasse an einer ähnlich gleichmäßigen Entfaltung behindert. N o c h stärker blockierten Prater und N o r d u n d N o r d w e s t b a h n h o f die E r w e i t e r u n g der Leopoldstadt u n d der Brigittenau. A m geringsten hatte sich der geschlossene Stadtkern i m Südosten u n d N o r d w e s t e n ausgedehnt. Die v o m S ü d b a h n h o f über das Arsenal bis z u m Schlachthaus nahezu geschlossene Front v o n g r o ß e n öffentlichen Anlagen h e m m t e das schon i m m e r etwas v e r z ö g e r t e W a c h s t u m des südöstlichen Stadtsektors u n d w u r d e darin unterstützt d u r c h das zusätzliche Hindernis des alteingesessenen Gemüsebaus, der hier eine Art v o n B o d e n s p e r r e v e r h ä n g t e . Es war dies die einzige Stelle des Baukörpers v o n W i e n , an der die Gründerzeit die geschlossene Verbauung nicht über den Linienwall hinauszuschieben vermochte. D i e G e m a r k u n g v o n E r d b e r g blieb innerhalb der Linie bis z u m Ersten W e l t k r i e g — u n d n o c h länger — l ü c k e n h a f t verbaut. Eine ähnliche Sonderstellung n a h m der N o r d w e s t e n ein, in d e m sich die R e i h e n h a u s v e r b a u u n g in F o r m einer bescheidenen Wachstumsspitze m i t den Villenvierteln des o f f e n e n Stadtrandes verzahnte. Innerhalb dieses geschlossen verbauten Stadtkerns bildete die V e r b a u u n g s g r e n z e von 1840 eine Trennungslinie v o n nicht zu übersehender B e d e u t u n g . Sie sonderte das durch die Gründerzeit ü b e r f o r m t e ältere Stadtgebiet v o n der außen angrenzenden N e u b a u z o n e auf g r ü n e m Anger. Die Umgestaltung des altverbauten Gebietes, in d e m wir Altstadt, Vorstädte u n d Vororte zu unterscheiden haben, war recht beachtlich. Die Gründerzeit beseitigte m e h r als drei Viertel des alten Baubestandes und beeinflußte selbst das restliche Viertel in verschiedenster Weise. In das ältere Straßengefüge k o n n t e sie dagegen ausschließlich m i t untergeordneten Veränderungen eingreifen, i n d e m sie neue Gassen u n d D u r c h b r ü c h e in das alterwachsene Straßennetz einfügte. Gleicherweise m u ß t e sie sich weitgehend m i t d e m gegebenen Parzellenmuster abfinden, das sie n u r durch Z u s a m m e n l e g u n g e n v o n besonders schmalen oder Teilung v o n besonders breiten Grundstücken g e r i n g f ü g i g zu wandeln v e r m o c h t e . Die Intensität der baulichen Veränderungen n a h m v o n Jahrzehnt zu Jahrzehnt nach H ö h e und Dichte zu, wobei nur die geltende B a u o r d n u n g Grenzen setzte. Es w u r d e n daher im ganzen auch i m m e r jüngere u n d höhere Bestände v o n d e m U m b a u erfaßt, dessen positive Seite eine baulich-soziale A u f w e r t u n g war, die sich gleichfalls v o n Phase zu Phase steigerte. Sie w a r am größten i m Bereich der seinerzeitigen Peripherie mit ihrer besonders niedrigen und bescheidenen Altverbauung. N o c h heute prallen d o r t die Kontraste a m härtesten a u f einander, w o die hohen, komfortablen Miethäuser der Spätgründerzeit unmittelbar an die niedrigen Häuschen der ehemaligen Taglöhnervorstädte herantreten ( W i n d m ü h l e , L a i m grube, Margarethen usf.).

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Fassade eines einstöckigen Vorstadthauses aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

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Fassade teines dreistöckigen Reihenmiethauses der Frühgründerzeit (innere Bezirke) ; schlichte Gliederung, Betonung derr Horizontalen durch Gesimse und geradle Fensterverdachungen, breite Toreinfahrrt und Wohnläden im Erdgeschoß.

HI.CCCJLY

8

Fassade eines vierstöckigen Reihenmiethauses der Hochgründerzeit (innere Bezirke); deutliche vertikale Gliederimg unter Verwendung von Renaissanceeiemenlen, DreieckSegmentund Sprenggiebel der Fenster, Betonung des Nobelstocks durch Erker und Balkone.

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Fassade eines f ü n f stöckigen Reihenmiethauses der Spätgründerzeit ; ornamentale Betonung der Vertikalgliederung; Fassade zu Fig. 15.

Die Stadtzonen am Ende der Gründerzeit

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Der Erste Weltkrieg hat die in vollem Fluß befindliche Umbautätigkeit im altverbauten Gebiet jäh unterbrochen. Daher blieb ein recht buntes Mosaik verschieden alter Bautypen bestehen, das eine überblicksweise Kennzeichnung nicht nur aus Gründen eines historischen Querschnitts verdient, sondern vor allem deswegen, weil sich erst die Gegenwart anschickt, den durch Weltkriege und politische Wandlungen unterbrochenen Umbau des inzwischen vielfach sanierungsreif gewordenen Altbestandes fortzuführen. Überblicken wir daher am Ende der Gründerzeit den Baubestand der Altstadt und versuchen wir, die Entwicklung einzelner Viertel zu würdigen. Die Citybildung hat längs der alten Hauptverkehrsachse der Stadt, der Kärntner- und Rotenturmstraße, eine breite Bresche in den Altbestand geschlagen. Auch in ihrer westlichen Ausbuchtung, die vom Neuen Markt über den Graben zum Hohen Markt reichte, konnten sich nur einzelne Häuser dem Umbau entziehen. Den westlichen Ausläufer der Citybildung stellte das zwischen Freyung und Börse entstandene Bankenviertel dar. In der westlichen Stadthälfte konnten sich die Altbauten in Form von öffentlichen Gebäuden und Palästen noch am besten im Regierungsviertel erhalten. Stärker durchlöchert wurde ihr Bestand von Stiftshöfen, Palästen und alten, in adeliger Hand befindlichen Miethäusern im ehemaligen Viertel des Hofadels zwischen Burg, Graben und Kärntnerstraße, ansonst existierten überhaupt nur mehr einzelne Nester von Altbauten um den Judenplatz, in der Naglergasse und im Tiefen Graben. Viel besser wahrten die verkehrsstillen, schlecht erschlossenen Seitengassen der östlichen Stadthälfte ihr altes Erbe von Stiftshöfen, Klöstern, Palästen und Bürgerhäusern verschiedener Bauperioden. Nur längs der geschäftsreichen, alten Ausfallstraße, der Wollzeile, war es zu zahlreichen Umbauten gekommen. Der Baubestand der ehemaligen Vorstädte bot zum gleichen Zeitpunkt einen auf den ersten Blick völlig verwirrenden Eindruck. Erst wenn man auf den baulich-sozialen Charakter der Vorstädte um 1840 zurückgeht, gelingt es, einzelne Regeln der Verteilung zu entdecken. Die stärkste Umgestaltung hatten jene Radialstraßen erfahren, die sich bis zum Ersten Weltkrieg zu Hauptgeschäftsstraßen entwickelt hatten: Mariahilferstraße, Taborstraße, Lerchenfelderstraße 11 ). Schon die anderen untergeordneten Geschäftsstraßen — wie die Josefstädterstraße, Burggasse usf. — blieben baulich gemischt, und erst recht galt dies im allgemeinen für die Seitengassenbereiche zwischen den wichtigeren Straßenzügen. Verschieden verhielten sich einzelne Viertel bestimmten Charakters. So wahrten die geschlossenen Komplexe von viergeschossigen Biedermeierbauten im wesentlichen ihren Bestand (III, Beatrixgasse — Heumarkt, IV, Mozartplatz, V , Kettenbrückenviertel, VII, Lindengasse — Richtergasse, VIII, Lenaugasse — Buchfeldgasse, IX, Berggasse). Die ehemalige dörfliche Peripherie mit ihren tiefen Parzellen bot dafür der späteren Verbauung besonderen Anreiz (Altlerchenfeld, Gumpendorf, Margarethen, Hundsthurm, Nikolsdorf)· Dagegen behaupteten sich gewisse Handwerker- und Taglöhnerquartiere — wie die schon in der Barock11) Diese vom heutigen Zustand nicht unwesentlich abweichende Verteilung der Hauptgeschäftsstraßen konnte mit Hilfe der Baukonsensbticher im Stadtarchiv und einer Durchsicht des Commerzadreßbuches von Rosenzweig festgestellt werden.

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Β. Die bauliche Entwicklung in der Gründerzeit ( 1 8 4 0 - 1 9 1 8 )

zeit gegründeten Vorstädte Spittelberg, Lichtenthai, Strozzigrund — verhältnismäßig gut, weil ihr kieinzügiges Parzellengefüge dem U m b a u ausgesprochene Schwierigkeiten bereitete. Die alten Sommerpaläste und Landhäuser, bei denen weiträumige Parkanlagen und Gärten zur Aufparzellierung einluden, erfuhren verschiedene Schicksale — je nachdem, ob der Staat sich ihrer annahm und sie schützte oder o b sie in die Hände v o n Baugesellschaften oder Privatleuten gerieten. W o die alte Verbauung lückenhaft geblieben w a r , wie in den peripheren Biedermeiervierteln u m die Elisabethkirche auf der W i e d e n oder auf dem Paulusgrund a u f der Landstraße, k a m es selbstverständlich zu einer mehr oder minder intensiven M e n g u n g der Formen. In sehr unterschiedlichem Ausmaß w u r d e n die alten westlichen Vororte außerhalb der ehemaligen Linie v o m U m b a u erfaßt, w o b e i i m ganzen die Spielregeln der Umgestaltung ähnlich w i e in den Vorstädten waren. D e r innere R i n g der alten V o r o r t e w a r v ö l l i g v o n der geschlossenen Reihenhausverbauung überfahren worden. D i e alten

Sommerfrischenorte

Hemals und W ä h r i n g mit niedrigen Altbauten auf tiefen Parzellen w u r d e n durch den U m b a u praktisch völlig ausgelöscht; nur in Hernais blieb das ältere Parzellengefüge in Resten bestehen. In Neulerchenfeld unterbrach der Erste W e l t k r i e g den U m b a u p r o z e ß , der i m benachbarten Altlerchenfeld z u m Abschluß gelangte. Das Luftbild (Abb. 4) läßt die a u f tiefen B a r o c k parzellen an der Stelle v o n alten Seitenflügelhäusem hintereinandergesetzten Doppeltrakter deutlich erkennen. D i e früh verstädterten G e w e r b e v o r o r t e im N o r d e n des Wientals mit kleinen Grundstücken (wie der Braunhirschengrund) oder auch selir tiefen (wie R e i n d o r f ) erwiesen sich ab besonders widerstandsfähig (ähnlich Spittelberg b z w . die Landstraße in den Vorstädten) ( A b b . 2, 3, 4). D e r zweite R i n g der einst völlig frei gelegenen Ackcr-, W e i n b a u - und Milchmcicrortc, wie Ottakring, Breitensee, Baumgarten, O b e r St. Veit, Hietzing und Speising, markierte nun die äußere Grenze der lückenhaften Reihenhausverbauung, w o b e i eine gewisse Verstädterung auch den Funktionswandel v o m D o r f zur Wohnsiedlung physiognomisch deutlich werden ließ. D i e recht eintönige Neuverbauungszone entstand innerhalb der Linie a u f bis 1840 noch landwirtschaftlich genutzten Flächen und besetzte den einstigen inneren Vorortbereich in der geschilderten Ausdehnung. D i e Erstverbauung im ehemaligen Vorstadtraum (Margarethen, Landstraße, Wieden) unterschied sich v o r allem durch ihre größere Bauhöhe, die in der Spätgründerzeit f ü n f bis sechs Geschosse erreichte, v o n der N e u v e r b a u u n g außerhalb des Gürtels. Hinsichtlich Parzellengefüge, Grundrißgestaltung der Bauten und W o h n u n g s struktur überwiegen aber die gemeinsamen Z ü g e . Im einzelnen k a m es auch bei dieser N e u v e r b a u u n g zu feineren Differenzierungen, indem die Parzellen, aber auch die Häuserblöcke in ihren Abmessungen wechselten. D i e Blockseiten bestehen aus z w e i bis acht Häusern, w o b e i die Frontbreite der W o h n b a u t e n i m Mittel acht bis zehn Fensterachsen beträgt. D i e allzu geläufige Vorstellung v o n einer durchgehenden Hinterhausverbauung, für die i m wohnungspolitischen Schrifttum i m m e r wieder Doppeltrakter als Beispiele angeführt

Die Stadtzonen am Ende der Gründerzeit

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werden, ist bei weitem übertrieben. Dieser Bautyp ist auf die Spätgründerzeit beschränkt und kommt in der Verbauung der Früh- und Hochgründerzeit nicht vor, die in der Regel eintraktige Reihenmiethäuser zu weiträumigen Baublöcken zusammenfügte. Er herrschte nicht einmal in der Spätphase ausschließlich, sondern kennzeichnet eigentlich nur die Donauregulierungsgründe in der Leopoldstadt und Brigittenau. Die Neuverbauungszone hob sich, zumindest außerhalb des Gürtels, durch geringere Bauhöhe, einen geringeren Verbauungsgrad, einheitlichere Grundstücke und im übrigen durch wesentlich breitere Straßen deutlich vom älteren Stadtkern ab. Die trotzdem annähernd gleich hohe Einwohnerdichte entstand durch das absolute Vorherrschen von Klein- und Kleinstwohnungen in dieser äußeren Zone. Damit ist ein weiterer und sehr wesentlicher Unterschied zwischen dem umgestalteten Altbaubereich und dem Gürtel der Erstverbauung angedeutet. Der sozialen Aufwertung der alten Vorstädte als Folg6 des gründerzeitlichen Umbaus steht die massive Anreicherung von Klein- und Kleinstwohnungen in dem neugeschaffenen Miethausgürtel gegenüber, der nunmehr die Masse der Arbeiterbevölkerung aufnahm. Die auf der Karte eingetragene historische Strukturgrenze zwischen den beiden Räumen sonderte daher die vorwiegenden Mittelwohnungsquartiere von den Arbeitervierteln. Außerhalb des Gürtels bildeten nur die ehemals bürgerlichen Sommerfrischen Währing und Döbling eine Bresche in dem „würgenden Ring" von Massenquartieren. Von dieser Ausnahme abgesehen, galt am Ende der Gründerzeit die einfache Formel, daß die Wohnungsgröße von der Innenstadt über die Vorstädte zu dem nunmehr kompakt verbauten alten Vorortegürtel stufenweise von Groß- über Mittel- zu Klein- und Kleinstwohnungen abnahm und dergestalt ein Spiegelbild des in Wien bezeichnenderweise aufrechtgebliebenen sozialen Gefalles von der Innenstadt zum Rande hin bot. b) D e r l ü c k e n h a f t e R a n d des geschlossenen S t a d t k e r n s Da mit dem Ersten Weltkrieg die lebhaft fortschreitende Verbauung der Spätgründerzeit schlagartig abbrach, blieb eine mehr oder minder breite lückenhafte Stadtrandzone bestehen. Ausgeprägte Wachstumsspitzen schoben sich in lockerer Verbauung längs der Ausfallstraßen vor, wie etwa der breite, zungenartige Vorsprung im Wiental und die kleineren Verbindungsstreifen zu den Wienerwaldrandorten im Nordwesten (Grinzing, Sievering) und südlich von Schönbrunn (Hetzendorf, Speising). Die Randsäume dazwischen waren dort verhältnismäßig schmal, wo die geschlossene Reihenhausverbauung auf breiter Front in raschem Vorschreiten gewesen war, wie in Ottakring, dagegen besonders breit in den toten Winkeln der Verbauung, die durch Verkehrsanlagen und sonstige Barrieren abgeschirmt waren, wie im südöstlichen Gleisdreieck zwischen Aspang- und Ostbahn oder in der Brigittenau hinter den Anlagen von Nord- und Nordwestbahnhof. In dieser lückenhaften Stadtrandzone verschränkte sich die steckengebliebene hohe Miethausverbauung mit anderen Verbauungstypen des Weichbildes, so

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Β. Die baulichc E n t w i c k l u n g in der Gründerzeit (1840 — 1918) ι. mit der seit der Hochgründerzeit aufgebauten Indtistriepcripherie,

wie vor allem im

südlichen Bogen des lückenhaften Stadtrandes von der Südbahntrasse bis zur Simmeringer Ausfallstraße, im Uferstreifen der Donaustadt und im städtischen Brückenkopf Floridsdorf, 2. mit den Gemüsegebieten im Südosten der Stadt zwischen Simmering und Donaukanal und im Norden beiderseits des Donaukanals in der Spittelau und Brigittcnau, w o sich darüber hinaus auch der Einfluß der Industrie geltend machte, und schließlich 3. mit der Einzelhausverbautmg

des Weichbildes in den industriefreien Sektoren des

Nordwestens und südlich von Schönbrunn. c) D i e A n s ä t z e z u r B i l d u n g e i n e s G ü r t e l s o f f e n e r

Verbauung

Die Ansätze zu einer offenen Verbauung am Stadtrande hatten sich unter ganz anderen Voraussetzungen gebildet. V o r allem war der Gegensatz zwischen dem Abfall des Wienerwaldes mit seinen alturbanisierten Weinhauerdörfern und den Ebenen des Marchfeldes und des südlichen Wiener Beckens mit ihren Ackerbauorten zum Tragen gekommen.

Im

Anschluß an die alten Weinhauerdörfer von Kritzendorf im Norden bis Perchtoldsdorf im Süden waren mehr oder minder große, von der Stadt abgesetzte Villenviertel entstanden, die die bekannten stadtnäheren Villenanlagen in Währing und Hietzing ergänzten. Sie hatten weniger die Weinriede als das Wiesen- und Ackergelände besetzt. In größerer Entfernung traten bescheidenere £inzelhäuser an die Stelle der Villen. Die stadtnahen Ackerbauorte des Marchfeldes und südlichen Wiener Beckens erweiterten sich in Form von ebenerdigen Reihenhäusern. Z u m Teil siedelten sich hier ortsbürtige Arbeiterfamilien an, die in der peripheren Industriezone Beschäftigung fanden. So erklärt sich der starke Ausbau von Stammersdorf als Folge des Industrieaufbaus von Floridsdorf. Das industrialisierte Stadlau machte seinen Einfluß auf Aspern geltend, und die vor den Stadtrand gerückten Ziegelwerke am Laaerberg sowie die neuentstandenen und erweiterten Industriebetriebe in Schwechat, Atzgersdorf und Liesing bedingten ähnliche Vergrößerungen der Dörfer im Süden der Stadt. Teilweise handelte es sich auch um Eisenbahnerkolonien — wie ζ. B . längs der Nordbahn in Süßenbrunn und Deutsch-Wagram — und erste Ausläufer von Stadtaussiedlern bescheidener Einkommensstufe, wie ζ. B . längs der Breitenfurter Straße im Südwesten. Die gleiche Ausbaubewegung durch niedrige Reihenhäuser wurde in den Weindörfem des Wienerwaldrandes durch den Villenbau schon früh abgestoppt, während umgekehrt gewisse Villenansätze in den Dörfern gemischter W e i n - und Ackerwirtschaft am Fuß des Bisamberges (Strebersdorf und Langenzersdorf) nicht zur Entfaltung gelangten. Die bevorzugte Situation der westlichen Vororte kommt auch in der Anlage großer Wohlfahrtsanstalten am Hang des Wienerwaldes zum Ausdruck. A u f die fortschreitende Verdrängung des Handelsgemüsebaus, der zu Beginn dieser Periode noch innerhalb der Linie lag, wurde wiederholt hingewiesen. Seine Hauptgebiete waren nunmehr im Südosten von Simmering bis Kaiser Ebersdorf und Albern und am linken Stromufer zwischen Leopoldau und Aspern. Kleinere Flächen gab es beiderseits des Donaukanals in der Brigittenau und Spittelau und im Südwesten in Erlaa.

Die Stadtzonen am Ende der Gründerzeit

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Die bereits außerhalb der Wiener Verwaltungsgrenze gelegenen alten Städte und Märkte Klosterneuburg, Perchtoldsdorf, Schwechat und Großenzersdorf nahmen in bescheidener Form an den gründerzeitlichen Bauimpulsen teil und stellten Exponenten des jeweils benachbarten Stadtrandtyps dar. So spiegelte Klosterneuburg mit seinen weiträumigen Reihenhausgevierten und Villenkolonien den nordwestlichen Stadtrand wider, während Perchtoldsdorf ein südwestliches Gegenstück dazu bot. Schwechat wiederholte mit seinen Industrieobjekten und mehrgeschossigen Reihenhäusern die Entwicklung des südlichen und südöstlichen Weichbildes. Großenzersdorf mit seinem Ausbau von ebenerdigen Reihenhäusern verhielt sich ähnlich wie die benachbarten Marchfelddörfer. Prüft man schließlich den gesamten spätgründerzeitlichen Siedlungskörper Wiens in seinem Verhältnis zur Stadtgrenze, die im Westen 1890, jenseits der Donau 1904 festgelegt worden war, so erkennt man eine der Zeit vorauseilende Eingemeindungspolitik des Magistrats. Die administrative Stadtgrenze Schloß damals nicht nur die Wachstumsspitzen Wiens an seinen verschiedenen Ausfallstraßen, sondern auch noch weite bislang agrar gebliebene Gebiete im Marchfeld ein. Hier bestand, wie bereits erwähnt, das großzügige Projekt eines Ausbaus des östlich der Donau gelegenen Stadtraumes. Es ist jedoch nicht mehr zur Ausführung gelangt. Mit einer größeren Brückenkopf bildung und einigen unbedeutenden städtischen Ansätzen längs Ausfallrouten am anderen Donauufer trat die Stadt in den Ersten Weltkrieg und in die unter völlig veränderten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Vorzeichen stehende Zwischenkriegszeit ein.

C. DIE BAULICHE ENTWICKLUNG IN D E R Z W I S C H E N K R I E G S Z E I T (1918—1938)

I. DIE ALLGEMEINEN SOZIALEN UND WIRTSCHAFTLICHEN VORAUSSETZUNGEN 1. D I E P O L I T I S C H E

SITUATION

Das Jahr 1918 bedeutete für die Entwicklung Wiens einen weit schärferen Einschnitt als fur die meisten anderen europäischen Großstädte. Mit der Zerschlagung der ÖsterreichischUngarischen Monarchie verlor die Hauptstadt eines 52 Millionen-Reiches gleichsam über Nacht ihre Funktion und sank zum „Wasserkopf" eines nur knapp sechseinhalb Millionen Menschen zählenden Kleinstaates herab, an dessen Lebensfähigkeit auch seine eigene Bevölkerung zweifelte. Alle Grundlagen der städtischen Existenz waren zutiefst erschüttert. Aus der kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunktstellung in einem Großstaat wurde Wien jäh und unvermittelt wieder in eine extreme Randlage gerückt, wie die Stadt sie im Mittelalter besessen hatte. Das betont sozialistische neue Stadtregiment führte außerdem zu einer Ablehnung der „roten" Hauptstadt durch die überwiegend bürgerlich- oder bäuerlichkonservativen Bevölkerungen der Bundesländer. Die exzentrische Position der Stadt innerhalb des neugeschaffenen Staatsgebietes förderte zweifellos diese Entfremdung. In wirtschaftlicher Hinsicht betrachtete man den „Wasserkopf" Wien als eine schwere Belastung des Kleinstaates. Diese durch die erschreckenden Arbeitslosenziffern während der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre genährte Einstellung erfuhr erst in der Gegenwart die notwendige Korrektur. Andererseits wurde auch die kulturelle Tradition Wiens, da sie von der kaiserlichen kaum zu trennen war, gerade von der sozialistischen Stadtregierung der Zwischenkriegszeit weitgehend abgelehnt oder ignoriert. Heute ist man zu der Einsicht gelangt, daß gerade die einstige Weltgeltung der Stadt wesentlich dazu beitrug, daß der österreichische Staat nicht in völliger Provinzialität und Bedeutungslosigkeit unterging, und versucht, von anderen Grundlagen aus etwas von dieser früheren Weltgeltung wiederherzustellen. Die Problematik von Wien in der Zwischenkriegszeit ist die einer Millionenstadt in einem zu klein gewordenen Staatsgebiet. Die Anpassungskrise wurde aber durch die totale Inflation von 1921—23, durch die nach kurzer Erholung schlagartig einsetzende Weltwirtschaftskrise sowie durch die nachfolgenden innenpolitischen Auseinandersetzungen ver-

Die Entwicklung der Wirtschaft

127

schärft und verlängert. Wien konnte sie schließlich nur unter starkem Bevölkerungsverlust überstehen. Natürlich blieb die bauliche Entwicklung hievon nicht unbeeinflußt. Sie bildete in diesen Zwanzigerjahren ganz besondere Züge aus.

2. DIE E N T W I C K L U N G D E R

WIRTSCHAFT

Die Einbuße der wirtschaftlichen Position als Finanz-, Organisations- und Handelszentrum — zumindest der österreichischen Reichshälfte der Monarchie — spiegelt sich am klarsten auf dem Gebiet des Geldwesens. Die Zahl der Geldinstitute schmolz zusammen. Die Bilanzsummen der Wiener Banken sanken von einem Wert von über 10 Milliarden Kronen 1913 in der Nachkriegsinflation auf ein Zwanzigstel und erreichten selbst in der Zeit einer bescheidenen wirtschaftlichen Konsolidierung während der späten Zwanzigerjahre nur mehr ein Drittel des Wertes der Spätgründerzeit. Diese Ansätze einer wirtschaftlichen Erholung gingen rasch in der Weltwirtschaftskrise unter. Die Arbeitslosigkeit erfäßte 1934 mit 261650 Personen über ein Viertel aller Berufstätigen und betraf vor allem die Arbeiter schwer, von denen jeder Dritte ohne Beschäftigung war (37,7%). Die allgemeine wirtschaftliche Depression des österreichischen Staates wirkte sich in Wien besonders katastrophal aus, denn gerade seine Industrie war in größeren räumlichen Zusammenhängen erwachsen. Die Schwerindustrie hatte man in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie auf der Kohlenbasis des mährisch-schlesischen Reviers aufgebaut. Sie war nun auf teure Einfuhren angewiesen. In der alteingesessenen Textilindustrie bestand schon in der Manufakturperiode eine enge Verflechtung mit den Sudetenländern. Im Laufe der Gründerzeit hatten viele Betriebe ihre Standorte dorthin verlagert (vgl. u.) und nur die kaufmännischen Zentralen in Wien belassen, die nun — von ihren Erzeugungsstätten getrennt — ihre Daseinsberechtigung verloren. Die Konsumgüterindustrie und das Luxusgewerbe wurden außerdem durch den Zusammenbruch der bisherigen Gesellschaftsordnung betroffen, worin Parallelen mit anderen europäischen Großstädten bestehen. DasEnde des kaiserlichen Hofstaates hatte eine bedeutende zahlenmäßige Verringerung des stadtanwesenden Adels, die Agrarreformen der Nachfolgestaaten überdies seine Verarmung zur Folge. Auch die breite Schichte des Bürgertums wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sie verlor ihr Kapital in den Kriegsanleihen, der Inflation und der Entwertung des Hausbesitzes. Recht eindrucksvoll spiegelt sich die allgemeine Verarmung der Bevölkerung in den Berichten der Sparkassen wider. Im Schnitt des Jahrfiinfts von 1905 —1910 hatten die Einlagen 430 Kronen pro Einwohner betragen; in der Zwischenkriegszeit erreichten sie selbst in den Jahren einer bescheidenen Konjunktur nur mehr die Hälfte davon. Gleichlaufend mit der notwendigen wirtschaftspolitischen Neuorientierung der Industrie vollzogen sich — in Fortführung bereits in dtfr Gründerzeit begonnener Tendenzen — auch Wandlungen der Betriebsstruktur, freilich infolge der besonderen Bedingungen der W o h nungswirtschaft nur sehr zögernd.

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C. Die bauliche Entwicklung in der Zwischenkriegszeit (1918-1938)

Ein Vergleich der gewerblichen Betriebszählungen 1902 und 1930 sowie der Betriebsstättenerhebungen 1917 und 1934 gestattet leider wegen verschiedener Begriffsänderungen und unzweckmäßiger Zusammenfassungen nicht, die Auswirkung des Umschwungs und der nachfolgenden Zwischenkriegszeit auf die Arbeitsstätten klar festzustellen 1 ). Die offenen Läden blieben nach den Ladenzählungen von 1917 (62720) und 1934 (63 315) zahlenmäßig unverändert, was vielleicht zutreffen mag, während sich die „Werkstätten und Lagerräume" von 44751 auf 52366 vermehrt haben sollen, was aber nur durch eine etwas andere Begriffsfassung zu erklären ist. Gerade das Kleingewerbe verzeichnete nämlich eine gewisse Abnahme zugunsten verschiedener Dienstleistungen und des Einzelhandels. TABELLE

8:

Vergleich der

gewerblichen

Betriebe

1902 u n d

1902 Zahl

1930 1930

/o

Zahl

%

Gliederung nach der Beschäftigtenzahl: Kleinbetriebe (bis 5 Beschäftigte) Kleine Mittelbetriebe ( 6 - 2 0 ) Große Mittelbetriebe (21-100) Großbetriebe (101-1000) über 1000 Ohne Angaben*) Gesamtzahl der Betriebe

116785

88,9

11964 2179 445

9,1

115670 13540

1.7 0,3

3068 561

8 2489 133870

87,1 10,2 2,3 0,4

13 100,0

132852

100,0

*) Nicht berücksichtigt

Die Gesamtzahl der Betriebe von Gewerbe, Industrie, Handel und Verkehr zeigt für einen so langen Zeitraum nur geringfügige Änderungen; alles in allem zeichnet sich nur eine mäßige Konzentrationsbewegung ab, die aller Wahrscheinlichkeit nach bereits vor dem Kriege stattgefunden hatte. Dieser weitgehenden Konstanz in der Masse und Größenordnung der Betriebe steht aber, wie durch sdchprobenhafte Befragungen erhärtet zu werden scheint, eine beachtliche Mobilität der Unternehmungen gegenüber, die — mit Ausnahme der Großbetriebe der Metallindustrie — in den vorhandenen Betriebsstätten lebhaft wechseln. Der U m b a u der Wirtschaft und die Schwierigkeiten der Zwischenkriegszeit kommen darin deutlich z u m Ausdruck. Wenige Betriebsneugründungen oder -ausbauten sind in dieser Zeit erfolgt. 1) In der wohnungspolitischen Literatur w u r d e von O . Vas an immer wieder eine starke Z u n a h m e der Geschäfte auf Kosten der W o h n u n g e n festgestellt und als eine Folge der Zwangsbewirtschaftung der W o h n u n g e n gedeutet. Man übersah hierbei einen der zahlreichen Fallstricke der österreichischen Statistik, nämlich, daß der Begriff der W o h n u n g bis 1917 auch für Geschäftszwecke gebrauchte Objekte mit einschloß und erst in der Nachkriegszählung 1923 eine entsprechende Begriffseinengung auf die nur zu Wohnzwecken dienenden W o h n u n g e n erfolgte.

Der Wandel der Bevölkerungsstruktur

129

Die Bautätigkeit dieser Periode war, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, allein auf die Schaffung von neuem Wohnraum ausgerichtet. An öffentlichen Gebäuden wurden vor allem Schulen, Kindergärten und kleinere Fürsorgeeinrichtungen geschaffen.

3. DER. WANDEL DER B E V Ö L K E R U N G S S T R U K T U R Die durch den Vertrag von St. Germain recht willkürlich gezogenen neuen politischen Grenzen zerschnitten nicht nur den Wirtschaftsraum der Hauptstadt, sondern zerschlugen auch das Einzugsgebiet ihrer Bevölkerung. Mit der Bildung der Nachfolgestaaten versiegte der Strom der Zuwanderung fast völlig. Verschärft durch die unerfreulichen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse entstand auch auf dem Bevölkerungssektor der Stadt eine schwierige Situation. Der Zerfall der Monarchie löste als erste unmittelbare Folge starke Wanderbewegungen aus. Einer zahlenmäßig nicht genau erfaßbaren Rückwanderung von deutschen Beamten und Offizieren aus den Nachfolgestaaten stand eine wesentlich bedeutendere Abwanderung von rund 340000 fremdsprachigen Einwohnern, hauptsächlich Tschechen, in ihre Mutterländer gegenüber. Unter Einschluß der Kriegsverluste verringerte sich somit die Einwohnerzahl Wiens von2275C)oo im Jahrei9ij 8 ) auf 1842000m 1919, somit um 433 000Menschen, und hielt sich bis zum Jahre 1938 annähernd in dieser Höhe. Erst die Schaffung von Groß-Wien im Jahre 1938 ließ durch die Eingliederung zahlreicher Vorortegemeinden und weiter, überwiegend ländlicher Gebiete die Bevölkerungszahl nochmals über die Zweimillionengrenze ansteigen (vgl. Tabelle). TABELLE 9 :

Die B e v ö l k e r u n g s e n t w i c k l u n g W i e n s in der Zwischenkriegszeit 1915 2 275000 Fortschreibung 1919 1 842000 provisorische Erhebung 1923 1 861145 Volkszählung

1934 1 874130 Volkszählung 1938 2087000 Fortschreibung (Groß-Wien)

Die neue Staatsgrenze engte das Ergänzungsgebiet der Wiener Bevölkerung von einem die ganze Westhälfte der Monarchie umspannenden Bereich auf den größeren östlichen Teil des Reststaates Österreich ein. Die Tragweite dieses Verlustes wird klar, wenn man bedenkt, daß das heutige Einzugsgebiet von Wien 1890 nur ein Viertel der Zuwanderer geliefert hatte. Allerdings stieg der jährliche Zustrom in den Dreißigerjahren wieder auf über 10000 Menschen an und kam damit nahezu an die Werte der schwächsten Zuwanderung in der Zeit zwischen 1890 und 1900 heran. Das Hauptkontingent stellten dabei aber ostjüdische Zuwanderer, die auf ihrem Wege nach Westen in Wien haltmachten. 1934 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil Wiens mit 170000 Menschen nahezu 10% der Einwohner. 2) In dieser Zahl ist allerdings ein nicht unbeträchtlicher Anteil von Kriegsflüchtlingen mit enthalten.

9 Bobek-Lichtenberger, Wien

130

C . Die bauliche Entwicklung in der Zwischcnkricgszcit (1918— 1938) Angcsichts des im ganzen doch beträchtlichen Rückgangs der Zuwanderung stieg der

Prozentsatz der Ortsbüriigen in W i e n von einem Drittel im Jahre 1890 ( 3 4 , 5 % ) auf über die Hälfte ( 5 7 , 6 % ) 1 9 3 4 an. Die stärkere Zuwanderung richtete sich nun nach den inneren Bezirken, die daher 1 9 3 4 mit Werten von 47,5 bis 5 7 , 5 % einen über dem Stadtmittel gelegenen Prozentsatz von fremdbürtiger Bevölkerung

aufwiesen, während die äußeren, besonders

die Arbeiterbezirke, durch den wachsenden Anteil bodenständiger Einwohner das Abreißen der älteren Zuwanderungswelle deutlich erkennen lassen (z.B. Ottakring: nur mehr 3 3 , 6 % fremdbürtige Einwohner). D i e nach dem Ersten Weltkrieg bis in die Dreißigerjahre schwach ansteigende positive Wanderungsbilanz reichte gerade aus, das immer größer werdende Geburtendefizit zu verdecken und die Bevölkerungszahl konstant zu erhalten. Damit w i r d ein weiteres Kennzeichen v o n W i e n in der Zwischenkriegszeit berührt, das Problem der Stadt ohne Nachwuchs.

D i e Geburtenrate sank von 17,7%,

v o r dem Ersten

Weltkrieg auf etwa S

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Nord west-bahnhof

Strandbad Gänsehäufel

Nordbahnhof

VQ&spräter

ÖSTERREICH-ATLAS

i,

V I 11 --

WIEN: IL VERBAUUN6 UND WOHNUNGSSTRUKTUR 1: 25.000 Entwurf: Hans Bobek und Elisabeth Lichtenberger Bearbeitung: Elisabeth Lichtenberger· im Rahmen der Lehrkanzel für Kulturgeographie der Universität Wien

REIHENH AUSVERB AUUNG DES GESCHLOSSENEN STADTGEBIETES

Baupenoden:

Aitvetbauung ι-or is«)

„Vorgrunderze i" iVerfcauung irischen (WO und ^ö« TOO „Grunde'/eii (Ve>b*uung ZWt*ct!fn t«9,70 Win =' «1«) Zwi»ehenkr?ee«eit (Ve-öauüng jwf*chef lltl wrf IMS) Kschk^trg»«'·. (Verbauung »»it IMS) Bei den Angaben wurden geringfügige Beim«ngungeri «Adefef Heuttyjten und Nutzungtfomu'n vi-nachflMigtT Verbauungsgrad: Dicht: verba...-« aw M% ^ «»eh· Weiträumig; Verb«uueg «, Mengwrtg mit Sefcfebe»e#rtW, legeuWWen dgi Bauhöhe: Höh« Vt>rb»uung: Drei- und mehf&wefcewie Niedre Ve-rbauunu: Zwei- und eingeschossig Dicht

W..11riumig

tucKenfcatt Hohe Altbauten Paliste der Altstadt

Hohe vorgrönderfettllche Reihenhäuser (afte VcM«idte) Widrige alte und »orgrürvdeaeMiehe Reihenhäuser Hohe Reihenhiuser

,

Hohe und niedrige Reihenhautet j Niedrige Reihenhäuser

der Stunde«·«

Ebenerdige ReihenhSuser Hohe Wohnhausanlagen Niedrig« Reihenhausantagen j

der Zwischen*» iegKeit

Hohe Wohnhaueanlagen der Nachfcriegamt Mangling·« wen Bautypen de« mkMohmm Stadtgebiete« alnd durch B i n d e r u n g In den Farben der bete ff igten Elemente bezeichnet, w».· «achstehende Beispiele: | H Hohe Altbauten gemengt mit hohen Reihenhäusern der Vorgründerieit H i l l

Hohe Alttauten gemengt ntft hohen Reihenhäusern der Vergrämter- tmö Gründet*·»

'«Τ·!· I t -fc1 -t A:;" t t t t t t - t I r j t 1 1 ΐ 1 1 •y

Steinhof

Schmelz

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Penz|ngj

Schönbrunn

Küniglbetg

l ätzend ο rf/

-—

Ziegelwerke

gr-nrgggiB rtTfflJBFa liJUlil

Mengung von hohen Altbauten mit hohen Wohnhausanlagen der Nachkriegszeit

Reihenhäusern

der

Vorgründer-

und

Gründerzeit

sowie

hohen

Mengung von hohen Reihenhäusern der Vorgründerzeit und Gründerzeit ( w e i t r ä u m i g ) Mengung von hohen und niedrigen Reihenhäusern der kriegszeit (löckenhaft)

[» a « χ a I* aj

Gründerzeit mit h o h e n Wohnhausanlagen

der

Nach-

Wohnungsstruktur: Vorherrschende Kleinwohnungen (über 80%) Kleinwohnungen in stärkerer Mengung mit Mittelwohnungen (20 bis 50%) Überwiegend Mittelwohnungen (über 50%) in Mengung mit

Kleinwohnungen

und einzelnen

Großwohnungen

Überwiegend Mittelwohnungen (über 50°,,) in Mengung mit Großwohnungen (über 30%) und einzelnen Kleinwohnungen Wohnräume (außer Küche)

Wohnungsgröße: Kleinwohnung Mittelwohnung Großwohnung

0,5 bis 1,5 2,0 „ 3,5 4,0 und mehr

VERBAUUNG DES STADTRANDES Bes.weitstsndig bzw. lückenhaft

V i l l e n m ä ß i g e V e r b a u u n g (alternierende Farbzeichen bedeuten entsprechende Mengung von Bautypen):

•.*»*!

Barackenlager Übergänge von Schrebergärten Siedlungshausgebieten: Sommerhütten in Mengung mit Siedlungshäusern

Einzeln stehende Schlösser

• • · · *. * j«ι

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Alte Villen (ζ. T . Landhäuser) in Mengung mit jüngeren

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Villen (ζ. T . Reihenvillen) der

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I-

°

Sommerhütten

Gründerzeit ο

Schrebergärten durchsetzt von Siedlungshäusern

Villen seit dem ersten Weltkrieg Planmäßige



re

Schrebergärten

Einzelhaussiedlungen

Ungeplante Einzelhaussiedlungen: (alternierende Farbzeichen bedeuten entsprechende Mengungen) Siedlungshäuser s e i t d e m ersten Weltkrieg Kleinsiedlungshäuser und Behelfsheime in Mengung mit Siedlungshäusern vorwiegend der Zwischenkriegszeit Kleinsiedlungshäuser und Behelfsheime vorwiegend der Zwischenkriegszeit

zu

Alte Dörfer: Baulich kaum verändert (ζ. T. noch mit landwirtschaftlichen Betrieben) Durchsetzt von niedrigen sern der Gründerzeit

ESsnwni B B

Durchsetzt von hohen der Gründerzeit

Reihenhäu-

Reihenhäusern

SONSTIGE STÄDTISCHE VERBAUUNG UND LANDNUTZUNG S: Sportplätze, B: Bäder, V : Vergnügungsstätten

SΒV

öffentliche Gebäude und Bürohäuser größeren Ausmaßes

Ungenutzte Bauten und Flächen (Schuttablagerungsplätze, Ödland)

Größere Industrieanlagen und Werkstätten

Gärten und Obstanlagen

Lagerhäuser und Lagerplätze

Erwerbsgärtnereien

Markthallen Verkehrsanlagen und -flächen außer Straßen

Λ t

-t -t -t 1 1 -t



z

z

Weingärten

z

Ausflugsstätten

Wiesen

Parkanlagen

Ackerland

Friedhöfe

M a B s t a b : 1:25.000

|

W a l d , Augebiet

H e r a u s g e g e b e n von der O s t e r r e i c h i s c h e n A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n © K a r t o g r a p h i e , Druck und Verlag Freytag-Berndt und Artaria, Wien. 1. L i e f e r u n g 1960

Bisamberg

Kritz^Haorf

Bisamberg 361

igging .Langenzersdorf

Klosterneuburg

Hermarinskoeel /542+

Weidlingtsai

Neustilt

Exclberg

• · . · • · · · · »Pötzleins • · · · I & s d o r f '·/

iuaarfen • ahnho\ Gallitzinberg V 388

Wolfersberg 321Ψ

V ~

tVolkspratg

Hagenbrunn

Rammersdorf

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Gerasdorf

Oberiisse

Aderkloa

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Hjrschsfettef^.^ H

Schafflerhof

'•KaisermiJbiö^

,spern olkspratgr

Großenzjgfsdorf

Leo pol d s d ο rf

ALTER BAUBESTAND

GRÜNDERZEITLICHE VER Geschlossene zwei- und mehrgeschossige

Wenig

Durchsetzt von

Reihenhausverbauung

verändert

gründerzeitl. Reihenhäusern

Aufgelockerte zwei- und mehrgeschossige Reihenhausverbauung Reihenhausverbauung der Altstadt und Vorstädte

Lückenhafter Stadtrand

Dörfer und Vororte, Villen

einzelne Schlösser u. dgl. Grenze der bis 1833 34 verbauten Gebiete Stadtgrenze 1904

Einzelhäuser bescheidener 0

Ö

0

0

0

O

Gemüsebaubef riebe

Prägung

Ο

Quellen:

: VERBAUUNG

1. H a u s w e i s e A u f n a h m e unter M i t w i r k u n g v o n S t u d i e r e n d e n

Aufgelockerte G r o t j a n t o g e n des S t o d l r a n d e s ( K r a n k e n h ä u s e r u. d g i )

im R a h m e n der L e h r k a n z e l für K u l t u r g e o g r a p h i e der Universität W i e n in d e n Jahren 1 9 5 6 — 1 9 6 0 . 2. K a t a s t e r p l a n des W i e n e r P o l i z e i r a y o n s 1833 34, 1 : 2 8 8 0

Ebenerdige Reihenhäuser Bahnanlagen i

*

g

α

c

P a r k a n l a g e n u n d sons! g e Erholungsstätten (ι

T. bereits älter)

Fr.edhöte Z i e g e l e i e n und sonstige isoherte Industr e a n l a g e n

3. G e n e r a l s t a d t a t l a s v o n W i e n 1912, 1:.2880 4. H. H a s s i n g e r : Kunsthistorischer A t l a s der k. k. Reichsh a u p t - u n d Residenzstadt W i e n . Bd. X V . der österr. K u n s t t o p o g r a p h i e . W i e n 1916 5. E r g ä n z u n g durch verschiedene K a t a s t e r p l ä n e M o n s t a b 1: 75.000

Η. Bobek u. E. lichlenberger: Di· baulich· Entwicklung Wiens ab Mill· dai 19. Jahrhunderts

WIEN: VERBAUU*

361

ÄLTERER BAUBESTAND (emuhliehlich

städtisch genutiler

Flechen wie Friedhöfe u. dgf.) j

Wenig verändert

•HinnUlllfllll'lll' 11|ΙΐΐΠΐ1!1Ι!Ι!)Ιιι

Durchsetzt von der mehrgeichoii-gen Reihenhäusern Zw.idienl'egjie!

|

;. i

Gemusebaubetriebe pQrkanlagen des offenen Stadtrandes und sonstige Erholungsslollen G»ündert»itliehe Grenze des geschlossenen und lückenhaften Stadtkerns Stodtgrenze 1937

ZWISCHENKRIEGSZEITLIC Mehrgeschossige größere Wohivanlagen

[o

Niedrige Reihenhousonlagen Villen in Mengung mit Siedlungshäusern Plonmäh>ge Elfnelhavssiedbngen Ungeptenle Siedlungshousgebret· 8eheif»he;mgebiete und Kolo«is»ens^d!ung

fc*t'"S" ' i·;

fISA U U N G S I Y P E N

iSZElTLICHE j ° ο

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D E R Ζ W1S C Η Ε Ν Κ R I Ε G S Ζ Ε1Τ

VERBAUUNG Gemüsebaubetriebe

• I i i

Aufgelockerte Grofjanlogen des Stadtrandes (Krankenhäuser u. dgl.)

BBSS

Indjsli-ieüächen und Lagerplätie

(1918-1938)

Quellen: 1. Hausweis· Aufnahm· unter Mitwirkung von Studierenden im Rahmen der Lehrkanzel für Kuliurgeographie der Univerjitöl Wien in den Jahren 1956—«960 2. Generalstadtatlas von Wien 1912, 1:2880 3. Lullbildplön· 1; 5000. aufgenommen Okiober, November 1938. Maljstab 1: 75.000

Friedhöf· SdiuHabiagerungsplätze, Ödland

Η. B o b e k u. Ε. Lichlenberger: Die bauliche Entwicklung W i e n s a b M i l l e

d e s 19. Jahrhunderls

WIEN:

VERBAUUNGS!

Seyrinq

;ι K a g e n b r u n n

Slammersdorf

Aderklaa

Sußenbrunn

leopoldtA

Hirschstell, Schalllerhol

Flugfeld Aspern olksprater\ Mühlhäul i

Großem

Breiieinsee

Schmielz

Penzing

Hietziifl

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oSchönbrunn

Lainzer

(Arseni Ost- \ Bahnnbf

Speising Altmannsdorf

l/Wietierberg^ &f< Ziegelwerke

Rosenhiigefä

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Mauer Inzersdorf

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Kalksburg ^

ι

Oberlaq

^| Rothneusiedl

Siebenhirl Perchtoldsdorl

Vösendorf

Bierhäusel berg 487

Hennersdorf Leopoldsdorf

Bruhn a . G

KRIEGS- U N D

ÄLTERER BAUBESTAND ( einschließlich I

,

I

1

städfisch genutzter Flächen wie Friedhöfe u. dgl.)

W e n i g verändert

Mehrgeschossige größere

Durchsetzt v o n mehrgeschossigen Reihenhäusern der Nachkriegszeit

NACHKRIEGSZEi" Wohnanlagen

Niedrige Reihenhausanlagen

Gebiete mit Dbergangsnutzung ·'· · · i

Villen in M e n g u n g mit Siedlungshäusern und ζ. T. landwirtschaftlich genutzten Flächen

Gemüsebaubetriebe Ungeplante Siedlungshausgebiete Parkanlagen des offenen Stadtrandes Zwischenkriegszeitliche Grenze des geschlossenen und lückenhaften Stadtkerns

Schrebergarten und Sommerhütten im U b e r g a n g zur Dauersiedlung

3SZEITLICHE VERBAUUNG Behelfs- und

Quellen:

Kleinhausgebiete

Industrieflächen und

1. H a u s w e i s e A u f n a h m e u n f e r M i t w i r k u n g v o n S t u d i e r e n d e n im R a h m e n der L e h r k a n z e l für K u l t u r g e o g r a p h i e der U n i v e r s i t ä t W i e n in d e n J a h r e n 1 9 5 6 — 1 9 6 0

Lagerplätze

G e b i e t e mit O b e r g a n g s n u t z u n g ( S c h r e b e r g ä r t e n , merhutfen, beginnende

Schuftablagerungsplätze,

Einzelhausverbauung)

2. L u f t b i l d p l ä n e 1: 5 0 0 0 , a u f g e n o m m e n Oktober/November 1938 Som-

3. L u f t b i l d p l ä n e April

Ödland

aufgenommen

M a f j s t a b 1: 7 5 . 0 0 0 L 0

S t a d t g r e n z e seit 1955

1: 5 0 0 0 ,

1956

l 10 00

_J 2000

1 3000 m

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TER STADTRAND UND W 0 H N V E R B A U U N 6 DES OFFENEN STADTRANDES Hägenbrunn

KapelierTeld

Oberlisse

Aderkloa J edler! [enbrunn

Brüdchoulej

Hirichstellen, Sdiafflerhof

Flugfeld

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Wolfersberg 32!-Φ- V

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W ieiurbtrger Ziepelwerke

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Atzgersdorf l.nz'erii

ilksburg Rodaun

Rothneusiedl

•iebenhirl Vösendorf Bierhäusel· berg 487

Hennersdorf »Idsdorf

Baulich erhaltene a l l e Ortskerne

Niedrige Reihenhausanlagen der Zwischen- und Nachkriegszeit

Geschlossener Stadtkern

Niedrige, meist gründerzeitliche Reihenhäuser

Lückenhafter Rand des geschlossenen Stadtkerns

i · · · * ·> ·· · · (·_·_·_·

Villengebiete, ζ, T. durchsetzt von Weingärten

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Groflenzeridorf :Bibe[f«iufin''

Freudenau Gaswerk

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Kaiser-EbersdoH

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Flugfeld

Planmäßige Einzelhaussiedlungen

Quellen:

Behelfs- und Kfemhausgebiete mil hohem Anfeil von Obergangsnutzungen

Hausweise Aufnahme unter Mitwirkung von Studierenden im Rahmen der Lehrkanzel für Kulturgeographie der Universität Wien in den Jahren 1956—1960

öffentliche Grofjantagen (Krankenhäuser u. dg!,}

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Heiligeniloi^-i Neuitifl

Währing

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Gallitzinberg »roter,

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1 Schrebergärten in Mengung mit andere Nullungen

Industrieanlagen und Lagerplätze

FT?Ky3 Schultablagerungtplälze, Ödland

Schrebergärten- und Sommer Hüttenkomplexe im Obergang zum Dauersiedelgebiet Schrebergärten- und Sommerhütlenkompleie durchsetzt von Siedlungshäusern

U S T R I E F I Ä C H E H

UND

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Behelf»- und Klelnhoujgebiele durönetzl von GarHnparzeHen

Quellen:

Klein- und Beheüshauigebiete in Aufwertung xum S «d'ungshauigeb-et

im Rahmen der Lehrkaniel liir Kulturgeographie der

Parkonlogen und lomiige Erholungittächen (Spo'lp'c-re, Bader υ dg!.} Stadlgrenze feit 1955

Hauiweise Aufnahme unter Mitwirkung von Studierenden Universität Wien In den Jahren 195«—1960.

Mafjstab 1: 75.000 1000

200«

Η. Bobek u. Έ. Liditenberger: Die bauliche Entwicklung Wiens ab Mille des t9. Jahrhunderts iiscmberg

Biiambcrg 361

Klosterneuburg StrebersdorJ

Dreimark; stein 45^·

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scharf, unscharf

Geschlossen verbauter Stadtkern und alt· Ortskerne im offenen Stadtrand

mmmiliu

Grenzen der Verbc.-ngsrec

Lückenhafter Rand des geschlossenen Stadtkerns

Offen verbaute Stadtrandzone

Grenzen einzelner Verbauur

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Untergeordnete Strukturgren;

Verben/ung»r*g